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German Pages 722 [725] Year 2002
JUS PRIVATUM Beiträge zum Privatrecht Band 65
A R T I BUS
Andreas Heinemann
Immaterialgüterschutz in der Wettbewerbsordnung Eine grundlagenorientierte Untersuchung zum Kartellrecht des geistigen Eigentums
Mohr Siebeck
Andreas Heinemann, Jahrgang 1962; Studium der Rechts- und Wirtschaftswissenschaften in Bonn, Hagen, Genf und München sowie Rechtsreferendariat in Berlin; 1990/91 Teilnahme am 15-monatigen Cycle International der Ecole Nationale d'Administration in Paris; 1995 Promotion; 2000 Habilitation; seit 2001 Inhaber des Lehrstuhls für Deutsches Recht an der Universität Lausanne.
Gedruckt mit Unterstützung des Förderungs- und Beihilfefonds Wissenschaft der V G WORT.
Die Deutsche
Bibliothek
Heinemann,
Andreas:
-
CIP-Einheitsaufnahme
Immaterialgüterschutz in der Wettbewerbsordnung : eine grundlagenorientierte Untersuchung zum Kartellrecht des geistigen Eigentums / Andreas Heinemann. Tübingen : Mohr Siebeck, 2002 (Jus privatum ; Bd. 65) I S B N 3-16-147709-X
978-3-16-157962-2 Unveränderte eBook-Ausgabe 2019
© 2002 J . C . B . Mohr (Paul Siebeck) Tübingen. Das Werk einschließlich aller seiner Teile ist urheberrechtlich geschützt. Jede Verwertung außerhalb der engen Grenzen des Urheberrechtsgesetzes ist ohne Zustimmung des Verlags unzulässig und strafbar. Das gilt insbesondere für Vervielfältigungen, Ubersetzungen, Mikroverfilmungen und die Einspeicherung und Verarbeitung in elektronischen Systemen. Das Buch wurde von Computersatz Staiger in Pfäffingen aus der Garamond-Antiqua gesetzt, von Guide-Druck in Tübingen auf alterungsbeständiges Werkdruckpapier gedruckt und von der Großbuchbinderei Heinr. Koch in Tübingen gebunden. ISSN 0940-9610
Vorwort Das Ziel dieser Untersuchung besteht in einer Neubestimmung des Verhältnisses von Kartellrecht und Recht des geistigen Eigentums. Anlass waren die Arbeiten am Draft International Antitrust Code (DIAC), einer Initiative aus der Wissenschaft zur Aufnahme von Kartellrecht in die W T O . Der Verfasser schlug im Zuge dieser Arbeiten für den Grenzbereich von Kartellrecht und Immaterialgüterrecht einen „Vier-Felder-Ansatz" vor, der eine Verfeinerung der im deutschen und europäischen Recht herrschenden Inhaltstheorie, bzw. Lehre vom spezifischen Gegenstand beabsichtigte. Weder die herrschenden Konzepte noch der eigene Vorschlag hielten allerdings kritischer Uberprüfung stand. Die alten Ansätze stammen aus einer Zeit, in der ein antagonistisches Verhältnis beider Rechtsgebiete angenommen wurde. Geht man - richtigerweise - von einer weitgehenden Zielkomplementarität von Kartellrecht und Immaterialgüterschutz aus, entfällt das Bedürfnis nach schematischen Grenzziehungen. Stattdessen sind immaterialgüterrechtliche Wertungen schon bei der Auslegung der kartellrechtlichen Tatbestände heranzuziehen. Im Gegenzug entfällt die systemwidrige Abschirmung schutzrechtlicher Inhalte vor der Anwendung von Kartellrecht. Die Untersuchung wurde im Sommersemester 2000 von der Juristischen Fakultät der Universität München als Habilitationsschrift angenommen und befindet sich auf dem Stand von August 2001. Sie wäre nicht möglich gewesen ohne meinen Lehrer und Mentor Wolfgang Fikentscher, der mich mit dem Beginn meiner Assistentenzeit in den erwähnten kartellrechtlichen Arbeitskreis aufnahm, den Anstoß zur Habilitationsschrift gab und ihre Betreuung übernahm. Von noch grundlegenderer Bedeutung sind die vielfältigen Anregungen, die ich von ihm schon seit der Studienzeit erhalten habe, und die weit über den Gegenstandsbereich von Recht und Ökonomie hinausgehen. Ihm sei diese Arbeit gewidmet. Mein herzlichster Dank gilt auch Helmut Köhler, und zwar einerseits für die Erstattung des Zweitberichts und für so manche Förderung, und andererseits für die freundliche Aufnahme am Lehrstuhl, wo ich im Kreis um Karin Mella und Ingeborg Wild ein wunderbares Umfeld und die idealen Arbeitsbedingungen für das langwierige Projekt gefunden habe. Gedankt sei dem Chicago Kent College of L a w und ganz besonders David Gerber für die Unterstützung bei den Recherchen zum US-amerikanischen Recht. David Gerber, amerikanischer Rechtsvergleicher und eng vertraut mit
VI
Vorwort
europäischem R e c h t sowie zahlreichen europäischen R e c h t s o r d n u n g e n , hat mein Verständnis für transatlantische Gemeinsamkeiten und Unterschiede ganz erheblich gestärkt. Besonders viel gelernt habe ich auch von R o l f Sack und H a n n s Ullrich, deren jahrzehntelanger Arbeit an der Schnittstelle von Kartellrecht und R e c h t des geistigen Eigentums diese U n t e r s u c h u n g viel zu verdanken hat. Sehr am H e r z e n liegt mir der D a n k an den Arbeitskreis L 2 9 (in letzter Zeit: Winfried B r e c h m a n n , Martina D e c k e r t , Tatjana H ö r n l e , O l i v e r Lepsius, H e l mut Petz, Adelheid Puttler, Birgit Schmidt am B u s c h und Christian Waldhoff) und an alle anderen F r e u n d e und Kollegen für fruchtbaren Gedankenaustausch mit engerem, weiterem oder auch gar keinem B e z u g zum T h e m a der A r b e i t , nämlich an J o s e f D r e x l , U l r i c h E h r i c k e , H a n s - P e t e r F o l z , Daniel K h a n , T h o mas Möllers, J a n - H e n d r i k Rover, Philip Spoerri und Markus Zöckler. N i c h t unwichtig war schließlich das Asyl, das mir an der Tafelrunde des M ü n c h e n e r V ö l k e r r e c h t s gewährt wurde. Zu danken habe ich dem Freistaat B a y e r n für die F ö r d e r u n g dieser A r b e i t durch den Bayerischen Habilitations-Förderpreis, sowie der Verwertungsgesellschaft W O R T
für die G e w ä h r u n g eines großzügigen
Druckkostenzu-
schusses. M ü n c h e n , den 30. September 2001
Andreas H e i n e m a n n
Inhaltsübersicht Einleitung A. Das Verhältnis von Kartellrecht u n d Recht des geistigen Eigentums
1
B. Begriff des geistigen Eigentums
2
C. Eingrenzungen
6
D . Gang der Darstellung
8
1. Teil
Ökonomische Grundlagen des geistigen Eigentums und seiner kartellrechtlichen Bezüge A. Klassische Begründungen und ihre empirische Ü b e r p r ü f u n g
12
B. Mehrebenenansatz
14
C. Ö k o n o m i s c h e Analyse des Immaterialgüterrechts
15
D . Immaterialgüterrechte als p r o p e r t y rights
21
E. Kartellrecht des geistigen Eigentums in ökonomischer Betrachtung
24
F.
30
Ergebnis
2. Teil
US-amerikanisches Recht A. Historische Fragmente zum Verhältnis von Ausschließlichkeitsrechten u n d wirtschaftlicher Freiheit im englischen Recht
33
B. Entwicklungslinien des amerikanischen Intellectual P r o p e r t y Antitrust
37
C. A n w e n d u n g s p r o b l e m e
85
D . Zusammenfassung
120
3. Teil
Deutsches Recht A. Geschichtliche Vorbemerkung
123
B. Deutsches Kartellrecht des geistigen Eigentums
139
Vili
Inhaltsübersicht
C. Immaterialgüterrechtliche Regelungen mit kartellrechtlichem Bezug, insbesondere Zwangslizenzen D. Ergebnis
178 187
4. Teil Europäisches Recht A. Immaterialgüterschutz im System des EG-Vertrags B. Immaterialgüterschutz und Grundfreiheiten C. Immaterialgüterschutz und europäisches Kartellrecht
190 217 288
5. Teil Internationales Recht A. B. C. D. E. F.
Havanna Charta 558 Der UN-Kodex zur Kontrolle wettbewerbsbeschränkender Praktiken 561 Der UN-Entwurf eines Verhaltenskodex über den Technologietransfer 565 OECD-Leitsätze für multinationale Unternehmen 569 Agreement on Trade-Related Aspects of Intellectual Property Rights (TRIPs) .. 572 Kartellrecht im WTO-System 594
Ergebnis A. Ökonomische Betrachtung: Verdeutlichung der Funktionszusammenhänge, aber keine Vorgaben more geometrico für das Grundlagenproblem B. Amerikanisches Recht: Metamorphosen des intellectual property antitrust C. Deutsches Recht: Reformverweigerung D. Europäisches Recht: Austarierung von Marktintegration, Wettbewerbsschutz und Immaterialgüterrecht E. Internationales Recht: Die Notwendigkeit eines internationalen Wettbewerbsübereinkommens F. Integration des Immaterialgüterschutzes in die Wettbewerbsordnung
619 620 622 623 627 628
Literaturverzeichnis
631
Sachregister
679
Inhaltsverzeichnis
Einleitung A. Das Verhältnis von Kartellrecht und Recht des geistigen Eigentums . . .
1
B. Begriff des geistigen Eigentums
2
I. Ursprünge
2
II. Aktualität
4
III. Unterschiede und Gemeinsamkeiten zwischen Sacheigentum und geistigem Eigentum
5
IV. Vorzüge des Eigentumsbegriffs
5
C. Eingrenzungen
6
I. Recht des unlauteren Wettbewerbs II. Einheitliche Anwendung des Kartellrechts auf das Gesamtgebiet des geistigen Eigentums? III. Lizenzkartellrecht
7 7 8
D. Gang der Darstellung
8
1. Teil
Ö k o n o m i s c h e Grundlagen des geistigen Eigentums u n d seiner kartellrechtlichen Bezüge A. Klassische Begründungen und ihre empirische Überprüfung
12
B. Mehrebenenansatz
14
C. Ökonomische Analyse des Immaterialgüterrechts
15
I. Kosten/Nutzen-Kalküle II. Abgeleitete Nutzungen
17 18
X
Inhaltsverzeichnis
III. Marken und Geschäftsgeheimnisse
18
IV. Ertrag der ökonomischen Analyse
19
D. Immaterialgüterrechte als property
rights
I. Grundthese
21 21
II. Anwendung auf das geistige Eigentum
21
III. Kosten und Nutzen der Internalisierung
22
IV. Anreizwirkung durch Immaterialgüterrechte?
23
E. Kartellrecht des geistigen Eigentums in ökonomischer Betrachtung . . . 24 I. Konflikt, Harmonie oder Komplementarität zwischen Kartellrecht und Recht des geistigen Eigentums? II. Innovationsförderung als Ziel des Kartellrechts
25 27
III. Schutzrechte und Marktbeherrschung
28
IV. Ökonomische Beurteilung beschränkender Klauseln in Lizenzverträgen
28
F. Ergebnis
30
2. Teil
US-amerikanisches Recht A. Historische Fragmente zum Verhältnis von Ausschließlichkeitsrechten und wirtschaftlicher Freiheit im englischen Recht 33 I. Privilegienwesen II. Das englische Statute of Monopolies von 1624 III. Folgerungen B. Entwicklungslinien des amerikanischen Intellectual Property Antitrust I. Erste Erfahrungen mit dem Sherman Act von 1890: Keine Anwendung von antitrust-Kecht auf Rechte des geistigen Eigentums II. Vom „Badewannen"-Fall (1912) bis in die siebziger Jahre: Konflikt von antitrust und Immaterialgüterrecht 1. Die Inhaltstheorie in Form des Zwei-Felder-Ansatzes 2. Die „Nine N o - N o ' s " 3. Verdienst und Schwäche
33 34 36
37
41 42 42 45 46
Inhaltsverzeichnis I I I . D i e L e h r e v o m patent misuse (bzw. Copyright misuse) 1. 2. 3. 4. 5. 6.
Tatbestand des patent misuse Copyright misuse Systematische Stellung des misuse-Konzepts in Kartell- und Privatrecht Entbehrlichkeit der patent misuse-Lehre Der Drei-Felder-Ansatz Entbehrlichkeit einer eigenständigen Lehre des patent misuse
XI 46 48 49 51 53 55 56
IV. D i e „Antitrust Guidelines for the Licensing o f Intellectual P r o p e r t y " und ihre theoretische Vorbereitung: D e r endgültige Abschied von der Inhaltstheorie
56
1. Vorbereitung des Meinungswandels: Die Chicago School 2. Entwicklung der Rechtsprechung 3. Die Guidelines a) Drei allgemeine Prinzipien b) Die betroffenen Märkte c) Wettbewerbsbeschränkungen in Lizenzverträgen d) Einzelne Lizenzierungspraktiken (1) Horizontale Beschränkungen (2) Vertikale Preisbindung (3) Kopplungen (4) Alleinbezugsvereinbarungen (5) Wechselseitige Lizenzen („cross-licensing") und Schutzrechtsgemeinschaften („pooling") (6) Rückgewährklauseln e) Konkrete Auswirkungen 4. Bewertung
56 58 61 63 65 66 69 69 69 70 70
V. Von der C h i c a g o S c h o o l zu „ P o s t - C h i c a g o E c o n o m i c s " 1. Hauptkritikpunkte der „Post-Chicago Economics" 2. Die Kodak-Entscheidung des U.S. Supreme Court a) Sachverhalt b) Entscheidungsgründe 3. Probleme und Lösungsmöglichkeiten 4. Auswirkungen des Post-Chicago-Ansatzes auf das Kartellrecht des geistigen Eigentums 5. Das Kartellrecht des geistigen Eigentums unter der ClintonAdministration C. Anwendungsprobleme I. Kontrahierungszwang zu Lasten von Immaterialgüterrechten . . . 1. Kopplungspraktiken 2. Marktmacht a) Lieferverweigerung b) Lizenzverweigerung nach bestehender Geschäftsbeziehung c) Lizenzverweigerung bei erstmaliger Kontaktaufnahme
70 72 72 73 76 76 79 79 79 82 83 84 85 85 89 89 90 91 93
XII
Inhaltsverzeichnis II. Unterfall des Kontrahierungszwangs: D i e „essential f a c i l i t i e s " - D o k t r i n
93
1. 2. 3. 4. 5.
94 96 96 98
Ursprung der „essential facilities"-Lehre Voraussetzungen Kritik essential facilities und Immaterialgüterrechte Ausblick auf die Rezeption der essential facilities-Lehre im europäischen Kartellrecht
100
I I I . „ m o n o p o l y leveraging": Einsatz von M o n o p o l m a c h t auf anderen M ä r k t e n
102
1. 2. 3. 4.
102 103 103 104
leveraging als eigenständige Monopolisierungsform? Verhältnis von leveraging und Monopolisierung Unterschied zur essential facilities-hehre leveraging im Zusammenhang mit Immaterialgüterrechten
IV. N o r m i e r u n g und Standardisierung, insbesondere de facto-Sta.nda.rds
104
1. 2. 3. 4. 5.
105 105 106 107 107
de facto-Standzrd und Hauptmarkt i/e/acio-Standard und abgeleitete Märkte Die „IBM"-Verfahren Berkey Photo v. Eastman Kodak Co Folgerungen
V. „Wintelism" - Strengere Regeln für weltweite de facto-Standards?
108
1. Microsoft a) „Microsoft-Lizenz-Verfahren" b) „Microsoft-Browser-Verfahren" c) Die erstinstanzliche Entscheidung im Browser-Streit d) Die zweitinstanzliche Entscheidung im Browser-Streit e) Folgerungen 2. Intel 3. ¿e/acio-Standards im Zeitalter der Globalisierung
108 109 110 113 114 115 117 119
D . Zusammenfassung
120
3. Teil
Deutsches Recht A . Geschichtliche V o r b e m e r k u n g I. E n t w i c k l u n g des deutschen Patent- und U r h e b e r r e c h t s 1. Ausgangspunkt 2. Urheberrecht
123 123 124 124
Inhaltsverzeichnis
XIII
3. Patentrecht - Die große Patentdebatte
125
4. Josef Kohler
126
II. Entwicklung des deutschen Kartellrechts 1. Das Reichsgericht
128 128
2. Kartellverordnung von 1923
129
3. Zwangskartellgesetz von 1933
132
4. Dekartellierungsrecht
132
5. Das Gesetz gegen Wettbewerbsbeschränkungen
133
III. Dogmatische Entwicklungslinien
135
1. Kaiserreich
135
2. Kartellverordnung
136
3. Dekartellierungsrecht
136
4. G W B
138
B. Deutsches Kartellrecht des geistigen Eigentums I. Speziairegeln für Lizenzverträge: §§ 17, 18 G W B 1. Regelungsgrundsätze 2. Vergleich zu den §§ 14 und 16 G W B
139 141 142 144
3. Inhaltstheorie
145
4. Kritik an der Inhaltstheorie a) Die Inhaltstheorie: Ein Konzept des US-amerikanischen Antitrust-Rechts, das in den USA längst überwunden wurde b) Schwierigkeiten mit der Inhaltstheorie des deutschen Rechts c) Normtheoretische Problematik der Inhaltstheorie vor dem Hintergrund des Eigentumsbegriffs d) Folgerungen
147
5. Vergleich zum europäischen Lizenzkartellrecht
II. Allgemeine Vorschriften über Vertikalvereinbarungen: §§ 14, 16 G W B 1. Preis-und Konditionenbindungen 2. Ausschließlichkeitsbindungen
147 148 150 153 154
154 155 155
III. Horizontale Wettbewerbsbeschränkungen: §§ 1 ff. G W B
156
1. Anwendbarkeit von § 1 G W B 2. Verhältnis von § 1 G W B zu den §§ 17, 18 G W B 3. Horizontale Beschränkungen im Zusammenhang mit Rechten des geistigen Eigentums
157 159
4. Begriff der Wettbewerbsbeschränkung 5. Ausnahmen vom Kartellverbot und Tatbestandsrestriktionen: Inhalts-und Immanenztheorie
160
160
161
a) Inhaltstheorie
162
b) Immanenztheorie
165
6. Ergebnis
166
XIV
Inhaltsverzeichnis
IV. Missbrauch marktbeherrschender Stellungen: § 19 GWB 1. Schutzrechte und Marktbeherrschung 2. Missbrauch, insbesondere die Lizenzverweigerung 3. Lizenzierungspflichten unter dem Gesichtspunkt der wesentlichen Einrichtung? a) § 19 Abs.4 Nr.4 G W B : Regelbeispiel f ü r den Missbrauch von N e t z e n oder anderen Infrastruktureinrichtungen b) Immaterialgüterrechte als wesentliche Einrichtung c) Allgemeine G r u n d s ä t z e des Kontrahierungszwangs d) Voraussetzungen des Lizenzierungszwangs e) Abstellung des Missbrauchs nur durch Verbote, nicht aber durch Gebote? 4. Inhaltstheorie 5. Ergebnis
V. Behinderungs-und Diskriminierungsverbot: § 20 GWB
167 167 168 170 170 171 171 172 173 173 174
174
VI. Fusionskontrolle: §§ 35ff. GWB
176
VII. Vorrang des europäischen Rechts
176
C. Immaterialgüterrechtliche Regelungen mit kartellrechtlichem Bezug, insbesondere Zwangslizenzen
178
I. Materielle Voraussetzungen für die Erteilung einer patentrechtlichen Zwangslizenz
180
II. Die „Polyferon"-Entscheidung des B G H
181
1. Sachverhalt 2. Entscheidungsgründe 3. Kritik
181 182 183
III. Folgerungen
185
D.Ergebni s
187
4. Teil
Europäisches Recht A. Immaterialgüterschutz im System des EG-Vertrags I. Art. 295 EGV (= Art. 222 EGV a.F.) 1. Ausgangspunkt: Art. 295 E G V als „offene Flanke" des Gemeinschaftsrechts? 2. Folgerungen aus der Entstehungsgeschichte 3. Standpunkt des Gerichtshofs 4. G r ü n d e f ü r die restriktive Auslegung von Art. 295 E G V a) Art. 295 E G V als bloße Übergangsvorschrift? b) Umfasst die Eigentumsordnung auch das geistige Eigentum?
190 191 191 192 192 193 194 195
Inhaltsverzeichnis c) Bestand und Ausübung von Eigenturasrechten
XV 195
(1) Rhetorische Funktion der Formel
196
(2) Politische Funktion der Formel
197
(3) Keine Verabsolutierung der Formel
198
5. Art. 295 E G V im System des EG-Vertrags
199
a) Gemeinschaftsrechtliche Schutzrechte
199
b) Harmonisierung
200
c) Anwendung von Primärrecht
201
d) Art. 295 E G V : Kompetenz-, nicht Sachnorm
202
6. Ergebnis
II. Rechtsgrundlagen zur Harmonisierung nationaler Schutzrechte 1. Art. 94 E G V (= Art. 100 a.F.) 2. Art. 95 E G V (= Art. 100a a.F.) a) Formelle Unterschiede zu Art. 94 E G V b) Materielle Voraussetzungen 3. Sonstige Harmonisierungsgrundlagen a) Gemeinsame Handelspolitik: Art. 133 E G V (= Art. 113 a.F.)
203
205 206 208 208 210 211 211
b) Agrarpolitik: Art. 37 E G V (= Art. 43 a.F.)
212
c) Niederlassungs-und Dienstleistungsfreiheit
213
d) Verbraucherschutz: Art. 153 Abs.4 E G V (= Art. 129a Abs.2 a.F.) . . 2 1 4
III. Einheitliche europäische Schutzrechte: Art. 308 E G V (= Art. 235 a.F.)
214
1. Externe Lösung
215
2. Interne Lösung
215
IV. Ergebnis B. Immaterialgüterschutz und Grundfreiheiten I. Freier Warenverkehr und nationale Schutzrechte 1. Nationale Schutzrechtssysteme als staatliche Regelungen
217 217 218 219
2. Nationale Schutzrechte als Maßnahmen gleicher Wirkung wie eine mengenmäßige Beschränkung
220
a) Territorialitätsprinzip und freier Warenverkehr
221
b) Nationale Schutzrechte als Handelsbeschränkung?
222
(1) Übernahme der Wettbewerbseröffnungslehre?
222
(2) Rechtssache „ K e c k "
224
(3) Zusätzliche Tatbestandsrestriktionen?
225
(4) Ergebnis
227
c) Handelsbehinderung durch Einschränkung nationaler Schutzrechte - das Problem der „underprotection"
228
(1) „Zwangslizenz"-Entscheidungen
228
(2) Unmittelbare und mittelbare Einfuhrbehinderungen
228
(3) Folgerungen
229
3. Importbeschränkungen zum Schutz des gewerblichen und kommerziellen Eigentums (Art. 30 E G V )
230
XVI
Inhaltsverzeichnis a) Allgemeine Voraussetzungen von Art. 30 E G V b) Begriff des gewerblichen und kommerziellen Eigentums (1) „Gewerbliches Eigentum" im allgemeinen Sprachgebrauch . . . . (2) „ Kommerzielles Eigentum" im allgemeinen Sprachgebrauch . . (3) A u t o n o m e Bedeutung des gewerblichen und kommerziellen Eigentums im Gemeinschaftsrecht a) Urheberrecht ß) Lauterkeitsrecht c) „zum Schutz" des geistigen Eigentums 4. Die immaterialgüterrechtliche Trias: Bestand/Ausübung, Spezifischer Gegenstand u n d E r s c h ö p f u n g
230 232 232 233 234 234 236 237 238
a) Bestand und A u s ü b u n g
238
b) Spezifischer Gegenstand von Immaterialgüterrechten (1) Zwei getrennte Prüfungsstufen? (2) Einheitliche P r ü f u n g (3) Spezifischer Gegenstand einzelner Schutzrechte а) Patentrecht ß) Urheberrecht
239 240 240 242 242 243
y) Geschmacksmusterrecht б) Markenrecht (4) „functionality test" ? a) Vorteile ß) Verhältnis zur Lehre v o m spezifischen Gegenstand
244 245 245 246 246
Y) Schwierigkeiten 5) Besonderheiten des Markenrechts E) Ergebnis (5) Unspezifische Inhalte von Schutzrechten
247 248 249 250
c) E G - und EWR-weite E r s c h ö p f u n g 250 (1) U r s p r ü n g e der gemeinschaftsrechtlichen Erschöpfungslehre . . . 251 (2) Konsequenzen des Zustimmungsgedankens 252 a) Immaterialgüterrechtliche Vermarktungspflichten 253 ß) Kartellrechtliche Vermarktungspflichten 253 Y) Sonstige Vermarktungspflichten (3) Reichweite der E r s c h ö p f u n g a) Deutsches Recht ß) Vermiet- und Verleihrecht
254 255 256 256
Y) Umpackfälle (4) E r s c h ö p f u n g nur bei A u s n u t z u n g eines parallelen Schutzrechts? a) Grundkonstellation ß) Standpunkt des Gerichtshofs
258
Y) Kritik an „Merck/Stephar" 6) Reaktion des Gerichtshofs e) Stellungnahme Ergebnis (5) Inverkehrbringen nach Schutzfristablauf
261 261 261 262 263 264 267 268
Inhaltsverzeichnis
XVII
(6) Von der gemeinschaftsweiten zur EWR-weiten Erschöpfung . . 2 6 8 (7) Internationale Erschöpfung? 270 5. Keine willkürliche Diskriminierung oder verschleierte Beschränkung des Handels (Art. 30 S.2 E G V ) 271 a) Eigenständige Bedeutung der Vorschrift im Immaterialgüterrecht . 272 b) Verschleierte Handelsbeschränkung 273 (1) „Centrafarm" (2) „Keurkoop"
273 273
(3) Folgerungen (4) Subjektiver Diskriminierungsbegriff?
274 274
c) Verhältnismäßigkeitsgrundsatz
276
II. Andere Grundfreiheiten und das allgemeine Diskriminierungsverbot des Art. 12 E G V
276
1. Dienstleistungsfreiheit a) Allgemeines
277 277
b) Geistiges Eigentum und Dienstleistungsfreiheit
278
c) Coditel I (1) Sachverhalt
278 278
(2) Entscheidungsgründe
279
(3) Bewertung d) Vereinbarkeit nationaler Schutzrechte mit der Dienstleistungsfreiheit, insbesondere die immaterialgüterrechtliche Trias (1) Beschränkungsverbot (2) Ausnahmen, insbesondere die immaterialgüterrechtliche Trias .
279
e) Abgrenzung von Dienstleistungsverkehr und Warenverkehr
281
280 280 281
2. Freier Personen- und Kapitalverkehr
282
3. Allgemeines Diskriminierungsverbot (Art. 12 E G V )
282
I I I . Gemeinschaftliche Schutzrechte und Grundfreiheiten 1. Bindung der Gemeinschaft an die Grundfreiheiten
284 284
a) Ausgangspunkt
284
b) Standpunkt des Gerichtshofs
285
c) Eingeschränkter Prüfungsumfang?
285
d) Ergebnis
286
2. Vereinbarkeit gemeinschaftlicher Schutzrechte mit den Grundfreiheiten und dem allgemeinen Diskriminierungsverbot
286
a) Konflikt gemeinschaftlicher Schutzrechte mit den Grundfreiheiten
287
b) Erschöpfung c) Spezifischer Gegenstand
287 287
C . Immaterialgüterschutz und europäisches Kartellrecht I. Allgemeine Grundsätze
288 289
1. Ausgangspunkt
290
2. Trennung von Bestand und Ausübung
291
a) „Consten und Grundig/Kommission"
291
XVIII
Inhaltsverzeichnis b) Zusammenhang mit der Kompetenzordnung des Vertrags
291
c) Anwendbarkeit der Wettbewerbsregeln
292
d) Unanwendbarkeit der Inhaltstheorie im europäischen Recht
292
e) Gemeinschaftsrechtliche Schutzrechte
293
3. Spezifischer Gegenstand gewerblicher Schutzrechte a) Anhaltspunkte im Sekundärrecht (1) Die Gruppenfreistellungsverordnung Technologietransfer („GFVO-TT") (2) Verhältnis von Primär- und Sekundärrecht vor dem Hintergrund der Lehre vom spezifischen Gegenstand (3) Schematismus der Lehre vom spezifischen Gegenstand (4) Vereinbarkeit einer schematischen Handhabung der Lehre vom spezifischen Gegenstand mit der Gruppenfreistellungsverordnung Technologietransfer (5) Zwischenergebnis b) Die Handhabung der Lehre vom spezifischen Gegenstand durch den Gerichtshof (1) Vereinbarungen mit Bezug auf ungeschützte Produkte (2) Vereinbarungen mit Bezug auf geschützte Produkte, die außerhalb des spezifischen Gegenstands des Schutzrechts liegen а) Eindeutige Fälle
294 295 295 301 303
303 304 305 305
307 307
ß) Keine Angaben zum spezifischen Gegenstand y) „Maissaatgut": Ausschließliche Lizenzen
308 308
б) „BAT Cigarettenfabriken": Markenabgrenzungsvereinbarungen; „Bayer/Süllhöfer": Prozessvergleiche
311
E) „Kai Ottung": Pflicht zur Zahlung von Lizenzgebühren nach Ablauf der Schutzdauer
312
(3) Vereinbarungen mit Bezug auf geschützte Produkte, die innerhalb des spezifischen Gegenstands des Schutzrechts liegen . . . . a) Lizenz vermerke ß) Schutzrechtsübertragung y) „Keurkoop/Nancy Kean Gifts": Abgestimmte Hinterlegung von Mustern 5) „Erauw-Jacquery": Verbot der Weitergabe von Basissaatgut (4) Argumentationsstruktur des Gerichtshofs c) Bedeutungsverlust des Konzepts vom spezifischen Gegenstand im europäischen Kartellrecht d) Unterschiedliche Bedeutung des Konzepts vom spezifischen Gegenstand im Zusammenhang von Grundfreiheiten und Kartellrecht (1) Grundfreiheiten (2) Kartellrecht (3) Bedeutungsunterschied e) Verhältnis von Grundfreiheiten und Wettbewerbsregeln (1) Stufenverhältnis? (2) Eröffnung und Ausübung von Handlungsmöglichkeiten
315 315 315 317 318 318 319
321 321 321 322 322 322 324
Inhaltsverzeichnis
XIX
(3) V o r ü b e r l e g u n g
324
(4) D i s k u s s i o n
325
f) Ergebnis
327
4. G r u n d a u f f a s s u n g e n ü b e r das Verhältnis v o n I m m a t e r i a l g ü t e r r e c h t u n d e u r o p ä i s c h e m Kartellrecht
328
a) Rein kartellrechtlicher A n s a t z
328
b) W e t t b e w e r b s e r ö f f n u n g s t h e o r i e
329
c) T h e o r i e v o m spezifischen G e g e n s t a n d
329
5. D e r hier vertretene S t a n d p u n k t
330
a) W e t t b e w e r b s e r ö f f n u n g s t h e o r i e
330
b) Rein kartellrechtlicher A n s a t z
331
c) Lehre v o m spezifischen Gegenstand
331
d) Verhältnis zu T h e o r i e u n d Praxis des G e r i c h t s h o f s
332
e) L ö s u n g s w e g
333
Art. 81 EGV
334
1. Allgemeines
334
a) Verbot u n d A u s n a h m e n b) D a s Mittel der W e t t b e w e r b s b e s c h r ä n k u n g : V e r e i n b a r u n g e n z w i s c h e n U n t e r n e h m e n , Beschlüsse v o n U n t e r n e h m e n s vereinigungen u n d aufeinander a b g e s t i m m t e Verhaltensweisen . . . .
334
336
(1) Bloß einseitiges Verhalten im R e c h t des geistigen E i g e n t u m s . . . 3 3 7 (2) V e r h a l t e n s k o o r d i n a t i o n im Recht des geistigen E i g e n t u m s . . . . (3) E r w e i t e r t e r Kartellbegriff im R e c h t des geistigen Eigentums? (4) Stellungnahme c) D a s g r e n z ü b e r s c h r e i t e n d e M o m e n t : D i e Zwischenstaatlichkeitsklausel
341
d) Immaterialgüterrechtliche B e s o n d e r h e i t e n im Kartellverfahrensrecht
341
(1) Allgemeine A u s n a h m e n v o n d e r A n m e l d e o b l i e g e n h e i t (2) Spezielle A n m e l d e b e f r e i u n g e n f ü r gewerbliche Schutzrechte a) Anwendungsbereich ß) Keine A n w e n d u n g auf L i z e n z g e b e r b e s c h r ä n k u n g e n y) B e f r e i u n g v o n der A n m e l d e o b l i e g e n h e i t n u r f ü r B e s c h r ä n k u n g e n hinsichtlich der A u s ü b u n g 2. Begriff der W e t t b e w e r b s b e s c h r ä n k u n g a) E i n f ü h r u n g (1) A b s t r a k t e W e t t b e w e r b s d e f i n i t i o n o d e r p r a g m a t i s c h e Einzelfallbetrachtung? (2) Ein Mittelweg: A n s ä t z e zur T a t b e s t a n d s b e g r ü n d u n g , -Verengung u n d - r e d u z i e r u n g b) Regelbeispiele in A r t . 81 A b s . l E G V c) K o n k r e t i s i e r u n g des Begriffs der W e t t b e w e r b s b e s c h r ä n k u n g d u r c h d e n Gerichtshof (1) Selbständigkeitspostulat
338 338 339
342 343 343 344 346 348 348 349 350 351 351 351
XX
Inhaltsverzeichnis (2) A u ß e n w i r k u n g 352 (3) A u ß e n w i r k u n g u n d Immaterialgüterrecht 353 (4) Handlungsbeschränkung als hinreichendes Kriterium? 354 d) Formale und materielle, bzw. abstrakte und konkrete Wettbewerbsbeschränkungen 354 (1) Ausgangspunkt 354 (2) Die Kardinalfrage: In welchem P u n k t schlagen bloße Handlungsbeschränkungen in tatbestandsmäßige Wettbewerbsbeschränkungen um? 356 a) Zusätzliche A n f o r d e r u n g e n an den Beschränkungsbegriff . . 356 ß) Beispiele aus den Kooperationsleitlinien 357 y) Beispiele aus der G F V O Technologietransfer 358 5) Umschlagpunkt 358 e) Notwendigkeit einer offenen Argumentation 359 y Verhältnis zur rule of reason r]) Überlastung der Kommission - ein Argument f ü r den materiellen Begriff der Wettbewerbsbeschränkung? (3) Zwischenergebnis e) Das Verhältnis von Art. 81 Abs.l und Abs.3 E G V (1) Ausgangspunkt (2) Konsequenzen (3) Folgerungen (4) Problemstellung
360 361 361 362 362 362 363 364
f) Eigene Bedeutung des Merkmals der Wettbewerbsverfälschung? . . 364 g) Beschränkungsfähiger Wettbewerb 366 (1) Arbeitsgemeinschaften 366 (2) Konzerne 367 (3) Kooperative Gemeinschaftsunternehmen (4) Folgerungen h) Spürbarkeit (1) Bagatellbekanntmachung der Kommission von 1997 a) Marktanteile ß) Vertragstypen y) Kleine und Mittlere U n t e r n e h m e n 6) Stellenwert der Bekanntmachung (2) Reichweite des Spürbarkeitskriteriums (3) Spürbarkeit auf dem Gebiet des geistigen Eigentums (4) Bündeltheorie a) Grundlagen ß) „Delimitis" y) Bagatellbekanntmachung ö) A n w e n d u n g der Bündeltheorie auf das Recht des geistigen Eigentums i) Schutzwürdiger Wettbewerb (1) Rechtswidriger Wettbewerb a) Lauterkeitsverstöße ß) „Dansk Supermarket"
367 367 368 369 369 370 370 370 371 372 374 374 375 375 375 376 377 377 378
Inhaltsverzeichnis y) Anforderungen an die nationale Lauterkeitsgesetzgebung . . 6) Konsequenzen für Einzelfälle b) Zusammenhang von Verkehrsfreiheit und K a r t e l l v e r b o t . . . . (2) Nicht-schutzwürdiger Wettbewerb im engeren Sinne j) Lehre vom spezifischen Gegenstand k) rule of reason? (1) Meinungsspektrum (2) Terminologische Fragen (3) Stellungnahme 1) Wettbewerbseröffnungs-, bzw. Markterschließungstheorie (1) Terminologische Klarstellung (2) Standpunkt des Gerichtshofs а ) Der Ausgangspunkt: „Maschinenbau Ulm" ß) Entscheidungen ohne (direkten) Bezug zum Recht des geistigen Eigentums y) Entscheidungen mit Bezug zum Recht des geistigen Eigentums б) „Maissaatgut" e) „Coditel II" (3) Mögliche Lösungsansätze a ) Konzept der formalen Wettbewerbsbeschränkung ß) Markterschließungsdoktrin im weiteren Sinn y) Konzept der materiellen Wettbewerbsbeschränkung, bzw. Markterschließungsdoktrin im engeren Sinn (4) Eigener Standpunkt (5) Präzisierung a ) Nebenabreden ß) Erforderlichkeit Y) Vereinbarkeit der Markterschließungsdoktrin i.e.S. mit Art. 81 EGV (6) Methodische Begründung a ) Der Vorschlag von J. Fritzsche ß) Materialisierung des Beschränkungsbegriffs Y) Methodische Grenzen der Materialisierung m) Immanenztheorie (1) Anwendbarkeit der Immanenztheorie im europäischen Kartellrecht (2) Methodische Begründung der Immanenztheorie im europäischen Kartellrecht (3) Immanenzrechtliche Einschränkungen des Kartellverbots durch den Gerichtshof a ) Unternehmenskauf ß) Genossenschaften Y) Folgerungen (4) Voraussetzungen der Tatbestandsreduktion (5) Verhältnis von Markterschließungstheorie i.e.S. und Immanenztheorie
XXI 378 379 380 381 381 382 383 384 386 387 388 389 390 390 392 393 398 400 401 401 402 403 405 405 405 408 408 408 409 410 411 411 412 414 414 415 415 416 417
XXII
Inhaltsverzeichnis (6) Zusammenführung von Markterschließungstheorie und Immanenztheorie ? (7) Immaterialgüterrechtliche Bezüge der Immanenztheorie a) Terminologische Vorbemerkung: Immanenztheorie und Inhaltstheorie ß) Relevanz der Immanenztheorie für das Recht des geistigen Eigentums y) Voraussetzungen für eine Anwendung der Immanenztheorie 8) Ergebnis 3. Möglichkeit der Freistellung nach Art. 81 Abs.3 E G V
418 419 419 421 421 422 423
a) Voraussetzungen
423
b) Versagung der Freistellung
423
c) Stellenwert der schwarzen Listen
424
d) Spezialitätsprinzip 4. Ergebnis
424 425
a) Gegen die Lehre vom spezifischen Gegenstand (im Zusammenhang mit europäischem Kartellrecht) 425 b) Begriff der materiellen Wettbewerbsbeschränkung
425
c) Vorschlag einer Markterschließungsdoktrin im engeren Sinn
426
d) Markterschließungsdoktrin und Verbotsprinzip e) Sachgemäße Fassung des Beschränkungsbegriffs statt immanenzrechtlicher Einschränkungen
427 428
III. Art. 82 EGV
428
1. Allgemeines
428
a) Verbotsprinzip
429
b) Ausnahmen
430
c) Zusammenhang von Freistellung und Missbrauchsverbot 2. Marktbeherrschende Stellung a) Grundsätze (1) Marktabgrenzung (2) Marktbeherrschung a) Marktanteil ß) Andere Kriterien Y) Marktbeherrschung auf dem Gemeinsamen Markt b) Sonderfall der relativen Marktmacht? c) Marktbeherrschung durch mehrere Unternehmen (1) Konzernunternehmen (2) Kartelle (3) Oligopol d) Marktbeherrschung durch Immaterialgüterrechte
432 432 432 433 435 435 436 436 437 438 438 439 439 441
(1) Anwendbarkeit des Missbrauchsverbots
441
(2) Zusammenhang von Schutzrecht und Marktbeherrschung
441
(3) Kein Automatismus zwischen Schutzrecht und Marktbeherrschung
442
Inhaltsverzeichnis
XXIII
(4) „Magill"
444
(5) Zeitliche Begrenzung von Ausschließlichkeitsrechten
445
3. Missbrauch
445
4. Zusammenhang zwischen Marktbeherrschung und Missbrauch
447
a) Strukturmissbrauch b) Keine Kongruenz von Marktbeherrschung und Missbrauch (1) ratio des Missbrauchsverbots (2) „Tetrapak I I " (3) Folgerung c) Strukturmissbrauch nur bei Erlangung einer beherrschenden Stellung auf dem Drittmarkt (1) Monopolstellung auf dem Drittmarkt? (2) Benachbarter, aber getrennter Markt (3) Objektive Rechtfertigung d) Ergebnis 5. Missbrauch einer beherrschenden Stellung durch Ausübung gewerblicher Schutzrechte? a) Missbrauch von Rechten b) Das Missbrauchsverbot als Prinzip des Kartellrechts
447 448 448 449 450 450 450 451 452 453 453 453 454
c) Missbrauchsverbot und Immaterialgüterrechte
454
d) Präzisierung
455
6. Die Anwendung von Art. 82 E G V auf Rechte des geistigen Eigentums durch Kommission und Gerichtshof
456
a) Bestand und Ausübung
457
(1) Kritik an der Unterscheidung (2) „Tetra Pak I "
457 458
(3) Folgerung
459
b) Spezifischer Gegenstand (1) Mängel der Lehre vom spezifischen Gegenstand (2) „Magill"
459 459 460
(3) Folgerung
460
(4) Fortgang der Untersuchung
461
c) Ausbeutungsmissbrauch (1) Preismissbrauch а) „Parke, Davis & C o . "
462 463 464
ß) „Sirena/Eda"
464
Y) „Coditel I I " und „ C I C R A u.a./Renault" б) „Tournier" E) „Micro Leader/Kommission" Konzept der Gewinnbegrenzung oder Vergleichs-
465 466 466
marktkonzept? (2) Konditionenmissbrauch (3) Missbrauch zu Lasten von Schutzrechtsinhabern a) Verwertungsgesellschaften ß) Normen
466 468 469 469 470
XXIV
Inhaltsverzeichnis y) Einsatz von Marktmacht gegen den Vorwurf der Schutzrechtsverletzung
470
Ô) Fazit d) Behinderungsmissbrauch (1) „ C I C R A u.a./Renault" und „Volvo/Veng" a) Freier Warenverkehr ß) Missbrauchsverbot
470 471 471 471 472
y) Analyse (2) „ H i h i " (3) „Tetra Pak I" und „Tetra Pak II" a) „Tetra Pak I" ß) „Tetra Pak II" (4) „Magill" („Fernsehzeitschrift f ü r Irland") a) Sachverhalt ß) Verfahrensgang
472 474 476 476 477 479 481 481
y) Rechtliche Würdigung (5) Die Diskussion um „Magill" a) Grundsätzliche Argumente gegen „Magill" ß) „Magill": Ein „Ausreißer" der Rechtsprechung aufgrund von Besonderheiten des irischen Urheberrechts? (6) Stellungnahme a) Unterscheidung von Bestand und Ausübung, bzw. Lehre v o m spezifischen Gegenstand ß) „Magill": Singulare Entscheidung eines untypischen Sachverhalts? Y) G r ü n d e f ü r die außergewöhnliche Resonanz der „Magill"-Entscheidung Ô) Lieferzwang und Lizenzierungspflicht (7) Ein vernachlässigter Aspekt von „Magill": Zwangslizenzen und E r s c h ö p f u n g a) Keine E r s c h ö p f u n g im Fall der Zwangslizenz ß) Kein Import des „Magill T V Guide" nach N o r d i r l a n d ? . . . . y) Kartellrechtliche Korrektur des Freiwilligkeitsprinzips . . . . Ô) Immaterialgüterrechtliche K o r r e k t u r des Freiwilligkeitsprinzips e) E r s c h ö p f u n g des Vervielfältigungsrechts? e) Die Lehre von den wesentlichen Einrichtungen („essential facilities"-Doktrin) (1) U r s p r u n g der „essential facilities"-Lehre (2) Rezeption der Lehre im europäischen Recht (3) Grundlegende Änderungen bei der Auslegung von Art. 82 E G V durch den „essential facilities"-Gedanken? a) Marktbeherrschung und Missbrauch ß) Strukturmissbrauch Y) E i n o r d n u n g der „essential facilities"-Fälle Ô) „essential facilities" als phänomenologisches Hilfsmittel der Fallgruppenbildung
481 484 485 488 491 491 493 494 495 499 499 500 500 501 501 502 503 503 504 505 505 506 506
Inhaltsverzeichnis
XXV
(4) Voraussetzungen des Zugangs zu wesentlichen Einrichtungen . 507
(5) (6) (7) (8)
a ) Wesentliche Einrichtung ß) Eigene Tätigkeit des Marktbeherrschers auf dem abhängigen Markt y) Ausschluss, bzw. Behinderung von Wettbewerbern 5) Keine objektive Rechtfertigung
508 508 509 509
e) Versorgungsmangel?
509
5) Rechtsfolge „essential facilities" und Immaterialgüterrecht; insbesondere der „Magill"-Fall Missbrauch mit dem Missbrauch? Anwendung der „essential facilities"-Lehre auf Immaterialgüterrechte nur bei Verhinderung neuer Produkte? (Computer-)Schnittstellen a ) Begriff und Bedeutung
510 510 512 513 514 515
ß) Offenlegung oder Selbstermittlung des Schnittstellen-Code . 515 y) Schnittstellen als wesentliche Einrichtung 6) „ I B M " E) Computerprogramm-Richtlinie Schnittstellenproblematik und Ausschließlichkeitsrechte.... (9) de/tfcio-Normen a ) Begriff ß) ¿e/iZcio-Normen als wesentliche Einrichtungen y) Rechtsfolgen f) Strukturmissbrauch (einschließlich Fusionskontrolle) (1) Fusionskontrolle a ) Zusammenschlusstatbestand ß) Begründung oder Verstärkung einer beherrschenden Stellung (2) Internes Unternehmenswachstum a ) Anwendungsfälle ß) Strukturmissbrauch auch bei Veränderungen des beherrschten Marktes? (3) Immaterialgüterrechtliche Einschränkungen der Strukturkontrolle? а ) Marktbezug von Immaterialgüterrechten ß) Strukturmissbrauch auf der Grundlage von Immaterialgüterrechten y) Computerprogramm-Richtlinie б) Ergebnis 7. Missbrauchsprävention und Missbrauchsbekämpfung:
516 517 518 519 519 519 520 521 522 522 522 524 525 526 526 527 527 527 529 529
Die Ersatzteilfrage im Europäischen Geschmacksmusterrecht a) Tatsächlicher Hintergrund
530 532
b) Meinungsspektrum
533
(1) Musterschutz für Ersatzteile nach allgemeinen Regeln (2) Keine Musterfähigkeit von „must match"-Teilen, zumindest kein Schutz gegen unabhängig hergestellte Ersatzteile
534
536
XXVI
Inhaltsverzeichnis (3) Vermittelnde Lösungen: Reparaturklausel und Vergütungslösung c) Stand der europäischen Gesetzgebung
538 539
d) Vorgaben für die Ausgestaltung des europäischen Musterrechts . . . 543 (1) Zwingende Vorgaben für die Ersatzteilfrage? 543 (2) Die Ersatzteilfrage: Anwendungsfall der „aftermarket"Problematik
544
(3) Konsequenzen für die Frage des Geschmacksmusterschutzes von Ersatzteilen (4) Die Problematik nachgelagerter Märkte in der Praxis der Gemeinschaftsorgane a) „Hugin" ß) „Renault" und „Volvo" y) „Hilti" Ô) „Pelikan/Kyocera" E) „Digital Equipment Corporation" (5) Standpunkte zur Problematik der nachgelagerten Märkte
544 545 546 547 547 547 548 549
e) Ergebnis und Folgerungen
551
f) Konsequenzen von „freeze plus"
552
8. Ergebnis
553
a) Keine Anwendung der Lehre vom spezifischen Gegenstand
553
b) Missbrauch von Immaterialgüterrechten?
554
c) Missbrauchsformen d) Prävention von Konflikten zwischen Missbrauchsverbot
554
und Immaterialgüterrecht
555
5. Teil Internationales Recht A. Havanna Charta
558
I. V o r g e s c h i c h t e
558
II. Havanna-Konferenz III. Wettbewerbsvorschriften der H a v a n n a - C h a r t a 1. Rahmen
559 560 560
2. Materielles Recht
560
3. Kartellrecht des geistigen Eigentums
561
B. D e r U N - K o d e x zur Kontrolle wettbewerbsbeschränkender Praktiken I. N e u e W e l t w i r t s c h a f t s o r d n u n g I I . V e r a b s c h i e d u n g des R B P - S e t
561 562 563
III. Allgemeine Bestimmungen
564
IV. K a r t e l l r e c h t des g e i s t i g e n E i g e n t u m s
564
Inhaltsverzeichnis
XXVII
C . D e r U N - E n t w u r f eines V e r h a l t e n s k o d e x ü b e r den Technologietransfer
565
I. M e i n u n g s u n t e r s c h i e d e zwischen den L ä n d e r g r u p p e n
566
I I . K e r n b e s t a n d des T O T - K o d e x
566
I I I . Perspektive für ein T e c h n o l o g i e t r a n s f e r - A b k o m m e n D . O E C D - L e i t s ä t z e für multinationale U n t e r n e h m e n I. B e h ö r d e n k o o p e r a t i o n I I . Materielles R e c h t
567 569 569 569
I I I . K a r t e l l r e c h t des geistigen E i g e n t u m s
570
IV. K o n z e p t i o n e l l e A r b e i t i m R a h m e n der O E C D
571
E. Agreement on Trade-Related Aspects o f Intellectual P r o p e r t y R i g h t s ( T R I P s ) I. I m m a t e r i a l g ü t e r r e c h t u n d G A T T 1 9 4 7 / 1 9 9 4 1. Regelungsgrundsätze 2. Ausnahmen vom Liberalisierungsgebot zum Schutz des geistigen Eigentums 3. Systematischer Umbruch durch das TRIPs-Abkommen I I . T R I P s u n d die F r a g e der E r s c h ö p f u n g 1. 2. 3. 4.
572 573 573 573 574 575
Freiheit bei der Ausgestaltung der Erschöpfungswirkungen Pflicht zur Annahme internationaler Erschöpfung Verbot internationaler Erschöpfung Stellungnahme
575 576 577 578
a) Keine Pflicht zur Annahme internationaler Erschöpfung b) Kein Verbot der Annahme internationaler Erschöpfung c) Freiheit und Beschränkung bei Ausgestaltung der Erschöpfungswirkungen
578 578
I I I . W e t t b e w e r b s r e c h t im T R I P s - Ü b e r e i n k o m m e n 1. Lauterkeitsrecht 2. Kartellrecht a) Art. 8 Abs.2 TRIPs-Abkommen: Missbräuchliche Verhaltensweisen (1) Kompatibilitätsklausel (2) Missbrauch von Rechten des geistigen Eigentums a) Konkretisierung des Missbrauchsbegriffs ß) Unterschied zum europäischen Missbrauchsbegriff y) Die angloamerikanische misuse-Lehre (3) Unangemessene Beschränkung des Handels und nachteilige Beeinflussung des internationalen Technologietransfers (4) Ergebnis b) Art. 31 TRIPs: Zwangslizenzen im Patentrecht
579 580 580 581 583 584 585 585 585 586 587 587 588
XXVIII
Inhaltsverzeichnis (1) Sonderregeln f ü r die wettbewerbswidrige Lizenzverweigerung (2) Spielraum f ü r nationales Kartellrecht (3) Abhängige Patente c) Art. 40 T R I P s (1) Materielles Recht а) Prinzipienerklärung ß) Beispiele f ü r missbräuchliche Lizenzklauseln y) Keine Pflicht z u m Erlass von Kartellrecht б) Ergebnis (2) Behördenkooperation 3. Bewertung
F. Kartellrecht im WTO-System I. Kartellrechtliche Spezialvorschriften 1. 2. 3. 4.
Staatliche M o n o p o l e TRIMs Antidumping Schutzmaßnahmen
5. U b e r p r ü f u n g der Handelspolitik
588 589 589 590 591 591 591 592 592 592 593
594 595 595 595 595 596 597
II. Kartellrechtliche Vorgaben aus allgemeinen GATT-Vorschriften Der Bericht der Expertengruppe aus dem Jahr 1960 597 1. Abwesenheit unternehmensbezogener Vorschriften 2. 3. 4. 5.
597
Beurteilung privater Wettbewerbsbeschränkungen unter G A T T 1947 . 598 Bewertung des Expertenberichts 599 Wirkungsgeschichte 600 Einfluss des Expertenberichts auf die U r u g u a y - R u n d e 601
III. Die Weiterentwicklung der Welthandelsorganisation
601
IV. Der Draft International Antitrust Code (DIAC)
604
1. Allgemeine Vorschriften 606 a) Horizontale Wettbewerbsbeschränkungen 606 b) Vertikale Wettbewerbsbeschränkungen 606 c) Missbrauch marktbeherrschender Stellungen 607 2. Wettbewerbsbeschränkungen im Zusammenhang mit Rechten des geistigen Eigentums 607 a) Erforderlichkeit einer Spezialnorm 607 b) Regelungsprogramm von Art. 6 Section 1 D I A C 609 (1) Ausgangspunkt: Inhaltstheorie 609 (2) Keine Geltung der Inhaltstheorie f ü r das Missbrauchsverbot . . 609 (3) Keine Geltung der Inhaltstheorie f ü r das Verbot horizontaler Wettbewerbsbeschränkungen 609 (4) Vertikale Beschränkungen 610 c) Dogmatischer H i n t e r g r u n d von Art. 6 Section 1 D I A C : Die Vier-Felder-Theorie 610
Inhaltsverzeichnis
XXIX
(1) Inhaltstheorie als Drei-Felder-Ansatz
610
(2) Schwäche der Inhaltstheorie
611
(3) Das vierte Feld
611
d) Ansätze eines Lizenzkartellrechts in Art. 6 Section 2 und 3 D I A C
611
(1) Beurteilung von Lizenzverträgen
611
(2) Klauselkataloge
612
(3) Rechtfertigung von Beschränkungen e) Probleme der Vier-Felder-Theorie
612 613
3. Konsequenzen für eine Spezialvorschrift zum Kartellrecht des geistigen Eigentums
614
a) Zwei Grundannahmen
614
b) Folgerungen
615
(1) Horizontale Beschränkungen
615
(2) Vertikale Beschränkungen
615
(3) Missbrauch marktbeherrschender Stellungen
616
(4) Fusionskontrolle
616
c) Neuvorschlag
616
Ergebnis A. Ökonomische Betrachtung: Verdeutlichung der Funktionszusammenhänge, aber keine Vorgaben more geometrico für das Grundlagenproblem
619
B. Amerikanisches Recht: Metamorphosen des intellectual property antitrust
620
C. Deutsches Recht: Reformverweigerung
622
D. Europäisches Recht: Austarierung von Marktintegration, Wettbewerbsschutz und Immaterialgüterrecht
623
I. Das „magische Dreieck"
623
II. Immaterialgüterrechtliche Trias
623
III. Materialisierung des Beschränkungsbegriffs durch den Markterschließungsgedanken
624
IV. Missbrauch marktbeherrschender Stellungen
625
V. Stellung des Immaterialgüterschutzes im Gemeinschaftsrecht . . 626 E. Internationales Recht: Die Notwendigkeit eines internationalen Wettbewerbsübereinkommens
627
F. Integration des Immaterialgüterschutzes in die Wettbewerbsordnung
628
Literaturverzeichnis
631
Sach- und Personenregister
679
Abkürzungsverzeichnis a. A. ABl. Abs. a.E. AER A E R (P.a.P.) a.F. AG AIPPI a.M. Anm. AP ASCAP Aufl. BBC BGB BGBl. BGH BISD Bl. f. P M Z BMWi Büschs Archiv
anderer Ansicht Amtsblatt (der Europäischen Gemeinschaften) Absatz am Ende American Economic Review American E c o n o m i c Review (Papers and Proceedings) alter Fassung Aktiengesellschaft Association Internationale pour la Protection de la Propriété Industrielle anderer Meinung Anmerkung Associated Press American Society of Composers, Authors and Publishers Auflage British Broadcasting Corporation Bürgerliches Gesetzbuch Bundesgesetzblatt Bundesgerichtshof Basic Instruments and Selected Documents („Amtsblatt" von G A T T / W T O ) Blatt für Patent-, Muster- und Zeichenwesen Bundesministerium für Wirtschaft (und Technologie) Büschs Archiv für Theorie und Praxis des Allgemeinen Deutschen Handels- und Wechselrechts
CDE cert. CLP CMLR CR CRi
Cahiers de Droit Européen certiorari Current Legal Problems C o m m o n Market Law Review Computer und Recht Computer und Recht International
DIAC Diss. DVD
Draft International Antitrust Code Dissertation Digital Versatile Disc, bzw. Digital Video Disc
EA ECLR Ed. G
Europa-Archiv European Competition Law Review Edition Générale (Semaine Juridique)
XXXII EFTA EG EGKSV
Abkiirzungsverzeichnis
EGV EIPR Entsch. EPÜ ERPL EU EuG EuGH EuGVÜ EuR Euratom EUV EWGV EWR EWS
European Free Trade Association Europäische Gemeinschaft Vertrag über die Gründung der Europäischen Gemeinschaft für Kohle und Stahl (Montanunion) Vertrag zur Gründung der Europäischen Gemeinschaft European Intellectual Property Review Entscheidung Europäisches Patentübereinkommen European Review of Private Law Europäische Union Gericht erster Instanz Gerichtshof der Europäischen Gemeinschaften Europäisches Gerichtsstand- und Vollstreckungsübereinkommen Europarecht Vertrag zur Gründung der europäischen Atomgemeinschaft Vertrag über die Europäische Union Vertrag zur Gründung der Europäischen Wirtschaftsgemeinschaft Europäischer Wirtschaftsraum Europäisches Wirtschafts- und Steuerrecht
FKVO FS F.Supp. FT FTC F.2d
Europäische Fusionskontrollverordnung Festschrift Federal Supplement Financial Times Federal Trade Commission Federal Reporter, 2d series
GA GATS GATT GFVO GFVO-TT GG GPÜ grds. GRUR G R U R Int. GS GU GWB
Generalanwalt General Agreement on Trade in Services General Agreement on Tariffs and Trade Gruppenfreistellungsverordnung Gruppenfreistellungsverordnung Technologietransfer Grundgesetz Gemeinschaftspatentübereinkommen grundsätzlich Gewerblicher Rechtsschutz und Urheberrecht Gewerblicher Rechtsschutz und Urheberrecht, Internationaler Teil Gedächtnisschrift Gemeinschaftsunternehmen Gesetz gegen Wettbewerbsbeschränkungen
HDSW h.L. h.M.
Handwörterbuch der Sozialwissenschaften herrschende Lehre herrschende Meinung
ICPAC i.e.S. HC ILM IP IPR
International Competition Policy Advisory Committee im engeren Sinn International Review of Industrial Property and Copyright Law International Legal Materials Intellectual Property Intellectual Property Right
Abkürzungsverzeichnis
XXXIII
i.S. ITO ITP i.w.S.
im Sinn International Trade Organization Independent Television Publications im weiteren Sinn
JDI JITE
Journal du Droit International Journal of Institutional and Theoretical Economics
KartR
Kartell-Rundschau: Monatsschrift für Recht und Wirtschaft im Kartell- und Konzernwesen Kommentar Gesetz betreffend das Urheberrecht an Werken der bildenden Künste und der Photographie
Komm. KUG
LUG
Gesetz betreffend das Urheberrecht an Werken der Literatur und der Tonkunst
Mitt MLR m.w.N.
Mitteilungen der deutschen Patentanwälte Modern Law Review mit weiteren Nachweisen
NAFTA n.F.
North American Free Trade Agreement neuer Fassung
NZZ
Neue Zürcher Zeitung
OECD
Organisation for Economic Co-Operation and Development
PatG
Patentgesetz
PVÜ
RdNr. RIDA RiLi RPA Rs. R T D com. R T D eur. RTE
Pariser Verbandsübereinkunft zum Schutz des gewerblichen Eigentums Set of Multilaterally Agreed Equitable Principles and Rules for the Control of Restrictive Business Practices Revidierte Berner Übereinkunft zum Schutz von Werken der Literatur und Kunst Revue de Droit des Affaires Internationales/International Business Law Journal Randnummer Revue Internationale du Droit d'Auteur Richtlinie Reichspatentamt Rechtssache Revue trimestrielle de droit commercial et de droit économique Revue trimestrielle de droit européen Radio Telefis Eireann
S. seil. Sec. str. SWIFT
Seite scilicet Section streitig Society for Worldwide International Financial Telecommunications
RBP-Set RBÜ RDAI/IBLJ
XXXIV
Abkürzungsverzeichnis
SZ SZW
Süddeutsche Zeitung Schweizer Zeitschrift für Wirtschaftsrecht
TKG TNC-Kodex TOT-Kodex Technology TPM TPRM TRIMs TRIPs
Telekommunikationsgesetz Code of Conduct on Transnational Corporations International Code of Conduct on the Transfer of
Tz. UFITA UN UNCTAD UrhG
Third Party Maintenance (Organization) Trade Policy Review Mechanism (Agreement on) Trade-Related Investment Measures (Agreement on) Trade-Related Aspects of Intellectual Property Rights Textzahl
U.S.C. u.U. UWG
Archiv für Urheber-, Film-, Funk- und Theaterrecht United Nations United Nations Conference on Trade and Development Gesetz über Urheberrecht und verwandte Schutzrechte (Urheberrechtsgesetz) United States, oder: United States Reports Cases Adjudged in The Supreme Court United States Code unter Umständen Gesetz gegen den unlauteren Wettbewerb
VersR vgl. VO V O 17
Versicherungsrecht vergleiche Verordnung EG-Kartellverordnung
WIPO WiST WRP WTO WuW
World Intellectual Property Organization Wirtschaftswissenschaftliches Studium Wettbewerb in Recht und Praxis World Trade Organization Wirtschaft und Wettbewerb
z. ZEuP ZgS ZVglRWiss
zum Zeitschrift für Europäisches Privatrecht Zeitschrift für die gesamte Staatswissenschaft Zeitschrift für Vergleichende Rechtswissenschaft
U.S.
Einleitung
A. Das Verhältnis von Kartellrecht und Recht des geistigen Eigentums Kartellrecht und Recht des geistigen Eigentums stehen in einem komplexen Verhältnis zueinander, das sowohl durch Harmonie als auch durch Dissonanz gekennzeichnet ist. Die Geschichte dieses Verhältnisses ist durch extreme Meinungsschwankungen geprägt, die auf den Wandel in den theoretischen Grundannahmen dieser beiden relativ jungen Rechtsgebiete zurückzuführen sind. Gewerbliche Schutzrechte wurden zunächst als Monopole verstanden, die im direkten Gegensatz zum Anliegen des Kartellrechts stehen. Diese Konfliktthese entspricht heute nicht mehr der überwiegenden Auffassung. Schutzrechte werden nicht mehr als gesetzliche Monopole, sondern als die Bündelung positiver und negativer Handlungsmöglichkeiten zu einem absolut geschützten Eigentumsrecht verstanden. Die Aufgabe des Kartellrechts wird nicht mehr darauf beschränkt, den Bestand des Wettbewerbs im Sinne statischer Rivalität zu sichern; Kartellrecht zielt vielmehr auf die Konstituierung und Erhaltung eines Entdeckungsverfahrens, das auch auf die Hervorbringung technischer Innovationen gerichtet ist. Vor diesem Hintergrund wird deutlich, dass größere Gemeinsamkeiten zwischen Wettbewerbs- und Immaterialgüterschutz bestehen als zunächst angenommen wurde. Daraus eine Harmoniethese abzuleiten, ginge allerdings zu weit. Die Gemeinsamkeiten schließen Konflikte zwischen den beiden Rechtsgebieten im Einzelfall keineswegs aus. Wie jedes Recht können auch Rechte des geistigen Eigentums als Operationsbasis für wettbewerbswidrige Strategien dienen. Der Rede von der Harmonie ist deshalb der Begriff der Komplementarität vorzuziehen. Immaterialgüterrecht und Kartellrecht ergänzen einander. Die Konstituierung privater Eigentumsrechte ist zwingende Voraussetzung für eine Wettbewerbsordnung; gleichzeitig dient der Wettbewerb der Kontrolle dieser Rechte. Die Funktionsfähigkeit des wettbewerblichen Kontrollmechanimus ist durch das Kartellrecht zu sichern. Die verschiedenen Grundannahmen determinieren die Lösung konkreter Probleme. Während nach der strengen Konfliktthese, also der Annahme prinzipieller Gegensätzlichkeit von Schutz des geistigen Eigentums und Schutz des
2
Einleitung
Wettbewerbs, die Lösung von Grenzfällen in einer klaren, formal zu bestimmenden Grenzziehung gesehen wurde, ermöglicht der Komplementaritätsgedanke eine intensivere Verschränkung der beiden Rechtsgebiete. Das Ziel dieser Arbeit besteht denn auch in der stärkeren Integration des Immaterialgüterrechts in die Wettbewerbsordnung. Der Preis, der hierfür zu bezahlen ist, ist der Verzicht auf relativ trennscharfe, aber allzu pauschale Daumenregeln nach Art der Inhaltstheorie. Die von dieser Lehre geforderte (und im deutschen Recht Gesetz gewordene) Abschirmung des Schutzrechtsinhalts vor der Anwendung von Kartellrecht ist auf der Grundlage der Komplementaritätsthese nicht erforderlich. Die Wettbewerbsförderlichkeit des Schutzrechts ist die Regel, seine wettbewerbswidrige Instrumentalisierung die besonders zu begründende Ausnahme. Während sich das deutsche Kartellrecht auch nach der 6. GWB-Novelle aus dem Jahr 1998 von den neueren Entwicklungen unbeeindruckt zeigt und unverändert an der Inhaltstheorie festhält, sind im europäischen und internationalen Rahmen wichtige Veränderungen festzustellen. Die US-amerikanischen Antitrust Guidelines for the Licensing of Intellectual Property von 1995 haben die Zielkompatibilität beider Rechtsgebiete betont, formale Grenzziehungen verabschiedet und die Einbeziehung des gesamten rechtlichen und wirtschaftlichen Umfelds gefordert. Die europäische Gruppenfreistellungsverordnung Technologietransfer von 1996 hat das europäische Kartellverbot im Interesse der positiven Wirkungen von Patentlizenz- und Know-how-Vereinbarungen weiter gelockert und eine Hinwendung zu den realen Marktverhältnissen durch die Aufnahme einer marktbezogenen Entzugsklausel zumindest angedeutet. Das Kartellrecht des geistigen Eigentums fand im TRIPs-Abkommen quasi-universelle, im NAFTA-Abkommen regionale Beachtung. Das Thema gilt allgemein als besonders wichtig und als besonders schwierig. 1 Im Informationszeitalter ist eher eine Bedeutungszunahme als ein Bedeutungsverlust zu erwarten.
B. Begriff des geistigen Eigentums I.
Ursprünge
Der Begriff des geistigen Eigentums hat eine wechselvolle Geschichte durchgemacht. Seine Wurzeln liegen im Naturrechtsdenken und in der Aufklärung. John Locke hatte, ausgehend vom Wert der menschlichen Arbeit, ein naturgege1 S. z.B.R. Buxbaum,¥S Fikentscher, 1998, S. 1: „the interplay between intellectual property and the law of competition [..., is] an issue that continues to be of absolutely primary policy significance to this day". Langen/Bunte, KartR, 9. Aufl. 2001, Art. 81 E G V - Generelle Prinzipien Rdnr. 144: „Die Grenzen zwischen Kartellverbot und rechtmäßiger Ausübung und Verwertung gewerblicher Schutzrechte sind dabei fließend und umstritten". L. Kaplow, The Pa-
B. Begriff des geistigen
Eigentums
3
benes Recht an den selbst geschaffenen Gütern gefordert.2 Im Frankreich der frühen Revolutionsjahre wurde das Konzept vom geistigen Eigentum in zahlreichen Gesetzen verankert.3 Während sich der Begriff zunächst auf das Urheber- und Musterrecht bezog, wurde er in der Folgezeit auch auf Patente, Marken und den Schutz von Namen, Firmen oder Geschäftsbezeichnungen ausgeweitet. Das französische Vorbild hatte großen Einfluss auf die Rechtsentwicklung in Deutschland. Allerdings geriet hier der Begriff des geistigen Eigentums im Verlauf des 19. Jahrhunderts in Verruf. Aus Sicht der Zivilrechtswissenschaft erschien die Wortwahl als Ausdruck mangelnder begrifflicher Schärfe.4 Außerdem waren die naturrechtlichen Wurzeln der Lehre im Zeitalter des Rechtspositivismus suspekt. Als Josef Kohler die Lehre vom Immaterialgüterrecht entwickelte, 5 war der Begriff des geistigen Eigentums bereits Vergangenheit.6
tent-Antitrust Intersection: A Reappraisal, 97 Harvard Law Review 1813, 1888 (1984): „a most difficult area". 2 J. Locke, An Essay Concerning the True Original, Extent and End of Civil Government (Second Treatise on Government, 1698, Kapitel V, S. 24): „Whatsoever, then, he removes out of the state that nature hath provided and left it in, he hath mixed his labour with it, and joined to it something that is his own, and thereby makes it his property. It being by him removed from the common state nature placed it in, it hath by this labour something annexed to it that excludes the common right of other men. For this labour being the unquestionable property of the labourer, no man but he can have a right to what that is once joined to, at least where there is enough, and as good left in common for others." 3 Zur Rolle der französischen Revolution vgl. E. Wadle, Der Einfluß Frankreichs auf die Entwicklung gewerblicher Schutzrechte in Deutschland, 1983, S. 35, 37 ff. Der Naturrechtsbezug kommt am deutlichsten in der Präambel des französischen Patentgesetzes von 1791 zum Ausdruck: „... considérant que toute idée nouvelle, dont la manifestation ou le développement peut devenir utile à la société appartient privativement à celui qui l'a conçue, et que ce serait attaquer les droits de l'homme dans leur essence que de ne pas regarder une découverte industrielle comme la propriété de son auteur." (zitiert nach E. Wadle, ebenda, S. 39). 4 E. Wadle, Zur Wiederkehr der Formel „Geistiges Eigentum", 1996, S. 6. Nachweise zur Kritik am Begriff des geistigen Eigentums bei F. Machlup, Die wirtschaftlichen Grundlagen des Patentrechts, 1962, S. 22 ff. S. auchJ. Kohler (Urheberrecht an Schriftwerken und Verlagsrecht, 1907, S. 23): „Nun trat die begriffsbildende Lehre heran und tadelte an dem Begriff des geistigen Eigentums herum." F. Seifert (Geistiges Eigentum — ein unverzichtbarer Begriff, FS Piper, 1996, S. 769, 776) sieht im strikten römisch-rechtlichen Eigentumsbegriff des deutschen Zivilrechts den Grund dafür, dass der Einbau der neuen Rechtspositionen in das Zivilrechtssystem scheiterte. Vgl. hierzu auch H.-P. Gotting, Persönlichkeitsrechte als Vermögensrechte, 1995, S. 9 ff. 5 Nach eigenen Angaben im Jahr 1874, s.J. Kohler, Das Immaterialgüterrecht und seine Gegner, Büschs Archiv 47 (1887), 169, Nachdruck in U F I T A 123 (1993), 81; s. auch ders., Deutsches Patentrecht, 1878, S. 1 ff.; ders., Urheberrecht an Schriftwerken und Verlagsrecht, 1907, S. 1 ff. mit Diskussion alternativer Ansätze. 6 F. Seifert (oben Fn. 4), S. 774. Kohler erkannte der Lehre vom geistigen Eigentum immerhin das Verdienst zu, durch die Analogie zum Diebstahl das Unrechtsbewusstsein bei Verstößen gegen Autorenrechte gestärkt zu haben (J. Kohler, Urheberrecht an Schriftwerken und Verlagsrecht, 1907, S. 21 f.).
4
Einleitung
II.
Aktualität
Diese Aussage gilt allerdings nur für Deutschland. In Frankreich und Großbritannien blieben bis zum heutigen Tag propriété intellectuelle und intellectual property die selbstverständlich verwendeten Oberbegriffe für den Schutz des geistigen Schaffens. 7 Auch in Deutschland ist eine Renaissance des Begriffs festzustellen. 8 Selbst der Gesetzgeber hat ihn aufgegriffen. 9 Im internationalen Wirtschaftsrecht hat sich der Begriff durchgesetzt. 10 Werden dennoch weiterhin Bedenken aufrechterhalten, so geschieht dies aus der Befürchtung heraus, dass die Gleichsetzung mit dem Sacheigentum die persönlichkeitsrechtliche Seite ausblende, und dass die Schutzrechte durch naturrechtliche Dogmatisierung in rechtspolitischer Absicht der Begrenzung entzogen würden. 11 Beide Befürchtungen können entkräftet werden. So wurden mit dem droit moral die urheberrechtlichen Persönlichkeitsrechte gerade in dem Land entwickelt, das den intensivsten Gebrauch vom Begriff des geistigen Eigentums gemacht hat. 12 Außerdem kann dem Begriff des geistigen Eigentums heute ebenso wenig wie dem Begriff des Sacheigentums eine naturrechtliche Immunisierungsstrategie vorgeworfen werden. Innerhalb der Grenzen, die durch höherrangiges Recht gezogen werden, ist der Gesetzgeber bei der Ausgestaltung der Rechte des geistigen Eigentums frei. 13 Uberpositiven Perpetuierungsstrategien ist entgegenzutreten. 7 Der französische Code de la Propriété Intellectuelle (loi n° 92-597 vom 1.7.1992, Journal Officiel vom 3.7.1992, S. 8801) fasst die Regeln zum gewerblichen Rechtsschutz und zum Urheberrecht zusammen (zweisprachige Textausgabe in Dreier/Krasser, Das französische Gesetzbuch des geistigen Eigentums, 1994). Auch die Doktrin benutzt den Begriff der propriété intellectuelle als Oberbegriff für propriété industrielle (Patent-, Muster- und Markenrecht sowie concurrence déloyale), Urheberrecht und Know-how-Schutz, s. z.B. Chavanne/Burst, Droit de la propriété industrielle, 4. Aufl. 1993, S. 1 Rdnr. 1. Zum Sprachgebrauch in Großbritannien s. W. Cornish, Intellectual Property, 3. Aufl. 1996, S. 3 Rdnr. 1-01. 8 S. z.B. E. Wadle, Zur Wiederkehr der Formel „Geistiges Eigentum", 1996; F. Seifert, Geistiges Eigentum - ein unverzichtbarer Begriff, FS Piper, 1996, S. 769 ff. 9 S. z.B. das Gesetz zur Stärkung des Schutzes des geistigen Eigentums und zur Bekämpfung der Produktpiraterie vom 7.3.1990 (BGBl. I S. 422). 10 S. z.B. das Ubereinkommen zur Errichtung der Weltorganisation für geistiges Eigentum vom 14.7.1967 (BGBl. 1970 II S. 295), oder das als Anhang IC zum WTO-Übereinkommen verabschiedete Ubereinkommen über handelsbezogene Aspekte der Rechte des geistigen Eigentums vom 15.4.1994 („TRIPs-Abkommen", BGBl. II S. 1730, bzw. ABl. L 336/213). A. Bogsch (Les 25 premières années de l'Organisation mondiale de la propriété intellectuelle, La Propriété Industrielle 1992, 339, 341) stellt fest, dass der Begriff des geistigen Eigentums seit den fünfziger Jahren als Oberbegriff für das gewerbliche Eigentum und das Urheberrecht benutzt wird. 11 M. Rehbinder, Urheberrecht, 9. Aufl. 1996, S. 62, der den Begriff des geistigen Eigentums der „Mottenkiste der Rechtsgeschichte" zuweist. Zweifelnd auch Hubmann/Gotting, Gewerblicher Rechtsschutz, 6. Aufl. 1998, S. 80. 12 Nachweise zu Frankreich s.o. Fn. 7. 13 Abzulehnen ist deshalb BGHZ 17, 266 (278): „Die Herrschaft des Urhebers über sein Werk, auf den [sie!] sich sein Anspruch auf einen gerechten Lohn für eine Verwertung seiner
B. Begriff
III. Unterschiede
des geistigen
5
Eigentums
und Gemeinsamkeiten zwischen und geistigem Eigentum
Sacheigentum
Ähnlichkeiten zum Sacheigentum führten zum Begriff des geistigen Eigentums; Unterschiede zum Sacheigentum sorgen wieder für Distanz. Die entscheidende Frage lautet, ob in den wesentlichen Aspekten eher die Gemeinsamkeiten oder die Unterschiede überwiegen. Unterschiedlich ist der Bezugspunkt der jeweiligen Rechte: Während sich das Sacheigentum auf physische Gegenstände bezieht, räumt Immaterialgüterschutz Rechte an körperlosen Erfindungen, Werken, Marken, Namen etc. ein. Die Regelungstechnik ist dementsprechend unterschiedlich. Während § 903 S. 1 BGB dem Eigentümer einer Sache das Recht zuweist, innerhalb bestimmter Grenzen mit der Sache nach Belieben zu verfahren und andere von jeder Einwirkung auszuschließen, erfordert die Umschreibung geistigen Eigentums einen größeren Aufwand. Da der Bezugspunkt zu einem konkreten Gegenstand fehlt, müssen im Wege der Einzelaufzählung sämtliche Rechte umschrieben werden, die dem Schutzrechtsinhaber zustehen sollen. Die Grundstruktur dieser Aufzählungen entspricht allerdings § 903 S.l BGB: Positiven Verwertungsrechten stehen negative Ausschlussrechte meist spiegelbildlich gegenüber; diese Rechte werden mit bestimmten Schranken versehen. Ökonomisch betrachtet unterscheidet sich geistiges Eigentum durch seine Qualität als öffentliches Gut vom Sacheigentum: Ohne rechtlichen Schutz könnte niemand von der Nutzung des Schutzobjekts ausgeschlossen werden; eine Nutzung des Objekts durch eine beliebige Anzahl von Interessenten wäre möglich (sog. Nicht-Rivalität im Konsum). 14 Allerdings wandelt sich geistiges Eigentum durch die Verleihung von Schutzrechten zum privaten Gut: Das Recht sorgt dafür, dass andere von der Nutzung ausgeschlossen werden können. Die Tatsache der Nicht-Rivalität im Konsum wird dadurch nicht berührt. Dies hat Auswirkungen auf die Preisbildung. 15 IV. Vorzüge des
Eigentumsbegriffs
In einer entscheidenden Hinsicht stimmen Sacheigentum und geistiges Eigentum überein. Dem Rechtsinhaber werden Handlungsrechte eingeräumt, die gegenüber jedermann wirken, also als absolut zu bezeichnen sind. Dass der Gegenstand des Rechts in dem einen Fall physischer, in dem anderen Fall geistiger Leistung durch Dritte gründet, wird ihm hiernach nicht erst durch den Gesetzgeber verliehen, sondern folgt aus der Natur der Sache, nämlich aus seinem geistigen Eigentum, das durch die positive Gesetzgebung nur seine Anerkennung und Ausgestaltung findet." Nicht die Natur der Sache, sondern Art. 14 GG gewährleistet den Schutz des geistigen Eigentums. 14 S. hierzu näher unten S. 15 ff. Die Unterschiede werden betont von P. Drabos, A Philosophy of Intellectual Property, 1996, 212 f. 15 S. unten S . l 5 f f .
6
Einleitung
Natur ist, betrifft lediglich das Objekt des Rechts, nicht aber seine Ausgestaltung und seine Funktion. 16 In beiden Fällen werden Rechtspositionen zugewiesen, durch die ein Auftreten am Markt und die Entstehung von Wettbewerb erst möglich wird. 17 In der Ökonomie hat dieproperty rights-Lehre die Parallelität von Sach- und geistigem Eigentum veranschaulicht. Das Wesen von Eigentum besteht danach in der Vermeidung externer Effekte durch die richtige Ausgestaltung von Verfügungsrechten.18 Die ökonomischen Grundlagen des geistigen Eigentums wurden durch diesen Ansatz gefestigt und das Verständnis für seine Stellung im Wirtschaftssystem vertieft. Auch wenn der Begriff des geistigen Eigentums die Funktionsgleichheit mit dem Sacheigentum zum Ausdruck bringt, während der Begriff des Immaterialgüterrechts mehr den Unterschied im Schutzobjekt betont, werden beide Begriffe in dieser Arbeit - schon aus sprachlichen Gründen - synonym verwendet.19 Sachliche Schlussfolgerungen können aus Begriffen ohnehin nicht gezogen werden. Die Ausführungen werden allerdings ergeben, dass Immaterialeigentum und Sacheigentum im Kartellrecht ähnlich beurteilt werden sollten. Der Begriff des geistigen Eigentums steht dem Anliegen dieser Arbeit deswegen auch inhaltlich näher.
C . Eingrenzungen Gem. Art. 2 viii) des Ubereinkommens zur Errichtung der Weltorganisation für geistiges Eigentum 20 umfasst der Begriff des geistigen Eigentums alle Rechte, „die sich aus der geistigen Tätigkeit auf gewerblichem, wissenschaftlichem, literarischem oder künstlerischem Gebiet ergeben." Die Vorschrift nennt beispielhaft das Urheberrecht und die verwandten Schutzrechte, das Erfindungsrecht 16 H. Ullrich (Wissenschaftlich-technische Kreativität zwischen privatem Eigentum, freiem Wettbewerb und staatlicher Steuerung, 1996, S. 203, 241 Fn. 55) bezeichnet dies als die „gegenstandsbedingte Unterschiedlichkeit, aber funktionale Gleichartigkeit von Sach- und Immaterialeigentum". 17 Zur Qualität des (Privat-)Eigentums als konstituierendes Prinzip der Wettbewerbsordnung i.S. von Walter Eucken s.u. S. 24 Fn. 51. 18 S. dazu unten S. 21 ff. 19 Dies kommt in Titel und Untertitel dieser Arbeit zum Ausdruck. Die Austauschbarkeit der Begriffe zeigt sich auch daran, dass für den Titel eines Kohler-Gedenkbands der Begriff des geistigen Eigentums gewählt werden konnte, s. AdrianlNordemann/Wandtke (Hrsg.), Josef Kohler und der Schutz des geistigen Eigentums in Europa, 1996. Zur Gleichsetzung von Immaterialgüterrecht und geistigem Eigentum s. den Beitrag von Fikentscher/Theiss in diesem Band: Josef Kohler und das Monopol (zitiert nach W. Fikentscher, Die Freiheit und ihr Paradox, 1997, S. 83-97) mit Hinweis auf die nie veröffentlichte Münchner Antrittsvorlesung Eugen Ulmers von 1955, die auf die Wiedereinführung des Begriffs des geistigen Eigentums abzielte (ebenda, S. 85). 2 0 S. o . F n . 10.
C.
7
Eingrenzungen
(also Patent- und Gebrauchsmusterrecht einschließlich der ergänzenden Schutzzertifikate), das Musterrecht, das Markenrecht, das Recht der Handelsnamen und Geschäftsbezeichnungen sowie den Schutz gegen unlauteren Wettbewerb. Diese Aufzählung ließe sich - zum Teil von den genannten Materien bereits umfasst - ergänzen durch den Topographie- und Typographieschutz, den Sortenschutz, das Recht der geographischen Herkunftsangaben und Ursprungsbezeichnungen sowie den Know-how-Schutz.
I. Recht des unlauteren
Wettbewerbs
Eine Sonderstellung nimmt das Recht des unlauteren Wettbewerbs einschließlich des Know-how-Schutzes ein: Es verleiht keine absoluten Rechte an immateriellen Gütern, sondern schützt u.a. auch die gewerbliche Leistung durch generelle und spezielle Schutztatbestände, also durch relative Rechte. Teilweise wird das Lauterkeitsrecht sogar aus dem Begriff des geistigen Eigentums wie auch aus dem des Immaterialgüterrechts ausgeklammert. 2 1 Die Probleme, die sich im Verhältnis zwischen dem Recht des unlauteren Wettbewerbs und dem Kartellrecht, bzw. den gewerblichen Schutzrechten stellen, sind besonderer Natur. Da kein direkter Bezug zu der Frage des Verhältnisses immaterialgüterrechtlicher Ausschlussrechte zum Kartellrecht besteht, erfolgt im Rahmen dieser Arbeit keine systematische Behandlung des Lauterkeitsrechts. Auf die einschlägigen Arbeiten wird verwiesen. 2 2
II. Einheitliche Anwendung des auf das Gesamtgebiet des geistigen
Kartellrechts Eigentums?
Auch wenn man das Recht des unlauteren Wettbewerbs beiseite lässt, bildet das geistige Eigentum keine homogene Einheit. Eine Studie, die sich mit dem Kartellrecht des geistigen Eigentums auseinandersetzt, läuft Gefahr, die Unterschiede zwischen den einzelnen Schutzrechten zu verwischen. Andererseits beHubmann/Gotting, Gewerblicher Rechtsschutz, 6. Aufl. 1998, S. 1. Grundlegend zu den Beziehungen zwischen Recht des unlauteren Wettbewerbs, Kartellrecht und Recht des geistigen Eigentums W. Fikentscher, Wettbewerb und gewerblicher Rechtsschutz, 1958. Im Verhältnis zwischen den Rechten des geistigen Eigentums und dem Recht des unlauteren Wettbewerbs ist an erster Stelle die Frage des ergänzenden wettbewerbsrechtlichen Leistungsschutzes zu nennen, also die Frage, inwieweit über die existierenden Schutzrechte hinaus entgegen dem Prinzip der Nachahmungsfreiheit ein Schutz vor der Übernahme fremder Leistungen möglich ist; s. hierzu A. Beater, Nachahmen im Wettbewerb, 1995; H. Köhler, Der ergänzende Leistungsschutz: Plädoyer für eine gesetzliche Regelung, WRP 1999, 1075; Th. Sambuc, Der UWG-Nachahmungsschutz, 1996; Baumbach/Hefermehl §1 UWG Rdnr. 439 ff. Zu den komplexen Wechselwirkungen zwischen UWG und GWB s. z.B. Köhler/Piper, UWG, 2. Aufl. 2001, Einf Rdnr. 46 ff.; V. Emmerich, Das Recht des unlauteren Wettbewerbs, 5. Aufl. 1998, S. 49 ff.; zur Vorfeldthese s. die Nachweise unten S. 174 Fn. 249. 21
22
8
Einleitung
stehen für die Zwecke des Kartellrechts auch viele Gemeinsamkeiten. Die methodisch sauberste Lösung bestünde deshalb darin, in einem allgemeinen Teil die schutzrechtsübergreifenden Aspekte des Kartellrechts des geistigen Eigentums voranzustellen, um dann in einem besonderen Teil auf die schutzrechtsspezifischen Besonderheiten einzugehen. Nach der in dieser Arbeit vertretenen Auffassung überwiegen in kartellrechtlicher Hinsicht die Gemeinsamkeiten zwischen den verschiedenen Schutzrechten deren Unterschiede. Die Entscheidung für eine Gesamtdarstellung erwies sich deshalb als vorzugswürdig; schutzrechtsspezifische Besonderheiten werden gelegentlich angemerkt. Es ist zu beachten, dass die allgemein gehaltene Analyse bisweilen nur cum grano salis auf einzelne Schutzrechte übertragen werden kann. III.
Lizenzkartellrecht
Der in der Praxis wichtigste Bereich, in dem Kartellrecht und Recht des geistigen Eigentums aufeinanderstoßen, ist das Recht der Lizenzverträge. Die überragende praktische Bedeutung des Lizenzkartellrechts verdeckt bisweilen die Tatsache, dass lizenzrechtliche Probleme nur einen Ausschnitt aus der Gesamtproblematik darstellen. Das Anliegen dieser Arbeit besteht in der Erarbeitung von Grundsätzen, die nicht auf das Lizenzkartellrecht beschränkt sind, sondern für alle Fragen im Grenzbereich von Kartellrecht und Immaterialgüterrecht herangezogen werden können. Eine systematische Behandlung dieser „verwickelten Materie" 23 ist nicht beabsichtigt. Lizenzrechtliche Fragestellungen werden insoweit herangezogen, als sie von Bedeutung für die Gesamtproblematik sind. D . Gang der Darstellung Es bestanden im wesentlichen zwei Vorgehensmöglichkeiten. Man hätte in einem Allgemeinen Teil die begrifflichen, systematischen und wirtschaftlichen Grundlagen des Kartellrechts des geistigen Eigentums legen können, um dann in einem Besonderen Teil ihre Anwendung im amerikanischen, deutschen, europäischen und internationalen Wirtschaftsrecht zu untersuchen. Der Nachteil einer solchen „pandektistischen" Vorgehensweise hätte darin bestanden, dass die starken Einflüsse zwischen den einzelnen Rechtsordnungen hinter systematische Erwägungen zurückgetreten wären. Zudem wären zahlreiche Vorgriffe auf positiv-rechtliche Entwicklungen in den einzelnen Rechtsordnungen erforderlich gewesen, die zu Wiederholungen oder lesefeindlichen Verweisungen geführt hätten. Es wurde deshalb eine chronologische Reihenfolge gewählt, in welche die systematischen Ausführungen eingebettet werden. 23
V. Emmerich, in I/M EG-Wettbewerbsrecht, Bd. I, S. 259 Rdnr. 249.
9
D. Gang der Darstellung
Anstelle eines juristischen Allgemeinen Teils erfolgt zu Beginn eine E i n f ü h rung in die ö k o n o m i s c h e n Grundlagen des geistigen Eigentums und seiner kartellrechtlichen Bezüge (1. Teil). Das Verständnis der wirtschaftlichen Zusammenhänge ist unabdingbar für eine U n t e r s u c h u n g des Kartellrechts des geistigen Eigentums. D i e U m w ä l z u n g e n auf diesem G e b i e t sind ohne
einen
Ü b e r b l i c k über die wirtschaftswissenschaftlichen Ansätze nicht nachzuvollziehen. Ihre natürliche F o r t s e t z u n g finden die ö k o n o m i s c h e n Ausführungen in der Darstellung des U S - a m e r i k a n i s c h e n Rechts (2. Teil). D a s Mutterland des Kartellrechts hatte sich nicht nur als erstes mit Fragen des intellectual antitrust auseinander zu setzen. D a s case law-Sjstem
property
ermöglicht auch die zeit-
nahe Transformation neuer ö k o n o m i s c h e r A n s ä t z e in geltendes R e c h t , so dass hier die verschiedenen Phasen des Kartellrechts des geistigen Eigentums b e s o n ders plastisch werden. I m scharfen Kontrast hierzu stehen die Ausführungen zum „grünen K a r t e l l r e c h t " in Deutschland (3. Teil). 2 4 W ä h r e n d entgegen mancher Vorurteile das deutsche Kartellrecht seine Inspiration nicht nur dem U S amerikanischen Vorbild, sondern starken eigenen Traditionen verdankt, ist im speziellen Bereich des geistigen Eigentums eine starke A n l e h n u n g an das U S amerikanische R e c h t der vierziger und fünfziger J a h r e festzustellen. Anpassungen an spätere E n t w i c k l u n g e n erfolgten im deutschen R e c h t nur spärlich. I m Gegensatz hierzu steht die E n t w i c k l u n g des europäischen Gemeinschaftsrechts (4. Teil). Ausgehend v o m deutschen Modell zwang das Ziel der Marktintegration zur E n t w i c k l u n g eigenständiger Ansätze. D i e Darstellung bezieht neben dem europäischen Kartellrecht auch die Grundfreiheiten und die Rechtsharmonisierung ein, da enge B e z ü g e zum Kartellrecht bestehen. D i e A u s f ü h r u n gen z u m internationalen Wirtschaftsrecht (5. Teil) machen schließlich den h o hen Stellenwert deutlich, den das Kartellrecht des geistigen Eigentums weltweit einnimmt.
24 In Deutschland wird das Kartellrecht des geistigen Eigentums in Anspielung auf die Farbe der Zeitschriften G R U R und G R U R Int. auch als „grünes Kartellrecht", die Deutsche Vereinigung für gewerblichen Rechtsschutz und Urheberrecht e.V. auch als „grüner Verein" bezeichnet, s. z.B. F.-K. Beier, Mißbrauch einer beherrschenden Stellung durch Ausübung gewerblicher Schutzrechte?, FS Quack, 1991, S. 15.
1. Teil
Ökonomische Grundlagen des geistigen Eigentums und seiner kartellrechtlichen Bezüge „Die Ergebnisse dieser Untersuchung und anderer einschlägiger Wirtschaftsstudien legen nahe, dass sich die wirtschaftlichen Auswirkungen der Patentierbarkeit computerimplementierter Erfindungen nicht eindeutig bestimmen lassen." (Europäische Kommission, Die Patentierbarkeit computer-implementierter Erfindungen, 19.10.2000, S. 13)
Sowohl das Recht des geistigen Eigentums als auch das Kartellrecht sind relativ junge Rechtsgebiete. 1 Ihre Einführung beruhte auf einer Vielzahl von Überlegungen, zu denen an erster Stelle auch wirtschaftliche Motive gehörten. Die ökonomischen Grundlagen des geistigen Eigentums und des Kartellrechts erfuhren so von Beginn an größte Aufmerksamkeit, in deren Mittelpunkt die grundsätzliche Legitimation des jeweiligen Rechtsgebiets stand. Zu groß war der Streit darüber, ob man überhaupt ein Patentrecht oder ein Kartellrecht benötige, als dass eine differenzierte Untersuchung der gemeinsamen Schnittstelle dieser Rechtsgebiete möglich gewesen wäre. Konflikte von geistigem Eigentum und Kartellrecht suchte man durch Vorrangregeln aufzulösen, die entweder dem Schutzrecht oder der kartellrechtlichen Norm die vollständige Durchsetzung zusprachen. 2 Eine ökonomische Untersuchung der Schnittstellenproblematik wurde und wird auch dadurch erschwert, dass es die ökonomische Theorie des geistigen Eigentums ebenso wenig gab oder gibt wie die ökonomische Theorie des Kartellrechts. 3 1 Kurze Überblicke finden sich unten auf S. 33 ff. zum angloamerikanischen Recht und auf S. 123 ff. zum deutschen Recht. 2 Eine Untersuchung solcher Vorrangregeln findet sich bei L. Kaplow, The Patent-Antitrust Intersection: A Reappraisal, 97 Harvard Law Review 1813, 1818 ff. (1984). 3 S. L. Kaplow (oben Fn. 2) S. 1816: „Coherent practical conclusions about patent-antitrust doctrine can be reached only if similar conclusions have already been made concerning patent policy as a whole, and it is well known that the empirical foundations for current patent policy are shaky at best." Zur kartellrechtlichen Seite s. K. Herdzina, Möglichkeiten und Grenzen einer wirtschaftstheoretischen Fundierung der Wettbewerbspolitik, 1988, insbesondere das Zitat auf S. 2: „Als zentrale Schwäche der Ökonomie wird aber immer wieder ihre Meinungsvielfalt empfunden, welche bezüglich der Wettbewerbsproblematik immer noch am zutreffend-
12
1. Teil: Ökonomische
Grundlagen
des geistigen
Eigentums
Im folgenden soll ein kurzer Überblick über die ökonomischen Ansätze gegeben werden. Das Recht des geistigen Eigentums steht dabei im Vordergrund, da jüngere wettbewerbstheoretische Ansätze in die Darstellung zum US-amerikanischen Recht integriert werden.4 Kartellrechtliche Bezüge werden aber in die folgenden Ausführungen integriert. Die Literatur bezieht sich zwar nicht vollständig, aber überwiegend auf das Patentrecht. Werden in der folgenden Darstellung andere Schutzrechte nicht ausdrücklich angesprochen, werden die Überlegungen deshalb ans Patentrecht geknüpft.
A. Klassische Begründungen und ihre empirische Uberprüfung Nicht zuletzt die Patentdebatte in Deutschland in der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts hat zur Herauskristallisierung der vier „klassischen" Patentrechtstheorien geführt, nämlich der Eigentums-, Belohnungs-, Anspornungsund Offenbarungstheorie. 5 Von besonderer Bedeutung war der Anspornungsgedanke: Die Zuerkennung von Ausschließlichkeitsrechten für einen begrenzten Zeitraum soll Anreize für technische Innovationen schaffen. Von Anfang an war umstritten, ob diese theoretische Begründung auch empirisch zu belegen sei. Fritz Machlup stellte sein berühmtes non liquet auf: „Gäbe es bei uns keinen Patentschutz, so wäre es nach der gegenwärtigen Kenntnis seiner wirtschaftlichen Folgen unverantwortlich, die Annahme eines Patentgesetzes zu empfehlen. Da wir aber seit langer Zeit ein Patentgesetz haben, wäre es nach unserem gegenwärtigen Kenntnisstand ebenso unverantwortlich, seine Abschaffung zu empfehlen." 6
Man sollte meinen, dass in dieser für den Patentschutz so grundlegenden Frage in der Zwischenzeit größere Klarheit erreicht wäre. Um so überraschender ist der Befund, den eine Durchsicht der einschlägigen Literatur ergibt: Während einige davon ausgehen, dass der empirische Beweis für die Innovationsför-
sten durch Masons bekanntes Bonmot illustriert wird, daß ,there are as many definitions of .effective' or .workable' competition as there are effective or working economists'". Zum Theorienpluralismus in der Wettbewerbstheorie s. die Untersuchung von C. Mantzavinos, Wettbewerbstheorie - Eine kritische Auseinandersetzung, 1994. 4 S. u. S. 56 ff. u. S. 76 ff. Ein Überblick über die ökonomischen Grundlagen des Kartellrechts findet sich in W T O , Annual Report 1997, Vol. I, Special topic: Trade and competition policy, S. 34 ff. Speziell zur ökonomischen Analyse s. Chr. Kirchner, „Ökonomische Analyse des Rechts" und Recht der Wettbewerbsbeschränkungen (antitrust law and economics), Z H R 144 (1980), 563 ff.; W. Möschel, Antitrust and Economic Analysis of Law, ZgS/JITE 140 (1984), 156 ff. Kirchner (Einleitung zum Beitrag von H. Demsetz in Assmann/Kirchner/Schanze, Ökonomische Analyse des Rechts, 1993, S.310) spricht im Hinblick auf das antitrust-Kecht von einem „Erstgeburtsrecht der Ökonomie". 5 S. dazu unten S. 125 f. 6 F. Machlup, Die wirtschaftlichen Grundlagen des Patentrechts - 3. Teil, G R U R Int. 1961, 524 (537); F. Machlup, Patentwesen, in HDSW, Bd. 8, 1964, 231 ff.
A. Klassische Begründungen
und ihre empirische
Überprüfung
d e r l i c h k e i t des P a t e n t r e c h t s e r b r a c h t sei, h a l t e n a n d e r e d i e Machlup'sehe
13 Pila-
t u s - T h e s e für weiterhin gültig.7 L e t z t l i c h w e r d e n die S c h w i e r i g k e i t e n in d e r B e w e i s f ü h r u n g a u f ein a l l g e m e i n e s P r o b l e m z u r ü c k z u f ü h r e n s e i n , das sich b e i A u s s a g e n ü b e r w i r t s c h a f t l i c h e Z u s a m m e n h ä n g e i m m e r stellt: D a e i n e V o l k s w i r t s c h a f t k e i n E x p e r i m e n t i e r l a b o r i s t , lässt s i c h in d e r R e a l i t ä t n i c h t ü b e r p r ü f e n , w i e s i c h d i e I n n o v a t i o n s t ä t i g k e i t in A b w e s e n h e i t v o n P a t e n t s c h u t z e n t w i c k e l n w ü r d e . M a n m u s s s i c h d e s h a l b m i t A u s s a g e n b e g n ü g e n , die a u f g r u n d e m p i r i s c h e r B e o b a c h t u n g e n z u mindest plausibel erscheinen. Legt man einen solchen bescheidenen M a ß s t a b a n , k a n n das O b des P a t e n t s c h u t z e s n i c h t in S t r e i t s t e h e n . 8 A l l e r d i n g s lässt s i c h d a r a u s n o c h n i c h t das W i e , n ä m l i c h d e r o p t i m a l e U m f a n g des S c h u t z r e c h t s u n d die kartellrechtlichen G r e n z e n ableiten.9
7 H. Ullrich ( G R U R Int. 1996, 555, 566 m.w.N.): „Dem entsprechen die Ergebnisse der empirischen Forschung, die hartnäckig die Anreiz- oder Investitionssicherungsfunktion etwa des Patentschutzes eher widerlegen als bestätigen." Skeptisch auch W. Möschel, Recht der Wettbewerbsbeschränkungen, 1983, Rdnr. 446. Nach Industriezweigen differenziert S. De Santi, The Intersection of Antitrust and Intellectual Property Issues, 1996, S. 3 f., aufgrund einer Auswertung verschiedener empirischer Studien („Levin"- und ,,Mansfield"-Studie). Für eine Kosten-/Nutzen-Abwägung P. Drahos, A Philosophy of Intellectual Property, 1996, S. 7, 119, S. 143 Fn. 50, 224. K. Herdzina (oben Fn. 3, S. 53 f.) zieht aus der Tatsache, dass die positiven Wirkungen des Patentschutzes nicht völlig klar seien, den Schluss, „daß die Wettbewerbspolitik, und damit letztlich die Gesellschaft, eine politische Entscheidung darüber fällt, was als unbillige Einschränkung des Handlungsspielraumes bzw. der Wahlmöglichkeiten anzusehen ist. [...] Von zentraler Bedeutung für die Entscheidung, welche wettbewerbsrelevanten Spielregeln sie sich gibt, ist das jeweilige Rechtsempfinden der Gesellschaft, welches - insbesondere langfristig - Wandlungen unterworfen sein kann." 8 In diesem Sinn F.-K. Beier, Die Bedeutung des Patentsystems für den technischen, wirtschaftlichen und sozialen Fortschritt, G R U R Int. 1979, 227 (230 f.); P. Braendli (Europäisches Patentrecht als Instrument zur Förderung spezifischer Wirtschaftsstrategien, 1996, S.275, 301): „Im grossen und ganzen hat sich das Patentsystem als solide Konstruktion erwiesen. Nie war seine Daseinsberechtigung so klar und sein Beitrag zur Förderung der Innovation sowie des sozialen und wirtschaftlichen Fortschritts so unbestritten wie heute, auch wenn es immer noch keinen schlüssigen empirischen Beweis dafür gibt, dass mit Patenten mehr Innovationen zustande kommen also ohne sie." 9 Vgl. Gellhorn/Kovacic, Antitrust Law and Economics, 1994, S.414: „The patent laws, then prevent ,free riders' from denying the inventor a return on her investment and ingenuity. This is not to say that without such laws there would be no inventions. But it is a premise of the patent laws - largely unverified - that without such protection fewer socially valuable inventions would result." C.C. v. Weizsäcker (unten Fn. 10, S. 370 f.) hält die Nachteile eines zu weitgehenden Immaterialgüterschutzes für kleiner als die Nachteile eines unzureichenden Schutzes und stellt deshalb die Frage: „Müsste man deshalb nicht sagen: Im Zweifel für den Innovationswettbewerb und gegen den Imitationswettbewerb?".
14
1. Teil: Ökonomische
Grundlagen
des geistigen
Eigentums
B . Mehrebenenansatz Um eine genauere Beschreibung der Stellung des Immaterialgüterrechts im Wirtschaftssystem hat sich C. C. v. Weizsäcker mit seinem Mehrebenenansatz bemüht. 10 Er unterscheidet die Ebene des Konsums (unterste Ebene), der Produktion (mittlere Ebene) und der Innovation (höchste Ebene). Rechte werden gedeutet als Mittel zum Schutz von Aktivitäten höherer Ebene gegen solche niedrigerer Ebene. 11 So herrscht im Hobbes'sehen Naturzustand freier Zugang zu allen Konsumgütern. Anreize zur Produktion solcher Güter existieren kaum, da im Krieg aller gegen alle keine Gewähr dafür besteht, dass der Produzent des Guts auch in dessen Genuss kommt. Die Sicherung des Eigentums führt zwar zu Beschränkungen auf der Konsumebene, indem kein ungehinderter Zugang zu Konsumgütern mehr besteht; Aktivitäten auf der mittleren Ebene, also die Güterproduktion, werden aber aufgrund der mit dem Eigentumsrecht verbundenen Anreizwirkungen gefördert. 12 Diese Überlegung ist auf das Verhältnis zwischen mittlerer und höherer Ebene zu übertragen. Beschränkungen auf der Produktionsebene durch die Gewährung von Ausschlussrechten können gerechtfertigt sein, um die Hervorbringung von Innovationen zu fördern. 13 Die dabei entstehenden Kosten sind zu berücksichtigen. Solche Kosten entstehen durch den Schutz der Eigentumsrechte und den damit verbundenen Ausschluss von Wettbewerb auf der niedrigeren Stufe. Sie steigen mit der Höhe der Ebene: Während der Schutz körperlicher Gegenstände relativ leicht möglich ist, erfordert der Schutz geistigen Eigentums weitreichende Vorkehrungen.14 10 C.C. v. Weizsäcker, Rechte und Verhältnisse in der modernen Wirtschafslehre, 34 Kyklos 345 ff. (1981). Der Titel bezieht sich auf die Habilitationsschrift Eugen von Böhm-Bawerks (Rechte und Verhältnisse vom Standpunkte der volkswirthschaftlichen Güterlehre, 1881). Im Sprachgebrauch des 19. Jahrhunderts sind mit „Rechten" die Ausschließlichkeitsrechte wie z.B. Patent, Urheber- oder Warenzeichenrecht gemeint, während unter „Verhältnissen" rein tatsächliche Werte wie Kundenstamm oder goodwill verstanden werden. Andere Terminologie aber noch bei A. Schäffle, Die nationalökonomische Theorie der ausschliessenden Absazverhältnisse, 1867, der einheitlich von „Verhältnissen" redet. 11 Für den Mehrebenenansatz auch M. Lehmann, Eigentum, Geistiges Eigentum, gewerbliche Schutzrechte, G R U R Int. 1983, 356 (360 ff.); Chr. Kirchner, Patentrecht und Wettbewerbsbeschränkungen, in: Ott/Schäfer (Hrsg.), Ökonomische Analyse der rechtlichen Organisation von Innovationen, 1994, S. 157 (166 ff.); J. Ordover, Economic Foundations and Considerations in Protecting Industrial and Intellectual Property, 53 Antitrust Law Journal 503, 510 ff. (1984). Kritisch H. Ullrich, Lizenzkartellrecht auf dem Weg zur Mitte, G R U R Int. 1996,555 (567). 12 Weitere Voraussetzungen sind freier Marktzutritt und die Möglichkeit des Tausches, C.C. v. Weizsäcker (oben Fn. 10), S. 351. 13 v. Weizsäcker (ebenda, S. 361) betont den Multiplikatoreffekt von Innovationen: Sie schaffen ein Potential für weitere Innovationen. Die Betrachtung darf sich deshalb nicht auf die unmittelbar hervorgebrachten Innovationen beschränken; sie hat solche Folgeinnovationen einzubeziehen. 14 C. C. v. Weizsäcker (oben Fn. 10), S. 352 ff.
C. Ökonomische Analyse des
Immaterialgüterrechts
15
E i n Verdienst des Mehrebenenansatzes besteht darin, den Standort des I m materialgüterschutzes im Wirtschaftssystem verdeutlicht zu haben.
Lehmann
Michael
hat dies besonders plastisch gefasst, indem er das geistige E i g e n t u m
als „Wettbewerbsbeschränkung zur Förderung des W e t t b e w e r b s " bezeichnet hat. 1 5 D a s in dieser Formulierung liegende Paradoxon wird durch den M e h r ebenenansatz aufgelöst: D e r Beschränkung auf der niedrigeren Stufe entsprechen die positiven W i r k u n g e n auf der höheren E b e n e . D e r K o n f l i k t zwischen geistigem Eigentum und Schutz des Wettbewerbs ist nur ein scheinbarer. Insgesamt wird das Ziel einer sich durch Innovationen ständig fortentwickelnden Wettbewerbsordnung verfolgt - auf jeder der genannten E b e n e n geschieht dies allerdings mit unterschiedlichen Mitteln. Dieser Argumentation entspricht die Unterscheidung von Statik und D y n a mik. Beschränkungen auf der Produktionsebene mögen kurzfristige E f f i z i e n z verluste zur Folge haben; diese können aber durch die mittel- und langfristig zu erwartenden Innovationsfortschritte in Kauf g e n o m m e n werden. 1 6 Eine negative B e w e r t u n g von Immaterialgüterschutz ist deshalb nur in verengter, statischer Perspektive möglich. D i e gebotene dynamische
Betrachtungsweise
k o m m t zu einer effizienzsteigernden Bewertung der immaterialgüterrechtlichen Ausschlussrechte. 1 7 A u c h wenn der Mehrebenenansatz klassische T h e o r i e n zum Schutz des geistigen Eigentums weiterentwickelt, wichtige Feststellungen zum Verhältnis v o n Statik und D y n a m i k trifft und hierbei einen hohen G r a d von Anschaulichkeit erreicht, lassen sich aus ihm (ebenfalls) keine präzisen Handlungsanweisungen über die k o n k r e t e Ausgestaltung v o n Schutzrechten und ihrer G r e n z e n ableiten. Aufschlüsse über den B e z u g v o n geistigem E i g e n t u m und Kartellrecht sind deshalb von diesem Ansatz nicht zu erwarten.
C. Ökonomische Analyse des Immaterialgüterrechts 18 U m eine Verfeinerung der Untersuchungsmethoden haben sich Vertreter von
Law and Economics,
also der ö k o n o m i s c h e n Analyse, bzw. der ö k o n o m i s c h e n
15 So der Untertitel von M. Lehmann, Eigentum, Geistiges Eigentum, gewerbliche Schutzrechte, G R U R Int. 1983, 356. 16 C.C. v. Weizsäcker (oben Fn. 10), S. 353, 358 f. 17 S. z.B. O E C D , Competition Policy and Intellectual Property Rights, 1989, S. 101: The „short-run misallocation is the price that has to be paid to secure an improved long-term dynamic resource efficiency through an optimal level of innovative activity."/- Hirshleifer (The Private and Social Value of Information and the Reward to Inventive Activity, 61 A E R 561, 571 (1971)) spricht den Konflikt an „between the .static' disadvantage of a patent monopoly and the ,dynamic' advantage of encouraging invention". 18 Ein früher Beitrag hierzu findet sich bei A. Schaffte, Die nationalökonomische Theorie der ausschliessenden Absazverhältnisse, 1867. Schaffte (ebenda, S. VI) benutzt bereits den Ter-
16
1. Teil: Ökonomische
Grundlagen
des geistigen
Eigentums
Theorie des Rechts bemüht. 1 9 Zugleich haben sie sämtliche Immaterialgüterrechte, insbesondere auch das Urheber- und das Markenrecht in ihre Betrachtung aufgenommen. 2 0 O h n e die Verleihung v o n Schutzrechten wäre Wissen ein öffentliches Gut, das sich durch die Eigenschaften der Nichtausschließbarkeit und der gemeinsamen Nutzung kennzeichnet: 2 1 A u c h diejenigen, die an der Entwicklung der Innovation nicht beteiligt waren („Trittbrettfahrer", bzw. „free rider"), könnten v o n ihrer A n w e n d u n g nicht ausgeschlossen werden. minus der ökonomischen Analyse: „Wenn der in gegenwärtiger Schrift gemachte erste Versuch einer ins Einzelne durchgeführten nationalökonomischen Analyse und Begrenzung des Autor-, Patent-, Muster-, Firmen- und Markenschuzes zu Ergebnissen geführt hat, welche weit verbreiteten Anschauungen und Neigungen, insbesondere auch gewissen juristischen Theorieen, schnurstracks zuwiderlaufen, so hoffen wir doch, selbst bei solchen Gegnern, welche durch diese nationalökonomische Theorie der Autorrechte alarmirt werden sollten, die Anerkennung zu finden, dass ohne alle Tendenz und rein wissenschaftlich aus allgemeinen nationalökonomischen Prämissen die Konsequenzen gezogen sind." 19 Führende amerikanische Lehrbücher zur ökonomischen Analyse des Rechts sind R. Posner, Economic Analysis of Law, 5. Aufl. 1998; Cooter/Ulen, Law and Economics, 2. Aufl. 1997; A. Polinsky, An Introduction to Law and Economics, 2. Aufl. 1989. Deutschsprachige Darstellungen stammen von M. Lehmann, Bürgerliches Recht und Handelsrecht - eine juristische und ökonomische Analyse, 1983; SchäferIOtt, Lehrbuch der ökonomischen Analyse des Zivilrechts, 2. Aufl. 1995. Eine nützliche Sammlung von Basistexten enthält Assmann/ Kirchner/Schanze (Hrsg.), Ökonomische Analyse des Rechts, 1993. Zur methodologischen Stellung der Lehre im deutschen Recht s. H. Eidenmüller, Effizienz als Rechtsprinzip - Möglichkeiten und Grenzen der ökonomischen Analyse des Rechts, 2. Aufl. 1998; K.-H. Fezer, Aspekte einer Rechtskritik an der economic analysis of law und am property rights approach, JZ 1986, 817 ff.; K. -H. Fezer, Nochmals: Kritik an der ökonomischen Analyse des Rechts, JZ 1988, 223 ff.; St. Grundmann, Methodenpluralismus als Aufgabe, RabelsZ 61 (1997), 423 ff. Für eine Umbenennung der Lehre in „Ökonomische Theorie des Rechts" plädiert Chr. Kirchner in seinem gleichnamigen Vortrag von 1996. 20 Mit der ökonomischen Analyse des Immaterialgüterrechts beschäftigen sich die Beiträge in Ott/Schäfer (Hrsg.), Ökonomische Analyse der rechtlichen Organisation von Innovationen, 1994, und die immaterialgüterrechtlichen Abschnitte der allgemeinen Lehrbücher, z.B. Cooter/Ulen (oben Fn. 19), S. 119 ff.; Schäfer/Ott, S. 509 ff. Einen instruktiven Überblick geben Besen/Raskind, An Introduction to the Law and Economics of Intellectual Property, 5 Journal of Economic Perspectives 3ff. (1991); D. Audretsch, Intellectual Property Rights: New Research Directions, in: Albach/Rosenkranz (Hrsg.), Intellectual Property Rights and Global Competition, 1995, S. 35 ff.; Braga/Fink, The Economic Justifications for the Grant of Intellectual Property Rights: Patterns of Convergence and Conflict, in: Abbott!Gerber (Hrsg.), Public Policy and Global Technological Integration, 1997, S. 99 ff. Mit einzelnen Schutzrechten beschäftigen sich K. Dam, Die ökonomischen Grundlagen des Patentrechts, in Ott/Schäfer (s.o.), S. 283 ff.; Landes/Posner, Trademark Law: An Economic Perspective, 30 Journal of Law & Economics 265 ff. (1987); Friedman/Landes!Posner, Some Economics of Trade Secret Law, 5 Journal of Economic Perspectives 61 ff. (1991); Landes!Posner, An Economic Analysis of Copyright Law, 18 Journal of Legal Studies 325 ff. (1989); Chr. Koboldt, Property Rights und Urheberschutz, in Ott/Schäfer (s.o.), S. 69 ff. 21 Geigant/Sobotka/Westphal, Lexikon der Volkswirtschaft, Stichwort „öffentliche Güter". Zur Eigenschaft von Immaterialgütern als öffentliches Gut s. W. Gordon, Systematische und fallbezogene Lösungsansätze für Marktversagen bei Immaterialgütern, in Ott/Schäfer (Hrsg.), Ökonomische Analyse der rechtlichen Organisation von Innovationen, 1994, S. 328 (329 ff.).
C. Ökonomische
Analyse des
Immaterialgüterrechts
17
A u ß e r d e m kann ein immaterielles G u t durch eine beliebige A n z a h l von M e n schen parallel genutzt werden. D i e Schutzrechte des geistigen Eigentums sorgen für Ausschließbarkeit und verhindern die gemeinsame N u t z u n g , machen Wissen also in den G r e n z e n des Schutzrechts zum privaten und damit handelbaren G u t . 2 2
I.
Kosten/Nutzen-Kalküle
D e r Ausgangspunkt der ö k o n o m i s c h e n Analyse besteht in einem Vergleich des sozialen N u t z e n s , der durch den Schutz des geistigen Eigentums gestiftet wird, mit den damit verbundenen sozialen K o s t e n . 2 3 Das Ziel der ö k o n o m i s c h e n Analyse besteht in der Maximierung der Differenz zwischen N u t z e n und K o s ten. 2 4 D e r N u t z e n besteht in der Schaffung von A n r e i z e n zu technischer oder sonstiger Innovation. N u r wenn der Erfinder die M ö g l i c h k e i t hat, sich z u m i n dest einen Teil des von ihm geschaffenen Wertes anzueignen, wird er in die H e r vorbringung von Innovationen investieren. Wenn K o n k u r r e n t e n fremde F o r schungsergebnisse beliebig „ k l o n e n " könnten, wäre eine solche ausreichende Aneignungsmöglichkeit nicht gegeben. 2 5 Soziale K o s t e n entstehen daraus, dass andere v o n der N u t z u n g der Innovation ausgeschlossen und deren Verbreitung deshalb möglicherweise erschwert wird. A u ß e r d e m sind andere, wohlfahrtsmindernde Wirkungen denkbar. E i n Patent steht nur dem ersten Erfinder zu, die Investitionskosten für später k o m m e n d e Parallelerfindungen sind verloren. 2 6 I m Fall des Patentwettlaufs kann die G e s a m t s u m m e der von den W e t t b e -
22 Grundlegend zur Rolle des Marktes bei der Übertragung von Wissen an den Ort seiner nützlichsten Verwendung s. F. v. Hayek, The Use of Knowledge in Society, 35 A E R 519 ff. (1945). Die ursprüngliche Eigenschaft als öffentliches Gut macht sich allerdings bei der Preisbildung bemerkbar. Die marginalen Kosten der Nutzung eines bereits entwickelten Wissens liegen etwa bei Null: Jedermann kann ohne eigenen Aufwand die Innovation imitieren. Daraus folgt, dass der Schutzrechtsinhaber den Preis oberhalb der Grenzkosten ansetzen muss - im Gegensatz zur Preisbildung bei Wettbewerb, wo der Preis im Idealfall den Grenzkosten entspricht. S. hierzu VC. Tom, Background Note, in: OECD, Competition Policy and Intellectual Property Rights, Series Roundtables on Competition Policy Nr. 18, DAFFE/CLP(98)18, 1998, S. 21 (23 f.). 23 W. Gordon (Systematische und fallbezogene Lösungsansätze für Marktversagen bei Immaterialgütern, 1994, S. 328 ff.) weist darauf hin, dass das Vorliegen eines öffentliches Gutes und des damit verbundenen Marktversagens nur notwendige Bedingung, nicht aber auch hinreichendes Kriterium für Immaterialgüterschutz sei: Die zweite Anforderung bestehe darin, „daß nach Einführung eines Immaterialgüterschutzes weniger kostspielige Marktunvollkommenheiten existieren als vorher." 24 Schäfer/Ott (oben Fn. 19, S. 509): „Aufgabe der Rechtsordnung ist es, ein Regelungssystem zur Verfügung zu stellen, bei dem diese dynamischen Wohlfahrtsvorteile durch neues Wissen marginal höher bleiben als die statischen Wohlfahrtsverluste durch Renten." 2 5 S. die grundlegende Arbeit von K. Arrow, Economic Weifare and the Allocation of Resources for Invention, 1962, S. 609 ff. 2 6 Der Zeitpunkt bezieht sich im US-amerikanischen Recht auf den tatsächlichen Zeit-
18
1. Teil: Ökonomische
Grundlagen
des geistigen
Werbern getätigten Investitionen deshalb über Optimum liegen. 27
II. Abgeleitete
Eigentums
dem wohlfahrtsökonomischen
Nutzungen
Dieser Ausgangspunkt wurde durch zahlreiche Einzelüberlegungen ergänzt. Die ökonomische Analyse von Patent- und Urheberrecht hat sich beispielsweise mit der Frage beschäftigt, inwieweit das Schutzrecht an einer Erfindung oder an einem Werk auch auf abgeleitete Nutzungen zu erstrecken ist. Zwei gegenläufige Wirkungen stehen einander gegenüber. Bezieht man abgeleitete Nutzungen in weitem Umfang in das Schutzrecht ein, vergrößert sich der Innovationsanreiz. Außerdem wird die frühzeitige Veröffentlichung des Werks gefördert: Der Erfinder oder Urheber muss nicht befürchten, dass andere ihm bei der Entwicklung abgeleiteter Nutzungen zuvorkommen. 28 Andererseits schafft eine engere Fassung des Ausschlussrechts Anreize für Dritte, unabhängig vom Rechtsinhaber neue Anwendungen zu entwickeln. 29 Handelt es sich bei den gestuften Innovationen um eine Erfindung im Bereich der Grundlagenforschung, die keinen großen unmittelbaren Wert hat, und um darauf aufbauende Anwendungen von hohem kommerziellen Wert, kann ein zu eng ausgestalteter Patentschutz den Anreiz zur Grundlagenforschung vermindern. 30
III. Marken und
Geschäftsgeheimnisse
Die Marke hat verschiedene Funktionen, wie z.B. die Unterscheidungs-, Herkunfts-, Qualitäts- und Werbefunktion. 31 In wirtschaftlicher Hinsicht bietet das Markenrecht in erster Linie die Gewähr dafür, dass sich Investitionen in die Qualität der unter der Marke vertriebenen Produkte und in das Markenimage punkt der Erfindung („first to invent"-Prinzip), in Europa auf den Zeitpunkt der ersten Anmeldung („first to file"-Prinzip). 27 Landes!Posner, Trademark Law: An Economic Perspective, 30 Journal of Law & Economics 265, 267 (1987), mit einer Parallele zur Schatzsuche; Besen!Raskind (oben Fn. 20), S. 3 (5 f.); Cooter/Ulen (oben Fn. 20), S. 120 ff. Ein möglicher Ausweg ist die Forschungskooperation, s. Schäfer/Ott (oben Fn. 19), S. 512. 28 Landes/Posner (oben Fn. 20), 18 Journal of Legal Studies 325, 353 ff. (1989). 29 W. Tom (Summary, in: OECD, Competition Policy and Intellectual Property Rights, 1998, S.455): „The intellectual property regime, which provides incentive for innovation to occur in the first place, must take pains to ensure that intellectual property rights are not unnecessarily broad and too all-encompassing, for excessively broad IPRs can have a dampening effect on subsequent innovation. Competition policy, which seeks to maintain competition, including the competition that spurs further innovation, must take care that its policies do not dampen the incentive for the initial innovation." 30 Cooter/Ulen (oben Fn. 20), S. 121 f. 31 Zu unterscheiden sind die rechtlichen und die wirtschaftlichen Funktionen der Marke. Während die rechtlichen Funktionen wie z.B. Unterscheidungs- und Herkunftsfunktion zugleich wirtschaftliche Funktionen sind, ist die umgekehrte Aussage nicht zutreffend. Im deut-
C. Ökonomische
Analyse des
Immaterialgüterrechts
19
lohnen. 32 Die Suchkosten des Verbrauchers werden vermindert, wenn er von der Marke auf die Qualität des Produkts schließen kann. 33 Die sozialen Kosten durch den Ausschluss von der Marke sind gering, da es sich um eine bloße Bezeichnung handelt. Eine zeitliche Beschränkung des Markenrechts ist deshalb nicht erforderlich. 34 Die Analyse des Schutzes von Geschäftsgeheimnissen konzentriert sich auf die Frage, unter welchen Voraussetzungen der bloße Geheimnisschutz vorteilhafter ist als die Erwirkung eines Patents. Verschiedene Posten sind in ein ökonomisches Kalkül einzustellen: Beispielsweise kann angesichts beträchtlicher Fixkosten für das Patenterteilungsverfahren der Verzicht auf Patentschutz günstiger sein, wenn nicht zu erwarten ist, dass Wettbewerbern während der hypothetischen Schutzfrist eine unabhängige Parallelerfindung gelingt. Ist zu erwarten, dass eine solche Erfindung auch nach Ablauf der hypothetischen Schutzfrist nicht droht, führt der bloße Geheimnisschutz zu einer längeren Schutzdauer: Im Falle der Patenterteilung wäre die Erfindung offenbart worden, so dass sie nach Ablauf der Schutzfrist von jedermann hätte genutzt werden können. Auf der anderen Seite sind die Kosten zu berücksichtigen, die durch Maßnahmen zum Schutz des Know-how entstehen. Solche Rechnungen setzen allerdings voraus, dass rechtlicher Schutz gegen unsaubere Ausforschungen des Geschäftsgeheimnisses zur Verfügung steht. Der Schutz von Geschäftsgeheimnissen erweist sich so als sinnvolle Ergänzung des Patentschutzes. 35 IV. Ertrag der ökonomischen
Analyse
Der kurze Uberblick über Ansätze zur ökonomischen Analyse von Immaterialgüterrechten macht Möglichkeiten und Grenzen des Ansatzes deutlich. Der Fortschritt im Vergleich zu den klassischen Begründungen liegt darin, dass sowohl der soziale Nutzen als auch die sozialen Kosten von Immaterialgüterrechten in einen Abwägungsvorgang eingestellt werden. Ein solches Kalkül erlaubt differenziertere Antworten auf die Frage, unter welchen Voraussetzungen Rechte des geistigen Eigentums zu Wohlfahrtssteigerungen führen. sehen und europäischen Recht ist umstritten, ob der Qualitäts- oder der Werbefunktion rechtliche Qualität zukommt; zu den Markenfunktionen s.u. S. 164. 32 Näher hierzu ]. Drexl, Die wirtschaftliche Selbstbestimmung des Verbrauchers, 1998, S. 605 ff. 33 Landes/Posner, Trademark Law: An Economic Perspective (oben Fn. 20), S. 269 f.; Cooter/Ulen (oben Fn. 20), S. 126. Außerdem wird dem Phänomen des Qualitätswettbewerbs nach unten vorgebeugt; zum „Zitronenwettbewerb" s. G.A. Akerlof, The Market for „Lemons": Quality Uncertainty and the Market Mechanism, 84 Quarterly Journal of Economics 488 ff. (1970). 34 Cooter/Ulen (oben Fn. 20), S. 126. Die „Unsterblichkeit des Markenrechts" wird allerdings eingeschränkt durch das Erfordernis regelmäßiger Verlängerung inkl. Zahlung einer Verlängerungsgebühr, s. z.B. § 47 MarkenG. 35 Friedman!Landes!Posner (oben Fn. 20), S. 62 ff.
20
1. Teil: Ökonomische
Grundlagen
des geistigen
Eigentums
N a c h t e i l i g w i r k t die T a t s a c h e , d a s s K o s t e n u n d N u t z e n z w a r in f o r m a l e volkswirtschaftliche M o d e l l e eingestellt w e r d e n k ö n n e n , eine B e z i f f e r u n g der a b s t r a k t e n V a r i a b l e n a b e r s c h w e r f ä l l t . Z u d e m f ü h r t die E i n z e l f a l l b e t r a c h t u n g zu unterschiedlichen Ergebnissen v o n Fall zu Fall; eine Typisierung zur A u f s t e l l u n g a b s t r a k t - g e n e r e l l e r R e g e l n , die n i c h t in j e d e m e i n z e l n e n F a l l o p t i m a l e Ergebnisse zur Folge haben, wird nicht vorgenommen. O b w o h l eine u m f a n g r e i c h e Literatur z u r ö k o n o m i s c h e n A n a l y s e des P a t e n t r e c h t s u n d d e r a n d e r e n S c h u t z r e c h t e v o r l i e g t , w u r d e n aus d i e s e n
Gründen
keine sicheren E r k e n n t n i s s e ü b e r E i n z e l f r a g e n g e w o n n e n . 3 6 S o gibt die ö k o n o m i s c h e T h e o r i e keine k o n k r e t e A n t w o r t auf die F r a g e n a c h d e m
optimalen
U m f a n g o d e r nach der o p t i m a l e n D a u e r des jeweiligen S c h u t z r e c h t s . 3 7 Z u d e m w e r d e n zu Z w e c k e n der M o d e l l i e r u n g V e r e i n f a c h u n g e n v o r g e n o m m e n , die eig e n t l i c h als ü b e r w u n d e n g e l t e n k ö n n e n , s o w e n n z . B . P a t e n t u n d
Monopol
gleichgesetzt werden.38
3 6 Bezeichnend das Fazit der Europäischen Kommission zur Frage des Patentschutzes für Computersoftware: „Die Ergebnisse dieser Untersuchung und anderer einschlägiger Wirtschaftsstudien legen nahe, dass sich die wirtschaftlichen Auswirkungen der Patentierbarkeit computer-implementierter Erfindungen nicht eindeutig bestimmen lassen." (Europäische Kommission, Die Patentierbarkeit computer-implementierter Erfindungen, 19.10.2000, S. 13). 37 Besen/Raskind (oben Fn. 20), S. 3 (8 f.). Cooter/Ulen (oben Fn. 20, S. 123 f.) stellen beispielsweise ein Modell auf, in dem die optimale Schutzdauer im Schnittpunkt zweier Kurven liegt, nämlich derjenigen für die sozialen Grenzkosten und derjenigen für den sozialen Grenznutzen des Patents. Eine längere Schutzdauer würde dazu führen, dass die Grenzkosten den Grenznutzen übersteigen, also eine Verringerung des sozialen Nettogesamtnutzens des Patents die Folge wäre. Eine kürzere Schutzdauer wäre ebenfalls suboptimal, da eine Ausdehnung der Schutzdauer zusätzlichen Nutzen stiften würde, der die zusätzlichen Kosten überstiege. Allerdings räumen Cooter/Ulen ein, dass die verwendeten Kurven in jedem Einzelfall einen anderen Verlauf nehmen. Selbst wenn man die Kurven empirisch ermitteln könnte, bestünde das Ergebnis in unterschiedlichen Schutzdauern für jede einzelne Erfindung. Eine solche Konsequenz wird auch von Cooter/Ulen als unpraktikabel verworfen. In diesem Sinn auch St. Anderman, E C Competition Law and Intellectual Property Rights, 1998, S. 249. 3 8 S. z.B. Cooter/Ulen (oben Fn.20), S. 119. Zu Recht schlägt K. Dam (oben Fn. 20, S. 286 ff.) vor, den Begriff der monopoly rent durch die economic rent zu ersetzen. Das Patent verschaffe in der Regel kein Monopol, wohl aber die Möglichkeit, die Produktionskosten zu reduzieren. Diese eher auf Verfahrenspatente abstellende Argumentation lässt sich auf Erzeugnispatente erweitern: Ein geschütztes Erzeugnis kann durch Qualitätsvorsprünge eine economic rent sichern, ohne dass die qualitative Neuerung zur Annahme eines eigenen relevanten Marktes und damit einer beherrschenden Stellung zwingen würde.
D. Immaterialgüterrechte
als property
rights
21
D . Immaterialgüterrechte als property rights I.
Grundthese
Die Lehre von den Verfügungsrechten (property rights) ist zentraler Bestandteil der neuen Institutionenökonomik. 39 Im Mittelpunkt steht die Hypothese, dass in einer Welt mit Transaktionskosten „die Ausgestaltung der Verfügungsrechte die Allokation und Nutzung von wirtschaftlichen Gütern (Ressourcen) auf spezifische und vorhersehbare Weise beeinflußt". 40 In seinem grundlegenden Aufsatz von 1967 stellte Harold Demsetz die These auf, dass Verfügungsrechte durch das Bestreben entstehen, sich an Externalitäten, also an positive oder negative Fernwirkungen menschlichen Handelns anzupassen. Wirtschaftliche Effizienz werde dadurch gesteigert.41 Verfügungsrechte werden danach geschaffen, um Externalitäten zu internalisieren, vorausgesetzt, dass der Nutzen der Internalisierung deren Kosten übersteigt.42 II. Anwendung
auf das geistige
Eigentum
Entsprechend der rechtlichen Unterscheidung von absoluten und relativen Rechten kennt die property rights-Lehre absolute und relative Verfügungsrechte.43 Rechte des geistigen Eigentums sind als absolute Verfügungsrechte einzu39 R. Richter, Institutionen ökonomisch analysiert, 1994, S. 11. Überblicke über das Gesamtgebiet bei RichterlFurubotn, Neue Institutionenökonomik, 1996; ErleilLeschkelSauerland, Neue Institutionenökonomik, 1999;/.-//. Rover, Vergleichende Prinzipien dinglicher Sicherheiten, 1999, S. 121 ff.; theoriegeschichtliche Einordnung bei H. Feldmann, Eine institutionalistische Revolution? Zur dogmenhistorischen Bedeutung der modernen Institutionenökonomik, 1995. Zu den Beziehungen zwischen ökonomischer Analyse des Rechts und Neuer Institutionenökonomik s. R. Posner, The New Institutional Economics Meets Law and Economics, 1 4 9 J I T E 73 ff. (1993). 40 R. Richter (oben Fn. 39), S. 15. Grundlegend R. Coase, The Problem of Social Cost, 3 Journal of Law and Economics 1 (1960). Zu den kartellrechtlichen Implikationen von Coase s. Chr. Kirchner, Wettbewerbstheoretische Ansätze bei Coase, WuW 1992, 584 ff. 41 H. Demsetz, Toward a Theory of Property Rights, 57 A E R , Papers and Proceedings 347 (1967). Nachweis kritischer Stimmen zu Demsetz bei Richter/Furubotn (oben Fn. 39), S. 120 ff. 42 Aus der umfangreichen Literatur zur property rights-Lehre s. Alchian!Demsetz, The Property Right Paradigm, 33 Journal of Economic History 16-27 (1973); Furubotn/Pejovich, Property Rights and Economic Theory: A Survey of Recent Literature, 10 Journal of Economic Literature 1137 ff. (1972); dies. (Hrsg.), The Economics of Property Rights, 1974; G. Gäfgen, Entwicklung und Stand der Theorie der Property Rights: Eine kritische Bestandsaufnahme, 1984, S. 43 ff.; D. Schmidtchen, Property Rights, Freiheit und Wettbewerbspolitik, 1983; A. Schüller (Hrsg.), Property Rights und ökonomische Theorie, 1983. 43 Richter/Furubotn (oben Fn. 39), S. 88 ff. Zur Anwendung der Lehre auf relative Verfügungsrechte im deutschen Recht s. H. Köhler, Vertragsrecht und „Property Rights"-Theorie, Z H R 144 (1980), 589 ff. /. Drexl (Die wirtschaftliche Selbstbestimmung des Verbrauchers, 1998, S. 607, Fn. 73) sieht den Unterschied von deutschem Privatrecht und poperty rights-
22
1. Teil: Ökonomische
Grundlagen des geistigen
Eigentums
stufen. 44 Ein bestimmtes Wissen wird dem Rechtsinhaber zur ausschließlichen Benutzung zugewiesen; dadurch wird die unkörperliche Idee überhaupt erst zu einem handelbaren Gut. 45 Während die üblicherweise im Zusammenhang mit Sacheigentum herangezogenen Beispiele negative externe Effekte betreffen, reagiert geistiges Eigentum auf positive externe Effekte: Würden Innovationen nicht geschützt werden, würden Dritte profitieren, ohne eigene Anstrengungen unternommen zu haben. 46 Der Anreiz zur Innovation wäre vermindert; ein suboptimaler Innovationsumfang wäre die Folge. Die property rights-Lehre setzt sich zum Ziel, durch die richtige Definition von Schutzrechten Externalitäten zu vermeiden und die Hervorbringung von Wissen dadurch zu fördern. III. Kosten und Nutzen
der
Internalisierung
Eine grundsätzliche Schwierigkeit der property rights-Lehre im Zusammenhang mit geistigem Eigentum knüpft an den Begriff der Externalität an. Letztlich kann jede Hervorbringung von Wissen und jede Entwicklung einer Fähigkeit oder Fertigkeit als positiver externer Effekt eingestuft werden, da Dritte in der Regel zur Nachahmung in der Lage sind. Nachahmung, oder positiv gewendet: Lernen, ist aber die unverzichtbare Grundlage jeden gesellschaftlichen Zusammenlebens.47 Das Vorliegen eines positiven externen Effekts kann deshalb keinesfalls hinreichender Grund für die Schaffung eines Verfügungsrechts sein. Dies entspricht auch der property rights-Lehre, die zusätzlich fordert, dass der Nutzen der Internalisierung deren Kosten übersteigt. Der Nutzen der Schaffung oder Erweiterung von Verfügungsrechten besteht in der Hervorbringung von mehr Innovationen, die Kosten bestehen im Ausschluss Dritter von der Verwendung des geschützten Wissens. So einleuchtend der abstrakte Ausgangspunkt ist, so zweifelhaft erscheint doch die Möglichkeit einer tatsächlichen Durchführung des Kalküls. Die Komplexität der Zusammenhänge und die Unwägbarkeit der einzelnen Faktoren verhindern eine Anwendung der Internalisierungsformel zu Zwecken der Gesetzgebung. Letztlich macht auch die property rights-Lehre allgemeine Abwä-
Lehre darin, dass das Privatrecht Rechtsgüter, die property ngÄis-Lehre dagegen einzelne Handlungsrechte schütze. 44 W. Fikentscher, Property Rights und Liberty Rights: Normativer Zusammenhang von geistigem Eigentum und Wirtschaftsrecht, FS Schippel, 1996, S. 563 ff.; Chr. Kirchner (oben Fn. 11), S. 166 ff.; M. Lehmann (oben Fn. 11), S. 358 ff.; ders. (oben Fn. 19), S. 49 ff. 45 F.-K. Beier, Die Bedeutung des Patentsystems für den technischen, wirtschaftlichen und sozialen Fortschritt, GRUR Int. 1979, 227 (234). 4 6 Zur Trittbrettfahrerproblematik s.o. S. 16. 4 7 Zur Bedeutung der Nachahmung s. H. Köhler, Erweiterung des gewerblichen Rechtsschutzes durch UWG-Normen, 1994, S.235 (247); A. Beater, Nachahmen im Wettbewerb, 1995, S. 344 ff.
D. Immaterialgüterrechte
als property
rights
23
gungsvorgänge nicht entbehrlich. 48 Von wirtschaftswissenschaftlich-mathematischen Methoden kann keine praktikable Schutzrechtsdefinition more geometrico erwartet werden. IV. Anreizwirkung
durch
Immaterialgüterrechte?
Der verfügungsrechtliche Ansatz ist zu einem Grundsatzargument ausgebaut worden. Die „Rechte zum Haben", nämlich die Verfügungsrechte, sind die Basis, auf der die „Rechte zum Erwerben", nämlich die wettbewerblichen Freiheitsrechte aufbauen. 49 H. Ullrich hat daraus Schlussfolgerungen gezogen, die prinzipiell das Verhältnis von Recht des geistigen Eigentums und Kartellrecht betreffen. Es werde immer wieder gesagt (z.B. nach der klassischen Anspornungs- oder Belohnungstheorie oder nach den Anreiztheoremen der konkurrierenden ökonomischen Ansätze), dass die Schutzrechte zu Innovationsleistungen motivieren sollen. In Wirklichkeit sei nicht das geistige Eigentum selbst, sondern der Wettbewerb Grund und Ursache technischen Fortschritts. Die Ausschließlichkeitsrechte machten Wissen bloß zum aneignungs- und handelsfähigen Gut. Damit stellten die geistigen Schutzrechte (wie das Sacheigentum) lediglich Mittel zum Handeln am Markt dar. Der eigentliche Anreiz zur Innovation komme vom Wettbewerb, der allerdings durch die Gewährung von Ausschließlichkeitsrechten und den dadurch ermöglichten Technologiewettbewerb verändert werde. Daraus seien zwei Schlussfolgerungen zu ziehen: Einerseits könne geistiges Eigentum nicht schon selbst eine Wettbewerbsbeschränkung darstellen. Andererseits dürfe aber auch keine kartellrechtliche Ausnahmebehandlung unter dem Gesichtspunkt der Anreiz- oder Belohnungswirkung erfolgen. 50 Dem Ausgangspunkt der Argumentation, nämlich der systematischen Einordnung des geistigen Eigentums in das Wirtschaftssystem, ist zuzustimmen. 48 In diesem Sinn z.B. Van den Bergh/Lehmann (Informationsökonomie und Verbraucherschutz im Wettbewerbs- und Warenzeichenrecht, GRUR Int. 1992, 588, 598) am Beispiel des Markenrechts: „Obwohl das Warenzeichen dazu beiträgt, hohe Informationskosten einzusparen, besteht gleichwohl bei der rechtlichen Gestaltung des Warenzeichenschutzes die Gefahr, daß die Gewährung zuweitgehender ausschließlicher Rechte an dem Warenzeichen - property right - dem Zeicheninhaber die Möglichkeit verleiht, sich dem Konkurrenzdruck auf Wettbewerbsmärkten zu entziehen. Hier zeigt sich sehr deutlich das oben bereits mehrfach erwähnte Spannungsverhältnis zwischen Informationsverbreitung und Wettbewerb. Der Schutz des Warenzeichens bedingt deshalb Güterabwägungsprobleme." 49 Diese Begriffe verwendet W. Fikentscher (oben Fn. 44, S. 564) in Anknüpfung an Hugo Grotius, De iure belli ac pacis, 1625, II: Buch, § § 18-24. 50 H. Ullrich, Wissenschaftlich-technische Kreativität zwischen privatem Eigentum, freiem Wettbewerb und staatlicher Steuerung, 1996, S.203 (210ff.); ders., GRUR Int. 1996, 555 (565 ff.); ders., Technology Transfer Agreements under EC-Competition Law: A Conservative Reform, 1996, S. 1 (35): „Patents create freedom to act in competition, not freedom from competition."
24
1. Teil: Ökonomische
Grundlagen
des geistigen
Eigentums
Wie das Sacheigentum ist auch das geistige Eigentum die Voraussetzung für eine funktionierende Wettbewerbsordnung. 5 1 Die Frage, ob sich Eigentum in einer lediglich instrumentellen Rolle erschöpft, oder ob ihm ein von den Zwecken losgelöster Eigenwert zukommt, ist heftig umstritten. 5 2 Es ist nicht zu erwarten, dass die Beantwortung dieser rechtsphilosophischen Frage unmittelbare Schlussfolgerungen für das Verhältnis von Kartellrecht und Recht des geistigen Eigentums hervorbringen wird. Auch wenn der Eigenwert des geistigen Eigentums betont wird, stellt sich die Notwendigkeit, das Immaterialgüterrecht in den Gesamtzusammenhang der Rechtsordnung zu integrieren; die Ausgestaltung der kartellrechtlichen Bezüge gehört dazu. Entsprechendes gilt für den instrumenteilen Ansatz. Es ist zuzugestehen, dass die ökonomische Perspektive eine solche Herangehensweise nahe legt. Allen oben erwähnten, wirtschaftswissenschaftlichen Ansätzen ist gemein, dass die Ausgestaltung geistigen Eigentums der Erreichung eines wohlfahrtstheoretischen Optimums dient, also auf die Erreichung eines außerhalb liegenden Zwecks gerichtet ist. Aber auch von diesem Ausgangspunkt lassen sich keine zwingenden Schlussfolgerungen für die kartellrechtliche Behandlung des geistigen Eigentums ziehen. Hierfür bedarf es einer näheren Betrachtung der Schnittstellenproblematik.
E. Kartellrecht des geistigen Eigentums in ökonomischer Betrachtung Im Zentrum der wirtschaftswissenschaftlichen Analyse stand zunächst die isolierte Betrachtung von Immaterialgüterrecht einerseits und Kartellrecht andererseits. Die Untersuchung der Schnittstellenproblematik erfolgte zögerlich, 5 3 hat aber gerade in jüngerer Zeit einen beachtlichen Aufschwung erlebt, der zu 51 Im System Walter Euchens ist das Privateigentum konstituierendes Prinzip der Wettbewerbsordnung, so wie z.B. auch währungspolitische Stabilität, Offenheit der Märkte, Vertragsfreiheit und Haftung. Die konstituierenden Prinzipien bedürfen der Ergänzung durch regulierende Prinzipien, zu denen auch das Kartellrecht gehört, s. W. Eucken, Grundsätze der Wirtschaftspolitik, S. 254 ff. Zu den (engen) Bezügen von Ordoliberalismus und Neuer Institutionenökonomie s. D. Schmidtchen, German „ O r d n u n g s p o l i t i k " as Institutional Choice, 140 ZgS/JITE 54 ff. (1984); Richter/Furubotn, Neue Institutionenökonomik, 1996, S. 37. 52 Vgl. im angelsächsischen Sprachraum P. Drahos (A Philosophy of Intellectual Property, 1996, insbesondere S. 199 ff.), der dem vorrechtlichen und anti-instrumentellen „Proprietarianism" eines R. Nozick (Anarchy, State, And Utopia, 1974) den vertragstheoretischen „Instrumentalism" eines J. Rawls (Eine Theorie der Gerechtigkeit, 1975) vorzieht. Zur entsprechenden Diskussion in Deutschland s. K. W. Nörr, Die Leiden des Privatrechts, 1994, mit den umfangreichen Besprechungen von F. Rittner, Uber die privatrechtlichen Grundlagen des Kartellrechts, ZHR 160 (1996), 180 ff.; E.-J. Mestmäcker, Das Privatrecht vor den Herausforderungen der wirtschaftlichen Macht, RabelsZ 60 (1996), 58 ff.; E Kühler, Kartellrechtsgeschichte: Raumschiff Enterprise?, Rechtshistorisches Journal 1995, 593 ff. 53 Hervorzuheben ist L. Kaplow, The Patent-Antitrust Intersection: A Reappraisal, 97 Harvard Law Review 1813 ff. (1984).
E. Kartellrecht
des geistigen
Eigentums
in ökonomischer
Betrachtung
25
einer deutlichen Präzisierung der wirtschaftlichen Grundlagen geführt hat. 54 Die historische Entwicklung führte von einem isolierten Nebeneinander der beiden Rechtsgebiete über die Konfliktthese zur Harmonie- und Komplementaritätsthese. 55 In diesem Zusammenhang reicht ein Überblick über den analytischen Rahmen, der aus ökonomischer Perspektive dem Kartellrecht des geistigen Eigentums zugrundezugelegt werden kann. I. Konflikt,
Harmonie oder Komplementarität zwischen und Recht des geistigen Eigentums?
Kartellrecht
Ausgangspunkt ist die oben gemachte Feststellung: Die Verleihung von Ausschließlichkeitsrechten dient der Korrektur eines Marktversagens, das sich bei Innovationen unter dem Gesichtspunkt des öffentlichen Guts ergibt. Ohne Schutzrechte bestünden keine ausreichenden Anreize zur Hervorbringung von Innovationen, da Dritte ohne eigene Aufwendungen fremde Ergebnisse sofort übernehmen könnten. Dementsprechend hat die Zuerkennung von Ausschlussrechten zwei Konsequenzen: Einerseits wird statische Effizienz eingeschränkt, da andere von der Benutzung des geschützten Gegenstands ausgeschlossen werden. Andererseits wird dynamische Effizienz gesteigert, indem die Hervorbringung von Innovationen in der Zukunft gefördert wird. 5 6 Diese Zweiteilung macht auch deutlich, inwiefern von Konflikt und inwiefern von Harmonie zwischen Recht des geistigen Eigentums und Kartellrecht geredet werden kann: In statischer, bzw. kurzfristiger Hinsicht besteht ein Konflikt zwischen den beiden Gebieten, da durch die Verleihung von Ausschlussrechten möglicher Wettbewerb beschränkt wird. 5 7 In dynamischer, d.h. 54 WTO, Annual Report 1997, Vol. I, Special topic: Trade and competition policy, insbesondere S. 72 ff.; OECD, Competition Policy and Intellectual Property Rights, 1989; OECD, Competition Policy and Intellectual Property Rights, 1998; (US-) Federal Trade Commission Anticipating the 21st Century: Competition Policy in the New High-Tech, Global Marketplace, 1996; Abbott/Gerber (Hrsg.), Public Policy and Global Technological Integration, 1997; Anderson/Gallini (Hrsg.), Competition Policy and Intellectual Property Rights in the Knowledge-Based Economy, 1998; Chr. Kirchner, Patentrecht und Wettbewerbsbeschränkungen, in: Ott/Schäfer (Hrsg.), Ökonomische Analyse der rechtlichen Organisation von Innovationen, 1994, S. 157 ff. 55 Zu Konflikt- und Harmoniethese s. Chr. Kirchner, Patentrecht und Wettbewerbsbeschränkungen, in: Ott/Schäfer (Hrsg.), Ökonomische Analyse der rechtlichen Organisation von Innovationen, 1994, S. 157 ff. Die näheren Einzelheiten bleiben der Darstellung des USamerikanischen Rechts vorbehalten, s.u. S. 37 ff. 56 Vgl./. Schumpeter (Kapitalismus, Sozialismus und Demokratie, S. 143-175), der auf die innovationsfördernde Wirkung von Monopolstellungen hinwies. Demgegenüber verweist M. Porter {The Competitive Advantage of Nations, 1998,passim, z.B. S. 45 ff., 121,143 f., 732) darauf, dass interner Wettbewerb die Innovationsrate verbessert und die internationale Wettbewerbsfähigkeit stärkt. 57 Die Spannungen zwischen den beiden Gebieten betontJ. Barton (Summary, in: OECD, Competition Policy and Intellectual Property Rights, 1998, S. 453): „Thus, there is necessarily
26
1. Teil: Ökonomische
Grundlagen
des geistigen
Eigentums
mittel- oder langfristiger B e t r a c h t u n g besteht dagegen Ü b e r e i n s t i m m u n g : D i e Verleihung von Ausschlussrechten fördert den Innovationswettbewerb,
der
a u c h z u e i n e r I n t e n s i v i e r u n g des P r o d u k t w e t t b e w e r b s f ü h r t . 5 8 D i e K o n f l i k t t h e s e h a t a l s o i h r e B e r e c h t i g u n g in d e r k u r z f r i s t i g e n P e r s p e k tive, w ä h r e n d eine d y n a m i s c h e B e t r a c h t u n g s w e i s e die H a r m o n i e t h e s e
nahe
l e g t . 5 9 D i e s e D i f f e r e n z i e r u n g hat a l l e r d i n g s k e i n e n h e u r i s t i s c h e n W e r t f ü r die L ö s u n g von Einzelfällen. Wettbewerbsbeschränkungen im Zusammenhang mit R e c h t e n des g e i s t i g e n E i g e n t u m s k ö n n e n n i c h t p a u s c h a l m i t d e m H i n w e i s a k z e p t i e r t w e r d e n , dass l a n g f r i s t i g g e s e h e n I n n o v a t i o n s f ö r d e r u n g die F o l g e i s t . 6 0 R e c h t e des geistigen E i g e n t u m s k ö n n e n w i e alle R e c h t e m i s s b r a u c h t w e r d e n . D i e A u f g a b e des K a r t e l l r e c h t s b e s t e h t d a r i n , m a c h t b e d i n g t e n
Missbräuchen
e n t g e g e n z u w i r k e n . 6 1 D i e Z i e l k o m p a t i b i l i t ä t v o n K a r t e l l r e c h t u n d R e c h t des a tension between intellectual property, which seeks to create rents through proprietary positions, and competition law, which seeks to maintain a competition that decreases rents and moves prices toward marginal cost. Each nation's legal and regulatory system must maintain a balance between these factors, looking to the benefits to consumers of lower current prices as compared with the benefits of future improved technology." 58 Vgl. die besonders plastische Formulierung von F. Easterbrook, Ignorance and Antitrust, inJorde/Teece, Antitrust, Innovation, and Competitiveness, 1992, S. 82 (122 f.): „An Antitrust policy that reduced prices by 5 percent today at the expense of reducing by 1 percent the annual rate at which innovation lowers the costs of production would be a calamity. In the long run a continuous rate of change, compounded, swamps static losses." 59 V. Korah (Patents and Antitrust, 1998, S. 375, 382) ist am Beispiel der Zwangslizenzen der Ansicht, Juristen neigten zu sehr zu statischem Denken, Ökonomen bevorzugten die dynamische Perspektive: „One of the problems of requiring compulsory licences is that lawyers are usually brought up to think ex post, once the technology has been developed it would clearly be more competitive to have more firms using it. Production would probably be greater and prices lower. Perceived ex ante, however, as is habitual for businessmen and economists, the possibility of compulsory licensing reduces the incentives for investment in innovation. Unless a firm can reap where it has sown - can appropriate the benefit of its investment - it is less likely to make it." Der aufgestellte Gegensatz betrifft aber wohl nicht das Verhältnis der beiden genannten Fakultäten, sondern den Unterschied zwischen Rechtsetzung und Rechtsanwendung. Es ist Aufgabe des Gesetzgebers, die Regeln ex ante aufzustellen, die in mittel- und langfristiger Hinsicht die besten Ergebnisse - wie auch immer definiert - versprechen. Die Rechtsanwendung ist - im kontinentalen System - an diese Regeln gebunden und hat sie gegebenenfalls ex post anzuwenden. Auslegungsspielräume sind unter Rückgriff auf die Zielsetzungen des Gesetzgebers auszufüllen; die Perspektive ist dabei nicht notwendigerweise eine kurzfristige. Beispielsweise können die Folgen der Rechtsanwendung Berücksichtigung finden, s. hierzu M. Deckert, Folgenorientierung in der Rechtsanwendung, 1995; M. Gruber, Freiheitsschutz als ein Zweck des Deliktsrechts, 1998, S. 125 ff. 60 W. Tom (oben Fn. 22), S. 21 (23). N. Gallini fordert eine optimale Balance zwischen dynamischer und statischer Effizienz (s. Aide-Memoire, in: OECD, Competition Policy and Intellectual Property Rights, Series Roundtables on Competition Policy Nr. 18, D A F F E / CLP(98)18, 1998, S. 395, 403). 61 Dagegen ist Kartellrecht kein Korrektiv für Immaterialgüterrecht. Die zu weite oder zu enge gesetzgeberische Ausgestaltung von Schutzrechten darf nicht mit Hilfe des Kartellrechts überspielt werden. Andererseits führt die weite Ausgestaltung von Schutzrechten eher zu einer marktbeherrschenden Stellung, die besonderen kartellrechtlichen Anforderungen unterliegt. Auch hier dient Kartellrecht aber nicht der Korrektur; es finden lediglich die allgemeinen
E. Kartellrecht
des geistigen
Eigentums
in ökonomischer
Betrachtung
27
geistigen Eigentums führt also nicht zu einem vollständigen Gleichklang der beiden Gebiete. Dissonanzen im konkreten Fall sind möglich und nicht ungewöhnlich. Anstatt von Harmonie sollte deshalb besser von Komplementarität der beiden Gebiete die Rede sein: Während der Immaterialgüterschutz Rechte an bestimmten Informationen schützt und dadurch zu einem knappen Gut macht, gestaltet Kartellrecht den Rahmen, der dem Austausch von Gütern zugrunde liegt. II. Innovationsförderung
als Ziel des
Kartellrechts
Auch wenn aufgrund der unterschiedlichen Funktionen keine völlige Harmonie zwischen beiden Gebieten besteht, stellt sich die Frage nach den konkreten Auswirkungen der Zielkompatibilität. Wenn auch das Kartellrecht die Hervorbringung von Innovationen fördern soll, ist es dann möglich und geboten, positive, in der Zukunft liegende Auswirkungen auf die Innovationstätigkeit in die Bewertung gegenwärtiger, kartellrechtsrelevanter Bindungen einzubeziehen? 6 2 Ohne Zweifel kann sich der Begriff der Wettbewerbsbeschränkung oder allgemein die kartellrechtlichen Tatbestände nicht in einer statischen Analyse erschöpfen. Die Hervorbringung von Innovationen ist eine der Funktionen des Wettbewerbs. 63 Dem kann die Einführung von Sonderregeln für die Forschungs- und Entwicklungskooperation gerecht werden. Auch werden durch den Begriff des potentiellen Wettbewerbs dynamische Elemente eingeführt. Schließlich mag der Gesichtspunkt der Innovationsförderung zu einer restriktiven Auslegung des Begriffs der Wettbewerbsbeschränkung benutzt werden. 6 4 Darüber hinaus müssen allerdings die unterschiedlichen Funktionen der beiden Rechtsgebiete berücksichtigt werden. 6 5 Die allgemeinen kartellrechtlichen Regeln sind auch auf Immaterialgüterrechte anwendbar. Ein Abgehen von den allRegeln Anwendung, die auf jede, wie auch immer vermittelte Marktbeherrschung anwendbar sind. 62 Gallini/Trebilcock (Intellectual Property Rights and Competition Policy: A Framework for the Analysis of Economic and Legal Issues, 1998, S. 17 ff.) diskutieren diese Frage und unterscheiden drei mögliche Ansätze: 1. Sowohl Recht des geistigen Eigentums als auch Kartellrecht sollen Innovationen fördern. Wenn die Schutzrechte dieser Aufgabe nicht ausreichend nachkommen, muss Kartellrecht durch eine großzügigere Behandlung nachhelfen. Wenn umgekehrt Schutzrechte zu weit gehen, sollte Kartellrecht strenger angewendet werden. 2. Beschränkungen, die zukünftige Innovationen behindern, sind zu untersagen. 3. Die Schaffung von Anreizen zur Hervorbringung von Innovationen ist Aufgabe des geistigen Eigentums. Das Kartellrecht hat darauf zu achten, dass Märkte effizient funktionieren. Allerdings ist auch potentieller Wettbewerb schutzwürdig. Gallini/Trebilcock schließen sich der dritten Auffassung an. 63 Zum wettbewerbspolitischen Zielkatalog s.u. S. 78. 64 S. dazu im Zusammenhang mit europäischem Recht unten S. 387 ff. 65 Gallini/Trebilcock (oben Fn. 62, S. 25) schlagen folgende Differenzierung vor: Das Recht des geistigen Eigentums gibt einen ex ante-Anreiz zur Innovation; das Kartellrecht dient der Erhaltung von expost-Anreizen zur Lizenzierung.
28
1. Teil: Ökonomische
Grundlagen
des geistigen
Eigentums
gemeinen Regeln ist - zumindest in der kontinentalen Tradition - Aufgabe der Gesetzgebung. Diese hat sich darum zu bemühen, durch eine kluge Ausgestaltung des Immaterialgüterrechts Konflikte zwischen geistigem Eigentum und Kartellrecht von vornherein zu vermeiden. III. Schutzrechte
und
Marktbeherrschung
Schutzrechte schließen zwar andere von der Nutzung des geschützten Gegenstands aus; daraus folgt aber nicht die Annahme einer marktbeherrschenden Stellung. Im Gegenteil, eine Marktbeherrschung oder gar ein Monopol werden eher die Ausnahme sein. Der relevante Markt ist normalerweise weiter als das geschützte Erzeugnis. Eine auf Lizenzverträge bezogene Studie kam zu dem Ergebnis, dass in nur 27 Prozent der Fälle keine alternative Lieferquelle bestand, während in 29 Prozent der Fälle 10 oder mehr Substitute zur Verfügung standen. 66 Auch in immaterialgüterrechtlich geprägten Fällen ist also eine sorgfältige Abgrenzung des relevanten Markts nach allgemeinen Regeln erforderlich. Je weiter Immaterialgüterschutz reicht, desto höher wird in der Regel auch der Anteil an einem relevanten Markt sein. IV. Ökonomische
Beurteilung beschränkender in Lizenzverträgen
Klauseln
Im Zentrum ökonomischer Untersuchung steht die Beurteilung beschränkender Verhaltensweisen im Zusammenhang mit Lizenzverträgen. Positive und negative Wirkungen dieser Beschränkungen werden gegeneinander abgewogen. 6 7 Während beispielsweise früher Kopplungsvereinbarungen pauschal als wettbewerbswidrig verurteilt wurden, bemüht man sich heute um eine Gegenüberstellung positiver und negativer Aspekte. So kann z.B. die Kopplung von Ware und Wartung dem Zweck dienen, Kundenunzufriedenheit aufgrund mangelhafter Wartung vorzubeugen. Ganz allgemein kann ein Paketangebot dem Abnehmer attraktiv erscheinen. Außerdem können technische Gründe für die Verwendung des gebundenen Produkts sprechen. Andererseits sind als belastende U m stände die Ausnutzung von Marktmacht, die Behinderung von Konkurrenzprodukten oder unerwünschte Preisdiskriminierungen zu berücksichtigen. 68 Ein anderes Beispiel sind Ausschließlichkeitsbindungen. Der Inhaber des Schutzrechts steht vor der grundsätzlichen Alternative, ob er das Schutzrecht 66 OECD, C o m p e t i t i o n P o l i c y and Intellectual P r o p e r t y Rights, 1989, S. 16; 2 bis 5 Lieferquellen bestanden in 34 % , 5 bis 10 Lieferquellen bestanden in 10 % der Fälle. 6 7 S. die Beiträge von Baxter/Kessler zu K o p p l u n g s v e r e i n b a r u n g e n u n d von Key ¡Winter zu A u s s c h l i e ß l i c h k e i t s b i n d u n g e n in Anderson!Gallini ( H r s g . ) (oben Fn. 54), S. 137 ff., bzw. S. 159 ff.; W. Tom (oben Fn. 22), S. 21 (27 ff.). 68 Baxter/Kessler (oben Fn. 67), S. 137 (139 ff.).
E. Kartellrecht
des geistigen
Eigentums
in ökonomischer
Betrachtung
29
selbst verwerten möchte oder die Vergabe von Lizenzen vorzieht. 6 9 Im allgemeinen wird die Lizenzierung vorteilhafter sein, wenn die zur Verwertung erforderlichen Strukturen nicht zur Verfügung stehen. 70 Für die Vergabe ausschließlicher Lizenzen können Trittbrettfahrer-Effekte sprechen. Ein zweiter Lizenznehmer könnte ohne eigene Aufwendungen von Investitionen profitieren, die der erste Lizenznehmer zum Aufbau eines Vertriebsnetzes sowie für Werbung und sonstige Stärkung des Markenimages vorgenommen hätte. 71 Nachteilig wirkt sich dagegen die mit der Ausschließlichkeit verbundene Einschränkung des intrabrand-Wettbewerbs aus. Außerdem ist immer darauf zu achten, ob sich hinter Ausschließlichkeitsbindungen nicht horizontale Wettbewerbsbeschränkungen, z.B. Marktaufteilungen verbergen. Die Beispiele machen die Vorgehensweise ökonomischer Betrachtung im Grenzbereich von Kartellrecht und Recht des geistigen Eigentums deutlich. Inspiriert von der rule of reason des US-amerikanischen Antitrustrechts werden wettbewerbsfördernde und -behindernde Umstände gegeneinander abgewogen. 72 Ergibt die Abwägung im einzelnen Fall einen positiven Saldo, ist die Verhaltensweise wettbewerbskonform, andernfalls ist sie zu verbieten. Zusätzlich sind die Kosten zu berücksichtigen, die durch den Übergang vom per se- Verbot zur rule of reason entstehen. Einher se-Verbot kann ohne nähere Untersuchung angewendet werden, während die rule of reason eine aufwendige Einzelfallanalyse erfordert. 7 3 Ökonomischem Kalkül entspricht es also, nur dann von einem per se-Verbot zur Einzelfallanalyse überzugehen, wenn die gesamtwirtschaftlichen Vorteile aus der differenzierteren Kartellrechtsanwendung die Kosten für die nun erforderlichen Einzelfallanalysen übersteigen. Eine Übertragung dieser Überlegungen auf das deutsche und europäische Kartellrecht ist nicht uneingeschränkt möglich, da hier die Formulierung bestimmter Tatbestandsmerkmale einer umfassenden Abwägung im einzelnen Fall vorgezogen wird. 7 4 Die Ergebnisse der ökonomischen Betrachtung sind aber zumindest für den Gesetzgeber von Bedeutung. Finden bestimmte Verhaltensweisen in wirtschaftlicher Hinsicht eine überwiegend positive Ein-
6 9 Grundlegend zur Alternative von vertikaler Integration und Markttransaktion s. R. Coase, T h e Nature of the Firm, 4 Economica 386 ff. (1937). 7 0 Eine andere Möglichkeit wäre - soweit rechtlich möglich - die vollständige Veräußerung des Schutzrechts. Die Lizenzierung ist im Vergleich zur vollständigen Veräußerung dann günstiger, wenn der Wert des geschützten Gegenstands nicht abschätzbar ist. Außerdem kann eine komplexe Schutzrechtsstrategie dafür sprechen, einmal erworbene Schutzrechte auch zu behalten. 71 Rey/Winter (oben Fn. 67), S. 159 (169). 7 2 Zur rule of reason s.u. S. 39. 73 Tom/Newberg, U.S. Enforcement Approaches to the Antitrust-Intellectual Property Interface, 1998, S. 343 (358 ff.). 7 4 Z u m Stellenwert der rule of reason im europäischen Recht s.u. S. 382 ff.
30
1. Teil: Ökonomische
Grundlagen
des geistigen
Eigentums
Schätzung, liegt eine entsprechende Änderung der abstrakt-generellen Regeln nahe. 75 F. E r g e b n i s Der Uberblick über die ökonomischen Grundlagen des Intellectual Property Antitrust zeigt, dass sich zwar Aussagen über die allgemeinen Zusammenhänge der beiden Rechtsgebiete machen lassen; konkrete Handlungsempfehlungen in Einzelfragen lassen sich allerdings nicht ableiten. 76 Neuere Ansätze, wie z.B. der Mehrebenenansatz, die ökonomische Analyse des Immaterialgüterrechts oder die property rights-Lehre haben zwar die klassischen Patentrechtstheorien verfeinert und die wirtschaftlichen Fundamente des geistigen Eigentums gestärkt; 77 trotz stärkerer Integration des Immaterialgüterrechts in das Wirtschaftssystem sind die Unsicherheiten im Grenzbereich von geistigem Eigentum und Wettbewerbspolitik aber geblieben. Auch der Ubergang von der Konflikt- zur Harmonie-, bzw. Komplementaritätsthese hat hieran nichts geändert. Die abstrakte Rede von der Zielidentität von Schutz des geistigen Eigentums und Schutz des Wettbewerbs leistet nur dann einen Beitrag zur Lösung konkreter Einzelfälle, wenn hieraus einfache Vorrangregeln abgeleitet werden. Der herrschende ökonomische Ansatz geht aber nicht von einem Vorrang eines der beiden Gebiete aus, sondern bemüht sich um eine Feststellung und Abwägung der positiven und negativen Auswirkungen einer beschränkenden Verhaltensweise im konkreten Fall, also in der US-amerikanischen Terminologie um eine Anwendung der rule of reason. Die Bedeutung dynamischen im Gegensatz zu statischem Denken wird betont. Der Ertrag der ökonomischen Untersuchung für das Recht besteht in der Verdeutlichung der wirtschaftlichen Funktionszusammenhänge. Der Stellenwert einzelner Argumente kann so leichter bestimmt werden. Die folgenden Teile werden zeigen, dass im Kartellrecht des geistigen Eigentums formale Analysen durch umfassende Untersuchungen des gesamten rechtlichen und wirtschaftlichen Zusammenhangs verdrängt wurden. Das Verständnis für die Ökonomie des geistigen Eigentums ist deshalb unabdingbar für eine angemessene Lösung der rechtlichen Probleme. Nicht die Tatsache, dass wirtschaftswissenschaftliche Aussagen ins Recht einfließen, ist problematisch. Wie insbesondere 75 So verhielt es sich im europäischen Kartellrecht: Die Gruppenfreistellungsverordnung Technologietransfer führte zu einer großzügigeren Behandlung von beschränkenden Klauseln in Lizenzverträgen im Vergleich zu den beiden Vorgängerverordnungen. Die Rechtsänderung war durch den Wandel in der ökonomischen Bewertung bedingt, s. hierzu unten S. 295 ff. 76 Vgl. auch das skeptische Fazit von L. Kaplow (oben Fn. 53), S. 1816: „This Article is an attempt to clarify the issues, but its revelation of the unavoidable complexity of the problem indicates that, in practice, the untangling of the myriad strands in the patent-antitrust conflict might prove impossibly difficult."
F.
Ergebnis
31
die Ausführungen zum US-amerikanischen Recht zeigen werden, ist entscheidend, welche der vielen konkurrierenden Standpunkte herangezogen werden. Das common law öffnet mit seinem case law wirtschaftswissenschaftlichen Doktrinen einen großen Spielraum. Wie die Ausführungen zum europäischen Recht zeigen werden, ist aber auch unter der unveränderten Geltung abstraktgenereller Rechtsvorschriften eine Reaktion auf den Wandel der wirtschaftlichen Grundanschauungen möglich. Außerdem hat sich die Kritik de lege ferenda selbstverständlich auch auf außerrechtliche, also auch auf ökonomische Argumente zu stützen.
7 7 Damit sind die Wirtschaftswissenschaften eine wichtige Legitimationsquelle für den Schutz geistigen Eigentums geworden. Dass dies nicht immer so war, zeigt die Bestandsaufnahme bei F.-K. Beier, Wettbewerbsfreiheit und Patentschutz, G R U R 1978, 123 (126); den., Die Bedeutung des Patentsystems für den technischen, wirtschaftlichen und sozialen Fortschritt, G R U R Int. 1979, 227 (229): „Zu den Hauptkritikern des Patentsystems gehören schließlich und letztlich die Nationalökonomen, aus welchen Ländern und aus welcher Schule sie auch immer stammen und welchen Methoden sie auch immer anhängen."
2. Teil
US-amerikanisches Recht „Antitrust law and patent law are frequently viewed as standing in diametric opposition. How can there be compatibility between antitrust law, which promotes competition, and patent law, which promotes monopoly? In terms of the economic goals sought, the supposed opposition between these laws is lacking. Both antitrust law and patent law have a common central economic goal: to maximize wealth by producing what consumers want at the lowest cost." ( W. Bowman, Patent and Antitrust Law, 1973, S.l)
A. Historische Fragmente zum Verhältnis von Ausschließlichkeitsrechten und wirtschaftlicher Freiheit im englischen R e c h t I.
Privilegienwesen1
Patente und Gewerbefreiheit waren von Anfang an auf das engste miteinander verknüpft. Die litterae patentes (wörtlich: offenstehende, bzw. offene Briefe oder Urkunden) wurden vom Monarchen ab dem Mittelalter zur Verleihung eines Gewerbeprivilegs erteilt. Als erstes Gewerbeprivileg gilt der von der englischen Krone dem flämischen Weber Johann Kempe im Jahr 1331 erteilte Schutzbrief. 2 Ab dem 15. Jahrhundert lagen solche Gewerbeprivilegien auch in der Form von Erfinderprivilegien, dem Vorläufer der heutigen Erfindungspatente vor.3 Bemerkenswert ist, dass den Privilegien ein Doppelcharakter als Monopol und Erlaubnis zukommt. Ein Privileg erkennt nicht nur ein Ausschließlichkeitsrecht zu, sondern enthält auch eine Gewerbeerlaubnis, insbe1 Zu Trouvaillen geistigen Eigentums in der Antike (z.B. Schutz der Kochkunst in Sybaris) s. O. Axster, Gemeinschaftskommentar (3. Aufl. 1978), Vorb. § § 20, 21 GWB Rdnr. 7. S. auch den Uberblick Axsters in D. Pf äff (Hrsg.), Lizenzverträge, 1999, S. 24 ff, sowie P. Kurz, Weltgeschichte des Erfindungsschutzes, 2000. 2 H. Fox, Monopolies and Patents, 1947, S. 43 ff. 3 Zur Entwicklung s. F.-K. Beier, Wettbewerbsfreiheit und Patentschutz - Zur geschichtlichen Entwicklung des deutschen Patentrechts, GRUR 1978,123 (124 ff.).
34
2. Teil: US-amerikanisches
Recht
sondere auch die wichtige Befreiung vom Zunftzwang. Von Anfang sind also der negative Gehalt (Ausschluss von Wettbewerb) und der positive Gehalt (Gewerbeerlaubnis, Befreiung vom Zunftzwang) eng miteinander verbunden. 4 Im Zeitalter des Merkantilismus kam den Privilegien eine gesteigerte Bedeutung zu. Auf wenig kostspielige Weise konnten durch sie Handwerker ins Land geworben werden, die über bisher noch unbekannte Künste oder Techniken verfügten. 5 Die Verleihung von Ausschließlichkeitsrechten wurde also zur Modernisierung und zur Verbreitung technischer Innovationen eingesetzt. Allerdings war mit den Privilegien der Rechtscharakter geistigen Schaffens noch nicht anerkannt. Die Zuerkennung eines Privilegs war eine reine Ermessensentscheidung im Geist des Merkantilismus. 6
II. Das englische
Statute of Monopolies
von 1624
In besonderem Maß machte England von diesem Instrument Gebrauch. Es ist deshalb kein Zufall, dass dort mit dem Statute of Monopolies aus dem Jahr 1624 das erste Gesetz zur Regelung der Monopolfrage 7 verabschiedet wurde. Der Konflikt betraf zwar auch die sachliche Frage nach der Reichweite von Gewerbefreiheit und Patentschutz. In erster Linie wurde vor dem Hintergrund dieser Frage aber ein Verfassungskonflikt ausgetragen. Das Parlament wandte sich gegen die willkürliche Erteilung privater Monopole durch die Krone. Das Gesetz sollte die königlichen Prärogativen einschränken. Die Privilegien als solche sollten nicht abgeschafft, sondern der Kontrolle des Parlaments unterstellt werden. 8 Die Regelung war nötig geworden, da es in dem Vierteljahrhundert vor Verabschiedung des Monopolgesetzes zu drei aufsehenerregenden Gerichtsverfahren im Grenzbereich von Privileg und Gewerbefreiheit gekommen war. In all diesen Verfahren wurde zugunsten der Gewerbefreiheit entschieden. 9 In Davenant v. Hurdis von 1599 wurde der Londoner Schneiderzunft eine Regel unDies betont F.-K. Beier (oben Fn. 3), S. 125. F.-K. Beier (Die B e d e u t u n g des Patentsystems f ü r den technischen, wirtschaftlichen u n d sozialen Fortschritt, G R U R Int. 1979, 227, 234) weist in B e z u g auf das heutige P a t e n t s y s t e m darauf hin, dass Patentschutz auch das billigste Instrument staatlicher I n n o v a t i o n s f ö r d e r u n g sei. 6 F. Seifert, Geistiges Eigentum - ein unverzichtbarer Begriff, FS Piper, 1996, S. 769 (772 f.). 7 A b e r nicht das erste Patentgesetz; als solches gilt die Parte Veneziana v o m 19.3.1474, auf die sich bereits Galileo Galilei berief. Der Text der Parte Veneziana ist in deutscher U b e r s e t z u n g a b g e d r u c k t bei E. Berkenfeld, Das älteste Patentgesetz der Welt, G R U R 1949, 139 (140 f.). S. hierzu M. Silberstein, E r f i n d u n g s s c h u t z und merkantilistische G e w e r b e p r i v i l e g i e n , 1961, S. 16 ff. 8 Den k o m p e t e n z b e z o g e n e n H i n t e r g r u n d , nämlich den Konflikt z w i s c h e n königlichen Prärogativen und den Befugnissen des Parlaments betont W. Letwin ( L a w and E c o n o m i c Policy in America, 1965), S. 31 f. 9 N a c h w e i s e der Entscheidungen bei W. Letwin (oben Fn. 8), S. 23 ff. u n d bei H. Fox, M o nopolies and Patents, 1947, S. 311 ff. 4
5
35
A. Historische Fragmente zum englischen Recht
tersagt, nach der Zunftangehörige bei der Vergabe von Aufträgen zu bevorzugen seien. D e r Rechtsverstoß wurde wie folgt präzisiert: „A rule of such nature as to bring all trade or traffic into the hands of one Company, or o n e person, and to exclude all others , is illegal." 10
In dem 1603 entschiedenen Fall Darcy
v. Allen
wurde dieses V e r b o t auch auf
M o n o p o l e erstreckt, die auf königlichem Privileg beruhten. D i e K ö n i g i n hatte D a r c y ein P a t e n t m o n o p o l auf die Herstellung und die E i n f u h r von Spielkarten erteilt. D e r Händler Allen stellte dennoch Spielkarten her, die er in L o n d o n verkaufte. D i e Verletzungsklage von D a r c y wurde von der King's
Bench
wegen
N i c h t i g k e i t des Patents abgewiesen. D a s Patent schade dem G e m e i n w o h l , da der Preis für Spielkarten dadurch erhöht und ihre Qualität gemindert werde. A u ß e r d e m würden andere durch das M o n o p o l ihrer Lebensgrundlage beraubt. Das R e c h t auf Sicherung des Lebensunterhalts durch die A u s ü b u n g eines rechtmäßigen Berufs war also der tragende G r u n d für die N i c h t i g k e i t des Patents. Dieselbe Erwägung lag der dritten Leitentscheidung in Ipswich
Tailors
zugrun-
de. D i e Schneiderzunft von Ipswich machte die A u s ü b u n g des Schneiderberufs davon abhängig, dass zuvor eine Lehre bei einem Zunftangehörigen absolviert wurde. Das G e r i c h t erklärte diese Regel für rechtswidrig, da die A u s ü b u n g eines rechtmäßigen Berufes hierdurch verhindert werde. Vor dem Hintergrund dieser Rechtsentwicklung verabschiedete das Parlament im J a h r 1624 - unter maßgeblicher M i t w i r k u n g von Sir Edward das Statute
of Monopolies.n
Coken
-
D e r K o n f l i k t zwischen Privilegierten und ausge-
schlossenen Dritten wurde durch die Zusammenschau von Ausschließlichkeitsrecht und Gewerbefreiheit gelöst. In A r t . I werden alle M o n o p o l e und Ausschließlichkeitsrechte für rechtswidrig erklärt. 1 3 Art. V I macht von diesem grundsätzlichen Verbot eine A u s n a h m e für die Erfindungspatente. 1 4 D e m E r Zitiert nach W. Letwin (oben Fn. 8), S. 26. W. Fikentscher, Methoden des Rechts, Bd. IV, 1977, S. 592, Bd. II, 1975, S. 28 ff.; ders., Hauptfelder und Zwecke des Kartellrechts in rechtspolitischer und kollisionsrechtlicher Sicht, FS Lorenz, 1991, S. 341 (344). Nach Coke sind Monopole „ever without the law, ... never without friends" (Zitat nach Fikentscher, ebenda). S. auch W. Letwin (oben Fn. 8, S. 19 ff.): Coke habe den Gedanken „erfunden", dass das common law sich von frühester Zeit gegen Monopole gewendet habe. In Wirklichkeit habe das englische Recht in dieser Frage geschwankt. 12 Abgedruckt in H. Fox, Monopolies and Patents, 1947, S. 338 ff. 13 ... „that it may be declared and enacted, and be it declared and enacted by the authoritie of this present Parliament, that all monapolyes and all commissions graunts licences charters and letters patents heretofore made or graunted, or hereafter to be made or graunted to any person or persons bodies politique or corporate whatsoever of or for the sole buyinge sellinge makings workinge or usinge of any thinge within this Realme or the dominion of Wales, or of any other monopolies [...] are altogether contrary to the lawes of this Realme, and so are and shalbe utterlie void and of none effecte, and in noe wise to be putt in ure or execucion." Artikel I auszugsweise zitiert nach H. Fox, Monopolies and Patents, 1947, S. 338. 14 Art. VI lautet: „Provided alsoe and be it declared and enacted, that any declaración before mencioned shall not extend to any letters patents and graunts of privilege for the tearme of 10 11
36
2. Teil: US-amerikanisches
Recht
finder neuer Erzeugnisse oder Verfahren darf ein Patent mit einer Laufzeit von bis zu 14 Jahren erteilt werden. Die Vereinbarkeit der Erfindungspatente mit der Gewerbefreiheit war damit anerkannt. Nicht zu Unrecht hat Josef Kohler das Statute of Monopolies als die Magna Charta sowohl des Erfinderrechts als auch der Verkehrsfreiheit bezeichnet.15 Nur die schädlichen Privilegien, nämlich die rein willkürlich von der Krone verliehenen Ausschließlichkeitsrechte wurden verboten; die nützlichen Privilegien, nämlich die Erfinderpatente, wurden bestätigt. 16 III.
Folgerungen
Nach heutigen Kategorien handelt es sich beim Statute of Monopolies nicht um ein Kartellgesetz, da nicht die Regelung privater, sondern der Abbau staatlicher Wettbewerbsbeschränkungen im Vordergrund steht. Funktional gesehen kommt das Gesetz also einer Gewerbeordnung mit dem Grundsatz der Gewerbefreiheit nahe. Dies verleiht dem Statute eine revolutionäre Stoßrichtung, da sich das Zeitalter des Merkantilismus durch eine staatliche Regulierung des gesamten Wirtschaftslebens bis hin zu kleinlichsten Handlungsanweisungen, also durch eine Planwirtschaft avant la lettre auszeichnete. 17 Um so mehr ist hervorzuheben, dass das Antimonopolgesetz nicht in einer extremen Gegenbewegung alle staatlichen Privilegierungen ächtet, sondern eine Ausnahme für die Erfindungspatente macht. Antimonopolistischer Impetus und Immaterialgüterschutz sind also von Beginn an miteinander vereinbar. 18 Dieser Gedanke ist auf das Verhältnis zwischen dem Verbot privater Wettbewerbsbeschränkungen und dem Immaterialgüterschutz übertragbar: Auch Kartellrecht und Immaterialgüterschutz sind miteinander vereinbar. Da das Kartellrecht eine vergleichsweise junge Errungenschaft ist, 19 konnte die Bewährungsprobe dieser Aussage fowerteen yeares or under, hereafter to be made of the sole working or makinge of any manner of new manufactures within this Realme, to the true and first inventor and inventors of such manufactures, which others at the tyme of makinge such letters patents and graunts shall not use, soe as alsoe they be not contrary to the lawe nor mischievous to the State, by raisinge prices of commodities at home, or hurt of trade, or generallie inconvenient; The said fourteene yeares to be accomplished from the date of the first letters patents or grant of such privilege, hereafter to be made, but that the same shall be of such force as they should be if this Act had never byn made, and of none other." (zitiert nach H. Fox, Monopolies and Patents, 1947, S. 340). 15 J. Kohler, Handbuch des Deutschen Patentrechts, 1900, S. 19. 16 F.-K. Beier (oben Fn. 3), S. 126. S. auch A. Schaffte, Die nationalökonomische Theorie der ausschliessenden Absazverhältnisse, 1867, S. 274: „Die Patente sind der Rest jener litterae patentes, welche der englische Hof zur Zeit der lüderlichsten Herrschaft der Stuarts unter die Hofgeschäftsleute ausstreute. Bei Abschaffung dieser Monopole blieben die Erfindungspatente bestehen, deren specifischer Charakter hienach seit 1623 datiert." 17 J.A. Schumpeter, Geschichte der ökonomischen Analyse, Erster Teilband, 1965, S. 202. 18 O.Axster, Gemeinschaftskommentar (3. Aufl. 1978), Vorb. § § 20, 21 GWB Rdnr. 85. 15 Bekanntlich sah Adam Smith zwar bereits das Problem privater Wettbewerbsbeschrän-
B. Entwicklungslinien
des amerikanischen
Intellectual
Property
Antitrust
37
allerdings erst relativ spät erfolgen. Der Überblick über die amerikanische Entwicklung wird zeigen, welche Schritte erforderlich waren, um zu einer wirklichen Zusammenschau von Kartellrecht und Immaterialgüterschutz zu gelangen.
B . Entwicklungslinien des amerikanischen Intellectual Property Antitrust Die Frage nach dem Verhältnis von Immaterialgüterrecht und Wettbewerbsschutz hat in den USA eine lange Tradition. 20 Einerseits wurde der Schutz von Erfindungen für so bedeutend erachtet, dass eine einschlägige Bestimmung in die Verfassung von 1787 aufgenommen wurde.21 Andererseits bestand ein starker antimonopolistischer Affekt, der nicht zuletzt darauf beruhte, dass sich die Loslösung von England gegen die Ausübung politischer und wirtschaftlicher Macht gewendet hatte. 22
kungen, hielt aber Gegenmaßen nur in beschränktem Maß für erfolgversprechend: „People of the same trade seldom meet together, even for merriment and diversion, but the conversation ends in a conspiracy against the public, or in some contrivance to raise prices. It is impossible indeed to prevent such meetings, by any law which either could be executed, or would be consistent with liberty and justice. But though the law cannot hinder people of the same trade from sometimes assembling together, it ought to do nothing to facilitate such assemblies; much less to render them necessary." (Wealth of Nations, Book I, Chapter X , Part II, S. 152). 2 0 Zur Entwicklung des Immaterialgüterschutzes in Großbritannien s. Sherman/Bently, The Making of Modern Intellectual Property Law, 1999. 2 1 Art. I Section 8 Cl. 8 räumt dem Kongreß die Befugnis ein „To promote the Progress of Science and useful Arts, by securing for limited Times to Authors and Inventors the exclusive Right to their respective Writings and Discoveries". 2 2 Anlass der Revolution war das englische Teemonopol. Die Parallele von politischer und wirtschaftlicher Macht war ein Jahrhundert später das tragende Argument von Senator Sherman für die Verabschiedung des ersten amerikanischen Kartellgesetzes im Jahre 1890: „If we will not endure a king as a political power we should not endure a king over the production, transportation, and sale of any of the necessaries of life. If we would not submit to an emperor we should not submit to an autocrat of trade, with power to prevent competition and to fix the price of any commodity." (Congressional Record, Volume X X I , Part III, S. 2457 (Sitzung des Senats vom 21.3.1890)). Ahnliche Gedankengänge tauchen bei der Anwendung des antitrustRechts immer wieder auf, s. z.B. die Supreme Co«rt-Entscheidung in der Rechtssache United States v. Topco Associates, Inc., 405 U.S. 596, 610 (1972): „Antitrust laws in general, and the Sherman Act in particular, are the Magna Carta of free enterprise. They are as important to the preservation of economic freedom and our free-enterprise system as the Bill of Rights is to the protection of our fundamental personal freedoms." Kartellrechtliche Zielpluralität, die auch die gesellschaftspolitische Funktionen des Wettbewerbsschutzes einschließt, wird allerdings von der Chicago School abgelehnt, s. dazu R. Bork, The Antitrust Paradox, 1993, z.B. S. 405. Dagegen Shenefield/Stelzer, The Antitrust Laws, 1998, S. 10 ff., die allerdings im Falle eines Konflikts zwischen ökonomischen und gesellschaftspolitischen Zielen den wirtschaftlichen Zielen den Vorrang geben möchten ( e b e n d a , S. 12).
38
2. Teil: US-amerikanisches
Recht
Schon Thomas Jefferson, der dritte Präsident der Vereinigten Staaten, sah einen Konflikt zwischen beiden Anliegen. Ursprünglich hatte Jefferson einen kritischen Standpunkt zum Schutz von Erfindungen eingenommen. Er wandte sich gegen das Naturrechtsargument zum Schutz des geistigen Eigentums und verneinte ein Bedürfnis nach Belohnung für die Anstrengungen, die zu der geistigen Leistung geführt hatten. Das Anspornungsargument bewegte ihn schließlich zu einem Meinungswandel. Nur die Gewährung eines Ausschließlichkeitsrechts veranlasse den Erfinder zum Tätigwerden. Der Gesichtspunkt des Anreizes rechtfertige die Zuerkennung eines „rechtlichen Monopols". Auf dieser Grundlage wurde Jefferson der Autor des amerikanischen Patentgesetzes von 1793. 2 3 Die Sichtweise des Patents als legal monopoly, das ausnahmsweise den Grundsatz der Wettbewerbsfreiheit zu durchbrechen vermag, hat die weitere Entwicklung geprägt. Zur Aufnahme spezieller immaterialgüterrechtlicher Bestimmungen in die großen ¿jwfzfrasi-Kodifikationen (insbesondere den Sherman Act von 1890 sowie den Clayton Act und den Federal Trade Commission Act von 1914 2 4 ) kam es zwar nicht. Rechtsprechung und Rechtswissenschaft waren aber immer wieder mit dem Verhältnis zwischen Immaterialgüterschutz und Wettbewerbsschutz befasst. 25 Die allgemeinen antitrust-Vorschriften mussten deshalb für diesen Themenkreis herangezogen werden. Die wichtigsten materiellrechtlichen Vorschriften sind Section 1 Sherman Act (Verbot wettbewerbsbeschränkender Vereinbarungen), 26 Section 2 Sherman Act (Verbot der Monopolisierung, bzw. des Versuchs der Monopolisierung), Section 2 Clayton Act (Verbot 2 3 Zu Thomas Jefferson s. Th. Hayslett, 1995 Antitrust Guidelines for the Licensing of Intellectual Property: Harmonizing the Commercial Use of Legal Monopolies with the Prohibitions of Antitrust Law, Journal of Intellectual Property Law 1996, 375, insbesondere Fn. 2. In diesen Zusammenhang gehört auch der Ausspruch Abraham Lincolns: „The patent system added the fuel of interest to the fire of genius." (zitiert nach Gellhorn/Kovacic, Antitrust Law and Economics, S. 409). Zum Einfluß von James Madison auf das Urheberrecht s. F. Neumeyer, Die historischen Grundlagen der ersten modernen Patentgesetze in den U S A und in Frankreich, G R U R Int. 1956, 241 (243). 2 4 Zum Verhältnis der kartellrechtlichen Kodifikationen zum common law s. W. Letwin (oben Fn. 8), S. 39 ff.; zur frühen Anwendungsgeschichte s. O. Lepsius, Verwaltungsrecht unter dem Common Law, 1997, S. 111 ff. 2 5 Einen Uberblick über das US-amerikanische Kartellrecht des geistigen Eigentums gibt R. Pietzke, Patentschutz, Wettbewerbsbeschränkungen und Konzentration im Recht der Vereinigten Staaten von Amerika, 1983. Der Arbeit liegt eine Untersuchung zugrunde, die im Auftrag der Monopolkommission angestellt wurde, s. Monopolkommission, Hauptgutachten IV (1980/81), 1982, S. 13 Rdnr. 28/29. Pietzke gibt insbesondere einen Überblick über das Verhältnis des Monopolisierungsverbots (S. 39 ff.) sowie des Kartellverbots (S. 83 ff.) zum Patentrecht. Bei der „Anwendung" der Antitrust-Codes ist der allgemeine Ansatz des Common Law zu beachten, nach dem das Falldenken selbst dort überwiegt, wo Gesetze erlassen wurden. S. hierzu treffend P. Hay (Einführung in das amerikanische Recht, 4. Aufl. 1995, S. 11): „Nicht die Gesetzesvorschrift, sondern die richterliche ,Glosse' ist anzuwendendes Recht." 2 6 Einen Uberblick über die Konkretisierung des Beschränkungsverbots gibt Th. Kauper, The Treatment of Cartels under the Antitrust Laws of the United States, 1994, S. 75 ff.
B. Entwicklungslinien
des amerikanischen
Intellectual Property Antitrust
39
der Preisdiskriminierung), Section 3 Clayton Act (Verbot von Ausschließlichkeits- und Kopplungsvereinbarungen), Section 7 und 7a Clayton Act (Fusionskontrolle) und Section 5 Federal Trade Commission Act (Verbot unlauterer Wettbewerbsmethoden). Aufgrund der stärkeren Fall- als Normorientierung des common law werden die Probleme des intellectual property antitrust allerdings meistens nicht unter ausdrücklicher Bezugnahme auf diese Vorschriften diskutiert. Es herrscht vielmehr eine offene Diskussion unter Einbezug aller relevanten Argumente. Die wichtigste dogmatische Kategorie ist die Unterscheidung von per se-Verbot und rule of reason im Zusammenhang mit Section 1 und 2 Sherman Act: Bestimmte Verhaltensweisen werden als so gefährlich eingestuft, dass sie per se, d.h. ausnahmslos und ohne Berücksichtigung weiterer Umstände verboten sind. 27 Andere Beschränkungen werden daraufhin untersucht, ob sie vernünftigerweise mit dem Wettbewerbssystem vereinbar sind. Wenn die wettbewerbsfördernden Auswirkungen überwiegen und die vereinbarten Beschränkungen zur Erreichung dieser Ziele erforderlich sind, ist die betreffende Verhaltensweise nach der rule of reason gerechtfertigt. 28 17 Die klassische Formulierung der per se-Verbote findet sich in Northern Pacific Railway Company v. United States (356 U.S. 1, 5 (1958)): „There are certain agreements or practices which because of their pernicious effect on competition and lack of any redeeming virtue are conclusively presumed to be unreasonable and therefore illegal without elaborate inquiry as to the precise harm they have caused or the business excuse for their use." Zur Entwicklung der per je-Regel s. Scherer/Ross, Industrial Market Structure and Eonomic Performance, 3. Aufl. 1990, S. 317 ff., 335 ff. 28 Die rule of reason wurde erstmals aufgestellt in Standard Oil Co. of New Jersey v. United States, 221 U.S. 1 (1911), also anhand eines Monopolisierungsfalls unter Section 2 Sherman Act, der die Zerschlagung des Olkonzerns anordnete. Die klassische Formulierung der rule of reason im Zusammenhang mit Section 1 Sherman Act stammt von Richter Brandeis, in Chicago Board of Trade v. United States, 246 U.S. 231, 238 (1918): „The true test of legality is whether the restraint imposed is such as merely regulates and perhaps thereby promotes competition or whether it is such as may suppress or even destroy competition. To determine that question the court must ordinarily consider the facts peculiar to the business to which the restraint is applied; its condition before and after the restraint and its effect, actual or probable. The history of the restraint, the evil believed to exist, the reason for adopting the particular remedy, the purpose or end sought to be attained, are all relevant facts." Kritisch zu dieser Definition H. Hovenkamp, Federal Antitrust Policy, 1994, S. 228: „Brandeis' statement of the rule of reason in Chicago Board of Trade ... has been one of the most damaging in the annals of antitrust. The statement has suggested to many courts that, if the analysis is under the rule of reason, then nearly everything is relevant." Hovenkamp vermisst in der Definition von Richter Brandeis den Beurteilungsmaßstab, durch den die Selektion des Tatsachenmaterials erst möglich wird. Kritisch zur weiten Fassung der rule of reason, die auch Platz für nichtwettbewerbliche Gesichtspunkte bietet, Th. Ackermann, Art. 85 Abs. 1 EGV und die rule of reason, 1997, S. 18 und 20. Phillip Areeda (Antitrust Law, Bd. VII, 1986, S. 371 f. § 1502) hat die rule of reason in einen Vier-Stufen-Test strukturiert: 1. Liegt eine Beeinträchtigung des Wettbewerbs (competitive harm) vor? 2. Steht dieser Beeinträchtigung ein Nutzen für den Wettbewerb (redeeming virtue) gegenüber? 3. Ist die Beeinträchtigung vernünftigerweise erforderlich, um den angestrebten Nutzen zu erreichen oder sind andere, weniger einschneidende Maßnahmen mit gleicher Wirkung ersichtlich? 4. Erst wenn diese Frage nicht eindeutig zu beantworten ist, darf es zu einer Abwägung zwischen wettbewerbsfördernden und - beeinträchtigenden Umstän-
2. Teil: US-amerikanisches
40
Recht
W ä h r e n d A u s s c h l i e ß l i c h k e i t s r e c h t e z u n ä c h s t als F r e m d k ö r p e r in e i n e m S y s t e m f r e i e n W e t t b e w e r b s v e r s t a n d e n w u r d e n , die m ö g l i c h s t r e s t r i k t i v z u f a s s e n s e i e n , s i n d in j ü n g e r e r Z e i t m e h r d i e g e m e i n s a m e n Z i e l e v o n I m m a t e r i a l g ü t e r u n d W e t t b e w e r b s g e s e t z e n b e t o n t w o r d e n . 2 9 N a c h der Systematik v o n Newberg
k ö n n e n für diesen P r o b l e m k r e i s drei E n t w i c k l u n g s p h a s e n
s c h i e d e n w e r d e n , n ä m l i c h d i e f r ü h e n J a h r e n a c h V e r a b s c h i e d u n g des Act
Tom/ unterSherman
(I.), die Zeit z w i s c h e n 1912 bis M i t t e der siebziger J a h r e ( I I . ) u n d schließlich
die E n t w i c k l u n g b i s in d i e G e g e n w a r t ( I I I . ) . 3 0 A l l g e m e i n ist d a r a u f h i n z u w e i s e n , d a s s K a r t e l l r e c h t in v i e l s t ä r k e r e m M a ß als andere wirtschaftsrechtliche
Materien von den jeweils herrschenden
wirt-
s c h a f t s p o l i t i s c h e n P a r a d i g m e n b e e i n f l u s s t w i r d . 3 1 D i e s e A u s s a g e gilt g a n z b e s o n d e r s f ü r d i e a m e r i k a n i s c h e R e c h t s e n t w i c k l u n g , g e r a d e a u c h f ü r das K a r t e l l r e c h t d e s g e i s t i g e n E i g e n t u m s . E i n e p o c h e n d e c k e n d e r U b e r b l i c k ü b e r die Z u sammenhänge zwischen wirtschaftswissenschaftlicher
Grundauffassung
und
den kommen. Rechtsvergleichend zur rule of reason s. W. Fikentscher, Kartellrechtliche und lauterkeitsrechtliche Aspekte einer weltweiten Entwicklung des Wettbewerbsrechts, FS Zöllner, 1999, S. 163 ff. 29 H. Ullrich, Lizenzkartellrecht auf dem Weg zur Mitte, G R U R Int. 1996, 555 ff.; J. Kobak, Running the Gauntlet: Antitrust and Intellectual Property Pitfalls on the Two Sides of the Atlantic, 64 Antitrust Law Journal 341, 342 ff. (1996); D. McClure, Trademarks and Competition: The Recent History, 59 Law and Contemporary Problems 13 ff. (1996); N. Rosen, Intellectual Property and the Antitrust Pendulum: Recent Developments at the Interface between the Antitrust and Intellectual Property Laws, 62 Antitrust Law Journal 669 ff. (1994). 30 Tom/Newberg, Antitrust and Intellectual Property: From Separate Spheres to Unified Field, 66 Antitrust Law Journal, 167, 168 ff. (1997). Eine nur leicht abweichende Epocheneinteilung findet sich bei Fogt/Gotts, The Antitrust and Technology Transfer Licensing Interface: A Comparative Analysis of Current Developments, 13 International Tax and Business Lawyer 1, 4 ff. (1995): Die erste Epoche von 1914 bis 1940 sei durch eine zurückhaltende Beurteilung immaterialgüterrechtlicher Beschränkungen gekennzeichnet gewesen. In der „traditional period" von 1945 bis 1980 habe man an die strenge „trust busting"-Tradition der Jahrhundertwende angeknüpft. Kennzeichnend hierfür waren die als per se-Verbote verstandenen „Nine N o - N o ' s " . Ab 1980, der „modern period", sei schließlich der Übergang zu einer allgemeinen, Chicago-inspirierten rule of raisorc-Abwägung zu beobachten. Der Ansatz der Kartellpolitik unter der CÄrciott-Administration könne als „postmodern" bezeichnet werden. Die verschiedenen Etappen der kartellrechtlichen Würdigung von Marken und Marketing finden sich bei D. McClure, Trademarks and Competition: The Recent History, 59 Law and Contemporary Problems 13 ff. (1996). Vgl. auch die allgemeine Antitrust-Epocheneinteilung bei Chr. Kirchner, „Ökonomische Analyse des Rechts" und Recht der Wettbewerbsbeschränkungen (antitrust law and economics), Z H R 144 (1980), 563 (567 ff.) und R. Peritz, Competition Policy in America 1888- 1992, 1996, sowie den Uberblick bei St. Singer, Ausschließliche Patentlizenzund Know-how-Verträge nach deutschem, amerikanischem und europäischem Kartellrecht, 1997, S. 55 ff. 31 Instruktiv W. Page, Ideological Conflict and the Origins of Antitrust Policy, 66 Tulane Law Review 1 ff. (1991). Der Rechtscharakter von antitrust wird hierdurch nicht in Frage gestellt, s. z.B. das Bekenntnis von Sullivan!Grimes, The Law of Antitrust, 2000, S. V: „We think of antitrust as law, not free form policy."
B. Entwicklungslinien
des amerikanischen
Intellectual
Property
Antitrust
41
Kartellrechtsanwendung ist im Rahmen dieser Arbeit nicht möglich. 32 Der Schwerpunkt wird auf die beiden letzten Etappen der Entwicklung gelegt, nämlich auf die Chicago Scbool und die Post Chicago Economics.33 I. Erste Erfahrungen mit dem Sherman Act von 1890: Keine Anwendung von antitrust-Recht auf Rechte des geistigen Eigentums Der Sherman Act enthält in Section 1 ein Verbot wettbewerbsbeschränkender Verhaltenskoordinierungen und in Section 2 ein allgemeines Monopolisierungsverbot. Zu einer Anwendung dieser Verbote auf immaterialgüterrechtlich abgesicherte Verhaltensweisen kam es in den Jahren nach Verabschiedung des Sherman Act nicht. 34 Konflikte zwischen Immaterialgüterrecht und Wettbewerbsrecht wurden dadurch aufgelöst, dass dem Immaterialgüterrecht der Vorrang eingeräumt wurde. 35 Der Grundsatz der Vertragsfreiheit hatte absolute Geltung und setzte sich gegenüber dem Verbot von Wettbewerbsbeschränkungen durch. Am deutlichsten wird diese permissive Haltung in der Entscheidung des U.S. Supreme Court E. Bement & Sons v. National Harrow Co. aus dem Jahr 1902:36 Im Rahmen eines Patentpools waren auch Vereinbarungen über einheitliche Verkaufspreise getroffen worden. Der Supreme Court sah in den Preisabsprachen keinen Verstoß gegen das Kartellverbot und begründete dieses Ergebnis mit den zugrundeliegenden Patenten:
32 Vgl. z.B. den Überblick über die Geschichte der wettbewerbspolitischen Leitbilder bei I. Schmidt, Wettbewerbspolitik und Kartellrecht, 5. Aufl. 1996, S. 1 ff. 33 S. dazu unten S. 56 ff. und S. 76 ff. 34 Diese Zurückhaltung entsprach der allgemeinen Vorsicht bei Anwendung des neuen Kartellgesetzes. Einer der Gründe für diese Zurückhaltung war die für common law-Werhältnisse ungewöhnlich breite Formulierung des Sherman Act. Anstelle einer Auflistung präziser Einzeltatbestände hatte man sich in den Hauptvorschriften Section 1 und 2 für allgemein formulierte Verbote entschieden. Die Anwendungssicherheit wurde durch diese ungewöhnliche Regelungstechnik nicht gefördert; noch heute weisen die antitrust-Vorschr'ihen für den angloamerikanischen Betrachter eine „constitutional breadth" auf, s. z.B. Blair/Lopatka, Albrecht Overruled - At Last, 66 Antitrust Law Journal 537, 551 f. (1998), Shenefield!Stelzer (oben Fn. 22), S. 9; Sp. Waller, Market Talk: Competition Policy in America, Law and Social Inquiry 1997, 435 (436). Für den europäischen Betrachter haben die antitrust-Vorschriften dagegen keinen höheren Abstraktionsgrad als beispielsweise die Art. 81 und 82 EGV. Die Regelbeispiele in den europäischen Vorschriften ( „ l a u n d r y list" in der amerikanischen Terminologie, s. Shenefield/Stelzer, S. 15) geben zwar die Richtung vor; die genannten Verhaltensweisen wären aber auch im amerikanischen Recht ein klarer Anlass für eine weitergehende Analyse. 35 In diesem Sinn auch S. Rundstein (Das Patentrecht und die Kartelle, GRUR 1904, 31, 33): „Jedenfalls aber spielen die grundlegenden Fragen des Patentrechtes bei den Kartellen keine Rolle, weil, wie gesagt, die Kartellorganisationen mit dem Patentrechte keinerlei Berührungspunkte haben; und muss also nicht nur der amerikanische Vorschlag in Hinsicht auf das zukünftige Kartellrecht ausgeschaltet werden, sondern auch die Kartellfrage überhaupt von den patentrechtlichen Gesichtspunkten vollständig abgesondert." 36 1 86 U.S. 70 (1902).
42
2. Teil: US-amerikanisches
Recht
„Notwithstanding these exceptions, the general rule is absolute freedom in the use or sale of rights under the patent laws of the United States. T h e very object of these laws is monopoly, and the rule is, with few exceptions, that any conditions which are not in their very nature illegal with regard to this kind of property, imposed by the patentee and agreed to by the licensee for the right to manufacture or use or sell the article, will be upheld by the courts. T h e fact that the conditions in the contracts keep up the monopoly or fix prices does not render them illegal." 3 7
Die stärksten Wettbewerbsbeschränkungen, nämlich horizontale Preisabsprachen, waren mit dem Patentrechtsargument vom Kartellverbot freigestellt. Die Ausnahmen, auf die in dem Zitat angespielt wird, bezogen sich auf sektorspezifische Besonderheiten; sie führten zu keiner grundsätzlichen Einschränkung der Freistellung. Wettbewerbsbeschränkungen im Zusammenhang mit Patenten (oder anderen Rechten des geistigen Eigentums) waren damit der Anwendung der antitrust-Gesetze entzogen. Jahre: II. Vom „Badewannen"-Fall (1912) bis in die siebziger Konflikt von antitrust und Immaterialgüterrecht In der folgenden Zeit kam es häufiger zu Rechtsfragen im Grenzbereich von antitrust und geistigem Eigentum, meistens in Bezug auf Patente. Die wachsende Erfahrung bei der Anwendung des Sherman Act sorgte für Bewegung bei der Beurteilung immaterialgüterrechtlich gestützter Wettbewerbsbeschränkungen. 1. Die Inhaltstheorie
in Form des
Zwei-Felder-Ansatzes
Im „Badewannen"-Fall 38 erkannte der Supreme Court an, dass auch Wettbewerbsbeschränkungen im Zusammenhang mit einem Patentrecht der Anwendung des Sherman Act unterworfen sind. Eine Patentrechts-Immunität lehnte der Gerichtshof ausdrücklich ab. 39 Patentrecht und antitrust-Recht gerieten Ebenda, 91. Standard Sanitary Manufacturing Company et. al. v. United States of America, 226 U.S. 20(1912). 39 Ebenda, 49: „Rights conferred by patents are indeed very definite and extensive, but they do not give any more than other rights a universal license against positive prohibitions. The Sherman law is a limitation of rights,- rights which may be pushed to evil consequences, and therefore restrained." Der Gerichtshof nahm ein distinguishing zum Bement-Fall (oben Fn. 36) vor: Dort sei nur das Verhalten zwischen Lizenzgeber und Lizenznehmer beurteilt worden, nicht aber die horizontalen Beziehungen zwischen den Mitgliedern des Patentpools (ebenda, 48). Zur Anwendung des Sherman Act auf patentrechtlich gestützte Verhaltensweisen s. auch Motion Picture Patents Company v. Universal Film Manufacturing Company et al., 243 U.S. 502, insbesondere 511 ff. (1917). Section 211 des Patentgesetzes (35 U.S. C. S. 211) ordnet seit 1981 ausdrücklich an: „Nothing in this chapter shall be deemed to convey to any person immunity from civil or criminal liability, or to create any defenses to actions, under any antitrust law." In diesem Sinn auch Section 33(b)(7) Lanham Act (Trademark Act, 15 U.S. C. S. 1115(b)(7), 1994), der gegen den Vorwurf der Markenverletzung die Einrede zuläßt, „that the mark has been or is being used to violate the antitrust laws of the United States." 37 38
B. Entwicklungslinien
des amerikanischen
Intellectual
Property
Antitrust
43
hierdurch in ein Spannungsverhältnis. Ein Patent wurde als gesetzliches Monopol angesehen, das in direktem Gegensatz zur antimonopolistischen Zielsetzung des Kartellrechts stand. Antitrust-Kecht und Recht des geistigen Eigentums erschienen als zwei radikal zu trennende Sphären. 40 Die Versöhnung der Gegensätze hatte dadurch zu erfolgen, dass das gesetzliche Monopol beschränkt wurde. Diese Beschränkung erfolgte auf formalistischem Weg. 41 Nicht wirtschaftliche Zusammenhänge wurden in den Vordergrund gestellt. Es wurde vielmehr die Inhaltstheorie in Form des Zwei-Felder-Ansatzes geboren: Verhaltensweisen, die sich innerhalb der sachlichen und zeitlichen Grenzen des Patents hielten, wurden von der Anwendung der antitrust-Gesetze ausgenommen. 42 In diesem Bereich wurde dem Schutzrechtsinhaber nahezu unbeschränkte Freiheit gewährt. 43 Das Patentrecht sollte in diesem Bereich als Schutzschild (shield of patent) dienen, bzw. als „island of permission in a sea of probibitions" . 4 4 Uberschritt eine Verhaltensweise dagegen den Umfang des Schutzrechts, lag die Annahme eines Kartellrechtsverstoßes nahe. 45 Zentraler Bestandteil der einschlägigen Gerichtsentscheidungen war daher die Frage, welche Verhaltensweisen sich innerhalb und welche sich außerhalb des Schutzrechtsumfangs bewegten (sog. inherency doctrine).46 40 Tom/Newberg (oben Fn. 30, insbesondere S. 170 ff.) sprechen vorn „Separate Spheres" Modell. 41 Tom/Newberg (oben Fn. 30), S. 172. 4 2 Vgl. die Analyse bei S. Chesterfield Oppenheim, Federal Antitrust Laws - Cases and Comments, 2 n d Edition 1959, S. 794 ff. Oppenheim stellte zwar die These von der friedlichen Koexistenz zwischen Patent- und Antitrustrecht auf (s. S. Oppenheim, Patents and Antitrust: Peaceful Coexistence, 29 Michigan Law Review 187 ff., 1965). Diese These entspricht aber nicht der neueren Komplementaritätsthese (s. dazu oben S. 25 ff.), da die friedliche Koexistenz noch mit der Demarkationslinie des Schutzrechtsinhalts erkauft wird. 4 3 Vgl. das Zitat aus der „ßerae«f"-Entscheidung oben Fn. 37 zur „absoluten Freiheit" des Schutzrechtsinhabers. Der Unterschied zur ersten Entwicklungsphase besteht darin, dass nach der Badewannen-Entscheidung absolute Freiheit nur noch innerhalb des gesetzlichen Umfangs des Schutzrechts bestand. S. hierzu W. Fikentscher, A Theory of Legal Monopolies, 1953, S. 100 ff. 4 4 In diesem Sinn H. Furth, Price Restrictive Patent Licenses under the Sherman Act, 71 Harvard Law Review 815, 821 (1958). 4 5 Allerdings besteht auch nach damaliger Auffassung kein Automatismus zwischen Uberschreitung des Schutzrechts und Annahme eines Kartellrechtsverstoßes. Vielmehr sind die Voraussetzungen der jeweiligen kartellrechtlichen N o r m im einzelnen zu überprüfen. So zu Recht G. Strohm, Wettbewerbsbeschränkungen in Patentlizenzverträgen, 1971, S. 192 f. 46 Tom/Newberg (U.S. Enforcement Approaches to the Antitrust-Intellectual Property Interface, 1998, S. 343, 351) sprechen (in Anspielung auf die Rede von Bruce Wilson, unten Fn. 55) vom „metes and bounds approach". Zur inherency doctrine s. R. Pietzke (oben Fn. 25), S. 24 ff., insbesondere 34 ff. Wie im deutschen oder europäischen Kartellrecht wurde auch im amerikanischen Antitrust-Recht nie wirklich geklärt, welche vertraglichen Bindungen dem Inhalt des Schutzrechts zuzuweisen sind, bzw. welche den Inhalt übersteigen. Sind z.B. Vereinbarungen über Art und Höhe der Lizenzgebühren dem Schutzrecht inhärent? William Baxter (Legal Restrictions on Exploitation of the Patent Monopoly: An Economic Analysis, 76 The Yale Law Journal 267, 277 (1966)) bejahte diese Frage und führte sie gleichzeitig durch
44
2. Teil: US-amerikanisches
Recht
Das Formale dieser Vorgehensweise kann an der Entscheidung International Salt Company v. United States of America47 veranschaulicht werden. International Salt, die Patentinhaberin für salzverarbeitende Maschinen, verpflichtete die Mieter dieser Maschinen dazu, das zu verarbeitende Salz nur bei ihr zu beziehen. Der Supreme Court sah hierin eineper se verbotene Kopplungsabrede. Das Patent gebe nur das Recht, anderen die Herstellung, den Vertrieb und den Gebrauch der geschützten Maschine zu untersagen. Das Patent erfasse aber nicht das (nicht-patentierte) Salz. Die Beschränkung des Wettbewerbs auf dem Markt für Salz sei als Kartellrechtsverstoß zu werten. 48 Der Gerichtshof kam zu diesem Ergebnis allein aufgrund der formalen Tatsache, dass das von der Kopplungsabrede betroffene Salz nicht in den Schutzbereich des Patents fiel. Wirtschaftliche Überlegungen wurden nicht angestellt. Der Supreme Court behandelte beispielsweise nicht die Frage, ob die Abnehmer zwischen konkurrierenden Maschinen auswählen und auf diesem Weg die Kopplungsvereinbarung vermeiden konnten. 49 Ein anderes Beispiel für die bloß formale Uberprüfung der Grenzen des Schutzrechts ist die Entscheidung United States of America v. Line Material Company et al. . 50 Der Fall betraf die Problematik abhängiger Patente. Die Inhaber des dominanten und des abhängigen Patents gewährten sich gegenseitig Lizenzen (sog. „cross-licensing") und erteilten gemeinsam Unterlizenzen an Dritte. Teil dieser Vereinbarung war auch die Festsetzung von Mindestpreisen beim Verkauf der geschützten Produkte. Der Supreme Court sah hierin per se verbotene Preisabsprachen und prüfte, ob die einschlägigen Patente zu einer Ausnahme von Section 1 Sherman Act führten. 5 1 Eine Ausnahme bestehe nur dann, wenn die Grenzen des Schutzrechts nicht überschritten würden. 52 Die die Erweiterung ad absurdum, dass dann folgerichtig auch eine Vereinbarung schutzrechtsinhärent und damit rechtmäßig sein müsse, durch die der Lizenznehmer sich verpflichte, die Schwiegermutter des Schutzrechtsinhabers zu ermorden. Daraus folge, dass dem Patentrecht nichts zu der Frage entnommen werden könne, welche Vereinbarungen rechtmäßig oder rechtswidrig seien. Dies beantworte sich allein nach den anderen, einschlägigen Gesetzen. Grundsätzlich ablehnend auch H. Ullrich (Technology Transfer Agreements under E C Competition Law: A Conservative Reform, 1996, S. 1, 29f.): „[...] the doctrines of inherency and of reasonable reward are unsound both practically and theoretically. In fact, they have been refuted a hundred times and continue to be defended only because they are so appealing emotionally, and because they appear to support industry's interests (though even for this purpose, Chicago does offer better arguments)." 47 3 32 U.S. 392 (1947). 48 Ebenda, 395 f.: „But the patents confer no right to restrain use of, or trade in, unpatented salt. By contracting to close this market for salt against competition, International has engaged in a restraint of trade for which its patents afford no immunity from the anti-trust laws." 49 ShenefieldlStelzer (oben Fn. 22), S. 84. 50 3 3 3 U.S. 287 (1948). 51 „The Sherman Act was enacted to prevent restraints of commerce but has been interpreted as recognizing that patent grants were an exception." (ebenda, 309). 52 „It is equally well settled that the possession of a valid patent or patents does not give the
B. Entwicklungslinien
des amerikanischen
Intellectual
Property Antitrust
45
Patentgesetze gäben aber dem Patentinhaber an keiner Stelle das Recht, zusammen mit anderen Patentinhabern Preise festzulegen. 53 Es bleibe also bei der Regel, nämlich dem Verbot der Preisfestsetzung. Die Entscheidung verdeutlicht den Umgang mit patentgestützten Wettbewerbsverstößen. Die beanstandete Verhaltensweise wird daraufhin überprüft, ob ein immaterialgüterrechtlicher Text ein Recht zu diesem Verhalten zuspricht. Ist dies nicht der Fall, bleibt es beim kartellrechtlichen Verbot. Die Frage, ob es ohne die gegenseitigen Lizenzen überhaupt zur Verbreitung der betroffenen Technologie gekommen wäre, spielt keine Rolle. 54 2. Die „Nine
No-No's"
Die Beispiele zeigen, dass in der Zwei-Felder-Welt nicht der wirtschaftliche Zusammenhang bestimmter, potentiell wettbewerbsbeschränkender Verhaltensweisen untersucht wird; lediglich der Typus der betreffenden Vereinbarung spielt für die Bewertung eine Rolle. Bewegt sich eine bestimmte Vereinbarung typischerweise außerhalb des Schutzbereichs eines Immaterialgüterrechts, liegt ein Kartellrechtsverstoß vor. Umgekehrt gilt: Bezieht sich die Vereinbarung auf Verhaltensweisen, die vom Schutzrecht gedeckt werden, ist ein Kartellrechtsverstoß notwendigerweise zu verneinen. Diese schutzbereichsbezogene Typisierung ermöglichte die Aufstellung eines Katalogs, in dem schutzrechtsübersteigende und damit illegale Verhaltensweisen aufgelistet wurden. Dieser Katalog wurde 1970 von der Antitrust Division des U.S. Department of Justice bekannt gegeben, und ging in die Kartellrechtsgeschichte unter dem Schlagwort der „Nine No-No's" ein. 55 Die Liste beruhte im wesentlichen auf vorangegangenem case law. Erfasst waren 1. die Kopplung nicht geschützter Produkte, 2. Rückgewährklauseln, 3. Beschränkungen beim Verkauf geschützter Erzeugnisse nach Ablauf der Schutzfrist, 4. Alleinbezugsvereinbarungen, 5. Alleinvertriebsvereinbarungen, 6. Paketlizenzen, 7. die Berechnung der Lizenzgebühren ohne ausreichenden Bezug zur patentee a n y exemption f r o m the provisions of the S h e r m a n A c t b e y o n d the limits of the p a tent m o n o p o l y . " (ebenda, 308). 53 Ebenda, 312. 54 Einen U b e r b l i c k ü b e r die rechtlichen und wirtschaftlichen A s p e k t e a b h ä n g i g e r Patente aus heutiger Sicht gibt J. Barton, Patents and Antitrust: A R e t h i n k i n g in L i g h t of Patent Breadth and Sequential Innovation, 65 A n t i t r u s t L a w J o u r n a l 449 ff. (1997). 55 Dies geschah durch die (unveröffentlichte) R e d e von Bruce B. Wilson, Patent and K n o w - H o w License A g r e e m e n t s : Field of Use, Territorial, Price and Q u a n t i t y Restrictions, A d d r e s s Before the F o u r t h N e w England Antitrust C o n f e r e n c e , 6.11.1970. Schon vorher, nämlich seit 1968 w u r d e n die Nine No-No's von der Antitrust Division a n g e w e n d e t . Sie w u r den 1981 w i d e r r u f e n , u n d z w a r auf demselben Weg, w i e sie v e r k ü n d e t w o r d e n w a r e n , n ä m l i c h durch luncheon speeches von Kartellbeamten, in erster Linie von A ß . Lipsky Jr., C u r r e n t A n t i trust Division V i e w s on Patent Licensing Practices, Speech before the A m e r i c a n Bar Association's A n t i t r u s t Section, 5.11.1981, vgl. Tom/Newberg, U.S. E n f o r c e m e n t A p p r o a c h e s to the Antitrust-Intellectual P r o p e r t y Interface, 1998, S. 343 (379 Fn. 39) u n d u n t e n Fn. 120.
2. Teil: US-amerikanisches
46
Recht
M e n g e der verkauften Patenterzeugnisse, 8. Mengenbeschränkungen zu Lasten des L i z e n z n e h m e r s im Fall eines Verfahrenspatents und 9. vertikale Preisbindungen. 5 6 Es w a r nicht ganz sicher, ob die v o m Katalog erfassten Verhaltensweisen einem per se-Verbot unterlagen, 5 7 oder ob die rule of reason A n w e n d u n g fand. Jedenfalls hatte die Liste großen Einfluss auf die Vertragsgestaltung in den siebziger und achtziger Jahren.
3. Verdienst und
Schwäche
Das Verdienst des Zwei-Felder-Ansatzes besteht in der U b e r w i n d u n g des Postulats absoluter Freiheit im Sinne der Äewewi-Entscheidung. Verhaltensweisen im Zusammenhang mit Immaterialgüterrechten w e r d e n nicht mehr vollständig von der A n w e n d u n g des allgemeinen Rechts freigestellt. Als Scheidelinie z w i schen Immunität und U n t e r w e r f u n g unter das antitrust-Kecht gilt vielmehr der U m f a n g des Schutzrechts. Die teilweise U n t e r w e r f u n g immaterialgüterrechtlich gestützter Verhaltensweisen unter die allgemeinen Regeln beruht auf der Erkenntnis, dass auch die Rechte des geistigen Eigentums über ihre Zielsetzung hinaus zur Beschränkung von Wettbewerb eingesetzt w e r d e n können. Der Zwei-Felder-Ansatz setzt diese Erkenntnis allerdings nur unzureichend um; er greift einerseits zu k u r z und geht andererseits zu weit. Kartellrecht w i r d dadurch zu stark beschnitten, dass sämtliche Verhaltensweisen innerhalb der Grenzen des Schutzrechts von der A n w e n d u n g des antitrust-Rechts ausgenommen w e r d e n . Dies widerspricht der Erkenntnis, dass auch innerhalb des Schutzbereichs schädliche Wettbewerbsbeschränkungen möglich sind, die ihre Rechtfertigung nicht im Ausschließlichkeitsrecht finden. Andererseits ist der Zwei-Felder-Ansatz zu streng: Beschränkungen außerhalb des immaterialgüterrechtlichen Schutzbereichs w e r d e n den kartellrechtlichen Verboten unterworfen, ohne dass eine wirtschaftliche Beurteilung ihrer Schädlichkeit für den Wettbewerb v o r g e n o m m e n w i r d . Mit der s c h w a r z - w e i ß konturierten Welt der „Nine No-No's" konnte es deshalb nicht sein B e w e n d e n haben.
III. Die Lehre vom patent
misuse
(bzw. Copyright
misuse)
Eine gewisse Relativierung der bipolaren Welt der Inhaltstheorie geht von Rechtsfigur des patent misuse aus. Es handelt sich hierbei u m eine Lehre, nicht von kartellrechtlicher, sondern von immaterialgüterrechtlicher, bzw. vilrechtlicher Seite entwickelt w u r d e . 5 8 Die Lehre v o m patent misuse ist
der die ziein
S. Tom/Newberg (oben Fn. 30), S. 178 ff. In diesem Sinn Webb!Locke, Intellectual Property Misuse: Developments in the Misuse Doctrine, 4 Harvard Journal of Law and Technology 257, 260 f. (1991). Nachweis des Streitstands bei Tom/Newberg (oben Fn. 55) S. 343 (380 f. Fn. 65). 58 Hier liegt der Unterschied zum Verbot des Missbrauchs marktbeherrschender Stellun56
57
B. Entwicklungslinien
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Intellectual
Property Antitrust
47
equity-Konzept, das sich aus dem Grundsatz ableiten lässt: „He who comes to Equity must come with clean hands." 59 Die Klage eines Patentrechtsinhabers, der wegen Verletzung seines Patentrechts klagt, wird abgewiesen, wenn er sein Patent missbräuchlich ausgenutzt hat. Dabei ist es irrelevant, ob der Missbrauch gerade gegenüber dem Verletzer begangen wurde. Bei Vorliegen eines Missbrauchs ist das Patent also gegenüber keinem Verletzer durchsetzbar. 60 Die Durchsetzbarkeit wird so lange versagt, wie der Missbrauch andauert. 61 Prozessual gesehen ist die Lehre vom patent misuse eine Einrede, die der angebliche Verletzer dem Anspruch des Patentrechtsinhabers entgegensetzt. 62 In gen im deutschen und europäischen Kartellrecht: Auch wenn dieses Verbot auf immaterialgüterrechtlich vermittelte Marktbeherrschungen angewendet wird, bezieht sich der Vorwurf immer noch auf die missbräuchliche Ausnutzung der Marktbeherrschung und nicht auf den Missbrauch des Immaterialgüterrechts selbst. S. hierzu unten S. 455 f. Der Missbrauch ist also im deutschen und europäischen Recht eine kartellrechtliche Kategorie. Ein Vergleich zwischen dem Missbrauchsbegriff amerikanischer und europäischer Provenienz findet sich bei V. Mangini, Erfahrungen mit dem Begriff des Patentmißbrauchs in Nordamerika und Europa, G R U R Int. 1985, 787 ff. 5 9 Zur Entwicklung der Lehre vom patent misuse s. G. Strohm, Wettbewerbsbeschränkungen in Patentlizenzverträgen, 1971, S. 74 ff. Grundlegend ist die Entscheidung Morton Salt Co. v. G.S. Suppiger Co., 314 U.S. 488 (1942), in der die Kopplung des Verkaufs unpatentierter Salztabletten an die Vermietung patentgeschützter Maschinen als patent misuse eingestuft wurde. Zu den equity-GruaAsitzen s. D. Blumenwitz, Einführung in das anglo-amerikanische Recht, 6. Aufl. 1998, S. 11 ff. und die Kodifizierung der egwify-Maximen in Montana, abgedruckt bei P. Hay, Einführung in das amerikanische Recht, 4. Aufl. 1995, S. 6 ff. Fn. 17. Grundsätzlich zum Verhältnis von Common Law und Equity im amerikanischen Recht O. Lepsius, Verwaltungsrecht unter dem Common Law, 1997, S. 31 ff. 6 0 Hier liegt ein entscheidender Unterschied zwischen patent misuse und antitrust-Yerstoß. Im antitrust-Recht ist die injury doctrine anerkannt, nämlich aus Brunswick Corp. v. Pueblo Bowl-O-Mat, Inc., 429 U.S. 477, 489 (1977). Danach kann eine private Partei nur dann gegen einen Kartellrechtsverstoß vorgehen, wenn sie selber durch diesen Verstoß auf antitrustspezifische Weise verletzt wurde: „Plaintiffs must prove antitrust injury, which is to say injury of the type the antitrust laws were intended to prevent and that flows from that which makes defendants'acts unlawful. The injury should reflect the anticompetitive effect either of the violation or of anticompetitive acts made possible by the violation." (S. hierzu H. Hovenkamp, Antitrust, 2 n d Edition 1993, S. 48 f.). Im Fall ¿es patent misuse kommen dagegen auch diejenigen in den Genuss der dem Patentinhaber auferlegten Rechtsschutzverweigerung, die durch den Missbrauch nicht in ihrer Sphäre berührt wurden. Die Brunswick-'EntscheiAung enthält auch (mit Zitat aus Brown Shoe Co. v. United States, 370 U.S. 294, 320) den berühmten Satz: „The antitrust laws, however, were enacted for the .protection of competition, not competitors'" (429 U.S. 477, 488, Hervorhebung im Original). 61 Erforderlich ist nicht nur, dass das missbräuchliche Verhalten eingestellt wird, sondern dass auch die Folgen dieses Verhaltens beseitigt werden. 6 2 Zum patent misuse s. R. Pietzke, Patentschutz, Wettbewerbsbeschränkungen und Konzentration im Recht der Vereinigten Staaten von Amerika, 1983, S. 14 ff., Marione!Gilbreth! Gervase, The Patent Misuse Defense - Its Continued Expansion and Contraction, in: D. Bender (Hrsg.), Intellectual Property Antitrust 1996, Volume One, S. 325 ff. Zu prozessrechtlichen Problemen der misuse defense s. Davidson/Engisch, A Survey of the Law of Copyright Misuse and Fraud on the Copyright Office, in: D. Bender (Hrsg.), Intellectual Property Antitrust 1996, Volume One, S. 489 (519).
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der Rechtssache Atari Games Corp. v. Nintendo of America Inc.63 hat der Court of Appeals for the Federal Circuit allerdings entschieden, dass der Beklagte sich auf die (copyright) misuse defense nur dann berufen kann, wenn er selber mit „sauberen Händen" vor Gericht erschienen ist. Im konkreten Fall hatte der Anwalt von Atari unter Vorspiegelung falscher Tatsachen den Quellcode eines urheberrechtsgeschützten Programms erschlichen. Das Gericht verwehrte dem Unternehmen deshalb die Berufung auf den copyright misuse, ohne die Existenz oder Berechtigung dieser Einrede abschließend zu prüfen. 64 1. Tatbestand des patent
misuse
Die entscheidende Frage besteht darin, unter welchen Voraussetzungen vom Vorliegen eines misuse ausgegangen werden kann. Klare Vorgaben bestehen hier nicht. Als allgemeine Leitlinie wird folgende Überlegung herangezogen: Wurde die durch das Patent vermittelte Stellung über die Macht hinaus ausgedehnt, die normalerweise durch die Patentgesetze vermittelt wird? Im Einzelfall werden e^»zi;y-Prinzipien angewendet, um einen Missbrauch festzustellen. 65 Außer dem Vorliegen von „unclean hands" ist es erforderlich, dass eine Verbindung zwischen dem unsauberen Verhalten und dem Patent besteht. Diese Voraussetzung darf allerdings nicht zu restriktiv ausgelegt werden: Das gesamte Verhalten im Umfeld des Patents ist in die Untersuchung einzubeziehen. In der Praxis haben Kopplungsfälle die größte Bedeutung erlangt. Die Bindung des Verkaufs geschützter Erzeugnisse an die Abnahme ungeschützter Produkte wurde vielfach als Missbrauch angesehen, der die Rechte des Patent63 975 F.2d 832 (Fed. Cir. 1992). Die Entscheidung ist von grundsätzlicher Bedeutung für die Neubewertung des Verhältnisses von Immaterialgüterrecht und Kartellrecht, s. unten bei Fn. 117. Zur Relevanz dieser Entscheidung für die Zulässigkeit des reverse engineering s. J. Drexl, What Is Protected in a Computer Program?, 1994, S. 36; Wald/Kirby, Standards For Interoperability And The Copyright Protection Of Computer Programs, in: D. Bender (Hrsg.), Intellectual Property Antitrust 1996, Volume Two, S. 73 (85 ff.); Lande! Sobin, Reverse Engineering of Computer Software and U.S. Antitrust Law, 9 Harvard Journal of Law and Technology 237, 244 ff., 266 ff. (1996); D. Mcgowan, Regulating Competition in the Information Age: Computer Software as an Essential Facility under the Sherman Act, 18 Hastings C o m m u nications and Entertainment Law Journal 771, 833 ff. (1996): Reverse Engineering ist im Prinzip als fair use i.S. v. Section 107 Copyright Act (17 U.S. C. S. 107) anerkannt und ist deshalb nicht als Urheberrechtsverletzung zu bewerten. Da reverse engineering die Entwicklung kompatibler Produkte häufig überhaupt erst ermöglicht, sorgt eine entsprechende Schutzschranke für die Entschärfung des Verhältnisses von Urheber- und Kartellrecht. Zur Beurteilung des reverse engineering im europäischen Recht s.u. S. 515 f. 64 Wenn also beiden Parteien nach eg»«f;y-Maßstäben unsauberes Verhalten vorgeworfen werden kann, bleibt es bei der ursprünglichen Rechtslage, die Verletzungsklage greift also bei Nachweis der Schutzrechtsverletzung durch. Dieses Ergebnis entspricht dem Grundsatz: „Where equities are equal the law prevails." (hierzu s. D. Blumenwitz, oben Fn. 59, S. 11). 65 Vgl. Marione/Gilbreth/Gervase (oben Fn. 62, S. 329 f.): „To date, no unified set of principles has been developed to define the scope of the misuse doctrine. Thus, courts look to equitable principles in determining whether a patentee's conduct (and its nexus to the patentin-suit) is such that the doctrine of misuse shall apply to render that patent unenforceable."
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Antitrust
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inhabers suspendierte. 66 Daneben wurden Ausschließlichkeitsbindungen, Paketlizenzen, Lizenzgebühren nach Ablauf der Schutzfrist, andere missbräuchliche Gebührenschemata sowie vertikale Preisbindungen als patent misuse eingestuft. 67 2. Copyright misuse Es existiert kein sachlicher Grund dafür, die misuse-Lehre dem Patentrecht vorzubehalten. Jedes (Immaterialgüter-)Recht kann missbraucht werden. 6 8 So war es zwar spät, aber nur folgerichtig, dass die Lehre vom patent misuse um die Lehre vom Copyright misuse ergänzt wurde. Grundlegend in neuerer Zeit ist die Entscheidung des Court of Appeals for the Fourth Circuit in der Rechtssache Lasercomb America, Inc. v. Reynolds aus dem Jahr 1990. 6 9 Die Klägerin hatte zwar nicht mit dem Beklagten, 7 0 aber nachweislich mit mindestens einem Dritten einen Lizenzvertrag über Computersoftware abgeschlossen, in dem über 6 6 Da solche Kopplungen in der Welt der Nine No-No's gleichzeitig Kartellrechtsverstöße darstellen, liegt einer der Fälle vor, in denen patent misuse und antitrust-Verstoß sich überschneiden. Eine solche Uberschneidung ist nicht zwingend, s. dazu sogleich im Text. Unklar ist, wie sich ein Wandel bei der Anwendung des antitrust-Kechts auf den mis«se-Tatbestand auswirkt. So werden Kopplungsgeschäfte heute nicht mehr prinzipiell als wettbewerbsbeschränkend angesehen (s.u. S.70). Da der patent misuse einen antitrust-Ve rstoß nicht zwingend voraussetzt, lässt dieser Rechtswandel den misuse nicht automatisch entfallen. Andererseits kann sich die misuse-Lehre neuen Entwicklungen nicht verschließen. Insbesondere vor dem Hintergrund der jüngeren Entwicklung (s.u. S. 56) wird man davon ausgehen können, dass kartellrechtliche Erleichterungen in der Regel auch den Vorwurf des patent misuse entfallen lassen. 6 7 Ubersicht über die Fallgruppen mit Nachweis der Gerichtsentscheidungen bei MartoCovenants not to LinelGilbrethlGervase (oben Fn. 62), S. 338-349; s. auch Hofer/Williams, cense: Patent Misuse and Antitrust Considerations, in: D. Bender (Hrsg.), Intellectual Property Antitrust 1996, Volume One, S. 389 (393). 6 8 Folgerichtigerweise sprechen Webb/Locke (Intellectual Property Misuse: Developments in the Misuse Doctrine, 4 Harvard Journal of Law and Technology 257 ff., 1991) allgemein von „Intellectual Property Misuse". 6 9 911 F.2d 970 (4 th Cir. 1990). Vierzig Jahre zuvor hatte ein District Court zwar ebenfalls einen copyright misuse angenommen (M. Witmark & Sons v. Jensen, 80 F. Supp. 843 , D. Minn. 1948), war aber in der Berufungsinstanz aufgehoben worden (M Witmark & Sons v. Berger Amusement Co., 177 F.2d 515, 8 t h Cir. 1949). Einen Überblick über die Rechtsprechung bis zur Lasercomb-Entscheidung geben D. Grais, Copyright Misuse and Fraud on the Copyright O f fice, in: D. Bender (Hrsg.), Intellectual Property Antitrust 1996, Volume One, S. 457 (466 ff.); Davidson/Engisch (oben Fn. 62), S . 4 8 9 (497 f.): Die copyright misuse defense wurde jeweils abgelehnt, zum Teil schon ihre Existenz bestritten. Andere urheberrechtlich einschlägige Fälle wurden unter Anwendung des antitrust-Rechts entschieden, das - wie im folgenden erläutert wird - von der misuse-Lehre zu unterscheiden ist. Der leading case zur Anwendung von Kartellrecht auf Urheberrecht ist United States v. Paramount Pictures, Inc., 334 U.S. 131 (1948), in der das block-booking von Filmen, also die Kopplung der Vergabe des begehrten Films an die Abnahme anderer, unerwünschter Filme als antitrust-Verstoß eingestuft worden war. 7 0 Auch dem Beklagten war ein vorformulierter Lizenzvertrag gleichen Inhalts zugeschickt worden. Der Beklagte hatte den Vordruck aber weder unterzeichnet noch zurückgeschickt. Die Klägerin hatte darauf nicht reagiert.
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2. Teil: US-amerikanisches
Recht
die Laufzeit des Urheberrechts hinaus ein Wettbewerbsverbot vereinbart wurde. Der Lizenznehmer wurde hierdurch verpflichtet, keine konkurrierende Software zu entwickeln oder zu verkaufen. Nach den Grundsätzen des patent misuse lag in dieser laufzeit- und schutzrechtsüberschreitenden Vereinbarung ein Missbrauch. Die Tatsache, dass dieser Missbrauch nicht gegenüber dem Beklagten begangen wurde, ist unerheblich. 71 Schon der Missbrauch gegenüber einem beliebigen Dritten führt zu einem allgemeinen Rechtsschutzhindernis, in dessen Genuss auch der vom Missbrauch nicht betroffene Beklagte kommt. Fallentscheidend war deshalb die Frage, ob die Grundsätze des patent misuse auch auf das Urheberrecht anwendbar sind. Das Berufungsgericht bejahte diese Frage. Es argumentierte mit der Ähnlichkeit der Zielsetzung von Patent- und Urheberrecht, die es in der Anreizwirkung von Ausschließlichkeitsrechten sah.72 Aus dieser Ähnlichkeit folge, dass auch die Verteidigungsmöglichkeiten gegenüber Verletzungsklagen einander angeglichen werden müssten. 73 Im konkreten Fall seien die Voraussetzungen eines solchen copyright misuse erfüllt, da das (an sich berechtigte) Streben nach Schutz vor Urheberrechtsverletzungen zu weit getrieben worden sei. 74 Auch wenn das Berufungsgericht hiermit die Existenz des copyright misuse zugrundegelegt hat, kann man noch nicht von einer allgemeinen Anerkennung dieses Konzepts ausgehen.75 Die Entscheidung der einschlägigen Fälle wird S. o. S.47. 911 F.2d 970, 976 (4 th Cir. 1990): „We are of the view, however, that since copyright and patent law serve parallel public interests, a .misuse' defense should apply to infringement actions brought to vindicate either right. As discussed above, the similarity of the policies underlying patent and copyright is great and historically has been consistently recognized. Both patent law and copyright law seek to increase the store of human knowledge and arts by rewarding inventors and authors with the exclusive rights to their works for a limited time. At the same time, the granted monopoly power does not extend to property not covered by the patent or copyright." Teil der Argumentation war auch die Parallelität der Behandlung von Kopplungsvereinbarungen im Zusammenhang mit Patent- und Urheberrechten, s. hierzu für das Patentrecht die auf misuse gestützte Rechtssache Morton Salt (oben Fn. 59), für das Urheberrecht die antitrust-bezogene Rechtssache Paramount Pictures (oben Fn. 69). Zur Zielsetzung des amerikanischen Urheberrechts s./. Drexl, What Is Protected in a Computer Program?, 1994, S. 35: Nicht die aufgewandte Mühe ist der Grund des Schutzes, wie es die „sweat-of-thebrow"-Doktrin vertritt, sondern die Originalität des Werkes. Nur dieses Kriterium ist dazu geeignet, dem Verfassungsauftrag zur Förderung der „useful Arts" (s.o. Fn. 21) nachzukommen. 73 Richter Sprouse tauschte in der entscheidenden Passage von Morton Salt (s. vorstehende Fußnote) die Worte patent und inventor durch copyright und author aus und befand, dass das Räsonnement für das Urheberrecht in gleicher Weise trage (911 F.2d 970, 977). 74 Zu copyright misuse-Fällen nach der Lasercomh-Entscheidung s. D. Grais (oben Fn. 69), S. 477 ff. 75 D. Grais (oben Fn. 69), S. 484; Davidson/Engisch (oben Fn. 62, S. 499) und Sullivan/Grimes (The Law of Antitrust, 2000, S. 885 f.) möchten Lasercomh zumindest als Ausgangspunkt jeder Argumentation etablieren. Weitergehend A. Fellmeth, The Evolving Doctrine of Copyright Misuse, Antitrust Report, June 1998, S. 12 ff.; R. Hanna, Misusing Antitrust: The Search for Functional Copyright Misuse Standards, 46 Stanford Law Review 401 ff. (1994). 71
72
B. Entwicklungslinien
des amerikanischen Intellectual Property Antitrust
51
aber auch o h n e a u s d r ü c k l i c h A n e r k e n n u n g des Copyright misuse k a u m a n d e r s ausfallen. £ ^ » f i j - U b e r l e g u n g e n allgemeiner N a t u r w e r d e n m i s s b r ä u c h l i c h e A u s n u t z u n g e n des U r h e b e r r e c h t s v e r h i n d e r n . D i e e n t s c h e i d e n d e Frage, u n t e r w e l c h e n V o r a u s s e t z u n g e n v o m Vorliegen eines solchen M i s s b r a u c h s ausgegangen w e r d e n k a n n , stellt sich bei Copyright misuse u n d allgemeiner equityA r g u m e n t a t i o n in gleicher Weise. W e n n im f o l g e n d e n v o n patent misuse die R e d e ist, b e z i e h e n sich die A u s f ü h r u n g e n gleichermaßen auf M i s s b r ä u c h e des U r h e b e r r e c h t s , u n a b h ä n g i g davon, o b m a n v o n der Existenz des Copyright misuse ausgeht o d e r die g e w ü n s c h t e n R e c h t s f o l g e n ü b e r einen a n d e r e n Weg erreicht. 3. Systematische
Stellung
des misuse-Konzepts
in Kartell-
und
Privatrecht
N a c h h e r k ö m m l i c h e r A u f f a s s u n g ist die Verletzung v o n Kartellrecht nicht z w i n gende Voraussetzung f ü r das Vorliegen eines Patent- oder U r h e b e r r e c h t s m i s s brauchs, auch w e n n ein Kartellrechtsverstoß in der Regel zugleich ein misuse sein wird. 7 6 Ein Kartellrechtsverstoß ist also zwar keine notwendige, w o h l aber in der Regel eine hinreichende Bedingung f ü r die weitreichenden Rechtsfolgen des misuse.77 Von systematischem Interesse sind allerdings die Fälle, in denen ein misuse a n g e n o m m e n wird, o h n e dass die Schwelle der Kartellrechtswidrigkeit überschritten wird. 7 8 Charakteristisch f ü r diese Fälle ist die Tatsache, dass B e f u g nisse, die immaterialgüterrechtlich zugesprochen w u r d e n , a u f g r u n d des Missb r a u c h s v o r w u r f s wieder z u r ü c k g e n o m m e n w e r d e n , o h n e dass spezifische Rechtstexte verletzt w u r d e n . Entsprechend der H e r k u n f t des patent misuse aus d e m equity-Gedanken ist f ü r diesen Vorgang entscheidend, dass eine at law gegebene Befugnis in equity aus Billigkeitsgründen e i n g e s c h r ä n k t w i r d . 7 9 A u c h 76 Martone/Gilbreth/Gervase (oben Fn. 62, S. 331); G. Strohm, Wettbewerbsbeschränkungen in Patentlizenzverträgen, 1971, S. 75, 79 und 214; R. Pietzke (oben Fn. 62, S. 15). Für den Copyright misuse s. Richter Sprouse in der Rechtssache Lasercomb (oben Fn. 69): „So while it is true that the attempted use of a copyright to violate antitrust law probably would give rise to a misuse of copyright defense, the converse is not necessarily true - a misuse need not be a violation of antitrust law in order to comprise an equitable defense to an infringement action. The question is not whether the copyright is being used in a manner violative of antitrust law (such as whether the licensing agreement is ,reasonable'), but whether the copyright is being used in a manner violative of the public policy embodied in the grant of a copyright." (911 F.2d 970, 978 (4 th Cir. 1990)). Anderer Auffassung, nämlich die Annahme eines copyright misuse setzt den Nachweis einer antitrust-Verletzung voraus, ist allerdings der Eleventh Circuit in BellSouth Advertising & Publishing Corp. v. Donnelley Information Publishing Co., 933 F.2d 952, 961 (II t h Cir. 1991), vacated, 977 F.2d 1435 (II t h Cir. 1992), revised on other grounds, 999 F.2d 1436 (11th Cir. 1993). 77 Anderes formuliert: Jede Antitrustverletzung ist als misuse per se anzusehen, so G. Strohm (vorstehende Fußnote), S. 79. 78 Da hierdurch das Fehlen einzelner kartellrechtlich erforderlicher Tatbestandsmerkmale überspielt werden kann, spricht J. Kobak (oben Fn. 29, S. 356) von einem „bastardized antitrust law". 79 Damit kehrt die Lehre vom patent misuse an den Ursprung der equity-Lehre zurück:
2. Teil: US-amerikanisches
52
wenn diese K o n s t r u k t i o n außerhalb des common
Recht law keine Parallele hat, wird
man auf der Grundlage funktionaler Rechtsvergleichung eine E n t s p r e c h u n g zu § 242 B G B finden k ö n n e n . 8 0 F ü r die systematische E i n o r d n u n g des patent
misuse
folgt daraus folgendes:
D i e Missbrauchslehre ist keine E i n s c h r ä n k u n g des Immaterialgüterrechts von kartellrechtlicher Seite, da ein antitrust-Verstoß
nicht notwendige Vorausset-
zung für einen Missbrauch ist. Es handelt sich beim patent immanente Schranken von immaterialgüterrechtlicher
misuse auch nicht um
Seite, da nicht bestritten
wird, dass die patentrechtlich zugesprochenen Befugnisse im Prinzip bestehen. 8 1 Es handelt sich vielmehr um allgemein zivil-, bzw. privatrechtliche Schranken der Rechtsausübung, die auf dem G e b i e t des Patentrechts zur H e r ausbildung eines eigenen Rechtsinstituts geführt haben. D i e L e h r e v o m misuse
patent
ist damit ein Instrument, das den B e r e i c h des Patentrechts in allgemeine
Privatrechtslehren integriert. D i e großen Ü b e r s c h n e i d u n g e n zwischen misuse und antitrust-Verstoß
patent
zeigen, dass darüber hinaus auch das Kartellrecht
seine Entsprechung, möglicherweise auch seine Wurzeln in einem bestimmten Verständnis von Privatrecht hat: E s werden nicht lediglich rein formal und isoliert voneinander subjektive R e c h t e zugesprochen, sondern es wird das Z u s a m menwirken dieser subjektiven R e c h t e in die Betrachtung einbezogen. D i e G e samtschau kann dazu führen, dass subjektiven R e c h t e n im konkreten Fall die Durchsetzbarkeit versagt wird. E i n e G e f a h r für Privatrecht besteht darin nicht. E s handelt sich u m eine Feinabstimmung, deren Z w e c k in der flächendeckenden Zielerreichung objektiven Rechts liegt. Diese Zielerreichung kann im E i n -
Rechtmäßige Befugnisse werden eingeschränkt, weil ihre Geltendmachung im Einzelfall unbillig erscheint. Zur historischen Entwicklung der Unterscheidung von law und equity s. Ph. James, Introduction to English Law, S. 29 ff., R. David, Les grands systèmes de droit contemporains, Rdnr. 280 ff. 80 Vgl. D. Blumenwitz (oben Fn. 59, S. 11). Ursprünglich waren sowohl die equity-Lehre als auch § 242 BGB auf Einzelfallgerechtigkeit angelegt. Inzwischen haben sich daraus umfangreiche Normgefüge entwickelt. Die Parallele von equity und § 242 BGB betrifft nicht nur den Gesichtspunkt des Rechtsmissbrauchs, bzw. der unzulässigen Rechtsausübung, sondern auch den Gesichtspunkt der Begründung von Rechten und Pflichten. Das Konzept der equity führte beispielsweise dazu, dass die common law-writs durch den writ of subpoena ergänzt wurden (D. Blumenwitz, oben Fn. 59, S. 10 f.). Auch die Rechtsfolgen von § 242 BGB können bekanntlich in die Kategorien von Rechtshegründung und Rechtsbeschränkung unterschieden werden, s. nur MünchKomm - G. Roth, § 242 BGB Rdnr. 43 ff. Im Zusammenhang mit dem patent misuse steht allerdings die Frage im Vordergrund, inwieweit Rechte aus Billigkeitserwägungen eingeschränkt sein können. Allgemein rechtsvergleichend zur bona fides s. Zimmermann/Whittaker, Good Faith in European Contract Law, 2000. 81 Von immanenten Schranken des Patentschutzes durch die Lehre vom patent misuse wird man (mit G. Strohm, oben Fn. 45, S. 74 ff.) nur dann sprechen können, wenn man die Integration von law und equity als weit fortgeschritten erachtet. Skeptisch in dieser Hinsicht allerdings Martone/Gilbreth/Gervase (oben Fn. 62), S. 373, nach denen law und equity sowie Patent- und Kartellrecht bisher genauso wenig vereinheitlicht sind wie in der Physik Quantenmechanik und allgemeine Relativitätstheorie.
B. Entwicklungslinien
des amerikanischen
Intellectual
Property
Antitrust
53
zelfall die Einschränkung subjektiver Rechte gebieten. Eine unzulässige Funktionalisierung von Privatrecht liegt hierin nicht. 82 4. Entbehrlichkeit
der patent
misuse-Lehre
Parallel zur Entschärfung, bzw. rule of reason-Orientierung des antitrustRechts erfolgte eine Lockerung des mzs«se-Tatbestands, die ihren Höhepunkt im Patent Reform Act von 1988 fand. 83 Durch die Reform wurde u.a. See. 271 (d) des Patent Act geändert. 84 Eine Verletzungsklage darf jetzt nicht mehr mit der Begründung abgewiesen werden, dass der Patentinhaber die Lizenzvergabe verweigert oder Kopplungsgeschäfte getätigt, bzw. beabsichtigt habe. Etwas anderes gilt nur dann, wenn nach den Umständen des Einzelfalls der Patentinhaber Marktmacht hat. Diese Regelung entspricht den Bewertungskriterien für Kopplungsgeschäfte im neueren antitrust-Recht.85 Dies erlaubt die Feststellung, dass sich patent misuse und Kartellrecht immer weiter einander annähern. 86 Unterschiede im Tatbestand sind kaum mehr ersichtlich, wohl aber in der Rechtsfolge. Während privatrechtliche Ansprüche eigene Rechte voraussetzen, greift die patent mz'sz«e-Einrede auch dann durch, wenn der Missbrauch gegenüber jemand anderem begangen wurde. Die Lehre vom patent misuse
82 Das hinter diesen Aussagen stehende Privatrechtskonzept kann in folgende Formel gegossen werden: Private Rechte werden nicht um ihrer selbst willen verliehen; ihr Zusammenwirken soll vielmehr bestimmte Funktionen, darunter auch solche wirtschaftlicher Natur erfüllen. Werden eine oder mehrere dieser Funktionen nicht zufriedenstellend erfüllt, sind sowohl der Gesetzgeber, also auch - soweit durch Rechtsanwendung und -fortbildung möglich der Rechtsanwender aufgerufen, gegenzusteuern. Dabei kann es zur Einschränkung von subjektiven Rechten kommen. S. zur Frage der Funktionalisierung oben S. 23 f. 83 Ursprünglich sollte die Reform auch eine Vorschrift über den Zusammenhang von Patentrecht und Marktmacht hervorbringen. Jeglicher Automatismus zwischen dem Bestehen eines Patentrechts und der Annahme von Marktmacht sollte ausgeschlossen werden. Eine solche Vorschrift konnte sich in den Gesetzgebungsarbeiten nicht durchsetzen. Es gab allerdings immer wieder Anläufe zu einer solchen Regelung, s. unten Fn. 127. 8 4 3 5 U.S. C. See. 271 (d). 8 5 Deshalb ist es auch nicht von Bedeutung, dass eine entsprechende Reform des Urheberrechts unterblieben ist. Auch im Urheberrecht ist anerkannt, dass die bloße Lizenzverweigerung nicht den Schluß auf einen misuse erlaubt, s. hierzu R. Coolley, Unilateral Refusal to License, in: D. Bender (Hrsg.), Intellectual Property Antitrust 1996, Volume Two, S. 379 (386 f.). 86 Martone/Gilbreth/Gervase (oben Fn. 62), S. 336; Hofer/Williams (oben Fn. 67), S. 393; Davidson!Engisch (oben Fn. 62), S. 499. Diese Entwicklung entspricht der Forderung Richard Posners, den patent, bzw. copyright misuse nur im Fall eines gleichzeitigen antitrust-Werstoßes anzunehmen, s. seine beiden Voten in Saturday Evening Post Company v. Rumbleseat Press, Inc., 816 F.2d 1191,1200 (7 th Cir. 1987) und USM Corp. v. SPS Technologies, Inc., 694 F.2d 505, 511-512 (7 th Cir. 1982): „We have found no cases where standards different from those of antitrust law were actually applied to yield different results." In diesem Sinn auch O E C D , Competition Policy and Intellectual Property Rights, 1989, S. 47. Dagegen sind Pretty/James (Patent Misuse - Is It Stirring From Its Hibernation?, in: D. Bender (Hrsg.), Intellectual Property Antitrust 1996, Volume One, S. 417,419 ff.) der Auffassung, dass sich eine zunehmende Eigenständigkeit des misase-Konzeptes beobachten lässt.
54
2. Teil: US-amerikanisches
Recht
k o m m t damit auch demjenigen zugute, der keinen Eingriff in seinen Rechtskreis erdulden musste. Wenn man v o n den Unterschieden in der Rechtsfolge absieht, 8 7 erscheint die Parallelität von patent misuse und antitrust überflüssig. Die Angleichung der misuse-WVoraussetzungen an die kartellrechtlichen Tatbestände führt zu einer unnötigen Verdoppelung. Es widerspricht dem Ökonomieprinzip, eine eigene, auf das Patentrecht bezogene Lehre zu unterhalten, die etwas ausspricht, was kartellrechtlich ohnehin schon gilt. 88 Die Lehre v o m patent misuse ist letztlich nur v o r dem Hintergrund der Unterscheidung von law und equity im angloamerikanischen Recht zu begreifen. Eine durch das Patentrecht at law zu weit erscheinende Befugnis w i r d in equity im Falle des Missbrauchs eingeschränkt. 8 9 Ein solcher Korrekturbedarf besteht aber nur dann, w e n n nicht bereits at law eine befriedigende Lösung zur Verfügung steht. 9 0 Eine solche Lösung f ü r den Missbrauchsfall hat das antitrust-Kecht entwickelt. 9 1 Schon aus systematischen G r ü n d e n läge es deshalb nahe, die Lehre v o m patent und Copyright misuse (soweit überhaupt anerkannt) fallen zu lassen. 92
Eine ausdrückliche Regelung des Verhältnisses von patent misuse und antitrust, die im Zusammenhang mit dem Patent Reform Act von 1988 (oben Fn. 83) vorgeschlagen worden war, unterblieb. Der Gesetzesvorschlag sah vor, dass ein patent misuse nur dann vorliege, wenn der Verletzer nachweist, dass der Patentinhaber gegen Kartellrecht verstoßen habe (Marione/ Gilbreth/Gervase, oben Fn. 62, S. 336; Webb/Locke, oben Fn. 57, S. 264 f.). Durch eine solche Formulierung wäre das misuse-Konzept vollständig von den equity-Wurzeln gelöst und mit dem antitrust-Recht verbunden worden. 87 Die Rechtsfolgen der misuse-Lehre erscheinen zudem nicht überzeugend. Warum soll jemand Vorteile aus dem Missbrauch eines Patentrechts ziehen, wenn nicht gleichzeitig ihm gegenüber eine Rechtsverletzung vorliegt? Die derart weitgehenden Einschränkung von Immaterialgüterrechten begegnet Bedenken vor dem Hintergrund des TRIPs-Abkommens, s. hierzu unten S. 586 f. 88 Kritisch zur misuse-Lehre auch M. Lemley, The Economic Irrationality of the Patent Misuse Doctrine, 78 California Law Review 1599 ff. (1990). 89 Equity ist damit ein Instrument, das Verhaltensweisen unterbindet, die zwar nicht gegen den Buchstaben, aber den Geist der Rechtsordnung verstoßen. Vgl. hierzu Mallinckrodt, Inc. v. Medipart, Inc., 976 F.2d 700, 704 (Fed. Cir. 1992): „The concept of patent misuse arose to restrain practices that did not in themselves violate any law, but that drew anticompetitive strength from the patent right, and thus were deemed to be contrary to public policy." 90 Equity-Korrekturen sind nur dann geboten, wenn at law kein ausreichender Rechtsbehelf existiert, vgl. dazu die beiden egazry-Grundsätze „Equity will not suffer a wrong to be without a remedy" und „Equity follows the law" (D. Blumenwitz, oben Fn. 59, S. 11). 91 AYItitrust-Recht ist in die Kategorie law einzuordnen, s. A. Neale, The Antitrust Laws of the U.S. A., 2. Aufl. 1970, S. 13 ff.; Blair/Lopatka, Albrecht Overruled - At Last, 66 Antitrust Law Journal 537, 551 f. (1998) unter der Abschnittsüberschrift „Antitrust as Common Law". Vgl. auch H. Thorelli, The Federal Antitrust Policy, 1954, S. 228 f.: „In adopting the standard of the common law Congress expected the courts not only to apply a set of somewhat vague doctrines but also in doing so to make use of that .certain technique of judicial reasoning' characteristic of common law courts." 92 Einen Bedeutungsverlust der patent misuse-Lehre prognostizieren auch Martone/Gilbreth/Gervase (oben Fn. 62), S. 373. Für eine Angleichung des patent misuse an antitrust-Prin-
B. Entwicklungslinien
ß. Der
des amerikanischen
Intellectual
Property
Antitrust
55
Drei-Felder-Ansatz
Für die Dogmatik des Verhältnisses von Kartellrecht und Recht des geistigen Eigentums kann die patent mzswse-Lehre als Erweiterung der Zwei-FelderTheorie 93 zu einem Drei-Felder-Ansatz gedeutet werden.94 Zwischen die beiden herkömmlichen Felder, also das Feld der unbeschränkten Freiheit im Inhalt des Schutzrechts und das Feld der Kartellrechtsverletzung außerhalb des Schutzrechts, wird ein drittes Feld geschoben: Es existieren beschränkende Verhaltensweisen, die sich zwar außerhalb des Schutzrechts bewegen, dennoch aber keinen Kartellrechtsverstoß darstellen. Sie können nach den Grundsätzen des patent misuse verboten sein. Das dritte Feld sorgt für eine wichtige Differenzierung im Vergleich zur Zwei-Felder-Theorie: Auch Beschränkungen, die den Inhalt des Schutzrechts übersteigen, sind nicht von vornherein als Kartellrechtsverstoß anzusehen. Die Frage eines Verstoßes richtet sich vielmehr danach, ob die Voraussetzungen der kartellrechtlichen Norm tatsächlich erfüllt sind. Wird die Schwelle der Kartellrechtsverletzung nicht erreicht, kann immer noch nach den Grundsätzen des patent misuse Rechtswidrigkeit anzunehmen sein. Die Schwäche des Drei-Felder-Ansatzes besteht darin, dass lediglich die nötigen Differenzierungen für Verhaltensweisen außerhalb des Schutzinhalts eingeführt werden. Die negative Funktion der Zwei-Felder-Theorie, nämlich der Ausschluss von Kartellrechtsverletzungen innerhalb der Grenzen des Schutzrechts, wird nicht berührt. Im folgenden wird zu zeigen sein, dass die Entwicklung des Intellectual Property Antitrust hierbei nicht stehen geblieben ist. Auch Verhaltensweisen innerhalb der immaterialgüterrechtlich gezogenen Grenzen können auf wettbewerbliche Bedenken stoßen, die durch die immaterialgüterrechtlichen Ziele nicht ausgeräumt werden. Der Drei-Felder-Ansatz war deshalb zu einer Vier-Felder-Theorie zu erweitern, die als viertes Feld die Gesamtheit der Verhaltensweisen einführte, die sich zwar innerhalb der Grenzen des Schutzrechts bewegen, die aber dennoch als verbotene Wettbewerbsbeschränkung zu qualifizieren sind. Die nähere Darstellung der Vier-Felder-Theorie (einschließlich der Gründe für ihre Überwindung) bleibt den Ausführungen über den Draft International Antitrust Code (DIAC) vorbehalten, in den sie eingeflossen ist.95
zipien H. Hovenkamp, Federal Antitrust Policy, 1994, S.220; T. Paredes, Copyright Misuse and Tying: Will Courts Stop Misusing Misuse?, 9 High Technology Law Journal 271, 330 ff. (1994). 93 S. o. S. 42 ff. 94 W. Fikentscher, Urhebervertragsrecht und Kartellrecht, FS Schricker, 1995, S. 149 (152). 95 S. u. S. 610 ff. sowie das Vorwort zu diesem Werk.
56
2. Teil: US-amerikanisches
6. Entbehrlichkeit
einer eigenständigen
Recht
Lehre des patent
misuse
Für die folgende Darstellung bleibt festzuhalten, dass der strenge Formalismus der Inhaltstheorie, der letztlich dem Zwei-Felder-Ansatz entspricht, im amerikanischen Recht schon früh aufgegeben wurde. Das Instrument hierzu war die Lehre vom patent misuse, also ein außerkartellrechtliches, dem Grundsatz der equity verpflichtetes Instrument. Die jüngere Entwicklung zeigt eine ( a s y m ptotische Annäherung des w-zz'szise-Konzepts an das antitrust-Recht. Eine spezifische Lehre über den Missbrauch von Immaterialgüterrechten erscheint damit entbehrlich. Der tiefere Grund für diesen Wandel könnte in der fortschreitenden Integration des Immaterialgüterschutzes in die Rechts- und Wirtschaftsordnung liegen. Solange immaterialgüterrechtliche Befugnisse isoliert, d.h. ohne Bezug auf andere Rechtsmaterien ausgelegt wurden, konnten Friktionen nur über das fundamentale Instrument der equity kuriert werden. Wachsende Klarheit über den Zusammenhang von Ausschließlichkeitsrechten und Wettbewerb machen eine solche Fundamentalkorrektur überflüssig, da eine direkte Abstimmung von Immaterialgüterrecht und Wettbewerbsrecht möglich wird. Auf die jüngere Entwicklung, die sich durch den radikalen Angriff der Chicago School auf das Kartellrecht und die Gegenbewegungen hierzu kennzeichnet, ist sogleich einzugehen.
IV. Die „Antitrust
Guidelines for the Licensing of Intellectual und ihre theoretische Vorbereitung: Der endgültige Abschied von der Inhaltstheorie
Property"
Die theoretische Grundlage der Inhaltstheorie ist die Konfliktthese, also die Annahme, dass Immaterialgüterrecht und Kartellrecht in direktem Gegensatz stehen. Auf den ersten Blick erscheint dieser Gegensatz einleuchtend, insbesondere wenn man die Rechte des geistigen Eigentums als legal monopolies bezeichnet, die der Monopolkontrolle zu unterwerfen sind. Die Inhaltstheorie löst diesen Konflikt dadurch auf, dass jedem Rechtsgebiet ein eigener Bereich zugewiesen wird. Diese strikt getrennten Bereiche werden durch den gesetzlichen Umfang des jeweiligen Immaterialgüterrechts voneinander abgegrenzt. Die Konfliktthese verliert um so mehr an Uberzeugungskraft, als Immaterialgüterrecht in den Gesamtzusammenhang der Rechts- und Wirtschaftsordnung gestellt wird. Erst der Blick auf das Ganze führt zu der Einsicht, dass beide Rechtsmaterien ganz ähnliche Ziele verfolgen. Der Wechsel der Perspektive hat Auswirkungen auf die Lösung konkreter Rechtsfragen. 1. Vorbereitung
des Meinungswandels:
Die Chicago
School
Der konzeptionelle Wandel wurde durch die Chicago School of Antitrust Analysis eingeleitet. Sie sah das einzige Ziel des Kartellrechts in der Steigerung wirt-
B. Entwicklungslinien
des amerikanischen
Intellectual
Property Antitrust
57
schaftlicher Effizienz. 96 Auf breiter Front stellte sie die bis dahin praktizierte Anwendung des antitrust-Rechts in Frage. Im Zentrum der Kritik stand insbesondere die Behandlung vertikaler Wettbewerbsbeschränkungen. Beschränkungen des intra brand-Wettbewerbs stärken nach Auffassung der Chicagoens in der Regel wirtschaftliche Effizienz durch Stimulierung des interbrand-Wettbewerbs und sind deshalb durch das Kartellrecht hinzunehmen. 9 7 Noch bevor die großen Programmschriften der Chicago School erschienen waren, 98 veröffentlichte Ward Bowman 1973 sein im Chicago-Geist verfasstes Buch zum Kartellrecht des geistigen Eigentums unter dem Titel „Patent and Antitrust Law". 99 Die Untersuchung war von großem Einfluss. 100 Die zentrale Aussage des Buchs bestand darin, die Gemeinsamkeit zwischen Immaterialgüterrecht und Kartellrecht herauszustellen. 101 Bowmans Folgerungen zielten auf ein radikales Umdenken insbesondere bei der Beurteilung beschränkender Klauseln in Lizenzverträgen. Klauseln, die durch die „Nine N o - N o ' s " zuvor geächtet waren, sprach er unter dem Effizienzgesichtspunkt eine wettbewerbsfördernde Wirkung zu. Die Argumentation kulminierte in einer Stellungnahme gegen das Verbot vertikaler Preisbindungen in Lizenzverträgen. 102 96 W. Fikentscher, Hauptfelder und Zwecke des Kartellrechts in rechtspolitischer und kollisionsrechtlicher Sicht, FS Lorenz, 1991, S. 341 (346). Zur Chicago Schools. Schmidt/Rittaler, Die Chicago School of Antitrust Analysis, 1986. Nachweis der Gegenmeinung, nämlich Annahme kartellrechtlicher Zielpluralität bei Blair/Lopatka (oben Fn. 34), S. 559 Fn. 99. Selbstdarstellung der Genese und der Ziele der Chicago School durch einen ihrer Protagonisten bei R. Posner, The Chicago School of Antitrust Analysis, 127 University of Pennsylvania Law Review 925 ff. (1979). 97 Hiergegen z.B. R. Steiner, Sylvania Economics - A Critique, 60 Antitrust Law Journal 41, 45 (1991); M. Roszkowski, State Oil Company v. Khan and the Rule of Reason: The End of Intrabrand Competition?, 66 Antitrust Law Journal 613,633 ff. (1998). W. Cann (Vertical Restraints and the „Efficiency" Influence - Does Any Room Remain for More Traditional Antitrust Values and More Innovative Antitrust Policies?, 24 American Business Law Journal 483, 535,1987) schlüsselt neun Gefahren vertikaler Beschränkungen auf: 1. Weniger Händler, 2. Erschwerung des Zugangs zum Produkt, 3. Höhere Preise, 4. Verringerung der Innovationsanreize für Händler, 5. Konzentration wirtschaftlicher Macht auf wenige Entscheidungsträger, 6. Errichtung von Marktzutrittsschranken, 7. Verzögerung von Marktanpassungsmechanismen, 8. Verkleinerung der Angebotspalette und 9. Stimulierung der Nachfrage statt Verbesserung des Angebots. 98 Nämlich Richard Posner, Antitrust Law, 1976, und Robert Bork, The Antitrust Paradox, 1978. 99 W. Bowman, Patent and Antitrust Law - A Legal and Economic Appraisal, 1973. 100 Vgl. die Bemerkung Robert Borks (The Antitrust Paradox, 1. Aufl. S. X, 2. Aufl. S. xvi): „Bowman's own book, Patent and Antitrust Law, is so good and so definitive that I have not even attempted in this book to comment upon that branch of the law. There is nothing more to say." 101 Vgl. das diesem Teil vorangestellte Zitat Bowmans. 102 Bzw. gegen das Verbot vertikaler Preisbindungen überhaupt, ebenda, Kapitel 6, insbesondere S. 138; s. auch R. Posner, Economic Analysis of Law, 5. Aufl. 1998, S. 319 ff. An der Haltung zur Preisbindung der zweiten Hand kann die N ä h e der Chicago School zur traditionellen Inhaltstheorie gezeigt werden. Im deutschen Kartellrecht, das in den § § 17,18 GWB die
2. Teil: US-amerikanisches
58
Recht
Interpretiert in der Perspektive der Zwei-Feldertheorie plädierte Bowman für die Beibehaltung der ersten Feldes, nämlich für die Kartellrechtsimmunität von Verhaltensweisen im Schutzbereich eines Immaterialgüterrechts, lehnte aber gleichzeitig das zweite Feld ab, nämlich die automatische Annahme der Kartellrechtswidrigkeit bei Beschränkungen jenseits der Grenzen des Schutzrechts. Im Ergebnis kommt dieser Standpunkt einer Rückkehr zur ersten Phase gleich, 103 also einer vollständigen Kartellrechtsimmunität von Beschränkungen im Zusammenhang mit Immaterialgüterrechten. 104 Trotz dieses Rückschritts entwickelte der argumentative Ausgangspunkt Bowmans eine Eigendynamik, die zu einer Entwicklung in eine ganz andere Richtung führte. 105 2. Entwicklung
der
Rechtsprechung
Obwohl oder weil Bowman der Chicago School of Antitrust Analysis zuzurechnen ist, kam es zu einer raschen Rezeption seines Ausgangspunkts durch verschiedene Gerichtsentscheidungen. 106 Der Ansatzpunkt für neue Entwicklungen war die Unterscheidung von per se-Verboten und rule of reason-Analyse. Während einher se-Verbot eine bestimmte Vereinbarung unabhängig vom wirtschaftlichen Zusammenhang verbietet, eröffnet eine Untersuchung auf der Grundlage der rule of reason den Raum für eine umfassende Berücksichtigung aller konkreten Umstände des Einzelfalls. 107 Der Chicago-lLmihiss machte sich Inhaltstheorie gesetzlich festgeschrieben hat, war bis zur 6. GWB-Novelle (also bis zum 1.1.1999) die vertikale Preisbindung in Lizenzverträgen erlaubt, vgl. §20 Abs. 2 Nr. 1 G W B a.F. 103 Oben S. 41 f. 104 Erhellend W. Bowman, ebenda, S. 126, Fn. 18: Die radikale Wettbewerbseröffnungstheorie der Bement-Entscheidung (das Recht, überhaupt keine Lizenzen zu erteilen, schließe das Recht ein, Lizenzen mit beliebigen Wettbewerbsbeschränkungen zu erteilen, s. dazu oben S. 41 f.) sei bisher nicht widerlegt worden. Kritisch zum Standpunkt von Bowman s. L. Kaplow, The Patent-Antitrust Intersection: A Reappraisal, 97 Harvard Law Review 1813, 1849ff., 1867 ff. (1984); H. Ullrich, Lizenzkartellrecht auf dem Weg zur Mitte, G R U R Int. 1996, 555 (559 f.). 105 S. unten S. 121. 106 Zum Umschwung des „Antitrust-Pendels" s./. Kobak, Running the Gauntlet: Antitrust and Intellectual Property Pitfalls on the Two Sides of the Atlantic, 64 Antitrust Law Journal 341, 347 ff. (1996); zum Einfluss der Chicago School auf die amerikanischen Gerichte und Behörden, insbesondere die systematischen Schulungen s. Gl. Weston, Neue Entwicklungen im U.S. Antitrustrecht und die kartellrechtliche Beurteilung von Beschränkungen in Patentlizenzverträgen, G R U R Int.1984, 125 (127-130); M. Eisner, Antitrust and the Triumph of Economics, 1991, S. 2 ff., 148, 184 ff. 107 Ein Anwendungsfall der rule of reason ist auch die ancillary restraints doctrine, die der Immanenztheorie des deutschen und europäischen Kartellrechts entspricht. Beschränkungen, die einer legalen Transaktion, wie z.B. einem Unternehmenskauf inzident („incidental") sind, können nach der rule of reason gerechtfertigt sein, wenn sie nicht übermäßig lang oder restriktiv sind. Die Lehre von den ancillary restraints geht zurück auf die U.S. Supreme Court-Entscheidung Addyston Pipe & Steel Co. v. United States, 175 U.S. 211 (1899), s. dazu Shenefield/ Stelzer, The Antitrust Laws, 1998, S. 49 f.
B. Entwicklungslinien
des amerikanischen
Intellectual
Property
Antitrust
59
dadurch bemerkbar, dass viele Lizenzpraktiken im Zusammenhang mit Rechten des geistigen Eigentums dem per se- Verbot entzogen und der rule of reason unterworfen wurden. 108 Dies entsprach der positiven Einschätzung vertikaler Beschränkungen durch die neuen Strömungen in der Wirtschaftswissenschaft. In Continental T.V., Inc. v. GTE Sylvania Incorporated,xm einem FranchisingFall, lockerte der Supreme Court beispielsweise das Verbot territorialer Beschränkungen, das zuvor einem per se-Verbot unterlegen hatte. 110 Der interbrand-Wettbewerb könne durch solche Restriktionen gefördert werden. 111 In Broadcast Music, Inc. (BMI) v. Columbia Broadcasting System, Inc (CBS)112 war die Kartellrechtskonformität von Verwertungsgesellschaften zu beurteilen. BMI und ASCAP (American Society of Composers, Authors and Publishers) verwerten auf der Grundlage der ihnen eingeräumten nicht-ausschließlichen Lizenzen die Rechte der ihnen angeschlossenen Urheber und nehmen deren Rechte war. Die Verträge zwischen Verwertungsgesellschaften und Nutzern werden pauschal ausgestaltet. Den Nutzern, z.B. der CBS, wird das Recht eingeräumt, sämtliche von der Verwertungsgesellschaft verwalteten 108 Ch. Rule, Patent-Antitrust Policy: Looking Back and Ahead, 59 Antitrust Law Journal 729 ff. (1991). 1 0 9 4 3 3 U.S. 36 (1977). Gellhorn/Kovacic (Antitrust Law and Economics, 1994, S. IV) bezeichnen die Syfo. Gerher (oben Fn. 30), S. 2 f., 232 ff.; ders., Constitutionalizing the Economy: German Neo-Liberalism, Competition Law and the „New" Europe, 42 The American Journal of Comparative Law 25 (62 ff.);/.O. Haley, Error, Irony, and Convergence, FS Fikentscher, 1998, S. 876 (890). Sullivan/Fikentscher (oben Fn.47, S. 108 f.) benutzen die Abstammungsmetaphorik: „Thus, the present German Law against Trade Restraints is - maternally - a daughter of the Allied occupation legislation, a grandchild of the Havana Charter and greatgrandchild of U.S. American antitrust law. [...] Besides its maternal lineage, German antitrust had a father: The so-called Freiburg School..." 58 S. dazu oben S. 128 f., insbesondere Fn. 31. Kritisch zur Unterscheidung dinglicher und schuldrechtlicher Bindungen W. Fikentscher, Wettbewerb und gewerblicher Rechtsschutz, 1958, S. 284. G. Strohm (Wettbewerbsbeschränkungen in Patentlizenzverträgen nach amerikanischem und deutschem Recht, S. 279) stellte 1971 fest, dass die Unterscheidung zwischen dinglichen und obligatorischen Beschränkungen terminologisch praktisch aufgegeben sei. 5 9 S. nur W. Eucken, Grundsätze der Wirtschaftspolitik, 6. Aufl. 1990, S.268 (Hervorhebung im Original): „Wirtschaftsformen, die mit der Wettbewerbsordnung unvereinbar sind, systemfremde Wirtschaftsformen also, entstanden oft in Anknüpfung an das moderne Patentrecht. Auch das Patentrecht gehört zu den vielen neueren Rechtsinstitutionen, die anderes verursachten, als der Gesetzgeber wollte. [...] Anders als erwartet, hat das Patentrecht trotz gewisser gesetzlicher Vorsichtsmaßregeln starke Tendenzen zur Monopolbildung und zur Konzentration in der Industrie ausgelöst." Ebenda, S. 269: „Ob die Auflockerung des Ausschließlichkeitsrechts genügt, mag dahingestellt bleiben. Vielleicht ist es nötig, auf seine Verleihung und damit auf eine Schließung des Angebotes überhaupt zu verzichten und statt dessen ein System einzuführen, nach dem der Patentinhaber verpflichtet ist, die Benutzung der Erfindung gegen eine angemessene Lizenzgebühr jedem ernsthaften Interessenten zu gestatten." S. aber auch die Kritik Euckens (Die Grundlagen der Nationalökonomie, S. 163 f., 171) an der Gleichsetzung von Patent und Monopol. Franz Böhm bezeichnet in seinem Hauptwerk „Wettbewerb und Monopolkampf" von 1933 die Patente einerseits als gesetzliche Monopole (S. 63 Fn. 1), andererseits wird die Patent-, Warenzeichen- oder Musterverletzung als Methode des Nichtleistungswettbewerbs verurteilt (S. 251).
A. Geschichtliche
Vorbemerkung
135
also nicht stellen. Die Lücke wurde gefüllt durch den Rückgriff auf das amerikanische Recht, das ja bereits über jahrzehntelange Erfahrungen im Intellectual Property Antitrust verfügte. Die Weichen des deutschen Rechts waren damit allerdings auf unabsehbare Zeit gestellt. Die Inhaltstheorie gilt auch nach der 6. G W B - N o v e l l e in den §§ 17, 18 G W B in der Neufassung von 1998 fort. 60 Das case law-System des US-amerikanischen Rechts bot demgegenüber die Möglichkeit zu einer behutsamen und allmählichen Revision der inherency doctrine bei fortschreitendem Erkenntnisgewinn. Die gesetzliche Festschreibung dieses dogmatischen K o n zepts im deutschen Recht sorgte dagegen für Stagnation und die Auslagerung des Problemkreises ins europäische Recht. Das Kartellrecht des geistigen Eigentums erweist sich damit als Paradigma für die Frage, wie detailliert dogmatische Probleme durch den Gesetzgeber geregelt, bzw. wie viel Spielraum der Fortentwicklung des Rechts durch Rechtsprechung und Rechtswissenschaft eingeräumt werden sollten.
III. Dogmatische
Entwicklungslinien
1. Kaiserreich Auch wenn in Deutschland erst mit der Kartellverordnung von 1923 ein eigenständiger Kartellrechtstext vorlag, stellten sich Probleme wirtschaftlicher Macht im Zusammenhang mit Immaterialgüterrechten bereits vorher. Deutschland war nicht nur „Land der Kartelle", sondern auch „Land der Patentgemeinschaften" geworden. Insbesondere in der chemischen Industrie war es ab 1880 zu einer Reihe von Konventionen gekommen, die anfänglich als reine Forschungs- und Entwicklungskooperationen qualifiziert werden können, die aber bald zu Einrichtungen zur umfassenden Koordinierung aller Handlungsparameter einschließlich der Verkaufspreise weiterentwickelt wurden. 61
60 Vgl. H. Ullrich (Lizenzverträge im europäischen Wettbewerbsrecht: Einordnung und Einzelfragen, Mitteilungen der deutschen Patentanwälte 1998, Heft 2, 50,51): „Mittelwege wie der deutsche haben sich jedenfalls auch nicht bewährt, weil hier ein überholtes Wettbewerbsverständnis gesetzlich festgelegt und offenbare gesetzgeberische Fehlleistungen - etwa die Preisbindung der 1. Hand - über 40 Jahre hinweg beibehalten wurden." 61 Zu nennen sind insbesondere die erste Indigo-Konvention von 1880 zwischen B A S F und den Farbwerken Höchst, der Kongo-Ring von 1885 zwischen Agfa und Bayer, die Methylenblau-Konvention von 1890, der „Dreibund" von 1904 zwischen BASF, Agfa und Bayer, der „Dreiverband" von 1905 zwischen Höchst, Cassella und Kalle. Nachweise dieser und zahlreicher anderer Kooperationsformen bei E. Wadle (oben Fn. 16), S. 90 ff. Im Jahr 1925 vereinigten sich BASF, Bayer, Hoechst, Agfa und weitere Unternehmen zur Interessengemeinschaft Farbenindustrie A G (I.G. Farben). Das Kooperationsmodell wurde also durch ein Fusionsmodell und damit durch Ausschluss jeglichen Wettbewerbs abgelöst.
136
2.
3. Teil: Deutsches
Recht
Kartellverordnung
Die Literatur nahm sich des Themas allmählich an und wurde in der Zeit der Weimarer Republik, insbesondere nach dem Erlass der Kartellverordnung dichter. 62 Der Schwerpunkt der Diskussion lag auf der Frage, wann ein Gesellschafts-, bzw. ein gesellschaftsähnlicher Vertrag vorliegt, der in den Anwendungsbereich der Kartellverordnung fällt. Für Patentgemeinschaften wurde im allgemeinen diese Voraussetzung bejaht; Lizenzverträge wurden dagegen nur bei Vorliegen besonderer Umstände (z.B. sonstige Zusammenarbeit zwischen Lizenzgeber und Lizenznehmer, Austausch von Erfahrungen und Verbesserungserfindungen, Ausgestaltung der gegenseitigen Kontrolle) als „gesellschaftsähnlich" qualifiziert. 6 3 Wegen der begrenzten Rechtsfolgen der Kartellverordnung 6 4 war die Diskussion um den Kartellbegriff im Zusammenhang mit immaterialgüterrechtlichen Beschränkungen nur von eingeschränkter Bedeutung. 6 5 Ein Kartellrecht des geistigen Eigentums war damit in der Weimarer Zeit praktisch inexistent.
3.
Dekartellierungsrecht
Hieran änderte sich erst etwas unter dem Einfluss des alliierten Dekartellierungsrechts. Die Inhaltstheorie in Art. V Abs. 9c (7) der amerikanischen Kartellverordnung führte zu einer verstärkten Beschäftigung mit dem Kartellrecht des geistigen Eigentums und bot gleichzeitig eine Lösungsmöglichkeit für den gesamten Problemkreis an. Die erste grundlegende Monographie zum Thema war die Arbeit von Otfried Lieberknecht aus dem Jahr 1953. 66 Als das damals geltende Recht fand das alliierte Dekartellierungsrecht naturgemäß allergrößte Beachtung, die durch die rechtsvergleichenden Betrachtungen zum britischen und amerikanischen Recht noch gestärkt wurde. Die Inhaltstheorie wurde als die überzeugende Grundlehre zum Kartellrecht des geistigen Eigentums begrüßt, ihre Übernahme in das geplante deutsche Kartellgesetz befürwortet. 62 Ein früher Beitrag stammt von S. Rundstein, Das Patentrecht und die Kartelle, GRUR 1904, 31-33. Aus der Weimarer Zeit sind insbesondere zu nennen H. Isay, Die Patentgemeinschaft im Dienst des Kartellgedankens, 1923; ders., Die Funktion der Patente im Wirtschaftskampf, 1927, insbesondere S. 20 ff.; E. Salzer, Austausch von technischen Erfahrungen und Erfindungen im Rahmen von Unternehmerverbänden, 1927; ders., Die Unternehmerverbände und der gewerbliche Rechtsschutz, in: Markenschutz und Wettbewerb, Bd. 29,1929, S. 488 ff.; F. Neumeyer, Patentgemeinschaften und deren Aufbau bei amerikanischen Industrieverbänden, Marburg 1932. Den genannten Beiträgen liegt allerdings durchweg das Anliegen zugrunde, das Patentrecht für die Zwecke der nicht weiter hinterfragten Kartelle nutzbar zu machen. 63 O. Lieberknecht (oben Fn. 31), S. 36. 64 S. o. S. 130. 65 Einen Überblick über mögliche Rechtsfolgen im Zusammenhang mit Patentgemeinschaften und Lizenzverträgen gibt O. Lieberknecht (oben Fn. 31), S. 40 ff. 66 O. Lieberknecht, Patente, Lizenzverträge und Verbot von Wettbewerbsbeschränkungen - Eine vergleichende Darstellung der Rechtslage in Deutschland, Großbritannien und den Vereinigten Staaten, 1953.
A. Geschichtliche
Vorbemerkung
137
In der Tat führte die Inhaltstheorie im Vergleich zum laissez faire-Standpunkt des Reichsgerichts zu einer klaren Scheidelinie zwischen Gut und Böse und zu einem wirksamen Instrument gegenüber den schlimmsten Missbräuchen. Inhaltstheorie und Wettbewerbseröffnungstheorie waren die Grundlagen des neuen Ansatzes. Beschränkungen in Lizenzverträgen innerhalb des Schutzrechtsumfangs wurden toleriert, da „verglichen mit dem Zustande vor der Lizenzerteilung [...] immer noch ein Plus" vorliege. 67 Andererseits sollten Beschränkungen außerhalb des Schutzrechtsinhalts nach der Auffassung von Lieberknecht nicht generell verboten werden. Es komme „stets weniger auf die Art einer Lizenzabrede an als darauf, zu welchem Zweck, in welchem Zusammenhang und mit welcher Wirkung sie im Einzelfall gebraucht wird." 68 Löst man diese Bemerkung aus dem Zusammenhang der Inhaltstheorie und erstreckt sie auf den gesamten Problemkreis, erhält man eine Aussage, welche die heutige Auffassung zur kartellrechtlichen Behandlung von Beschränkungen im Zusammenhang mit Rechten des geistigen Eigentums visionär auf den Punkt bringt. Wolfgang Fikentscher legte 1958 seine einflussreiche Untersuchung zum Thema „Wettbewerb und gewerblicher Rechtsschutz" vor. 69 Das Ziel dieser Arbeit bestand in der grundsätzlichen Klärung des Verhältnisses von Recht des geistigen Eigentums, Kartellrecht und Recht des unlauteren Wettbewerbs. 70 Erstmals in der deutschen Tradition erfolgte damit eine allgemeine Inbezugsetzung von Schutzrechten und Wettbewerbsschutz. Die Inhaltstheorie wurde als Grenzstein zwischen Immaterialgüterrecht und Kartellrecht akzeptiert. 71
67
Ebenda, S. 167. Ebenda, S. 316. 69 W. Fikentscher, Wettbewerb und gewerblicher Rechtsschutz - Die Stellung des Rechts der Wettbewerbsbeschränkungen in der Rechtsordnung, 1958. 70 Im Gegensatz zu den anderen hier genannten Arbeiten, die sich mit praktisch bedeutsamen Einzelproblemen, insbesondere dem Lizenzkartellrecht befassten, standen bei Fikentscher also systematische Überlegungen im Vordergrund. Der Realisierbarkeit einer flächendeckenden Analyse aller Einzelprobleme stand er skeptisch gegenüber, s. z.B. ebenda, S.281: „Die Arten der Verträge, bei denen diese Kollision zwischen gewerblichen Ausschlußbefugnissen zum Zwecke wirtschaftlicher Verwertung auf der einen, und dem Grundsatz der Wettbewerbsfreiheit auf der anderen Seite eine Rolle spielen, sind vielfältig und erschöpfend wohl kaum erfaßbar." 71 „Es liegt auf der Hand, daß aber auch ein gesetzliches Ausschlußrecht materiell den Wettbewerb beschränken kann, dann nämlich, wenn es irgendwie von wirtschaftlicher Bedeutung, und nicht nur ein hohles Recht ist. Auch diese materielle Wettbewerbsbeschränkung ist zulässig, und zwar in dem Rahmen, den das Gesetz dem Ausschlußrecht beimißt. Erst wenn der Inhaber die formal und materiell wettbewerbsbeschränkende Stellung, die ihm das Gesetz zubilligt, über den gesetzlichen Umfang ausdehnt, verstößt er gegen die Wettbewerbsfreiheit der anderen Marktteilnehmer." (ebenda, S. 284). Und zur Anwendung des Verbotsprinzips auf schutzrechtsübersteigende Beschränkungen: „Wenn schon das Gesetz selbst die Grenzen zulässiger Bindungen anzeigt, indem es den Bereich des legalen Monopols absteckt, dann sollte man der Kartellbehörde nicht noch zusätzliche Wertungen überlassen. Es liegt hier einer der wenigen Fälle vor, in denen der Umschlag zulässiger materieller Wettbewerbsbeschränkungen 68
138
3. Teil: Deutsches
Recht
4. GWB Die Abwesenheit einer eigenständigen deutschen Tradition im Kartellrecht des geistigen Eigentums macht es verständlich, dass die einschlägigen Monographien allesamt umfangreiche Untersuchungen US-amerikanischen Rechts enthalten. In keinem anderen Teilgebiet ist die Notwendigkeit für rechtsvergleichendes Arbeiten so augenscheinlich geworden. Der Schwerpunkt des Interesses lag dabei auf dem Lizenzkartellrecht, aber auch die grundsätzlichen Aspekte des Themas wurden eingehend behandelt. Von den früheren Arbeiten sind hervorzuheben die drei von Friedrich-Karl Beier betreuten Dissertationen, nämlich von Strohm72, Dreiss11 und Pietzke,74 sowie die Arbeiten von Schulte75 und Walz76 und die Kommentierung monographischen Zuschnitts von Oliver Axster im Gemeinschaftskommentar. 77 Während der Studie von Pietzke ein Auftrag der Monopolkommission zu Grunde lag, der sich auf das amerikanische Recht bezog und insbesondere die Frage betraf, ob bzw. inwieweit von Patenten eine konzentrationsfördernde Wirkung ausgehe, nahmen Strohm und Dreiss neben der Untersuchung des amerikanischen Rechts eine eingehende Untersuchung der für das Kartellrecht des geistigen Eigentums einschlägigen Vorschriften des GWB vor. Walz trug eine grundsätzliche Kritik an der Ausgestaltung der §§ 20, 21 GWB vor; Axster fügte der systematischen Aufbereitung der §§ 20, 21 GWB Ausblicke ins amerikanische und europäische Recht hinzu. In den genannten Arbeiten wurde der Grundansatz von § 20 GWB, also die Inhaltstheorie überwiegend begrüßt, 78 teilweise aber auch als zu streng 79 oder - im Gegenteil - als zu mild 80 abgelehnt. Dies entsprach dem Meinungsstand in in unzulässige Marktbeherrschung verhältnismäßig klar aus den Sonderschutzgesetzen abgelesen werden kann." (ebenda, S. 285). 72 Gottfried Strohm, Wettbewerbsbeschränkungen in Patentlizenzverträgen nach amerikanischem und deutschem Recht, 1971. 73 Uwe Dreiss, Die kartellrechtliche Beurteilung von Lizenzvertragssys-temen im amerikanischen und deutschen Recht, 1972. 74 Rudolf Pietzke, Patentschutz, Wettbewerbsbeschränkungen und Konzentration im Recht der Vereinigten Staaten von Amerika, 1983. 75 Hans-Jürgen Schulte, Lizenzaustauschverträge und Patentgemeinschaften im amerikanischen und im deutschen Recht, 1971. Die Arbeiten von Strohm, Dreiss und Schulte bezeichnet H. Ullrich in seiner Rezensionsabhandlung (Fortschritt im deutschen Patentkartellrecht, Z H R 137 (1973), 70, 71) als monographische Trilogie des Patentkartellrechts. 76 Wolf gang Rainer Walz, Der Schutzinhalt des Patentrechts im Recht der Wettbewerbsbeschränkungen, 1973. 77 O. Axster, Gemeinschaftskommentar (3. Aufl., 10. Lieferung 1978), § §20, 21 GWB. 78 Vgl. z.B. G. Strohm (oben Fn. 72), S. 432: „Zu Recht gehen daher bis heute sowohl die USA wie auch das deutsche Recht davon aus, den durch das Patentrecht gezogenen Schutzumfang als Minimalkriterium unangetastet zu lassen, auch wenn sich hieraus gewisse wettbewerbsbeschränkende Auswirkungen ergeben." (Hervorhebung im Original). 79 O. Axster, Gemeinschaftskommentar (3. Aufl., 1978), Vorb. § § 20,21 GWB Rdnr. 118 ff. 80 W. Walz (oben Fn. 76), insbesondere S. 237 ff.
B. Deutsches
Kartellrecht
des geistigen
Eigentums
139
der nicht-monographischen Literatur. Im allgemeinen wurde die Inhaltstheorie als angemessene und klare Lösung rezipiert, von Anfang an gab es aber auch kritische Einzelstimmen. 8 1 Die Kritik an der Inhaltstheorie nahm im Lauf der Zeit zu. Der Stand der Diskussion wird in die folgende Darstellung des geltenden deutschen Rechts integriert.
B. Deutsches Kartellrecht des geistigen Eigentums 8 2 Nachdem die 6. GWB-Novelle 8 3 zu einer vollständigen Umnummerierung der Paragraphenfolge geführt hat, finden sich die zwei einschlägigen Vorschriften zum Kartellrecht des geistigen Eigentums in den §§ 17, 18 GWB n.E wieder. Im Vergleich zur alten Rechtslage haben die beiden Vorschriften einige Änderungen von eher geringfügiger Bedeutung erfahren. 84 Die wichtigste Neuerung besteht darin, dass nunmehr auch im deutschen Recht die vertikale Preisbindung in Lizenzverträgen verboten ist. An der grundsätzlichen Struktur der beiden Vorschriften hat sich durch die Reform nichts geändert. Ihre Bedeutung ist nach wie vor in zweierlei Hinsicht relativiert: Erstens ist § 17 GWB lediglich auf Patente, Gebrauchsmuster, Topographien und Sortenschutzrechte anwendbar, während § 18 Verträge über Know-how und Saatgut, bzw. gemischte Verträge erfasst. Verträge über Marken, Geschmacksmuster und Urheberrechte werden gem. § 18 Nr. 3 G W B in den Anwendungsbereich einbezogen, soweit sie mit den genannten Verträgen in Verbindung stehen und zur Verwirklichung deren Hauptzwecks beitragen. 8 5 Vor S. unten S. 148 ff. Nach Art. 3 Abs. 2 des Schweizerischen Kartellgesetzes von 1995 ist Kartellrecht nicht auf Wettbewerbsbeschränkungen anwendbar, die sich ausschließlich aus der Gesetzgebung über das geistige Eigentum ergeben (s. dazu R. Zäch, Schweizerisches Kartellrecht, 1999, S. 129 ff.). Zur Rechtslage in Osterreich s. H.-G. Koppensteiner, Österreichisches und Europäisches Wettbewerbsrecht, 3. Aufl. 1997, S. 120 f.: Ausgangspunkt ist (in Abwesenheit einer gesetzlichen Regelung) die Inhaltstheorie, funktionales Denken dringt allerdings vor. Das tschechische Lizenzkartellrecht ist von der Grundstruktur an das deutsche Recht angelehnt, s. hierzu P. Linsmeier, Lizenzverträge im Technologietransfer nach tschechischem Recht, 2000, S. 219 ff.; die einschlägige Spezialbestimmung erfasst aber auch Urheberrechts- und Markenlizenzen ( e b e n d a , S. 227 f.). 83 Gesetz gegen Wettbewerbsbeschränkungen (GWB) in der Fassung der Bekanntmachung vom 26.8.1998 (BGBl. I S. 2546). 84 So auch die Einschätzung von M. Christoph, Wettbewerbsbeschränkungen in Lizenzverträgen über gewerbliche Schutzrechte nach deutschem und europäischem Recht, 1998, 5. 278. Uberblick in der amtlichen Begründung zum Gesetzentwurf der Bundesregierung (BTDrucks. 13/9720, Zu § 17 und Zu § 18) sowie bei R. Bechtold, Zum Referenten-Entwurf der 6. GWB-Novelle, BB 1997, 1853 (1855). 85 Kritisch hierzu H. Ullrich, Lizenzverträge im europäischen Wettbewerbsrecht: Einordnung und Einzelfragen, Mitteilungen der deutschen Patentanwälte 1998, Heft 2, 50 (55). 81
82
140
3. Teil: Deutsches
Recht
Einfügung dieser ausdrücklichen Regelung im Zuge der 6. GWB-Novelle war umstritten, wie die von den §§ 20, 21 GWB a.F. nicht erfassten Marken-, Muster- oder Urheberrechtslizenzverträge zu behandeln seien. Nach herrschender Meinung schied eine analoge Anwendung der §§20, 21 GWB a.F. auf solche Verträge aus. 86 Für gemischte Patentlizenz- und Markenlizenzverträge wurde dagegen die Geltung von §20 GWB a.F. befürwortet. 8 7 § 18 Nr. 3 GWB n.F. führt nun zu einer gesetzlichen Klärung der Problematik, die sich nicht auf die gemischten Verträge beschränkt. Die ausdrückliche Erwähnung im Zusammenhang mit gemischten Verträgen lässt nur den Umkehrschluss zu, dass eine Anwendung von § 17 GWB auf selbständige Marken-, Muster- und Urheberrechtslizenzverträge ausscheidet. 88 Die für eine Analogie erforderliche Regelungslücke besteht nicht, da die allgemeinen Vorschriften über vertikale Verträge, also die §§ 14 und 16 GWB n.F. anwendbar sind. 89 86 St. Schauh, Frankfurter Kommentar §20 GWB a.F. Tz.65; Langen/Bräutigam, KartR, 8. Aufl. 1998, §20 GWB Rdnr. 12; Langen/Klosterfelde/Metzlaff, KartR, 8. Aufl. 1998, § 18 GWB Rdnr. 220; R. Bechtold, l.Aufl. 1993, §20 GWB Rdnr. 7; / . Burkhardt, Kartellrecht, 1995, S. 89; W. Erdmann, Kartellrecht und Urhebervertragsrecht, FS Odersky, 1996, S. 959 (961 f.); F. Rittner, Wirtschaftsrecht, 1987, S. 354; W.-H. Roth, Die Vereinbarkeit von Auswertungsbeschränkungen in Filmlizenzverträgen mit deutschem und europäischem Kartellrecht, Festschrift Wolf Schwarz, 1988, S. 85 (88 f.). V. Emmerich, der selber eine Anwendung der § § 20,21 GWB a.F. auf die dort nicht genannten Schutzrechte ablehnt, schätzte die Meinungsverhältnisse genau entgegengesetzt ein (in Immenga/Mestmäcker, 2. Aufl. 1992, §20 GWB Rdnr. 348, abgeschwächt in 3. Aufl. 2001, § 17 GWB Rdnr. 169). Die Divergenz beruht auf der Frage, welche materiell-rechtliche Lösung in der Literatur dann für Urheberrechtsverträge etc. gefordert wird. Da die Inhaltstheorie in Deutschland lange Zeit die überwiegend vertretene Lösung für den Konflikt von Kartellrecht und Immaterialgüterrecht war, ziehen viele Autoren auch dann die Inhaltstheorie für Urheberrechts- und Markenlizenzverträge heran, wenn sie eine Analogie zu den § § 20,21 GWB a.F. ablehnen. Der Unterschied einer solchen allgemeinen Geltung der Inhaltstheorie zu einer Analogie zu den § § 20,21 GWB a.F. besteht darin, dass die zusätzlich von diesen Vorschriften angeordneten Regelungen, wie z.B. die Zulässigkeit der vertikalen Preisbindung, nicht übernommen wird. Eine Argumentation in diesem Sinn findet sich bei O. Axster, Gemeinschaftskommentar (3. Aufl. 1978), § § 20, 21 GWB Rdnr. 18 ff. Eine Argumentation aus neuerer Zeit zugunsten einer analogen Anwendung von § 20 Abs. 1 (nicht aber von Abs. 2) GWB a.F. auf Markenlizenzverträge findet sich bei U. Michalsky, Die Marke in der Wettbewerbsordnung, 1996, S. 100 ff., 107. Allerdings plädiert Michalsky im Ergebnis nicht für den Schematismus der Inhaltstheorie, sondern für eine flexible, immanenzrechtlich gestützte und auf die Markenfunktionen abstellende Zurücknahme des Kartellrechts in den Grenzen der Notwendigkeit (für vertikale Wettbewerbsbeschränkungen auf S. 112, für horizontale Wettbewerbsbeschränkungen auf S. 118, Zusammenfassung auf den S. 120 ff.). S. auch U. Loewenheim, Warenzeichenrecht, freier Warenverkehr, Kartellrecht, 1991, S. 1051 (1066 ff.). 87 Und zwar mit unterschiedlichen Differenzierungen, s. hierzu U. Loewenheim, Warenzeichen und Wettbewerbsbeschränkung, 1970, S. 304 ff.; G. Schricker, W R P 1980, 121 (122); Langen/Bräutigam, KartR, 9. Aufl. 2001, § 17 GWB Rdnr. 17; V. Emmerich, in Immenga/ Mestmäcker, 3. Aufl. 2001, § 17 GWB Rdnr. 43; R. Bechtold, 1. Aufl. 1993, § 20 GWB Rdnr. 5. 88 So auch hangen/Bräutigam, KartR, 9. Aufl. 2001, § 17 GWB Rdnr. 12. 89 Sachliche Differenzierungskriterien zwischen den technischen Schutzrechten der § § 17, 18 GWB und den dort nicht genannten Rechten gibt W. Kartte, Die gemeinschaftliche N u t -
B. Deutsches Kartellrecht des geistigen Eigentums
141
Zweitens regeln die § § 1 7 , 18 G W B nur einen Teilbereich des Kartellrechts des geistigen Eigentums, nämlich die einschlägigen vertikalen W e t t b e w e r b s b e schränkungen. Dies folgt schon aus der systematischen Stellung der Vorschriften im Abschnitt über „Vertikalvereinbarungen" und wird durch die ausdrückliche Regelung in § 17 A b s . 4 G W B bestätigt, nach der die §§ 1 bis 12, also die Vorschriften über horizontale Wettbewerbsbeschränkungen unberührt bleiben. D a nur Vertikal Vereinbarungen
angesprochen werden, sind neben den
§ § 1 7 , 18 G W B auch die Verbote des Missbrauchs marktbeherrschender Stellungen ( § 1 9 G W B ) , das Diskriminierungs- und Behinderungsverbot
(§20
G W B ) sowie die Regeln der Fusionskontrolle ( § § 35ff. G W B ) im Z u s a m m e n hang mit R e c h t e n des geistigen Eigentums anwendbar. 9 0 D i e einschlägigen N o r m e n sollen im folgenden k u r z untersucht werden. D e r Schwerpunkt der Darstellung liegt auf den G r u n d a n n a h m e n und den systematischen Bezügen. Eine Behandlung von Einzelproblemen ist im R a h m e n dieser Abhandlung nicht möglich.
I. Spezialregeln für Lizenzverträge:
§§17, 18 GWB
B e v o r auf das Grundprinzip der §§ 17,18 G W B , nämlich die Inhaltstheorie eingegangen wird, ist eine weitere Einschränkung zu nennen, der die genannten Vorschriften unterliegen. N a c h dem unmissverständlichen Wortlaut von § 17 A b s . 1 S. 1 G W B werden nur solche Beschränkungen erfasst, die dem L i z e n z nehmer
auferlegt werden, nicht aber solche, die sich an den L i z e n z g e b e r rich-
ten. 9 1 A u f Lizenzgeberbeschränkungen sind die allgemeinen Vorschriften, in A b w e s e n h e i t eines Wettbewerbsverhältnisses also die § § 1 4 und 16 G W B anwendbar. D i e Folge ist, dass auf einen einheitlichen Vertrag unterschiedliche N o r m e n anzuwenden sind, je nachdem, ob es sich um B e s c h r ä n k u n g e n des L i -
zung von Warenzeichen im Spannungsfeld zwischen G W B und Warenzeichenrecht, FS Quack, 1991, S. 609 (617 f.). Allgemein zum Verhältnis von Urheberrecht und Kartellrecht s. U. Loewenheim, Urheberrecht und Kartellrecht, UFITA 79 (1977), 175 ff.; W. Erdmann (oben Fn. 86) S. 959 ff. Zum Verhältnis von Verlagsrecht und Kartellrecht s. Bappert/Maunz/ Schricker, Verlagsrecht, 2. Aufl. 1984, Einl Rdnr. 35 ff. 90 Am Beispiel des Urheberrechts stellt Eugen Ulmer (Urheber- und Verlagsrecht, 3. Aufl. 1980, S. 40 ff.) fest, dass das G W B auch für den wirtschaftlichen Verkehr im Bereich von Literatur und Kunst gilt. 91 Kritisch hierzu H. Ullrich, Lizenzkartellrecht auf dem Weg zur Mitte, G R U R Int. 1996, 555 (556): „In dieser Begrenzung spiegelt sich ein Verständnis des Schutzrechts als Wirtschaftsmacht verleihender, deshalb mit Rücksicht auf das Lizenznehmerinteresse aufsichtsbedürftiger Ausschließlichkeit, das so verfehlt ist wie die gleichzeitige gesetzgeberische Arglosigkeit gegenüber den schutzrechtsimmanenten Wettbewerbsbeschränkungen durch Vertrag." Auch die 6. GWB-Novelle hat hieran nichts geändert, s. H. Ullrich, Competition, intellectual property rights and the transfer of technology: issues for further discussions in view of U N C T A D X , 1999, S. 39 (44).
142
3. Teil: Deutsches
Recht
z e n z g e b e r s o d e r des L i z e n z n e h m e r s h a n d e l t . 9 2 D i e p r a k t i s c h w i c h t i g s t e z e n z g e b e r b e s c h r ä n k u n g ist d i e V e r g a b e e i n e r a u s s c h l i e ß l i c h e n L i z e n z .
Li-
Hier-
d u r c h v e r p f l i c h t e t s i c h d e r L i z e n z g e b e r , k e i n e w e i t e r e n L i z e n z e n ü b e r das b e t r e f f e n d e S c h u t z r e c h t z u e r t e i l e n u n d es a u c h n i c h t s e l b e r z u n u t z e n . D i e A u s s c h l i e ß l i c h k e i t e i n e r L i z e n z u n t e r f ä l l t d a m i t n i c h t § 17, s o n d e r n § 16
GWB.
D i e s hat z u r F o l g e , dass die V e r e i n b a r u n g der A u s s c h l i e ß l i c h k e i t n i c h t a u t o m a tisch n a c h § 17 G W B legalisiert ist,93 s o n d e r n der M i s s b r a u c h s a u f s i c h t
nach
§ 1 6 G W B unterliegt, was eine B e r ü c k s i c h t i g u n g des gesamten rechtlichen u n d wirtschaftlichen Zusammenhangs ermöglicht.94 1.
Regelungsgrundsätze
G e m . § 1 7 A b s . 1 S. 1 G W B gilt f ü r L i z e n z n e h m e r b e s c h r ä n k u n g e n in L i z e n z verträgen95 die Inhaltstheorie: L i z e n z v e r t r ä g e sind v e r b o t e n , soweit d e m E r w e r b e r o d e r L i z e n z n e h m e r B e s c h r ä n k u n g e n auferlegt w e r d e n , „die ü b e r den I n h a l t des g e w e r b l i c h e n S c h u t z r e c h t s h i n a u s g e h e n . " 9 6 V e r b o t e n ist j e d e
Er-
Langen/Bräutigam, KartR, 9. Aufl. 2001, § 17 G W B Rdnr. 21. Die Anwendung von § 17 G W B und damit der Inhaltstheorie hätte zur Folge, dass das einschlägige Immaterialgütergesetz daraufhin zu untersuchen wäre, ob die Vergabe ausschließlicher Lizenzen dem Schutzrechtsinhalt zugewiesen wird. Dies ist beispielsweise im Patentrecht ausdrücklich angeordnet (§15 Abs. 2 PatG). Die konsequente Anwendung der Inhaltstheorie hätte zur Folge, dass die Ausschließlichkeit per se wirksam wäre. Die Anwendung von § 16 G W B unterwirft die Ausschließlichkeit der Lizenz dagegen einer Missbrauchsaufsicht. Auch in der patentrechtlichen Literatur geht man davon aus, dass durch die gesetzgeberische Anordnung in § 15 Abs. 2 PatG die kartellrechtliche Frage nicht präjudiziert wird (Henkard/UIlmann § 15 PatG Rdnr. 52; s. auch den Hinweis auf die Gesetzesmaterialien zur Parallelvorschrift im G P U bei St. Singer, Ausschließliche Patentlizenz- und Know-how-Verträge nach deutschem, amerikanischem und europäischem Kartellrecht, 1997, S. 95 f.). Diesen Befund verallgemeinert J.-R. Hamann (Territoriale Begrenzung und Ausschließlichkeit von Lizenzen, 2000, S. 202) dahingehend, „daß der ausdrücklichen Erlaubnis ausschließlicher Lizenzen in Gesetzen über gewerbliche Schutzrechte grundsätzlich keine kartellrechtliche Bedeutung zukommt." Dem ist auf der Grundlage der vorliegenden Arbeit zu entgegnen, dass immaterialgüterrechtliche Wertungen durchaus bei der Auslegung kartellrechtlicher Tatbestände zu berücksichtigen sind. Weitergehend R. Sack, W R P 1999,592 (600 f.), der die immaterialgüterrechtlichen Regelungen über ausschließliche Lizenzen als kartellrechtliche Spezialregeln qualifiziert und ihnen auf diesem Weg Vorrang vor den allgemeinen kartellrechtlichen Verboten einräumt. Gegen eine solche Übernahme der Inhaltstheorie in § 16 G W B s. unten S. 155 f. 94 V Emmerich, in ImmengaiMestmäcker, 3. Aufl. 2001, § 1 7 G W B Rdnr. 56 f.; W. Möschel, Recht der Wettbewerbsbeschränkungen, 1983, Rdnr. 450; zweifelnd Bernhardt/Krasser, Lehrbuch des Patentrechts, 1986, S. 711. 9 5 § 17 erfasst „Verträge über Veräußerung oder Lizenzierung". Es besteht Einigkeit darüber, dass diese Formulierung (bzw. die Vorgängerformulierung „Verträge über Erwerb oder Benutzung" in § 20 Abs. 1 S. 1 G W B a.F.) in allerweitestem Sinn zu verstehen ist: Erfasst sind ohne Rücksicht auf die rechtliche Einordnung alle Verträge, welche die Nutzung des Schutzrechts zwischen den Parteien oder im Verhältnis zu Dritten regeln, z.B. auch Lohnfertigungsverträge, vgl. B G H Z 46, 365 (373 ff.) „Schweißbolzen". 9 6 Verbotene Verträge können gem. § 17 Abs. 3 G W B vom Verbot freigestellt werden. Die 92
93
B. Deutsches Kartellrecht
des geistigen
Eigentums
143
S t r e c k u n g in d e n s c h u t z r e c h t s f r e i e n R a u m , also b e i s p i e l s w e i s e ü b e r die S c h u t z d a u e r h i n a u s o d e r auf n i c h t g e s c h ü t z t e G e g e n s t ä n d e . 9 7 A u c h B e s c h r ä n k u n g e n , die sich a u f d e n Z e i t p u n k t n a c h Erschöpfung
des S c h u t z r e c h t s b e z i e h e n , s i n d
i n h a l t s ü b e r s t e i g e n d u n d d a m i t g e m . § 17 A b s . 1 S. 1 G W B u n w i r k s a m . 9 8 N e b e n d i e s e r V e r b o t s w i r k u n g hat die V o r s c h r i f t e i n e n g e s t a t t e n d e n E f f e k t . I m U m k e h r s c h l u s s f o l g t aus § 17 A b s . 1 S. 1 G W B , dass
Lizenznehmerbe-
s c h r ä n k u n g e n , die d e n I n h a l t des S c h u t z r e c h t s n i c h t ü b e r s t e i g e n , e r l a u b t sind. D e r a b s t r a k t e A u s g a n g s p u n k t w i r d in § 17 A b s . 1 S. 2 G W B d u r c h e i n z e l n e B e i spiele k o n k r e t i s i e r t . B e s c h r ä n k u n g e n h i n s i c h t l i c h A r t , U m f a n g , t e c h n i s c h e m A n w e n d u n g s b e r e i c h , 9 9 M e n g e , G e b i e t o d e r Z e i t d e r A u s ü b u n g des S c h u t z r e c h t s w e r d e n als i n h a l t s i m m a n e n t u n d d a m i t als z u l ä s s i g a n g e s e h e n .
entsprechende Vorschrift in § 20 Abs. 3 G W B a.F. hatte seit 1974 keine praktische Bedeutung mehr und wurde deshalb als obsolet eingeschätzt (W. Möschel, Recht der Wettbewerbsbeschränkungen, 1983, Rdnr. 479). O b sich hieran - bei unveränderter Formulierung der Freistellungsvoraussetzungen - angesichts des Übergangs vom Erlaubniskartell zum Widerspruchskartell etwas ändern wird, ist zu bezweifeln. 97 V Emmerich, in Immenga! Mestmäcker, 3. Aufl. 2001, § 17 G W B Rdnr. 93. 98 Die Erschöpfung wird ausgelöst durch das erstmalige Inverkehrbringen des geschützten Gegenstands mit Zustimmung des Berechtigten (eingehend zur Erschöpfung s. die Ausführungen zum europäischen Recht unten S. 250 ff.); grundlegend für die Erschöpfungslehre des deutschen Rechts war Josef Kohlers Lehre vom „Zusammenhang der Benützungsformen", z.B. in: Handbuch des Deutschen Patentrechts in rechtsvergleichender Darstellung, 1900, S. 452 ff. Speziell zum Markenrecht s. F.-K. Beier, Territorialität des Markenrechts und internationaler Wirtschaftsverkehr, G R U R Int. 1968, 8 ff.; H. P. Kunz, Die Verletzung des Markenrechts durch unerwünschte Importe von Originalwaren, 1966; W. Möschel, Die rechtliche Behandlung der Paralleleinfuhr von Markenware innerhalb der E W G , 1968; G. Riehle, Markenrecht und Parallelimport, 1968). Zwei Situationen sind zu unterscheiden: Verkauft der Berechtigte den Gegenstand an einen Dritten, wird mit dieser Veräußerung das Schutzrecht zwar konsumiert. Vertragliche Beschränkungen zwischen den Parteien über die Verwendung des Gegenstands sind dennoch nicht nach § 17 Abs. 1 S. 1 G W B verboten, da der Verkauf eines patentierten Erzeugnisses nicht als Lizenzvertrag zu qualifizieren ist und demnach nicht in den Anwendungsbereich der Vorschrift fällt (Langen/Bräutigam, KartR, 9. Aufl. 2001, § 17 G W B Rdnr. 16). Verwendungsbeschränkungen in Veräußerungsverträgen unterliegen damit lediglich der Missbrauchsaufsicht nach § 16 Nr. 1 GWB. Liegt dagegen noch kein Veräußerungsvorgang und damit keine Erschöpfung vor, beispielsweise weil der Dritte aufgrund einer Herstellungslizenz den Gegenstand selbst produziert, fallen Verwendungsbeschränkungen zwischen Schutzrechtsinhaber und Hersteller zwar in den Anwendungsbereich des § 17 GWB, sind aber nicht inhaltsübersteigend. So darf der Rechtsinhaber dem lizenzierten Produzenten vorschreiben, in welches Gebiet oder an welche Kunden er liefern darf. Weitergehende Beschränkungen für die Zeit nach dem ersten Veräußerungsvorgang wären dagegen inhaltsübersteigend und damit nach § 17 Abs. 1 S. 1 G W B verboten. So darf dem Lizenznehmer nicht vorgeschrieben werden, Gebiets- oder Kundenbeschränkungen an seine Abnehmer weiterzugeben (V^ Emmerich, in Immenga/Mestmäcker, 3. Aufl. 2001, § 17 GWB Rdnr. 82, 94). 9 9 Der Gesichtspunkt des technischen Anwendungsbereichs (sog. „field of use"-Beschränkung) wurde durch die 6. GWB-Novelle eingefügt, bringt aber keine inhaltliche Neuerung mit sich; Beschränkungen des technischen Anwendungsbereichs wurden vorher als (zulässige) Beschränkungen von Art oder Umfang angesehen, s. z.B. LangenIBräutigam, KartR, 9. Aufl. 2001, § 17 G W B Rdnr. 34a.
144
3. Teil: Deutsches
Recht
Ferner wird in § 17 Abs. 2 eine Ausnahme vom Verbot des Abs. 1 für bestimmte Lizenznehmerbeschränkungen gemacht, nämlich für Bindungen im Interesse einer technisch einwandfreien Ausnutzung des Schutzrechts, für Rückgewähr- 100 und Nichtangriffsklauseln, für Bestimmungen über Mindestnutzung und Mindestgebühren, sowie für Kennzeichnungspflichten. 101 In Bezug auf § 20 Abs. 2 GWB a.F. ging die überwiegende Meinung davon aus, dass die Vorschrift echte Ausnahmen vom Verbot der inhaltsübersteigenden Beschränkungen in Abs. 1 der Vorschrift enthalte. 102 Die in § 20 Abs. 2 GWB a.F. genannten Klauseln wurden also als schutzrechtsübersteigend angesehen. Diese Einschätzung kann für § 17 Abs. 2 GWB n.F. nicht mehr pauschal aufrechterhalten werden. Die in Ziffer 5 freigestellte Pflicht zur Kennzeichnung der Lizenzerzeugnisse (ohne Ausschluss des Herstellerhinweises) ist dem Inhalt des Schutzrechts zuzuweisen, 103 so dass die systematische Einheit der Vorschrift aufgelöst wurde. Eine Aufnahme der Kennzeichnungsklausel in § 17 Abs. 1 GWB wäre deshalb aus systematischen Gründen vorzugswürdig gewesen. 2. Vergleich zu den §§ 14 und 16 GWB Die §§ 17, 18 GWB gehen in ihrem Anwendungsbereich, also in Bezug auf Lizenznehmerbeschränkungen in Lizenzverträgen über die dort genannten Schutzrechte, den allgemeinen Vorschriften über Vertikalverträge, also den §§ 14 und 16 GWB vor. Die §§ 17 und 18 GWB enthalten allerdings keine pauschale Privilegierung für Beschränkungen im Zusammenhang mit Schutzrechten. Verglichen mit den allgemeinen Vorschriften lassen sich teils Erleichterungen, teils Verschärfungen feststellen. 104 Die Erleichterung besteht darin, dass schutzrechtsimmanente Beschränkungen durch § 17 Abs. 1 S. 1 GWB pauschal erlaubt werden. Sie haben also auch dann kartellrechtlichen Bestand, wenn es zu wesentlichen Wettbewerbsbeeinträchtigungen kommt. Die Verschärfung besteht darin, dass schutzrechtsübersteigende Beschränkungen in § 17 Abs. 1 100
Rückgewährklauseln sind nach der 6. GWB-Novelle nur noch in nicht ausschließlicher Form vom Verbot ausgenommen. 101 Die durch die 6. GWB-Novelle eingefügte Gestattung von Klauseln über Mindestnutzung und Mindestgebühren sowie Kennzeichnungspflichten dient eher der Klarstellung, da solche Klauseln auch vorher schon überwiegend als erlaubt angesehen wurden (s. Langen/ Bräutigam, KartR, 9. Aufl. 2001, § 17 GWB Rdnr. 35, 107, 109). Dagegen wurde die Legalisierung vertikaler Preisbindung in Lizenzverträgen durch die 6. GWB-Novelle abgeschafft. 102 S. z.B. O. Axster, Gemeinschaftskommentar (3. Aufl. 1978), § § 20, 21 GWB Rdnr. 199; v. Gamm, Kartellrecht, §20 GWB Rdnr. 13; Langen/Bräutigam, KartR, 8. Aufl. 1998, §20 GWB Rdnr. 49; St. Schaub, Frankfurter Kommentar §20 GWB a.F. Rdnr. 156. H. Ullrich (oben Fn. 91, S. 556) sieht die Erweiterungen in § 20 Abs. 2 GWB a.F. als Beleg für die Inkonsistenz der Inhaltstheorie. 103 Langen/Bräutigam, KartR, 8. Aufl. 1998, §20 GWB Rdnr. 42 f.; G. Schricker W R P 1980, 121 (126 f.); anders jetzt Langen/Bräutigam, KartR, 9. Aufl. 2001, § 17 GWB Rdnr. 109. 104 Allerdings überwiegen die Privilegierungselemente, W. Möschel, Recht der Wettbewerbsbeschränkungen, 1983, Rdnr. 442, 497.
B. Deutsches Kartellrecht des geistigen
Eigentums
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S. 1 GWB dem Verbotsprinzip unterworfen werden, während sie außerhalb von Lizenzverträgen lediglich einer Missbrauchsaufsicht nach § 16 GWB unterworfen sind. Beispielsweise sind Kopplungsbindungen, die nicht technisch gerechtfertigt sind, in Lizenzverträgen gem. § 17 Abs. 1 S. 1 GWB verboten, da die Voraussetzungen für eine Ausnahme nach § 17 Abs. 2 Nr. 1 GWB nicht erfüllt sind. Außerhalb von Lizenzverträgen sind solche Kopplungsbindungen zunächst erlaubt, außer wenn die Kartellbehörde auf der Grundlage von § 16 Nr. 4 GWB gegen sie einschreitet. Entsprechend sind Alleinbezugsvereinbarungen oder Wettbewerbsverbote in Lizenzverträgen als schutzrechtsübersteigend verboten, 105 während sie außerhalb von Lizenzverträgen nur der Missbrauchsaufsicht nach § 16 Nr. 2 GWB unterliegen. Ein kartellbehördliches Verbot setzt voraus, dass die Eingreifkriterien von §16 GWB im Einzelfall vorliegen. 3.
Inhaltstheorie
Auch wenn § 17 GWB mit der Inhaltstheorie ein klares Kriterium für die Rechtmäßigkeit von Beschränkungen in Lizenzverträgen aufstellt, werden hierdurch doch nicht alle Streitfragen ausgeräumt. Unstrittig ist allerdings der Ausgangspunkt. Das Inhaltskriterium beruht auf dem infringement test des Dekartellierungsrechts. 106 In einem ersten Schritt ist zu ermitteln, welche Befugnisse das einschlägige Immaterialgütergesetz dem Rechtsinhaber einräumt. In einem zweiten Schritt ist zu klären, ob die zu untersuchende Klausel im Lizenzvertrag von einer solchen Befugnis Gebrauch macht, oder ob - im Gegenteil - die Klausel Bindungen enthält, die über die immaterialgüterrechtlich zugebilligten Rechte hinausgehen. Anders formuliert: Es kommt darauf an, ob die betreffende Beschränkung ausschließlich auf dem Lizenzvertrag beruht, oder ob der Lizenzgeber dem Lizenznehmer das entsprechende Verhalten schon aufgrund des Schutzrechts verbieten könnte. Inhaltsübersteigende Beschränkungen sind gem. § 17 Abs. 1 S. 1 GWB verboten, inhaltsimmanente Beschränkungen sind dagegen erlaubt. 107
105
V. Emmerich, in Immenga!Mestmäcker, 3. Aufl. 2001, § 17 GWB Rdnr. 97 f. V. Emmerich, Kartellrecht, 9. Aufl. 2001, S. 145. 107 Einige Immaterialgütergesetze regeln ausdrücklich, was zum Inhalt eines Lizenzvertrags gemacht werden kann. So ist gem. § 15 Abs. 2 PatG die Erteilung ausschließlicher oder nicht ausschließlicher Lizenzen an einem Patent möglich. Entsprechende Regelungen enthalten die § § 22 Abs. 2 GebrMG, 30 Abs. 1 MarkenG, 11 Abs. 2 Sortenschutzgesetz, 31 Abs. 1 U r h G (zu entsprechenden Vorschriften des europäischen und internationalen Immaterialgüterschutzes s. unten S. 293 f., insbesondere Fn. 410). §30 Abs. 2 MarkenG konkretisiert zusätzlich fünf Verletzungsarten, die dem Inhalt des Markenrechts zuzuordnen sind. Nach der Inhaltstheorie ist aus diesen Bestimmungen der Anwendungsbereich des Kartellrechts genau abzulesen: Die genannten Bindungen sind der kartellrechtlichen Kontrolle entzogen, ohne dass weitere Überlegungen anzustellen wären. 106
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3. Teil: Deutsches
Recht
Umstritten ist, ob es bei diesem Gedankengang sein Bewenden hat. Die Befürworter verweisen auf die Entstehungsgeschichte und den Wortlaut der Vorschrift. 108 Nach anderer Auffassung soll in stärkerem Maß auf die Zielsetzung des Gesetzes abgestellt werden. Bei Bestimmung des Schutzrechtsinhalts seien wettbewerbsrechtliche Gesichtspunkte ergänzend heranzuziehen. 1 0 9 Konkret bedeutet dies, dass mehr auf den tatsächlichen Wert des betreffenden Schutzrechts abzustellen ist. Wertlose Schutzrechte dürfen nicht vorgeschoben werden, um weitgehende Lizenznehmerbeschränkungen zu rechtfertigen. N u r wichtige Schutzrechte, die dem Lizenznehmer einen tatsächlichen Vorsprung im Wettbewerb einräumen, sollen Beschränkungen rechtfertigen können. 1 1 0 Diesem Standpunkt ist zuzugestehen, dass nur so die missbräuchliche Konstruktion von Lizenzverträgen auf der Grundlage von „Scheinpatenten, Fehlpatenten, technisch überholten oder inhaltslosen Patenten" 1 1 1 unterbunden werden kann. Das schematische Kriterium des Schutzrechtsinhalts i.S. der §§17, 18 GWB sollte nicht dadurch weiter formalisiert werden, dass bloße Schutzrechtshüllen als Camouflage für Wettbewerbsbeschränkungen dienen dürfen. Es erscheint allerdings als zu weitreichend, eine solche Missbrauchsprävention als wettbewerbsrechtlicbe Bestimmung des Schutzrechtsinhalts zu bezeichnen. In erster Linie geht es in den genannten Fällen um die Verhinderung von Missbräuchen. Die Rede vom wettbewerbsrechtlichen Inhaltsbegriff legt demgegenüber ein generelles Abrücken vom immaterialgüterrechtlichen Ausgangspunkt der Inhaltstheorie nahe. So ist es kein Zufall, dass viele Anhänger des wettbewerbsrechtlichen Inhaltsbegriffs die in den §§ 17, 18 G W B positivrechtlich zugrundegelegte Inhaltstheorie de lege ferenda ablehnen. Konstruktive Missbräuche auf der Grundlage wertloser Schutzrechte sind also als 108 O. Axster, Gemeinschaftskommentar (3. Aufl. 1978), § § 2 0 , 2 1 GWB Rdnr. 146 ff., insbesondere Rdnr. 152. O. Axster (ebenda, Rdnr. 149) kritisiert die gesetzliche Regelung, ist aber der Auffassung, der Gesetzeswortlaut zwinge zu einer solchen Auslegung. Ihm erscheinen Tendenzen, „die starre Regelung durch die Anwendung wettbewerbsbezogener Grundsätze dehnbarer zu machen, verständlich. Es ist dies jedoch eine Kritik an der gesetzlichen Regelung an sich [...] und ein zu Recht empfundenes Bedürfnis, aus der gesetzlichen Regelung insoweit auszubrechen, als dies im Einzelfall erforderlich erscheint, um wettbewerbspolitisch relevante Entscheidungen im Einzelfall zu ermöglichen. Das offenbar allseits empfundene Unbehangen liegt in der gesetzlichen Regelung, die das Schutzrecht zu Unrecht als Fremdkörper in einer Wettbewerbsordnung versteht [...] und die Schutzrechtsverwertungsverträge daher einer mechanisch anwendbaren Regelung unterworfen hat, die der wettbewerbspolitischen Zielrichtung des Gesetzes in vielen Anwendungsfällen nicht entspricht." 109 L a n g e n / B r ä u t i g a m , KartR, 9. Aufl. 2001, § 17 GWB Rdnr. 29; V: Emmerich, in Immenga! Mestmäcker, 3. Aufl. 2001, § 17 GWB Rdnr. 68 ff.; F. Rittner, Wettbewerbs- und Kartellrecht, 1995, S. 250; W. Möschel, Recht der Wettbewerbsbeschränkungen, 1983, Tz.462; G. Schricker (WRP 1980, 121, 126) bezeichnet das Inhaltskriterium als einen „offenen, generalklauselhaften Begriff" und plädiert für eine elastische Handhabung auf der Grundlage verschiedener Kriterien. Zurückhaltend Loewenheim/Belke, § 20 GWB Tz.8. 110 V. Emmerich, in Immengal Mestmäcker, 3. Aufl. 2001, § 17 GWB Rdnr. 69. 111 V. Emmerich, in Immenga/Mestmäcker, 2. Aufl. 1992, § 20 GWB Rdnr. 162.
147
B. Deutsches Kartellrecht des geistigen Eigentums
inhaltsübersteigend und damit als verboten anzusehen, ohne dass diese Fälle - de lege lata - zu einer allgemeinen Auflösung der Inhaltstheorie benutzt werden dürfen. 4. Kritik an der
Inhaltstheorie
Die Inhaltstheorie hat eine Entwicklung durchlaufen, die typisch für die Evolution von Theorien ist: Ein Missstand wird durch eine neue Lehre bekämpft. Später stellt sich heraus, dass die neue Lehre zu ihrer Zeit fortschrittlich war, in der Zwischenzeit aber eine Fülle anderer Probleme geschaffen hat, die nicht mehr durch eine bloße Modifikation des Konzepts gelöst werden können. a) Die Inhaltstheorie: Ein Konzept das in den USA längst überwunden
des US-amerikanischen wurde
Antitrust-Rechts,
Wie der Überblick über die US-amerikanische Entwicklung gezeigt hat, 1 1 2 bestand die Ausgangslage nach der 5emew£-Entscheidung aus dem Jahr 1902 in der Annahme absoluter Freiheit für Rechte des geistigen Eigentums. Die Anwendung von Kartellrecht war vollständig ausgeschlossen. Die inherency doctrine brachte die Einsicht, dass auch Wettbewerbsbeschränkungen im Zusammenhang mit Immaterialgüterrechten nicht vollständig dem Kartellrecht entzogen sind. Der dadurch entstehende Konflikt zwischen Kartellrecht und Immaterialgüterrecht wurde durch die Abgrenzung zweier getrennter Sphären unter Heranziehung der Inhaltstheorie gelöst. Der durch die Inhaltstheorie bewirkte Fortschritt bestand darin, dass Immaterialgüterrechte nicht mehr zu beliebigen Wettbewerbsbeschränkungen missbraucht werden konnten. In der Folgezeit stellte sich heraus, dass die daraus resultierende Zwei-Felder-Theorie einerseits zu weit geht, andererseits zu kurz greift: Nicht alle schutzrechtsübersteigenden Bindungen sind schädliche Wettbewerbsbeschränkungen; andererseits sind nicht alle schutzrechtsimmanenten Beschränkungen unbedenklich. Das Inhaltskriterium erwies sich als zu formal; die Hauptschwäche besteht in seiner Blindheit gegenüber dem rechtlichen und wirtschaftlichen Zusammenhang der betreffenden Verhaltensweise. 113 Beispielsweise sind nach der Inhaltstheorie Kopplungsbindungen verboten, die zum Erwerb nicht geschützter Erzeugnisse verpflichten, und zwar unabhängig davon, ob der Abnehmer zwischen verschiedenen Erstprodukten wählen kann. Ein solches Verbot berücksichtigt nicht die realen Marktverhältnisse und geht deshalb zu weit. Umgekehrt legalisiert die Inhaltstheorie pauschal alle schutzrechtsinhärenten Beschränkungen. Beispielsweise ist eine Lizenzverweigerung nach der Inhaltstheorie unter allen Umständen rechtmäßig, da die A b schlussfreiheit zum Inhalt des Schutzrechts gehört. Unter dem Einfluss der 112
113
S. o. S. 37 ff. Vgl. W. Möschel, Recht der Wettbewerbsbeschränkungen, 1983, Rdnr. 462.
148
3. Teil: Deutsches
Recht
Chicago School gelangte die amerikanische Kartellrechtslehre und -praxis zu einer stärkeren Ausrichtung an wirtschaftlichen Zusammenhängen. Die Post Chicago Economics verhinderten, dass diese Ausrichtung zu einseitig und zu theorielastig ausfiel. Der Legalisierung von Verhaltensweisen, die zwar außerhalb des Schutzbereichs liegen, aber im Saldo als wettbewerbsförderlich angesehen werden können, entsprach die Aufhebung der Kartellrechtsimmunität innerhalb des Schutzbereichs. Seit den 70er Jahren war damit eine Abkehr von der inherency doctrine eingeleitet. Dieser Prozess war spätestens mit den Antitrust Guidelines for the Licensing of Intellectual Property aus dem Jahr 1995 abgeschlossen. b) Schwierigkeiten
mit der Inhaltstheorie
des deutschen
Rechts114
Die Inhaltstheorie des Dekartellierungsrechts stieß in Deutschland zunächst auf große Zustimmung. 1 1 5 Diese Zustimmung ging so weit, dass die Lehre mit dem Inkrafttreten des G W B am 1.1.1958 zum gesetzlich festgeschriebenen Abgrenzungsprinzip geadelt wurde. Bereits früh regte sich jedoch auch Widerspruch. 1 1 6 Die Kritik von Richard Buxbaum117 entzündete sich zwar am europäischen Recht, 1 1 8 betraf aber in gleicher Weise die §§ 20, 21 G W B a.F.. Buxbaum spricht von der „Unbrauchbarkeit" des Inhaltsdogmas. 1 1 9 Er wendet sich gegen die Wettbewerbseröffnungstheorie und verweist auf die Komplexität realer Patentstrategien. Einzelne Patente seien nur von geringem Nutzen, da sie keine wirkliche Handlungsfreiheit eröffneten. Im Schatten ganzer Patentpakete könnten nach der Inhaltstheorie beliebige Beschränkungen vereinbart werden. Außerdem könnten vertikale Lizenzverträge dazu benutzt werden, horizontale Beschränkungen zu kaschieren. Buxbaum plädiert dafür, starren Abgrenzungskriterien ein pragmatisches Vorgehen vorzuziehen. 1 2 0 Dieses Ergebnis weist 1 , 4 Ein Uberblick über die Schwächen der Inhaltstheorie findet sich bei M. Christoph, Wettbewerbsbeschränkungen in Lizenzverträgen über gewerbliche Schutzrechte nach deutschem und europäischem Recht, 1998, S. 107 ff. 1 1 5 Vgl. z.B. die einflussreiche Untersuchung von O. Lieberknecht (oben Fn. 66), S. 167 ff., 300 ff. 116 Eine eingehende Darstellung der Kritik an der Inhaltstheorie, die aus unterschiedlichsten Richtungen kam, geben G. Strohm (oben Fn. 58), S. 280 ff., und W. Walz (oben Fn. 76), S. 12 ff., 237 ff. 117 Richard Buxbaum, Die dem Patentmonopol innewohnenden Beschränkungen, WuW 1966,193. Es handelt sich um die deutsche Fassung von: R. Buxbaum, Restrictions Inherent In The Patent Monopoly: A Comparative Critique, University of Pennsylvania Law Review, 1965,633. 1 1 8 Und zwar in erster Linie an der „Weihnachtsbekanntmachung" der Kommission (Bekanntmachung über Patentlizenzverträge vom 24.12.1962, ABl. 2922/62), die im wesentlichen eine Übernahme der Inhaltstheorie des deutschen Kartellrechts darstellte, s. hierzu unten S. 292 f, insbesondere Fn. 406. 119 R. Buxbaum (oben Fn. 117), S. 193. 1 2 0 „Die tatsächlichen Maßstäbe, nach denen ein angemeldetes Kartell verboten oder genehmigt wird, müssen durch Erfahrung gewonnen werden." (Ebenda, S. 215).
B. Deutsches
Kartellrecht
des geistigen
Eigentums
149
bereits auf eine Grundschwierigkeit hin, die eine Kritik an der Inhaltstheorie immer zu lösen hat: Die Abschaffung des Inhaltskriteriums zwingt dazu, eine Alternative anzubieten. Der Verweis auf die genaue Untersuchung eines jeden Einzelfalls bringt noch nicht die Kriterien hervor, nach denen der Einzelfall zu entscheiden ist. Scharfe Kritik am geltenden deutschen Recht übt auch Hanns Ullrich. Schon früh hat er sich gegen die Immunisierung schutzrechtlich abgesicherter Wettbewerbsbeschränkungen durch die Inhaltstheorie gewendet. 121 Er legte die ursprünglichen Grundlagen der Inhaltstheorie frei, nämlich die „Gleichsetzung von Rechts- und Marktmacht, von Ausschließlichkeit und Wettbewerbsbeschränkung und von Lizenzvergabe und Wettbewerbseröffnung". 122 Auch in der Weiterentwicklung dieses Ausgangspunkts durch die Einbeziehung wettbewerbsrechtlicher Wertungen 123 sieht er keinen Ausweg. Eine Normallage im Verhältnis von Immaterialgüterschutz und Kartellrecht sei bislang nicht gefunden worden. Der Immaterialgüterschutz verschaffe Handlungsmöglichkeiten, könne aber aus sich heraus den Wettbewerb nicht ordnen. 124 Auch in Bezug auf Wettbewerbsbeschränkungen im Zusammenhang mit Immaterialgüterrechten sei die Anwendung allgemein kartellrechtlicher Maßstäbe {de lege ferenda) vorzuziehen. Hierin sei weder ein Plädoyer für den Vorrang des Kartellrechts vor dem Recht des geistigen Eigentums zu sehen, noch solle hierdurch die Kartellaufsicht über die Schutzrechtsausübung verschärft werden; vielmehr zwinge die Parallelität von Sach- und geistigem Eigentum zur Anwendung der allgemeinen Regeln. Sowohl das Sacheigentum als auch die Schutzrechte seien nicht Selbstzweck, sondern Mittel zum Zweck: Die Verrechtlichung von Wissen oder
H. Ullrich, ZHR 137 (1973), 70, 78 ff. H. Ullrich, Lizenzkartellrecht auf dem Weg zur Mitte, GRUR Int. 1996, 555 (558). Ullrich wendet sich gegen die logischen Grundannahmen der Inhaltstheorie und plädiert für einen Vorrang der Empirie (H. Ullrich, Technology Transfer Agreements under EC-Competition Law: A Conservative Reform, 1996, S. 1, 31 f.): „Put differently, the assumption, that the grant of a limited licence creates competition that otherwise would not exist, begs the question of determining the effects of the limited license. It is a rash judgement that may easily belie the facts. The correct question, therefore, is not whether a restraint imposed on the licensee is within the scope of the patent, but whether, in the absence of the restrictive covenant, there would be more competition or not." 123 S. dazu oben S. 146 f. 124 Ullrich/Konrad (in Ullrich/Körner, Der internationale Softwarevertrag, 1995, S. 319 Rdnr. 493): „Daran muß sich allerdings die grundsätzliche Frage anschließen, ob der Inhalt des Schutzrechts als Trennlinie zwischen erlaubter und wettbewerbswidriger einzellizenzweiser Schutzrechtsverwertung überhaupt geeignet ist und ob die Unterscheidung zwischen dem dinglich durchsetzbaren Gehalt des Schutzrechts und den nur schuldrechtlich zu verwirklichenden Beschränkungen des Lizenznehmers einen sinnvollen Abgrenzungsmaßstab darstellt oder nicht doch eher sowohl an den wirtschaftlichen Bedürfnissen ausreichender Schutzrechtsverwertung wie an den Notwendigkeiten wirksamer Durchsetzung freien Wettbewerbs auch in diesen Feldern vorbeigeht." 121 122
150
3. Teil: Deutsches
Recht
Information konstituiere Handlungsbefugnisse, die im Wettbewerb eingesetzt werden können. 125 Weitere Kritiker der §§17, 18 GWB (bzw. §§20, 21 GWB a.F.) sind Volker Emmerich und Wernbard Möschel. Das Inhaltskriterium sei nur wenig geeignet, wettbewerbsrechtliche Gesichtspunkte aufzunehmen. Außerdem sei die Legalisierung inhaltsübersteigender Beschränkungen in § 20 Abs. 2 GWB a.F. inkonsequent. Das Ergebnis sei ein bedenklicher Vorrang des Patentschutzes vor dem Wettbewerbsschutz. 126 Der gesetzlichen Regelung liege die Wettbewerbseröffnungstheorie zugrunde; 127 diese sei abzulehnen, da auch durch Lizenzverträge eigene Wettbewerbsbeschränkungen erst geschaffen werden könnten. Das legislative Kalkül erscheine nur beschränkt sinnvoll. Dennoch bleibe die Entscheidung des Gesetzgebers bindend. 128 c) Normtheoretische Problematik der Inhaltstheorie vor dem Hintergrund des Eigentumsbegriffs Der Standpunkt der Wettbewerbseröffnungstheorie stößt heute überwiegend auf Ablehnung. 129 Diese Ablehnung ist auch auf die Inhaltstheorie und damit (de lege ferenda) auf die gesetzliche Regelung der §§ 17, 18 GWB zu beziehen, da die Inhaltstheorie die Umsetzung der Wettbewerbseröffnungstheorie in konkrete Rechtsanwendung darstellt. Die Kritik an der Inhaltstheorie lässt sich darüber hinaus noch auf eine andere, nämlich normtheoretische Grundlage stützen, die mit dem Eigentumsbegriff zusammenhängt. Jedes Recht, und sei es noch so umfassend, muss rechtlich begründet und begrenzt werden. Absolute Freiheit existiert nicht; zusammen mit der Zuerkennung eines Rechts müssen die Grenzen dieses Rechts angegeben werden. Dies muss nicht unbedingt an derselben Fundstelle erfolgen; die Grenzen können sich auch aus der Rechtsordnung insgesamt ergeben. 125 H. Ullrich, G R U R Int. 1996, 555 (565 ff.); ders., Wissenschaftlich-technische Kreativität zwischen privatem Eigentum, freiem Wettbewerb und staatlicher Steuerung, 1996, S. 203 (212): „Aus dieser rein instrumentalen Beziehung des geistigen Eigentums als eines Hilfsmittels in der wettbewerblichen Marktordnung ergeben sich gewisse Folgerungen für seine kartellrechtliche Behandlung. Einerseits kann es nicht schon selbst [...] eine Wettbewerbsbeschränkung darstellen. Andererseits darf es auch keine Ausnahmebehandlung unter Gesichtspunkten wettbewerbsförderlicher Anreiz- oder Belohnungswirkungen lizenzweiser Wettbewerbseröffnung oder gleichberechtigter Koexistenz geniessen. Aber solche Rückführung vom wettbewerblichen Privileg auf das Normalmass allen Eigentums bedeutet auch nur ebendies, setzt also geistiges Eigentum nicht herab, sondern als unabdingbar voraus und verlangt seine wettbewerbsgemässe Ausgestaltung." 126 V. Emmerich, in Immenga! Mestmäcker, 3. Aufl. 2001, §17 GWB Rdnr. 17 mit Verschärfung der Kritik gegenüber der Anwendung der Inhaltstheorie auf Betriebsgeheimnisse gem. § 18 GWB (ebenda, § 18 GWB Rdnr. 4). 127 Zur Wettbewerbseröffnungstheorie s. oben bei Fn. 67 und unten S. 329. 128 W. Möschel, Recht der Wettbewerbsbeschränkungen, 1983, Rdnr. 462, 499. 129 S. außer den zuvor Genannten unten S. 329 im Zusammenhang mit dem europäischen Recht.
B. Deutsches
Kartellrecht
des geistigen
Eigentums
151
Im Zusammenhang mit dem Eigentum hat es aber Tradition, zusammen mit der Konstituierung des Eigentumsrechts zumindest einen Hinweis auf die Grenzen des Eigentums zu geben. So gibt § 903 S. 1 BGB dem Sacheigentümer 1 3 0 das Recht, mit der Sache nach Belieben zu verfahren und andere von jeder Einwirkung auszuschließen, dies aber nur, „soweit nicht das Gesetz oder Rechte Dritter entgegenstehen". Es ist anerkannt, dass sich solche eigentumsbegrenzenden Regelungen nicht lediglich aus dem BGB, sondern aus der Gesamtheit der Rechtsordnung, insbesondere auch aus dem Kartellrecht ergeben können. 1 3 1 Entsprechend gewährt Art. 14 Abs. 1 S. 1 GG das Eigentum, wozu im Gegensatz zu § 903 BGB auch das geistige Eigentum gehört, 1 3 2 fügt aber in Satz 2 hinzu, dass Inhalt und Schranken durch die Gesetze bestimmt werden. Außerdem erfolgt in Art. 14 Abs. 2 GG der Zusatz, dass Eigentum verpflichtet und sein Gebrauch zugleich dem Wohl der Allgemeinheit dienen soll. Auch im Zusammenhang mit Art. 14 GG ist Kartellrecht als inhaltsbestimmende, bzw. -begrenzende Rechtsmaterie anzusehen. 1 3 3 Wie das Bundesverfassungsgericht im Nassauskiesungsbeschluss festgestellt hat, ergibt sich erst aus der Gesamtheit der einschlägigen Gesetze der Schutzgegenstand des Eigentums. Gesetzestechnische Variationen ändern hieran nichts: Auch wenn eine Rechtsstellung zunächst im allerweitesten Sinn beschrieben und erst in einer weiteren Vorschrift wieder eingeschränkt wird, umfasst das Eigentum von vornherein nur den eingeschränkten Bereich. 134 Diese Aussage gilt auch für das Immaterialgüterrecht. Zwar sind Rechte des geistigen Eigentums aufgrund ihrer Unkörperlichkeit in sehr viel höherem Maß als das Sacheigentum auf rechtliche Konturierung im einschlägigen Gesetz angewiesen. Die Immaterialgütergesetze enthalten deshalb eine Fülle inhaltsbegründender und -begrenzender Normen. 1 3 5 Dies zieht möglicherweise reflexartig den Eindruck nach sich, dass Inhalt und Grenzen der Immaterialgüter130 Das Recht des geistigen Eigentums wird nicht einbezogen, s. MünchKomm-Säcker § 903 BGB Rdnr. 1. 131 MünchKomm-Säc/feer § 903 BGB Rdnr. 18, 29. Die Hervorhebung der § § 22 ff. GWB a.F., also der Vorschriften über marktbeherrschende Unternehmen, ist nur exemplarisch zu verstehen. Auch aus den anderen Vorschriften des GWB können sich Eigentumsbegrenzungen ergeben. 132 R. Wendt, in: M. Sachs, Grundgesetz, Art. 14 Rdnr. 24. 133 H.-J. Papier, in Maunz-Dürig, Komm. z. GG, Art. 14 Rdnr. 507. 134 ßVerfGE 58, 300 (336): „Welche Befugnisse einem Eigentümer in einem bestimmten Zeitpunkt konkret zustehen, ergibt sich vielmehr aus der Zusammenschau aller in diesem Zeitpunkt geltenden, die Eigentümerstellung regelnden gesetzlichen Vorschriften. Ergibt sich hierbei, daß der Eigentümer eine bestimmte Befugnis nicht hat, so gehört diese nicht zu seinem Eigentumsrecht. Wie der Gesetzgeber ihren Ausschluß herbeiführt, ist lediglich eine Frage der Gesetzestechnik. Definiert er die Rechtsstellung zunächst umfassend, um in einer weiteren Vorschrift bestimmte Herrschaftsbefugnisse von ihr auszunehmen, so ist dem Betroffenen von vornherein nur eine in dieser Weise eingeschränkte Rechtsposition eingeräumt." 135 W. Fikentscher, Wettbewerb und gewerblicher Rechtsschutz, 1958, S. 279 ff.
152 r e c h t e ausschließlich
3. Teil: Deutsches
Recht
in d e n i m m a t e r i a l g ü t e r r e c h t l i c h e n T e x t e n
niedergelegt
werden. D i e s e m ersten E i n d r u c k muss aber unter H i n w e i s auf den verfassungsr e c h t l i c h e n E i g e n t u m s b e g r i f f e n t g e g e n g e s t e u e r t w e r d e n . 1 3 6 A u c h d e r I n h a l t eines I m m a t e r i a l g ü t e r r e c h t s k a n n n u r u n t e r R ü c k g r i f f auf alle i n h a l t s b e s t i m m e n d e n , b z w . - b e g r e n z e n d e n N o r m e n e r m i t t e l t w e r d e n . 1 3 7 D a z u g e h ö r t a u c h das Kartellrecht.138 V o r d i e s e m H i n t e r g r u n d s t ö ß t die R e g e l u n g in § 17 A b s . 1 S. 1 G W B auf B e d e n k e n . D a s V e r b o t i n h a l t s ü b e r s t e i g e n d e r B e s c h r ä n k u n g e n s e t z t v o r a u s , dass der Schutzrechtsinhalt a u t o n o m immaterialgüterrechtlich festgelegt
werden
k a n n . D i e V o r s c h r i f t g e h t a l s o v o n e i n e m a b s o l u t e n B e g r i f f des g e i s t i g e n E i g e n t u m s aus, d e r n i c h t b e r e i t s v o n v o r n h e r e i n d u r c h die G e s a m t h e i t d e r R e c h t s o r d n u n g b e g r e n z t ist. D i e s e r E i g e n t u m s b e g r i f f s t e h t i m G e g e n s a t z z u m K o n z e p t des A r t . 14 G G . D e r I n h a l t eines R e c h t s k a n n n u r a u f g r u n d e i n e r G e s a m t s c h a u aller e i n s c h l ä g i g e n R e c h t s n o r m e n , a l s o a u c h des K a r t e l l r e c h t s b e s t i m m t w e r d e n . D e r V e r w e i s in § 17 A b s . 1 S. 1 G W B auf d e n k a r t e l l r e c h t s e x e m t e n u n d a u c h i m ü b r i g e n v o m R e s t der R e c h t s o r d n u n g l o s g e l ö s t e n „ I n h a l t des g e w e r b -
1 3 6 Entsprechendes gilt für den bürgerlich-rechtlichen Begriff des Sacheigentums, vgl. z.B. Palandt-ß«55e«ge Uberbl v § 903 B G B Rdnr. 1: „Dabei stellen die Einschränkungen des Herrschaftsrechts durch Gesetz und Rechte Dritter iSv § 903 keine Ausnahme gegenüber einem grundsätzlich totalen Herrschaftsrecht dar, sondern sind wesensmäßige Begrenzungen des Eigentumsinhalts." 137 S. ausführliche Leinemann, Die Sozialbindung des „Geistigen Eigentums", 1998. Diese Aussage gilt auch für den Fall, dass es zu Reibungen zwischen Immaterialgüterrecht und Sacheigentum kommt, wie z.B. dem Urheberrecht am Werk und dem Sacheigentum am Werkstück. Das Spannungsverhältnis ist nicht durch eine Vorranglösung aufzulösen. Vielmehr wird in diesen Fällen Sacheigentum durch Urheberrecht und Urheberrecht durch Sacheigentum beschränkt. S. hierzu W. Erdmann, Sacheigentum und Urheberrecht, FS Piper, 1996, S. 655 ff. 138 Vgl. Chr. Kirchner, Patentrecht und Wettbewerbsbeschränkungen, in: Ott/Schäfer (Hrsg.), Ökonomische Analyse der rechtlichen Organisation von Innovationen, 1994, S. 157 (159): „Die Ausgestaltung des Eigentumsrechts wird also im Fall des Immaterialgüterrechts, beispielsweise des Patentrechts, durch zwei Rechtsmaterien, nämlich das Immaterialgüterrecht, also das Patentrecht, und das Recht der Wettbewerbsbeschränkungen bestimmt." A.A. O. Lieherknecht (oben Fn. 31, S. 172), der zwar eine Parallele zu § 903 B G B zieht, die inhaltsbegrenzende Dimension des Kartellrechts in Bezug auf Rechte des geistigen Eigentums aber ablehnt: „Bei Patentrecht und Antitrustrecht handelt es sich aber um zwei Gesetze des Wirtschaftsrechts, die sich bis zu einem gewissen Grade gegenseitig ausschließen. Wenn nun das eine neben dem anderen besteht, und gerade sein Wesensgehalt - das Monopol - jenem zuwiderläuft, so kann nicht allein die Ausübung dieses Monopols nach dem anderen verboten sein. Wer aber einem anderen überhaupt verbieten kann, etwas zu tun, kann ihm auch erlauben, es in einer bestimmten Anzahl von Fällen zu tun." Die Grundannahmen dieser Argumentation (nämlich Konfliktthese, Schutzrecht als Monopol, Wettbewerbseröffnungstheorie) sind inzwischen weggefallen oder wurden zumindest modifiziert. Hervorzuheben ist, dass die hier vertretene Auffassung lediglich die inhaltsbegrenzende Funktion des Kartellrechts betont. Damit wird (de lege ferenda) der Standpunkt vertreten, dass die Anwendung von Kartellrecht auf das Recht des geistigen Eigentums auch im Bereich des Schutzinhalts nicht a priori ausgeschlossen werden sollte. O b es zu einer solchen ausnahmsweisen Anwendung kommt, sollte vom Vorliegen der allgemeinen kartellrechtlichen Voraussetzungen abhängig gemacht werden.
B. Deutsches Kartellrecht des geistigen
Eigentums
153
liehen Schutzrechts" steht im Widerspruch zu einem solchen modernen Eigentumsbegriff. Die Analyse der Normstruktur ergibt also, dass das scheinbar so anwendungsfreundliche Abgrenzungskriterium des Schutzrechtsinhalts unklarer ist, als es auf den ersten Blick scheint. 139 Der Grundansatz der §§ 17, 18 GWB weist zudem auf eine grundsätzliche Schwierigkeit hin, nämlich die mangelnde Integration des Immaterialgüterschutzes in das Wirtschaftsrecht. d) Folgerungen Die Inhaltstheorie hat sachliche und normtheoretische Schwächen. Dennoch ist die Kritik an der Inhaltstheorie in erster Linie rechtspolitisch zu fassen. Die gesetzliche Regelung der §§17, 18 GWB ist verbindlich. Auch wenn der Begriff vom „Inhalt des gewerblichen Schutzrechts" in § 17 Abs. 1 S. 1 GWB im Widerspruch zur gängigen Eigentumskonzeption steht, bestehen keine Anhaltspunkte, die zur Annahme der Verfassungswidrigkeit führen würden. Es ist Aufgabe des Gesetzgebers, hier für Abhilfe zu sorgen. Die 6. GWB-Novelle hat lediglich Einzelkorrekturen gebracht, so z.B. das Verbot vertikaler Preisbindung in Lizenzverträgen. 140 Eine konzeptionelle Neuausrichtung ist möglicherweise auch deshalb unterblieben, weil die Bedeutung des deutschen Lizenzkartellrechts im Vergleich zum europäischen Recht sehr gering ist. 141 De lege lata sollten die Schwächen der Inhaltstheorie zu einer möglichst restriktiven Auslegung der §§ 17, 18 GWB veranlassen. 142 Eine entsprechende Anwendung der Inhaltstheorie auf die nicht in diesen Vorschriften genannten Schutzrechte sollte unterbleiben. 143 Ebenso wenig sollte die Inhaltstheorie im Rahmen anderer Kartellrechtsnormen (Kartell- und Vertikalvereinbarungen, Missbrauchs-, Diskriminierungs- und Behinderungsverbot, Fusionskontrolle) herangezogen werden. 144 Schließlich ist die Inhaltstheorie in den §§ 17, 18 GWB durch die vorsichtige Heranziehung wettbewerbsrechtlicher Wertungen abzuschwächen. 145 Eine Ausarbeitung dessen, was rechtspolitisch an die Stelle der Inhaltstheorie treten sollte, bleibt den Ausführungen zum europäischen Recht vorbehalten. 146
139 In diesem Sinn auch F. Rittner, Wettbewerbs- und Kartellrecht, 5. Aufl. 1995, S. 250 Rdnr. 58: „Die Gesetze über die Schutzrechte bestimmen nämlich den Inhalt des Rechts keineswegs eindeutig, und dieser dürfte zudem nach Erlaß des G W B auch von diesem Gesetz mitgeformt werden. [...] Der Grundsatz des Abs. 1 enthält mithin mehr eine Formel, welche die Ratio der Regelung offenlegt und so der Rechtsanwendung Hinweise gibt." 140 Vgl. die Übergangsregelung in § 131 Abs. 4 GWB. 141 S. unten S. 176 ff. 142 W. Möschel, Recht der Wettbewerbsbeschränkungen, 1983, Rdnr. 447. 143 Vgl. oben S. 139 ff. 144 S. unten bei der Untersuchung der entsprechenden Einzelbestimmungen. 145 S. hierzu bereits oben S. 146 f. 146 S. unten S. 348 ff.
154
3. Teil: Deutsches
5. Vergleich zum europäischen
Recht
Lizenzkartellrecht
Das europäische Lizenzkartellrecht geht im Vergleich zum deutschen Recht von gänzlich anderen Voraussetzungen aus. Art. 81 Abs. 1 EGV erfasst Wettbewerbsbeschränkungen in horizontalen und vertikalen Vereinbarungen, also auch solche in Lizenzverträgen, und unterwirft sie einem grundsätzlichen Verbot. Ausnahmen sind im Wege der Einzel- oder Gruppenfreistellung auf der Grundlage von Art. 81 Abs. 3 EGV möglich. 147 Die Gruppenfreistellungsverordnung Technologietransfer hat im Vergleich zu den beiden Vorgängerverordnungen einige Erleichterungen gebracht, so dass der Abstand zwischen europäischem und deutschem Recht (insbesondere nach dem Wegfall der vertikalen Preisbindung in Lizenzverträgen durch die 6. GWB-Novelle) kleiner geworden ist. So sind Nichtangriffsklauseln nicht mehr „schwarz", sondern nur noch „grau" gelistet, d.h. sie sind mit Art. 81 EGV vereinbar, wenn die Kommission nicht binnen vier Monate nach Anmeldung Widerspruch erhoben hat. Dennoch trifft nach wie vor die Einschätzung zu, dass Lizenzverträge im europäischen Recht strenger beurteilt werden als im deutschen Recht. 148 So führen beispielsweise Mengenbeschränkungen gem. Art. 3 Nr. 5 GFVO-TT zum Wegfall der Freistellung, während sie nach § 17 Abs. 1 S. 2 GWB ausdrücklich erlaubt sind. Auch sind die Anforderungen an Ausschließlichkeit und Gebietsschutz in der GFVO-TT bis ins Detail geregelt,149 während § 17 Abs. 1 S. 2 GWB eine pauschale Erlaubnis ausspricht. Folgerungen aus den Unterschieden zwischen europäischem und deutschem Recht können erst nach einem vollständigen Uberblick über das deutsche Kartellrecht des geistigen Eigentums gezogen werden. Da die §§17, 18 GWB nur einen Teilbereich, nämlich bestimmte Lizenzverträge regeln, ist zuvor auf die Bedeutung der allgemeinen Vorschriften für diesen Problemkreis einzugehen. II. Allgemeine
Vorschriften über Vertikalvereinbarungen:
§§ 14, 16 GWB
Auf Vertikalvereinbarungen außerhalb des Anwendungsbereichs der §§17, 18 GWB sind die allgemeinen Vorschriften, also die §§ 14, 16 GWB anzuwenden. Im Bereich des geistigen Eigentums betrifft dies einerseits Lizenzverträge über die in den §§17, 18 GWB nicht genannten Schutzrechte (z.B. Urheberrechte, Geschmacksmuster und Marken), 150 andererseits schutzrechtlich gestützte Wettbewerbsbeschränkungen außerhalb von Lizenzverträgen. Ungeschriebene Voraussetzung für die Anwendung der §§ 14, 16 GWB ist die Abwesenheit ho-
147 148 149 150
S. R. S. S.
u n t e n S. 334 ff. Bechtold, BB 1997, 1853 (1855). d a z u u n t e n S. 297. d a z u oben S. 139 f.
B. Deutsches Kartellrecht des geistigen
Eigentums
155
rizontaler Beziehungen, also eines Wettbewerbsverhältnisses zwischen den Parteien. 151 1. Preis- und
Konditionenbindungen
§14 GWB enthält das Verbot vertikaler Preis- und Konditionenbindung. Vor der 6. GWB-Novelle waren Preisbindungen in Lizenzverträgen gem. § 20 Abs. 2 Nr. 2 GWB a.F. erlaubt. Es wurde teilweise die Auffassung vertreten, dass diese Vorschrift auch außerhalb ihres Anwendungsbereichs im Zusammenhang mit Rechten des geistigen Eigentums entsprechend anwendbar sei, das allgemeine Verbot vertikaler Preisbindung insofern also zurückzustehen habe. 152 Die Streitfrage ist nunmehr obsolet. Das Verbot vertikaler Preisbindung auch für Lizenzverträge führt zu einem durchgängigen Preisbindungsverbot, das den gesamten Bereich des gewerblichen Rechtsschutzes und des Urheberrechts erfasst. 153 2.
Ausschließlichkeitsbindungen
Ausschließlichkeitsbindungen unterliegen in § 16 GWB einer bloßen Missbrauchsaufsicht. Das Vorliegen einer der in den Ziffern 1 bis 4 genannten Bindungen löst kein automatisches Verbot aus. N u r soweit „durch das Ausmaß solcher Beschränkungen der Wettbewerb [...] wesentlich beeinträchtigt wird", kann die Kartellbehörde ein Verbot aussprechen. Es ist nicht von vornherein ausgeschlossen, dass solche Missbräuche auch durch Beschränkungen begangen werden können, die den Inhalt des betreffenden Schutzrechts nicht übersteigen. So können beispielsweise territoriale Aufspaltungen durch ein marktmächtiges Unternehmen auf Bedenken stoßen. Die Inhaltstheorie der §§ 17, 18 GWB ist im Rahmen von § 16 GWB also nicht anwendbar. 154 Schon die Ausgestaltung nach dem Missbrauchsprinzip spricht dagegen. Die Vorschrift ermöglicht eine weitgehende Einbeziehung aller relevanten Gesichtspunkte, also auch 151
Dies ist der Grundsatz. Definiert man vertikale Bindungen als wettbewerbsbeschränkende Vereinbarungen zwischen Unternehmen einander vor- und nachgeordneter Wirtschaftsstufen und horizontale Bindungen als Vereinbarungen zwischen Unternehmen der gleichen Wirtschaftsstufe, ist auch eine Anwendung von § 1 G W B auf vertikale Bindungen und der § § 14, 16 GWB auf horizontale Bindungen möglich, nämlich wenn zwischen Unternehmen verschiedener Wirtschaftsstufen bestehender oder potentieller gegenseitiger Wettbewerb beschränkt wird, bzw. wenn Unternehmen gleicher Wirtschaftsstufe Beschränkungen in Austauschverträgen vereinbaren, die sich nicht auf das gegenseitige Wettbewerbsverhältnis beziehen. Vgl. hierzu W. Fikentscher, „Sonstige Verträge" im Gesetz gegen Wettbewerbsbeschränkungen, FS Alfred Hueck, 1959, S. 543 ff. und D. Zimmer, in Immenga! Mestmäcker, 3. Aufl. 2001, § 1 GWB Rdnr. 164 ff., 293 ff. 152 Nachweise bei V. Emmerich, in Immenga/Mestmäcker, 3. Aufl. 2001, §17 G W B Rdnr. 169 Fn. 387. 153 Kritisch R. Sack, W R P 1999, 592 (610). 154 Umstritten, Nachweis des Meinungsstands bei V. Emmerich, in Immenga/Mestmäcker, 3. Aufl. 2001, § 17 GWB Rdnr. 169.
156
3. Teil: Deutsches
Recht
immaterialgüterrechtlicher Wertungen, die eine rigide Grenzziehung nach Art der Inhaltstheorie überflüssig macht. Die Nichtberücksichtigung der Inhaltstheorie in den §§14, 16 GWB kann auch durch eine Parallele zum Sacheigentum veranschaulicht werden. Es ist anerkannt, dass das Sacheigentum nicht vom Verbot vertikaler Preisbindung (§14 GWB) freistellt. So verstoßen Miet- oder Pachtverträge über Sachen gegen § 14 GWB, wenn sie eine Preisbindung für Zweitverträge enthalten. 155 Auch gibt das Eigentumsrecht keine Befugnis dazu, dem Nießbraucher den Inhalt der von diesem mit Dritten geschlossenen Verträge vorzuschreiben. 156 Die gleichen Erwägungen gelten für die Missbrauchsaufsicht über Ausschließlichkeitsbindungen in § 16 GWB. Das Eigentumsrecht entzieht Beschränkungen auch dann nicht der kartellrechtlichen Aufsicht, wenn sie vom Inhalt des Eigentumsrecht gedeckt sind. 157 Es geht hier nicht um das Verbietungsrecht des Eigentümers, sondern um die Frage, welchen Inhalt die Gebrauchsüberlassungsvereinbarung haben darf. 158 Diese Überlegungen gelten in gleichem Maß für Sach- und geistiges Eigentum. Beide Eigentumsformen können zu Wettbewerbsbeschränkungen missbraucht werden. 159 Missbräuche werden in der Regel auf den Kern, und nicht etwa bloß auf die Peripherie eines Rechts gestützt. Die prinzipielle Nichtanwendung von Kartellrecht auf den Schutzrechtsinhalt würde gegenüber solchen Missbräuchen hilflos machen. III. Horizontale
Wettbewerbsbeschränkungen:
§§ 1 f f . GWB
§17 Abs. 4 GWB stellt klar, dass die Vorschriften über horizontale Wettbewerbsbeschränkungen unberührt bleiben. Das gleiche gilt - auch ohne ausdrückliche Klarstellung - für die §§ 14, 16 GWB. Zu einer Anwendung der Vorschriften über vertikale Wettbewerbsbeschränkung kann es also nur in Abwesenheit horizontaler Beziehungen kommen. Liegt eine horizontale Wettbewerbsbeschränkung vor, sind nur die §§ lff., nicht aber die §§ 14-18 GWB anwendbar. 160 155 M. Wolter, Frankfurter Kommentar § 15 GWB a.F. Rdnr. 51; W. Straub, Gemeinschaftskommentar § 15 GWB Rdnr. 248. 156 O L G München, WuW/E O L G 1789, 1792 „Flötzinger Bräu". Vgl. tf Emmerich, in Immenga/Mestmäcker, 3. Aufl. 2001, §14 GWB Rdnr. 40; Langen/Klosterfelde/Metzlaff, KartR, 9. Aufl. 2001, § 14 GWB Rdnr. 76. 157 Fikentscher/Straub, Gemeinschaftskommentar § 18 GWB Rdnr. 109 ff. 158 F. Rittner, Die Ausschließlichkeitsbindungen in dogmatischer und rechtspolitischer Betrachtung, 1957, S. 130; L a n g e n / K l o s t e r f e l d e / M e t z l a f f , KartR, 9. Aufl. 2001, §16 GWB Rdnr. 44. 159 V. Emmerich, in Immenga/Mestmäcker, 2. Aufl. 1992, § 18 GWB Rdnr. 76 (insoweit nicht mehr in 3. Aufl. 2001). 160 Verhältnis der Alternativität, so die h.M., s. z.B. V. Emmerich, Kartellrecht, 9. Aufl. 2001, S. 31; £ Rittner, Keine Doppelkontrolle für Vertikalvereinbarungen!, WuW 2000, 696 ff. und 1204 f.; L a n g e n / K l o s t e r f e l d e / M e t z l a f f , KartR, 9. Aufl. 2001, § 14 GWB Rdnr. 89. A.A. K.
B. Deutsches 1. Anwendbarkeit
von $ 1
Kartellrecht
des geistigen
Eigentums
157
GWB
Das entscheidende M e r k m a l für das Vorliegen einer horizontalen Beschränk u n g w a r nach der u r s p r ü n g l i c h e n Fassung des G W B das Vorliegen eines gem e i n s a m e n Z w e c k s . D i e s e s d e m G e s e l l s c h a f t s r e c h t ( § 705 B G B ) e n t l e h n t e M e r k m a l erfuhr eine eigenständige kartellrechtliche Deutung.161 Der B G H stellte in der „ F e r t i g b e t o n " - E n t s c h e i d u n g darauf ab, ob die Parteien „gleichgerichtete Interessen" verfolgen.162 Damit w a r entschieden, dass § 1 G W B auch auf A u s t a u s c h v e r t r ä g e a n w e n d b a r s e i n k a n n . W e g e n U n s c h ä r f e n d e s B e g r i f f s gingen Lehre163 u n d Rechtsprechung164 zu einer stärkeren A u s r i c h t u n g a m h o Schmidt, mwN.
Doppelkontrolle für Vertikalvereinbarungen nach dem GWB?, WuW 2000, 1199 ff.
Vgl. W. Fikentscher, Wirtschaftsrecht - Band II, 1983, S. 250 ff. BGHZ 68, 6 (10). 163 Nachweise bei U. Immenga, in Immenga/Mestmäcker, 2. Aufl. 1992, § 1 GWB Rdnr. 153. 164 BGH WuW/E BGH 2085 (2087) „Strohgäu-Wochenjournal". In den Entscheidungen „Druckgussteile" (14.1.1997, NJW 1997,2324; WuW/E BGH 3115) und „Bedside-Testkarten" (WuW/E BGH 3121; vgl. auch BGH, ZIP 1998, 1159, 1161) ging der BGH ausdrücklich vom Merkmal der gleichgerichteten Interessen ab. Dem Gesichtspunkt der Interessenverknüpfung komme keine entscheidende Bedeutung zu, weil diese nicht notwendig in innerem Zusammenhang mit der objektiven Wettbewerbsschädlichkeit der Vereinbarung stehe („Druckgussteile", NW 1997, 2324, 2325). Welche Formel an die Stelle der gleichgerichteten Interessen zu treten habe, machte der BGH allerdings nicht in wünschenswerter Klarheit deutlich. Er betonte die Notwendigkeit funktionaler Auslegung und stellte den Grundsatz auf: „Ein gemeinsamer Zweck i.S. des § 1 GWB liegt danach bei Austauschverträgen vor, wenn für die Wettbewerbsbeschränkung bei wertender Betrachtungsweise im Hinblick auf die Freiheit des Wettbewerbs ein anzuerkennendes Interesse nicht besteht." In aller Regel dienten Wettbewerbsbeschränkungen in Austauschverträgen dem Leistungsaustausch; ein gemeinsamer Zweck liege dann nicht vor, wenn die Wettbewerbsbeschränkung zur Erreichung des kartellrechtsneutralen Hauptzwecks des Vertrags sachlich geboten sei (ebenda). Im Fortgang der Argumentation stellt der BGH auch auf das Vorliegen potentiellen Wettbewerbs zwischen den Parteien des Austauschvertrags ab. 161
162
Der Gedankengang vermag wegen der Vermengung von Tatbestandsauslegung und Tatbestandsreduktion nicht zu überzeugen. Ein gemeinsamer Zweck soll vorliegen, wenn kein berechtigtes Interesse an der Wettbewerbsbeschränkung besteht. Das berechtigte Interesse, bzw. die Notwendigkeit der Beschränkung zur Erreichung des kartellrechtsneutralen Hauptzwecks, sind aber die Gesichtspunkte, unter denen eine Tatbestandsreduktion auf der Grundlage der Immanenztheorie anerkannt ist (s. dazu sogleich im Text). Eine Tatbestandsreduktion kann erst dann stattfinden, wenn die Reichweite des Tatbestands bestimmt wurde, also auch der Begriff des „gemeinsamen Zwecks" geklärt wurde. Die frühzeitige Einbringung immanenzrechtlicher Erwägungen wirkt zirkulär. Kritisch zum BGH auch H.-P. Schwintowski, WuW 1997, 769 (772 f.). Allgemein zum Rechtsprechungswandel s. Bundeskartellamt, Tätigkeitsbericht 1997/1998,1999, S. 37 f.; D. Seifert, Die kartellrechtliche Beurteilung von Wettbewerbsverboten in Lieferverträgen, FS Lieherknecht, 1997, S. 583 ff.; D. Zimmer, in Immenga/ Mestmäcker, 3. Aufl. 2001, § 1 GWB Rdnr. 171; Langen/.Bunte, KartR, 9. Aufl. 2001, § 1 GWB Rdnr. 92 f. Die Neufassung von § 1 GWB durch die 6. GWB-Novelle gibt nun folgende Prüfungsfolge zwingend vor: Zunächst ist zu klären, ob die Vertragspartner „miteinander im Wettbewerb stehen", wobei aktueller oder potentieller Wettbewerb ausreicht, und ob dieser Wettbewerb
158
3. Teil: Deutsches
Recht
rizontalen Charakter der Vereinbarung über. Entscheidend wurde, ob aktueller oder potentieller Wettbewerb zwischen den Parteien beschränkt wird. 165 Die 6. GWB-Novelle hat mit Wirkung zum 1.1.1999 die Gesetzesfassung an diese Entwicklung angepasst. § 1 GWB ist nun auf „Vereinbarungen zwischen miteinander im Wettbewerb stehenden Unternehmen" anwendbar. 166 Durch die Streichung des „gemeinsamen Zwecks" wurde auch der letzte Anklang an die gesellschaftsrechtlichen Wurzeln des Kartellbegriffs beseitigt. 167 Im übrigen erfolgte eine weitgehende Anpassung an den Wortlaut von Art. 81 Abs. 1 EGV. 168 Der Theorienstreit zu § 1 GWB a.F. in Bezug auf das Verhältnis von Vertrag und Wettbewerbsbeschränkung zwischen Gegenstands-, Zweckund Folgetheorie wurde in Anlehnung an europäisches Recht aufgelöst. Die Gegenstandstheorie war aufgrund ihrer engen Verbindung zu einem gesellschafts-, bzw. organisationsrechtlichen Ansatz ohnehin nicht mehr plausibel. Nach der ZVN-Entscheidung des BGH 1 6 9 wurde sie auch in der Literatur aufgegeben. 170 Nach der ausdrücklichen gesetzlichen Regelung gelten nun alternativ Zweck- und Folgetheorie. Man wird annehmen dürfen, dass die Folgetheorie nicht in ihrer extremen Spielart, sondern in der eingeschränkten Variante gemeint ist, also darauf abzustellen ist, ob es aufgrund der Vereinbarung generell und typischerweise zu einer Verringerung des Wettbewerbs kommt. 1 7 1 Schließlich wurde in § 1 GWB n.F. das Merkmal „Eignung zur Beeinflussung der Erzeugung oder der Marktverhältnisse" gestrichen. Das Merkmal verband den Vertrag und die Wettbewerbsbeschränkung: Der Vertrag, bzw. der Beschluss musste überhaupt geeignet sein, den Wettbewerb zu beschränken. 172 Die Umformulierung des Gesetzestexts führt zu keinen sachlichen Änderun-
beschränkt wurde. In einem zweiten Schritt ist zu klären, ob unter immanenzrechtlichen Gesichtspunkten eine Ausnahme vom Kartellverbot zu machen ist. Gerade für Austauschverträge muss hervorgehoben werden, dass nicht beliebige Beschränkungen für die Anwendbarkeit des Kartellverbots ausreichen. Die Beschränkung muss sich vielmehr gerade auf das gegenseitige Wettbewerbsverhältnis beziehen; Einschränkungen von Drittwettbewerb reichen nicht aus: R. Bechtold, BB 1997, 1853, 1854; D. Zimmer, in Immenga! Mestmäcker, 3. Aufl. 2001, § 1 GWB Rdnr. 177, 181; speziell im Hinblick auf Lizenzverträge R. Sack, WRP 1999, 592 (600). 165 H. Köhler, Wettbewerbsverbote bei Veräußerung und Stillegung von Unternehmen in kartellrechtlicher Sicht, Z H R 148 (1984), 487 (489 f.). 166 S. hierzu Th. Baums, GWB-Novelle und Kartellrecht, ZIP 1998, 233 (234 f.); H.-J. Bunte, Abschied vom „gemeinsamen Zweck" und den „gleichgerichteten Interessen"?, WuW 1997, 857 (862 f.); M. Wellenhofer-Klein, Das neue Kartellverbot und seine Abgrenzung zu den Vertikalvereinbarungen, WuW 1999, 557 ff. 167 H. Köhler, Zulässigkeit von Wettbewerbsbeschränkungen beim Energievertrieb, WuW 1999, 445 (449). 168 Zum Begriff der Wettbewerbsbeschränkung s.u. S. 348 ff. 169 B G H Z 65, 30. 170 Langen/Bunte, KartR, 9. Aufl. 2001, § 1 GWB Rdnr. 162. 171 D. Zimmer, in Immenga!Mestmäcker, 3. Aufl. 2001, § 1 GWB Rdnr. 248 ff. 172 Zu den Hintergründen s. W. Fikentscher, Wirtschaftsrecht, Band II, 1983, S. 256.
B. Deutsches
Kartellrecht
des geistigen
Eigentums
159
g e n . 1 7 3 D a s M e r k m a l d e r E i g n u n g g e h t h e u t e in d e r a l t e r n a t i v a n g e o r d n e t e n Z w e c k - u n d Folgetheorie auf. N u r Verträge, die zur B e s c h r ä n k u n g des Wettbew e r b s g e e i g n e t s i n d , k ö n n e n in e i n e m n ä c h s t e n S c h r i t t d a r a u f h i n u n t e r s u c h t w e r d e n , ob die W e t t b e w e r b s b e s c h r ä n k u n g Z w e c k oder Folge des Vertrags ist.174 2. Verhältnis
von § 1 GWB
zu den 0
17, 18
GWB
Die Vorschriften über Kartell- und Vertikalvereinbarungen schließen einander a u s . D a s A b g r e n z u n g s k r i t e r i u m ist n a c h d e r 6. G W B - N o v e l l e d a s B e s t e h e n , bzw. die A b w e s e n h e i t aktuellen oder potentiellen W e t t b e w e r b s z w i s c h e n den Parteien. § 1 G W B u n d die § § 17,18 G W B stehen damit z u e i n a n d e r i m Verhältn i s d e r A l t e r n a t i v i t ä t , n i c h t d e r S p e z i a l i t ä t . 1 7 5 A u f d e n V e r t r a g s t y p u s k o m m t es n i c h t an. A u c h V e r e i n b a r u n g e n in A u s t a u s c h v e r t r ä g e n k ö n n e n d e r E i n s c h r ä n k u n g g e g e n s e i t i g e n W e t t b e w e r b s d i e n e n . 1 7 6 D i e s ist b e i s p i e l s w e i s e d e r F a l l , w e n n U n t e r n e h m e n unterschiedlicher Wirtschaftsstufe eine Vereinbarung treff e n , in d e r sie e i n e n p r i n z i p i e l l z w i s c h e n i h n e n m ö g l i c h e n W e t t b e w e r b f ü r d i e Z u k u n f t a u s s c h l i e ß e n . 1 7 7 D i e A b s c h n i t t s ü b e r s c h r i f t ü b e r d e n § § 14ff. G W B ist insofern unzutreffend.178
173 So auch Chr. Bahr, Die Verhinderung, Einschränkung oder Verfälschung des Wettbewerbs in § 1 GWB, WuW 2000, 954 (958 f.); D. Zimmer, in Immenga/Mestmäcker, 3. Aufl. 2001, § 1 GWB Rdnr. 256 m.w.N. 174 Das Merkmal der „Eignung zur Beeinflussung der Erzeugung oder der Marktverhältnisse" ist streng zu unterscheiden vom Merkmal der Spürbarkeit der Wettbewerbsbeschränkung. Auf der Grundlage des subjektiven Marktbegriffs kommt W. Fikentscher (Wirtschaftsrecht, Band II, 1983, S. 212 ff.) zur Entbehrlichkeit des Spürbarkeitsmerkmals. V. Emmerich (Kartellrecht, 7. Aufl. 1994, S. 77) hält zumindest bei bezweckten Wettbewerbsbeschränkungen eine Marktfolgenprüfung für überflüssig. Vgl. auch U. Immenga, Begriffliches zur Wettbewerbsbeschränkung, ZHR 148 (1984) 268 ff. Zum Spürbarkeitskriterium im europäischen Recht s. unten S. 368 ff. 175 St. Schaub, Frankfurter Kommentar §20 GWB a.F. Rdnr. 304; L a n g e n / B r ä u t i g a m , KartR, 9. Aufl. 2001, § 17 GWB Rdnr. 147; R. Sack, WRP 1999, 592 (600); a.A. O. Axster, Gemeinschaftskommentar (3. Aufl. 1978), Anhang zu § § 20,21 GWB Rdnr. 6. S. H. Ullrich einerseits (ZHR 137 (1973), 70, 80 f.), U. Dreiss andererseits (oben Fn. 31, S. 140 ff.). 176 Die Beziehungen zwischen Lizenzgeber und Lizenznehmer werden häufig zwischen Interessengegensätzlichkeit und Interessenidentität changieren. W. Möschel (Recht der Wettbewerbsbeschränkungen, 1983, Rdnr. 443) nennt die Frage der Abgrenzung horizontaler und vertikaler Beschränkungen in Lizenzverträgen denn auch „eine der schwierigsten Rechtsanwendungsfragen innerhalb des GWB überhaupt". 177 Ein anderes Beispiel ist der beiderseits ausschließliche Verbandsverkehr. Zu dieser schon unter der Kartellverordnung als Vertikalkartell beurteilten Erscheinungsform s. W. Fikentscher, „Sonstige Verträge" im Gesetz gegen Wettbewerbsbeschränkungen, FS Alfred Hueck, 1959, abgedruckt in: ders., Recht und wirtschaftliche Freiheit, 1. Band, S. 247 (252). 178 S. hierzu bereits oben Fn. 151.
160
3. Teil: Deutsches
3. Horizontale Beschränkungen des geistigen Eigentums
Recht
im Zusammenhang
mit Rechten
Typische Vereinbarungen „zwischen miteinander im Wettbewerb stehenden Unternehmen" i.S. von § 1 GWB sind Patent- oder Know-how-Gemeinschaften 179 sowie die gemeinsame Markennutzung. 1 8 0 Bei Patent- oder Know-howGemeinschaften {„patent pools") wird eine geschützte oder nicht geschützte, aber geheime Technologie in eine Gemeinschaft eingebracht und zusammen genutzt. Die gemeinsame N u t z u n g von Marken erfolgt in der Regel auf der Basis von Kollektivmarken oder Gütezeichen. Solche Gemeinschaften weisen in der Regel daraufhin, dass die Vertragspartner aktuell oder zumindest potentiell in Wettbewerb zueinander stehen, § 1 GWB also prinzipiell anwendbar ist. Problematischer sind die Fälle, in denen auf den ersten Blick nicht horizontale Beziehungen bestehen, sondern ein Austauschvertrag vorliegt. Nach den allgemeinen Regeln ist nicht die Art des Vertrages von Bedeutung; es kommt vielmehr darauf an, ob ein Wettbewerbsverhältnis zwischen den Parteien besteht, eine Beschränkung vorliegt, und sich diese Beschränkung gerade auf das gegenseitige Wettbewerbsverhältnis bezieht. 181 Diese Voraussetzungen werden bei Uber-Kreuz-Lizenzen oder bei ganzen Lizenzsystemen häufig vorliegen. 182 Ein solcher Technologieaustausch wird nämlich in der Regel zum gleichen Ergebnis wie eine Patentgemeinschaft, nämlich der gemeinsamen Nutzung aller eingebrachten Technologien führen. 1 8 3 4. Begriff der
Wettbewerbsbeschränkung
Die 6. GWB-Novelle hat den Begriff der „Beschränkung des Wettbewerbs" durch die „Verhinderung, Einschränkung oder Verfälschung des Wettbewerbs" ersetzt und damit an den Wortlaut von Art. 81 Abs. 1 EGV angeglichen. Auch wenn im deutschen Recht keine Pflicht besteht, diese Begriffe identisch mit europäischem Recht auszulegen, 184 kann auf die europäischen Erfahrungen mit 179 O. Axster, Gemeinschaftskommentar (3. Aufl. 1978), Anhang zu § § 2 0 , 21 GWB Rdnr. 1 ff, insbesondere 23 ff.; Langen/Bunte, KartR, 9. Aufl. 2001, § 1 GWB Rdnr. 300. 180 Hierzu W. Kartte, Die gemeinschaftliche Nutzung von Warenzeichen im Spannungsfeld zwischen GWB und Warenzeichenrecht, FS Quack, 1991, S. 609 ff. 181 Vgl. oben Fn. 164. 182 Ein Beispiel für ein Kartell durch ein System von Warenzeichenlizenzen ist O L G Hamburg, WuW/E O L G 1724 - Miniaturgolfanlagen. 183 Der horizontale Charakter solcher Vertragskonstruktionen hat dazu geführt, dass die Uber-Kreuz-Lizenzen im europäischen Recht aus dem Anwendungsbereich der Gruppenfreistellungsverordnung Technologietransfer herausgenommen wurden (Art. 5 Abs. 1 Nr. 3 der Verordnung). Zusammenhängende Lizenzsysteme geraten deshalb nicht in den Anwendungsbereich der Verordnung, weil die Freistellung gem. Art. 1 Abs. 1 G F V O - T T nur solchen Vereinbarungen zugute kommt, an denen nur zwei Unternehmen beteiligt sind. Zu dieser Voraussetzung s. E u G H , 12.7.1984, Hydrotherm/Compact, Rs. 170/83, Slg. 1984, 2999 (3016 Tz.10-12). 184 Im Gegensatz zum italienischen Kartellgesetz („Norme per la tutela della concorrenza
B. Deutsches
Kartellrecht
des geistigen
Eigentums
161
diesen Termini nicht verzichtet werden.185 Die nähere Auseinandersetzung mit dem Beschränkungsbegriff bleibt daher der Darstellung zum europäischen Recht vorbehalten, auf die in diesem Zusammenhang zu verweisen ist. 186 5. Ausnahmen Inhalts- und
vom Kartellverbot Immanenztheorie
und
Tatbestandsrestriktionen:
Das G W B enthält in den §§ 2 bis 8 ausdrückliche Ausnahmen vom Kartellverbot. 187 Die 6. GWB-Novelle hat die Liste der Ausnahmen deutlich gestrafft.188 Neu hinzugetreten ist in § 7 unter der Uberschrift „Sonstige Kartelle" ein Tatbestand, der sich an Art. 81 Abs. 3 EGV anlehnt. Lediglich Einzelfreistellungen, keine Gruppenfreistellungen, sind nach dieser Vorschrift möglich. Die Voraussetzungen für eine solche Freistellung wurden im Vergleich zu Art. 81 Abs. 3 EGV modernisiert und gestrafft. So sind Freistellungen nicht nur „zur Verbesserung der Warenerzeugung oder -Verteilung oder zur Förderung des technischen oder wirtschaftlichen Fortschritts" (Art. 81 Abs. 3 EGV), sondern auch zur Verbesserung der Beschaffung, Rücknahme oder Entsorgung von Waren oder Dienstleistungen möglich. 189 Bevor allerdings eine ausdrückliche Ausnahme vom Kartellverbot erforderlich wird, ist zu klären, ob die Voraussetzungen für ein Kartellverbot überhaupt vorliegen. Im Zusammenhang mit Rechten des geistigen Eigentums sind e del mercato", Legge 10 ottobre 1990, n.287, Gazzetta Ufficiale 13 ottobre 1990, n.240), das die Auslegung nationalen Rechts in Art. 1 Abs. 4 an die europäischen Vorgaben bindet: „L'interpretazione delle norme contenute nel presente titolo è effettuata in base ai principi dell'ordinamento delle Comunità europee in materia di disciplina della concorrenza." S. hierzu Chr. Stangl, Das neue italienische Kartellgesetz aus dem Jahre 1990, 1996, S. 73 ff. 185 Allerdings existiert eine Abweichung zwischen europäischem und deutschen Recht in Bezug auf den sog. Drittwettbewerb. Da § 1 G W B eine Koordinierung „zwischen miteinander im Wettbewerb stehenden Unternehmen" verlangt, und zwar gerade in Bezug auf das Wettbewerbsverhältnis (s.o. Fn. 164), kann im deutschen Recht auf keinen Fall, auch nicht über den Begriff der Wettbewerbsverfälschung die Einschränkung von Drittwettbewerb in das Kartellverbot einbezogen werden, so zu Recht D. Zimmer, in Immenga!Mestmäcker, 3. Aufl. 2001, § 1 G W B Rdnr. 197. 186 S. unten S. 348 ff. Zu den verbleibenden Abweichungen zwischen § 1 G W B und Art. 81 Abs. 1 E G V s. Chr. Bahr (oben Fn. 173), S. 954 ff. 187 Der Gesetzgeber des G W B von 1957 entschied sich für ein System genau begrenzter Einzelausnahmen vom Kartellverbot. Er reagierte damit auf eine zu weitgehende Auslegung der nach alliiertem Dekartellierungsrecht geltenden rule of reason durch den B G H (z.B. in B G H Z 3, 193, 198; 5, 71, 73 f.); s. hierzu W. Fikentscher, Wirtschaftsrecht, Band II, 1983, S. 218 ff. Der neue § 7 G W B bricht mit dieser Tradition, und führt eine rule of reason-inspirierte Generalausnahme ein, die allerdings von einer Freistellungsentscheidung durch die Kartellbehörde abhängt. 188 Beseitigt wurde auch das unübersichtliche Nebeneinander von anmeldefreien Kartellen, Anmeldekartellen, Widerspruchskartellen und Erlaubniskartellen. Neben einem verbleibenden Anmeldekartell (§ 4 Abs. 2 G W B , früher anmeldefrei) existieren jetzt nur noch Widerspruchskartelle (§ § 2 bis 4 Abs. 1 G W B ) und Erlaubniskartelle (§ § 5 bis 8 G W B ) . 189 Zum Verhältnis der Vorschrift über „Sonstige Kartelle" zu den speziellen Ausnahmen vom Kartellverbot s. § 7 Abs. 2 G W B .
162
3. Teil: Deutsches
Recht
Tatbestandsrestriktionen auf der Grundlage der Inhaltstheorie (a) und der Immanenztheorie (b) denkbar. a)
Inhaltstheorie
Die Geltung der Inhaltstheorie wird in den §§ 17, 18 GWB nur für Vertikalvereinbarungen angeordnet. Eine Erstreckung auch auf horizontale Beschränkungen würde zu einer Ausnahme vom Kartellverbot für Verhaltensweisen führen, die vom Inhalt des Schutzrechts gedeckt sind. Beispielsweise wäre die horizontale Koordinierung von Absatzgebieten möglich, da der geographische Geltungsbereich dem Schutzrechtsinhalt zugewiesen ist (vgl. §17 Abs. 1 S. 2 GWB). Dem Standpunkt dieser Arbeit entspricht es, die Inhaltstheorie aufgrund ihrer konzeptionellen Schwäche nicht außerhalb ihres gesetzlich angeordneten Geltungsbereichs auszudehnen. 190 Diese Aussage gilt in ganz besonderem Maß für horizontale Beschränkungen. Der Sinn von Ausschließlichkeitsrechten besteht nicht darin, das Wettbewerbsverhalten miteinander konkurrierender Schutzrechtsinhaber zu koordinieren. Auch schutzrechtsgedeckte Strategien sind auf ihre Wettbewerbskonformität zu untersuchen; Rechte des geistigen Eigentums können ebenso gut wie das Sacheigentum oder andere Handlungsbefugnisse zur Beschränkung des Wettbewerbs eingesetzt werden. Die Anwendung von § 1 GWB wird nicht dadurch ausgeschlossen, dass die betreffende Verhaltensweise vom Inhalt des Schutzrechts gedeckt ist. Immaterialgüterrechtliche Wertungen sind vielmehr in den Begriff der Wettbewerbsbeschränkung einzubringen. 191 Diesem Standpunkt entspricht die Entscheidung des B G H in der Rechtssache „Golden Toast". 192 „Golden Toast" war zum Entscheidungszeitpunkt ein Warenzeichenverband im Sinne des alten Warenzeichengesetzes. 193 Das Ver190
S. o. S. 153. Nachweis des Streitstands bei W. Kante (oben Fn. 180), S. 615 ff. Ferner M. Kretzer, Immanenztheorien im Kartellrecht, 1992, S. 75 f., der am Beispiel des Urheberrechts die Inhaltstheorie auch bei § 1 GWB vertritt. 191 Näher hierzu s. unten im Zusammenhang mit dem europäischen Recht S. 348 ff. 192 B G H , 12.3.1991, N J W 1991, 3152. 193 WZG, in der Fassung der Bekanntmachung vom 2.1.1968 (BGBl. I S. 29 mit zahlreichen Änderungen). Das W Z G wurde mit Wirkung vom 1.1.1995 durch das Markengesetz (BGBl. 1994 I S. 3082, mit Änderungen) abgelöst. „Golden Toast" wäre nach geltendem Recht eine Kollektivmarke i.S. der § § 97 ff. MarkenG, welche die Vorschriften über Verbandszeichen i.S. der § § 17 ff. W Z G ersetzt haben. Inhaber der Kollektivmarke muss gem. § 98 MarkenG ein rechtsfähiger Verein sein. Die gem. § 102 MarkenG obligatorische Markensatzung kann nach Abs. 2 Nr. 5 der Vorschrift Bedingungen für die Benutzung der Kollektivmarke enthalten. Diese Bedingungen können auch die Qualität betreffen (vgl. § 97 Abs. 1 MarkenG a.E. und Ingerl/Rohnke § 97 MarkenG Rdnr. 6). Die amtliche Begründung zu § 102 MarkenG lautet (abgedruckt in A. von Mühlendahl, Deutsches Markenrecht, 1995, S. 107 ff., 225): „Im Hinblick darauf, daß die Markensatzung auch Bestimmungen für die Benutzung der Kollektivmarke enthalten muß, können als Kollektivmarken auch solche Marken geschützt werden, die herkömmlich als Garantiemarken oder Gütezeichen bezeichnet werden. Es bleibt dabei der Entscheidung des Verbandes überlassen, ob er durch die Aufstellung von Qualitätsvorschrif-
B. Deutsches
Kartellreckt
des geistigen
Eigentums
163
bandszeichen (heute: „Kollektivmarke" 1 9 4 ) „Golden Toast" bezog sich auf Toast-Brot und andere Brot- und Backwaren. Den regional tätigen Mitgliedern sollte ermöglicht werden, ein qualitativ hochwertiges Produkt herzustellen, das bundesweit unter einem einheitlichen Warenzeichen in den Verkehr gebracht werden konnte. Die Zeichensatzung enthielt territoriale Beschränkungen: Das Warenzeichen ,Golden Toast' durfte nur in den jeweils von der Mitgliederversammlung zugewiesenen Gebieten verwendet werden. Verstöße wurden mit Konventionalstrafen geahndet. In Abkehr von der „Platzschutz"-Entscheidung 1 9 5 sah der B G H in einer solchen territorialen Marktaufteilung einen Verstoß gegen § 1 GWB. Den Ausgangspunkt der Argumentation fasste der B G H wie folgt: „Diese Gebietsschutzbestimmungen der Zeichensatzung sind dem A n w e n d u n g s b e r e i c h des § 1 G W B nicht deshalb entzogen, weil sie die B e n u t z u n g von Verbandszeichen i. S. der § § 17-23 W Z G regeln. Das Kartellgesetz hat allerdings gewerbliche Schutzrechte w i e das Verbandszeichen als Rechtsinstitut u n b e r ü h r t gelassen [ . . . ] . Dies bedeutet jedoch nicht, daß B e s c h r ä n k u n g e n des Wettbewerbs, die mit Hilfe eines Verbandszeichens b e w i r k t werden, von den Vorschriften des Kartellgesetzes nicht erfaßt w e r d e n können. Eine besondere Ausgestaltung einer Verbandszeichensatzung ist ebenso w i e die A u s ü b u n g von W a r e n z e i chenrechten nicht allein deshalb kartellrechtlich unbedenklich, weil ihr - w i e einer Gebietsschutzregelung der vorliegenden Art - das Warenzeichengesetz nicht entgegensteht [ . . . ] . Es ist vielmehr zu fragen, ob eine solche Regelung der B e n u t z u n g des Verbandszeichens erforderlich ist, u m dieses in seinem Bestand u n d in seiner v o m W a r e n z e i c h e n g e s e t z geschützten F u n k t i o n zu erhalten." 1 9 6
Der Inhaltstheorie wurde eine deutliche Absage erteilt. Diese Absage erfolgte zwar im Zusammenhang mit § 1 GWB und einem Verbandszeichen. Die oben zitierte Argumentation erstreckt sich ihrem Sinn nach aber auf das gesamte Verhältnis von Kartellrecht und Immaterialgüterrecht. Die Tatsache, dass eine bestimmte Verhaltensweise immaterialgüterrechtlich gedeckt ist, stellt nicht von der Anwendung des Kartellgesetzes frei. Die entscheidende Frage wird darin gesehen, ob die betreffende Vereinbarung erforderlich ist, um das Schutzrecht in Bestand und Funktion zu erhalten. 1 9 7 Die Verwendung des Begriffspaars von Bestand und Ausübung sowie der Verweis auf die Funktion des Schutzrechts knüpft an europäisches Kartellrecht ten usw. eine Kollektivmarke zu einem Gütezeichen ausgestalten möchte." Der Begriff des Gütezeichen ist kein markenrechtlicher Terminus; er w i r d aber in dem skizzierten Sinn in § 20 Abs. 6 G W B verwendet. Nach dieser Vorschrift kann eine Gütezeichengemeinschaft zur A u f nahme neuer Mitglieder verpflichtet sein. S. hierzu den Tätigkeitsbericht des Bundeskartellamts 1993/94, S. 33: „Die Verleihung eines Gütezeichens darf generell nur von objektiv nachprüfbaren Qualitätsmerkmalen eines Produktes abhängig gemacht werden." 194 Allgemein zu Kollektivmarken und Gütezeichen s. U. Michalsky, Die M a r k e in der Wettbewerbsordnung, 1996, S. 69 ff. 195 B G H , WuW/E 1293 (1297). 196 B G H , 12.3.1991, N J W 1991, 3152 f. 197 Zustimmend W. Kartte (oben Fn. 180), S. 619.
164
3. Teil: Deutsches
Recht
an.198 D i e U n t e r s c h e i d u n g von Bestand und A u s ü b u n g dient dort nicht der B e grenzung, s o n d e r n der B e g r ü n d u n g für die A n w e n d u n g v o n K a r t e l l r e c h t auf I m m a t e r i a l g ü t e r r e c h t e . G e r a d e i m Z u s a m m e n h a n g mit M a r k e n r e c h t stellt der E u G H auch auf funktionale E r w ä g u n g e n a b . 1 9 9 I n d e m der B G H diese Vorgab e n ü b e r n i m m t , lehnt er j e d e n F o r m a l i s m u s u n d A u t o m a t i s m u s für die K o n f l i k t l ö s u n g a b . N i c h t d e r I n h a l t , s o n d e r n d i e F u n k t i o n des j e w e i l i g e n S c h u t z r e c h t s ist b e i d e r A u s l e g u n g d e s e i n s c h l ä g i g e n k a r t e l l r e c h t l i c h e n T a t b e s t a n d s z u berücksichtigen.200 I m k o n k r e t e n Fall steht die F u n k t i o n des V e r b a n d s z e i c h e n s n a c h A u f f a s s u n g des B G H d e r A n w e n d u n g v o n § 1 G W B n i c h t e n t g e g e n . D i e G e b i e t s s c h u t z r e g e l u n g sei n i c h t e r f o r d e r l i c h , u m die H e r k u n f t s f u n k t i o n des V e r b a n d s z e i c h e n s zu erhalten; eine Q u a l i t ä t s f u n k t i o n k o m m e d e m W a r e n z e i c h e n nicht zu.201 U n t e r d e m n e u e n M a r k e n g e s e t z ist l e t z t e r e A u s s a g e z w a r u m s t r i t t e n . 2 0 2 A u c h b e i E i n b e z i e h u n g d e r Q u a l i t ä t s f u n k t i o n w ü r d e s i c h das E r g e b n i s des B G H
aber
n i c h t ä n d e r n : P r o d u k t u n t e r s c h i e d e z w i s c h e n d e n M i t g l i e d e r n des I n h a b e r s e i ner K o l l e k t i v m a r k e k ö n n e n auch bei einheitlichem Z e i c h e n g e b r a u c h kenntlich gemacht werden. E i n e A b g r e n z u n g der Vertriebsgebiete wäre zu diesem Z w e c k nicht erforderlich.203
1 9 8 Zur Unterscheidung von Bestand und Ausübung s.u. S. 195 ff., 238 f., 291 ff.; zur Funktion des Schutzrechts, insbesondere des Markenrechts s.u. S. 245. 1 9 9 Zu den Grenzen funktionalen Denkens für den vorliegenden Problemkreis s. allerdings unten S. 245 ff. 2 0 0 Kritisch hierzu U. Michalsky, Die Marke in der Wettbewerbsordnung, 1996, S. 117 f.: Der B G H habe in Bezug auf das Markenrecht höhere Anforderungen an die Reduktion von § 1 G W B gestellt als nach allgemein immanenzrechtlichen Kriterien üblich. Selbst wenn man diese Einschätzung teilt, kann die Abweichung mit einer Angleichung an die europäische Rechtslage erklärt werden. 2 0 1 B G H , N J W 1991, 3252 (3153). 2 0 2 Die amtliche Begründung zu den § § 24 und 30 MarkenG (abgedruckt in A. von Mühlendahl, Deutsches Markenrecht, 1995, S. 107 ff., 168, 178) geht von einer rechtlich anerkannten Qualitätsfunktion aus, s. insbesondere den Wortlaut von § 24 Abs. 2 a.E. und § 30 Abs. 2 Nr. 5 MarkenG; ablehnend allerdings J. Drexl, Die wirtschaftliche Selbstbestimmung des Verbrauchers, 1998, S. 596 ff. Zu den Funktionen der Marke vgl. auch K.-H. Fezer, MarkenG Einl Rdnr. 30 ff. 2 0 3 Die „Golden Toast"-Entscheidung bezieht sich auf horizontale Wettbewerbsbeschränkungen und damit auf § 1 G W B . Nach der hier vertretenen Auffassung wäre der Gedankengang für vertikale Beschränkungen in Markenlizenzverträgen aber kein anderer. Zwar ordnet § 30 Abs. 1 MarkenG (nach Vorbild von § 15 Abs. 2 S. 1 PatG) an, dass territorial beschränkte Lizenzen erteilt werden können. § 30 Abs. 2 Nr. 4 MarkenG stellt klar (insoweit deutlicher als § 1 5 Abs. 2 S. 2 PatG), dass die Rechte aus der Marke gegen lizenzwidrige Verstöße gegen solche territorialen Beschränkungen geltend gemacht werden können. § 17 G W B , der Gebietsbeschränkungen der kartellrechtlichen Aufsicht entzieht, ist aber auf Markenlizenzen nicht anwendbar (s.o. S. 140), so dass die allgemeine Missbrauchsaufsicht über Ausschließlichkeitsbindungen gem. § 16 G W B einschlägig ist. § 16 G W B ermöglicht eine vollständige Berücksichtigung der Marktverhältnisse; an Stelle einer apriorischen Freistellung tritt die Berücksichtigung des gesamten rechtlichen und wirtschaftlichen Umfelds der Gebietsschutzregelung.
B. Deutsches
Kartellrecht
des geistigen
Eigentums
165
Festzuhalten ist also, dass es gegenüber § 1 G W B keinen Vorrang des Immaterialgüterschutzes nach A r t der Inhaltstheorie gibt. 2 0 4 Andererseits existiert auch kein Vorrang des Kartellrechts v o r dem Immaterialgüterrecht. Nach A u f fassung des B G H sind etwaige K o n f l i k t e durch eine Einschränkung v o n § 1 G W B zum Schutz v o n Bestand und Funktion des jeweiligen Schutzrechts zu lösen. b)
Immanenztheorie
Die Argumentation des B G H enthält Anklänge an die Immanenztheorie. Diese ist nicht mit der Inhaltstheorie zu verwechseln. D e r Hauptunterschied z u r Inhaltstheorie besteht in deren Schematismus. W ä h r e n d die Inhaltstheorie pauschal alle schutzrechtsgedeckten Strategien v o m Kartellverbot ausnimmt, macht die Immanenztheorie die Prüfung weiterer Voraussetzungen wie z.B. der „Notwendigkeit" erforderlich. 2 0 5 Nach der Immanenztheorie w i r d das Kartellverbot im Fall eines Konflikts mit einem anerkannten Rechtsinstitut des Privatrechts, das als solches wettbewerbsneutral ist, zurückgenommen, soweit beschränkende Nebenabreden notwendig sind, um das Funktionieren dieses privatrechtlichen Instituts zu gewährleisten. 2 0 6 Methodisch handelt es sich bei der Immanenztheorie um eine teleologische Reduktion v o n § 1 G W B , die jeweils so weit wie die „Notwendigkeit" der Beschränkung reicht. 2 0 7 A u f dieser G r u n d lage w e r d e n beispielsweise Ausnahmen vom Kartellverbot f ü r Wettbewerbs-
204 R. Bechtold, Die Entwicklung des deutschen Kartellrechts seit Anfang 1990, NJW 1993, 1896(1897). 205 W. Möschel, Recht der Wettbewerbsbeschränkungen, 1983, Rdnr. 462. Vgl. auch die Ausführungen im Zusammenhang mit dem europäischen Recht unten S. 411 ff. 206 Die Immanenztheorie wurde von E. Steindorff zunächst zum europäischen Kartellverbot entwickelt, und dann (in BB 1977, 569 ff.) auch für das deutsche Recht fruchtbar gemacht (s. unten S. 411 f.). S. hierzu D. Zimmer, in Immenga/Mestmäcker, 3. Aufl. 2001, § 1 GWB Rdnr. 271 ff.; H. Köhler, ZHR 148 (1984) 487, 491. Zum Ursprung der Immanenztheorie aus dem Zusammenhang mit dem Wettbewerbsverbot der Handelsvertreter s. F. Rittner, Keine Doppelkontrolle für Vertikalvereinbarungen!, WuW 2000, 696 (699 f.). Speziell zu den immaterialgüterrechtlichen Bezügen s. H. Köhler, Kartellrechtliche Grenzen der Warenzeichenverwertung, 1991, S. 39 (44 ff.); U. Michalsky, Die Marke in der Wettbewerbsordnung, 1996, S. 30 ff. 207 K Schmidt, Kartellverbot und „sonstige Wettbewerbsbeschränkungen", 1978, S. 80: Die Tatbestandsreduktion sollte nicht dadurch verschleiert werden, dass das Vorliegen von Tatbestandsmerkmalen negiert wird. Vgl. auch M. Kretzer, Immanenztheorien im Kartellrecht, 1992. Kretzers Kritik an der Immanenztheorie als „methodische Fehlentwicklung im Wirtschaftsrecht" (so der Untertitel seiner Arbeit) betrifft nicht die Ergebnisse der Immanenztheorie, sondern deren vermeintlichen Anspruch auf Selbständigkeit. Kretzer möchte die immanenzrechtlichen Einschränkungen als bloßen Unterfall einer teleologischen Reduktion verstanden wissen. Dies entspricht einer modernen Sicht der Immanenztheorie (s. z.B. U. Immenga, in Immenga!Mestmäcker, 2. Aufl. 1992, § 1 GWB Rdnr. 164; s. allerdings auch Rdnr. 165: „Eine dogmatische Begründung der Immanenztheorie ist noch nicht abschließend gelungen.").
166
3. Teil: Deutsches
Recht
verböte der Gesellschafter (nach §112 HGB), der Handelsvertreter (nach § 90a H G B ) oder beim Unternehmenskauf gemacht. 2 0 8 Da die Immanenztheorie ganz allgemein Konflikte mit anerkannten Instituten des Privatrechts betrifft, ist auch eine Anwendung auf den Konflikt von Kartellverbot und Recht des geistigen Eigentums denkbar. 2 0 9 In ihrer Entstehung ist die Immanenztheorie eng mit immaterialgüterrechtlichen Fragestellungen verbunden. 2 1 0 Im gemeinschaftsrechtlichen Teil dieser Arbeit wird allerdings näher begründet, warum die Immanenztheorie zur Auflösung des Konflikts von Kartellrecht und Immaterialgüterrecht weniger geeignet ist. Die immaterialgüterrechtlichen Wertungen sind bereits beim Begriff der Wettbewerbsbeschränkung einzubringen. Obwohl die Immanenztheorie im Vergleich zur Inhaltstheorie flexibler ist, ermöglicht erst der Weg über den Begriff der (materiellen) Wettbewerbsbeschränkung die vollständige Einbeziehung des gesamten Zusammenhangs der betreffenden Abrede. Auf die nähere Begründung im Zusammenhang mit dem europäischen Recht wird an dieser Stelle verwiesen. 211
6. Ergebnis Horizontale Wettbewerbsbeschränkungen im Zusammenhang mit Rechten des geistigen Eigentums i.S. von § 1 G W B kommen sowohl als gleichgeordnete Vereinbarungen z.B. in der Form von Patent- oder Markengemeinschaften als auch in Austauschverträgen vor. Entscheidend ist das Vorliegen eines (aktuellen oder potentiellen) Wettbewerbsverhältnisses. Eine Tatbestandsrestriktion von § 1 G W B auf der Grundlage von Inhalts- oder Immanenztheorie aus immaterialgüterrechtlichen Erwägungen ist abzulehnen. Diese sind vielmehr in den 208 K. Schmidt, Vertragliche Wettbewerbsverbote im deutschen Kartellrecht, ZHR 149 (1985), 1 ff. 209 - y y Fikentscher (Wettbewerb und gewerblicher Rechtsschutz, 1958, S. 290) formuliert ganz allgemein wie folgt: „Die Frage, die in diesem Zusammenhang stets auftaucht und zu lösen ist, lautet: reicht die Einordnung der durch unternehmerische Tätigkeit erworbenen Einzelgüter aus, sie im Rahmen des unternehmerischen Rechtskreises zu schützen, oder entspricht es der Gerechtigkeit mehr, die Güter dem wettbewerblichen Zugriff anderer zu überlassen? M.a.W.: soll das Unternehmen auf Kosten der wirtschaftlichen Betätigung, oder die wirtschaftliche Betätigung auf Kosten des Unternehmens geschützt werden?" Für eine Ubertragung der Immanenztheorie auf markenrechtliche Konstellationen s. U. Michalsky, Die Marke in der Wettbewerbsordnung, 1996, S. 115 ff. 210 So taucht das geistige Eigentum bereits im grundlegenden Aufsatz von E. Steindorff (BB 1977, 569, 571) auf. Ziel der Immanenztheorie sei nicht die Immunisierung der überkommenen Rechtsinstitute: „Vielmehr ist in jedem Einzelfall die Frage aufzuwerfen, inwieweit bei Konfrontation mit den neuen Wertungen des GWB vertragliche und gesetzliche Beschränkungen im Rahmen überkommener Institute als gegenüber § 1 GWB gerechtfertigt zu beurteilen sind." Auf die Parallelität der Fragestellungen (bei Beschränkungen im Zusammenhang mit Schutzrechts- oder Unternehmensübertragungen) weist W. Fikentscher (Wettbewerb und gewerblicher Rechtsschutz, 1958, S. 290 f.) hin. 211 S. u.S. 419 ff.
B. Deutsches Kartellrecht des geistigen
Eigentums
167
Begriff der Wettbewerbsbeschränkung einzubringen. Die genauere Ausarbeitung dieses Vorschlags bleibt den Ausführungen zum Beschränkungsbegriff des europäischen Rechts vorbehalten. 212 IV. Missbrauch
marktbeherrschender
Stellungen:
§ 19 GWB
Die 6. GWB-Novelle hat die Verhaltensanforderungen an Marktbeherrscher einheitlich dem Verbotsprinzip unterworfen. Gem. § 19 Abs. 1 GWB ist die missbräuchliche Ausnutzung einer marktbeherrschenden Stellung nunmehr verboten, ohne dass es einer kartellbehördlichen Verfügung bedürfte. 2 1 3 Ferner wurde ein neues Regelbeispiel für das Vorliegen eines Missbrauchs eingefügt, das die essential facilities-Konstellation betrifft. 214 1. Schutzrechte
und
Marktbeherrschung
Wegen der ähnlichen Ausgestaltung von § 19 GWB und Art. 82 EGV kann in weitem Umfang auf europäisches Kartellrecht verwiesen werden. 215 Insbesondere gilt der Ausgangspunkt, dass ein Schutzrecht nicht per se eine marktbeherrschende Stellung verschafft. 216 Die Sichtweise vom Schutzrecht als Monopol wurde überwunden. 2 1 7 O b eine marktbeherrschende Stellung vorliegt, rich212
S. u.S. 354 ff. und 411 ff. Der Ubergang zum Verbotsprinzip wird eine Aufwertung im Vergleich zu § 22 G W B a.F. mit sich bringen. § 22 GWB a.F. stand in seiner praktischen Bedeutung deutlich hinter dem Behinderungs- und Diskriminierungsverbot des § 26 Abs. 2 S. 1 GWB a.F. zurück, das sich auch an Marktbeherrscher richtete und (aufgrund seiner Ausgestaltung nach dem Verbotsprinzip) als Schutzgesetz i.S. von § 35 GWB a.F. anerkannt war. 214 Gem. § 19 Abs. 4 Nr. 4 GWB liegt ein Missbrauch vor, wenn ein marktbeherrschendes Unternehmen „sich weigert, einem anderen Unternehmen gegen angemessenes Entgelt Zugang zu den eigenen Netzen oder anderen Infrastruktureinrichtungen zu gewähren, wenn es dem anderen Unternehmen aus rechtlichen oder tatsächlichen Gründen ohne die Mitbenutzung nicht möglich ist, auf dem vor- oder nachgelagerten Markt als Wettbewerber des marktbeherrschenden Unternehmens tätig zu werden; dies gilt nicht, wenn das marktbeherrschende Unternehmen nachweist, daß die Mitbenutzung aus betriebsbedingten oder sonstigen Gründen nicht möglich oder nicht zumutbar ist." § 33 TKG enthält einen speziellen Anwendungsfall der essential facilities-Doklnn im deutschen Telekommunikationsrecht, s. dazu Engel/ Knieps, Die Vorschriften des Telekommunikationsgesetzes über den Zugang zu wesentlichen Leistungen, 1998. Zur essential facilities doctrine des US-amerikanischen Rechts s.o. S. 93 ff.; zu seiner Rezeption im europäischen Recht s.u. S. 502 ff. 213
215
S. u.S. 441 ff. V. Emmerich, in Immenga!Mestmäcker, 3. Aufl. 2001, § 17 GWB Rdnr. 166; Langen/ Bräutigam, KartR, 9. Aufl. 2001, § 17 GWB Rdnr. 154. 217 In diesem Sinn bereits W. Eucken, Die Grundlagen der Nationalökonomie, 5. Aufl. 1947, S. 163 f. O. Axster (Gemeinschaftskommentar, 3. Aufl., 1978, Vorb. § § 2 0 , 21 G W B Rdnr. 85) weist daraufhin, dass in der Zeit vor und nach Verabschiedung des GWB nur Rudolf Isay (Der Entwurf eines Gesetzes gegen Wettbewerbsbeschränkungen und die Lizenzverträge, G R U R 1953,146) auf den Begriff des Patentmonopols verzichtete. Wird heute in Bezug auf Immaterialgüterrechte der Begriff des Monopols verwendet (s. z.B. G. Henn, Patent- und Know-how-Lizenzvertrag, 3. Aufl. 1992, S. 44; U. Michalsky, Die Marke in der Wettbewerbs216
168
3. Teil: Deutsches
Recht
tet sich nach den allgemeinen Regeln. Der relevante Markt ist sorgfältig abzugrenzen; die Beherrschung dieses Marktes ist nachzuweisen. Das Bestehen von Schutzrechten, insbesondere von Schlüsselpatenten, kann eines der Merkmale darstellen, die zur Annahme einer beherrschenden Stellung führen. 2 1 8 Diese Feststellung betrifft insbesondere den Unterfall der überragenden Marktstellung i.S. von § 19 Abs. 2 Nr. 2 G W B und das dort genannte Merkmal der rechtlichen Schranken für den Marktzutritt anderer Unternehmen. In der wirtschaftlichen Wirklichkeit wird ein einzelnes Schutzrecht nur selten eine marktbeherrschende Stellung vermitteln. 2 1 9 Bestimmte Schutzrechtsstrategien können aber gerade auf Erlangung einer Marktbeherrschung im kartellrechtlichen Sinn angelegt sein. 2 2 0 2. Missbrauch, insbesondere die
Lizenzverweigerung
Beim Begriff der missbräuchlichen Ausnutzung i.S. von § 19 Abs. 1 G W B handelt es sich um einen „extrem unbestimmten Rechtsbegriff". 2 2 1 Verhaltensweisen, die in isolierter Betrachtung rechtmäßig sind, werden aufgrund ihres Einsatzes im konkreten Fall als missbräuchlich und damit als verboten beurteilt. 2 2 2 Marktbeherrschende Unternehmen werden insofern strengeren Verhaltensregeln unterworfen als die Allgemeinheit der Unternehmen. Der Begriff des Missbrauchs entzieht sich einer klaren Definition. Das Phänomen der Maßund Gradfragen und die Erforderlichkeit einer Gesamtbetrachtung legen es näher, mit einer prinzipiell offenen Umschreibung zu arbeiten. Es ist auf die Ausführungen zum Missbrauchsbegriff des europäischen Rechts zu verweisen, der auf die Gefahren der Verhaltensweise für den Restwettbewerb auf dem betreffenden Markt abstellt und sich auch vor der Berücksichtung des Leistungskriteriums nicht scheut. 2 2 3 In jedem Fall ist eine umfassende Abwägung der Interessen aller Beteiligten erforderlich. 2 2 4
Ordnung, 1996, S. 26 f.), entspricht dies zwar nicht der kartellrechtlichen Bedeutung des Begriffs, wohl aber seiner etymologischen Herleitung, s.o. S. 64 Fn. 126. 218 W. Möschel, in Immenga/Mestmäcker, 3. Aufl. 2001, § 19 G W B Rdnr. 253. 2 1 9 O. Sandrock, Grundbegriffe des Gesetzes gegen Wettbewerbsbeschränkungen, 1968, S. 447 ff.; O. Axster, Gemeinschaftskommentar (3. Aufl., 1978), Vorb. § § 2 0 , 21 G W B Rdnr. 84. 2 2 0 Zu den Schutzrechtsstrategien s. D. Rebel, Gewerbliche Schutzrechte, Anmeldung Strategie - Verwertung, 1997, S. 4 ff. 221 W. Möschel, Recht der Wettbewerbsbeschränkungen, 1983, Rdnr. 540. 2 2 2 Zu den Grundlagen des Missbrauchsbegriffs s. J. Baur, Der Mißbrauch im deutschen Kartellrecht, 1972, insbesondere S. 78 ff. mit Besprechung von L. Raiser, Mißbrauch im Wirtschaftsrecht, J Z 1972, 732 ff. 2 2 3 S. u . S . 445 ff. 224 ]. Baur (oben Fn. 222), S. 108.
B. Deutsches
Kartellrecht
des geistigen
Eigentums
169
Im deutschen Recht w i r d die Frage, ob der Missbrauch auch in einer Lizenzverweigerung bestehen kann, überwiegend bejaht. 2 2 5 U b e r § 19 G W B kann man also in besonders gelagerten Einzelfällen zur A n n a h m e einer kartellrechtlichen Lizenzierungspflicht gelangen. Diese w i r d nicht durch immaterialgüterrechtliche Zwangslizenzvorschriften wie z.B. § 24 PatG ausgeschlossen. 2 2 6 Eine kartellrechtliche Zwangslizenz knüpft nicht an das Schutzrecht als solches, sondern an die - möglicherweise schutzrechtlich vermittelte - marktbeherrschende Stellung an. Nicht das Schutzrecht w i r d missbraucht, sondern die beherrschende Stellung, worauf auch immer sie beruhen mag. Eine Uberschneidung besteht deshalb nicht. 2 2 7 Für die Richtigkeit des Standpunkts spricht bereits die Tatsache, dass ein Missbrauch nicht nur in einem Tun, sondern auch in einem Unterlassen bestehen kann. Der prinzipiellen Möglichkeit kartellrechtlicher Lz'e/erpflichten entspricht die A n n a h m e kartellrechtlicher Lizenzierungspi\ichten.2n Mit dieser grundlegenden Feststellung ist die eigentliche Problematik aber erst eröffnet, nämlich unter welchen Voraussetzungen eine solche Lizenzierungspflicht tat-
225 Zur Behandlung dieser Frage im US-amerikanischen Recht s.o. S. 85 ff., im europäischen Recht unten S. 495 ff. 226 In diesem Sinn U. Dreiss (oben Fn. 31), S. 218 ff.; G. Strohm (oben Fn. 58), S. 408 ff.; V: Emmerich, in Immenga! Mestmäcker, 3. Aufl. 2001, § 17 GWB Rdnr. 166; W. Möschel, in Immenga/Mestmäcker, 3. Aufl. 2001, § 19 GWB Rdnr. 218, 253; K. Markert, in Immenga/Mestmäcker, 3. Aufl. 2001, § 20 GWB Rdnr. 248; A. Bock (oben Fn. 250) S. 74 ff.; W. Jabbusch (Begrenzung der konzentrationsfördernden Wirkungen des Patentschutzes durch Erweiterung des Instituts der Zwangslizenz, 1977, S. 74) sieht die patentrechtlichen Zwangslizenzregelungen zwar nicht als Spezialvorschriften an; Kartellrecht könne aber in der Sache nicht die Rechtsfolge einer Zwangslizenz begründen ( e b e n d a , S. 78). Nach Benkard/7?ogge (§24 PatG Rdnr. 19) ist § 24 PatG im Fall des Missbrauchs einer marktbeherrschenden Stellung durch Lizenzverweigerung lex specialis im Verhältnis zu kartellrechtlichen Vorschriften. Gegen diese Auffassung spricht bereits die Tatsache, dass nach h.M. das „öffentliche Interesse" i.S. von § 24 Abs. 1 Nr. 2 PatG nicht auf wettbewerbliche Argumente gestützt werden darf. Aber selbst wenn man (wie hier vertreten, s.u. S. 185 f.) diese Auffassung nicht teilt, behalten §24 PatG und §19 GWB getrennte Anwendungsbereiche und unterschiedliche Behörden-, bzw. Gerichtsverfahren, so dass von paralleler Anwendbarkeit auszugehen ist. Dieses Ergebnis wird durch die Neufassung von § 24 PatG durch Gesetz vom 16.7.1998 (BGBl. I S. 1827) bestätigt, das die Vorgaben von Art. 31 TRIPs-Abkommen in deutsches Recht umgesetzt hat (zu Art. 31 TRIPs-Abkommen s.u. S. 588 ff.). Gem. § 24 Abs. 3 PatG darf auf dem Gebiet der Halbleitertechnologie eine patentrechtliche Zwangslizenz nur erteilt werden, „wenn dies zur Behebung einer in einem Gerichts- oder Verwaltungsverfahren festgestellten wettbewerbswidrigen Praxis des Patentinhabers erforderlich ist." Das Gesetz geht hier also davon aus (und macht es für den Bereich der Halbleitertechnologie zwingend), dass in einem kartellrechtlichen Verfahren die Wettbewerbswidrigkeit der Lizenzverweigerung festgestellt wurde. 227 Diese Aussage schließt die Berücksichtigung wettbewerblicher Gesichtspunkte bei der Konkretisierung des öffentlichen Interesses i.S. von § 24 Abs. 1 PatG nicht aus, s.u. S. 185 f. 228 Dies war vor der 6. GWB-Novelle im Zusammenhang mit § 26 Abs. 2 GWB a.F. (jetzt §20 Abs. 1 GWB) anerkannt, s.u. S. 174 f. Nach Erstreckung des Verbotsprinzips auf den Missbrauch marktbeherrschender Stellungen ist bei §19 GWB entsprechend zu argumentieren.
170
3. Teil: Deutsches
Recht
sächlich anzunehmen ist. Mögliche Fälle sind die Fallgruppen der unbilligen Behinderung und der sachlich nicht gerechtfertigten unterschiedlichen Behandlung, auf die im Zusammenhang mit § 20 Abs. 1 GWB einzugehen ist. Von besonderer Bedeutung ist auch der Gesichtspunkt der wesentlichen Einrichtung. 3. Lizenzierungspflichten Einrichtung?
unter dem Gesichtspunkt
der
wesentlichen
Die essential facilities-Doktrin des US-amerikanischen Rechts 229 hat ihre Spuren nicht nur im europäischen, 230 sondern auch im deutschen Recht hinterlassen. 231 Durch die 6. GWB Novelle wurde mit § 19 Abs. 4 Nr. 4 GWB ein neues Regelbeispiel eingefügt, das auf die Lehre von den wesentlichen Einrichtungen zurückgeht. 232 a) § 19 Abs. 4 Nr. 4 GWB: Regelbeispiel für den Missbrauch von Infrastruktureinrichtungen oder anderen
Netzen
Nach dem ursprünglichen Formulierungsvorschlag des Bundesministeriums für Wirtschaft sollte als Missbrauch angesehen werden „die unbillige Verweigerung des Zugangs eines anderen Unternehmens zu den eigenen Netzen oder anderen für die Aufnahme von Wettbewerb wesentlichen Einrichtungen, wenn es dem anderen Unternehmen nicht möglich oder nicht zumutbar ist, eigene Einrichtungen zu schaffen." 233 Die Begründung zu dieser Formulierung ging von der strategischen Bedeutung physischer Netze z.B. im Energiebereich, Telekommunikation und Bahnverkehr aus, blieb hier aber nicht stehen, sondern betonte die Ähnlichkeit der Problematik bei allen wesentlichen Einrichtungen. Dazu könnten auch - so die Begründung des BMWi in ausdrücklicher Anlehnung an die „Magill"-Entscheidung des Europäischen Gerichtshofs - urheberrechtsgeschützte Informationen gehören. Durch eine möglichst offene Formulierung der durch das Regelbeispiel erfassten Einrichtungen könne einer Sektoralisierung des Kartellrechts entgegengewirkt werden. 234 Dass der Begriff der wesentlichen Einrichtung nicht auf Einrichtungen im physischen Sinn beschränkt ist, entsprach der überwiegenden Meinung. 235
229
S. o. S. 93 ff. S. u. S. 502 ff. 231 S. hierzu allgemein H. Hohmann, Die essential facility doctrine im Recht der Wettbewerbsbeschränkungen, 2001. 232 Eingehend zur den Hintergründen und zum Inhalt der Neuregelung s. W. Möschel, in Immenga/Mestmäcker, 3. Aufl. 2001, § 19 G W B Rdnr. 178 ff. 233 „Formulierung tragender Gesetzesbestimmungen" vom 17.3.1997. 234 „Begründung" vom 17.3.1997, S. 11 f. 235 S. z.B. H.-J. Bunte, 6. GWB-Novelle und Mißbrauch wegen Verweigerung des Zugangs zu einer „wesentlichen Einrichtung", WuW 1997, 302 (315). 230
B. Deutsches
Kartellrecht
des geistigen
Eigentums
171
Gleichzeitig wurde der Formulierungsvorschlag als sehr weit gefasst kritisiert 236 und daraufhin geändert. Das geltende Recht erfasst jetzt in § 19 Abs. 4 Nr. 4 G W B lediglich „Netze oder andere Infrastruktureinrichtungen"; die übrigen Anwendungsvoraussetzungen wurden präzisiert. Auch wenn der Begriff der Infrastruktureinrichtung einigen Interpretationsspielraum lässt, werden Immaterialgüterrechte durch diese Wortwahl vom Anwendungsbereich der Vorschrift ausgeschlossen. 237 b) Immaterialgüterrechte
als wesentliche
Einrichtung
§ 19 Abs. 4 Nr. 4 G W B enthält also gerade keine Regelung für „wesentliche Einrichtungen", sondern beschränkt sich auf Netze und andere Infrastruktureinrichtungen. Da es sich bei den in § 19 Abs. 4 G W B genannten Missbrauchsformen aber lediglich um eine nicht abschließende Liste von Regelbeispielen handelt, ist ein Umkehrschluss aus § 19 Abs. 4 Nr. 4 G W B nicht zulässig. Aus der Tatsache, dass Immaterialgüterrechte von diesem Beispiel nicht erfasst werden, kann nicht geschlossen werden, dass die Anordnung von Lizenzierungspflichten unter dem Gesichtspunkt der wesentlichen Einrichtung ausscheidet. 238 Da auch der Begriff der wesentlichen Einrichtung nur ein Argumentationstopos, aber kein rechtlich relevanter Terminus ist, kommt es für die Frage eines Lizenzierungszwangs lediglich darauf an, ob die allgemeinen Tatbestandsmerkmale der marktbeherrschenden Stellung und des Missbrauchs vorliegen. c) Allgemeine
Grundsätze
des
Kontrahierungszwangs
Die Annahme eines kartellrechtlichen Kontrahierungszwangs ist im deutschen Recht kein überraschender Systembruch, da bereits nach allgemeinem Zivilrecht (§§ 826, 249 B G B ) die Möglichkeit von Kontrahierungszwang seit langer Zeit anerkannt ist. 239 Als Voraussetzung für die Einschränkung der vertragliH.-J. Bunte, ebenda, 317 f.; R. Bechtold (oben Fn. 84), S. 1855. So ausdrücklich die Begründungen von Bundesregierung, Bundesrat und Wirtschaftsausschuss, Nachweise bei R. Bechtold, 2. Aufl. 1999, § 19 G W B Rdnr. 78; in diesem Sinn auch M. Baron, Das neue Kartellgesetz, 1999, S. 29: „Die neue Regelung betrifft nur Netze und andere Infrastruktureinrichtungen. Damit ist sichergestellt, daß vor allem geistige Eigentumsrechte nicht erfaßt sind; Zwangslizenzen für Patente und Urheberrechte können also mit Hilfe dieser Vorschrift nicht begründet werden." Weitere Nachweise bei W. Möschel, in Immenga/ Mestmäcker, 3. Aufl. 2001, § 19 G W B Rdnr. 194 Fn. 1039. Der Ausschluss von Immaterialgüterrechten beschränkt den Anwendungsbereich der Vorschrift allerdings nicht lediglich auf physische Einrichtungen. Auch virtuelle Netze, bzw. Infrastruktureinrichtungen (z.B. Schnittstellen für Computersoftware oder andere technische Standards) fallen unter § 1 9 Abs. 4 Nr. 4 G W B , s. H. Hohmann, Die essential facility doctrine im Recht der Wettbewerbsbeschränkungen, 2001, S. 211 f., 218 ff.; W. Möschel, in Immenga!Mestmäcker, 3. Aufl. 2001, § 1 9 G W B Rdnr. 196. 238 W. Möschel, in Immenga!Mestmäcker, 3. Aufl. 2001, § 19 G W B Rdnr. 218. 2 3 9 S. z.B. R G Z 132, 273 (276) und R G Z 148, 326 (334), anders aber R G Z 133, 388 (391 ff.), 236
237
172
3. Teil: Deutsches
Recht
chen Abschlussfreiheit wurde das Bestehen einer rechtlichen oder tatsächlichen Monopolstellung verlangt. 240 In Anlehnung an das GWB hat man diese Voraussetzung auf die Existenz einer marktbeherrschenden Stellung bis hin zur Marktstärke i.S. von § 20 Abs. 2 GWB abgeschwächt. 241 „Wesentliche Einrichtungen" sind gerade dadurch gekennzeichnet, dass andere auf die Benutzung der Einrichtung angewiesen sind, so dass die Schwelle der Marktstärke in der Regel erreicht ist. Gegenüber den Vorschriften des GWB, insbesondere auch dem Behinderungs- und Diskriminierungsverbot des § 20 GWB, ist der allgemeine zivilrechtliche Kontrahierungszwang in den Hintergrund getreten. Ein Rückgriff auf ihn ist nur dort erforderlich, wo das GWB - insbesondere deshalb, weil keine Unternehmen agieren - nicht anwendbar ist. d) Voraussetzungen
des
Lizenzierungszwangs
Die Voraussetzungen für Lizenzierungszwang sind hoch anzusetzen. Andererseits kann nicht davon ausgegangen werden, dass an einen Lizenzierungszwang höhere Anforderungen zu stellen sind als an die Annahme von allgemeinem, schutzrechtsunabhängigem Kontrahierungszwang. 242 Kontrahierungszwang betrifft in der Regel die Benutzung und/oder das Eigentum an Sachen. Der Eingriff ist bei Kontrahierungs- und Lizenzierungszwang deshalb von gleicher Qualität. Bei der Ermittlung der Voraussetzungen für eine Lizenzierungspflicht leistet die Diskussion um die Lehre von den wesentlichen Einrichtungen und das spezielle Regelbeispiel in § 19 Abs. 4 Nr. 4 GWB eine wichtige Hilfestellung. Auch im Zusammenhang mit immaterialgüterrechtlich abgesicherten Marktbeherrschungen ist zu fordern, dass ohne die Lizenz ein Tätigwerden auf vor- oder nachgelagerten Märkten nicht möglich ist. Außerdem hat eine umfassende Interessenabwägung stattzufinden, in die gerade auch die Anliegen, Leistungen und unternehmerischen Ziele des Marktbeherrschers einzubringen sind. Lizenzierungszwang kommt nur dann in Frage, wenn kein anderes Mittel zur Verfügung steht, das zur Abstellung des Missbrauchs geeignet ist.
wo einem missliebigen Theaterkritiker der Zugang zum Theater verweigert wurde. Grundlegend die Habilitationsschrift von H. C. Nipperdey, Kontrahierungszwang und diktierter Vertrag, 1920. S. die umfassende Untersuchung von J. Busche, Privatautonomie und Kontrahierungszwang, 1999. 240 Vgl. Ludwig Raiser, Der Gleichheitsgrundsatz im Privatrecht, Z H R 111 (1948), 75 (86 ff.); ders., Vertragsfreiheit heute, JZ 1958, 1 ff.; ders., Kontrahierungszwang im Monopolrecht, 1961, S. 523 ff.; W. Fikentscher, Zum Recht der Disriminierungen im Gesetz gegen Wettbewerbsbeschränkungen, WuW 1958, 257 (259). 241 W. Kilian, Kontrahierungszwang und Zivilrechtssystem, AcP 180 (1980), 47 (60). Zu alternativen Begründungen für die Annahme zivilrechtlichen Kontrahierungszwangs s. MünchKomm-Xramer Vor § 145 BGB Rdnr. 13 ff. 242 A. Bäck, Die Zwangslizenz im Spannungsfeld von gewerblichem Rechtsschutz und Kartellrecht, Dissertation Tübingen 1992, S. 149 f.
B. Deutsches Kartellrecht des geistigen
Eigentums
e) Abstellung des Missbrauchs nur durch Verbote, nicht aber durch
173 Gebote?
Zu § 22 GWB a.F. war der Grundsatz anerkannt, dass die Kartellbehörde nur eine Verbots-, nicht aber eine Gebotsverfügung aussprechen kann. 243 Ausnahmen waren allerdings für den Fall anerkannt, dass der Missbrauch nur durch die Anweisung zu einem bestimmten positiven Tun abgestellt werden kann. Durch den Übergang vom Missbrauchs- zum Verbotsprinzip muss der verwaltungsrechtlichen Problematik ein privatrechtlicher Aspekt zur Seite gestellt werden. Die Umgestaltung hat § 19 GWB zum Schutzgesetz gemacht, das in Verbindung mit § 33 GWB Betroffenen einen privatrechtlichen Anspruch gibt. 244 Privatrechtliche Ansprüche können gerade auf ein positives Tun gerichtet sein. Es erscheint nicht konsequent, dass private Ansprüche weiter reichen als behördliche Eingriffsbefugnisse. Auch wenn in der Regel eine Verbotsverfügung die richtige Reaktion auf einen Verstoß gegen § 19 GWB ist, gibt es Fälle, in denen allein ein behördliches Gebot den Missbrauch abzustellen geeignet ist. Dies ist der Fall, wenn der Missbrauch in einer Unterlassung besteht, z.B. in einer Liefer- oder Lizenzverweigerung. 245 Die grundsätzliche Ächtung der Gebotsverfügung sollte deshalb aufgehoben werden. 4.
Inhaltstheorie
Die vorstehenden Ausführungen machen deutlich, warum auch beim Verbot des Missbrauchs marktbeherrschender Stellungen die Inhaltstheorie keine Anwendung finden kann. Missbräuche im Zusammenhang mit Rechten des geistigen Eigentums stützen sich gerade auf Kernbefugnisse des Schutzrechts. So ist die freie Entscheidung über die Vergabe von Lizenzen ohne Zweifel dem Schutzrechtsinhalt zuzuweisen. Dennoch ist nicht von vornherein auszuschließen, dass die Lizenzverweigerung ausnahmsweise missbräuchlich sein kann. Auch das Missbrauchsverbot zieht dem Schutzrecht Grenzen, die nicht unter Verweis auf einen angeblich autonom immaterialgüterrechtlich festzulegenden Schutzrechtsinhalt negiert werden können. 246 Kartellrechtliche Lizenzierungspflichten können also nicht unter Verweis auf die Inhaltstheorie ausgeschlossen werden. Andererseits sind die schutzrechtlichen Befugnisse ein wesentlicher Aspekt, der in die für die Feststellung eines Missbrauchs erforderliche Interessenabwägung einzubringen ist.
243 S. nur Langen/Schultz, KartR, 9. Aufl. 2001, § 19 GWB Rdnr. 174, LangenIBornkamm, KartR, 9. Aufl. 2001, § 32 GWB Rdnr. 22 ff. 244 R. Bechtold, Das neue Kartellgesetz, N J W 1998, 2769 (2771). 245 W. Möschel, in Immenga/Mestmäcker, 3. Aufl. 2001, § 19 GWB Rdnr. 243. 246 S. o. S. 147 ff.
174
3. Teil: Deutsches
Recht
5. Ergebnis Die Anwendung von § 19 G W B setzt auch im Zusammenhang mit Immaterialgüterrechten das Vorliegen einer marktbeherrschenden Stellung und eines Missbrauchs voraus. Beide Feststellungen erfolgen nach allgemeinen Regeln: Ein Schutzrecht begründet in der Regel keine marktbeherrschende Stellung. Ausnahmsweise, insbesondere wenn sich das Schutzrecht auf einen relevanten Markt in seiner Gesamtheit bezieht, oder wenn es mit anderen Marktbeherrschungskriterien zusammentrifft, kann es aber eine beherrschende Stellung vermitteln. Ahnliches gilt für das Merkmal des Missbrauchs: § 19 G W B verbietet nicht den Missbrauch des Schutzrechts, sondern den Missbrauch der - in seltenen Fällen schutzrechtlich vermittelten - beherrschenden Stellung. Die Feststellung eines Missbrauchs setzt eine umfassende Interessenabwägung voraus, in die auch das Bestehen von Schutzrechten einzubringen ist. Die immaterialgüterrechtlichen Schutzrechtsgrenzen fungieren allerdings nicht als absolute Sperre gegenüber dem Missbrauchsverbot im Sinne der Inhaltstheorie. D e r Inhalt des Schutzrechts wird auch durch die kartellrechtlichen Verbote wie z.B. das Missbrauchsverbot begrenzt. Wenn der Missbrauch nur durch eine kartellrechtliche Lizenzierungspflicht abgestellt werden kann, ist die Einschränkung des Eigentumsrechts geboten.
V. Behinderungs-
und Diskriminierungsverbot:
§ 20 GWB
Gem. § 20 Abs. 1 und 2 G W B ist bestimmten Unternehmen (nämlich marktbeherrschenden, bzw. marktstarken Unternehmen, freigestellten Kartellen, U n ternehmen aus bestimmten Ausnahmebereichen und Preisbindern) die unbillige Behinderung, bzw. die sachlich nicht gerechtfertigte unterschiedliche Behandlung anderer Unternehmen untersagt. 2 4 7 Die allgemeine Formulierung des Verbots macht deutlich, dass eine Vielzahl unterschiedlicher Verhaltensweisen erfasst sein kann. Eine Behinderung oder Diskriminierung kann auch in einer Lizenzverweigerung liegen. 2 4 8 Im Umkehrschluss aus § 20 G W B wird deutlich, dass normalerweise andere Unternehmen sehr wohl behindert, bzw. ohne sachlichen Grund unterschiedlich behandelt werden dürfen; Kartellrecht steht jedenfalls nicht entgegen. 2 4 9 2 4 7 Das Behinderungsverbot wendet sich zusätzlich an Unternehmen mit überlegener Marktmacht i.S. von § 20 Abs. 4 G W B . 248 U. Dreiss (oben Fn. 31), S. 220 ff.; M. Lehmann, Aktuelle kartell- und wettbewerbsrechtliche Probleme der Lizenzierung von urheberrechtlich geschützten Computerprogrammen, B B 1985,1209 (1212 ff.); K. Marken, in Immenga/Mestmäcker, 3. Aufl. 2001, § 20 G W B Rdnr. 170; W. Fikentscher, Urhebervertragsrecht und Kartellrecht, FS Schricker, 1995, S. 149 (168 f.); U. Michalsky, Die Marke in der Wettbewerbsordnung, 1996, S. 139 f. 2 4 9 Die Anwendbarkeit von § 1 U W G in diesen Fällen ist streitig: Der Annahme einer
B. Deutsches Kartellrecht des geistigen
Eigentums
175
Marktbeherrschern (bzw. den anderen in § 20 genannten Unternehmen) obliegen höhere Anforderungen und damit verbunden ein größerer Rechtfertigungszwang. Diskriminierungen müssen sachlich gerechtfertigt sein, Behinderungen sind durch umfassende Interessenabwägungen auf ihre Unbilligkeit hin zu überprüfen. Diese allgemeinen Grundsätze gelten auch dann, wenn Marktbeherrschung (§ 20 Abs. 1 GWB), Marktstärke (§ 20 Abs. 2 GWB) oder Marktüberlegenheit (§ 20 Abs. 4 GWB) durch Immaterialgüterrechte vermittelt werden. 250 Werden die genannten Schwellen erreicht, kommt es zu einer erheblichen Einschränkung der Freiheit, die dem Eigentümer normalerweise zusteht. Auch in diesem Zusammenhang ist allerdings hervorzuheben, dass die Einschränkung von Handlungsmöglichkeiten nicht an das Schutzrecht, sondern an die hervorgehobene Stellung auf dem Markt anknüpft. Außerdem fließen die schutzrechtlichen Befugnisse in vollem Umfang in die erforderlichen Abwägungsvorgänge ein. VI. Fusionskontrolle:
§§ 35ff.
GWB
Gem. § 36 Abs. 1 GWB ist ein Zusammenschluss zu untersagen, wenn durch ihn die Begründung oder Verstärkung einer marktbeherrschenden Stellung zu erwarten ist, außer wenn eine überwiegende Verbesserung der Wettbewerbsbedingungen nachgewiesen wird. Ausnahmsweise sind immaterialgüterrechtliche Aspekte bereits beim Zusammenschlusstatbestand relevant geworden. So hat das Bundeskartellamt, bestätigt durch die Gerichte, in einem besonders gelagerten Fall den Erwerb eines Warenzeichens als Zusammenschluss durch Vermögenserwerb gewertet (Rechtssache „Frappan"). 251 Im übrigen werden Rechte des geistigen Eigentums hauptsächlich bei der Frage eine Rolle spielen, ob eine marktbeherrschende Stellung entsteht oder verstärkt wird. Entscheidend sind die Begriffsbestimmungen in § 19 Abs. 2 und 3 GWB, so dass auf die Ausführungen zum Missbrauch marktbeherrschender Stellungen verwiesen werden kann. Der Schluss von einem Immaterialgüter-
Sperrwirkung der kartellrechtlichen Tatbestände (£.-/. Mestmäcker, Der verwaltete Wettbewerb, 1984, S. 143 ff.; I. Scherer, Wechselwirkungen zwischen Kartellrecht und U W G , W R P 1996,174 ff.) steht die „Vorfeldthese" entgegen (P. Ulmer, Der Begriff „Leistungswettbewerb" und seine Bedeutung für die Anwendung von GWB und UWG-Tatbeständen, G R U R 1977, 565, insbesondere 577 ff.), nach welcher das Wettbewerbsrecht das Kartellrecht unterhalb dessen Anwendungsschwellen ergänzen darf. Zu diesem Streit s. Köhler!Piper, 2. Aufl. 2001, § 1 U W G Rdnr. 399; H. Köhler, Großkomm., § 1 U W G Rdnr. D 11 ff. 250 Eingehend zum Diskriminierungs- und Behinderungsverbot im schutzrechtlichen Zusammenhang s. A. Bäck (oben Fn. 242), S. 91 ff. 251 Und zwar „in sonstiger Weise" i.S. von § 23 Abs. 2 Nr. 1 GWB a.F., s. BKartA, TB 1993/ 94, S. 17,19,100 f. und B G H Z 119,117 m. Anm. K.-H. Fezer, G R U R 1993, 847 f. Diese Bewertung würde im Rahmen von § 37 Abs. 1 Nr. 1 GWB n.F. nicht anders ausfallen. Kritisch R. Knöpfle, Zum Zusammenschluß durch den Erwerb eines Vermögensteiles, N J W 1992, 472 ff.
176
3. Teil: Deutsches
Recht
r e c h t a u f das B e s t e h e n e i n e r b e h e r r s c h e n d e n S t e l l u n g ist n i c h t z u l ä s s i g ; w o h l a b e r k ö n n e n s i c h in A u s n a h m e f ä l l e n aus S c h u t z r e c h t e n G e s i c h t s p u n k t e e r g e b e n , die m i t t e l b a r z u r A n n a h m e v o n M a r k t b e h e r r s c h u n g v e r a n l a s s e n . schlussrechte
können
insbesondere
als
rechtliche
Aus-
Marktzutrittsschranken
i.S. v o n § 19 A b s . 2 N r . 2 G W B w i r k e n . 2 5 2
VII. Vorrang des europäischen
Rechts
A u f d e m G e b i e t d e r F u s i o n s k o n t r o l l e h e r r s c h t ein k l a r e s A b g r e n z u n g s k r i t e rium zwischen der A n w e n d b a r k e i t europäischen und nationalen Kartellrechts. A u f Zusammenschlüsse von gemeinschaftsweiter Bedeutung - definiert durch k l a r e U m s a t z s c h w e l l e n 2 5 3 - ist a u s s c h l i e ß l i c h die e u r o p ä i s c h e F u s i o n s k o n t r o l l v e r o r d n u n g a n w e n d b a r . 2 5 4 U n t e r h a l b d i e s e r S c h w e l l e n ist R a u m f ü r n a t i o n a l e s F u s i o n s k o n t r o l l r e c h t . 2 5 5 F ü r das ü b r i g e K a r t e l l r e c h t g e l t e n d i e G r u n d s ä t z e d e r „Walt W i l h e l m " - E n t s c h e i d u n g des E u r o p ä i s c h e n G e r i c h t s h o f s , 2 5 6 a l s o p a r a l l e l e
252 So ausdrücklich die „Checkliste des Bundeskartellamts" von 1990 zur Marktbeherrschung in der Fusionskontrolle (abgedruckt in Langen/Bunte, KartR, 9. Aufl. 2001, Band 2, S. 2827 ff.), Ziffer 5 mit Erwähnung der Patente. Besonders eindrucksvoll die Ausführungen des BKartA (Entscheidung v. 20.9.1999, B3-2451 l-U-20/99, Henkel/Luhns, Tz.44) zur Marktbeherrschung von Henkel auf dem Markt für Universalwaschmittel: „Von erheblicher Bedeutung [...] ist der ebenso gezielte wie insgesamt flächendeckende Einsatz des gewerblichen Rechtsschutzes [...]. Demgemäß hat Henkel ihre Innovationen durch eine Vielzahl von Patenten und Markenrechten bzw. entsprechende Anmeldungen abgesichert. Charakteristisch ist dabei die Methode des Abdichtens (oder Zupflasterns, engl.: ring fencing) auch des gesamten Umfeldes einer Innovation mit blockierenden Schutzrechten. D.h., daß nicht nur jedes noch so kleine - eben patent- oder markenfähige - Element der betreffenden Innovation selbst [...] geschützt wird, sondern auch alle Entwicklungen, die für die betreffende Innovation gar keine Verwendung finden, aber vorstellbarer Weise als technologische Alternativen zur Herbeiführung eines vergleichbaren Produktergebnisses genutzt werden könnten, mit Schutzrechten abgedeckt und damit der möglichen Anwendung durch Wettbewerber entzogen werden." S. hierzu Monopolkommission, Hauptgutachten X I I I (1998/1999), 2001, Tz.505 ff. 253 Ab einem weltweiten Gesamtumsatz aller beteiligten Unternehmen von mehr als 2,5 Milliarden E C U , Art. 1 Abs. 3 a) F K V O . 2 5 4 S. einerseits Art. 1 F K V O über den Anwendungsbereich der Verordnung, andererseits Art. 21 Abs. 2 F K V O , der die Anwendung nationalen Wettbewerbsrechts auf Zusammenschlüsse von gemeinschaftsweiter Bedeutung ausschließt; dem folgt § 35 Abs. 3 G W B . Zum „One-Stop-Shop"-Prinzip s. M. Broberg, The European Commission's Juridiction to Scrutinise Mergers, 1998, S. 4 ff. Zur Wünschbarkeit einer klaren Abgrenzung europäischen und nationalen Kartellrechts nach dem Ausschließlichkeitsprinzip außerhalb der Fusionskontrolle s. C.-D. Ehlermann, Anwendung des Gemeinschaftskartellrechts durch Behörden und Gerichte der Mitgliedstaaten, GS Grabitz, 1995, S. 45 (49). 2 5 5 Die deutsche Fusionskontrolle setzt nach der 6. GWB-Novelle ab einem Gesamtumsatz aller beteiligten Unternehmen von einer Milliarde D M ein, s. § 35 Abs. 1 Nr. 1 G W B (zuvor 500 Millionen D M , s. § 24 Abs. 8 Nr. 1 G W B a.F.). 256 E u G H , 13.2.1969, Walt Wilhelm/Bundeskartellamt, Rs. 14/68, Slg. 1969,1.
B. Deutsches Kartellrecht Anwendbarkeit
beider
des geistigen
Rechtsordnungen
mit
Eigentums Vorrang
177 des
europäischen
Rechts.257 J e k l e i n e r die A b w e i c h u n g e n z w i s c h e n e u r o p ä i s c h e m u n d n a t i o n a l e m R e c h t sind, d e s t o g e r i n g e r s i n d die S c h w i e r i g k e i t e n , die s i c h a u f g r u n d v o n R e c h t s u n t e r s c h i e d e n stellen. S o b e s t a n d das Z i e l der 6. G W B - N o v e l l e u r s p r ü n g l i c h in e i n e r u m f a s s e n d e n A n p a s s u n g des d e u t s c h e n G e s e t z e s an die
europäische
R e c h t s l a g e . 2 5 8 D i e s e s Z i e l trat i m V e r l a u f der G e s e t z g e b u n g s a r b e i t e n
zuneh-
m e n d i n d e n H i n t e r g r u n d . 2 5 9 A u c h i m K a r t e l l r e c h t des g e i s t i g e n E i g e n t u m s b e stehen deshalb nach wie vor große Unterschiede zwischen deutschem und eu-
2 5 7 Es ist fraglich, ob diese Grundsätze jetzt auch für den Bereich von Kohle und Stahl gelten. Die Regelung des §101 Nr. 3 G W B a.F., nach der deutsches Kartellrecht neben dem EGKS-Vertrag keine Anwendung findet (zu den nötigen Differenzierungen nach altem Recht s. Langen/Jestaedt, 8. Aufl. 1998, § 101 G W B Rdnr. 7 ff.), ist im Zuge der 6. GWB-Novelle entfallen. Man könnte jetzt also auch in diesem Bereich von der parallelen Anwendbarkeit beider Rechtsordnungen ausgehen. Problematisch ist, ob dies mit dem Vorrang des EGKS-Vertrags vereinbar ist. Die Art. 65, 66 EGKS-Vertrag enthalten im Gegensatz zu den Art. 81, 82 E G V keine Kollisionsnorm nach Art der Zwischenstaatlichkeitsklausel, die den sachlichen Anwendungsbereich von europäischem und nationalem Recht abgrenzt. Man könnte daraus den Schluss ziehen, dass die Art. 65, 66 EGKSV absolute Geltung unter Ausschluss nationalen Rechts beanspruchen. Für einen solchen Schluss besteht aber keine Notwendigkeit. Dem Vorrang europäischen Rechts ist auch dann Genüge getan, wenn nationales Recht zwar parallel anwendbar ist, sein Anwendungsanspruch im Konfliktfall aber zurückgenommen wird. Eine zusätzliche Komplikation tritt aber aufgrund der (zweifelhaften) Rechtsprechung des Gerichtshofs auf, nach der dem Kartellverbot und dem Verbot der vertragswidrigen Verwendung einer marktbeherrschenden Stellung in Art. 65 und 66 Abs. 7 E G K S V keine unmittelbare Anwendbarkeit zukommen soll, sondern eine vorherige Kommissionsentscheidung voraussetze (EuGH, 13.4.1994, Banks, Rs. C-128/92, Slg. 1994,1-1268,1-1275 Tz.17-19; die Kommission sei nach dem ausdrücklichen Wortlaut von Art. 65 Abs. 4 „ausschließlich zuständig".). Vor einer solchen Kommissionsentscheidungen könne vor nationalen Gerichten auch kein Schadensersatzanspruch wegen Verletzung der genannten Vorschriften geltend gemacht werden („Banks", Slg. 1994,1-1276 Tz.21). Mit der Auffassung des Gerichtshofs wäre es schwer vereinbar, eine parallele Anwendbarkeit nationalen Kartellrechts zu vertreten, die auch vor einer entsprechenden Kommissionsentscheidung zu zivilrechtlichen Ansprüchen führen würde. Wenn also nach dem aktuellen Stand des Gemeinschaftsrechts einschließlich der Rechtsprechung einiges für die ausschließliche Anwendbarkeit des E G K S V unter Ausschluss nationalen Rechts spricht, so ist dieser Zustand dennoch nicht befriedigend. Einerseits ist nicht einzusehen, warum den Art. 65 und 66 Abs. 7 EGKSV im Gegensatz zu den Art. 81 und 82 E G V die unmittelbare Anwendbarkeit versagt werden sollte (in diesem Sinn Generalanwalt van Gerven in der Rechtssache Banks, Slg. 1994, 1-1232 Tz.24ff., insbesondere 30 ff.). Andererseits kann wohl erst eine umfassende Verschmelzung von E G V und E G K S V (der nach seinem Art. 97 im Juli 2002 ausläuft) für einen Gleichlauf der jeweiligen Wettbewerbsregeln sorgen. Zum Vorrang des EGKSV s. Bechtold, GWB, 2. Aufl. 1999, Vor § 130 G W B Rdnr. 3 ff.; V Emmerich, in Immenga/Mestmäcker, 3. Aufl. 2001, § 130 Abs. 1 G W B Rdnr. 95 ff. 2 5 8 Zurückhaltend zu diesem Anliegen das Gutachten des Wissenschaftlichen Beirats beim Bundesministerium für Wirtschaft Nr. 93, Anpassung des deutschen Kartellgesetzes an das europäische Recht?, 1996; F. Rittner, Das europäische Kartellrecht, J Z 1996,377 ff. Allgemein zur Einwirkung des europäischen Rechts s. Kreuzer/Scheuing/'Sieber (Hrsg.), Die Europäisierung der mitgliedstaatlichen Rechtsordnungen in der Europäischen Union, 1997. 259 R. Bechtold, Das neue Kartellgesetz, N J W 1998, 2769 (2770).
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3. Teil: Deutsches
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ropäischem Recht, die nach dem Grundsatz vom Vorrang des europäischen Rechts zu lösen sind. 260 Für alle Fragen von praktischer Bedeutung hat dies zur Folge, dass eine Ausrichtung am Maßstab des europäischen Rechts erfolgt. Die Kautelarjurisprudenz verdammt das deutsche Kartellrecht des geistigen Eigentums also zu einem „Schattendasein". 261 Außerdem hat auch die 6. G W B - N o velle die Gesetzeslage nicht dem heutigen Erkenntnisstand angepasst. In den §§ 17,18 wird für einen Teilbereich des Problemkreises, nämlich die Lizenzverträge, weiterhin die in sich widersprüchliche und unangemessene Inhaltstheorie zugrundegelegt. Ein Gesamtkonzept für das Kartellrecht des geistigen Eigentums ist nicht erkennbar. Sowohl das praktische Gewicht als auch der Entwicklungsstand sprechen somit dafür, den Schwerpunkt dieser Untersuchung dem europäischen Kartellrecht des geistigen Eigentums vorzubehalten.
C. Immaterialgüterrechtliche Regelungen mit kartellrechtlichem Bezug, insbesondere Zwangslizenzen Eine weise Gesetzgebung auf dem Gebiet des Immaterialgüterrechts wird von vornherein darum bemüht sein, Reibungen zwischen dem Schutz geistigen Eigentums und dem Schutz des Wettbewerbs auf ein unvermeidbares Minimum zu reduzieren. 262 Dies kann einerseits durch eine sorgfältige Festlegung des 260 Zum Vorrang europäischen Rechts s. E u G H , 15.7.1964, Costa/ENEL, Rs. 6/64, Slg. 1964,1251 (1270); G. Nicolaysen, Europarecht I, 1991, S. 38 ff. Zu Problemen des Vorrangs im Privatrecht s. Th. Möllers, Doppelte Rechtsfortbildung contra legem?, EuR 1998, 20 ff. 261 R. Bechtold (oben Fn. 84), S. 1855; ders., EG-Gruppenfreistellungsverordnungen - eine Zwischenbilanz, EWS 2001, 49 (50); M. Baron, Das neue Kartellgesetz, 1999, S.25; M. Christoph, Wettbewerbsbeschränkungen in Lizenzverträgen über gewerbliche Schutzrechte nach deutschem und europäischem Recht, 1998, S. 116, 274; H.-R. Ebel, § 17 GWB Rdnr. 6 und 53, Art. 85 EGV Rdnr. 130; V. Emmerich, in Immenga/Mestmäcker, 3. Aufl. 2001, § 17 GWB Rdnr. 17; M. Wellenhofer-Klein, Zulieferverträge im Privat- und Wirtschaftsrecht, München 1999, S. 571. Die Monopolkommission hatte deshalb die Streichung der deutschen Spezialvorschriften angeregt, Hauptgutachten XI (1994/1995), S. 405 (Tz.971). Vgl. auch O. Axster, in D. Pfaff (Hrsg.), Lizenzverträge, 1999, S. 36 Rdnr. 169: „Angesichts der dargestellten weitgehenden Bedeutungslosigkeit der §§17, 18 GWB gegenüber dem (strengeren) Art. 85 EGV wird hier auf eine eingehende Darstellung des deutschen Lizenzkartellrechts in den §§17, 18 GWB verzichtet." 262 Zu Beispielen und Gegenbeispielen für „weise" Gesetzgebung s. unten im Zusammenhang mit europäischem Recht S. 555. Fortschrittlich die kanadische Regelung, nach der sich die Kartellbehörde für einen wettbewerblich angemessenen Zuschnitt von Immaterialgüterrechten einsetzen kann, s. Part 6 der kanadischen Intellectual Property Enforcement Guidelines (aus dem Jahr 2000, abrufbar unter: http://strategis.ic.gc.ca/SSG/ct01992e.html): „The Bureau may use its mandate to promote competition and the efficient allocation of resources to intervene in policy discussions and debates regarding the appropriate scope, definition, breadth and length of IP rights." Das BKartA gibt - auch ohne ausdrückliche Autorisierung bisweilen entsprechende Stellungnahmen ab, so z.B. in der Fusionskontrollentscheidung Henkel/Luhns (oben Fn. 252, Tz.44), wo das Amt der Auffassung ist, dass „die Einführung
C. Immaterialgüterrechtliche
Regelungen
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Schutzumfangs geschehen, die auf der Basis des jeweiligen Schutzziels zwischen Ausschließlichkeit und Gemeinfreiheit zu entscheiden hat. Andererseits können flexible Mechanismen eingebaut werden, die eine ausnahmsweise Zurücknahme des Schutzanspruchs im einzelnen Fall zum Ziel haben. U m einen solchen Mechanismus handelt es sich beim Institut der Zwangslizenz. Zwangslizenzen sind ein erheblicher Eingriff in die Eigentumsfreiheit des Schutzrechtsinhabers und wurden deshalb nur ganz vereinzelt vorgesehen. So findet sich beispielsweise im Urheberrecht ein stark differenziertes Schrankensystem, das in speziellen Einzelfragen von der zwingenden kollektiven Verwertung 263 über die Zwangslizenz (§ 61 UrhG), die gesetzliche Lizenz bis hin zur Freistellung bestimmter Nutzungsarten reicht. 264 Während es sich hierbei um Einzelvorschriften handelt, besteht im Bereich der technischen Schutzrechte, nämlich für Patente, ergänzende Schutzzertifikate und Gebrauchsmuster eine allgemein gefasste Rechtsgrundlage für die Erteilung von Zwangslizenzen. 265 Gem. § 24 PatG, auf den die §§ 16a Abs. 2 PatG und 20 GebrMG verweisen, ist unter den in der Vorschrift genauer bezeichneten Voraussetzungen die zwangsweise Erteilung einer nicht ausschließlichen Lizenz möglich. 266 § 24 PatG betrifft nicht einzelne Sektoren oder Fallgruppen; jedes Patent, bzw. jedes Gebrauchsmuster ist zwangslizenzfähig. 267 der sog. dreidimensionalen Marke, d.h. des Schutzrechts für die bloße Form des Produkts selbst, durch das neue Markenrecht die Schutzmöglichkeiten geradezu exzessiv ausgeweitet hat." 263 S. z.B. die § § 26 Abs. 5, 27 Abs. 3, 49 Abs. 1 S. 3, 54h Abs. 1 U r h G . Die Verwertungsgesellschaften unterliegen gem. § 11 des Urheberrechtswahrnehmungsgesetzes einem Abschlusszwang. Zum Kartellrecht der Verwertungsgesellschaften s. W. Fikentscher, Urhebervertragsrecht und Kartellrecht, FS Schricker, 1995, S. 149 (182 ff.). 264 S. hierzu M. Rehbinder, Urheberrecht, 9. Aufl. 1996, S. 188 f. §61 U r h G ordnet Zwangslizenzen zur Herstellung von Tonträgern an; die Vorschrift hat allerdings keine praktische Bedeutung ( H . Schack, Urheber- und Urhebervertragsrecht, 2. Aufl. 2001, Rdnr. 785 ff. mit Nachweis der konventionsrechtlichen Grundlagen). Vgl. auch Art. 16 Abs. 3 der europäischen Datenbankrichtlinie (RiLi 96/9/EG v. 11.3.1996, ABl. L 77/20), der die Kommission zur regelmäßigen Berichterstattung über die Erfahrungen beim Schutz von Datenbanken verpflichtet. Im Fall von Missbräuchen oder anderen Wettbewerbsbeeinträchtigungen sei über Gegenmaßen nachzudenken, „insbesondere die Einführung einer Zwangslizenzregelung". 265 Ein Zwangsnutzungsrecht besteht auch im Sortenschutzrecht, s. § 12 Sortenschutzgesetz. 266 Eine Bestimmung über die Zwangslizenzierung im öffentlichen Interesse wurde 1911 ins deutsche Patentrecht eingefügt. § 11 Abs. 1 PatG 1911 lautete: „Verweigert der Patentinhaber einem anderen die Erlaubnis zur Benutzung der Erfindung auch bei Angebot einer angemessenen Vergütung und Sicherheitsleistung, so kann, wenn die Erteilung der Erlaubnis im öffentlichen Interesse geboten ist, dem anderen die Berechtigung zur Benutzung der Erfindung zugesprochen werden (Zwangslizenz). Die Berechtigung kann eingeschränkt erteilt und von Bedingungen abhängig gemacht werden." Bereits das Patentgesetz von 1877 (vgl. oben S. 125) enthielt eine Bestimmung über die Zurücknahme des Patents im Fall der Nichtausübung oder Lizenzverweigerung, s. U. Dreiss (oben Fn. 31), S. 213. Zur Vorgeschichte, insbesondere den Zusammenhang mit der großen Patentdebatte s. A. Bock (oben Fn. 250), S. 12 ff.
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3. Teil: Deutsches
Recht
I. Materielle Voraussetzungen für die ein er patentrechtlich en Zwangsliz
Erteilung enz
Die Erteilung einer Zwangslizenz setzt gem. § 24 Abs. 1 Nr. 1 PatG zunächst voraus, dass die ernsthaften Bemühungen um den Erwerb einer vertraglichen Lizenz erfolglos waren. Das entscheidende materielle Kriterium besteht nach Nr. 2 der Vorschrift darin, dass „das öffentliche Interesse die Erteilung einer Zwangslizenz gebietet". Das Kriterium des öffentlichen Interesses wurde in der deutschen Tradition unterschiedlich, aber immer wettbewerbsfern ausgelegt. Zwar knüpft Art. 5 A (2) PVU die Gewährung von Zwangslizenzen an den Missbrauch des Ausschließlichkeitsrechts. Für die Auslegung des Missbrauchsbegriffs wurden aber weder wettbewerbsrechtliche, noch die später entstandenen kartellrechtlichen Maßstäbe herangezogen, obwohl das Interesse der Allgemeinheit an der Förderung des Wettbewerbs durchaus als öffentliches Interesse hätte bewertet werden können. 268 Versorgungsgesichtspunkte standen im Vordergrund, die Interessen der Lizenzsucher wurden zurückgestellt, obwohl Einigkeit darüber besteht, dass der Begriff des öffentlichen Interesses nur durch eine umfassende Interessenabwägung unter Berücksichtigung aller Umstände des Einzelfalls ermittelt werden kann. 269 Hauptanwendungsfall war die Zwangslizenzierung herrschender zugunsten abhängiger Patente, wenn diesen eine erhebliche wirtschaftliche Bedeutung zukam. 270 Daneben wurden technische, sozialpolitische und medizinische Ge267 Eine Nutzung des Patents ohne Zustimmung des Rechtsinhabers erlaubt auch Art. 31 TRIPs, an den §24 PatG durch G. v. 16.7.1998 (BGBl. I S. 1827) angeglichen wurde. Die Möglichkeit von Zwangslizenzen sieht auch Art. 5 A (2)-(4) PVU vor (zum Verhältnis von Art. 31 TRIPs und Art. 5 A PVÜ s./. Straus, Implications of the TRIPs Agreement in the Field of Patent Law, 1996, S. 203 ff.). Auch europäische Patente nach dem EPÜ unterliegen §24 PatG, soweit sie mit Wirkung für Deutschland erteilt wurden (Art. 2 Abs. 2, 74 EPÜ). Auch der Verordnungsentwurf der Europäischen Kommission zur Schaffung eines Gemeinschaftspatents (KC>M(2000) 412 endgültig v. 1.8.2000) sieht in Art. 21 und 22 eine Zwangslizenzierung durch die Kommission vor. S. auch die Möglichkeit von Zwangslizenzen nach den Art. 16 ff. Euratom. 268 Entsprechende Ansätze des Reichsgerichts in der Rechtssache United Shoe Machinery Co., Entscheidung vom 1.4.1905 (Bl. f. PMZ 1905, 231), wurden nicht weiter verfolgt, s. G. Strohm (oben Fn. 14), S. 132 f., A. Bäck (oben Fn. 250) S. 32 ff. mit Nachweis abweichender Einschätzungen. 269 Skeptisch zur Effektivität von Versorgungsgesichtspunkten Hart/Holmes/Reid, The Economic Impact of Patentability of Computer Programs, 2000, S. 6 f. 270 U. Dreiss (oben Fn. 31), S. 214 f. mit Nachweis der Reichsgerichtsrechtsprechung auf S. 215 Fn. 50. Zur Problematik der abhängigen Patente s./. Straus, Zur Zulässigkeit klinischer Untersuchungen am Gegenstand abhängiger Verbesserungserfindungen, GRUR 1993, 338 (312 ff.). Zum Problem der Pioniererfindungen s. auch S. Welte, Der Schutz von Pioniererfindungen, 1991, insbesondere S. 161 ff., 193 ff. H. Ullrich (Wissenschaftlich-technische Kreativität zwischen privatem Eigentum, freiem Wettbewerb und staatlicher Steuerung, 1996, S.203, 221) wendet sich gegen die Benutzung von Pioniererfindungen als „eine alle Verbesserungen unter Lehnsherrschaft stellende Ausweitung des Ausschließlichkeitsrechts des Pionier- oder Grundlagenerfinders."
C. Immaterialgüterrechtlicbe
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Regelungen
sichtspunkte relevant. 271 Erfolglos waren Klagen auf Lizenzerteilung, in denen das öffentliche Interesse mit der missbräuchlichen Verwertungspraxis des Rechtsinhabers begründet wurde. 272 Das Reichspatentamt stellte 1923 fest, dass die Zwangslizenz nicht dazu bestimmt sei, den Wettbewerb zu sichern oder zu fördern. 273 Diese Grundsätze bestimmen bis zum heutigen Tag die Handhabung von § 24 Abs. 1 PatG. Sie haben dazu geführt, dass seit der Errichtung des Bundespatentgerichts im Jahr 1961 nur in einem Fall eine Zwangslizenz erteilt worden ist. 274 II. Die „Polyferon"-Entscheidung
des
BGH
Eine restriktive Handhabung der Zwangslizenz liegt auch der „Polyferon"Entscheidung des BGH aus dem Jahr 1995 zugrunde. 275 1.
Sachverhalt
Die Klägerin (des Verfahrens auf Erteilung einer Zwangslizenz) stellte das Medikament Polyferon zur Behandlung der chronischen Polyarthritis her und hatte hierfür ein Verwendungspatent erlangt. Das Medikament enthielt den Wirkstoff „Interferon-gamma" („IFN-gamma"), an dem die Beklagten das (Stoff-)Patent, bzw. ein Nutzungsrecht hatten. 276 Verwendungspatent und Stoffpatent standen zueinander im Verhältnis von abhängigem und herrschendem Patent, d.h. eine Verwertung des Verwendungspatents war nicht ohne Benutzung des Stoffpatents möglich. Polyferon war das einzige in Deutschland zugelassene Arzneimittel mit dem Wirkstoff IFN-gamma zur Behandlung der chronischen Polyarthritis. Umstritten war, ob die Behandlung der chronischen Polyarthritis mit IFNgamma die Heilungschancen vergrößert und die bei anderen Medikamenten auftretenden Nebenwirkungen spürbar verringert. Die Klägerin hatte vergeblich versucht, eine Lizenz am Patent für IFN-gamma zu erhalten. In einem Ver271 Ü b e r b l i c k bei Benkard/Äogge § 24 PatG Rdnr. 17 ff. In diesem Sinn auch B G H Z 131, 247 (252). 2 7 2 G. Strohm (oben Fn. 14), S. 132. 2 7 3 R P A v o m 26.4.1923, G R U R 1923, 219: „Die L i z e n z e r t e i l u n g soll nicht d e m W e t t b e w e r b dienen; eine angemessene A u s b e u t u n g des d u r c h das Patent d e m Inhaber g e w ä h r t e n A u s s c h l i e ß u n g s r e c h t s liegt im Wesen des Patentes b e g r ü n d e t . " 2 7 4 B P a t G E 32, 184. Es v e r w u n d e r t nicht, dass die Z u r ü c k n a h m e des Patents gem. § 2 4 A b s . 2 P a t G a.F. praktisch völlig bedeutungslos war, da sie die rechtskräftige Erteilung einer Z w a n g s l i z e n z voraussetzte. Im Zuge der Anpassung von § 24 P a t G an das T R I P s - A b k o m m e n durch Gesetz v. 16.7.1998 ( B G B l . I S. 1827) w u r d e die M ö g l i c h k e i t der Z u r ü c k n a h m e ersatzlos gestrichen. 2 7 5 B G H Z 131, 247. 2 7 6 D i e Klage gegen die bloße L i z e n z n e h m e r i n w u r d e als unzulässig abgewiesen, da gem. § 81 A b s . 1 S. 2 PatG die Klage ( n u r ) gegen den in der R o l l e als Patentinhaber Eingetragenen zu richten ist, insoweit nur a b g e d r u c k t in G R U R 1996, 190 (195).
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3. Teil: Deutsches
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letzungsprozess wurde ihr gem. § 9 Nr. 1 PatG untersagt, Arzneimittel mit dem Wirkstoff IFN-gamma herzustellen, anzubieten, in den Verkehr zu bringen oder zu gebrauchen oder zu den genannten Zwecken entweder einzuführen oder zu besitzen. 277 Daraufhin klagte sie auf Erteilung einer Zwangslizenz. 2.
Entscheidungsgründe
Das Bundespatentgericht gab der Klage statt. 278 Der Bundesgerichtshof wies sie ab und nahm dabei auch grundlegend zum Begriff des öffentlichen Interesses i.S. von § 24 Abs. 1 PatG Stellung: „ E i " öffentliches Interesse kann nicht allein durch die Ausschließlichkeitsstellung des Rechtsschutzinhabers begründet werden, selbst wenn dieser auf dem Markt eine tatsächliche Monopolstellung einnimmt. Die Rechtsordnung gewährt dem Patentinhaber als Lohn für die Offenbarung seiner Erfindung und den damit verknüpften Aufwand an Mühe, Gefahr und Kosten ein ausschließliches Recht, das er unabhängig von der Wettbewerbslage ausnutzen kann. Deshalb kann das öffentliche Interesse erst dann berührt sein, wenn besondere Umstände hinzukommen, welche die uneingeschränkte Anerkennung des ausschließen Rechts und die Interessen des Patentinhabers zurücktreten lassen, weil die Belange der Allgemeinheit die Ausübung des Patents durch den Lizenzsucher gebieten. N u r dann kann ein schwerwiegender Eingriff in das Recht des Patentinhabers gegen dessen Willen in F o r m der Zwangslizenz gerechtfertigt sein." 2 7 9
Die Auffindung neuer Verwendungen eines patentgeschützten Stoffs indiziere auch dann nicht das öffentliche Interesses an der Erteilung einer Zwangslizenz, wenn hierfür ein Verwendungspatent erwirkt wurde. Auch die arzneimittelrechtliche Zulassung von „Polyferon" durch das Bundesgesundheitsamt reiche nicht aus. Auch gebe es keine Anhaltspunkte dafür, dass die Beklagten ihre Schutzrechte in Deutschland auf Dauer nicht ausüben wollten. Zwar seien verbesserte therapeutische Möglichkeiten für die rheumatoide Arthritis im Prinzip durchaus geeignet, das öffentliche Interesse zu begründen. Erhebliche Verbesserungen der therapeutischen Möglichkeiten bei Einsatz von „Polyferon" im Vergleich zu herkömmlichen Medikamenten könnten aber bislang nicht sicher festgestellt werden. 280 Andererseits könne aber auch nicht ausgeschlossen werden, dass für eine bestimmte Patientengruppe, bei denen traditionelle Therapeutika nicht gewirkt haben oder nicht vertragen wurden, günstige Wirkungen entstehen könnten. Der Grad der Wahrscheinlichkeit für die therapeutische 2 7 7 Zum Verletzungsprozess s. B G H , 11.7.1995, „Klinische Versuche I", G R U R 1996, 109. Das Stoffpatent gewährt absoluten Schutz für Stofferfindungen. Klinische Erprobungen und Untersuchungen sind gem. § 11 Nr. 2 PatG allerdings insoweit freigestellt, „als diese Versuche unmittelbar auf die Gewinnung von Erkenntnissen gerichtet sind", B G H , G R U R 1996, 109 (114). In „Klinische Versuche I I " präzisierte der B G H die Grenzen des Versuchsprivilegs ( B G H , N J W 1997,3092). Das BVerfG lehnte einen Verstoß gegen die Eigentumsgarantie durch das Versuchsprivileg, bzw. seine Auslegung durch den B G H ab, s. BVerfG, N J W 2001, 1783. 278 279 280
BPatG, G R U R 1994, 98. B G H Z 131, 247 (251 f.). In diesem Sinn bereits R G Z 83, 9, 14 „Zinnrückgewinnung". B G H Z 131, 247 (257 ff.).
C. Immaterialgüterrechtliche
Regelungen
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Wirkung in diesen Fällen sei aber ungewiss. Außerdem habe der Kläger nicht bewiesen, dass kein anderes vergleichbar wirksames Präparat zur Verfügung stehe. Keinen durchgreifenden Einwand gegen die Erteilung einer Zwangslizenz sah der B G H allerdings in Art. 14 GG und Art. 5 A PVÜ. § 24 PatG sei sowohl Inhaltsbestimmung i.S. von Art. 14 Abs. 1 S. 2 GG als auch Ausdruck der Sozialbindung i.S. von Art. 14 Abs. 2 GG, so dass bei Vorliegen des von § 2 4 Abs. 1 PatG geforderten öffentlichen Interesses eine Verletzung des Eigentumsrechts ausscheide. Außerdem könne Art. 5 A P V Ü nicht entnommen werden, dass die Erteilung einer Zwangslizenz zwingend den Missbrauch des Patents voraussetze. Die Vorschrift betreffe nur den besonderen Fall der Zwangslizenz bei unterlassener oder ungenügender Ausübung des Patents, nicht dagegen den Fall der Zwangslizenz aufgrund öffentlicher Interessen. 281 3. Kritik Dem Ausgangspunkt des BGH, nämlich dass an das Vorliegen des öffentlichen Interesses hohe Voraussetzungen zu stellen sind, und der Lizenzsuchende diese Voraussetzung zu beweisen hat, ist zuzustimmen. Fraglich ist allerdings, ob man die Anforderungen im konkreten Fall so hoch schrauben sollte, wie es der B G H getan hat. Beim Schutzgut der medizinischen Versorgung handelt es sich um einen für die Allgemeinheit besonders wichtigen Wert. Dies gilt um so mehr, als es um die medikamentöse Behandlung einer schweren Krankheit geht. Es erscheint zweifelhaft, ob man in diesem Bereich unbedingt die „erhebliche" Verbesserung der therapeutischen Möglichkeiten im Vergleich zu herkömmlichen Medikamenten fordern soll, oder ob man es nicht bei einer spürbaren Verbesserung belassen sollte. 282 Angesichts der Komplexität der Wirkungszusammenhänge erscheinen auch die Anforderungen an die Beweisführung überzogen. Dies betrifft insbesondere die Gruppe derjenigen Patienten, bei denen herkömmliche Medikamente 281 BGHZ 131, 247 (252 f.). A.A./. Straus (oben Fn. 267), S. 204, der den Missbrauch i.S. von Art. 5 A (2) PVÜ als Voraussetzung für jede Art der Zwangslizenz, also auch für solche im öffentlichen Interesse ansieht. 282 Allerdings verlangt § 24 Abs. 2 PatG für den Problemkreis der abhängigen Patente, dass der Anspruch auf Einräumung einer Zwangslizenz nur dann besteht, wenn das abhängige Patent im Vergleich mit dem herrschenden Patent „einen wichtigen technischen Fortschritt von erheblicher wirtschaftlicher Bedeutung aufweist." Diese Vorschrift (die auf Art. 31 Buchstabe 1) TRIPs zurückgeht) erscheint für den Bereich des Gesundheitswesens nicht angemessen. Warum sollte beispielsweise ein medizinisch bedeutsames Verwendungspatent nicht in den Genuss einer Zwangslizenz an einem herrschenden Stoffpatent kommen, nur weil - z.B. wegen Seltenheit der zu therapierenden Krankheit - keine „erhebliche wirtschaftliche Bedeutung" vorliegt? Die Vorschrift erscheint wenig durchdacht. Der aus Art. 2 Abs. 2 S. 1 GG folgenden Schutzpflicht des Staates für Leben und körperliche Unversehrtheit entspricht es, in Gesundheitsfragen auf das Erfordernis der „erheblichen wirtschaftlichen Bedeutung" zu verzichten und es beim Erfordernis des öffentlichen Interesses zu belassen.
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3. Teil: Deutsches
Recht
wirkungslos oder unverträglich waren. Obwohl hier die Möglichkeit günstiger Wirkungen ausdrücklich festgestellt wurde, scheitert die Beweisführung daran, dass über den Grad der Wahrscheinlichkeit solcher günstigen Wirkungen keine Aussage gemacht werden kann. Auch erscheint es unangemessen, vom Kläger sichere Aussagen darüber zu verlangen, dass kein anderes gleich geeignetes Therapeutikum existiert. Die wissenschaftlichen Schwierigkeiten bei der Durchführung und Auswertung klinischer Tests werden hierdurch in doppelter Weise gegen den Kläger verwendet, nämlich einerseits bei der Frage, ob sein Therapeutikum zu einer Verbesserung führt, und andererseits bei der Frage, ob keine gleichwirksamen Alternativen bestehen. Selbst der Nachweis deutlich geringerer Nebenwirkungen von Polyferon wird als nicht ausreichend erachtet, da dieser Vorteil womöglich mit einem Mangel an therapeutischer Wirksamkeit zu erklären sei. Es erscheint nicht ersichtlich, wie es bei solch überzogenen Anforderungen jemals zur Erteilung einer Zwangslizenz kommen sollte. 283 Ein Absenken der Erteilungsvoraussetzungen erscheint dringend geboten. Vor allem scheint nicht ausreichend berücksichtigt worden zu sein, dass Polyferon im Entscheidungszeitpunkt das einzige in Deutschland zugelassene Arzneimittel mit dem W i r k stoff IFN-gamma zur Behandlung der chronischen Polyarthritis war. Die Inhaberin des Stoffpatents für IFN-gamma war zwar mit der Erprobung entsprechender Anwendungen beschäftigt; eine Markteinführung stand aber nicht bevor. Die eigenen Interessen des Rechtsinhabers hätten ausreichend dadurch berücksichtigt werden können, dass die Zwangslizenz, wie es in § 24 Abs. 5 S. 3 PatG ausdrücklich vorgesehen ist, für einen begrenzten Zeitraum erteilt wird. Außerdem kann die Zwangslizenz gem. § 24 Abs. 5 S. 6 PatG zurückgenommen werden, wenn ihre Voraussetzungen weggefallen sind. Das öffentliche Interesse hätte mit zwei Erwägungen, nämlich mit dem Vorsprung bei den Nebenwirkungen und mit der Wirkung für die Patientengruppe, bei denen traditionelle Medikamente nicht wirken, bzw. unverträglich sind, überzeugend begründet werden können. 2 8 4
283 Immerhin ist die Einschätzung verbreitet, dass bereits die Möglichkeit von Zwängslizenzen (auch zugunsten von abhängigen Patenten) die Bereitschaft zur freiwilligen Erteilung von Lizenzen steigern wird, s. z.B. H. Eichmann, Das europäische Geschmacksmusterrecht auf Abwegen?, GRUR Int. 1996, 859 (871 Fn. 187),/. Straus (oben Fn. 267), S. 208, Benkard/ Rogge% 24 PatG Rdnr.5. 284 Zweifelnd an der Richtigkeit der Polyferon-Entscheidung auch Chr. Heath, Bedeutet TRIPS wirklich eine Schlechterstellung von Entwicklungsländern?, GRUR Int. 1996, 1169 (1176 Fn. 39).
C. Immaterialgüterrechtliche
III.
Regelungen
185
Folgerungen
Es entspricht allgemeiner Meinung, dass das öffentliche Interesse i.S. von § 24 Abs. 1 Nr. 2 P a t G mit wirtschaftlichen, technischen, sozialpolitischen oder medizinischen Gesichtspunkten ausgefüllt werden kann. 2 8 5 Umstritten ist dagegen der Stellenwert wettbewerblicher Erwägungen. Die traditionelle Auffassung nimmt eine klare Trennung zwischen Patentrecht und Kartellrecht vor, und lehnt eine Heranziehung kartellrechtlicher Maßstäbe zur Konkretisierung des öffentlichen Interesses i.S. von § 24 Abs. 1 PatG ab. 2 8 6 D e m stehen diejenigen gegenüber, die eine Einbeziehung kartellrechtlicher Gesichtspunkte befürworten. 2 8 7 Einer solchen Ergänzung kann nur beigepflichtet werden. Die Ausgrenzung kartellrechtlicher Gesichtspunkte ist Ausdruck einer strikten Trennung zwischen Immaterialgüterrecht und Kartellrecht, wie sie auch der Inhaltstheorie zu Grunde liegt. Immaterialgüterrechtliche Bestimmungen wie die über Zwangslizenzen sind dazu geeignet, diese Trennung zu überwinden und Spannungen zwischen beiden Rechtsgebieten zu mildern. Es erscheint nicht einsichtig, Zwangslizenzen nach dem Patentrecht abzulehnen, um sie dann auf der Grundlage des Kartellrechts zuzusprechen. Schon Art. 5 A (2) P V U gestattet den Verbandsländern Regeln über Zwangslizenzen zur Verhütung von Missbräuchen. 2 8 8 Der Begriff des Missbrauchs hat aber gerade im Kartellrecht große B e deutung erlangt, so dass ein Rückgriff hierauf nahe liegt. Allgemein ist eine Berücksichtigung von Kartellrecht dazu geeignet, dem Begriff des öffentlichen Interesses deutlichere Konturen zu verschaffen. Die Gemeinsamkeit zwischen Kartellrecht und patentrechtlichen Zwangslizenzen besteht darin, dass in beiden Fällen Eigentum i.S. von Art. 14 Abs. 1 S. 2, Abs. 2 G G zum Wohl der All-
S. o. F n . 2 7 1 . S. o. S. 180 f. Die Haltung des B G H im oben angeführten Zitat aus der Polyferon-Entscheidung ist zurückhaltend, kartellrechtliche Gesichtspunkt werden aber nicht von vornherein zurückgewiesen. Es wird lediglich festgestellt, dass eine Monopolstellung nicht ausreicht, um das öffentliche Interesse an einer Zwangslizenz zu begründen. Zu dieser Feststellung würde man aber auch bei der Heranziehung kartellrechtlicher Maßstäbe gelangen, da nach deutschem Recht nicht die Marktbeherrschung als solche, sondern erst deren Missbrauch sanktioniert wird (§ 19 Abs. 1 G W B ) . 287 U. Dreiss (oben F n . 3 1 ) , S. 216 ff.; BenkardARogge § 2 4 P a t G Rdnr. 19, der allerdings § 24 P a t G als lex specialis zum Kartellrecht sieht (dagegen oben Fn. 226). Weitergehend H. Ullrich, Wissenschaftlich-technische Kreativität zwischen privatem Eigentum, freiem Wettbewerb und staatlicher Steuerung, 1996, S. 203 (247 Fn. 103), der das Kriterium des öffentlichen Interesses für die privatnützige Erteilung einer Zwangslizenz für systemfremd hält und die allgemeinen Grundsätze des Kontrahierungszwangs nach den § § 826 B G B , 26 Abs. 2 G W B a.F. bevorzugt. S. auch K. Pfanner, Die Zwangslizenzierung von Patenten: Uberblick und neuere Entwicklungen, G R U R Int. 1985, 357 ff. 2 8 8 Zu der Streitfrage, ob der Missbrauch Voraussetzung für alle Arten von Zwangslizenz ist, s.o. Fn. 281. 285
286
186
3. Teil: Deutsches
Recht
gemeinheit beschränkt wird. Bei der nötigen Abwägung zwischen Privat- und Gemeinnützigkeit kann Kartellrecht für Orientierung sorgen. 289 Außerdem hat die Neufassung von § 24 PatG 2 9 0 einen ausdrücklichen Hinweis gegeben. Gem. § 24 Abs. 3 PatG 2 9 1 darf auf dem Gebiet der Halbleitertechnologie eine Zwangslizenz „im Rahmen des Absatzes 1" nur erteilt werden, „wenn dies zur Behebung einer in einem Gerichts- oder Verwaltungsverfahren festgestellten wettbewerbswidrigen Praxis des Patentinhabers erforderlich ist." Die Vorschrift lässt zwar keinen zwingenden Schluss darauf zu, dass Kartellrecht zur Auslegung des öffentlichen Interesses heranzuziehen ist: Der Verweis auf Absatz 1 scheint so zu verstehen zu sein, dass zusätzlich zum öffentlichen Interesse die Erforderlichkeit für die Abstellung eines festgestellten Wettbewerbsverstoßes verlangt wird. Dennoch werden für einen Spezialbereich Patentrecht und Kartellrecht miteinander verzahnt und Kartellrecht zur notwendigen Bedingung für die Erteilung einer Zwangslizenz gemacht. Man wird sogar noch einen Schritt weiter gehen können: Wenn nur eine Zwangslizenz einen festgestellten Kartellrechtsverstoß beheben kann, dann muss sie auch erteilt werden, da es anderenfalls beim kartellrechtswidrigen Zustand sein Bewenden hätte. 292 Kartellrechtsverstoß und das öffentliche Interesse an seiner Abstellung sind in diesem Fall deckungsgleich. Wie dieses Beispiel zeigt, geht das Gesetz von Konstellationen aus, in denen allein der Kartellrechtsverstoß zur Begründung des öffentlichen Interesses i.S. von § 24 Abs. 1 Nr. 2 PatG ausreicht. Diesen Gedanken wird man verallgemeinern können. Das öffentliche Interesse ist somit nicht nur mit den traditionell anerkannten wirtschaftlichen, technischen, sozialpolitischen oder medizinischen Gesichtspunkten, sondern auch anhand wettbewerblicher Erwägungen zu konkretisieren.
289 Die Ermöglichung oder Sicherung von Wettbewerb ist ein verfassungslegitimer Gemeinwohlbelang i.S. von Art. 14 GG, s. H.-J. Papier, Durchleitungen und Eigentum, BB 1997, 1213 (1216); R. Wendt, in: M. Sachs, Grundgesetz, Art. 14 Rdnr. 98 f. mit Argument aus Art. 74 Abs. 1 Nr. 16 GG; a.A. U. Schnelle, EuZW 1994, 556 (562). 290 Durch Gesetz v. 16.7.1998 (BGBl. I S. 1827). 291 Der Absatz geht auf Art. 31 Buchstabe c) des TRIPs-Abkommens zurück, s. dazu unten S. 588 ff. 292 Im deutschen Recht wird es allerdings vor Kartellbehörden und Gerichten nur in seltenen Ausnahmefällen zu einer bloßen Feststellung des Kartellrechtsverstoßes kommen. In der Regel wird die Abstellung dieses Verstoßes angeordnet, die auch in der Auferlegung einer Lizenzierungspflicht bestehen kann (s.o. S. 168 ff.). Der Weg zum Bundespatentgericht nach den § §24, 81 PatG ist in diesen Fällen nur dann sinnvoll, wenn außer kartellrechtlichen noch andere Aspekte des öffentlichen Interesses geltend gemacht werden sollen, oder wenn sich aus der detaillierteren Ausgestaltung der patentrechtlichen Zwangslizenz (s. § § 81, 85 PatG) Vorteile ergeben. Ein Verhältnis der Spezialität patentrechtlicher zu kartellrechtlichen Lizenzierungspflichten besteht nicht (s.o. Fn. 226).
D.
Ergebnis
187
D. Ergebnis Friedrich-Karl Beier hat festgestellt, dass „das Kartell- und Monopolrecht die dem Patentrecht gesetzlich zugewiesene Aufgabe als Instrument zur Förderung der Innovation und des wirtschaftlichen Wachstums nicht hemmen darf und nur dort korrigierend eingreifen sollte, w o das Patentsystem selbst Mängel aufweist und auf Selbstregulierung verzichtet oder w o das Ausschlußrecht funktionswidrig zu Zwecken der Wettbewerbsbeschränkung und Monopolisierung mißbraucht wird." 2 9 3
Diese für das Verhältnis von Kartell- und Patentrecht gemachte Aussage lässt sich - mutatis mutandis - auf die übrigen Rechte des geistigen Eigentums übertragen. Das deutsche Recht tut sich schwer, diese Anforderungen zu erfüllen. Der Hauptgrund hierfür liegt darin, dass für einen wichtigen Ausschnitt aus dem Problemkreis, nämlich für das Lizenzkartellrecht, mit der Inhaltstheorie ein Lösungsansatz gesetzlich festgeschrieben wurde, der über seinen eigentlichen Anwendungsbereich hinaus das gesamte deutsche Kartellrecht des geistigen Eigentums entscheidend geprägt hat. Die Inhaltstheorie, also der Ausschluss von Kartellrecht innerhalb der angeblich allein immaterialgüterrechtlich zu bestimmenden Grenzen des jeweiligen Rechts, wird der Beierscben Formel nicht gerecht. Wo Ausschlussrechte ausnahmsweise zu Zwecken der Wettbewerbsbeschränkung und der Monopolisierung missbraucht werden, geschieht dies in der Regel unter Zuhilfenahme ihres gesamten Umfangs, also gerade auch der immaterialgüterrechtlich ausdrücklich zugesprochenen Befugnisse. Dies ergibt sich bereits aus dem Begriff des Missbrauchs. Vom Missbrauch eines Rechts spricht man nämlich dann, wenn ein Recht ganz oder teilweise - aber sicherlich immer unter Heranziehung von im Prinzip zugesprochenen Befugnissen - zu Zielen eingesetzt wird, die angesichts aller Umstände des Einzelfalls einschließlich einer umfassenden Interessenabwägung von der Rechtsordnung nicht mehr toleriert werden können. Es ist gerade der Inhalt des Rechts, der in solchen Fällen durch das Missbrauchsverbot im Einzelfall eingeschränkt wird. Auf dieser Grundlage erscheint es widersinnig, der Anwendung des Missbrauchsverbots den Rechtsinhalt als Schranke vorzugeben, wie es in den §§ 17,18 G W B (§§ 20, 21 GWB a.F.) geschehen ist. Die Kritik an der Inhaltstheorie wird durch ihre Entstehungsgeschichte untermauert. Die § § 2 0 , 21 GWB a.F. beruhten auf der dekartellierungsrechtlich vermittelten Rezeption US-amerikanischer Antitrust-Grundsätze der vierziger Jahre, die zur damaligen Zeit einen Fortschritt darstellten. Die amerikanische Rechtsentwicklung hat mit ihrem flexibleren Fallrecht die inherency doctrine allerdings längst hinter sich gelassen. Die Inhaltstheorie des deutschen Rechts 293 Vorwort in R. Pietzke, Patentschutz, Wettbewerbsbeschränkungen und Konzentration im Recht der Vereinigten Staaten von Amerika, 1983, S. XII.
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3. Teil: Deutsches
Recht
hat dagegen alle G W B - R e f o r m e n unbeschadet überstanden. Selbst die 6. G W B Novelle, die mit dem Ziel einer Angleichung an das europäische Recht angetreten war, hat mit der Abschaffung der vertikalen Preisbindung in Patent- und K n o w - h o w - L i z e n z v e r t r ä g e n nur eine R a n d k o r r e k t u r gebracht. Die konzeptionelle Schwäche der Inhaltstheorie veranlasst zu einer restriktiven H a n d h a b u n g der §§17, 18 G W B . Einerseits ist der Begriff des Schutzrechtsinhalts von einer rein formalen A d d i t i o n schutzrechtlicher Befugnisse zu lösen und vorsichtig u m wettbewerbsrechtliche Gesichtspunkte zu ergänzen. Andererseits ist jede analoge A n w e n d u n g der §§ 17, 18 G W B außerhalb ihres A n w e n d u n g s b e r e i c h s abzulehnen. Auf andere als die dort genannten Schutzrechte, also insbesondere auf Urheberrechte, Geschmacksmuster u n d M a r k e n ist die Inhaltstheorie (außerhalb von § 18 Nr. 3 G W B ) nicht a n z u w e n d e n . A u c h ist ein Rückgriff auf die Inhaltstheorie im R a h m e n von § 1 G W B (Horizontale Wettbewerbsbeschränkungen), §§ 14, 16 G W B (Allgemeine Vorschriften über Vertikalvereinbarungen), § 19 G W B (Verbot des Missbrauchs einer marktbeherrschenden Stellung), § 20 G W B (Behinderungs- und Diskriminierungsverbot) sowie der Fusionskontrolle ausgeschlossen. In all diesen Fällen sind i m m a terialgüterrechtliche Befugnisse nicht als absolute Sperre gegenüber der A n w e n d u n g von Kartellrecht anzusehen, sondern fließen in die A u s l e g u n g der kartellrechtlichen Tatbestände ein. Ein solches auf R ü c k k o p p l u n g angelegtes Vorgehen empfiehlt sich auch bei denjenigen immaterialgüterrechtlichen Regelungen, die - w i e das Institut der Zwangslizenz - eine besondere N ä h e z u m Kartellrecht aufweisen. In die entsprechenden Generalklauseln - w i e z.B. das Kriterium des öffentlichen Interesses als Voraussetzung für die Erteilung einer patentrechtlichen Z w a n g s l i z e n z sind kartellrechtliche Wertungen einzubringen.
4. Teil
Europäisches Recht 1 „Wie die anderen gewerblichen und k o m m e r ziellen Eigentumsrechte können auch die d u r c h das E i g e n t u m an literarischen und künstlerischen Werken verliehenen ausschließlichen Rechte den A u s t a u s c h v o n G ü t e r n und Dienstleistungen s o wie die Wettbewerbsverhältnisse innerhalb der G e m e i n s c h a f t berühren. A u s diesem G r u n d unterliegen diese Rechte, o b w o h l sie in den nationalen Rechtsvorschriften geregelt sind, nach ständiger R e c h t s p r e c h u n g des G e r i c h t s h o f e s den E r f o r d e r n i s s e n des E W G - V e r t r a g s und fallen s o mit in dessen A n w e n d u n g s b e r e i c h . " ( E u G H , 20.10.1993, „Phil C o l l i n s " , Slg. 1993,1-5179 T z . 2 2 )
In jeder Rechtsordnung, der Immaterialgüterschutz nicht fremd ist, und die über ein Wettbewerbsrecht verfügt, wirft die Frage nach dem Verhältnis von Schutz des geistigen Eigentums und Schutz der Wettbewerbsfreiheit Probleme auf. 2 Im Fall der Europäischen Union werden die Schwierigkeiten durch zwei Besonderheiten verschärft: Zum einen enthält der EG-Vertrag zwar Wettbewerbsregeln, aber kein unmittelbar anwendbares Immaterialgüterrecht. Zum anderen sind im System des Vertrags nicht nur das Wettbewerbsrecht, sondern auch die Grundfreiheiten 1 Die Darstellung beschränkt sich auf den EG-Vertrag. D a mangels eigener Wettbewerbsregeln die Art. 81 und 82 E G V auch auf dem Gebiet des EAG-Vertrags anwendbar sind, gelten die Ausführungen aber auch unmittelbar für Euratom. Die zahlreichen immaterialgüterrechtlichen Sondervorschriften des EAG-Vertrags (z.B. die Art. 1 2 , 1 4 , 1 6 - 2 3 , 2 5 , 2 6 und 28, s. hierzu Sünner/Pfanner, Der gewerbliche Rechtsschutz im Euratomvertrag, 1958) führen für die hier behandelte Problematik zu keinem anderen Ergebnis. Was den E G K S - V e r t r a g betrifft, so enthält er zwar in den Art. 65 und 66 eigene Wettbewerbsvorschriften. D a sich die Frage nach dem Verhältnis dieser Bestimmungen zum Immaterialgüterrecht aber in gleicher Weise stellt, lassen sich die für den EG-Vertrag gefundenen Ergebnisse auf das Wettbewerbsrecht der Montanunion übertragen. 2 Ein weltweit ausgerichteter Uberblick über das Kartellrecht des geistigen Eigentums findet sich in UNCTAD, The scope, coverage and enforcement of competition laws and policies and analysis of the provisions of the U r u g u a y R o u n d Agreements relevant to competition p o licy, including their implications for developing and other countries, T D / R B P / C O N F . 4 / 8 , 4 September 1995, S. 21 ff.
190
4. Teil: Europäisches
Recht
z u m Immaterialgüterrecht in B e z i e h u n g zu setzen. A u c h w e n n W e t t b e w e r b s recht und Grundfreiheiten unterschiedliche Ziele verfolgen, kann ihr Verhältnis zum Immaterialgüterrecht nicht unabhängig voneinander bestimmt werden. I m f o l g e n d e n s o l l d i e S t e l l u n g des I m m a t e r i a l g ü t e r r e c h t s i m S y s t e m des E G Vertrags skizziert ( A . ) u n d sein Verhältnis zu den G r u n d f r e i h e i t e n analysiert w e r d e n ( B . ) . D i e s e r H i n t e r g r u n d m a c h t d i e U n t e r s u c h u n g des V e r h ä l t n i s s e s v o n I m m a t e r i a l g ü t e r r e c h t u n d e u r o p ä i s c h e m K a r t e l l r e c h t erst m ö g l i c h ( C . ) .
A. Immaterialgüterschutz im System des EG-Vertrags 3 D e r E G - V e r t r a g enthält kein Immaterialgüterrecht im eigentlichen Sinn.4 D e n n o c h w e r d e n F r a g e n d e s g e i s t i g e n E i g e n t u m s in v e r s c h i e d e n e n R e g e l u n g s z u s a m m e n h ä n g e n r e l e v a n t . A n e i n e r S t e l l e , n ä m l i c h in A r t . 3 0 S. 1 E G V , f i n d e t das „gewerbliche und kommerzielle E i g e n t u m " sogar ausdrückliche Erwähnung.5 3 Uberblicke finden sich bei Ullrich!Konrad, Gewerblicher Rechtsschutz, in: M. A. Dauses (Hrsg.), Handbuch des EU-Wirtschaftsrechts, Abschnitt C.III; W. Kilian, Europäisches Wirtschaftsrecht, 1996, Rdnr. 641 ff.; I. Klauer, Die Europäisierung des Privatrechts - Der E u G H als Zivilrichter, 1997, S. 228 ff.; Erdmann/Melullis, Einfluß des europäischen Rechts auf den gewerblichen Rechtsschutz und das Urheberrecht, FS 50 Jahre B G H , 2000, S. 315 ff. 4 Generalanwalt F. Jacobs bemerkt in der Rechtssache „ H A G I I " hierzu: „Der EWG-Vertrag will im Einklang mit seinem Charakter als ,traité-cadre' kein abschließendes Regelwerk für die Stellung der Rechte an geistigem Eigentum im Gemeinschaftsrecht schaffen. Er stellt lediglich ein Skelett dar. Die Aufgabe, das Knochengerüst mit Fleisch und Blut zu versehen, fällt den Rechtsetzungsorganen der Gemeinschaft und dem Gerichtshof zu." (Slg. 1990, I3728 f. Tz. 10). 5 Dagegen beziehen sich die „ausschließlichen Rechte" in Art. 86 Abs. 1 E G V nicht auf den Schutz des geistigen Eigentums. Von den ausschließlichen Rechten im Sinn der Vorschrift sind die allgemeinen Regelungen abzugrenzen. Es handelt sich dabei um Vergünstigungen, in deren Genuss jedermann kommt, der bestimmte, allgemein umschriebene Voraussetzungen erfüllt. Dies ist beim Schutz des geistigen Eigentums der Fall: Jeder, der die Voraussetzungen des jeweiligen Schutzsystems erfüllt, erlangt den dadurch gewährten Rechtsvorteil. Art. 86 Abs. 1 E G V ist deshalb nicht anwendbar, s. hierzu I. Pernice, in Grabitz/Hilf Art. 90 E G V a.F. Rdnr. 28 m.w.N.
Der Vollständigkeit halber sei auf Anhang III „Liste der unsichtbaren Transaktionen zu Artikel 73h dieses Vertrags" hingewiesen, der bis zum Inkrafttreten des Amsterdamer Vertrags Bestandteil des EG-Vertrags war. Die Liste enthielt eine Aufzählung verschiedener Transaktionen, die dem Zahlungsverkehr zuzuordnen sind, und für die die standstill-Klausel des Art. 73 h Abs. 3 galt. Ein Unterpunkt der Liste war: „Erträgnisse aus Urheberrechten. Patente, gewerbliche Muster, Warenzeichen und Erfindungen (Übertragung von und Lizenzerteilung an Patenten, gewerblichen Mustern, Warenzeichen und Erfindungen ohne Rücksicht auf gesetzlichen Schutz, sowie Transfers für solche Übertragungen oder Lizenzerteilungen)". Art. 73h E G V galt nur zwei Monate lang, nämlich vom Inkrafttreten des Maastrichter Vertrags am 1.11.1993 bis zum 1.1.1994, und wurde dann durch die einheitlichen Vorschriften über den Kapital- und Zahlungsverkehr in den Art. 73b bis 73g E G V abgelöst. Art. 73h war die Nachfolgevorschrift zu Art. 106 EWGV; Anhang III bezog sich vor Inkrafttreten des Unions-Vertrags auf Art. 106 EWGV. Als besondere Modalität des Zahlungsverkehrs hatte Anhang III keine Bedeutung für das Verhältnis von Wettbewerbsrecht zum Immaterialgüterrecht. Immer-
A. Immaterialgiiterschutz
im System des EG-Vertrags
191
Die einschlägigen Vorschriften lassen sich in drei Gruppen aufteilen, und zwar (I.) die grundlegende eigentumsrechtliche N o r m des Vertrags, nämlich Art. 295 EGV, (II.) die Rechtsgrundlagen zur Harmonisierung nationaler Schutzrechte und (III.) die Rechtsgrundlagen zur Schaffung einheitlicher europäischer Schutzrechte. I. Art. 295 EGV (= Art. 222 EGV a.F.) Immer wieder, wenn von den gemeinschaftsrechtlichen Bezügen des Immaterialgüterrechts die Rede ist, wird Art. 295 EGV genannt. In der Regel wird die Vorschrift herangezogen, um die Grenzen gemeinschaftsrechtlicher Zuständigkeit auf dem Gebiet des geistigen Eigentums zu betonen. Bevor deshalb auf die einzelnen Problemfelder eingegangen wird, ist die Reichweite der Vorschrift zu bestimmen. N u r soweit Art. 295 EGV der Gemeinschaft einen Spielraum lässt, ist die Anwendung von Gemeinschaftsrecht einschließlich der Ausübung von Gemeinschaftskompetenzen möglich. 1. Ausgangspunkt:
Art. 295 EGV als „offene Flanke" des
Gemeinschaftsrechts?
Nach dem Wortlaut der Vorschrift lässt der Vertrag die Eigentumsordnung in den verschiedenen Mitgliedstaaten unberührt. Die Vorschrift enthält einen ausdrücklichen Kompetenzvorbehalt zugunsten der Mitgliedstaaten. Die Bestimmung der Reichweite dieser Vorschrift bereitet erhebliche Probleme. Da sich alle Maßnahmen im Bereich der Wirtschaft unmittelbar oder mittelbar auf Eigentumsverhältnisse beziehen oder zumindest auswirken, würde eine Überspannung der Vorschrift zu einem Leerlaufen der Gemeinschaftskompetenzen führen. 6 Art. 295 EGV wurde deshalb auch als die „offene Flanke des Gemeinsamen Marktes" bezeichnet. 7 Im Kontext der vorliegenden Arbeit könnte die „offene Flanke" folgende Konsequenz haben: Da Immaterialgüterrecht noch immer zum größten Teil nationales Recht ist, würde die Abschirmung dieses Rechtsgebiets nach Art. 295 EGV zu einer weitgehenden Zurückdrängung von Gemeinschaftsrecht, insbehin ist b e m e r k e n s w e r t , dass auch aus der Perspektive der „ f ü n f t e n G r u n d f r e i h e i t " Belange des Immaterialgüterrechts eine Rolle spielen. 6 Generalanwalt K. Roemer f ü h r t in seinem Schlussantrag z u r Rechtssache „ C o n s t e n u n d G r u n d i g / K o m m i s s i o n " aus, der Z w e c k von A r t . 222 E G V a.F. „bestehe offensichtlich n u r darin, die Freiheit der Mitgliedstaaten in der Ausgestaltung ihrer E i g e n t u m s o r d n u n g e n im allgemeinen zu sichern, nicht dagegen eine Garantie d a f ü r zu geben, daß die G e m e i n s c h a f t s o r g a n e in keiner Weise in subjektive Eigentumsrechte eingreifen. Angesichts des a u ß e r o r d e n t l i c h weitgespannten Eigentumsbegriffs der nationalen R e c h t s o r d n u n g e n w ü r d e eine andere T h e s e weithin auf eine Blockierung der G e m e i n s c h a f t s k o m p e t e n z e n hinauslaufen." (Slg. 1966, 423); in diesem Sinn auch J. Basedow, Von der deutschen z u r europäischen Wirtschaftsverfassung, 1992, S. 35. 7 So M. Zuleeg, zitiert nach R. Riegel, Die E i n w i r k u n g des europäischen G e m e i n s c h a f t s rechts auf die E i g e n t u m s o r d n u n g der Mitgliedstaaten, R I W 1979, 744.
192
4. Teil: Europäisches
Recht
sondere auch des europäischen Wettbewerbsrechts führen. Art. 295 EGV ist also für die Frage des Verhältnisses von (europäischem) Wettbewerbsrecht zu (nationalem) Immaterialgüterrecht von unmittelbarer Bedeutung. 2. Folgerungen aus der
Entstehungsgeschichte
Für die Bestimmung der Reichweite von Art. 295 EGV ist ein Blick auf die Entstehungsgeschichte unabdingbar. Zu Beginn der Vertragsverhandlungen war das mit der Vorschrift verfolgte Ziel eng eingegrenzt: Die Entscheidung über die Verstaatlichung oder Privatisierung von Unternehmen sollte den Mitgliedstaaten vorbehalten werden. Im Gegensatz zu Art. 83 EGKS-Vertrag, der sich in diesem Sinn lediglich auf das Eigentum an Unternehmen bezieht, wurde Art. 222 EWGV dann aber auf die Eigentumsordnung insgesamt erweitert. 8 Dieser historische Hintergrund verbietet die Einschränkung des Anwendungsbereichs auf unternehmensbezogene Eigentumsfragen. 9 Dementsprechend wird die Vorschrift in einem umfassenden Sinn ausgelegt. Zur Eigentumsordnung i.S. von Art. 295 EGV gehört z.B. auch die Ausgestaltung des geistigen Eigentums. 10 Vor dem Hintergrund von Art. 295 EGV fand daher der Immaterialgüterschutz lange Zeit seine Grundlage allein im nationalen Recht. Dies schloss Konflikte mit Art. 295 EGV allerdings nicht aus: Die nationale Zuständigkeit für Fragen auch des geistigen Eigentums wurde nicht erst durch die (relativ spät erfolgenden) Gemeinschaftsgesetzgebung auf dem Gebiet des Immaterialgüterrechts tangiert, sondern immer dann, wenn die Anwendbarkeit von Gemeinschaftsrecht auf Fälle zu klären war, in denen nationale Immaterialgüterrechte von Bedeutung waren. 3. Standpunkt
des Gerichtshofs
Der Gerichtshof entschied schon früh den Konflikt zwischen mitgliedstaatlichen Kompetenzen nach Art. 222 EWGV und den Anforderungen des E W G Vertrags unter Zuhilfenahme der Differenzierung von Bestand und Ausübung geistiger Eigentumsrechte, also derselben Unterscheidung, mit der er auch den Konflikt zwischen nationalen Schutzrechten und gemeinschaftlichen Grundfreiheiten löste. In „Consten und Grundig" stellte er fest: 8 Zur Entstehungsgeschichte s. G. Burghardt, Die Eigentumsordnungen in den Mitgliedstaaten und der EWG-Vertrag, 1969, S. 28. 9 R. Riegel (oben Fn. 7), RIW 1979, 744 (746). 10 W. Fikentscher, Wirtschaftsrecht, Band I, 1983, S. 678.; a.A. G. Burghardt (oben Fn. 8), S. 20 ff., 26. U. Schnelle (EuZW 1994, 556, 561) ist der Auffassung, ein Vergleich von Art. 36 EGV (a.F.) und Art. 222 EGV (a.F.) ergebe, dass der EG-Vertrag dem dinglichen Eigentum einen höheren Stellenwert einräume „als etwa dem Urheberrecht". Dem kann nicht zugestimmt werden. Beide Eigentumsformen genießen denselben Stellenwert. Aus Art. 30 EGV folgt gerade die Respektierung des geistigen Eigentums durch den Vertrag. Dass Art. 30 S. 2 EGV und die Lehre vom spezifischen Gegenstand Ausnahmen bereitstellen, erklärt sich aus der Territorialität von Immaterialgüterrechten und den damit verbundenen Reibungen mit dem Grundsatz der Warenverkehrsfreiheit, die beim Sacheigentum nicht bestehen.
A. Immaterialgüterschutz
im System des
EG-Vertrags
193
„Art. 222 bestimmt lediglich, daß der .Vertrag die Eigentumsordnung in den verschiedenen Mitgliedstaaten u n b e r ü h r t [läßt]'. Die in Art. 3 des Entscheidungstenors enthaltene A n ordnung, von den innerstaatlichen gewerblichen Schutzrechten nicht zur Verhinderung von Paralleleinfuhren Gebrauch zu machen, läßt den Bestand dieser Rechte u n b e r ü h r t und beschränkt nur ihre Ausübung, soweit dies zur Durchsetzung des Verbots des Artikels 85 Absatz 1 erforderlich ist." 11
In neuerer Zeit begnügt sich der Gerichtshof mit der bloßen Feststellung, dass immaterialgüterrechtliche Fragen in den Anwendungsbereich des Vertrags fallen. So heißt es in der „Phil Collins"-Entscheidung: „Wie die anderen gewerblichen und kommerziellen Eigentumsrechte können auch die durch das Eigentum an literarischen und künstlerischen Werken verliehenen ausschließlichen Rechte den Austausch von Gütern und Dienstleistungen sowie die Wettbewerbsverhältnisse innerhalb der Gemeinschaft berühren. Aus diesem G r u n d unterliegen diese Rechte, o b w o h l sie in den nationalen Rechtsvorschriften geregelt sind, nach ständiger Rechtsprechung des Gerichtshofes den Erfordernissen des EWG-Vertrags u n d fallen somit in dessen Anwendungsbereich." 1 2
Diese in Bezug auf das Urheberrecht gemachte Aussage lässt sich auf alle immaterialgüterrechtlichen Ausschließlichkeitsrechte verallgemeinern. Eine Auseinandersetzung mit Art. 222 EGV a.F. findet in der Entscheidung nicht statt, obwohl eine der Parteien des Ausgangsverfahrens diese Vorschrift ausdrücklich angeführt hatte. 13 4. Gründe für die restriktive Auslegung von Art. 295 EGV Die Ausführungen im „Phil Collins"-Urteil spiegeln die allgemeine Auffassung wider. Aus Art. 295 EGV wird nicht die Schlussfolgerung gezogen, dass das Immaterialgüterrecht in der ausschließlichen Zuständigkeit der Mitgliedstaaten stehe und damit aus dem Anwendungsbereich des EG-Vertrags herausfalle, oder dass Maßnahmen des Gemeinschaftsgesetzgebers auf diesem Gebiet ausgeschlossen seien. 14 Fraglich ist allerdings, womit dieses Ergebnis zu begründen ist, warum also Art. 295 EGV entgegen dem ersten Textbefund der Anwendung 11 E u G H , 13.7.1966, Consten und Grundig/Kommission, Verb. Rs. 56 und 58/64, Slg. 1966, 321 (394) m. Anm. H. Würdinger, EuR 1966, 283. 12 E u G H , 20.10.1993, Phil Collins u.a., Verb. Rs. C-92/92 und C-326/92, Slg. 1993,1-5145 (1-5179 Tz. 22). Im Gutachten zur Zuständigkeit der E G zum Abschluss des GATS- und des TRIPs-Abkommens (Bestandteile des WTO-Abkommens) hat der Gerichtshof ausgeführt, dass die Zuständigkeit für das TRIPs-Abkommen zwischen der Gemeinschaft und ihren Mitgliedstaaten geteilt sei. Auch die Gemeinschaft sei für diese Materie zuständig, wenn auch nicht in ausschließlicher Kompetenz ( E u G H , 15.11.1994, Gutachten 1/94, Slg. 1994,1-5267, 1-5419 Tz. 105). 13 S. E u G H , 20.10.1993, Phil Collins u.a., Verb. Rs. C-92/92 und C-326/92, Slg. 1993, I5145 (1-5178 Tz. 18). 14 Damit wird (älteren) Versuchen, aus Art. 222 E W G V eine immaterialgüterrechtliche Bereichsausnahme zugunsten der Mitgliedstaaten abzuleiten, eine Absage erteilt. Ein solcher Versuch findet sich z.B. bei M. Götzen, Gewerblicher Rechtsschutz und Gemeinsamer Markt, G R U R Int. 1958, 224 (226); dagegen A. Deringer, Wettbewerbsrecht, Art. 85 E W G V Anm.35
194
4. Teil: Europäisches
Recht
von Gemeinschaftsrecht auf dem Gebiet des geistigen Eigentums nicht entgegensteht. Umgekehrt stellt sich die Frage, wie weit der Schutz nationaler K o m petenzen durch Art. 295 E G V dann überhaupt reicht. a) Art. 295 EGV als bloße
Übergangsvorschrift?
Die radikalste These stammt von Riegel. Art. 222 E W G V (= Art. 295 E G V ) habe nur Bedeutung für den Gründungszeitpunkt der Gemeinschaft bzw. des Beitritts, nicht aber für die Zeit danach. Aus der Entstehungsgeschichte folge, dass die Vorschrift lediglich eine „Eintrittskarte" in das Vertragssystem darstelle, nicht aber für die Zukunft Neutralität des EG-Vertrags gegenüber den mitgliedstaatlichen Eigentumsordnungen verbürgen solle. 15 Nach dieser Auffassung stellt Art. 295 E G V eine bloße Ubergangsbestimmung dar, welche die Eigentumsordnung in den einzelnen Mitgliedstaaten für den Zeitpunkt der Gründung der Gemeinschaft, bzw. den Beitritt eines neuen Mitgliedstaats für vertragsgemäß erklärt. Mit Gründung, bzw. Beitritt hat die Vorschrift ihren Zweck erfüllt; auf spätere, eigentumsrelevante Gemeinschaftsakte ist sie nicht mehr anwendbar. Für eine solche Qualifizierung von Art. 295 E G V als Ubergangsbestimmung gibt es keine Anhaltspunkte im Vertrag. Insbesondere legt die systematische Stellung der Vorschrift im Sechsten Teil des Vertrags - überschrieben mit „Allgemeine und Schlußbestimmungen" - eine solche Annahme nicht nahe. Vielmehr befinden sich in diesem Teil eine Reihe besonders grundlegender Bestimmungen, wie z.B. über die Rechtspersönlichkeit der Gemeinschaft (Art. 281 E G V ) , den Geltungsbereich des Vertrags (Art. 299 E G V ) , das Verfahren beim Abschluss völkerrechtlicher Verträge durch die Gemeinschaft (Art. 300 E G V ) und viele andere mehr. Aus der Stellung im Sechsten Teil folgt also gerade die besondere Bedeutung des Art. 295. 1 6 Soll eine Vorschrift nur für eine begrenzte Zeit gelten, macht der Vertrag dies im allgemeinen unmissverständlich klar, wie z.B. in Art. 226 E G V a.F. (aufgehoben durch den Amsterdamer Vertrag), wonach nationale Schutzmaßnahmen bei wirtschaftlichen Schwierigkeiten nur in der Ubergangszeit (s. Art. 7 E G V a.F.) getroffen werden konnten. An der äußeren Wirksamkeit der Vorschrift kann deshalb kein Zweifel bestehen. Aber auch die pauschale Negation ihrer inneren Wirksamkeit (also die Annahme von Obsoleszenz) geht zu weit. Das Kernanliegen der Vorschrift besteht darin, den Mitgliedstaaten die Entscheidung über Verstaatlichung und Privatisierung ihrer Unternehmen vorzubehalten. Die Absicherung dieser und 77, und H. Johannes, Gewerblicher Rechtsschutz und Urheberrecht im Europäischen Gemeinschaftsrecht, 1973, S. 15 f. Kritisch zur Einbeziehung des Immaterialgüterrechts in den Anwendungsbereich des Vertrags Zuck/Lenz, Verfassungsrechtlicher Rechtsschutz gegen Europa, N J W 1997, 1193 (1196 f.). 15 R. Riegel (oben Fn. 7), R I W 1979, 744 (746, 749). 16 I. Hochbaum, in von der Groeben Art. 222 E G V Rdnr. 1.
A. Immaterialgüterschutz
im System des
EG-Vertrags
195
Kompetenz durch Art. 295 EGV ist durchaus aktuell. Der Spielraum, der sich hieraus für die Mitgliedstaaten ergibt, wird von den Organen der Gemeinschaft respektiert. 17 Die Existenz eines solchen weiterhin sinnvollen Kerngehalts schließt es aus, der Vorschrift die innere Wirksamkeit abzusprechen. Der Konflikt nationaler Kompetenzen aus Art. 295 EGV mit Gemeinschaftskompetenzen muss deshalb anders gelöst werden. b) Umfasst die Eigentumsordnung
auch das geistige
Eigentum?
Vereinzelt wurde bestritten, dass der Begriff der Eigentumsordnung i.S. von Art. 295 EGV auch das geistige Eigentum umfasst. 18 Wenn man dieser Auffassung folgt, fällt der Immaterialgüterschutz nicht unter den Kompetenzvorbehalt des Art. 295 EGV. Ein Konflikt von Art. 295 EGV und anderen Vertragsvorschriften, insbesondere den Wettbewerbsregeln, kann dann auf dem Gebiet des geistigen Eigentums nicht auftreten. Allerdings besteht auch für eine solche Restriktion von Art. 295 EGV kein Anhaltspunkt. Art. 295 EGV selbst enthält keine Einschränkung auf das Sacheigentum. Auch der Zweck der Norm, nämlich Fragen der Güterzuordnung bei den Mitgliedstaaten zu belassen, betrifft materielles und immaterielles Eigentum in gleicher Weise. Die Auffassung, dass Art. 295 EGV auch das geistige Eigentum erfasst, kann deshalb als allgemeine Meinung bezeichnet werden. 19 c) Bestand
und Ausübung
von
Eigentumsrechten
Wie bereits erwähnt, löst der Gerichtshof den Konflikt zwischen nationaler Kompetenz für die Eigentumsordnung nach Art. 295 EGV und den verschiedenen gemeinschaftlichen Kompetenzen mit der Formel von Bestand und Ausübung von Eigentumsrechten. Beschränkt das Gemeinschaftsrecht bloß die Ausübung eines (nationalen) Eigentumsrechts, scheidet eine Verletzung von Art. 295 EGV aus. Erst einem Eingriff in den Bestand des Eigentumsrechts steht Art. 295 EGV entgegen.
17 Vom Recht zur Verstaatlichung ist allerdings die Frage zu trennen, ob das Staatsunternehmen auch Inhaber eines gesetzlichen Monopols sein darf, s. hierzu A. Heinemann, Grenzen staatlicher Monopole im EG-Vertrag, 1996, S. 191 ff. 18 G. Burghardt (oben Fn. 8), S. 20 ff., 26. 19 W. Fikentscher, Wirtschaftsrecht Band I, 1983, S. 678; I. Hochbaum, in von der Groehen Art. 222 EGV Rdnr. 4; A. Deringer, Les articles 90 et 37 dans leurs relations avec un régime de concurrence non falsifiée, 1969, S. 390; P. Finger, Patentschutz und EWG-Kartellrecht, NJW 1968, 2178 (2179); Ullrich!Konrad, Gewerblicher Rechtsschutz, in: M. A. Dauses (Hrsg.), Handbuch des EU-Wirtschaftsrechts, Abschnitt C.III, Rdnr. 1; W. Kilian, Europäisches Wirtschaftsrecht, 1996, Rdnr. 642. Vgl. auch Art. 17 Abs. 2 der Charta der Grundrechte der Europäischen Union v. 7.12.2000 (ABl. C 364/1): „Geistiges Eigentum wird geschützt".
196
4. Teil: Europäisches
Recht
(1) Rhetorische Funktion der Formel Der Trennung von Bestand und Ausübung fehlt ein sachliches Fundament. 2 0 Zweifel an der Uberzeugungskraft der Formel sind weit verbreitet. 21 Bemerkenswert ist, dass der Gerichtshof sich dennoch nicht ausdrücklich von dieser Unterscheidung losgesagt hat. 22 Der Grund hierfür könnte mehr rhetorischer als inhaltlicher Art sein. Es fällt auf, dass auf die Unterscheidung von Bestand und Ausübung immer dann zurückgegriffen wird, wenn die Abgrenzung von Gemeinschaftskompetenzen und nationalen Zuständigkeiten besonders brisant ist. Das im vorliegenden Zusammenhang interessierende Verhältnis von Gemeinschaftsrecht und nationalem Immaterialgüterrecht ist nicht das einzige Beispiel hierfür. Ein anderes Beispiel ist die öffentliche Monopolwirtschaft: Einerseits wird die Existenz nationaler Staatsmonopole in Art. 86 Abs. 1 EGV vorausgesetzt; andererseits werden sie durch dieselbe Vorschrift dem Vertrag, 20
S. dazu sogleich unter (2). V. Korah (Dividing the Common Market Through National Industrial Property Rights, 35 MLR 634, 636, 1972) war eine frühe Kritikerin: „It is submitted that a right cannot consist of more than the various ways in which it can be exercised. The distinction between a right and its exercise, since it is not defined, and cannot be applied by logical analysis, confers a free discretion on the tribunal drawing the distinction in particular instances. It has proved a powerful and flexible weapon for accelerating the integration of the market." E. Steindorff, EG-Vertrag und Privatrecht, 1996, S. 128 spricht von einer „Leerformel", bzw. „façon de parier", die nichts zur Frage sage, wie denn Bestand und Ausübung zu unterscheiden seien./. Drexl, RabelsZ 58 (1994), 165 (170), nennt die Unterscheidung „wenig hilfreich", die Ergebnisse „willkürlich". H.-P. Gotting, JZ 1994, 1168 (1170) qualifiziert sie als „begriffliche Haarspalterei ohne sachliche Substanz", G. Nicolaysen, Europarecht II, 1996, S. 74, nennt sie „terminologisch nicht präzise", H. Schuck (Urheber- und Urhebervertragsrecht, 2. Aufl. 2001, Rdnr. 129) hält sie für „ziemlich unscharf", P. Mennicke ( Z H R 160 (1996) 626, 644) hält die „Grenzen der Praktikabilität" für erreicht, W. Möschel, in I/M EG-Wettbewerbsrecht, Bd. I, 1997, S. 758 Rdnr. 239, stellt fest, dass die Abgrenzung zwischen Bestand und Ausübung innerhalb des europäischen Wettbewerbsrechts an Trennschärfe verliere, W.R. Cornish, Intellectual Property, 1996, S. 35, spricht von „legal obscurantism", Generalanwalt N. Fennelly (in E u G H , 5.12.1996, Verb. Rs. C-267/95 und C-268/95, Merck u.a./Primecrown u.a., Slg. 1996, 1-6285, 1-6324 Tz. 93 Fn. 98) bezweifelt „die logische Grundlage der Unterscheidung"; nach Ullrich/Konrad (in Ullrich/Körner, Der internationale Softwarevertrag, 1995, S. 309 Rdnr. 475) „darf diese Unterscheidung nicht zu wörtlich verstanden werden, da sich der Bestand eines gewerblichen Schutzrechts auch und gerade in den Rechten zu seiner Ausübung niederschlägt." Kritisch auch: W. Fikentscher, Wirtschaftsrecht, Band I, 1983, S. 682; U. Loewenheim, G R U R 1977, 428 (429 Fn. 22); R. Knöpfte, BB 1977, 1073 (1074 Fn. 16); K. Pilny, G R U R Int. 1995, 954 (958); PC. Müller-Grafft in von der Groehen Art. 36 EGV Rdnr. 77. Allgemein hierzu s. Bellamy/ Child, 1993, S. 490 f.; Ebenroth/Hiibschle, „Bestand" und „Ausübung" gewerblicher Schutzrechte, EWS 1994,109 ff.; G. Friden, Recent Developments in E E C Intellectual Property Law: The Distinction between Existence and Exercise Revisited, C M L Rev. 1989, 193 ff.; Marenco/ Banks, Intellectual Property und the Community Rules on Free Movement: Discrimination Unearthed, EL Rev. 1990, 224 ff. 21
22 Im Schrifttum geht man allerdings vielfach davon aus, dass der Gerichtshof die Lehre seit der „Hag II"-Entscheidung stillschweigend aufgegeben habe, s. hierzu R. Sack, Zur Vereinbarkeit wettbewerbsbeschränkender Abreden in Lizenz- und Know-how-Verträgen mit europäischem und deutschem Kartellrecht, W R P 1999, 592 (594) m w N . sowie unten Fn. 208.
A. Immaterialgüterschutz
im System des
EG-Vertrags
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insbesondere den Grundfreiheiten und den Wettbewerbsregeln unterworfen. Der sich daraus ergebende Konflikt wird vom Gerichtshof dahingehend gelöst, dass er den Mitgliedstaaten die Errichtung staatlicher Monopole „aus im öffentlichen Interesse liegenden Gründen nichtwirtschaftlicher A r t " freistellt, dass aber „die Art und Weise, in der dieses Monopol ausgestaltet ist oder ausgeübt wird, gegen die Vorschriften des Vertrages verstoßen kann". 2 3 Danach ist die Anwendung von Gemeinschaftsrecht nur in Bezug auf die Ausgestaltung oder Ausübung, nicht aber auf die Errichtung oder den Bestand staatlicher Monopole zulässig. Trotz dieser Formel dehnte der Gerichtshof in zahlreichen Fällen die Kontrolle staatlicher Monopole weit in deren Bestand aus. 24 (2) Politische Funktion der Formel Das Beispiel zeigt, dass die Differenzierung von Bestand und Ausübung weniger einen heuristischen denn einen beschwichtigenden Wert hat. Einen heuristischen Wert kann die Formel nicht haben, da der Bestand eines Rechts die Summe seiner Ausübungsbefugnisse umfasst. 25 Die Argumentation in den Kategorien von Bestand und Ausübung ist eine Scheinargumentation, welche die eigentlichen Wertungen verbirgt. Die Hauptfunktion der Formel liegt auf anderem Gebiet: Die Annahme eines domaine réservé zugunsten der Mitgliedstaaten in Bezug auf den Bestand von Eigentumsrechten machte in der Frühphase der europäischen Integration die Entfaltung des Gemeinschaftsrechts erst möglich. Das Gemeinschaftsrecht - verstanden zunächst als „neue Rechtsordnung des Völkerrechts", 2 6 dann „zum Unterschied von gewöhnlichen internationalen Verträgen" als „eigene Rechtsordnung" 2 7 - bedurfte der Legitimation gegenüber den umfassenden Geltungsansprüchen der einzelstaatlichen Rechtssysteme. Dies galt um so mehr, als Vorschriften wie z.B. Art. 222 E W G V weitreichende Auslegungsspielräume zugunsten des nationalen Rechts enthielten. Die Unterscheidung von Bestand und Ausübung bot ein plausibles Differenzierungskriterium, das sowohl den nationalen Rechtsordnungen als auch dem Gemeinschaftsrecht den jeweiligen Geltungsbereich zuwies, nämlich dem Gemeinschaftsrecht die Regelung der Ausübung und dem nationalen Recht die Regelung des Bestands von Eigentumsrechten. 28
E u G H , 18.6.1991, ERT, Rs. C-260/89, Slg.1991,1-2925 (1-2957 Tz. 10 und 11). S. dazu A. Heinemann (oben Fn. 17), insbesondere 200 ff. 25 Wyatt!Dashwood, European Community Law, 1993, S. 574. 26 E u G H , 5.2.1963, Van Gend & Loos, Rs.26/62, Slg. 1963, 5 (25). 27 E u G H , 15.7.1964, Costa/ENEL, Rs. 6/64, Slg. 194, 1254 (1269). 28 E. Steindorff (EG-Vertrag und Privatrecht, 1996, S. 128) ist der Auffassung, dass die Unterscheidung Vorwürfe abwehren sollte, die eine Verletzung von Art. 222 E G V rügten. Wyatt!Dashwood (European Community Law, 1993, S. 574) stellen fest: „The distinction drawn by the Court between the existence of rights and their exercise is evidently inspired by a wish to remain at least within the letter of Article 222." 23
24
198
4. Teil: Europäisches
Recht
Vor diesem H i n t e r g r u n d mussten die Gemeinschaftsorgane im Einzelfall nur noch begründen, dass lediglich die A u s ü b u n g des Eigentumsrechts betroffen sei, u m zur ungehinderten A n w e n d u n g europäischen Rechts zu k o m m e n . Da es im konkreten Fall immer nur u m einzelne Ausflüsse eines Rechts geht, liegt deren Q u a l i f i z i e r u n g als A u s ü b u n g nahe. So w e r d e n beispielsweise selbst die weit eingreifenden Grundsätze über die Erschöpfung dem Bereich der A u s ü b u n g zugewiesen. (3) Keine Verabsolutierung der Formel Vor einer Verabsolutierung der Unterscheidung von Bestand und A u s ü b u n g hat sogar der Gerichtshof selbst gewarnt. Im Verfahren zur Schaffung eines ergänzenden Schutzzertifikats für Arzneimittel hat er ausgeführt: „Der Gerichtshof hat somit keineswegs anerkannt, daß für die Vorschriften, die unmittelbar den Bestand der gewerblichen Schutzrechte betreffen, allein der nationale Gesetzgeber zuständig ist. Er hat vielmehr für die Zukunft die Möglichkeit einer Vereinheitlichung der patentrechtlichen Bestimmungen oder einer Angleichung der nationalen Rechtsvorschriften auf diesem Gebiet in Betracht gezogen." 3 0
N a c h M e i n u n g des Gerichtshofs haben also die Mitgliedstaaten nicht einmal im Bereich des Bestands von Schutzrechten eine ausschließliche Zuständigkeit. Rechtsvereinheitlichung und Rechtsangleichung sind vielmehr auch hier möglich. N o c h nie w u r d e ein Gemeinschaftsakt mit der B e g r ü n d u n g beanstandet, ein unzulässiger Eingriff in den Bestand eines nationalen Schutzrechts liege vor. Dies k a n n angesichts der theoretischen Mängel der Formel nicht v e r w u n d e r n . Z u d e m w i r d durch die Schaffung gemeinschaftsrechtlicher Immaterialgüter die Problematik der Einschränkung von Eigentumsrechten entvertikalisiert: In Bezug auf diese gemeinschaftlichen Eigentumsrechte stellen sich nämlich dieselben Fragen, die sich bisher ausschließlich auf nationale Eigentumsrechte bezogen. In den Vordergrund treten damit andere Vertragsvorschriften. Beispielsweise konkurrieren auf dem Gebiet der geistigen Eigentumsrechte nationale und Gemeinschaftskompetenz, 3 1 so dass das Subsidiaritätsprinzip (Art. 5 Abs. 2 E G V ) anwendbar ist. Rechtsetzung durch die Gemeinschaft auf dem Gebiet des Immaterialgüterrechts unterliegt damit einer gesteigerten Begrün29 Dies geschieht dadurch, dass dem Bestand lediglich das ausschließliche Recht zum erstmaligen Inverkehrbringen zugewiesen wird (so für das Patentrecht EuGH, 31.10.1974, Centrafarm/Sterling Drug, Rs. 15/74, Slg. 1974,1147,1163 f. Tz. 9-15; für das Markenrecht EuGH, 10.10.1978, Centrafarm/American Home Products Corporation, Rs.3/78, Slg. 1978, 1823, 1840 Tz. 11). Da Erschöpfung erst nach diesem erstmaligen Inverkehrbringen eintritt, ist der Bereich des Bestands des Rechts verlassen. Es handelt sich damit um einen zulässigen Eingriff in die Ausübung des Schutzrechts, der aufgrund von Gemeinschaftsrecht, hier der Warenverkehrsfreiheit möglich ist. 30 EuGH, 13.7.1995, Spanien/Rat, C-350/92, Slg. 1995,1-1985 (1-2011 Tz. 19). 31 S. dazu das Gutachten 1/94 des EuGH (oben Fn. 12).
A. Immaterialgüterschutz
im System
des
EG-Vertrags
199
dungspflicht. 32 Allerdings bestehen Gemeinschaftskompetenzen, auf die das Subsidiaritätsprinzip Anwendung findet, nur außerhalb ausschließlicher nationaler Kompetenzen aus Art. 295 EGV. Die Auslegung von Art. 295 E G V ist dem Subsidiaritätsprinzip also vorgelagert. Wenn die Trennung von Bestand und Ausübung von Eigentumsrechten hierbei nicht weiterführt, muss ein anderer Weg beschritten werden. 5. Art. 295 EGV im System des
EG-Vertrags
Wenn Art. 295 E G V keine bloße Ubergangsvorschrift ist (oben 4a), wenn dem Begriff der Eigentumsordnung i.S. der Vorschrift auch das geistige Eigentum unterfällt (4b), und wenn schließlich der Konflikt zwischen nationaler Zuständigkeit und den Geltungsansprüchen des Gemeinschaftsrechts auch nicht durch die Aufspaltung von Eigentumsrechten in Bestand und Ausübung überwunden werden kann (4c), stellt sich die Frage, welchen Einfluss Art. 295 E G V auf die Ausübung von Gemeinschaftskompetenzen im Bereich des geistigen Eigentums hat. Eine Antwort auf diese Frage ist nur möglich, wenn man die Stellung der Vorschrift im System des EG-Vertrags betrachtet. Dabei sind drei Problemfelder zu unterscheiden, nämlich der Einfluss von Art. 295 E G V auf a) die Schaffung gemeinschaftsrechtlicher Schutzrechte, b) die Harmonisierung und c) die Anwendung von Primärrecht, insbesondere von Grundfreiheiten und Wettbewerbsregeln auf nationale Immaterialgüterrechte. a) Gemeinschaftsrechtliche
Schutzrechte
Art. 295 E G V bezieht sich ausdrücklich nur auf die nationale Eigentumsordnung; nur deren Ausgestaltung wird den Mitgliedstaaten vorbehalten. Dies bedeutet im Umkehrschluss, dass die Schaffung gemeinschaftsrechtlicher Schutzrechte (wie z.B. der Gemeinschaftsmarke oder des gemeinschaftlichen Sortenschutzes) durch Art. 295 E G V nicht erfasst wird. Dies gilt jedenfalls für den (bisher allein relevanten) Fall, dass das gemeinschaftsrechtliche Schutzrecht nicht die Abschaffung des nationalen Schutzrechts mit sich bringt. 3 3 3 2 Z u m Subsidiaritätsprinzip s.S. U. Pieper, Subsidiarität - Ein Beitrag zur Begrenzung der Gemeinschaftskompetenzen, 1994; W. Möschel, Zum Subsidiaritätsprinzip im Vertrag von Maastricht, N J W 1993, 3025 ff. 3 3 Das Nebeneinander von gemeinschaftlichem und nationalem Schutz kann mit unterschiedlicher Gewichtsverteilung ausgestaltet sein. D e r gemeinschaftliche Sortenschutz geht beispielsweise stärker zu Lasten des nationalen Sortenschutzes als es im Verhältnis der G e meinschaftsmarke zur nationalen Marke der Fall ist. Im Sortenschutzrecht gilt nämlich gem. Art. 92 der Verordnung über den gemeinschaftlichen Sortenschutz (ABl. 1994 L 2 2 7 / 1 ) das Verbot des Doppelschutzes. Danach können Sorten, die Gegenstand eines gemeinschaftlichen Sortenschutzes sind, nicht Gegenstand eines nationalen Sortenschutzes (oder Patents) sein (näheres hierzu in Art. 92 der Verordnung). Dagegen schließt die Eintragung einer G e m e i n schaftsmarke den Schutz desselben Zeichens als nationale Marke nicht aus, wie aus Art. 105 der Verordnung über die Gemeinschaftsmarke (ABl. 1994 L 11/1) hervorgeht. Erwägungsgrund 5 der Verordnung über die Gemeinschaftsmarke lautet: „Das gemeinschaftliche Mar-
200 b)
4. Teil: Europäisches
Recht
Harmonisierung
Ferner stellt sich die Frage, welche Bedeutung Art. 295 E G V für gemeinschaftliche Harmonisierungsmaßnahmen auf dem Gebiet des geistigen Eigentums hat. Ist die Eigentumsordnung in den Mitgliedstaaten nach dieser Vorschrift Harmonisierungsmaßnahmen von vornherein entzogen, da Fragen der nationalen Eigentumsordnung in die ausschließliche Kompetenz der Mitgliedstaaten fallen? Eine solche Annahme würde zur absoluten Sperrwirkung von Art. 295 E G V gegenüber gemeinschaftlichen Harmonisierungsmaßnahmen im Bereich des geistigen Eigentums führen. 34 Gegen eine solche Sperrwirkung spricht die systematische Zusammenschau mit dem Vertragsganzen: Von der Harmonisierung ausgenommene Bereiche werden in der Regel von der einschlägigen Rechtsgrundlage ausdrücklich genannt. 35 Z.B. stellt Art. 95 Abs. 2 E G V klar, dass Harmonisierungsmaßnahmen nach Abs. 1 der Vorschrift nicht das Steuerrecht, die Freizügigkeit oder das Arbeitsrecht betreffen dürfen. Das Recht des geistigen Eigentums wird nirgendwo als harmonisierungsfeindlicher Ausnahmebereich genannt. 36 Außerdem ist anerkannt, dass Art. 295 E G V die Geltung der Grundfreiheiten nicht außer Kraft setzt. So hat der Gerichtshof in der Rechtssache „Fearon/ kenrecht tritt jedoch nicht an die Stelle der Markenrechte der Mitgliedstaaten, denn es erscheint nicht gerechtfertigt, die Unternehmen zu zwingen, ihre Marken als Gemeinschaftsmarken anzumelden, da die innerstaatlichen Marken nach wie vor für diejenigen Unternehmen notwendig sind, die keinen Schutz ihrer Marken auf Gemeinschaftsebene wünschen." Auch wenn sich die Ausgestaltung unterscheidet, hat sowohl im Sortenschutz als auch im Markenrecht die Schaffung gemeinschaftlicher Schutzrechte nicht zu einer ersatzlosen Abschaffung des entsprechenden nationalen Rechts geführt. Die Beibehaltung der nationalen Schutzmöglichkeit wird dem Subsidiaritätsprinzip (Art. 5 Abs. 2 E G V ) und dem Ubermaßverbot (Art. 5 Abs. 3 E G V ) gerecht. Erst im Fall der Ersetzung nationalen Rechts durch gemeinschaftliche Schutzsysteme würde sich die Frage der Vereinbarkeit mit Art. 295 E G V neu stellen. 3 4 Eine solche Sperrwirkung wurde teilweise vertreten, z.B. von M. Götzen (Gewerblicher Rechtsschutz und Gemeinsamer Markt, G R U R Int. 1958,224,226, insbesondere Fn. 5) mit einer Begründung aus Art. 36 EWGV; dagegen P. VerLoren van Themaat, Die Bedeutung von Art. 36 für die kartellrechtliche Beurteilung von Patentlizenzverträgen nach Art. 85 des E W G Vertrages, G R U R Int. 1964, 21. R. Riegel (oben Fn. 7), R I W 79, 744 (747 f.), weist mit Recht daraufhin, dass die Erwähnung in Art. 36 E W G V keine ausschließliche Zuständigkeit der Mitgliedstaaten für diese Belange begründe. Der Gerichtshof hat entschieden, dass Artikel 36 E W G V nicht bestimmte Sachgebiete der ausschließlichen Zuständigkeit der Mitgliedstaaten vorbehalten will, sondern lediglich Ausnahmen vom Grundsatz des freien Warenverkehrs vorsieht ( E u G H , 15.12.1976, Simmenthal/Italienisches Finanzministerium, Rs. 35/76, Slg.1976, 1871, 1886 Tz. 24). Im Gegenteil gilt, dass die Mitgliedstaaten sich auf Art. 36 nur berufen können, solange und soweit der entsprechende Bereich von der Gemeinschaft nicht harmonisiert worden ist, s. E u G H , 5.10.1977, Tedeschi/Denkavit, Rs.5/77, Slg.1977,1555 (1576 Tz. 35). 35 H.C. Taschner (in von der Groeben, 4. Aufl. 1991, Art. 100 E W G V Rdnr. 28) betont mit Bezug auf Art. 100 E G V a.F., dass die allgemeinen Harmonisierungsgrundlagen nicht materienspezifisch, sondern generalklauselartig gehalten sind. 3 6 Schlussantrag des Generalanwalts F. Jacobs in E u G H , 13.7.1995, Spanien/Rat, Rs. C 350/92, Slg. 1995, 1-1985 (1-1995 Tz. 26 f.).
A. Immaterialgüterschutz
im System des
EG-Vertrags
201
Irish Land C o m m i s s i o n " 3 7 entschieden, dass auch auf ein durch Art. 2 9 5 E G V gedecktes staatliches Enteignungssystem die Regeln über die Niederlassungsfreiheit weiterhin A n w e n d u n g finden. 3 8 Daraus lässt sich der Schluss ziehen, dass auch H a r m o n i s i e r u n g s m a ß n a h m e n , die ja der Verwirklichung der G r u n d freiheiten und dem A b b a u von Wettbewerbsverzerrungen dienen, mit Art. 2 9 5 E G V vereinbar sein müssen. Zu diesem Ergebnis k o m m t im Verfahren über die Schaffung eines ergänzenden Schutzzertifikats auch der G e r i c h t s h o f : „Folglich wird weder durch Artikel 222 noch durch Artikel 36 des Vertrages dem nationalen Gesetzgeber die Befugnis zur Regelung des Kernbereichs des Patentrechts vorbehalten und jede Maßnahme der Gemeinschaft in diesem Bereich ausgeschlossen."39 c) Anwendung
von
Primärrecht
Entsprechendes gilt für die Frage nach der Sperrwirkung von A r t . 2 9 5 E G V in B e z u g auf die A n w e n d u n g des übrigen Primärrechts, insbesondere der G r u n d freiheiten und Wettbewerbsregeln. Etwaige Einschränkungen des A n w e n dungsbereichs regelt der Vertrag ausdrücklich. 4 0 Es ist nicht die Aufgabe von Art. 2 9 5 E G V , diese v o m Vertrag vorgesehene Festlegung des A n w e n d u n g s b e reichs zu überspielen. A r t . 295 E G V würde sonst zu einem das ganze System unterminierenden Generalvorbehalt ausgebaut. 4 1 Dieses A r g u m e n t gilt auch für den B e r e i c h des geistigen Eigentums. D e r G e r i c h t s h o f hat ausdrücklich festgestellt, dass den Vertragsbestimmungen, insbesondere auch dem A r t . 2 9 5 E G V , nicht e n t n o m m e n werden k ö n n e , „daß sie [die Vertragsbestimmungen] dem nationalen Gesetzgeber auf dem Gebiet des gewerblichen und kommerziellen Eigentums die Befugnis vorbehalten, Maßnahmen zu ergreifen, die gegen den Grundsatz des freien Warenverkehrs innerhalb des Gemeinsamen Marktes, wie er im EWG-Vertrag vorgesehen und ausgestaltet ist, verstoßen würden." 42
EuGH, 6.11.1984, Fearon/Irish Land Commission, Rs. 182/83, Slg. 1984, 3677. „Fearon" Slg. 1984, 3677 (3685 Tz. 7). 39 EuGH, 13.7.1995, Spanien/Rat, Rs. C-350/92, Slg. 1995,1-1985 (1-2011 Tz. 22). 40 Vgl. beispielsweise für die Landwirtschaft Art. 32 Abs. 2 und Art. 36 EGV, die allerdings kaum mehr von Bedeutung sind (s. Gilsdorf/Priebe, Art. 38 EGV a.F. Rdnr. 37 ff., Gilsdorf/ Booß, Art. 42 EGV a.F. Rdnr. 9 ff., beide in Grabitz/Hilf). Einschränkungen des Anwendungsbereichs erklären bestimmte Vertragsvorschriften für einen genau umgrenzten Bereich für unanwendbar, bzw. für nur eingeschränkt anwendbar. Davon sind die Schutzklauseln zu unterscheiden. Diese durchbrechen ausnahmsweise im Prinzip geltende Vertragsvorschriften unter besonderen, in der Klausel genannten Voraussetzungen. In der Literatur wird Art. 295 EGV nicht zu den Schutzklauseln gezählt, s. nur M. Lux, in Lenz, 2. Aufl. 1999, Art. 28 EGV Rdnr. 32. Wie ausgeführt, handelt es sich bei Art. 295 EGV aber auch um keine Bereichsausnahme. Die Kategorisierungsschwierigkeiten sind ein Symptom der allgemeinen Schwierigkeit, die man bei der Bestimmung des Geltungsgehalts von Art. 295 EGV hat. 41 £.-/. Mestmäcker (Staat und Unternehmen im europäischen Gemeinschaftsrecht, RabelsZ 52 (1988) 526, 535) betont, dass Art. 222 EGV (a.F.) den Mitgliedstaaten nicht die Möglichkeit einräumt, sich der Geltung des Gemeinschaftsrechts zu entziehen. 42 EuGH, 18.2.1992, Kommission/Italien, Rs. C-235/89, Slg. 1992, 1-777 (1-824 Tz. 14). 37 38
202
4. Teil: Europäisches
Recht
Diese in Bezug auf die Warenverkehrsfreiheit gemachte Aussage lässt sich auf die anderen Grundfreiheiten übertragen. Sie gilt aber auch im Verhältnis zu den Wettbewerbsregeln. Der Kompetenzvorbehalt in Art. 295 EGV zugunsten der Mitgliedstaaten setzt die Geltung der Vertragsvorschriften nicht auch nur teilweise außer Kraft. Art. 295 EGV wird damit durch das Verhältnis zu den anderen Vertragsvorschriften relativiert. 43 Diese anderen Vertragsvorschriften setzen sich im Konfliktfall gegenüber Art. 295 EGV durch. d) Art. 295 EGV: Kompetenz-,
nicht
Sachnorm
Der Vorrang von Grundfreiheiten und Wettbewerbsregeln engt zwar den Gestaltungsspielraum der Mitgliedstaaten ein. Eine Missachtung des Eigentums ist damit aber nicht verbunden. Das Eigentum ist als ungeschriebenes Gemeinschaftsgrundrecht geschützt. Zudem gehört es in einer „offenen Marktwirtschaft mit freiem Wettbewerb" (Art. 4 Abs. 1 und 2 EGV) zu den konstituierenden Prinzipien der Wirtschaftsordnung. Dem Eigentum (einschließlich des geistigen Eigentums) ist deshalb schon auf der Ebene der Gemeinschaft der gebührende Stellenwert eingeräumt. Art. 295 EGV trifft keine Aussage über diesen Stellenwert, sondern regelt lediglich die Frage, wer für die Bestimmung des Stellenwerts zuständig ist. Eine Relativierung dieser Zuständigkeitsfrage aufgrund des Zusammenhangs mit anderen Vertragsvorschriften führt zu keiner Relativierung der inhaltlichen Frage nach der optimalen Festlegung von Inhalt und Schranken des Eigentumsrechts. 44 Eigentum wird nicht dadurch geschützt, dass es durch Art. 295 EGV dem Zugriff der Gemeinschaft entzogen wird; der Schutz erfolgt vielmehr durch die Berücksichtigung der dem Eigentum zukommenden Bedeutung bei der Auslegung aller gemeinschaftsrechtlichen Normen. Dies gilt auch für Normen des EG-Vertrags - insbesondere Grundfreiheiten und Wettbewerbsregeln - , die in Konflikt mit Eigentumsrechten geraten. Art. 295 EGV kann bei der Lösung des Konflikts keine Hilfestellung leisten. Da die Vorschrift eine Kompetenznorm und keine materielle N o r m ist, lässt sie sich nicht einmal als „Merkposten" oder „Gewichtungsfaktor" dafür heranziehen, dass bei der Anwendung der Vertragsvorschriften Eigentumsfragen der gebührende Stellenwert eingeräumt wird. Die Berücksichtigung und (hohe) Gewichtung des Eigentums beruht vielmehr auf seiner Anerkennung als Gemeinschaftsgrundrecht 45 und seiner tragenden Funktion in der vom EG-Vertrag konstituierten „offenen Marktwirtschaft". Ebenso E u G H , 18.2.1992, Kommission/Vereinigtes Königreich, Rs. C-30/90, Slg. 1992,1-829 (1-865 Tz. 18); E u G H , 13.7.1995, Spanien/Rat, C-350/92, Slg. 1995, 1-1985 (1-2010 f. Tz. 18). 43 / . Basedow (oben Fn. 6), S. 35. 44 G. Nicolaysen (Europarecht I, 1991, S. 61) betont den Unterschied der ungeschriebenen grundrechtlichen Eigentumsfreiheit im Gemeinschaftsrecht und der Kompetenznorm des Art. 222 EGV (a.F.), die nicht Grundrechte der Marktbürger, sondern Befugnisse der Mitgliedstaaten schützt. 45 Die Gemeinschaftsgrundrechte gelten als ungeschriebene allgemeine Grundsätze der
A. Immaterialgüterschutz
im System des
EG-Vertrags
203
Die Unabhängigkeit des (materiellen) Eigentumsschutzes von Art. 295 EGV zeigt ein Beispiel aus dem Recht des geistigen Eigentums: Auf Gemeinschaftsebene wurden eigene Schutzrechte geschaffen, die mangels Zugehörigkeit zur nationalen Eigentumsordnung nicht Art. 295 EGV unterfallen. 4 6 Das Verhältnis dieser gemeinschaftlichen Schutzrechte zu Grundfreiheiten und Wettbewerbsregeln bereitet dieselben Probleme, die das Verhältnis der nationalen Schutzrechte zum europäischen Primärrecht bereitet. 47 Richtigerweise werden diese Probleme für die Schutzrechte beider Ebenen identisch gelöst. Das Ergebnis ist also unabhängig von der Anwendbarkeit des Art. 295 EGV. 6. Ergebnis Art. 295 EGV enthält einen Kompetenzvorbehalt zugunsten der Mitgliedstaaten, der sich auch auf die Ordnung des geistigen Eigentums bezieht. Zwischen diesem Vorbehalt und den allgemeinen Vertragsvorschriften bestehen zahlreiche Konflikte, die vom Gerichtshof mit der Unterscheidung von Bestand und Ausübung von Eigentumsrechten gelöst werden. Die Aufspaltung von Rechten in Fragen des Bestands, die den Mitgliedstaaten vorbehalten sind, und in Fragen der Ausübung, in die Gemeinschaftsrecht eingreifen kann, besitzt zwar rhetorische Attraktivität, hält aber sachlicher Kritik nicht stand. Einigkeit besteht über die allgemeine Aussage, dass aus Art. 295 EGV die Zuständigkeit der Mitgliedstaaten zur Ausgestaltung ihrer nationalen Immaterialgüterrechte folgt. Negative Aussagen darüber, was von Art. 295 EGV nicht erfasst wird, fallen allerdings leichter als positive Aussagen über den verbleibenden Geltungsgehalt der Norm. So schließt die Vorschrift nicht die Schaffung eigener Schutzrechte auf der Ebene der Gemeinschaft aus. Gemeinschaftsrechtlichen Harmonisierungsmaßnahmen auf dem Gebiet des geistigen Eigentums steht die Vorschrift nicht entgegen. Auch enthält sie keine Bereichsausnahme für G e m e i n s c h a f t s r e c h t s o r d n u n g u n d haben den Rang von Primärrecht (s. Tb. Oppermann, Europarecht, 2. A u f l . 1999, Rdnr. 489 ff. m.w. N a c h w e i s e n ) . D u r c h Art. 6 Abs. 1 u n d 2 EU-Vertrag w i r d die E U a u s d r ü c k l i c h auf die A c h t u n g der Grundrechte verpflichtet. Zu diesen G r u n d rechten gehört auch die Eigentumsgarantie (ständige R e c h t s p r e c h u n g , z.B. E u G H , 13.12.1979, Hauer, Rs. 44/79, Slg.1979, 3727, 3745 ff., T z . 17 ff.). In der Europäischen G r u n d r e c h t s c h a r t a (oben Fn. 19) w i r d das Eigentum in Art. 17 geschützt; A b s . 2 hebt a u s d r ü c k l i c h das geistige E i g e n t u m hervor. S. o. S. 199. Eine A u s n a h m e gilt f ü r das Verhältnis der gemeinschaftlichen Immaterialgüterrechte zu den G r u n d f r e i h e i t e n , insbesondere der Warenverkehrsfreiheit. Da die gemeinschaftlichen Schutzrechte gerade nicht auf einzelne Staaten beschränkt sind, sondern einheitliche W i r k u n g f ü r die gesamte Gemeinschaft haben, stellt sich das E r s c h ö p f u n g s p r o b l e m anders als bei den national beschränkten Schutzrechten. Trotz unterschiedlicher Problemstellung k a n n die L ö sung bei Gemeinschaftsschutzrechten nur die gleiche sein, n ä m l i c h g e m e i n s c h a f t s w e i t e (bzw. E W R - w e i t e ) Erschöpfung, so a u s d r ü c k l i c h Art. 13 der V e r o r d n u n g über die G e m e i n s c h a f t s m a r k e ( A B l . 1994 L 11/1) u n d Art. 16 der Verordnung ü b e r den gemeinschaftlichen Sortenschutz ( A B l . 1994 L 227/1). 46
47
204
4. Teil: Europäisches
Recht
die Anwendung der übrigen Vertragsvorschriften, insbesondere der Grundfreiheiten und Wettbewerbsregeln auf Rechte des geistigen Eigentums. Stellt man angesichts dieses Resultats die Frage nach der verbleibenden Bedeutung von Art. 295 EGV, so fällt das Ergebnis recht dürftig aus. Eigenständige Bedeutung hat die Vorschrift nur noch in ihrem Kernbereich, d.h. der Gewährung von Entscheidungsfreiheit zugunsten der Mitgliedstaaten in Bezug auf die Verstaatlichung und Privatisierung von Unternehmen. 4 8 Trotz des weiteren Wortlauts nähert sich der Sinngehalt von Art. 295 EGV damit der parallelen Vorschrift des Art. 83 EGKSV an, dessen Tatbestand von vornherein auf das Eigentum an Unternehmen beschränkt ist. 49 Dieser verbleibende Kernbereich von Art. 295 EGV, verstanden als Freiheit zur Verstaatlichung oder Privatisierung, wird durch die zunehmende Bedeutung des Gemeinschaftsrechts auf dem Gebiet des Immaterialgüterschutzes nicht in Frage gestellt. Bei Konflikten von Vertragsvorschriften mit nationalen Immaterialgüterrechten hat Art. 295 EGV nicht einmal die Funktion eines Merkpostens für Abwägungsvorgänge. Vielmehr ist Art. 295 EGV eine Kompetenznorm, der keine Relevanz für Fragen des materiellen Rechts zukommt, insbesondere nicht für die Frage der Anwendbarkeit europäischen Wettbewerbsrechts auf geistige Eigentumsrechte. Die hohe Bedeutung des geistigen Eigentums im Konfliktsfall wird durch das Eigentumsgrundrecht (s. Art. 17 Europäische Grundrechtscharta) und die tragende Funktion des Eigentums in einer „offenen Marktwirt48 Selbst dieser Kernbereich wird noch relativiert, z.B. durch Überlegungen zu den Grenzen zulässiger Verstaatlichungen (M. Schweitzer, in Grabitz/Hilf Art. 295 EGV Rdnr. 4: Diese Grenzen seien „noch größtenteils ungeklärt".) oder durch die Trennung der (im Grundsatz zulässigen) Verstaatlichung von der (im Grundsatz unzulässigen) Gewährung ausschließlicher Rechte (oben Fn. 17). Für eine restriktive Auslegung von Art. 222 EGV (a.F.) auch P. Mennicke, „Magill" - Von der Unterscheidung zwischen Bestand und Ausübung von Immaterialgüterrechten zur „essential facilities"-Doktrin in der Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshofes?, Z H R 160 (1996), 626 (640 f.). 49 Diese Parallele zieht auch Generalanwalt F. Jacobs in seinem Schlussantrag zu E u G H , 13.7.1995, Spanien/Rat, Rs. C-350/92, Slg. 1995, 1-1985 (1-1996 Tz. 29). Zum selben Ergebnis kommt Hochbaum (in von der Groeben Art. 222 EGV Rdnr. 6) unter Zuhilfenahme folgender Differenzierung: Die Regelungskompetenz für die Zuordnung des Eigentums sei uneingeschränkt bei den einzelnen Mitgliedstaaten verblieben, seine organisatorische Gestaltung unterliege aber den Vorschriften des Vertrags. Die Zuordnung des Eigentums in diesem Sinn ist die Frage nach Privat- oder Staatseigentum. Die organisatorische Gestaltung deckt hingegen sowohl die Anwendung des unmittelbar geltenden Primärrechts als auch Harmonisierungsmaßnahmen durch die Gemeinschaft ab. Art. 295 EGV steht also nach dieser Differenzierung der Entfaltung des EG-Vertrags auf dem Gebiet des geistigen Eigentums nicht entgegen. Schweitzer (in Grabitz/Hilf Art. 295 EGV Rdnr. 2) formuliert zwar, dass Art. 295 EGV Eingriffe der EG in den Bereich der nationalen Eigentumsordnung über die allgemeinen Ermächtigungen der Art. 94 ff. und 308 EGV unterbinden solle. Durch Art. 295 EGV sei „eine diesbezügliche Einflußnahme durch die Gemeinschaft ausgeschlossen." Diese Ausführungen stehen aber im Zusammenhang mit dem Thema „Sozialisierung und Privatisierung" (ebenda), so dass Art. 295 EGV wiederum lediglich im Bereich der Zuordnung von Eigentum durch Verstaatlichung oder Privatisierung den Mitgliedstaaten einen Freiraum verschafft.
A. Immaterialgüterschutz
im System des
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EG-Vertrags
schaft mit freiem Wettbewerb" (Art. 4 EGV) unterstrichen. Geraten Normen des Gemeinschaftsrechts mit (nationalen oder gemeinschaftlichen, materiellen oder geistigen) Eigentumsrechten in Konflikt, ist vor diesem Hintergrund der Gegensatz von Norm und Eigentum unter Berücksichtigung des hohen Gewichts von Eigentumsrechten zu lösen. Dies geschieht im Rahmen der Auslegung der gemeinschaftsrechtlichen Norm. Art. 295 EGV kann als Regel des formellen Rechts keinen Beitrag zu diesem Auslegungsvorgang leisten. 50 II. Rechtsgrundlagen
zur Harmonisierung
nationaler
Schutzrechte
Rechtsunterschiede zwischen den einzelnen Mitgliedstaaten können den freien Austausch von Waren und Dienstleistungen, Personen und Kapital behindern und zu Wettbewerbsverfälschungen führen. Art. 3 Buchstabe h) EGV nennt deshalb als eines der Haupttätigkeitsfelder der Gemeinschaft die „Angleichung der innerstaatlichen Rechtsvorschriften". Diese Rechtsangleichung stellt keinen Selbstzweck dar, sondern wird insoweit angestrebt, als „dies für das Funktionieren des Gemeinsamen Marktes erforderlich ist". 51 Im Dritten Teil, Titel VI enthält der Vertrag ein eigenes Kapitel 3 über die „Angleichung der Rechtsvorschriften". Dieses Kapitel enthält die allgemeinen Rechtsgrundlagen zur Harmonisierung. Daneben gibt es eine Anzahl von Spezialbestimmungen, die für bestimmte Bereiche eigene Harmonisierungsgrundlagen vorsehen. 52 Für das Recht des geistigen Eigentums existieren solche Spezialvorschriften nicht. Harmonisierungsmaßnahmen in diesem Bereich können also nur auf die allgemeinen Vorschriften gestützt werden. Ein Harmonisierungsbedürfnis war immer vorhanden. Zwar waren durch die Lehre von der gemeinschaftsweiten Erschöpfung nationaler Schutzrechte die gravierendsten Handelshemmnisse zwischen den Mitgliedstaaten beseitigt worden. Zahlreiche Behinderungen, die auf dem unterschiedlichen Schutz geistigen Eigentums beruhten, blieben aber. Schon früh wurden deshalb Anstrengungen unternommen, um Unterschiede im Schutz des geistigen Eigentums zwischen den Mitgliedstaaten zu vermin-
50 Die Praxis des Bundesverfassungsgerichts, Kompetenzvorschriften für die Auslegung von Grundrechten heranzuziehen, ist heftiger Kritik ausgesetzt, s. nur H.-J. Papier, Grundgesetz und Wirtschaftsordnung, 1994, S. 818 f., und R. Breuer, Die staatliche Berufsregelung und Wirtschaftslenkung, 1989, S. 1008 f. Rdnr. 65. 51 Zu den funktionalen Harmonisierungskompetenzen s. H.-P. Folz, Demokratie und Integration - Der Konflikt zwischen Bundesverfassungsgericht und Europäischem Gerichtshof über die Kontrolle der Gemeinschaftskompetenzen, 1999, S. 336 ff. 52 Insgesamt existieren etwa 20 Vorschriften, denen ausdrücklich oder implizit eine Rechtsgrundlage zur Harmonisierung entnommen wird (Th. Oppermann, Europarecht, 1999, Rdnr. 1200; Schweitzer/Hummer, Europarecht, 1996, Rdnr. 1227). Einen Uberblick über die privatrechtsrelevanten Rechtsgrundlagen geben Deckertl Lilienthal, Die Rechtsetzungskompetenzen der EG im Privatrecht, EWS 1999, 121.
206
4. Teil: Europäisches
Recht
d e m . 5 3 A b e r erst mit Erlass der H a l b l e i t e r - T o p o g r a p h i e - R i c h t l i n i e
im Jahr
19 8 6 5 4 u n d dann i n s b e s o n d e r e i m Z u g e der s c h r i t t w e i s e n V e r w i r k l i c h u n g des B i n n e n m a r k t e s ( A r t . 14 E G V ) e r r e i c h t e n d i e
Harmonisierungsanstrengungen
e i n e n e u e , g e r a d e z u s t ü r m i s c h e Q u a l i t ä t . 5 5 Z u n ä c h s t s t a n d als R e c h t s g r u n d l a g e A r t . 9 4 E G V ( = A r t . 1 0 0 a.F.) i m V o r d e r g r u n d ( I . ) . M i t E i n f ü g u n g des A r t . 9 5 E G V ( = A r t . 1 0 0 a a.F.) d u r c h d i e E i n h e i t l i c h e E u r o p ä i s c h e A k t e i m J a h r 1 9 8 7 g i n g die B e d e u t u n g a u f d i e s e n e u e V o r s c h r i f t ü b e r ( I I . ) . V e r e i n z e l t s p i e l e n a u c h a n d e r e V o r s c h r i f t e n als H a r m o n i s i e r u n g s g r u n d l a g e e i n e R o l l e ( I I I . ) .
1. Art. 94 EGV (= Art. 100 a.F.) A r t . 9 4 E G V ist die u r s p r ü n g l i c h e a l l g e m e i n e R e c h t s g r u n d l a g e z u r H a r m o n i sierung. D i e Vorschrift tritt im Verhältnis zu spezielleren N o r m e n zurück, auch g e g e n ü b e r A r t . 9 5 E G V . 5 6 G e g e n ü b e r A r t . 3 0 8 E G V h a t sie d e n V o r r a n g . 5 7 D i e Vorschrift ermächtigt den Rat z u m Erlass von Richtlinien zur Rechtsangleic h u n g d e r j e n i g e n R e g e l u n g s m a t e r i e n , die s i c h u n m i t t e l b a r a u f die E r r i c h t u n g o d e r das F u n k t i o n i e r e n des G e m e i n s a m e n M a r k t e s a u s w i r k e n . D e r B e g r i f f des G e m e i n s a m e n M a r k t e s ist a n d e r s als d e r d e s B i n n e n m a r k t e s ( A r t . 14 A b s . 2 E G V ) i m Vertrag nicht definiert. A n h a l t s p u n k e geben die A r t . 2 u n d 3 E G V . I m w e s e n t l i c h e n u m f a s s t d e r G e m e i n s a m e M a r k t ( w i e d e r B i n n e n m a r k t 5 8 ) die V e r -
53 Zur frühen Entwicklung s. F.-K. Beier, Stand und Aussichten der europäischen Rechtsvereinheitlichung auf dem Gebiete des gewerblichen Rechtsschutzes, G R U R Int. 1969, 145 ff. 5 4 Richtlinie 8 7 / 5 4 / E W G über den Rechtsschutz der Topographien von Halbleitererzeugnissen vom 16.12.1986 (AB1.1987 L 24/36). 5 5 Uberblicke über die Entwicklung finden sich bei F.-K. Beier, Die Vereinheitlichung des gewerblichen Rechtsschutzes und der freie Warenverkehr im Europäischen Binnenmarkt, FS Steindorff, 1990, S. 1109 ff.; G. Schricker, Zur Harmonisierung des Urheberrechts in der Europäischen Wirtschaftsgemeinschaft, FS Steindorff, 1990, S. 1437 ff.; P. Buck, Die EG-Rechtsvereinheitlichung auf dem Gebiet des geistigen Eigentums, EWS 1991, 329 ff.; R. Kreile, Der Stand der Harmonisierung des Urheberrechts in der Europäischen Union, 1996, S. 87 ff.; Schricker/Bastian/Dietz (Hrsg.), Konturen eines europäischen Urheberrechts, 1996; U. Loewenheim, Harmonisierung des Urheberrechts in Europa, G R U R Int. 1997,285 ff.;/. Reinbothe, Entwicklungen auf dem Gebiet des Urheberrechts in der Europäischen Union, FS Fikentscher, 1998, S. 695 ff.; ders., Geistiges Eigentum und die Europäische Gemeinschaft, ZEuP 2000, 5 ff.; H. Prutting u.a. (Hrsg.), Die Entwicklung des Urheberrechts im europäischen Rahmen, 1999; Schapira/Le TalledBiaise!Idot, Droit européen des affaires, Tome 1, 5. Aufl. 1999, S. 462 ff.; SchrickerlHenning-Bodewig (Hrsg.), Neuordnung des Wettbewerbsrechts, 1999; H. Schack, Europäisches Urheberrecht im Werden, ZEuP 2000, 799 ff. Umfassende Darstellungen einzelner Bereiche des Immaterialgüterschutzes im europäischen Kontext finden sich auch in den Grünbüchern der Kommission, z.B. Grünbuch Urheberrecht und verwandte Schutzrechte in der Informationsgesellschaft vom 19.7.1995 ( K O M (95) 382 endg.) mit Nachweis der früheren Grünbücher zum Urheberrecht; Grünbuch über das Gemeinschaftspatent und das Patentschutzsystem in Europa - Förderung der Innovation durch Patente vom 24.6.1997 ( K O M ( 9 7 ) 314 endg.). 5 6 So ausdrücklich Art. 100a Abs. 1 S. 1: „gilt abweichend von Artikel 94 . . . " . 5 7 S. nur M. Röttinger, in Lenz, 2. Aufl. 1999, Art. 94 E G V Rdnr. 1. 5 8 Zum Unterschied von Gemeinsamem Markt und Binnenmarkt s. D. Vignes, in Mégret,
A. Immaterialgüterschutz
im System des
EG-Vertrags
207
wirklichung der Grundfreiheiten und die Errichtung eines Systems unverfälschten Wettbewerbs. 5 9 Im Bereich des gewerblichen Rechtsschutzes wurde von Art. 94 EGV in 2 Fällen Gebrauch gemacht, nämlich durch die Richtlinie über irreführende Werbung 6 0 und die Halbleiter-Topographie-Richtlinie. 6 1 Der Binnenmarktbezug wurde in der Irreführungsrichtlinie damit begründet, dass Werbestrategien häufig grenzüberschreitend angelegt sind und unterschiedliche Rechtsvorschriften deshalb den Waren- und Dienstleistungsverkehr beeinflussen. 6 2 In der Begründung überwiegen allerdings verbraucherschutzrechtliche die lauterkeitsrechtlichen Aspekte. Genuin dem gewerblichen Rechtsschutz zuzuordnen ist hingegen die Halbleiter-Topographie-Richtlinie. 6 3 Im Jahr 1986 ergangen, ist sie das früheste Beispiel für umfassende Rechtsangleichung auf einem Spezialgebiet des Immaterialgüterschutzes. Der Anstoß für den Erlass dieser Richtlinie kam von außen: Die U S A hatten mit ihrem Semiconductor Chip Protection Act von 1984, der nicht vom Grundsatz der Inländerbehandlung, sondern von materieller Reziprozität ausgeht, die EG unter Zugzwang gesetzt. 64 Im Rahmen von Art. 94 EGV ist die Herstellung von rechtlicher Homogenität mit Drittstaaten zwar irrelevant; die Unterschiede zwischen den Mitgliedstaaten auf dem Gebiet des Halbleiterschutzes machten den Bezug zum Gemeinsamen Markt aber hinreichend deutlich. 6 5 Erwähnenswert ist die Tatsache, dass Erwägungsgrund 4 der Richtlinie nicht lediglich aktuelle Unterschiede zwischen den Mitgliedstaaten als Begründung für Angleichungsmaßnahmen heranzieht, sondern nachteilige Wirkungen für das Funktionieren des Gemeinsamen Marktes aus der Prognose unterschiedlicher Rechtsetzung der Mitgliedstaaten in der Zukunft ableitet. 66 Band 5, S. 315; M. A. Dauses, Die rechtliche Dimension des B i n n e n m a r k t e s , E u Z W 1990, 8 (9 ff.). 59 H.C. Taschner, in von der Groeben Art. 100 EGV Rdnr. 39. Enger M. Röttinger, in Lenz, 2. A u f l . 1999, Art. 94 EGV Rdnr. 9: D e r Gemeinsame M a r k t beziehe sich „in erster Linie auf den freien Verkehr von Waren u n d L e i s t u n g e n " . Eingehend hierzu E. Steindorff, G e m e i n s a mer M a r k t als B i n n e n m a r k t , Z H R 150 (1986), 687 ff.; Th. Schubert, Der G e m e i n s a m e M a r k t als Rechtsbegriff, 1999, insbesondere S. 133 ff. 6 0 R i c h t l i n i e 84/450/EWG zur A n g l e i c h u n g der Rechts- u n d V e r w a l t u n g s v o r s c h r i f t e n der M i t g l i e d s t a a t e n über irreführende W e r b u n g v o m 10.9.1984 ( A B l . L 250/17) (zur E i n b e z i e h u n g der vergleichenden W e r b u n g s.u. Fn. 71). 6 1 R i c h t l i n i e 87/54/EWG ü b e r den Rechtsschutz der Topographien von H a l b l e i t e r e r z e u g nissen v o m 16.12.1986 (AB1.1987 L 24/36). 6 2 E r w ä g u n g s g r ü n d e 1 u n d 4 der Richtlinie. 6 3 In Deutschland umgesetzt durch das Gesetz über den Schutz der T o p o g r a p h i e n von mik r o e l e k t r o n i s c h e n H a l b l e i t e r e r z e u g n i s s e n (Halbleiterschutzgesetz) v o m 22.10.1987 (BGBl. I S. 2294). 64 S. hierzu u n d zu den G r ü n d e n f ü r die Schaffung eines sui generzs-Schutzes f ü r H a l b l e i t e r p r o d u k t e Th. Dreier, Die E n t w i c k l u n g des Schutzes integrierter Halbleiterschaltkreise, G R U R Int. 1987, 645 ff.; I. Koch, Rechtsschutz der Topographien von m i k r o e l e k t r o n i s c h e n Halbleitererzeugnissen, N J W 1988, 2446 ff. 65 E r w ä g u n g s g r ü n d e 3 bis 5 der Richtlinie.
208
4. Teil: Europäisches
Recht
Durch den damit notwendigerweise verbundenen Einschätzungsspielraum werden die Voraussetzungen für Harmonisierungsrichtlinien erleichtert. 67 Ein halbes Jahr nach Erlass der Halbleiter-Topographie-Richtlinie wurde durch die Einheitliche Europäische Akte im Hinblick auf den Binnenmarkt 1992 die spezielle Angleichungsvorschrift des Art. 100a EWGV (= Art. 95 EGV) eingefügt. Die Bedeutung von Art. 94 EGV ist deshalb heute im wesentlichen auf die Bereiche reduziert, die gem. Art. 95 Abs. 2 EGV von der Binnenmarktharmonisierung ausgenommen sind, d.h. das Recht der direkten Steuern, 68 die Freizügigkeit und das Arbeitsrecht. 69 Für den Bereich des geistigen Eigentums hat Art. 94 EGV damit seine Bedeutung verloren. 2. Art. 95 EGV (= Art. 100a a.F.) Art. 95 EGV ist die Rechtsgrundlage für Harmonisierungsmaßnahmen, die der Verwirklichung des Binnenmarktes (Art. 14 EGV) dienen. 70 Seit seiner Einfügung in den Vertrag wurde von Art. 95 EGV auf dem Gebiet des Immaterialgüterschutzes in zahlreichen Fällen Gebrauch gemacht, und zwar sowohl zum Erlass von Richtlinien als auch von Verordnungen. 71 Die Vorschrift hat sich damit im Bereich des geistigen Eigentums zum zentralen Instrument der Rechtsangleichung entwickelt. a) Formelle
Unterschiede
zu Art. 94 EGV
Art. 95 EGV bietet im Vergleich zu Art. 94 EGV zwei Erleichterungen. Zum einen ist anstelle einstimmiger Beschlussfassung das Verfahren der Mitentscheidung nach Art. 251 EGV vorgesehen, nach dem Ratsentscheidungen mit qualifizierter Mehrheit (Art. 205 Abs. 2 EGV) möglich sind. Zum anderen bietet Art. 95 EGV nicht nur die Grundlage für Richtlinien, sondern für den Erlass von Maßnahmen allgemein, womit alle in Art. 249 EGV genannten Rechtsakte 66 Die Rechtmäßigkeit einer solchen „präventiven" Rechtsangleichung ist umstritten, jedenfalls wenn zum Zeitpunkt der Angleichung in keinem Mitgliedstaat Vorschriften für die betreffende Materie existieren, s. dazu die Nachweise bei M. Röttinger, in Lenz, 2. Aufl. 1999, Art. 94 EGV Rdnr. 5. 67 Solche Prognosen enthalten auch Erwägungsgründe 4 und 5 der ComputerprogrammRichtlinie, Erw.-Gr.2 der Richtlinie zum Vermiet- und Verleihrecht und Erw.-Gr. 2 der Datenbanken-Richtlinie (Nachweise unten Fn. 71). 68 Für die Harmonisierung der indirekten Steuern gilt die spezielle Rechtsgrundlage des Art. 93 EGV. 69 Schweitzer/Hummer, Europarecht, 1996, Rdnr. 1230. 70 Aus dem Zieldatum 31.12.1992 für den Binnenmarkt (Art. 14 EGV) folgt keine Befristung des Art. 95 EGV; Maßnahme zur Verwirklichung des Binnenmarktes nach dieser Vorschrift sind vielmehr jederzeit möglich (B. Langeheine, in Grabitz/Hilf Art. 100a EGV a.F. Rdnr. 10). M. Röttinger (in Lenz, 2. Aufl. 1999, Art. 95 EGV Rdnr. 3) kategorisiert die Vorschrift wegen ihres Binnenmarktbezugs als „lex generalis relativa", der die allgemeine Generalklausel des Art. 94 EGV als „lex generalis absoluta" übergeordnet sei. 71 - Erste Richtlinie 89/104/EWG vom 21.12.1988 zur Angleichung der Rechtsvorschriften der Mitgliedstaaten über die Marken (ABl. 1989 L 40/1);
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im System des EG- Vertrags
209
erfasst sind, insbesondere auch die Verordnungen. 72 Da gem. Art. 95 i.V. mit Art. 251 EGV für die Beschlussfassung im Rat die qualifizierte Mehrheit ausreichend sein kann, ist in Art. 95 Abs. 4 EGV eine besondere Schutzklausel vorgesehen. 73 Hält ein Mitgliedstaat die Anwendung entgegenstehender nationaler Vorschriften für erforderlich, „die durch wichtige Erfordernisse im Sinne des Artikels 30 oder in Bezug auf den Schutz der Arbeitsumwelt oder den Umweltschutz gerechtfertigt sind," ist er von der Harmonisierungspflicht unter den weiteren in der Vorschrift genannten Voraussetzungen befreit. Die Möglichkeit -
Richtlinie 91/250/EWG über den Rechtsschutz von Computerprogrammen vom 14.5.1991 (ABl. L 122/42); - Verordnung 1768/92 zur Schaffung eines ergänzenden Schutzzertifikats für Arzneimittel vom 18.6.1992 (ABl. L 182/1). Das Schutzzertifikat ist kein neuer Titel, der dann auf Art. 235 EGV hätte gestützt werden müssen, sondern lediglich eine Modifizierung des Patentschutzes, s. hierzu E u G H , 13.7.1995, Spanien/Rat, C-350/92, Slg. 1995,1-1985 (1-2013 Tz. 27); - Richtlinie 92/100/EWG zum Vermietrecht und Verleihrecht sowie zu bestimmten dem Urheberrecht verwandten Schutzrechten im Bereich des geistigen Eigentums vom 19.11.1992 (ABl. L 346/61) (Die Richtlinie ist neben Art. 100a auch auf die Art. 57 Abs. 2 und 66 EGV gestützt.); - Richtlinie 93/98/EWG über die Harmonisierung der Schutzdauer des Urheberrechts und bestimmter verwandter Schutzrechte vom 29.10.1993 (ABl. L 290/9) (Die Richtlinie ist neben Art. 100a auch auf die Art. 57 Abs. 2 und 66 EGV gestützt.); - Richtlinie 96/9/EG über den rechtlichen Schutz von Datenbanken vom 11.3.1996 (ABl. L 77/20) (Die Richtlinie ist neben Art. 100a auch auf die Art. 57 Abs. 2 und 66 EGV gestützt.); - Verordnung (EG) Nr. 1610/96 über die Schaffung eines ergänzenden Schutzzertifikats für Pflanzenschutzmittel vom 23.7.1996 (L 198/30); - Richtlinie 97/55/EG zur Änderung der Richtlinie 84/450/EWG über irreführende Werbung zwecks Einbeziehung der vergleichenden Werbung vom 6.10.1997 (ABl. L 290/18), s. hierzu Möllers/Schmid, EWS 1997,150 ff.; - Richtlinie 98/44/EG über den rechtlichen Schutz biotechnologischer Erfindungen vom 6.7.1998 (ABl. L 213/13); - Richtlinie 98/71/EG über den rechtlichen Schutz von Mustern und Modellen vom 13.10.1998 (ABl. L 289/28); - Richtlinie 2001/29/EG zur Harmonisierung bestimmter Aspekte des Urheberrechts und der verwandten Schutzrechte in der Informationsgesellschaft vom 22. Mai 2001 (ABl. L 167/10) (Die Richtlinie ist neben Art. 95 auch auf die Art. 47 Abs. 2 und 55 EG gestützt.). Auf Art. 95 EGV (bzw. Art. 100a EGV a.F.) stützen sich auch: - Geänderter Vorschlag einer Richtlinie über die Angleichung der Rechtsvorschriften betreffend den Schutz von Erfindungen durch Gebrauchsmuster, KOM(1999) 309 endg. v. 25.6.1999; - Vorschlag einer Richtlinie über das Folgerecht des Urhebers des Originals eines Kunstwerks, Gemeinsamer Entwurf von Parlament und Rat nach Billigung durch den Vermittlungsausschuss, P E - C O N S 3628/01 v. 6.6.2001. 71 Bardenhewer! Pipkorn, in von der Groeben Art. 100a EGV Rdnr. 67. Nach der Erklärung zu Artikel 100a des EWG-Vertrags zur Einheitlichen Europäischen Akte soll die Kommission allerdings „der Rechtsform der Richtlinie den Vorzug geben, wenn die Angleichung in einem oder mehreren Mitgliedstaaten eine Änderung gesetzlicher Vorschriften erfordert." 73 Allgemein zu Art. 100a Abs. 4 EGV a.F. s. B. Langeheine, Rechtsprobleme der Anwendung des Art. 100a Abs. 4 EGV, GS Grabitz, 1995, S. 369 ff.
210
4. Teil: Europäisches
Recht
eines solchen „opting out" soll Härten vermeiden, die für die Staaten eintreten könnten, welche die Harmonisierungsmaßnahme nicht mitgetragen haben. 7 4
b) Materielle
Voraussetzungen
Inhaltlich setzt der Erlass von Harmonisierungsmaßnahmen nach Art. 95 Abs. 1 E G V einen unmittelbaren Binnenmarktbezug voraus. Es müssen also Störungen im freien Verkehr von Waren, Personen, Dienstleistungen oder Kapital (Art. 14 Abs. 2 E G V ) vorliegen, deren Beseitigung die Rechtsangleichung bezweckt. Rechtsunterschiede im gewerblichen Rechtsschutz oder Urheberrecht der Mitgliedstaaten können zu Behinderungen in diesem Sinn insbesondere für den freien Waren- und Dienstleistungsverkehr führen. Betrachtet man die amtlichen Begründungen der Harmonisierungsmaßnahmen, fällt allerdings auf, dass der Zusammenhang von Regelungsunterschieden und der Beeinträchtigung von Grundfreiheiten recht holzschnittartig hergestellt wird. Erwägungsgrund 1 der Ersten Markenrechtsrichtlinie 7 5 lautet beispielsweise: „Das gegenwärtig in den Mitgliedstaaten geltende Markenrecht weist Unterschiede auf, durch die der freie Warenverkehr und der freie Dienstleistungsverkehr behindert und die Wettbewerbsbedingungen im Gemeinsamen Markt verfälscht werden können. Zur Errichtung und zum Funktionieren des Binnenmarktes ist folglich eine Angleichung der Rechtsvorschriften der Mitgliedstaaten erforderlich."
Erwägungsgrund 3 stellt fest, dass nicht eine vollständige Rechtsangleichung erforderlich sei, sondern eine Angleichung derjenigen Rechtsvorschriften ausreiche, „die sich am unmittelbarsten auf das Funktionieren des Binnenmarktes auswirken." In den übrigen Erwägungsgründen wird der freie Waren- und Dienstleistungsverkehr gelegentlich erwähnt; nähere Begründungen, die über pauschale Behauptungen hinausgehen, finden sich aber auch hier nicht. Ähnliches gilt für die meisten Harmonisierungsakte. 7 6 Dagegen ist die Begründung zur Verordnung über ergänzende Schutzzertifikate für Arzneimittel 7 7 vergleichsweise detailliert. In den Erwägungsgründen 5 und 6 der Verordnung wird ausgeführt, welchen Einfluss die Schutzunterschiede zwischen den Mitgliedstaaten für den Handel mit Arzneimittel haben, bzw. in Zukunft haben könnten. Es wäre zu begrüßen, wenn Maßnahmen der Rechtsangleichung in Zukunft einen spezifischeren Bezug zur Verwirklichung des Binnenmarktes herstellen würden. Wenn Rechtsangleichung kein Selbstzweck ist, sondern im-
7 4 Nach überwiegender Auffassung setzt die Inanspruchnahme von Art. 95 Abs. 4 E G V voraus, dass der betreffende Staat im Rat gegen die Maßnahme gestimmt oder sich zumindest der Stimme enthalten hat, so beispielsweise D. Vignes, in Megret, Band 5, S. 324 f. und B. Langeheine, in Grabitz/Hilf Art. 100a E G V a.F. Rdnr. 61 ff. 7 5 Nachweis oben Fn. 71. 7 6 Nachweise oben Fn. 71. 7 7 Nachweis oben Fn. 71.
A. Immaterialgüterschutz
im System des
EG-Vertrags
211
mer funktional mit den in der Rechtsgrundlage angegebenen Zielsetzungen verknüpft ist, 78 reicht es nicht aus, diese Funktion zu benennen-, sie ist auch zu begründen. 3. Sonstige
Harmonisierungsgrundlagen
Vereinzelt spielen neben den Art. 94 und 95 EGV auch andere Vorschriften eine Rolle. a) Gemeinsame Handelspolitik:
Art. 133 EGV (= Art. 113 a.F.)
Die frühere Produktpiraterie-Verordnung 7 9 beruhte auf den Art. 113 und 235 EGV a.F. Soweit nachgeahmte Waren aus Drittländern stammen, berührt ihre zollrechtliche Behandlung die Gemeinsame Handelspolitik und fällt somit unter Art. 133 EGV. Der Rat war bei Erlass der Verordnung im Jahr 1986 der Auffassung, dass insbesondere die Thematik der nachgeahmten Waren durch Art. 113 EGV a.F. nicht vollständig erfasst werde und zog deshalb ergänzend Art. 235 EGV a.F. heran. 80 In der neuen Produktpiraterie-Verordnung, 81 welche die alte Verordnung ersetzt, wird hingegen nur noch auf Art. 113 EGV a.F. Bezug genommen. Darin spiegelt sich die Auffassung wider, dass die Behandlung nachgeahmter Waren an der Grenze komplett unter Art. 133 EGV fällt. Eine Besonderheit der Zuständigkeit zur gemeinsamen Handelspolitik besteht darin, dass sie in die ausschließliche Zuständigkeit der Gemeinschaft fällt. Maßnahmen der Mitgliedstaaten in diesem Bereich sind also nur zulässig, wenn sie durch die Gemeinschaft dazu besonders autorisiert wurden. 82 Die ausschließliche Zuständigkeit nach Art. 133 EGV auf diesem Gebiet erfasst auch die Vertragsschlusskompetenz. 83 So sind die Teile des TRIPs-Abkommens, welche die zollrechtliche Behandlung nachgeahmter Waren betreffen (in Teil III Abschnitt 4 des TRIPsAbkommens) der einzige Bereich, in dem die Zuständigkeit zum Abschluss von
78
B. Langeheine, in Grabitz/Hilf Art. 100 EGV a.F. Rdnr. 1. Verordnung 3842/86 über Maßnahmen zum Verbot der Uberführung nachgeahmter Waren in den zollrechtlich freien Verkehr vom 1.12.1986 (ABl. L 357/1). 80 Vgl. den letzten Erwägungsgrund der Verordnung. 81 Verordnung (EG) Nr. 3295/94 des Rates vom 22.12.1994 über Maßnahmen zum Verbot der Uberführung nachgeahmter Waren und unerlaubt hergestellter Vervielfältigungsstücke oder Nachbildungen in den zollrechtlich freien Verkehr oder in ein Nichterhebungsverfahren sowie zum Verbot ihrer Ausfuhr und Wiederausfuhr (ABl. L 341/8). 82 E u G H , 15.12.1976, Donckerwolcke, Rs. 41/76, Slg. 1976, 1921, 1937 Tz. 32; E u G H , 18.2.1986, Bulk Oil/Sun International, Rs. 174/84, Slg. 1986, 559, 586 Tz. 31; E u G H , 17.10.1995, Werner, Rs. C-70/94, Slg.1995, 1-3189 (1-3223 Tz. 12); E u G H , 17.10.1995, Leifer u.a., Rs. C-83/94, Slg. 1995,1-3231 (1-3244 Tz. 12). 83 Nach der Auffassung von Bogdandy/Nettesheim (Strukturen des gemeinsamen Außenhandelsrechts, EuZW 1993, 465, 466 f.) besteht die ausschließliche Kompetenz nur für die vertragliche, nicht aber für die autonome Handelspolitik. 79
212
4. Teil: Europäisches
Recht
TRIPs nicht zwischen Gemeinschaft und Mitgliedstaaten geteilt war, sondern ausschließlich bei der Gemeinschaft lag.84 b) Agrarpolitik: Art. 37 EGV (= Art. 43 a.F.) Auf Art. 43 EGV a.F. beruht die Verordnung 2081/92 zum Schutz von geographischen Angaben und Ursprungsbezeichnungen. 8 5 Der Bezug zur Landwirtschaft macht hier die spezielle Rechtsgrundlage erforderlich. 86 Schutzwürdige geographische Angaben und Ursprungsbezeichnungen werden in ein bei der Europäischen Kommission geführtes Verzeichnis eingetragen und im Amtsblatt der Europäischen Gemeinschaften veröffentlicht. 87 Neben der Verordnung 2081/92 existieren nationale Vorschriften zum Schutz geographischer Herkunftsangaben, z.B. die §§ 126ff. MarkenG. Das Verhältnis des europäischen zum nationalen Schutz ist ungeklärt. Die Kommission ging ursprünglich davon aus, dass der Schutz nach der Verordnung 2081/ 92 den nationalen Schutz nach Ablauf der Übergangsfristen ersetzt. 88 Die einschlägige Vorschrift der Verordnung zwingt aber nicht zu einer derart weitreichenden Annahme. Art. 17 Abs. 3 der Verordnung geht lediglich von einem Wegfall des nationalen Schutzes für solche Bezeichnungen aus, die gem. Abs. 1 der Vorschrift der Kommission mitgeteilt worden sind. 89 Wurde auf eine solche Mitteilung verzichtet, sollte den betreffenden Bezeichnungen weiterhin Schutz nach den nationalen Vorschriften gewährt werden. 90 84
E u G H , 15.11.1994, Gutachten 1/94, Slg. 1994,1-5267 (1-5404 Tz. 55). Verordnung (EWG) Nr. 2081/92 des Rates zum Schutz von geographischen Angaben und Ursprungsbezeichnungen f ü r Agrarerzeugnisse und Lebensmittel vom 14.7.1992 (ABl. L 208/1). 86 Es ist allerdings umstritten, ob Art. 43 EGV a.F. die gesamte Verordnung abdeckt, s. hierzu Beier/Knaak, Der Schutz der geographischen Herkunftsangaben in der Europäischen Gemeinschaft, G R U R Int. 1993, 602 (608 f.); W. Tilmann, Grundlage und Reichweite des Schutzes geographischer Herkunftsangaben nach der V O / E W G 2081/92, G R U R Int. 1993, 610 (612). Die Bedenken beruhen darauf, dass Anhang I der Verordnung auch solche Lebensmittel umfasst, die nach dem (abschließenden) Katalog in Anhang I zum EG-Vertrag („Liste zu Artikel 32 dieses Vertrags") nicht unter die Vorschriften über die Landwirtschaft fallen. 87 Der Antrag auf Eintragung erfolgt nicht direkt an die Kommission, sondern ist beim zuständigen Mitgliedstaat einzureichen; für Deutschland s. dazu § § 130 ff. Markengesetz. 88 S. dazu die Mitteilung der Kommission an die von Ursprungsbezeichnungen und geographischen Angaben für Agrarerzeugnisse und Lebensmittel betroffene Wirtschaftsbeteiligten bezüglich des vereinfachten Eintragungsverfahrens auf Gemeinschaftebene gemäß Artikel 17 der Verordnung (EWG) Nr. 2081/92 (ABl. 1993 C 273/4 v. 9.10.1993). 89 Art. 17 Abs. 3 der Verordnung 2081/92 lautet: „Die Mitgliedstaaten können den einzelstaatlichen Schutz der gemäß Absatz 1 mitgeteilten Bezeichnungen bis zu dem Zeitpunkt beibehalten, zu dem über die Eintragung entschieden worden ist." 90 S. zu diesem Problemkreis R. Knaak, Der Schutz geographischer Herkunftsangaben im neuen Markengesetz, G R U R 1995, 103 (110); ders., Der Schutz geographischer Angaben nach dem TRIPS-Abkommen, G R U R Int. 1995, 642 (645 f.); Th. von Danwitz, Ende des Schutzes der geographischen Herkunftsangabe?, G R U R 1997, 81 (83 ff.); A. Meyer, Anmeldung von Herkunftsangaben nach der V O (EWG) Nr. 2081/92 des Rates, G R U R 1997, 91; E. Obergfell, 85
A. Immaterialgüterschutz
c) Niederlassungs-
und
im System des
EG-Vertrags
213
Dienstleistungsfreiheit
Von steigender Bedeutung für die Harmonisierung des Immaterialgüterrechts sind die Rechtsgrundlagen im Zusammenhang mit der Niederlassungs- und der Dienstleistungsfreiheit, nämlich die Art. 47 Abs. 2 und 55 EGV. Einige Richtlinien ziehen diese beiden Vorschriften neben der Zuständigkeit aus Art. 95 EGV heran. 91 Die Satelliten- und Kabel-Richtlinie ist sogar ausschließlich auf die Art. 47 Abs. 2 und 55 EGV (Art. 57 Abs. 2 und 66 a.F.) gestützt. 92 Voraussetzung für die Anwendung der beiden Vorschriften ist, dass die Angleichungsmaßnahme die Koordinierung nationaler Vorschriften „über die Aufnahme und Ausübung selbständiger Tätigkeiten" (Art. 47 Abs. 2 S. 1 EGV), bzw. über die Aufnahme und Ausübung von Dienstleistungen (Art. 55 EGV) betrifft. Die beiden Rechtsgrundlagen gehen in ihrem Anwendungsbereich dem Art. 95 EGV als lex specialis vor. Trotz des allgemeinen Binnenmarktbezugs, der alle Grundfreiheiten umfasst, ist der Anwendungsbereich von Art. 95 EGV deshalb im wesentlichen auf Aspekte des freien Warenverkehrs beschränkt. 93 Im Fall der Satelliten- und Kabel-Richtlinie war ein solcher Bezug zum freien Warenverkehr nicht vorhanden. 94 Ziel der Richtlinie ist die Förderung grenzüberschreitender Rundfunksendungen innerhalb der Gemeinschaft via Satellit oder Kabel durch die Angleichung der Urheber-, bzw. leistungsschutzrechtlichen Aspekte. Die Richtlinie geht vergleichsweise detailliert auf das HarDer Schutz geographischer Herkunftsangaben in Europa, ZEuP 1997, 677ff.; dies., „Warsteiner" - ein Fall für den E u G H , G R U R 1999, 551. Wie hier W. Tilmann, Grundlage und Reichweite des Schutzes geographischer Herkunftsangaben nach der V O / E W G 2081/92, G R U R Int. 1993, 610 (612 f.). Auf Vorlage des Bundesgerichtshofs (ZIP 1998,1503 „Warsteiner I") hat der Europäische Gerichtshof entschieden, dass die Verordnung einer nationalen Regelung nicht entgegensteht, welche „die möglicherweise irreführende Verwendung einer geographischen Herkunftsangabe verbietet, bei der kein Zusammenhang zwischen den Eigenschaften des Produktes und seiner geographischen Herkunft besteht" ( E u G H , 7.11.2000, „Warsteiner", C-312/98, Tz. 54, noch nicht in der amtlichen Sammlung). In einer anderen Sache hat der Europäische Gerichtshof entschieden, dass ein Mitgliedstaat eine Ursprungsbezeichnung nach Antrag auf Eintragung ins europäische Verzeichnis nicht mehr durch den Erlass nationaler Rechtsvorschriften ändern und auf nationaler Ebene schützen kann: E u G H , 9.6.1998, Chiciak und Fol, Verb. Rs. C-129/97 und C-130/97, Slg. 1998, 1-3315 (1-3337 ff. Tz. 24 ff.). 91 S. die entsprechenden Hinweise oben Fn. 71. 92 Richtlinie 93/83/EWG des Rates zur Koordinierung bestimmter urheberrechtlicher und leistungsschutzrechtlicher Vorschriften betreffend Satellitenrundfunk und Kabelweiterverbreitung vom 27.9.1993 (ABl. L 248/15). 93 Im Gegensatz zu den anderen Grundfreiheiten enthalten die Art. 28 bis 31 EGV keine allgemeine Rechtsgrundlage zur Rechtsangleichung, vgl. hierzu B. Langeheine, in Grabitz/ Hilf Art. 100 EGV a.F. Rdnr. 74 ff. 94 Im Bereich von Film und Fernsehen ist die Anwendbarkeit der Art. 28 ff. EGV nicht von vornherein ausgeschlossen. Geht es um den Handel mit Filmmaterial, z.B. Ton- oder Filmträgern, so finden die Regeln über den freien Warenverkehr Anwendung, s. hierzu E u G H , 18.6.1991, ERT, Rs. C-260/89, Slg. 1991, 1-2925 (1-2958 Tz. 14). Die Richtlinie behandelt nur den Leistungs-, nicht den Warenschutz, so dass Art. 95 EGV als mögliche Rechtsgrundlage ausscheidet.
214
4. Teil: Europäisches
Recht
monisierungsbedürfnis ein: Ohne Rechtsangleichung liefen die Rechtsinhaber Gefahr, ohne Vergütung zu bleiben, oder ganz an der grenzüberschreitenden Ausstrahlung von Programmen gehindert zu werden. Vor allem aber bilde „die Rechtsunsicherheit ein unmittelbares Hindernis für den freien Verkehr der Programme innerhalb der Gemeinschaft." 9 5 Als weiteres Harmonisierungsargument tritt also der Gesichtspunkt der Rechtsunsicherheit hinzu: Nicht nur tatsächliche Rechtsunterschiede zwischen den Mitgliedstaaten rechtfertigen eine Angleichung, sondern bereits die Ungewissheit über das Bestehen solcher tatsächlichen Unterschiede.
d) Verbraucherschutz:
Art. 153 Abs. 4 EGV (= Art. 129a Abs. 2 a.F.)
Schließlich ist auf Art. 153 Abs. 4 EGV, der spezifischen Rechtsgrundlage für den Verbraucherschutz hinzuweisen. Das Verbot unlauteren Wettbewerbs dient auch den Interessen der Verbraucher, 96 so dass starke Bezüge zwischen Lauterkeitsrecht und Verbraucherschutzrecht gegeben sind. 97 Auf der Grundlage von Art. 129a Abs. 2 EGV a.F. haben Parlament und Rat die Preisangabenrichtlinie verabschiedet. 9 8
III. Einheitliche
europäische
Schutzrechte:
Art. 308 EGV (= Art. 235 a.F.)
Die Angleichung nationaler Immaterialgüterrechte durch gemeinschaftsrechtliche Vorgaben - zumeist in der Form von Richtlinien - ist ein möglicher Weg zur Erleichterung des innergemeinschaftlichen Wirtschaftsverkehrs. Der andere und eingriffsintensivere Weg besteht in der Rechtsvereinheitlichung,99 d.h. der Schaffung einheitlicher europäischer Schutzrechte, die dieselben Voraussetzungen und dieselbe Wirkung in der gesamten E U haben. 100 Solche einheitlichen Schutzrechte können durch einen eigenständigen völkerrechtlichen Vertrag
Erw.-Gr. 5 der Satelliten- und Kabel-Richtlinie. Köhler!Piper, UWG, 2. Aufl. 2001, Einf Rdnr. 21 ff. 97 Zu einem genuin normativen Verbraucherschutzmodell, das sich auf die wirtschaftliche Selbstbestimmung des Verbrauchers gründet, s. J. Drexl, Die wirtschaftliche Selbstbestimmung des Verbrauchers, 1998. 98 Richtlinie 98/6/EG über den Schutz der Verbraucher bei der Angabe der Preise der ihnen angebotenen Erzeugnisse vom 16.2.1998 (ABl. L 80/27). 99 Zum Gegensatz von Rechtsangleichung und Rechtsvereinheitlichung s. B. Langeheine, in Grabitz/Hilf Art. 100 EGV a.F. Rdnr. 9; Schweitzer!Hummer, Europarecht, 1996, Rdnr. 1228. 100 Das Europäische Patentübereinkommen (EPÜ) vom 5.10.1973 (BGBl. 1976 II S. 826 mit späteren Änderungen) gehört nicht zum EU-System. Das EPÜ vereinheitlicht im wesentlichen die Schutzvoraussetzungen und das Erteilungsverfahren. Die Wirkungen des europäischen Patents bestimmen sich im wesentlichen nach dem jeweiligen nationalen Recht, überlagert nur durch einige europäische Schutzwirkungen. Das europäische Patent ist also ein „Bündelpatent". S. hierzu O. Brändel, Technische Schutzrechte, 1995, Rdnr. 105. 95 96
A. Immaterialgüterschutz
im System des
EG-Vertrags
215
außerhalb des EU-Systems geschaffen werden oder innerhalb des vorgegebenen Rechtsrahmens der EU. 1 0 1
1. Externe
Lösung
Von dem Instrument des eigenständigen völkerrechtlichen Vertrags wurde in einer Phase Gebrauch gemacht, in der Unklarheit darüber herrschte, ob die Schaffung einheitlicher europäischer Schutzrechte vom Vertrag gedeckt sei. Das Paradebeispiel für ein einheitliches europäisches Schutzrecht außerhalb des EG-Vertrags waren die ursprünglichen Pläne für ein Gemeinschaftspatentübereinkommen (GPU). 1 0 2 Dies sollte in Form eines völkerrechtlichen Vertrags verabschiedet werden, scheiterte aber daran, dass nicht alle Staaten das Abkommen ratifizierten. 1 0 3 U m den Unwägbarkeiten aus dem Weg zu gehen, die mit dem Erfordernis nationaler Ratifikationsverfahren zusammenhängen, sucht die Kommission nun eine „gemeinschaftsinterne" Lösung für das Gemeinschaftspatent. 1 0 4
2. Interne
Lösung
Größere Erfolgsaussichten für die Schaffung gemeinschaftlicher Schutzrechte hat eine Rechtsvereinheitlichung, die innerhalb des EG-Vertrags erfolgt. Ob der Vertrag hierfür eine Grundlage bietet, war lange Zeit fraglich, ist aber heute im positiven Sinn beantwortet. Der Rat hat in zwei Fällen einheitliche Schutzrechte des Gemeinschaftsrechts geschaffen, nämlich die Gemeinschaftsmarke 1 0 5 und den gemeinschaftlichen Sortenschutz. 1 0 6 Darüber hinaus existieren Entwürfe für ein Gemeinschaftsgeschmacksmuster und Pläne für ein Gemeinschaftsgebrauchsmuster. 1 0 7 Alle diese gemeinschaftlichen Schutzrechte sind auf 101 Zu den Vorzügen echter gemeinschaftlicher Schutzrechte s.J.-R. Hamann, Territoriale Begrenzung und Ausschließlichkeit von Lizenzen, 2000, S. 35 ff. 102 Die letzte „Vertragsversion" stammt vom 15.12.1989 (ABl. L 401/10 bzw. BGBl. 1991 II S. 1354). Zum Unterschied von GPU und EPU s. vorstehende Fußnote. 103 Zu den Hintergründen s.J.-R. Hamann, Territoriale Begrenzung und Ausschließlichkeit von Lizenzen, 2000, S. 41 ff.; A. Krieger, Das Gemeinschaftspatent - ein essential des europäischen Binnenmarkts, FS Everling, 1995, S. 701, insbesondere S. 709 ff.; ders., When Will the European Community Patent Finally Arrive?, HC 1998, 855 ff. S. hierzu auch Europäische Kommission, Grünbuch über das Gemeinschaftspatent und das Patentschutzsystem in Europa, KOM (97)314. 104 Hierzu sogleich im Text. 105 Verordnung (EG) Nr. 40/94 des Rates über die Gemeinschaftsmarke vom 20.12.1993 (ABl. 1994 L 11/1). G. Nicolaysen (Europarecht II, 1996, S. 116 f.) bemerkt ausdrücklich, dass die Wahl von Art. 235 EGV (a.F.) als Rechtsgrundlage für die Gemeinschaftsmarke mit den schlechten Erfahrungen bei der Ratifikation des Gemeinschaftspatents zusammenhängt. 106 Verordnung (EG) Nr. 2100/94 des Rates über den gemeinschaftlichen Sortenschutz vom 27.4.1994 (ABl. L 227/1). 107 Vorschlag der Kommission für eine Verordnung des Europäischen Parlaments und des Rates über das Gemeinschaftsgeschmacksmuster, KOM(2000) 660 endgültig/2 v. 23.10.2000. Der Enthusiasmus für ein Gemeinschaftsgebrauchsmuster ist demgegenüber schwächer, zu
216
4. Teil: Europäisches
Recht
die „Abrundungsklausel" 108 des Art. 308 EGV (Art. 235 a.F.) gestützt. Der Gerichtshof hat im WTO-Gutachten die Rechtmäßigkeit dieser Vorgehensweise bestätigt. Danach kann die Gemeinschaft „auf der Grundlage von Artikel 235 neue Titel schaffen, die dann die nationalen Titel überlagern, wie sie es mit dem Erlaß der Verordnung ... über die Gemeinschaftsmarke ... getan hat." 109 Damit ist auch entschieden, dass für die Schaffung eigenständiger Schutzrechte des Gemeinschaftsrechts Art. 95 EGV nicht in Betracht kommt. 1 1 0 Der Gerichtshof hat dazu an gleicher Stelle ausgeführt: „Auf der Ebene der internen Rechtsetzung verfügt die Gemeinschaft im Bereich des geistigen Eigentums über eine Zuständigkeit zur Harmonisierung der nationalen Rechtsvorschriften gemäß den Artikeln 100 und 100a." 111
Die Angleichung nationalen Rechts erfolgt also nach Art. 95 EGV, bzw. nach den spezielleren Rechtsgrundlagen, für die Vereinheitlichung durch die Schaffung eigener Schutzrechte des Gemeinschaftsrechts ist Art. 308 EGV zu wählen. Diese Vorgaben hat die Kommission für einen neuen Anlauf zur Schaffung eines Gemeinschaftspatents genutzt. 112 Der mühsame Weg über nationale Ratifizierungsverfahren wird vermieden. Stattdessen wird das Gemeinschaftspatent auf Art. 308 EGV gestützt. Das Gemeinschaftspatent ist gem. Art. 2 Abs. 1 des Verordnungsentwurfs einheitlich, d.h. es hat in der gesamten Gemeinschaft die gleiche Wirkung und kann nur für die gesamte Gemeinschaft erteilt, übertragen, für nichtig erklärt werden oder erlöschen. Gemeinschaftspatent und nationale Patentrechte werden zwar nebeneinander bestehen. Parallele nationale Patente haben aber neben dem Gemeinschaftspatent keine Wirkung (Art. 54 des Verordnungsentwurfs - Verbot des Doppelschutzes).
den Hintergründen s. R. Kraßer, Neuere Entwicklungen des Gebrauchsmusterrechts in Europa, G R U R 1999, 527 (531 f.); Europäische Kommission, Sondierung der Auswirkungen des Gemeinschaftsgebrauchsmusters zur Aktualisierung des Grünbuchs über den Gebrauchsmusterschutz im Binnenmarkt, SEK(2001) 1307 v. 26.7.2001. 108 Th. Oppermann, Europarecht, 1999, Rdnr. 523. Allgemein zu Art. 308 EGV (= Art. 235 EGV a.F.) s. M. Bungenberg, Art. 235 EGV nach Maastricht, 1999, der die Vorschrift gegen den Vorwurf der „Kompetenzanmaßung" in Schutz nimmt und als Transmissionsinstrument der dynamisch interpretierten Gemeinschaftsziele deutet. 109 E u G H , 15.11.1994, Gutachten 1/94, Slg. 1994, 1-5267 (1-5405 Tz. 59), bestätigt in E u G H , 13.7.1995, Spanien/Rat, C-350/92, Slg. 1995,1-1985 (1-2012 Tz. 23). 110 So bereits F.-K. Beier, G R U R Int. 1994, 716. 111 S.Fn. 109. 112 Europäische Kommission, Vorschlag für eine Verordnung des Rates über das Gemeinschaftspatent, KOM(2QOO) 412 endgültig v. 1.8.2000.
B. Immaterialgüterschutz
IV.
und
Grundfreiheiten
217
Ergebnis
Nach seiner Grundanlage spart der EG-Vertrag das Recht des geistigen Eigentums weitgehend aus. Art. 295 E G V verweist Eigentumsfragen in die Zuständigkeit der Mitgliedstaaten. Art. 30 E G V erwähnt zwar das „gewerbliche und kommerzielle Eigentum"; die Vorschrift dient aber lediglich dazu, dem G e meinschaftsrecht in F o r m der Warenverkehrsfreiheit Grenzen zu ziehen. Uberspitzt lässt sich formulieren, dass der Vertrag das Immaterialgüterrecht ursprünglich ausklammert und in die nationale Zuständigkeit verweist. Dieser Ausgangspunkt ist längst verlassen. Der Kompetenzvorbehalt in Art. 295 E G V wurde - zumindest außerhalb des Kernbereichs der Verstaatlichungs-, bzw. Privatisierungsautonomie - bis an die Grenze der Obsoleszenz relativiert. Ungehindert von Zuständigkeitsschranken durchdringt der Vertrag das gesamte Gebiet des nationalen Immaterialgüterschutzes. Dies schließt auch die Vorschriften über die Rechtsangleichung ein. Diese erlauben eine weitgehende Harmonisierung nationaler Schutzrechte durch gemeinschaftsrechtliche Vorgaben. Darüber hinaus ist die Schaffung eigener Schutzrechte des Gemeinschaftsrechts möglich, welche die nationalen Schutzrechte überlagern, bisweilen gar ersetzen.
B. Immaterialgüterschutz und Grundfreiheiten Den Konflikt nationaler Schutzrechte mit der Warenverkehrsfreiheit haben schon die Verfasser des Vertrags gesehen und in Art. 36 E W G V (= Art. 30 E G V n.F.) behandelt. 1 1 3 D e r Vorschrift kommt das Verdienst zu, dem Schutz des geistigen Eigentums einen hohen Stellenwert eingeräumt zu haben. Andererseits hat sie den Blickwinkel in mindestens vier Hinsichten verengt. Erstens weist die Verankerung in Art. 30 E G V dem geistigen Eigentum systematisch die Stellung eines nicht-tarifären Handelshemmnisses zu, das ausnahmsweise und unter den weiteren in Art. 30 E G V aufgeführten Voraussetzungen die Warenverkehrsfreiheit zu durchbrechen vermag. Geistiges Eigentum gerät durch diese Grundannahme von vornherein in eine Defensivposition. Nicht der zu weitgehende Schutz geistigen Eigentums wird als Handelsbeschränkung eingestuft; vielmehr wird jedes beliebig ausgestaltete Ausschließlichkeitsrecht, das Importen entgegengesetzt werden kann, einem Rechtfertigungszwang unterworfen. Art. 28 E G V erfasst nicht nur die overprotection, sondern bereits die protection geistigen Eigentums. Erst auf der Rechtferti-
113 Art. 36 E W G V wurde eng an Art. X X GATT angelehnt, s. hierzu am Beispiel des Gesundheitsschutzes O. Landwehr, Globalisierung, Freihandel und Gesundheitsschutz (Trade and Health), 2000, S. 27, 134.
218
4. Teil: Europäisches
Recht
gungsebene, also auf der Ebene von Art. 30 EGV, wird dieser umfassende Zugriff korrigiert. 114 Diese Defensivposition legt zweitens den Gedanken nahe, dass nationale Schutzrechte potentiell zu weit gehen. Dass auch der zu enge Umfang nationaler Schutzrechte, bzw. die Nichtexistenz von Schutzrechten (underprotection) gegen Gemeinschaftsrecht verstoßen kann, gerät aus dem Blickfeld. Drittens wird das „gewerbliche und kommerzielle Eigentum" nur im Zusammenhang mit der Warenverkehrsfreiheit erwähnt. Dabei wird übersehen, dass der Schutz geistigen Eigentums auch in Konflikt mit anderen Grundfreiheiten, insbesondere der Dienstleistungsfreiheit treten kann. Viertens führt die Schaffung einheitlicher Schutzrechte des Gemeinschaftsrechts zu einer zusätzlichen Dimension. Es stellt sich die Frage, ob auch das Verhältnis solcher gemeinschaftlicher Schutzrechte zu den Grundfreiheiten problematisch sein kann. Im folgenden soll zunächst das „klassische" Thema des Verhältnisses von Warenverkehrsfreiheit und nationalen Schutzrechten angesprochen werden (I.). Darauf folgt ein Uberblick über die anderen Grundfreiheiten sowie das allgemeine Diskriminierungsverbot des Art. 12 E G V (II.). Schließlich ist das Verhältnis gemeinschaftlicher Schutzrechte zu den Grundfreiheiten zu klären (III.). I. Freier Warenverkehr
und nationale
Schutzrechte
Nach den Art. 28 und 29 E G V sind alle mengenmäßigen Einfuhr- und Ausfuhrbeschränkungen 115 zwischen den Mitgliedstaaten sowie alle Maßnahmen gleicher Wirkung verboten. Mengenmäßige Einfuhrbeschränkungen sind solche, welche die Handelsströme der Menge oder dem Wert nach beschränken. 116 Eine Maßnahme gleicher Wirkung ist nach der Dassonville-Formel „jede Handelsregelung der Mitgliedstaaten, die geeignet ist, den innergemeinschaftlichen Handel unmittelbar oder mittelbar, tatsächlich oder potentiell zu behindern". 117 1 1 4 Die Parallele auf Weltebene zu Art. X X Buchstabe d) G A T T (1947 oder 1994) hat deshalb nur beschränkte Aussagekraft. In Art. X X G A T T ist zwar auch die Sichtweise vom geistigen Eigentum als nicht-tarifäres Handelshemmnis zugrundegelegt. Dies ist aber verständlich, wenn man berücksichtigt, dass der Anwendungsbereich des G A T T sich auf den internationalen Warenhandel beschränkt. Mit der Verbreiterung der Welthandelsregeln durch den Ausbau des G A T T zur W T O wurde dem geistigen Eigentum in Form des TRIPs-Abkommens ein Rang eingeräumt, der nicht mehr von der Grundannahme ausgeht, dass der Schutz geistigen Eigentums im Grundsatz eine Beschränkung des Freihandels darstellt. 1 , 5 Das Verbot von Ausfuhrbeschränkungen (Art. 29 E G V ) ist im vorliegenden Zusammenhang bisher praktisch bedeutungslos geblieben. S. hierzu die Hinweise bei H. Ullrich, in I/ M EG-Wettbewerbsrecht, Bd. I, S. 1190 ff., 1997, Rdnr. 84. 116 P.-C. Müller-Graff, in von der Groeben Art. 30 E G V Rdnr. 16. 1 1 7 E u G H , 11.7.1974, Dassonville, Slg. 1974, 837 (852 Tz. 5). Dazu zählen nach der „Keck"-
B. Immaterialgüterschutz
und
Grundfreiheiten
219
D e r B e g r i f f d e r / / ¿ « ¿ e / s r e g e l u n g ist n i c h t r e s t r i k t i v z u v e r s t e h e n ; a u f das E r f o r dernis wurde später verzichtet.118 J e d e n f a l l s u n t e r f a l l e n n u r staatliche der A r t . 2 8 u n d 2 9 E G V . Private
Maßnahmen dem Beschränkungsverbot
M a ß n a h m e n s i n d l e d i g l i c h auf i h r e V e r e i n b a r -
k e i t m i t d e n W e t t b e w e r b s r e g e l n zu ü b e r p r ü f e n . 1 1 9 I m F a l l e p r i v a t e r H a n d e l s b e h i n d e r u n g e n k a n n a l l e r d i n g s g l e i c h z e i t i g eine s t a a t l i c h e M a ß n a h m e in d e r F o r m des U n t e r l a s s e n s v o r l i e g e n . D e r G e r i c h t s h o f hat f e s t g e s t e l l t , dass die M i t g l i e d s t a a t e n g e m . A r t . 3 0 i.V. m . A r t . 5 E G V (a.F.) d a z u v e r p f l i c h t e t s i n d , alle e r f o r d e r l i c h e n u n d a n g e m e s s e n e n M a ß n a h m e n zu e r g r e i f e n , d a m i t der freie W a r e n verkehr nicht durch Handlungen von Privatpersonen beeinträchtigt wird.120 1. Nationale
Schutzrechtssysteme
als staatliche
Regelungen
G e w e r b l i c h e S c h u t z r e c h t e sind p r i v a t e R e c h t e , u n a b h ä n g i g d a v o n , o b sie p r i v a t e n o d e r ö f f e n t l i c h e n R e c h t s t r ä g e r n z u s t e h e n . D i e A u s ü b u n g d i e s e r R e c h t e ist eine p r i v a t e , k e i n e s t a a t l i c h e M a ß n a h m e u n d u n t e r f ä l l t als s o l c h e n i c h t d e m A r t . 2 8 E G V . D i e A u s g e s t a l t u n g der p r i v a t e n A u s s c h l i e ß l i c h k e i t s r e c h t e d u r c h d e n n a t i o n a l e n G e s e t z g e b e r u n d die A n w e n d u n g d i e s e r R e g e l n d u r c h die n a Entscheidung aber nicht „bestimmte Verkaufsmodalitäten", „sofern diese Bestimmungen für alle betroffenen Wirtschafsteilnehmer gelten, die ihre Tätigkeit im Inland ausüben, und sofern sie den Absatz der inländischen Erzeugnisse und der Erzeugnisse aus anderen Mitgliedstaaten rechtlich wie tatsächlich in der gleichen Weise berühren". (EuGH, 24.11.1993, Keck und Mithouard, Verb. Rs. C-267/91 und C-268/91, Slg. 1993,1-6097,1-6131 Tz. 16). 1 1 8 Nachweise bei P.-C. Müller-Graff, in von der Groehen Art. 30 E G V Rdnr. 47. 1 1 9 Missverständlich EuGH, 22.1.1981, Dansk Supermarket/Imerco, Rs.58/80, Slg. 1981, 181 (195 Tz. 17): „Überdies ist darauf hinzuweisen, daß Vereinbarungen zwischen Privaten in keinem Fall von den zwingenden Bestimmungen des Vertrages über den freien Warenverkehr abweichen dürfen. Daraus folgt, daß eine Vereinbarung, mit der die Einfuhr einer Ware in einen Mitgliedstaat verboten wird, die in einem anderen Mitgliedstaat rechtmäßig in den Verkehr gebracht worden ist, nicht geltend gemacht oder berücksichtigt werden kann, um den Absatz dieser Ware als eine unzulässige oder unlautere Handelspraxis zu qualifizieren." Die Passage erweckt den Anschein, als ob der Gerichtshof sich für die unmittelbare Drittwirkung von Grundfreiheiten, also für die Geltung von Art. 28 E G V auch im Verhältnis zwischen Privaten aussprechen würde. Der Kontext der Entscheidung zeigt aber deutlich, dass diese Ausführungen trotz missverständlicher bis falscher Terminologie dem Problemkreis der gemeinschaftsrechtskonformen Auslegung nationalen Rechts und damit der mittelbaren Drittwirkung der Grundfreiheiten zuzuordnen sind: Die Art. 28 ff. E G V wirken dergestalt in das nationale Lauterkeitsrecht ein, dass der bloße Import einer Ware auch bei entgegenstehenden privaten Vereinbarungen nicht als unlauter qualifiziert werden darf. Zur Diskussion um die unmittelbare Drittwirkung von Grundfreiheiten s. die Nachweise unten Fn. 124. 1 2 0 EuGH, 9.12.1997, Kommission/Frankreich, Rs. C-265/95, Slg. 1997, 1-6959 (1-6998 ff. Tz. 30 ff.) m. Anm. G. Meier, EuZW 1998, 87. Der Rat hat diese Pflicht durch Verordnung konkretisiert und um Informations- und Kooperationspflichten zwischen Mitgliedstaaten und Kommission ergänzt, s. die Verordnung (EG) Nr. 2679/98 des Rates vom 7.12.1998 über das Funktionieren des Binnenmarktes im Zusammenhang mit dem freien Warenverkehr zwischen den Mitgliedstaaten (ABl. L 337/8) sowie die Entschließung des Rates und der im Rat vereinigten Vertreter der Regierungen der Mitgliedstaaten vom 7.12.1998 über den freien Warenverkehr (ABl. L 337/10).
220
4. Teil: Europäisches
Recht
tionalen Gerichte sind allerdings staatliche Maßnahmen. 121 Erst diese schaffen die Voraussetzungen für das private Verhalten. Macht ein Privater vom nationalen Immaterialgüterrecht zum Zweck der Einfuhrbehinderung Gebrauch, wird sein Verhalten deshalb dem Staat zugerechnet. 122 Art. 28 E G V verbietet im Ergebnis den Mitgliedstaaten also nicht nur die Beschränkung des freien Warenverkehrs durch eigene Maßnahmen; vielmehr ist bereits im Vorfeld eine Ausgestaltung des nationalen Rechtssystems verboten, die eine Beschränkung des freien Warenverkehrs durch private Handlungen ermö glicht. 123 Art. 28 E G V verbietet allerdings nicht diese privaten Beschränkungen, sondern lediglich die staatliche Ausgestaltung nationaler Schutzrechtssysteme, auf der solche privaten Beschränkungen beruhen. 124 2. Nationale Schutzrechte als Maßnahmen mengenmäßige Beschränkung
gleicher
Wirkung wie eine
Die geographische Beschränkung nationaler Schutzrechte auf das Gebiet eines Mitgliedstaats steht mit dem Grundsatz des freien Warenverkehrs in Konflikt 121 In der Rechtsprechung des Gerichtshofs besteht allerdings diesbezüglich keine restlose Klarheit. In Bezug auf Nichtangriffsklauseln in Lizenzverträgen hat er beispielsweise entschieden, dass hier nicht die Anwendung einer nationalen Regelung über die Ausübung eines gewerblichen Schutzrechts in Frage stehe, sondern lediglich die Gültigkeit einer Vereinbarung zwischen Unternehmen betroffen sei. Folglich scheide die Anwendung von Art. 30 E G V (a.F.) aus; Prüfungsmaßstab sei lediglich Art. 85 E G V (a.F.), E u G H , 27.9.1988, Bayer/Süllhöfer, Rs.65/86, Slg. 1988, 5249 (5285 Tz. 12 f.). Diese Feststellung ist nicht zweifelsfrei. Lässt nationales Recht (wie z.B. das deutsche Recht) Nichtangriffsklauseln zu, müssen daraus entstehende Einfuhr- oder Ausfuhrbehinderungen dem betreffenden Mitgliedstaat zugerechnet werden, so dass die Anwendbarkeit der Art. 28 ff. E G V zu bejahen ist. 122 S. z.B. E u G H , 31.10.1974, Centrafarm/Sterling Drug, Rs. 15/74, Slg. 1974, 1147 (1163 Tz. 10). Dazu E. Grabitz, Das Recht auf Zugang zum Markt nach dem EWG-Vertrag, FS Ipsen, 1977, S. 645 (657-659); O. Brändel, Die gemeinschaftsrechtlichen Mißbrauchstatbestände bei der Ausübung nationaler Schutzrechte (Art. 36 Satz 2 E W G V ) , G R U R 1980, 512; P-C. Miiller-Graff in von der Groeben Art. 30 E G V Rdnr. 149 und 290; St. Leible, in Grabitz/Hilf Art. 28 E G V Rdnr. 6; U. Michalsky, Die Marke in der Wettbewerbsordnung, 1996, S. 166. 1 2 3 Dieser Grundsatz gilt auch im europäischen Wettbewerbsrecht und hat dort konstitutive Bedeutung. Im Prinzip werden durch die Art. 81 und 82 E G V nur die Unternehmen verpflichtet. Seit dem „ I N N O / A T A B " - U r t e i l ( E u G H , 16.11.1977, Rs. 13/77, Slg. 1977,2115) werden aus den Wettbewerbsregeln aber auch Verpflichtungen der Staaten abgeleitet. Die Art. 81 und 82 E G V stehen danach behördlichen Eingriffen entgegen, die ein nach diesen Vorschriften verbotenes Verhalten von Unternehmen entweder vorschreiben, begünstigen oder unvermeidbar machen, bzw. die die Verantwortung für regulierende Maßnahmen auf private Wirtschaftsteilnehmer übertragen (Generalanwalt van Gerven, Niederlande/Kommission, Slg. 1992, 1-589,1-615 ff. Tz. 37-39). Im Zusammenhang mit den Art. 81 und 82 'EGV begründet eine solche staatliche Einflussnahme die Geltung der eigentlich unternehmensbezogenen Wettbewerbsregeln gegenüber den Mitgliedstaaten; im Fall der Grundfreiheiten verschärft die Beeinflussung des Verhaltens Privater den Geltungsgrad. 1 2 4 Anders diejenigen, die für eine unmittelbare Drittwirkung der Grundfreiheiten eintreten, z.B. E. Steindorff, EG-Vertrag und Privatrecht, 1996, S. 277 ff.; ablehnend W.-H. Roth, Drittwirkung der Grundfreiheiten?, FS Everling, 1995, S. 1231 ff.; Streinz! Leible, Die unmittelbare Drittwirkung der Grundfreiheiten, E u Z W 2000, 459 ff.
B. Immaterialgüterschutz
und
Grundfreiheiten
221
(a). In diesem Zusammenhang ist zu klären, ob der EG-Vertrag zwingend die Qualifizierung nationaler Schutzrechte als Handelsbeschränkung nahe legt (b). Schließlich ist zu berücksichtigen, dass der nationale Immaterialgüterschutz nicht nur durch die positive Schutzgewährleistung, sondern umgekehrt auch durch Schutzrechtseinschränkungen zu einer Behinderung des innergemeinschaftlichen Handels führen kann (c). a) Territorialitätsprinzip
und freier
Warenverkehr
Nationale Schutzrechte unterliegen dem Territorialitätsprinzip. Sie gelten nur für das Land, das den Schutz gewährt. 125 Für dasselbe Rechtsgut ist in jedem Staat ein eigenes Schutzrecht in Anspruch zu nehmen. Alle diese Schutzrechte sind unabhängig voneinander. Das jeweilige Schutzrecht kann außerhalb des Schutzstaats nicht verletzt werden. 126 Die derart umschriebene Territorialität lässt sich zur Behinderung des innergemeinschaftlichen Handels i.S. der Dassonville-Formel einsetzen. Unabhängig von der Schutzrechtssituation in den anderen Mitgliedstaaten lässt sich ein nationales Schutzrecht zur Abwehr von Waren einsetzen, die aus dem Ausland kommen und die dem nationalen Schutzrecht unterfallen. Diese Einschränkung des Freihandels ist nicht etwa ein Nebeneffekt, sondern der zentrale Inhalt eines Ausschließlichkeitsrechts. 127 Nur dessen Inhaber steht die Befugnis zu, das geschützte Rechtsgut zu verwerten. Es sind also nicht etwa die Unterschiede im Schutzrechtsniveau zwischen den einzelnen Mitgliedstaaten, die eine Beschränkung des freien Warenverkehrs verursachen. Die Ursache ist vielmehr die Existenz nationaler, dem Territorialitätsprinzip gehorchender Schutzrechte als solche. 128 125 Der Territorialitätsgrundsatz ist Reflex der völkerrechtlichen Begrenztheit der Hoheitsgewalt des betreffenden Staates, s. hierzu Copinger and Skone James on Copyright, 13. Aufl. 1991, S. 417 f. Rdnr. 14-32. L. Baeumer (Anmerkungen zum Territorialitätsprinzip, FS Fikentscher, 1998, S. 803 ff.) unterscheidet sachverhaltsspezifische und politische Gründe. 126 K. Bruchhausen, in Benkard, Patentgesetz, 1993, § 9 PatG Rdnr. 8; Schncker/Katzenberger, 2. Aufl. 1999, Vor § § 120 ff. Rdnr. 120 ff.; P. Chrocziel, Einführung in den Gewerblichen Rechtsschutz und das Urheberrecht, 1995, Rdnr. 66 f. 127 Dagegen möchten Marenco/Banks (Intellectual Property und the Community Rules on Free Movement: Discrimination Unearthed, EL Rev. 1990,224,236 ff.) nationale Schutzrechte aus dem Tatbestand von Art. 28 EGV herausnehmen, soweit sie nicht zur Diskriminierung von Erzeugnissen aus anderen Mitgliedstaaten führen. Es könne nicht sein, dass das nationale Immaterialgüterrecht in jeder Ausgestaltungsnuance an Art. 28 EGV zu messen sei. Sonst käme es zur Zensur des nationalen Gesetzgebers. 128 Dies bedeutet nicht, dass Unterschiede im Schutzrechtsniveau zwischen den Mitgliedstaaten für den freien Warenverkehr gänzlich ohne Belang wären. Viele Entscheidungen des Gerichtshofs hatten Probleme zum Gegenstand, die gerade aus solchen Schutzunterschieden resultieren. Diese Probleme sind bei genauerer Betrachtung aber nicht bei Art. 28 EGV, also bei der Frage angesiedelt, ob überhaupt eine Maßnahme gleicher Wirkung wie eine mengenmäßige Beschränkung vorliegt. Die Beschränkungswirkung wird vielmehr implizit bejaht. Das eigentliche Problem der Schutzunterschiede stellt sich bei der Frage nach der Rechtferti-
222
4. Teil: Europäisches
Recht
Der Gerichtshof geht in seinen Entscheidungen davon aus, dass nationale Schutzrechte Maßnahmen gleicher Wirkung sind. Einer isolierten Prüfung von Art. 28 E G V zieht er allerdings die Zusammenschau der Art. 28 und 30 E G V vor. Uber Art. 28 E G V geht er gewöhnlich hinweg und wendet sich sofort der Frage zu, ob die Ausgestaltung des nationalen Immaterialgüterrechts durch Art. 30 E G V gerechtfertigt ist. 1 2 9 Diese Vorgehensweise mag damit zusammenhängen, dass der Gerichtshof nicht einseitig die beschränkenden, sondern die wettbewerbsfördernden Wirkungen geistiger Eigentumsrechte betonen möchte. Die Zusammenschau von Art. 28 und 30 E G V versperrt aber von vornherein die Möglichkeit, schon am Vorliegen einer Beschränkung des freien Warenverkehrs durch nationale Schutzrechtssysteme zu zweifeln. b) Nationale
Schutzrechte
als
Handelsbeschränkung?
Zweifel am Vorliegen einer Handelsbeschränkung können einerseits aus einer Parallele zu den Wettbewerbsregeln (1), andererseits aus der „ K e c k " - R e c h t sprechung erwachsen (2). Überdies wurde ein grundsätzlicher Vorschlag zur Restriktion von Art. 28 E G V in Bezug auf Immaterialgüterrechte unterbreitet (3). (1) Übernahme der Wettbewerbseröffnungslehre? Im Rahmen von Art. 81 E G V ist anerkannt, dass nicht alle Beschränkungen, die zwischen dem Inhaber eines Schutzrechts und einem Dritten vertraglich vereinbart werden, automatisch eine Wettbewerbsbeschränkung i.S. von Art. 81 E G V darstellen. Es bedarf vielmehr einer eingehenden Prüfung des gesamten
gung dieser Beschränkungen im Rahmen von Art. 30 E G V . Beispielsweise war zu klären, ob Erschöpfung auch dann eintritt, wenn das Schutzniveau im Importland höher als im Exportland ist, z.B. weil im Exportland für die betreffende Leistung überhaupt kein Schutz zur Verfügung steht (Erschöpfung wurde bejaht: E u G H , 14.7.1981, Merck/Stephar und Exler, Rs. 187/80, Slg. 1981, 2063). Im Fall unterschiedlicher Schutzfristen wurde ein Importverbot bestätigt: Die Zustimmung zum Inverkehrbringen durch den Rechtsinhaber lag nicht vor; der Ablauf der Schutzfrist im Exportland war unerheblich ( E u G H , 24.1.1989, E M I Electrola/Patricia Im- und Export, Rs. 341/87, Slg. 1989, 79). Fragen des unterschiedlichen Schutzniveaus sind systematisch bei Art. 30 E G V , nicht bei Art. 28 E G V angesiedelt (s. unten S. 227). Im Rahmen von Art. 28 E G V ist deshalb die Aussage korrekt, dass nicht die Schutzunterschiede zwischen den einzelnen Mitgliedstaaten, sondern bereits die Existenz territorial beschränkter nationaler Schutzrechte eine Maßnahme gleicher Wirkung i.S. von Art. 28 E G V darstellt. 1 2 9 Ausnahmen, in denen eine gesonderte Prüfung von Art. 28 E G V (=Art. 30 a.F.) stattfindet, sind z.B.: E u G H , 20.1.1981, Musik-Vertrieb m e m b r a n / G E M A , Verb. Rs. 55 und 57/80, Slg. 1981, 147 (161 T z . 8); E u G H , 17.5.1988, Warner Brothers/Christiansen, Rs. 158/86, Slg. 1988, 2605 (2628 T z . 10 f.); E u G H , Kommission/Italien, 18.2.1992, Slg. 1992, 1-777 (1-825 T z . 1 9 - 2 3 ) , inhaltsgleich mit: E u G H , 18.2.1992, Kommission/Vereinigtes Königreich, Slg. 1992, 1-829 (1-866 T z . 2 3 - 2 7 ) ; E u G H , 27.10.1992, Generics und Harris, R s . C - 1 9 1 / 9 0 , Slg. 1 9 9 2 , 1 - 5 3 3 5 (1-5374 T z . 20).
B. Immaterialgüterschutz
und
Grundfreiheiten
223
rechtlichen und wirtschaftlichen Zusammenhangs. 1 3 0 Eine entsprechende Argumentation ist auch im Bereich der Verkehrsfreiheiten denkbar. Es ließe sich folgende Auffassung vertreten: Rechte des geistigen Eigentums beschränken den freien Warenverkehr jedenfalls nicht per se. Sie ermöglichen ihn vielmehr, da ohne ihre Gewährung kein Anreiz zur Herstellung oder zum Vertrieb von Waren besteht, die auf Erfindungen oder persönlichen geistigen Schöpfungen beruhen, bzw. die mit Marken oder sonstigen Kennzeichen versehen sind. Der Tatbestand von Art. 28 E G V müsste dann entsprechend reduziert werden. Vorbild für eine solche teleologische Reduktion wäre die vom Gerichtshof entwickelte Cassis-Formel, die nach überwiegender Meinung kein Rechtfertigungsgrund für Eingriffe in den freien Warenverkehr ist, sondern als Tatbestandsrestriktion zu deuten ist. 131 Gegen eine solche Parallele zu Art. 81 E G V und damit gegen die (zumindest teilweise) Herausnahme des nationalen Immaterialgüterschutzes aus Art. 28 E G V spricht die Aufnahme des „gewerblichen und kommerziellen Eigentums" in Art. 30 EGV. Die Einbeziehung des geistigen Eigentums im Rahmen der Schutzklausel indiziert, dass der Grundtatbestand des Art. 28 E G V erfüllt sein muss. 1 3 2 Am Beispiel des Gesundheitsschutzes hat der Gerichtshof entschieden, dass zwingende Erfordernisse i.S. der Cassis-Formel nur solche sind, die nicht bereits in Art. 30 E G V aufgeführt sind. 133 Dieser Entscheidung kommt wegen ihrer (stillschweigenden) Korrektur der älteren Rechtsprechung besondere Bedeutung zu. In der Cassis-Entscheidung hatte der Gerichtshof den Schutz der öffentlichen Gesundheit noch als zwingendes Erfordernis anerkannt. 1 3 4 In der Folgezeit ging er zwar hiervon ab, indem er Ausnahmen vom Gebot des freien Warenverkehrs zum Gesundheitsschutz nur noch im Rahmen von Art. 36 E W G V (= Art. 30 E G V n.F.) ansprach. 1 3 5 Erst in der Entscheidung „Aragonesa" 1 3 6 stellte er aber fest, dass der Schutz der Gesundheit nur noch im Rahmen von Art. 36 E W G V Berücksichtigung finden soll. D a Art. 36 E W G V für die dort genannten Schutzgüter einen größeren Anwendungsbereich als die Cassis-Formel habe, 1 3 7 erübrige „sich unter diesen Umständen die Prüfung der S. u . S . 354 ff. S. z.B. G. Nicolaysen, Europarecht II, 1996, S. 57; P.-C. Miiller-Graff, in von der Groeben Art. 30 E G V Rdnr. 190. 132 I. Govaere, T h e Use and Abuse o í Intellectual Property Rights in E . C . Law, 1996, S. 200 Fn. 17. 1 3 3 E u G H , 25.7.1991, Aragonesa de Publicidad Exterior und Publivía, Verb. R s . C - 1 / 9 0 und C - 1 7 6 / 9 0 , Slg. 1991, 1-4151 (1-4184 T z . 13). Zum Gesundheitsbegriff s. Th. Möllers, Rechtsgüterschutz im Umwelt- und Haftungsrecht, 1996, S. 29 ff. 1 3 4 E u G H , 20.2.1979, REWE/Bundesmonopolverwaltung für Branntwein, Rs. 120/78, Slg. 1979, 649 (662 T z . 8). 1 3 5 Nachweise dieser Rechtsprechung finden sich bei Generalanwalt W. van Gerven, Slg.1991,1-4177 T z . 13 Fn. 24. 1 3 6 O b e n F n . 133. 1 3 7 Bekanntlich nimmt die Cassis-Formel staatliche Maßnahmen nur dann vom Verbot des 130 131
4. Teil: Europäisches
224
Recht
F r a g e , o b der S c h u t z d e r ö f f e n t l i c h e n G e s u n d h e i t a u c h ein z w i n g e n d e s E r f o r d e r n i s i m R a h m e n d e r A n w e n d u n g des A r t i k e l s 3 0 d a r s t e l l e n k a n n . " 1 3 8 D i e s e B e g r ü n d u n g gilt f ü r alle in A r t . 3 0 E G V g e n a n n t e n S c h u t z g ü t e r gleic h e r m a ß e n , also a u c h f ü r das g e w e r b l i c h e u n d k o m m e r z i e l l e E i g e n t u m . E i n e T a t b e s t a n d s r e s t r i k t i o n v o n A r t . 2 8 E G V f ü r die
warenverkehrseröffnenden
W i r k u n g e n nationaler Immaterialgüterrechte wäre mit dieser R e c h t s p r e c h u n g nicht vereinbar. D i e F r a g e der A n w e n d u n g der C a s s i s - F o r m e l einerseits u n d v o n A r t . 3 0 E G V a n d e r e r s e i t s hat z w a r k e i n e p r a k t i s c h e n
Auswirkungen.139
I m m e r h i n f ü h r t d e r W e g ü b e r A r t . 3 0 E G V d a z u , dass d e r ( n a t i o n a l e ) I m m a t e r i a l g ü t e r s c h u t z sein S t i g m a als „ M a ß n a h m e g l e i c h e r W i r k u n g w i e eine m e n g e n mäßige B e s c h r ä n k u n g " (Art. 28 E G V ) bzw. „Einfuhrverbot" oder „Einfuhrbes c h r ä n k u n g " ( A r t . 3 0 E G V ) b e h ä l t u n d L e g i t i m i t ä t n u r ü b e r die a u s n a h m s w e i s e R e c h t f e r t i g u n g in A r t . 3 0 E G V e r l a n g t . D i e s e K o n s t r u k t i o n ist z w a r s c h w e r l i c h m i t d e n a n e r k a n n t e n ö k o n o m i s c h e n F u n k t i o n e n g e i s t i g e n E i g e n t u m s z u vere i n b a r e n . D e r E G - V e r t r a g legt d i e s e S i c h t w e i s e a b e r z w i n g e n d z u g r u n d e . 1 4 0 (2) Rechtssache „ K e c k " In ausdrücklicher
Abkehr
von
seiner bisherigen
G e r i c h t s h o f in d e r E n t s c h e i d u n g
„Keck"141
Rechtsprechung
die D a s s o n v i l l e - F o r m e l
hat
der
einge-
Art. 28 E G V aus, wenn sie inländische und importierte Waren in gleicher Weise erfassen, während Art. 30 E G V auch diskriminierende Regelungen rechtfertigen kann. 1 3 8 EuGH, 25.7.1991, „Aragonesa", Slg. 1-4184 Tz. 13. 1 3 9 Generalanwalt W. van Gerven, Slg.1991, 1-4177 Tz. 14: „Diese Frage hat nur geringes oder gar kein praktisches Interesse, da die Voraussetzungen für die Anwendung der im Urteil .Cassis de Dijon' entwickelten Grundsätze und von Artikel 36 übereinstimmen". H.-P. Folz (Demokratie und Integration, 1999, S. 344 ff.) weist in diesem Zusammenhang allerdings auf mögliche Konsequenzen im Verhältnis von Negativ- und Positivintegration hin: Je weiter der Anwendungsbereich der Grundfreiheiten (Negativintegration) gezogen wird, desto umfassender sind die Harmonisierungskompetenzen der Gemeinschaft auf der Grundlage der Art. 94 und 95 E G V (Positivintegration) und vice versa. 1 4 0 Demgegenüber ist F.-K. Beier (Gewerblicher Rechtsschutz und freier Warenverkehr im europäischen Binnenmarkt und im Verkehr mit Drittstaaten, G R U R Int. 1989, 603, 610; ihm folgend U. Joos, Die Erschöpfungslehre im Urheberrecht, 1991, S.4) der Auffassung, die Rechtmäßigkeit der Ausübung der gewerblichen Schutzrechte bestimme sich grundsätzlich nach nationalem Recht; lediglich der die rechtmäßige Ausübung begrenzende Missbrauch richte sich nach Gemeinschaftsrecht. Diese Auffassung wird dem System der Art. 28 und 30 E G V nicht gerecht: Auch die nach nationalem Recht rechtmäßige Ausübung gewerblicher Schutzrechte ist nach Art. 28 E G V zunächst verboten, wenn sie sich gegen Erzeugnisse aus anderen Mitgliedstaaten wendet. Erst auf der Rechtfertigungsebene des Art. 30 E G V wird dieses Verbot durchbrochen, wenn alle Voraussetzungen der Norm erfüllt sind. Dazu gehört insbesondere, dass Art. 30 E G V nur Beschränkungen zugunsten des spezifischen Gegenstands des jeweiligen Schutzrechts rechtfertigt. Schon aufgrund des Grundsatzes vom Vorrang des Gemeinschaftsrechts ist dieser spezifische Gegenstand nicht gleichbedeutend mit dem Inhalt des Schutzrechts im nationalen Recht, sondern muss autonom gemeinschaftsrechtlich ermittelt werden, s. hierzu unten S. 239 ff. 141
1-6097.
EuGH, 24.11.1993, Keck und Mithouard, Verb. Rs. C-267/91 und C-268/91, Slg. 1993,
B. Immaterialgüterschutz
und
Grundfreiheiten
225
schränkt. Keine Eignung zur Behinderung des Handels zwischen den Mitgliedstaaten haben danach nationale Bestimmungen, „die bestimmte Verkaufsmodalitäten beschränken oder verbieten," „sofern diese Bestimmungen für alle betroffenen Wirtschaftsteilnehmer gelten, die ihre Tätigkeit im Inland ausüben, und sofern sie den Absatz der inländischen Erzeugnisse und der Erzeugnisse aus anderen Mitgliedstaaten rechtlich wie tatsächlich in der gleichen Weise berühren." 1 4 2 Die Anwendung der Keck-Formel auf die Geltendmachung von Immaterialgüterrechten scheitert bereits am Begriff der Verkaufsmodalität. 1 4 3 Werden Rechte des geistigen Eigentums geltend gemacht, um die Einfuhr geschützter Erzeugnisse aus anderen Mitgliedstaaten zu unterbinden, wird nicht lediglich ein Parameter des Marketing-Mix beschränkt. Vielmehr richtet sich das Immaterialgüterrecht gegen den Grenzübertritt als solchen. Die Geltendmachung kann also nicht als bloße Verkaufsmodalität qualifiziert werden. Sie ist auch keine darüber hinausgehende produktbezogene Regelung. 1 4 4 Sie ist vielmehr nach dem System des Vertrags eine echte Einfuhrbeschränkung, die der Rechtfertigung bedarf. (3) Zusätzliche Tatbestandsrestriktionen? Marenco/Banks haben (Jahre vor der Keck-Entscheidung) den Vorschlag unterbreitet, im Bereich des Immaterialgüterrechts Art. 30 EWGV nur auf solche nationalen Bestimmungen anzuwenden, die auf eine spezifische Importbeschränkung gerichtet sind. Nationale Vorschriften, die sich in gleicher Weise auf importierte und inländische Produkte auswirken, sollen demgegenüber keiner Rechtfertigung bedürfen. 1 4 5 Ziel der Tatbestandsrestriktion ist es, solche nationalen Regelungen aus dem Anwendungsbereich von Art. 28 EGV zu entfernen, die Produkte aus dem EU-Ausland weder rechtlich noch tatsächlich benachteiligen, in diesem Sinn also neutral sind. Beispiel für solche neutralen Regelungen waren die Entscheidungen des Gerichtshofs in den Rechtssachen „Keurkoop/Nancy Kean Gifts" 1 4 6 und „Thetford/Fiamma" 147 . „Keurkoop" betraf das „first to file"-Prinzip im Benelux-Geschmacksmusterrecht, das es nur dem wahren Urheber, bzw. dessen Auftrag- oder Arbeitgeber erlaubte, ge„Keck", Slg.1993,1-6131 Tz. 16. I. Govaere, The Use and Abuse of Intellectual Property Rights in E.C. Law, 1996, S. 207 Rdnr. 7.20. 144 Zur Unterscheidung der Verkaufsmodalitäten von den warenbezogenen Vorschriften s. G. Nicolaysen, Europarecht II, 1996, S. 53 ff.; P. Heermann, Artikel 30 EGV im Lichte der „Keck"-Rechtsprechung: Anerkennung sonstiger Verkaufsmodalitäten und Einführung eines einheitlichen Rechtfertigungstatbestands?, GRUR Int. 1999, 579. 145 Marenco!Banks, Intellectual Property und the Community Rules on Free Movement: Discrimination Unearthed, EL Rev. 1990, 224 (238). 146 EuGH, 14.9.1982, Keurkoop/Nancy Kean Gifts, Rs. 144/81, Slg. 1982, 2853. 147 EuGH, 30.6.1988, Thetford/Fiamma, Rs. 35/87, Slg. 1988, 3585. 142 143
226
4. Teil: Europäisches
Recht
gen den ersten Hinterleger mit dem Argument vorzugehen, dass er nicht der Urheber des Musters sei. „Thetford" hatte das Prinzip der relativen Neuheit im britischen Patentrecht zum Gegenstand. In beiden Entscheidungen wies der Gerichtshof die streitigen Regelungen den „Voraussetzungen und Modalitäten" zu, die sich „beim gegenwärtigen Stand des Gemeinschaftsrechts" nach nationalem Recht bestimmen. 148 Das Anliegen von Marenco/Banks lässt sich in den allgemeineren Zusammenhang einordnen, der auch der „Keck"-Entscheidung zu Grunde liegt. Die Weite der Dassonville-Formel bringt es mit sich, dass auch solche nationalen Regelungen dem Verbot des Art. 28 EGV unterfallen, die sich nicht marktabschottend auswirken. Es geht hierbei um Vorschriften, die heimische und importierte Erzeugnisse rechtlich und tatsächlich in gleicher Weise betreffen, und die auch sonst inländische Produkte in keinerlei Beziehung besser stellen. Marenco/Banks nehmen die Existenz solcher neutralen Normen zum Anlass, Art. 28 EGV vom allgemeinen Beschränkungsverbot wieder auf ein (weit verstandenes) Diskriminierungsverbot zurückzustutzen. 149 Dieser Vorschlag muss allerdings auf dieselben Schwierigkeiten stoßen, die dem Ausbau des Art. 28 EGV vom Diskriminierungsverbot zum allgemeinen Beschränkungsverbot zu Grunde lagen. Soll der Diskriminierungsbegriff durch die Einbeziehung impliziter, materieller, versteckter oder entfernter Ungleichbehandlungen nicht überdehnt werden, müssen auch alle nicht-diskriminierenden Beschränkungen des innergemeinschaftlichen Handels einbezogen werden. 150 Auch der Gerichtshof hat in „Keck" nicht etwa den Rückzug zum bloßen Diskriminierungsverbot angetreten, sondern hat durch eine vorsichtige Korrektur - beschränkt auf die Regelung der Verkaufsmodalitäten - Überspannungen der Dassonville-Formel zurückgenommen. Möchte man der Anregung von Marenco/Banks zu einer Korrektur der Kontrolldichte von Art. 28 EGV auf dem Gebiet des Immaterialgüterrechts folgen, empfiehlt sich eine vorsichtige Gangart nach dem Vorbild von „Keck". Es wäre zu klären, ob sich auch im Recht des geistigen Eigentums eine Gruppe nationaler Regeln identifizieren ließe, die wegen ihrer Neutralität in Bezug auf den innergemeinschaftlichen Handel von vornherein aus dem Tatbestand von 148 „Keurkoop" Slg. 1982, 2871 Tz. 18; „Thetford" Slg. 1988, 3605 Tz. 12. Ebenso EuGH, 30.11.1993, Renault/Audi („quattro/Quadra"), C-317/91, Slg. 1993,1-6227 (1-6267 Tz. 20 f.). 149 Marenco/Banks, Intellectual Property und the Community Rules on Free Movement: Discrimination Unearthed, EL Rev. 1990, 224 (239). 150 Durch ein bloßes Diskriminierungsverbot, sei es auch noch so weit gefasst, könnte auch das seit der Cassis-Entscheidung geltende Prinzip der Anerkennung nicht begründet werden, nach dem die in einem Mitgliedstaat rechtmäßig hergestellten und in den Verkehr gebrachten Erzeugnisse grundsätzlich im gesamten Gebiet des Gemeinsamen Marktes verkehrsfähig sind, s. hierzu die Mitteilung der Kommission über die Auswirkungen des Urteils des Europäischen Gerichtshofes vom 20. Februar 1979 in der Rechtssache 120/78 („Cassis de Dijon"), ABl. C 256/2 v. 3.10.1980.
B. Immaterialgüterschutz
und
Grundfreiheiten
227
A r t . 28 E G V herauszunehmen wäre. In Frage kämen hier insbesondere die „Voraussetzungen und M o d a l i t ä t e n " der Schutzrechte, die der G e r i c h t s h o f nach den angeführten Entscheidungen mangels gemeinschaftlicher H a r m o n i sierung dem nationalen R e c h t anheim gestellt hat. A b e r auch eine solche Tatbestandsrestriktion von Art. 28 E G V ist abzulehnen. Zunächst ist festzuhalten, dass der G e r i c h t s h o f die Zuweisung der „Voraussetzungen und M o d a l i t ä t e n " an das nationale R e c h t nicht als E i n s c h r ä n k u n g von A r t . 28 E G V versteht. S o w o h l in „ K e u r k o o p " als auch in „ T h e t f o r d " lautet die Schlussfolgerung, dass solche Voraussetzungen und Modalitäten des Schutzes unter Art. 30 E G V fallen. 1 5 1 A m Vorliegen einer M a ß n a h m e gleicher Wirkung i.S. v o n Art. 28 E G V besteht also kein Zweifel. Es ist allerdings einzuräumen, dass der G e r i c h t s h o f die Prüfung von A r t . 30 E G V in diesen Fällen nicht in derselben Intensität durchführt, die bei k o n k r e t e n I m p o r t b e s c h r ä n k u n g e n üblich ist. Insbesondere ist der G e r i c h t s h o f nicht ausdrücklich der Frage nachgegangen, ob die Voraussetzungen und Modalitäten zum spezifischen G e g e n stand des jeweiligen Schutzrechts zählen und deshalb unter Art. 30 E G V fallen. In der Sache kann hieran aber kein Zweifel bestehen. Z u m spezifischen G e g e n stand eines Immaterialgüterrechts zählen nicht nur die damit verbundenen R e c h t e , sondern auch die für die Entstehung dieser R e c h t e erforderlichen Voraussetzungen und Modalitäten. In der Regel stehen die Schutz rechte, und nicht die Schutz Voraussetzungen
im Mittelpunkt eines Verfahrens, das B e s c h r ä n k u n -
gen des freien Warenverkehrs zum Gegenstand hat. Es ist aber nicht von v o r n herein auszuschließen, dass auch die Ausgestaltung der Schutzvoraussetzungen zu Beschränkungen des innergemeinschaftlichen Handels führen kann. E i n e U b e r p r ü f u n g am Maßstab des Art. 28 E G V ist deshalb unabdingbar. (4) Ergebnis Nationale Immaterialgüterrechte fallen unter A r t . 28 E G V , soweit auf ihrer B a sis die E i n f u h r geschützter Gegenstände verhindert werden kann. D e r P r ü fungsschwerpunkt liegt deshalb im einzelnen Fall auf der Frage, in w e l c h e m U m f a n g Art. 30 E G V nationale Schutzrechtssysteme v o m V e r b o t des A r t . 28 E G V ausnimmt. Wenn die positiven Wirkungen, die v o m Schutz geistigen E i gentums auch für die Warenverkehrsfreiheit ausgehen, nicht im R a h m e n v o n Art. 28 E G V herangezogen werden können, sind sie zumindest auf der R e c h t fertigungsebene, also im R a h m e n von Art. 30 E G V , in vollem U m f a n g zu b e rücksichtigen.
151
„Keurkoop" Slg. 1982, 2872 Tz. 20; „Thetford" Slg. 1988, 3607 Tz. 21.
228
4. Teil: Europäisches
Recht
c) Handelsbehinderung durch Einschränkung nationaler Schutzrechte das Problem der „ underprotection "
-
Nicht nur durch die positive Gewährung nationaler Schutzrechte kann der innergemeinschaftliche Handel beeinträchtigt werden. Denkbar ist auch eine Beschränkung durch die Zurücknahme nationalen Schutzes, jedenfalls wenn sie Auswirkungen auf den innergemeinschaftlichen Handel hat. (1) „Zwangslizenz" -Entscheidungen Dies war der Fall in den „Zwangslizenz"-Entscheidungen des Gerichtshofs. 152 Das italienische und britische Patentrecht sahen die Möglichkeit einer Zwangslizenzierung inländischer Patente im Fall nicht-ausreichender Benutzung vor. In beiden Rechtsordnungen wurde für die Frage der ausreichenden Benutzung darauf abgestellt, ob eine ausreichende Produktion des patentgeschützten Gegenstands im Inland stattfand. Nicht berücksichtigt wurden für diese Frage Importe der patentgeschützten Waren aus dem Ausland, auch nicht solche aus anderen EU-Mitgliedstaaten. Der Gerichtshof entschied, dass diese Rechtslage den innergemeinschaftlichen Handel auf zweierlei Weise beeinträchtige: Zum einen veranlasse die Regelung den Rechtsinhaber dazu, den patentgeschützten Gegenstand im Inland zu produzieren, um die Zwangslizenzierung zu vermeiden. Zum anderen gehe, wenn es zur Erteilung einer Zwangslizenz komme, die Einfuhr des patentierten Erzeugnisses aus anderen Mitgliedstaaten zurück. 1 5 3 In beiden Fällen liege eine Beschränkung des freien Warenverkehrs in der Gemeinschaft i.S. der Dassonville-Formel vor. Diese Beschränkung sei auch nicht durch Art. 36 EWGV zu rechtfertigen, da die Regelung bewusst auf die Förderung der einheimischen Produktion abziele. 154 (2) Unmittelbare und mittelbare Einfuhrbehinderungen Die Zwangslizenz-Rechtsprechung des Gerichtshofs hat nicht die übliche einfuhrbeschränkende Wirkung nationaler Schutzrechte zum Gegenstand. Hier dienen nationale Schutzrechte nicht unmittelbar dazu, die Einfuhr von Waren zu verhindern, die dem Schutzrecht unterfallen. Es findet vielmehr eine mittelbare Einfuhrbehinderung statt: Durch Zwangslizenzierung des betreffenden 152 EuGH, 18.2.1992, Kommission/Italien, Rs.C-235/89, Slg.1992, 1-777; EuGH, 18.2.1992, Kommission/Vereinigtes Königreich, Rs. C-30/90, Slg. 1992,1-829. 153 EuGH, Kommission/Italien, Slg.1992, 1-777 (1-825 Tz. 19-23); EuGH, Kommission/ Vereinigtes Königreich, Slg. 1992,1-829 (1-866 Tz. 23-27). 154 EuGH, Kommission/Italien, Slg.1992,1-777 (1-826 Tz. 25); EuGH, Kommission/Vereinigtes Königreich, Slg. 1992,1-829 (1-867 Tz. 29). Der Gerichtshof weist auch auf die Art. 77 und 46 G P U hin, die diese Frage mit Inkrafttreten des G P U ausdrücklich regeln werden: Danach dürfen Zwangslizenzen an nationalen Patenten wegen unzureichender Ausübung nicht erteilt werden, wenn das patentgeschützte Erzeugnis durch Importe aus anderen Vertragsstaaten in ausreichender Menge zur Verfügung steht.
B. Immaterialgüterschutz
und
Grundfreiheiten
229
Schutzrechts im Inland wird die Nachfrage nach importierten Erzeugnissen vermindert, bzw. es wird im Vorfeld ein Anreiz zur Produktion im Inland geschaffen, der ebenfalls zu einer Verminderung der Einfuhren führt. Während im Normalfall der Import durch ein auf das Schutzrecht gestütztes Verbot verhindert wird, bleibt in den Zwangslizenzfällen die Einfuhr rechtlich weiterhin möglich. Lediglich die Nachfrage nach Einfuhren wird gesenkt. Systematisch gesehen stehen die Zwangslizenz-Fälle deshalb eher im Zusammenhang mit den verbotenen Fördermaßen zugunsten inländischer Produkte 1 5 5 als mit den typischen Beschränkungen, die vom Schutz geistigen Eigentums auf den freien Warenverkehr ausgehen. Immerhin lässt sich festhalten, dass Art. 28 EGV auch einer Ausgestaltung des nationalen Immaterialgüterrechts entgegensteht, die indirekt zu einer Bevorzugung inländischer Produkte zu Lasten von Erzeugnissen aus anderen Mitgliedstaaten führt. 1 5 6 (3) Folgerungen Die Zwangslizenzfälle sind der allgemeinen Problematik zuzuweisen, i n w i e weit nicht nur die Gewährung, sondern auch die unzureichende, bzw. Nichtgewährung von Schutzrechten als Beschränkung der Warenverkehrsfreiheit einzustufen ist. Dem Problem der overprotection steht das Problem der underprotection gegenüber. 1 5 7 Es ist denkbar, dass es zur Behinderung des innergemeinschaftlichen Handels auch dadurch kommt, dass ein Schutzrecht nicht zur Verfügung steht, bzw. zu eng gefasst oder mit Einschränkungen versehen ist. In der Regel w i r d underprotection z w a r eher zu einer Belebung der Handelsströme führen, da Produktion und Vertrieb bestimmter Erzeugnisses nicht durch Ausschließlichkeitsrechte behindert wird. Wie die Zwangslizenzfälle zeigen, kann es in besonders gelagerten Fällen aber dazu kommen, dass Schutzeinschränkungen zur Reduzierung des innergemeinschaftlichen H a n dels führen. Der Verhinderung solcher unerwünschter Auswirkungen dient auch das verstärkte Interesse in Harmonisierungsrichtlinien daran, dass Schutzausnahmen 155 Die Kommission zog in den von ihr angestrengten Vertragsverletzungsverfahren zu Recht eine Parallele z u m Urteil „ B u y Irish" ( E u G H , 24.11.1982, Kommission/Irland, Rs. 249/ 81, Slg. 1982, 4005): Der Gerichtshof hatte dort entschieden, dass eine d e m Staat z u r e c h e n b a r e W e r b e k a m p a g n e f ü r den Kauf inländischer P r o d u k t e nach Art. 30 E W G V verboten sei. F ü r Art. 30 E W G V sei es ohne Belang, ob die in Frage stehenden staatlichen M a ß n a h m e n einen z w i n g e n d e n C h a r a k t e r hätten, oder ob sie lediglich zu einer tatsächlichen B e v o r z u g u n g i n l ä n discher P r o d u k t e führten (Slg. 1982, 4023 T z . 28 f.). 156 N u r die spezifische Eignung z u r Behinderung des innergemeinschaftlichen H a n d e l s ist nach der D a s s o n v i l l e - F o r m e l verboten. H i e r v o n a b z u g r e n z e n ist die allgemeine Verbesserung der Standortqualität durch die optimale Ausgestaltung des nationalen Immaterialgüterrechts, deren Sinn gerade die A k q u i s i t i o n von Direktinvestitionen u n d damit die P r o d u k t i o n i m Inland ist. 157 V e r w e n d u n g der Begriffe beispielsweise bei P. Auteri, G R U R Int 1998, 360.
4. Teil: Europäisches
230
Recht
nicht beliebig gewährt werden. So wird beispielsweise in Erwägungsgrund 31 der Richtlinie z u m U r h e b e r r e c h t in der Informationsgesellschaft 1 5 8 festgestellt, dass Unterschiede zwischen den Mitgliedstaaten in den
schutzrechtlichen
Schranken und Ausnahmen unmittelbare negative Auswirkungen auf das F u n k t i o n i e r e n des B i n n e n m a r k t e s im Bereich des U r h e b e r r e c h t s und der verwandten Schutzrechte haben k ö n n e n . 1 5 9 3. Importbeschränkungen Eigentums
(Art. 30
zum Schutz
des gewerblichen
und
kommerziellen
EGV)
Das V e r b o t des Art. 28 E G V gilt gem. A r t . 30 E G V nicht für E i n f u h r b e s c h r ä n kungen, die z u m Schutz des gewerblichen und kommerziellen Eigentums gerechtfertigt sind. Diese Rechtfertigung gilt nach der Gegenausnahme in Art. 30 S. 2 E G V nicht für Beschränkungen, die ein Mittel zur willkürlichen D i s k r i m i nierung oder eine verschleierte B e s c h r ä n k u n g des Handels zwischen den M i t gliedstaaten darstellen. Art. 30 E G V soll nach Auffassung des G e r i c h t h o f s die Erfordernisse des freien Warenverkehrs in Einklang mit der Wahrung der gewerblichen und kommerziellen Eigentumsrechte bringen, und zwar derart, „daß der berechtigte Gebrauch der von den Rechtsordnungen der Mitgliedstaaten gewährten Rechte, der unter die im Sinne des Artikels 36 des Vertrages .gerechtfertigten' Einfuhrverbote fällt, geschützt, dieser Schutz hingegen jeder mißbräuchlichen Ausübung dieser Rechte versagt wird, die geeignet ist, künstliche Abschottungen innerhalb des Gemeinsamen Marktes beizubehalten oder zu schaffen." 160 a) Allgemeine
Voraussetzungen
von Art. 30
EGV
Art. 30 E G V ist keine K o m p e t e n z v o r s c h r i f t , welche die genannten Bereiche in die Zuständigkeit der Mitgliedstaaten stellt. 1 6 1 D i e Vorschrift lässt A u s n a h m e n v o m G r u n d s a t z der Warenverkehrsfreiheit durch innerstaatliche Regelungen
158 Richtlinie 2001/29/EG zur Harmonisierung bestimmter Aspekte des Urheberrechts und der verwandten Schutzrechte in der Informationsgesellschaft vom 22. Mai 2001 (ABl. L 167/10). 159 Nach Erwägungsgrund 32 der Richtlinie beruhen die Ausnahmelisten für das Vervielfältigungsrecht und das Recht der öffentlichen Wiedergabe auf den unterschiedlichen Rechtstraditionen in den Mitgliedstaaten. Es bleibt trotzdem nicht alles beim status quo: „Die Mitgliedstaaten sollten diese Ausnahmen und Beschränkungen in kohärenter Weise anwenden; dies wird bei der zukünftigen Uberprüfung der Umsetzungsvorschriften besonders berücksichtigt werden." 160 EuGH, 22.6.1976, Terrapin/Terranova, Rs. 119/75, Slg. 1976, 1039 (1062 f. Tz. 7); in diesem Sinn auch EuGH, 14.9.1982, Keurkoop/Nancy Kean Gifts, Rs. 144/81, Slg. 1982, 2853 (2873 Tz. 24). 161 Es handelt sich um keinen „Souveränitätsvorbehalt" zugunsten der Mitgliedstaaten, St. Leible, in Grabitz/Hilf Art. 30 EGV Rdnr. 6.
B. Immaterialgüterschutz
und
Grundfreiheiten
231
aus den genannten Gründen zu. 162 Als Ausnahmevorschrift ist sie eng auszulegen. 163 Art. 30 EGV ist nur in solchen Fällen anwendbar, in denen noch keine gemeinschaftsrechtliche Harmonisierung erfolgt ist. 164 Diese allgemeine Aussage bedarf allerdings für den Bereich des Immaterialgüterschutzes der Modifikation. Wie oben gezeigt wurde, beruht die Behinderung des innergemeinschaftlichen Handels nicht auf Unterschieden zwischen den einzelstaatlichen Immaterialgüterrechten, sondern schon auf der Existenz territorial beschränkter nationaler Schutzrechte als solcher. Selbst wenn nationale Schutzrechte teilweise durch Vorgaben des Gemeinschaftsrechts harmonisiert worden sind, bleibt die Beschränkung des Warenverkehrs durch die territoriale Begrenzung des Schutzrechts bestehen. Im Bereich des Immaterialgüterrechts kann die Harmonisierung nationalen Rechts die Anwendung von Art. 30 EGV deshalb nicht ausschließen. Etwas anderes gilt nur dann, wenn Gemeinschaftsrecht zur Beseitigung der territorialen Begrenzung auf einzelne Mitgliedstaaten führt. Dies ist durch die Schaffung eigener Schutzrechte des Gemeinschaftsrechts geschehen. 165 Allerdings stellt sich hier die Frage nach der Anwendung von Art. 30 EGV nicht in gleicher Weise. Da diese Schutzrechte direkt im Gemeinschaftsrecht verankert sind, liegen keine einzelstaatlichen Maßnahmen vor, die einer Rechtfertigung nach Art. 30 EGV bedürften. 166 Die Anwendung von Art. 30 EGV unterliegt einer strengen Verhältnismäßigkeitsprüfung. Auch der Verhältnismäßigkeitsgrundsatz des Gemeinschaftsrechts umfasst die aus dem deutschen Recht bekannten Elemente der Geeignetheit, Erforderlichkeit und der Verhältnismäßigkeit im engeren Sinn. 167 Insbesondere dürfen keine nationalen Maßnahmen in Betracht kommen, die das betreffende Rechtsgut genauso wirksam schützen, den innergemeinschaftlichen Handel aber weniger beschränken. 168
162
E u G H , 5.10.1977, Tedeschi/Denkavit, Rs. 5/77, Slg.1977, 1555 (1576 Tz. 34). Die Sichtweise von Art. 28 und 30 EGV als Regel und Ausnahme ist allgemeine Meinung. Es überzeugt nicht, hiervon für den Bereich des Immaterialgüterrechts abzuweichen und Art. 30 EGV nicht als Ausnahme, sondern als Erläuterung zu Art. 28 EGV zu verstehen (so aber Marenco/Banks, Intellectual Property und the Community Rules on Free Movement: Discrimination Unearthed, EL Rev. 1990, 224, 238: „as a provision which clarifies Article 30."). 163 S. z.B. E u G H , 10.12.1968, Kommission/Italien, Rs.7/68, Slg. 1968, 633 (644); E u G H , 25.1.1977, Bauhuis/Niederlande, Rs.46/76, Slg. 1977, 5 (15 Tz. 12); E u G H , 9.6.1982, Kommission/Italien, Rs. 95/81, Slg. 1982, 2187 (2204 Tz. 27). Allgemein zur Engführung von Ausnahmeklauseln durch den E u G H s. M. Nettesheim, in Grabitz/Hilf Art. 4 EGV a.E Rdnr. 49. 164 E u G H , 5.10.1977, Tedeschi/Denkavit, Rs. 5/77, Slg.1977, 1555 (1576 Tz. 35). 165 S. dazu oben S. 214 ff. 166 Zur Anwendung der Grundfreiheiten, also auch der Art. 28 und 30 EGV auf Maßnahmen der Gemeinschaft s. unten S. 284 ff. 167 J. Schwarze, Europäisches Verwaltungsrecht, Band II, 1988, S. 830 ff. 168 E u G H , 16.4.1991, Eurim-Pharm, Rs. C-347/89, Slg. 1991,1-1747 (1-1770 Tz. 27).
4. Teil: Europäisches
232
Recht
N a c h ständiger R e c h t s p r e c h u n g ist Art. 30 E G V ein Rechtfertigungsgrund, der im U n t e r s c h i e d zur C a s s i s - F o r m e l nicht nur unterschiedslose, sondern auch diskriminierende Regeln v o m Verbot des A r t . 28 E G V
ausnehmen
k a n n . 1 6 9 I m Bereich des geistigen Eigentums besteht allerdings eine Besonderheit: Diskriminierende Regelungen, die über die allgemeinen A u s w i r k u n g e n des Territorialitätsprinzips hinausgehen, werden nicht dem spezifischen G e genstand des jeweiligen Immaterialgüterrechts zugewiesen. 1 7 0 N u r dieser spezifische Gegenstand wird aber nach A r t . 30 E G V v o m V e r b o t der Warenverkehrsbeschränkungen ausgenommen. 1 7 1 I m Ergebnis eröffnet damit A r t . 30 E G V im Bereich des geistigen Eigentums keinen R a u m für die U n g l e i c h b e handlung von Waren aus anderen Mitgliedstaaten.
b) Begriff des gewerblichen
und kommerziellen
Eigentums
A u s n a h m e n v o m Verbot des Art. 28 E G V k o m m e n nur dann in Betracht, wenn die geltend gemachten immaterialgüterrechtlichen Belange dem Begriff des gewerblichen und kommerziellen Eigentums i.S. von Art. 30 E G V unterfallen. (1) „Gewerbliches E i g e n t u m " im allgemeinen Sprachgebrauch D i e B e z e i c h n u n g e n „gewerbliches E i g e n t u m " entstammt nicht dem deutschen Sprachgebrauch, sondern ergibt sich aus der Ü b e r t r a g u n g der im französichen und englischen R e c h t üblichen Begriffe der propriété dustriell property,
industrielle,
bzw. des in-
die auch in der französischen, bzw. englischen Fassung von
Art. 30 E G V verwendet werden. I m französichen R e c h t handelt es sich bei der
propriété industrielle um ein Untergebiet der propriété intellectuelle und umfasst unter Ausschluss des U r h e b e r r e c h t s und des K n o w - h o w - S c h u t z e s das Patent-, Geschmacksmuster- und M a r k e n r e c h t , das R e c h t der geschäftlichen B e zeichnungen, der U r s p r u n g s - oder Herkunftsangaben sowie das R e c h t gegen den unlauteren W e t t b e w e r b . 1 7 2 D e m entspricht der Begriff des industriell perty
pro-
im c o m m o n law-Sprachgebrauch, der ebenfalls das U r h e b e r r e c h t aus-
schließt. 1 7 3 D e r im deutschen R e c h t übliche Begriff des gewerblichen R e c h t s schutzes wird nicht ganz einheitlich verwendet. W i e aber insbesondere in A r t . 73 N r . 9 G G z u m A u s d r u c k k o m m t , umfasst der gewerbliche R e c h t s -
169 Schweitzer/Hummer, Europarecht, 1996, Rdnr. 1128 ff.; F. Emmert, Europarecht, 1996, S. 334 Rdnr. 25. 170 Z.B. EuGH, 18.2.1992, Kommission/Italien, Rs. C-235/89, Slg.1992, 1-777 (1-826 Tz. 24 f.); EuGH, 18.2.1992, Kommission/Vereinigtes Königreich, Rs. C-30/90, Slg. 1992, I829 (1-867 Tz. 28 f.). 171 Dazu unten S. 239 ff. 172 Chavanne/Burst, Droit de la propriété industrielle, 1993, S. 1. 173 W.R. Cornish, Intellectual Property, 1996, S. 3; Generalanwalt J.-P. Warner (in der Rs. 52/79, Debauve, Slg. 1980, 878) ist allerdings der Ansicht, der Ausdruck „industrial and commercial property" sei kein Begriff des englischen Rechts.
B. Immaterialgüterschutz
und
Grundfreibeiten
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schütz nicht das Urheberrecht. 174 Das Recht des unlauteren Wettbewerbs, nicht aber das Kartellrecht, wird dagegen einbezogen. Der internationale Sprachgebrauch kommt in der Pariser Verbandsübereinkunft zum Schutz des gewerblichen Eigentums zum Ausdruck. Der Begriff des gewerblichen Eigentums wird in Art. 1 Abs. 2 bis 4 PVÜ definiert; auch hier wird die Unterdrückung des unlauteren Wettbewerbs erfasst, das Urheberrecht aber ausgeschlossen. (2) „Kommerzielles Eigentum" im allgemeinen Sprachgebrauch Weniger profiliert ist dagegen der Begriff des kommerziellen Eigentums. Ein Handelsbezug taucht in der Terminologie der PVÜ noch in den Handelsmarken und den Handelsnamen auf (Art. 1 Abs. 2 PVÜ). Art. 1 Abs. 3 PVÜ stellt aber klar, dass ein Bezug zum Handel nicht Schutzvoraussetzung ist. Die Terminologie der Handelsmarken und -namen wird im deutschen Recht nicht mehr verwendet. 175 Demgegenüber sind im französischen Recht die Begriffe des nom commercial und der marque de commerce gebräuchlich. 176 Im common law ist der Begriff des commercialproperty in diesem Zusammenhang nicht weit verbreitet. Es ist vielmehr die Rede von den trade marks oder den trade names. Zum Teil wird auch der gesamte Bereich des geistigen Eigentums als trade values bezeichnet. 177 Das commercial property wird dagegen vereinzelt nicht einmal als immaterialgüterrechtliche, sondern als immobiliargüterrechtliche Bezeichnung begriffen. 178 Es lässt sich festhalten, dass der Begriff des kommerziellen Eigentums unscharf ist und nicht in einem einheitlichen Sinn verwendet wird. Ordnet man den Begriff überhaupt dem Bereich des geistigen Eigentums zu, erfasst er Rechtsgüter wie z.B. die Handelsmarken und die Handelsnamen. Das kommerzielle Eigentum erweist sich damit als Unterbegriff des gewerblichen Eigentums.
174 Eine abweichende Verwendung des Begriffs findet sich z.B. bei R. Nirk, der in seinem Lehrbuch „Gewerblicher Rechtsschutz" auch das Urheber- und Kartellrecht behandelt. 175 Vielmehr ist die Rede allgemein von Marken (§ § 3 ff. MarkenG) und geschäftlichen Bezeichnungen, bzw. Unternehmenskennzeichen (§ 5 MarkenG). 176 Chavanne!Burst, Droit de la propriété industrielle, 1993, S. 452 und 745. 177 W.R. Cornish, Intellectual Property, 1996, S. 8. 178 A. Romain (Wörterbuch der Rechts- und Wirtschaftssprache, Teil I Englisch-Deutsch, 1989, S. 606) übersetzt „commercial property" mit „gewerbliche Immobilien, gewerblich genutzte Grundstücke, Renditehäuser". F.-K. Beier weist darauf hin, dass der Begriff der „propriété commerciale" aus dem französischen Sachen- und Mietrecht stamme und deshalb nicht in den Zusammenhang passe (Gewerblicher Rechtsschutz und freier Warenverkehr im europäischen Binnenmarkt und im Verkehr mit Drittstaaten, G R U R Int. 1989, 603, 609 Fn. 41).
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4. Teil: Europäisches
Recht
(3) Autonome Bedeutung des gewerblichen und kommerziellen Eigentums im Gemeinschaftsrecht Die allgemeine sprachliche Bedeutung eines Worts ist auch im Gemeinschaftsrecht der Ausgangspunkt für die Normauslegung. D e r Grundsatz der einheitlichen Auslegung des Gemeinschaftsrechts zwingt aber zur Ermittlung gemeinschaftsspezifischer Begriffsinhalte. Diese können von der allgemeinen sprachlichen Bedeutung nicht nur dann abweichen, wenn die verschiedenen sprachlichen Fassungen zu unterschiedlichen Ergebnissen führen. Die systematisch-teleologische Auslegung kann vielmehr dazu führen, dass der gemeinschaftsspezifische Begriffsinhalt von der Verwendung des betreffenden Begriffs in den einzelnen Mitgliedstaaten vollständig abweicht. 1 7 9 Eine solche autonome Interpretation des Begriffs des gewerblichen und kommerziellen Eigentums hat der Gerichtshof vorgenommen. Zwischen gewerblichem und kommerziellem Eigentum hat er dabei nicht unterschieden, sondern implizit beide Bestandteile zu einem einheitlichen Begriff zusammengefasst. 180 Diesem einheitlichen Begriff des gewerblichen und kommerziellen Eigentums unterfallen alle gewerblichen Schutzrechte, wie z.B. Patente, Gebrauchsmuster, Sortenschutzrechte, Geschmacksmuster, Marken, geschäftliche Bezeichnungen, geographische Herkunftsangaben und Ursprungsbezeichnungen. 181 In zwei Punkten ist der Gerichtshof allerdings vom oben ermittelten allgemeinen Sprachgebrauch abgewichen. Einerseits hat er das Urheberrecht dem gewerblichen Eigentum zugeschlagen; andererseits hat er das Recht gegen den unlauteren Wettbewerb aus dem Begriff herausgenommen. a) Urheberrecht In ständiger Rechtsprechung versteht der Gerichtshof das Urheberrecht mitsamt den verwandten Schutzrechten als gewerbliches und kommerzielles Ei179 I. Pernice, in Grabitz/Hilf Art. 164 E G V a.F. Rdnr.23; K.-D. Borchardt, in Lenz, 2. Aufl. 1999, Art. 220 E G V Rdnr. 16 f. 1 8 0 Der Gerichtshof reagiert damit auf die Unscharfe des Begriffs des kommerziellen Eigentums, dem gegenüber dem gewerblichen Eigentum keine eigenständige Bedeutung zukommt; s. hierzu auch P.-C. M üller-Graff, in von der Groeben Art. 36 E G V Rdnr. 70: „Eine klare Trennung zwischen gewerblichen und kommerziellen Rechtspositionen ist weder möglich noch erforderlich." 181 Nachweise der Rechtsprechung bei F.-K. Beier, Gewerblicher Rechtsschutz und freier Warenverkehr im europäischen Binnenmarkt und im Verkehr mit Drittstaaten, G R U R Int. 1989, 603 (608 f.). Zur Einbeziehung der Herkunftsangaben und Ursprungsbezeichnungen in Art. 36 E G V a.F. s. E u G H , 10.11.1992, Exportur, Rs. C - 3 / 9 1 , Slg.1992,1-5529 („Turron de Alicante"). Die Anerkennung setzt nicht voraus, dass das Produkt seinem Herkunftsgebiet besondere geschmackliche Eigenschaften verdankt, oder dass es gemäß bestimmten behördlichen Qualitäts- und Fabrikationsnormen hergestellt wird (Slg.1992, 1-5562 Tz. 28). Die Anwendung von Art. 36 E G V (a.F.) ist erst dann ausgeschlossen, wenn die betreffenden Bezeichnungen im Ursprungsland zu Gattungsbezeichnungen geworden sind (Slg.1992, I5565 Tz. 37).
B. Immaterialgüterschutz
und
Grundfreibetten
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g e n t u m i.S. v o n A r t . 3 0 E G V . 1 8 2 D e r G r u n d f ü r d i e E i n b e z i e h u n g des U r h e b e r r e c h t s ist d i e P a r a l l e l i t ä t z u m g e w e r b l i c h e n E i g e n t u m i m e n g e r e n S i n n . G e n a u wie d e m E r f i n d e r werden d e m U r h e b e r ausschließliche R e c h t e zuerkannt; seine L e i s t u n g liegt l e d i g l i c h in e i n e m a n d e r e n B e r e i c h , n ä m l i c h a u f d e m G e b i e t d e r Literatur, Wissenschaft oder K u n s t und nicht auf d e m der Technik. D e r unters c h i e d l i c h e T ä t i g k e i t s b e r e i c h k a n n e i n e U n g l e i c h b e h a n d l u n g in B e z u g a u f d e n f r e i e n W a r e n v e r k e h r n i c h t r e c h t f e r t i g e n . E n t s c h e i d e n d ist, dass s o w o h l d e n g e w e r b l i c h e n als a u c h d e n u r h e b e r r e c h t l i c h e n S c h u t z r e c h t s i n h a b e r n aus g u t e n G r ü n d e n Ausschließlichkeitsrechte eingeräumt w e r d e n ; diese w ü r d e n
durch
eine ungehinderte A n w e n d u n g der Warenverkehrsfreiheit entwertet.183 G e g e n ü b e r dieser sachlichen Parallelität fällt der W o r t l a u t v o n A r t . 3 0 E G V n i c h t ins G e w i c h t . D a auch U r h e b e r r e c h t e g e w e r b l i c h v e r w e r t e t w e r d e n k ö n n e n , ist i h r E i n b e z u g in das g e w e r b l i c h e E i g e n t u m i.S. v o n A r t . 3 0 E G V n i c h t a u s g e s c h l o s s e n . D e r E i n b e z u g des U r h e b e r r e c h t s in A r t . 3 0 E G V w i r d d e n n a u c h a l l g e m e i n b e g r ü ß t . 1 8 4 I n d e r S a c h e e r s t r e c k t s i c h die A u s n a h m e v o r s c h r i f t des A r t . 3 0 E G V a l s o n i c h t l e d i g l i c h a u f das gewerbliche, das geistige
s o n d e r n insgesamt auf
Eigentum.185
182 Es ist allerdings noch nicht abschließend geklärt, in welchem Umfang das Urheberrecht unter Art. 30 E G V fällt (G. Nicolaysen, Europarecht II, 1996, S. 77). In „Deutsche Grammophon/Metro" ( E u G H , 8.6.1971, Rs. 78/70, Slg. 1971,487, 499 Tz. 11) hatte der Gerichtshof die Frage nach dem Einbezug des Urheberrechts am Beispiel eines verwandten Schutzrechts noch offen gelassen. In „Musik-Vertrieb membran/GEMA" ( E u G H , 20.1.1981, Verb. Rs. 55 und 57/80, Slg. 1981, 147, 161 Tz. 9) entschied der Gerichtshof: Der Begriff des gewerblichen und kommerziellen Eigentums „schließt den durch das Urheberrecht gewährten Schutz ein, vor allem soweit dieses Recht kommerziell in Form von Lizenzen genutzt wird, die den Vertrieb von Waren, in denen das geschützte literarische oder künstlerische Werk verkörpert ist, in den einzelnen Mitgliedstaaten beeinträchtigen können." Die Einschränkung „vor allem für die kommerzielle Nutzung" entfiel in „Coditel I I " ( E u G H , 6.10.1982, Coditel/Cine-Vog Films, Rs. 262/81, Slg. 1 9 8 2 , 3 3 8 1 , 3 4 0 0 Tz. 10) und in „Warner Brothers" ( E u G H , 17.5.1988, Warner Brothers/Christiansen, Rs. 158/86, Slg. 1988, 2605, 2628 Tz. 11), lebte in „ Electrola" ( E u G H , 24.1.1989, E M I Electrola/Patricia Im- und Export, Rs. 341 /87, Slg. 1989, 79, 95 Tz. 7) aber wieder auf.
Die Ausübung von Ausschließlichkeitsrechten ist nicht notwendigerweise mit kommerziellen Anliegen verknüpft. Die Einschränkung „vor allem" auf kommerzielle Verwertungshandlungen sollte deshalb fallengelassen werden. Urheberrecht und verwandte Schutzrechte sind in ihrer Gesamtheit dem Begriff des gewerblichen und kommerziellen Eigentums i.S. von Art. 30 E G V zu unterstellen. Die nötigen Korrekturen können mit Hilfe der weiteren Anwendungsvoraussetzungen der Vorschrift, z.B. über den „spezifischen Gegenstand" vorgenommen werden. 183 Zur Entsprechung von Urheberrecht und gewerblichem Eigentum i.e.S. jedenfalls für den Aspekt der kommerziellen Nutzung s. E u G H , 20.1.1981, Musik-Vertrieb membran/ G E M A , Verb. Rs. 55 und 57/80, Slg. 1981, 147 (162 Tz. 12 f.) 1 8 4 S. nur Generalanwalt J.-P. Warner, Rs. 52/79, Debauve, Slg. 1980, 878 f. 185 R. Joliet, Geistiges Eigentum und freier Warenverkehr, G R U R Int. 1989, 177 ff.; F.-K. Beier, Gewerblicher Rechtsschutz und freier Warenverkehr, G R U R Int. 1989, 603 (609). Diese Tendenz kommt auch im EWR-Abkommen zum Ausdruck: Art. 13 E W R - A b k o m m e n ist zwar inhaltsgleich mit Art. 30 E G V formuliert. Protokoll 28, das gem. Art. 119 E W R - A b k o m -
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4. Teil: Europäisches
Recht
ß) Lauterkeitsrecht Davon ist allerdings eine Ausnahme für das Lauterkeitsrecht zu machen. Der Gerichtshof hat es abgelehnt, den Verbraucherschutz oder die Lauterkeit des Handelsverkehrs dem Art. 30 EGV zu unterstellen. 186 Diese Tatsache wird überwiegend so interpretiert, dass das Recht gegen den unlauteren Wettbewerb keine Berücksichtigung im Rahmen von Art. 30 EGV findet. 187 Die Herausnahme des Lauterkeitsrechts aus dem Begriff des gewerblichen Eigentums ist kritisiert worden. Es sei inkonsequent, das vom Wortlaut eigentlich nicht erfasste Urheberrecht dem Art. 30 EGV zu unterstellen, das Lauterkeitsrecht aber auszunehmen. Das Recht gegen den unlauteren Wettbewerb sei Teil des gewerblichen Eigentums, wie sich an Art. 10bls PVÜ und Art. 2 viii WlPO-Übereinkommen zeige. Auch Art. XX lit. d) GATT, die Modellvorschrift zu Art. 30 EGV, führe die Verhinderung irreführender Praktiken ausdrücklich als Ausnahme vom Liberalisierungsgebot auf. Auf die Tatsache, dass das Lauterkeitsrecht nicht absolute, sondern relative Rechte einräume, könne es nicht ankommen. Auch die anderen in Art. 30 EGV aufgeführten Rechtsgüter verschafften keine absoluten Rechtspositionen. 188 Dem Verweis auf internationales Wirtschaftsrecht ist zu entgegnen, dass die Begriffsinterpretation im Gemeinschaftsrecht autonom zu erfolgen hat. Außerdem führt die Versagung von Art. 30 EGV nicht etwa dazu, dass die Bekämpfung unlauterer Praktiken am Grundsatz des freien Warenverkehrs scheitert. Vielmehr ist seit Beginn der Cassis-Rechtsprechung anerkannt, dass es sich bei der Lauterkeit des Handelsverkehrs um ein zwingendes Erfordernis handelt, das eine Beschränkung des innergemeinschaftlichen Handels legitimiert. 189 Der Unterschied von Art. 30 EGV zu Art. XX lit. d) GATT erklärt sich daraus, dass eine der Cassis-Formel vergleichbare Rechtspraxis zum GATT nicht existiert. Der wesentliche Unterschied zwischen Art. 30 EGV und Cassis-Formel besteht darin, dass die Cassis-Formel nur unterschiedslose Maßnahmen vom Verbot des Art. 28 EGV ausnimmt, Art. 30 EGV hingegen zusätzlich auch diskriminierende Maßnahmen rechtfertigen kann. 190 men integraler Bestandteil des Abkommens ist, ist allgemein mit „geistiges Eigentum" überschrieben. Zu Anlagen als Bestandteile völkerrechtlicher Verträge s. D. Khan, Die Vertragskarte, 1996, S. 65 ff. 186 E u G H , 17.6.1981, Kommission/Irland, Rs. 113/80, Slg. 1981, 1625 (1638 Tz. 8). 187 P.-C. Müller-Graff, in von der Groeben Art. 36 EGV Rdnr. 74; St. Leible, in Grabitz/ Hilf Art. 30 EGV Rdnr. 19; Schwarzd Becker, Art. 30 EGV Rdnr. 24; H. Ullrich, Nationale Geschäftsgeheimnisse und Gemeinsamer Markt, RIW 1990, Beilage 23, insbesondere S. 9; Ullrich/Konrad, Gewerblicher Rechtsschutz, S. 6 Rdnr. 9. 188 F.-K. Beier, Gewerblicher Rechtsschutz und freier Warenverkehr, G R U R Int. 1989, 603 (608 f.); W. Fikentscher, Wirtschaftsrecht, Band I, 1983, S. 681 Fn. 7. 189 E u G H , 20.2.1979, REWE/Bundesmonopolverwaltung für Branntwein, Rs. 120/78, Slg. 1979, 649 (662 Tz. 8). 190 Im übrigen sind die Anwendungsvoraussetzungen identisch, s. z.B. Generalanwalt van
B. Immaterialgüterschutz
und Grundfreiheiten
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Für das Lauterkeitsrecht erscheint die Anwendung der Cassis-Formel und die Versagung von Art. 30 E G V angemessen: Der Bekämpfung von unlauterem Wettbewerb, die sich einseitig gegen Produkte aus dem EU-Ausland richtet, ist von vornherein die Schutzwürdigkeit zu versagen. Dagegen ist die Erfassung immaterialgüterrechtlicher Ausschließlichkeitsrechte durch Art. 30 E G V sachgerecht: Aufgrund des Territorialitätsgrundsatzes kommt es automatisch zu einer Ungleichbehandlung ausländischer Produkte. Diese Diskriminierung kann nur Art. 30 E G V rechtfertigen. c) „ zum Schutz " des geistigen
Eigentums
Bisweilen wird nicht nur die positive Gewährleistung geistigen Eigentums, sondern die Einschränkung von Immaterialgüterrechten auf Art. 30 E G V gestützt. Ein Beispiel hierfür sind die Zwangslizenzfälle. 191 Das nationale Recht sah die Gewährung von Zwangslizenzen auch dann vor, wenn die Nachfrage nach dem patentgeschützten Gegenstand durch Importe aus dem EU-Ausland zu decken war. Die betroffenen Mitgliedstaaten rechtfertigten die daraus resultierende Behinderung des innergemeinschaftlichen Handels mit dem Schutz des gewerblichen Eigentums. Der Gerichtshof wies dieses Vorbringen mit dem Argument zurück, die Diskriminierung von Produkten aus anderen Mitgliedstaaten sei nicht vom spezifischen Gegenstand des Patentrechts gedeckt. Der Generalanwalt hatte noch eine Stufe vorher angesetzt: Er bezweifelte grundsätzlich, ob Art. 30 E G V auf solche Einschränkungen geistiger Eigentumsrechte überhaupt anwendbar sei. 192 In der Tat geht die Vorschrift davon aus, dass die Gewährleistung, nicht aber die Reduktion geistiger Eigentumsrechte mit dem Grundsatz des freien Warenverkehrs in Konflikt treten kann. Normalerweise sollten Einschränkungen des Immaterialgüterrechts diesen Konflikt eher entschärfen, und damit - in einer Gesamtbetrachtung - keiner Rechtfertigung nach Art. 30 E G V bedürfen. Die Besonderheit des Falls besteht darin, dass die Einräumung von Zwangslizenzen der Förderung der heimischen Produktion diente. Die Einschränkung von Immaterialgüterrecht entschärft hier also nicht etwa den Konflikt, sie verschärft ihn vielmehr. Rechtfertigungs^efitór/íz'g&ez'í ist deshalb vorhanden. Es besteht auch Einigkeit über das Ergebnis: Die Rechtfertigungsfähigkeit der inkriminierten Zwangslizenzregelung ist zu verneinen. In diskriminierender Weise Gerven (Aragonesa de Publicidad Exterior und Publivía, Verb. Rs. C-l/90 und C-176/90, Slg. 1991, 1-4177 Tz. 14). A.M. H. Ullrich, Nationale Geschäftsgeheimnisse und Gemeinsamer Markt, R I W 1990, Beilage 23, S. 7 f. 191 S. o . F n . 1 5 2 . 192 W. van Gerven, Rs. C-235/89 und C-30/90, Slg. 1992,1-813: Er könne nicht erkennen, „wie eine nationale Regelung, die dem Patentinhaber unter bestimmten Umständen einen bedeutenden Teil des ihm durch das Patent verliehenen Schutzes nimmt, zum Schutze des gewerblichen und kommerziellen Eigentums gerechtfertigt sein könnte" (Hervorhebung im Original).
238
4. Teil: Europäisches
Recht
wird Immaterialgüterrecht mit dem sachfremden Ziel eingesetzt, die heimische Produktion zu fördern und die Einfuhren zu reduzieren. Für dieses Ergebnis spielt nicht so sehr die Tatsache eine Rolle, dass Zwangslizenzen zu einer Einschränkung geistiger Eigentumsrechte führen. Entscheidend ist vielmehr die spezifische Zielsetzung der Einfuhrbehinderung. Für die Anwendung von Art. 30 EGV kann es deshalb nicht darauf ankommen, ob Schutzrechte erweitert oder eingeschränkt werden. Relevant kann nur sein, ob die Handelsbeschränkung genuin immaterialgüterrechtlich motiviert ist, oder lediglich zu protektionistischen Zwecken instrumentalisiert wird. Die Nichtanwendung von Art. 30 EGV in diesen Fällen ist in Satz 2 der Vorschrift ausdrücklich angeordnet. Das Merkmal „zum Schutz" in Art. 30 S. 1 EGV sollte deshalb nicht restriktiv ausgelegt werden. Auch staatliche Regelungen, die eine Einschränkung von Rechten des geistigen Eigentums zum Gegenstand haben, können nach Art. 30 EGV gerechtfertigt sein. Dies setzt selbstverständlich voraus, dass auch die anderen Voraussetzungen der Vorschrift, insbesondere auch Art. 30 S. 2 EGV erfüllt sind. Die Einschränkung immaterialgüterrechtlichen Schutzes darf also nicht in Wirklichkeit sachfremden, z.B. protektionistischen Zielen dienen. 193 4. Die immaterialgüterrechtliche Trias: Bestand./Ausübung, Spezifischer Gegenstand und
Erschöpfung
Aus den bisherigen Ausführungen folgt, dass zwischen der Warenverkehrsfreiheit einerseits und den nationalen Schutzrechten andererseits ein Widerstreit besteht. Die zentrale Frage besteht darin, wie der Konflikt zwischen den beiden im Grundsatz schutzwürdigen Rechtszielen aufgelöst wird. Der Gerichtshof hat zu diesem Zweck drei Grundprinzipien herangezogen, die sich als die immaterialgüterrechtliche Trias bezeichnen lassen. Die drei Prinzipien sind nicht unabhängig voneinander, sondern bauen aufeinander auf. 194 a) Bestand und
Ausübung
Die Trennung von Bestand und Ausübung geistiger Eigentumsrechte hat der Gerichthof zunächst im Bereich der Wettbewerbsregeln entwickelt. 195 In der Entscheidung „Deutsche Grammophon/Metro" 1 9 6 hat er das Begriffspaar auf die Problematik des Verhältnisses von Grundfreiheiten, nämlich der Warenverkehrsfreiheit, und dem Schutz geistigen Eigentums übertragen. Aus Art. 36 EWGV gehe hervor, 193
Zum verwandten Thema der Vereinbarkeit von underprotection mit Art. 28 EGV s.o. S. 228 ff. 194 P. Mennicke ( Z H R 160 (1996) 626, 647) nennt die Lehre vom spezifischen Gegenstand „Folgekonzept" im Verhältnis zur Unterscheidung von Bestand und Ausübung. 195 In den Fällen „Grundig/Consten" und „Parke/Davis", s. dazu unten S. 291 ff. 196 E u G H , 8.6.1971, Deutsche Grammophon/Metro, Rs. 78/70, Slg. 1971, 487.
B. Immaterialgüterschutz
und
Grundfreiheiten
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„daß der Vertrag zwar den Bestand der durch die nationale Gesetzgebung eines Mitgliedstaats eingeräumten gewerblichen Schutzrechte nicht berührt, die Ausübung dieser Rechte aber unter die Verbote des Vertrages fallen kann." 1 9 7
Die Trennung von Bestand und Ausübung ist scharf kritisiert worden. 1 9 8 Dabei wurde nicht immer berücksichtigt, dass das Grundanliegen der Formel darin bestand, Vorwürfen einer zu weiten Ausdehnung der Gemeinschaftszuständigkeit zu begegnen. 1 9 9 Die Trennung von Bestand und Ausübung hat zwar keinen heuristischen Wert. Seit ihrer ersten Verwendung im Zusammenhang mit der Warenverkehrsfreiheit in „Deutsche Grammophon/Metro" stand sie aber nicht isoliert, sondern wurde von einem zweiten Prinzip begleitet. b) Spezifischer
Gegenstand
von
Immaterialgüterrechten
Der Unterscheidung von Bestand und Ausübung hat der Gerichtshof in derselben Entscheidung und in unmittelbarem Zusammenhang folgende Erläuterung hinzugefügt: „Artikel 36 läßt zwar Verbote oder Beschränkungen des freien Warenverkehrs zu, die zum Schutz des gewerblichen und kommerziellen Eigentums gerechtfertigt sind, erlaubt aber solche Beschränkungen der Freiheit des Handels nur, soweit sie zur Wahrung der Rechte berechtigt sind, die den spezifischen Gegenstand dieses Eigentums ausmachen." 2 0 0
Nicht in jeder Hinsicht können also Belange des geistigen Eigentums eine Beschränkung des innergemeinschaftlichen Handels rechtfertigen. Nur soweit die Beschränkung auf dem spezifischen Gegenstand des jeweiligen Immaterialgüterrechts beruht, kommt es zu einer Durchbrechung von Art. 28 EGV. Die Hauptfunktion der Formel vom spezifischen Gegenstand besteht in der Emanzipation vom nationalen Recht. Würde nationales Immaterialgüterrecht im Rahmen von Art. 30 E G V in vollem Umfang berücksichtigt, käme dies einem Vorrang nationalen Rechts vor Art. 28 E G V gleich. Ein solches integrationsschädliches und gemeinschaftsrechtswidriges Ergebnis wird durch das Abstellen auf den spezifischen Gegenstand vermieden. 201 Für alle MitgliedstaaSlg. 1971, 487 (499 f. Tz. 11). S. o. Fn. 21. 1 9 9 Vgl. Ebenroth/Hübschle, Gewerbliche Schutzrechte und Marktaufteilung, 1994, S. 81: „Damit war der Lehre von der totalen Bereichsausnahme eine Absage erteilt." 2 0 0 E u G H , 8.6.1971, Deutsche Grammophon/Metro, Rs. 78/70, Slg. 1971,487 (500 Tz. 11); so auch E u G H , 3.7.1974, van Zuylen/Hag („Hag I"), Rs. 192/73, Slg.1974, 731 (744 Tz. 9); E u G H , 31.10.1974, Centrafarm/Winthrop, Rs. 16/74, Slg. 1974, 1183 (1195 Tz. 7); E u G H , 22.1.1981, Dansk Supermarked/Imerco, Rs.58/80, Slg. 1981, 181 (193 Tz. 11). 2 0 1 Die Lehre vom spezifischen Gegenstand wird deshalb auch in Zukunft unabdingbar sein. A.A. Marenco/Banks, Intellectual Property und the Community Rules on Free Movement: Discrimination Unearthed, E L Rev. 1990, 224, 236; F.-K. Beier, Gewerblicher Rechtsschutz und freier Warenverkehr im europäischen Binnenmarkt und im Verkehr mit Drittstaaten, G R U R Int. 1989, 603 (610). Die Kritik am spezifischen Gegenstand beruft sich vor allem auf diejenigen Urteile, in denen der Gerichtshof ausgeführt hat, dass Voraussetzungen und Modalitäten des jeweiligen Schutzrechts sich beim gegenwärtigen Stand des Gemeinschafts197 198
240
4. Teil: Europäisches
Recht
ten wird einheitlich ermittelt, was die eigentliche Funktion des jeweiligen Immaterialgüterrechts ist. Unabhängig von der Ausgestaltung des Schutzrechts auf nationaler Ebene werden so gemeinschaftsweite Maßstäbe für die Durchsetzung geistigen Eigentums gegenüber der Warenverkehrsfreiheit entwickelt. Die Rede vom spezifischen Gegenstand ist nicht abstrakte Formel geblieben, sondern wurde vom Gerichtshof in einer Vielzahl von Entscheidungen konkretisiert. Für die meisten Immaterialgüterrechte liegen damit nähere Umschreibungen ihres gemeinschaftsrechtlich anerkannten Gehalts vor. 202 Die Prüfung von Einzelfällen bekommt dadurch eine klare Struktur. Wenn sich eine nationale immaterialgüterrechtliche Regel beschränkend auf den innergemeinschaftlichen Handel auswirkt, wird sie daraufhin untersucht, ob sie dem so definierten spezifischen Gegenstand des einschlägigen Schutzrechts unterfällt. Ist dies nicht der Fall, ist sie wegen Verstoßes gegen Art. 28 E G V unanwendbar. Unterfällt sie dem spezifischen Gegenstand, sind die weiteren Voraussetzungen von Art. 30 EGV zu prüfen. (1) Zwei getrennte Prüfungsstufen? Problematisch ist das Verhältnis der Unterscheidung von Bestand und Ausübung zur Lehre vom spezifischen Gegenstand. Man könnte der Auffassung sein, dass beide Topoi unterschiedliche Prüfungsstufen darstellen. Dann wäre im Streitfall eine zweistufige Untersuchung durchzuführen: Zunächst wäre zu klären, ob die in Frage stehende Verhaltensweise dem Bestand oder der Ausübung des Schutzrechts zuzuweisen ist. Handelt es sich um den Bestand, ist die Prüfung abzubrechen; die Verhaltensweise ist dann gemeinschaftsrechtskonform, da Gemeinschaftsrecht den Bestand des nationalen Schutzrechts nicht berührt. Ist die Verhaltensweise dagegen als bloße Ausübung des Schutzrechts zu qualifizieren, schließt sich die Frage an, ob diese Ausübung dem spezifischen Gegenstand des Schutzrechts zuzuweisen (dann Möglichkeit der Rechtfertigung nach Art. 30 EGV) oder als bloßes nationales Beiwerk einzustufen ist (dann keine Rechtfertigung nach Art. 30 EGV). (2) Einheitliche Prüfung Die Annahme einer Prüfung in zwei Stufen, die streng voneinander geschieden sind, ist allerdings nicht zwingend. Denkbar ist auch, dass sowohl die Trennung von Bestand und Ausübung als auch die Lehre vom spezifischen Gegenstand rechts mangels Rechtsvereinheitlichung nach nationalem Recht richten, s. die Nachweise oben in Fn. 148. Der Kritik ist zuzugestehen, dass diese Urteile es verbieten, den Begriff des spezifischen Gegenstands als Minimalgehalt des jeweiligen Schutzrechts zu deuten (so zu Recht F.-K. Beier, G R U R Int. 1989, 603, 610). Den Urteilen ist andererseits aber nicht zu entnehmen, dass nationales Immaterialgüterrecht keiner Rechtfertigung nach Art. 30 E G V bedürfte. Die hierfür erforderliche autonome Auslegung kann nur mit dem gemeinschaftsrechtlichen Begriff des spezifischen Gegenstands erfolgen. 2 0 2 S. unten S. 242 ff.
B. Immaterialgüterschutz
und Grundfreiheiten
241
lediglich zwei Seiten derselben Gedankenoperation sind. Es wäre dann das gemeinsame Anliegen beider Formeln, die Reichweite der Warenverkehrsfreiheit von der Reichweite nationaler Schutzrechte abzugrenzen. Nur die Perspektive wäre anders: Die Trennung von Bestand und Ausübung stellt (auch in Hinblick auf Art. 295 E G V ) mehr auf die Kompetenzverteilung zwischen Gemeinschaft und Mitgliedstaaten ab, während der spezifische Gegenstand die materiellrechtliche Seite des Problems anspricht. Für eine solche Sichtweise sprechen mehrere Gründe: Die Trennung von Bestand und Ausübung war nicht nur von Anfang an mit begrifflichen Schwierigkeiten belastet; sie erlangte in der Entwicklung der Rechtsprechung auch keine klaren praktischen Konturen. Als „Leerformel" 2 0 3 wurde sie nicht etwa zu dezisionistischer Grenzziehung benutzt. Sie wurde eigentlich gar nicht angewendet, sondern nur genannt. Eine solche Verwendung ohne ylwwendung lässt sich nur mit dem Kompetenzproblem erklären: Die Formel sollte belegen, dass auf die Zuständigkeit der Mitgliedstaaten (z.B. aus Art. 295 EGV) Rücksicht genommen wird. 204 Konkrete Anwendung fand dagegen die Lehre vom spezifischen Gegenstand. Nur Verhaltensweisen, die unter den gemeinschaftsrechtlich ermittelten Gehalt des jeweiligen Schutzrechts fallen, können durch Art. 30 E G V gerechtfertigt werden. Zu Recht ist festgestellt worden, dass es in der Rechtsprechung des Gerichtshofs nicht auf die Unterscheidung von Bestand und Ausübung, sondern auf den spezifischen Gegenstand von Schutzrechten ankommt. 205 Dies wird auch dadurch belegt, dass beide Formeln seit ihrer erstmaligen Verwendung auf dem Gebiet der Warenverkehrsfreiheit 206 in einem Atemzug genannt werden. Der Fortgang der Entscheidungsgründe geht dann aber regelmäßig nicht mehr der Frage nach dem Bestand des Rechts nach, sondern widmet sich sofort und ausschließlich der Ermittlung des spezifischen Gegenstands. 207 In neueren Entscheidungen wird die Unterscheidung von Bestand und Ausübung nicht mehr genannt. 208 Das Begriffspaar hat also keine Funktion im Prozess der Rechtsanwendung. S. o. Fn. 21. S. o. S. 195 ff. 205 R.Joliet, Markenrecht und freier Warenverkehr: Abkehr von Hag I, GRUR Int. 1991, 177 (182 f.); E. Steindorff, EG-Vertrag und Privatrecht, 1996, S. 128 f. 206 In der Entscheidung „Deutsche Grammophon/Metro" v. 8.6.1971 (oben Fn. 196). 2 0 7 So z.B. EuGH, 31.10.1974, Centrafarm/Sterling Drug, Rs. 15/74, Slg. 1974, 1147(1163 Tz. 6-9). 208 EuGH, 17.10.1990, HAG GF („HAG II"), Rs.C-10/89, Slg. 1990, 1-3711 (1-3757 Tz. 11 f.); EuGH, 18.2.1992, Kommission/Italien, Rs.C-235/89, Slg.1992, 1-777 (1-824 Tz. 15 f.); EuGH, 18.2.1992, Kommission/Vereinigtes Königreich, Rs. C-30/90, Slg. 1992, I829 (1-865 Tz. 19 f.). Generalanwalt N. Fennelly (in EuGH, 5.12.1996, Verb. Rs. C-267/95 und C-268/95, Merck u.a./Primecrown u.a., Slg. 1996, 1-6285, 1-6323 f. Tz. 93) bestätigt, dass die 203
204
242
4. Teil: Europäisches
Recht
E i n e z w e i s t u f i g e P r ü f u n g ist d e s h a l b a b z u l e h n e n . D i e T r e n n u n g v o n B e s t a n d u n d A u s ü b u n g erhält erst d u r c h die L e h r e v o m s p e z i f i s c h e n G e g e n s t a n d i h r e i n h a l t l i c h e A u s f ü l l u n g . 2 0 9 D e r K o n f l i k t m i t A r t . 2 8 E G V h ä n g t d a m i t in e n t s c h e i d e n d e m M a ß d a v o n a b , w a s als s p e z i f i s c h e r G e g e n s t a n d des j e w e i l i g e n Schutzrechts ermittelt wird.210 (3) S p e z i f i s c h e r G e g e n s t a n d e i n z e l n e r S c h u t z r e c h t e W ä h r e n d s i c h d e r G e r i c h t s h o f in der E n t s c h e i d u n g „ D e u t s c h e G r a m m o p h o n / M e t r o " n o c h nicht mit der Frage beschäftigte, was k o n k r e t der spezifische G e g e n s t a n d des e i n s c h l ä g i g e n S c h u t z r e c h t s s e i , 2 1 1 hat er in d e r F o l g e z e i t f ü r die meisten Immaterialgüterrechte den jeweiligen spezifischen G e g e n s t a n d festgelegt.212 a) Patentrecht D e r s p e z i f i s c h e G e g e n s t a n d des Patentrechts
besteht nach neueren Entschei-
dungen „insbesondere darin, dem Patentinhaber das ausschließliche Recht, eine Erfindung im Hinblick auf die Produktion und das erste Inverkehrbringen industrieller Erzeugnisse entweder selbst oder durch Lizenzvergabe an Dritte zu verwerten, sowie das Recht, sich gegen jede Zuwiderhandlung zur Wehr zu setzen, zu sichern." 2 1 3 Unterscheidung von Bestand und Ausübung in der jüngeren Rechtsprechung nicht aufgegriffen worden sei. Er fügt hinzu, dass sie „jetzt, jedenfalls soweit es um die Auslegung der Artikel 30 bis 36 des Vertrages geht, beiseite gelassen werden" kann. In diesem Sinn auch I. Govaere, The Use and Abuse of Intellectual Property Rights in E.C. Law, 1996, S. 191. 2 0 9 Die (berechtigte) Kritik an der Dichotomie von Bestand und Ausübung greift deshalb zu kurz, wenn sie die Ausfüllung dieser Formel durch die Lehre vom spezifischen Gegenstand übersieht. Soll eine Generalkritik des Verhältnisses von Warenverkehrsfreiheit und Immaterialgüterrecht erfolgen, ist der Zusammenhang beider Topoi zu berücksichtigen. Nur eine solche Zusammenschau wird der Tatsache gerecht, dass beide Formeln seit der Rechtssache „Deutsche Grammophon/Metro" (1971) zusammen verwendet werden. 2 1 0 Zu diesem Ergebnis kommt auch Generalanwalt C. Gulmann in „Magill" (EuGH, 6.4.1995, R T E und ITP/Kommission, Verb. Rs. C-241/91 P und C-242/91 P, Slg. 1995, 1-743, 1-757 Tz. 31): „Die Unterscheidung zwischen Existenz und Ausübung sowie die Anwendung des Begriffes des spezifischen Gegenstands bringen mit anderen Worten im Grunde denselben Gedankengang zum Ausdruck. Meines Erachtens hat die Unterscheidung zwischen Existenz und Ausübung deshalb keine selbständige Bedeutung für die Lösung der konkreten Abgrenzungsfrage." 2 1 1 Es handelte sich um ein verwandtes Schutzrecht, nämlich den Schutz des Herstellers von Tonträgern. 2 1 2 S. den Überblick bei C.D. Asendorf, Zum Bestand der gewerblichen Schutzrechte im Gemeinsamen Markt, FS Nirk, 1992, S. 13 (21 ff.). 2 1 3 EuGH, 18.2.1992, Kommission/Italien, Rs. C-235/89, Slg.1992, 1-777 (1-824 Tz. 17); EuGH, 18.2.1992, Kommission/Vereinigtes Königreich, Rs. C-30/90, Slg. 1992, 1-829 (1-865 Tz. 21); EuGH, 3.3.1988, Allen&Hanburys, Rs. 434/85, Slg. 1988, 1245 (1273 Tz. 11); EuGH, 27.10.1992, Generics und Harris, Rs.C-191/90, Slg. 1992, 1-5335 (1-5375 Tz. 23); EuGH, 5.12.1996, Merck u.a./Primecrown u.a., Verb. Rs. C-267/95 und C-268/95, Slg. 1996, 1-6285 (1-6384 Tz. 30).
B. Immaterialgüterschutz
und
Grundfreiheiten
243
In „Centrafarm/Sterling Drug" hatte der Gerichtshof zusätzlich noch ausgeführt, dass die genannten Rechte dem Inhaber „zum Ausgleich für seine schöpferische Erfindertätigkeit" eingeräumt werden. 214 Die darin zum Ausdruck kommende Belohnungstheorie hatte Kontroversen hervorgerufen, die insbesondere die Modalitäten der Erschöpfungslehre betrafen. Der Belohnungsgedanke taucht in den neueren Umschreibungen des spezifischen Gegenstands nicht mehr auf. Auf die Konsequenzen daraus ist im Zusammenhang mit dem Erschöpfungsgedanken einzugehen. 215 ß) Urheberrecht Der spezifische Gegenstand des Urheberrechts Entscheidung darin,
besteht nach der „Phil Collins"-
„den Schutz der Persönlichkeitsrechte und der wirtschaftlichen Rechte ihrer Inhaber zu gewährleisten. Der Schutz der Persönlichkeitsrechte ermöglicht es den Urhebern und ausübenden Künstlern insbesondere, sich jeder Entstellung, Verstümmelung oder sonstigen Änderung des Werkes zu widersetzen, die ihrer Ehre oder ihrem Ruf nachteilig sein könnte. Das Urheberrecht und die verwandten Schutzrechte haben außerdem wirtschaftlichen Charakter, da sie die Befugnis vorsehen, das Inverkehrbringen des geschützten Werkes kommerziell, insbesondere in Form von Lizenzen, die gegen Zahlung einer Vergütung erteilt werden, zu nutzen". 2 1 6
Zum spezifischen Gegenstand des Urheberrechts gehört neben dem Recht zur Lizenzvergabe auch das Recht, sich die ausschließliche Befugnis zur Vervielfältigung des geschützten Werkes vorzubehalten, also die Lizenzvergabe zu verweigern. 217 Ein Vergleich mit der entsprechenden Formulierung beim Patentrecht zeigt, dass der Gerichtshof bisher keine vergleichbar präzise Aufzählung für das Urheberrecht entwickelt hat. Der Grund hierfür besteht neben der zusätzlichen persönlichkeitsrechtlichen Dimension in der größeren Heterogenität der urheberrechtlichen Verwertungsrechte. Der Gerichtshof hat die Tendenz, den spezifischen Gegenstand für jede Verwertungsart gesondert festzulegen. 218 Im EuGH, 31.10.1974, Centrafarm/Sterling Drug, Rs. 15/74, Slg. 1974, 1147 (1163 Tz. 9). S. unten S. 247 und 261 ff. 2 1 6 EuGH, 20.10.1993, Phil Collins u.a., Verb. Rs. C-92/92 und C-326/92, Slg. 1993,1-5145 (1-5179 Tz. 20). 2 1 7 EuGH, 17.5.1988, Warner Brothers/Christiansen, Rs. 158/86, Slg. 1988, 2605 (2629 Tz. 13) in der Interpretation durch EuG, 10.7.1991, BBC/Kommission („Magill"), Rs. T-70/89, Slg.1991, 11-535 (11-563 Tz. 57). Generalanwalt Gulmann (in EuGH, 6.4.1995, RTE und ITP/ Kommission („Magill"), Verb. Rs. C-241/91 P und C-242/91 P, Slg. 1995,1-743,1-758 Tz. 38) stellte fest: „Es ist klar, daß das ausschließliche Recht der Vervielfältigung des geschützten Werkes dem Recht entspricht, die Erteilung von Lizenzen abzulehnen. Das Recht, die Erteilung von Lizenzen abzulehnen, wird somit vom spezifischen Gegenstand des Urheberrechts umfaßt." S. dazu näher unten S. 460 f. 2 1 8 Vgl. P - C . Müller-Graff, in von der Groeben Art. 36 E G V Rdnr. 85 und 124; G. Nicolaysen, Europarecht II, 1996, S. 77. 214 215
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4. Teil: Europäisches
Recht
V o r d e r g r u n d s t e h e n d a b e i B e s o n d e r h e i t e n i m B e r e i c h d e r E r s c h ö p f u n g , auf die später z u r ü c k z u k o m m e n ist.219 y) G e s c h m a c k s m u s t e r r e c h t F ü r das Gesckmacksmusterrecht
h a t d e r G e r i c h t s h o f in d e n E n t s c h e i d u n g e n
„ C I C R A u . a . / R e n a u l t " 2 2 0 und „Volvo/Veng"221 zwar nicht den spezifischen G e g e n s t a n d , w o h l a b e r die „ S u b s t a n z " u m s c h r i e b e n . 2 2 2 Sie b e s t e h t in d e r „Befugnis des Inhabers eines Geschmacksmusterrechts, die Herstellung von Erzeugnissen, die das Muster verkörpern, durch Dritte zwecks Verkauf auf dem Binnenmarkt oder zwecks Ausfuhr zu untersagen oder die Einfuhr derartiger Erzeugnisse, die ohne seine Erlaubnis in anderen Mitgliedstaaten hergestellt wurden, zu verhindern" 2 2 3 , bzw. in der „Befugnis des Inhabers eines geschützten Musters, Dritte an der Herstellung und dem Verkauf oder der Einfuhr der das Muster verkörpernden Erzeugnisse ohne seine Zustimmung zu hindern". 2 2 4 V e r g l e i c h t m a n diese U m s c h r e i b u n g m i t d e m s p e z i f i s c h e n G e g e n s t a n d v o n P a t e n t - u n d U r h e b e r r e c h t , fällt auf, dass n u r die n e g a t i v e n V e r b o t s r e c h t e des R e c h t s i n h a b e r s a u f g e f ü h r t w e r d e n . E i n s a c h l i c h e r U n t e r s c h i e d k a n n d a m i t all e r d i n g s n i c h t b e z w e c k t s e i n . A u c h das p o s i t i v e N a c h b i l d u n g s r e c h t ist aus d e m s p e z i f i s c h e n G e g e n s t a n d des G e s c h m a c k s m u s t e r r e c h t s n i c h t w e g z u d e n k e n . S. unten S. 255 ff. EuGH, 5.10.1988, C I C R A u.a./Renault, Rs. 53/87, Slg. 1988, 6039. 2 2 1 EuGH, 5.10.1988, Volvo/Veng, Rs. 238/87, Slg. 1988, 6211. 2 2 2 Statt vom sonst üblichen „spezifischen Gegenstand", „objet spécifique", bzw. „specific subject matter", spricht der Gerichtshof hier von der „Substanz", „substance", bzw. „subject matter". Nur in der englischen Fassung klingt also die gebräuchliche Terminologie an. Der sachliche Unterschied könnte darin bestehen, dass die Substanz als der Kernbereich des spezifischen Gegenstands zu verstehen ist, so jedenfalls die Verwendung der Begriffe in EuGH, 14.7.1981, Merck/Stephar und Exler, Rs. 187/80, Slg. 1981, 2063 (2081 Tz. 9); EuGH, 5.12.1996, Merck u.a./Primecrown u.a., Verb. Rs. C-267/95 und C-268/95, 1-6285 (1-6385 Tz. 31). Die Rede von der Substanz legt also nahe, dass der spezifische Gegenstand des Geschmacksmusterrechts noch weitere, nicht unter den Begriff der Substanz fallende Rechte umfasst. Zum Einbezug positiver Rechte s. sogleich im Text. Der Begriff der Substanz taucht in diesem Zusammenhang auch auf in EuGH, 31.10.1974, Centrafarm/Sterling Drug, Rs. 15/74, Slg. 1974,1147 (1164 Tz. 12). In der Rechtssache „Magill" beklagt Generalanwalt Gulmann die uneinheitliche Terminologie des Gerichtshofs, in der neben dem Begriff des spezifischen Gegenstands auch der eigentliche Inhalt, die wesentlichen Befugnisse sowie die Substanz des Schutzrechts benutzt werden, s. Gulmann, in EuGH, 6.4.1995, R T E und ITP/Kommission („Magill"), Verb. Rs. C-241/91 P und C-242/91 P, Slg. 1995,1-743 (1-757 Tz. 32, insbesondere Fn. 24). Cohen Jehoram/Mortelmans ( G R U R Int. 1997,11,13) gehen davon aus, dass alle diese Begriffe dasselbe bezeichnen sollen. 219 220
EuGH, 5.10.1988, C I C R A u.a./Renault, Rs. 53/87, Slg. 1988, 6039 (6071 Tz. 11). EuGH, 5.10.1988, Volvo/Veng, Rs. 238/87, Slg. 1988, 6211 (6235 Tz. 8). Die Entscheidung enthält den wichtigen Zusatz, dass ein Pflicht zur Erteilung von Lizenzen, selbst wenn sie gegen eine angemessene Vergütung erfolgen würde, in die Substanz des Geschmacksmusterrechts eingreifen würde (ebenda); s. dazu unten S.471 ff. Eingehende Analyse der beiden Entscheidungen unter dem Gesichtspunkt der Warenverkehrsfreiheit bei I. Govaere, The Use and Abuse of Intellectual Property Rights in E.C. Law, 1996, S. 195 ff. 223
224
B. Immaterialgüterschutz
und
Grundfreiheiten
245
6) Markenrecht Der spezifische Gegenstand des Markenrechts
besteht
„insbesondere darin, daß seinem Inhaber das Recht verliehen wird, das Warenzeichen beim erstmaligen Inverkehrbringen eines Erzeugnisses zu benutzen, und daß er dadurch vor K o n k u r r e n t e n geschützt wird, die die Stellung und den Ruf des Warenzeichens durch den Vertrieb widerrechtlich mit diesem Zeichen versehener Erzeugnisse zu mißbrauchen suchen." 2 2 5
Der Gerichtshof belässt es nicht bei dieser Umschreibung. Im Bereich des Markenrechts hat er den Begriff der Funktion, bzw. der Hauptfunktion des Schutzrechts eingeführt. Die Hauptfunktion der Marke sieht er in der Herkunfts-, bzw. Garantiefunktion, „die darin besteht, dem Verbraucher oder Endabnehmer die Ursprungsidentität des gekennzeichneten Erzeugnisses zu garantieren, indem sie ihm ermöglicht, dieses Erzeugnis ohne Verwechslungsgefahr von Erzeugnissen anderer H e r k u n f t zu unterscheiden." 2 2 6
Die Funktion der Marke zieht der Gerichtshof „für die Bestimmung der genauen Reichweite dieses ausschließlichen Rechts des Warenzeicheninhabers" heran. 227 Der Gerichtshof gibt hier einen (seltenen) Hinweis darauf, von welchen Argumenten er sich bei der Bestimmung des spezifischen Gegenstands eines Schutzrechts leiten lässt. Funktionales Denken scheint nach den zitierten Passagen der „ H A G II"-Entscheidung hierbei eine Rolle zu spielen. 228 (4) „functionality test" ? In Anknüpfung hieran hat Inge Govaere den Vorschlag unterbreitet, für den gesamten Bereich des geistigen Eigentums einen „functionality test" einzufüh-
225 E u G H , 17.10.1990, H A G G F ( „ H A G II"), Rs.C-10/89, Slg. 1990, 1-3711 (1-3758 Tz. 14); E u G H , 30.11.1993, Renault/Audi („quattro/Quadra") C-317/91, Slg. 1993,1-6227 (I6269 Tz. 30). 226 E u G H , 17.10.1990, H A G G F ( „ H A G II"), Rs.C-10/89, Slg. 1990, 1-3711 (1-3758 Tz. 14). Zum Begriff der Verwechslungsgefahr und seinem Verhältnis zum Begriff des gedanklichen Inverbindungbringens i.S. der Ersten Markenrechtsrichtlinie s. E u G H , 11.11.1997, Sabel/Puma, Rs.C-251/95, Slg. 1997,1-6191 (1-6223 Tz. 18). Allgemein zu den Markenfunktionen s. M. Lehmann, Wettbewerbs- und warenzeichenrechtliche Bemerkungen, G R U R 1984, 313 (315 ff.); Lehmann/Schönfeld, Die neue europäische und deutsche Marke: Positive Handlungsrechte im Dienste der Informationsökonomie, G R U R 1994, 481 (486 ff.); U. Michalsky, Die Marke in der Wettbewerbsordnung, 1996, S. 36 ff.;/. Drexl, Die wirtschaftliche Selbstbestimmung des Verbrauchers, 1998, S. 596 ff. Zum Einfluss der Markenfunktion auf das Produktsicherheitsrecht s. A. Broichmann, Das Produktsicherheitsgesetz als Vorgabe für die Produkt- und Produzentenhaftung, 2001, S. 86 ff. 227 „ H A G II", Slg. 1990, 1-3711 (1-3758 Tz. 14). 228 Zum spezifischen Gegenstand des Markenrechts in der Rechtsprechung des Gerichtshofs s. K.-H. Fezer, Erste Grundsätze des E u G H zur markenrechtlichen Verwechslungsgefahr - oder: „Wie weit springt die Raubkatze"?, NJW 1998, 713 (715f.), ders., Einl. MarkenG Rdnr. 36 ff.
246
4. Teil: Europäisches
Recht
ren. 229 Der Gebrauch eines Ausschließlichkeitsrechts ist danach dann rechtmäßig, wenn er mit der Funktion in Ubereinstimmung steht, für die das Ausschließlichkeitsrecht erteilt wurde. 230 Dies soll für das Verhältnis der Immaterialgüterrechte sowohl zu den Grundfreiheiten als auch zu den Wettbewerbsregeln gelten. 231 Die dogmatische Aufgabe des „functionality test" besteht in der Ausfüllung und Absicherung der Unterscheidung von Bestand und Ausübung. 232 a ) Vorteile Eine verstärkte Berücksichtigung der Funktion von Immaterialgüterrechten ist sicherlich zu begrüßen. Gerade beim Konflikt verschiedener Rechtsgüter kommt teleologischen Erwägungen eine gesteigerte Bedeutung zu. Dies gilt um so mehr, als der EG-Vertrag abgesehen von punktuellen Bezugnahmen keine umfassende Würdigung der Stellung des geistigen Eigentums in der Wirtschaftsordnung enthält. ß) Verhältnis zur Lehre vom spezifischen Gegenstand Die Einführung eines „functionality test" sieht sich aber auch einigen Fragen ausgesetzt: Zunächst ist zu klären, wie sich der Test in die vom Gerichtshof entwickelten Grundsätze für das Verhältnis von Immaterialgüterrecht und Warenverkehrsfreiheit einfügt. Das Anliegen Govaeres besteht in der Ausfüllung der Leerformel von Bestand und Ausübung. Wie die Rechtsprechungsanalyse gezeigt hat, gibt es aber bereits ein Instrument zur Materialisierung der Formel von Bestand und Ausübung, nämlich die Lehre vom spezifischen Gegenstand. Es wäre zu klären, wie sich der „functionality test" zur Lehre vom spezifischen Gegenstand verhält. 233 Die Rechtsprechung zum Markenrecht legt nahe, dass funktionale Argumente Bestandteil der Lehre vom spezifischen Gegenstand 229 I. Govaere, The Use and Abuse of Intellectual Property Rights in E.C. Law, 1996, S. 67 ff. Sie bezieht sich auf R. Joliet, Patented Articles and the Free Movement of Goods Within the EEC, CLP 1975, 15 (33 f.), s. dazu I. Govaere, S. 167 Fn. 35. 230 Ebenda, S. 67: „It is submitted that this uncertainty could be remedied through introducing the criterion of ,the use of the exclusive right in conformity with the function for which it was granted'". Zu einem vergleichbaren Standpunkt gelangt man, wenn man den Begriff des spezifischen Gegenstands unter Heranziehung des Schutzzwecks eines Immaterialgüterrechts ausfüllt, s. R. Sack, Zur Vereinbarkeit von vertraglichen und gesetzlichen Nichtangriffspflichten im gewerblichen Rechtsschutz mit Art. 85 und Art. 30, 36 EG-Vertrag, FS Fikentscher, 1998, S. 740(741). 231 I. Govaere, S. 69. 232 Ebenda, S. 69. 233 I. Govaere (S. 192 f.) möchte der Entscheidung „Warner Brothers" entnehmen, dass der Gerichtshof hierin den ersten Schritt weg vom spezifischen Gegenstand und hin zum „functionality test" vollzogen habe. Davon wird man aber angesichts der nach „Warner Brothers" ergangenen Entscheidungen (Nachweise oben in denFn. 213,216,220,221 und 225) nicht ausgehen können.
B. Immaterialgüterschutz
und
Grundfreiheiten
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sind. Anliegen des „functionality test" wäre es dann, funktionales Denken über solche vereinzelten Ansätze hinaus durchzusetzen und auf alle Gebiete des Immaterialgüterrechts zu erstrecken. Die Umschreibung des spezifischen Gegenstands wäre dann regelmäßig um die Bestimmung der Funktion des jeweiligen Immaterialgüterrechts zu ergänzen. Denkbar wäre, dass die Funktionsbestimmung gerade die Aufgabe hätte, den spezifischen Gegenstand zu ermitteln. Der „functionality test" würde dann eine Lücke füllen: Der Gerichtshof hat bis jetzt nicht einsichtig gemacht, aufgrund welcher Kriterien er zur Bestimmung des jeweiligen spezifischen Gegenstands kommt. y) Schwierigkeiten Allerdings bringt die Aufwertung funktionaler Betrachtungen auch Probleme mit sich. Das Hauptproblem besteht darin, dass keine Einigkeit über die Funktion der einzelnen Immaterialgüterrechte besteht. 234 Es sei nur an die vier sich überlagernden, aber auch miteinander konkurrierenden Funktionsbestimmungen des Erfindungsschutzes erinnert. 235 Unsicherheiten bei der Funktionsbestimmung schlagen direkt auf die Rechtsanwendung durch. Das berühmteste Beispiel ist die Rechtsprechung zum Patentrecht. In „Centrafarm/ Sterling Drug" hatte der Gerichtshof der Bestimmung des spezifischen Gegenstands des Patentrechts einen funktionalen Aspekt hinzugefügt: Die Erteilung eines Ausschließlichkeitsrechts an den Erfinder erfolge „zum Ausgleich für seine schöpferische Erfindertätigkeit". 2 3 6 Der Gerichtshof legte sich damit auf die patentrechtliche Belohnungstheorie fest, wertete sie zur maßgebenden Funktion des Patentrechts auf, und zog die Schlussfolgerungen hieraus in Hinblick auf die Erschöpfung des Ausschließlichkeitsrechts. In der Folgezeit bereitete die Belohnungstheorie dem Gerichtshof die allergrößten Schwierigkeiten. In den Fällen, in denen Paralleleinfuhren aus Mitgliedstaaten zu beurteilen waren, in denen kein paralleles Patent existierte, u.U. nicht einmal zu erlangen war, entleerte er den Belohnungsgedanken bis zur Verflüchtigung in eine vage bestimmte Potentialität. 2 3 7 234 Kritisch z.B. H. Johannes, Gewerblicher Rechtsschutz und Urheberrecht im Europäischen Gemeinschaftsrecht, 1973, S.21 ff.: Die rechtlich anerkannten Funktionen wären wiederum dem Gemeinschaftsrecht zu entnehmen. 235 S. dazu z.B. F.-K. Beier, Die herkömmlichen Patentrechtstheorien und die sozialistische Konzeption des Erfinderrechts, GRUR Int. 1970,1 ff.; Beier/Straus, Das Patentwesen und seine Informationsfunktion, GRUR 1977, 282 ff.; F.-K. Beier, Die Bedeutung des Patentsystems für den technischen, wirtschaftlichen und sozialen Fortschritt, GRUR Int. 1979, 227 ff.; ders., Wettbewerbsfreiheit und Patentschutz, GRUR 1978, 123 ff. 236 EuGH, 31.10.1974, Centrafarm/Sterling Drug, Rs. 15/74, Slg. 1974, 1147 (1163 Tz. 9). 237 S. nur EuGH, 14.7.1981, Merck/Stephar und Exler, Rs. 187/80, Slg. 1981, 2063 (2081 Tz. 10): „Dadurch, daß dieses Recht zum ersten Inverkehrbringen dem Erfinder das Monopol für die Verwertung seines Erzeugnisses vorbehält, ermöglicht es ihm, einen Ausgleich für seine schöpferische Erfindertätigkeit zu erhalten, ohne ihm jedoch diesen Ausgleich unter allen Umständen zu garantieren." Zur „Merck/Stephar"-Rechtsprechung s. unten S. 261 ff.
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4. Teil: Europäisches
Recht
In neueren Entscheidungen verzichtet der G e r i c h t s h o f auf die Aufnahme des Belohnungsgedankens
in den spezifischen Gegenstand des
Patentrechts. 2 3 8
Diese Tatsache lässt sich nur als Bedeutungsverlust funktionalen D e n k e n s deuten. N i c h t die im Belohnungsgedanken gefundene F u n k t i o n des Patentrechts entscheidet über die Kollision mit der Warenverkehrsfreiheit. Vielmehr wird einem anderen Aspekt, nämlich der Zustimmung des Rechtsinhabers zum Inverkehrbringen der entscheidende Stellenwert eingeräumt. 2 3 9 D e r Belohnungsgedanke erscheint demgegenüber eher als Korrektiv: Erst wenn der Rechtsinhaber gar nicht mehr die Möglichkeit hätte, einen Ausgleich für seine Erfindertätigkeit zu erhalten, wäre der spezifische Gegenstand des Ausschließlichkeitsrechts verletzt. 6 ) Besonderheiten des Markenrechts D i e B e t o n u n g des Funktionsgedankens im M a r k e n r e c h t könnte auf Besonderheiten in der E n t w i c k l u n g der einschlägigen Rechtsprechung beruhen. B e kanntlich war der G e r i c h t s h o f zunächst skeptisch in B e z u g auf die Bedeutung des Markenschutzes in der Wirtschaftsordnung. 2 4 0 Diese Skepsis kam beispielsweise in der Entscheidung „ H A G I " zum Ausdruck, in der E r s c h ö p f u n g des M a r k e n r e c h t s auch dann angenommen wurde, wenn eine Z u s t i m m u n g des Zeicheninhabers zum Inverkehrbringen nicht vorlag, die kollidierenden Warenzeichen aber nach hoheitlicher Zwangsaufspaltung gleichen Ursprungs waren
241
Diese Skepsis wurde nach und nach aufgegeben, bis der G e r i c h t s h o f in „ H A G I I " zum entgegengesetzten Ergebnis kam. 2 4 2 Es lag nahe, die damit verbundene Aufwertung des Markenschutzes mit B e m e r k u n g e n zu seiner Bedeutung und F u n k t i o n zu begründen. D i e besondere B e t o n u n g des Funktionsgedankens im M a r k e n r e c h t hängt also eher mit dem grundsätzlichen Kurswechsel des G e -
S. die Nachweise oben in Fn. 213. F.-K. Beier, Gewerblicher Rechtsschutz und freier Warenverkehr im europäischen Binnenmarkt und im Verkehr mit Drittstaaten, G R U R Int. 1989, 603 (612). 240 S. z.B. EuGH, 11.2.1971, Sirena/Eda, Rs. 40/70, Slg. 1971,69 (82 Tz. 7): „Außerdem unterscheidet sich das Zeichenrecht von anderen gewerblichen Schutzrechten dadurch, daß das Schutzobjekt dieser letzteren meist von größerer Bedeutung und Schutzwürdigkeit ist als das des Warenzeichens." 241 EuGH, 3.7.1974, van Zuylen/Hag („Hag I"), Rs. 192/73, Slg. 1974, 731 (745 Tz. 12/13). 242 EuGH, 17.10.1990, H A G G F („HAG II"), Rs.C-10/89, Slg. 1990, 1-3711 (1-3758 f. Tz. 13-19), hierzu D. Zimmer, Nationales Warenzeichenrecht versus EG-Warenverkehrsfreiheit, N J W 1991, 3057 ff. W.R. Cornish (Intellectual Property, 1996, S. 649) spricht in diesem Zusammenhang vom .„common origin' adventure". Zum persönlichen Hintergrund der Rechtsprechungsänderung s. H. Ullrich, in I/M EG-Wettbewerbsrecht, Bd. I, 1997, S. 1189 Rdnr. 83, insbesondere bei Fn. 596. In der Rechtssache'Tdeal Standard" (EuGH, 22.6.1994, „Ideal Standard", Rs.C-9/93, Slg. 1994, 1-2789, 1-2849 ff. Tz. 40 ff.) lehnte der E u G H Erschöpfung auch nach freiwilliger Markenaufspaltung ab. S. hierzu P. Auteri, Die Übertragung der Marke für einen Teil der Europäischen Union, Festgabe F.-K. Beier, 1996, S. 501 ff.; /. Drexl, Die wirtschaftliche Selbstbestimmung des Verbrauchers, 1998, S. 614 ff. 238 239
B. Immaterialgüterschutz
und
Grundfreiheiten
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richtshofs als mit einem besonderen Stellenwert funktionalen Denkens zusammen. E) Ergebnis Für den „functionality test" bleibt damit nur beschränkter Raum. 243 Die Unsicherheiten bei der Bestimmung der Funktion des jeweiligen Schutzrechts erscheinen größer als die Schwierigkeiten der Festlegung des spezifischen Gegenstands i.S. einer Aufzählung seiner Kernelemente. Zudem hat Ullrich eindrucksvoll vor einer unmittelbaren Funktionsbindung von Rechten des geistigen Eigentums gewarnt. Der Schutzrechtsinhaber werde dadurch als Rechtsempfänger unmittelbar auf die Wahrung der öffentlichen Funktion seines Rechts verpflichtet. Dies widerspreche der Privatautonomie. Es sei Aufgabe des Wettbewerbs, funktionswidrigen Gebrauch zu unterbinden. Eine solche, durch den Wettbewerb bewirkte, also bloß mittelbare Funktionsbindung müsse ausreichen. 244 Funktionale Erwägungen sollten deshalb nur zurückhaltend im Rahmen der teleologischen Auslegung eingebracht werden. Sie können beispielsweise eine Hilfestellung dabei leisten, den spezifischen Gegenstand des Schutzrechts zu bestimmen. 245 In diesem Zusammenhang können sie insbesondere eine letzte Grenze anzeigen: Wenn die Anwendung der Warenverkehrsfreiheit dazu führt, dass die Funktion des Schutzrechts nicht mehr erfüllt werden kann, liegt jedenfalls eine Verletzung des spezifischen Gegenstands vor. Weiter kann der Funktionsgedanke nicht tragen. Beispielsweise darf er nicht dazu führen, dass in jedem Einzelfall zu prüfen ist, ob das rechts- oder wirtschaftspolitische Anliegen des Gesetzgebers auch verwirklicht wurde. 246
243 Kritisch auch St. Anderman, EC Competition Law and Intellectual Property Rights, 1998, S. 13 ff. 244 H. Ullrich, Wissenschaftlich-technische Kreativität zwischen privatem Eigentum, freiem Wettbewerb und staatlicher Steuerung, 1996, S. 218 ff. Grundlegend zu den Funktionen subjektiver Rechte L. Raiser, Der Stand der Lehre vom subjektiven Recht im Deutschen Zivilrecht, J Z 1961, 465. 245 E. Steindorff (EG-Vertrag und Privatrecht, 1996, S. 128) stellt fest, dass die Bestimmung des spezifischen Gegenstands die Definition der Schutzrechtsfunktion voraussetzt. 246 F.-K. Beter, Gewerblicher Rechtsschutz und freier Warenverkehr im europäischen Binnenmarkt und im Verkehr mit Drittstaaten, G R U R Int. 1989, 603 (612). Vgl. bereits R. Joliet, Patented Articles and the Free Movement of Goods Within the E E C , C L P 1975,15 (33 ff., insbesondere 34): „If the test was the function of the patent protection, I would say that a restriction on imports would be wholly justified. But this is not the test. The question is instead the extent of the specific right of the patent [...]." Auf dieser Grundlage kommt Joliet zu einem differenzierenden Ergebnis: Nur die Abwesenheit von Patentschutz, nicht aber die Existenz von Preiskontrollen im Exportland soll der Erschöpfungswirkung entgegenstehen.
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4. Teil: Europäisches
Recht
(5) Unspezifische Inhalte von Schutzrechten Die Umschreibungen des spezifischen Gegenstands der verschiedenen Schutzrechte werden regelmäßig mit „insbesondere" eingeleitet. Dies bedeutet, dass der Umkehrschluss zu den gegebenen Definitionen unzulässig ist. Die Rechte, die nicht aufgezählt werden, fallen nicht automatisch aus dem spezifischen Gegenstand des Schutzrechts heraus. Im Einzelfall ist jeweils zu klären, ob die betreffende Verhaltensweise schutzrechtsspezifisch ist oder über den Anwendungsbereich von Art. 30 E G V hinausgeht. In Einzelfällen hat der Gerichtshof angedeutet, worin solche unspezifischen Gehalte bestehen können. In den „Zwangslizenz"-Fällen hat er festgestellt, dass die Diskriminierung von Produkten aus dem EU-Ausland nicht damit begründet werden könne, die Produktion im Inland zu fördern. Die Förderung der heimischen Produktion durch marktabschottende Maßnahmen sei nicht dem spezifischen Gegenstand des Patentrechts zuzuordnen. 2 4 7 c) EG- und EWR-weite
Erschöpfung
Wie insbesondere die Definitionen des Patent- und Markenrechts zeigen, gehört zum spezifischen Gegenstand jeweils nur das erste Inverkehrbringen auf dem Gemeinsamen Markt. 2 4 8 Weitere Veräußerungshandlungen sind nicht mehr vom spezifischen Gegenstand des Schutzrechts gedeckt. Auf dieser Begriffsbestimmung beruht die Lehre von der gemeinschaftsweiten Erschöpfung. 2 4 9 Sie ergibt sich direkt aus der entsprechend ausgefüllten Lehre vom spe2 4 7 E u G H , 18.2.1992, Kommission/Italien, Rs. C-235/89, Slg.1992,1-777 (1-826 Tz. 24 f.); E u G H , 18.2.1992, Kommission/Vereinigtes Königreich, Rs. C-30/90, Slg. 1992, 1-829 (1-867 Tz. 28 f.); E u G H , 27.10.1992, Generics und Harris Pharmaceuticals, Rs. C-191/90, Slg. 1992,15335 (1-5375 Tz. 24). 2 4 8 Das Inverkehrbringen in einem Drittland reicht nicht aus. Art. 28 E G V gilt nur „zwischen den Mitgliedstaaten". Aus der Warenverkehrsfreiheit folgt also nicht der Grundsatz der internationalen Erschöpfung; in diesem Sinn E u G H , 15.6.1976, Rs.96/75, E M I Records/CBS Schallplatten, Slg. 1976, 913 (949 Tz. 5). Zum Inverkehrbringen in einem EFTA-Land nach Abschluss des EWR-Abkommens s. unten S. 268 ff. 2 4 9 Grundlegend Koch/Froschmaier, Patentgesetze und Territorialitätsprinzip im Gemeinsamen Markt, G R U R Int. 1965, 121 ff., die die Lehre von der gemeinschaftsweiten Erschöpfung aber noch mit den Wettbewerbsregeln begründeten. Die Verankerung des Konsumtionsgedankens in den Vorschriften über den freien Warenverkehr erfolgte durch W. Alexander, L'établissement du Marché commun et le problème des brevets parallèles, R T D eur. 1968, 513 (527 ff.). Zur Leistung Alexanders s. M. Waelbroeck, La Contribution de Willy Alexander à l'Etude des Rapports entre Règles de Concurrence et Droits de Propriété Industrielle, C D E 1999,147 ff. Umfassende Uberblicke über den Stand der Erschöpfungslehre bei C. Baudenbacher, Trademark Law and Parallel Imports in a Globalized World, 22 Fordham International Law Journal 645 ff. (1999); ders., Erschöpfung der Immaterialgüterrechte in der E F T A und die Rechtslage in der EU, G R U R Int. 2000, 5 8 4 f f . ; / . Gaster, Die Erschöpfungsproblematik aus der Sicht des Gemeinschaftsrechts, G R U R Int. 2000, 571 ff.;/. Körber, Der Grundsatz der gemeinschaftsweiten Erschöpfung im Recht der Europäischen Union, 1999; R. Sack, Die Erschöpfung von gewerblichen Schutzrechten und Urheberrechten nach europäischem Recht,
B. Immaterialgüterschutz
und
Grundfreiheiten
251
zifischen Gegenstand. 250 Daraus folgt auch das Verhältnis der einzelnen Elemente der immaterialgüterrechtlichen Trias zueinander: Die Formel von Bestand und Ausübung legitimiert die Anwendung von Gemeinschaftsrecht auf nationales Immaterialgüterrecht in kompetenzrechtlicher Hinsicht, die Lehre vom spezifischen Gegenstand füllt die Leerformel materiellrechtlich und der Erschöpfungsgedanke ist der Hauptanwendungsfall der Lehre vom spezifischen Gegenstand. 251 (1) Ursprünge der gemeinschaftsrechtlichen Erschöpfungslehre Der enge Zusammenhang aller Elemente der immaterialgüterrechtlichen Trias kommt auch darin zum Ausdruck, dass sie in der ersten Entscheidung des Gerichtshofs zum Verhältnis von Warenverkehrsfreiheit und nationalen Schutzrechten unmittelbar aufeinander folgen. So heißt es in „Deutsche Grammophon/Metro" nach der Unterscheidung von Bestand und Ausübung und dem Hinweis auf den spezifischen Gegenstand: „Wird ein dem Urheberrecht verwandtes Schutzrecht benützt, um in einem Mitgliedstaat den Vertrieb von Waren, die vom Rechtsinhaber oder mit seiner Zustimmung im Hoheitsgebiet eines anderen Mitgliedstaats in Verkehr gebracht worden sind, allein deshalb zu verbieten, weil dieses Inverkehrbringen nicht im Inland erfolgt ist, so verstößt ein solches die Isolierung der nationalen Märkte aufrecht erhaltendes Verbot gegen das wesentliche Ziel des Vertrages, den Zusammenschluß der nationalen Märkte zu einem einheitlichen Markt." 2 5 2
Ohne bereits den Begriff zu verwenden, liegt hier der Beginn der Erschöpfungsrechtsprechung des Gerichtshofs. 253 Den Schwerpunkt der Argumentation bildet die Überlegung, dass es für die Geltendmachung nationaler Ausschließlichkeitsrechte nicht darauf ankommen darf, ob das Produkt im Inland oder in einem anderen Mitgliedstaat in Verkehr gebracht worden ist. Dies wäre aber bei Annahme einer bloß nationalen Erschöpfung der Fall. Sieht das einzelstaatliche Recht also nationale Erschöpfung vor, folgt aus der Warenverkehrs freiheit eine darüber hinausgehende gemeinschaftsweite Erschöpfung. GRUR 1999, 193 ff.; ders., Die Erschöpfung von gewerblichen Schutzrechten und Urheberrechten nach deutschem Recht, WRP 1999, 1088ff.; ders., Der Erschöpfungsgrundsatz im deutschen Immaterialgüterrecht, GRUR Int. 2000, 610 ff. 250 Den engen Zusammenhang zwischen der Ausfüllung des Begriffs des spezifischen Gegenstands und der Tragweite der Erschöpfung betont auch Generalanwalt N. Fennelly (in EuGH, 5.12.1996, Verb. Rs. C-267/95 und C-268/95, Merck u.a./Primecrown u.a., Slg. 1996, 1-6285, 1-6324 Tz. 93). 251 Der Erschöpfungsgedanke dominiert die Lehre vom spezifischen Gegenstand so sehr, dass E. Steindorff (EG-Vertrag und Privatrecht, 1996, S. 127 Fn. 31) es für denkbar hält, auf den Begriff des spezifischen Gegenstands zu verzichten und die nationalen Schutzrechte nur um den Gedanken der gemeinschaftsweiten (bzw. EWR-weiten) Erschöpfung zu ergänzen. 252 EuGH, 8.6.1971, Deutsche Grammophon/Metro, Rs. 78/70, Slg. 1971,487 (500 Tz. 12). 253 Den Terminus der Erschöpfung benutzte im Verfahren aber bereits der Generalanwalt (Slg. 1971, 508 f.). Der Gerichtshof führte ihn ein in EuGH, 31.10.1974, Centrafarm/Sterling Drug, Rs. 15/74, Slg. 1974, 1147(1163 Tz. 10).
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4. Teil: Europäisches
Recht
Die theoretische Schwierigkeit dieser Begründung tritt zutage, wenn man die Annahme zugrundelegt, dass das nationale Recht einen Erschöpfungsgrundsatz nicht kennt. 254 Dann bestünde keine unterschiedliche Behandlung der im Inland oder EU-Ausland in Verkehr gebrachten Erzeugnisse. Das Argument des Gerichtshofs aus „Deutsche Grammophon/Metro" bildet also keine tragfähige, allgemeine Grundlage des Erschöpfungsgedankens. 255 Der Gerichtshof ist von dieser ursprünglichen Argumentation abgegangen. In „Centrafarm/Sterling Drug" gründete er die Erschöpfungslehre auf die Zustimmung des Rechtsinhabers, bezogen auf das erste Inverkehrbringen des geschützten Erzeugnisses in einem beliebigen Mitgliedstaat. Die Zustimmung war zwar auch schon in „Deutsche Grammophon/Metro" Voraussetzung für die Erschöpfung gewesen. In „Centrafarm/Sterling Drug" wurde sie zum Dreh- und Angelpunkt der Erschöpfungslehre. In dieser Entscheidung heißt es: „Dagegen läßt sich ein Abweichen vom Grundsatz des freien Warenverkehrs nicht rechtfertigen, wenn das Erzeugnis in dem Mitgliedstaat, aus dem es eingeführt wird, durch den Inhaber selbst oder, w i e etwa im Falle eines Inhabers paralleler Patente, mit dessen Zustimmung rechtmäßig auf den M a r k t gebracht worden ist. Denn w ä r e der Patentinhaber befugt, die Einfuhr von Patentsachen zu unterbinden, die in einem anderen Mitgliedstaat durch ihn oder mit seiner Zustimmung in den Verkehr gelangt sind, dann w ü r d e ihm die Möglichkeit eröffnet, die nationalen Märkte abzuriegeln und auf diese Weise den Handel zwischen den Mitgliedstaaten zu beschränken, ohne daß eine derartige Beschränkung notwendig wäre, u m ihm die aus den Parallelpatenten fließenden Ausschließlichkeitsrechte in ihrer Substanz zu erhalten." 2 5 6
(2) Konsequenzen des Zustimmungsgedankens Eine Zustimmung liegt vor, wenn das geschützte Erzeugnis entweder durch den Rechtsinhaber selber, von einer rechtlich oder wirtschaftlich von ihm abhängigen Person oder von einem Dritten, z.B. einem Lizenznehmer mit Einverständnis des Rechtsinhabers in Verkehr gebracht wird. 2 5 7 Eine wirksame Zustim254 Diese Annahme ist nicht nur hypothetisch. Das britische (und irische) Patentrecht ging ursprünglich nicht von einer zwingenden Erschöpfung aus. Nach der „implied licence"-Theorie konnte der Patentrechtsinhaber beim Verkauf des geschützten Erzeugnisses Beschränkungen hinsichtlich weiterer Transaktionen wirksam vereinbaren. S. hierzu und zur Uberlagerung dieses „old British principle" durch das Gemeinschaftsrecht W.R. Cornish, Intellectual Property, 1996, S. 216 ff. Zur first We-Doktrin des US-amerikanischen Rechts s. Tb. Bodewig, Erschöpfung der gewerblichen Schutzrechte und des Urheberrechts in den USA, G R U R Int. 2000, 597 ff. 255 Dennoch wird der Gedanke der Ungleichbehandlung bisweilen immer noch als Begründung für die Erschöpfung herangezogen, z.B. bei Marenco/Banks, Intellectual Property und the Community Rules on Free Movement: Discrimination Unearthed, EL Rev. 1990, 224, 237 und 243. 256 EuGH, 31.10.1974, Centrafarm/Sterling Drug, Rs. 15/74, Slg. 1974, 1147 (1163 f. Tz. 11 f.). 257 S. z.B. EuGH, 9.7.1985, Pharmon/Hoechst, Rs. 19/84, Slg. 1985,2281 (2297 Tz. 22); näher zum Zustimmungserfordernis s. H. Ullrich, in I/M EG-Wettbewerbsrecht, Bd. I, 1997, S. 1177 f. Rdnr. 71.
B. Immaterialgüterschutz
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Grundfreiheiten
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mung setzt Freiwilligkeit voraus. 258 Freiwilligkeit entfällt, wenn eine Rechtspflicht zum Inverkehrbringen bestand. Solche Rechtspflichten können sich aus immaterialgüterrechtlichen, kartellrechtlichen oder sonstigen Vorschriften ergeben. a) Immaterialgüterrechtliche Vermarktungspflichten Die wichtigste immaterialgüterrechtlich begründete Vermarktungspflicht betrifft die Zwangslizenzierung. In „Pharmon/Hoechst" hat der Gerichtshof entschieden, „daß im Falle der Erteilung einer Zwangslizenz durch die zuständigen Behörden eines Mitgliedstaats an einen Dritten, durch die diesem wie im vorliegenden Fall Tätigkeiten auf dem Gebiet der Herstellung und des Inverkehrbringens erlaubt werden, die der Patentinhaber normalerweise untersagen könnte, nicht davon ausgegangen werden kann, daß letzterer den Tätigkeiten dieses Dritten zugestimmt hat. Dem Patentinhaber wird nämlich durch eine solche Maßnahme sein Recht genommen, frei über die Bedingungen zu entscheiden, unter denen er sein Erzeugnis in den Verkehr bringen will." 2 5 9
Die Versagung der Erschöpfung im Fall der Zwangslizenzierung erscheint angesichts der für die Zustimmung erforderlichen Freiwilligkeit überzeugend. 260 Aus der Entscheidung wurden aber auch vereinzelt Schlussfolgerungen gezogen, die zu einer weit über die Problematik der Zwangslizenzen hinausgehenden Einschränkung der Erschöpfungswirkung führen würden. Auf die Frage der Zulässigkeit solcher Verallgemeinerungen wird zurückzukommen sein. 261 ß) Kartellrechtliche Vermarktungspflichten Eine Pflicht zum Inverkehrbringen kann sich auch aus Kartellrecht ergeben. Für die Frage der Erschöpfung ist es irrelevant, ob sich eine solche Rechtspflicht aus nationalem oder europäischem Wettbewerbsrecht ergibt, oder ob die 2 5 8 Der Gerichtshof hat im Fall einer Lizenzbereitschaftserklärung (EuGH, 3.3.1988, Allen&Hanburys, Rs. 434/85, Slg. 1988, 1245, 1273 ff. Tz. 12 ff.) im Ergebnis zugunsten des freien Warenverkehrs entschieden, ohne mit dem Erschöpfungsgedanken zu argumentieren. Die patentverletzende Einfuhr aus einem anderen Mitgliedstaat könne dann nicht verboten werden, wenn die Herstellung und der Vertrieb eines solchen Erzeugnisses im Inland aufgrund der Lizenzbereitschaftserklärung nicht rechtswidrig sei. Keine Bedeutung komme dabei dem Umstand zu, dass der betreffende Gegenstand im Ausfuhrland nicht patentfähig sei.
Diese Argumentation reicht weiter als der Erschöpfungsgrundsatz. Während dieser immanente Einschränkungen des Schutzrechts zum Ausdruck bringt, liegt in der genannten Konstellation eine wirkliche Schutzrechtsverletzung vor, die aber eine Diskriminierung des Imports gegenüber dem Inlandsvertrieb darstellt. S. hierzu und zu anderen offenen Fragen des Erschöpfungsrechts Pagenberg/Geissler, Lizenzverträge, 4. Aufl. 1997, S. 110 ff. Rdnr. 120 ff. 2 5 9 EuGH, 9.7.1985, Pharmon/Hoechst, Rs. 19/84, Slg. 1985, 2281 (2298 Tz. 25). 2 6 0 Eine restriktive Auslegung der „Pharmon/Hoechst"-Entscheidung nimmt H. Ullrich vor (in I/M EG-Wettbewerbsrecht, Bd. I, 1997, S. 1180 Rdnr. 73): Das Urteil betreffe nur die Direktlieferungen, nicht aber die auf der Zweitverwertungsebene angesiedelten Paralleleinfuhren. O b im Falle von Paralleleinfuhren die Zustimmung durch die Zwangslizenz ersetzbar sei, bleibe deshalb auch nach „Pharmon/Hoechst" offen. 2 6 1 S. unten S. 264 ff.
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4. Teil: Europäisches
Recht
P f l i c h t ex lege o d e r erst nach k a r t e l l b e h ö r d l i c h e r V e r f ü g u n g entsteht. A u f e u r o p ä i s c h e r E b e n e k a n n s i c h e i n e s o l c h e P f l i c h t aus d e m V e r b o t des M i s s b r a u c h s marktbeherrschender
S t e l l u n g e n in A r t . 8 2 E G V
ergeben.262
Im
deutschen
R e c h t sind i n s b e s o n d e r e die §§ 19, 2 0 u n d 21 A b s . 2 G W B einschlägig.263 y) S o n s t i g e V e r m a r k t u n g s p f l i c h t e n Immaterialgüterrechtlichen
und
kartellrechtlichen
Belieferungspflichten
k o m m t z w a r der größte Stellenwert zu. D i e E r s c h ö p f u n g s w i r k u n g entfällt aber a u c h d a n n , w e n n e i n e b e l i e b i g e a n d e r e R e c h t s p f l i c h t z u m I n v e r k e h r b r i n g e n des geschützten Erzeugnisses zwingt. D e r Rechtsinhaber handelt dann nicht mehr f r e i w i l l i g . E i n e w i r k s a m e Z u s t i m m u n g liegt n i c h t v o r . Z u d e n k e n w ä r e h i e r z . B . an V o r s c h r i f t e n des ö f f e n t l i c h e n R e c h t s , d i e i m I n t e r e s s e des G e m e i n w o h l s V e r m a r k t u n g s p f l i c h t e n a n o r d n e n , beispielsweise die Pflicht z u r B e l i e f e r u n g mit M e d i k a m e n t e n i m I n t e r e s s e d e r ö f f e n t l i c h e n G e s u n d h e i t . 2 6 4 Z u b e a c h t e n ist h i e r b e i , dass die R e c h t s p f l i c h t s i c h g e r a d e a u f das I n v e r k e h r b r i n g e n b e z i e h e n m u s s . I s t die g r u n d s ä t z l i c h e E n t s c h e i d u n g ü b e r d i e V e r m a r k t u n g f r e i , u n d w e r d e n n u r b e s t i m m t e V e r m a r k t u n g s p a r a m e t e r w i e z . B . die P r e i s g e s t a l t u n g n o r m i e r t , b e s t e h e n an d e r F r e i w i l l i g k e i t d e r Z u s t i m m u n g z u m
Inverkehrbringen
k e i n e Z w e i f e l , s o d a s s E r s c h ö p f u n g des S c h u t z r e c h t s e i n t r i t t . 2 6 5
2 6 2 Diese Möglichkeit spricht Generalanwalt N. Fennelly in der Rechtssache „Merck u.a./ Primecrown u.a." ausdrücklich an ( E u G H , 5.12.1996, Verb. Rs. C-267/95 und C-268/95, Slg. 1996,1-6285,1-6348 f. Tz. 153). Ein Beispiel für eine auf Art. 82 E G V gestützte Zwangslizenzierung sind die „Magill"-Entscheidungen von Kommission, Gericht und Gerichtshof, s. dazu unten S. 479 ff., insbesondere S. 499 ff. 2 6 3 Zu Belieferungspflichten aufgrund dieser Vorschriften s. K. Markert, in Immenga/ Mestmäcker, 3. Aufl. 2001, § 2 0 G W B Rdnr. 228; W. Möschel, in Immenga/Mestmäcker, 3. Aufl. 2001, § 19 G W B Rdnr. 243. 2 6 4 S. hierzu Generalanwalt N. Fennelly in „Merck u.a./Primecrown u.a." ( E u G H , 5.12.1996, Verb. Rs. C-267/95 und C-268/95, Slg. 1996,1-6285,1-6347 f. Tz. 149 ff.). 2 6 5 C. Freytag, Parallelimporte nach E G - und W T O - R e c h t , 2001, S. 72 ff. In diesem Fall können Parallelimporte der in Verkehr gebrachten Gegenstände auch nicht durch private Vereinbarungen erschwert oder verhindert werden. S. hierzu Europäische Kommission, 8.5.2001, Glaxo Wellcome, Entscheidung 2001/791/EG, ABl. L 302/1: Glaxo Wellcome hatte in Spanien ein System der Preisdifferenzierung eingeführt. Das Unternehmen verlangte von seinen spanischen Großhändlern einen höheren Preis für diejenigen Produkte, die sie in andere Mitgliedstaaten ausführten als für die gleichen Produkte, welche die Großhändler für den Verbrauch auf dem heimischen spanischen Markt weiterverkauften. Der Parallelhandel innerhalb des Gemeinsamen Markts sollte hierdurch eingeschränkt werden. Glaxo Wellcome berief sich auf die verschiedenen regulatorischen Maßnahmen zur Preisfestsetzung in den einzelnen Mitgliedstaaten. Die Kommission stellte dagegen einen Widerspruch zum Gemeinschaftsziel der Marktintegration fest. Zudem werde der Preiswettbewerb für Glaxo Wellcome-Produkte spürbar eingeschränkt. Die beantragte Freistellung wurde deshalb verweigert. Die Kommission stellte auch eine Verknüpfung zwischen Kartellrecht und Immaterialgüterrecht her: Angesichts des Patentschutzes für Arzneimittel sei der Parallelhandel von besonderer Bedeutung, da er oft die einzige alternative Bezugsquelle für die patentgeschützten Erzeugnisse darstelle.
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und
Grundfreiheiten
255
Hingegen reicht es nicht aus, dass eine moralische Pflicht z u m Inverkehrbringen besteht. Gerade im Gesundheitssektor kann es vorkommen, dass keine rechtliche Vermarktungspflicht besteht, ein Medikament aber so wichtig ist, dass die Nichtbelieferung eines Landes undenkbar ist. In der Rechtssache „Merck u.a./Primecrown u.a." 2 6 6 hatten die Parteien des Ausgangsverfahrens geltend gemacht, dass Pharmaunternehmen nach moralischen Grundsätzen dazu verpflichtet seien, pharmazeutische Erzeugnisse dorthin zu liefern, w o sie benötigt werden, auch wenn dort Patentschutz nicht zur Verfügung stehe. Die Befürchtung, dass Parallelimporte die Ertragsfähigkeit auf anderen Märkten gefährde, könne Pharmalieferanten von der Belieferung dieser Länder abhalten. 2 6 7 Der Gerichtshof hat es ausdrücklich abgelehnt, die Rechtsfolge der Erschöpfung an moralische Pflichten zu knüpfen. Das Bestehen einer moralischen Pflicht sei kein präzises Kriterium zur Abgrenzung der Freiwilligkeit vom Zwang. Moralische Pflichten könnten deshalb „bei Fehlen jeder gesetzlichen Verpflichtung" eine Ausnahme vom Prinzip des freien Warenverkehrs nicht begründen. 2 6 8 Der Entscheidung ist beizupflichten. Eine strikte Trennung von moralischer Rücksichtnahme und geschäftlicher Motivation ist nicht möglich. Letztlich kann nicht unterschieden werden, ob die Belieferung im Interesse von Gemeinschaftsgütern erfolgt, oder ob die negativen geschäftlichen Konsequenzen des sonst drohenden Rufverlusts vermieden werden sollen. N u r eine Rechtspflicht, die in den hier relevanten Fällen zudem häufig durch Behördenoder Gerichtsentscheidungen dokumentiert sein wird, 2 6 9 kann hinreichend präzise festgestellt werden. Die Freiwilligkeit der Zustimmung wird also nicht durch außerrechtliche Handlungsmotivationen in Frage gestellt. (3) Reichweite der Erschöpfung Aus Gründen der sprachlichen Vereinfachung wird oft formuliert, dass sich das Patentrecht, das Urheberrecht oder das Markenrecht erschöpfe. In der Regel hat diese sprachliche Verkürzung keine Auswirkungen. Geht es aber um Fragen, die spezifisch die Reichweite der Erschöpfung betreffen, führt die sprachliche Vereinfachung zu Missverständnissen. Die pauschale Formulierung lässt 266 EuGH, 5.12.1996, Merck u.a./Primecrown u.a., Verb. Rs. C-267/95 und C-268/95, Slg. 1996,1-6285. 267 Nachweise des Parteivorbringens bei Generalanwalt N. Fennelly (1-6307 ff. Tz. 49 ff. und 1-6309 ff. Tz. 58 ff.). 268 „Merck u.a./Primecrown u.a.", 1-6390 Tz. 53. 269 Zwangslizenzen werden im deutschen Patentrecht nach den § § 24, 81 ff. PatG im Zweiparteienverfahren vom Patentgericht zugesprochen. Im Fall kartellrechtlicher Belieferungspflichten muss unterschieden werden: Folgt die betreffende Vorschrift dem Verbotsprinzip, kann die bereits ex lege entstehende Pflicht auch Gegenstand einer kartellbehördlichen Verfügung sein. Ist die Vorschrift nach dem Missbrauchsprinzip ausgestaltet, entsteht die Belieferungspflicht erst mit der Behördenentscheidung.
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4. Teil: Europäisches
Recht
außer Acht, dass geistige Schutzrechte nicht als Ganzes der Erschöpfung unterliegen; lediglich einzelne Verwertungsarten werden durch das erste Inverkehrbringen mit Zustimmung des Rechtsinhabers konsumiert. a ) Deutsches Recht Im deutschen Recht gilt beispielsweise für Urheber-, Patent- und Markenrecht folgendes: 2 7 0 Gem. § 17 Abs. 2 U r h G erschöpft sich im Urheberrecht das Verbreitungsrecht „mit Ausnahme der Vermietung". 2 7 1 Das deutsche Patentgesetz enthält keine ausdrückliche Regelung. N a c h allgemeiner Auffassung erschöpft sich beim Erzeugnispatent sowohl das Recht, das geschützte Erzeugnis in Verkehr zu bringen als auch das (im Urheberrecht nicht existierende) Recht, das geschützte Erzeugnis zu gebrauchen. Beim Verfahrenspatent tritt keine Konsumtion ein. 2 7 2 Gem. § 24 Abs. 1 M a r k e n G erschöpfen sich Vertriebs- und Kennzeichnungsrecht des Markeninhabers mit dem ersten Inverkehrbringen des gekennzeichneten Gegenstands. 2 7 3 ß) Vermiet- und Verleihrecht Diese Grundsätze des deutschen Rechts gelten nicht notwendigerweise im G e meinschaftsrecht. Sie weisen aber auf eine Besonderheit der Erschöpfungslehre hin, die von den Kritikern des Gerichtshofs nicht immer beachtet wird: Erschöpfung erfasst Immaterialgüterrechte nicht insgesamt, sondern bezieht sich auf einzelne Verwertungsrechte. Die Frage der Reichweite der Erschöpfung 2 7 0 S. hierzu die grundlegende Studie von U. Joos, Die Erschöpfungslehre im Urheberrecht, 1991, die allerdings die gemeinschaftsrechtlichen Aspekte der Erschöpfungslehre ausklammert (ebenda, S. 3). 2 7 1 Die Erschöpfung des Verbreitungsrechts kann nicht dadurch eingeschränkt werden, dass von vornherein nur ein beschränktes Nutzungsrecht eingeräumt wird, z.B. in der Weise, dass eine Software nur zusammen mit einem PC vertrieben werden darf, B G H , N J W 2000, 3571 („OEM-Version"). Im Gegensatz zum Verbreitungsrecht unterliegt das Vervielfältigungsrecht nicht der Erschöpfung, s. z.B. H. Schuck, Urheber- und Urhebervertragsrecht, 2. Aufl. 2001, Rdnr.389; M. Rehbinder, Urheberrecht, 9. Aufl. 1996, S. 156. Zu den Konsequenzen im Fall kartellrechtlicher Zwangslizenzen s. unten im Zusammenhang mit dem „Magill"-Fall S. 499 ff. 272 U. Joos, Die Erschöpfungslehre im Urheberrecht, 1991, S. 44 f. 2 7 3 Die früher einhellig vertretene Auffassung, das Kennzeichnungsrecht könne sich nicht erschöpfen (umfassende Nachweise bei R. Sack, Zeichenrechtliche Grenzen des Umpackens fremder Waren, G R U R 1997, 1, 3 Fn. 23), wurde vom Gerichtshof zurückgewiesen. Auch das Kennzeichnungsrecht wird in Bezug auf die in Verkehr gebrachten Erzeugnisse verbraucht, wenn die „Umpackvoraussetzungen" (dazu unten S. 258 ff.) erfüllt sind. Nach dem Umpackvorgang darf die Marke wieder auf der umgepackten Ware angebracht werden, E u G H , 11.7.1996, Bristol-Myers Squibb u.a./Paranova, Verb. Rs. C-427/93, C-429/93 und C-436/93, Slg. 1996,1-3457,1-3529 f. Tz. 32 ff., 1-3533 f. Tz. 49 f. S. dazu R. Sack, G R U R Int. 1997,1 (4); F. Verkade, G R U R Int. 1996, 1152 f. Die Erschöpfung des Kennzeichnungsrechts bezieht sich nur auf die Marke, unter der das Erzeugnis in Verkehr gebracht wurde. Der Markeninhaber kann sich also dagegen zur Wehr setzen, dass am Produkt eine andere ihm gehörende Marke angebracht wird; s. dazu unten S. 273 ff.
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kann mitunter problematisch sein. Der Gerichtshof hatte sich mit diesem Problemkreis insbesondere in der Rechtssache „Warner Brothers" und in den Umpackfällen zu befassen. Die Entscheidung „Warner Brothers" 274 hatte die Vermietung von Videokassetten zum Gegenstand. Die entscheidende Fallfrage lautete, ob der Inhaber eines Urheberrechts die Vermietung von Videokassetten auch dann von seiner Zustimmung abhängig machen kann, wenn diese Kassetten mit seinem Einverständnis in den Verkehr gebracht worden sind. Eine Besonderheit des Falls bestand darin, dass die betreffende Videokassette in einem Land verkauft worden war, in dem damals der Vermietung nach Inverkehrbringen nicht widersprochen werden konnte (Großbritannien), die Vermietung aber in Dänemark erfolgte, das ein eigenes Vermietrecht anerkannte. Der Gerichtshof entschied, dass das Inverkehrbringen in Großbritannien keine Auswirkungen auf das Vermietrecht in Dänemark habe. 275 Ohne den Begriff der Erschöpfung zu benutzen, machte der Gerichtshof damit eine Ausnahme vom Erschöpfungsgrundsatz für die Vermietung. Das einverständliche Inverkehrbringen erschöpft nur das Verbreitungsrecht, nicht aber das Vermietrecht. 276 Als tragenden Grund führte der Gerichtshof eine marktbezogene Überlegung an. Es habe sich ein besonderer Markt für die Vermietung von Videokassetten herausgebildet, der vom Markt für den Verkauf zu unterscheiden sei. Wenn ein Vergütungsanspruch nur an den Verkauf der Kassetten geknüpft werden könnte, wäre es nicht möglich, die Filmhersteller für die Zahl der tatsächlich erfolgten Vermietungen zu entlohnen. 277 Die Entscheidung ist „als grundlegende Umkehr in der Auffassung des Gerichtshofes vom Verhältnis des Urheberrechts zum freien Warenverkehr" gedeutet worden. 278 Ihr sind Einschränkungen des Erschöpfungsgrundsatzes ent274 EuGH, 17.5.1988, Warner Brothers/Christiansen, Rs. 158/86, Slg. 1988, 2605. Bestätigt in EuGH, 28.4.1998, Metronome Musik, Rs. C-200/96, Slg. 1998,1-1953 (1-1977 f. Tz. 15 ff.); EuGH, 22.9.1998, FDV/Laserdisken, Rs. C-61/97, Slg. 1998,1-5171 (1-5194 ff. Tz. 13 ff.). 275 „Warner Brothers" Slg. 1988, 2605 (2630 Tz. 18). 276 Die Frage ist mittlerweile durch Sekundärrecht geregelt. Die Richtlinie 92/100/EWG des Rates zum Vermietrecht und Verleihrecht sowie zu bestimmten dem Urheberrecht verwandten Schutzrechten im Bereich des geistigen Eigentums vom 19.11.1992 (ABl. L 346/61) ordnet in ihrem Art. 1 Abs. 4 an, dass das Vermiet- und Verleihrecht weder durch die Veräußerung noch durch andere Verbreitungshandlungen erschöpft wird. Für das öffentliche Verleihwesen sind Ausnahmen nach Art. 5 der Richtlinie möglich; s. hierzu die Umsetzung der Richtlinie insbesondere in den § § 17 Abs. 2 und 3 (keine Erschöpfung des Vermietrechts) und 27 UrhG (zwar Erschöpfung des Verleihrechts, dennoch Vergütungsanspruch). Die Vermietung wurde nicht zu einer eigenständigen Verwertungsform ausgebaut, sondern als werkstückbezogene Verwendungsbestimmung ausgestaltet; zu diesem Unterschied s. U. Joos, Die Erschöpfungslehre im Urheberrecht, 1991, S. 203. 277 „Warner Brothers" Slg.1988, 2605 (2629 Tz. 14 f.). 278 So Generalanwalt N. Fennelly im Schlussantrag zu „Merck u.a./Primecrown u.a.", Slg. 1996,1-6341 Tz. 134.
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4. Teil: Europäisches
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nommen w o r d e n , die w e i t über die Fallfrage hinausgehen. 2 7 9 In „Merck/Primecrown" 2 8 0 hat der Gerichtshof solche Verallgemeinerungen zurückgewiesen. D e m lässt sich hinzufügen, dass den Verallgemeinerungsversuchen regelmäßig eine zu pauschale Sicht des Erschöpfungsgrundsatzes zu Grunde liegt. Für jedes Verwertungsrecht ist gesondert zu prüfen, ob Erschöpfung eintritt oder nicht. Selbst innerhalb eines im Prinzip einheitlichen Verwertungsrechts ( w i e z.B. dem urheberrechtlichen Verbreitungsrecht aus „Warner Brothers" ) kann eine differenzierte Betrachtung A u s n a h m e n von der E r s c h ö p f u n g s w i r k u n g nahe legen. Die genaue B e s t i m m u n g der Erschöpfungsreichweite für die einzelnen Verwertungsarten lässt keine Rückschlüsse auf andere Rechtsfragen der Erschöpfung zu. Insbesondere kann die Einschränkung der Erschöpfungswirkung im Interesse einzelner Verwertungsrechte nicht als A r g u m e n t für Einbrüche in die Erschöpfungslehre in anderen Zusammenhängen verwendet werden. 2 8 1 Für die Bestimmung der Erschöpfungsreichweite im Hinblick auf die einzelnen Verwertungsrechte hat der Gerichtshof in „Warner Brothers" einen wertvollen H i n w e i s gegeben. Die dem Kartellrecht entlehnte marktbezogene Betrachtungsweise ermöglicht die Entscheidung der Frage, w i e weit die Erschöpfung reicht. H a t sich innerhalb eines Verwertungsrechts ein Bereich verselbständigt, der als „besonderer M a r k t " zu qualifizieren ist, erstreckt sich die Erschöpfung nicht auf den Ausschnitt des Immaterialgüterrechts, der diesem selbständigen M a r k t zu Grunde liegt. Dies gilt insbesondere dann, w e n n die Erschöpfung dem Rechtsinhaber die Möglichkeit nehmen w ü r d e , sich eine angemessene Vergütung zu sichern. In solchen Fällen ist das Verwertungsrecht, bzw. der entsprechende Ausschnitt des Rechts von der E r s c h ö p f u n g s w i r k u n g auszunehmen. Eine solche marktbezogene Betrachtungsweise w i r d dem Grundanliegen der Erschöpfungslehre, nämlich dem Ausgleich immaterialgüterrechtlicher Befugnisse mit dem Interesse an der Verkehrsfähigkeit gerecht. Für sie spricht der U m s t a n d , dass eine flexible Reaktion auf neue M ä r k t e im Schutzbereich geistiger Eigentumsrechte möglich w i r d . y) Umpackfälle Ebenfalls dem Problemkreis der Erschöpfungsreichweite sind die U m p a c k f ä l l e zuzuordnen. In einer Reihe von Entscheidungen hatte der Gerichtshof sich mit der Frage zu befassen, ob die aus den Art. 28 und 30 EGV folgende Erschöpfung von Markenrechten auch dann fortbesteht, w e n n M e d i k a m e n t e nach dem ersten Inverkehrbringen ohne Zustimmung des Rechtsinhabers der Original-
S. dazu unten S. 264 ff. EuGH, 5.12.1996, Merck u.a./Primecrown u.a., Verb. Rs. C-267/95 und C-268/95, Slg. 1996,1-6285 (1-6387 f. Tz. 42). 281 S. dazu sogleich auf S. 261 ff. 279
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B. Immaterialgüterschutz
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packung entnommen und in andere Behältnisse umgepackt werden. 2 8 2 In „Hoffmann-La Roche/Centrafarm" hatte der Gerichtshof entschieden, dass sich der Markeninhaber im Prinzip gegen den Vertrieb umgepackter Erzeugnisse zur Wehr setzen könne. Dies gelte jedoch nicht, wenn die Geltendmachung des Markenrechts zur künstlichen Abschottung der Märkte beitrage, wenn zweitens der Originalzustand des Erzeugnisses durch das Umpacken nicht beeinträchtigt werde, wenn drittens der Markeninhaber vor dem Vertrieb des umgepackten Produkts unterrichtet werde und wenn schließlich auf der Packung ein Umpackvermerk angebracht werde. 2 8 3 Wenn diese „Umpackvoraussetzungen" eingehalten werden, bleibt es also trotz Umpackens bei der Erschöpfung des markenrechtlichen Vertriebsrechts. Dieser Umgang mit den Umpackfällen ist in ständiger Rechtsprechung bestätigt, präzisiert und ausgebaut worden. In „Bristol-Myers Squibb" und den beiden anderen am gleichen Tag ergangenen Entscheidungen hat der Gerichtshof die Erschöpfung auch auf das markenrechtliche Kennzeichnungsrecht ausgedehnt. 2 8 4 Die Entscheidungen enthalten außerdem eine bis ins Detail gehende Konkretisierung der Erschöpfungsvoraussetzungen. 2 8 5 Rechtsangleichung und die Schaffung der Gemeinschaftsmarke haben z u m Erlass markenrechtlicher Regelungen im Sekundärrecht geführt. In Art. 7 der Ersten Markenrechtsrichtlinie 2 8 6 wurde eine ausdrückliche Regelung der Erschöpfung des Markenrechts samt Ausnahmen getroffen. Mit dem Erlass der Vorschrift wurde das Ziel verfolgt, die einschlägige Rechtsprechung des Gerichtshofs zu den Art. 28 und 30 EGV umzusetzen. 2 8 7 Die Richtlinie bringt also keine Änderung des Rechtszustands mit sich. Art. 7 der Richtlinie und Art. 30 EGV sind deshalb gleich auszulegen. 2 8 8 Dies muss auch für Art. 13 der Verord2 8 2 E u G H , 23.5.1978, H o f f m a n n - L a Roche/Centrafarm, Rs. 102/77, Slg. 1978, 1139; E u G H , 3.12.1981, P f i z e r / E u r i m - P h a r m , Rs. 1/81, Slg. 1981, 2913; E u G H , 11.7.1996, BristolM y e r s S q u i b b u.a./Paranova, Verb. Rs. C-427/93, C-429/93 u n d C-436/93, Slg. 1996, 1-3457; E u G H , 11.7.1996, Eurim-Pharm/Beiersdorf u.a., Verb. R s . C - 7 1 / 9 4 , C-72/94 u n d C-73/94, Slg. 1996,1-3607; E u G H , 11.7.1996, M P A P h a r m a / R h ö n e - P o u l e n c Pharma, Rs.C-232/94, Slg. 1996,1-3671. 2 8 3 E u G H , 23.5.1978, H o f f m a n n - L a Roche/Centrafarm, Rs. 102/77, Slg. 1978, 1139 (1166 T z . 10-12). 2 8 4 N a c h w e i s e oben Fn. 282. 2 8 5 D i e fünfte Voraussetzung besteht darin, dass die A u f m a c h u n g des u m g e p a c k t e n Erzeugnisses den Ruf der M a r k e u n d ihres Inhabers nicht schädigen darf; hierzu u n d z u r A u s g e staltung der Voraussetzungen im einzelnen s. „ B r i s t o l - M y e r s S q u i b b " , Slg. 1996, 1-3541 f. Tz. 79; s. auch E u G H , 11.11.1997, Loendersloot, Rs. C-349/95, Slg. 1997, 1-6227, z u r Entfernung von I d e n t i f i k a t i o n s n u m m e r n , die der M a r k e n r e c h t s i n h a b e r auf seinen Erzeugnissen a n bringt, u m den A b s a t z w e g zu kontrollieren u n d so den Parallelhandel zu unterbinden. 2 8 6 Erste Richtlinie 89/104/EWG v o m 21.12.1988 z u r A n g l e i c h u n g der R e c h t s v o r s c h r i f t e n der Mitgliedstaaten über die M a r k e n (ABl. 1989 L 40/1). 2 8 7 S. hierzu R. Sack, Die Erschöpfung von M a r k e n r e c h t e n nach E u r o p ä i s c h e m R e c h t , R I W 1994, 8 9 7 ( 9 0 1 ) . 2 8 8 So ausdrücklich E u G H , 11.7.1996, B r i s t o l - M y e r s Squibb, Slg. 1996, 1-3531 T z . 40;
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4. Teil: Europäisches
Recht
nung über die Gemeinschaftsmarke gelten, der textgleich mit Art. 7 der Richtlinie ist. 289 Nach Art. 7 Abs. 1 der Markenrechtsrichtlinie tritt grundsätzlich Erschöpfung mit einverständlichem Inverkehrbringen ein. Nach Abs. 2 der Vorschrift gilt dies nicht, „wenn berechtigte Gründe es rechtfertigen, daß der Inhaber sich dem weiteren Vertrieb der Waren widersetzt, insbesondere wenn der Zustand der Waren nach ihrem Inverkehrbringen verändert oder verschlechtert ist." Wann ein solcher berechtigter Grund vorliegt, ist unter Heranziehung der direkt zu den Art. 28 und 30 EGV ergangenen Rechtsprechung zu bestimmen. Geringfügige Änderungen in der Etikettierung stehen der Erschöpfung nicht entgegen, insbesondere wenn sie nur der Angleichung an die Rechtsvorschriften des Einfuhrlandes dienen. 290 In den Umpackfällen liegt ein berechtigter Grund vor, wenn eine der in „Bristol-Myers Squibb" genannten Erschöpfungsvoraussetzungen nicht erfüllt ist. Erschöpfung tritt dann nicht ein. Zu beachten ist, dass die Erschöpfung nationaler Markenrechte aufgrund nationalen Rechts erfolgt. 291 Dieses nationale Recht, in Deutschland § 24 MarkenG, ist allerdings richtlinienkonform auszulegen, so dass auch in den Umpackfällen die Erschöpfung an dieselben Voraussetzungen geknüpft ist. 292 Aus den Umpackfällen können für die Erschöpfungslehre folgende Schlussfolgerungen gezogen werden. Erstens tritt Erschöpfung prinzipiell nur dann ein, wenn das in Verkehr gebrachte Erzeugnis nicht in irgendeiner Form verändert wird. Ausnahmsweise kommt es trotz Veränderung zur Erschöp-
E u G H , 4.11.1997, Parfüms Christian Dior, Rs. C-337/95, Slg. 1997,1-6013. Der Gleichlauf von Art. 7 Abs. 2 der Markenrechtslinie und der Art. 28, 30 EGV kommt auch darin zum Ausdruck, dass der Gerichtshof die im wesentlichen gleichlautenden Umpackvoraussetzungen in „Bristol-Myers Squibb" aus Art. 7 Abs. 2 der Markenrechtslinie, in den beiden anderen am gleichen Tag ergangenen Entscheidungen (Nachweise oben Fn. 282) hingegen direkt aus Art. 36 EGV (a.F.) ableitet. S. hierzu die Urteilsanmerkung von F. Verkade, G R U R Int. 1996, 1152. 289 Zur einheitlichen Auslegung übereinstimmender Regelungen in der Verordnung über die Gemeinschaftsmarke und in der Markenrichtlinie s. W. Gloy, Notwendigkeit und Grenzen der Harmonisierung des Warenzeichenrechts in der Europäischen Gemeinschaft, FS v. Gamm, 1990, S. 257 (265); R. Sack, Sonderschutz bekannter Marken, G R U R 1995, 81 (82). 290 E u G H , 20.3.1997, Phyteron International, Rs. C-352/95, Slg. 1997, 1-1729 (1-1748 f. Tz. 23). 291 Die Erschöpfung der Gemeinschaftsmarke erfolgt nach europäischem Recht, nämlich gem. Art. 13 der Verordnung über die Gemeinschaftsmarke. 292 Da die Richtlinie nicht zwischen grenzüberschreitenden und rein innerstaatlichen Sachverhalten unterscheidet, gilt das Auslegungsergebnis auch für national beschränkte Transaktionen, s. hierzu R. Sack, Zeichenrechtliche Grenzen des Umpackens fremder Waren, G R U R 1997, 1 (2). S. auch die Entscheidung des B G H vom 10.4.1997 (Az. I ZR 65/92, Köln, EuZW 1997, 476) in Reaktion auf das Vorabentscheidungsverfahren in der Rechtssache „Eurim-Pharm Arzneimittel/Beiersdorf" (oben Fn. 282): Da eine der fünf „Umpackvoraussetzungen", nämlich der Herstellerhinweis fehlte, kam es nicht zur Erschöpfung des Markenrechts, so dass der Parallelimport im Ergebnis verhindert werden konnte.
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fung, wenn fremde Waren lediglich umgepackt wurden und dabei bestimmte, präzise vom Gerichtshof festgelegte Kautelen eingehalten wurden. (4) Erschöpfung nur bei Ausnutzung eines parallelen Schutzrechts? Eine der umstrittensten Fragen des Erschöpfungsrechts ist bis jetzt nur auf dem Gebiet des Patentrechts relevant geworden. Die darin zum Ausdruck kommende Problematik ist aber nicht notwendigerweise auf das Patentrecht beschränkt. a) Grundkonstellation Ihr liegt folgende Konstellation zugrunde: Ein Erzeugnis, das in zumindest einem Mitgliedstaat durch ein Immaterialgüterrecht geschützt ist, wird in einem anderen Mitgliedstaat erstmalig in Verkehr gebracht, in dem kein paralleles Schutzrecht besteht. Die Frage, die sich in einem solchen Fall stellt, lautet: Tritt Erschöpfung grundsätzlich ein nach Inverkehrbringen des geschützten Erzeugnisses in einem beliebigen Mitgliedstaat, wenn die Zustimmung des Rechtsinhabers vorliegt? Oder ist es erforderlich, dass das Inverkehrbringen gerade unter Ausnutzung des Schutzrechts erfolgt, also keine Erschöpfung eintritt, wenn im Land des erstmaligen Inverkehrbringens kein paralleles Schutzrecht bestand? Zwei Varianten können dabei unterschieden werden. Zum einen ist es denkbar, dass der Rechtsinhaber im Land des ersten Inverkehrbringens zwar ein (paralleles) Schutzrecht hätte erwerben können, dies aber - aus welchen Gründen auch immer - nicht getan hat. Zum anderen besteht die Möglichkeit, dass das betreffende Erzeugnis im Land des ersten Inverkehrbringens überhaupt nicht schutzfähig war. ß) Standpunkt des Gerichtshofs Der Gerichtshof hat am Beispiel des Patentrechts diese zweite Variante entschieden. In „Merck/Stephar" 2 9 3 hat er Erschöpfung angenommen, auch wenn das geschützte Erzeugnis in einem Land erstmalig in Verkehr gebracht wird, in dem es nicht patentierbar war. Die Substanz des Patentrechts verleihe dem Erfinder im wesentlichen das ausschließliche Recht, das Erzeugnis als erster in den Verkehr zu bringen. Der Rechtsinhaber sei in seiner Entscheidung über den Ort dieses ersten Inverkehrbringens frei. Entscheide er sich für ein Land, in dem das betreffende Erzeugnis nicht patentierbar sei, habe er die Konsequenzen seiner Wahl, nämlich die Erschöpfung hinzunehmen. 294 Dem Gerichtshof lag noch nicht der Fall vor, dass das Erzeugnis im Land des ersten Inverkehrbringens zwar patentierbar ist, Patentschutz aber nicht in Anspruch genommen wurde. Dieser Fall kann aber nicht anders entschieden werden: Wenn Erschöpfung auch dann eintritt, wenn Patentschutz überhaupt nicht 293 294
EuGH, 14.7.1981, Merck/Stephar und Exler, Rs. 187/80, Slg. 1981, 2063. „Merck/Stephar", Slg. 1981, 2081 f. Tz. 9-11.
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zur Verfügung stand, muss sie erst recht bejaht werden, wenn prinzipiell ein Patent zu erlangen war, der R e c h t s i n h a b e r davon aber keinen G e b r a u c h gemacht hat. y) K r i t i k an „ M e r c k / S t e p h a r " D i e strenge H a n d h a b u n g der Erschöpfungslehre in „ M e r c k / S t e p h a r " ist scharf kritisiert worden. Es lassen sich vier H a u p t k r i t i k p u n k t e unterscheiden: 2 9 5 -
D i e E r s c h ö p f u n g trotz fehlender Patentierbarkeit nehme dem Erfinder die Möglichkeit, einen Ausgleich für seine Innovationsanstrengungen zu erhalten.
-
Begrifflich erscheine es nicht nachvollziehbar, dass ein R e c h t dort, w o es gar nicht bestehe, erschöpft werden könne.
-
D e r Begriff der Z u s t i m m u n g werde verkannt: Das Einverständnis
des
Rechtsinhabers habe sich nicht auf das Inverkehrbringen, sondern auf die Ausübung des Schutzrechts zu beziehen. B r i n g e der R e c h t s i n h a b e r das E r zeugnis in einem Land in Verkehr, in dem kein Schutzrecht zu erlangen sei, liege keine Zustimmung zur Ausübung des Schutzrechts vor. -
Schließlich führe die „ M e r c k / S t e p h a r " - R e c h t s p r e c h u n g zu folgendem Wertungswiderspruch: U n t e r n e h m e n würden veranlasst, das geschützte E r z e u g nis in Ländern auf den M a r k t zu bringen, in denen eine Zwangslizenz angeordnet werde. N a c h der Entscheidung „ P h a r m o n / H o e c h s t " ist in diesen F ä l len E r s c h ö p f u n g zu verneinen. In der Sache dürfte das Inverkehrbringen unter Zwangslizenz aber nicht anders behandelt werden als die Vermarktung in einem Land ohne Patentschutz, in dem (insbesondere bei Arzneimitteln) der Verkaufspreis häufig hoheitlich festgesetzt werde.
2 9 5 Ein Überblick über die Kritik an „Merck/Stephar" findet sich bei Generalanwalt N. Fennelly, in EuGH, 5.12.1996, Verb. Rs. C-267/95 und C-268/95, Merck u.a./Primecrown u.a., Slg. 1996,1-6285,1-6314 Tz. 69 Fn. 55. Zu den Kritikern zählen beispielsweise C.D. Asendorf, Zum Bestand der gewerblichen Schutzrechte im Gemeinsamen Markt, FS Nirk, 1992, S. 13 (27 f., 35 f.); P. Demaret, Patents, territorial restrictions and EEC law, 1978, S. 62 ff. (vor Erlass der ersten Aferc&-Entscheidung); N. Koch, Article 30 and the exercise of industrial property rights to block imports, 1987, S. 605 (619 f.); I. Govaere, The Use and Abuse of Intellectual Property Rights in E.C. Law, S. 164 ff.; Marenco/Banks, Intellectual Property und the Community Rules on Free Movement: Discrimination Unearthed, EL Rev. 1990, 224 (247 ff.); V. Korah, An Introductory Guide to EEC Competition Law and Practice, 4. Aufl. 1990, S. 160 f.; Chr. Heath, Zur Paralleleinfuhr patentierter Erzeugnisse, RIW 1997, 541 (544 f.). S. hierzu auch den grundlegenden, lange vor „Merck/Stephar" erschienenen Aufsatz von R. Joliet, Patented Articles and the Free Movement of Goods Within the EEC, CLP 1975, 15 ff., dazu bereits oben Fn. 246.
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6) Reaktion des Gerichtshofs Aufgrund dieser Argumente ist immer wieder eine Abkehr von „Merck/Stephar" gefordert worden. 2 9 6 In der Rechtssache „Merck u.a./Primecrown u.a." 2 9 7 hatte der Gerichtshof Gelegenheit, sich erneut mit der Problematik zu befassen. D e r Generalanwalt setzte sich umfassend mit der Kritik in der Literatur und der Stellung von „Merck/Stephar" im System der Rechtsprechung des Gerichtshofs auseinander. E r beantragte, eine Kehrtwende zu vollziehen und die „Merck/Stephar"-Rechtsprechung ausdrücklich aufzugeben. 2 9 8 Außer den oben angeführten vier allgemeinen Argumenten verwies der G e neralanwalt auf das Vorbringen der Parteien des Ausgangsverfahrens. Diese hatten darauf hingewiesen, dass die Uberspannung der Erschöpfungslehre den Rechtsinhaber dazu veranlasse, das geschützte Erzeugnis im patentrechtsfreien Land überhaupt nicht mehr zu vertreiben. Wenn er es trotzdem tue, beruhe das auf der Befürchtung, der gute Ruf des Unternehmens könne geschädigt werden, wenn ein ganzes Land von der Belieferung mit Medikamenten ausgeschlossen werde. Die Verpflichtung zur Belieferung beruhe letztlich auf moralischem Zwang. Auch dieser schließe die freie Zustimmung des Rechtsinhabers und damit die Annahme der Erschöpfungswirkung aus. 2 9 9 D e r Gerichtshof ist dem Antrag des Generalanwalts nicht gefolgt. E r hat unter Hinweis auf die bisherige Rechtsprechung festgestellt, dass der Rechtsinhaber frei entscheiden könne, in welchem Mitgliedstaat er sein Erzeugnis in Verkehr bringen wolle. Entscheide er sich für ein Land, in dem Patentschutz nicht zu erhalten sei, müsse er die Konsequenzen seiner Wahl - nämlich Erschöpfung - hinnehmen. Anderenfalls käme es zu einer vertragswidrigen Abschottung der nationalen Märkte. 3 0 0 Die Gegenargumente wies der Gerichtshof zurück. Die Zustimmung des Rechtsinhabers entfalle zwar, wenn aufgrund des nationalen oder des Gemeinschaftsrechts eine Rechtspflicht zum Inverkehrbringen bestehe. D e r Inhaber müsse aber den Beweis für das Bestehen einer solchen gesetzlichen Vermarktungsverpflichtung erbringen. Im Ausgangsfall habe eine solche
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Außer den in Fn. 295 Genannten s. z.B. W.R. Cornish,
Intellectual Property, 1996,
S. 652. 2 9 7 E u G H , 5.12.1996, Merck u.a./Primecrown u.a., Verb. Rs. C-267/95 und C-268/95, Slg. 1996,1-6285. 2 9 8 Generalanwalt N. Fennelly, Slg. 1996,1-6329 ff., Tz. 105 ff. 2 9 9 S. den Nachweis bei N. Fennelly, Slg. 1996,1-6332 f. Tz. 112. 3 0 0 E u G H , „Merck u.a./Primecrown u.a.", Slg. 1996, 1-6385 f., Tz. 32 und 36. Eine Besonderheit des Falls betraf die Artikel 47 und 209 der Beitrittsakte für Spanien und Portugal. Diese Bestimmungen schließen die Geltung der „Merck/Stephar"-Grundsätze in Bezug auf pharmazeutische Erzeugnisse für eine Ubergangszeit aus und bestätigen sie somit indirekt. Der Gerichtshof wies auf diese Tatsache hin (Slg. 1996,1-6386, Tz. 38), ohne daraus ein tragendes Argument abzuleiten.
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4. Teil: Europäisches
Recht
Rechtspflicht ersichtlich nicht bestanden. 3 0 1 Bloß moralische Verpflichtungen könnten die Freiwilligkeit der Zustimmung nicht in Frage stellen. 302 e) Stellungnahme Der Aufrechterhaltung der „Merck/Stephar"-Rechtsprechung durch „Merck/ Primecrown" ist zuzustimmen. N u r sie wird der gemeinschaftsrechtlichen Erschöpfungslehre gerecht. Die Gegenposition führt hingegen dazu, den Erschöpfungsgedanken für eine Aufgabe heranzuziehen, für die er nicht konzipiert wurde, nämlich für den Abbau von Wettbewerbsverzerrungen, die sich aus der unterschiedlichen Ausgestaltung der Immaterialgüterrechte in den Mitgliedstaaten ergeben. Den oben angeführten Hauptargumenten ist zu entgegnen: - Ausreichender Ausgleich für Innovationsanstrengungen ? Erschöpfung tritt nur bei Zustimmung zum erstmaligen Inverkehrbringen ein. Der Schutzrechtsinhaber kann also frei darüber entscheiden, ob, und wenn ja in welchem Mitgliedstaat er das geschützte Erzeugnis in Verkehr bringen möchte. Die Kalkulation, ob das Preisniveau im Mitgliedstaat des ersten Inverkehrbringens unter Berücksichtigung der Möglichkeit von Re- und Parallelimporten eine ausreichende Entlohnung für die getätigten Investitionen erlaubt, kann er seiner Entscheidung zugrundelegen. - Begriff der Erschöpfung Das begriffliche Argument überzeugt nicht. Es verkennt den territorialen Charakter nationaler Schutzrechte und ist deshalb ungenau. Die gemeinschaftsweite Erschöpfung betrifft immer die Frage, ob ein nationales Schutzrecht durch Inverkehrbringen in einem Mitgliedstaat konsumiert wird, in dem es aufgrund seiner Territorialität keine Wirkungen hat. Es gehört also geradezu zum Wesen der gemeinschaftsweiten Erschöpfung, dass Handlungen in Mitgliedstaaten relevant sind, in denen das bloß nationale Schutzrecht gar nicht besteht. - Bezugspunkt der Zustimmung Das Problem, ob sich die Zustimmung auf das bloße Inverkehrbringen oder auf die Ausübung des Schutzrechts zu beziehen hat, ist kein Argument, sondern die Umformulierung der zu beantwortenden Frage. Die häufig anzutreffende Meinung, der Gerichtshof habe den sich ursprünglich auf die Ausübung des Schutzrechts beziehenden Begriff der Zustimmung schleichend geändert, 3 0 3 EuGH, „Merck u.a./Primecrown u.a.", Slg. 1996,1-6389 f., Tz. 48-52. EuGH, „Merck u.a./Primecrown u.a.", Slg. 1996,1-6390, Tz. 53; s. dazu oben S. 254 f. 303 I. Govaere, The Use and Abuse of Intellectual Property Rights in E.C. Law, 1996, S. 165 f. unter Bezugnahme auf R. Joliet, Patented Articles and the Free Movement of Goods Within the EEC, CLP 1975, 15 (37) und Marenco/Banks, Intellectual Property und the Community Rules on Free Movement: Discrimination Unearthed, EL Rev. 1990, 224 (247 f.). 301
302
B. Immaterialgüterschutz
und
265
Grundfreiheiten
trifft nicht zu. S c h o n in „ D e u t s c h e G r a m m o p h o n / M e t r o " bezieht sich der B e griff der Zustimmung allein auf das Inverkehrbringen. 3 0 4
-
Wertungswidersprüche
I. Govaere
hat den Vorwurf des Wertungswiderspruchs ausgebaut. 3 0 5 W e r sein
geschütztes Erzeugnis in einem schutzrechtsfreien L a n d in Verkehr bringe, stärke den inter-brand-Wettbewerb, werde aber durch „Merck/Stephar" dafür mit E r s c h ö p f u n g bestraft. Wer dagegen den inter-brand-Wettbewerb dadurch schwäche, dass er das schutzrechtsfreie Land überhaupt nicht beliefert, werde höchstens durch Zwangslizenzen H o e c h s t " nicht
sanktioniert, die aber nach
„Pharmon/
zur E r s c h ö p f u n g führen. D e r Schutzrechtsinhaber werde also
systemwidrig für wettbewerbsschwächendes Verhalten belohnt. Dies dürfe nicht sein; der Widerspruch sei durch Versagung der E r s c h ö p f u n g bei Inverkehrbringen in schutzrechtsfreien Ländern aufzulösen. D e r K r i t i k Govaeres
ist zuzugestehen, dass Wertungswidersprüche in der
Tat nicht zu leugnen sind. U r s a c h e dieser Wertungswidersprüche ist aber nicht die Ausgestaltung der Erschöpfungslehre durch den Gerichtshof, sondern die Regelungsunterschiede zwischen den Mitgliedstaaten auf dem G e b i e t des I m materialgüterschutzes. Änderungen der Erschöpfungsgrundsätze sind nicht das geeignete Mittel, um diese Widersprüche aufzulösen. Dies sei durch eine Parallele zum Sacheigentum verdeutlicht: A u c h für schutzrechtsfreie P r o d u k t e kann das Preisniveau in der G e m e i n schaft höchst unterschiedlich sein. In solchen Fällen ergibt sich eine Situation, die mit der Konstellation von Schutzrechtsunterschieden vergleichbar ist. Bringt der Sacheigentümer das P r o d u k t in einem Mitgliedstaat mit niedrigem Preisniveau in den Verkehr, wird er für diese Stärkung des inter-brand-Wettbewerbs ebenfalls bestraft, nämlich mit der Möglichkeit von R e i m p o r t e n in h o c h preisige Mitgliedstaaten. Wenn er dagegen den i n t e r - b r a n d - W e t t b e w e r b dadurch schwächt, dass er das niedrigpreisige Land überhaupt nicht beliefert, wird er dadurch belohnt, dass R e i m p o r t e nicht möglich sind und kein Preisdruck nach unten in den hochpreisigen Ländern entsteht. D e r Sacheigentümer kann frei entscheiden, welcher Weg ihm gewinnbringender erscheint. D a s Beispiel zeigt, dass im B i n n e n m a r k t die Kategorien v o n „ B e l o h n u n g " und „ B e s t r a f u n g " für wettbewerbshemmendes, bzw. -förderndes Verhalten nicht passen. D i e „ B e l o h n u n g " im Binnenmarkt besteht darin, dass A r t . 28 E G V den M a r k t b ü r g e r n die Freiheit verschafft, ein P r o d u k t an einem beliebigen O r t in der Gemeinschaft in den Verkehr zu bringen. D i e „ B e s t r a f u n g " besteht darin, dass nach Inverkehrbringen das P r o d u k t frei in der gesamten G e meinschaft zirkulieren kann. In dieser Beziehung besteht kein U n t e r s c h i e d EuGH, 8.6.1971, Deutsche Grammophon/Metro, Rs. 78/70, Slg. 1971,487 (500 Tz. 12). I. Govaere, The Use and Abuse of Intellectual Property Rights in E.C. Law, 1996, S. 164 ff. 304 305
266
4. Teil: Europäisches
Recht
zwischen geistigem u n d Sacheigentum. Einverständliches Inverkehrbringen und Erschöpfung sind zwei nicht voneinander zu trennende Seiten der gemeinschaftsrechtlichen Warenverkehrsfreiheit. - Konsequenzen des Abgehens vom Zustimmungsprinzip Begnügt man sich für die Erschöpfung nicht mit der Z u s t i m m u n g des Rechtsinhabers z u m ersten Inverkehrbringen, steht der A u s h ö h l u n g des Erschöpfungsgrundsatzes nichts im Weg. Teilweise w u r d e - in Ablehnung der Entscheidung „Musik-Vertrieb m e m b r a n " 3 0 6 - die Auffassung vertreten, Erschöpfung entfalle bereits dann, w e n n der Rechtsinhaber im Ausfuhrstaat einer Beschränkung bei der Preisgestaltung unterliege. 3 0 7 Konsequent w ä r e es auf dieser Linie, nicht bei staatlichen Preisregulierungen stehen zu bleiben, sondern die Erschöpfung bei jeder F o r m staatlicher Regulierung zu verneinen, die in irgendeiner Beziehung in die Vermarktungsfreiheit des Rechtsinhabers eingreift. Angesichts der Fülle staatlicher Vorschriften käme dies einer Abschaffung des Erschöpfungsgrundsatzes gleich. Dass die Konditionierung der Erschöpfung an andere U m s t ä n d e als die Zustimmung des Rechtsinhabers dem Konsumtionsgedanken fremd ist, zeigt auch ein Blick auf das deutsche Recht. Dort ist anerkannt, dass die Erschöpfung auf dem konsentierten Inverkehrbringen beruht u n d nicht von sonstigen U m s t ä n den abhängig gemacht w e r d e n kann. 3 0 8 Für das gemeinschaftsrechtliche Konzept der Erschöpfung kann nichts anderes gelten. Ein Abgehen vom eng gefassten Z u s t i m m u n g s k r i t e r i u m w ü r d e zu unabsehbaren Einbrüchen in die Erschöpfungslehre führen. - Inkonsistenz der Rechtsprechung? Der so häufig von Kritikern behauptete Widerspruch zwischen „Merck/Step h a r " und anderen Entscheidungen des Gerichtshofs besteht nicht. 3 0 9 Der U n terschied zu „Pharmon/Hoechst" 3 1 0 besteht darin, dass das Inverkehrbringen unter einer Zwangslizenz nicht auf einer freiwilligen Zustimmung des Rechtsinhabers beruht. Der Unterschied zu „Warner Brothers" 3 1 1 besteht darin, dass hier eine gesonderte Betrachtung verschiedener Verwertungsrechte stattfand. 306
147.
EuGH, 20.1.1981, Musik-Vertrieb membran/GEMA, Verb. Rs. 55 und 57/80, Slg. 1981,
P. Demaret, Patents, Territorial Restrictions, and EEC law, 1978, S. 69. S. hierzu K. Bruchhausen, in Benkard § 9 PatG Rdnr. 17; M. Rehbinder, Urheberrecht, 9. Aufl. 1996, S. 151 ff. 309 Widersprüche werden behauptet z.B. von Marenco/Banks, Intellectual Property und the Community Rules on Free Movement: Discrimination Unearthed, EL Rev. 1990, 224 (250); I. Govaere, The Use and Abuse of Intellectual Property Rights in E.C. Law, 1996, S. 190 f. 310 EuGH, 9.7.1985, Pharmon/Hoechst, Rs. 19/84, Slg. 1985, 2281. 311 EuGH, 17.5.1988, Warner Brothers/Christiansen, Rs. 158/86, Slg. 1988, 2605; s. dazu schon oben S. 256 ff. 307
308
B. Immaterialgüterscbutz
und
Grundfreibeiten
267
Das Vermietrecht wurde nicht dem Verbreitungsrecht zugewiesen, sondern als „besonderer Markt" 3 1 2 qualifiziert. Diese differenzierte Sicht des Vermietrechts erlaubt keine Rückschlüsse auf die Frage der Erschöpfung geschützter Erzeugnisse, die in schutzrechtsfreien Ländern in Verkehr gebracht werden. - Schutzangleichung auf niedrigstem Niveauf In seinem Schlussantrag in der Rechtssache „Merck u.a./Primecrown u.a." hat Generalanwalt N. Fennelly folgende These vertreten: Die „Merck/Stephar"Grundsätze liefen darauf hinaus, dass die schutzfreundlichere Regelung des einführenden Mitgliedstaats an die weniger schutzfreundliche Regelung des ausführenden Mitgliedstaats angeglichen werde. 313 Die frühere spanische und portugiesische Rechtspolitik der Nichtpatentierbarkeit pharmazeutischer Erzeugnisse werde den anderen Mitgliedstaaten aufgezwungen.314 Dieser These kann nicht zugestimmt werden. Die Annahme von Erschöpfung in der „Merck/Stephar"-Konstellation hat die Länder mit Patentschutz nicht dazu veranlasst, ihr Schutzniveau nach unten zu korrigieren. Die einzige Einbuße an Schutz betraf diejenigen Erzeugnisse, die mit Einverständnis des Schutzrechtsinhabers in den schutzrechtsfreien Mitgliedstaaten in Verkehr gebracht worden waren. Die Annahme von Erschöpfung in diesen Fällen hatte allein die Frage zum Gegenstand, ob solche Erzeugnisse frei in der Gemeinschaft zirkulieren sollen oder nicht. Entgegen der These von der Schutzangleichung auf niedrigstem Niveau hat die Annahme von Erschöpfung zu rechtspolitischem Druck hin zum Schutz auf hohem Niveau geführt. In allen Mitgliedstaaten der E U besteht heute auf dem hier besonders interessierenden Gebiet der Pharmazeutika die Möglichkeit von Patentschutz. 315 y Ergebnis Das Prinzip der Erschöpfung geistiger Eigentumsrechte ist nicht der geeignete Ort, um Wettbewerbsverzerrungen zu beseitigen, die aus Schutzunterschieden zwischen den nationalen Immaterialgütergesetzgebungen resultieren. Das richtige Mittel für Fortschritte in diesem Bereich ist die Rechtsangleichung. Wenn in allen Mitgliedstaaten Arzneimittel patentierbar sind, stellt sich die „Merck/ Step har"-Problematik nicht mehr. „Warner Brothers" Slg. 1988, 2605 (2629 Tz. 14). N. Fennelly, „Merck u.a./Primecrown u.a.", Slg. 1996,1-6342, Tz. 135, im Anschluss an R.Joliet, Geistiges Eigentum und freier Warenverkehr, G R U R Int. 1989, 177 (179). 314 N. Fennelly, ebenda. 3 1 5 Diese Entwicklung hat auch die Weltebene erreicht. Art. 27 Abs. 1 TRIPs-Abkommen schreibt den WTO-Mitgliedern Patentschutz „auf allen Gebieten der Technik", d.h. auch für Pharmazeutika vor. Auch wenn für bestimmte Ländergruppen großzügig bemessene Ubergangsregelungen bestehen (Art. 65 Abs. 2 bis 4 und Art. 66 TRIPs, s. aber auch Art. 70 Abs. 8 und 9 TRIPs), wird das TRIPs-Abkommen dazu führen, dass nach Ablauf der Ubergangsfristen weltweit Patentschutz für Medikamente erhältlich sein wird. 312
313
268
4. Teil: Europäisches
Recht
Inkonsequenzen im Bereich der Erschöpfung sind hingegen nicht geeignet, Rechtsunterschiede zwischen den Mitgliedstaaten zu korrigieren. Im Interesse der Rechtsklarheit darf die Erschöpfung nicht an weitere Voraussetzungen als an die Zustimmung zum ersten Inverkehrbringen geknüpft werden. N u r das Merkmal der freiwilligen Zustimmung ermöglicht eine sichere Klärung der Frage, ob Erschöpfung zu bejahen oder zu verneinen ist. 316 Der Rechtsprechung des EuGH in dieser Frage ist also zuzustimmen. 3 1 7 (5) Inverkehrbringen nach Schutzfristablauf Folgt man der Auffassung des Gerichtshofs, dass Erschöpfung auch dann eintritt, wenn das Erzeugnis in einem schutzrechtsfreien Mitgliedstaat in Verkehr gebracht wird, ist die Antwort auf eine verwandte Problemstellung präjudiziert: Erschöpfung ist dann konsequenterweise auch anzunehmen, wenn im Land des Inverkehrbringens ein paralleles Schutzrecht bestand, die Schutzfrist aber abgelaufen ist. Diesem Ergebnis steht die Entscheidung des Gerichtshofs in der Rechtssache „EMI/Patricia" 318 nicht entgegen. Dort wurde zwar die Erschöpfung in Bezug auf Erzeugnisse verneint, die im Ausfuhrmitgliedstaat nach Ablauf der urheberrechtlichen Schutzfrist in Verkehr gebracht worden waren. Der Grund für die Versagung der Erschöpfung bestand aber darin, dass das Inverkehrbringen nicht mit Zustimmung des Rechtsinhabers erfolgt war. 3 1 9 Hätte diese Zustimmung vorgelegen, wäre die Erschöpfung zweifelsfrei zu bejahen gewesen. (6) Von der gemeinschaftsweiten zur EWR-weiten Erschöpfung Mit dem Abkommen über den Europäischen Wirtschaftsraum ( E W R - A b k o m men) 3 2 0 sind EG und EGKS sowie ihre Mitgliedstaaten und die EFTA-Länder eine enge Assoziation eingegangen, die nach Art. 1 Abs. 2 des Abkommens auch auf die Verwirklichung der vier Grundfreiheiten zwischen den EWR-Vertragsparteien gerichtet ist. 321 Dies hat Konsequenzen auch für die Frage der Er-
316 F.-K. Beier, Gewerblicher Rechtsschutz und freier Warenverkehr im europäischen Binnenmarkt und im Verkehr mit Drittstaaten, GRUR Int. 1989, 603 (612 ff.). 317 So auch C. Freytag, Parallelimporte nach EG- und WTO-Recht, 2001, S. 64 f. 318 EuGH, 24.1.1989, EMI Electrola/Patricia Im- und Export, Rs. 341/87, Slg. 1989, 79. 319 „EMI/Patricia" Slg. 1989, 79 (96 Tz. 10). 320 Vom 2.5.1992 (BGBl. 1993 II S.267, in der Fassung des Anpassungsprotokolls vom 17.3.1993, BGBl. II S. 1294), in Kraft getreten am 1.1.1994 (BGBl. II S. 515), s. hierzu A. Bleckmann, Europarecht, 6. Aufl. 1997, Rdnr. 1372 ff. 321 Neben den 15 EU-Mitgliedstaaten sind die drei EFTA-Staaten Island, Liechtenstein und Norwegen (nicht aber die Schweiz) Vertragspartei des EWR-Abkommens. Das Schweizer Recht erkennt die internationale Erschöpfung im Markenrecht und Urheberrecht an, im Patentrecht gilt hingegen nationale Erschöpfung, s. C. Baudenbacher, Erschöpfung der Immaterialgüterrechte in der EFTA und die Rechtslage in der EU, GRUR Int. 2000, 584 ff.; Knaakl Joller, Die Beurteilung von Parallelimporten im schweizerischen Patent-, Urheber- und Mar-
B. Immaterialgüterschutz
und
Grundfreiheiten
269
Schöpfung geistiger Eigentumsrechte. Für übliche Freihandelsabkommen ist anerkannt, dass sie keinen Anlass zur Abweichung vom Grundsatz der gemeinschaftsweiten Erschöpfung geben. Bringt der Rechtsinhaber das geschützte Erzeugnis im Partnerland in den Verkehr, fordert europäisches Recht nicht die Konsumtion seiner parallelen Schutzrechte in der Gemeinschaft. 322 Mit dem EWR-Abkommen wurde hingegen eine neue Qualität erreicht. Diese erreicht zwar nicht die Stufe des Binnenmarktes, geht aber über eine bloße Freihandelszone dadurch hinaus, dass die Verwirklichung der Grundfreiheiten und die Übernahme zahlreicher Rechtsvorschriften angeordnet werden. Die Art. 11 und 13 des EWR-Abkommens entsprechen den Art. 28 und 30 EGV. Das dem EWR-Abkommen beiliegende Protokoll 28 enthält nähere Einzelheiten zur Anwendung der Verkehrsfreiheiten auf das Recht des geistigen Eigentums. 323 Art. 2 des Protokolls enthält eine ausdrückliche Regelung der Erschöpfung in Form eines Verweises auf Gemeinschaftsrecht: Die Vertragsparteien haben sich nach den Erschöpfungsgrundsätzen des Gemeinschaftsrechts zu richten, wie sie in Rechtsetzung und Rechtsprechung zum Ausdruck kommen. 324 Die oben zunächst nur für die Gemeinschaft entwickelten Grundsätze sind deshalb nach Inkrafttreten des EWR-Abkommens auch für das Verhältnis der EU-Mitgliedstaaten zu den beteiligten EFTA-Staaten anwendbar. Aus den Art. 11 und 13 des EWR-Abkommens in Verbindung mit Art. 2 des Prokolls 28 folgt deshalb, dass die Erschöpfung von Immaterialgüterrechten „EWR-weit" erfolgt. Wird ein geschütztes Erzeugnis mit Zustimmung des Rechtsinhabers in einem beliebigen EWR-Vertragsstaat in den Verkehr gebracht, sind alle parallelen Schutzrechte in den übrigen EWR-Vertragsstaaten
kenrecht, W R P 2000, 1089 ff.; R. Zäch, Schweizerisches Kartellrecht, 1999, S. 132 ff.; D. Jositsch, Die internationale Erschöpfung im Patentrecht, N Z Z v. 31.3. 1998, S. 25. 322 Selbst wenn der Wortlaut der Freihandelsabkommen mit den Art. 28 und 30 EGV übereinstimmt: E u G H , 9.2.1982, Polydor/Harlequin, Rs.270/80, Slg. 1982, 329, 348 f., Tz. 15 ff. Kritisch hierzu S. Soltysinski (International Exhaustion of Intellectual Property Rights under the TRIPs, the E C Law and the Europe Agreements, G R U R Int. 1996, 316, 321 ff.), der für Erschöpfungswirkung zumindest im Verhältnis zu den durch Europa-Abkommen assoziierten Staaten Mittel- und Osteuropas plädiert. Differenzierend C. Freytag, Parallelimporte nach EG- und WTO-Recht, 2001, S. 96 ff. 323 Gem. Art. 119 EWR-Abkommen sind auch die Protokolle Bestandteil des Abkommens. 324 Die Rechtsprechung (nämlich die „einschlägigen Entscheidungen des Gerichtshofs") ist allerdings nur bis zum Zeitpunkt der Unterzeichnung des EWR-Abkommens maßgebend. So ist beispielsweise die ftttoxeite-Entscheidung des Gerichtshofs (s.u. Fn. 328) nicht bindend. Die EFTA-Staaten sind trotz EWR-Abkommen frei, internationale Erschöpfung im Markenrecht anzunehmen, so der EFTA-Gerichtshof, 3.12.1997, Fall E-2/97, Mag Instrument/ California Trading Company N o r w a y („Maglite"), Tz. 22. Zum Verhältnis von Silhouette und Maglite s. C. Freytag, Parallelimporte nach EG- und WTO-Recht, 2001, S. 162 ff. Zur Geltung internationaler Erschöpfung im schweizerischen Marken- und Urheberrecht s. die Nachweise oben Fn. 321.
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4. Teil: Europäisches
Recht
verbraucht. Der Grundsatz der gemeinschaftsweiten Erschöpfung ist also durch das Prinzip der EWR-weiten Erschöpfung abgelöst worden. 3 2 5 (7) Internationale Erschöpfung? Eine darüber hinausgehende Pflicht zur Erstreckung der Erschöpfung auf Vorgänge, die außerhalb des EWR stattfinden, besteht nicht. Eine europarechtliche Pflicht zur Annahme internationaler Erschöpfung ist wegen der Nichtanwendbarkeit der Grundfreiheiten auf Vorgänge außerhalb des EWR zu verneinen. So ist die Abschaffung des Grundsatzes der internationalen Erschöpfung im deutschen Markenrecht durch das am 1.1.1995 in Kraft getretene Markengesetz gemeinschaftsrechtskonform. 326 Auf dem Gebiet des Markenrechts geht der Gerichtshof sogar soweit, aus den Artikeln 5 und 7 der Ersten Markenrechtslinie 327 ein Verbot der Annahme internationaler Erschöpfung abzuleiten. Die genannten Vorschriften bezweckten eine umfassende Harmonisierung des nationalen Markenrechts. Mögliche Ausnahmen seien ausdrücklich, insbesondere in Art. 5 Abs. 2 der Richtlinie aufgeführt. Könnten einige Mitgliedstaaten internationale Erschöpfung vorsehen, während in anderen Mitgliedstaaten der Grundsatz der EWR-weiten Erschöpfung gelte, seien Behinderungen des freien Waren- und Dienstleistungsverkehrs die Folge. Den Mitgliedstaaten stehe deshalb die Annahme internationaler Erschöpfung nicht mehr frei. 328 Der Streit um die internationale Erschöpfung im Markenrecht muss hiermit als autoritativ gelöst gelten. 329 Inhaltliche Bedenken werden hierdurch aller325
Zur EWR-weiten Erschöpfung von Markenrechten s. R. Sack, Die Erschöpfung von Markenrechten nach Europäischem Recht, R I W 1994, 897 ff. 326 S. hierzu B G H , Urt. v. 14.12.1995, N J W 1996, 994 („Gefärbte Jeans"). 327 Erste Richtlinie 89/104/EG zur Angleichung der Rechtsvorschriften der Mitgliedstaaten über die Marken, Abi. 1989 L 40/1. 328 E u G H , 16.7.1998, Silhouette International Schmied, Rs. C-355/96, Slg. 1998,1-4799,14830 f., Tz. 22-27. In diesem Sinne bereits R. Klaka, Erschöpfung und Verwirkung im Licht des Markenrechtsreformgesetzes, G R U R 1994, 321 (323 ff.); G. Pickrahn, Die Bekämpfung von Parallelimporten nach dem neuen Markengesetz, G R U R 1996, 383 (384). In der Rechtssache Sebago hat der Gerichtshof präzisiert, dass sich die Erschöpfung nur auf die konkreten Exemplare bezieht, die mit Zustimmung des Rechtsinhabers innerhalb des EWR in Verkehr gebracht wurden. Werden gleichzeitig identische Waren außerhalb des EWR in Verkehr gebracht, tritt insoweit Erschöpfung nicht ein: E u G H , 1.7.1999, Sebago und Maison Dubois, C 173/98, Slg 1999,1-4103 (1-4121 f. Tz. 19-21). 329 In diesem Sinne auch zum Urheberrecht EuG, 16.12.1999, Micro Leader/Kommission, T-198/98, Slg. 1999, 11-3989 (11-4003 Tz. 34): Microsoft ging gegen Parallellimporte französischsprachiger Software von Kanada nach Frankreich vor, die von der Gesellschaft Micro Leader Business durchgeführt wurden. Das Gericht erster Instanz geht unter Hinweis auf Art. 4 c) der Computerprogramm-Richtlinie (91/250/EWG, ABl. 1991 L 122/42) ohne nähere Prüfung der nationalen Rechtslage davon aus, dass keine internationale Erschöpfung des Urheberrechts an Software vorliegt. Die Verhinderung von Parallelimporten wird als Argument herangezogen, die Annahme einer Verhaltenskoordinierung i.S. von Art. 81 Abs. 1 EGV abzulehnen. Allerdings wirft das Gericht der Kommission einen offensichtlichen Ermessensfehler
B. Immaterialgüterschutz
und
271
Grundfreiheiten
dings nicht entkräftet. Markenrecht wird endgültig zum Instrument zur Verhinderung von Re- und Parallelimporten und damit zur Marktabschottung im Verhältnis E W R zu Drittländern. 3 3 0 Die einzige Möglichkeit zur Verhinderung solcher Marktsegmentierungen besteht nun im Abschluss völkerrechtlicher Vereinbarungen, welche die Erschöpfungswirkungen des Art. 7 Markenrechtsrichtlinie ausdehnen. 331 Die Ausklammerung von Erschöpfungsfragen in Art. 6 T R I P s - A b k o m m e n lässt hier in nächster Zeit allerdings keine Entwicklungen erwarten. 3 3 2 Allerdings hat der EFTA-Gerichtshof im Hinblick auf die E F T A Staaten entschieden, dass diese trotz des E W R - A b k o m m e n s frei seien in der Annahme internationaler Erschöpfung. 3 3 3 5. Keine willkürliche Diskriminierung des Handels (Art. 30 S. 2 EGV)
oder verschleierte
Beschränkung
Die bisherige Untersuchung hat ergeben, dass nationale Schutzrechte aufgrund ihrer territorialen Begrenzung Maßnahmen gleicher Wirkung wie mengenmäßige Beschränkungen i.S. von Art. 28 E G V sind. Gem. Art. 30 S. 1 E G V können solche Beschränkungen zum Schutz des gewerblichen und kommerziellen Eigentums gerechtfertigt sein. Die Voraussetzungen dieser Rechtfertigung hat der Gerichtshof in der immaterialgüterrechtlichen Trias konkretisiert. Für den Prozess der Rechtsanwendung kommt der Trennung von Bestand und Ausübung keine Funktion zu. Von erheblicher Bedeutung sind dagegen die beiden anderen Elemente: Eine Rechtfertigung ist nur zum Schutz des spezifischen Gegenstands des jeweiligen Schutzrechts möglich. Da zum spezifischen Gegenstand jeweils nur das Recht zum ersten Inverkehrbringen gehört, tritt mit diesem Vorbei der Prüfung von Art. 82 E G V vor: Da Microsoft
offensichtlich unterschiedliche Preise für
identische Software in Kanada und Frankreich verlangt, hätte die Kommission das Vorliegen eines Preismissbrauchs näher untersuchen müssen. 3 3 0 Kritisch zum Abgehen vom Grundsatz der internationalen Erschöpfung im Markenrecht F.-K. Beier, Gewerblicher Rechtsschutz und freier Warenverkehr im europäischen Binnenmarkt und im Verkehr mit Drittstaaten, G R U R Int. 1989, 603 (613 ff.); H. Cohen Jehoram, Prohibition of Parallel Imports Through Intellectual Property Rights, HC 1999,495 ff.; C. Th. Ebenroth, Gewerblicher Rechtsschutz und europäische Warenverkehrsfreiheit, 1992, S. 29 Rdnr. 26; A. Ohly, Trade Marks and Parallel Importation - Recent Developments in European Law, HC 1999, 512 ff.; H. Ullrich, Lizenzkartellrecht auf dem Weg zur Mitte, G R U R Int. 1996, 555 (564 Fn. 125): „Vielmehr handelt es sich nunmehr um eine verbraucherfeindliche, industrieprotektionistische Maßnahme, die in gleicher Weise den freien Handel und Wettbewerb desavouiert wie einst die Schutzzölle die Gewerbefreiheit gegenüber den Kartellen". Zu den Auswirkungen des Abgehens von der internationalen Erschöpfung im Wirtschaftsverkehr s. N Z Z v. 8.1.1998, S. 21: „Zäune um den EU-Binnenmarkt - Das Markenrecht zum Nachteil der Konsumenten". Für die Annahme von Erschöpfung beim Handel mit Gebrauchtwaren H.P. Kunz-Hallstein, Internationale Erschöpfung von Markenrechten - auch im Gebrauchtwarenhandel?, FS Fikentscher, 1998, S. 931 ff. 3 3 1 Daurauf weist der Gerichtshof ausdrücklich hin: E u G H , „Silhouette" (oben Fn. 328), Slg. 1998, 1-4832 Tz. 30. 3 3 2 Zu Art. 6 T R I P s s. unten S. 575 ff. 3 3 3 Oben Fn. 324.
272
4. Teil: Europäisches
Recht
gang Erschöpfung ein. Die Geltendmachung des Schutzrechts gegen weitere Transaktionen ist nicht mehr von Art. 30 S. 1 EGV gedeckt und demnach gem. Art. 28 EGV verboten. a) Eigenständige
Bedeutung
der Vorschrift im
Immaterialgüterrecht
Nach dem Wortlaut von Art. 30 EGV müsste sich an diese Überlegungen die Prüfung der Frage anschließen, ob die im Prinzip zum Schutz des geistigen Eigentums gerechtfertigte Handelsbeschränkung nach Art. 30 S. 2 EGV dennoch verboten ist, weil hinter ihr eine willkürliche Diskriminierung oder eine verschleierte Beschränkung des innergemeinschaftlichen Handels steckt. In der Praxis des Gerichtshofs werden diese beiden Merkmale immer wieder angesprochen. Die entsprechenden Erwägungen finden allerdings häufig im Zusammenhang mit dem Begriff des spezifischen Gegenstands statt. 334 Der spezifische Gegenstand erweist sich damit als Konzept, in dem nicht nur Art. 30 S. 1 EGV, sondern auch Teile von Satz 2 der Vorschrift berücksichtigt sind. Besonders deutlich wird dies in den Zwangslizenzfällen. Der Gerichtshof führte dort aus, dass der spezifische Gegenstand geistiger Eigentumsrechte die Diskriminierung von Erzeugnissen aus anderen Mitgliedstaaten nicht rechtfertigen kann. 335 Die Diskriminierung von Produkten aus dem EU-(bzw. EWR-) Ausland ist demnach eine Maßnahme, die nicht vom spezifischen Gegenstand des jeweiligen Schutzrechts gedeckt ist. Damit entfällt eine Rechtfertigung nach Art. 30 S. 1 EGV; es bleibt beim Verbot des Art. 28 EGV. Die Prüfung von Art. 30 S. 2 EGV entfällt. Der willkürlichen Diskriminierung i.S. von Art. 30 S. 2 EGV kommt damit keine Bedeutung zu, die über die Berücksichtigung im Rahmen der Lehre vom spezifischen Gegenstand hinausgeht. Obwohl Art. 30 EGV im allgemeinen nicht-diskriminierende und diskriminierende staatliche Maßnahmen zu rechtfertigen vermag, 336 sind im Bereich des Immaterialgüterschutzes Diskriminierungen aufgrund nationaler Schutzrechte nicht rechtfertigungsfähig. Im Bereich des geistigen Eigentums ist damit derjenige Teil von Art. 30 S. 2 EGV, der sich auf die willkürliche Diskriminierung bezieht, durch die Lehre vom spezifischen Gegenstand absorbiert.
334 Schon in „Deutsche Grammophon/Metro" werden spezifischer Gegenstand und Erschöpfung mit der Vermeidung willkürlicher Diskriminierungen und verschleierter Beschränkungen begründet (EuGH, 8.6.1971, Rs. 78/70, Slg. 1971, 487, 499 f. Tz. 9-13). 335 EuGH, 18.2.1992, Kommission/Italien, Rs. C-235/89, Slg. 1992,1-777 (1-826 Tz. 24 f.); EuGH, 18.2.1992, Kommission/Vereinigtes Königreich, Rs. C-30/90, Slg. 1992, 1-829 (1-867 Tz. 28 f.); EuGH, 27.10.1992, Generics und Harris Pharmaceuticals, Rs. C-191/90, Slg. 1992,15335 (1-5375 Tz. 24). 3 3 6 S. oben S. 232.
B. Immaterialgüterschutz
b) Verschleierte
und
Grundfreiheiten
273
Handelsbeschränkung
Anders verhält es sich mit dem Merkmal der verschleierten Beschränkung des Handels zwischen den Mitgliedstaaten. Ihm werden Anforderungen entnommen, die über die Lehre vom spezifischen Gegenstand hinausgehen. (1) „Centrafarm" Besonders deutlich wird dies in der Entscheidung „Centrafarm/American H o m e Products Corporation", welche die Problematik verschiedener Marken in den Mitgliedstaaten für dasselbe Produkt zum Gegenstand hatte. 337 Dem Fall lag folgender Sachverhalt zugrunde: American H o m e Products Corporation (im folgenden: AHPC), ein pharmazeutisches Unternehmen, verwendete für ein (im wesentlichen) gleiches Produkt verschiedene Warenzeichen in den Mitgliedstaaten der Gemeinschaft. Centrafarm kaufte die in Großbritannien unter der Marke „Serenid D " in Verkehr gebrachten Heilmittel auf und vertrieb sie in den Niederlanden unter der Marke „Seresta", dem von A H P C in den Niederlanden verwendeten Warenzeichen. Zu diesem Zweck packte Centrafarm das Medikament um und versah es mit der in den Niederlanden verwendeten Marke. A H P C setzte sich dagegen unter Berufung auf ihr Recht an der Marke „Seresta" zur Wehr. Der Gerichtshof entschied, dass zum spezifischen Gegenstand des Warenzeichenrechts das Recht gehört, Dritte an der Anbringung einer Marke auch dann zu hindern, wenn die Ware vom Markeninhaber unter einer anderen Marke in den Verkehr gebracht worden ist. Der Gerichtshof gab damit unter Berufung auf Art. 36 S. 1 EGV (a.F.) der Markeninhaberin Recht. 338 An diese Feststellung schloss er eine eigenständige Prüfung von Art. 36 S. 2 E G V (a.F.) an. Die im Prinzip vorliegende Rechtfertigung nach Art. 36 S. 1 EGV (a.F.) könne wegen einer „verschleierte(n) Beschränkung des Handels zwischen den Mitgliedstaaten" entfallen. Zwar gebe es legitime Gründe für den Hersteller einer Ware, in mehreren Mitgliedstaaten unterschiedliche Warenzeichen für die gleiche Ware zu verwenden. Es sei aber auch denkbar, dass der Markeninhaber damit eine künstliche Abschottung der Märkte bezwecke. In einem solchen Fall liege eine verschleierte Beschränkung i.S. von Art. 36 S. 2 EGV (a.F.) vor. Die erforderliche Sachverhaltsaufklärung obliege dem vorlegenden Gericht. 339 (2) „Keurkoop" Ein anderer Beispielsfall sind Einfuhrbeschränkungen, die auf verbotenen Kartellen beruhen. In „Keurkoop/Nancy Kean Gifts" 3 4 0 stellte der Gerichtshof in 337 E u G H , 10.10.1978, Centrafarm/American H o m e Products Corporation, Rs. 3/78, Slg. 1978, 1823. 338 Slg. 1978, 1823 (1840 f. Tz. 11-18). 339 Slg. 1978, 1823 (1841 f. Tz. 19-23). 340 E u G H , 14.9.1982, Keurkoop/Nancy Kean Gifts, Rs. 144/81, Slg. 1982, 2853.
274
4. Teil: Europäisches
Recht
Bezug auf die Verschleierung von zwischenstaatlichen Handelsbeschränkungen fest: „Außerdem könnte sich der Inhaber eines ausschließlichen Rechts nicht auf sein R e c h t berufen, wenn das Einfuhr- oder Vertriebsverbot, das er geltend machen will, mit einem Kartell in Zusammenhang steht, durch das der Wettbewerb in der Gemeinschaft unter Verstoß gegen die Vorschriften des Vertrages und insbesondere gegen Artikel 85 beschränkt würde." 3 4 1
Bemerkenswert ist, dass es in dieser Aussage zu einer direkten gegenseitigen Inbezugsetzung von Immaterialgüterrecht, Grundfreiheiten und Wettbewerbsregeln kommt: Eine immaterialgüterrechtliche N o r m , die ein kartellrechtlich verbotenes Einfuhrverbot unterstützt, ist nicht nach Art. 30 E G V vom Verbot des Art. 28 E G V freigestellt. 3 4 2 (3) Folgerungen Diese Aussage ist verallgemeinerungsfähig: Nationales Immaterialgüterrecht verstößt dann gegen die Warenverkehrsfreiheit, wenn trotz eines Verstoßes gegen (europäisches) Kartellrecht eine Einfuhrbeschränkung aufrechterhalten wird. Die genannten Fälle zeigen, dass dem Merkmal der verschleierten Handelsbeschränkung eine eigenständige Bedeutung zukommt, die nicht durch das Konzept vom spezifischen Gegenstand abgedeckt wird. Selbst Verhaltensweisen, die im Prinzip durch Art. 30 S. 1 E G V gedeckt sind, können verboten sein, wenn sie zur Marktabschottung instrumentalisiert werden. Kartellrechtsverstöße dürfen nicht unterstützt werden. Speziell im Markenrecht darf die Vertriebspolitik nicht so ausgestaltet sein, dass die unterschiedliche Kennzeichnung eines identischen Produkts in den einzelnen Mitgliedstaaten zur Unterlaufung des Erschöpfungsgrundsatzes benutzt wird. (4) Subjektiver Diskriminierungsbegriff? Koch hat kritisiert, dass der Gerichtshof hiermit auf die Motivation des Schutzrechtsinhabers abstelle. Ein subjektiver Diskriminierungsbegriff werde eingeführt. In diesen Fällen beruhe die protektionistische Wirkung nicht auf einer
3 4 1 Ebenda, Slg. 1982, 2873 Tz. 26. S. auch Generalanwalt Mischo in „Cicra u.a./Renault" (oben Fn. 220, Slg. 1988,6057 f. Tz. 20). Ebenso wie in der „Centrafarm"-Entscheidung lag der „Keurkoop"-Entscheidung der Verdacht zugrunde, dass durch einen Kunstgriff die nationalen Märkte voneinander abgeschottet werden (vgl. „Keurkoop", Slg. 1982, 2873, Tz. 28). Die Strategie des „Keurkoop"-Sachverhalts bestand darin, dass verschiedene Personen, möglicherweise koordiniert, jeweils dasselbe Modell in den einzelnen Mitgliedstaaten zur Erlangung von Musterschutz hinterlegten. Der Erschöpfungsgrundsatz greift bei unterschiedlichen Inhabern paralleler Patente nur bei Zustimmung zum Inverkehrbringen ein. 3 4 2 Zur Indizwirkung von Art. 82 E G V für Art. 28 E G V in bestimmten Fällen s.u. Fn. 510.
B. Immaterialgüterschutz
und
Grundfreiheiten
275
staatlichen Maßnahme, sondern auf privatem Verhalten. Darauf sei das staatengerichtete Verbot des Art. 30 E G V (a.F.) nicht anwendbar. 3 4 3 Dieser Auffassung kann nicht zugestimmt werden. D e r gesamte Problemkreis des Verhältnisses nationalen Immaterialgüterschutzes zur gemeinschaftlichen Warenverkehrsfreiheit beruht auf der Grundannahme, dass privates Verhalten dem Staat deshalb zugerechnet wird, weil dieser durch Rechtsetzung und Rechtsprechung auf dem Gebiet des geistigen Eigentums das private Verhalten erst ermöglicht. 3 4 4 Man sieht sich in diesem Zusammenhang deshalb immer dem Problem ausgesetzt, dass letztlich das dem Staat zugerechnete, individuelle Verhalten auf seine Vereinbarkeit mit den Art. 28ff. E G V überprüft wird. 3 4 5 Koch ist allerdings zuzugestehen, dass das Abstellen auf die jeweilige M o tivation des Schutzrechtsinhabers schlecht harmoniert mit einer objektiven Prüfung der Vereinbarkeit nationalen Immaterialgüterrechts mit der Warenverkehrsfreiheit. Eine Auflösung des Widerspruchs ist denkbar, wenn man das Merkmal der Motivation fallen lässt und auf den objektiven Zweck der individuellen Schutzrechtsstrategie abstellt. Solche Objektivierungstendenzen sind in der Rechtsprechung erkennbar. Sie beziehen sich auf den Begriff der „künstlichen Abschottung", der auch in „Centrafarm/American H o m e Products Corporation" eine zentrale Rolle im Rahmen von Art. 30 S. 2 E G V spielte. In den neueren Umpackfällen 3 4 6 hat der Gerichtshof den Begriff der künstlichen Abschottung von objektiven Merkmalen abhängig gemacht (Inverkehrbringen des gleichen Arzneimittels in unterschiedlichen Packungen, Erforderlichkeit des Umpackens, keine Beeinträchtigung des Originalzustands). E r hat ausdrücklich hinzugefügt, dass darüber hinaus kein Nachweis erforderlich sei, ob
343 N. Koch, in Grabitz/Hilf Art. 85 E W G V Rdnr. 221 (Vorauflage); s. zu der Streitfrage EK. Beier, Objektive oder subjektive Marktabschottung?, FS Vieregge, 1995, S. 43 ff.; E. Steindorff, EG-Vertrag und Privatrecht, 1996, S. 141 und 164 f. 3 4 4 S. oben S. 219 f. 3 4 5 Diese Thematik dient deshalb auch denen als Argument, die für die unmittelbare Drittwirkung der Grundfreiheiten eintreten (z.B. E. Steindorff, EG-Vertrag und Privatrecht, 1996, S. 141). Die Zurechnung privaten Verhaltens an den Staat zwingt aber nicht dazu, vom staatsgerichteten Charakter der Grundfreiheiten abzugehen. Zurechnungsbedingte Besonderheiten in Bezug auf Normadressaten sind im Gemeinschaftsrecht nicht unüblich. So wenden sich z.B. die Art. 81 und 82 E G V grundsätzlich nur an Unternehmen. Im Fall von Art. 86 Abs. 1 EGV, bzw. nach der „INNO/ATAB"-Rechtsprechung entfalten die unternehmensbezogenen Wettbewerbsregeln aber auch Wirkungen gegenüber den Mitgliedstaaten, s. hierzu A. Bach, Wettbewerbsrechtliche Schranken für staatliche Maßnahmen nach europäischem Gemeinschaftsrecht, 1992, S. 127 ff.; U. Ehricke, Staatliche Eingriffe in den Wettbewerb, 1994, S . 3 7 f f . Zurechnungsvorgänge können also dafür sorgen, dass unternehmensbezogene Vorschriften auf Mitgliedstaaten angewendet werden. Im Immaterialgüterrecht sorgt Zurechnung umgekehrt dafür, dass die staatsbezogenen Grundfreiheiten letztlich privatem Handeln entgegengesetzt werden. 3 4 6 „Bristol-Myers Squibb" und die beiden anderen am 11.7.1996 ergangenen Entscheidungen (Nachweise oben Fn. 282).
4. Teil: Europäisches
276
Recht
der M a r k e n i n h a b e r beabsichtigt habe, die M ä r k t e zwischen den Mitgliedstaaten abzuschotten.347 Von einer subjektiven T h e o r i e des Gerichtshofs im R a h m e n v o n Art. 30 S. 2 E G V kann deshalb nicht (mehr) die R e d e sein. Allein objektive Kriterien entscheiden darüber, o b Immaterialgüterrecht zu einer künstlichen A b s c h o t t u n g der M ä r k t e und damit zu einer verschleierten Handelsbeschränkung i.S. von Art. 30 S. 2 E G V führt. Dies hat der G e r i c h t s h o f auch in „ C e n t r a f a r m / A m e r i can H o m e Products C o r p o r a t i o n " zumindest angedeutet, indem er ausgeführt hat, dass es „legitime G r ü n d e " für einen Hersteller geben k ö n n e , in mehreren Mitgliedstaaten unterschiedliche Warenzeichen für die gleiche Ware zu verwenden. 3 4 8 Das Beispiel zeigt, dass im Bereich des Immaterialgüterrechts zumindest die Gegenausnahme der verschleierten Handelsbeschränkung die eigenständige Bedeutung von Art. 30 S. 2 E G V belegt.
c)
Verhältnismäßigkeitsgrundsatz
Art. 30 E G V gilt als Grundlage des Verhältnismäßigkeitsgrundsatzes. 3 4 9 W ä h rend Satz 1 der Vorschrift mit dem Merkmal „gerechtfertigt" die Teilgrundsätze der Geeignetheit und Erforderlichkeit anspricht, fordert Satz 2 zur Abwägung des nationalen ordre public mit der gemeinschaftsrechtlichen Warenverkehrsfreiheit, also zur Berücksichtigung der Verhältnismäßigkeit im engeren Sinn auf. I m Bereich des gewerblichen und kommerziellen Eigentums ist der Verhältnismäßigkeitsgrundsatz die Basis der immaterialgüterrechtlichen Trias, insbesondere der Lehre v o m spezifischen Gegenstand und des Erschöpfungsgrundsatzes. Handelsbeschränkungen sind nur insoweit gerechtfertigt, als sie zur Wahrung des spezifischen Gegenstands des Schutzrechts berechtigt sind, und das auch nur bis zum ersten Inverkehrbringen des geschützten Gegenstands mit Zustimmung des Rechtsinhabers. Diese Konkretisierung reicht so weit, dass auf dem G e b i e t des geistigen Eigentums wenig R a u m für eine Anwendung des Verhältnismäßigkeitsgrundsatzes in seiner allgemeinen Gestalt bleibt.
II. Andere
Grundfreiheiten
und das allgemeine des Art. 12 EGV
Immaterialgüterrechte schützen geistiges
Diskriminierungsverbot
E i g e n t u m . Soweit sich dieses in sach-
bezogenen R e c h t e n materialisiert, treten die geschilderten K o n f l i k t e mit der Warenverkehrsfreiheit auf. Immaterialgüterrechte beschränken sich nicht auf „Bristol-Myers Squibb", Slg. 1996,1-3534 ff., Tz. 52-57. EuGH, 10.10.1978, Centrafarm/American Home Products Corporation, Rs. 3/78, Slg. 1978, 1823 (1841 Tz. 20). Generalanwalt F. Capotorti nannte einen solchen legitimen Grund: Der Hersteller kann durch die Wahl eines anderen Warenzeichens der verwechslungsfähigen Marke eines Konkurrenten ausweichen wollen (Slg. 1978, 1851). 349 Th. Oppermann, Europarecht, 1999, Tz. 1308. 347
348
B. Immaterialgüterschutz
und
Grundfreiheiten
277
solche sachbezogenen Regelungen. Es werden auch bestimmte Handlungen in die ausschließliche Verfügungsgewalt des Rechtsinhabers gestellt. Die Gewährung solcher Ausschließlichkeitsrechte kann in Konflikt mit der Dienstleistungsfreiheit (Art. 49ff. EGV) geraten (1.). Anzusprechen sind auch mögliche Konflikte mit den anderen Grundfreiheiten, also dem freien Verkehr von Personen und Kapital (2.). Schließlich dürfen nationale Immaterialgüterrechte nicht dem allgemeinen Diskriminierungsverbot des Art. 12 EGV widersprechen (3.). 1.
Dienstleistungsfreiheit
a) Allgemeines Der gemeinschaftsrechtliche Dienstleistungsbegriff wird in Art. 50 EGV definiert. Er umfasst alle entgeltlichen, zeitlich beschränkten, grenzüberschreitenden Leistungen, insbesondere gewerblicher, kaufmännischer, handwerklicher oder freiberuflicher Art. Die Reichweite der Dienstleistungsfreiheit wird heute in Entsprechung zur Warenverkehrsfreiheit weit gefasst. Nicht nur Diskriminierungen, sondern alle Beschränkungen des innergemeinschaftlichen Dienstleistungsverkehrs werden erfasst. 350 Ausnahmen vom Gebot der Dienstleistungsfreiheit enthält Art. 55 i.V. mit den Art. 45 und 46 EGV. Darüber hinaus hat der Gerichtshof zu Art. 49 EGV eine ungeschriebene Ausnahme in Form des Dreistufentests entwickelt, welcher der Cassis-Formel der Warenverkehrsfreiheit entspricht. Beschränkungen des freien Dienstleistungsverkehrs sind danach zulässig, wenn zwingende Gründe des Allgemeininteresses bestehen, diese Gründe nicht bereits durch Vorschriften des Herkunftsstaats gewahrt sind, und wenn keine weniger einschränkenden Bestimmungen das Ziel in gleicher Weise erreichen. 351 Ein Unterschied zu den Regeln über den freien Warenverkehr besteht darin, dass eine ausdrückliche Ausnahmevorschrift nach Art des Art. 30 EGV, der auch das gewerbliche und kommerzielle Eigentum erfasst, fehlt. Ausnahmen zugunsten des geistigen Eigentums müssen also unter den ungeschriebenen Dreistufentest gefasst werden. 352 Der wichtigste Unterschied zu Art. 30 E G V besteht darin, dass der Dreistufentest (wie die Cassis-Formel) nur auf nicht-diskriminierende, nicht aber auf diskriminierende staatliche Maßnahmen anwend350 Konsequenterweise muss die in „Keck" (oben Fn. 117) gemachte Einschränkung f ü r bloße Verkaufsmodalitäten auch für die Dienstleistungsfreiheit gelten; vgl. hierzu E u G H , 10.5.1995, Alpine Investments, Rs.C-384/93, Slg. 1995, 1-1141 (1-1176 ff. Tz. 33 ff.), der die Frage allerdings offen ließ. 351 E u G H , 4.12.1986, Kommission/Deutschland („Versicherungen"), Rs. 205/84, Slg. 1986, 3755 (3803 Tz. 29). Diese Rechtsprechung geht zurück auf E u G H , 18.1.1979, Ministère Public und ASBL/van Wesemael, Verb. Rs. 110 und 111/78, Slg. 1979, 35 (52 Tz. 28). 352 Generalanwalt J.-P. Warner (in E u G H , 18.3.1980, Debauve, Rs. 52/79, Slg. 1980, 833, 878) plädiert für eine analoge Anwendung von Art. 30 EGV.
4. Teil: Europäisches
278
Recht
bar ist. Bei näherer Betrachtung erweist sich dieser Unterschied allerdings als unerheblich. Oben w u r d e bereits festgestellt, dass Art. 30 EGV im Bereich des geistigen Eigentums auf diskriminierende M a ß n a h m e n im Ergebnis nicht angew a n d t w i r d . Solche Diskriminierungen w e r d e n nicht dem spezifischen Gegenstand des Schutzrechts zugewiesen und fallen deshalb aus dem A n w e n d u n g s b e reich von Art. 30 EGV heraus. 3 5 3 N i c h t bei den Voraussetzungen, w o h l aber im Ergebnis besteht also ein Gleichlauf der Ausnahmetatbestände von Warenverkehrs- u n d Dienstleistungsfreiheit in Bezug auf nationales Immaterialgüterrecht. b) Geistiges Eigentum
und
Dienstleistungsfreiheit
Ein Erzeugnispatent gibt nicht nur ein ausschließliches Vermarktungsrecht in Bezug auf das geschützte Erzeugnis, sondern auch das ausschließliche Recht, den Gegenstand zu gebrauchen. Ein Verfahrenspatent bezieht sich zunächst nicht auf bestimmte Gegenstände, sondern auf die bloße A n w e n d u n g des geschützten Verfahrens. Ein Urheberrecht enthält nicht nur das Vervielfältigungs- u n d Verbreitungsrecht, sondern auch das Recht der öffentlichen W i e dergabe. Den genannten Rechten ist gemein, dass sie sich nicht auf den Warenhandel, sondern auf die Erbringung bestimmter Dienstleistungen beziehen. Ausschließlichkeitsrechte in diesem Bereich können in Konflikt mit der gemeinschaftsrechtlichen Dienstleistungsfreiheit treten. Die Frage nach dem Verhältnis von Immaterialgüterrecht und Dienstleistungsfreiheit stellt sich zunächst in ähnlicher Weise w i e bei der Warenverkehrsfreiheit. Besonderheiten resultieren allerdings aus der unkörperlichen F o r m der Dienstleistung. Dies w i r k t sich vor allem auf die Lehre von der Erschöpfung aus. c) Coditel I Die Rechtssache „Coditel I" 3 5 4 betraf das Urheberrecht an F i l m w e r k e n . (1) Sachverhalt Die Firma Cine-Vog w a r Inhaberin der ausschließlichen F i l m v o r f ü h r u n g s - und -senderechte (Kino und Fernsehen) an C l a u d e Chabrols Film „Der Schlächter" für Belgien. Der Film w a r v o m deutschen Fernsehen übertragen w o r d e n . Die belgischen (und französischen) Kabelfernsehgesellschaften Coditel hatten die Ü b e r t r a g u n g des deutschen Fernsehens über eine zentrale Antenne empfangen und in ihr belgisches Kabelnetz eingespeist. Cine-Vog verlangte von Coditel Schadensersatz wegen Verletzung ihres ausschließlichen Rechts. Das vorlegende Gericht stellte Fragen zur Auslegung von Art. 49 EGV. Eine dieser Fragen
353 354
S.o.S.232. EuGH, 18.3.1980, Coditel/Cine Vog Films („Coditel I"), Rs. 62/79, Slg. 1980, 881.
B. Immaterialgüterschutz
und
Grundfreiheiten
279
zielte mit deutlichem Bezug zur Erschöpfungslehre darauf ab, o b die Ausstrahlung des Films im deutschen Fernsehen mit Z u s t i m m u n g des ursprünglichen Rechtsinhabers Auswirkungen auf die Präsentation des Films in Belgien habe. (2) Entscheidungsgründe D e r G e r i c h t s h o f betonte den Unterschied zwischen körperlicher und unkörperlicher Präsentation urheberrechtlich geschützter Werke. D a s P r o b l e m des Verhältnisses von U r h e b e r r e c h t und E G - V e r t r a g stelle sich beim K i n o f i l m anders als bei B u c h und Schallplatte. Z u m wesentlichen Inhalt des U r h e b e r r e c h t s an F i l m w e r k e n gehöre die Möglichkeit, für jede Vorführung des Films eine Vergütung zu erhalten. D u r c h die Übertragung des in Deutschland ausgestrahlten Films in Belgien werde diese Möglichkeit beeinträchtigt. D e r Vertrag stehe in diesen Fällen der Geltendmachung von U r h e b e r r e c h t e n nicht entgegen. 3 5 5 Erschöpfung wurde also abgelehnt. (3) Bewertung D e r Entscheidung ist im Ergebnis zuzustimmen. Bereits oben wurde darauf hingewiesen, dass Immaterialgüterrechte nicht insgesamt, sondern nur in B e zug auf einzelne Verwertungsrechte konsumiert werden. 3 5 6 I m deutschen U r heberrecht unterliegt nach ganz überwiegender Auffassung das R e c h t der ö f fentlichen Wiedergabe nicht der E r s c h ö p f u n g . 3 5 7 I m Gegensatz zu körperlichen Gegenständen, die nur einmal vermarktet werden können, kann
dieselbe
Dienstleistung wiederholt erbracht werden und verdient für jede einzelne Vornahme Schutz. 3 5 8 D i e Erschöpfungslehre passt deshalb in der Regel nicht auf die Erbringung von Dienstleistungen. In „ C o d i t e l I " beruhte die M a r k t a b schottung nicht auf der Versagung der Erschöpfungswirkung, sondern auf der nach Mitgliedstaaten getrennten Einräumung von N u t z u n g s r e c h t e n . Inwieweit solche territorialen Beschränkungen wirksam vereinbart werden k ö n n e n , ist Frage des Lizenzkartellrechts und nicht der Dienstleistungsfreiheit. 3 5 9
„Coditel I", Slg. 1980, 902 ff. Tz. 12 ff. S. oben S. 256 ff. 357 Schricker/f. Ungern-Sternberg, 2. Aufl. 1999, § 15 Rdnr. 31, 34; U. Joos, Die Erschöpfungslehre im Urheberrecht, 1991, S. 80 ff. Auch die im Rahmen der allgemeinen Erschöpfungslehre des B G H (BGH, Urteil vom 7.11.1980, I Z R 24/79, G R U R 1981, 413 ff. - Kabelfernsehen in Abschattungsgebieten) vorzunehmende Interessenabwägung würde im Sachverhalt von „Coditel I" zu keinem anderen Ergebnis führen, s. zum Ansatz des B G H U. Joos (oben Fn. 357), S. 220 ff., insbesondere S. 245 ff. 358 Ullrich!Konrad, Gewerblicher Rechtsschutz, S. 8 Rdnr. 19. Art. 3 Abs. 3 der Richtlinie 2001/29/EG zur Harmonisierung bestimmter Aspekte des Urheberrechts und der verwandten Schutzrechte in der Informationsgesellschaft vom 22. Mai 2001 (ABl. L 167/10) sieht ausdrücklich vor, dass das Recht der öffentlichen Wiedergabe nicht der Erschöpfung unterliegt. 359 Die kartellrechtlichen Aspekte des Falls waren Gegenstand der Entscheidung „Coditel II", EuGH, 6.10.1982, Coditel/Cine-Vog Films, Rs. 262/81, Slg. 1982,3381. Auch kartellrecht355
356
280
4. Teil: Europäisches
Recht
Die N i c h t a n w e n d u n g der Erschöpfungslehre auf Dienstleistungen darf allerdings nicht verabsolutiert werden. 3 6 0 Im Patentrecht ist anerkannt, dass auch das Recht z u m Gebrauch des geschützten Gegenstands der Erschöpfung unterliegt. 3 6 1 Dieser Gebrauch kann gemeinschaftsrechtlich als Dienstleistung zu werten sein. Der Eintritt der Erschöpfung in diesem Fall beruht darauf, dass das Eigentumsrecht am verkörperten Schutzgegenstand ohne das Gebrauchsrecht sinnlos wäre. A u c h bei Dienstleistungen ist also zu prüfen, ob der Z w e c k des jeweiligen Verwertungsrechts die E r s c h ö p f u n g s w i r k u n g gebietet. d) Vereinbarkeit nationaler Schutzrechte insbesondere die immaterialgüterrechtliche
mit der Trias
Dienstleistungsfreiheit,
A u c h w e n n „Coditel I" im Ergebnis zutrifft, lässt die Entscheidung eine klare B e s t i m m u n g des Verhältnisses von Immaterialgüterschutz u n d Dienstleistungsfreiheit vermissen. 3 6 2 Eine G e d a n k e n f ü h r u n g parallel zur A r g u m e n t a t i o n bei der Warenverkehrsfreiheit hätte folgende Struktur: (1) Beschränkungsverbot Art. 49 E G V untersagt nicht nur sämtliche D i s k r i m i n i e r u n g e n im Dienstleist u n g s v e r k e h r a u f g r u n d der Staatsangehörigkeit, sondern auch alle (unterschiedslos a n g e w a n d t e n ) B e s c h r ä n k u n g e n , w e n n sie geeignet sind, die g r e n z überschreitende Dienstleistung zu behindern. 3 6 3 Soweit nationale I m m a t e rialgüterrechte Ausschließlichkeitsrechte auch in B e z u g auf b e s t i m m t e Dienstleistungen einräumen, beschränken sie allein aufgrund ihres territorialen C h a r a k t e r s den innergemeinschaftlichen Dienstleistungsaustausch. Die Beschränkung besteht nicht etwa im Unterschied des Schutzrechtsniveaus z w i schen den einzelnen Mitgliedstaaten, sondern in der Existenz nationaler, territorial begrenzter Schutzrechte als solcher. 3 6 4 W i r d ein Urheberrecht eingesetzt, u m die Erbringung der geschützten Dienstleistung aus einem anderen M i t g l i e d staat ohne Zustimmung des Rechtsinhabers zu verhindern, kann an der beschränkenden W i r k u n g des Urheberrechts kein Zweifel bestehen. Der Tatbestand von Art. 49 EGV ist damit zunächst erfüllt. lieh wurde die Vereinbarung der Ausschließlichkeit im Prinzip nicht beanstandet (Slg. 1982, 3401 Tz. 15), s. dazu unten S. 398 ff. 360 Zu weit geht deshalb Erwägungsgrund 29 der Richtlinie 2001/29/EG zur Harmonisierung bestimmter Aspekte des Urheberrechts und der verwandten Schutzrechte in der Informationsgesellschaft vom 22. Mai 2001 (ABl. L 167/10), wonach sich die Frage der Erschöpfung allgemein bei Dienstleistungen nicht stelle. Einer solchen pauschalen Herausnahme aus dem Erschöpfungsgrundsatz ist eine marktbezogene Betrachtung vorzuziehen. S. hierzu am Beispiel des Vermiet- und Verleihrechts oben hinter Fn. 281. 361 S. oben S. 256. 362 Erst in „Coditel II" (Slg. 1982, 3401 Tz. 13) w i r d beispielsweise nachgeschoben, dass die Trennung von Bestand und Ausübung auch für die Dienstleistungsfreiheit gilt. 363 EuGH, 25.7.1991, Säger, Rs. C-76/90, Slg. 1991,1-4221 (1-4243 Tz. 12). 364 S. o. S. 221 für die Warenverkehrsfreiheit.
B. Immaterialgüterscbutz
und
281
Grundfreiheiten
(2) Ausnahmen, insbesondere die immaterialgüterrechtliche Trias Eine Ausnahme vom Verbot des Art. 49 EGV nach dem Dreistufentest kommt in Frage. Zu den „zwingenden Gründen des Allgemeininteresses" gehört der Schutz des geistigen Eigentums, also auch das Urheberrecht. 3 6 5 An die Voraussetzungen für eine Ausnahme sind dieselben Anforderungen zu stellen wie im Rahmen von Art. 30 EGV, also unter Anwendung der immaterialgüterrechtlichen Trias. Das erste Element, die Unterscheidung von Bestand und Ausübung, ist für den Rechtsanwendungsprozess unerheblich. 366 Von erheblicher Bedeutung ist dagegen die Lehre vom spezifischen Gegenstand: Nur soweit es der spezifische Gegenstand des jeweiligen Schutzrechts verlangt, ist eine Ausnahme vom Grundsatz der Dienstleistungsfreiheit möglich. Der Gerichtshof hat in „Coditel I" den Begriff des spezifischen Gegenstands nicht aufgegriffen, wohl aber den „wesentlichen Inhalt" des Urheberrechts skizziert. 3 6 7 In der Sache ergeben sich aus der abweichenden Terminologie keine Unterschiede. Zum wesentlichen Inhalt des Urheberrechts an Filmwerken zählt der Gerichtshof die Möglichkeit, eine Vergütung für jede Vorführung des Films zu verlangen. Die unautorisierte Übertragung des in einem anderen Land ausgestrahlten Films nimmt dem Urheber oder seinem Nutzungsberechtigten diese Möglichkeit, greift also in den wesentlichen Inhalt, bzw. den spezifischen Gegenstand des Urheberrechts ein. Die Geltendmachung des Urheberrechts in diesen Fällen ist demnach kein Verstoß gegen die Dienstleistungsfreiheit. Bei der Bestimmung des spezifischen Gegenstands der einzelnen Schutzrechte ist an die Hauptfunktion des Begriffs vom spezifischen Gegenstand zu erinnern: Unabhängig von der Ausgestaltung der Immaterialgüterrechte auf nationaler Ebene soll ein gemeinschaftsweiter Maßstab für den Vorrang geistigen Eigentums vor den Verkehrsfreiheiten des Vertrags geschaffen werden. Das dritte Element der Trias, die Erschöpfungslehre, spielt, wie oben gezeigt wurde, im Rahmen der Dienstleistungsfreiheit nur in Ausnahmefällen eine Rolle. Das Recht der öffentlichen Wiedergabe beispielsweise, das in „Coditel I" im Streit stand, unterliegt nicht der Erschöpfung. e) Abgrenzung
von Dienstleistungsverkehr
und
Warenverkehr
Die Abgrenzung von Waren und Dienstleistungen kann bisweilen Probleme bereiten. 368 Wegen der heute ganz überwiegend vertretenen Auffassung des Gleichlaufs von Warenverkehrs- und Dienstleistungsfreiheit in Voraussetzungen, Ausnahmen und Rechtsfolgen hat die Abgrenzungsfrage an Relevanz verS. oben S. 277. S. oben S. 239. 367 „Coditel I" Slg. 1980, 903 Tz. 14. 368 Zur Einordnung von Computerprogrammen s. Ullrich/Konrad, schutz, S. 8 f. Rdnr. 19 f. 365 366
Gewerblicher Rechts-
282
4. Teil: Europäisches
Recht
loren. Wegen der Unterschiede beispielsweise bei Anwendung der Erschöpfungslehre hat die Abgrenzungsfrage aber nicht nur dogmatische Bedeutung. Der Gerichtshof tendiert dazu, Dienstleistungen dann der Warenverkehrsfreiheit zu unterstellen, wenn sie in einem engen Zusammenhang mit dem Warenumsatz stehen. Zum freien Warenverkehr wird z.B. auch die Einrichtung, die Inbetriebsetzung und die Wartung der verkauften Gegenstände gezählt. 369 Für diese Einordnung spricht die Ausgestaltung der Dienstleistungsfreiheit als Auffangtatbestand. Nach Art. 50 EGV erfasst der Dienstleistungsbegriff nur solche Leistungen, die nicht den Vorschriften über den freien Waren-, Kapitaloder Personenverkehr unterliegen. In umgekehrter Richtung gilt die Akzessorietätsregel nicht: Waren, die im engen Zusammenhang mit der Erbringung einer Dienstleistung stehen, hat der Gerichtshof unverändert an Art. 28 EGV und nicht an Art. 49 EGV gemessen. Auch wenn beispielsweise die Ausstrahlung von Fernsehsendungen unter die Dienstleistungsfreiheit fällt, hat der Gerichtshof die Regeln über den freien Warenverkehr auf sämtliches Material erstreckt, das für die Ausstrahlung von Fernsehsendungen benutzt wird. 370 2. Freier Personen- und
Kapitalverkehr
Konflikte zwischen geistigem Eigentum und Personen- oder Kapitalverkehrsfreiheit sind bisher nicht aufgetreten. Daraus folgt aber nicht, dass keine Reibungspunkte bestehen. Die nationale Ausgestaltung des Arbeitnehmererfindungs- oder -Urheberrechts kann die Arbeitnehmerfreizügigkeit (Art. 39 EGV) beeinträchtigen. Außerdem ist es denkbar, dass Beschränkungen des Zahlungsverkehrs i.S. von Art. 56 Abs. 2 EGV sich auf die Bezahlung immaterialgüterrechtlich geschützter Waren oder Dienstleistungen beziehen. Mangelnde praktische Relevanz hat dazu geführt, dass diese Fragen bisher nicht vertieft wurden. Sollten sich Probleme in diesem Zusammenhang einmal stellen, erscheint die Anwendung der allgemeinen zu Personen- und Kapitalverkehr entwickelten Grundsätze ausreichend. Es ist nicht ersichtlich, inwiefern hier - wie bei Warenverkehrs- oder Dienstleistungsfreiheit - immaterialgüterrechtliche Besonderheiten zu einem Abgehen von den allgemeinen Regeln führen sollten. 3. Allgemeines Diskriminierungsverbot
(Art. 12 EGV)
Art. 12 EGV verbietet im Anwendungsbereich des Vertrags jede Diskriminierung aus Gründen der Staatsangehörigkeit. Bereits oben wurde festgestellt, dass das Recht des geistigen Eigentums in diesem Sinn in den Anwendungsbereich 369 E u G H , 19.3.1991, Frankreich/Kommission („Telekommunikations-Endgeräte"), Rs. C-202/88, Slg. 1991,1-1223 (1-1269 Tz. 42). Frankreich und der Generalanwalt hatten für eine Prüfung am Maßstab der Dienstleistungsfreiheit plädiert (Slg. 1991, 1-1251 Nr. 35). K. Platteau, E C L R 1991, 105 (108), sieht in der Unterstellung von Dienstleistungen unter die Warenverkehrsfreiheit die Anwendung des Prinzips „l'accessoire suit le principal". 370 E u G H , 18.6.1991, ERT, Slg. 1991,1-2925 (1-2958 Tz. 14).
B. Immaterialgüterschutz
und
Grundfreiheiten
283
des EG-Vertrags fällt. 371 Die Ausgestaltung des nationalen Immaterialgüterrechts darf nicht zu einer unmittelbaren oder mittelbaren Benachteiligung der Angehörigen anderer Mitgliedstaaten führen. Die Vorschrift ist unmittelbar anwendbar. 372 Adressat der Vorschrift sind in erster Linie die Mitgliedstaaten, darüber hinaus aber auch die Gemeinschaft. 373 Die Grundfreiheiten gehen in ihrer Dimension als spezielle Diskriminierungsverbote dem allgemeinen Diskriminierungsverbot vor. Art. 12 EGV ist also nur anwendbar, wenn die Verkehrsfreiheiten nicht einschlägig sind. 374 Das allgemeine Diskriminierungsverbot (damals Art. 7 EWGV) stand im Mittelpunkt der „Phil Collins"-Entscheidung. § 125 des deutschen Urheberrechtsgesetzes versagte ausländischen Künstlern - also auch den EG-Ausländern - den Schutz für Aufnahmen, die bei Veranstaltungen außerhalb von Deutschland gemacht worden waren. Für inländische Künstler war eine solche Einschränkung nicht vorgesehen. Der Gerichtshof entschied, dass Art. 7 EWGV zwar nicht Ungleichbehandlungen verbiete, die sich aus Unterschieden zwischen den nationalen Rechtsordnungen ergeben. Innerhalb desselben nationalen Rechts gebiete Art. 7 EWGV aber „die vollständige Gleichbehandlung von Personen, die sich in einer gemeinschaftsrechtlich geregelten Situation befinden, mit den Angehörigen des betreffenden Mitgliedstaats". 375 Der Ausschluss der Künstler aus anderen Mitgliedstaaten vom Schutz ihrer im Ausland aufgenommenen Aufnahmen verstoße gegen Art. 7 EWGV. 376 Das Beispiel macht die Stoßrichtung des allgemeinen Diskriminierungsverbots auf dem Gebiet des geistigen Eigentums deutlich. Anders als Warenverkehrs- oder Dienstleistungsfreiheit thematisiert Art. 12 EGV nicht Beeinträchtigungen des innergemeinschaftlichen Handels, die durch Immaterialgüterrechte verursacht werden können. Vielmehr hat die Vorschrift Situationen zum Gegenstand, in denen der Schutz geistigen Eigentums zum Nachteil von EUAusländern nicht weit genug geht. Der nationale Gesetzgeber hat in solchen Fällen zwei Möglichkeiten, die Diskriminierung zu beseitigen. Entweder streicht er den Schutzüberschuss zu Lasten der Inländer. Oder er erstreckt den Schutz auch auf EU-Ausländer. In der Regel wird der nationale Gesetzgeber 371
S. oben S. 193. Die unmittelbare Anwendbarkeit wird vorausgesetzt in E u G H , 13.2.1985, Gravier/ Stadt Lüttich, Rs. 293/83, Slg.1985, 593 (611 ff. Tz. 15 ff.); E u G H , 2.2.1989, Cowan/Tresor public, Rs. 186/87, Slg.1989, 195 (220 Tz. 11). 373 Zur Frage der unmittelbaren Drittwirkung von Art. 12 EGV zwischen Privaten s. A. von Bogdandy, in Grabitz/Hilf Art. 6 EGV a.F. Rdnr. 29 ff. 374 A. von Bogdandy, in Grabitz/Hilf Art. 6 EGV a.F. Rdnr. 57 f. 375 E u G H , 20.10.1993, Phil Collins u.a., Verb. Rs. C-92/92 und C-326/92, Slg. 1993,1-5145 (1-5181 Tz. 32). 376 „Phil Collins" Slg. 1993, 1-5181 f. Tz. 33. Der deutsche Gesetzgeber hat durch Gesetz vom 23.6.1995 (BGBl. I S. 842) die Diskriminierung dadurch beseitigt, dass auch die ausländischen Künstler für alle Aufnahmen unabhängig vom Aufnahmeort geschützt werden. 372
284
4. Teil: Europäisches
Recht
den zweiten Weg beschreiten, da die allgemeine Senkung des Schutzniveaus selten beabsichtigt sein wird. III. Gemeinschaftliche
Schutzrechte
und
Grundfreiheiten
Nationale Schutzrechte beschränken den Waren- und Dienstleistungsverkehr schon aufgrund ihrer territorialen Beschränktheit und sind deshalb auf ihre Vereinbarkeit mit den Grundfreiheiten zu überprüfen. Die Bindung des nationalen Gesetzgebers an die Grundfreiheiten ist unproblematisch: Er ist primärer Adressat der Verkehrsfreiheiten. Demgegenüber bereitet das Verhältnis der gemeinschaftlichen Schutzrechte (Gemeinschaftsmarke, gemeinschaftlicher Sortenschutz) zu den Grundfreiheiten größere Schwierigkeiten. Es geht dabei um die Frage, ob auch die Gemeinschaft an die Grundfreiheiten gebunden ist (1.). Wenn das der Fall ist, schließt sich die weitere Frage an, ob auch die gemeinschaftlichen Schutzrechte zu einer Beeinträchtigung der Grundfreiheiten führen können (2.). 1. Bindung der Gemeinschaft
an die
Grundfreiheiten
Die Grundfreiheiten bezwecken die Abschaffung staatlicher Handelshemmnisse. Damit sind in erster Linie solche protektionistischen Maßnahmen angesprochen, die von den Mitgliedstaaten zur Abschirmung ihrer Märkte ergriffen werden. Solchen einzelstaatlichen Maßnahmen kommt in der praktischen Anwendung der Grandfreiheiten die größte Relevanz zu. Dadurch wird allerdings die Existenz anderer Normadressaten nicht ausgeschlossen.377 a)
Ausgangspunkt
Hoheitsgewalt wird auch von der Gemeinschaft ausgeübt. Es kann nicht von vornherein ausgeschlossen werden, dass auch Gemeinschaftsakte zu Beschränkungen des innergemeinschaftlichen Handels führen können. Einzelne Politikfelder der Gemeinschaft (z.B. Umwelt- oder Sozialpolitik) können in Spannung zu den Verkehrsfreiheiten geraten. In diesen Fällen stellt sich die Frage, ob auch der Gemeinschaftsgesetzgeber an die Grundfreiheiten gebunden ist. 378 Der Wortlaut der Vorschriften schließt eine solche Deutung nicht aus. 379 In der Literatur wird Bindungswirkung überwiegend bejaht. 380 Auch nach Auffassung Zur Frage der unmittelbaren Drittwirkung von Grundfreiheiten s. oben Fn. 124. S. allgemein hierzu R.-O. Schwemer, Die Bindung des Gemeinschaftsgesetzgebers an die Grundfreiheiten, 1995. 3 7 9 Im Bereich der Warenverkehrsfreiheit wendet sich Art. 28 E G nicht ausdrücklich nur an die Mitgliedstaaten. Es werden lediglich alle Beschränkungen und Maßnahmen gleicher Wirkung „zwischen den Mitgliedstaaten" verboten, unabhängig davon, von wem diese Beschränkungen ausgehen. 3 8 0 S. mit unterschiedlichen Differenzierungen St. Leihle, in Grabitz/Hilf Art. 28 E G V 377
378
B. Immaterialgüterschutz
und
Grundfreiheiten
285
des Gerichtshofs in nunmehr ständiger Rechtsprechung „gilt das Verbot von mengenmäßigen Beschränkungen sowie von Maßnahmen gleicher Wirkung nicht nur für nationale Maßnahmen, sondern auch für Maßnahmen der Gemeinschaftsorgane". 3 8 1 Diese in Bezug auf die Warenverkehrsfreiheit gemachte Aussage kann auf die anderen Grundfreiheiten übertragen werden. b) Standpunkt
des Gerichtshofs
Der Gerichtshof wendet die Grundfreiheiten allerdings auf die Gemeinschaftsorgane nicht im selben Umfang wie auf die Mitgliedstaaten an. Einer genauen Prüfung der einschlägigen Grundfreiheit unter Heranziehung der herkömmlichen Dogmatik zieht er die Einräumung weiter Ermessensspielräume zugunsten der Gemeinschaft vor. Der Grund hierfür besteht in angeblichen Besonderheiten auf dem Gebiet der Harmonisierung: Wie bereits erwähnt, können bestimmte Anliegen des Gemeinschaftsgesetzgebers in Konflikt mit den Liberalisierungsgeboten des Vertrags geraten. Nach der Argumentation des Gerichtshofs kann dieser Konflikt nicht einseitig zugunsten der Verkehrsfreiheiten oder zugunsten der anderen Politikziele aufgelöst werden. Erforderlich sei eine Berücksichtigung beider Pole. Dem Gemeinschaftsgesetzgeber müsse für den dabei erforderlichen Abwägungsvorgang ein Ermessensspielraum eingeräumt werden. Dieser werde in erster Linie durch die drei Elemente des Verhältnismäßigkeitsgrundsatzes umgrenzt. Wird das Ermessen korrekt ausgeübt, tritt der Gerichtshof nicht in eine genauere Prüfung der einschlägigen Verkehrsfreiheit nach den anerkannten Grundsätzen ein. 382 c) Eingeschränkter
Prüfungsumfang?
Die geschilderten Besonderheiten für die Anwendung der Grundfreiheiten auf den Gemeinschaftsgesetzgeber überzeugen nicht. Die Gefahr spezifischer Beschränkungen des innergemeinschaftlichen Verkehrs zur Bevorzugung bestimmter Mitgliedstaaten liegt bei Maßnahmen der Gemeinschaft zwar nicht so nahe wie bei mitgliedstaatlichen Maßnahmen. Dies ist jedoch kein Grund dafür, das Schutzniveau der Grundfreiheiten zu senken. Erst die Anwendung der Grundfreiheiten gibt eine Antwort auf die Frage, wie schädlich eine bestimmte Maßnahme für die Verwirklichung des Binnenmarktes ist. Zielkonflikte bei der Harmonisierung können im Rahmen der Ausnahmetatbestände der jeweiligen Grundfreiheit ausreichend berücksichtigt werden.
Rdnr. 44; P.-C. Müller-Graff, in von der Groeben Art. 30 EGV Rdnr. 294 ff.; M. Lux, in Lenz, 2. Aufl. 1999, Art. 28 EGV Rdnr. 9. 381 EuGH, 9.8.1994, Meyhui, Rs. C-51/93, Slg. 1994,1-3879 (1-3898 Tz. 11). 382 Vgl. z.B. EuGH, 9.8.1994, Meyhui, Rs. C-51/93, Slg. 1994, 1-3879 (1-3900 Tz. 3898 ff. Tz. 9 ff.).
286
4. Teil: Europäisches
Recht
Ein Beispiel hierfür ist die bereits angeführte Entscheidung in der Rechtssache „Meyhui". 3 8 3 Im Mittelpunkt des Rechtsstreits stand die KristallglasRichtlinie von 1969. 384 Diese Richtlinie sieht u.a. vor, dass bestimmte Produktangaben in der Sprache des Bestimmungslands abzufassen sind. Diese Vorschrift soll die Käufer vor Irrtümern bewahren, dient somit dem Verbraucherschutz. Der Gerichtshof lehnte eine Verletzung von Art. 28 EGV mit dem Argument des Ermessensspielraums bei Harmonisierungsmaßnahmen ab. Eine klassische Prüfung am Maßstab des Art. 28 EGV wäre zu keinem anderen Ergebnis gekommen. Das Vorliegen einer Maßnahme gleicher Wirkung wie eine mengenmäßige Beschränkung i.S. der Dassonville-Formel ist zu bejahen, da die Ubersetzung der Produktangaben die Vermarktung in anderen Mitgliedstaaten verteuert und damit behindert. 385 Eine Ausnahme vom Verbot des Art. 28 EGV aus Gründen des Verbraucherschutzes ist nach der Cassis-Formel möglich. Die Prüfung der näheren Voraussetzungen einschließlich der Respektierung des Verhältnismäßigkeitsgrundsatzes erfolgt in denselben Bahnen, in denen der Gerichtshof in „Meyhui" die Einhaltung des Ermessensspielraums untersucht. d) Ergebnis Dass beide Wege zum selben Ergebnis führen, ist nicht verwunderlich: Die Problematik der Ausnahmen von den Verkehrsfreiheiten stellt sich auf Gemeinschaftsebene nicht anders als auf der Ebene der Mitgliedstaaten. Wenn sich das Problem in gleicher Weise stellt, sollte es auch der gleichen Lösung zugeführt werden, nämlich der konsequenten und unveränderten Anwendung der Grundfreiheiten. Es bleibt festzuhalten, dass die Grundfreiheiten auch auf Maßnahmen des Gemeinschaftsgesetzgebers anwendbar sind. Entgegen der Auffassung des Gerichtshofs sind dabei keine Besonderheiten zu beachten. 2. Vereinbarkeit gemeinschaftlicher Schutzrechte mit den Grundfreiheiten dem allgemeinen Diskriminierungsverbot
und
Bei der Frage der Vereinbarkeit nationaler Schutzrechte mit der Warenverkehrsfreiheit wurde festgestellt, dass die beschränkende Wirkung nationaler Schutzrechte schon von deren territorialer Begrenztheit ausgeht. Unter diesem Aspekt führen gemeinschaftliche Schutzrechte nicht zu einer Beeinträchtigung der Warenverkehrsfreiheit oder anderer Grundfreiheiten, da das Anliegen dieser Rechte in ihrer gemeinschaftsweiten, und damit nicht nach Mitgliedstaaten begrenzten Wirkung liegt. S. Fn.381. Richtlinie 69/493/EWG des Rates zur Angleichung der Rechtsvorschriften der Mitgliedstaaten für Kristallglas vom 15.12.1969 (ABl. L 326/36). 385 S. oben S. 218 f. Auch eine Ausnahme nach der Keck-Formel kommt hier nicht in Betracht. Es handelt sich bei der Pflicht zur Verwendung der Sprache des Bestimmungslands nicht um eine Verkaufsmodalität, sondern um eine produktbezogene Regelung. 383 384
B. Immaterialgüterschutz
a) Konflikt gemeinschaftlicher
und
287
Grundfreiheiten
Schutzrechte mit den
Grundfreiheiten
E s stellt sich deshalb die Frage, o b gemeinschaftliche Schutzrechte überhaupt in K o n f l i k t mit den Verkehrsfreiheiten treten. Bei der B e a n t w o r t u n g dieser Frage ist zu berücksichtigen, dass die beschränkende W i r k u n g nationaler
Schutzrech-
te nicht abschließend beurteilt wurde. „Bereits" die territoriale Beschränktheit führt zur A n n a h m e eines Handelshemmnisses. D a m i t ist n o c h keine Aussage darüber getroffen, ob Schutzrechte nicht schon als solche - unabhängig von ihrer geographischen Reichweite - den Tatbestand der einschlägigen Grundfreiheit erfüllen. Diese Frage ist zu bejahen. 3 8 6 A u c h gemeinschaftliche Schutzrechte k ö n n e n zur Beschränkung des innergemeinschaftlichen Verkehrs, z.B. durch I m p o r t v e r b o t e eingesetzt werden. D i e Struktur der Grundfreiheiten, insbesondere das Zusammenspiel der A r t . 28 und 30 E G V verlangt es, die Anliegen des Immaterialgüterschutzes auf der E b e n e der A u s n a h m e n , bzw. Rechtfertigungsgründe durchzusetzen. Andernfalls könnten durch gemeinschaftliche S c h u t z rechte Handelsbeschränkungen eingeführt werden, die aufgrund nationaler Schutzrechte nicht erreichbar wären.
b) Erschöpfung E i n Beispiel ist der Erschöpfungsgrundsatz. In B e z u g auf nationale Schutzrechte ergibt er sich aus der A n w e n d u n g von Art. 28 E G V . D i e Versagung der Erschöpfungswirkung durch nationales R e c h t ist von A r t . 30 E G V nicht gedeckt, da zum spezifischen Gegenstand des Schutzrechts lediglich das erstmalige Inverkehrbringen gehört. 3 8 7 E s wäre sachlich verfehlt, diese Grundsätze nicht auch in gleicher Weise auf die gemeinschaftlichen Schutzrechte anzuwenden. Dies ist nur dann möglich, wenn auch diese dem Tatbestand von Art. 28 E G V , bzw. den sonst einschlägigen Grundfreiheiten unterstellt werden. Ihre R e c h t mäßigkeit ist dann anhand der jeweiligen Ausnahmetatbestände unter H e r a n ziehung der immaterialgüterrechtlichen Trias zu überprüfen.
c) Spezifischer
Gegenstand
Eine Besonderheit betrifft die L e h r e vom spezifischen Gegenstand. D e r e n H a u p t f u n k t i o n besteht in der Ermittlung eines a u t o n o m gemeinschaftsrechtlich bestimmten Kernbestands, der unabhängig v o n der Ausgestaltung des Schutzrechts auf nationaler E b e n e ist. Diese Zielrichtung ist nur bei der A n wendung der Grundfreiheiten auf nationale Schutzrechte sinnvoll. I m Z u s a m menhang mit den gemeinschaftlichen Schutzrechten dient die L e h r e v o m spezifischen Gegenstand als M a ß s t a b für eine sinnvolle Ausgestaltung der R e i c h -
386 Zur Nichtanwendung der Wettbewerbseröffnungslehre auf die Grundfreiheiten s.o. S. 222 ff. 387 S.o.S.250ff.
288
4. Teil: Europäisches
Recht
weite des jeweiligen Schutzrechts. Im Ergebnis muss dieser Maßstab für nationale und für gemeinschaftliche Schutzrechte gleich sein.
C . Immaterialgüterschutz und europäisches Kartellrecht Die Grundfreiheiten dienen der Abschaffung von Handelshemmnissen, die durch staatliche Maßnahmen verursacht werden. Im Gegensatz dazu wendet sich Kartellrecht gegen unternehmerisches, d.h. im Regelfall privates Handeln. Aufbauend auf dieser Unterscheidung kommt in der europäischen Union dem Kartellrecht neben der allgemeinen Ordnungsfunktion eine Integrationsfunktion zu: Die Uberwindung der Binnengrenzen durch Abschaffung staatlicher Handelsbeschränkungen soll nicht dadurch zunichte gemacht werden, dass die Unternehmen ihrerseits durch wettbewerbsbeschränkende Praktiken die nationalen Märkte wieder voneinander abschotten. 388 Neben dieser besonderen, binnenmarktgerichteten Zielsetzung verfolgt auch das europäische Kartellrecht die allgemeinen Ziele, die jeder Wettbewerbsgesetzgebung zu Grunde liegen. 389 Diese Ziele können zwar in Abhängigkeit vom jeweils akzeptierten wettbewerbspolitischen Leitbild variieren. Den verschiedenen Leitbildern ist aber die Sicherung des Grundprinzips Wettbewerb und seiner Funktionen gemein. 390
3 8 8 Diese zusätzliche Dimension der Wettbewerbspolitik ist in allen regionalen Integrationen von Bedeutung, die über ein Wettbewerbsrecht verfügen. In Art. 15 EFTA-Ubereinkommen wird sie ausdrücklich angesprochen. Absatz 1 der Vorschrift beginnt wie folgt: „Die Mitgliedstaaten anerkennen, daß die folgenden Praktiken mit diesem Ubereinkommen insoweit unvereinbar sind, als sie die vom Abbau oder Fehlen der Einfuhrzölle und mengenmäßigen Beschränkungen im Handel zwischen den Mitgliedstaaten erwarteten Vorteile vereiteln". Vgl. auch Art. 1501 (1) North American Free Trade Agreement (NAFTA): „Each Party shall adopt or maintain measures to proscribe anti-competitive business conduct and take appropriate action with respect thereto, recognizing that such measures will enhance the fulfillment of the objectives of this Agreement. . . . " Die Integrationsfunktion der europäischen Wettbewerbsregeln wurde bereits im Spaak-Her\c\it angesprochen, s. Regierungsausschuß eingesetzt von der Konferenz von Messina, Bericht der Delegationsleiter an die Außenminister, Brüssel, 21.4.1956, Einleitung Abschnitt II B. Allgemein zu diesem Aspekt s. E.-U. Petersmann, International Competition Rules for the G A T T - M T O World Trade and Legal System, Journal of World Trade 1993,38 und 64 ff.; C.-D. Ehlermann, Wettbewerbspolitik im Binnenmarkt, R I W 1993, 793;/. Basedow, Weltkartellrecht, 1998, S. 2 f. 3 8 9 Gerade in der frühen Phase der Gemeinschaft kam der grenzüberwindenden Funktion des europäischen Kartellrechts ein Ubergewicht zu, s. D. Gerher, Law and Competition in Twentieth Century Europe, 1998, S. 334, 347, 372 und 388 f. J e weiter die Uberwindung der rechtlichen und faktischen Binnengrenzen voranschreitet, desto mehr werden die allgemeinen wettbewerbsrechtlichen Funktionen in den Vordergrund treten. Gerher (The Transformation of European Community Competition Law?, 35 Harvard International Law Journal 97, 143 (1994)) leitet aus dem Wegfall der Integrationsfunktion die Gefahr einer Identitätskrise des europäischen Wettbewerbsrechts ab. 3 9 0 Zu unterschieden sind wirtschaftliche und gesellschaftspolitische Funktionen. Der
C. Immaterialgüterschutz
und europäisches
Kartellrecht
289
Die Doppelfunktionalität des europäischen Kartellrechts wirkt sich auch auf das Verhältnis zum Immaterialgüterschutz aus. Neben die allgemeine, in jeder Rechtsordnung zu lösende Frage nach der Reichweite des Kartellrechts im B e reich des geistigen Eigentums tritt das besondere Problem, inwieweit die Integration der nationalen Märkte die Anwendung von Wettbewerbsrecht auf Immaterialgüterrechte erfordert. Dieser zusätzliche Gesichtspunkt kann Regeln nahe legen, die von denjenigen abweichen, die in Rechtsordnungen ohne Integrationszielsetzung gelten. 391 Eine wichtige Folgerung aus der Integrationsfunktion des europäischen Kartellrechts betrifft das Verhältnis zu den Grundfreiheiten. Es ist unzulässig, eine Arbeitsteilung zwischen Grundfreiheiten und Wettbewerbsregeln anzunehmen, nach der den Grundfreiheiten die Uberwindung der Binnengrenzen zukommt, die Wettbewerbsregeln dagegen lediglich das Verhalten der Unternehmen auf dem so errichteten Binnenmarkt regeln. Demgegenüber ist festzuhalten, dass sowohl Grundfreiheiten als auch Wettbewerbsregeln auf ihre Weise dem Binnenmarktziel verpflichtet sind. Im folgenden sollen die allgemeinen Grundsätze skizziert werden, die im europäische Recht für das Verhältnis von Kartellrecht und Recht des geistigen Eigentums entwickelt wurden (I.). Es schließt sich eine Analyse der beiden kartellrechtlichen Grundnormen an, also von Art. 81 E G V (II.) und Art. 82 E G V (III.), und zwar in Hinblick auf die besonderen Fragestellungen des Immaterialgüterschutzes. Einzelfragen von paradigmatischer Bedeutung werden in die Darstellung integriert.
I. Allgemeine
Grundsätze
D e r EG-Vertrag enthält im Unterschied zum deutschen Recht keine besonderen Vorschriften, welche die Anwendung der Wettbewerbsregeln auf Immaterialgüterrechte
begründen, begrenzen oder auf andere Weise modifizieren. 3 9 2
Wettbewerb soll einerseits eine leistungsgerechte Einkommensverteilung, Konsumentensouveränität, optimale Faktorallokation, Anpassungsflexibilität und technischen Fortschritt gewährleisten (wirtschaftliche Funktionen). Andererseits soll er wirtschaftliche Macht begrenzen und damit für Gewaltenteilung im wirtschaftlichen Bereich sorgen (gesellschaftspolitische Funktion). S. hierzu I. Schmidt, Wettbewerbspolitik und Kartellrecht, 1996, S. 28 ff.; zur demokratiepolitischen Funktion des Kartellrechts W. Fikentscher, Deutsches Kartellrecht - ein systematischer Uberblick, 1992, S. 173. Eine Diskussion der verschiedenen Leitbilder im Zusammenhang mit europäischem Kartellrecht findet sich bei Th. Ackermann, Art. 85 Abs. 1 E G V und die rule of reason, 1997, S. 65 ff. 391 Zur Frage der territorialen Beschränkungen in Patentlizenzverträgen s. beispielsweise das deutsche Recht einerseits (oben S. 142 ff.), das europäische Recht andererseits (unten S. 295 ff.). 392 Dies veranlasste in der Frühphase manche Autoren dazu, die Anwendung der Wettbewerbsregeln auf Immaterialgüterrechte strikt abzulehnen, s. z.B. M. Götzen (Gewerblicher Rechtsschutz und Gemeinsamer Markt, G R U R Int. 1958, 224, 226): „Man wird daher nicht
290
4. Teil: Europäisches
Recht
Dabei stellt sich die Problematik der kartellrechtlichen Schranken des Immaterialgüterschutzes auf europäischer Ebene mit derselben, wenn nicht stärkeren Intensität als auf nationaler Ebene. 393 Die im Vergleich zum nationalen Recht „überschießende" Problematik besteht darin, dass Immaterialgüterrecht immer noch zu großen Teilen nationales Recht ist, die Wettbewerbsregeln des Vertrags und das einschlägige Sekundärrecht aber mit der Vorrangwirkung des Gemeinschaftsrechts ausgestattet sind. Der Schluss, dass sich dann im Konfliktsfall eben die mit Vorrang ausgestatteten europäischen Wettbewerbsvorschriften gegenüber den nationalen immaterialgüterrechtlichen Regeln durchsetzen, wäre genauso verfehlt wie die entgegengesetzte Auffassung, europäisches Wettbewerbsrecht niemals auf nationale Immaterialgüterrechte anzuwenden. 394 Im Gegensatz zu diesen Extremstandpunkten ist europäisches Recht so auszulegen, dass die Anliegen von Wettbewerbsrecht einerseits und Immaterialgüterrecht andererseits in gleicher Weise erfüllt werden. Zu diesem Zweck muss die Lücke gefüllt werden, die sich durch die Nichtberücksichtigung des Immaterialgüterrechts im Rahmen der Wettbewerbsregeln ergibt. Bei dieser Lückenfüllung ist weniger die Vorrangwirkung des Gemeinschaftsrechts hilfreich als eine Besinnung auf die Grundfunktionen von Kartellrecht einerseits und Immaterialgüterschutz andererseits. 1.
Ausgangspunkt
Zahlreiche Probleme des Verhältnisses von europäischem Kartellrecht und Immaterialgüterrecht stellen sich in ähnlicher Weise wie beim Verhältnis der gemeinschaftsrechtlichen Grundfreiheiten zum Immaterialgüterrecht. 395 Beiden Problemkreisen ist gemein, dass ein Spannungsverhältnis zwischen zwei Regebestreiten können, daß Art. 85 und 86 sich nicht auf das gewerbliche Eigentum beziehen, welches Art. 36 im Rahmen des Vertrages ebenso wie die öffentliche Ordnung, die Sittlichkeit, die Gesundheit und das Leben der Menschen usw. zu einer,vorbehaltenen' Materie gemacht hat."; G.H.C. Bodenhausen (Der EWG-Vertrag und der gewerbliche Rechtsschutz, GRUR Int. 1958, 218, 221 f.) verlangte - weniger weitgehend - den Erlass von Spezialvorschriften gem. Art. 87 vor einer Anwendung des europäischen Kartellrechts auf gewerbliche Schutzrechte. Dagegen P. Verhören van Themaat, Die Bedeutung von Art. 36 für die kartellrechtliche Beurteilung von Patentlizenzverträgen nach Art. 85 des EWG-Vertrages, GRUR Int. 1964, 21. 393 „Das Verhältnis zwischen den Wettbewerbsregeln des EWGV und den nationalen, gewerblichen Schutzrechten und namentlich dem nationalen Urheber-, Warenzeichen- und Patentrecht gehört zu den schwierigsten Fragen des Gemeinschaftsrechts überhaupt." (V. Emmerich, Fälle zum Wahlfach Wettbewerbsrecht, 2. Aufl., München 1981, S. 181.). Einen Uberblick über das Verhältnis des europäischen und deutschen Kartellrechts zum Immaterialgüterschutz gibt U. Loewenheim, Antitrust Aspects of Intellectual Property - Reviewed from a German and European Viewpoint - , 1994, S. 293 ff. 394 S. zu diesem Standpunkt oben Fn. 392. 395 Vgl. nur EuGH, 29.2.1968, Parke, Davis & Co./Probel u.a., Rs.24/67, Slg. 1968, 85 (112): Die Vorschriften über den freien Warenverkehr seien ein „vergleichbares Gebiet" im Verhältnis zu den Wettbewerbsregeln.
C. Immaterialgüterschutz
und europäisches
Kartellrecht
291
lungsmaterien aufzulösen ist. Die Ähnlichkeit ist um so größer, als im Fall des Immaterialgüterrechts nicht nur die Wettbewerbsregeln, sondern auch die Grundfreiheiten letztlich auf privates Handeln angewendet werden. 3 9 6 Die Ähnlichkeit der Problemstellung hat dazu geführt, dass für beide Problemkreise dieselben Grundkategorien entwickelt wurden, nämlich die Unterscheidung von Bestand und Ausübung sowie die Lehre vom spezifischen Gegenstand. Die Auffassung, dass im Rahmen von Grundfreiheiten und Wettbewerbsregeln gleiche Kategorien zur Behandlung der immaterialgüterrechtlichen Problematik erforderlich sind, ist weit verbreitet. Die Zweifel an einer solchen Notwendigkeit wachsen allerdings. Im folgenden wird der Standpunkt vertreten, dass das Konzept vom spezifischen Gegenstand auf den Konflikt von europäischem Kartellrecht und Immaterialgüterrecht nicht passt (3.). Zuvor soll allerdings auf die wettbewerbsrechtlichen Aspekte der Unterscheidung von Bestand und Ausübung eingegangen werden (2.). 2. Trennung von Bestand a) „ Consten
und
und
Ausübung
Grundig/Kommission"
Grundlegend ist die Entscheidung in der Rechtssache „Consten und Grundig/ Kommission". 3 9 7 Der Gerichtshof stellte dort fest, dass Art. 85 E W G V (= Art. 81 E G V ) auch auf Vereinbarungen über Warenzeichen anwendbar sei. 3 9 8 Die anderen Vorschriften des Vertrags, insbesondere Art. 222 E W G V stünden nicht entgegen. Die Anwendung von Art. 85 E W G V auf gewerbliche Schutzrechte „läßt den Bestand dieser Rechte unberührt und beschränkt nur ihre Ausübung, soweit dies zur Durchsetzung des Verbots des Artikels 85 Absatz 1 erforderlich ist." 3 9 9 b) Zusammenhang
mit der Kompetenzordnung
des
Vertrags
Auch beim Konflikt der europäischen Wettbewerbsregeln mit Rechten des geistigen Eigentums legt der Gerichtshof also seine Unterscheidung von Bestand und Ausübung dieser Rechte zugrunde. 400 Wie bei den Grundfreiheiten 396 p r i v a t e Rechte werden über den Umweg der staatlichen Rechtsetzung und Rechtsanwendung dem Staat zugerechnet, s. hierzu oben S. 219 f. 3 9 7 E u G H , 13.7.1966, Consten und Grundig/Kommission, Verb. Rs. 56 und 58/64, Slg. 1966,321. 3 9 8 „Consten und Grundig" Slg. 1 9 6 6 , 3 2 1 (394). Ebenso für Patente E u G H , 29.2.1968, Parke, Davis & C o . / P r o b e l u.a., Rs.24/67, Slg. 1968, 85 (112); s. auch E u G H , 13.7.1966, Italien/Rat u. Kommission, Rs.32/65, Slg. 1966, 457 (486). Damit war denjenigen der Boden entzogen, die von der Unanwendbarkeit europäischen Kartellrechts auf nationale Schutzrechte ausgingen (s. oben Fn. 392). 3 9 9 „Consten und Grundig" Slg. 1966, 321 (394); „Parke, Davis & C o . / P r o b e l u.a." Slg. 1968, 85 (113). 4 0 0 Die Unterscheidung wurde (in den vorstehend zitierten Entscheidungen „Consten und Grundig" sowie in „Parke, Davis & Co./Probel u.a.") ursprünglich sogar am Beispiel der
292
4. Teil: Europäisches
Recht
erfolgt diese Unterscheidung ursprünglich im Zusammenhang mit der Kompetenzordnung des Vertrags, insbesondere mit Art. 222 EWGV (= Art. 295 EGV). Auch hier besteht die ursprüngliche Funktion der Unterscheidung in der Abgrenzung der Zuständigkeit: Die Mitgliedstaaten sind (ausschließlich) zuständig für den Bestand der (nationalen) Schutzrechte. Die Gemeinschaft besitzt (konkurrierende) Zuständigkeit für den Bereich der Ausübung.401 c) Anwendbarkeit
der
Wettbewerbsregeln
In „Sirena/Eda" hat der Gerichtshof diese gemeinschaftliche Zuständigkeit am Beispiel des Art. 85 EWGV präzisiert. Danach kann die Ausübung eines Schutzrechts „immer dann unter die Verbotsvorschriften des Vertrages fallen, wenn sich herausstellt, dass sie Gegenstand, Mittel oder Folge einer Kartellabsprache ist." 402 Auch in Bezug auf Art. 86 EWGV (= Art. 82 EGV) hat der Gerichtshof die Unterscheidung von Bestand und Ausübung präzisiert. Die schlichte Nutzung von Schutzrechten fällt danach nicht in den Anwendungsbereich von Art. 86 EWGV, sondern ist dem Bestand des Rechts zuzurechnen. 403 d) Unanwendbarkeit
der Inhaltstheorie
im europäischen
Recht
Wie bereits gezeigt wurde, hat die Trennung von Bestand und Ausübung keinen heuristischen Wert für die Lösung konkreter Konfliktslagen. 404 Sie dient abstrakt der Legitimation der Ausdehnung von Gemeinschaftszuständigkeiten in Bereiche, für die auch der nationale Gesetzgeber zuständig ist. 405 Die konkrete Ausfüllung der Unterscheidung von Bestand und Ausübung hat durch andere Konzepte zu erfolgen. Die Inhaltstheorie des deutschen Rechts scheidet im Gemeinschaftsrecht allerdings von vornherein aus: Würde der immer noch überwiegend im nationalen Recht umschriebene Schutzbereich des Immaterialgüterrechts zur absoluten Grenze für die Anwendung der europäischen Wettbewerbsregeln, wäre der Grundsatz vom Vorrang des Gemeinschaftsrechts verletzt. 406 Im Gemeinschaftsrecht muss der Konflikt zwischen WettbewerbsWettbewerbsregeln entwickelt und erst später (in E u G H , 8.6.1971, Deutsche Grammophon/ Metro, Rs. 78/70, Slg. 1971, 487) auf die Grundfreiheiten übertragen. 401 S. die entsprechenden Ausführungen zu den Grundfreiheiten oben S. 238 f. 402 E u G H , 11.2.1971, Sirena/Eda, Rs. 40/70, Slg. 1971, 69 (83 Tz. 9), ständige Rechtsprechung, s. z.B. E u G H , 15.6.1976, EMI Records/CBS United Kingdom Limited, Rs.51/75, Slg. 1976, 811 (850 Tz. 27); E u G H , 14.9.1982, Keurkoop/Nancy Kean Gifts, Rs. 144/81, Slg. 1982, 2853 (2873 Tz. 27); E u G H , 6.10.1982, Coditel II, Rs. 262/81, Slg. 1982, 3381 (3401 Tz. 14); EuG, 12.6.1997, Tierce Ladbroke/Kommission, T-504/93, Slg. 1997,11-923 (11-973 Tz. 146). 403 E u G H , 9.4.1987, Basset/SACEM, Rs. 402/85, Slg. 1987, 1747 (1769 Tz. 18). 404 S.o.S.195ff. 405 H. Ullrich weist darauf hin, dass die Unterscheidung von Bestand und Ausübung gerade zur Erstreckung der Kartellaufsicht auf die Verwertung von Schutzrechten eingeführt wurde (H. Ullrich, in I/M EG-Wettbewerbsrecht, Bd. I, 1997, S. 1221 f. Rdnr. 15). 406 SuckerlGuttuso, in von der Groeben Art. 85 EGV - Fallgruppen Immaterialgüterrechte Rdnr. 15; H. Johannes, Gewerblicher Rechtsschutz und Urheberrecht im Europäischen Ge-
C. Immaterialgüterschutz
und europäisches
Kartellrecht
r e c h t u n d I m m a t e r i a l g ü t e r s c h u t z also a n d e r s , u n d z w a r a u t o n o m
293 gemein-
schaftsrechtlich gelöst w e r d e n . 4 0 7 e) Gemeinschaftsrechtliche
Schutzrechte
A b e r auch für den K o n f l i k t von europäischem Kartellrecht und Schutzrechten des G e m e i n s c h a f t s r e c h t s k o m m t die I n h a l t s t h e o r i e a u f g r u n d i h r e r
konzep-
t i o n e l l e n S c h w ä c h e n n i c h t in F r a g e . 4 0 8 S o s i e h t A r t . 2 2 A b s . 1 d e r V e r o r d n u n g ü b e r die G e m e i n s c h a f t s m a r k e 4 0 9 die M ö g l i c h k e i t t e r r i t o r i a l e r B e s c h r ä n k u n g e n i n L i z e n z v e r t r ä g e n ü b e r eine G e m e i n s c h a f t s m a r k e o d e r die M ö g l i c h k e i t a u s s c h l i e ß l i c h e r L i z e n z e n v o r . 4 1 0 A u f d e r G r u n d l a g e d e r I n h a l t s t h e o r i e w ä r e die meinschaftsrecht, 1973, S. 20; E.-J. Mestmäcker, Europäisches Wettbewerbsrecht, 1974, S. 469 f. Dieser Gedanke war nicht immer selbstverständlich: G. Schrans (Die Bedeutung der Art. 36 und 85 des EWG-Vertrages für Patentlizenzverträge, G R U R Int.1964, 626, 629) wollte die aus den nationalen Unterschieden resultierende Verzerrungen hinnehmen und dagegen im Einzelfall nach dem in Art. 101 E W G V vorgesehenen Verfahren vorgehen. Auch die Kommission ging in ihrer „Bekanntmachung über Patentlizenzverträge" vom 24.12.1962 (ABl. 2922/62, sog. „Weihnachtsbekanntmachung") ursprünglich von der Inhaltstheorie aus. Der Einfluss deutschen Kartellrechts auf die Bekanntmachung war unverkennbar bis ins Detail. So wurden Beschränkungen hinsichtlich Art, Umfang, technischem Anwendungsbereich, Menge, Gebiet oder Zeit der Schutzrechtsausübung dem Anwendungsbereich von Art. 81 Abs. 1 E G V ebenso entzogen wie die Pflicht zur Anbringung von Patentvermerken, technisch bedingte Beschaffenheits- und Bezugsbindungen, Rückgewährklauseln und (so nicht im deutschen Recht) die Vereinbarung der Ausschließlichkeit. Die im deutschen Recht damals erlaubte vertikale Preisbindung und die Nichtangriffsklauseln wurden nicht in die Bekanntmachung aufgenommen. Die Weihnachtsbekanntmachung wurde am 22.8.1984 widerrufen (ABl. C 220/14, s. auch die Bekanntmachung in ABl. 1979 C 58/11 v. 3.3.1979). Sie stand nicht in Ubereinstimmung mit der G F V O Patentlizenzvereinbarungen (Verordnung (EG) Nr. 2349/84 der Kommission über die Anwendung von Artikel 85 Absatz 3 des Vertrages auf Gruppen von Patentlizenzvereinbarungen vom 23.7.1984, ABl. L 219/15), die am 1.1.1985 in Kraft trat. Zur Weihnachtsbekanntmachung und den lange vor dem offiziellen Widerruf erfolgenden Absetzbewegungen der Kommission s. E.-J. Mestmäcker, Europäisches Wettbewerbsrecht, 1974, S. 468 ff.; O. Axster, Gemeinschaftskommentar (3. Aufl., 10. Lieferung 1978), Vorb. § § 20, 21 G W B Rdnr. 125 ff.; D. Goyder, E C Competition Law, 3. Aufl. 1998, S. 263 ff. 4 0 7 Dies schließt nicht aus, dass auf der Ebene des Gemeinschaftsrechts die genaue Ausgestaltung von Immaterialgüterrechten auf nationaler Ebene zu berücksichtigen ist. In „Windsurfing International" (unten Fn. 448, Slg. 1986, 650 f. Tz. 26-28) sprach der Gerichtshof der Kommission zwar die Kompetenz ab, den Schutzbereich eines nationalen Patents zu bestimmen. Dennoch könne in dieser Hinsicht nicht jede Beurteilung unterbleiben, wenn der Schutzbereich für die Frage von Bedeutung sei, ob eine Verletzung der Art. 81 oder 82 E G V vorliege. Die Beurteilung der Kommission greife der Entscheidung nationaler Gerichte in keiner Weise vor. Die Nachprüfung des Gerichtshofs habe sich auf die Frage zu beschränken, ob die Kommission den Umfang des nationalen Schutzrechts in sachgerechter Weise beurteilt habe. S. o. S. 147 ff. Verordnung (EG) Nr. 40/94 des Rates über die Gemeinschaftsmarke vom 20.12.1993 (ABl. 1994 L 11/1). 4 1 0 Art. 22 Abs. 2 der Verordnung über die Gemeinschaftsmarke stellt klar, dass Verstöße gegen territoriale Abreden auch markenrechtlich verfolgt werden können. Diese Möglichkeit 408
409
294
4. Teil: Europäisches
Recht
Anwendung von Kartellrecht auf solche immaterialgüterrechtlich zugesprochenen Befugnisse ausgeschlossen. 411 Diese Lösung scheitert im Gemeinschaftsrecht aber schon daran, dass eine Vorschrift des Sekundärrechts nicht den Anwendungsbereich einer primärrechtlichen N o r m (Art. 81 EGV) beschränken kann. Die genannten Beschränkungen bei der Lizenzierung von gemeinschaftsrechtlichen Schutzrechten unterliegen also in vollem Umfang der allgemeinen kartellrechtlichen Kontrolle. 412 3. Spezifischer Gegenstand gewerblicher
Schutzrechte
Da das Gemeinschaftsrecht keine ausdrückliche Regelung zur Auflösung dieses Konflikts enthält, besteht Unsicherheit über die maßgeblichen Kriterien. In „Sirena/Eda" 413 zog der Gerichtshof Art. 36 EWGV (= Art. 30 EGV) heran. Die Vorschrift gehöre zwar zu den Bestimmungen über den freien Warenverkehr. Sie sei aber Ausfluss eines Grundsatzes, der auch im Wettbewerbsrecht Anwendung finden könne. 414 Der Gerichtshof verwies in diesem Zusammenhang zwar lediglich auf die Trennung von Bestand und Ausübung gewerblicher Schutzrechte. Später zog er aber auch die Lehre vom spezifischen Gegenstand für das Verhältnis von Gemeinschaftskartellrecht und nationalem Immaterialgüterschutz heran. 415 Die Verwendung derselben Grundkategorie, nämlich der Lehre vom spezifischen Gegenstand, für das Verhältnis von Grundfreiheiten und Immaterialgüterschutz einerseits und von Kartellrecht und Immaterialgüterschutz andererseits, legt die Schlussfolgerung nahe, dass der Begriff des spezifischen Gegenstands in beiderlei Zusammenhängen gleich zu verstehen ist. Von diesem
bezieht sich allerdings nur auf die Anbringung der Marke. Anderen Benutzungsformen, insbesondere dem Verkauf von Markenware außerhalb des Lizenzgebiets, kann nur vertraglich entgegengetreten werden, s. v. Mühlendahl/Ohlgart, Die Gemeinschaftsmarke, 1998, §9 Rdnr. 37. Die Möglichkeit ausschließlicher Nutzungsrechte und/oder territorialer Beschränkungen in Lizenzverträgen enthalten auch Art. 27 Abs. 1 S. 2 der Verordnung über den gemeinschaftlichen Sortenschutz, Art. 73 EPU und Art. 19 Abs. 1 des Verordnungsvorschlags über das Gemeinschaftspatent (s.o. Fn. 112). 411 Zur Parallelproblematik im US-amerikanischen Recht s. Tom/Newberg, U.S. Enforcement Approaches to the Antitrust-Intellectual Property Interface, 1998, S. 343 (354). 412 v. MiihlendahUOhlgart, Die Gemeinschaftsmarke, 1998, § 9 Rdnr. 35. 413 E u G H , 11.2.1971, Sirena/Eda, Rs. 40/70, Slg. 1971, 69. 414 E u G H , Sirena/Eda, Slg. 1971, 69 (82 Tz. 5). In diesem Sinn auch schon E u G H , 29.2.1968, Parke, Davis & Co./Probel u.a., Rs.24/67, Slg. 1968, 85 (112 f.). Zur Heranziehung von Art. 36 EGV a.F. auch im Kontext der Wettbewerbsregeln Cohen Jehoram/Mortelmans G R U R Int. 1997, 11,13. 415 Eingehend hierzu R. Sack, Der „spezifische Gegenstand" von Immaterialgüterrechten als immanente Schranke des Art. 85 Abs. 1 EG-Vertrag bei Wettbewerbsbeschränkungen in Lizenzverträgen, RIW 1997, 449 ff.; s. auch Langen/von Stoephasius, KartR, 9. Aufl. 2001, Art. 81 EGV - Fallgruppen Rdnr. 224 f. 416 R. Sack (oben Fn. 415), S. 451; s. aber auch ders., W R P 1999, 592 (595). A.A. Ebenroth/
C. Immaterialgüterschutz
und europäisches
Kartellrecht
295
Standpunkt geht man in der Lehre auch vielfach aus. 416 Eine Untersuchung der Gruppenfreistellungsverordnung Technologietransfer (a) und der Rechtsprechung des Gerichtshofs (b) wird allerdings zeigen, dass der Begriff des spezifischen Gegenstands im Zusammenhang mit dem europäischen Kartellrecht abweichend gehandhabt wird. Diese Abweichung ist im Sinne einer geringeren Bedeutung des spezifischen Gegenstands im europäischen Kartellrecht-verglichen mit den Grundfreiheiten - zu deuten (c). Der Grund hierfür besteht in der besonderen Aufgabe der Wettbewerbsregeln (d). Die Abweichung lässt sich durch das Verhältnis von Grundfreiheiten und Wettbewerbsregeln veranschaulichen (e). a) Anhaltspunkte
im
Sekundärrecht
Auch wenn die Lehre vom spezifischen Gegenstand den Anspruch erhebt, ein allgemeines Konzept für das Verhältnis von Kartellrecht und Immaterialgüterrecht anzubieten, liegen ihre in der Praxis wichtigsten Anwendungsfälle auf dem Gebiet des Lizenzkartellrechts. Inwieweit einzelne Lizenzklauseln dem spezifischen Gegenstand des jeweiligen Schutzrechts unterfallen oder darüber hinausgehen, ist Gegenstand einer unübersichtlichen Kasuistik. 4 1 7 (1) Die Gruppenfreistellungsverordnung Technologietransfer ( „ G F V O - T T " ) Zur vorläufigen Orientierung, jedenfalls für Lizenzen an Patenten, Gebrauchsmustern, Topographien, ergänzenden Schutzzertifikaten, Sortenschutzrechten und Know-how, kann die G F V O Technologietransfer herangezogen werden. 4 1 8 Sie löste die beiden Vorgängerverordnungen zu PatentlizenzvereinbaBohne, Gewerbliche Schutzrechte und Art. 86 EG-Vertrag nach der Magill-Entscheidung, E W S 1995, 397 (400), die zwar zugestehen, dass die Schlussfolgerungen über den spezifischen Gegenstand im Rahmen des Art. 36 E G V a.F. auf Art. 86 E G V a.F. analog angewendet werden könnten; innerhalb der Schutzrechtsabwägung in Art. 86 E G V a.F. könnten sich aber durchaus unterschiedliche Lösungen ergeben. 4 1 7 Instruktiver Uberblick bei R. Sack, Zur Vereinbarkeit wettbewerbsbeschränkender Abreden in Lizenz- und Know-how-Verträgen mit europäischem und deutschem Kartellrecht, W R P 1999, 592 ff. 4 1 8 Verordnung ( E G ) Nr. 240/96 der Kommission zur Anwendung von Artikel 85 Absatz 3 des Vertrages auf Gruppen von Technologietransfer-Vereinbarungen vom 31.1.1996 (ABl. L 31/2). S. hierzu folgende Stellungnahmen: Wirtschafts- und Sozialausschuß, Stellungnahme vom 25.1.1995 (ABl. C 102/1); Deutsche Vereinigung für gewerblichen Rechtsschutz und Urheberrecht e.V., Eingabe vom 19.5.1994, G R U R 1994, 499; dies., Eingabe vom 8.5.1995, G R U R 1995,480-483. Nachweise weiterer (nicht veröffentlichter) Stellungnahmen findet sich bei Th. Stoffmehl, Technologietransfer im europäischen Kartellrecht durch Gruppenfreistellung, 1997, S. 22 f. Eine Einführung in die Klauselkataloge findet sich bei St. Anderman, EC Competition Law and Intellectual Property Rights, 1998, S. 102 ff. H. Ullrich (Lizenzverträge im europäischen Wettbewerbsrecht: Einordnung und Einzelfragen, Mitteilungen der deutschen Patentanwälte 1998, Heft 2, 50) stellt eine Stagnation des europäischen Lizenzkartellrechts nach Verabschiedung der Patentlizenz- und der Know-how-Gruppenfreistellungsverordnung fest, die nur kurz durch die Diskussion um die G F V O Technologietransfer unterbrochen wurde.
296 rangen419
4. Teil: Europäisches
Recht
u n d K n o w - h o w - V e r e i n b a r u n g e n 4 2 0 a b u n d stellt b e s t i m m t e L i z e n z -
v e r t r ä g e ü b e r die g e n a n n t e n S c h u t z r e c h t e v o m K a r t e l l v e r b o t f r e i . 4 2 1
Diese
b e i d e n V e r o r d n u n g e n w a r e n z u n e h m e n d als z u r e s t r i k t i v f ü r d e n T e c h n o l o g i e t r a n s f e r a n g e s e h e n w o r d e n . Z u d e m w a r die K n o w - h o w - V e r o r d n u n g g r o ß z ü g i ger a n g e l e g t als die v i e r J a h r e ä l t e r e P a t e n t l i z e n z - V e r o r d n u n g . 4 2 2 D i e K a u t e l a r j u r i s p r u d e n z b e m ü h t e sich d e s h a l b d a r u m , d u r c h eine M i s c h u n g v o n P a t e n t u n d K n o w - h o w - E l e m e n t e n in d e n A n w e n d u n g s b e r e i c h d e r j ü n g e r e n V e r o r d n u n g zu g e l a n g e n . 4 2 3 D a das S u b s u m t i o n s r i s i k o b e i d e n U n t e r n e h m e n b l i e b , w a r e n a l l e r d i n g s e r h e b l i c h e U n s i c h e r h e i t e n die F o l g e . 4 2 4 A l s e i n e r d e r H a u p t v o r z ü g e d e r G F V O T e c h n o l o g i e t r a n s f e r gilt d e r W e g f a l l s o l c h e r A b g r e n z u n g s s c h w i e r i g k e i t e n d u r c h Z u s a m m e n f ü h r u n g der b e i d e n M a t e r i e n . 4 2 5 D a s a n d e r e C h a r a k t e r i s t i k u m der R e f o r m b e s t e h t in e i n e r w e i t e r e n L o c k e r u n g des K a r t e l l v e r b o t s . 4 2 6 D i e „ w e i ß e L i s t e " , also der K a t a l o g der e i n e r F r e i s t e l l u n g n i c h t e n t 4 1 9 Verordnung (EG) Nr. 2349/84 der Kommission über die Anwendung von Artikel 85 Absatz 3 des Vertrages auf Gruppen von Patentlizenzvereinbarungen vom 23.7.1984 (ABl. L 219/15). Diese wiederum hatte die „Weihnachtsbekanntmachung" verdrängt, s.o. Fn. 406. 4 2 0 Verordnung (EG) Nr. 556/89 der Kommission zur Anwendung von Artikel 85 Absatz 3 des Vertrages auf Gruppen von Know-how-Vereinbarungen vom 30.11.1988 (ABl. 1989 L 61/1). 4 2 1 Die G F V O - T T findet gem. Art. 5 Abs. 1 Nr. 5 keine Anwendung auf Lizenzvereinbarungen, die ausschließlich den Vertrieb betreffen. Auf Vertriebsverträge, in denen Abreden über die Übertragung oder Nutzung von Rechten des geistigen Eigentums lediglich Nebenbestimmungen darstellen, findet die G F V O Vertikalvereinbarungen Anwendung, s. Art. 2 Abs. 3 der Verordnung (EG) Nr. 2790/99 der Kommission vom 22.12.1999 über die Anwendung von Artikel 81 Absatz 3 des Vertrages auf Gruppen von vertikalen Vereinbarungen und aufeinander abgestimmten Verhaltensweisen (ABl. L 336/21). Diese Voraussetzungen hat die Europäische Kommission in Tz. 30 ff. ihrer „Leitlinien für vertikale Beschränkungen" konkretisiert (ABl. C 291/1 V. 13.10.2000). Die G F V O Vertikalvereinbarungen ist gem. ihrem Art. 2 Abs. 5 anderen GFVOen, also auch der G F V O Technologietransfer subsidiär, s. näher zu diesem Verhältnis W. Veelken, in I/M EG-Wettbewerbsrecht, Ergänzungsband, 2001, G F V O , S. 20 ff. Rdnr. 41 ff. Zur G F V O Vertikalvereinbarungen s. Th. Ackermann, EuZW 1999, 741 ff.; F. Bayreuther, EWS 2000, 106 ff.; K. Pukall, N J W 2000, 1375 ff. 4 2 2 Zu den Unterschieden der beiden Verordnungen s. Winkler/Jugel, EuZW 1996, 364 (365). 4 2 3 Als Gebrauchsanweisung hierfür wurde Erwägungsgrund 2, 2. Spiegelstrich der Know-how-Verordnung angesehen: Die Erstreckung eines gemischten Vertrags auf Mitgliedstaaten ohne Patentschutz eröffnete auch im Falle der „notwendigen Patente" den Zugang zur milderen Know-how-Verordnung. Allgemein zur Abgrenzungsfrage s. A. Benczek, Die Beurteilung gemischter Know-how- und Patentlizenzverträge nach EG-Kartellrecht, 1996. Zum Zustand vor der Know-how-GFVO s. L. Schmid, Gebietsbeschränkungen in Patentlizenzund Know-How-Verträgen im Wettbewerbsrecht der USA und der EG, 1987, insbesondere S. 262 ff. 4 2 4 G. Wiedemann, Erste Erfahrungen mit den EWG-Gruppenfreistellungsverordnungen, insbesondere für Patentlizenz- und Know-how-Vereinbarungen, G R U R Int. 1990, 807 (812). 425 H.R. Ebel, WuW 1996, 779 (787); W. Kleinmann, EWS 1996, 149 (155); A. Robertson, E C L R 1996, 157 (162); Winkler/Jugel, EuZW 1996, 364 (367). 426 H. Ullrich (Lizenzverträge im europäischen Wettbewerbsrecht: Einordnung und Einzelfragen, Mitteilungen der deutschen Patentanwälte 1998, Heft 2, 50 f.) kritisiert die Erleichterungen als zu weitgehend und hält den dadurch erreichten Rechtsfrieden für trügerisch.
C. Immaterialgüterschutz
und europäisches
Kartellrecht
297
g e g e n s t e h e n d e n K l a u s e l n in A r t . 2 d e r V e r o r d n u n g w u r d e e r h e b l i c h a u s g e w e i tet, d i e „ s c h w a r z e L i s t e " , a l s o d e r K a t a l o g d e r f r e i s t e l l u n g s f e i n d l i c h e n K l a u s e l n in A r t . 3 w u r d e g e s t r a f f t . 4 2 7 Z u m Teil g e s c h a h d i e s d u r c h e i n e U m f ä r b u n g v o n „ s c h w a r z " in „ g r a u " . 4 2 8 D i e V e r e i n b a r u n g e i n e r N i c h t a n g r i f f s k l a u s e l f ü h r t n u n n i c h t m e h r a u t o m a t i s c h z u m W e g f a l l d e r F r e i s t e l l u n g ; v i e l m e h r ist d a s W i d e r spruchsverfahren gem. Art. 4 der Verordnung einschlägig.429 Die Regelungen der Vorgängerverordnungen über den Gebietsschutz wurd e n v o r s i c h t i g f o r t g e s c h r i e b e n . 4 3 0 W e i t e r h i n s i n d E x p o r t v e r b o t e in g r o ß e m U m f a n g v o m Kartellverbot freigestellt. Neben den üblichen Klauseln zur Hers t e l l u n g d e r A u s s c h l i e ß l i c h k e i t ( A r t . 1 A b s . 1 N r . 1 bis 4 G F V O T e c h n o l o g i e t r a n s f e r ) k a n n n i c h t n u r d e r a k t i v e W e t t b e w e r b e i n e s L i z e n z n e h m e r s in d e n Vertrags gebieten anderer L i z e n z n e h m e r untersagt werden; auch der passive Wettbewerb, also der Verkauf des Lizenzerzeugnisses außerhalb des Vertragsgebiets a u f g r u n d nicht selbst veranlasster L i e f e r a n f r a g e n k a n n für einen Zeitr a u m v o n f ü n f J a h r e n a u s g e s c h l o s s e n w e r d e n ( A r t . 1 A b s . 1 N r . 6 i.V. m i t A b s . 2 bis 4 G F V O Technologietransfer).431 Der B e g i n n der Fünf-Jahres-Frist w u r d e nach hinten verschoben.432 427 Eine eingehende Untersuchung der Unterschiede findet sich bei A. Meyer, GRUR Int. 1997,498 ff. Aus dem Einleitungssatz zu Art. 3 der Verordnung folgt die Beibehaltung des „Alles-oder-Nichts"-Prinzips: Das Vorliegen einer schwarzen Klausel führt nicht lediglich zu deren Unwirksamkeit, sondern zum Wegfall der Freistellung insgesamt. S. hierzu s. O. Axster, Das „Alles-oder-Nichts-Prinzip" der EG-Gruppenfreistellungsverordnungen, WuW 1994, 615 ff. Eine noch radikalere Form des „Alles-oder-Nichts-Prinzips" ist die Lehre vom patent misuse im angloamerikanischen Recht, die während der Missbrauchsdauer die Rechte aus dem Patent vollständig und gegenüber jedermann ruhen lässt, s. dazu oben S. 46 ff. 428 Klauseln, die aus den alten schwarzen Listen gestrichen wurden, können nach der neuen Rechtslage immer noch unter das Widerspruchsverfahren des Art. 4 fallen, wenn es sich um „wettbewerbsbeschränkende" Verpflichtungen handelt. Da dies von einer Gesamtwürdigung abhängt, besteht für diese ehemals schwarzgelisteten Klauseln ein erhebliches Subsumti1997, S. 295 ff. onsrisiko, so P. Chrocziel, FS Lieberknecht, 429 Art. 4 Abs. 2 b) GFVO Technologietransfer. Vgl. demgegenüber die Schwarzlistung der Nichtangriffsklausel in Art. 3 Nr. 1 der Patentlizenz- und in Art. 3 Nr. 4 der Know-how-Verordnung. 430 Zur zentralen Bedeutung der ausschließlichen Gebietslizenz für das Verständnis der Verordnung s. H. Ullrich, Lizenzverträge im europäischen Wettbewerbsrecht: Einordnung und Einzelfragen, Mitteilungen der deutschen Patentanwälte 1998, Heft 2, 50 (52). 431 Diese Möglichkeit des Gebietsschutzes wird durch andere Vorschriften der Verordnung flankiert: Weiß gelistet ist gem. Art. 2 Abs. 1 Nr. 14 der Vorbehalt des Lizenzgebers, gegen Gebietsverstöße durch den Lizenznehmer aus dem Patent vorzugehen. Schwarz gelistet sind: - die Verpflichtung, an Exportwillige im eigenen Vertragsgebiet ohne sachlichen Grund nicht zu liefern (Art. 3 Nr. 3 a), - die Verpflichtung, ohne sachlichen Grund den Bezug der Lizenzerzeugnisse von Wiederverkäufern zu erschweren, insbesondere Rechte des geistigen Eigentums trotz Erschöpfung des Schutzrechts hiergegen geltend zu machen (Art. 3 Nr. 3 b; dem „in particular" in der englischen und „en particulier" in der französichen Fassung entspricht es, die deutsche Version um ein „insbesondere" zu ergänzen),
298
4. Teil: Europäisches
Recht
H e r v o r z u h e b e n ist a u c h die E i n f ü h r u n g v o n M a r k t a n t e i l s s c h w e l l e n . G e m . A r t . 7 N r . 1 d e r V e r o r d n u n g k a n n die K o m m i s s i o n die F r e i s t e l l u n g u.a. d a n n e n t z i e h e n , w e n n die b e t r e f f e n d e V e r e i n b a r u n g d a z u f ü h r t , dass i m L i z e n z g e b i e t auf d e m M a r k t f ü r die L i z e n z e r z e u g n i s s e k e i n w i r k s a m e r W e t t b e w e r b b e s t e h t , „ w a s i n s b e s o n d e r e d a n n e i n t r e t e n k ö n n t e , w e n n der L i z e n z n e h m e r
einen
M a r k t a n t e i l v o n m e h r als 4 0 % h ä l t " . 4 3 3 D i e s e R e g e l u n g d e u t e t eine R e l a t i v i e -
die Verlängerung der Gebietsschutzfristen, auch im Falle der Einbeziehung von Verbesserungserfindungen (Art. 3 Nr. 7; s. auch Erwägungsgrund 14). Der Entzug der Freistellung ist gem. Art. 7 möglich, - wenn auf dem Markt der betreffenden Lizenzerzeugnisse kein wirksamer Wettbewerb besteht (Art. 7 Nr. 1, dazu sogleich im Text), - wenn sich der Lizenznehmer ohne sachlichen Grund weigert, nach dem Ablauf der Gebietsschutzfrist passiven Wettbewerb zu ermöglichen (Art. 7 Nr. 2), - wenn sich die Vertragsparteien tatsächlich so verhalten, wie es den beiden in Art. 3 Nr. 3 a und b schwarzgelisteten Klauseln entspricht (Art. 7 Nr. 3). Umgehungen der Gebietsschutzvorschriften sollen verhindert werden durch die Schwarzlistung von Mengenbeschränkungen (Art. 3 Nr. 5, s. Erwägungsgrund 24), wovon wiederum Gegenausnahmen bestehen im Fall der Eigenbedarfsklausel (Art. 1 Abs. 1 Nr. 8), des „second sourcing" (Art. 2 Abs. 1 Nr. 13) und für das Verbot, die Technologie zur Errichtung von Anlagen für Dritte zu nutzen (Art. 2 Abs. 1 Nr. 12). Kritisch zur pauschalen Schwarzlistung von Mengenbeschränkungen die Deutsche Vereinigung für gewerblichen Rechtsschutz und Urheberrecht e. V., Eingabe vom 19.5.1994, G R U R 1994, 499 (503). 4 3 2 Während nach der Patentlizenz-Verordnung die Frist mit dem ersten Inverkehrbringen durch den Lizenzgeber oder den Lizenznehmer, bzw. nach der Know-how-Verordnung durch die Unterzeichnung der ersten Know-how-Vereinbarung in Gang gesetzt wurde, beginnt die Frist gem. Art. 1 Abs. 2 S.2 G F V O Technologietransfer jetzt erst duch das erste Inverkehrbringen durch einen der Lizenznehmer. Der Lizenzgeber hat dadurch die Möglichkeit, das Erzeugnis auf dem Markt zu testen, ohne die Freistellungsfrist zu verkürzen, s. hierzu A. Meyer, G R U R Int. 1997, 498 (499). 433 H. Lutz (Technologie-, Patent- und Know-how-Lizenzverträge im EG-Recht, R I W 1996,269) ist der Auffassung, dass Art. 7 nicht auf Altverträge angewendet werden könne, also auf Verträge, die nach den beiden außer Kraft getretenen G F V O freigestellt waren. Art. 7 der G F V O Technologietransfer ermögliche den Entzug der Freistellung nur in Bezug auf „eine nach dieser Verordnung freigestellte Vereinbarung", was bei Altverträgen gerade nicht der Fall sei. Die Rechtsgrundlagen in den beiden alten Gruppenfreistellungsverordnungen zum Entzug der Freistellung seien durch deren Außerkrafttreten weggefallen. Also blieben Altverträge „auf unbestimmte Zeit" wirksam.
Dem ist nicht zuzustimmen. Zwar gilt die auf den beiden Vorgängerverordnungen beruhende Freistellung für Altverträge gem. Art. 11 Abs. 3 G F V O Technologietransfer fort. Diese Fortwirkung kann aber nicht weitergehen als die Wirkung nach altem Recht. Die Freistellung war von vornherein belastet mit der Möglichkeit des Entzugs nach den Art. 9 der Patentlizenzbzw. Art. 7 der Know-how-Verordnung. Diese Belastung ist mit der Übertragung der Freistellung ins neue Recht übernommen worden. Da die beiden alten Rechtsgrundlagen außer Kraft getreten sind, kann jetzt gem. Art. 7 der G F V O Technologietransfer die Freistellung auch in Bezug auf Altverträge entzogen werden. Mit Rücksicht auf den Vertrauensschutz kann diese Entzugsmöglichkeit allerdings nicht weitergehen als nach altem Recht, so dass insbesondere die Anwendung der Marktanteilsregelung (Art. 7 Nr. 1 der Verordnung) für diese Fälle nur im Licht der Vorgängerverordnungen in Betracht kommt. In jedem Fall hat die Kommission die Möglichkeit, nach der einschlägigen Gruppenfreistellungs-Grundverordnung, also in diesem Fall der V O 19/65/EWG des Rates (ABl. 1965,
C. Immaterialgüterschutz
und europäisches
Kartellrecht
299
rung des bisher üblichen klauselbezogenen Denkens und einen Übergang zur Berücksichtigung der realen Marktverhältnisse an. 434 In der Diskussion um die G F V O Technologietransfer war die Marktschwellenregelung eine der umstrittensten Regelungen. Die Schärfe der Kritik beruhte allerdings in erster Linie darauf, dass das Marktschwellenkriterium ursprünglich als Anwendungsvoraussetzung für die ganze Verordnung und nicht als bloßes Entzugskriterium fungierte. 435 Zudem wurde Abstand davon genommen, ein isoliertes Marktanteilskriterium einzuführen. Die Entziehung der Freistellungswirkung hängt nun von der Abwesenheit wirksamen Wettbewerbs ab; der Marktanteil von mindestens 40 % ist hierfür nur ein Indiz. 436 Die Regelung steht damit in Ubereinstimmung mit Art. 81 Abs. 3 b) EGV, der eine Freistellung ausschließt, wenn eine Ausschaltung des Wettbewerbs zu befürchten ist. S. 533 mit späteren Änderungen) vorzugehen, nämlich gem. Art. 7 dieser Verordnung bei U n vereinbarkeit mit den Voraussetzungen von Art. 81 Abs. 3 EGV die Freistellung zu entziehen. 434 Kritisch zu Klauselkatalogen D. Gerher, Law and Competition in Twentieth Century Europe, 1998, S. 378 f. S. dazu bereits E u G H , 30.6.1966, LTM/Maschinenbau Ulm, Rs.56/65, Slg. 1966, 281 (302): Die Bestimmung des Art. 85 Abs. 1 E W G V „setzt somit eine Beurteilung der Auswirkungen der Vereinbarung unter zwei Gesichtspunkten voraus, die eine Würdigung wirtschaftlicher Zusammenhänge erfordern. Sie kann daher nicht in dem Sinne ausgelegt werden, daß sie bestimmte, durch ihre Rechtsnatur gekennzeichnete Arten von Vereinbarungen ausnahmslos erfaßte oder nicht erfaßte." Der Grundgedanke, dass nämlich der wirtschaftliche Zusammenhang und nicht die Art der Vereinbarung über die Anwendung von Art. 81 Abs. 1 EGV entscheidet, lässt sich auf die kartellrechtliche Beurteilung einzelner Vertragsklauseln übertragen: Nicht der Klauseltypus, sondern der rechtliche und wirtschaftliche Zusammenhang, in dem die Klausel steht, ist für das Merkmal der Wettbewerbsbeschränkung entscheidend. 435
Ursprünglich war geplant, bestimmte Marktanteile zur Anwendungsvoraussetzung der Freistellung von Exportverboten zu machen. Marktanteile (auf dem für die Lizenzerzeugnisse relevanten Markt) von (zunächst 10 Prozent, später von) mehr als 40 % hätten also dazu geführt, dass die Freistellungswirkung für Beschränkungen des Direktvertriebs von vornherein nicht eingetreten wären. Diese Pläne wurden scharf kritisiert: Wirtschafts- und Sozialausschuß, Stellungnahme vom 25.1.1995 (ABl. C 102/2); Deutsche Vereinigung für gewerblichen Rechtsschutz und Urheberrecht e.V., Eingabe vom 19.5.1994, G R U R 1994, 499 (500); dies., Eingabe vom 8.5.1995, G R U R 1995, 480 f.; s. hierzu im einzelnen Th. Stoffmehl, Technologietransfer im europäischen Kartellrecht durch Gruppenfreistellung, 1997, S. 127 ff. Die Ausgestaltung der Marktschwellenregelung als nachträgliche Uberprüfungsmöglichkeit nach dem Missbrauchsprinzip, in der ein Marktanteil von 40 % nicht das entscheidende Verbotsmerkmal, sondern ein bloßes Aufgreifkriterium ist, macht solche Bedenken gegenstandslos. H.R. Ebel (WuW 1996, 779, 788) räumt ein, dass es in der Praxis zu einer Anwendung dieser Bestimmung wohl nur im Ausnahmefall kommen werde. Zu den Hintergründen der Debatte s. H. Ullrich, Technology Transfer Agreements under EC-Competition Law: A Conservative Reform, 1996, S. 1 (25 ff.). 436 Ablehnend gegenüber den ursprünglichen Plänen beispielsweise der Wirtschafts- und Sozialausschuß, Stellungnahme vom 25.1.1995 (ABl. C 102/1, S. 2 f.). Die Kritik des Ausschusses basiert auf der Annahme, es bestehe eine hohe Wahrscheinlichkeit, dass die geschützten Produkte einen relevanten Markt bildeten. Diese Annahme steht allerdings der veralteten Sichtweise von Schutzrechten als legalen Monopolen nahe (s. unten S. 441 ff.). Außerdem wurde das Marktanteilskriterium in Art. 7 Nr. 1 der Verordnung so abgeschwächt, dass eine Marktanalyse nach allgemeinen Kriterien erforderlich ist.
300
4. Teil: Europäisches
Recht
A r t . 7 N r . 1 d e r G F V O T e c h n o l o g i e t r a n s f e r ist A u s d r u c k e i n e r m o d e r n e n Sicht des Verhältnisses v o n Kartellrecht und Immaterialgüterrecht. I n den u n t e r s c h i e d l i c h s t e n Z u s a m m e n h ä n g e n m a c h t sich die E r k e n n t n i s breit, dass m a t e riellen, w e t t b e w e r b s b e z o g e n e n v o r formalen, t y p e n b e z o g e n e n A s p e k t e n der Vorrang zu geben ist.437 D e r Vorschrift sollte deshalb im Prozess der R e c h t s a n w e n d u n g gesteigerte A u f m e r k s a m k e i t entgegengebracht werden. E i n e s y s t e m a t i s c h e B e h a n d l u n g d e r G F V O T e c h n o l o g i e t r a n s f e r ist i m R a h m e n d i e s e r A r b e i t n i c h t m ö g l i c h ; die f ü r G r u n d l a g e n f r a g e n r e l e v a n t e n A s p e k t e w e r d e n in die l a u f e n d e D a r s t e l l u n g i n t e g r i e r t . 4 3 8
4 3 7 Vgl. Europäische Kommission, X X V I . Bericht über die Wettbewerbspolitik 1996, 1997, S. 32 Tz. 49, mit ähnlicher Kritik im Bereich der vertikalen Wettbewerbsbeschränkungen: „Es wird zu viel Gewicht auf die Untersuchung von Klauseln und nicht genug Gewicht auf die wirtschaftlichen Auswirkungen der Vereinbarungen gelegt." In diesem Sinn auch Europäische Kommission, Grünbuch zur EG-Wettbewerbspolitik gegenüber vertikalen Wettbewerbsbeschränkungen v. 22.1.1997, K O M ( 9 6 ) 721 endg., S. 27 (s. auch S. iv): „ii. Einzelne Klauseln oder Formen von vertikalen Beschränkungen können nicht per se als negative oder positive Faktoren für Wettbewerb und Integration angesehen werden. iii. Die Kombination mehrerer vertikaler Beschränkungen erhöht nicht zwangsläufig etwaige wettbewerbswidrige Effekte, sondern kann durchaus zu günstigeren Ergebnissen führen. iv. Die Analyse sollte sich auf den Markteffekt anstatt auf die Form der Vereinbarungen konzentrieren, z.B. auf die Frage, ob der Markt durch das Zusammenspiel verschiedener Vereinbarungen abgeschottet wird oder ob die vertikale Beschränkung in Verbindung mit Marktmacht dem Produktions- oder Handelsunternehmen erlaubt, Preisdiskriminierungen nach Mitgliedstaaten zu praktizieren." Zu den Bemühungen um eine Reform des Rechts der vertikalen Wettbewerbsbeschränkungen s. A Riley, Vertical Restraints: A Revolution?, E C L R 1998,483 ff.; V Korah, The Future of Vertical Agreements under E.C. Competition Law, E C L R 1998, S. 506 ff. 4 3 8 Für eine zusammenhängende Analyse der Verordnung kann auf die umfangreiche Literatur verwiesen werden, z.B. I. Altin-Sieber, Joint, Ventures, Technologietransfer und -schütz, 1996, S. 326 ff.; AntilHBurdon, The New Technology Transfer Block Exemption - A Whiter Shade of Grey?, Patent World, March 1996, 14 ff.; G. Bonet, Le nouveau règlement d'exemption par catégorie d'accords de transfert de technologie, R D T E 1996,305 ff.; P. Chrocziel, Zur EG-kartellrechtlichen Beurteilung ehemals „schwarzgelisteter" Klauseln nach der neuen Gruppenfreistellungsverordnung für Technologietransfer-Vereinbarungen, FS Lieberknecht, 1997, S. 295 ff.; H.R. Ebel, EG-Gruppenfreistellungsverordnung für Technolgietransfer-Vereinbarungen, WuW 1996, 779 ff.; Fogt/Gotts, A Tale of Two Continents: European Technology Transfer Block Exemption Takes Different Approach from US Counterpart Guidelines, E C L R 1996, 327 ff.; Chr. H. Folz, Die kartellrechtliche Behandlung von Technologiegemeinschaften unter besonderer Berücksichtigung der Gruppenfreistellungsverordnung für Technologietransfer-Vereinbarungen gemäß Artikel 81 Absatz 3 EG-Vertrag, Diss. München 2001; St. Grundmann, Europäisches Schuldvertragsrecht, 1999, S. 991 ff.; Langen/Jestaedt, KartR, 9. Aufl. 2001, Art. 81 E G V - Fallgruppen Rdnr. 226 ff.; Chr. Kerse, Block Exemptions under Article 85 (3): The Technology Transfer Regulation - Procedural Issues, E C L R 1996, 331 ff.; W. Kleinmann, Die neue EG-Gruppenfreistellungsverordnung für Technologietransfer-Vereinbarungen, E W S 1996, 149 ff.; V. Korah, Technology Transfer Agreements and the E C Competition Rules, 1996; V. Korah, The Technology Transfer Regulation, E I P R 1996, Beilage zu 4/1996, i-iii; H. Lutz, Technologie-, Patent- und Know-how-Lizenzverträge im E G Recht, R I W 1996,269 ff.; A. Meyer, Die EG-Gruppenfreistellungsverordnung zum Technolo-
C. Immaterialgiiterschutz
und europäisches
Kartellrecht
301
(2) Verhältnis von Primär- und Sekundärrecht vor dem Hintergrund der Lehre vom spezifischen Gegenstand Art. 1 der Verordnung enthält eine Liste der freigestellten Klauseln. Vom Boden der Lehre vom spezifischen Gegenstand betrachtet, impliziert die Freistellung vom Verbot des Art. 81 Abs. 1 EGV, dass diese Klauseln in der Regel dem Tatbestand von Art. 81 Abs. 1 EGV unterfallen, den spezifischen Gegenstand des jeweiligen Schutzrechts also offensichtlich übersteigen. Diese Schlussfolgerung gilt in noch viel stärkerem Maß für die „schwarze" Liste in Art. 3 und die „grauen" Tatbestände in Art. 4 Abs. 2 der Verordnung. Anders verhält es sich mit der „weißen" Liste in Art. 2 der Verordnung: Die dort aufgeführten Klauseln werden ausdrücklich als „in der Regel nicht wettbewerbsbeschränkend" qualifiziert; sie unterfallen damit normalerweise dem spezifischen Gegenstand des betreffenden Schutzrechts. 4 3 9 Sicherlich ist die Gruppenfreistellungsverordnung als Sekundärrecht dem Art. 81 EGV in der Hierarchie der Normen untergeordnet und kann die Auslegung dieser Vorschrift nicht beeinflussen. Ein zwingender Schluss von der Behandlung einer Lizenzklausel in der Verordnung auf ihre Subsumtion unter Art. 81 Abs. 1 EGV ist also nicht möglich. Dennoch ist zu berücksichtigen, dass die Kommission bei Erlass der Gruppenfreistellungsverordnung von Art. 81 EGV und dessen Auslegung durch den Gerichtshof ausgegangen ist. Die Verordnung ist damit in weiten Teilen geronnenes Richterrecht. Auf Problembereiche, deren Einordnung besonders schwierig ist, oder in denen eine Entwicklung der Rechtsprechung möglich erscheint, weist die Verordnung in den Erwägungsgründen ausdrücklich hin. 4 4 0
gietransfer, GRUR Int. 1997, 498 ff.; A. Robertson, Technology Transfer Agreements: An Overview of how Regulation 240/96 Changes the Law, ECLR 1996, 157 ff.; Th. Stoffmehl, Technologietransfer im europäischen Kartellrecht durch Gruppenfreistellung - Patent- und Know-how-Lizenzverträge, 1997; Sucker/Guttuso, in von der Groehen Art. 85 - Fallgruppen, Immaterialgüterrechte Rdnr. 61 ff.; H. Ullrich, Technology Transfer Agreements under ECCompetition Law: A Conservative Reform, 1996, S. 1 ff.; ders., TechnologienutzungsVerträge, in I/M EG-Wettbewerbsrecht, Bd. I, S. 1260 ff. Rdnr. 1 ff.; Wiedemann/Gro/? Handbuch des Kartellrechts, 1999, § 13 Rdnr. 7 ff.; WinklerlJugel, Die neue EG-Gruppenfreistellungsverordnung für Technologietransfer-Vereinbarungen, EuZW 1996, 364 ff. 439 Kritisch zur Aufnahme einzelner Klauseln in die weiße Liste H. Ullrich, in I/M EGWettbewerbsrecht, Bd. I, S. 1320 ff. In der Weißlistung der sachlichen Gebietsbeschränkungen in Art. 2 Abs. 1 Nr. 8 sieht Ullrich beispielsweise einen „Rückfall in die Schutzrechtsinhaltsbzw. die Wettbewerbseröffnungslehre" (S. 1331 Rdnr. 66). Eine Bestimmung des spezifischen Gegenstands unabhängig von der GFVO Technologietransfer findet sich bei R. Sack (oben Fn. 415, S. 450): Er weist dem spezifischen Gegenstand beispielsweise zeitliche Benutzungsbeschränkungen, Beschränkungen der Art der Benutzung des geschützten Rechtsguts, qualitätssichernde Maßnahmen sowie Lizenzgebühren zu. 440 S. z.B. Erwägungsgrund 10 zur Frage, ob Ausschließlichkeitsbindungen von Art. 81 Abs. 1 EGV erfasst werden, oder Erwägungsgrund 11 zu möglichen Weiterentwicklungen im Bereich des Direktvertriebs, insbesondere für das Verbot des passiven Wettbewerbs.
302
4. Teil: Europäisches
Recht
Die Gruppenfreistellungsverordnung leistet also wertvolle Hinweise bei der Konkretisierung des Konzepts des spezifischen Gegenstands, kann aber nicht mit verbindlicher Wirkung zu diesem Zweck herangezogen werden. Eine solche Sichtweise wäre eine extreme Uberschätzung der Bedeutung von Sekundärrecht. Aber auch der umgekehrte Weg, nämlich der Gruppenfreistellungsverordnung keinerlei Bedeutung in dieser Frage zuzumessen, läuft Gefahr, ins entgegengesetzte Extrem umzuschlagen. 4 4 1 Subsumiert man Verhaltensweisen, die in Art. 1 Abs. 1 G F V O Technologietransfer als freistellungsfähig und -bedürftig aufgelistet sind, pauschal unter den spezifischen Gegenstand des Schutzrechts, entfällt der Tatbestand von Art. 81 Abs. 1 E G V . Einer Freistellung bedarf es dann nicht mehr. Auch die besonderen, in der Gruppenfreistellungsverordnung genannten Freistellungsvoraussetzungen werden damit gegenstandslos. Dies betrifft in ganz besonderem Maß Fragen des Gebietsschutzes. Weist man die freie Entscheidung über den Direktvertrieb, also über den Verkauf geschützter Erzeugnisse vor Erschöpfung des Weiterverbreitungsrechts, dem spezifischen Gegenstand des Schutzrechts zu, werden die Freistellung in Art. 1 Abs. 1 Nr. 5 und 6 G F V O Technologietransfer sowie die entsprechenden Freistellungsmodalitäten in Art. 1 Abs. 2 bis 4 GFVO-Technologietransfer hinfällig. Insbesondere die zeitliche Begrenzung des Ausschlusses passiven Wettbewerbs auf fünf Jahre ab dem ersten Inverkehrbringen des Erzeugnisses durch einen der Lizenznehmer wird unterlaufen; das für die Freistellung geforderte Bestehen paralleler Schutzrechte in den Importländern würde entfallen. 4 4 2 Auch auf dem Boden der Lehre vom spezifischen Gegenstand dürfen deshalb die Konkretisierungen dieses Konzepts in der G F V O Technologietransfer 4 4 1 Sehr weit ist die Bestimmung des Umfangs des spezifischen Gegenstands von Schutzrechten bei R. Sack, R I W 1997, 449 (452 ff.), W R P 1999, 592 (603 ff.), der u.a. alle Formen des Direktvertriebs, also des erstmaligen Inverkehrbringens des geschützten Erzeugnisses, unter den spezifischen Gegenstand des Schutzrechts fasst und diese damit dem Anwendungsbereich von Art. 81 Abs. 1 E G V entzieht. Der Ausschluss aktiven und passiven Wettbewerbs wird damit prinzipiell zugelassen, ohne dass man eine Einzel- oder Gruppenfreistellung auf der Grundlage von Art. 81 Abs. 3 E G V benötigte. S. hierzu unten Fn. 801. 4 4 2 Dieses Ergebnis würde einen Konflikt mit anderen Gruppenfreistellungsverordnungen nach sich ziehen. Die G F V O Technologietransfer geht bereits weit über das hinaus, was in anderen vertikalen Gruppenfreistellungsverordnungen zugelassen wird. Beispielsweise ist der Ausschluss auch des passiven Wettbewerbs nach der G F V O über Vertikalvereinbarungen (Art. 4b) prinzipiell nicht möglich. Zwischenhändler und Verbraucher sollen das Recht haben, Vertragswaren von anderen Händlern innerhalb des Gemeinsamen Marktes zu beziehen. Art. 3 d) Ziffer 1 der Vorgänger V O über Alleinvertrieb stellte in diesem Zusammenhang ausdrücklich klar, dass die Freistellung entfällt, wenn die Vertragspartner der Alleinvertriebsvereinbarung „gewerbliche Schutzrechte ausüben, um Händler oder Verbraucher daran zu hindern, rechtmäßig gekennzeichnete oder rechtmäßig in Verkehr gebrachte Vertragswaren außerhalb des Vertragsgebiets zu beziehen oder im Vertragsgebiet zu veräußern". Eine nicht einmal zeitlich begrenzte Zulassung des Ausschlusses passiven Wettbewerbs im Bereich des Technologietransfers würde hier zu einem unerträglichen Wertungswiderspruch führen. Allgemein zur Unterscheidung von aktivem und passivem Wettbewerb s. Bellamy/Child, Common Market Law of Competition, 1993, Rdnr. 3-023.
C. Immaterialgüterschutz
und europäisches
303
Kartellrecht
nicht ignoriert werden. In viel stärkerem M a ß gilt dies, wenn man der L e h r e v o m spezifischen Gegenstand nicht schematisch folgt, sondern andere W e r t u n gen einfließen lässt. 4 4 3 (3) Schematismus der L e h r e v o m spezifischen Gegenstand E i n e konsequente A n w e n d u n g der Lehre v o m spezifischen Gegenstand erfordert ein Vorgehen in zwei Schritten. Eine potentiell w e t t b e w e r b s b e s c h r ä n k e n de Vereinbarung wird daraufhin untersucht, o b sie dem spezifischen G e g e n stand des betroffenen Schutzrechts unterfällt. D e r spezifische Gegenstand wird dabei als Bündel bestimmter immaterialgüterrechtlicher Befugnisse aufgefasst. Ist die betreffende Vereinbarung diesem Bündel zuzurechnen, scheidet ein Kartellrechtsverstoß aus. G e h t die Vereinbarung über den spezifischen Gegenstand hinaus, ist die A n w e n d u n g von Kartellrecht möglich. D i e Voraussetzungen der einschlägigen Kartellrechtsnorm sind zu prüfen, wenn dies nicht schon im Z u sammenhang mit der Frage erfolgt ist, ob überhaupt eine potentiell w e t t b e werbsbeschränkende Vereinbarung vorliegt. E i n e solche Vorgehensweise kann für sich den Vorteil der besonderen E i n fachheit und Rechtssicherheit in Anspruch nehmen. D i e Frage nach der Zulässigkeit bestimmter Klauseln lässt sich schnell beantworten: E s reicht aus, dass der Text der Vereinbarung vorliegt; eine U n t e r s u c h u n g des rechtlichen und wirtschaftlichen
Zusammenhangs der Vereinbarung ist nicht
erforderlich.
Hierin liegt aber auch zugleich die entscheidende Schwäche dieses Ansatzes. Das wettbewerbliche U m f e l d der Vereinbarung bleibt unberücksichtigt; die Rechtsanwendung erfolgt rein schematisch. E i n eher begriffliches A r g u m e n t wird streitentscheidend, nämlich die Frage, o b die betreffende Vereinbarung sich auf die Gesamtheit der immaterialgüterrechtlichen Befugnisse bezieht, die dem spezifischen Gegenstand dieses Schutzrechts zuzuordnen sind. E i n e solche A r g u m e n t a t i o n vernachlässigt die Erkenntnis, dass jedes R e c h t z u m G e genstand
wettbewerbsbeschränkender
Verhaltensweisen
gemacht
werden
kann. (4) Vereinbarkeit einer schematischen H a n d h a b u n g der L e h r e v o m spezifischen Gegenstand mit der Gruppenfreistellungsverordnung Technologietransfer D i e schematische Zuspitzung der L e h r e v o m spezifischen Gegenstand gerät in K o n f l i k t mit der G F V O Technologietransfer. A r t . 2 Abs. 2 der V e r o r d n u n g stellt fest, dass die weiß gelisteten Klauseln (die nach den Ausführungen o b e n (1) in der Regel dem spezifischen Gegenstand zuzuweisen sind) „aufgrund besonderer U m s t ä n d e " v o m Verbot des Art. 81 A b s . 1 E G V erfasst werden k ö n -
443
Hierzu sogleich im Text.
304
4. Teil: Europäisches
Recht
nen. 444 Die „besonderen Umstände" entscheiden also darüber, ob die betreffende Vereinbarung vom Kartellverbot erfasst wird oder aber tatbestandlich ausgenommen ist. 445 Eine von der Berücksichtigung besonderer Umstände losgelöste Anwendung der Lehre vom spezifischen Gegenstand ist demnach nicht statthaft. (5) Zwischenergebnis Aus dem Sekundärrecht, nämlich aus der GFVO Technologietransfer, lassen sich - zumindest für den Bereich des Lizenzkartellrechts - Anhaltspunkte dafür finden, welche Lizenzklauseln dem spezifischen Gegenstand von Schutzrechten zuzuweisen sind. Aus Art. 2 Abs. 2 der Verordnung folgt aber gleichzeitig, dass sich eine schematische Anwendung des auf diese Weise angereicherten Konzepts vom spezifischen Gegenstand verbietet. Entscheidend ist die Berücksichtigung des wirtschaftlichen und rechtlichen Zusammenhangs: Liegen „besondere Umstände" vor, kann auch eine weiß gelistete Klausel dem Tatbestand von Art. 81 Abs. 1 EGV unterfallen. Die Lehre vom spezifischen Gegenstand kann damit im Rahmen des Kartellrechts nur in gemilderter Form aufrechterhalten werden. Der strenge Schluss vom spezifischen Gegenstand auf die kartellrechtliche Statthaftigkeit ist unzulässig. Denkbar wäre die Annahme einer widerlegbaren Vermutung mit folgendem Inhalt: Es wird vermutet, dass Vereinbarungen, die den spezifischen Gegenstands eines Schutzrechts nicht übersteigen, kartellrechtlich unbedenklich sind. Dies gilt nicht, wenn eine Untersuchung des rechtlichen und wirtschaftlichen Zusammenhangs die Wettbewerbsschädlichkeit der betreffenden Vereinbarung ergibt. Ob die Lehre vom spezifischen Gegenstand in derart abgemilderter Form sinnvoll aufrechterhalten werden kann, bleibt der folgenden Darstellung vorbehalten. 446
444 Aus der weißen Liste kann also kein „generelles oder normatives Negativattest" zugunsten der aufgezählten Klauseln abgeleitet werden, so H. Ullrich, in I/M EG-Wettbewerbsrecht, Bd. I, S. 1320 Rdnr. 52, der Absatz 2 denn auch als „Kern der Regelung" des Art. 2 G F V O Technologietransfer bezeichnet. 445 Art. 2 Abs. 2 G F V O Technologietransfer ist damit für die dogmatische Frage der Anwendbarkeit von Art. 81 Abs. 1 EGV von großer Bedeutung. Gleichzeitig wird aber auch die praktisch vorrangige Frage nach der Legalität solcher Vereinbarungen im positiven Sinn entschieden: Fallen die genannten Klauseln nicht unter Art. 81 Abs. 1 EGV, sind sie schon deshalb erlaubt. Fallen sie dagegen aufgrund besonderer Umstände unter Art. 81 Abs. 1 EGV, kommen sie in den Genuss der Eventualfreistellung des Art. 2 Abs. 2 G F V O Technologietransfer. S. hierzu H. Ullrich, in I/M EG-Wettbewerbsrecht, Bd. I, S. 1320 Rdnr. 52. 446 S. insbesondere unten S. 319 f.
C. Immaterialgüterschutz
b) Die Handhabung der Lehre durch den Gerichtshof
und europäisches
vom spezifischen
Kartellrecht
305
Gegenstand
Analysiert man die einschlägige Rechtsprechung des Gerichtshofs, fällt auf, dass das Konzept vom spezifischen Gegenstand nicht in letzter Konsequenz verwendet wird. Die Argumentation mit dem spezifischen Gegenstand erfolgt besonders häufig in denjenigen Fällen, in denen die zu untersuchende Vereinbarung offensichtlich über den spezifischen Gegenstand hinausgeht. Bewegt sich eine Vereinbarung dagegen innerhalb des spezifischen Gegenstands, begnügt sich der Gerichtshof nicht mit einer schematischen Rechtfertigung unter Heranziehung dieser Lehre, sondern stellt zusätzliche Überlegungen an. Für einen Uberblick über die Rechtsprechung des Gerichtshofs ist es zweckmäßig, eine Unterscheidung zu treffen zwischen den Vereinbarungen ohne Bezug auf geschützte Produkte (1), mit Bezug auf geschützte Produkte, aber außerhalb des spezifischen Gegenstands des einschlägigen Schutzrechts (2), und den Vereinbarungen mit Bezug auf geschützte Produkte, die innerhalb des spezifischen Gegenstands verbleiben (3). 4 4 7 (1) Vereinbarungen mit Bezug auf ungeschützte Produkte In „Windsurfing International" 4 4 8 prüfte der Gerichtshof die Frage, ob einzelne, potentiell wettbewerbsbeschränkende Klauseln eines Patentlizenzvertrags dem spezifischen Gegenstand des Patentrechts unterfallen und somit die Anwendung von Art. 81 Abs. 1 E G V beeinflussen können. 4 4 9 Diese Ausgangsfrage scheint auf dem Boden einer streng, bzw. schematisch verstandenen Lehre vom spezifischen Gegenstand zu stehen: Unterfallen die betreffenden Klauseln dem spezifischen Gegenstand des Schutzrechts, sind sie der Anwendung von Art. 81 Abs. 1 E G V entzogen; übersteigen sie den spezifischen Gegenstand, sind sie verboten. Eine nähere Betrachtung zeigt jedoch, dass der Gerichtshof den Begriff des spezifischen Gegenstands in anderer Zielsetzung verwendet, nämlich in erster Linie negativ: In den Fällen, in denen sich Lizenzklauseln nicht auf das geschützte Erzeugnis, sondern auf ungeschützte Produkte beziehen, scheidet eine Rechtfertigung der Klausel aus immaterialgüterrechtlichen Gründen aus. 4 5 0 Der Begriff des spezifischen Gegenstands wird hier also dazu benutzt, um eine bestimmte Fallgruppe, nämlich beschränkende Vereinbarungen in Bezug auf ungeschützte Produkte, den Wettbewerbsregeln zu unterwerfen. 4 5 1 Hieraus 447
R. Sack (WRP 1999, 592, 595) mahnt zu Recht die Differenzierung nach Fallgruppen
an. E u G H , 25.2.1986, Windsurfing International/Kommission, Rs. 193/83, Slg. 1986, 611. „Windsurfing" Slg. 1986, 655 Tz. 45, 660 Tz. 72. 4 5 0 „Windsurfing" Slg. 1986, 653 Tz. 36, 655 Tz. 45, 657 Tz. 57, 659 Tz. 67, 660 Tz. 72, 662 Tz. 85, 663 Tz. 92, 665 Tz. 100. 451 H. Ullrich, in I / M EG-Wettbewerbsrecht, Bd. I, S. 1223 Rdnr. 16: „Tatsächlich hat der 448
449
306
4. Teil: Europäisches
Recht
ließe sich zwar theoretisch der U m k e h r s c h l u s s ziehen, dass beschränkende Vereinbarungen in B e z u g auf geschützte
P r o d u k t e nach der L e h r e v o m spezifi-
schen Gegenstand den Wettbewerbsregeln entzogen sein können. Dass der G e richtshof diesen theoretisch naheliegenden Schluss bei der k o n k r e t e n R e c h t s a n wendung aber nicht zieht, ist sogleich zu zeigen. 4 5 2 E i n anderer P u n k t ist in diesem Zusammenhang hervorzuheben: W i r d die Einschlägigkeit der L e h r e v o m spezifischen Gegenstand verneint, z . B . weil wie hier ungeschützte P r o d u k t e betroffen sind, hat dies nicht die automatische Kartellrechtswidrigkeit der betrachteten Verhaltensweise zur Folge: N a c h d e m festgestellt wurde, dass die betreffende Klausel oder Verhaltensweise dem spezifischen Gegenstand des Schutzrechts nicht unterfällt, verlangt der G e r i c h t s h o f die Prüfung der Frage, o b überhaupt eine Wettbewerbsbeschränkung
vor-
liegt. 4 5 3 D i e s e r Gedankengang ist nicht selbstverständlich, wenn man die logische Struktur der L e h r e v o m spezifischen Gegenstand betrachtet. I h r Ausgangspunkt besteht darin, dass eine bestimmte Verhaltensweise, z . B . eine L i z e n z klausel, bei vorläufiger Subsumtion dem Tatbestand von Art. 81 A b s . 1 E G V unterfällt. In einem zweiten Schritt stellt sich die Frage, o b die betreffende Verhaltensweise in den Genuss einer Tatbestandsrestriktion auf der Grundlage der L e h r e v o m spezifischen Gegenstand k o m m t . 4 5 4 L e h n t man dies ab, weil z . B . die betrachtete Verhaltensweise nicht dem spezifischen Gegenstand des Schutzrechts unterfällt, müsste es konsequenterweise beim ursprünglichen Ergebnis, nämlich dem Verbot nach Art. 81 Abs. 1 E G V bleiben. D e r G e r i c h t s h o f scheint hier einen umgekehrten Lösungsweg zu G r u n d e zu legen: Zunächst sei zu prüfen, o b eine Verhaltensweise im Zusammenhang mit R e c h t e n des geistigen E i gentums überhaupt in den Anwendungsbereich der Art. 81ff. E G V falle. Erst wenn diese Frage zu bejahen ist, sei in die Einzelprüfung der Wettbewerbsre-
Gerichtshof den spezifischen Gegenstand des Schutzrechts' im Zusammenhang des Art. 85 E G V bislang in ganz anderer Funktion benutzt, nämlich als Negativmerkmal zur Ausgrenzung von Verwertungsabreden, die mangels Schutzrechtszusammenhangs besonderer Rechtfertigung bedürfen". 4 5 2 Unten (2) und (3). 4 5 3 Vgl. „Windsurfing" Sgl. 1986, 660 Tz. 72: „Vom spezifischen Gegenstand des Patents kann eine solche Klausel dann gedeckt sein, wenn sich der Hinweis nur auf den vom Patent erfaßten Elementen befindet. Anderenfalls stellt sich die Frage, ob sie eine Einschränkung oder Verfälschung des Wettbewerbs bezweckt oder bewirkt." Innerhalb der Prüfung der Wettbewerbsbeschränkung sind die allgemeinen Regeln anwendbar; es ist also auch beispielsweise der Frage nachzugehen, ob es auf der Grundlage des Markterschließungsgedankens (unten S. 387 ff.) zu einer Tatbestandsrestriktion zu kommen hat, so zu Recht Th. Ackermann, Art. 85 Abs. 1 E G V und die rule of reason, 1997, S. 186 ff. 4 5 4 Dies ist auch die Vorgehensweise der Europäischen Kommission, s. die Analyse von M. Christoph, Wettbewerbsbeschränkungen in Lizenzverträgen über gewerbliche Schutzrechte nach deutschem und europäischem Recht, 1998, S. 88 f.
C. Immaterialgüterschutz
und europäisches
Kartellrecht
307
geln einzusteigen. 4 5 5 Wenn man berücksichtigt, dass die erste Frage durch die eher negative Handhabung der Lehre vom spezifischen Gegenstand schnell bejaht ist, verlagert sich der Schwerpunkt der Problematik auf die Einzelprüfung der Wettbewerbsregeln. Die Besonderheiten des geistigen Eigentums sind dann innerhalb der zentralen Kategorien der kartellrechtlichen N o r m e n zu berücksichtigen. (2) Vereinbarungen mit Bezug auf geschützte Produkte, die außerhalb des spezifischen Gegenstands des Schutzrechts liegen Die Behandlung von Vereinbarungen über ungeschützte Produkte bereitet keine besonderen Schwierigkeiten: Mit der relativ einfach zu treffenden Feststellung, dass sich die beschränkende Vereinbarung auf kein geschütztes Produkt bezieht, ist gleichzeitig klargestellt, dass der spezifische Gegenstand eines Schutzrechts nicht berührt sein kann. Bezieht sich die Vereinbarung dagegen auf geschützte Produkte, kann der Frage nach der genauen Reichweite des spezifischen Gegenstands nicht mehr ausgewichen werden - jedenfalls dann nicht, wenn man die Lehre vom spezifischen Gegenstand konsequent anwenden wollte. a) Eindeutige Fälle Keine Schwierigkeiten bereiten die Fälle, in denen eine genaue Bestimmung des spezifischen Gegenstands nicht erfolgt, aufgrund von früheren Entscheidungen aber klar ist, wie die betreffende Vereinbarung einzustufen ist. In „Bayer/Süllh ö f e r " 4 5 6 stand beispielsweise eine Nichtangriffsklausel in einem Lizenzvertrag zur Entscheidung an. Der Gerichtshof ging nicht auf die Frage ein, ob diese Vereinbarung in- oder außerhalb des spezifischen Gegenstands des Patentrechts liege, sondern wandte sich direkt der Frage zu, ob eine Wettbewerbsbeschränkung i.S. von Art. 81 Abs. 1 E G V vorliege. Aufgrund einer früheren E n t scheidung war aber klar, dass der Gerichtshof Nichtangriffsklauseln außerhalb des spezifischen Gegenstands des Schutzrechts ansiedelt. 4 5 7
4 5 5 Zu Schwierigkeiten bei der Interpretation der „Windsurfing"-Entscheidung s. auch M. Christoph (oben Fn. 454), S. 100 f. 4 5 6 E u G H , 27.9.1988, Bayer u.a./Süllhöfer, Rs.65/86, Slg. 1988, 5249. 4 5 7 „Windsurfing International", Slg.1986, 663, Tz. 92. Diese Bewertung bestätigt die Argumentation, die oben unter Heranziehung der G F V O Technologietransfer gemacht wurde (s.o. S. 301 ff.). Die Nichtangriffsklausel ist grau gelistet (Art. 4 Abs. 2 b) G F V O Technologietransfer); es ist deshalb davon auszugehen, dass sie den spezifischen Gegenstand übersteigt. Zu Nichtangriffsklauseln s. St. Schaub, Zur EG-kartellrechtlichen Zulässigkeit von Nichtangriffsabreden über gewerbliche Schutzrechte, R I W 1987, 95 ff.; R. Sack, Zur Vereinbarkeit von vertraglichen und gesetzlichen Nichtangriffspflichten im gewerblichen Rechtsschutz mit Art. 85 und Art. 30, 36 EG-Vertrag, FS Fikentscher, 1998, S. 740 ff.
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4. Teil: Europäisches
Recht
ß) Keine A n g a b e n z u m spezifischen Gegenstand Problematischer sind dagegen die Fälle, in denen unklar ist, w i e w e i t der Gerichtshof den U m f a n g des spezifischen Gegenstands zieht. H ä u f i g macht der Gerichtshof A u s f ü h r u n g e n zu der Frage, ob eine verbotene Wettbewerbsbeschränkung i.S. von Art. 81 Abs. 1 EGV vorliegt, ohne auf die Lehre v o m spezifischen Gegenstand einzugehen. Es handelt sich dabei u m Fälle, in denen die Lehre vom spezifischen Gegenstand z w a r relevant, im Ergebnis aber zu verneinen ist. D e m Schweigen des Gerichtshofs ist deshalb die implizite Feststellung zu entnehmen, dass der spezifische Gegenstand des betroffenen Schutzrechts im konkreten Fall überschritten w u r d e . Die Tatsache, dass das Konzept v o m spezifischen Gegenstand in diesen Fällen nicht einmal genannt w i r d , erlaubt jedoch auch die zusätzliche Deutungsmöglichkeit einer Relativierung dieses Konzepts, zumal da ein anderer Topos an dessen Stelle tritt: Bezieht sich eine Verhaltensweise auf das geschützte Erzeugnis, bevorzugt der Gerichtshof die
Analyse des rechtlichen
und wirtschaftlichen
Zusammenhangs,458
Die Argu-
mentation des Gerichtshofs soll an den folgenden Fällen veranschaulicht werden. y ) „Maissaatgut": Ausschließliche Lizenzen Die Entscheidung „Maissaatgut" 4 5 9 hatte die Problematik ausschließlicher Lizenzverträge z u m Gegenstand. Von Ausschließlichkeit eines Lizenzvertrags spricht man dann, w e n n der Lizenzgeber sich nicht nur dazu verpflichtet, keinem Dritten die N u t z u n g des lizenzierten Schutzrechts im Vertragsgebiet zu erlauben (sog. Alleinlizenz), sondern sich auch selbst dazu verpflichtet, die N u t z u n g des Schutzrechts im Vertragsgebiet des Lizenznehmers zu unterlassen. Auf die Frage, ob die Einräumung der Ausschließlichkeit vom spezifischen Gegenstand eines Schutzrechts gedeckt w i r d , ging der Gerichtshof nicht ein. Statt einer A r g u m e n t a t i o n mit dem Begriff des spezifischen Gegenstands von Sortenschutzrechten stellte er auf den wirtschaftlichen Sinn der Ausschließlichkeit im konkreten Fall ab. Da er hier den (relativen) Gebietsschutz als erforderlich für die Verbreitung der neuen Technologie und damit für den Substitutionswettbewerb ansah, verneinte er den Tatbestand von Art. 81 Abs. 1 EGV. Ü b e r l e g u n g e n z u m spezifischen Gegenstand des Sortenschutzrechts stellte er in diesem Zusammenhang nicht an. 4 6 0 458 Der Begriff des rechtlichen und wirtschaftlichen Zusammenhangs taucht bereits auf in EuGH, 13.7.1966, Consten und Grundig/Kommission, Verb. Rs.56 und 58/64, Slg. 1966, 321 (391), und findet seitdem ständige Verwendung, s. nur EuGH, 27.9.1988, Bayer/Süllhöfer, Rs.65/86, Slg. 1988, 5249, 5286 Tz. 16, 5287 Tz. 21; EuGH, 12.5.1989, Ottung/Klee&Weilbach u.a.,Rs.320/87, Slg.1989,1177,1199 Tz. 12, 1200 Tz. 18. 4 5 9 EuGH, 8.6.1982, Nungesser/Kommission, Rs. 258/78, Slg.1982, 2015. 460 „Maissaatgut" Slg. 1982, 2069 Tz. 57 f. Diese Vorgehensweise ist um so aufschlussreicher, als eine Argumentation unter Heranziehung des spezifischen Gegenstands möglich ge-
C. Immaterialgüterschutz
und europäisches
Kartellrecht
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Die Entscheidung lässt folgende Deutungsmöglichkeiten zu: 1. Auch wenn der Gerichtshof den Begriff des spezifischen Gegenstands nicht heranzieht, ist ein Fall anzunehmen, der sich innerhalb des spezifischen Gegenstands des Schutzrechts hält, da im Ergebnis die Erlaubtheit der Ausschließlichkeitsbindung angenommen wurde. 461 2. Der spezifische Gegenstand des Schutzrechts wurde zwar überstiegen, das Tatbestandsmerkmal der Wettbewerbsbeschränkung in Art. 81 Abs. 1 EGV aber nicht erfüllt. 462 3. Der Gerichtshof hält nicht am Konzept des spezifischen Gegenstands fest, sondern berücksichtigt immaterialgüterrechtliche Besonderheiten im Rahmen von Art. 81 Abs. 1 EGV. Gegen den ersten Deutungsversuch spricht die Tatsache, dass der Gerichtshof nicht mit dem Begriff des spezifischen Gegenstands argumentiert, sondern auf die Förderung des Substitutionswettbewerbs abstellt. Diese Argumentation ist offensichtlich der wettbewerblichen Seite der Problematik, also dem Tatbestand von Art. 81 Abs. 1 EGV zugeordnet, und nicht der schutzrechtlichen Seite, also der Frage, ob Ausschließlichkeitsbindungen dem spezifischen Gegenstand des Schutzrechts zuzuordnen sind. Auch Vertreter der Auffassung, dass Ausschließlichkeitsbindungen dem spezifischen Gegenstand unterfallen, halten die „Maissaatgut"-Entscheidung insofern nicht für eindeutig. 463 Für die zweite Deutungsmöglichkeit, also die Beurteilung einer ausschließlichen Lizenz als Verhaltensweise außerhalb des spezifischen Gegenstands bei gleichzeitiger Aufrechterhaltung dieses Konzepts, spricht die Tatsache, dass eine in ständiger Rechtsprechung vertretene Lehre nicht durch bloße Nichterwähnung, sondern durch einen ausdrücklichen actus contrarius aufgehoben zu werden pflegt. Andererseits vermeidet der Gerichtshof - wenn möglich - ausdrückliche Rechtsprechungsänderungen und bevorzugt stattdessen schleichende Kurskorrekturen ohne klares overruling.464
wesen wäre. R. Sack (oben Fn. 415, S. 454 f.; WRP 1999, 592, 601) vertritt beispielsweise den Standpunkt, dass ausschließliche Lizenzen vom spezifischen Gegenstand des Schutzrechts gedeckt sind und somit nicht unter Art. 81 Abs. 1 E G V fallen (weitere Nachweise zum Meinungsstand bei Sack, ebenda, S. 455 Fn. 60). 461 In diesem Sinn Th. Stoffmehl, Technologietransfer im europäischen Kartellrecht durch Gruppenfreistellung, 1997, S. 149 f. 462 In diesem Sinn N. Koch, in Grabitz Art. 85 E W G V Rdnr. 254 (Vorauflage); W.-H. Roth, Die Vereinbarkeit von Auswertungsbeschränkungen in Filmlizenzverträgen mit deutschem und europäischem Kartellrecht, FS Wolf Schwarz, 1988, S. 85 (99). 463 R. Sack (oben Fn. 415), S. 455 Fn. 60 am Ende. 464 Seltene Beispiele für klare, wenn auch nicht immer ausdrücklich gekennzeichnete Rechtsprechungsänderungen sind: - E u G H , 6.2.1973, „Brasserie de Haecht II", Rs.48/72, Slg. 1973, 77 (87 Tz. 10/13): Unwirksamkeit nicht anmeldebedürftiger Kartelle bis zur Freistellungsentscheidung (Abkehr von E u G H , 18.3.1970, „Bilger/Jehle", Rs.43/69, Slg. 1970,127,137Tz. 11 f.: Wirksamkeit nicht anmeldebedürftiger Kartelle bis zur Feststellung ihrer Nichtigkeit). - E u G H , 22.5.1990, „Tschernobyl", Rs. C-70/88, Slg. 1990,1-2041 (1-2071 Tz. 11 ff.): Aktivlegitimation des Europäischen Parlaments zur Erhebung der Nichtigkeitsklage vor Ande-
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4. Teil: Europäisches
Recht
Es stellt sich zudem die Frage, welchen Stellenwert die Lehre vom spezifischen Gegenstand für den Gerichtshof hat, wenn er sie im Einzelfall nicht anwendet. Von daher ist - zumindest für die praktische Handhabung - der Schritt nicht weit zur dritten Deutungsmöglichkeit: Vom Immaterialgüterrecht geht keine absolute Sperrwirkung gegenüber der Anwendung von Kartellrecht aus; immaterialgüterrechtliche Besonderheiten sind im Rahmen der kartellrechtlichen Tatbestände zu berücksichtigen. Der Begriff der Wettbewerbsbeschränkung in Art. 81 Abs. 1 EGV ist beispielsweise dadurch anzureichern, dass das Bedürfnis nach Verbreitung der geschützten Technologie in die Beurteilung einzubeziehen ist. Formuliert man dies allgemeiner, kommt man auf die vom Gerichtshof seit der „Consten und Grundig"-Entscheidung 4 6 5 verwendete Formel von der Berücksichtigung des gesamten rechtlichen und wirtschaftlichen Zusammenhangs. Auch wenn man dem Gerichtshof kein Abgehen von der Lehre vom spezifischen Gegenstand unterstellen kann, ist festzuhalten, dass er eine in diesem Sinn angereicherte Argumentation mit kartellrechtlichen Zentralkategorien bevorzugt, ohne vorher zwingende Schlussfolgerungen aus immaterialgüterrechtlichen Befugnissen gezogen zu haben. 466 Die Folge ist, dass ein und dieselbe Vertragskonstruktion, wie z.B. die Einräumung einer ausschließlichen Lizenz, je nach rechtlichem und wirtschaftlichem Zusammenhang unterschiedlich bewertet werden kann. 467 Da im vorliegenden Fall die rung dieser Frage im Maastrichter Vertrag (Abkehr von E u G H , 27.9.1988, „Comitologie" Slg. 1988, 5615, 5641 ff. Tz. 15 ff.); - E u G H , 17.10.1990, H A G G F ( „ H A G II"), Rs.C-10/89, Slg. 1990,1-3711 (1-3757 Tz. 10): Erschöpfung ursprungsgleicher Markenrechte nach hoheitlicher Zwangsaufspaltung (Abkehr von E u G H , 3.7.1974, van Zuylen/Hag („Hag I"), Rs. 192/73, Slg.1974, 731, 745 Tz. 12/13); - E u G H , 25.7.1991, Aragonesa de Publicidad Exterior und Publivía, Verb. Rs. C - l / 9 0 und C 176/90, Slg. 1991, 1-4151 (1-4184 Tz. 13): Herausnahme der in Art. 30 EGV aufgeführten Schutzgüter aus der Cassis-Formel (Abkehr von E u G H , 20.2.1979, REWE/Bundesmonopolverwaltung für Branntwein „Cassis", Rs. 120/78, Slg. 1979, 649, 662 Tz. 8). - E u G H , 24.11.1993, Keck und Mithouard, Verb. Rs.C-267/91 und C-268/91, Slg. 1993, I6097 (1-6131 Tz. 16): Herausnahme der „Verkaufsmodalitäten" aus Art. 28 EGV (Abkehr von E u G H , 11.7.1974, Dassonville, Slg. 1974, 837, 852 Tz. 5); Ein Beispiel für eine schleichende Kurskorrektur unter (bloß rhetorischer) Beibehaltung der älteren Rechtsprechung ist die Problematik der staatlichen Monopole, s. hierzu A. Heinemann, Grenzen staatlicher Monopole im EG-Vertrag, 1996, S. 200 ff. 465 S. oben Fn. 458. 466 H. Ullrich, in I/M EG-Wettbewerbsrecht, Bd. 1,1997, S. 1237 Rdnr. 29: „Maßgeblich ist also nicht die schutzgesetzliche Eröffnung der einen oder anderen Handlungsmöglichkeit oder deren allgemeine Ableitung aus dem Wesen des Schutzrechts als Handlungsfreiheit eröffnendem Eigentum (...), sondern die Ermittlung der tatsächlichen Wettbewerbswirkungen des Verwertungsgeschäfts aufgrund dessen konkreter Ausgestaltung." A.A., nämlich für den Vorrang schutzrechtlich eröffneter Handlungsmöglichkeiten (darunter auch die ausschließliche Lizenz) vor dem Kartellrecht R. Sack (oben Fn. 415), S. 454 f. 467 Whish/Suffrin (Competition Law, 1993, S. 636) gehen allerdings davon aus, dass Ausschließlichkeitsbindungen in der Regel dem Tatbestand von Art. 81 Abs. 1 EGV unterfallen werden, wenn nicht völlig ungewöhnliche Umstände wie im Maissaatgut-Fall hinzutreten.
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Ausschließlichkeit der Lizenz notwendig für die Verbreitung der neuen Pflanzensorte ist und damit positive Wirkungen auf den inter-brand-Wettbewerb ausgehen, fehlt es an einer (materiellen) Wettbewerbsbeschränkung und ist der Tatbestand von Art. 81 Abs. 1 EGV zu verneinen. 8) „BAT (Zigarettenfabriken": Markenabgrenzungsvereinbarungen; „Bayer/Süllhöfer": Prozessvergleiche Zu der Fallgruppe der Vereinbarungen mit Bezug auf geschützte Produkte, aber außerhalb des spezifischen Gegenstands, gehört auch die Rechtsprechung des Gerichtshofs zu den in der Praxis wichtigen Markenabgrenzungsvereinbarungen. Kommt es zur Kollision ähnlicher Marken, die verschiedenen Markeninhabern zustehen, besteht ein Interesse daran, zur Vermeidung eines Rechtsstreits einvernehmlich die jeweiligen Schutzbereiche voneinander abzugrenzen. 468 Solche Abgrenzungsvereinbarungen erschöpfen sich nicht darin, bestehende Markenrechte zu konkretisieren. Ihr Zweck besteht gerade darin, Unsicherheiten über die Reichweite dieser Schutzrechte zu beseitigen. 4 6 9 Sie gehen damit nicht selten über die materiellrechtliche Reichweite des betreffenden Markenrechts hinaus und verlassen damit den spezifischen Gegenstand des Schutzrechts. Unabhängig davon hat der Gerichtshof sie unter bestimmten Voraussetzungen für vereinbar mit Art. 81 Abs. 1 EGV gehalten. 4 7 0 Dies ist dann der Fall, wenn im beiderseitigen Interesse der Parteien der jeweilige Benutzungsumfang festgelegt wird, um Verwechslungen oder Konflikte zu vermeiden. Art. 81 Abs. 1 EGV greift erst dann ein, wenn mit der Abgrenzungsvereinbarung auch Marktaufteilungen oder andere Wettbewerbsbeschränkungen bezweckt werden. 4 7 1 Auch bei der kartellrechtlichen Würdigung von Markenabgrenzungsvereinbarungen entscheidet also der rechtliche und wirtschaftliche Zusammenhang über die Frage eines Wettbewerbsverstoßes. Der spezifische Gegenstand des Markenrechts, konkretisiert durch die Aufzählung bestimmter Ausschlussbefugnisse, ist demgegenüber nicht streitentscheidend. 4 7 2 Dem entspricht die allgemeine Haltung des Gerichtshofs in Bezug auf Vergleichsverträge. 4 7 3 In „Bayer/Süllhöfer" 4 7 4 hatte die Kommission am Beispiel 468 S. hierzu R. Knaak, Zur Wirksamkeit und Kündbarkeit von zeichenrechtlichen Abgrenzungsvereinbarungen, GRUR 1981, 386; H. Neubauer, Markenrechtliche Abgrenzungsvereinbarungen aus rechts vergleichender Sicht, 1983. 469 K.-H. Fezer, § 14 MarkenG Rdnr. 456. 470 Diese entspricht der kartellrechtlichen Beurteilung von Abgrenzungsvereinbarungen im deutschen Recht, vgl. K.-H. Fezer, § 14 MarkenG Rdnr. 456. 471 EuGH, 30.1.1985, BAT/Kommission, Rs. 35/83, Slg. 1985, 363 (385 Tz. 33). Dann ist in der Regel auch eine Freistellung nach Art. 81 Abs. 3 EGV nicht möglich, ebenda, S. 387 Tz. 41. 472 H. Ullrich, in I/M EG-Wettbewerbsrecht, Bd. I, 1997, S. 1389 Rdnr. 4, S. 1391 Rdnr. 6. 473 Die Rechtsprechung lässt sich auf Schiedsverträge übertragen. S. allgemein hierzu I. Frost, Schiedsgerichtsbarkeit im Bereich des geistigen Eigentums nach deutschem und US-
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4. Teil: Europäisches
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von Nichtangriffsklauseln vorgeschlagen, Vergleichsverträge, mit denen ein vor Gericht anhängiger Rechtsstreit beseitigt werden soll, von der Anwendung des Art. 85 Abs. 1 EWGV (= Art. 81 Abs. 1 EGV) auszunehmen, wenn ernsthafte Zweifel am Bestand des streitgegenständlichen Schutzrechts bestehen und Missbräuche dieser Privilegierung ausgeschlossen seien. 475 Der Gerichtshof wies diesen Vorschlag ausdrücklich zurück. Art. 85 Abs. 1 EWGV differenziere nicht zwischen Vereinbarungen, die zur Beendigung eines Rechtsstreits geschlossen werden, und Vereinbarungen, mit denen andere Zwecke verfolgt werden. Der Gerichtshof fügte hinzu, „daß die Beurteilung eines Vergleichs dieser Art der Frage nicht vorgreift, ob und inwieweit ein vor einem nationalen Gericht zustande gekommener Prozeßvergleich, der eine gerichtliche Handlung darstellt, wegen Verstoßes gegen das Wettbewerbsrecht der Gemeinschaft nichtig sein kann." 476 Auch hier wandte sich der Gerichtshof also gegen eine apriorische Herausnahme eines bestimmten Absprachetyps, nämlich des Prozessvergleichs, aus dem Tatbestand von Art. 81 Abs. 1 EGV. Die Verweigerung einer generellen Ausnahme bedeutet aber nicht etwa die automatische Kartellrechtswidrigkeit der Absprache; diese hängt vielmehr von der Einzelprüfung der Tatbestandsmerkmale von Art. 81 Abs. 1 EGV, insbesondere vom Vorliegen einer Wettbewerbsbeschränkung ab. Zu diesem Zweck ist auf den rechtlichen und wirtschaftlichen Zusammenhang der Vereinbarung abzustellen. 477 E) „Kai Ottung": Pflicht zur Zahlung von Lizenzgebühren nach Ablauf der Schutzdauer Die Pflicht zur Zahlung von Lizenzgebühren wird dem spezifischen Gegenstand eines Schutzrechts zugerechnet. 478 Etwas anderes kann sich dann ergeben, wenn die Zahlungspflicht auch nach Ablauf der Schutzdauer weiterbestehen soll. Eine schematische Anwendung der Lehre vom spezifischen Gegenstand käme hier zu dem Ergebnis, dass von einem spezifischen Gegenstand des Schutzrechts nur so lange die Rede sein kann, wie das Schutzrecht besteht. Die alte G F V O über Patentlizenzvereinbarungen enthielt denn auch in ihrem Art. 3 Nr. 4 eine schwarze Klausel, welche die Freistellungswirkung versagte, wenn sich eine Pflicht zur Zahlung von Lizenzgebühren auch auf Produkte erstreckte, die nicht (zumindest teilweise) von einem Patent gedeckt waren. Darunter wurde auch der Fall verstanden, dass das Produkt wegen Ablauf der Schutzfrist amerikanischem Schiedsrecht, 2001. Allgemein zum Verhältnis von Schiedsvereinbarungen und Kartellrecht s. D. Zimmer, Zulässigkeit und Grenzen schiedsgerichtlicher Entscheidung von Kartellrechtsstreitigkeiten, 1991. 474 E u G H , 27.9.1988, Bayer u.a./Süllhöfer, Rs.65/86, Slg. 1988, 5249. 475 „Bayer/Süllhöfer" Slg. 1988, 5285 Tz. 14. 476 „Bayer/Süllhöfer" Slg. 1988, 5286 Tz. 15. 477 „Bayer/Süllhöfer" Slg. 1988, 5286 Tz. 16. 478 R. Sack (oben Fn. 415), S. 450.
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nicht mehr vom Patent erfasst war. 4 7 9 Eine Ausnahme bestand für den Fall, dass die Gebührenpflicht „aus Gründen der Zahlungserleichterung" über die Dauer des Schutzrechts hinaus erstreckt wurde. Die GFVO-Technologietransfer enthält keine solche schwarze Klausel mehr, sondern wählt eine umgekehrte Vorgehensweise über eine negativ formulierte weiße Klausel: Art. 2 Abs. 1 Nr. 7 b) der Verordnung bezeichnet als in der Regel nicht wettbewerbsbeschränkend „die Zahlung der Gebühren infolge einer gewährten Zahlungserleichterung über die Geltungsdauer der lizenzierten Patente hinaus". 4 8 0 Da die G F V O Technologietransfer andere Vorschriften mit speziellem Bezug auf die Zahlungspflicht nicht enthält, fallen Zahlungspflichten über die Schutzdauer hinaus, die nicht einer Zahlungserleichterung dienen, unter Art. 4 Abs. 1 der Verordnung, also unter das Widerspruchsverfahren. Das Widerspruchsverfahren zur Erlangung einer Ausdehnung der Freistellungswirkung ist aber nur erforderlich, wenn die betreffende Vereinbarung tatsächlich wettbewerbsbeschränkend ist. 4 8 1 Eine Wettbewerbsbeschränkung aufgrund einer Pflicht zur Zahlung von Lizenzgebühren wird nur ausnahmsweise in Betracht kommen. Lizenzgebühren sind das Entgelt für die Überlassung einer Technologie. Die freie Vereinbarung eines Entgelts für ein bestimmtes Wirtschaftsgut ist kartellrechtsneutral, jedenfalls wenn keine marktbeherrschende Stellung als Druckmittel eingesetzt wurde. 4 8 2 Der Gerichtshof hatte in der Rechtssache „Kai Ottung" 4 8 3 die Pflicht zur Zahlung von Lizenzgebühren nach Ablauf der Schutzdauer zu beurteilen. Der Lizenznehmer hatte sich unbefristet, also auch für die Zeit nach Ablauf der Schutzdauer, dazu verpflichtet, für jeden Verkauf des geschützten Erzeugnisses eine Lizenzgebühr zu zahlen. Gleichzeitig wurde ihm das Recht eingeräumt, den Lizenzvertrag mit einer Kündigungsfrist von sechs Monaten zum 1. O k t o ber eines jeden Jahres zu kündigen. Nach Erlöschen des letzten in der E G bestehenden Patents über die geschützten Erzeugnisse verweigerte der Lizenznehmer die Zahlung weiterer Lizenzgebühren. Der Gerichtshof betonte den Spielraum der kaufmännischen Beurteilung, den die Vertragsparteien bei der
van Bael!Bellis, Competition Law of the European Community, 1994, S. 256 f. Gem. Erwägungsgrund 21 der G F V O Technologietransfer muss es den Vertragspartnern freistehen, den Zahlungszeitraum abweichend vom Schutzzeitraum zu bestimmen. Ein Schutz vor absehbaren finanziellen Folgen einer frei getroffenen Vereinbarung ist nicht erforderlich. Die Gebührenberechnung darf allerdings nicht dazu führen, dass eine der in der schwarzen Liste (Art. 3 G F V O Technologietransfer) aufgeführten Beschränkungen herbeigeführt wird. Regelungen über Gebührenzahlungen können insbesondere zu verbotenen M e n genbeschränkungen führen (Art. 3 Nr. 5). Zu anderen Missbrauchsmöglichkeiten s. H. Ullrich, in I / M EG-Wettbewerbsrecht, Bd. I, 1997, S. 1328 f. Rdnr. 63. 4 8 1 Zum Widerspruchsverfahren s. Th. Stoffmehl, Technologietransfer im europäischen Kartellrecht durch Gruppenfreistellung, 1997, S. 86 ff. 482 H. Ullrich, in I / M EG-Wettbewerbsrecht, Bd. 1,1997, S. 1327 f. Rdnr. 63. 4 8 3 E u G H , 12.5.1989, Ottung/Klee&Weilbach u.a., Rs.320/87, S l g . l 9 8 9 , 1 1 7 7 . 479
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Bewertung der mit einem Lizenzvertrag verbundenen Möglichkeiten haben. 484 Auf den Begriff des spezifischen Gegenstands ging er nicht ein. Stattdessen stellte er darauf ab, „ob die Verpflichtung zur weiteren Zahlung der Lizenzgebühr nicht im Hinblick auf den wirtschaftlichen und rechtlichen Zusammenhang des Lizenzvertrags eine Beschränkung des Wettbewerbs im Sinne des Artikels 85 Absatz 1 darstellt." 485 Der entscheidende Umstand bei der Analyse des wirtschaftlichen und rechtlichen Zusammenhangs war für den Gerichtshof die dem Lizenznehmer eingeräumte Kündigungsmöglichkeit. Die Pflicht zur Zahlung von Lizenzgebühren nach Ablauf der Schutzfrist könne nur dann die Folge des Lizenzvertrags sein, wenn dieser dem Lizenznehmer keine angemessene Kündigungsmöglichkeit einräume oder seine Dispositionsfreiheit nach der Kündigung einschränke. Da im konkreten Fall aber eine angemessene Kündigungsfrist eingeräumt sei, könne die Pflicht zur Zahlung von Lizenzgebühren während der gesamten Geltungsdauer des Lizenzvertrags nicht in den Anwendungsbereich von Art. 81 Abs. 1 EGV fallen. 486 Auch die Vereinbarkeit von Entgeltregelungen in Lizenzverträgen mit Art. 81 Abs. 1 EGV beurteilt sich also nicht anhand einer schematischen Argumentation mit dem spezifischen Gegenstand, sondern setzt die Untersuchung des rechtlichen und wirtschaftlichen Gesamtzusammenhangs voraus. In diesen Zusammenhang gehört auch die Beurteilung von Entgeltregelungen in der Rechtssache „Windsurfing International". 487 Der zu beurteilende Lizenzvertrag verpflichtete zur Zahlung von Lizenzgebühren. Diese bemaßen sich nach dem Verkaufspreis der betroffenen Stehsegler, obwohl nur der Mast, nicht aber das Surfbrett patentrechtlich geschützt waren. Der Gerichtshof argumentierte hier nicht mit dem spezifischen Gegenstand, der durch die Erstrekkung des Gebührenmaßstabs auf nicht geschützte Teile sicher überschritten war. Er stellte vielmehr die Frage, ob durch die Erstreckung des Gebührenmaßstabs auf ungeschützte Teile eines Produkts eine Beschränkung des Wettbewerbs beim Verkauf dieser ungeschützten Teile bezweckt oder bewirkt wird. 488 Erst wenn dies der Fall ist, greift Art. 81 Abs. 1 EGV ein. Aus der bloßen Erstreckung des Gebührenmaßstabs auf ungeschützte Erzeugnisse ist demgegenüber keine Schlussfolgerung für die Frage der Wettbewerbswidrigkeit zu gewinnen. 484 Dieser Spielraum war im konkreten Fall um so größer, als zum Zeitpunkt des Vertragsschlusses die Patenterteilung noch nicht erfolgt war, und die Lizenz sich auf zwei verschiedene Erzeugnisse mit unterschiedlichem Schutzstatus bezog, s. „Ottung" Slg. 1989, 1199 Tz. 11. 485 „Ottung" Slg. 1989, 1199 Tz. 12. 486 „Ottung" Slg. 1989, 1199 Tz. 13. 487 E u G H , 25.2.1986, Windsurfing International/Kommission, Rs. 193/83, Slg. 1986, 611. Der Sachverhalt ist zwar der Fallgruppe der Vereinbarungen mit Bezug auf ungeschützte Produkte zuzuordnen (s. oben S. 305.); aufgrund der Ausführungen zur kartellrechtlichen Beurteilung von Entgeltregelungen sollen die betreffenden Passagen hier aber nicht unerwähnt bleiben. 488 „Windsurfing" Slg. 1986, 657 ff. Tz. 60 ff., insbesondere Tz. 67.
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Kartellrecht
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(3) Vereinbarungen mit Bezug auf geschützte Produkte, die innerhalb des spezifischen Gegenstands des Schutzrechts liegen Die Fallgruppe der Vereinbarungen innerhalb des Schutzrechts sollte nach dem Selbstverständnis der Lehre vom spezifischen Gegenstand der entscheidende A n w e n d u n g s f a l l sein: Verbleiben Vereinbarungen innerhalb des spezifischen Gegenstands eines Schutzrechts, sind sie bei konsequenter A n w e n d u n g dieses Konzepts v o m Kartellrecht ausgenommen. Es fällt auf, dass Gerichtsentscheidungen, die in positiver Formulierung diesen Gedanken aussprechen u n d mit Erfolg anwenden, nicht zu finden sind. Nicht, weil die Vereinbarung z u m spezifischen Gegenstand des einschlägigen Schutzrechts gehört, sondern die Verneinung einer Wettbewerbsbeschränkung ist in diesen Fällen die durchgängig verwendete Argumentation. A u ß e r d e m liegen Fälle vor, in denen der Gerichtshof (ohne Diskussion der Lehre v o m spezifischen Gegenstand) das Kartellverbot auf Verhaltensweisen erstreckt, die nur dem spezifischen Gegenstand des jeweiligen Schutzrechts zugewiesen werden können. a ) Lizenzvermerke Die Pflicht des Lizenznehmers zur Anbringung eines L i z e n z v e r m e r k s am lizenzierten Erzeugnis w i r d dem spezifischen Gegenstand des Schutzrechts zugewiesen. 4 8 9 Der Gerichtshof hat dies in der Rechtssache „Windsurfing" ausdrücklich festgestellt. 4 9 0 Im konkreten Fall verfolgte der Gerichtshof mit dieser Feststellung allerdings das Ziel, eine Pflicht zur A n b r i n g u n g von Lizenzvermerken an ungeschützten Erzeugnissen aus dem Bereich des spezifischen Gegenstands herauszunehmen. Diese Passage ist also in Wirklichkeit der Fallgruppe der Vereinbarungen mit Bezug auf ungeschützte Erzeugnisse z u z u w e i s e n u n d bestätigt die in diesem Zusammenhang getroffene Feststellung, dass der Begriff des spezifischen Gegenstands in erster Linie negativ eingesetzt w i r d , nämlich u m Vereinbarungen mit B e z u g auf ungeschützte Erzeugnisse der A n w e n d u n g von Art. 81 Abs. 1 EGV in vollem M a ß zu unterwerfen. 4 9 1 b) Schutzrechtsübertragung Einschlägig ist hingegen die Rechtsprechung des Gerichtshofs zur Ü b e r t r a g u n g gewerblicher Schutzrechte. 4 9 2 Die Übertragbarkeit gewerblicher Schutzrechte ist zweifellos dem spezifischen Gegenstand dieser Rechte z u z u o r d n e n : Die Übertragbarkeit gehört z u m Kernbestand privater Rechte. 4 9 3 Den Gerichtshof 489 Vgl. die Aufnahme der Lizenzvermerksklausel in die weiße Liste, Art. 2 Abs. 1 Nr. 11 GFVO Technologietransfer. 490 „Windsurfing" Slg. 1986, 660 Tz. 72. 491 S.o. S.305. 492 Zur kartellrechtlichen Beurteilung von Schutzrechtsübertragungen s. H. Ullrich, in I/ M EG-Wettbewerbsrecht, Bd. I, 1997, S. 1235 f. Rdnr. 28, S. 1300 f. Rdnr. 33. 493 Anders im Urheberrecht (§ 29 S. 2 UrhG). Nicht direkt in diesen Zusammenhang ge-
316
4. Teil: Europäisches
Recht
hat dies n i c h t d a z u v e r a n l a s s t , S c h u t z r e c h t s ü b e r t r a g u n g e n m i t d e m A r g u m e n t des s p e z i f i s c h e n G e g e n s t a n d s v o n v o r n h e r e i n d e m K a r t e l l r e c h t z u e n t z i e h e n . 4 9 4 A m B e i s p i e l des M a r k e n r e c h t s hat er v i e l m e h r die F r a g e in d e n V o r d e r g r u n d gestellt, o b m i t d e r Ü b e r t r a g u n g des R e c h t s m a r k t a b s c h o t t e n d e Z i e l e v e r f o l g t werden: „Bewirkt die gleichzeitige Übertragung nationaler, das gleiche Erzeugnis schützender Warenzeichen auf mehrere Benutzer die Wiederaufrichtung unüberwindlicher Schranken zwischen den Mitgliedstaaten, so kann eine solche Praxis den zwischenstaatlichen Handel beeinträchtigen und den Wettbewerb im gemeinsamen Markt stören." 4 9 5 A u c h h i e r k o m m t es n i c h t d a r a u f an, o b das R e c h t z u r Ü b e r t r a g u n g eines S c h u t z r e c h t s d e s s e n s p e z i f i s c h e m G e g e n s t a n d z u z u o r d n e n ist; e n t s c h e i d e n d ist v i e l m e h r , o b die b e t r e f f e n d e V e r e i n b a r u n g eine
Wettbewerbsbeschränkung,
z . B . eine G e b i e t s a u f t e i l u n g b e z w e c k t o d e r b e w i r k t . I n der R e c h t s s a c h e „ I d e a l S t a n d a r d " 4 9 6 hat der G e r i c h t s h o f a u s g e f ü h r t : „Wenn voneinander unabhängige Unternehmen aufgrund einer Marktteilungsabsprache Warenzeichen übertragen, gilt zudem das Verbot wettbewerbsbeschränkender Vereinbarungen gemäß Art. 85, so daß Übertragungen, die als Mittel der Absprache eingesetzt werden, nichtig sind. Wie die Regierung des Vereinigten Königreichs zu Recht ausgeführt hat, gelten diese Bestimmung und die mit ihr verbundene Sanktion jedoch nicht automatisch hört allerdings Art. 6 Nr. 2 G F V O Technologietransfer: Nach dieser Vorschrift ist die Verordnung auf Schutzrechtsübertragungen nur bei atypischer Risikoausgestaltung anwendbar, nämlich „wenn das Risiko der Verwertung beim Veräußerer verbleibt, insbesondere wenn die Gegenleistung für die Übertragung vom Umsatz der mit dem Know-how oder den Patenten hergestellten Erzeugnissen, von der hergestellten Menge der Erzeugnisse oder von der Zahl der lizenzpflichtigen Handlungen abhängt". Die Einbeziehung derart ausgestalteter Schutzrechtsübertragungen in den Anwendungsbereich der Verordnung erklärt sich aus der Lizenzähnlichkeit dieser Gestaltung (H. Ullrich, in I/M EG-Wettbewerbsrecht, Bd. I, 1997, S. 1371 f. Rdnr. 97). Rückschlüsse auf die Behandlung typischer Schutzrechtsübertragungen im europäischen Kartellrecht können hieraus nicht gezogen werden. Es gelten vielmehr die allgemeinen Grundsätze, s. hierzu sogleich im Text. 4 9 4 Vereinzelt hat der Gerichtshof Schutzrechtsübertragungen in Lizenzerteilungen umgedeutet, die dann ohne weiteres in den Anwendungsbereich des Kartellrechts fielen. In der Rechtssache „Maissaatgut" hatten die Kläger argumentiert, eine ausschließliche Lizenz, auf die Art. 85 Abs. 1 E W G V anwendbar sei, liege gar nicht vor, da das zugrundeliegende Sortenschutzrecht nicht lizenziert, sondern übertragen worden sei („Maissaatgut" Slg.1982, 2066 Tz. 46). Der Gerichtshof wies dieses Vorbringen unter Hinweis auf den wirtschaftlichen Gesamtzusammenhang zurück: Die „Übertragung" der Sortenschutzrechte sei im konkreten Fall - wirtschaftlich gesehen - als Einräumung einer ausschließlichen Lizenz zu werten. Zu einer Schutzrechtsübertragung sei es nur gekommen, weil der französische Sortenschutzinhaber damals noch nicht das Recht hatte, seine Sortenschutzrechte beim Bundessortenamt eintragen zu lassen (ebenda, S. 2066 f. Tz. 47). 4 9 5 EuGH, 11.2.1971, Sirena/Eda, Rs. 40/70, Slg. 1971,69 (83 Tz. 10); zur Übertragung von Kennzeichnungsgrechten bereits EuGH, 13.7.1966, Consten und Grundig/Kommission, Verb. Rs.56 und 58/64, Slg. 1966, 321 (391). 4 9 6 EuGH, 22.6.1994, I H T Internationale Heiztechnik und Danziger („Ideal Standard"), Rs. C-9/93, Slg. 1994,1-2789.
C. Immaterialgüterschutz
und europäisches
Kartellrecht
317
für jede Übertragung. U m eine Warenzeichenübertragung als Mittel einer nach Art. 85 verbotenen Vereinbarung qualifizieren zu können, müssen der Zusammenhang, die mit der Übertragung verbundenen Verpflichtungen, die Absicht der Parteien und die versprochene Gegenleistung untersucht werden." 4 9 7 E s e x i s t i e r t a l s o w e d e r e i n A u t o m a t i s m u s f ü r n o c h g e g e n die A n w e n d u n g v o n A r t . 8 1 A b s . 1 E G V . E n t s c h e i d e n d ist d e r K o n t e x t d e r
Schutzrechtsübertra-
gung. E r s t die U n t e r s u c h u n g aller begleitenden U m s t ä n d e einschließlich der w a h r e n A b s i c h t e n d e r P a r t e i e n e n t s c h e i d e t ü b e r d i e A n w e n d u n g des K a r t e l l verbots. y) „ K e u r k o o p / N a n c y K e a n G i f t s " : A b g e s t i m m t e H i n t e r l e g u n g v o n M u s t e r n D e r S c h u t z r e c h t s ü b e r t r a g u n g v o r g e l a g e r t ist e i n e S t r a t e g i e , m i t d e r v e r s c h i e d e ne P e r s o n e n v o n vornherein eine A b s c h o t t u n g der nationalen M ä r k t e b e z w e k k e n : D i e s k a n n d a d u r c h g e s c h e h e n , dass j e d e dieser P e r s o n e n j e w e i l s ein n a t i o n a l e s S c h u t z r e c h t f ü r d e n G e g e n s t a n d e r w i r k t . D a d a n n in j e d e m M i t g l i e d staat f o r m e l l v o n e i n a n d e r g e t r e n n t e P e r s o n e n I n h a b e r des j e w e i l i g e n n a t i o n a l e n S c h u t z r e c h t s s i n d , k o m m t es b e i m I n v e r k e h r b r i n g e n des g e s c h ü t z t e n G e g e n stands durch eine dieser P e r s o n e n (scheinbar498) nicht zur E r s c h ö p f u n g der para l l e l e n S c h u t z r e c h t e d e r a n d e r e n S c h u t z r e c h t s i n h a b e r in E U , b z w . E W R .
Im-
p o r t e k ö n n e n v e r h i n d e r t w e r d e n , R e s u l t a t ist d i e F r a g m e n t i e r u n g des B i n n e n marktes. E i n e s o l c h e S t r a t e g i e s u b s u m i e r t d e r G e r i c h t s h o f u n t e r A r t . 81 A b s . 1 E G V , w i e e r a m B e i s p i e l des G e s c h m a c k s m u s t e r r e c h t s in d e r R e c h t s s a c h e
„Keur-
k o o p " 4 9 9 angedeutet hat: „Es ist daher Sache des nationalen Gerichts, in jedem Einzelfall zu prüfen, ob die Ausübung des betreffenden ausschließlichen Rechts zu einer der nach Artikel 85 verbotenen Situationen führt, die bei der Ausübung ausschließlicher Rechte an Mustern und Modellen in verschiedener F o r m auftreten können, so zum Beispiel in der Weise, daß mehrere Perso-
„Ideal Standard" Slg. 1994,1-2855 Tz. 59. Es erscheint nach außen so, als ob keine Erschöpfung einträte. In Wirklichkeit wird man der Absprache über die Erwirkung getrennter Schutzrechte auch die Zustimmung zum Inverkehrbringen des geschützten Gegenstands entnehmen können, so dass materiell-rechtlich Erschöpfung eingetreten ist. Die Geheimhaltung der Kartellabsprache soll aber nach außen den Eindruck vermitteln, als ob eine solche Zustimmung nicht vorliege, Importe also verhindert werden können. Der Gerichtshof kommt in „Keurkoop/Nancy Kean Gifts" (unten Fn. 499) zum gleichen Ergebnis, allerdings mit leicht unterschiedlicher Begründung: Er entnimmt der Kartellabsprache nicht die Zustimmung zum Inverkehrbringen des geschützten Gegenstands; er stellt an ein gültiges Importverbot vielmehr zwei zusätzliche Anforderungen, die über das bloße NichtVorliegen einer Zustimmung hinausgehen, nämlich „daß zwischen den beteiligten natürlichen oder juristischen Personen kein wettbewerbsbeschränkendes Kartell besteht und daß schließlich die jeweiligen Rechte der Inhaber des Rechts an einem Modell in den verschiedenen Mitgliedstaaten unabhängig voneinander begründet worden sind." (Slg. 1982, 2853 Tz. 29). 4 9 9 E u G H , 14.9.1982, Keurkoop/Nancy Kean Gifts, Rs. 144/81, Slg. 1982, 2853. 497
498
318
4. Teil: Europäisches
Recht
nen gleichzeitig oder nacheinander in verschiedenen Mitgliedstaaten dasselbe Modell hinterlegen, um die Märkte in der Gemeinschaft untereinander aufzuteilen." 5 0 0
Da die Entscheidung über die Erwirkung eines Schutzrechts dessen spezifischem Gegenstand zuzuordnen ist, wird hier also Art. 81 Abs. 1 E G V innerhalb des spezifischen Gegenstands des Geschmacksmusterrechts angewendet. 6) „Erauw-Jacquery": Verbot der Weitergabe von Basissaatgut Der Entscheidung „Erauw-Jacquery" 5 0 1 lag folgender Sachverhalt zugrunde: Die Gesellschaft Erauw-Jacquery war Inhaberin einiger Sortenschutzrechte über Getreidepflanzen. Sie erteilte der Lizenznehmerin die Erlaubnis, das lizenzierte Basissaatgut zu vermehren, sowie das in erster und zweiter Vermehrung gewonnene Saatgut (sog. „Vermehrungssaatgut") zu vertreiben. Das Vertriebsrecht bezog sich lediglich auf das Vermehrungssaatgut. Der Verkauf, die Überlassung oder der Export des Basissaatguts wurde ausdrücklich untersagt. Die Kommission vertrat die Auffassung, das Verbot über den Weitervertrieb des Basissaatguts gehöre zum Bestand des Sortenschutzrechts und falle deshalb nicht unter Art. 85 Abs. 1 EWGV. 5 0 2 Der Gerichtshof bestätigte diese Auffassung, machte sich aber nicht die Argumentation mit dem Bestand des Sortenschutzrechts zu eigen. 503 Unter Hinweis auf die erheblichen Investitionen für die Züchtung von Basissaatgut stellte der Gerichtshof fest, dass der Inhaber des Sortenschutzrechts die Möglichkeit haben müsse, jede unsachgemäße Behandlung der Saatgutsorten zu verhindern. Dazu gehöre auch die Berechtigung, die Vermehrung des Saatguts ausgewählten Händlern oder Erzeugern vorzubehalten. Die Klausel falle demnach nicht unter Art. 85 Abs. 1 EWGV. 5 0 4 Der Gerichtshof verneinte das Vorliegen einer Wettbewerbsbeschränkung nicht unter Heranziehung der Lehre vom spezifischen Gegenstand, sondern wies auf sachliche Notwendigkeiten im Zusammenhang mit Sortenschutzrechten hin. Diese Argumentation stellt in der Sache auf den rechtlichen und wirtschaftlichen Zusammenhang des Lizenzvertrags ab (ohne den Begriff des rechtlichen und wirtschaftlichen Zusammenhangs ausdrücklich zu nennen), und verzichtet auf die Bestimmung eines sortenschutzrechtlichen Kernbereichs. (4) Argumentationsstruktur des Gerichtshofs Der Uberblick über die einschlägigen Entscheidungen zeigt, dass der Gerichtshof im Grenzbereich von Kartellrecht und Immaterialgüterrecht vom Konzept „Keurkoop" Slg. 1982, 2873 Tz. 28. E u G H , 19.4.1988, Rs.27/87, Erauw-Jacquery/La Hesbignonne, Slg. 1988, 1919. 5 0 2 „Erauw-Jacquery" Slg. 1988, 1938 Tz. 9. 5 0 3 Dennoch bezeichnet H. Ullrich (in I/M EG-Wettbewerbsrecht, Bd. I, 1997, S. 1222 Rdnr. 15 bei Fn. 113) das Verfahren als den einzigen „Bestandsfall" in der EuGH-Rechtsprechung. 5 0 4 „Erauw-Jacquery" Slg. 1988, 1938 f. Tz. 10. 500
501
C. Immaterialgüterschutz
und europäisches
Kartellrecht
319
des spezifischen Gegenstands ausgeht, dieses Konzept aber durch seine tatsächliche Handhabung relativiert: Der Begriff des spezifischen Gegenstands wird in erster Linie negativ verwendet, nämlich um im konkreten Fall zu zeigen, dass der spezifische Gegenstand überschritten wurde und einer allgemeinen Anwendung von Kartellrecht deshalb nichts im Wege steht (Fallgruppe der Vereinbarungen mit Bezug auf ungeschützte Erzeugnisse, bzw. mit Bezug auf geschützte Erzeugnisse, aber außerhalb des spezifischen Gegenstands). Diejenige Fallgruppe, die nach dem Selbstverständnis der Lehre vom spezifischen Gegenstand ihren eigentlichen Anwendungsfall ausmachen sollte, nämlich die Vereinbarungen mit Bezug auf geschützte Erzeugnisse, die sich innerhalb der Grenzen des spezifischen Gegenstands halten, wird vom Gerichtshof nicht konsequent von der Anwendung von Kartellrecht ausgenommen. Wie in den anderen Fällen stellt der Gerichtshof hier in erster Linie auf den rechtlichen und wirtschaftlichen Zusammenhang der Vereinbarung ab und verzichtet auf das eher begriffliche Argument mit dem spezifischen Gegenstand. Die Folge ist, dass jede Vereinbarung und damit jede einzelne Lizenzklausel je nach rechtlichem und wirtschaftlichem Zusammenhang eine unterschiedliche Bewertung erfahren kann. Eine einheitliche rechtliche Beurteilung bestimmter Vereinbarungstypen unabhängig vom rechtlichen und wirtschaftlichen K o n text ist nicht möglich. Die entscheidende Frage ist, ob die Tatbestandsmerkmale der einschlägigen Kartellrechtsnorm im Einzelfall erfüllt sind. Im Rahmen der kartellrechtlichen Zentralbegriffe ist der rechtliche und wirtschaftliche Zusammenhang einzubringen; über diesen Weg finden auch die Regelungsziele des Immaterialgüterrechts Berücksichtigung. c) Bedeutungsverlust des Konzepts im europäischen Kartellrecht
vom spezifischen
Gegenstand
Der Begriff des spezifischen Gegenstands erfährt somit im Zusammenhang mit den Wettbewerbsregeln eine wichtige Relativierung. Die offensichtlich unberechtigte Berufung auf nationale Immaterialgüterrechte wird vom G e richtshof zwar gerne mit dem Argument abgewehrt, dass durch die betreffende Verhaltensweise der Bereich des spezifischen Gegenstands offensichtlich verlassen sei. Werden ernstzunehmende rechtliche oder wirtschaftliche Argumente zugunsten der betreffenden Verhaltensweise vorgebracht, begnügt sich der Gerichtshof dagegen nicht mit dem eher formalen Hinweis auf den spezifischen Gegenstand. Vielmehr nimmt er eine Analyse des rechtlichen und wirtschaftlichen Zusammenhangs der betreffenden Verhaltensweise vor. Uberwiegen die Argumente zugunsten der streitgegenständlichen Abrede, wird der Tatbestand von Art. 81 Abs. 1 E G V verneint. N u r bei unkompliziertem wirtschaftlichen Umfeld und bei Verhaltensweisen, die klar dem typischen Gehalt des Schutzrechts zuzuweisen sind, begnügt er sich mit der bloßen Feststellung, dass die betreffende Verhaltensweise dem spezifischen
320
4. Teil: Europäisches
Recht
Gegenstand des Schutzrechts zuzuordnen und ein Wettbewerbsverstoß deshalb zu verneinen sei. Dieser Vorgehensweise ist zuzustimmen. Die Berücksichtigung des rechtlichen und wirtschaftlichen Gesamtzusammenhangs ist der angemessenen Würdigung potentiell wettbewerbsbeschränkender Abreden sicherlich förderlich. Eine strikte Argumentation mit dem spezifischen Gegenstand im Sinne eines Katalogs bestimmter, damit verbundener Ausschlussrechte ist demgegenüber zu schematisch, da sie das wettbewerbliche Umfeld der betreffenden Verhaltensweise außer Acht lässt. Jedes Recht, ob materiell oder immateriell, kann dazu benutzt werden, verbotene Wettbewerbsbeschränkungen zu vereinbaren. Entscheidend ist die Frage, ob das jeweilige Recht im Rahmen einer Kartellabsprache eingesetzt wird. Hieraus folgt auch die Antwort auf die oben aufgeworfene Frage, ob die Lehre vom spezifischen Gegenstand in Form einer Vermutung aufrechterhalten werden kann. 505 Gegen die Vermutung der kartellrechtlichen Unbedenklichkeit bei NichtÜberschreitung der Grenzen des spezifischen Gegenstands spricht die grundsätzliche Skepsis gegenüber schutzbereichsbezogener Argumentation. Wenn jedes Recht, materiell oder immateriell, wettbewerbswidrig eingesetzt werden kann, und das Kartellrecht damit zu den Gesetzen gehört, die dem Eigentumsrecht Inhalt und Schranken geben, kann aus dem spezifischen Gegenstand dieses Eigentumsrechts keine Sperrwirkung abgeleitet werden. Dies verbietet auch die Annahme einer bloß relativen Sperrwirkung, die in das Gewand einer Vermutung gekleidet wird. Die mit dem Immaterialgüterrecht verfolgten Zielsetzungen sind nach dem Grundsatz der Einheit der Rechtsordnung 506 innerhalb des Kartellrechts zu berücksichtigen. Sie beschränken sich nicht darauf, als Grenze von außerhalb der Anwendung von Kartellrecht entgegenzustehen. 507
S. o.S.304. S. hierzu D. Felix, Einheit der Rechtsordnung, 1998. 507 Dies entspricht den Rückkopplungsprozessen der Wirtschaftsordnung, die Walter Eucken (Grundsätze der Wirtschaftspolitik, S. 304 ff.) unter dem Schlagwort der Interdependenz der Wirtschaftsordnungspolitik zusammengefasst hat: Die konstituierenden und regulierenden Prinzipien der Wirtschaftsordnung gehören zusammen. Einerseits ist das Privateigentum Voraussetzung der Wettbewerbsordnung. Andererseits ist die Wettbewerbsordnung Voraussetzung dafür, dass das Privateigentum nicht zum Instrument privaten Machtmissbrauchs degeneriert: „Wie also Privateigentum an Produktionsmitteln eine Voraussetzung der Wettbewerbsordnung ist, so ist die Wettbewerbsordnung eine Voraussetzung dafür, daß das Privateigentum an Produktionsmitteln nicht zu wirtschaftlichen und sozialen Mißständen führt." (Grundsätze der Wirtschaftspolitik, S. 275). Auf der Ebene des Rechts ist diese Rückkopplung durch gegenseitige Öffnung von Immaterialgüterrecht und Kartellrecht nachzuvollziehen. Im Zusammenhang mit den Wettbewerbsregeln wird zu zeigen sein, wie trotz gegenseitiger Durchdringung beider Rechtsgebiete eine optimale Verwirklichung der jeweiligen Regelungsziele möglich ist. 505 506
C. Immaterialgüterschutz
d) Unterschiedliche im Zusammenhang
und europäisches
321
Kartellrecht
Bedeutung des Konzepts vom spezifischen von Grundfreiheiten und Kartellrecht
Gegenstand
Vergleicht man die vorstehende Analyse mit der Bedeutung, die dem Begriff des spezifischen Gegenstands im Zusammenhang mit den Grundfreiheiten zugemessen wurde, so ist ein klarer Bedeutungsunterschied festzustellen. (1) Grundfreiheiten I m Zusammenhang mit den Grundfreiheiten entscheidet der Begriff des spezifischen Gegenstands darüber, o b die Ausgestaltung nationalen Immaterialgüterrechts gem. Art. 30 E G V mit dem Grundsatz des freien Warenverkehrs vereinbar ist. D e r Begriff des spezifischen Gegenstands ist in diesem Z u s a m m e n hang hilfreich, da er eine strikte Orientierung
an der A u s f o r m u n g
des
Immaterialgüterschutzes im nationalen R e c h t vermeidet und dem Begriff des „gewerblichen und kommerziellen E i g e n t u m s " i.S. von A r t . 30 E G V eine eigene, gemeinschaftsrechtliche Bedeutung gibt. Diese präzise Aufgabe hat dazu geführt, dass es im Zusammenhang mit den Grundfreiheiten zu einer präzisen U m s c h r e i b u n g des spezifischen Gegenstands einzelner
Schutzrechte
gekom-
men ist. 5 0 8 (2) Kartellrecht I m Zusammenhang mit dem europäischen Kartellrecht hat der Begriff des spezifischen Gegenstands demgegenüber keine klaren K o n t u r e n gewonnen. D i e A b w e i c h u n g erklärt sich aus einem grundlegenden U n t e r s c h i e d
zwischen
Grundfreiheiten und Wettbewerbsregeln: D i e Grundfreiheiten haben die A b schaffung der Binnengrenzen zum Ziel; die Wettbewerbsregeln sind ebenfalls diesem Ziel verpflichtet, haben aber zusätzlich
die Aufgabe, das G r u n d p r i n z i p
W e t t b e w e r b zu sichern. D i e genannte ratio des Begriffs des spezifischen G e g e n stands, also A b s t r a k t i o n v o m nationalen R e c h t , trifft nur die erste der beiden Aufgaben: G e g e n ü b e r der A b s c h o t t u n g nationaler M ä r k t e durch nationales Immaterialgüterrecht kann ein gemeinschaftsautonom entwickelter Begriff des spezifischen Gegenstands vor nationalen A u s w ü c h s e n schützen. Soweit die Wettbewerbsregeln darüber hinaus das Grundprinzip W e t t b e w e r b
sichern,
hilft der Begriff des spezifischen Gegenstands nicht weiter: D i e Aufgabe b e steht hier nicht darin, aus nationalen Schutzrechten eigene K o n z e p t i o n e n des Gemeinschaftsrechts abzuleiten; vielmehr ist das allgemeine P r o b l e m des K o n flikts von Kartellrecht und Immaterialgüterrecht zu lösen. D a b e i leistet eine gemeinschaftsautonome Konkretisierung der Schutzrechte durch die B e s t i m mung ihres spezifischen Gegenstands keine Hilfestellung, da die darüber hinausreichende Frage geklärt werden soll, inwieweit immaterialgüterrechtliche
508
S. oben S. 242 ff.
322
4. Teil: Europäisches
Recht
Ausschlussbefugnisse zur Beschränkung des Wettbewerbs eingesetzt werden dürfen. (3) Bedeutungsunterschied Der Bedeutungsunterschied des Konzepts vom spezifischen Gegenstand im Zusammenhang von Grundfreiheiten und Wettbewerbsregeln lässt sich auf folgende Formel bringen: Während der spezifische Gegenstand im Rahmen der Grundfreiheiten seine Hauptfunktion in der Abstrahierung von nationalen Gegebenheiten hat, ist im Rahmen der Wettbewerbsregeln zusätzlich eine Konkretisierung auf bestimmte Marktverhältnisse erforderlich. 509 Diese Aufgabe verbietet es, das Konzept vom spezifischen Gegenstand als absolute Grenze gegenüber der Anwendung europäischen Kartellrechts zu verstehen. e) Verhältnis von Grundfreiheiten
und
Wettbewerbsregeln
In die gleiche Richtung zielen Begründungsansätze, die aus dem Verhältnis von Grundfreiheiten und Wettbewerbsregeln Schlussfolgerungen für die Behandlung von Immaterialgüterrechten ziehen. (1) Stufenverhältnis? Grundfreiheiten und Wettbewerbsregeln verfolgen unterschiedliche Ziele, haben unterschiedliche Anwendungsbereiche und beeinflussen sich nur in Ausnahmefällen. 510 Eine Notwendigkeit, beiden Normengruppen identische Ausnahmebestimmungen zu verschreiben, besteht nicht. Auf dieser Grundlage hat sich I. Govaere gegen die Verwendung des Konzepts vom spezifischen Gegenstand im Zusammenhang mit den Wettbewerbsregeln ausgesprochen. 511 Govaere nimmt ein Stufenverhältnis zwischen Grundfreiheiten und Wettbewerbsregeln an: Die Grundfreiheiten, insbesondere die Warenverkehrsfreiheit, regel509 Vgl. H. Ullrich (Lizenzverträge im europäischen Wettbewerbsrecht: Einordnung und Einzelfragen, Mitteilungen der deutschen Patentanwälte 1998, Heft 2, 50, 55): „Schließlich kann es auch nicht angehen, die abstrakte Grenzziehung zwischen Freihandel und nationaler Gesetzgebungshoheit, wie sie Art. 30, 36 im Bereich des geistigen Eigentums vornehmen, auf die konkrete Abstimmung von Ausschließlichkeitsrecht und Wettbewerb zu übertragen. Art. 30 ff. EG-V setzen den Rahmen, nicht die Grenzen für die Anwendung der Wettbewerbsregeln." 510 Ein solcher Ausnahmefall ist der Anwendungsbereich von Art. 86 Abs. 1 EGV: Die Verletzung von Art. 82 EGV durch ein staatliches Monopol indiziert auch einen Verstoß gegen Art. 28 EGV: E u G H , 10.12.1991, Merci Convenzionali Porto di Genova, Rs.C-179/90, Slg. 1991, 1-5889 (1-5929 Tz. 21). Missverständlich Suckerl Guttuso (in von der Groeben Art. 85 EGV - Fallgruppen, Immaterialgüterrechte Rdnr. 12), die ein Bedürfnis für die Anwendung der Wettbewerbsregeln nicht mehr sehen, wenn die Vorschriften über den freien Warenverkehr eingreifen. 511 I. Govaere, The Use and Abuse of Intellectual Property Rights in E.C. Law, 1996, S. 103 ff. Gegen die Parallelität von Art. 85 und Art. 36 E W G V auch N. Koch, in Grabitz Art. 85 E W G V Rdnr. 237 (Vorauflage).
C. Immaterialgüterschutz
und europäisches
Kartellrecht
323
t e n , in w e l c h e m U m f a n g S c h u t z r e c h t e ü b e r h a u p t z u l ä s s i g e r w e i s e v o m S t a a t e i n g e r ä u m t w e r d e n k ö n n e n . D a s K r i t e r i u m h i e r f ü r sei d e r s p e z i f i s c h e G e g e n s t a n d . 5 1 2 D i e W e t t b e w e r b s r e g e l n s e t z t e n d e m g e g e n ü b e r erst an d i e s e r S t e l l e an: S i e r e g e l t e n die F r a g e , in w e l c h e m U m f a n g d e r I n h a b e r eines g e m e i n s c h a f t s r e c h t s k o n f o r m e r t e i l t e n S c h u t z r e c h t s (das p e r d e f i n i t i o n e m d e n B e r e i c h des spezifischen Gegenstands nicht verlässt) von seinem R e c h t G e b r a u c h m a c h e n k ö n n e . 5 1 3 S c h o n diese F r a g e s t e l l u n g zeige, dass die W e t t b e w e r b s r e g e l n s i c h m i t V e r h a l t e n s w e i s e n b e s c h ä f t i g e n , die innerhalb
des s p e z i f i s c h e n G e g e n s t a n d s des
jeweiligen Schutzrechts lägen. D i e unbesehene Ü b e r n a h m e v o n Art. 3 6 E G V (a.F.) i n das S y s t e m d e r W e t t b e w e r b s r e g e l n h a b e a u ß e r d e m f o l g e n d e K o n s e q u e n z : E i n e V e r h a l t e n s w e i s e , die a u f g r u n d v o n A r t . 3 6 E G V (a.F.) d e m V e r b o t des A r t . 3 0 E G V (a.F.) e n t z o g e n sei, sei a u c h a u t o m a t i s c h d e r A n w e n d u n g d e r W e t t b e w e r b s r e g e l n e n t z o g e n . 5 1 4 D a s K o n z e p t des s p e z i f i s c h e n
Gegenstands
512 Govaere erkennt damit die Bedeutung des Konzepts vom spezifischen Gegenstand im Rahmen der Grundfreiheiten an. 5 1 3 Dieser Ansatz entspricht auch dem Standpunkt der Kommission, die auf die unterschiedlichen Funktionen der Artikel 30 und 36 EGV a.F. einerseits und Art. 86 E G V a.F. andererseits hinweist: „Selbst wenn die nationalen Rechtsvorschriften, die die Rechtsgrundlage der betreffenden Immaterialgüterrechte bildeten, mit Artikel 36 vereinbar seien, schließe dies nicht aus, daß Artikel 86 auf die Ausübung dieser Rechte Anwendung finden könne. Die Artikel 30 und 36 richteten sich an die Mitgliedstaaten und eröffneten die Möglichkeit einer Entscheidung, den freien Warenverkehr durch nationale Bestimmungen einzuschränken. Artikel 86 richte sich an beherrschende Unternehmen, die bei ihrem kaufmännischen Gebaren höheren Anforderungen gerecht werden müßten als andere Unternehmen. Die vorzunehmenden Prüfungen und die anzuwendenden Kriterien seien deshalb für die Artikel 30 und 36 nicht dieselben wie für Artikel 86. Eine Prüfung anhand der Artikel 30 und 36 sei allgemein und gelte für jeden Fall, auf den die betreffenden Vorschriften anwendbar seien, eine Prüfung anhand des Artikels 86 betreffe dagegen nur einen bestimmten Fall, in dem alle damit zusammenhängenden Umstände berücksichtigt würden." (Standpunkt der Kommission referiert durch Generalanwalt Gulmann in „Magill" Slg.1995,1-759 f. Tz. 43).
Ähnlich auch Ebenroth/Bohne, EWS 1995, 397 (400), die zwar Art. 36 E G V a.F. auf die Wettbewerbsregeln entsprechend anwenden möchten, dennoch aber Raum für unterschiedliche Lösungen sehen: „Damit können nach Art. 86 E G V Eingriffe in den spezifischen Gegenstand des Schutzrechtes durchaus gerechtfertigt sein, auch wenn sie u.U. nach Art. 36 E G V verboten wären". 5 1 4 Dass eine solche Konsequenz nicht der Auffassung des Gerichtshofs entspricht, zeigen z.B. die beiden Entscheidungen „Renault" (EuGH, 5.10.1988, C I C R A u.a./Renault, Rs. 53/87, Slg. 1988,6039) und „Volvo" (EuGH, 5.10.1988, Volvo/Veng, Rs. 238/87, Slg. 1988, 6211). Eine Verletzung der Warenverkehrsfreiheit durch nationalen Geschmacksmusterschutz auf KfzKarosserieteile wurde unter Hinweis auf die Zuständigkeit des nationalen Gesetzgebers für diese Materie und die Einhaltung der Grenzen von Art. 36 E W G V verneint. Dies hinderte den Gerichtshof nicht daran, Verhaltensweisen zu skizzieren, die einen Missbrauch einer marktbeherrschenden Stellung i.S. von Art. 86 E W G V darstellen könnten (näher dazu unten S. 471 ff.). Diese Prüfungsfolge zeigt, dass aus der Gemeinschaftsrechtskonformität nationalen Immaterialgüterrechts nicht gefolgert werden kann, dass jeder Einsatz eines solchen nationalen Rechts mit den Wettbewerbsregeln des Vertrags in Ubereinstimmung steht. Obwohl die Ausgestaltung des nationalen Immaterialgüterrechts, also auch jede gesetzliche Ausübung solcher Rechte mit der Lehre vom spezifischen Gegenstand in Ubereinstimmung steht, kann je nach Ein-
324
4. Teil: Europäisches
Recht
tauge folglich nicht für die B e s t i m m u n g der R e i c h w e i t e der Wettbewerbsregeln. 5 1 5 Als maßgebliches Kriterium empfiehlt Govaere
den „functionality
test".516 (2) E r ö f f n u n g und Ausübung von Handlungsmöglichkeiten H.
Ullrich
verneint ebenfalls die N o t w e n d i g k e i t ,
immaterialgüterrechtliche
Ausnahmetatbestände von Grundfreiheiten und Wettbewerbsregeln identisch fassen zu müssen. Grundfreiheiten und Wettbewerbsregeln lägen auf „verschiedenen und keineswegs kongruenten E b e n e n " . 5 1 7 Bei den Grundfreiheiten gehe es u m das Verhältnis nationalen R e c h t s zur B i n n e n m a r k t o r d n u n g und u m „die rechtliche Verfassung wettbewerblicher H a n d l u n g s m ö g l i c h k e i t e n " . Das Wettbewerbsrecht habe demgegenüber dafür zu sorgen, dass diese H a n d l u n g s m ö g lichkeiten nur w e t t b e w e r b s k o n f o r m eingesetzt werden. Daraus folge zweierlei: D i e A n w e n d u n g der Wettbewerbsregeln k ö n n e nicht zu einer Erweiterung der Handlungsspielräume über das durch die Grundfreiheiten vorgegebene M a ß führen. U m g e k e h r t folge aus der E r ö f f n u n g solcher Handlungsmöglichkeiten nicht, dass sie auch immer wettbewerbsrechtlich zulässig seien. 5 1 8 Aus diesem G r u n d lehnt Ullrich
die A n w e n d u n g des K o n z e p t s v o m spezifischen G e g e n -
stand im R a h m e n der Wettbewerbsregeln ab; dies ist nur konsequent, da er bereits der A n w e n d u n g dieser L e h r e im R a h m e n der Grundfreiheiten skeptisch gegenübersteht. 5 1 9 (3) Vorüberlegung Beide Auffassungen stimmen darin überein, dass sie das K o n z e p t des spezifischen Gegenstands als untauglich für die Belange des Kartellrechts zurückwei-
satz dieser Rechte ein Kartellrechtsverstoß vorliegen. Dies zeigt, dass das Konzept vom spezifischen Gegenstand ungeeignet ist, um über den Konflikt von europäischem Kartellrecht und (nationalem) Immaterialgüterrecht zu entscheiden. 515 I. Govaere (oben Fn. 511), S. 103. Auf Englisch steht eine sprachliche Differenzierung zur Verfügung: Während Govaere die Ausübung eines Immaterialgüterrechts unter Verletzung des Kartellrechts als „abuse" bezeichnet, nennt sie eine Verhaltensweise unter Verletzung der Grundfreiheiten „misuse". Zum misuse-Begriff des US-amerikanischen Recht s.o. S. 46 ff. 5 1 6 S. hierzu bereits oben S. 245 ff. 517 H. Ullrich, in I/M EG-Wettbewerbsrecht, Bd. I, 1997, S. 1199 Rdnr. 91. 518 H. Ullrich, ebenda, s. auch S. 1301 Rdnr. 33. 519 H. Ullrich, in I/M EG-Wettbewerbsrecht, Bd. 1,1997, S. 1223 Rdnr. 16: „Es handelt sich nämlich überhaupt nicht um einen subsumtionsfähigen Begriff, sondern um eine Methodik zur Ermittlung des einer besonderen Schutzrechtsregelung zugrundeliegenden, durch sie generell zu verwirklichenden rechtspolitischen Zwecks, der bei der Anwendung der Freiverkehrsregeln als Maßstab für die Abwägung dieser abstrakten Schutzrechtsregelung mit den Grundsätzen des freien Waren- und Dienstleistungsverkehrs dient." (Hervorhebungen im Original). Ullrich sieht im Begriff des spezifischen Gegenstands die Gefahr apriorischer Werturteile versteckt und möchte diese durch ein „transparentes, rückbezügliches Wertungsverfahren" ersetzen (ebenda, S. 1163 Rdnr. 58, S. 1223 Rdnr. 16).
C. Immaterialgüterschutz
und europäisches
Kartellrecht
325
sen. Der tiefere Grund hierfür wird im Stufen-, bzw. Ergänzungsverhältnis 520 von Verkehrsfreiheiten und Wettbewerbsfreiheit gesehen. Private Ausschlussrechte werden durch die einzelstaatliche Gesetzgebung konstituiert, die mit den Grundfreiheiten des EG-Vertrags in Ubereinstimmung zu stehen hat. Der private Gebrauch dieser Ausschlussrechte hat unter Beachtung der Wettbewerbsregeln des Vertrags zu erfolgen. Die Schlussfolgerung drängt sich auf, dass dasjenige Kriterium, das über die Vereinbarkeit der nationalen Immaterialgütergesetzgebung mit den Verkehrsfreiheiten des europäischen Rechts entscheidet, nicht mehr bei der Frage eingesetzt werden kann, ob der private Gebrauch der Ausschlussrechte mit dem europäischen Kartellrecht vereinbar ist: Die nationalen Schutzrechte gehen, soweit sie gemeinschaftsrechtskonform sind, per definitionem nicht über den spezifischen Gegenstand solcher Schutzrechte hinaus. Ihr Gebrauch wäre - wollte man den spezifischen Gegenstand auch zum entscheidenden Kriterium der Wettbewerbsregeln erheben - immer kartellrechtskonform. Gegenüber einem solchen Gedankengang erhebt Ullrich zu Recht den Vorwurf der Immunisierung, nämlich Immunisierung nationaler Schutzrechte gegenüber der Anwendung europäischen Kartellrechts. 521 Diejenigen, die den spezifischen Gegenstand als Grenze sowohl für die Anwendung der Grundfreiheiten als auch der Wettbewerbsregeln ansehen, 522 argumentieren zumeist im Hinblick auf das Lizenzkartellrecht: Soweit Beschränkungen in Lizenzverträgen nicht über das hinausgehen, was schon aufgrund des - in Übereinstimmung mit den Grundfreiheiten ausgestalteten - Schutzrechts untersagt werden kann, sei Art. 81 Abs. 1 EGV nicht anwendbar. Im Ergebnis, nämlich der Rechtmäßigkeit solcher Vereinbarungen in den meisten Fällen, trifft diese Überlegung zu. Der Grund hierfür besteht aber nicht darin, dass bei Vereinbarungen über schutzrechtlich untersagbare Verhaltensweisen eine Wettbewerbsbeschränkung denknotwendig ausgeschlossen ist; vielmehr ist in diesen Fällen unter Berücksichtigung der Marktverhältnisse eine Wettbewerbsbeschränkung und damit der Tatbestand von Art. 81 Abs. 1 EGV in der Regel zu verneinen. (4) Diskussion Der Standpunkt von Govaere und Ullrich stimmt im wesentlichen, nämlich in der Ablehnung des Konzepts vom spezifischen Gegenstand im Rahmen der Wettbewerbsregeln, mit der oben unter c) gemachten Analyse überein. Zu Gemeinsamkeiten und Abgrenzungen der beiden Standpunkte mit der hier vertretenen Auffassung seien folgende Bemerkungen gemacht.
520 521 522
H. Ullrich, in I/M EG-Wettbewerbsrecht, Bd. I, 1997, S. 1201 Rdnr. 94. H. Ullrich, in I/M EG-Wettbewerbsrecht, Bd. I, 1997, passim, z.B. S. 1223 ff. Rdnr. 17. Nachweise oben Fn. 416.
326
4. Teil: Europäisches
Recht
Ullrich steht dem Begriff des spezifischen Gegenstands insgesamt skeptisch gegenüber, also auch insoweit dieses Konzept im Rahmen der Grundfreiheiten herangezogen wird. Soweit sich diese Kritik dagegen wendet, durch die Benutzung eines bestimmten Begriffs nicht die tatsächlich vorgenommenen Wertungen zu verdecken, 523 ist ihr zuzustimmen: Ein begriffliches Instrumentarium sollte nicht dazu dienen, die Frage nach der zutreffenden Wertung zu verdrängen. 524 Andererseits wurde gezeigt, dass der Begriff des spezifischen Gegenstands im Zusammenhang mit den Grundfreiheiten als Träger der zutreffenden Wertungen erscheint. Er ist dazu geeignet, bei der Auslegung des Begriffs des gewerblichen und kommerziellen Eigentums i.S. von Art. 30 E G V von der nationalen Ausgestaltung des Immaterialgüterrechts zu abstrahieren. Mit seiner Hilfe konnten - für jedes Schutzrecht gesondert - Schutzinhalte identifiziert werden, die von der Anwendung der Verkehrsfreiheiten ausgenommen sind. Die nötigen Wertungen wurden dabei nicht verdeckt, sondern in die Anwendung des Konzepts vom spezifischen Gegenstand eingebracht. 5 2 5 Am Konzept vom spezifischen Gegenstand wird deshalb festgehalten, soweit es über die Anwendung der Grundfreiheiten auf Immaterialgüterrechte entscheidet. Im Rahmen der Wettbewerbsregeln erscheint der Begriff vom spezifischen Gegenstand demgegenüber ungeeignet: Die primäre Schwierigkeit liegt hier nicht im Verhältnis von Gemeinschaftsrecht und nationalem Recht, also bei der Problematik, deren Auflösung Ziel der Formel vom spezifischen Gegenstand ist. Die Schwierigkeit liegt hier nicht bei Fragen der Normenhierarchie, sondern in dem Grundproblem, nämlich der Einbettung des Immaterialgüterrechts in die Wettbewerbsordnung. Govaere steht dem Konzept des spezifischen Gegenstands im Zusammenhang mit den Wettbewerbsregeln kritischer gegenüber als im Zusammenhang mit den Grundfreiheiten. Der „abuse" von Immaterialgüterrechten sei zu unterscheiden von deren „misuse". 526 Der kartellrechtliche „abuse" könne keinesfalls unter Heranziehung des spezifischen Gegenstands bestimmt werden. Vorzugswürdig sei die Anwendung des „functionality test" im Rahmen von Grundfreiheiten und Wettbewerbsregeln. Govaeres Skepsis gegenüber dem Konzept vom spezifischen Gegenstand im Rahmen der Wettbewerbsregeln stimmt mit der hier vertretenen Auffassung überein. Vor der Verabsolutierung funktionalen Denkens muss allerdings - wie im Zusammenhang mit den Grundfreiheiten 527 - gewarnt werden. Die Einbringung funktionaler Erwägungen in die teleologische Auslegung ist zu begrüßen. Zweifel bestehen allerdings, ob allein durch den Rückgriff auf die Funktion 523 524 525 526 527
S. oben Fn. 519. Larenz/Canaris, Methodenlehre der Rechtswissenschaft, 3. Aufl. 1995, S. 264. S. oben S. 240 ff. Zu dieser Terminologie s. oben Fn. 515. S. oben S. 245 ff.
C. Immaterialgüterschutz
und europäisches
327
Kartellrecht
geistigen Eigentums die Rechtsanwendungsprobleme im G r e n z b e r e i c h gelöst werden können. Insbesondere beim K o n f l i k t von Kartellrecht und Immaterialgüterrecht spielt die Analyse der konkreten Marktverhältnisse und -Strategien eine wichtige Rolle. In diesem R a h m e n k o m m t
immaterialgüterrechtlichen
Wertungen sicherlich ein vorrangiger Stellenwert zu; zur zentralen streitentscheidenden Kategorie eignet sich die Funktionalität geistigen
Eigentums
gleichwohl nicht. Zu groß sind die Unsicherheiten über die F u n k t i o n der einzelnen Schutzrechte, zu wenig berücksichtigt die Funktionalität die Verhältnisse am M a r k t . Werden beispielsweise schutzrechtsbezogene W e t t b e w e r b s b e schränkungen vereinbart, stellt sich die Frage, inwieweit der C h a r a k t e r der Transaktion diese Wettbewerbsbeschränkungen erforderlich macht. Bei Beurteilung der Erforderlichkeit ist sicherlich die Zielsetzung der betreffenden I m materialgüterrechte zu berücksichtigen. Dies geschieht im R a h m e n der teleologischen Auslegung, bzw. innerhalb der erforderlichen Abwägungsvorgänge. Entscheidend ist dann aber die Frage, wie sich - unter Berücksichtigung der Zielsetzung der betroffenen Schutzrechte - die jeweilige Vereinbarung am M a r k t auswirkt. Diese Fragestellung setzt eine umfassende Marktanalyse voraus. N i c h t die F u n k t i o n des Schutzrechts, sondern die auf einer Marktanalyse beruhende P r o g n o s e über die Entwicklung des betreffenden M a r k t e s bei Zulassung der betreffenden Vereinbarung wird damit zur zentralen Kategorie des Grundproblems. N ä h e r e Ausführungen
hierzu erfolgen im Zusammenhang
mit A r t . 81
E G V . 5 2 8 Entsprechendes gilt für Art. 82 E G V : D i e F u n k t i o n der einzelnen Schutzrechte fließt in die Überlegung ein, o b eine bestimmte Verhaltensweise als Missbrauch zu qualifizieren ist. Streitentscheidende Bedeutung oder eine Stellung als Grundkategorie k o m m t dem Funktionsaspekt nicht zu; entscheidend ist die Frage, wie der Missbrauchsbegriff i.S. von A r t . 82 E G V ausgefüllt wird. 5 2 9
f ) Ergebnis A u c h für das Verhältnis von Gemeinschaftskartellrecht und nationalem I m m a terialgüterschutz zieht der G e r i c h t s h o f die L e h r e v o m spezifischen Gegenstand heran. E r lässt sich dabei von der Erwägung leiten, dass derselbe M a ß s t a b für den K o n f l i k t des Immaterialgüterrechts mit Grundfreiheiten und W e t t b e werbsregeln zu gelten habe. Diese Erwägung sieht sich z u n e h m e n d e m Zweifel ausgesetzt: D e r spezifische Gegenstand ist zwar das geeignete Instrument, u m die K o n f o r m i t ä t nationaler Immaterialgüterrechtsordnungen mit den freiheiten
Grund-
des E G - V e r t r a g s zu ermitteln. Aus ihm geht aber nicht hervor, in wel-
chem A u s m a ß der Inhaber von seinem gemeinschaftsrechtskonform erteilten -
528 529
S. unten S. 354 ff. und 387ff. S. unten S. 445 ff.
328
4. Teil: Europäisches
Recht
und damit den spezifischen Gegenstand eines solchen Schutzrechts nicht übersteigenden - Schutzrecht im Wettbewerb Gebrauch machen darf. Ein Uberblick über die einschlägige Rechtsprechung des Gerichtshofs hat ergeben, dass dieser Standpunkt zwar nicht mit der vom Gerichtshof verwendeten Terminologie, wohl aber mit der von ihm tatsächlich vorgenommenen Handhabung der Problematik übereinstimmt: Nur bei einfachem wirtschaftlichen Umfeld und bei Verhaltensweisen, die dem Kernbereich des Schutzrechts zuzuweisen sind, begnügt er sich mit dem Hinweis darauf, dass die betreffende Verhaltensweise dem spezifischen Gegenstand des Schutzrechts unterfalle und somit keinen Wettbewerbsverstoß darstelle. Bei komplizierteren Gestaltungen bevorzugt er demgegenüber eine Analyse des rechtlichen und wirtschaftlichen Zusammenhangs und verzichtet auf die eher begriffsorientierte Argumentation mit dem Konzept des spezifischen Gegenstands. 4. Grundauffassungen und europäischem
über das Verhältnis von Kartellrecht
Immaterialgüterrecht
Die verschiedenen Grundauffassungen über das Verhältnis von Immaterialgüterrecht und europäischem Kartellrecht lassen sich kategorisieren. R. Sack hat eine markante Einteilung vorgeschlagen, die im folgenden zugrundegelegt wird. 530 Sack unterscheidet den rein kartellrechtlichen Ansatz (a), die Wettbewerbseröffnungstheorie (b) und die Theorie vom spezifischen Gegenstand von Schutzrechten (c), die er selber favorisiert. Nach einer kurzen Skizzierung der Standpunkte ist zu klären, wie sich die oben entwickelte Argumentation in das auf diese Weise aufgefächerte Meinungsspektrum einfügt (d). a) Rein kartellrechtlicher
Ansatz
Der rein kartellrechtliche Ansatz zeichnet sich nach Sack dadurch aus, dass die rechtliche Würdigung potentiell wettbewerbsbeschränkender Vereinbarungen in Lizenzverträgen ohne besondere Berücksichtigung immaterialgüterrechtlicher Prinzipien erfolgt. Eine solche Extremposition sei abzulehnen, da das antinomische Spannungsverhältnis zwischen Kartellrecht und Immaterialgüterrecht verkannt werde. Der Gesetzgeber habe bereits bei der Ausgestaltung der einzelnen Schutzrechte die erforderliche Abwägung zwischen Wettbewerbsfreiheit und der durch den Immaterialgüterschutz erforderten Wettbewerbsbeschränkung vorgenommen. Diese Abwägung werde missachtet, wenn wettbewerbsbeschränkende Vereinbarungen „nur an allgemeinen kartellrechtlichen Maßstäben gemessen werden". Eine solche Vorgehensweise berücksichtige 530 R. Sack, Der „spezifische Gegenstand" von Immaterialgüterrechten als immanente Schranke des Art. 85 Abs. 1 EG-Vertrag bei Wettbewerbsbeschränkungen in Lizenzverträgen, RIW 1997, 449 f.; ders., Zur Vereinbarkeit wettbewerbsbeschränkender Abreden in Lizenzund Know-how-Verträgen mit europäischem und deutschem Kartellrecht, WRP 1999, 592 (593 ff.).
C. Immaterialgüterschutz
und europäisches
Kartellrecht
329
nicht ausreichend die Tatsache, dass der Gesetzgeber durch die Gewährung von Schutzrechten den Wettbewerb zur Erreichung der damit verfolgten Ziele bewusst einschränke. 531 b)
Wettbewerbseröffnungstheorie
Die Extremposition in anderer Richtung ist die Wettbewerbseröffnungstheorie. 532 Die Vertreter dieser Auffassung beurteilen Beschränkungen im Zusammenhang mit Immaterialgüterrechten, z.B. bei der Vergabe von Lizenzen durch den Schutzrechtsinhaber stets als Schaffung zusätzlichen Wettbewerbs, da der Rechtsinhaber zur Lizenzvergabe nicht verpflichtet sei und auf seinem Ausschließlichkeitsrecht gegenüber Dritten beharren könne. Art. 81 Abs. 1 EGV ist nach dieser Auffassung auf Wettbewerbsbeschränkungen in Lizenzverträgen prinzipiell nicht anwendbar. Die Folge ist eine Bereichsausnahme vom Kartellverbot für den gesamten Bereich der Lizenzverträge. 533 Eine solche Bereichsausnahme wird heute ganz überwiegend abgelehnt. 534 Sie entspricht auch nicht der oben skizzierten Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshofs. Sack lehnt die Wettbewerbseröffnungstheorie ab, indem er ihre Grundannahme bestreitet: Die Annahme, dass auch durch eine beschränkte Lizenzvergabe stets zusätzlicher Wettbewerb geschaffen werde, treffe nicht (immer) zu. Die Ausgestaltung von Lizenzverträgen könne sehr wohl den Wettbewerb beschränken. Vor allem aber lasse die Wettbewerbseröffnungstheorie selbst solche Wettbewerbsbeschränkungen zu, die nicht mehr vom Zweck der betreffenden Schutzrechte gedeckt seien. 535 c) Theorie vom spezifischen
Gegenstand
Diese Lehre wurde oben (S. 294 ff.) dargestellt und lässt sich in einem Satz zusammenfassen: Wettbewerbsbeschränkungen in Lizenzverträgen sind dann dem Tatbestand von Art. 81 Abs. 1 EGV entzogen, wenn sie sich dem spezifi531
R. Sack, R I W 1997, 449. Der entsprechende englische Terminus ist „limited licence theory", s. Dolmans/Odriozola, Site Licence, Right Licence? Site Licences Under E.C. Competition Law, E C L R 1998, 493. 533 R. Sack, RIW 1997, 450. 534 S. die zahlreichen Nachweise bei R. Sack, RIW 1997, 450 Fn. 14. H. Ullrich (in I/M E G Wettbewerbsrecht, Bd. I, 1997, S. 1226 Rdnr. 19) wirft der Wettbewerbseröffnungstheorie ein „methodisch offenbar verfehltes a maiore ad minus Argument" vor. Von der absoluten Ausschlussmacht könne nicht auf die Zulässigkeit der Beschränkung der Lizenzvergabe geschlossen werden (in diesem Sinn auch L. Kaplow, The Patent-Antitrust Intersection: A Reappraisal, 97 Harvard Law Review 1813, 1845 ff. (1984)). Die Behauptung, die beschränkte Lizenzvergabe eröffne Wettbewerb, könne allenfalls auf den intrabrand-Wettbewerb, nicht aber auf den interbrand-Wettbewerb zutreffen. Selbst bei ersterem sei eine Berücksichtigung wettbewerbsfördernder Umstände richtigerweise bei Art. 81 Abs. 3 EGV angesiedelt. Zur Frage, inwieweit wettbewerbsfördernde Umstände bereits im Rahmen von Art. 81 Abs. 1 EGV berücksichtigt werden können, s. unten S. 387 ff. 535 R. Sack, RIW 1997, 450. 532
330
4. Teil: Europäisches
Recht
sehen Gegenstand des jeweiligen Schutzrechts zurechnen lassen. Dieser Ansatz lässt sich als immanente Tatbestandsreduzierung von Art. 81 Abs. 1 EGV deuten. 536 5. Der hier vertretene
Standpunkt
Der Ablehnung des rein kartellrechtlichen Ansatzes sowie der Wettbewerbseröffnungstheorie ist beizupflichten - jedenfalls wenn diese beiden gegensätzlichen Positionen in derart extremer Zuspitzung vertreten werden, wie es der obigen Beschreibung entspricht. Sieht man einmal von den extremen Spielarten beider Lehren ab, 537 sind allerdings Grundanliegen erkennbar, die Zustimmung verdienen. a)
Wettbewerbseröffnungstbeorie
Das Grundanliegen der Wettbewerbseröffnungstheorie besteht in dem Hinweis, dass die scheinbar von einem Ausschließlichkeitsrecht ausgehende Wettbewerbsbeschränkung in Wirklichkeit der Konstituierung von Wettbewerb dient. Diese Annahme muss nicht zu der radikalen Schlussfolgerung verleiten, dass dann eben alle Wettbewerbsbeschränkungen im Zusammenhang mit Rechten des geistigen Eigentums gerechtfertigt sind. Auch der gemäßigte Standpunkt ist denkbar, dass die wettbewerbsfördernden Aspekte des Immaterialgüterschutzes auf bestimmte Weise in die kartellrechtliche Analyse einzufließen haben. Es wird sich zeigen, dass eine solche moderate Vorgehensweise der Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshofs zu Grunde liegt. 538 Auch in Teilen der Literatur trifft eine solche vorsichtige Berücksichtigung wettbewerbsfördernder Momente auf Zustimmung. Was die Terminologie betrifft, so besteht keine Notwendigkeit, den Begriff der Wettbewerbseröffnungstheorie den radikalen Vertretern apriorischer Ausnahmebereiche vorzubehalten; die R. Sack, ebenda. Die Annahme eines aus der Wettbewerbseröffnungstheorie abgeleiteten Ausnahmebereichs für den gesamten Bereich der geistigen Ausschließlichkeitsrechte wurde - soweit ersichtlich - seit der Klärung dieser Frage durch den Gerichtshof in der „Consten und Grundig"-Entscheidung im Jahr 1966 (s. oben Fn. 398) nicht mehr vertreten. Auch „reine" Kartellrechtler, die in antischutzrechtlicher Bilderstürmerei die Berücksichtigung immaterialgüterrechtlicher Wertungen im Rahmen des Kartellrechts gänzlich leugnen, sind seltener, als es den Anschein hat. Auch der in diesem Zusammenhang häufig zitierte Aufsatz von Richard Buxhaurn (Die dem Patentmonopol innewohnenden Beschränkungen, WuW 1966,193 ff.) wendet sich eher negativ gegen die Wettbewerbseröffnungstheorie und gegen die Annahme eines kartellrechtlichen Ausnahmebereichs für Immaterialgüterrechte, als positiv die Behauptung aufzustellen, das Recht des geistigen Eigentums sei für das Kartellrecht irrelevant. Im Gegenteil, Buxbaum weist diejenigen in die Schranken, die einer zu weitgehenden Anwendung von Kartellrecht auf Immaterialgüterrechte das Wort reden (ebenda, S. 204). Durchweg wendet er sich gegen kartellrechtlichen Fundamentalismus und fordert pragmatisches, auf Erfahrung gestütztes Vorgehen (passim, z.B. S. 215). 536
537
538
S. unten S. 387 ff.
C. Immaterialgüterschutz
und europäisches
Kartellrecht
331
Bezeichnung passt auch auf diejenigen, die im Rahmen der kartellrechtlichen Würdigung die Berücksichtigung wettbewerbsfördernder Aspekte der angeblichen Wettbewerbsbeschränkung akzeptieren. 539 b) Rein kartellrechtlicher
Ansatz
Der rein kartellrechtliche Ansatz, der sich dadurch auszeichnet, dass eine Berücksichtigung immaterialgüterrechtlicher Prinzipien im Rahmen des Kartellrechts unterbleibt, verstößt gegen den Grundsatz der Einheit der Rechtsordnung. Alle Normen einer Rechtsordnung sind so aufeinander abzustimmen, dass logische Widerspruchslosigkeit, sachliche Vereinbarkeit und Ubereinstimmung der Wertungen erreicht wird. 540 Dieses Ziel kann nicht dadurch erreicht werden, dass ein Rechtsgebiet einem anderen kategorisch untergeordnet wird. Bei Konflikten zwischen verschiedenen Anliegen des Gesetzgebers ist vielmehr, in Anlehnung an das Verfassungsrecht, praktische Konkordanz herzustellen, also optimale Verwirklichung aller Anliegen des Gesetzgebers im einzelnen Fall. 541 Auch wenn also ein rein kartellrechtlicher Ansatz ausscheidet, ist nicht ersichtlich, warum nicht auch auf Rechte des geistigen Eigentums Kartellrecht angewandt werden sollte. Dem Kartellrecht ist der Konflikt mit anderen Rechtsgebieten nicht unbekannt. Im deutschen Kartellrecht wurde beispielsweise mit der Immanenztheorie ein Weg entwickelt, wie Kartellrecht und anerkannte Institute des Privatrechts in Ubereinstimmung gebracht werden können. Allgemeine Lehren des Kartellrechts können also sehr wohl in der Lage sein, auf Besonderheiten einzelner Regelungsmaterien, auch des geistigen Eigentums einzugehen. c) Lehre vom spezifischen
Gegenstand
Die Lehre vom spezifischen Gegenstand läuft - ähnlich wie die extreme Spielart der Wettbewerbseröffnungstheorie - Gefahr, einen Ausnahmebereich für den Bereich des geistigen Eigentums zu schaffen, jedenfalls soweit der spezifische Gegenstand des jeweiligen Schutzrechts betroffen ist. Beispielsweise wären bei strenger Handhabung Verhaltensweisen vom allgemeinen Kartellverbot ausge-
5 3 9 S. z.B. die Verwendung des Begriffs bei / . Fritzsche, „Notwendige" Wettbewerbsbeschränkungen im Spannungsfeld von Verbot und Freistellung nach Art. 85 EGV, Z H R 160 (1996) 3 1 , 3 7 ff. und den Hinweis auf terminologische Schwierigkeiten unten S. 388 f. 540 Larenz/Canaris, Methodenlehre der Rechtswissenschaft, 3. Aufl. 1995, S. 197 f. Speziell zum Kartellrecht s./. Fritzsche, Z H R 160 (1996) 31 (55), der für Konflikte zwischen Kartell- und Zivilrecht auf die Stellung des Kartellrechts in der Gesamtrechtsordnung hinweist. Es spielt dabei keine Rolle, ob außerkartellrechtliche Erwägungen im selben Rechtstext festgehalten sind, wie dies beim EG-Vertrag der Fall ist, oder ob sich die außerkartellrechtlichen Erwägungen an anderer Stelle der Rechtsordnung befinden (ebenda, S. 57, insbesondere Fn. 155). 541 K. Hesse, Grundzüge des Verfassungsrechts, 20. Aufl. 1995, S. 28 Rdnr. 72.
332
4. Teil: Europäisches
Recht
nommen, die lediglich von typischen immaterialgüterrechtlichen Befugnissen Gebrauch machen. Patentpools wären bei einer solchen konsequenten Anwendung der Lehre vom spezifischen Gegenstand kartellrechtlich erlaubt, da lediglich elementare patentrechtliche Befugnisse zusammengelegt werden. Solche Schlussfolgerungen werden von Vertretern der Lehre vom spezifischen Gegenstand nicht gezogen. Die Lehre wird nicht auf horizontale Wettbewerbsbeschränkungen erstreckt, sondern von vornherein auf Probleme des Lizenzkartellrechts beschränkt. 542 Dies zeigt, dass die Lehre vom spezifischen Gegenstand erst gar nicht den Anspruch erhebt, einen allgemeingültigen Ansatz zur Lösung der Probleme im Grenzbereich von Kartellrecht und Immaterialgüterrecht anzubieten. Der Verzicht auf einen umfassenden Erklärungsansatz stellt eine wesentliche Schwäche der Lehre dar.543 Die zweite Schwäche wurde oben beschrieben: 544 Die Lehre vom spezifischen Gegenstand vernachlässigt die teleologische Argumentation und neigt zu begrifflichen Deduktionen: Eine potentiell wettbewerbsbeschränkende Verhaltensweise wird daraufhin untersucht, ob sie dem spezifischen Gegenstand des betroffenen Schutzrechts unterfällt. Wird diese Frage bejaht, ist ein Kartellrechtsverstoß ausgeschlossen. Der Kontext der Vereinbarung spielt bei dieser Beurteilung keine Rolle. d) Verhältnis zu Theorie und Praxis des
Gerichtshofs
Eine derartige Vorgehensweise wird hier abgelehnt. Der hier vertretene Standpunkt gerät deshalb in Konflikt mit der Terminologie des Europäischen Gerichtshofs, der unzweifelhaft das Konzept des spezifischen Gegenstands in diesem Zusammenhang heranzieht. Ubereinstimmung besteht aber mit der konkreten Handhabung dieses Konzepts im einzelnen Fall. Wie oben gezeigt wurde, belässt es der Gerichtshof bei der Nennung der Lehre vom spezifischen Gegenstand; bei der Lösung - jedenfalls der komplizierteren Fälle - zieht er einer schematisch-begrifflichen Vorgehensweise die Argumentation mit dem H. Ullrich, in I/M EG-Wettbewerbsrecht, Bd. I, 1997, S. 1225 Rdnr. 18. H. Ullrich äußert Zweifel, ob eine abstrakte Bestimmung des Verhältnisses von Immaterialgüterschutz und Kartellrecht für die konkrete Anwendung von Art. 81 Abs. 1 E G V ergiebig ist. Eine abstrakte Verhältnisbestimmung sei bereits in den einzelnen Schutzrechtsregelungen einerseits, und den Grundfreiheiten des EG-Vertrags andererseits enthalten. Entscheidend seien die von der Vereinbarung in concreto bewirkten Wettbewerbsbeschränkungen. Diese seien nicht nach dem allgemeinen Zweck des betroffenen Schutzrechts zu bewerten, sondern „nach den Funktionen ..., die das fragliche Schutzrecht nach Inhalt und Einsatz tatsächlich entfaltet" (H. Ullrich, in I/M EG-Wettbewerbsrecht, Bd. I, 1997, S. 1217 f. Rdnr. 11). Dieser Standpunkt setzt aber bereits eine abstrakte Aussage voraus, nämlich dass die Besonderheiten des Immaterialgüterschutzes der Anwendung von Kartellrecht im einzelnen Fall nicht entgegenstehen. Dies zeigt, dass eine allgemeine Beschreibung des Verhältnisses von Immaterialgüterrecht und Kartellrecht notwendig ist, selbst wenn als Ergebnis nur eine negative Aussage ermittelt wird. 544 S. o. S.303. 542 543
C. Immaterialgüterschutz
und europäisches
Kartellrecht
333
wirtschaftlichen und rechtlichen Gesamtzusammenhang vor. Ein Rückfall in den rein kartellrechtlichen Ansatz ist damit nicht verbunden: Die immaterialgüterrechtlichen Wertungen fließen in vollem Umfang in die Prüfung der kartellrechtlichen N o r m ein. e) Lösungsweg Mit der Ablehnung des Konzepts vom spezifischen Gegenstand im Rahmen der Wettbewerbsregeln wird zunächst nur eine negative Aussage getroffen, nämlich wie die Scheidelinie zwischen Kartellrecht und Immaterialgüterrecht nicht zu ziehen ist. Eine Lösung der schwierigen Probleme im Grenzbereich von Immaterialgüterrecht und Kartellrecht ist damit noch nicht verbunden. Wohl aber wird der Lösungsweg hierdurch vorgezeichnet: Beschränkende Verhaltensweisen werden dem Tatbestand der Wettbewerbsregeln nicht a priori unter Heranziehung des spezifischen Gegenstands des Schutzrechts entzogen. 5 4 5 Die Schwierigkeit verlagert sich vielmehr zu der Frage, ob der Tatbestand von Art. 81 Abs. 1 oder 82 EGV erfüllt ist. Die zentralen Tatbestandsmerkmale in diesem Zusammenhang sind die der Wettbewerbsbeschränkung, bzw. des Missbrauchs einer marktbeherrschenden Stellung; in die Prüfung der Frage, ob Wettbewerbsbeschränkung oder Missbrauch vorliegen, sind die immaterialgüterrechtlichen Wertungen einzubringen. 5 4 6 Ein Vorteil dieser Vorgehensweise besteht darin, dass ein geeignetes Instrumentarium für alle Fragen im Grenzbereich von europäischem Kartellrecht und (nationalem) Immaterialgüterrecht zur Verfügung gestellt wird. Es passt sowohl für das Lizenzkartellrecht als auch für das allgemeine Kartellrecht des geistigen Eigentums. Die Fehler der radikalen Theorien, nämlich von Wettbewerbseröffnungslehre und rein kartellrechtlichem Ansatz werden vermieden; aber auch den Schwächen der Lehre vom spezifischen Gegenstand wird entronnen. Die berechtigten Grundanliegen dieser nur in ihrer radikalen Ausprägung gegensätzlichen Lehren werden aufgenommen. Der systematisch richtige Ort, an dem diese Wertungen einzubringen sind, sind die kartellrechtlichen Tatbestände. Der methodisch richtige Weg, auf dem die immaterialgüterrechtlichen Anliegen in das Kartellrecht zu integrieren sind, ist im Zusammenhang mit der Darstellung der Art. 81 EGV (II.) und 82 EGV (III.) zu ermitteln.
545 So auch H. Ullrich (in I/M EG-Wettbewerbsrecht, Bd. I, 1997, S. 1223 Rdnr. 16), der den spezifischen Gegenstand als bloßen Abwägungsmaßstab qualifiziert, s. oben Fn. 519. 546 S. dazu unten S. 403 ff., 425 ff. und 553 ff.
334
4. Teil: Europäisches
II. Art. 81 1.
Recht
EGV
Allgemeines
a) Verbot und
Ausnahmen
Gem. Art. 81 E G V dürfen Unternehmen 5 4 7 keine Absprachen treffen oder sonstige Verhaltenskoordinierungen herbeiführen, mit denen eine Wettbewerbsbeschränkung bezweckt oder bewirkt wird. 5 4 8 Voraussetzung für die Anwendbarkeit des europäischen Kartellverbots ist die Eignung der Verhaltenskoordination zur Beeinträchtigung des Handels zwischen den Mitgliedstaaten, also ein grenzüberschreitendes Element. Art. 81 E G V bildet neben Art. 82 und der Fusionskontrollverordnung eine der drei Grundsäulen des europäischen Wettbewerbsrechts. Im Gegensatz zu § 1 G W B verlangt Art. 81 E G V nicht das Vorliegen eines Wettbewerbsverhältnisses. Die Vorschrift erfasst damit alle Beschränkungen horizontaler oder vertikaler Natur, die auf Absprachen oder abgestimmten Verhaltensweisen 549 beruhen. Art. 81 E G V deckt damit den gesamten Bereich ab, der im deutschen Kartellrecht von den §§ 1 ff. und 14 ff. G W B erfasst wird. Ein wichtiger Unterschied zum deutschen Recht besteht darin, dass Art. 81 E G V alle erfassten Verhaltensweisen gleichermaßen dem Verbotsprinzip unterstellt. Auch wettbewerbsbeschränkende Vertikalverträge werden damit - zunächst einmal - in ihrer Gesamtheit untersagt. Spezielle Ausnahmen vom Kartellverbot nach Art der §§ 2 - 6 G W B existieren ebenso wenig wie kartellrechtliche Ausnahmebereiche. 5 5 0 Dafür besteht die Möglichkeit, eine Freistellung 5 4 7 Auch im europäischen Kartellrecht gilt der funktionale Unternehmensbegriff. Nach ständiger Rechtsprechung gilt als Unternehmen „jede eine wirtschaftliche Tätigkeit ausübende Einheit, unabhängig von ihrer Rechtsform und der Art ihrer Finanzierung", s. nur E u G H , 23.4.1991, Höfner und Elser, R s . C - 4 1 / 9 0 , Slg.1991, 1-1979 (1-2016 Tz. 21). Im Gegensatz zu deutschem und europäischem Kartellrecht ist das US-amerikanische Antitrust-Recht auch auf Verbraucherhandeln anwendbar, s. dazu am Beispiel eines Verbraucherboykotts NAACP v. Claiborne Hardware Co., 458 U.S. 886, 915 (1982). 5 4 8 Der Begriff der Wettbewerbsbeschränkung dient üblicherweise als Oberbegriff zu den in Art. 81 Abs. 1 E G V genannten Merkmalen der „Verhinderung, Einschränkung oder Verfälschung des Wettbewerbs", s. z.B. E u G H , 28.2.1991, Delimitis, C-234/89, Slg. 1991, 1-935 (I984 Tz. 13). Streitig ist allerdings, ob dem in Art. 81 Abs. 1 E G V an dritter Stelle genannten Merkmal, also dem Begriff der Wettbewerbsverfälschung, eigenständige Bedeutung gegenüber einem enger gefassten Begriff der Wettbewerbsbeschränkung zukommt, der nur die Verhinderung und Einschränkung des Wettbewerbs umfassen würde, s. dazu unten S. 364 ff. Da eine solche eigenständige Bedeutung abzulehnen ist, werden im folgenden alle drei genannten Alternativen - auch die Wettbewerbsverfälschung - als Unterfall des Begriffs der Wettbewerbsbeschränkung verstanden. 5 4 9 Zum Begriff der abgestimmten Verhaltensweise s. C. Altvater, Kartellbildung durch Abstimmung? - Ein Beitrag zur Auslegung des Tatbestands der aufeinander abgestimmten Verhaltensweisen in Art. 85 Abs. 1 EGV, 1997. 5 5 0 Zur Reichweite von Art. 36 EGV, der die Anwendbarkeit der Wettbewerbsregeln auf die Landwirtschaft regelt, s. W. Winkler, in I/M EG-Wettbewerbsrecht, Bd. II, 1997, S. 2159 ff.
C. Immaterialgüterschutz
und europäisches
Kartellrecht
335
vom Verbot des Art. 81 Abs. 1 EGV nach Absatz 3 der Vorschrift zu erwirken. 551 Die Bestimmung ist sektorübergreifend formuliert und nimmt keinen Bezug auf bestimmte Kartelltypen. Freistellungsvoraussetzung ist die „Verbesserung der Warenerzeugung oder -Verteilung" oder die „Förderung des technischen oder wirtschaftlichen Fortschritts" bei angemessener Beteiligung der Verbraucher am entstehenden Gewinn und strenger Beachtung des Verhältnismäßigkeitsgrundsatzes. Außerdem darf den beteiligten Unternehmen nicht die Möglichkeit eröffnet werden, für einen wesentlichen Teil der betreffenden Waren den Wettbewerb auszuschalten. Freistellungen sind im Weg der Einzel- oder Gruppenfreistellung möglich: Für Einzelfreistellungen besteht eine alleinige Zuständigkeit der Kommission nach Art. 9 Abs. 1 der EG-Kartellverordnung. 552 Gruppenfreistellungen erfolgen in einem zweistufigen Rechtsetzungsprozess: Der Rat erlässt Grundverordnungen gem. Art. 83 i.V.m. Art. 81 Abs. 3 EGV. 553 Auf dieser Grundlage erlässt die Kommission (im Wege der abgeleiteten Rechtsetzung) die eigentlichen, zeitlich begrenzten Gruppenfreistellungsverordnungen. Neben der Möglichkeit von Einzel- und Gruppenfreistellungen auf der Grundlage von Art. 81 Abs. 3 EGV enthält der Vertrag eine zweite Vorschrift, die Ausnahmen vom Verbot des Art. 81 Abs. 1 EGV ermöglicht, nämlich Art. 86 Abs. 2 EGV. Danach gelten für Unternehmen, die mit Dienstleistungen von allgemeinem wirtschaftlichen Interesse betraut sind oder den Charakter eines Finanzmonopols haben, die Wettbewerbsregeln, also auch Art. 81 Abs. 1 EGV nicht, soweit die Anwendung dieser Vorschriften die Erfüllung der ihnen Für Kohle und Stahl gelten die Spezialvorschriften der Art. 65 und 66 EGKSV (vgl. § 101 Nr. 3 GWB a.F. und oben S. 177 Fn. 257 zum dt. Recht). Zur Entstehung der Wettbewerbsvorschriften der Montanunion, insbesondere zum Einfluss des amerikanischen Antitrust-Rechtlers Robert Bowie s. D. Gerber, Law and Competition in Twentieth Century Europe, 1998, S. 336 ff. 551 Eine nach diesem Vorbild ausgestaltete Ausnahmebestimmung wurde durch die 6. GWB-Novelle in § 7 GWB aufgenommen. 552 Verordnung Nr. 17 des Rates: Erste Durchführungsverordnung zu den Artikeln 85 und 86 des Vertrages vom 6.2.1962 (Abi. 13 vom 21.2.1962, S.204) mit zahlreichen Änderungen. Kritisch zur alleinigen Zuständigkeit der Kommission s. B. Gillessen, Lockerung des Freistellungsmonopols zugunsten der EU-Staaten - Ein Beitrag zur Fortentwicklung des Europäischen Kartellrechts, 1998. Grundlegende Anderungsvorschläge enthält das Weißbuch der Kommission aus dem Jahr 1999 über die Modernisierung der Vorschriften zur Anwendung der Artikel 85 und 86 EG-Vertrag (Arbeitsprogramm der Kommission Nr. 99/027) vom 28.4.1999. Wegen Arbeitsüberlastung der Kommission soll das Anmelde- und Freistellungssystem der V O 17 abgeschafft werden. Art. 81 Abs. 3 EGV soll - ohne vorherige Entscheidung durch die Kommission - unmittelbar anwendbar werden. Eine dezentrale Prüfung der Freistellungsvoraussetzungen durch nationale Behörden und Gerichte wäre dann möglich. S. hierzu unten Fn. 913. 553 S. insbesondere Art. 83 Abs. 2 b) EGV und die ausdrückliche Erwähnung in Art. 81 Abs. 3 EGV der „Gruppen von Vereinbarungen zwischen Unternehmen", „Gruppen von Beschlüssen von Unternehmensvereinigungen" sowie „Gruppen" von abgestimmten Verhaltensweisen.
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4. Teil: Europäisches
Recht
übertragenen besonderen Aufgaben rechtlich oder tatsächlich verhindert. Art. 86 Abs. 2 EGV war in der tatsächlichen Rechtsanwendung lange Zeit bedeutungslos. Mit der konsequenten Anwendung europäischen Rechts auf staatliche Monopole nahm aber auch das Bedürfnis nach Ausnahmeregelungen zu. Art. 86 Abs. 2 EGV hat deshalb eine deutliche Aufwertung erfahren. 5 5 4 Diese Aufwertung betrifft allerdings hauptsächlich solche Unternehmen, die ohne Rücksicht auf Rentabilitätsgesichtspunkte flächendeckende Leistungen erbringen, also in erster Linie die Daseinsvorsorger in den Bereichen Telekommunikation, Post, Energie oder Verkehr. Im Bereich des Immaterialgüterrechts wurde Art. 86 Abs. 2 EGV lediglich im Zusammenhang mit den Verwertungsgesellschaften diskutiert. Der Gerichtshof stellte früh klar, dass die Wahrnehmung gesetzlich geschützter Rechte des geistigen Eigentums nicht im Allgemein-, sondern im Privatinteresse erfolgt, die Anwendung von Art. 86 Abs. 2 EGV folglich ausscheidet. 555 b) Das Mittel der Wettbewerbsbeschränkung: Vereinbarungen zwischen Unternehmen, Beschlüsse von Unternehmensvereinigungen und aufeinander abgestimmte Verhaltensweisen Art. 81 Abs. 1 EGV nennt drei Erscheinungsformen, in denen sich Unternehmen untereinander zur Festlegung wettbewerbsrelevanter Handlungsparameter verständigen können. Die einzelnen Absprachetypen sind von untergeordneter Bedeutung. Der Sinn der Formulierung besteht darin, in denkbar weitestem Umfang alle Formen der Verhaltenskoordination zwischen Unternehmen zu erfassen. 5 5 6 Entscheidend ist also, ob eine Verhaltenskoordination - in welcher Form auch immer - stattgefunden hat. 557 Das Gegenteil zur Verhaltens-
S. hierzu A. Heinemann, Grenzen staatlicher Monopole im EG-Vertrag, 1996, S. 190. EuGH, 27.3.1974, BRT/SABAM und Fonior („BRT II"), Rs. 127/73, Slg. 1974,313 (318 Tz. 23). Allgemein zur Beurteilung der Verwertungsgesellschaften nach europäischem Kartellrecht s. W. Fikentscher, Urhebervertragsrecht und Kartellrecht, FS Schricker, 1995, S. 149 (184 ff.). 556 V. Emmerich, in I/M EG-Wettbewerbsrecht, Bd. I, 1997, S. 140 ff. Rdnr. 62 ff. 557 Weitere Voraussetzung ist, dass die Verhaltenskoordination noch andauert, s. z.B. EuGH, 15.6.1976, EMI Records/CBS United Kingdom, Rs.51/75, Slg. 1976, 811 (850 Tz. 30/ 32); EuGH, 15.6.1976, EMI Records/CBS Grammofon, Rs. 86/75, Slg. 1976, 871 (909 Tz. 27/ 29); EuGH, 15.6.1976, EMI Records/CBS Schallplatten, Rs.96/75, Slg. 1976, 913 (951 Tz. 15): „In einem Fall, in dem wie vorliegend Kartelle außer Kraft getreten sind, reicht es für die Anwendbarkeit des Artikels 85 EWG-Vertrag aus, daß über das formale Außerkrafttreten hinaus die Kartellwirkungen fortbestehen. Ein Kartell ist nur dann als fortwirkend anzusehen, wenn das Verhalten der Beteiligten auf das Fortbestehen der dem Kartell eigentümlichen Merkmale der Abstimmung und Koordinierung schließen läßt und es zu dem gleichen Ziel führt, wie es das Kartell verfolgte. Das ist nicht der Fall, wenn diese Wirkungen nicht über diejenigen hinausgehen, die ohne weiteres mit der Ausübung der nationalen Warenzeichenrechte verbunden sind." 554 555
C. Immaterialgüterschutz k o o r d i n a t i o n ist das b l o ß einseitige
und europäisches
Kartellrecht
337
V e r h a l t e n e i n e r P a r t e i . E s w i r d v o n A r t . 81
Abs. 1 E G V nicht erfasst.558 ( 1 ) B l o ß einseitiges V e r h a l t e n i m R e c h t des g e i s t i g e n E i g e n t u m s I m B e r e i c h des g e i s t i g e n E i g e n t u m s ist das E r f o r d e r n i s e i n e r V e r h a l t e n s k o o r d i n a t i o n v o n g r o ß e r B e d e u t u n g . D i e b l o ß e A u s ü b u n g eines I m m a t e r i a l g ü t e r r e c h t s ist k e i n e V e r e i n b a r u n g u n d w i r d d a h e r v o n A r t . 81 A b s . 1 E G V n i c h t erf a s s t . 5 5 9 S o hat d e r G e r i c h t s h o f b e r e i t s in der R e c h t s s a c h e „ P a r k e , D a v i s
&
C o . " 5 6 0 entschieden: „Aus ähnlichen Gründen bedeutet die Ausübung der Rechte aus einem nach den Rechtsvorschriften eines Mitgliedstaats erteilten Patent für sich allein keinen Verstoß gegen die Wettbewerbsregeln des Vertrages. (...) Das Patent ist als solches, wenn man davon absieht, daß es zum Gegenstand von Vereinbarungen gemacht werden kann, mit keiner dieser Kartellformen verwandt. Es ist vielmehr der Ausdruck einer gesetzlichen Rechtsposition, die ein Staat für Erzeugnisse vorsieht, die bestimmten Merkmalen genügen, und erfüllt daher
5 5 8 Das Erfordernis der Verhaltenskoordination hat in der Praxis von Kommission und Gerichtshof eine extensive Auslegung erfahren. So vertritt der Gerichtshof in ständiger Rechtsprechung die Auffassung, dass eine Aufforderung eines Produzenten an seine Händler dann eine zweiseitige Vereinbarung i.S. von Art. 81 Abs. 1 E G V ist, „wenn sie im Rahmen laufender Geschäftsbeziehungen erfolgt, die einer im voraus getroffenen allgemeinen Vereinbarung unterliegen" (EuGH, 24.10.1995, Bayerische Motorenwerke, C-70/93, Slg. 1995, 1-3439, I3467 f. Tz. 16). Das Gericht erster Instanz hat dieser Rechtsprechung allerdings Grenzen gezogen. In der Rechtssache Bayer/Kommission (26.10.2000, T-41/96, noch nicht in der amtlichen Sammlung) hat es entschieden, dass zumindest die stillschweigende Zustimmung der anderen Seite zum Verhalten des Herstellers nachgewiesen werden müsse (ebenda, Tz. 72). Streitpunkt des Verfahrens war die Kontingentierung von Adalat-hieierungen an die spanischen und französischen Großhändler mit dem Ziel, Parallelimporte ins hochpreisige Großbritannien zu verhindern. Das Gericht sah es weder für erwiesen an, dass Bayer ein Exportverbot verhängt habe, noch dass sich die spanischen und französischen Großhändler stillschweigend mit einem solchen Exportverbot einverstanden erklärt hätten (Tz. 109 f., 157; Diskussion der einschlägigen Präjudizien in Tz. 158 ff.). Kritisch hierzu J.-B. Blaise, EuZW 2001, 289. Die Voraussetzungen von Art. 81 Abs. 1 E G V lagen deshalb nicht vor. Zu den Vorgaben des spanischen Kartellrechts in diesem Zusammenhang s. H. Brokelmann, Die Reform des spanischen Wettbewerbsrechts, WuW 2000, 365 (370 f.); zum gesamten Problemkreis s. V. Emmerich, I/M EG-Wettbewerbsrecht, Bd. I, 1997, S. 147 f. Rdnr. 86 ff. 5 5 9 Die Erhebung der Verletzungsklage als wichtige Form der Ausübung eines gewerblichen Schutzrechts fällt grundsätzlich nicht unter Art. 81 Abs. 1 EGV, s. N. Koch, in Grabitz/ Hilf An. 85 E W G V Rdnr. 206 (Vorauflage). H. Ullrich (in I/M EG-Wettbewerbsrecht, Bd. I, 1997, S. 1222 Rdnr. 15) stellt den Bezug zwischen dem Erfordernis einer wettbewerbsbeschränkenden Verhaltenskoordination und der Trennung von Bestand und Ausübung von Immaterialgüterrechten her. Die Formel von Bestand und Ausübung gilt „ihrem Ursprung gemäß allein der Feststellung desjenigen Schutzrechtsbestands, der Art. 85 E G V deshalb von vornherein entzogen ist, weil er als solcher überhaupt keine Wettbewerbsbeschränkung bildet." Nach Formulierung an anderer Stelle (ebenda, S. 1301 Rdnr. 33) „beruht die kartellrechtliche Erfassung von Lizenzbeschränkungen insgesamt auf der Trennung von schutzrechtlicher Ausschlußbefugnis und der vertraglichen Vereinbarung über ihre - eingeschränkte, unbeschränkte oder gar schutzerweiternde Wahrnehmung." (Hervorhebungen im Original). 560
EuGH, 29.2.1968, Parke, Davis & Co./Probel u.a., Rs.24/67, Slg. 1968, 85.
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4. Teil: Europäisches
Recht
nicht die in Artikel 85 Absatz 1 geforderten Voraussetzungen der vertraglichen Abmachung oder der Abstimmung." 5 6 1 (2) V e r h a l t e n s k o o r d i n a t i o n i m Recht des geistigen E i g e n t u m s D i e T a t s a c h e , d a s s u n i l a t e r a l e M a ß n a h m e n n i c h t u n t e r A r t . 81 A b s . 1 E G V f a l l e n , s c h l i e ß t n i c h t a u s , d a s s d i e z w e i - o d e r m e h r s e i t i g e Verwertung von Immater i a l g ü t e r r e c h t e n e i n e V e r h a l t e n s k o o r d i n a t i o n i.S. d e r V o r s c h r i f t d a r s t e l l e n k a n n . D i e s stellte d e r G e r i c h t s h o f b e r e i t s in d e r s o e b e n z i t i e r t e n „ P a r k e , D a v i s & C o . " - E n t s c h e i d u n g fest; d e r S a c h v e r h a l t b o t a l l e r d i n g s k e i n e a u s r e i c h e n d e n A n h a l t s p u n k t e f ü r e i n e s o l c h e A b s p r a c h e . 5 6 2 In d e r R e c h t s s a c h e „ S i r e n a / Eda"563 entwickelte der Gerichtshof den Gedanken weiter: „Das Warenzeichenrecht kann als Rechtsinstitut an sich die Tatbestandsmerkmale der Vereinbarung oder Abstimmung im Sinne von Artikel 85 Absatz 1 nicht erfüllen. Jedoch kann seine Ausübung immer dann unter die Verbotsvorschriften des Vertrages fallen, wenn sich herausstellt, daß sie Gegenstand, Mittel oder Folge einer Kartellabsprache ist. Wird das Zeichenrecht aufgrund von Übertragungen an Unternehmer in einem oder mehreren Mitgliedstaaten benutzt, so ist demnach in jedem Einzelfall zu prüfen, ob diese Ausübung den Verbotstatbestand des Artikels 85 erfüllt." 5 6 4 (3) Erweiterter Kartellbegriff i m Recht des geistigen E i g e n t u m s ? D i e (einseitige) A u s ü b u n g v o n Immaterialgüterrechten k a n n also d a n n von A r t . 81 A b s . 1 E G V e r f a s s t w e r d e n , w e n n sie „ G e g e n s t a n d , M i t t e l o d e r F o l g e " e i n e r A b s p r a c h e ist. D i e s e F o r m e l e r w e i t e r t d e n A n w e n d u n g s b e r e i c h v o n A r t . 81 A b s . 1 E G V e r h e b l i c h . 5 6 5 J e n a c h d e n A n f o r d e r u n g e n , d i e m a n a n d e n sachlichen und zeitlichen Zusammenhang zwischen Kartellabsprache und Ausü b u n g d e s S c h u t z r e c h t s stellt, k o m m t m a n z u e i n e r w e i t r e i c h e n d e n D u r c h b r e c h u n g d e s G r u n d s a t z e s v o n d e r N i c h t a n w e n d u n g v o n A r t . 81 A b s . 1 E G V auf die einseitige G e l t e n d m a c h u n g von Immaterialgüterrechten. Die „Sirena/Eda"-
„Parke, Davis & Co.", Slg. 1968, S. 111 f. „Parke, Davis & Co.", Slg. 1968, S. 112. 563 EuGH, 18.2.1971, Sirena/Eda, Rs. 40/70, Slg. 1971, 69. 564 „Sirena/Eda" Slg. 1971, 82 f. Tz. 9. S. dazu bereits oben S. 292. So auch EuGH, 8.6.1971, Deutsche Grammophon/Metro, Rs. 24/67, Slg. 1971, 487 (499 Tz. 6); EuGH, 15.6.1976, Rs.51/ 75, EMI Records/CBS United Kingdom, Slg. 1976, 811 (850 Tz. 25/29); EuGH, 15.6.1976, EMI Records/CBS Grammofon, Rs. 86/75, Slg. 1976, 871 (908 Tz. 22/26); EuGH, 15.6.1976, Rs.96/75, EMI Records/CBS Schallplatten, Slg. 1976, 913 (951 Tz. 14); EuGH, 8.6.1982, Nungesser/Kommission („Maissaatgut"), Rs. 258/78, Slg. 1982, 2015 (2061 Tz. 28); EuGH, 14.9.1982, Keurkoop/Nancy Kean Gifts, Rs. 144/81, Slg. 1982, 2853 (2873 Tz. 27); EuGH, 12.5.1989, Ottung/Klee&Weilbach u.a., Rs.320/87, Slg.1989,1177 (1198 Tz. 10). 565 V. Emmerich (in I/M EG-Wettbewerbsrecht, Bd. 1,1997, S. 148 Rdnr. 88) bewertet diese Rechtsprechung wie folgt: „Selbst die bloße Ausübung gewerblicher Schutzrechte wird unter Art. 85 Abs. 1 subsumiert, sofern sie Gegenstand, Mittel oder Folge einer gegen Art. 85 Abs. 1 verstoßenden Vereinbarung ist, wodurch sich die Gemeinschaftsorgane den Weg zur Überprüfung der Ausübung gewerblicher Schutzrechte anhand der Wettbewerbsregeln eröffnet haben." 561
562
C. Immaterialgüterschutz
und europäisches
Kartellrecht
339
Rechtsprechung hat deshalb in der Literatur deutliche Kritik erfahren. Ihr liege ein erweiterter Kartellbegriff zugrunde, der nicht auf die Einschränkung der Handlungsfreiheit, sondern auf die als wettbewerbswidrig qualifizierten Drittwirkungen als Folge der Vereinbarung abstelle. 566 Außerdem sei mit dieser Rechtsprechung ein „erweiterter Zuwiderhandlungsbegriff" verbunden, der auch das faktische Folgeverhalten in den Verbotstatbestand einbeziehe. 567 Da Art. 81 Abs. 1 EGV sich aber nur gegen Einschränkungen der Autonomie des Marktverhaltens wende, könne die faktische Ausübung eines Schutzrechts nicht die Tatbestandsvoraussetzungen des Kartellverbots erfüllen. 568 (4) Stellungnahme Dieser Kritik ist zuzugestehen, dass Art. 81 Abs. 1 EGV eine Verhaltenskoordinierung voraussetzt. Dies ist auch der Ausgangspunkt der Rechtsprechung des Gerichtshofs. Die Kernfrage besteht nun in der Bestimmung des Umfangs der Verbotswirkung, die von Art. 81 Abs. 1 EGV ausgeht. 569 Ist nur die unter Art. 81 Abs. 1 EGV fallende Vereinbarung selbst verboten, oder auch die Verhaltensweisen, zu denen sich die Beteiligten verpflichten oder die sie mit der Vereinbarung zumindest intendieren? Primär- und Sekundärrecht enthalten auf diese Frage keine ausdrückliche Antwort. Art. 81 Abs. 1 EGV spricht lediglich davon, dass die betreffenden Vereinbarungen unwirksam sind. Art. 3 Abs. 1 der Kartellverordnung ermächtigt die Kommission, Zuwiderhandlungen gegen Art. 85 (a.F.) festzustellen und die beteiligten Unternehmen zu verpflichten, „die festgestellte Zuwiderhandlung abzustellen". O b Folgeverhalten eine solche Zuwiderhandlung darstellt, bleibt offen. Zu beachten ist, dass eine parallele Fragestellung ausführliche Behandlung in Rechtsprechung und Literatur erfahren hat, nämlich die kartellrechtliche Beurteilung der „Folgeverträge". Diese Folgeverträge bilden einen Teilbereich der Problematik des Folgeverhaltens. Es handelt sich dabei um Verträge, die im Zusammenhang mit der Kartellabsprache mit Dritten abgeschlossen wurden, die nicht an der Kartellabsprache beteiligt sind. Bei der Beurteilung dieser Folgeverträge im europäischen Recht wird (ähnlich wie im deutschen Recht) folgen566
N. Koch, in Grabitz/ Hilf Art. 85 EWGV Rdnr. 205 (Vorauflage). Ebenda. 568 Ebenda, Rdnr. 206. 569 Die vom Gerichtshof verwendete Formel von „Gegenstand, Mittel oder Folge einer Kartellabsprache" erweckt den Anschein, als ob es hier um den klassischen Problemkreis des Verhältnisses von Vereinbarung und Wettbewerbsbeschränkung ginge (vgl. W. Fikentscher, Wirtschaftsrecht, Band II, 1983, S. 257 ff.). Das europäische Recht hat diese Streitfrage bekanntlich ausdrücklich entschieden, nämlich mit der alternativen Anordnung von Zweck- und Folgetheorie im Text von Art. 81 Abs. 1 EGV. Das im vorliegenden Zusammenhang zu entscheidende Problem betrifft nicht das Verhältnis von Vereinbarung und Wettbewerbsbeschränkung, sondern fragt nach dem Umfang der Rechtsfolgen, nachdem der Tatbestand von Art. 81 Abs. 1 EGV vollständig bejaht wurde. 567
340
4. Teil: Europäisches
Recht
de Differenzierung vorgenommen: 570 1. Weist der Folgevertrag selbst schon die Merkmale von Art. 81 Abs. 1 EGV auf, ist er nach Abs. 2 dieser Vorschrift nichtig. 2. Das gleiche gilt, wenn der Vertrag nicht nur Folge, sondern Mittel der verbotenen Kartellabsprache ist und deshalb in untrennbarem Zusammenhang mit ihr steht. 3. Ist der Vertrag nur die Folge, nicht aber Mittel der Kartellabsprache, steht er also nicht in untrennbarem Zusammenhang mit dieser, richtet sich seine Beurteilung nach nationalem Recht. 571 Im deutschen Recht werden solche bloßen Folgeverträge als wirksam beurteilt. 572 Die Rechtssicherheit gebietet es, dass die an der Kartellabsprache Unbeteiligten nicht der Ungewissheit über die Gültigkeit ihres Vertrags ausgesetzt werden. 573 Eine unbesehene Übernahme dieser Grundsätze über Folgeverträge für den Bereich des bloß einseitigen Folgeverhaltens würde zu dem Ergebnis führen, dass die vom Gerichtshof vorgenommene Anwendung von Art. 81 Abs. 1 EGV auf alle Verhaltensweisen, die „Gegenstand, Mittel oder Folge einer Kartellabsprache" sind, zu weit reicht. N u r die einseitigen Handlungen, die Gegenstand oder Mittel einer Kartellabsprache sind, dürften einbezogen werden. Bloße Folgen einer Kartellabsprache wären in Parallele zur Beurteilung von Folgeverträgen aus dem Anwendungsbereich von Art. 81 Abs. 1 EGV zu entfernen. Eine solche direkte Übernahme der Bewertung von Folgeverträgen geriete aber in Widerspruch zu dem Grundanliegen, das hinter der Annahme der Wirksamkeit von Folgeverträgen steckt: Dritte sollen in ihrem Vertrauen auf die Gültigkeit dieser Verträge geschützt werden. Ein solcher Vertrauensschutz ist bei bloß einseitigen Maßnahmen, die sich gegen potentielle Schutzrechtsverletzer wenden, nicht erforderlich. Es lässt sich in diesen Fällen vielmehr die gegenteilige These aufstellen: Unbeteiligte Dritte haben ein Recht darauf, von schutzrechtlichen Ansprüchen verschont zu bleiben, die auf Grund von Kartellabsprachen geltend gemacht werden. Die Anwendung von Art. 81 Abs. 1 EGV auf alle unilateralen Maßnahmen, die „Gegenstand, Mittel oder Folge einer Kartellabsprache" sind, erfolgt also zu Recht. Bei bloßen Folgen einer Kartellabsprache ist allerdings zu fordern, dass diese Folgen nicht bloß ganz entfernter Natur sein dürfen. Es muss ein ausreichender sachlicher Zusammenhang zwischen Kartellabsprache und Schutzrechtsausübung bestehen. Die Geltendmachung des Schutzrechts muss zwar nicht Gegenstand der Kartellabsprache, aber doch Teil des durch das Kartell umrissenen Handlungsprogramms sein.
570 Zum folgenden s. K. Schmidt, in I/M EG-Wettbewerbsrecht, Bd. I, 1997 S. 312 f. Rdnr. 57 ff. 571 E u G H , 14.12.1983, Société de Vente de Ciments et Bétons/Kerpen&Kerpen, Rs. 319/ 82, Slg. 1983,4173 (4184 Tz. 11 f.). 572 W. Fikentscher, Wirtschaftsrecht, Band II, 1983, S. 270. 573 D. Zimmer, in Immenga/Mestmäcker, 3. Aufl. 2001, § 1 GWB Rdnr. 341.
C. Immaterialgüterschutz
c) Das grenzüberschreitende
und europäisches
Moment: Die
Kartellrecht
341
Zwischenstaatlichkeitsklausel
D i e Zwischenstaatlichkeitsklausel soll auf dem G e b i e t des Kartellrechts den Geltungsbereich des Gemeinschaftsrechts von dem des innerstaatlichen R e c h t s abgrenzen. 5 7 4 Es ist darauf abzustellen, „ob die Vereinbarung unmittelbar oder mittelbar, tatsächlich oder der Möglichkeit nach geeignet ist, die Freiheit des Handels zwischen Mitgliedstaaten in einer Weise zu gefährden, die der Verwirklichung der Ziele eines einheitlichen zwischenstaatlichen M a r k t e s nachteilig sein k a n n . " 5 7 5 D a b e i ist die betreffende Vereinbarung in ihrer Gesamtheit zu würdigen. E s ist nicht erforderlich, für jeden Teil der Vereinbarung gesondert nachzuweisen, dass eine Eignung zur Beeinträchtigung des innergemeinschaftlichen Handels gegeben ist. In B e z u g auf Klauseln in Lizenzverträgen hat der G e r i c h t s h o f beispielsweise entschieden, dass nicht jede Lizenzklausel für sich gesehen den innergemeinschaftlichen Handel beeinflussen muss. Vielmehr sei zu prüfen, o b die Vereinbarung insgesamt den Handel beeinträchtigen k ö n n e . Wenn das der Fall sei, stehe einer Untersuchung der einzelnen Vertragsbestandteile nichts im Wege. 5 7 6
d) Immaterialgüterrechtliche
Besonderheiten
im
Kartellverfahrensrecht
Wird eine Vereinbarung von A r t . 81 Abs. 1 E G V erfasst und greift eine ex lege wirkende Gruppenfreistellungsverordnung nicht ein, kann das Verbot des Art. 81 Abs. 1 E G V nur im Wege der Einzelfreistellung aufgehoben werden. 5 7 7 D i e Einzelfreistellung setzt gem. Art. 4 Abs. 1 der Kartellverordnung die A n meldung der Vereinbarung bei der K o m m i s s i o n voraus. Eine Pflicht zur A n meldung besteht nicht. 5 7 8 E s handelt sich um eine b l o ß e Obliegenheit. A b g e s e hen von der Tatsache, dass eine Einzelfreistellung ohne vorherige A n m e l d u n g nicht möglich ist, bringt die Nichtbeachtung den Kartellbeteiligten folgende Nachteile: Z u m einen kann eine eventuell erfolgende Einzelfreistellung gem. Art. 6 A b s . 1 S. 2 der Kartellverordnung nicht mit R ü c k w i r k u n g ausgestattet werden. Z u m anderen besteht ohne Anmeldung keine Bußgeldimmunität gem. A r t . 15 Abs. 5 a) der Kartellverordnung. Ist die A n m e l d u n g erfolgt, kann nach dieser Vorschrift kein Bußgeld verhängt werden, selbst wenn die Vereinbarung vollzogen w o r d e n ist. D i e Regelung des Art. 4 Kartellverordnung ist nicht mit
EuGH, 31.5.1979, Hugin/Kommission, Rs.22/78, Slg.1979, 1869 (1899 Tz. 17). E u G H , 13.7.1966, Consten und Grundig/Kommission, Verb. Rs.56 und 58/64, Slg. 1966, 321 (389); EuGH, 19.4.1988, Rs.27/87, Erauw-Jacquery/La Hesbignonne, Slg. 1988, 1919 (1939 Tz. 14). 576 EuGH, 25.2.1986, Windsurfing International/Kommission, Rs. 193/83, Slg. 1986, 611 (664 Tz. 96 f.). 577 Zu praktischen Überlegungen im Vorfeld der Anmeldung s. St. Anderman, E C Competition Law and Intellectual Property Rights, 1998, S. 37 ff. 578 Im Gegensatz dazu sind Zusammenschlüsse von gemeinschaftsweiter Bedeutung gem. den Artikeln 4, 14 Abs. la) F K V O anmeldepflichtig. 574
575
342
4. Teil: Europäisches
Recht
einem Vollzugsverbot verbunden. 5 7 9 Erst nach einer Entscheidung der Kommission auf der Grundlage von Art. 15 Abs. 6 der Kartellverordnung entfällt diese Bußgeldimmunität. Zivilrechtliche Ansprüche bleiben durch diese Besonderheiten unberührt. (1) Allgemeine Ausnahmen von der Anmeldeobliegenheit 5 8 0 Art. 4 Abs. 2 der Kartellverordnung enthält Ausnahmen von der Anmeldeobliegenheit, die teils allgemeiner Natur sind, teils spezielle Regeln für das Immaterialgüterrecht vorsehen. 5 8 1 Das Entfallen der Anmeldeobliegenheit führt zwar nicht zur Bußgeldimmunität gem. Art. 15 Abs. 5 a) der Kartellverordnung, da diese Vorschrift eine tatsächlich vorgenommene Anmeldung voraussetzt. 582 In den Ausnahmefällen ist aber auch ohne Anmeldung eine Einzelfreistellung nach Art. 81 Abs. 3 EGV möglich, die gem. Art. 6 Abs. 2 der Kartellverordnung auch mit rückwirkender Geltung bis zum Zeitpunkt des Vertragsschlusses ausgestattet werden kann. 5 8 3 Art. 4 Abs. 2 Nr. 1 der Kartellverordnung befreit Vereinbarungen von der Anmeldeobliegenheit, an denen nur Unternehmen aus einem Mitgliedstaat beteiligt sind, und die nicht die Ein- oder Ausfuhr zwischen bestimmten Mitgliedstaaten betreffen. Für die Frage, ob eine solche rein nationale Vereinbarung vorliegt, ist auf den Sitz der beteiligten Unternehmen abzustellen. Ob der Vertrag die Ein- oder Ausfuhr zwischen Mitgliedstaaten betrifft, wird restriktiv ausgelegt: Da Art. 81 Abs. 1 EGV ohnehin nur Anwendung findet auf Vereinbarungen, „welche den Handel zwischen Mitgliedstaaten zu beeinträchtigen geeignet sind", muss für die Frage der Befreiung von der Anmeldeobliegenheit ein sehr viel enger bestimmter Kreis von Vereinbarungen gemeint sein. 584 Geht die be579 Im Gegensatz zu Art. 7 FKVO, s. K. Ritter, in I/M EG-Wettbewerbsrecht, Bd. II, 1997, S. 1665 Rdnr. 5. 580 Zu den Konsequenzen einer durch Gruppenfreistellungen bedingten Zurücknahme der kartellrechtlichen Anmeldepflicht s. W. Möschel, Die Reform des europäischen und des deutschen Kartellrechts, EWS 1995, 249 (251). 581 Gem. den Erwägungsgründen 4 und 5 der Kartellverordnung besteht der Grund für die Befreiung von der Anmeldepflicht darin, dass bestimmte Vereinbarungen als „weniger gefährlich für die Entwicklung des gemeinsamen Markts" erscheinen, und es deshalb angebracht sei, „vorläufig (...) ein elastischeres System einzuführen, ohne die Frage ihrer Gültigkeit nach Artikel 85 zu präjudizieren." 582 Art. 4 Abs. 2 a.E. der Kartellverordnung stellt ausdrücklich klar, dass auch diejenigen Vereinbarungen, für welche die Anmeldeobliegenheit entfällt, freiwillig bei der Kommission angemeldet werden können. 583 K. Ritter, in I/M EG-Wettbewerbsrecht, Bd. II, 1997, S. 1666 Rdnr. 10. Bis zur Erteilung der Einzelfreistellung sind solche Vereinbarungen schwebend unwirksam, s. EuGH, 6.2.1973, „Brasserie de Haecht II", Rs.48/72, Slg. 1973, 77 (87 Tz. 10/13). Dies stellt eine Abweichung von der älteren Rechtsprechung dar, nach der von der Anmeldung befreite und nicht angemeldete Vereinbarungen so lange als wirksam zu betrachten waren, wie ihre Nichtigkeit nicht festgestellt war, s.o. Fn. 464. 584 EuGH, 18.3.1970, Bilger/Jehle, Rs.43/69, Slg. 1970, 127 (135 f. Tz. 5).
C. Immaterialgüterschutz
und europäisches
Kartellrecht
343
treffende Vereinbarung beispielsweise nicht davon aus, dass die Vertragswaren die Grenzen überschreiten, ist die Ein- oder Ausfuhr i.S. von Art. 4 Abs. 2 Nr. 1 der Kartellverordnung nicht betroffen. 5 8 5 Art. 4 Abs. 2 Nr. 1 der Kartellverordnung enthält keine sachlichen Einschränkungen, ist also auch auf Vereinbarungen über Immaterialgüterrechte anwendbar. Die Vorschrift ist von großer praktischer Bedeutung für eine Vielzahl rein inländischer Lizenzverträge. 5 8 6 Art. 4 Abs. 2 Nr. 2 Buchstabe a) der Kartellverordnung betrifft Preis- und Konditionenbindungen der zweiten Hand für den Fall, dass nur zwei Unternehmen beteiligt sind. Die praktische Bedeutung der Vorschrift ist begrenzt, da vertikale Preisbindungen in den meisten Mitgliedstaaten untersagt sind (Ausnahme: Verlagserzeugnisse), und das europäische Recht vertikale Preisbindungen als nicht freistellungsfähige Wettbewerbsbeschränkungen ansieht. 5 8 7 In den Gruppenfreistellungsverordnungen sind vertikale Preisbindungen regelmäßig Bestandteil der schwarzen Listen. Dies gilt gem. Art. 3 Nr. 1 GFVO Technologietransfer gerade auch für Patentlizenz- und Know-how-Vereinbarungen. Art. 4 Abs. 2 Nr. 3 betrifft Vereinbarungen über Normen und Typen und Forschung und Entwicklung sowie bestimmte Spezialisierungsvereinbarungen. Die Regelung ist in großen Teilen durch die Gruppenfreistellungsverordnung Forschung und Entwicklung überlagert. 5 8 8 (2) Spezielle Anmeldebefreiungen für gewerbliche Schutzrechte Art. 4 Abs. 2 Nr. 2 b) der Kartellverordnung enthält eine Ausnahme von der Anmeldeobliegenheit für Vereinbarungen, an denen nur zwei Unternehmen beteiligt sind, und die lediglich „dem Erwerber oder dem Benutzer von gewerblichen Schutzrechten — insbesondere von Patenten, Gebrauchsmustern, Geschmacksmustern oder Warenzeichen - oder dem Berechtigten aus einem Vertrag zur Übertragung oder Gebrauchsüberlassung von Herstellungsverfahren oder von zum Gebrauch und zur Anwendung von Betriebstechniken dienenden Kenntnissen Beschränkungen hinsichtlich der Ausübung dieser Rechte auferlegen".
a ) Anwendungsbereich Diese Ausnahme greift zusätzlich zu den anderen Befreiungstatbeständen ein; Vereinbarungen über gewerbliche Schutzrechte, die nicht die Voraussetzungen der Spezialnorm erfüllen, können also immer noch nach den allgemeinen VorEbenda, S. 136 Tz. 6. H. Ullrich, in I/M EG-Wettbewerbsrecht, Bd. I, 1997, S. 1214 Rdnr. 8. 587 S. K. Ritter, in I/M EG-Wettbewerbsrecht, Bd. II, 1997, S. 1667 Rdnr. 16. 588 Verordnung (EG) Nr. 2659/2000 der Kommission über die Anwendung von Artikel 81 Absatz 3 des Vertrages auf Gruppen von Vereinbarungen über Forschung und Entwicklung vom 29. 11. 2000 (ABl. L 304/7). Allgemein zur europäischen Forschungspolitik s. H. Ullrich, Forschungs- und Technologiepolitik, in M. Dauses (Hrsg.), Handbuch des EU-Wirtschaftsrechts, Abschnitt N. Zu Art. 4 Abs. 2 Nr. 3 der Kartellverordnung s. K. Ritter, in I/M EGWettbewerbsrecht, Bd. II, 1997, S. 1668 Rdnr. 20 ff. 585 586
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4. Teil: Europäisches
Recht
Schriften von der Anmeldeobliegenheit befreit sein. 5 8 9 D e r sachliche Anwendungsbereich ist nicht auf den eng verstandenen Kreis der „gewerblichen Schutzrechte" oder des K n o w - h o w begrenzt, sondern umfasst in weitestem Sinn alle Ausschließlichkeitsrechte auf dem Gebiet des geistigen Eigentums, also auch das Urheberrecht und die verwandten Schutzrechte. 5 9 0 Das Erfordernis der Beteiligung von lediglich zwei Unternehmen ist auch dann erfüllt, wenn ein Schutzrechtsinhaber auf der Grundlage desselben Mustervertrags gleichlautende Verträge mit einer Vielzahl anderer Unternehmen abschließt. 5 9 1 Entscheidend ist, dass am einzelnen Vertrag nur zwei Unternehmen beteiligt sind. 5 9 2 Voraussetzung für die Anwendung von Art. 4 Abs. 2 Nr. 2 b) V O 17 ist, dass die betreffenden Vereinbarungen ihren Schwerpunkt in der Einräumung von Nutzungsrechten an Schutzrechten oder K n o w - h o w haben. Nicht erfasst sind schutzrechtsbezogene Vereinbarungen, die lediglich als Nebenabrede zu qualifizieren sind, oder die zur Verdeckung eines anderen Geschäfts dienen. 5 9 3 ß) Keine Anwendung auf Lizenzgeberbeschränkungen Nach dem eindeutigen Wortlaut von Art. 4 Abs. 2 Nr. 2 b) V O 17 entfällt die Anmeldeobliegenheit nur, wenn dem Erwerber oder Benutzer gewerblicher Schutzrechte, bzw. von K n o w - h o w bestimmte Beschränkungen auferlegt werden. Die Vorschrift greift nicht ein, wenn Beschränkungen zu Lasten des Schutzrechtsinhabers vereinbart werden. Gegen diese ganz herrschende Auslegung der Vorschrift 5 9 4 ist vorgebracht worden, dass die Unterscheidung von Lizenzgeber- und Lizenznehmerbeschränkungen keinen Sinn mache. Für Lizenzgeberbeschränkungen bestehe nicht typischerweise ein höheres Kontrollbedürfnis als für Lizenznehmerbeschränkungen. Für die Mehrzahl der Verwertungsabreden greife nach der h.L. die Anmeldebefreiung nicht ein, da typischerweise Ausschließlichkeitsbindungen vereinbart werden, die ja gerade Verpflichtungen zu Lasten des Lizenzgebers enthalten, nämlich für das Ver5 8 9 S. Kommission, Entscheidung 7 9 / 8 6 / E W G vom 10.1.1979 (IV/C-29.290 Vaessen/Moris), ABl. L 19/32 (35 f. Tz. 21 f.): Die Voraussetzungen von Art. 4 Abs. 2 Nr. 2 b) der Kartellverordnung waren nicht erfüllt. Die Kommission erwog dennoch eine Befreiung nach der allgemeinen Ausnahmevorschrift des Art. 4 Abs. 2 Nr. 1. 590 H. Ullrich, in I/M EG-Wettbewerbsrecht, Bd. I, 1997, S. 1214 f. Rdnr. 8 mit weiteren Nachweisen in Fn. 57. 5 9 1 In diesem Sinn (jedoch in anderem Zusammenhang, nämlich zu Art. 5 Abs. 1 S. 2 der Kartellverordnung) E u G H , 30.6.1970, Rochas/Bitsch, Rs.1/70, Slg. 1970, 515 (524 Tz. 11). 5 9 2 Vereinbarungen zwischen zwei Unternehmensverbänden, denen jeweils mehrere Unternehmen angehören, können nicht als Vereinbarungen zwischen zwei Unternehmen angesehen werden, so E u G H , 16.6.1981, Salonia/Poidomani und Giglio, Rs. 126/80, Slg. 1981, 1563 (1582 Tz. 35) am Beispiel von Art. 1 Abs. 1 der Gruppenfreistellungsgrundverordnung 19/65 vom 2.3.1965 (ABl. S. 533). 593 I. Pernice, in Grabitz/Hilf, nach Art. 87 E G V a.E, Art. 4 V O 17/62 Rdnr. 23. 5 9 4 Vgl. nur K.L. Ritter, in I / M EG-Wettbewerbsrecht, Bd. II, 1997, S. 1667 Rdnr. 17; H. Schröter, in von der Groeben Art. 85 Absatz 3 E G V Rdnr. 259.
C. Immaterialgüterschutz
und europäisches
Kartellrecht
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tragsgebiet keine weiteren Lizenzen zu erteilen und dort auch selber nicht tätig zu werden. Auch Lizenzgeberbeschränkungen dürften deshalb nicht von vornherein von der Anmeldebefreiung ausgeschlossen werden. Maßgeblich sollte der Zusammenhang der Beschränkungsabrede mit der Schutzrechtsausübung 595
sein. Die Kritik an der einseitigen Betrachtung nur der Lizenznehmerbeschränkungen ist de lege ferenda sicherlich berechtigt. Für die kartellrechtliche Beurteilung einer Vereinbarung sind die beiderseitig übernommenen Verpflichtungen zu betrachten. Erst das Gesamttableau ergibt den rechtlichen und wirtschaftlichen Zusammenhang, der den Rückschluss auf das Vorliegen, bzw. das Ausmaß einer Wettbewerbsbeschränkung erlaubt. Auch ist zuzugestehen, dass in der Entstehungszeit der Kartellverordnung die Vereinbarung von Ausschließlichkeitsbindungen noch pauschal dem Tatbestand von Art. 85 Abs. 1 EWGV entzogen wurde. 596 Da somit eine Anmeldung nicht erforderlich war, konnte auch keine Befreiung von der Anmeldeobliegenheit vorgesehen werden. 597 Weder die heutige Bewertung von Lizenzgeberbeschränkungen noch die Entstehungsgeschichte von Art. 4 V O 17 erlauben ein Abgehen vom eindeutigen Wortlaut der N o r m , der nur Beschränkungen zu Lasten des Erwerbers oder Benutzers von gewerblichen Schutzrechten von der Anmeldeobliegenheit ausnimmt. 598 Was den Wandel in der Bewertung der wichtigsten Lizenzgeberbeschränkung, nämlich der Ausschließlichkeitsbindung betrifft, so wird heute nach den Grundsätzen der „Maissaatgut"-Entscheidung des Europäischen Gerichtshofs eine differenzierte materiellrechtliche Würdigung vorgenommen. Je nach rechtlichem und wirtschaftlichem Zusammenhang können sie dem Tatbestand von Art. 81 Abs. 1 EGV unterfallen oder aber nicht als Wettbewerbsbeschränkung zu qualifizieren sein. 599 Wird das Vorliegen einer Wettbewerbsbeschränkung verneint, entfällt schon aus diesem Grund eine Anmeldeobliegenheit. Für die verbleibenden Fälle ist im Anwendungsbereich der 595
H. Ullrich, in I/M EG-Wettbewerbsrecht, Bd. I, 1997, S. 1215 Rdnr. 9. S. nur Ziffer I. E. der „Weihnachtsbekanntmachung" der Kommission, die aus demselben Jahr wie die Kartellverordnung stammt (hierzu oben Fn. 406). 597 H. Ullrich, in I/M EG-Wettbewerbsrecht, Bd. I, 1997, S. 1215 Rdnr. 9. 598 Ullrich hält die Subsumtion von Ausschließlichkeitsklauseln unter den Wortlaut von Art. 4 Abs. 2 Nr. 2 b) der Kartellverordnung für möglich, da hier der Schutzrechtsinhaber der Benutzer des Schutzgegenstands sei (H. Ullrich, ebenda). Diese Auslegung entspricht zwar einer möglichen Alltagsbedeutung des Worts „Benutzer". In diesem Zusammenhang kann es aber nur auf die Bedeutung des Begriffs in der Fachterminologie ankommen. Hier wird der „Benutzer" dem Schutzrechts-"Inhaber" gegenübergestellt. Der Inhaber des Schutzrechts macht von seinen Befugnissen als Eigentümer Gebrauch, der Inhaber von Nutzungsrechten benutzt den geschützten Gegenstand. Dieser Sprachgebrauch wird auch dadurch unterstrichen, dass in Art. 4 Abs. 2 Nr. 2 b) V O 17 der „Benutzer" von gewerblichen Schutzrechten dem „Berechtigten" aus einem Know-how-Vertrag gleichgestellt wird. In beiden Fällen ist also der Lizenznehmer, nicht der Lizenzgeber gemeint. 599 S. dazu unten S. 393 ff. 596
346
4. Teil: Europäisches
Recht
GFVO Technologietransfer aufgrund der dort vorgesehenen Freistellung von Ausschließlichkeitsbindungen zu Lasten des Lizenzgebers (Art. 1 Abs. 1 Nr. 1 und 2 GFVO-TT) eine Befreiung von der Anmeldeobliegenheit obsolet. 600 Es ist nicht unsachgemäß, in den verbleibenden Fällen die Anmeldeobliegenheit aufrechtzuerhalten. y) Befreiung von der Anmeldeobliegenheit nur für Beschränkungen hinsichtlich der Ausübung Die wichtigste sachliche Voraussetzung in Art. 4 Abs. 2 Nr. 2 b) V O 17 besteht in dem Erfordernis, dass nur „Beschränkungen hinsichtlich der Ausübung" gewerblicher Schutzrechte von der Anmeldeobliegenheit befreit sind. Darunter werden nach engerer Auffassung - ganz im Sinne der Inhaltstheorie - nur diejenigen Beschränkungen verstanden, die den Inhalt des jeweiligen Schutzrechts nicht übersteigen, den Benutzungsumfang beispielsweise in örtlicher, zeitlicher oder mengenmäßiger Hinsicht festlegen. 601 Nach anderer Auffassung soll die N o r m weiter reichen, da Beschränkungen im Inhalt des Schutzrechts zum Zeitpunkt des Erlasses der Kartellverordnung nicht als tatbestandsmäßige Wettbewerbsbeschränkungen i.S. von Art. 85 Abs. 1 EWGV angesehen wurden, eine Befreiung von der Anmeldeobliegenheit also gar nicht erforderlich war. 602 Hier sollen unter den Beschränkungen „hinsichtlich der Ausübung" i.S. von Art. 4 Abs. 2 Nr. 2 b) V O 17 solche verstanden werden, die sich innerhalb des spezifischen Gegenstands des Schutzrechts halten. Diejenigen, welche die Beschränkungen „hinsichtlich der Ausübung" weiter fassen möchten, können kein klares Kriterium hierfür angeben, sondern sind auf eine unübersichtliche Kasuistik angewiesen. 6 0 3 Demgegenüber verschafft das Kriterium des spezifi600 Dies entspricht auch der Regelung in den beiden Vorgängerverordnungen, also den Gruppenfreistellungsverordnungen über Patentlizenzvereinbarungen (VO 2349/84 vom 23.7.1984, ABl. L 219/15 mit späteren Änderungen) und über Know-how-Vereinbarungen (VO 556/89 vom 30.11.1988, ABl. L 61/1 mit späteren Änderungen), die in ihrem Art. 1 Abs. 1 Nr. 1 und 2 jeweils die im Zusammenhang mit der Ausschließlichkeit vereinbarten Lizenzgeberbeschränkungen unter bestimmten Bedingungen freistellten. Von den Ausschließlichkeitsbindungen einmal abgesehen, berücksichtigen die abgelaufenen und die geltende Gruppenfreistellungsverordnung nur ganz vereinzelt Lizenzge^erbeschränkungen. Ein Beispiel ist die Weißlistung der Meistbegünstigungsklausel in Art. 2 Abs. 1 Nr. 10 GFVO Technologietransfer, bzw. Art. 2 Abs. 1 Nr. 11 GFVO Patentlizenzen und Art. 2 Abs. 1 Nr. 10 GFVO Knowhow-Vereinbarungen. 601 K. Ritter, in I/M EG-Wettbewerbsrecht, Bd. II, 1997, S. 1667 Rdnr. 18. Demgegenüber gelangte R. Buxbaum (Die dem Patentmonopol innewohnenden Beschränkungen, WuW 1966, 193, 202 Fn. 48) auf der Grundlage seiner Attacke gegen die Inhaltstheorie bereits früh zu der Forderung, dass die Nichtanmeldebedürftigkeit der Ausübungsbeschränkungen aufgehoben werden sollte. Das System der Nichtanmeldung sei nur als vorläufiger Verwaltungsbehelf anzusehen. 602 H. Ullrich, in I/M EG-Wettbewerbsrecht, Bd. I, 1997, S. 1215 ff. Rdnr. 10; A. Geringer, Wettbewerbsrecht, VO 17 Art. 4 Rdnr. 16. 603 Vgl. H. Ullrich, ebenda.
C. Immaterialgüterschutz
und europäisches
Kartellrecht
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sehen Gegenstands höhere Anwendungssicherheit. Materiell-rechtliche und verfahrensrechtliche Fragen werden dadurch nicht vermengt, zumindest wenn man der hier vertretenen Ansicht folgt, die den Begriff des spezifischen Gegenstands zwar akzeptiert, ihn aber nicht als maßgebliches Kriterium für den Ausschluss einer Wettbewerbsbeschränkung i.S. von Art. 81 Abs. 1 E G V gelten lässt. Beschränkungen innerhalb des spezifischen Gegenstands eines Schutzrechts können danach materiellrechtlich durchaus als Wettbewerbsbeschränkung i.S. von Art. 81 Abs. 1 E G V zu bewerten sein. In jedem Fall sind sie von der Anmeldeobliegenheit nach Art. 4 Abs. 2 Nr. 2 b) V O 17 ausgenommen. Dem entspricht auch die Handhabung von Art. 4 Abs. 2 Nr. 2 b) V O 17 durch den Gerichtshof. In der Rechtssache „Windsurfing" 6 0 4 berief sich die Klägerin auf die Anwendbarkeit von Art. 85 Abs. 3 E W G V . Mangels Anmeldung der beschränkenden Vereinbarung bei der Kommission kam eine Freistellung nur bei einer Befreiung von der Anmeldeobliegenheit in Betracht. Die beschränkenden Klauseln bezogen sich aber zum Teil auf nicht geschützte Produkte, so dass bereits aus diesem Grund keine „Ausübung dieser Rechte" i.S. von Art. 4 Abs. 2 Nr. 2 b) V O 17 vorlag. Die Nichtangriffsklausel, die sich naturgemäß auf das Schutzrecht bezog, wurde als Beschränkung jenseits des Schutzrechts eingestuft. 605 Diese verfahrensrechtliche Passage stand in innerem Zusammenhang mit den entsprechenden materiell-rechtlichen Ausführungen: Kurz zuvor hatte der Gerichtshof im Zusammenhang mit Art. 85 Abs. 1 E W G V festgestellt, dass eine Nichtangriffsverpflichtung offenkundig nicht zum spezifischen Gegenstand des Schutzrechts gehöre. 6 0 6 Die Verwendung des Konzepts vom spezifischen Gegenstand bei Art. 4 Abs. 2 Nr. 2 b) V O 17 und bei Art. 81 Abs. 1 E G V unterscheidet sich also fundamental: Im Rahmen des Kartellverfahrensrecht hat der Begriff des spezifischen Gegenstands eine positive Bedeutung: Beschränkungen innerhalb des spezifischen Gegenstands sind von der Anmeldeobliegenheit ausgenommen. Im materiellen Recht hat der Begriff des spezifischen Gegenstands demgegenüber eine bloß negative Bedeutung: 6 0 7 Auf Beschränkungen jenseits des spezifischen Gegenstands ist Art. 81 Abs. 1 E G V jedenfalls anwendbar. Nach der hier vertretenen Auffassung ist auch auf Beschränkungen innerhalb des spezifischen Gegenstands Art. 81 Abs. 1 E G V anwendbar, so dass dem Konzept des spezifischen Gegenstands im materiellen Recht letztlich keine Relevanz zukommt. Besonderheiten des Immaterialgüterrechts können zufriedenstellend innerhalb der kartellrechtlichen Grundkategorien, nämlich beim Begriff der Wettbewerbsbeschränkung (Art. 81 E G V ) , bzw. beim Begriff des Missbrauchs (Art. 82 E G V ) berücksichtigt werden. 604 605 606 607
E u G H , 25.2.1986, Windsurfing International/Kommission, Rs. 193/83, Slg. 1986, 611. „Windsurfing" Slg. 1986, 665 T z . 100. „Windsurfing" Slg. 1986, 663 T z . 92, vgl. oben S. 307. S. oben S. 318 f.
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4. Teil: Europäisches
2. Begriff der
Recht
Wettbewerbsbeschränkung
Normen des Kartellrechts benötigen verschiedene Tatbestandsmerkmale, um unerwünschtes Verhalten zu erfassen, wie z.B. den Begriff des Unternehmens oder den des Vertrages, bzw. der abgestimmten Verhaltensweise. Unter diesen Merkmalen kommt dem Begriff der Wettbewerbsbeschränkung eine zentrale Rolle zu. a)
Einführung
Die Auslegung dieses Begriffs entscheidet darüber, ob eine bestimmte Verhaltensweise als wettbewerbsschädlich und grundsätzlich verboten oder als unschädlich und erlaubt beurteilt wird. Die Schwierigkeiten bei der Bestimmung dessen, was eine Wettbewerbsbeschränkung ist, setzen bei beiden Teilen des Worts an. Eine mögliche Vorgehensweise besteht darin, zunächst den Begriff des Wettbewerbs zu klären, um dann zu bestimmen, worin eine Beschränkung dieses Wettbewerbs gesehen werden kann. 608 Möglicherweise stehen der Wettbewerb und seine Beschränkung auch nicht in einem derart skizzierten Stufenverhältnis, sondern sind hermeneutisch miteinander rückgekoppelt. Schließlich ist darauf hinzuweisen, dass der Begriff der Wettbewerbsbeschränkung nicht allein aus sich heraus entwickelt werden kann, sondern nur im Rahmen einer bestimmten wirtschaftspolitischen Konzeption Sinn macht. 609 608
S. den Ü b e r b l i c k bei W. Fikentscher, Wirtschaftsrecht, Band II, Deutsches Wirtschaftsrecht, 1983, S. 186 ff., der in folgende D e f i n i t i o n m ü n d e t : „Wirtschaftlicher W e t t b e w e r b ist das selbständige, nicht n o t w e n d i g intensive o d e r effiziente, vielmehr zieloffene Streben, sich aktuell oder potentiell z u m i n d e s t objektiv im Wirtschaftserfolg beeinflussender A n b i e t e r o d e r N a c h f r a g e r ( M i t b e w e r b e r ) nach G e s c h ä f t s v e r b i n d u n g mit D r i t t e n ( K u n d e n oder Lieferanten) d u r c h in Aussichtstellen günstiger erscheinender o d e r (im Falle b l o ß e n W e t t b e w e r b s d r u c k s ) v o m M a r k t g e n o m m e n e r G e s c h ä f t s b e d i n g u n g e n . " (ebenda, S. 194 f.). Diese D e f i n i t i o n betrifft W e t t b e w e r b s b e s c h r ä n k u n g e n s o w o h l d u r c h h o r i z o n t a l e als auch d u r c h vertikale B i n d u n g e n . D u r c h h o r i z o n t a l e B i n d u n g e n wird direkt der W e t t b e w e r b zwischen den an der B i n d u n g beteiligten M i t b e w e r b e r n eingeschränkt; d u r c h vertikale B i n d u n g e n k o m m t es zu B e s c h r ä n k u n gen des W e t t b e w e r b s zwischen einem der an der B i n d u n g beteiligten U n t e r n e h m e n u n d D r i t ten, nämlich den M i t b e w e r b e r n dieses U n t e r n e h m e n s . Besonderheiten des deutschen Rechts (nämlich A n w e n d b a r k e i t der § § 1 ff. G W B auch auf vertikale Kartelle u n d A n w e n d b a r k e i t der § § 14 ff. auch auf Vereinbarungen zwischen U n t e r n e h m e n gleicher Wirtschaftsstufe, s. d a z u o b e n S. 155 F n . 151) entfallen bei Art. 81 EGV, da die Vorschrift h o r i z o n t a l e u n d vertikale Bind u n g e n gleichermaßen erfasst. S. a u ß e r d e m den U b e r b l i c k ü b e r die w e t t b e w e r b s t h e o r e t i s c h e n A n s ä t z e bei I. Schmidt, W e t t b e w e r b s p o l i t i k u n d Kartellrecht, 5. Aufl. 1996, S. 1 ff. u n d / . Drexl, Die wirtschaftliche Selbstbestimmung des Verbrauchers, 1998, S. 91 ff., insbesondere 116 ff. 609 D. Gerber, L a w and C o m p e t i t i o n in Twentieth C e n t u r y E u r o p e , 1998, S. 10, spricht v o m W e t t b e w e r b als einem kulturellen K o n s t r u k t . S. dazu allgemein Berger/Luckmann, Die gesellschaftliche K o n s t r u k t i o n der Wirklichkeit, 1977. D. Schmidtchen (Wettbewerbspolitik als A u f g a b e , 1978, S. 33 ff.) verweist darauf, dass „Was ist?"-Fragen, insbesondere auch „Was ist W e t t b e w e r b ? " u n d „Was ist eine W e t t b e w e r b s b e s c h r ä n k u n g ? " , erfahrungswissenschaftlich grundsätzlich nicht zu b e a n t w o r t e n seien, u n d lehnt d e n d a h i n t e r s t e h e n d e n m e t h o d o l o g i s c h e n Essentialismus ab. D. Schmidtchen ( A n t i t r u s t zwischen M a r k t m a c h t p h o b i e u n d E f f i z i e n z e u -
C. Immaterialgüterschutz
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Kartellrecht
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(1) Abstrakte Wettbewerbsdefinition oder pragmatische Einzelfallbetrachtung ? Diese Schwierigkeiten haben zu einer pragmatischen Resignation geführt: 610 Nicht die abstrakte Bestimmung des Begriffs der Wettbewerbsbeschränkung steht im Zentrum der Überlegungen, sondern die Analyse einzelner Fallgestaltungen in Hinblick auf ihre Auswirkungen auf den Wettbewerb. Dieses pragmatische, einzelfallbezogene Vorgehen hat Vor- und Nachteile. Ein Vorteil besteht darin, dass die Würdigung der konkreten Marktverhältnisse in den Vordergrund tritt, und keine voreiligen, aus einer vorgegebenen Definition der Wettbewerbsbeschränkung abgeleiteten Folgerungen das Ergebnis präjudizieren. Die komplexen, wirtschaftlichen Vorgänge, die Gegenstand des Kartellrechts sind, erfordern Argumentationslinien, die eine Erweiterung der Savignyschen Quart voraussetzen. 611 Der Nachteil der pragmatischen Einzelfallbetrachtung besteht im Verlust einer klaren Begrifflichkeit und im Verzicht auf Orientierungsvorgaben, die ein allgemeines, theoretisch untermauertes Konphorie: Alte Themen - neue Ansätze, FS Hoppmann, 1994, S. 143, 161) stellt ein „Unmöglichkeitstheorem" auf, nach dem der Begriff der Wettbewerbsbeschränkung nicht dadurch ermittelt werden kann, dass zunächst das „Wesen" des Wettbewerbs ermittelt wird, um daraus dann den Begriff der Beschränkung des Wettbewerbs abzuleiten. Das Unmöglichkeitstheorem führt letztlich ebenfalls zur Erforderlichkeit von Wertungen, auch wenn Schmidtchen der Ökonomik als Erfahrungswissenschaft die Fähigkeit zur Setzung von Wertungen abspricht (iebenda, S. 160). S. auch K. Herdzina, Möglichkeiten und Grenzen einer wirtschaftstheoretischen Fundierung der Wettbewerbspolitik, 1988, S. 4 ff., der zwischen positiver Markttheorie und normativer Wettbewerbstheorie unterscheidet, sowie die Einführungen zur Wettbewerbstheorie und -politik von G. Aherle, Wettbewerbstheorie und Wettbewerbspolitik, 2. Aufl. 1993; H. Berg, Wettbewerbspolitik, 1995; K. Herdzina, Wettbewerbspolitik, 5. Aufl. 1999; R. Ölten, Wettbewerbstheorie und Wettbewerbspolitik, 1995; /. Schmidt, Wettbewerbspolitik und Kartellrecht, 5. Aufl. 1996. 610 V. Emmerich, Kartellrecht, 7. Aufl. 1994, S. 529: „Der Gerichtshof hat sich bisher nicht auf ein bestimmtes Wettbewerbskonzept festgelegt. Er geht vielmehr betont pragmatisch vor, wobei für ihn offenkundig vor allem die Wirkungen der fraglichen Maßnahme auf den Binnenmarkt im Vordergrund des Interesses stehen." D. Zimmer, in Immenga/Mestmäcker, 3. Aufl. 2001, § 1 G W B Rdnr. 137: „Auf eine rechtliche Erfassung des Wettbewerbsbegriffs ist daher zu verzichten." S. auch V. Emmerich, in M. Dauses, Handbuch des EU-Wirtschaftsrechts, Kapitel H I § 1 Rdnr. 90 ff.; H. Schröter, in von der Groeben Art. 85 Absatz 1 E G V Rdnr. 74 ff.; U. Everling, Zur Wettbewerbskonzeption in der neueren Rechtsprechung des Gerichtshofs der Europäischen Gemeinschaften, WuW 1990, 995 (1008 f.); Th. Ackermann, Art. 85 Abs. 1 E G V und die rule of reason, 1997, S. 153 f.; Roth /Ackermann, Frankfurter Kommentar, Grundfragen Art. 81 Abs. 1 EG-Vertrag Rdnr. 151. 6 1 1 S. EC. v. Savigny, System des heutigen römischen Rechts, 1. B d . , 1840, § 33, S. 212 ff. Zur Savignyschen Quart s. K. Adomeit, Rechtstheorie für Studenten, 4. Aufl. 1998, S. 65 ff., P. Raisch, Juristische Methoden - Vom antiken Rom bis zur Gegenwart, 1995, S. 103 ff. Die Feststellung im Text entspricht der Forderung, das „Geschäft der Auslegung [...] als die Reconstruction des dem Gesetze inwohnenden Gedankens" (Savigny, ebenda, S. 213) zu einer modernen und prinzipiell offenen Argumentationslehre zu erweitern, s. hierzu Arthur Kaufmann, Grundprobleme der Rechtsphilosophie, 1994, S. 46 f.; R. Alexy, Theorie der juristischen Argumentation, 1983. Wichtiger Bestandteil dieser Erweiterung ist auch die Folgenbewertung, s. hierzu M. Deckert, Folgenbetrachtung in der Rechtsanwendung, 1995.
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4. Teil: Europäisches
Recht
zept der Wettbewerbsbeschränkung mit sich brächte. Es ist zwar nicht zu verkennen, dass für eine Vielzahl von Fällen der Begriff der Wettbewerbsbeschränkung keine Schwierigkeiten in der Praxis aufwirft. Solche Schwierigkeiten entstehen nur in komplizierten Fällen. Da die Probleme im Grenzbereich von Kartellrecht und Recht des geistigen Eigentums aber aufgrund der zum Teil gegenläufigen Zielsetzungen durchweg als kompliziert einzustufen sind, wirken sich Mängel in der grundlegenden Konzeption des Begriffs der Wettbewerbsbeschränkung durchweg auch auf die Lösung von Einzelfällen aus. (2) Ein Mittelweg: Ansätze zur Tatbestandsbegründung, -Verengung und -reduzierung Im folgenden soll deshalb ein Mittelweg zwischen pragmatischer Einzelfallbetrachtung und theoretischer Gesamtanalyse eingeschlagen werden. Der Begriff der Wettbewerbsbeschränkung wird dadurch Konturen gewinnen, die eine Anwendung des Begriffs auf Einzelfälle im Grenzbereich von Kartellrecht und Immaterialgüterrecht ermöglichen. In die Darstellung integriert werden alle Ansätze und Gesichtspunkte, die sich mit der Frage beschäftigen, wann eine im Ergebnis verbotene Wettbewerbsbeschränkung i.S. von Art. 81 Abs. 1 E G V vorliegt. Zu unterscheiden sind dabei Ansätze zur Tatbestands£egrÄ«ai«rag und Ansätze zur Tatbestands^ erewg««g, bzw. -reduzierung. Die ersteren bemühen sich in positiver Hinsicht um die Klärung der Frage, worin eine Wettbewerbsbeschränkung besteht. Die letzteren versuchen zu klären, warum eine auf den ersten Blick als Wettbewerbsbeschränkung qualifizierte Verhaltensweise doch nicht dem Tatbestand von Art. 81 Abs. 1 E G V unterfallen sollte. Was die Tatbestandsbegründung betrifft, soll im Folgen zunächst von der Konkretisierung des Begriffs der Wettbewerbsbeschränkung durch den Katalog der Regelbeispiele in Art. 81 Abs. 1 E G V ausgegangen werden (b). Darauf wird die Handhabung des Begriffs der Wettbewerbsbeschränkung durch den Gerichtshof untersucht (c). Dies führt zur Problematik der Unterscheidung von formalen und materiellen Wettbewerbsbeschränkungen (d), die auch Fragen zum Verhältnis von Art. 81 Abs. 1 und Abs. 3 E G V aufwirft (e). Ebenfalls in diesen Zusammenhang gehört das Problem, ob in Art. 81 Abs. 1 E G V dem Begriff der 'Wettbewerbsverfälscbung eine eigenständige Bedeutung zukommt (f). Von einer Wettbewerbsbeschränkung kann überdies nur die Rede sein, wenn überhaupt ein beschränkungsfähiger Wettbewerb vorliegt (g). U m eine restriktive Handhabung, bzw. um eine Tatbestands reduzierung geht es dagegen bei dem Merkmal der Spürbarkeit (h), des schutzwürdigen Wettbewerbs (i), der Lehre vom spezifischen Gegenstand (j), der rule of reason (k), der Wettbewerbseröffnungs-, bzw. Markterschließungslehre (1) sowie der Immanenztheorie (m).
C. Immaterialgüterschutz
b) Regelbeispiele
und europäisches
Kartellrecht
351
in Art. 81 Abs. 1 EGV
Eine Hilfestellung im Umgang mit dem Begriff der Wettbewerbsbeschränkung leistet Art. 81 Abs. 1 E G V selbst, indem fünf Regelbeispiele für wettbewerbsbeschränkende Verhaltensweisen aufgeführt werden. 6 1 2 Danach sind verboten (a) die Festsetzung von Preisen und Geschäftsbedingungen, (b) die Einschränkung von Investitionen, Produktion, Distribution und Innovation, (c) die Marktaufteilung, (d) die Diskriminierung von Handelspartnern sowie (e) die sachlich nicht gerechtfertigten Kopplungsgeschäfte. Da Art. 81 Abs. 1 E G V sowohl die horizontalen als auch die vertikalen Strategien erfasst, bezieht sich das Verbot der Festsetzung von Preisen gleichermaßen auf Preiskartelle und die Preisbindung der zweiten Hand. 6 1 3 Die Nennung als Regelbeispiel belegt die große praktische Bedeutung der betreffenden Verhaltensweisen, schließt aber die Erfassung anderer wettbewerbsbeschränkender Strategien nicht aus. Für den Begriff der Wettbewerbsbeschränkung folgt aus den Regelbeispielen, dass in erster Linie auf die Einschränkung der Handlungsfreiheit der an der Vereinbarung Beteiligten in Bezug auf mindestens ein Wettbewerbsparameter (z.B. Preise, Investitionen, Produktionsmengen, Absatzgebiete, Bezugsquellen) abzustellen ist. c) Konkretisierung des Begriffs durch den Gerichtshof'u
der
Wettbewerbsbeschränkung
Darauf baut auch die Handhabung des Begriffs der Wettbewerbsbeschränkung durch den Gerichtshof auf. 615 (1) Selbständigkeitspostulat A m Beispiel des Begriffs der abgestimmten Verhaltensweise hat der Gerichtshof das sog. Selbständigkeitspostulat aufgestellt: Der Grundgedanke der Wettbewerbsvorschriften des Vertrages bestehe darin, dass „jeder Unternehmer selbständig zu bestimmen hat, welche Politik er auf dem gemeinsamen Markt 6 1 2 Kritisch zum Aussagegehalt der Regelbeispiele für den Begriff der Wettbewerbsbeschränkung Th. Ackermann, Art. 85 Abs. 1 E G V und die rule of reason, 1997, S. 55 ff. 613 Lunken/Bunte, KartR, 9. Aufl. 2001, Art. 81 E G V - Generelle Prinzipien Rdnr. 79 f. 6 1 4 Zur Entwicklung der Kommissionspraxis s. St. Anderman, E C Competition Law and Intellectual Property Rights, 1998, S. 55 ff. Vgl. auch den Überblick bei H. Wedekind, Die A n wendung der Kartellvorschriften des EWG-Vertrages auf Patentlizenzverträge, 1989, S. 152 ff. 6 1 5 In anderem Zusammenhang hat sich der Gerichtshof zu einem bestimmten Wettbewerbskonzept, nämlich dem des workable competition bekannt ( E u G H , 25.10.1977, M e t r o / Kommission, Rs.26/76, Slg. 1977, 1875, 1905 T z . 20). Dieses Bekenntnis ist vereinzelt geblieben, wurde zudem nicht auf ein bestimmtes, in der Wettbewerbstheorie vertretenes workabilit y - K o n z e p t (grundlegend: J. M. Clark, Toward a Concept of Workable Competition, 30 A E R 241 (1940)), sondern auf das Binnenmarktziel bezogen. Konkrete Schlussfolgerungen für die Handhabung des Begriffs der Wettbewerbsbeschränkung durch den Gerichtshof lassen sich hieraus nicht gewinnen, s. H. Schröter, in von der Groeben Art. 85 Absatz 1 E G V Rdnr. 74 ff. A. Väth, D i e Wettbewerbskonzeption des Europäischen Gerichtshofs, 1987, S. 162 ff.
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4. Teil: Europäisches
Recht
zu betreiben gedenkt". 6 1 6 Dementsprechend besteht eine Wettbewerbsbeschränkung in der Einschränkung der Wettbewerbs- oder Handlungsfreiheit der Unternehmen. In der Rechtssache „Bayer/Süllhöfer" 6 1 7 prüfte der Gerichtshof beispielsweise die Frage, ob eine Nichtangriffsklausel in einem Patentlizenzvertrag im konkreten Fall eine verbotene Wettbewerbsbeschränkung darstelle. 618 Diese Frage sei nicht pauschal zu beantworten; es komme vielmehr auf den rechtlichen und wirtschaftlichen Zusammenhang an, in dem die Klausel stehe. 619 Es fehle an einer Wettbewerbsbeschränkung, wenn die Lizenz kostenlos erteilt werde, da der Lizenznehmer dann nicht die mit der Gebührenzahlung zusammenhängenden Wettbewerbsnachteile zu tragen habe. 620 Auch im Fall einer kostenpflichtigen Lizenz sei nicht unbedingt anders zu entscheiden. Wenn sich die Lizenz auf ein technisch überholtes Verfahren beziehe, von dem das betroffene Unternehmen keinen Gebrauch gemacht habe, liege ebenfalls keine Wettbewerbsbeschränkung vor. 621 Anders sei nur zu entscheiden, wenn die kostenpflichtige Lizenz „zu einer Beeinträchtigung der Handlungsfreiheit des Lizenznehmers" führe. 6 2 2 Für den Gerichtshof ist also das entscheidende Merkmal einer Wettbewerbsbeschränkung die Beeinträchtigung der konkreten Handlungsfreiheit zumindest einer der Parteien bezüglich der Auswahl von Wettbewerbsalternativen. 6 2 3 (2) Außenwirkung Dies ist allerdings nur der Ausgangspunkt. 6 2 4 Nach überwiegender Auffassung ist der Rechtsprechung des Gerichtshofs das zusätzliche Erfordernis der Außenwirkung zu entnehmen: Die Beeinträchtigung der Handlungsfreiheit der 616 EuGH, 16.12.1975, Suiker Unie u.a./Kommission, Verb. Rs. 40-48, 50, 54-56,111,113, 114/73, Slg. 1975, 1663 (1965 f. Tz. 173/174); EuGH, 14.7.1981, Züchner/Bayerische Vereinsbank, Rs.172/80, Slg. 1981, 2021 (2031 f. Tz. 13 f.); EuG, 10.3.1992, Montedipe/Kommission, Rs. T-14/89, Slg. 1992,11-1155 (11-1238 Tz. 232). 617 EuGH, 27.9.1988, Bayer u.a./Süllhöfer, Rs.65/86, Slg. 1988, 5249. 618 Zu Nichtangriffsklauseln vgl. bereits oben bei Fn. 457. 619 „Bayer/Süllhöfer" Slg. 1988, 5286 Tz. 16. 620 Ebenda, Tz. 17. 621 Ebenda, Tz. 18. 622 Ebenda, Tz. 19. Kritisch zur „Bayer/Süllhöfer"-Entscheidung F. v. Maitzahn, Zur rechtlichen Beurteilung von Nichtangriffsabreden über technische Schutzrechte, FS v. Gamm, 1990, S. 597 (610 ff.). 623 Zu den Fällen, in denen nicht die Handlungsfreiheit der am Vertrag beteiligten Unternehmen, sondern die Handlungsmöglichkeiten unbeteiligter Dritter eingeschränkt werden, s. die Ausführungen unten S. 364 ff. zum Begriff der Wettbewerbsverfälschung. 624 Dieser Ausgangspunkt wird nicht geteilt von Th. Ackermann (Art. 85 Abs. 1 EGV und die rule of reason, 1997, S. 86 ff., 158 ff.), der das Kriterium der Verhaltensbindung vollständig durch die (im folgenden zu erörternde) Außenwirkung der Vereinbarung ersetzen möchte. Diesem Vorschlag kann nicht zugestimmt werden. Verhaltensbindung und Außenwirkung bauen aufeinander auf. Ohne Verhaltensbindung gibt es keinen Anlass zu einer näheren Prüfung von Art. 81 Abs. 1 EGV. Die Außenwirkung kommt nicht ohne Anknüpfung an ein Wir-
C. Immaterialgüterschutz
und europäisches
Kartellrecht
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Beteiligten muss zu einer Schmälerung der Auswahlmöglichkeiten der Marktgegenseite oder sonstiger Dritter führen. 625 Geht man konsequent vom subjektiven Marktbegriff aus, liegt allerdings in jeder Einschränkung der Handlungsfreiheit auf der eigenen Marktseite auch eine Schmälerung der Alternativen der Marktgegenseite. Bei einer konsequenten Handhabung des subjektiven Marktbegriffs ist also jede (materiell verstandene 626 ) Wettbewerbsbeschränkung von Einfluss auf den Markt. 627 (3) Außenwirkung und Immaterialgüterrecht Dass an die Außenwirkung keine überspannten Anforderungen gestellt werden dürfen, zeigt gerade die Anwendung des Kartellverbots auf Rechte des geistigen Eigentums. Beispielsweise können beschränkende Klauseln in Lizenzverträgen nur sehr mittelbare Auswirkungen auf die Marktverhältnisse haben. Eine Nichtangriffsklausel verhindert möglicherweise die Vernichtung des Schutzrechts und damit die freie Verwertung des geschützten Erzeugnisses oder Verfahrens durch andere Unternehmen. Eine genaue Aussage über die Außenwirkung der Nichtangriffsklausel würde eine Prognose über diese Zusammenhänge erforderlich machen. Der Gerichtshof ist in „Bayer/Süllhöfer" nicht in eine solche Folgenanalyse eingetreten. Er hat sich vielmehr mit der Forderung nach Untersuchung der kendes, nämlich die Verhaltensbindung aus. Die F o r d e r u n g nach einem Verzicht auf die Verh a l t e n s b i n d u n g steht bei Ackermann im Z u s a m m e n h a n g mit d e m P l ä d o y e r z u g u n s t e n einer rule of reason bei A r t . 81 Abs. 1 EGV. Selbst w e n n man sich diesem S t a n d p u n k t anschließt (vgl. z u r ü c k h a l t e n d hierzu u n t e n S. 382 ff.), ist die A u f g a b e des K r i t e r i u m s der V e r h a l t e n s b i n d u n g nicht erforderlich. Wie die A u s f ü h r u n g e n im H a u p t t e x t zeigen, ist das M e r k m a l der Verhalt e n s b i n d u n g ein erstes, grobes Raster z u r E n g f ü h r u n g des Tatbestands v o n A r t . 81 A b s . 1 EGV, geht also in die gleiche Stoßrichtung wie die rule of reason. Wie im folgenden zu zeigen ist, sind Verhaltensbindung u n d A u ß e n w i r k u n g gleichbedeutend mit den Begriffen der f o r mellen u n d materiellen W e t t b e w e r b s b e s c h r ä n k u n g , die in einem Stufenverhältnis stehen. E r s t w e n n beide Stufen vorliegen, ist der Tatbestand von A r t . 81 Abs. 1 E G V erfüllt. Wie hier auch V. Emmerich, Kartellrecht, 9. A u f l . 2001, S. 38 ff. 625 Vgl. Th. Baums, G W B - N o v e l l e u n d Kartellrecht, Z I P 1998, 233 (234). A u c h V. Emmerich, der sich gegen dieses zusätzliche M e r k m a l w e n d e t , erkennt an, dass die Praxis der G e meinschaftsorgane deutlich zu dieser Ansicht tendiert (V. Emmerich, in I / M E G - W e t t b e w e r b s r e c h t , Bd. I, 1997, S. 165 Rdnr. 157). S. hierzu z.B. Kommission, E n t s c h e i d u n g 85/618/ E W G v o m 18.12.1985 (IV/30.739 - Siemens/Fanuc), ABl. L 376/29 (35 T z . 24): „Dies grenzte nicht n u r die H a n d l u n g s f r e i h e i t der Vertragsparteien ein, s o n d e r n w i r k t e sich auch auf die P o sition v o n Dritten, insbesondere die Werkzeugmaschinenhersteller in der E u r o p ä i s c h e n W i r t schaftsgemeinschaft aus, die möglicherweise F a n u c - N C s v o n a n d e r e n Lieferanten als Siemens hätten kaufen wollen." 626
S. d a z u u n t e n S. 354 ff. S. am Beispiel des deutschen Rechts W. Fikentscher, Wirtschaftsrecht, Band II, 1983, S. 212; ders., Recht u n d wirtschaftliche Freiheit, 1. Band - Die Freiheit des W e t t b e w e r b s , 1992, S. 116; W. Benisch, B e s c h r ä n k u n g e n des N a c h f r a g e w e t t b e w e r b s , W u W 1960, 842 ff. V. Emmerich (Kartellrecht, 9. Aufl. 2001, S. 44) verzichtet auf die M a r k t f o l g e n p r ü f u n g z u m i n d e s t d a n n , w e n n die Beteiligten mit d e m Vertrag w e t t b e w e r b s b e s c h r ä n k e n d e Z w e c k e verfolgt haben, hiergegen U. Immenga, in I m m e n g a / M e s t m ä c k e r , 2. A u f l . 1992, § 1 G W B R d n r . 343. 627
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4. Teil: Europäisches
Recht
Spürbarkeit der Wettbewerbsbeschränkung begnügt. Dies entspricht der Forderung von Emmerich, auf das Erfordernis der Außenwirkung zu verzichten und es bei der ergänzenden Prüfung der Spürbarkeit der Wettbewerbsbeschränkung zu belassen. 628 Diesem Vorschlag kann gefolgt werden, wenn auf die Prüfung der Frage, ob eine konkrete Beeinträchtigung der Handlungsfreiheit vorliegt, besondere Sorgfalt verwendet wird. Es reicht nicht aus, wenn abstrakt bestimmte Handlungsparameter festgelegt wurden. Es muss gezeigt werden, dass diese abstrakte Festlegung zu konkreten Einschränkungen des Handlungsspielraums geführt hat. 629 Ist dieser Nachweis geführt, so ergibt sich aus der Einschränkung des Handlungsspielraums spiegelbildlich eine Reduzierung der Wahlmöglichkeiten von Dritten. Mit dem Begriff der Spürbarkeit sollte deshalb nicht der Markteinfluss als solcher, sondern nur die quantitative Aussonderung gänzlich unwesentlicher Wettbewerbsbeschränkungen im Sinne einer de minimis-Rege\ verstanden werden. 630 (4) Handlungsbeschränkung als hinreichendes Kriterium? Der Begriff der Wettbewerbsbeschränkung im Sinne einer Einschränkung der konkreten Handlungsfreiheiten mindestens eines Beteiligten ist denkbar weit. 631 Der Wettbewerb wird auf allen Wirtschaftsstufen und in allen Erscheinungsformen geschützt. 632 Es stellt sich deshalb die Frage, ob die Einschränkung der konkreten Handlungsfreiheit nicht nur notwendige Bedingung, sondern auch bereits hinreichendes Kriterium für eine Wettbewerbsbeschränkung i.S. von Art. 81 Abs. 1 EGV ist. Einer der Ansätze, mit denen einer uferlosen Ausdehnung des Begriffs der Wettbewerbsbeschränkung entgegengetreten wird, ist die Unterscheidung von formalen und materiellen Wettbewerbsbeschränkungen. d) Formale und materielle, bzw. abstrakte und Wettbewerbsbeschränkungen
konkrete
(1) Ausgangspunkt Die Unterscheidung von formalen und materiellen Wettbewerbsbeschränkungen stammt von Knut Borchardt und Wolfgang Fikentscher.m Die formale Wettbewerbsbeschränkung beschränkt das Mittel des Wettbewerbs, indem sie 628
V. Emmerich, in I/M EG-Wettbewerbsrecht, Bd. I, 1997, S. 165 Rdnr. 157. H. Herrmann, Die Beurteilung exklusiver Know-how-Lizenzen nach dem EWG-Kartellverbot, 1994, S. 89. 630 S. dazu unten S. 368 ff. 631 Vgl. V. Emmerich, in I/M EG-Wettbewerbsrecht, Bd. I, 1997, S. 163 Rdnr. 149. 632 E u G H , 13.7.1966, Consten und Grundig/Kommission, Verb. Rs. 56 und 58/64, Slg. 1966, 321 (390); E u G H , 13.7.1966, Italien/Rat u. Kommission, Rs.32/65, Slg. 1966, 457 (485). 633 Borchardt/Fikentscher, Wettbewerb, Wettbewerbsbeschränkung, Marktbeherrschung, 629
C. Immaterialgiiterschutz
und europäisches
Kartellrecht
355
das selbständige Streben von Mitbewerbern nach Geschäftsverbindungen mit Kunden einschränkt oder beseitigt. Jede Bindung, die zu einer Einschränkung der Selbständigkeit in Bezug auf einen Wettbewerbsparameter führt, ist eine formale Wettbewerbsbeschränkung. Borchardt/Fikentscher nennen die formale Wettbewerbsbeschränkung auch abstrakte Wettbewerbsbeschränkung, da das bloße Abstellen auf die Einschränkung der Selbständigkeit das substantielle Ziel des Wettbewerbs, nämlich die Bereitstellung möglichst günstiger Geschäftsverbindungen nicht berücksichtigt. 634 Stellt man auf dieses Ziel ab, kommt man zum Begriff der materiellen Wettbewerbsbeschränkung. Bei diesem Begriff steht nicht die Einschränkung der Selbständigkeit im Vordergrund, sondern die Verschlechterung der Geschäftsbedingungen für andere, „die durch eine formale Wettbewerbsbeschränkung wahrscheinlich erreicht wird". 635 Die Definition der materiellen Wettbewerbsbeschränkung impliziert also die Beeinflussung der Marktverhältnisse. 636 Wenn Borchardt/Fikentscher die formale Wettbewerbsbeschränkung auch abstrakte Wettbewerbsbeschränkung nennen, liegt es nahe, die materielle Wettbewerbsbeschränkung auch als konkrete Wettbewerbsbeschränkung zu bezeichnen. Die konkrete Wettbewerbsbeschränkung i.S. der materiellen Beschränkung darf nicht verwechselt werden mit dem oben dem Gerichtshof zugeschriebenen Erfordernis, dass nur die Beeinträchtigung der konkreten Handlungsfreiheit eine formale Wettbewerbsbeschränkung darstellt. Während es hier darauf ankommt, dass die Handlungsfreiheit der Beteiligten durch die Vereinbarung wirklich eingeschränkt wurde, stellt der Begriff der konkreten, bzw. materiellen Wettbewerbsbeschränkung zusätzliche Anforderungen, die über die Beeinträchtigung der Handlungsfreiheit hinausgehen. Hinzuzufügen ist, dass Fikentscher die Terminologie später geändert hat. Unter dem Eindruck der Kritik von Benisch637 hat er die formalen Wettbewerbsbeschränkungen in „reine Bewerbsbeschränkungen" umbenannt, weil 1957; wiederabgedruckt und zitiert nach W. Fikentscher, Recht und wirtschaftliche Freiheit, 1. Band - Die Freiheit des Wettbewerbs, 1992, S. 89-159. Eine interessante Parallele ist die Unterscheidung von formaler und materieller Sicht der Privatautonomie, s. hierzu J. Drexl, Die wirtschaftliche Selbstbestimmung des Verbrauchers, 1998, 263 ff. 634 Borchardt/Fikentscher, ebenda, S. 112 f. 635 Ebenda, S. 114. 636 S. oben Fn.627. Borchardt!Fikentscher (ebenda, S. 115) haben diese Beeinflussung der Marktverhältnisse terminologisch zunächst mit dem Begriff der Marktbeherrschung gleichgesetzt. Fikentscher hat dies dann unter Verwendung der üblichen kartellrechtlichen Terminologie dahingehend korrigiert, dass Marktbeherrschung „eine quantitativ besonders hohe Steigerung der materiellen Wettbewerbsbeschränkung" ist (W. Fikentscher, Wettbewerb und gewerblicher Rechtsschutz, 1958, S. 47; vgl. auch W. Fikentscher, Recht und wirtschaftliche Freiheit, 1. Band, 1992, S. 134 f. Anmerkungen h und i). 637 W. Benisch, Beschränkungen des Nachfragewettbewerbs, WuW 1960, 842 ff.; vgl. auch R. Knöpfle, Der Rechtsbegriff „Wettbewerb" und die Realität des Wirtschaftslebens, 1966, S. 290.
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4. Teil: Europäisches
Recht
bei ihnen ein S i c h - u m - d i e - W e t t e - B e w e r b e n überhaupt nicht stattfindet; der B e griff der „Wettbewerbsbeschränkung" umfasst nur n o c h die vorher „materielle W e t t b e w e r b s c h r ä n k u n g e n " genannten P h ä n o m e n e . D e r G r u n d für den Wandel des Ausdrucks besteht darin, dass im Fall der b l o ß „formalen W e t t b e w e r b s b e schränkungen" der u m w o r b e n e D r i t t e p e r definitionem
die B e s c h r ä n k u n g nicht
als Verminderung oder Verhinderung seiner Alternativen erfahre und auch nicht erfahren könne, weil sich das Interesse der B e w e r b e r nicht auf den gleichen Gegenstand richtet. Mangels wettbewerblicher Rivalität werde deshalb überhaupt kein Wettbewerb b e s c h r ä n k t . 6 3 8 D i e Umstellung der Terminologie hat sich in der Literatur nicht durchgesetzt. D i e Unterscheidung von formalen (oder formellen) und materiellen Wettbewerbsbeschränkungen hat sich für die kartellrechtliche Analyse als äußerst fruchtbar erwiesen. A n ihr soll deshalb im folgenden festgehalten werden. D a b e i ist zu berücksichtigen, dass die bloß formalen W e t t b e w e r b s b e schränkungen i.S. von Borchardt/Fikentscher
keine tatbestandsmäßigen Wett-
bewerbsbeschränkungen i.S. von Art. 81 Abs. 1 E G V sind. (2) D i e Kardinalfrage: In welchem P u n k t schlagen b l o ß e Handlungsbeschränkungen in tatbestandsmäßige Wettbewerbsbeschränkungen um? N ä h e r t man sich mit dem Begriffspaar von formaler und materieller W e t t b e werbsbeschränkung der o b e n skizzierten Rechtsprechung des Gerichtshofs, so fällt auf, dass der Begriff der formalen Wettbewerbsbeschränkung dem A u s gangspunkt des Gerichtshofs entspricht, nämlich dem Selbständigkeitspostulat. D i e wettbewerbsrelevante Beeinträchtigung der Handlungsfreiheit zumindest einer der Vertragsparteien i.S. der E u G H - R e c h t s p r e c h u n g ist gleichbedeutend mit der Einschränkung oder der Beseitigung des selbständigen Strebens i.S. von Borchardt/Fikentscher. a ) Zusätzliche Anforderungen an den Beschränkungsbegriff D i e Kernfrage besteht darin, ob sich der Begriff der W e t t b e w e r b s b e s c h r ä n k u n g in dem formalen E l e m e n t der wettbewerbsrelevanten Beeinträchtigung der Handlungsfreiheit erschöpft, oder o b zusätzliche A n f o r d e r u n g e n zu stellen sind. D i e s e Frage wird z u m Teil verneint. 6 3 9 E i n e solche Verabsolutierung des 638 W. Fikentscher, Recht und wirtschaftliche Freiheit, 1. Band, 1992, S. 113 Anmerkung e, S. 116 Anmerkung f.; ders., Wirtschaftsrecht - Band II, 1983, S. 212 ff. 639 V. Emmerich (oben Fn. 628) möchte auf das Merkmal der Außenwirkung verzichten und es bei der Prüfung der Spürbarkeit der Beschränkung belassen. Chr. Engel (RabelsZ 1997, 761, 764) steht der Selbstregulierung der Wirtschaft durch solche formalen Beschränkungen skeptisch gegenüber und möchte auf diese folglich Kartellrecht anwenden; die Regelung der betroffenen Problembereiche sei dem öffentlichen Wirtschaftsrecht vorzubehalten. H. Ullrich steht Tendenzen distanziert gegenüber, die über die formale Wettbewerbsbeschränkung hinaus materielle Kriterien zur Einschränkung des Tatbestands von Art. 81 Abs. 1 E G V einführen
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formalen Gehalts einer Wettbewerbsbeschränkung dürfte aber nicht durchzuhalten sein. Jeder Vertrag schränkt Handlungsfreiheiten ein. 640 Diese Einschränkungen werden sich zumindest mittelbar auf wettbewerbsrelevante Parameter beziehen. ß) Beispiele aus den Kooperationsleitlinien Beispiele für bloße Handlungsbeschränkungen, die keine tatbestandlichen Wettbewerbsbeschränkungen darstellen, finden sich in den Leitlinien über horizontale Zusammenarbeit („Kooperationsleitlinien"). 641 Die Kommission hat dort einigen Handlungsbeschränkungen unter den jeweils genannten Voraussetzungen den Charakter einer Wettbewerbsbeschränkung abgesprochen, nämmöchten (H. Ullrich, in I/M EG-Wettbewerbsrecht, Bd. I, 1997, S. 1297 Rdnr.31, S. 1391 Rdnr. 6). St. Anderman (EC Competition Law and Intellectual Property Rights, 1998, S. 49 f.) geht von einem formalen Begriff der Wettbewerbsbeschränkung aus: This „mode of analysis takes no account of the actual economic effects of an agreement or provision, let alone basic economic arguments that strong interbrand competition in the final product market can operate to curb the effects of anticompetitive restrictions within a vertical chain of manufacturing and distribution. The analysis consists of an examination of the terms of agreements to determine whether they limit, or are intended to limit, the freedom of action of the parties to the agreement or third parties in the market." (ebenda, S. 50 Fn. 78). Er stellt die These auf, dass auf dem Gebiet des geistigen Eigentums das zu weit reichende Selbständigkeitspostulat in den 60er und 70er Jahren durch die zu weit einschränkende Inhaltstheorie wieder ausgeglichen wurde (ebenda, S. 54 f.). Eine verfehlte Lehre wurde also durch eine andere neutralisiert. 640 Vgl./. Wilhelm, Der gemeinsame Zweck als Merkmal des Kartellverbots wie der daran anknüpfenden Verbote, ZHR 150 (1986), 320 (336); B. Hawk, System Failure: Vertical Restraints and EC Competition Law, CML Rev. 1995, 973 (978); E.-J. Mestmäcker, Das Prinzip der Rule of Reason und ähnliche Ausnahmemechanismen im Recht der Wettbewerbsbeschränkungen, 1974, S.21 f.; W. Möschel, Recht der Wettbewerbsbeschränkungen, 1983, S.49 Rdnr. 69; P.-C. Müller-Graff, Handkommentar Art. 85 EGV Rdnr. 80; Gleisst Hirsch, Kommentar zum EG-Kartellrecht, Band 1, 4. Aufl. 1993, Art. 85 (1) Rdnr. 115; Bellamy/Child, Common Market Law of Competition, 1993, Rdnr. 2-057; im Zusammenhang mit US-amerikanischem Antitrust-Recht W. Baxter, Comment, 1998, S. 393. Th. Ackermann (Art. 85 Abs. 1 EGV und die rule of reason, 1997, S. 56) stellt fest, dass Art. 85 Abs. 1 Buchstabe a) EGV (a.F.) seinem bloßen Wortlaut nach jeden entgeltlichen Vertrag über Waren oder Dienstleistungen (also z.B. auch gewöhnliche Kaufverträge) erfasst. Er wendet sich deshalb gegen eine bloß formale Interpretation der Wettbewerbsbeschränkung. Auf der zweiten Stufe der von ihm vorgeschlagenen rule of reason (s. hierzu unten Fn. 760) nimmt er gewöhnliche Austauschverträge aus dem Anwendungsbereich von Art. 85 Abs. 1 EGV (a.F.) heraus. Etwas anderes gelte nur dann, wenn der Austauschvertrag kapazitätserschöpfenden Umfang hat und deshalb wirtschaftlich gesehen einer Ausschließlichkeitsbindung gleichkommt (ebenda, S. 236 f.). Dies entspricht dem hier vertretenen Begriff der materiellen Wettbewerbsbeschränkung, in den der rechtliche und wirtschaftliche Zusammenhang der Vereinbarung einzufließen hat. 641 Leitlinien zur Anwendbarkeit von Artikel 81 EG-Vertrag auf Vereinbarungen über horizontale Zusammenarbeit, ABl. 2001 C 3/2, s. zum vorangegangenen Entwurf A Geiger, Die neuen Leitlinien der EG-Kommission zur Anwendbarkeit von Art. 81 EG auf Vereinbarungen über horizontale Zusammenarbeit, EuZW 2000, 325. Die Leitlinien lösten die alte Kooperationsbekanntmachung ab, nämlich die Bekanntmachung der Kommission vom 29.7.1968 über Vereinbarungen, Beschlüsse und aufeinander abgestimmte Verhaltensweisen, die eine zwischenbetriebliche Zusammenarbeit betreffen (ABl. C 75/3, ber. C 93/3).
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lieh bestimmten Vereinbarungen über Forschung und Entwicklung (Ziffer 2 der Leitlinien), Produktionsvereinbarungen (einschließlich Spezialisierungsvereinbarungen) (Ziffer 3), Einkaufsvereinbarungen (Ziffer 4), Vermarktungsvereinbarungen (Ziffer 5), Vereinbarungen über N o r m e n (Ziffer 6) und U m weltschutzvereinbarungen (Ziffer 7). Im Zusammenhang mit der alten K o o p e rationsbekanntmachung 6 4 2 wurde die Auffassung vertreten, dass nicht das Merkmal der Wettbewerbsbeschränkung, sondern das der Spürbarkeit verneint werde. 6 4 3 In den neuen Kooperationsleitlinien wird dagegen differenziert: O b der Tatbestand von Art. 81 Abs. 1 E G V vorliegt, hängt sowohl von der Art der Vereinbarung als auch von strukturellen Faktoren wie z.B. der gemeinsamen Marktmacht der Vertragspartner ab. 6 4 4 In den sieben angesprochenen Bereichen wird jeweils unterschieden zwischen „Vereinbarungen, die nicht von Artikel 81 Absatz 1 erfasst werden", „Vereinbarungen, die fast immer von Artikel 81 Absatz 1 erfasst werden" und „Vereinbarungen, die von Artikel 81 Absatz 1 erfasst werden können". In der Gruppe der „Vereinbarungen, die nicht von Artikel 81 Absatz 1 erfasst werden", wird es in aller Regel bereits am Vorliegen einer Wettbewerbsbeschränkung fehlen. 6 4 5 y) Beispiele aus der G F V O Technologietransfer Zahlreiche andere Beispiele für kartellfreie Handlungsbeschränkungen finden sich in den weißen Listen der Gruppenfreistellungsverordnungen. Die weiße Liste in Art. 2 G F V O Technologietransfer wird beispielsweise mit dem Satz eingeleitet, dass die im einzelnen aufgeführten Vertragsklauseln, die in der R e gel nicht wettbewerbsbeschränkend seien, der Freistellung nicht entgegenstünden. Das Vorliegen einer Wettbewerbsbeschränkung wird also (für den Regelfall) verneint, obwohl die angesprochenen Vertragsklauseln durchweg die Handlungsfreiheit der Vertragsparteien einschränken. ö) Umschlagpunkt Bei der Abgrenzung wettbewerbsbezogener „Handlungsbeschränkungen" von zu missbilligenden „Wettbewerbsbeschränkungen" wird man deshalb ohne die Verwendung materieller Kriterien nicht auskommen. 6 4 6 Andererseits kann ein Oben Fn. 641. V. Emmerich, in I/M EG-Wettbewerbsrecht, Bd. I, 1997, S. 174 Rdnr. 197 mit Fn. 335. 6 4 4 Leitlinien (oben Fn. 641), Tz. 19. 6 4 5 Zur alten Kooperationsbekanntmachung vgl. auch den Einleitungssatz zu Ziffer II: „Die Kommission ist der Auffassung, daß die nachstehenden Vereinbarungen nicht als Wettbewerbseinschränkungen anzusehen sind". 6 4 6 O. Axster, Abgrenzung anti-kompetitiver von den zulässigen Wettbewerbsbeschränkungen, FS Lieherknecht, 1997, S. 225 (227): „Soll das Verbot der Wettbewerbsbeschränkungen nicht ad absurdum geführt werden, dann bedarf der Begriff der Wettbewerbsbeschränkung zur Eingrenzung des Verbotsbereichs einer weiteren Qualifikation, die über das Korrekturpotential für die Vermeidung absurder Ergebnisse und für die Beachtung einer 642 643
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solches materielles Kriterium nicht allein in der Marktbeeinflussung liegen, da diese - außer in der Modellwelt der atomistischen Konkurrenz - in der Regel zu bejahen sein wird. Ein Werturteil ist also erforderlich, das die tatbestandsmäßigen Wettbewerbsbeschränkungen von den tatbestandslosen Handlungsbeschränkungen abgrenzt. Gesucht wird der „Umschlagpunkt". 6 4 7 Materielle Kriterien sind vorgeschlagen worden, z.B. die Verschaffung eines „Vorsprungs durch Macht, der nicht auf Leistung beruht". 6 4 8 Das Kriterium des Leistungswettbewerbs ist auch vom Europäischen Gerichtshof aufgegriffen worden. 6 4 9 Daneben spielt für ihn der Binnenmarktbezug eine große Rolle: Werden durch die Verhaltenskoordinierung nationale Märkte voneinander abgeschottet, liegt für den Gerichtshof die Annahme einer von Art. 81 Abs. 1 EGV erfassten Wettbewerbsbeschränkung nahe. e) Notwendigkeit einer offenen Argumentation Diese Angaben liefern keine subsumtionsfähige Konkretisierung des Begriffs der Wettbewerbsbeschränkung, sondern bescheiden sich mit dem Hinweis auf die Richtung, die einzuschlagen ist. Die Schwierigkeiten bei der Entwicklung Spürbarkeitsgrenze hinausgeht." Die Eingrenzung möchte Axster „durch eine Verlagerung der materiellen Beurteilung in die Tatbestandsprüfung des Art. 85 Abs. 1" bewirken (ebenda, S. 237 im Zusammenhang mit einer Handlungsempfehlung an die Kommission). 647 Der Begriff des Umschlagpunkts stammt von Borchardt/Fikentscher (oben Fn. 633), S. 115. S. außerdem W. Fikentscher, Wettbewerb und gewerblicher Rechtsschutz, 1958, S. 47 (noch unter Verwendung des später korrigierten Begriffs der Marktbeherrschung, s.o. Fn. 636): „Unterscheidungen beschreibender Art sind hier nicht möglich, nur Wertungen rechtlicher Art sind möglich und nötig, weil sich der Punkt, an dem sich der wettbewerbsnotwendige Markteinfluß in schädliche Marktbeherrschung verwandelt, nur durch Wertung feststellen läßt." Im vorliegenden Zusammenhang wird der Begriff des Umschlagens in abweichender Bedeutung verwendet, da nicht lediglich die gesteigerte Marktbeeinflussung, sondern auch inhaltliche Kriterien zur Ausfüllung des materiellen Beschränkungsbegriffs herangezogen werden. S. hierzu sogleich im Text. 648 ^ Fikentscher, Wettbewerb und gewerblicher Rechtsschutz, 1958, S. 117; ders., Hauptfelder und Zwecke des Kartellrechts in rechtspolitischer und kollisionsrechtlicher Sicht, FS Lorenz, 1991, S. 341 (345). Die Unterscheidung zwischen Leistungs- und Nichtleistungswettbewerb wurde im Zusammenhang mit dem Lauterkeitsrecht von Adolf Lobe (Die Bekämpfung des unlauteren Wettbewerbs, Bd. I, 1907, S. 47 ff.) getroffen und durch Hans Carl Nipperdey (Wettbewerb und Existenzvernichtung, 1930, S. 16 ff.) und Franz Böhm (Wettbewerb und Monopolkampf, 1933, passim, insbesondere S. 73, 124 ff., 178 ff., 210 ff., 250 ff.) fortentwickelt. S. dazu G. Schricker, Gesetzesverletzung und Sittenverstoß, 1970, S. 233 ff. Kritisch zu diesem Merkmal E.-J. Mestmäcker, Der verwaltete Wettbewerb, 1984, S. 56 ff.; V. Emmerich, Das Recht des unlauteren Wettbewerbs, 5. Aufl. 1998, S. 44 f. und W. Fikentscher, Wirtschaftsrecht - Band II, 1983, S. 196 ff., der allerdings das dem Wettbewerbsrecht zu Grunde liegende allgemeine Leistungsprinzip als Auslegungshilfe gelten läßt (ebenda, S. 341 Fn. 645). 649 E u G H , 13.2.1979, Hofmann-La Roche/Kommission, Rs. 85/76, Slg. 1979, 461 (540 Tz. 90). S. auch EuG, 1.4.1993, BPB Industries und British Gypsum/Kommission, Rs.T-65/ 89, Slg. 1993,11-389 (11-430 f. Tz. 118). Vgl. V Emmerich, in I/M EG-Wettbewerbsrecht, Bd. I, 1997, S. 163 Rdnr. 151.
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eines allgemeinen Begriffs der Wettbewerbsbeschränkung sind angesichts der oben geschilderten Schwierigkeiten und Uneinigkeiten in der Wettbewerbstheorie nicht verwunderlich. Auf diese Schwierigkeiten hat der Gerichtshof mit der besonderen Betonung des „rechtlichen und wirtschaftlichen Z u s a m m e n hangs" der jeweiligen Vereinbarung reagiert. 6 5 0 N i c h t Definition und Subsumtion, sondern die Ermittlung des wettbewerblichen U m f e l d s der Vereinbarung stehen im Vordergrund. Teil dieser U n t e r s u c h u n g sind die materiellen Kriterien, also z.B. die Frage, ob die Vereinbarung vorausgegangene Leistungen realisiert, oder bloß machtbedingte Vorteile verschafft, bzw. welche W i r k u n g e n die Vereinbarung auf den Binnenmarkt hat. 6 5 1 Zu betonen ist, dass es keinen abschließenden Katalog solcher materiellen Kriterien gibt, sondern eine offene A r g u m e n t a t i o n anhand aller Faktoren mit Einfluss auf die betroffenen M ä r k t e stattzufinden hat. Erst nach der A n a l y s e der konkreten Zusammenhänge w i r d das Werturteil über das Vorliegen einer Wettbewerbsbeschränkung getroffen. Dies entspricht der Vorgehensweise im deutschen Kartellrecht. A u c h hier w i r d der Begriff der Wettbewerbsbeschränk u n g als offenes Tatbestandsmerkmal gewertet, das bei der A n w e n d u n g im Einzelfall besondere Bewertungsspielräume lässt. 6 5 2 f ) Verhältnis zur rule of reason Die Existenz solcher Wertungsspielräume beim Begriff der Wettbewerbsbeschränkung darf nicht voreilig mit der rule of reason des US-amerikanischen Antitrust-Rechts vermengt werden, o b w o h l z u m Teil ähnliche Anliegen bestehen. W ä h r e n d aber nach der rule of reason eine umfassende Berücksichtigung aller w e t t b e w e r b s f ö r d e r n d e n u n d -hindernden U m s t ä n d e stattzufinden hat, ist der Kartelltatbestand des europäischen Rechts schon w e g e n Art. 81 Abs. 3 EGV nicht offen für eine solche umfassende Bilanzierung. Der A u s g a n g s p u n k t muss hier die Ermittlung der formalen Wettbewerbsbehinderungen sein. Die Einbeziehung materieller Kriterien ist aus den oben genannten Gründen notw e n d i g , sie darf aber nicht schrankenlos erfolgen. 6 5 3 Letztlich k o m m t es auch bei dieser A b g r e n z u n g auf M a ß - und Gradfragen an. Die Einzelheiten zur ErS. oben Fn. 458. St. Anderman (EC Competition Law and Intellectual Property Rights, 1998, S. 50 f.) spricht von einem „appreciability test". 652 U. Immenga (in IM, 1992, § 1 GWB Rdnr. 224): „Im Einzelfall sind Maß- und Gradfragen zu entscheiden. Insoweit ist die Wettbewerbsbeschränkung ein offenes Tatbestandsmerkmal." In diesem Sinn auch W. Möschel, Recht der Wettbewerbsbeschränkungen, 1983, S. 113; ders., Effizienz und Wettbewerbspolitik, WiSt 1986, 341 (343); E. Steindorff, Die Wettbewerbsbeschränkung in § 1 GWB als offener Tatbestand, FS Benisch, 1989, S. 255 ff. 653 Für eine Verlagerung der materiellen Beurteilung in den Tatbestand von Art. 81 Abs. 1 EGV auch O. Axster, Abgrenzung anti-kompetitiver von den zulässigen Wettbewerbsbeschränkungen im deutschen, im US-amerikanischen und im EG-Kartellrecht, FS Lieherknecht, 1997, S. 225 ff. 650 651
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mittlung von Maß und Grad in diesem Zusammenhang bleiben den Ausführungen zur Wettbewerbseröffnungs-, bzw. Markterschließungstheorie vorbehalten. 654 Auch auf die Lehre von der rule of reason wird zurückzukommen sein. 655 r|) Überlastung der Kommission - ein Argument für den materiellen Begriff der Wettbewerbsbeschränkung? Bisweilen wird ein institutionell-pragmatisches Argument zugunsten einer Materialisierung des Begriffs der Wettbewerbsbeschränkung vorgebracht. Begreife man den Begriff der Wettbewerbsbeschränkung rein formal als Einschränkung der Handlungsfreiheit, gerate der Tatbestand von Art. 81 Abs. 1 EGV so weit, dass die Kommission als für die Erteilung von Freistellungen allein zuständiges Organ hoffnungslos überlastet werde. Daraus folge, dass der Anwendungsbereich von Art. 81 Abs. 1 EGV enger zu ziehen sei. 656 Dieses Argument nimmt zwar Rücksicht auf die Bedürfnisse der Praxis; es erscheint aber äußerst fraglich, ob der Verweis auf mangelnde Behördenkapazitäten die Deutung materiellen Rechts beeinflussen kann. 6 5 7 Den Kapazitätsbedenken kann mit dem Hinweis auf die Möglichkeit von Gruppenfreistellungsverordnungen begegnet werden, denen ja u.a. die Funktion zukommt, die Kommission von der zeitaufwendigen Bearbeitung von Anträgen auf Einzelfreistellung (oder Negativattest) zu entlasten. Eine inhaltliche Begründung des Begriffs der materiellen Wettbewerbsbeschränkung ist deshalb dem Behördenargument vorzuziehen. Selbst wenn das Freistellungsmonopol der Kommission entfiele, 658 wäre eine inhaltliche Auseinandersetzung mit dem Beschränkungsbegriff unentbehrlich. (3) Zwischenergebnis Die Begriffe der formalen und der materiellen Wettbewerbsbeschränkung bauen aufeinander auf. Schränken zwei oder mehrere Beteiligte ihre Handlungsfreiheit in Bezug auf mindestens ein Wettbewerbsparameter ein, liegt eine S. unten S. 387 ff. S. unten S. 382 ff. Bereits an dieser Stelle sei allerdings eine terminologische Bemerkung gemacht: Th. Ackermann (Art. 85 Abs. 1 EGV und die rule of reason, 1997, z.B. S. 191) stellt den Begriff der formalen Wettbewerbsbeschränkung dem Begriff der rule of reason gegenüber und gelangt aufgrund der Mängel einer bloß formal angelegten Konzeption der Wettbewerbsbeschränkung zur Wünschbarkeit einer rule of reason auch im europäischen Wettbewerbsrecht. Geht man dagegen - wie hier vertreten - von der Grundunterscheidung von formaler und materieller Wettbewerbsbeschränkung aus, und versteht man die rule of reason als einen von mehreren Ansätzen zur Materialisierung des Begriffs der Wettbewerbsbeschränkung, führt die Ablehnung des formalen Ansatzes nicht automatisch zur Annahme der rule of reason. 656 In diesem Sinn z.B. Bunte/Sauter, EG-Gruppenfreistellungsverordnungen, 1988, Einführung S. 156 Rdnr. 12; O. Axster (oben Fn. 646), S. 235 f. 657 Kritisch Th. Ackermann, Art. 85 Abs. 1 EGV und die rule of reason, 1997, S. 53, 110 f. 658 Zu entsprechenden Plänen s.o. Fn. 552. 654
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formale Wettbewerbsbeschränkung vor, die zur näheren Untersuchung der Vereinbarung Anlass gibt. 6 5 9 D a das Kriterium der Einschränkung der Handlungsfreiheit uferlos weit ist, bedarf es zusätzlicher Feststellungen, um eine tatbestandsmäßige Wettbewerbsbeschränkung zu bejahen (str.). Auf der Grundlage des subjektiven Marktbegriffs ist eine umfassende Würdigung des rechtlichen und wirtschaftlichen Zusammenhangs der betreffenden Vereinbarung einschließlich der Auswirkungen der Vereinbarung auf den Wettbewerb auf den betroffenen Märkten vorzunehmen. Welche Umstände hierbei Berücksichtigung finden können, wird auch durch das Verhältnis von Art. 81 Abs. 1 E G V zu Absatz 3 der Vorschrift determiniert. e) Das Verhältnis
von Art. 81 Abs. 1 und Abs. 3
EGV
Ausnahmen vom Beschränkungsverbot des Art. 81 Abs. 1 E G V im Wege der Einzel- oder Gruppenfreistellung werden in Absatz 3 der Vorschrift an bestimmte Voraussetzungen geknüpft. (1) Ausgangspunkt Aus der Eigenschaft von Art. 81 Abs. 3 als Ausnahmevorschrift zu Art. 81 Abs. 1 E G V lässt sich eine Schlussfolgerung ziehen: Faktoren, mit denen eine Erlaubnis für im Prinzip verbotene Verhaltensweisen begründet werden kann, können nicht bereits bei der vorgelagerten Frage berücksichtigt werden, ob überhaupt eine verbotene Wettbewerbsbeschränkung vorliegt. Beispielsweise setzt Art. 81 Abs. 3 E G V voraus, dass die betreffende Verhaltensweise einen Beitrag zur Verbesserung der Warenerzeugung oder -Verteilung oder zur Förderung des technischen oder wirtschaftlichen Fortschritts leistet. Daraus folgt, dass diese Gesichtspunkte nicht bereits auf der Ebene von Art. 81 Abs. 1 E G V in Abwägungsvorgänge eingebracht werden dürfen, mit denen das Vorliegen einer Wettbewerbsbeschränkung begründet werden soll. 6 6 0 Art. 81 Abs. 3 E G V trägt also (in negativer Hinsicht) zur Konkretisierung des Tatbestands der Wettbewerbsbeschränkung i.S. von Art. 81 Abs. 1 E G V bei. 6 6 1 (2) Konsequenzen Die Bestimmung der Reichweite der beiden Absätze hat wichtige institutionelle und materiell-rechtliche Auswirkungen. Da die Erteilung von Einzelfreistellungen in der alleinigen Zuständigkeit der Kommission liegt (Art. 9 Abs. 1 V O 17), können Umstände, die erst im Rahmen von Art. 81 Abs. 3 E G V zu berücksichtigen sind, vor Erteilung einer solchen Freistellung keine rechtlichen Wir-
Aber noch nicht tatbestandsmäßig i.S. v. Art. 81 Abs. 1 E G V ist. Abweichend Th. Ackermann, Art. 85 Abs. 1 E G V und die rule of reason, 1997, S. 95 f., 210 f.; s. dazu unten Fn. 664. 661 H. Köhler, Wettbewerbsbeschränkungen durch Nachfrager, 1977, S. 63. 659 660
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kungen entfalten. Zum Beispiel müssen nationale Gerichte von der Nichtigkeit einer solchen Vereinbarung auch dann ausgehen, wenn sie einen Beitrag zur Verbesserung der Warenerzeugung oder des technischen Fortschritts leistet, da dieser erst im Rahmen des Freistellungsverfahrens durch die Kommission gewürdigt werden kann. (3) Folgerungen So klar dieser Ausgangspunkt, also die Notwendigkeit der Unterscheidung von Art. 81 Abs. 1 und Abs. 3 EGV ist, so unklar und umstritten sind die Folgerungen, die hieraus zu ziehen sind. A m weitesten gehen diejenigen, die bereits eine formale Wettbewerbsbeschränkung für den Tatbestand von Art. 81 Abs. 1 EGV ausreichen lassen. 662 Sie fassen den Tatbestand von Art. 81 Abs. 1 EGV äußerst weit, indem sie die Beschränkung der Handlungsfreiheit der an der Vereinbarung Beteiligten als Wettbewerbsbeschränkung ausreichen lassen. Der Berücksichtigung des rechtlichen und wirtschaftlichen Zusammenhangs oder anderen Möglichkeiten einer Tatbestandsrestriktion stehen sie skeptisch gegenüber. Liegt eine Handlungsbeschränkung vor, ist eine Einzel- oder Gruppenfreistellung gem. Art. 81 Abs. 3 EGV erforderlich, u m die Vereinbarung zu legalisieren. Wie bereits ausgeführt wurde, geht eine solche Erweiterung des Begriffs der Wettbewerbsbeschränkung auf alle, rein formal zu verstehenden Handlungsbeschränkungen zu weit. Dieser Ansatz schafft zwar große Anwendungssicherheit, da nur geringe Wertungsspielräume gelassen werden. Die Erstreckung auf alle //¿?«£Ä»«gsbeschränkungen führt aber zu einer uferlosen, mit den Zielen der Kartellgesetzgebung nicht zu vereinbarenden Erweiterung des Begriffs der Wettbewerbsbeschränkung. Auch das Zusammenspiel der Absätze 1 und 3 des Art. 81 EGV verlangt nicht, weite Bereiche des Wirtschaftslebens zunächst dem Kartellverbot zu unterstellen, um sie dann unter Anwendung der Ausnahmebestimmung wieder zu erlauben. 6 6 3 Vgl. oben Fn. 639. O. Axster (oben Fn. 646), S. 235. A.A. H.Ullrich in I/M EG-Wettbewerbsrecht, Bd. I, 1997, S. 1242 Rdnr. 34, insbesondere Fn. 253: Aus der Tatsache, dass die Ausschließlichkeitsrechte auf dem Gebiet des geistigen Eigentums auch den in Art. 81 Abs. 3 EGV genannten Zielen dienen, z.B. der Verbesserung der Warenerzeugung und -Verteilung oder der Förderung des technischen und wirtschaftlichen Fortschritts, folgert er, dass Handlungsbeschränkungen im Zusammenhang mit Immaterialgüterrechten dann eben immer erst auf der Ebene des Art. 81 Abs. 3 EGV und nicht etwa auf Tatbestandsebene berücksichtigt werden dürfen. Der h.L. wirft er vor, dass sie aufgrund einer „abstrakten Konkordanz" Art. 81 EGV gar nicht zur Anwendung kommen lassen wolle; diesem Standpunkt sei der Weg der „konkreten Konkordanz", nämlich Bejahung von Art. 81 Abs. 1 EGV, aber Prüfung einer Freistellungsmöglichkeit nach Art. 81 Abs. 3 EGV vorzuziehen. Der hier vertretene Standpunkt stellt sich zwischen die derart umrissenen Extrempositionen. Weder wird der Weg der „abstrakten Konkordanz", also pauschale Nichtanwendung des Kartellrechts auf Immaterialgüterrechte i.S. der Inhaltstheorie, bzw. der extremen Spielart der Wettbewerbseröffnungstheorie vertreten. Noch 662 663
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4. Teil: Europäisches
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(4) Problemstellung Schließt man sich deshalb der Auffassung an, dass in den Begriff der Wettbewerbsbeschränkung materielle Kriterien einzufließen haben, muss der Umschlag in das andere Extrem vermieden werden: Art. 81 Abs. 3 EGV steht einer pauschalen Gesamtwürdigung des gesamten wettbewerblichen Umfelds entgegen. Es muss deshalb geklärt werden, welche materiellen Umstände bereits beim Tatbestand von Art. 81 Abs. 1 EGV berücksichtigt, und welche erst im Rahmen einer Einzel- oder Gruppenfreistellung geltend gemacht werden können. 664 Es wird die Aufgabe der folgenden Abschnitte sein, hier für Klarheit zu sorgen. Besonders einschlägig sind die Ausführungen zum schutzwürdigen Wettbewerb (unten i), zur rule of reason (unten k), zur Wettbewerbseröffnungs-, bzw. Markterschließungsdoktrin (unten 1) und zur Immanenztheorie (unten m). f ) Eigene Bedeutung des Merkmals der
Wettbewerbsverfälscbung?
Vor einer weiteren Fundierung und Begrenzung des Merkmals der Wettbewerbsbeschränkung ist auf die Frage einzugehen, ob daneben ein eigenständiges Merkmal der Wettbewerbsverfälscbung existiert. 665 Art. 81 Abs. 1 EGV nennt neben der Verhinderung und Einschränkung auch die Verfälschung des Wettbewerbs. Auch der Katalog der Gemeinschaftstätigkeiten ruft in Art. 3 Abs. 1 g) EGV zum Aufbau eines Systems auf, das den Wettbewerb innerhalb des Binnenmarktes vor Verfälschungen schützt. Daraus wird zum Teil der Schluss gezogen, dass dem Begriff der Wettbewerbsverfälschung eine eigenständige Bedeutung zukomme, die vom Begriff der Wettbewerbsbeschränkung noch nicht abgedeckt sei.666 Die Wettbewerbsverfälschung soll die Fälle erfassen, in denen eine Vereinbarung sich „nicht unmittelbar, sondern nur mittelbar auf das Marktverhalten bezieht, indem sie die Wettbewerbsbedingungen künstlich verwird aus Art. 81 Abs. 3 EGV der Schluss gezogen, dass der Tatbestand von Art. 81 Abs. 1 EGV rein formal bestimmt werden kann. Vielmehr kann der Begriff der Wettbewerbsbeschränkung materiell gefasst werden, ohne die Grenze zur Freistellungsbedürftigkeit nach Art. 81 Abs. 3 EGV zu überschreiten. 664 Th. Ackermann (Art. 85 Abs. 1 EGV und die rule of reason, 1997, S. 95 f., 210 f.) schlägt ein Abgrenzungskriterium in zeitlicher Hinsicht vor. Bei der Auslegung von Art. 81 Abs. 1 EGV (unter Heranziehung der von ihm vertretenen rule of reason) dürfe nur auf die im Entscheidungszeitpunkt gegebene Marktsituation abgestellt werden. Im Rahmen von Art. 81 Abs. 3 EGV sei dagegen auch eine Prognose künftiger Marktentwicklungen relevant. Diesem Vorschlag kann nicht zugestimmt werden. Bei Art. 81 Abs. 1 EGV ist anerkannt, dass auch die Beschränkung potentiellen Wettbewerbs, d.h. möglicherweise in der Zukunft stattfindenden Wettbewerbs, tatbestandsmäßig sein kann. In den hierzu nötigen Prognosen liegt keine „Anmaßung von Wissen", sondern dahinter steckt die begrüßenswerte Ablösung statischen durch dynamisches Denken. 665
S. bereits oben Fn. 548. Langen/Bunte, KartR, 9. Aufl. 2001, Art. 81 EGV - Generelle Prinzipien Rdnr. 59.; V. Emmerich, in I/M EG-Wettbewerbsrecht, Bd. I, 1997, S. 166 ff. Rdnr. 162 ff.; a.A. N. Koch in Grabitz/Hilf Art. 85 E W G V Rdnr. 66, 76 ff. (Vorauflage). 666
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ändert und damit den Wettbewerbsanreiz mindert", 667 bzw. in denen nicht die Handlungsfreiheit der an der Vereinbarung Beteiligten, sondern von Dritten beeinträchtigt wird. Es ist allerdings nicht ersichtlich, warum die in diesem Zusammenhang angeführten Fälle und Fallgruppen (Fonds zur Zahlung von Ausfuhrbeihilfen, Ausgleichslieferungen und -Zahlungen im Rahmen von Gebietsabsprachen oder Quotenkartellen, besonders langfristige Liefer- oder Bezugsverträge 668 ) nicht schon unter den Begriff der 'Wettbewerbsbeschränkung fallen sollten. Es liegen durchweg auch Beschränkungen zu Lasten von Vertragsbeteiligten und nicht lediglich Behinderungen von Dritten vor, zumal wenn man bedenkt, dass nach der in Art. 81 Abs. 1 EGV ausdrücklich angeordneten Zweck- und Folgetheorie Beschränkungen ausreichen, die mit der Vereinbarung bezweckt, bzw. von ihr bewirkt werden. Dies zeigt auch ein Blick auf die in diesem Zusammenhang erwähnte Problematik der Schutzrechtsübertragung. 669 Schutzrechtsübertragungen können dann dem Tatbestand von Art. 81 Abs. 1 EGV unterfallen, wenn mit ihnen eine Wettbewerbsbeschränkung, z.B. eine Gebietsaufteilung bezweckt oder bewirkt wird. 670 Ist dies der Fall, liegt eine Einschränkung der Handlungsfreiheit zumindest eines Vertragsbeteiligten vor. 671 Eine solche Einschränkung der Handlungsfreiheit sollte notwendige Bedingung (wenn auch für Vertreter des materiellen Begriffs der Wettbewerbsbeschränkung nicht hinreichendes Kriterium) für die Erfüllung des Tatbestands von Art. 81 Abs. 1 EGV sein. Ein Abgehen hiervon würde zu einer nicht absehbaren Ausdehnung des Kartellverbots führen. Es ist nicht Aufgabe des Kartellrechts, unternehmerisches Handeln daraufhin zu überprüfen, ob es mit allgemeinen Grundvorgaben des Wirtschafts- und Wettbewerbssystems überein667
Langen/Bunte, KartR, 9. Aufl. 2001, Art. 81 EGV - Generelle Prinzipien Rdnr. 59. S. die Nachweise aus der Praxis von Kommission und Gerichtshof bei V. Emmerich, in I/M EG-Wettbewerbsrecht, Bd. I, 1997, S. 166 Rdnr. 163 Fn.289 und Langen/Bunte, Art. 81 EGV - Generelle Prinzipien Rdnr. 59. 669 V. Emmerich (in I/M EG-Wettbewerbsrecht, Bd. I, 1997, S. 166 Rdnr. 160) ordnet die Problematik der Schutzrechtsübertragung nicht dem Merkmal der Wettbewerbsbeschränkung, sondern dem Merkmal der Wettbewerbs Verfälschung zu. 670 S. oben S. 315 ff. 671 Der Gerichtshof verwendet im Zusammenhang mit Schutzrechtsübertragungen ausdrücklich den Terminus der Wettbewerbs beschränkenden Vereinbarung, s. E u G H , 22.6.1994, IHT/Ideal Standard, Rs. C-9/93, Slg.1994, 1-2789 (1-2855 Tz. 59). Th. Ackermann (Art. 85 Abs. 1 EGV und die rule of reason, 1997, S. 161 f.) führt die Fälle der Schutzrechtsübertragung als Beleg für seine These an, nach der die Verhaltensbindung als Voraussetzung für Art. 81 Abs. 1 EGV entbehrlich sei (s. dazu bereits oben Fn. 624). Die Schutzrechtsübertragung fällt aber nur dann unter Art. 81 Abs. 1 EGV, wenn mit ihr eine künstliche Marktabschottung bezweckt wird. In diesen Fällen liegt aber eben eine konkludente Verhaltensbindung, nämlich eine Pflicht zur Verhinderung von Importen vor. Ahnliches gilt für die anderen von Ackermann genannten Beispiele, z.B. f ü r die langfristigen, kapazitätserschöpfenden Kaufverträge, wenn sie als Tarnung für Ausschließlichkeitsbindungen dienen (ebenda, S. 158 ff.). 668
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Recht
stimmt. Im Bereich der Koordinierungsverbote hat das Kartellrecht vielmehr dafür zu sorgen, dass Unternehmen die ihnen durch das Wirtschafts- und Wettbewerbssystem eingeräumte Freiheit nicht dazu missbrauchen, diese Freiheit durch freiwillige Einschränkung ihrer Handlungsmöglichkeiten wieder aufzugeben. 672 Ein Abgehen vom Erfordernis einer Wettbewerbsbeschränkung durch Einführung des kartellrechtlichen Tatbestandsmerkmals der Wettbewerbsverfälschung ist deshalb abzulehnen. 6 7 3 Alle in Art. 81 Abs. 1 EGV genannten Formen, also die Verhinderung, Einschränkung und die Verfälschung des Wettbewerbs sind unter dem Oberbegriff der Wettbewerbsbeschränkung zusammenzufassen. 6 7 4
g) Beschränkungsfähiger
Wettbewerb
Horizontaler Wettbewerb kann nur beschränkt werden, wenn zwischen den betreffenden Unternehmen überhaupt aktueller oder zumindest potentieller Wettbewerb besteht. Ist ein solcher Wettbewerb aus rechtlichen oder tatsächlichen Gründen ausgeschlossen, kann von einer Wettbewerbsbeschränkung nicht die Rede sein. 675 Wichtige Beispiele sind der Arbeitsgemeinschaftsgedanke, der konzerninterne Wettbewerb und die kooperativen Gemeinschaftsunternehmen. (1) Arbeitsgemeinschaften Nach dem Arbeitsgemeinschaftsgedanken können Unternehmen sich gemeinsam um Aufträge bewerben und diese durchführen, wenn sie alleine dazu nicht in der Lage gewesen wären, beispielsweise aus Kapazitäts- oder Finanzgründen. 6 7 6 Eine Wettbewerbsbeschränkung liegt nicht vor, weil ein getrennter Wettbewerb um den betreffenden Auftrag nicht möglich gewesen wäre.
Zum Freiheitsparadoxon s. W. Fikentscher, Die Freiheit und ihr Paradox, 1997; A. HeiDie Freiburger Schule und ihre geistigen Wurzeln, 1989, S. 102 ff. 673 Auch Befürworter eines derartigen Konzepts der Wettbewerbsverfälschung mahnen zur Vorsicht, s. V Emmerich, in I/M EG-Wettbewerbsrecht, Bd. I, 1997, S. 168 Rdnr. 169. 674 Vermittelnd Th. Ackermann, Art. 85 Abs. 1 EGV und die rule of reason, 1997, S. 54 f., der die Möglichkeit von Bedeutungsunterschieden anerkennt, hieran aber keine weitreichenden rechtlichen Konsequenzen knüpfen möchte. Ablehnend Langen/Banfe, KartR, 9. Aufl. 2001, Art. 81 EGV - Generelle Prinzipien Rdnr. 59, der - von seinem Standpunkt konsequent - den Begriff der Wettbewerbsverfälschung als Oberbegriff für die Verhinderung und die Einschränkung des Wettbewerbs versteht. 675 ]. Fritzsche („Notwendige" Wettbewerbsbeschränkungen im Spannungsfeld von Verbot und Freistellung nach Art. 85 EGV, ZHR 160 (1996) 31,35) weist zu Recht darauf hin, dass die Suche nach möglichen Tatbestandsrestriktionen erst dann einen Sinn macht, wenn zuvor festgestellt wurde, dass zumindest ein potentielles Wettbewerbsverhältnis besteht. 676 Leitlinien der Kommission zur Anwendbarkeit von Artikel 81 EGV auf Vereinbarungen über horizontale Zusammenarbeit (ABl. 2001 C 3/2), Tz. 24. Kommission, Entscheidung 88/568/EWG vom 24.10.1988 (IV/32.437/8 - Eurotunnel), ABl. L 311/36 (38 Tz. 17). 672
nemann,
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(2) Konzerne Auf konzerninterne Vereinbarungen ist Art. 81 Abs. 1 EGV nach ständiger Rechtsprechung des Gerichtshofs nicht anwendbar, „wenn die fragliche Absprache zwischen Unternehmen getroffen worden ist, die als Mutter- und Tochtergesellschaft ein und demselben Konzern angehören, vorausgesetzt, daß die Unternehmen eine wirtschaftliche Einheit bilden, in deren Rahmen die Tochtergesellschaft ihr Vorgehen auf dem Markt nicht wirklich autonom bestimmen kann". 6 7 7 Bilden die Konzernunternehmen eine wirtschaftliche Einheit und kann die beteiligte Tochtergesellschaft nicht autonom entscheiden, liegt also ebenfalls kein Wettbewerbsverhältnis vor. 678 (3) Kooperative Gemeinschaftsunternehmen Schließlich fallen kooperative Gemeinschaftsunternehmen (im Gegensatz zu den konzentrativen Gemeinschaftsunternehmen) in den Anwendungsbereich von Art. 81 Abs. 1 EGV. 679 Der Tatbestand dieser Vorschrift liegt aber nur vor, wenn zumindest ein potentielles Wettbewerbsverhältnis zwischen den Gründern besteht. Dies setzt voraus, dass die Gründer nicht nur theoretisch, sondern auch praktisch dazu in der Lage gewesen wären, individuell statt gemeinsam tätig zu werden. 6 8 0 (4) Folgerungen Das hinter diesen Beispielen steckende Erfordernis eines zumindest potentiellen Wettbewerbsverhältnisses ist zwar allgemeiner Natur und somit auch auf den Bereich des gewerblichen Rechtsschutzes anwendbar. Tatbestandsmäßige Wettbewerbsbeschränkungen liegen nur dann vor, wenn die Partner einer Vereinbarung dazu in der Lage gewesen wären, allein auf dem betreffenden Markt 677 EuGH, 11.4.1989, Ahmed Saeed Flugreisen u.a./Zentrale zur Bekämpfung unlauteren Wettbewerbs, Rs. 66/86, Slg. 1989, 803 (848 Tz. 35); EuGH, 24.10.1996, Viho/Kommission, C 73/95 P, Slg. 1996, 1-5457 (1-5495 Tz. 16); EuG, 16.12.1999, Micro Leader/Kommission, T198/98, Slg. 1999,11-3989 (11-4004 Tz. 38) 678 Eingehend C. Potrafke, Kartellrechtswidrigkeit konzerninterner Vereinbarungen und darauf beruhender Verhaltensweisen, 1991, der allerdings nicht beim Merkmal der Wettbewerbsbeschränkung, sondern beim Begriff der Vereinbarung ansetzt (ebenda, S. 192 ff.). 679 Nach der Änderung der FKVO durch VO vom 30.6.1997 (ABl. L 180/1) gilt folgende Präzisierung: Auf konzentrative Vollfunktions-Gemeinschaftsunternehmen (GU) ist ausschließlich die FKVO anwendbar („Konzentrationsprivileg"). Auf kooperative Vollfunktions-GU sind sowohl die FKVO als auch das Kartellverbot anwendbar, und zwar im selben Verfahren (Art. 2 Abs. 4 FKVO). Auf Teilfunktions-GU (und sämtliche GU ohne gemeinschaftsweite Bedeutung) ist ausschließlich das Kartellverbot anwendbar. S. zum Begriff des Vollfunktions-GU Art. 3 Abs. 2 FKVO und die Mitteilung der Kommission über den Begriff des Vollfunktionsgemeinschaftsunternehmens, ABl. 1998 C 66/1. 680 S. die Bekanntmachung der Kommission über die Beurteilung kooperativer Gemeinschaftsunternehmen nach Artikel 85 des EWG-Vertrags vom 16.2.1993, ABl. C 43/2, Abschnitt III 2a), Ziffer 18 ff.
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tätig zu werden. Dieses Erfordernis darf aber nicht mit der Wettbewerbseröffnungstheorie verwechselt werden. 6 8 1 Ohne Lizenzvertrag wäre es dem Lizenznehmer zwar rechtlich nicht möglich gewesen, den geschützten Gegenstand zu nutzen. Daraus folgt aber nicht die Abwesenheit eines potentiellen Wettbewerbsverhältnisses. Der Lizenznehmer hat die Möglichkeit, konkurrierende Technologien zu nutzen oder selber Produkte, Verfahren oder Dienstleistungen zu entwickeln. Ein beschränkungsfähiger Wettbewerb liegt also sowohl bei Einschränkungen des intrabrand- als auch des interbrand-Wettbewerbs vor. 682 h)
Spürbarkeit
Wettbewerbsbeschränkungen i.S. von Art. 81 Abs. 1 EGV - also solche im materiellen Sinn - haben immer Einfluss auf den Markt und sind in diesem Sinn spürbar. 683 In der Literatur und in der Praxis der Gemeinschaftsorgane 684 wird der Begriff auch in einer anderen Bedeutung verwendet, nämlich als de minimis-Regel im quantitativen Sinn, nach der Art. 81 Abs. 1 EGV dann nicht anwendbar ist, wenn die betreffende Verhaltensweise „den Markt mit Rücksicht auf die schwache Stellung der Beteiligten auf dem Markt der fraglichen Erzeugnisse nur geringfügig beeinträchtigt." 685 Dabei ist der Gesamtzusammenhang der Vereinbarung zu berücksichtigen. 686 Bei konsequenter Anwendung des Spürbarkeitskriteriums würden sogar solche Vereinbarungstypen aus dem Tatbestand von Art. 81 Abs. 1 EGV herausfallen, die - wie z.B. Preisabsprachen oder die Vereinbarung absoluten Gebietsschutzes - als besonders gefährlich anzusehen sind, im einzelnen Fall aber nur minimale Auswirkungen haben. Der Zur Wettbewerbseröffnungstheorie s. bereits oben S. 329 und unten S. 387 ff. H. Ullrich, in I/M EG-Wettbewerbsrecht, Bd. I, 1997, S. 1226 f. Rdnr. 19. 683 S. o. S. 353 f. 684 EuGH, 30.6.1966, LTM/Maschinenbau Ulm, Rs.56/65, Slg. 1966, 281 (306) (dem Begriff nach); EuGH, 9.7.1969, Völk/Vervaecke, Rs.5/69, Slg. 1969, 295 (302 Tz. 7) (der Sache nach). In „Völk/Vervaecke" bezieht der Gerichtshof die Spürbarkeitsprüfung nicht allein auf die Wettbewerbsbeschränkung, sondern auch auf die Zwischenstaatlichkeitsklausel (so z.B. auch in EuGH, 10.12.1985, NSO/Kommission, Rs. 260/82, Slg. 1985,3801, 3827 Tz. 55); allgemein hierzu s. H.-G. Koppensteiner, Österreichisches und europäisches Wettbewerbsrecht, 3. Aufl. 1997, §16 Rdnr. 38 ff., S. 310 ff. Im Schrifttum steht demgegenüber der Zusammenhang von Spürbarkeit und Wettbewerbsbeschränkung im Vordergrund. Hier sind die Konsequenzen des Spürbarkeitserfordernisses in der Tat schwerwiegender: Während für die Zwischenstaatlichkeitsklausel die Eignung zur Beeinträchtigung des zwischenstaatlichen Handels ausreicht, wurden aus dem Erfordernis der Spürbarkeit der Wettbewerbsbeschränkung quantitative Vorgaben abgeleitet; s. hierzu sogleich im Text. 681 682
„Völk/Vervaecke" Slg. 1969, S. 302 Tz. 7. EuGH, 10.12.1985, NSO/Kommission, Rs.260/82, Slg. 1985, 3801 (3824 Tz.46). HG. Koppensteiner, (§ 16 Rdnr. 41, S. 312) siedelt auch den Markterschließungsgedanken bei der Spürbarkeit an. Die Markterschließungslehre behandelt aber bereits die vorgelagerte Frage, ob überhaupt eine Wettbewerbsbeschränkung vorliegt, oder ob diese wegen der Erschließung eines neuen Markts zu verneinen ist. Der Markterschließungsgedanke wird deshalb gesondert behandelt (unten S. 387 ff.). 685 686
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G e r i c h t s h o f hat das Spürbarkeitskriterium zunächst in derart konsequenter Weise angewendet. 6 8 7 Dagegen ist einzuwenden, dass Teil des G e s a m t z u s a m menhangs auch der Typus der Vereinbarung ist. Ist dieser Typus besonders wettbewerbsschädlich, kann die Spürbarkeit nicht verneint werden. 6 8 8 (1) Bagatellbekanntmachung der K o m m i s s i o n von 1997 F ü r die Konkretisierung des Spürbarkeitserfordernisses in der Praxis hat die Bagatellbekanntmachung der K o m m i s s i o n große Bedeutung erlangt. 6 8 9 D i e B e kanntmachung enthält nicht nur qualitative, sondern auch quantitative K r i t e rien, die es den betroffenen U n t e r n e h m e n ermöglichen sollen, selbst zu beurteilen, o b die von ihnen geschlossenen Vereinbarungen 6 9 0 unter A r t . 81 Abs. 1 E G V fallen. D i e Bagatellbekanntmachung von 1997 differenziert hierbei im Gegensatz zur Vorgängerbekanntmachung v o n 1986 nach horizontalen und vertikalen Vereinbarungen. 6 9 1
Absolute U m s a t z g r e n z e n , jenseits derer die
Spürbarkeit automatisch bejaht wird, enthält die neue B e k a n n t m a c h u n g nicht mehr. 6 9 2 a ) Marktanteile I m einzelnen gilt folgendes: Vereinbarungen zwischen U n t e r n e h m e n derselben P r o d u k t i o n s - oder Handelsstufe ( „ h o r i z o n t a l e " Vereinbarungen) fallen nicht unter das V e r b o t des Art. 81 Abs. 1 E G V , wenn die an der Vereinbarung beteiligten U n t e r n e h m e n zusammen einen Marktanteil von nicht mehr als 5 % auf dem relevanten M a r k t haben. Bei Vereinbarungen zwischen U n t e r n e h m e n verschiedener Wirtschaftsstufen („vertikalen" Vereinbarungen) gilt dies bis zu einem Marktanteil von 10 % . 6 9 3 I m Falle gemischter Vereinbarungen, oder wenn EuGH, 9.7.1969, Völk/Vervaecke, Rs. 5/69, Slg. 1969, 295 (302 Tz. 7). S. dazu unten S.371 f. V. Emmerich (in I/M EG-Wettbewerbsrecht, Bd. I, 1997, S. 176 Rdnr. 205) zweifelt, ob der Gerichtshof an der „Völk/Vervaecke"-Rechtsprechung heute noch festhalten würde. 689 Bekanntmachung der Kommission über Vereinbarungen von geringer Bedeutung, die nicht unter Artikel 85 Absatz 1 des Vertrags zur Gründung der Gemeinschaft fallen (ABl. 1997 C 372/13 v. 9.12.1997); zur 1994 geänderten Vorgängerbekanntmachung von 1986 s. M. Broberg, The De Minimis Notice, E L R 1995, 371 ff. 690 Gem. Ziffer I (6) der Bekanntmachung werden auch Beschlüsse von Unternehmensvereinigungen und abgestimmte Verhaltensweisen erfasst. 691 Vgl. Europäische Kommission, X X V I I . Bericht über die Wettbewerbspolitik 1997,1998, Tz. 37: „Diese Unterscheidung zwischen horizontalen und vertikalen Vereinbarungen, d.h. die Heraufsetzung der Marktanteilsschwelle bei den vertikalen Vereinbarungen, stützt sich auf die Annahme, daß sich eine wettbewerbswidrige Verhaltensweise innerhalb einer vertikalen Beziehung minder schwer auf die Märkte auswirkt als im Rahmen einer horizontalen Vereinbarung." 692 Die Vorgängerbekanntmachung war nur anwendbar, wenn der Jahresumsatz der beteiligten Unternehmen 300 Millionen E C U (bis 1994: 200 Millionen E C U ) nicht überstieg. 693 S. demgegenüber die US Licensing Guidelines von 1995, die innerhalb eines safe harbour von 20 % i.d.R. keinen Kartellrechtsverstoß annehmen, s.o. S. 68 f. 687 688
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die Einstufung als horizontal oder vertikal Schwierigkeiten bereitet, ist die Schwelle von 5 % maßgebend. 694 ß) Vertragstypen Die Bagatellbekanntmachung gilt nicht für Verhaltensweisen, die als besonders gefährlich eingestuft werden. Dazu zählen im horizontalen Bereich die klassischen Kartelle, durch die Preise festgesetzt, die Erzeugung oder der Absatz eingeschränkt, bzw. Märkte oder Versorgungsquellen aufgeteilt werden. Das gleiche gilt für vertikale Vereinbarungen über die Preisbindung zweiter Hand oder über den Gebietsschutz. 695 y) Kleine und Mittlere Unternehmen Für kleine und mittlere Unternehmen 6 9 6 enthält die Bagatellbekanntmachung besondere Regeln in Abschnitt III. Unabhängig von Marktanteilswerten werden Vereinbarungen zwischen kleinen und mittleren Unternehmen pauschal dem Verbot des Art. 81 Abs. 1 EGV entzogen. Selbst wenn die Voraussetzungen des Kartellverbots im Einzelfall vorliegen, verneint die Kommission in Ziffer III (19) ein ausreichendes Interesse der Gemeinschaft, so dass sie weder auf Antrag noch von Amts wegen ein Verfahren einleiten wird. Dies gilt ausdrücklich auch für den Fall, dass die für Großunternehmen geltenden Marktanteilsschwellen überschritten werden. Eine Ausnahme hiervon für besonders gefährliche Absprachen ist in der Bagatellbekanntmachung nicht enthalten. 6) Stellenwert der Bekanntmachung Den genannten Schwellenwerten kommt keine abschließende Wirkung zu. 697 Dies ergibt sich schon daraus, dass eine Kommissionsbekanntmachung keine authentische Auslegung einer primärrechtlichen N o r m vornehmen kann. Weder die Gerichte der Mitgliedstaaten noch der Europäische Gerichtshof sind bei der Auslegung von Art. 81 Abs. 1 EGV an die Bekanntmachung gebunden. 698 Auch für das nationale Zivilrecht (z.B. die Frage der Nichtigkeit der Vereinba694 Ziffer II (9) der Bekanntmachung. Laut Kommissionsvorschlag vom Mai 2001 sollen die Marktanteilsschwellen heraufgesetzt werden auf 10 % für horizontale und auf 15 % für vertikale Vereinbarungen, s. Europäische Kommission, Entwurf einer Bekanntmachung über Vereinbarungen von geringer Bedeutung, die den Wettbewerb gemäß Artikel 81 Absatz 1 des Vertrags zur Gründung der Europäischen Gemeinschaft nicht spürbar beschränken (De-minimis-Vereinbarungen), ABl. 2001 C 149/18. 695 Ziffer II (11) der Bekanntmachung; werden die genannten Marktanteils werte nicht überschritten, überlässt die Kommission aber in erster Linie den Behörden und Gerichten der Mitgliedstaaten die Befassung mit den genannten Vereinbarungen. 696 Eine quantifizierte Begriffsbestimmung findet sich in Art. 1 des Anhangs zur Kommissionsempfehlung 96/280/EG vom 3. April 1996 betreffend die Definition der kleinen und mittleren Unternehmen (ABl. L 107/4). 697 Vgl. Ziffer I (3) der Bekanntmachung. 698 S. Ziffer I (7) der Bekanntmachung. Die Bekanntmachung dient denn auch weniger der
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rung) ist nicht die Bekanntmachung, sondern allein die autonome Auslegung von Art. 81 Abs. 1 EGV maßgeblich. 6 9 9 Unter der Bagatellbekanntmachung von 1986 gab es zahlreiche Fälle, in denen trotz Unterschreitens der Schwellenwerte eine spürbare Wettbewerbsbeschränkung bejaht wurde; umgekehrt wurde in anderen Fällen trotz Überschreitens der Schwellen die Spürbarkeit verneint. 7 0 0 Außerdem besteht eine generelle Ausnahme in Form der „Bündeltheorie": Ist die betreffende Vereinbarung Teil eines umfassenden Systems paralleler Vereinbarungen, durch das die nachteiligen Wirkungen potenziert werden, findet die Bekanntmachung keine Anwendung. 7 0 1 Entscheidend ist also eine Gesamtbetrachtung aller betroffenen Märkte. Allerdings führt die Bekanntmachung zu einer Selbstbindung der Verwaltung: Die Kommission kann für ein Verhalten, das die genannten Schwellen nicht überschreitet, aber dennoch als spürbare Wettbewerbsbeschränkung einzustufen ist, keine Geldbuße anordnen. Die Untersagung des betreffenden Verhaltens mit Wirkung für die Zukunft ist hierdurch nicht ausgeschlossen. 7 0 2 (2) Reichweite des Spürbarkeitskriteriums Das Kriterium der Spürbarkeit schränkt die Reichweite von Art. 81 Abs. 1 EGV ein. In der Bagatellbekanntmachung von 1986 wurde weder nach dem Typus der betreffenden Verhaltensweise noch nach bestimmten Wirtschaftssektoren unterschieden. Während die sektorübergreifende Anwendbarkeit des Spürbarkeitskriteriums keine Schwierigkeiten bereitet, ist die strenge A n w e n dung von Schwellenwerten auf jede Art von Wettbewerbsbeschränkung bedenklich. Bei konsequenter Anwendung wären sogar schwerste Kartellrechtsverstöße der Anwendung von Art. 81 Abs. 1 EGV entzogen, wenn nur der jeweilige Marktanteilswert unterschritten wird. Eine solche pauschale Herausnahme kartellrechtlicher Todsünden aus dem Anwendungsbereich des europäischen Kartellrechts kann nicht Sinn einer Bagatellbekanntmachung sein, auch wenn aufgrund der geringen Marktanteile der beteiligten Unternehmen nur begrenzte Wirkungen solcher Absprachen zu erwarten sind. Die Bagatellbekanntmachung von 1997 hat zu Recht in Ziffer II Rechtssicherheit als der Entlastung der Kommission: D i e Zahl der A n t r ä g e auf Negativattest oder Freistellung soll reduziert w e r d e n , s. hierzu Ziffer I (4) der B e k a n n t m a c h u n g . 699 J. Fritzsche, „ N o t w e n d i g e " W e t t b e w e r b s b e s c h r ä n k u n g e n im Spannungsfeld von Verbot u n d Freistellung nach Art. 85 EGV, Z H R 160 (1996) 31 (37). Zu den S c h w i e r i g k e i t e n nationalen Zivilrechts mit der Spürbarkeitslehre insbesondere in Verbindung mit der B ü n d e l t h e o r i e s. auch Bunte!Sauter, E G - G r u p p e n f r e i s t e l l u n g s v e r o r d n u n g e n , 1988, E i n f ü h r u n g S. 161 Rdnr. 19, S. 277 ff. Rdnr. 13 ff. 7 0 0 N a c h w e i s e bei H.-G. Koppensteiner (oben Fn. 684), § 16 Rdnr. 41, S. 311 f. Gesichtsp u n k t e f ü r eine a b w e i c h e n d e B e u r t e i l u n g sind z.B. relative M a r k t s t ä r k e , Expansionsprognose oder A u s w i r k u n g auf den innergemeinschaftlichen H a n d e l . 701 S. hierzu Ziffern II (18) u n d III (20 b) der B e k a n n t m a c h u n g . Zur „ B ü n d e l t h e o r i e " s. unten S. 374 ff. 702 Vgl. Ziffer I (5) der B e k a n n t m a c h u n g .
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(11) für besonders schwere Verstöße eine Änderung gebracht. Es bleibt deshalb festzuhalten, dass Marktanteilsschwellen bei der Frage der Spürbarkeit nicht verabsolutiert werden dürfen, sondern der Typus der Vereinbarung daneben zu berücksichtigen ist: Je gravierender die Art der Wettbewerbsbeschränkung ist, desto eher ist die Spürbarkeit trotz Unterschreitens der Schwellenwerte zu bejahen. 7 0 3 (3) Spürbarkeit auf dem Gebiet des geistigen Eigentums Da das Spürbarkeitskriterium nicht nach Sektoren unterscheidet, ist es auch im Bereich des geistigen Eigentums uneingeschränkt anwendbar, und zwar sowohl auf horizontale als auch auf vertikale Beschränkungen. Ist die Spürbarkeit einer bestimmten Vereinbarung - z.B. aufgrund der Schwellenwerte - zu verneinen, und besteht kein Grund zu einer abweichenden Beurteilung, ist die Vereinbarung dem Verbot des Art. 81 Abs. 1 EGV entzogen. Eine abweichende Beurteilung ist nach den obigen Ausführungen insbesondere dann geboten, wenn der Typus der betreffenden Wettbewerbsbeschränkung besonders gefährlich ist. Werden z.B. in Vereinbarungen über Rechte des geistigen Eigentums Preisabsprachen getroffen, ist die Spürbarkeit der Wettbewerbsbeschränkung in der Regel zu bejahen. Das gleiche gilt für Vereinbarungen, die als ähnlich schwerwiegend zu beurteilen sind. Eine abschließende Aufzählung ähnlich schwerwiegender Verhaltensweisen bereitet Schwierigkeiten. Zumindest zur Orientierung kann die „schwarze Liste" in Art. 3 der GFVO Technologietransfer herangezogen werden. 7 0 4 Im Rahmen der Gruppenfreistellung kommt der schwarzen Liste die Funktion zu, eine im Prinzip mögliche Freistellungswirkung wieder entfallen zu lassen, wenn eine der in Art. 3 aufgelisteten, als besonders gefährlich angesehenen Vereinbarungen getroffen wurde. Die Heranziehung der schwarzen Liste im Rahmen der Spürbarkeitsprüfung kann mit einem argumentum a maiore ad minus be703 V Emmerich (Kartellrecht, 7. Aufl. 1994, S. 531) nennt als Beispiel für gefährliche Wettbewerbsbeschränkungen, die sich gegenüber den Schwellenwerten durchsetzen, die Preisabsprachen sowie Vereinbarungen über die Entwicklung neuer Produkte oder über den Austausch von Know-how. 704 Anderer Auffassung ist allerdings der EuGH. Er vertritt in ständiger Rechtsprechung den Standpunkt, dass die Spürbarkeit auch bei Vereinbarung absoluten Gebietsschutzes zu verneinen sein kann, wenn die schwache Stellung der Beteiligten nur eine geringfügige Beeinträchtigung des relevanten Markts bewirkt, s. z.B. EuGH, 9.7.1969, Völk/Vervaecke, Rs.5/69, Slg. 1969,295 (302 Tz. 7); EuGH, 6.5.1971, Cadillon/Höss, Rs.1/71, Slg. 1971, 351, (356 Tz. 7/ 10); EuGH, 7.6.1983, Musique Diffusion Fran$aise/Kommission, Verb. Rs. 100-103/80, Slg. 1983, 1825, (1900 Tz. 85); EuG, 14.7.1994, Parker Pen/Kommission, Rs.T-77/92, Slg. 1994, II549, (11-564 Tz. 39). Es ist allerdings nicht einzusehen, warum die Verabredung schwerster Wettbewerbsverstöße über den Umweg der Spürbarkeit sanktionslos bleiben sollte. Zumindest im Bereich der besonders schwerwiegenden Verstöße ist Platz für eine kartellrechtliche „RentabilitätsVermutung": Sprechen Unternehmen Preise ab, oder vereinbaren sie absoluten Gebietsschutz, so werden sie dabei von einer spürbaren Wirkung ausgegangen sein.
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gründet werden: Wenn die Klauseln der schwarzen Liste schon einer Freistellung nach Art. 81 Abs. 3 E G V im Wege stehen, dann darf bei Vorliegen einer schwarzen Klausel nicht schon die vorgelagerte Frage der Spürbarkeit der Wettbewerbsbeschränkung, also der Tatbestand von Art. 81 Abs. 1 E G V verneint werden. 7 0 5 Dies hat zur Folge, dass bei Vorliegen einer der in Art. 3 Nr. 1 G F V O Technologietransfer genannten Klauseln die Spürbarkeit der Wettbewerbsbeschränkung auch dann nicht mehr ausgeschlossen werden darf, wenn die Schwellenwerte der Bagatellbekanntmachung nicht überschritten wurden. Art. 3 G F V O Technologietransfer erfasst neben den Preisabsprachen (Nr. 1) die Wettbewerbsverbote (Nr. 2), die Verhinderung von Parallel- oder Reimporten (Nr. 3), die Kundenaufteilung (Nr. 4), Mengenbeschränkungen (Nr. 5), Pflichten zur Übertragung von Verbesserungserfindungen (Nr. 6) 7 0 6 sowie Längstlaufklauseln (Nr. 7). Die Heranziehung der schwarzen Klauseln veranschaulicht den Begriff der gefährlichen Wettbewerbsbeschränkung, die nicht mangels Spürbarkeit dem Tatbestand von Art. 81 Abs. 1 E G V entzogen werden kann. Die Orientierung an der schwarzen Liste hat den Vorteil, einen klaren Maßstab für das Kriterium der Gefährlichkeit einer wettbewerbsbeschränkenden Vereinbarung zu liefern. Abschließende Wirkung kommt der schwarzen Liste schon deshalb nicht zu, weil sie im Hinblick auf den Anwendungsbereich der G r u p penfreistellung, also im Hinblick auf Patentlizenz- und Know-how-Vereinbarungen konzipiert wurde, und dementsprechend inhaltlich verengt ist. Die Liste erfasst z.B. nicht den Problemkreis der horizontalen Wettbewerbsbeschränkungen. 7 0 7 Hilft die Orientierung an der schwarzen Liste der G F V O 705 A.A. allerdings der Gerichtshof, der von dem (zweifellos zutreffenden) Grundsatz ausgeht, dass Sekundärrecht die Auslegung von Primärrecht nicht beeinflussen kann, s. hierzu bereits E u G H , 13.7.1966, Italien/Rat u. Kommission, Rs.32/65, Slg. 1966, 457 (483). Der Gerichtshof hat diesen Ausgangspunkt allerdings bis zur Annahme völliger Irrelevanz von Gruppenfreistellungsverordnungen für die Auslegung von Art. 81 E G V vorangetrieben: „Nach alledem enthält eine Gruppenfreistellung auch nicht mittelbar ein Urteil darüber, ob eine bestimmte einzelne Vereinbarung unter das Verbot fällt oder nicht." (ebenda). So weit wird man dem Gerichtshof nicht folgen müssen. Wie er selber ausführt, ist eine Gruppenfreistellung nur für solche Vereinbarungen sinnvoll (und rechtmäßig), die in der Regel unter Art. 81 Abs. 1 E G V fallen. Außerdem beziehen sich die Ausführungen des Gerichtshofs ersichtlich auf die Listen der freigestellten Vereinbarungen, nicht dagegen auf die „schwarzen Listen" mit den gefährlichen Klauseln, die einer (Gruppen-)Freistellung von vornherein im Wege stehen. Kritisch zum Gerichtshof R. Joliet, The Rule of Reason in Antitrust Law, 1967, S. 178 f: Es sei nicht ersichtlich, warum einer Gruppenfreistellung nicht implizit entnommen werden könne, dass die freigestellten Vereinbarungen in der Regel dem Verbot des Art. 81 Abs. 1 unterfielen. Zur Regelungstechnik bloß vorsorglicher Freistellungen s. Th. Ackermann, Art. 85 Abs. 1 E G V und die rule of reason, 1997, S. 122 ff. 706 Im Gegensatz zur erlaubten Verpflichtung zur nicht-ausschließlichen und reziproken Lizenzierung von Verbesserungserfindungen, s. dazu Art. 2 Abs. 1 Nr. 4 G F V O Technologietransfer. 707 Auf horizontale Wettbewerbsbeschränkungen ist die Gruppenfreistellungsverordnung nicht anwendbar, s. Art. 5 Nr. 1, 2 und 3 G F V O Technologietransfer.
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Recht
Technologietransfer nicht weiter, ist somit jeweils im Einzelfall zu prüfen, ob eine Vereinbarung aufgrund ihrer besonderen Gefährlichkeit einen spürbaren Einfluss auf den Wettbewerb hat, o b w o h l die Schwellenwerte der Bagatellbekanntmachung unterschritten wurden. (4) Bündeltheorie A u c h wenn die Schwellenwerte der Bagatellbekanntmachung nicht überschritten w u r d e n und auch die Art der Vereinbarung keinen Anlass zu Bedenken gibt, kann die Spürbarkeit der Wettbewerbsbeschränkung aufgrund der Bündeltheorie zu bejahen sein. 708 a) Grundlagen Die Bündeltheorie w u r d e v o m Gerichtshof am Beispiel der Bierlieferungsverträge entwickelt und bezieht sich nach der Leitentscheidung „Brasserie de Haecht I" 7 0 9 sowohl auf das Merkmal der Wettbewerbsbeschränkung als auch auf die Zwischenstaatlichkeitsklausel. 7 1 0 Das Vorliegen einer Wettbewerbsbeschränkung muss nach der Bündeltheorie im Kontext paralleler Vereinbarungen auf dem relevanten Markt beurteilt werden. 7 1 1 Die Frage, ob v o n einer Vereinbarung eine wettbewerbsbeschränkende W i r k u n g ausgeht, darf nicht isoliert v o m rechtlichen und wirtschaftlichen Gesamtzusammenhang beurteilt werden. Ist die betreffende Vereinbarung Teil eines Systems gleichartiger Verträge, so ist auf den Gesamteffekt dieses Systems abzustellen. 7 1 2
708 Zur Bündeltheorie gelangt man also erst dann, wenn die isolierte Betrachtung der betreffenden Vereinbarung zu einer Verneinung der Spürbarkeit führt. Kommt die isolierte Betrachtung hingegen zu dem Ergebnis, dass bereits von den in Frage stehenden Vereinbarungen eine spürbare Wirkung ausgeht, bedarf es der Bündeltheorie nicht. Vgl. die Entscheidung der Kommission 93/405/EWG vom 23.12.1992 („Schöller-Eis", IV/31.533 und IV/34.072), ABl. 1993 L 183/1 (12 Tz. 106): „Nur wenn das Netz der gleichartigen Verträge des Unternehmens, dessen Verträge der wettbewerbsrechtlichen Prüfung unterliegen, nicht bereits selbst die Voraussetzung der Spürbarkeit erfüllt, ist gemäß der angeführten Rechtsprechung auf die kumulativen Wirkungen nebeneinanderbestehender Netze zurückzugreifen." 709 EuGH, 12.12.1967, „Brasserie de Haecht I", Rs.23/67, Slg. 1967, 543. 710 Eingehend hierzu U. Bühler, Die Beurteilung deutscher Bierlieferungsverträge nach Art. 85 Abs. 1 EWG-Vertrag, 1993. 711 EuGH, 12.12.1967, „Brasserie de Haecht I", Rs.23/67, Slg. 1967, 543 (555 f.); hier wird auch der Begriff des „Bündels" gleichartiger Wirkungen verwendet. 712 Die „Bündeltheorie" ist zu unterscheiden vom Konzept der „Sternverträge": Von Sternverträgen ist dann die Rede, wenn verschiedene Unternehmen mit demselben Partnerunternehmen gleichartige Verträge im Vertikalverhältnis abschließen, die den Rückschluss auf eine horizontale Koordinierung zulassen. Die Bündeltheorie betrifft demgegenüber den Fall, dass eine horizontale Koordinierung nicht (notwendigerweise) vorliegt, ein System nebeneinanderbestehender Netze gleichartiger Vereinbarungen aber trotzdem bewirkt, dass der einzelnen Vereinbarung der spürbare Einfluss auf den Wettbewerb nicht mehr abgesprochen werden kann.
C. Immaterialgüterschutz
und europäisches
Kartellrecht
375
ß) „Delimitis" In der Entscheidung „Delimitis" 7 1 3 hat der Gerichtshof die Bündeltheorie präzisiert und die Voraussetzungen für ihre Anwendung verschärft. Das Vorliegen eines Bündels gleichartiger Vereinbarungen ist danach zwar notwendige Bedingung, nicht aber auch hinreichendes Kriterium, um den Tatbestand von Art. 81 Abs. 1 EGV zu bejahen. Zusätzlich ist die Prüfung der Frage geboten, ob ein Bündel gleichartiger Vereinbarungen im Einzelfall tatsächlich zu hohen Marktzutrittsschranken führt. Ist das der Fall, ist in einem zweiten Schritt der Nachweis zu erbringen, dass die fragliche Vereinbarung „in erheblichem Maße" einen eigenen Beitrag zur Beschränkung des Marktzugangs leistet. Dieser Beitrag hängt von der Stellung der Vertragspartner auf dem relevanten Markt und von der Vertragsdauer ab. 714 y) Bagatellbekanntmachung In der Bagatellbekanntmachung der Kommission 7 1 5 w i r d die Bündeltheorie zur Anwendungsvoraussetzung gemacht. Nach Ziffer II (18) findet die Bekanntmachung keine Anwendung, „wenn der Wettbewerb auf dem relevanten Markt durch die kumulativen Auswirkungen nebeneinander bestehender Netze gleichartiger Vereinbarungen beschränkt wird, die von mehreren Herstellern oder Händlern errichtet worden sind." Diese knappe Umschreibung wird man nach Erlass der „Delimitis"-Entscheidung um die dort gemachten zusätzlichen Voraussetzungen (hohe Marktzutrittsschranken; erheblicher Beitrag der in Frage stehenden Vereinbarung zur Errichtung dieser Schranken) zu ergänzen haben. ö) Anwendung der Bündeltheorie auf das Recht des geistigen Eigentums Die Bündeltheorie wurde zwar am Beispiel der Bierlieferungsverträge entwickelt. Sie ist aber sektorübergreifend überall dort anwendbar, w o das Phänomen netzartiger und marktumfassender Parallelvereinbarungen besteht. Damit ist die Bündeltheorie auch für Verträge auf dem Gebiet des geistigen Eigentums von Bedeutung. Geht von einem solchen Vertrag zwar kein spürbarer Einfluss auf die Wettbewerbsverhältnisse aus, wird der Zutritt zum Markt aber durch ein System gleichartiger Verträge beschränkt, und kommt dem fraglichen Vertrag hierbei ein erheblicher Einfluss i.S. der „Delimitis"-Entscheidung zu, ist Spürbarkeit zu bejahen. So hat die Kommission in der „Rosen"-Entscheidung die Bündeltheorie auf Lizenzverträge über Sortenschutzrechte angewandt. 7 1 6 Gegenstand der EntEuGH, 28.2.1991, Delimitis, C-234/89, Slg. 1991,1-935. „Delimitis" Slg. 1991,1-935 (1-986 Tz. 24 ff.). 715 Oben Fn. 689. 716 Entscheidung 85/561/EWG der Kommission vom 13. Dezember 1985 (IV/30.017 Sortenschutzrecht: Rosen), ABl. L 369/9. 713
714
376
4. Teil: Europäisches
Recht
Scheidung war ein „Schnittblumen-Unterlizenzvertrag" über Rosensorten, der dem Lizenznehmer Nutzungsrechte beschränkt auf die Erzeugung von Schnittblumen und deren Verkauf im Groß- und Einzelhandel einräumte. Der Vertrag enthielt eine Nichtangriffs- und eine Rückgewährklausel: Der Lizenznehmer verpflichtete sich, die Schutzrechte des Rosenzüchters nicht anzufechten. Dem Lizenzgeber wurden die Rechte an während der Lizenzdauer auftretenden Rosenmutationen eingeräumt. Die Kommission stellte aufgrund dieser beiden Lizenzklauseln eine Wettbewerbsbeschränkung i.S. von Art. 81 Abs. 1 E G V fest und bejahte die Spürbarkeit unter Heranziehung der Bündeltheorie: Da in den Mitgliedstaaten tausende solcher Lizenzverträge über Sorten bestünden, führe ihre kumulative Wirkung zu einer erheblichen Beschränkung des Wettbewerbs auf dem Markt für die durch Mutation gewonnenen Sorten. 7 1 7 Mit dieser Feststellung könnte es heute - nach Erlass der „Delimitis"-Entscheidung - nicht sein Bewenden haben. Zusätzlich wäre der Nachweis zu erbringen, dass auf dem relevanten Markt bedeutende Marktzutrittsschranken bestehen, und dass der betrachtete Vertrag in erheblichem Maß hierzu beiträgt. Entsprechendes gilt für die Entscheidung „Erauw-Jacquery". 7 1 8 Ebenfalls am Beispiel eines Lizenzvertrags über Sortenschutzrechte stellte der G e richtshof (für das Vorliegen der Zwischenstaatlichkeitsklausel) u.a. darauf ab, ob die im Streit stehende Vereinbarung „Teil eines Bündels ähnlicher Vereinbarungen zwischen dem Inhaber des Sortenschutzrechts und anderen Lizenznehmern ist". 7 1 9 i) Schutzwürdiger
Wettbewerb
Art. 81 E G V schützt den Wettbewerb in denkbar weitestem Sinn. Der Wettbewerb wird auf allen Wirtschaftsstufen und in allen Erscheinungsformen erfasst. 7 2 0 Von diesem Grundsatz gibt es Ausnahmen, deren Konturen mehr oder weniger scharf sind.
717 Kommission (oben Fn. 716), S. 16 Tz. 24: Die Spürbarkeit der festgestellten Beschränkungen ergebe sich „aus der kumulativen Wirkung der in Frankreich und in den anderen Mitgliedstaaten bestehenden tausenden von ähnlichen Verträgen, die für jede Sorte die Lizenznehmer und Unterlizenznehmer verpflichten, dem Lizenznehmer [gemeint ist wohl: „dem Lizenzgeber", Anm. d. Verf.] die entdeckten Mutationen zu überlassen und die Gültigkeit der übertragenen Schutzrechte nicht anzufechten; dies gibt diesen Beschränkungen insgesamt eine noch größere wirtschaftliche Bedeutung. Diese Beschränkungen führen dazu, daß alle von Hunderten von Lizenznehmern entdeckten Sorten allein auf den Lizenzgeber übergehen." Die Bündeltheorie wurde allerdings lediglich hilfsweise herangezogen. Zuvor wurde die Spürbarkeit schon unter dem Gesichtspunkt bejaht, dass bereits eine einzige von einem Lizenznehmer entdeckte Mutation zu einer herausragenden Stellung auf dem Markt führen könne. 7 1 8 E u G H , 19.4.1988, Rs.27/87, Erauw-Jacquery/La Hesbignonne, Slg. 1988, 1919. 7 , 9 Ebenda, Slg. 1988, 1940 Tz. 18. 7 2 0 S. oben bei Fn. 632.
C. Immaterialgüterschutz
und europäisches
Kartellrecht
377
(1) Rechtswidriger Wettbewerb Ein klarer Grundsatz besteht darin, dass rechtswidriges Verhalten nicht durch Kartellrecht geschützt wird. Treffen Unternehmen Absprachen über den Ausschluss rechtswidrigen Verhaltens, liegt folglich kein Kartellrechtsverstoß vor. Die Rechtswidrigkeit kann sich aus einem Verstoß gegen europäisches oder gegen nationales Recht ergeben, gegen letzteres selbstverständlich nur, soweit es gemeinschaftsrechtskonform ist. Für den Bereich des geistigen Eigentums bedeutet dies, dass Vereinbarungen, in denen Verstöße gegen das Immaterialgüterrecht ausgeschlossen werden, nicht unter das Verbot des Art. 81 Abs. 1 EGV fallen. 7 2 1 a ) Lauterkeitsverstöße Entsprechendes gilt für Vereinbarungen, in denen unlauteres Wettbewerbsverhalten ausgeschlossen wird. Der Ausschluss von Verhaltensweisen, die vom Lauterkeitsrecht als rechtswidrig qualifiziert werden, ist mit Kartellrecht vereinbar. 722 Besonders im Lauterkeitsrecht stellt sich aber folgendes Problem: Das Recht gegen unlauteren Wettbewerb ist im wesentlichen nationales Recht. Richtet sich der Anwendungsbereich von Art. 81 Abs. 1 EGV nach den nationalen Lauterkeitsmaßstäben, kommt es zum Konflikt mit dem Grundsatz vom Vorrang des Gemeinschaftsrechts. 7 2 3 Der nationale Gesetzgeber hätte es in der Hand, bestimmte Wettbewerbspraktiken durch die Qualifizierung als unlauter dem europäischen Kartellverbot zu entziehen. Dieser Konflikt kann nur durch eine besonders sorgfältige Prüfung nationalen Lauterkeitsrechts am Maßstab des Gemeinschaftsrechts, insbesondere der Grundfreiheiten aufgelöst werden. V. Emmerich, in I/M EG-Wettbewerbsrecht, Bd. I, 1997, S. 170 Rdnr. 180. Schon im vierten Absatz der Präambel zum EG-Vertrag wird betont, dass nur die Gewährleistung des „redlichen Wettbewerbs" Ziel des Vertrages ist. 723 Außerdem stellt sich das Problem, wie im Falle unterschiedlicher nationaler Schutzstandards zu entscheiden ist. Wenn Unternehmen untereinander die jeweils strengsten nationalen Lauterkeitsmaßstäbe anlegen dürften, käme es zur denkbar weitesten Einschränkung des Anwendungsbereichs von Art. 81 Abs. 1 EGV. Die Kommission zeigte sich in der ersten „IFTRA"-Entscheidung (74/292/EWG v. 15.5.1974, „IFTRA-Verpackungsglas" IV/400, ABl. L 160/1, 11 Tz. 33) skeptisch gegenüber einem solchen Standpunkt: „Wegen der zum Teil wesentlichen Unterschiede zwischen den Rechten der einzelnen Mitgliedstaaten über die Bekämpfung des unlauteren Wettbewerbs und den Schutz der Verbraucher ist die Auswahl bestimmter Regeln zum Zweck der gemeinsamen Einführung durch Unternehmen mehrerer Länder zwangsläufig willkürlich. Eine Vereinbarung über die Einhaltung solcher Regeln kann somit dazu führen, daß die beteiligten Unternehmen in ihrem eigenen Land oder in den Ländern, in die sie exportieren, strengere als die in diesen Ländern geltenden Normen anwenden." S. auch Kommission, Entscheidung 75/497/EWG vom 15.7.1975, „IFTRA-Hüttenaluminium" IV/27.000, ABl. L 228/3. Skeptisch auch V. Emmerich, in I/M EG-Wettbewerbsrecht, Bd. I, 1997, S. 170 Rdnr. 182. Emmerich fordert die Herstellung praktischer Konkordanz zwischen den Wettbewerbsregeln und den nationalen Vorschriften zum Schutz des lauteren Wettbewerbs (ebenda, S. 171 Rdnr. 185). 721
722
378
4. Teil: Europäisches
Recht
ß) „Dansk Supermarket" Ein Beispiel für die Vorgehensweise des Gerichtshofs ist die Vorabentscheidung in der Rechtssache „Dansk Supermarket/Imerco". 7 2 4 Im Mittelpunkt des Verfahrens stand eine Vorschrift des dänischen Rechts, die sich gegen Verstöße gegen die guten Handelssitten wendet. Diese Vorschrift wurde von der Klägerin des Ausgangsverfahrens 725 gegen Importe von Waren geltend gemacht, die aufgrund einer vertraglichen Vereinbarung zwischen der Klägerin und dem in Großbritannien beheimateten Produzenten nicht nach Dänemark importiert werden durften. Der Beklagten des Ausgangsverfahrens war es gelungen, von der Vereinbarung betroffene Erzeugnisse zu erwerben und nach Dänemark einzuführen. Der Gerichtshof stellte zunächst fest, dass gewerbliche Schutzrechte mit dem Inverkehrbringen in Großbritannien erschöpft waren, da die Klägerin hierzu ihre Zustimmung erteilt hatte. 726 Das Recht zum Schutz der guten Handelssitten sei demgegenüber im Prinzip zwar auf den Import von Waren aus anderen Mitgliedstaaten anwendbar. Die bloße Einfuhr einer Ware, die in einem anderen Mitgliedstaat rechtmäßig in den Verkehr gebracht worden sei, dürfe aber nicht als unzulässige oder unlautere Handelspraxis angesehen werden. Die Qualifizierung als unlautere Handelspraxis dürfe nur aufgrund von Umständen erfolgen, „die von der eigentlichen Einfuhr unabhängig sind". 727 y) Anforderungen an die nationale Lauterkeitsgesetzgebung Für die nationale Gesetzgebung zum Schutz des lauteren Wettbewerbs ergeben sich dadurch folgende Vorgaben: Im Prinzip ist eine solche Gesetzgebung auch auf den Handel zwischen Mitgliedstaaten anwendbar. Der zwischenstaatliche Handel darf aber nur dann beschränkt werden, wenn es zum Schutz des lauteren Wettbewerbs notwendig ist. Die Anwendung der Art. 28ff. EGV führt also zu einer strengen Verhältnismäßigkeitsprüfung. Nationale Maßnahmen dürfen nicht über das hinausgehen, was zum Schutz des lauteren Wettbewerbs unerlässlich ist. 728 Enthält das nationale Lauterkeitsrecht Generalklauseln, sind die geschilderten Grundsätze im Rahmen der gemeinschaftsrechtskonformen Auslegung nationalen Rechts zu berücksichtigen. Absprachen zwischen Unternehmen zur Ausschaltung unlauteren Wettbewerbs sind folglich nur insoweit mit Art. 81 Abs. 1 EGV vereinbar, als sie sich im Rahmen des derart auf seine Unerlässlichkeit überprüften nationalen Lauterkeitsrechts halten.
724
E u G H , 22.1.1981, Dansk Supermarked/Imerco, Rs.58/80, Slg. 1981, 181. Die hier Klägerin und Beklagte genannten Parteien waren vor dem vorlegenden Gericht Berufungsbeklagte, bzw. Berufungsklägerin. 726 Ebenda, Slg. 1981, 194 Tz. 12. 727 Ebenda, Slg. 1981, 195 Tz. 16. 728 Langen/Bunte, KartR, 9. Aufl. 2001, Art. 81 - Generelle Prinzipien Rdnr. 48. 725
C. Immaterialgüterschutz
und europäisches
Kartellrecht
379
6) K o n s e q u e n z e n für Einzelfälle A u f d i e s e r G r u n d l a g e h a t d e r G e r i c h t s h o f eine u m f a n g r e i c h e K a s u i s t i k e n t w i k k e l t . 7 2 9 S i e ist d u r c h e i n e B e s o n d e r h e i t g e k e n n z e i c h n e t , d i e i m L a u t e r k e i t s r e c h t h ä u f i g a u f t r i t t : O f t s i n d b e s t i m m t e V e r h a l t e n s w e i s e n n i c h t p e r se u n l a u t e r , s o n dern nur dann, w e n n besondere, die Sittenwidrigkeit begründende U m s t ä n d e h i n z u t r e t e n . In d i e s e r K o n s t e l l a t i o n v e r s t ö ß t e i n e V e r e i n b a r u n g g e g e n A r t . 81 A b s . 1 EGV, w e n n die betreffende Verhaltensweise pauschal ausgeschlossen wird, ohne die besonderen U m s t ä n d e zu berücksichtigen, die das Unwerturteil b e g r ü n d e n . S o ist d i e P r e i s u n t e r b i e t u n g , i n s b e s o n d e r e a u c h d e r V e r k a u f u n t e r Einstandspreis grundsätzlich zulässig; nur zusätzliche U m s t ä n d e können die S i t t e n w i d r i g k e i t b e g r ü n d e n . 7 3 0 E i n e V e r e i n b a r u n g , in d e r U n t e r n e h m e n p a u s c h a l P r e i s u n t e r b i e t u n g e n a u s s c h l i e ß e n , k a n n n i c h t m i t d e m H i n w e i s auf L a u t e r k e i t s r e c h t g e r e c h t f e r t i g t w e r d e n , s o n d e r n v e r s t ö ß t g e g e n A r t . 81 A b s . 1 E G V . 7 3 1 D i e s gilt a u c h d a n n , w e n n d i e V e r e i n b a r u n g g e t r o f f e n w i r d , u m d e n Preisverfall aufgrund von Uberkapazitäten zu verhindern.732
729 Ausführlicher Nachweis bei Langen/Bunte, KartR, 9. Aufl. 2001, Art. 81 - Generelle Prinzipien Rdnr. 49 f.; Roth!Ackermann, Frankfurter Kommentar, Grundfragen Art. 81 Abs. 1 EG-Vertrag Rdnr. 188 ff. 730 Für das deutsche Recht Köhler/Piper, 2. Aufl. 2001, § 1 UWG Rdnr. 388. S. auch EuGH, 11.7.1989, Belasco u.a./Kommission, Rs. 246/86, Slg. 1989, 2117 (2186 Tz. 17 f.). 731 Die Kommission stellt strenge Anforderungen an die Normierung der zusätzlichen, die Sittenwidrigkeit begründenden Umstände, s. z.B. die beiden IFTRA-Entscheidungen der Europäischen Kommission vom 15.5.1974 (oben Fn. 723) und vom 15.7.1975 (oben Fn. 723). Bei der IFTRA handelt es sich um die (private) „International Fair Trade Practice Rules Administration" mit Sitz in Liechtenstein. Die IFTRA stellte umfangreiche Verhaltenskodizes auf, in denen unlautere Geschäftspraktiken aufgelistet wurden. Unternehmen beliebiger Branchen verpflichteten sich gegenseitig, die aufgelisteten Verhaltensweisen zu unterlassen. Bestandteil der IFTRA-Regeln waren auch Klauseln über die Gestaltung der Verkaufspreise. Nachdem die erste IFTRA-Entscheidung das Verbot der Preisunterbietung in Vernichtungsabsicht für unzulässig erklärt hatte, da davon auch Verkaufspreise oberhalb der Selbstkosten erfasst würden („IFTRA-Verpackungsglas" ABl. 1974, L 160/11 f. Tz. 35), erstreckte die zweite IFTRA-Entscheidung diese Aussage auch auf das Verbot des Verkaufs unter den Selbstkosten. Obwohl dieses Verbot nur den Vernichtungswettbewerb betraf und auf die „Sicherung und Förderung eines echten Leistungswettbewerbs" zielte, hielt die Kommission die Klausel für unzulässig, da hierdurch schon im Ansatz unternehmerische Initiative und störende Preisunterbietungen verhindert würden. Die Kommission fügte hinzu: „Die bloße Bezeichnung einer Vereinbarung zwischen Unternehmen als Regeln gegen den unlauteren Wettbewerb genügt nicht, die Vereinbarung von dem Anwendungsbereich des Artikels 85 Absatz 1 EWG-Vertrag auszunehmen. Im vorliegenden Fall enthält die Vereinbarung mehrere Klauseln, die Wettbewerb entweder direkt verhindern oder den Parteien Gelegenheit und Mittel zu gemeinsamem Vorgehen bei der Verhinderung normaler Wettbewerbsmethoden geben" („IFTRA-Hüttenaluminium" ABl. 1975 L 228/8). 732 EuG, 10.3.1992, Montedipe/Kommission, Rs.T-14/89, Slg. 1992, 11-1155 (11-1253 Tz. 295 f.). Anders u.U., wenn sinkender Nachfrage nicht mit Preisabsprachen, sondern mit Rationalisierung des Vertriebs begegnet wird, s. hierzu EuGH, 14.5.1975, Kali und Salz und Kali-Chemie/Kommission, Verb. Rs. 19 und 20/74, Slg. 1975, 499 (521 Tz. 14). S. dazu unten Fn. 786.
380
4. Teil: Europäisches
Recht
e) Zusammenhang von Verkehrsfreiheit und Kartellverbot Auf dem U m w e g über die Einwirkung von Art. 28 EGV auf das nationale Lauterkeitsrecht besteht also ein Zusammenhang zwischen Art. 28 und Art. 81 EGV: Je mehr Art. 28 EGV nationales Lauterkeitsrecht beschneidet, desto geringer ist der von Art. 81 EGV gewährte Spielraum für Vereinbarungen, die unlautere Verhaltensweisen ausschließen. Je weiter der Anwendungsbereich von Art. 28 EGV gezogen wird, desto weiter ist folglich der Anwendungsbereich von Art. 81 EGV. Diese Aussage gilt auch in umgekehrter Form: Wird der Anwendungsbereich von Art. 28 EGV eingeschränkt, ergibt sich für nationales Lauterkeitsrecht ein größerer Spielraum, so dass Vereinbarungen, die solche unlauteren Verhaltensweisen ausschließen, dem Verbot des Art. 81 Abs. 1 EGV entzogen sind. Das wichtigste Beispiel für eine Einschränkung des Anwendungsbereichs von Art. 28 EGV ist die „Keck"-Rechtsprechung des Gerichtshofs. 7 3 3 Durch die Ausklammerung „bestimmter Verkaufsmodalitäten" aus dem Anwendungsbereich von Art. 28 EGV wird die Kontrolldichte auch in Bezug auf das nationale Lauterkeitsrecht verringert. 7 3 4 Die Möglichkeit zum Ausschluss unlauteren Verhaltens in Ubereinstimmung mit Art. 81 Abs. 1 EGV wird damit vergrößert. Auch wenn die „Keck"-Entscheidung für größere kartellrechtliche Spielräume gesorgt hat, müssen doch ihre selbstgesteckten Grenzen beachtet werden. Die „Keck"-Formel betrifft nur die Verkaufsmodalitäten im Gegensatz zu den produktbezogenen Regeln. 7 3 5 Sie setzt außerdem voraus, dass die betreffenden Bestimmungen „den Absatz der inländischen Erzeugnisse und der Erzeugnisse aus anderen Mitgliedstaaten rechtlich wie tatsächlich in der gleichen Weise berühren." 7 3 6 Nationale Verkaufsmodalitäten, die zu einer Benachteiligung von Waren aus anderen Mitgliedstaaten führen, können also weiterhin wegen Verstoßes gegen Art. 28 EGV unanwendbar sein. Wenn man die Praxis zu Art. 81 Abs. 1 EGV in Bezug auf den vertraglichen Ausschluss unlauteren Wettbewerbsverhaltens betrachtet, 7 3 7 fällt auf, dass solche Vereinbarungen sich in der Regel auch gegen den Import aus anderen Mitgliedstaaten wenden. Die 733 EuGH, 24.11.1993, Keck und Mithouard, Verb. Rs. C-267/91 und C-268/91, Slg. 1993, 1-6097 (1-6131 Tz. 16). Aus der umfangreichen Literatur s. R. Sack, Staatliche Regelungen sogenannter „Verkaufsmodalitäten" und Art. 30 EG-Vertrag, EWS 1994, 37 ff.; W. Möschel, Kehrtwende in der Rechtsprechung des EuGH zur Warenverkehrsfreiheit, NJW 1994, 429 ff.; U. Ehricke, Das Verbot des Weiterverkaufs zum Verlustpreis und Gemeinschaftsrecht, WuW 1994,108 ff.; G. Schricker, Großkommentar UWG, 1994, Einl Rdnr. F 389 a-c. 734 Köhler/Piper, UWG, 2. Aufl. 2001, Einf. Rdnr. 69 f. Die „Keck"-Entscheidung hatte die französische Norm über den Verkauf zu Verlustpreisen zum Gegenstand. 735 Zu dieser Unterscheidung s. G. Schricker, Großkommentar UWG, 1994, Einl Rdnr. F 389 c. 736 „Keck" Slg. 1993, 1-6131 Tz. 16. 737 Nachweise bei Langen/Bunte, 9. Aufl. 2001, Art. 81 - Generelle Prinzipien Rdnr. 50.
C. Immaterialgüterschutz
und europäisches
Kartellrecht
381
„Keck"-Rechtsprechung w i r d demnach keine großen praktischen Konsequenzen für die A n w e n d u n g von Art. 81 Abs. 1 EGV haben. (2) N i c h t - s c h u t z w ü r d i g e r Wettbewerb im engeren Sinne W ä h r e n d anerkannt ist, dass rechtswidriger Wettbewerb nicht s c h u t z w ü r d i g ist u n d dessen vertraglicher Ausschluss folglich nicht unter Art. 81 Abs. 1 EGV fällt, ist unklar, ob es auch andere Formen des Wettbewerbs gibt, die z w a r nicht rechtswidrig, aber aufgrund bestimmter Umstände nicht s c h u t z w ü r d i g und damit dem Kartellverbot entzogen sind. Teilweise w i r d in der Rechtsprechung des Gerichtshofs eine solche Fallgruppe des schutzwürdigen Wettbewerbs i m engeren Sinne identifiziert. 7 3 8 Es soll sich u m Fälle handeln, in denen eine Absprache vorteilhafte W i r k u n g e n für das Binnenmarktprojekt hat, welche die Nachteile überwiegen. 7 3 9 In diesem Zusammenhang w i r d auch die Fallgruppe der wettbewerbsbeschränkenden Klauseln in Lizenzverträgen genannt, auf die teilweise Art. 81 Abs. 1 EGV nicht angewandt wird. 7 4 0 Die Tatsache, dass in diesem Zusammenhang die unterschiedlichsten Beispiele angeführt werden, 7 4 1 zeigt, dass es hierbei weniger u m eine eigene Fallgruppe als u m die methodische Frage geht, i n w i e w e i t wettbewerbsfördernde U m s t ä n d e in den Begriff der Wettbewerbsbeschränkung eingebracht werden können. Der Problemkreis soll deshalb an anderer Stelle, nämlich im Abschnitt über die M a r k t e r s c h l i e ß u n g s d o k trin (unten 1) behandelt werden. j) Lehre vom spezifischen
Gegenstand
N a c h h.L. ist der Tatbestand von Art. 81 Abs. 1 EGV im Bereich des Immaterialgüterrechts in der Weise zu reduzieren, dass Verhaltensweisen, die den spezifischen Gegenstand des jeweiligen Schutzrechts nicht übersteigen, dem Kartellverbot nicht unterfallen. Eine Auseinandersetzung mit dieser Lehre erfolgte bereits oben im Zusammenhang mit den für das Verhältnis von europäischem Kartellrecht und Immaterialgüterrecht einschlägigen Grundkategorien. 7 4 2 N a c h der in dieser U n t e r s u c h u n g vertretenen Ansicht ist das Konzept v o m spezifischen Gegenstand z w a r dazu geeignet, Spannungen zwischen Grundfreiheiten u n d (nationalen) Rechten des geistigen Eigentums aufzulösen. Eine A n w e n dung auf das Verhältnis von europäischem Kartellrecht u n d Immaterialgüterrecht ist hingegen abzulehnen. Jedes Recht, ob materiell oder immateriell, kann V. Emmerich, in I/M EG-Wettbewerbsrecht, Bd. I, 1997, S. 173 Rdnr. 193 ff. Gleiss/Hirsch, 1993, Art. 85 (1) Rdnr. 187 ff. 740 V. Emmerich, in I/M EG-Wettbewerbsrecht, Bd. I, 1997, S. 173 Rdnr. 195. 741 S. V. Emmerich, ebenda. Emmerich, der der Kategorie des nicht schutzwürdigen Wettbewerbs skeptisch gegenübersteht (ebenda, Rdnr. 152,198), hebt hervor, dass wenige Gemeinsamkeiten zu entdecken sind. Er weist auch darauf hin, dass eine Abgrenzung der Lehre vom nicht schutzwürdigen Wettbewerb von der rule of reason erhebliche Schwierigkeiten bereitet (ebenda, Rdnr. 194). 742 S. o. S. 294 ff. 738
739
382
4. Teil: Europäisches
Recht
dazu benutzt werden, verbotene Wettbewerbsbeschränkungen zu vereinbaren. Ein solcher Missbrauch ist gerade auch auf der Grundlage immaterialgüterrechtlicher Kernbefugnisse möglich. Die Lehre vom spezifischen Gegenstand führt also nach der hier vertretenen Auffassung nicht zu einer Einschränkung des Tatbestands von Art. 81 Abs. 1 EGV. 7 4 3 In diesem Zusammenhang ist auf eine Ungenauigkeit hinzuweisen, die auf dem Boden der Lehre vom spezifischen Gegenstand leicht unterläuft. Der Schwerpunkt der Prüfung liegt häufig auf der Frage, ob eine bestimmte Verhaltensweise dem spezifischen Gegenstand des Schutzrechts unterfällt. Ist dies der Fall, kommen die Vertreter der Lehre vom spezifischen Gegenstand zu dem Ergebnis, dass kein Kartellrechtsverstoß vorliegt. Wird der spezifische Gegenstand überschritten, neigen sie zum Umkehrschluss, dass also das Kartellrecht verletzt wurde. Die Prüfung der einzelnen Voraussetzungen der relevanten Kartellrechtsnorm, insbesondere des Merkmals der Wettbewerbsbeschränkung tritt in den Hintergrund. Dabei ist mit der Feststellung, dass der spezifische Gegenstand überschritten wurde, noch nicht die Frage präjudiziert, ob eine Wettbewerbsbeschränkung vorliegt. So übersteigen beispielsweise Nichtangriffsklauseln nach Auffassung des Gerichtshofs den spezifischen Gegenstand des jeweiligen Schutzrechts. Dennoch liegt in der Vereinbarung einer Nichtangriffsklausel nicht automatisch eine Verletzung von Art. 81 Abs. 1 EGV. Das Vorliegen einer Wettbewerbsbeschränkung hängt vom wirtschaftlichen und rechtlichen Gesamtzusammenhang ab. 744 Dies zeigt, dass auch auf dem Boden der Lehre vom spezifischen Gegenstand eine intensive Auseinandersetzung mit der Frage stattzufinden hat, worin überhaupt eine Wettbewerbsbeschränkung besteht. Die vorschnelle Weichenstellung in Verhaltensweisen in- und außerhalb des spezifischen Gegenstands lenkt von dieser zentralen Fragestellung ab. k) rule of
reason?
Wie oben (unter e) ausgeführt wurde, folgen aus dem Zusammenspiel der Absätze 1 und 3 des Art. 81 E G V bestimmte Vorgaben für die Reichweite des Kartellverbots. Einerseits steht Art. 81 Abs. 3 E G V einer pauschalen Gesamtwürdigung des wettbewerblichen Umfelds bereits im Tatbestand von Art. 81 Abs. 1 E G V entgegen. Andererseits schließt dies nicht vollständig den Rückgriff auf den wirtschaftlichen und rechtlichen Kontext im Rahmen von Art. 81 Abs. 1 E G V aus, jedenfalls wenn man dem materiellen und nicht dem formalen Begriff der Wettbewerbsbeschränkung folgt. Konkret geht es um die Frage, inwieweit wettbewerbsfördernde Umstände nicht erst im Rahmen von Art. 81 Abs. 3 EGV, sondern bereits beim Tatbestand der Wettbewerbsbeschränkung berücksichtigt werden dürfen. In der Praxis von Kommission und Gerichtshof gibt es
743 744
S. o. S. 328 ff. S. o. S . 3 5 2 .
C. Immaterialgüterschutz
und europäisches
Kartellrecht
383
zahlreiche Beispiele dafür, dass wettbewerbsfördernde Umstände bereits in die Würdigung von Art. 81 Abs. 1 EGV einbezogen wurden. 7 4 5 (1) Meinungsspektrum Dies hat die Diskussion ausgelöst, inwieweit Art. 81 Abs. 1 EGV Raum für eine vom amerikanische Vorbild inspirierte rule of reason lässt. 746 In seiner grundlegenden Monographie aus dem Jahr 1967 hat René Joliet Möglichkeiten und Grenzen einer solchen rule of reason im Gemeinschaftsrecht ausgelotet. 747 Aus neuerer Zeit ist die Untersuchung von Thomas Ackermann hervorzuheben, die sich für eine - wenn auch an präzise Voraussetzungen gebundene - Rezeption der rule of reason im europäischen Kartellrecht ausspricht. 748 Die Auffassungen in der Literatur sind geteilt. Die verschiedenen rechtlichen Traditionen zwischen anglo-amerikanischem und kontinentaleuropäischem Rechtskreis wirken sich hier aus. 749
745
Nachweise s. unten S. 387 ff. S. z.B. R. Kovar, Le droit communautaire de la concurrence et la „règle de raison", RTD eur. 1987, 237 ff.; E. Steindorff, Article 85 and the Rule of Reason, C M L Rev. 1984, 639 ff.; Whish/Sufrin, Article 85 and the Rule of Reason, 7 Yearbook of European Law 1987, 1 ff. (1988); G. Wils, „Rule of Reason": Une Règle raisonnable en droit communautaire?, C D E 1990,19 ff. 747 R. Joliet, The Rule of Reason in Antitrust Law, 1967; ders., RTD eur. 1984, 1 (17f.). S. zuvor bereits W. Schluep, Der Alleinvertriebsvertrag - Markstein der EWG-Kartellpolitik, 1966, S. 153 ff. 748 Th. Ackermann, Art. 85 Abs. 1 EGV und die rule of reason, 1997, m. Besprechung von A. Heinemann, CML Rev. 1999, 859; s. auch Roth/Ackermann, Frankfurter Kommentar, Grundfragen Art. 81 Abs. 1 EG-Vertrag Rdnr. 254 ff. Die rule of reason ist auch im amerikanischen Recht auf die Berücksichtigung wettbewerbsbezogener Umstände beschränkt (s.o. S. 58 ff.). Entgegen manchen Ressentiments droht also von der rule of reason keine Aufweichung des Kartellverbots durch wettbewerbsfremde, beispielsweise wirtschafts-, sozial- oder umweltpolitische Belange. Diese Belange könnten vielmehr nach wie vor nur im Rahmen von Art. 81 Abs. 3 EGV eingebracht werden, in diesem Sinn A. Fiebig, Strategische Allianzen und ihre Herausforderungen an das Wettbewerbsrecht der Europäischen Union, 1996, S. 210 ff.; Th. Ackermann, Art. 85 Abs. 1 EGV und die rule of reason, 1997, S. 208 ff. Zum Konflikt des europäischen Kartellrechts mit außerwettbewerblichen Politikbereichen s. M. Deckert, Some preliminary remarks on the limitations of European Competition Law, ERPL 2000, 173. 746
749 Eingehend D. Fasquelle, Droit américain et droit communautaire des ententes - Etude de la règle de raison, 1993, insbesondere S. 115 ff., 239; Nachweis des Streitstands bei J. Fritzsche, Z H R 160 (1996) 31 (48 f.) und Mégret, Commentaire, Volume 4: Concurrence, 1997, Tz. 172, insbesondere Fn. 267. Aus dem deutschsprachigen Raum eher positiv zur rule of reason im europäischen Recht N. Koch, in Grabitz/Hilf, Art. 85 E W G V Rdnr. 103 ff. (Vorauflage). V. Emmerich (in I/M EG-Wettbewerbsrecht, Bd. I, 1997, S. 189 vor Rdnr. 257) überschreibt seine Kommentierung zu Einschränkungen des Kartellverbots im Zusammenhang mit Handelsvertretern und Unternehmensveräußerungsverträgen zwar mit „rule of reason", steht der Annahme einer eigenständigen europäischen rule of reason aber ablehnend gegenüber. Ablehnend auch H. Schröter, in von der Groeben Art. 85 Absatz 1 EGV Rdnr. 82; A. Gayk, Restriktionen des Tatbestandes des Art. 85 Abs. 1 EWG-Vertrag, 1991, S. 175 ff.; H. Herrmann, Die Beurteilung exklusiver Know-how-Lizenzen nach dem EWG-Kartellverbot,
4. Teil: Europäisches
384
Recht
K o m m i s s i o n und G e r i c h t s h o f haben die L e h r e von der rule of reason
niemals
ausdrücklich ü b e r n o m m e n . In „ C o n s t e n und G r u n d i g " , 7 5 0 der frühen L e i t e n t scheidung z u m Verhältnis von Kartellrecht und Immaterialgüterschutz, haben sich die beiden Klägerinnen expressis
verbis
auf die rule of reason
berufen. 7 5 1
D e r G e r i c h t s h o f ging hierauf nicht ein; er stellte lediglich fest, dass es „auf etwaige günstige Auswirkungen der Vereinbarung in anderer H i n s i c h t " nicht ank o m m e , „da angesichts der o b e n festgestellten Wettbewerbsbeschränkungen keiner dieser U m s t ä n d e im R a h m e n von Artikel 85 Abs. 1 zu einer anderen L ö sung führen k ö n n t e . " 7 5 2 D i e s e Ausführungen k ö n n t e man wie folgt deuten: „Günstige A u s w i r k u n gen" sind zwar bereits im R a h m e n von A r t . 81 A b s . 1 und nicht erst bei A b s a t z 3 der Vorschrift zu berücksichtigen. I m konkreten Fall ergibt die A b w ä g u n g der schädlichen und günstigen Auswirkungen aber ein eindeutiges U b e r w i e g e n der schädlichen Auswirkungen, so dass von dem Vorliegen einer tatbestandsmäßigen Wettbewerbsbeschränkung auszugehen ist. 7 5 3 (2) Terminologische Fragen I m U S - a m e r i k a n i s c h e n R e c h t bezieht sich das Begriffspaar von rule of
reason
u n d p e r se-Verbot auch auf die Beweislastverteilung. Bei Verhaltensweisen, die der rule of reason
unterliegen, muss der Kläger nicht nur die W e t t b e w e r b s b e -
schränkung dartun, sondern auch deren Unvernünftigkeit darlegen und beweisen. I m Fall des p e r se- Verbots wird die Unvernünftigkeit hingegen unwiderleglich v e r m u t e t . 7 5 4 D i e p e r s e - D o k t r i n ist deshalb nur in Rechtssystemen sinnvoll,
1994, S. 83. Zur Lage in Frankreich s.J.-B. Blaise, Die Anwendung der Rule of Reason durch den französischen Conseil de la Concurrence, FS Mestmäcker, 1996, S. 539 ff. Zur Ablehnung der rule of reason im deutschen Recht s.J. Fritzsche, Die Auslegung des § 1 G W B und die Behandlung von Einkaufsgemeinschaften im Kartellrecht, 1993, S. 21 ff. 7 5 0 EuGH, 13.7.1966, Consten und Grundig/Kommission, Verb. Rs. 56 und 58/64, Slg. 1966, 321. 7 5 1 Ebenda, S. 390. 7 5 2 Ebenda, S. 391. 7 5 3 Auch in einem Verfahren vor dem Gericht erster Instanz beriefen sich die Betroffenen, die aufgrund horizontaler Preisabsprachen (!) sanktioniert worden waren, ausdrücklich auf die rule of reason (EuG, 10.3.1992, Montedipe/Kommission, Rs.T-14/89, Slg. 1992, 11-1155, 11-1245 Tz. 258). Der Kommission warfen sie eine rein formalistische Auffassung des Wettbewerbsrechts vor, „als ob Artikel 85 eine Vorschrift sei, die sich selbst genüge und an und für sich angewandt und ausgelegt werden müsse, und nicht ein Instrument zur Erreichung der in der Präambel des EWG-Vertrags genannten Ziele und zur Verwirklichung der im ersten Teil des EWG-Vertrags verankerten Grundsätze" (ebenda, 11-1244 Tz. 257). Das Gericht wies die Vorwürfe zurück: Selbst wenn die rule of reason im europäischen Kartellrecht Anwendung finden sollte, wären horizontale Preisabsprachen als per se-Verstoß zu werten (ebenda, 11-1246 Tz. 265). 754 W. Fikentscher, Kartellrechtliche und lauterkeitsrechtliche Aspekte einer weltweiten Entwicklung des Wettbewerbsrechts, FS Zöllner, 1999, S. 163 (170 ff.). Zum Verhältnis von formaler und materieller Wettbewerbsbeschränkung sowie rule of reason s. Borchardt/Fikent-
C. Immaterialgüterschutz
und europäisches
Kartellrecht
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in denen der Kläger die Behauptungs- und Beweislast für die Unvernünftigkeit der Wettbewerbsbeschränkung trägt. 7 5 5 Für das europäische Recht, in dem Art. 81 Abs. 3 EGV zwar als „vertypte ,rule of reason'" 7 5 6 zu klassifizieren ist, die Anwendung dieser Vorschrift aber eine Behördenentscheidung voraussetzt, passen diese Grundsätze des amerikanischen Rechts nicht. Verwendet man den Terminus der rule of reason im europäischen Recht, ist in erster Linie ihr materiell-rechtlicher Gehalt, nämlich die Einschränkung des Kartellverbots unter näher zu bestimmenden Voraussetzungen zu verstehen. Diese Anmerkung zeigt, dass - ähnlich wie bei der Kategorie des schutzwürdigen Wettbewerbs im engeren Sinn 7 5 7 - es weniger um die Frage geht, ob im europäischen Recht eine rule of reason existiert, als darum, wie genau der Tatbestand der Wettbewerbsbeschränkung auszufüllen ist./. Fritzsche hat in diesem Zusammenhang zu Recht festgestellt, dass die Diskussion um die rule of reason eher terminologische Schwierigkeiten zum Ausdruck bringe als einen Beitrag zur Sachdiskussion leiste. Auch wenn man nach der anglo-amerikanischen Tradition Restriktionen des Kartellverbots als rule of reason bezeichne, liege darin noch nicht die Übernahme des fremden Rechtsinstituts in der Sache. 758 Mit anderem Akzent hat Th. Ackermann nach eingehender Analyse der Rechtsprechung des Gerichtshofs festgestellt, dass schon jetzt eine klar konturierte rule of reason die adäquate Begrifflichkeit zur Beschreibung der gegenwärtigen Praxis sei. Man möge deshalb die Scheu vor dem Begriff ablegen und das, was bereits praktiziert werde, auch rule of reason nennen. 7 5 9
scher, W e t t b e w e r b , W e t t b e w e r b s b e s c h r ä n k u n g , M a r k t b e h e r r s c h u n g , 1957, zitiert nach W. Fikentscher, Recht u n d wirtschaftliche Freiheit, Band 1,1992, S. 89 (119 ff.). Dort findet sich auch eine A u f s c h l ü s s e l u n g der wirtschaftstheoretischen, wirtschaftspolitischen, rechtspolitischen, sozialpolitischen u n d rein politischen rule of reason. 755 W. Fikentscher, FS Zöllner, 1999, S. 163 (172). 756 W. Fikentscher, ebenda, S. 173. 7 5 7 D a z u oben S. 376 ff. Auf die Parallelität z w i s c h e n rule of reason u n d nicht s c h u t z w ü r d i g e m W e t t b e w e r b weist auch V. Emmerich hin (in I/M E G - W e t t b e w e r b s r e c h t , Bd. I, 1997, S. 190 R d n r . 2 5 9 ) . 758 ]. Fritzsche, Z H R 160 (1996) 31 (49 f.). Fritzsche weist darauf hin, dass im englischen S p r a c h r a u m alle Tatbestandsrestriktionen zu Art. 85 Abs. 1 EGV als rule of reason bezeichnet w e r d e n . Diese A u s s a g e lässt sich erweitern: A u c h in anderen Z u s a m m e n h ä n g e n w e r d e n ( u n g e schriebene) A u s n a h m e n gern als rule of reason bezeichnet; so bezeichnet G e n e r a l a n w a l t van Gerven die z u r Einschränkung von Art. 28 EGV ergangene C a s s i s - R e c h t s p r e c h u n g als rule of reason (van Gerven, V e r b u n d e n e Schlussanträge vom 8.7.1992 in den Rs. C-306/88, C - 3 0 4 / 9 0 u n d C-169/91, Slg. 1992,1-6457,1-6471 Tz. 14,1-6484 33; ders., Schlussantrag v o m 16.3.1994, Verb. Rs. C-401/92 u n d C-402/92, Slg. 1994,1-2199,1-2214 T z . 20). Kritisch z u r V e r w e n d u n g des Begriffs der rule of reason außerhalb des Kartellrechts Th. Ackermann, Art. 85 A b s . 1 E G V u n d die rule of reason, 1997, S. 6. 759 Th. Ackermann, ebenda, S. 207.
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4. Teil: Europäisches
Recht
(3) Stellungnahme Der Feststellung, dass vieles, w a s v o m Gerichtshof bereits praktiziert w i r d , im US-amerikanischen Recht als rule of reason bezeichnet w i r d , ist auf d e m Boden funktionaler Rechtsvergleichung z u z u s t i m m e n . Dennoch zwingt dieser B e f u n d nicht dazu, das Rechtsinstitut der rule of reason - w e n n auch in eigenständiger europäischer Ausgestaltung - zu übernehmen. Selbst w e n n der rule of reason das Gerüst eines präzisen Drei- oder Vier-Stufen-Tests eingezogen wird, 7 6 0 u n d dadurch der Gefahr konturenloser A b w ä g u n g s w i l l k ü r entgegengewirkt w i r d , bleibt eine grundsätzliche Gefahr bestehen: N a c h der rule of reason sind Wettbewerbsbeschädigungen dem Kartellverbot entzogen, w e n n sie n o t w e n d i g zur Erreichung eines wettbewerbsfördernden Ziels sind. Worin ein solches wettbewerbsförderndes Ziel bestehen kann, ist nicht vorgegeben. Die an einer Vereinbarung Beteiligten können mehr oder weniger ambitionierte Ziele anstreben. Je ambitionierter ein solches wettbewerbsförderndes Ziel ist, desto größer können auch die zu seiner Erreichung nötigen Beschränkungen sein. Die rule of reason hat also keine absoluten Grenzen, sondern ist relativer N a t u r : Jede noch so schwerwiegende Wettbewerbsbeschränkung kann von Art. 81 Abs. 1 EGV ausgenommen sein, w e n n sie n o t w e n d i g zur Zielerreichung ist. 761 A u ß e r d e m ist die so gefasste rule of reason nicht auf bestimmte wettbewerbsfördernde U m stände festgelegt. Jeder wettbewerbsfördernde U m s t a n d ist im Prinzip zur Rechtfertigung von Wettbewerbsbeschränkungen geeignet. N a c h der hier vertretenen Auffassung sollte deshalb Zurückhaltung bei der A n n a h m e einer rule of reason im europäischen Recht geübt werden. 7 6 2 Das Kernproblem besteht darin, inwieweit wettbewerbsfördernde U m s t ä n d e bereits im Tatbestand von Art. 81 Abs. 1 EGV Berücksichtigung finden können. Diese Sachfrage sollte anhand einzelner Fallgruppen entschieden werden, z.B. im Zusammenhang mit der Markterschließungsdoktrin (sogleich unter 1). O b man - je nach Standpunkt - das Ergebnis als rule of reason bezeichnet, ist dem760 Th. Ackermann (ebenda, S. 21 ff., 211 ff.) schlägt in Anlehnung an Phillip Areeda (s. dazu oben S.39, insbesondere Fn. 28) einen Drei-, bzw. Vier-Stufen-Test vor: Eine wettbewerbsschädliche Wirkung (1. Stufe) kann vom Verbot des Art. 81 Abs. 1 bei Vorliegen eines wettbewerbsfördernden Zwecks (2. Stufe) ausgenommen sein, wenn die Beeinträchtigung zur Zweckerreichung vernünftigerweise erforderlich ist (3. Stufe). Lediglich als Stimmigkeitstest und zur Korrektur schlechthin untragbarer Ergebnisse ist auf der 4. Stufe zwischen Vor- und Nachteilen abzuwägen. 761 Ackermanns vierte Stufe ist kein allgemeines Abwägungsgebot, sondern dient lediglich der Verhinderung extremer Ergebnisse. Es ist deshalb kein Zufall, dass Ackermann die Aufhebung des per se-Verbots absoluten Gebietsschutzes fordert (s. unten Fn. 800). Der Logik der rule of reason entspricht es, auch gravierende Wettbewerbsschädigungen dem Kartellverbot zu entziehen, wenn sie nur erforderlich zur Erreichung wettbewerbsfördernder Zwecke (hier: Stärkung des interbrand-Wettbewerbs, Ausschluss von Trittbrettfahrern) sind. 762 pü r Zurückhaltung plädiert auch die Europäische Kommission im Weißbuch über die Modernisierung der Vorschriften zur Anwendung der Artikel 85 und 86 EG-Vertrag, 28.4.1999, S. 25 f. Tz. 56 f.
C. Immaterialgüterschutz
und europäisches
Kartellrecht
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gegenüber zweitrangig. 7 6 3 Unzulässig wäre es jedenfalls, die Bezeichnung rule of reason dazu zu benutzen, ohne besondere Begründung Regelungsgrundsätze aus dem US-amerikanischen Antitrust-Recht in das europäische Kartellrecht einfließen zu lassen. Eine der Gefahren dort besteht darin, dass die rule of reason leicht zum Einfallstor für Moden der Wirtschaftstheorie wird. 7 6 4 Sieht man von solchen Gefahren ab, ist nicht zu verkennen, dass der hier vertretene „vorsichtige" Ansatz, in dessen Mittelpunkt der Begriff der materiellen Wettbewerbsbeschränkung steht, der Forderung nach einer rule of reason ein Stück weit entgegenkommt. Die Gemeinsamkeit besteht in der Ablehnung eines bloß formal verstandenen Begriffs der Wettbewerbsbeschränkung. Auch die rule of reason zielt auf eine Materialisierung des Begriffs der Wettbewerbsbeschränkung ab. Der Unterschied besteht darin, dass die rule of reason regelmäßig die Inbezugsetzung von wettbewerbsschädigenden und -fördernden Umständen verlangt, während hier nur ausnahmsweise und in zurückhaltend entwickelten Fallgruppen eine Engführung des Kartellverbots angenommen wird. I) Wettbewerbseröffnungs-,
bzw.
Markterschließungstheorie
Das Kriterium der Einschränkung der Handlungsfreiheit ist der Ausgangspunkt für jede Annäherung an den Begriff der Wettbewerbsbeschränkung. Bleibt man bei diesem Ausgangspunkt stehen, gerät der Anwendungsbereich von Art. 81 Abs. 1 EGV außerordentlich weit. Das Kriterium ist ein bloßer Grobfilter, der zahlreiche Unternehmensaktivitäten erfasst, darunter auch solche, die unter Wettbewerbsgesichtspunkten unbedenklich sind. Einige der vorstehenden Ausführungen - insbesondere zum formalen und materiellen Begriff der Wettbewerbsbeschränkung (oben d), zum Verhältnis von Art. 81 Abs. 1 und Abs. 3 EGV (oben e), zum schutzwürdigen Wettbewerb (oben i) und zur rule of reason (oben k) - haben bereits zu der damit verbundenen, zentralen Schwierigkeit übergeleitet, die der Begriff der Wettbewerbsbeschränkung (auch) im europäischen Kartellrecht bereitet. Diese Schwierigkeit ergibt sich aus einem häufig auftretenden Phänomen: In vielen Fällen gehen von einer bestimmten Verhaltensweise nicht nur wettbewerbsbeschränkende, sondern auch wettbewerbsfördernde Wirkungen aus. Im Extremfall gäbe es den angeblich beschränkten Wettbewerb ohne die betreffende Vereinbarung überhaupt nicht. Soll in diesen Fällen isoliert auf das Vorliegen der wettbewerbsbeschränkenden 763 Auch Befürworter des Markterschließungsgedankens lehnen eine Geltung der rule of reason im europäischen Recht überwiegend ab. S. z.B. Bunte/Sauter, EG-Gruppenfreistellungsverordnungen, 1988, Einführung S. 153 Rdnr. 8, wonach Art. 85 Abs. 1 EWGV keine rule of reason enthält. Diese Funktion komme vielmehr der Freistellungsvorschrift zu: „Sicher enthält aber Art. 85 Abs. 3 eine in typische Tatbestandsmerkmale gekleidete rule of reason, gekoppelt mit einer behördlichen Entscheidung." 764 Zur amerikanischen Entwicklung s.o. S. 40 ff.
388
4. Teil: Europäisches
Recht
Wirkungen abgestellt und der Tatbestand von Art. 81 Abs. 1 EGV bejaht und etwaige positive Wirkungen erst im Rahmen der Freistellung nach Art. 81 Abs. 3 EGV berücksichtigt werden? Oder sind die wettbewerbsbeschränkenden und -fördernden Wirkungen im Sinne eines bilan économique gegeneinander zu verrechnen, und entscheidet der Saldo über die Anwendung von Art. 81 Abs. 1 EGV? Nach der Wettbewerbseröffnungs-, bzw. Markterschließungstheorie ist im Prinzip letzterer Auffassung zu folgen. Führt die Beschränkung des Wettbewerbs zwischen den Beteiligten dazu, dass an anderer Stelle ein neuer Wettbewerb eröffnet wird, ist hiernach - wenn nur der neue Wettbewerb bedeutender ist als die Wettbewerbsbeschränkung - der Vorwurf der Wettbewerbsbeschränkung entkräftet. Entsprechendes gilt - in nur leichter Akzentverschiebung - für den Fall, dass die Wettbewerbsbeschränkung dazu dient, auf einem Markt Fuß zu fassen, auf dem das betreffende Unternehmen bisher nicht aktiv war. 765 (1) Terminologische Klarstellung Der Begriff der Wettbewerbseröffnungstheorie ist mehrdeutig und gibt deshalb Anlass für Missverständnisse. 766 Insbesondere im Zusammenhang mit dem Immaterialgüterrecht kennzeichnet der Begriff jenen radikalen und heute nicht mehr vertretenen Standpunkt, nach dem beschränkende Vereinbarungen im Zusammenhang mit Rechten des geistigen Eigentums (insbesondere in Lizenzverträgen) niemals als Wettbewerbsbeschränkungen zu werten sind, da durch sie Wettbewerb erst eröffnet werde. Dem Inhaber des Schutzrechts hätte es ja auch freigestanden, das Ausschließlichkeitsrecht selbst zu nutzen, ohne Dritte im Wege einer Vereinbarung hieran partizipieren zu lassen. 767 Die Verwendung
765 Vereinzelt wird der Wettbewerbseröffnungs-, bzw. Markterschließungsgedanke als Unterfall der Spürbarkeit (s. oben S. 368 ff.) eingeordnet, so z.B. P. Stockenhuber, in Grabitz/ Hilf, Art. 81 EGV Rdnr. 152; Ritter! Braun! Rawlinson, EEC Competition Law, 1991, S. 84 ff. Auch wenn man Klassifizierungsfragen nicht überbewerten sollte, ist doch festzuhalten, dass der Markterschließungsgedanke tief in das Fundamentalproblem führt, worin überhaupt eine Wettbewerbsbeschränkung besteht. Dieses Problem ist der Fragestellung logisch vorgelagert, wann eine als Wettbewerbsbeschränkung qualifizierte Vereinbarung spürbar ist. 766 Zu anderen Mehrdeutigkeiten des einheitlichen Schlagworts „Wettbewerbseröffnung" s. H. Herrmann (oben Fn. 749), S. 85 ff. Gegen eine undifferenzierte Handhabung auch M. Christoph, Wettbewerbsbeschränkungen in Lizenzverträgen über gewerbliche Schutzrechte nach deutschem und europäischem Recht, 1998, S. 160, der allerdings eine andere als die hier vorgeschlagene Begrifflichkeit verwendet. Der Kritik Christophs an Stimmigkeit und dogmatischer Grundlage von Wettbewerbs-, bzw. Markterschließungsdoktrin soll durch die im Text folgende Engführung und Absicherung der Lehre begegnet werden. 767 Verwendung des Begriffs der Wettbewerbseröffnungstheorie in diesem Sinn beispielsweise bei R. Sack, Der „spezifische Gegenstand" von Immaterialgüterrechten als immanente Schranke des Art. 85 Abs. 1 EG-Vertrag bei Wettbewerbsbeschränkungen in Lizenzverträgen, RIW 1997, 449 f.; H. Ullrich, in I/M EG-Wettbewerbsrecht, Bd. 1,1997, S. 1226 Rdnr. 19.
C. Immaterialgüterschutz
und europäisches
Kartellrecht
389
des Begriffs mit dieser Bedeutung soll als "Wettbewerbseröffnungstheorie im immaterialgüterrechtlichen Sinn bezeichnet werden. 7 6 8 Davon zu unterschieden ist die allgemein-kartellrechtliche Wettbewerbseröffnungstheorie, verstanden als Anweisung zur Saldierung der wettbewerbsförderlichen und -schädlichen Auswirkungen mit dem Ziel, nur bei Uberwiegen der wettbewerbsschädlichen Auswirkungen eine tatbestandsmäßige Wettbewerbsbeschränkung anzunehmen. Die so verstandene Wettbewerbseröffnungstheorie im kartellrechtlichen Sinn ist nicht auf das Immaterialgüterrecht beschränkt, sondern zielt auf den gesamten Anwendungsbereich des Kartellrechts ab. Sie ist nahezu s y n o n y m mit dem Begriff der Markterschließungsdoktrin. 7 6 9 A u f g r u n d der Mehrdeutigkeit des Begriffs der Wettbewerbseröffnungstheorie soll im folgenden dem Begriff der Markterschließungsdoktrin der Vorzug gegeben werden. (2) Standpunkt des Gerichtshofs 7 7 0 Der Gerichtshof neigt einer vorsichtigen Einbeziehung w e t t b e w e r b s f ö r d e r n der Umstände in den Begriff der Wettbewerbsbeschränkung zu, ohne einen dahinter liegenden Standpunkt ausdrücklich kenntlich zu machen. 7 7 1 Es liegen daher lediglich einzelne Mosaiksteine vor, die keinen systematischen Rückschluss darauf zulassen, nach welchen Kriterien der Gerichtshof tatbestandsmäßige Wettbewerbsbeschränkungen von kartellfreien bloßen Handlungsbeschränkungen abgrenzt. 7 7 2
Zu ihr und ihrer Widerlegung s. bereits oben S. 329. Verwendung des Begriffs der Wettbewerbseröffnungstheorie in dieser allgemeinen Bedeutung beispielsweise bei]. Fritzsche, ZHR 160 (1996) 31 (37 ff.). 770 Auch die Kommission entzog unter Anwendung des Markterschließungsgedankens einige Vereinbarungen dem Kartellverbot (umfassende Nachweise bei/. Fritzsche, oben Fn. 699, ZHR 160 (1996) 31, 38 f.), z.B. den Zusammenschluss französischer Werkzeugmaschinenhersteller zu einer gemeinsamen Ausfuhrorganisation (Entscheidung 68/317/EWG vom 17.7.1968, IV/25140 - „Alliance de constructeurs français de machines-outils", ABl. L 201/1) oder den Zusammenschluss französischer Gemüsekonservenhersteller zu dem gleichen Zweck (Entscheidung 72/23/EWG vom 16.12.1971, IV/23.514 - SAFCO, ABl. 1972 L 13/44). Die Entscheidung 90/410/EWG (vom 13.7.1990, IV/32.009 - Elopak/Metal Box - Odin, ABl. L 209/ 15) betraf eine Forschungs- und Entwicklungskooperation. Hier überwog allerdings eher das Argument, dass die beiden Mutterunternehmen ohne Gründung des Gemeinschaftsunternehmens keine eigenen Anstrengungen zur Entwicklung eines aseptischen Kartonbehälters unternommen hätten. Zum Arbeitsgemeinschaftsgedanken s. allgemein bereits oben S. 366; im Zusammenhang mit Forschungskooperationen s. A. Fuchs, Kartellrechtliche Grenzen der Forschungskooperation, 1989, S. 266 ff. einerseits, H. Ullrich, Kooperative Forschung und Kartellrecht, 1988, S. 163 ff. andererseits. 768
769
Nachweise bei J. Fritzsche (oben Fn. 699), ZHR 160 (1996) 31 (38 ff.). O. Axster, Abgrenzung anti-kompetitiver von den zulässigen Wettbewerbsbeschränkungen, FS Lieberknecht, 1997, S. 225 (234). 771
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4. Teil: Europäisches
Recht
a ) D e r Ausgangspunkt: „Maschinenbau U l m " Bereits in der Rechtssache „Maschinenbau U l m " 7 7 3 führte der G e r i c h t s h o f am Beispiel eines Alleinvertriebsrechts aus: „Das Vorliegen einer Wettbewerbsstörung kann vor allem dann zweifelhaft erscheinen, wenn sich die Vereinbarung gerade für das Eindringen eines Unternehmens in ein Gebiet, in dem es bisher nicht tätig war, als notwendig erweist." 774 Ist die E i n r ä u m u n g des Alleinvertriebsrechts notwendig, u m die Tätigkeit des U n t e r n e h m e n s auf dem G e m e i n s a m e n M a r k t geographisch auszudehnen, kann trotz beschränkender Vereinbarung der Tatbestand von Art. 81 Abs. 1 E G V zu verneinen sein. D i e zwei W o c h e n später ergangene Entscheidung in der Rechtssache „ C o n sten und G r u n d i g " 7 7 5 kann nicht als Gegenbeispiel für die E i n b e z i e h u n g wettbewerbsfördernder U m s t ä n d e herangezogen werden. 7 7 6 Zwar wurde im E r g e b nis eine nach Art. 81 Abs. 1 E G V verbotene A b s p r a c h e bejaht. D e r G e r i c h t s h o f hat angesichts des marktabschottenden Gesamteindrucks der betreffenden Vereinbarung aber lediglich festgestellt, dass es angesichts der festgestellten B e schränkungen auf etwaige günstige Auswirkungen der Vereinbarung in anderer H i n s i c h t nicht a n k o m m e . 7 7 7 E r ging also ersichtlich davon aus, dass im k o n k r e ten Fall die beschränkenden W i r k u n g e n etwaige förderlichen W i r k u n g e n der Vereinbarung deutlich überwiegen. 7 7 8 ß) Entscheidungen ohne (direkten) B e z u g z u m R e c h t des geistigen Eigentums In einer Reihe weiterer Entscheidungen hat der G e r i c h t s h o f bestätigt, dass einzelne beschränkende Vereinbarungen nicht automatisch zu einer tatbestandsmäßigen Wettbewerbsbeschränkung führen. So wurde eine vertragliche Verpflichtung zur Einrichtung einer Fachabteilung für Unterhaltungselektronik dem Tatbestand von A r t . 81 A b s . 1 E G V entzogen, da sie einen angemessenen Verkauf der betroffenen Erzeugnisse gewährleiste. 7 7 9 D i e Zulassung zu einem EuGH, 30.6.1966, LTM/Maschinenbau Ulm, Rs.56/65, Slg. 1966, S. 281. Ebenda, S. 304. 775 EuGH, 13.7.1966, Consten und Grundig/Kommission, Verb. Rs. 56 und 58/64, Slg. 1966, 321. 776 A.A. Bunte/Sauter, EG-Gruppenfreistellungsverordnungen, 1988, S. 154, Einführung Rdnr. 10; R. Zäch, Wettbewerbsrecht der Europäischen Union, 1994, S. 28. 777 Auch eine Abwägung der Vorteile für den interbrand-Wettbewerb durch Beschränkungen des intrabrand-Wettbewerbs schloss er nicht kategorisch aus. Der Gerichtshof wählte demgegenüber eine negative Formulierung: „Dies bedeutet aber nicht, daß eine Vereinbarung, die den Wettbewerb zwischen solchen Verteilern beschränkt, schon deswegen nicht unter das Verbot des Artikels 85 Absatz 1 fiele, weil sie den Wettbewerb zwischen Herstellern möglicherweise verstärkt" („Consten und Grundig", Slg. 1966, S. 390). 778 Zum Verhältnis der „Maschinenbau Ulm"- zur „Consten und Grundig"-Entscheidung s. Th. Ackermann, Art. 85 Abs. 1 EGV und die rule of reason, 1997, S. 167 ff. mit weiteren Nachweisen. 779 EuGH, 25.10.1977, Metro/Kommission, Rs.26/76, Slg. 1977, 1875 (1913 Tz. 37). 773 774
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und europäisches
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selektiven Vertriebsnetz dürfe aber nur von qualitativen, nicht von quantitativen Kriterien wie z.B. Mindestabnahmemengen oder Mindestumsatz abhängig gemacht werden. 7 8 0 Die „Kali und Salz"-Entscheidung 7 8 1 hatte eine Vereinbarung z u m Gegenstand, in der die beiden einzigen Produzenten von Kali-Einzeldünger in Deutschland den Vertrieb bei einem von ihnen konzentrierten. Obwohl damit das Angebot von Einzel-Kali in einer einzigen Hand zusammengefasst wurde, verneinte der Gerichtshof angesichts der besonderen Umstände des Falls den Tatbestand von Art. 81 Abs. 1 EGV: Da die Produktionsmenge beim anderen Vertragspartner ständig zurückging, außerdem die Gesamtnachfrage nach Einzel-Kali ständig gesunken war, hätte sich ein kostspieliger, eigener Vertriebsapparat bei diesem Unternehmen nicht gelohnt. Außergewöhnliche Vereinbarungen waren deshalb ausnahmsweise zugelassen, jedenfalls bei Ausgestaltung als Torso-Syndikat, also ohne Andienungspflicht. 7 8 2 Die „Pronuptia"-Entscheidung 7 8 3 betraf die Vereinbarkeit einzelner Bestimmungen eines Vertriebs-Franchising-Vertrags mit Art. 81 Abs. 1 EGV. Der Gerichtshof überprüfte diese Bestimmungen anhand folgender Frage: Ist die betreffende Bestimmung notwendig, um das vermittelte Know-how zu schützen oder die Identität und das Ansehen der Vertriebsorganisation zu wahren? Oder soll nur der Wettbewerb zwischen den Mitgliedern der Vertriebsorganisation beschränkt werden? Letzteres, also eine tatbestandsmäßige Wettbewerbsbeschränkung, war der Fall bei der Vereinbarung von Marktaufteilungen und dem Ausschluss von Preiswettbewerb. 7 8 4 Die Beispiele machen deutlich, 7 8 5 dass die einschlägigen Fälle höchst unterschiedlich gelagert sind. Während in der Rechtssache „Maschinenbau U l m " die Markterschließungsdoktrin entwickelt wird, stehen in den unter ß) aufgeführten Fällen andere Argumente im Vordergrund. Dort ist entscheidend, ob bestimmte Beschränkungen zur angemessenen Präsentation eines Produkts oder zur Durchführung einer bestimmten Vertriebsform erforderlich sind. 7 8 6 Die 7 8 0 E u G H , 11.12.1980, L'Oreal/De N i e u w e A m c k , Rs. 31/80, Slg. 1980, 3775 (3791 Tz. 16 f.). 781 E u G H , 14.5.1975, Kali u n d Salz u n d Kali-Chemie/Kommission, Verb. Rs. 19 u n d 20/ 74, Slg. 1 9 7 5 , 4 9 9 . 7 8 2 Ebenda, Slg. 1975, 521 T z . 14. Eine gemeinsame R e g e l u n g der Preise w ä r e a u c h in einer solchen Situation ausgeschlossen, s. hierzu oben bei Fn. 732. 7 8 3 E u G H , 28.1.1986, Pronuptia, Rs.161/84, Slg. 1986, 353. 784 „ P r o n u p t i a " Slg. 1986, 383 T z . 23. Franchiseverträge fallen in den A n w e n d u n g s b e r e i c h der V e r o r d n u n g (EG) Nr. 2790/99 der Kommission v o m 22.12.1999 über die A n w e n d u n g von A r t i k e l 81 A b s a t z 3 des Vertrages auf G r u p p e n von vertikalen V e r e i n b a r u n g e n u n d a u f e i n a n der a b g e s t i m m t e n Verhaltensweisen ( A B l . L 336/21). 7 8 5 Weitere N a c h w e i s e bei H. Schröter, in von der Groeben, Art. 85 A b s a t z 1 E G V Rdnr. 78 ff. 7 8 6 Die „Kali u n d S a l z " - E n t s c h e i d u n g (oben Fn. 781) enthält d e m g e g e n ü b e r eine b e d e n k l i che E i n s c h r ä n k u n g von Art. 81 Abs. 1 E G V f ü r einen Sachverhalt, der e i n e m S t r u k t u r k r i s e n -
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Zusammenfassung unter dem Schlagwort der Wettbewerbseröffnungs-, bzw. Markterschließungsdoktrin ist deshalb letztlich unbefriedigend. 787 Nicht in allen Fällen wird die Eröffnung eines neuen Wettbewerbs oder die Erschließung eines neuen Marktes zum Dreh- und Angelpunkt gemacht. Der gemeinsame Nenner der Fälle besteht eher in dem Begriff der Notwendigkeit,788 Bestimmte Beschränkungen sind vereinbar mit Art. 81 Abs. 1 EGV, weil sie notwendig zur Erreichung bestimmter Ziele sind. Das verfolgte Ziel kann die Eröffnung eines neuen Wettbewerbs oder die Erschließung eines neuen Marktes sein; dies ist aber nicht zwingend. Die Notwendigkeit kann sich auch auf die angemessene Präsentation eines Produkts, die Durchführung einer bestimmten Vertriebsform oder auf andere rechtlich anerkannte Gesichtspunkte beziehen. Der Gesichtspunkt der Notwendigkeit baut eine Brücke zu den Fällen, die in der deutschen Lehre unter dem Stichwort der Immanenztheorie diskutiert werden. In diesen Fällen wird die Anwendbarkeit des Kartellverbots nicht aufgrund einer Abwägung positiver und negativer Wettbewerbswirkungen verneint; es wird vielmehr das Kartellverbot unter Rücksichtnahme auf bestimmte Sachzwänge zurückgenommen. Auf die Immanenztheorie und ihr Verhältnis zur Markterschließungsdoktrin wird näher einzugehen sein. 789 y) Entscheidungen mit Bezug zum Recht des geistigen Eigentums Die Vergabe von Lizenzen an Rechten des geistigen Eigentums ist eine typische Form der Schutzrechtsverwertung und als solche kartellrechtsneutral. Kartellrecht wird erst dann einschlägig, wenn im Lizenzvertrag wettbewerbsbeschränkende Vereinbarungen getroffen werden. 790 Die beiden (zeitlich eng beieinankartell sehr nahe kommt. Die Anwendbarkeit von Art. 81 Abs. 1 E G V auf Strukturkrisenkartelle ist anerkannt (Ritter!Braun/Rawlinson, E E C Competition Law, 1991, S. 143 ff.). Der Weg in die Legalität führt hier nur über Art. 81 Abs. 3 EGV. 787 H.-J. Bunte sieht eine Gemeinsamkeit der genannten Fälle in folgender Hinsicht: Es erfolge nicht etwa eine Abwägung wettbewerbsfördernder und wettbewerbshemmender Wirkungen i.S. der rule of reason. Vielmehr werde in den Beispielsfällen neuer Wettbewerb eröffnet, wodurch keineswegs vorhandener Wettbewerb eingeschränkt oder potentieller Wettbewerb verhindert werde (LangenAß»«£e, KartR, 9. Aufl. 2001, Art. 81 - Generelle Prinzipien Rdnr. 42; ähnlich H. Schröter, in von der Groehen Art. 85 Absatz 1 E G V Rdnr. 82). Diese U m schreibung trifft eher die oben S. 366 ff. beschriebene Fallgruppe des beschränkungsfähigen Wettbewerbs, also Konstellationen, in denen überhaupt kein aktueller oder potentieller Wettbewerb existiert, der beschränkt werden könnte. Die im vorliegenden Zusammenhang genannten Fälle sind dagegen dadurch gekennzeichnet, dass einerseits durchaus Wettbewerb beschränkt wird - beispielsweise durch Ausschließlichkeitsbindungen im Vertrieb - , dass aber andererseits die dadurch bewirkte Erschließung neuer Märkte als vorrangig bewertet wird. Ohne Abwägungsvorgänge kommt dieser Gedankengang nicht aus. Es bleibt zu klären, ob solche Abwägungsvorgänge statthaft sind, und wenn ja, wie groß der Spielraum hierfür ist. 7 8 8 Das Nebeneinander von Markterschließungsdoktrin und „notwendigen" Wettbewerbsbeschränkungen wird betont v o n ] . Fritzsche (oben Fn. 699), Z H R 160 (1996) 31 (39 f.). 7 8 9 S. unten S. 417 ff. 7 9 0 Allgemein hierzu M. Ewen, EG-Kartellrecht für Patent- und Know-how-Lizenzen, in
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der liegenden) Leitentscheidungen zu diesem T h e m a („Maissaatgut", „Coditel I I " ) hatten die P r o b l e m a t i k ausschließlicher
L i z e n z e n zum Gegenstand. T r o t z
ähnlicher T h e m a t i k veranschaulichen die beiden Urteile auf das deutlichste die soeben festgestellte Disparität: W ä h r e n d in der Rechtssache „Maissaatgut" der Markterschließungsgedanke herangezogen wird, verwendet der G e r i c h t s h o f in „ C o d i t e l I I " eine immanenztheoretisch gefärbte Argumentation mit dem H i n weis auf bestimmte Sachnotwendigkeiten. 6) „Maissaatgut" Grundlegend ist die Entscheidung des Gerichtshofs in der Rechtssache „Maissaatgut". 7 9 1 D e r Entscheidung lagen Verträge zugrunde, in denen das französische Institut National de la R e c h e r c h e A g r o n o m i q u e ( I N R A ) dem Inhaber des deutschen U n t e r n e h m e n s Nungesser die Schutzrechte an bestimmten, v o m I N R A entwickelten Sorten von Hybridmaissaatgut für das G e b i e t der B u n d e s republik Deutschland abgetreten hatte. 7 9 2 Bestandteil der Vereinbarung war die E i n r ä u m u n g des ausschließlichen Vermehrungs- sowie des ausschließlichen Vertriebsrechts für Deutschland. Außerdem enthielten die Verträge eine A u f rechterhaltungs- und Abwehrklausel, die den L i z e n z n e h m e r u.a. dazu verpflichtete, gegen Verletzungen des Schutzrechts vorzugehen. D e r L i z e n z g e b e r verpflichtete sich, Ausfuhren der betroffenen Maissorten nach Deutschland außerhalb der Vereinbarung mit dem L i z e n z n e h m e r zu verhindern. D i e K o m m i s s i o n hatte einzelne Bestimmungen dieser Verträge, und zwar s o w o h l diejenigen über die Ausschließlichkeit als auch diejenigen über den G e bietsschutz, für unvereinbar mit Art. 85 Abs. 1 E W G V (und nicht freistellungsC. Baudenbacher (Hrsg.), Aktuelle Probleme des europäischen und internationalen Wirtschaftsrechts, Band III, 2001, S. 189 ff. 791 EuGH, 8.6.1982, Nungesser/Kommission, Rs. 258/78, Slg.1982, 2015. S. hierzu bereits oben S. 308 ff. H. Ullrich (in I/M EG-Wettbewerbsrecht, Bd. I, 1997, S. 1220 Rdnr. 14) nennt die „Maissaatgut"-Entscheidung eine „Grundsatzentscheidung". Die Entscheidung hat allergrößte Beachtung in der Literatur gefunden, s. z.B. O. Axster, Die Maissaatgut-Entscheidung des Europäischen Gerichtshofs, GRUR Int. 1982, 646 ff.; I. van Bael, Réflexions sur l'Arrêt „Semences de Maïs": Des Semences d'Espoir?, Cahiers de droit européen 1983, 176; U. Everling, Zur neueren EuGH-Rechtsprechung zum Wettbewerbsrecht, EuR 1982, 300 (310 f.);/.R. Hamann, Territoriale Begrenzung und Ausschließlichkeit von Lizenzen, 2000, S. 66 ff. und 198 ff.; V. Korah, Exclusive licenses of patent and plant breeders' rights under EEC law after Maize Seed, 28 Antitrust Bulletin 699 ff. (1983); R. Pietzke, Anmerkung, GRUR Int. 1982, 537 ff.; H. Ullrich, Die wettbewerbspolitische Behandlung gewerblicher Schutzrechte in der EWG, GRUR Int. 1984, 89 (95 f.). Zu einer ökonomischen Analyse der Entscheidung s. Gallini/Trebilcock, Intellectual Property Rights and Competition Policy: A Framework for the Analysis of Economic and Legal Issues, 1998, S. 17 (44 f.), mit dem folgenden Ergebnis: „The goal of market integration biases competition policy against restrictions on intra-brand competition, even when there is significant competition between brands (inter-brand competition). Such a rule may not result in an efficient outcome." 792 Zur vom Gerichtshof vorgenommenen Umdeutung dieser Abtretung in eine Lizenzierung s. bereits oben Fn. 494.
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fähig nach Art. 85 Abs. 3 EWGV) erklärt. 793 Der Gerichtshof nahm eine strenge Differenzierung vor zwischen der Vereinbarung der Ausschließlichkeit einerseits und den Vereinbarungen, die de facto zu absolutem Gebietsschutz geführt hatten, andererseits. Es handele sich um zwei rechtliche Fallgestaltungen, die nicht zwangsläufig übereinstimmten. - „Offene" Ausschließlichkeit Die ausschließliche Lizenz als solche betreffe nur das Verhältnis zwischen Lizenzgeber und Lizenznehmer. Erst durch die Herstellung absoluten Gebietsschutzes werde für bestimmte Erzeugnisse in einem bestimmten Territorium jeglicher Wettbewerb ausgeschaltet, z.B. durch Parallelimporteure oder durch Lizenznehmer für andere Gebiete. 794 Diese Differenzierung kann entscheidend werden: Im Verfahren vor dem Gerichtshof war glaubhaft vorgetragen worden, dass ohne die Vereinbarung der Ausschließlichkeit das Risiko des Anbaus und Vertriebs der neuentwickelten Sorte möglicherweise nicht übernommen worden wäre. Dies wäre der Verbreitung einer neuen Technologie abträglich gewesen. 795 Der Gerichtshof folgerte hieraus: „In Anbetracht der Besonderheit der fraglichen Erzeugnisse gelangt der Gerichtshof zu der Auffassung, daß in einem Fall wie dem vorliegenden die Vergabe einer offenen ausschließlichen Lizenz, also einer Lizenz, welche die Stellung Dritter, wie der Parallelimporteure und Lizenznehmer f ü r andere Gebiete, nicht betrifft, als solche nicht unvereinbar mit Artikel 85 Absatz 1 EWG-Vertrag ist." 796 793 Kommission, Entscheidung 78/823/EWG vom 21.9.1978 (IV/28.824 - Sortenschutzrecht - Maissaatgut), ABl. L 286/23 (36). Die Begründung enthält die Feststellung, dass die Aufrechterhaltungs- und Abwehrklausel zu Lasten des Lizenznehmers sowie die Verpflichtung des Lizenzgebers zur Verhinderung von Ausfuhren nach Deutschland faktisch zu einem absoluten Gebietsschutz geführt habe (ebenda, S. 29 f.). 794 „Maissaatgut" Slg. 1982, 2068 Tz. 53. Zur terminologischen Ungenauigkeit des Gerichtshofs bei der Definition des absoluten Gebietsschutzes s. unten Fn. 801. 795 „Maissaatgut" Slg. 1982, 2069 Tz. 56 f. Das Abstellen auf die Verbreitung einer neuen Technologie veranlasste die Kommission in einer anderen Sache (Entscheidung 88/563/EWG vom 13.10.1988, IV/31.498 - Delta Chemie - D D D , ABl. L 309/34) zu folgender Unterscheidung: Da der Herstellungslizenz im zu Grunde liegenden Fall eine Vertriebs-Einführungsphase vorausgegangen war, war der lizenzierte Fleckenentferner bei Aufnahme der Produktion durch den Lizenznehmer für die Verbraucher nicht mehr neu. Die Kommission wertete die Vereinbarung der Ausschließlichkeit als tatbestandsmäßige Wettbewerbsbeschränkung i.S. von Art. 85 Abs. 1 EWGV, gewährte aber eine Einzelfreistellung auf der Grundlage von Art. 85 Abs. 3 EWGV. 796
„Maissaatgut" Slg. 1982, 2069 Tz. 58. Der Gerichtshof begnügt sich mit der Feststellung, dass in einem solchen Fall Art. 85 Abs. 1 E W G V nicht erfüllt sei. Er präzisiert allerdings nicht, mangels welchen Tatbestandsmerkmals diese N o r m keine Anwendung findet. Aus dem Zusammenhang der Argumentation folgt allerdings, dass bereits das Vorliegen einer Wettbewerbsbeschränkung, nicht etwa erst die Frage der Spürbarkeit verneint wird: O h n e die Vereinbarung der Ausschließlichkeit würde die Verbreitung einer neuen Technologie verhindert. Der Wettbewerb zwischen dem neuen Erzeugnis und ähnlichen vorhandenen Erzeugnissen in der Gemeinschaft würde dann beeinträchtigt (Ebenda, Tz. 57). Für die Frage der kartellrechtli-
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Auch wenn der Gerichtshof hervorhebt, dass die Einstufung einer ausschließlichen Lizenz als kartellrechtsneutral auf die Besonderheiten des Falls zurückzuführen ist, belegt die Entscheidung, dass es keinen Automatismus zwischen der Vereinbarung der Ausschließlichkeit und der Annahme einer tatbestandsmäßigen Wettbewerbsbeschränkung gibt. 797 Nirgendwo kommt deutlicher zum Ausdruck, dass der Gerichtshof sich nicht mit der formalen Einschränkung der Handlungsfreiheit begnügt, sondern darüber hinaus materielle Überlegungen anstellt, um einen Verstoß gegen Art. 81 Abs. 1 EGV festzustellen. 798 Wie solche materiellen Überlegungen aussehen können, verdeutlicht das „Maissaatgut"-Urteil: Entscheidend ist die Notwendigkeit der Wettbewerbsbeschränkung für das Zustandekommen eines neuen Wettbewerbs. Eine ausschließliche Lizenz führt zwar zur Einschränkung von wettbewerbsrelevanten Handlungsparametern, da sich der Lizenzgeber dazu verpflichtet, die überlassene Technologie im Vertragsgebiet nicht selbst zu nutzen und dort keine weitere Lizenzen zu vergeben. Wenn ohne diese Bindung ein neuer Wettbewerb nicht zu Stande käme, bzw. die lizenzierte Technologie keine (rasche) Verbreitung fände, scheidet der Tatbestand von Art. 81 Abs. 1 EGV aus. 799 Diese Argumentation wird ausdrücklich beschränkt auf die „offene" ausschließliche Lizenz, d.h. eine Ausschließlichkeit, welche die Beziehungen zwischen Lizenzgeber und Lizenznehmer nicht überschreitet, insbesondere die Stellung Dritter nicht berührt. - „Absoluter" Gebietsschutz Aus dieser Einschränkung ergeben sich auch die Grenzen der Materialisierung des Begriffs der Wettbewerbsbeschränkung: Dritten, insbesondere Parallelimporteuren und Lizenznehmern für andere Gebiete, dürfen aus der Vereinbarung keine Hindernisse erwachsen, die über das hinausgehen, was notwendigerweise mit der Erteilung einer ausschließlichen Lizenz verbunden ist. Diese Aussage entspricht der ständigen Rechtsprechung des Gerichtshofs, nach der chen Bewertung einzelner Lizenzklauseln hat dies eine wichtige Konsequenz: Die Frage, ob eine unzulässige Wettbewerbsbeschränkung vorliegt, hängt vom wirtschaftlichen und rechtlichen Zusammenhang ab. Gleiche Vertragsklauseln k ö n n e n - je nach Kontext - einmal als Wettbewerbsbeschränkung, ein anderes Mal als Nicht-Beschränkung bewertet werden. Zur Schwerpunktverlagerung der kartellrechtlichen Analyse weg von einer klauselbezogenen Sichtweise hin zu einer umfassenden Berücksichtigung des wirtschaftlichen Umfelds s. bereits oben S. 319. 797 In diesem Sinn auch EuG, 12.6.1997, Tiercé Ladbroke/Kommission, T-504/93, Slg. 1997,11-923 (11-974 Tz. 147). 798 Zu der Frage, ob dieser Ausgangspunkt auch die Annahme einer allgemeinen rule of reason nahelegt (so Th. Ackermann, Art. 85 Abs. 1 EGV und die rule of reason, 1997, insbesondere S. 177 ff.), s. oben S. 382 ff. St. Anderman (EC Compétition Law and Intellectual Property Rights, 1998, S. 67) hebt hervor, dass der Gerichtshof auf die Unterscheidung von Bestand und Ausübung sowie auf die Lehre vom spezifischen Gegenstand nicht eingeht. 799 Zum Verhältnis von Technologieverbreitung, Markterschließung und Wettbewerbsförderung s. Th. Ackermann, Art. 85 Abs. 1 EGV und die rule of reason, 1997, S. 180 ff.
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das Ziel der M a r k t i n t e g r a t i o n der H e r s t e l l u n g absoluten G e b i e t s s c h u t z e s e n t g e g e n s t e h t . 8 0 0 D i e beiden Vertragsklauseln, nach denen der L i z e n z n e h m e r gegen I m p o r t e nach D e u t s c h l a n d aus d e m S o r t e n s c h u t z r e c h t v o r z u g e h e n u n d der L i z e n z g e b e r A u s f u h r e n nach D e u t s c h l a n d zu verhindern hat, f ü h r t e n in der Realität aber z u r H e r s t e l l u n g eines s o l c h e n a b s o l u t e n G e b i e t s s c h u t z e s mit W i r k u n g gegenüber D r i t t e n . 8 0 1 D a b e i b e t o n t der G e r i c h t s h o f , dass die rein tatsächliche
Herstellung absolu-
ten G e b i e t s s c h u t z e s für ein V e r b o t ausreiche; es sei nicht e r f o r d e r l i c h , dass der G e b i e t s s c h u t z auch r e c h t l i c h B e s t a n d habe. D i e s e Ü b e r l e g u n g b e z o g sich auf die M ö g l i c h k e i t der Parallelimporteure, sich auf den E r s c h ö p f u n g s g r u n d s a t z z u b e r u f e n und damit den M a r k t z u g a n g nach D e u t s c h l a n d zu erstreiten. D i e s e M ö g l i c h k e i t n i m m t den g e n a n n t e n Vertragsklauseln nach A u f f a s s u n g des G e r i c h t s h o f s nicht ihren w e t t b e w e r b s b e s c h r ä n k e n d e n Z w e c k : „Diese Zuständigkeit der Kommission [zur Anwendung von Art. 85 EWGV] wird nicht dadurch beeinträchtigt, daß von derartigen Einschränkungen betroffene Einzelpersonen oder Unternehmen in der Lage wären, sich auf Bestimmungen des EWG-Vertrags über den freien Warenverkehr zu berufen, um sich diesen Einschränkungen zu entziehen." 802 D e n darin liegenden G e d a n k e n hat H. Ullrich
die „Parallelwertung u n d W e c h -
selbezüglichkeit v o n F r e i v e r k e h r und W e t t b e w e r b s f r e i h e i t " 8 0 3 genannt: D i e auf e i n e m Vertrag b e r u h e n d e A b w e h r zulässiger Paralleleinfuhren ist i m m e r als W e t t b e w e r b s b e s c h r ä n k u n g zu w e r t e n , eine Freistellung k o m m t nicht in B e t r a c h t . 8 0 4 D i e s e Aussage ist ein k o n k r e t e r A n w e n d u n g s f a l l der allgemeinen 800 Seit EuGH, 13.7.1966, Consten und Grundig/Kommission, Verb. Rs. 56 und 58/64, Slg. 1966, 321 (391 ff.); EuGH, 20.6.1978, Tepea/Kommission, Rs. 28/77, Slg. 1978, 1391 (1416 f. Tz. 52/57). Kritisch zu einem per se-Verbot des absoluten Gebietsschutzes Th. Ackermann, Art. 85 Abs. 1 EGV und die rule of reason, 1997, S. 97 ff. 801 „Maissaatgut" Slg. 1982, 2071 Tz. 64 ff. H. Ullrich (in I/M EG-Wettbewerbsrecht, Bd. I, 1997, S. 1307 Rdnr. 40 Fn. 300) weist auf die terminologische Ungenauigkeit der „Maissaatgut"-Entscheidung hin: Absoluter Gebietsschutz wird als Schutz vor Dritten, nämlich Parallelimporteuren und Lizenznehmern für andere Gebiete definiert („Maissaatgut" Slg. 1982, 2068 Tz. 53, anders aber S. 2070 Tz. 61). Dies könnte man dahingehend missverstehen, dass auch der Schutz vor Direktlieferungen durch andere Lizenznehmer als „absoluter" Gebietsschutz bezeichnet wird. Aus dem Zusammenhang ergibt sich jedoch, dass mit dem Begriff des absoluten Gebietsschutzes nur der Schutz vor Paralleleinfuhren gemeint ist, also vor der Einfuhr von Erzeugnissen, die mit Zustimmung des Berechtigten an einem beliebigen Ort der EG (bzw. des EWR) bereits in den Verkehr gebracht worden sind. Der Schutz vor Direktlieferungen seitens anderer Lizenznehmer ist dagegen Teil der „offenen" Ausschließlichkeit, die unter den besonderen Voraussetzungen der „Maissaatgut"-Entscheidung dem Tatbestand von Art. 81 Abs. 1 EGV entzogen sein kann. Weitergehend R. Sack (RIW 1997, 449, 452 ff.), der den Direktvertrieb dem spezifischen Gegenstand des Schutzrechts zuweist und damit in diesen Fällen Art. 81 Abs. 1 EGV von vornherein nicht anwendet (s. oben Fn. 441).
„Maissaatgut" Slg. 1982, 2070 Tz. 63. H. Ullrich, in I/M EG-Wettbewerbsrecht, Bd. 1,1997, S. 1220 f. Rdnr. 14. 804 Ebenso Kommission, Entscheidung 90/38/EWG vom 13.12.1989 (IV/32.026 - Bayo-nox), ABl. 1990 L 21/71 (78 Tz. 60 f.); Entscheidung 90/645/EWG vom 28.11.1990 (IV/32.877 Bayer Dental), ABl. L 351/46 (48 f. Tz. 9 ff.). 802 803
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Zielrichtung der gemeinschaftlichen Wettbewerbsregeln: Die Errichtung des Binnenmarktes durch die Abschaffung staatlicher Handelsbeschränkungen soll nicht ¿.urchprivate Wettbewerbsbeschränkungen konterkariert werden. 805 Stehen die Grundfreiheiten (über den Umweg der staatlichen Gesetzgebung) einem bestimmten Verhalten entgegen, wie z.B. der Verhinderung von Paralleleinfuhren von Waren, die mit Zustimmung des Berechtigten im E W R in den Verkehr gebracht worden sind, können sich Unternehmen nicht durch Vereinbarung untereinander gegen solche Importe wenden. Verhaltensweisen, die bereits durch die Grundfreiheiten ausgeschlossen werden, können nicht durch private Vereinbarungen wieder eingeführt werden. 806 Gleichzeitig lässt der Gerichtshof mit dieser Aussage die Grenzen des Markterschließungsgedankens erkennen: Auch wenn die Vereinbarung absoluten Gebietsschutzes in einem besonderen Einzelfall notwendig wäre, um einen neuen Wettbewerb zu eröffnen, würde der Gerichtshof das Verbot des Art. 81 Abs. 1 E G V anwenden. 807 Der Markterschließungsgedanke lässt sich also nicht verabsolutieren. Die Eröffnung neuen Wettbewerbs oder die Erschließung neuer Märkte sind keine Ziele, die alle Mittel rechtfertigen. Wie weit die Tragweite des Markterschließungsgedankens reicht, bedarf also weiterer Klärung. 808
S. bereits oben S. 288 f. Diese Aussage ist die Vorstufe zu den Argumenten zum Verhältnis von Grundfreiheiten und Wettbewerbsregeln, oben S. 325: Dort wurde ausgeführt, dass die Anwendung der Lehre vom spezifischen Gegenstand auf die per definitionem den spezifischen Gegenstand nicht übersteigenden nationalen Schutzrechte zu einer vollständigen Immunisierung vor Kartellrecht führen würde. Hier wird demgegenüber eine vorgelagerte Selbstverständlichkeit ausgeführt: Eine Verhaltensweise, die schon im Widerspruch zu den Grundfreiheiten steht (z.B. weil der spezifische Gegenstand des Schutzrechts verlassen wurde), verstößt auch gegen die Wettbewerbsregeln, wenn sie zum Gegenstand einer privaten Vereinbarung gemacht wird. 805
806
8 0 7 Jedenfalls was die Möglichkeit von Parallel- und Reimporten betrifft; zum Verbot aktiven und passiven Direktvertriebs zu Lasten anderer Lizenznehmer s.o. S. 302. Die einzige Ausnahme, die der Gerichtshof vom Verbot der Vereinbarung absoluten Gebietsschutzes kennt, ist die mangelnde Spürbarkeit, s. kritisch hierzu oben Fn. 704. Gegen diesen Ansatz wendet sich der Vorschlag von Th. Ackermann (Art. 85 Abs. 1 E G V und die rule of reason, 1997, S. 97 ff.), der sich gegen ein per se-Verbot absoluten Gebietsschutzes wendet, vgl. dazu oben Fn. 761 und 800. 8 0 8 Der Gerichtshof griff das „Maissaatgut"-Urteil in der Entscheidung „Erauw-Jacquery" wieder auf (EuGH, 19.4.1988, Rs.27/87, Erauw-Jacquery/La Hesbignonne, Slg. 1988, 1919, s. bereits oben S. 318). Auf den Markterschließungsgedanken ging er aber nicht mehr direkt ein. Er betonte die beträchtlichen finanziellen Opfer, die zur Entwicklung einer neuen Sorte erforderlich seien. Wer solche Opfer erbracht habe, müsse auch die Möglichkeit haben, sich gegen jede unsachgemäße Behandlung der Sorten zu schützen. Das Verbot des Verkaufs und der Ausfuhr von Basissaatgut (im Gegensatz zu Vermehrungssaatgut) sei deshalb vor dem Hintergrund von Art. 85 Abs. 1 E W G V nicht zu beanstanden („Erauw-Jacquery" Slg.1988, 1938 Tz. 10). Nicht der Markterschließungsgedanke, sondern eine bestimmte Sachnotwendigkeit stand also im Vordergrund. Dies leitet zur „Coditel II"-Entscheidung über (dazu sogleich im Text). Zur restriktiven Handhabung der „Maissaatgut"-Doktrin durch die Kommission s. Th. Ackermann, Art. 85 Abs. 1 E G V und die rule of reason, 1997, S. 250 ff.
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Recht
e) „Coditel II" Einen anderen Weg z u m gleichen Thema geht die „Coditel II"-Entscheidung des Gerichtshofs. 8 0 9 Ihr Gegenstand w a r ebenfalls eine ausschließliche L i z e n z an einem Immaterialgüterrecht, in diesem Fall an einem Urheberrecht. 8 1 0 N a c h d e m der Gerichtshof im „Coditel I"-Urteil festgestellt hatte, dass für den Erschöpfungsgedanken i m Zusammenhang mit dem unkörperlichen Filmvorführungsrecht kein R a u m sei, aus Art. 49 EGV also kein A r g u m e n t gegen die Schadensersatzpflicht w e g e n Verletzung des ausschließlichen Rechts abgeleitet w e r d e n könne, 8 1 1 hatte „Coditel II" die Frage z u m Gegenstand, ob die Schadensersatzpflicht wegen eines Kartellrechtsverstoßes entfiele. Dies sei dann der Fall, w e n n die Einräumung des ausschließlichen Filmvorführungsrechts gegen Art. 81 Abs. 1 EGV verstoße. In „Coditel II" k o m m t der Gerichtshof w i e in „Maissaatgut" zu dem Ergebnis, dass eine ausschließliche Lizenz nicht notwendigerweise v o m Tatbestand des Art. 81 Abs. 1 EGV erfasst w i r d . Eine ausschließliche Lizenz an einem U r heberrecht unterfalle nur dann Art. 81 Abs. 1 EGV, w e n n die ausschließliche L i z e n z auf dem konkreten M a r k t für Filme angesichts aller Besonderheiten dieses M a r k t e s nachweislich zu einer Wettbewerbsbeschränkung führe. 8 1 2 Es k o m m e darauf an, „ob durch diese A u s ü b u n g H i n d e r n i s s e errichtet w e r d e n , die im H i n b l i c k auf die B e d ü r f nisse der Filmindustrie künstlich u n d ungerechtfertigt sind, ob unangemessen hohe Vergütungen für die getätigten Investitionen ermöglicht w e r d e n oder ob eine A u s s c h l i e ß lichkeit herbeigeführt w i r d , deren D a u e r gemessen an diesen Bedürfnissen ü b e r m ä ß i g lang ist." 8 1 3
Hindernisse, die nicht künstlich oder ungerechtfertigt sind, sind danach mit Art. 81 Abs. 1 EGV vereinbar. A n d e r s als in der „Maissaatgut"-Entscheidung w i r d nicht ausdrücklich mit der Eröffnung eines neuen Wettbewerbs a r g u m e n tiert. 8 1 4 Vielmehr w i r d auf eine einzelfallorientierte A n a l y s e des konkreten Sachverhalts abgestellt, die den N a c h w e i s einer tatsächlichen Veränderung der Wettbewerbsverhältnisse z u m Ziel hat. Ist der Wettbewerb zwischen verschieEuGH, 6.10.1982, „Coditel II", Rs. 262/81, Slg.1982, 3381. Zum Sachverhalt s. die Ausführungen oben S. 278 f. zur „Coditel ¡"-Entscheidung. 811 S. oben S. 279 f. 812 „Coditel II" Slg.1982, 3402 Tz. 17. 813 „Coditel II" Slg.1982, 3402 Tz. 19. 814 Obwohl eine entsprechende Argumentation möglich wäre: Es wäre denkbar, dass ohne Gewährung einer ausschließlichen Lizenz der Lizenznehmer keinen Anreiz hätte, das wirtschaftliche Risiko der Filmvermarktung zu übernehmen. Die besonderen Verhältnisse des Filmmarkts führten den Gerichtshof allerdings zu einer umgekehrten Argumentation: A u f grund der Sprachunterschiede in Europa sei der europäische Filmmarkt von vornherein fragmentiert. Der Zwang zu verschiedenartiger Synchronisation, bzw. Untertitelung führe dazu, dass die auf einen Mitgliedstaat beschränkte ausschließliche Lizenz nicht geeignet sei, den Wettbewerb zu beschränken, „Coditel II" Slg. 1982, 3401 Tz. 16. 809 810
C. Immaterialgüterschutz
und europäisches
Kartellrecht
399
denen Lizenznehmern von vornherein erschwert, da der lizenzierte Film in den verschiedenen Ländern nur mit unterschiedlicher Synchronisation oder Untertitelung in Verkehr gebracht werden kann, liegt in der Gewährung ausschließlicher Lizenzen für einzelne Mitgliedstaaten keine Wettbewerbsbeschränkung. Die Ausführungen des Gerichtshofs könnten zu der Annahme verleiten, es solle schon das Vorliegen eines beschränkungsfähigen Wettbewerbs verneint werden. Eine solche Schlussfolgerung würde aber zu weit gehen: Schließlich reicht für Art. 81 Abs. 1 EGV ein bloß potentieller Wettbewerb aus. Der Lizenznehmer für ein bestimmtes (Sprach-)Gebiet müsste bei Fehlen einer ausschließlichen Lizenz immer damit rechnen, dass Lizenznehmer anderer Gebiete die Kosten nicht scheuen, die durch eine sprachliche Anpassung entstehen. Außerdem bliebe den anderen Lizenznehmern die Möglichkeit, den Film in der Originalfassung oder einer anderen verfügbaren sprachlichen Version vorzuführen. Das Vorliegen zumindest potentiellen Wettbewerbs unter den Lizenznehmern kann deshalb nicht verneint werden. 8 1 5 Die entscheidende Passage der „Coditel II"-Entscheidung zu den Voraussetzungen einer Wettbewerbsbeschränkung ist die Feststellung, dass nur Hindernisse, „die im Hinblick auf die Bedürfnisse der Filmindustrie künstlich und ungerechtfertigt sind," unter den Tatbestand des Art. 81 Abs. 1 EGV fallen. 8 1 6 Daraus folgt, dass solche Hindernisse, die nicht künstlich sind, oder für die eine sachliche Rechtfertigung zu finden ist, vom Kartellverbot nicht erfasst werden. Diese Argumentation erinnert an den Gedankengang der Immanenztheorie, übersteigt deren Anwendungsbereich jedoch deutlich. Während nach der Immanenztheorie Beschränkungen, die ihren sachlichen Grund in den Erfordernissen bestimmter Rechtsinstitute oder Vertragstypen finden, vom Kartellverbot ausgenommen sein können, werden in „Coditel II" pauschal die Bedürfnisse eines ganzen Industriezweigs, nämlich der Filmindustrie als Rechtfertigungsgrund herangezogen. Eine solche Argumentation führt sehr weit: Bestimmte Bedürfnisse einer Branche werden zum Anlass einer weitgehenden Einschränkung des Kartellverbots genommen. 8 1 7
815 O f f e n bleibt in den A u s f ü h r u n g e n des Gerichthofs die Frage, ob der Tatbestand von Art. 81 A b s . 1 EGV schon w e g e n des Fehlens einer Wettbewerbsbeschränkung oder aber m a n gels Spürbarkeit einer solchen B e s c h r ä n k u n g verneint w i r d . D i e N e i g u n g zu einer integrierten P r ü f u n g von B e s c h r ä n k u n g und Spürbarkeit w u r d e auch im „ M a i s s a a t g u t " - F a l l deutlich. W i e dort ergibt sich aus d e m Z u s a m m e n h a n g der A r g u m e n t a t i o n u n d d e m offenen W e t t b e w e r b s begriff, dass das M e r k m a l der W e t t b e w e r b s b e s c h r ä n k u n g u n d nicht erst die Spürbarkeit Gegenstand der A u s f ü h r u n g e n ist (vgl. oben Fn. 796). 8 1 5 „ C o d i t e l II" Slg. 1982, 3402 Tz. 19. 817 H. Ullrich weist zu Recht darauf hin, dass die „ C o d i t e l II"-Entscheidung weit ü b e r die „ M a i s s a a t g u t " - E n t s c h e i d u n g hinausgehe („eine tendenziell noch größere Kartellrechtsausn a h m e f ü r ausschließliche Gebietslizenzen"). N i c h t die hohe Schwelle der Verbreitung von Pioniertechnologien, sondern bloße Branchenbräuche u n d - b e d ü r f n i s s e f ü h r t e n zu A u s n a h -
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4. Teil: Europäisches
Recht
Eine unbegrenzte Verallgemeinerung dieses Gedankens ist nicht statthaft: Eine Einschränkung des Kartellverbots durch beliebige Sachnotwendigkeiten würde zu einem unkontrollierten Einbruch in das Wettbewerbsrecht führen. Die Coditel Ii-Entscheidung ist letztlich nur mit der besonderen, stark fragmentierten Lage des europäischen Filmmarkts zu erklären. Keinesfalls darf aus der Entscheidung geschlossen werden, dass „Bedürfnisse" eines bestimmten Industriezweigs einen Umstand darstellen, der zur Zurücknahme des Kartellverbots geeignet ist. Der Gefahr einer zu starken Einschränkung von Art. 81 Abs. 1 E G V ist durch eine strenge Notwendigkeitsprüfung zu begegnen: Die Vereinbarung der Ausschließlichkeit muss notwendig sein, um das betreffende Gebiet mit dem urheberrechtlich geschützten Werk zu versorgen. Dies ist nach Auffassung des Gerichtshofs angesichts der bereits genannten Besonderheiten der europäischen Filmindustrie der Fall. Dabei lässt es der Gerichtshof nicht bewenden. Außer der Notwendigkeit fordert er Angemessenheit: Wirtschaftliche und rechtliche Begleitumstände können trotz grundsätzlicher Notwendigkeit der ausschließlichen Lizenz eine Einschränkung des Filmvertriebs oder eine Verfälschung des Wettbewerbs auf dem Markt für Filme bewirken. 818 Dies ist z.B. der Fall bei unangemessen hohen Vergütungen oder bei übermäßig langer Dauer der Ausschließlichkeitsbindung. Die Kriterien der Notwendigkeit und der Angemessenheit erinnern an den Verhältnismäßigkeitsgrundsatz, unterteilt in die Grundsätze der Geeignetheit, Erforderlichkeit und Verhältnismäßigkeit im engeren Sinne. 819 Der derart untergliederte Verhältnismäßigkeitsgrundsatz gilt bei der Einschränkung der Grundfreiheiten durch geschriebene oder ungeschriebene Schranken. Er hat seine Geltung auch hier im Zusammenhang mit der Einschränkung der Wettbewerbsregeln durch geschriebene (Art. 81 Abs. 3 EGV) oder ungeschriebene Schranken. (3) Mögliche Lösungsansätze Möglichkeiten und Grenzen der Einbeziehung wettbewerbsfördernder Elemente in den Begriff der Wettbewerbsbeschränkung sind Gegenstand einer der heftigsten Kontroversen im europäischen Kartellrecht. Während der Standpunkt der Gegner relativ klar definiert ist, müssen Befürworter einer solchen Einbeziehung begründen, in welchem Umfang sie die Berücksichtigung wettbewerbsfördernder Gesichtspunkte zulassen. Die folgende Einteilung der Standpunkte weist sachliche Parallelen zur Sack'sehen Untergliederung im Zusammenhang mit der Lehre vom spezifi-
men vom Kartellverbot ( H . Ullrich, Lizenzverträge im europäischen Wettbewerbsrecht, Mitt 1998,50, 54). 818 „Coditel II" Slg. 1982, 3402 Tz. 17. 819 Zur Geltung dieser Grundsätze auch im europäischen Recht s. bereits oben S. 231.
C. Immaterialgüterschutz
und europäisches
Kartellrecht
401
sehen Gegenstand auf. 8 2 0 D i e Entsprechungen werden im Text jeweils kenntlich gemacht. D i e U b e r e i n s t i m m u n g ist kein Zufall: D i e verschiedenen H a l t u n gen zum Fundamentalansatz für das Verhältnis von Immaterialgüterschutz und Kartellrecht wirken sich direkt auf die innerkartellrechtliche Frage nach dem richtigen Begriff der Wettbewerbsbeschränkung aus. Zu unterscheiden sind - unter Heranziehung der bereits weiter oben beschriebenen Kategorien 8 2 1 ( a ) das K o n z e p t der formalen Wettbewerbsbeschränkung, (ß) die Markterschließungsdoktrin (bzw. Wettbewerbseröffnungstheorie im kartellrechtlichen Sinn) 8 2 2 und (y) die L e h r e von der materiellen Wettbewerbsbeschränkung. D a rauf folgt die Begründung des eigenen Standpunkts. D i e verwendeten K a t e g o rien werden in idealtypischer Zuspitzung verwendet und spiegeln nicht n o t wendigerweise real vertretene Positionen wider. a ) K o n z e p t der formalen Wettbewerbsbeschränkung Lässt man die formale Einschränkung der Handlungsfreiheit in B e z u g auf ein Wettbewerbsparameter für das Vorliegen einer W e t t b e w e r b s b e s c h r ä n k u n g ausreichen, ist damit notwendigerweise die Berücksichtigung
wettbewerbsför-
dernder U m s t ä n d e auf der E b e n e des Tatbestands ausgeschlossen. 8 2 3 Dieser Standpunkt entspricht dem oben skizzierten „rein kartellrechtlichen A n s a t z " , nach dem immaterialgüterrechtliche Wertungen bei der kartellrechtlichen W ü r digung beschränkender Vereinbarungen prinzipiell nicht zu berücksichtigen sind. D i e s e r E x t r e m p o s i t i o n wurde bereits oben ein Verstoß gegen den G r u n d satz der Einheit der R e c h t s o r d n u n g vorgeworfen. 8 2 4 D e r K o n f l i k t mehrerer Rechtsgebiete kann nicht durch eine apriorische Primatserklärung im Sinne einer kategorischen U n t e r o r d n u n g eines Rechtsgebiets unter ein anderes gelöst werden. Stattdessen ist durch den reziproken Austausch von Wertungen praktische K o n k o r d a n z herzustellen. ß) Markterschließungsdoktrin im weiteren Sinn D i e Markterschließungsdoktrin in ihrer denkbar weitesten F o r m will eine A b wägung aller wettbewerbsförderlichen und - h i n d e r l i c h e n A u s w i r k u n g e n einer Vereinbarung vornehmen. D a s Ergebnis dieser A b w ä g u n g entscheidet darüber, o b eine tatbestandsmäßige Wettbewerbsbeschränkung vorliegt. U n t e r dem B e griff der Markterschließungsdoktrin im weiteren Sinn soll im folgenden ein sol-
S. oben S. 328 ff. S. oben S. 354 ff. 822 Zur Mehrdeutigkeit des Begriffs der Wettbewerbseröffnungslehre s. oben S. 388 f. 823 Ein Teil der Lehre lehnt die flexible Handhabung von Art. 81 Abs. 1 EGV insbesondere mit dem Argument aus Absatz 3 der Vorschrift ab: H. Schröter, in von der Groeben Art. 85 Abs. 1 EGV Rdnr. 82; N. Koch in Grabitz/ Hilf Art. 85 EWGV Rdnr. 103 f. (Vorauflage). 824 S. oben S. 331. 820 821
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4. Teil: Europäisches
Recht
eher umfassender Saldierungsbefehl verstanden werden. Insbesondere ist nicht erforderlich, dass die wettbewerbsschädlichen Auswirkungen notwendig zur Erreichung der wettbewerbsfördernden Ziele sind. Allein der positive Saldo der förderlichen über die schädlichen Auswirkungen entscheidet darüber, ob der Tatbestand von Art. 81 Abs. 1 EGV erfüllt ist. Die Markterschließungsdoktrin in diesem umfassenden Sinn kommt der Wettbewerbseröffnungstheorie im immaterialgüterrechtlichen Sinn sehr nahe: Nach ihr werden die wettbewerbshinderlichen Wirkungen einer Vereinbarung in den Hintergrund geschoben, wenn und weil durch den Vertrag (beispielsweise einen Lizenzvertrag) ein Technologietransfer und damit die Eröffnung neuen Wettbewerbs zu Stande kommt. Eine Parallele besteht ebenfalls zur Lehre vom spezifischen Gegenstand: Soweit sie Verhaltensweisen innerhalb des spezifischen Gegenstands eines Schutzrechts vom Kartellverbot freistellt, beruht dies letztlich auf der gleichen Überlegung, nämlich dass solche Beschränkungen per se durch die wettbewerbsanregenden Wirkungen des Schutzrechts kompensiert werden. Die Markterschließungsdoktrin im weiteren Sinn stellt damit den extremen Gegenpol zur Lehre von der formalen Wettbewerbsbeschränkung dar: Während diese - ohne jede Gewichtung - jede Einschränkung wettbewerbsbezogener Handlungsmöglichkeiten als tatbestandsmäßige Wettbewerbsbeschränkung ansieht, wird nach der Markterschließungsdoktrin eine Gewichtung der positiven und negativen Auswirkungen in vollem Umfang zugelassen. 825 Letztlich führt eine extensive Befürwortung des Markterschließungsgedankens zurück zur Inhaltstheorie: Da die vertragliche Einräumung von immaterialgüterrechtlichen Nutzungsrechten prinzipiell neuen Wettbewerb eröffnet, wäre im Schutzbereich des Ausschließlichkeitsrechts der Tatbestand von Art. 81 Abs. 1 EGV zu verneinen. y) Konzept der materiellen Wettbewerbsbeschränkung, bzw. Markterschließungsdoktrin im engeren Sinn In die Mitte zwischen den genannten Extrempositionen positioniert sich die Lehre von der materiellen Wettbewerbsbeschränkung. Einerseits ist die Einschränkung wettbewerbsbezogener Handlungsmöglichkeiten zwar notwendige, nicht aber hinreichende Bedingung für das Vorliegen einer tatbestandsmäßi825
Während die Lehre von der formalen Wettbewerbsbeschränkung auf keine methodischen Bedenken stößt, sprengt die Markterschließungsdoktrin, verstanden im allerweitesten Sinn, die Grenzen der methodischen Vertretbarkeit, insbesondere im Hinblick auf das Verhältnis von Art. 81 Abs. 1 und Abs. 3 EGV. Wie bei ihrer Parallellehre für das Grundverhältnis zwischen Immaterialgüterrecht und Kartellrecht, also der Wettbewerbseröffnungstheorie im immaterialgüterrechtlichen Sinn, finden sich keine aktuellen Vertreter dieses Standpunkts (vgl. oben Fn. 392 und 534). Zur Auffächerung der möglichen Standpunkte ist die Skizzierung dieser Extremlehre dennoch erforderlich.
C. Immaterialgüterschutz
und europäisches
Kartellrecht
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gen Wettbewerbsbeschränkung. Andererseits reicht das Uberwiegen wettbewerbsfördernder über wettbewerbshindernde Umstände nicht aus, um den Tatbestand von Art. 81 Abs. 1 EGV entfallen zu lassen. Eine Abwägung positiver und negativer Wirkungen findet zwar statt, aber nicht in beliebigem Umfang. Eingrenzendes Merkmal ist das der Erforderlichkeit, bzw. der Notwendigkeit: Eine Vereinbarung ist trotz wettbewerbshindernder Auswirkungen mit Art. 81 Abs. 1 EGV vereinbar, wenn das betreffende Hindernis notwendig ist, um bestimmte wettbewerbsfördernde Ziele zu erreichen. 826 Dieser Standpunkt lässt sich deshalb auch als Markterschließungsdoktrin im engeren Sinn bezeichnen: Es wird kein allgemeines Saldierungsgebot vertreten. Positive Auswirkungen auf den Wettbewerb werden nur dann berücksichtigt, wenn die vereinbarten Beschränkungen erforderlich sind, um das wettbewerbsfördernde Ziel zu erreichen. Ein Pendant unter den Grundsatztheorien ist nicht zu finden. Die Markterschließungsdoktrin im engeren Sinn vermeidet eine generelle Beschreibung und Entscheidung des Konflikts zwischen Immaterialgüterrecht und Kartellrecht und setzt statt dessen auf die Einbeziehung aller relevanten Wertungen. (4) Eigener Standpunkt Das Konzept der materiellen Wettbewerbsbeschränkung entspricht damit dem Standpunkt, der oben in Auseinandersetzung mit den Grundsatztheorien zum Verhältnis von Immaterialgüterrecht und Kartellrecht entwickelt wurde. 827 Weder ein Primat des Kartellrechts („Rein kartellrechtlicher Ansatz"), noch ein Primat des Immaterialgüterrechts in unbeschränkter („Wettbewerbseröffnungstheorie") oder beschränkter („Lehre vom spezifischen Gegenstand") Form ist statthaft. Beide Extremstandpunkte führen zu keinem befriedigenden Ergebnis. Die prinzipielle Nichtberücksichtigung positiver Wirkungen durch das formale Beschränkungskonzept ist unvereinbar mit dem materiellen Begriff der Wettbewerbsbeschränkung: Wenn jegliche wettbewerbsrelevante Einschränkung von Handlungsparametern dem Begriff der Wettbewerbsbeschränkung unterfällt, führt die Ablehnung einer maßvollen Tatbestandsrestriktion zur Gefahr einer uferlosen Überspannung des Kartellverbots. 828 Andererseits 826 Z.B. Bunte/Sauter, EG-Gruppenfreistellungsverordnungen, 1988, Einführung S. 153 ff. Rdnr. 8 ff. Im Merkmal der Notwendigkeit liegt eine Parallele zu der restriktiv gefassten rule of reason i.S. von Th. Ackermann (s.o. S. 383 und 386) Für eine differenzierte Lösung, also eine restriktive Auslegung des Begriffs der Wettbewerbsbeschränkung H. Köhler, Kartellrechtliche Grenzen der Warenzeichenverwertung, 1991, S. 39 (52ff.)./. Fritzsche (oben Fn. 699), ZHR 160 (1996) 31, insbesondere S. 53 ff., leitet die vorsichtige Einbeziehung des Wettbewerbseröffnungsgedankens dogmatisch aus einer systematischen und teleologischen Auslegung des EG-Vertrags ab, s. dazu unten S. 408 f. 827 S. oben S. 333. 828 Sucker/Guttuso, in von der Groeben Art. 85 EGV - Fallgruppen Immaterialgüterrechte, Rdnr. 50; G. Wiedemann, Kommentar GFVO, 1989, AT Rdnr. 24 ff.; Bellamy/Child,
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4. Teil: Europäisches
Recht
bringt die vollständige Erfassung positiver Wettbewerbswirkungen im R a h m e n von Art. 81 Abs. 1 E G V durch eine weit gefasste Markterschließungsdoktrin das Verhältnis von Art. 81 Abs. 1 und 3 E G V aus dem Gleichgewicht: E i n e F r e i stellung setzt die Verbesserung der Warenerzeugung oder die F ö r d e r u n g des technischen oder wirtschaftlichen Fortschritts voraus, stellt also erkennbar auf den Saldo von positiven und negativen E f f e k t e n ab. N i m m t man die Saldierung bereits auf Tatbestandsebene vor, bleibt für A r t . 81 Abs. 3 E G V kein eigener Anwendungsbereich.829 E s ist also ein mittlerer Weg zwischen den E x t r e m s t a n d p u n k t e n anzusteuern, der die genannten Schwächen vermeidet. D i e hierbei erforderlichen A b w ä gungsvorgänge haben sich im R a h m e n der rechtlichen Vorgaben, also u.a. des Zusammenspiels von Art. 81 A b s . 1 und 3 E G V zu halten. Wettbewerbsfördernde W i r k u n g e n k ö n n e n - in n o c h zu ermittelndem U m f a n g - bereits auf Tatbestandsebene berücksichtigt werden. Dies kann in H i n b l i c k auf A r t . 81 Abs. 3 E G V j e d o c h nicht schrankenlos geschehen. E i n e strenge Fassung des Markterschließungsgedankens in F o r m des K o n z e p t s der materiellen W e t t b e werbsbeschränkung ist in der Lage, diese Aufgabe zu erfüllen. D e r N a c h t e i l einer solchen auf den Einzelfall abstellenden L ö s u n g ist sicherlich der Mangel an Rechtssicherheit. 8 3 0 D e r Vorteil besteht im Verzicht auf pauschale Klassifizierungen, die den wirtschaftlichen K o n t e x t der jeweiligen Vereinbarung unberücksichtigt lassen. F ü r die k o n k r e t e Prüfungsfolge ergibt sich daraus folgendes: D i e einverständliche Festlegung wettbewerbsrelevanter Handlungsparameter
indiziert
zunächst die A n w e n d u n g von A r t . 81 A b s . 1 E G V . D a b e i hat es nicht sein B e wenden. Einzelne, sorgsam eingegrenzte U m s t ä n d e mit w e t t b e w e r b s f ö r d e r n der Zielrichtung k ö n n e n den Tatbestand des Kartellverbots entfallen lassen. D e r U m f a n g einer solchen Materialisierung des Beschränkungsbegriffs ist im folgenden zu bestimmen. Common Market Law of Competition, 1993, Rdnr. 2-062 f.; B. van der Esch, Der Stellenwert des unverfälschten Wettbewerbs, WuW 1988, 563 (571 f.). Generalanwalt M. Darmon hat in seinem Schlussantrag in „Bayer/Süllhöfer" (oben Fn. 456) im Zusammenhang mit dem Lizenzkartellrecht folgende Frage gestellt: „Kann die Schwere dieser Beeinträchtigung des Wettbewerbs [nämlich durch die Nichtangriffsklause] durch andere grundsätzliche Erwägungen ausgeglichen werden?" (GA M. Darmon, Slg. 1988, 5277 Tz. 9). Unter Anführung der „Remia"-Entscheidung (unten Fn. 866) schloss er: „Sie sind somit nicht davon ausgegangen, daß die solchen Klauseln aufgrund ihrer Natur innewohnende Wettbewerbswidrigkeit es verbiete, zu prüfen, welche positiven Auswirkungen sie möglicherweise konkret im Hinblick auf den Wettbewerb haben" (ebenda, Slg. 1988, 5278 Tz. 13). In der Tat folgt schon aus der Existenz der Immanenztheorie auf europäischer Ebene, dass die Berücksichtigung wettbewerbsfördernder Umstände auf der Ebene von Art. 81 Abs. 1 EGV nicht ausgeschlossen ist. S. bereits oben S. 362 ff. S. hierzu G. Schricker, WRP 1980, 121 (126);/. Fritzsche (oben Fn. 699), ZHR 160 (1996) 31 (58); St. Singer, Ausschließliche Patentlizenz- und Know-how-Verträge nach deutschem, amerikanischem und europäischem Kartellrecht, 1997, S. 289 ff. 829 830
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Kartellrecht
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(5) Präzisierung Der tiefere Grund für die Einbeziehung des Markterschließungsgedankens in den Tatbestand von Art. 81 Abs. 1 EGV ist der materielle Begriff der Wettbewerbsbeschränkung. Der tiefere Grund für die Engführung des Markterschließungsgedankens ist das Verhältnis von Art. 81 Abs. 1 und Abs. 3 EGV. Es bedarf klarer Vorgaben, welche wettbewerbsfördernden Wirkungen bereits im Tatbestand von Art. 81 Abs. 1 EGV und welche erst bei der Prüfung einer Freistellung nach Art. 81 Abs. 3 EGV Berücksichtigung finden können. Im wesentlichen existieren zwei Voraussetzungen, die zu einer Beachtung wettbewerbsfördernder Umstände bereits bei der Frage der Einschlägigkeit des Kartellverbots führen. a) Nebenabreden Erstens können nur Nebenabreden auf ihre Wettbewerbsförderlichkeit untersucht werden. Diese Voraussetzung wird üblicherweise nur im Zusammenhang mit der US-amerikanischen ancillary restraints-, bzw. der deutschen Immanenztheorie genannt. Nach diesen beiden Lehren können wettbewerbsbeschränkende Nebenabreden rechtmäßig sein, wenn der Vertrag im ganzen einem rechtlich anerkannten Hauptzweck dient, der als solcher wettbewerbsrechtlich neutral ist. 831 Das Erfordernis der Nebenabrede ist in gleicher Weise für die Markterschließungsfälle zu fordern. 832 Bildet die Wettbewerbsbeschränkung dagegen den Hauptzweck einer Vereinbarung, ist der Markterschließungsgedanke nicht anwendbar. O b eine Beschränkung eine bloße Nebenabrede darstellt oder als Hauptzweck der Vereinbarung zu werten ist, ist unter Heranziehung des gesamten rechtlichen und wirtschaftlichen Zusammenhangs der Vereinbarung zu ermitteln. ß) Erforderlichkeit Zweitens muss die beschränkende Nebenabrede erforderlich sein, um die überwiegenden, wettbewerbsfördernden Zielsetzungen der Vereinbarung zu erreichen. Im Gegensatz zur Markterschließungsdoktrin im weiteren Sinn reicht ein positiver Saldo der fördernden über die hindernden Umstände nicht zur Ver831
S. Thal, Die Geltung einer Rule of Reason im deutschen Kartellrecht, WuW 1970, 319
(324). 832 Die unten S. 416 gemachten Ausführungen über die Ähnlichkeit zwischen der Immanenztheorie und dem anglo-amerikanischen Konzept der ancillary restraints lassen sich auch auf das Verhältnis von Markterschließungstheorie und ancillary restraints-Lehre übertragen: Beiden Konzepten liegt das Ziel zugrunde, bloße Nebenabreden unter bestimmten Voraussetzungen von der Anwendung des Kartellverbots auszunehmen. Dass sowohl Markterschließungs- als auch Immanenztheorie eine Verwandtschaft mit der ancillary restraints-hehre aufweisen, beruht darauf, dass beide Konzepte ähnliche Ziele verfolgen und fließende Ubergänge zueinander aufweisen, s. dazu unten S. 417 f.
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4. Teil: Europäisches
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neinung des Kartellverbots aus. Die Erforderlichkeit, bzw. Notwendigkeit der Beschränkung für die Förderung des Wettbewerbs unterscheidet die Markterschließungslehre i.e.S. von einer weit verstandenen Wettbewerbseröffnungstheorie. 833 Das Merkmal der Erforderlichkeit dient also der Eingrenzung des Markterschließungsgedankens und verhindert einen unkontrollierten Einbruch in den Anwendungsbereich von Art. 81 Abs. 1 EGV. 834 Dennoch ist ein isoliertes Abstellen auf die Erforderlichkeit nicht dazu geeignet, eine klare Abgrenzung zwischen Absatz 1 und 3 der Vorschrift herbeizuführen: Auch die Freistellung nach Art. 81 Abs. 3 EGV setzt unter Buchstabe a) voraus, dass nur „solche Beschränkungen auferlegt werden, die für die Verwirklichung dieser Ziele nicht unerläßlich sind". Die Unerlässlichkeit i.S. von Art. 81 Abs. 3 muss also von der Erforderlichkeit, bzw. Notwendigkeit i.S. der Markterschließungstheorie i.e.S. abgegrenzt werden. 835 Der Unterschied zwischen beiden Anforderungen besteht im Anwendungsbereich und im Bezugspunkt: Während der Markterschließungsgedanke nur beschränkende Nebenabreden zu rechtfertigen vermag, können Ausnahmen nach Art. 81 Abs. 3 für alle denkbaren Wettbewerbsbeschränkungen erteilt werden, unabhängig davon, ob es sich um Haupt- oder Nebenzwecke handelt. 836 Außerdem bezieht sich die Erforderlichkeit der Markterschließungstheorie i.e.S. auf die Notwendigkeit der Beschränkung für die Konstituierung eines neuen Marktes, bzw. den Zutritt hierzu. Im Gegensatz hierzu bezieht sich die Unerlässlichkeit im Rahmen von Art. 81 Abs. 3 EGV auf die Verbesserung der Produktion oder Distribution, bzw. die Förderung des technischen oder wirt833 S. hierzu oben S. 387 ff. H.-G. Koppensteiner (oben Fn. 684, § 17 Rdnr. 25, S. 338) scheidet bezüglich der Entscheidungen zum selektiven Vertrieb die „ancillary restraints"-Deutung aus, da der Gerichtshof die Zulässigkeit des selektiven Vertriebs nicht von der Unmöglichkeit anderer Vertriebsformen abhängig gemacht habe. O b hierin ein Verzicht auf das Merkmal der Erforderlichkeit liegt, hängt aber wohl vom Bezugspunkt ab. Kommt es darauf an, dass der selektive Vertrieb überhaupt dazu erforderlich ist, das betreffende Produkt abzusetzen, oder reicht es demgegenüber aus, dass der selektive Vertrieb erforderlich ist, um das Produkt angemessen zu präsentieren? S. hierzu Th. Ackermann, Art. 85 Abs. 1 EGV und die rule of reason, 1997, S. 171 ff. 834 Eingehend zum Kriterium der Erforderlichkeit, allerdings im Kontext der (von ihm geforderten) rule of reason, Th. Ackermann, Art. 85 Abs. 1 EGV und die rule of reason, 1997, S. 243 ff. 835 Eine noch größere Ähnlichkeit der Prüfung von Art. 81 Abs. 1 und Abs. 3 EGV erhält man, wenn man wie H. Ullrich die teleologische Reduktion von Absatz 1 der Vorschrift an dieselben Voraussetzungen knüpft, die Art. 81 Abs. 3 EGV für die Erteilung einer Freistellung verlangt. Danach reicht die Prüfung der Erforderlichkeit nicht aus, sondern ist eine Tatbestandsreduktion nur „bei absoluter Wettbewerbsförderlichkeit, d.h. auch wettbewerblicher Angemessenheit" statthaft (H. Ullrich, in I/M EG-Wettbewerbsrecht, Bd. I, 1997, S. 1300 Rdnr. 33 Fn. 250). Zu diesem Ergebnis kommt man auch dann, wenn man als Grundvoraussetzung des Markterschließungsgedankens die Schaffung neuen Wettbewerbs fordert und die Erforderlichkeit als Ausprägung des allgemeinen Verhältnismäßigkeitsgrundsatzes versteht, s. dazu sogleich im Text. 836 Langen/Bunte, 9. Aufl. 2001, Art. 81 EGV - Generelle Prinzipien Rdnr. 146.
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Kartellrecht
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schaftlichen Fortschritts. D i e Unerlässlichkeit i.S. von A r t . 81 Abs. 3 E G V ist damit in sehr viel stärkerem M a ß Teil eines beweglichen Systems: Setzt man sich hohe Ziele bei Herstellung, Verteilung oder Fortschritt, k ö n n e n auch stärkere Wettbewerbsbeschränkungen „unerlässlich" sein. 8 3 7 In diesem P u n k t liegt auch der Unterschied des hier vertretenen Standpunkts zur A n n a h m e einer rule of reason. D i e geometrische Beziehung zwischen W e t t bewerbsverbesserung und den dazu erforderlichen B e s c h r ä n k u n g e n führt zu unabsehbaren E i n b r ü c h e n in den Tatbestand des Kartellverbots. 8 3 8 D i e hierdurch mögliche Rechtfertigung auch äußerst weitgehender Beschränkungen sollte den Freistellungsmodalitäten von Art. 81 Abs. 3 E G V vorbehalten bleiben. D i e Markterschließungsdoktrin i.e.S. ist zwar auch ein dynamisches K o n zept, da sie sich auf die Konstituierung eines (beliebigen) neuen Wettbewerbs bezieht. D i e Beschränkung auf anerkannte Fallgruppen sorgt j e d o c h für B e grenzung und Berechenbarkeit. W ä h r e n d nach Art. 81 A b s . 3 E G V , bzw. nach der rule of reason in denkbar weitestem U m f a n g technische oder wirtschaftliche Verbesserungen ausreichen, fordert der Markterschließungsgedanke nicht b l o ß die Verbesserung eines alten, sondern die Konstituierung eines neuen W e t t b e werbs, sei es durch Marktzutritt eines neuen Wettbewerbers, sei es durch die Konstituierung eines völlig neuen Marktes. D i e
Markterschließungstheorie
i.e.S. verbindet auf diese Weise die Notwendigkeit einer Materialisierung des Beschränkungsbegriffs mit dem Bedürfnis nach Schutz vor unkontrollierbaren Eingriffen ins Kartellverbot. A u c h wenn sich die Erforderlichkeit i.S. des Markterschließungsgedankens von der Unerlässlichkeit i.S. von Art. 81 Abs. 3 E G V , bzw. der rule of reason unterscheidet, sind beide Erfordernisse als Ausprägung des allgemeinen, dreigliedrigen Verhältnismäßigkeitsgrundsatzes zu verstehen. 8 3 9 Dies bedeutet: E r stens muss die betreffende Beschränkung überhaupt geeignet sein, den gewünschten E r f o l g herbeizuführen. Lässt dieser sich ohne die B e s c h r ä n k u n g herbeiführen, schlägt der Rechtfertigungsversuch fehl. Zweitens darf keine M a ß n a h m e mit geringerer Beschränkungsintensität ersichtlich sein, die das angestrebte Ziel in gleichem M a ß zu erreichen vermag. 8 4 0 Schließlich darf die B e 837 Ein Uberblick über mögliche Verbesserungen, die von Art. 81 Abs. 3 EGV erfasst werden, findet sich bei Langen ¡Bunte, 9. Aufl. 2001, Art. 81 EGV - Generelle Prinzipien Rdnr. 150 ff. 838 S. bereits oben S. 382 ff. 839 Zur Unerlässlichkeit i.S. von Art. 81 Abs. 3 EGV s. z.B. LangenIBunte, KartR, 9. Aufl. 2001, Art. 81 - Generelle Prinzipien Rdnr. 161 ff., der eine Parallele zur Anwendung des Verhältnismäßigkeitsgrundsatzes im Zusammenhang mit Beschränkungen des freien Warenverkehrs zieht. 840 Th. Ackermann (Art. 85 Abs. 1 EGV und die rule of reason, 1997, S. 243 f.) begnügt sich zu Recht (allerdings im Zusammenhang mit der rule of reason) damit, dass keine weniger restriktive, wirtschaftlich realistische („viable less restrictive alternative") Möglichkeit existiert. Es kommt nicht auf Alternativen an, die zwar weniger einschneidend sind, die aber u.U. aufgrund hoher Kosten und Risiken ineffizient sind.
408
4. Teil: Europäisches
Recht
s c h r ä n k u n g n i c h t a u ß e r V e r h ä l t n i s z u r V e r b e s s e r u n g des
wettbewerblichen
Umfelds stehen.841 y) V e r e i n b a r k e i t d e r M a r k t e r s c h l i e ß u n g s d o k t r i n i.e.S. m i t A r t . 81 E G V E i n V e r g l e i c h e r g i b t a l s o eine U b e r e i n s t i m m u n g in der S t r u k t u r , a b e r e i n e n U n t e r s c h i e d i n d e r S a c h e . B e h ä l t m a n die U n t e r s c h i e d e in A n w e n d u n g s b e r e i c h u n d B e z u g s p u n k t i m A u g e , ist eine k l a r e A b g r e n z u n g z w i s c h e n d e r E r f o r d e r l i c h k e i t i.S. der M a r k t e r s c h l i e ß u n g s d o k t r i n i.e.S. u n d d e r A u s n a h m e v o r s c h r i f t des A r t . 81 A b s . 3 E G V e r z i e l t . I n i h r e r s t r e n g e n V e r s i o n ist s o m i t die M a r k t e r s c h l i e ß u n g s d o k t r i n m i t d e m S t u f e n s y s t e m v o n A r t . 81 E G V v e r e i n b a r . (6) M e t h o d i s c h e B e g r ü n d u n g D i e Berücksichtigung wettbewerbsfördernder U m s t ä n d e bereits im Tatbestand v o n A r t . 81 A b s . 1 E G V m a c h t eine b e s o n d e r e m e t h o d i s c h e R e c h t f e r t i g u n g erforderlich. a ) D e r Vorschlag von J. Fritzsche /. Fritzsche
hat e i n e e i n g e h e n d e B e g r ü n d u n g f ü r eine s o l c h e V o r g e h e n s w e i s e
g e g e b e n , die d e n g e s a m t e n P r o b l e m k r e i s v o n rule of reason,
Immanenztheorie
und Wettbewerberöffnungslehre betrifft.842 D i e Einbeziehung
wettbewerbs-
f ö r d e r n d e r U m s t ä n d e in A r t . 81 A b s . 1 E G V t r o t z B e h a n d l u n g d e r T h e m a t i k i n A r t . 81 A b s . 3 E G V , b z w . die N i c h t a n w e n d u n g d e r V o r s c h r i f t auf
notwendige
B e s c h r ä n k u n g e n hat er m i t e i n e r s y s t e m a t i s c h e n u n d t e l e o l o g i s c h e n 8 4 3 A u s l e 841 Th. Ackermann (Art. 85 Abs. 1 E G V und die rule of reason, 1997, S. 21 ff., 211 ff., 259) lässt im Rahmen seines Vorschlags einer rule of reason eine solche Abwägung lediglich als Stimmigkeitstest und zur Korrektur schlechthin untragbarer Ergebnisse auf seiner 4. Prüfungsstufe zu (vgl. oben Fn. 760; in Anlehnung an B. Schlink, Abwägung im Verfassungsrecht, 1976; Pieroth/Schlink, Grundrechte, 13. Aufl. 1997, Tz. 289 ff., welche der Verhältnismäßigkeit im engeren Sinn ablehnend gegenüberstehen.). Demgegenüber sollte eine Abwägung zwischen Schaden und Vorteil regelmäßig stattfinden. Es ist durchaus denkbar, dass schwere Beeinträchtigungen erforderlich zur Erreichung relativ unbedeutender Wettbewerbsverbesserungen sein können, der bilan économique also negativ ist. In einer solchen Konstellation kann es nach dem Gedanken der Verhältnismäßigkeit im engeren Sinn nicht zu einer Durchbrechung des Kartellverbots kommen. Der Vorwurf der Irrationalität gegenüber einer solchen Abwägung ist unbegründet. Entscheidend ist, dass die Wertungsvorgänge offengelegt werden. S. allgemein zur Rationalität von Werturteilen und zur Offenlegungspflicht G. Myrdal, The Relation between Social Theory and Social Policy, 4 British Journal of Sociology 210, 242 (1953).
]. Fritzsche, Z H R 160 (1996) 31, 51 ff. Fritzsche möchte den Begriff der teleologischen Auslegung im Zusammenhang mit europäischem Recht vermeiden, da er nicht zur üblichen Terminologie des Gemeinschaftsrechts gehöre (ebenda, S. 56); ähnlich für den Begriff der teleologischen Reduktion Th. Ackermann, Art. 85 Abs. 1 E G V und die rule of reason, 1997, S. 9 f. Im folgenden soll der Begriff der Teleologie dennoch Verwendung finden, da er inhaltlich der tatsächlichen Argumentationsweise des Gerichtshofs entspricht. Zur Erarbeitung einer eigenständigen europäischen Methodenlehre s. P. Raisch, Juristische Methoden - Vom antiken Rom bis zur Gegenwart, 1995, S. 219 ff., mit weiteren Nachweisen. 842 843
C. Immaterialgüterschutz
und europäisches Kartellrecht
409
gung von Art. 81 EGV erklärt. Der Wettbewerbseröffnungsgedanke lasse sich mit einer systematischen Auslegung des EG-Vertrags, insbesondere der Art. 2, 3 g), 163 und 174 EGV sowie Erwägungsgrund 4 der Präambel rechtfertigen; aus diesem Zusammenhang ergebe sich, dass die Wettbewerbsvorschriften auch der Sicherung der allgemeinen wirtschaftsfördernden Ziele des Vertrags dienten. 844 Immanenzrechtliche Einschränkungen unter dem Gesichtspunkt der notwendigen Beschränkungen könnten sich auf den Zweck der Wettbewerbsregeln berufen. Es sei nicht Aufgabe des Wettbewerbsrechts, jedwede begriffliche Beschränkung von Wettbewerb zu erfassen. Solche wettbewerbsbeschränkenden Nebenabreden müssten erlaubt sein, die der Durchführung wirtschaftlicher Transaktionen dienten. Der Wettbewerb beruhe auf Leistungsaustausch, dürfe ihn also nicht verhindern. Die Grenze der Zulässigkeit werde erst dort durchbrochen, w o es nicht primär um den Leistungsaustausch, sondern um die Ausschaltung von Wettbewerb gehe. 845 ß) Materialisierung des Beschränkungsbegriffs Die Nähe dieser Argumentation zum offenen, bzw. materiellen Begriff der Wettbewerbsbeschränkung ist unverkennbar: Nach diesem Konzept bedarf es zur Feststellung einer Wettbewerbsbeschränkung der Heranziehung zahlreicher Umstände und Wertungen. Einer dieser Teilaspekte ist das Kriterium des Leistungswettbewerbs. Darüber hinaus ist Raum für zahlreiche andere Argumente. 8 4 6 In der Praxis der EU-Organe spielt das Binnenmarktargument eine überragende Rolle: Werden die wettbewerblichen Nachteile einer Vereinbarung durch positive Effekte für den innergemeinschaftlichen Wirtschaftsverkehr ausgeglichen, entfällt die Annahme einer tatbestandsmäßigen Wettbewerbsbeschränkung. 8 4 7 Diese Argumentation erscheint vor dem Hintergrund der doppelten Zielsetzung der gemeinschaftlichen Wettbewerbsregeln angemessen: Wenn dem europäischen Kartellrecht in Ergänzung der staatsgerichteten Grundfreiheiten die über die üblichen wettbewerbspolitischen Zielsetzungen hinausgehende - A u f gabe zukommt, privaten Marktabschottungen entgegenzutreten, erscheint die Einbeziehung des Binnenmarktarguments in den Begriff der Wettbewerbsbeschränkung systemkonform. Der Gesichtspunkt der Behinderung, bzw. Förderung des Grenzübertritts ist also eines der Argumente, mit denen der offene Begriff der Wettbewerbsbeschränkung ausgefüllt werden kann. 844
J. Fritzsche, Z H R 160 (1996) 31, 54. Ebenda, S. 56 f. 8 4 6 Vgl. oben S. 359 f. 8 4 7 S. bereits die Entscheidung „Maschinenbau U l m " oben bei Fn. 774. V. Emmerich (in 1/ M E G - W e t t b e w e r b s r e c h t , Bd. I, 1997, S. 162 Rdnr. 147) w e i s t darauf hin, dass das B i n n e n m a r k t a r g u m e n t mit u m g e k e h r t e n Vorzeichen in beide R i c h t u n g e n v e r w e n d e t w i r d : Positive W i r k u n g e n f ü r den B i n n e n m a r k t k ö n n e n z u r Verneinung einer W e t t b e w e r b s b e s c h r ä n k u n g führen, negative W i r k u n g e n erleichtern die A n w e n d u n g des Kartellverbots. 845
410
4. Teil: Europäisches
Recht
y) Methodische Grenzen der Materialisierung Durch die Einbeziehung systematischer und teleologischer Erwägungen wird die Möglichkeit eröffnet, wettbewerbliche Wertungen allgemeiner Natur in die kartellrechtlichen Tatbestände einfließen zu lassen. Es stellt sich die Frage, in welchem Umfang dies geschehen kann. Die Antwort hierauf ergibt sich auf dem gleichen Weg, auf dem auch die prinzipielle Berechtigung einer Einbeziehung wettbewerbsfördernder Umstände ermittelt wurde: Die Einbettung in die Ziele und den Gesamtzusammenhang des EG-Vertrags gibt dem Markterschließungsgedanken seine Grundlage und gleichzeitig seine Grenzen. Es stellt sich insbesondere die Frage, ob die Einbeziehung wettbewerbsöffnender Wirkungen noch ein Produkt der Auslegung ist, oder ob es sich um eine die Grenzen der Auslegung übersteigende Tatbestandsrestriktion handelt. 8 4 8 Für letzteres würde die Nähe der Wettbewerbseröffnungstheorie i.e.S. zur Immanenztheorie sprechen, die als Instrument der Tatbestandsrestriktion einzuordnen ist. 8 4 9 Letztlich hängt die Entscheidung der Frage von der jeweiligen Grundhaltung zum Begriff der Wettbewerbsbeschränkung ab. Die Vertreter des Konzepts der formalen Wettbewerbsbeschränkung kommen konsequenterweise zu der Annahme einer die Auslegung übersteigenden Restriktion: Wenn in jeder Einschränkung von Handlungsmöglichkeiten eine tatbestandsmäßige Wettbewerbsbeschränkung liegt, kann die Nichtanwendung von Art. 81 Abs. 1 E G V nur durch eine Tatbestandsrestriktion begründet werden. 8 5 0
8 4 8 Zum Unterschied zwischen einengender Auslegung und teleologischer Reduktion s. Larenz/Canaris, Methodenlehre der Rechtswissenschaft, 3. Aufl. 1995, S. 210 ff. / . Fritzsche (oben Fn. 844, S. 53) warnt zwar zu Recht davor, nationale Methoden unbesehen auf Vorschriften des europäischen Rechts anzuwenden. In der Sache stellen sich aber gleiche Probleme. Auch im europäischen Recht muss die Frage beantwortet werden, ob systematische oder zweckorientierte Erwägungen auch dann noch zum Tragen kommen, wenn die Grenzen der Normbedeutung erreicht sind. Bejaht man diese Frage, ist das bloß terminologische Problem der Benennung der methodischen Vorgehensweise zweitrangig. Auch eine bloß national anerkannte Terminologie, wie z.B. die aus der deutschen Methodenlehre bekannte Unterscheidung zwischen restriktiver Auslegung und teleologischer Reduktion kann bei Anwendung auf Vorschriften des europäischen Rechts auf methodische Schwierigkeiten hinweisen. Selbstverständlich darf es dabei zu keinem abweichenden Vorgehen in der Sache kommen. Zu den gemeinschaftsspezifischen Auslegungsmethoden vgl. beispielsweise A. Bleckmann, Zu den Auslegungsmethoden des Europäischen Gerichtshofs, N J W 1982, 1177 ff.; Bleckmann/Pieper, in M. Dauses, Handbuch des EU-Wirtschaftsrechts, Kapitel B I, Rdnr. 5 ff.; M. de Wilmars, Réflexions sur les Méthodes d'Interprétation de la Cour de Justice des Communautés Européennes, C D E 1986, 5 ff. Zu den Grenzen zulässiger Argumentation, bzw. zu den absoluten Grenzen richterlicher Entscheidungsfreiheit s. M. Nettesheim, in Grabitz/Hilf, Art. 4 E G V a.F. Rdnr. 64 und 69 ff.
S. unten S. 412 f. In Bezug auf Ausschließlichkeitsbindungen in Lizenzverträgen am Beispiel der „Coditel ¡¡"-Entscheidung (s. hierzu bereits oben S. 398 ff.) wendet sich H. Ullrich gegen die Annahme, Ausschließlichkeitsvereinbarungen seien von Art. 81 Abs. 1 E G V ausgenommen: „Vielmehr fallen sie tatbestandsmäßig unter diese Vorschrift, jedoch kommt diese aufgrund te849
850
C. Immaterialgüterschutz
und europäisches
Kartellrecht
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Zu einem anderen Ergebnis gelangt man bei Ableitung des Markterschliessungsgedankens aus dem Konzept der materiellen Wettbewerbsbeschränkung. Dann bewirkt der Markterschließungsgedanke nicht die Zurücknahme des im Prinzip anwendbaren Kartellverbots im Wege einer Tatbestandsreduktion; vielmehr entscheidet er darüber, ob überhaupt eine Wettbewerbsbeschränkung im materiellen Sinn vorliegt. Dies ist nicht eine Frage der Tatbestandsreduktion, sondern der Tatbestandsbegründung. Der vorliegende Problemkreis ist demnach nicht der Ebene der teleologischen Reduktion, sondern der Ebene der (teleologischen) Auslegung zuzuweisen. 8 5 1 Da die Teleologie der europäischen Wettbewerbsregeln zur Annahme eines materiellen Begriffs der Wettbewerbsbeschränkung führt, ist teleologische Auslegung in dieser Frage gleichbedeutend mit einer restriktiven Auslegung des Tatbestands von Art. 81 Abs. 1 EGV. m)
Immanenztheorie
Das Ergebnis der Auslegung bestimmt zunächst die Reichweite des in Art. 81 Abs. 1 EGV enthaltenen Verbots. Die vorstehenden Ausführungen einschließlich derjenigen zum Markterschließungsgedanken sind nach der hier vertretenen Auffassung (noch) der Ebene der Auslegung zuzuweisen. Damit ist die Frage nach der Anwendbarkeit des europäischen Kartellverbots nicht abschließend geklärt. Es sind Tatbestandseinschränkungen denkbar, die über die Grenzen der Auslegung hinausgehen. Das spezifisch kartellrechtliche Instrument einer solchen Tatbestandsreduktion ist die Immanenztheorie. 8 5 2 (1) Anwendbarkeit der Immanenztheorie im europäischen Kartellrecht Als Basistext der Immanenztheorie gelten die „Bemerkungen" Ernst Steindorffs aus dem Jahr 1977 zur Fertigbeton-Entscheidung des Bundesgerichtshofs, die nach ihrem Anlass dem deutschen Recht gelten, nach dem ausdrücklichen H i n w e i s des Autors aber gleichermaßen auf das europäische Kartellrecht zu erstrecken sind. 8 5 3 Tatsächlich hat Steindorff den Immanenzgedanken bereits zehn Jahre früher, nämlich auf dem Pariser Kolloquium im Jahre 196 7 854 vorgetragen, und z w a r ausschließlich im Zusammenhang mit leologischer R e d u k t i o n bei absoluter Wettbewerbsförderlichkeit, d.h. auch w e t t b e w e r b l i c h e r Angemessenheit, nicht zur A n w e n d u n g . " (H. Ullrich, in I/M E G - W e t t b e w e r b s r e c h t , Bd. I, 1997, S. 1300 Rdnr. 33 Fn. 250). 851 In diesem Sinn auch H.-G. Koppensteiner (oben Fn. 684), § 17 Rdnr. 23, S. 337; St. Singer, Ausschließliche Patentlizenz- u n d K n o w - h o w - V e r t r ä g e nach deutschem, a m e r i k a n i s c h e m u n d europäischem Kartellrecht, 1997, S. 289. 8 5 2 Zur I m m a n e n z t h e o r i e s. auch die A u s f ü h r u n g e n z u m deutschen Kartellrecht oben S. 165 f. 853 E. Steindorff, G e s e t z e s z w e c k u n d gemeinsamer Z w e c k des § 1 G W B - B e m e r k u n g e n z u m U r t e i l des B G H v o m 14.10.1976, B B 1977, 569 (570 f.). Steindorff führt als Vorteil der I m m a n e n z t h e o r i e a u s d r ü c k l i c h an: „Sie erlaubt gleichmäßige Fragestellung f ü r deutsches u n d europäisches Recht." (Ebenda, S. 571). 854 Das T h e m a des K o l l o q u i u m s w a r „Coopérations, C o n c e n t r a t i o n s , Fusions d ' E n t r e -
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4. Teil: Europäisches
Recht
europäischem R e c h t . 8 5 5 D i e Immanenztheorie ist also nicht nur nach ihrem Anspruch, sondern auch nach ihrer Entstehung mit europäischem Kartellrecht eng verbunden. In Bezug auf die Anwendbarkeit von Art. 85 E W G V auf Konzentrationsvorgänge, insbesondere das Verhältnis von Konzentration und zusätzlichen Kartellabreden, stellte Steindorff auf dem Pariser Kolloquium die Frage, „ob bei der Konzentration ähnlich wie beim Patent wegen der Zulässigkeit der Konzentration auch diejenigen zusätzlichen Wettbewerbsbeschränkungen gerechtfertigt sind, die der Konzentration immanent sind, d.h. ihr notwendig zugehören." 8 5 6 Auch im europäischen Recht besteht das Anliegen der Immanenztheorie also in der Anpassung des Kartellverbots an die Notwendigkeiten privatrechtlicher Institute. Die Rücksichtnahme auf solche Notwendigkeiten darf allerdings nicht zur vorschnellen Absegnung von Beschränkungen führen, die von den privatrechtlichen Instituten ausgehen. Bereits im Beitrag von 1977 stellte Steindorff klar, dass die Immanenztheorie nicht dazu diene, „überkommene Rechtsinstitute [...] einfach zu immunisieren und die ihnen immanenten Wettbewerbsbeschränkungen unbesehen von § 1 G W B freizustellen." Wettbewerbliche Wertungen seien einzubeziehen; überhaupt komme es auf die Wertungsfragen und nicht auf begriffliche Glasperlenspiele an. 8 5 7 Diese Einschränkung hat zu der heute üblichen Formulierung der Immanenztheorie geführt, die neben dem Merkmal der Notwendigkeit darauf abstellt, dass das betreffende Rechtsverhältnis im übrigen kartellrechtsneutral ist. 8 5 8 (2) Methodische Begründung der Immanenztheorie im europäischen Kartellrecht Im Gegensatz zum Markterschließungsgedanken, der sich aus einer teleologischen und systematischen Auslegung von Art. 81 E G V ergibt, besteht die methodische Grundlage der Immanenztheorie in einer teleologischen Reduktion des Tatbestands von Art. 81 Abs. 1 E G V : O b w o h l in den angesprochenen Fällen eine Wettbewerbsbeschränkung im Prinzip vorliegt, ist der Tatbestand von prises dans la C . E . E . " . Das Kolloquium ist dokumentiert in Revue du Marché Commun 1968, 1-552. 8 5 5 Darauf weist M. Kretzer (Immanenztheorien im Kartellrecht, 1992, S . 4 Fn. 25) zu Recht hin. 856 E. Steindorff, Referat, Revue du Marché Commun 1968,186 (200, unter Nr. 4), Hervorhebung im Original. Die Geburtsstunde der Immanenztheorie ist also mit einer ausdrücklichen Analogie zum Immaterialgüterrecht verknüpft. Der Terminus „Immanenztheorie" als solcher wurde von F. Rittner (Die Wettbewerbsverbote der Handelsvertreter und § 18 G W B , Z H R 135 (1971), 289, 294) vorgeschlagen. Nach den Ausführungen von Rittner (ebenda, S. 292 ff.) hat Kurt Biedenkopf die Immanenztheorie 1958 (Vertragliche Wettbewerbsbeschränkung und Wirtschaftsverfassung, 1958, insbesondere S.233) erstmals für das Wettbewerbsverbot des Handelsvertreters entwickelt. 857 E. Steindorff (oben Fn. 853), S. 571. 858 Vgl. die Definition der Immanenztheorie im deutschen Recht oben S. 165.
C. Immaterialgüterschutz
und europäisches
Kartellrecht
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Art. 81 Abs. 1 EGV im Interesse des wettbewerbsneutralen Hauptzwecks anerkannter Rechtsinstitute des Privatrechts einzuschränken. 8 5 9 Da die Frage der Auslegung der Frage nach einer Tatbestandsrestriktion logisch vorgelagert ist, geht der Markterschließungsgedanke also der Immanenztheorie voraus: 8 6 0 Zunächst ist zu klären, ob überhaupt eine Wettbewerbsbeschränkung im materiellen Sinn vorliegt. Dabei kommt der formalen Beschränkung von Handlungsmöglichkeiten zwar eine Indizwirkung zu; erst die Aufklärung des gesamten rechtlichen und wirtschaftlichen Zusammenhangs entscheidet aber darüber, ob das Indiz den Schluss auf eine tatbestandsmäßige Wettbewerbsbeschränkung rechtfertigt. Teil dieser Erwägungen ist auch die Frage, ob die Handlungsbeschränkungen notwendig sind, um den Wettbewerb an anderer Stelle zu fördern. Erst eine derart angereicherte Gesamtbetrachtung entscheidet über die Frage, ob der Tatbestand von Art. 81 Abs. 1 EGV im Prinzip vorliegt. In einem zweiten Schritt stellt sich dann die Frage, ob das eigentlich einschlägige Kartellverbot aufgrund immanenzrechtlicher Erwägungen der Einschränkung bedarf. Es ist nicht zu verkennen, dass das Bedürfnis nach immanenzrechtlichen Tatbestandsrestriktionen um so kleiner wird, je mehr der Tatbestand von Art. 81 Abs. 1 EGV durch eine Materialisierung des Begriffs der Wettbewerbsbeschränkung eingeengt wird. Überlegungen, die für einen Vertreter des Begriffs der formalen Wettbewerbsbeschränkung erst im Rahmen der Tatbestandsrestriktion anzustellen sind, stellen sich auf dem Boden des materiellen Beschränkungsbegriffs bereits auf der Ebene des Tatbestands. Unabhängig von der methodischen Einordnung kommt es aber letztlich darauf an, welche Wertungen vorgenommen werden. Sind die Wertungen gleich, spielt die Frage eine untergeordnete Rolle, ob eine restriktive Auslegung oder eine die Auslegung übersteigende Tatbestandsrestriktion vorgenommen wurde. 8 6 1 Zudem sind die aus der deutschen Methodenlehre stammenden Differenzierungen im europäischen Recht nicht anerkannt. 8 6 2 Da aber zweckgerichtetes Argumentieren fester Bestandteil der Rechtsprechung des Gerichtshofs ist, haben die hier angestellten Überlegungen zumindest im Ergebnis auch auf der Ebene des Gemeinschaftsrechts Bestand. 8 6 3 859 Skeptisch zum Vorliegen einer verdeckten Lücke, welche die Voraussetzung für eine teleologische Reduktion ist, Th. Ackermann, Art. 85 Abs. 1 EGV und die rule of reason, 1997, S. 88 f., 191: In Anbetracht von Art. 85 Abs. 3 EGV bedürfe es eines großen Begründungsaufwands, um die zu weite Fassung des Verbotstatbestands nachweisen zu können. 860 Anders Th. Ackermann (Art. 85 Abs. 1 EGV und die rule of reason, 1997, S. 237), der den Immanenzgedanken als Teilbereich der rule of reason deutet. 861 Teleologische Auslegung und teleologische Reduktion haben die gleiche methodologische Legitimation, s. Larenz/Canaris (oben Fn. 848), S. 211. 862 Vgl. bereits oben Fn. 848. 863 S. z.B. O. Axster (oben Fn. 646, S. 235), der feststellt, dass die teleologische Reduktion dem EG-Kartellrecht (in der Sache) nicht fremd sei./. Fritzsche (oben Fn. 699, ZHR 160 (1996) 31, 51 ff.) gründet den Immanenzgedanken im europäischen Recht auf die systematische und zweckbezogene Auslegung des EG-Vertrags.
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4. Teil: Europäisches
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(3) Immanenzrechtliche Einschränkungen des Kartellverbots durch den Gerichtshof Auch im europäischen Recht sind die Wettbewerbsverbote der Gesellschafter und der Handelsvertreter, 8 6 4 bzw. Wettbewerbsverbote beim Unternehmenskauf die wichtigsten Anwendungsfälle immanenzrechtlicher Tatbestandsreduktionen. Auch hier ist man zum gleichen Ergebnis wie im deutschen Recht gekommen, nämlich zur Nichtanwendung von Art. 81 Abs. 1 EGV auf Fälle, in denen das Wettbewerbsverbot notwendig zur Erreichung des (im übrigen kartellrechtskonformen) Vertragsziels ist. Sinn des Kartellverbots kann es nicht sein, allgemein anerkannte privatrechtliche Vorgänge wie Unternehmenskauf oder Gesellschaftsgründung unmöglich zu machen. 8 6 5 a ) Unternehmenskauf In der Rechtssache „Remia/Nutricia" 8 6 6 hat der Gerichtshof entschieden, dass ein Wettbewerbsverbot in einem Unternehmensveräußerungsvertrag nicht unbedingt vom Tatbestand des Art. 81 Abs. 1 EGV erfasst werde. Es sei vielmehr zu prüfen, „wie sich der Wettbewerb gestalten würde, wenn solche Wettbewerbsverbote nicht vereinbart würden". 8 6 7 Wenn ohne das Wettbewerbsverbot der Unternehmenskauf nicht zu Stande käme (da nämlich der Verkäufer dann ohne weiteres seine alten Kunden zu sich hinüberziehen könnte), sei das Wettbewerbsverbot als prinzipiell wettbewerbsverstärkend anzusehen. Wettbewerbsverbote seien folglich dem Tatbestand von Art. 81 Abs. 1 EGV entzogen, wenn sie „für die Übertragung des veräußerten Unternehmens erforderlich und in ihrer Geltungsdauer und ihrem Anwendungsbereich strikt auf diesen Zweck beschränkt" seien. 868 864 UlmerlHabersack, Zur Beurteilung des Handelsvertreter- und Kommissionsagenturvertriebs nach Art. 85 Abs. 1 EGV, ZHR 159 (1995), 109 (124 f.), führen die Immanenztheorie als dogmatische Grundlage der Nichtanwendbarkeit von Art. 85 Abs. 1 EGV (a.E) auf bestimmte Beschränkungen gegenüber Handelsvertretern an. Die Immanenztheorie entspreche inhaltlich der aus dem common law stammenden „ancillary restraints"-Lehre. Ulmer/Habersack deuten damit den Weg zu einer eigenen gemeinschaftsrechtlichen Methodenlehre an, die ohne kritisch-wertende Rechtsvergleichung nicht auskommen kann. 865 Die gleiche Zielsetzung mit leicht anderem Akzent verfolgt die Lehre von den institutionellen Gegebenheiten, s. hierzu F. Rittner, Das Handelsvertreterverhältnis im (GWB- u. EG-) Kartellrecht, WuW 1993, 592 (595 f. und 598 f.). 866 EuGH, 11.7.1985, Remia/Kommission, Rs. 42/84, Slg. 1985,2545. 867 Ebenda, Slg. 1985, 2571 Tz. 18. Zu dieser Testfrage s. schon EuGH, 30.6.1966, LTM/ Maschinenbau Ulm, Rs.56/65, Slg. 1966, S.281 (304); EuGH, 11.12.1980, L'Oreal/De Nieuwe Amck, Rs. 31/80, Slg. 1980, 3775 (3792 Tz. 19). 868 „Remia" Slg. 1985, 2571 Tz. 20. Zur Konkretisierung dieser Vorgaben s. die Bekanntmachung der Kommission über Einschränkungen des Wettbewerbs, die mit der Durchführung von Unternehmenszusammenschlüssen unmittelbar verbunden und für diese notwendig sind („ancillary restraints"-Bekanntmachung, ABl. 2001, C 188/3), insbesondere Tz. 13 ff.: Danach sind Wettbewerbsverbote bis zu drei Jahren in der Regel gerechtfertigt, wenn die Übertragung sowohl den Geschäftswert als auch das Know-how des betreffenden Unternehmens ein-
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Kartellrecht
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ß) G e n o s s e n s c h a f t e n I n d e r R e c h t s s a c h e „ G 0 t t r u p - K l i m " 8 6 9 w a r die F r a g e z u b e a n t w o r t e n , o b die S a t z u n g s b e s t i m m u n g e i n e r B e z u g s g e n o s s e n s c h a f t , in d e r d e n G e n o s s e n die B e t e i l i g u n g an k o n k u r r i e r e n d e n O r g a n i s a t i o n e n u n t e r s a g t w i r d , u n t e r das V e r b o t des A r t . 8 1 A b s . 1 E G V fällt. D e r G e r i c h t s h o f f ü h r t e aus, dass o h n e ein s o l c h e s V e r b o t d e r D o p p e l m i t g l i e d s c h a f t das o r d n u n g s g e m ä ß e F u n k t i o n i e r e n d e r e i n z e l n e n G e n o s s e n s c h a f t e n n i c h t g e w ä h r l e i s t e t sei. D a s V e r b o t d e r D o p p e l m i t g l i e d s c h a f t stelle a l s o n i c h t n o t w e n d i g e r w e i s e
eine t a t b e s t a n d s m ä ß i g e
Wettbewerbsbe-
s c h r ä n k u n g dar; es k ö n n e s i c h v i e l m e h r s o g a r p o s i t i v auf d e n W e t t b e w e r b a u s w i r ken.870 Allerdings dürften den Mitgliedern nur solche B e s c h r ä n k u n g e n auferlegt w e r d e n , die n o t w e n d i g seien, „ u m das o r d n u n g s g e m ä ß e F u n k t i o n i e r e n d e r G e nossenschaft sicherzustellen und ihre Vertragsgestaltungsmacht gegenüber den E r z e u g e r n z u e r h a l t e n . " 8 7 1 D a r ü b e r h i n a u s seien die S a n k t i o n e n i m F a l l v o n S a t z u n g s v e r s t ö ß e n auf i h r e V e r h ä l t n i s m ä ß i g k e i t , s o w i e die M i n d e s t d a u e r d e r M i t g l i e d s c h a f t auf i h r e A n g e m e s s e n h e i t z u ü b e r p r ü f e n . 8 7 2
schließt. Zwei Jahren reichen dagegen aus, wenn sich die Übertragung nur auf den Geschäftswert erstreckt. Längerfristige Verbote sind nur unter bestimmten weiteren Voraussetzungen gerechtfertigt. Der räumliche Geltungsbereich des Wettbewerbsverbots sollte sich in der Regel auf das bisherige Absatzgebiet beschränken. Hervorzuheben ist, dass nach Ziffer 14 der Bekanntmachung Wettbewerbsverbote dann nicht als erforderlich angesehen werden, „wenn sich die Übertragung de facto auf materielle Vermögenswerte wie Grundstücke, Gebäude oder Maschinen oder auf ausschließliche gewerbliche Schutzrechte (deren Inhaber gegen Rechtsverletzungen durch den Veräußerer sofort gerichtlich vorgehen kann) beschränkt." Diese Einschränkung ist die logische Konsequenz des Merkmals der Erforderlichkeit: Wenn der Unternehmenskäufer sich gegen Übergriffe des Verkäufers bereits durch die Geltendmachung von gewerblichen Schutzrechten wehren kann, bedarf es keines vertraglichen Wettbewerbsverbots. Tz. 21 ff. der Kommissionsbekanntmachung (und Tz. 42 ff. in Bezug auf Gemeinschaftsunternehmen) enthalten spezielle Aussagen zu Lizenzverträgen. Da der Verkäufer eines Unternehmens ein Interesse daran haben kann, Inhaber der dem Unternehmen gehörenden gewerblichen Schutzrechte zu bleiben (oder im Fall der Übertragung ein Nutzungsrecht zu behalten), ist die Erteilung von ausschließlichen oder einfachen Lizenzen normaler Bestandteil eines Unternehmenskaufs, die notwendig i.S. von Art. 8 Abs. 2 S. 3 F K V O sein kann. Dies gilt auch für bestimmte Lizenzvereinbarungen, wie z . B . f i e l d of «se-Beschränkungen, nicht dagegen für Gebietsbeschränkungen. Die allgemeinen Regeln, also Art. 81 E G V und die G F V O T T finden Anwendung. Allgemein zur Behandlung von Nebenabreden im Fusionskontrollverfahren (unter Zugrundelegung der vorher geltenden Bekanntmachung der Kommission vom 14.8.1990 über Nebenabreden zu Zusammenschlüssen vom 21.12.1989, ABl. 1990, C 203/5) s. U. Immenga, in I/M EG-Wettbewerbsrecht, Bd. I, 1997, S. 1067 ff. Rdnr. 1 ff.; Langen/Löffler, KartR, 9. Aufl. 2001, Art. 8 F K V O 4064/89 Rdnr. 15 f. 869 EuGH, 15.12.1994, D L G („Gottrup-Klim"), Rs. C-250/92, Slg. 1994,1-5641. 870 Ebenda, Slg. 1994, 1-5687 Tz. 33 f. Der Gerichtshof argumentierte auch mit dem Gegenmacht-Argument, nämlich mit dem Verhandlungsgewicht, das durch den Zusammenschluss zu einer Bezugsgenossenschaft im Verhältnis zu den „Großerzeugern" entstehe (ebenda, Tz. 32). 871 Ebenda, Slg. 1994, 1-5687 f. Tz. 35. 872 Ebenda, Tz. 36.
416
4. Teil: Europäisches
Recht
y) Folgerungen Die beiden Fälle zeigen, dass der Gerichtshof Konflikte zwischen Kartellrecht und (sonstigem) Privatrecht unter bestimmten Bedingungen durch die Einschränkung des Kartellverbots löst. Beschränkende Vereinbarungen beim Unternehmenskauf sind mit Art. 81 Abs. 1 EGV vereinbar, wenn ohne sie der Kauf nicht zustande käme. Beschränkende Bestimmungen in der Satzung einer Genossenschaft sind ebenfalls mit dem Kartellverbot vereinbar, wenn sie für das ordnungsgemäße Funktionieren der Genossenschaft erforderlich sind. (4) Voraussetzungen der Tatbestandsreduktion Die wesentlichen Voraussetzungen für die Nichtanwendung von Art. 81 Abs. 1 EGV sind damit genannt: Erstens muss ein Konflikt zwischen einem anerkannten Rechtsinstitut des Privatrechts und dem Kartellverbot bestehen. Zweitens muss die privatrechtliche Regelung als solche wettbewerbsneutral sein, d.h. andere als wettbewerbsbeschränkende Ziele verfolgen. Drittens muss die Beschränkung notwendig sein, um das Funktionieren des privatrechtlichen Instituts zu gewährleisten. Eine solche Notwendigkeit kommt nur bei Nebenabreden in Betracht. Wie die Markterschließungstheorie ist also auch die Immanenztheorie mit dem common law-Konzept der ancillary restraints verwandt. 873 Die US-amerikanische Lehre von den ancillary restraints ist ein spezieller Anwendungsfall der rule of reason. 874 Die Parallele zwischen ancillary restraints/rule of reason einerseits und Markterschließungstheorie, bzw. Immanenztheorie andererseits erklärt die Vorsicht, die oben bei der Frage nach der Geltung der rule of reason im europäischen Kartellrecht beachtet wurde: Auch wenn anerkannt ist, dass eine rule of reason als solche nicht im europäischen Recht gilt, gibt es doch - auf dem Boden funktionaler Rechtsvergleichung 875 - Institute, die denselben Zweck zu erfüllen bestimmt sind. Ubereinstimmungen zwischen ancillary restraints-Lehre, bzw. dem dahinter stehenden Konzept der rule of reason und der Immanenztheorie sind nicht zu verkennen. Legt man die drei Kriterien an die beiden einschlägigen Entscheidungen des Gerichtshofs an, so vermag die Rechtssache „Remia" 876 zum Wettbewerbsverbot beim Unternehmenskauf zu überzeugen. Die Entscheidung „GettrupKlim" 877 stößt demgegenüber auf Bedenken: Bei einer Genossenschaft handelt es sich zwar um eine anerkannte privatrechtliche Form. Besteht der Hauptzweck der Bezugsgenossenschaft aber in einem Nachfragekartell, kann schwerlich die Rede davon sein, dass das Rechtsinstitut des Privatrechts als solches 873
Vgl. hierzu bereits oben im Zusammenhang mit der Martkerschließungstheorie bei Fn. 832. 874 M. Kretzer, Immanenztheorien im Kartellrecht, 1992, S. 5. 875 S. hierzu Zweigertl Kötz, Einführung in die Rechtsvergleichung, 3. Aufl. 1996, S. 33 ff. 876 Oben Fn. 866. 877 Oben Fn. 869.
C. Immaterialgüterschutz
und europäisches
Kartellrecht
417
wettbewerbsneutral ist. Die Herausnahme einer solchen Genossenschaft aus dem Anwendungsbereich von Art. 81 Abs. 1 EGV geht folglich sehr weit. Der Verweis auf die Möglichkeit der Freistellung nach Art. 81 Abs. 3 EGV hätte nähergelegen. 878 (5) Verhältnis von Markterschließungstheorie i.e.S. und Immanenztheorie Die Notwendigkeit i.S. der Immanenztheorie weist als Ausprägung des allgemeinen Verhältnismäßigkeitsgrundsatzes eine enge Verwandtschaft mit der Erforderlichkeit des Markterschließungsgedankens und der Unerlässlichkeit i.S. von Art. 81 Abs. 3 EGV auf. Allen drei Durchbrechungen des Kartellverbots ist gemeinsam, dass die jeweiligen Beschränkungen nicht weiter gehen dürfen als es der legitime Zweck der Beschränkung fordert. In Anknüpfung an das oben beschriebene Verhältnis zwischen dem Markterschließungsgedanken und Art. 81 Abs. 3 EGV 8 7 9 ist die Immanenztheorie wie folgt zu positionieren: Sie weist nicht dieselbe Beweglichkeit wie Art. 81 Abs. 3 EGV auf, da nicht beliebige Verbesserungen der Produktion oder Distribution, bzw. jede Förderung des technischen oder wirtschaftlichen Fortschritts zu einer Durchbrechung des Kartellverbots führt. Vielmehr kommen Tatbestandsrestriktionen nur zugunsten eines anerkannten Instituts des Privatrechts in Frage. Hierin besteht eine große Ähnlichkeit zwischen Immanenztheorie und Markterschließungsgedanken: 880 Auch die Markterschließungstheorie hat keinen universalen, sondern nur einen begrenzten Anwendungsbereich, indem nicht beliebige Verbesserun878 Kritisch z u r „ G 0 t t r u p - K l i m " - E n t s c h e i d u n g auch V. Emmerich, in I / M E G - W e t t b e w e r b s r e c h t , Bd. I, 1997, S. 168 R d n r . 1 7 0 Fn. 293, S. 174 Rdnr. 196, S.211 Rdnr. 52, S.221 Rdnr. 89. Seine E i n s c h ä t z u n g der E n t s c h e i d u n g als A n w e n d u n g s f a l l der rule of reason (ebenda, S. 168 Fn. 293) bestätigt die oben getroffene Feststellung, dass es sich bei der D i s k u s s i o n u m eine rule of reason im europäischen Kartellrecht eher u m eine terminologische Frage handelt (s.o. S. 385). Das eigentliche P r o b l e m liegt bei den W e r t u n g e n , die im k o n k r e t e n Fall gemacht w e r d e n , wie z.B. hier bei der kartellrechtlichen Beurteilung einer E i n k a u f s g e m e i n s c h a f t in der R e c h t s f o r m einer Genossenschaft. 879 S. o. S . 4 0 6 f . 880 Einen direkten Z u s a m m e n h a n g zwischen I m m a n e n z t h e o r i e u n d M a r k t e r s c h l i e ß u n g s gedanken stellt Generalanwalt M. Darmon in seinem Schlussantrag in „ B a y e r / S ü l l h ö f e r " (Rs.65/86, Slg. 1988, 5279 T z . 17) her: „ E b e n s o wie ein W e t t b e w e r b s v e r b o t mit Artikel 85 A b satz 1 vereinbar sein kann, w e n n es die Effektivität einer U n t e r n e h m e n s ü b e r t r a g u n g gewährleistet, k a n n eine N i c h t a n g r i f f s a b r e d e von dieser Vorschrift a u s g e n o m m e n sein, w e n n sie f ü r die A u s g e w o g e n h e i t eines Vertrages v o n ausschlaggebender B e d e u t u n g sein sollte, der w e d e r eine V e r h i n d e r u n g noch eine E i n s c h r ä n k u n g , noch eine Verfälschung des W e t t b e w e r b s bez w e c k t o d e r b e w i r k t . " Darmon geht also v o n einer G e s a m t b e t r a c h t u n g des b e t r e f f e n d e n Vertrags aus: W e n n ein Vertrag insgesamt keine W e t t b e w e r b s b e s c h r ä n k u n g b e z w e c k t o d e r bewirkt, ist A r t . 81 Abs. 1 E G V nicht anwendbar. Dies gilt auch dann, w e n n der Vertrag Klauseln hält, die in isolierter Betrachtung als w e t t b e w e r b s b e s c h r ä n k e n d zu beurteilen sind, die aber erforderlich sind, u m die „ A u s g e w o g e n h e i t " der Vereinbarung insgesamt zu gewährleisten. D a das K r i t e r i u m der Ausgewogenheit f ü r die R e c h t s a n w e n d u n g zu u n k l a r ist, w i r d im Text auf die Notwendigkeit der b e s c h r ä n k e n d e n Klausel f ü r die Erzielung der w e t t b e w e r b s f ö r d e r n d e n W i r k u n g e n abgestellt.
418
4. Teil: Europäisches
Recht
gen, sondern ausschließlich die Schaffung eines neuen Marktes, bzw. die erstmalige Teilnahme der betreffenden Unternehmen an einem bereits existierenden Markt die Anwendung von Art. 81 Abs. 1 EGV verhindern kann. Der Unterschied besteht darin, dass der Immanenzgedanke dazu dient, Konflikte mit anerkannten privatrechtlichen Instituten zu lösen, während das Markterschließungstheorem auf überwiegende und notwendige Förderungen des Wettbewerbs abstellt. Bei einer solchen Gemengelage von Hetero- und Homogenität verwundert es nicht, dass fließende Ubergänge zwischen Markterschließungs- und Immanenztheorie bestehen: Beruht beispielsweise die Ausnahme vom Kartellverbot in der „Pronuptia"-Entscheidung 8 8 1 auf der markterschließenden Funktion des Vertriebs-Franchising, oder hat sich Franchising so weit (auch rechtlich) etabliert, dass es zu einem anerkannten Institut des Privatrechts erstarkt ist, das immanenzrechtliche Einschränkungen des Kartellverbots gestattet? Ahnliche Schwierigkeiten bereiten die anderen Entscheidungen, in denen Formen des selektiven Vertriebs vom Kartellverbot ausgenommen wurden. 882 In diesen Zusammenhang gehört auch die Beurteilung ausschließlicher Lizenzen durch den Gerichtshof in der „Maissaatgut"- und der „Coditel II"-Entscheidung. Während in der „Maissaatgut"-Entscheidung die Vereinbarung der Ausschließlichkeit mit Hilfe des Markterschließungsgedankens vom Verbot des Art. 81 Abs. 1 EGV ausgenommen wird, argumentiert der Gerichtshof in der „Coditel II"Entscheidung mit einem immanenzrechtlich gefärbten Gedankengang, der sachlichen Bedürfnissen eines bestimmten Industriezweigs den Vorrang vor dem Kartellverbot einräumt. Die Nähe zur Immanenztheorie besteht hier allerdings nicht darin, dass ein anerkanntes Institut des Privatrechts mit Kartellrecht in Konflikt gerät. Die Vergleichbarkeit beruht vielmehr darauf, dass bestimmte Sachnotwendigkeiten zur Einschränkung des Kartellverbots herangezogen werden. Zur Deckung von Markterschließungsgedanke und Immanenztheorie kommt es dann, wenn die betreffende Sachnotwendigkeit gleichzeitig der Erschließung neuer Märkte oder der Eröffnung eines neuen Wettbewerbs dient. (6) Zusammenführung von Markterschließungstheorie und Immanenztheorie ? Die Existenz fließender Ubergänge zwischen beiden Ansätzen wirft die Frage auf, ob sich ein übergeordnetes Konzept finden lässt, in dem beide Lehren aufgehen und ihre gemeinsame Grundlage finden. Wie bereits ausgeführt wurde, 8 8 3 kann diese Grundlage nicht im Begriff der „notwendigen" Wettbewerbsbeschränkung gesehen werden. Notwendigkeit, Erforderlichkeit oder Unerläs881 882 883
S. o.S.391. S. o. S. 390 ff. S. o. S. 405 ff.
C. Immaterialgüterschutz
und europäisches
Kartellrecht
419
slichkeit sind Anforderungen, die gleichermaßen an die Einschränkung des Kartellverbots in Art. 81 Abs. 1 E G V wie an die Durchbrechung des Kartellverbots auf der Grundlage von Art. 81 Abs. 3 E G V gestellt werden. 8 8 4 D e r Begriff der Notwendigkeit ist also nicht dazu geeignet, die Anwendungsbereiche von Verbot und Freistellung voneinander zu unterscheiden. Eine Gemeinsamkeit besteht im Begriff der materiellen Wettbewerbsbeschränkung. Sinn des Kartellverbots ist es weder, die Stärkung des Wettbewerbs durch die Erschließung neuer Märkte zu verhindern, noch das Funktionieren anerkannter Institute des Privatrechts zu behindern. Deshalb unterfällt nicht schon jede Einschränkung von Handlungsmöglichkeiten dem Kartellverbot. Im Fall der Immanenztheorie geht die Einschränkung des Kartellverbots allerdings weiter: In der Terminologie der deutschen Methodenlehre wird hier nicht bloß eine restriktive Auslegung, sondern eine teleologische Reduktion vorgenommen. Eine konzeptionelle Zusammenführung von Markterschließungstheorie und Immanenztheorie scheidet deshalb aus. Während der Markterschließungsgedanke seine Grundlage im materiellen Begriff der Wettbewerbsbeschränkung findet, handelt es sich bei der Immanenztheorie um eine Tatbestandsreduktion, die nicht beim Begriff der Wettbewerbsbeschränkung ansetzt, sondern allgemeine Gesichtspunkte der Privatrechtsordnung zur Einschränkung des Kartellverbots heranzieht. (7) Immaterialgüterrechtliche Bezüge der Immanenztheorie Die Bedeutung der Immanenztheorie für den Bereich des geistigen Eigentums ist augenfällig: Auch bei den Schutzrechten des Immaterialgüterrechts handelt es sich um anerkannte Institute des Privatrechts. Sollen Wettbewerbsbeschränkungen, die erforderlich sind, um diesen Schutzrechten Geltung zu verschaffen und von ihnen Gebrauch zu machen, nach dem Immanenzgedanken dem Tatbestand von Art. 81 Abs. 1 E G V entzogen werden? a) Terminologische Vorbemerkung: Immanenztheorie und Inhaltstheorie Bevor auf diese Frage eingegangen wird, ist auf terminologische Unklarheiten hinzuweisen, die in diesem Zusammenhang zu beobachten sind. In ihrer allgemeinen kartellrechtlichen Bedeutung sind unter der Immanenztheorie Einschränkungen des Kartellverbots zu verstehen, die notwendig für das F u n k tionieren eines im übrigen kartellrechtsneutralen Rechtsverhältnisses sind. Ullrich verwendet den Begriff der Immanenzlehre im Zusammenhang mit dem Immaterialgüterrecht dagegen im Sinne einer „gesetzlich durch die Ausschließlichkeit vorgegebenen Wettbewerbsexklave oder doch einer Wertung als per se wettbewerbsverträglich". Immanenzlehre und Inhaltstheorie sind damit für 8 8 4 Vgl. den Aufsatztitel von ]. Fritzsche (oben Fn. 699), „Notwendige" Wettbewerbsbeschränkungen im Spannungsfeld von Verbot und Freistellung nach Art. 85 EGV.
420
4. Teil: Europäisches
Recht
Ullrich synonyme Begriffe, wie durch seinen Verweis auf die §§20, 21 GWB (a.F.) unterstrichen wird. 885 Die Ablehnung der Inhaltstheorie 886 ist für Ullrich folglich gleichbedeutend mit einer Ablehnung der Immanenzlehre. Die Gleichsetzung von Immanenzlehre und Inhaltstheorie widerspricht allerdings dem Anliegen der Immanenztheorie. Im Gegensatz zur Inhaltstheorie, die pauschal alle Wettbewerbsbeschränkungen im Inhalt des Schutzrechts aus dem Anwendungsbereich des Kartellverbots herausnimmt, besteht das Anliegen der Immanenztheorie in einer differenzierten Zurücknahme des Kartellverbots in den Fällen, in denen dies zur Aufrechterhaltung eines anerkannten Instituts des Privatrechts notwendig ist. 887 Die Anwendung der allgemeinen kartellrechtlichen Immanenzlehre auf Rechte des geistigen Eigentums ist nicht gleichbedeutend mit einer pauschalen Nichtanwendung des Kartellrechts auf den Inhalt der Ausschließlichkeitsrechte. Schon im immanenzrechtlichen Basistext von 1977 betonte Steindorff, dass die Immanenztheorie nicht der Immunisierung überkommener Rechtsinstitute durch deren unbesehene Freistellung vom Kartellverbot bezwecke. 888 Eine Abwägung zwischen dem Anliegen dieser Institute und kartellrechtlichen Wertungen sei vorzunehmen. Die Erforderlichkeit solcher Wertungsvorgänge zeigt, dass die Immanenztheorie nicht mit der Inhaltstheorie gleichgesetzt werden darf. Die Inhaltstheorie beinhaltet einen schematischen Anwendungsbefehl, der ohne umfassende Wertungsvorgänge auskommt: alle Verhaltensweisen, die den Inhalt des Schutzrechts nicht übersteigen, sind per se von der Anwendung von Kartellrecht ausgenommen. Die Immanenztheorie bietet demgegenüber einen Lösungsansatz, der durch die Austragung schwieriger Wertungsfragen zu einer beweglichen Scheidelinie zwischen Kartellrecht und Immaterialgüterrecht gelangt. 889 885
H. Ullrich, in I / M E G - W e t t b e w e r b s r e c h t , Bd. I, 1997, S. 1223 f. Rdnr. 17. S. o b e n S. 292 f. 887 F. Rittner (oben Fn. 856, S. 294) bezeichnet die I m m a n e n z t h e o r i e deshalb auch als „relative T h e o r i e " . Diese steht im Gegensatz zur „absoluten T h e o r i e " , welche die A n w e n d u n g von Kartellrecht auf ein Institut des Privatrechts vollständig ausschließt. 888 S. o b e n F n . 857. Diese Klarstellung w a r in Steindorffs Vortrag auf d e m Pariser K o l l o q u i u m v o n 1967 (oben Fn. 856) n o c h nicht enthalten. Zu diesem Z e i t p u n k t folgte auch das europäische Kartellrecht f ü r das Verhältnis z u m Immaterialgüterrecht n o c h der Inhaltstheorie, wie in der W e i h n a c h t s b e k a n n t m a c h u n g 1962 (oben Fn. 596) z u m A u s d r u c k k o m m t . H. Ullrich (der am Steindorff-Vortrag von 1967 beteiligt war) ging deshalb v o n einer G l e i c h s e t z u n g v o n I m m a n e n z - u n d Inhaltstheorie aus. G e g e n diesen A n s a t z richtete sich sein I m m u n i s i e r u n g s v o r w u r f in Z H R 137 (1973), 134 (142 ff.). Steindorff stellte 1977 (oben Fn. 853) klar, dass die I m m a n e n z t h e o r i e in ihrem gesamten A n w e n d u n g s b e r e i c h , also auch in Bezug auf das I m m a t e rialgüterrecht, nicht einseitig ü b e r k o m m e n e Rechtsinstitute privilegiere. Vielmehr seien die W e r t u n g e n des Kartellrechts in die A b w ä g u n g zwischen Wettbewerbsfreiheit einerseits u n d den berechtigten Anliegen dieser Rechtsinstitute einzubringen. Zu den Schlussfolgerungen hieraus s. sogleich im Text. 889 Vgl. hierzu auch Th. Ackermann, A r t . 85 Abs. 1 E G V u n d die rule of reason, 1997, S. 246 ff. 886
C. Immaterialgüterschutz
und europäisches
Kartellrecht
421
ß) Relevanz der I m m a n e n z t h e o r i e für das R e c h t des geistigen Eigentums D i e I m m a n e n z t h e o r i e ist eine allgemeine Lehre zur L ö s u n g von K o n f l i k t e n zwischen Kartellrecht und anerkannten (privatrechtlichen) Institutionen. Ihre wichtigsten Anwendungsfälle sind die Wettbewerbsverbote zu Lasten u n a b hängiger Distributeure, im Gesellschaftsrecht sowie beim U n t e r n e h m e n s k a u f . D i e I m m a n e n z l e h r e ist hierauf aber nicht festgelegt, sondern hat nach ihrer Zielsetzung einen allgemeinen Anwendungsbereich. I m m e r wenn eine W e t t b e werbsbeschränkung aus einem Rechtsverhältnis notwendigerweise folgt, das im übrigen wettbewerbsneutral ist, k o m m t es zu einer R ü c k n a h m e des Kartellverbots. I m Prinzip steht also einer Anwendung der I m m a n e n z t h e o r i e auf Wettbewerbsbeschränkungen im Zusammenhang mit dem R e c h t des geistigen Eigentums nichts im W e g e . 8 9 0 E i n e solche A n w e n d u n g hängt lediglich davon ab, o b die genannten immanenzrechtlichen Voraussetzungen beim K o n f l i k t von Kartellrecht und Immaterialgüterrecht vorliegen. Y) Voraussetzungen für eine A n w e n d u n g der I m m a n e n z t h e o r i e S c h o n die erste Voraussetzung, also die Existenz eines im übrigen w e t t b e w e r b s neutralen Rechtsverhältnisses, erscheint allerdings zweifelhaft. D e r S c h u t z geistigen Eigentums wird gerade dadurch bewirkt, dass R e c h t e geschaffen werden, die in ihrem Bereich jeden Wettbewerb ausschließen. Anders als beim Verhältnis zwischen Gesellschaftern, Unternehmensverkäufern und -käufern oder Produzenten und Händlern besteht der Sinn von R e c h t s b e z i e h u n g e n auf dem G e b i e t des Immaterialgüterrechts gerade darin, diese w e t t b e w e r b s b e s c h r ä n kende Ausschließlichkeitsposition zu verwerten. Von einem w e t t b e w e r b s n e u tralen H a u p t z w e c k solcher Rechtsbeziehungen kann also nur dann die R e d e sein, wenn nicht auf das Ausschließlichkeitsrecht, sondern auf die Ziele der b e treffenden Vereinbarung abgestellt wird, die z . B . in der Verbreitung des geschützten Gegenstands liegen k ö n n e n . 8 9 1 Schwierigkeiten bereitet auch die zweite Anwendungsvoraussetzung der I m m a n e n z t h e o r i e , also die Erforderlichkeit der B e s c h r ä n k u n g für das ungestörte F u n k t i o n i e r e n des kollidierenden Rechtsinstituts. D i e Reichweite der Tatbestandsrestriktion hängt von den Anforderungen ab, die man an den B e griff der Erforderlichkeit stellt. Zieht man die o b e n genannte Testfrage des E u ropäischen Gerichtshofs heran (Wie würde sich der W e t t b e w e r b gestalten,
890 Vgl. P. Ulmer, Rule of Reason im Rahmen von Artikel 85 EWGV, RIW 1985, 517 (521). Für eine Anwendung der Immanenztheorie auf Lizenzverträge plädiert M. Christoph (Wettbewerbsbeschränkungen in Lizenzverträgen über gewerbliche Schutzrechte nach deutschem und europäischem Recht, 1998, S. 175 ff., insbesondere S. 198 ff.), der die einzelnen Voraussetzungen der Anwendbarkeit - im Gegensatz zu der hier vertretenen Auffassung - für gegeben hält, s. hierzu sogleich im Text. 891 In diesem Sinn M. Christoph (oben Fn. 890), S. 194 f.
422
4. Teil: Europäisches
Recht
wenn die betreffenden Beschränkungen nicht vereinbart würden?), 8 9 2 käme es darauf an, ob auch ohne die betreffende Vereinbarung das Schutzrecht verwertbar bliebe. Diese Erwägung zeigt aber gleichzeitig die Grenzen auf, die der Anwendung der Immanenztheorie auf das Immaterialgüterrecht gezogen sind. Oft wird die Vereinbarung nicht erforderlich, sondern bloß wirtschaftlich sinnvoll sein. Dies reicht für die Anwendung der Immanenztheorie nicht aus. 8) Ergebnis Auch wenn also die Entstehung der Immanenztheorie eng mit der kartellrechtlichen Behandlung von Immaterialgüterrechten verbunden ist, 893 ist ihre Relevanz für das Recht des geistigen Eigentums doch begrenzt. Der tiefere Grund hierfür besteht darin, dass das Grundanliegen des Immaterialgüterschutzes in der bewussten Einschränkung von Wettbewerb besteht, während die in der Rechtsprechung hervorgetretenen Hauptanwendungsfälle der Immanenztheorie wettbewerbsferne Themen wie z.B. Gesellschaften, Absatzverhältnisse oder den Unternehmenskauf zum Gegenstand haben. Es verwundert deshalb nicht, dass die Hauptschwierigkeiten des Kartellrechts des geistigen Eigentums nicht in der nachträglichen Reduzierung des im Prinzip bejahten Kartellverbots liegen, sondern der Schwerpunkt auf der Frage liegt, ob eine Verhaltensweise im Zusammenhang mit einem Schutzrecht überhaupt als Wettbewerbsbeschränkung qualifiziert werden kann. Als Dreh- und Angelpunkt der Problematik erweisen sich somit die Überlegungen zum materiellen Begriff der Wettbewerbsbeschränkung und zum Wettbewerbseröffnungs-, bzw. Markterschliessungsgedanken. Da diese Überlegungen schon im Rahmen der teleologischen Auslegung anzustellen sind, bleiben für eine Tatbestandsreduktion nach der Immanenztheorie keine offenen Wertungen mehr übrig. Die Immanenztheorie ist also letztlich für das Kartellrecht des geistigen Eigentums irrelevant. Entscheidend ist vielmehr der Begriff der Wettbewerbsbeschränkung. In ihn sind die entscheidenden Wertungen, also auch diejenigen immaterialgüterrechtlicher Natur einzubringen. 8 9 4
Oben vor Fn. 867. Vgl. oben Fn. 856. 894 Dass die Immanenztheorie nicht der geeignete Ort zur Auflösung des Konflikts von Kartellrecht und Immaterialgüterrecht ist, wird auch durch die oben (S. 416) aufgezeigte Parallele zur ancillary restraints-Lehre unterstrichen. Wenn die Immanenztheorie nur Nebenabreden vom Kartellverbot ausnimmt, kann sie kein allgemeines Konzept für eine Auflösung des Konflikts zwischen beiden Rechtsgebieten bereitstellen. Ein solches Konzept muss also an anderer Stelle gesucht werden. Der einschlägige Ort ist nach der hier vertretenen Auffassung schon der Begriff der Wettbewerbsbeschränkung selbst und nicht erst dessen immanenzrechtliche Einschränkung. 892
893
C. Immaterialgüterschutz
3. Möglichkeit
und europäisches
Kartellrecht
423
der Freistellung nach Art. 81 Abs. 3 EGV
D i e Bedeutung von A r t . 81 A b s . 3 E G V für die B e s t i m m u n g des Tatbestands von A r t . 81 Abs. 1 E G V wurde bereits hervorgehoben. 8 9 5 Beide Absätze k ö n nen nur in Beziehung aufeinander gelesen werden. Ist der Anwendungsbereich des Kartellverbots unter Berücksichtigung dieser Wechselbeziehung eröffnet, bedarf es zur Legalisierung der betreffenden Vereinbarung der Heranziehung einer Ausnahmevorschrift, d.h. in erster Linie der E i n z e l - oder Gruppenfreistellung nach Art. 81 Abs. 3 E G V .
a)
Voraussetzungen
D i e materiellen und formellen Voraussetzungen hierfür wurden genannt. 8 9 6 Insbesondere muss eine Gesamtbilanz der Vor- und N a c h t e i l e der Vereinbarung aufgestellt werden, diese Bilanz muss positiv sein, 8 9 7 außerdem müssen die beschränkenden Vereinbarungen unerlässlich
sein, um die angestrebten Vorteile
zu erzielen. I m Prinzip ist jede Vereinbarung freistellungsfähig, wenn nur die Freistellungsvoraussetzungen im konkreten Fall erfüllt sind. D i e Freistellung hängt nicht v o m Typus der Vereinbarung ab, so dass die Beurteilung bestimmter beschränkender Klauseln je nach rechtlichem oder wirtschaftlichem Z u s a m menhang, insbesondere auch der A r t des betroffenen Schutzrechts unterschiedlich sein kann. 8 9 8
b) Versagung der
Freistellung
Von diesem Grundsatz der völligen Offenheit gibt es allerdings de facto
Aus-
nahmen: E s existieren bestimmte Typen beschränkender Vereinbarungen, die so negativ zu bewerten sind, dass ein U b e r w i e g e n positiver Auswirkungen und damit eine Freistellung in der Regel ausscheidet. Diese Verhaltensweisen unterliegen faktisch einem per se-Verbot.1899
Hierzu gehören z . B . alle M a ß n a h m e n ,
die sich auf die A b s c h o t t u n g der Binnengrenzen beziehen. 9 0 0 Insbesondere auch die Vereinbarung absoluten Gebietsschutzes 9 0 1 führt in der Regel zur Versagung der ( G r u p p e n - oder) Einzelfreistellung. S. oben S. 362 ff. Zu den materiellen Voraussetzungen s. oben S. 334 f., zu den formellen Voraussetzungen im Fall der Einzelfreistellung, insbesondere zum Anmeldeerfordernis s. oben S. 341 ff. 897 Das im Zusammenhang mit Art. 81 Abs. 1 EGV abgelehnte Erfordernis des bilan économique (s.o. S. 387 ff.) findet also erst im Zusammenhang mit Art. 81 Abs. 3 EGV Anwendung, s. hierzu Bellamy/Child, Common Market Law of Compétition, 1993, §3-022; H. Schröter, in von der Groeben Art. 85 Abs. 3 EGV Rdnr. 298; GA P. Verloren van Themaat, VBVB und VBBB/Kommission, Verb. Rs. 43 und 63/82, Slg. 1984, 72 (88). 898 H. Ullrich, in I/M EG-Wettbewerbsrecht, Bd. I, 1997, S. 1248 f. Rdnr. 37. 899 H. Ullrich, in I/M EG-Wettbewerbsrecht, Bd. I, 1997, S. 1247 Rdnr. 37. 900 H.-G. Koppensteiner (oben Fn. 684), § 17 Rdnr. 44, S. 346 f; H. Schröter, in von der Groeben Art. 85 Abs. 3 EGV Rdnr. 300; Gleiss! Hirsch, 1993, Art. 85 (3) Rdnr. 1898 f. 901 Hierzu s. oben bei Fn. 800. 895
896
424
4. Teil: Europäisches
c) Stellenwert der schwarzen
Recht
Listen
Diese Feststellung leitet über zur Bedeutung der schwarzen Listen in den Gruppenfreistellungsverordnungen. Die Vereinbarung einer schwarzgelisteten Klausel führt nach dem Alles-oder-Nichts-Prinzip z u m vollständigen Wegfall der Gruppenfreistellung. Theoretisch bedeutet dies, dass eben nur der Vorzug einer ex lege eintretenden Freistellung entfällt und der beschwerlichere Weg eines Antrags auf Einzelfreistellung nach der Kartellverordnung einzuschlagen ist. 902 Einige schwarze Klauseln sind aber als so gravierende Wettbewerbsverstöße einzustufen, dass auch eine Einzelfreistellung ausscheiden wird. 9 0 3 Beispiele für solche per se unzulässigen Beschränkungen sind die in Art. 3 Nr. 1 und Nr. 3 GFVO Technologietransfer genannten Preisabsprachen, bzw. die Missachtung eines Mindestmaßes an Offenheit bei Maßnahmen zur Herstellung von Gebietsschutz. 9 0 4 Eine dogmatische Begründung finden solche per se-Verbote im Merkmal der Unerlässlichkeit: Die genannten Beschränkungen werden nur ganz ausnahmsweise objektiv unerlässlich sein, um eine Verbesserung in Produktion, Distribution oder Innovation zu erzielen. 9 0 5 Außerdem darf nach Art. 81 Abs. 3 Buchstabe b) EGV die Vereinbarung nicht die Möglichkeit eröffnen, für eine wesentlichen Teil der betreffenden Waren den Wettbewerb auszuschalten. d)
Spezialitätsprinzip
Das Merkmal der Unerlässlichkeit führt auch zu einer anderen Verschärfung der Freistellungsvoraussetzungen: Ihm ist das Spezialitätsprinzip zu entnehmen, nach dem jede beschränkende Klausel für sich genommen daraufhin überprüft werden muss, ob sie zur Erreichung der in Art. 81 Abs. 3 EGV genannten Ziele unerlässlich ist. 906 Paketlösungen sind unzulässig: Eine pauschale Argumentation, die ohne Differenzierung ein ganzes Bündel beschränkender Klauseln mit bestimmten positiven Auswirkungen rechtfertigen möchte, ist nicht statthaft. 902 In diesem Sinn folgende Passage aus Erwägungsgrund 19 der GFVO Technologietransfer: „Bei ihnen [seil.: den in der schwarzen Liste genannten Beschränkungen] läßt sich, obwohl sie mit dem Technologietransfer zusammenhängen, nicht allgemein vermuten, daß sie zu den von Artikel 85 Absatz 3 geforderten positiven Wirkungen führen, wie dies für eine Gruppenfreistellung erforderlich wäre. Vereinbarungen, die derartige Beschränkungen enthalten, können daher nur im Einzelfall unter Berücksichtigung insbesondere der Marktstellung der beteiligten Unternehmen und des Konzentrationsgrades des Marktes freigestellt werden." 903 Die Bedeutung der schwarzen und weißen Listen in den Gruppenfreistellungsordnungen für die Erteilung einer Einzelfreistellung betonen R. Zach, Wettbewerbsrecht der Europäischen Union, 1994, S. 133; H. Schröter, in von der Groeben Art. 85 Abs. 3 EGV Rdnr. 308. 904 H. Ullrich, in I/M EG-Wettbewerbsrecht, Bd. I, 1997, S. 1249 Rdnr. 37. 905 Langen/Bunte, KartR, 9. Aufl. 2001, Art. 81 - Generelle Prinzipien Rdnr. 161. 906 H. Ullrich, in I/M EG-Wettbewerbsrecht, Bd. I, 1997, S. 1249 Rdnr. 37.
C. Immaterialgüterschutz
und europäisches
Kartellrecht
425
4. Ergebnis I m europäischen Kartellrecht stellt sich wie im nationalen Kartellrecht die A u f gabe, den K o n f l i k t zwischen Kartellverbot und (nationalem und europäischem) Immaterialgüterrecht aufzulösen. W ä h r e n d das deutsche Kartellrecht in den §§ 17, 18 G W B für einen Ausschnitt dieses P r o b l e m b e r e i c h s die Inhaltstheorie vorschreibt, enthält das europäische Kartellrecht keine genauen legislatorischen Vorgaben.
a) Gegen die Lehre vom spezifischen Gegenstand (im Zusammenhang mit europäischem Kartellrecht) Rechtsprechung und herrschende L e h r e greifen zur L ö s u n g des K o n f l i k t s auf dasselbe K o n z e p t zurück, das auch die Friktionen zwischen Grundfreiheiten und Immaterialgüterrecht überwinden soll, nämlich auf die L e h r e vom spezifischen Gegenstand. W ä h r e n d dieses K o n z e p t in B e z u g auf die Grundfreiheiten sinnvoll begründet werden kann, sind ihm bei der A n w e n d u n g auf die Wettbewerbsregeln dieselben Schwächen vorzuwerfen, die auch gegen die Inhaltstheorie des deutschen Rechts zu richten sind: D i e Analyse des wettbewerblichen Zusammenhangs tritt hinter eine schematische, da begriffliche A r g u m e n t a t i o n zurück, die lediglich auf die Subsumtion der betreffenden Verhaltensweise u n ter den Begriff des spezifischen Gegenstands abstellt, ohne sich der Frage z u z u wenden, welchen Zielen im Wettbewerb die betreffende Absprache dient. D i e H e r a n z i e h u n g der L e h r e vom spezifischen Gegenstand im Zusammenhang mit den Wettbewerbsregeln verkennt die Tatsache, dass jedes R e c h t , o b materiell oder immateriell, dazu benutzt werden kann, verbotene W e t t b e w e r b s b e s c h r ä n kungen zu vereinbaren. Entscheidend ist nicht die Frage, o b sich die betreffende Verhaltensweise innerhalb des spezifischen Gegenstands eines Schutzrechts bewegt, sondern o b das jeweilige R e c h t im R a h m e n einer Kartellabsprache eingesetzt wird. Eine genauere U n t e r s u c h u n g der Rechtsprechung zeigt, dass der G e r i c h t s h o f die L e h r e v o m spezifischen Gegenstand zwar nennt, sie aber nicht tatsächlich anwendet. E i n e Gesamtwürdigung des rechtlichen und wirtschaftlichen Z u s a m menhangs zieht er einer zwingenden Schlussfolgerung aus immaterialgüterrechtlichen Befugnissen vor. Zumeist benutzt der G e r i c h t s h o f den Begriff des spezifischen Gegenstands in negativer Hinsicht, nämlich um zu zeigen, dass im k o n k r e t e n Fall der spezifische Gegenstand des Schutzrechts überschritten wurde und der A n w e n d u n g von Kartellrecht somit nichts im Wege stehe.
h) Begriff der materiellen
'Wettbewerbsbeschränkung
D a somit apriorische Lösungen über die A n w e n d u n g von A r t . 81 E G V im B e reich des geistigen Eigentums ausscheiden, verlagert sich der S c h w e r p u n k t zu der Frage, wie die Anliegen des Immaterialgüterrechts innerkartellrechtlich b e -
426
4. Teil: Europäisches
Recht
rücksichtigt werden können. Die zentrale Kategorie in diesem Zusammenhang ist der Begriff der Wettbewerbsbeschränkung. Eine rein formale Bestimmung dieses Begriffs, die auf die Einschränkung der Handlungsfreiheit der Beteiligten in Bezug auf mindestens ein Wettbewerbsparameter abstellt, erweist sich als unbefriedigend: Ohne Auswirkungen dieser Einschränkung auf umworbene Dritte fehlt der tiefere Sinn für ein kartellrechtliches Verbot. N u r eine materiell verstandene Wettbewerbsbeschränkung erfüllt den Tatbestand von Art. 81 Abs. 1 EGV. 907 O b tatsächlich eine Wettbewerbsbeschränkung in diesem Sinn vorliegt, setzt eine Untersuchung des gesamten rechtlichen und wirtschaftlichen Zusammenhangs voraus. Die Materialisierung des Beschränkungsbegriffs entscheidet über die Anwendbarkeit des Kartellverbots. Umstände, die erst auf der Ebene der Freistellungsvoraussetzungen relevant sind, können im Rahmen von Art. 81 Abs. 1 EGV nicht herangezogen werden. 908 c) Vorschlag einer Markterschließungsdoktrin
im engeren Sinn
Art. 81 Abs. 3 EGV steht auch der Annahme einer europarechtlichen rule of reason entgegen. Von der rule of reason ist die vorsichtige Einbeziehung wettbewerbsfördernder Wirkungen beschränkender Vereinbarungen zu unterscheiden. Nach der hier vertretenen Auffassung können auf der Grundlage des materiellen Begriffs der Wettbewerbsbeschränkung positive Wirkungen einer Vereinbarung die negativen Aspekte kompensieren, so dass eine tatbestandsmäßige Wettbewerbsbeschränkung zu verneinen ist. Der Unterschied zur rule of reason besteht darin, dass nur eng umgrenzte Fallgruppen, nämlich die Erschließung eines neuen Marktes oder allgemein die Schaffung von neuem Wettbewerb berücksichtigt werden. Der Unterschied zu einer allgemein gefassten Wettbewerbseröffnungs-, bzw. Markterschließungsdoktrin besteht im Merkmal der Notwendigkeit: Wettbewerbshindernde Umstände sind dem Tatbestand des Kartellverbots nur dann entzogen, wenn sie zur Erreichung der wettbewerbsfördernden Ziele notwendig sind. Dieser Standpunkt wird hier als Markterschließungsdoktrin im engeren Sinn bezeichnet. Diese Lehre ist allgemeiner Natur, hat aber besondere Auswirkungen auf dem Gebiet des Immaterialgüterrechts: Innovationen erhalten eine privilegierte kartellrechtliche Stellung. Besonderheiten des Immaterialgüterschut907
S. dazu bereits oben S. 354 ff. Im Gegensatz dazu stehen die Vorstellungen der Kommission in ihrem Weißbuch von 1999 (s. dazu oben Fn. 552): „Im Rahmen eines Systems der gesetzlichen Ausnahme werden sich Positiventscheidungen der Kommission auf die Feststellung beschränken, daß eine Vereinbarung mit dem gesamten Artikel 85 vereinbar ist, weil sie entweder nicht in den Anwendungsbereich des Artikels 85 Abatz 1 fällt oder weil sie die Voraussetzungen des Artikels 85 Absatz 3 erfüllt. Diese Entscheidungen werden feststellender Art sein und dieselbe Rechtswirkung haben wie die gegenwärtigen Entscheidungen zur Erteilung eines Negativattests." (Weißbuch, ebenda, S. 35 Tz. 89). 908
C. Immaterialgüterschutz
und europäisches
Kartellrecht
427
zes wirken auf diesem Weg nicht von außen auf das Kartellrecht ein, indem sie dessen Anwendungsbereich begrenzen (wie es das Anliegen der Lehre vom spezifischen Gegenstand ist). Immaterialgüterrecht wirkt vielmehr auf der Grundlage dieses Vorschlags von innen, indem Anliegen des geistigen Eigentums innerhalb des Begriffs der Wettbewerbsbeschränkung Berücksichtigung finden. Ein Grundanliegen dieser Arbeit, nämlich die Integration des Immaterialgüterrechts in das allgemeine Wirtschaftsrecht, wird hierdurch gefördert. d) Markterschließungsdoktrin
und
Verbotsprinzip
Art. 81 Abs. 1 EGV folgt (wie auch Art. 82 EGV) sowohl für horizontale als auch für vertikale Bindungen dem Verbotsprinzip. 909 Die von der Vorschrift erfassten Verhaltensweisen sind verboten, wenn keine Einzel- oder Gruppenfreistellung besteht. Es entspricht dem Erfahrungsstand heutiger Kartellrechtswissenschaft, dass nur das Verbotsprinzip, nicht aber ein bloßes Missbrauchsprinzip Garant für ein funktionierendes Wettbewerbssystem ist. 910 Tendenzen zur Abschwächung des Verbotsprinzips, wie sie beispielsweise im Weißbuch der Kommission aus dem Jahr 1999 zur Reform des europäischen Kartellverfahrensrechts, 911 bzw. dem hierauf aufbauenden Verordnungsvorschlag 912 zum Ausdruck kommen, ist unter Hinweis auf die Unzulänglichkeiten des Missbrauchsprinzips zu widersprechen. 913 Die Präventionswirkung von Kartellrecht wird entscheidend geschwächt, wenn die Unternehmen zunächst selber entscheiden sollen, ob in ihrer Angelegenheit die Freistellungsvoraussetzungen erfüllt sind. 914 909
S. o. S. 334. Zu den Erfahrungen in Deutschland s.o. S. 128 ff. 911 Weißbuch der Kommission über die Modernisierung der Vorschriften zur Anwendung der Artikel 85 und 86 EG-Vertrag (Arbeitsprogramm der Kommission Nr. 99/027) vom 28.4.1999 und oben Fn. 552. Auf S. 29, Tz. 69 des Weißbuchs ist von „Milderung des Verbotsprinzips" die Rede. 912 Kommissionvorschlag K O M (2000) 582 endg. v. 27.9.2000 für eine „Verordnung des Rates zur Durchführung der in den Artikeln 81 und 82 EG-Vertrag niedergelegten Wettbewerbsregeln". Dem Vorschlag ging eine Auswertung der eingereichten Stellungnahmen voraus, Summary of Ohservations v. 29.2.2000, abrufbar unter: http://europa.eu.int/comm/cornpetition/antitrust/others/wp_on_modernisation/summary_observations.html. 913 Zum Weißbuch, bzw. zum Verordnungsvorschlag gibt es zahlreiche Stellungnahmen, s. nur: A. Deringer, EuZW 2000, 5; Deselaers/Obst, EWS 2000, 41; Th. Eilmansberger,]Z 2001, 365; W. Fikentscher, WuW 2001, 446; D. Gerber, E C L R 2001, 122; E.-J. Mestmäcker, E u Z W 1999, 523; W. Möschel,]Z 2000, 61; Monopolkommission, Sondergutachten 28: Kartellpolitische Wende in der Europäischen Union?, 1999;/. Schütz, WuW 2000, 686. Das Bundeskartellamt fordert als Ausgleich für den Wegfall der Genehmigungspflicht die Einführung einer Informationspflicht für Kartelle, S. BKartA, Tätigkeitsbericht 1999/2000, 2001, S. 55. 914 Im Weißbuch wird ein „System der gesetzlichen Ausnahme in Verbindung mit einer nachherigen Kontrolle" vorgeschlagen (Weißbuch, S. 29 ff., Tz. 69 ff.). Wettbewerbsbeschränkungen i.S. des Art. 81 Abs. 1 EGV wären nur noch dann verboten, wenn die Voraussetzungen von Art. 81 Abs. 3 EGV nicht gegeben sind. Schütz (oben Fn. 913, S. 689) spricht von einem System der „Selbstveranlagung". 910
428
4. Teil: Europäisches
Recht
Von solchen Tendenzen ist die hier vertretene enge Fassung der Markterschließungsdoktrin abzugrenzen. Die Eingrenzung des Beschränkungsbegriffs ist erforderlich, um immaterialgüterrechtliche Belange schon innerkartellrechtlich zu berücksichtigen. Dadurch wird nicht der Weg zu einem allgemeinen Abwägungsgebot betreten oder ein Ubergang zum Missbrauchsprinzip eingeleitet. Die enge Fassung des Beschränkungsbegriffs ist gerade im Hinblick auf das Recht des geistigen Eigentums erforderlich, um das Kartellverbot sachgemäß einzugrenzen. Letztlich stärkt eine solche Vorgehensweise das Verbotsprinzip: Die Ausgrenzung markterschließender und damit wettbewerbsstärkender Verhaltensweisen aus dem Tatbestand von Art. 81 Abs. 1 EGV erlaubt eine Konzentration des Kartellverbots auf die wirkliche Einschränkung, nicht aber die Erweiterung von Alternativen im Wettbewerb. Der hiermit verbundene Legitimitätsgewinn kann gefährlichen Auflösungstendenzen, wie sie im Weißbuch der Kommission oder in allgemeinen rule of re^sow-Vorschlägen zum Ausdruck kommen, entgegengesetzt werden. e) Sachgemäße Fassung des Beschränkungsbegriffs Einschränkungen
statt
immanenzrechtlicher
Als sedes materiae des Kartellrechts des geistigen Eigentums erweist sich der Begriff der Wettbewerbsbeschränkung. Die zentrale Schwierigkeit liegt damit bei der Begründung des kartellrechtlichen Tatbestands. Diese Tatsache verdient besondere Hervorhebung, da nach weitverbreiteter Ansicht die Besonderheiten des Immaterialgüterrechts erst im Wege einer Taxbesidsi&sreduktion berücksichtigt werden können. Die zu diesem Zweck herangezogene Immanenztheorie ist zwar nach ihrer Entstehung eng mit Fragen des geistigen Eigentums verbunden. Nach der hier vertretenen Auffassung ist das Bedürfnis nach immanenzrechtlichen Einschränkungen des Kartellverbots aber gering, da die Materialisierung des Begriffs der Wettbewerbsbeschränkung zu einer sachgemäßen Handhabung des Kartellverbots gerade auch auf dem Gebiet des geistigen Eigentums führt. Immaterialgüterrechtliche Wertungen finden als Teil des rechtlichen und wirtschaftlichen Zusammenhangs Berücksichtigung, der zur Begründung einer tatbestandsmäßigen Wettbewerbsbeschränkung heranzuziehen ist.
III. Art. 82 EGV 1. Allgemeines Die zweite Säule des europäischen Kartellrechts ist neben dem Kartellverbot des Art. 81 EGV das Verbot des Missbrauchs marktbeherrschender Stellungen in Art. 82 EGV. 915 Marktbeherrscher werden strengeren Regeln unterworfen 915
Die Art. 81 und 82 EGV sind nebeneinander anwendbar, stehen also im Verhältnis der
C. Immaterialgüterschutz
und europäisches
Kartellrecht
429
als die Allgemeinheit der Unternehmen. Wo die Kontrolle durch den Wettbewerb eingeschränkt ist, soll die Kontrolle durch die Kartellaufsicht für Ersatz sorgen. Dahinter steckt das „Als ob"-Konzept: Auch wenn kein wirksamer Wettbewerb mehr besteht, soll Kartellrecht für Bedingungen sorgen, die dem Idealzustand nahe kommen. 9 1 6 a)
Verbotsprinzip
Wie Art. 81 EGV wirkt das Verbot des Art. 82 EGV ex lege, d.h. es bedarf zu seiner Wirksamkeit keiner Behördenentscheidung. Wie das Kartellverbot wendet sich Art. 82 EGV ausschließlich an Unternehmen, also an „jede eine wirtschaftliche Tätigkeit ausübende Einheit, unabhängig von ihrer Rechtsform und der Art ihrer Finanzierung". 917 Auch ist Art. 82 EGV nur dann anwendbar, wenn die Zwischenstaatlichkeitsklausel erfüllt ist, also die Möglichkeit einer Auswirkung auf den Handel zwischen den Mitgliedstaaten besteht. 918 Eine Verletzung von Art. 82 EGV kann Rechtsfolgen auf den Gebieten des Zivil-, Verwaltungs- und Strafrechts, bzw. Ordnungswidrigkeitenrechts nach sich ziehen. Soweit der verbotene Missbrauch in einem Rechtsgeschäft besteht, ist es nach nationalem Recht, in Deutschland also nach § 134 BGB nichtig. 919 Schadensersatz-, Beseitigungs- und Unterlassungsansprüche können die Folge sein. 920 Idealkonkurrenz, s. z.B. E u G H , 13.2.1979, Hoffmann-La Roche/Kommission, Rs. 85/76, Slg. 1979, 461 (550 Tz. 116); EuG, 10.7.1990, Tetra Pak/Kommission („Tetra Pak I"), T-51/89, Slg. 1990, 11-309 (11-356 Tz. 21); W. Möschel, in I/M EG-Wettbewerbsrecht, Bd. I, 1997, S. 686 Rdnr. 6. 916 S. L. Miksch, Die Wirtschaftspolitik des Als-Ob, Zeitschrift für die gesamte Staatswissenschaft, Band 105 (1949), 310 ff. Auf den Zusammenhang von Als-Ob-Konzept und dem Verbot des Missbrauchs marktbeherrschender Stellungen macht D. Gerher (Law and Competition in Twentieth Century Europe, 1998, S. 307) am Beispiel des deutschen Kartellrechts aufmerksam. Das Als-Ob-Konzept wurde durch die vierte GWB-Novelle in § 22 Abs. 4 S. 2 Ziffer 2 G W B (a.F.; heute § 19 Abs. 4 Ziffer 2 GWB) am Beispiel des Preis- und Konditionenmissbrauchs ausdrücklich in das Gesetz aufgenommen. Ein Missbrauch liegt danach insbesondere auch dann vor, wenn der Marktbeherrscher „Entgelte oder sonstige Geschäftsbedingungen fordert, die von denjenigen abweichen, die sich bei wirksamem Wettbewerb mit hoher Wahrscheinlichkeit ergeben würden". 917
S. oben S. 334. Die Zwischenstaatlichkeitsklausel hat bei Art. 82 EGV die gleiche Funktion wie bei Art. 81 EGV, nämlich die Abgrenzung des Geltungsbereichs von Gemeinschaftsrecht und von nationalem Recht (s.o. S. 341) und wird deshalb bei beiden Vorschriften ähnlich ausgelegt. Im Rahmen von Art. 82 EGV hat sie allerdings eine erheblich geringere praktische Bedeutung: Da die Vorschrift eine beherrschende Stellung zumindest auf einem wesentlichen Teil des Gemeinsamen Markts voraussetzt, ist für einen Gemeinschaftsbezug bereits gesorgt. So leitet der Gerichtshof eine Beeinträchtigung des Handels zwischen den Mitgliedstaaten durchaus aus denselben Umständen ab, die ihn auch zur Qualifikation eines Marktes als wesentlichen Teil des Gemeinsamen Marktes veranlasst haben, s. z.B. E u G H , 10.12.1991, Merci Convenzionali Porto di Genova, Rs. C-179/90, Slg. 1991, 1-5889 (1-5929 Tz. 20 mit Verweis auf 1-5928 Tz. 15). 918
919 Im Gegensatz zu Art. 81 Abs. 2 EGV enthält Art. 82 EGV keine eigene Bestimmung über die zivilrechtlichen Folgen. Die Frage der Wirksamkeit missbräuchlicher Rechtsgeschäfte
430
4. Teil: Europäisches
Recht
Entscheidungen der Kommission auf Abstellung von Zuwiderhandlungen sind gem. Art. 3 Kartellverordnung möglich. Auch nationalen Kartellbehörden steht diese Möglichkeit offen; in Deutschland hat beispielsweise das Bundeskartellamt gem. § 50 Abs. 2 S. 2 GWB i.V. mit § 32 GWB und Art. 82 EGV die Kompetenz zum Erlass von Untersagungsverfügungen. Die Kommission kann bei vorsätzlichem oder fahrlässigem Verstoß auf der Grundlage von Art. 15 Kartellverordnung Geldbußen verhängen, die allerdings gem. Abs. 4 der Vorschrift nicht (kriminal-)strafrechtlicher Natur sind. 921 Die Verhängung von Geldbußen steht nationalen Kartellbehörden nicht zu. b) Ausnahmen Einzige Ausnahmevorschrift zu Art. 82 EGV ist Art. 86 Abs. 2 EGV in Bezug auf Finanzmonopole oder Unternehmen, die mit Dienstleistungen von allgemeinem wirtschaftlichem Interesse betraut wurden. Art. 81 Abs. 3 EGV findet im Rahmen von Art. 82 EGV keine Anwendung. Einzel- oder Gruppenfreistellungen entbinden das betreffende Unternehmen also nicht von dem Verbot, etwaige marktbeherrschende Stellungen missbräuchlich auszunutzen. Vereinzelt wird zwar die Auffassung vertreten, Art. 82 EGV greife im Anwendungsbereich von Einzel- oder Gruppenfreistellungen nicht ein, solange die Freistellung nicht entzogen sei.922 Diese Auffassung ist aber mit dem System der beurteilt sich deshalb nach nationalem Recht. Für die Anwendung von § 134 BGB plädieren z.B. H. Schröter, in von der Groeben Art. 86 EGV Rdnr. 47; Th. Mayer-Maly in M ü K o § 134 BGB Rdnr. 36; W. Möschel, in I/M EG-Wettbewerbsrecht, Bd. I, S. 692 ff. Rdnr. 27 ff. S. aber auch N. Koch in Grabitz/Hilf Art. 86 E W G V Rdnr. 87 (Vorauflage) und Langen/Dirksen, KartR, 9. Aufl. 2001, Art. 82 EGV Rdnr. 208, die für eine differenzierende Betrachtungsweise auf der Grundlage von § 138 (und § 242) BGB plädieren. Hiergegen W. Deselaers, in Grabitz/ Hilf An. 82 EGV Rdnr. 279. 920 Auf der Grundlage der § § 823 Abs. 2, 249 und 1004 BGB, s. Langen/Dirksen, KartR, 9. Aufl. 2001, Art. 82 EGV Rdnr. 209; W. Möschel, in I/M EG-Wettbewerbsrecht, Bd. I, S. 693 f. Rdnr. 33 ff. 921 Die Verneinung der strafrechtlichen Natur schließt es nicht aus, die kartellrechtlichen Geldbußen unter den Begriff des Strafrechts im weiteren Sinne, z.B. nach Art des deutschen Ordungswidrigkeitenrechts zu fassen, s. hierzu G. Dannecker, in I/M EG-Wettbewerbsrecht, Bd. II, S. 1822 ff., insbesondere Rdnr. 204 ff. 922 G. Wiedemann, Kommentar GFVO, 1989, AT Rdnr. 373. In diesem Sinn auch N. Koch, in Grabitz/Hilf Art. 86 E W G V Rdnr. 9 (Vorauflage), der Zweifel bezüglich der Anwendung von Art. 86 E W G V auf freigestellte Vereinbarungen hat. Missbräuche möchte er im Fall der Einzelfreistellung durch ein Vorgehen nach Art. 8 Abs. 3 Kartellverordnung bekämpfen. Art. 86 E W G V sei nur anwendbar, soweit der Missbrauch auf einer von der Freistellung unabhängigen beherrschenden Stellung beruhe. Ahnlich auch F.-K Beier, Mißbrauch einer beherrschenden Stellung durch Ausübung gewerblicher Schutzrechte?, FS Quack, 1991, S. 15 (24 f.): „Der Grundsatz einheitlicher wettbewerbspolitischer Wertung verbietet es, ein sowohl nach Art. 36 wie nach Art. 85 E W G V erlaubtes Verhalten nach Art. 86 als mißbräuchliche Ausnutzung wirtschaftlicher Macht zu verbieten." Gegen eine generelle Derogation von Art. 82 EGV im Anwendungsbereich von Gruppenfreistellungsverordnungen H.-G. Koppensteiner, Osterreichisches und europäisches Wettbewerbsrecht, 3. Aufl. 1997, §17 Rdnr. 58, S. 354, s. aber auch unten Fn. 928.
C. Immaterialgüterschutz
und europäisches
Kartellrecht
431
Art. 81 und 82 E G V nicht in Übereinstimmung zu bringen. Während die Freistellungsmöglichkeit des Art. 81 Abs. 3 E G V zum Ausdruck bringt, dass das generelle Koordinierungsverbot des Art. 81 Abs. 1 E G V nicht überwiegenden wirtschaftlichen oder technischen Verbesserungen im Wege stehen soll, verankert Art. 82 E G V den Grundsatz, dass marktbeherrschende Unternehmen gesteigerten Verhaltensanforderungen unterliegen. Diese strengeren R e geln für Marktbeherrscher sollen weitere Verschlechterungen der Marktstruktur verhindern, jedenfalls soweit sie auf missbräuchlichen Verhaltensweisen beruhen. D i e Abwesenheit einer spezifischen Ausnahmevorschrift in Art. 82 E G V zeigt, dass allgemeine wirtschaftliche oder technische Vorteile nicht vom Missbrauchsverbot entbinden sollen. So hat der Europäische Gerichtshof in der Rechtssache „Ahmed Saeed" unmissverständlich klargestellt: „Dagegen kann für die mißbräuchliche Ausnutzung einer beherrschenden Stellung keine wie auch immer geartete Freistellung gewährt werden; ein solches Verhalten ist nach dem Vertrag schlichtweg verboten". 9 2 3
Eine analoge Anwendung von Art. 81 Abs. 3 E G V auf Art. 82 E G V scheidet somit aus. 9 2 4 D e r Tatbestand von Art. 82 E G V wird durch das Bestehen etwaiger Freistellungen nicht reduziert. 9 2 5 Die Möglichkeit, im Fall von Missbräuchen den Vorteil der Einzel- oder Gruppenfreistellung zu beschränken oder zu entziehen, hat keinen Einfluss auf die Anwendung von Art. 82 E G V . Vielmehr ist die umgekehrte Aussage richtig: Liegt ein Missbrauch einer marktbeherrschenden Stellung i.S. von Art. 82 E G V vor, werden in der Regel die Freistellungsvoraussetzungen insgesamt wegfallen, so dass der Widerruf der Einzelfreistellung nach Art. 8 Abs. 3 Kartellverordnung, bzw. der Entzug der Frei9 2 3 E u G H , 11.4.1989, Ahmed Saeed, Rs. 66/86, Slg. 1989, 803 (848 Tz. 32). S. bereits E u G H , 21.2.1973, Europemballage und Continental Can/Kommission, Rs. 6/72, Slg.1973,215 (245 f. Tz. 25) und EuG, 10.7.1990, Tetra Pak/Kommission, T-51/89, Slg. 1990,11-309 (11-356 f. Tz. 22): Nach Auffassung des Gerichts erster Instanz lässt sich aus der Entscheidung des Gerichtshofs in der Rechtssache „Ahmed Saeed" noch keine eindeutige Aussage über das Verhältnis einer Freistellung nach Art. 85 Abs. 3 E G V zur Anwendung von Art. 86 E G V ableiten. Im Ergebnis führten aber weder Einzel- noch Gruppenfreistellung zu einer Ausnahme auch von Art. 86 E G V (ebenda, 11-358 f. Tz. 25). 924 W. Möschel, in I / M EG-Wettbewerbsrecht, Bd. I, S. 730 f. Rdnr. 158; Chr. Jung, in Grabitz/Hilf Kn. 82 E G V Rdnr. 18. 9 2 5 Das Gericht erster Instanz hat in der „Tetra Pak I"-Entscheidung (oben Fn. 923) für die Frage der praktischen Rechtsanwendung folgende Differenzierung zwischen Einzel- und Gruppenfreistellung vorgenommen: Im Falle einer Einzelfreistellung habe die Kommission die konkrete Erfüllung der Voraussetzungen von Art. 81 Abs. 3 E G V bereits festgestellt. Ceteris paribus sei sie deshalb an diese Feststellungen auch bei der Anwendung von Art. 82 E G V gebunden. Bei Absprachen, die unter eine Gruppenfreistellungsverordnung fallen, bestünden solche Einschränkungen allerdings nicht: Eine konkrete Beurteilung der Absprache habe ja noch nicht stattgefunden. Hier stehe der Anwendung von Art. 82 E G V nichts im Wege. Einige Gruppenfreistellungsverordnungen hielten überdies ausdrücklich fest, dass sie der Anwendung von Art. 82 E G V nicht entgegen stünden. Dieser Grundsatz sei verallgemeinerbar („Tetra Pak I" Slg. 1990,11-359 ff. Tz. 28-31).
432
4. Teil: Europäisches
Recht
stellungswirkung nach der jeweiligen Gruppenfreistellungsverordnung indiziert ist. c) Zusammenhang
von Freistellung
und
Missbrauchsverbot
Auch wenn also kein direkter Einfluss von einer Einzel- oder Gruppenfreistellung auf die Anwendung von Art. 82 E G V ausgeht, bestehen doch indirekte Bezüge faktischer Natur. Die weißen Listen der Gruppenfreistellungsverordnungen enthalten Kataloge von Vereinbarungen, die schon deshalb unbedenklich sind, weil sie in der Regel den Tatbestand von Art. 81 Abs. 1 E G V nicht erfüllen. 9 2 6 Die Listen der freigestellten Vereinbarungen in den Gruppenfreistellungsverordnungen enthalten Verhaltensweisen, die zwar in der Regel als Wettbewerbsbeschränkung i.S. von Art. 81 Abs. 1 E G V zu bewerten sind, deren positive Auswirkungen aber eine Durchbrechung des Kartellverbots rechtfertigen. Derartige Wertungen sind in die Abwägung einzubringen, die im Rahmen von Art. 82 E G V bei der Frage des Missbrauchs vorzunehmen ist. 9 2 7 Ein indirekter Einfluss der Gruppenfreistellungsverordnungen auf Art. 82 E G V ist also vorhanden. 9 2 8 Dieser Einfluss reicht aber nicht so weit, dass die primärrechtliche N o r m des Art. 82 E G V durch Sekundärrecht überspielt wird. 2. Marktbeherrschende
Stellung
Art. 82 E G V setzt voraus, dass ein oder mehrere Unternehmen im Besitz einer „beherrschenden Stellung auf dem Gemeinsamen Markt oder auf einem wesentlichen Teil desselben" sind. Eine nähere Umschreibung der beherrschenden Stellung enthält der EG-Vertrag nicht. Die Parallelvorschrift des Art. 66 § 7 S. 1 EGKS-Vertrag verlangt zusätzlich zum Merkmal der beherrschenden Stellung, dass die betreffenden Unternehmen „einem tatsächlichen Wettbewerb in einem beträchtlichen Teile des gemeinsamen Marktes entzogen werden". a)
Grundsätze
Der Gerichtshof definiert die marktbeherrschende Stellung in ständiger Rechtsprechung wie folgt: „Mit der beherrschenden Stellung im Sinne dieses Artikels ist die wirtschaftliche Machtstellung eines Unternehmens gemeint, die dieses in die Lage versetzt, die Aufrechterhaltung eines wirksamen Wettbewerbs auf dem relevanten Markt zu verhindern, indem sie 9 2 6 S. z.B. Art. 2 Abs. 1 G F V O Technologietransfer: „Der Anwendbarkeit des Artikels 1 stehen insbesondere folgende Vertragsbedingungen, die in der Regel nicht wettbewerbsbeschränkend sind, nicht entgegen: . . . " . 9 2 7 Zum Abwägungserfordernis s. unten S. 446. 9 2 8 Weitergehend H.-G. Koppensteiner., Österreichisches und europäisches Wettbewerbsrecht, 3. Aufl. 1997, § 17 Rdnr. 58, S. 354: „Indes sind kaum Fälle vorstellbar, die einerseits unter eine G V O fallen, andererseits aber die Voraussetzungen von Art. 86 verwirklichen." Unter ausdrücklichem Bezug auf Patentlizenz- und Know-how-Verträge hält Koppensteiner „nur in ungewöhnlichen Ausnahmefällen" Art. 86 E G V (a.F.) für anwendbar (ebenda).
C. Immaterialgüterschutz
und europäisches Kartellrecht
433
ihm die Möglichkeit verschafft, sich seinen Wettbewerbern, seinen Abnehmern und schließlich den Verbrauchern gegenüber in einem nennenswerten Umfang unabhängig zu verhalten. Das Vorliegen einer beherrschenden Stellung ergibt sich im allgemeinen aus dem Zusammentreffen mehrerer Faktoren, die jeweils für sich genommen nicht ausschlaggebend sein müssen." 929 (1) M a r k t a b g r e n z u n g Ausgangspunkt ist die Abgrenzung des relevanten Marktes, die in sachlicher, räumlicher und bisweilen auch zeitlicher H i n s i c h t v o r z u n e h m e n ist. 9 3 0 D i e sachliche M a r k t a b g r e n z u n g folgt dem Bedarfsmarktkonzept, stellt also auf die funktionelle Austauschbarkeit aus der Sicht der Marktgegenseite ab. 9 3 1 D i e räumliche M a r k t a b g r e n z u n g geht v o m Hauptabsatzgebiet des U n t e r n e h m e n s aus. 9 3 2 In zeitlicher H i n s i c h t muss festgestellt werden, in welchem Zeitraum eine beherrschende Stellung vorgelegen hat. 9 3 3 Missbräuche sind nur relevant,
929 EuGH, 14.2.1978, United Brands/Kommission, Rs. 27/76, Slg. 1978,207 (286 Tz. 65 f.); bestätigt z.B. in EuGH, 9.11.1983, Michelin/Kommission, Rs. 322/81, Slg. 1983, 3461 (3503 Tz. 30). Zur Entwicklung des Begriffs der Marktbeherrschung s. W. Möschel, in I/M EG-Wettbewerbsrecht, Bd. I, S. 701 ff. Rdnr. 63 ff. Die vom Gerichtshof verwendete Formulierung, insbesondere die Rede von der Möglichkeit, sich in nennenswertem Umfang unabhängig zu verhalten, weist darauf hin, dass auch der Begriff der Marktbeherrschung in hohem Maß wertgeladen ist. Letztlich entscheiden also auch hier (wie schon beim Begriff der Wettbewerbsbeschränkung im Zusammenhang mit Art. 81 EGV, s.o. S. 360 f.) Maß- und Gradfragen über die Anwendung kartellrechtlicher Tatbestände (in diesem Sinn auch Möschel, ebenda Rdnr. 67). 930 Zur Vorgehensweise in der Praxis s. die Bekanntmachung der Kommission über die Definition des relevanten Marktes im Sinne des Wettbewerbsrechts der Gemeinschaft (ABl. 1997 C 372/5). Grundlegend zum Marktbegriff s. Borchardt/Fikentscher, Wettbewerb, Wettbewerbsbeschränkung, Marktbeherrschung, 1957, abgedruckt in W. Fikentscher, Recht und wirtschaftliche Freiheit, 1. Band, S. 89, insbesondere S. 135 ff. 931 W. Fikentscher, Mehrzielige Marktwirtschaft subjektiver Märkte - Wider das Europaund das Weltmarktargument, FS Mestmäcker, 1996, S. 567 ff. Wichtiges Hilfsmittel bei der Abgrenzung des sachlich relevanten Markts ist die Kreuz-Preis-Elastizität der Nachfrage, auch Triffinscher Koeffizient genannt. Die Kreuz-Preis-Elastizität gibt an, um wieviel Prozent der Absatz des Produkts von Anbieter B steigt, wenn der Preis des Produkts von Anbieter A um 1 % erhöht wird. Hohe Werte der Kreuz-Preis-Elastizität indizieren starke Substitutionsbeziehungen zwischen beiden Produkten, sprechen also für eine weitere Marktabgrenzung unter Einbeziehung beider Produkte. Die umgekehrte Aussage gilt entsprechend. S. hierzu bereits Borchardt/Fikentscher, Wettbewerb, Wettbewerbsbeschränkung, Marktbeherrschung, S. 139 f.; Langen/Dirksen, KartR, 9. Aufl. 2001, Art. 82 EGV Rdnr. 24. Andererseits ist die Preissensibilität zwar ein wichtiges, aber nur eines unter mehreren Hilfsmitteln, das nicht verabsolutiert werden darf, s. hierzu EuG, 12.12.1991, Hilti/Kommission, Rs. T-30/89, Slg. 1991, 11-1439 (insbesondere 11-1475 Tz. 76), wo die ökonometrischen Untersuchungen durch einen Gutachter der Klägerin mit dem Argument zurückgewiesen wurden, dass sie nur den Preis, nicht aber die zahlreichen nicht quantifizierbaren Verbrauchererwägungen berücksichtigten. Ein Uberblick über die Kriterien, die neben der Kreuzpreiselastizität in die Untersuchung der Substituierbarkeit einfließen, findet sich in der Kommissionsbekanntmachung zur Marktabgrenzung (oben Fn. 930), insbesondere Nr. 38 ff. 932 933
V: Emmerich, Kartellrecht, 9. Aufl. 2001, S. 428 f. Zur zeitlichen Marktabgrenzung s. Chr. Jung, in Grabitz/Hilf
Art. 82 EGV Rdnr. 47 f.;
434
4. Teil: Europäisches
Recht
wenn sie während eines Zeitraums stattgefunden haben, in dem eine beherrschende Stellung bestand. 9 3 4 A u c h wenn R e c h t e des geistigen Eigentums im Regelfall keine Bedeutung für die A b g r e n z u n g des relevanten M a r k t e s haben, gibt es doch A u s n a h m e n . In der Rechtssache „ H i l t i " 9 3 5 stellte sich die Frage, o b ein bestimmtes technisches Instrument (sog. Bolzenschussgerät) zusammen mit dem dafür erforderlichen Z u b e h ö r ( B o l z e n und Kartuschenstreifen) einen einheitlichen M a r k t bildet, oder o b jeweils getrennte M ä r k t e für das Gerät und sein Z u b e h ö r anzunehmen sind. 9 3 6 D a s G e r i c h t erster Instanz nahm eine folgenorientierte Betrachtung vor, indem es nach den K o n s e q u e n z e n fragte, welche die A n n a h m e eines einheitlichen G e s a m t m a r k t s für G e r ä t und Z u b e h ö r haben würde. D a alternative Befestigungssysteme zum Bolzenschussgerät existieren, hätte die A n n a h m e eines Gesamtmarkts für G e r ä t und Z u b e h ö r die Verneinung einer marktbeherrschenden Stellung zur F o l g e . 9 3 7 D e n Herstellern von Bolzenschussgeräten wäre es dann möglich, andere als ihre eigenen Treibladungen von der Verwendung in ihren Geräten auszuschließen. Bei A n n a h m e eines eigenen Marktes für Z u b e hör ist dagegen der Weg zu einer Verhaltenskontrolle auf der Grundlage von Art. 82 E G V eröffnet. Das G e r i c h t lehnte die A n n a h m e eines G e s a m t m a r k t s ab: „Jeder unabhängige Erzeuger ist indessen in Ermangelung zwingender Rechtsnormen und allgemeiner Regeln nach dem Wettbewerbsrecht der Gemeinschaft vollkommen frei, Treibladungen herzustellen, die für den Einsatz in von anderen hergestellten Geräten bestimmt sind, sofern er damit nicht ein Patentrecht oder ein anderes gewerbliches Schutzrecht oder Urheberrecht verletzt." 938 D i e Tatsache, dass gewerbliche Schutzrechte der Vermarktung k o n k u r r i e r e n den Z u b e h ö r s nicht entgegenstehen, wird als A r g u m e n t benutzt, den relevanten M a r k t eng zu definieren und damit zu einer K o n t r o l l e marktschließenden Verhaltens über Art. 82 E G V zu k o m m e n . D e r U m k e h r u n g dieses Satzes wird man nicht zustimmen können. Wenn ein Schutzrecht substituierende P r o d u k t e ausschließt, wird nichts anderes gelten können: A u c h dann besteht ein eigener M a r k t für Zubehör, auf dem der Schutzrechtsinhaber einen Marktanteil von 100 P r o z e n t hält und damit eine beherrschende Stellung besitzt. H i e r gilt aber Langen/Dirksen, KartR, 9. Aufl. 2001, Art. 82 EGV Rdnr. 36; W. Möschel, in I/M EG-Wettbewerbsrecht, Bd. I, S. 700 Rdnr. 58 ff. 934 EuGH, 16.12.1975, Suiker Unieu.a./Kommission, Verb. Rs. 40-48, 50, 54-56,111,113, 114/73, Slg. 1975,1663 (2013 Tz. 450); EuGH, 14.2.1978, United Brands/Kommission, Rs.27/ 76, Slg. 1978, 207 (281 ff Tz. 12 ff.). 935 Drei Entscheidungen: Kommission, Entscheidung 88/138/EWG vom 22.12.1987 (IV/ 30.787 und 31.488 - Eurofix-Bauco/Hilti), ABl. 1988 L 65/19; EuG, 12.12.1991, Hihi/Kommission, Rs. T-30/89, Slg. 1991, 11-1439; EuGH, 2.3.1994, Hilti/Kommission, Rs. C-53/92 P, Slg. 1994,1-667. 936 Zur Beurteilung des Missbrauchs im „Hilti"-Fall s. unten S. 474 ff. 937 Zur Parallelproblematik im amerikanischen Recht, insbesondere zum Kodak-¥z\\ s.o. S. 79 ff. 938 EuG, „Hilti", Slg. 1991,11-1439 (11-1473 Tz. 68).
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dann selbstverständlich der Satz, dass die A b w e h r von Schutzrechtsverletzungen als solche keinen Missbrauch dieser marktbeherrschenden Stellung darstellt. 9 3 9 D a das Ergebnis, nämlich die Annahme eines eigenen M a r k t s für Z u b e h ö r also nicht von der Existenz entgegenstehender Schutzrechte abhängt, wird man der Argumentation des Gerichts nicht zustimmen k ö n n e n . D i e Frage der sachlichen Marktabgrenzung richtet sich unabhängig von der E x i s t e n z einschlägiger Schutzrechte allein nach dem Bedarfsmarktkonzept, also nach den Substitutionsmöglichkeiten aus der Sicht der Marktgegenseite. 9 4 0 D i e Existenz oder Inexistenz gewerblicher Schutzrechte hat auf die Bedürfnisstruktur der M a r k t gegenseite keinen Einfluss. D i e Abwesenheit von Schutzrechten darf nicht pauschal zugunsten einer engen Marktabgrenzung eingesetzt werden. 9 4 1 D e m E r gebnis der „ H i l t i " - E n t s c h e i d u n g ist gleichwohl zuzustimmen: D i e M ä r k t e für Z u b e h ö r oder Ersatzteile sind gegenüber den H a u p t m ä r k t e n in der Regel als getrennt und eigenständig zu qualifizieren. 9 4 2 (2) Marktbeherrschung Ist der relevante M a r k t in sachlicher, räumlicher und zeitlicher Hinsicht abgegrenzt, muss festgestellt werden, o b auf ihm eine beherrschende Stellung b e steht. a ) Marktanteil E i n wichtiges, allerdings nicht allein entscheidendes Kriterium hierfür ist der Marktanteil des betreffenden Unternehmens, und zwar der Marktanteil auf dem relevanten M a r k t . Entsprechende Vermutungen nach A r t des deutschen R e c h t s 9 4 3 existieren zwar nicht. 9 4 4 In der Rechtssache „ A K Z O " 9 4 5 hat der G e 9 3 9 Zu den Ausnahmen, insbesondere den Voraussetzungen für eine kartellrechtliche Lizenzierungspflicht s. unten S. 4 9 5 ff. 9 4 0 In der Rechtsmittelentscheidung des Gerichtshofs ( E u G H , 2.3.1994, Hilti/Kommission, Rs. C-53/92 P, Slg. 1 9 9 4 , 1 - 6 6 7 ) z u m Urteil des Gerichts erster Instanz war in erster Linie zu beurteilen, ob das G e r i c h t den relevanten Markt zutreffend abgegrenzt hatte. D e r G e r i c h t s h o f bejahte diese Frage und stellte fest, dass der hierfür maßgebliche G e s i c h t s p u n k t der A u s tauschbarkeit vom G e r i c h t zutreffend beurteilt worden sei. D e r Gedankengang des Gerichts in dieser Frage wurde pauschal bestätigt, ohne dass das immaterialgüterrechtliche A r g u m e n t speziell erwähnt wurde. Es fällt allerdings auf, dass die hier einschlägige Teilziffer 68 des erstinstanzlichen Urteils (s.o. F n . 938) vom Gerichtshof als einzige Passage nicht ausdrücklich erwähnt wurde ( E u G H , „ H i l t i " , Slg. 1 9 9 4 , 1 - 6 6 7 , 1 - 7 0 1 T z . 13). 9 4 1 In der „Tetra Pak I I " - E n t s c h e i d u n g wurde die Inexistenz entgegen stehender S c h u t z rechte in anderem Zusammenhang, nämlich bei der Frage eines Kopplungsmissbrauchs als A r gument herangezogen. A u c h dort vermag der Gedankengang nicht zu überzeugen, s. unten bei F n . 1121. 942
N ä h e r zur Problematik der abgeleiteten Märkte s.u. S. 545 ff.
Vgl. § 19 A b s . 3 G W B : Vermutung der Marktbeherrschung bei einem Marktanteil von einem Drittel, bzw. bestimmte Oligopolvermutungen. 9 4 4 S. aber Art. 7 Ziffer 1 G F V O Technologietransfer: D e r E n t z u g der Freistellung ist bei 943
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4. Teil: Europäisches
Recht
richtshof aber entschieden, dass Marktanteile von 50 % „ohne weiteres den Beweis f ü r das Vorliegen einer beherrschenden Stellung liefern." 9 4 6 ß) A n d e r e Kriterien Unterhalb dieser Schwelle existiert eine umfangreiche Kasuistik. 9 4 7 Je weniger eindeutig der Marktanteil ist, desto wichtiger werden andere Kriterien. Neben der Marktstruktur spielen hierbei Unternehmensstruktur und Marktverhalten des Unternehmens eine Rolle. 9 4 8 Im einzelnen sind v o n Bedeutung der Abstand zum nächsten Konkurrenten, Marktzutrittsschranken, Unabhängigkeit der Preispolitik, technischer Vorsprung, Vertriebsstruktur, Finanzkraft und allgemein die Verbindungen zu Konkurrenten, Zulieferern und Kunden. 9 4 9 Von Bedeutung ist auch die Einbeziehung dynamischer Elemente. A u c h w e n n eine statische Betrachtung f ü r eine Marktbeherrschung spricht, kann doch ein in näherer Z u k u n f t absehbarer K o n k u r r e n z d r u c k diese A n n a h m e wieder entfallen lassen. y) Marktbeherrschung auf dem Gemeinsamen Markt Für die A n w e n d u n g von A r t . 82 E G V reicht nicht jede beliebige marktbeherrschende Stellung aus; diese muss vielmehr „auf dem Gemeinsamen M a r k t oder auf einem wesentlichen Teil desselben" bestehen. Dieses Merkmal präzisiert die räumliche Determinante des relevanten Marktes. A r t . 82 E G V soll nur dann A n w e n d u n g finden, w e n n wesentliche Teile des Gemeinsamen Marktes beherrscht werden. Im Sinne einer Kollisionsregel entscheidet das Kriterium über Abwesenheit wirksamen Wettbewerbs möglich, „was insbesondere dann eintreten könnte, wenn der Lizenznehmer einen Marktanteil von mehr als 40% hält". S. hierzu bereits oben S. 298 ff. 945 EuGH, 3.7.1991, AKZO/Kommission, Rs. C-62/86, Slg. 1991,1-3359. 946 „AKZO", Slg. 1991,1-3359 (1-3453 Tz. 60). Skeptisch W. Möschel, in I/M EG-Wettbewerbsrecht, Bd. I, S. 709 Rdnr. 82 f. Möschel ist der Auffassung, dass bei Marktanteilen zwischen 40 und 75 % regelmäßig eine beherrschende Stellung vorliege, wenn gleichzeitig weitere Faktoren gegeben seien. Dem ist zuzugestehen, dass eine Verabsolutierung des Marktanteilskriteriums nicht statthaft ist. Bei Marktanteilen ab 50 % werden regelmäßig weitere dieser Faktoren erfüllt sein, so dass die objektive und widerlegbare Vermutung der Marktbeherrschung nicht unangemessen erscheint. Im Verfahren vor den Kartellbehörden gilt ohnehin die Untersuchungsmaxime (für das BKartA s. § 57 Abs. 1 GWB, für das Verfahren vor der Kommission s. K.L. Ritter, in I/M EG-Wettbewerbsrecht, Bd. II, S. 1632 Rdnr. 35). Sie ist Ausdruck des Prinzips der materiellen Wahrheit (F. Kopp, Verfassungsrecht und Verwaltungsverfahrensrecht, 1971, S. 71; K. Schmidt, in Immenga/Mestmäcker, 3. Aufl. 2001, § 57 GWB Rdnr. 1), so dass ein Eingreifen der Vermutung ohne befriedigende Aufklärung des Sachverhalts nicht statthaft ist. 947 S. beispielsweise die Zusammenstellung bei Chr. Jung, in Grabitz/Hilf Art. 82 EGV Rdnr. 78 ff.; H. Schröter, in von der Groehen Art. 86 EGV Rdnr. 75 ff.; Langen/Dirksen, KartR, 9. Aufl. 2001, Art. 82 EGV Rdnr. 42 ff. 948 Langen/Dirksen, KartR, 9. Aufl. 2001, Art. 82 EGV Rdnr. 37 ff. 949 V. Emmerich, Kartellrecht, 9. Aufl. 2001, S. 433. Grundlegend zur Konzeption der Marktbeherrschung H. Arndt, Markt und Macht, 1973, insbesondere S. 134 ff.
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das Eingreifen des europäischen Missbrauchsverbots. Für weniger gravierende Marktbeherrschungen soll es beim Eingreifen der nationalen Missbrauchsregelungen bleiben. Das Kriterium überschneidet sich also zumindest teilweise mit der Zwischenstaatlichkeitsklausel. 950 Der Gerichtshof hat das Merkmal großzügig ausgelegt. Das Territorium eines Mitgliedstaats ist in der Regel ein wesentlicher Teil des Gemeinsamen Marktes; 9 5 1 dasselbe gilt für einzelne Regionen der größeren Mitgliedstaaten. 952 In neuerer Zeit ist der Gerichtshof noch einen Schritt weitergegangen: Den Markt für Organisation und Durchführung von Hafenarbeiten im Hafen von Genua hat er angesichts dessen Schlüsselstellung für den Seeweg von und nach Italien als wesentlichen Teil des Gemeinsamen Marktes angesehen. 953 Damit führt die große wirtschaftliche Bedeutung auch dann zur Annahme eines wesentlichen Teils des Gemeinsamen Marktes, wenn die geographische Ausdehnung des betrachteten Marktes sehr klein ist. b) Sonderfall der relativen
Marktmacht?
TAI beachten ist, dass eine marktbeherrschende Stellung nicht nur in allgemeiner Form in Bezug auf einen vollständigen relevanten Markt denkbar ist, sondern auch in Gestalt relativer Marktmacht vorkommen kann. Die Feststellung eines vertikalen Abhängigkeitsverhältnisses reicht in diesen Fällen zur Annahme einer beherrschenden Stellung aus. 954 Der Begriff der relativen Marktmacht ähnelt der Begriffsbestimmung der marktstarken Unternehmen i.S. von § 20 Abs. 2 G W B . 9 5 5 Wie dort kann die relative Marktmacht auf sortimentsbedingter, mangelbedingter, unternehmensbedingter oder nachfragebedingter Abhängigkeit beruhen. 9 5 6 Die europäischen Leitentscheidungen in diesem Bereich betreffen die Erteilung von Ubereinstimmungsbescheinigungen, d.h. die Tätigkeit derjenigen Vgl. oben Fn. 918. E u G H , 9.11.1983, Michelin/Kommission, Rs. 322/81, Slg. 1983, 3461 (3502 Tz. 28); E u G H , 23.4.1991, Höfner und Elser, R s . C - 4 1 / 9 0 , Slg. 1991, 1-1979 (1-2018 Tz. 28); E u G H , 18.6.1991, ERT, Rs. C-260/89, Slg. 1991,1-2925 (1-2961 Tz. 31); E u G H , 13.12.1991, G B - I n n o B M , Rs. C - l 8 / 8 8 , Slg. 1991,1-5941 (1-5979 Tz. 17). 9 5 2 E u G H 16.12.1975, Suiker Urne u.a./Kommission, Verb. Rs. 4 0 - 4 8 , 50, 54-56, 111, 113 und 114/73, Slg. 1975,1663 (2012 f. Tz. 448) zum süddeutschen Zuckermarkt. 9 5 3 E u G H , 10.12.1991, Merci Convenzionali Porto di Genova, Rs. C-179/90, Slg. 1991,15889 (1-5928 Tz. 15); bestätigt in E u G H , 17.5.1994, Corsica Ferries, Rs. C-18/93, Slg. 1994,11783 (1-1824 f. Tz. 41). Das gleiche gilt für den Markt der Durchführung von Hafenarbeiten für Containerfracht im Hafen von La Spezia, E u G H , 12.2.1998, Rs. C-163/96, Raso u.a., Slg. 1998, 1-533 (1-579 Tz. 26). In diesem Sinn auch die Kommissionsentscheidungen zum Hafen von R0dby (94/119/EG vom 21.12.1993, ABl. 1994 L 55/52, insbesondere S. 54 Tz. 8) und zum Brüsseler Flughafen (95/364/EG vom 28.6.1995, ABl. L 216/8, insbesondere S. 10 Tz. 10). 954 W. Möschel, in I / M EG-Wettbewerbsrecht, Bd. I, S. 704 f. Rdnr. 72. 9 5 5 Zum Einfluss des deutschen auf das europäische Kartellrecht in dieser Fallgruppe s. D. Gerher, Law and Competition in Twentieth Century Europe, 1998, S. 368. 9 5 6 Näher zu den verschiedenen Abhängigkeitsformen s. V. Emmerich, Kartellrecht, 9. Aufl. 2001, S. 214 ff. 950 951
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Recht
(Privat-)Unternehmen, denen vom Staat die Aufgabe übertragen wurde, importierte Kraftfahrzeuge auf Ubereinstimmung mit der allgemeinen B e triebserlaubnis zu überprüfen. D i e Importeure sind auf die Tätigkeit dieser beliehenen Unternehmen angewiesen. Damit geraten die Händler „in eine wirtschaftliche Abhängigkeit, wie sie für die beherrschende Stellung kennzeichnend ist." 9 5 7 Betrachtet man die Fälle relativer Marktmacht auch anhand dieses Beispiels näher, fällt auf, dass trotz Verdichtung zu einer spezifischen Fallgruppe die allgemeinen Grundsätze für die Feststellung einer marktbeherrschenden Stellung nicht überschritten werden. Letztlich verschafft auch die relative Marktmacht nach der allgemeinen Definition eine marktbeherrschende Stellung, wenn man nur das Bedarfsmarktkonzept bei der Bestimmung des sachlich relevanten Marktes konsequent genug anwendet. So hat es der Gerichtshof in den „Ubereinstimmungsbescheinigungs"-Fällen entgegen dem Parteivorbringen abgelehnt, den relevanten Markt objektiv und allgemein als den Kraftfahrzeugmarkt zu fassen; relevant sei vielmehr ein davon abgeleiteter eigener Markt, nämlich derjenige der Dienstleistungen für die Erteilung entsprechender Bescheinigungen, ohne die Fahrzeuge faktisch nicht in den Verkehr gebracht werden können. 9 5 8 Bei einer derartigen Fassung des relevanten Markts war das betreffende Unternehmen sogar Monopolist, so dass kein Zweifel am Vorliegen einer marktbeherrschenden Stellung bestand.
c) Marktbeherrschung
durch mehrere
Unternehmen
Art. 82 E G V geht ausdrücklich davon aus, dass die missbräuchliche Ausnutzung einer beherrschenden Stellung durch ein oder mehrere Unternehmen erfolgen kann. D e r kollektive Missbrauch setzt gemeinsame Marktbeherrschung v o r a u s9S9 ." (1) Konzernunternehmen Bei Konzernunternehmen liegt diese Voraussetzung jedenfalls dann vor, wenn die Kriterien gegeben sind, nach denen die Anwendung von Art. 81 E G V auf die Konzerngesellschaften mangels Wettbewerbsverhältnis ausscheidet. Sie müssen also eine wirtschaftliche Einheit bilden, in deren Rahmen die Tochter-
957 E u G H , 11.11.1986, British Leyland/Kommission, Rs. 226/84, Slg. 1986, 3263 (3300 Tz. 9); unter Verweis auf E u G H , 13.11.1975, General Motors/Kommission, Rs. 26/75, Slg. 1 9 7 5 , 1 3 6 7 ( 1 3 7 9 Tz. 7/9). 958 „British Leyland" Slg. 1986, 3299 Tz. 5, unter Verweis auf „General Motors" Slg. 1975, 1378 f. Tz. 4/9. 9 5 9 Zu den Fallgruppen der gemeinsamen Marktbeherrschung s. W. Möschel, in I/M E G Wettbewerbsrecht, Bd. I, S. 717 ff. Rdnr. 105 ff.; Langen/Dirksen, KartR, 9. Aufl. 2001, Art. 82 E G V Rdnr. 59 ff.
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Kartellrecht
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gesellschaft ihr Vorgehen auf dem Markt nicht wirklich autonom bestimmen kann. 960 (2) Kartelle Für die gemeinsame Marktbeherrschung sind allerdings solche qualifizierten Konzernbeziehungen nicht erforderlich. Eine kollektive Marktbeherrschung ist auch bei Kartellen, also bei der unter Art. 81 EGV fallenden Beschränkung des Binnenwettbewerbs möglich. In einem solchen Fall kann es zur gleichzeitigen Anwendung von Art. 81 und 82 EGV kommen. 961 (3) Oligopol Am weitesten geht die Annahme einer gemeinsamen Marktbeherrschung, wenn sie auf die Unternehmen eines engen Oligopols erstreckt wird. Eine rechtliche Regelung des engen Oligopols nach Art des § 19 Abs. 2 S. 2 GWB i.V. mit den Oligopolvermutungen des §19 Abs. 3 S. 2 GWB existiert im europäischen Recht zwar nicht. Dennoch entspricht es der überwiegenden Meinung, dass im engen Oligopol auch ohne Kollusion i.S. von Art. 81 EGV die Oligopolunternehmen dann im Besitz einer gemeinsamen marktbeherrschenden Stellung sind, wenn der Innenwettbewerb zwischen ihnen faktisch ausgeschlossen ist (sog. „Oligopolfrieden" 962 ), die daraus resultierende Reaktionsverbundenheit über einen längeren Zeitraum andauert, und die Oligopolunternehmen zusammen die Kriterien der Marktbeherrschung erfüllen, wobei die Intensität des Außenwettbewerbs eine große Rolle spielt. 963 Auch der Gerichtshof geht von 960 S. oben S.367. Vgl. E u G H , 4.5.1988, Bodson/Pompes funèbres des régions libérées, Rs. 30/87, Slg. 1988, 2479 (2513 Tz. 21). 961 W. Möschel, in I/M EG-Wettbewerbsrecht, Bd. I, S. 717 f. Rdnr. 107. Das Gericht erster Instanz hat allerdings entschieden, dass es für die Feststellung eines Verstoßes gegen Art. 86 E W G V nicht ausreicht, „die einen Verstoß gegen Artikel 85 begründenden Tatsachen in der Weise ,wiederzuverwenden', daß daraus die Feststellung abgeleitet wird, daß die an einer Vereinbarung oder rechtswidrigen Verhaltensweise Beteiligten zusammen einen bedeutenden Marktanteil halten, allein aufgrund dieser Tatsache eine kollektiv beherrschende Stellung haben und ihr rechtswidriges Verhalten deren Mißbrauch darstellt." (EuG, 10.3.1992, SIV u.a./ Kommission („Flachglas II"), Verb. Rs. T-68/89, T-77/89 und T-78/89, 1992,11-1403,11-1548 Tz. 360). Der Auffassung des Gerichts kann nicht zugestimmt werden. Ein „Wiederverwendungsverbot" für bestimmte Tatsachen im Verhältnis von Art. 81 und 82 EGV existiert nicht. Konstituieren dieselben Tatsachen, die den Tatbestand von Art. 81 Abs. 1 EGV begründet haben, eine marktbeherrschende Stellung sowie deren Missbrauch, können sie im Zusammenhang mit Art. 82 EGV bedenkenlos „wiederverwendet" werden. Dies ergibt sich schon daraus, dass auch der Begriff der Wettbewerbsbeschränkung i.S. von Art. 81 EGV eine Abgrenzung des relevanten Markts voraussetzt, und dass die beschränkende Absprache zugleich eine der Missbrauchsformen i.S. von Art. 82 EGV sein kann. 962 Vgl. Kantzenbach!Kruse, Kollektive Marktbeherrschung, 1987, S. 16 f. 963 Europäische Kommission, XXX. Bericht über die Wettbewerbspolitik 2000, 2001, Tz. 259 ff.; Chr. Jung, in Grabitz/Hilf Art. 82 EGV Rdnr. 63 ff.; Langen/.Dirksen, KartR,
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4. Teil: Europäisches
Recht
der Möglichkeit einer kollektiven beherrschenden Stellung aus. Nach den Ausführungen in der Rechtssache „Almelo" 9 6 4 setzt eine solche Kollektivbeherrschung voraus, „daß die Unternehmen der betreffenden Gruppe so eng miteinander verbunden sind, daß sie auf dem Markt in gleicher Weise vorgehen können." 9 6 5 Der Nachweis der genannten Voraussetzungen bereitet in der Praxis allerdings große Schwierigkeiten. Das Gericht erster Instanz hob die „Flachglas II"Entscheidung der Kommission u.a. mangels Nachweis einer kollektiven beherrschenden Stellung auf. Die Rechtsfigur der kollektiven Marktbeherrschung wurde zwar grundsätzlich anerkannt; die gemeinsame Innehabung eines bedeutenden Marktanteils reiche aber zur Annahme einer solchen kollektiven Marktbeherrschung nicht aus. 9 6 6 Es seien vielmehr zusätzliche Kriterien zu erfüllen: „Dies könnte beispielsweise der Fall sein, wenn zwei oder mehr unabhängige Unternehmen gemeinsam aufgrund Vereinbarung oder Lizenzvergabe über einen technologischen Vorsprung verfügten, der ihnen in spürbarem Maße die Möglichkeit zu unabhängigem Verhalten gegenüber ihren Wettbewerbern, Kunden und letztlich den Verbrauchern gäbe". 967
Diese Umschreibung ergänzt die Definition des „United Brands"-Urteils 9 6 8 für den Fall der kollektiven Marktbeherrschung und hebt die besondere Bedeutung von Immaterialgüterrechten für die Schaffung der relevanten Verhaltensspielräume hervor. Lizenzbeziehungen, die zu einem technologischen Vorsprung gegenüber Mitbewerbern führen, wirken sich im Rahmen von Art. 82 EGV in zweierlei Hinsicht aus: Einerseits können sie auf einen „Oligopolfrieden", also auf den für kollektive Marktbeherrschung erforderlichen Ausschluss von Binnenwettbewerb hinweisen. Andererseits können sie technologischen Vorsprung vermitteln, der im Außenverhältnis für den entscheidenden Vorsprung vor Mitbewerbern sorgt.
9. Aufl. 2001, Art. 82 EGV Rdnr. 63 ff.; W. Möschel, in I/M EG-Wettbewerbsrecht, Bd. I, S. 718 f. Rdnr. 110 ff. jeweils mit weiteren Nachweisen. 964 EuGH, 27.4.1994, Almelo, Rs. C-393/92, Slg. 1994,1-1477. 965 „Almelo", Slg. 1994,1-1520 Tz. 42. In der Rechtssache „Magill" stellte der Gerichtshof allerdings keine erhöhten Anforderungen an das Vorliegen einer gemeinsamen marktbeherrschenden Stellung. Er begnügte sich mit der Feststellung, dass die britischen und irischen Fernsehgesellschaften „zusammen" ein faktisches Monopol an ihren Programminformationen hätten und somit eine beherrschende Stellung einnähmen (EuGH, „Magill", Slg. 1995,1-743, 1-822 Tz. 47), s. hierzu unten bei Fn. 1139. 966 EuG (oben Fn. 961) Slg. 1992, 11-1403 (11-1547 ff. Tz. 357 ff.). Das Gericht stellte ausdrücklich fest, dass die Kommission bezüglich der kollektiv beherrschenden Stellung beweisfällig geblieben sei. Dieser Vorwurf bezog sich vor allem auf den Außenwettbewerb, also die Stellung des Kollektivs im Verhältnis zum Hauptkonkurrenten (EuG, ebenda, 11-1550 f. Tz. 366). 967 EuG, ebenda, 11-1548 Tz. 358. 968 S. o. bei Fn. 929.
C. Immaterialgüterschutz d) Marktbeherrschung
durch
und europäisches
Kartellrecht
441
Immaterialgüterrechte
D i e „ F l a c h g l a s I I " - E n t s c h e i d u n g l e i t e t d a m i t z u d e r F r a g e ü b e r , in w e l c h e m Z u s a m m e n h a n g Immaterialgüterrechte und M a r k t b e h e r r s c h u n g stehen. ( 1 ) A n w e n d b a r k e i t des M i s s b r a u c h s v e r b o t s F ü r A r t . 8 2 E G V ist es u n e r h e b l i c h , o b die m a r k t b e h e r r s c h e n d e S t e l l u n g r e i n f a k t i s c h e r N a t u r ist, o d e r o b sie a u f r e c h t l i c h e r V e r l e i h u n g b e r u h t . S o w o h l d i e r e c h t l i c h e als a u c h die f a k t i s c h e M a r k t b e h e r r s c h u n g w i r d v o n d e r V o r s c h r i f t erfasst.969 A n der prinzipiellen A n w e n d b a r k e i t der V o r s c h r i f t auch auf die d u r c h gewerbliche Schutzrechte vermittelte Marktbeherrschung
besteht also
kein
Zweifel.970 (2) Z u s a m m e n h a n g von Schutzrecht und M a r k t b e h e r r s c h u n g F r a g l i c h ist, w i e genau der Z u s a m m e n h a n g z w i s c h e n S c h u t z r e c h t u n d m a r k t b e h e r r s c h e n d e r S t e l l u n g a u s s i e h t . S c h o n in d e r „ P a r k e , D a v i s &
Co."-Entschei-
d u n g aus d e m J a h r 1 9 6 8 9 7 1 e n t s c h i e d d e r G e r i c h t s h o f , d a s s e i n e r s e i t s k e i n A u t o m a t i s m u s z w i s c h e n der I n n e h a b u n g eines S c h u t z r e c h t s u n d der A n n a h m e einer m a r k t b e h e r r s c h e n d e n Stellung bestehe.972 Andererseits k ö n n e die A u s ü b u n g 9 6 9 S. z.B. E u G H , 3.10.1985, C B E M / C L T und IPB („Télémarketing"), Rs. 311/84, Slg. 1985, 3261 (3276 Tz. 18). Anders verhält es sich bei Art. 86 Abs. 1 EGV: Unter den dort (neben den öffentlichen Unternehmen) angesprochenen Unternehmen mit ausschließlichen oder besonderen Rechten werden nur solche verstanden, denen bestimmte Privilegien durch Rechtssatz verliehen wurden. Es reicht zudem für Art. 86 Abs. 1 E G V nicht aus, dass durch abstraktgenerelle Regelung ein offener Kreis privilegierter Unternehmen festgelegt wird, zu dem jedermann bei Erfüllung der Voraussetzungen gehören kann. Vielmehr muss einzelnen, konkret bestimmten Unternehmen ein ausschließliches oder besonderes Recht eingeräumt werden. Daraus folgt, dass gewerbliche Schutzrechte nicht unter Art. 86 Abs. 1 E G V fallen (vgl. I. Pernice, in Grabitz! Hilf Art. 90 E G V a.F. Rdnr. 27 f.). 970 I. Govaere (The Use and Abuse of Intellectual Property Rights, 1996, S. 245) stellt zu Recht fest, dass Immaterialgüterrechte den Gerichtshof niemals davon abgehalten haben, eine marktbeherrschende Stellung zu bejahen. Im einzelnen s. St. Anderman, E C Competition Law and Intellectual Property Rights, 1998, S. 168 ff. 9 7 1 E u G H , 29.2.1968, Parke, Davis & Co./Probel u.a., Rs.24/67, Slg. 1968, 85. 9 7 2 „Wenn das Patent seinem Inhaber auch innerhalb eines Staates einen besonderen Schutz gewährt, so ergibt sich hieraus noch nicht, daß die Ausübung der Rechte aus dem Patent die drei genannten Tatbestandsmerkmale erfüllt." (Ebenda, S. 112). Vgl. auch E u G H , 15.6.1976, E M I Records/CBS United Kingdom, Rs.51/75, Slg. 1976, 811 (851 Tz. 36); E u G H , 15.6.1976, E M I Records/CBS Grammofon, Rs. 86/75, Slg. 1976, 871 (909 Tz. 33); E u G H , 15.6.1976, E M I Records/CBS Schallplatten, Rs.96/75, Slg. 1976, 913 (952 Tz. 19): „Zwar genießt der Inhaber eines Warenzeichenrechts innerhalb des geschützten Gebiets eine Sonderstellung; daraus folgt jedoch keineswegs das Bestehen einer marktbeherrschenden Stellung im Sinne des genannten Artikels, insbesondere dann nicht, wenn wie hier mehrere Unternehmen von ähnlicher wirtschaftlicher Macht wie der Warenzeicheninhaber den Markt für die betroffenen Erzeugnisse bearbeiten und mit ihm zu konkurrieren vermögen." E u G H , 6.4.1995, R T E und I T P / K o m mission („Magill"), Verb. Rs. C-241/91 P und C-242/91 P, Slg. 1995,1-743 (1-822 Tz. 46): „Was die beherrschende Stellung betrifft, ist zunächst darauf hinzuweisen, daß die Eigenschaft als Inhaber eines Immaterialgüterrechts allein keine beherrschende Stellung begründen kann."
442
4. Teil: Europäisches
Recht
des S c h u t z r e c h t s u n t e r A r t . 8 6 E W G V f a l l e n , w e n n sie z u e i n e r b e h e r r s c h e n d e n S t e l l u n g b e i t r a g e u n d a u c h die a n d e r e n V o r a u s s e t z u n g e n d e r V o r s c h r i f t e r f ü l l t s e i e n . 9 7 3 D i e s e n A u s g a n g s p u n k t p r ä z i s i e r t e d e r G e r i c h t s h o f in „ S i r e n a / E d a " 9 7 4 w i e f o l g t : N i c h t die s c h u t z r e c h t l i c h e n B e f u g n i s s e als s o l c h e b e g r ü n d e n eine m a r k t b e h e r r s c h e n d e S t e l l u n g . V i e l m e h r sei e n t s c h e i d e n d , o b das S c h u t z r e c h t s e i n e m I n h a b e r die M a c h t v e r l e i h e , „die Aufrechterhaltung eines wirksamen Wettbewerbs auf einem erheblichen Teil des zu berücksichtigenden Marktes zu verhindern; hierbei ist insbesondere das etwaige Vorhandensein und die Stellung von Herstellern oder Verteilern zu berücksichtigen, die gleichartige oder substituierbare Waren vertreiben." 9 7 5 (3) K e i n A u t o m a t i s m u s zwischen Schutzrecht und M a r k t b e h e r r s c h u n g A u s s c h l i e ß l i c h k e i t s r e c h t e auf d e m G e b i e t des g e i s t i g e n E i g e n t u m s s i n d ein K r i t e r i u m u n t e r a n d e r e n , die z u r F e s t s t e l l u n g e i n e r m a r k t b e h e r r s c h e n d e n S t e l l u n g h e r a n z u z i e h e n s i n d . 9 7 6 R e c h t e des g e i s t i g e n E i g e n t u m s sind also k e i n e „ g e s e t z l i c h e n M o n o p o l e " („legal m o n o p o l i e s " ) , w i e in v e r k ü r z t e r u n d v e r f ä l s c h e n d e r F o r m h ä u f i g z u l e s e n i s t ; 9 7 7 in e h e r s e l t e n e n F ä l l e n k ö n n e n sie die G r u n d l a g e f ü r e i n e m a r k t b e h e r r s c h e n d e S t e l l u n g o d e r gar ein M o n o p o l s e i n . 9 7 8 I m G r u n d s a t z Slg. 1968, 85 (112). EuGH, 11.2.1971, Sirena/Eda, Rs. 40/70, Slg. 1971,69. 9 7 5 „Sirena/Eda" Slg. 1971, 69 (84 Tz. 16); bestätigt z.B. in EuGH, 8.6.1971, Deutsche Grammophon/Metro, Rs. 78/70, Slg. 1971, 487 (501 Tz. 17). 9 7 6 Das Formblatt C O , das gem. Art. 2 der Anmeldeverordnung (Kommission, Verordnung (EG) Nr. 447/98 vom 1.3.1998 über die Anmeldungen, über die Fristen sowie über die Anhörung nach der Verordnung (EWG) Nr. 4064/89 des Rates über die Kontrolle von Unternehmenszusammenschlüssen, ABl. L 61/1) für Fusionsanmeldungen zu verwenden ist (abgedruckt in ABl. 1998, L 61/11), ordnet in Abschnitt 8, Ziffer 8.9 lit.c) und d) die Rechte des geistigen Eigentums den Markteintrittsbeschränkungen zu. Nach dieser Passage soll bei der Beschreibung der „verschiedenen Faktoren, die gegenwärtig den Eintritt in die betroffenen Märkte aus räumlicher und produktmäßiger Sicht beeinflussen", auch eingegangen werden auf „Beschränkungen aufgrund des Vorhandenseins von Patenten, Know-how und anderen Schutzrechten in diesen Märkten und Beschränkungen aufgrund von Lizenzen für derartige Rechte", sowie darauf, „in welchem Ausmaß die an dem Zusammenschluß Beteiligten Lizenznehmer oder -geber von Patenten, Know-how und sonstigen Schutzrechten in den relevanten Märkten sind". 977 H. Ullrich (Wissenschaftlich-technische Kreativität zwischen privatem Eigentum, freiem Wettbewerb und staatlicher Steuerung, 1996, S. 203, 210) nennt dies „die inzwischen eher aus kartellrechtlicher denn aus schutzpolitischer Einsicht überwundene Vorstellung vom Patent als - entsprechenden Gewinn verheissendes - Monopol" (mit Nachweisen zur Tradition dieses Missverständnisses in Fn. 43). 9 7 8 Zu weitgehend Wbish/Suffrin (Competition Law, 1993, S. 646 Fn. 17), die Rechte des geistigen Eigentums als „significant factor" für die Existenz einer marktbeherrschenden Stellung ansehen. D. Ridyard (Essential Facilities and the Obligation to Supply Competitors under U K and E C Competition Law, E C L R 1996, 438, 445) weist darauf hin, dass auch die Beschreibung als „ausschließliches" Recht gleichermaßen für geistiges und Sacheigentum passt. Die Ausschließlichkeit ist kennzeichnend für jedes absolute Recht; eine marktbeherrschende Stellung folgt aus der Ausschließlichkeit des geistigen Eigentums ebenso wenig wie aus der 973
974
C. Immaterialgüterschutz
und europäisches
Kartellrecht
443
gilt a u c h f ü r sie die o b e n a n g e f ü h r t e A u s s a g e des „ U n i t e d B r a n d s " - U r t e i l s , d a s s nämlich jeder einzelne F a k t o r für sich g e n o m m e n nicht ausschlaggebend sein m u s s ; es k o m m t v i e l m e h r a u f das Z u s a m m e n t r e f f e n v e r s c h i e d e n s t e r F a k t o r e n u n d ihre A u s w i r k u n g e n auf den M a r k t an. E i n A u t o m a t i s m u s zwischen einem Immaterialgüterrecht und einer m a r k t beherrschenden Stellung besteht nach den oben gemachten allgemeinen B e m e r k u n g e n n u r d a n n , w e n n s i c h das R e c h t a u f m i n d e s t e n s 5 0 % e i n e s n a c h d e m Bedarfsmarktkonzept
abgegrenzten
Marktes
bezieht.979
Da
in
der
Regel
S u b s t i t u t i o n s p r o d u k t e außerhalb des Schutzrechts existieren, w i r d eine solche K o n s t e l l a t i o n d i e s e l t e n e A u s n a h m e s e i n . 9 8 0 I m R e g e l f a l l h a b e n das S c h u t z r e c h t u n d s e i n e A u s w i r k u n g e n in d i e a l l g e m e i n e M a r k t a n a l y s e e i n z u f l i e ß e n , die z u r Feststellung einer marktbeherrschenden Stellung angestellt w e r d e n muss.981 I m Z u s a m m e n h a n g m i t I m m a t e r i a l g ü t e r r e c h t e n ist d i e g e n a n n t e M a r k t a n t e i l s r e g e l a b e r d u r c h die d y n a m i s c h e K o m p o n e n t e z u r e l a t i v i e r e n : H o h e
Marktanteile
Ausschließlichkeit des Sacheigentums. Zu den seltenen Fällen, in denen ein Immaterialgüterrecht die wesentliche Grundlage für eine Marktbeherrschung ist, s. I. Govaere, The Use and Abuse of Intellectual Property Rights, 1996, S. 247. Zu einer abweichenden Einschätzung gelangte der Wirtschafts- und Sozialausschuß in seiner Stellungnahme vom 25.1.1995 zur G F V O Technologietransfer (ABl. C 102/1, S. 2): „Naturgemäß sind geistige Eigentumsrechte häufig an einzigartige Produkte gebunden, und es besteht eine hohe Wahrscheinlichkeit, daß der relevante Markt von diesen Erzeugnissen bestimmt wird." 9 7 9 Eine solche Konstellation nimmt Generalanwalt ]. Mischo in der Rechtssache „Volvo/ Veng" (Slg. 1988, 6211, 6226 Tz. 14) bezüglich des Musterschutzes für Kfz-Karosserieteile an: Die einzigen substituierbaren Erzeugnisse seien solche, die genau die gleiche Form wie die vom Hersteller hergestellten Teile aufwiesen. Gegen solche Erzeugnisse konnte Volvo aber nach damaligem britischen Recht (s.u. Fn. 1321) das Musterrecht geltend machen. Eine beherrschende Stellung sei die Folge. Näher zur musterrechtlichen Problematik s.u. S. 530 ff. 9 8 0 Zu weit geht es allerdings, wenn man die Anwendung von Art. 82 E G V davon abhängig macht, dass „die beherrschende Stellung eines Unternehmens nicht allein oder überwiegend auf Erwerb und Geltendmachung wirksamer Schutzrechte, sondern auf anderen Gründen beruht" (so F.-K. Beier, FS Quack, 1991, S. 15, 31, Hervorhebung im Original). Für Art. 82 E G V ist es unerheblich, worauf die beherrschende Stellung beruht. Nach seiner Schutzrichtung ist allein entscheidend, dass das betreffende Unternehmen einer ausreichenden Kontrolle durch den Wettbewerb nicht ausgesetzt ist. Immaterialgüterrechtliche Besonderheiten sind nicht beim Begriff der Marktbeherrschung, sondern beim Begriff des Missbrauchs zu berücksichtigen, s. unten S. 454 f. 9 8 1 In der Rechtssache „Hilti" hatte das Gericht erster Instanz eine marktbeherrschende Stellung in erster Linie aus dem Marktanteil von 7 0 - 8 0 % geschlossen. Zusätzlich stellte das Gericht fest, „daß allein der Umstand, daß die Klägerin ein Patent besitzt und im Vereinigten Königreich bei den zum Einsatz in ihren eigenen Bolzenschußgeräten bestimmten Kartuschenstreifen den Schutz aus dem Urheberrecht in Anspruch nimmt, ihre Stellung auf den Märkten für Hilti-kompatible Treibladungen stärkt. Die Machtstellung der Klägerin auf diesen Märkten wurde noch durch die Patente verstärkt, die ihr seinerzeit für bestimmte Teile ihres Bolzenschußgeräts D X 450 zustanden" („Hilti" Slg. 1991, 11-1481 Tz. 93). Diese Argumentation kann nicht aus dem Zusammenhang, insbesondere der vorangehenden Feststellung hoher Marktanteil gelöst werden. Entgegen der missverständlichen Formulierung des Gerichts kann nach den Ausführungen im Text „allein" aus dem Bestehen von Schutzrechten keine beherrschende Stellung abgeleitet werden.
444
4. Teil: Europäisches
Recht
können damit zusammenhängen, dass eine plötzliche Innovation kurzfristig großen Erfolg hat. Sind alternative Innovationen mit Substitutionswirkung absehbar, kann trotz hohem Marktanteil die Annahme von Marktbeherrschung wieder entfallen. (4) „Magill" Der „Magill"-Entscheidung des Gerichtshofs 9 8 2 ist eine Abweichung von den genannten Grundsätzen entnommen worden. Sie komme der Auffassung, dass ein gewerbliches Schutzrecht an sich eine marktbeherrschende Stellung begründe, bedenklich nahe. 983 Demgegenüber hat der Gerichtshof in „Magill" bestätigt, dass die Eigenschaft als Inhaber eines Schutzrechts an und für sich keine beherrschende Stellung begründet. 9 8 4 Aus der besonderen Situation des Markts für Programmzeitschriften in Irland leitet der Gerichtshof eine gemeinsame Marktbeherrschung der irischen und in Nordirland empfangbaren britischen Fernsehsender ab. Diese Marktbeherrschung biete die Möglichkeit, einen w i r k samen Wettbewerb auf dem Markt für Fernsehwochenzeitschriften zu verhindern. 9 8 5 Diese Möglichkeit zum Ausschluss wirksamen Wettbewerbs gibt nach der oben angeführten Definition der „United Brands"-Entscheidung den entscheidenden Hinweis auf das Bestehen einer marktbeherrschenden Stellung. Eine Abkehr von der bisherigen Rechtsprechung ist nicht zu erkennen. Die Entscheidung kann nicht als Beleg für einen faktischen Automatismus z w i schen Schutzrecht und marktbeherrschender Stellung angeführt werden. Auf 982 EuGH, 6.4.1995, RTE und ITP/Kommission („Magill"), Verb. Rs. C-241/91 P und C 242/91 P, Slg. 1995,1-743. S. hierzu näher unten S. 479 ff. 983 Langen/Dirksen, KartR, 9. Aufl. 2001, Art. 82 EGV Rdnr. 41, hiergegen Chr. Jung, in Grabitz/Hilf Art. 82 EGV Rdnr. 76. Dirksen schlägt deshalb als Korrektiv eine restriktive Anwendung des Missbrauchstatbestands vor. Kritisch auch Ebenroth/Bohne, EWS 1995, 397 (398), die dem oben im Text dargestellten Zusammenhang zwischen Immaterialgüterrecht und Marktbeherrschung das Erfordernis entnehmen, es sei bei schutzrechtlich geprägten Fällen ein „weiteres Element" für eine Marktbeherrschung erforderlich, über das der Gerichtshof keine Klarheit geschaffen habe. Demgegenüber bleibt festzuhalten, dass die Ablehnung eines Automatismus zwischen Schutzrecht und Marktbeherrschung nicht zur Notwendigkeit eines „weiteren Elements" führt. Entscheidend ist nach der „United Brands"-Definition, ob eine Position gegeben ist, mit der die Aufrechterhaltung eines wirksamen Wettbewerbs auf dem relevanten Markt verhindert werden kann. Die Ablehnung der (von niemandem vertretenen) Automatismusthese besagt lediglich, dass ein Schutzrecht n i c h t p e r s e zu einer solchen Stellung führt; es ist vielmehr eine umfassende Marktanalyse vorzunehmen. Akzeptiert man die Marktabgrenzung im „Magill"-Fall, so kann am Vorliegen einer beherrschenden Stellung auf dem Markt für Programminformationen über in Irland empfangbare Fernsehsender kein Zweifel bestehen. Die These von einer „Wechselwirkung zwischen Mißbrauch und beherrschender Stellung" (Ebenroth/Bohne, ebenda, im Anschluss an Th. Jestaedt, WuW 1995, 483, 484) in dem Sinne, dass eine Marktbeherrschung konstruiert wird, wenn nur ein als Missbrauch bewertetes Verhalten vorliegt, entbehrt deshalb der Grundlage. Zur marktbeherrschenden Stellung im „Magill"-Fall s. F. Montag, EuZW 1997, 71 (73). 984 985
EuGH, „Magill" (oben Fn. 982), Slg. 1995,1-743 (1-822 Tz. 46). „Magill" Slg. 1995,1-822 Tz. 47.
C. Immaterialgüterschutz
und europäisches Kartellrecht
445
die Besonderheiten des „Magill"-Falls, nämlich das P h ä n o m e n relativer M a r k t m a c h t 9 8 6 und die B e z ü g e zur „essential facilities"-Problematik wird z u r ü c k z u k o m m e n sein. 9 8 7 (5) Zeitliche Begrenzung von Ausschließlichkeitsrechten I m Zusammenhang mit der Marktbeherrschung ist schließlich n o c h auf die zeitliche Begrenzung der meisten Schutzrechte hinzuweisen. W ä h r e n d der Laufzeit des Ausschließlichkeitsrechts können Schutzrechtsverletzungen abgewehrt werden. Ein Schutzrecht führt, wie eben ausgeführt wurde, zwar nicht automatisch zur A n n a h m e einer beherrschenden Stellung, ist aber in die Frage der M a r k t b e h e r r s c h u n g als einer unter mehreren F a k t o r e n einzubringen. D i e Aussage über den fehlenden Automatismus zwischen Schutzrecht und M a r k t beherrschung gilt gleichermaßen für das Verhältnis zwischen Wegfall des Schutzrechts und Wegfall der Marktbeherrschung. Ein automatischer Z u s a m menhang zwischen beiden U m s t ä n d e n besteht nicht. In der Regel wird sich zwar nach A b l a u f der Schutzfrist der Wettbewerb intensivieren, da nicht auf Substitutionsprodukte ausgewichen werden muss, sondern der ehemals geschützte Gegenstand oder das geschützte Verfahren benutzt werden können. O b damit eine beherrschende Stellung entfällt, beurteilt sich aber nicht nach der E r ö f f n u n g neuer rechtlicher Möglichkeiten, sondern nach der faktischen E n t wicklung des betroffenen M a r k t e s . 9 8 8 So ist es denkbar, dass regulatorische und finanzielle Marktzutrittsschranken die beherrschende Stellung auch nach A b lauf des Schutzrechts zementieren. 9 8 9 3.
Missbrauch
N i c h t die beherrschende Stellung, sondern deren missbräuchliche Ausnutzung wird durch Art. 82 E G V verboten. D e r E G V enthält keine D e f i n i t i o n des M i s s brauchsbegriffs. D i e Parallelvorschrift in Art. 66 § 7 E G K S V spricht nicht v o n der missbräuchlichen Ausnutzung, sondern von der Verwendung der beherrschenden Stellung „zu mit diesem Vertrag im Widerspruch stehenden Z w e k k e n " . E i n e ähnliche D e u t u n g gibt der G e r i c h t s h o f auch dem M i s s b r a u c h s b e griff des A r t . 82 E G V , indem er als Vertragszweck insbesondere das G e b o t zur Herstellung eines Systems unverfälschten Wettbewerbs (Art. 3 lit. g) E G V ) heranzieht. I m Missbrauchsverbot k o m m t zum A u s d r u c k , dass an M a r k t b e h e r r S. dazu schon oben S. 437 f. S. unten S. 479 ff. 988 Chr. Jung, in Grabitz/Hilf Art. 82 E G V Rdnr. 77. 9 8 9 Ein Beispiel hierfür ist die Kommissionsentscheidung 89/113/EWG vom 21.12.1988 (IV/30.979 und 31.394, Decca Navigator System), ABl. 1989 L 43/27, insbesondere S. 29 Tz. 8 zum Sachverhalt und S. 40 f. Tz. 92 und 95 f. zur rechtlichen Würdigung. Die Patente für das betreffende Funknavigationssystem waren abgelaufen. Die beherrschende Stellung bestand aber noch jahrelang fort, da der Aufbau konkurrierender Funknetze hohe finanzielle Investitionen und zahlreiche Behördengenehmigungen erforderte. 986
987
446
4. Teil: Europäisches
Recht
scher höhere Verhaltensanforderungen gestellt werden als an die Allgemeinheit der Unternehmen. Eine bereits bestehende Schwächung des Wettbewerbs soll nicht zu weiteren Einbußen des Wettbewerbs ausgenutzt werden. Im Idealfall soll das Missbrauchsverbot sogar zu einer Verstärkung des Wettbewerbs führen. Auf dieser Grundlage hat der Gerichtshof in der Rechtssache „Hoffmann-La Roche" 9 9 0 folgende allgemeine und seither in ständiger Rechtsprechung verwendete Definition des Missbrauchsbegriffs gegeben: „Er erfaßt die Verhaltensweisen eines Unternehmens in beherrschender Stellung, die die Struktur eines Marktes beeinflussen können, auf dem der Wettbewerb gerade wegen der Anwesenheit des fraglichen Unternehmens bereits geschwächt ist, und die die Aufrechterhaltung des auf dem Markt noch bestehenden Wettbewerbs oder dessen Entwicklung durch die Verwendung von Mitteln behindern, welche von den Mitteln eines normalen Produkt- oder Dienstleistungswettbewerbs auf der Grundlage der Leistungen der Marktbürger abweichen." 991
An welchem Punkt „normaler" Leistungswettbewerb in einen Missbrauch umschlägt, ist aufgrund einer umfassenden Abwägung der Interessen aller Beteiligten zu ermitteln. 9 9 2 Die Erforderlichkeit einer solchen Abwägung zeigt, dass keine Kataloge zulässiger, bzw. missbräuchlicher Verhaltensweisen aufgestellt werden können. 9 9 3 Das Unwerturteil über bestimmte Verhaltensweisen hängt vom wirtschaftlichen Zusammenhang ab. Auch hier bestätigt sich - wie schon beim Begriff der Wettbewerbsbeschränkung i.S. von Art. 81 Abs. 1 EGV 9 9 4 - , dass keine klaren Trennlinien existieren, sondern Maß- und Gradfragen über kartellrechtliche Verbote entscheiden. 9 9 5 Eine Hilfestellung bei der Konkretisierung des Missbrauchsbegriffs geben die in Art. 82 EGV genannten Regelbeispiele. Die Verbote von Ausbeutung, Leistungseinschränkung, Diskriminierung und Kopplung in den Buchstaben a) EuGH, 13.2.1979, Hoffmann-La Roche/Kommission, Rs. 85/76, Slg. 1979, 461. „Hoffmann-La Roche" Slg. 1979,461 (541 Tz. 91). Bestätigt z.B. in: EuGH, 11.12.1980, L'Oréal/De Nieuwe Amck, Rs. 31/80, Slg. 1980, 3775 (3794 Tz. 27); EuGH, 9.11.1983, Michelin, Rs. 322/81, Slg. 1983,3461 (3514 Tz. 70); EuGH, 3.7.1991, AKZO/Kommission, Rs. C-62/ 86, Slg. 1991,1-3359 (1-3455 Tz. 69). 992 W. Möschel, in I/M EG-Wettbewerbsrecht, Bd. I, S. 721 Rdnr. 120. Die Kommission zieht in diesem Zusammenhang bisweilen den „Grundsatz der wirtschaftlichen Effizienz" heran, s. Europäische Kommission, XXVII. Bericht über die Wettbewerbspolitik 1997, 1998, Tz. 62. 993 S. z.B. EuGH, 14.2.1978, United Brands/Kommission, Rs. 27/76, Slg. 1978, 207 (298 Tz. 184/194): Die Missbräuchlichkeit einer Lieferverweigerung richtet sich danach, ob diese gerechtfertigt war. Dies setzt eine Bewertung der Interessen der Beteiligten z.B. nach dem Maßstab des „lauteren Geschäftsgebarens" voraus. S. auch den Schlussantrag des Generanwalts H. Kirschner in „Tetra Pak I" (EuG, 10.7.1990, Rs.T-51/89, Slg. 1990 11-309, 11-341 Tz. 89). 994 S. oben S. 356 ff. 995 W. Möschel nennt diesen Ansatz treffend die „Theorie der beweglichen Schranken", für das deutsche Recht in Immenga/Mestmäcker, 3. Aufl. 2001, § 19 GWB Rdnr. 16, für das europäische Recht in I/M EG-Wettbewerbsrecht, Bd. I, 1997, S. 721 Rdnr. 120. 990 991
C. Immaterialgüterschutz
und europäisches
Kartellrecht
447
bis d) betreffen besonders wichtige Missbrauchsformen; entscheidend ist aber nicht die Subsumtion unter einen dieser Tatbestände, sondern die Einschlägigkeit des allgemeinen Missbrauchsbegriffs unter Heranziehung von Art. 3 Buchstabe g) EGV.
4. Zusammenbang
zwischen
Marktbeherrschung
und
Missbrauch
Das Verbot des Art. 82 EGV setzt Marktbeherrschung und Missbrauch voraus. Nicht schon die Erlangung einer beherrschenden Stellung, sondern erst deren missbräuchliche Ausnutzung wird durch die Vorschrift verboten. Im Gegensatz zu Section 2 Sherman Act beinhaltet Art. 82 EGV also kein allgemeines Monopolisierungsverbot. Zudem ist nach herrschender Meinung ein kausaler Zusammenhang zwischen Marktbeherrschung und Missbrauch erforderlich. 9 9 6 In einigen Fällen, die auch für das Immaterialgüterrecht von großer Bedeutung sind, kommt es allerdings zu engen Berührungen zwischen den beiden Merkmalen, nämlich beim Strukturmissbrauch (a) und beim Missbrauch auf nicht beherrschten Märkten (b und c).
a)
Strukturmissbrauch997
Unter einem Strukturmissbrauch versteht man den missbräuchlichen Einsatz einer beherrschenden Stellung zu einer weiteren Verschlechterung der Marktverhältnisse. Paradigma für einen Strukturmissbrauch ist die „Continental Can"-Doktrin, die über Art. 86 EWGV eine europäische Fusionskontrolle avant la lettre brachte. 9 9 8 Während die Bedeutung von Art. 82 EGV für externes Unternehmenswachstum durch die Europäische Fusionskontrollverordnung zwar nicht normativ, aber doch faktisch stark abgenommen hat, 9 9 9 hat die
996 Nachweis dieser kontrovers diskutierten Frage bei Chr. Jung, in Grabitz/Hilf Art. 82 EGV Rdnr. 112 ff.; Langen/Dirksen, KartR, 9. Aufl. 2001, Art. 82 EGV Rdnr. 85. In Normalfällen ist dieser Streit ohne Relevanz, s. W. Möschel, in I/M EG-Wettbewerbsrecht, Bd. I, S. 722 Rdnr. 123. Anders verhält es sich, wenn beherrschter Markt und Missbrauch auseinanderfallen, s. dazu unten S. 448 ff. 997 Zum Strukturmissbrauch s.u. S. 522 ff. 998 EuGH, 21.2.1973, Europemballage und Continental Can/Kommission, Rs.6/72, Slg. 1973, 215. S. hierzu beispielsweise Langen/Dirksen, KartR, 9. Aufl. 2001, Art. 82 EGV Rdnr. 191 ff.; W. Weiß, in Calliess/Ruffert Art. 82 EGV Rdnr. 36. 999 S. z.B. die zur Fusionskontrollverordnung gemachten Erklärungen für das Ratsprotokoll vom 19.12.1989 (nicht im Amtsblatt veröffentlicht, abgedruckt z.B. in WuW 1990, 240, 243 oder in I/M EG-Wettbewerbsrecht, Bd. II, S. 2851 ff.), insbesondere die Erklärung der Kommission zu Art. 22 FKVO, nach der die Kommission „normalerweise nicht beabsichtigt, die Art. 85 und 86 des Vertrags zur Gründung der Europäischen Wirtschaftsgemeinschaft auf Zusammenschlüsse im Sinne von Art. 3 anders als im Wege dieser Verordnung anzuwenden." Dazu, insbesondere auch zu den Konsequenzen für die Anwendung der Art. 81 und 82 durch mitgliedstaatliche Behörden oder Gerichte s. U. Immenga, in I/M EG-Wettbewerbsrecht, Bd. I, S. 1083 ff. Rdnr. 1 ff.
448
4. Teil: Europäisches
Recht
Fallgruppe des Strukturmissbrauchs für Fälle internen U n t e r n e h m e n s w a c h s tums ihre Bedeutung behalten und ausgebaut. 1 0 0 0 A u c h im H i n b l i c k auf Immaterialgüterrechte ist die „ T é l é m a r k e t i n g " - E n t scheidung 1 0 0 1 von großer Bedeutung. In ihr hat der G e r i c h t s h o f festgestellt, „daß es einen Mißbrauch im Sinne von Artikel 86 darstellt, wenn ein Unternehmen, das auf einem bestimmten Markt eine beherrschende Stellung innehat, sich oder einem zur selben Gruppe gehörenden Unternehmen ohne objektives Bedürfnis eine Hilfstätigkeit vorbehält, die von einem dritten Unternehmen im Rahmen seiner Tätigkeit auf einem benachbarten, aber getrennten Markt ausgeübt werden könnte, so daß jeglicher Wettbewerb seitens dieses Unternehmens ausgeschaltet zu werden droht." 1002 D i e beherrschende Stellung auf einem M a r k t darf also ohne objektives B e d ü r f nis nicht auf einen benachbarten, aber getrennten M a r k t ausgedehnt werden. S c h o n die Ausdehnung als solche stellt einen Missbrauch dar, ohne dass es zu weiteren, konkreten Missbrauchshandlungen auf dem benachbarten M a r k t k o m m e n muss. F ü r das Verhältnis von M a r k t b e h e r r s c h u n g und Missbrauch stellen sich in diesem Zusammenhang zwei Fragen: Erstens, erfasst A r t . 82 E G V auch die Fälle, in denen der Missbrauch auf einem anderen als dem beherrschten M a r k t v o r g e n o m m e n wird (b)? Wenn diese Frage zu bejahen ist, stellt sich zweitens die Frage, o b ein Strukturmissbrauch auf einem anderen als dem beherrschten M a r k t voraussetzt, dass das Ergebnis dieses Strukturmissbrauchs eine beherrschende Stellung auf dem anderen M a r k t ist (c).
b) Keine Kongruenz von Marktbeherrschung
und Missbrauch
Greift man auf die allgemeine Missbrauchsdefinition des Gerichtshofs zur ü c k , 1 0 0 3 scheint eine K o n g r u e n z von M a r k t b e h e r r s c h u n g und Missbrauch erforderlich zu sein: Wenn nur solche Verhaltensweisen als Missbrauch einzustufen sind, die den geschwächten M a r k t weiter negativ beeinflussen k ö n n e n , bzw. die den R e s t w e t t b e w e r b
auf dem geschwächten
Markt
mit Mitteln
des
Nichtleistungswettbewerbs gefährden, werden Handlungen nicht erfasst, die sich lediglich auf D r i t t m ä r k t e auswirken. (1) ratio des Missbrauchsverbots Einer solchen wörtlichen A n w e n d u n g der Missbrauchsdefinition ist entgegenzuhalten, dass die Begriffsbestimmung für den Normalfall, also den Missbrauch auf dem beherrschten M a r k t , entwickelt wurde. F ü r den Sonderfall des M i s s 1000 £)j e Vielseitigkeit des Konzepts vom Strukturmissbrauch zeigt sich neben den im Text angesprochenen Anwendungen daran, dass es auch im Zusammenhang mit der europarechtlichen Eindämmung staatlicher Monopole von überragender Bedeutung geworden ist, s. hierzu A. Heinemann, Grenzen staatlicher Monopole im EG-Vertrag, 1996, S. 168 ff. 1001 EuGH, 3.10.1985, CBEM/CLT und IPB, Rs. 311/84, Slg. 1985, 3261. 1002 Ebenda, Slg. 1985, 3278 Tz. 27. 1003 S. oben bei Fn. 991.
C. Immaterialgüterschutz
und europäisches
Kartellrecht
449
brauchs des Marktbeherrschers auf nichtbeherrschten Drittmärkten, kann nicht die wörtliche Anwendung der allgemeinen Definition, sondern nur der Rückgriff auf Sinn und Zweck des Missbrauchsverbots maßgeblich sein. Dieser besteht darin, dass eine bereits bestehende Schwächung des Wettbewerbs nicht zu weiteren Verschlechterungen der Wettbewerbssituation ausgenutzt werden darf. Die Existenz beträchtlicher Verhaltensspielräume und die Abwesenheit einer ausreichenden Kontrolle durch den Wettbewerb darf nicht zur Schaffung noch größerer Verhaltensspielräumen und zur weiteren Einschränkung des wettbewerblichen Kontrollmechanismus eingesetzt werden. Der Wettbewerb ist nur dann ein Entdeckungsverfahren, 1 0 0 4 wenn er auch tatsächlich funktioniert. Die genannten Gefahren bestehen aber nicht nur dann, wenn die Marktmacht auf dem beherrschten Markt eingesetzt wird; sie realisieren sich auch dann, wenn Marktmacht auf dem einen Markt dazu benutzt wird, Freiräume auf einem anderen Markt zu schaffen. 1005 (2) „Tetrapak II" So ist auch das Gericht erster Instanz, 1 0 0 6 bestätigt durch den Gerichtshof, 1 0 0 7 in der Rechtssache „Tetrapak II" zu dem Ergebnis gekommen, dass der Nachweis einer beherrschenden Stellung dann nicht erforderlich ist, wenn das Unternehmen auf einem anderen Markt eine beherrschende Stellung einnimmt und z w i schen beiden Märkten „enge Verbindungen" bestehen. Die dadurch eröffnete Unabhängigkeit des Verhaltens sei ausreichend, um die in Art. 82 EGV angeordnete besondere Verantwortung auszulösen. 1 0 0 8 Diese Argumentation entspricht der vorstehend skizzierten teleologischen Auslegung von Art. 82 EGV. Die Kongruenz von Marktbeherrschung und Missbrauch bezüglich der betroffenen Märkte ist entbehrlich. Gleichzeitig erlangt eine Voraussetzung Bedeutung, die bei Kongruenz von Marktbeherrschung und Missbrauch immer schon erfüllt sein wird: Zwischen der Beherrschung auf dem einen Markt und dem Missbrauch auf einem Drittmarkt muss ein enger Zusammenhang bestehen. 1 0 0 9 Der Missbrauch auf dem Drittmarkt 1004
v o n f j a y e k ; Der W e t t b e w e r b als Entdeckungsverfahren, 1968. S. auch W. Möschel, in I/M EG-Wettbewerbsrecht, Bd. I, S. 716 f. Rdnr. 101 ff. mit der U n t e r s c h e i d u n g weiterer Fallgruppen. 1 0 0 6 E u G , 6.10.1994, Tetra Pak/Kommission („Tetra P a k II"), T-83/91, Slg. 1994,11-755. 1 0 0 7 E u G H , 14.11.1996, Tetra Pak/Kommission, C-333/94 P, Slg. 1996,1-5951. 1 0 0 8 EuG, Slg. 1994,11-816 f. Tz. 122. 1 0 0 9 D e r Gerichtshof hat dieses Erfordernis in der „Tetra Pak II"-Entscheidung w i e folgt f o r m u l i e r t : „Es trifft zu, daß die A n w e n d u n g von A r t i k e l 86 einen Z u s a m m e n h a n g z w i s c h e n der beherrschenden Stellung u n d d e m angeblich mißbräuchlichen Verhalten voraussetzt, der in der Regel nicht gegeben ist, w e n n sich ein Verhalten auf e i n e m von dem beherrschten M a r k t verschiedenen M a r k t dort a u s w i r k t . H a n d e l t es sich w i e i m vorliegenden Fall u m verschiedene, aber v e r b u n d e n e M ä r k t e , so k ö n n e n nur besondere U m s t ä n d e eine A n w e n d u n g v o n A r t i kel 86 auf ein Verhalten rechtfertigen, das auf dem v e r b u n d e n e n , nicht beherrschten M a r k t festgestellt w u r d e u n d sich dort a u s w i r k t . " (Slg. 1996,1-6008 Tz. 27). 1005
450
4. Teil: Europäisches
Recht
muss gerade durch die Marktbeherrschung auf dem Ausgangsmarkt ermöglicht werden. Ein enger Zusammenhang besteht nach den „Tetra Pak II"-Entscheidungen insbesondere dann, wenn beide Märkte eng miteinander verbunden sind, also z.B. wenn ähnliche Produkte betroffen sind, ohne dass nach dem Bedarfsmarktkonzept ein einheitlicher Markt anzunehmen ist. (3) Folgerung Für die oben angesprochene Frage nach der Erforderlichkeit eines kausalen Bandes zwischen Marktbeherrschung und Missbrauch folgt hieraus: Bei Missbräuchen auf dem beherrschten Markt selbst (ausreichend ist, dass sich die Missbräuche hier zumindest auswirken) ist von einer solchen Kausalität auszugehen, so dass sich eine entsprechende Prüfung erübrigt. Fallen jedoch beherrschter und missbrauchter Markt auseinander, wird die Kausalitätsfrage relevant: N u r wenn der Missbrauch in einem engen Verhältnis zur Marktbeherrschung steht, ist Art. 82 EGV seiner Zielsetzung nach einschlägig. 1 0 1 0
c) Strukturmissbrauch auf dem Drittmarkt
nur bei Erlangung
einer beherrschenden
Stellung
Die Feststellung, dass tatbestandsmäßige Missbräuche nicht notwendigerweise an beherrschte Märkte gebunden sind, ist unabdingbar für die Erfassung von Strukturmissbräuchen im Rahmen von Art. 82 EGV: Strukturmissbräuche i.S. der „Télémarketing"-Doktrin 1 0 1 1 setzen geradezu voraus, dass ein anderer als der beherrschte Markt geschwächt wird. Die Anerkennung einer eigenen Fallgruppe des Strukturmissbrauchs neben den anerkannten Formen des Ausbeutungs- und Behinderungsmissbrauchs unterstreicht also das oben gefundene Ergebnis der Entbehrlichkeit einer Kongruenz von Marktbeherrschung und Missbrauch. Beim Strukturmissbrauch ist es zwar denkbar, dass der Missbrauch auch in einer Verschlechterung der Struktur des beherrschten Markts liegt. In der Regel, insbesondere in den von der „Télémarketing"-Doktrin erfassten Fällen, verhält es sich aber so, dass der Missbrauch in der Schwächung eines Drittmarkts besteht. (1) Monopolstellung auf dem Drittmarkt? Mit der Feststellung der prinzipiellen Anwendbarkeit von Art. 82 EGV auf Drittmarktsmissbräuche ist jedoch noch keine Antwort gegeben auf die Frage nach den materiellen Anforderungen, die an einen solchen Strukturmissbrauch zu stellen sind. Reichen ganz allgemein Schwächungen des Drittmarkts durch einen Marktbeherrscher aus, oder ist zu verlangen, dass auf dem Drittmarkt 1010 £)i r k s e n betont, dass sich gerade bei einem Missbrauch auf dem vom Marktbeherrscher nicht beherrschten Markt „die Frage eines kausalen Nexus in aller Deutlichkeit stellt." (Langen/Dirksen, KartR, 9. Aufl. 2001, Art. 82 EGV Rdnr. 85). 1011 S. oben bei Fn. 1001.
C. Immaterialgüterschutz
und europäisches Kartellrecht
451
ebenfalls eine marktbeherrschende Stellung erreicht w i r d ? Die oben angeführte Passage aus der „Télémarketing"-Entscheidung scheint eine solche beherrschende Stellung auf dem Drittmarkt zu fordern, wird doch - sogar noch darüber hinaus - verlangt, dass jeglicher Wettbewerb konkurrierender Unternehmen auf dem Drittmarkt ausgeschlossen wird. So weit wird man nicht gehen müssen. Die Gefahrenschwelle wird nicht erst durch Erlangung einer Monopolstellung, sondern bereits bei Erreichung einer marktbeherrschenden Stellung überschritten. 1 0 1 2 Eine solche Stellung ist für einen Marktstrukturmissbrauch hinreichend, aber auch erforderlich. Im Gegensatz zu den Fallgruppen des Ausbeutungs- und Behinderungsmissbrauchs zeichnet sich der Strukturmissbrauch dadurch aus, dass allein die Veränderung der Marktstruktur unter den Missbrauchsbegriff des Art. 82 EGV gefasst wird, ohne dass es zu weiteren, konkreten Missbrauchshandlungen kommen muss. Diese weite Fassung des Missbrauchsbegriffs ist aber nur dann legitim, wenn an die Veränderung der Marktstruktur ein strenges Kriterium angelegt wird. Die Schwelle der Marktbeherrschung drängt sich geradezu auf: Das Verbot des Strukturmissbrauchs soll verhindern, dass die beherrschende Stellung auf einem Ausgangsmarkt dazu eingesetzt wird, sich Verhaltensspielräume auf einem Drittmarkt zu verschaffen. Der im EG-Vertrag vorgesehene Gradmesser für solche Verhaltensspielräume ist der Begriff der beherrschenden Stellung. Ein Marktstrukturmissbrauch setzt deshalb voraus, dass die beherrschende Stellung auf dem Ausgangsmarkt dazu missbraucht wird, sich auf einem anderen Markt ebenfalls eine beherrschende Stellung zu verschaffen. 1013 (2) Benachbarter, aber getrennter Markt Weitere Voraussetzung der ,,Télémarketing"-Entscheidung ist das Erfordernis einer Hilfstätigkeit auf einem „benachbarten, aber getrennten Markt". Handelt es sich nicht um einen getrennten, sondern um den identischen Markt im Sinne 1012 Das vom Gerichtshof aufgestellte Erfordernis der Ausschaltung jeglichen Wettbewerbs ist ersichtlich von dem Bestreben geprägt, die Fallgruppe des Strukturmissbrauchs nicht uferlos auf alle Marktveränderungen durch Marktbeherrscher zu erstrecken. Dieser Zielsetzung ist zuzustimmen. Das Erfordernis der Monopolstellung anstelle einer einfachen Marktbeherrschung dient aber nicht einer sachgemäßen Tatbestandseingrenzung. Entscheidend ist vielmehr (wie bei allen Fällen der Inkongruenz von Marktbeherrschung und Missbrauch) der enge Zusammenhang zwischen Marktbeherrschung und Missbrauch. Der Missbrauch auf dem Drittmarkt muss gerade durch die beherrschende Stellung auf dem Ausgangsmarkt ermöglicht werden. Zu der sich hieraus ergebenden Tatbestandseinschränkung s. sogleich im Text. 1013 Vgl. Generalanwalt W. van Gerven in der Rechtssache „Niederländische Eilkuriere" (EuGH, 12.2.1992, Niederlande u.a./Kommission, Verb. Rs. C-48/90 und C-66/90, Slg. 1992, 1-565). Der Generalanwalt hielt einen Strukturmissbrauch seitens der niederländischen Post durch Ausdehnung der beherrschenden Stellung auf dem Markt für Basispostdienste auf den Markt für Eilkurierdienste für möglich. Aus tatsächlichen Gründen war er jedoch der Auffassung, dass auf dem Eilkuriermarkt die Schwelle der Marktbeherrschung nicht erreicht werde und ein Strukturmissbrauch somit ausscheide (Slg. 1992,1-619 ff., insbesondere 1-621 f. Tz. 43 und 1-623 Tz. 47).
452
4. Teil: Europäisches
Recht
des Bedarfsmarktkonzepts, k o m m t nur der Spezialfall des Strukturmissbrauchs auf dem beherrschten M a r k t selbst in Betracht. 1 0 1 4 H i e r w i r d es sich in der R e gel u m Fälle externen U n t e r n e h m e n s w a c h s t u m s handeln, die in erster Linie nach Fusionskontrollrecht zu behandeln sind. Bei internem U n t e r n e h m e n s wachstum, also bei Vergrößerung des Marktanteils des beherrschenden U n t e r nehmens auf dem beherrschten M a r k t , ist die A n n a h m e eines Missbrauchs allein aufgrund der Strukturveränderung nur ausnahmsweise anzunehmen: Treten keine konkreten Missbrauchshandlungen hinzu, w i r d die Vergrößerung des Marktanteils in der Regel auf Leistung beruhen. Eine gegenteilige A n n a h m e bedürfte besonders sorgfältiger B e g r ü n d u n g . Beim Drittmarkt muss es sich u m einen benachbarten M a r k t handeln. Diese Voraussetzung erscheint angesichts des Sachverhalts der „Télémarketing"-Entscheidung plausibel. 1 0 1 5 Als allgemeine Voraussetzung für das Vorliegen eines Strukturmissbrauchs erscheint das Erfordernis hingegen unnötig restriktiv. Seine Funktion besteht darin, den engen Zusammenhang zwischen Beherrschung des A u s g a n g s m a r k t s und A u s d e h n u n g dieser Beherrschung auf einen Drittmarkt zu verdeutlichen. Die Erforderlichkeit eines derart engen Z u s a m m e n hangs w i r d aber bereits durch das Erfordernis der Kausalität zwischen M a r k t beherrschung u n d Missbrauch hinreichend z u m A u s d r u c k gebracht. 1 0 1 6 Kausalität w i r d z w a r regelmäßig vorliegen, w e n n es sich bei den betroffenen M ä r k t e n u m benachbarte M ä r k t e handelt. Es besteht aber kein Grund dafür, entferntere M ä r k t e der Strukturmissbrauchskontrolle zu entziehen, w e n n das Kausalitätserfordernis erfüllt ist. Das Kriterium des benachbarten M a r k t e s hat deshalb hinter das Kausalitätserfordernis zurückzutreten. (3) Objektive Rechtfertigung Ähnlich verhält es sich mit der weiteren in der ,,Télémarketing"-Entscheidung genannten Voraussetzung: Die Abwesenheit eines objektiven Bedürfnisses für die A u s d e h n u n g der beherrschenden Stellung legt sicherlich die A n n a h m e eines Missbrauchs nahe. Ein endgültiges Urteil setzt aber eine umfassende Interessenabwägung voraus, in welche die Frage nach dem objektiven Bedürfnis einzubringen ist. A u c h hier gilt, dass die spezifischen Anforderungen der „Télémarketing"-Entscheidung nicht von den allgemeinen Voraussetzungen des Art. 82 EGV gelöst w e r d e n können, sondern nur deren konkrete A u s p r ä g u n gen für eine bestimmte Fallgruppe darstellen. S. dazu bereits oben S. 448 ff. Ausgangsmarkt war der Markt für die Ausstrahlung von Fernsehsendungen einschließlich Werbesendungen, auf denen das beklagte Sendeunternehmen ein rechtliches M o nopol hatte. Beim Drittmarkt handelte es sich um den Markt für Telemarketing-Dienstleistungen (Entgegennahme, Beantwortung und Weiterleitung von Kundenanrufen in Reaktion auf Fernsehwerbung), den sich das Sendeunternehmen ohne rechtliche Grundlage vorbehalten wollte. 1016 S. dazu bereits oben S. 447. 1014 1015
C. Immaterialgiiterschutz
und europäisches
Kartellrecht
453
d) Ergebnis Festzuhalten bleibt, dass Art. 82 EGV einen engen Zusammenhang zwischen Marktbeherrschung und Missbrauch voraussetzt. Dieser Zusammenhang wird in der Regel vorliegen, wenn der Missbrauch auf dem beherrschten Markt vorgenommen wird oder sich zumindest dort auswirkt. Aber auch Missbräuche auf nicht beherrschten Märkten werden von Art. 82 EGV erfasst, wenn sie gerade durch die Beherrschung eines anderen Marktes ermöglicht werden. A m weitesten wird der Anwendungsbereich von Art. 82 EGV in den Fällen des Strukturmissbrauchs ausgedehnt: Konkrete Missbrauchshandlungen sind nicht erforderlich. Es reicht aus, dass die marktbeherrschende Stellung auf einem Ausgangsmarkt auf einen Drittmarkt erstreckt wird. Der Eingrenzung von Art. 82 EGV in diesen Fällen dienen die Merkmale der Kausalität und der Erlangung einer beherrschenden Stellung auf dem Drittmarkt. Die Kontrolle bloßer Strukturmissbräuche kommt einem allgemeinen Monopolisierungsverbot sehr nah; es wendet sich allerdings nur an Unternehmen, die bereits auf einem bestimmten Markt eine beherrschende Stellung innehaben, und diese zur Beherrschung anderer Märkte einsetzen.
5. Missbrauch einer beherrschenden gewerblicher Schutzrechte?1017 a) Missbrauch von
Stellung durch
Ausübung
Rechten
Es ist eine Selbstverständlichkeit, dass die Ausübung eines Rechts Bestandteil der durch das Recht vermittelten Rechtsmacht ist. Ebenso selbstverständlich ist allerdings die Erkenntnis, dass die Ausübung eines Rechts unter bestimmten, engen Voraussetzungen missbräuchlich sein kann, und dann von der Rechtsordnung nicht mehr geschützt wird. Jedes Recht kann missbraucht werden. Es ist unerheblich, ob es sich um relative oder absolute, materielle oder immaterielle, höher- oder niederrangige Rechte handelt. Selbst der Missbrauch von Grundrechten ist möglich und wird unter bestimmten Voraussetzungen mit Verwirkung geahndet (Art. 18 GG). Das Verbot des Missbrauchs kann ausdrücklich im Gesetz festgeschrieben sein. Aber auch in Abwesenheit einer entsprechenden N o r m besteht an der Existenz des Missbrauchsverbots kein Zweifel. 1018 Die Kernfrage in diesen Fällen besteht in der genauen Festlegung der Voraussetzungen, die an das Vorliegen eines Missbrauchs zu stellen sind.
1017 Mit diesem Aufsatztitel brachte F.-K. Beier'm der FS Quack (1991) die Kernproblematik zum Ausdruck. 1018 Zum Unterschied zwischen dem allgemeinen Missbrauch von Rechten und dem Missbrauch einer marktbeherrschenden Stellung s. M. Vivant, La propriété intellectuelle entre abus de droit et abus de position dominante, La Semaine Juridique, Éd. G, 1995,1.-Doctrine 3883.
454
4. Teil: Europäisches
b) Das Missbrauchsverbot
als Prinzip des
Recht
Kartellrechts1019
Das Kartellrecht ist das Rechtsgebiet, in dem das Missbrauchsverbot zum Prinzip erhoben wurde. 1 0 2 0 Das Verbot des Missbrauchs beherrschender Stellungen hat zwar einen konkreten ordnungspolitischen Grund: Bei Abwesenheit ausreichender Konkurrenz wird die Kontrolle durch den Wettbewerb durch die Kontrolle durch das Recht ersetzt. Trotz dieser besonderen Zielsetzung wurzeln auch die kartellrechtlichen Anforderungen an Marktbeherrscher im allgemeinen Verbot des Missbrauchs von Rechtspositionen. 1 0 2 1 Die Absicherung des kartellrechtlichen Missbrauchsverbots in einem allgemeinen Rechtsprinzip macht es verständlich, dass die grundsätzliche Frage der Anwendung von Art. 82 E G V auf Rechte des geistigen Eigentums nicht annähernd in gleicher Schärfe diskutiert wird wie die Frage der Anwendung von Art. 81 E G V auf Rechte des geistigen Eigentums. 1 0 2 2 Die Erkenntnis, dass die Ausübung von Rechtspositionen unter besonderen Umständen einen Missbrauch darstellen kann, ist so anerkannt wie die darauf zu gebende Antwort, dass nämlich solchen Missbräuchen schon auf der Ebene des Rechts entgegengetreten werden muss. c) Missbrauchsverbot
und
Immaterialgüterrechte
Dementsprechend besteht weitgehend Einigkeit darüber, dass Art. 82 E G V auch auf Rechte des geistigen Eigentums anwendbar ist. 1 0 2 3 Fundamentaltheorien nach dem Vorbild der zu Art. 81 E G V entwickelten Lehren (rein kartellrechtlicher Ansatz, Wettbewerbseröffnungstheorie, Lehre vom spezifischen Gegen1 0 1 9 Nicht gemeint ist hier der Gegensatz von Verbotsprinzip und Missbrauchsprinzip, also den beiden Möglichkeiten der Ausgestaltung kartellrechtlicher Normen als entweder ex lege wirkende Tatbestände (Verbotsprinzip), oder als bloße Rechtsgrundlage für kartellbehördliches Einschreiten mit ex nunc-Wirkung (Missbrauchsprinzip). S. hierzu W. Fikentscher, Wirtschaftsrecht, Bd. II, 1983, S. 226. Der Missbrauch marktbeherrschender Stellungen ist im europäischen Recht schon seit jeher nach dem Verbotsprinzip ausgestaltet; im deutschen Recht hat erst aufgrund der 6. GWB-Novelle ein Übergang vom Missbrauchs- zum Verbotsprinzip stattgefunden, s.o. S. 167 ff.
1020 j n e ; n e m weiteren Sinn kann man unter den Missbrauch von Immaterialgüterrechten alle Kartellrechtsverstöße fassen, also nicht nur die Verletzung von Art. 82 EGV, s. Th. Bodewig, O n the Misuse of Intellectual Property Rights, 1995, S. 231 (239). 1021 J J J a l l g e m e ; n e Missbrauchsprinzip kann auch das Verbot des Missbrauchs marktbeherrschender Stellungen dazu führen, dass formal bestehende Rechtspositionen nicht in vollem Umfang ausgeübt werden dürfen. 1022 H. Ullrich (in I / M EG-Wettbewerbsrecht, Bd. I, S. 1225 f. Rdnr. 18) betont, dass die Inhaltstheorie, bzw. die Lehre vom spezifischen Gegenstand von deren Vertretern niemals auf echte Kartelle oder auf Art. 82 EGV, sondern immer nur auf zweiseitige Lizenzbeziehungen nicht-kartellarischer Natur angewendet wurde. Im Grundsatz bestand für das Verhältnis von Art. 82 E G V und Rechten des geistigen Eigentums also nicht derselbe Konflikt wie bei Art. 81 E G V und dem Lizenzkartellrecht. Dass die Abwesenheit eines solchen Grundsatzstreits nicht unbedingt die Lösung konkreter Fälle erleichtert, zeigt die Diskussion, die durch die „Magill"Entscheidung ausgelöst wurde, s. dazu unten S. 479 ff. 1 0 2 3 In der frühen Rechtsprechung des Gerichtshofs waren Fälle mit Bezug zum Recht des geistigen Eigentums sogar die erste Gelegenheit, um dem Begriff des Missbrauchs deutliche
C. Immaterialgüterschutz
und europäisches
Kartellrecht
455
s t a n d 1 0 2 4 ) sind i m R a h m e n v o n A r t . 82 E G V nicht v o n B e d e u t u n g g e w o r d e n . 1 0 2 5 D i e D i s k u s s i o n hat hier ihren S c h w e r p u n k t eher auf den einzelnen Tatbestandsm e r k m a l e n der Vorschrift, nämlich auf den M e r k m a l e n v o n M a r k t b e h e r r s c h u n g u n d M i s s b r a u c h . I n B e z u g a u f A r t . 8 2 E G V ist a l s o s c h o n seit j e h e r das A n l i e g e n v e r w i r k l i c h t , das o b e n als D e s i d e r a t des g e s a m t e n P r o b l e m k r e i s e s h e r a u s g e s t e l l t w u r d e : N i c h t a p r i o r i s c h e A u s s a g e n ü b e r das V e r h ä l t n i s v o n K a r t e l l - u n d I m m a t e r i a l g ü t e r r e c h t e n t s c h e i d e n ü b e r die A n w e n d u n g o d e r N i c h t a n w e n d u n g k a r t e l l r e c h t l i c h e r N o r m e n ; v i e l m e h r s i n d i m m a t e r i a l g ü t e r r e c h t l i c h e W e r t u n g e n in die A u s l e g u n g d e r k a r t e l l r e c h t l i c h e n T a t b e s t ä n d e e i n z u b r i n g e n . 1 0 2 6 D i e K o n k r e tisierung v o n Begriffen wie Wettbewerbsbeschränkung,
marktbeherrschende
Stellung oder Missbrauch unter Einbeziehung dieser Wertungen
entscheidet
darüber, o b kartellrechtliche Verbote A n w e n d u n g finden. d)
Präzisierung
E s b e r e i t e t a l s o k e i n e S c h w i e r i g k e i t e n , die in d e r A b s c h n i t t s ü b e r s c h r i f t g e s t e l l t e Frage zu bejahen. Gleichwohl muss vor einem Missverständnis gewarnt werd e n : A u s A r t . 8 2 E G V e r g i b t s i c h , d a s s n i c h t d a s g e w e r b l i c h e S c h u t z r e c h t als Konturen zu verschaffen, s. hierzu D. Gerber, Law and Competition in Twentieth Century Europe, 1998, S. 357. 1 0 2 4 S. oben S. 328 ff. 1 0 2 5 Gegenmeinungen (z.B. F.-K. Beier, Mißbrauch einer beherrschenden Stellung durch Ausübung gewerblicher Schutzrechte?, FS Quack, 1991, S. 15 ff; C. Miller, Magill: Time to Abandon the .Specific Subject-matter' Concept, E I P R 1994, 415, 416 ff.) sind vereinzelt geblieben. Beier möchte Art. 82 E G V auf marktbeherrschende Stellungen, die im wesentlichen auf gewerblichen Schutzrechten beruhen, prinzipiell nicht anwenden (s. oben Fn. 980); Miller stellt die These auf, dass die Ausübung eines Schutzrechts niemals den Missbrauch einer beherrschenden Stellung begründen kann. Ein solcher Standpunkt ist gleichbedeutend mit der Anwendung der Inhaltstheorie im Rahmen von Art. 82 EGV. Schon bei Art. 81 E G V vermag dieser Ansatz nicht zu überzeugen (oben S. 292 f.). Der Anwendung der Inhaltstheorie im Rahmen von Art. 82 E G V steht die allgemeine Erkenntnis entgegen, dass jedes Recht missbraucht werden kann, also auch die immaterialgüterrechtlich vermittelte marktbeherrschende Stellung. Die apriorische Ausblendung von Art. 82 E G V würde jegliches Verhalten legitimieren. Außerdem ist ein innerer Widerspruch feststellbar: Wettbewerblichen Argumenten gegen eine zu weitgehende Ausgestaltung von Immaterialgüterrechten begegnet Beier mit dem Argument, wettbewerbliche Gesichtspunkte seien Sache des Kartellrechts und nicht des Immaterialgüterrechts (so am Beispiel des europäischen Musterschutzes unten S. 534 f.). Vollzieht man diesen Gedanken nach, kann man nicht die These hinzufügen, immaterialgüterrechtlich vermittelte Machtpositionen unterlägen nicht der Anwendung von Kartellrecht. Dann würden an keiner Stelle mehr wettbewerbliche Gesichtspunkte einfließen (gegen Friktionen in Beiers Argumentation auch A. Kur, G R U R Int. 1996, 876, 880 Fn. 32). Zu Recht muss diesem Standpunkt der Immunisierungsvorwurf gemacht werden (so P. Mennicke ( Z H R 160 (1996) 626, 645 f.). Der Gerichtshof hat solche Immunisierungsstrategien zurückgewiesen (z.B. in E u G H , 6.4.1995, R T E und ITP/Kommission („Magill"), Verb. Rs. C-241/91 P und C-242/91 P, Slg. 1995,1-743,1-822 Tz. 48). Die immaterialgüterrechtlichen Anliegen können nicht beim Begriff der Marktbeherrschung eingebracht werden. Der geeignete Ort hierzu ist der Begriff des Missbrauchs, der u.a. auch eine umfassende Interessenabwägung voraussetzt. 1026
S . o . S. 333.
456
4. Teil: Europäisches
Recht
solches missbraucht werden kann, sondern lediglich die möglicherweise vom Schutzrecht vermittelte marktbeherrschende Stellung. 1027 Der Missbrauch des Schutzrechts selbst ist dem europäischen Recht im Gegensatz zur angloamerikanischen Lehre vom patent misuse unbekannt. 1028 Art. 82 EGV unterbindet nicht Verhaltensweisen, die einen Missbrauch einer immaterialgüterrechtlichen Position darstellen, sondern die Vorschrift wendet sich gegen den Missbrauch von Marktmacht, worauf diese auch immer zurückzuführen sein mag. Eine mögliche Ursache der marktbeherrschenden Stellung kann in der Existenz einschlägiger Schutzrechte liegen. Wenn festgestellt wurde, dass eine marktbeherrschende Stellung vorliegt, stellt sich die (entscheidende) Frage nach dem Vorliegen eines Missbrauchs. Aus der Existenz oder Ausübung immaterialgüterrechtlicher Befugnisse können weder Marktbeherrschung noch Missbrauch abgeleitet werden. 1029 Eine Auseinandersetzung mit der Praxis der Gemeinschaftsorgane soll für eine genauere Annäherung an den immaterialgüterrechtlich relevanten Missbrauchsbegriff sorgen. 6. Die Anwendung von Art. 82 EGV auf Rechte des geistigen durch Kommission und Gerichtshof
Eigentums
In der Praxis der Gemeinschaftsorgane zum Missbrauchsverbot nehmen Immaterialgüterrechte einen unterschiedlichen Stellenwert ein. Teilweise wird die Existenz von Ausschließlichkeitsrechten nicht einmal erwähnt, obwohl die in Frage stehenden Verhaltensweisen einen schutzrechtlichen Bezug haben. In anderen Fällen treten immaterialgüterrechtliche Wertungen stärker hervor. Die folgende Auswahl beschränkt sich auf diejenigen Fälle, die Rückschlüsse auf die grundsätzliche Frage nach dem Verhältnis von Missbrauchsverbot und Recht des geistigen Eigentums zulassen.
1027
M. Meinhardt, Beschränkung nationaler Immaterialgüterrechte durch Art. 86 EGVertrag, 1996, S. 52. Auf diese Präzisierung ist besonders dann zu achten, wenn zwischen direktem und indirektem Schutzrechtsmissbrauch unterschieden wird (s. z.B. W. Möschel, in 1/ M EG-Wettbewerbsrecht, Bd. I, S. 730 Rdnr. 156; S. 757 ff. Rdnr.233ff.; Tb. Eilmansherger, EuzW 1992, 625 ff.). Mit direktem Schutzrechtsmissbrauch wird der Missbrauch der beherrschenden Stellung auf dem Markt der Verwertung von Schutzrechten bezeichnet; der Begriff des indirekten Schutzrechtsmissbrauchs bezieht sich demgegenüber auf den Markt der Produkte, die unter Ausnutzung des Schutzrechts produziert worden sind. 1028 Hierzu s.o. S. 46 ff. 1029 Vgl. Generalanwalt / . Mischo, in E u G H , 5.10.1988, C I C R A u.a./Renault, Rs. 53/87, Slg. 1988, 6039, (6064 Tz. 56).
C. Immaterialgüterschutz
a) Bestand
und
und europäisches
Kartellrecht
457
Ausübung
D e r Ausgangspunkt des Gerichtshofs ist - wie bei A r t . 81 E G V 1 0 3 0 - die U n t e r scheidung von Bestand und Ausübung gewerblicher S c h u t z r e c h t e . 1 0 3 1 In der Rechtssache „ C I C R A u . a . / R e n a u l t " 1 0 3 2 hat er festgestellt, „daß der bloße Erwerb eines von der Rechtsordnung gewährten ausschließlichen Rechts, dessen Substanz in der Befugnis besteht, die Herstellung und den Verkauf der geschützten Erzeugnisse durch unbefugte Dritte zu untersagen, nicht als ein mißbräuchliches Mittel zur Ausschaltung des Wettbewerbs angesehen werden kann. ... Die Ausübung dieses ausschließlichen Rechts kann hingegen gemäß Artikel 86 verboten sein, wenn sie bei einem Unternehmen, das eine beherrschende Stellung einnimmt, zu bestimmten mißbräuchlichen Verhaltensweisen führt . . . " . 1 0 3 3
Wie bei A r t . 81 E G V ist also nach dem Ansatz des Gerichtshofs die A n w e n dung von Art. 82 E G V auf den Bestand des Immaterialgüterrechts ausgeschlossen. D e r A n w e n d u n g auf dessen Ausübung steht hingegen nichts im Weg; allein ausschlaggebend ist, o b die Tatbestandsvoraussetzungen v o n A r t . 82 E G V , insbesondere Marktbeherrschung, Missbrauch und Zwischenstaatlichkeitsklausel vorliegen. (1) K r i t i k an der Unterscheidung W i e bereits in anderem Zusammenhang ausgeführt wurde, dient die Trennung von Bestand und Ausübung nicht etwa der A b s c h i r m u n g nationaler A u s schließlichkeitsrechte vor der A n w e n d u n g europäischen Kartellrechts. I m G e genteil, das Anliegen der Unterscheidung besteht darin, vor dem H i n t e r g r u n d von Art. 295 E G V die Gemeinschaftszuständigkeit für die Kartellaufsicht über nationale Schutzrechte zu begründen: D i e Mitgliedstaaten sind zuständig für den Bestand der (nationalen) Schutzrechte. D i e G e m e i n s c h a f t besitzt (konkurrierende) Zuständigkeit für den Bereich der
Ausübung.
E i n e n heuristischen Wert für Fragen der k o n k r e t e n Kartellrechtsanwendung hat die Trennung von Bestand und Ausübung dagegen n i c h t . 1 0 3 4 D i e Tatsache, dass A r t . 82 E G V nicht auf ein Immaterialgüterrecht als solches angewendet 1030 1031
(112).
S. oben S. 291 ff. So schon EuGH, 29.2.1968, Parke, Davis & Co./Probel u.a., Rs.24/67, Slg. 1968, 85
EuGH, 5.10.1988, C I C R A u.a./Renault, Rs. 53/87, Slg. 1988, 6039. Ebenda, S. 6072 f. Tz. 15 f. Bestätigt in EuGH, 5.10.1988, Volvo/Veng, Rs. 238/87, Slg. 1988, 6211 (6235 Tz. 9); EuGH, 6.4.1995, RTE und ITP/Kommission („Magill"), Verb. Rs. C 241/91 P und C-242/91 P, Slg. 1995, 1-743 (1-823 Tz. 50), wo das „Volvo"-Urteil mit dem (in „Volvo" nicht enthaltenen) Kommentar zitiert wird, dass die Ausübung des ausschließlichen Rechts „unter außergewöhnlichen Umständen" ein missbräuchliches Verhalten darstellen könne. Aus dem Zusammenhang ergibt sich allerdings, dass mit den außergewöhnlichen Umständen jene Verhaltensweisen gemeint sind, die der Gerichtshof in der Rechtssache „Volvo" als typische Beispiele für missbräuchliches Verhalten angeführt hatte. Zu diesen konkreten Missbrauchsformen s. unten S. 472. 1 0 3 4 S. oben S. 195 ff. 1032 1033
458
4. Teil: Europäisches
Recht
werden kann, führt zu keiner Einschränkung des Anwendungsbereichs: Kartellrechtliche N o r m e n werden nicht abstrakt auf Rechte angewendet, sondern auf konkrete Verhaltensweisen im M a r k t . 1 0 3 5 Solche Verhaltensweisen sind nach der Logik der Trennung v o n Bestand und Ausübung immer dem Bereich der Ausübung zuzuweisen und fallen damit in den Anwendungsbereich von A r t . 82 EGV. (2) „Tetra Pak I" Dieser Befund wird durch die „Tetra Pak I"-Entscheidung des Gerichts erster Instanz unterstrichen. 1 0 3 6 A u s der oben zitierten Passage des „ C I C R A u.a./Renault"-Urteils hätte man folgern können, dass der Erwerb eines Schutzrechts niemals A r t . 82 E G V unterfallen könne. Das Gericht erster Instanz folgte in „Tetra Pak I" nicht dieser Ansicht, sondern differenzierte zwischen dem „Erwerb" und dem „bloßen Erwerb" einer ausschließlichen Lizenz mit dem Ergebnis, dass - in Bestätigung der angefochtenen Kommissionsentscheidung auch schon der „Erwerb" eines Schutzrechts einen verbotenen Missbrauch darstellen kann: 1 0 3 7 „Die Kommission hat daher zu Recht nicht die ausschließliche Lizenz als solche in Frage gestellt, sondern konkret die wettbewerbswidrige Auswirkung ihres Erwerbs durch die Klägerin im Hinblick auf Artikel 86 beanstandet. Aus der Begründung und den Schlußfolgerungen der Entscheidung geht klar hervor, daß sich der von der Kommission festgestellte Verstoß gegen Artikel 86 aus dem Erwerb der ausschließlichen Lizenz durch die Klägerin .unter den besonderen Umständen dieses Falles' ergab." 1038 1035 Diese Aussage gilt auch unter Berücksichtigung der grundlegenden Unterscheidung zwischen Wettbewerbsbeschränkungen durch Maßnahme und Wettbewerbsbeschränkungen durch Zustand (Borchardt/Fikentscher, Wettbewerb, Wettbewerbsbeschränkung, Marktbeherrschung, S. 116 ff.; W. Fikentscher, Wettbewerb und gewerblicher Rechtsschutz, 1958, S. 53 ff.; ders., Wirtschaftsrecht, Band II, 1983, S. 226 f.): Auch die Wettbewerbsbeschränkungen durch Zustand setzen voraus, dass der besondere Zustand, also z.B. die Marktbeherrschung, dazu eingesetzt wird, ein bestimmtes Verhalten, z.B. einen Missbrauch oder einen Zusammenschluss zu begehen. 1036 EuG, 10.7.1990, Tetra Pak/Kommission, T-51/89, Slg. 1990,11-309. 1037 Entscheidung betraf nicht den Erwerb eines vollständigen Schutzrechts, sondern den Erwerb der ausschließlichen Lizenz an einem Patentrecht. Einer solchen ausschließlichen Lizenz wird - zumindest in der deutschen Dogmatik - gegenständliche, also absolute Wirkung zuerkannt (vgl. die Nachweise bei Stumpf/Groß, Der Lizenzvertrag, 6. Aufl. 1993, Rdnr. 36, sowie oben S. 128 Fn. 31). Die Entscheidung des Gerichts lässt sich deshalb auf den Fall des Erwerbs eines vollständigen Schutzrechts im Wege des argumentum a maiore ad minus übertragen: Wenn schon die Marktschließung aufgrund des Erwerbs einer ausschließlichen Lizenz zur Anwendung von Art. 82 EGV führt, kann für den Erwerb des Vollrechts nichts anderes gelten. Der Erwerb einer einfachen Lizenz würde dagegen nicht ausreichen: Sie ist nach h.M. lediglich obligatorischer Natur (Stumpf/Groß, ebenda Rdnr. 39). Außerdem fällt im Ausgangssachverhalt der „Tetra Pak"-Entscheidung bei einer einfachen Lizenz die Missbrauchsgefahr weg, da eine Abschottung des relevanten Marktes mangels Ausschließlichkeit nicht mehr möglich ist, vgl. dazu weiter im Text. 1038 EuG, „Tetra Pak I", Slg. 1990,11-357 Tz. 23.
C. Immaterialgüterschutz
und europäisches
Kartellrecht
459
Durch den Erwerb der ausschließlichen Lizenz an einem Verfahren zur Herstellung aseptischer Milchverpackungen 1039 hätte das Unternehmen Tetra Pak, das auf dem Markt für solche aseptischen Verpackungen bereits über einen Marktanteil von 90 % verfügte, die Möglichkeit erhalten, potentielle Konkurrenten dauerhaft fernzuhalten. Der Lizenzerwerb war auch genau auf dieses Ziel gerichtet. Unter diesen Umständen lag also schon im Erwerb eines Schutzrechts ein Missbrauch i.S. von Art. 82 EGV. 1040 (3) Folgerung Die Vorgehensweise des Gerichts zeigt, dass die Unterscheidung von Bestand und Ausübung auch bei Art. 82 EGV nicht zur Anwendung im konkreten Fall taugt. Der Erwerb eines Schutzrechts ist die Voraussetzung dafür, dass es überhaupt zu einem „Bestand" kommt. Schon hier setzt das Missbrauchsverbot aber an: Wenn der Erwerb eines Schutzrechts Teil einer missbräuchlichen Strategie ist, ist er dem Marktbeherrscher untersagt. 1041 Es gibt keinen Kernbestand schutzrechtlicher Befugnisse, die unter dem Schlagwort des Bestands von vornherein dem Missbrauchsverbot entzogen wären. Die Anwendung von Art. 82 EGV hängt lediglich davon ab, ob die Voraussetzungen der N o r m erfüllt sind. Dient eine schutzrechtliche Strategie bei hohem Marktanteil dazu, den Marktzutritt potentieller Konkurrenten zu verhindern, ist die Schwelle zum Missbrauch überschritten. Für ein solches von Art. 82 EGV erfasstes Verhalten gibt es keine immaterialgüterrechtliche Rechtfertigung. b) Spezifischer
Gegenstand
In der Rechtsprechung taucht auch bei der Frage der Anwendung von Art. 82 EGV auf Rechte des geistigen Eigentums gelegentlich das Konzept des spezifischen Gegenstands auf. (1) Mängel der Lehre vom spezifischen Gegenstand Bei der Anwendung dieser Formel im Zusammenhang mit Art. 81 EGV wurde bereits die Feststellung getroffen, dass die Lehre vom spezifischen Gegenstand zwar den Konflikt nationaler Immaterialgüterrechte mit den Grundfreiheiten 1039 Q e r j ; r w e r b ¿ e [ ausschließlichen Lizenz war Bestandteil des Erwerbs eines ganzen Konzerns, der Inhaber dieser Lizenz war. Den Widerspruch von „Tetra Pak I" zur Rechtsprechung des Gerichtshofs betont auch Chr. Jung, in Grabitz/Hilf Art. 82 EGV Rdnr. 197. 1040 S. hierzu W. Möschel, in I/M EG-Wettbewerbsrecht, Bd. I, S. 757 Rdnr. 236. Dient der Erwerb des Schutzrechts allein dem Zweck, die Entwicklung konkurrierender Technologien auszuschließen (sog. Sperrpatent), ist in der Regel ein Missbrauch zu bejahen (s. Chr. Jung, in Grabitz/Hilf Art. 82 EGV Rdnr. 200). 1041 Sowohl der originäre als auch der derivative Schutzrechtserwerb (z.B. Defensivmarken, Sperrpatente) können unter außergewöhnlichen Umständen einen Missbrauch darstellen, s. hierzu W. Möschel, in I/M EG-Wettbewerbsrecht, Bd. I, S. 757 Rdnr. 236; Chr. Jung, in Grabitz/Hilf Art. 82 EGV Rdnr. 199 f.
460
4. Teil: Europäisches
Recht
des EG-Vertrags aufzulösen vermag, für eine Anwendung im Rahmen der Wettbewerbsregeln aber ungeeignet ist. 1042 Die dort vorgebrachten Argumente gelten entsprechend auch für Art. 82 EGV. Auch hier gilt die Aussage, dass die Rechtsprechung das Konzept vom spezifischen Gegenstand zwar auch im Zusammenhang mit Art. 82 EGV erwähnt; bei komplizierter Gestaltung zieht der Gerichtshof die Analyse des rechtlichen und wirtschaftlichen Zusammenhangs einer begriffsorientierten Argumentation mit dem spezifischen Gegenstand aber stets vor. (2) „Magill" Der geringe Stellenwert der Lehre vom spezifischen Gegenstand lässt sich am Beispiel der „Magill"-Entscheidung veranschaulichen: Das Gericht erster Instanz führte aus, dass der spezifische Gegenstands des Urheberrechts grundsätzlich das ausschließliche Vervielfältigungsrecht, also auch das Recht zur Lizenzverweigerung beinhalte. 1043 Die Ausübung des ausschließlichen Vervielfältigungsrecht „als solche" sei also gewiss nicht missbräuchlich. Dies gelte jedoch dann nicht, „wenn sich aus den U m s t ä n d e n des Einzelfalls ergibt, daß mit den Bedingungen und M o dalitäten der Ausübung dieses Rechts in Wirklichkeit ein Ziel verfolgt wird, das in offensichtlichem Widerspruch zu den Zwecken des Artikels 86 steht. In einem solchen Fall entspricht nämlich die A u s ü b u n g des Urheberrechts nicht mehr der wesentlichen F u n k t i o n dieses Rechts im Sinne des Artikels 36 EWG-Vertrag, der darin besteht, den Schutz der Rechte an dem geistigen Werk u n d die Vergütung der schöpferischen Tätigkeit unter Beachtung der Zwecke insbesondere des Artikels 86 sicherzustellen." 1 0 4 4
(3) Folgerung Deutlicher können die Schwächen der Lehre vom spezifischen Gegenstand im Zusammenhang mit Art. 82 EGV nicht veranschaulicht werden. Das Konzept vom spezifischen Gegenstand dient eigentlich dazu, die vom spezifischen Gegenstand erfassten Rechte der Anwendung der Verbotsnorm zu entziehen. Die 1042
S.o. S.331 ff. EuG, 10.7.1991, RTE/Kommission, Rs. T-69/89, Slg.1991, 11-485 (11-519 Tz. 70); EuG, 10.7.1991, BBC/Kommission, Rs. T-70/89, Slg.1991, 11-535 (11-563 Tz. 57); EuG, 10.7.1991, ITP/Kommission, Rs. T-76/89, Slg.1991,11-575 (11-601 Tz. 55). 1044 EuG, 10.7.1991, RTE/Kommission, Rs. T-69/89, Slg.1991, 11-485 (11-519 Tz. 71); EuG, 10.7.1991, BBC/Kommission, Rs. T-70/89, Slg.1991, 11-535 (11-563 Tz. 58); EuG, 10.7.1991, ITP/Kommission, Rs. T-76/89, Slg.1991,11-575 (11-601 Tz. 56). Die drei Entscheidungen verweisen auf die „Volvo"-Entscheidung des Gerichtshofs (oben Fn. 1033). Kritisch zu der zitierten Passage Generalanwalt C. Gulmann („Magill" Slg.1995,1767 f. Tz. 67 f.), der darin die (verfehlte) Annahme eines Vorrangs von Art. 82 EGV vor den Zwecken des Urheberrechts sieht. So weit wird man die Entscheidungen des Gerichts nicht interpretieren müssen. Gemeint ist, dass auch die Ausübung eines Urheberrechts unter bestimmten „Bedingungen und Modalitäten" gegen Art. 82 EGV verstoßen kann. Diese Annahme wird vom Generalanwalt geteilt und wurde vom Gerichtshof bestätigt. 1043
C. Immaterialgüterschutz
und europäisches
Kartellrecht
461
„Magill"-Entscheidungen des Gerichts erster Instanz sagen nun, dass diese vom spezifischen Gegenstand erfassten Rechte nur „als solche" der Anwendung von Art. 82 EGV entzogen seien. 1045 Ergibt die Analyse der konkreten Umstände des Einzelfalls, dass ein im offensichtlichen Widerspruch zu Art. 82 EGV stehendes Ziel verfolgt wird, tritt das Missbrauchsverbot wieder in Kraft. 1046 Die Lehre vom spezifischen Gegenstand dient also nicht der Einschränkung von Art. 82 EGV, sondern erinnert daran, immaterialgüterrechtliche Wertungen in den Tatbestand von Art. 82 EGV, insbesondere in den Begriff des Missbrauchs einzubringen. Entscheidend ist nicht das Vorliegen des spezifischen Gegenstands, sondern der wirtschaftliche und rechtliche Gesamtzusammenhang des zu beurteilenden Verhaltens. 1047 Im „Magill"-Fall führte diese Analyse in allen Instanzen zur Annahme des Missbrauchs einer marktbeherrschenden Stellung. 1048 (4) Fortgang der Untersuchung Wenn die Unterscheidung von Bestand und Ausübung nicht der Begrenzung, sondern der Begründung der kartellrechtlichen Kontrolle von Immaterialgüterrechten dient, und wenn die Lehre vom spezifischen Gegenstand der An1045 p i e dahinter steckende Problematik wird von Generalanwalt Gulmann hervorgehoben: „Da der Begriff des spezifischen Gegenstands gerade zum Ziel hat, die Befugnisse zu definieren, die von den Vorschriften des Vertrages unberührt bleiben müssen, führt es natürlich unmittelbar zu Problemen, wenn man annehmen wollte, daß es möglich sein soll, nach Artikel 86 in Befugnisse einzugreifen, die von dem spezifischen Gegenstand umfaßt werden" („Magill" Slg.1995,1-760 Tz. 45). Gulmann löst diesen Konflikt mit einer Relativierung der Lehre vom spezifischen Gegenstand. Auch im Zusammenhang mit den Grundfreiheiten sei diese Lehre nicht im Sinn einer absoluten Anwendungssperre zu verstehen. Unter besonderen U m ständen könne auch hier ein Verstoß gegen die Warenverkehrsfreiheit zu bejahen sein, obwohl die betreffende Verhaltensweise unter den spezifischen Gegenstand des Schutzrechts falle. S. näher hierzu unten S. 485 ff. 1046 Der Gerichtshof ging in seiner Rechtsmittelentscheidung zwar nicht ausdrücklich auf die Lehre vom spezifischen Gegenstand im Zusammenhang mit Art. 82 EGV ein, referierte aber die Anwendung dieser Lehre durch das Gericht erster Instanz und konnte darin keinen Rechtsverstoß erblicken, s. E u G H , 6.4.1995, RTE und ITP/Kommission („Magill"), Verb. Rs. C-241/91 P und C-242/91 P, Slg. 1995, 1-743 (1-816 f. Tz. 26-28,1-822 ff. Tz. 48 ff., insbesondere Tz. 57 f.). A m deutlichsten kommt die Relativität der Lehre vom spezifischen Gegenstand im Standpunkt der Kommission, referiert durch Generalanwalt Gulmann („Magill" Slg.1995, 1-759 Tz. 42) zum Ausdruck: „Die Kommission macht geltend, die Ausübung von Befugnissen, die vom spezifischen Gegenstand des Urheberrechts umfaßt werden, könne gegen Artikel 86 verstoßen, wenn sie unter besonderen Umständen erfolge. Der spezifische Gegenstand des Urheberrechts sei nicht unantastbar, und sie könne nicht allein deshalb daran gehindert werden, gegen den Mißbrauch einer beherrschenden Stellung vorzugehen, weil das für diesen Mißbrauch verwendete Mittel ein Immaterialgüterrecht sei." In der Sache entspricht das Urteil des Gerichtshofs dieser Position - mit dem Zusatz, dass die „besonderen Umstände" im „Magill"-Fall jenseits der klassischen Missbrauchsformen liegen, s. dazu unten S. 481 ff. 1047 Art. 82 EGV e j n e Kontrolle „in vollem Umfang" auch Chr. Jung, in Grabitz/Hilf Rdnr. 196. 1048 S. dazu näher unten S. 481.
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4. Teil: Europäisches
Recht
wendung von Art. 82 EGV auf diese Rechte nicht entgegensteht, ist folgende Schlussfolgerung zu ziehen: Art. 82 EGV ist gleichermaßen auf Marktbeherrschungen anwendbar, die durch Rechte des geistigen Eigentums vermittelt werden, wie auf Marktbeherrschungen, die aus anderen Umständen resultieren. Hieraus folgt, dass der allgemeine Missbrauchsbegriffs des Gerichtshofs 1049 sowie die allgemeine Fallgruppenbildung im Zusammenhang hiermit auch für Fälle heranzuziehen ist, in denen die Marktbeherrschung ganz wesentlich auf Immaterialgüterrechte zurückzuführen ist. 1050 Es ist demnach zwischen Fällen des Ausbeutungs- (c), Behinderungs- (d) und Strukturmissbrauchs (f) zu unterscheiden. 1051 Auch die in Art. 82 EGV ausdrücklich aufgeführten Regelbeispiele lassen sich diesen Fallgruppen zuordnen. c)
Ausbeutungsmissbrauch
U m Ausbeutungsmissbrauch handelt es sich dann, wenn die marktbeherrschende Stellung dazu eingesetzt wird, überhöhte Preise oder Konditionen zu erzielen. Diese Form des Missbrauchs ist in Art. 82 a) EGV ausdrücklich aufgeführt. Danach kann ein Missbrauch insbesondere in „der unmittelbaren oder mittelbaren Erzwingung von unangemessenen Einkaufs- oder Verkaufspreisen oder sonstigen Geschäftsbedingungen", also in einem Preis- (1) oder einem Konditionenmissbrauch (2) bestehen. Überhöhte Preise dienen allerdings nicht immer der Ausbeutung: Sie können auch dazu eingesetzt werden, Mitbewerber zu behindern. Der Prototyp der Behinderung auf der Ebene des Preises besteht zwar in der Stellung zu niedriger Preise, nämlich der Kampfpreisunterbietung in Verdrängungsabsicht. 1052 Gerade auf dem Gebiet des gewerblichen Rechtsschutzes kann die Behinderung von 1049
Hierzu s. oben S. 445 ff. Vgl. H. Ullrich, in I / M EG-Wettbewerbsrecht, Bd. I, S. 1255 f. Rdnr. 41: „Weil es [seil. das Ausschließlichkeitsrecht] nicht selbst weitergehenden Ausschluß von Wettbewerb verbürgen, sondern schlicht als Mittel wettbewerblichen Handelns dienen soll, vermag es infolgedessen zum anderen niemals Verhalten zu rechtfertigen, das Unternehmen in marktbeherrschender Stellung eben wegen dieser Stellung ohnehin untersagt ist. Mithin gelten die allgemeinen Tatbestände des Marktstruktur-, Ausbeutungs- und des Behinderungsmißbrauchs, die in der vorstehenden Mißbrauchsdefinition des E u G H angelegt sind, im Grundsatz uneingeschränkt" (Hervorhebungen im Original). 1051 V. Emmerich, Kartellrecht, 9. Aufl. 2001, S. 436. Überblick über Missbräuche im Z u sammenhang mit Rechten des geistigen Eigentums bei Ritter/Braun/Rawlinson, EEC Competition Law, 1991, S. 544 ff. 1052 Preisunterbietungen waren ein Ausschnitt aus dem „Tetra Pak II"-Verfahren (zu den anderen Aspekten dieses Verfahrens s.u. S. 477 f.). Tetra Pak begnügte sich in den Ländern, in denen starke Konkurrenz auf dem Markt f ü r einfache Getränkeverpackungen bestand, mit Preisen, die 50 % unter den Preisen lagen, die das Unternehmen in anderen EG-Staaten durchsetzte. In der Frage, wann die Freiheit der Preisbildung in eine missbräuchliche Verdrängungsunterbietung umschlage, bestätigte der Gerichtshof unter Verweis auf die „ A K Z O " - E n t s c h e i dung ( E u G H , 3.7.1991, A K Z O / K o m m i s s i o n , Rs. C-62/86, Slg. 1991, 1-3359) die Statthaftigkeit zweier verschiedener Untersuchungsmethoden: 1050
C. Immaterialgüterschutz
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Kartellrecht
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Mitbewerbern aber auch durch zu hohe Preise erfolgen. Dies ist der Fall, wenn Konkurrenten auf die Lizenzierung von Schutzrechten angewiesen sind, und für die Lizenzen überhöhte Preise verlangt werden. Solche Fälle sind der Fallgruppe des Behinderungsmissbrauchs zuzuweisen und in diesem Zusammenhang (unten d) zu behandeln. (1) Preismissbrauch Durch eine Preiskontrolle über Marktbeherrscher sollen vor- und nachgelagerte Wirtschaftsstufen sowie die Verbraucher vor Ausplünderung geschützt werden. Da die Lehre vom iustum pretium1053 in der Marktwirtschaft durch das Zusammenspiel von Angebot und Nachfrage abgelöst wurde, bereitet die Feststellung unangemessener Preise naturgemäß große Schwierigkeiten. 1054 Der „Erstens sind Preise, die unter den durchschnittlichen variablen Kosten liegen, stets als mißbräuchlich anzusehen. In diesem Fall ist kein anderes wirtschaftliches Ziel als die Ausschaltung eines Konkurrenten denkbar, da jede hergestellte und verkaufte Einheit dem Unternehmen einen Verlust bringt. Zweitens sind Preise, die unter den durchschnittlichen Gesamtkosten, jedoch über den durchschnittlichen variablen Kosten liegen, nur dann als mißbräuchlich anzusehen, wenn eine Verdrängungsabsicht nachgewiesen werden kann" (EuGH, „Tetra Pak II", Slg. 1996,1-5951,1-6012 Tz. 41; s. hierzu Ph. Andrews, ECLR 1998,176,179 f.). Es ist nicht erforderlich, dass zusätzlich zu diesen Kriterien der Nachweis erbracht wird, dass das marktbeherrschende Unternehmen später, nämlich nach erfolgreicher Verdrängung der Wettbewerber, eine wirkliche Chance hat, seine durch die Niedrigpreise erlittenen Verluste auszugleichen. Entscheidend ist, dass durch die Preisunterbietung die Gefahr einer Ausschaltung von Konkurrenten besteht (EuGH, „Tetra Pak II", Slg. 1996,1-6013 Tz. 44). Präzisierungen zur Problematik von Verlustpreisen im Zusammenhang mit Immaterialgüterrechten finden sich bei M. Meinhardt (oben Fn. 1027), S. 65 ff. Zum Areeda-Turner test im amerikanischen Recht s. bereits oben S. 116 Fn. 355. 1053 S. hierzu R. Zimmermann, The Law of Obligations - Roman Foundations of the Civilian Tradition, 1993, S. 255 ff.: Im römischen Recht herrschte Preisfreiheit bis zu den Grenzen der bona fides. Die preisbegrenzende Lehre vom iustum pretium wurde erst im kanonischen Recht entwickelt, s. U. Wesel, Geschichte des Rechts, 1997, S. 381. 1054 Da staatliche Preiskontrolle den marktwirtschaftlichen Preismechanismus außer Funktion setzt, gerät die kartellrechtliche Preisaufsicht in den stärksten Gegensatz zum Grundprinzip der Wettbewerbsordnung. Dies ist der Grund dafür, dass man in Transformationsstaaten große Schwierigkeiten bei der Erstreckung des Missbrauchsverbots auf die Preisgestaltung hat. Zu stark ist die Ähnlichkeit mit der zentralen Festsetzung der Preise in den Zeiten der Planwirtschaft. Die Erkenntnis, dass die Ausnutzung wettbewerblich nicht kontrollierter Spielräume durch den Missbrauch marktbeherrschender Stellungen sich gerade auch auf den wichtigsten Wettbewerbsparameter, nämlich den Preis beziehen kann, bedarf hier verstärkter Überzeugungsarbeit. Diese wird nicht gerade dadurch erleichtert, dass selbst in etablierten Kartellrechtsordnungen große Unsicherheiten über die Modalitäten kartellrechtlicher Preiskontrolle bestehen. Näher zu diesem Problemkreis Heinemann/Gehhardt, Wettbewerbsrecht in Transformationsstaaten am Beispiel der Mongolei, ZVglRWiss 98 (1999) 74 (95 f.). Das US-amerikanische Antitrust-Recht kennt beispielsweise - zumindest für patentgeschützte Erzeugnisse - keine Preiskontrolle, s. E. Fox, Trade, Competition, and Intellectual Property - TRIPS and its Antitrust Counterparts, Vanderbilt Journal of Transnational Law 1996, 481 (487) unter Hinweis auf Berkey Photo, Inc. v. Eastman Kodak Co., 603 F.2d 263 (2d Cir. 1979), cert. denied, 444 U.S. 1093 (1980). Wenn zu hohe Preise allerdings nicht der Ausbeutung, sondern der Abschreckung dienen, können sich unter dem Gesichtspunkt der unbe-
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Recht
Gerichtshof zieht als Hilfsmittel zur Bestimmung unangemessener Preise das Konzept der Gewinnbegrenzung und das räumliche, sachliche oder zeitliche Vergleichsmarktkonzept heran. 1 0 5 5 Die Schwierigkeiten kartellrechtlicher Preiskontrolle sind allgemeiner Natur, treten aber in Fällen mit Bezug zum Recht des geistigen Eigentums in verschärfter Form auf. 1 0 5 6 Schließlich impliziert die Gewährung eines Ausschließlichkeitsrechts, dass größere Spielräume bei der Preisgestaltung bestehen. Der Gerichtshof tastete sich denn auch nur langsam zu konkreteren Vorgaben vor. Er beschränkte sich zunächst in rein negativer Hinsicht auf die Beschreibung von Umständen, die zur Annahme eines Preismissbrauchs nicht ausreichen. a) „Parke, Davis & C o . " In „Parke, Davis & C o . " 1 0 5 7 deutete er zwar die Möglichkeit an, dass der Verkaufspreis eines patentrechtlich geschützten Erzeugnisses als Merkmal für das Vorliegen einer missbräuchlichen Ausnutzung herangezogen werden könne. Doch liege ein Missbrauch nicht notwendigerweise schon deswegen vor, weil der Preis des geschützten Erzeugnisses höher sei als der eines ähnliches Erzeugnisses, das aus einem Land importiert wird, das Patentschutz für solche Produkte nicht kennt. 1 0 5 8 ß) „Sirena/Eda" Auf dieser Linie liegt auch die Entscheidung „Sirena/Eda" 1 0 5 9 . Der Fall betraf in erster Linie das Problem der Marktabschottung durch die getrennt nach Mitgliedstaaten erfolgende Übertragung von Warenzeichen an voneinander unabhängige Unternehmen. 1 0 6 0 Daneben wurde aber auch in Hinblick auf Art. 82 E G V die Frage gestellt, ob die vom Markeninhaber in einem Land geforderten Preise zu hoch seien. Der Gerichtshof stellte in aller Kürze fest: „Was die mißbräuchliche Ausnutzung einer beherrschenden Stellung anbelangt, so beweist der höhere Preis des Erzeugnisses für sich allein nicht notwendig einen solchen Mißbrauch, doch kann er ein entscheidendes Indiz sein, wenn er besonders hoch und sachlich nicht gerechtfertigt ist." 1 0 6 1
rechtigten Lieferverweigerung kartellrechtliche Sanktionen ergeben, s. hierzu Glazer/Lipsky, Unilateral Refusals to Deal under Section 2 of the Sherman Act, 63 Antitrust Law Journal 749, 783 Fn. 142 (1995). 1055 W. Möschel, in I / M EG-Wettbewerbsrecht, Bd. I, S. 726 f. Rdnr. 136 ff. Eingehend S. Englmann, Der Preisüberhöhungsmißbrauch nach Art. 86 S. 2 lit. a EGV, 1997. 1 0 5 6 S. M. Meinhardt (oben Fn. 1027), S. 80 ff.; St. Anderman, E C Competition Law and Intellectual Property Rights, 1998, S. 224 ff. 1 0 5 7 E u G H , 29.2.1968, Parke, Davis & Co./Probel u.a., Rs.24/67, Slg. 1968, 85. 1 0 5 8 „Parke, Davis & Co." Slg. 1968, 85 (113). 1 0 5 9 E u G H , 11.2.1971, Sirena/Eda, Rs. 40/70, Slg. 1971,69. 1 0 6 0 S. zu diesem Problemkreis bereits oben S. 315 ff. 1 0 6 1 „Sirena/Eda" Slg. 1971, 69 (84 Tz. 17).
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Kartellrecht
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Hieraus folgt zweierlei: Erstens kann auch die durch ein Warenzeichenrecht vermittelte marktbeherrschende Stellung für einen Preismissbrauch ausgenutzt werden. Zweitens sind „höhere Preise" als solche nicht bereits als Missbrauch zu qualifizieren. Weiter ist erforderlich, dass diese Preise „besonders h o c h " und „sachlich nicht gerechtfertigt" sind. Für die konkrete Rechtsanwendung ist hierdurch nicht viel gewonnen. Zwar ergibt sich die Feststellung eines „höheren Preises" durch einen Vergleich der im Inland geforderten Preise mit den Preisen der reimportierten Produkte. Die Kriterien der besonderen H ö h e und der mangelnden sachlichen Rechtfertigung sind jedoch in höchstem Maß ausfüllungsbedürftig. 1 0 6 2 y) „Coditel I I " und „ C I C R A u.a./Renault" Eine Hilfestellung gab der Gerichtshof in der Rechtssache „Coditel H " . 1 0 6 3 Die Entscheidung betraf zwar Art. 85 E W G V , 1 0 6 4 gibt aber dennoch Hinweise auf die Ausfüllung des Missbrauchsbegriffs in Art. 86 E W G V . Das Vorliegen einer Wettbewerbsbeschränkung wurde u.a. davon abhängig gemacht, „ob unangemessen hohe Vergütungen für die getätigten Investitionen ermöglicht werd e n " . 1 0 6 5 Hier wird also das Konzept der Gewinnbegrenzung im Zusammenhang mit einem Immaterialgüterrecht angedeutet. In der Rechtssache „ C I C R A u.a./Renault" hat der Gerichtshof hinzugefügt, dass der Inhaber eines Immaterialgüterrechts (hier: eines Geschmacksmusterrechts) berechtigterweise einen Ausgleich für die Kosten beanspruchen könne, die ihm aus Anlass der Entwicklung des geschützten Musters entstanden seien. 1 0 6 6 Wird eine Preiskontrolle nach dem Konzept der Gewinnbegrenzung durchgeführt, sind also auch die Entwicklungskosten in die Gewinnberechnung einzubringen.
1062 Nahezu wortgleich ist die Entscheidung E u G H , 8.6.1971, Deutsche Grammophon/ Metro, Rs. 78/70, Slg. 1971, 487. Hier ging es um die Rechte der Hersteller von Tonträgern in Deutschland, also um ein dem Urheberrecht verwandtes Schutzrecht. Zu einem Zeitpunkt, in dem die vertikale Preisbindung von Markenwaren, also auch von Tonträgern noch möglich war, lagen die gebundenen Preise in Deutschland über dem Preis identischer reimportierter Produkte. Der Gerichtshof wiederholte die oben im Text zitierte Formulierung der „Sirena/ Eda"-Entscheidung, ohne weitere Präzisierungen hinzuzufügen („Deutsche Grammophon" Slg. 1971, 501 Tz. 19). 1 0 6 3 E u G H , 6.10.1982, Coditel/Cine-Vog Films („Coditel II"), Rs. 262/81, Slg.1982, 3381. 1 0 6 4 Dazu s. oben S. 398 ff. 1 0 6 5 „Coditel I I " Slg. 1982, 3381 (3402 Tz. 19). 1 0 6 6 E u G H , 5.10.1988, C I C R A u.a./Renault, Rs. 53/87, Slg. 1988, 6039 (6073 Tz. 17). Die Rechtssache „Renault" ist allerdings der Fallgruppe „Behinderungsmissbrauch" (unten S. 471 ff.) zuzuweisen, da unabhängige Ersatzteilhersteller in ihrer Eigenschaft als Konkurrenten von Renault ihre Benachteiligung geltend machten. Kritisch zum Nachweis unangemessen hoher Preise Th. Eilmansberger, Der Umgang marktbeherrschender Unternehmen mit Immaterialgüterrechten, EuZW 1992, 625 (626). V. Korah, An Introductory Guide to E E C Competition Law and Practice, 1995, S. 97 ff., lehnt einen „,cost plus' approach" ab.
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6) „Tournier" Das andere Hilfsmittel zur Feststellung eines Missbrauchs, also das Vergleichsmarktkonzept, und zwar in seiner räumlichen Variante, wurde in der Rechtssache „Tournier" 1 0 6 7 empfohlen. Der S A C E M (der französischen Verwertungsgesellschaft für Urheberrechte auf dem Gebiet der Musik) wurde vorgeworfen, von Diskothekenbesitzern zu hohe Nutzungsentgelte für die Aufführung geschützter Musikwerke zu verlangen. Der Gerichtshof stellte fest, dass erhebliche Tarifunterschiede zwischen den Mitgliedstaaten als Indiz für den Missbrauch einer beherrschenden Stellung anzusehen seien. Es obliege in einem solchen Fall dem betroffenen Unternehmen, die Differenz durch Ermittlung objektiver Unterschiede zwischen den Mitgliedstaaten zu rechtfertigen. 1 0 6 8 E) „Micro Leader/Kommission" Auf demselben Standpunkt steht das Gericht erster Instanz in der Rechtssache „Micro Leader/Kommission". 1 0 6 9 Microsoft ging gegen Parallelimporte französischsprachiger Software von Kanada nach Frankreich vor, die von der Gesellschaft Micro Leader Business durchgeführt wurden. 1 0 7 0 Das Gericht erster Instanz wirft der Kommission einen offensichtlichen Ermessensfehler bei der Prüfung von Art. 82 E G V vor: Da Microsoft offensichtlich unterschiedliche Preise für identische Software in Kanada und Frankreich verlangt, hätte die Kommission das Vorliegen eines Preismissbrauchs näher untersuchen müssen. 1071 y Konzept der Gewinnbegrenzung oder Vergleichsmarktkonzept? Das Vergleichsmarktkonzept scheint besser als das Konzept der Gewinnbegrenzung dazu geeignet, einen Maßstab für das Vorliegen unangemessener Preise i.S. von Art. 82 lit. a) E G V zu liefern. Die Ermittlung aller relevanten Kosten E u G H , 13.7.1989, Ministère Public/Jean-Louis Tournier, Rs. 395/87, Slg. 1989, 2521. „Tournier" Slg. 1989, 2521 (2577 Tz. 38). 1 0 6 9 EuG, 16.12.1999, Micro Leader/Kommission, T-198/98, Slg. 11-3989. 1070 Rechtmäßigkeit der Abwehrmaßnahmen als solcher stand außer Streit, da das Inverkehrbringen in Kanada nicht zur Erschöpfung urheberrechtlicher Befugnisse in der E U führt, s. hierzu oben Fn. 329. 1071 Die Segmentierung von Märkten mit anschließender Preisdifferenzierung kann nicht nur durch Schutzrechte, sondern auch durch technische Maßnahmen erreicht werden. So werden beispielsweise D V D s mit einem Regionalcode versehen, der dafür sorgt, dass D V D s , die in den U S A gekauft werden, nicht auf einem DVD-Spieler abgespielt werden können, der in Europa gekauft wurde. Die Preise für D V D s sind in der E U höher als in den USA. Die Europäische Kommission untersuchte, ob ein Kartellrechtsverstoß vorliegt, s. hierzu Wettbewerbskommissar M. Monti, 11.6.2001, Rede auf dem European Competition Day in Stockholm: „Whilst I naturally recognise the legitimate protection which is conferred by intellectual property rights, it is important that, if the complaints are confirmed on the facts, we do not permit a system which provides greater protection than the intellectual property rights themselves, where such a system could be used as a smoke-screen to allow firms to maintain artificially high prices or to deny choice to consumers." 1067 1068
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Kartellrecht
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und vor allem die Verteilung der Gemeinkosten, bzw. Deckungsbeiträge auf das betrachtete Produkt bereitet große Schwierigkeiten. 1 0 7 2 Insbesondere die Einbeziehung der Entwicklungskosten im Fall immaterialgüterrechtlich geschützter Produkte i.S. der „Renault"-Entscheidung 1 0 7 3 eröffnet neue Spielräume. Außerdem ist eine Aussage darüber zu treffen, wie hoch die Gewinnspanne des Schutzrechtsinhabers sein darf. 1074 So ist die „Renault"-Entscheidung denn auch ganz unterschiedlich interpretiert worden. A m weitesten geht die Auffassung von Beter, wonach alle Preise gerechtfertigt seien, die der Schutzrechtsinhaber unter dem Dach seiner gesetzlichen Monopolstellung auf dem Markt einspielen könne, also auch solche, die nicht durch die Berücksichtigung der Entwicklungskosten gerechtfertigt werden könnten. 1 0 7 5 Dieser Vorschlag kommt einem Verzicht auf jegliche Preiskontrolle im Fall der missbräuchlichen Ausnutzung einer immaterialgüterrechtlich vermittelten Marktbeherrschung gleich. Er gerät damit in Konflikt mit Art. 82 lit.a) EGV. Im Ergebnis wird ohne rechtliche Grundlage ein Ausnahmebereich in diese Vorschrift hineingelesen. Aber auch, wenn man Preismissbräuche im Zusammenhang mit Rechten des geistigen Eigentums den allgemeinen Regeln unterwirft, stößt die Anwendung des Konzepts der Gewinnbegrenzung schnell an die Grenzen des marktwirtschaftlichen Systems. Verglichen mit diesen Schwierigkeiten ist das Vergleichsmarktkonzept relativ einfach zu handhaben. Insbesondere das räumliche Vergleichsmarktkonzept geht von einem eher leicht feststellbaren Befund aus, nämlich von den in den verschiedenen Mitgliedstaaten für dieselben Produkte oder Dienstleistungen verlangten Preisen. Bei Unterschieden im Preisniveau ist zunächst zu klären, ob die Verhältnisse in den betrachteten Mitgliedstaaten überhaupt vergleichbar sind, bzw. ob die Preisunterschiede nicht auf objektive, nationale Besonderheiten zurückzuführen sind. Bei erheblichen Preisunterschieden liegt die Darlegungslast hierfür nach der oben angeführten „Tournier"-Entscheidung 1 0 7 6 bei dem betroffenen Unternehmen: Es hat die relevanten Unterschiede zwischen den Mitgliedstaaten als Rechtfertigung für den Preisunterschied anzuführen. Wenn diese Unterschiede tatsächlich Preisabweichungen erklären, ist deren 1072 £)er Gerichtshof hält diese Schwierigkeiten in E u G H , 14.2.1978, U n i t e d Brands/Kommission, Rs. 27/76, Slg. 1978, 207 (305 Tz. 248/257), allerdings nicht f ü r u n ü b e r w i n d b a r . 1073 S. oben Fn. 1066. G e n e r a l a n w a l t J . Mischo fordert beispielsweise z u r B e r ü c k s i c h t i g u n g der Tatsache auf, dass ein Teil der E n t w i c k l u n g s k o s t e n der musterrechtlich geschützten Karosserieteile bereits d u r c h den N e u w a g e n v e r k a u f gedeckt sei (Slg. 1988, 6065 Tz. 63). io/4 G e n e r a l a n w a l t Mischo spricht von einer „vernünftigen" G e w i n n s p a n n e ( „ R e n a u l t " , Slg. 1988, 6065 Tz. 62). 1075 F.-K. Beier, M i ß b r a u c h einer beherrschenden Stellung durch A u s ü b u n g g e w e r b l i c h e r Schutzrechte?, FS Q u a c k , 1991, S. 15 (20 Fn. 11). Beier w a r n t vor „ u n b e f r i e d i g e n d e n K a l k u l a tionen". Keinesfalls dürfe der Preis nachgeahmter Erzeugnisse als Vergleichsmaßstab herangezogen werden. 1 0 7 6 O b e n Fn. 1067.
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4. Teil: Europäisches
Recht
H ö h e zu quantifizieren. Dies geschieht durch die Bildung von Zu- und A b schlägen auf die miteinander verglichenen Preise. 1 0 7 7 Erscheint das Preisniveau in dem betrachteten Mitgliedstaat auch unter Berücksichtigung dieser Zu- und Abschläge immer noch stark überhöht, liegt ein Preismissbrauch vor. 1 0 7 8 D e r tiefere Grund für die leichtere Handhabung des Vergleichsmarktkonzepts im Gegensatz zum Konzept der Gewinnbegrenzung besteht darin, dass es den schwer bestimmbaren Begriff der Ausbeutung durch ein Diskriminierungselement konkretisiert. Nicht das Verhältnis zwischen Ausbeuter und Ausgebeutetem steht im Vordergrund; es wird vielmehr überprüft, ob von einem Geschäftspartner deutlich höhere Preise genommen werden als von einem anderen. O b dadurch die Fallgruppe des Ausbeutungsmissbrauchs verlassen wird, hängt davon ab, ob man Diskriminierungsfälle eher dem Ausbeutungsoder dem Behinderungsmissbrauch zuweist. Richtigerweise wird man diese Einordnung nach der Zielsetzung der betreffenden Strategie vorzunehmen haben. 1 0 7 9 Bei der Diskriminierung von Endverbrauchern ist zu beachten, dass Art. 82 lit.c) E G V nur Handelspartner, also andere Unternehmen erfasst. D a raus folgt aber nicht etwa, dass Endverbraucher diskriminiert werden dürften; ihr Schutz richtet sich vielmehr nach dem allgemeinen Missbrauchsverbot. 1 0 8 0 (2) Konditionenmissbrauch Der Konditionenmissbrauch wirft andere Schwierigkeiten auf als der Preismissbrauch. Hier stehen keine quantitativen Probleme im Vordergrund; vielmehr ist zu klären, unter welchen Voraussetzungen Geschäftsbedingungen als unangemessen zu gelten haben. Nicht sehr viel weiter führt die Feststellung, dass ein Missbrauch vorliegt, wenn die Geschäftsbedingungen „unbillig" sind. 1 0 8 1 Fälle offenkundiger Unbilligkeit dürften eher selten sein. Liegt kein solcher offenkundiger Fall vor, ist eine Interessenabwägung zwischen den Beteiligten vorzunehmen. 1 0 8 2 Dabei ist zu berücksichtigen, dass Marktbeherrscher stärkeren Handlungseinschränkungen unterliegen als andere Unternehmen.
1077 W. Möschel, in I / M EG-Wettbewerbsrecht, Bd. I, S. 727 Rdnr. 143 f., unter Hinweis darauf, dass in der europäischen Entscheidungspraxis kein einheitliches Konzept von Zu- und Abschlägen zu erkennen sei. 1078 Ähnlichkeit dieser Vorgehensweise zur Handhabung von § 22 G W B a.F., insbesondere im „Valium"-Fall ( B G H , 16.12.1976, W u W / E B G H 1445) ist unverkennbar. 1 0 7 9 Eine Diskriminierung kann sowohl der Behinderung als auch der Ausbeutung dienen. Bei einer Diskriminierung von Endverbrauchern wird regelmäßig Ausbeutungsmissbrauch vorliegen (W. Möschel, in I/M EG-Wettbewerbsrecht, Bd. I, S. 759 Rdnr. 241), bei der Diskriminierung von Unternehmen wird man auf den Hauptzweck der Strategie abzustellen haben. 1 0 8 0 Str.; Nachweis des Meinungsstands bei Langen/Dirksen, KartR, 9. Aufl. 2001, Art. 82 E G V Rdnr. 178. 1 0 8 1 So E u G H , 30.4.1974, Sacchi, Rs. 155/73, Slg. 1974, 409 (431 Tz. 17). 1 0 8 2 E u G H , 27.3.1974, B R T / S A B A M und Fonior („BRT II"), Rs. 127/73, Slg. 1974, 313 (316 f. Tz. 6/8).
C. Immaterialguterschutz
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Kartellrecht
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Der Gerichtshof hat in diesem Zusammenhang immanenzrechtlich gefärbte Überlegungen angestellt: Unangemessenheit liegt vor, wenn die auferlegten Bedingungen für die Erreichung des Vertragszwecks nicht unentbehrlich sind, und wenn die Freiheit der Beteiligten unbillig beeinträchtigt wird. 1 0 8 3 Eine Aussage über die Missbräuchlichkeit von Geschäftsbedingungen setzt also eine sorgfältige Analyse des Vertrags ganzen voraus einschließlich der (rechtlichen und wirtschaftlichen) Zwecke, die mit dem Vertrag verfolgt werden. In die hier anzustellenden Bewertungen sind auch die Listen der Gruppenfreistellungsverordnungen einzubringen. Zwar ist deren direkte Wirkung auf die Aufhebung des Kartellverbots (Art. 81 Abs. 1 EGV) beschränkt. Jedoch bestehen indirekte Zusammenhänge: Die Freistellung oder die Weißlistung einer bestimmten Klausel in einer Gruppenfreistellungsverordnung bringt deren geringere Gefährlichkeit zum Ausdruck. Diese Wertung hat auch in die Frage einzufließen, ob die Vereinbarung dieser Klausel einen Missbrauch i.S. von Art. 82 EGV darstellt. 1084 Entsprechendes gilt mit umgekehrten Vorzeichen für grau- oder schwarzgelistete Klauseln. (3) Missbrauch zu Lasten von Schutzrechtsinhabern Im Vordergrund der Diskussion stehen die soeben dargestellten Fälle, in denen der Missbrauch von einem Schutzrechtsinhaber ausgeht. Hinter dieser Konstellation gerät leicht aus dem Blick, dass das Missbrauchsverbot auch dem Schutz von Immaterialgüterrechten dienen kann. Dies ist der Fall, wenn Schutzrechtsinhaber das Opfer einer missbräuchlichen Strategie werden. a ) Verwertungsgesellschaften In der Rechtsprechung stehen Fälle im Vordergrund, in denen Verwertungsgesellschaften zu Lasten der ihnen angeschlossenen Urheber Missbräuche begingen. 1085 In der Rechtssache „BRT II" stellte der Gerichtshof beispielsweise fest, dass eine Urheberrechtsverwertungsgesellschaft nach Art. 86 EWGV ihren Mitgliedern keine Verpflichtungen auferlegen darf, „die für die Erreichung des Gesellschaftszwecks nicht unentbehrlich sind und die Freiheit des Mitglieds, sein Urheberrecht auszuüben, unbillig beeinträchtigen." 1 0 8 6 Die Grenze zum Missbrauch kann insbesondere dann überschritten sein, wenn ohne Differenzierung eine obligatorische Abtretung sämtlicher gegenwärtiger und zukünfti-
„BRT II" Slg. 1974, 317 Tz. 15. Vgl. oben S. 295 ff. 1085 E.-J. Mestmäcker, Zur Rechtsstellung urheberrechtlicher Verwertunggesellschaften im europäischen Wettbewerbsrecht, FS Rittner, 1991, S. 391 ff. 1086 EuGH, 27.3.1974, BRT/SABAM und Fonior („BRT II"), Rs. 127/73, Slg. 1974, 313 (317 Tz. 15). 1083
1084
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4. Teil: Europäisches
Recht
ger Verwertungsrechte auch für einen längeren Zeitraum nach Austritt aus der Verwertungsgesellschaft vereinbart wird. 1 0 8 7 ß) Normen Ein anderes Beispiel betrifft Schutzrechte, die zur Grundlage einer technischen N o r m werden. Das zuständige Normungsgremium kann zusammen mit seinen Mitgliedern eine gemeinsame beherrschende Stellung innehaben. Das Entstehen einer „offiziellen" technischen N o r m setzt voraus, dass Inhaber von Schutzrechten, die durch die N o r m berührt werden, ihre Lizenzierungsbereitschaft erklären. 1 0 8 8 Die Lizenzierung hat auf der Grundlage angemessener Lizenzgebühren zu erfolgen. Das Normgremium und seine Mitglieder würden ihre marktbeherrschende Stellung missbrauchen, wenn sie dem Schutzrechtsinhaber zu niedrige Gebühren zahlten. 1 0 8 9 y) Einsatz von Marktmacht gegen den Vorwurf der Schutzrechtsverletzung Auch das Verbot des Behinderungsmissbrauchs kann zugunsten von Immaterialgüterrechten wirken. Deutlichstes Beispiel für einen solchen Behinderungsmissbrauch ist das Verfahren der amerikanischen Kartellbehörden gegen „Intel". 1 0 9 0 Auch nach europäischem Recht würden die Vorwürfe gegen Intel-ihre Wahrheit unterstellt - dem Missbrauchsverbot des Art. 82 EGV unterfallen. Der Einsatz wirtschaftlicher Macht, um potentielle Wettbewerber an der Verteidigung ihrer Immaterialgüterrechte zu hindern, ist als Missbrauch zu bewerten. 1091 5) Fazit Die Beispiele zeigen, dass Art. 82 EGV im Zusammenhang mit Rechten des geistigen Eigentums nicht nur dazu dient, Auswüchsen durch Schutzrechtsinhaber entgegenzuwirken; die Vorschrift zielt auch darauf ab, Missbräuche zu Lasten von Schutzrechtsinhabern zu verhindern. Auch wenn im ZusammenEbenda, Tz. 12. 1088 Näher zu den Voraussetzungen einer „offiziellen" Norm s.u. S. 519 ff. 1089 Kommission, Rechte des geistigen Eigentums und Normung, Brüssel, 27.10.1992, KOM (92) 445 endg., S. 25, Punkt 5.1.6. 1090 Zum Intel-Verfahren s.o. S. 117 ff. 1091 Etwas anderes ergibt sich auch nicht aus europäischem Lizenzkartellrecht. Zwar darf sich der Lizenzgeber gem. Art. 2 Abs. 1 Ziffer 18 GFVO Technologietransfer das Recht vorbehalten, die Ausschließlichkeit der Lizenz zu beenden sowie die Rückgewähr von Verbesserungserfindungen einzustellen, wenn der Lizenznehmer konkurrierende Patente entwickelt. Dies berechtigt einen Marktbeherrscher vor dem Hintergrund von Art. 82 EGV jedoch nicht dazu, Boykottmaßnahmen zu ergreifen. Die Bestimmungen über Nichtangriffsklauseln (Art. 2 Abs. 1 Ziffer 15, Art. 4 Abs. 2 Ziffer b) GFVO Technologietransfer) sind im Intel-Verfahren nicht einschlägig: Hier ging es nicht um das Verbot, Intel-Patente anzugreifen. Die Intel-Kunden verteidigten vielmehr ihre eigenen Patente gegenüber (angeblichen) Verletzungen durch Intel. 1087
C. Immaterialgüterschutz
und europäisches
Kartellrecht
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hang dieser Arbeit der Missbrauch von Schutzrechten im Vordergrund steht, darf nicht übersehen werden, dass Art. 82 EGV auch im Recht des geistigen Eigentums symmetrisch wirkt: Missbräuche einer marktbeherrschenden Stellung werden unterbunden, unabhängig davon, ob Rechte des geistigen Eigentums auf der Seite des Verletzers oder des Verletzten berührt sind.
d)
Behinderungsmissbrauch
Die soeben geschilderten Grundsätze des Preis- und Konditionenmissbrauchs bringen für marktbeherrschende Schutzrechtsinhaber lediglich kleinere Einschränkungen ihrer Gestaltungsspielräume. Grundsatzfragen im Verhältnis von Kartellrecht und Recht des geistigen Eigentums werden hierdurch nicht aufgeworfen. Anders verhält es sich mit der zweiten Missbrauchsart, nämlich dem Behinderungsmissbrauch. In einer Reihe von Fällen („Renault", „Volvo", „Hilti", „Tetra Pak I und II" sowie „Magill") haben Kommission und Gerichtshof das Missbrauchsverbot in seiner Ausprägung als Verbot der Behinderung von Wettbewerbern auf Immaterialgüterrechte angewendet. Wenn im vorliegenden Zusammenhang in erster Linie diejenigen Fälle behandelt werden, in denen Inhaber von Ausschließlichkeitsrechten kartellrechtlichen Beschränkungen unterworfen werden, darf doch die soeben besprochene Fallgruppe nicht übersehen werden: Wenn Schutzrechtsinhaber Opfer einer missbräuchlichen Strategie werden, können sie ihrerseits gegenüber dem Marktbeherrscher in den Genuss kartellrechtlichen Schutzes kommen. (1) „ C I C R A u.a./Renault" und „Volvo/Veng" Eine grundsätzliche Diskussion lösten die beiden Entscheidungen „Renault" 1 0 9 2 und „Volvo" 1093 aus. Gegenstand der beiden Vorabentscheidungsverfahren waren der Schutz von Kfz-Karosserieersatzteilen im nationalen Geschmacksmusterrecht. In den beiden Ausgangsverfahren standen sich jeweils Autoproduzenten und unabhängige Ersatzteilhersteller gegenüber. Der Gerichtshof hatte darüber zu entscheiden, ob nationaler Geschmacksmusterschutz für Ersatzteile mit den Vorschriften über den freien Warenverkehr und den Wettbewerbsregeln vereinbar ist. a ) Freier Warenverkehr Einen Konflikt mit der Warenverkehrsfreiheit verneinte der Gerichtshof: Die Regelung der Voraussetzungen und Modalitäten des Geschmacksmusterrechts lägen beim gegenwärtigen Stand des Geschmacksmusterrechts bei den Mitgliedstaaten. Das Verbietungsrecht bezüglich der geschützten Gegenstände gehöre zur Substanz des Geschmacksmusterrechts. Zur Substanz gehöre auch die 1092 1093
E u G H , 5.10.1988, C I C R A u.a./Renault, Rs. 53/87, Slg. 1988, 6039. E u G H , 5.10.1988, Volvo/Veng, Rs. 238/87, Slg. 1988,6211.
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4. Teil: Europäisches
Recht
f r e i e E n t s c h e i d u n g ü b e r die L i z e n z e r t e i l u n g . A u c h eine P f l i c h t z u r L i z e n z e r t e i l u n g , u n d sei es g e g e n eine a n g e m e s s e n e V e r g ü t u n g , w ü r d e d e m R e c h t s i n h a b e r die S u b s t a n z seines R e c h t s n e h m e n . 1 0 9 4 ß) M i s s b r a u c h s v e r b o t W a s A r t . 86 E W G V b e t r e f f e , so k ö n n e d e r b l o ß e E r w e r b eines G e s c h m a c k s m u s t e r r e c h t s f ü r E r s a t z t e i l e n i c h t als M i s s b r a u c h a n g e s e h e n w e r d e n . 1 0 9 5 W e g e n d e n s o e b e n g e m a c h t e n A u s f ü h r u n g e n z u r S u b s t a n z des G e s c h m a c k s m u s t e r r e c h t s k ö n n e a u c h die L i z e n z v e r w e i g e r u n g „als s o l c h e " k e i n e n M i s s b r a u c h ein e r m a r k t b e h e r r s c h e n d e n S t e l l u n g d a r s t e l l e n . 1 0 9 6 D e r G e r i c h t s h o f lässt es n i c h t bei d i e s e n F e s t s t e l l u n g e n b e w e n d e n , s o n d e r n f ü g t h i n z u : „Die Ausübung dieses ausschließlichen Rechts kann hingegen gemäß Artikel 86 verboten sein, wenn sie bei einem Unternehmen, das eine beherrschende Stellung einnimmt, zu bestimmten mißbräuchlichen Verhaltensweisen führt, etwa der willkürlichen Weigerung, unabhängige Reparaturwerkstätten mit Ersatzteilen zu beliefern, der Festsetzung unangemessener Ersatzteilpreise oder der Entscheidung, für ein bestimmtes Modell keine Ersatzteile mehr herzustellen, obwohl noch viele Fahrzeuge dieses Modells verkehren, sofern diese Verhaltensweisen geeignet sind, den Handel zwischen Mitgliedstaaten zu beeinträchtigen." 1 0 9 7 y) A n a l y s e D i e Entscheidung folgt dem üblichen R e g e l - A u s n a h m e - S c h e m a : D e r Einsatz des A u s s c h l i e ß l i c h k e i t s r e c h t s g e g e n S c h u t z v e r l e t z u n g e n ist f ü r sich b e t r a c h t e t („als s o l c h e r " ) u n b e d e n k l i c h . 1 0 9 8 E s sind a b e r K o n s t e l l a t i o n e n d e n k b a r , i n d e n e n d e r E i n s a t z des S c h u t z r e c h t s als M i s s b r a u c h e i n e r m a r k t b e h e r r s c h e n d e n Stellung angesehen werden kann.1099 Regel und Ausnahme dürfen nicht vonein„Volvo" Slg. 1988, 6235 Tz. 8. „Renault" Slg. 1988, 6072 Tz. 15. Zum Unterschied von „Erwerb" und „bloßem Erwerb" s. oben S. 457 ff. 1 0 9 6 „Volvo" Slg. 1988, 6235 Tz. 8. 1 0 9 7 „Renault" Slg. 1988, 6073 Tz. 16; „Volvo" Slg. 1988, 6235 Tz. 9. Zur Prüfung des Preismissbrauchs im Renault-Fall s. oben bei Fn. 1066. 1098 F.-K. Beier ( G R U R Int. 1994, 716, 720 und 731) entnimmt den Entscheidungen „Renault" und „Volvo" zu Recht die Aussage, dass der Musterschutz für Kfz-Karosserieteile sowohl mit der Warenverkehrsfreiheit als auch mit den Wettbewerbsregeln, insbesondere mit Art. 82 E G V vereinbar ist. Für die Frage der Zulässigkeit einer „Reparaturklausel" im europäischen Geschmacksmusterrecht (s. dazu unten S. 530 ff.) ist diese Aussage aber ohne Bedeutung: Auch eine partielle Einschränkung des Musterrechts zu Reparaturzwecken stößt auf keine europarechtlichen Bedenken, s. dazu A. Kur, G R U R Int. 1996, 876 (883 Fn. 64). 1 0 9 9 Weitere Einzelheiten der „Renault"-, bzw. „Volvo"-Entscheidung spielen gegenüber dieser zentralen Aussage eine untergeordnete Rolle. Es ist kritisiert worden, dass der relevante Markt in der Ersatzteilfrage unzutreffend bestimmt wurde, dass jedenfalls selbst bei Annahme eines eigenen Marktss für Kfz-Ersatzteile keine beherrschende Stellung vorliege (s. dazu unten S. 543 ff.), und dass die Ausführungen des Gerichtshofs zu möglicherweise missbräuchlichem Verhalten der Kfz-Hersteller reine obiter dicta seien (F.-K. Beier, Mißbrauch einer beherrschenden Stellung durch Ausübung gewerblicher Schutzrechte?, FS Quack, 1991, S. 15, 19 ff.; 1094
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Kartellrecht
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ander getrennt werden. Viele Missverständnisse beruhen darauf, dass die Argumentation entweder ganz auf die Regel oder ganz auf die Ausnahme gegründet wird. 1 1 0 0 Verabsolutiert man Regel oder Ausnahme, sind falsche Ergebnisse die Folge. Man würde beispielsweise bei isolierter Betrachtung der Regel zu der Schlussfolgerung kommen, dass die Verweigerung der Lizenzerteilung niemals als Missbrauch einer marktbeherrschenden Stellung qualifiziert werden kann. Diese Aussage trifft aber nur im Ausgangspunkt zu. Ist die Lizenzverweigerung Teil einer als missbräuchlich zu qualifizierenden Strategie, kann Art. 82 EGV sehr wohl anwendbar sein. 1101 Umgekehrt führt die Uberbetonung der Ausnahme zu unkontrollierten Einbrüchen in die Substanz des Schutzrechts. Auch hier erweist sich die Aussage als zutreffend, die bereits im Zusammenhang mit Art. 81 EGV gemacht wurde: N u r die Berücksichtigung des gesamten rechtlichen und wirtschaftlichen Zusammenhangs kann zu einer angemessenen Lösung des Konflikts von Kartellrecht und Immaterialgüterrecht führen. 1 1 0 2 Neben Orientierung im Grundsätzlichen bietet insbesondere das „Volvo" Urteil eine Entscheidungsalternative für den Fall des Preismissbrauchs an. Das Recht auf Lizenzverweigerung gehört zur Substanz des Geschmacksmusterrechts; die Lizenzverweigerung „als solche" kann also keinen Missbrauch einer marktbeherrschenden Stellung darstellen. Verlangt der Kfz-Produzent aber „unangemessene Ersatzteilpreise", so kann die Stufe des Missbrauchs erreicht sein. 1103 Auch die Nichtvergabe von Lizenzen an unabhängige Ersatzteilhersteller wird dann vom Missbrauch umfasst. Eine Pflicht zur Lizenzvergabe auf Cohen Jehoram/Mortelmans, G R U R Int. 1997, 11). Abgesehen davon, dass solche obiter dicta im Vorabentscheidungsverfahren dem vorlegenden Gericht den Weg w e i s e n w o l l e n , bleibt die H a u p t a u s s a g e der beiden Entscheidungen bestehen: Schutzrechte des geistigen Eigentums als solche sind kartellrechtsneutral, ihr Gebrauch kann aber unter bestimmten U m s t ä n d e n als M i s s b r a u c h einer m a r k t b e h e r r s c h e n d e n Stellung i.S. von Art. 82 E G V zu q u a l i f i z i e r e n sein. Ein K r i t e r i u m hierfür ist der auch von Beier akzeptierte (ebenda, S. 32) Gesichtspunkt des L e i s t u n g s w e t t b e w e r b s , s. d a z u oben S. 445 ff. 1100 I. Govaere (The U s e and A b u s e of Intellectual P r o p e r t y Rights, 1996, S. 253 ff., 267) stellt einen diametralen Gegensatz z w i s c h e n den Entscheidungen „ R e n a u l t " u n d „Volvo" auf der einen u n d „ M a g i l l " auf der anderen Seite her. Dabei folgen die genannten U r t e i l e denselben M a ß s t ä b e n , nur mit d e m Unterschied, dass in „Magill" ein M i s s b r a u c h festgestellt w i r d , w ä h rend in den Ersatzteilfällen mögliche M i s s b r ä u c h e nur in h y p o t h e t i s c h e r F o r m genannt w e r den. D i e L i z e n z v e r w e i g e r u n g ist nur „als solche" Teil des spezifischen Gegenstands des Schutzrechts. D a r a u s folgt, dass bei Vorliegen besonderer U m s t ä n d e auch die L i z e n z v e r w e i g e rung als missbräuchlich qualifiziert w e r d e n kann. In diesem Sinn auch St. Anderman, EC C o m p e t i t i o n L a w and Intellectual P r o p e r t y Rights, 1998, S. 14 f. Zur Folgerichtigkeit, aber auch zu den Besonderheiten des „ M a g i l l " - F a l l s s.u. S. 479 ff. 1101 So ist f ü r die der L i z e n z v e r w e i g e r u n g v e r w a n d t e F a l l g r u p p e der L i e f e r v e r w e i g e r u n g die M ö g l i c h k e i t eines tatbestandsmäßigen Missbrauchs anerkannt, s. hierzu W. Möschel, in I/ M E G - W e t t b e w e r b s r e c h t , Bd. I, S. 749 ff. Rdnr. 214 ff. 1 1 0 2 S. oben S. 361 f. 1 1 0 3 S. das Zitat oben bei Fn. 1097.
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der Grundlage von Art. 82 EGV ist die Folge. Die praktischen Probleme der kartellrechtlichen Preisaufsicht w e r d e n dadurch erleichtert. 1 1 0 4 (2)
„Hilti"
Gegenstand der „Hilti"-Entscheidungen von Kommission, 1 1 0 5 Gericht 1 1 0 6 und Gerichtshof 1 1 0 7 w a r eine komplexe Behinderungsstrategie, die der führende Hersteller von Bolzenschussgeräten in Bezug auf die als Zubehör erforderlichen Bolzen anwendete. 1 1 0 8 U n a b h ä n g i g e Hersteller von H i l t i - k o m p a t i b l e n Bolzen sollten am A b s a t z ihrer Erzeugnisse gehindert werden. Im vorliegenden Zusammenhang sind insbesondere zwei Verhaltensweisen von Bedeutung, die in direktem Zusammenhang mit gewerblichen Schutzrechten stehen. In Großbritannien hatte das Patentgesetz von 1977 die Schutzdauer für alle bestehenden Patente von 16 auf 20 Jahre verlängert. Für Altpatente w u r de w ä h r e n d der verlängerten Schutzdauer eine Pflicht zur Erteilung von Zwangslizenzen vorgesehen. Hilti hatte sich mit verschiedenen A r g u m e n t e n gegen die Erteilung von Zwangslizenzen auf Zubehör zu ihren Bolzenschussgeräten gewehrt. Die Kommission, bestätigt von Gericht und Gerichtshof, sah in der Vereitelung oder Verzögerung der Erteilung von Zwangslizenzen den Missbrauch einer marktbeherrschenden Stellung. 1 1 0 9 Zudem musste sich Hilti verpflichten, gegen Lizenznehmer nicht mehr aus dem Patent- oder M a r k e n recht vorzugehen. 1 1 1 0 Diese A r g u m e n t a t i o n bringt Immaterialgüterrecht und Kartellrecht in einen engen Zusammenhang. Die Verzögerung immaterialgüterrechtlich vorgesehener Verfahren z u m Nachteil anderer kann als Missbrauch einer marktbeherrschenden Stellung angesehen werden. H i e r stehen Kartellrecht u n d Immaterialgüterrecht also nicht in einem Gegensatz, sondern ergänzen einander. Immaterialgüterrechtliche Verfahren erscheinen als Leitbild; eine A b w e i c h u n g von KL. Ritter, in I/M EG-Wettbewerbsrecht, Bd. II, S. 1657 Rdnr. 43. Kommission, Entscheidung 88/138/EWG vom 22.12.1987 (IV/30.787 und 31.488 - Eurofix-Bauco/Hilti), ABl. 1988 L 65/19. 1106 EuG, 12.12.1991, Hilti/Kommission, Rs. T-30/89, Slg. 1991,11-1439. 1107 EuGH, 2.3.1994, Hilti/Kommission, Rs. C-53/92 P, Slg. 1994,1-667. 1108 Diese Behinderungsstrategie setzte sich u.a. zusammen aus Kopplungsvereinbarungen, diskriminierenden Rabattierungen, Mengenbeschränkungen und Garantieeinschränkungen bei Verwendung von Konkurrenzprodukten. Zur Marktabgrenzung im „Hilti"-Fall s. bereits oben S. 433 ff. 1109 S. z.B. EuG, „Hilti", Slg. 1991, 11-1482 f. Tz. 99. 1110 Zu der Frage, wann das systematische Bekämpfen und Bestreiten fremder Schutzrechte in einen tatbestandsmäßigen Missbrauch umschlagen kann, s. W. Möschel, in I/M EG-Wettbewerbsrecht, Bd. I, S. 757 Rdnr. 237. Ein Missbrauch kann auch darin bestehen, dass grundlos die Verletzung eigener Schutzrechte geltend gemacht wird, um den Konkurrenten systematisch zu behindern. S. zu einem solchen Fall Kommission, Entscheidung 87/500/EWG vom 29.7.1987 (IV/32.279 - BBI/Boosey & Hawkes), ABl. L 286/36 (38 Tz. 9), das allerdings nur ein Verfahren auf einstweilige Maßnahmen betraf. 1104
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Kartellrecht
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d i e s e m L e i t b i l d ist ein G e s i c h t s p u n k t , der e i n e n M i s s b r a u c h i.S. v o n A r t . 82 E G V belegen kann. A l s m i s s b r ä u c h l i c h w u r d e a u c h H i l t i s K o p p l u n g s s t r a t e g i e g e w e r t e t ( A r t . 82 B u c h s t a b e d) E G V ) . D a s U n t e r n e h m e n m a c h t e d e n V e r k a u f p a t e n t g e s c h ü t z t e r G e g e n s t ä n d e ( s o g . „ K a r t u s c h e n s t r e i f e n " ) d a v o n a b h ä n g i g , dass
gleichzeitig
B o l z e n b e z o g e n w u r d e n . 1 1 1 1 E i n e Rechtfertigung hierfür, z . B . technischer A r t w a r n i c h t e r s i c h t l i c h , so dass a u c h diese K o p p l u n g als M i s s b r a u c h i.S. v o n A r t . 82 E G V b e w e r t e t w u r d e . 1 1 1 2 S. Kommission, „Hilti", ABl. 1988 L 65/19 (36 Tz. 75). EuG, Hilti/Kommission, Slg. 1991, 11-1439 (11-1488 f. Tz. 115 ff.). S. hierzu Langen/ Dirksen, KartR, 9. Aufl. 2001, Art. 82 E G V Rdnr. 159. Kopplungsvereinbarungen können sowohl dem Ausbeutungs- als auch dem Behinderungsmissbrauch zuzuordnen sein. Die Ausbeutung bezieht sich auf den Vertragspartner, der in seiner Entscheidungsfreiheit über den Bezug der zusätzlichen Leistung beeinträchtigt wird. Die Behinderung bezieht sich auf die Konkurrenten auf dem Markt für die zusätzliche Leistung, die bei massiver Kopplung in Absatzschwierigkeiten geraten können. In den immaterialgüterrechtlich gefärbten Kopplungsfällen wie „Hilti" und „Tetra Pak II" stand jeweils der Behinderungsaspekt im Vordergrund, so dass die Kopplung im Zusammenhang dieser Arbeit beim Behinderungsmissbrauch eingeordnet wird. 1111
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Einschlägig sind hier auch die Fälle IBM sowie Microsoft. Im IBM-Fall, der im Jahr 1984 durch eine Selbstverpflichtung des Unternehmens abgeschlossen wurde, wurde nicht nur die Zurückhaltung von Schnittstelleninformationen als Missbrauch angesehen (s. dazu unten S. 517), sondern auch die Verkaufsstrategie von IBM, Prozessoren nur zusammen mit Speicherelementen („memory bundling") und Basis-Software („Software bundling") abzugeben (Kommission, Vierzehnter Bericht über die Wettbewerbspolitik 1984, 1985, Tz. 94 f.; F. Lomholt, The 1984 IBM Undertaking - Commission's Monitoring and Practical Effects, Competition Policy Newsletter 1998, Nr. 3, S. 7 ff.). Das „memory bundling" war zusätzlich dadurch abgesichert worden, dass Benutzern von nicht durch IBM gelieferten Speicherelementen die Erbringung bestimmter Softwareinstallierungsdienstleistungen verweigert worden war. Ein Verfahren der Kommission gegen Microsoft wurde durch die Verpflichtungserklärung vom 15.7.1994 beigelegt (Bull. E U 7/8-1994, S. 149 ff.), in der sich Microsoft (neben der Unterlassung zu langer Laufzeiten) dazu verpflichtete, die Vergabe von Lizenzen nicht davon abhängig zu machen, auch Lizenzen für andere Erzeugnisse von Microsoft zu erwerben. Dieses Kopplungsverbot wurde durch zahlreiche Umgehungsverbote abgesichert. Zentral war auch das Verbot von sogenannten „per-processor licenses", welche die Lizenzgebühren auf der Grundlage jedes verkauften Computers berechneten, unabhängig davon, ob auf ihm ein Microsoft-Produkt gespeichert war. Diese Berechnungsmethode sorgte dafür, dass kein Anreiz zur Benutzung fremder Software bestand (s. Tom/Newberg, Antitrust and Intellectual Property, 66 Antitrust Law Journal 167, 208 ff. (1997)). Die Verpflichtungserklärung von Microsoft gegenüber der Europäischen Kommission war im wesentlichen inhaltsgleich mit dem (am selben Tag eingereichten) consent decree gegenüber der Antitrust Division des US-Justizministeriums, s. zum amerikanischen Verfahren oben S. 109. An der Fortsetzung kartellrechtlicher Verfahren gegen Microsoft, insbesondere in der Browser-Frage (s.o. S. 110 ff.), hat sich die Europäische Kommission nur partiell beteiligt. In einem per comfort letter abgeschlossenen Verfahren hat sie darauf hingewirkt, dass die Lizenzverträge zwischen Microsoft und Internet Service Providern konkurrierende Browser nicht behindern (s. Anmeldung in ABl. 1998 C 175/4, Pressemitteilung der Europäischen Kommission IP/99/317 v. 10.5.1999, Europäische Kommission, X X I X . Bericht über die Wettbewerbspolitik 1999, 2000, Tz. 55 f.). Außerdem wird Microsoft vorgeworfen, das Unternehmen setze Windows 2000 dazu ein, auch den Soft-
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Recht
(3) „Tetra Pak I" und „Tetra Pak II" 1113 a) „Tetra Pak I" In der „Tetra Pak ¡"-Entscheidung 1 1 1 4 hatte das Gericht erster Instanz entschieden, dass schon im Erwerb einer ausschließlichen Patentlizenz unter besonderen Umständen der Missbrauch einer marktbeherrschenden Stellung liegen könne. 1115 Die Voraussetzungen hierfür sah das Gericht für gegeben an: Der Erwerb der ausschließlichen Lizenz diente dem Ziel, den bereits vorher bei 90 % liegenden Marktanteil zu perpetuieren. Die ausschließliche Lizenz hätte es dem erwerbenden Unternehmen ermöglicht, potentielle Konkurrenten auf Dauer vom Markt fernzuhalten. Der „Tetra Pak I"-Fall ist im Grenzbereich von Behinderungs- und Strukturmissbrauch angesiedelt. Zwar stand eine schutzrechtlich untermauerte Behinderungsstrategie im Mittelpunkt; der Schutzrechtserwerb war aber Teil eines Unternehmenskaufs. 1 1 1 6 Wenn dennoch der Behinderungsaspekt mehr im Vordergrund steht, liegt dies daran, dass die Unternehmensübernahme in erster Linie dem Zweck diente, die ausschließliche Lizenz über die konkurrierende Technologie zu erwerben. Zur Erörterung von Einzelheiten in diesem Zusammenhang kam das Gericht nicht mehr: Tetra Pak hatte nach der angefochtenen Kommissionsentscheidung freiwillig auf die Ausschließlichkeit der Lizenz verzichtet. 1117 ware-Markt für Internet-Server zu kontrollieren (Pressemitteilung IP/00/141 v. 10.2.2000). Der Vorwurf wurde dahingehend erweitert, dass Microsoft rechtswidrig den Media Player (Software zum Abspielen von Audio- und Video-Dateien) in Windows eingebaut habe (Pressemitteilung IP/01/1232 v. 30.8.2001). Im übrigen, insbesondere in der Frage, ob Microsoft allgemein seine beherrschende Stellung missbraucht habe, verzichtet die Kommission auf eigene Ermittlungen. Im Zuge der bilateralen Zusammenarbeit zwischen E U und USA auf dem Gebiet der Wettbewerbspolitik überlässt sie das Verfahren den amerikanischen Behörden, s. SZ v. 10.8.1998, S. 15; K. van Miert, Transatlantic Relations and Competition Policy, Competition Policy Newsletter, volume 2, no.3, 1 ff. (1996). 1113 Neben diesen beiden Verfahren existiert eine weitere „Tetra Pak"-Kommissionsentscheidung, nämlich die Entscheidung 91/535/EWG vom 19. Juli 1991 (IV/M068 - Tetra Pak/ Alfa-Laval), ABl. L 290/35, durch die der Zusammenschluss der genannten Unternehmen genehmigt wurde. 1114 Kommission, Entscheidung 88/501/EWG vom 26.7.1988 (IV/31.043 - Tetra Pak I (BTG-Lizenz)), ABl. L 272/27; EuG, 10.7.1990, Tetra Pak/Kommission, T-51/89, Slg. 1990, II309. 1115 S. hierzu bereits oben bei Fn. 1036. 1116 Q e r p a ][ W j r e heute nach Fusionskontrollrecht zu entscheiden. Der Erwerb des Unternehmens wäre ein Zusammenschluss i.S. von Art. 3 FKVO. Der mit dem Unternehmenskauf verbundene Erwerb der ausschließlichen Lizenz für eine konkurrierende Technologie würde die bereits bestehende marktbeherrschende Stellung verstärken, so dass der Zusammenschluss nach Art. 8 Abs. 3 F K V O zu untersagen wäre, wenn nicht Änderungen, Bedingungen oder Auflagen die Verstärkung der marktbeherrschenden Stellung ausschließen könnten (Art. 8 Abs. 2 FKVO). Im Tetra Pak-Fall könnte der Verzicht auf die Ausschließlichkeit der Lizenz für eine Entschärfung in diesem Sinn sorgen. 1117 S. z.B. EuG „Tetra Pak I" Slg. 1990,11-352 f. Tz. 11: Die Klage von Tetra Pak richtete sich deshalb nur noch auf die Rechtsfrage, ob Art. 86 E W G V auch dann anwendbar ist, wenn
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ß) „Tetra Pak I I " Die „Tetra Pak II"-Entscheidungen von Kommission, Gericht und Gerichtshof 1 1 1 8 haben demgegenüber konkretere Verhaltensweisen zum Gegenstand. Tetra Pak hatte auf dem Markt für aseptische Getränkeverpackungsmaschinen mit ihren patentgeschützten Maschinen einen Marktanteil von 90 % , auf dem Markt für aseptische Getränkeverpackungen (für H-Milch und Fruchtsäfte) ebenfalls einen Marktanteil von 90 % und auf dem Markt für einfache Getränkeverpackungen einen Marktanteil in Höhe von 50 % . Beim Verkauf der Verpackungsmaschinen setzte Tetra Pak verschiedene Zusatzvereinbarungen durch. So verpflichteten sich die Abnehmer u.a. dazu, das gesamte Verpakkungsmaterial für die gelieferten Maschinen ausschließlich von Tetra Pak zu beziehen und die gelieferten Maschinen nur zur Abfüllung von Tetra-Pak-Kartons zu verwenden. Außerdem betrieb Tetra Pak starke Preisdifferenzierungen in der E G : In Ländern mit starker Konkurrenz auf dem Markt für einfache Getränkeverpackungen begnügte sich Tetra Pak mit Preisen, die nur halb so hoch waren wie diejenigen Preise, die das Unternehmen in anderen EG-Staaten durchsetzte. 1 1 1 9 Der Hauptkonkurrent kam dadurch in ernste Schwierigkeiten. Die Kommission, bestätigt durch Gericht und Gerichtshof, stellte den Missbrauch einer marktbeherrschenden Stellung i.S. von Art. 82 E G V fest. Kopplungen werden bei Abwesenheit einer objektiven Rechtfertigung nach Auffassung des Gerichtshofs auch dann von Art. 82 E G V erfasst, wenn die Voraussetzungen des Regelbeispiels in Buchstabe d) nicht erfüllt sind. Kopplungsgeschäfte können also auch dann einen Missbrauch darstellen, wenn sie sachlich in Beziehung zum Vertragsgegenstand stehen oder einem Handelsbrauch entsprechen. 1 1 2 0 In die Frage der Rechtmäßigkeit eines Kopplungsgeschäfts lassen Gericht und Gerichtshof auch Gesichtspunkte des geistigen Eigentums einfließen: Die Tatsache, dass Immaterialgüterrechte der Herstellung oder dem Vertrieb des gekoppelten Gegenstands nicht entgegenstehen, wird als Argument gegen die Zulässigkeit des Kopplungsgeschäfts verwendet. 1 1 2 1 Diesem Gedanfür die in Frage stehenden Verhaltensweisen eine Freistellung vom Verbot des Art. 85 Abs. 1 E W G V existiert (zu dieser Frage s. oben S. 430 ff.). Dies hinderte das Gericht nicht an seinen grundlegenden Ausführungen über Marktbeherrschung und Missbrauch, so auch über die Frage, ob ein Missbrauch auch im Erwerb einer ausschließlichen Patentlizenz bestehen könne (Slg. 1990,11-357 f. Tz. 23). 1118 Kommission, Entscheidung 9 2 / 1 6 3 / E W G vom 24.7.1991 (IV/31.043 - Tetra Pak II), ABl. 1992 L 72/1; EuG, 6.10.1994, Tetra Pak/Kommission, T-83/91, Slg. 1994,11-755; E u G H , 14.11.1996, Tetra Pak/Kommission, C-333/94 P, Slg. 1996,1-5951. 1 1 1 9 Die derart ermäßigten Preise lagen noch unter den variablen Direktkosten des Unternehmens, s. Kommission, Tetra Pak II, ABl. 1992 L 72/1 (35 Tz. 158). Zu diesem Aspekt der „Tetra Pak II"-Entscheidung s.o. Fn. 1052. 1 1 2 0 E u G H , „Tetra Pak I I " , Slg. 1996, 1-5951 (1-6011 Tz. 37). 1 1 2 1 EuG, Slg. 1994, 11-802 f. Tz. 83; bestätigt durch E u G H , „Tetra Pak I I " , Slg. 1996, I5951 (1-6010 f. Tz. 36). Das Gericht erster Instanz zitiert die Hilti-Entscheidungen. Dort waren ganz ähnliche immaterialgüterrechtliche Erwägungen in anderem Zusammenhang he-
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4. Teil: Europäisches
Recht
ken wird man in seiner Allgemeinheit nicht zustimmen können. Es versteht sich von selbst, dass Kopplungen nur dann zulässig sein können, wenn hierdurch nicht gegen fremde Immaterialgüterrechte verstoßen wird. Dieser Gesichtspunkt kann für die Frage der Rechtmäßigkeit eines Kopplungsgeschäfts nicht entscheidend sein. Entscheidend ist vielmehr das Vorliegen einer objektiven Rechtfertigung, die überdies dem Verhältnismäßigkeitsgrundsatz unterliegt. 1122 Beispielsweise kann der Gesundheitsschutz nicht zur Rechtfertigung privater Maßnahmen in Form von Kopplungsvereinbarungen herangezogen werden, wenn Behörden oder Gerichte zur Kontrolle der angeblich gesundheitsschädlichen Konkurrenzprodukte eingeschaltet werden können. 1123 Die Tetra Pak Ii-Entscheidungen sind auch insofern bemerkenswert, als ein möglicher Gedankengang nicht angesprochen wird: Die marktbeherrschende Stellung von Tetra Pak auf den verschiedenen aseptischen und nichtaseptischen Märkten ist durch Patente abgesichert. Diese Patente werden nicht als mögliche Rechtfertigung für die verschiedenen Wettbewerbsstrategien angeführt. Diese Nichtbeachtung der Schutzrechte im Zusammenhang mit dem Missbrauchsbegriffs ist nach der hier vertretenen Auffassung zu begrüßen: Schutzrechte können bei der Frage eine Rolle spielen, ob eine marktbeherrschende Stellung besteht. 1124 Auch sind schutzrechtliche Wertungen in den Missbrauchsbegriff einzubringen, wenn ein Zusammenhang zwischen Schutzrecht und der betreffenden Verhaltensweise besteht. 1125 Sind aber allgemeine Missbrauchsstrategien wie Kopplung oder Kampfpreisunterbietung zu beurteilen, gelten die allgemeinen Missbrauchsmaßstäbe.1126 rangezogen worden, nämlich bei der Abgrenzung des relevanten Markts. Auch in diesem Zusammenhang vermochte das Argument nicht zu überzeugen, s. oben bei Fn. 941. 1122 Zu möglichen Rechtfertigungsgründen für Kopplungsverträge s. W. Möschel, in I/M EG-Wettbewerbsrecht, Bd. I, S. 747 f. Rdnr. 207. Zu nennen sind beispielsweise Gesundheitsund Verbraucherschutz, Vermeidung von Produkthaftungsfällen und Anwendungssicherheit. 1123 In diesem Sinn z.B. EuG, „Tetra Pak II", Slg. 1994,11-822 f. Tz. 138 f. 1124 Im Zusammenhang mit den aseptischen Märkten wird man die Schutzrechte aber nur aus Gründen der Vollständigkeit anführen müssen: Nahezu monopolistische Marktanteile von 90 % beweisen schon als solche die Marktbeherrschung, so dass die Absicherung durch Schutzrechte höchstens für die Frage von Bedeutung ist, wie sich der Marktanteil in der Zukunft entwickeln wird. 1125 Z.B. bei der Frage, ob ein Ausbeutungsmissbrauch in Form des Preismissbrauchs vorliegt, s.o. bei Fn. 1066. Geht man nach dem Konzept der Gewinnbegrenzung vor, hat man auch die Entwicklungskosten, die dem Schutzrecht vorausgingen, zu berücksichtigen. 1126 Umgekehrt geht es zu weit, wenn man die Existenz von Schutzrechten im Zusammenhang mit dem Missbrauchsbegriff zum Nachteil des Schutzrechtsinhabers verwendet. Die Kommission hatte in der „Tetra Pak ¡¡"-Entscheidung wie folgt argumentiert: Tetra Pak erteile prinzipiell keine Lizenzen auf ihre Patente. Das Unternehmen habe Patente nicht nur auf die Verpackungsmaschinen, sondern auch auf die Getränkeverpackungen erworben. Das Unternehmen habe ständig Änderungen selbst nebensächlicher Art patentieren lassen, so dass sich der Patentschutz immer weiter verlängert habe. Die Verknüpfung solcher an sich legitimer Strategien mit marktschließenden Vertragsklauseln verstärke die marktbeherrschende Stellung
C. Immaterialgüterschutz
und europäisches
Kartellrecht
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(4) „Magill" („Fernsehzeitschrift für Irland") D e r G e r i c h t s h o f hatte in seiner „Volvo"-Entscheidung festgestellt, dass eine Pflicht zur Lizenzerteilung, und sei es gegen eine angemessene Vergütung, in die Substanz eines Immaterialgüterrechts eingreife. 1 1 2 7 Hieraus wurde teilweise gefolgert, dass die A n w e n d u n g von Kartellrecht auf dem G e b i e t des geistigen Eigentums nicht zur A n o r d n u n g von Lizenzierungszwang führen k ö n n e . 1 1 2 8 D i e s e Auffassung übersah, dass der G e r i c h t s h o f seine Ausführungen mit einem Vorbehalt versehen hatte. D i e Lizenzverweigerung „als s o l c h e " , so der G e richtshof, k ö n n e keinen Missbrauch einer beherrschenden Stellung darstell e n . 1 1 2 9 D i e Magill-Entscheidungen von K o m m i s s i o n , 1 1 3 0 G e r i c h t erster I n stanz 1 1 3 1 und G e r i c h t s h o f 1 1 3 2 stellten klar, dass bei Vorliegen besonderer U m stände auch die Lizenzverweigerung gegen Art. 82 E G V verstoßen kann. D i e s e Aussage allein kann allerdings n o c h nicht die gewaltige R e s o n a n z erklären, die durch die Rechtssache „Magill" ausgelöst w u r d e . 1 1 3 3 D i e D i s k u s s i o n hängt viel-
und sei deshalb missbräuchlich (Kommission, Tetra Pak II, ABl. 1992 L 72/1, 36 f. Tz. 162 ff.). Dieser Argumentation kann nicht zugestimmt werden: Die Verweigerung von Lizenzen kann nur in den Ausnahmefällen des Kontrahierungszwangs (s. unten S. 495 ff.) zur Begründung eines Missbrauchs herangezogen werden. Auch der Erwerb von Schutzrechten ist zwar nach den Ausführungen oben S. 459 nicht der Anwendung von Art. 82 EGV entzogen, ist aber nur unter besonderen Umständen missbräuchlich. Ansonsten gilt: Die Existenz von Schutzrechten führt weder zur Privilegierung noch zur Benachteiligung bei der Anwendung von Art. 82 EGV. Hat ein bestimmtes Verhalten keinen Schutzrechtsbezug, so gelten die allgemeinen Maßstäbe. Die Entscheidungen des Gerichts erster Instanz und des Gerichtshofs in der Rechtssache „Tetra Pak II" zeigen, dass die allgemeinen Grundsätze zum Kopplungsmissbrauch, bzw. zur Kampfpreisunterbietung auch auf immaterialgüterrechtlich gefärbte Fälle passen. 1127 „Volvo" Slg. 1988, 6235 Tz. 8. Näher dazu oben S. 471 f. 1128 Vgl. /. Govaere, The Use and Abuse of Intellectual Property Rights, 1996, S. 255. 1129 „Volvo" Slg. 1988, 6235 Tz. 8. 1130 Kommission, Entscheidung 89/205/EWG vom 21.12.1988 (IV/31.851 - Magill TV Guide/ITP, BBC und RTE), ABl. 1989, L 78/43. 1131 Drei erstinstanzliche Entscheidungen auf Grund der getrennt eingelegten und behandelten Nichtigkeitsklagen der drei Adressaten der Kommissionsentscheidung: EuG, 10.7.1991, RTE/Kommission, Rs. T-69/89, Slg. 1991,11-485; EuG, 10.7.1991, BBC/Kommission, Rs. T-70/89, Slg.1991,11-535; EuG, 10.7.1991, ITP/Kommission, Rs. T-76/89, Slg.1991,11-575. 1132 EuGH, 6.4.1995, RTE und ITP/Kommission („Magill"), Verb. Rs. C-241/91 P und C242/91 P, Slg. 1995,1-743. Die Rechtsmittel von RTE und ITP wurden zu gemeinsamer Entscheidung verbunden; BBC hatte gegen das Urteil erster Instanz kein Rechtsmittel eingelegt. Außer den genannten Entscheidungen in der Hauptsache existiert eine Entscheidung zur Aussetzung des Vollzugs der Kommissionsentscheidung im vorläufigen Rechtsschutz, für die vor ordnungsgemäßer Konstituierung des Gerichts erster Instanz noch der Gerichtshof zuständig war: EuGH, 11.5.1989, RTE u.a./Kommission, Verb. Rs. 76, 77 und 91/89 R, Slg. 1989,1141. 1133 Th. Desurmont, RIDA, 151 (Janvier 1992), 250 ff.; C.-D. Ehlermann, EuR 1991, 307 (317 ff.); I. Forrester, Software Licensing in the Light of Current EC Compétition Law Considérations, ECLR 1992, 5 (15 ff.);/. Flynn, Intellectual Property and Anti-trust: EC Attitudes, EIPR 1992,49 ff.; A Françon, RTD com. 1992,372 ff.; M.-A. Hermitte, Guides hebdomadaires de Télévision, JDI 1992,471 ff.; C. Miller, Magill: Time to Abandon the ,Specific Subject-mat-
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4. Teil: Europäisches
Recht
mehr damit zusammen, dass die besonderen, einen Missbrauch begründenden Umstände nicht (wie z.B. in „Renault" und „Volvo" 1134 ) an konkreten missbräuchlichen Verhaltensweisen festgemacht wurden, sondern aus der spezifischen strategischen Stellung des Marktbeherrschers abgeleitet wurden. Bevor die Folgerungen hieraus gezogen werden, sollen zunächst die Grundaussagen der „Magill"-Entscheidung skizziert werden.
ter' Concept, EIPR 1994, 415; R. Myrick, Will Intellectual Property on Technology still be Viable in a Unitary Market, EIPR 1992, 298 ff.; J. Smith, Television Guides: The European Court Doesn't Know .There's So Much In It', ECLR 1992, 135 ff.; R. Subiotto, The Right to Deal with Whom One Pleases under EEC Competition Law, ECLR 1992, 234 ff.; Th. Vinje, Magill: Its Impact on the Information Technology Industry, EIPR 1992, 397 ff.; M. Waelbroeck, Annual Proceedings of the Fordham Corporate Law Institute 1991, 1992, S. I l l (134 ff.); G. Bonet, RTD eur. 1993, 525 ff.; C. Doutrelepont, Mißbräuchliche Ausübung von Urheberrechten? Bemerkungen zur Magill-Entscheidung des Gerichts 1. Instanz des Europäischen Gerichtshofs, GRUR Int. 1994, 302; E.-J. Mestmäcker, Rechtsstellung und Marktstellung der Inhaber gewerblichen und kommerziellen Eigentums, FS Kreile, 1994, S. 427 ff.; T. Skinner, The Oral Hearing of the Magill Case, ECLR 1994,103 ff.; W. Deselaers, Die „Essential Facilities"-Doktrin im Lichte des Magill-Urteils des EuGH, EuZW 1995, 563; Ebenroth/ Bohne, Gewerbliche Schutzrechte und Art. 86 EG-Vertrag nach der Magill-Entscheidung, EWS 1995, 397; Th. Jestaedt, Anmerkung zum Urteil in der Sache Magill, WuW 1995, 483; G. Bonet, RTD eur. 1995, 835; TritelUMetaxas-Maranghidis, Intellectual Property Rights versus Antitrust: Lessons from Magill, 7 No. 7 Journal of Proprietary Rights 2 (1995); Th. Vinje, The Final Word on Magill, EIPR 1995, 297 ff.; M. Vivant, La propriété intellectuelle entre abus de droit et abus de position dominante, La Semaine Juridique, Èd. G, 1995, 1.-Doctrine 3883; C. Carreau, Droit d'auteur et abus de position dominante: vers une éviction des législations nationales? (A propos de l'affaire Magill), Europe, Juillet 1995, 1; P. Crowther, Compulsory Licensing of Intellectual Property Rights, ELR 1995, 521; R. Greaves, Magill est arrivé... RTE and ITP v Commission of the European Communities, ECLR 1995, 244; M. Van Kerckhove, Magill: A Refusal to License or a Refusal to Supply, Copyright World, Issue 51, June/July 1995,26;/.-B. Blaise, RTD eur. 1996, 747;H.-P. Gotting, JZ 1996, 307 ff.; M. M ein h ardt (oben Fn. 1027), insbesondere S. 95 ff.; P. Mennicke, „Magill" - Von der Unterscheidung zwischen Bestand und Ausübung von Immaterialgüterrechten zur „essential facilities"-Doktrin in der Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshofes?, ZHR 160 (1996), 626-659; D. Ridyard, Essential Facilities and the Obligation to Supply Competitors under UK and EC Competition Law, ECLR 1996, 438, insbesondere 446 ff.; Cohen Jehoram/Mortelmans, Zur „Magill"-Entscheidung des Europäischen Gerichtshofs, GRUR Int. 1997,11; C.-D. Ehlermann, A Competition Law Approach to Global Intellectual Property and Telecommunications Market Integration, in: Abbott!Gerber, Public Policy and Global Technological Integration, 1997, S. 175 (176); F. Montag, Gewerbliche Schutzrechte, wesentliche Einrichtungen und Normung im Spannungsfeld zu Art. 86 EGV, EuZW 1997, 71 („eine der wichtigsten Entscheidungen des Gerichtshofs der vergangenen Jahre und sicher die herausragende Entscheidung der jüngsten Zeit zu Art. 86"); Vedder/Folz, 3 EJIL 508, 515 ff. (1997); St. Anderman, EC Competition Law and Intellectual Property Rights, 1998, S. 204 ff.; I. Stamatoudi, The Hidden Agenda in Magill and its Impact on New Technologies, 1 Journal of World Intellectual Property 153 ff. (1998). 1134 S. oben S. 471 ff.
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Kartellrecht
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a ) Sachverhalt Independent Television Publications (ITP) veröffentlicht im Vereinigten Königreich eine Programmzeitschrift für unabhängiges Fernsehen, die British Broadcasting Corporation ( B B C ) betreibt das öffentlich R u n d f u n k - und Fernsehprogramm im Vereinigten Königreich und Radio Telefis Eireann (RTE) ist das öffentliche Radio- und Fernsehunternehmen in der Republik Irland. Die Fernsehsendungen von B B C und RTE und der mit ITP verbundenen ITV sind fast überall in der Republik Irland und in 30 bis 40 % der Haushalte in Nordirland zu empfangen. In der entscheidungserheblichen Zeit gab es in Irland und Nordirland keine wöchentliche Programmzeitschrift, die alle empfangbaren Sender abdeckte. Jede Fernsehanstalt veröffentlichte eine eigene Programmzeitschrift, die ausschließlich ihr eigenes Programm enthielt. Gegen den A b druck der Vorschauen durch Dritte ging man unter Berufung auf Urheberrechtsschutz vor. A u f g r u n d unentgeltlicher Lizenzen wurde der Presse das Recht eingeräumt, das Fernsehprogramm des jeweiligen Tages zu veröffentlichen. Die Magill TV Guide Ltd (im folgenden: Magill) mit Sitz in Dublin versuchte, in die Marktlücke vorzustoßen und eine wöchentliche Programmzeitschrift zu veröffentlichen mit allen in Irland und Nordirland zu empfangenden Fernsehsendern. ITP, B B C und RTE erwirkten hiergegen einstweilige Verfügungen. ß) Verfahrensgang Die Kommission sah in den Praktiken der drei Gesellschaften Zuwiderhandlungen gegen Art. 86 EWG-Vertrag, „insoweit sie die Veröffentlichung und den Verkauf von umfassenden wöchentlichen Fernsehprogrammführern in Irland und Nordirland behindern." 1 1 3 5 Die Gesellschaften wurden zur Abstellung der Zuwiderhandlung verpflichtet, „indem sie sich gegenseitig und dritten Parteien auf Anfrage und auf einer nichtdiskriminierenden Basis ihre jeweiligen vorausschauenden wöchentlichen Programmlisten zur Verfügung stellen und die Veröffentlichung durch diese Parteien gestatten." Etwaige Lizenzgebühren dürften den Rahmen der Angemessenheit nicht übersteigen. 1 1 3 6 Die Nichtigkeitsklagen der drei Gesellschaften vor dem Gericht erster Instanz hatten keinen Erfolg. Die Rechtsmittel hiergegen wurden vom Gerichtshof zurückgewiesen. y) Rechtliche Würdigung Kommission und Gericht erster Instanz nahmen, bestätigt durch den Gerichtshof, eine gemeinsame beherrschende Stellung von RTE, ITP und B B C an, und zwar in Form eines faktischen 1 1 3 7 Monopols auf dem Markt für „Informa1135 1136 1137
Kommission (oben Fn. 1130), ABl. 1989, L 78/43 (51 Art. 1). Ebenda, Art. 2. Nach den allgemeinen Grundsätzen (s.o. S. 441 ff.) vermittelt nicht die Inhaberschaft
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tionen, die zur Zusammenstellung der Vorschauen der Fernsehprogramme dienen, die von den meisten Haushalten in Irland und von 30 % bis 40 % der Haushalte in Nordirland empfangen werden können." 1 1 3 8 Entscheidend für die Annahme der Marktbeherrschung war die für die drei Gesellschaften bestehende Möglichkeit, „einen wirksamen Wettbewerb auf dem Markt für Fernsehwochenzeitschriften zu verhindern." 1 1 3 9 Was das Vorliegen eines Missbrauchs betrifft, so wies der Gerichtshof zunächst alle Immunisierungsstrategien zurück. Es sei unrichtig, „daß das Verhalten eines Unternehmens mit beherrschender Stellung jeder Beurteilung anhand des Artikels 86 des Vertrages entzogen ist, sobald es Teil der Ausübung eines Rechts ist, das vom nationalen Recht als „Urheberrecht" qualifiziert wird." 1 1 4 0
Unter Verweis auf das „Volvo"-Urteil 1141 bestätigte der Gerichtshof, dass die Verweigerung einer Lizenz „als solche" keinen Missbrauch einer beherrschenden Stellung darstellen könne; die Ausübung des ausschließlichen Rechts könne jedoch „unter außergewöhnlichen Umständen" als missbräuchliches Verhalten zu bewerten sein. 1142 Der Gerichtshof sah einen Missbrauch in zweierlei Hinsicht: Zum einen liege ein Fall des Art. 86 Abs. 2 Buchstabe b) EGV (a.F.) vor: Es bestehe das Bedürfnis der Verbraucher nach einer wöchentlichen, vollständigen Programmvorschau, die einen Überblick über alle in Irland empfangbaren Programme gestatte. Die getrennten wöchentlichen Programmvorschauen der Fernsehgesellschaften sowie die Tagesprogramme der Zeitungen und Zeitschriften böten keinen ausreichenden Ersatz hierfür. Die auf nationales Urheberrecht gestützte Weigerung, die für eine wöchentliche Programmzeitschrift erforderlichen Informationen zur Verfügung zu stellen, verhindere das Auftreten eines neuen Erzeugnisses, das in dieser Form auch nicht von den Schutzrechtsinhabern angeboten werde. Diese seien „zwangsläufig die einzige Quelle an einem Immaterialgüterrecht als solche eine marktbeherrschende Stellung, sondern die tatsächlichen Einflussmöglichkeiten, die u.U. auch auf Rechten des geistigen Eigentums beruhen. S. hierzu am Beispiel des Magill-Falls K. Pilny, GRUR Int. 1995, 954 (956). 1138 Durch diese Umschreibung des Markts koppelte der Gerichtshof die marktbeherrschende Stellung vom Urheberrecht ab. Bloße Programminformationen sind auch in der common ¿zw-Tradition nicht urheberrechtlich geschützt, im Gegensatz zum körperlichen Ausdruck dieser Programminformationen in Form einer Programmliste (vgl. W.R. Cornish, Intellectual Property, 1996, S. 334 ff. Ziffer 10-08 ff. sowie unten Fn. 1168). Dadurch, dass diese nicht geschützten Programminformationen zur Grundlage des relevanten Marktss erklärt werden, wird der Zusammenhang zwischen Urheberrecht und Marktbeherrschung mediatisiert. In diesem Sinn auch J.-B. Blaise, RTD eur. 1996, 747 (749). 1139 EuGH, „Magill", Slg. 1995, 1-743 (1-822 Tz. 47); unter Verweis auf die allgemeine Definition der Marktbeherrschung in der „Michelin"-Entscheidung (s.o. Fn. 929). Zur Frage der marktbeherrschenden Stellung im „Magill"-Fall s. bereits oben Fn. 983. 1140 EuGH „Magill" Slg. 1995,1-822 Tz. 48. 1141 Oben Fn. 1093, und zwar auf Tz. 7-9. 1142 EuGH „Magill" Slg. 1995, 1-823 Tz. 49 f.
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für die Grundinformation über die Programmierung [...], die das unentbehrliche Ausgangsmaterial für die Herstellung eines wöchentlichen Fernsehprogrammführers bildeten". 1143 Für die Verweigerung der Informationen gebe es keine Rechtfertigung. 1144 Die andere, einen Missbrauch begründende Verhaltensweise bestehe darin, dass der Zugang zu den Grundinformationen, „dem unentbehrlichen Ausgangsmaterial für die Herstellung eines solchen Programmführers", dazu benutzt werde, jeden Wettbewerb auf dem abgeleiteten Markt für wöchentliche Fernsehprogrammführer auszuschließen. 1145 Nach den Grundsätzen der „Commercial Solvents"-Entscheidung sei auch hierin ein Missbrauch zu sehen. 1146 1143
E u G H „Magill" Slg. 1995,1-824 Tz. 53 f. Ebenda, Tz. 55: Die Weigerung war „weder durch die Tätigkeit der Ausstrahlung von Fernsehsendungen noch durch die der Herausgabe von Fernsehzeitschriften gerechtfertigt." Kritisch hierzu Ebenroth/Bohne, EWS 1995, 397 (403), F. Montag, E u Z W 1997, 71 (74): Der Gerichtshof scheine hier zu fordern, der Inhaber eines gewerblichen Schutzrechts müsse dessen Ausübung rechtfertigen. Dem Einwand ist zuzugestehen, dass die Prüfungsreihenfolge des Gerichtshofs wenig systematisch erscheint. Auf die Feststellung eines Missbrauchs i.S. von Art. 86 lit. b) E W G V folgt die zitierte Passage, die das Vorliegen einer Rechtfertigung verneint. Darauf folgt die Feststellung, dass durch die Erstreckung der marktbeherrschenden Stellung auf einen abgeleiteten Markt auch ein Strukturmissbrauch vorliegt. Systematischer wäre es gewesen, zunächst alle Missbrauchsformen zu prüfen, um dann auf die Frage der Rechtfertigung einzugehen. Die vom Gerichtshof gewählte Reihenfolge lässt den (falschen) Eindruck entstehen, dass nur der Art. 82 lit.b)-Missbrauch, nicht aber der Strukturmissbrauch einer Rechtfertigung zugänglich ist. Sieht man von solchen Missverständlichkeiten ab, erscheint die Vorgehensweise des Gerichtshofs konsequent: Insbesondere in der Fallgruppe „Verweigerung der Geschäftsaufnahme" stellt sich nach Feststellung eines Missbrauchs die Frage, ob ein sachlicher Grund die Geschäftsverweigerung rechtfertigt (s. hierzu P. Mennicke, Z H R 160 (1996) 626, 655 ff., die zu Recht bedauert, dass der Gerichtshof nicht näher auf die Voraussetzungen für eine solche Rechtfertigung eingegangen ist.). Ein sachlicher Grund in diesem Sinn kann auch in den vom Gerichtshof angesprochenen Branchenbesonderheiten liegen. Die N ä h e dieser Überlegung zu immanenzrechtlich gefärbten Argumentationen ist hervorzuheben, s. z.B. oben S. 399 f. 1145 „Magill" Slg. 1995,1-824 Tz. 56. Der Gerichtshof wies damit die Kritik von Generalanwalt Gulmann (Slg. 1995, 1-776 ff. Tz. 103 ff.) an der Argumentation mit dem abgeleiteten Markt zurück. Gulmann hatte eine stärkere Einbringung immaterialgüterrechtlicher Wertungen angemahnt (ebenda, insbesondere Tz. 110). Für den Gerichtshof war der strategische Einsatz der beherrschenden Stellung auf dem Markt für Programminformationen auf dem Markt für wöchentliche Programmvorschauen einer der besonderen Umstände, auf die das Missbrauchsurteil gestützt werden konnte. Zu den Unterschieden der Marktabgrenzung zwischen Gericht und Gerichtshof s. K. Pilny, G R U R Int. 1995, 954 (955 f.). Kritisch zum Vorwurf der missbräuchlichen Hebelwirkung Th. Bodewig, O n the Misuse of Intellectual Property Rights, 1995, S. 231 (248). 1146 j } e r Gerichtshof verwies auf E u G H , 6.3.1974, Commercial Solvents/Kommission, Verb. Rs. 6/73 und 7/73, Slg. 1974,223 (252 Tz. 25): Ein Unternehmen, das eine beherrschende Stellung auf einem Markt für bestimmte Rohstoffe einnahm, beschloss, die mit diesen Rohstoffen herstellbaren Derivate selbst herzustellen und stellte deshalb die Lieferungen an die ehemaligen Kunden, die bisher dieses Derivat hergestellt hatten, ein. Nach Ansicht des Gerichtshofs „mißbraucht ein Unternehmen seine marktbeherrschende Stellung im Sinne des 1144
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F ü r die Z w i s c h e n s t a a t l i c h k e i t s k l a u s e l r e i c h e die E i g n u n g z u r B e e i n t r ä c h t i g u n g des H a n d e l s z w i s c h e n d e n M i t g l i e d s t a a t e n aus. D i e s e E i g n u n g sei a n g e s i c h t s d e r T a t s a c h e zu b e j a h e n , dass d e r g e o g r a p h i s c h r e l e v a n t e M a r k t aus e i n e m M i t g l i e d s t a a t ( I r l a n d ) u n d d e m T e i l eines a n d e r e n M i t g l i e d s t a a t s ( N o r d i r l a n d ) bestehe.1147 A u c h den von den Rechtsmittelführern vorgebrachten E i n w a n d einer unzulässigen Z w a n g s l i z e n z i e r u n g v o n U r h e b e r r e c h t e n w i e s d e r G e r i c h t s h o f z u r ü c k : D i e Verpflichtung zur Abstellung von Zuwiderhandlungen nach Art. 3 der K a r t e l l v e r o r d n u n g m ü s s e d e r N a t u r der f e s t g e s t e l l t e n Z u w i d e r h a n d l u n g a n g e passt sein u n d k ö n n e s o w o h l das V e r b o t b e s t i m m t e r T ä t i g k e i t e n als a u c h die positive A n o r d n u n g b e s t i m m t e r H a n d l u n g e n u m f a s s e n . 1 1 4 8 D a hier der V e r s t o ß g e g e n A r t . 86 E G V (a.F.) in der W e i g e r u n g b e s t e h e , b e s t i m m t e I n f o r m a t i o n e n z u r V e r f ü g u n g z u stellen, stelle die V e r p f l i c h t u n g z u r I n f o r m a t i o n s h e r a u s g a b e , a l s o die Z w a n g s l i z e n z i e r u n g ( u . U . g e g e n Z a h l u n g e i n e r a n g e m e s s e n e n V e r g ü t u n g ) das e i n z i g e M i t t e l z u r A b s t e l l u n g der Z u w i d e r h a n d l u n g d a r . 1 1 4 9 (5) D i e Diskussion u m „Magill" D e r „ M a g i l l " - F a l l ist n i c h t n u r das P a r a d i g m a f ü r e i n e n k l a r e n u n d u n a b w e i s b a ren K o n f l i k t v o n I m m a t e r i a l g ü t e r r e c h t u n d d e m V e r b o t des M i s s b r a u c h s e i n e r m a r k t b e h e r r s c h e n d e n S t e l l u n g . 1 1 5 0 D e r F a l l ist a u c h eines der g a n z s e l t e n e n B e i Artikels 86, wenn es eine beherrschende Stellung auf dem Markt für Rohstoffe hat und sich in der Absicht, sich den Rohstoff für die Herstellung seiner eigenen Derivate vorzubehalten, weigert, einen Kunden, der seinerseits Hersteller dieser Derivate ist, zu beliefern, auch auf die Gefahr hin, jeglichen Wettbewerb durch diesen Kunden auszuschalten." (ebenda). Der Unterschied der „Commercial Solvents"-Entscheidung zu „Magill" liegt darin, dass im „Commercial Solvents"-Fall das nicht belieferte Unternehmen das abgeleitete Produkt bereits über einen längeren Zeitraum produzierte, und die Lieferverweigerung dadurch motiviert war, dass der Marktbeherrscher nun seinerseits das abgeleitete Produkt selbst herstellen wollte. In „Magill" hingegen existierte das abgeleitete Produkt (nämlich eine vollständige, wöchentliche Programmvorschau) noch nicht, und die gemeinsamen Marktbeherrscher planten nicht, ein solches Produkt selbst herzustellen. Das tertium comparationis beider Fälle beschränkt sich also auf den Gesichtspunkt der Lieferverweigerung trotz relativer Abhängigkeit eines Unternehmens von einem anderen, das im Besitz eines strategisch erforderlichen Produktionsfaktors ist (zum Begriff der relativen Abhängigkeit s.o. S. 437 f.). Der Gerichtshof macht in der „Magill"Entscheidung deutlich, dass es nur hierauf ankommt, nicht aber auf andere Faktoren wie z.B. die Absicht, ein ähnliches Produkt selbst herstellen zu wollen; in diesem Sinn auch P. Mennicke, Z H R 160 (1996) 626 (651 Fn. 106) mit Verweis auf Kommission, Entscheidung 92/213 vom 26.2.1992 (IV/33544 - British Midland/Aer Lingus), ABl. L 96/34 (40 Tz. 26). Sieht man den Markt für Fernsehprogrammzeitschriften als getrennten Hilfsmarkt zum Markt für die Ausstrahlung von Fernsehsendungen an, könnte man auch die „Télémarketing" Doktrin heranziehen, also das Verbot der missbräuchlichen Ausdehnung einer beherrschenden Stellung auf einen benachbarten, aber getrennten Markt (s.o. Fn. 1002). 1 1 4 7 E u G H „Magill" Slg. 1995, 1-828 Tz. 69 f. 1 1 4 8 E u G H „Magill" Slg. 1995, 1-833 f. Tz. 90. 1 1 4 9 E u G H „Magill" Slg. 1995,1-834 Tz. 91. 1 1 5 0 C. Doutrelepont ( G R U R Int. 1994, 302, 307) stellt zu Recht fest, dass der Gedankengang der „Magill"-Entscheidung (den sie selbst allerdings ablehnt, s. Fn. 1196) nicht auf das
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spiele, in denen dieser Konflikt vollständig zu Lasten des Immaterialgüterrechts aufgelöst wird: Das Urheberrecht der Fernsehgesellschaften wird durchbrochen, um dem Anliegen der Firma Magill auf Abdruck der wöchentlichen Programmvorschauen in vollem Umfang nachzukommen. 1151 Diese Maximallösung zugunsten des Wettbewerbers und zu Lasten des Urheberrechts hat zu scharfer Kritik an der Entscheidung geführt. Diese Kritik bezieht sich einerseits auf die Richtigkeit der Entscheidung in der Sache (a); andererseits wird der Versuch unternommen, die Entscheidung mit den Besonderheiten des Einzelfalls, insbesondere mit dem weiten Schutzbereich des irischen Urheberrechts zu erklären und dadurch zu relativieren (ß). a) Grundsätzliche Argumente gegen „Magill" Keine Anwendung des Missbrauchsverbots auf Schutzrechte Unzufrieden mit der aus Art. 82 E G V abgeleiteten Lizenzierungspflicht müssen zum einen diejenigen sein, die eine Anwendung der Vorschrift auf Immaterialgüterrechte grundsätzlich ablehnen. 1152 Wenn man der Auffassung ist, dass Art. 82 E G V nicht auf marktbeherrschende Stellungen passt, die im wesentlichen auf gewerblichen Schutzrechten beruhen, kommt eine auf diese Vorschrift gestützte Zwangslizenzierungspflicht nicht in Betracht. Für die pauschale Herausnahme des Immaterialgüterrechts aus dem Anwendungsbereich der Wettbewerbsregeln gibt es jedoch keine gesetzliche Grundlage. 1153 Ein kartellrechtlicher Ausnahmebereich für das Recht des geistigen Eigentums ist dem europäischen Recht unbekannt. Die Kritik an „Magill" muss deshalb auf andere Gründe gestützt werden. Unterscheidung von Bestand und Ausübung, bzw. Lehre vom spezifischen Gegenstand Eine große Zahl von Kritikern hat sich auf die Unterscheidung von Bestand und Ausübung, bzw. die Lehre vom spezifischen Gegenstand berufen. 1154 In der Tat, mit einer konsequenten Anwendung dieser Lehre ist die „Magill"-Entscheidung nicht in Übereinstimmung zu bringen. Zum spezifischen GegenUrheberrecht beschränkt ist, sondern auf die anderen Rechte des geistigen Eigentums übertragbar ist. So auch K. Pilny, G R U R Int. 1995, 954 (960); M. Vivant, La Semaine Juridique, £d. G, 1995,1.-Doctrine 3883, S. 450. 1151 Vgl. hierzu Chr. Jung, in Grabitz/Hilf Art. 82 E G V Rdnr. 215: „Ohne daß damit das Verhältnis zwischen Immaterialgüterrechtsschutz und Wettbewerbsprinzip umfassend geklärt wäre, läßt die genannte Entscheidung doch eine starke Relativierung geschützter Monopolpositionen durch das Streben nach Herstellung von Wettbewerb erkennen." 1 1 5 2 S. o. Fn. 1025. 1 1 5 3 S. o. S. 292 f. 1154 P. Crowther, E L R 1995, 521 (524 ff.); Th. Eilmansberger, EuZW 1992, 625 (632 f.); HP. Gotting,JZ 1996, 307 (308); M. Van Kerckhove, The Advocate General Delivers his Opinion on Magill, E C L R 1994, 276 (279);G. van der Wal, Article 86 EC: The Limits of Compulsory Licensing, E C L R 1994, 230 (233).
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4. Teil: Europäisches
Recht
stand des Urheberrechts gehört neben dem Recht zur Lizenzvergabe auch das Recht, sich die ausschließliche Befugnis zur Vervielfältigung des geschützten Werkes vorzubehalten, also auch das Recht, die Lizenzvergabe zu verweigern. 1 1 5 5 Die auf Art. 82 EGV gestützte Anordnung einer Lizenzpflicht muss in den derart definierten spezifischen Gegenstand des Urheberrechts eingreifen. Zieht man den Begriff des spezifischen Gegenstands als Kriterium zur Ausfüllung der Lehre von Bestand und Ausübung heran, liegt ein „Bestandsfall" vor. Die Anwendung von Art. 82 EGV muss nach diesem Ansatz ausscheiden. Etwas anderes könnte nur dann gelten, wenn die Lehre vom spezifischen Gegenstand aufgelockert wird, d.h. wenn auf einen zwingenden Automatismus zwischen spezifischem Gegenstand und Ausschluss eines Wettbewerbsverstoßes verzichtet wird. Eine solche Relativierung wird vorgenommen, wenn man eine Verhaltensweise, die innerhalb des spezifischen Gegenstands eines Schutzrechts liegt, bei Vorliegen „außergewöhnlicher Umstände" dennoch als tatbestandsmäßigen Missbrauch qualifiziert. Die Anwendung von Art. 82 EGV soll dann allerdings davon abhängen, dass die „außergewöhnlichen Umstände" außerhalb des spezifischen Gegenstands liegen. 1 1 5 6 Selbst solche Differenzierungen führen in der „Magill"-Konstellation allerdings nicht weiter: Der Fall zeichnet sich gerade dadurch aus, dass sich das Verhalten der Urheberrechtsinhaber auf die bloße Verweigerung der Lizenzierung beschränkt, ohne dass weitere Verhaltensweisen außerhalb des spezifischen Gegenstands hinzutreten, auf die der Missbrauchsvorwurf bezogen werden könnte. 1 1 5 7 Argumentation des Generalanwalts Auf dieser Linie liegt auch der Standpunkt von Generalanwalt Gulmann im „Magill"-Verfahren vor dem Gerichtshof. Einerseits versteht er die Unterscheidung von Bestand und Ausübung, ausgefüllt durch die Lehre vom spezifischen Gegenstand, nicht als absolute Sperre für die Anwendung von Art. 86 EGV 1155 S. hierzu bereits oben S. 243. Kritiker der „Magill"-Entscheidung nehmen an dieser Stelle ein distinguishing zum „Volvo"-Urteil vor. Die dort als Missbrauch qualifizierte Weigerung, Ersatzteile an unabhängige Werkstätten zu liefern, würde in der „Magill"-Konstellation der Weigerung entsprechen, die Programmzeitschriften selbst zu liefern. Die Auferlegung einer entsprechenden Pflicht würde nicht in den Bestand des Urheberrechts eingreifen. Anders verhalte es sich mit der Verweigerung der Lizenzierung: Die freie Entscheidung über die Lizenzierung gehöre zum Bestand des Rechts, in den nicht eingegriffen werden könne. Eine solche Differenzierung von Lieferverweigerung und iizenzverweigerung erscheint indessen wenig überzeugend, da die Anordnung eines Zwangs zur Lieferung von Programminformationen ohne ein damit verbundenes Recht zur Aufnahme dieser Informationen in die eigene Programmzeitschrift wirtschaftlich sinnlos wäre (zu Recht gegen solche Differenzierungen P. Mennicke, ZHR 160 (1996) 626, 642 ff mit Nachweis der Gegenmeinung). Näher zum Verhältnis von Lieferverweigerung und Lizenzverweigerung s. unten S. 495 ff. 1156 Skizzierung dieses Standpunkts bei P. Mennicke, ZHR 160 (1996) 626 (643 und 647 f.), die allerdings die Grenzen der Anwendbarkeit solcher Verfeinerungen spätestens im „Magill"Fall für erreicht ansieht. 1157 Vgl. P. Mennicke, ZHR 160 (1996) 626, 640.
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(a.F.). 1158 Andererseits hegt er dennoch Zweifel an der Anwendung von Art. 86 E G V (a.F.). In seinem Schlussantrag zum „Magill"-Rechtsmittelverfahren vor dem Gerichtshof beantragte der Generalanwalt folgerichtig, die Entscheidung der Kommission und die Urteile des Gerichts erster Instanz aufzuheben. 1 1 5 9 E r hielt die Anwendung von Art. 86 E G V (a.E) im konkreten Fall für verfehlt und stellte in den Mittelpunkt seiner Argumentation die Begriffe des spezifischen Gegenstands und der wesentlichen Funktion des Urheberrechts. Den Begriff des spezifischen Gegenstands versteht Gulmann als „eine Reihe von Kernbefugnissen [...], die dem Inhaber dieses Rechts nach nationalem Recht zustehen und deren Ausübung von den Vorschriften des EWG-Vertrags nicht berührt wird." 1 1 6 0 Das Recht, die Erteilung von Lizenzen abzulehnen, sei klar dem spezifischen Gegenstand des Rechts zuzuweisen. 1 1 6 1 Es stelle sich deshalb das Problem, ob Art. 86 E G V (a.F.) überhaupt Anwendung finden könne. Verstehe man das Konzept vom spezifischen Gegenstand als absolute Sperre für die A n wendung der Wettbewerbsregeln, sei dies nicht möglich. Eingehend untersucht Gulmann die Frage, ob die Lehre vom spezifischen Gegenstand als absolute oder als nachgiebige Ausnahme zu verstehen sei. D e r Rechtsprechung zur Warenverkehrsfreiheit, insbesondere auch zur Gegenausnahme des Art. 36 S. 2 E G V (a.F.), entnimmt er, dass Art. 30 E G V (a.F.) auf Missbräuche von Immaterialgüterrechten auch im Bereich des spezifischen G e genstands durchaus angewendet wird. Die Annahme liege nahe, dass dann auch Art. 86 E G V (a.F.) unter besonderen Umständen auf den spezifischen Gegenstand von Schutzrechten angewendet werden könne. 1 1 6 2 Außerdem sei der U n terschied zwischen den Art. 30 und 36 E G V (a.F.) einerseits und Art. 86 E G V (a.F.) andererseits zu berücksichtigen. Während sich die Warenverkehrsfreiheit 1158 EWS 1995, 397 (400), nach denen e j n £ solche Relativierung auch Ebenroth/Bohne, „der spezifische Gegenstand nicht absolut zu betrachten ist, sondern sich vielmehr aus der genauen Abwägung im Einzelfall ergibt. ... Damit wird aber der Begriff des spezifischen Gegenstandes selber zu einem relativen Begriff, welcher nicht als sakrosankter Kernbereich eines Immaterialgüterrechts anzusehen ist, sondern vielmehr selbst wieder Gegenstand einer Einschränkung sein kann." 1159 Zum Schlussantrag s. M. Van Kerckhove, The Advocat General delivers his opinion on Magill, E C L R 1994, 276 ff. 1160 Slg. 1995,1-756 Tz. 28. 1161 Slg. 1995,1-758 f. Tz. 38. Der Generalanwalt wendete sich damit gegen die Auffassung der Kommission, welche die Auffassung vertreten hatte, „daß ITP, B B C und R T E im gegenwärtigen Fall das Urheberrecht als Mittel des Mißbrauchs einsetzen, in einer Art, die nicht vom spezifischen Schutzgegenstand des Rechts am geistigen Eigentum erfaßt wird." {Kommission, Entscheidung 89/205/EWG vom 21.12.1988, Magill T V Guide/ITP, B B C und R T E , ABl. 1989, L 78/43, 50 Tz. 23). 1162 A rt _ gg E G V (a.F.) enthalte zwar keine Gegenausnahme nach Art des Art. 36 S. 2 E G V (a.F.). Der Schluss daraus auf absolute Immunität des spezifischen Gegenstands von Schutzrechten vor der Anwendung von Art. 86 E G V (a.F.) berücksichtige aber nicht die Tatsache, dass die Vorschrift des Art. 86 E G V (a.F.) als solche insgesamt auf Missbrauchsbekämpfung abziele, Generalanwalt Gulmann („Magill" Slg.1995,1-762 f. Tz. 51, insbesondere Fn. 36).
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4. Teil: Europäisches
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(über den U m w e g der nationalen Gesetzgebung) an alle Unternehmen wende, betreffe Art. 86 EGV (a.F.) nur die marktbeherrschenden Unternehmen. Marktbeherrscher unterliegen aber strengeren Regeln als die Allgemeinheit der Unternehmen: „Dies bedeutet, daß eine näher bestimmte Ausübung von Befugnissen, die grundsätzlich von dem spezifischen Gegenstand umfaßt werden, mit Artikel 86 unvereinbar sein kann, selbst wenn dasselbe Verhalten unter dem Gesichtspunkt der Artikel 30 und 36 hingenommen werden kann." 1 1 6 3
Generalanwalt Gulmann gelangt also zu der Auffassung, dass die Lehre vom spezifischen Gegenstand im Zusammenhang mit den Wettbewerbsregeln nicht dieselbe Sperrwirkung entfaltet, die dem Konzept im Zusammenhang mit den Grundfreiheiten zukommt. 1 1 6 4 Dennoch hält er die Anwendung von Art. 86 EGV (a.F.) im „Magill"-Fall für verfehlt: Eine Verpflichtung zur Lizenzerteilung stelle einen schwerwiegenden Eingriff in das Urheberrecht dar. Nur „besonders schwerwiegende und qualifizierte Wettbewerbsinteressen" könnten einen solchen Eingriff in das Urheberrecht rechtfertigen. 1 1 6 5 Solche Interessen lägen im konkreten Fall nicht vor. Die von Magill geplante vollständige Fernsehprogrammvorschau trete zu den Einzelvorschauen der Fernsehgesellschaften in Konkurrenz. Es gehöre zum Recht des Urhebers, das Auftreten eines Erzeugnisses zu verhindern, das mit Hilfe des urheberrechtlich geschützten Werkes hergestellt werde und mit den Erzeugnissen in Wettbewerb stehe, die der Rechtsinhaber selbst herstelle. 1 1 6 6 Demgegenüber könne sich das Interesse von Magill an der Herausgabe einer vollständigen wöchentlichen Programmvorschau nicht durchsetzen. 1 1 6 7 ß) „Magill": Ein „Ausreißer" der Rechtsprechung aufgrund von Besonderheiten des irischen Urheberrechts? Außer der soeben skizzierten Kritik am „Magill"-Urteil gibt es einen zweiten Argumentationsstrang, der sich nicht gegen die Richtigkeit der Entscheidung GA Gulmann, Slg. 1995,1-763 Tz. 52. S. insbesondere Tz. 53, 58, 61. Trotz der Relativierung hält Gulmann am Konzept des spezifischen Gegenstands fest, s. insbesondere Slg. 1995,1-772 Tz. 86. Der Standpunkt dieser Arbeit ist demgegenüber ein anderer: Im Rahmen der Wettbewerbsregeln (nicht dagegen im Rahmen der Grundfreiheiten) wird die Lehre vom spezifischen Gegenstand als untauglich abgelehnt, s. hierzu oben S. 321 ff. 1165 Slg. 1995,1-772 Tz. 87. 1166 Slg. 1995,1-774 f. Tz. 97. Die Aussage ist nach Auffassung des Generalanwalts umkehrbar: Wenn der Inhaber eines Urheberrechts mit Hilfe seines Urheberrechts das Auftreten eines Erzeugnisses verhindert, das zu seinem Erzeugnis nicht in Wettbewerb steht, liege der Gedanke an den Missbrauch einer beherrschenden Stellung nahe (ebenda, Tz. 96). 1167 In diesem Sinn auch Ebenroth/Bohne, EWS 1995, 397 (402): Die Verbesserung der Verbraucherstellung durch das Erscheinen eines wöchentlichen, umfassenden Fernsehprogrammführers sei „minimal", der schwerwiegende Eingriff in ein gewerbliches Schutzrecht sei dadurch nicht gerechtfertigt. 1163
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wendet, deren Tragweite aber unter Hinweis auf die Besonderheiten des Einzelfalls stark einschränkt. Anknüpfungspunkt für diese Interpretation ist die weite Fassung des irischen Urheberrechts, die erst zum Konflikt mit europäischen Kartellrecht führt. 1 1 6 8 Die bloße Zusammenstellung von Fernsehprogramminformationen würde im deutschen Urheberrecht nicht die Schutzvoraussetzung der persönlichen geistigen Schöpfung (vgl. § 2 Abs. 2 U r h G ) erfüllen. Spezialvorschriften für Datenbankwerke, bzw. ein verwandtes Schutzrecht für D a tenbankhersteller existierten zum Zeitpunkt des Falles noch nicht. 1 1 6 9 Die 1168 C. Doutrelepont ( G R U R Int. 1994, 302, 306 f.) und Cohen Jehoram/Mortelmans ( G R U R Int. 1997, 11, 12 und 15) weisen daraufhin, dass in Irland, Dänemark, Großbritannien und den Niederlanden ein solches „törichtes" Urheberrecht an Programminformationen bestehe, in den beiden zuletzt genannten Ländern gleichzeitig aber die Möglichkeit von Zwangslizenzen auf Programminformationen vorgesehen sei.
Der irische High Court hatte die Frage der Urheberrechtsfähigkeit der Programmvorschauen geprüft und bejaht. Die entscheidende Passage des von Richter Lardner stammenden High Court-Urteils vom 26.7.1989 lautet: „Ich bin der Uberzeugung, daß jedes Wochenprogramm das Ergebnis einer erheblichen vorherigen Überlegung und Arbeit sowie von Können und Urteilsvermögen ist. Es ist eine Schöpfung der R T E . . . . Aufgrund der vorgebrachten Beweise bin ich davon überzeugt, daß die wöchentlichen Programmvorschauen von R T E , wie sie im R T E Guide veröffentlicht werden, literarische Werke und Zusammenstellungen im Sinne der Sections 2 und 8 des Copyright Act 1963 sind, daß R T E nachgewiesen hat, daß sie urheberrechtlichen Schutz für diese Programmvorschauen genießt und daß die Beklagten dadurch, daß sie ihren Fernsehprogrammführer für die Woche vom 31. Mai bis zum 6. Juni 1986 veröffentlicht haben, das Urheberrecht von R T E verletzt haben, indem sie einen wesentlichen Teil des geschützten Werkes vervielfältigt haben" (zitiert nach EuG, 10.7.1991, RTE/Kommission, Rs. T-69/89, Slg.1991,11-485,11-494 f. Tz. 10; s. auch E u G , 10.7.1991, BBC/Kommission, Rs.T-70/89, Slg.1991, 11-535, 11-543 Tz. 8; EuG, 10.7.1991, ITP/Kommission, Rs.T-76/89, Slg.1991, 11-575, 11-582 f. Tz. 7). Richter Lardner prüfte auch die kartellrechtliche Frage und verneinte den Missbrauch einer marktbeherrschenden Stellung, s. hierzu Th. Keane, Irish Competition Law and the Treaty of Rome: An Overview, Copyright World, Issue 50, May 1995,16 (21). Zum Schutz bloßer Informationen (soweit sie körperlichen Ausdruck gefunden haben) in der common law-TrnA\üon s. W.R. Cornish, Intellectual Property, 1996, S. 333 Ziffer 10-05; P. Mennicke, Z H R 160 (1996) 626 (636 f.): Erforderlich sind (eine weit gefasste) Originalität und eine gewisse Investition von Zeit und/oder Geld. Leistungs- oder Schöpfungshöhe sind nicht Schutzvoraussetzung (kritisch zu diesen Merkmalen im deutschen Urheberrecht s. G. Schrikker, Abschied von der Gestaltungshöhe im Urheberrecht?, FS Kreile, 1994, S. 715 ff.; M. Rehbinder, Urheberrecht, 1996, S. 45 und 88; H. Schack, Urheber- und Urhebervertragsrecht, 2. Aufl. 2001, Rdnr. 154, der in Rdnr. 163 den Unterschied der Individualität des kontinentaleuropäischen Rechts zur Originalität des common law herausstellt). S. aber auch die Entscheidung des U.S. Supreme Court in der Rechtssache Feist Publications, Inc. v. Rural Telephone Service Co., Inc., 111 S. Ct. 1282(1991), abgedruckt in G R U R Int. 1991, 933 ff., wo einem Telephonbuch mangels einer über die alphabetische Zusammenstellung hinausgehenden Leistung der Urheberrechtsschutz versagt wurde, dazu J. Drexl, What Is Protected in a Computer Program?, 1994, S. 34 f. 1 1 6 9 Vgl. Richtlinie 9 6 / 9 / E G des Europäischen Parlaments und des Rates über den rechtlichen Schutz von Datenbanken vom 11.3.1996 (ABl. L 77/20) und die § § 4 Abs. 2, 87a-87e UrhG. S. aber auch Erwägungsgrund 45 der Datenbankrichtlinie: „In dem Recht auf Untersagung der unerlaubten Entnahme und/oder die Weiterverwendung ist in keinerlei Hinsicht eine Ausdehnung des urheberrechtlichen Schutzes auf reine Fakten oder Daten zu sehen."
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4. Teil: Europäisches
Recht
außergewöhnlichen U m s t ä n d e des „Magill"-Falls sind in zahlreichen Stellungnahmen hervorgehoben w o r d e n . 1 1 7 0 Hieraus ist gefolgert worden, dass die E n t scheidung nur begrenzt verallgemeinerungsfähig sei. D i e außergewöhnlich weit gehende A n w e n d u n g von Kartellrecht auf ein Immaterialgüterrecht sei durch die außergewöhnlich weite Fassung des U r h e b e r r e c h t s im Einzelfall zu erklären. Allgemeine Lehren seien hieraus nicht zu ziehen. 1 1 7 1 D e r G e r i c h t s h o f habe es nicht gewagt, die eigentliche Begründung für sein (richtiges) Ergebnis auszusprechen, dass nämlich die G e w ä h r u n g von U r h e b e r s c h u t z für b l o ß e P r o gramminformationen durch das nationale U r h e b e r r e c h t verfehlt sei. Ideen und I n f o r m a t i o n e n dürften generell nicht monopolisiert werden. D e r G e r i c h t s h o f hätte besser mit der fehlenden Schutzwürdigkeit von P r o g r a m m i n f o r m a t i o n e n argumentieren sollen. 1 1 7 2 B e v o r auf diese Interpretation eingegangen wird, sei darauf hingewiesen, dass die K o m m i s s i o n in den Verfahren vor G e r i c h t erster Instanz und G e r i c h t s h o f in diesem Sinn argumentiert hatte. Zwar richte sich der U r h e b e r r e c h t s schutz nach nationalem R e c h t . Nationales R e c h t , das ein U r h e b e r r e c h t an Programmvorschauen anerkenne, sei j e d o c h nicht mit Gemeinschaftsrecht vereinbar. 1 1 7 3 D e r „Wert" oder die „Fundiertheit" des U r h e b e r r e c h t s an den W o c h e n p r o g r a m m e n müsse „mit B l i c k auf die diesem R e c h t normalerweise zugeschriebenen Z w e c k e " untersucht w e r d e n . 1 1 7 4 Generalanwalt Gulmann
setzte sich mit diesem Standpunkt auseinander. E r
gestand ein, dass mit guten G r ü n d e n geltend gemacht werden könne, dass es der (minimale) Einsatz für die Ausarbeitung von Programmvorschauen rechtfertige, ein R e c h t zur Verhinderung konkurrierender
kaum
Programmzeit-
schriften zuzugestehen. D i e Zuständigkeit des nationalen Gesetzgebers zur Ausgestaltung des Immaterialgüterschutzes verbiete es aber, Werturteile über die nach nationalem R e c h t geschützten Werke zu fällen. D e r G e r i c h t s h o f dürfe den C h a r a k t e r des urheberrechtlich geschützten Werkes bei der Auslegung von
1170 Th. Eilmansberger, EuZW 1992, 623 (633);/. Flynn, EIPR 1992,49 (54); M. Van Kerckhove, ECLR 1994, 276 (279); C. Doutrelepont, GRUR Int. 1994, 302 (307): „Diese paradoxe Haltung erklärt sich zweifellos durch das Bestreben, ein als störend empfundenes Urheberrecht an Programmvorschauen zu beseitigen."; Ebenroth/Bohne, EWS 1995, 397 (404); R. Greaves ECLR 1995, 244 (247); Th. Jestaedt, WuW 1995, 483 (484 f.); M. Van Kerckhove, Copyright World, Issue 51, June/July 1995, 26 (29); H.-P. Gotting, JZ 1996, 307 (309 f.); Cohen Jehoram/Mortelmans GRUR Int. 1997, 11 (15); F. Montag, EuZW 1997, 71 (75). 1171 S. die Nachweise in Fn. 1170. 1172 H. Schack, Urheber- und Urhebervertragsrecht, 2. Aufl. 2001, Rdnr. 130 sowie Rdnr. 168, insbesondere Fn. 45. 1 , 7 3 EuG, 10.7.1991, RTE/Kommission, Rs. T-69/89, Slg.1991,11-485 (11-509 Tz. 44); EuG, 10.7.1991, BBC/Kommission, Rs. T-70/89, Slg.1991,11-535 (11-551 f. Tz. 28); EuG, 10.7.1991, ITP/Kommission, Rs. T-76/89, Slg.1991,11-575 (11-590 Tz. 27). 1174 EuG, RTE/Kommission, Slg. 1991, 11-485 (11-509 Tz. 45); EuG, BBC/Kommission, Slg. 1991,11-535 (11-552 Tz. 29); EuG, ITP/Kommission, Slg. 1991,11-575 (11-591 Tz. 28).
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Art. 86 EGV (a.F.) nicht berücksichtigen. Auch die geringe Schutzwürdigkeit der Programmvorschauen sei also kein Umstand, der einen Eingriff in die Ausübung des Urheberrechts rechtfertige. 1 1 7 5 Der Gerichtshof ging auf die Frage der Schutzwürdigkeit nicht ein. Er begnügte sich mit der Feststellung, dass die Ausübung eines ausschließlichen Rechts unter außergewöhnlichen Umständen ein missbräuchliches Verhalten darstellen könne. 1 1 7 6 Mutmaßungen über den Einfluss der großzügigen Schutzvoraussetzungen irischen Urheberrechts auf die Entscheidung des Gerichtshofs müssen deshalb spekulativer Natur bleiben. 1177 Auf die dogmatische Berechtigung solcher Argumente wird im folgenden einzugehen sein. 1178 (6) Stellungnahme Zunächst soll auf die Kritik eingegangen werden, die sich auf Grundsätzliches, nämlich auf die Unterscheidung von Bestand und Ausübung, bzw. auf die Lehre vom spezifischen Gegenstand stützt (a), bevor der Frage nachgegangen wird, ob die besonderen Umstände des „Magill"-Falls eine Verallgemeinerung der tragenden Entscheidungsgründe ausschließen (ß). Schließlich soll der Versuch einer Erklärung unternommen werden, warum der „Magill"-Fall zur umstrittensten Entscheidung im Grenzbereich von Kartellrecht und Immaterialgüterrecht geworden ist (y), bevor dem Unterschied von Lieferverweigerung und Lizenzverweigerung nachgegangen wird (6). a ) Unterscheidung von Bestand und Ausübung, bzw. Lehre vom spezifischen Gegenstand Es trifft zu, dass die „Magill"-Entscheidung mit den Grundkategorien von Bestand und Ausübung, bzw. mit der Lehre vom spezifischen Gegenstand nicht in Übereinstimmung gebracht werden kann. Das Recht, über die Vergabe von Lizenzen frei zu entscheiden, ist nach jeder möglichen Definition im spezifischen Gegenstand des Urheberrechts enthalten 1 1 7 9 und müsste bei konsequenter Handhabung von der Anwendung des Art. 82 EGV ausgenommen sein. Die „Magill"-Entscheidung ist also nur dann mit den genannten Grundkonzepten
GA Gulmann, Slg. 1995,1-781 ff. Tz. 122 ff. EuGH, Slg. 1995,1-823 Tz. 50. 1177 P. Mennicke, ZHR 160 (1996) 626 (639). 1178 S. u.S. 493 ff. 1179 K. Pilny, GRUR Int. 1995, 954 (958); Ebenroth/Bohne, EWS 1995, 397 (399). A.A. die Kommission in ihrer Magill-Entscheidung (oben Fn. 1130, ABl. 1989 L 78/50 Tz. 23): Die „Kommission ist der Auffassung, daß ITP, BBC und RTE im gegenwärtigen Fall das Urheberrecht als Mittel des Mißbrauchs einsetzen, in einer Art, die nicht vom spezifischen Schutzgegenstand des Rechts am geistigen Eigentum erfaßt wird." Eine solche Aussage ist nur möglich, wenn man die Lehre vom spezifischen Gegenstand durch den Einbau von Vorbehalten relativiert. S. hierzu sogleich im Text. 1175
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vereinbar, wenn diese durch den Vorbehalt der „außergewöhnlichen U m s t ä n d e " relativiert w e r d e n . 1 1 8 0 E i n solcher Vorbehalt raubt der L e h r e von Bestand und Ausübung, bzw. v o m spezifischen Gegenstand aber die letzte, vielleicht n o c h vorhandene Trennschärfe. 1 1 8 1 D e r Vorbehalt der
„außergewöhnlichen
U m s t ä n d e " unterstreicht die Tatsache, dass der Missbrauch von R e c h t e n nicht vor bestimmten, in ihnen enthaltenen Kernbefugnissen H a l t macht, sondern P r o d u k t der mit der jeweiligen Verhaltensweise verbundenen rechtlichen und wirtschaftlichen U m s t ä n d e ist. Gerade auch Kernbefugnisse k ö n n e n missbräuchlich eingesetzt werden. D e r Vorbehalt der „außergewöhnlichen
Um-
stände" transzendiert das K o n z e p t v o m spezifischen Gegenstand und bereitet dessen A b l ö s u n g vor. D i e s e r Schritt ist allerdings v o m G e r i c h t s h o f n o c h nicht vollzogen worden. Z w a r erwähnt der G e r i c h t s h o f die L e h r e v o m spezifischen Gegenstand nur bei der Wiedergabe der Parteivorbringen, nicht aber in seiner eigenen Argumentation. D e m Schweigen des Gerichtshofs kann aber nicht die A b k e h r von dieser L e h r e e n t n o m m e n w e r d e n . 1 1 8 2 N ä h e r liegt eine Schlussfolgerung, die bereits o b e n bei der entsprechenden P r o b l e m a t i k im Zusammenhang von Art. 81 E G V gemacht wurde: D i e L e h r e von Bestand und Ausübung, bzw. v o m spezifischen Gegenstand wird i m m e r dann bemüht, wenn ihre Voraussetzungen im k o n k r e t e n Fall nicht vorliegen, d.h. der A n w e n d u n g der Wettbewerbsregeln nichts entgegensteht. G e h t es u m Verhaltensweisen, die dem spezifischen Gegenstand des Schutzrechts zuzuweisen sind, treten die abstrakten K o n z e p t e in den Hintergrund. Stattdessen wird mit dem wirtschaftlichen und rechtlichen Zusammenhang des konkreten Falls argumentiert. 1 1 8 3 In der Sache k o m m t also die H a n d h a b u n g von A r t . 82 E G V durch den G e r i c h t s h o f der hier vertretenen Auffassung sehr nahe: D i e U n t e r scheidung von Bestand und Ausübung, bzw. die L e h r e v o m spezifischen G e genstand ist für die A n w e n d u n g des Missbrauchsverbots auf Immaterialgüterrechte irrelevant. Entscheidend sind die U m s t ä n d e des Einzelfalls. Immaterial-
1180 In diese Richtung zielt die Definition der „wesentlichen Funktion" (verstanden als anderer Ausdruck für den Begriff des spezifischen Gegenstands, s.o. S. 244 Fn. 222) des Urheberrechts durch das Gericht erster Instanz: Diese bestehe darin, „den Schutz der Rechte an dem geistigen Werk und die Vergütung der schöpferischen Tätigkeit unter Beachtung der Zwecke insbesondere des Artikels 86 sicherzustellen" (EuG, 10.7.1991, RTE/Kommission, Rs.T-69/ 89, Slg.1991, 11-485,11-519 Tz. 71; EuG, 10.7.1991, BBC/Kommission, Rs. T-70/89, Slg.1991, 11-535 11-563 Tz. 58; EuG, 10.7.1991, ITP/Kommission, Rs. T-76/89, Slg.1991,11-575,11-601 f. Tz. 56). Bereits in den Begriff des spezifischen Gegenstands (bzw. der wesentlichen Funktion) wird also der Vorbehalt des Art. 82 EGV eingebaut. Kritisch hierzu K. Pilny, GRUR Int. 1995, 954 (958) und sogleich im Text. Der Gerichtshof hat die Aufnahme von Art. 82 EGV in die Definition des spezifischen Gegenstands nicht nachvollzogen. 1181 Vgl. F. Montag, EuZW 1997, 71 (73). 1182 P. Mennicke, ZHR 160 (1996) 626 (645); anders Th. Vinje, EIPR 1995, 297 (301). 1183 S. die Analyse zu Art. 81 EGV o. S. 315 ff.
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Kartellrecht
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güterrechtliche Wertungen sind in die Abwägungsvorgänge einzubringen, die der Feststellung eines Missbrauchs zu Grunde liegen. 1 1 8 4 ß) „Magill": Singulare Entscheidung eines untypischen Sachverhalts? D e r außergewöhnliche Sachverhalt der „ M a g i l l " - E n t s c h e i d u n g steht den soeben gemachten Schlussfolgerungen nicht entgegen. E s trifft zwar zu, dass der K o n f l i k t zwischen Kartellrecht und Immaterialgüterrecht um so stärker ausfallen kann, je weiter der Schutzbereich des Immaterialgüterrechts gezogen wird. Systematisch stellen sich aber auch bei einer weiten Fassung des Schutzrechts wie hier am Beispiel des irischen Urheberrechts die gleichen Fragen. E s trifft nicht zu, dass im „ M a g i l l " - F a l l über den U m w e g des A r t . 82 E G V ein zu weit gefasstes nationales U r h e b e r r e c h t korrigiert werden sollte. Vielmehr werden an den Fall die allgemeinen Missbrauchskategorien angelegt und eine E i n s c h r ä n kung der P r o d u k t i o n zum Schaden der Verbraucher (Regelbeispiel des Art. 82 lit.b) E G V ) , sowie der Ausschluss jeden Wettbewerbs auf einem abgeleiteten M a r k t (eine seit „ C o m m e r c i a l Solvents" anerkannte Missbrauchsvariante 1 1 8 5 ) festgestellt. E i n e solche Schlussfolgerung ist auch in Fällen denkbar, die anerkannte S c h u t z o b j e k t e des U r h e b e r r e c h t s betreffen. 1 1 8 6 E s leuchtet nicht ein, warum eine im wesentlichen auf Immaterialgüterrechten beruhende Machtstellung kartellrechtlich anders behandelt werden sollte als eine durch andere F a k t o r e n bewirkte M a r k t b e h e r r s c h u n g . D i e R e d e v o n dem „extremen" Sachverhalt lenkt demgegenüber von einer zentralen E r kenntnis der Entscheidung ab: D i e G r e n z e n von Immaterialgüterrechten lassen sich nicht a u t o n o m aus den immaterialgüterrechtlichen Texten ableiten; vielmehr sind auch die R e c h t e des geistigen Eigentums in die Gesamtheit der R e c h t s o r d n u n g integriert. A u c h wenn vielen U r h e b e r r e c h t s o r d n u n g e n (im G e gensatz zu manchen Patentrechtsordnungen) das Instrument der Zwangslizenz u n b e k a n n t ist, 1 1 8 7 kann sich doch aufgrund außerschutzrechtlicher N o r m e n , Vgl. oben S. 445 ff. S . o . F n . 1146. 1186 traditionellen Schutzgegenständen des Urheberrechts ist die Missbrauchsgefahr zwar eher gering, aber nicht gänzlich ausgeschlossen. Art. 82 E G V ist immer dann einschlägig, wenn Schutz vor Machtmissbrauch dringend geboten ist, z.B. bei urheberrechtlich abgesicherten Marktbeherrschungen im Bereich von Computersoftware, s. hierzu P. Mennicke, Z H R 160 (1996) 626 (655). Hier kann es keinen Unterschied machen, ob die Marktbeherrschung eher im Bereich der Software (dann meistens Urheberrechtsschutz) oder eher im Bereich der Hardware (dann meistens Patentschutz) liegt. 1 1 8 7 Ubersicht bei P. Demaret, Patent- und Urheberrechtsschutz, Zwangslizenzen und freier Warenverkehr im Gemeinschaftsrecht, G R U R Int. 1987, 1 ff. Im deutschen Urheberrecht sieht §61 UrhG in bestimmten Fällen Zwangslizenzen zugunsten von Herstellern von Tonträgern vor. Daneben existieren Beispiele für gesetzliche Lizenzen, bei deren Vorliegen mit dem Rechtsinhaber erst gar nicht (auch nicht zwangsweise) kontrahiert werden muss, s. z.B. § 46 UrhG betreffend die Sammlungen für den Kirchen-, Schul- oder Unterrichtsgebrauch oder § 53 UrhG betreffend die Vervielfältigungen zum privaten oder sonstigen eigenen Ge1184
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4. Teil: Europäisches
Recht
wie z.B. dem Kartellrecht, eine Pflicht zur Lizenzerteilung ausnahmsweise ergeben. y) Gründe für die außergewöhnliche Resonanz der „Magill"-Entscheidung Diese Aussage leitet über zu den Gründen für das Aufsehen, das die „Magill" Entscheidung erregt hat. 1 1 8 8 Dieses Aufsehen kann letztlich nur mit den N a c h wirkungen der Inhaltstheorie erklärt werden. Dass eine Befugnis, die einem immaterialgüterrechtlichen Text zu entnehmen ist, kartellrechtlich untersagt wird, wurde als Sensation gewertet. Eine entsprechende Vorgehensweise im Zusammenhang mit dem Sacheigentum erscheint demgegenüber als selbstverständlich, wie ein Blick auf das deutsche Sachenrecht veranschaulichen mag: 1 1 8 9 D e r Sacheigentümer kann gem. § 903 S. 1 B G B „mit der Sache nach Belieben verfahren und andere von jeder Einwirkung ausschließen." Die Vorschrift nennt als Grenze der Rechtsmacht des Sacheigentümers „das Gesetz oder Rechte Dritter". D e r Unterschied zum Immaterialgüterrecht liegt darin, dass eine positive Umschreibung des SÄC^eigentums nach Art des § 903 B G B leicht fällt. Immaterialgüterrechte tun sich mangels Sachbezugs schwerer. Hier muss jedes Recht einzeln niedergeschrieben werden. Diese Festlegung einzelner aus dem Immaterialgüterrecht fließender Befugnisse führt schnell zu einer Verabsolutierung i.S. der Inhaltstheorie: Die in den immaterialgüterrechtlichen Texten festgehaltenen Befugnisse werden als sakrosankt erachtet und vor der Einwirkung der Gesamtrechtsordnung abgeschirmt. Dieser als „Immunisierung" zu beschreibende Vorgang lässt die Erkenntnis in den Hintergrund treten, dass auch das immaterielle Eigentum seine Grenzen am Gesetz und an den Rechten Dritter findet. Dass solche Grenzen im Einzelfall in die immaterialgüterrechtlichen B e fugnisse eingreifen können, hat die „MagilF'-Entscheidung am Beispiel von Art. 82 E G V eindrucksvoll bestätigt. „Magill" stellt einen Meilenstein dar auf dem Weg der Gleichstellung von Sach- und Immaterialeigentum. Die allgemeinen Regeln gelten für beide Eigentumsformen. Kontrahierungszwang ist in dem einen wie dem anderen Fall möglich. In beiden Konstellationen ist Kontrahierungszwang zwar die seltene Ausnahme. Die Voraussetzungen für diese seltene Ausnahme sind aber bei beiden Eigentumsformen gleich. 1 1 9 0
brauch, s. hierzu G. Schricker, Urheberrecht, 2. Aufl. 1999, Vor § § 28 ff. Rdnr. 114 f. Zu Plänen, Probleme der Rechtszersplitterung bei Multimediaprodukten durch die Schaffung von Zwangslizenzen oder einer Clearingstelle zu lösen, s. D. Harke, Urheberrecht, 1997, S. 43. I , 8 8 S. die rekordverdächtige, aber keineswegs Anspruch auf Vollständigkeit erhebende Aufzählung von Stellungnahmen zu den „Magill"-Entscheidungen oben Fn. 1133. 1 1 8 9 S. hierzu bereits oben S. 150 ff. I I , 0 Dieses Ergebnis mag am Beispiel der kartellrechtlichen Lieferpflicht markengeschützter Erzeugnisse veranschaulicht werden. Hier werden gleichzeitig Sach- und geistiges Eigentum berührt. In den Fällen sortimentsbedingter Abhängigkeit wird beispielsweise der Hersteller der Markenware als Inhaber einer Spitzenstellung gegenüber den Händlern kontrahierungspflichtig (der Leitfall im deutschen Recht ist „Rossignol", B G H N J W 1976, 801). Er
C. Immaterialgüterschutz
und europäisches
Kartellrecht
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6) Lieferzwang und Lizenzierungspflicht Auch wenn die Voraussetzungen für Kontrahierungszwang bei beiden Eigentumsformen gleich sind, muss eine Besonderheit im Zusammenhang mit geistigem Eigentum beachtet werden. Kontrahierungszwang ist hier in zwei Formen möglich: Erstens ist die Anordnung von Lieferzwang denkbar, also die Anordnung einer Pflicht zur Lieferung der immaterialgüterrechtlich geschützten Erzeugnisse. 1191 Zweitens ist an die Anordnung von Lizenzierungszwang zu denken, also an die Einräumung von Rechten auf die Nutzung des geschützten Gegenstands, beispielsweise auf Herstellung oder Vertrieb. 1192 Die Anordnung von Lieferzwang geht weniger weit als die Anordnung von Lizenzierungspflichten: In den Fällen des Lieferzwangs werden die geschützten Erzeugnisse vom Rechtsinhaber produziert und dann (zwangsweise) an die Opfer des Missbrauchs einer marktbeherrschenden Stellung verkauft. Bei der Anordnung eines Lizenzierungszwangs geht ein Nutzungsrecht auf den Begünstigten über. Umfasst das Nutzungsrecht neben dem Vertrieb auch die Herstellung, wird das geschützte Erzeugnis nun auch vom Opfer des Missbrauchs produziert und vertrieben. Da die Lizenzierungspflicht somit stärker in die Rechte des Schutzrechtsinhabers eingreift als der bloße Lieferzwang, sind erhöhte Anforderungen zu stellen. Eine Lizenzierungspflicht kann nur dann angeordnet werden, wenn der Missbrauch der marktbeherrschenden Stellung nicht bereits durch die Anordnung einer Lieferpflicht abgestellt werden kann. In den meisten Fällen wird eine solche Lieferpflicht ausreichen. Eine interessante Ubergangsstufe stellen die Fälle „Renault", 1 1 9 3 bzw. „Volvo" 1194 dar. Hier wurde geprüft, ob in der Lizenzverweigerung der Misswird also auf der Grundlage von Art. 82 EGV gezwungen, seine Produkte dem betreffenden Händler zu verkaufen. Die Auslegung von Art. 82 EGV in diesem Fall kann nicht davon abhängen, ob die zu liefernden Waren durch Markenrecht und/oder ein anderes Immaterialgüterrecht geschützt sind. Entscheidend für den Lieferzwang ist die sortimentsbedingte Abhängigkeit. Es ist nicht zu verkennen, dass die Lieferpflicht einen starken Eingriff in die Privatautonomie des Herstellers darstellt. Die Stärke des Eingriffs ist aber für Sach- und geistiges Eigentum gleich. Der tiefere Grund für diesen Eingriff besteht für beide Eigentumsformen gleichermaßen darin, dass „das Gesetz oder Rechte Dritter" entgegenstehen. Deshalb sind auch Argumente verfehlt, die aus der Abwesenheit einer Regelung über Zwangslizenzen im einschlägigen Immaterialgütergesetz folgern, dass ein kartellrechtlicher Kontrahierungszwang nicht möglich sei. Dies würde zu einem vollständigen Wegfall des sortimentsbedingten Kontrahierungszwangs führen, da dieser gerade auf die Besonderheiten von Markenware zugeschnitten ist. Entscheidend ist demgegenüber, dass die kartellrechtliche Norm ausnahmsweise eine Durchbrechung der vertragsrechtlichen Abschlussfreiheit fordert. Lieferverweigerungen können beim geistigen Eigentum nicht anders behandelt werden als beim Sacheigentum. 1191 Im Zusammenhang mit dem Sacheigentum ist die Anordnung von Lief erzwang die einzig relevante Form des Kontrahierungszwangs. 1192 Zu dieser Unterscheidung s. I. Govaere, The Use and Abuse of Intellectual Property Rights, 1996, S. 255 f. 1193 S. o. Fn. 1032. 1194 S. o. bei Fn. 1093.
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4. Teil: Europäisches
Recht
b r a u c h e i n e r m a r k t b e h e r r s c h e n d e n S t e l l u n g z u e r b l i c k e n sei. D i e L i z e n z v e r w e i g e r u n g „als s o l c h e " k ö n n e k e i n M i s s b r a u c h s e i n . 1 1 9 5 E t w a s a n d e r e s g e l t e , w e n n b e s t i m m t e m i s s b r ä u c h l i c h e Verhaltensweisen hinzuträten, z . B . die willkürliche Weigerung, unabhängige Reparaturwerkstätten mit Ersatzteilen zu bel i e f e r n , die F e s t s e t z u n g u n a n g e m e s s e n e r E r s a t z t e i l p r e i s e o d e r die
Entschei-
dung, f ü r ein b e s t i m m t e s M o d e l l k e i n e E r s a t z t e i l e m e h r h e r z u s t e l l e n , o b w o h l n o c h viele F a h r z e u g e dieses M o d e l l s v e r k e h r t e n . 1 1 9 6
H i e r w e r d e n also
die
N i c h t b e l i e f e r u n g , bzw. die E r z w i n g u n g m i s s b r ä u c h l i c h e r K o n d i t i o n e n i m Falle der Belieferung, z u m A n k n ü p f u n g s p u n k t eines M i s s b r a u c h s gemacht, der eine Lizenzierungspflicht auslöst. D e r G e d a n k e n g a n g erscheint ergänzungsbedürftig. Besteht der M i s s b r a u c h in d e r N i c h t b e l i e f e r u n g , s o r e i c h t i m R e g e l f a l l d i e A n o r d n u n g e i n e r L i e f e r p f l i c h t f ü r d i e A b s t e l l u n g des M i s s b r a u c h s a u s . E i n e L i z e n z i e r u n g s p f l i c h t ers c h e i n t n a c h d e m V e r h ä l t n i s m ä ß i g k e i t s g r u n d s a t z in d i e s e n F ä l l e n n i c h t e r f o r d e r l i c h . 1 1 9 7 A n d e r s v e r h ä l t es s i c h in d e r R e c h t s s a c h e „ M a g i l l " : D e r S a c h v e r h a l t ist s o g e l a g e r t , dass v o n v o r n h e r e i n n u r e i n e L i z e n z i e r u n g s p f l i c h t z u r A b s t e l -
„Volvo" Slg. 1988, 6235 Tz. 8. „Renault" Slg. 1988, 6073 Tz. 16; „Volvo" Slg. 1988, 6235 Tz. 9. Die beispielhafte Aufzählung einzelner Missbrauchsmodalitäten in „Renault" und „Volvo" hat manche Kommentatoren allerdings zu einer vorschnellen Einschränkung der möglichen Missbrauchsformen im Zusammenhang mit Immaterialgüterrechten veranlasst. So kritisiert C. Doutrelepont (GRUR Int. 1994, 302, 305) die „Magill"-Entscheidungen des Gerichts erster Instanz mit dem Hinweis darauf, dass ein Missbrauch nur bei überhöhten Preisen, Diskriminierung oder Importbeschränkung denkbar gewesen wäre. Th. Jestaedt (WuW 1995, 483, 484) stellt eine Durchbrechung der „Volvo"-Grundsätze fest. Aus dem Blick gerät dabei, dass auch im Zusammenhang mit Rechten des geistigen Eigentums alle Missbrauchsformen denkbar sind, also auch, wie vom Gericht erster Instanz festgestellt (und vom Gerichtshof bestätigt) die Einschränkung der Produktion durch Verhinderung eines neuen Produkts, sowie die Ausnutzung der beherrschenden Stellung auf einem herrschenden Markt, um auf einem abgeleiteten Markt jeglichen Wettbewerb auszuschließen. Nicht eine Analogie zu den Ersatzteilfällen, sondern die allgemeinen Vorgaben des Missbrauchsbegriffs sind entscheidend. Die letzte Konsequenz der „Magill"-Entscheidung besteht nicht darin, „daß der Urheber sein Urheberrecht ... in gerechtfertigter Weise nur ausüben kann, soweit eine Nachfrage auf dem Markt nicht besteht" (so C. Doutrelepont, G R U R Int. 1994, 302, 305), sondern darin, dass auch Urheberrechte kartellrechtlichen Beschränkungen unterliegen können. Düstere Prophezeiungen (das ausschließliche Recht werde durch ein System der Zwangslizenzierung ersetzt, bzw. bei Bestätigung der erstinstanzlichen „Magill"-Urteile durch den Gerichtshof „würde das geistige Eigentum auf einen rein formellen Gehalt reduziert", ebenda, 304 und 308) sind deshalb nicht begründet. Auch G A S. Alber (Schlussantrag vom 22.6.1999, R s . C - 3 8 / 9 8 , Renault, Slg. 2000, 1-3006 Tz. 123) ist der Auffassung, dass die „Magill"-Entscheidung keine Rechtsprechungsänderung im Vergleich zum „Volvo"-Urteil gebracht habe; in diesem Sinn auch W. Weiß, in Calliess/Ruffert Art. 82 E G V Rdnr. 38. 1 1 , 7 Diese Aussage gilt uneingeschränkt für die Anordnung einer Herstellungslizenz. Aber auch die Anordnung einer Vertriebslizenz erscheint nur insofern erforderlich, als die Anordnung einer Lieferpflicht mangels Freiwilligkeit des Inverkehrbringens die Erschöpfung des Schutzrechts ausschließen würde. Zum Verhältnis von Zwangslizenzen und Erschöpfung s. unten S. 499 ff. 1195 1196
C. Immaterialgüterschutz
und europäisches
Kartellrecht
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lung des Missbrauchs geeignet ist. Eine bloße Pflicht zur Lieferung der urheberrechtsgeschützten Programmvorschauen wäre nicht ausreichend, da der unveränderte (oder auch der bearbeitete) Abdruck der Programmvorschauen einen Eingriff in das Urheberrecht darstellen würde. Angesichts dieser Konstellation kann das gewünschte Ergebnis, nämlich die Herausgabe einer umfassenden wöchentlichen Programmvorschau, nur durch die Anordnung von Zwangslizenzen (und zwar auf Verbreitung und Vervielfältigung) erzielt werden. Hierin liegt der Unterschied zu Fällen, in denen die Anordnung von Lieferzwang als milderes Mittel zu Verfügung steht. Das Aufsehen der „Magill"-Entscheidung ist letztlich durch diese besondere Konstellation zu erklären: N o c h klarer als in „Renault" und „Volvo" ist in „Magill" der Lizenzierungszwang das einzige Mittel, das überhaupt dazu geeignet ist, den Missbrauch der marktbeherrschenden Stellung im konkreten Fall auszuräumen. Die Intensität der Rechtsfolge löst in Teilen der Literatur Zweifel an der zutreffenden Auslegung des Tatbestands aus. Dies veranlasst manche dazu, das Vorliegen eines Missbrauchs zu bestreiten, oder zumindest den Missbrauch unter Hinweis auf das Urheberrecht auszuschließen. N a c h der hier vertretenen Auffassung ist das Vorliegen eines unter Art. 82 E G V fallenden Missbrauchs zu bejahen. 1 1 9 8 D a ein bloßer Lieferzwang zur Beseitigung dieses Missbrauchs nicht in der Lage ist, k o m m t nur die Zwangslizenzierung in Betracht. 1 1 9 9 Diese Maßnahme greift zwar weit in die Rechte des U r h e b e r s ein; unter den besonderen Umständen des Einzelfalls ist sie aber durch Art. 82 E G V gerechtfertigt. Ein unkontrollierter Einbruch in Immaterialgüterrechte ist damit nicht verbunden. 1 2 0 0 Die „Magill"-Konstellation ist S. o. S. 491 ff. Zu diesem Ergebnis kommt auch die Kommission in ihrer vorläufigen Entscheidung in der Rechtssache IMS Health (Entsch. v. 3.7.2001, C O M P D3/38.004, N D C Health/IMS Health: Interim Measures, s. auch die Presseerklärungen IP/01/365 v. 14.3.2001, IP/01/941 v. 3.7.2001; die von der Kommission verhängten einstweiligen Maßnahmen wurden vom Gericht erster Instanz allerdings ausgesetzt, EuG, 10.8.2001, T-184/01 R). IMS Health ist Weltmarktführer für pharmazeutische Informationen auf der Grundlage der urheberrechtlich geschützten „1860-Bausteine-Struktur" zur Erhebung regionaler Abverkaufsdaten von Apotheken. Andere Erhebungsmethoden erfüllen nicht die Anforderungen des Markts. Die Kommission stellte fest, dass die Verweigerung eines Zugangs zu dieser Struktur jeglichen Wettbewerb auf dem relevanten Markt ausschalte. Sie ordnete (einstweilig) an, dass IMS für die Verwendung der 1860-Bausteine-Struktur Lizenzen an seine gegenwärtigen Wettbewerber zu nicht diskriminierenden und geschäftlich angemessenen Bedingungen erteilen muss. Die Kommission verweist ausdrücklich auf den Magill-¥a\\ und stellt das Vorliegen außergewöhnlicher U m stände fest, die im konkreten Fall die Anordnung kartellrechtlicher Zwangslizenzen rechtfertigen. S. hierzu F. Immenga, Das EU-Wettbewerbsrecht bedroht das Urheberrecht, FAZ v. 9.5.2001, S. 29. 1200 K. Pilny, G R U R Int. 1995, 954 (957), betont, dass ein „Kreuzzug" der Kommission gegen marktbeherrschende Inhaber von Immaterialgüterrechten auf der Grundlage der „Magill"-Entscheidung nicht zu befürchten sei. Das Erfordernis der „außergewöhnlichen U m stände" stehe solchen Tendenzen entgegen. Zur Gelassenheit rufen auch auf: R. Greaves, 1198
1199
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4. Teil: Europäisches
Recht
vielmehr einer der seltenen Fälle, in denen ein schutzrechtsgestützter Missbrauch zu einer Maßnahme im eingriffsintensivsten Bereich des kartellrechtlichen Instrumentariums zwingt. 1201 „Dammbruch"-Phantasien und - BeECLR 1995, 244 (247): „The ECJ's judgment in Magill is not radical. It is unlikely to have much impact on the conduct of Copyright owners and it does not take the evolution of EC competition law much further than Volvo and IBM"; W.R. Cornish, Intellectual Property, 1996, S. 660 Ziffer 18-16; F. Montag, EuZW 1997, 71 (72 f.). Montag kritisiert allerdings, dass der Gerichtshof auf die für die Praxis bedeutsamste Frage nicht näher eingegangen sei, nämlich unter welchen Voraussetzungen die „außergewöhnlichen Umstände" zur Annahme von Kontrahierungszwang führen könnten. Nicht jede Leistungseinschränkung könne Lizenzpflichten zu Lasten von Schutzrechtsinhabern auslösen. Nicht jede noch so unerhebliche Verbesserung für die Verbraucher könne sich gegenüber (oft teuer entwickelten oder erworbenen) Schutzrechten durchsetzen (in diesem Sinn auch Ebenroth/Bohne, EWS 1995, 397,402 f.). Diesem Einwand ist zuzugestehen, dass zur Feststellung eines Missbrauchs sicherlich eine umfassende Interessenabwägung stattzufinden hat, in die auch die Interessen der Verbraucher und der Schutzrechtsinhaber einzustellen sind. Sind die für die Verbraucher erzielbaren Verbesserungen marginal, wird in der Regel die Annahme von Kontrahierungszwang ausscheiden. Auf der Seite der Schutzrechtsinhaber sind auch die Investitionen anzurechnen, die dem Schutzrecht zu Grunde liegen. Was den „Magill"-Fall betrifft, so ist die Aussage, dass für den Verbraucher nur marginale Verbesserungen auf dem Spiel stehen, anzuzweifeln. Es übersteigt deutlich die Grenzen der Zumutbarkeit, drei unterschiedliche Fernsehzeitschriften beziehen zu müssen, um einen Uberblick über das wöchentliche Gesamtprogramm zu erhalten. Derartige Verirrungen können die Waagschaale nicht zugunsten des Schutzrechts beeinflussen; der (britische) Gesetzgeber ist hier zu Recht mit der Anordnung einer Publikations- und Lizenzierungspflicht eingeschritten (s. den Hinweis bei Ebenroth/Bohne, EWS 1995, 397, 404). Eine interessante Spekulation zur Begründung eines Missbrauchs im „MagiH"-Fall stammt von W.R. Cornish (Intellectual Property, 1996, S. 660 Ziffer 18-16): Die Zurückhaltung von Programminformationen könne nur dadurch erklärt werden, dass auf dem Hauptmarkt für die Ausstrahlung von Fernsehsendungen (noch) kein funktionierender Wettbewerb bestehe. Komme dieser Wettbewerb erst einmal in Gang, würden die Fernsehanstalten freiwillig für die möglichst weitgehende Verbreitung ihrer Programmlisten sorgen. Marktzutrittsschranken auf dem Hauptmarkt seien also der Grund für die Annahme eines Missbrauchs auf dem abgeleiteten Markt. 1201 Th. Jestaedt (WuW 1995, 483, 484) vertritt die Ansicht, die Feststellung eines Missbrauchs durch den Gerichtshof bezüglich des abgeleiteten Marktes sei „nichts anderes ... als das umgedrehte erste Argument", nämlich die Feststellung eines Missbrauchs durch Einschränkung der Erzeugung i.S. von Art. 82 lit. b) EGV. Die Verhinderung eines neuen Produkts sei immer zugleich die Ausnutzung der auf einem Hauptmarkt bestehenden beherrschenden Stellung auf dem abgeleiteten Markt für das verhinderte Produkt. Dieser Feststellung kann für den Regelfall zugestimmt werden. Es folgt hieraus aber kein Argument gegen die Richtigkeit der Entscheidung. Während der Art. 82 lit. b) EGV-Aspekt sich dem Ausbeutungsmissbrauch zum Schaden der Verbraucher zuordnen lässt, gehört der Vorwurf der Abschottung des abgeleiteten Markts zur Fallgruppe des Behinderungsmissbrauchs zu Lasten konkurrierender Unternehmen. Das (notwendigerweise) gleichzeitige Vorliegen von Ausbeutungs- und Behinderungsmissbrauch unterstreicht die Gefährlichkeit der Verhaltensweise, lässt sich aber nicht gegeneinander ausspielen. Einige Kommentatoren sind sogar der Auffassung, dass der Gesichtspunkt der Verhinderung eines neuen Produkts im Magill-Fall nur ein zusätzliches, nicht aber ein notwendiges Argument für die Begründung eines Missbrauchs sei, s.u. Fn. 1261. Zur Gemengelage von Ausbeutungs- und Behinderungsmissbrauch s.u. Fn. 1245.
C. Immaterialgüterschutz
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Kartellrecht
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f ü r c h t u n g e n 1 2 0 2 sind unter H i n w e i s auf den ü b e r z e u g e n d e n N a c h w e i s eines Missbrauchs zurückzuweisen.1203 (7) Ein vernachlässigter Aspekt von „Magill": Zwangslizenzen und E r s c h ö p f u n g E r s c h ö p f u n g eines Schutzrechts tritt ein, wenn das geschützte Erzeugnis entweder durch den R e c h t s i n h a b e r selbst, von einer rechtlich oder wirtschaftlich von ihm abhängigen Person oder von einem D r i t t e n , z . B . einem L i z e n z n e h m e r mit Z u s t i m m u n g des Rechtsinhabers in Verkehr gebracht w i r d . 1 2 0 4 E i n e wirksame Z u s t i m m u n g setzt Freiwilligkeit voraus. Freiwilligkeit entfällt, wenn eine Rechtspflicht z u m Inverkehrbringen besteht. 1 2 0 5 E i n e solche
Rechtspflicht
kann sich - w i e z.B. in der „ M a g i l l " - E n t s c h e i d u n g - aus A r t . 82 E G V ergeben. a ) Keine E r s c h ö p f u n g im Fall der Zwangslizenz E i n e konsequente A n w e n d u n g dieser Grundsätze in Weiterführung des „ M a gill"-Szenarios führt zu folgendem, kuriosen Ergebnis: D i e irischen und britischen Fernsehgesellschaften müssen zwar dem in (der R e p u b l i k ) Irland ansässigen Verlag „Magill" auf G r u n d von Art. 82 E G V R e c h t e an ihren urheberrechtlich geschützten Programmvorschauen einräumen, die das U n t e r n e h m e n in die Lage versetzen, eine wöchentliche Programmzeitschrift für ganz Irland herauszubringen. D a Zwangslizenzen aber nicht zur E r s c h ö p f u n g des urheberrechtlichen Verbreitungsrecht führen, ist es in gemeinschaftsrechtlicher möglich, die E i n f u h r des Magill TV Guide,
Hinsicht
der die urheberrechtlich geschütz-
ten Vorschauen enthält, 1 2 0 6 von einem Mitgliedstaat in den anderen, nämlich von Irland nach Nordirland zu verhindern. 1202 Th. Jestaedt (WuW 1995, 483, 484) spricht mit Bezug auf die Anwendbarkeit der Magill-Doktrin im Bereich von Software und anderer Hochtechnologie vom Offnen eines Ventils. C. Carreau (Europe, Juillet 1995,1,2 f.) sieht den Weg zu einem System der Zwangslizenzen eröffnet. M. Vivant (La Semaine Juridique, Ed. G, 1995,1.-Doctrine 3883, S. 450) erblickt zumindest die Gefahr einer Dynamik in Richtung auf ein solches „prätorianisches" System. G. Bonet (RTD eur. 1995, 834, 844) sieht die Kompetenzen der Mitgliedstaaten in einem Bereich gefährdet, der dem ordre public zuzuweisen sei. 1 2 0 3 Zum Dammbruch-Argument s. unten S. 512. 1 2 0 4 S. z.B. EuGH, 9.7.1985, Pharmon/Hoechst, Rs. 19/84, Slg. 1985, 2281 (2297 Tz. 22); s. näher hierzu oben S. 252 ff. 1 2 0 5 Das Inverkehrbringen auf Grund einer Zwangslizenz führt also nicht zur Erschöpfung, EuGH, 9.7.1985, Pharmon/Hoechst, Rs. 19/84, Slg. 1985,2281 (2298 Tz. 25). Moralische Pflichten zum Inverkehrbringen reichen allerdings nicht aus, s. EuGH, 5.12.1996, Verb. Rs. C 267/95 und C-268/95, Merck u.a./Primecrown u.a., Slg. 1996,1-6285 (1-6390 Tz. 53) und oben S. 254 f. 1206 j j j e Aufnahme der von den Fernsehgesellschaften zur Verfügung gestellten Programmvorschauen in den Magill TV Guide wird man zumindest als „Bearbeitung" zu qualifizieren haben. Auch eine solche Bearbeitung darf nur mit Einwilligung des Urhebers oder sonstiger Rechtsinhaber verwertet werden (s. für das deutsche Recht § 23 S. 1 UrhG). Für die Notwendigkeit einer Lizenz vor Veröffentlichung auch K. Pilny, G R U R Int. 1995, 954 (959). Pilny
500
4. Teil: Europäisches
Recht
ß) Kein Import des „Magill TV G u i d e " nach N o r d i r l a n d ? Genauer formuliert: Die Art. 28, 30 EGV stehen einer nationalen Gesetzgebung auf dem Gebiet des geistigen Eigentums nicht entgegen, die ein Importverbot für ein immaterialgüterrechtlich geschütztes Erzeugnis enthält, solange die betreffenden immaterialgüterrechtlichen Befugnisse noch nicht erschöpft sind. Die Konsequenz führt ad absurdum: Die auf Grund von Art. 82 EGV angeordnete Zwangslizenzierung soll Magill in die Lage versetzen, einen w ö chentlichen P r o g r a m m f ü h r e r herauszubringen, der alle in Irland und N o r d i r land empfangbaren Sender enthält, und der folglich in ganz Irland Verbreitung finden soll. Da die Zwangslizenzierung nicht zur Erschöpfung der urheberrechtlichen Verwertungsrechte führt, kann die Einfuhr des P r o g r a m m f ü h r e r s nach N o r d i r l a n d aufgrund des dortigen, parallelen Urheberrechts verhindert werden. Der Zweck der Kommissionsentscheidung, nämlich die Entstehung eines neuen Produkts mit Verbreitung in ganz Irland zu ermöglichen, w i r d nicht erreicht. Y) Kartellrechtliche Korrektur des Freiwilligkeitsprinzips Dieses paradoxe Ergebnis kann entweder von kartellrechtlicher oder immaterialgüterrechtlicher Seite kuriert werden. Zum einen w ä r e es möglich, auch die Geltendmachung eines Importverbots als missbräuchlich zu qualifizieren. Es w ä r e dann nach Art. 82 EGV auch verboten, den Import des Erzeugnisses nach N o r d i r l a n d unter B e r u f u n g auf das parallele Urheberrecht und die nicht erfolgte Erschöpfung zu verhindern, w e n n der Sinn von Art. 82 EGV im konkreten Fall gerade darin besteht, die Entstehung eines neuen Produkts u n d dessen Verbreitung in ganz Irland zu ermöglichen. Ein solcher Standpunkt k ä m e aber mit der von der herrschenden M e i n u n g vertretenen Lehre v o m spezifischen Gegenstand in Konflikt: Das Importverbot gehört so lange z u m spezifischen Gegenstand eines Schutzrechts, w i e Erschöpfung noch nicht eingetreten ist. Da aufgrund der zwangsweisen Lizenzierung im „Magill"-Fall Erschöpfung des Verbreitungsrechts nicht eintritt, w ü r d e also durch die A n w e n d u n g von Art. 82 EGV auf das Importverbot in den spezifischen Gegenstand des Schutzrechts eingegriffen. A u c h w e n n in dieser Arbeit die A n w e n d u n g der Lehre vom spezifischen Gegenstand auf die Wettbewerbsregeln abgelehnt wird, 1 2 0 7 erscheint demgegenüber die zweite Lösungsmöglichkeit v o r z u g s w ü r d i g .
kritisiert, dass der Gerichtshof lediglich die Zurverfügungstellung der nötigen Informationen, nicht aber die Verpflichtung der Fernsehanstalten zur Erteilung einer Zwangslizenz behandelt habe. 1207 S. o. S. 330 ff.
C. Immaterialgüterschutz
und europäisches
Kartellrecht
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6) Immaterialgüterrechtliche Korrektur des Freiwilligkeitsprinzips Diese setzt auf der immaterialgüterrechtlichen Seite, nämlich bei der Erschöpfung an, und wendet sich gegen die pauschale Aussage der „Merck/Primecrown"-Entscheidung, dass nämlich die Erschöpfung des Verbreitungsrechts durch die Rechtspflicht zum Inverkehrbringen ausgeschlossen werde. 1 2 0 8 Die „Magill"-Konstellation zeigt, dass eine solche kategorische Versagung der Erschöpfungswirkung dem Ziel der jeweiligen Rechtspflicht zuwiderlaufen kann. 1 2 0 9 Ziel von Art. 82 EGV im konkreten Fall ist es, die Herausgabe eines umfassenden wöchentlichen Programmführers zu ermöglichen und dessen Vertrieb in ganz Irland zu gewährleisten. Dieses Ziel ist gefährdet, wenn der Import des Programmführers nach Nordirland mangels Erschöpfung verhindert werden kann. Die „Merck/Primecrown"-Doktrin ist deshalb wie folgt zu modifizieren: Erschöpfung setzt freiwilliges Inverkehrbringen des geschützten Erzeugnisses voraus. Die Freiwilligkeit ist zu verneinen, wenn eine Rechtspflicht z u m Inverkehrbringen bestand. Diese Einschränkung gilt nicht, wenn die Versagung der Erschöpfung den Zweck der Rechtspflicht vereitelt. Beruht die Rechtspflicht zum Inverkehrbringen auf einer kartellrechtlichen Norm, wird die Annahme der Erschöpfungswirkung häufig - entgegen dem „Merck/Primecrown"-Prinzip - nahe liegen. Zweck der Kartellrechtsnorm ist die Schaffung, bzw. die A u f rechterhaltung wirksamen Wettbewerbs. Dieser Zweck wird unterlaufen, wenn es mangels Erschöpfung zu einer Segmentierung der nationalen Märkte kommt. Der „MagiH"-Fall ist ein markantes Beispiel für einen solchen Fall. Trotz Rechtspflicht zum Inverkehrbringen der Programmvorschauen ist die Erschöpfung des Verbreitungsrechts anzunehmen, so dass dem Import der (bearbeiteten oder unbearbeiteten) Programmvorschauen nach Nordirland nichts im Wege steht. E) Erschöpfung des Vervielfältigungsrechts? Ein anderer erschöpfungsrechtlicher Aspekt der „Magill"-Entscheidung ist hervorzuheben: Im (deutschen) Urheberrecht geht man davon aus, dass zwar das Verbreitungs-, nicht aber das Vervielfältigungsrecht der Erschöpfung unterliegt. 1210 Eine kartellbehördliche Entscheidung, die sich auf die Anordnung be1208 E u G H , 5.12.1996, Verb. Rs. C-267/95 und C-268/95, M e r c k u.a./Primecrown u.a., Slg. 1996,1-6285 (1-6389 f. Tz. 4 8 - 5 2 ) , s. hierzu oben S. 252 ff. 1209 H. Ullrich (in I/M E G - W e t t b e w e r b s r e c h t , Bd. I, S. 1180 Rdnr. 73 Fn. 538) vertritt den S t a n d p u n k t , dass beim Fragenkreis Z w a n g s l i z e n z u n d E r s c h ö p f u n g der Z w a n g s l i z e n z g r u n d nicht außer Betracht bleiben darf. 1 2 1 0 S. die N a c h w e i s e oben S. 256 Fn. 271. Dieser A u f f a s s u n g entspricht die gesetzliche R e gelung in den § § 16 u n d 17 U r h G : Die Erschöpfung ist nur in § 17 Abs. 2 U r h G , also beim Verbreitungsrecht, nicht aber in § 16 U r h G beim Vervielfältigungsrecht angeordnet. Diese Differ e n z i e r u n g leuchtet f ü r den N o r m a l f a l l ein: Die Freiheit des W a r e n v e r k e h r s soll d a d u r c h ge-
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4. Teil: Europäisches
Recht
schränkt, die Programmvorschauen zur Verfügung zu stellen, würde aus diesem Grund den gewünschten Zweck nicht erreichen: Auch nach den oben vorgenommenen Modifikationen an der Erschöpfungslehre im Falle kartellrechtlicher Zwangslizenzen käme es zu keiner Erschöpfung des Vervielfältigungsrechts. Die Firma Magill hätte also nicht das Recht, die Programmvorschauen abzudrucken. Die Kommission nahm in ihre Entscheidung deshalb zu Recht nicht nur die Anordnung auf, die Programmvorschauen zur Verfügung zu stellen, sondern auch die weitergehende Pflicht, die Veröffentlichung durch die Be••
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gunstigten zu gestatten. Aus Art. 82 EGV kann also auch die Pflicht zur Einräumung eines Vervielfältigungsrechts fließen. Der Umfang der Rechtseinräumung richtet sich nach dem Zweck, der mit der kartellrechtlichen N o r m verfolgt wird. Korrekturen an der Erschöpfungslehre, z.B. die weitergehende Annahme einer Erschöpfung auch des Vervielfältigungsrechts, sind nicht erforderlich. Art. 82 EGV räumt in der „Magill"-Konstellation jedem Interessenten das Recht ein, die Einräumung von Vervielfältigungsrechten zu verlangen. Der Zweck von Art. 82 EGV, entgegen der missbräuchlichen Strategie der Marktbeherrscher die Entstehung eines neuen Produkts zu ermöglichen, wird hierdurch erreicht. Eine Ausdehnung der Erschöpfungslehre auf andere Verwertungsrechte als das Verbreitungsrecht ist nicht erforderlich. e) Die Lehre von den wesentlichen („ essential facilities "-Doktrin)
Einrichtungen
Die „Magill"-Entscheidung ist interpretiert worden als Anwendungsfall der „essential facilities"-Doktrin. Sie leitet damit zu der Frage über, ob eine solche Doktrin im Rahmen von Art. 82 EGV als neue, eigenständige Missbrauchsform anzuerkennen ist. In diesem Zusammenhang wird auch der Frage nachzugehen sein, welche Bedeutung die Lehre von den wesentlichen Einrichtungen auf dem Gebiet des geistigen Eigentums hat. Erst auf dieser Grundlage kann die Frage beantwortet werden, welche Folgerungen allgemeiner Natur aus der „Magill" Entscheidung gezogen werden können.
schützt werden, dass das einverständlich in Verkehr gebrachte Werkexemplar in Zukunft frei zirkulieren soll. Zu diesem Zweck muss das Verbreitungsrecht an dem in Verkehr gebrachten Exemplar erschöpfen. Anders verhält es sich mit dem Vervielfältigungsrecht: Das Inverkehrbringen einzelner körperlicher Werkexemplare berührt nicht das Recht, in Zukunft weitere Vervielfältigungsstücke des Werks herzustellen. Das Vervielfältigungsrecht wird also nicht konsumiert. Dritte haben kein Recht, selber Vervielfältigungsstücke herzustellen. 1211 Kommission, Entscheidung 89/205/EWG vom 21.12.1988, Magill TV Guide/ITP, BBC und RTE, ABl. 1989, L 78/43 (51 Art. 2).
C. Immaterialgüterschutz
und europäisches
Kartellrecht
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(1) Ursprung der „essential facilities"-Lehre Die essentialfacilities-Lehre des US-amerikanischen antitrust-Rechts wurde im Zusammenhang mit dem allgemeinen Monopolisierungsverbot in Section 2 Sberman Act entwickelt. 1212 Dem Inhaber einer wesentlichen Einrichtung wird unter bestimmten Voraussetzungen eine Kontrahierungspflicht auferlegt. Ursprünglich bezog sich die essential facilities-Lehre auf bestimmte physische Infrastruktureinrichtungen, im Pionierfall z.B. auf den Zugang zu einem Bahnhof zugunsten konkurrierender Eisenbahngesellschaften. 1213 Die Lehre wurde in der Folgezeit auf eine Reihe vergleichbarer Konstellationen übertragen. 1214 Im europäischen Kartellrecht existiert zwar kein allgemeines Monopolisierungsverbot nach dem Modell von Section 2 Sherman Act. Der Missbrauch einer marktbeherrschenden Stellung i.S. von Art. 82 EGV kann aber auch in der Verweigerung des Zugangs zu einer wesentlichen Einrichtung bestehen. Die Möglichkeit zu einer Übernahme der essential facilities-Lehre im europäischen Recht ist dadurch eröffnet. O b damit eine grundlegende Änderung der Auslegung von Art. 82 EGV verbunden ist, wird im folgenden eher skeptisch beurteilt. Die Möglichkeit eines auf Art. 82 EGV gestützten Kontrahierungszwangs zu Lasten von Marktbeherrschern ist jedenfalls seit langem anerkannt. 1215 (2) Rezeption der Lehre im europäischen Recht Zu einer ausdrücklichen Übernahme des Konzepts kam es in den drei HafenEntscheidungen der Kommission aus den Jahren 1992/1993. 1216 Schifffahrtsgesellschaften verweigerten Mitbewerbern den Zugang zu den von ihnen betrie1212
Zum amerikanischen Recht s.o. S. 93 ff. United States v. Terminal Railroad Association, 224 U.S. 383 (1912). 1214 Zu den einzelnen Anwendungsvoraussetzungen im amerikanischen Recht s.o. S. 96. 1215 Vgl. z.B. Langen/Dirksen, KartR, 9. Aufl. 2001, Art. 82 EGV Rdnr. 172 ff. 1216 Kommission, Entscheidung vom 11.6.1992, „Sealink I" (Bulletin 6/1992 Tz. 1.3.30; vgl. XXII. Wettbewerbsbericht 1992, Tz. 219); Kommission, Entscheidung 94/19/EG vom 21.12.1993 (IV/34.689 - Sea Containers gegen Stena Sealink, „Sealink II"), ABl. 1994 L 15/8 (16 f. Tz. 66 f.); Kommission, Entscheidung 94/119/EG vom 21.12.1993 („Hafen von Redby"), ABl. 1994 L 55/52 (55 Tz. 12). Außerdem hat die Kommission den Begriff der wesentlichen Einrichtung im Zusammenhang mit dem Verfahren „La Poste gegen SWIFT + G U F " verwendet (s. hierzu Europäische Kommission, XXVII. Bericht über die Wettbewerbspolitik 1997, 1998, Tz. 68). SWIFT (Society for Worldwide International Financial Telecommunications) ist ein Zusammenschluss von 2.000 Banken, der Datenübertragungs- und -Verarbeitungsdienstleistungen für Finanzinstitute, insbesondere für internationale Uberweisungen anbietet. Der französischen Post wurde der Zugang zu SWIFT verweigert. Die Kommission war der Ansicht, dass hierin der Missbrauch einer monopolähnlichen marktbeherrschenden Stellung liege. SWIFT sei eine wesentliche Einrichtung, auf die ein Finanzinstitut zwecks zügiger Abwicklung internationaler Uberweisungen angewiesen sei. Das Verfahren wurde nach der Selbstverpflichtung von SWIFT zur diskriminierungsfreien Aufnahme neuer Mitglieder ausgesetzt (Sache IV/36.120 - La Poste/ S. W.I.F.T. + GUF, ABl. 1997 C 335/3). 1213
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4. Teil: Europäisches
Recht
benen Häfen. Die Kommission stellte einen Missbrauch i.S. von Art. 86 EGV (a.F.) fest und führte den Begriff der „wesentlichen Einrichtung" 1 2 1 7 ein: „Der Eigentümer einer wesentlichen Einrichtung, der seine Macht auf dem Markt dazu nutzt, seine Stellung auf einem anderen, zu diesem in Bezug stehenden Markt zu stärken, indem er insbesondere einem Wettbewerber den Zugang verweigert oder den Zugang unter weniger günstigen Bedingungen als für die eigenen Dienste gewährt und damit seinem Wettbewerber einen Wettbewerbsnachteil aufzwingt, verstößt gegen Artikel 86." 1218
Den Begriff der „wesentlichen Einrichtung" definierte die Kommission als „Einrichtung oder Infrastruktur, ohne deren Nutzung ein Wettbewerber seinen Kunden keine Dienste anbieten kann". 1 2 1 9 Die Kommission bezog sich zur Absicherung dieses Standpunkts u.a. auf die Gerichtsurteile in den Rechtssachen „Commercial Solvents" 1 2 2 0 und „Télémarketing" 1 2 2 1 sowie auf die erstinstanzlichen „Magill"-Entscheidungen. 1 2 2 2 Allen diesen Entscheidungen sind bestimmte Abhängigkeitsverhältnisse gemein, nämlich die Abhängigkeit des Derivateherstellers vom Rohstofflieferanten („Commercial Solvents"), die Abhängigkeit des Betreibers einer Fernsehverkaufsagentur vom Sendeunternehmen („Télémarketing") und schließlich die Abhängigkeit des Herausgebers einer Programmzeitschrift von den Programminformationen der Fernsehgesellschaften („Magill"). 1 2 2 3 Solche Abhängigkeitsverhältnisse, die häufig als Fälle relativer Abhängigkeit zu qualifizieren sein werden, führen zur Annahme einer marktbeherrschenden Stellung des dominierenden Unternehmens. 1 2 2 4 Das Vorliegen einer beherrschenden Stellung impliziert aber noch keinen Missbrauch; dieser ist gesondert zu begründen. Ein herrschendes Unternehmen ist also im Grundsatz nicht dazu verpflichtet, in Geschäftsbeziehungen zu einem abhängigen Unternehmen zu treten. N u r bei Vorliegen „außergewöhnlicher Umstände", die einen Missbrauch begründen, kann sich aus Art. 82 EGV eine solche Pflicht ergeben. Die Frage, ob die „essential facilities"-Lehre auf das europäische Kartellrecht übertragen werden kann, ist eingehend diskutiert worden. 1 2 2 5 Dennoch
In der englischen Fassung: „essential facility". „Sealink II" ABl. 1994 L 15/8 (16 Tz. 66). 1219 Ebenda. 1220 EuGH, 6.3.1974, Commercial Solvents/Kommission, Verb. Rs. 6/73 und 7/73, Slg. 1974, 223, s.o. Fn. 1146. 1221 EuGH, 3.10.1985, CBEM/CLT und IPB, Rs. 311/84, Slg. 1985, 3261, s.o. Fn. 1001. 1222 S. o. Fn. 1131. 1223 Eine Analyse dieser und anderer Entscheidungen unter dem essential facilities-Gesichtspunkt findet sich bei GA F. Jacobs, Schlussantrag vom 28.5.1998 in der Rs. C-7/97, Oscar Bronner/Mediaprint, Tz. 33 ff. 1224 S . o . S . 437 f. 1225 S. z.B. K. Markert, Die Verweigerung des Zugangs zu „wesentlichen" Einrichtungen" als Problem der kartellrechtlichen Mißbrauchsaufsicht, WuW 1995, 560 (562 ff.); ders., Die Anwendung des US-amerikanischen Monopolisierungsverbots auf Verweigerungen des Zu1217 1218
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überwiegt der Befund, dass der Standort, bzw. die genauen Voraussetzungen des K o n z e p t s im R a h m e n von Art. 82 E G V nicht geklärt sind. 1 2 2 6 (3) Grundlegende Änderungen bei der Auslegung von A r t . 82 E G V durch den „essential f a c i l i t i e s " - G e d a n k e n ? a ) M a r k t b e h e r r s c h u n g und Missbrauch Diese Feststellung leitet zu der Frage über, wie sich die „essential facilities"L e h r e in den Tatbestand von Art. 82 E G V einfügt. D e r Begriff der wesentlichen Einrichtung, verstanden als Infrastruktur, ohne deren N u t z u n g ein Wettbewerber seinen K u n d e n keine Dienste anbieten kann, stellt ersichtlich auf die A b hängigkeit des Wettbewerbers v o m Inhaber der Einrichtung ab und ist damit dem Tatbestandsmerkmal der Marktbeherrschung das Vorliegen eines Missbrauchs
zuzuweisen. Aussagen über
werden erst dadurch möglich, dass an das B e -
stehen einer wesentlichen Einrichtung bestimmte R e c h t s f o l g e n geknüpft werden. D e r Missbrauch wird nach der essential facilities-hehre
darin gesehen, dass
die wesentliche Einrichtung dazu benutzt wird, die Stellung auf einem getrennten, aber benachbarten M a r k t auszubauen. Dies geschieht dadurch, dass das der wesentlichen Einrichtung zugrundeliegende Abhängigkeitsverhältnis in bestimmter Weise ausgenutzt wird, nämlich indem einem W e t t b e w e r b e r der Z u gang gänzlich verweigert oder nur zu deutlich ungünstigeren K o n d i t i o n e n eröffnet wird. ß) Strukturmissbrauch F o r m u l i e r t man den M i s s b r a u c h der „essential f a c i l i t i e s " - L e h r e in diesem Sinn, fällt auf, dass keine grundlegende N e u e r u n g im Verhältnis zu a n e r k a n n ten M i s s b r a u c h s f o r m e n eingeführt w i r d . 1 2 2 7 Z w a r enthält A r t . 82 E G V kein allgemeines M o n o p o l i s i e r u n g s v e r b o t i.S. von Section 2 S h e r m a n A c t . E s ist aber anerkannt, dass A r t . 82 E G V in der Fallgruppe des Strukturmissbrauchs auch das V e r b o t der Ausdehnung m a r k t b e h e r r s c h e n d e r Stellungen auf b e n a c h barte M ä r k t e enthält. 1 2 2 8 U m eine solche Konstellation geht es auch in den essential facilities-Fällen.
Zieht man die von der K o m m i s s i o n entschiedenen H a -
gangs zu „wesentlichen Einrichtungen", FS Mestmäcker, 1996, S. 661 ff.;H.-J. Bunte, 6. GWBNovelle und Mißbrauch wegen Verweigerung des Zugangs zu einer „wesentlichen Einrichtung", WuW 1997, 302 (309 ff.); Venit/Kallaugher, Essential Facilities: A Comparative Law Approach, 1995, S. 315 (332 ff.). 1226 W. Möschel, in I/M EG-Wettbewerbsrecht, Bd. I, S. 766 Rdnr. 260; Langen/Dirksen, KartR, 9. Aufl. 2001, Art. 82 EGV Rdnr. 177a; Chr. Jung, in Grabitz/Hilf Art. 82 EGV Rdnr. 225; B. Doherty, Just What are Essential Facilities?, CMLR 2001, 397 (435). 1227 H. Brokelmann, Las Negativas de Suministro en el Derecho de la Competencia Comunitario y Espanol, Gaceta Juridica de la C.E., Boletin-125, Julio/Agosto 1997, S. 5 (26 f.). 1228 S. oben S.447f. und unten S. 525 ff. Grundlegend ist die „Telemarketing"-Entscheidung (oben Fn. 1221). Hervorzuheben ist, dass die Ausdehnung der beherrschenden Stellung auf den benachbarten Markt bei Abwesenheit einer objektiven Rechtfertigung schon als solche
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Recht
fenfälle als Beispiel heran, besteht eine m a r k t b e h e r r s c h e n d e Stellung, nämlich ein M o n o p o l auf dem M a r k t für Dienstleistungen im Z u s a m m e n h a n g mit der Hafeninfrastruktur. D i e s e M o n o p o l s t e l l u n g wird dazu ausgenutzt, M i t b e w e r ber v o m getrennten, aber benachbarten M a r k t für die B e f ö r d e r u n g von P e r s o nen und Waren zu Wasser fernzuhalten, zumindest solche Dienstleistungen zu erschweren. y) E i n o r d n u n g der „essential facilities"-Fälle Solche Fälle k ö n n e n also schon unter Heranziehung der anerkannten Auslegungsgrundsätze unter A r t . 82 E G V subsumiert werden. Essential
facilities-
Konstellationen sind somit kein grundlegend neuer Sachverhalt, der nur mit neuen rechtlichen K o n z e p t e n adäquat zu erfassen wäre. D i e abstrakt-generelle Regelungsmethode kontinentaleuropäischer Rechtsordnungen erweist sich als flexibel genug, um die im U S - a m e r i k a n i s c h e n R e c h t unter die essential lities-Doktrin
faci-
fallenden Sachverhalte einer angemessenen L ö s u n g zuzuführen.
E i n e „wesentliche E i n r i c h t u n g " i.S. des A n t i t r u s t - R e c h t s wird zumeist eine marktbeherrschende Stellung i.S. von Art. 82 E G V vermitteln. 1 2 2 9 D e r A u s schluss der K o n k u r r e n t e n von dieser Einrichtung, bzw. die D u r c h s e t z u n g diskriminierender K o n d i t i o n e n , kann einen Missbrauch darstellen, und zwar in der U n t e r f o r m der Behinderung. 6) „essential facilities" als phänomenologisches Hilfsmittel der Fallgruppenbildung D e r Begriff der essential
facilities
hat sich damit im europäischen R e c h t mit ei-
ner phänomenologischen F u n k t i o n zu bescheiden: E r bezeichnet Fälle, in denen A n b i e t e r eines Produkts ohne die Inanspruchnahme einer vorgelagerten Infrastruktur nicht, jedenfalls nicht in wirtschaftlich sinnvoller Weise tätig werden können. O b eine solche Konstellation zur A n n a h m e eines auf Art. 82 E G V gestützten Kontrahierungszwangs führt, hängt nur von den Tatbestandsvoraussetzungen dieser Vorschrift a b . 1 2 3 0 D i e Schaffung eines dogmatischen S o n derinstruments in F o r m der „wesentlichen E i n r i c h t u n g " lenkt demgegenüber von der eigentlichen Frage ab, nämlich welche Voraussetzungen für das Vorliegen eines Missbrauchs zu stellen sind. D a v o n hängt die A n o r d n u n g von K o n trahierungszwang, und damit der U m f a n g und die G r e n z e n der Privatautonomie ab.
einen Missbrauch i.S. von Art. 82 E G V darstellt, ohne dass es zu weiteren, konkreten Missbrauchshandlungen kommen muss. 1229 F. Montag, EuZW 1997, 71 (75). 1230 M. Furse (The .Essential Facilities' Doctrine in Community Law, E C L R 1995, 469, 472) spricht deshalb in Bezug auf die „essential facilities"-Lehre von einem „refinement" bereits existierender Auslegungsprinzipien zu Art. 82 EGV.
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Kartellrecht
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Damit soll nicht ausgeschlossen werden, dass die Konzentration auf essential facilities-Probleme eine Hilfestellung bei der Identifizierung der außergewöhnlichen Umstände leisten kann, die für einen Missbrauch i.S. von Art. 82 E G V konstitutiv sind. Im Gegenteil, die Skizzierung einer Fallgruppe mit relativ homogener Problemlage vermittelt Sicherheit bei der Rechtsanwendung. Essential facilities-Fä\\e erscheinen damit als eigenständige Fallgruppe des (Behinderungs-)Missbrauchs. 1 2 3 1 Dass die Umschreibung einer solchen Fallgruppe sinnvoll ist, zeigt auch die Tatsache, dass die 6. G W B - N o v e l l e in das Missbrauchsverbot des deutschen Kartellrechts ein eigenes Regelbeispiel für „Netze oder andere Infrastruktureinrichtungen" eingefügt hat. 1 2 3 2 (4) Voraussetzungen des Zugangs zu wesentlichen Einrichtungen Grundsätzlich ist auch der Inhaber einer wesentlichen Einrichtung nicht dazu verpflichtet, seine Einrichtung anderen Unternehmen zur Verfügung zu stellen. 1 2 3 3 Für die Annahme von Kontrahierungszwang bedarf es hoher Voraussetzungen. 1 2 3 4 Sind diese Merkmale erfüllt, gehen Vorwürfe, die Öffnung der leistungsnotwendigen Einrichtung gegenüber Wettbewerbern beeinträchtige zwingend das Eigentumsrecht, 1 2 3 5 ins Leere. Werden die Interessen von Eigentümern und Wettbewerbern angemessen abgewogen, kann die Sozialpflichtigkeit des Eigentums durchaus zu einer Öffnung der wesentlichen Einrichtung führen. A m Beispiel von Art. 14 G G hat H.-J. Papier gezeigt, dass die Ermöglichung von Wettbewerb durchaus einen verfassungslegitimen Gemeinwohlbelang darstellen kann, der in die Abwägung einzubringen ist. 1 2 3 6 Liegen die fol1 2 3 1 In diesem Sinn auch P. Mennicke, Z H R 160 (1996) 626 (652): „essential facilities" sei kein neues Prinzip des europäischen Kartellrechts, sondern diene der Systematisierung verschiedener Fallkonstellationen mit gemeinsamer Problematik. 1 2 3 2 § 19 Abs. 4 Nr. 4 G W B , s.o. S. 170 f. 1233 P. Mennicke, Z H R 160 (1996) 626 (654); F. Montag, E u Z W 1997, 71 (76). Vgl. Kommission, Entscheidung 8 7 / 5 0 0 / E W G vom 29.7.1987 (IV/32.279 - B B I / B o o s e y & Hawkes), ABl. L 286/36 (41 Tz. 19): „Ein marktbeherrschender Hersteller ist nicht verpflichtet, den gegen ihn gerichteten Wettbewerb zu subventionieren." Der Fall betraf Lieferverweigerungen und Klagen wegen Schutzrechtsverletzungen auf dem Markt für Blechblasinstrumente für Brass Bands in Großbritannien. 1 2 3 4 Liegen diese hohen Voraussetzungen aber erst einmal vor, stehen die Kosten für Errichtung und Unterhaltung der Einrichtung der Annahme von Kontrahierungszwang nicht entgegen. Der Betreiber hat vielmehr das Recht, für die Benutzung ein angemessenes Entgelt zu verlangen, das Kosten und angemessenen Gewinn abdeckt, s. W. Deselaers, E u Z W 1995, 563 (568). 1 2 3 5 So U. Schnelle, Die Öffnung von leistungsnotwendigen Einrichtungen für Dritte und der Schutz des Eigentums, EuZW 1994, 556 (557). 1236 H.-J. Papier, Durchleitungen und Eigentum, B B 1997, 1213 (1216), a.A. F.-K Beier, G R U R Int. 1994, 716 (727); U. Schnelle, EuZW 1994, 556 (562). Papier steht dem Durchleitungstatbestand des § 103 Abs. 5 S. 2 Nr. 4 G W B a.F. in der Auslegung durch den B G H (z.B. B G H Z 128, 17, 38) kritisch gegenüber. Der B G H hatte ein Durchleitungsbegehren letztlich deshalb abgelehnt, weil der Leitungsbetreiber in die Bedingungen des Wettbewerbers eingetreten war. Papier kritisiert die nicht hinreichende Beachtung der Sozialbindung des Eigentums
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4. Teil: Europäisches
Recht
g e n d e n V o r a u s s e t z u n g e n vor, s i n d d i e r e c h t l i c h g e s c h ü t z t e n I n t e r e s s e n d e r W e t t b e w e r b e r r e g e l m ä ß i g h ö h e r z u b e w e r t e n als d i e d e r E i n r i c h t u n g s e i g e n tümer:1237 a ) Wesentliche Einrichtung Es l i e g t e i n e „ w e s e n t l i c h e E i n r i c h t u n g " vor, d . h . e i n U n t e r n e h m e n h a t e i n e m a r k t b e h e r r s c h e n d e S t e l l u n g in B e z u g auf e i n e b e s t i m m t e E i n r i c h t u n g o d e r I n f r a s t r u k t u r , auf d e r e n B e n u t z u n g a n d e r e U n t e r n e h m e n f ü r d i e B e d i e n u n g e i nes vor- oder nachgelagerten Marktes angewiesen sind.1238 Dies impliziert, dass es d i e s e n a n d e r e n U n t e r n e h m e n ( r e c h t l i c h o d e r f a k t i s c h ) u n m ö g l i c h s e i n m u s s , entsprechende E i n r i c h t u n g e n selbst zu schaffen.1239 ß) E i g e n e T ä t i g k e i t d e s M a r k t b e h e r r s c h e r s auf d e m a b h ä n g i g e n M a r k t I m R e g e l f a l l ist d a s b e h e r r s c h e n d e U n t e r n e h m e n s e l b e r auf d e m v o r - o d e r n a c h g e l a g e r t e n M a r k t t ä t i g . F a l l s n i e m a n d auf d e m b e t r e f f e n d e n M a r k t t ä t i g ist, d a s am Netz und der gegenläufigen Grundrechtspositionen der Wettbewerber (BB 1997, 1213, 1219). Der spezielle Durchleitungstatbestand des § 103 Abs. 5 S. 2 Nr. 4 GWB ist durch die 6. GWB-Novelle entfallen. Dafür gibt es jetzt ein nach der essential facilities-Lehre ausgestaltetes Regelbeispiel für den Missbrauch einer marktbeherrschenden Stellung in §19 Abs. 4 Nr. 4 GWB n.F. Es ist zu hoffen, dass dieser sehr viel allgemeiner gehaltene Tatbestand zu einem wirksameren Netzzugang führt, soweit dies nach dem Wegfall des Ausnahmebereichs für Versorgungsunternehmen noch erforderlich ist. Kritisch zum Verzicht auf eine spezielle Durchleitungsgrundlage unter dem Gesichtspunkt der Gewaltenteilung H. -]. Papier, BB 1997, 1213 (1220). 1237 Diskussion der Voraussetzungen bei W. Möschel, in I/M EG-Wettbewerbsrecht, Bd. I, S. 765 ff. Rdnr. 258 ff. 1238 j ) i e s e Voraussetzung war nicht erfüllt in EuG, 12.6.1997, Tiercé Ladbroke/Kommission, T-504/93, Slg. 1997,11-923. Das belgische, auf Pferdewetten spezialisierte Unternehmen Tiercé Ladhroke SA begehrte vom Rechtsinhaber die Erteilung von Lizenzen für die Fernsehübertragung französischer Pferderennen in Belgien. Das Gericht erster Instanz verneinte einen Verstoß gegen Art. 86 EGV (a.F.). Ein Missbrauch liege nicht vor: Da die betreffenden Rennvereine für Belgien überhaupt keine Lizenzen erteilt hatten, liege keine willkürliche Diskriminierung vor. Es gehe auch nicht um eine wesentliche Dienstleistung oder um ein neues Erzeugnis, dessen Erscheinen trotz einer potentiellen spezifischen, ständigen und regelmäßigen Nachfrage seitens der Kunden eingeschränkt würde (EuG, Slg. 1997,11-967 ff. Tz. 123 ff.). Die Übertragung der Pferderennen sei für die Ausübung der Haupttätigkeit, nämlich der Annahme von Pferdewetten nicht erforderlich, da das Wettgeschäft auch ohne Fernsehübertragungen praktikabel sei (EuG, Slg. 1997,11-969 Tz. 132). S. hierzu die Besprechung von V. Korah, The Ladbroke Saga, ECLR 1998, 169 ff. 1239 Diese Voraussetzung war nicht erfüllt in EuGH, 26.11.1998, Oscar Bronner/Mediaprint, Rs. C-7/97, Slg. 1998,1-7791. Die Antragsgegnerinnen betrieben den einzigen landesweit funktionierenden Zeitungsauslieferungsdienst in Osterreich. Die Antragstellerin begehrte den Zugang hierzu für ihre eigene Tageszeitung. Sie wurde darauf verwiesen, allein oder mit anderen Verlegern ein entsprechendes Hauszustellungssystem selbst zu errichten. Technische, rechtliche oder wirtschaftliche Hindernisse, die dies unmöglich machten oder zumindest unzumutbar erschwerten, seien nicht ersichtlich (Tz. 41 ff.). Hierzu D. Ehle, EuZW 1999, 89 f.; Fleischer/Weyer, Neues zur „essential facilities"-Doktrin im Europäischen Wettbewerbsrecht - Eine Besprechung der Bronner-Entscheidung des EuGH, WuW 1999, 350 ff.
C. Immaterialgüterschutz
und europäisches
509
Kartellrecht
betreffende P r o d u k t und der zugehörige M a r k t also n o c h gar nicht existieren, kann aus Art. 82 E G V auch eine Pflicht zur Eröffnung
des neuen Wettbewerbs
folgen. Voraussetzung für eine solche Pflicht ist, dass der M a r k t b e h e r r s c h e r die E n t s t e h u n g des neuen Marktes durch Einsatz der wesentlichen Einrichtung verhindert. 1 2 4 0 y) Ausschluss, bzw. Behinderung von Wettbewerbern Das marktbeherrschende U n t e r n e h m e n benutzt die wesentliche Einrichtung dazu, die abhängigen W e t t b e w e r b e r von dem vor- oder nachgelagerten M a r k t fernzuhalten. Dies setzt keinen vollständigen Ausschluss der W e t t b e w e r b e r von der Einrichtung voraus, sondern kann auch in der D u r c h s e t z u n g von K o n d i t i o n e n bestehen, welche die Wettbewerbsfähigkeit der M i t b e w e r b e r beseitigen. 8) Keine objektive Rechtfertigung E s bestehen für den Ausschluss eines Wettbewerbers v o n der wesentlichen E i n richtung keine sachlichen Gründe, wie z.B. Kapazitätsbeschränkungen oder mangelnde Qualifikation des B e w e r b e r s . 1 2 4 1 E i n Rechtfertigungsgrund für die Zugangsverweigerung kann sich auch aus Art. 86 Abs. 2 E G V e r g e b e n . 1 2 4 2 E) Versorgungsmangel? U m s t r i t t e n ist, o b ein Versorgungsmangel auf dem vor- oder nachgelagerten M a r k t für die A n n a h m e von Kontrahierungszwang erforderlich ist. 1 2 4 3 D i e F r a ge wird zu verneinen sein: D i e Feststellung eines Versorgungsmangels setzt eine Aussage darüber voraus, w o r i n eine wünschenswerte Versorgung besteht. D a rin besteht nicht nur eine „ A n m a ß u n g von W i s s e n " . 1 2 4 4 E i n e solche Voraussetzung wird auch nicht der Einstufung der essential
facilities-Lehre
als F o r m des
Behinderungsmissbrauchs gerecht. M i t b e w e r b e r sollen in dieser Fallgruppe vor Machtmissbräuchen des Marktbeherrschers geschützt werden. Das Vorliegen einer Behinderung hängt nicht von der Versorgungslage für den Verbraucher ab.1245
1240
(76).
A.A. U. Schnelle, EuZW 1994, 556 ff., z.B. 562; zweifelnd F. Montag, EuZW 1997, 71
1241 Näher zu möglichen Rechtfertigungsgründen W. Deselaers (oben Fn. 1133), EuZW 1995,563 (567 f.). 1242 F. Montag, EuZW 1997, 71 (76). 1243 Pro: W. Deselaers (oben Fn. 1133), EuZW 1995, 563 (566); P. Mennicke, ZHR 160 (1996) 626 (654) begnügt sich mit der Verbesserung der Verbraucherversorgung. Contra-, W. Möschel, in I/M EG-Wettbewerbsrecht, Bd. I, S. 767 Rdnr. 262. 1244 So der Titel der Nobelpreisrede von Hayeks aus dem Jahr 1974 (im Original: „The Pretence of Knowledge"). 1245 Der „Magill"-Fall ist insofern untypisch, als er eine Gemengelage von Behinderungsund Ausbeutungsmissbrauch umfasst. Zu der Behinderung des konkurrierenden Verlagsun-
510
4. Teil: Europäisches
Recht
Rechtsfolge Liegen die genannten Voraussetzungen vor, hat der Mitbewerber einen Anspruch auf Zugang zu der wesentlichen Einrichtung zu angemessenen Bedingungen. Grundsätzlich müssen alle Bewerber zugelassen werden. 1 2 4 6 N u r wenn dies aus Kapazitätsgründen nicht möglich ist, ist eine Auswahl nach objektiven Kriterien zu treffen. (5) „essential facilities" und Immaterialgüterrecht; insbesondere der „Magill"-Fall Die essential
facilities-hehre
w u r d e a m Beispiel p h y s i s c h e r I n f r a s t r u k t u r e n ent-
wickelt und hat ihren Hauptanwendungsbereich bei natürlichen Monopolen. 1247 Dazu gehören in erster Linie Netze aller Art, z.B. für Verkehr, Energie oder Telekommunikation, auf deren Benutzung Dienstleistungserbringer angewiesen sind. In der Literatur wird die Frage diskutiert, ob auch nicht-körperliche Einrichtungen, wie z.B. Immaterialgüterrechte, bzw. immaterialgüterrechtlich geschützte Gegenstände dem Anwendungsbereich der Lehre unterfallen können. 1 2 4 8 Geht man davon aus, dass die Lehre von den wesentlichen Einrichtungen im europäischen Kartellrecht eher ein phänomenologischer denn ein rechtlicher Begriff ist, 1249 erscheint diese Frage zweitrangig. Auch wenn man der Auffassung ist, dass immaterialgüterrechtlich geschützte Positionen keine wesentliche Einrichtung i.S. dieses Konzepts sind, folgt daraus nicht, dass Kontrahierungszwang zu verneinen ist. Es gelten dann vielmehr die allgemeinen, zu Art. 82 EGV entwickelten Regeln. Auch wenn von der Einordnung der immaterialgüterrechtlich geprägten Fälle das Ergebnis nicht abhängt, erscheint es sinnvoll, nicht auf die Körperlichkeit der Einrichtung abzustellen, sondern auf die Wettbewerbsbeziehungen der ternehmens gesellt sich die Ausbeutung der Verbraucher durch eine Einschränkung der Produktion i.S. von Art. 82 lit. b) EGV, s. dazu oben S. 481 ff. 1246 A.A. W. Möschel (in I/M EG-Wettbewerbsrecht, Bd. I, S. 767 Rdnr.261), der nur so viele Wettbewerber zulassen möchte, wie es für die Sicherstellung wirksamen Wettbewerbs erforderlich sei. Dementgegen sollte die Herausbildung der Wettbewerberzahl dem (über Art. 82 EGV geöffneten) Markt überlassen werden. Im „Magill"-Fall ist z.B. nicht einzusehen, warum nur der Magill-Verlag, nicht aber konkurrierende Verlagsunternehmen in den Genuss der wöchentlichen Programmvorschauen kommen sollten. 1247 Ein natürliches Monopol zeichnet sich dadurch aus, dass Größenvorteile („economies of scale") so bedeutend sind, dass auf Dauer nur Platz für einen Anbieter ist, vgl. Müller/Vogelsang, Staatliche Regulierung, 1979, S. 36 f. 1248 Kritisch D. Glasl, Essential Facilities Doctrine in EC Anti-trust Law: A Contribution to the Current Debate, ECLR 1994, 306 (308 und 311); 5. Turnbull, Barriers to Entry, Article 86 EC and the Abuse of a Dominant Position, ECLR 1996, 96 (101); F. Montag, EuZW 1997, 71 (75), der als wesentliche Einrichtungen nur solche gelten lässt, die nicht durch gewerbliche Schutzrechte geschützt sind (s. aber die Erwähnung von „Magill" auf S. 76). Gegen solche Engführungen P. Mennicke, ZHR 160 (1996) 626 (652). 1249 S. o. S. 506 f.
C. Immaterialgüterschutz
und europäisches
Kartellrecht
511
beteiligten Unternehmen. Entscheidend für die Wesentlichkeit der Einrichtung ist es, dass andere Unternehmen auf ihre Benutzung angewiesen sind. Dies ist sowohl bei körperlichen als auch bei unkörperlichen Positionen möglich. Der „MagiH"-Fall ist deshalb zu Recht der essential facilities-hehre zugewiesen worden. 1 2 5 0 Auch wesentliche Einrichtungen, die durch Immaterialgüterrechte vermittelt werden, sind bei Vorliegen der oben genannten Voraussetzungen den Mitbewerbern zu öffnen. 1251 N u r eine solche Vorgehensweise wird auch dem Grundsatz der Gleichbehandlung von Sach- und geistigem Eigentum gerecht. 1252 Die gleichmäßige Anwendung der Lehre auf alle wesentlichen Einrichtungen, unabhängig vom körperlichen oder geistigen Fundament, macht deutlich, dass die essential facilities-Doktr'm keine Lehre speziell für den Konflikt von Kartellrecht und Recht des geistigen Eigentums ist. Sie ist auf alle Fälle anwendbar, in denen die Beherrschung eines Marktes zur Errichtung von Zutrittsschranken für vor- oder nachgelagerte Märkte eingesetzt werden kann. Da spezifische Aussagen für den Grenzbereich von Wettbewerbsschutz und Immaterialgüterschutz nicht getroffen werden, hängt der Umfang der Anwendung von Art. 82 EGV davon ab, inwieweit überhaupt die Anwendung von Kartellrecht auf Rechte des geistigen Eigentums zugelassen wird. 1253 Die essential facilitieshehre baut erst auf diesen Grundpositionen auf. In der konkreten Handhabung der Lehre durch den Gerichtshof im „Magill"-Fall kommt aber eine Ablehnung aller Grundpositionen zum Ausdruck, die pauschal die Nichtanwendbarkeit von Art. 82 EGV auf immaterialgüterrechtlich vermittelte Marktbeherrschungen fordern. 1 2 5 4 Zu essential facilities-Erwägungen wird man deshalb erst dann 1250 Whish/Suffrin, Competition Law, 1993, S. 648; P. Crowther, ELR 1995,521 (524 f.); W. Deselaers, E u Z W 1995 (563 ff.); K. Pilny, G R U R Int. 1995, 954 (956); J.-B. Blaise, RTD eur. 1996, 747 (749 f.); P. Mennicke, Z H R 160 (1996) 626, insbesondere S. 649 ff.; F. Montag, E u Z W 1997, 71 (75 ff.). A.A. M. Meinhardt (oben Fn. 1027), S. 202 ff. 1251 Generalanwalt Jacobs (Schlussantrag vom 28.5.1998 in der Rechtssache „Oscar Bronner G m b H & C o . KG/Media Print Zeitungs- und Zeitschriften G m b H & Co KG, Rs. C-7/97 Tz. 62-65) betont die H ö h e der Anforderungen, die an eine zwangsweise Ö f f n u n g der Einrichtung zu stellen sind. O b w o h l der Fall eine physische Infrastruktur, nämlich den einzigen Österreich-weit funktionierenden Zeitungsauslieferungsdienst betraf, ging der Generalanwalt auch auf die Parallelproblematik strategisch wichtiger Rechte des geistigen Eigentums ein. S. hierzu P. Treacy, Essential Facilities - Is the Tide Turning?, E C L R 1998, 501 ff. Die Europäische Kommission ging in der Rechtssache IMS Health davon aus, dass eine urheberrechtlich geschützte Struktur zur Erhebung von Marktdaten eine marktbeherrschende Stellung vermitteln kann, und dann im Wege der Lizenzierung gegenüber den Wettbewerbern zu öffnen ist, s. hierzu oben Fn. 1199. 1252 S. dazu oben S. 494. Der Grundsatz schließt nicht aus, dass in die für die Feststellung eines Missbrauchs nötige Abwägung die verschiedenen Zielsetzungen von Sach- und geistigem Eigentum eingebracht werden können. Für eine solche, flexible Einbringung der Besonderheiten auch J.-B. Blaise, RTD eur. 1996, 747 (750). 1253 Zu den verschiedenen Grundpositionen zum Verhältnis von Immaterialgüterschutz und Kartellrecht s.o. S. 328 ff. 1254 Das vielfach kritisierte Schweigen des Gerichtshofs im „Magill"-Fall zum grundsätzli-
512
4. Teil: Europäisches
Recht
k o m m e n , wenn man - wie nach der hier vertretenen Auffassung - die A n w e n d barkeit von A r t . 82 E G V auf Immaterialgüterrechte überhaupt anerkennt. Aus der
essential
facilities-behre
lassen
sich
somit
zumindest
indirekt
auch
Schlussfolgerungen für das Verhältnis von Kartellrecht und R e c h t des geistigen Eigentums ziehen. (6) Missbrauch mit dem Missbrauch? G e g e n die essential
facilities-Doktrin,
insbesondere auch gegen ihre A n w e n -
dung auf Immaterialgüterrechte, wird bisweilen das D a m m b r u c h - A r g u m e n t vorgebracht: Bereits die Existenz der D o k t r i n führe dazu, dass jedermann sich darauf berufe. E s handele sich um ein Trojanisches Pferd, das zur Einführung einer allgemeinen Zwangslizenzregelung missbraucht werden könne. In der Rechtspraxis sei zunehmend zu beobachten, dass gegenüber jeder legitimen Verwertung selbstgeschaffener Einrichtungen, bzw. von R e c h t e n des geistigen Eigentums, der Missbrauchseinwand, gestützt auf das A r g u m e n t der wesentlichen Einrichtung, vorgebracht werde. 1 2 5 5 Solche Gefahren sind sicherlich nicht von der H a n d zu weisen. Erfahrungsgemäß wird die Existenz von Ausnahmeregelungen immer dazu führen, dass man sich auch dann auf sie beruft, wenn ihre Voraussetzungen nicht vorliegen. D i e K o s t e n des argumentativen Mehraufwands sind unvermeidbar. D u r c h eine straffe Formulierung und A n w e n d u n g der Ausnahmevoraussetzungen kann aber verhindert werden, dass bereits die Berufung auf die A u s n a h m e zu ihrer ausufernden Erweiterung führt. Diesem Ziel dient die oben aufgestellte Liste derjenigen Voraussetzungen, die zur A n n a h m e von Kontrahierungszwang unter dem Gesichtspunkt der wesentlichen Einrichtung erfüllt sein müssen. 1 2 5 6 Werden diese Punkte im Prozess der Rechtsanwendung weiter präzisiert, wird der unberechtigte R ü c k g r i f f auf das essential
facilities-Argument
seltener wer-
den. Verbleibende Fälle sind unvermeidbar: So wie jedes R e c h t der Missbrauchsgefahr unterliegt, kann auch der Missbrauchseinwand missbraucht werden. Daraus darf nicht der Schluss gezogen werden, den Missbrauchseinwand abzuschaffen. E r ist vielmehr zu konkretisieren. Ein D a m m b r u c h ist dann nicht zu befürchten. 1 2 5 7
chen Verhältnis zwischen gemeinschaftsrechtlichen Wettbewerbsregeln und nationalem Immaterialgüterschutz (s. nur C. Carreau, Europe, Juillet 1995, 1) ist also durchaus beredt. 1255 Overd/Bisbop, Essential Facilities: The Rising Tide, ECLR 1998, 183 ff.; P. Treacy (oben Fn. 1251), S. 501 (503); V. Korah (Patents and Antitrust, 1998, S. 375, 381) ist der Ansicht, dass die Magill-Voraussetzungen bei der Problematik der abhängigen Erfindungen regelmäßig vorliegen. 1256 S.o.S. 507 ff. 1257 Yg| a u c l 1 ¿¡g n a c h „Magill" ergangenen Entscheidungen Tiercé Ladbroke/Kommission (oben Fn. 1238) und Oscar Bronner/Mediaprint (oben Fn. 1239), in denen die Voraussetzungen für Lizenzierungs-, bzw. Kontrahierungszwang jeweils verneint wurden.
C. Immaterialgüterschutz
und europäisches Kartellrecht
513
(7) Anwendung der „essential facilities"-Lehre auf Immaterialgüterrechte nur bei Verhinderung neuer Produkte? Schließlich sei in diesem Zusammenhang auf eine Besonderheit des „Magill"Falls hingewiesen: Generalanwalt Gulmann machte die Anwendung von Art. 86 EGV (a.F.) davon abhängig, dass der Magill-Verlag ein völlig neues Produkt, nämlich einen bis dahin nicht existierenden wöchentlichen Programmführer vorlegen wollte. Er fügte hinzu: „Niemand w ü r d e bezweifeln, daß RTE und ITP berechtigt waren, ihr Urheberrecht auszuüben, u m die Veröffentlichung von Fernsehprogrammzeitschriften zu verhindern, die ihren eigenen Fernsehprogrammzeitschriften entsprachen."' 2 5 8
Für den Generalanwalt ist also der Gesichtspunkt entscheidend, der in Art. 82 lit. b) EGV zum Ausdruck kommt, nämlich die Einschränkung der Produktion. Der Gerichtshof stützte seine Entscheidung zwar auch auf diese Erwägung; er hielt die Einschränkung der Produktion aber nicht für den allein entscheidenden Umstand, sondern stellte als zweiten, tragenden Grund die Tatsache heraus, dass die beherrschende Stellung auf dem Markt für Programminformationen dazu benutzt werde, jeglichen Wettbewerb auf dem abgeleiteten Markt für wöchentliche Fernsehprogrammführer auszuschließen. 1 2 5 9 N u r dieser zweite Entscheidungsgrund, nicht aber der Gesichtspunkt der Einschränkung der Produktion, lässt sich der essential facilities-T>okx.r'm zuweisen. Bei der Interpretation der „Magill"-Entscheidung wird nicht immer berücksichtigt, dass der Gesichtspunkt der wesentlichen Einrichtung nur einen von zwei Begründungssträngen abdeckt. Diese Tatsache lädt zur Spekulation ein: Wie hätte der Gerichtshof entschieden, wenn der Fall keine Art. 82 lit. b) EGV-Dimension gehabt hätte, also ein umfassender wöchentlicher Programmführer bereits existiert hätte? Nach der oben angeführten Auffassung des Generalanwalts wäre in einem solchen Fall kein Platz für die Annahme von Kontrahierungszwang gewesen. Zieht man den essential facilities-Gedznken heran, erscheint diese Auffassung nicht unbestreitbar: Die typische essential facilities-Situation besteht gerade darin, dass der Inhaber der wesentlichen Einrichtung diese zur Monopolisierung eines abgeleiteten Marktes benutzt. Z.B. benutzt der Inhaber eines Hafens diesen dazu, sich selbst auch die Erbringung von Verkehrsdienstleistungen in und von diesem Hafen vorzubehalten. Die essential facilities-Lehre möchte die Monopolisierung auch des abgeleiteten Marktes verhindern. Die normale Konstellation setzt also gerade voraus, dass die Leistung auf dem abgeleiteten Markt vom Inhaber der wesentlichen Einrichtung erbracht wird. Nach dem essentialfacilities-Gedanken hängt folglich - entgegen der Auffassung des Generalanwalts - die Annahme von Kontrahierungszwang nicht da1258 1259
„Magill" Slg.1995, 1-773 Tz. 90. S. o. S. 481 ff.
514
4. Teil: Europäisches
Recht
von ab, dass n o c h kein umfassender wöchentlicher P r o g r a m m f ü h r e r existiert. 1 2 6 0 D i e essential facilities-'Dokx.r'm
passt sowohl auf Fälle, in denen der ab-
geleitete M a r k t nur v o m M a r k t b e h e r r s c h e r bedient wird, als auch auf Fälle, in denen der abgeleitete M a r k t wegen N i c h t p r o d u k t i o n ein b l o ß potentieller M a r k t ist. Entscheidend ist allein, dass die auf der wesentlichen Einrichtung beruhende M a r k t b e h e r r s c h u n g dazu eingesetzt wird, einen abgeleiteten M a r k t zu beherrschen. W i r d durch diese Einwirkung;eg/zc^er W e t t b e w e r b auf dem abgeleiteten M a r k t ausgeschlossen, so liegt ohne weiteres der Missbrauch einer marktbeherrschenden Stellung vor. 1 2 6 1 So verhält es sich im „ M a g i l l " - F a l l : D u r c h die Verweigerung der P r o g r a m m i n f o r m a t i o n e n wird jeglicher W e t t b e werb auf dem M a r k t für umfassende, wöchentliche P r o g r a m m v o r s c h a u e n ausgeschaltet. Darauf, ob die M a r k t b e h e r r s c h e r selber eine solche umfassende, wöchentliche P r o g r a m m v o r s c h a u herausbringen, k o m m t es nicht an. 1 2 6 2 (8) (Computer-)Schnittstellen D e r Gesichtspunkt der wesentlichen Einrichtung ist für N e t z w e r k e von b e s o n derer Bedeutung. D e r Z u s a m m e n h a n g zum Immaterialgüterrecht ist dort besonders eng, w o Netzwerkeigenschaften schutzrechtlich abgesichert sind. D i e s ist im M u l t i m e d i a - U m f e l d regelmäßig der Fall. P r o m i n e n t e Beispiele sind die hier zu besprechende Schnittstellen-Problematik und das Feld der N o r m i e r u n g (unten 9).
1260 pü r diejenigen, die Art. 82 E G V nicht als Grundlage für die Eröffnung eines neuen Wettbewerbs, sondern nur für die Aufrechterhaltung von Restwettbewerb sehen, würde - im diametralen Gegensatz zur Auffassung des Generalanwalts - die Annahme von Kontrahierungszwang ausscheiden, wenn noch gar kein umfassender, wöchentlicher Programmführer existierte. S. zu dieser (abzulehnenden) Auffassung oben Fn. 1240. 1 2 6 1 Die Suche nach weiteren .besonderen Umständen', die einen Missbrauch begründen könnten, ist also nicht erforderlich, so W. Deselaers, EuZW 1995, 563 (565), P. Mennicke, Z H R 160 (1996) 626 (653 f.), die davon ausgehen, dass der Gesichtspunkt der Verhinderung eines neuen Produkts nur ein zusätzliches, nicht aber ein notwendiges Argument für die Begründung eines Missbrauchs sei. Zur Kritik an „Magill", die unter Hinweis auf die beiden Entscheidungen „Renault" und „Volvo" darüber hinaus weitere Umstände verlangen möchte s.o. Fn. 1196. 1262 p e r Vollständigkeit halber sei angeführt, dass der Begriff der Leistungseinschränkung i.S. von Art. 82 lit.b) E G V nicht voraussetzt, dass vom Marktbeherrscher überhaupt keine Leistung erbracht wird. Eine Leistungseinschränkung liegt auch dann vor, wenn zwar eine Leistung erbracht wird, deren Qualität aber berechtigten Ansprüchen nicht genügt. Der Wortlaut der Vorschrift lässt bereits den Schluss zu, dass die technische Entwicklung nicht behindert werden darf, die Leistung also dem neuesten Stand der Technik entsprechen muss (vgl. EuGH, 10.12.1991, Merci Convenzionali Porto di Genova, Rs. C-179/90, Slg. 1991, 1-5889,15929 Tz. 19). Der Tatbestand der Leistungseinschränkung kommt also auch dann in Betracht, wenn vom Marktbeherrscher eine Leistung erbracht wird, die Nachfrage nach dieser Leistung aber quantitativ und/oder qualitativ nicht gedeckt wird.
C. Immaterialgüterschutz
und europäisches
Kartellrecht
515
a ) Begriff und Bedeutung Schnittstellen ( i n t e r f a c e s ) sind die Ubergänge zwischen verschiedenen Hardware-Teilen, zwischen Hardware und Software, zwischen verschiedenen Softwareprodukten und zwischen Computersystem und Mensch. 1263 Die Ausgestaltung der Schnittstelle entscheidet über die Kompatibilität einzelner Computerprodukte miteinander. 1264 Die Produzenten solcher Erzeugnisse sind auf die Kenntnis der entsprechenden Schnittstellen-Codes angewiesen, da nur so die Verwendbarkeit des Produkts im System gewährleistet ist. 1265 ß) Offenlegung oder Selbstermittlung des Schnittstellen-Code Werden Schnittstellen nicht im Wege internationaler Normung oder offizieller Standardisierung festgelegt, bilden sich häufig de facto-Standards, die von marktbeherrschenden Unternehmen gesetzt werden. Wenn der Marktbeherrscher die auf diese Standards angewiesenen Unternehmen nicht freiwillig über den Code informiert, können diese Unternehmen die nötigen Informationen über das Verfahren der Dekompilierung gewinnen. 1266 Art. 6 der Computer-
1263 Eine Umschreibung des Begriffs der Schnittstelle findet sich in den Erwägungsgründen 10-12 der Richtlinie 91/250/EWG des Rates über den Rechtsschutz von Computerprogrammen vom 14.5.1991 (ABl. L 122/42). 1264 Schnittstellenproblematik stellt sich gerade im Bereich der Informatik; ähnliche Probleme können aber in allen Bereichen der Technik auftreten. Sie sind dann nach den genannten Grundsätzen zu lösen. Um eine Schnittstellenproblematik geht es z.B. auch in Art. 6 Abs. 1 Ziffer 12 der Gruppenfreistellungsverordnung Kfz-Vertrieb (Verordnung (EG) Nr. 1475/95 der Kommission über die Anwendung von Artikel 85 Absatz 3 des Vertrages auf Gruppen von Vertriebs- und Kundendienstvereinbarungen über Kraftfahrzeuge vom 28.6.1995, ABl. L 145/25): Die Freistellung für Kraftfahrzeug-Vertriebsverträge gilt nicht, wenn der Automobilhersteller sich weigert, die für die Reparatur eines Kfz erforderlichen technischen Informationen unabhängigen Reparaturwerkstätten (gegebenenfalls gegen Entgelt) zur Verfügung zu stellen. Im Zusammenhang einer Gruppenfreistellungsverordnung handelt es sich hierbei nicht um eine Pflicht, sondern um eine Obliegenheit: Werden die genannten Informationen nicht zur Verfügung gestellt, entfällt der Rechtsvorteil der Freistellung. Die Obliegenheit besteht dann nicht, wenn die Informationen Gegenstand geistiger Eigentumsrechte sind oder als Geschäftsgeheimnisse geschützt sind. Eine Gegenausnahme besteht für den Fall, dass die Verweigerung der notwendigen technischen Informationen in missbräuchlicher Weise geschieht. Schlussfolgerungen, die über die Thematik der Freistellungswirkung hinausgehen, wird man aus der Vorschrift nicht ziehen können. Insbesondere wird man im Kfz-Bereich nicht von ¿e/kcio-Standards ausgehen können, die möglicherweise zu Informationspflichten aus Art. 82 EGV führen. Dazu ist der inter brand-Wettbewerb zwischen den Automobilherstellern zu stark. 1265 Yg[ % Pilny, Schnittstellen in Computerprogrammen, GRUR Int. 1990, 431 ff.; ders., Mißbräuchliche Marktbeherrschung gemäß Art. 86 EWGV durch Immaterialgüterrechte, GRUR Int. 1995,954(960). 1266 Der Begriff der Dekompilierung ist synonym mit dem Begriff des reverse engineering, s. d a z u J . Drexl, What Is Protected in a Computer Program?, 1994, S. 36 ff.; Beer-Gahel/Chemain, La decompilation des logiciels, RTD eur. 1991, 363 ff. Vgl. auch Erwägungsgrund 54 der
516 programm-Richtlinie1267
4. Teil: Europäisches erlaubt
den
Recht
Lizenznehmern
eines
Computerpro-
g r a m m s u n t e r b e s t i m m t e n w e i t e r e n V o r a u s s e t z u n g e n die V e r v i e l f ä l t i g u n g o d e r die U b e r s e t z u n g des S c h n i t t s t e l l e n - C o d e ,
„ u m die erforderlichen
tionen z u r H e r s t e l l u n g der Interoperabilität eines u n a b h ä n g i g
Informa-
geschaffenen
C o m p u t e r p r o g r a m m s mit anderen P r o g r a m m e n zu erhalten".1268 A r t . 6 d e r C o m p u t e r p r o g r a m m - R i c h t l i n i e ist e i n e s d e r B e i s p i e l e f ü r „ w e i s e " Gesetzgebung:1269 Ein potentieller Konflikt zwischen
Immaterialgüterrecht
u n d W e t t b e w e r b s r e c h t w i r d v o n v o r n h e r e i n d a d u r c h e n t s c h ä r f t , dass der U m fang des S c h u t z r e c h t s für einen w e t t b e w e r b s s e n s i b l e n B e r e i c h
zurückhaltend
gefasst w i r d . 1 2 7 0 D a s u r h e b e r r e c h t l i c h e Vervielfältigungsrecht w i r d für den Fall e i n g e s c h r ä n k t , dass der u n a b h ä n g i g e S o f t w a r e h e r s t e l l e r die I n f o r m a t i o n e n z u r E r z i e l u n g v o n K o m p a t i b i l i t ä t b e n ö t i g t . F ü h r t die D e k o m p i l i e r u n g z u d e n g e w ü n s c h t e n I n f o r m a t i o n e n , stellen sich kartellrechtliche F r a g e n erst gar nicht. y) S c h n i t t s t e l l e n als w e s e n t l i c h e E i n r i c h t u n g A n d e r s v e r h ä l t es s i c h d a n n , w e n n die D e k o m p i l i e r u n g d e n S c h n i t t s t e l l e n - C o d e nicht o f f e n b a r t . 1 2 7 1 I n f o r m a t i o n e n ü b e r eine Schnittstelle stellen nach der o b i Richtlinie 2 0 0 1 / 2 9 / E G zur Harmonisierung bestimmter Aspekte des Urheberrechts und der verwandten Schutzrechte in der Informationsgesellschaft vom 22. Mai 2001 (ABl. L 167/10): „[...] Kompatibilität und Interoperabilität der verschiedenen Systeme sollten gefördert werden. Es erscheint in hohem Maße wünschenswert, die Entwicklung weltweiter Systeme zu fördern." 1 2 6 7 Oben Fn. 1263; zur Richtlinie s. M. Lehmann, Die Europäische Richtlinie über den Schutz von Computerprogrammen, in: M. Lehmann (Hrsg.), Rechtsschutz und Verwertung von Computerprogrammen, 2. Aufl. 1993, S. 1 ff.; J. Drexl, What Is Protected in a Computer Program?, 1994, S. 93 ff.; P. Wand, Technische Schutzmaßnahmen und Urheberrecht, 2001, S. 64 ff. 1 2 6 8 S. hierzuJ. Drexl (vorstehende Fußnote, S. 99 ff.) sowie die in Umsetzung der Richtlinie ergangenen § § 69a ff. U r h G , insbesondere § 69e UrhG. Hierzu dürfen auch (als Ausnahme zu Art. 7 Abs. 1 lit. c) Computerprogramm-RiLi) technische Schutzmaßnahmen außer Kraft gesetzt werden, s. Erwägungsgrund 50 der Richtlinie 2 0 0 1 / 2 9 / E G zur Harmonisierung bestimmter Aspekte des Urheberrechts und der verwandten Schutzrechte in der Informationsgesellschaft vom 22. Mai 2001 (ABl. L 167/10) und P Wand (vorstehende Fußnote), S. 130 ff. 1269 H. Ullrich (Wissenschaftlich-technische Kreativität zwischen privatem Eigentum, freiem Wettbewerb und staatlicher Steuerung, 1996, S. 215 f.) weist in diesem Zusammenhang auf die Bedeutung von Schutzausnahmeregelungen hin. 1 2 7 0 Zu den Interessengegensätzen bei Entstehung der Richtlinie s. / . Drexl (oben Fn. 1267), S. 99, insbesondere Fn. 424; M. Lehmann, Freie Schnittstellen („interfaces") und freier Zugang zu den Ideen („reverse engineering"), C R 1989,1057 ff.; V. Leone, E C Competition Law and Software Contracts, Copyright World, Issue 59, April 1996, 30 (32); M. Weichselbaum, The E E C Directive on the Legal Protection of Computer Programs and U.S. Copyright Law: Should Copyright Law Permit Reverse Engineering of Computer Programs?, 14 Fordham International Law Journal 1027, insbesondere 1045 ff. (1990-1991). Teil der Interessengegensätze waren auch die transatlantischen Wirtschaftsbeziehungen: Kleinen europäischen Softwareproduzenten sollte die Möglichkeit offengehalten werden, Produkte herzustellen, die mit den Erzeugnissen der großen amerikanischen Hersteller kompatibel sind. 1271 Th. Vinje, E I P R 1992, 397 (401); ders., E I P R 1995, 297 (302); K. Pilny, G R U R Int.
C. Immaterialgüterschutz gen B e g r i f f s b e s t i m m u n g eine essential
und europäisches facility
Kartellrecht
517
dar:1272 O h n e Zugang zu den
r e l e v a n t e n I n f o r m a t i o n e n ist ein T ä t i g w e r d e n auf v o r - o d e r n a c h g e l a g e r t e n M ä r k t e n nicht möglich. D i e Zurückhaltung der I n f o r m a t i o n e n durch
den
M a r k t b e h e r r s c h e r ist als M i s s b r a u c h zu q u a l i f i z i e r e n , w e n n die o b e n a u f g e z ä h l ten V o r a u s s e t z u n g e n 1 2 7 3 erfüllt sind. I n s b e s o n d e r e darf keine z u m u t b a r e A u s w e i c h m ö g l i c h k e i t b e s t e h e n . D i e s h ä n g t in erster L i n i e v o m G r a d d e r M a r k t b e h e r r s c h u n g ab. B e s t e h t ein ( Q u a s i - ) M o n o p o l , s o w i r d s i c h aus A r t . 82 E G V r e g e l m ä ß i g eine P f l i c h t z u r O f f e n b a r u n g des S c h n i t t s t e l l e n c o d e s e r g e b e n . 6) „ I B M " D i e s w a r das E r g e b n i s des 1 9 8 4 d u r c h einen V e r g l e i c h b e i g e l e g t e n V e r f a h r e n s g e g e n I B M . I B M w a r d a m a l s i m B e s i t z v o n de facto-Standards
für den gesamten
C o m p u t e r b e r e i c h . D a s U n t e r n e h m e n h i e l t die e i n s c h l ä g i g e n S c h n i t t s t e l l e n - C o des z u r ü c k , so dass a n d e r e H a r d w a r e p r o d u z e n t e n z u r r e c h t z e i t i g e n E n t w i c k l u n g k o m p a t i b l e r P r o d u k t e n i c h t in d e r L a g e w a r e n . E i n V e r f a h r e n d e r K o m m i s s i o n auf d e r G r u n d l a g e v o n A r t . 86 E W G V w u r d e d u r c h die S e l b s t v e r pflichtung von I B M beendet, konkurrierenden P r o d u z e n t e n jeweils rechtzeitig die a k t u e l l e n S c h n i t t s t e l l e n i n f o r m a t i o n e n z u k o m m e n z u l a s s e n . 1 2 7 4 1995,954 (960) weist darauf hin, dass die Dekompilierung nur Schnittstellendaten aus Computersoftware, nicht aber aus Hardware hervorbringen kann. 1272 K. Pilny, G R U R Int. 1995, 954 (961). 1273 S. o. S. 507 ff. 1274 Kommission, Vierzehnter Bericht über die Wettbewerbspolitik 1984, 1985, Tz. 94. S. dazu F. Lomholt, The 1984 IBM Undertaking - Commission's Monitoring and Practical Effects, Competition Policy Newsletter 1998, Nr. 3, S. 7 ff. In der Selbstverpflichtung vom 1.8.1984 versprach IBM, sowohl die für ergänzende Hardware als auch die für ergänzende Software erforderlichen Informationen spätestens 120 Tage nach Ankündigung der Neuerung oder aber zum Zeitpunkt der allgemeinen Verfügbarkeit des neuen Produkts interessierten Unternehmen zur Verfügung zu stellen. Diese Pflicht bezog sich auf technische, nicht auf designbezogene Informationen. IBM behielt das Recht, eine kostendeckende Gebühr für die Bereitstellung der Informationen sowie eine angemessene Lizenzgebühr für geschützte Informationen zu verlangen. Die eingegangenen Verpflichtungen waren rechtlich nicht durchsetzbar, sondern lediglich „in good faith" abgeschlossen. Der Form nach handelte es sich um eine einseitige Verpflichtung, die vom Gesamtkontext her einem Vergleichsvertrag nahe kam. Die Kommission verzichtete auf eine Fortsetzung des Kartellverfahrens, solange der Text vom 1.8.1984 respektiert wurde. Das Verfahren war lediglich ausgesetzt, so dass bei Nichtrespektierung jederzeit eine Fortsetzung auf der Grundlage der Art. 85, 86 E W G V möglich war. Im Rahmen eines solchen Verfahrens durfte die Selbstverpflichtung in keiner Weise herangezogen werden. IBM war befugt, das Abkommen ab dem 1.1.1989 mit einjähriger Frist zu beenden. Das Unternehmen machte hiervon am 6.7.1994 mit Wirkung zum 6.7.1995 Gebrauch. Die Kommission sah angesichts der geänderten Marktbedingungen keinen Grund, das Kartellverfahren wieder aufzugreifen. Während der Laufzeit der Verpflichtung und in den Jahren danach hatte sie keine Beschwerde von IBM-Wettbewerbern in einer einschlägigen Angelegenheit erhalten (s. F. Lomholt, ebenda, S. 7, 10). Zur abweichenden Behandlung der IBM-Problematik im amerikanischen Recht s. oben S. 106 f. Kritisch zur Behandlung des IBM-Falls in Europa/. Ordover, Economic Foundations and Considerations in Protecting Industrial and Intellectual Property, 53 Antitrust Law Journal 503, 508 f. (1984).
518
4. Teil: Europäisches
Recht
e) C o m p u t e r p r o g r a m m - R i c h t l i n i e S o l c h e P f l i c h t e n w e r d e n a u c h d u r c h die C o m p u t e r p r o g r a m m - R i c h t l i n i e o f f e n g e h a l t e n . D e r d r i t t l e t z t e E r w ä g u n g s g r u n d d e r R i c h t l i n i e stellt klar, dass die A r t . 8 5 u n d 86 E G V (a.F.) d u r c h die R i c h t l i n i e u n b e r ü h r t b l e i b e n , „ w e n n ein m a r k t b e h e r r s c h e n d e r A n b i e t e r d e n Z u g a n g z u I n f o r m a t i o n e n v e r w e i g e r t , die f ü r die in d i e s e r R i c h t l i n i e d e f i n i e r t e I n t e r o p e r a b i l i t ä t n o t w e n d i g s i n d . " 1 2 7 5 D i e R i c h t l i n i e geht a l s o d a v o n aus, dass die F r e i g a b e d e r D e k o m p i l i e r u n g in A r t . 6 d e r R i c h t l i n i e n i c h t n o t w e n d i g e r w e i s e alle K o n f l i k t e z w i s c h e n U r h e b e r r e c h t u n d W e t t b e w e r b s r e c h t a u s s c h l i e ß t . R e i c h t die E i n s c h r ä n k u n g des u r h e b e r r e c h t l i c h e n S c h u t z b e r e i c h s in A r t . 6 n i c h t aus, u m d e n auf die S c h n i t t s t e l l e n i n f o r m a t i o n e n a n g e w i e s e n e n U n t e r n e h m e n die H e r s t e l l u n g v o n K o m p a t i b i l i t ä t zu e r m ö g l i c h e n , k ö n n e n s i c h aus A r t . 82 E G V O f f e n l e g u n g s p f l i c h t e n e r g e b e n . D i e B e d e u t u n g des E r w ä g u n g s g r u n d e s b e s c h r ä n k t sich n i c h t auf die ( b a n a l e ) A u s s a g e , dass die s e k u n d ä r r e c h t l i c h e R i c h t l i n i e d e n p r i m ä r r e c h t l i c h e n W e t t b e werbsregeln nicht entgegenstehen kann.1276 D e r Erwägungsgrund
bestätigt
v i e l m e h r die o b e n g e m a c h t e A u s s a g e , dass ein m a r k t b e h e r r s c h e n d e s U n t e r n e h m e n , das i m B e s i t z eines de facto-Standards
ist, die E n t s t e h u n g k o m p a t i b l e r
P r o d u k t e n i c h t d u r c h die Z u r ü c k h a l t u n g v o n I n f o r m a t i o n e n ü b e r die S c h n i t t stelle b e h i n d e r n d a r f . 1 2 7 7 D i e s e A u s s a g e trägt z u r K o n k r e t i s i e r u n g v o n A r t . 8 2 E G V bei.1278
1 2 7 5 S. hierzu M. Lehmann, Die kartellrechtlichen Grenzen der Lizenzierung von Computerprogrammen, in: M. Lehmann (Hrsg.), Rechtsschutz und Verwertung von Computerprogrammen, 2. Aufl. 1993, S. 775 ff. 1 2 7 6 Auf diese Selbstverständlichkeit beschränken sich Erwägungsgrund 36 der Satellitenund Kabelrichtlinie (Richtlinie 93/83/EWG des Rates zur Koordinierung bestimmter Urheber- und leistungsschutzrechtlicher Vorschriften betreffend Satellitenrundfunk und Kabelweiterverbreitung vom 27.9.1993, ABl. L 248/15), Erwägungsgrund 18 der Geschmacksmusterrichtlinie (Nachweis unten Fn. 1372) und Art. 9 der Richtlinie 2001/29/EG zur Harmonisierung bestimmter Aspekte des Urheberrechts und der verwandten Schutzrechte in der Informationsgesellschaft vom 22. Mai 2001 (ABl. L 167/10), der allerdings auch das nationale Kartellrecht umfasst. 1 2 7 7 Auch im umgekehrten Fall, nämlich der frühzeitigen Ankündigung von Produktinnovationen, kann ein Missbrauch liegen, z.B. wenn die Ankündigung darauf abzielt, konkurrierende oder abhängige Produkte jetzt schon als veraltet erscheinen zu lassen und deren Absatz dadurch zu behindern, s. H. Fleischer, Behinderungsmißbrauch durch Produktinnovation, 1997, S. 91 ff., mit Beispielen aus der amerikanischen Praxis. 1 2 7 8 Ähnlich konstruktiv ist Erwägungsgrund 47 der Datenbank-Richtlinie (oben Fn. 1169): „Zur Förderung des Wettbewerbs zwischen Anbietern von Informationsprodukten und —diensten darf der Schutz durch das Schutzrecht sui generis nicht in einer Weise gewährt werden, durch die der Mißbrauch einer beherrschenden Stellung erleichtert würde, insbesondere in bezug auf die Schaffung und Verbreitung neuer Produkte und Dienste, die einen Mehrwert geistiger, dokumentarischer, technischer, wirtschaftlicher oder kommerzieller Art aufweisen. Die Anwendung der gemeinschaftlichen oder einzelstaatlichen Wettbewerbsvorschriften bleibt daher von den Bestimmungen dieser Richtlinie unberührt." Dem entspricht Art. 13, der die Richtlinie auch unter den Vorbehalt des Kartellrechts stellt. Art. 16 Abs. 3 der Richtlinie verpflichtet die Kommission, alle drei Jahre einen Bericht über die Anwendung der
C. Immaterialgüterschutz
und europäisches
Kartellrecht
519
y Schnittstellenproblematik und Ausschließlichkeitsrechte Die für Schnittstellen gemachten Aussagen gelten unabhängig davon, ob Sond e r r e c h t s s c h u t z b e s t e h t . 1 2 7 9 W e n n die essenlial facihties-Voraussetzungen vorliegen, ist A u s k u n f t ü b e r d e n S c h n i t t s t e l l e n - C o d e z u g e b e n . D a s Z u g a n g e r s t r e b e n d e U n t e r n e h m e n darf also nicht s e l b e r in d e r L a g e sein, e i n e e n t s p r e c h e n d e E i n r i c h t u n g h e r z u s t e l l e n . O b d i e U n m ö g l i c h k e i t d e r D u p l i z i e r u n g auf r e c h t l i c h e n o d e r t a t s ä c h l i c h e n G r ü n d e n b e r u h t , ist d e m g e g e n ü b e r u n e r h e b l i c h . E n t s c h e i d e n d ist, dass vor- o d e r n a c h g e l a g e r t e M ä r k t e n u r ü b e r das N a d e l ö h r d e r wesentlichen Einrichtung bedient werden können. Die Irrelevanz von Immater i a l g ü t e r r e c h t e n f ü r d i e A n w e n d b a r k e i t der essential facilities-Lehre, und damit v o n A r t . 82 EGV, u n t e r s t r e i c h t , dass nicht die A r t b e s t e h e n d e r E i g e n t u m s r e c h te, s o n d e r n der g e s a m t e r e c h t l i c h e u n d w i r t s c h a f t l i c h e Z u s a m m e n h a n g ü b e r d i e A n w e n d b a r k e i t v o n K a r t e l l r e c h t entscheidet. (9) D e f a c t o - N o r m e n Ä h n l i c h w i e C o m p u t e r - S c h n i t t s t e l l e n sind de facto-Normen c h e n der T e c h n i k z u b e h a n d e l n .
in anderen Berei-
a ) Begriff N a c h d e r B e g r i f f s b e s t i m m u n g d e r K o m m i s s i o n ist e i n e N o r m „eine t e c h n i s c h e B e s c h r e i b u n g eines P r o d u k t s o d e r eines V o r g a n g s , d i e v o n e i n e r g r o ß e n Z a h l H e r s t e l l e r u n d B e n u t z e r a n e r k a n n t w i r d . " 1 2 8 0 N o r m e n w e r d e n auf f r e i w i l l i g e r Richtlinie vorzulegen. Der Bericht soll insbesondere der Frage nachgehen, ob die Anwendung des sui generis-Schutzes von Datenbanken (im Gegensatz zum Schutz nach Urheberrecht) „zu Mißbräuchen einer beherrschenden Stellung oder anderen Beeinträchtigungen des freien Wettbewerbs geführt hat, die entsprechende Maßnahmen rechtfertigen würden, wie insbesondere die Einführung einer Zwangslizenzregelung". Die zitierten Passagen belegen, dass die Schaffung neuer Immaterialgüterrechte als Entscheidung unter Unsicherheit einzustufen ist. Es besteht die Möglichkeit, dass der Wettbewerb ernsthaft beeinträchtigt wird. Andererseits bestehen gute Gründe für die Einführung des neuen Schutzrechts. Es ist zu begrüßen, dass Chancen und Risiken in ein angemessenes Verhältnis gebracht werden. Einerseits kann schon nach geltendem Recht Fehlentwicklungen mit den Wettbewerbsregeln entgegengesteuert werden. Andererseits wird eine Beobachtungspflicht eingeführt, die bei dauerhaften Fehlentwicklungen auf eine Rechtsänderung, z.B. auf die Einführung von Zwangslizenzen abzielt. Ursprüngliche Versionen der Datenbankrichtlinie sahen allerdings bereits Möglichkeiten der Zwangslizenzierung in Monopolsituationen vor, die auf Druck von Interessengruppen wieder herausgenommen wurden; das Resultat, also die Anwendbarkeit des allgemeinen Wettbewerbsrechts und die Beobachtungspflicht ist also bereits ein Kompromiss, s. hierzu W. R. Cornish, Intellectual Property, 1996, S. 459 f. Ziffer 13-43. 1279 K. Pilny, GRUR Int. 1995, 954 (961). 1280 Kommission, Gewerbliche Schutzrechte und Normen, KOM (92) 445 endg. v. 27.10.1992, S. 2 Ziffer 2.1.1. Enger die Definition in Art. 1 der Richtlinie 98/34/EG des Europäischen Parlaments und des Rates vom 22. Juni 1998 über ein Informationsverfahren auf dem Gebiet der Normen und technischen Vorschriften (ABl. L 204/37), die auf die Annahme durch ein anerkanntes Normengremium abstellt. Für die Zwecke des Kartellrechts eher geeignet ist
520
4. Teil: Europäisches
Recht
Basis festgelegt, in der Regel auf Grund eines bestimmten Verfahrens innerhalb einer anerkannten Normenorganisation. Beruht die Norm nicht auf der Festlegung durch ein Normungsgremium, sondern lediglich auf dem hohen Marktanteil einer bestimmten technischen Lösung, spricht man von einer de factoNorm. Nur bei den de facto-Normen stellen sich Zugangsprobleme, da die nötigen Informationen u.U. geheimgehalten werden; Informationen über „offizielle" Normen und die damit verbundenen technischen Spezifikationen sind dagegen jedermann zugänglich. 1281 Die Entstehung einer Norm hängt sogar davon ab, dass die betreffenden Schutzrechtsinhaber ihre Lizenzbereitschaft erklären. 1282 ß) de facto-Normen
als wesentliche Einrichtungen
Probleme des Normzugangs haben sich bisher vor allem im Telekommunikationsbereich gestellt. 1283 Unabhängig vom betroffenen Sektor lassen sich aber gemeinsame Prinzipien finden. In der Regel wird das Unternehmen ein Interesse an der Offenlegung der nötigen Informationen haben, da seine Stellung durch die Verbreitung kompatibler Produkte gestärkt wird. 1284 Bevorzugt der Inhaber des de facto-Standards dagegen die Geheimhaltung, so können sich aus der essentialfacilities-Lehre Offenlegungspflichten ergeben. Die Annahme solcher Pflichten setzt voraus, dass die de facto-Norm eine marktbeherrschende die weite Begriffsbestimmung in Fn. 47 der von der Europäischen Kommission verabschiedeten Leitlinien über horizontale Zusammenarbeit (ABl. 2001 C 3/2), die der im Text zitierten Definition nahekommt. 1 2 8 1 „Eine technische Spezifikation, zu der nicht alle potentiellen Benutzer Zugang haben, ist keine Norm.", Kommission, Gewerbliche Schutzrechte und Normen (vorstehende Fußnote), S. 4 Ziffer 2.1.12. 1 2 8 2 Zu den einschlägigen Bestimmungen der größten Normungsgremien s. Kommission, ebenda, S. 5 f. Ziffer 2.2.3-2.2.5 und S. 16 ff. Ziffer 4.3.1 ff. 1 2 8 3 C. Doutrelepont, G R U R Int. 1994, 302 (307 f.); K. Pilny, G R U R Int. 1995, 954 (961). S. hierzu Kommission, Leitlinien für die Anwendung der EG-Wettbewerbsregeln im Telekommunikationsbereich, ABl. C 233 vom 6.9.1991, S. 21 Ziffer 112 ff.: „112. Zu Verstößen gegen Artikel 86 kann es insbesondere bei der mißbräuchlichen Ausübung von gewerblichen Schutzrechten im Zusammenhang mit Normen kommen, die im Telekommunikationsbereich von entscheidender Bedeutung sind. Normen sind entweder das Ergebnis einer internationalen Standardisierung oder De-facto-Normen, d.h. Eigentum bestimmter Unternehmen. 113. Die Produzenten von Endgeräten und Anbieter von Dienstleistungen sind auf Normen einzelner Unternehmen angewiesen, um die Kompatibilität ihrer Computer-Ressourcen sicherzustellen. Ein Unternehmen, das eine vorherrschende Netzarchitektur besitzt, könnte eine beherrschende Stellung mißbräuchlich nutzen, indem es die für die Verbindung von Ressourcen anderer Architekturen mit Produkten seiner Architektur erforderlichen Informationen verweigert. ... 115. Besonders schwierig ist die Frage, wie das Urheberrecht an solchen Normen mit den Wettbewerbsbestimmungen zu vereinbaren ist. Auf keinen Fall aber darf das Urheberrecht in unangemessener Weise dazu benutzt werden, den Wettbewerb einzuschränken." 1284 Kommission stellte in ihrer Mitteilung (oben Fn. 1280, S. 15 Ziffer 4.2.9) in Bezug auf de facto-Normen fest: „Der Kommission ist bisher kein Fall bekannt, in dem der Inhaber von Schutzrechten sich geweigert hätte, Lizenzen zu vergeben, damit eine bereits anerkannte Norm auch angewendet werden kann."
C. Immaterialgüterschutz
und europäisches
Kartellrecht
521
Stellung vermittelt und als „wesentliche Einrichtung" einzustufen ist. Außerdem müssen die anderen Voraussetzungen der Lehre erfüllt sein. 1285 Liegen der de facto-Norm Immaterialgüterrechte zugrunde, so haben die erforderlichen Abwägungsvorgänge davon auszugehen, dass die Durchsetzung faktischer Normen das Ergebnis erheblicher Forschungs- und Innovationsanstrengungen ist, die durch den Erfolg am Markt belohnt sein wollen. Wird die wesentliche Einrichtung allerdings dazu eingesetzt, auch die Herrschaft über vor- oder nachgelagerte Märkte zu erlangen, ist die Frage zu stellen, ob es der Zweck des Schutzrechts im konkreten Fall erfordert, dem Inhaber die freie Verfügungsgewalt auch über die von der de facto-Norm abhängenden Märkte zu überlassen. Im Regelfall wird die Herrschaft über den Hauptmarkt die Innovationsanstrengungen angemessen abgelten. Es wird nicht erforderlich sein, auch die Beherrschung aller von der de facto-Norm abhängigen Märkte zuzugestehen. y) Rechtsfolgen In diesem Zusammenhang sei auf ein Besonderheit der Rechtsfolge in den Fällen der Abhängigkeit von einer de facto-Norm hingewiesen. In der Regel wird hier nicht wie im „Magill"-Fall die Lizenzierung eines Schutzrechts begehrt. Es werden vielmehr Informationen über technische Eigenschaften nachgefragt, die zur Herstellung kompatibler Produkte erforderlich sind. Normalerweise ist zur Herstellung des kompatiblen Produkts keine Lizenz erforderlich. Die Informationen über den de facto-Standard sind nur deshalb erforderlich, weil ohne sie das eigene Produkt mit dem herrschenden Erzeugnis nicht harmonieren würde. Die auf der Grundlage von Art. 82 EGV begehrte Rechtsfolge ist also nicht die Erteilung einer Lizenz, sondern die - weniger weitgehende - Erteilung von Informationen. Anders verhält es sich, wenn es nicht um die Herstellung kompatibler Produkte, sondern um die Herstellung des durch die de facto-Norm beschriebenen Produkts selbst geht. Hier helfen bloße Informationen nicht weiter. Liegen der de facto-Norm Schutzrechte zugrunde, so ist die Produktion eines die N o r m einhaltenden Erzeugnisses i.d.R. nur bei Erteilung einer Lizenz möglich. Im Gegensatz zur Herstellung kompatibler Produkte hat hier die Verweigerung der Lizenz nicht die Erstreckung einer beherrschenden Stellung auf vor- oder nachgelagerte Märkte zur Folge. Konkurrenten sollen vielmehr keinen Zugang zum beherrschten Hauptmarkt bekommen. Dies ist ein mit dem Missbrauchsverbot zu vereinbarendes Anliegen. Die Verteidigung einer durch Leistung erlangten Stellung am Markt, z.B. durch die Verweigerung von Lizenzen, ist zulässig, wenn nicht besondere, einen Missbrauch begründende Umstände hinzutreten. Die Lizenzverweigerung, die sich auf das von der de /«cio-Norm 1285
S. o. S. 507 ff.
522
4. Teil: Europäisches
Recht
beschriebene P r o d u k t bezieht, ist also - im Gegensatz zur Informationsverweigerung zwecks Herstellung kompatibler P r o d u k t e - in der Regel nicht missbräuchlich. 1 2 8 6 E i n außergewöhnlicher U m s t a n d , der eine Lizenzierungs-, bzw. Offenlegungspflicht nahe legt, kann aber darin bestehen, dass keine alternative Technologie zur Verfügung steht. 1 2 8 7 f ) Strukturmissbrauch
(einschließlich
Fusionskontrolle)
D i e Fallgruppe des Strukturmissbrauchs wurde bereits oben bei der grundsätzlichen Frage nach dem Verhältnis von Marktbeherrschung und Missbrauch angesprochen. 1 2 8 8 U n t e r den Begriff des Strukturmissbrauchs fasst man diejenigen Fälle, in denen bloße Veränderungen der M a r k t s t r u k t u r als Missbrauch gewertet werden, ohne dass andere missbräuchliche Verhaltensweisen hinzutreten müssen. Strukturmissbräuche k ö n n e n auf externem oder internem U n t e r nehmenswachstum beruhen. Regeln über externes
Unternehmenswachstum
finden sich heute in erster Linie im F u s i o n s k o n t r o l l r e c h t (1), auch wenn A r t . 82 E G V in diesem Zusammenhang als N o r m des Primärrechts weiterhin Gültigkeit behält. 1 2 8 9 Wegen der Überlagerung
durch F u s i o n s k o n t r o l l r e c h t
A r t . 82 E G V heute aber seine Hauptbedeutung im Bereich des internen
hat
Unter-
nehmenswachstums (2). M i t B e z u g auf das R e c h t des geistigen Eigentums stellt sich die Frage, inwieweit Immaterialgüterrechte einer auf Art. 82 E G V gestützten Strukturkontrolle entgegenstehen k ö n n e n (3). (1) F u s i o n s k o n t r o l l e 1 2 9 0 a ) Zusammenschlusstatbestand G e m . A r t . 3 Abs. 1 F K V O wird ein Zusammenschluss durch F u s i o n oder durch K o n t r o l l e r w e r b bewirkt. W ä h r e n d unter einer F u s i o n die Herstellung recht-
1286 g e j ^offiziellen" Normen stellt sich das Problem dagegen nicht. Im Gegensatz zu de facto-Normen setzt die Erstarkung zur „offiziellen" Norm die Erklärung der Lizenzbereitschaft durch die betroffenen Schutzrechtsinhaber voraus (s.o. S. 104 f. und S. 520). In der Regel hat ein Unternehmen ein Interesse daran, dass eine von ihm entwickelte Technik zur „offiziellen" Norm wird, da dadurch der Absatz eigener, bzw. lizenzierter Produkte gefördert und die Entwicklung konkurrierender Technologien erschwert wird (Kommission, oben Fn. 1280, S. 3 Ziffer 2.1.6-2.1.9). Die Fälle, in denen die Entstehung einer „offiziellen" Norm durch Verweigerung der Lizenzbereitschaft verhindert wird, werden deshalb eher selten sein. Nichtsdestoweniger werden gerade diese seltenen Fälle für den Wettbewerb am gefährlichsten sein: Mit einer bloßen de facto-Norm wird man sich insbesondere dann bescheiden, wenn konkurrierende Technologien nicht in Sicht sind und damit selbst hypothetische Substitutionsmöglichkeiten ausscheiden. Die Missbrauchsgefahren sind deshalb hier besonders groß. 1287 F. Montag, EuZW 1997, 71 (77). 1288 S . o . S . 4 4 7 f . 1289 S. hierzu schon oben Fn. 999. 1290 S. hierzu allgemein M. Broberg, The European Commission's Jurisdiction to Scrutinise Mergers, 1998.
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Kartellrecht
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licher oder wirtschaftlicher Einheit verstanden w i r d , 1 2 9 1 setzt der K o n t r o l l e r w e r b voraus, dass z . B . durch den E r w e r b von Anteilsrechten, Vermögenswerten, E i g e n t u m s - oder N u t z u n g s r e c h t e n ein bestimmender Einfluss auf ein anderes U n t e r n e h m e n ausgeübt werden kann. E s reicht aus, dass Teile des U n t e r nehmensvermögens erworben werden, wenn dadurch die K o n t r o l l e über das andere U n t e r n e h m e n erlangt w i r d . 1 2 9 2 A u f diese A r t kann auch der b l o ß e E r werb von Schutzrechten einen Zusammenschlusstatbestand darstellen und damit der F u s i o n s k o n t r o l l e unterfallen. 1 2 9 3 In der B e k a n n t m a c h u n g über den B e griff des Zusammenschlusses hat die K o m m i s s i o n ausdrücklich festgestellt, dass beispielsweise der E r w e r b von Marken oder L i z e n z e n z u m K o n t r o l l e r werb führen k a n n . 1 2 9 4 Dies entspricht der Auslegung der Zusammenschlusstatbestände im deutschen Kartellrecht: In der Rechtssache „ F r a p p a n " qualifizierte das Bundeskartellamt den E r w e r b einer Marke als Zusammenschluss und u n terwarf ihn damit der F u s i o n s k o n t r o l l e . 1 2 9 5 D i e Fälle, in denen der E r w e r b eines Schutzrechts oder einer L i z e n z als Z u sammenschluss zu werten ist, werden eher selten sein. D i e Rechtsfolge in diesen Fällen besteht in der Anwendbarkeit der Fusionskontrollvorschriften. D i e s e k ö n n e n einerseits zu einer Belastung führen, nämlich zur A n o r d n u n g von A u f lagen oder gar zur Untersagung der Fusion bei Vorliegen der Eingreifkriterien. Andererseits bringt die Anwendbarkeit des F u s i o n s k o n t r o l l r e c h t s eine Privile1 2 9 1 S. Abschnitt II der Mitteilung der Kommission über den Begriff des Zusammenschlusses der Verordnung (EWG) Nr. 4064/89 des Rates über die Kontrolle von Unternehmenszusammenschlüssen, ABl. 1998 C 66. Restriktiv zum Begriff der wirtschaftlichen (im Gegensatz zur rechtlichen) Fusion U. Immenga, in I/M EG-Wettbewerbsrecht, Bd. I, S. 920 ff. Rdnr. 16 ff., der die damit bezeichneten Fälle in der Regel dem Merkmal des Kontrollerwerbs zuweist. 1 2 9 2 Im Gegensatz zum deutschen Recht (§37 Abs. 1 Nr. 1 G W B ) muss sich der Erwerb nicht auf einen wesentlichen Teil des Vermögens beziehen; entscheidend ist, ob Kontrollerwerb eintritt, so L a n g e n / L ö f f l e r , KartR, 9. Aufl. 2001, Art. 3 F K V O 4064/89 Rdnr. 26. Vermittelnd U. Immenga, in I/M EG-Wettbewerbsrecht, Bd. I, S. 930 f. Rdnr. 41, mit Nachweis der Gegenmeinung. 1 2 9 3 In der Regel wird es sich allerdings umgekehrt verhalten: Fusion oder Kontrollerwerb führen dazu, dass auch die bestehenden Schutzrechte auf den Erwerber übergehen. Der Erwerb der Schutzrechte ist häufig sogar entscheidendes Motiv für den Unternehmenserwerb (U. Immenga, in I/M EG-Wettbewerbsrecht, Bd. I, S. 1075 Rdnr. 31). Es ist dann zu prüfen, ob diese Schutzrechte dazu führen, dass eine beherrschende Stellung begründet oder verstärkt wird (s. Art. 2 Abs. 2 und 3 FKVO). Vgl. in diesem Zusammenhang die Rechtssache „Tetra Pak I" oben S. 458 f. 1294 Kommission, Mitteilung über den Begriff des Zusammenschlusses (oben Fn. 1291), Abschnitt III Tz. 11 mit dem zusätzlichen Hinweis: „Die Vermögenswerte müssen dann aber ein Geschäft bilden, dem sich eindeutig ein Marktumsatz zuweisen läßt." (S. dazu auch Abschnitt III 7 Tz. 46 Fn. 17 der Mitteilung der Kommission über den Begriff der beteiligten Unternehmen in der Verordnung (EWG) Nr. 4064/89 des Rates über die Kontrolle von Unternehmenszusammenschlüssen, ABl. 1998 C 66). Die Erforderlichkeit eines signifikanten Marktumsatzes soll die unberechtigte Inanspruchnahme des Fusionsprivilegs verhindern. 1 2 9 5 S.o. S. 175 Fn. 251.
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4. Teil: Europäisches
Recht
gierung mit sich: Art. 82 EGV ist wie Art. 81 EGV (in der Regel) neben dem Fusionskontrollrecht nicht anwendbar. 1296 Die auf Art. 82 EGV gestützte Kontrolle externen Unternehmenswachstums nach der „Continental Can"-Doktrin 1297 hat ihre Bedeutung heute weitgehend verloren. ß) Begründung oder Verstärkung einer beherrschenden Stellung Rechte des geistigen Eigentums können auch bei der materiellen Prüfung des Zusammenschlussvorhabens von Bedeutung sein. Gem. Art. 2 Abs. 1 S.2 b) F K V O ist auch auf die rechtlichen oder tatsächlichen Marktzutrittsschranken abzustellen. Ausschlussrechte können rechtliche Schranken in diesem Sinn darstellen, wenn sie den Zugang zu einem relevanten Markt erschweren. 1298 Dies ist von Bedeutung für das entscheidende materiell-rechtliche Kriterium bei Beurteilung der Fusion, nämlich die Begründung oder Verstärkung einer beherrschenden Stellung (Art. 2 Abs. 2 und 3 FKVO). Für die Auslegung des fusionskontrollrechtlichen Begriffs der Marktbeherrschung kann auf Art. 82 EGV 1 2 9 9 verwiesen werden, ohne dass notwendigerweise dem Begriff in beiden Zusammenhängen die gleiche Bedeutung zukommen müsste. 1300 In Fällen, in denen ein Zusammenschluss eigentlich zu untersagen wäre, aber durch Änderungen seitens der beteiligten Unternehmen, bzw. durch Bedingungen oder Auflagen durch die Kommission legalisiert werden kann (vgl. Art. 8 Abs. 2 FKVO), kann eine Änderung in der Schutzrechtspolitik von ausschlaggebender Bedeutung sein. So wurde die Fusion der beiden amerikanischen Flugzeugproduzenten Boeing und McDonnell Douglas erst genehmigt, nachdem sich Boeing dazu verpflichtet hatte, anderen Flugzeugherstellern Zugang zu bestimmten Patenten einzuräumen. 1301 Diese Vorgehensweise hat die Kom-
1296
Vgl. bereits oben Fn. 999. S. o. Fn. 998. 1298 U. Immenga, in I/M EG-Wettbewerbsrecht, Bd. 1,1997, S. 885 Rdnr. 155. S. z.B. Europäische Kommission, XXVIII. Bericht über die Wettbewerbspolitik 1998, 1999, Tz. 154: Eine Fusion der beiden Fachverlage Wolters Kluwer und Reed Elsevier führe zur Marktabschottung, „indem die Verbindung der Finanzmittel der beteiligten Unternehmen mit ihrem Eigentum an urheberrechtlich geschütztem Material vorhandene und potentielle Wettbewerber von der Durchführung von Investitionen abhalten könnte." Zu Patenten als Marktzutrittsschranke s. Europäische Kommission, 17.7.1996, ABl. 1997 L 201/1, Nr. 99 ff. (Novartis-Fusion). 1299 Und damit insbesondere auf oben S. 432 ff. 1300 U. Immenga, in I/M EG-Wettbewerbsrecht, Bd. I, S. 823 Rdnr. 3. 1301 Es handelte sich um Patente, die vornehmlich aus dem militärischen Bereich stammten, und die mit staatlichen Subventionen entwickelt worden waren. Außerdem waren langlaufende Exklusivverträge aufzulösen, s. Europäische Kommission, XXVII. Bericht über die Wettbewerbspolitik 1997, 1998, Tz. 170. Die Novartis-Fusion wurde ebenfalls von der Lizenzierung bestimmter Schutzrechte abhängig gemacht, s. Europäische Kommission, 17.7.1996, ABl. 1997 L 201/1, Nr. 276-280, und o. S. 66 Fn. 133. Auflagen mit dem Ziel, dritten Unternehmen den Zugang zu Patenten oder K n o w - H o w zu ermöglichen, sieht die Monopolkommission (in Bezug auf deutsches Kartellrecht) in der Nähe einer laufenden Verhaltenskontroi1297
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Kartellrecht
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mission in ihrer Mitteilung über Abhilfemaßnahmen aus dem Jahr 2001 institutionalisiert. 1 3 0 2 Ist die Veräußerung eines lebensfähigen Geschäfts an einen geeigneten Käufer nicht möglich, sind andere Abhilfemaßnahmen zu ergreifen, z.B. die Erleichterung der Marktzutritts durch Zugangsgewährung zu „Schlüsseltechnologien, zu denen Patente, K n o w - h o w oder andere geistige Eigentumsrechte gehören". 1 3 0 3 (2) Internes Unternehmenswachstum Unter internem Unternehmenswachstum werden in diesem Zusammenhang Strukturveränderungen verstanden, die nicht das Ergebnis eines Unternehmenskaufs sind, sondern aus der Ausdehnung bestehender Geschäftstätigkeit resultieren. Es gehört zur Normalität einer funktionierenden Marktwirtschaft, dass es ständig zu solchen Strukturveränderungen kommt. Es ist kennzeichnend für ein Wettbewerbssystem, dass Unternehmen Anteile an bestehenden und zukünftigen Märkten erwerben oder stärken möchten und dabei unterschiedlichen Erfolg haben. Die damit verbundenen Strukturänderungen sind Indikator des unternehmerischen Erfolgs; positive Strukturänderungen sind die Belohnung für bessere Leistungen am Markt. Strukturänderungen sind also grundsätzlich nicht als Missbrauch marktbeherrschender Stellungen zu qualifizieren, im Gegenteil: Sie sind in der Marktwirtschaft erwünscht.
le, die gem. § 40 Abs. 3 S. 2 G W B unzulässig ist (Monopolkommission, Hauptgutachten X I I I (1998/1999), 2001, Tz. 65, 519). Dem wird man nicht zustimmen können: Wie die Kommission in ihrer Mitteilung über Abhilfemaßnahmen klargemacht hat (unten Fn. 1302), kommt in erster Linie die vollständige Veräußerung der betreffenden Technologie in Frage. Wenn dies nicht ratsam ist, ist eine ausschließliche Lizenz zu erteilen (unten Fn. 1303). Eine Überwachung ist nur für den Zeitraum bis zur endgültigen Veräußerung, bzw. Lizenzierung erforderlich. Durch die Setzung klarer Fristen (Mitteilung, Tz. 48) wird die Gefahr einer ständigen Verhaltenskontrolle vermieden. 1302 Mitteilung der Kommission über im Rahmen der Verordnung ( E W G ) Nr. 4064/89 des Rates und der Verordnung (EG) Nr. 447/98 der Kommission zulässige Abhilfemaßnahmen (ABl. 2001, C 68/3). S. hierzu Europäische Kommission, X X X . Bericht über die Wettbewerbspolitik 2000, 2001, Tz. 268 ff. 1 3 0 3 Mitteilung (oben Fn. 1302) Tz. 28. Zu den Einzelheiten s. Tz. 29: „Stellt sich das Wettbewerbsproblem aufgrund der Kontrolle über eine Schlüsseltechnologie, so ist die Veräußerung der betreffenden Technologie die beste Abhilfemaßnahme, da hierdurch jede weitere Beziehung zwischen der fusionierten Einheit und ihren Wettbewerbern unterbunden wird. Allerdings kann die Kommission auch Lizenzvereinbarungen (vornehmlich ausschließliche Lizenzen ohne irgendeine Verwendungsbeschränkung für den Lizenznehmer) als Alternative akzeptieren, wenn z. B. durch eine Veräußerung effiziente, fortlaufende Forschungstätigkeiten behindert würden. Sie hat diese Lösung bei Zusammenschlüssen gewählt, an denen z. B. Arzneimittelunternehmen beteiligt waren."
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Recht
a) Anwendungsfälle Anders verhält es sich, wenn Strukturänderungen nicht auf Leistung, sondern auf dem Einsatz wirtschaftlicher Macht beruhen. Wie bereits ausgeführt, 1304 lassen sich zwei Paradigmata für internen Strukturmissbrauch aufzeigen: 1305 Nach der Telemarketing-Doktrin 1306 darf die beherrschende Stellung auf einem Markt ohne objektives Bedürfnis nicht auf einen benachbarten, aber getrennten Markt ausgedehnt werden, wenn dadurch jeglicher Wettbewerb seitens anderer Unternehmen ausgeschaltet zu werden droht. Nach der essential facilities-heb.reU07 darf der Inhaber einer nicht duplizierbaren Einrichtung nicht den Zugang zu abhängigen Märkten versperren, sondern muss diese unter bestimmten Voraussetzungen anderen Unternehmen zugänglich machen. Kennzeichnend für diese Fälle ist die Tatsache, dass eine marktbeherrschende Stellung auf einem bestimmten Markt dazu benutzt wird, andere Märkte unter Kontrolle zu halten oder zu bringen. In diesen Fällen wird vermutet, dass nicht leistungs-, sondern machtbedingtes Wachstum vorliegt. ß) Strukturmissbrauch auch bei Veränderungen des beherrschten Marktes? Denkbar ist es aber auch, dass eine marktbeherrschende Stellung dazu benutzt wird, die Kontrolle über den beherrschten Markt selbst auszubauen. Bei externem Unternehmenswachstum löst eine solche Verstärkung einer beherrschenden Stellung nach Art. 2 Abs. 3 F K V O in der Regel ein Fusionsverbot aus. Bei internem Unternehmenswachstum ist in solchen Fällen dagegen von leistungsbedingtem Wachstum auszugehen: Der Erfolg eines Unternehmens kommt gerade dadurch zum Ausdruck, dass der Marktanteil auf dem bedienten Markt wächst. Ein Strukturmissbrauch kann hierin nicht gesehen werden. In der Regel werden hier nur konkrete, missbräuchliche Handlungen, also Formen des Ausbeutungs- oder Behinderungsmissbrauchs zur Anwendbarkeit von Art. 82 E G V führen. Dies zeigen auch die „Tetra Pak II"-Entscheidungen von Kommission, Gericht und Gerichtshof. 1308 Die Kommission hatte Strategien in die Nähe eines Missbrauchs gerückt, die selbst nicht als missbräuchlich bewertet werden konnten, die aber der Perpetuierung eines S . o . S . 447 f. 1305 Terminologie ist nicht einheitlich. Hier werden unter den Begriff des Strukturmissbrauchs auch die Konstellationen der Télémarketing- sowie der essential facilities-Doktrin gefasst, da sie im Sinne der eingangs gegebenen Definition dadurch gekennzeichnet sind, dass die bloße Änderung der Marktstruktur als Missbrauch qualifiziert wird, ohne dass es zu weiteren, konkreten Missbrauchshandlungen kommen muss. In diesem Sinn auch W. Möschel, in I/M EG-Wettbewerbsrecht, Bd. I, S. 764 f. Rdnr. 257, der allerdings die essential facilitiesKonstellationen nicht als Fälle des Marktstrukturmissbrauchs, sondern als eigene Fallgruppe (jenseits von Ausbeutungs-, Behinderungs- und Strukturmissbrauch) versteht. 1306 S . o . F n . 1001. 1307 Zur Anwendbarkeit dieser Lehre im europäischen Recht s.o. S. 502 ff. 1308 S . o . F n . 1118. 1304
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Kartellrecht
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h o h e n Marktanteils dienten. G e r i c h t und G e r i c h t s h o f b e v o r z u g t e n demgegenüber (zu R e c h t ) den N a c h w e i s k o n k r e t e r missbräuchlicher Verhaltensweisen, insbesondere den N a c h w e i s missbräuchlicher Kopplungsstrategien. 1 3 0 9
Die
A n n a h m e v o n Strukturmissbräuchen auf dem beherrschten M a r k t sollte also im G e g e n s a t z zu U b e r g r i f f e n v o m beherrschten M a r k t auf D r i t t m ä r k t e - die seltene A u s n a h m e sein. (3) Immaterialgüterrechtliche Einschränkungen der Strukturkontrolle? E s stellt sich die Frage, o b die genannten Grundsätze auch dann gelten, wenn die marktbeherrschende Stellung im wesentlichen auf R e c h t e n des geistigen E i gentums beruht. Kritiker der Magill-Entscheidung verneinten diese Frage und vertraten die Auffassung, dass es zur Substanz der Immaterialgüterrechte gehöre, sich verschiedene Vermarktungsstufen vorzubehalten. D e r Vorwurf des Missbrauchs durch U b e r g r i f f auf abgeleitete M ä r k t e sei deshalb im Z u s a m m e n hang mit Immaterialgüterrechten unberechtigt. Immaterialgüterrechte würden nicht mit Geltung für einzelne M ä r k t e vergeben, sondern seien beliebig auf j e dem M a r k t einsetzbar. 1 3 1 0 Dieser Einwand ist nicht auf die M a g i l l - E n t s c h e i dung beschränkt, sondern lässt sich auf alle Fälle übertragen, in denen eine auf Art. 82 E G V gestützte Strukturkontrolle mit R e c h t e n des geistigen E i g e n t u m s in K o n f l i k t gerät. a) M a r k t b e z u g von Immaterialgüterrechten D e r Ausgangspunkt dieser Kritik ist sicherlich zutreffend. Immaterialgüterrechte genießen absoluten Schutz und erleiden keinerlei Einschränkungen hinsichtlich ihres Einsatzes. Lassen sich Schutzrechte auf entlegenen Märkten, z . B . auf vom H a u p t m a r k t abgeleiteten Märkten einsetzen, so ist dies selbstverständlich Bestandteil der durch das Schutzrecht verliehenen R e c h t s m a c h t . E i n e R e l a tivierung von Schutzrechten in Bezug auf vor- oder nachgelagerte M ä r k t e findet nicht statt. ß) Strukturmissbrauch auf der Grundlage von Immaterialgüterrechten Von diesem Ausgangspunkt ist die Frage zu unterscheiden, o b auch immaterialgüterrechtlich vermittelte Marktbeherrschungen dem V e r b o t des Strukturmissbrauchs unterworfen sein können. D i e Kritiker der „MagiH"-Entscheidung verneinen diese Frage unter Hinweis auf die Substanz des jeweiligen S c h u t z rechts. E i n e r solchen Argumentation, welche die M ö g l i c h k e i t des Strukturmissbrauchs auf der Grundlage von Immaterialgüterrechten a priori
aus-
schließt, muss jedoch der Immunisierungsvorwurf gemacht werden. D e r K o n flikt zwischen Schutzrecht und Kartellrecht wird dadurch gelöst, dass mit einer 1309 1310
S. o. Fn. 1126. Ebenroth/Bohne,
EWS 1995, 397 (403); F. Montag, EuZW 1997, 71 (75).
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4. Teil: Europäisches
Recht
A r g u m e n t a t i o n aus d e m W e s e n des S c h u t z r e c h t s pauschal d e m S c h u t z r e c h t der Vorrang eingeräumt wird. Eine solche Vorrangregel wird der Gesamtheit der R e c h t s o r d n u n g n i c h t g e r e c h t u n d v e r k e n n t , dass auch S c h u t z r e c h t e ( s t r u k t u r - ) m i s s b r ä u c h l i c h e i n g e s e t z t w e r d e n k ö n n e n . A u c h h i e r gilt die A u s s a g e , d a s s die i m m a t e r i a l g ü t e r r e c h t l i c h e n B e f u g n i s s e d o r t e n d e n , w o „das G e s e t z o d e r R e c h t e D r i t t e r " , z . B . a u c h das K a r t e l l r e c h t e i n s c h l i e ß l i c h des A r t . 8 2 E G V
entgegen-
stehen.1311 E i n e Parallele z u m S a c h e i g e n t u m m a g diese Aussage veranschaulichen: A u c h aus d e r S u b s t a n z o d e r d e m W e s e n des S a c h e i g e n t u m s k a n n n i c h t a priori
abge-
l e i t e t w e r d e n , i n w i e f e r n a u c h die B e h e r r s c h u n g a b g e l e i t e t e r M ä r k t e z u g e s t a n den w i r d . 1 3 1 2 D a s Anliegen der „ C o m m e r c i a l Solvents"-, bzw. der „Telemarket i n g " - R e c h t s p r e c h u n g besteht gerade darin, Voraussetzungen zu u m s c h r e i b e n , u n t e r denen die A u s d e h n u n g
von Marktmacht
auf abgeleitete M ä r k t e
als
Zur Heranziehung von § 903 B G B s. bereits oben bei Fn. 1189. Vgl. z.B. Kommission, Entscheidung 9 8 / 1 9 0 / E G vom 14.1.1998 (IV/34.801 F A G Flughafen Frankfurt/Main AG), ABl. L 72/30: Die Flughafen Frankfurt A G (FAG) hatte nach den Feststellungen der Kommission eine beherrschende Stellung auf dem Markt für die Bereitstellung von Flughafeneinrichtungen auf dem Flughafen Fankfurt. Die Kommission sah in der Ausdehnung dieser marktbeherrschenden Stellung auf den benachbarten, aber getrennten Markt für Bodenabfertigungsdienste einen Missbrauch i.S. der Telemarketing-Doktrin (dazu oben S. 447 f.). Die dabei anzustellende Prüfung der Frage, ob eine objektive Rechtfertigung für das Verhalten der F A G bestehe, ging auch auf die Eigentumsrechte ein. Die F A G hatte vorgebracht, dass sie als (Sach-)Eigentümerin des Frankfurter Flughafens berechtigt sei, über die Nutzung ihres Eigentums selbst zu bestimmen. Die Kommission stellte fest, dass die gemeinschaftsrechtliche Eigentumsfreiheit im Allgemeininteresse und im dafür erforderlichen Maß eingeschränkt werden könne. Die Wettbewerbsregeln des EG-Vertrags seien als eine solche Einschränkung zum Schutz des Allgemeininteresses einzustufen. Bodenabfertigungsdienste könnten nur auf dem im Eigentum der F A G stehenden Grundstück erbracht werden. „Eine Einschränkung des Eigentumsrechts der F A G wäre somit weder ein unverhältnismäßiger noch ein übermäßiger Eingriff, sondern die Folge des Fehlens von Alternativen." Der Wesensgehalt der Eigentumsgarantie werde nicht angetastet. Die FAG könne weiterhin selbst Bodenabfertigungsdienste erbringen und außerdem von den externen Nutzern eine angemessene Miete verlangen (ABl. 1998, L 72/47 Tz. 89-92). In diesem Sinn auch Kommission, Entscheidung 9 8 / 5 3 1 / E G vom 11.3.1998 (Sachen IV/ 34.073, IV/34.395 und IV/35.436 - Van den Bergh Foods Limited), ABl. L 246/1: Van den Bergh, eine Herstellerin von Speiseeis, stellte den Verkaufsstellen Kühltruhen unter der Bedingung zur Verfügung, dass sie ausschließlich für ihre eigenen Produkte genutzt werden. Die Kommission sah in der Vereinbarung der Kühltruhenausschließlichkeit einen Verstoß gegen die Art. 85 und 86 E G V (a.F.). Den Hinweis von van den Bergh auf ihr Eigentumsrecht an den Kühltruhen wies die Kommission mit dem Argument zurück, dass „im Gegensatz zum Kernbereich der Eigentumsrechte deren Ausübung im öffentlichen Interesse in dem dafür erforderlichen Umfang eingeschränkt werden kann" ( e b e n d a , ABl. L246/37 f., Tz. 211 ff.). Die Kommissionsentscheidungen zeigen, wie selbstverständlich ein Konflikt zwischen Wettbewerbsregeln und Sac^eigentum aufgelöst wird. Die kartellbehördliche Verfügung stellt einen Eingriff in den Schutzbereich der Eigentumsfreiheit dar. Für diesen Eingriff gibt es eine Rechtfertigung, nämlich die Gemeinwohlbindung. Darunter fällt auch die Anwendung von Kartellrecht. Wenn der Verhältnismäßigkeitsgrundsatz eingehalten und der Wesensgehalt als „Schranken-Schranke" nicht verletzt wird, steht das Sacheigentum der Anwendung von Kartellrecht nicht entgegen. 1311
1312
C. Immaterialgüterschutz
und europäisches
Kartellrecht
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missbräuchlich anzusehen ist. Ü b e r diese Voraussetzungen kann gestritten werden. Nach der hier vertretenen Auffassung sollten diese Voraussetzungen aber für geistiges und Sacheigentum gleich sein. y) Computerprogramm-Richtlinie Dass die Lehre von der prinzipiellen Nichtanwendbarkeit des Verbots von Strukturmissbräuchen auf Rechte des geistigen Eigentums nicht geltendem Recht entspricht, zeigt auch die Computerprogramm-Richtlinie: Die Herausnahme des Dekompilierungsrechts aus dem Schutzbereich des Urheberrechts in Art. 6 der Richtlinie dient schon nach dem Wortlaut der Vorschrift dem Ziel, „die erforderlichen Informationen zur Herstellung der Interoperabilität eines unabhängig geschaffenen Computerprogramms mit anderen Programmen zu erhalten". 1 3 1 3 Das Urheberrecht wird also von vornherein so gefasst, dass der Einsatz des Rechts zur Beherrschung vor- oder nachgelagerter Märkte tunlichst vermieden wird. Führt die Dekompilierung nicht zum erwünschten Ziel, so kann sich nach Erwägungsgrand 26 der Computerprogrammrichtlinie aus Art. 86 E G V (a.F.) eine Pflicht zur Offenlegung von Informationen zur Herstellung von Kompatibilität ergeben. 1 3 1 4 Kartellrecht dient nach dem ausdrücklichen Anliegen der Richtlinie also gerade dem Ziel, Kompatibilität zu ermöglichen und damit andere Hersteller in die Lage zu versetzen, auf vor- und nachgelagerten Märkten tätig zu werden. 6) Ergebnis D e r oben angeführte Ausgangspunkt, nach dem Immaterialgüterrechte mit Wirkung für alle denkbaren Märkte erteilt werden, ist also zutreffend. E r ist aber mit der Einschränkung zu versehen, dass Aktivitäten trotz immaterialgüterrechtlicher Absicherung dann verboten sind, wenn sie als Missbrauch i.S. von Art. 82 E G V zu qualifizieren sind. Wann dies der Fall ist, hängt von der Würdigung des gesamten rechtlichen und wirtschaftlichen Zusammenhangs ab. Teil dieses Zusammenhangs ist auch das Bestehen von Schutzrechten. Eine absolute Sperre gegenüber der Anwendung von Art. 82 E G V lässt sich aus ihnen nicht ableiten. Auch hier gilt die bereits oben beschriebene Erkenntnis, dass jedes Recht, auch ein Recht des geistigen Eigentums, missbräuchlich eingesetzt werden kann. Diese Aussage gilt auch für die Fallgruppe des Strukturmissbrauchs. D e r Substanz von Rechten des geistigen Eigentums kann nicht die Befugnis zugerechnet werden, vor- oder nachgelagerte Märkte mit allen Mitteln unter K o n trolle zu bringen. Eine Pflicht zur Offenhaltung von Märkten kann sich insbe1 3 1 3 S. auch Erwägungsgrund 22 der Richtlinie: „Ein Ziel dieser Ausnahme ist es, die Verbindung aller Elemente eines Computersystems, auch solcher verschiedener Hersteller, zu ermöglichen, so daß sie zusammenwirken können." 1 3 1 4 S. dazu bereits oben S. 519.
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4. Teil: Europäisches
Recht
s o n d e r e d a n n e r g e b e n , w e n n d i e g e s c h ü t z t e T e c h n o l o g i e als S t a n d a r d e i n z u s t u f e n ist, m i t d e m a b g e l e i t e t e P r o d u k t e a n d e r e r H e r s t e l l e r k o m p a t i b e l s e i n m ü s sen. A b e r auch K o n s t e l l a t i o n e n , die wie der „ M a g i l l " - F a l l d a d u r c h
gekenn-
z e i c h n e t sind, dass g e s c h ü t z t e E r z e u g n i s s e der u n v e r z i c h t b a r e R o h s t o f f f ü r das T ä t i g w e r d e n auf einem M a r k t sind, k ö n n e n nach einer u m f a s s e n d e n A b w ä g u n g z u e i n e r aus A r t . 8 2 E G V a b g e l e i t e t e n O f f n u n g s p f l i c h t f ü h r e n . 1 3 1 5 T e i l d e r n ö t i gen A b w ä g u n g k a n n auch die F r a g e sein, o b die beabsichtigte T ä t i g k e i t auf d e m abgeleiteten M a r k t zu einem erheblichen technischen oder
wirtschaftlichen
Fortschritt führt.1316 7. Missbrauchsprävention Die
Ersatzteilfrage
und
Missbrauchsbekämpfung:
im Europäischen
Geschmacksmusterrecht
Z u einem Testfall für das Verhältnis v o n A r t . 82 E G V z u m
Immaterialgüter-
s c h u t z i s t d i e F r a g e d e r A u s g e s t a l t u n g des G e s c h m a c k s m u s t e r r e c h t s g e w o r d e n . Seit den achtziger J a h r e n schwelt ein K o n f l i k t z w i s c h e n K r a f t f a h r z e u g h e r s t e l lern und unabhängigen T e i l e p r o d u z e n t e n
in d e r F r a g e , i n w i e w e i t d e r
Ge-
s c h m a c k s m u s t e r s c h u t z an K a r o s s e r i e t e i l e n d e r T ä t i g k e i t u n a b h ä n g i g e r E r s a t z t e i l h e r s t e l l e r e n t g e g e n s t e h t . E r g e b n i s d i e s e s K o n f l i k t s s i n d u . a . die b e i d e n E n t s c h e i d u n g e n des G e r i c h t s h o f s in d e n R e c h t s s a c h e n „ C I C R A u . a . / R e n a u l t " u n d „Volvo/Veng"1317. D e r G e r i c h t s h o f hatte e n t s c h i e d e n , dass der b l o ß e E r w e r b ei1315 Ist das Ergebnis der Öffnung seinerseits ein sonderrechtlich geschütztes Erzeugnis, kann Bestandteil einer angemessenen Regelung die Pflicht zur Rückgewähr einer Lizenz sein. Dies entspricht der Regelung über Zwangslizenzen bei abhängigen Patenten in Art. 31 lit.l) ii) TRIPs-Abkommen; s. dazu unten S. 590. 1316 Vgl. in diesem Zusammenhang Art. 31 lit.l) i) TRIPs: Zwangslizenzen zugunsten abhängiger Patente kommen nur in Betracht, wenn „die im zweiten Patent beanspruchte Erfindung [...] gegenüber der im ersten Patent beanspruchten Erfindung einen wichtigen technischen Fortschritt von erheblicher wirtschaftlicher Bedeutung" aufweist; kritisch zu dieser Regelung oben S. 183 Fn.282. Parallelen zwischen dem Missbrauch marktbeherrschender Stellungen und immaterialgüterrechtlichen Regelungen über Zwangslizenzen sind allerdings nicht zwingend. Sonderrechtliche Vorschriften über Zwangslizenzen setzen in der Regel weder voraus, dass eine marktbeherrschende Stellung, noch dass ein Missbrauch vorliegt (s. zum deutschen Recht P. Mes, § 24 PatG Rdnr. 9). Nach der oben vertretenen Auffassung (s.o. S. 185 f.) sind aber Missbrauchsverbot und immaterialgüterrechtliche Zwangslizenzregelungen stärker zueinander in Beziehung zu setzen. Für den Bereich der biotechnologischen Erfindungen hat Art. 12 der Richtlinie 98/44/EG über den rechtlichen Schutz biotechnologischer Erfindungen vom 6.7.1998 (ABl. L 213/13)) die Mitgliedstaaten zur Einführung einer Zwangslizenzregelung wegen Abhängigkeit verpflichtet. S. zu diesem Fragenkreis J. Straus, Abhängigkeit bei Patenten auf genetische Information - ein Sonderfall?, G R U R 1998, 314 ff. 1317 E u G H , 5.10.1988, C I C R A u.a./Renault, Rs. 53/87, Slg. 1988, 6039; E u G H , 5.10.1988, Volvo/Veng, Rs. 238/87, Slg. 1988,6211. S. auch E u G H , 11.5.2000, Renault, C-38/98, Slg. 2000, 1-2973: Gegenstand des Verfahrens waren die Immaterialgüterrechte eines Kraftfahrzeugherstellers an der Gesamtheit und/oder den Einzelteilen einer Kfz-Karosserie. Die Beklagten waren in Frankreich zu einer Geldbuße und zur Leistung von Schadensersatz wegen des unerlaubten Nachbaus der geschützten Teile verurteilt worden. Ein italienisches Gericht legte dem Gerichtshof die Frage vor, ob diese Entscheidung nach dem E u G V U in Italien zu vollstrecken sei, oder ob ein Verstoß gegen die öffentliche Ordnung i.S. von Art. 27 Nr. 1 E u G V U vorliege.
C. Immaterialgüterschutz
und europäisches
Kartellrecht
531
nes (nationalen) Geschmacksmusterrechts f ü r Karosserieteile nicht als Missbrauch angesehen werden könne. Ein Verstoß gegen A r t . 86 E W G V liege nur vor, w e n n es - bei Vorliegen einer beherrschenden Stellung - zu bestimmten missbräuchlichen Verhaltensweisen komme. 1 3 1 8 Die Verweigerung der Lizenzerteilung als solche könne keinen Missbrauch darstellen, sie sei v o n der Substanz des Schutzrechts gedeckt. 1 3 1 9 Im übrigen richteten sich Voraussetzungen und Modalitäten des Geschmacksmusterschutzes beim (damaligen) Stand des Gemeinschaftsrechts nach nationalem Recht. 1 3 2 0 In den Rechtsordnungen der Mitgliedstaaten besteht in der Ersatzteilfrage keine Einigkeit, insbesondere ist es zu abweichenden Entscheidungen nationaler Gerichte gekommen. 1 3 2 1 Nicht zuletzt aufgrund dieser starken nationalen Unterschiede ist es zu Vorschlägen f ü r die Einführung eines Gemeinschaftsgeschmacksmusters sowie f ü r die Angleichung der nationalen Musterrechte geItalienische Gerichte kämen in dieser Frage zu gegenteiligen Ergebnissen (zum Schutz von Karosserieteilen in Italien s. unten Fn. 1321). Der Gerichtshof verneinte einen Verstoß gegen die öffentliche Ordnung. Bloße Unterschiede in den Rechtsordnungen reichten für einen Verstoß nicht aus. Selbst die falsche Auslegung des Rechts durch das Erstgericht, selbst wenn es sich um Gemeinschaftsrecht handele, begründe allein noch keinen Ordnungsverstoß. Erforderlich sei die Verletzung wesentlicher Rechtsgrundsätze, die im vorliegenden Fall nicht erkennbar sei (Slg. 2000,1-3021 f. Tz. 30 ff.). 1318 S. dazu bereits oben S. 471 ff. 1319 „Volvo" Slg. 1988, 6235 Tz. 8. 1320 S. hierzu die Rechtssache „Keurkoop/Nancy Kean Gifts" (EuGH, 14.9.1982, Rs. 144/ 81, Slg. 1982,2853,2871 Tz. 18). Zu patentrechtlichen Fragen in diesem Zusammenhang s. Kowal-Wolk/Schuster, Patentverletzung im Reparatur-, Ersatzteil- und Altteilgeschäft - Eine Bestandsaufnahme, Festgabe F.-K. Beier, 1996, S. 87 ff. 1321 Die italienische Corte di Cassazione hat entschieden, dass ein in seiner Gestalt von der Gesamtkarosserie abhängiges Karosserieteil als solches nicht geschmacksmusterfähig sei (Urteil Nr. 6644 v. 24.7.1996, GRUR Int. 1997, 650 m. Anm. N. Zorzi, s. auch H. Eichmann, GRUR Int. 1997, 595, 598 ff.). Die spanische Audiencia Provincial de Bizkaja, ein Berufungsgericht, hat im selben Sinn entschieden, dass Karosserieteile, die nur als Bestandteil des Fahrzeugs eine Funktion erfüllen, als solche nicht geschmacksmusterfähig seien (Urteil v. 3.12.1996, GRUR Int. 1997, 656). 1994 hat das House of Lords die Musterfähigkeit von Karosserieaustauschteilen verneint (Urteil v. 14.12.1994, „Regina v. Registered Designs Appeal Tribunal, ex parte Ford Motor Company", GRUR Int. 1996, 660 m. Anm./. Kroher). Der britische Gesetzgeber hatte kurz nach der vom High Court of Justice im Wege der Vorabentscheidung erwirkten „Volvo/Veng"-Entscheidung des Europäischen Gerichtshofs (oben Fn. 1317) den Musterschutz für must-match-Teile ausgeschlossen, s. hierzu H. Eichmann, GRUR Int. 1997,595 (596 f.). Zu den Hintergründen der Rechtsentwicklung in Großbritannien s. G. Riehle, GRUR Int. 1993, 49 (56 f.); F.-K. Beier, GRUR Int. 1994, 716 (718 ff.); H. Eichmann, GRUR Int. 1996, 859 (866 f.). Die deutschen Gerichte bejahen die Musterfähigkeit von Ersatzteilen, s. BGH v. 16.10.1986, GRUR 1987, 518; OLG Düsseldorf v. 23.12.1996, GRUR Int. 1997, 646; in diesem Sinn auch H. Eichmann, in Eichmann/v. Falckenstein § 1 GeschmG Rdnr. 19, § 5 GeschmG Rdnr. 10; abweichend die Einschätzung von G. Riehle, GRUR Int. 1993, 49 (55); ders., EWS 1997, 361 (364, insbesondere Fn. 38); vgl. auch A. Kur, GRUR Int. 1996, 876 (878 Fn. 18). S. auch die auf der Tagung für Rechtsvergleichung 1997 erstatteten Länderberichte von P. Auteri, W. Cornish, M. Levin und H. Ruijsenaars, sowie den Tagungsbericht von M. Pilla, abgedruckt in GRUR Int. 1998, 360-390.
532
4. Teil: Europäisches
Recht
k o m m e n . D i e s e r von der Wissenschaft eingeleitete P r o z e s s 1 3 2 2 hat zu einer heft i g e n K o n t r o v e r s e in d e r E r s a t z t e i l f r a g e g e f ü h r t . 1 3 2 3 D e n B e f ü r w o r t e r n
und
G e g n e r n eines G e s c h m a c k s m u s t e r s c h u t z e s für Ersatzteile stehen vermittelnde L ö s u n g e n gegenüber, die durch die E i n f ü h r u n g zeitlicher S c h r a n k e n o d e r v o n Vergütungspflichten einen angemessenen Interessenausgleich erzielen
möch-
t e n . B e v o r a u f die i m v o r l i e g e n d e n Z u s a m m e n h a n g i n t e r e s s i e r e n d e F r a g e d e s Konflikts von Art. 82 E G V mit dem Geschmacksmusterschutz
eingegangen
w i r d ( u n t e n d b i s f), s e i e n e i n i g e B e m e r k u n g e n ü b e r d e n t a t s ä c h l i c h e n H i n t e r g r u n d d e r K o n t r o v e r s e (a), das M e i n u n g s s p e k t r u m ( b ) s o w i e ü b e r d e n I n h a l t der Gemeinschaftsgeschmacksmusterverordnung, bzw. der Angleichungsrichtlinie (c) g e m a c h t . a) Tatsächlicher
Hintergrund
I m G r u n d s a t z s t ö ß t die E i n f ü h r u n g eines
Gemeinschaftsgeschmacksmusters
u n d die H a r m o n i s i e r u n g d e r n a t i o n a l e n M u s t e r r e c h t e a u f a l l g e m e i n e Z u s t i m m u n g . 1 3 2 4 D i e M e i n u n g s u n t e r s c h i e d e b e z i e h e n sich auf die Frage, o b sich der M u s t e r s c h u t z auch auf Ersatzteile für langlebige G e b r a u c h s g ü t e r
beziehen
1 3 2 2 Eine Arbeitsgruppe des Max-Planck-Instituts für ausländisches und internationales Patent-, Urheber- und Wettbewerbsrecht hat 1990 den Entwurf für eine Verordnung zur Schaffung eines europäischen Geschmacksmusters veröffentlicht, Abdruck des Vorschlags in G R U R Int. 1990, 565 ff.; vgl. den Tagungsbericht von M. Ritscher in G R U R Int. 1990, 559 ff., sowie O.-F. v. Gamm, Das Gemeinschaftsmuster, FS Gaedertz, 1992, S. 197; F.-K. Beier, G R U R Int. 1994, 716 f. Zu wissenschaftlichen Vorarbeiten s. A. Kur, G R U R Int. 1998, 353 (354). 1323 E)eU[Scfoe Vereinigung für gewerblichen Rechtsschutz und Urheberrecht, Eingabe zum Verordnungs- und Richtlinienvorschlag über den Musterschutz vom 25.4.1994, G R U R 1994, 496; F.-K. Beier, Der Musterschutz von Ersatzteilen in den Vorschlägen für ein Europäisches Musterrecht, G R U R Int. 1994, 716; H. Eichmann, Das europäische Geschmacksmusterrecht auf Abwegen?, G R U R Int. 1996, 8 5 9 ; / / . Eichmann, Kein Geschmacksmusterschutz für mustmatch-Teile?, G R U R Int. 1997, 595; I. Govaere, The Use and Abuse of Intellectual Property Rights in E.C. Law, 1996, Part III: The E.C. Spare Parts Debate - A Case Study, S. 195-297; S. Kahlenberg, Ein europäisches Geschmacksmusterrecht, 1997, S. 151 ff.;/. Kroher, E G - G e schmacksmusterschutz für Kraftfahrzeug-Ersatzteile, G R U R Int. 1993, 457; J. Kroher, Kein Designschutz für Ersatzteile?, G R U R 1994, 158; A. Kur, EG-Geschmacksmusterschutz und Kfz-Ersatzteile - Eine Erwiderung, G R U R Int. 1993, 71; A. Kur, Gedanken zur Systemkonformität einer Sonderregelung für must-match-Ersatzteile im künftigen europäischen Geschmacksmusterrecht, G R U R Int. 1996, 876; A. Kur, Die Zukunft des Designschutzes in Europa - Musterrecht, Urheberrecht, Wettbewerbsrecht, G R U R Int. 1998, 353; H. MacQueen, Copyright, Competition and Industrial Design, 1995; G. Riehle, Geschmacksmusterschutz für Kraftfahrzeugteile, FS Steindorff, 1990, S. 911; G. Riehle, EG-Geschmacksmusterschutz und Kraftfahrzeug-Ersatzteile, G R U R Int. 1993, 49; G. Riehle, Das künftige europäische Musterrecht und die „Ersatzteilfrage", EWS 1996, Beilage 1; G. Riehle, Kapituliert Europa vor der Ersatzteilfrage? „Free-for-all" und das künftige europäische Musterrecht, EWS 1997, 361. 1 3 2 4 G. Riehle, G R U R Int. 1993, 49 (51).
C. Immaterialgüterschutz
und europäisches
Kartellrecht
533
soll. 1325 Wenn man einmal annimmt, dass diese rechtspolitische Frage nicht anhand einer Argumentation mit dem „Wesen" des Geschmacksmusters gelöst werden kann, 1 3 2 6 reduziert sich der Streit auf die Frage, ob dem Hersteller des Ausgangsprodukts auch das ausschließliche Recht über den Ersatzteilmarkt eingeräumt werden soll, oder ob der Ersatzteilmarkt dem Wettbewerb unabhängiger Ersatzteilhersteller zu öffnen ist. Denkbar sind auch vermittelnde Lösungen. Das optimale Ergebnis kann nicht aus feststehenden Voraussetzungen deduziert werden; es ist vielmehr eine wirtschaftspolitische und damit wertgeladene Entscheidung über die Frage zu treffen, w e m die Vorteile aus dem Ersatzteilgeschäft zugewiesen werden sollen. Bevor näher auf die in dieser Frage vertretenen Positionen eingegangen wird, sei darauf hingewiesen, dass der Streit nicht sämtliche Ersatzteile betrifft. Betroffen sind nur die formgebundenen Ersatzteile, nämlich die sogenannten „must fit"- und „must match"-Teile, die sich dadurch auszeichnen, dass die Form des Ersatzteils aufgrund technischer oder ästhetisch/wirtschaftlicher Gründe exakt vorgegeben ist. 1327 Ein unabhängiger Teilehersteller kann in diesen Fallgruppen also nicht auf andere Formgebungen ausweichen, um zum Originalhersteller in Wettbewerb zu treten. Liegen die „must fit"- oder „must match" -Voraussetzungen nicht vor, kann durch Ausweichen auf andere Formgebungen der Konflikt mit dem Geschmacksmuster des Originalherstellers vermieden werden. Auch wenn sich die Ersatzteil-Problematik bei allen langlebigen Gebrauchsgütern stellt, ist sie vor allem in der Kfz-Branche relevant geworden. Betroffen sind vor allem Karosserieteile, nämlich die sogenannten „crash parts". 1 3 2 8 b)
Meinungsspektrum
Die in der Ersatzteilfrage vertretenen Ansichten reichen von der prinzipiellen Bejahung der Musterfähigkeit von Ersatzteilen (1) über die Verneinung der Musterfähigkeit von must match- und must /zf-Ersatzteilen 1329 (2) bis zu der Suche nach differenzierenden Lösungen durch die Aufnahme von Reparaturklauseln und Vergütungspflichten (3). Da die Frage nach der Schaffung und Ausgestaltung eines europäischen Geschmacksmusters, bzw. die Frage nach der 1325 Z a h l e n m ä ß i g e A n g a b e n über den M a r k t für Kfz-Ersatzteile f i n d e n sich bei G. Rieble, G R U R Int. 1993, 49 (51 ff.) 1 3 2 6 In diesem Sinn aber F.-K. Beier, G R U R Int. 1994, 716 (721). 1 3 2 7 Z u m Begriff s. G. Riehle, G R U R Int. 1993, 49 (62) a m Beispiel des Kotflügels: D e r Kotflügel ist ein must fit-Teil, da er aus technischen G r ü n d e n in die A u s s p a r u n g e n des Fahrzeugs passen muss. Er ist gleichzeitig ein must match-Teil, da bei A b w e i c h u n g e n in der F o r m gebung kein Verbraucher ihn kaufen w ü r d e , so dass aus ästhetisch/wirtschaftlichen G r ü n d e n eine N o t w e n d i g k e i t z u r N a c h b i l d u n g des Originals besteht. 1328 A. Kur, G R U R Int. 1996, 876 (877). 1 3 2 9 Wenn im folgenden aus G r ü n d e n sprachlicher Einfachheit bloß von „Ersatzteilen" die R e d e ist, ist damit nur die umstrittene F a l l g r u p p e der must fit- u n d must match-Teile gemeint.
534
4. Teil: Europäisches
Recht
gemeinschaftsrechtlichen Harmonisierung der nationalen Musterrechte dem rechtspolitischen D i s k u r s zugehört, werden hauptsächlich A r g u m e n t e de ferenda
lege
ausgetauscht. Soweit es um völkerrechtliche, bzw. gemeinschaftspri-
märrechtliche Vorgaben geht, 1 3 3 0 enthält die Diskussion aber auch A r g u m e n t e
de lege lata. (1) Musterschutz für Ersatzteile nach allgemeinen Regeln Friedrich-Karl
Beier
hat sich dagegen ausgesprochen, A u s n a h m e n v o m allge-
meinen Musterschutz für Ersatzteile zuzulassen. Aus den großen K o n v e n tionen folge zwar nicht ausdrücklich ein Verbot solcher Ausnahmen. 1 3 3 1 Ihnen lägen aber ungeschriebene Rechtsgrundsätze zugrunde, so auch der Grundsatz, dass das R e c h t des geistigen Eigentums allen Gegenständen zugute k o m m e n müsse, die den allgemeinen Schutzvoraussetzungen entsprechen. Sonderregelungen zugunsten oder zu Lasten einzelner Industriezweige seien nicht m ö g lich. 1 3 3 2 A u c h A r t . 2 6 T R I P s stehe solchen Sonderregelungen entgegen. Sie seien unangemessen i.S. von Abs. 2 der Vorschrift, da eine Reparaturklausel die Verwertungsrechte des Musterinhabers praktisch außer Kraft setze. 1 3 3 3 D i e Verkürzung unbeschränkten Musterschutzes auf drei J a h r e durch eine Reparaturklausel verstoße zudem gegen A r t . 2 6 A b s . 3 T R I P s , der einen D e s i g n Schutz von mindestens 10 Jahren vorschreibe. 1 3 3 4 D i e Tatsache, dass die Frage der Schutzrechtsverletzung durch die Reparaturklausel von einer subjektiven Willensrichtung, nämlich vom Reparaturzweck abhängig gemacht werde, verstoße gegen allgemeine G r u n d s ä t z e des Immaterialgüterrechts. Inhalt und Schranken von R e c h t e n des geistigen Eigentums richteten sich nach rein o b j e k tiven Kriterien. 1 3 3 5 Daraus k ö n n e nur folgen, dass auch formgebundene E r s a t z teile bei Erfüllung der allgemeinen Schutzvoraussetzungen (Neuheit und E i genart, und zwar nicht bezogen auf das Gesamterzeugnis, sondern selbständig
1330 E. Steindorff (Chancengleichheit im europäischen Wettbewerbsrecht und Solidarität, 1995, S. 23, 31 f., s. auch ders., EG-Vertrag und Privatrecht, 1996, S. 170 f.) leitet aus der EuGH-Rechtsprechung zu den öffentlichen Unternehmen ein Gebot der Chancengleichheit im Wettbewerb ab. Dieses Gebot könne verletzt sein, wenn Musterschutz für formgebundene Ersatzteile den Teileherstellern jede Wettbewerbsmöglichkeit nehme. 1331 Art. 5qulnqules PVU ordnet an, dass die gewerblichen Muster und Modelle in allen Verbandsländern geschützt werden; Art. 2 Abs. 7 R B U lässt der Gesetzgebung der Verbandsländer einen großen Spielraum bei der Ausgestaltung des Musterschutzes. Vgl. E-K. Beier, Licences obligatoires en matière de dessins et modèles?, Mélanges P. Mathély, 1990, S. 53 (59 ff.). 1332 Gegen dieses Argument G. Riehle, EWS 1996, Beilage 1, S. 3 Fn. 19. 1333 F.-K. Beier, Exclusive Rights, Statutory Licenses and Compulsory Licenses in Patent and Utility Model Law, IIC 1999, 251 (253). 1334 F.-K. Beier, G R U R Int. 1994, 716 (727 ff.): Analoge Argumentation auch mit der 15jährigen Schutzfrist nach Art. 7 des Haager Musterabkommens. Kritisch zu den Argumenten aus Art. 26 TRIPs A. Kur, TRIPs and Design Protection, S. 141 (156 ff.). 1335 F.-K. Beier, G R U R Int. 1994, 716 (723 f.). Gegen das Finalitätsargument G. Riehle, EWS 1996, Beilage 1,S. 8 f.
C. Immaterialgüterschutz
und europäisches
Kartellrecht
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bezogen auf das in Frage stehende Teil des Gesamterzeugnisses) in den uneingeschränkten Genuss des Musterschutzes kommen müssten. Nach allgemeinen Grundsätzen sei der Schutz nur dann zu versagen, wenn das Erscheinungsbild des Musters durch die technische Funktion zwingend vorgegeben sei und kein Spielraum für eine abweichende Gestaltung bestehe. Weitergehende Beschränkungen des Musterschutzes für Ersatzteile zur Abwehr von Missbräuchen seien Sache des Kartellrechts. 1336 Ahnlich ist der Standpunkt von Helmut Eichmann. Eine Ausnahme für Ersatzteile stehe im Gegensatz zur Grundtendenz des gewerblichen Rechtsschutzes, immer mehr Industriebereiche, z.B. Nahrungsmittel, Arzneimittel oder Produkte der Gentechnologie in ein Schutzsystem einzubeziehen. Die Belohnung für ein geschütztes Erzeugnis beschränke sich nicht notwendigerweise auf die Vorteile aus dem ersten Umsatzgeschäft; vorbehaltlich der Erschöpfung lägen auch Folgegeschäfte im Schutzbereich des Schutzrechts. 1337 Das Bedürfnis nach Versorgung der Bevölkerung mit preisgünstigen Erzeugnissen stehe in Konflikt mit einem der Grundanliegen des geistigen Eigentums, nämlich der Belohnung des Schutzrechtsinhabers durch ein zeitlich begrenztes Ausschließungsrecht. 1338 Situationen, in denen ähnlich zur Ersatzteilproblematik Mitbewerbern keine freie Alternative zur Verfügung stehe, seien im gewerblichen Rechtsschutz zwar nicht notwendigerweise angelegt, kämen aber häufig vor. 1339 Gegen die Einführung einer Reparaturklausel mit Vergütungsregelung sprächen die Schwierigkeiten bei der Festlegung des angemessenen Entgelts. 1340 Wenn eine Sonderregel für must match-Teile eingeführt werde, stelle die Verkürzung der allgemeinen Schutzdauer von 25 auf 10 Jahre einen vertretbaren Kompromiss dar. 1341 Es sei auch denkbar, für den umstrittenen Bereich der Karosserieaustauschteile eine Sonderregelung, nämlich eine (materielle) Amtsprü1336 F.-K. Beier, G R U R Int. 1994, 716 (717 und 729 f.), d a g e g e n A Kur, G R U R Int. 1996, 876 (878 Fn. 24). Noch deutlicher F.-K. Beier, ebenda, S. 724: „Rechtssystematisch verfehlt ist die Reparaturklausel aber auch deshalb, weil sie wettbewerbspolitische Erwägungen in das Musterrecht aufnimmt, obwohl solche wettbewerbspolitischen Anliegen Sache des Kartellrechts und nicht des Musterrechts sind." Dagegen G. Riehle, EWS 1996, Beilage 1, S. 11 f.: Mit Kartellrecht lasse sich eine zu weite Fassung des immaterialgüterrechtlichen Schutzbereichs nicht rechtfertigen. Die Kartellbehörden seien durch die Aufsicht über Tausende von Ersatzteilen überfordert. „Die Ersatzteilfrage über das Wettbewerbsrecht lösen zu wollen, heißt: sie nicht zu lösen." Gegen das Kartellrechtsargument auch A. Kur, G R U R Int. 1996, 876 (879 f. und 887 f.). 1337 H. Eichmann, G R U R Int. 1996, 859 (867). 1338 H. Eichmann, G R U R Int. 1996, 859 (868); gegen dieses Argument A Kur, G R U R Int. 1996,876 (884 Fn. 68). 1339 H. Eichmann, G R U R Int. 1996, 859 (868 ff.), mit zahlreichen Beispielen, dagegen A. Kur, G R U R Int. 1996, 876 (884 f.). 1340 H. Eichmann, G R U R Int. 1996, 859 (872). 1341 H. Eichmann, G R U R Int. 1996, 859 (873). Dagegen G. Riehle, EWS 1996, Beilage 1, S. 14 Fn. 144: Der Vorschlag einer 10-jährigen Schutzfrist komme der Forderung nach formeller Beseitigung der Reparaturklausel gleich. Kurze Modellzyklen und die Verengung der
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4. Teil: Europäisches
Recht
fung der Schutzvoraussetzungen einzuführen. Diese Regelung k ö n n t e ergänzt werden durch die E i n f ü h r u n g einer Meldepflicht zur Erleichterung der M i s s brauchskontrolle: D i e Automobilhersteller wären dann verpflichtet, Preislisten für Karosserieaustauschteile vorzulegen und für jedes Bauteil eine Kalkulationsgrundlage beizufügen. 1 3 4 2 (2) Keine Musterfähigkeit von „must m a t c h " - T e i l e n , zumindest kein Schutz gegen unabhängig hergestellte Ersatzteile D i e diametral entgegengesetzte Auffassung besteht darin, must fit- und must match-TtWtn
die Musterfähigkeit prinzipiell abzusprechen. In G r o ß b r i t a n n i e n
entspricht diese Auffassung der ausdrücklichen gesetzlichen R e g e l u n g . 1 3 4 3 Italienische und spanische G e r i c h t e kamen z u m selben Ergebnis im Wege der A u s legung. 1 3 4 4 In der D i s k u s s i o n u m das europäische Musterrecht hat
Gerhard
Riehle sich gegen einen Schutz von Ersatzteilen ausgesprochen. D i e s e r Standpunkt geht weniger weit als die prinzipielle Verneinung des Schutzes für K a r o s serieteile nach A r t des britischen, italienischen oder spanischen Rechts. N i c h t die Musterfähigkeit von Karosserieteilen wird bestritten, sondern lediglich der Schutz gegen den Einbau von Ersatzteilen wird verneint. 1 3 4 5 D e n A u t o m o b i l herstellern stünden bereits drei „klassische" Instrumente z u m A b s a t z ihrer Originalteile zur Verfügung: D a die Automobilhersteller einen großen Teil ihrer „Originalersatzteile" im Wege des O u t s o u r c i n g von unabhängigen Teileherstellern beziehen, k ö n n e n sie auf diese durch ihre Nachfragemacht D r u c k ausü b e n . 1 3 4 6 A u f der Vertriebsseite seien die Automobilhersteller in der Lage, Amortisationsbasis machten es in diesem Fall unmöglich, zu den Automobilherstellern in Wettbewerb zu treten. Kritisch auch A Kur, G R U R Int. 1996, 876 (887). 1342 H. Eichmann, G R U R Int. 1997, 595 (607 ff.). 1343 S. bereits oben Fn. 1321 und W. R. Cormsh, Intellectual Property, 1996, S.490 Rdnr. 14-15. 1 3 4 4 Oben Fn. 1321. Nach Auffassung der Corte dl Cassazione besteht die Voraussetzung für einen Geschmacksmusterschutz darin, dass das zu schützende Erzeugnis Formmerkmale aufweist, die eine eigenständige ästhetische Funktion erfüllen. Bei Bestandteilen, deren Form durch diejenige des Gesamterzeugnisses bedingt ist, lägen diese Voraussetzungen nicht vor. Die Fragmentierbarkeit des corpus mechanicum führe nicht zur Aufspaltbarkeit des corpus mysticum. Eigenständiger Musterschutz für die genannten Erzeugnisteile sei also nicht möglich. 1 3 4 5 Zu dieser Differenzierung s. die Ausführungen bei G. Riehle, G R U R Int. 1993, 49 (68 f.): Systematisch sei dies als Eingrenzung des vertikalen Schutzumfangs zu verstehen. Damit ist der Pfad zu einer vermittelnden Lösung bereits betreten. Zunächst hatte sich Riehle - in Bezug auf das deutsche Recht - generell gegen den musterrechtlichen Schutz von Karosserieteilen ausgesprochen (G. Riehle, FS Steindorff, 1990, 911, 929). Auf der Basis seines differenzierten Ansatzes kritisiert Riehle die britische, italienische und spanische Rechtsentwicklung, soweit sie Karosserieteilen pauschal, also auch für das Neuwagengeschäft, die Schutzfähigkeit abspricht (G. Riehle, EWS 1997, 361, 362). 1 3 4 6 Dieser Druck kann allerdings nicht durch entsprechende vertragliche Vereinbarungen legalisiert werden, s. dazu Art. 6 Abs. 1 Ziffer 10 der Gruppenfreistellungsverordnung KfzVertrieb (Verordnung (EG) Nr. 1475/95 der Kommission über die Anwendung von Artikel 85
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Kartellrecht
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Druck auf die Vertragswerkstätten auszuüben, Ersatzteile nur von ihnen zu beziehen. 1 3 4 7 Schließlich werde durch die Bezeichnung „Originalteil" dem Verbraucher der Eindruck vermittelt, dass nur das Original, nicht dagegen das u.U. vom selben Teilehersteller identisch produzierte Stück die erforderlichen Qualitäts- und Sicherheitsstandards erreiche. 1348 Zusätzlich zu diesen Möglichkeiten, die den unabhängigen Teileherstellern nicht offen stünden, setzten die Automobilhersteller nun auch das Musterrecht ein. Die traditionellen Geschäftsstrategien würden entbehrlich, da unter Verweis auf den Musterschutz jedem Dritten Herstellung und Vertrieb der betroffenen Teile untersagt werden könne. Im Ersatzteilbereich werde das ausgewogene System der Gruppenfreistellungsverordnung Kfz-Vertrieb obsolet. Auffällig sei, dass der Musterschutz noch niemals gegen konkurrierende Automobilhersteller eingesetzt worden sei; er wende sich ausschließlich gegen die Teilehersteller. 1349 Dies zeige, dass ein Schutz für Ersatzteile den Schutzzweck des Geschmacksmusterrechts verfehle. 1 3 5 0 Geschmacksmusterschutz wolle den Wettbewerb der Produkte wahren und den Wettbewerb der Formen fördern. Die Erstreckung des Schutzes auf Ersatzteile würde das legitime Formenmonopol in ein nicht mehr statthaftes Produktmonopol überdehnen. 1 3 5 1 Aus dem Grundsatz „Keine Design-Alternative, keine Geschmacksmusterrechte" folge, dass dort, w o wie bei den Ersatzteilen keine Alternative bestehe, der Musterschutz aufhöre. 1 3 5 2 Die durch den Designschutz ermöglichte Belohnung werde bereits im Neuwagengeschäft erzielt. 1353 Die Probleme würden zudem dadurch Absatz 3 des Vertrages auf Gruppen von Vertriebs- und Kundendienstvereinbarungen über Kraftfahrzeuge vom 28.6.1995, ABl. L 145/25): Die Freistellung für Kfz-Vertriebsvereinbarungen gilt nicht, wenn der Hersteller die Freiheit unabhängiger Teilehersteller beschränkt, qualitativ gleichwertige Ersatzteile an Unternehmen innerhalb und außerhalb des Vertriebsnetzes zu liefern. S. dazu auch Erwägungsgrund 27 der Verordnung und M. Wellenhofer-Klein, Zulieferverträge im Privat- und Wirtschaftsrecht, München 1999, S. 540. 1347 S. aber Art. 6 Abs. 1 Ziffer 9 i.V.m. Art. 3 Ziffer 5 der GFVO Kfz-Vertrieb (oben Fn. 1346): Die Freistellung für Kfz-Vertriebsvereinbarungen gilt nicht, wenn die Freiheit des Händlers eingeschränkt wird, qualitativ gleichwertige Ersatzteile von unabhängigen Teileherstellern zu beziehen (s. dazu auch Erwägungsgrund 8 der Verordnung). 1348 S. aber Art. 6 Abs. 1 Ziffer 11 der GFVO Kfz-Vertrieb: Die Freistellung gilt nicht, wenn die Freiheit des Teileherstellers eingeschränkt wird, sein Firmen- oder Markenzeichen am Ersatzteil anzubringen. Dem Verbraucher soll dadurch die Möglichkeit eröffnet werden, die Identität von Originalteil und unabhängigem Teil festzustellen. 1349 G. Riehle, GRUR Int. 1993, 49 (53 ff.); ders., EWS 1996, Beilage 1, S. 16, insbesondere Fn. 166; ders., EWS 1997, 361 (365 Fn. 49). 1350 Riehle (GRUR Int. 1993, 49, 69) bezeichnet seinen Ansatz deshalb als „Zwecksicherungslehre". 1351 Kritisch zur Unterscheidung von Formenmonopol und Produktmonopol H. Eichmann, GRUR Int. 1996, 859 (873 Fn. 218). 1352 G. Riehle, GRUR Int. 1993, 49 (64 f.). Kritisch zu diesem Prinzip in seiner Allgemeinheit H. Eichmann, GRUR Int. 1996, 859 (869, insbesondere Fn. 150). 1353 G. Riehle, GRUR Int. 1993, 49 (66 f.). Riehle grenzt diese Begründung gegenüber dem (in diesem Zusammenhang nicht passenden) Erschöpfungsargument ab: Die Erschöpfung des
538
4. Teil: Europäisches
Recht
verschärft, dass die europäische Harmonisierung zu einer Absenkung der Schutzschwelle führe. In Ländern, die bisher eher hohe Schutzschwellen hatten, werde dadurch Musterschutz für viele Ersatzteile erst möglich. 1 3 5 4 (3) Vermittelnde Lösungen: Reparaturklausel und Vergütungslösung Als vermittelnde Lösungen sind diejenigen Standpunkte zu bezeichnen, die den Schutz von Ersatzteilen nicht pauschal bejahen oder verneinen, sondern den Interessenkonflikt durch den Einbau zusätzlicher Modalitäten auflösen. In diesem Sinn tendiert auch der Standpunkt von Riehle zu einer vermittelnden Lösung, indem er die Musterfähigkeit von must match-Teilen hinnimmt, aber eine Ausnahme zu Reparaturzwecken fordert. 1 3 5 5 Eine solche Reparaturklausel ist entscheidender Bestandteil einer vermittelnden Lösung: 1 3 5 6 Einerseits wird die Musterfähigkeit von must matck-Teilen bejaht, andererseits gibt das Musterrecht keinen Schutz gegen die Herstellung und den Vertrieb von Ersatzteilen, jedenfalls wenn bestimmte andere Voraussetzungen erfüllt sind. Die Reparaturklausel kann mit einer zeitlichen Beschränkung versehen werden, z.B. dass Ersatzteile erst nach Ablauf einer bestimmten Frist ab erstmaligem Inverkehrbringen des betreffenden Fahrzeugmodells verwendet werden dürfen. Denkbar ist auch eine Vergütungslösung, d.h. der Musterschutz bezieht sich zwar auch auf Ersatzteile; gegen Zahlung einer angemessenen Vergütung dürfen Dritte diese Ersatzteile aber herstellen und vertreiben. Zeitliche Beschränkung und Vergütungslösung können miteinander kombiniert werden, indem der Ersatzteilmarkt erst nach Ablauf einer bestimmten Frist gegen angemessene Vergütung geöffnet wird. Für eine vermittelnde Lösung hat sich Annette Kur eingesetzt. Die zu erwartende Absenkung der Schutzschwellen mache es fraglich, ob die Tätigkeit unabhängiger Teilehersteller noch wirtschaftlich sinnvoll bleibe. Es stellten sich Musterrechts durch erstmaliges Inverkehrbringen des Neuwagens tritt nur in Bezug auf das konkrete, in den Neuwagen eingebaute Werkstück ein (unstreitig, s. z.B. A. Kur, GRUR Int. 1996, 876, 884). Auf andere Werkstücke, auch auf solche, die von anderen Herstellern angeboten werden, hat dies keine Wirkung. Allerdings zieht Riehle folgende Parallele zum Erschöpfungsrecht (G. Riehle, GRUR Int. 1993,49,69 Fn. 185 mit Verweis auf G. Riehle, Markenrecht und Parallelimport, 1968, S. 102): Wie bei der Erschöpfungslehre gehe es bei der Ausnahme für Ersatzteile darum, die immanent vorgegebenen Grenzen des Schutzrechts allgemeinverbindlich festzuschreiben. Eine Parallele zwischen Ersatzteilproblematik und Erschöpfung zieht auch A Kur, GRUR Int. 1996, 876 (884). 1354 G. Riehle, EWS 1997, 361 (365); s. dazu auch A Kur, GRUR Int. 1996, 876 (878). 1355 S. bereits oben Fn. 1345. Dem entspricht die Selbsteinschätzung bei G. Riehle, EWS 1996, Beilage 1, S. 9. Riehle (GRUR Int. 1993, 49, 70) wendet sich allerdings gegen eine Vergütungslösung: Die eine Systemwidrigkeit, nämlich den Geschmacksmusterschutz auf formgebundene Ersatzteile auszudehnen, ziehe eine zweite Systemwidrigkeit, nämlich eine Zwangslizenzlösung nach sich; s. auch G. Riehle, EWS 1996, Beilage 1, S. 14 und 20. 1356 Überblick über die verschiedenen Möglichkeiten bei G. Riehle, EWS 1996, Beilage 1, S. 14 f.; ders., EWS 1997, 361 f. Für eine Reparaturklausel auch M. Wellenhofer-Klem, Zulieferverträge im Privat- und Wirtschaftsrecht, München 1999, S. 544 Fn. 224.
C. Immaterialgüterschutz
und europäisches
Kartellrecht
539
vor dem Hintergrund des Verhältnisses von Immaterialgüterrecht und Wettbewerbsrecht 1 3 5 7 die allgemeine Frage, ob überhaupt wettbewerbliche Gesichtspunkte als Motiv für eine Sonderregelung in ein Immaterialgütergesetz eingebracht werden dürfen. Diese Frage sei zu bejahen, da auch der Immaterialgüterschutz, und zwar auch gerade die konkrete Ausgestaltung der Schutzrechte dem Ziel der Förderung des Wettbewerbs verpflichtet sei. 1358 Da also wettbewerbliche Belange in die Ausgestaltung der Schutzgesetze einfließen, müsse sich das Kartellrecht auf die Kontrolle von Verhaltensweisen beschränken, die aufgrund besonderer Umstände als missbräuchlich zu qualifizieren seien. Eine solche Beschränkung setze aber voraus, dass bei der Ausgestaltung des Schutzgesetzes tatsächlich in ausreichendem Maß wettbewerbliche Belange berücksichtigt worden seien. Die Berücksichtigung des Freiheitsprinzips könne auch einmal zur Einschränkung von Schutzrechten führen. Oft sei die Ausweitung immaterialgüterrechtlichen Schutzes nur möglich, wenn gleichzeitig fallgruppenspezifische Schutzschranken eingeführt werden. 1 3 5 9 Die Notwendigkeit einer Reparaturklausel sei mit diesen allgemeinen Erwägungen allerdings noch nicht erwiesen. Es stelle sich die spezielle Frage, ob die Fallgruppe der must w^tcÄ-Ersatzteile eine Ausnahmeregelung trage. Die Beantwortung dieser Frage hänge davon ab, ob die „kritische Masse" an praktischem Konfliktpotential erreicht sei, und welche Auswirkungen von einer Ausnahmeregelung zu erwarten seien. 1360 Entscheidend sei der Umstand, dass die Zuerkennung von Geschmacksmusterschutz für Ersatzteile tatsächlich zu einem vollständigen Ausschluss des Wettbewerbs führe. Die Grundlagen des Immaterialgüterschutzes (Förderung des Innovationswettbewerbs durch Einschränkung des Imitationswettbewerbs, Anreiz zur Schaffung neuer Alternativen 1 3 6 1 ) sprächen deshalb gegen einen Schutz vor konkurrierenden Ersatzteilen. c) Stand der europäischen
Gesetzgebung1362
Nach dem „Grünbuch über den rechtlichen Schutz gewerblicher Muster und Modelle" der Europäischen Kommission vom Juni 1991 1363 kam es zu verschiedenen Vorschlägen für eine Verordnung zur Einführung eines Gemeinschafts1357 „genauer: von sonderrechtlichem Schutzprinzip und dem Postulat der Wettbewerbsfreiheit" ( A Kur, GRUR Int. 1996, 876, 879). 1358 A. Kur (GRUR Int. 1998, 353 und Einsichten 1998/2, S. 48, 49) nennt als Grundproblem des Immaterialgüterrechts „die Herstellung einer angemessenen Balance zwischen Schutzinteressen und Wettbewerbsfreiheit". 1359 A. Kur, GRUR Int. 1996, 876 (879 ff.). 1360 A. Kur, GRUR Int. 1996, 876 (881 f.). 1361 S. h i e r z u o b e n S . i l ff. 1362 Vgl. den Überblick bei H. Eichmann, GRUR Int. 1997, 595 (597). 1363 Vgl. den Bericht in GRUR 1991, 807-809. Das Grünbuch enthielt Entwürfe für eine Gemeinschaftsgeschmacksmusterverordnung und für eine Geschmacksmusterrichtlinie.
540 geschmacksmusters1364
4. Teil: Europäisches
Recht
u n d eine R i c h t l i n i e ü b e r die A n g l e i c h u n g
der
na-
t i o n a l e n M u s t e r r e c h t e . 1 3 6 5 W ä h r e n d das G r ü n b u c h n o c h k e i n e S o n d e r r e g e l u n g f ü r E r s a t z t e i l e e n t h i e l t , sah A r t . 14 des R i c h t l i n i e n v o r s c h l a g s 1 9 9 3 ( ü b e r e i n s t i m m e n d m i t A r t . 2 3 des V e r o r d n u n g s v o r s c h l a g s v o n 1 9 9 3 ) eine „ R e p a r a t u r k l a u s e l " v o r : D r e i J a h r e n a c h I n v e r k e h r b r i n g e n des H a u p t e r z e u g n i s s e s s o l l t e der D e s i g n s c h u t z unter b e s t i m m t e n weiteren Voraussetzungen nicht gegen E r z e u g n i s s e g e l t e n d g e m a c h t w e r d e n k ö n n e n , die zu R e p a r a t u r z w e c k e n v e r w e n det w e r d e n . 1 3 6 6 D i e s e R e g e l u n g l ö s t e eine h e f t i g e D i s k u s s i o n aus, die zu e i n e r Ä n d e r u n g der R e p a r a t u r k l a u s e l f ü h r t e . I n der R i c h t l i n i e n f a s s u n g v o n 1 9 9 6 w u r d e die z e i t l i c h e B e s c h r ä n k u n g durch eine Vergütungsregel ersetzt.1367 D a auch hierüber keine 1364 Vorschlag für eine Verordnung des Europäischen Parlamentes und des Rates über das Gemeinschaftgeschmacksmuster vom 3.12.1993, K O M (93) 342 endg., ABl. 1994 C 29/20, abgedruckt in G R U R Int. 1994, 492 ff. 1365 Vorschlag fü r eine Richtlinie des Europäischen Parlamentes und des Rates über den Rechtsschutz von Mustern vom 3.12.1993, K O M (93) 344 endg., ABl. 1993 C 345/14, abgedruckt in G R U R Int. 1994, 511. 1366 A r t 23 des Verordnungsvorschlags aus dem Jahr 1993 lautet: „Das Recht aus dem eingetragenen Gemeinschaftsgeschmacksmuster kann nicht gegen Dritte ausgeübt werden, die drei Jahre nach dem erstmaligen Inverkehrbringen eines Erzeugnisses, in das das Muster aufgenommen oder bei dem es verwendet wird, das Muster nach Art. 21 verwenden, vorausgesetzt a) das Erzeugnis, in das das Muster aufgenommen oder bei dem es verwendet wird, ist Teil eines komplexen Erzeugnisses, von dessen Erscheinungsform das geschützte Muster abhängig ist, b) der Zweck dieser Verwendung besteht darin, die Reparatur des komplexen Erzeugnisses so zu ermöglichen,daß seine ursprüngliche Erscheinungsform wieder hergestellt wird, c) die Öffentlichkeit wird hinsichtlich der Herkunft des für die Reparatur verwendeten Erzeugnisses nicht irregeführt." 1367 A r t | ¿es Geänderten Vorschlags für eine Richtlinie des Europäischen Parlamentes und des Rates über den Rechtsschutz von Mustern vom 14.3.1996 (ABl. C 142/7) lautet: „In Abweichung von Artikel 12 können die Rechte aus dem Muster nicht gegen Dritte ausgeübt werden, die das Muster verwenden, vorausgesetzt, a) das Erzeugnis, in das das Muster aufgenommen oder bei dem es verwendet wird, ist Bauelement eines komplexen Erzeugnisses, von dessen Erscheinungsform das geschützte Muster abhängt, b) der Zweck der Verwendung besteht darin, die Reparatur des komplexen Erzeugnisses so zu ermöglichen, daß seine ursprüngliche Erscheinungsform wiederhergestellt wird, c) die Öffentlichkeit wird hinsichtlich der Herkunft des für die Reparatur verwendeten Erzeugnisses durch die Verwendung eines untilgbaren Zeichens wie eines Warenzeichens, einer Handelsbezeichnung oder in anderer angemessener Form informiert, und d) der Dritte hat i) dem Rechtsinhaber die beabsichtigte Verwendung des Musters mitgeteilt, ii) dem Rechtsinhaber eine gerechte, angemessene Vergütung für die Verwendung des Musters angeboten und iii) dem Rechtsinhaber angeboten, ihn regelmäßig und zuverlässig über den Umfang, in dem er das Muster auf der Grundlage dieser Bestimmung nutzt, zu informieren." Die Anordnung einer Vergütungspflicht bei Aufrechterhaltung des Schutzrechts kommt einem Zwangslizenzsystem zumindest sehr nahe, a.A G. Riehle, EWS 1996, Beilage 1, S. 19,
C. Immaterialgüterschutz
und europäisches
Kartellrecht
541
Einigung erzielt werden konnte, klammerte der Rat im Richtlinienentwurf vom 17.6.19971368 die Ersatzteilfrage aus. Nach dem Prinzip „free for all" 1369 sollten die Mitgliedstaaten das Recht behalten, Bestimmungen beizubehalten oder einzuführen, die sich auf die Benutzung von Mustern zwecks Reparatur eines komplexen Erzeugnisses beziehen. 1370 Die Meinungsverschiedenheiten in der Ersatzteilfrage sollten nicht die Richtlinie insgesamt verzögern. Das Europäische Parlament hatte im Verfahren des Art. 189b E G V (a.F.) zwar die Wiedereinführung der Reparaturklausel (in der Vergütungsvariante) vorgeschlagen, 1371 konnte sich hiermit aber nicht durchsetzen. Die endgültig verabschiedete Geschmacksmusterrichtlinie vom 13.10.1998 1372 verneint zwar die Musterfähigkeit von ausschließlich technisch bedingten Erscheinungsmerkmalen (Art. 7 Abs. 1) sowie von must fit-Teilen (Art. 7 Abs. 2), 1373 geht aber Fn. 193: Kurt Haertel habe sich beim Vorschlag einer Vergütungsregel an § 11 Urheberrechtswahrnehmungsgesetz (WahrnG) angelehnt, der ein bloßes Nutzungsverhältnis begründe. Aber auch die Einräumung von Nutzungsrechten i.S. v. § 11 WahrnG ist als Erteilung einfacher Lizenzen zu qualifizieren, so dass auch diese Vorschrift Grundlage für Zwangslizenzen ist (in diesem Sinn H. Schack, Urheber- und Urhebervertragsrecht, 2. Aufl. 2001, Rdnr. 1208). A. Kur ( G R U R Int. 1996, 876, 881) sieht in der Einzelfallbezogenheit die Eigentümlichkeit der patentrechtlichen Zwangslizenz in Abgrenzung zu der urheberrechtlichen Regelung des § 11 WahrnG. Zu Kriterien für die H ö h e der angemessenen Vergütung s. G. Riehle, EWS 1996, Beilage 1, S. 19 f.; A. Kur, G R U R Int. 1996, 876 (886 f.). 1368 ABl. 1997 C 237/1. 1369 Dazu G. Riehle, EWS 1997, 361; N. Zorzi, G R U R Int. 1997, 653 (656). 1370 A r t 14 j e s R a tsentwurfs enthielt unter der Überschrift „Ubergangsbestimmungen" folgende Regel: „Solange nicht auf Vorschlag der Kommission gemäß Artikel 18 Änderungen dieser Richtlinie angenommen worden sind, können die Mitgliedstaaten Vorschriften über die Benutzung eines geschützten Musters zur Ermöglichung der Reparatur eines komplexen Erzeugnisses im Hinblick auf die Wiederherstellung dessen ursprünglicher Erscheinungsform dann beibehalten oder einführen, wenn das Erzeugnis, in das das Muster aufgenommen ist oder bei dem es benutzt wird, Bauelement eines komplexen Erzeugnisses ist, von dessen Erscheinungsform das geschützte Muster abhängt." Vgl. dazu auch Erwägungsgrund 19 des Ratsentwurfs 1997. 1371 Der Rat berief daraufhin gem. Art. 189b Abs. 3 EGV (a.F.) den Vermittlungsausschuss ein (A. Kur, G R U R Int. 1998, 353, 354). Zum Verlauf des Verfahrens s. P. Mitteregger, Kfz-Ersatzteile und Geschmacksmusterrecht der Europäischen Union, VersR 1997, 676 ff. 1372 Richtlinie 98/71/EG über den rechtlichen Schutz von Mustern und Modellen vom 13.10.1998 (ABl. L 289/28). S. hierzu G. Riehle, Das europäische Musterrecht und die „Ersatzteilfrage", EWS 1999, 7, insbesondere zu den politischen Hintergründen auf S. 9 f. 1373 Die Richtlinie definiert in Art. 7 Abs. 2 must fit-Teile schwerfällig als „Erscheinungsmerkmale(n) eines Erzeugnisses, die zwangsläufig in ihrer genauen Form und ihren genauen Abmessungen nachgebildet werden müssen, damit das Erzeugnis, in das das Muster aufgenommen oder bei dem es verwendet wird, mit einem anderen Erzeugnis mechanisch zusammengebaut oder verbunden oder in diesem, an diesem oder um dieses herum angebracht werden kann, so daß beide Erzeugnisse ihre Funktion erfüllen." Abs. 3 der Vorschrift enthält die sogenannte „Lego"-Gegenausnahme für modulare Systeme. Auf das Merkmal der „Unsichtbarkeit" wurde verzichtet, so dass die must fit- Ausnahme prinzipiell auch auf sichtbare oder teil-sichtbare Erzeugnisse, wie z.B. die Auspuffanlage anzuwenden ist. Die Aufnahme der must fit-Ausnahme in die Richtlinie bestätigt, dass ihr in der Ersatzteilfrage keine große praktische Bedeutung zukommt. In der Regel lassen technische Zwänge immer noch einen For-
542
4. Teil: Europäisches
nicht direkt auf must matcb-Teile
Recht
ein. A r t . 14 sieht lediglich vor, dass diejenigen
Mitgliedstaaten, die bereits über Einschränkungen des Musterschutzes zu R e paraturzwecken verfügen, diese Regelung beibehalten und nur dann ändern, „wenn dadurch die Liberalisierung des Handels mit solchen Bauelementen ermöglicht w i r d . " 1 3 7 4 Erwägungsgrund 19 der Richtlinie spricht aus, dass M i t gliedstaaten, in denen kein M u s t e r s c h u t z für Bauelemente existiert, nicht dazu verpflichtet sind, eine Mustereintragung für solche E l e m e n t e einzuführen. 1 3 7 5 O b w o h l die Richtlinie also in ihrem Text keine ausdrückliche A u s n a h m e v o m Musterschutz für must match-Teile
beinhaltet, stellt der Erwägungsgrund klar,
dass die Mitgliedstaaten nicht z u m Schutz dieser Teile verpflichtet sind. Dies wird auch durch A r t . 18 der Richtlinie bestätigt: D i e Ersatzteilfrage wurde vertagt. D r e i J a h r e nach Inkrafttreten der Richtlinie hat die K o m m i s s i o n einen E r fahrungsbericht vorzulegen, ein weiteres J a h r darauf sollen k o n k r e t e Ä n d e r u n gen vorgeschlagen w e r d e n . 1 3 7 6 I m Gegensatz zur Angleichungsrichtlinie macht die Verordnung über die Einführung eines Gemeinschaftsgeschmacksmusters nur langsame F o r t s c h r i t t e . 1 3 7 7 D e r G r u n d besteht im Einstimmigkeitserfordernis: D a die Verordnung im Gegensatz zur Richtlinie nicht auf Art. 95 E G V ( = 100a E G V a.F.), sondern auf Art. 308 E G V ( = Art. 235 E G V a.F.) zu stützen ist, 1 3 7 8 reicht die qualifizierte M e h r h e i t 1 3 7 9 im Rat nicht aus. Meinungsunterschiede zwischen B e f ü r w o r menspielraum übrig. So kann z.B. aus technischer Sicht auch ein „glatter" Kotflügel, also das seines spezifischen Designs entkleidete Teil in die Karosserielücke eingesetzt werden. Die must fit-Ausnahme greift dann nicht. Dennoch werden Verbraucher in der Regel nicht dazu bereit sein, ein in der Formgebung abweichendes Teil in ihr Kraftfahrzeug einzubauen (in diesem Sinn G. Riehle, G R U R Int. 1993, 49, 68). A. Kur ( G R U R Int. 1996, 876, 877 Fn. 8) stellt fest, dass die grundsätzliche Berechtigung einer must /¿t-Klausel heute praktisch nicht mehr bestritten wird. Den Schutzausschluss für unsichtbare Teile kritisiert Chr. Klawitter, Die Ersatzteilfrage in der EG-Geschmacksmusterrichtlinie, EWS 2001, 157 ff. 1 3 7 4 Diesem sog. „stand still plus"-, bzw. „freeze plus"-Kompromiss wird man entnehmen können, dass Mitgliedstaaten, die über keine Ausnahmevorschriften für must match-Teile verfügen, durch die Richtlinie nicht daran gehindert werden, solche Vorschriften einzuführen, wenn dies mit liberalisierender Wirkung geschieht. So auch ausdrücklich Erwägungsgrund 19 der Richtlinie. 1 3 7 5 Im Umkehrschluss hieraus ergibt sich, dass diese Staaten zur Einführung von Musterschutz für Bauelemente berechtigt sind. Machen sie von dieser Möglichkeit Gebrauch, müssen sie allerdings aufgrund des Liberalisierungsgebots eine Reparaturklausel vorsehen, so zu Recht G. Riehle (oben Fn. 1372), S. 10. 1 3 7 6 S. auch Erwägungsgrund 19 der Richtlinie und die Erklärung der Kommission zu Artikel 18 der Richtlinie (ABl. 1998 L 289/35), in der sie die Einleitung eines Konsultationsprozesses vorschlägt, in den die Kfz-Hersteller sowie die unabhängigen Ersatzteilproduzenten einzubeziehen sind. Zweck der Konsultationen ist der Abschluss einer freiwilligen Vereinbarung durch die beteiligten Kreise. 1377 A. Kur, G R U R Int. 1998, 353 (354 Fn. 12). 1 3 7 8 So bereits F.-K. Beier, G R U R Int. 1994,716; s. EuGH, 15.11.1994, Gutachten 1 /94, Slg. 1994,1-5267 (1-5405 f. Tz. 59). 1 3 7 9 Zu möglichen Mehrheiten s. G. Riehle, EWS 1997, 361 (365).
C. Immaterialgüterschutz
und europäisches
Kartellrecht
543
tern (Großbritannien) und Gegnern (Frankreich) einer Reparaturklausel konnten noch nicht überbrückt werden. 1 3 8 0 Ein „freeze plus"-Kompromiss wie bei der Richtlinie 1 3 8 1 scheidet beim Gemeinschaftsgeschmacksmuster naturgemäß aus: Der Schutzbereich des Gemeinschaftsmusters muss für die gesamte EU notwendigerweise einheitlich sein. Im geänderten Vorschlag der Kommission für ein Gemeinschaftsgeschmacksmuster vom 23.10.2000 wird deshalb der Schutz von Ersatzteilen für komplexe Produkte ausgeschlossen. 1 3 8 2 Eine Änderung in der Ersatzteilfrage wird demselben Revisionsprozess wie nach der Richtlinie unterworfen. d) Vorgaben für die Ausgestaltung
des europäischen
Musterrechts
(1) Zwingende Vorgaben für die Ersatzteilfrage? In der Diskussion um die Ersatzteilfrage wird an beiden Enden des Meinungsspektrums mit angeblich zwingenden Vorgaben aus der Natur des Geschmacksmusterschutzes argumentiert. Eine must match- Ausnahme, so heißt es, widerspreche dem Wesen des Musterschutzes, 1 3 8 3 bzw. - in entgegengesetztem Sinn - eine Begrenzung des Schutzumfangs unter Ausschluss der Ersatzteile sei „systemimmanent zwingend". 1 3 8 4 Aufgrund der wettbewerbspolitischen Neutralität des geistigen Eigentums sei es verfehlt, wettbewerbspolitische Erwägungen in ein Immaterialgütergesetz einzubringen; solche Anliegen seien Sache des Kartellrechts. 1 3 8 5 Oder: Die in jeder Hinsicht vorrangige Frage laute, ob Musterschutz an Kfz-Ersatzteilen mit geschmacksmusterrechtlichen Prinzipien vereinbar sei oder nicht. 1 3 8 6 Gegenüber solchen Argumentationen ist festzuhalten, dass tiefere, dem Gesetzgeber vorgegebene Gründe für oder wider eine Einbeziehung von Ersatzteilen in den musterrechtlichen Schutzbereich nicht existieren. Weder ist Immaterialgüterrecht wettbewerbspolitisch neutral, noch ist es dem Gesetzgeber verwehrt, Schutzrechte volkswirtschaftlich suboptimal auszugestalten. Mit A. Kur ist vielmehr die Frage zu stellen, ob eine Sonderregelung für Ersatzteile notwendig und sinnvoll ist. 1387 Teil dieser rechtspolitischen Fragestellung sind Erwägungen aller Art, unter denen den wirtschafts- und wettbewerbspolitischen 1380
A. Kur, G R U R Int. 1996, 876 (887 Fn. 87). S . o . Fn. 1374. 1382 KC)M(2000) 660 endgültig/2 (abrufbar unter: http://europa.eu.int/comm/internal_market/en/indprop/design-new.htm). In diesem Sinn bereits A. Kur ( G R U R Int. 1996, 876, 888) u n d G. Riehle ( E W S 1997, 361, 365 f.): Der A u s s c h l u s s k o m p l e x e r Erzeugnisse in der V e r o r d n u n g ist n o t w e n d i g , da sonst der nationale Gebrauch der durch die Richtlinie g e w ä h r ten „freeze p l u s " - M ö g l i c h k e i t unterlaufen w ü r d e . 1383 F.-K. Beier, G R U R Int. 1994, 716 (721). 1384 G. Riehle, E W S 1996, Beilage 1, S. 5. 1385 F.-K. Beier, G R U R Int. 1994, 716 (724 f.). 1386 G. Riehle, G R U R Int. 1993, 49 (58). 1387 A. Kur, G R U R Int. 1996, 876 (881). 1381
544
4. Teil: Europäisches
Recht
Gesichtspunkten eine besondere Rolle zukommt. Gefragt ist eine weise wirtschaftspolitische Entscheidung, die sich in den Gesamtzusammenhang der Rechtsordnung einfügt und volkswirtschaftlichen Nutzen stiftet. 1388 (2) Die Ersatzteilfrage: Anwendungsfall der „aftermarket"-Problematik Im Kern betrifft das Problem die Frage, ob das Geschäft mit geschmacksmusterrechtlich geschützten Ersatzteilen für die gesamte Schutzdauer den Automobilherstellern vorbehalten, oder ob den unabhängigen Teileherstellern durch Einschränkungen des Musterschutzes Wettbewerbsmöglichkeiten eröffnet werden sollten. In diesem Zusammenhang ist vorgebracht worden, dass die Besonderheit der Ersatzteilfrage darin bestehe, dass die Erstreckung des Schutzes auf Ersatzteile zu einem Produktmonopol führe. 1 3 8 9 Diesem Befund kann zwar zugestimmt werden. Allerdings liegt hier keine Besonderheit der Ersatzteilproblematik vor; der Themenkreis ist vielmehr ein Anwendungsfall der allgemeineren, im Kartellrecht bekannten Fallgruppe der nachgelagerten Märkte (aftermarkets).1390 Diese bei Art. 82 EGV angesiedelte Problematik lässt sich durch zwei Fragen umschreiben: 1. Gibt es einen eigenen, getrennten Markt für Ersatzteile, Zubehör, Serviceleistungen etc. („nachgelagerter Markt" oder aftermarket), der von dem Markt für das Hauptprodukt zu unterscheiden ist (Hauptmarkt oder primary market)? 2. Kann von einer beherrschenden Stellung auf dem nachgelagerten Markt auch dann die Rede sein, wenn auf dem vorgelagerten Markt ein intensiver (inter-brand-yWettbewerb herrscht? 1 3 9 1 Während die Verneinung der ersten Frage die zweite Frage überflüssig macht, führt die Bejahung von Frage 1 zu keiner Vorentscheidung der Frage 2: Selbst bei hohen Marktanteilen auf dem nachgelagerten Markt ist es denkbar, eine marktbeherrschende Stellung zu verneinen, da die Wahl eines anderen Hauptprodukts für den Verbraucher auch zu Alternativen bei Ersatzteilen, Zubehör, Service etc. führt. (3) Konsequenzen für die Frage des Geschmacksmusterschutzes von Ersatzteilen Die Einordnung der Ersatzteilproblematik in die aftermarkei-Fallgruppe löst folgende Überlegungen aus: Wenn der Markt für Ersatzteile für bestimmte
1388 Für den Primat des Gesetzgebers auch A. Kur, GRUR Int. 1996, 876 f. und 878 f. Th. Bodewig (On the Misuse of Intellectual Property Rights, 1995, S.231 ff.) betont den Unterschied zwischen der gesetzgeberischen Festlegung des Schutzrechtsumfangs und der Frage, ob innerhalb des Schutzrechts ein Missbrauch vorliegen kann. 1389 G. Riehle, GRUR Int. 1993, 49 (64). 1390 S. hierzu beispielsweise Ph. Andrews, Aftermarket Power in the Computer Services Market: The Digital Undertaking, ECLR 1998, 176 ff.; H. Fleischer, Marktmachtmißbrauch auf sekundären Produktmärkten, RIW 2000, 22 ff. 1391 Zur Beurteilung der aftermarket-Problemitik im amerikanischen Recht s.o. S. 79 ff.
C. Immaterialgüterschutz
und europäisches
Kartellrecht
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Kraftfahrzeugtypen als eigenständiger Markt zu qualifizieren ist, und wenn der betreffende Automobilhersteller darauf typischerweise eine beherrschende Stellung einnimmt, so würde die Erstreckung des Musterrechts auf Ersatzteile regelmäßig zur Einräumung einer beherrschenden Stellung führen. Wenn im Bereich der Ersatzteile ein solcher, regelmäßiger Zusammenhang zwischen Schutzrecht und Marktbeherrschung vorliegt, wäre der allgemeine Grundsatz durchbrochen, nach dem zwischen Schutzrecht und Marktbeherrschung kein Automatismus besteht. 1392 Da die Fallgruppe der Kfz-Ersatzteile auch eine hinreichend große praktische Bedeutung besitzt, 1393 läge es für den Gesetzgeber nahe, eine solche typisierte Monopoleinräumung nicht zuzulassen. Eine Einschränkung des musterrechtlichen Schutzbereichs für Ersatzteile ist also dann empfehlenswert, wenn und soweit ein solcher enger Zusammenhang zwischen Musterschutz und Marktbeherrschung besteht. Ein 100-prozentiger Zusammenhang spricht für Ausklammerung der Ersatzteile aus dem Musterschutz, ein bloß geringfügiger Zusammenhang spricht für die Einbeziehung. Die Antwort muss aber nicht in einer solchen strengen Alternative zwischen Schutz und Schutzeinschränkung bestehen. Es sind Kompromisse je nach dem Grad des Zusammenhangs möglich. Existenz und Umfang des Zusammenhangs zwischen Musterschutz von Ersatzteilen und der Schaffung von Marktbeherrschung sind deshalb im folgenden zu klären. (4) Die Problematik nachgelagerter Märkte in der Praxis der Gemeinschaftsorgane a ) „Hugin" Leitentscheidung des Gerichtshofs zu diesem Thema ist das Urteil in der Rechtssache „Hugin" („Registrierkassen"). 1 3 9 4 Die Firma Hugin hatte auf dem Markt für Registrierkassen nur einen relativ geringen Marktanteil. Hugin weigerte sich, Ersatzteile für die von ihr hergestellten Registrierkassen an Unternehmen außerhalb ihres eigenen Vertriebsnetzes zu liefern. Die Kommission sah hierin den Missbrauch einer marktbeherrschenden Stellung. 1 3 9 5 Der Gerichtshof prüfte, ob die Lieferung der Ersatzteile einen eigenen Markt darstelle oder ob das Ersatzteilgeschäft Teil des Marktes für den Vertrieb von Registrierkassen sei. Die Beantwortung dieser Frage richte sich nach der Gruppe der Kunden, die solche Ersatzteile benötigten. 1 3 9 6 Da die Benutzer der Registrierkassen nicht selber zur Reparatur der Geräte in der Lage seien, und der Wert der Ersatzteile im Vergleich zu den Wartungs- und Reparaturkosten unbedeutend S. dazu oben S. 441 ff. „kritische M a s s e " i.S. von A. Kur (oben Fn. 1360). 1394 E u G H , 31.5.1979, H u g i n / K o m m i s s i o n , Rs.22/78, Slg.1979, 1869. 1395 Kommission, Entscheidung 78/68/EWG vom 8.12.1977 (IV/29.132 - H u g i n / L i p t o n s ) , A B l . 1978 L 22/23. 1 3 9 6 E u G H , „ H u g i n " Slg. 1979, 1895 f. Tz. 5. 1392
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4. Teil: Europäisches
Recht
sei, bestehe im Verhältnis zu den Verwendern im wesentlichen ein Dienstleistungsmarkt. Die Ersatzteile würden also nicht an die Verwender, sondern an unabhängige Reparaturunternehmen verkauft, welche die Teile auch zur Uberholung gebrauchter Geräte benötigten. Es gebe eine spezifische Nachfrage nach Ersatzteilen der Marke Hugin, da diese Teile nicht gegen Ersatzteile anderer Firmen austauschbar seien. 1 3 9 7 Folglich sei der Markt, „den von unabhängigen Unternehmen benötigte Hugin-Ersatzteile bilden," als eigenständiger, relevanter Markt zu qualifizieren. 1 3 9 8 Einziger Anbieter auf diesem Markt sei Hugin. Eine andere Bezugsquelle könne sich nur aus der Zerlegung gebrauchter H u gin-Geräte ergeben. Dies sei keine hinreichende Alternative. 1 3 9 9 Hugin habe also eine marktbeherrschende Stellung inne. 1 4 0 0 Zur Frage des Missbrauchs dieser beherrschenden Stellung bezieht der G e richtshof keine Position, da er eine Beeinträchtigung des zwischenstaatlichen Handels verneint. 1 4 0 1 Die Kommission hatte in der Lieferverweigerung einen Missbrauch gesehen, da den Benutzern von Hugin-Registrierkassen dadurch die freie Wahl des Wartungsunternehmens genommen werde, und der Ausschluss jeglichen Wettbewerbs auf dem Markt für Service-Leistungen die Folge sei. 1 4 0 2 In der Logik der „Hugin"-Entscheidung liegt es, immer dann von einem eigenen Ersatzteilmarkt und dann zumeist auch von einer Marktbeherrschung auszugehen, wenn die Käufer des Hauptgeräts aufgrund der technischen Schwierigkeiten nicht auch zugleich Käufer der Ersatzteile sind, sondern eher Wartungsdienstleistungen entgegennehmen. D a bei den meisten zusammengesetzten Geräten von hinreichender technischer Komplexität ausgegangen wer-
„Hugin" Tz. 6 f. „Hugin" Tz. 8. 1399 Q e r Gerichtshof streift die Frage des Nachbaus der nicht sonderrechtlich geschützten Hugin-Ersatzteile, stellt aber fest, dass ein solcher Nachbau „aus wirtschaftlichen Gründen ... praktisch nicht vorstellbar" sei („Hugin" Slg. 1979, 1897 Tz. 9). 1 4 0 0 „Hugin" Tz. 9 f. 1 4 0 1 Die Prüfungsfolge des Gerichtshofs ist kurios. Zwar prüft er schulmäßig die drei Voraussetzungen von Art. 86 EWGV, nämlich Marktbeherrschung, Missbrauch und Zwischenstaatlichkeitsklausel. Während er in der Frage der Marktbeherrschung zu einem klaren Ergebnis kommt, stellt er in der Frage des Missbrauchs einen Dissens zwischen den Parteien fest. „Angesichts dieser Meinungsverschiedenheit" (die im übrigen auch bei der Frage der Marktbeherrschung bestand) sei die Prüfung der Zwischenstaatlichkeitsklausel voranzustellen. Da nach Auffassung des Gerichtshofs keine Beeinträchtigung des zwischenstaatlichen Handels vorliegt, wird die Kommissionsentscheidung aufgehoben, ohne dass zum Vorliegen eines Missbrauchs Stellung bezogen wird. Erstaunlich ist, dass angesichts dieser Vorgehensweise überhaupt die Ausführungen zum relevanten Markt und seiner Beherrschung gemacht werden. 1402 Kommission, „Hugin", ABl. 1978, L22/23 (31 f.). Zur Kritik an der Kommissionsentscheidung wegen unzureichender wirtschaftlicher Überlegungen s. Ph. Andrews, E C L R 1998, 176(177). 1397
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C. Immaterialgüterschutz
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den kann, führt eine solche Sichtweise regelmäßig zur Annahme eines getrennten, nachgelagerten Marktes. ß) „Renault" und „Volvo" In diesem Sinn argumentiert auch Generalanwalt Mischo in den Rechtssachen „Renault" und „Volvo". Es unterliege keinem Zweifel - so der Generalanwalt - , dass für einige Käufer auch der Preis für Ersatzteile in die Entscheidung über den Kauf des Fahrzeugs einfließe. Kunden, die schlechte Erfahrungen mit den Ersatzteilpreisen für ihr Fahrzeug gemacht haben, wechselten beim nächsten Kauf möglicherweise zu einer anderen Marke. Der Wettbewerb auf dem Neuwagenmarkt schließe also auch ein Wettbewerbsmoment bezüglich der Ersatzteile mit ein. 1403 Dennoch seien die gegenwärtigen Halter eines bestimmten Fahrzeugs darauf angewiesen, ein Karosserieteil mit der gleichen Form wie das Originalteil zu kaufen. Für sie beziehe sich der relevante Markt deshalb auf diese Ersatzteile, unabhängig davon, ob es sich um Originale oder nachgebaute Teile handele. 1404 Selbst wenn rechtmäßige, nachgebaute Teile existieren, sei eine beherrschende Stellung des Anbieters der Originale anzunehmen: Regelmäßig wendeten sich die Abnehmer zuerst an ihn. Er habe einen Vorsprung an Bekanntheit und Ansehen. 1405 Y) „Hilti" Dass die Annahme eines eigenen Markts nicht von hinreichender technischer Komplexität abhängt, zeigt der „Hilti"-Fall, 1406 der sich nicht mit Ersatzteilen, sondern mit Zubehör, also ebenfalls einem nachgelagerten Markt beschäftigt. Obwohl die Verwendung von Zubehör auch dem Nutzer des Hauptprodukts ohne technische Schwierigkeiten möglich ist, nahmen Kommission und Gericht erster Instanz, bestätigt durch den Gerichtshof, die Existenz eigener, getrennter Zubehörmärkte an. 1407 6) „Pelikan/Kyocera" Eine differenziertere Beurteilung nachgelagerter Märkte hat die Kommission in den letzten Jahren entwickelt. 1408 Hervorzuheben sind die Entscheidungen in „Renault" Slg. 1988, 6063 Tz. 47; „Volvo" Slg. 1988, 6225 Tz. 7. „Renault" Slg. 1988, 6063 Tz. 48; „Volvo" Slg. 1988, 6225 Tz. 8. 1405 „Renault" Slg. 1988, 6063 Tz. 50 f.; „Volvo" Slg. 1988, 6225 Tz. 10 f. Der Gerichtshof traf keine abschließenden Feststellungen zur Frage der Marktbeherrschung. Dies betonen R. Joliet (GRUR Int. 1989, 177, 185), H. Eichmann (GRUR Int. 1990, 121, 131 f., GRUR Int. 1996, 859, 873) und F.-K. Beier{FS Quack, S. 15, 18 f.). 1406 Nachweise oben Fn. 935. 1407 S. hierzu, auch zur fehlerhaften immaterialgüterrechtlichen Begründung dieses Ergebnisses durch das Gericht erster Instanz oben S. 434 f. 1408 S. hierzu Ph. Chevalier, Dominance sur un marché de produits secondaires, Competition Policy Newsletter 1998, number 1, S. 26 ff. 1403
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4. Teil: Europäisches
Recht
den Rechtssachen „Pelikan/Kyocera" 1409 und „Digital Equipment Corporation (Digital)" 1410 . Der Sache „Pelikan/Kyocera" lag die Beschwerde von Pelikan zugrunde, dass Kyocera das Unternehmen aus dem Markt für Toner-Kassetten dränge. Es war die Frage zu entscheiden, ob Kyocera im Besitz einer marktbeherrschenden Stellung auf dem Markt für Toner-Kassetten für Kyocera-Computerdrucker war. Kyocera hatte einen geringen Marktanteil auf dem (Haupt-) Markt für Computerdrucker. Die Kommission war der Ansicht, dass keine marktbeherrschende Stellung auf dem Markt für Toner-Kassetten bestehe. Dieser Annahme lag die Bewertung dreier Faktoren zugrunde, nämlich erstens der Anteil des Preises für Toner-Kassetten an den Gesamtkosten eines Druckers, zweitens die Transparenz der Kosten von Toner-Kassetten und drittens die Kosten für einen Wechsel zu einem anderen Drucker in Verhältnis zu den Kosten der Toner-Kassette. 1411 Je höher der Wert der beiden ersten Kriterien und je niedriger der Wert für das dritte Kriterium sei, desto näher liege die Annahme, dass - selbst bei Annahme eines eigenen Markts für Kyocera-Tonerkassetten keine Marktbeherrschung vorliege. Der lebhafte Wettbewerb auf dem Hauptmarkt für Drucker sorge dafür, dass der Spielraum für unabhängiges Verhalten auf dem Markt für Toner-Kassetten ausreichend eingeschränkt werde. E) „Digital Equipment Corporation" Auch der Sachverhalt des „Digital"-Verfahrens zeichnet sich dadurch aus, dass auf dem Hauptmarkt für Computersysteme intensiver Wettbewerb herrscht. Im Gegensatz zu „Pelikan/Kyocera" folgerte die Kommission hieraus aber nicht, dass auf nachgelagerten Märkten keine beherrschende Stellung bestehe. Sie warf dem Computerhersteller Digital vielmehr Kopplungs-, Preis- und Diskriminierungsmissbräuche auf den nachgelagerten Märkten vor, nämlich auf dem Markt für Softwareunterstützung und auf dem Markt für die Wartung der Hardware. 1412 Diese Praktiken behinderten unabhängige Anbieter von Service1409 Europäische Kommission, XXV. Bericht über die Wettbewerbspolitik 1995, 1996, Tz. 87; Competition Policy Newsletter 1995, Vol.l, No.6, autumn/winter 1995, S. 13 f. 1410 Europäische Kommission, XXVII. Bericht über die Wettbewerbspolitik 1997, 1998, S. 173 f.; Pressemitteilung der Kommission IP/97/868 vom 10.10.1997 unter dem Titel „The European Commission accepts an undertaking from Digital concerning its supply and pricing practices in the field of Computer maintenance services". Eine vergleichbare Problematik wurde auch im 1984 abgeschlossenen IBM-Fall behandelt (s.o. Fn. 1274): Dem Verfahren lag die Annahme zugrunde, IBM sei marktbeherrschend in Bezug auf die nachgelagerten Märkte für IBM-kompatible Produkte. Zum Zusammenhang der Hugin-Entscheidung mit dem IBM-Fall s. V Leone, Copyright World, Issue 59, April 1996, 30 (36). 1 4 , 1 Vgl. die Analyse bei Ph. Andrews, ECLR 1998, 176 (177 f.). Die Kommission wendete diese Kriterien mit gleichem Ergebnis auch in der Rechtssache Info-Lab/Ricoh an, s. hierzu Competition Policy Newsletter, 1999, number 1, S. 35 ff. Der Sachverhalt ähnelt dem Pelikan/ Kyocera-Fall mit dem Unterschied, dass nicht Toner-Kassetten für Computerdrucker, sondern für Photokopiergeräte dem Streit zu Grunde lagen. 1412 Daneben bestand der Vorwurf eines Verstoßes gegen Art. 85 Abs. 1 EGV (a.F.) durch die Vereinbarung von Ausschließlichkeitsbindungen.
C. Immaterialgüterschutz
und europäisches
Kartellrecht
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leistungen. Das Verfahren wurde durch eine Selbstverpflichtung von Digital beendet, so dass es zu keinen definitiven Feststellungen zur Marktabgrenzung und Marktbeherrschung kam. 1 4 1 3 Der Kommissionsvorwurf setzt aber folgende Feststellungen voraus: Es existiert ein eigener Markt der Softwareunterstützung für Digital-Rechner sowie ein eigener Markt für die Wartung von Dzgzitf/-Hardware. Auf diesen beiden Märkten nimmt Digital eine beherrschende Stellung ein, ungeachtet der Tatsache, dass auf dem Hauptmarkt für Computersysteme lebhafter Wettbewerb herrscht. Legt man die drei im Zusammenhang mit der „Pelikan/Kyocera" Entscheidung genannten Kriterien zugrunde, könnte die Kommission davon ausgegangen sein, dass die Kosten für Computerserviceleistungen weniger transparent sind als die für Druckerzubehör, und dass deshalb auch der Anteil der Kosten für diese Dienstleistungen an den Gesamtkosten von der Marktgegenseite als niedrig eingeschätzt wird. Außerdem könnte die Auffassung zu Grunde liegen, dass der Wechsel von Digital zu einem anderen Computersystem hohe Kosten verursacht. 1 4 1 4 (5) Standpunkte zur Problematik der nachgelagerten Märkte Die Annahme eigener, getrennter Märkte für Sekundärprodukte oder für entsprechende Dienstleistungen wird in der Literatur weitgehend geteilt. 1 4 1 5 Keine Ubereinstimmung besteht aber bei der Frage, ob der Hersteller des Primärprodukts auf den nachgelagerten Märkten eine beherrschende Stellung einnimmt. Zum Teil wird angenommen, dass intensiver Wettbewerb auf dem vorgelager-
1 4 1 3 S. die Pressemitteilung der Kommission oben Fn. 1410. Kritisch zur Vorgehensweise der Kommission Ph. Andrews, E C L R 1998, 176 (180 f.): Die Erledigung durch Selbstverpflichtung lasse den Praktiker mit einer bloßen Pressemitteilung zurück. Klare Handlungsanweisungen könnten daraus nicht abgeleitet werden. 1414 Ph. Andrews, E C L R 1998, 176 (178 f.). 1 4 1 5 S. nur H. Eichmann, G R U R Int. 1996, 859 (873). Skeptisch allerdings H. Alhach, Protektion, Protektionismus, Preis- und Innovationswettbewerb, G R U R 1992, 238 (239); F.-K. Beier, FS Quack, 1991, S. 15 (23), der (mit Bezug auf die Entscheidungen „Renault" und „Volvo") die Annahme eines selbständigen Markts für Ersatzteile nicht für zwingend hält. Beier möchte auf die Abhängigkeit der verschiedenen Abnehmergruppen vom Bezug der Originalersatzteile abstellen. Wenn Substitutionsmöglichkeiten durch Ausweichen auf unabhängige Teilehersteller bestehen (gegen deren Tätigkeit er sich aber durch Ablehnung der Reparaturklausel wendet, s.o. S. 534 f.), möchte Beier das „Bestehen eines gesonderten Marktes für (sämtliche) Ersatzteile von Kraftwagen aus der Produktion eines bestimmten Herstellers" verneinen (ebenda, S. 25). Diesem Gedankengang ist nur im Ausgangspunkt zuzustimmen: Zur Abgrenzung des (sachlich) relevanten Marktes ist auf die Substitutionsmöglichkeiten aus Sicht der Marktgegenseite abzustellen. Die Möglichkeit zur Substitution bezieht sich aber auf das Produkt, nicht auf die Produkt quelle. Nicht entscheidend bei der Marktabgrenzung ist die Frage, ob es noch andere Hersteller oder Händler gibt, von denen das Produkt bezogen werden könnte. Entscheidend ist vielmehr die Frage, ob es noch andere Produkte gibt, auf welche die Marktgegenseite ausweichen kann. Die Existenz unabhängiger Teilehersteller spielt keine Rolle für die Frage, ob ein selbständiger Markt für Ersatzteile besteht.
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4. Teil: Europäisches
Recht
ten Markt eine Beherrschung der nachgelagerten Märkte unmöglich mache. Der Käufer bringe in seine Kaufentscheidung über das Primärprodukt auch die in Zukunft anfallenden Kosten für Wartung, Zubehör und Ersatzteile ein. 1416 Dem wird unter Hinweis auf Transparenzprobleme widersprochen. Im Augenblick der Kaufentscheidung wisse der Käufer oft noch nicht, ob, bzw. wann solche Ausgaben auf ihn zukämen. 1 4 1 7 Die Diskussion zeigt, dass die Frage nicht pauschal entschieden werden kann. 1 4 1 8 Eine Beherrschung des nachgelagerten Markts trotz intensiven Wettbewerbs auf dem Hauptmarkt scheidet aus, wenn der Abnehmer tatsächlich in seine Kaufentscheidung über das Primärprodukt auch die in Zukunft anfallenden Kosten für Ersatzteile, Zubehör, Serviceleistungen etc. einbringt. Dass im Augenblick der Kaufentscheidung keine Gewissheit über den Umfang und Kosten dieser Sekundärleistungen besteht, ist kein entscheidendes Argument für die Annahme einer beherrschenden Stellung. Beispielsweise kann aus den Kosten für die eventuell benötigten Teile und der Wahrscheinlichkeit des Bedarfs der Erwartungswert gebildet werden, der gerade für größere Abnehmer durchaus eine Kalkulationsgrundlage sein kann. Lässt sich der Abnehmer durch die Kosten für Sekundärleistungen dagegen nicht in seiner Kaufentscheidung für das Primärprodukt beeinflussen, steht der Wettbewerb auf dem Hauptmarkt der Annahme einer beherrschenden Stellung auf dem Sekundärmarkt nicht entgegen. Ob eine beherrschende Stellung auf dem Sekundärmarkt tatsächlich besteht, beurteilt sich dann nach allgemeinen Regeln. Eine Vermutung des Inhalts, dass in diesen Fällen der Hersteller der Originalersatzteile regelmäßig Marktbeherrscher sei, da eine Kundenpräferenz für Originalteile bestehe, 1419 ist abzulehnen. In jedem einzelnen Fall ist nachzuweisen, ob die Stellung als Originalhersteller tatsächlich wettbewerbliche Verhaltensspielräume verschafft. Die Frage der Beherrschung des Sekundärmarkts ist also - wie immer bei der Frage der Marktabgrenzung und -beherrschung - empirisch zu untersu-
1416 Zur „Fore-market Competition Defence" s. R. Joliet, GRUR Int. 1989, 177 (185); M. Williams, Sega, Nintendo and After-market Power: The M M C Report on Video Games, ECLR 1995, 310 (313 ff.). H. Eichmann (GRUR Int. 1997, 595, 608) bringt das Argument auf der nächsten Stufe, nämlich bei der Frage des Missbrauchs: Missbräuche auf den abgeleiteten Märkten sorgten dafür, dass die Kunden sich für ein anderes Primärprodukt entschieden. Der Marktmechanismus verhindere also Missbräuche, dagegen A. Kur, GRUR Int. 1996, 876 (883). 1417 Für die Annahme von Marktbeherrschung I. Govaere, The Use and Abuse of Intellectual Property Rights in E.C. Law, 1996, S. 237; H. Eichmann, GRUR Int. 1996, 859 (873 f.); Eichmannh. Falckenstein, § 14a GeschmG Rdnr. 49; G. Riehle, GRUR Int. 1993, 49 (62 f.). 1418 (Dynamic Come ; n e differenzierte Einzelfallbetrachtung auch Bishop/Caffarra petition and Aftermarkets, ECLR 1998, 265 ff.), H. Fleischer, Marktmachtmißbrauch auf sekundären Produktmärkten, RIW 2000, 22 (25 ff.). 1419 Zu einer solchen Vermutung tendiert Generalanwalt Mischo, s.o. S. 547.
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und europäisches
Kartellrecht
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chen. 1 4 2 0 Die normativen Vorgaben für diese empirische Frage können konkretisiert werden, indem die von der Kommission verwendeten Kriterien herangezogen werden. Abnehmer werden regelmäßig dann die Kosten für Sekundärleistungen in ihre Entscheidung über das Primärgut einbringen, wenn der Anteil der Sekundärkosten an den Gesamtkosten hoch ist, Transparenz in Bezug auf die Sekundärkosten besteht und der Wechsel von einem Primärprodukt zum anderen teuer ist. Diese Aussage gilt auch vice versa. e) Ergebnis und
Folgerungen
Zwar sind nachgelagerte Märkte, wie z.B. für Ersatzteile und Zubehör, in der Regel als eigenständige, getrennte Märkte einzustufen. Generalisierte Aussagen über den Zusammenhang zwischen Musterschutz für Ersatzteile und der Entstehung einer marktbeherrschenden Stellung sind jedoch nicht möglich. Jeweils im Einzelfall ist festzustellen, ob ein nachgelagerter Markt tatsächlich beherrscht wird. Dabei ist auch die Frage zu klären, ob intensiver Wettbewerb auf dem Primärmarkt die Beherrschung des Sekundärmarkts ausschließt. Dieser Befund ist nicht als non liquet zu werten; vielmehr sind die allgemeinen Kriterien der Marktbeherrschung im einzelnen Fall auf die nachgelagerten Märkte anzuwenden. Die Unmöglichkeit einer pauschalen Aussage führt zu folgender Antwort auf die rechtspolitische Frage nach der Einbeziehung der Ersatzteile in den Musterschutz: Die Ersatzteile sollten nicht komplett in den Musterschutz einbezogen werden, da in vielen Fällen das Ausschließlichkeitsrecht zur Marktbeherrschung in Form eines Monopols führen würde. Die Ersatzteile sollten andererseits auch nicht völlig aus dem Schutz herausgenommen werden, da in anderen Fällen die Beherrschung des Sekundärmarkts durch den Wettbewerb auf dem Primärmarkt ausgeschlossen wird. Dieses Ergebnis spricht für eine differenzierte Lösung in Form einer Reparaturklausel. Auch Teile komplexer Erzeugnisse sind prinzipiell musterfähig. Es ist aber eine Ausnahme zu Reparaturzwecken vorzusehen. Eine solche Ausnahme hat nach der Vorgabe von Art. 26 Abs. 2 T R I P s - A b k o m m e n Rücksicht auf die berechtigten Interessen des Schutzrechtsinhabers, der betroffenen Konkurrenten und der Allgemeinheit zu nehmen. 1 4 2 1 Der Interessenkonflikt zwischen Automobilherstellern und unabhängigen Ersatzteilproduzenten verlangt geradezu nach einem Interessenaus1 4 2 0 Dieses Ergebnis entspricht der auch in der europäischen Literatur immer wieder herangezogenen ÄWtf&-Entscheidung des U.S. Supreme Court (Nachweis oben S. 79 ff.; die Entscheidung ist auszugsweise übersetzt und abgedruckt in G R U R Int. 1995, 86). Der KodakFall wird beispielsweise herangezogen von G. Riehle, EWS 1996, Beilage 1, S. 15 Fn. 150; A. Kur, G R U R Int. 1996, 876, 883. 1421 F.-K. Beier hat vor dem Hintergrund von Art. 26 Abs. 2 T R I P s die zeitliche Befristung des Ersatzteilschutzes kritisiert, da durch diese Regelung das Musterrecht an den geschützten Teilen praktisch außer Kraft gesetzt werde ( G R U R Int. 1994, 716, 728). Im Fall der Vergütungslösung verbleibt dem Inhaber des Schutzrechts (außer dem weiter fortbestehenden
552
4. Teil: Europäisches
Recht
gleich in Form eines Kompromisses. Dabei ist der Vergütungslösung der Vorzug vor der zeitlichen Beschränkung des Ersatzteilschutzes zu geben, da nur mit ihr der Schutzrechtsinhaber über die gesamte Laufzeit des Musterrechts am Erfolg seines Musters beteiligt ist. Eine Vergütungslösung wäre ein Beispiel für eine weise und flexible Bestimmung des Schutzrechtsinhalts, die den Konflikt mit dem Wettbewerbsschutz entschärft. 1 4 2 2 f ) Konsequenzen
von
„freezeplus"
Die Geschmacksmusterrichtlinie von 1998 hat die Ersatzteilfrage ausgeklammert und den status quo, also unterschiedliche Lösungen in den verschiedenen Mitgliedstaaten unter dem Vorbehalt einer Liberalisierungsoption eingefroren. 1 4 2 3 Der Verzicht auf eine europäische Lösung beruht nicht etwa auf dem Subsidiaritätsprinzip. Vielmehr wollte man das Gesamtprojekt des europäischen Musterrechts nicht an den Differenzen in der Ersatzteilfrage scheitern lassen. Die Folgen der Ausklammerung sind gravierend: Das mit der Richtlinie verfolgte Harmonisierungsziel wird - zumindest für den wirtschaftlich wichtigen Bereich der Ersatzteile - nicht erreicht. Dies hat Auswirkungen auf die innergemeinschaftlichen Handelsströme, die in direktem Gegensatz zum Binnenmarktziel stehen. Während in den einen Mitgliedstaaten Ersatzteile rechtmäßig hergestellt und vertrieben werden, ist in anderen Mitgliedstaaten die Herstellung und der Vertrieb einschließlich des Imports illegal. 1 4 2 4 Solche Unterschiede im Schutzrechtsniveau werden auch nicht durch die „Merck/Stephar"-Rechtsprechung ausgeräumt. 1 4 2 5 Nach „Merck/Stephar" tritt zwar Erschöpfung des Verbreitungsrechts auch dann ein, wenn ein geschütztes Erzeugnis in einem Mitgliedstaat in den Verkehr gebracht wird, der für ein solches Erzeugnis keinen Schutz vorsieht. Die Erschöpfung setzt aber die freiwillige Zustimmung des Rechtsinhabers zum Inverkehrbringen voraus. Diese Voraussetzung ist in den Ersatzteilfällen nicht erfüllt: Das Ersatzteil wird von den unabhängigen Teileherstellern in Ländern mit Reparaturklausel vertrieben. Einem Einverständnis des Kfz-Produzenten bedarf es aufgrund der Schutz gegenüber konkurrierenden Automobilherstellern) ein angemessenes Entgelt, so dass seine Interessen gewahrt bleiben. 1 4 2 2 Die Vergütungslösung muss außerdem gegenüber Regelungen abgegrenzt werden, die aus Wettbewerbsgründen eine Schutzrechtseinschränkung vorsehen, ohne eine Vergütungspflicht anzuordnen. Ein solches Beispiel ist das oben besprochene (oben S. 515 f.) Dekompilierungsrecht in Art. 6 der EG-Computersoftware-Richtlinie. Während die Herausnahme der Dekompilierung aus dem Schutzbereich des Urheberrechts der Entwicklung neuer, kompatibler Produkte dient, soll die Reparaturklausel den exakten Nachbau von must match-Teilen erlauben. Die Entwicklung neuer Produkte soll ohne Vergütungspflicht möglich sein; der bloße Nachbau eines geschützten Teils soll demgegenüber nicht ohne Entlohnung für die Entwicklungsmühen erfolgen. 1 4 2 3 S. o. S. 541 f. 1424 G. Riehle, EWS 1997, 361 (363). 1 4 2 5 Zu „Merck/Stephar" s.o. S. 261 ff.
C. Immaterialgüterschutz
und europäisches
Kartellrecht
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Reparaturklausel dort nicht. Mangels Zustimmung darf das Ersatzteil nicht in Staaten ohne Reparaturklausel vertrieben werden. 1 4 2 6 D i e M ä r k t e für Ersatzteile bleiben zwischen den Staaten mit, bzw. ohne Reparaturklausel fragmentiert. 1 4 2 7
8. Ergebnis N a h e z u unumstritten ist die A n n a h m e , dass auch auf immaterialgüterrechtlich gestützte Verhaltensweisen Art. 82 E G V prinzipiell anwendbar ist. Tiefgreifende Meinungsunterschiede bestehen allerdings in der Frage, unter welchen Voraussetzungen ein Missbrauch anzunehmen ist. D i e D i s k u s s i o n um die „ M a gill"-Entscheidung hat das Meinungsspektrum in seiner vollen Tragweite o f fengelegt.
a) Keine Anwendung der Lehre vom spezifischen
Gegenstand
I m Zusammenhang mit dem Kartellverbot wurde bereits ausgeführt, warum die L e h r e v o m spezifischen Gegenstand nicht dazu geeignet ist, Spannungen zwischen Immaterialgüterschutz und Kartellrecht aufzulösen. 1 4 2 8 I m Fall des Missbrauchsverbots treten weitere B e d e n k e n hinzu. E i n e G r u n d e r k e n n t n i s besteht darin, dass jedes R e c h t missbraucht werden kann. D e r Missbrauch ist zwar die seltene A u s n a h m e . Liegen die Ausnahmevoraussetzungen aber vor, k o m m t es zu einer Einschränkung des missbrauchten Rechts. Gerade auch K e r n b e f u g n i s se können missbräuchlich eingesetzt werden. Eine A u s n a h m e v o m
Miss-
brauchsverbot für den spezifischen Gegenstand von Immaterialgüterrechten ist deshalb systemwidrig. Versuche, den spezifischen Gegenstand nicht als absolute Anwendungssperre auszugestalten, sondern durch den E i n b a u einer A u s nahme für den Missbrauchsfall zu relativieren, lassen die Grundlage der L e h r e v o m spezifischen Gegenstand vollends entfallen: E i n A b g r e n z u n g s k r i t e r i u m für die R e i c h w e i t e des Missbrauchsverbots besteht dann nicht mehr.
Vgl. A. Kur, G R U R Int. 1996, 876 (888). G. Riehle (EWS 1997, 361, 366) nennt dies einen an Ironie grenzenden Widerspruch, „daß es zwar einen Gemeinsamen Markt für Automobile, nicht aber für die dafür benötigten Ersatzteile gibt". A. Kur ( G R U R Int. 1996, 876, 888) bezeichnet „free for all" denn auch als „Kapitulation vor den bestehenden Schwierigkeiten". Sie wirft die Frage auf, ob ein solches Ergebnis überhaupt der gesetzgeberischen Mühe wert sei, und stellt die Forderung auf, dass dann jedenfalls die Möglichkeit gewährleistet werden müsse, Ersatzteile auf dem Weg zwischen zwei Mitgliedstaaten mit Reparaturklausel durch das Gebiet eines Mitgliedstaats ohne Reparaturklausel passieren zu lassen. Diese Forderung ist durch die Vorgehensweise der französischen Behörden und Gerichte inspiriert, die gegen solche Ersatzteiltransits konsequent vorgehen, s. dazu G. Riehle, EWS 1997, 361 (364, insbesondere Fn. 31) und EWS 1999, 7 (11). Die Thematik hat sich in Erwägungsgrund 20 der endgültigen Richtlinie (oben Fn. 1372) niedergeschlagen: Die unterschiedlichen Bestimmungen in den einzelnen Mitgliedstaaten in der Ersatzteilfrage dürfen keinesfalls als Hindernis für den freien Verkehr mit diesen Produkten ausgelegt werden. Zum Hintergrund s. G. Riehle, EWS 1999, 7(11 Fn. 55). 1426 1427
1428
S. o. S. 327 ff.
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b) Missbrauch
von
Recht
Immaterialgüterrechten?
Theoreme wie die Lehre vom spezifischen Gegenstand versuchen eine Antwort auf die Frage zu geben, ob, bzw. inwiefern Immaterialgüterrechte missbraucht werden können. In präziser Formulierung der Problemstellung sind Immaterialgüterrecht und Missbrauch dagegen in zweierlei Hinsicht mediatisiert: Rechte des geistigen Eigentums vermitteln (als solche) keine marktbeherrschende Stellung. Die Frage der Marktbeherrschung ist vielmehr nach allgemeinen Regeln auf der Grundlage einer Abgrenzung des relevanten Markts und einer Feststellung des Beherrschungsgrads zu klären. Die Existenz von Ausschlussrechten ist nur ein Gesichtspunkt unter vielen, die hierbei heranzuziehen sind. Zweitens: Nicht das Immaterialgüterrecht, sondern die möglicherweise bestehende marktbeherrschende Stellung kann nach der Konzeption des europäischen Rechts missbräuchlich ausgenutzt werden. Bei der Frage des Missbrauchs und der in diesem Rahmen vorzunehmenden umfassenden Interessenabwägung ist die Existenz von Ausschlussrechten wiederum nur ein Kriterium unter mehreren. Das Ausschließlichkeitsrecht und die ihm zu Grunde liegenden Investitionen sind zugunsten des Rechtsinhabers in die Abwägung einzubringen; absolute Anwendungssperren folgen hieraus nicht. Die Trennung von Schutzrecht und Missbrauch öffnet den Blickwinkel für Konstellationen, die nur wenig Beachtung finden. Hinter der viel diskutierten Fallgruppe des Missbrauchs durch Schutzrechtsinhaber existieren die Fälle des Missbrauchs zu Lasten von Schutzrechtsinhabern. So wie Rechte des geistigen Eigentums eingeschränkt werden können, wenn sie die Grundlage für den Missbrauch einer marktbeherrschenden Stellung bilden, können sie in den Schutz des Missbrauchsverbots gelangen, wenn sie durch Missbräuche eines Marktbeherrschers bedroht werden. Das Missbrauchsverbot wirkt also nicht einseitig zu Lasten des Immaterialgüterrechts, sondern funktioniert symmetrisch. c)
Missbrauchsformen
Auch im Zusammenhang mit Rechten des geistigen Eigentums sind die drei Missbrauchsformen des Ausbeutungs-, Behinderungs- und Strukturmissbrauchs zu unterscheiden. Während sich beim Ausbeutungs-, also insbesondere beim Preis- und Konditionenmissbrauch keine spezifischen Probleme stellen, wird in der Fallgruppe des Behinderungsmissbrauchs die Möglichkeit des strategischen Einsatzes von Schutzrechten relevant. Die „Magill"-Entscheidung hat deutlich gemacht, dass der schutzrechtsgestützten Behinderung von Konkurrenten auf abgeleiteten Märkten Grenzen gesetzt sind. Zur Abstellung des Missbrauchs kann Kontrahierungszwang, nämlich (mit steigender Eingriffsintensität) Lieferungs- oder Lizenzierungszwang erforderlich sein. Hierdurch werden zwar Rechte des geistigen Eigentums eingeschränkt; die Ein-
C. Immaterialgüterschutz
und europäisches
Kartellrecht
555
schränkung beruht aber auf der besonderen Verantwortung, die Marktbeherrschern zukommt. Die Interessen des Schutzrechtsinhabers werden in vollem Umfang in die erforderliche Abwägung eingebracht. Die Lehre von den wesentlichen Einrichtungen führt zu keinen grundlegenden Neuerungen, sondern ist als eigenständige Fallgruppe in das allgemeine Missbrauchsverbot zu integrieren. Die essential facilities-hehre steht der Fallgruppe des Strukturmissbrauchs nahe: Eine beherrschende Stellung wird eingesetzt, um vor- oder nachgelagerte oder auf andere Weise benachbarte Märkte unter Kontrolle zu bringen. Die Pflicht zur Öffnung der wesentlichen Einrichtung ist an strenge Voraussetzungen geknüpft. Entsprechendes gilt für die allgemeinen Fälle des Strukturmissbrauchs. d) Prävention von Konflikten Immaterialgüterrecht
zwischen
Missbrauchsverbot
und
Eine angemessene Ausgestaltung des Schutzbereichs von Immaterialgüterrechten kann Konflikte zwischen Missbrauchsverbot und geistigem Eigentum von vornherein auf ein Minimum reduzieren. Je weiter Schutzrechte über den optimalen Umfang hinaus ausgedehnt werden, desto größer ist das Bedürfnis nach der Anwendung von Kartellrecht. 1429 So wird die Grundaussage der „Magill"-Entscheidung zwar nicht durch die weite Fassung des irischen Urheberrechts relativiert; hätte man den Urheberrechtsschutz aber nicht auf Programmvorschauen erstreckt, wäre ein Konflikt zwischen beiden Rechtsgebieten erst gar nicht aufgetreten. Beispiel für eine kluge Bestimmung der Schutzrechtsgrenzen ist Art. 6 der Computerprogramm-Richtlinie, der den Urheberrechtsschutz von Schnittstellen-Codes zwecks Herstellung kompatibler Produkte einschränkt. Vor- und nachgelagerte Märkte sollen dadurch dem Wettbewerb offen gehalten werden. Ein Testfall in diesem Zusammenhang ist die Frage nach dem Musterschutz von Ersatzteilen für komplexe Erzeugnisse. Unbeschränkter Schutz beschwört Konflikte mit dem Kartellrecht geradezu herauf. Sowohl in der Geschmacksmuster-Richtlinie also auch im Vorschlag einer Geschmacksmuster-Verordnung wurde die Frage vertagt. Es ist zu hoffen, dass im geplanten Revisionsprozess eine Lösung gefunden wird, die zu einem angemessenen Ausgleich zwischen Eigentums- und Wettbewerbsschutz führen wird.
1429 Beier ( G R U R Int. 1968, 8, 17) warnt aus diesem Grund vor einer restriktiven Handhabung der Erschöpfungslehre: „Zum anderen nährt man durch eine solche Haltung nur das Mißtrauen gegen das ,Warenzeichenmonopol' und öffnet damit dem Kartellrecht eine bequeme Einbruchsstelle in den Bereich des gewerblichen Rechtsschutzes."
5. Teil
Internationales Recht „Mein Ideal von einer glücklichen Handelspolitik in einer freien Welt kann erst dann als erfüllt gelten, w e n n die Handelspolitik zwischen den Ländern überhaupt nicht mehr gespalten ist, vielmehr sich die gesamte freie Welt auf einheitliche Spielregeln und Prinzipien festgelegt hat." (L. Erhard, Wohlstand f ü r Alle, 1957, S. 316 f.)
Das europäische Recht verfügte ursprünglich über kein eigenes Immaterialgüterrecht, wohl aber über kartellrechtrechtliche Vorschriften. Im internationalen Recht verhält es sich umgekehrt: Das Immaterialgüterrecht ging dem Kartellrecht weit voraus. Der Grund hierfür besteht darin, dass für die geistigen Schutzrechte aufgrund ihrer territorialen Begrenztheit ein unabweisbares Bedürfnis nach Internationalisierung bestand. Pariser (1883) und Berner (1886) Union führten zu umfassenden Regelungen auf den Gebieten des gewerblichen Eigentums und des Urheberrechts. Regelungen über Wettbewerbsbeschränkungen konnten in den beiden Konventionen noch nicht enthalten sein. Ein internationales System zum Schutz des geistigen Eigentums musste erst einmal errichtet werden. Abgesehen davon war die Zeit für das Kartellrecht längst nicht reif. 1 Immerhin wurde der PVU im Jahr 1900 durch die Brüsseler Revision Art. 10bis inkorporiert, der die Verbandsländer zu einem wirksamen Schutz gegen unlauteren Wettbewerb anhält. 2 Außerdem wurde in Art. 5A PVU durch die Revision von 1925 die Möglichkeit von Zwangslizenzen auf dem Gebiet des Patentrechts vorgesehen, „um Mißbräuche zu verhüten, die sich aus der Ausübung des durch das Patent verliehenen ausschließlichen Rechts ergeben könnten". 3
1 Außerdem ist das Immaterialgüterrecht - systematisch gesehen - nicht der geeignete O r t zur Aufnahme kartellrechtlicher Vorschriften, s. F.-K. Beier, Der Musterschutz von Ersatzteilen in den Vorschlägen für ein Europäisches Musterrecht, G R U R 1994, 716 (724). 2 Zur Entwicklungsgeschichte von Art. 10bis PVU s. G. Schricker, Großkommentar U W G , 1994, Einl Rdnr. F 42 ff. 3 Zu den Hintergründen von Art. 5 A PVU s. F.-K. Beier, Exclusive Rights, Statutory Licenses and Compulsory Licenses in Patent and Utility Model Law, IIC 1999, 251 (262 f.) und unten S.589.
558
5. Teil: Internationales
Recht
D e r internationale Schutz geistigen Eigentums wurde in der Folgezeit durch zahlreiche A b k o m m e n und Revisionen ausdifferenziert und gestärkt. 4 I m G e gensatz dazu stehen die B e m ü h u n g e n um ein internationales Kartellrecht. T r o t z zahlreicher Initiativen ist es bis heute auf internationaler E b e n e nicht zur Verabschiedung eines umfassenden und verpflichtenden kartellrechtlichen R e g e l werks gekommen. D i e einzelnen Stadien der E n t w i c k l u n g sind dennoch v o n großem Interesse, da sie bis heute Grundlage der Diskussion sind und teilweise zumindest als soft law W i r k s a m k e i t erlangt haben. 5 Von besonderer Bedeutung ist auch die Tatsache, dass die P r o j e k t e für eine internationale Wettbewerbsgesetzgebung von Anfang an Spezialvorschriften über das Kartellrecht des geistigen Eigentums enthielten. 6
A. Havanna Charta I. Ausgangspunkt war die Atlantik
Vorgeschichte Charta
vom 12.8.1941. 7 D e r amerikanische
Präsident und der britische Premierminister skizzierten hierin das politische und wirtschaftliche P r o g r a m m für die Zeit nach dem Krieg. Grundlage der internationalen Wirtschaftsordnung sollte der gleichberechtigte Zugang aller Staaten zu den Güter- und R o h s t o f f m ä r k t e n der Welt sein. Es sollte zu einer engen K o o p e r a t i o n aller Länder auf wirtschaftlichem G e b i e t k o m m e n . Das P r o b l e m privater Wettbewerbsbeschränkungen wurde erstmals 8 in einem Vorschlag der U S A nach dem Krieg aufgegriffen, nämlich in den „ P r o p o 4 Überblick bei Hubmann/Gotting, Gewerblicher Rechtsschutz, 6. Aufl. 1998, S. 39 ff.; M. Rehbinder, Urheberrecht, 9. Aufl. 1996, S. 30 ff. S. auch Art. 27 Nr. 2 der von der UN-Generalversammlung am 10.12.1948 beschlossenen Allgemeinen Erklärung der Menschenrechte: „Jeder Mensch hat das Recht auf Schutz der moralischen und materiellen Interessen, die sich aus jeder wissenschaftlichen, literarischen oder künstlerischen Produktion ergeben, deren Urheber er ist."; sowie Art. 15 Abs. 1 c) des Internationalen Pakts über wirtschaftliche, soziale und kulturelle Rechte vom 19.12.1966 (BGBl. 1973 II S. 1570): „Die Vertragsstaaten erkennen das Recht eines jeden an, [...] den Schutz der geistigen und materiellen Interessen zu genießen, die ihm als Urheber von Werken der Wissenschaft, Literatur oder Kunst erwachsen." Eingehend P. Buck, Geistiges Eigentum und Völkerrecht, 1994. Ausführliche Textsammlung gerade auch mit den kartellrechtlichen Bezügen bei Pfaff/Nagel, Internationale Rechtsgrundlagen für Lizenzverträge im gewerblichen Rechtsschutz, 1993. 5 Einen Uberblick über die Entwicklung aus politikwissenschaftlicher Sicht gibt S. Seil, Power and Ideas - North-South Politics of Intellectual Property and Antitrust, 1998. 6 E. Kaufer (Patente, Wettbewerb und technischer Fortschritt, 1970, S. 219 Fn. 3) betont gerade im Hinblick auf das Kartellrecht des geistigen Eigentums die Erforderlichkeit einer internationalen Wettbewerbspolitik. 7 Bekanntgegeben am 14.8.1941; deutsche Fassung in G. Zieger, Die Atlantik-Charter, 1963, S. 93 ff. 8 Entsprechende Forderungen von privater Seite hatte es bereits vorher gegeben, am bekanntesten die des Pariser Professors William Oualid, Les Ententes Industrielles Internationa-
A. Havanna
Charta
559
sals f o r Expansion of W o r l d Trade and Employment" v o m N o v e m b e r 1945. 9 Zentraler Bestandteil der Proposais w a r die Schaffung einer International Trade Organization (ITO), deren vordringliches Ziel die Liberalisierung des Welthandels sein sollte. Kapitel IV Abschnitt 1 rief die Staaten dazu auf, wettbewerbsbeschränkende Geschäftspraktiken zu bekämpfen. Abschnitt II räumte der I T O die Möglichkeit ein, diesbezügliche Beschwerden der Mitgliedstaaten entgegenzunehmen, Informationen einzuholen sowie konkrete Empfehlungen an die Staaten zu richten. A u c h wenn bindende Entscheidungen durch die I T O nicht vorgesehen waren, gingen die geplanten Befugnisse der Organisation gemessen am Stand der Zeit - sehr weit. Der Stellenwert der Wettbewerbspolitik kam auch in der Präambel der Proposais zum Ausdruck: D o r t w u r d e n die Gefahren betont, die v o n privaten Wettbewerbsbeschränkungen drohen. Im Einzelfall könnten ihre negativen Wirkungen sogar über die v o n staatlichen Wettbewerbsbeschränkungen hinausgehen.
II.
Havanna-Konferenz
Das Projekt einer International Trade Organization sollte auf der HavannaKonferenz (November 1 9 4 7 bis M ä r z 1948) verwirklicht werden. Tatsächlich kam es am 24.3.1948 zur Unterzeichnung der Havanna-Charta. Nach innenpolitischen Auseinandersetzungen lehnten die U S A allerdings die Ratifikation ab. Das Projekt der I T O w a r damit gescheitert. 1 0
les et leurs Conséquences Sociales, 1926. Zu ihm und zu anderen Initiativen im Zeitraum zwischen Erstem und Zweitem Weltkrieg s. P. Kather, Der Kodex der Vereinten Nationen über wettbewerbsbeschränkende Geschäftspraktiken, 1986, S. 11 ff. 9 S. hierzu O. Lieherknecht, Patente, Lizenzverträge und Verbot von Wettbewerbsbeschränkungen, 1953, S. 133 ff.; P Kather (oben Fn. 8), S. 16 ff. 10 Zur Geschichte der Havanna-Charta s. W. Fikentscher, Wirtschaftskontrolle und Weltinnenpolitik, GRUR Int. 1973, 478 (479 ff.). Art. XXIX Abs. 1 GATT verpflichtet die GATTMitglieder immerhin dazu, die allgemeinen Prinzipien der Kapitel I bis VI der HavannaCharta, also auch des Wettbewerbskapitels zu beachten. In Deutschland erlangten die kartellrechtlichen Bestimmungen der Havanna-Charta dadurch besondere Bedeutung, dass sie den alliierten Dekartellierungsvorschriften zu Grunde gelegt wurden und auf diesem Umweg von 1947 bis zum Inkrafttreten des GWB am 1.1.1958 geltendes Recht waren, s. dazu oben S. 132 f. Zur Stellung der Wettbewerbsvorschriften der Havanna-Charta als Vorgabe für eine deutsche Kartellgesetzgebung s. insbesondere Nr. 3 des Memorandums des Bipartite Control O f f i c e vom29.3.1949 (zitiert nachK. W. Nörr, Die Leidendes Privatrechts, 1994, S. 162 Fn. 10): „Mit Rücksicht auf diesen Beschluß werden Sie aufgefordert, Ihre Aufmerksamkeit sofort auf die Vorbereitung eines Gesetzentwurfes gegen Handelsmißbräuche zu lenken, der ein Verbot gegen einengende Geschäftspraktiken, die den internationalen und Inlandshandel berühren, wie Einschränkung des Wettbewerbs, Begrenzung des Zutritts zu Märkten oder die Ermutigung zur Schaffung von Monopolen vorsieht, und das insbesondere Kartelle und kartellähnliche Tätigkeiten und Zusammenschlüsse mit dem Zwecke der Handelsbeschränkungen für unrechtmäßig erklärt und ausschließt. Das vorzuschlagende Gesetz sollte auf den Grundlagen des Kapitel 5 der ,Havanna Carta für eine internationale Handelsorganisation' beruhen."
560
i. Teil: Internationales
Recht
Eine Ausnahme war Kapitel IV der Charta über die Handelspolitik, das schon am 30.10.1947 durch das „Protokoll von Genf über die vorläufige Anwendung des Allgemeinen Zoll- und Handelsabkommens (GATT)" 1 1 vorläufig in Kraft gesetzt wurde und das bis zur Gründung der W T O Bestand hatte. 12
III. 'Wettbewerbsvorschriften
der
Havanna-Charta
1. Rahmen Kapitel V (Art. 46 bis 54) der Havanna-Charta regelt das Internationale Kartellrecht. Auch wenn die Bestimmungen niemals in Kraft getreten sind, waren sie doch der Referenzpunkt für alle späteren Bemühungen auf diesem Gebiet. 13 Die Mitglieder werden verpflichtet, gegen alle wettbewerbsbeschränkenden Praktiken vorzugehen. Die Organisation ist berechtigt, Beschwerden seitens der Mitgliedstaaten (nicht aber unmittelbar von betroffenen Unternehmen) entgegenzunehmen. Sie kann Informationen einholen. Wenn eine gütliche Einigung nicht möglich ist, kann sie den betroffenen Mitgliedstaat dazu auffordern, die Wettbewerbsbeschränkung abzustellen. Dieser ist allerdings lediglich dazu verpflichtet, eine solche Aufforderung zu berücksichtigen und die Maßnahmen zu ergreifen, die er für angemessen hält (Art. 50 Abs. 4 der Charta). Hierüber ist der Organisation zu berichten. 14
2. Materielles Recht Art. 46 Abs. 3 Havanna-Charta listet in den Buchstaben (a) bis (f) einzelne Wettbewerbsverstöße auf. Die Liste ist nicht abschließend. Buchstabe (g) räumt der Organisation das Recht ein, mit 2/3-Mehrheit ähnliche Verhaltensweisen als wettbewerbsbeschränkende Praktiken zu qualifizieren. Zu den sechs Verhaltensweisen gehören Preis-, Konditionen-, Gebiets-, Kunden- und Quotenkartelle sowie die Diskriminierung bestimmter Unternehmen.
BGBl. 1951 II S. 173, mit Anlagebänden I, II und III. Da das GATT 1947 die textgleiche Grundlage des GATT 1994 im Rahmen der WTO geworden ist, ist es auch heute noch von Bedeutung, s. zum Verhältnis der beiden GATT-Versionen Art. II Abs. 4 WTO-Abkommen sowie die Definition in Anlage 1A des Abkommens. 13 Vgl. W. Fikentscher, Wirtschaftskontrolle und Weltinnenpolitik, GRUR Int. 1973, 478 (481): „Im übrigen stellt das Kapitel V über die ,einschränkenden Handelspraktiken' denjenigen Teil des materiellen Gehalts der Havanna-Charta dar, dessen Nichtinkrafttreten das heutige internationale Weltwirtschaftsrecht am nachhaltigsten beeinflußt." 14 Zum Vergleich der Havanna Charta mit der von den USA auf der Basis der Proposais (oben bei Fn. 9) vorgeschlagenen „Suggested Charter for an International Trade Organisation" s. P. Kather (oben Fn. 8), S. 18 ff. Im wesentlichen stellte die Havanna Charta eine Entschärfung des amerikanischen Vorschlags dar. Beschnitten sind in der Havanna Charta die Kompetenzen der ITO. Außerdem wurden im materiellen Recht die sechs ursprünglich vorgeschlagenen ^>er-se-Verletzungen zu bloßen Aufgreifkriterien für kartellbehördliche Untersuchungen umgestaltet; zu diesen Tatbeständen s. sogleich im Text. 11
12
B. Der UN-Kodex zur Kontrolle wettbewerbsbeschränkender 3. Kartellrecht
des geistigen
561
Praktiken
Eigentums
Zwei Tatbestände befassen sich mit dem Kartellrecht des geistigen Eigentums: G e m . A r t . 46 Abs. 3 B u c h s t a b e (e) werden Vereinbarungen erfasst, durch welche die E n t w i c k l u n g oder A n w e n d u n g einer bestimmten Technik oder E r findung verhindert wird, unabhängig davon, o b hierfür ein Patent besteht. B u c h s t a b e (f) erfasst Verhaltensweisen, durch die der G e b r a u c h von Patenten, M a r k e n oder U r h e b e r r e c h t e n auf Sachverhalte erstreckt wird, die nach der G e setzgebung des betreffenden Staates nicht von der R e i c h w e i t e ( „ s c o p e " ) des jeweiligen R e c h t s erfasst werden. D a s gleiche gilt für die Ausdehnung dieser R e c h t e auf die Bedingungen, den Gebrauch oder Verkauf von P r o d u k t e n , die dem Schutzrecht nicht unterfallen. D i e Regelung in Buchstabe (f) geht ersichtlich von der amerikanischen rency
doctrine
inhe-
aus und entspricht der Inhaltstheorie des deutschen R e c h t s : 1 5
N u r Verhaltensweisen, welche die Reichweite des Schutzrechts überschreiten, k o m m e n als Wettbewerbsverstoß in Frage. N i c h t mit der inherency
doctrine
vereinbar ist allerdings Buchstabe (e): D a n a c h sind auch Vereinbarungen wettbewerbswidrig, in denen die Parteien sich dazu verpflichten, von einer patentierten Erfindung keinen G e b r a u c h zu machen. Z u m Inhalt des Patentrechts gehört aber im Grundsatz die freie Entscheidung darüber, o b man von der E r findung G e b r a u c h machen m ö c h t e oder nicht. Z w a r wird diese Freiheit in vielen R e c h t s o r d n u n g e n
durch die Möglichkeit von Zwangslizenzen
einge-
schränkt; diese ist j e d o c h an das Vorliegen bestimmter Voraussetzungen geknüpft, z . B . in § 24 Abs. 1 N r . 2 des deutschen Patentgesetzes an das öffentliche Interesse. D i e Tatsache, dass Buchstabe (e) Vereinbarungen über die N i c h t b e nutzung ohne R ü c k s i c h t auf solche für eine Zwangslizenz
erforderlichen
M e r k m a l e erfasst, zeigt, dass das kartellrechtliche V e r b o t auch auf Verhaltensweisen erstreckt wird, die an sich dem Inhalt des Schutzrechts unterfallen.
B. Der UN-Kodex zur Kontrolle wettbewerbsbeschränkender Praktiken N a c h dem Scheitern der H a v a n n a - C h a r t a gab es zahlreiche Anläufe zu einer internationalen Kartellgesetzgebung. Sie blieben allerdings erfolglos. 1 6
Vgl. oben S. 147 ff. S. dazu FikentscherlHeinemann, Der „Draft International Antitrust Code" - Initiative für ein Weltkartellrecht im Rahmen des GATT, WuW 1994, 97 (98 f.). 15
16
562
y Teil: Internationales
I. Neue
Recht
Weltwirtschaftsordnung
Daran änderte sich erst etwas im Zuge der Bemühungen um eine Neue Weltwirtschaftsordnung. Auf Initiative der Entwicklungsländer verabschiedete die UN-Generalversammlung im Jahr 1974 die Declaration on the Establishment of a New International Economic Order.17 Weitere Texte folgten. 1 8 Die Neue Weltwirtschaftsordnung sollte zu mehr Gerechtigkeit in den Wirtschaftsbeziehungen zwischen Industrie- und Entwicklungsländern führen. 1 9 Zu den zentralen Punkten der neuen Ordnung gehörte auch das Kartellrecht. Die Entwicklungsländer entdeckten die Kontrolle wirtschaftlicher Macht als ein Instrument, das ihrer Forderung nach größerer wirtschaftlicher Gerechtigkeit entgegenkam. Ihre Interessen kamen damit in Ubereinstimmung mit der kartellrechtlichen Tradition in den Industrieländern. 2 0 Die Arbeiten im Rahmen der U N C T A D behandelten zunächst alle Bereiche des Kartellrechts. Ab 1975 kam es zu einer Zweiteilung: Die Beurteilung von Wettbewerbsbeschränkungen beim Technologietransfer, hauptsächlich in Lizenzverträgen über geistiges Eigentum, wurde von der Beratung der allgemeinen Kartellrechtsgrundsätze getrennt. 21 Hiermit war der Grundstein gelegt für eine zügige Einigung über die allgemeinen Vorschriften; Fragen des Technologietransfers, insbesondere des geistigen Eigentums, waren und sind bis heute so kontrovers, dass eine Einigung nicht erzielt werden konnte 22
Resolution 3201 (S-VI) vom 1.5.1974, deutsche Übersetzung in EA 1974, D 293 ff. Program of Action on the Establishment of a New International Economic Order, Resolution 3202 (S-VI); The Charter of Economic Rights and Duties of States, Resolution 3281 (XXIX) vom 12.12.1974, deutsche Übersetzung in EA 30 (1975), S. D 364 ff.; Resolution on Development and International Economic Cooperation, Resolution 3362 (S-VII) vom 16.9.1975, deutsche Übersetzung in EA 30 (1975), S. D 579 ff. 19 Überblick über die Kernforderungen bei Verdross/Simma, Universelles Völkerrecht, 1984, S. 312 ff. Zu den Bezügen zum gewerblichen Rechtsschutz s. H. P Kunz-Hallstein, Die Reform des internationalen Patentschutzes im Interesse der Entwicklungsländer, G R U R Int. 1979, 369 ff. 20 W. Fikentscher, The Code of Conduct on the Transfer of Technology: A Comment, 1980, S. 191 f. Eine eingehende Analyse der verschiedenen Interessen findet sich bei S. Seil (oben Fn. 5), S. 141 ff. 21 Zur Geschichte der UNCTAD-Aktivitäten auf dem Gebiet des Kartellrechts s. P. Kather (oben Fn. 8), S. 29 ff., zur Abspaltung der immaterialgüterrechtlichen Fragen S. 52. 22 Zum Entwurf eines Technologietransfer-Kodex s. unten S. 565 ff. Aus der Tatsache, dass immaterialgüterrechtliche Fragen aus dem allgemeinen Kartellrechtskodex ausgeklammert wurden, folgt nicht, dass er nicht auf Verhaltensweisen im Zusammenhang mit Immaterialgüterrechten anwendbar ist, s. Fikentscher/Straub, Der RBP-Kodex der Vereinten Nationen: Weltkartellrichtlinien (II), G R U R Int.1982, 727; zweifelnd P. Kather (oben Fn. 8), S. 133 ff. und 149 f. In letzter Zeit ist - mangels Fortschritts beim TOT-Kodex - eine intensivere Ausrichtung der Set-Aktivitäten auf das geistige Eigentum festzustellen, s. z.B UNCTAD, A preliminary report on how competition policy addresses the exercise of intellectual property rights, TD/B/COM.2/CLP/10, 30 March 1999, und unten S. 567 f. 17 18
B. Der UN-Kodex
zur Kontrolle
wettbewerbsbeschränkender
Praktiken
563
II. Verabschiedung des RBP-Set A m 5 . 1 2 . 1 9 8 0 v e r a b s c h i e d e t e die U N - G e n e r a l v e r s a m m l u n g d e n S e t o f M u l t i l a t e r a l l y A g r e e d E q u i t a b l e P r i n c i p l e s and R u l e s f o r t h e C o n t r o l o f R e s t r i c t i v e B u s i n e s s P r a c t i c e s ( „ R B P - S e t " ) . 2 3 E s h a n d e l t sich u m e i n e n i m G r u n d s a t z u n v e r b i n d l i c h e n C o d e o f C o n d u c t . 2 4 D i e E n t w i c k l u n g s l ä n d e r h a t t e n sich m i t i h rer ursprünglichen F o r d e r u n g nach einem bindenden A b k o m m e n nicht durchs e t z e n k ö n n e n . 2 5 A b e r a u c h als R e c h t s t e x t o h n e B i n d u n g s w i r k u n g ist der R B P S e t z u m A u s g a n g s p u n k t z a h l r e i c h e r A k t i v i t ä t e n g e w o r d e n , die z u m E n t s t e h e n einer
internationalen
Kartellrechtskultur
maßgeblich
beigetragen
haben.26
D i e s e A k t i v i t ä t e n h a b e n i n s b e s o n d e r e den E n t w i c k l u n g s - 2 7 u n d s p ä t e r d e n T r a n s f o r m a t i o n s l ä n d e r n 2 8 als O r i e n t i e r u n g z u m A u f b a u e i n e r e i g e n e n W e t t b e werbspolitik gedient.29
23 Resolution 35/63. Abgedruckt und kommentiert bei Fikentscher! Straub, Der R B P - K o dex der Vereinten Nationen: Weltkartellrichtlinien, Teil I und II, G R U R Int. 1982, 637-646, 727-739. 24 Zum Gestaltungsmittel des Code of Conduct s. B. Großfeld, Internationales und Europäisches Unternehmensrecht, 2. Aufl. 1995, S. 333 ff.; N. Horn (Hrsg.), Legal Problems of Codes of Conduct for Multinational Enterprises, 1980; Simma! Heinemann, Formen interstaatlicher Interaktionsregeln für wirtschaftliche Prozesse - Codes of Conduct, Handbuch der Wirtschaftsethik, Band 2, 1999, S. 403 ff. 25 P Kather (oben Fn. 8), S. 64. Auch wenn eine Resolution der UN-Generalversammlung als solche unverbindlich ist, kann sie doch ein wichtiges Element bei der Setzung anerkannten Völkerrechts sein, s. hierzu B. Simma, Zur völkerrechtlichen Bedeutung von Resolutionen der UN-Generalversammlung, 1981, S. 45 ff. 26 S. z.B. die Berichte UNCTAD, Review of 15 years of application and implementation of the Set, TD/RBP/CONF.4/5, 4 September 1995; UNCTAD, Review of Application and Implementation of the Set, TD/RBP/CONF.5/3, 3 August 2000. 27 Allgemein zur Bedeutung der Wettbewerbspolitik für Entwicklungsländer s. C. Correa, Competition Law and Development Policies, 1999, S. 361 ff.; UNCTAD, Competition Policy, Trade and Development in the Common Market for Eastern and Southern Africa (COMESA), 2000. 28 S. hierzu Heinemann! Gebhardt, Wettbewerbsrecht in Transformationsstaaten am Beispiel der Mongolei, ZVglRWiss 98 (1999) 74; UNCTAD, Competition Policy in Countries in Transition - Legal Basis and Practical Experience, 2000. 29 Vgl. z.B. das UNCTAD-Kartellmodellgesetz (Text und Kommentar) in: UNCTAD, Continued Work on the Elaboration of a Model Law or Laws on Restrictive Business Practices - Draft Commentaries to Possible Elements for Articles of a Model Law or Laws, TD/B/RBP/ 81/Rev.5,20 February 1998; außerdem die Studien: UNCTAD, The Role of Competition Policy in Economic Reforms in Developing and other Countries, TD/RBP/Conf.4/2, 26 May 1995; UNCTAD, The Basic Objectives and Main Provisions of Competition Laws and Policies, UNCTAD/ITD/15,11 October 1995. Die Bedeutung des RBP-Set für das Kartellrecht in der Welt kommt auch dadurch zum Ausdruck, dass der geplante Code of Conduct on Transnational Corporations („TNC-Code", abgedruckt in Staudinger/Großfeld, Internationales Gesellschaftsrecht, 13. Bearbeitung 1993, S. 265 ff.) bezüglich des Wettbewerbsverhaltens keine eigenen Regeln enthält, sondern auf den RBP-Set verweist. Zum T N C - C o d e s. W. Fikentscher, United Nations Codes of Conduct: New Paths in International Law, 30 American Journal of Comparative Law 577, 601 ff. (1982).
564
5. Teil: Internationales
III. Allgemeine
Recht
Bestimmungen
Der RBP-Set enthält neben allgemeinen Bestimmungen (Präambel, allgemeine Ziele, Definitionen und Prinzipien) in Teil D unternehmensbezogene und in Teil E staatsbezogene Vorschriften. Im Mittelpunkt von Teil D stehen die Verbote wettbewerbsbeschränkender Vereinbarungen und des Missbrauchs marktbeherrschender Stellungen. Diese Verbote beziehen sich auf Verhaltensweisen, die sich schädlich auf den internationalen Handel - insbesondere der Entwicklungsländer- auswirken oder auswirken können. Einzelne Fallgruppen werden aufgeschlüsselt. Es handelt sich dabei um die klassischen Koordinations- und Missbrauchsstrategien. IV. Kartellrecht
des geistigen
Eigentums
Obwohl Fragen des geistigen Eigentums eigentlich einem Technologietransferkodex überlassen werden sollten, findet sich in Abschnitt D Absatz 4, also der Vorschrift gegen den Missbrauch marktbeherrschender Stellungen, unter Buchstabe (e) ein einschlägiger Tatbestand. 30 Danach gelten als Missbrauch einer marktbeherrschenden Stellung „Einfuhrbeschränkungen für Erzeugnisse, welche im Ausland rechtmäßig mit einem W a r e n z e i c h e n v e r s e h e n w o r d e n sind, d a s m i t d e m g e s c h ü t z t e n W a r e n z e i c h e n f ü r das gleiche o d e r ein g l e i c h a r t i g e s E r z e u g n i s i m E i n f u h r l a n d i d e n t i s c h o d e r i h m ä h n l i c h ist, w e n n d i e f r a g l i c h e n W a r e n z e i c h e n g l e i c h e r H e r k u n f t s i n d , d.h. d e m s e l b e n I n h a b e r g e h ö r e n o d e r v o n U n t e r n e h m e n v e r w e n d e t w e r d e n , z w i s c h e n d e n e n eine w i r t s c h a f t l i c h e , o r g a n i s a t o r i s c h e , u n t e r n e h m e r i s c h e o d e r r e c h t l i c h e g e g e n s e i t i g e A b h ä n g i g k e i t besteht, u n d w e n n d e r Z w e c k d e r a r t i g e r B e s c h r ä n k u n g e n die A u f r e c h t e r h a l t u n g k ü n s t l i c h h o h e r Preise ist".
Die Vorschrift steht in unmittelbarem Zusammenhang mit der Erschöpfungslehre. Unabhängig davon, ob im Importland nationale oder internationale Erschöpfung gilt, ist die Bestimmung für parallel bestehende Markenrechte von Bedeutung. Sieht das Importland nationale Erschöpfung vor, so kann der Rechtsinhaber im Prinzip unter Hinweis auf sein Markenrecht im Importland die Einfuhr des geschützten Erzeugnisses unterbinden, auch wenn es mit seiner Zustimmung im Exportland in Verkehr gebracht worden ist. Abschnitt D Absatz 4 Buchstabe (e) des RBP-Set schränkt diese Rechtsmacht allerdings ein: Ist der Inhaber 3 0 W o r t g l e i c h ist Art. 4 II (d) des auf der G r u n d l a g e des R B P - S e t verabschiedeten Kartellmodellgesetzes, s. d a z u vorstehende F u ß n o t e . Im Vorfeld stellt Art. 2 II (a) des M o d e l l g e s e t z e s klar, dass es auch auf B e s c h r ä n k u n g e n i m Z u s a m m e n h a n g mit geistigem E i g e n t u m a n w e n d b a r ist, s. d a z u den amtlichen K o m m e n t a r zu Art. 2, T z . 19 f. Das U N C T A D - S e k r e t a r i a t hat angeregt, den amtlichen K o m m e n t a r z u m M o d e l l g e s e t z u m rechtsvergleichende A u s f ü h r u n g e n z u m Kartellrecht des geistigen Eigentums zu ergänzen, s. UNCTAD, C o m p e t i t i o n P o l i c y and the Exercise of Intellectual P r o p e r t y Rights, Revised R e p o r t , T D / B / C O M . 2 / C L P / 2 2 , 8 M a y 2001, Tz.37.
C. Der UN-Entwurf
eines Verbaltenskodex
über den
Technologietransfer
565
der parallelen Marken im Besitz einer marktbeherrschenden Stellung, darf er keinen Gebrauch von seinem Markenrecht im Importland machen, wenn der Zweck in der Aufrechterhaltung künstlich hoher Preise bestünde. Gilt im Importland der Grundsatz der internationalen Erschöpfung, kann der Markeninhaber die Einfuhr des geschützten Erzeugnisses zwar nicht mehr unter Hinweis auf sein Markenrecht im Einfuhrstaat unterbinden, da dieses durch das Inverkehrbringen im Ausfuhrstaat mit Zustimmung des Markeninhabers erschöpft wurde. Er hat aber dennoch die Möglichkeit, seine Abnehmer im Exportland durch Vereinbarung oder durch wirtschaftlichen Druck dazu zu bewegen, Parallelimporte zu verhindern. Diese Möglichkeit besteht insbesondere im Rahmen territorialer Exklusivlizenzen. Abschnitt D Absatz 4 Buchstabe (e) des RBP-Set setzt dieser Möglichkeit Grenzen: Hat der Markeninhaber eine marktbeherrschende Stellung, ist ihm der Abschluss derartiger Vereinbarungen oder die Ausübung von Druck verboten, wenn das Ziel die Aufrechterhaltung künstlich hoher Preise ist. Abschnitt D Absatz 4 Buchstabe (e) des RBP-Set führt damit zu einer Einschränkung des Markenrechts, die über dessen immanente Schranken in Form des Erschöpfungsgedankens hinausgeht. Die Vorschrift beschreibt einen Kartellrechtsverstoß, der innerhalb des Schutzbereichs des Markenrechts angesiedelt ist.
C. Der UN-Entwurf eines Verhaltenskodex über den Technologietransfer Fragen des Technologietransfers waren ein weiterer wichtiger Bestandteil des Programms einer neuen Weltwirtschaftsordnung. 1976 setzte die U N C T A D eine Expertengruppe ein, deren Auftrag die Erarbeitung eines „International Code of Conduct on the Transfer of Technology" (im folgenden: „TOT-Kodex") war. 3 1 Ein entsprechender Entwurf liegt vor; die letzte Fassung stammt aus dem Jahr 1985. 32 Der bisher erarbeitete Text enthält neben allgemeinen Vorschriften (Präambel, Definitionen, Anwendungsbereich, Ziele und Prinzipien) eine Liste möglicher staatlicher Regulierungen, ein kartellrechtliches und ein schuldrechtliches Kapitel, sowie Bestimmungen über die Vorzugsbehandlung von Entwicklungsländern, die internationale Zusammenarbeit und einen Uberwachungsmechanismus.
G. miner, Transfer of Technology: The UNCTAD Code of Conduct, 1980, S. 178. UNCTAD-Dokument TD/CODE TOT/47 vom 5.6.1985, abgedruckt bei C.-Th. Ebenroth, Code of Conduct - Ansätze zur vertraglichen Gestaltung internationaler Investitionen, 1987, S. 601-630. 31
32
566
5. Teil: Internationales
I. Meinungsunterschiede
Recht
zwischen den
Ländergruppen
Zur geplanten Verabschiedung als Resolution der UN-Generalversammlung ist es bis heute nicht gekommen. 33 Die Meinungsunterschiede zwischen den einzelnen Ländergruppen sind zu groß. 34 Auch wenn inzwischen - nicht zuletzt durch das TRIPs-Abkommen der W T O - weltweit eine größere Ubereinstimmung in Fragen des geistigen Eigentums festzustellen ist, wirkt sich im Bereich des Technologietransferkodex immer noch die Frontstellung der 70er Jahre aus. Die Entwicklungsländer verfolgten das Ziel, das ganz überwiegend in den Industrieländern angehäufte technische Wissen als gemeinsames Erbe der Menschheit gerechter über die Länder der Welt zu verteilen. Demgegenüber waren die Industrieländer an einer umfassenden Regelung internationaler Technologietransfer-Transaktionen interessiert, die den Beteiligten Rechts- und Investitionssicherheit geben sollte. 35 Besonders umstritten sind - in der Tradition der Calvo-Doktrin - die Frage des auf Technologietransferverträge anwendbaren Rechts sowie die Art der Streitschlichtung. 36 II. Kernbestand
des
TOT-Kodex
Bei allen Meinungsverschiedenheiten darf allerdings nicht übersehen werden, dass in einer ganzen Reihe von Punkten bereits Einigung erzielt werden konnte. So stehen z.B. zumindest die Struktur und die wesentlichen Komponenten von Kapitel 4 fest, in dem das Kartellrecht enthalten ist. 37 Im Mittelpunkt der kartellrechtlichen Bestimmungen steht die Frage, in welchem Umfang wettbewerbsbeschränkende Vereinbarungen in Technologietransferverträge aufgenommen werden können. In einem chapeau werden die allgemeinen Merkmale einer unzulässigen Wettbewerbsbeschränkung aufgeführt; 3 8 in einer Schwarzen 33 Zur Verhandlungsgeschichte s. P.-T. Stoll, Technologietransfer: Internationalisierungsund Nationalisierungstendenzen, 1994, S. 88 ff.; S. Seil (oben Fn. 5), S. 79 ff. 34 Ein rechtsvergleichender Uberblick über die verschiedenen Technologietransfer-Regelungen in der Welt findet sich bei H. Rubin, International Technology Transfers, 1996. S. auch die Länderüberblicke in OECD, Competition Policy and Intellectual Property Rights, Series Roundtables on Competition Policy Nr. 18, DAFFE/CLP(98)18, 1998, S. 73 ff. 35 W. Fikentscher u.a., The Draft International Code of Conduct on the Transfer of Technology, 1980, S. 7 f., 25 ff. 36 Feuer/Cassan, Droit international du développement, 2. Aufl. 1991, S. 367 f.; zur Annäherung der gegensätzlichen Standpunkte s. P.-T. Stoll (oben Fn. 33), S. 201 f. 37 Zum Streitstand bezüglich des kartellrechtlichen Teils s. Fikentscher/Lamb, The Principles of Free and Fair Trading and of Intellectual Property Protection in the Legal Framework of a New International Economic Order, 1987, S. 93 f. 38 Wichtigster Streitpunkt ist hier die Auseinandersetzung um competition approach und development test. Nach dem von den Entwicklungsländern vertretenen development test soll im Mittelpunkt der Regelung der Einfluss des Technologietransfervertrags auf die wirtschaftliche Entwicklung im Gastland stehen. Bestandteil dieses Konzepts sind strikte Klauselverbote ohne Ausnahmen im Einzelfall. Dagegen vertreten die Industrieländer in ihrem competition
C. Der UN-Entwurf eines Verhaltenskodex
über den
Technologietransfer
567
Liste werden sodann 2 0 Klauseln aufgeführt, 3 9 die im Regelfall unzulässig sind. D a z u gehören Rückgewährklauseln, Nichtangriffsabreden,
Ausschließlich-
keits- oder Preisbindungen, Forschungs- und E x p o r t b e s c h r ä n k u n g e n , K o p p lungsabreden, Vereinbarungen über die Zahlung von L i z e n z g e b ü h r e n nach Schutzfristablauf und Mengenbeschränkungen. 4 0 D e r T O T - K o d e x beschränkt sich auf das Kartellrecht der Lizenzverträge; allgemeine Regelungen über das Kartellrecht des geistigen Eigentums trifft er nicht.
III. Perspektive
für ein
Technologietransfer-Abkommen
D i e Arbeiten am T O T - K o d e x wurden unterbrochen, u m sich im R a h m e n einer U N C T A D - A r b e i t s g r u p p e grundsätzlich mit dem Verhältnis von Investitionen und Technologietransfer zu beschäftigen. E i n e Akzentverschiebung war die Folge: Fragen des Technologietransfers werden in den weiteren Z u s a m m e n hang der Investitionsförderung gestellt. Die Erkenntnis macht sich breit, dass Investitionen nicht durch verteilungspolitische F o r d e r u n g e n , sondern durch die Schaffung günstiger Investitionsbedingungen angezogen werden. 4 1 A u c h wenn es nicht mehr zu einer Einigung k o m m e n wird, hat die jahrzehntelange D i s k u s s i o n um den T O T - K o d e x doch für K o n v e r g e n z in der Einschätzung der grundlegenden P r o b l e m e geführt. 4 2 Das T R I P s - A b k o m m e n hat zu einer weiteren Annäherung der unterschiedlichen Einstellungen z u m geistigen Eigentum geführt. Z u d e m enthält das A b approach eine klassische wettbewerbsrechtliche Position mit der zentralen Kategorie der Wettbewerbsbeschränkung, die im Einzelfall unter Zuhilfenahme der rule of reason zu konkretisieren ist. In der aktuellen Version des TOT-Kodex stehen beide Konzepte nebeneinander. Näher dazu C. Köhler, Entwicklungshilfe durch Kartellrecht? Der Streit um Wettbewerbs- und Entwicklungstest bei der Auslegung und Weiterentwicklung des United Nations Restrictive Business Practices Code und seine Würdigung unter dem Gesichtspunkt der rule of reason, 1991; P.-T. Stoll (oben Fn. 33), S. 121 ff.; S. Sell(oben Fn. 5), S. 92. 39 Der Vorschlag der westlichen Industrieländer beinhaltet lediglich vierzehn Klauselverbote. 40 Kommentierung bei W. Fikentscher u.a., The Draft International Code of Conduct on the Transfer of Technology, 1980, S. 80 ff. 41 Vgl. UNCTAD: Ad Hoc Working Group on Interrelationship between Investment and Technology Transfer, Second Session: Review of the Work of the United Nations System and Selected Organizations Dealing with Investment-Related Technology Issues, TD/B/WG.5/6, 30 September 1993; UNCTAD: Ad Hoc Working Group on Interrelationship between Investment and Technology Transfer, Third Session: Interrelationship between Investment and Technology Transfer - Laws and Regulations Dealing with Transfer and Development of Technology: An Overview, TD/B/WG.5/10, 4 February 1994; UNCTAD, Negotiations on an International Code of Conduct on the Transfer of Technology, T D / C O D E TOT/60, 6 September 1995; H. Ullrich, Competition, intellectual property rights and the transfer of technology: issues for further discussions in view of UNCTAD X, 1999, S. 39 ff. 42 Eine umfassende Würdigung des Streits um den den TOT-Kodex findet sich in Patel/ Roffe/Yusuf (Hrsg.), International Technology Transfer - The Origins and Aftermath of the United Nations Negotiations on a Code of Conduct, 2000.
568
5. Teil: Internationales
Recht
kommen konkrete Vorgaben zum Problem der Wettbewerbsbeschränkungen in Lizenzverträgen. 4 3 Außerdem wird ein Hauptstreitpunkt des TOT-Kodex durch den Harmonisierungseffekt von TRIPs relativiert: Die (ungelösten) Fragen des auf Technologietransferverträge anwendbaren Rechts und des zuständigen Gerichts verlieren an Bedeutung, wenn weltweit gleiche Grundsätze für den Schutz des geistigen Eigentums gelten. Inzwischen lässt sich eine Rückverlagerung der immaterialgüterrechtlichen Probleme in die RBP-Set-Aktivitäten beobachten. Auf der dritten UN-Kartellrechtskonferenz 1995 44 wurde die durch den RBP-Set eingesetzte zwischenstaatliche Sachverständigengruppe für wettbewerbsbeschränkende Geschäftspraktiken 4 5 aufgefordert, die wettbewerbspolitische Behandlung von Ausschließlichkeitsrechten einschließlich ihrer lizenzweisen Verwertung zu untersuchen. Im Auftrag der Sachverständigengruppe legte das U N C T A D - S e kretariat einen vorläufigen Bericht über das Verhältnis von Wettbewerbspolitik und Recht des geistigen Eigentums vor. 46 Hierauf aufbauend verfasste das Sekretariat zur Vorbereitung der vierten UN-Kartellrechtskonferenz 2000 47 einen Bericht unter dem Titel „Competition Policy and the Exercise of Intellectual Property Rights", der zur Grundlage weiterer Bearbeitung wurde. 4 8 Die heute herrschende Auffassung über die positiven Wirkungen von Immaterialgüterschutz wird zugrundegelegt. Gleichzeitig wird vor zu weitgehendem Schutz und vor dem Missbrauch von Ausschließlichkeitsrechten, insbesondere auch auf den Hightech-Märkten gewarnt. 4 9
S. Art. 40 TRIPs-Abkommen und unten S. 572 ff. „United Nations Conference to Review All Aspects of the Set of Multilaterally Agreed Equitable Principles and Rules for the Control of Restrictive Business Practices", vgl. Abschnitt G (iii) des RBP-Set. Die UN-Kartellrechtskonferenzen finden alle fünf Jahre statt. 45 Vgl. Abschnitt G (i) und (ii) des RBP-Set. Die Intergovernmental Group of Experts on Restrictive Buiness Practices wurde im Dezember 1997 durch Resolution 52/182 der UN-Generalversammlung umbenannt in Intergovernmental Group of Experts on Competition Law and Policy. 46 UNCTAD, A preliminary report on how competition policy addresses the exercise of intellectual property rights, TD/B/COM.2/CLP/10, 30 March 1999. S. hierzu A. Heinemann, Intellectual Property Rights and Competition Policy - The Approach of the WTO Working Group on Trade and Competition, in: R. Zäch (Hrsg.), Towards WTO Competition Rules, 1999, S. 299 ff. 47 S. oben Fn. 44. 48 UNCTAD, Competition Policy and the Exercise of Intellectual Property Rights, TD/ RBP/CONF.5/6, 11 August 2000; UNCTAD, Competition Policy and the Exercise of Intellectual Property Rights, Revised Report, TD/B/COM.2/CLP/22, 8 May 2001. Eine weitere Überarbeitung wurde von der Zwischenstaatlichen Sachverständigengruppe (oben Fn. 45) in Auftrag gegeben, s. die Agreed Conclusions der Sachverständigengruppe vom 4.7.2001, TD/B/ COM.2/CLP/L.7, 5 July 2001. 49 S. hierzu H. Ullrich, Antitrust Law Relating to High Technology Industries - A Case for or Against International Rules?, 1999, S. 261 ff. 43
44
D. OECD-Leitsätze
für multinationale
Unternehmen
569
D. OECD-Leitsätze für multinationale Unternehmen I.
Behördenkooperation
D i e A r b e i t der O E C D im B e r e i c h der W e t t b e w e r b s p o l i t i k hat zwei Schwerp u n k t e . 5 0 E r s t e n s f ö r d e r t die O r g a n i s a t i o n die Z u s a m m e n a r b e i t d e r K a r t e l l b e hörden
der O E C D - M i t g l i e d s t a a t e n
Konsultation
durch
bis hin z u r S c h l i c h t u n g
gegenseitige U n t e r r i c h t u n g
bei divergierenden
und
Entscheidungen.
G r u n d l a g e h i e r f ü r ist d i e O E C D - R a t s e m p f e h l u n g v o m J u l i 1 9 9 5 ü b e r d i e Z u sammenarbeit zwischen den Mitgliedstaaten auf dem Gebiet w e t t b e w e r b s b e s c h r ä n k e n d e r P r a k t i k e n mit A u s w i r k u n g e n auf den internationalen H a n d e l . 5 1
II. Materielles
Recht
Zweitens werden grundlegende materielle Wettbewerbsvorschriften
erarbei-
t e t . 5 2 P r o m i n e n t e s t e s B e i s p i e l s i n d die L e i t s ä t z e f ü r m u l t i n a t i o n a l e U n t e r n e h m e n v o n 1 9 7 6 , die z u l e t z t i m J a h r 2 0 0 0 ü b e r a r b e i t e t u n d a k t u a l i s i e r t w u r d e n . 5 3 D i e Leitsätze sind E m p f e h l u n g e n der Regierungen der O E C D - L ä n d e r an ihre
5 0 Ein Überblick über die Tätigkeit der O E C D auf dem Gebiet des Kartellrechts findet sich bei H. von Hahn, Der Beitrag der O E C D zur Fortentwicklung und Harmonisierung der Nationalen Kartellrechte, FS Quack, 1991, S. 589 ff., der auch auf zwei Schwachstellen der O E C D - A r b e i t hinweist: Das Konsensprinzip im Rahmen der O E C D führe zu Ergebnissen mit dem kleinsten gemeinsamen Nenner; außerdem würden nicht genug Anstrengungen zur Verbreitung der Empfehlungen und Berichte unternommen (ebenda, S. 606 f.). Zu den Aktivitäten der O E C D s. außerdem J. Shelton, Competition Policy: What Chance for International Rules?, R D A I / I B L J 1999, 457 ff. 51 Revised Recommendation of the Council concerning Co-operation between Member Countries on Anticompetitive Practices affecting International Trade, 27 and 28 July 1995 C(95) 1 3 0 / F I N A L ; der Empfehlung von 1995 gingen Empfehlungen in den Jahren 1967,1973, 1979 und 1986 voraus, s. hierzu A. Ham, International Cooperation in the Anti-Trust Field and in Particular the Agreement between the United States of America and the Commission of the European Communities, 30 C M L Rev. 571, 574 f. (1993). 5 2 S. zuletzt die Recommendation of the Council Concerning Effective Action Against Hard Core Cartels, 27 and 28 April 1998, C(98)35/FINAL. S. außerdem die Recommendation of the Council concerning Action against Restrictive Business Practices Affecting International Trade Including those Involving Multinational Enterprises, 20th July 1978 - C(78)133 (Final), in der zum Erlass nationaler Regeln aufgerufen wird, u.a. gegen den „anti-competitive abuse of industrial property rights". 53 Die Leitsätze bilden den Anhang zur Erklärung über internationale Investitionen und Multinationale Unternehmen vom 21.6.1976. Änderungen der Leitsätze erfolgten 1979, 1982, 1984 und 1991. Die Fassung von 2000 ist abrufbar unter: http://www.oecd.org/daf/investment/guidelines/mnetext.htm. Die Leitsätze entstanden als Reaktion auf die Arbeiten im Rahmen der U N O an einem Verhaltenskodex für transnationale Korporationen (oben Fn. 29). Im Gegensatz zur schwierigen Entscheidungsfindung in der Völkergemeinschaft war im Kreis der relativ homogenen OECD-Mitglieder eine rasche Einigung möglich, s. dazu . C.-Th. Ebenroth, Code of Conduct - Ansätze zur vertraglichen Gestaltung internationaler Investitionen, 1987, S. 62.
570
5. Teil: Internationales
Recht
multinationalen Unternehmen. 5 4 Sie beruhen auf dem Grundsatz der Freiwilligkeit und erstrecken sich auf alle wesentlichen Aspekte des Unternehmensverhaltens, auch auf das Verhalten im Wettbewerb. Bis zur Revision im Jahr 2000 enthielt der wettbewerbsrechtliche Teil der Leitsätze in systematisch stimmiger Weise ein Verbot des Missbrauchs marktbeherrschender Stellungen, Bestimmungen zu horizontalen und vertikalen Wettbewerbsbeschränkungen sowie das Gebot der Zusammenarbeit mit den betroffenen Kartellbehörden. In der Fassung 2000 begnügen sich die Leitsätze im materiellrechtlichen Bereich mit einem Rumpfkartellrecht: Die Unternehmen werden dazu aufgefordert, alle anwendbaren Wettbewerbsgesetze einzuhalten. Als Beispiel für Wettbewerbsverstöße werden lediglich horizontale hard core-Kartelle genannt. 55
III. Kartellrecht
des geistigen
Eigentums
In der bis 2000 geltenden Fassung enthielten die Leitsätze an zwei Stellen Bezüge zum geistigen Eigentum. Als Regelbeispiel für den Missbrauch einer marktbeherrschenden Stellung wurden „wettbewerbsbeschränkende Mißbräuche gewerblicher Schutzrechte" genannt. Außerdem sollten Unternehmen ihren „Lizenznehmern in Ubereinstimmung mit den geltenden Gesetzen und Handelsbräuchen sowie den Erfordernissen der Spezialisierung und den Regeln einer gesunden geschäftspolitischen Praxis die Freiheit einräumen, weiterzuveräußern, zu exportieren, zu erwerben und ihre Geschäfte weiterzuentwickeln". In der Fassung von 2000 wurden die immaterialgüterrechtlichen Bezüge gestrichen. 56 Der Verzicht auf einschlägige Bestimmungen ist bedauerlich: Gerade für die Tätigkeit multinationaler Unternehmen in Entwicklungsländern ist das Kartellrecht des geistigen Eigentums von besonderer Relevanz. Angesichts der Tatsache, dass sich in diesem ehemals so umstrittenen Bereich weltweit ein Grundkonsens herauszuschälen scheint, 57 wäre die Formulierung einer Spezialbestimmung nicht schwergefallen. 5 8 Die bloße Nennung horizontaler hard core-Kartelle kann den Eindruck vermitteln, dass anderen Kartellrechtsver-
54 Seit der Revision im Jahr 2000 gelten die Leitsätze nicht nur für die 30 OECD-Mitglieder, sondern auch für Argentinien, Brasilien und Chile. 55 Vgl. hierzu oben Fn. 52. 56 Immerhin existiert im Abschnitt über Wissenschaft und Technologie eine allgemeine Vorgabe zum Technologietransfer: „Enterprises should [...]: When granting licenses for the use of intellectual property rights or when otherwise transferring technology, do so on reasonable terms and conditions and in a manner that contributes to the long term development prospects of the host country." 57 UNCTAD, Competition Policy and the Exercise of Intellectual Property Rights, Revised Report, TD/B/COM.2/CLP/22, 8 May 2001, Tz.32-34. Die OECD-Leitsätze können nun nicht mehr als Beleg für einen solchen Grundkonsens herangezogen werden. 58 Dass es auch im Rahmen der Leitsätze möglich ist, vergleichsweise detaillierte Regeln aufzustellen, zeigt der Abschnitt über Verbraucherschutz.
D. OECD-Leitsätze
für multinationale
Unternehmen
571
stoßen keine besondere Bedeutung zukomme. Der Verweis auf das anwendbare nationale Recht kann das Ziel der Leitsätze, nämlich den Unternehmen Orientierung zu geben, kaum erreichen. IV. Konzeptionelle
Arbeit
im Rahmen
der
OECD
Die Beurteilung des Verhältnisses von Kartell- und Immaterialgüterrecht hat sich auch in der O E C D im Lauf der Zeit grundlegend geändert. Das O E C D Committee of Experts on Restrictive Business Practices (RBP-Committee) hatte 1972 einen Bericht vorgelegt, der eine äußerst kritische Haltung zu gewerblichen Schutzrechten und ihrer Lizenzierung einnahm. Insbesondere wurde die Einführung von Registrierungspflichten für Lizenzverträge sowie Zwangslizenzen für den Fall des Patentmissbrauchs empfohlen. Der Bericht wurde die Grundlage für eine entsprechende, 1974 beschlossene O E C D - R a t s e m p f e h lung. 59 In den achtziger Jahren fand ein Umdenken statt. Der Ausschuss - 1987 aufgrund des erweiterten Arbeitsbereichs umbenannt in Committee on Competition Law and Policy (CLP-Committee) - legte 1989 einen Bericht unter dem Titel „Competition Policy and Intellectual Property Rights" 6 0 vor, der einen ökonomischen Grundsatzteil und rechtsvergleichende Partien enthielt. Die wettbewerbsfördernden Aspekte von Lizenzverträgen wurden betont. Zu diesem Zweck wurde Literatur der Chicago School in großem Umfang rezipiert. Die Ratsempfehlung von 1974 wurde am 31.3.1989 aufgehoben. Den OECD-Mitgliedern wurde die Beachtung des Berichts von 1989 empfohlen, soweit die innerstaatliche Rechtslage dies zuließe. 61 Im Oktober 1997 fand ein O E C D - R o u n d t a b l e zum Thema „Competition Policy and Intellectual Property Rights" statt, der zur Grundlage einer umfangreichen Dokumentation geworden ist. 62
5 9 Council Recommendation of 22 n d January 1974 concerning Action Against Restrictive Business Practices Relating to the Use of Patents and Licences, C(73) 238 (Final); hierzu H. von Hahn (oben Fn. 50), S. 602. 6 0 Paris 1989. Kritisch hierzu P. Drahos, A Philosophy of Intellectual Property, 1996, S. 143 Fn. 50. 6 1 Recommendation of the Council concerning the Application of Competition Laws and Policy to Patent and Know-How Licensing Agreements, 31 st March 1989 - C(89) 32 (Final), abgedruckt in: O E C D , Competition Policy and Intellectual Property Rights, 1989, S. 107. S. hierzu H. von Hahn (oben Fn. 50), S. 602 {.\P.-T. Stoll (oben Fn. 33), S. 115 ff. 62 OECD, Competition Policy and Intellectual Property Rights, Series Roundtables on Competition Policy Nr. 18, D A F F E / C L P ( 9 8 ) 1 8 , 1998.
572
y Teil: Internationales
Recht
E. A g r e e m e n t o n T r a d e - R e l a t e d A s p e c t s of Intellectual P r o p e r t y Rights (TRIPs) M i t W i r k u n g z u m 1.1.1995 w u r d e d i e W o r l d T r a d e O r g a n i z a t i o n ( W T O ) g e g r ü n d e t . 6 3 D i e W T O ist d i e N a c h f o l g e r i n d e s A l l g e m e i n e n Z o l l - u n d H a n d e l s a b k o m m e n s ( G A T T ) . 6 4 I m G e g e n s a t z z u m a l t e n G A T T ist d i e W e l t h a n d e l s organisation auch formal eine internationale Organisation mit eigener V ö l k e r r e c h t s p e r s ö n l i c h k e i t . 6 5 In K o n t r a s t z u d e n in d e n A b s c h n i t t e n A . b i s D . b e s p r o c h e n e n T e x t e n ist d a s W T O - A b k o m m e n e i n s c h l i e ß l i c h a l l e r A n h ä n g e a l s völkerrechtlicher Vertrag bindendes Recht.66 Die W T O hat zu einer beträchtlichen A u s d e h n u n g der R e g e l u n g s g e g e n s t ä n de i m internationalen Handelsrecht geführt. D u r c h das T R I P s - A b k o m m e n w u r d e eine Zuständigkeit im Bereich des geistigen Eigentums begründet.67 D e r enge Z u s a m m e n h a n g von I m m a t e r i a l g ü t e r s c h u t z u n d Wettbewerbsrecht hat d i e A u f n a h m e f r a g m e n t a r i s c h e r W e t t b e w e r b s v o r s c h r i f t e n in d a s T R I P s - A b k o m m e n n o t w e n d i g g e m a c h t . B e v o r auf d i e s e R e g e l u n g e n e i n g e g a n g e n w i r d , sei d i e S t e l l u n g d e s g e i s t i g e n E i g e n t u m s i m W T O / G A T T - S y s t e m k u r z s k i z z i e r t . O h n e e i n e B e s c h r e i b u n g d i e s e s Z u s a m m e n h a n g s ist ein V e r s t ä n d n i s d e s TRIPs-Wettbewerbsrechts nicht möglich.
63 Ubereinkommen zur Errichtung der Welthandelsorganisation (WTO), BGBl. 1994 II S. 1625, bzw. ABl. EG 1994 L 336/3. Allgemein zur WTO s. Jackson/Davey/Sykes, Legal Problems of International Economic Relations, 3. Aufl. 1995, S. 289 ff.; Thürer/Kux (Hrsg.), GATT 94 und die Welthandelsorganisation - Herausforderung für die Schweiz und Europa, 1996; J. Jackson, The World Trade Organization - Constitution and Jurisprudence, 1998; R. Senti, WTO - System und Funktionsweise der Welthandelsordnung, 2000; M. Beise, Die Welthandelsorganisation (WTO) - Funktion, Status, Organisation, 2001. 64 Zur Entwicklung von GATT und WTO s. M. Herdegen, Internationales Wirtschaftsrecht, 2. Aufl. 1995, S. 107 ff.; speziell zur Geschichte der Uruguay-Runde s. J. Croome, Reshaping the World Trading System, 1995. 65 S. Art. VIII des WTO-Abkommens; zum Verhältnis von GATT 1947 und GATT 1994 s. bereits oben Fn. 12. 66 Allerdings entfaltet nach Auffassung des EuGH das WTO-Ubereinkommen sowie die in seinen Anhängen enthaltenen Ubereinkünfte keine „unmittelbare Wirkung" im Gemeinschaftsrecht, s. EuGH, 23.11.1999, Portugal/Rat, C-149/96, Slg. 1999, 1-8395 (1-8439 Tz.47); EuGH, 2.5.2001, OGT Fruchthandelsgesellschaft, C-307/99 (noch nicht in der amtlichen Sammlung). Dies gilt auch für das TRIPs-Ubereinkommen, s. EuGH, 14.12.2000, Dior, C 300/98 (noch nicht in der amtlichen Sammlung). Ablehnend J. Drexl, Unmittelbare Anwendbarkeit des WTO-Rechts in der globalen Privatrechtsordnung, FS Fikentscher, 1998, S. 822 ff.; E.-U. Petersmann, Darf die EG das Völkerrecht ignorieren?, FS Fikentscher, 1998, S. 966 ff.; Möhring/Nicolini/Ziartma««, Urheberrechtsgesetz, 2. Aufl. 2000, Vor § § 1 2 0 ff. UrhG Rdnr. 107; Th. v. Danwitz, Der EuGH und das Wirtschaftsvölkerrecht, JZ 2001, 721 ff.
E. Agreement
on Trade-Related
Aspects of Intellectual Property
I. Immaterialgüterrecht 1.
und GATT
Rights
573
1947/1994
Regelungsgrundsätze
Ziel des GATT ist die Liberalisierung des weltweiten Warenverkehrs. Die zentralen Bestimmungen des Abkommens sind der Meistbegünstigungsgrundsatz in Art. I, der Abbau der Zölle gem. Art. II, der Grundsatz der Inländerbehandlung in Art. III sowie das Verbot mengenmäßiger Beschränkungen in Art. XI GATT. Funktional (wenn auch nicht in ihrer inhaltlichen Reichweite) entsprechen diese Vorschriften Art. 28 EGV (= Art. 30 EGV a.F.). Wie diese N o r m sind auch die GATT-Vorschriften nicht ohne Ausnahme. Dem Art. 30 EGV (= Art. 36 EGV a.F.) entspricht Art. XX GATT, der im Interesse einzeln aufgeführter Rechtsgüter Durchbrechungen des Liberalisierungsgebots erlaubt, soweit sie nicht zu einer willkürlichen und ungerechtfertigten Diskriminierung zwischen einzelnen Ländern oder zu einer verschleierten Beschränkung des internationalen Handels führen. 2. Ausnahmen
vom Liberalisierungsgebot
zum Schutz des geistigen
Eigentums
Art. XX Buchstabe d) GATT erlaubt Maßnahmen zum Schutz von Patenten, Warenzeichen und Urheberrechten sowie zur Verhinderung irreführender Praktiken. Die Systematik der Liberalisierungsvorschriften rückt den Schutz geistigen Eigentums damit in dieselbe Lage, die beim Zusammenspiel der Art. 28 und 30 EGV festzustellen ist: 68 Immaterialgüterrecht wird als nicht-tarifäres Handelshemmnis angesehen, das ausnahmsweise gerechtfertigt sein kann. 69 Diesen Befund kann man zwar auch positiv wenden, indem man auf den hohen Stellenwert verweist, der einem Ausnahmetatbestand zukommt. 7 0 Dies ändert aber nichts daran, dass der aus der Perspektive der Warenverkehrsfrei67 Allgemein zu allen Aspekten des TRIPs-Abkommens BeierlSchricker (Hrsg.), From GATT to TRIPs - The Agreement on Trade-Related Aspects of Intellectual Property Rights, 1996; A. Staehelin, Das TRIPs-Abkommen - Immaterialgüterrechte im Licht der globalisierten Handelspolitik, 1997. Abgesehen von der Wirkung von TRIPs für die WTO-Mitglieder (26.7.2001: 142 Mitglieder) ist das Abkommen ganz allgemein zum internationalen Referenzpunkt für den Schutz des geistigen Eigentums geworden, s. z.B. den Verweis auf TRIPs im Israelisch-Palästinensischen Interimsabkommen für die West Bank und Gaza v. 28.9.1995 („Washingtoner Abkommen"), Annex III Appendix 1 Art. 23 lit.4 b), 36 ILM 551 (1997), hierzu Ph. Spoerri, Die Fortgeltung völkerrechtlichen Besetzungsrechts während der Interimsphase palästinensischer Selbstverwaltung in der West Bank und Gaza, 2001, S. 139. 68 Dazu oben S. 220 ff.; zur Systematik von Regel und Ausnahme im GATT s. J. Drexl, Entwicklungsmöglichkeiten des Urheberrechts im Rahmen des GATT, 1990, S. 292. 69 Dahinter geht leicht die Einsicht verloren, dass auch das Gegenteil zutrifft: Der ungenügende Schutz geistigen Eigentums kann seinerseits ein nicht-tarifäres Handelshemmnis für den Umlauf geschützter Erzeugnisse sein, s. dazu S. Soltysinski, International Exhaustion of Intellectual Property Rights under the TRIPs, the EC Law and the Europe Agreements, G R U R Int. 1996, 316 (317 f.). 70 S. nur die anderen in Art. XX GATT aufgeführten Rechtsgüter wie z.B. Gesundheitsschutz oder Schutz der nationalen Kulturgüter.
574
5. Teil: Internationales
Recht
heit vorgezeichnete Grundansatz den Schutz geistigen Eigentums von vornherein in eine Defensivposition rückt und zum bloß ausnahmsweise gerechtfertigten Störenfried abqualifiziert. 3. Systematischer
Umbruch durch das
TRIPs-Abkommen
Diese (missliche) Systematik wurde durch den Ausbau des GATT zur W T O und durch die Verabschiedung des TRIPs-Abkommens überwunden. 7 1 Der weltweite Schutz geistigen Eigentums innerhalb des WTO-Systems hat zu einer grundsätzlichen Aufwertung des Immaterialgüterschutzes geführt. 72 Als Annex I C zum W T O - A b k o m m e n steht das TRIPs-Abkommen auf einer Stufe mit Annex 1A, der das GATT 1994 sowie die warenbezogenen Sonderabkommen enthält. Das TRIPs-Abkommen enthält eine implizite Klarstellung: Nationaler Schutz geistigen Eigentums, der durch TRIPs gefordert wird, ist per se mit dem GATT 1994 vereinbar. Der Umkehrschluss ist nicht zulässig. Dem nationalen Gesetzgeber bleibt es grundsätzlich unbenommen, über TRIPs hinausgehende Schutzvorschriften anzunehmen (Art. 1 Abs. 1 TRIPs-Akommen). 7 3 Solche Vorschriften kommen dann allerdings nicht in den Genuss einer per se-Rechtfertigung. Sie sind auf ihre Vereinbarkeit mit Art. XX Buchstabe d) GATT zu überprüfen. 7 4 Außerdem ist weitergehender Schutz nur unter der Voraussetzung zulässig, dass dieser Schutz dem TRIPs-Abkommen nicht zuwiderläuft. Eine entsprechende Einschränkung enthalten die traditionellen Abkommen zum Schutz des geistigen Eigentums nicht. 75 Hierin kommt die Einbettung des Immaterialgüterschutzes in das allgemeine Handelssystem zum Ausdruck. 7 6
71 Anklänge an die alte Perspektive sind allerdings noch in Absatz 1 der Präambel zum TRIPs-Abkommen enthalten. Danach ist sicherzustellen, „daß die Maßnahmen und Verfahren zur Durchsetzung der Rechte des geistigen Eigentums nicht selbst zu Schranken für den rechtmäßigen Handel werden". Dieser Programmsatz lässt sich mit der Aufwertung des Immaterialgüterschutzes vereinbaren. Er geht davon aus, dass Rechte des geistigen Eigentums keine Schranken für den internationalen Handel sind, dass sie aber dazu werden können. U m dieser Gefahr zu begegnen, enthält das TRIPs-Abkommen Vorschriften gegen den Missbrauch von Rechten des geistigen Eigentums, s. dazu unten S. 581 ff. 72 Katzenherger! Kur, TRIPs and Intellectual Property, 1996, S. 1 (4 f.). 73 Zum Problem des Maximalschutzes im System der immaterialgüterrechtlichen Konventionen, insbesondere im internationalen Urheberrecht s./. Drexl, Entwicklungsmöglichkeiten des Urheberrechts im Rahmen des GATT, 1990, S. 158 ff., 207, 242 ff. 74 Zur Auslegung von Art. XX Buchstabe d) GATT bis zum Inkrafttreten des W T O - A b kommens s. W T O , Analytical Index - Guide to GATT Law and Practice, 6. Auflage 1995, Band 1, S. 573 ff., insbesondere S. 582 f. 75 Vgl. z.B. Art. 19 RBÜ. 76 Katzenherger!Kur (oben Fn. 72), S. 6.
E. Agreement
on Trade-Related
Aspects of Intellectual
II. TRIPs und die Frage der
Property
Rights
575
Erschöpfung
A r t . 6 des T R I P s - A b k o m m e n s betrifft das Problem der Erschöpfung v o n Immaterialgüterrechten. 7 7 Die Vorschrift ist äußerst gewunden formuliert. Sie ordnet an, dass das TRIPs-Ubereinkommen „nicht dazu verwendet werden [darf], die Frage der Erschöpfung v o n Rechten des geistigen Eigentums zu behandeln." Dies gilt aber nur „für die Zwecke der Streitbeilegung im Rahmen dieses Ubereinkommens" sowie „vorbehaltlich der A r t . 3 und 4", also der Grundsätze der Inländerbehandlung und der Meistbegünstigung. A r t . 6 TRIPs ist zum Ausgangspunkt widersprüchlichster Deutungen geworden. 7 8
1. Freiheit bei der Ausgestaltung
der
Erschöpfungswirkungen
D e r größte Freiraum w i r d den nationalen Immaterialgüterrechten gelassen, w e n n man den oben an erster Stelle zitierten Ausklammerungseffekt in den Vordergrund rückt. Die W T O - M i t g l i e d e r können dann frei darüber entscheiden, ob sie nationale, regionale oder internationale Erschöpfung anordnen. 7 9 Selbst die Lösung, die zur weitesten Einschränkung geistiger Eigentumsrechte führt, also die internationale Erschöpfung, w ä r e nach dieser Ansicht mit dem TRIPs-Ubereinkommen vereinbar. D a f ü r spricht die Tatsache, dass man sich bei den Verhandlungen nicht über eine einheitliche Erschöpfungslösung einigen konnte. Die Entscheidung hierüber sollte bei den einzelnen Staaten verbleiben. 77 Zum Grundsatz der EWR-weiten Erschöpfung im europäischen Recht s.o. S. 250 ff.; zum ökonomischen, dogmatischen und rechtsvergleichenden Hintergrund der verschiedenen Erschöpfungsspielarten s. F. Abbott, Competition, intellectual property rights and the transfer of technology: the exhaustion of intellectual property rights and the interests of the developing countries, 1999,49 ff.; H. Cohen Jehoram, International Exhaustion versus Importation Right: a Murky Area of Intellectual Property Law, GRUR Int. 1996,280 ff.; C. Baudenbacher, Trademark Law and Parallel Imports in a Globalized World - Recent Developments in Europe with Special Regard to the Legal Situation in the United States, 22 Fordham International Law Journal 645 (1999). Grundlegend zum Verhältnis von Territorialitätsgrundsatz und Erschöpfung s. H. P Kunz, Die Verletzung des Markenrechts durch unerwünschte Importe von Originalwaren, 1966; W. Möschel, Die rechtliche Behandlung der Paralleleinfuhr von Markenware innerhalb der EWG, 1968; G. Riehle, Markenrecht und Parallelimport, 1968. 78 Zur Entstehungsgeschichte der Vorschrift s. A. Heinemann, Trade-Related Aspects of Intellectual Property Rights, 1996, S.401 (421); A. Staehelin, Das TRIPs-Abkommen, 1997, S. 28 ff. 79 M. Bronckers, The Exhaustion of Patent Rights under WTO Law, Journal of World Trade Vol.32 No.5 October 1998, 137 ff.; C. Heath, Bedeutet TRIPs wirklich eine Schlechterstellung von Entwicklungsländern?, GRUR Int. 1996, 1169 (1181); ders., Zur Paralleleinfuhr patentierter Erzeugnisse, RIW 1997, 541 (547 ff.); P. Katzenberger, TRIPs and Copyright Law, 1996, S. 59 (80 f.); H.P Kunz-Hallstein, Internationale Erschöpfung von Markenrechten auch im Gebrauchtwarenhandel?, FS Fikentscher, 1998, S. 931 (941 f.); A. Pacön, What Will TRIPs Do For Developing Countries, 1996, S. 329 (337); S. Soltysinski, International Exhaustion of Intellectual Property Rights under the TRIPs, the EC Law and the Europe Agreements, GRUR Int. 1996, 316 (319), wenn auch unter Kritik der Tatsache, dass TRIPs keine zwingend vorgeschriebene internationale Erschöpfung gebracht hat.
576 2. Pflicht zur Annahme
5. Teil: Internationales
internationaler
Recht
Erschöpfung
Gegen die Auffassung totaler Freiheit bei der Ausgestaltung der Erschöpfungslehre lässt sich einwenden, dass sie den Vorbehalt „für die Zwecke der Streitbeilegung" in Art. 6 TRIPs nicht ausreichend zur Kenntnis nimmt. Diesem Vorbehalt lässt sich entnehmen, dass zwar Streitfragen auf dem Gebiet der Erschöpfung nicht im Streitbeilegungsverfahren der W T O geklärt werden können, 8 0 materiell-rechtliche Schlussfolgerungen aus einzelnen TRIPs-Vorschriften für die Erschöpfungsfrage aber nicht ausgeschlossen sind. Zugunsten dieser Auffassung lässt sich der Gesamtzusammenhang der WTO-Vorschriften anführen, die auf einen möglichst umfassenden Abbau von Handelsbeschränkungen abzielen. Im Widerspruch dazu würde die unbesehene Tolerierung bloß nationaler Erschöpfung stehen, die eine Abschottung der Märkte und damit Ausbeutungsstrategien ermöglicht. 8 1 Von hier ist es nur ein kleiner Schritt zu der Auffassung, dass die Aufnahme von weltweit geltenden Regeln zum Schutz des geistigen Eigentums in das WTO/GATT-System zur Annahme internationaler Erschöpfung zwinge. 8 2 Aus dem Grundsatz der Inländerbehandlung in Art. III Abs. 4 GATT sowie dem Verbot mengenmäßiger Beschränkungen in Art. XI GATT folge die U n zulässigkeit bloß nationaler Erschöpfung. Die Diskriminierung bestehe darin, dass Produkte, die im Ausland erstmalig in Verkehr gebracht wurden, vom Markt ferngehalten werden könnten, während Produkte, die im Inland in Verkehr gebracht wurden, dort frei zirkulieren dürften. Außerdem sei ein Importverbot gegenüber einem mit Zustimmung im Ausland in Verkehr gebrachten Produkt eine Maßnahme gleicher Wirkung wie eine mengenmäßige Beschränkung. Diese Verstöße könnten nicht durch Art. XX d) GATT gerechtfertigt werden, da es an der dazu erforderlichen Notwendigkeit fehle. 83 Man könnte diese Auffassung durch eine Parallele zwischen Art. 30 EGV (= Art. 36 EGV a.F.) und Art. XX d) GATT untermauern. Art. 30 EGV durch8 0 Art. 64 T R I P s - Ü b e r e i n k o m m e n in Verbindung mit den Art. X X I I u n d X X I I I G A T T 1994 u n d dem U n d e r s t a n d i n g on R u l e s and Procedures G o v e r n i n g the Settlement of Disputes („DSU", Annex 2 zum WTO-Abkommen). 81 H. Ullrich, T e c h n o l o g y Protection A c c o r d i n g to T R I P s : Principles and Problems, 1996, S. 357 (385 f.). Auf der G r u n d l a g e von Art. 16 T R I P s k o m m t S. Rinnert (Die Erschöpfung von M a r k e n r e c h t e n u n d das T R I P s - A b k o m m e n , 2000, S. 170 ff.) z u m G r u n d s a t z der internationalen Erschöpfung beschränkt auf das M a r k e n r e c h t . 82 Yusuf/Moncayo von Hase, Intellectual P r o p e r t y Protection and International Trade, 16 W o r l d C o m p e t i t i o n , September 1 9 9 2 , 1 2 7 ff. Die A u t o r e n gelangten zu dieser These allerdings zu einem Zeitpunkt, zu d e m das T R I P s - A b k o m m e n noch nicht endgültig a u s f o r m u l i e r t war. Sie k o n n t e n sich deshalb noch nicht mit Art. 6 T R I P s - U b e r e i n k o m e n auseinandersetzen. Ihre A r g u m e n t a t i o n bleibt dennoch w e i t e r h i n aktuell, w e n n man von der R e d u k t i o n des Art. 6 auf das Streitbeilegungsverfahren u n d damit der Irrelevanz der Vorschrift für das materielle Recht ausgeht. In diesem Sinn S. K. Verma, Exhaustion of Intellectual P r o p e r t y R i g h t s and Free Trade - Article 6 of the T R I P S A g r e e m e n t , I I C 1998, 534 ff. 83 Yusuf I Moncayo von Hase, ebenda, S. 128 f.
E. Agreement
on Trade-Related
Aspects of Intellectual
Property
Rights
577
bricht nach herrschender Auffassung den Grundsatz des freien Warenverkehrs nur zugunsten des spezifischen Gegenstands des jeweiligen Schutzrechts. Zum spezifischen Gegenstand gehört regelmäßig nur das erste Inverkehrbringen des geschützten Erzeugnisses an einem beliebigen Ort des Vertragsgebiets. Uberträgt man diesen Gedankengang auf Art. XX d) GATT, wäre ebenfalls nur das erste Inverkehrbringen im Gebiet eines beliebigen W T O - M i t g l i e d s von der Ausnahmevorschrift erfasst. Weitergehende Abwehrmaßnahmen unter Berufung auf das Schutzrecht würden nicht in den Genuss der Ausnahmevorschrift kommen, sondern unter die allgemeinen GATT-Verbote fallen. Dies entspräche einem im gesamten WTO-Vertragsgebiet geltenden Grundsatz der internationalen Erschöpfung.
3. Verbot internationaler
Erschöpfung
Zum gegenteiligen Ergebnis kommt die Auffassung, die aus dem von den WTO-Mitgliedern vorzusehenden Mindestschutz ein Verbot der internationalen Erschöpfung ableitet. 84 Für das Patentrecht folge aus den Art. 27 Abs. 1 und 28 Abs. 1 TRIPs die Pflicht der WTO-Mitglieder, den Patentrechtsinhabern das ausschließliche Recht einzuräumen, Dritten den Verkauf und den Import des geschützten Gegenstands zu untersagen, und zwar unabhängig vom Ort der Produktion. Daraus folge - zumindest für das Patentrecht - die U n z u lässigkeit internationaler Erschöpfung. Etwas anderes ergebe sich auch nicht aus Art. 6 TRIPs, 8 5 da hierdurch nur die Unanwendbarkeit des Dispute Settlement-Verfahrens auf Fragen der Erschöpfung angeordnet werde. Im Gegenteil, Art. 6 ergebe keinen Sinn, wenn einzelne Vorschriften des TRIPs-Abkommens keine Auswirkungen auf die Frage der Erschöpfung hätten. 8 6 Außerdem würde die Annahme internationaler Erschöpfung aufgrund der großen Unterschiede in den Vermarktungsbedingungen zwischen den einzelnen WTO-Mitgliedern zu äußerst ungerechten Ergebnissen führen: Eine kostengerechte Versorgung der höher entwickelten Märkte sei in Konkurrenz zu Parallelimporten aus weniger entwickelten oder stärker regulierten Märkten nicht möglich. Der Rechtsinhaber werde deshalb dazu veranlasst, den geschützten Gegenstand in den betreffenden Ländern nicht herstellen zu lassen und ihn dorthin auch nicht zu exportieren. Die daraus resultierende Einschränkung des Technologietransfers laufe den Zielen von TRIPs diametral entgegen. 8 7
84 So am Beispiel des TRIPs-Patentrechts J. Straus, Implications of the TRIPs Agreement in the Field of Patent Law, 1996, S. 160 (191 ff.); Th. Cottier, The Prospects for Intellectual Property in GATT, CML Rev. 1991, 383 (399 f.); ders., Das Abkommen über handelsrelevante Aspekte der Rechte an geistigem Eigentum (TRIPs), 1996, S. 193 (203). 85 Bzw. aus der offiziellen Fußnote zu Art. 28 Abs. 1 (a) TRIPs, die auf Art. 6 TRIPs verweist. 86 J. Straus, ebenda, S. 192 f. 87 ]. Straus, ebenda, S. 194 f.
578 4.
ß. Teil: Internationales Recht Stellungnahme
Den unter 2. und 3. aufgeführten Positionen ist zuzugestehen, dass Art. 6 T R I P s seinem eindeutigen Wortlaut nach die Frage der Erschöpfung nur für die Zwecke der Streitbeilegung ausklammert. Diese Einschränkung eröffnet prinzipiell die Möglichkeit, aus einzelnen Vorschriften des Abkommens materiellrechtliche Schlussfolgerungen für die Erschöpfungslehre zu ziehen. Jedoch sind weder die Argumente für eine zwingende Annahme internationaler Erschöpfung noch diejenigen für ein zwingendes Verbot der internationalen Erschöpfung überzeugend. Im Ergebnis ist deshalb der Position 1 zuzustimmen, die von der freien Entscheidung der WTO-Mitglieder über die Ausgestaltung der jeweiligen Erschöpfungswirkungen ausgeht. Im einzelnen ist den angeführten Argumenten wie folgt zu begegnen. a) Keine Pflicht zur Annahme
internationaler
Erschöpfung
Unter G A T T 1947 hat es keine Initiativen gegeben, gegen die marktsegmentierenden Wirkungen vorzugehen, die sich aus der Anordnung nationaler Erschöpfung ergeben. Solche Wirkungen kamen in den Genuss der Ausnahmevorschrift des Art. X X d) GATT. Eine parallele Auslegung dieser Vorschrift zu Art. 36 E W G V kam nicht in Frage, da das Ziel des G A T T nicht die Errichtung eines Gemeinsamen Marktes war. Eine GATT-weite Erschöpfung war nicht gefordert. Durch den Ausbau des G A T T zur W T O hat sich an diesen Grundsätzen nichts geändert. Im Gegenteil, das T R I P s - A b k o m m e n hat Regeln zum weltweiten Schutz geistigen Eigentums in das W T O - S y s t e m integriert. Die dadurch bewirkte Stärkung des Immaterialgüterschutzes kann nicht als Argument herangezogen werden, um an anderer Stelle, nämlich in Bezug auf die Erschöpfungslehre, eine Reduzierung des Schutzes vorzunehmen. Auch wenn man de lege ferenda dem Grundsatz der internationalen Erschöpfung zustimmt, kann seine verbindliche Geltung nur durch eine ausdrückliche Vorschrift im G A T T 1994 oder im T R I P s - A b k o m m e n angeordnet werden. b) Kein Verbot der Annahme
internationaler
Erschöpfung
Umgekehrt kann auch kein Verbot der Anordnung internationaler Erschöpfung aus dem T R I P s - A b k o m m e n abgeleitet werden. Das ausschließliche Importrecht - unabhängig vom O r t der Produktion - im TRIPs-Patentrecht entspricht den üblichen Umschreibungen der Patentrechtswirkungen. 8 8 Die Einbeziehung des Einfuhrrechts dient der Vorverlagerung des Schutzes, indem der Rechtsinhaber nicht das Inverkehrbringen des geschützten Gegenstands abwarten muss, sondern bereits gegen den Import vorgehen kann, wenn dieser auf
88
Z . B . in § 9 Nr. 1 des deutschen Patentgesetzes.
E. Agreement
on Trade-Related.
Aspects of Intellectual
Property
Rights
579
eine schutzrechtsverletzende Handlung abzielt. 89 Zwingende Vorgaben für die Erschöpfungsfrage bezweckt die Einbeziehung des Importrechts nicht. 9 0 Auch das Argument, dass internationale Erschöpfung den Anreiz zur Versorgung des betreffenden Lands mit dem geschützten Gegenstand vermindere und damit dem Grundanliegen von T R I P s zur Verbesserung des Technologietransfers widerspreche, zwingt nicht zum Verbot der internationalen Erschöpfung. Jedes Land kann solche nachteiligen Wirkungen bei der Entscheidung über die Ausgestaltung der Erschöpfungswirkungen berücksichtigen. In die dabei vorzunehmende Abwägung zwischen Nachteilen und Vorteilen internationaler Erschöpfung greift T R I P s nicht ein.
c) Freiheit und Beschränkung
bei Ausgestaltung der
Erschöpfungswirkungen
Letztlich ist damit die in Art. 6 T R I P s gemachte Einschränkung „für die Zwekke der Streitbeilegung" ohne Bedeutung. Nicht nur im Rahmen des dispute Settlements sondern auch allgemein materiellrechtlich sind die W T O - M i t g l i e der frei in ihrer Entscheidung über die Erschöpfungswirkungen. Gehen sie über den Grundsatz der nationalen Erschöpfung hinaus, sind allerdings nach dem anderen in Art. 6 T R I P s gemachten Vorbehalt der Meistbegünstigungsgrundsatz und der Grundsatz der Inländerbehandlung zu beachten. Dies bedeutet, dass die Erschöpfungswirkung nicht davon abhängig gemacht werden darf, in welchem Land das geschützte Erzeugnis erstmalig in Verkehr gebracht worden ist. Selbst diese Einschränkung erfährt aber eine wichtige Ausnahme. Art. X X I V Abs. 5 G A T T erlaubt eine Abweichung von den allgemeinen Vorschriften für Freihandelsabkommen und Zollunionen. Hier kann die Erschöpfung davon abhängig gemacht werden, dass der geschützte Gegenstand auf dem Territorium eines der Mitgliedstaaten der Freihandelszone, bzw. Zollunion in Umlauf gebracht wurde. Wichtigstes Beispiel ist der Grundsatz der E W R - w e i t e n Erschöpfung im Europäischen Recht. 9 1 Die Ungleichbehandlung von EWR-Vertragsstaaten einerseits und dem Rest der Welt andererseits ist durch Art. X X I V Abs. 5 G A T T gerechtfertigt. 92
C. Heath, G R U R Int. 1996, 1169 (1180). So auch C. Freytag, Parallelimporte nach EG- und W T O - R e c h t , 2001, S. 220 f. 91 S. dazu oben S. 250 ff. 92 Chr. Bail, Elaboration of Trade Related Principles, Rules and Disciplines for Intellectual Property Rights, 1991, S. 245 (251). S. Soltysinski, International Exhaustion of Intellectual Property Rights under the TRIPs, the E C Law and the Europe Agreements, G R U R Int. 1996, 316 (319); Soltysinski fordert eine Ausdehnung der Erschöpfungswirkung auch auf diejenigen mittel- und osteuropäischen Staaten, die mit der E U durch Europa-Abkommen assoziiert sind (ebenda, S. 323 ff.). 89
90
580
i. Teil: Internationales
III. Wettbewerbsrecht
im
Recht
TRIPs-Übereinkommen
Das Recht des geistigen Eigentums hat zahlreiche Bezüge z u m Wettbewerbsr e c h t . Es w a r d e s h a l b e r f o r d e r l i c h , in d a s T R I P s - Ü b e r e i n k o m m e n l a u t e r k e i t s r e c h t l i c h e und k a r t e l l r e c h t l i c h e V o r s c h r i f t e n a u f z u n e h m e n . 9 3
1.
Lauterkeitsrecht
S p e z i e l l e lauterkeitsrechtliche N o r m e n f i n d e n sich i m M a r k e n r e c h t s o w i e b e i m S c h u t z d e r g e o g r a p h i s c h e n A n g a b e n u n d d e s K n o w - h o w . 9 4 In b e z u g auf d e n Schutz der geographischen A n g a b e n u n d den K n o w - h o w - S c h u t z enthält das T R I P s - A b k o m m e n s p e z i e l l e V e r w e i s e auf A r t . 10 b l s P V Ü , d i e s i c h g e g e n d i e u n l a u t e r e B e n u t z u n g g e o g r a p h i s c h e r A n g a b e n ( A r t . 22 A b s . 2 b T R I P s ) , b z w . gegen die unlautere E n t w e n d u n g von Geschäftsgeheimnissen w e n d e n (Art. 39 A b s . 1 T R I P s ) . D i e R e g e l u n g ist f r a g m e n t a r i s c h . U b e r d i e s e E i n z e l v o r s c h r i f t e n h i n a u s e n t h ä l t A r t . 2 A b s . 1 T R I P s - A b k o m m e n „in b e z u g auf d i e Teile II, III u n d IV dieses U b e r e i n k o m m e n s " (also bezüglich des materiellen Rechts, des Rechtsschutzes und der für den Rechtserwerb erforderlichen Förmlichkeiten) e i n e n V e r w e i s auf d i e A r t i k e l 1 b i s 12 d e r P a r i s e r V e r b a n d s ü b e r e i n k u n f t , 9 5 a l s o a u c h auf d e r e n A r t . 10 b i s , d e r d i e V e r b a n d s l ä n d e r in a l l g e m e i n e r F o r m z u e i n e m w i r k s a m e n Schutz gegen unlauteren Wettbewerb anhält.96 Das Immaterialgüt e r r e c h t w i r d d a m i t in d e n a l l g e m e i n e n Z u s a m m e n h a n g d e s L a u t e r k e i t s r e c h t s gestellt.97 A u c h w e n n das W T O - S y s t e m über keinen allgemeinen Fairness93 Einen Uberblick über die Wettbewerbs- und kartellrechtlichen Normen des TRIPs-Abkommens gibt O.-F. von Gamm, TRIPS und das nationale Wettbewerbs- und Kartellrecht, FS Lieberknecht, 1997, S. 197 ff. Allgemein zum Verhältnis von TRIPS und Wettbewerbspolitik W. Fikentscher, Historical Origins and Opportunities for Development of an International Competition Law in the TRIPs Agreement of the World Trade Organization (WTO) and Beyond, 1996, S. 226 ff.; E. Fox, Trade, Competition, and Intellectual Property - TRIPS and its Antitrust Counterparts, 29 Vanderbilt Journal of Transnational Law 481 ff. (1996); H. Ullrich, TRIPS: Adequate Protection, Inadequate Trade, Adequate Competition Policy, 4 Pacific Rim Law & Policy Journal 153 ff. (1995). Ein Uberblick über Kartellrecht an anderen Stellen des WTO-Systems findet sich unten S. 595 ff. 94 Art. 17,22 und 39 TRIPs. S. umfassend G. Reger, Der internationale Schutz gegen unlauteren Wettbewerb und das TRIPS-Übereinkommen, 1999. 95 Art. 2 Abs. 1 TRIPs ist die Grundlage des „Paris-Plus"-Ansatzes: Das TRIPs-Abkommen baut auf die Pariser Verbandsübereinkunft auf und fügt zusätzliche Schutzelemente hinzu. Entsprechend ist Art. 9 TRIPs-Übereinkommen die Grundlage des „Bern-Plus"-Ansatzes, also der Übernahme der Schutzstandards der Revidierten Berner Übereinkunft zuzüglich eigener, weitergehender Schutzvorschriften. Zu „Paris-Plus" und „Bern-Plus" s.J. Reinbothe, Der Schutz des Urheberrechts und der Leistungsschutzrechte im Abkommensentwurf GATT/TRIPs, GRUR Int. 1992, 707 (709 ff.). 96 Zu Art. 10 bis PVÜ s. W. Fikentscher, Wettbewerbsrecht im TRIPS-Agreement der Welthandelsorganisation, GRUR Int. 1995, 529; F. Henning-Bodewig, International Protection Against Unfair Competition - Art. 10bls Paris Convention, TRIPS and WIPO Model Provisions, HC 1999, 166 ff.; G. Schricker, Bemerkungen zum internationalen Schutz gegen unlauteren Wettbewerb, FS Fikentscher, 1998, S. 985 ff. 97 Immaterialgüterschutz und Lauterkeitsschutz sind eng miteinander verflochten. Dies
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Schutz verfügt, wird hierdurch zumindest eine partielle Regelung des Lauterkeitsrechts vorgenommen, nämlich in Bezug auf die Berührungspunkte zwischen Lauterkeitsrecht und Immaterialgüterschutz. Die WTO-Mitglieder sind demnach verpflichtet, lauterkeitsrechtliche Normen zu erlassen. Für die Zwecke des TRIPs-Abkommens würde zwar eine Regelung der immaterialgüterrechtlichen Bezüge ausreichen. Es liegt aber nahe, es nicht bei einer solchen partiellen Regelung zu belassen, sondern allgemein gefasste Lauterkeitsregeln zu verabschieden. Schon die besondere Bedeutung von Generalklauseln im Lauterkeitsrecht spricht für eine solche Vorgehensweise. Das TRIPs-Abkommen erweist sich damit als Keimzelle für ein allgemeines Lauterkeitsrecht im Rahmen der W T O . 2. Kartellrecht Kartellrechtliche Bezüge enthält das TRIPs-Abkommen in der Präambel sowie in den Art. 8 Abs. 2, 31 und 40. 98 Implizite Grundvoraussetzung dieser Normen ist die Anerkennung der fundamentalen Rolle des Immaterialgüterschutzes für die wirtschaftliche Entwicklung und den internationalen Handel. Gleichzeitig schwingt die Erkenntnis mit, dass Rechte des geistigen Eigentums - wie alle Rechte - auch missbraucht werden können. Die Aufnahme von Vorschriften gegen den Missbrauch von Immaterialgüterrechten geht auf die Initiative der Entwicklungsländer zurück. Diese hatten ihren Widerstand gegen die Verankerung von Immaterialgüterschutz im GATT-System nur zögerlich aufg e g e b e n . " Im Gegenzug für ihr Nachgeben forderten sie wirksame Vorkehrungilt nicht nur für das deutsche Recht, sondern ist auch auf internationaler Ebene anerkannt. In Art. 1 Abs. 2 des auf der Grundlage von Art. 10bis PVÜ von der WIPO entwickelten lauterkeitsrechtlichen Modellgesetzes heißt es: „Articles 1 to 6 shall apply independently of, and in addition to, any legislative provisions protecting inventions, industrial designs, trademarks, literary and artistic works and other intellectual property subject matter." Art. 2 Abs. 2 (i), (ii) und (iii) des Modellgesetzes stellt klar, dass Verwechslungsgefahr auch in bezug auf Marken und Geschäftsbezeichnungen verursacht werden kann. S. dazu WIPO, Model Provisions On Protection Against Unfair Competition, 1996. 98 Allgemein hierzu s. A. Staehelin, Wettbewerbs- und Kartellrecht im TRIPs-Abkommen der WTO, SZW 1997, 97 ff. 99 A. Pacön, What Will TRIPs Do For Developing Countries?, 1996, S. 329 ff.; allgemein zum Thema TRIPs und Entwicklungsländer s. United Nations, Intellectual Property Rights and Foreign Direct Investment, 1993; C. Heath, Bedeutet TRIPs wirklich eine Schlechterstellung von Entwicklungsländern?, GRUR Int. 1996, 1169 ff.;/. Reichman, From Free Riders to Fair Followers: Global Competition under the TRIPS Agreement, 29 New York University Journal of International Law and Politics 11 ff. (1996/97); UNCTAD, The TRIPs Agreement and Developing Countries, 1996; S. K. Verma, TRIPs - Development and Transfer of Technology, 27 IIC 331 ff. (1996); A. Staehelin, Das TRIPs-Abkommen, 1997, S. 151 ff.; Braga/Fink, The Economic Justifications for the Grant of Intellectual Property Rights: Patterns of Convergence and Conflict, in: Abbott/Gerber, Public Policy and Global Technological Integration, 1997, S. 99 (101 ff.) mit Nachweis formaler, volkswirtschaftlicher Modelle auf S. 102 Fn. 9; Kl. Liebig, Geistige Eigentumsrechte: Motor oder Bremse wirtschaftlicher Entwicklung? Entwicklungsländer und das TRIPS-Abkommen, 2001. Zum Zusammenhang von Entwicklungs-
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Recht
gen gegen den Missbrauch von Rechten des geistigen Eigentums. 100 Die daraus resultierende Forderung nach einem Kartellrecht des geistigen Eigentums entspricht dem oben in Bezug auf den Wettbewerbskodex der Vereinten Nationen festgestellten Zusammenhang: Der Wunsch nach Kontrolle wirtschaftlicher Macht führte die Entwicklungsländer zum Kartellrecht und brachte sie damit in Ubereinstimmung mit der wirtschaftsrechtlichen Tradition der Industrieländer. 101 Das Ergebnis ist ein Novum im internationalen Immaterialgüterschutz: Zum ersten Mal enthält ein mehrseitiges Abkommen zum Schutz des geistigen Eigentums auch kartellrechtliche Schranken. 102 Zwar war auch unter den herkömmlichen Konventionen anerkannt, dass die Missbrauchsbekämpfung (beispielsweise durch das nationale Kartellrecht) keinen Verstoß gegen die Schutzanforderungen des Abkommens darstellt. 103 Dem TRIPs-Abkommen kommt aber das Verdienst zu, diesen Zusammenhang erstmalig klarzustellen. Damit findet auch im internationalen Immaterialgüterrecht eine Selbstverständlichkeit ausdrückliche Anerkennung: Ein missbräuchlicher Umgang mit Immaterialgüterrechten ist nicht Bestandteil der dem Schutzrechtsinhaber verliehenen Rechtsmacht. Der nationale oder supranationale Gesetzgeber verletzt seine Verpflichtungen aus immaterialgüterrechtlichen Konventionen nicht dadurch, dass er Vorkehrungen gegen solche Missbräuche trifft. Es steht ihm außerdem frei, ob er solche Vorkehrungen direkt im Immaterialgüterrecht oder in anderen Rechtsmaterien, z.B. dem Kartellrecht trifft. 104 Durch Regeln gegen den Missstand und Schutzrechtsausgestaltung s. P.-T. Stoll (oben Fn. 33), S. 364 m.w.N. in Fn. 121. Zur Rolle der Patente in der wirtschaftlichen Entwicklung der westlichen Länder s. G.
Unterburg,
Die Bedeutung der Patente in der industriellen Entwicklung, 1970. 100
J. Drexl (oben Fn. 68), S. 365 f.; ders., Dienstleistungen und geistiges Eigentum, 1994, S. 25 (58 f.). 101 Zum Standpunkt der Entwicklungsländer in Bezug auf die Integration von Kartellrecht in die W T O s. UNCTAD, Preparing for Future Multilateral Trade Negotiations: Issues and Research Needs from a Development Perspective, 1999, S. 174 ff. 102 KatzenbergeHKur (oben Fn. 72), S. 1 (6). 103 S. am Beispiel der Berner Übereinkunft S. Ricketson, The Berne Convention for the Protection of Literary and Artistic Works: 1886-1986, 1987, S. 546 ff.: Auf den Revisionskonferenzen von Rom, Brüssel und Stockholm wurde die Frage diskutiert, ob eine ausdrückliche Klarstellung hierüber in die Konvention aufzunehmen sei. Die überwiegende Meinung ging davon aus, dass die Anwendung nationalen Kartellrechts bereits durch Art. 17 RBU gestattet sei. Vorschläge für eine ausdrückliche Vorschrift wurden daraufhin zurückgezogen. In diesem Sinn auchNordemann/Vinck/Hertin/Meyer, International Copyright, 1990, S. 160: „Inreferring to Art. 17 which enables the Union countries to proceed against monopoly abuses in the Copyright field, the Stockholm Conference emphasized the fact that the rights of the author are also subordinate to the trade competition rules including cartel and anti-trust laws."; Cohen Jehoram/Mortelmans, G R U R Int. 1997, 11 (15). 104 Üblicherweise werden kartellrechtliche Schranken von geistigen Schutzrechten nicht in den Immaterialgütergesetzen, sondern in den kartellrechtlichen Texten festgehalten. Die vielleicht häufigste Regelungstechnik besteht darin, Immaterialgüterrechte dem allgemeinen Kartellrecht zu unterwerfen, in das Kartellgesetz aber Ausnahmebestimmungen aufzunehmen, die
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brauch von Rechten des geistigen Eigentums wird der in Absatz 1 der Präambel des T R I P s - A b k o m m e n s genannten Gefahr begegnet: Rechte des geistigen Eigentums sollen nicht selbst zu Schranken für den rechtmäßigen Handel („legitimate trade") werden. 1 0 5
a) Art. 8 Abs. 2 TRIPs-Abkommen:
Missbräuchliche
Verhaltensweisen
Nach Art. 8 Abs. 2 T R I P s - A b k o m m e n können geeignete Maßnahmen erforderlich sein, „um den Mißbrauch von Rechten des geistigen Eigentums durch die Rechtsinhaber oder den Rückgriff auf Praktiken, die den Handel unangemessen beschränken oder den internationalen Technologietransfer nachteilig beeinflussen, zu verhindern." 1 0 6 Aus dem Zusammenhang mit Absatz 1 der auf die Besonderheiten des geistigen Eigentums Rücksicht nehmen. Dies ist z.B. der Fall in Australien (Section 51 (3) Trade Practices Act 1974), Neuseeland (Section 36 § 2 Commerce Act 1986) und mit Einschränkungen auch in Deutschland (§ § 17,18 G W B ) . Die Ausnahmebestimmungen können in weißen Listen bestehen, also Verhaltensweisen aufzählen, die im Zusammenhang mit Rechten des geistigen Eigentums immer erlaubt sind. Es können aber auch schwarze oder graue Listen hinzugefügt werden, die bestimmterer se oder nach den Umständen des Einzelfalls verbotene Strategien umfassen. Üblich sind auch salvatorische Klauseln in Immaterialgütergesetzen, welche die Anwendbarkeit der allgemeinen Wettbewerbsgesetze unberührt lassen. In einigen Ländern wurden von den Kartellbehörden spezielle Guidelines für die kartellrechtliche Behandlung geistigen Eigentums verabschiedet, außer in den U S A (oben S. 61 ff.) z.B. in Kanada (Intellectual Property Enforcement Guidelines, 2000, abrufbar unter: http://strategis.ic.gc.ca/SSG/ct01992e.html) oder in Japan (Guidelines for Patent and Know-How Licensing Agreements, 1999, abrufbar unter: http://www.jftc.go.jp/e-page/ guideli/patent99.htm). Einen rechtsvergleichenden Uberblick über die verschiedenen Regelungstechniken im Grenzbereich von Immaterialgüterrecht und Kartellrecht geben UNCTAD, The scope, coverage and enforcement of competition laws and policies and analysis of the provisions of the Uruguay Round Agreements relevant to competition policy, including their implications for developing and other countries, T D / R B P / C O N F . 4 / 8 , 4 September 1995, S. 21 ff.; UNCTAD, Competition Policy and the Exercise of Intellectual Property Rights, Revised Report, T D / B / C O M . 2 / C L P / 2 2 , 8 May 2001. 1 0 5 S. o b e n F n . 71. 1 0 6 Ahnliche Formulierungen finden sich in Teil III des TRIPs-Abkommens zur Frage der Rechtsdurchsetzung. Gem. Art. 41 Abs. 1 S.2 TRIPs sind Durchsetzungsverfahren so anzuwenden, „daß die Einrichtung von Schranken für den rechtmäßigen Handel vermieden wird und die Gewähr gegen ihren Mißbrauch gegeben ist." Im Fall missbräuchlicher Benutzung von Durchsetzungsverfahren sieht Art. 48 Abs. 1 TRIPs eine Schadensersatzpflicht vor. Ein Missbrauch im verfahrensrechtlichen Sinn kann z.B. dann vorliegen, wenn ungültige oder durch Betrug erlangte Schutzrechte durchgesetzt werden oder wenn offensichtlich unbegründete Verfahren angestrengt werden, vgl. WTO, Annual Report 1997, Vol. I, S. 74. Vgl. auch Art. 1704 N A F T A : „Control of Abusive or Anticompetitive Practices or Conditions. Nothing in this Chapter shall prevent a Party from specifying in its domestic law licensing practices or conditions that may in particular cases constitute an abuse of intellectual property rights having an adverse effect on competition in the relevant market. A Party may adopt or maintain, consistent with the other provisions of this Agreement, appropriate measures to prevent or control such practices or conditions." Zu den immaterialgüterrechtlichen Aspekten des NAFTA-Abkommens s. Anderson! Feuer/Rivard/Ronayne, Intellectual Property Rights
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Recht
Vorschrift ergibt sich, dass hierdurch ein Ausnahmetatbestand angeordnet wird, den die WTO-Mitglieder „bei der Abfassung oder Änderung ihrer Gesetze und sonstigen Vorschriften" den Verpflichtungen aus dem TRIPs-Abkommen entgegensetzen können. Der Charakter als Ausnahmetatbestand sowie die Formulierung „können erforderlich sein" stellt klar, dass die WTO-Mitglieder zwar zu solchen Maßnahmen berechtigt, nicht aber dazu verpflichtet sind. 107 (1) Kompatibilitätsklausel Maßnahmen gegen den Missbrauch von Rechten des geistigen Eigentums sind nur zulässig, wenn sie mit dem TRIPs-Abkommen vereinbar sind. Dieser Vorbehalt (im folgenden „Kompatibilitätsklausel" genannt) ist für eine Ausnahmevorschrift ungewöhnlich. Art. 8 Abs. 2 soll Durchbrechungen der allgemeinen TRIPs-Vorschriften erlauben; gleichzeitig wird die Geltung dieser allgemeinen Vorschriften angeordnet. Dieser Widerspruch ist nur schwer aufzulösen. 108 Er kann letztlich nur mit politischen Gegensätzen bei der Aushandlung des Abkommens erklärt werden. Die Ausnahmeklausel für Missbräuche war ein Zugeständnis an die Entwicklungsländer. Im Gegenzug dafür hatten sie den Einbau der Kompatibilitätsklausel hinzunehmen. Damit sollte verhindert werden, dass die Ausnahmeklausel zu unkontrollierten Einbrüchen in die Substanz des Immaterialgüterrechts missbraucht wird. Die Kompatibilitätsklausel wendet sich also gegen den Missbrauch mit dem Missbrauch. Mehr als einen widersprüchlichen Formelkompromiss hat der Wortlaut der Vorschrift aber nicht gebracht. Eine überzeugende Textdeutung ist deshalb kaum möglich. 109 Am ehesten kann die Kompatibilitätsklausel als and International Market Segmentation in the N o r t h American Free Trade Area, 1998, S. 397 ff. 107 Aufgrund von Abs. 1 der Präambel zum TRIPs-Abkommen könnte man zwar daran zweifeln: Rechte des geistigen Eigentums dürfen nicht selbst zu Schranken für den rechtmäßigen Handel werden; dies ist aber gerade der Fall, wenn sie missbräuchlich ausgenutzt werden. Ein solcher Missbrauch käme nicht in den Genuss der per se-Rechtfertigung des TRIPs-Abkommens im Verhältnis zum GATT 1994 (s.o. S. 574) und wäre kaum durch Art. XX d) GATT 1994 zu rechtfertigen. Die Konstruktion einer Pflicht zum Einschreiten gegen Missbräuche von Immaterialgüterrechten verstieße aber gegen den eindeutigen Wortlaut und den Sinn von Art. 8 Abs. 2 TRIPs. Die N o r m ist eine typische Ausnahmevorschrift, die den Staaten eine Abweichung von den allgemeinen Regeln freistellt, nicht aber dazu verpflichtet. Eine solche Pflicht ließe sich nur aus den allgemeinen GATT-Vorschriften konstruieren, bzw. wäre durch die Verankerung eines Wettbewerbsabkommens im WTO-System zu erreichen (zu beiden Wegen s. unten S. 594 ff.). Art. 8 Abs. 2 TRIPs kann dagegen eine Pflicht zur Normsetzung gegen Missbräuche nicht begründen. So im Ergebnis auch F. Abbott, The W T O TRIPS Agreement and Global Economic Development, 1997, S. 39 (53). 108 Zur Problematik des „consistency requirement" s. H. Ullrich, Competition, intellectual property rights and the transfer of technology: issues for further discussions in view of U N C T A D X, 1999, S. 39 (41 ff.). 109 Ein Versuch findet sich bei A. Heinemann, Das Kartellrecht des geistigen Eigentums im TRIPS-Übereinkommen der Welthandelsorganisation, G R U R Int. 1995, 535 (536 f.).
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Klarstellung gedeutet werden: Missbräuche von Rechten des geistigen Eigentums erlauben nicht die pauschale Beseitigung dieser Rechte, sondern lediglich die Bekämpfung einzelner Missbrauchsformen. Dies leitet zur zentralen Problematik von Art. 8 Abs. 2 TRIPs über, nämlich zu der Frage, worin die verbotenen Verhaltensweisen konkret bestehen. Die Vorschrift nennt verschiedene Varianten, nämlich den Missbrauch von Rechten des geistigen Eigentums durch die Rechtsinhaber (2) und den Rückgriff auf Praktiken, die den Handel unangemessen beschränken oder den internationalen Technologietransfer nachteilig beeinflussen (3). (2) Missbrauch von Rechten des geistigen Eigentums Der Missbrauchstatbestand geht davon aus, dass Immaterialgüterrechte wie alle anderen Rechte auch zweckfremd eingesetzt werden können. Solche Verhaltensweisen sind nicht notwendigerweise von der verliehenen Rechtsmacht gedeckt. Diese allgemeine Umschreibung ist allerdings lediglich der Ausgangspunkt. Es sind Kriterien erforderlich, die ein Urteil darüber erlauben, worin die zweckfremde Verwendung eines Immaterialgüterrechts besteht. Dies setzt Einigkeit über die mit dem Schutz geistigen Eigentums verfolgten Zwecke voraus. Zudem sind Abwägungsvorgänge erforderlich, die das Immaterialgüterrecht mit den anderen, beeinträchtigten Gütern in Beziehung setzen. a ) Konkretisierung des Missbrauchsbegriffs Bei der Ausfüllung dieser Überlegungen leistet das TRIPs-Abkommen keine Hilfestellung. Auch Absatz 1 der Präambel, wonach Rechte des geistigen Eigentums nicht selbst zu Schranken für den rechtmäßigen Handel werden dürfen, führt nicht wesentlich weiter. Zwar erlaubt die Vorschrift die Aussage, dass ein Missbrauch dann vorliegt, wenn Immaterialgüterrechte zur Abschottung nationaler Märkte eingesetzt werden. Diese Feststellung ist allerdings in zweierlei Hinsicht zu relativieren: Einerseits haben Marktsegmentierungen, die von der jeweiligen Ausgestaltung der Erschöpfungswirkungen ausgehen, wegen Art. 6 TRIPs außer Betracht zu bleiben. 1 1 0 Andererseits werden Marktabschottungen durch wettbewerbsbeschränkende Vereinbarungen in Lizenzverträgen durch die spezielle Regelung in Art. 40 TRIPs erfasst. Der Gesichtspunkt der Marktsegmentierung führt bei der Auslegung von Art. 8 Abs. 2 TRIPs also nicht wesentlich weiter. ß) Unterschied zum europäischen Missbrauchsbegriff Uber andere Missbrauchsformen schweigt sich die Vorschrift aus. Die Konkretisierung des Missbrauchsbegriffs wird damit weitgehend dem nationalen Recht überlassen. Eine vorschnelle Übernahme des Missbrauchsbegriffs euro110
S. o. S. 575 ff.
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päischer Kartellrechtsordnungen ist hierbei zu vermeiden. Art. 82 E G V oder § 1 9 Abs. 1 und 4 G W B setzen die missbräuchliche Ausnutzung einer marktbeherrschenden Stellung voraus. Dies ist in Art. 8 Abs. 2 T R I P s mit dem Missbrauch von Rechten des geistigen Eigentums nicht gemeint. Ein Schutzrecht verleiht in der Regel keine marktbeherrschende Stellung. Unabhängig davon geht Art. 8 Abs. 2 T R I P s von der Missbrauchsmöglichkeit aus. Der Missbrauchsbegriff des TRIPs-Abkommens ist deshalb ohne Zuhilfenahme des Begriffs der Marktbeherrschung zu entwickeln. 1 1 1 Y) Die angloamerikanische misuse-Lehre Am nächsten kommt dem Missbrauchsbegriffs des TRIPs-Abkommens noch der patent misuse des US-amerikanischen Rechts. Mit diesem Einwand kann sich ein potentieller Patentverletzer gegen Ansprüche aus dem Schutzrecht zur Wehr setzen, wenn der Schutzrechtsinhaber seine Rechte aus dem Patent missbräuchlich eingesetzt hat. 1 1 2 Der Patentmissbrauch setzt keine marktbeherrschende Stellung voraus. Antitrust-Verstöße sind zwar in der Regel auch Fälle des Patentmissbrauchs; der Kartellrechtsverstoß ist aber nicht notwendige Voraussetzung für einen Missbrauch. Das Vorliegen eines Missbrauchs orientiert sich an der Überschreitung der Grenzen des Schutzrechts. Wichtiger Anwendungsfall sind Vereinbarungen in Lizenzverträgen, die den Inhalt des Schutzrechts übersteigen. 113 Dennoch kann auch die Lehre vom patent misuse nur begrenzt herangezogen werden. Einerseits wird der Maßstab der Schutzrechtsgrenzen zunehmend in Frage gestellt und in dieser Arbeit abgelehnt. 1 1 4 Andererseits ist die Trennung von immaterialgüterrechtlichem und kartellrechtlichem Missbrauch nicht überzeugend. 1 1 5 Zudem stellt sich ein Problem auf der Rechtsfolgenseite, das der Lehre vom patent misuse eigentümlich ist: Solange der Inhaber des Patentrechts eine missbräuchliche Verhaltensweise aufrechterhält, werden seine Klagen wegen Patentverletzung abgewiesen, unabhängig davon, ob sich der Missbrauch gerade gegen den Beklagten gerichtet hat. 1 1 6 Für die Dauer des Missbrauchs ruhen also sämtliche Rechte aus dem Patent. Diese pauschale Schutzversagung steht in Gegensatz zu dem oben eruierten Minimalsinn der in Art. 8 Abs. 2 T R I P s integrierten Kompatibilitätsklausel: Die Missbrauchsbe-
111 Zum engen Zusammenhang von Marktbeherrschung und Missbrauch bei Art. 82 E G V s. demgegenüber E u G H , 13.2.1979, Hoffmann-La Roche/Kommission, Rs. 85/76, Slg. 1979, 461 (541 Tz.91). 1 1 2 Zum patent misuse s.o. S. 46 ff. sowie R. Pietzke, Patentschutz, Wettbewerbsbeschränkungen und Konzentration im Recht der Vereinigten Staaten von Amerika, 1983, S. 14 ff. 113 R. Pietzke, ebenda. 1 1 4 Vgl. oben S. 147 ff. 1 1 5 S. dazu oben S. 56. 1 1 6 S. o.S.47.
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kämpfung darf nicht zum Anlass zu unkontrollierten Einbrüchen in einzelne Schutzrechte genommen werden, sondern erlaubt lediglich die Bekämpfung einzelner Missbrauchsformen. Von daher bestehen Bedenken an der Vereinbarkeit der amerikanischen patent misuse-Lzhie. mit dem T R I P s - A b k o m m e n . 1 1 7 Entsprechendes gilt für Section 44 des U K Patents Act von 1977. 118 Ganz in der Tradition der Lehre vom patent misuse ordnet die Vorschrift die Undurchsetzbarkeit eines Patents gegenüber jedermann für den Fall an, dass in einem Lizenzvertrag eine verbotene Kopplungsvereinbarung enthalten ist. 119 (3) Unangemessene Beschränkung des Handels und nachteilige Beeinflussung des internationalen Technologietransfers Nicht nur der Missbrauch von Rechten des geistigen Eigentums, sondern auch deren Einsatz zur unangemessenen Beschränkung des Handels oder zur nachteiligen Beeinflussung des Technologietransfers können gem. Art. 8 Abs. 2 T R I P s durch den nationalen Gesetzgeber unterbunden werden. Die Kategorien der Handelsbeschränkung und der negativen Beeinflussung des Technologietransfers gehen auf die Arbeiten am T O T - K o d e x der Vereinten Nationen, nämlich auf den Gegensatz von competition approach und development test zurück. 1 2 0 Wie im T O T - K o d e x wird auch hier die Kontroverse dadurch gelöst, dass beide Konzepte nebeneinander gestellt werden. D e r Klarheit ist diese Vorgehensweise nicht dienlich. Immerhin legt die Rede von der unangemessenen Handelsbeschränkung, bzw. der nachteiligen Beeinflussung des internationalen Technologietransfers die Erforderlichkeit von Abwägungsvorgängen nahe. N ä here Vorgaben hierfür gibt die Vorschrift allerdings nicht. (4) Ergebnis Art. 8 Abs. 2 T R I P s ist eine typische Kompromissvorschrift. Die begrüßenswerte Klarstellung, dass die verantwortungsvolle Anwendung von Kartellrecht keinen Verstoß gegen das Immaterialgüterrecht darstellt, wird dadurch verwässert, dass durch die Kompatibilitätsklausel die Geltung der allgemeinen Vorschriften wieder angeordnet wird. D e r Streit zwischen development test und 117 Diese Bedenken würden durch ein Abgehen von der pauschalen Schutzverweigerung ausgeräumt; zu diesbezüglichen Entwicklungen s. R. Pietzke, S. 15 f. 118 Abgedruckt bei W. Cornish, Cases and Materials on Intellectual Property, 2" d Edition 1996, S. 151 f. 119 Zum britischen Recht und der Frage seiner Vereinbarkeit mit den Artikeln 2 Abs. 1 Nr. 5 und Art. 4 Abs. 2 a) der europäischen G F V O Technologietransfer, die technisch notwendige Kopplungsabreden erlauben, bzw. nicht notwendige Kopplungsabreden dem Widerspruchsverfahren unterstellen, s. Antill/ Burdon, The New Technology Transfer Block Exemption - A Whiter Shade of Grey?, Patent World, March 1996, S. 14 (19 ff.). Zur restriktiven Handhabung von Section 44 Patents Act s. W.R. Cornish, Intellectual Property, 3. Aufl. 1996, S. 250 f. (RdNr. 7-39). 120 P-T. Stoll (oben Fn. 33), S. 341; zu dieser Unterscheidung s. oben Fn. 38.
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competition approach wird dadurch gelöst, dass die gleichzeitige Geltung beider Konzepte angeordnet wird. Nicht zuletzt deswegen bereitet die Auslegung der Vorschrift große Schwierigkeiten. Im Ergebnis lässt sich festhalten, dass Art. 8 Abs. 2 TRIPs Einschränkungen von Immaterialgüterrechten im nationalen Recht zulässt, wenn der Grund hierfür sich einer der drei in Art. 8 Abs. 2 TRIPs genannten Kategorien zuordnen lässt, und wenn der Eingriff nicht zu einer pauschalen Einschränkung von Immaterialgüterrechten benutzt wird. b) Art. 31 TRIPs: Zwangslizenzen
im
Patentrecht
Die Regelung von Zwangslizenzen erfolgt häufig im Immaterialgüterrecht, hat aber starke Bezüge zum Kartellrecht. Dieser Bezug wird im TRIPs-Patentrecht ausdrücklich hergestellt, nämlich in Art. 31 Buchstabe (c) und (k). Danach ist die Benutzung eines Patents ohne die Zustimmung des Rechtsinhabers unter erleichterten Voraussetzungen möglich, wenn wettbewerbsrechtliche Gründe den Anlass hierzu geben. Im einzelnen gilt hier folgendes: (1) Sonderregeln für die wettbewerbswidrige Lizenzverweigerung Art. 31c) TRIPs ordnet an, dass auf dem Gebiet der Halbleitertechnik Zwangslizenzen nur für den öffentlichen, nicht gewerblichen Gebrauch möglich sind. Eine Ausnahme besteht für den Fall, dass die Zwangslizenz der Beseitigung einer in einem Gerichts- oder Verwaltungsverfahren festgestellten wettbewerbswidrigen Praktik dient. In einem solchen Fall ist eine Zwangslizenz bei Halbleitern auch für den gewerblichen Gebrauch möglich. Gem. Art. 3 1 k ) TRIPs müssen bestimmte Modalitäten bei der Erteilung einer Zwangslizenz nicht eingehalten werden, wenn der Zweck der Zwangslizenz die Abstellung einer in einem Gerichts- oder Verwaltungsverfahren festgestellten wettbewerbswidrigen Praktik ist. Der zukünftige Benutzer muss sich nicht vor Erteilung der Zwangslizenz um die Zustimmung des Rechtsinhabers bemühen (Art. 31 b) TRIPs). Die Zwangslizenz muss in einem solchen Fall auch nicht mit der Einschränkung versehen werden, dass sie lediglich für die Versorgung des heimischen Markts eingesetzt werden darf (Art. 31 f) TRIPs). Die beiden Sonderregelungen machen deutlich, dass dem Wettbewerbsschutz im TRIPs-Abkommen ein so hoher Stellenwert zukommt, dass die Einschränkung von Immaterialgüterrechten aus wettbewerbsrechtlichen Gründen durch den Verzicht auf sonst geforderte Modalitäten privilegiert wird. 121
121 A. Heinemann, G R U R Int. 1995, 535 (537); zweifelnd J. Straus (oben Fn. 84), S. 160 (206 f.) unter Hinweis auf die Erforderlichkeit nationaler Verwaltungs- oder Gerichtsentscheidungen. Wenn eine entsprechende nationale Entscheidung aber erst einmal vorliegt, verzichtet Art. 31 (c) und (k) TRIPs auf einige der sonst für eine Zwangslizenz erforderlichen Bedingungen. In diesem Sinn auch W T O , Annual Report 1997, Vol. I, S. 73.
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(2) Spielraum für nationales Kartellrecht Implizit folgt aus Art. 31 (c) und (k) TRIPs außerdem eine Bestätigung der oben zu Art. 8 Abs. 2 TRIPs gemachten Feststellung über die TRIPs-Konformität der Anwendung nationalen Kartellrechts auf Rechte des geistigen Eigentums: Art. 31 (c) und (k) TRIPs setzen die Existenz nationaler Behörden- und Gerichtsentscheidungen über wettbewerbswidrige Praktiken im Umfeld von Immaterialgüterrechten voraus, enthalten selbst aber keine Kriterien dafür, wann diese nationalen Maßnahmen rechtmäßig sind. Die Frage wird dem nationalen Recht überlassen. 122 Der Spielraum der WTO-Mitglieder ist groß und wird außer durch die Artikel 8 Abs. 2 und 40 TRIPs nur durch Art. 5A Abs. 2 PVÜ (anwendbar über Art. 2 Abs. 1 TRIPs) eingeschränkt, wonach die Erteilung einer Zwangslizenz Missbräuche voraussetzt, „die sich aus der Ausübung des durch das Patent verliehenen ausschließlichen Rechts ergeben könnten, zum Beispiel infolge unterlassener Ausübung." 1 2 3 Art. 5A Abs. 2 PVÜ ist also im Vergleich zu Art. 8 Abs. 2 TRIPs um einen Anwendungsfall konkreter, indem nämlich als Beispiel für einen Missbrauch die unterlassene Ausübung des Patents angeführt wird. 124 Von einer unterlassenen Ausübung dürfte nicht schon dann auszugehen sein, wenn das geschützte Erzeugnis nicht im Inland hergestellt wird, sondern erst dann, wenn auch Importe nicht zu einer Befriedigung der Nachfrage ausreichen. 125 (3) Abhängige Patente Unabhängig von der zweifachen ausdrücklichen Bezugnahme auf Belange des Kartellrechts ist schon die Existenz einer Bestimmung über Zwangslizenzen als solche bemerkenswert. Die genauere Ausgestaltung der Vorschrift war äußerst 122
A. Pacón, What Will TRIPs D o For Developing Countries?, 1996, S. 329 (340 Fn. 72). /. Straus (oben Fn. 84), S. 160 (207). 124 Im übrigen ist der Missbrauchsbegriff des Art. 5A Abs. 2 PVÜ offen, s. hierzu B G H „Polyferon" G R U R 1996, 190 (192). Im deutschen Patentrecht ist der Gesichtspunkt der unterlassenen Ausübung nur mittelbarer Grund für eine Zwangslizenz, nämlich insofern, als die unterlassene Ausübung ein öffentliches Interesse i.S. von § 24 Abs. 1 Nr. 2 Patentgesetz begründet, s. dazu Benkard/i?ogge, § 24 PatG Rdnr. 15. Aus Art. 5A Abs. 2 PVÜ folgt aber nicht umgekehrt, dass das öffentliche Interesse i.S. von § 24 Abs. 1 Nr. 2 PatG stets die missbräuchliche Ausnutzung des Patents voraussetzt, so jedenfalls der B G H , „Polyferon" G R U R 1996, 190 (192). A . A . / . Straus (oben Fn. 84), S. 160 (204). 125 J. Straus (oben Fn. 84), S. 160 (205), mit Argument aus Art. 27 Abs. 1 S. 2 TRIPs. Nach dieser Vorschrift darf die Ausübung des Patentrechts nicht davon abhängig gemacht werden, „ob die Erzeugnisse eingeführt oder im Land hergestellt werden". Eine Einschränkung ist allerdings für den Fall zu machen, dass die Importe den Bedarf nicht decken, sei es aufgrund einer Kontingentierung, sei es aufgrund von prohibitiven Preisen. Bei der Bestimmung dessen, was im Einzelfall ein prohibitiver Preis ist, kann eine Orientierung an dem Preisniveau erfolgen, das sich ergäbe, wenn eine Zwangslizenz gegen eine „angemessene Vergütung" i.S. von Art. 31 h) TRIPs angeordnet würde. Zum Streitstand s. A. Pacón (oben Fn. 122), S. 329 (340) mit weiteren Nachweisen in Fn. 76. 123
590
y Teil: Internationales
Recht
umstritten. 126 Im Ergebnis lässt Art. 31 TRIPs zwar Zwangslizenzen zu, knüpft die Erteilung in den Buchstaben a) bis 1) aber an zwöV/Bedingungen. Durch den Verweis in Art. 2 Abs. 1 TRIPs ist ferner Art. 5A PVÜ zu beachten. 127 Besondere Hervorhebung verdient Art. 31 Buchstabe 1) TRIPs. Die Vorschrift regelt das Problem der abhängigen Patente, d.h. derjenigen Patente, die nicht verwertet werden können, ohne gleichzeitig ein anderes Patent zu verletzen. Art. 311) TRIPs erlaubt Zwangslizenzen zugunsten des abhängigen Patents, knüpft diese aber an strenge Voraussetzungen, die zusätzlich zu den anderen Modalitäten Anwendung finden: Das abhängige Patent muss gegenüber dem dominanten Patent „einen wichtigen technischen Fortschritt von erheblicher wirtschaftlicher Bedeutung aufweisen". 1 2 8 Der Inhaber des dominanten Patents hat Anspruch auf die Einräumung einer Gegenlizenz zur Benutzung der abhängigen Erfindung. Schließlich können Unterlizenzen in bezug auf das dominante Patent nur zusammen mit einer Benutzungserlaubnis für das abhängige Patent erteilt werden. Diese Bedingungen bedeuten eine erhebliche Einschränkung im Vergleich zur PVÜ. 1 2 9 Schon die Existenz einer Spezialregelung für abhängige Patente kann aber die einverständliche Beilegung von Konflikten fördern. 130 c) Art. 40 TRIPs Die eingehendste kartellrechtliche Normierung im TRIPs-Abkommen ist die „Kontrolle wettbewerbswidriger Praktiken in vertraglichen Lizenzen" in Abschnitt 8 des Abkommens. Art. 40 TRIPs - die einzige Vorschrift dieses Abschnitts - enthält in Absatz 1 einen allgemeinen Programmsatz, in Absatz 2 die Kernvorschrift zum materiellen Recht, sowie in den Absätzen 3 und 4 Regeln über die Behördenkooperation. 131 Als Vorschrift des internationalen Rechts über das Lizenzkartellrecht steht Art. 40 TRIPs in direkter Tradition mit dem kartellrechtlichen Teil des (nicht verabschiedeten) TOT-Kodex der Vereinten Nationen. 1 3 2 In früheren Fassungen war die Ähnlichkeit sogar noch größer: Die entsprechende TRIPs-Vorschrift in der Version von 1990 enthielt nach dem Vorbild des TOT-Kodex einen Katalog von 14 Lizenzklauseln, die im inner-
126 Th. Cottier, The Prospects for Intellectual Property in GATT, CML Rev. 1991, 383 (407 f.); R. Faupel, GATT und geistiges Eigentum - Ein Zwischenbericht zu Beginn der entscheidenden Verhandlungsrunde, GRUR Int. 1990, 255 (261). 127 D a z u ] . Straus (oben Fn. 84), S. 160 (203 ff.) und oben Fn. 124. 128 Kritisch zum Erfordernis der „erheblichen wirtschaftlichen Bedeutung" s.o. S. 183 Fn. 282. 129 Die PVÜ enthält keine besonderen Vorschriften für die Problematik der abhängigen Erfindungen, s. d a z u J . Straus (oben Fn. 84), S. 160 (207). 130 J. Straus (oben Fn. 84), S. 160 (208). 131 Zur Herkunft der Kooperationsregeln s.u. S. 601. 132 P.-T. Stoll (oben Fn. 33), S. 356; zum Wettbewerbskapitel des TOT-Kodex s.o. S. 566 f.
E. Agreement
on Trade-Related
Aspects of Intellectual
Property
Rights
591
staatlichen Recht einem Verbot unterworfen werden konnten. 1 3 3 Im Gegensatz dazu verzichtet Art. 40 TRIPs auf einen umfassenden Katalog von Klauselverboten. Die Regelungstechnik ist allgemein, wenn auch drei Beispiele untersagbarer Praktiken genannt werden. (1) Materielles Recht Art. 40 Abs. 1 TRIPs greift den Grundgedanken von Art. 8 Abs. 2 TRIPs auf. Die Mitglieder erklären ihr Einverständnis, dass bestimmte Lizenzierungspraktiken, nämlich solche, „die den Wettbewerb beschränken", nachteilige Auswirkungen auf Handel und Technologietransfer haben können. a ) Prinzipienerklärung Wie Art. 8 Abs. 2 TRIPs enthält auch Art. 40 Abs. 1 TRIPs eine Verbindung von competition approach und development test, allerdings mit stärkerer Betonung kartellrechtlicher Erfordernisse: Nur wettbewerbsbeschränkende Praktiken dürfen daraufhin untersucht werden, ob sie den Handel oder den Technologietransfer nachteilig beeinflussen. Das Vorliegen einer Wettbewerbsbeschränkung wird damit zur notwendigen, allerdings nicht auch hinreichenden Bedingung für Gegenmaßnahmen der WTO-Mitglieder. Zusätzlich ist die Feststellung erforderlich, dass der Handel - nicht unbedingt der zwischenstaatliche Handel - beeinträchtigt, bzw. der Technologietransfer behindert wurde. Nähere Angaben zu den erforderlichen Überlegungen enthält Art. 40 Abs. 1 TRIPs nicht. Die Vorschrift ist keine klassische Rechtsnorm mit Tatbestand und Rechtsfolge, sondern eine Prinzipienerklärung, die der Präzisierung bedarf. 1 3 4 ß) Beispiele für missbräuchliche Lizenzklauseln Die nähere Ausgestaltung erfolgt durch Absatz 2 der Vorschrift. Danach sind die Mitglieder durch das Ubereinkommen nicht daran gehindert, gegen Lizenzierungspraktiken und -bedingungen vorzugehen, die in bestimmten Fällen einen Missbrauch von Rechten des geistigen Eigentums bilden und nachteilige Auswirkungen auf den Wettbewerb auf dem entsprechenden Markt haben können. Absatz 2 Satz 2 führt drei Klauselgruppen als mögliche Beispielsfälle für solche unzulässigen Wettbewerbsbeschränkungen in Lizenzverträgen auf, nämlich ausschließliche Rückgewährklauseln, Nichtangriffsklauseln sowie erzwungene Paketlizenzen. Verglichen mit dem Wettbewerbskapitel des TOT-Kodex handelt es sich bei diesen drei Klauseln um den eisernen Kern möglicher Wettbewerbsbeschränkungen in Lizenzverträgen. Die nähere Ausgestaltung zeigt allerdings, dass eine 133 Eine Gegenüberstellung älterer Fassungen findet sich bei P.-T. Stoll (oben Fn. 33), S. 356 ff. 134 A. Staehelin, Wettbewerbs- und Kartellrecht im TRIPs-Abkommen der WTO, SZW 1997,97 (99).
592
5. Teil: Internationales
Recht
präzise Vorgabe für den nationalen Gesetzgeber nicht beabsichtigt war. Auf eine genauere Umschreibung der drei genannten Lizenzierungsklauseln wurde verzichtet. Sie werden auch nur als Regelbeispiele genannt, d.h. nicht in jedem Fall sind ausschließliche Rückgewährklauseln, Nichtangriffsklauseln oder Paketlizenzen als Wettbewerbsbeschränkung zu qualifizieren. Schließlich ist die Aufzählung nicht abschließend; vielmehr können alle Klauseln, die einen „Mißbrauch von Rechten des geistigen Eigentums mit nachteiligen Auswirkungen auf den Wettbewerb auf dem entsprechenden Markt" darstellen, von den WTO-Mitgliedern unterbunden werden. Y) Keine Pflicht zum Erlass von Kartellrecht Wie bei Art. 8 Abs. 2 T R I P s gelten auch im Rahmen von Art. 40 Abs. 2 T R I P s zwei grundlegende Feststellungen: 1 3 5 Die Mitglieder können gegen die in Art. 40 Abs. 2 T R I P s näher umschriebenen Missbräuche vorgehen; sie werden durch das T R I P s - A b k o m m e n aber nicht zu entsprechenden Maßnahmen verpflichtet,136 Außerdem ist auch bei Art. 40 Abs. 2 T R I P s die im Rahmen einer Ausnahmebestimmung wenig sinnvolle Kompatibilitätsklausel („im Einklang mit den sonstigen Bestimmungen dieses Ubereinkommens") zurückhaltend auszulegen: Unkontrollierte Einbrüche in die Substanz des Immaterialgüterrechts sollen durch sie verhindert werden. Missbräuche von Rechten des geistigen Eigentums erlauben nur die gezielte Bekämpfung einzelner Missbrauchsformen, nicht aber die pauschale Beseitigung dieser Rechte. 1 3 7 6) Ergebnis Zusammenfassend lässt sich festhalten, dass auch die Spezialnorm über die Kontrolle wettbewerbswidriger Praktiken in vertraglichen Lizenzen der nationalen Gesetzgebung einen großen Spielraum in bezug auf das materielle Lizenzkartellrecht lässt. Immerhin wird durch Art. 40 T R I P s ausdrücklich festgehalten, dass die Bekämpfung von Missbräuchen in Lizenzverträgen nicht als Verletzung der zugrundeliegenden Immaterialgüterrechte zu werten ist. (2) Behördenkooperation Art. 40 Abs. 3 und 4 T R I P s enthält Verfahrensregeln für den Fall grenzüberschreitender Missbräuche in Lizenzverträgen. Konsultationsrechte und pflichten zwischen den WTO-Mitgliedern werden angeordnet unbeschadet „der völligen Freiheit einer abschließenden Entscheidung des jeweiligen Mit-
Vgl. oben S. 583 ff. S. hierzu oben Fn. 107. Zu der Frage, ob sich eine Pflicht zum Einschreiten aus dem G A T T 1994 ergibt, s. unten S. 597 ff. 137 S. o. S. 584 f. 135
136
E. Agreement
on Trade-Related.
Aspects of Intellectual
Property
Rights
593
glieds". 1 3 8 Die Bestimmung geht insofern über die Konsultationspflichten des RBP-Set 1 3 9 hinaus, als auch ein Informationsaustausch zwischen den betroffenen Behörden vorgesehen wird. Die Weitergabe vertraulicher Informationen wird allerdings von Vereinbarungen abhängig gemacht, in denen die Geheimhaltung dieser Informationen abgesichert wird. 1 4 0 Die Regeln über die Behördenkonsultation versuchen, das schwierige Thema der extraterritorialen Anwendung von Kartellgesetzen und der damit verbundenen Gefahr divergierender Behördenentscheidungen zu entschärfen. Mehr als einen Ansatzpunkt hierzu bietet die Bestimmung allerdings nicht. Bloße Konsultations- und Informationspflichten reichen nicht aus, um widersprechende Entscheidungen zu verhindern. Außerdem ist der Anwendungsbereich von Art. 40 Abs. 3 und 4 von vornherein auf Missbräuche in Lizenzverträgen beschränkt; dies ist aber nur ein Teilbereich des Generalthemas Wettbewerbsbeschränkungen durch Immaterialgüterrechte. Für Abhilfe kann letztlich nur die Aufnahme von allgemeinen Wettbewerbsregeln in das W T O - S y s t e m sorgen, die auch institutionelle Vorkehrungen für die Koordination nationaler Behördenentscheidungen enthalten. 141
3.
Bewertung
Die lauterkeits- und beschränkungsrechtlichen Regelungen im T R I P s - A b k o m men sind fragmentarisch. Die detaillierteste Regelung enthält Art. 40 TRIPs in Bezug auf das Lizenzkartellrecht. Der fragmentarische Charakter des TRIPsKartellrechts sollte aber nicht Anlass zu übertriebener Kritik sein. Bereits die Existenz dieser Fragmente ist positiv zu würdigen. 1 4 2 Die Aufnahme kartellrechtlicher Vorschriften in ein immaterialgüterrechtliches Abkommen stellt eine Pioniertat dar. Das TRIPs-Abkommen wäre nicht der geeignete Ort für ein systematisches Kartellrecht. Dieses gehört vielmehr in ein gesondertes Wettbewerbsabkommen der W T O . Entsprechende Pläne liegen vor; Wettbewerbsfragen stehen auf der Tagesordnung der WTO. 1 4 3 Wenn es zu einem W T O Wettbewerbsabkommen kommt, stellt sich sogar die Frage, ob die kartellrecht-
138 Näher zum Inhalt von Art. 40 Abs. 3 und 4 TRIPs s. A. Heinemann, GRUR Int. 1995, 535 (538). 139 Zum RBP-Set s.o. S. 561 ff. Konsultationspflichten enthält der RBP-Code in Abschnitt F. Internationale Maßnahmen, Punkt 4. 140 Zur immensen praktischen Bedeutung des Geheimhaltungsproblems s. die Befürchtungen bei /. Kobak, Running the Gauntlet: Antitrust and Intellectual Property Pitfalls on the Two Sides of the Atlantic, 64 Antitrust Law Journal 341, 365 (1996). 141 S. dazu unten S. 601 ff. 142 Vgl. E.-U. Petersmann, International Competition Rules for the GATT-MTO World Trade and Legal System, 27 Journal of World Trade, December 1993, 35 (59): „Yet the scope of competition rules already existing in the TRIPS Agreement (e.g. the detailed conditions laid down in Article 31 for compulsory licensing) remains impressive." 143 S. unten S. 601 ff.
594
5. Teil: Internationales
Recht
liehen Normen nicht wieder aus dem TRIPs-Abkommen entfernt und in das zentrale Wettbewerbsabkommen integriert werden sollen. Systematisch gehört auch das Kartellrecht des geistigen Eigentums nicht zum Immaterialgüterrecht, sondern zum Kartellrecht. 1 4 4 Schließlich kann aus den fragmentarischen Kartellrechtsnormen des TRIPsAbkommens eine allgemeine Schlussfolgerung gezogen werden. In den verstreuten Normen geht das TRIPs-Abkommen implizit davon aus, dass bestehende Kartellrechtsordnungen auch insoweit mit TRIPs vereinbar sind, als sie zu Beschränkungen von Rechten des geistigen Eigentums führen. 1 4 5 Im Ergebnis wird damit den WTO-Mitgliedern ein weiter Spielraum bei der Grenzziehung zwischen Immaterialgüterschutz und Kartellrecht gelassen. Diese Freiheit ist um so größer, als TRIPs den zentralen Begriff des „Mißbrauchs von Rechten des geistigen Eigentums" (Art. 8 Abs. 2 und 40 Abs. 2 TRIPs) nicht weiter konkretisiert. Trotz des Verzichts auf begriffliche Klarheit kommt dem TRIPs-Abkommen das Verdienst zu, auf internationaler Ebene die Berührungspunkte von Immaterialgüterrecht und Kartellrecht dokumentiert zu haben. Angesichts der konzeptionellen Schwierigkeiten des nationalen (und supranationalen) Rechts bei der Bestimmung des Verhältnisses dieser beiden Rechtsgebiete zueinander sollte man an ein internationales Abkommen keine übertriebenen Anforderungen stellen. TRIPs zwingt nicht zu einem nationalen Kartellrecht des geistigen Eigentums, sondern lässt es zu. Nationales Recht ist immer dann mit TRIPs vereinbar, wenn in die nötigen Abwägungsvorgänge sowohl die immaterialgüterrechtlichen als auch die kartellrechtlichen Belange eingestellt wurden.
F. Kartellrecht im WTO-System Das TRIPs-Abkommen ist der Text im W T O - S y s t e m mit der höchsten Kartellrechtsdichte. Daneben enthalten auch andere W T O - A b k o m m e n spezifisch wettbewerbsrechtliche Regelungen. 1 4 6 Im folgenden soll ein Überblick über die bereits existierenden Spezialvorschriften (I.) sowie über die allgemeinen Vor144 F.-K. Beier, Der Musterschutz von Ersatzteilen in den Vorschlägen für ein Europäisches Musterrecht, GRUR Int. 1994, 716 (724-726) am Beispiel des Musterrechts. 145 E. Fox, Trade, Competition, and Intellectual Property - TRIPS and its Antitrust Counterparts, 29 Vanderbilt Journal of Transnational Law 481,492 (1996);/. Reichman, Compliance with the TRIPS Agreement: Introduction to a Scholarly Debate, 29 Vanderbilt Journal of Transnational Law 363, 376 (1996). 146 Uberblick über die kartellrechtlichen WTO-Normen in UNCTAD, The scope, coverage and enforcement of competition laws and policies and analysis of the provisions of the Uruguay Round Agreements relevant to competition policy, including their implications for developing and other countries, TD/RBP/CONF.4/8, 4 September 1995, S. 31 ff.; WTO, Annual Report 1997, Vol. I, S. 76 ff. Allgemein zur Stellung des Kartellrechts im WTO-System s. J. Jackson, The World Trading System, 1997, S. 238 ff.
F. Kartellrecht
im
WTO-System
595
Schriften mit kartellrechtlichen Auswirkungen gegeben werden (II.)- Vom Ausbau der W T O sind weitere Entwicklungen auf dem Gebiet des Kartellrechts zu erwarten (III.)- Der ambitionierteste Vorschlag ist der Draft International Antitrust Code (IV).
I. Kartellrechtliche 1. Staatliche
Spezialvorschriften
Monopole
Art. XVII GATT 1947/1994 enthält ein Diskriminierungsverbot, das sich an staatliche Handelsunternehmen richtet. 147 Dem entspricht im Dienstleistungsbereich Art. VIII GATS, der die nationalen Dienstleistungsmonopole zur Respektierung des Meistbegünstigungsgrundsatzes und der besonders eingegangenen Verpflichtungen anhält. 148 In Art. IX GATS wird anerkannt, dass auch von Dienstleistungsunternehmen, die nicht im Besitz einer Monopolstellung sind, wettbewerbsbeschränkende Praktiken ausgehen können. Die Vorschrift enthält keine materiellrechtlichen Vorgaben für solche Praktiken, ordnet aber Konsultationspflichten zwischen den WTO-Mitgliedern an, die dem Konsultations- und Informationsmechanismus in Art. 40 Abs. 3 und 4 TRIPs entsprechen.
2. TRIMs Das Ubereinkommen über handelsbezogene Investitionsmaßnahmen (TRIMs) enthält in Art. 9 eine Revisionsklausel (sog. „built-in agenda"). Spätestens fünf Jahre nach Inkrafttreten des W T O - A b k o m m e n s (also zum 1.1.2000) ist das T R I M s - A b k o m m e n auf notwendige Änderungen zu überprüfen. Art. 9 S. 2 T R I M s ordnet ausdrücklich an, dass bei dieser Gelegenheit auch zu prüfen ist, „ob das Ubereinkommen durch Bestimmungen über Investitionspolitik und Wettbewerbspolitik ergänzt werden sollte." Die auf dieser Grundlage geführten Beratungen sind bisher ergebnislos geblieben. 149
3. Antidumping Von indirekter Bedeutung sind Wettbewerbsgesichtspunkte auch im Antidumpingverfahren. Gegen Dumping kann gem. Art. VI GATT 1947/1994 u.a. dann vorgegangen werden, wenn es eine bedeutende Schädigung eines Wirtschafts147 S. hierzu die Vereinbarung zur Auslegung des Artikels XVII des Allgemeinen Zoll- und Handelsabkommens 1994 vom 15.4.1994 (ABl. L 336/13) mit Einzelheiten zur Notifikation der staatlichen Handelsunternehmen an den Rat für Warenverkehr der WTO. 148 Sektorspezifische Sonderregeln enthalten die zum GATS ergangenen Annexe, z.B. über Finanzdienstleistungen oder die Telekommunikation. S. hierzu R. Kampf, Ein beachtlicher (Teil-)Erfolg: Finanzdienstleistungen als integraler Bestandteil des GATS, 1996, S. 167 ff. 149 S. hierzu die Berichte der zuständigen, in Singapur (unten Fn. 170) eingesetzten Arbeitsgruppe, zuletzt: WTO, Report (2000) of the Working Group on the Relationship between Trade and Investment to the General Council, WT/WGTI/4, 27 November 2000.
596
i. Teil: Internationales
Recht
zweigs verursacht oder zu verursachen droht. Der hierfür erforderliche kausale Zusammenhang besteht nicht, wenn die Schädigung des Wirtschaftszweigs durch andere Faktoren verursacht wird. Eine solche andere Ursache kann gem. Art. 3.5 des Antidumping-Ubereinkommens 1 5 0 auch in handelsbeschränkenden Praktiken der inländischen und ausländischen Hersteller und allgemein in der Beschaffenheit des Wettbewerbs zwischen diesen Herstellern liegen. Das Antidumping-Ubereinkommen erkennt damit an, dass Wettbewerbsbeschränkungen zur Schädigung ganzer Wirtschaftszweige führen können. Die Existenz von Wettbewerbsbeschränkungen kann von einem des Dumping bezichtigten Unternehmen als Verteidigung vorgebracht werden, mit der die Kausalität von Dumping und Schädigung eines Industriezweigs bestritten wird.
4.
Schutzmaßnahmen
Von kartellrechtlicher Bedeutung ist auch das Ubereinkommen über Schutzmaßnahmen, 1 5 1 das die näheren Einzelheiten zu Art. XIX GATT enthält. Art. 11 des Ubereinkommens stellt klar, dass freiwillige Ausfuhrbeschränkungen, sonstige Selbstbeschränkungsmaßnahmen oder ähnliche Instrumente (sog. „grey-area measures") mit dem GATT unvereinbar sind und innerhalb von vier, bzw. fünf Jahren beseitigt werden müssen. Art. 11 Abs. 3 verbietet es den WTO-Mitgliedern, dieses Verbot durch die Zwischenschaltung von Unternehmen zu umgehen: Nichtstaatliche Maßnahmen durch öffentliche oder private Unternehmen, die den genannten Graumarktaktivitäten im Ergebnis gleichkommen, dürfen von den WTO-Mitgliedern weder gefördert noch unterstützt werden. 1 5 2 Die Vorschrift geht allerdings nicht so weit, die WTO-Mitglieder zu aktivem Einschreiten gegen solche privaten Maßnahmen zu verpflichten. Aus Art. 11 Abs. 3 des Ubereinkommens über Schutzmaßnahmen folgt also keine Pflicht zur Verabschiedung und Durchsetzung bestimmter kartellrechtlicher
150 Übereinkommen zur Durchführung des Artikels VI des Allgemeinen Zoll- und Handelsabkommens 1994 vom 15.4.1994 (ABl. L 336/103). 151 Übereinkommen über Schutzmaßnahmen vom 15.4.1994 (ABl. L 336/184). 152 Die Vorschrift erinnert an die INNO/ATAB-Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshofs (EuGH, 16.11.1977, INNO/ATAB, Rs. 13/77, Slg. 1977, 2115, 2145 Tz.30/35): Die Art. 81 und 82 EGV wenden sich eigentlich an Unternehmen. Die Vorschriften begründen aber auch Verpflichtungen für die Mitgliedstaaten, nämlich keine Maßnahmen zu treffen oder beizubehalten, die die praktische Wirksamkeit der Wettbewerbsregeln ausschalten könnten (s.o. S. 220 Fn. 123). Während aber die INNO/ATAB-Rechtsprechung unternehmensbezogene Vorschriften auch gegen die Mitgliedstaaten kehrt, kommt dem Art. 11 Abs. 3 des WTOÜbereinkommens über Schutzmaßnahmen die Aufgabe zu, staatsbezogene Vorschriften nicht dadurch ins Leere laufen zu lassen, dass der Staat als bloßer Teilnehmer hinter die eigentlich handelnden Unternehmen zurücktritt. Im europäischen Recht würde allerdings ein solcher Tatbeitrag auch ohne spezielle Umgehungsvorschrift dazu führen, das staatliche Handeln (zusätzlich zu den Wettbewerbsregeln in Verbindung mit der INNO/ATAB-Rechtsprechung) an den (staatsbezogenen) Grundfreiheiten zu messen.
F. Kartellrecht
im
WTO-System
597
Normen; lediglich die Unterstützung der betreffenden Wettbewerbsbeschränkungen wird untersagt.
5. Uberprüfung
der
Handelspolitik
Schließlich ist auf den „Mechanismus zur Uberprüfung der Handelspolitik" („TPRM", Anhang 3 zum WTO-Ubereinkommen) zu verweisen: Die multilaterale Überprüfung dient der Bewertung „des gesamten Spektrums der Handelspolitiken und -praktiken der einzelnen Mitglieder und ihrer Auswirkungen auf das multilaterale Handelssystem" (Buchstabe A i) TPRM). Wettbewerbsfragen werden in die Uberprüfung einbezogen, soweit sie Auswirkungen auf die Ein- und Ausfuhren oder die Ressourcenallokation haben. In der Praxis der Berichterstattung werden wettbewerbspolitische Fragen - auch in Bezug auf Rechte des geistigen Eigentums - regelmäßig einbezogen. 153
II. Kartellrechtliche Vorgaben aus allgemeinen GATT-VorSchriften Der Bericht der Expertengruppe aus dem Jahr 1960 1. Abwesenheit
unternehmensbezogener
-
Vorschriften
Das GATT 1947 enthielt ursprünglich nur staatsbezogene, aber keine unternehmensbezogenen Vorschriften. Die verschiedenen Welthandelsrunden und der Ausbau des GATT zur W T O haben an diesem Befund nichts geändert, wenn man von den unternehmensbezogenen Normen des TRIPs-Abkommens und den oben aufgeführten Einzelnormen einmal absieht. Die Abwesenheit von unternehmensbezogenen Normen kann die Verwirklichung der Ziele des GATT, bzw. der W T O gefährden. So ist im Rahmen der europäischen Integration anerkannt, dass die staatsbezogenen Grundfreiheiten der Ergänzung durch die unternehmensbezogenen Wettbewerbsregeln bedürfen: Die durch die Grundfreiheiten erstrebte Öffnung der nationalen Märkte soll nicht dadurch wieder rückgängig gemacht werden, dass Unternehmen ihrerseits durch wettbewerbsbeschränkende Absprachen oder durch den Missbrauch marktbeherrschender Stellungen die nationalen Märkte voneinander abschotten. 154 Dieser Gedankengang kann auf das WTO-System übertragen werden: Auch hier ist das Ziel die Liberalisierung des Handels durch den Abbau staatlicher Handelsbeschränkungen. Auch hier kann dieses Ziel dadurch vereitelt oder zumindest beeinträchtigt werden, dass Unternehmen durch wettbe-
153 WTO, Annual Report 1997, Vol. I, S. 79 f. S. z.B. die Kritik am bloßen Missbrauchsprinzip des schweizerischen Kartellrechts (Bußgeldbewehrung des Kartellverbots erst nach Behördenentscheidung) in WTO, Focus, January-February 2001, No.51, S. 8 f. 154 S. bereits oben S. 288.
598
5. Teil: Internationales
Recht
werbsbeschränkende Praktiken die nationalen Märkte wieder voneinander abschotten und dadurch die Handelsliberalisierung gefährden. 1 5 5 2. Beurteilung
privater
Wettbewerbsbeschränkungen
unter GATT
1947
Schon früh wurden deshalb Überlegungen angestellt, ob aus den staatsbezogenen Liberalisierungsgeboten des G A T T auch kartellrechtliche Normen abgeleitet werden können. Das oberste Organ des G A T T 1947, nämlich die V E R T R A G S P A R T E I E N ( „ C O N T R A C T I N G P A R T I E S " ) , 1 5 6 setzte eine Expertengruppe ein, die den Zusammenhang von privaten Wettbewerbsbeschränkungen und freiem Welthandel untersuchen sollte. 1 5 7 Der Auftrag der Expertengruppe bestand nicht in der Aufarbeitung konkreter Fälle, sondern in der Erarbeitung eines allgemeinen Standpunkts zur Behandlung privater Wettbewerbsbeschränkungen in der Zukunft. Die Expertengruppe legte ihren Bericht am 2.6.1960 vor. 1 5 8 Die Mitglieder der Expertengruppe waren sich - bei Meinungsverschiedenheiten in Einzelheiten - darüber einig, dass die V E R T R A G S P A R T E I E N Regeln in bezug auf private Wettbewerbsbeschränkungen entwickeln sollten. Die Verabschiedung eines internationalen Kartellrechtsabkommens lehnten sie allerdings als unrealistisch ab. Zum damaligen Zeitpunkt verfügten nur wenige Staaten über Kartellgesetze; ein internationales Kartellrechtsabkommen sei aber nur auf der Grundlage vorheriger nationaler Erfahrungen möglich. O b private Wettbewerbsbeschränkungen durch geltende GATT-Normen bereits erfasst seien, sei fraglich. 1 5 9 Wegen der Gefahr von Vergeltungsschlägen solle in diesen Fällen 1 5 5 Aufgrund der beiden Phänomene Regulierungskumulation und Regulierungsvermeidung vermag rein nationales Kartellrecht dieser Gefahr nicht wirksam zu begegnen, s. hierzu Simma/Heinemann, Formen ¡nterstaatlicher Interaktionsregeln für wirtschaftliche Prozesse Codes of Conduct, Handbuch der Wirtschaftsethik, Band 2, 1999, S. 403 ff. 1 5 6 Durch die Großbuchstaben wurde klargestellt, dass die Vertragsparteien in ihrer Eigenschaft als oberstes Organ gemeint sind, s. hierzu Art. X X V G A T T 1947. Oberstes Organ der W T O ist nunmehr die „Ministerkonferenz" (s. hierzu Art. I V W T O - A b k o m m e n ) . Verweise im G A T T auf die „ C O N T R A C T I N G P A R T I E S " sind seit Gründung der W T O als Verweise entweder auf die W T O oder auf die Ministerkonferenz zu lesen, s. hierzu G A T T 1994 Punkt 2 (b). Verweise auf die „contracting parties", also auf die Vertragsparteien als solche und nicht auf die gemeinsam handelnden Vertragsparteien in ihrer Eigenschaft als oberstes Organ des G A T T 1947, sind im G A T T 1994 als Verweise auf die „Mitglieder" zu lesen, s. hierzu G A T T 1994 Punkt 2 (a). 1 5 7 Die „terms of reference" der Expertengruppe vom 5.11.1958 finden sich in B I S D , Seventh Supplement, 1959, S. 29. 1 5 8 Report adopted on 2 June 1960, G A T T - D o k u m e n t L / 1 0 1 5 , B I S D , Ninth Supplement, 1961, S. 1 7 0 - 1 7 9 . 1 5 9 Auch heute wird wieder die Frage diskutiert, ob die unzureichende Durchsetzung nationalen Kartellrechts gegenüber Unternehmen, die durch private Maßnahmen den Marktzutritt verhindern, als Beschränkung des freien Warenverkehrs durch Unterlassen eingestuft werden kann. Dies wird zwar prinzipiell unter dem Gesichtspunkt des „non violation"-Tatbestands i.S. von Art. X X I I I Abs. 1 Buchstabe b) G A T T 1994 für möglich gehalten. D i e Voraussetzungen hierfür werden allerdings sehr hoch angesetzt, vgl. z.B. M. Matsushita, Restrictive
F. Kartellrecht
im
WTO-System
599
auf die Anwendung des GATT verzichtet werden. 1 6 0 Stattdessen sei auf zweioder mehrseitige Konsultationen zwischen den betroffenen Staaten zu setzen. Die Konsultationen seien durch eine Expertengruppe zu unterstützen. 1 6 1
3. Bewertung
des
Expertenberichts
Der Bericht von 1960 steht ganz unter dem Eindruck der gescheiterten Havanna-Charta und der darauf folgenden - erfolglosen - Bemühungen um ein Weltkartellrecht. 1 6 2 Die Erkenntnis ist zwar vorhanden, dass private Wettbewerbsbeschränkungen einen schädlichen Einfluss auf die internationalen Handelsströme haben können. Die Zeit erscheint aber noch nicht reif für die Verabschiedung internationaler Wettbewerbsregeln. Diese dürften sich nämlich nicht - so der Bericht - auf das materielle Recht beschränken, sondern müssten auch Mechanismen zur Durchsetzung dieser Regeln enthalten. Der Ausweg wird in einer besseren Zusammenarbeit der GATT-Vertragsparteien bei der Behandlung grenzüberschreitender Wettbewerbsbeschränkungen gesehen. Nicht der Aufbau internationaler Strukturen, sondern die Kooperation nationaler Behörden soll die Probleme lösen. Die Festlegung von Kooperationspflichten ist sicherlich als Fortschritt bei der Behandlung grenzüberschreitender Wettbewerbsbeschränkungen zu werten. Zum damaligen Zeitpunkt war dieser Weg aber eher von zukunftsweisender als von aktueller Bedeutung: Je weniger nationales Wettbewerbsrecht und nationale Wettbewerbsbehörden existieren, desto geringer ist auch die Wirkung eines Gebots zur bilateralen Koordinierung. Außerdem sieht sich die Regelung dem Problem ausgesetzt, das sich bei bloßen Koordinations- und Informationspflichten immer stellt: Divergierende Behördenentscheidungen können durch sie letztlich nicht verhindert werden.
Business Practices and the WTO/GATT Dispute Settlement Process, in: E.-U. Petersmann, International Trade Law and the GATT/WTO Dispute Settlement System, 1997, S. 359 ff.; W T O , Annual Report 1997, Vol. I, S. 79. S. demgegenüber die Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshofs zu staatlichen Unterlassungen oben S. 219. 160 Report (oben Fn. 158), S. 172. 161 Uber die genaue Funktion dieser Expertengruppe bestand keine Einigkeit. Während eine Mehrheit die Expertengruppe den VERTRAGSPARTEIEN zur Unterstützung zuordnen wollte, plädierte eine Minderheit für die direkte Einschaltung der Expertengruppe in die Konsultationen zwischen den betroffenen Staaten. 162 Auf der GATT-Revisionskonferenz 1954/55 wurde der Vorschlag diskutiert, ob man das GATT durch die kartellrechtlichen Vorschriften der Havanna-Charter in deren Kapitel V ergänzen solle. Der Vorschlag wurde abgelehnt, s. hierzu WTO, Analytical Index - Guide to GATT Law and Practice, 6. Auflage 1995, Band 2, S. 879. Zu Art. XXIX GATT, der auch auf das Kapitel V der Havanna-Charter verweist, s. bereits oben Fn. 10. Zu den vergeblichen Anläufen zu einer internationalen Kartellgesetzgebung s. K. Meessen, Völkerrechtliche Grundsätze des internationalen Kartellrechts, 1975, S. 36 ff.; Fikentscher/Heinemann, Der „Draft International Antitrust Code" - Initiative für ein Weltkartellrecht im Rahmen des GATT, W u W 1994, 97 (98 f.).
600 4.
5. Teil: Internationales
Recht
Wirkungsgeschichte
Wie schwierig die Entscheidungsfindung in der internationalen Kartellpolitik ist, zeigt der Umgang mit dem Bericht der GATT-Expertengruppe: Die strittigen Fragen, nämlich ob das GATT in seiner aktuellen Gestalt private Wettbewerbsbeschränkungen bereits erfasse, bzw. welche Funktion der Expertengruppe einzuräumen sei, wurden ausgeklammert. Die VERTRAGSPARTEIEN verabschiedeten am 18.11.1960 eine Entscheidung, in der Konsultationspflichten über wettbewerbsbeschränkende Praktiken verankert wurden. 163 Praktische Bedeutung hat diese Entscheidung bis zu den Kodak/FujiVerfahren im Jahr 1996 nicht erlangt. 164 Auch wurden die folgenden Welthandelsrunden nicht dazu genutzt, Wettbewerbsregeln in das GATT-Primärrecht zu inkorporieren. Andere Organisationen, in erster Linie OECD und UNCTAD, wurden zum Forum der internationalen Wettbewerbspolitik. Daneben erlangten bilaterale Abkommen über die Behördenkooperation eine Schlüsselrolle. 165 Obwohl das GATT thematisch und über die Havanna-Charta auch historisch einen starken Bezug zur Wettbewerbspolitik hatte, wurden auf diesem Gebiet keine Initiativen ergriffen. Zudem stellten einzelne Panel-Berichte klar, dass private Wettbewerbsbeschränkungen vom geltenden GATT-Recht nicht erfasst seien. 166 Beispielsweise stellte das zuständige Panel in einem Verfahren zu angeblichen Exportbeschränkungen in Japan auf dem Markt für Halbleiter fest: „Exports were limited by private enterprises in their own self-interest and such private action was outside the scope of Article XI: 1."167 Art. XI Abs. 1 BISD, Ninth Supplement, 1961, S. 28 f. Mit der aktuellen Diskussion um die Aufnahme von Kartellrecht in das WTO-System erinnert man sich auch wieder an die im Jahr 1960 beschlossenen Konsultationspflichten. Zu „Kodak/Fuji" s. WTO, Annual Report 1997, Vol. I, S. 57 Box IV.5, S. 77; WTO J a p a n - Measures Affecting Consumer Photographic Film and Paper, Report of the Panel, March 31, 1998, WT/DS44/R; WTO, Focus Newsletter, No.20, June-July 1997, S. 3; Horlick/Kim, Private Remedies for Private Anti-Competitive Barriers to Trade: the Kodak-Fuji Example, International Business Lawyer 1996, 474 ff.; J. Klein, The Importance of Antitrust Enforcement in the New Economy, 1998, S. 3; N. Komuro, Kodak-Fuji Film Dispute and the WTO Panel Ruling, Journal of World Trade, Vol.32 No.5, October 1998, 161 ff. 165 Einen Uberblick über die verschiedenen bilateralen und multilateralen Abkommen mit Bezug zur Wettbewerbspolitik geben UNCTAD: Experiences Gained so far on International Cooperation on Competition Policy Issues and the Mechanisms Used - Revised Report by the UNCTAD Secretariat, TD/B/COM.2/CLP/21, 8 May 2001; Th. Lantpert, International Cooperation among Competition Authorities, EuZW 1999, 107 ff. 166 Panel-Berichte „Canada - Administration of the Foreign Investment Review Act", L/ 5504 vom 7.2.1984, 30S/140, 159, para. 5.6.; „Japan - Trade in Semi-conductors", L/6309 vom 4.5.1988, 35S/116, 153, para.102. Weitere Nachweise in WTO, Analytical Index - Guide to GATT Law and Practice, 6. Auflage 1995, Band 2, S. 651 ff. Allgemein zu der Frage, inwieweit GATT/WTO privaten Einschränkungen des Wettbewerbs entgegenstehen, s. H.-J. Vosgerau, Die Sicherung des Wettbewerbs gegen private Einschränkungen, Handbuch der Wirtschaftsethik, Band 2, 1999, S. 483 (489 ff.). 167 Panel-Bericht „Japan - Trade in Semi-conductors", Nachweis vorstehende Fußnote. 163 164
F. Kartellrecht im
WTO-System
601
G A T T 1947, also das Verbot mengenmäßiger E i n - und A u s f u h r b e s c h r ä n k u n gen, erhielt damit die gleiche Auslegung wie die beiden Parallelvorschriften im europäischen R e c h t , nämlich die A r t . 30 und 34 E W G V (= A r t . 28, 2 9 E G V ) : N u r staatliche, nicht aber auch private Maßnahmen, sind an den Vorschriften über den freien Warenverkehr zu messen. W ä h r e n d private Handelsbeschränkungen im europäischen R e c h t den dafür vorgesehenen Wettbewerbsregeln u n terfallen, führte dieser Standpunkt im G A T T mangels E x i s t e n z entsprechender Vorschriften dazu, dass keine Vorgaben für unternehmerisches Handeln b e standen.
ß. Einfluss des Expertenberichts
auf die
Uruguay-Runde
E r s t der Ausbau des G A T T zur W T O im R a h m e n der U r u g u a y - R u n d e hat die oben beschriebenen wettbewerbsrechtlichen Fragmente im Welthandelsrecht verankert. 1 6 8 D e r B e r i c h t über Wettbewerbspolitik der Expertengruppe aus dem J a h r 1960 ist hierfür nicht ohne Bedeutung geblieben: D i e Vorschriften über die B e h ö r d e n k o o r d i n a t i o n in A r t . 40 Abs. 3 und 4 T R I P s sowie in A r t . I X Abs. 2 G A T S lehnen sich - z.T. bis hin zum Wortlaut - an den Bericht und den Koordinationsbeschluss aus dem J a h r 1960 an. U b e r die genannten Fragmente hinaus hat aber auch die U r u g u a y - R u n d e nicht zur Aufnahme eines systematischen Kartellrechts in das W T O - S y s t e m geführt. Es handelt sich hierbei nicht um eine endgültige Entscheidung. D i e Welthandelsorganisation ist auf Weiterentwicklung angelegt.
III. Die Weiterentwicklung
der
Welthandelsorganisation
Vom 9.-13. D e z e m b e r 1996 fand in Singapur die erste M i n i s t e r k o n f e r e n z der W T O statt. 1 6 9 Thematisiert wurde auf dieser K o n f e r e n z auch der Z u s a m m e n hang von Wettbewerbspolitik und Welthandel. Ein R e f o r m v o r s c h l a g wurde nicht ausgesprochen, w o h l aber eine Arbeitsgruppe eingesetzt, die sich mit dem T h e m a Wettbewerbspolitik beschäftigen soll. D e r Auftrag der Arbeitsgruppe wurde zurückhaltend formuliert: Sie hat nicht die Aufgabe, einen k o n k r e t e n
S. o. S. 5 8 0 ff. und 595 ff. D i e Ministerkonferenz ist das oberste O r g a n der W T O (s.o. F n . 156). G e m . Art. I V W T O - U b e r e i n k o m m e n tritt sie mindestens einmal alle zwei J a h r e zusammen. Sie ist zur B e schlussfassung in Angelegenheiten berechtigt, die bereits unter eines der Multilateralen H a n delsübereinkommen fallen (zu den Plurilateralen H a n d e l s ü b e r e i n k o m m e n s. Art. I V A b s . 8 W T O - U b e r e i n k o m m e n ) . Änderungen des Vertragswerks und der Abschluss neuer Handelsü b e r e i n k o m m e n werden von der Ministerkonferenz zwar vorbereitet, bedürfen aber nach allgemeinen völkerrechtlichen Regeln zu ihrer Wirksamkeit der A n n a h m e durch die Mitglieder, zu den Einzelheiten s. A r t . X W T O - U b e r e i n k o m m e n . D i e zweite Ministerkonferenz fand im Mai 1998 in G e n f , die dritte im N o v e m b e r 1999 in Seattle und die vierte im N o v e m b e r 2001 in D o h a (Qatar) statt. Das T h e m a Wettbewerbspolitik stand jeweils auf der Tagesordnung, ein D u r c h b r u c h wurde allerdings nicht erzielt. 168 169
602
5. Teil: Internationales
Recht
Reformvorschlag auszuarbeiten. Sie hat vielmehr den Charakter einer Studiengruppe, die „Sachgebiete identifizieren soll, die eine nähere Betrachtung im W T O - R a h m e n verdienen". 1 7 0 Die Zurückhaltung bei der Behandlung von Wettbewerbsfragen ist auf Meinungsverschiedenheiten wichtiger W T O - M i t g l i e d e r in dieser Frage zurückzuführen. Während Deutschland 1 7 1 und die E U 1 7 2 WTO-Wettbewerbsregeln befürworten, stehen die U S A 1 7 3 einem W T O - K a r t e l l r e c h t skeptisch gegenüber. 1 7 4 1 7 0 Punkt 20 der offiziellen Singapur-Abschlussdeklaration vom 13.12.1996 (Dokument W T / M I N ( 9 6 ) / D E C vom 18.12.1996) unter der Überschrift „Investment and Competition" lautet: „20. Having regard to the existing W T O provisions on matters related to investment and competition policy and the built-in agenda in these areas, including under the T R I M s Agreement, and on the understanding that the work undertaken shall not prejudge whether negotiations will be initiated in the future, we also agree to
* establish a working group to examine the relationship between trade and investment; and * establish a working group to study issues raised by Members relating to the interaction between trade and competition policy, including anti-competitive practices, in order to identify any areas that may merit further consideration in the W T O framework. These groups shall draw upon each other's work if necessary and also draw upon and be without prejudice to the work in U N C T A D and other appropriate intergovernmental fora. As regards U N C T A D , we welcome the work under way as provided for in the Midrand Declaration and the contribution it can make to the understanding of issues. In the conduct of the work of the working groups, we encourage cooperation with the above organizations to make the best use of available resources and to ensure that the development dimension is taken fully into account. The General Council will keep the work of each body under review, and will determine after two years how the work of each body should proceed. It is clearly understood that future negotiations, if any, regarding multilateral disciplines in these areas, will take place only after an explicit consensus decision is taken among W T O Members regarding such negotiations." 171 W T / M I N ( 9 6 ) / S T / 1 3 , Statement by Mr. Günter Rexrodt, Federal Minister of Economics, 9 December 1996; Bundesregierung, in: BKartA, Tätigkeitsbericht 1999/2000, 2001, S.VII. 1 7 2 Mitteilung der Kommission an den Rat - Auf dem Weg zu einem internationalen Wettbewerbsrecht, K O M ( 9 6 ) 284 endg., insbesondere S. 11 ff.; Mitteilung der Europäischen Kommission vom 3.7.2001, W T / W G T C P / W / 1 7 5 (abrufbar unter http://docsonline.wto.org/ gen_search.asp). 1 7 3 S. z.B .Joel I. Klein: A Note of Caution with Respect to a W T O Agenda on Competition Policy, November 18, 1996. Der (damalige) Chef der US-Antitrust Division hält die bilaterale Zusammenarbeit zwischen nationalen Kartellbehörden für ausreichend und gemeinsame Wettbewerbsregeln zwischen Staaten mit unterschiedlichen Rechts- und Wirtschaftstraditionen für unmöglich. Dem entspricht die Stellungnahme der U S A zu dem von der E U erhobenen Vorwurf, der amerikanische Anti-Dumping Act von 1916 verstoße gegen W T O Recht; nach Auffassung der U S A ist das genannte Gesetz kartellrechtlicher Natur und sei deshalb nicht vom W T O - A b k o m m e n umfasst, s. hierzu Focus Newsletter, No. 35, November 1998, S. 2. Eingehend zur Handelspolitik der U S A in Bezug auf Immaterialgüterrechte und die Präferenz für bilaterales Vorgehen M. Haedicke, Urheberrecht und die Handelspolitik der Vereinigten Staaten von Amerika, 1997, insbesondere S. 182 ff. 174 Das vom US-Justizministerium eingesetzte International Competition Policy Advisory Committee ( I C P A C ) hat im Februar 2000 einen umfassenden Abschlussbericht zur inter-
F. Kartellrecht
im
WTO-System
603
A u c h w e n n d e s h a l b k e i n e s c h n e l l e E i n i g u n g ü b e r die A u f n a h m e v o n W e t t b e w e r b s r e g e l n in das W T O - R e c h t zu e r w a r t e n ist, i n s t i t u t i o n a l i s i e r t die e i n s c h l ä gige A r b e i t s g r u p p e d o c h d e n D i s k u r s ü b e r s o l c h e F r a g e n . N a c h d e r e r s t e n S i t z u n g d e r A r b e i t s g r u p p e 1 7 5 w u r d e eine „ C h e c k l i s t o f I s s u e s " als G r u n d l a g e f ü r z u k ü n f t i g e B e r a t u n g e n v e r ö f f e n t l i c h t . 1 7 6 Z u b e h a n d e l n ist n a c h d e r „ C h e c k l i s t " a u c h das T h e m a „ t h e r e l a t i o n s h i p b e t w e e n t h e t r a d e - r e l a t e d a s p e c t s o f i n t e l l e c tual p r o p e r t y r i g h t s a n d c o m p e t i t i o n p o l i c y " . 1 7 7 I m D e z e m b e r 1 9 9 8 legte die Arbeitsgruppe einen umfangreichen B e r i c h t vor.178 E r gibt einen U b e r b l i c k ü b e r die A k t i v i t ä t e n der A r b e i t s g r u p p e , die sich e h e r auf die g e d a n k l i c h e E r s c h l i e ß u n g des G e b i e t s als auf die A u f n a h m e k o n k r e t e r V o r s c h r i f t e n ins W T O S y s t e m e r s t r e c k e n . 1 7 9 I n d e n f o l g e n d e n B e r i c h t e n d e r A r b e i t s g r u p p e w i r d die F r a g e d e r W ü n s c h b a r k e i t i n t e r n a t i o n a l e r W e t t b e w e r b s r e g e l n , s o w i e die v e r schiedenen Ausgestaltungsformen intensiv diskutiert.180 B e s o n d e r e A u f m e r k s a m k e i t k o m m t d e m P r o b l e m k r e i s „Trade a n d C o m p e t i t i o n " a u c h in den J a h r e s b e r i c h t e n d e r W T O z u . D e r J a h r e s b e r i c h t 1 9 9 7 legte sogar seinen S c h w e r p u n k t auf Fragen der Wettbewerbspolitik. D i e umfangreic h e S t u d i e des W T O - S e k r e t a r i a t s z u m T h e m a „Trade a n d C o m p e t i t i o n P o l i c y " w u r d e i m R a h m e n des 9 7 e r B e r i c h t s v e r ö f f e n t l i c h t . 1 8 1 A b e r a u c h a l l g e m e i n w i r d nationalen Wettbewerbspolitik vorgelegt (abrufbar unter: http://www.usdoj.gov/atr/icpac/ finalreport.htm), der für einen bilateralen, bzw. uni- (d.h. US-)lateralen Ansatz und gegen die Verankerung eines umfassenden Regelwerks in die W T O plädiert. ICPAC-Mitglied Eleanor Fox hält in ihrem separate Statement diese Auffassung für zu kurz gegriffen und tritt - unter Verweis auf die W T O - für eine Multilateralisierung der Problematik ein (separate Statement abrufbar unter http://www.usdoj.gov/atr/icpac/la.htm). Zu den Vorschlägen des ICPAC s. Böge/Kijewski, Auf dem Weg zu einer vertieften internationalen Zusammenarbeit in der Wettbewerbspolitik, R I W 2001, 401. Am7.und8.Juli 1997. Abgedruckt im Anhang zum ersten Bericht der Arbeitsgruppe, Report (1997) to the General Council, 28.11.1997, WT/WGTCP/1. 177 Einen Uberblick über die Aktivitäten der Arbeitsgruppe gibt Ph. Marsden, Dealing with International Exclusion, 21 World Competition 91 ff. (December 1997); ders., A W T O „Rule of Reason"?, E C L R 1998, 530 ff.; Cocuzza!Montini, International Antitrust Co-operation in a Global Economy, E C L R 1998, 156 ff. 178 WTO, Report (1998) of the Working Group on the Interaction between Trade and Competition Policy to the General Council, WT/WGTCP/2, 8 December 1998. 179 In der Beschlussempfehlung an den Allgemeinen Rat (Ziffer 154 des Berichts) ist von der erzieherischen Funktion der Arbeitsgruppe („educative work") die Rede. Zum Kartellrecht des geistigen Eigentums im Bericht der Arbeitsgruppe s. A. Heinemann, Intellectual Property Rights and Competition Policy - The Approach of the W T O Working Group on Trade and Competition, in: R. Zäch (Hrsg.), Towards W T O Competition Rules, 1999, S. 299 ff. 180 w r o , Report (1999) of the Working Group on the Interaction between Trade and Competition Policy to the General Council, WT/WGTCP/3,11 October 1999; WTO, Report (2000) of the Working Group on the Interaction between Trade and Competition Policy to the General Council, WT/WGTCP/4, 30 November 2000. Im Gegensatz zum Bericht von 1998 (oben Fn. 178) taucht das Kartellrecht des geistigen Eigentums nur noch am Rande auf. 181 WTO, Annual Report 1997, Vol. I, S. 30-91 mit Ausführungen zum Kartellrecht des geistigen Eigentums auf den S. 72 ff. 175 176
604
5. Teil: Internationales
Recht
in den Jahresberichten regelmäßig über den Stand der Diskussion, insbesondere auch über die Tätigkeit der Wettbewerbs-Arbeitsgruppe berichtet. 182
IV. Der Draft International Antitrust Code (DIAC) Die Aktivitäten der W T O auf dem Gebiet des Wettbewerbsrechts können auf verschiedene Vorarbeiten zurückgreifen. Dazu gehören die historischen Vorläufer von Weltwettbewerbsregeln seit der Havanna-Charta sowie die Arbeiten im Rahmen anderer Organisationen wie z.B. von U N C T A D und OECD. 1 8 3 Daneben hat sich auch die Wissenschaft kontinuierlich mit dem Problemkreis beschäftigt. 184 Eine neue Etappe der wissenschaftlichen Diskussion wurde mit dem Ausbau des GATT zur W T O erreicht. Zahlreiche Initiativen - mehr oder weniger weitreichend - zielten auf die Verabschiedung weltweit geltender Kartellrechtsnormen ab. 185 Der erste und umfassendste dieser Vorschläge ist der „Draft International Antitrust Code" (DIAC), nach seinem wichtigsten Entstehungsort auch „Munich Code" genannt. 186 Der D I A C ist der ausformulierte und kommentierte 182 WTO, Annual Report 1997, Vol. I, S. 116 f.; WTO, Annual Report 1998, Geneva 1998, S. 78; WTO, Annual Report 1999, Geneva 1999, S. 43 f.; WTO, Annual Report 2000, Geneva 2000, S. 33 f.; WTO, Annual Report 2001, Geneva 2001, S. 49 f. 183 Der offizielle Auftrag in Punkt 20 der Deklaration von Singapur (oben Fn. 170) verpflichtet die wettbewerbspolitische WTO-Arbeitsgruppe ausdrücklich zum Rückgriff auf die Vorarbeiten im Rahmen der U N C T A D . 184 So z.B. die von Corwin Edwards und Heinrich Kronstein initiierten Kartellrechtskonferenzen in den Jahren 1958 bis 1973, s. hierzu W. Fikentscher, Wirtschaftsrecht, Bd. 1, 1983, S. 96 f. Allgemein zu den Möglichkeiten internationaler Kartellrechtsvereinheitlichung s. / . Basedow, Weltkartellrecht, 1998. 185 Ein Uberblick über die verschiedenen Vorschläge findet sich beiJ. Rowley, Global Weifare: Competition Policy and Market Access, International Business Lawyer 1996,446 (448 f.). S. näher hierzu/. Basedow, Weltkartellrecht, 1998; W. Fikentscher, Entwürfe auf dem Wege zu einem transnationalen Wettbewerbsrecht, FS Medicus, 1999, S. 109 ff.; A. Kaczorowska, International Competition Law in the Context of Global Capitalism, E C L R 2000, 117 (125 ff.); K. Meessen, Das Für und Wider eines Weltkartellrechts, WuW 2000, 5; H. Ullrich, International Harmonisation of Competition Law: Making Diversity a Workable Concept, 1998, S.43ff.; H. Wins, Eine internationale Wettbewerbsordnung als Ergänzung zum GATT, 2000, S. 104 ff. 186 j } e r Text wurde von einer international besetzten Arbeitsgruppe von Kartellrechtlern seit 1991 erarbeitet und im Juli 1993 dem Generaldirektor des GATT überreicht. Näheres zu Entstehung, Hintergrund, Inhalt und Autoren des D I A C bei J. Drexl, Perspektiven eines Weltkartellrechts, 1998; Drexl/Heinemann, El Proyecto de Código Antitrust Internacional, Revista General de Derecho, num. 595, April 1994, 3781 ff.; Fikentscher!Drexl, Der Draft International Antitrust Code - Z u r institutionellen Struktur eines künftigen Weltkartellrechts, R I W 1994, S. 93 ff.; Fikentscher/Heinemann, Der „Draft International Antitrust Code" - Initiative für ein Weltkartellrecht im Rahmen des GATT, WuW 1994, 97 ff.; W. Fikentscher, Competition Rules for Private Agents in the G A T T / W T O System, Aussenwirtschaft, 49. Jahrgang (1994), 281 ff.; W. Fikentscher, Collaborative Activities among Industrial Competitors in German, European, and U.S. Antitrust Law, and in the Draft International Antitrust Code in the G A T T / W T O System - , 1994, S. I l l ff.; W. Fikentscher, The Draft International Anti-
F. Kartellrecht
im
WTO-System
605
Entwurf eines plurilateralen Handelsübereinkommens, das sich in das WTOSystem einfügt. 187 Er enthält Mindeststandards für das nationale Kartellrecht. Diese beziehen sich sowohl auf das materielle und formelle Recht als auch auf die Verfassung der nationalen Wettbewerbsbehörden. Daneben ist die Errichtung internationaler Institutionen vorgesehen, deren Aufgabe die Überwachung der nationalen Kartellrechtsanwendung ist. Im vorliegenden Zusammenhang sind diejenigen Vorschriften des DIAC von besonderer Bedeutung, die Vorgaben für das Kartellrecht des geistigen Eigentums enthalten. 188 Dazu gehören in erster Linie die Vorschriften über das materielle Kartellrecht. Diese
trust Code: Objections and Rejoinders, 26 HC 999 ff. (1995); W. Fikentscher, On the Proposed International Antitrust Code, 1995, S. 345 ff., 359 ff.; W. Fikentscher, Der Draft International Antitrust Code in der Diskussion, GRUR Int. 1996, 543 ff.; W. Fikentscher, Multilaterale Regeln für den internationalen Wettbewerb?, in: Kantzenbach/Mayer (Hrsg.), Von der internationalen Handels- zur Wettbewerbsordnung, Baden-Baden 1996, S. 159 ff.; E. Fox, Competition Law and the Agenda for the WTO: Forging the Links of Competition and Trade, Pacific Rim Law & Policy Journal 1995, 1 ff.; E. Fox, Toward World Antitrust and Market Access, 91 The American Journal of International Law 1 ff. (January 1997); E. Fox, World Antitrust: A Principled Blueprint, FS Fikentscher, 1998, S. 852 ff.; Fox/Ordover, The Harmonization of Competition and Trade Law - The Case for Modest Linkages of Law and Limits to Parochial State Action, 19 World Competition 5 ff. (December 1995); U. Immenga, Ein Kodex für den Handelsfrieden, FAZ v. 26.2.1994, S. 11; U. Immenga, Eine europäische Initiative für eine internationale Wettbewerbsordnung!, EuZW 1995, 129; U. Immenga, Konzepte einer grenzüberschreitenden und international koordinierten Wettbewerbspolitik, 1995; U. Immenga, Rechtsregeln für eine internationale Wettbewerbsordnung, FS Mestmäcker, 1996, S. 593 ff.; U. Immenga, Wirkungsgrenzen bilateraler Verträge für eine internationale Wettbewerbsordnung, FS Kantzenbach, 1996, S. 155 ff.; U. Immenga, An International Antitrust Code in Perspective, Antitrust Report, August 1997, S. 8 ff.; U. Immenga, Nationale Wettbewerbspoliti1998, ken und internationale Wettbewerbsordnung - eine Programmskizze, FS Fikentscher, S. 919 ff.; E.-U. Petersmann, International Competition Rules for the GATT-MTO World Trade and Legal System, Journal of World Trade 1993, S. 35 ff.; E.-U. Petersmann, Proposals for Negotiating International Competition Rules in the GATT-WTO World Trade and Legal System, Aussenwirtschaft 1994, 231 ff. Der Text des DIAC einschließlich einer Einleitung und eines Kommentars ist abgedruckt in: Fikentscher/Immenga (Hrsg.), Draft International Antitrust Code, Baden-Baden 1995, S. 53 ff., sowie in: 64 Antitrust & Trade Regulation Report No. 1628 Special Supplement S. 1 22 (August 19, 1993); 5 World Trade Materials No.5 September 1993, S. 126-196; Abbott/Gerber (Hrsg.), Public Policy and Global Technological Integration, 1997, S. 285-335; W. Fikentscher, Freiheit als Aufgabe, 1997, S. 212-299 (englische und deutsche Fassung), sowie in: Kantzenbach/ Mayer (Hrsg.), Von der internationalen Handels- zur Wettbewerbsordnung, 1996, 171-218 (ohne Einleitung). Die bloße Artikelfolge ohne Einleitung und Kommentierung ist abgedruckt in WuW 1994, 128-139 und in der Zeitschrift Aussenwirtschaft 1994, 310-325. 187 Plurilateral Handelsübereinkommen sind in der Terminologie der WTO (s. Art. II Abs. 3 WTO-Ubereinkommen) solche Abkommen, die im Gegensatz zu den Multilateralen Handelsübereinkommen nicht für alle WTO-Mitglieder gelten, sondern nur für diejenigen, die sie gesondert angenommen haben. 188 Zum Inhalt des DIAC im übrigen s. die in Fn. 186 angeführte Literatur. Zu den immaterialgüterrechtlichen Bezügen eines transnationalen Kartellrechts s. D. Gerber, Intellectual Property Rights, Economic Power and Global Technological Integration, 1997, S. 127 ff.
606
5. Teil: Internationales
Recht
enthalten neben allgemeinen Regeln (1.) auch eine Spezialnorm für das Verhältnis von Kartellrecht und Recht des geistigen Eigentums (2.). 1. Allgemeine
Vorschriften
Der D I A C enthält Normen zu horizontalen und vertikalen Wettbewerbsbeschränkungen sowie zum Missbrauch marktbeherrschender Stellungen. a) Horizontale
Wettbewerbsbeschränkungen
Art. 4 Section 1 D I A C erklärt bestimmte Vereinbarungen und abgestimmte Verhaltensweisen für rechtswidrig. Dazu gehören Preis- und Quotenabsprachen sowie Kunden- und Gebietsaufteilungen. Das Verbot dieser Absprachen ist absolut, eine Rechtfertigung nicht möglich. Insbesondere können derartige Absprachen nicht durch die Anwendung der rule of reason legitimiert werden. Auch kennt der D I A C weder spezielle Ausnahmen vom Kartellverbot noch Ausnahmebereiche. Die Konsequenz ist, dass die genannten Absprachen auch dann rechtswidrig sind, wenn sie im Umfeld von Rechten des geistigen Eigentums getroffen werden. 189 Art. 4 Section 2 D I A C erfasst diejenigen horizontalen 190 Wettbewerbsbeschränkungen, die nicht ausdrücklich in Section 1 der Vorschrift angesprochen werden. Solche Vereinbarungen sind nur dann rechtswidrig, wenn sie den Wettbewerb ungebührlich („unreasonably") beschränken. Hier findet also die rule of reason Anwendung. O b eine rechtswidrige Wettbewerbsbeschränkung vorliegt, beurteilt sich alternativ nach Zweck oder Folge der Vereinbarung. Die Ungebührlichkeit und damit die Rechtswidrigkeit horizontaler Wettbewerbsbeschränkungen wird vermutet; die Widerlegung dieser Vermutung obliegt den Kartellbeteiligten und ist nur auf der Grundlage der in Art. 4 Section 2 Satz 3 D I A C genannten Faktoren möglich: Entweder werden die wettbewerbsbeschränkenden Wirkungen der Vereinbarung durch gleichzeitige wettbewerbsfördernde Effekte überwogen. Oder die Vereinbarung führt zu Verbesserungen der Effizienz oder zur Steigerung der Innovationsfähigkeit zugunsten der Verbraucher. b) Vertikale
Wettbewerbsbeschränkungen
Art. 5 D I A C unterwirft die Distributionsstrategien einem differenzierten System von per se-Verboten, rule of re^sow-Beurteilungen und prinzipieller Rechtmäßigkeit. Vertikale Bindungen, die der Durchsetzung verbotener Kartelle dienen, sowie vertikale Preisbindungen unterliegen einem unwiderlegbaren Verbot. Dagegen sind Vertriebsbindungen, die auf eine Behinderung des länder189
Zu den nötigen Modifikation s. die Ausführungen zu Art. 6 D I A C auf S. 6 0 7 ff.
Dass nur die horizontalen Wettbewerbsbeschränkungen angesprochen sind, ergibt sich aus dem M e r k m a l „between or among c o m p e t i t o r s " . 190
607
F. Kartellrecht im WTO-System
überschreitenden Waren- und Dienstleistungsverkehrs angelegt sind, oder die zu einer Diskriminierung ausländischer Produkte führen, zwar rechtswidrig, k ö n n e n aber ausnahmsweise gerechtfertigt werden. Dies ist dann der Fall, wenn die Vereinbarungen zu einer Verbesserung der P r o d u k t i o n oder D i s t r i b u t i o n führen und die Verbraucher angemessen am G e w i n n beteiligt werden. Andere vertikale Bindungen, insbesondere Alleinbezugs- und Alleinvertriebsvereinbarungen, sind im Prinzip rechtmäßig, können aber unter besonderen U m s t ä n d e n untersagt werden, z.B. wenn die Vereinbarung zur E n t s t e h u n g oder Verstärkung v o n M a r k t m a c h t oder zu erheblichen
Marktzugangsbeschränkungen
führt. c) Missbrauch
marktbeherrschender
Stellungen
A r t . 14 D I A C enthält ein Verbot des Missbrauchs marktbeherrschender Stellungen. D e r Begriff der Marktbeherrschung wird nicht definiert. In A n l e h n u n g an das europäische Kartellrecht sollte die M a r k t b e h e r r s c h u n g nicht auf den Marktanteil verengt werden; es ist vielmehr allgemein auf die Fähigkeit zu wettbewerbsunabhängigem Verhalten - gerade auch im H i n b l i c k auf die Z u k u n f t abzustellen. 1 9 1 D e r Missbrauchsbegriff wird ebenfalls nicht definiert, aber durch die Aufzählung von drei Fallgruppen zumindest veranschaulicht. D a nach sind die Produktionseinschränkung zum N a c h t e i l der Verbraucher, D i s kriminierungen sowie sachlich nicht gerechtfertigte K o p p l u n g e n in der Regel als Missbrauch zu qualifizieren. 1 9 2 Diese Fallgruppen sind nicht abschließend. D e r allgemeine Missbrauchsbegriff ist in engem Z u s a m m e n h a n g mit dem B e griff der M a r k t b e h e r r s c h u n g zu entwickeln und umfasst im wesentlichen F o r men des Behinderungs- und A u s b e u t u n g s w e t t b e w e r b s . 1 9 3 2. Wettbewerbsbeschränkungen des geistigen a) Erforderlichkeit
im Zusammenhang
mit
Rechten
Eigentums einer
Spezialnorm
D i e G r u n d n o r m e n über horizontale und vertikale W e t t b e w e r b s b e s c h r ä n k u n gen sowie über den Missbrauch marktbeherrschender Stellungen finden auch A n w e n d u n g auf entsprechende Wettbewerbsbeschränkungen im Z u s a m m e n hang mit Immaterialgüterrechten. A u c h hier lassen sich die betreffenden Verhaltensweisen in die allgemeinen Kategorien einordnen. D i e Schaffung v o n neuen materiell-rechtlichen Tatbeständen, die sich allein auf R e c h t e des geistigen Eigentums beziehen, ist nicht zwingend erforderlich.
191 S. hierzu z.B. H.-G. Koppensteiner, Österreichisches und europäisches Wettbewerbsrecht, 1997, § 18 Rdnr. 4 ff. 192 Die drei Fallgruppen entsprechen Art. 82 Satz 2 Buchstabe b), c) und d) EGV. 193 Zum Missbrauchsbegriff des europäischen Kartellrechts s. V. Emmerich, Kartellrecht, 9. Aufl. 2001, S. 435 ff.
608
5. Teil: Internationales
Recht
Dennoch sind Spezialvorschriften sinnvoll: Ihre Aufgabe ist nicht die Ergänzung der möglichen Wettbewerbsbeschränkungen um neue, spezifisch immaterialgüterrechtliche Formen kartellrechtlicher Verbote, sondern die Anpassung der allgemeinen Vorschriften an die Besonderheiten des Immaterialgüterschutzes. 194 Dem Bedürfnis nach einer solchen Anpassung wurde auch im D I A C nachgekommen: 195 Art. 6 D I A C ist eine Sondervorschrift, welche die Reichweite kartellrechtlicher Normen im Umfeld von Rechten des geistigen Eigentums regelt. 196 Im Gegensatz z.B. zum deutschen Recht 197 bemüht sich Art. 6 D I A C um eine möglichst vollständige Erfassung der Materie: Die Vorschrift bezieht sich auf alle Immaterialgüterrechte 198 und auf alle Formen von Wettbewerbsbeschränkungen im Zusammenhang mit Rechten des geistigen Eigentums. 194
Gegen die Aufnahme immaterialgüterrechtlicher Spezialvorschriften in einen W T O Wettbewerbskodex argumentiert H. Ullrich, Competition, intellectual property rights and the transfer of technology: issues for further discussions in view of U N C T A D X, 1999, S. 39 (43). Dem wird man entgegenhalten können, dass eine solche Spezialvorschrift der kartellrechtlichen Immunisierung von Rechten des geistigen Eigentums entgegensteuert. Für diejenigen, die in kartellrechtlicher Hinsicht geistiges Eigentum wie alle anderen property rights behandeln möchten, ist dies nur eine Klarstellung. Gegenüber denjenigen, die für eine kartellrechtliche Sonderstellung des geistigen Eigentums plädieren, kann eine Spezialvorschrift aber durchaus konstitutive Bedeutung haben. Angesichts des breiten Meinungsspektrums in der interface-Frage erscheint eine Spezialvorschrift angeraten. 195 Zu Art. 6 D I A C s. Fikentscher/Heinemann/Kunz-Hallstein, Das Kartellrecht des Immaterialgüterschutzes im Draft International Antitrust Code, G R U R Int. 1995, 757 ff., insbesondere 762 ff. 196 Art. 6 D I A C hat folgenden Wortlaut: „Art. 6: Restraints in Connection with Intellectual Property Rights Sec.l: Exercise of Intellectual Property Rights (a) The exercise of an intellectual property right within the limits of the legal content of such right does not entail restraints of competition. (b) Abusing a dominant position by obtaining or exercising intellectual property rights is prohibited (see Art. 14). Pooling intellectual property rights to suppress technology or raise prices is prohibited (see Art. 4). (c) When the exploitation of an intellectual property right exceeds the limits of its legal content, any resulting restraint of competition may be illegal under the provisions of this Agreement. Sec.2: Licensing of Intellectual Property Rights It is part of the legal content of an intellectual property right to grant, during the life of the right, licences which may be exclusive and territorially restricted and to impose on a licensee justified obligations and restrictions. Sec.3: Know H o w Licenses In case of know-how licenses Sec.2 applies accordingly. Any obligation on the licensee not to use the licensed know-how at the end of the license agreement shall not be justified if the know-how has become public knowledge for any other reason than a breach of contract committed by the licensee." 197 S. o. S. 139 ff. 198 Zu Grunde gelegt wird die Definition in Art. 2 Buchstabe viii) des Ubereinkommens zur Errichtung der Weltorganisation für geistiges Eigentum.
F. Kartellrecht im
b) Regelungsprogramm
WTO-System
609
von Art. 6 Section 1 DIAC
(1) Ausgangspunkt: Inhaltstheorie Der Ausgangspunkt von Art. 6 D I A C ist die inherency doctrine, bzw. die Inhaltstheorie. Gem. Art. 6 Sec.l (a) ist die Ausübung eines Immaterialgüterrechts im Grundsatz nicht als Wettbewerbsbeschränkungen zu werten, wenn sie sich innerhalb des gesetzlichen Inhalts dieses Rechts hält. Bei Überschreitung des Schutzrechtsinhalts findet gem. Art. 6 Sec.l (c) D I A C eine Uberprüfung am Maßstab der allgemeinen Kartellrechtsregeln statt. (2) Keine Geltung der Inhaltstheorie für das Missbrauchsverbot Dieser Ausgangspunkt wird im D I A C allerdings von wichtigen Ausnahmen durchbrochen. Art. 6 Sec.l (b) S. 1 D I A C ordnet an, dass die Ausübung eines Immaterialgüterrechts dann verboten werden kann, wenn hierin der Missbrauch einer marktbeherrschenden Stellung zu sehen ist. Ein solcher Missbrauch liegt nicht erst dann vor, wenn der Inhalt des Schutzrechts überschritten wurde. Ein verbotener Missbrauch kann auch in der Ausnutzung einer immaterialgüterrechtlich festgeschriebenen (und damit dem Inhalt des Rechts unterfallenden) Position liegen, wenn eine marktbeherrschende Stellung besteht und die betreffende Verhaltensweise als missbräuchlich zu beurteilen ist. In umgekehrter Richtung ist diese Aussage auch zutreffend: Nicht bereits die Uberschreitung des Schutzrechtsinhalts ist als Kartellrechtsverstoß zu werten. Erst die erfolgreiche Subsumtion dieses Verhaltens unter eine kartellrechtliche N o r m macht die Verhaltensweise außerhalb des Schutzbereichs zu einem Kartellrechtsverstoß. (3) Keine Geltung der Inhaltstheorie für das Verbot horizontaler Wettbewerbsbeschränkungen Entsprechendes gilt im Fall horizontaler Wettbewerbsbeschränkungen. Art. 6 Sec.l (b) S. 2 D I A C stellt klar, dass das pooling von Rechten des geistigen Eigentums verboten ist, wenn es dem Ziel dient, die technische Entwicklung zu behindern oder die Preise zu erhöhen. Dieses Verbot besteht unabhängig davon, ob das pooling dem Inhalt des Schutzrechts zuzuweisen ist oder nicht. In der Regel wird es zum Inhalt zu rechnen sein, da ein pool die gemeinsame Verwertung der verschiedenen Schutzrechte, also gerade die Vermarktung ihres Inhalts bezweckt. Über den Fall des pooling hinaus sind alle Kartelle an der Vorschrift des Art. 4 D I A C zu messen, auch wenn sie auf der Koordinierung von Immaterialgüterrechten beruhen. Preis- und Quotenabsprachen sowie Kunden- und Gebietsaufteilungen zwischen Wettbewerbern sind nach den allgemeinen Regeln unzulässig. Die übrigen horizontalen Absprachen unterliegen der in Art. 4 See. 2 D I A C näher konkretisierten rule of reason.
610
5. Teil: Internationales
Recht
(4) Vertikale Beschränkungen Auf vertikale Wettbewerbsbeschränkungen geht Art. 6 Sec.l (b) DIAC nicht näher ein. Auch hier gelten die allgemeinen Regeln, also Art. 5 DIAC mit seinen drei Stufen, die zwischen den Polen von per se-Rechtswidrigkeit und prinzipieller Rechtmäßigkeit angesiedelt sind.199 c) Dogmatischer Hintergrund Die Vier-Felder-Theorie
von Art. 6 Section 1 DIAC:
Das Anliegen von Art. 6 Sec.l DIAC besteht in der Abgrenzung der rechtmäßigen Ausnutzung geistiger Schutzrechte auf der einen Seite und der verbotenen Wettbewerbsbeschränkung auf der anderen. Diese Grenzziehung hat in jeder Rechtsordnung zu erfolgen, die über Immaterialgüterrecht und Kartellrecht verfügt. (1) Inhaltstheorie als Drei-Felder-Ansatz Das Konzept, das den größten Einfluss auf diese Abgrenzung hatte und im deutschen Recht sogar in Gesetzesform gegossen wurde, ist die Inhaltstheorie. Diese führt zu einer Auffächerung immaterialgüterrechtlicher Befugnisse in verschiedene Felder. 200 Das erste Feld wird durch diejenigen Verhaltensweisen gebildet, die den Inhalt des Ausschließlichkeitsrechts nicht übersteigen. Die Inhaltstheorie sagt aus, dass solche Verhaltensweisen innerhalb der Grenzen des Schutzrechts per se rechtmäßig, also auch kartellrechtlich erlaubt sind. Verhaltensweisen außerhalb der Grenzen des Schutzrechts sind nicht per se rechtmäßig, sondern neutral: Sie sind entweder rechtmäßig oder rechtswidrig. Das Urteil hängt von der Subsumtion unter die kartellrechtlichen Vorschriften ab, für die keine immaterialgüterrechtlichen Besonderheiten zu beachten sind. Die traditionelle Inhaltstheorie führt somit zu einer Drei-Felder-Struktur: Von den Verhaltensweisen innerhalb des Inhalts eines Schutzrechts, die immer kartellrechtskonform sind (1. Feld), sind diejenigen zu unterscheiden, die über den Inhalt hinausgehen. Diese stehen entweder in Ubereinstimmung mit dem Kartellrecht (2. Feld) oder sie sind unter ein kartellrechtliches Verbot zu subsumieren (3. Feld).
S. dazu oben S. 606 f. Zum Zwei- und Drei-Felder-Ansatz s. bereits oben S. 42 ff. und 55. Nach dem ZweiFelder-Ansatz wird zwischen Verhaltensweisen inner- und außerhalb der Schutzrechtsgrenzen unterschieden. Beschränkungen innerhalb der Schutzrechtsgrenzen sind den kartellrechtlichen Tatbeständen entzogen, schutzrechtsübersteigende Beschränkungen unterliegen kartellrechtlicher Kontrolle. Nach der Drei-Felder-Theorie fallen schutzrechtsübersteigende Beschränkungen nicht unbedingt in den Anwendungsbereich des Kartellrechts; dies richtet sich vielmehr danach, ob die Voraussetzungen der kartellrechtlichen Norm tatsächlich erfüllt sind. Liegt keine Kartellrechtsverletzung vor, kann im amerikanischen Recht immer noch nach der misuse-Lehre Rechtswidrigkeit anzunehmen sein. 199
200
F. Kartellrecht
im
611
WTO-System
(2) Schwäche der Inhaltstheorie 201 Diese traditionelle Form der Inhaltstheorie wirft ein grundlegendes Problem auf, nämlich die kategorische Herausnahme der vom Immaterialgüterrecht gedeckten Verhaltensweisen aus dem Kartellrecht. Es sind Handlungen denkbar, die - obwohl sie sich innerhalb der Grenzen eines Ausschließlichkeitsrechts bewegen - zu Wettbewerbsbeschränkungen führen, die auch vor dem Hintergrund immaterialgüterrechtlicher Wertungen nicht zu rechtfertigen sind (z.B. einverständlicher Erwerb oder Übertragung von Schutzrechten mit dem Ziel der Marktsegmentierung oder bestimmte Markenabgrenzungsvereinbarungen). Die strenge Form der Inhaltstheorie kann deshalb nicht aufrechterhalten werden. (3) Das vierte Feld Die Verfasser des DIAC wählten deshalb den Weg, die drei Felder der strengen Inhaltstheorie zu öffnen und um ein viertes Feld zu ergänzen: Es umfasst die Verhaltensweisen, die zwar innerhalb der Grenzen des Ausschließlichkeitsrechts liegen, aber einem kartellrechtlichen Verbot unterfallen. Damit ist der Inhalt eines Immaterialgüterrechts nicht mehr immun gegenüber den Wertungen des allgemeinen Wirtschaftsrechts. Bei den sich daraus ergebenden vier Feldern handelt es sich um folgende: Das erste Feld umfasst Verhaltensweisen, die den Inhalt des Schutzrechts nicht überschreiten und die kartellrechtlich nicht zu beanstanden sind. Das zweite Feld wird von denjenigen Verhaltensweisen gebildet, die trotz Einhaltung der Grenzen des Schutzrechts einer kartellrechtlichen Kontrolle unterliegen. Die Felder 3 und 4 betreffen den Bereich außerhalb der Grenzen des Ausschließlichkeitsrechts: Im dritten Feld sind sie kartellrechtlich erlaubt, im vierten Feld kartellrechtlich verboten. Diese Einteilung liegt Art. 6 Sec.l DIAC zugrunde: Buchstabe (a) betrifft das erste Feld, Buchstabe (b) das zweite, und Buchstabe (c) enthält die Felder 3 und 4. d) Ansätze eines Lizenzkartellrechts
in Art. 6 Section
2 und 3 DIAC
Das in der Praxis wichtigste Problemfeld im Konfliktbereich von Immaterialgüter- und Kartellrecht sind die immaterialgüterrechtlichen Lizenzverträge. (1) Beurteilung von Lizenzverträgen Der DIAC enthält in Art. 6 See.2 und 3 Speziairegeln über das Lizenzkartellrecht. Art. 6 See.2 DIAC erläutert am Beispiel des Lizenzvertrags, was zum Inhalt eines Schutzrechts gehört: Während der Laufzeit des Rechts darf der Rechtsinhaber Lizenzen erteilen, die ausschließlicher Natur und geographisch begrenzt sein dürfen. Außerdem darf der Lizenzgeber dem Lizenznehmer alle 201
Zur Kritik an der Inhaltstheorie s. bereits oben S. 147 ff.
612
J. Teil: Internationales
Recht
Verpflichtungen und Beschränkungen auferlegen, die gerechtfertigt („justified") sind. Gleiches gilt über den Verweis in Art. 6 See.3 D I A C auch für Lizenzverträge über Know-how. Hier erfolgt zusätzlich die Klarstellung, dass eine Verpflichtung des Lizenznehmers, das lizenzierte Know-how nach dem Ablauf des Lizenzvertrags nicht mehr zu benutzen, unwirksam ist, wenn das betreffende Know-how inzwischen öffentlich bekannt geworden ist, und das Bekanntwerden nicht auf einem Vertragsbruch des Lizenznehmers beruht. (2) Klauselkataloge Die zentrale Kategorie für die Rechtmäßigkeit bestimmter Klauseln in Lizenzverträgen ist gem. Art. 6 Sec.2 D I A C die Rechtfertigung („justification"). Ursprünglich waren die Vorgaben in Art. 6 D I A C konkreter. 202 Eine Positivliste und eine Negativliste enthielt eine Aufzählung von Lizenzklauseln, die als erlaubt, bzw. verboten anzusehen sind. Aus Gründen der Übersichtlichkeit wurden diese Listen aus dem Text des D I A C herausgelöst und in die Kommentierung zum D I A C eingefügt. 203 Die Listen beruhen auf den Katalogen des T O T Kodex. 2 0 4 Der eher prohibitive Charakter des TOT-Kodex wurde dadurch entschärft, dass die in ihm verbotenen Klauseln - soweit wie möglich - durch die Hinzufügung zusätzlicher Bedingungen den Anforderungen des Wettbewerbs angepasst und unter diesen zusätzlichen Bedingungen erlaubt wurden. Dies gilt beispielsweise für technisch erforderliche Bezugsbindungen, Ausübungspflichten, „field of use"-Beschränkungen, das Verbot von Unterlizenzen, Kennzeichnungs-, Geheimhaltungs- und Verteidigungspflichten, Qualitätsvorschriften sowie Pflichten zur Rückgewähr von Verbesserungserfindungen. In zwei Fällen war die Entschärfung ansonsten verbotener Klauseln durch die Hinzufügung bestimmter Bedingungen nicht möglich, sondern blieb es beim grundsätzlichen Verbot: Es handelt sich hierbei um die Nichtangriffsklauseln und die schuldrechtlich vereinbarte Pflicht zur Respektierung des Schutzrechts auch nach Ablauf der Schutzfrist. (3) Rechtfertigung von Beschränkungen Weder die Negativ-, noch die Positiv-Liste haben abschließenden Charakter. Lizenzklauseln, die hier nicht aufgeführt sind, sind anhand des Kriteriums der „Rechtfertigung" daraufhin zu überprüfen, ob sie zur legitimen Nutzung von Immaterialgüterrechten zu zählen sind, oder aber als unzulässige Wettbewerbsbeschränkungen unterbunden werden müssen. Da das Kriterium der „Rechtfertigung" im D I A C nicht näher erläutert wird, bleibt nationalem Recht ein 2 0 2 S. hierzu Fikentscher!Heinemann!Kunz-Hallstein, Das Kartellrecht des Immaterialgüterschutzes im Draft International Antitrust Code, G R U R Int. 1995, 757 (763 f.). 2 0 3 Diese Kommentierung wurde als Bestandteil des D I A C zusammen mit diesem veröffentlicht, s. die Nachweise oben Fn. 186. 2 0 4 Vgl. oben S. 566 f.
F. Kartellrecht
im
WTO-System
613
großer Spielraum. Auf die jeweils entwickelten Kriterien zur Grenzziehung zwischen kartellrechtlichem Verbot und Immaterialgüterrecht ist zurückzugreifen. 205 e) Probleme
der
Vier-Felder-Theorie
Das Anliegen und die Stärke der Vier-Felder-Theorie besteht in der Integration des Immaterialgüterschutzes in das allgemeine Wirtschaftsrecht. Rechte des geistigen Eigentums werden nicht von vornherein der Anwendung von Kartellrecht entzogen. Sie werden vielmehr - wie das Sacheigentum - mit der Wettbewerbsordnung abgestimmt. Ein Wettbewerbsverstoß kann auch dann vorliegen, wenn er unter Ausnützung immaterialgüterrechtlicher Positionen begangen wird. Dieser Vorteil wird durch den Verzicht auf ein klares Abgrenzungskriterium erkauft. Der Inhalt eines Schutzrechts kann leicht ermittelt werden, indem die Umschreibung des Schutzumfangs im entsprechenden Immaterialgütergesetz herangezogen wird. Durch den Ubergang vom Drei- zum Vier-Felder-Ansatz verliert der Inhalt des Schutzrechts seine Rolle als entscheidendes Abgrenzungskriterium, da sowohl innerhalb als auch außerhalb des Schutzrechtsinhalts verbotene Verhaltensweisen möglich sind. Der Schutzrechtsinhalt ist damit nicht mehr das relevante Kriterium zur Abgrenzung der erlaubten von den (möglicherweise) verbotenen Verhaltensweisen. Es stellt sich deshalb die Frage, ob der Schutzrechtsinhalt noch irgendeine Relevanz für die Anwendung von Kartellrecht besitzt, oder ob die Grenzziehung zwischen Immaterialgüterrecht und Kartellrecht auf anderem Weg zu erfolgen hat. Wenn dem Schutzrechtsinhalt in diesen Fragen keine Funktion zukommt, ist er als Kriteriumpraeter necessitatem mit dem Ockham'sehen Rasiermesser zu entfernen. Von den skizzierten vier Feldern bleiben dann allerdings nur noch zwei übrig, nämlich das der kartellrechtlich erlaubten und das der kartellrechtlich verbotenen Verhaltensweisen. Da diese beiden Felder das Kernproblem (nämlich die Abgrenzung der erlaubten von den verbotenen Verhaltensweisen) nur benennen, aber kein Kriterium für diese Abgrenzung liefern, haben sie keinen heuristischen Wert. Es liegt deshalb nahe, von der Kategorisierung der verschiedenen Verhaltensweisen in einzelne Felder Abstand zu nehmen. Die Suche ist stattdessen auf die Auffindung materieller Kriterien zu richten, mit deren Hilfe die rechtmäßige Ausübung von Immaterialgüterrechten von deren kartellrechtswidrigem Gebrauch unterschieden werden kann. Vor diesem Hintergrund ist die Bewertung von Art. 6 DIAC vorzunehmen: Positiv ist zu würdigen, dass die Vorschrift davon ausgeht, dass (verbotene) Wettbewerbsbeschränkungen auch innerhalb der Grenzen eines Schutzrechts 205 Im europäischen Recht sind hier beispielsweise die Kriterien zu nennen, die zur Ausfüllung des Begriffs der Wettbewerbsbeschränkung herangezogen wurden, s.o. S. 359 f.
614
Teil: Internationales
Recht
möglich sind. Negativ ist anzumerken, dass der Inhalt eines Schutzrechts die grundlegende Kategorie von Art. 6 D I A C bleibt, obwohl durch die Verlagerung verbotener Verhaltensweisen auch in den Inhalt von Ausschließlichkeitsrechten die Inhaltstheorie letztlich überwunden wird. Die in Art. 6 D I A C an der Inhaltstheorie vorgenommenen Modifikationen führen - konsequent zu Ende gedacht - zur Falsifizierung des gesamten Ansatzes: D e m Schutzrechtsinhalt kommt letztlich keine Bedeutung für die Abgrenzung von Immaterialgüterrecht und Kartellrecht zu. Art. 6 D I A C beinhaltet also wichtige Erkenntnisfortschritte, bleibt aber auf halbem Weg stehen.
3. Konsequenzen für eine Spezialvorschrift des geistigen Eigentums
zum
Kartellrecht
Die Ausführungen machen eine Umformulierung von Art. 6 D I A C notwendig.
a) Zwei
Grundannahmen
D e r hier gemachte Vorschlag beruht auf zwei Grundannahmen: Erstens sind die Rechte des geistigen Eigentums wie alle anderen Eigentumsformen konstituierendes Prinzip der Marktwirtschaft; der durch sie bewirkte Ausschluss von Wettbewerb ist gewollt und notwendig. Zweitens können Rechte des geistigen Eigentums wie auch alle anderen Verfügungsrechte zu wettbewerbswidrigen Zwecken eingesetzt werden. Die beiden Grandannahmen stehen zueinander im Verhältnis von Regel und Ausnahme: Die Zuordnung eines Ausschließlichkeitsrechts erfolgt zum Zwecke seines Einsatzes im Wettbewerb. Ausnahmsweise ist der Einsatz des Rechts wettbewerbswidrig, nämlich dann, wenn die Tatbestandsvoraussetzungen einer kartellrechtlichen N o r m erfüllt sind. Dies gilt auch für den in der Praxis bedeutsamsten Ausschnitt aus dem Problemkreis, dem Lizenzkartellrecht. Die Lizenzierung von Rechten des geistigen Eigentums dient der Verbreitung des geschützten Gegenstands, bzw. der geschützten Lehre im Rechtsverkehr und ist damit wettbewerbsfördernd. B e schränkungen im Zusammenhang mit der Lizenzierung können zu diesem Zweck erforderlich sein. Ü b e r die Vereinbarkeit mit Kartellrecht entscheidet nicht das Kriterium des Schutzrechtsinhalts, sondern die Anwendung der kartellrechtlichen Tatbestände, die unter Einbeziehung der immaterialgüterrechtlichen Wertungen auszufüllen sind. D e r Kommentar zu Art. 6 D I A C 2 0 6 kann weiterhin herangezogen werden; das Abstellen auf das Inhaltskriterium ist nicht tragend für die Kommentierung.
206
S. hierzu oben S. 612.
F. Kartellrecht im b)
615
WTO-System
Folgerungen
D i e G r e n z e zwischen gewolltem Wettbewerbsausschluss und w e t t b e w e r b s widrigem Einsatz von Immaterialgüterrechten kann nach den obigen A u s f ü h rungen nicht durch das Kriterium des Schutzrechtsinhalts gezogen werden. D i e B e z u g n a h m e auf den Schutzrechtsinhalt in A r t . 6 Sec.l (a) und (c), Sec.2 und See.3 Satz 1 ist deshalb zu streichen. D i e kartellrechtlichen Einzeltatbestände des D I A C sind daraufhin zu untersuchen, ob sie - dem Anliegen dieser A r b e i t entsprechend - zur A u f n a h m e immaterialgüterrechtlicher Wertungen geeignet sind. (1) H o r i z o n t a l e Beschränkungen Hard
core-Kartelle i.S. von A r t . 4 S e c . l D I A C sind auch dann rechtswidrig,
wenn immaterialgüterrechtliche Befugnisse im R a h m e n v o n Preis-, K u n d e n - , G e b i e t s - oder Q u o t e n k a r t e l l e n eingesetzt werden. I m Ausgangspunkt gilt dies auch für die übrigen horizontalen Wettbewerbsbeschränkungen i.S. von A r t . 4 Sec.2 D I A C . D i e nach dieser Vorschrift mögliche Rechtfertigung wird im U m feld von Immaterialgüterrechten allerdings häufig in Frage k o m m e n , nämlich wenn die Beschränkung zu Effizienzsteigerungen, der Intensivierung
von
W e t t b e w e r b oder der H e r v o r b r i n g u n g von Innovationen führt. D i e s e A u s n a h me gilt auch gerade für den in dieser Arbeit hervorgehobenen Fall der Erschließung neuer M ä r k t e . 2 0 7 (2) Vertikale Beschränkungen Das Verbot von Wettbewerbsbeschränkungen im Vertikalverhältnis für die B i n dung der Wiederverkaufspreise oder den Fall der U m s e t z u n g verbotener Kartelle (Art. 5 Sec.2 D I A C ) hat seine Berechtigung auch im Zusammenhang mit I m materialgüterrechten. Anders steht es mit der Vermutung wettbewerbswidrigen Verhaltens
bei der Behinderung
des grenzüberschreitenden
Waren-
oder
Dienstleistungsverkehrs (Art. 5 See.3 D I A C ) : Es ist gerade der Sinn von A u s schließlichkeitsrechten, dem Rechtsinhaber die Entscheidung über das erste I n verkehrbringen des geschützten Gegenstands vorzubehalten. N i c h t s anderes gilt auf Weltebene für weitere Verbreitungshandlungen: D a es im Belieben der W T O - M i t g l i e d e r steht, internationale oder nationale Erschöpfung anzunehm e n , 2 0 8 muss es den U n t e r n e h m e n frei stehen, das erstmalige Inverkehrbringen geschützter Erzeugnisse in andere Länder durch Vereinbarung auszuschließen. Art. 5 See.3 D I A C ist deshalb nicht auf Immaterialgüterrechte anzuwenden; es ist angemessen, solche Vertikalvereinbarungen der Missbrauchskontrolle des Art. 5 See.4 D I A C zu unterwerfen. I m R a h m e n dieser Vorschrift kann auf alle
207 208
S. dazu oben S. 387 ff. Zu dieser Frage, insbesondere zu Art. 6 TRIPs s.o. S. 575 ff.
616
5. Teil: Internationales
Recht
relevanten Umstände, also z.B. auf die Existenz von Schutzrechten und den Grad der Marktbeherrschung abgestellt werden. 209 (3) Missbrauch marktbeherrschender Stellungen Der Missbrauch marktbeherrschender Stellungen ist auch im Zusammenhang mit Immaterialgüterrechten gem. Art. 14 D I A C verboten. Dass dieses Verbot unabhängig von den Schutzrechtsgrenzen gilt, stellt bereits Art. 6 See. 1 (b) Satz 1 D I A C klar. Die Feststellung der Marktbeherrschung erfolgt nach allgemeinen Regeln, zu denen die Definition des relevanten Markts und die Ermittlung des Beherrschungsgrads gehören. Ein Schutzrecht vermittelt nur in dem seltenen Fall ein Monopol, in dem es sich auf einen relevanten Markt in seiner Gesamtheit bezieht. Die Feststellung eines Missbrauchs setzt eine umfassende Interessenabwägung voraus, in die auch immaterialgüterrechtliche Wertungen einzufließen haben. (4) Fusionskontrolle Auch die Vorschriften über die Fusionskontrolle in den Art. 8 bis 13 D I A C kommen ohne immaterialgüterrechtliche Sonderregelung aus. Der Erwerb eines Schutzrechts kann ausnahmsweise als Fusion unter dem Gesichtspunkt des Vermögenserwerbs zu qualifizieren sein. 210 Beim entscheidenden materiellrechtlichen Kriterium, nämlich der Schaffung oder Vergrößerung der Fähigkeit zur Einschränkung wirksamen Wettbewerbs (Art. 11 Sec.l (a) DIAC), ist die Existenz von Schutzrechten eines unter zahlreichen Kriterien, die zu einer entsprechenden Feststellung heranzuziehen sind. c) Neuvorschlag Hieraus ergibt sich folgender Vorschlag für eine neue Fassung von Art. 6 DIAC: Art. 6: Restraints in Connection witb Intellectual Property
Rights
Sec.l: The general antitrust rules on horizontal and vertical restraints (Art. 4, 5, 7), the control of concentration (Art. 8-13) and the abuse of dominant position (Art. 14) apply to the exercise of intellectual property rights including licensing.
209 Falls es zu einer Weiterentwicklung der Erschöpfungsregelung im TRIPs-Abkommen kommt, sind in Art. 6 D I A C auch die kartellrechtlichen Konsequenzen zu ziehen: Bei Annahme internationaler Erschöpfung wären exportverhindernde Vereinbarungen wieder dem Art. 5 See.3 D I A C zu unterstellen. Überlegungen in Richtung internationaler Erschöpfung werden insbesondere f ü r das Markenrecht angestellt, s. Europäische Kommission, Trade Mark exhaustion - Study on the economic consequences of alternative regimes (undertaken by National Economic Research Associates, London, for the European Commission), 25 February 1999. 210 S. dazu oben S. 523.
F. Kartellrecht im WTO-System
617
Sec.2: Antitrust control is not limited to behavior b e y o n d the legal content of an intellectual property right. T h e objectives of intellectual p r o p e r t y law have to be taken into account within the general antitrust rules. Sec.3: A r t . 5 Sec.3 does not apply to distribution strategies covered b y intellectual property rights. Such strategies are assessed under Art. 5 Sec.4.
Ergebnis „Any careful attempt to resolve patent-antitrust issues will be far more complex than has previously been realized." (L. Kaplow, 97 Harvard Law Review 1813, 1888 (1984))
Immaterialgüterschutz und Kartellrecht sind zwei vergleichsweise junge Rechtsgebiete. So ist es nicht erstaunlich, dass die Frage nach ihrem gegenseitigen Verhältnis nur zögerlich gestellt, im Lauf der Entwicklung unterschiedlich beantwortet und bis heute nicht abschließend geklärt wurde. Motor der Entwicklung war der Wandel in den ökonomischen Grundannahmen beider Gebiete (A.). Die größte Dynamik - bis hin zum Umschlag in Extreme - ist im amerikanischen Recht zu erkennen (B.). Demgegenüber ist die Beurteilung der Verhältnisfrage im deutschen Recht, euphemistisch gesprochen, durch große Stabilität, wohl eher aber durch Stillstand geprägt (C.). Die nötigen Anpassungen wurden auf europäischer Ebene vorgenommen (D.). Eine Regelung kartellrechtlicher Fragen im internationalen Recht wird immer dringender (E.). N a c h dem in dieser Arbeit vertretenen Standpunkt ist - unter Ablehnung formaler Grenzziehungen - ein materielles Verständnis des Beschränkungsbegriffs zu Grunde zu legen (F.).
A. Ökonomische Betrachtung: Verdeutlichung der Funktionszusammenhänge, aber keine Vorgaben more geometrico für das Grundlagenproblem Immaterialgüterrecht und Kartellrecht standen nach dem ursprünglichen Verständnis in einem Gegensatz. Schutzrechte wurden als Einschränkung des Wettbewerbs um anderer Ziele willen gedeutet. Dieser hier Konfliktthese genannte Ansatz wurde seit den siebziger Jahren überwunden. 1 Seitdem werden die gemeinsamen Ziele beider Rechtsgebiete betont. Immaterialgüterrechte bündeln ausschließliche Befugnisse zu einem privaten Eigentumsrecht. Sie sind damit dem Privateigentum als konstituierendem Prinzip der Wettbewerbsord1
S. o. S. 25 ff. und 56 ff.
620
Ergebnis
nung zuzuordnen. Wettbewerb wird durch die Zuerkennung privater Rechte erst möglich. Dem gleichen Ziel, nämlich der Konstituierung und dem Erhalt der Wettbewerbsordnung dient das Kartellrecht. Beide Rechtsgebiete unterstützen auf ihre Art die Funktionen, die dem Wettbewerb allgemein zukommen, also sowohl die ökonomischen Funktionen, wie z.B. die Hervorbringung technischen Fortschritts, als auch die gesellschaftspolitischen Funktionen, z.B. die Begrenzung privater Macht. Überschneidungen in der Zielsetzung schließen allerdings nicht jeden Konflikt im Einzelfall aus. Einer vereinfachenden Harmoniethese ist eine Sichtweise vom komplementären Charakter beider Rechtsgebiete vorzuziehen. Immaterialgüterrecht dient der Konstituierung von Eigentumsrechten. Kartellrecht reguliert deren Einsatz im Wettbewerb. Mehrebenenansatz, Ökonomische Analyse des Rechts und property rights-Lehre haben einen wichtigen Zusammenhang herausgearbeitet: Je dynamischer die Analyse gefasst wird, desto höher ist der Grad an Ubereinstimmung zwischen beiden Gebieten. 2 Nur in statischer Betrachtung besteht ein klarer Konflikt zwischen Ausschlussrecht und Wettbewerb. Die Wirtschaftswissenschaft hat sich um die Bestimmung des optimalen Umfangs und der optimalen Schutzdauer von Immaterialgüterrechten bemüht. Auf theoretischer Ebene ist ihr dies mit Hilfe von gesamtwirtschaftlichen Kosten-/Nutzen-Kalkülen gelungen. Folgerungen für die konkrete Ausgestaltung des Immaterialgüterrechts oder gar nach dem optimalen Ausmaß der Kartellrechtsanwendung lassen sich aus den Modellanalysen allerdings nicht ableiten. 3 Es bleibt bei der Aussage, dass sowohl der unzureichende als auch der übermäßige Schutz geistigen Eigentums volkswirtschaftlich schädlich ist. Von Bedeutung ist die Parallele von Sach- und geistigem Eigentum: Gründe für die kartellrechtliche Privilegierung geistigen Eigentums im Verhältnis zum Sacheigentum bestehen nicht.
B. Amerikanisches Recht: Metamorphosen des intellectual property antitrust Amerikanisches Kartellrecht ist aus zwei Gründen besonders anpassungsfähig: Erstens eröffnet die case law-Methode argumentative Spielräume, welche die Arbeit am Gesetz nicht in vollem Umfang bietet. Zweitens haben die amerikanischen Kartellbehörden einen großen Einfluss auf die Rechtsentwicklung. Ihre Tätigkeit wird stark von politischen Vorgaben beeinflusst. Beide Faktoren haben bedeutende Entwicklungsschübe bewirkt. Nachdem eine Anwendung von 2 3
S. o. S. 14 ff. und 24 ff. S. o. S. 15,20, 24 und 30 f.
B. Amerikanisches
Recht
621
Kartellrecht auf Rechte des geistigen Eigentums zunächst nicht stattgefunden hatte, entwickelte der U.S. Supreme Court die inherency doctrine in Form der Zwei-Felder-Theorie. Auf Wettbewerbsbeschränkungen außerhalb des Schutzbereichs eines Ausschlussrechts wurde Kartellrecht angewendet; der Schutzbereich selber war kartellrechtsimmun. Die Lehre vom patent misuse ergänzte diesen Ansatz um ein drittes Feld von Verhaltensweisen außerhalb des Schutzrechts, die zwar nicht kartellrechtswidrig, aber patentrechtswidrig und deshalb verboten sind. Die Chicago School kritisierte die Anwendung von Kartellrecht außerhalb des Schutzinhalts als zu rigide. Der Erfolg dieser Kritik war zweischneidig. Zwar stärkte die Chicago School das Verständnis für die wettbewerbsfördernden Wirkungen des Immaterialgüterschutzes und der Funktion von Lizenzverträgen. Die damit verbundene Ablehnung formalen Denkens führte aber gleichzeitig - ganz im Gegensatz zum Anliegen der Chicago School - zum Wegfall der kartellrechtlichen Immunität für Verhaltensweisen innerhalb des Schutzinhalts. Der heute herrschende Post-Chicago-Ansatz nimmt die Erkenntnisfortschritte der Chicago School, insbesondere die Ablehnung formalen Denkens auf, lehnt aber den effizienzorientierten Zielmonismus und die Theorielastigkeit des Ansatzes ab. Die Analyse des Einzelfalls unter Berücksichtigung des gesamten rechtlichen und wirtschaftlichen Zusammenhangs auf der Grundlage der rule of reason soll klären, ob eine verbotene Wettbewerbsbeschränkung vorliegt. Der durch eine solche Einzelfallbetrachtung bewirkte Verlust an Rechtssicherheit wird gemildert durch die Orientierung an Richtlinien, nämlich in erster Linie an den 1995 verabschiedeten Antitrust Guidelines for the Licensing of Intellectual Property. Amerikanische Behörden und Gerichte hatten in neuerer Zeit zahlreiche Fälle im Grenzbereich von geistigem Eigentum und Kartellrecht zu beurteilen. Gerade auch im Bereich der Informationstechnik hat die Bedeutung solcher Grenzfragen stark zugenommen. In Fallgruppen wie z.B. Kontrahierungszwang, essentialfacilities-Vroblemutik, monopoly leveraging, Normierung und Standardisierung werden Grundsätze und Grenzen des Eigentumsrechts ausgelotet. Der Ubergang zum Post-Chicago-Paradigma hat die Gefahr von Chicago-inspirierten laissez /kzre-Exzessen vermindert, ohne dass damit ein Rückfall ins alte formale Denken verbunden wäre. Der Rechtsentwicklung in den USA kommt schon wegen der technologischen Spitzenstellung des Landes eine besondere Bedeutung zu: Der wettbewerbswidrige Einsatz der in diesem Bereich bestehenden Schutzrechte hat weltweite Konsequenzen. Dieser Umstand macht die Zusammenarbeit nationaler Kartellbehörden erforderlich. Die Stärkung internationaler Kooperationsmechanismen oder die Schaffung internationaler Wettbewerbsregeln sollte die Konsequenz sein.
622
Ergebnis
C . Deutsches Recht: Reformverweigerung Über die Havanna-Charta und das alliierte Dekartellierungsrecht gelangte die inherency doctrine des amerikanischen Rechts in ihrer Gestalt aus den vierziger Jahren ins deutsche GWB. Der andere Grundpfeiler des deutschen Kartellgesetzes, nämlich der Ordoliberalismus der Freiburger Schule, fiel als Quelle der rechtspolitischen Inspiration für Fragen des geistigen Eigentums aus: Die Patentfeindlichkeit der Freiburger hat die Entwicklung eigenständiger Konzepte für diesen Bereich verhindert. Die §§ 20, 21 GWB a.F. (= §§ 17, 18 GWB n.F.) waren von vornherein auf bestimmte Lizenzverträge über gewerbliche Schutzrechte, bzw. Know-how beschränkt. Sie fanden nach ihrem Wortlaut keine Anwendung auf Urheber-, muster- oder markenrechtliche Lizenzen. Ebenso wenig erstreckten sich die Vorschriften auf horizontale Wettbewerbsbeschränkungen oder auf den Missbrauch marktbeherrschender Stellungen. Die Inhaltstheorie der §§ 17, 18 GWB ist auf zunehmend heftige Kritik gestoßen. Tatsächlich ist der Lehre eine Vernachlässigung des rechtlichen und wirtschaftlichen Zusammenhangs, d.h. ein pauschaler Formalismus auf brüchiger normtheoretischer Grundlage vorzuwerfen.4 Der Einsatz schutzrechtlicher Befugnisse wird ohne Rücksicht auf Zweck und Folge für den Markt legalisiert. Dies geschieht unter Missachtung der Tatsache, dass der Inhalt eines Rechts sich aus einer Zusammenschau aller rechtsbegründenden, -begrenzenden und -einschränkenden Normen ergibt. Die Sozialpflichtigkeit des Eigentums beinhaltet auch die Einhaltung der kartellrechtlichen Schranken. Die 6. GWB-Novelle hat das Regelungskonzept der Inhaltstheorie (§§ 17,18 GWB n.F.) nicht angetastet. Obwohl das Anliegen der Reform in einer Annäherung an europäisches Recht bestand, ist der Abstand zwischen deutschem und europäischem Kartellrecht des geistigen Eigentums unverändert groß. Immerhin wurde die Möglichkeit vertikaler Preisbindung in Lizenzverträgen abgeschafft. Im deutschen Recht fehlt auch nach der Reform ein in sich stimmiges Gesamtkonzept zur Grundproblematik. Der Mangel im Systematischen hat allerdings keine gravierenden Auswirkungen: Da man sich im Bereich des Lizenzkartellrechts überwiegend nach europäischem Recht richtet, bleibt die Inhaltstheorie des deutschen Rechts nahezu bedeutungslos. Zudem sollte man die konzeptionelle Schwäche der Inhaltstheorie zum Anlass nehmen, die Lehre nicht auf Gebiete außerhalb ihres gesetzlich festgeschriebenen Anwendungsbereichs auszudehnen.5
4 5
S. o. S. 147 ff. S. o. S. 153.
D. Europäisches
623
Recht
D. Europäisches Recht: Austarierung von Marktintegration, Wettbewerbsschutz und Immaterialgüterrecht
I. Das „ magische
Dreieck "
Auf europäischer Ebene ist die Frage nach dem Verhältnis von Kartellrecht und Immaterialgüterrecht durch den Gesichtspunkt der Marktintegration zu einem „magischen Dreieck" zu erweitern. Das Beziehungsgeflecht zwischen den drei Polen lässt sich wie folgt beschreiben: Die Errichtung des gemeinschaftlichen Binnenmarkts erfordert die Beseitigung aller Hindernisse für den freien Waren-, Personen-, Dienstleistungs- und Kapitalverkehr. Das europäische Kartellrecht unterstützt dieses Ziel der Marktintegration; darüber hinaus verfolgt es die allgemeinen, jeder Kartellrechtsordnung obliegenden Aufgaben, nämlich die der Herstellung und Erhaltung einer Wettbewerbsordnung. Immaterialgüterschutz dient ebenfalls der Konstituierung der Wettbewerbsordnung, indem nämlich private Rechte begründet werden, durch die Wettbewerb erst möglich wird. Andererseits dient die Harmonisierung nationaler, bzw. die Schaffung gemeinschaftlicher Schutzrechte dem Ziel der Marktintegration. Schutzunterschiede können eine Gefahr für dieses Ziel darstellen. Der Gesichtspunkt der Marktintegration kompliziert auf europäischer Ebene das Grundlagenproblem.
II. Immaterialgüterrechtliche
Trias
Während Marktintegration und Kartellrecht von Anfang an tragende Pfeiler der Gemeinschaft waren, stellte Immaterialgüterrecht im System des Vertrags einen Fremdkörper dar, der nur als Rechtsfertigungsgrund für Beschränkungen des freien Warenverkehrs in Art. 36 EWGV (= Art. 30 EGV) Erwähnung fand. Der Schutz geistigen Eigentums war über Art. 222 EWGV (= Art. 295 EGV) Angelegenheit der Mitgliedstaaten. Die Anwendbarkeit von Grundfreiheiten und Wettbewerbsregeln des Gemeinschaftsrechts auf nationale Schutzrechte musste begründet, die Intensität der Einwirkung bestimmt werden. Zu diesem Zweck wurde die immaterialgüterrechtliche Trias geschaffen, nämlich (1) die Unterscheidung von Bestand und Ausübung, (2) die Lehre vom spezifischen Gegenstand sowie (3) der Grundsatz der gemeinschaftsweiten, bzw. EWR-weiten Erschöpfung. Die Unterscheidung von Bestand und Ausübung ist eine Leerformel, begründet aber immerhin die Anwendbarkeit des Gemeinschaftsrechts auf nationale Immaterialgüterrechte in kompetenzrechtlicher Hinsicht. Die Lehre vom spezifischen Gegenstand ist nach der hier vertretenen Auffassung im Rahmen der Grundfreiheiten hilfreich, für Zwecke der Kartellrechtsanwendung dagegen unangemessen. Sie stellt gemeinschaftsweite Maßstäbe für die nationale Ausgestaltung geistigen Eigentums auf und garantiert damit eine einheitliche Anwendung der Verkehrsfreiheiten auf alle na-
624
Ergebnis
tionalen Schutzrechte. Die Anwendung europäischen Kartellrechts muss demgegenüber auf die konkreten Marktverhältnisse abstellen. Auch ein Schutzrecht, das sich in den Grenzen des spezifischen Gegenstands hält, kann am Markt zu Wettbewerbsbeschränkungen und Missbräuchen eingesetzt werden. Das Kriterium des spezifischen Gegenstands würde - wie die Inhaltstheorie zu einer systemwidrigen Abschirmung des Immaterialgüterrechts vor den kartellrechtlichen Verboten führen. Die Lehre von der EG-, bzw. EWR-weiten Erschöpfung bringt schließlich Immaterialgüterrecht und Grundfreiheiten ins Gleichgewicht. Der Konsumtionsgedanke hat auch Auswirkungen auf das Kartellrecht: Abmachungen zwischen Unternehmen, die sich gegen den Verkehr frei zirkulierender Gegenstände richten, unterliegen dem Kartellverbot. 6 III. Materialisierung des Beschränkungsbegriffs Markterschließungsgedanken
durch den
Statt einer solchen Anwendungssperre von außen wird in dieser Arbeit eine Einwirkung von innen vorgeschlagen: Immaterialgüterrechtliche Wertungen sind bereits bei der Auslegung der kartellrechtlichen Tatbestände einzubeziehen. Im Rahmen von Art. 81 EGV hat dies durch eine Materialisierung des Begriffs der Wettbewerbsbeschränkung zu geschehen. 7 Die Einschränkung der Handlungsfreiheit ist notwendige, nicht aber auch hinreichende Bedingung für den Beschränkungsbegriff. Auch bei der Einschränkung von Auswahlmöglichkeiten der Marktgegenseite macht dieser Beschränkungsbegriff nicht halt. Zu fordern ist eine Berücksichtigung des gesamten rechtlichen und wirtschaftlichen Umfelds der Verhaltensweise. Vorgeschlagen wird eine Markterschließungsdoktrin i.e.S.: Trotz Festlegung von Wettbewerbsparametern liegt eine tatbestandsmäßige Wettbewerbsbeschränkung dann nicht vor, wenn die betreffende Handlungseinschränkung zur Erschließung eines neuen Markts oder allgemein zur Schaffung von neuem Wettbewerb geeignet und erforderlich ist. Markterschließende Innovationen erhalten dadurch eine privilegierte kartellrechtliche Stellung. Voraussetzung ist allerdings, dass keine Beschränkungen vereinbart werden, die für die Markterschließung nicht erforderlich sind. Vom Vorschlag einer rule of reason, der wegen Art. 81 Abs. 3 EGV abzulehnen ist, unterscheidet sich die Markterschließungsdoktrin dadurch, dass sie nicht allgemein die Berücksichtigung wettbewerbsfördernder Umstände im Tatbestand von Art. 81 Abs. 1 EGV zulässt, sondern nur die Schaffung neuen Wettbewerbs zur Tatbestandsverengung akzeptiert. 8
6 7 8
S. Art. 3 Nr. 3 b) GFVO-TT und oben S. 424. S. o. S. 354 ff. S. o. S. 382 ff.
D. Europäisches
625
Recht
Dieser Vorschlag setzt sich zwar in Widerspruch zur Terminologie des Gerichtshofs, der weiterhin die Lehre vom spezifischen Gegenstand heranzieht. 9 Eine Analyse der Rechtsprechung zeigt allerdings, dass der spezifische Gegenstand eher genannt als tatsächlich angewendet wird. Der Gerichtshof zieht die Untersuchung des gesamten rechtlichen und wirtschaftlichen Umfelds einer Argumentation auf der Grundlage einzelner, schutzrechtlicher Befugnisse vor. Bei der Prüfung konkreter Fälle wird der Begriff des spezifischen Gegenstands in erster Linie negativ verwendet, nämlich um zu zeigen, dass im konkreten Fall der Bereich des spezifischen Gegenstands verlassen wurde und der Anwendung von Kartellrecht somit nichts im Weg steht. 10 Ist die fragliche Verhaltensweise vom spezifischen Gegenstand des Schutzrechts gedeckt, versagt sich der Gerichtshof dem dann eigentlich konsequenten Schluss auf die Nichtanwendbarkeit der Wettbewerbsregeln; auch im Bereich des spezifischen Gegenstands findet eine vollständige Prüfung der einschlägigen Kartellrechtsnorm statt. 11 Die vom Gerichtshof erzielten Ergebnisse sind im allgemeinen zu begrüßen. Allerdings sind die argumentativen Grundlagen (nämlich die Unterscheidung von Bestand und Ausübung sowie die Lehre vom spezifischen Gegenstand) brüchig und zur Ableitung der Ergebnisse ungeeignet. Demgegenüber gibt die hier vorgeschlagene Engführung des Beschränkungsbegriffs eine dogmatische Begründung dafür, dass die Vereinbarung einer ausschließlichen Lizenz oder anderer beschränkender Klauseln in Lizenzverträgen nicht notwendigerweise dem Tatbestand von Art. 81 Abs. 1 EGV unterfällt. Ein negatives Element, nämlich die Ablehnung der Lehre vom spezifischen Gegenstand, kombiniert mit einer positiven Annahme, nämlich mit dem durch die Markterschließungsdoktrin ausgefüllten materiellen Begriff der Wettbewerbsbeschränkung ist erforderlich, um den Bereich der verbotenen und erlaubten Beschränkungen sachgemäß voneinander abzugrenzen. Auf dieser Grundlage hat auch in den immaterialgüterrechtlich geprägten Fällen eine Prüfung des Kartellverbots nach allgemeinen Regeln zu erfolgen. IV. Missbrauch marktbeherrschender
Stellungen
Dieser Ansatz ist auch auf das Verbot des Missbrauchs marktbeherrschender Stellungen zu erstrecken. Die Lehre vom spezifischen Gegenstand ist hier noch deplazierter als im Zusammenhang mit dem Kartellverbot: Gerade auch Kernbefugnisse können die Grundlage für einen Missbrauch sein. Der Missbrauch ist zwar die seltene Ausnahme; der Ausnahmecharakter kommt aber durch hohe Anforderungen an den Missbrauchstatbestand und nicht durch die voll9 10 11
S. o. S. 318 f. S. o. S. 305 ff. S. o. S. 315 ff.
626
Ergebnis
ständige A b s c h i r m u n g von Kernbefugnissen zum Ausdruck. Liegen M a r k t b e herrschung, Missbrauch und Zwischenstaatlichkeitsklausel vor, kann es zur Einschränkung immaterialgüterrechtlicher Befugnisse k o m m e n . D i e „Magill" Entscheidung zeigt, dass der G e r i c h t s h o f die L e h r e v o m spezifischen G e g e n stand auch in B e z u g auf das Missbrauchsverbot nicht mit letzter K o n s e q u e n z anwendet: D i e A n o r d n u n g von Kontrahierungszwang stellt einen Eingriff in den spezifischen Gegenstand des Schutzrechts dar. 12
V. Stellung des Immaterialgüterschutzes
im
Gemeinschaftsrecht
D i e T h e s e vom geistigen E i g e n t u m als F r e m d k ö r p e r im System des Vertrags kann längst nicht mehr aufrechterhalten werden. D i e Gemeinschaft hat zahlreiche Aktivitäten auf dem G e b i e t des Immaterialgüterschutzes u n t e r n o m m e n . Diese reichen von der Harmonisierung nationaler Schutzrechte über den A b schluss des T R I P s - A b k o m m e n s bis hin zur Schaffung eigener Schutzrechte des Gemeinschaftsrechts. D e r entscheidende Testfall für die Stellung des geistigen Eigentums in der G e m e i n s c h a f t ist dessen Beurteilung im europäischen Kartellrecht. D i e E n t w i c k l u n g kann am Beispiel des Lizenzkartellrechts verdeutlicht werden. D o r t setzte sich mit der Weihnachtsbekanntmachung von 1962 zunächst die deutsche Inhaltstheorie durch, die aber rasch einer strengeren Beurteilung von Immaterialgüterrechten
wich. D e r wachsenden
Arbeitsbelastung
K o m m i s s i o n wurde durch Gruppenfreistellungsverordnungen
der
entgegenge-
steuert. Diese, nämlich die G F V O Patentlizenzvereinbarungen von 1984, die G F V O K n o w - h o w - V e r e i n b a r u n g e n von 1988 und schließlich die G F V O T e c h nologietransfer von 1996 bewerten Beschränkungen in Lizenzverträgen zunehmend milder, indem die Voraussetzungen der Freistellung großzügiger gefasst werden. H i n t e r dieser E n t w i c k l u n g ist eine steigende Wertschätzung für I m m a terialgüterschutz und insbesondere ein wachsendes Verständnis für die w e t t b e werbsfördernde W i r k u n g von Lizenzverträgen zu erkennen. D e m stehen Einzelentscheidungen v o n K o m m i s s i o n und G e r i c h t s h o f gegenüber, in denen G r e n z e n von Ausschlussrechten verdeutlicht werden. Hierin liegt eine notwendige Ergänzung des liberalen Regelwerks. I m Prozess der Rechtsanwendung ist zu klären, worin verbotene Wettbewerbsbeschränkungen oder Missbräuche bestehen. F o l g t man dem hier vorgetragenen Vorschlag einer immaterialgüterrechtlich beeinflussten Ausfüllung der kartellrechtlichen Tatbestände, k o m m t es dabei nicht mehr zu einer Kollision
antagonistischer
Rechtsgebiete, sondern zu einer Verschränkung komplementärer Regelungsmaterien. Das europäische R e c h t ist für eine solche Vorgehensweise besonders geeignet, da es immer schon k o m p l e m e n t ä r e Ziele, wie z . B . Marktintegration 12
S . o . S. 485 f.
E. Internationales
Recht
627
und Wettbewerbsrecht zusammenführen musste. Der Abschied von der Einschätzung des geistigen Eigentums als Wettbewerbsbeschränkung oder rechtliches Monopol macht es möglich, das Immaterialgüterrecht besser mit dem allgemeinen Wirtschaftsrecht des EG-Vertrags abzustimmen. Diese Aufgabe sollte durch eine angemessene Ausgestaltung des Immaterialgüterrechts unterstützt werden: Es sollten keine schutzrechtlichen Befugnisse zugestanden werden, die von vornherein einen Konflikt mit kartellrechtlichen Wertungen heraufbeschwören.
E. Internationales Recht: Die Notwendigkeit eines internationalen Wettbewerbsübereinkommens Immaterialgüterrechte wurden schon früh auf internationaler Ebene geschützt; dieser Schutz wurde in der Folgezeit ausgebaut. Im Gegensatz dazu steht die Entwicklung des Kartellrechts: Sie setzte ernstlich überhaupt erst 65 Jahre später ein. 13 Seit dem Scheitern der Havanna-Charta, die ein kartellrechtliches Kapitel enthielt, gab es zwar viele Initiativen zur Verabschiedung zwingender kartellrechtlicher Normen des internationalen Rechts. Zum Erfolg führten sie allerdings bislang nicht. Immerhin existiert mit dem RBP-Set ein kartellrechtlicher Text vom Rang einer Resolution der UN-Generalversammlung, der zum Ausgangspunkt zahlreicher Aktivitäten geworden ist. Im RBP-Set kommt eine nicht selbstverständliche Ubereinstimmung im Nord-Süd-Verhältnis zum Ausdruck, nämlich zwischen der kartellrechtlichen Tradition der Industrieländer einerseits und dem Wunsch der Entwicklungsländer nach der Kontrolle wirtschaftlicher Macht andererseits. Die Aufnahme kartellrechtlicher Spezialbestimmungen ins TRIPs-Abkommen und in andere WTO-Texte hat deutlich gemacht, dass der Sachzusammenhang zu bereits international geregelten Materien auch die Verabschiedung einschlägiger kartellrechtlicher Normen erforderlich macht. Der Prozess der Globalisierung führt zu einem sprunghaften Anstieg kartellrechtlicher Probleme im grenzüberschreitenden Verkehr. Gleichzeitig wächst die Erkenntnis, dass grenzüberschreitende Probleme auch grenzüberschreitend gelöst werden müssen. Die Vereinigung bereits existierender, kartellrechtlicher Splitter zu einem internationalen Wettbewerbsübereinkommen wird deshalb immer dringender. In einem solchen Abkommen sind auch die immaterialgüterrechtlichen Bezüge zu regeln.
13
Pariser Verbandsübereinkunft von 1883 - Havanna Charta von 1948.
628
Ergebnis
F. Integration des Immaterialgüterschutzes in die Wettbewerbsordnung Die Frage nach dem Verhältnis von Immaterialgüterschutz und Kartellrecht wird diskutiert, seit es beide Rechtsgebiete gibt. 1 4 Die Auseinandersetzung war ungewöhnlich scharf, zeitweise lässt sich gar von einem „Glaubenskrieg" sprechen. 15 Die Grundkategorien von Ausschlussrecht und Gemeinfreiheit auf der einen, sowie von Monopol und Wettbewerb auf der anderen Seite wurden miteinander verwechselt. Zwischen dem Schutz geistigen Eigentums und dem Wettbewerbsprinzip wurde ein diametraler Gegensatz gesehen. 16 Die dogmatische Demarkationslinie war die Inhaltstheorie, die das Reich des Immaterialgüterschutzes vom Reich des Kartellrechts abgrenzte. D a s Verständnis für den Stellenwert des geistigen Eigentums in der Wettbewerbsordnung wurde hierdurch nicht gestärkt. Der Immaterialgüterschutz erlangte lange Zeit nicht dieselbe gelassene Selbstverständlichkeit wie seine materialisierte Schwester, das Sacheigentum. Es ist das Verdienst neuerer, institutionenbezogener Ansätze in der Wirtschaftswissenschaft, das Verständnis für Funktion und Bedeutung des geistigen Eigentums vertieft zu haben. Gleichzeitig entfällt damit das Bedürfnis nach starren Grenzen zwischen beiden Rechtsgebieten. Die dogmatische K o n s e q u e n z besteht darin, den Inhalt von Immaterialgüterrechten nicht mehr als relevante Kategorie für Fragen der Kartellrechtsanwendung heranzuziehen. Ansätze, die auf der Kategorie des Schutzrechtsinhalts aufbauen, wie z.B. Zwei-, Drei- oder Vier-FelderAnsätze, sind zu verwerfen. Stattdessen wirkt Immaterialgüterrecht „von innen" auf Kartellrecht ein, indem die Auslegung kartellrechtlicher Grundbegriffe von vornherein durch immaterialgüterrechtliche Wertungen beeinflusst wird.
14 D e n n o c h besteht bisweilen der Eindruck, dass man in dieser Frage noch ganz am Anfang steht: W. Tom, zitiert nach: Aide-Mémoire, in: OECD, Competition Policy and Intellectual Property Rights, Series Roundtables on Competition Policy Nr. 18, D A F F E / C L P ( 9 8 ) 1 8 , 1998, S. 395 (421 f.); L. Kaplow, The Patent-Antitrust Intersection: A Reappraisal, 97 Harvard Law Review 1813, 1888 (1984). 15 D e r Begriff wird verwendet von Fikentscher/Theiss, Josef Kohler und das M o n o p o l , 1996, S. 83 (94). S. auch F.-K. Beier, Wettbewerbsfreiheit und Patentschutz, G R U R 1978,123 f. 16 Zu den Gründen für die Heftigkeit der Auseinandersetzung s. H. Ullrich, Technology Transfer Agreements under E C - C o m p e t i t i o n Law: A Conservative Reform, 1996, S. 1 (27 f.): „If to this extent, political controversy and clashes over antitrust policy, legislation and control are normal, the political divergences in the intellectual property/antitrust area tend to have a particularly harsh overtone. This is due, in part, to the fact that intellectual property people and antitrust lawyers or economists are firm believers in the g o o d cause they defend, and in part to the fact that the arguments used to defend the respective views are speculative by nature rather than amenable to precise verification on the facts; at least not on a macro-level of general legal rules."
F. Integration
des Immaterialgüterschutzes
in die
Wettbewerbsordnung
629
Der Begriff der Wettbewerbsbeschränkung ist also zu „materialisieren"; bloß formale Beschränkungen, die der Markterschließung dienen, sind dem Kartellverbot zu entziehen. Auch ist nicht der Typus einer Vereinbarung, sondern die Wirkung am Markt für die kartellrechtliche Beurteilung entscheidend. Die Feststellung des Missbrauchs einer marktbeherrschenden Stellung setzt die Berücksichtigung immaterialgüterrechtlicher Belange voraus. Führt die erforderliche Interessenabwägung zur Annahme eines Missbrauchs, steht dem Verbot der Schutzrechtsinhalt nicht entgegen. 17 Der Immaterialgüterschutz ist in das Gesamtsystem der Wettbewerbsordnung einzufügen. Integration bedeutet nicht Leugnung der Spannungen, sondern deren angemessener Ausgleich. Diese Aufgabe ist nur durch die Zusammenschau der beiden Rechtsgebiete, nicht aber durch die gegenseitige Abschottung von Immaterialgüterrecht und Kartellrecht zu erreichen.
17
S. o. S. 453 ff.
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Sach- und Personenregister abgeleitete Nutzungen 18 abgeleiteter Markt 79 ff., 544 ff. abgestimmte Hinterlegung von Mustern 273 f., 317 f. abhängige Patente 180, 589f. „Abrundungsklausel" (Art.308 EGV) 214 ff. Abschlussfreiheit, s. Vertragsfreiheit und Lizenzierungsfreiheit „absolute freedom" (des Patentinhabers) 42, 99,114,310 absolute Rechte 21 aftermarket, s. abgeleiteter Markt Agrarpolitik 212 aktiver Verkauf (Gebietsschutz) 297 Alleinbezugsvereinbarung, s. Ausschließlichkeitsbindungen Alleinlizenz 308 Alleinvertriebsvereinbarung, s. Ausschließlichkeitsbindungen Allgemeine Erklärung der Menschenrechte (1948) 558 alliiertes Dekartellierungsrecht, s. Dekartellierungsrecht amerikanisches Recht, s. US-amerikanisches Recht ancillary restraints doctrine 58, 405, 414, 416, 422 Anmaßung von Wissen 364, 509 Anmeldung beschränkender Vereinbarungen 341 ff. Anmeldeobliegenheit 341 ff. Anspornungstheorie 12,23,38,126 Antidumping 595 f. Antitrust Guidelines for the Licensing of Intellectual Property 2, 56, 61 ff., 84, 121, 148,369, 621 Anwendungssicherheit, s. Rechtssicherheit Arbeitnehmerfreizügigkeit 282 Arbeitsgemeinschaftsgedanke 366 Areeda-Turner test 116 asymmetrische Information 78
Atlantik Charta (1941) 558 Ausbeutungsmissbrauch 462 ff. ausschließliche Lizenzen, s. Ausschließlichkeitsbindungen Ausschließlichkeitsbindungen 28, 39, 49, 65, 70, 111, 142, 145, 155 f., 308 ff., 393 ff., 398 ff., 410 f., 567 Außenwirkung (einer beschränkenden Vereinbarung) 352 ff. Badewannenfall, s. „bath-tub "-Entscheidung Bagatellbekanntmachung (Eur. Kommission) 369 ff., 375 „bath-tub "-Entscheidung (U.S. Supreme Court) 42 f. Bedarfsmarktkonzept 433 Behinderungsmissbrauch 471 ff. Behinderungsverbot 174 f. Behinderungswettbewerb 88 Behördenkooperation 569, 592 f., 595, 598 ff., 621 Belohnungstheorie 12, 23, 38, 126, 243, 247 f., 265 f. Bement-Entscheidung (U.S. Supreme Court) 41 f., 46, 83, 147 Bestand und Ausübung (von Immaterialgüterrechten) 163 f., 192 f., 195 ff., 238 f., 241, 271, 281, 291 ff., 337, 457f., 485 f., 491 ff. bewegliches System 407, 417, 420, 446 Binnenmarkt 206, 208 ff., 409 blockierende Schutzrechte 71 Böhm, Franz 128,134,359 Boeing-McDonnell Douglas-Fusion 524 f. facilities-Doktrin bottleneck, s. essential Boykott 66 f., 69, 73, 129 f. browser 110 ff. Büchernachdruck, Unrechtmäßigkeit des 124 f. Bündeltheorie 371, 374ff. Bush, George 84 Bußgeldimmunität 341 f.
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Sacb- und
Calvo-Doktrin 566 Cassis-Formel 223 f., 226, 236, 277, 286 Chicago School (of Antitrust Analysis) 56ff., 74 f., 76 ff., 119, 121, 148, 571, 621 Clayton Act 38 clean hands 47 f. Clinton, William (Bill) 84 Code of Conduct 563 Code of Conduct on Transnational Corporations ( T N C - C o d e ) 563 Coditel /-Entscheidung ( E u G H ) 278 ff. Coditel //-Entscheidung ( E u G H ) 398 ff., 418,465 Coke, Edward 35 common law 31, 39, 489 competition approach 566 f., 587, 591 competition on the merits, s. Leistungswettbewerb Computerprogramm-Richtlinie 270, 518, 529, 552, 555 Continental Gzn-Doktrin 447 copyright misuse 49 ff. cross-licensing, s. Uberkreuzlizenzen Dassonville-Formel 218, 221, 226, 228, 286 Datenbankschutz 489, 518 f. de facto-Standards 104 ff., 108 ff., 119 f., 121, 515, 517, 519 ff. - Verhältnis zum leveraging 106 - Verhältnis zur essential facilities-Doktnn 106, 520 f. Dekartellierungsrecht 120, 131, 132 f., 136 f., 145, 148, 187,559, 622 Dekompilierung 48, 515 ff., 529, 552 de minimis-Bekanntmachung, s. Bagatellbekanntmachung de minimis-Regel 354, 368 Demsetz, Harold 21 Design-Schutz, s. Geschmacksmuster deutsches Recht, 123 ff., 622 development test 566 f., 587, 591 Dienstleistungsfreiheit 213, 218, 277 ff. - Abgrenzung von Warenverkehrsfreiheit 281 f. - Dreistufentest 277 - und Erschöpfung 278 ff. - und Immaterialgüterrecht 278 Diskriminierungsverbot - deutsches Kartellrecht 174 f. - allgemeines D. im Gemeinschaftsrecht 218, 282 ff. distinguishing 59, 70 Doppelschutz 199 f.
Personenregister Draft International Antitrust Code (DIAC) V, 55, 83, 604 ff. - Neuvorschlag von Art.6 D I A C 614 ff. Dreieck, magisches 623 Drei-Felder-Theorie 55, 73, 120, 610 ff., 628 droit moral, s. Persönlichkeitsrecht dynamische Analyse 15, 25 f., 30, 77, 79, 364, 436, 620 EAG-Vertrag, s. Euratom economies of scale 110 Effizienz 21, 25, 57, 67, 77ff., 83, 91 f., 446 EFTA 268, 288 EFTA-Gerichtshof 269, 271 EG-Vertrag - Eigentumsordnung 191 ff. - Vorschriften mit Bedeutung für das Immaterialgüterrecht 190 ff. EGKS-Vertrag, s. Montanunion eigener Standpunkt 330 ff., 403 ff., 425 ff. Eigentum - Begriff 150 ff., 493 f. - gewerbliches und kommerzielles E. 232 ff. Eigentumsordnung des EG-Vertrag 191 ff. Eigentumstheorie 12, 126 Einheit der Rechtsordnung 320,331 Einheitliche Europäische Akte 206 einheitliche europäische Schutzrechte, s. gemeinschaftsrechtliche Schutzrechte „Eintrittsgelder" 111 englisches Recht 33 ff. Entflechtung 114 f., 132 Entwicklungsländer 562 ff., 581 f., 584, 627 equity 46 f., 51, 54, 56 Erfinderprivilegien, s. Privilegienwesen Ergebnis 619 ff. Erhard, Ludwig 557 Ersatzteile 79 ff., 323, 443, 465, 471 ff., 530 ff., 555 Erschöpfung 143, 198, 203, 243, 250ff., 271 f., 378, 396, 398 - bei Freihandelsabkommen 269 - D I A C 616 - EWR-weite 268 ff., 579 - Freiwilligkeit der Zustimmung 252 ff., 499 ff. - gemeinschaftlicher Schutzrechte 287 - gemeinschaftsweite 251 ff. - in EFTA-Staaten 269 - internationale 270 f., 576 ff. - nur bei Ausnutzung eines parallelen Schutzrechts? 261 ff.
Sach- und -
RBP-Set 564 f. Reichweite 255 ff. TRIPs-Abkommen 575 ff., 585 und Dienstleistungsfreiheit 278 ff. Zustimmung zum Inverkehrbringen 252 ff. - Zwangslizenzen 499 ff. „erste Seite" U l f . , 117 essential facilities-Doktrin 72, 85, 93 ff., 102, 121, 167 - Anwendung auf Immaterialgüterrechte 98 ff., 170 ff., 510 ff. - Anwendungsvoraussetzungen im europäischen Recht 101, 507 ff. - Anwendungsvoraussetzungen im US-amerikanischen Recht 96, 101 - deutsches Recht 167, 170 f., 507 - europäisches Recht 502 ff., 526 - US-amerikanisches Recht 93 ff., 621 - Verhältnis zum leveraging 104 Eucken, Walter 134, 167, 320 Euratom 189 Europäischer Wirtschaftsraum, s. EWR Europäisches Patentübereinkommen (EPU) 214 europäisches Recht 189 ff., 623 ff. EUV 203 EWR 268 ff. exclusionary conduct 87, 98, 102 ff. Externalitäten 6, 21 f. externe Effekte, s. Externalitäten Fallibilismus 82 Federal Trade Commission Act 38 field of »se-Beschränkungen 65, 143, 415, 612 first W e - D o k t r i n 252 Flaschenhals, s. essential facilities-Doktrin Folgetheorie 158, 339 Folgeverträge 339 f. formale Wettbewerbsbeschränkung, s. Wettbewerbsbeschränkung Forschung und Entwicklung 66, 343 -Kooperation 27, 66, 135, 358, 567 Franchising 59 free for all (in der Ersatzteilfrage) 541 free rider, s. Trittbrettfahrer freeze plus (in der Ersatzteilfrage) 542 f., 552 f. Freiburger Schule 134,622 Freistellung (vom Kartellverbot) 334 f., 362 ff., 423 f., 430 ff. - Einzelfreistellung 335, 341 f.
Personenregister
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- Gruppenfreistellung 335 functionality test 245 ff., 324 Funktionalisierung, s. Instrumentalismus Funktion der Immaterialgüterrechte, s. Schutzrechtsfunktionen Funktion des Kartellrechts 288 f. Fusionskontrolle 39, 68 f., 175 f., 447, 476, 522 ff., 616 Galilei, Galileo 34 GATS 595,601 GATT 217, 236, 560, 572 ff., 597 ff. - non fio/attora-Tatbestand 598 - s. auch W T O Gebietsschutz 370 - absoluter 368, 372, 386, 394 ff., 423 f. - relativer 308 - s. auch territoriale Beschränkungen Gegenmacht-Argument 415 Gegenstandstheorie 131, 158 geistiges Eigentum - Begriff 2 ff. - Definition 6 f. - s. auch Sacheigentum gemeinsame Handelspolitik 211 gemeinsame N u t z u n g 5, 16 f. „gemeinsamer Zweck" 157 f. Gemeinsamer Markt 206 Gemeinschaftsgebrauchsmuster 215 Gemeinschaftsgeschmacksmuster 215, 531 ff. Gemeinschaftsmarke 199, 215, 284, 293 f. Gemeinschaftspatent 215 f., 294 gemeinschaftsrechtlicher Sortenschutz 199, 215,284, 294 gemeinschaftsrechtliche Schutzrechte 199, 203, 214 ff., 293 f. - und Grundfreiheiten 284 ff. Gemeinschaftsunternehmen 367 Genossenschaft 415 ff. geographische Angaben 580 Geschäftsgeheimnisse, s. Know-howSchutz Geschmacksmuster 317 f., 323, 443, 465, 471 ff., 530ff., 555 - Europäische Geschmacksmuster-Richtlinie 531 ff. - s. auch Gemeinschaftsgeschmacksmuster Gesetz gegen Wettbewerbsbeschränkungen (GWB von 1957) 133 ff., 138 f. gesetzliches Monopol 38, 43, 56, 61, 64, 86, 120, 137f., 299, 442 Gewerbeerlaubnis 33 f.
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Sach- und
Gewerbefreiheit 34, 124 Gewinnbegrenzung, Konzept der 464 ff. Glaubenskrieg (zwischen Immaterialgüterund Kartellrecht) 628 Globalisierung 119,627 grant back, s. Rückgewährklauseln „graue Liste" (GFVO Technologietransfer) 297,301,307,469, 583 grey-area measures 596 Größenvorteile, s. économies of scale Gründerkrach 128 Grundfreiheiten 217 ff., 290 f. - Bindung der Gemeinschaft 284 ff. - unmittelbare Drittwirkung 220, 275 - Verhältnis zu Kartellrecht 288 f., 321, 322 ff., 396 f., 409, 487 f., 597 Grundlagenforschung 18 Gruppenfreistellungsverordnung Technologietransfer 2, 154, 295 ff., 313, 316, 358, 372 ff., 470, 626 Gruppenfreistellungsverordnung Vertikalvereinbarungen 65, 296, 302 Gütezeichen 163 Gütezeichengemeinschaft 163 Guidelines, s. Antitrust Guidelines Hag //-Entscheidung (EuGH) 196, 245, 248 Halbleiter-Topographie-Richtlinie 206 f. Handelshemmnis 217 Handgards-F'itte, s. unberechtigte Schutzrechtsverwarnung hard core-Kartelle 569 f., 615 Hardenbergsche Edikte (1810, 1811) 123 Harmonie, zwischen geistigem Eigentum und Kartellrecht 1 f., 25 ff., 30, 57, 61, 620 Harmonisierung, gemeinschaftsrechtliche auf dem Gebiet des Immaterialgüterrechts 200 f., 205 ff., 208 ff., 626 - Rechtsgrundlagen 205 ff. Harvard School 76 f. Havanna-Charta (1948) 132 f., 558 ff., 600, 604, 622, 627 Hebelwirkung, s. leveraging herrschende Patente, s. abhängige Patente historische Schule der Nationalökonomie 128 Hobbes, Thomas 14 horizontale Wettbewerbsbeschränkungen 29 - deutsches Recht 156 ff. - europäisches Recht 334ff., 373 - DIAC 606,615
Personenregister - US-amerikanisches Recht 65, 69 Husserl, Edmund 82 /BM-Verfahren - in den USA 106 f. - in Europa 475,517 I.G.Farben 135 Immanenztheorie 58, 330, 392, 399 - deutsches Kartellrecht 165 f., 331, 405 - europäisches Kartellrecht 404, 409 f., 411 ff. - und Immaterialgüterrecht 419 ff. - und Inhaltstheorie 419 f. - und Markterschließungsdoktrin 417 ff. immaterialgüterrechtliche Trias, s. Trias Immunität, bzw. Immunisierung (von Immaterialgüterrechten) 4, 42, 46, 58, 63, 75, 82, 114, 148 f., 325, 397, 412, 420, 455, 482, 494, 621 implied licence-Theorie 252 Indigo-Konvention (1880) 135 Industrieländer 562, 566, 582, 627 Informationsasymmetrie, s. asymmetrische Information Informationstechnik 84, 621 infringement test 132, 145 Inhaltstheorie V, 2, 42 ff., 56 f., 120, 123, 131, 133, 135, 136 f., 138 f., 142 f., 145153, 155 f., 162 ff., 173, 185, 187f., 292 f., 346, 357, 402, 419 f., 455, 494, 561, 609, 610 ff., 622, 626, 628 inherency doctrine 43 f., 120, 132 f., 135, 147 f., 187,561,609, 621 f. injury doctrine 47 Inländerbehandlung (WTO) 573, 575 /WVOMTHB-Entscheidung (EuGH) 220 Innovationsförderung 27 f., 34, 75, 187, 426, 539 Innovationsmarkt 65 f. Institutionenökonomik, s. neue Institutionenökonomik Instrumentalisierung (von Eigentum, bzw. Privatrecht) 24, 52 f. Intel 108, 117 ff., 470 interbmnd-Wettbewerb 57, 59, 61, 265, 311, 368, 386, 390 interface, s. Schnittstelle Internalisierung von Externalitäten 21 Internationaler Pakt über wirtschaftliche, soziale und kulturelle Rechte (1966) 558 Internationales Kartellrecht 119, 558 ff., 593 f., 601 ff., 621,627 Internationales Recht 557 ff., 627
Sacb- und International Stf/i-Entscheidung (U.S. Supreme Court) 44, 72, 133 International Trade Organization (ITO) 559 ff. Internet 112 Internet Service Provider 111 f. intrabrand- Wettbewerb 29, 57, 368, 390 463 iustum pretium Java 112 Jefferson, Thomas 38 Kampfpreis 116 Kapitalverkehrsfreiheit 282 Kartellrecht - und Grundfreiheiten 274, 321, 322 ff., 380 f. - Regelungstechniken in Bezug auf Immaterialgüterrecht 582 f. Kartellverbot - deutsches Recht 156 ff. - europäisches Recht 334 ff. Kartellverordnung, deutsche (1923) 129 ff., 135 f. Kartellverordnung, europäische 335, 339, 341 ff., 430 ^ ¿ - E n t s c h e i d u n g (EuGH) 218 f., 224 f., 226, 380 Kempe, Johann 33 Kfz-Karosserieteile, s. Ersatzteile kleine und mittlere Unternehmen 370 Know how-Schacz 7,19 ^ ¿ « ¿ - E n t s c h e i d u n g (U.S. Supreme Court) 79 ff., 121 Kohler,Josef 3, 36, 126 f. Kollektivmarke 162 ff. Kompatibilitätsklausel 584, 586 f., 592 Kompetenzvorbehalt 202 Komplementarität, zwischen geistigem Eigentum und Kartellrecht 1 f., 25 ff., 30, 120, 620, 626 Konditionenmissbrauch 468 f. Konflikt, zwischen geistigem Eigentum und Kartellrecht 1 f., 25 ff., 30, 56, 120, 152, 619 Konfliktvermeidung 28 Kongo-Ring (1885) 135 Konkordanz 363 f. - praktische 331, 377 Kontrahierungszwang 85 ff., 97, 121, 130, 171 f., 494, 507, 554 f., 621, 626 - s. auch Lieferzwang, Lizenzierungszwang
Personenregister
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Kontrollratsgesetze 132 konzerninterne Vereinbarungen 367 Kooperationsleitlinien, s. Leitlinien über horizontale Zusammenarbeit Kopplungsvereinbarungen 28, 39, 44, 48 f., 70, 79 f., 89, 111, 145, 147, 475, 477 f., 567, 591 f. Kosten/Nutzen-Kalkül 17f., 19f., 21, 22f., 29, 620 Kreuz-Preis-Elastizität 433 künstliche Marktabschottung 275 f. KUG (Kunsturheberrechtsgesetz von 1907) 125 Kundenaufteilung 69, 373 kurzfristige Analyse, s. statische Analyse „Land der Kartelle" 128, 135 „Land der Patentgemeinschaften" 135 langfristige Analyse, s. dynamische Analyse „laundry list" (=Regelbeispiele) 41 Lauterkeitsrecht, s. unlauterer Wettbewerb Law & Economics, s. ökonomische Analyse legal monopoly, s. gesetzliches Monopol „Lego"-Ausnahme 541 Lehre vom spezifischen Gegenstand, s. spezifischer Gegenstand Leistungswettbewerb 88, 116 f., 168, 359, 409, 446 Leitbilder (der Wettbewerbspolitik), s. Wettbewerbstheorie und -politik Leitlinien über horizontale Zusammenarbeit (Eur. Kommission) 357 f. leveraging 85, 102 ff., 109, 118, 121, 621 - Anwendung auf Immaterialgüterrechte 104 Lieferverweigerung 90 f., 446, 464, 546 Lieferzwang 169, 495 ff. Lincoln, Abraham 38 Line AtomW-Entscheidung (U.S. Supreme Court) 44 f. litterae patentes 33 Lizenz, ausschließliche, s. Ausschließlichkeitsbindungen Lizenzgeberbeschränkungen 141 f., 344 ff. Lizenzgebühr 312 ff. Lizenzierungsfreiheit 86, 89 f., 471 ff. - s. auch Lizenzverweigerung Lizenzierungszwang 169 ff., 479 ff., 495 ff. Lizenzkartellrecht 8 - deutsches 128, 139 ff., 622 - DI A C 611 ff. - europäisches 154, 295 ff., 341 - internationales 566 f., 590 ff.
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Such- und
- US-amerikanisches 28 ff., 45 f., 57, 64 f., 66 ff. Lizenznehmerbeschränkungen 141 f. Lizenzvermerk 315 Lizenzvertrag - dingliche und obligatorische Beschränkungen 128 f. - Dogmatik 128 f., 133 Lizenzverweigerung 91 ff., 131, 147, 168 ff., 243, 479, 521 f. Locke,John 2 f., 126 lock in 80 LUG (Literatururheberrechtsgesetz von 1901) 125 Machlup, Fritz 12 f. Madison, James 38 Af«gz7/-Entscheidung (Eur. Kommission, EuG, EuGH) 170, 444 f., 460 f., 479 ff., 504, 527, 530, 555, 626 Maissaatgut-Entscheidung (EuGH) 308 ff., 316, 345, 393 ff., 418 Markenabgrenzungsvereinbarungen 311 f. Markenfunktionen 18 f., 164, 245 Markenrecht 248 f., 273, 580 Markenrechtsrichtlinie 210, 259 f. Markensatzung 162 Marktabgrenzung, s. relevanter Markt Marktaufteilung 66, 69, 73, 311, 316f., 370 marktbeherrschende Stellung 432 ff. - durch mehrere Unternehmen 438 ff., 481 f. - durch Schutzrechte 28, 64, 86, 120, 152, 167 f., 175 f., 441 ff., 456, 554 - und Missbrauch 447 ff. Markterschließungsdoktrin 368, 386, 387ff., 389, 422 - im engeren Sinn 402 f., 426 ff., 624 - im weiteren Sinn 401 f. - methodische Begründung 408 ff. - und ancillary restraints-Doktrin 416 - und Immanenztheorie 413, 416, 417 ff. - und rule of reason 407 Marktmacht 78, 89 ff., 437f. Marktschwellen 298 ff. Marktunvollkommenheiten 77 Marktversagen 17, 25, 77 Marktzutrittsschranken 70, 77, 168, 176, 436 Materialisierung, materielle Wettbewerbsbeschränkung, s. Wettbewerbsbeschränkung Mehrebenenansatz 14 f., 620
Personenregister Meistbegünstigungsgrundsatz (WTO) 573, 575 Mengenbeschränkungen 66, 298, 373, 567 Merck/Primecrown-Entscheidung (EuGH) 254 f., 258, 263 f., 267 (EuGH) 247, Merck/Stepbar-Entscheidung 261 ff., 552 Merkantilismus 34 Methylenblau-Konvention 135 Microsoft 84, 108 ff., 270 f., 466 - Microso/i-Lizenz-Verfahren 109,475 - Afcroso/i-Browser-Verfahren 100, 110 ff., 475 f. Missbrauch - durch oder von Rechten des geistigen Eigentums 26, 453 ff., 527ff., 554, 583 ff., 609 - marktbeherrschender Stellungen im deutschen Recht 167 ff. - marktbeherrschender Stellungen im DIAC 607,616 - marktbeherrschender Stellungen im europäischen Recht 428 ff., 445 ff., 586 - mit dem Missbrauch 512,584 - nur bei „außergewöhnlichen" oder „besonderen" Umständen 457 f., 460 f., 472 ff., 479 ff., 504, 514 - zu Lasten von Schutzrechtsinhabern 469 ff., 554 Missbrauchsprinzip 130, 145, 173, 427 f., 454 misuse defense 47 f. mittelfristige Analyse, s. dynamische Analyse Modernisierung des europäischen Kartellrechts 335, 426 f. Monopolausdehnung 101, 102 - s. auch Telemarketing-Doktrin Monopole, staatliche 336, 595 Monopolisierung 86 ff., 102 f. monopoly leveraging, s. leveraging Montanunion 177,335,432,445 Multimedia, s. Informationstechnologie Munich Code, s. Draft International Antitrust Code Musterrecht, s. Geschmacksmuster must fit-, must match-Teile, s. Ersatzteile NAFTA 2,288 Nassauskiesungsbeschluss (BVerfG) 151 Naturrecht 2 f., 4, 38 Nebenabreden 405,409,415 network e f f e c t , s. Netzwerkfaktor
Sach- und Netzwerkfaktor 110 Neue Institutionenökonomik 21, 76, 628 neue Technologien, s. Informationstechnologie Neue Weltwirtschaftsordnung 562, 565 Nichtangriffsklauseln 144, 220, 297, 307, 312, 347, 352 f., 417, 470, 567, 591 f., 612 Nichtausschließbarkeit 5 , 1 6 , 2 2 Nicht-Rivalität im Konsum, s. gemeinsame Nutzung Niederlassungsfreiheit 213 „Nine No-No's" 40, 45 f., 49, 57, 60, 62, 74, 83, 89 Noerr-Pennington-T)oktnn 63 non liquet des Patentschutzes 12 Normierung 85, 104 ff., 121, 358, 470, 515, 519 f., 621 Normtheorie 150 ff. O E C D 569,600,604 OECD-Leitsätze für multinationale Unternehmen 569 ff. öffentliches Gut 5, 16, 25 öffentliches Interesse (an Erteilung einer Zwangslizenz) 182 ff. ökonomische Analyse (des Rechts) 15 ff., 620 ökonomische Grundlagen 11 ff., 619 f. ökonomische Theorie des Rechts, s. ökonomische Analyse Offenbarungstheorie 12, 126 „One-Stop-Shop"-Prinzip (eur. Fusionskontrolle) 176 Ordoliberalismus 134,622 Oualid, William 558 f. overprotection 217 overruling 59, 70 Paketlizenzen, s. Kopplungsvereinbarungen Parallelerfindung 17, 19 Parallelimport 254 f., 260, 264, 270 f., 337, 373, 394 ff., 466, 577 Parallelität von Sach- und geistigem Eigentum, s. Sacheigentum Pariser Verbandsübereinkunft (PVU) 125, 183, 233, 236, 557,627 Parte Veneziana (1474) 34 passiver Verkauf (Gebietsschutz) 297, 301 f. Patentdebatte 12, 125 f., 127 Patentgemeinschaft, s. Schutzrechtsgemeinschaft patent misuse 46 ff., 86, 120, 456, 586 f., 621
Personenregister
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Patentpool, s. Schutzrechtsgemeinschaft Patentrechtstheorien 12, 30, 126 Patentstrategie, s. Schutzrechtsstrategie Patentwettlauf 17 f. per processor licenses 109 per se-Verbot 29, 39 f., 46, 58 ff., 66 f., 69 ff., 384, 423 f. Persönlichkeitsrecht, urheberrechtliches 4, 243 Phänomenologie 82 Phil Co/Ärcs-Entscheidung (EuGH) 193, 243, 283 Pilatusthese, s. Machlup Planwirtschaft 36 Poiy/eron-Entscheidung (BGH) 181 ff. pooling, s. Schutzrechtsgemeinschaft Popper, Karl 82 Positivismus 3 f. Post-Chicago (Economics) 76 ff., 119, 121, 148,621 predatory pricing, s. Kampfpreis Preisabsprachen 41, 60, 66, 69, 73, 368, 370, 373, 424 Preismissbrauch 463 ff., 473 f. Preisunterbietung 379f., 462, 477f. Preußische Immaterialgütergesetze 124 f. Privilegienwesen 33 ff., 124 Produktankündigung 109,518 Produktionsbeschränkung 69 Produktmarkt 65 f. Produktpiraterie-Verordnung 211 property rights-hehxt 6, 21 ff., 620 proprietarianism 24 Prozessvergleich 311 f. public choice-Theorie 76 Quersubventionierung 116 R&D, research and development, s. Forschung und Entwicklung raising rivals'costs 65 RBP-Set 561 ff., 582, 593, 627 Reagan, Ronald 84 „Rechte und Verhältnisse" 14 Rechtsangleichung, s. Harmonisierung Rechtssicherheit 74, 82 f., 121, 404, 621 Regelbeispiele (im Kartellrecht) 351, 446 f. Reimport, s. Parallelimport „rein kartellrechtlicher Ansatz" 328 ff., 403, 454 relative Rechte 21 relevanter Markt 28, 65 f., 433 ff. Äe«a«/£-Entscheidung ( E u G H ) 244, 323,
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Such- und
457 f., 465, 467, 471 ff., 495 f., 530 f., 547, 549 Reparatur-Klausel 472, 533 ff. Restrictive Business Practices Code, s. RBP-Set reverse engineering, s. Dekompilierung Revidierte Berner Ubereinkunft (RBU) 557 Richtlinie über irreführende Werbung 207 Richtlinie zum Urheberrecht in der Informationsgesellschaft 230, 279, 280 ringfencing 176 Rückgewährklauseln 72, 144, 373, 567, 591 f., 612 rule of reason 29 f., 39 f., 46, 58 ff., 67, 69 ff., 84, 88, 90, 92, 360 f., 382 ff., 417, 426, 606, 609, 621,624 Sacheigentum - Parallele zum geistigen Eigentum 4 f., 23 f., 63 f., 75, 99, 149, 156, 265 f., 442 f., 494 f., 511, 528 f., 613, 620, 628 - Unterschiede zum geistigen Eigentum 17, 151 f. „Sächsische Holzstoff-Fabrikanten" (Reichsgericht) 127, 128 safe harbor, s. s a f e t y zone s a f e t y Zone 68 f., 75, 84, 369 „Schattendasein" des deutschen Kartellrechts des geistigen Eigentums 178 Schiedsvertrag 311 f. Schnittstelleninformationen, 106 f., 118 f., 514 ff., 555 - als wesentliche Einrichtung 516 f. Schnittstelle zwischen geistigem Eigentum und Kartellrecht 11, 24 f. Schopenhauer, Arthur 126 f. Schutzklauseln 201 Schutzmaßnahmen 596 f. Schutzrechte des Gemeinschaftsrechts, s. gemeinschaftsrechtliche Schutzrechte Schutzrechtserschieichung 63 Schutzrechtserwerb 530 f. - als Zusammenschlusstatbestand 175,523 Schutzrechtsfunktionen - als Einschränkung von Kartellrecht 164, 326 - functionality test 245 ff. Schutzrechtsgemeinschaft 41, 70 ff., 128, 136, 160, 332, 609 - Anspruch auf Aufnahme 71 f. Schutzrechtsstrategie 148, 176
Personenregister Schutzrechtsübertragung 315 ff. Schutzrechtsverletzung 71 „schwarze Liste" 297, 301, 372 f., 424, 469, 566 f., 583 Selbständigkeitspostulat 351 f., 356 f. Separate Spheres, s. Zwei-Sphären-Ansatz Sherman, John 37 Sherman Act 38, 41, 128 shield of patent 43 Smith, Adam 36 f., 124 f. Software - plattformunabhängige 112 Sortenschutz 308, 318, 375 f., 393 ff. Soziale Marktwirtschaft 134 Spaak-Bericht 288 Spezialitätsprinzip (beschränkende Klauseln) 424 spezifischer Gegenstand V, 227, 232, 246, 271, 281, 287 f., 329 ff., 403 - des Geschmacksmusterrechts 244 - des Markenrechts 245 - des Patentrechts 242 f. - des Urheberrechts 243 f., 485 ff. - Handhabung durch den Gerichtshof 305 ff., 328, 332 f., 625 - und Grundfreiheiten 239 ff., 321 f., 381, 487 f. - und Kartellrecht 294 ff., 319 ff., 346 f., 381 f., 425, 487 f., 491 ff. - und Markterschließungsdoktrin 402 - und Missbrauchsverbot 454 f., 459 ff., 553 Spieltheorie 76 Spürbarkeit (einer Wettbewerbsbeschränkung) 159, 354, 356, 358, 368 ff., 388 Standardisierung, s. Normierung stare decisis 59 State Oil v. ^¿««-Entscheidung (U.S. Supreme Court) 59, 60 f., 81 f. statische Analyse 15, 25 f., 27, 30, 77, 79, 364, 436, 620 Statute of Monopolies (1624) 34 ff., 124 Sternverträge 374 Stoffpatent 181 Strukturmissbrauch 101, 447 ff., 505 f., 522 ff. Subsidiaritätsprinzipl98 f. Sylvania-Entscheidung (U.S. Supreme Court) 59 Technologiemarkt 65 f. Technologietransfer-Kodex (UN), s. TOTKodex
Sach- und Teemonopol 37 7e/e/«K&e«-Entscheidungen (Kartellgericht) 130 f. Télémarketing-Doktrin 101, 103,448, 450 ff., 504, 505 f., 526 teleologische Auslegung und Reduktion 165,408, 410, 412 f., 419, 422 territoriale Beschränkungen 155, 162 ff., 293 f., 297,302,415 Territorialitätsgrundsatz (im Immaterialgüterrecht) 125,221,231,286 Torso-Syndikat 391 TOT-Kodex (UN) 562, 564, 565 ff., 587, 612 Transaktionskosten 21, 61, 71, 77 Transformationsländer 463, 563 Transparenz 80, 548, 551 Trias, immaterialgüterrechtliche 238 ff., 251,271,276, 280 f., 623 f. Triffinscher Koeffizient 433 TRIMs-Abkommen 595 TRIPs-Abkommen 2, 211 f., 267, 271, 530, 534, 551, 566 ff., 572 ff., 601, 626 f. - Kartellrecht 581 ff. - Lauterkeitsrecht 580 f. Trittbrettfahrer 16 f., 22, 25, 29, 386 Uberkreuzlizenzen 70 f., 160 Übertragung gewerblicher Schutzrechte, s. Schutzrechtsübertragung Umpackfälle 258 ff., 275 f. Umschlagpunkt 358 f. UN-Kodex zur Kontrolle wettbewerbsbeschränkender Praktiken, s. RBP-Set unberechtigte Schutzrechtsverwarnung 63, 474 UNCTAD 562,565,600,604 UNCTAD-Kartellmodellgesetz 563 underprotection 218, 228 ff. unlauterer Wettbewerb 7, 39, 233, 236 f., 377ff., 557, 580 f. Unternehmensbegriff, funktionaler 334, 429 Unternehmenswachstum - externes, s. Fusionskontrolle - internes 447 ff., 522, 525 ff. Urheberrecht 124 f., 234 f., 479 ff. - an Informationen 489 Urheberrechtslizenzverträge 139 f. Uruguay-Runde 601 US-amerikanisches Recht 37 ff., 620 ff. US Semiconductor Chip Protection Act 207
Personenregister
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U.S. v. Terminal Railroad-'Entscheidung (U.S. Supreme Court) 94, 503 „vaporware", s. Produktankündigung Verbandszeichen 162 ff. Verbot des Doppelschutzes 199 f., 216 Verbotsprinzip 145, 167, 173, 334, 427, 429, 454 Verbraucherschutz 214 Verdrängungsabsicht 116 Vereinbarung, Begriff der 336 ff. Verfügungsrechte, s. property rights-Lehre Vergleichsmarktkonzept 464, 466 ff. Vergleichs vertrag 311 f. Vergütungslösung (für Ersatzteile) 532 ff. Verletzung, s. Schutzrechtsverletzung Vermiet- und Verleihrecht 256 ff. verschleierte Handelsbeschränkung 273 ff. Versuchsprivileg 182 vertikale Preisbindung 49, 57, 66, 69 f., 82, 139, 153, 155, 188, 293, 343, 370, 622 vertikale Wettbewerbsbeschränkungen - deutsches Recht 141, 154 ff. - DIAC 606 f., 610, 615 f. - US-amerikanisches Recht 57,65, 76,81 Vertragsfreiheit 86, 89 f., 147 - s. auch Lizenzierungsfreiheit Verwendungspatent 181 Verwertungsgesellschaften 59 f., 336, 469 f. Vier-Felder-Theorie V, 73, 120, 610 ff., 628 VO 17, s. Kartellverordnung, europäische Vofoo-Entscheidung (EuGH) 244, 323, 457, 471 ff., 479, 482, 486, 495 f., 530 f., 547, 549 Vorabinformation, s. Schnittstelleninformationen Vorfeldthese 175 Vorrang des Gemeinschaftsrechts 176 ff. Walker Process-Fälle, s. Schutzrechtserschleichung Walt Wifte/m-Entscheidung (EuGH) 176 f. Warenverkehrsfreiheit 217, 218 ff., 471 f. - Abgrenzung von Dienstleistungsfreiheit 281 f. - Tatbestandsrestriktion 225 ff. - Verstoß durch Unterlassen 219 - s. auch Grundfreiheiten Warenzeichenverband 162 ff. Weihnachtsbekanntmachung 293, 296, 626 „weise" Gesetzgebung 28, 178 f., 516, 544, 555
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Sach- und
„weiße Liste" 296 f., 301, 303 f., 432, 469, 583 Weltkartellrecht, s. Internationales Kartellrecht wesentliche Einrichtungen, s. essential facilities Wettbewerb - als Entdeckungsverfahren 1,449 - beschränkungsfähiger 366 ff., 399 - potentieller 366, 399 - rechtswidriger 377 ff. - schutzwürdiger 376 ff. Wettbewerbsbeschränkung - Begriff 160 f., 348 ff. - formale 354 ff., 401 f., 426, 629 - Materialisierung 73, 387, 404, 409 ff., 426, 624 f., 629 - materielle 354 ff., 402 f., 404 f., 409, 419, 422, 425 f. Wettbewerbseröffnungstheorie 58, 63, 137, 148 ff., 152, 222 ff., 329 ff., 368, 387 ff., 403, 422, 454 - im immaterialgüterrechtlichen Sinn 389, 402 - im kartellrechtlichen Sinn 389 Wettbewerbsfunktionen 288 f., 620 Wettbewerbstheorie und -politik 12, 40 f. Wettbewerbsverbot 145, 373, 414 f. Wettbewerbsverfälschung 364 ff. Windows 108 ff., 115 „Wintelism" 108 ff. Wirtschaftsvölkerrecht 557 ff.
Personenregister Wohlfahrtstheorie 24 workable competition 351 World Trade Organization (WTO) 572 ff. - Arbeitsgruppe Wettbewerbspolitik 601 ff. - Kartellrecht 594 ff. - Ministerkonferenz in Singapur 601 f. - multilaterale Handelsübereinkommen 605 - plurilaterale Handelsübereinkommen 605 - Schutzmaßnahmen 596 f. - Streitbeilegung 575 ff. - Uberprüfung der Handelspolitik 597 - s. auch GATT WTO-Gutachten (des EuGH) 193, 211 f., 216 Zunftzwang 34 Zwangsjackeneffekt 74 Zwangskartellgesetz (1933) 132 Zwangslizenz 85 f., 169, 178-186, 228 ff., 237, 250, 253 ff., 474, 493 f., 499 ff., 512, 530, 557, 561, 588 ff. - s. auch Lizenzierungszwang Zwecktheorie 158, 339 Zwei-Felder-Theorie 43 ff., 55 f., 58, 73, 120, 147, 610 ff., 621,628 Zwei-Sphären-Ansatz 43, 56, 147 Zwischenstaatlichkeitsklausel 341, 368, 429, 437, 457, 484, 546
Jus Privatum Beiträge zum Privatrecht
Alphabetische
Übersicht
Assmann, Dorothea: Die Vormerkung (§ 883 BGB). 1998. Band 29. Bayer; Walter: Der Vertrag zugunsten Dritter. 1995. Band 11. Beater, Axel: Nachahmen im Wettbewerb. 1995. Band 10. Beckmann, Roland Michael: Nichtigkeit und Personenschutz. 1998. Band 34. Berger, Christian: Rechtsgeschäftliche Verfügungsbeschränkungen. 1998. Band 25. Berger, Klaus: Der Aufrechnungsvertrag. 1996. Band 20. Bittner, Claudia: Europäisches und internationales Betriebsrentenrecht. 2000. Band 46. Bodewig, Theo: Der Rückruf fehlerhafter Produkte. 1999. Band 36. Busche, Jan: Privatautonomie und Kontrahierungszwang. 1999. Band 40. Braun, Johann: Grundfragen der Abänderungsklage. 1994. Band 4. Dauner-Lieb, Barbara: Unternehmen in Sondervermögen. 1998. Band 35. Dethloff, Nina: Europäisierung des Wettbewerbsrechts. 2001. Band 54. Drexl, Josef: Die wirtschaftliche Selbstbestimmung des Verbrauchers. 1998. Band 31. Eberl-Borges, Christina: Die Erbauseinandersetzung. 2000. Band 45. Einsele, Dorothee: Wertpapierrecht als Schuldrecht. 1995. Band 8. Ekkenga, Jens: Anlegerschutz, Rechnungslegung und Kapitalmarkt. 1998. Band 30. Ellger, Reinhard: Bereicherung durch Eingriff. 2002. Band 63. Escher-Weingart, Christina: Reform durch Deregulierung im Kapitalgesellschaftsrecht. 2001. Band 49. Giesen, Richard: Tarifvertragliche Rechtsgestaltung für den Betrieb. 2002. Band 64. Gotting, Horst-Peter: Persönlichkeitsrechte als Vermögensrechte. 1995. Band 7. Habersack, Mathias: Die Mitgliedschaft - subjektives und .sonstiges' Recht. 1996. Band 17. Heermann, Peter W.: Drittfinanzierte Erwerbsgeschäfte. 1998. Band 24. Heinemann, Andreas: Immaterialgüterschutz in der Wettbewerbsordnung. 2002. Band 65. Heinrich, Christian: Formale Freiheit und materielle Gerechtigkeit. 2000. Band 47. Henssler, Martin: Risiko als Vertragsgegenstand. 1994. Band 6. Hergenröder, Curt Wolfgang: Zivilprozessuale Grundlagen richterlicher Rechtsfortbildung. 1995. Band 12. Hess, Burkhard: Intertemporales Privatrecht. 1998. Band 26. Hof er, Sibylle: Freiheit ohne Grenzen. 2001. Band 53. Huber, Peter: Irrtumsanfechtung und Sachmängelhaftung. 2001. Band 58. Junker, Abbo: Internationales Arbeitsrecht im Konzern. 1992. Band 2. Kaiser, Dagmar: Die Rückabwicklung gegenseitiger Verträge wegen Nicht- und Schlechterfüllung nach BGB. 2000. Band 43. Katzenmeier, Christian: Arzthaftung. 2002. Band 62. Kindler, Peter: Gesetzliche Zinsansprüche im Zivil- und Handelsrecht. 1996. Band 16. Kleindiek, Detlef: Deliktshaftung und juristische Person. 1997. Band 22. Luttermann, Claus: Unternehmen, Kapital und Genußrechte. 1998. Band 32. Looschelders, Dirk: Die Mitverantwortlichkeit des Geschädigten im Privatrecht. 1999. Band 38.
Beiträge zum
Privatrecht
Lipp, Volker: Freiheit und Fürsorge: D e r Mensch als Rechtsperson. 2000. Band 42. Merkt, Hanno: Unternehmenspublizität. 2001. Band, 51. Möllers, Thomas M.J.: Rechtsgüterschutz im U m w e l t - u n d Haftungsrecht. 1996. Band 18. Muscheler, Karlheinz: Die H a f t u n g s o r d n u n g der Testamentsvollstreckung. 1994. Band 5. Oechsler, Jürgen: Gerechtigkeit im modernen Austauschvertrag. 1997. Band 21. Oetker, Hartmut: Das Dauerschuldverhältnis u n d seine Beendigung. 1994. Band 9. Oppermann, Bernd H.: Unterlassungsanspruch und materielle Gerechtigkeit im Wettbewerbsprozeß. 1993. Bandì. Peifer, Karl-Nikolaus: Individualität im Zivilrecht. 2001. Band 52. Peters, Frank: D e r E n t z u g des Eigentums an beweglichen Sachen durch gutgläubigen Erwerb. 1991. Band 1. Raab, Thomas: Austauschverträge mit Drittbeteiligung. 1999. Band 41. Reiff, Peter: Die Haftungsverfassungen nichtrechtsfähiger unternehmenstragender Verbände. 1996. Band 19. Repgen, Tilman: Die soziale Aufgabe des Privatrechts. 2001. Band 60. Rohe, Mathias: Netzverträge. 1998. Band 23. Sachsen Gessaphe, Karl August Prinz von: Der Betreuer als gesetzlicher Vertreter f ü r eingeschränkt Selbstbestimmungsfähige. 1999. Band 39. Saenger, Ingo: Einstweiliger Rechtsschutz u n d materiellrechtliche Selbsterfüllung. 1998. Band 27. Sandmann, Bernd: Die H a f t u n g von Arbeitnehmern, Geschäftsführern und leitenden Angestellten. 2001. Band 50. Schur, Wolfgang: Leistung und Sorgfalt. 2001. Band 61. Schwarze, Roland: Vorvertragliche Verständigungspflichten. 2001. Band 57. Sieker, Susanne: Umgehungsgeschäfte. 2001. Band 56. Stadler, Astrid: Gestaltungsfreiheit und Verkehrsschutz durch Abstraktion. 1996. Band 15. Stoffels, Markus: Gesetzlich nicht geregelte Schuldverhältnisse. 2001. Band 59. Taeger, Jürgen: Außervertragliche H a f t u n g f ü r fehlerhafte C o m p u t e r p r o g r a m m e . 1995. Band 13. Trunk, Alexander: Internationales Insolvenzrecht. 1998. Band 28. Wagner, Gerhard: Prozeßverträge. 1998. Band 33. Waltermann, Raimund: Rechtsetzung durch Betriebsvereinbarung zwischen Privatautonomie und Tarifautonomie. 1996. Band 14. Weber, Christoph: Privatautonomie u n d Außeneinfluß im Gesellschaftsrecht. 2000. Band 44. Wendehorst, Christiane: Anspruch und Ausgleich. 1999. Band 37. Würthwein, Susanne: Schadensersatz f ü r Verlust der Nutzungsmöglichkeit einer Sache oder f ü r entgangene Gebrauchsvorteile? 2001. Band 48.
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