Eine Römische Fürstenfamilie. Buch 1 Saracinesca: In zwei Teilen [Reprint 2020 ed.] 9783112364406, 9783112364390


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German Pages 584 [614] Year 1892

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Eine Römische Fürstenfamilie. Buch 1 Saracinesca: In zwei Teilen [Reprint 2020 ed.]
 9783112364406, 9783112364390

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Eine

Römische Fürstenfamilie Roman in drei Büchern von

F. Marion Crawford. Erstes Buch

Saraciuesra in zwei Theilen.

Berlin, Druck und Verlag von Georg Reimer.

1892.

Saracinesca von Z Marion Crawford.

Erster

Theil

Autorisirte Uebersetzung von LH. Höpfner.

Berlin

Druck und Verlag von Georg Reimer. 1892.

Erstes Kapitel. Im Jahre 1865 war Rom in vieler Hinsicht noch das alte Rom. Es hatte noch nicht das moderne Aussehen an­ genommen, welches jetzt darin Platz greift. Der Corso war noch nicht verbreitert, die Häuser daran noch nicht ge­ tüncht worden, die Villa Aldobrandini war noch nicht durch­ schnitten worden, um die Via Nazionale anzulegen; der südliche Flügel des Palazo Colonna schaute noch auf ein enges Gäßchen hinaus, durch welches man nicht gern nach Einbruch der Dunkelheit ging. Der Lauf des Tiber unter­ halb der Farnesina war noch nicht geregelt worden; die Farnefina selbst wurde erst eben ausgebaut; an die Eisen­ brücke bei der Ripetta war nicht zu denken, und die Prati di Castello (die Wiesen hinter der Engelsburg) waren noch, wie ihr Name besagt, eine Reihe unbebauter Felder. Am südlichen Ende der Stadt war die Strecke zwischen dem Mosesbrunnen und dem neuerbauten Bahnhof, längs der Bäder des Diocletian, noch ein Uebungsfeld für die fran­ zösische Reiterei. Selbst die Leute auf den Straßen hatten damals ein anderes Aussehen, als es jetzt von den Besuchern «nd Fremden, welche zur Winterszeit nach Rom kommen, «ahrgenommen wird. Französische Dragoner und Husaren, französische Fußsoldaten und französische Offiziere waren überall in großer Zahl zu sehen, mit einer Menge päpst-

6 licher Zuaven untermischt, deren graue Turcouniformen mit hellrothen Aufschlägen, rothen Schärpen und kurzen gelben Kamaschen jede Menschenmenge bunt machten. Sie waren übrigens ein schöner Truppenkörper, Hunderte vornehmer Leute standen in ihren Reihen, und ihre Offiziere stammten aus den besten franzöfischen und österreichischen Familien. In jenen Tagen sah man auch die großen Kutschen der Cardinäle mit ihren prunkenden Lakaien und ihren prächtigen Rappen, mit dem rothen Regenschirm oben auf dem Ber­ deck liegend, während die stattlichen Kirchenfürsten durch das offene Wagenfenster von Zeit zu Zeit die Grüße der Fußgänger auf den Straßeu erwiederten. Und am Nach­ mittag hörte man ost Pferdegettappel, wenn ein Trupp der Nobelgarde, den heiligen Vater selbst begleitend, hoch zu Roß den Corso entlang sprengte, während alle, die ihm begegneten, sich auf ein Knie niederlietzen und das Haupt entblößten, um den Segen des schönen Greises mit den milden Augen, des Oberhauptes von Kirche und Staat zu empfangen. Ost stieg Pius IX. aus seiner Kutsche aus und ging ganz in Weiß gekleidet aus dem Pincio spazieren; manchmal blieb er stehen und sprach mit seinen Begleitern, oder legte sanft die Hand auf die blonden Locken eines englischen Kindes, das voll Ehrfurcht und Bewunderung im Spielen inne hielt, während der Papst vorüberging. Denn er hatte Kinder lieb, vor allem Kinder mit goldenem Haar — 'Engel, nicht Angeln', wie Gregor der Große sagte. Was die Mode jener Zeit betrifft, so würden viele von uns bei harter Strafe nicht dazu zurückkehren mögen, so schön sie uns damals im Gegensatz zu her übertriebenen Crinoline und dem Blumengartenhut erschien, welche der etwas mildern Form der Reiftockmanie Platz gemacht hatte, aber noch nicht in das entgegengesetzte Extrem der eng-

7 anschließenden Prinzeßkleider von 1868 übergegangen war. Indessen in ihren Augen sahen die Leute aus wie jetzt. Die Mode, welche neun Zehnteln der Gesellschaft so viel Mühe macht, scheint aus das Verhältniß der Leute zu einander weniger Einfluß auszuüben als irgend ein anderes Produkt menschlicher Erfindungskunst. Wenn nur jeder die Mode mitmacht, so geht es übrigens im Zeitalter der hohen Absätze und zurückgebundenen Kleider genau so zu wie vor fünfundzwanzig Jahren, als die Leute niedrige Schuhe trugen und noch nicht an Handschuhe mit drei Knöpfen dachten, als eine Dame von mäßiger Größe drei vder vier Quadratmeter in einem Ballsaal einnahm und als die Männer weite Hosen trugen. Seit Adams Zeiten scheinen sich die Menschen wie Raupen in. Kleidercocons verkrochen zu haben und immer noch der wunderbaren Stunde zu harren, da sie aus dem selbstgewobenen Kerker in Ge­ stalt des himmlischen Schmetterlings hervorgehen sollen, nachdem sie sich als bloße Erdenwürmer verpuppt haben. Aber ob sie gleich an ihren Gewändern arbeiten und spinnen und mit Salomon in seiner Pracht wetteifern, um die Lilien des Feldes zu übertreffen, so bietet doch der menschliche Erdenwnrm weder in Wesen noch Gestalt Anzeichen von

Entwicklung zu etwas Engelgleichem. Nicht, die Tracht jener Zeit gab den Straßen von Rom ihr eigenthümliches Gepräge. Heutzutage, wo so vieles verändert ist, läßt es sich schwer sagen, worin der eigenartige Reiz der alten Stadt bestand; dennoch aber war er vorhanden und machte sich vor allem Reiz irgend eines anderen Ortes so entschieden geltend, daß der Zauber von Rom sprichwörtlich geworden war. Vielleicht hat kein Ort in Europa eine so anziehende Eigenartigkeit besessen. In jenen Tagen waren, gerade wie heute, viele Ausländer,

8 ansässige und durchreisende, dort; aber auch sie schienen einer andem Menschenkaffe anzugehören. Sie erschien«! damals minder unharmonisch inmitten ihrer Umgebung als jetzt, nicht so beleidigend für den allgemnnen alterthümlichen Charatter der Stadt. Vermuthlich nahmen sie die Sache ernster; sie kamen nach Rom mehr mit der Ab­ sicht, Wohlgefallen an der Stadt zu finden, als die Küche im Gasthofe zu tadeln. Sie brachtm eine gewisse Kennt­ niß der Geschichte, der Literatur und der Sitten der alten Römer mit, welche fie einer Ausbildung verdanken, die man in jener Zett mehr aus den Klasfikem als aus bequemen Handbüchem und oberflächlichen Abhandlungen über die Rennaiffance schöpfte, fie brachten vorgefaßte Begriffe mit, welche oft stark mit altfränkischen Vorurtheilen gemischt, aber nicht ohne Originalität waren: jetzt kommen fie voll Oberflächlichkeit ohne rechte Ueberzeugungen, aber mit desto dickerm Firniß überzogen. Damals besuchten alle Herren am Morgen die Sehenswürdigkeiten und citirten dabei Horaz, und Abends versuchten fie, im Umgang mit Römem etwas von Rom zu verstehen; jetzt bringen junge Herren ein Paar Vormittage damit zu, an Bramantes Baukunst Aus­ stellungen zu machen, und „Abends", wie Davids Feinde, „heulen fie wie die Hunde und lausen in der Stadt umher". Junge Damen begnügten sich damit, in den Galerien und Museen viel Schönes zu finden und waren harmlos genug, zu bewundern, was ihnen gefiel; heutzutage finden junge Damen nichts zu bewundern als ihren eigenen Scharfblick, der in Raffaels Zeichnung oder Michelangelos Farben­ gebung Fehler entdeckt. Dieses ist das Zeitalter unver­ mögender Kritik aus dem Gebiete der Kunst, und Niemand ist zu unwiffend, um nicht mit einer Anficht herauszurücken. Es genügt, ein halbes Dutzend italienische Städte besucht

d

Mld einige Seiten moderner ästhetischer Abhandlungen ge­ lesen zu haben — mehr Bildung bedarf ein intelligenter junger Kritiker nicht zu seinem leichten Berus. Die Kunst ParadvM vorzubringm läßt sich in fünf Minuten lernen und von jedem Kinde ausüben, sie besteht vorzüglich darin, zwei Mrinungsaussprüche aus verschiedenen Autoren zu entnehmen, sie zu theilen und die erste Hälfte des einen an die zweite Hälfte des andern zu fügen. Das Ergebniß ist stets verblüffend, und gewöhnlich unverständlich. Wenn ein junger Kritiker in der Gesellschaft es versteht, ver­ blüffend und unverständlich zu sein, so ist sein Ruf bald gemacht; denn die Leute glauben leicht, was sie nicht ver­ stehen, muß tief sein, was überrascht, ist einem durch scharfe Gewürz überreizten Geschmack angenehm. Aber im Jahre 1865 war der Geschmack in Europa in wesentlich ander« Zustande. Das zweite Kaiserreich stand in Blüthe. Emil Zola hMe noch nicht sein Affommoir geschrieben. Graf ViSmarck hatte erst eben den ersten Theil seiner Trimachie zu erfolgreichem Ausgang gebracht; Sadowa und Sedan waren noch nicht ausgefochten. Garibaldi hatte Neapel ge­ nommen und Cavour hatte gesagt: „Wenn wir für uns selbst thäten, was wir für Italien thun, würden wir große Schurken sein"; aber Garibaldi war noch nicht bei Mentana geschlagen worden, und Oesterreich hatte Venetien noch nicht abgetreten. Cardinal Antonelli hatte noch zehn Lebensjahre vor sich, um den tapfern Kampf für den Rest Her weltlichen Macht sortzuführen; Pius IX. hatte noch Dreizehn Jahre zu leben, gerade genug um den „braven König" Victor Emanuel einen Monat zu überleben. Antonellis Einfluß walte in Rom und in großem Maße an allen katholischen Höfen Europas vor; aber bei den Römern war er durchaus nicht beliebt. Die Jesuiten in-

10 dessen waren noch unbeliebter und wurden bei weitem mehr geschmäht. Denn die Römer lieben Cliquen mehr als Parteien und verstehen sich besser daraus, so daß die öffent­ liche Meinung nur zu ost durch eine vorübergehende Leiden­ schaft vertreten wird, die, so lange fie dauert, heftig und schädlich, aber gänzlich unbedeutend ist, wenn ihr Muth sich erschöpft hat. Die Bevölkerung von Rom bestand aber damals aus­ schließlich aus Römern, während jetzt ein großer Theil der­ selben aus Italienern von Nord und Süd besteht, welche durch verschiedenartige Jntereffen nach der Hauptstadt ge­ lockt worden find, — aus Stämmen, die von seinen bis­ herigen Bürgern so verschieden find wie Deutsche oder Spanier, und die auch leider nicht geneigt find, mit den ursprünglichen Einwohnern allzu liebevolle Kameradschaft zu halten. Der Römer ist von Haufe aus ein Unzufriedener, und doch ein Mann, der den Frieden um jeden Preis will. Politische und revolutionäre Agenten haben fich mehr als ein Mal durch diese Eigenschaften täuschen laffen und an­ genommen, daß der Römer, weil er brummte, wirklich eine Veränderung wünschte, und haben dann zu spät, nach­ dem die Veränderung eingeleitet war, eingesehen, daß der Römer nur ein lauer Parteigänger ist. Die päpstliche Regierung unterdrückte das „Brummen" als einen Uebel­ stand, und folglich machten die Leute fich ein Vergnügen daraus, im Stillen zu brummen und fich für Verschwörer zu halten. Das harmlose Geflüster kleinlicher Unzufrieden­ heit wurde von den Italienern fälschlich für das dumpfe Grollen eines Vulkans gehalten; nun aber, da die Um­ gestaltung eingetreten ist, sehen die Italiener zu ihrem Leidwesen, daß der Römer es mit seinen Klagen nicht ernstlich meinte, daß er jetzt nicht nur über alles murrt,

11 sondern sich auch die Mühe nimmt, der Regierung bei allem, was die städtische Verwaltung betrifft, entgegen­ zutreten. Vor der Umwälzung leitete eine väterliche Re­ gierung das kleine Staatswesen, und hielt es für's Beste, jede Möglichkeit eines Streites fern zu halten, indem sie den Murrenden keine Stimme in öffentlichen oder geschästlichen Angelegenheiten gönnte. Das nahmen die Unzufrie­ denen übel; sobald aber der Uebelstand abgestellt war, ver­ doppelten sie ihre Klagen und verschanzten sich hinter der Unfehlbarkeit der Unthätigkeit, nach dem Grundsatz, daß ein Mensch, der gar nichts thut, unmöglich unrecht thun kann. Das waren auch die Tage der alten Künstlerschule — der Leute, welche, wenn auch ihre schöpferische Kraft nicht immer ihrem Streben nach Vollkommenheit entsprach, doch in ihrer reinen Auffaffung der Kunst so hoch über ihren späteren Nachkömmlingen standen, wie Apelles über den pompejanischen Wandmalern, und wie diese über modernen Stubenmalern. Die Zeit Overbecks und der letzten reli­ giösen Maler war beinahe vorüber, aber die Zeit moderner künstlerischer Ausschweifung hatte noch kaum begonnen. Die Aquarellmalerei war noch in ihrer Kindheit; die Holz­ schneidekunst war noch kaum ein hoher Berus; aber der „Schmutzige Junge" hatte auch noch nicht in Paris einen Preis erhalten, und Unzüchtigkeit war noch nicht zur Kunst erhoben worden. Die französische Schule hatte noch nicht den verblüffenden Unterschied zwischen Nudität und Nackt­ heit dargethan, und die englische Schule noch keine bösen Träume von anatomischen Verrenkungen gehabt. Darwins Theorien waren verbreitet, aber noch nicht zu Gesetzen geworden und äußerst wenige Römer hatten je etwas davon gehört; noch weniger hatte Jemand behauptet,

12 daß die eigentliche Wahrheit dieser Theorien bald rückwirkend durch die schnelle Entartung des Mmschen zum Affe» er­ wiesen werden würde, während die Affen später Grund haben würden, sich zu freuen, daß fie sich nicht zu Menschen entwickelt hätten. Viele Theorien erfreuten sich damals großer Beliebtheit, welche seitdem in der allgemeinen Ach­ tung tief gesunken find. Preußen war, theoretisch betrachtet, noch eine Macht zweiten Ranges und dem Reiche Louis Napoleons wurden Elemente der Dauer zugeschrieben. Der große Bürgerkrieg in den Vereinigten Staaten war eben ausgefochten und man zweifelte noch, ob die Republik fich halten würde. Es ist schwer, sich aus die Ansichten jener Zeit zu besinnen. Ein großer Theil des politischen Glau­ bensbekenntnisses, wie es vor etwa zwanzig Jahren war, erscheint uns jetzt wie eine Masse thörichten Aberglaubens, um mit Macaulay zu reden, der Verehrung' der Aegypter für Katzen und Zwiebeln in keiner Weise vorzuziehen. In­ dessen kamen damals wie jetzt Leute heimlich in Kellem und Schlupfwinkeln, wie in Salons und Clubs zusammen, und fiüsterten mit einander und sagten, daß ihre Theorien etwas werth seien und versucht werden müßten. Das Wort Republik hatte damals wie jetzt einen unwiderstehlichen Reiz für Leute, die über etwas zu klagen hatten; und ob­ schon Garibaldi nach der Einnahme von Neapel seine republikanischen Grundsätze wenigstens in Bezug auf Ita­ lien gewissermaßen öffentlich abgeschworen hatte, brachten die Verschwörer aller Art seinen Namen noch immer mit dem Begriff eines Freistaats nach dem Grundsatz „Set mein Bruder, sonst bringe ich dich um," in Verbindung. Bon Seiten der Regiemngen wurde ttefes Schweigen und noch vorsichtigeres Geheimhalten seitens der Verschwörer als Hauptgrundsatz jeglicher politischen Maßregel beobachtet.

13

Kein Abschreiber für eine halbe Krone die Stunde hatte noch das englische Auswärtige Amt verrathen; und dem umnachteten Geist europäischer Staatsmänner dämmerte es noch nicht, daß wohlüberlegter nationaler Wortbruch, be­ gleitet von öffentlichm Zusammenkünften von Monarchen und lauten Posaunenstößen, mit so fiegreichem Erfolge durchgesührt werden könnte, wie die Ereignisse es seitdem bewiesen haben. Am Anfänge des Jahres 1865 kamen die Reisen­ den zu Wagen über die Alpen; der Suez-Kanal war noch nicht eröffnet, das erste atlantische Kabel noch nicht gelegt, die deutsche Einheit noch nicht erfunden worden. Pius IX. regierte im Kirchenstaate, Louis Napoleon war der Abgott der Franzosen. Der Präsident Lincoln war noch njcht er­ mordet worden, — was fehlt noch um die Kluft zu er­ weitern, welche die damalige Zeit von der jetzigen trennt? Der Unterschied zwischen den Staaten der Erde im Jahre 1865 und im Jahre 1885 ist beinahe so groß wie der, welcher das Europa von 1789 von dem Europa von 1814 trennte. Ich aber habe es mit Rom und nicht mit Europa im großen Ganzen zu thun. Ich beabsichtige die Geschichte gewisser Personen, ihre glücklichen und unglücklichen Er­ lebnisse, ihre Abenteuer und die Ereignisse, in welche sie während eines Zeitraums von etwa zwanzig Jahren ver­ wickelt wurden, zu erzählen. Die Leute, deren Erlebnisse ich erzählen will, sind größtentheils Patrizier; und im ersten Theil ihrer Geschichte haben sie kaum mit andern als mit Genossen ihres Standes zu thun, — ein eigenthümlicher Stand, der auf der Welt beinahe einzig dasteht. Im allgemeinen gesprochen ist Niemand zu gleicher Zeit so durch und durch römisch und doch so durchaus un-

14 römisch wie der römische Adel. Das ist keine paradoxe Behauptung, auch kein Wortspiel. Der römische Adel ist der Erziehung und Tradition nach römisch, dem Blute nach eigentlich kosmopolitisch. Die Sitte, mit den vornehmsten Familien der übrigen europäischen Staaten Verbindungen einzugehen, ist so allgemein, daß fie beinahe zur Regel ge­ worden ist. Ein römischer Fürst ist ein englischer Pair; die meisten der römischen Fürsten find Granden von Spa­ nien; viele von ihnen haben Töchter aus vornehmen fran­ zösischen Familien, Töchter regierender deutscher Fürsten oder entthronter Könige und Königinnen geheirathet. In einem fürstlichen Hause allein finden wir folgende Verwandtschastsverhältniffe: von drei Brüdern heirathete der älteste zuerst die Tochter eines vornehmen englischen Pair und in zweiter Ehe die Tochter eines noch vornehmer« Pair von Frank­ reich; der zweite Bruder heirathete zuerst eine deutsche Durchlaucht und dann die Tochter eines ungarischen Mag­ naten; der dritte Bruder heirathete die Tochter aus einem franzöfischen Hause, das von den königlichen Stuarts ab­ stammt. Dieses ist kein vereinzeltes Beispiel. Es ließen fich etwa zwanzig Familien anführen, welche durch bestän­ dige Verbindungen mit Ausländerinnen das ursprünglich italienische Element beinahe aus ihrem Blute verloren haben, und diese beträchtliche Vermischung der Racen erklärt die auffallend unitalienischen Typen unter dem römischen Adel, wie auch die unverwüstliche Lebenskraft, welche manchen tausendjährigen Geschlechtern eigen zu sein scheint, vor allem aber den bemerkenswerthen Kosmopolitismus, welcher in der römischen Gesellschaft herrscht. Von einer Klaffe, deren nahe Verwandten in jeder europäischen Hauptstadt hervor­ ragende gesellschaftliche Stellungen einnehmen, läßt fich kanm erwarten, daß fie in Erscheinung und Manier etwas Pro-

15 vinzielles haben sollte; noch weniger aber können die zu ihr Gehörigen als Typen ihrer eignen Nation angesehen werden und -och, so groß ist die Macht der Tradition, des patriarchalischen Familienlebens, der Umgebung, in welcher diese Kinder gemischter Race aufwachsen, daß sie von frühester Jugend an die unverkennbare Art unb Weise der Römer annehmen, die volltönende römische Sprache, und eine Art von Kastengeist oder Clangesthl, deßgleichen man nirgend in Europa in demselben Stande findet. Sie wach­ sen mit einander auf, gehen zusammen in die Schule, treten zusammen in die Welt, und besprechen mit einander alle sozialen Angelegenheiten ihrer Geburtsstadt. Kein Haus wird gekauft oder verkauft, keine hundert Franken werden beim Ecart« gewonnen, kein Ehekontrakt geschloffen, ohne daß alles pflichtschuldig von der ganzen Gesellschaft beleuch­ tet und besprochen werde. Und doch, obschon so viel hin und hergeredet wird, hört man wenig anstößige Geschichten, vor zwanzig Jahren vielleicht noch weniger als jetzt; viel­ leicht nicht darum, weil der Zuwachs der Bevölkerung, welchen die neue Hauptstadt angezogen, einen schädlichen Einfluß! gehabt hat, sondern nur weil die Stadt viel größer geworden und in mancher Hinsicht über eine gewiffe Einfachheit der Sitten hinausgewachsen ist, die ihr früher eigen und die ihre beste Schuhwehr war. Denn trotz der zahl­ reichen Schriftsteller aller Nationen, welche es unternommen haben, das Leben in Italien zu schildern, und welche aus Mangel an Bekanntschaft mit dem Volke in den Fehler verfallen find anzunehmen, daß die Italiener sich immer in einen höchst complicirten geistigem Zustande befinden, ist der Grundton des italienischen Charakters einfach — und zwar viel einfacher als der seines angestammten Gegen­ satzes, des nördlichen Europäers. Es genüge zu bemerken,

16 daß der Italiener gewohnheitsmäßig das ausspricht, was er fühlt, während der Nordländer seinen höchsten Stolz darein setzt, nichts von seinen Gefühlen merken zu lassen. Der Hauptzweck -er meisten Italiener ist, sich das Leben angenehm zu machen; der Hauptzweck der teutonischen Völ­ ker ist, es auszunützen. Deshalb zeichnet sich der Italiener in der Kunst zu gefallen aus und darin, mittelst der Künste Gefallen zu erregen, während der Nordländer vor allem die Fähigkeit hat, unter allen Umständen Wohlstand zu erwerbm, und erst wenn er genug Besitz angesammelt hat, daran dentt seine Muße zu genießen; dann ist er gewöhnlich darauf angewiesen, die Kunst des Südens als ein Mittel zu jenem Zweck zu benutzen. Wenn aber die Einfachheit des Süd­ länders auf die Spitze getrieben wird, führt sie nicht selten zu erstaunlichen Ergebnissen; so ist es z. B. einem Italiener im allgemeinen keine Genugthuung, eine Summe Geldes als Entschädigung für eine ihm zugesügte Beleidigung zu erhalten. Wenn sein Feind ihm etwas zu Leide gethan hat, so verlangt er einfach die Wiedervergeltung, welche ihm durch Tödtung seines Feindes geboten ist, und ver­ schafft sie sich häufig durch jedes beliebige Mittel, das ihm gerade zur Hand ist. Da er einfach ist, überlegt er. wenig und handelt ost mit Heftigkeit. Der Geist des Nordländers, welcher eines verwickelten Gedankenganges fähig ist, sucht die Rache mit persönlichem Vortheil zu verbinden, und zählt mit kalter, weitsichtiger Berechnung die Vortheile auf, welche zu erreichen sind, wenn er den angebornen Durst nach Blut einer civilifirten Geldgier opfert. Dem Dr. Samuel Johnson würden die Römer gefallen haben, — denn im allgemeinen können sie gut lieben und gut Haffen, was sie auch sonst für Fehler haben mögen. Das patriarchische Familienverhältniß, welches vor zwanzig

17 Jahren noch allgemein war, und erst jetzt anfängt moder­ nen Lebensformen zu weichen, ist dazu angethan, die Leiden­ schaften der Liebe und des Hasses zu nähren. Wo Vater und Mutter oben und unten am Tische sitzen, ihre Söhne

mit ihren Frauen und Kindern jedes an seinem Platz, ost

zwanzig Seelen im Ganzen,

die alle unter einem Dache

leben und durch Familienbande in Eins verknüpft sind, da

herrscht leicht eine große Uebereinstimmung der Ansichten und Gefühle in allen Fragen, welche den Familienstolz an­ gehen, besonders unter Leuten, welche alles, von der euro­ päischen Politik bis zum Koch, mit größter Lebhaftigkeit

besprechen.

Unter einander mögen sie sich zanken und strei­

ten — und das thun sie auch oft, — aber in ihren Be­ ziehungen zur Außenwelt stehen sie da wie ein Mann, und

der Feind des einen ist der Feind aller;

auf Namen und Geschlecht ist sehr groß.

denn der Stolz

Es giebt in Rom

eine Familie, deren Mitglieder seit Menschengedenken nie versäumt haben,

zwei Mal in

der Woche zusammen zu

speisen; jetzt sind es mehr als dreißig Personen, die an der väterlichen Tafel ihren Platz einnehmen. Keine Ent­ schuldigung gilt für etwaige Abwesenheit, und keiner denkt

daran, diese Regel zu durchbrechen. Ob eine solche Lebens­ weise gut ist oder nicht, das ist Ansichtssache, jedenfalls ist

sie eine Thatsache, und zwar eine nicht allgemein bekannte, noch von Personen, die Studien über den Charakter der Italiener machen, genügend verstandene. Zwangloses und beständiges Besprechen der verschiedensten Gegenstände sollte sicherlich zur Erweiterung des Gesichtskreises dienen; wenn aber die Dialektiker alle von einem Stamme, Namen und Blute sind, so kann die Gewohnheit auch manchmal nur zu ungebührlicher Entwicklung von Vomrtheilen führen.

Besonders in Rom, wo so viele Familien ein bestimmtes ErawforL. Saracinksca.

2

18 Gepräge durch den Einfluß einer ausländischen Mutter an­ nehmen, werden die Ansichten eines Hauses ost mit seinem bloßen Namen in Verbindung gebracht. Casa Borghese denkt so, Casa Colonna hat ganz entgegengesetzte Ansichten, während Casa Altieri ganz verschiedener Ansicht von beiden sein mag; und in Verbindung mit den meisten Gegen­ ständen gehören die bloßen Namen Borghese, Altieri, Co­ lonna für die Römer aller Stände zu ganz bestimmten Grundsätzen und Ansichten, zu bestimmten Charaktertypen und zu bestimmten äußerlich sichtbaren, grundverschiedenen Eigenthümlichkeiten des Geschlechtes. Etwas von diesen Verhältniflen findet sich auch beim Adel anderer Länder, aber wie mich dünkt, nicht in demselben Maße. In Deutsch­ land erhält der Adel so zu sagen eine gewiffe gleichmäßige Farbe durch die Armee, in welcher er eine so wichtige Rolle spielt, und die patriarchalische Lebensweise wird durch die lange Abwesenheit der Soldatensöhne von dem Hause ihrer Ahnen aufgehoben. In Frankreich haben die Spaltungen in Republikaner, Monarchisten und Imperialisten die- An­ sichten ««-»Grundsätze vieler Familien absorbirt und sie zu politischen Parteien gemacht. In England untergräbt die Sitte, die jüngeren Söhne für sich selbst sorgen zu laffen, sowie die Spaltung der ganzen Aristokratie in zwei politi­ sche Hauptparteien das patriarchalische Gefühl; überdies muß man bedenken, daß zu einer Zeit, wo in Italien jedes Haus die Hand gegen seinen Nachbarn erhob, und die Käuipse der Guelfen und Ghibellinen nur einen Vorwand für das Ausfechten von Privatfehden bildeten, England in große Kriege verwickelt war, bei denen beträchtliche Schaaren von Männern unter gemeinsamer Fahne für dieselbe Sache kämpften. Ob diese Sache nun eben das Recht der eng­ lischen Herrschaft über Frankreich war, oder ob jene Männer

19 sich um die Fahnen der Weißen Rose von Aork oder der Rothen Rose von Lancaster schaarten — darauf kam es wenig an, das Ergebniß war daffelbe: — die Neigung mächtiger Familien, traditionelle innere Fehden auftecht zu erhalten, ward zu Boden getreten oder ging vielmehr auf in der Fortdauer der beständigen Fehde zwischen den Tories und den Whigs, — der Partei, welche für den unumschränk­ ten Herrscher und der Partei, welche für die Freiheit des Volkes eintrat. Was auch die Ursachen sein mögen, der römische Adel hat viele Eigenschaften, die nur ihm und keiner andern Aristokratie eigenthümlich sind. Er ist kosmopolitisch durch die ausländischen Verbindungen, welche sich in jeder Gene­ ration erneuern; er ist patriarchalisch und feudal durch seine ununterbrochenen Ueberlieferungen des Familienlebens; er ist wesentlich römisch nur durch seine Sprache und seine gesellschaftlichen Gebräuche. Während zwanzig Jahren ist er dnrch viele Umwälzungen hindurchgegangen; aber die meisten seiner Eigenthümlichkeiten sind ihm geblieben, trotz neuer und größerer Parteien, neuer und bitterer politischer Feindseligkeiten, trotz neuer Ansichten über Familienleben, und neuer Moden im Anzug und in der Küche. Wenn man die Lebensgeschichte des Giovanni Saracinesca von der Zeit als er, 1865, dreißig Jahr alt war bis auf den heutigen Tag betrachtet, ist es also billig, daß man ihn nicht ohne Kenntniß einiger dieser Eigmthümlichkeitm seines Standes beurtheilen sollte. Er ist nicht ein Römer aus dem Volke, wie Giovanni Cardegna*), der große Tenor, und wenige seiner Ideen stimmen mit denen *) Giovanni Cardegna, der Held in Crawfords früher erschienenem

Roman:

Ein römischer Sänger.

20 des Sängers überein; er hat aber mit ihm die eigenthüm­

liche Charaktercinfalt gemein, welche er seiner römischen Abkunft von väterlicher Seite verdankt, und in der wir den Schlüssel zu vielen seiner guten sowohl wie schlechten Hand­

lungen finden werden, — eine Einfalt, welche den Frieden

liebt und doch fich manchmal plötzlicher Gewaltsamkeit nicht enthalten kann, welche mächtig liebt und haßt und zwar mit Erfolg.

Zweites Kapitel. Es war sechs Uhr, und die Zimmer der Gesandtschaft waren so voll, wie sich an jenem Tage erwarten ließ.

Gewiß wären noch mehr Leute gekommen, wenn das Wetter schöner gewesen wäre, aber es regnete stark, und unten ans

dem geräumigen Hofe in der Mitte des Palastes leuchteten die Laternen von fünfzig Wagen durch den Regen und die Dunkelheit, und die Kutscher von allen Arten und Größen saßen unter ihren ungeheuren Regenschirmen und brummten

einander an, und beneideten das Loos der Lakaien, welche oben im Vorzimmer um die großen kupfernen Kohlenbecken saßen.

Aber in den Empsangszimmmern war viel Licht und

Wärme, da brannten helle Feuer und mild gedämpfte Lam­ pen;

geräuschlosen Trittes gingen die Diener sachte mit

ungeheuren Ladungen von Thee und Kuchen unter den

Gästen umher; mehr oder minder berühmte Männer plau-

detten in den Ecken über Politik; mehr oder minder schöne Frauen schwatzten bei ihrem Thee, oder kokettirtcn, oder

wünschten, sie hätten Jemand, mit dem sie kokettiren könnten, es waren Leute verschiedener Nationen, mit einer starken Beimischung von Römern. Sie schienen alle bestrebt, sich

20 des Sängers überein; er hat aber mit ihm die eigenthüm­

liche Charaktercinfalt gemein, welche er seiner römischen Abkunft von väterlicher Seite verdankt, und in der wir den Schlüssel zu vielen seiner guten sowohl wie schlechten Hand­

lungen finden werden, — eine Einfalt, welche den Frieden

liebt und doch fich manchmal plötzlicher Gewaltsamkeit nicht enthalten kann, welche mächtig liebt und haßt und zwar mit Erfolg.

Zweites Kapitel. Es war sechs Uhr, und die Zimmer der Gesandtschaft waren so voll, wie sich an jenem Tage erwarten ließ.

Gewiß wären noch mehr Leute gekommen, wenn das Wetter schöner gewesen wäre, aber es regnete stark, und unten ans

dem geräumigen Hofe in der Mitte des Palastes leuchteten die Laternen von fünfzig Wagen durch den Regen und die Dunkelheit, und die Kutscher von allen Arten und Größen saßen unter ihren ungeheuren Regenschirmen und brummten

einander an, und beneideten das Loos der Lakaien, welche oben im Vorzimmer um die großen kupfernen Kohlenbecken saßen.

Aber in den Empsangszimmmern war viel Licht und

Wärme, da brannten helle Feuer und mild gedämpfte Lam­ pen;

geräuschlosen Trittes gingen die Diener sachte mit

ungeheuren Ladungen von Thee und Kuchen unter den

Gästen umher; mehr oder minder berühmte Männer plau-

detten in den Ecken über Politik; mehr oder minder schöne Frauen schwatzten bei ihrem Thee, oder kokettirtcn, oder

wünschten, sie hätten Jemand, mit dem sie kokettiren könnten, es waren Leute verschiedener Nationen, mit einer starken Beimischung von Römern. Sie schienen alle bestrebt, sich

21 von ihren Landsleuten fern zu halten, um sich an der Schwierigkeit der Unterhaltung in einer fremden Sprache zu ergötzen. Ob sie sich wirklich amüfirten oder nicht, darauf kommt es wenig an; da sie aber alle bereit waren, während der fünf Monate der römischen Gesellschastszeit täglich zwei Mal zusammenzukommen, — nämlich von dem ersten improvisirten Tanz vor Weihnachten, bis zum letzten Ball im warmen Aprilwetter nach Ostern, — muß man wohl annehmen, daß ihnen ihre Gesellschaft gegenseitig nicht unangenehm war. Für den Fall, daß der Nachmittag lang­ weilig sein könnte, hatte S. Excellenz Herrn Strillone, den Sänger, engagirt. Von Zeit zu Zeit schlug er einige Accorde auf dem Flügel an und sang ein Lied eigener Composition in lauten, leidenschaftlichen Tönen, auf welche Plötzlich das zarteste pianissimo folgte, zur Ueberraschung eines Sprechers, der versucht hatte, mit seiner Unterhaltung die Musik zu übertönen. Eine kleine Gruppe von Gästen stand an der Thür des großen Empfangszimmers. Einige warteten auf eine gute Gelegenheit, um unbemertt hinauszuschlüpfen; andere waren erst eben gekommen, und hielten Umschau, um zu sehen, wo Ihre Excellenzen standen, und wo die Leute, welche sie besonders zu vermeiden wünschten, ehe sie sich weiter vorwagten. Plötzlich, gerade als Herr Strillone bei einem hohen Ton angelangt war und ihn herausschreien wollte, ehe er seine Stimme zu einem pathetischen falsetto hinabfinken ließ, wich die Menge an der Thür ein wenig aus einander. Eine Dame trat allein ins Zimmer und stand vor den andern still, um abzuwarten bis der Sänger die Hauptstelle seines Liedes gesungen hätte, ehe fie weiter ging. Sie war eine auffallende Frau;' Jeder wußte, wer fie war, Jeder sah fie an und das leise Murmeln, welches

22 durchs Zimmer lies, ward eher durch ihr Eintreten als durch Herrn Strillones hohen Ton veranlaßt. Die Herzogin von Astrardente stand still und schante ruhig um sich. Ein Gesandter, zwei SecretLre und drei oder vier Fürsten sprangen ihr entgegen, jeder mit einem Stuhl in der Hand; fie aber lehnte ihr Anerbieten ab, nickte dem einen zu, dankte dem andern, indem fie ihn beim Namen nannte und wechselte ein paar Worte mit dem dritten. Sie wollte fich nicht setzen, fie hatte noch nicht mit der Gesandttn gesprochen. Zwei Herren gingen dicht hinter ihr her, als fie nach Beendigung des Liedes durchs Zimmer schritt. Der eine war ein blonder Mann von sünsunddreißig Jahren, etwas dick und sehr sorgsam geüeidet. Er trat leise auf und trug den Hut auf dem Rücken, während er fich beim Gehen ein wenig vorwärts neigte. In seinem Gesicht war etwas Unangenehmes; das lag vielleicht an seiner blaffen Farbe und dem beinahe farblosen Schnurrbart. Seine blauen Augen waren klein, standen nahe an einander und hatten einen wässerigen unentschiedenen Blick; fein dünnes blondes Haar war in der Mitte über seiner niedrigen Stirn ge­ scheitelt; um seinen Mund lag ein spöttischer Zug, der indessen halb von seinem Schnurrbart verborgen war; und sein Kinn trat etwas plötzlich hinter der Unterlippe zurück. Andrerseits aber war er mit äußerster Sorgfalt gekleidet und die Art und Weife mit der er sich vordrängte und der Herzogin möglichst nahe blieb, zeigte nicht geringes Selbst­ vertrauen. Er schien fich in seiner Umgebung völlig heimisch zu fühlen. Hugo del Ferice kam in der That selten aus der Faffung und sein Selbstvertrauen war vermuthlich die Hauptursache seines Erfolges. Er war ein Mann, der

23 täglich das Wunder vollbrachte, alles für sich aus nichts zu schaffen.

niedern

Sein Vater war kaum als ein Mitglied des

Adels angesehen worden,

obschon

er fich immer

nannte — nach der gräflichen Familie dieses Namens; aber wann und wo die Grasen „dei conti del Ferice“

Del Ferice gelebt hatten, war eine Frage, die er niemals

befriedigend beantworten konnte.

Er

hatte

etwas Geld

erworben und vor seinem Tode das meiste davon verschwendet; seinem Sohn Hinterlich er den geringen Ueberrest, und der

brachte jeden Scudo davon im ersten Jahre durch.

Allein

als Entschädigung für die Kargheit seiner Geldquellen hatte

Hugo von Jugend auf in der Gesellschaft Erfolg gehabt.

Er hatte seine Laufbahn kühn damit begonnen, daß er fich

„il Conto del Ferice“ nannte. Niemand hatte es je der Mühe werth gehalten, ihm den Titel zu bestreiten; und da es ihm bis jetzt nicht gelungen war, denselben auf ein vermögendes Fräulein zu übertragen, blieb die Frage seines

Grafentitels unbestritten.

In dem Collegium, wo er er­

zogen worden, hatte er zahlreiche Bekanntschaften gemacht;

denn sein Vater hatte ihn im Collegio dei Nobili erziehen

lassen, und das war an und für fich eine Art von Beglau­

bigung.

Als der Knabe zum Jüngling Heranwuchs, kul-

tivirte er eifrig den Umgang mit seinen alten Schulkame­ raden, und da er jeden andern weislich vermied, erwarb er fich das Recht, als zu ihnen gehörig angesehen zn wer­

den.

Er war in seiner Jugend sehr höflich und gefällig

und erwarb fich dadurch den Ruf, gewissermaßen unent­ behrlich zn sein, was ihm sehr nützlich war. Niemand

fragte ihn, ob er seine Schneiderrechnung bezahlt oder ob ihm sein Schneider zu gewiffen Gelegenheiten die Kleider umsonst geliefert hätte.

Er war stets vortrefflich gekleidet, immer bereit an

24 einer Kartenpartie theilzunehmen, und er wurde zu allen Gesellschaften der Saison eingeladen. Er hatte die Kunst andere zu amüfiren mit Erfolg studirt; und so luden ihn die Leute im Winter zu Tische und im Sommer auf ihre Landhäuser ein. Man hatte ihn in Paris und oft in Monte Carlo gesehen, aber seine Heimath und sein eigent­ liches Jagdgebiet war Rom, wo er alle kannte und alle ihn kannten. Er hatte mehrere fruchtlose Versuche gemacht, junge Amerikanerinnen mit großem Vermögen zu heirathen, es war ihm aber nicht gelungen, den betreffenden Väterw genügende Garantien zu bieten, und so waren seine Ver­ suche fehlgeschlagen. Es schien indessen, als ob im letzten Sommer sein Vermögen einen Zuwachs erhalten hätte. Er erzählte, ein alter Onkel von ihm, der in Süditalien an­ sässig gewesen, wäre gestorben und hätte ihm ein beschei­ denes Einkommen^ hinterlaffen; und mit dem schwarzen Streifen Krepp auf dem Hute, hatte er auch eine etwas üppigere Lebensweise angenommen. Statt zu Fuß zu gehen oder Droschken zu benutzen, hielt er sich einen kleinen geschloffenen Wagen mit einem kleinen Pferdchen und einem winzigen Kutscher; die ganze Equipage sah sehr einfach aus, that aber gute Dienste. Hugo trug mitunter zu viel Ju­ welen; doch dieser schlechte Geschmack, wenn er nämlich schlecht genannt werden konnte, erstreckte sich nicht auf sein bescheidenes Fuhrwerk. Man glaubte ihm die Geschichte von dem verstorbenen Onkel und beglückwünschte Hugo, besten blasses Gesicht bei solchen Gelegenheiten eine Art abwehrendes Lächeln annahm. „Einige Scudi!" pflegte er zu antworten, „ein geringes Einkommen; aber was wollen Sie? Ich brauche so wenig, — es ist genug für mich!" Seine genaueren Bekannten aber warnten ihn und sagten, er finge an dick zu werden.

25 Der andere junge Mann, welcher der Herzogin von

Astrardente durch den Saal folgte, war von sehr verschie­ denem Typus. Don Giovanni Saracinesca war weder sehr groß, noch besonders schön; obwohl in Betreff seiner Schön­

heit die Ansichten sehr verschieden waren.

brünett,

für einen Mann

Herzogin für eine Frau.

Er war sehr

beinahe ebenso dunkel wie die

Er war kräftig gebaut, aber sehr

hager, und seine Gefichtszüge hoben sich kühn und scharf

aus der Umrahmung seines kurzen schwarzen Haares und seines zugespitzten Bartes ab.

Die Nase war vielleicht

etwas groß für sein Gesicht und der ungewöhnliche Glanz seiner Augen gab ihm den Ausdruck ruheloser Energie; in

der Bildung seiner hohen breiten Stirn und der Wendung seines nervigen Halses lag etwas Edles. Seine Hände waren breit und braun, aber kräftig und wohlgebildet, mit

langen geraden Fingern und gerade abgeschnittenen Nägeln. Viele Frauen behaupteten, Don Giovanni wäre der schönste

Mann in Rom; andere sagten, er wäre zu dunkel oder zu

hager, der Ausdruck seines Gesichts wäre zu hart und seine Züge häßlich. Die Meinungen über sein Aussehen waren sehr verschieden. Don Giovanni war unverheirathet; es gab indeffen wenig heirathsfähige Damen in Rom, die

nicht mit Freuden seine Frau geworden wären.

Aber bis

jetzt schwantte er noch immer, oder besser gesagt, er schwantte durchaus nicht, in Bezug auf seine Ehelosigkeit. Seine Abneigung gegen die Ehe hatte viel Gerede erregt, wovon ihm wenig zu Ohren gekommen war.

Er machte sich nicht

viel aus dem, was seine Freunde zu ihm sagten, und gar nichts aus der Meinung der Welt im allgemeinen, in Folge

galt er bei vielen für selbstsüchtig; dieser Ansicht waren besonders ältliche Fürstinnen mit unverheiratheten deffen

Töchtern, und sogar Don Giovannis Vater, sein einziger

26 naher Verwandter, der alte Fürst Saracinesca, der innig wünschte, seinen Namen sortgepflanzt zu sehen. Giovanni würde in der That einen guten Ehemann abgegeben haben, denn er war von Natur treu und beständig, von verbind­ lichem Wesen und rücksichtsvoll aus Gewohnheit und Sitte. Wenn er in dem Rufe stand, wild zu sein, so lag das eher an seinem Geschmack an gefährlichem Zeiwertreib, als etwa an so schmählichen Abenteuern, wie sie das Lebm vieler seiner Zeitgenossen ausmachen. Aber auf alle Heirathsvorschläge erwiderte er, daß er kaum dreißig Jahre alt wäre, daß er noch Zeit genug vor sich hätte, daß er noch nicht der Frau begegnet wäre, die er heirathen möchte, und daß er in diesem Punkte nach eigenem Gefallen han­ deln wollte. Die Herzogin von Astrardente begrüßte die Dame des Hauses und ging weiter, die beiden Herren immer hinter ihr; jetzt aber traten sie je von einer Seite an sie heran und bemühten sich ihre Aufmerksamkeit zu fesieln. Augen­ scheinlich wollte sie unparteiisch sein, denn sie setzte sich auf den mittelsten von drei Stühlen und gab ihren beiden Be­ gleitern einen Wink, sich ebenfalls zu setzen, wodurch sie für den Augenblick die beiden wichtigsten jungen Leute im Saal wurden. Corona von Astrardente war sehr brünett. Im ganzen Süden war kein Auge so dunkel wie das ihre, keine Wange von so warmer Olivenfarbe, kein Haar von solchem Raben­ schwarz. Aber wenn sie auch so dunkel war, so war sie doch sehr schön; nach Aussage von Künstlern waren ihre regelmäßigen Züge von unvergleichlicher Zartheit; ihr Mund, nicht klein, aber edel geschnitten, verrieth vielleicht mehr Stärke und Entschloffenheit, als Männer gern in einem Frauenantlitz sehen, aber in den unvergleichlich sein

27 gebildeten Nasenflügeln lag viel Empfindsamkeit und ein Ausdruck von Mnth; die glatte Stirn und die getade ge­ schnittene Nase waren in ihrer Klarheit ein Unterpfand der edlen Gedanken, welche in ihr waren und so oft aus der Tiefe ihrer herrlichen Augen sprachen. Sie war keine hochmüthige Schönheit, obwohl ihr Geficht auch Hochmuth aus­ drücken konnte. Wo eine andere Frau Verachtung gezeigt haben würde, brauchte sie bloß ernst auszusehen, und ihr Schweigen that dann das Uebrige. Sie führte stolze Waffen und führte fie edel, wie fie alles that. Sie bedurfte auch all ihrer Seelenstärke, denn ihre Stellung war von Anfang an keine leichte gewesen. Sie hatte wenige Sorgen, aber große und trug fie tapfer. Wohl mochte man fragen, weshalb Corona ihren Ge­ mahl, den alten Mann, den hinfälligen, .abgelebten Stutzer von sechzig Jahren, geheirathet hatte, deffen Leben so all­ bekannt war, deffen Handlungen ebenso schmählich gewesen, wie sein alter Name berühmt war in der Geschichte seines Landes. Ihre Heirath an sich war nahezu eine Tragödie. Es liegt wenig daran zu missen, wie es dazu kam; fie nahm Astrardente mit seinem Herzogtitel, seinem Reichthum und seiner schlimmen Vergangenheit an dem Tage an, da fie das Kloster verließ, in welchem fie erzogen worden war. Sic that es, um ihren Vater vom Untergange, beinahe vom Vechungern zu retten. Sie war damals fiebzehn Jahr alt; fie hatte gehört, daß die Welt schlecht wäre, und be­ schloß, ihr Leben mit einem heldenmüthigen Opfer zu be­ ginnen; heldenmüthig that fie den Schritt, und kein leben­ des Wesen hatte fie je klagen hören. Fünf Jahre waren seitdem verfloffen und ihr Vater, für den sie alles hin­ gegeben hatte, sich selbst, ihre Schönheit, ihr starkes Herz, und ihre Hoffnung auf Glück, — ihr alter Vater, den fie

28 so sehr geliebt hatte, war gestorben, — der letzte seines Geschlechtes, außer dieser schönen, aber kinderlosen Tochter. Als sie zuerst in der Gesellschaft erschien, war ein Sturm von Entzücken losgebrochen, — aber auch ein all­ gemeiner Schrei der Entrüstung, daß es Sünde und Schande wäre. Allein die Cyniker, welche gemeint hatten, sie würde sich trösten, mußten eingestehen, daß sie in ihrer Weltklug­ heit sich geirrt hätten; die Männer verschiedenster Art, welche ihr Herz an sie verloren hatten, wurden mit der Zeit schimpflich dazu getrieben, es anderswo wieder suchen zu gehen. Inmitten all der Aufregungen der ersten zwei Jahre ihres Lebens in der großen Welt, war Corona ruhig ihres Weges gegangen, durch die vollkommene Würde ihres Charakters gedeckt; und der alte Herzog von Astrardente hatte gelächelt und mit den Locken seiner wundersamen Perrücke gespielt und jedem gesagt, daß seine Frau das einzige Weib in der Welt wäre, welches über allem Argwohn er­ haben stände. Zuerst hatten die Leute ungläubig gelacht, mit der Zeit aber schwiegen sie und gaben im Stillen zu, daß der alte Geck wie gewöhnlich recht hatte; in ihrem Herzen aber betheuerten sie, es wäre die ärgste Schande, die edelste Frau aus ihrem Kreise an so ein elendes Wrack wüster Mannheit, wie den Herzog von Astrardente gebun­ den zu sehen. Corona ging überall hin wie alle andern; in ihrem Hause empfing sie einen großen Bekanntenkreis; einige Freunde gingen nach Belieben ein und aus, und manche von ihnen waren jung. Nie aber berührte ein Hauch übler Nachrede die Herzogin. Sie war in der That über allen Argwohn erhaben. Jetzt saß sie zwischen zwei jungen Leuten, welche augen­ scheinlich bestrebt waren, ihr zu gefallen. Die Lage war für sie nicht neu; sie mußte wie gewöhnlich mit beiden

29 sprechen und doch keinem den Vorzug geben. Sie hatte aber eine Vorliebe und wußte in ihrem Herzen, daß es eine starke war. Es war ihr keineswegs gleichgültig, wer von diesen beibcn Männern fortging und wer neben ihr blieb. Sie war über allen Argwohn erhaben, — ja über den Argwohn jegliches menschlichen Wesens, außer ihrem eignen, wie sie es fünf lange Jahre gewesen. Sie wußte, wenn ihr Mann in den Saal gekommen und an ihr vorübergegangen wäre, würde er Giovanni Saracinesca so unbefangen zugenickt haben, als ob er der Bruder seiner Frau gewesen wäre, gerade so sorglos wie er Hugo del Ferice auf der andern Seite neben ihr angesehen haben würde. Im Innern ihres Herzens aber wußte sie, daß es in ganz Rom nur ein Ant­ litz gäbe, das sie gern ansähe, nur eine Stimme, welche sie zugleich liebte und fürchtete, denn diese Stimme hatte die Macht, ihr eignes Leben unwahr erscheinen zu laffen, bis sie sich fragte, wie lange es noch so sortgehen könnte, und ob es jemals anders werden würde. Der Unterschied zwischen Giovanni und andern Männern war ihr immer deutlich gewesen. Andre saßen neben ihr und führten eine leichte Unterhaltung und gelegentlich auch Reden, die sie nicht anhören mochte, sprachen zu ihr von Liebe — rühm­ ten die Liebe als das Einzige, wofür es lohnte zu leben; mit affectirtem Cynismus spotteten einige darüber, wie über etwas ganz Wesenloses, und widersprachen sich selbst einen Augenblick darauf, indem sie ihr leidenschaftliche Liebes­ erklärungen machten. Wenn sie albern waren, so lachte sie sie aus; wenn sie zu weit gingen, stand sie ruhig aus und ging fort. Solche Erfahrungen waren in letzter Zeit selten geworden, denn sie hatte sich den Ruf der Kälte erworben, und der schützte sie. Aber Giovanni hatte nie zu ihr ge­ sprochen wie die andern. Er erwähnte nie die alten ab-

30 gedroschenen Gegenstände, auf welche die andern immer zurückkamen. ES wäre ihr nicht leicht gewesen zu sagen, worüber er sprach, denn er hatte mit ihr über vielerlei Dinge geredet. Sie wußte nicht recht, ob er ihr in Gesell­ schaft mehr Zeit widmete als andern Frauen; sie sagte sich, daß er nicht so blendend wäre, wie manche ihrer andern Bekannten, nicht so gesprächig, wie die meisten andern; sie wußte nur — und daraus machte sie sich den bittersten Vorwurf, daß sie sein Gesicht allen andern Gesichtern, und seine Stimme allen andern Stimmen vorzöge. Es kam ihr nie in den Sinn, daß sie ihn liebte; in ihrer Einfalt fand sie es schon schlimm genug, daß es einen Mann gäbe, den sie gern sähe, und den sie vermißte, wenn er sich ihr nicht näherte. Sie war eine sehr starke und ehrenhafte Frau, die sich einem Mann hingeopfert hatte, der die Welt gründlich kannte, der kraft der Gründlichkeit seiner Kennt­ niß auch einsah, daß die Welt nicht durch und durch schlecht ist, und der trotz all seiner Schlechtigkeiten auf die Treue seiner Frau stolz war. Astrardente hatte ein Geschäft ge­ macht, als er Corona heirathete; aber er war ein weiser Mann in seiner Art, und als er sie hatte, wußte er sie auch zu schätzen. Er kannte genau die Gefahren, denen sie ausgesetzt war, und war nicht so grausam, sie denselbm absichtlich preiszugeben. Zuerst hatte er scharf die Wirkung beobachtet, welche der Umgang mit allerlei Männern der großen Welt aus sie machte, und unter andern hatte er auch Giovanni bemerkt; aber er war zu der Ueberzeugung ge­ kommen, daß seine Frau allen Verhältniffen, in die sie kommen könnte, gewachsen sein würde. Ueberdies war Giovanni nicht ein ständiger Besucher im Palast Astrardente

und bezeigte nicht den üblichen Eiser, der Herzogin zu ge­ fallen.

31 Von dem Augenblick an als Corona ihrer Vorliebe für Saracinesca gewahr wurde, war sie auf sich böse ge­ wesen und hatte versucht, ihn zu meiden; jedenfalls liefe sie ihn nicht merken, dafe er ihr besonders gefiele. Ihr Gatte, welcher ihr am Anfang viele Vorlesungen über ihr Ver­ halten in der Gesellschaft gehalten, hatte sie besonders davor gewarnt, gegen einen Mann, den sie zu meiden wünschte, merkliche Kälte zu zeigen. „Daran", sagte er, „find die Männer gewöhnt; fie halten das für das erste Zeichen, dafe eine Frau fich für fie interesfirt; wenn Du einen Mann loswerden willst, so behandle ihn genau so wie jeden an­ dern, dann wird er sich durch Deine Gleichgültigkeit ver­ letzt fühlen und gehen." Giovanni aber ging nicht, und Corona fragte sich, was sie thun könnte, um ihrem Interesse für ihn ein Ende zu machen. Im gegenwärtigen Augenblick wünschte sie, eine Taffe Thee zu haben. Sie hätte gern Hugo del Ferice danach geschickt; aber fie that, was ihr am wenigsten angenehm war, und bat Giovanni darum. Die Diener, welche die Erfrischungen herumreichten, hatten eben alle den Saal ver­ laffen, und Saracinesca ging ihnen nach. Kaum war er fort, so fing Del Ferice an zu sprechen. Seine Stimme war sanft und einschmeichelnd. „Es helfet, dafe Don Giovanni fich nächstens verheirathen wird," sagte er und beobachtete die Herzogin mit einem Seitenblicke, während er die Neuigkeit gleichgültig nur so hinsprach. Die Herzogin hatte eine zu dunkle Gesichtsfarbe, um leicht Erregung zu verrathen. Vielleicht glaubte fie nicht an die Geschichte; ihre Augen hefteten fich auf einen ent­ fernten Gegenstand int Zimmer, als ob fie irgend etwas toteresft re, und sie zögerte mit der Anwort.

32 „Das ist allerdings eine Neuigkeit,, wenn es nämlich wahr ist. Und wen wird er denn heirathen?" „Donna Tullia Mayer, die Wittwe des Financiers. Sie ist ungeheuer reich und eine Art Verwandte der Saracinescas." „Wie sonderbar!" rief Corona aus. „Ich sah sie eben an. Ist sie das nicht da drüben mit den grünen Fe­ dern?" „Ja", antwortete Del Ferice, indem er nach der von der Herzogin bezeichneten Richtung hinsah. „Das ist sie. Man kann sie schon von weitem an ihrem Anzug erkennen. Aber die Sache ist noch nicht ganz ausgemacht." „Dann kann man also Don Giovanni heute noch nicht beglückwünschen?" fragte die Herzogin, sich plötzlich dem Sprecher zuwendend. „Nein," versetzte er, „es ist vielleicht beffer, nicht mit ihm davon zu sprechen." „Gut, daß Sie mir davon abrathen, sonst hätte ich bestimmt davon gesprochen." „Ich glaube nicht, daß Saracinesca gern über seine Herzensangelegenheiten spricht," sagte Del Ferice mit großem Ernst. „Doch da kommt er. Ich hoffte, es würde länger dauern, bis er die Taffe Thee brächte." „Es hat lange genug gedauert, um Ihnen Zeit zu geben, mir Ihre Neuigkeit zu erzählen," antwortete Corona ruhig, während Don Giovanni herantrat. „Was giebt's Neues?" fragte er, indem er sich neben sie setzte. „Nur eine Verlobung, die noch nicht bekannt gemacht ist", erwiederte die Herzogin. „Del Ferice weiß um das Geheimniß, vielleicht wird er es Ihnen sagen." Giovanni sah über sie hinweg den blaffen blonden Mann an, deffen fettes Gesicht indessen nichts verrieth.

33

Als er sah, daß ihm keine Aufklärung wurde, gab Saracinesca takwoll dem Gespräch eine andere Wendung. „Werden Sie morgen auf den Jagdplatz kommen, Herzogin?" fragte er. „Das hängt vom Wetter ab und vom Herzog", ant­ wortete sie. „Werden Sie mit bei der Jagd sein?" „Natürlich. Wie schade, daß Sie nicht reiten!" „Es kommt mir so unnatürlich vor, eine Dame bei der Hetzjagd mitreiten zu sehen!" bemerkte Del Ferice, der sich erinnerte, daß die Herzogin etwas Aehnliches gesagt hatte, und folglich überzeugt war, sie werde ihm beistimmen.

„Sie reiten selbst nicht", sagte Don Giovanni kurz. „Darum billigen Sie es nicht wenn Damen es thun." „Ich bin nicht reich genug, um zu jagen", sagte Hugo bescheiden. „Uebrigens ist der andre Grund auch ein guter, denn wenn die Damen mitjagen, muß ich ihre Gesellschaft entbehren." Die Herzogin lachte leicht. Nie in ihrem Leben war ihr so wenig nach Lachen zu Muthe gewesen, doch mußte sie etwas thun, um das Gespräch aufrecht zu er­ halten. Giovanni ließ den Gegenstand nicht fallen. „Es wird eine prächtige Jagdpartie werden, sagte er. „Biele reiten in diesem Jahr zum ersten Mal mit. Es ist ein Herr dabei, der sich die Pferde aus England mitgebracht hat. Ich habe seinen Namen vergessen — ein reicher Engländer." „Ich habe seine Bekanntschaft gemacht", sagte Del Ferice, der seinen Stolz darein setzte, Jeden zu kennen. „Er ist ein Typus, ungeheuer reich — ein Lord — ich kann seinen Namen nicht aussprechen — unverheirathet. Er wird in der Gesellschaft Sensation machen. Im ver­ gangenen Jahr gewann er beim Rennen in Paris; es Crawford, Saracmesca.

3

34 heißt, er wird eines seiner Rennpferde hier für die steeplechase um Ostern einschreiben lasten." „Das ist freilich eine Verlockung von der Partie zu sein, um diesen Engländer zu sehen," sagte die Herzogin etwas matt, sich in ihren Stuhl zurücklehnend. Giovanni schwieg, machte aber nicht Miene zu gehen. Del Ferice, eben so entschloffen zu bleiben, schwatzte lebhaft weiter. „Don Giovanni hat ganz recht," fuhr er fort. „Alle Welt wird da sein. Es werden zwei oder drei drags hin­ ausfahren. Madame Mayer hat Valdarno überredet, sie und eine große Gesellschaft mit seinem Viergespann mitzu­ nehmen." Die Herzogin hörte nicht, was Del Ferice noch weiter sagte, denn bei der Erwähnung von Donna Tullia — jetzt gewöhnlich Madame Mayer genannt, — wandte sie sich unwillkürlich um und sah Giovanni an. Auch er hatte den Namen vernommen, obgleich er gar nicht auf Hugos Ge­ plapper hörte; und als er Coronas Augen begegnete, machte er eine unruhige Bewegung, als wollte er sagen: „Wenn doch der Mensch aufhören möchte zu reden!" Einen Augenblick daraus stand Del Ferice aus; er hatte Donna Tullia eben vorbeigehen sehen, und wollte die günstige Gelegenheit wahrnehmen, sich eine Aufforderung, auf dem drag mitzu­ fahren, zu besorgen. Eine Entschuldigung murmelnd, die Corona nicht verstand, ging er seiner Beute nach. „Ich glaubte, er würde nie fortgehen!" sagte Giovanni verdrießlich. Er war nicht gewohnt, den Nebenbuhler eines andern zu spielen, der zufällig mit der Herzogin sprach. Er hatte noch nie etwas Aehnliches gesagt, und Corona hatte dabei ein ihr neues, keineswegs unangenehmes Gefühl. Sie sah ihn etwas verwundert an. „Ihnen gefällt Del Ferice nicht?" fragte sie ernst.

35 „Gefällt er Ihnen denn?" gab er zurück. „Welche Frage! Weshalb sollte mir Jemand gefallen oder mißfallen?" Vielleicht war ein leiser Anflug von Bit­ terkeit im Ton ihrer Stimme, als sie die Frage aussprach, welche sie sich selbst so oft vorgelegt hatte. Warum sollte ihr zum Beispiel Giovanni Saracinesca gefallen? „Ich weiß nicht, was die Welt sein würde, wenn wir keine Zuneigungen und Abneigungen hätten!" sagte Gio­ vanni plötzlich. „Sie würde ein armseliger Aufenthaltsort sein, vielleicht ist fie das überhaupt im besten Falle. Ich wollte nur wissen, ob Del Ferice Sie so gut unterhielte, wie er andere unterhält." „Nun dann, offen gestanden, er hat mich heute nicht gut unterhalten", antwortete Corona lächelnd. „Dann find Sie also froh, daß er fort ist?" „Es thut mir nicht leid." „Herzogin," sagte Giovanni mit plötzlicher Wendung, „mir ist es lieb, daß er fort ist, denn ich möchte Sie etwas fragen. Kenne ich Sie eigentlich genug, um eine Frage an Sie zu stellen?" „Es kommt darauf an" — Corona fühlte, wie ihr das Blut Plötzlich in die dunkle Stirn stieg. Ihre Hände brann­ ten. Die Ahnung von etwas bis dahin nie Gehörtem machte, daß ihr das Herz in der Brust unbezwinglich pochte. „Es betrifft nur mich", fuhr Giovanni leise fort. Er hatte ihr Erröthen bemerkt, und das war ein so seltener Anblick, daß kein anderer Mann in Rom es je gesehen hatte. Ihm blieb nicht Zeit über die Bedeutung dieses Erröthens nachzudenken. „Es bezieht fich nur aus mich", fuhr er fort. „Mein Vater wünscht, daß ich mich verheirathe; er verlangt, daß ich Danna Tullia — Madame Mayer — heirathen soll."

36 „Nun?" fragte Corona. Sie fröstelte; einen Augen­ blick zuvor hatte sie sich von der Hitze bedrückt gefühlt. Ihre einsilbige Frage klang leise und undeutlich. Sie fragte sich, ob Giovanni das Klopfen ihres Herzens hören konnte, es schlug so langsam, so laut, daß es sie fast taub machte. „Einfach dies: rathen Sie mir, sie zu heirathen?" „Warum fragen Sie das gerade mich eher als alle anderen?" fragte Corona sehr leise. „Ich möchte gern Ihren Rath haben", sagte Giovanni und legte seine bravnen Hände in einander und heftete seine glänzenden Augen auf ihr Gesicht. „Sie ist noch jung. Sie ist hübsch — sie ist fabel­ hast reich. Warum sollten Sie sie nicht heirathen? Würde sie Sie nicht glücklich machen?" „Glücklich? Mit ihr glücklich? Nein, wahrlich nicht! Glauben Sie, daß das Leben mit einer solchen Frau er­ träglich sein könnte?" „Ich weiß es nicht. Viele Männer würden sie heira­ then, wenn sie könnten." — „Also meinen Sie, ich sollte es thun?" fragte Giovanni. Corona zögerte mit ihrer Antwort; sie begriff nicht, was es sie anging, und doch fühlte sie, daß sie noch nie in ihrem Leben einen solchen Kampf durchgerungen, seit dem Tage, da sie sich blindlings entschloß, sich den Wünschen ihres Vaters aufzuopfern, indem sie AstrardenteS Wer­ bung annahm. Und doch konnte über ihre Antwort kein Zweifel sein: wie sollte sie Jemandem rathen sich zu verheirathen, ohne Aussicht auf ein Glück, wie sie es nie ge­ habt hatte? „Wollen Sie mir keinen Rath geben?" wiederholte Saracinesca. Er war sehr bleich geworden und sprach mit solchem Ernst, daß Corona nicht länger zauderte.

37 „Ich würde Ihnen sicherlich rathen, gar nicht mehr daran zu denken, wenn Sie überzeugt davon find, daß Sie mit ihr nicht glücklich werden können." Giovanni athmete tief aus; das Blut strömte ihm ins Gesicht zurück und seine Hände lösten sich von ein­ ander. „Ich will nicht mehr daran denken!" sagte er. „Der Himmel segne Sie für Ären Rath, Herzogin." „Der Himmel gebe, daß ich Ihnen gut gerathen habe," sagte Corona kaum hörbar. „Wie kalt es in diesem Hause ist! Wollen Sie meine Tasse fortstellen? Wir wollen ans Feuer gehen. Strillone wird gleich wieder singen." „Ich wünsche, er möchte ein „Nunc dimittis, Domine“ für mich singen," murmelte Giovanni, dessen Augen in wunderbarem Glanz erglühten. Eine halbe Stunde später ging die Herzogin von Astrardente in ihren Pelz gehüllt hinter ihrem Lakaien die Treppe des Gesandtschastspalastes hinunter. Als sie unten war, kam Giovanni Saracinesca rasch herab und holte sie ein, gerade als ihr Wagen aus dem dunkeln Hofe heraussuhr. Der Diener öffnete den Schlag, aber Giovanni streckte die Hand aus, um Corona in den Wagen zu helfen. Sie legte ihre feinen behandschuhten Finger auf den Aermel seines Ueberziehers, und als sie behende in den Wagen sprang, kam es ihr vor, als ob sein Arm zitterte. „Gute Nacht, Herzogin! Ich bin Ihnen sehr dankbar", sagte er. „Gute Nacht! weshalb sollten Sie mir dankbar sein?" fragte sie, beinahe wehmüthig. Giovanni antwortete nicht, stand aber mit dem Hut in der Hand da, während der große Wagen unter dem Thorweg sortrollte. Dann knöpfte er seinen Ueberzieher zu

38 und ging allein durch die dunkeln feuchten Straßen. Der Regen hatte ausgehört; aber alles war naß und die brei­ ten Schrittsteine schimmerten im ungewiffen Licht der flackem-

den Gaslaternen.

Drittes Kapitel.

Der Palast der Saracinesca liegt in einem alten Stadt­

theil von Rom. weit ab von den breiten Hellen macadamifirten Straßen mit den wie Pilze emporgeschoffenen Häu­ sern ; weit ab vom Fremdenviertel, vom dem Glanz moderner Läden, dem Rollen eleganter Equipagen und dem Geschrei der Zeitungsverkäuser.

Die weitläufigen unregelmäßigen

Gebäude umschließen drei Höse und gehen nach allen Sei­

ten auf enge Gaffen hinaus.

Die ersten sechzehn Fuß bis

zu.den schwerfällig vergitterten Fenstern des unteren Stock­ werkes bestehen aus großen Steinblöcken; an den Ecken find dieselben abgerieben und der Länge nach gekerbt durch die Schläge der Jahre,

durch das beständige Anprallen der

schweren Karren, für welche seit undenklichen Zeiten der Weg zu eng gewesen ist, und die ihre eisernen Achsen gegen das masfive Mauerwerk gerieben haben. Von den drei

riesigen gewölbten Thorwegen, die an den verschiedenen

©eiten ins Innere führen, ist einer durch ein Eisengitter verschlossen, ein anderer durch ungeheuere mit eisernen Rie­ geln beschlagene Thüren, und nur der dritte steht gewöhn­ lich als Zugang offen. Ein großer alter Pförtner in lan­

gem Livreerock mit einem Dreimaster auf dem Kopfe pflegte dort zu stehen; an Festtagen erschien er in der traditionel­

len Tracht eines pariser „Schweizers" in prächtigen seidenen Strümpfen und reich betreßtem, dunkelgrünem Rock, auf

38 und ging allein durch die dunkeln feuchten Straßen. Der Regen hatte ausgehört; aber alles war naß und die brei­ ten Schrittsteine schimmerten im ungewiffen Licht der flackem-

den Gaslaternen.

Drittes Kapitel.

Der Palast der Saracinesca liegt in einem alten Stadt­

theil von Rom. weit ab von den breiten Hellen macadamifirten Straßen mit den wie Pilze emporgeschoffenen Häu­ sern ; weit ab vom Fremdenviertel, vom dem Glanz moderner Läden, dem Rollen eleganter Equipagen und dem Geschrei der Zeitungsverkäuser.

Die weitläufigen unregelmäßigen

Gebäude umschließen drei Höse und gehen nach allen Sei­

ten auf enge Gaffen hinaus.

Die ersten sechzehn Fuß bis

zu.den schwerfällig vergitterten Fenstern des unteren Stock­ werkes bestehen aus großen Steinblöcken; an den Ecken find dieselben abgerieben und der Länge nach gekerbt durch die Schläge der Jahre,

durch das beständige Anprallen der

schweren Karren, für welche seit undenklichen Zeiten der Weg zu eng gewesen ist, und die ihre eisernen Achsen gegen das masfive Mauerwerk gerieben haben. Von den drei

riesigen gewölbten Thorwegen, die an den verschiedenen

©eiten ins Innere führen, ist einer durch ein Eisengitter verschlossen, ein anderer durch ungeheuere mit eisernen Rie­ geln beschlagene Thüren, und nur der dritte steht gewöhn­ lich als Zugang offen. Ein großer alter Pförtner in lan­

gem Livreerock mit einem Dreimaster auf dem Kopfe pflegte dort zu stehen; an Festtagen erschien er in der traditionel­

len Tracht eines pariser „Schweizers" in prächtigen seidenen Strümpfen und reich betreßtem, dunkelgrünem Rock, auf

39 seinen hohen Stab gestützt — ein Gegenstand beständiger Bewunderung für die kleinen Jungen in seinem Stadttheil. Er trug den Bart gleich seinem Herrn breit und viereckig geschnitten, und seine Worte waren wenig, aber zur Sache. Zu jener Zeit war im Palast Saracinesca niemals Jemand „zu Hause"; es gab keine Damen im Hause; es war ein Männerhaushalt, und es lag etwas männlich Strenges in der Luft der düstern, von dunkeln Thorwegen umgebenen Höfe, in denen keine einzige Pflanze, kein bis­ chen Farbe das Düstere des alten Gesteins milderte. Das Pflaster war rein und ordentlich gehalten, hie und da zeigte ein neu eingefügter Stein, daß man es sorgsam in gutem Zustand erhielt; was aber irgend welche Verzierungen in den Höfen anbetraf, so hätte das Gebäude eben so gut eine Festung sein können, wie es denn auch ehedem wirklich ge­ wesen war. Die Besitzer, Vater und Sohn, lebten in ihrem Ahnenschloß in einer Art feierlichen Pracht, welche an das Zeitalter der Lehnsherrschast erinnerte. Giovanni war das einzige Kind aus fünfundzwanzigjähriger Ehe. Seine Mutter war älter gewesen als sein Vater, und jetzt war sie schon seit einigen Jahren todt. Sie war eine ernste düstere Frau gewesen, und hatte dem Palaste, so lange sie darin wohnte, keinen Schimmer weiblicher Anmuth gegeben; ihr schwermüthiges Temperament hatte sich in dem Grabes­ dunkel, welches das Haus überschattete, eher wohlgefühlt. Die Saracinesca waren immer ein männliches Geschlecht gewesen, das der Schönheit die Stärke und die thatsäch­ liche Macht den Annehmlichkeiten des Wohllebens vorzog. Giovanni ging von dem Empfang auf der Gesandt­ schaft zu Fuß nach Hause. Seine Stimmung schien sich nach der trüben nassen Luft der kalten Straßen zu sehnen, und er beeilte sich nicht. Er wollte an diesem Abend zu

40 Hause speisen und ahnte einen Zusammenstoß mit seinem Vater. Die beiden Männer waren einander zu ähnlich, um nicht zusammenzustimmen, aber von Natur zu kampf­ lustig, um ewigen Frieden zu lieben. Bei der vorliegenden Veranlaffung war es wahrscheinlich, daß es zu einem Streite kommen würde, denn Giovanni hatte beschlossen, Madame Mayer nicht zu heirathen, und sein Vater war eben so fest entfchloffen, daß er sie auf der Stelle heirathen sollte. Beide waren eigenthümlich starke Männer, beide hielten merkwürdig fest an ihren Ansichten. Punkt sieben Uhr traten Vater und Sohn zu verschie­ denen Thüren in das kleine Wohnzimmer, wo sie sich ge­ wöhnlich trafen, und kaum waren sie eingetreten, so wurde zu Tisch gerufen. Zwei Worte dürften für die Beschreibung des alten Fürsten Saracinesca genügen: er war eine ältere Auflage seines Sohnes. Sechzig Jahre hatten seine starke Gestalt nicht gebeugt, noch den Glanz seiner Augen getrübt, aber Haar und Bart waren schneeweiß. Er hatte eine ge­ wölbtere Brust und war breiter in den Schultern als Gio­ vanni aber eben so groß und noch immer ebenmäßigen Gliederbaues, obschon etwas zur KörperMe geneigt. Allem Anschein nach war er genau das, was sein Sohn in dem­ selben Alter sein würde: lebhaft und kräftig, die ernsten Züge seines Antlitzes strenger und die sehr dunklen Augen und die dunkle Gesichtsfarbe durch die blendende Weiße seines Haares und des breiten viereckig verschnittenen Bar­ tes noch auffallender geworden — derselbe Typus auf einer andern Stufe der Entwickelung. Die Tafel war mit einer gewissen altmodischen Pracht gedeckt, wie sie in Rom selten geworden ist. Es stand alterthümliches Silber, altes Porzellan und altes mit Dia­ mantmuster geschliffenes Glas auf dem Tische, und ein alter

41 Butler ging geräuschlos in der Erfüllung jener Obliegen­

heiten umher, welche er seit vierzig Jahren in demselben Zimmer ausgeübt hatte, wie es sein Vater vor ihm gethan. Fürst Saracinesca und Don Giovanni saßen sich an dem runden Tische gegenüber und wechselten dann und wann

ein Paar Worte. „Ich wurde heute Nachmittag vom Regen überrascht,"

bemerkte der Fürst.

„Ich hoffe, Du wirst Dich nicht erkältet haben," ver­ setzte der Sohn rücksichtsvoll.

„Warum gehst Du bei solchem

Wetter zu Fuß?"

„Und Du — warum gehst Du zu Fuß?"

wie ich?

entgegnete

„Kannst Du Dich nicht eben so gut erkälten

der Vater.

Ich gehe, weil ich immer gegangen bin."

„Das ist ein vorzüglicher Grund.

Ich gehe, weil ich

mir keinen Wagen halte."

„Und warum hältst Du keinen, hast?" versetzte der Fürst. „Ich will thun,

wenn Du Lust dazu

was Du wünschest.

Ich werde wir

morgen eine Equipage kaufen, damit ich nicht wieder im Regen ausgehe und mich Erkältungen aussetze. Wo sähest

Du mich zu Fuß?"

„In der Via bett’ Orso, vor einer halben Stunde. Warum sprichst Du in so abgeschmackter Weise über meine

Wünsche?" „Wenn Du es abgeschmackt findest, werde ich es nicht

mehr thun," sagte Giovanni ruhig. „Du widersprichst mir immer," sagte der Fürst.

„Wein!

Pasquale." „Ich widerspreche Dir?" wiederholte Giovanni. könnte mir ferner liegen."

„Nichts

Der alte Fürst trank ein Glas Wein, ehe er antwortete.

42 „Warum gründest Du nicht selbst einen Hausstand und lebst wie ein Edelmann?" fragte er endlich. „Du bist reich, warum gehst Du zu Fuß und speisest im Kasfee­ hause?" „Este ich je in einem Kaffeehause, wenn Du allein speisest?" „Du hast es Dir in Paris angewöhnt, in Restaurants zu leben," versetzte der Vater. „Es ist eine schlechte An­ gewohnheit. Wozu hat Deine Mutter Dir ein Vermögen hinterlaffen, wenn Du nicht in Angemessener Weise leben willst?" „Ich verstehe Dich ganz gut," antwortete Giovanni, und seine dunkeln Augen fingen an zu funkeln. „Du weißt recht gut, das ist ein bloßer Vorwand. Ich bin der häus­ lichste Mensch in Deiner Bekanntschaft. Es ist ein bloßer Borwand. Du willst wieder mit mir über meine Ser« heirathung sprechen." „Und hat irgend Jemand ein befferes Recht, auf Deine Verheirathung zu bestehen, als ich?" fragte der Fürst heftig. „Stelle den Wein auf den Tisch, Pasquale, — so und das Obst hierher. Reiche Don Giovanni seinen Käse. Ich werde nach dem Kaffee Ningeln — geh' jetzt." Der Butler und der Lakai verließen das Zimmer. „Hat irgend Jemand ein befferes Recht, frage ich?" wieder­ holte der Fürst, als sie allein waren. „Keiner außer mir selbst, sollte ich meinen," antwortete Giovanni bitter. „Du — Du selbst also! Was hast Du dabei mitzu­ reden? Das ist eine Familienangelegenheit. Möchtest Du, daß Saraciuesca verkauft würde, um an eine hündische Schaar hungriger Verwandter vertheilt zu werden, von denen Du in Deinem Leden nichts gehört hast, bloß weil Du

43 solch ein Vagabund, solch ein Zigeuner, so ein tollkühner verdrehter Taugenichts bist, der sich nicht die Mühe machen will, eine von all den Frauen zu nehmen, die sich ihm in die Arme werfen?" „Die liebevolle Art von Deinen Verwandten zu sprechen, wird nur noch durch den seinen Takt übertroffen, mit dem Du die Wahrscheinlichkeit meiner Verheirathung besprichst," bemerkte Giovanni spöttisch. „Und Du behauptest, daß Du mir niemals wider­ sprichst?" rief der Fürst ärgerlich. „Wenn dies ein Beispiel dafür fein soll, so kann ich es sicherlich behaupten. Eine Bemerkung ist kein Wider­ spruch." Willst Du behaupten, daß Du Dich nicht wiederholt geweigert hast zu heirathen?" fragte der alte Saracinesca. „Das würde unwahr sein. Ich habe mich geweigert und weigere mich noch, und werde mich so lange weigern, wie es mir beliebt." „Das ist jedenfalls klar. Du wirst Dich so lange weigern, bis Du Dir Deinen albernen Hals gebrochen hast, indem Du den Engländern nachäffest, und dann — Gute Nacht, Saracinesca! Der letzte des Stammes wird ein würdiges Ende nehmen!" „Wenn der einzige Zweck meines Daseins ist, Vater von Erben Deiner Titel zu werden, so liegt mir nichts daran, sie selbst zu besitzen." „Du wirst sie jedenfalls nicht vor meinem Tode be­ sitzen. Ist es Dir noch nie eingefallen, daß ich mich wieder verheirathen könnte?" „Wenn Du Lust hast es zu thun, so zaudere nicht um meinetwillen. Madame Mayer wird Dich eben so gern nehmen wie mich. Heirathe doch jedenfalls, und mögest

44 Du zahlreiche Nachkommen haben, und mögen sie zu ihrer Zeit alle an ihrem zwanzigsten Geburtstag heirathen. Ich gratulire." „Du bist unleidlich, Giovanni. Ich dachte doch, Du würdest vor Donna Tullia mehr Achtung haben —" „Als sie Madame Mayer zu nennen!" unterbrach ihn Giovanni. „Als anzunehmen, daß sie nur nach Titel und Ver­ mögen trachtet —" „Du bewiesest ihr vor einem Augenblick große Hoch­ achtung, als Du erklärtest, sie wäre bereit, sich mir in die Arme zu werfen." „Ich! Das hab' ich nie gesagt! Ich sagte nur, alle Frauen —" „Natürlich Madame Mayer mit einbegriffen," unter­ brach Giovanni ihn von neuem. „Kannst Du mich nicht ausrcden lasten?" brüllte der Fürst. Giovanni zuckte die Achseln, goß sich ein Glas Wein ein, nahm Käse, sagte aber nichts. Als er bemerkte, daß sein Sohn nichts sagte, schwieg der alte Saracinesca ebenfalls; aber er war so böse, daß er den Faden seines Gedankenganges ganz verloren hatte. Vielleicht bereute Giovanni den zänkischen Ton, welchen er angeschlagen hatte, denn alsbald sprach er in versöhnlicher Weise zu seinem Vater. „Wir wollen gerecht sein," sagte er. „Ich will Dich anhören und werde mich freuen, wenn Du mich anhören willst. Erstens, wenn ich ans Heirathen denke, stelle ich mir etwas darunter vor —" „Das hoffe ich," brummte der alte Herr. „Ich sehe Heirathen als einen wichtigen Schritt im Leben eines Mannes an. Ich bin noch nicht so alt, als

45 daß ich meine Verheirathung als eine sofortige Nothwen­ digkeit betrachten müßte, noch auch so jung, um sie gar nicht in Betracht zu ziehen. Ich wünsche nicht getrieben zu werden, denn wenn ich mich dazu entschlossen habe, ge­ denke ich eine Wahl zu treffen, die mir, wenn nicht Glück, doch wenigstens Frieden fichern wird. Ich will nicht Ma­ dame Mayer heirathen. Sie ist jung, hübsch, reich —" „Sehr!" rief der Fürst aus. „Sehr! Ich bin ebenfalls jung und reich, wenn auch nicht schön." „Allerdings nicht schön!" sagte sein Vater, indem noch die Wuth kochte, obschon er ruhig sprach. „Du bist mein Ehenbild." „Ich bin stolz auf die Aehnlichkeit!" sagte Giovanni ernst. „Aber um aus Madame Mayer zurückzukommen; fie ist Wittwe —" „Ist das ihre Schuld?" fragte sein Vater ohne Veranlaffung, während sein Zorn wieder aufwallte. „Ich hoffe nein!" sagte Giovanni lächelnd. „Ich hoffe, fie hat den alten Mayer nicht umgebracht. Immerhin aber ist fie eine Wittwe. Das ist ein starker Gegengrund. Hat je einer meiner Vorfahren eine Wittwe geheirathet?" „Du zeigst deine Unwiffenheit bei jeder Gelegenheit," sagte der alte Fürst mit verächtlichem Lächeln. „Leo Saracinesca vermählte fich mit der Wittwe des Fürsten von Limburg-Stinkenstein, im Jahre 1581." „Wahrscheinlich giebt das deutsche Blut in unsern Adern Dir diese Lust am Disputiren", bemerkte Giovanni. „Weil vor dreihundert Jahren einer meiner Ahnen eine Wittwe geheirathet hat, soll ich jetzt auch eine heirathen. Warte, — werde nicht böse — es find noch andere Gründe

46 vorhanden, weshalb ich Madame Mayer nicht heirathen möchte. Sie ist für mich zn vergnügungssüchtig — z« weltlich." Der alte Fürst brach in ein lautes spöttisches Gelächter aus. Sein weißes Haar und sein greiser Bart sträubten sich um sein dunkles Gesicht, und er zeigte all seine gesunden, noch immer weißen Zähne. „Das ist prachtvoll!" ries er; „es ist köstlich, wunder­ voll, ein Stück unbezahlbaren Humors. Giovanni Saracinesca hat eine Frau entdeckt, die für ihn zu vergnügunssüchtig ist! Gelobt sei der Himmel! Endlich kennen wir seinen Geschmack! Wir wollen ihm eine Nonne aussuchen, einen Ausbund von Tugenden, ein Mägdlein, das eben aus dem Kloster kommt und sich einem Leben der Ent­ sagung und Selbstaufopferung gelobt hat. Das wird ihm gefallen — dann wird er das Muster eines glücklichen Gatten werden." „Ich verstehe diesen seltsamen Ausbruch nicht", ant­ wortete Giovanni mit kalter Verachtung. „Deine Lustigkeit ist erstaunlich, aber ich sehe keinen Gmnd dafür ein." Sein Vater hörte auf zu lachen und sah ihn in eigen­ thümlicher Weise an, seine dichten Brauen zogen sich bei der Schärfe dieses Blickes zusammen. Giovanni erwiederte den Blick, und es schien, als ob zwei starke zornige Männer quer über den Tisch mit ihren feurigen Blicken föchten. Der Sohn sprach zuerst wieder. „Willst du andeuten, daß ich nicht ein Mann der Art bin, dem es gestattet ist, ein junges Mädchen zu heirathen?" fragte er, ohne die Augen von seinem Vater abzuwendcn. „Höre, mein Junge!" versetzte der Fürst. „Ich habe genug von dem Unsinn. Ich bestehe auf dieser Partie, wie ich Dir schon gesagt habe. Es ist die paffendste, welche

47 ich für Dich finden kann und anstatt mir dankbar zu sein, widerstrebst Du mir und weigerst dich, deine Pflicht zu thun. Donna Tullia ist dreiundzwanzig Jahr alt. Sie ist brillant, ist reich. Es ist nichts gegen Sie zu sagen. Sie ist eine entfernte Verwandte" — „Eine aus dem Schwarm von Geiern, auf den Du so liebevoll hinwiesest," bemerkte Giovanni. „Schweig!" schrie der alte Saracinesca und schlug mit seiner schweren Hand auf den Tisch, daß die Gläser klirr­ ten. „Du sollst mich anhören, und was mehr ist, mir gehorchen. Donna Tullia ist eine Verwandte. Die Ver­ einigung von zwei solchen Vermögen wird von ungeheuerm Vortheil für eure Kinder sein. Alles spricht für die Par­ tie, — nichts dagegen. Du wirst fie binnen eines Monats heirathen. Ich werde dir den Titel Sant' Ilario nebst dem dazu gehörigen Gute abtreten und auch den Palast am Corso, wenn Du hier nicht wohnen möchtest." „Und wenn ich mich weigere?" fragte Giovanni, seinen Aerger hinunterwürgend. „Wenn Du dich weigerst, wirst Du heute über einen Monat mein Haus verlaffen," sagte der Fürst wüthend. „Wodurch ich deinen vorher ausgesprochenen Befehl, mir einen Hausstand zu gründen und wie ein Edelmann zu leben, erfüllen würde," versetzte Giovanni mit bitterem Lachen. „Mir thut es nichts, wenn Du mir die Thür weisest. Ich bin reich, wie Du ganz richtig bemerktest." „Du wirst mehr Muße haben, nach Deinem Gefallen zu leben," gab der Fürst zurück, „Dich in Gesellschaften herumzutreiben, hinzugehen wo es Dir beliebt, den Hof zu machen" — der alte Mann hielt einen Augenblick inne. Sein Sohn beobachtete ihn mit unterdrückter Wuth, seine ge­ ballte Faust lag auf dem Tisch, sein Geficht war todtenbleich.

48 „Wem?" fragte er, mit furchtbarer Anstrengung ruhig zu bleiben. „Meinst Dn ich fürchte mich vor Dir? Meinst Du, Dein Vater sei minder stark und wild als Du? Wem?" schrie der zornige Greis, dessen ganze verhaltene Wuth losbrach, während er plötzlich aussprang. „Wem anders als der Corona von Astrardente? wem solltest Du sonst den Hof machen? und Deine Jugend und Dein Leben mit solch einer wahnwitzigen Leidenschaft vergeuden? Ganz Rom sagt es — und ich will es auch sagen!" „Du hast es allerdings gesagt," antwortete Giovanni mit ganz leiser Stimme. Er blieb am Tische fitzen, ohne mit einem Muskel zu zucken; sein Geficht war wie das Antlitz eines Todten. „Du hast es gesagt, und indem Du jene Dame beleidigst, hast Du etwas deines Geschlechtes Unwürdiges gethan. Gott helfe mir bedenken, daß Du mein Vater bist!" setzte er plötzlich erzitternd hinzu. „Halt!" sagte der Fürst, der bei allem Ehrgeiz für seinen Sohn und bei aller Heftigkeit ein Ehrenmann war. „Ich habe fie nicht beleidigt. Sie ist über allen Argwohn erhaben. Du bist es, der sein Leben in hoff­ nungsloser Leidenschaft für fie verzehrt. Siehe, ich spreche ruhig" — „Was sagt denn ganz Rom?" unterbrach ihn Gio­ vanni. Er war noch leichenblaß, aber seine Hand war nicht mehr geballt, er stützte beim Sprechen den Kops dar­ auf und starrte aus das Tischtuch. „Alle Welt sagt, daß Du in die Astrardente verliebt bist, und daß ihr Mann ansängt es zu merken." „Genug, meinVater," sagte Giovanni mit leiser Stimme. „Ich will über die von Dir vorgeschlagene Partie nachdenken. Gieb mir Bedenkzeit bis zum Frühjahr."

49

„Das ist lange", meinte der alte Fürst, indem er sich wieder setzte und anfing eine Apfelsine zu schälen, als ob

nichts vorgefallen wäre.

Er war keineswegs ruhig, aber

die plötzliche Veränderung im Wesen seines Sohnes hatte

seinen Zorn entwaffnet.

Er . war leidenschaftlich und heftig,

rücksichtslos in seinen Reden und tyrannisch in seinen Be-

schlüffen, aber trotz alledem liebte er Giovanni herzlich. „Ich finde es nicht lange", sagte Giovanni nachdenk­

lich.

„Ich gebe Dir mein Wort daraus, daß ich mir die

Sache ernstlich überlegen will.

Wenn es mir möglich ist,

Donna Tullia zu heirathen, so werde ich dir gehorchen,

und vor Ostern werde ich Dir meine Antwort geben.

Mehr

kann ich nicht thun."

»Ich hoffe aufrichtig, daß Du meinen Rath annehmen

wirst," antwortete der Fürst, jetzt ganz besänftigt.

„Wenn

Du dich nicht zu dieser Partie entschließen kannst, so könnte ich etwas anderes finden, z. B. Bianca Baldarno — sie

bekommt den vierten Theil des Vermögens."

„Sie ist so sehr häßlich", wandte Giovanni ruhig ein. Er war noch sehr aufgeregt, antwortete aber seinem Vater

mechanisch. „Das ist wahr, — diese Baldarni sind alle häßlich. Ueberdies stammen sie aus Toscana. Was sagst Du zu

der kleinen Rocca?

Sie hat viel Chic; sie ist in England

erzogen. Sie ist hübsch genug." „Ich fürchte, sie würde verschwenderisch sein." „Dann könnte sie ihr eigenes Geld ausgeben, es würde genügen." „Es ist besser sicher zu gehen", sagte Giovanni. Plötz­

lich veränderte er seine Stellung und sah seinen Vater wie­

der an.

„Es thut mir leid,

diesen Punkt streiten," sagte er. Crawford, Saracinesca.

daß wir uns immer über

„Ich habe eigentlich keine

4

50 Lust zu heirathen, aber ich möchte dir den Gefallen thun, und so will ich's versuchen. Weshalb gerathen wir immer darüber in Streit?" „Ich weiß es wahrhaftig nicht", sagte der Fürst mit freundlichem Lächeln. „Ich glaube, ich habe so eine ver­ teufelt heftige Gemüthsart." „Und ich habe sie geerbt!" sagte Giovanni mit einem Lachen, das heiter Kingen sollte. „Aber ich verstehe Deine Ansicht. In meinem Alter, glaube ich, sollte man sich fest­ setzen." „Das meine ich im Ernst, mein Sohn. Aus Dein künftiges Glück!" sagte der alte Herr, das Glas mit den Lippen berührend. „Und auf unsere künftige Eintracht," erwiderte Gio­ vanni, ihm zutrinkend. „Wir zanken uns nie ernstlich, Giovanni? nicht wahr?" sagte sein Vater. Jede Spur von Aerger war verschwun­ den. Sein kraftvolles Antlitz erglänzte von einem liebe­ vollen Lächeln, es war wie Sonnenschein nach einem Gewitter. „Nein, wirKich nicht", antwortete sein Sohn herzlich. „Wir können uns das nicht gestatten; es sind ja um wir beide noch übrig." „Das sage ich ja immer", stimmte der Fürst bei und fing an die Apfelsine zu essen, welche er behutsam geschält, nachdem er sich beruhigt hatte. „Wenn zwei Männer wie wir, mein Junge, ganz derselben Ansicht find, so giebt es nichts, was sie nicht durchsetzen, wenn wir aber uneins sind"-------„Justitia non fit, coelum vero ruet“, meinte Giovanni, das Sprichwort parodirend. „Mein Latein ist etwas eingerostet, Giovanni," sagte der alte Herr.

51 „Der Himmel ist um und um gekehrt, aber Gerechtig­ keit ist nicht geschehen." „Nein; im Zorn ist man nie gerecht; aber Gewitter reinigen die Lust, wie man oben in Saracinesca zu sagen pflegt.« „Beiläufig bemerst, hast Du gehört, ob die Sache mit dem Holz schon in Ordnung ist?« fragte Giovanni. „Natürlich — das hatte ich vergeffen. Ich will es dir gleich ausführlich erzählen«, erwiderte der Vater stöhlich. So plauderten sie friedlich noch eine halbe Stunde; und wenn man sie ansah, hätte Niemand denken können, daß in ihnen so wilde Leidenschaften getobt hätten, noch auch daß dem Einen zu Muthe war, als ob sein Todesurtheil unterzeichnet wäre. Als sie sich trennten, ging Giovanni in sein Zimmer und schloß sich ein. Er hatte eine Ruhe gezeigt, die nicht in ihm war, ehe er sich von seinem Vater trennte. In der That war er mächtig erregt. Er war eben so feurig wie sein Vater, allein seine Leidenschaften waren von größerer Stärke und längerer Dauer; denn seine Mutter war eine Spanierin gewesen, und etwas von der Schwermuth ihres Landes war in seine Seele übergegangen und hatte dem von seinem Vater ererbten heißblütigen italienischen Charakter Tiefe und Beständigkeit verliehen. Letzterer ahnte nicht den Grund der plötzlichen Veränderung im Tone seines Sohnes in Bezug auf jene Heirath. Gerade dieser Unterschied im Temperament machte Giovanni für dm alten Fürsten un­ verständlich. Giovanni war sich vor mehr als einem Jahre seiner Liebe zu Corona von Astrardente bewußt geworden. Gegen die Gewohnheit anderer junger Leute in seiner Lage be­ schloß er von Anfang an, daß sie es nie erfahren sollte^

4*

52 und hierin lag der Schlöffel zu all seinen Handlungen. Wie er glaubte, hatte er sich bei allen Gelegenheiten gegen sie absichtlich so benommen wie gegen alle andern Damen,

denen er in der Gesellschaft begegnete, und er wähnte, er habe seine Leidenschaft vor der Welt und vor der geliebten Frau geschickt zu verbergen gewußt. Er hatte sich bei jeder

Gelegenheit mit einer ihm sonst nicht natürlichen Vorsicht benommen, für welche er entschieden Anerkennung verdiente. Es war für ihn ein Jahr unablässigen Ringens, bestän­

diger Selbstbeherrschung, fester Entschließung gewesen, wo möglich seine Neigung zu überwinden. Allerdings hatte er, wenn die Gelegenheit sich darbot, sich die Freude gegönnt,

mit Corona von Astrardente zu sprechen; — er sprach, wie er wohl wußte, über ganz allgemeine Dinge, sand aber bei jeder Begegnung neue Punkte der Uebereinstimmung mit ihr.

Niemals, — das Zeugniß durste er sich geben, —

hatte er in dieser Zeit das Thema der Liebe, nicht einmal das ebenso gefährliche der Freundschaft berührt, deffen Er­ örterung so ost zu verderblichen Versuchen führt.

Nie hatte

er durch Blick oder Wort versucht, die schöne Herzogin für

seine Handlungen oder für sich selbst zu interessiren; er

hatte mit ihr über Bücher, Polittk, soziale Fragen, nie aber von sich oder von ihr gesprochen. Treu hatte er sein Gelübde gehalten, daß er seine unselige Leidenschaft in sich

verschließen wolle, weil er ja unglücklicherweise die Gattin

eines anderen liebte, eine so edle Frau, der selbst in Rom kein Hauch von Nachrede etwas anhaben konnte. Astrardente war bejahrt, eigentlich altersschwach, trotz seiner präch­ tigen Perrücke. Corona war erst zweiundzwanzig Jahre

alt. Wenn ihr Mann stürbe, so wollte Giovanni vor der Welt als ihr Bewerber austreten, bis dahin wollte er nichts thun, was ihre Selbstachtung verletzen und ihren Seelen-

53 frieden stören könnte, — er schmeichelte sich kaum, daß dieses in seiner Macht läge, denn er liebte sie wahrhaft — und vor allen Dingen wollte er nichts thun, das ihren fleckenlosen Ruf in Gefahr bringen könnte. Sie würde ihn vielleicht niemals lieben; er aber war stark und geduldig und wollte ihr die einzige Ehre anthun, welche zu erweisen in seiner Macht stand, indem er ruhig abwartete. Aber Giovanni hatte nicht in Betracht gezogen, daß er eine der ausfallendsten Persönlichkeiten in der Gesellschaft wäre; daß viele jede seiner Bewegungen in der Hoffnung beobachteten, daß er ihres Weges kommen werde; daß viele bemerkt hatten, wie er beim Eintritt in einen Salon zwar nie sofort auf Corona zuging, aber immer zuerst nach ihr hinsah und es nie unterließ, im Laufe des Abends mit ihr zu sprechen. Scharfe Beobachter, die Elstern der Gesell­ schaft, welche des Adlers Nest umkreisen, hatten auf Gio­ vannis Gesicht einen Ausdruck des Mißvergnügens bemerkt, wenn es ihm nicht gelang, wenigstens einige Minuten allein an Coronas Seite zu verweilen, und Del Ferice, der eine Art Neuigkeitskrämer für Rom war, hatte dann und wann angedeutet, Giovanni wäre verliebt. Andre hatten, wie er es beabsichtigt, solche Anspielungen wiederholt, und zwar mit dem ausschmückenden Talent, welches Klätschern eigen ist, und so war das Gerücht herumgekommen. Freilich war kein Mensch in Rom vemegen genug, in Giovannis Gegenwart darauf anzuspielen, selbst wenn dabei ein Vor­ theil zu ersehen gewesen wäre; aber dergleichen bleibt nicht verborgen. Sein eigner Vater hatte es ihm in einem An­ fall von Aerger gesagt, und der Schlag hatte seine Wir­ kung gethan. Giovanni sank in einen tiefen Lehnstuhl aus seinem Zimmer und dachte über die Lage der Dinge nach. Im

54 ersten Augenblick war er draus und dran gewesen, gegen seinen Vater wüthend zn werden, als dieser ihm aber so­ fort erklärte, daß nichts gegen die Herzogin zu sagen wäre,

hatte Giovannis Zorn gegen den Fürsten sich auf fich selbst zurück gewendet.

Es war ein bitterer Gedanke,

daß all

seine fortgesetzten Bemühungen, feine Liebe zu verbergen,

Er verfluchte seine Thorheit und

vergeblich gewesen wären.

Unvorsichtigkeit, nnd staunte zugleich darüber, wie es mög­ lich gewesen, daß die Sache herausgekommen wäre. Er schwankte nicht in seinem Entschluffe, seine Neigung zu ver­ bergen und

den Eindruck zu zerstören,

Willen gemacht hatte.

Das

Mittel dazu schien ihm das beste. auf der Stelle heirathete,

den er so wider

erste sich ihm darbietende Wenn er Donna Tullia

ehe die Geschichte von seiner

Liebe zur Herzogin mehr und mehr bestätigt wurde,

so

müßte das, meinte er, allen Schwätzern gründlich den Mund schließen. Von einem Gesichtspunkt aus war es ein groß­ müthiger Gedanke, sich lieber ganz und für immer auszuopsern, als zu gestatten, daß sein Name, wenn auch noch so unschuldig, jemals wieder in Verbindung mit der von ihm geliebten Frau genannt wurde; seine Liebe zu ihr mit

der Wurzel auszureißen, indem er seine Treue einer Andern feierlich verpfändete nnd dieses Gelübde mit der ganzen Kraft der Beständigkeit, deren er fich fähig wußte, zu hal­ ten.

Er wollte Corona vor Unannehmlichkeiten und ihren

Ruf vor bösen Zungen bewahren, und wenn es noch Je­

mand wagen sollte, von der Geschichte zu sprechen — Giovanni sprang auf und nahm mechanisch ein Rapier

von der Wand, wie er oft zur Uebung that.

Wenn Leute

von der Geschichte sprächen, dachte er, so hätte er ein Mittel, fie rasch und für immer zum Schweigen zu bringen. Seine Augen blitzten plötzlich bei dem Gedanken an eine

55 That, — irgend eine That, sei es auch ein Duell, welche in entfernter Beziehung zu Corona stehen könnte. Dann schleuderte er das Rapier fort und warf fich auf den Stuhl und saß ganz still, während er die Waffentrophäen aus der

Wand ihm gegenüber anstarrte. Er konnte es nicht! Einer Frau Unrecht anthun, um eine andre zu schirmen, stand nicht in seiner Macht. Die

Leute mochten ihn auslachen und einen Don Quixote nen­ nen, weil er nicht wie jeder andre handeln und eine Convenicnzheirath — eine Vernunftehe eingehen wollte. Convenienz! Schicklichkeit! während ihm das Herz brach; wäh­ rend jede Faser seines starken Körpers unter der Spannung der Leidenschaft erbebte, während seine schmerzenden Augen nur ein Antlitz sahen und in seinen Ohren die Worte nach­ klangen, welche sie eben an diesem Nachmittag zu ihm ge­ sprochen hatte! Schicklichkeit! O ja, Schicklichkeit ist gut genug für kaltblütige Tröpfe. Donna Tullia hatte ihm nichts zuleide gethan, daß er sie aus Schicklichkeitsgründen heirathen und ihr Leben für dreißig, vierzig, vielleicht fünf­ zig Jahre elend machen sollte. Es würde für ihn schick­ licher sein fortzugehen, sich an den Enden der Welt zu verbergen, bis er Corona von Astrardente, ihre wunder­ vollen Augen und ihre tiefe sanfte Stimme vergessen könnte. Er hatte seinem Vater gelobt, daß er sich die Sache überlegen und ihm vor Ostern Antwort geben würde. Das war noch eine lange Zeit. Er wollte cs sich überlegen, wenn er bis Ostern Corona vergessen hätte, würde er — er lachte laut auf in seinem stillen Zimmer und der Ton seiner Stimme schreckte ihn aus seiner Träumerei aus. Vergessen? Kann ein Mann wie er vergessen? Andre Männer haben es gethan. Aus welchem Stoff find fie gemacht? Vielleicht haben fie nicht solche Frauen geliebt;

56 darum konnten sie vergeffen. Jedweder könnte Donna Tullia vergeffen. Und doch wie ist Vergeffen möglich, wenn man wahrhaft geliebt hat? Giovanni hatte früher nie geglaubt, daß er liebte. Er hatte ein paar Frauen gekannt, die ihm höchst an­ ziehend erschienen waren; bald aber hatte er erkannt, daß er keine wirkliche Sympathie für sie hätte, sie unterhielten ihn wohl, hatten aber keinen Reiz für ihn — am aller­ wenigsten hätte er sich an eine von ihnen fürs Leben ge­ kettet denken können, ohne daß ihm dieses Verhältniß im höchsten Grade schrecklich erschienen wäre. Seiner unab­ hängigen Natur widerstrebte der Gedanke an solche Feffeln; er kannte sich als zu rücksichtsvoll, um je einer ungeliebten Frau gegenüber die Schranken der Höflichkeit zu durch­ brechen; aber er wußte auch, daß er durch seine Verheirathung mit einer ihm gleichgültigen Frau sich dazu ver­ pflichten würde, lebenslang eine Rolle in der furchtbarsten aller Komödien zu spielen: die Rolle eines Mannes, der sich bemüht, standhaft die Kette zu ertragen, welche er zu ehrenhaft ist zu durchbrechen. Erst um vier Uhr Morgens ging Giovanni zu Bett; und selbst dann schlief er wenig, denn er hatte unruhige Träume. Ein Mal war es ihm, als stünde er auf einem grünen Rasenplatze, den Degen in der Hand, die Spitze deffelben war voll Blut und sein Gegner lag zu seinen Füßen. Dann dünkte ihm, er wäre allein in einem großen Saal und eine dunkle Dame trete zu ihm und sagte: „Heirathe sie um meinetwillen!" Stöhnend erwachte er. Die Kirchenuhren schlugen acht, und die Jagdpartie sollte um elf Uhr, vier englische Meilen jenseits der Porta Pia statt­ finden. Giovanni sprang auf und klingelte nach seinem Diener.

57 Viertes Kapitel. Es war ein wunderschöner Tag und halb Rom zog

hinaus, um die Zusammenkunft zur Hetzjagd zu sehen, nicht als ob dieselbe irgendwie von andem „meets“ verschieden genesen wäre, sondern nur weil die Gesellschaft es sich zu­ fällig in den Kopf gesetzt hatte,

dabei zu sein.

Die Ge­

sellschaft gleicht einem Fieberkranken im Delirium,

nur selten für ihre Handlungen verantwottlich;

fie ist

fie weiß

kaum je recht, was fie sagt, und gelegentlich ohne vorherige Meldung oder Ueberlegung springt fie früh Morgens aus

dem Bette und rennt ihrem letzten Wahngebilde nach. Hauptunterschied ist:

Der

der Fieberkranke hat eine Wärterin,

unb die Gesellschaft hat keine. Im vorliegendm Falle war es allen plötzlich eingefal­

len, zum „meet“ auszurücken,

und die lange Straße vor

Potta Pia war meilenweit mit Wagen aller Art besät, von

dem Viergespann des Fürsten Valdarno bis zum beschei­ denen Eselkarren des Hökers, welcher gekochte Bohnen, Brod

und K'se und Salat an die Reitknechte verkauft —

eine

Einrichtung, welche Engländern bei der Hetzjagd ftemd ist.

Eins nach dem andern rollten die Fuhrwerke auf der Land­

straße

dahin,

vorüber an der Kirche der h. Agnes,

Hügel hinab und über Ponte Romentana, weiter hinaus bis zu einer Stelle,

die

und noch viel

wo drei Fahrwege Zu­

sammentreffen, dort war eine weite offene Strecke feuchten öettflmmerten Rasens.

Da hielten die Wagen und stellten

fich neben einander auf, als machten fie bei der Nachmit­

tagsspazierfahrt auf dem Pincio Halt, statt fich fünf Meilen

von der Stadt auf der weiten Campagna zu befinden. Die Berge im Süden von Rom zn beschreiben, hieße die Natur beleidigen;

eine Zusammenkunft zur Hetzjagd

58 zu beschreiben, wäre eine Beleidigung für gebildete Leser der englischen Sprache. Das Eine ist allen zu bekannt: die bunte Menge von Männern und Frauen, mit Roth gesprenkelt, durch die neutralen Farben der winterlichen Gefilde gehoben; die Zagdpferde, mannichfach verschieden an Alter, Größe und Race, wie sie von den Reitknechten langsam auf und ab geführt werden, während von Zeit zu Zeit ein Reiter in den Sattel springt, es sich bequem macht, Gurt und Steigbügel untersucht, auch nachsieht, ob die Sandwichkapsel und die Sherryflasche an rechter Stelle find, dem Reitknecht noch einen letzten Befehl ertheilt und dann langsam abzieht. Eine römische Jagdpartie ist etwas we­ niger geschäftsmäßig als dieselbe Sache anderswo zu sein pflegt; es wird etwas mehr getrödelt, etwas mehr geplaudert, wenn zufällig viele Damen herausgekommen sind, um die Hunde auslausen zu sehen; im Uebrigen ist sie nicht von andern Zusammenkünften zur Jagd verschieden.. Die rö­ mischen Berge aber find so völlig verschieden von allen andern auf der Welt und in ihrer Eigenthümlichkeit so wunderschön, daß sie zu schildern eine müßige und nutz­ lose Aufgabe sein würde, bei der nur die Eitelkeit des Schreibers und die Unfähigkeit seiner Feder zu Tage kom­ men könnte. Don Giovanni war trotz der schlaflosen Nacht früh­ zeitig auf dem Platze. Er stieg auf der Landstraße von feinem Jagdwägelchen ab, anstatt auf das Feld zu fahren, und betrachtete aufmerksam die Reihe der Wagen. Schon von fern fiel ihm Donna Tullia Mayer auf, inmitten einer Gruppe von Herren neben Valdarnos Drag stehend. Sie war an ihrem Anzug leicht zu erkennen, wie Del Ferice Tags zuvor bemerkt hatte. Bei dieser Gelegenheit trug sie einen Anzug, in welchem Grün und Gelb die Hauptfarbeu

59 waren, ein ungeheurer Hut mit entsprechend gewaltigen Federn überragte ihr Haupt und dazu hatte sie einen gelben Sonnenschirm. Sie war eine recht hübsche Frau von mitt­ lerer Größe mit unnatürlich blondem Haar und ziemlich guter Gesichtsfarbe, welche sie bis jetzt noch nicht durch künstliche Mittel zu verbeffern gesucht hatte, sie hatte blaue Augen, aber einen unfichern Blick — Augen, die nicht ge­ eignet find Vertrauen einzuflößen; ihr kleiner rother Mund mit vollen Lippen wurde sehr hübsch gefunden. Sie war fchnell in ihren Bewegungen und sprach sehr laut; leicht sammelte sie Leute um fich, wo nur welche zu versammeln waren. Ihre Unterhaltung war nicht glänzend, aber so überströmend, daß ihre lärmende Lebhaftigkeit für Gescheutheit galt; fie hatte ein merkwürdig scharfes Urtheil über Andre, zeigte einen auffallend schlechten Geschmack in ihren Ansichten über alles Künstlerische, von der Schön­ heit der Natur bis zur Schönheit im Anzuge; aber sie be­ hauptete eigensinnig ihren Standpunkt und duldete keinen Widerspruch. Ganz eigenthümlich blieb es, daß, während so viele ihrer Eigenschaften entschieden ordinär waren, fie doch ein unbeschreibliches Etwas an fich hatte, das auf gute Herkunft schließen ließ, jenes eigenthümliche Gepräge der höheren Gesellschastsklaffe, welches durch keine bis jetzt be­ kannte Form der Erziehung erworben werden kann. Wer fie sah, mochte über ihr lautes Sprechen staunen, über die Sonderbarkeiten ihres Anzugs lachen und über ihr dreistes Benehmen empört sein, aber Niemand würde je daraus ge­ kommen sein, ihr anderswo einen Platz anzuweisen, als in dem Kreise, der sich „die vornehme Gesellschaft" nennt. Unter den Herren, welche bei Donna Tullia standen und mit ihr sprachen, war der unermüdliche Del Ferice, von dem man sagen konnte, er würde nie vermißt, weil

60 er immer anwesend war. Giovanni konnte den Del Ferice nicht leiden^ ohne daß er im Stande gewesen wäre, für seine Abneigung einen Grund anzugeben. Er konnte im allge­ meinen keinen Menschen leiden, den er für doppelzüngig hielt, und er hatte keinen Grund anzunehmen, daß die Wahrheit bei einem Blick in ihren Spiegel das Abbild von Hugos bleichem fetten Gesicht mit dem farblosen Schnurr­ bart wahrnehmen würde. Wenn aber Hugo ein Lügner war, so muß er ein gutes Gedächtniß gehabt haben, denn er brachte sich nie in Verlegenheit und stand in dem Rufe, ein nützliches Mitglied der menschlichen Gesellschaft zu sein, eine Ehre, zu der Personen von zweifelhafter Wahrheits­ liebe selten gelangen. Wie dem auch sei, Giovanni konnte ihn nicht leiden und mißtraute ihm in vielen Stücken, und obschon er sich vorgenommen hatte, an Donna Tullia her­ anzugehen, hielt ihn der Anblick des neben ihr stehenden Del Ferice heinahe davon ab. Er schlenderte langsam den kleinen Abhang hinab, sprach mit einigen Bekannten, als er der Menge näher kam, beschloß er bei sich, Madame Mayer aus dem Wege zu gehen und sofort sein Pferd zu besteigen. Allein seine Absicht wurde vereitelt. Als er einen Augenblick neben dem Wagen der Marchesa Rocca still stand, um einige Worte mit ihr zu wechseln, und mit einem gewiffen Jntereffe ihre Tochter ansah — die kleine Rocca, welche sein Vater ihm als eine für ihn mögliche Partie in Vorschlag gebracht hatte, vergaß er die Nähe der Dame, welche er zu vermeiden wünschte, und als er einige Sekunden später seinem Pferde zuging, trat Madame Mayer aus dem Kreise ihrer Verehrer heraus und klopfte ihm mit dem Griff ihres Sonnenschirms vertraulich aus die Schulter. „Also wollten Sie heute nicht mit mir sprechen?^' sagte sie nach ihrer Weise ziemlich rauh.

61 Giovanni wendete sich rasch um, sah sie an und ver­ beugte sich tief. Donna Tullia lachte. „Ist an mir etwas so besonders Lächerliches?" fragte er. „Altro! Im Gegentheil! wenn Sie eine so fürchter­ liche Verbeugung machen" — „Sie sollte zugleich Entschuldigung und Gruß aus­ drücken", antwortete Don Giovanni verbindlich. „Ich wünschte mehr Entschuldigung und weniger Gruß." „Ich bin bereit, mich zu entschuldigen" — „Demüthig, ohne sich zu vertheidigen," sagte Donna Tullia und fing an langsam vorwärts zu gehen. Giovanni sah fich genöthigt ihr zu folgen. „Meine Vertheidigung würde indessen sehr gut sein", sagte er. „Nun, wenn fie wirklich gut ist, kann ich fie anhören, aber Sie werden mir nicht weiß machen, daß Sie vorhatten, fich ordentlich zu benehmen." „Ich bin in sehr schlechter Laune und wollte Sie nicht mit meiner verdrießlichen Stimmung belästigen, deshalb ging ich Ihnen aus dem Wege." Donna Tullia betrachtete ihn aufmerksam. Als sie ihm antwortete, zog fie ihre kleinen rothen Lippen miß­ vergnügt zusammen. „Sie sehen so aus, als ob Sie übler Laune wären," versetzte fie. „Es thut mir leid, Sie gestört zu haben. Es ist bester, einen schlafenden Hund in Ruhe zu lasten, wie das Sprüchwort sagt." „Ich habe noch nicht gebisten", sagte Giovanni. „Ich bin nicht gefährlich, das versichere ich Sie." „O, ich fürchte mich nicht im geringsten vor Jhnm", erwiderte seine Begleiterin etwas spöttisch. „Schmeicheln



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Sie sich nicht, daß Ihre kleinen Launen mich erschrecken. Ich vermuthe, Sie wollen mithetzen?" „Ja", antwortete Saracinesca kurz. Donna Tullias Art ihn abzukanzeln fing an ihm langweilig zu werden. „Sie sollten lieber mit uns kommen, und die armen Füchse in Ruhe lassen. Valdarno wird uns auf Quer­ wegen nach den Capanelle*) fahren. Dort werden wir im Freien frühstücken und vor drei Uhr zu Hause sein." „Danke bestens! Ich kann mein Pferd nicht feiern laffen. Ich muß Sie bitten mich zu entschuldigen." — „Schon wieder?" rief Donna Tullia. „Sie entschul­ digen fich fortwährend!" Dann schlug fie plötzlich einen andern Ton an und sah zu Boden. „Ich wünsche, Sie möchten mit uns kommen," sagte fie sanft. „Ich bitte Sie nicht ost um etwas." Giovanni sah sie schnell an. Er wußte, daß Donna Tullia ihn gern heirathen möchte; er argwöhnte sogar, daß sein Vater die Sache mit ihr besprochen hatte — nichts Seltenes, wenn eine Heirath mit einer Wittwe zu Stande gebracht werden soll. Aber er wußte nicht, daß Donna Tullia auf ihre eigene sonderbare Art in ihn verliebt war. Er sah sie an und bemerkte, daß ihr beim Sprechen Thränen des Aergers in die dreisten blauen Augen getreten waren. Einen Augen­ blick zauderte er, doch die augeborne Höflichkeit siegte. „Ich werde mit Ihnen kommen", sagte er ruhig. Ein freudiges Erröthen stieg in Madame Mayers frische Wan­ gen, fie fühlte, daß sie einen Schritt gewonnen hatte, wollte aber ihre Befriedigung nicht zeigen. „Sie sagen das so, als ob Sie eine Gunst ewiesen," *) Ein Rennplatz bei Rom, an der neuen Appischen Straße.

63 sagte sie mit scheinbarem Aerger, welchen der beglückte Aus­ druck ihres Gesichtes Lügen strafte. „Verzeihen Sie, ich selbst bin der Begünstigte," er­ widerte Giovanni mechanisch. Er hatte nachgegeben, weil er nicht wußte, wie er es abschlagen konnte, aber schon that es ihm leid, und er hätte viel darum gegeben, nicht von der Partie zu sein. „Sie sehen nicht so aus, als ob Sie das wirklich meinen," sagte Donna Tullia, ihn prüfend anschauend. „Wenn Sie sich unangenehm machen wollen, gebe ich Sie frei." Sie sagte dies wohl wiffend, daß er seine Freilaffung nicht annehmen würde. „Wenn Sie so bereit find, mich frei zu geben, wie Sie es nennen, so wollen Sie mich eigentlich nicht haben," sagte er. Donna Tullia biß fich auf die Lippen und es entstand eine kleine Pause. „Wenn Sie mich einen Augen­ blick entschuldigen wollen, werde ich mein Pferd nach Hause schicken. Ich bin gleich wieder bei Ihnen." „Da ist Ihr Pferd, gerade vor uns", sagte Madame Mayer. Selbst diese kurze Frist war ihm nicht gegönnt, fie wartete, während Don Giovanni seinem erstaunten Reit­ knecht befahl, dem Pferde eine Stunde Bewegung zu machen, jedoch in einer Richtung zu reiten, wo er nicht auf die Hunde stoßen könnte. „Ich glaubte nicht, daß Sie es wirklich thun würden," sagte Donna Tullia, als sie umkehrten und den Wagen zu zurückwandelten. Die meisten Herren, welche mitreiten wollten, waren schon anfgestiegen, und die Menge hatte fich bedeutend gelichtet. Aber während fie mit einander spra­ chen, war noch ein anderer Wagen auf das Feld gefahren «nd hielt einige Schritte von Valdarnos Drag. Astrarbente hatte es fich in den Kopf gesetzt, mit seiner Frau

64 «ach dem „meet“ hinauszufahren, und sie waren spät an­ gekommen. Astrardente kam grundsätzlich immer etwas spät. Ms Giovanni und Donna Tullia zu ihrem Drag zurückkamen, befanden sie sich Plötzlich der Herzogin und ihrem Gatten gegenüber. Corona war nicht erstaunt dar­ über, Giovanni neben der Dame einhergehen zu sehen, welche er nicht zu heirathen beabsichtigte, dem alten Her­ zog aber schien es offenbares Vergnügen zu machen. „Siehst Du, Corona? Es ist nicht mehr daran zu zweifeln! Es ist ganz, wie ich Dir sagte!" rief der alte Stutzer mit so hörbarer Stimme, daß Giovanni die Stirn runzelte und Donna Tullia leicht erröthete. Beide ver­ neigten sich, als sie an dem Wagen vorüber gingen. Don Giovanni schaute Corona gerade ins Gesicht, als er seinen Hut abnahm. Er hätte ihr Precht gut ein kleines Zeichen geben können, den leisesten für Donna Tullia unverständ­ lichen Wink, wodurch er ihr zu verstehen gegeben, daß seine Lage eine unfreiwillige wäre. Aber Don Giovanni war

ein Gentleman und that nichts dergleichen; er verbeugte sich und sah im Vorbeigehen die Frau, welche er liebte, ruhig an. Astrardente beobachtete ihn scharf, und als er die Gleichgültigkeit in Saracinescas Miene bemertte, stieß er ein seltsames schnüffelndes Prusten aus, das ihm eigen­ thümlich war. Er hätte darauf schwören mögen, daß weder seine Frau noch Giovanni das geringste Jntereffe an ein­ ander bezeigt hatten. Er war zufrieden. Seine Frau war über allen Argwohn erhaben, wie er immer sagte; aber er war ein alter Mann und kannte die Welt und wußte, wie unbedingt er auch der edlen Frau an seiner Seite trauen konnte, die ihre Jugend seinem Alter zum Opfer gebracht hatte, so läge es doch nicht außerhalb des Be­ reiches der Möglichkeit, daß sie, vielleicht ganz unbewußt,

65 ein unschuldiges Interesse für einen jungen Mann, — so einen Mann wie Giovanni Saracinesca, — fassen könnte, und er hielt es der Mühe werth, fie zu beobachten. Sein leises Prusten indeffen war ein Zeichen von Zufriedenheit. Corona hatte bei der Erwähnung der Verlobung mit keiner Wimper gezuckt und hatte dem jungen Mann, als er vor­ überging, unbefangen zugenickt. „Aha, Donna Tullia!" ries Astrardente, als er ihren Gruß erwiderte, „Sie verhindern Don Giovanni auszusteigen! Die Reiter werden gleich fort fein!" — So direct angeredet, blieb den Beiden nichts übrig, als stehen zu bleiben und einige Worte zu wechfeln. Die Herzogin saß auf der Seite, an welcher das Paar vor­ überging, und ihr Mann stand auf und setzte sich ihr ge­ genüber, um bequemer sprechen zu können. Von beiden Seiten erfolgten neue Begrüßungen, und Giovanni sprach natürlich mit Corona, während ihr Mann sich mit Donna Tuüia unterhielt. „Welcher Mann könnte wohl aus Jagen denken, wenn er sich anstatt besten mit Ihnen unterhalten kann?" sagte der alte Astrardente, und sein geschminktes Gesicht verzog sich zu einem Grinsen, das dermaleinst ein gewinnendes Lächeln gewesen war. Jedermann wußte, daß er sich schminkte, seine Zähne waren ein Wunderwerk amerikanischer Zahntechnik, und seine Perrücke hatte einen berühmten Porträtmaler getäuscht. Die Wattirung in seinen Kleidern war mit feinem Geschick angebracht und in Gesellschaft zog er selten die Handschuhe von seinen kleinen Händen ab.

Donna Tullia lachte über seine Worte. „Sie sollten Don Giovanni schöne Redensarten lehren", sagte sie. „Er ist heute so brummig wie ein Wolf." „Ich denke, ein Mann in seiner Lage würde nicht Crawford. SaracineSca. 5

«6 besondern Unterrichts bedürfen, um gegen Sie galant zu sein," erwiederte der alte Geck mit einem schlauen Blick. Dann setzte er mit leiser Stimme hinzu: „Ich hoffe, es wird mir bald gestattet sein, Ihnen zu gratu"--------„Ich habe ihn überredet, die Hetzjagd heute auszugeben," fiel Donna Tultta rasch ein. Sie sprach so laut, daß Corona es hören mußte. „Er kommt statt besten mit uns zu einem Picknick nach den Capanelle." Giovanni konnte nicht umhin, einen raschen Blick auf Corona zu werfen. Sie lächelte ein wenig, und ihr Gesicht verrieth keine Erregung. „Ich kann mir denken, daß es sehr nett sein wird," sagte fie sanft und blickte weit in die Campagna hinaus. Aus dem nächsten Felde zog die Koppel der Hunde dahin, in geringer Entfernung folgten ihnen einige zwanzig Reiter in rothen Röcken; ein paar Herren, welche fich im Gespräch verspätet hatten, stiegen rasch aus und ritten hinter der Jagd her; einige Wagen fuhren aus dem Felde hinaus und folgten langsam auf der Landstraße, in der Hoffnung, die Hunde loslaffen zu sehen. Die Gesellschaft, welche mit Baldarno fahren sollte, versammelte sich um das Drag und wartete auf Donna Tullia. Die zurückgelaffenen Reitknechte schaarten fich um die Leute, welche gekochte Bohnen und Salat verkauften, und in wenigen Minuten hatte fich die Versammlung zur Jagd aufgelöst. „Warum wollen Sie nicht mitkommen, Herzogin?" fragte Madame Mayer. „Wir haben genug Frühstück mit, und je größer die Gesellschaft, desto lustiger wird es sein!" Donna Tullia machte den Vorschlag mit der ihr eigenen freimüthigen Weise und heftete beim Sprechen ihre blauen Augen auf Corona. Die Aufforderung hatte ganz den An­ schein von Herzlichkeit; aber Donna Tullia wußte recht gut,

67 daß in ihren Worten ein Stachel war, oder jedenfalls nach ihrer Abficht sein sollte.

Corona sah ihren Mann ruhig

an und lehnte dann höflich ab. „Sie sind sehr gütig," sagte sie, „aber ich fürchte, wir können uns Ihnen heute nicht anschließen.

Wir sind Leute

von sehr regelmäßiger Lebensweise", erklärte sie mit leichtem

Lächeln,

„und haben uns nicht darauf eingerichtet, heute

noch weiter zu fahren.

Vielen Dank, ich wünsche, ich könnte

Ihre freundliche Einladung annehmen."

„Nun, es thut mir sehr leid, daß Sie nicht mitkommen wollen,"

fügte Donna Tullia mit etwas hartem Lachen.

„Wir haben uns vorgenommen, ungeheuer vergnügt zu sein." Giovanni sagte nichts.

Nur eines hätte ihm die Aus­

sicht aus Donna Tullias Landpartie noch unangenehmer

machen können, als sie es so wie so schon war, und das wäre die Anwesenheit der Herzogin gewesen.

Er wußte,

daß er sich durch sein Nachgeben auf Donna Tullias halb

thränenfeuchte Bitte in eine ganz falsche Stellung gebracht hatte.

Er erinnerte sich,

was er am Abend vorher zu

Corona gesagt, wie er versichert hatte, daß er Madame

Mayer nicht heirathen wollte.

Corona wußte nichts von

der Veränderung, welche in Folge des stürmischen Gespräches

mit seinem Vater in seinen Plänen eingetreten war; er

sehnte sich danach, der Herzogin eine Erklärung zu geben, aber jeder Versuch

dazu würde unmöglich sein.

Corona

würde glauben, er sei inconsequent oder wenigstens geneigt,

mit der lustigen Wittwe zu kokettiren, wenn er entschlossen Er dachte, es gehörte zu seiner Selbstverurtheilung, in den Augen der geliebten Frau, wäre, sie nicht zu heirathen.

welcher er entsagen wollte, unvortheilhaft zu erscheinen; aber zum ersten Male fühlte er, wie bitter es sein würde, also

5*

68 immer mit dem Anschein der Schwäche und Inkonsequenz in den Augen des einzigen Wesens dazustehen, nach dessen guter Meinung er strebte und um dessentwillen er alles zu thun bereit war. Als er so neben ihr stand, ruhte seine Hand auf dem Wagenschlag, und er stierte mechanisch nach den Hunden und den dahineilenden Reitern in der Ferne. „Kommen Sie, Giovanni, wir müssen gehen!" sagte Donna Tullia. „Woran in aller Welt denken Sie? Sie sehen aus, als ob Sie in eine Bildsäule verwandelt wären." „Ich bitte um Entschuldigung", erwiederte Saracinesca, als er so plötzlich aus den peinlichen Gedanken, die ihn ganz hingenommen hatten, aufgeschreckt wurde. „Leben Sie wohl, Herzogin! Adieu, Astrardente! — ich wünsche Ihnen eine angenehme Fahrt!" „Es wird Ihnen noch leid thun, daß Sie nicht mit­ kommen," rief Madame Mayer, indem sie den beiden im Wagen Sitzenden die Hand schüttelte. „Wir werden wahrscheinlich schließlich nach Albano fahren und die ganze Nacht fortbleiben — denken Sie sich! Ein köstlicher Spaß! — in der ganzen Gesellschaft ist nicht ein Mal ein Kamm! Adieu! Wir werden uns wohl alle heute Abend treffen — das heißt, wenn wir überhaupt je wieder nach Rom zu­ rück kommen. Kommen Sie, Giovanni," sagte Sie ver­ traulich und ließ den Titel vor seinem Namen aus. Er war ja im Grunde eine Art Vetter, und die Leute in Rom lieben es, sich unter einander beim Vornamen zu nennen. Aber Donna Tullia wußte, was sie that; sie wußte, daß Corona von Astrardente nie und in keinem Falle Sara-

cinesca schlechtweg „Giovanni" nennen könnte. Aber sie hatte nicht die Befriedigung zu sehen, daß irgend eins

69 ihrer Worte die geringste Veränderung auf Coronas stolzem schönen Gesicht hervorbrachte; in den Augen der Herzogin schien sie nicht mehr Wichtigkeit zu haben als eine im

Sonnenschirm summende Fliege. Also stießen Giovanni und Madame Mayer zu ihrer lauten lustigen Gesellschaft und erkletterten ihre Plätze aus dem Drag: aber noch ehe sie zur Abfahrt bereit waren, wendete der Wagen von Astrardente um und fuhr rasch aus dem Gehege hinaus. Das Gelächter und laute Sprechen schlug an Coronas Ohr, mit jeder Secunde schwächer und entfernter klingend, und der Ton war ihr eine Qual; aber tapfer biß sie die Lippen zusammen und lehnte sich zurück, schob mit einer Hand die Decke über den Knieen ihres alten Mannes zurecht und schützte ihre Augen gegen die Sonne mit dem Schirm, den sie in der andern hielt. „Danke Dir, meine Liebe; Du bist ein Engel an Güte!" sagte der alte Stutzer und streichelte seiner Frau die Hand. „Was für eine merkwürdig ordinäre Frau ist doch diese Madame Mayer! Dabei hat sie aber einen eig­ nen, gewissen kleinen chic." Corona entzog ihre Hand nicht der Liebkosung ihres Gatten. Sie war daran gerwöhnt. Er war ja doch aus seine Weise gütig gegen sie. Es wäre abgeschmackt gewesen auf die plumpen Schmeicheleien, welche er andern Frauen sagte, eifersüchtig zu sein; und überdies machte er seiner Frau gerade so gern Complimente wie jeder andern. Zwi­ schen dem alten Mann und dem jungen Mädchen, welches er geheirathet, hatte sich ein eigenthümliches Verhältniß herausgebildet. Wäre er minder Weltmann, oder wäre Corona minder ehrenhaft, treu und aufopfernd gewesen, so wäre wohl wenig Friede in dieser Ehe gewesen. Aber Astrardente, der hinfällige Wüstling und abgelebte Stutzer,

70 war in seine Frau verliebt; und sie in der vollen Jugendpracht ihrer Schönheit duldete seine Liebe, weil sie gelobt hatte es zu thun, und weil sie, nachdem sie ihm Treue geschworen hatte, die Verletzung ihres Gelübdes auch nur durch die geringste Unfreundlichkeit als etwas autzerhalb der Grenzen der Möglichkeit Liegendes ansah. Die Ent­ deckung, daß sie sich für Giovanni interesfirte, wenn auch nur wie für einen Mann, dessen Gesellschaft sie der andrer Männer verzog, und dessen Antlitz sie mit Vergnügen ansah, war für sie ein furchtbarer Schlag gewesen. Auch sie hatte eine schlaflose Nacht verbracht, und als sie am Morgen aufgestanden war, hatte sie beschlossen, Giovanni zu ver­ gessen, und wenn sie ihn nicht vergessen könnte, hatte sie gelobt, daß sie mehr als je ihrem Gatten alles in allem fein wollte. Sie zerbrach sich jetzt, wie Giovanni sich gedacht hatte, den Kopf darüber, weshalb er plötzlich die Hetzjagd auf­ gegeben hätte, um seine Zeit mit Donna Tullia zuzubringen; aber sie wollte sich nicht eingestehen, daß der dumpfe Schmerz in ihrem Herzen, welcher ihr den Athem versetzte, in irgend einem Zusammenhänge mit dem Vorgänge stände, dessen Zeugin sie soeben gewesen war. Sie preßte die Lippen zusammen und rückte ihrem Manne die Decke zurecht. „Madame Mayer ist ordinär", erwiderte sie. „Ich vermuthe, sie kann nicht anders sein." „Frauen können es immer vermeiden, ordinär zu fein", versetzte Astrardente. „Vermuthlich hat sie es von ihrem Manne gelernt. Frauen find nicht so von Natur. Dennoch ist fie eine ausgezeichnete Partie für Saracinescq; reich, hat Millionen, unleugbar hübsch, munter — nun, wohl etwas zu munter, aber Giovanni ist so ernst, daß der Gegensatz zu beiderseitigem Vortheil fein wird."

71 Corona schwieg. Nichts war dem alten Mann so un­ angenehm wie Schweigen. „Warum antwortest Du mir nicht?" fragte er unge­ duldig. „Ich weiß nicht — ich war in Gedanken", sagte Corona einfach. „Ich sehe eigentlich bei alledem nicht ein, daß es für den letzten der Saracinesca eine so vortreffliche Par­ tie ist." „Dn meinst, sie wird ihm tüchtig aufspielen? Wahr­ scheinlich!" versetzte der alte Manu. „Sie ist munter — sehr ausgelassen, und Giovanni ist sehr, sehr feierlich!" '„Ich meinte nicht, daß sie zu lustig wäre. Ich dachte nur, Saracinesca könnte — zum Beispiel — die kleine Rocca heirathen. Weshalb sollte er eine Wittwe nehmen?" „Solche junge Wittwe! Der alte Mayer war so hin­ fällig wie eine alte Statue in einem Museum. Er war an einem Arm gelähmt, und gichtisch—gichtisch, meine Liebe. Du weißt nicht, wie gichtisch er war!" Der alte Kerl grinste verächtlich; er hatte nie die Gicht gehabt. „Donna Tullia ist eine sehr junge Wittwe. Ueberdies, bedenke das Vermögen! Es würde dem alten Saracinesca das Herz brechen, sollte er so viel Geld aus der Familie gehen laffen. Er ist ein richtiger Geizhals, der alte Saracinesca." „Das habe ich noch nie gehött," sagte Corona. „O es giebt manche Dinge in Rom, die man nie hört, und dies gehört dazu. Ich verabscheue den Geiz, er ist so höchst ordinär." Allerdings war Astrardente selbst nicht geizig, obgleich er es sein Leben lang verstanden hatte, seine Jntereffeu »ahrzunehmen. Er liebte das Geld, aber er gab es auch gern aus, besonders in einer Aufsehen erregenden Weise. Indeffen war es nicht wahr, daß der alte Saracinesca

72 geizte. Er gab fein großes Einkommen ohne die geringste Prahlerei aus. „Wirklich, ich kann den Fürsten Saracinesca eigentlich nicht einen Geizhals nennen", sagte Corona. „So weit ich ihn kenne, kann ich mir nicht erklären, weshalb er so be­ strebt fein sollte, Madame Mayers Vermögen zu bekommen; ich kann mir nicht denken, daß es bloß aus Habsucht fein sollte." „Dann weiß ich nicht, wie Du es nennen willst," ent­ gegnete ihr Mann scharf. „Sie haben in der Familie immer jenes unheimliche düstere, schwermüthige Aussehen gehabt, — jene abscheuliche Sucht, heimlich Geld auszufpeicheru, während ihre Gesichter so ernst und sauer ausfehen wie die der Juden im Ghetto." Corona blickte ihren Gatten an und lächelte matt, als sie seine abgezehrten alten Züge anfah, aus denen Licht und Schatten mit seiner Schminke kunstvoller als bei einer Schauspielerin aufgetragen waren, um wenigstens oberfläch­ lich die Furchen zu verbergen, welche jahrelange Ziererei und verfeinerte Selbstsucht gezogen hatten; und dann dachte sie an Giovannis kräftig männliches, allerdings auch leideufchaftliches, aber edles und kühnes Antlitz. Einen Augen­ blick daraus verscheuchte sie willenskräftig den Vergleich aus ihrer Seele und da sie sah, daß ihr Mann heneigt war, die Saracinescas schlecht zu machen, versuchte sie, dem Ge­ spräch eine andre Wendung zu geben. „Ich höre, es wird bei den Frangipanis ein großer Ball stattfinden," sagte sie. „Wir werden natürlich hiugehen?" setzte sie in fragendem Tone hinzu. „Natürlich. Ich möchte das um keinen Preis ver­ säumen. Seit Jahren ist kein solcher Ball gegeben worden, wie der sein wird. Versäume ich je eine Gelegenheit, mich

73 zu amüfiren — ich meine, Dir ein Vergnügen zu ver­ schaffen?« „Nein, Du bist sehr gut«, sagte Corona sanft. „Manch­ mal denke ich wirklich, Du strengst Dich zu sehr an, um mir zu Gefallen auszugehen. Ich bin wirklich nicht so ver­ gnügungssüchtig. Ich würde manchmal gern zu Hause bleiben, wenn Du es wünschtest." „Meinst Du, daß ich nicht mehr im Stande bin, die Freuden der Welt zu genießen?" fragte der alte Mann ver­ drießlich. „O nein, durchaus nicht", erwiederte Corona gedul­ dig. „Weshalb sollte ich das denken? Ich sehe ja, wie gern Du ausgehest." „Natürlich gehe ich gern aus. Ein verständiger Mann in den besten Jahren mag immer gern feines Gleichen sehen. Warum ich denn nicht?" Die Herzogin lächelte nicht. Sie war es gewöhnt, ihren alten Mann so reden zu hören, als ob er jung wäre. Es war eine harmlose Einbildung. „Ich finde es ganz natürlich", sagte fie. „Was ich nicht begreifen kann," sagte Astrardente, in­ dem er seinen dünnen Hals noch wärmer zum Schutz gegen den Nordwind einhüllte, „ist, daß solche alte Leute wie der Fürst Saraciuesca noch in der Welt eine Rolle spielen wollen." Saracinesca war jünger als Astrardente, und sein eiseusester Körperbau versprach, trotz seines greifen Haares, noch ein Menschenalter anszudauern. „Du scheinst heute gegen Saracinesca nicht gut ge­ stimmt zu sein", bemerkte Corona, um doch etwas zu er­ widern. „Weshalb vertheidigst Du ihn?" fragte ihr Mann in

74 einem neuen Anfall von Aerger. „Er macht mich nervös, der verdrießliche alte Mensch!" „Ich vermuthe, ganz Rom wird auf den Ball bei Frangipanis gehen," fing Corona wieder an, ohne auf die Gereiztheit des Alten zu achten. „Du scheinst Dich dafür zu interesfiren", versetzte Astrardente. Corona schwieg. Schweigen war ihre einzige Schutz­ waffe, wenn er ärgerlich wurde. Er konnte Sttllschweigen nicht leiden und nahm dann gewöhnlich das Gespräch in sanfterem Tone wieder auf. Bei seiner langen Erfahrung hatte er vielleicht die wunderbare Geduld feiner Frau mit seinen Launen schätzen gelernt, und ficherlich hatte er fie sehr lieb. „Du mußt ein neues Kleid haben, meine Liebe," sagte er bald daraus in versöhnlichem Tone. Seine Frau galt für die bestgekleidete Dame in Row, wie fie unleugbar auch in vielen andern Hinfichten die bemerkenswertheste war. Sie war nicht über Jntereffe am Anzug erhaben, und ihr alter Mann hatte einen ausgezeich­ neten Geschmack; überdies war er sehr stolz auf ihre Er­ scheinung und wenn fie andre Frauen nur ein wenig min­ der überstrahlt hätte, so hätte sein frohes Rühmen, daß fie über allen Argwohn erhaben sei, etwas an Kraft ver­

loren. „Ich glaube kaum, daß das nöthig sein wird," sagte Corona, „ich habe so viele Sachen, und es wird sehr voll sein." „Meine Liebe, sei sparsam mit Deiner Schönheit, aber nicht mit ihrer Ausschmückung," sagte der alte Mann mit seinem verbindlichen Grinsen. „Ich wünsche, daß Dn auf diesem Ball ein neues Kleid trägst, an welches Jeder, de« hingeht, denken soll. Du mußt es sofort bestellen."

75 „Nun, das ist eine Bitte, welche jede Frau leicht er­ füllt," antwortete Corona mit feinem Lächeln; „obschon ich nicht glaube, daß man so lange an mein Kleid denken wird, wie Du meinst." „Wer weiß — wer weiß?" sagte Astrardente nach­ denklich. „Ich besinne mich auf Kleider, die ich vor —" er hielt plötzlich inne — „nun ja, sogar vor zehn Jahren gesehen habe," setzte er nun auch lachend hinzu, vielleicht weil er beinahe vierzig anstatt zehn gesagt hatte. „Kleider, meine Liebe," fuhr er fort, „machen auf die Männer einen tiefen Eindruck." „Nun, was das betrifft," sagte die Herzogin, „so liegt mir nichts daran auf die Männer überhaupt einen Ein­ druck zu machen, — noch ans die Frauen." Sie sprach leichthin, froh darüber, daß das Gespräch eine angenehmere Wendung genommen hatte. „Auch nicht auf mich einen Eindruck zu machen?" fragte der alte Astrardente mit verliebtem Blick. „Das ist etwas Andres", versetzte Corona ruhig. So sprachen sie weiter über das Kleid und über den Ball, bis der Wagen durch den Thorweg des Palastes Astrardente hineinrollte. Aber als es drei Uhr war und es Corona frei stand, ihre gewöhnliche Runde von Besuchen ju machen, freute sie sich, daß sie allein ausfahren konnte, und während sie auf ihren Kissen saß und von Haus zu Haus fuhr, um Karten abzugeben, hatte sie Zeit, ernstlich über ihre Lage nachzudcnken. Den meisten Frauen bejahr­ ter Männer wäre es wie eine Kleinigkeit erschienen, wenn sie an einem Manne wie Giovanni Saracinesca Wohl­ gefallen gesunden hätten. Aber je mehr Corona darüber nachdachte, desto klarer wurde es ihr, daß sie eine große

76 Sünde beginge. Es lag ihr schwer auf der Seele und störte ihr das unschuldige Vergnügen, welches sie sonst daran fand, in der klaren Abendluft durch die Villa Borghese zu fahren. Es nahm für sie dem Himmel die Farbe und den Kissen ihre Weichheit; es verfolgte sie und machte sie elend. Bei feder Wendung erwartete sie Giovannis Ge­ stalt, sein Gesicht zu erblicken, und der immer wiederkehrende Gedanke schien das Vergehen, dessen sie sich anschuldigte, zu vergrößern — das Vergehen an einen andern Mann als ihren alten Gatten auch nur zu denken, und zu wün­ schen, Don Giovanni möchte nicht Donna Tullia heirathen. „Ich will zum Pater Philippus gehen", sagte sie bei sich, als sie zu Hause anlangte.

Fünftes Kapitel.

Valdarno nahm Donna Tullia neben sich auf den Vordersitz des Drag; zufällig saßen Giovanni und Del Ferice neben einander hinter ihnen. Noch ein halb Dutzend Herren fanden auf den übrigen Gesäßen Platz, und unter ihnen war der schwermüthige Spicca, ein berühmter Duellist, und ein gewiffer Casalverde, ein Mann von etwas zweifel­ haftem Ruf. Die übrigen waren Mitglieder von „ihrem corps de ballet", wie Donna Tullia sich ausdrückte. In jener Zeit wurde Donna Tullias Benehmen scharf kritifirt, und sie galt für emanzipirt, wie man es damals nannte. Alte Leute rissen die Augen weit auf, als sie die junge Wittwe mit einer Gesellschaft von Herren zu einem Aus­ flug in die Campagna ausrücken sahen; wenn aber ein intimer Feind es gewagt hätte, ihr zu sagen, daß sie zu Klatschereien Veranlassung gäbe, so würde sie die Augen-

76 Sünde beginge. Es lag ihr schwer auf der Seele und störte ihr das unschuldige Vergnügen, welches sie sonst daran fand, in der klaren Abendluft durch die Villa Borghese zu fahren. Es nahm für sie dem Himmel die Farbe und den Kissen ihre Weichheit; es verfolgte sie und machte sie elend. Bei feder Wendung erwartete sie Giovannis Ge­ stalt, sein Gesicht zu erblicken, und der immer wiederkehrende Gedanke schien das Vergehen, dessen sie sich anschuldigte, zu vergrößern — das Vergehen an einen andern Mann als ihren alten Gatten auch nur zu denken, und zu wün­ schen, Don Giovanni möchte nicht Donna Tullia heirathen. „Ich will zum Pater Philippus gehen", sagte sie bei sich, als sie zu Hause anlangte.

Fünftes Kapitel.

Valdarno nahm Donna Tullia neben sich auf den Vordersitz des Drag; zufällig saßen Giovanni und Del Ferice neben einander hinter ihnen. Noch ein halb Dutzend Herren fanden auf den übrigen Gesäßen Platz, und unter ihnen war der schwermüthige Spicca, ein berühmter Duellist, und ein gewiffer Casalverde, ein Mann von etwas zweifel­ haftem Ruf. Die übrigen waren Mitglieder von „ihrem corps de ballet", wie Donna Tullia sich ausdrückte. In jener Zeit wurde Donna Tullias Benehmen scharf kritifirt, und sie galt für emanzipirt, wie man es damals nannte. Alte Leute rissen die Augen weit auf, als sie die junge Wittwe mit einer Gesellschaft von Herren zu einem Aus­ flug in die Campagna ausrücken sahen; wenn aber ein intimer Feind es gewagt hätte, ihr zu sagen, daß sie zu Klatschereien Veranlassung gäbe, so würde sie die Augen-

77 brauen in der Höhe gezogen und erklärt haben, sie stünden alle wie Brüder zu ihr und Giovanni wäre wirklich eine Art Vetter. Vielleicht hätte sie sich herbeigelaffen, zu sagen, daß sie so etwas nicht in Paris thun würde, aber im guten alten Rom wäre man wie im Schoße seiner Familie und könnte alles thun. Gegenwärtig saß sie da und plau­ derte mit Valdarno, einem großen blonden jungen Mann, mit einem schwächlichen Zuge um den Mund und von großer Gutmüthigkeit; sie hatte sich Giovanni gesichert, und ob­ gleich er verdrießlich hinter ihr saß, war seine Gegenwart eine Befriedigung für sie. Del Ferices glattes Gesicht trug den Ausdruck unaussprechlicher Ruhe, und seine wafferblauen Augen schauten schmachtend auf die breiten Flächen braunen Grases, welche die Landstraße einfaßten. Eine Zeit lang rollte das Gefährt dahin, und Gio­ vanni blieb seinen Gedanken überlassen, welche nicht ange­ nehmer Art waren. Die anderen sprachen über den muthmaßlichen Erfolg mit den Jagdhunden, und Spicca, der viel in England gewesen war, machte hie und da eine Be­ merkung, die für die römische Hetzjagd nicht eben schmeichel­ haft war. Del Ferice hörte schweigend zu und Giovanni hörte gar nicht hin, sondern knöpfte sich den Ueberzieher bis oben zu, lehnte mit halb geschloffenen Augen auf den Sitz zurück, und rauchte eine Cigarette nach der andern. Plötz­ lich wurde Donna Tullias Lachen hörbar, da sie sich halb zn Valderno hemm wandte. „Meinen Sie wirklich?" rief sie. „Wann denn? Da wollen wir ihnen einen schönen Tanz aufspielen!" Del Ferice spitzte die Ohren wie ein Dachshund, der die Nähe einer Ratte spürt. Valdarnos Antwort war nicht vernehmbar, aber Donna Tullia hörte sofort auf zu lachen. „Sie sprechen über Politik", sagte Del Ferice leise,

78 sich zu Giovanni überbeugend. Letzterer zuckte die Achseln und rauchte weiter. Ihm lag nicht daran, von Del Ferice ins Gespräch gezogen zu werden. Del Ferice stand bei der römischen Regierung im Ver­ dacht revolutionärer Gesinnungen, wurde aber nicht für gefährlich gehalten. Man ließ ihn leben, wie er wollte, aber er merkte von Zeit zu Zeit, daß man ihm aufpaßte. Da er indeffen ein Mann war, der unter allen Umständen seinen eignen Vortheil mehr im Auge hatte als das Jntereffe irgend einer Partei, so legte er keinm besondern Werth auf die Auszeichnung, gelegentlich von einem Spion beobachtet zu werden, wie ein thörichterer Manu es vielleicht gethan hätte. Wenn ihm ausgepaßt wurde, so stellte er sich darum seinen Bekannten nicht als einen Märtyrer vor, noch erzählte er Geschichten von dem' Sbirren', der seinen Schritten folgte, oder klagte laut, daß er ungerecht verfolgt würde. Er that, als wäre sein Ruf über allen Argwohn erhaben, und ließ sich selten herbei, eine persönliche Ansicht auszusprechen. Er war kein Verbreiter neuer Ideen, für einen Menschen von seiner Art wäre das ein zu gefährliches Handwerk gewesen. Aber er sah, daß Veränderungen kommen mußten, und nahm sich vor, daraus Vortheil zu ziehen. Er hatte wenig zu verlieren, dagegen alles zu gewinnen; und da er ein geduldiger Mensch war, nahm er sich vor, so viel wie möglich durch Umsicht zu gewinnen, — mit andern Worten, seiner Natur entsprechend zu han­ deln, statt sich auf kühnes Vorgehen einzulaffen, wozu er durchaus nicht geeignet war. Er war zu einsichtsvoll, um zu versuchen, die Obrigkeit ganz und gar zu täuschen; denn er wußte wohl, daß sie nicht leicht zu täuschen war; und so hielt er einen Mittelkurs ein, indem er fortwährend zu Gunsten des Fortschritts, der Volkserziehung und der Preß-

79 sreiheit sprach,

zugleich aber laut verkündete,

daß alles

dieses, — daß in der That alle Wohlthaten der Kultur, — ohne die geringste Veränderung in der Regierungsform zu erreichen wären.

So betheuerte er seine Ergebenheit

gegen die weltliche Macht, während er einen Glauben an

die Möglichkeit nutzbringender Reformen vorgab, und die

Stellung, welche er sich aus diese Weise sicherte, entsprach genau seinen Zwecken; denn durch seine fortschrittlichen Aeußerungen zog er einen gewissen Argwohn auf sich, den er dann sofort wieder durch die sorglose Gleichgültigkeit

gegen die Spionage, deren Gegenstand er geworden, ent­ waffnete.

Die Folge davon war, daß gerade zu der Zeit,

als er am tiefsten in sehr ernste Angelegenheiten verwickelt

war, — deren Zweck am Ende immer sein eigener Vortheil blieb, — zu der Zeit als er sich die Auskunft bezahlen ließ, welche er vermöge seiner gesellschaftlichen Stellung zu geben

im Stande war, er von der Obrigkeit und den meisten seiner Bekanntm als ein harmloser Mensch angesehen wurde,

der sich allenfalls durch seine thörichten Fortschrittsideen selbst, sicherlich aber keinem andern schaden könnte. Wenige

ahnten, daß seine eifrige Erfüllung gesellschaftlicher Pflichten, seine gelegentlichen Ausbrüche der Begeisterung für liberale Bildung und freie Presse nur einen Theil der Maschinerie

bildeten, mittelst welcher er aus der Politik Geld machen wollte. Er war so bescheiden, so unscheinbar, daß Niemand

vermuthete, Gewinnsucht wäre die Haupttriebseder Handlungsweise.

seiner

Aber wie viele kluge und schlechte Menschen hatte Del

Ferice eine Schwäche, welche sich allmälig seiner mehr und mehr bemächtigte und immer mehr zunahm, und welche

dazu bestimmt war, den Lauf der von ihm geplanten Ereigntffe zu beschleunigen.

Es ist eine seltsame Eigenthüm-

80 lichkeit bei Ungläubigen, daß sie oft mehr als andre Leute kleinlichem Aberglauben zugänglich sind; und eben so kommt es ost vor, daß die rücksichtslosesten, kalt berechnenden Ver­ schwörer, welche sich gegen allen Einfluß von außenher für gefeit halten, einem Gefühl nervöser Abneigung gegen eine« andern nachgeben, der ihnen nie etwas zu Leide gethan hat, und von Abneigung zu Haß übergehen, bis ihre ein­ fachsten Handlungen durch das beeinflußt werden, was an­ fangs nichts weiter war als ein unvernünftiges Vorurtheil. Del Ferices Schwäche war sein unerklärlicher Widerwillen gegen Saracinesca; und er ließ fich von seinem Abscheu gegen ihn dermaßen beherrschen, daß es ihm eine Hauptsreude geworden war, Giovanni, wo er nur konnte, in die Quere zu kommen. Wie oder wann dies angefangen hatte, wußte er selbst nicht recht. Vielleicht hatte er zuerst geglaubt, Giovanni behandle ihn von oben herab, oder sogar mit Verachtung; als seine Feindseligkeit durch eine muthmaßliche Vernachlässigung erregt worden, hatte er dafür klein­ liche Rache nehmen wollen, und war wiederum von Sara­ cinesca mit kalter Gleichgültigkeit behandelt worden. Allmälig waren seine eingebildeten Kränkungen in seinen Augen riesengroß geworden, und er war dahin gekommen, Gio­ vanni mehr zu Haffen, als irgend einen Menschen auf der Welt. Zuerst mochte es ihm leicht erschienen sein, seinen Gegner zu Grunde zu richten oder ihm wenigstens bedeu­ tenden und ernsten Schaden zuzufügen, und gerade ohne diese Gleichgültigkeit, welche Del Ferice so sehr übel nahm, hätten seine Versuche Erfolg haben können. Giovanni gehörte einer Familie an, welche seit den frühesten Zeiten mit der Regierung auf Kriegsfuß stand. Ihre Güter waren mehr als ein Mal von den Päpsten eingezogen, dann wieder mit Waffengewalt zurückerobert

81 und dem Geschlechte endlich um des lieben Friedens willen belassen worden. Dasselbe scheint mit Jedem unter jedem nur denkbaren Vorwande gestritten und gewöhnlich obgefiegt zu haben. Kein Papst hatte jemals auf die Anhänglich­ keit der Familie Saracinesca gezählt. Von Geschlecht zu Geschlecht hatten ihre Mitglieder an der Spitze der Oppo­ sition gestanden, so oft eine solche vorhanden war, oder sich bemüht eine solche durch Ränke ins Leben zu rufen, wenn sie keine handgerecht vorfanden. Del Ferice schien es, als muffe es in den stürmischen Zeiten, welche nach der Annection von Neapel für das italienische Königthum folgten, als ganz Europa das Anwachsen der neuen Macht beob­ achtete, eine leichte Sache sein, einen Saracinesca in einen Anschlag zum Umsturz einer Regierung hineinzuziehen, gegen welche so viele Generationen der Saracinesca sich verschworen und gekämpft hatten. Giovanni in eine liberale Verschwörung verwickeln, ihn dann verrathen, damit er ins Gefängniß gesetzt oder aus Rom verbannt würde, — das war ein Plan, der Del Ferice wohlgefiel, und dessen Aus­ führung er ernstlich herbeizuführen wünschte. Er hatte oft versucht, seinen Feind ins Gespräch zu ziehen und dabei seine Abneigung um des Zweckes willen unterdrückt und versteckt, aber bei der ersten Berührung politischer Fragen wurde Giovanni undurchdringlich, zuckte die Achseln und nahm eine Miene äußerster Gleichgültigkeit an. Kein Paradoxon konnte ihn zum Disputiren bringen, keine Schmeichelei ihm die Zunge lösen. Freilich waren es Zeiten, da die Leute zauderten eine Meinung auszusprechen, nicht nur weil jegliche beliebige Meinungsäußerung von lauernden Feinden übertrieben und verdreht werden konnte, — eine Möglichkeit, welche Giovanni Saracinesca nicht besonders eingeschüchtert haben würde, — sondern auch Crawsord, SaraciueSca.

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82 weil es selbst für den weisesten Sterblichen schwer war, sich über den Lauf der Ereignisse ein befriedigendes Ur­ theil zu bilden. Es war für Jeden klar, daß die weltliche Macht des Papstes seit 1848 durch Frankreich aufrecht gehalten wurde, und obwohl im Jahre 1865 Niemand den Sturz des zweiten Kaiserreiches voraussah, so hatte doch auch Niemand einen Grund anzunehmen, daß das mili­ tärische Protektorat Louis Napoleons in Rom für immer fortdauern sollte. Was aber geschehen könnte, wenn dieser Schutz aufhörte, war allerdings eine zweifelhafte Sache, wurde aber von der Regierung nicht als ein berechtigter Gegenstand für Voraussetzungen angesehen. Del Ferice ließ indessen in seinen Versuchen nicht nach, Giovanni zum Aussprechen seiner Ansichten zu be­ wegen, und so oft sich eine Gelegenheit dazu darbot, be­ strebte er sich, ihn ins Gespräch zu ziehen. Im vorliegen­ den Falle war es ihm bestimmt, größeren Erfolg zu er­ zielen, als seinen Anstrengungen bisher beschieden gewesen. Bei dem Picknick ging es lärmend zu und Giovanni war in schlechter Laune; er machte sich nichts aus Donna Tullias Blicken, noch aus den Bemerkungen, die sie beständig auf ihn abzielte; noch weniger unterhielt ihn die seichte Lustigkeit der Schaar ihrer Bewunderer, deren Gespräche von Zeit zu Zeit durch den beißenden Cynismus des schwermüthigen Spicca gewürzt wurden. Del Ferice lächelte und redete und lächelte wieder, und suchte Donna Tullia zu gefallen und ihr zu schmeicheln, wie er es gewöhnlich that. Allmälig trocknete der scharfe Nordwind und die Helle Sonne den feuchten Boden, und Madame Mayer schlug vor, die Gesellschaft solle ein Stück auf dem Wege nach Rom zu Fuße gehen, — ein Vorschlag von so erstaunlicher Origi­ nalität, daß er mit Acclamation angenommen wurde.

83 Donna Tullia wünschte mit Giovanni zusammen zu gehen, aber unter dem Vorwande, etwas auf dem Wagen ver­ gessen zu haben, ließ er Valdarno Zeit, seine Stelle ein­ zunehmen. Als Giovanni den Uebrigen nachkam, sah er, daß Del Ferice zurückgeblieben war und auf ihn zu war­ ten schien. Giovanni war an jenem Tage in übler Laune. Er hatte sich überreden lassen, an einer Art von Vergnügen theilzunehmen, woraus er sich nichts machte, und zwar durch das bloße Zureden einer Frau, aus der er sich noch weniger machte, die er aber bei sich beschlossen hatte zu heirathen, und die ganz fest entschloffen war ihn zu heirathen. Er, welcher Unentschiedenheit haßte, hatte vierund­ zwanzig Stunden lang hin und her geschwankt wie ein Pendel oder, wie er zu sich sagte, wie ein Esel zwischen zwei Bündeln Heu. In einem Augenblicke wollte er Donna Tullia heirathen, im nächsten war ihm der Gedanke gräß­ lich; einmal war ihm zu Muthe, als ob er jedes Opfer bringen möchte, um die Herzogin von Astrardente von ihm zu befreien, und dann fühlte er wieder, wie unzureichend ein solches Opfer sein würde. In seinem Innern schämte er sich, denn er war kein Knabe von zwanzig Jahren, um sich durch den Blick einer Frau ober durch eine Saune ins Schwanken bringen zu lassen; er war ein reifer Mann und kannte die Welt. Er war daran gewöhnt gewesen, seine ersten Regungen für gut zu halten und ihnen natürlich ohne besonderes Nachdenken zu folgen; es brachte ihn in verzweifelte Verwirrung, daß er sich zu einer Analyse die­ ser Regungen gezwungen fühlte, um zu entscheiden, was er zu thun habe. Er war in gründlich übler Saune, und Del Ferice ahnte, daß, falls Giovanni überhaupt zum Sprechen zu bringen wäre, dies geschehen müsse, wenn er nicht ganz 6*

84 Herr seiner selbst sei. In Rom, im Club, — es gab da­ mals nur einen Club in Rom — in Gesellschaft hatte Hugo nie Gelegenheit mit seinem Feinde zu sprechen; aber hier, auf der Appischen Sttaße, mitten in der wetten Cam­ pagna, während die übrige Gesellschaft dreihundert Meter voraus war, und Giovanni entschieden keine Lust bezeigte, sie einzuholen, müßte es doch arg zugehen, wenn er nicht in ein Gespräch zu ziehen wäre. „Ich glaube," sagte Del Ferice, „wenn Sie die Wahl hätten, würden Sie überall lieber gehen als hier." „Weshalb?" fragte Giovanni obenhin. „Der Weg ist

sehr gut." „Ich denke, die römische Campagna muß für ihre Be­ sitzer, wie Sie, alles eher als eine Quelle der Befriedigung sein", versetzte Del Ferice. „Sie hat sehr gutes Weideland." „Sie könnte etwas Befferes sein! Wenn man dentt, daß zu alten Zeiten sich hier ein Landgut ans andere reihte" — „Die Verhältnisse sind sehr verschieden. Wir leben nicht in alten Zeiten", entgegnete Giovanni trocken. „Ach ja, die Berhältniffe!" rief Del Ferice mit leisem Seufzer aus. „Sicherlich hängen die Zustände von den Menschen, nicht von der Natur ab. Was unsere stolzen Vorfahren durch Gesetze und Thatkraft vollbrachten, das dächte ich, könnten wir auch vollbringen, wenn wir unter uns Gesetz und Thatkraft wieder herstellten." „Da sind Sie ganz im Irrthum", antwortete Saracinesca. „Es würde das Fünffache der Thatkraft der alten Römer erfordern, um die Campagna in einen Garten oder auch nur in fruchtbar ergiebiges Land zu verwandeln. Keiner unter uns ist fünfmal so thatkräftig, wie die alten



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Römer. Was die Gesetze anbetrifft, so ists damit gut ge­ nug bestellt." Del Ferice war entzückt. Zum ersten Male schien Giovanni geneigt, sich mit ihm auf Erörterungen einzulaffen. „Warum sind die Verhältnisse so verschieden? Das sehe ich nicht ein. Hier ist dasselbe wellenförmige Land, daffelbe Klima" — „Und doppelt so viel Waffer", unterbrach ihn Gio­ vanni. „Sie vergessen, daß die Campagna sehr niedrig ist, daß die Flüsse darin sehr gestiegen sind. Es giebt jüngst ausgegrabene Theile des alten Rom, die unterhalb des jetzigen Wafferstandes des Tiber liegen. Wenn die Stadt auf ihrem alten Niveau erbaut wäre, würde ein großer Theil derselben beständig überschwemmt sein. Die Flüsse sind gestiegen und haben das Land durchsumpst. Glauben Sie, daß noch so viele Gesetze und Thatkraft diese fiebergeplagte Ebene durch Abzug nach der See entwäffern könnten? Ich nicht. Glauben Sie, wenn ich mich überzeugen könnte, daß das Land fruchtbar zu machen wäre, so würde ich mich durch irgend welche Ausgabe, die in meiner Macht stände, davon zurückschrecken lasten, die wüsten Strecken, welche meinem Vater und mir hier ge­ hören, der Kultur wieder zu gewinnen? Die Campagna ist eine Reihe von Sümpfen und Steinbrüchen. Auf einer Stelle stößt man einen Fuß unter der Oberfläche auf Ge­ stein, und der Boden dörrt im Sommer aus; eine kleine Strecke weiter trifft man auf einen mehrere hundert Fuß tiefen Sumpf, der selbst im Sommer niemals trocken ist." „Aber", meinte Del Ferice, der geduldig zuhörte, „wenn die Regierung ein Gesetz erließe, welches alle Grundbesitzer verpflichtete, Bäume zu pflanzen und Grä­ ben zu ziehen, so würde das etwas helfen."

86 „Das Gesetz kann uns nicht zwingen, Menschenleben hinzuopfern. Die Trappisten in den Tre Fontane ver­ suchen es und sterben zu Dutzenden. Glauben Sie, ich oder irgend ein anderer Römer würde Bauern an solch einen Ort schicken oder- sie bewegen können hinzuziehen?" „Nun, es ist eine von den vielen Fragen, welche eines Tages ihre Lösung finden werden," sagte Del Ferice. „Sie können nicht leugnen, daß bei uns zu Lande Gelegenheit zu recht vielen Verbefierungen ist, und daß ein Einfluß fortschrittlicher Ideen gesund sein würde." „Vielleicht; aber unter Fortschritt verstehen Sie etwas ganz Anderes als ich", erwiderte Giovanni und sah in der lichten Ferne die Gestalten Donna Tullias und ihrer Freunde an, und regelte seine Schritte, so daß die Ent­ fernung, welche fie von ihm trennte, nicht kleiner wurde. Er mochte lieber mit einem Mann, der ihm zuwider war, über Nationalökonomie sprechen, als genöthigt sein, mit Madame Mayer Conversation zu machen. „Unter Fortschritt verstehe ich pofitive Verbefierungen ohne revolutionäre Umwälzung", erklärte Del Ferice, indem er die Phrase gebrauchte, welche er fich seit lange als sein Glaubensbekenntniß vor der Welt zurecht gemacht hatte. Giovanni sah ihn einen Augenblick scharf an. Ihm lag nichts an Hugo und seinen Ideen, aber er argwöhnte in ihm ganz andere Grundsätze. „Sie werden mir verzeihen," sagte er höflich, „wenn ich zu bezweifeln wage, daß Sie Ihre Ansichten offen aus­ gesprochen haben. Mir kommt es so vor, als ob Sie die Idee des Fortschrittes allerdings mit einer sehr positiven revolutionären Umwälzung in Verbindung brächten." Del Ferice zuckte mit keiner Wimper, aber unwillkür­ lich sah er sich um. Es waren Zeiten,, wo Leute fich vor

87 Horchern hüteten. Doch Del Ferice kannte seinen Mann und wußte, die einzige Art, das Gespräch fortzuführen, wäre, die Beschuldigung auf sich sitzen zu lassen, als ob er der Verschwiegenheit seines Gefährten unbedingt traue. „Wollen Sie mir eine offne Antwort aus eine offne Frage geben?" fragte er ernst. „Lassen Sie mich die Frage hören", versetzte Giovanni gleichmüthig. Auch er kannte seinen Mann und glaubte seinen Reden ebensowenig wie dem Geplapper eines Papa­ geies. Und doch galt Del Ferice bei der Welt im allge­ meinen nicht für einen Lügner. „Gewiß", antwortete Hugo. „Sie find der Erbe einer Familie, welche seit undenklichen Zeiten den Päpsten Wider­ stand geleistet hat. Man kann bei Ihnen keine loyale An­ hänglichkeit an die weltliche Herrschaft voraussetzen. Ich

weiß nicht, ob Sie persönlich dieselbe unterstützen würden oder nicht. Aber offen gesagt, wie würden Sie so eine re­ volutionäre Umwälzung ansehen, wie Sie voraussetzen, daß ich sie herbeiwünsche?" „Ich habe nichts dagegen, Ihnen das zu sagen. Ich würde einfach suchen, mich bestmöglichst darein zu finden." Del Ferice lachte über die vieldeutige Antwort und that, als sähe er sie als eine bloße Ausflucht an. „Das würden wir alle thun", sagte er. „Was ich aber fragen wollte, ist, ob Sie persönlich die Waffen er­ greifen würden, um für die weltliche Herrschaft zu kämpfen, oder ob Sie den Ereignissen ihren Lauf lassen würden? Ich denke, das wäre der Prüfstein der Unterthanentreue."

„Mein Naturtrieb würde mich sicherlich zum Kämpfen anspornen, ob es helfen könnte oder nicht. Aber die Zweck­ mäßigkeit des Kämpfens ist in solchem Falle eine sehr schwer zu entscheidende Frage. So lange als noch für etwas

88 zu kämpfen ist, ganz gleich wie überwältigend die Ueber« macht auf der andern Seite, sollte ein Edelmann in der ersten Reihe stehen — länger aber nicht. Es handelt sich darum genau den Punkt zu bezeichnen, wo die Stellung unhaltbar wird. So lange Frankreich unsre Sache zur seinen macht, sollte Jeder diese Sache persönlich unterstützen; aber es ist abgeschmackt anzunehmen, daß wenn wir, eine Hand voll Römer gegen eine große Macht, allein gelassen würden, wir noch mehr thun könnten und sollten, als einen formellen Widerstand leisten. Es hat zu allen Zeiten als Regel gegolten, daß ein noch so tapfrer General, der lieber das Leben seiner Soldaten in hoffnungslosem Widerstände aufopfert, als die Bedingungen einer ehrenvollen Kapi­ tulation annimmt, eines militärischen Vergehens schul­ dig ist." „Mit andern Worten," versetzte Del Ferice ruhige „wenn die französischen Truppen zurückgezogen würden, und die Italiener Rom belagerten, würden Sie sofort kapituliren?" „Gewiß — nach einem feierlichen Protest. Es würde verbrecherisch sein, in einem solchen Falle das Leben unserer Mitbürger aufzuopfern." „Und dann?" „Dann wie gesagt, würde ich mich bestmöglich darein zu finden suchen — auch nicht unterlassen, Del Ferice zu beglückwünschen, wenn er unter der neuen Regierung eine Anstellung erhielte," setzte Giovanni lachend hinzu. Allein Del Ferice nahm keine Notiz von diesem Scherz. „Glauben Sie nicht, daß — abgesehen von irgend welcher Frage der Sympathie oder Ergebenheit für den Heiligen Vater — die Veränderung in der Regierung ein ungeheurer Vortheil für Rom sein würde?"

89 „Nein, das glaube ich nicht. Für Italien würde der Vortheil unschätzbar sein, für Rom wäre es ein Nachtheil. Italien würde das Ansehen erhöhen, welches es zuerst zu erwerben anfing, als es Cavour vor elf Jahren gelang, eine Handvoll Truppen nach der Krim zu fchicken. Italien würde sofort eine hohe Stellung als eine europäische Macht einnehmen, — immer vorausgesetzt, daß das glimmende republicanische Element nicht im Gegensatz zu der constitutionellen Monarchie losbräche. Aber Rom würde zu Grunde gehen. Rom ist nicht mehr im geographischen Sinne die Hauptstadt von Italien — nicht einmal die größte Stadt; aber im Lause einiger Jahre würden gewaltsame Anstrengungen gemacht werden, um Rom eine künstliche moderne Größe zu geben an Stelle des morali­ schen Uebergewichtes, das es jetzt als Hauptsitz der katho­ lischen Welt hat. Dieses Streben nach unächter Größe würde die Stadt finanziell zu Grunde richten, und der Haß der Römer gegen die Norditaliener würde endlose in­ nere Zwistigkeiten verursachen. Wir würden einer Be­ steuerung unterworfen werden, welche aus uns schwerer lasten würde als aus den andern Italienern in dem Ver­ hältniß als unser Land minder productiv ist. Im Ganzen genommen würden wir rasch verarmen, denn die Preise würden steigen, und wir würden den Papierkurs statt des Silberkurses bekommen. Besonders wir Grundbesitzer wür­ den unter der uns plötzlich aufgezwungenen italienischen Landordnung schwer leiden. Genöthigt zu sein, seinen Grund und Boden einem beliebigen Bauern zu verkaufen, der genug zusammenscharren kann, um die kleine Summe, welche er jetzt als Pacht bezahlt, zu kapitalisiren, würde kaum an­ genehm sein. So ein Kerl, von dem ich mit der größten Mühe seinen jährlichen Scheffel Korn herausbekomme, könnte

90 sich von einem Nachbarn zwanzig Scheffel oder den Werth derselben borgen, und mich wider meinen Willen auskaufen, und für sich Land erwerben, welches zehnmal mehr werth ist als die Pacht, welche er und seine Vorväter dafür be­ zahlt haben. Es würden außerordentliche Zustände ent­ stehen, das kann ich Ihnen versichern. Nein — selbst ab­ gesehen von dem, was Sie meine Sympathie und Ergeben­ heit für den Papst nennen, — ich wünsche keine Ver­ änderung. Das thut kein Großgrundbesitzer, die revolutio­ nären Geister sind Leute, welche nichts haben." „Andrerseits bilden diejenigen, welche nichts oder so gut wie gar nichts haben, die große Mehrheit." „Selbst wenn das wahr wäre, was ich bezweifle, sehe ich nicht ein, weshalb die intelligente Minderheit von der unwiffenden Mehrheit regiert werden soll." „Aber Sie vergeffen, daß die Mehrheit gebildet werden soll," entgegnete Del Ferice. „Bildung ist ein Begriff, den wenige definiren können," erwiederte Giovanni. „Jeder gute Schulmeister weiß be­ deutend mehr als Sie oder ich. Möchten Sie sich von einer Mehrheit von Schulmeistern regieren laffen?" „Das ist eine plausible Beweisführung," lachte Del Ferice, „aber keine gesunde." „Keine gesunde!" wiederholte Giovanni ungeduldig. „Die Leute schreien so gern, daß das, was ihnen nicht ge­ fällt, nicht gesund, nicht stichhaltig ist! Denken Sie, es würde nicht ganz gerecht sein, fünfhundert Schulmeister fünfhundert Herren von unsrer Durchschnittsbildung gegen­ über zu stellen? Ich glaube, es würde ganz gerecht sein. Die Schulmeister würden jedenfalls in Hinsicht aus die Bildung im Vortheil sein: glauben Sie, haß sie deshalb bessere oder weisere Wühler sein würden, als dieselbe An-

91 zahl von Herren, welche nicht alle Städte und Flüffe in Italien hersagen, noch eine Seite Latein fehlerlos übersetzen können, welche aber die Verhältnisse des Grundbesitzes durch praktische Erfahrung in einer Weise kennen, wie kein Schul­ meister sie verstehen kann? Ich sage Ihnen, es ist ein Unding. Bildung von der Art, wie sie bei der Regierung eines Volkes von praktischem Werth ist, bedeutet: mensch­ liche Beweggründe, humane Ideen, ein System lehren, ver­ mittelst dessen die Mehrheit der Wähler Eigenschaften wie Rechtschaffenheit und gesunden Menschenverstand in ihrem Wahlcandidaten erkennen können. Ich beanspruche nicht, sagen zu können, was das für ein System sein soll, aber ich behaupte, daß keine Bildung, welche nicht zu einer Er­ kenntniß der Art führt, irgend welchen praktischen Nutzen für die stimmfähige Mehrheit eines constitutionell regierten Landes hat." Del Ferice seufzte wehmüthig. „Ich fürchte, Sie werden das System in Europa nicht entdecken," sagte er. — Er fühlte sich in Giovanni und in seinen Hoffnungen, in ihm Anzeichen revolutionärer Gesin­ nung zu entdecken, enttäuscht. Saracinesca war ein Edel­ mann von der alten Schule, welcher augenscheinlich Mehr­ heiten und moderne politische Wissenschaft im Allgemeinen verachtete, welcher aus Standesinteresse keine Veränderung in der bestehenden Regierung wünschte, und welcher sicher­ lich als der Erste sein Schwert zur Vertheidigung der welt­ lichen Herrschaft ziehen und es als der Letzte eiustecken würde. Seiu ruhiges Urtheil in Betreff der Nutzlosigkeit, eine hoffnungslose Stellung zu behaupten, würde wie Rauch vergehen, wenn sein feuriges Blut erst einmal erregt wäre. Er war ein so redlicher Mann, daß selbst Del Ferice ihn nicht im Verdacht haben konnte, Ansichten zur Schau zu tragen, welche nicht wirklich die seinen waren, und Hugo

92 gab aus der Stelle alle Pläne auf, ihn in politische Ver­ wicklungen verflechten und in Ungnade bringen zu können, obschon er keineswegs die Hoffnung aufgab, ihm in andrer Weise schaden zu können. „Darin stimme ich wenigstens mit Ihnen überein," sagte Saracinesca, „die einzigen Verbefferungen, welche der Einführung werth wären, find ficherlich nicht in Europa zu finden. Donna Tullia ruft uns. Wir wollen uns lieber jener harmlosen Lämmerheerde anschließen, und es aufgeben, über die Vortheile, uns mit einem Rudel Wölfe zu ver­ bünden, die uns mit Haus und Hof, mit Sack und Pack auffressen würden, Muthmaßungen anzustellen." So kletterte denn die ganze Gesellschaft wieder auf ihre Plätze auf dem Drag, und Valdarno fuhr fie durch die Porta San Giovanni nach Rom zurück.

Sechstes Kapitel.

Corona von Astrardente war in einem Kloster erzogen, das heißt zu gewissenhafter Ausübung ihrer religiösen Pflichten angehalten worden; und während der fünf Jahre, welche seit ihrem Eintritt in die Welt vergangen waren, hatte fie keine Ursache gehabt, die in ihrer ersten Jugend angenommenen Gewohnheiten aufzugeben. Manchen Leuten ist die Religion eine Last; andere sehen fie als eine nichts bedeutende, unnütze Einrichtung an, woran sie keinen Theil haben wollen und um welche sie sich nicht bekümmern, andere wieder finden in ihr die Hauptstütze ihres Lebens. Es läßt sich als etwas Natürliches voraussetzen, daß die Denkweise und die Gewohnheiten, welche junge Mädchen in einem Kloster angenommen haben, nicht spurlos ver-

92 gab aus der Stelle alle Pläne auf, ihn in politische Ver­ wicklungen verflechten und in Ungnade bringen zu können, obschon er keineswegs die Hoffnung aufgab, ihm in andrer Weise schaden zu können. „Darin stimme ich wenigstens mit Ihnen überein," sagte Saracinesca, „die einzigen Verbefferungen, welche der Einführung werth wären, find ficherlich nicht in Europa zu finden. Donna Tullia ruft uns. Wir wollen uns lieber jener harmlosen Lämmerheerde anschließen, und es aufgeben, über die Vortheile, uns mit einem Rudel Wölfe zu ver­ bünden, die uns mit Haus und Hof, mit Sack und Pack auffressen würden, Muthmaßungen anzustellen." So kletterte denn die ganze Gesellschaft wieder auf ihre Plätze auf dem Drag, und Valdarno fuhr fie durch die Porta San Giovanni nach Rom zurück.

Sechstes Kapitel.

Corona von Astrardente war in einem Kloster erzogen, das heißt zu gewissenhafter Ausübung ihrer religiösen Pflichten angehalten worden; und während der fünf Jahre, welche seit ihrem Eintritt in die Welt vergangen waren, hatte fie keine Ursache gehabt, die in ihrer ersten Jugend angenommenen Gewohnheiten aufzugeben. Manchen Leuten ist die Religion eine Last; andere sehen fie als eine nichts bedeutende, unnütze Einrichtung an, woran sie keinen Theil haben wollen und um welche sie sich nicht bekümmern, andere wieder finden in ihr die Hauptstütze ihres Lebens. Es läßt sich als etwas Natürliches voraussetzen, daß die Denkweise und die Gewohnheiten, welche junge Mädchen in einem Kloster angenommen haben, nicht spurlos ver-

93 schwinden, wenn sie in die Welt treten, und es läßt sich sogar erwarten, daß eine Erinnerung an diese ersten also gepflegten Eindrücke ihnen ihr Leben lang anhaften wird. Aber die mannichfachen Jnteresien des gesellschaftlichen Lebens thun viel dazu, dieses Gebäude jugendlichen Glaubens zu erschüttern. Die Triebkraft stürmischer Leidenschaften aller Art untergräbt die Mauern des Baus, und wenn endlich der Schlag des Unglücks geradezu auf den durch die Stürme der Jahre geschwächten und gelockerten Schluß­ stein des Bogens, auf Mann oder Weib selbst, fällt, dann stürzt der ganze Tempel der Seele zu einem hoffnungs­ losen Trümmerhaufen zusammen, in welchem weder eine Erinnerung an den Umriß des Ganzen, noch der leiseste Schatten einer für immer zerstörten Schönheit wiederzu­ finden ist. Aber es giebt Wesen, deren Theilnahme an dieser Welt nicht so stark ist, um den Glauben an die zukünftige zu erschüttern; deren Leidenschaften nicht die Oberhand ge­ winnen und deren Seele vor Gefahr durch etwas Befferes als die schwache Schutzwehr vollendeter Selbstsucht beschirmt werden. Zn diesen gehörte Corona, denn ihr Loos war kein glückliches und ihr Pfad nicht mit Rosen bestreut gewesen. Sie war eine freundlose Frau, viel zu leiden erkoren, und ihr Leiden war um so schärfer, als sie immer auf dem Punkt schien in der Welt, wo sie eine so hervorragende Rolle spielte, Freunde zu finden. Wenig Glück kann da vorhanden sein, wo das Leben auf einer falschen Grundlage aufgebaut worden, selbst wenn' ein so verhängnißvoller Irr­ thum freiwillig aus so reinem Pflichtgefühl begangen wurde, wie es Corona dazu getrieben hatte, den alten Astrardente zu heirathen. Trost ist nicht Befriedigung; und wenn sie

94 auch beim Nachdenken über ihren Schritt sich sagen konnte, daß sie von ihrem Standpunkte aus das Beste gethan, so mußte sie sich doch auch sagen, daß sie die Pforten des irdischen Paradieses vor sich verschloffen hatte, und daß ihr die Aussicht auf Glück für jetzt und für künftige Zeiten entrückt war, — dieser matte schattenhafte Spiegel, in welchem wir so gern allerlei Bilder, nur nicht das unsers gegenwärtigen Lebens, abgespiegelt sehen. Während sie so voll Ergebung die Folgen ihrer Wahl ertrug, war für ihr Leben der Glaube an höhere Dinge, der sie zu dem Opfer getrieben hatte, die Hauptquelle des Trostes. Sie kannte einen guten Mann, bei dem sie Rath suchte, wie sie es gethan, so lange sie denken konnte. Wenn sie in Bedrängniß war, zögerte sie nie. Pater Philippus war für sie der lebende Beweis für die Möglichkeit menschlicher Tugend, wie der Glaube für uns alle ein Zeugniß ist für das, was wir nicht sehen. Corona war jetzt in Bedrängniß — in einer ihr so neuen, daß sie sie kaum verstand, einer so schrecklichen und unbestimmten, daß die Gefahr ihr drohend erschien. Sie zögerte deshalb nicht und besann sich nicht anders am Morgen nach der Jagd, sondern fuhr nach der Kapuziner­ kirche an der Piazza Barberini und stieg klopfenden Herzens die breiten Steinstufen empor, nicht recht wiffend, wie sie in Worte faffen sollte, was sie sagen wollte, wohl aber wisiend, daß es für sie keine Hoffnung auf Frieden gäbe, wenn sie es nicht bald sagte und den ersehnten Rath und Beistand erhielte. Pater Philipp war seiner Zeit ein Welt­ mann gewesen, — ein Mann von hoher Bildung, verfei­ nerten Liebhabereien und Verständniß für die Liebhabereien Andrer, sanft und verbindlich in seinem Wesen und von großer Herzensgüte. Niemand wußte, woher er stammte.

95 Er sprach Italienisch correct und mit fein gewählten Aus­ drücken, aber ein leichter Accent verrieth seine ausländische Abkunft. Er war schon seit langen Jahren, vielleicht die Hälfte seines Lebens, Kapuzinermönch, und Corona kannte ihn seit ihrer Kindheit, denn er war ein Freund ihres Vaters gewesen; wegen ihrer Verheirathung aber war er nicht zu Rathe gezogen worden, — sie besann sich sogar, daß sie sehnlichst gewünscht, ihn vor ihrem Hochzeitstage zu sehen, ihr Vater ihr aber gesagt hätte, er habe Rom auf einige Zeit verlassen. Denn dem alten Herrn war es furchtbarer Ernst mit der Heirath, darum fürchtete er in seinem Herzen, Corona könne schwanken und Pater Philipp um Rath fragen, und er kannte den guten Mönch zu genau, um anzunehmen, daß er zu einem solchen Opfer, wie die Heirath des jungen Mädchens mit dem alten Astrardente es war, seine Zustimmung geben würde. Corona hatte das später erfahren, sich aber kaum die Selbstsucht ihres Vaters klar gemacht, noch sich klar machen wollen. Ihr genügte es, daß er zufrieden gestorben war, da er sie mit einem vornehmen Edelmann vermählt gesehen, und daß sie ihn in seinen letzten Tagen von dem Druck der Schulden und Verlegenheit, welcher zweifellos zur Verkürzung seines Lebens beigetragen, hatte frei machen können. So hatte sich die stolze Frau ein Mal um eines Zweckes willen, der ihr gut dünkte, erniedrigt und war dann nie­ mals wieder auf diesen Punkt zurückgekommen. Nie hatte sie mit Pater Philipp über ihre Lage gesprochen, so daß der Mönch über ihre Standhaftigkeit staunte und sie be­ wunderte. Wenn sie litt, so litt sie schweigend, ohne Er­ klärung und ohne Klage, und so würde sie gelitten haben bis ans Ende. Aber es war anders beschloffen. Seit Monaten war sie sich bewußt, daß ihr Interesse an Giovanni

96 Saracinesca im Zunehmen war; sie hatte es zu ersticken gesucht, hatte alles in ihrer Macht stehende gethan, um sich gegen ihn gleichgültig zu erweisen; endlich aber war die Krists eingetreten. Als er mit ihr von seiner Verheirathung sprach, fühlte fie — jetzt wußte sie, daß es so war — daß sie ihn liebte. Wenn sie es sich vorsagte, klang schon das bloße Wort wie eine furchtbare, beinahe unfaßbare Anklage in ihren Ohren. Einen Augenblick stand fie oben auf den Stufen vor der Kirche still und blickte aus die kahlen ver­ krüppelten Bäume hinab und zu dem grauen Himmel empor, gegen welchen sich die hohen Dächer des Palazzo Barberini scharf abzeichneten. Das Wetter hatte sich wieder ver­ ändert, und ein weicher Südwind wehte den Wafferstaub des Springbrunnens über den halben Platz hin. Corona stand still, ihre zarte Gestalt lehnte fich halb gegen den steinernen Thürpfosten der Kirche, ihre Hand ruhte auf dem schweren Ledervorhang, den sie eben aufheben wollte, und als sie so dastand, trat eine verzweifelte Versuchung an fie heran. Ihr schien es verzweifelt, — mancher an­ deren Frau wäre es nur natürlich erschienen — der Kirche den Rücken zu drehen, den schweren Augenblick der Beichte aufzuschieben, in die Stadt zurückzukehren und sich zu sagen, es wäre kein Unrecht darin, Don Giovanni zu sehen, vor­ ausgesetzt, daß sie ihn nie von Liebe zu ihr sprechen ließ. Warum sollte er denn davon sprechen? Hatte sie Grund anzunehmen, daß in irgend einem Worte, das er zu ihr sagen könnte, für sie Gefahr läge? Hatte er je in Wort oder That für sie ein Interesse verrathen, wie es in ihr, das wußte fie, Liebe zu ihm war? Hatte er je — ach ja! Erst gestern Abend hatte er sie um Rath gefragt' hatte sie angefleht ihm zu rathen, keine andere zu heirathen; sein Arm hatte gebebt, als sie die Hand daraus legte. Bei der

97 plötzlichen Erinnerung daran, daß auch er Bewegung ge­ zeigt, überkam Corona eine so plötzliche, so überwältigende Freude, wie sie noch nie empfunden hatte, einen Augen­ blick darauf war sie sich deffen bewußt und fürchtete sich. Also war es wahr. In demselben Augenblicke, wo das Bewußtsein der Schuld ihn zu lieben, sie am meisten be­ drückte, war in ihrem Herzen eine heimliche Freude bei dem bloßen Gedanken an diese Liebe. Konnte eine Frau tiefer finken, fragte fie fich, tiefer als fich über das zu freuen, was fie als Sünde erkennt? Und doch war es ja bei alledem nur so ein armselig kleines freudiges Erbeben; aber es war das erste, welches fie je empfundem hatte. Umzukehren und einige Tage zu überlegen, würde so leicht sein! — so süß, daran zu denken, selbst wenn der Vor­ wand um an Giovanni zu denken der gute Vorsatz wäre, ihn aus ihrem Leben auszustreichen. Es würde so süß sein, gleich an diesem Nachmittag wieder allein unter den Bäumen dahinzufahren und ihr Seelenheil in der Wagschale ihres Herzens abzuwägen, ihr Herz würde schon die Wage zu neigen wissen. Corona stand still und hielt den Vorhang in der Hand. Sie war eine muthige Frau, aber fie erblaßte — nicht zaudernd, nur zögernd, sagte sie zu sich. Plötzlich stieg heftige Selbstverachtung in ihr auf. War es ihrer würdig, auch nur anzuhalten, wo es galt recht zu thun? Ihr edler Sinn rief ihr laut zu hinein zu gehen und zu thun, was ihrer am würdigsten sei: ihre Hand hob den schweren Ledervorhang, und sie trat in die Kirche. Innen war die Luft bedrückt und feucht, und das graue Licht fiel kalt durch die hohen Fenster. Corona schauerte und zog ihr Pelzwerk fester um fich, während fie das Schiff der Kirche nach der Sakristei zu empörging. Sie fand den Mönch, den sie suchte, und legte ihre Beichte ab. Crawford, SaracineSca.

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98 „Mein Vater," sagte sie zuletzt, als der gute Mann glaubte, sie wäre fertig, „Padre mio, ich bin ein elendes Weib." Sie barg ihr dunkes Antlitz in ihre bloßen Hände und allmälig rollten die hellen Thränen aus ihren Augen und tröpfelten eine nach der anderen auf ihre feinen Fin­ ger und auf das abgericbene schwarze Holz des Beicht­

stuhls. „Meine Tochter," sagte der gute Mönch, „ich will für Sie beten, andere werden für Sie beten, — aber vor allem müffen Sie selbst für sich beten. Und hören Sie meinen Rath, mein Kind; wir alle werden in Versuchung geführt, aber wir dürfen nicht denken, wenn wir in Versuchung gerathen, daß wir darum schon hoffnungslos gesündigt haben, und wiederum, wenn wir gegen die Versuchung ankämpsen, dürfen wir nicht sofort wähnen, daß wir sie überwunden und recht gehandelt haben. Wäre in uns nichts Böses, so könnte keine Versuchung von außen an uns herantreten, denn nichts Böses könnte uns lockend er­ scheinen. Aber bei Ihnen kann ich nicht finden, daß Sie bis jetzt ein großes Unrecht begangen haben. Sie müffen Muth fassen. Wir leben alle in der Welt, und was wir auch thun mögen, wir können sie nicht unbeachtet laffen. Die Sünde, welche Sie als solche ansehen, ist wirNich Sünde, doch ist sie Ihnen noch nicht nahe, weil Sie sie so verabscheuen; und wenn Sie beten, daß Sie sie Haffen lernen, so wird sie immer weiter von Ihnen weichen, bis Sie hoffentlich zuletzt selbst nicht mehr begreifen werden, wie sie Ihnen je so nahe kommen konnte. Faffen Sie Muth, trösten Sie sich. Seien Sie nicht krankhaft auf­ geregt. Widerstehen Sie der Versuchung, betrachten Sie dieselbe und Ihr eigenes Gefühl aber nicht zu genau; denn es ist ein Hauptzeichen des Bösen in uns, daß wenn wir

99 zu viel über uns und unsere Versuchungen nachdenken, wir uns in unseren eigenen Augen gut dünken, und unsere Versuchung uns nicht so unangenehm vorkommt, weil der bloße Widerstand dagegen uns besser scheinen läßt, als wir sind." Aber noch immer strömten die Thränen aus Coronas Augen in der dunkeln Ecke der Kirche und sie ließ sich nicht trösten. „Padre mio,“ hub sie wieder an, „ich bin sehr unglücklich. Ich habe auf der weiten Welt keinen Freund, gegen den ich mich aussprechen kann. Ich habe niemals mein Leben so angesehen, tote ich es jetzt ansehe. Gott vergebe mir, ich habe meinen Mann nie geliebt. Ich habe nie gewußt, was lieben heißt. Ich war ein reines Kind, ein unschuldiges Kind, als ich ihm angetraut wurde. Ich wollte Sie um Rath fragen, aber es hieß, Sie wären verreist, und ich dachte, ich thäte recht, meinem Vater zu gehorchen." Pater Philipp seufzte. Er hatte längst gewußt und verstanden, weshalb es Corona nicht gestattet worden war, in dem entscheidendsten Augenblicke ihres Lebens zu ihm zu kommen. „Mein Mann ist sehr gütig gegen mich", fuhr sie mit gebrochener Stimme fort. „Er liebt mich auf seine Weise, aber ich liebe ihn nicht. Das ist schon an und für sich eine große Sünde. Es scheint mir, als sähe ich nur eine Hälfte des Lebens, und zwar aus dem Fenster eines Ker­ kers, und doch bin ich nicht gefangen. Ich wollte, ich wäre es, dann hätte ich nie einen andern Mann gesehen. Ich hätte nie seine Stimme gehört, noch sein Gesicht gesehm, noch — noch ihn so geliebt, wie ich ihn liebe", schluchzte sie. „St! meine Tochter", sagte der alte Mönch sehr sanft. „Sie sagten mir, Sie hätten nie von Liebe gesprochen, 7*

100 sagten, daß Sie sich wohl für ihn interesfirten, aber nicht wüßten" — „Ich weiß, ich weiß es jetzt", rief Corona, alle Selbst­ beherrschung verlierend, während die leidenschaftlichen Thrä­ nen herniederströmten. „Ich konnte es nicht sagen — es schien so furchtbar — ich liebe ihn von ganzer Seele. Ich kann nie davon loskommen — es verzehrt mich. O Gott, ich bin so elend!" Pater Philipp schwieg eine Weile. Es war ein schreck­ licher Fall. In seiner ganzen Erfahrung konnte er sich keines traurigeren erinnern, obschon er immer mit den Sünden und Leiden der Welt zu thun hatte. Die schöne Frau, welche vor seinem Beichtstuhl kniete, war unschuldig, unschuldig wie ein Kind, — hochherzig und treu. Sie hatte ihr ganzes Leben ihrem Vater zum Opfer gebracht, der solcher Hingebung wenig werth gewesen; fie hatte jahrelang die Last getragen, an einen alten Mann ge­ bunden zu sein, den sie nicht anders als verachten konnte, wie redlich sie sich auch bemühte, sich selbst diese Thatsache zu verbergen, wie erfolgreich sie sie auch vor andern ver­ barg. Es war ein Wunder, daß das Unheil nicht früher geschehen; es bewies, eine wie reine und treue Frau fie war, daß sie mitten im Leben und Treiben der Welt, von vielen bewundert und umworben, in all diesen fünf Jahren auch noch nie an einen anderen Mann, als an ihren Gat­ ten gedacht hatte. Eine Frau, zur Liebe und zum Glück geschaffen, in der Blüthe der Jugend und Schönheit, einer so unerschütterlichen Beharrlichkeit in ihrer Treue fähig, so gut, so edel, so großmüthig, — es war unbeschreiblich er­ greifend, sie so aus tiefstem Herzen weinen und bekennen zu hören, daß sie nach so viel Ringen und Kämpfen, nach so vielen Opfern, endlich doch dem allgemeinen Schicksal

101 alles Menschlichen verfallen und der Liebe zugänglich ge­ worden wäre. Was ihr Glück hätte sein können, ward für sie zur Unehre; was der Stolz ihres jungen Lebens hätte fein sollen, ward ihr zum Vorwurf. Sie würde nicht fallen. Das glaubte der greise Mönch in seiner großen Menschenkenntniß. Aber sie würde furcht­ bar leiden, und vielleicht andre ebenfalls. Es war die Folge eines nicht rückgängig zu machenden falschen Schrittes von Anbeginn, als es dem jungen eben aus dem Kloster tretenden Mädchen geschienen hatte, der beste Schutz gegen die böse Welt, in welche sie eintreten sollte, wäre die be­ dingungslose Aufopferung ihrer selbst. Pater Philipp schwieg. Er hoffte, der leidenschaftliche Ausbruch des Schmerzes und der Selbstvorwürfe würde vorübergehen, obschon er selbst wenig genug zu sagen sand. Es war alles zu natürlich. Wer war er, dachte er, daß er der Natur widersprechen und einer freudlosen Frau ge­ bieten sollte, einer Macht zu trotzen, welche mehr als ein Mal die Berechnung der Welt über den Haufen geworfen hat? Er konnte ihr gebieten, um Kraft und Hilse zu beten, aber er fand es hart, den Fall mit ihr zu erörtern; denn er mußre zugeben, daß die schöne Büßerin im Grunde nur an sich erfuhr, was man ihr hätte vorher sagen können, daß sie einst fühlen mußte, und daß, soviel er sehen konnte, sie tapfer gegen die Gefahr ihrer Lage ankämpfte. Corona weinte bitterlich, während sie da kniete. Es war ihr eine Erleichterung, für eine Weile der Heftigkeit ihrer Empfindungen nachzugeben. Vielleicht hatte sie bei ihren Thränen ein zartes instinctives Bewußtsein, daß sie eben so gut um ihre Liebe, wie um ihre Sünde weinte; ihr Kummer war darum nicht minder ächt. Sie verstand sich selbst nicht. Sie wußte nicht, was Pater Philipp

102 wußte, daß ihr Frauenherz sich mehr nach Theilnahme als nach religiösem Zuspruch sehnte. Sie kannte viele Frauen, aber ihr edler Stolz ließ sie nicht einmal an die Möglich­ keit denken, sich einer von ihnen anzuvertrauen, selbst wenn sie das hätte mit der Gewißheit thun können, nicht selbst verrathen zu werden, noch den Mann, den sie liebte, zu verrathen. Sie war daran gewöhnt, sich Rath bei ihrem Beichtvater zu holen, und nun kam sie zu ihm mit ihrem Kummer und flehte um Theilnahme, überzeugt, daß Pater Philipp nie den Namen deffen erfahren würde, der ihren Frieden gestört hatte. Aber der Mönch begriff alles recht gut, und sein mildes Herz verstand das ihre und fühlte Mitleid für sie. „Meine Tochter," sagte er endlich, als sie sich etwas beruhigt hatte, „es würde ein unschätzbarer Vortheil sein, wenn dieser Mann sich aus einige Zeit entfernen könnte; aber das läßt sich wohl nicht erwarten. Unterdeffen müffen Sie ihn nicht anhören, wenn er —" „Das ist's nicht," fiel Corona ein, „das ist es nicht! Er spricht nie von Liebe. Ach, ich glaube wirklich, daß er mich gar nicht liebt!" Aber in ihrem Herzen fühlte sie, daß er sie lieben müffe; und während ihre Hand auf dem harten Holz des Beichtstuhls lag, war es ihr, als fühlte sie noch seinen bebenden Arm. „Um so beffer, mein Kind," sagte der Mönch ruhig; „denn wenn er Sie nicht liebt, wird Ihre Versuchung nicht stärker werden." „Und doch vielleicht — könnte er", murmelte Corona, denn sie fühlte, daß es unrecht wäre, in solchem Augen­ blicke auch nur die leiseste Vermuthung zu verheimlichen. „Kein vielleicht!" entgegnete Pater Philipp fast streng. „Lasten Sie es sich nie in den Sinn kommen, daß er Sie

103 lieben könnte. Bedenken Sie, daß selbst vom weltlichen Gesichtspunkt aus wenig Würde in einer Frau ist, die für einen Mann Liebe bezeigt, der ihr nie von Liebe gesprochen hat. Sie haben keinen Grund anzunehmen, daß Sie ge­ liebt werden, außer wenn Sie es wünschen. Also — kein vielleicht!" Des Mönches scharfe Charaktererkenntniß hatte ihm eine unerwartetete Vertheidigungswasfe für Corona gegeben. Er wußte, daß nichts einer stolzen Frau so unerträglich ist, als zu wissen, daß sie ihr ganzes Herz hingegeben hat ohne Gegenliebe zu finden, und daß wenn fie nicht ähn­ liche Gefühle erregen kann, wie ihre eignen, Liebe sich in Abneigung oder wenigstens in Gleichgültigkeit verkehren kann. Der starke Charakter der Herzogin von Astrardente antwortete auf diese Berührung, wie er es erwartet hatte. Ihre Thränen hörten auf zu fließen, und ihr Unwille wen­ dete sich empört gegen fie selbst. „Es ist wahr. Ich bin verächtlich", sagte sie plötzlich. „Sie haben mir die Augen über mich geöffnet. Es soll von keinem vielleicht die Rede sein. Ich verachte mich, weil ich daran gedacht habe. Beten Sie für mich, daß ich nicht wieder so tief sinke." Einige Minuten später verließ Corona den Beichtstuhl

und ging und kniete in der Mitte der Kirche nieder, um ihre Gedanken zu sammeln. Sie war in einer ganz andern Geistesverfassung als die, in der sie vor einer Stunde ihr Haus verlassen hatte. Sie wußte kaum, ob sie sich besser fühlte, war aber sicher, daß sie stärker geworden. Es war in ihr nicht der Wunsch geblieben, ihrem Kummer betrübt nachzuhängen, ihre Empfindungen, ihre Befürchtungen, die halbgesaßte Hoffnung, daß Giovanni sie doch lieben könnte, immer wieder von neuem in Gedanken durchzuleben. Es

104 war in ihr nur der stolze Entschluß, ihrer Thorheit schnell und ficher ein Ende zu machen und fie für immer zu ver­ gessen zu suchen. Des Beichtvaters Worte hatten ihre Wirkung gethan. Bon nun an wollte sie sich nie wieder so tief her­ ablassen. Sie war jetzt bereit, furchtlos in die Wett zu treten. Mehr aus Gewohnheit als um ein Gebet zu sprechen, kniete sie nach der Beichte in der Kirche, denn sie fühlte sich stark. Bald stand fie auf und ging nach der Thür; sie hatte noch nicht die halbe Länge der Kirche durchschritten, als sie Donna Tullia Mayer gegenüber stand. Es war ein sonderbares Zusammentreffen. Die römi­ schen Damen gehen häufig in die Kapuzinerkirche, wie es Corona gethan hatte, um fich Rath und Beistand von Pater Philipp zu holen. Nie aber hatte Corona Madame Mayer dort getroffen. Donna Tullia gab sich nicht für sehr fromm aus. Es war ihr nicht bequem gewesen, in der Weihnachtszeit zur Beichte zu gehen, und so hatte sie sich schon lange vorgenommen, das Versäumte nachzuholen; aber es ist unwahrscheinlich, daß fie ihrer religiösen Ver­ pflichtung vor der Fastenzeit nachgekommen sein würde, wenn sie nicht zufällig den Wagen der Herzogin von Astrardente unten an den Stufen der Kirche hätte stehen sehen. Donna Tullia war früh aufgestanden, denn sie sollte einem jungen Künstler zu ihrem Bilde sitzen, dieser wohnte in der Nähe der Piazza Barberini, und als sie in ihrem Brougham vorüberfuhr, fiel ihr die Livree der Herzogin in die Augen. Der Künstler konnte eine halbe Stunde warten; die Gelegenheit war herrlich. Sie war allein und wollte nicht nur ihre Pflicht erfüllen, indem sie zur Beichte ging, sondern auch eine Gelegenheit haben zu sehen, wie Corona aussah, wenn sie von ihren Andachtsübungen kam. Viel­ leicht konnte sie auch aus Pater Philipps Art und Weise

105 entnehmen, ob die Unterredung interessant gewesen wäre. Die Astrardente war so sehr fromm, daß es ihr schwer werden mußte, sich Sünden auszudenken, die sie beichten könnte. Vielleicht ließ sich auch ihrem Gesicht ansehen, ob sie Gemüthsbewegung dabei gehabt hatte. Jedenfalls sollte die Gelegenheit nicht unbenutzt vorübergehen. Ueberdies, wenn Donna Tullia fühlte, daß sie selbst nicht in der richtigen Stimmung zu Andachtsübungen sei, so konnte sie ja einige Minuten in der Kirche zubringen und dann ihrer Wege gehen. Also ließ sie den Wagen halten und ging hinein. Sie war eben in die Kirche getreten, als sie die hohe Gestalt der Corona von Astrardente auf sich zu­ schreiten sah, prächtig in ihrem einfachen Pelz, mit einem kurzen Schleier, der ihr Gesicht bis zur Hälfte bedeckte und eine ungewohnte Röthe auf den dunkeln Wangen. Corona war überrascht, Madame Mayer zu treffen, zeigte es aber nicht. Sie nickte ihr mit ziemlich freund­ lichem Lächeln zu und wollte vorübergehen. Das hätte aber nicht Donna Tullias Absichten entsprochen, denn sie wollte sich ihre Freundin genau ansehen. Nicht umsonst hatte sie sich so in Umsehen entschlossen, zur Beichte j$u gehen. Also hielt sie die Herzogin an und bestand darauf, ihr die Hand zu schütteln. „Was für ein merkwürdiges Zusammentreffen!" rief sie aus. „Sie müssen auch beim Pater Philipp gewesen sein!" „Ja," antwortete Corona, „Sie werden ihn in der Sakristei finden." Sie bemerkte, daß Madame Mayer sie mit großer Aufmerksamkeit betrachtete, in der That konnte sie kaum ahnen, wie unähnlich sich selbst sie eben aussah. Unter ihren Augen waren dunkle Ringe, und die Augen selbst schienen ein seltsames Licht auszustrahlen, während eine

106 ungewohnte Rothe ihre olivenfavbenen Wangen färbte und ihre Stimme einen eigenthümlich erregten Klang hatte. Madame Mayer starrte sie so unverwandt an, daß sie es bemerkte. „Weshalb sehen Sie mich so an?" fragte die Herzogin lächelnd. „Ich wunderte mich, was in aller Welt Sie zu beichten hätten", erwiederte Donna Tullia freundlich. „Sie find so ungeheuer tugendhaft, sehen Sie. Alle Menschen wundern sich über Sie." Coronas Augen funkelten düster. Sie vermuthete, daß Madame Mayer etwas Ungewöhnliches in ihrem Aussehen bemerkte, und die ungeschickten Worte gesprochen hätte, um ihre Reugier zu verbergen. Sie war verstimmt über das Zusammentreffen und noch mehr darüber, in der Kirche durch ein Gespräch sestgehalten zu werden. „Es ist sehr freundlich von Ihnen, mir solche Tugen­ den zuzuschreiben," antwortete sie. „Aber ich versichere Ihnen, ich bin nicht halb so gut, wie Sie glauben. Adieu — ich muß nach Hause." „Warten Sie!" rief Donna Tullia. „Ich kann auch ein ander Mal zur Beichte gehen. Wollen Sie nicht mit mir in Gouache's Atelier kommen? Ich muß ihm fitzen. Es ist so langweilig, allein hinzugehen." „Danke sehr", sagte Corona höflich. „Ich fürchte, ich kann nicht mitkommen. Mein Mann erwartet mich zu Hause. Ich wünsche Ihnen viel Vergnügen zur Sitzung!" „Run denn, Adieu! Ach, ehe ichs vergeffe: wir hatten gestern solche reizende Partie. Ein wahres Glück — der einzige schöne Tag in dieser Woche. Giovanni war höchst unterhaltend, so recht im Zuge und hielt uns den ganzen

107 Tag im Lachen. Adieu! ich wünschte so, Sie wären mit­ gekommen." „Es that mir sehr leid," versetzte Corona ruhig, „aber es war unmöglich. Es freut mich, daß Sie alle so viel Vergnügen daran gehabt haben. Adieu!" So schieden sie. „Wie sie wünscht, daß ihr Mann dem Beispiel meines guten alten Mayer gesegneten Andenkens folgen und heute oder morgen aus dieser Welt abscheiden möchte!" dachte Donna TuÜia, als sie durch die Kirche ging. Sie war überzeugt, es wäre etwas Ungewöhnliches vorgefallen, und brannte darauf, das Geheimniß zu er­ gründen. Aber sie war keine ganz schlechte Frau, und als sie ihre Gedanken gesammelt hatte, erkannte sie, daß selbst bei der allerausgedehntesten moralischen Nachsicht sie ihre Gemüthsverfaffung nicht für die richtige erklären könnte, um eine so ernste Sache wie eine Beichte vorzunehmen. Deshalb wartete sie einige Minuten, um Corona Zeit zum Fortfahren zu lassen und kehrte dann um. Vorsichtig schob sie den Vorhang zurück und blickte hinaus. Der Wagen der Astrardente verschwand eben in der Ferne. Donna Tullia ging die Stufen hinab, stieg in ihren Brougham und fuhr nach dem Atelier von Monsieur Anastase Gouache, dem Porträtmaler. Sie hatte nicht viel ausgerichtet, nur ihre Neugier aufgestachelt, und der letzte kleine Stich, Don Giovanni betreffend, war eigentlich übel angebracht gewesen. Sie fuhr nach dem Atelier und fand wie gewöhnlich Del Ferice auf sie wartend. Wenn Corona mitgekommen wäre, so würde sie über seine Anwesenheit erstaunt gethan haben, in der That aber traf Hugo sie dort immer und half ihr die Zeit vertreiben, während sie saß. Er war

108 sehr amüsant und ihr nicht unsympathisch ; überdieß bezeigte er ihr die tiefste Ergebenheit, — vielleicht war fie ächt, jedenfalls geschickt ausgedrückt. Wenn Jemand genau auf Del Ferices Verhalten Acht gegeben hätte, würde es. ge­ heißen haben, er mache der reichen jungen Wittwe den Hof. Aber er wurde in der Gesellschaft niemals als ein etwaiger Heirathscandidat angesehen, und Niemand dachte daran, seinem Thun irgend welche Wichtigkeit beizulegen. Indessen sah Hugo, der im Laufe der Jahre allmälig auf der gesell­ schaftlichen Stufenleiter in die Höhe gekommen war, keinen Grund ein, weshalb er nicht Donna Tullias Hand eben so gut gewinnen könnte, wie jeder Andre, vorausgesetzt, daß Giovanni Saracinesca aus dem Wege geschafft werden könnte; und er widmete sich mit entsprechendem Eifer dem Dienst der Wittwe, während er daneben sein Aeußerstes that, um Giovannis Neigung für die Astrardente zu nähren, welcher er zuerst auf die Spur gekommen war. Donna Tullia würde wahrscheinlich die Idee verlacht haben, daß Del Ferice im Ernst daran denken konnte, ein Bewerber zu sein, aber von all ihren Anbetern fand sie ihn am be­ ständigsten und bequemsten. „Was giebts Neues heute Morgen?" fragte sie, als er ihr den Wagenschlag öffnete. „Nichts, als daß ich wie immer Ihr treuer Sklave bin," antwortete er. „Ich habe eben die Astrardente gesehen", sagte Donna Tullia, noch im Wagen sitzend. „Sie sollen rathen, wo wir uns begegnet sind. „Sie sind ihr in der Kapuzinerkirche begegnet", ver­ setzte Del Ferice rasch mit selbstzufriedenem Lächeln. „Sie find ein Zauberer. Wie wissen Sie das? Haben Sie es errathen?"

109 „Wenn Sie von hier aus diese Straße hinabblicken wollen, so werden Sie bemerken, daß ich jeden Wagen, welcher von der Piazza Barberini nach der Kapuzinerkirche zu einbog, deutlich sehen konnte", erwiederte Hugo. „Sie war beinahe eine Stunde dort, und Sie blieben nur fünf Minuten." „Wie schrecklich es ist, so beobachtet zu werden!" rief Donna Tullia mit leichtem Lachen, das theils Befriedigung, theils Belustigung über Del Ferices Ergebenheit ausdrückte. „Wie kann ich anders, als Sie beobachten, wie die Erde zur Sonne aufschaut in ihrem Tageslaus?" sagte Hugo mit einem Anflug von Sentimentalität in seiner sanften einschmeichelnden Stimme. Donna Tullia sah sein glattes Gesicht an und lachte wieder beinahe gütig. „Die Astrardente hat ihre Sünden gebeichtet", sagte sie. „Schon wieder? Sie beichtet immerfort." „Was meinen Sie, kann sie zu sagen finden?" fragte Donna Tullia. „Daß ihr Mann gräßlich ist, und daß Sie schön sind", antwortet Del Ferice schlagfertig. „Warum?" „Weil sie ihren Mann nicht leiden kann und Sie ebenfalls nicht." „Nochmals: warum?" „Weil Sie Giovanni Saracinesca gestern mit auf die Landpartie nahmen; weil Sie ihn ihr immer fortnehmen. Was das anbetrifft, so Haffe ich ihn eben so sehr, wie die Astrardente Sie haßt", setzte Del Feriee mit gewinnendem Lächeln hinzu. Donna Tullia verschmähte keine Schmei­ chelei, aber Hugo machte sie nachdenklich. „Glauben Sie, daß sie sich wirklich etwas aus ihm macht?" fragte sie.

110 „Eben so sicher, als daß er es nicht thut," erwiederte Del Ferice. „Das wäre sonderbar", sagte Donno Tullia nach­ denklich. „Ich möchte wohl wiffen, ob es wahr ist." „Sie brauchen sie nur zu beobachten." „Sicherlich macht sich Giovanni mehr aus ihr, als sie sich aus ihm", warf Madame Mayer ein. „Jedermann sagte, er liebt sie, Niemand sagt, sie liebt ihn." „Das ist nur ein Gmnd mehr dafür — die öffent­ liche Meinung irrt immer, nur nicht in Bezug aus Sie." „Auf mich?" „Weil sie Ihnen so viel Gutes zuspricht, kann sie nicht irren", erwiderte Del Ferice. Donna Tullia lachte und erfaßte seine Hand, um aus dem Wagen zu steigen.

Siebentes Kapitel.

Monsieur Gonache's Atelier lag im zweiten Stock. Die schmale Treppe führte gerade auf eine grüne Thür zu, an der ein Schlitz zum Einstecken von Briefen und eine schäbige Schnur war, mittelst welcher man eine schwache Glocke ziehen konnte, ferner eine Visitenkarte, aus welcher inmitten vieler überflüssiger Schnörkel der Name des Künst­ lers „Anastase Gouache" geschrieben stand. Die Thür wurde ausgezogen; Donna Tullia und Del Ferice traten hinein und gingen noch ein halb Dutzend Stufen hinauf; dann befanden sie sich im Atelier, einem geräumigen Zimmer mit einem Fenster hoch über dem Fußboden, welches durch eine grüne Gardine halb verhängt

110 „Eben so sicher, als daß er es nicht thut," erwiederte Del Ferice. „Das wäre sonderbar", sagte Donno Tullia nach­ denklich. „Ich möchte wohl wiffen, ob es wahr ist." „Sie brauchen sie nur zu beobachten." „Sicherlich macht sich Giovanni mehr aus ihr, als sie sich aus ihm", warf Madame Mayer ein. „Jedermann sagte, er liebt sie, Niemand sagt, sie liebt ihn." „Das ist nur ein Gmnd mehr dafür — die öffent­ liche Meinung irrt immer, nur nicht in Bezug aus Sie." „Auf mich?" „Weil sie Ihnen so viel Gutes zuspricht, kann sie nicht irren", erwiderte Del Ferice. Donna Tullia lachte und erfaßte seine Hand, um aus dem Wagen zu steigen.

Siebentes Kapitel.

Monsieur Gonache's Atelier lag im zweiten Stock. Die schmale Treppe führte gerade auf eine grüne Thür zu, an der ein Schlitz zum Einstecken von Briefen und eine schäbige Schnur war, mittelst welcher man eine schwache Glocke ziehen konnte, ferner eine Visitenkarte, aus welcher inmitten vieler überflüssiger Schnörkel der Name des Künst­ lers „Anastase Gouache" geschrieben stand. Die Thür wurde ausgezogen; Donna Tullia und Del Ferice traten hinein und gingen noch ein halb Dutzend Stufen hinauf; dann befanden sie sich im Atelier, einem geräumigen Zimmer mit einem Fenster hoch über dem Fußboden, welches durch eine grüne Gardine halb verhängt

111 war. In einer Ecke prasselte das Feuer in einem eisernen Ofen, ein angenehmer Ton an einem Wintermorgen, und die Flamme schien roth durch die Spalten in der rostigen Thür. Ein dunkelgrüner Teppich, noch ziemlich gut im Stande, bedeckte den Fußboden; drei oder vier große mit orientalischen Decken bespreitete Divans und zwei sehr gebrechliche geschnitzte Stühle mit ledernen Gesäßen bilde­ ten das Mobiliar; an den Wänden hingen Skizzen von Köpfen und Figuren; halb vollendete Porträts standen auf zwei Staffeleien und andere in einem Winkel, ein paar Tische waren mit Farbenkapseln, Pinseln und Palettenmeffern bedeckt, Gerüche von Farbe, Firniß und Cigarettendamps erfüllten die Luft, und endlich auf einem hohen Stuhl vor einer Staffelei, die Aermel bis zum Ellbogen aufgekrämpelt, die Füße auf die Leiste unter dem Stuhl gestemmt, saß Anastase Gouache. Er war ein junger Mann von siebenundzwanzig Jah­ ren, mit zarten blaffen Zügen und einem Ueberfluß von glänzend schwarzeur Haar. Ein kleiner, scharf zugespitzter Schnurrbart beschattete seine Oberlippe und die kurzen Enden desselben standen kerzengerade an den Winkeln seines wohlgeformten Mundes empor. Seine dunkeln Augen waren höchst ausdrucksvoll, seine Stinr niedrig und sehr breit; seine Hände nervig und wohl geformt, doch weiß wie Damenhände mit zart zugespitzten Fingern. Er trug einen braunen, hier und da mit Farbe bespritzten Sammetrock und einen zurückgeschlagenen Hemdkragen. Als Donna Tullia und Del Ferice eintraten, sprang er vom Stuhl, Palette und Malstock in der Hand und machte eine sehr förmliche Verbeugung, worüber Donna Tullia fröhlich lachte. „Nun, Gouache," sagte sie vertraulich, „was machen

112 Sie?" Anastase bat fie vor die Leinwand zu treten und ihr Bild zu betrachten, an dem er arbeitete. Es war un­ leugbar gut, ein Kniestück in Lebensgröße, voll von Donna Tullias Lebendigkeit, vielleicht nicht ohne etwas von ihrer Unfeinheit. „Ah, mein Freund," bemerkte Del Ferice, „es wird Ihnen nie gelingen, wenn Sie nicht meinen Rath an­ nehmen." „Ich finde es sehr ähnlich", sagte Donna Tullia nach­ denklich. „Sie find zu bescheiden", versetzte Del Ferice. „Die Anlage zur Aehnlichkeit ist da, aber noch fehlt die Seele." „Oh, das wird kommen," erwiederte Madame Mayor. Dann setzte fie zum Künstler gewendet in etwas zweifeln­ dem Ton hinzu: „Vielleicht könnten Sie, wie Del Ferice meint, dem Bilde mehr Ausdruck — wie soll ich sagen? — mehr Poesie geben?" Anastase Gouache lächelte sein. Er war ein Mann von ungewöhnlichem Talent; seit er den Prix de Rome gewonnen, hatte er große Fortschritte gemacht und hatte schon einen gewissen Ruf, den junge Künstler so leicht für Berühmtheit halten. Ein neuer, nur durch ein Fernrohr sichtbarer Komet erregt in der Welt viel Gerede und Muth­ maßungen; wenn er aber nicht nahe genug kommt, um die Erde mit seinem Schweife zu berühren, wird er bald ver­ gessen. Gouache schien das zu verstehen und arbeitete fleißig fort. Als Madame Mayer sich etwas mehr Poesie in ihr Bild wünschte, lächelte er, denn er wußte wohl, daß zwischen ihrer Natur und Poesie etwa derselbe Unterschied war, wie zwischen Dünnbier und Champagner. „Jawohl," sagte er, „ich bin mir des Mangels nur allzu sehr bewußt." Und das war er, — nämlich des

113 Mangels daran in ihr. Aber er hatte mancherlei Gründe, weshalb er es nicht mit Donna Tullia verderben wollte, und opferte seine künstlerische Ueberzeugung mit dem raschen Entschluß, sie lieber wie eine begeisterte Prophetin zu ma­ len, als ihr Mißfallen zu erregen. „Wenn Sie jetzt sitzen wollen, werde ich am Kopfe arbeiten", sagte er und rückte ihr einen der geschnitzten Stühle zurecht; dann stimmte er das Licht ab und fing ohne Weiteres zu arbeiten an. Del Fcrice setzte ftdj aus einen Divan, von wo aus er Donna Tullia und ihr Bild sehen konnte, und die Sitzung begann. Was die beiden Männer betraf, so hätte sie eine Weile in tiefem Still­ schweigen sortgehen können, aber lange hielt Donna Tullia das Schweigen nicht aus. „Wovon sprachen Sie gestern mit Saracinesca?" fragte sie plötzlich, sich nach Del Ferice umsehend. „Von Politik", antwottete er und schwieg dann. „Nun?" fragte Madame Mayer neugierig. „Sie kennen doch sicher seine Ansichten gerade so gut wie ich", versetzte Del Ferice etwas verdrießlich. „Er ist dumm und voller Vorurtheile." „Wirklich?" rief Gouache mit harmlosem Erstaunen. „Ein wenig mehr zu mir, Madame. Danke — so!" Da­ mit malte er weiter. „Sie reden abgeschmackt, Del Ferice!" rief Donna Tullia leicht erröthend. „Sie halten Jeden für vorurtheilsvoll und dumm, der nicht fo denkt wie Sie." „Wie ich? Wie Sie, wie wir, sollten Sie sagen. Gio­ vanni ist der Typus eines eingefleischten Conservattven, der jede Verändemng haßt und bei dem Worte „Republik" schaudert. Nennen Sie das intelligent?" „Giovanni ist trotzdem intelligent", antwortete MaErawsord, SaracineS».

8

114 dame Mayer. „Ich weiß nicht, ob er nicht klüger ist als Sie; — in gewißer Beziehung", setzte fie hinzu, nachdem ihr scharfes Wort seine Wirkung gethan hatte. Del Ferice lächelte verbindlich. Es war nicht in seiner Art zu zeigen, wann er sich beleidigt fühlte. „In einer Hinsicht ist er dumm im Vergleich zu mir", versetzte er. „Er ist weit entfernt davon, Ihren Reizen Gerechtigkeit widerfahren zu lassen. Es muß ein seltsamer Mangel an Verstand sein, der ihn hindert zu erkennen, daß Sie eben so schön wie reizend find. Nicht wahr, Gouache?" „Leugnet das denn irgend Jemand?" fragte Gouache im Ton tiefster Ergebenheit. Madame Mayer wurde roth vor Aerger; denn ihr war an Giovannis Bewunderung mehr als an der irgend eines andern Mannes gelegen, allein sie wußte, daß ihr dieselbe nicht zu Theil geworden, und ärgerte sich, daß Del Ferice sie so leicht verletzen konnte. Um ihren Aerger zu verbergen, kam sie auf die Politik zurück. „Wir reden gar viel von unsern Ueberzeugungen," sagte fie, „müfien aber dabei doch eingestehen, daß wir bis jcht nichts ausgerichtet haben. Was hilft es, daß wir hier zwei oder drei Mal in der Woche zusammenkommen, uns in Gesellschaften treffen, mit einander flüstern, in Chiffern correspondiren und wer weiß was noch thun, wäh­ rend alles gerade so sortgeht wie zuvor." „So geben Sie es doch lieber auf," spottete Del Fe­ rice, „und schließen fich Don Giovanni und seiner Partei an. Er sagt, wenn eine Veränderung eintritt, wird er fich bestmöglich darein finden. Mehr können wir natürlich auch nicht thun." „Bei uns ist das so leicht", sagte Gouache nachdenk-

115 lich. „Eine Handvoll Studenten, einige Pflastersteine, „Vive la Republique“ und im Umsehen haben wir einen Aufstand." Das war nicht die Art von Aufstand, woran Del Ferice betheiligt sein wollte. Er gedachte eine ganz kleine Rolle in einer großen Bewegung zu spielen; und wenn der Kampf vorüber wäre, wollte er die Bedeutung der von ihm gespielten Rolle übertreiben und eine ordentliche Be­ lohnung dafür fordern. Für einen hübschen Titel und zwanzigtausend Francs jährlich würde er ein so eifriger Anhänger der weltlichen Macht des Papstes geworden sein wie ein Domherr der Peterskirche. AIs er angefangen hatte, mit Madame Mayer und einem halben Dutzend tollkühner Jünglinge, zu denen Gouache gehörte, von Re­ volutionen zu sprechen, hatte er wirklich nicht die Absicht, irgend etwas zu thun. Er benutzte die allgemeine Auf­ regung, um mit Donna Tullia in einen vertraulichern Ver­ kehr zu kommen, als er es sonst hätte erwarten dürfen. Er wollte sie heirathen, und je mehr Macht er über sie gewann, desto näher kam er seinem Ziel. Weder sie noch ihre Bekannten waren aus dem Stoff gemacht, der zu Re­ volutionären gehört; aber Del Ferice hoffte mittelst des Kreises von Unzufriedenen, welche er allmälig zusammen­ zog, Giovanni Saracinesca zu Grunde zu richten und Donna Tullias Hand zu erringen. Er selbst war in die Verschwörungen der italienischen Partei tief verwickelt; allein er wurde nur als Spion verwendet und wußte von den wahren Absichten derer, denen er diente, kaum mehr als Donna Tullia selbst. Aber das Amt war recht ein­ träglich, so daß er genöthigt gewesen war zu sagen, sein Onkel wäre gestorben und hätte ihm etwas hinterlassen, um auf diese Weise die Verbesserung seiner Vermögens­ verhältnisse zu erklären.

116 „Wenn Sie erwarteten, daß Don Giovanni mit einer Rotte Studenten zusammen Pflastersteine aufreißend „Vive la Republique“ schreien würde, so haben Sie sich in Ihren Erwartungen getäuscht," sagte Donna Tullia verächtlich. „Das ist nur Gouaches Idee von einem Volksaufstand", antwortete Del Ferice. „Und Ihre", .versetzte Anastase, Malstock und Pinsel senkend und sich scharf gegen den Italiener wendend, „Ihre Idee wäre, zuerst den Cardinal Antonelli von hinten zu erstechen." „Sie irren sich, mein Freund", fügte Del Ferice ver­ bindlich. „Wenn Sie sich erböten, Italien diesen Dienst zu leisten, würde ich Ihnen natürlich nicht davon abreden, aber ich würde Ihnen nicht meinen Beistand anbieten." „Pfui! Wie können Sie so von Mord und Todtschlag sprechen", rief Donna Tullia. „Malen Sie weiter, Gou­ ache, und machen Sie sich nicht lächerlich." „Die Frage des Tyrannenmordes ist höchst interessant", versetzte Anastase in nachdenklichem Ton, während er seine Arbeit wieder ausnahm und prüfend von Madame Mayer auf seine Leinwand und dann wieder auf sie blickte. „Sie gehört zu den Thaten, an welchen Del Ferice seine Freude hat, aber keinen Antheil haben möchte", sagte Donna Tullia. „Es scheint mir weiser, die Erreichung des guten Zweckes ohne unnützes und verrätherisches Blutvergießen anzustreben", antwortete Del Ferice sentenziös. Wiederum lächelte Gouache in seiner seinen satirischen Weise und warf Madame Mayer einen Blick zu; sie brach in Ge­ lächter aus. „Moralische Betrachtungen klingen nie so lächerlich und so wesentlich moralisch wie in ihrem Munde, Hugo," sagte sie.

117 „Weshalb?" fragte er beleidigt. „Ich weiß nicht recht. Natürlich wünschen wir alle Victor Emanuel im Quirinal und Rom als die Hauptstadt des freien Italiens zu sehen. Natürlich möchten wir das ohne Mord oder Blutvergießen erreicht sehen, und doch, wenn Sie das so in Worte fassen, kingt es sehr abge­ schmackt." In ihrer rücksichtslosen Weise hatte Madame Mayer «ine große Wahrheit ausgesprochen, und Del Ferice ärgerte sich sehr. Er wußte, daß er ein Schuft war; er wußte, daß Madame Mayer eine Frau von recht gewöhnlichem Verstände war, und wunderte sich, weshalb er sie nicht wirksamer täuschen könnte. Er konnte sie manchmal lenken, entlockte ihr manchmal einen Ausdruck der Bewunderung über seine Schlauheit; aber trotz seiner äußersten An­ strengungen durchschaute sie ihn und verstand ihn besser, als ihm lieb war. „Es thut mir leid", sagte er, „daß das Ehrenhafte, wenn es von mir kommt, Ihnen lächerlich klingt. Ich denke manchmal so gern, daß Sie an mich glauben." „O, das thue ich auch", betheuerte Donna Tullia in plötzlich verändertem Tone. „Ich scherzte nur. Ich glaube, daß es Ihnen Ernst ist. Nur, wissen Sie, heutzutage ist es nicht Mode, Moral in strengem Tone, mit der Miene der Ueberzeugung vorzutragen. Ein kleiner Anflug von Cynismus, — ein spöttisches Wort — ist so viel mehr chic; es giebt einen viel höheren Begriff von der Moral, weil es den Eindruck macht, als läge sie ganz außer Ihrem Bereich. Fragen Sie nur Gouache" — „Jedenfalls," sagte der Maler, indem er aus einer Kapsel etwas mehr Roth auf seine Palette drückte, „man sollte immer das verspotten, was man nicht erreichen kann.

118 Sie erinnern sich, der Fuchs nannte die Trauben sauer. Er hatte wahrscheinlich recht, denn er ist das klügste Thier." „Ich möchte hören, was Giovanni von den Trauben zu sagen hatte!" bemerkte Donna Tullia. „O, er spottete auf die allermodernste Art," versetzte Del Ferice. „Er würde Ihnen ungeheuer gefallen haben. Er sagte, er würde durch eine Veränderung in der Regie­ rung zu Grunde gerichtet werden, und hielte es für seine Pflicht dagegen zu kämpfen. Er sprach sehr viel über den Wafferstand des Tiber und Grundbesitz und die Pflichten des Adels. Und zuletzt sagte er, er würde versuchen, aus jeder etwaigen Veränderung das Beste zu machen, als ein­ gefleischter Egoist, der er einmal ist." „Ich möchte hören, was Sie von Don Giovanni Saracinesca denken, und dann möchte ich hören, was er von Ihnen denkt," sagte Gouache. „Ich kann Ihnen beides sagen", antwortete Del Ferice. „Ich halte ihn für einen eingefleischten Aristokraten, voll Vorurtheil, reich, weder gewillt, seine Ueberzeugungen sei­ nem Reichthum, noch seinen Reichthum seinen Ueberzeugun­ gen zum Opfer zu bringen; klug in Bezug aus seine eigenen Jntereffen und blind gegen die Interessen anderer; durch­ tränkt von tausend und einer merkwürdigen feudalen An­ sicht, und hingenommen von dem Bewußtsein seiner eigenen Wichtigkeit." „Und was dentt er von Ihnen?" fragte Anastase, eifrig malend. „O, das ist sehr einfach", versetzte Del Ferice lachend. „Er denkt, ich sei ein großer Schurke." „Wirklich? Wie sonderbar! Das hätte ich nicht gedacht!" „Was? Daß Del Ferice ein Schurke ist?" fragte Donna Tuvia lachend.

119 „Nein, das Hütte ich nicht gedacht," wiederholte Anastase nachdenklich. „Ich sollte meinen, unser Freund Del Ferice ist ein Mann voll philanthropischer Ideen, der sein Leben cdelmüthig dem Streben nach Freiheit, Gleichheit und Brüderlichkeit widmet." „Meinen Sie das wirklich?" fragte Donna Tullia mit einem schelmischen Blick auf Hugo, der ungewöhnlich ernst aussah. „Madame," versetzte Gouache, „ich erlaube mir nie anders von meinen Freunden zu denken." „Auf mein Wort," rief Hugo, „ich freue mich über das Compliment, mein guter Gouache, muß aber anneh­ men, daß Ihr Urtheil über Ihre Freunde merkwürdig be­ schränkt ist." „Kann sein," antwortete Gouache, „aber die Zahl meiner Freunde ist nicht groß, und ich bin sehr enthufiastisch. Ich freue mich aus den Tag, wenn „Freiheit, Gleichheit und Brüderlichkeit" in Flammenschrift, ja in kostbarstem bengalischen Lichte, über dem Thorweg jedes Palastes stehen wird, der Kirchen nicht zu gedenken. Ich freue mich auf jenen Tag, erwarte aber nicht im mindesten ihn zu erleben. Ueberdies wenn er je kommt, packe ich meine Palette und Pinsel zusammen und gehe auf dem kürzesten Wege irgendwo anders hin." „Um Himmelswillen, Gouache!" rief Donna Tullia. „Wie können Sie so reden? Es ist wirklich schrecklich leicht­ finnig, mit unsern heiligsten Empfindungen zu scherzen oder zu sagen, daß wir diese Worte über den Thüren unsrer Kirchen angeschrieben zu sehen wünschen!" „Ich scherze nicht. Ich verehre Victor Hugo. Ich träume gern von der Universalrepublik — fie hat für Künstler viel Anziehendes — die wüthende heulende Menge,

120 die wilden Gesichter, die rothm Mützen, die furchtbaren Mänaden, welche die baumstarken Kerle antreiben noch mehr Blut zu vergießen, der grelle Schein brennender Kir­ chen, die bleichen zitternden Opfer vor das gezückte Meffer gezerrt, — ach, es ist großartig, es find prachtvolle künst­ lerische Momente darin! Aber ich selbst — abah, ich bin ein guter Katholik. Ich will keinem Böses wünschen, denn im Grunde ist das Leben doch lustig." Nach dieser merkwürdigen Darlegung von Anastase Gouaches Anfichten in Betreff der Nützlichkeit von Revolu­ tionen, lachte Del Ferice laut aus; aber Anastase blieb ganz ernsthast, denn er war vollkommen aufrichtig. Del Ferice, für den das tägliche Revolutionsgeflüster in Donna Tullias Kreise bloßes Kinderspiel war, blieb ganz gleich­ gültig und ließ sich durch die Schwärmereien des jungen Künstlers belustigen. Aber Donna Tullia, die gern der Mittelpunkt einer wirklichen Verschwörung sein wollte, glaubte, sie würde ausgelacht und verzog vor Aerger schmol­ lend ihre rothen Lippen. «Ich glaube, Sie haben gar keine Ueberzeugungen," sagte fie ärgerlich. „Während wir Leben und Vermögen für die gute Sache aufs Spiel setzen, fitzen Sie hier in Ihrem Atelier und träumen von Barrikaden und Guillo­ tinen bloß wie von Vorwürfen für Bilder — Sie gestehen sogar ein, daß falls wir eine Revolution erregen, Sie ab­ ziehen wollen!" „Nicht ehe ich dieses Bild vollendet habe!" versetzte Anastase ungerührt. „Es wird außerordentlich ähnlich; und sollten Sie je verschwinden — Sie wissen in Revolu­ tionen kommt das vor — oder sollte durch irgend einen unseligen Zufall Ihr schöner Hals unter die oben erwähnte Guillotine kommen, — nun dann würde dieses Bild die



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reizendste Erinnerung an manche schöne Morgenstunde sein. Nicht wahr?« „Sie find unverbesserlich", sagte Donna Tullia mit leichtem Lachen. „Sie können nicht einen Augenblick ernst­ haft sein." „Es ist sehr schwer Sie zu malen, wenn Ihr Ausdruck fich fortwährend verändert", versetzte Anastase ruhig. „Ich bin heute nicht in guter Laune zum Sitzen. Zch wollte, Sie amüsirten mich, Del Ferice. Gewöhnlich können Sie es." „Ich dachte Politik unterhielte Sie —" „Sie interessirt mich. Aber Gouaches Anfichten find abscheulich." „Wollen Sie uns nicht Ihre eignen hören lassen, Madame?" fragte der Maler, von der Staffelei zurück­ tretend, um einen bessern Eindruck von seiner Malerei zu haben.« „Ach, meine Anfichten find sehr einfach!" antwortete Donna Tullia. „Victor Emanuel, Garibaldi und Preß­ freiheit." „Eine Verbindung von Monarchie, Republik und Volks­ bildung, — nicht besonders interessant," bemerkte Gouache, noch immer das Bild betrachtend. „Nun, es würde nichts für Sie zu malen geben, aus­ genommen die Bilder der Freiheitshelden —" „Darin ist schon viel geleistet worden. Ich habe sie in jedem Kaffeehause in Nord-Italien gesehen", fiel der Künstler ein. „Ich möchte wohl Garibaldi malen; er hat einen schönen Kops.« „Ich will ihn bitten, Ihnen zu fitzen, wenn er her­ kommt."

122 „Wenn er herkommt, werde ich nicht mehr hier sein", erwiderte Gouache. „Man wird den Corso anweißen, man wird aus dem Colosseum ein Restaurant machen, und wird die italienische Fahne auf dem Kreuz von St. Peter anfziehen. Dann werde ich nach Konstantinopel gehen. Es wird noch einige Jahre dauern, ehe die Türkei modernisirt wird." „Von Künstlern ist nichts zu hoffen", sagte Del Ferice. „Sie find durch und durch unlogisch, und es ist mit Ihnen nichts anzufangen. Wenn Ihnen alte Städte gefallen, warum denn nicht auch alte Weiber? Warum malen Sie nicht lieber Donna Tullias alte Gräfin als Donna Tullia selbst?" „Das ist gerade der entgegengesetzte Fall", erwiderte Anastase ruhig. „Die Werke der Menschen find nie so schön, als wenn fie in Verfall gerathen, die Werke Gottes find am schönsten, wenn fie jung sind. Sie könnten eben so gut sagen, weil der Wein mit dem Alter besser wird, muß es mit Pferden eben so sein. Die Fähigkeit zu ver­ gleichen fehlt Ihrem Geiste, mein lieber Del Ferice, wie sie gewöhnlich dem Geiste wahrer Patrioten fehlt. Große Reformen und große Revolutionen werden in der Regel durch Leute von schroffen, verzweifelten Ansichten, wie die Ihren, ins Werk gesetzt, die bis an die äußerste Grenze gehen und nie wissen, wann fie einhalten sollen. Die Quintessenz eines künstlerischen Talentes ist gerade die Fähigkeit zu vergleichen, die Gabe zu wissen, wann sein Werk dem, was ihm in Gedanken vorschwebt, so weit ent­ spricht, als er es überhaupt erreichen kann." Es war keine Spur von Sarkasmus in Gouaches Stimme, als er dem Del Ferice den wilden Enthufiasmus eines Revolutionärs zuschrieb. Aber wenn Gouache, der von Natur durchaus nicht ruhig war, etwas mit besonders sanfter Stimme sagte, so war gewöhnlich ein Stachel darin,



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und Del Ferice dachte an den elenden Schacher mit er­ listeten Nachrichten, von dem er lebte, und schämte sich. Auch Donna Tullia fühlte gewissermaßen, daß die Rolle, welche ste zu spielen glaubte, im Vergleich zu der mühe­ vollen Arbeit, dem ernsten Streben und dem bedeutenden Talent des jungen Künstlers eigentlich verächtlich wäre. Aber obwohl ste ihre Unbedeutendheil fühlte, hätte sie eher sterben mögen, als dieselbe auch nur Del Ferice gegenüber einzugestehen. Sie wußte, daß sie monatelang mit Del Ferice, mit Valdarno, mit Casalverde, sogar mit dem schwermüthigen und ironischen Spicca über Verschwörungen und dunkle Thaten aller Art gesprochen hatte, und sie wußte auch, daß sie in alle Ewigkeit in demselben Tone sortsprechen könnten, ohne auf die Ereignisse den geringsten Ein­ fluß zu haben; aber bis zuletzt gab sie nicht die so zärtlich gehegte Illusion auf, daß sie wirklich und in der That eine Verschwörerin sei, und daß wenn einer ihrer leichtsinnigen Bekannten die übrigen verriethe, sie alle binnen vierund­ zwanzig Stunden aus Rom verbannt werden oder gar in jenem langen dunkeln Gebäude links von der Säulenhalle von St. Peter verschwinden könnten*), — Märtyrer für die Sache ihrer Selbstüberschätzung und ihrer halb theatralischen Eitelkeit. Es gab zu jener Zeit viele Gruppen solcher ein­ gebildeten Verschwörer, deren verwegenstes Wagstück war, sich im Ballsal bei einem Glase Champagner oder bei einem Becher Belletriwein in einem Keller in Trastevere die magischen, ehrfurchteinflößenden Worte „Es lebe Gari­ baldi! Es lebe Vittorio!" zuzuflüstern. Sie thaten nichts. Dieselben Männer und Frauen murren jetzt und sehnen sich nach den Fleischtöpfen der alten Regierung, oder flüstern *) Der Kerker der Inquisition.

124 in kraftloser Unzufriedenheit: „Es lebe die Republik!" und fie und ihre Nachkommen werden sich bis ans Ende aller Zeiten etwas zuflüstern, während mächtigere Hände als die ihren Reiche zerstören und unwiderstehliche Bündnisse schlie­ ßen und Rothstiststriche durch die Karte von Europa ziehen. Die Verschwörer jener Tage thaten nichts, nachdem Pius IX. aus Gaeta zurückgekehrt war; die einzigen, welche überhaupt irgend etwas nützten, waren solche wie Del Ferice, die Quellen für geheime Mittheilungen hatten und ihre Auskunft gemein verkauften. Aber selbst diese waren nicht von besonderer Wichtigkeit. Der Augenblick war noch nicht gekommen, und alles Geflüster und Gerede und Geklatsche der Welt konnte nicht den Gang der Ereignisse be­ schleunigen, noch ihren Lauf ändern. Aber Donna Tullia war von dem Bewußtsein ihrer eignen Wichtigkeit durch­ drungen, und Del Ferice verstand es, gerade so viel Auf­ merksamkeit auf sein harmloses Fortschrittsgeplapper zu ziehen, als ihm gestattete, seinen einträglichen Handel mit geheimen Nachrichten ungestört weiter zu betreiben. Donna Tullia hatte keine Spur von Kunstsinn und wußte keineswegs die Vorzüge des Bildes, an dem Gouache malte, zu schätzen; so war sie auch weit entfernt davon, seine Definition vom künstlerischen Vergleich zu begreifen; aber Del Ferice verstand sie sehr gut. Donna Tullia hatte viel ausländisches Blut in ihren Adern, wie die meisten ihres Standes; aber Del Ferices dunkle Abkunft war ver­ muthlich rein italienisch, und er hatte das gewöhnliche in» stinctive Kunstgefühl geerbt, welches einen Theil des Ge­ burtsrechtes bei einem Italiener ausmacht. Er hatte Gouaches wunderbares Talent erkannt und Donna Tullia zuerst in sein Atelier gebracht, — keine schwierige Sache, als sie hörte, daß der Künstler schon einen Ruf habe. Ihr

125 gefiel es, sich einzubilden, wenn sie ihr Bild bei ihm be­ stellte, so könnte sie sich als seine Beschützerin aufspielen und nachher den Ruhm haben, auf seine Laufbahn von Einfluß gewesen zu sein. Denn die Mode und der Wunsch, eine Vertreterin der Mode zu sein, führte Donna Tullia hierhin und dorthin, wie ein Hündchen am Bande geführt wird; und nichts ist so sehr Mode als einen beliebten Por­ trätmaler zu protcgiren. Aber nachdem Anastase Gouache also seine Ansichten über Del Ferice und künstlerische Vergleiche ausgesprochen hatte, gerieth das Gespräch ins Stocken und Donna Tullia wurde unruhig. Sie sagte, sie hätte genug gesessen, und da ihr Ausdruck für das Bild nicht vortheilhast war, wider­ sprach Anastase ihr nicht, sondern ließ sie mit ihrem er­ gebenen Anbeter in Frieden ziehen. Und als sie fort waren, zündete Anastase eine Cigarette an, nahm ein Stück Kohle und zeichnete eine Carricatur von Donna Tullia mit einer Freiheitsmütze, in einer schönen theatralischen Stellung, Del Ferice zu Hülfe rufend, der als der Engel des Todes mit der Guillotine im Hintergründe erschien. Nachdem er die letzten Striche an diesem Kunstwerke vollendet hatte, schloß Anastase fein Atelier ab, summte eine Melodie aus der Schönen Helena und ging stühstücken.

Achtes Kapitel. Als Corona nach Hause kam, ging sie in ihr kleines Boudoir in der Absicht, dort womöglich eine Stunde unge­ stört zuzubringen. Dazu war Aussicht vorhanden, denn auf ihre Anfrage hörte sie, ihr Mann wäre noch nicht an­ gekleidet, und sein Ankleiden dauerte immer sehr lange.

125 gefiel es, sich einzubilden, wenn sie ihr Bild bei ihm be­ stellte, so könnte sie sich als seine Beschützerin aufspielen und nachher den Ruhm haben, auf seine Laufbahn von Einfluß gewesen zu sein. Denn die Mode und der Wunsch, eine Vertreterin der Mode zu sein, führte Donna Tullia hierhin und dorthin, wie ein Hündchen am Bande geführt wird; und nichts ist so sehr Mode als einen beliebten Por­ trätmaler zu protcgiren. Aber nachdem Anastase Gouache also seine Ansichten über Del Ferice und künstlerische Vergleiche ausgesprochen hatte, gerieth das Gespräch ins Stocken und Donna Tullia wurde unruhig. Sie sagte, sie hätte genug gesessen, und da ihr Ausdruck für das Bild nicht vortheilhast war, wider­ sprach Anastase ihr nicht, sondern ließ sie mit ihrem er­ gebenen Anbeter in Frieden ziehen. Und als sie fort waren, zündete Anastase eine Cigarette an, nahm ein Stück Kohle und zeichnete eine Carricatur von Donna Tullia mit einer Freiheitsmütze, in einer schönen theatralischen Stellung, Del Ferice zu Hülfe rufend, der als der Engel des Todes mit der Guillotine im Hintergründe erschien. Nachdem er die letzten Striche an diesem Kunstwerke vollendet hatte, schloß Anastase fein Atelier ab, summte eine Melodie aus der Schönen Helena und ging stühstücken.

Achtes Kapitel. Als Corona nach Hause kam, ging sie in ihr kleines Boudoir in der Absicht, dort womöglich eine Stunde unge­ stört zuzubringen. Dazu war Aussicht vorhanden, denn auf ihre Anfrage hörte sie, ihr Mann wäre noch nicht an­ gekleidet, und sein Ankleiden dauerte immer sehr lange.

126 Er hatte einen kosmopolitischen Kammerdiener, der allein unter allen Sterblichen es verstand, den künstlichen «nd den natürlichen Astrardente zusammmensetzen. Corona hielt diesen Menschen für einen abgefeimten Schurken; aber sie hatte keine Beweise dafür, daß er etwas Schlimmeres wäre als ein sehr kluger Diener, durch und durch gewis­ senlos, wo seines Herr oder seine eigenen Interessen ins Spiel kamen. Der alte Herzog glaubte wirklich an ihn und traute ihm allein; da er fühlte, daß er nie ein Held in den Augen seines Kammerdieners sein könnte, wollte er diesen Uebelstand wenigstens insofern ausnützen, als er sich einen Vertrauten gewönne. Corona fand einige Briefe auf ihrem Tisch, sie setzte sich, um sie zu lesen, ließ ihren Pelzmantel auf den Boden sinken und stemmte ihre Füßchen gegen das Feuer, denn der Steinboden in der Kirche war kalt gewesen. Sie schien dazu bestimmt, einen ereignißreichen Tag zu verleben. Einer der Briefe war von Giovanni Saracinesca. Zum ersten Male hatte er an sie geschrieben, und sie war höchlich überrascht, seinen Namen am Ende des Blattes zu lesen. Er schrieb eine kräftige klare Hand, ge­ drängt, regelmäßig und gerade, ohne gekünstelte Schriftzüge; es lag ein Zug von Entschloffenheit darin, der angenehm berührte und eine Knappheit des Ausdrucks, die Corona be­ troffen machte, es war ihr als hörte sie den Mann selbst sprechen. »Ich schreibe Ihnen, liebe Herzogin, weil mir an Ihrer guten Meinung gelegen ist, und mein Beweggrund ist also in erster Linie ein selbstsüchtiger. Ich möchte Sie nicht glauben laffen, daß ich Sie in einer für mich so wichtigen Angelegenheit wie meine Verheirathung nur müßig um Rath gefragt hätte, um dann Ihren Rath bei der nächsten

127 Gelegenheit bei Seite zu schieben. Ihre Ansicht über die Angelegenheit war zu wohl begründet, als daß ich ihr nicht das allergrößte Gewicht hätte beilegen sollen, selbst wenn ich mich nicht schon von selbst für die von Ihnen ange­ rathene Handlungsweise entschieden hätte. Es find indessen Umstände eingetreten, welche mich beinahe dazu gebracht haben, meinen Entschluß zu ändern. Zch habe eine Unter­ redung mit meinem Vater gehabt, der mir die Sache sehr deutlich vorgestellt hat. Ich weiß kaum, wie ich Ihnen das sagen soll, aber ich fühle, daß ich Ihnen eine Er­ klärung schuldig bin, selbst wenn Sie mich um defsenwillen, was ich sagen muß, verachten sollten. Die Sache ist indeffen sehr einfach. Mein Vater hat mir mitgetheilt, daß mein Verhalten Veranlassung gegeben hat, meinen Namen im Munde der Schwätzer mit dem einer Dame in Ver­ bindung zu bringen, die mir sehr theuer ist, welche ich aber unglücklicherweise nicht heirathen kann. Er hat mich überzeugt, daß ich dieser Dame, welche, ich gestehe es, keine Jntereffe an mir nimmt, die einzig mögliche Ge­ nugthuung schuldig bin, — nämlich eine Frau zu nehmen und so öffentlich zu beweisen, daß an dem Gerede kein wahres Wort gewesen ist. Da mir früher oder später doch wahrscheinlich eine Heirath aufgezwungen werden wird, so ist es vielleicht eben so gut, die Dinge sofort ihren Gang gehen zu lassen, damit ein für mich so unangenehmer Schritt wenigstens mittelbar derjenigen, welche ich liebe, zu gute komme, indem er von mir den Schein nimmt, als als hätte ich je Theil an ihrem Leben gehabt. Das Geklatsch über mich hat Ihr Ohr nie erreicht, sollte es aber noch geschehen, so werden Sie um so besser im Stande sein, meine Lage zu begreifen. „Wenn ich ihren Rath nicht befolge, so denken Sie

128 also nicht, daß ich ganz inkonsequent sei, noch daß ich mir herausgenommen hätte, Sie um Rath zu fragen ohne die Absicht, mich dadurch leiten zu lassen. Vergeben Sie mir auch diesen Brief, den zu schreiben mich die Eitelkeit treibt, in der Hoffnung, Ihre gute Meinung nicht ganz zu ver­ scherzen, vor allem aber bitte ich Sie zu glauben, daß ich für alle Zeit bin Ihr allergehorsamster Diener. — Giovanni Saracinesca." Wozu hatte sie heute Morgen beschloffen, Giovanni zu vergeffeu, wenn es in seiner Macht stand, sich ihr durch einen Fetzen Papier wieder ins Gedächtniß zu rufen? Co­ ronas Hand faßte krampfhaft den Brief und einen Augen­ blick schien das Zimmer sich mit ihr in die Runde zu drehen. Also es gab Eine, die er liebte, Eine, um deren rei­ nen Namens willen er bereit war, sich bis zu dem Grade aufzuopfern, daß er eine andre wider seine Neigung heirathete, Eine, die nicht nur ihn nicht liebte, sondern kein Jnterefle an ihm nahm. Das waren seine eigenen Worte, und sie mußten wahr sein, denn er log nie. Das erklärte, weshalb er Donna Tullia auf der Landpartie begleitet hatte. Er würde sie also doch heirathen. Um die hoff­ nungslos geliebte Frau von dem bloßen Argwohn zu be­ freien, daß er sie liebte, wollte er sich fürs Leben an die Erste, Beste binden, die ihn heirathen wollte. Ihr konnte es keinen besondern Schaden thun, da sie gar kein Inter­ esse an ihm nähme. Wer mochte dieses kalte Geschöpf sein, dem selbst Giovanni kein Interesse einflößen konnte? Es war unsinnig — der Brief war absurd — die ganze Sache ein Unding! Nur ein Wahnsinniger konnte daran denken so zu handeln, und warum hielt er es für nöthig sie in seine Pläne, seine thörichten Pläne einzuweihen — sie,

129 Corona von Astrardente! Warum? Ach, Giovanni, wie anders hätte es kommen können! Corona stand entrüstet auf und lehnte sich an das breite Kaminsims, und sah nach der Uhr, es war beinahe Mittag. Er mochte heirathen, wen er Lust hatte, — was ging es sie an? Er mochte heirathen und sich aufopsern, wenn es ihm so beliebte — was ging es sie an? Sie dachte an ihr eigenes Leben. Auch sie hatte sich aufgeopfert, auch sie hatte sich fürs Leben an einen Mann gebunden, den sie in ihrem Herzen verachtete, und sie hatte das zu einem nach ihrer Ansicht guten Zweck gethan. Sie starrte die Uhr an, denn sie wollte sich nicht gehen lassen, wollte nicht ihr Haupt neigen und wieder bittere Thränen weinen; dennoch traten ihr die Thränen in die Augen. „Giovanni! thu es nicht! thu's nicht!" Die Worte traten ihr aus die Lippen, ohne daß sie sie aussprach, und immer fort wiederholte sie den Gedanken. Ihr Herz schlug rasch und ihre Wangen glühten dunkelroth. Sie glättete den zerknitterten Brief und las ihn noch ein Mal. Beim Lesen überkam sie die heftigste Neugier, wer diese Frau wohl wäre, welche Giovanni so liebte, und mit der Neu­ gier kam ein neues Gefühl — ein abscheuliches, leiden­ schaftliches Gefühl des Haffes — es war so stark, daß es ihre Thränen plötzlich trocknete und ihr das Blut aus den Wangen zurück zum Herzen trieb. Ihre weiße Hand ballte sich, und ihre Augen sprühten Feuer. Ach, wenn sie nur die Frau entdecken könnte, die Giovanni liebte! wenn sie sie todt sehen könnte — todt mit Giovanni Saracinesca hier vor ihr am Boden! Bei dem Gedanken stampfte sie mit dem Fuß auf den dicken Teppich, und ihr Gesicht wurde noch bleicher. Sie wußte nicht, was sie empfand, aber es überwältigte sie ganz und gar. Pater Philipp Crawford, LaracmeSca.

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130 würde zufrieden sein, denn sie wußte, daß sie in dem Augenblick Giovanni Saracinesca haßte. Plötzlich setzte sie sich wieder und öffnete den nächsten Brief. Es war ein Plauderbrief von einer Freundin aus Paris, voll Tagesneuigkeitcn, Bemerkungen über die Mode und allerlei nichtigen Dingen; sie wollte ihn eben fortwerfen und den nächsten zur Hand nehmen, als Giovannis Name ihr in die Augen fiel. „Es ist natürlich nicht wahr, daß Saracinesca Ma­ dame Mayer heirathen wird"-------- lauteten die Worte, welche sie las. Aber das war alles. Zufällig war unten auf der Seite gerade Raum für den Satz gewesen, und als die Freundin das Blatt umgeschlagen, hatte sie schon vergessen, was sie geschrieben, und fing von etwas anderm an. Es schien als ob Corona überall von Giovanni ver­ folgt würde; sie war noch nicht zu Ende, denn ihr blieb noch ein Brief zu lesen. Sie riß den Umschlag auf und sah, daß der Inhalt aus wenigen Zeilen von kleiner un­ regelmäßiger Hand ohne Unterschrift bestand. Das Ganze sah nach Verstellung aus, das war unangenehm, der Brief war auf gewöhnlichem Papier geschrieben und mit der Stadtpost gekommen. Er lautete folgendermaßen: „Die Herzogin von Astrardente erinnert uns an die Fabel vom Hunde in der Krippe, denn sie kann weder selbst essen, noch andre essen lassen. Sie will Don Gio­ vanni Saracinescas Verehrung nicht annehmen, aber sie verhindert ihn, seine Verpflichtungen gegen andre zu er­ füllen." Wenn Corona in ihrer gewöhnlichen Stimmung ge­ wesen wäre, so hätte sie über das anonyme Schreiben ge­ lacht. Sie hatte früher mehr als eine leidenschaftliche Er­ klärung erhalten, allerdings ohne Unterschrift, aber immer

131 mit einer Andeutung, die auf die Persönlichkeit des Schrei­ bers schließen ließ, und sie hatte sie sorglos ins Feuer ge­ worfen. Hier aber fehlte jedes Zeichen, an dem sie er­ kennen konnte, wer es sich herausgenommen hatte, sie zu kritisiren und eine so ungerechte Anklage gegen sie zu er­ heben. Ueberdies war sie sehr ärgerlich und ganz aus ihrer gewohnten Fassung gebracht. Ihr erster Gedanke war, zu ihrem Mann zu gehen und, stark in ihrer Unschuld, ihm den Brief zu zeigen. Dann lachte sie bitter, als sie sich vorstellte, wie der selbstsüchtige alte Geck über ihre Em­ pfindlichkeit spotten würde, und wie ganz unfähig er wäre, den Beleidiger zu entdecken oder die Beleidigung zu be­ strafen. Dann wurde ihr Antlitz wieder ernst, und sie fragte sich, ob sie wirklich unschuldig wäre; ob ihr kein Vorwurf zu machen wäre, ob sie nicht wirklich Giovanni gehindert hätte, Donna Tullia zu heirathen. Wenn das aber wahr wäre, so müßte sie die Frau sein, von der in seinem Briefe die Rede war. Jede Andere hätte das gleich vermuthet. Corona trat ans Fenster und einen Augenblick leuchtete ihr Antlitz mit einem eigenthümlich freudigen Ausdruck aus. Dann wurde sie wieder nachdenklich und versank in eine andere Stimmung. Sie konnte es nicht für möglich halten, daß Giovanni sie so sehr liebte, um ihretwillen eine Andere zu heirathen. Ueberdies, Niemand konnte je ein Wort über seine Beziehungen zu ihr gesprochen haben — bis dieser abscheuliche anonyme Brief geschrieben ward. Der Ge­ danke, daß sie am Ende doch die „ihm sehr theure" sein könnte, „die nicht das geringste Interesse an ihm nähme", war ihr aber durch den Sinn gefahren und hatte ihr auf einen Augenblick das Gefühl heftiger, unbeschreiblicher Wonne verursacht. Dann besann sie sich, was sie zuvor 9*

gefühlt; wie böse, wie außer sich sie bei dem Gedanken gewesen, daß er eine Andere lieben könnte, und sie erkannte plötzlich, daß sie eifersüchtig sei. Der bloße Gedanke er­ weckte wieder in ihr den Glauben, daß nicht sie, sondern eine Andere Saracinescas Leben beeinflusse, und sie saß bleich und stumm da. Natürlich war es eine Andere! Was hatte sie denn gethan, was hatte sie gesagt, woraus die Welt schließen konnte, daß sie Einfluß auf die Handlungen dieses Mannes habe? „Seine Verpflichtungen zu erfüllen", hieß es über­ dies in dem Briefe. Er mußte von einer unwissenden Per­ son geschrieben fein, von Jemanden, der keine Ahnung von den Verhältniffen hatte und aufs Blaue hinein schrieb, in der Hoffnung eine empfindliche Saite zu berühren, Schaden anzurichten, Schmerz zu verursachen, — vielleicht aus Rache für eine eingebildete Kränkung. Aber wie sehr sie sich auch dagegen sträubte, in ihrem Herzen hätte sie den ano­ nymen Scherz gern für wohlbegründet gehalten, um eben­ falls glauben zu können, daß Giovanni bereit wäre, ihr sein Leben zu Füßen zu legen — wenn sie auch fühlte, daß sie durch diesen Glauben eine Todsünde begehe» würde. Sie kam auf ihre Unterredung mit Pater Philipp zu­ rück und überdachte alles, was fie gesagt und was er ge­ antwortet hatte; wie fie bereit gewesen war, die Möglich­ keit von Giovannis Liebe zuzugeben, unb wie streng der Beichtvater das zurückgewiesen und ihr gesagt hatte, der Gedanke an eine solche Möglichkeit dürfe nie in ihrer Seele aufsteigen; wie fie fich verachtet hatte, daß fie Liebe suchte, wo sie keine fand, und wie sie fich geschworen hatte, es sollte von keinem „vielleicht" mehr die Rede sein. Es schien so schwer recht zu thun, aber sie wollte suchen, das Rechte zu erkennen. Erstens wollte sie den anonymen Brief »er«

133 brennen und sich nie mehr herablaffen auch nur daran zu denken; dann wollte sie auch Giovannis Brief verbrennen, denn es würde eine Ungerechtigkeit sein, ihn aufzubewahren. Sie sah noch ein Mal das schlecht geschriebene Blatt ohne Unterschrift an und mit kurzem verächtlichen Lachen warf sie es nebst dem Umschlag ins Feuer; dann nahm sie Gio­ vannis Brief und wollte daffelbe thun, aber ihre Hand zitterte und das zerknitterte Papier fiel zu Boden. Sie stand schnell auf, hob es aus und kniete vor dem Feuer nieder, wie eine schöne dunkle Priesterin aus alter Zeit, welche die Flamme auf einem heiligen Altar nährt. Noch ein Mal glättete sie das Papier, noch ein Mal las sie die gleichmäßigen Schriftzüge und sah lange die Unterschrift und dann wieder das Schreiben an. „Diese Dame, welche, ich gestehe es, kein Interesse an mir nimmt." „Wie konnte er das sagen!" rief sie laut. „O wenn ich wüßte, wer es ist?" Mit einer ungeduldigen Bewegung warf sie den Brief auf die Kohlen und sah zu, wie das Papier sich zusammenrollte und verzehrte, von weiß zu braun, von braun zu schwarz, bis es ganz verbrannt war. Dann stand sie auf und verließ das Zimmer. Ihr Mann ahnte nicht, daß die Herzogin von Astrardente einen ereignißreichen Morgen verlebt hatte; und wenn ihm Jemand gesagt hätte, daß seine Frau eine Reihe hef­ tiger Gemüthsbewegungen durchgemacht hätte, so würde er gelacht oder seinem Berichterstatter gesagt haben, daß Co­ rona nicht zu den Naturen gehörte, welche von starken Leidenschaften bewegt werden. An jenem Abend gingen sie zusammen in die Oper, und der alte Mann war bei besonders heiterer Laune. Ein neuer Rock war eben aus Paris gekommen, und die Wattirung hatte einen höheren

134 Grad von Vollkommenheit erreicht als je zuvor. Corona sah auch schöner aus, als selbst ihr Gatte sich erinnerte, sie je gesehen zu haben, sie trug ein ganz einfaches schwar­ zes Atlaskleid ohne irgend eine andere Farbe und um den Hals das berühmte Perlenhalsband der Astrardente, drei Schnüre von gleicher Stärke, jede Perle ein Juwel vom reinsten Weiß mit dem leisesten Anflug von Rosa, — ein Halsband, wie es eine Kaiserin hätte tragen können. In der Fülle ihres rabenschwarzen Haares war kein Zierrath, keine Blume hob das tiefe Schwarz der seidenweichen Flechten. Man konnte sich unmöglich etwas Einfacheres denken als Coronas Anzug, schwerlich aber auch eine Frau, welche kraft ihrer strengen Schönheit ein zweifelloseres Recht besaß, des Schmuckes zu entrathen. Das Theater war sehr voll. Norma wurde aufgeführt, und es waren mehrere berühmte Künstler dazu engagirt worden. Für Rom ein so seltenes Ereigniß, daß das Theater wirklich überfüllt war. Die Loge der Astrardente lag im zweiten Range*), gerade da, wo das Halbrund sich zu biegen anfängt. Es war für vier bis fünf Personen Platz darin, um die Bühne zu sehen. Die Herzogin und ihr Mann kamen in der Mitte des zweiten Actes und blieben bis zum Ende deffelben allein. Corona liebte die Norma sehr und verwandte kein Auge von der Bühne. Astrardente dagegen bewahrte seinen Charakter als Mann ohne Illusionen und betrachtete den ganzen Zuschauerraum durch sein kleines Opernglas. Dieses Ding sah ihm ähnlich und hätte für eine elegante Dame aus dem ersten Kaiserreich gepaßt; es war von Perlmutter, *) In den römischen Theatern ist der zweite Rang der vornehmste, der erste liegt niedriger als gewöhnlich in deutschen Theatern.

135 klein und sehr leicht gearbeitet, das Metall daran stark vergoldet und mit Türkisen verziert. Der alte Mann warf von Zeit zu Zeit einen Blick auf die Bühne und rückte sich dann wieder zurecht, um das Publikum zu beobachten, wel­ ches ihn viel mehr interessirte als die Oper. „Jeder Mensch, von dem man je gehört hat, ist hier," bemerkte er am Ende des ersten Actes. „Ich denke wirk­ lich, Du solltest es der Mühe werth finden, deine prächtigen Mitmenschen anzuschauen, meine Liebe." Corona sah sich langsam im Opernhause um. Sie hatte vorzügliche Augen und brauchte nie ein Glas. Sie sah dieselben Gesichter, welche sie seit fünf Jahren gesehen hatte, denselben Glanz von Schönheit hier und dort, die­ selbe Durchschnittszahl ausgeputzter Frauen, dieselbe Schminke, dieselben Federn, dieselben Juwelen. Sie sah sich gegenüber Madame Mayer mit der ältlichen Gräfin, die sie wegen ihrer Taubheit protegirte und als eine Art von Ehrendame sehr bequem fand. Die Gräfin konnte nicht viel von der Musik hören, aber sie fand Geschmack an der Welt und ließ sich gern sehen, und sie konnte nichts von dem hören, was Del Ferice leise zu Madame Mayer sagte. Genug, für sie war das Gute des Tages; das Uebrige ging sie nichts an. Valdarno saß in der Club­ loge mit einigen anderen jungen Leuten von seiner Art. Da waren die Rocca, Mutter, Tochter und Sohn — ein Junge von achtzehn Jahren — und ein paar Herren im Hintergründe der Loge. Alle Welt war da, wie ihr Mann gesagt hatte; und als sie nach den Sperrsitzen hinunter­ blickte, bemerkte sie, daß Saracinescas schwarze Augen sehnsüchtig zu ihr aufschauten. Ein mattes Lächeln glitt über ihr klares Angesicht und fast unwillkürlich nickte sie ihm zu und sah dann fort. Viele Männer beobachteten

136 sie und verneigten sich, wenn sie sie ansah, und sie neigte gegen alle das Haupt, hatte aber für keinen ein Lächeln außer für Giovanni, und als sie wieder nach dem Platze hinsah, wo er gestanden hatte, war derselbe leer. „Es find dieselben alten Sachen", sagte Astrardente, „aber fie find noch immer sehr amüsant. Madame Mayer scheint immer den Falschen in ihre Loge zu bekommen. Sie würde all ihre Diamanten darum hingeben, Giovanni Saracinesca statt jenes Neuigkeitskrämers bei sich zu haben. Falls er herkommt, werde ich ihn ihr hinüberschicken." „Vielleicht gefällt ihr Del Ferice", meinte Corona. „Es ist ein guter Schoßhund, — ein sehr guter Hund," versetzte ihr Mann. „Er kann gar nicht beißen, und sein Bellen ist so sanft, daß man es für das Miauen eines Kätzchens halten könnte. Er apportirt bewundernswürdig." „Das find gute Eigenschaften, aber keine interessanten. Er ist sehr langweilig mit seinen ewigen Wortspielen und faden Schmeicheleien und seinen Klatschgeschichten." „Aber er ist ganz harmlos," erwiderte Astrardente mit mitleidsvoller Verachtung. „Er ist unfähig zu schaden. Donna Tuüia hat sehr weise gethan, ihn zu ihrem Skla­ ven zu nehmen. Mit Saracinesca zum Beispiel könnte fie nicht so sicher sein. Wenn Du einen Anbeter brauchst, meine Liebe, nimm dir Del Ferice. Ich habe nichts gegen ihn." „Weshalb sollte ich Anbeter brauchen?" fragte Corona ruhig. „Ich scherzte nur, meine Liebe. Ist nicht dein Mann dein größter Anbeter und dein ergebener Sklave obendrein?" Das Gesicht des alten Astrardente verzog sich zu einer Art von Lächeln, während er sich seiner jungen Frau zuneigte und seine schrille Stimme zu einem seinen Flüstern dämpfte.

137 45r war ernstlich in sie verliebt und ließ sich keine Ge­ legenheit entgehen, ihr das zu sagen. Sie lächelte etwas mott. „Du bist sehr gut gegen mich," sagte sie. Sie hatte sich oft darüber gewundert, wie es kam, daß dieses alte Geschöpf, welches nie in seinem Leben fünf Monate hinter einander einer seiner Neigungen treu geblieben war, sie wirklich jetzt noch eben so sehr zu lieben schien wie vor fünf Jahren. Vielleicht war dies der größte Triumph, den sie hätte erreichen können, obschon sie es nie in diesem Lichte ansah; aber wenn sie auch ihren Gatten nicht be­ sonders achten konnte, so konnte sie doch nicht unfreundlich gegen ihn gesinnt sein — denn, wie gesagt, er war sehr flut gegen sie. Sie machte sich oft Vorwürfe darüber, daß er ihr langweilig war; sie glaubte, sie hätte an seiner Be­ wunderung mehr Freude haben sollen. „Ich kann nicht anders als gut zu dir sein, mein 4£nfld," sagte er. „Wie sollte ich anders sein? Liebe ich dich nicht leidenschaftlich?" „Ja, das glaube ich wirklich," antwortete Corona. Während sie sprach, klopfte es an die Thür. Ihr Herz

schlug heftig und sie wurde ein wenig blaß. „Der Teufel hole diese Besuche!" murmelte der alte Astrardente, über die Maßen ärgerlich, in seiner Liebes­ erklärung gegen seine Frau unterbrochen zu werden. „Ich glaube, wir müssen sie hereinlaffen." „Ich glaube es," stimmte die Herzogin mit erzwungener Ruhe bei. Ihr Mann öffnete die Thür und Saracinesca trat mit dem Hut in der Hand herein. „Setzen Sie sich," sagte Astrardente etwas schroff. „Ich hoffe, ich störe nicht," sagte Giovanni noch stehend. Er war von dem ungastlichen Ton des Alten etwas betroffen.

138 „O nein, nicht im geringsten," sagte dieser sich schnell saffend. „Bitte, setzen Sie sich; der nächste Act wird gleich ansangen." Giovanni setzte sich auf den Stuhl dicht hinter der Herzogin. Er war gekommen, um mit ihr zu sprechen und hoffte während des nächsten Actes eine vorzügliche Gelegen­ heit dazu zu finden. „Ich höre, Sie find gestern sehr vergnügt gewesen", sagte Corona, den Kopf zurückwendend um bequemer zu sprechen. „So?" versetzte Giovanni und ein Schatten von Mißmuth überflog sein Gesicht. „Und wer hat Ihnen das ge­ sagt, Herzogin?" „Donna Tullia. Ich begegnete ihr heute Morgen. Sie sagte, Sie hätten sie alle amüsirt, — sie den ganzen Tag im Lachen erhalten." „Was für eine außerordentliche Behauptung!" rief Giovanni. „(Sie beweist, wie man unbewußt Stoff zur Fröhlich­ keit geben kann. Ich erinnere mich nicht, mit irgend Jemand viel gesprochen zu haben. Im Ganzen aber war die Ge­ sellschaft laut genug." „Vielleicht sprach Donna Tullia ironisch", meinte Co­ rona. „Gefällt Ihnen die Norma?" „O ja, eine Oper ist so gut wie die andere! Da geht der Vorhang auf." Der Act begann nnd einige Minuten lang sprach Niemand in der Loge. Bald kam ein Satz rauschende Orchestermusik. Giovanni beugte sich vor, so daß sein Gesicht dicht hinter Corona war. Er konnte spre­ chen ohne von Astrardente gehört zu werden. „Haben Sie meinen Brief erhalten?" fragte er. Co­ rona bejaht es mit einer kaum merklichen Neigung des Kopfes, sagte aber nichts.

139 „Verstehen Sie meine Lage?" fragte er weiter. Er konnte ihr Gesicht nicht sehen und einige Sekunden lang rührte sie sich nicht, dann machte sie wieder ein Zeichen mit dem Kopfe, doch dieses Mal um eine Verneinung aus­ zudrücken. „Sie scheint mir einfach genug", fagte Giovanni die Stirn senkend. Corona sah, daß, wenn sie sich ein wenig herumdrehte, sie noch immer die Bühne sehen und zugleich mit dem hinter ihr Sitzenden sprechen konnte. „Wie kann ich das beurtheilen?" sagte sie. „Sie haben mir nicht alles gesagt. Weshalb soll ich entscheiden, ob Sie recht haben?" „Ich könnte es nicht thun, wenn Sie glaubten, daß ich unrecht thäte", antwortete er kurz. Die Herzogin dachte plötzlich an jene Andre, für welche der Mann, der sie um Rath fragte, bereit war, sein Leben aufzuopfern. „Sie legen erstaunlich viel Gewicht auf meine Mei­ nung", sagte sie sehr kalt und wandte ihr Haupt ab. „Niemand ist so sehr befähigt, eine Meinung darüber abzugeben wie Sie',, sagte Giovanni dringlich. Corona war verletzt. Sie legte seine Worte so aus, als ob er sagen wolle, weil sie dem alten Mann, der an der anderen Seite der Loge saß, ihr Leben aufgeopfert hatte, könnte sie beurtheilen, ob Giovanni weise handelte, wenn er, um eines Zweckes willen, der ihr phantastisch erschien, eine Convenienzheirath einginge. Sie wendete sich schnell zu ihm, und es war ein zorniger Glanz in ihre Augen. „Bitte, lassen Sie mein Leben aus dem Spiel", sagte fie stolz. Giovanni war zu erstaunt, um ihr gleich zu ant­ worten. Er hatte nicht die geringste Anspielung auf ihre Ehe beabsichtigt.

140 „Sic haben mich ganz mißverstanden", sagte er darauf. „Dann müssen Sie sich deutlicher ausdrücken", er­ widerte sie. Sie wäre sich schuldig vorgekommen, mit Giovanni so zu sprechen, wie sie es vor ihrem Manne nicht gethan haben würde, hätte sie nicht gewußt, daß es sich um Giovannis Angelegenheiten handelte, und daß die be­ sprochene Sache sie gar nichts angmge. Saracinesca aber befand sich in einer gefährlichen Lage und war auf dem Punkte, seine Selbstbeherrschung zu verlieren. Er war ihr zu nahe, sein Herz schlug zu schnell, das Blut pochte in seinen Schläfen, und er war gereizt, weil er mißverstanden

wurde. „Es ist mir nicht möglich, mich deutlicher auszudrücken", antwortete er. „Ich leide, weil ich Ihnen zu wenig gesagt habe, da ich nicht wage, Ihnen alles zu sagen. Ich mache keine Anspielung auf Ihre Heirath wenn ich von der meinen spreche. Vergeben Sie mir, ich will nicht mehr darauf zurückkommen." Corona fühlte wieder jenes seltsame halb schmerzliche, halb freudige Erbeben, und die Lichter im Theater schienm vor ihren Augen zu tanzen: als ob sie aus einer Höhe her­ ab fiele. Sie sprach halb unbewußt, und mertte kaum, daß fie den Kopf herumwandte, und daß ihre dunkeln Au­ gen auf Giovannis bleichem Geficht ruhten. „Und doch muß ein Grund vorhanden sein, weshalb Sie mir dies Wenige sagen und mir nicht mehr sagen wollen." Kaum hatte sie diese Worte ausgesprochen, als fie alles in der Welt dafür gegeben hätte fie zurücknehmen zu können. Es war zu spät. Giovanni antwortete mit leiser halb erstickten Stimme; sein Gesicht war blaß, und seine Zähne klapperten beinahe, als ob ihn friere, aber

141 feine Augen leuchteten wie dunkle Sterne im Schatten der Loge. „Es ist aller denkbare Grund dazu vorhanden. Sie find die Frau, die ich liebe.“ Corona rührte sich einige Sekunden lang nicht, als hätte sie nicht verstanden, was er sagte. Dann überlief sie plötzlich ein Schauer, ihre Augenlider schloffen sich und sie lehnte sich in ihren Seffel zurück. Ihre Finger lösten sich von ihrem Fächer und dieser fiel klappernd zu Boden. Der alte Astrardente hatte von den Beiden keine Notiz genommen, denn er ärgerte sich über Giovannis Besuch und interesfirte sich sehr für Madame Mayers Manöver in der Loge gegenüber; als er das Geräusch hörte, bückte er sich mit bemerkenswerther Behendigkeit und hob den Fächer auf, -der vor feine Füßen lag. „Dir ist nicht wohl, meine Liebe", sagte er schnell, als er die ungewöhnliche Blässe seiner Frau bemerkte. „Es ist nichts; es wird vorübergehen", murmelte sie mit äußerster Anstrengung. Dann setzte sie hinzu: „Es muß hier Zuglust sein. Mir ist plötzlich so kalt." Giovanni hatte dagesessen wie ein Steinbild, ganz überwältigt von dem Bewußtsein seiner Thorheit und Uehereilung, wie von dem Schreck darüber, daß es ihm so jämmerlich mißlungen, das Geheimniß zu bewahren, welches er zu verrathen fürchtete. Als er Coronas Stimme hörte, fuhr er plötzlich auf wie aus einem Traume. „Verzeihen Sie", fügte er hastig, „mir fällt eben eine wichtige Verabredung ein".-------------„Bitte, entschuldigen Sie sich gar nicht", sagte Astrar­ dente verdrießlich. Giovanni verbeugte sich vor der Her­ zogin und verließ die Loge. Sie sah ihn nicht an, als er fortging.

142 „Wir wollen lieber nach Hause fahren, mein Engel", sagte der alte Mann. „Du hast Dich erkältet." „Ach nein, ich möchte lieber bleiben. Es ist nichts, und das Beste von der Oper kommt noch." Corona sprach recht ruhig; ihre starken Nerven hatten sich schon von dem Schreck erholt, und sie war Herrin ihrer Stimme. Sie wollte nicht nach Hause gehen; im Gegentheil, das helle Licht und die Musik trugen dazu bei, sie zu beruhigen. Wäre an jenem Abend ein Ball gewesen, so würde sie hin­ gegangen sein; sie würde alles gethan haben, um ihren Gedanken zu entfliehen. Ihr Mann sah sie neugierig an. Ihm kam der Verdacht, daß Giovanni irgend etwas gesagt hätte, das sie entweder erschreckt oder beleidigt habe, dann aber kam ihm diese Vermuthung abgeschmackt vor. Er sah Saracinesca nur als einen Bekannten seiner Frau an. „Wie Du willst, meine Liebe," antwortete er und schob seinen Stuhl ein wenig näher an den ihren. „Ich freue mich, daß der Mensch fort ist. Nun können wir gemüth­ lich plaudern." „Ja, ich freue mich, daß er fort ist. Nun können wir plaudern," wiederholte Corona mechanisch. „Seine Entschuldigung kam mir, gelinde gesagt, etwas gezwungen vor," bemerkte Astrardente. „Eine wichtige Ver­ abredung! Ein bischen banal — Nun aber jeder Vorwand genügte, der ihn fortführte." „Sagte er das?" fragte Corona. „Ich hörte nicht hin. Natürlich, jeder Vorwand genügte, wie Du sagst."

Neuntes Kapitel. Giovanni ging sofort allein zu Fuß aus dem Theater. Er war sehr aufgeregt. Er hatte Plötzlich und unversehens

142 „Wir wollen lieber nach Hause fahren, mein Engel", sagte der alte Mann. „Du hast Dich erkältet." „Ach nein, ich möchte lieber bleiben. Es ist nichts, und das Beste von der Oper kommt noch." Corona sprach recht ruhig; ihre starken Nerven hatten sich schon von dem Schreck erholt, und sie war Herrin ihrer Stimme. Sie wollte nicht nach Hause gehen; im Gegentheil, das helle Licht und die Musik trugen dazu bei, sie zu beruhigen. Wäre an jenem Abend ein Ball gewesen, so würde sie hin­ gegangen sein; sie würde alles gethan haben, um ihren Gedanken zu entfliehen. Ihr Mann sah sie neugierig an. Ihm kam der Verdacht, daß Giovanni irgend etwas gesagt hätte, das sie entweder erschreckt oder beleidigt habe, dann aber kam ihm diese Vermuthung abgeschmackt vor. Er sah Saracinesca nur als einen Bekannten seiner Frau an. „Wie Du willst, meine Liebe," antwortete er und schob seinen Stuhl ein wenig näher an den ihren. „Ich freue mich, daß der Mensch fort ist. Nun können wir gemüth­ lich plaudern." „Ja, ich freue mich, daß er fort ist. Nun können wir plaudern," wiederholte Corona mechanisch. „Seine Entschuldigung kam mir, gelinde gesagt, etwas gezwungen vor," bemerkte Astrardente. „Eine wichtige Ver­ abredung! Ein bischen banal — Nun aber jeder Vorwand genügte, der ihn fortführte." „Sagte er das?" fragte Corona. „Ich hörte nicht hin. Natürlich, jeder Vorwand genügte, wie Du sagst."

Neuntes Kapitel. Giovanni ging sofort allein zu Fuß aus dem Theater. Er war sehr aufgeregt. Er hatte Plötzlich und unversehens

143 gerade das gethan, was er entschloffen gewesen, niemals zu thun; seine Entschlüsse waren zusammengebrochen und fortgerissen, wie ein haltloser Damm vom Meer bei der Sturmfluth. Sein Herz hatte trotz seiner gesprochen und beim Sprechen jede Mahnung der Vernunft zum Schweigen gebracht. Er tadelte sich bitter, als er über die einsame Engelsbrücke in das tiefe Dunkel jenseit derselben hinaus­ schritt, wo die Straße vor der Burg sich bis zum Eingang in die drei Borghi erweitert; er ging immer weiter und fand bei jedem Schritt neuen Grund zu Selbstvorwürfen und suchte zu begreifen, was er gethan hatte. Am Ende des offenen Platzes stand er still und schaute nach dem schwarzen rauschenden Flusse hin, den er hören, aber kaum sehen konnte. Dann schlug er die einsame Straße Borgo Santo Spirito ein und ging an der endlosen Mauer des großen Hospitals bis zu den Säulenhallen auf dem Petersplatze hin; weiter wanderte er fort, bis er zu den breiten Stufen vor der Peterskirche kam, da setzte er sich hin, allein in der Dunkelheit, am Fuße des mächtigen Gebäudes. Vielleicht war er nicht so sehr zu tadeln, als er in seinem Aerger selbst zu glauben geneigt war. Corona hatte ihn durch ihre letzte Frage in eine schwere Versuchung ge­ führt. Sie hatte nicht gewußt, nicht im entferntesten ge­ ahnt, was sie that, denn ihr Gehirn war berauscht von einer neuen unbeschreiblichen Empfindung, welche zum Nach­ denken oder Abwägen ihrer Worte keinen Raum ließ. Aber Giovanni, der bereit gewesen war, alles, selbst seine per­ sönliche Freiheit hinzugeben, um seine Liebe zu verbergen, wollte sich für seine Handlungsweise keine mildernden Um­ stände zugestehen. Er hatte in seinem Leben erst wenige Herzensangelegenheiten durchgemacht, und die waren meistens

144 sehr unbedeutend gewesen, also war seine Erfahrung be­ schränkt. Es fiel ihm fürs Erste gar nicht ein, daß Corona seine Verwegenheit verzeihen könnte; er war überzeugt, sie fühlte sich tief verletzt und die nächste Begegnung mit ihr werde eine schreckliche Feuerprobe für ihn sein — so schrecklich, daß er sich fragte, ob er überhaupt den Muth haben würde, ihr zu begegnen. Seine Liebe war so groß und der Gegenstand derselben ihm so heilig, daß er schwankte, ob er auf Gegenliebe hoffen dürfe; hätte er verstehen können, daß Corona ihn liebte, so würde er vielleicht lieber Rom auf immer verlassen haben als ihren Frieden durch seine Anwesenheit zu stören. Es wäre ganz anders gewesen, wenn er zum Beispiel Donna Tullia den Hof gemacht hätte. Das Gefühl, ein Recht dazu zu haben, hätte ihm Muth gegeben, und die Kälte seines eignen Herzens hätte sein Urtheil unbeirrt ge­ lassen. Er hätte sie ruhig beobachten können nnd würde versucht haben, aus jeder ihrer Stimmungen für den Fort­ gang seiner Bewerbung Vortheil zu ziehen. Er war ein durchaus ehrenhafter Mann, aber er sah Vernunft- oder Convenienzheirathen als durchaus nicht im Widerspruche zu dem gewöhnlichen Maßstabe gesellschaftlicher Ehre stehend an, und hätte sich für berechtigt gehalten, jedes Mittel der Ueberredung anzuwenden, um eine Frau zu gewinnen, die er als Gattin für sich paffend befunden, auch wenn er keine wahre Liebe für sie fühlte. Das ist eine in den meisten alten Ländern eingewurzelte Ansicht, — eine Ansicht, für welche Giovanni Saracinesca keineswegs verantwortlich war, wenn man bedenkt, daß sie ihm von Kindheit an eingeflößt worden war. Er persönlich würde lieber unverheirathet geblieben sein, als eine Frau aus Rücksicht auf seine Familie zu ehelichen; da er aber niemals eine Frau

145 wahrhaft geliebt hatte, so hatte er sich daran gewöhnt, eine solche Heirath als etwas Wahrscheinliches, ja vielleicht als eine Nothwendigkeit anzusehen, welche er so lange als mög­ lich hinausschieden, in welche er sich aber schließlich mit guter Miene fügen wollte. Aber sein Leben hatte eine andre Wendung genommen. Er war keineswegs ein romantischer Charakter, durchaus nicht ein Mann, welcher äußerliche Aufregungen durchzu­ machen wünschte, die er durch Veranlassung dramatischer Ereignisse Hervorrufen konnte. Er trat gern handelnd aus und fand Gefallen an Gefahr, aber er suchte ein Feld da­ für auf rechtmäßigem Wege; niemals wünschte er, sich in Abenteuer zu verwickeln, bei denen Gefühle ins Spiel kamen, und bis jetzt waren ihm dergleichen Erfahrungen nicht vor­ gekommen. Wie gewöhnlich bei solchen Männern erfaßte ihn die Liebe, als sie endlich kam, mit einer Macht, von der sich zwanzigjährige Jünglinge nichts träumen lassen. Der reife Mann von dreißig Jahren mit seinem energischen und herrschsüchtigen Temperament, seiner Sorglosigkeit ge­ genüber der Gefahr, seinem hohen, noch unerprobten Ideal von dem, was wahre Liebe sein sollte, welcher den ersten Eindrücken der allbesiegenden Leidenschaft mit der Gleich­ gültigkeit eines Menschen widersteht, der da glaubt, daß die Liebe nie in sein Leben treten könne und daß man ihr im allgemeinen aus dem Wege gehen müsse, — ein Mann überdies, der durch seine persönlichen Gaben und durch seine gesellschaftliche Stellung über vieles gebieten konnte, wonach geringere zu trachten auch nicht einmal träumen durften, — kurz solch ein Mann wie Giovanni Saracinesca konnte wohl die Liebeskrankheit nicht in mildem Grade an sich erfahren. Durch sein ererbtes Temperament stolz, herrschsüchtig und unbeugsam, war er in Folge angeeigneter GeCr.iwford, S>iraci»esca.

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146 wohnheit äußerlich sanft und verbindlich, ein Mann, den Frauen leicht lieben und Männer gewöhnlich fürchten. Er wat sich über fein eigenes Wesen nicht klar, er ahnte nicht den äußersten Grad des Gesthls, deffen er fähig war. Er hatte anfangs Coronas Einfluß empfunden, ihr Gesicht und ihre Stimme schienen in ihm eine Erinnerung wach zu rufen, die im Grunde nur eine Ahnung und nicht eigentlich eine Erinnerung war. Es war wie der erste Frühlingshauch, der zu einem Gefangenen in grimmer Festung emporweht, wie der erste süße Dust, welcher von den Zauberseen Cisalpiniens den kriegsharten Gothen ent­ gegenströmte, als sie auf ihrer Wanderung gen Süden die letzten schneeigen Abhänge Hinabstiegen — eine Vorahnung, die einer Erinnerung glich, eine Vorfreude auf etwas schon in einem frühern Zustande Geliebtes. Giovanni hatte sich deswegen zuerst ausgelacht, denn hatte er den wechselnden Zauber zu ftirchten angefangen und war ihm schließlich ret­ tungslos verfaüen, so daß ihm von seinem frühern Selbst nur noch so viel übrig blieb, um den Entschluß zu soffen, daß das Unheil, welches ihn betroffen, nicht der von ihm angebeteten Frau nahe kommen sollte. Und siehe da! bei dem ersten Anlaß, dem ersten Male, daß sie durch ein unbedachtes Wort sein Blut in Wallung und sein Hirn zum Hämmern brachte, war er nicht nur unfähig gewesen, sein Gefühl zu verbergen, sondern hatte solche Worte gesprochen, wie er es nie für möglich gehalten — so unumwunden, so rücksichtslos, daß sie beinahe vor seinen Augen ohnmächtig geworden war. Sie muß sehr böse gewesen sein, dachte er; vielleicht war sie auch erschrocken. Es war so plump, so ganz gegen alle Ritterlichkeit, gleich bei der ersten Gelegenheit zu sagen: „Ich liebe Sie", nur das und weiter nichts. Giovanni hatte

147 nie viel darüber nachgedacht, aber er nahm an, daß Leute, die verliebt, ernstlich verliebt sind, viel Zeit brauchen, um sich auszusprcchen, wie das in Büchern vorkommt; während er sich über seine eigne Dreistigkeit entsetzte, so tollkühne Worte hervorgestoßen zu haben, die er nie zurücknehmen, die er, wie er fürchtete, nicht einmal erklären konnte, da er über den Bereich aller Erklärungen, vielleicht sogar der Ver­ gebung hinausgegangen war. Niemand hat wohl je behaupten können, er habe die Versicherung: „Ich liebe Sie!" im Versehen ausgesprochen. Giovanni lachte beinahe bei dem Gedanken und doch meinte er, irgend eine Art von Entschuldigung würde nöthig sein, obwohl er sich nicht vorstellen konnte, wie er sie in Worte fassen sollte. Er bedachte, daß wenige Frauen eine Er­ klärung, selbst eine so plötzliche wie die seine, als eine Be­ leidigung auffassen würden; aber er wußte, wie wenig Veranlaffung Corona ihm gegeben hatte, zu ihr von Liebe zu sprechen, und aus ihrer Art und Weise schloß er, daß sie entweder beleidigt oder erschreckt, vielleicht beides gewesen, und daß er daran schuld sei. Er war in großer Unruhe, der Schweiß stand in großen Tropfen auf seiner Stirn, wie er so im kalten Nachtwinde auf den Steinstufen vor der Peterskirche dasaß. Er blieb fast eine Stunde unbe­ weglich sitzen, dann stand er endlich auf und ging langsam denselben Weg zurück und nach Hause durch die engen Gaffe», das Theater und die Menge der davor stehenden Wagen vermeidend. Er war schon halb entschlossen, für einige Zeit zu ver­ reisen und seine Abwesenheit für seine Zerknirschung spre­ chen zu lasten. Aber er hatte auf sein früheres Selbst ge­ rechnet, und jetzt zweifelte er, ob er Seelenstärke genug haben werde, Rom zu verlassen. Das Aenßerste, was ihm 10*

148 möglich schien, war Corona einige Tage lang aus dem Wege zu gehen, bis sie sich von ihrem Schreck über den Auf­ tritt im Theater erholt haben würde. Dann wollte er zu ihr gehen und ihr einfach sagen, daß es ihm sehr leid thäte, daß er aber nicht im Stande gewesen wäre, sich zu beherrschen. Es würde rasch vorüber sein. Sie würde sich nicht weigern mit ihm zu sprechen, meinte er, aus Furcht die Aufmerksamkeit der Schwätzer auf sich zu ziehen und Aussehen zu erregen. Sie würde ihn vielleicht heißen sie zu meiden, ihre Worte würden kurz und hochmüthig sein, aber sie würde doch mit ihm sprechen. Giovanni ging zu Bett. Am nächsten Morgen sagte er, er habe etwas Fieber nnd blieb in seinen Zimmer. Sein Vater, der ihn trotz seiner Heftigkeit und seiner über­ eilten Reden innig liebte, kam zu ihm und brachte den größten Theil des Tages bei ihm zu, und in den Pausen seiner freundlichen Unterhaltung ging er im Zimmer auf und ab und schwor, daß Giovanni nicht kränker fei als er, und daß er diese verfluchte Angewohnheit im Bette zu bleiben auf Reisen angenommen habe. Da Giovanni noch nie zuvor aus irgend einem Grunde vierundzwanzig Stun­ den zu Bett gelegen hatte, so war die Anklage ungerecht, aber er lächelte nur und that, als müsse er sich vertheidigen um dem alten Fürsten einen Gefallen zu thun. Ihm war wirklich sehr unbehaglich zu Muthe und er wäre gern um jeden Preis allein gewesen; aber es gab kein anderes Mittel, als sich körperlich krank zu stellen, während sein Herz wirk­ lich krank war, und so blieb er eigensinnig den ganzen Tag int Bett. Am nächsten Morgen erklärte er, daß er aufs Land gehen wollte, und verließ die Stadt mit einem Früh­ zuge. Niemand bekam Giovanni zu sehen bis zu dem Abend, als der Ball bei Frangipani stattfand.

149 Es würde ihn sehr überrascht haben zu erfahren, daß Corona sich unterdessen überall vergeblich nach ihm um­ gesehen, und daß sie, da sie ihn nirgend sah, schweigsam und blaß wurde, und auf schöne Reden, die andere an sie richteten, kurze Antworten geb. Alle vermißten Giovanni. Er schrieb an Valdarno, er hätte plötzlich wegen seiner Forsten nach Saracinesca hinaus müssen, aber alle wun­ derten sich, daß er mitten in der Gesellschaftszeit die Stadt um einer so unbedeutenden Sache willen verlassen hätte. Man hatte ihn zuletzt in der Oper in der Loge der Astrardente gesehen, wo er nur wenige Minuten geblieben war, wie Del Ferice bezeugen konnte, der gegenüber in der Loge von Madame Mayer gesessen hatte. Del Ferice schwor sich zu, daß er der Sache auf den Grund kommen würde; und Donna Tullia schimpfte in einem Kreise ver­ trauter Freude und Anbeter in maßlosen Ausdrücken auf Giovanni, weil er sie zum Cotillon bei Valdarno engagirt und nicht einmal abgeschrieben hatte. Darauf erboten sich alle anwesenden Herren sofort für den freigewordenen Tanz, und Donna Tullia ließ sie loosen, indem sie einen Kupfer­ soldo in die Ecke des Zimmers werfen mußten. Der Ge­ winner gab rücksichtlos die Dame auf, welche er zuvor engagirt hatte, und es kam darüber beinahe zu einem Duell; all dieses belustigte Donna Tullia sichtlich. In ihrem Herzen war sie indessen sehr böse über Giovannis Abreise. Corona aber suchte ihn überall und erfuhr endlich, zwei Tage später als alle andern Leute in Rom, daß er verreist sei. Wahrscheinlich wäre sie sehr bestürzt gewesen, wenn sie ihm bald nach jenem verhängnißvollen Abend begegnet wäre; allein der Wunsch, ihn zu sehen, war so groß, daß sie die Folgen ganz übersah. Ihr ganzes Leben

150 schien eine Umwälzung erfahren zu haben, — sie erzitterte bei dem Widerhall der vernommenen Worte — sie brachte lange Stunden einsam zu und betete mit aller Kraft um Vergebung, daß sie ihn angehört; aber sobald sie ihr Zim­ mer verließ und in die Welt hinaustrat, kehrte das über­ mächtige Verlangen ihn wiederzusehen zurück. Das geheime Sehnen ihrer Seele war, ihn wieder so sprechen zu hören, wie er das eine Mal gesprochen hatte. Sie würde wieder zum Pater Philipp gegangen sein und ihm alles erzählt haben, aber in der Einsamkeit, in ihren leidenschaftlichen Gebeten und Selbstanklagen fühlte sie, daß sie diesen Kampf allein, ohne ftemde Hülse, auskämpfen müsse, und wenn sie in Gesellschaft war, fehlte ihr der Muth, sich ganz beffen zu entschlagen, was so süß war, und ihre Angen suchten ohne Unterlaß nach dem dunkeln Antlitz, das ihr so theuer war. Aber die Aufregung der mächtigen Leidenschaft er­ griff sie wider ihren Willen an Körper und Seele und spielte darauf wie aus einem Saiteninstrument; manchmal war die Musik sanft und voll süßer Harmonie, dann aber kamen schrille Mißklänge, so daß sie zitterte und ihr Herz zuckte wie unter der Folter; dann preßte sie die Lippen fest zusammen, und ihre weißen Finger schlangen sich in einander; sie hätte laut auftchreien mögen, doch das verbot ihr Stolz. Die Tage kamen und gingen, aber Giovanni kehrte nicht zurück, und Coronas Antlitz wurde jeden Morgen bleicher und ihre Augen allnächtlich sehnsuchtsvoller. Ihr Mann wußte nicht, was es war, aber er sah wohl, daß ihr etwas fehlte, wie ja auch Andre es sahen, und in seiner gereizten argwöhnischen Stimmung brachte er die Unruhe auf dem Antlitz seiner Frau in Verbindung mit der Ab­ wesenheit Giovannis und der seltsamen Kälte, die sie im

151 Theater gefühlt hatte. Aber Corona von Astrardente war eine sehr tapfere und starke Frau, und sie ertrug das, was ihr wie eine täglich erneuerte Todesqual schien, so ruhig, daß ihre Bekannten glaubten, es wäre nur ein vorüber­ gehendes Unwohlsein, oder ein unbedeutendes Aergerniß, — allerdings etwas Ungewöhnliches bei ihr, denn sie war sonst nie krank oder verstimmt. Sie widmete dem Kleide besondere Aufmerksamkeit, welches sie auf den Wunsch ihres Mannes auf dem großen Balle tragen sollte, und ihr Be­ dürfniß nach Zerstreuung, um sich von ihrer Hauptsorge abzulenken, machte ihr das Ausgehen zu einer Nothwen­ digkeit. Der Abend des Balles bei Frangipani kam heran, und ganz Rom war voll Aufregung und Erwartung. Die alte Adelsfamilie war in Folge von drei auf einander fol­ genden Todesfällen mehrere Jahre in Trauer gewesen, und während dieser ganzen Zeit war die alte Burg, welche man ihren Palast nannte, der Welt verschlossen geblieben. Eine Zeit lang war sogar keiner ihres Namens in Rom gewesen; der Fürst und die Fürstin hatten es vorgezogen die Trauer­ zeit auf dem Lande oder auf Reisen zuzubringen, während der älteste, jetzt eben mündig gewordene Sohn seine Studien auf einer englischen Universität vollendete. In diesem Jahre aber war die Familie zurückgekehrt; im Palast hatten Mittagszesellschasten und Empfangstage stattgefunden und der Ball zu Ehren der erreichten Großjährigkeit des Erben sollte das Hauptereigniß des Jahres werden. Es hieß, daß etwa dreißig Säle dazu geöffnet werden sollten, außer der großen zum Tanzen bestimmten Halle, und daß die Vorkehr.,ngen in einem Maßstabe getroffen würden, der eines Hauses würdig sei, welches seine hohe Stellung seit mehr als tausend Jahren behauptet hatte. Ferner hieß es,

152 daß bei den Einladungen kein Unterschied in Bezug auf politische oder gesellschaftliche Parteien gemacht worden wäre, und daß man bei dieser Gelegenheit mehr Leute sehen werde, als sich seit vielen Jahren unter einem Dache

versammelt hatten. Die Frangipani thaten alles großartig und Niemand war enttäuscht. Die Gärten und Höfe des Palastes waren glänzend erleuchtet; lange Reihen von Gemächern standen offen aufs prachtvollste mit seltnen Blumen ausgeschmückt. Auf der großen Treppe standen zu beiden Seiten Bediente in der Livree der Familie regungslos, während die Gäste vorübergingen; das Abendessen war ein Bankett, wie es wohl in Chroniken von mittelalterlicher Pracht geschildert wird; das ungeheure Gewächshaus im südlichen Flügel wurde durch gedämpfte Lichter, die unter den tropischen Pflanzen versteckt waren, matt erleuchtet; Wände und Decke der großen Halle waren von berühmten Malern neu decorirt worden, und der polirte hölzerne Fußboden statt des altmodischen mit Leinwand überzogenen Ziegelbodens war eine Neuerung, die man bis dahin noch in keinem römischen Palast gesehen hatte. Tausend Kerzen, in den verschieden­ sten Kronleuchtern und Armleuchtern angebracht, verbreite­ ten ein volles sanftes Licht von oben her, und auf einer erhöhten Galerie an dem einen Ende der Halle spielte ein Wiener Orchester unermüdlich. Wie gewöhnlich auf den großen Bällen begann der Tanz spät, aber viele Leute waren früh gekommen, um die Wunder des Palastes mit Muße anzuschaucn. Unter denen, welche bald nach zehn Uhr kamen, war Giovanni Saracinesca, von all seinen Bekannten wurde er laut begrüßt. Er sah bleich und müde aus, insofern als bei seiner zähen Natur von Müdigkeit die Rede sein konnt; aber er war in

153 ungewöhnlich liebenswürdiger Stimmung und wechselte mit Jedem, den er kannte, einige freundliche Worte. Er war in der That so viele Tage über traurig gewesen, daß er kaum begriff, weshalb ihm froh zu Muthe war, es sei denn in der Erwartung, die von ihm geliebte Frau wiederzusehen. Er schlenderte anscheinend unbekümmert durch die Säle, war aber in der That von Ungeduld verzehrt, und sein rascher Blick suchte in allen Richtungen Coronas hohe Ge­ stalt. Aber sic war noch nicht da, und zuletzt stellte sich Giovanni in einem der großen Vorzimmer auf, um gedul­ dig ihre Ankunft abzuwarten. Während er an einem der Marmorpfeiler gelehnt wartend an der Thür stand, wuchs die Menge rasch an, aber er beachtete kaum das zunehmende Gedränge, bis er in dem ununterbrochenen Sprechen eine Plötzlich eintretende Pause wahrnahm; Herren und Damen traten zur Seite, um einem Cardinal Platz zu machen, der aus den innern Gemächern heraustrat. Mit huldreichem Kopfnicken und gewinnender Miene schritt der große Mann einher, seine scharfen Augen erfaßten alles und jedes in seinem Gesichtskreise, sein verbindliches Lächeln schien für jeden Einzelnen bestimmt zu sein; ohne Jemanden zu über­ sehen, noch zu lange bei einem zu verweilen, die hohe klare Stirn ungebeugt, die langen faltenreichen Gewänder von seiner stattlichen Gestalt herabwallend, den rothen Hut in der Hand, so bahnte er sich grüßend den Weg durch die sich verneigende Menge. Sein Fortgehen, auf welches bald das einiger andrer Cardinäle und Prälaten folgte, war das Zeichen, daß der Tanz bald beginnen würde; und als er hinausgegangen war, drängten sich die Gäste schneller durch die Thür, um in den Ballsal zu gelangen. Aber als das Auge des großen Cardinals auf Gio­ vanni Saracinesca fiel, begleitet von jenem nnveränder-

154 Uchen Lächeln, auf das sich viele noch heutzutage besinnen können, machte seine feine Hand eine Bewegung, als winke er dem jungen Manne, ihm zu folgen. Giovanni gehorchte der Aufforderung und ward für den Augenblick der beachtetste Mann im Zimmer. Die beiden gingen zusammen hinaus und standen alsbald in der Vorhalle. Die Fackel­ träger warteten schon draußen auf der großen Treppe und die Lakeien stellten sich in langen Reihen aus, um den Premierminister zu salutiren. In demselben Augenblick kam der Hausherr athemlos herbeigeeilt. Er hatte nicht bemerkt, daß der Cardinal Antonelli fortging und eilte ihm nach, auf daß nicht eine Verletzung der Etikette ihm das Mißfallen des großen Staatsmannes zuzöge. „Verzeihen Ew. Eminenz!" rief er hastig. „Ich hatte nicht gesehen, daß Ew. Eminenz uns schon verlaffen woll­ ten -------- noch dazu so früh, — die Fürstin fürchtete--------- “ „Bitte, sprechen Sie nicht davon," antwortete der Car­ dinal in sanftestem Ton. „Ich bin nicht mehr so kräftig wie früher. Wir alten Leute müsien bei Zeiten zu Bette gehen und euch jungen eurem Vergnügen überlassen. Keine Entschuldigungen — gute Nacht — ein wunderschöner Ball — ich wünsche Ihnen Glück zur Wiedereröffnung Ihres Hauses — nochmals gute Nacht! Ich möchte noch hier ein Wort mit Giovanni sprechen, ehe ich hinuntergehe." Er reichte Frangipani die Hand, dieser hob sie ehr­ furchtsvoll an die Lippen und zog sich zurück, da er sah, daß er überflüssig wäre. Er und viele andre zerbrachen sich lange den Kopf darüber, was wohl S. Eminenz in vertrantem Gespräch mit Saracinesca verhandelt haben möge, und weshalb er ihn eine Viertelstunde in dem kalten Vorzimmer aushielt, wo der Nachtwind von der Staats­ treppe her ungehindert hineinblies.

155 In der That war Giovanni selbst am meisten erstaunt. „Wo sind Sie gewesen, mein Freund?" fragte der Cardinal, als sie allein waren. „In Saracinesca, Eure Eminenz." „Und was haben Sie zu dieser Jahreszeit in Sara­ cinesca gemacht? Ich hoffe, Sie geben auf die dortigen Wälder acht, — Sie haben nicht Holz fällen lassen?" „Niemand kann mehr darauf bedacht sein als wir, unsere Hügel dicht bewaldet zu sehen", versetzte Giovanni. „Ew. Eminenz brauchen nichts zu fürchten." „Nicht für ihre Güter", sagte der Cardinal, indem er seine kleinen scharfen schwarzen Augen forschend auf Gio­

vannis Gesicht heftete. „Allein ich gestehe, ich bin etwas besorgt um Sie." „Um mich, Eminenz?" wiederholte Giovanni erstaunt. „Ja um Sie. Ich habe zu meiner großen Besorgniß gehört, daß davon die Rede ist, Sie mit Madame Mayer zu verheirathen. Solch eine Verbindung würde nicht die Billigung des Heiligen Vaters finden, noch — wenn ich meine bescheidene Person in einem Athem mit unserm er­ habenen Oberhaupt erwähnen darf — würde sie nach mei­ ner Ansicht räthlich sein." „Erlauben Ew. Eminenz mir zu bemerken", entgegnete Giovanni stolz, „daß wir in unserer Familie nie daran gewöhnt gewesen sind, bei solchen Angelegenheiten um Rath zu fragen. Donna Tullia ist eine gute Katholikin. Es kann deshalb kein triftiger Grund vorhanden sei», weshalb ich sie nicht um ihre Hand bitten sollte, wenn mein Vater und ich das fürs Beste halten." „Ihr seid schreckliche Kerle, ihr Saracinesca!" er­ widerte der Cardinal freundlich. „Ich habe die Geschichte eurer Familie mit außerordentlichem Interesse gelesen, und

156 was Sie sagen, ist vollkommen wahr. Ich kann mich keines einzigen Falles erinnern, in dem ihr irgend einen Rath angenommen hättet — sicherlich nicht vom Heiligen Stuhl. Mit der äußersten Vorsicht wage ich, diesen Gegenstand Ihnen gegenüber zn berühren, und ich bin gewiß, Sie werden mir glauben, wenn ich Ahnen sage, daß meine Worte mir nicht von allzu großem Diensteifer oder dem Wunsche, mich unberufen in ihre Angelegenheiten zu mischen, eingegeben werden. Ich spreche zu Ihnen auf den aus­ drücklichen Wunsch des Heiligen Vaters/ Eine linde Antwort stillet den Zorn, und wenn die Antwort des allmächtigen Staatsmannes an Giovanni lin­ der war, als sich erwarten ließ, so muß man bedenken, daß er mit dem Erben einer der mächtigsten Familien im Kirchenstaate sprach, und das zu einer Zeit, wo die persön­ liche Freundschaft solcher Männer wie Saracinesca von viel größerer Bedeutung war als jetzt. Zu jener Zeit besaßen einige zwanzig Edelleute einen großen Theil des Kirchen­ staates; der Einfluß auf ihre Sasien war groß, denn das Lehenswesen war noch nicht erloschen, ebenso wenig wie der Lehensgeist. Und wenn auch der Cardinal Antonelli bei keiner Partei gerade populär war, so wurde doch Pius IX. von der Mehrzahl des Adels, wie des Volkes geliebt und geachtet. Giovannis erste Regung war, sich jeder Ein­ mischung in seine Angelegenheiten zu widersetzen; aber als er die milde Antwort des Cardinals auf die etwas an­ maßende Versicherung seiner Selbständigkeit erhielt, ver­ neigte er sich höflich und erklärte sich geneigt Vernunft an­ zunehmen. „Indessen," sagte er, „da S. Heiligkeit die Sache er­ wähnt haben, bitte ich Ew. Eminenz ihr mitzutheilen, daß zwar die Rede von meiner Verheirathung in aller Leute

157 Mund zu sein scheint, bis jetzt aber trotzdem nur ein Plan ist, zu dessen Ausführung noch keine Schritte geschehen find." „Das freut mich, Giovanni," versetzte der Cardinal, indem er ihn vertraulich beim Arm nahm und anfing, die Halle mit ihm aus und ab zu gehen, — „das freut mich. Es giebt Gründe, weshalb diese Verbindung Ihrer un­ würdig erscheint. Wenn Sie mir erlauben, so werde ich, ohne Madame Mayer zu nahe zu treten, Ihnen diese Gründe anseinandersetzen." „Ich stehe zu Diensten", sagte Giovanni ernst, „aber vorausgesetzt, daß nichts Beleidigendes für Donna Tullia darin liegt." „Durchaus nichts. Die Gründe sind rein politisch. Madame Mayer — oder Donna Tullia, weil Sie sie lie­ ber so nennen, — ist der Mittelpunkt von einer Art Verein sogenannter Liberaler, dessen thätigstes und albernstes Mit­ glied ein gewißer Hugo del Ferice ist — der Mensch nennt sich Gras, aber sein Großvater war Kutscher im Vatican unter Leo XII. Er wird sich noch eines Tages in Un­ annehmlichkeiten bringen. Er ist Donna Tullias bestän­ diger Begleiter und hat sie wahrscheinlich zu seinen eigenen Zwecken in diesen Kreis thörichter junger Leute gezogen. Es ist eine sehr alberne Gesellschaft. Wahrscheinlich haben Sie etwas von ihrem Gerede gehört?" „Sehr wenig," versetzte Giovanni, „ich bekümmere mich nicht um Politik. Ich wußte nicht einmal, daß ein solcher Verein besteht, von dem Ew. Eminenz sprechen." Cardinal Antonelli sah seinen Begleiter scharf an, während er fortfuhr: „Sie affectiren Zufammengehörigkeit und Geheimnißkrämerei," spottete er, „und ihre Zusammen­ gehörigkeit verräth ihr Geheimniß, denn leider ist es wahr, in unserm guten Rom, wenn zwei oder drei beisammen

158 sind, so treiben sie Unfug. Aber meinechalben können sie sich ruhig im Atelier von Monsieur Gouache oder wo eS ihnen sonst beliebt, versammeln. Gouache ist ein höchst begabter Mensch; er soll mich malen. Kennen Sie ihn? Doch um auf meine Schafe in Wolfskleidern, meine amü­ santen kleinen Verschwörer, zurückzukommen. Sie können keinen Schaden anrichten, denn sie missen selbst nicht, was sie reden, und auf ihre Worte folgen keine Thaten. Aber

das Prinzip der Sache ist schlecht, Giovanni, Ihre tapfern alten Vorfahren fochten offen gegen uns Geistliche, und wenn der Herr nicht ganz besonders barmherzig ist, so ist es um ihre Seelen schlecht bestellt, denn der Teufel kennet die Seinen und ist ein sehr schlechter Zahlmeister. Aber sie kämpften offen wie Edelleute, mährend diese Leute — foderunt foveam ut caperent me — sie haben eine Grube gegraben, aber mich rnerden sie sicherlich nicht sangen, und andere auch nicht. Ihre conciliables, rote Rousseau sie genannt haben würde, kommen täglich zusammen und reden großen Unsinn und thun nichts, was nicht beweist, daß ihr Prinzip gut ist, wohl aber, daß ihr Verstand verächtlich ist. Zch will dem Herrn Grafen Del Ferice nicht zu nahe treten, aber mich dünkt, die Unwiffenheit hat seine kleine Partei für sich erkoren, und die Albernheit sitzt bei ihnen im Rath. Wenn sie die Hälfte der Abgeschmacktheiten glauben, welche sie aussprechen, warum packen sie denn nicht ihr Hab und Gut zusammen und gehen über die Grenze? Wenn sie etwas beabsichtigten, würden sie auch etwas thun." „Augenscheinlich", sagte Giovanni, belustigt über die Rede Seiner Eminenz. „Augenscheinlich. Folglich beabsichtigen sie gar nichts. Folglich befaßt sich unsere gute Freundin, Donna Tullia,

159 mit schalem politischen Dilettantenthum zur Befriedigung leerer Eitelkeit; ich will ihr nicht zu nahe treten — es ist die Art ihres Geschlechts." Don Giovanni schwieg. „Glauben Sie mir, Fürst," sagte der Cardinal plötz­ lich in verändertem Ton, sehr ernst, „es giebt für starke Männer wie Sie und ich in diesen Zeiten etwas Besseres zu thun, als sich mit Verschwörungen befassen und Gläser Champagner auf die italienische Einheit und Victor Ema­ nuel zu leeren. Unser Leben ist ein Kampf, und zwar ein Kamps gegen eine furchtbare Uebermacht. Sie so wenig wie ich sollten sich damit begnügen unsere Kraft im Kampf gegen Schattenbilder zu vergeuden und gegen kleinliche selbstgeschaffene Uebel Krieg zu führen, während wir wohl wiffen, daß die Mächte der Bösen in furchtbarer Schlacht­ ordnung gegen die Mächte der Guten zu Felde ziehen. Sed non praevalebunt!“ Das hagere Gesicht des Cardinals nahm einen merk­ würdig entschlossenen Ausdruck an, und seine feinen Finger packten Giovannis Arm mit einer Kraft, die ihn in Er­ staunen setzte. „Sie sprechen muthig", antwortete der junge Mann; „Sie sind sanguinischer als wir Weltkinder. Sie halten das Unheil für unmöglich, während es mir täglich drohen­ der zu werden scheint." Cardinal Antonelli heftete seine leuchtenden schwarzen Augen fest auf seinen Gefährten. „0 generatio incredula! Wenn ihr keinen Glauben habt, so habt ihr auch keinen Muth, und wenn ihr keinen Muth habt, so werdet ihr euer Leben im Trachten nach eitlen Dingen vergeuden! Männer wie Sie, Männer aus altem Geschlecht, mit reichem Grundbesitz, mit eisernem

160 Körper und gesundem Geist sollten ihre Hand ans gute Werk legen und uns helfen, die wir seit vielen Jahren ringen und deren Kraft beinahe erschöpft ist. Jede Ihrer Hand­ lungen, jeder Ihrer Gedanken sollte der guten Sache för­ derlich sein, damit wir nicht alle zusammen zu Grunde gehen und unsre laue Gleichgültigkeit zu büßen haben. Timidi nunquam statuerunt tropeum — wenn wir die Beute theilen wollen, muffen wir das Schwert umgürten und es tapfer ftlhren, wir müssen die Möglichkeit einer Niederlage gar nicht zugeben, wir müssen wachsam sein und alle wie ein Mann stehen. Sie sagen mir, daß Sie, Leute von Welt, schon das drohende Urtheil nahe voraus­ sehen — eine Niederlage erwarten ist so viel wie neun Zehntel der Niederlage selbst. Ach, wenn wir auf Männer wie Sie als bis in den Tod getreu rechnen könnten, dann wäre unsre Sache nicht verzweifelt." „Was das anbetrifft, so können Ew. Eminenz wohl auf uns zählen", versetzte Giovanni ruhig. „Auf Sie, Giovanni, allerdings, denn Sie sind ein braver Edelmann. Aber auf Ihre Freunde, auf Ihren ganzen Stand — nein, doch nicht. Kann ich selbst aus die Valdarno rechnen? Sie wissen so gut wie ich, daß diese es mit den Liberalen halten — daß sie weder den Muth haben, uns zu unterstützen, noch die Verwegenheit uns aufzugeben; und was schlimmer ist, sie vertreten eine große Klaffe, von der zu meinem Leidwesen Donna Tuüia Mayer eines der hervorragendsten Mitglieder ist. Mit ihrem Reichthum, ihrer Jugend, ihrer sprudelnden Leb­ haftigkeit und ihrer Stellung als junge Wittwe zieht sie die Männer an sich; sie reden, sie plappern, sie stellen Meinungen aus und vertiefen sich darin, während ihnen der Geist fehlt, danach zu handeln. Sie sind alle gleich

161 — non tantum ovum ovo simile, ein Ei sieht dem andern nicht ähnlicher als sie sich untereinander. Non tali auxilio — solche Hilfe brauchen wir nicht. Wir bitten um Brod, nicht um Stein; wir brauchen Männer, nicht hohl­ köpfige Gecken. Jetzt haben wir Beides; wenn aber der Kaiser uns verläßt, werden wir zuviel Gecken und zu we­ nig Männer haben — zu wenig Männer wie Sie, Don Giovanni. Statt bewaffneter Battaillone werden wir feine auf Gegenseitigkeit beruhende Versicherungsgesellschaften gegen politische Gefahren haben; — statt des Bestandes der größten Militärmacht Europas, werden wir uns auf eine Handvoll junger Herren verlaffen sollen, die in ihren Anfichten von Donna Tullia Mayer geleitet werden." Giovanni lachte und sah S. Eminenz an, welche be­ liebte, all das dem Staate drohende Unheil in Beziehung zu der Dame zu bringen, welche er nicht mit seinem Ge­ fährten vermählt zu sehen wünschte. „Ist ihr Einfluß wirklich so groß?" fragte Saracinesca ungläubig. „Sie ist angenehm, sie ist hübsch, sie ist reich — ihr Einfluß ist ein Beispiel des ganzen in Rom vorherrschenden Einflusses, ein Abglanz von dem Leben in Paris. Dort spielen die Frauen wenigstens eine Rolle, und oft eine große; wenn sie hier die Herrschaft über einen Salon voll Stutzer gewonnen haben, wissen sie sie nicht zu lenken; sie ändern ihre Ansicht zwanzig Mal des Tages, sie haben im Advent einen Anfall von religiöser Begeisterung, auf welchen im Carneval ein Anfall von Freiheitsfieber folgt, und ihre Saifon schließt paffend ab mit der Erschöpfung, die fie in der Fastenzeit befällt. Bis dahin sind all ihre Grundsätze über den Haufen geworfen, und fie gehen zum Mai nach Paris — pour se retremper Sans les idees idealistes, wie sie es nennen. Meinen Sie, man könnte tlrawfort, Sar.ictneSca. 11

162 aus solchem Elementen eine Partei bilden, namentlich wenn Sie bedenken, daß diese Maffe von Ungewißheit stets bereit ist, schließlich den Rücksichten auf den eignen Vortheil zu

folgen? Die Hülste von ihnen hält eine italienische Fahne neben der päpstlichen bereit, um je nach Bedürfniß diese oder jene vor ihrem Fenster aufzustecken. Gute Nacht, Giovanni. Ich habe genug gesprochen, und ganz Rom wird auf Sie lossahren, um herauszubekommen, was ich Ihnen für Staatsgeheimniffe anvertraut habe. Halten Sie lieber eine Antwort bereit, denn Sie können Donna Tullia und ihrem Kreise doch kaum mittheilen, daß ich sie eine Bande von schwachen, übelberathenen Leuten genannt habe. Sie könnten es übel nehmen, — ja vielleicht aus mich schimpfen — denken Sie, wie furchtbar mich das kränken würde! Gute Nacht, Giovanni — meine Grüße an Ihren Vater!" Der Cardinal nickte, reichte ihm aber nicht die Hand. Er wußte, daß Giovanni es nicht leiden konnte, seinen Ring zu küffen und hatte zu viel Tact, um diese vorgeschriebene Etikette einem aufzuzwingen, den er zu beeinfiuffen wünschte. Aber er nickte gnädig, und nachdem er sich den Mantel von dem ihn begleitenden Herrn hatte umgebenj lasten, welcher in ehrfurchtsvoller Entfernung auf ihn gewartet hatte, ging der Staatsmann durch die Hauptthür hinaus, wo die doppelte Reihe von Fackelträgern bereit stand, um ihn die große Treppe hinab zu seinem Wagen zu geleiten, wie es in jenen Zeiten Sitte war.

Zehntes Kapitel.

Sobald Giovanni allein war, ging er zurück und nahm wieder seinen Posten am Eingang zu den Gesellschasts-

162 aus solchem Elementen eine Partei bilden, namentlich wenn Sie bedenken, daß diese Maffe von Ungewißheit stets bereit ist, schließlich den Rücksichten auf den eignen Vortheil zu

folgen? Die Hülste von ihnen hält eine italienische Fahne neben der päpstlichen bereit, um je nach Bedürfniß diese oder jene vor ihrem Fenster aufzustecken. Gute Nacht, Giovanni. Ich habe genug gesprochen, und ganz Rom wird auf Sie lossahren, um herauszubekommen, was ich Ihnen für Staatsgeheimniffe anvertraut habe. Halten Sie lieber eine Antwort bereit, denn Sie können Donna Tullia und ihrem Kreise doch kaum mittheilen, daß ich sie eine Bande von schwachen, übelberathenen Leuten genannt habe. Sie könnten es übel nehmen, — ja vielleicht aus mich schimpfen — denken Sie, wie furchtbar mich das kränken würde! Gute Nacht, Giovanni — meine Grüße an Ihren Vater!" Der Cardinal nickte, reichte ihm aber nicht die Hand. Er wußte, daß Giovanni es nicht leiden konnte, seinen Ring zu küffen und hatte zu viel Tact, um diese vorgeschriebene Etikette einem aufzuzwingen, den er zu beeinfiuffen wünschte. Aber er nickte gnädig, und nachdem er sich den Mantel von dem ihn begleitenden Herrn hatte umgebenj lasten, welcher in ehrfurchtsvoller Entfernung auf ihn gewartet hatte, ging der Staatsmann durch die Hauptthür hinaus, wo die doppelte Reihe von Fackelträgern bereit stand, um ihn die große Treppe hinab zu seinem Wagen zu geleiten, wie es in jenen Zeiten Sitte war.

Zehntes Kapitel.

Sobald Giovanni allein war, ging er zurück und nahm wieder seinen Posten am Eingang zu den Gesellschasts-

163 zimmern ein. Die eben beendete Unterredung hatte ihm genug Stoff zum Nachdenken gegeben, und da er nichts Befferes zu thun hatte, während er auf Corona wartete, dachte er über das Vorgefallene nach. Der Antheil, wel­ chen seine Verheirathung an höchster Stelle erregte, war ihm nicht gerade angenehm; er haßte Einmischung in seine Angelegenheiten und sah Cardinal Antonellis Rath in dieser Sache als eine ganz unverantwortliche Art von Einmischung an. Weder er noch sein Vater waren Leute, die bei Andern Rath einholten; selbständiges Handeln gehörte zu ihrer Fa­ milientradition, wie selbständiges Denken eine erbliche Eigen­ schaft ihres Geschlechtes war. Der Gedanke, daß irgend Jemand, und sei er in noch so hoher Stellung, es wagen sollte, Zustimmung oder Mißbilligung auszudrücken, wenn er, Giovanni Saracinesca, irgend eine Dame heirathen wollte, war für die ihm angeborenen und anerzogenen Vor­ urtheile ein harter Schlag. Er hatte sich beinahe mit seinem eignen Vater gezankt, weil dieser auf seine Absichten inbezug auf seine Verheirathung Einfluß ausüben wollte, es war also nicht wahrscheinlich, daß er dem Cardinal Anto­ nelli gestatten würde, sich hineinzumischen. Wäre Giovanni wirklich mit sich im Klaren gewesen — hätte er wirklich fest beschloffen gehabt, Donna Tullia zu heirathen, so hätte wahrscheinlich der Rath des Cardinals nicht nur die Ver­ bindung nicht verhindert, sondern durch den in Giovannis Seele erregten Widerspruch ihn eher in die Arme einer Partei getrieben, welche seinen Beitritt wünschte und unter seiner Leitung eben so gefährlich werden konnte, wie sie bis dahin unbedeutend gewesen war. Aber der große Cardinal war vermuthlich wohl unterrichtet, und seine Worte fielen nicht auf unfruchtbaren Boden. Giovanni hatte schmerzlich hin und her geschwankt, ehe er zu einem Entschlusse kommen

164 konnte.

Sein erster verdrehter Einfall,

Madame Mayer

zu heirathen, um der Welt zu beweisen, daß er sich nichts

aus Corona von Astrardente mache, war ihm selbst trotz

seiner heftigen Natur bald abgeschmackt vorgekommen. Seine zunehmende Abneigung gegen Donna Tullia hatte ihn seine

Verbindung mit ihr als eine unangenehme Pflicht ansehen lasten, und das übereilte Bekenntniß seiner Liebe für Corona hatte seine frühern Begriffe so verwirrt, daß ihm

seine Verheirathung gar nicht mehr wie eine Pflicht erschien. Was noch vor wenig Tagen beinahe ein fester Entschluß

gewesen, war mehr und mehr geschwunden, bis es ihm nur noch wie ein unausführbarer und nutzloser Plan vorkam. Als er an diesem Abend in den Palast Frangipani gekom­ men war, hatte er Donna Tullia beinahe vergeffen und

seine Antwort nicht vor Ostern zu geben, was auch sein Vater dazu sagen mochte. Als der Cardinal fortgegangen war, stand es bei ihm fest, daß keine war fest entschloffen,

Macht der Erde ihn dazu bringen sollte, Madame Mayer

Er nahm sich nicht die Mühe sich zu sagen, daß er auch keine andre heirathen wollte. Die Worte des Cardinals hatten aus sein tiefes Gemüth einen nachhaltigen zu heirathen.

Eindruck gemacht.

Giovanni hatte an dem Tage,

als sie

nach Donna Tullias Picknick zusammen gegangen waren, dem Del Ferice seine Ansichten klar dargelegt. Er hielt sich für einen praktischen Mann, der weltlichen Herrschaft

des Papstes mehr aus Grundsatz als aus begeisterter Er­

gebenheit treu; er wünschte keine großen Umwälzungen, denn jede billigerweise zu erwartende Veränderung würde seine Jntereffen als Grundbesitzer schädigen;

er hielt sich

nicht für eine bestimmte Politik besonders eingenommen, außer für die des Friedens —denn mit Cicero zog er

den ungerechtesten Frieden dem gerechtesten Kriege vor, —

165 an alten Sitten sesthaltend, nicht besonders zugänglich für fortschrittliche Ideen — kurz Giovanni hielt sich für das, was sein Vater in seiner Jugend gewesen war, und mehr oder minder für das, was er hoffte, daß seine Söhne, wenn

er welche hätte, einst werden würden.

Aber es lag in ihm noch mehr als all dieses, und bei dem ersten fernen Schlachtruf fühlte er in sich den Geist

lebendig werden, denn von Natur war er tapfer und treu, uneigennützig und hingebend, instinktiv fühlte er sich zu

den Schwachen hingezogen und haßte die Lauen.

Er hatte

zu Del Ferice gesagt, er glaube, er würde aus Grundsatz

kämpfen; als er sich gegen den marmornen Thürpfosten im Palaste Frangipani lehnte, wünschte er, der Kampf hätte bereits begonnen.

Während er so dastand und auf die bewegte Menge schaute, bemerkte er einen jungen Mann mit feinem blaffen

Gesicht und schwarzem Haar, der ruhig neben ihm stand und gleich ihm ein müßiger, obschon nicht theilnahmloser Zuschauer des Schauspiels vor ihnen zu sein schien.

Gio­

vanni sah den jungen Menschen flüchtig an und glaubte, ihn zu kennen, und als er wieder hinsah, begegnete er seinem ernsten Blicke und erkannte in ihm den Maler Anastase Gouache. Giovanni kannte ihn oberflächlich, denn

Gouache galt für ein ausgehendes Gestirn und wurde, Dank Donna Tullia, zu den großen Gesellschaften und Bällen dieses Jahres eingeladen, obwohl er noch in keinem Hause

aus vertrautem Fuße stand. Gouache war stolz und würde sich vielleicht lieber ganz fern gehalten haben, als für einen der großen Heerde zu gelten, die „mit allen zusammen"

eingeladen werden, wie es heißt; aber er hatte viel Beob­ achtungsgabe, und es unterhielt ihn vortrefflich, unbeachtet

dazustehen und die Bewegungen der Planeten, Kometen und

166 Trabanten in der Gesellschaft zu beobachten und die man­ nigfachen Typen der kosmopolitischen römischen Welt zu studiren. „Guten Abend, Monfieur Gouache", sagte Giovanni. „Guten Abend, Fürst", erwiderte der Künstler mit einer etwas förmlichen Verbeugung, worauf Beide wieder in Schweigen versanken und sortfuhren die Menge zu be­

obachten. „Und was denken Sie von unsrer römischen Gesell­ schaft?" fragte Giovanni nach einer Weile. „Ich kann sie mit keiner andern vergleichen," antwor­ tete Gouache einfach. „Ich ging nie in Gesellschaft, ehe ich nach Rom kam. Ich finde sie zugleich glänzend und würdevoll, — sie hat ein prachtvolles Aussehen historischen Alterthums, und ist ein wenig paradox." „Worin liegt das Paradoxon?" fragte Giovanni.

„Es-tu libre? Les lois sont-elles respectees? Crains-tu de voir ton champ pille par ton voisin? Le maitre a-t-il son toit, et Pouvrier son pain? Ein Lächeln flog über das Antlitz des jungen Künst­ lers, als er Musset's Verse als Antwort auf Giovannis Frage anführte. Giovanni lachte und sah Anastase mit steigendem Jntereffe an. „Meinen Sie, daß wir unter dem Schwert des Damokles spielen und am Vorabend unserer Hinrichtung tanzen?" „Das nicht gerade. Ein kleiner Beigeschmack von Un­ gewißheit wegen morgen giebt uns heute desto besseren Appetit. Es ist unmöglich, daß eine so große Gesellschaft keine Ahnung von der ihr drohenden Gefahr haben sollte; und doch gehen diese Männer und Frauen heute Abend hier umher, als wären fie alte Römer, Herrscher der Welt,

167 ihrer selbst fast eben so sicher, wie der Beständigkeit ihres

Reiches." „Warum nicht?" fragte Giovanni, indem er den blaffen jungen Mann an seiner Seite forschend ansah. „In Ant­ wort aus Ihr Citat kann ich Ihnen sagen, daß ich so frei bin, als ich zu sein wünsche; daß die Gesetze genügend ge­ achtet werden, daß bis jetzt Niemand daran gedacht hat, meine Güter zu plündern; daß ich ein bescheidenes Dach über meinem Haupte habe, und daß, so viel mir bekannt, keine Arbeiter auf der Straße Hunger leiden. Mir scheint, Sie haben Ihre Antwort, Monsieur Gouache." „Ist das wirklich Ihre Ansicht?" fragte der Künstler

ruhig. „Ja. Was meine Freiheit anbetrifft, so bin ich frei wie die Luft; Niemandem fällt es ein, mich in meinen Be­ wegungen zu hindern. Was die Gesetze anbetrifft, so sind sie für gute Bürger gemacht, und gute Bürger werden sie achten; wenn schlechte Bürger das nicht thun, so ist das ihr Schaden. Meine Güter sind sicher, vielleicht weil sie nicht des Nehmens werth sind, obschon sie mir ein beschei­ denes Auskommen geben, das für meine Bedürfniffe und die Bedürfniffe derer, welche sie für mich bebauen, hin­ reicht." „Und doch ist in Rom viel die Rede von Elend und Ungerechtigkeit und Unterdrückung" — „Es wird von diesen Uebeln viel mehr und mit mehr Grund die Rede sein, wenn es Leuten gelingt, die so den? ken wie Sie, eine Revolution zu Wege zu bringen, Mon­ sieur Gouache," versetzte Giovanni kalt. „Wenn viele Leute so denken wie Sie, Fürst, so ist yn keine Revolution zu denken. Ich bin ein Ausländer, und sehe was ich kann und achte auf das, was ich höre."

168 „An eine Revolution ist nicht zu denken. Der Ver­ such wurde hier gemacht und schlug fehl. Wenn wir von einer auswärtigen Uebermacht überwältigt werden solltm, so würde uns nichts übrig bleiben als nachzugeben, näm­ lich den Ueberlebenden, denn wir würden kämpfen. Im Innern haben wir nichts zu fürchten." „Vielleicht nicht," versetzte Gouache nachdenklich. „Ich höre so viele entgegengesetzte Ansichten, daß ich kaum weiß, was ich denken soll." „Ich höre, Sie werden den Cardinal Antonelli malen", sagte Giovanni. „Vielleicht hilft Ihnen Se. Eminenz dazu ins Klare zu kommen." »Ja, es heißt, er sei der klügste Mann in Europa." „Wer das sagt, — wer es auch sein mag — der irrt sich", erwiderte Giovanni. „Aber er ist allerdings ein Mann von hervorragendem Verstände." „Ich weiß übrigens noch nicht, ob ich ihn malen werde", sagte Gouache. „Sie wollen sich nicht überreden lassen?" „Nein, meine Ansichten gefallen mir bis jetzt recht gut. Ich möchte sie nicht gegen die irgend eines anderen aus­ tauschen." „Darf ich Sie fragen, was diese Ansichten find?" fragte Giovanni mit fichtlichem Jnteresie. „Ich bin ein Republikaner", antwortete Gouache ruhig. „Ich bin aber auch ein guter Katholik." „Dann find Sie selbst viel mehr voller Widersprüche, als die ganze römische Gesellschaft zusammen genommen", versetzte Giovanni mit trocknem Lachen. „Vielleicht! Da kommt die schönste Frau der Welt." Es war beinahe zwölf Uhr, als Corona ankam, der alte Astrardente trippelte munter neben ihr, sein Gesicht

169 war sorgfältiger als je zurechtgemacht und seine glänzende

Perrücke geschickt wie in natürliche Locken gelegt.

Es hieß,

er besäße eine Anzahl Perrücken mit Haar von verschiede­

ner Länge, die er der Reihe nach trüge, um sich den An­ schein zu geben,

schneiden ließe.

daß er sich von Zeit zu Zeit das Haar In seinem einen Auge saß ein Monocle

und beim Gehen schwang er den Hut in seinen eng behand­

schuhten Fingern.

Er trug

einen einfachen Kragen und

ganz einfache goldene Knöpfe; keine Kette hing aus seiner Westentasche, und seine Füße steckten in kleinen Patent­ lederschuhen.

Bis auf sein geschminktes Gesicht hätte er

für die Verkörperung eleganter Einfachheit gelten können.

Aber sein Gesicht verrieth ihn. Corona war blendend schön. Nicht als ob irgend eine

Farbe oder ein Stoff, den sie trug, ihre Schönheit beson­ ders erhöhen konnte, denn alle, welche sie an diesem denk­ würdigen Abend sahen,

erinnerten sich des wunderbaren

Glanzes in ihrem Antlitz, und des eigenthümlichen Aus­ drucks ihrer herrlichen Augen; aber die schweren weichen

Falten ihres weißen Sammetkleides bildeten gleichsam ein

Piedestal für ihre Schönheit, und die Juwelen der Astrardente, welche ihren Hals und ihre Taille umschloffen und ihr schwarzes Haar krönten, zogen den Glanz vieler Kerzen

auf sich, so daß das Licht an ihr haftete und ihr folgte, als sie dahinschritt.

Giovanni sah sie hereinkommen und

seine ganze Begeisterung kam über ihn wie der Wahnsinn

über einen Fieberkranken,

so daß er ihr hätte entgegen­

stürzen und ihr zu Füßen sinken und sie anbeten mögen,

wenn er

nicht plötzlich gefühlt hätte,

daß er von mehr

als einem unter den vielen beobachtet wurde,

die still

standen, um sie vorübergehen zu sehen. Er rührte sich nicht von seiner Stelle und wartete an der Thür, durch welche

170 sie kommen mußte, und einen Augenblick stand ihm das Herz still. Er wußte kaum, wie es geschah. Er sprach mit ihr, er bat sie nm einen Tanz, bat sie kühn um den Cotillo» — er wußte selbst nicht, wie er es gewagt hatte; sie sagte zu, ließ ihre Augen eine Secunde mit unbeschreiblichem Ausdruck auf ihm ruhen, wurde dann sehr ruhig und kalt und ging weiter. Es war alles in einem Augenblick vorüber. Giovanni trat auf seinen Platz zurück, als sie vorbei ging und stand da wie betäubt. Es war gut, daß die ersten Tänze noch zwei Stunden dauern sollten; er brauchte Zeit, um sich zu sammeln. Die Luft schien voll seltsamer Stimmen, und er beobachtete die bewegten Gestalten wie in einem Traum, unfähig seine Aufmerksamkeit aus irgend etwas von dem zu richten, was er vor sich sah. „Er sieht aus, als hätte ihn der Schlag getroffen", sagte eine weibliche Stimme neben ihm. In seiner selt­ samen Zerstreutheit fiel es ihm nicht auf, daß die Spre­ chende Donna Tullia war, noch weniger, daß sie von ihm, beinahe zu ihm gesprochen. »Irgend so etwas muß es sein", antwortete Del Ferices ölige Stimme. „Wahrscheinlich ist er krank gewesen, seit Sie ihn zuletzt sahen. Saracinesca ist ein ungesunder Ort." Giovanni drehte sich rasch herum. „Za, wir sprechen von Ihnen, Don Giovanni," sagte Donna Tullia etwas gereizt. „Fällt es Ihnen gar nicht ein, daß es sehr grob von Ihnen war, mich nicht wiffen zu lassen, daß Sie verreisten, während Sie mich zu dem Ball bei Valdarno engagirt hatten?" Sie warf ihre schmale Oberlippe auf und zeigte ihre weißen Zähne.

171 Giovanni

aber war ein Mann

von Welt und schnell

gefaßt. „Ich muß demüthig um Entschuldigung bitten", sagte er. „Es war allerdings unhöflich, aber über der Dring­ lichkeit der Angelegenheit vergaß ich alles übrige. Ich bitte Sie um Verzeihung. Wollen Sie mir heute die Ehre er­ weisen, mir einen Tanz zu gewähren?" „Ich bin zu allen Tänzen engagirt", antwortete Ma­ dame Mayer ihn kalt anstarrend. „Das thut mir sehr leid", sagte Giovanni, innerlich dem Himmel für sein Glück dankend und wünschend, sie möchte gehen. „Warten Sie einen Augenblick", sagte Donna Tullia in dem Glauben, daß sie aus ihn den gewünschten Eindruck gemacht hätte. „Ich will nachsehen. Ich glaube, ich habe noch einen Walzer übrig. Lassen Sie mich sehen. Ja, den vorletzten, — den können Sie haben, wenn Sie wollen." „Danke sehr", murmelte Giovanni verstimmt, „ich werde es mir merken." Madame Mayer legte ihre Hand in Del Ferices Arm und ging weiter. Sie war eine eitle Frau, und da sie aus ihre Weise in Saracinesca verliebt war, tonnte sie nicht begreifen, daß er gegen sie ganz gleichgültig war. Sie dachte, indem sie ihm sagte, sie hätte keinen Tanz mehr frei, hätte sie ihm eine kleine heilsame Strafe ertheilt, und in­ dem sie ihm dann einen zusagte, ihm eine Gunst erwiesen. Sie glaubte auch Del Ferice geärgert zu haben, und das machte ihr immer Spaß. Aber Del Ferice mit seiner ruhigen Art und glatten Zunge war ihr mehr als ge­

wachsen. Sie gingen zusammen in den Ballsaal und tanzten einige Minuten. Als die Musik schwieg, entschuldigte sich

172 Hugo unter dem Vorwande, daß er zur nächsten Quadriüe engagirt sei. Er ging sofort aus, die Herzogin von Astrardente zu suchen und verlor sie nicht wieder aus den Augen. Sie wollte vor dem Cotillon nicht tanzen, sagte fie und setzte sich auf einen hohen Stuhl in der Gemäldegalerie, während einige Herren, unter anderen auch Valdarno, um fie herum saßen oder standen, und ihr Bestes thaten, fie zu unterhalten. Andere kamen und gingen, aber Corona rührte sich nicht und saß inmitten ihres kleinen Hofstaates, froh daß so die Zeit bis zum Cotillon hinginge. Als Del Ferice herausgefunden hatte, wo sie war, ging er seiner Wege, er hatte viel zu thun, — viel zu tanzen und mit Jedem ein Wort zu sprechen. Nach einer Stunde schloß er sich der Gruppe von Herren an, welche die Herzogin um­ gaben und nahm an der Unterhaltung theil. Es war leicht, das Gespräch auf Saracinesca zu brin­ gen. Alle waren mehr oder minder neugierig in Bezug auf seine Reise und besonders die Ursache seiner Abwesen­ heit. Jeder hatte etwas zu sagen und da jeder das all­ gemein verbreitete Gerücht kannte, Giovanni sei in Corona verliebt, so brachte jeder seine Rede so witzig vor, als er konnte. Corona selbst interessirte das; denn sie allein hatte sein plötzliches Verschwinden verstanden und wollte gern die Ansicht der anderen darüber hören. Die Vermuthungen waren mannigfaltig. Einige sag­ ten, er läge im Streit mit der Localbehörde von Sara­ cinesca, die sich in seine neuen Anlagen und Berbefferungen auf seinen Gütern mischte, und fie entwarfen komische Schilderungen von den Weisen des Dorfes, mit denen er zu thun gehabt. Andere sagten, er wäre nur einen Tag dort gewesen und dann nach Neapel gegangen. Einer sagte, er wäre auf der Eberjagd gewesen; ein anderer, in dm

173 Wäldern von Saracinesca hausten Räuber, die das Land in Schrecken setzten. „Und was sagen Sie, Del Ferice?" fragte Corona, als sie ein listiges Lächeln auf seinem blassen fetten Ge­ sicht bemerkte. „Es ist sehr einfach," sagte Hugo, „wirklich höchst ein­ fach. Wenn die Herzogin es erlaubt, will ich ihn rufen, und wir wollen ihn geradezu fragen, was er gemacht hat. Da steht er neben dem alten Cantalorgano am anderen Ende des Saales. Die allgemeine Neugier erheischt Be­ friedigung. Darf ich ihn rufen, Herzogin?" „Aus keinen Fall", sagte Corona schnell. Aber ehe sie das Wort gesprochen, war Valdarno wie immer rasch und der Eingebung des Augenblicks folgend, durch die Galerie gegangen und sprach schon mit Giovanni. Der letztere ver­ neigte sich, als gehorche er einem Befehle, und kam ruhig mit dem jungen Mann zurück, der ihn gerufen hatte. Der Kreis theilte sich vor ihm, als er sich der Herzogin näherte und etwas erstaunt wartend stehen blieb. „Was steht zu Befehl, Herzogin?" fragte er etwas förmlich. „Valdarno ist vorschnell", sagte Corona, die sich sehr ärgerte. „Jemand schlug vor, Sie zu rufen, um eine Streit­ frage zu entscheiden, und er ging hin, ehe ich ihn zurück­ halten konnte. Ich fürchte, es ist sehr unbescheiden von uns." „Ich stehe ganz zu Ihren Diensten", sagte Giovanni, der hocherfreut war, gerufen zu fein, und Zeit gefunden hatte, sich von der ersten Aufregung des Wiedersehens zn erholen. „Wovon ist die Rede?" „Wir sprachen von Ihnen", sagte Valdarno.

174 „Wir wunderten uns, wo Sie gewesen find", sagte ein anderer. „Es hieß auf der Eberjagd."

„Oder in Neapel." „Oder sogar in Paris." Drei oder vier sprachen auf ein Mal. „Ich fühle mich durch das Jntereffe sehr geschmeichelt, welches Sie alle mir bezeigen," sagte Giovanni ruhig. „Da ist wenig zu erzählen. Ich bin in Geschäften in Saracinesca gewesen, habe meine Tage mit meinem Verwalter in den Wäldem zugebracht und meine Nächte damit, daß ich Kälte und Gespenster mir fern hielt. Ich würde Sie alle zu diesen Festlichkeiten eingeladen haben, hätte ich ge­ wußt, wie sehr Sie das interessirte. Das Rindfleisch da oben in den Bergen ist schrecklich zähe, und die Ratten machen abscheulichen Lärm, aber die Gebirgsluft soll sehr gesund sein." Die meisten der Herren fühlten, daß fie fich nicht nur albern betragen, sondern auch den kleinen Kreis um die Herzogin zerstört hätten, indem fie einen Mann herbeiriefen, der es in seiner Macht hatte, fie zu fesseln, während sie sie nur ein wenig amüfiren konnten. Valdarno stand noch und sein Stuhl neben Corona war leer. Gio­ vanni ließ fich ruhig darauf nieder und fing an zu spre­ chen, als wäre nichts vorgesallen. „Sie tanzen nicht, Herzogin," bemerkte er. „Sie find wohl schon im Ballsaal gewesen?" „Ja, — aber ich bin heute Abend etwas müde, ich will noch warten. „Sie waren hier auf dem letzten großen Ball, ehe der alte Fürst starb, nicht wahr?" fragte Giovanni und er­ innerte fich, daß er sie bei dieser Gelegenheit zum ersten Male gesehen hatte.

175 „Ja," antwortete sie, „und ich besinne mich daraus,

daß wir zusammen tanzten, und auf den Unfall mit dem Fenster, und die Gespenstergeschichte."

So geriethen sie ins Gespräch und obgleich noch einer oder der andere von den Herren, hie und da eine über­

flüssige Bemerkung machte, löste sich der kleine Kreis auf, und Giovanni blieb allein neben der Herzogin sitzen.

Die

ersten Klänge eines Walzers tönten von fern bis in die Galerie,

aber keiner

der Beiden hörte sie oder achtete

darauf. „Es ist sonderbar", sagte Giovanni. „Man sagt, so ist es immer gegangen, seit Menschengedenken. Niemand hat jemals etwas gesehen, aber so oft hier ein großer Ball ist, so hört man im Laus des Abends das Klirren zer­

brochener Glasscheiben.

Niemand hat je erklären können,

weshalb vor fünf Jahren das Fenster herausfiel, fünf Jahre find es in diesem Monat, — ich glaube gerade heute", fuhr er plötzlich in seine Erinnerungen versunken fort.

am neunzehnten Januar.

„Ja,

Ich erinnere mich sehr gut, —

es war meiner Mutter Geburtstag." „Das ist nicht so außerordentlich,"

sagte

Corona,

„denn es ist zufällig der Namenstag des jetzigen Fürsten.

Darum hat man wahrscheinlich auch in diesem Jahr den Tag gewählt." Sie sprach etwas beklommen, als ob sie noch nicht ganz unbefangen wäre.

„Aber es ist sehr seltsam", sagte Giovanni leise; „es ist sehr seltsam, daß wir uns hier zum ersten Male ge­

troffen haben und dann nicht wieder hier — bis heute." Er sah sie beim Sprechen an, ihre Blicke begegneten sich und ruhten in einander.

Plötzlich stieg Corona das

Blut in die Wangen, sie schlug die Augen nieder, lehnte sich in den Stuhl zurück und schwieg.

176 Weit davon am Eingang zum Ballsaal, fand Del Ferice Donna Tnllia allein. Sie war sehr böse. Der Tanz, zu dem sie mit Giovanni Saracinesca engagirt war, hatte begonnen, ja war schon halb vorüber und er kam nicht. Ihr rosiges Gesicht war ungewöhnlich erhitzt, und ihre blauen Augen hatten einen unangenehmen Ausdruck. „Aha! Ich sehe, Don Giovanni hat schon wieder sein Engagement vergessen!" sagte Hugo mit geschmeidigem Ton. Er wußte sehr gut, daß er diese Unterlafsungssüude zu Wege gebracht hatte, aber Niemand hätte das an seiner Art und Weise errathen können. „Darf ich die Ehre haben, ein Mal mit Ihnen herum zu tanzen, ehe Ihr Tänzer kommt?" fragte er. „Nein", sagte Donna Tullia ärgerlich. „Geben Sie mir den Arm, wir wollen ihn suchen gehen." Sie zischte diese Worte förmlich zwischen ihren zusammengcbifsenen Zähnen hervor. Sie wußte kaum, daß Del Ferice sie führte, als sie durch die vollen Säle nach der Gemälde­ galerie gingen. Sie sprach kein Wort, allein ihre Be­ wegungen waren heftig und sie ärgerte sich, daß sie durch das Gewühl der Gäste aufgehalten wurde. Als sie den langen Sal bettaten, dessen Wände die Familienbilder der Frangipani von einem Ende bis zum andern bedeckten, stieß Del Ferice einen geschickt erheuchelten Schrei der Ueberraschung aus. „O, da ist er!" rief er. „Sehen Sie ihn? Er wendet uns den Rücken zu — er ist allein mit der Astrardente." „Kommen Sie!" sagte Donna Tullia kurz. Del Ferice hätte sie lieber allein gehen lassen und aus einiger Ent­ fernung den von ihm vorbereiteten Auftritt beobachtet. Aber er konnte es nicht abschlagen, Madame Mayer zu

begleiten.

177 Weder Corona, deren Gesicht dem Paar zugewendet war, die aber mit Giovanni sprach, noch Giovanni, der von ihnen abgekehrt dasaß, bemerkten ihre Annäherung, bis sie dicht neben ihnen standen. Saracinesca blickte auf und fuhr zusammen. Die Herzogin von Astrardente zog ihre schwarzen Augenbrauen erstaunt empor. „Unser Tanz!" rief Giovanni in sichtlicher Erregung. „Es ist der nächstfolgende" — „Im Gegentheil", sagte Donna Tullia mit vor Wuth bebender Stimme. „Er ist bereits vorüber. Es ist eine beispiellose Ungezogenheit." Giovanni war über sich und Donna Tullia höchlich empört. Er machte sich nicht so viel aus der Demüthigung an sich, die schlimm genug war, als aus dem Aerger, den dieser Austriit Corona verursachte, welche in unwilligem Staunen bald den einen bald die andre ansah, aber na­ türlich nichts sagen konnte. „Ich kann nur versichern, daß ich dachte" — „Sie brauchen mir gar nichts zu versichern!" rief Donna Tullia alle Selbstbeherrschung verlierend. „Es giebt dafür keine Entschuldigung,- keine Verzeihung — es ist das zweite Mal. Beleidigen Sie mich nicht noch, indem Sie zu ihrer Entschuldigung Unwahrheiten vor­

bringen." „Jndesien — fing Giovanni an, der seine große Un­ höflichkeit aufrichtig bereute und gern versucht hätte, sein Betragen zu erklären, da er sah, daß Donna Tullia mit Recht so böse war. „Es giebt kein Jndesien!" unterbrach sie ihn. „Sie können bleiben, wo Sie sind!" setzte sie mit einem spöt­ tischen Blick auf die Herzogin von Astrardente hinzu. Dann nahm sie Del Ferices Arm und rauschte ärgerlich Crawford, Saracinesca.

12

178 vorüber, so daß die Schleppe ihres rothseidenen Kleides scharf an Coronas weichen weißen Sammet streifte. Giovanni stand einen Augenblick mit verlegener Miene da. „Wie konnten Sie so unhöflich sein?" fragte Corona ernst. ,,Sie wird es Ihnen nie verzeihen, und sie hat ganz recht." „Ich weiß nicht, wie ich es vergessen konnte", ant­ wortete er und setzte fich wieder. „Es ist schrecklich — unverzeihlich — aber vielleicht werden die Folgen gut sein."

Elftes Kapitel.

Corona war nicht wohl zu Muthe. Während der er­ sten Augenblicke ihres Alleinseins mit Giovanni überwog ihre Freude jedes andre Gefühl. Aber uls aus den Mi­ nuten eine Viertelstunde, dann eine halbe Stunde ward, wurde sie befangen; und ihre Antworten wurden immer kürzer. Sie bedachte, daß sie ihm nicht hätte den Cotillon zusagen sollen, und wunderte sich, wie die übrige Zeit vergehen würde. Es fiel ihr wieder ein, was vorgesallen war, und das heiße Blut strömte ihr ins Gesicht und ebbte fort und stieg wieder, empor. Aber sie konnte nicht aussprechen, was ihr der Stolz eingab, denn Giovanni that ihr leid und sie wollte fich einreden, daß sie nur Mitleid für ihn empfinde, damit sie ihn nicht wegzuschicken brauchte. Aber Giovanni saß neben ihr und wußte, daß der Zauber auf ihn einwirkte, und daß für ihn keine Rettung wäre. Er hatte sie überrascht, ohne daß er es selbst recht wußte, als sie eben hereintrat, und hatte sie plötzlich um «inen Tanz gebeten. Er hatte fich etwas gewundert, daß

178 vorüber, so daß die Schleppe ihres rothseidenen Kleides scharf an Coronas weichen weißen Sammet streifte. Giovanni stand einen Augenblick mit verlegener Miene da. „Wie konnten Sie so unhöflich sein?" fragte Corona ernst. ,,Sie wird es Ihnen nie verzeihen, und sie hat ganz recht." „Ich weiß nicht, wie ich es vergessen konnte", ant­ wortete er und setzte fich wieder. „Es ist schrecklich — unverzeihlich — aber vielleicht werden die Folgen gut sein."

Elftes Kapitel.

Corona war nicht wohl zu Muthe. Während der er­ sten Augenblicke ihres Alleinseins mit Giovanni überwog ihre Freude jedes andre Gefühl. Aber uls aus den Mi­ nuten eine Viertelstunde, dann eine halbe Stunde ward, wurde sie befangen; und ihre Antworten wurden immer kürzer. Sie bedachte, daß sie ihm nicht hätte den Cotillon zusagen sollen, und wunderte sich, wie die übrige Zeit vergehen würde. Es fiel ihr wieder ein, was vorgesallen war, und das heiße Blut strömte ihr ins Gesicht und ebbte fort und stieg wieder, empor. Aber sie konnte nicht aussprechen, was ihr der Stolz eingab, denn Giovanni that ihr leid und sie wollte fich einreden, daß sie nur Mitleid für ihn empfinde, damit sie ihn nicht wegzuschicken brauchte. Aber Giovanni saß neben ihr und wußte, daß der Zauber auf ihn einwirkte, und daß für ihn keine Rettung wäre. Er hatte sie überrascht, ohne daß er es selbst recht wußte, als sie eben hereintrat, und hatte sie plötzlich um «inen Tanz gebeten. Er hatte fich etwas gewundert, daß

179 sie ohne weiteres zugesagt hatte; aber in dem Entzücken an ihrer Seite zu sitzen, verlor er alle Selbstbeherrschung und gab sich dem wonnevollen Zauber ihrer Gegenwart hin, wie ein Mann, der einen Augenblick gegen einen kräf­ tigen Schlaftrunk angekämpft hat, unter dem Einfluß des­ selben zusammen finkt und so unwillkürlich seine Schwäche zugiebt. Wie stark er sonst sein mochte, jetzt war all seine Kraft dahin, und er wußte nicht, wo er sie wiederfinden sollte. „Sie werden ihr noch weitere Entschuldigungen machen müssen", sagte Corona, als Madame Mayers rothe Schleppe durch hie Thür am anderen Ende des Saales verschwand. „Natürlich — ich muß irgend etwas in der Sache thun", sagte Giovanni zerstreut. „Eigentlich wundre ich mich nicht — es ist nur erstaunlich, daß ich fie überhaupt erkannt habe. Ich sollte heute alles vergefien, außer daß ich mit JhUen tanzen werde." Die Herzogin sah fort und bewegte langsam ihren Fächer; aber sie seufzte und unterdrückte dann mühsam den tiefen Athemzug. Der Walzer war zu Ende, und die Tän­ zer strömten durch die dazwischen liegenden Zimmer nach der Galerie, um mehr Raum und frischere Luft zu suchen. Sie kamen in Paaren, rasch nach einander, einige nahmen die hohen Sitze längs der Wände ein, andre eilten nach den hinter der Galerie gelegenen Speisesälen. Vor wenigen Minuten waren Saracinesca und Corona beinahe allein in dem großen Gemache gewesen; jetzt waren sie rings von der schwatzenden Menge von Herren und Damen umgeben, die theils mit erhitzten Gesichtern, theils unnatürlich blaß, je nachdem das Tanzen sie angegriffen hatte, hereinkamen, und das wirre Getöse hunderter von Stimmen erfüllte die Luft dermaßen, daß Giovanni und die Herzogin kaum ihr eignes Wort hören konnten.

180 „Dies ist unerträglich", sagte Giovanni plötzlich. „Sie find zur letzten Quadrille nicht engagirt? Wollen wir nicht fortgehen, bis der Cotillon beginnt?" Corona zögerte einen Augenblick schweigend. Sie sah Giovanni an und dann die wogende Menge. „Ja", sagte sie endlich. „Wir wollen gehen." „Sie find sehr gütig," antwortete Giovanni, indem er ihr den Arm bot. Sie sah ihn fragend an, und ihr Geficht wurde ernst, während sie sich langsam den Weg aus dem Gemach bahnten. Endlich kamen sie in das Gewächshaus unter die hohen Pflanzen, in die sanfte Beleuchtung. Es war Niemand darin, und sie schritten durch den breiten Gang, der rings um den glasbedeckten Raum frei gelassen war, und* dann in der Mitte auf und ab. Die Gewächse waren so dicht neben einander aufgestellt, daß sie zu beiden Seiten eine fast undurchdringliche grüne Wand bildeten; an einem Ende war ein freier Platz, wo eine kleine Fontäne in einem Mar­ morbecken spielte, und rund herum standen geschnitzte Holz­ sessel. Aber Giovanni und Corona gingen langsam aus dem mit bunten Fliesen bedeckten Gang hin und her. „Warum sagten Sie eben, ich wäre gütig?" fragte Corona endlich. Ihre Stimme klang kalt. „Ich hätte es vielleicht nicht sagen sollen", antwortete Giovanni. „Ich sage vieles, nur weil ich nicht anders kann. Es thut mir sehr leid." „Es thut mir auch sehr leid," antwortete die Herzogin ruhig. „Ach! wenn Sie wüßten, würden Sie mir vergeben. Wenn Sie nur die Hälfte der Wahrheit errathen könnten würden Sie mir verzeihen." Ich möchte sie lieber nicht errathen."

181 „Natürlich; aber Sie haben es schon gethan. Sie wissen alles. Habe ich es Ihnen nicht gesagt?" Giovanni sprach im Tone der Verzweiflung. Er war ganz schwach und wie verzaubert; er formte kaum Worte finden. „Don Giovanni", sagte Corona sehr ruhig und kalt, aber nicht unfreundlich. „Ich kenne Sie so lange, ich halte Sie für einen Mann von Ehre, so daß ich geneigt bin zu glauben, was Sie damals sagten — wurde in einem An­ fall von Wahnsinn gesprochen." „Wahnsinn! ja, es war Wahnsinn, aber es ist süßer daran zu denken, als an alles andere in meinem Leben", sagte Saracinesca, dessen Zunge endlich gelöst war. „Wenn es Wahnsinn ist, Sie zu lieben, so bin ich unheilbar. Es giebt jetzt für mich keine Heilung mehr; ich werde nie meinen Verstand wiederfinden, ich habe ihn an Sie ver­ loren und für immer. Treiben Sie mich fort, zermalmen Sie mich, treten Sie mich mit Füßen, wenn Sie wollen. Sie können mich nicht tödten, noch meinen Wahnsinn, denn ich lebe in Ihnen und für Sie, und kann nicht sterben. Das ist alles. Ich bin nicht so beredt wie andre Männer, die glatte Worte brauchen und künstliche Reden drechseln. Ich liebe Sie." „Sie haben schon zu viel gesagt, — viel zu viel," murmelte Corona mit gebrochener Stimme. Sie hatte ihm während seiner leidenschaftlichen Reden ihre Hand entzogen und war von ihm zurückgetreten; den Kopf aus die Brust gesenkt, die Finger fest zusammengepreßt, stand sie an der grünen Wand von Pflanzen. Seine kurz ausgestoßenen Worte klangen ihr furchtbar süß; es war ein schrecklicher Gedanke, mit ihm allein zu sein — ein Schritt konnte ihn an ihre Seite bringen, mit einer leidenschaftlichen Bewegung konnte sie ihre weißen Arme um seinen Hals schlingen, ein

182 zitternder Seufzer überschwenglicher Liebe konnte ihr könig­ liches Haupt ans seine Schulter neigen. Ach Gott! wie gern hätte sie ihren Thränen freien Lauf gelassen, aus daß. sie für sie sprächen! wie unaussprechlich süß mußte es sein, einen Augenblick in seinen Armen zu ruhen, zu lieben und geliebt zu werden, wie sie es ersehnte! „Sie sind so kalt!" rief er leidenschaftlich. „Sic kön­ nen mich nicht verstehen. Alles, was ich sage, ist nicht zn viel, ist nicht genug um Sie zu rühren, um Ihnen zn zeigen, daß ich Sie wirklich verehre und anbete, Sie, alles an Ihnen — Ihr herrliches Antlitz, Ihre süßen kleinen Hände, Ihr königliches Wesen, das Licht Ihrer Augen und die Worte auf Ihren Lippen — alles, alles an Ihnen liebe ich. Ich wollte, ich könnte jetzt sterben, denn Sie wiffen es, selbst wenn Sie es nicht verstehen wollen-------- " Er trat ihr einen Schritt näher und streckte die Hände nach ihr aus. Corona erbebte krampfhaft, ihre Lippen er­ bleichten in der Qual der Versuchung; sie bog sich weit zurück gegen die grünen Blätter und starrte Giovanni ängstlich ‘ an, wie festgebannt durch die mächtigen Leiden­ schaften der Liebe und Furcht. Da sie ihr Ohr seinen Worten geliehen hatte, bezauberten diese sie verhängnißvoll. Er, der Arme, hatte längst alle Selbstbeherrschung verloren. Seine tu der Einsamkeit von Saracinesca reiflich überleg­ ten Entschlüsse waren wie körperloser Dunst vor starkem Feuer verschwunden, und Herz und Seele standen in Flammen. „Sehen Sie mich nicht so an!" sagte er beinahe zärt­ lich. „Sehen Sie mich nicht so an, als ob Sie mich fürch­ teten, als ob Sie mich haßten. Können Sie nicht scheu, daß ich Sie eben so sehr fürchte, wie ich Sie liebe, daß ich vor Ihrer Kälte zittere, daß ich auf den kleinsten freund­ lichen Blick lauere? Ach, Corona, Sie haben mich so glück-

183 lich gemacht! Kein Engel im Hickmel würde nicht sein Paradies für meines hingeben!" Er hatte-ihre Hand ergriffen und preßte sie stürmisch an seine Lippen. Ihre Augenlider senkten sich, und ihr Haupt fiel einen Augenblick zurück. Sie standen sich so nahe, daß sein Arm beinahe ihre zarte Gestalt umschlungen hatte; -ihm war es, als stützte er sie. Plötzlich, unerwartet, richtete sie sich zu ihrer ganzen Höhe empor und stieß Gio­ vanni kräftig, beinahe rauh auf eines Armes Länge zurück. „Niemals!" sagte sie. „Ich bin eine schwache Frau, aber so schwach doch nicht. Ich bin elend, aber nicht elend genug, um Sie anzuhören. Giovanni Saracinesca, Sie sagen, Sie lieben mich — wollte Gott, es wäre nicht wahr! Aber Sie sagen es. Haben Sie denn kein Ehrgefühl, keinen Muth, keine Kraft? Ist nichts eines Mannes Würdiges in Ihnen geblieben? Ist keine Wahrheit in Ihrer Liebe, keine Großmuth in Ihrem Herzen? Wenn Sie mich so lieben, wie Sie sagen, kümmert es Sie denn so wenig, was aus mir wird, daß Sie mich in Versuchung führen Sie zu lieben?" Sie sprach sehr ernst, nicht zornig, nicht verächtlich; aber mit der Gewißheit der Kraft und des Rechtes, und in der festen Zuversicht, daß der leidenschaftliche Mann sie anhören und sich überzeugen laffen werde. Sie war nicht mehr schwach; einen verzweifelten Augenblick hatte ihr Schicksal in der Wage geschwankt, aber selbst dann hatte sie nicht gezaudert; sie hatte tapfer gekämpft und' ihre starke Seele hatte in dem großem Kampfe obgefiegt. Neulich im Theater war sie schwach gewesen, indem sie an sich die Frage herantreten ließ, auf welche sie keine Antwort hatte; sie war an jenem Abend erbärmlich schwach gewesen, indem sie sich so dem Einfluß überließ, den sie liebte und sürch-

184 tete; aber in dem großen Augenblick, da Himmel und Erde wie eine verworrene Fata Morgana ihr vor Augen schwam­ men und die Stimme des Mannes, den sie liebte, ihr im Ohre erklang, und Worte sprach, die zu hören für sie Wonne war, da war sie nicht länger schwach; — die Wirk­ lichkeit der Gefahr hatte die Wahrheit ihrer Tugend wach gerufen, und ihr Herz hatte den Muth zu einer großen That gesunden. Sie hatte überwunden, sie wußte es. Giovanni trat zurück und senkte das Haupt. In einem Augenblick war die Stärke seiner Leidenschaft gehemmt, und von dem Rande unaussprechlicher entzückender Wonne war er plötzlich in den Abgrund seiner Selbstvorwürfe hin­ abgestoßen. Er stand schweigend vor ihr, zitternd und voll Ehrfurcht. „Sie können mich nicht verstehen", sagte sie. „Kaum verstehe ich mich selbst. Aber so viel weiß ich: Sie sind nicht, was Sie heute Abend schienen; es ist genug Mannes­ kraft und Edelmuth in Ihnen, um eine Frau zu achten, und Sie werden in Zukunft beweisen, daß ich recht habe. Ich flehe zum Himmel, daß ich Sie nicht wiedersehen möge; wenn ich Sie aber Wiedersehen muß, so will ich Ihnen in so weit trauen — o sagen Sie, daß ich Ihnen trauen kann," sagte sie, indem ihre klare starke Stimme zu einem bebenden, halb flehenden und doch gebietenden Tone herabsank. Saraeinesca senkte seine umwölkte Stirn und schwieg einen Augenblick. Dann schaute er auf, seine Augen be­ gegneten den ihren nnd schienen bei ihr Kraft zu suchen. „Wenn Sie mir erlauben, Sie bisweilen zu sehen, so können Sie mir trauen. Ich wünsche, ich wäre so edel und so gut wie Sie, — ich bin es nicht. Ich will ver­ suchen, es zu werden. O Corona," rief er plötzlich, „ver-

185 geben Sie mir! vergeben Sie mir! Ich wußte kaum, was ich sagte." „St!" sagte die Herzogin sanft. „Sie müssen nicht so sprechen und mich nicht Corona nennen. Vielleicht thue ich unrecht, Ihnen völlig zu vergeben, aber ich glaube an Sie. Ich glaube, Sie werden mich verstehen und meines Vertrauens würdig sein." „Gewiß, Herzogin. Niemand soll sagen, daß Sie mir vergebens getraut haben," antwortete Giovanni stolz, „weder Mann noch Frau, — und von allen Frauen Sie am wenigsten." „So ists recht," sagte sie mit dem Schimmer eines Lächelns. „Ich sehe Sie lieber stolz als leichtsinnig. Achten Sie darauf, daß Sie so bleiben, daß Sie mich weder durch Wort noch That je daran mahnen, daß ich etwas zu vergeben gehabt habe. Es ist die einzige Art, in welcher ein Verkehr zwischen uns nach diesem — nach diesem schreck­ lichen Abend möglich ist." Giovanni neigte fein Haupt. Er war noch blaß, aber er hatte seine Fassung wiedergewonnen. „Ich gelobe, daß ich Sie nicht daran erinnern werde, und erflehe Ihre Vergebung, selbst wenn Sie nicht ver­ gessen können." „Ich kann nicht vergeffen", sagte Corona kaum hörbar. Giovannis Augen blitzten einen Augenblick. „Wollen wir in den Ballsaal zurückgehen? Ich werde bald nach Hause fahren." Als sie sich zum Gehen anschickten, erschreckte sie ein lautes Klirren, wie von zerbrochnem Glase und der Fall eines schweren Gegenstandes; sie standen plötzlich mitten im Gange still. Auf den lauten Fall folgte tiefe Stille. Corona, bereit Nerven eine harte Probe bestanden hatten, bebte.

186 „Es ist seltsam", sagte sie. „Es heitzt, das geschieht immer." Es war nichts zu sehen. Das dichte Gewebe der Pflanzen entzog die Ursache des Geräusches, welches sie auch sein mochte, ihren Blicken. Giovanni zögerte einen Augenblick und sah sich um, wie er wohl hinter die Blumen.töpfe kommen könnte. Dann verließ er Corona ohne ein Wort, schritt rasch an das Ende des Ganges und ver­ schwand in den Tiefen des'Gewächshauses. Er hatte be­ merkt, daß an dem Ende dicht an der Fontäne ein kleiner Eingang war, wahrscheinlich damit der Gärtner zum Be­ gießen der Gewächse hindurch gehen konnte. Corona konnte seine raschen Schritte hören; es war ihr, als vernähme sie ein leises Stöhnen und Flüstern, — allein sie konnte sich irren, denn der Raum war groß, und ihr Herz schlug schnell. Giovanni war nicht weit in dem schmalen Gange vor­ gedrungen, welcher durch das gedämpfte Licht der vielen im Gewächshause angebrachten Kerzen hinreichend erhellt war, als er auf die Gestalt eines Mannes stieß, der augen­ scheinlich so dasaß, wie er quer über den schmalen Gang gefallen war. Die Bruchstücke eines schweren irdenen Topfes nebst einem Haufen von Wurzeln und Erde lagen hinter ihm; und der große Gummibaum, welcher in dem Topf gestanden hatte, war gegen das schräge Glasdach gefallen und hatte mehrere Scheiben zerschlagen. Als Giovanni so plötzlich auf den Mann zukam, versuchte dieser aufzustehen, und Saracinesca erkannte bei dem matten Licht Del Ferice. Die Wahrheit wurde ihm sofort klar. Der Kerl hatte ge­ horcht und vermuthlich alles gehört. Giovanni beschloß so­ gleich, der Herzogin dies zu verschweigen; denn der Gedanke, daß der peinliche Auftritt belauscht worden, wäre für sie

187 eine bittere Kränkung gewesen. Giovanni konnte es aus fich nehmen, den Horcher zum Schweigen zu bringen. Schnell wie der Blitz packten seine kräftigen byiunen Hände Hugo Del Ferice bei der Gurgel und erstickten ihm den Athem wie ein eisernes Halsband. „Hund", flüsterte er dem Elenden wüthend ins Ohr. „Wenn Sie einen Hauch von sich geben, bringe ich Sie jetzt um. Sie werden mich in einer Stunde bei mir zu Hanse finden. Jetzt seien Sie still." Giovanni flüsterte und hielt den Kerl mit so fürchterlichen Griff an der Kehle fest, daß ihm die Augen aus dem Kopfe quollen. Dann drehte er sich um und ging den Weg zurück, den er gekommen war; Del Ferice ließ er vor Schmerz zuckend und nach Luft schnappend zurück. Als er zu Corona kam, verrieth sein Gesicht keine Aufregung mehr — er war schon vorher so blaß gewesen, daß er vor Aerger nicht noch bleicher werden konnte — aber seine Augen leuchteten wild beim Gedenken an den Zweikampf. Die Herzogin stand noch immer sehr auf­ geregt an der Stelle, wo er sie verlassen hatte. „Es ist nichts", sagte Giovanni mit erzwungenem Lächeln, während er ihr den Arm bot und sie rasch fortführte. „Denken Sie sich, ein großer Topf mit einer von Frangipanis Lieblingspflanzen muß schlecht gestützt gewesen fein und ist durch die Glasfenster nach außen umgefallen." „Es ist seltsam", sagte Corona, „mir war es wirklich so, als hörte ich ein Stöhnen". „Es war der Wind. Die Scheiben sind zerbrochen und die Nacht ist stürmisch." „Gerade so stürzte das Fenster vor fünf Jahren heraus", sagte Corona. „Hier kommt immer so etwas vor. Ich denke, ich möchte nach Hause — wir wollen meinen Mann suchen."

188 Niemand hätte Coronas Gesicht angesehen, daß während der halben Stunde, die sie im Gewächshaus zugebracht hatte, etwas Ungewöhnliches geschehen wäre. Sie ging ruhig neben Giovanni einher, keine Spur von Aufregung in ihrem blaffen stolzen Gesicht, kein Zeichen von Unmhe in dem sanften Blick ihrer herrlichen Augen. Sie hatte überwunden, um nie wieder versucht zu werden; das wußte sie; sie hatte sich selbst überwunden und auch den Mann an ihrer Seite. Giovanni schaute sie voll staunender Be­ wunderung an. „Sie sind die tapferste Frau von der Welt, nnd ich der verächtlichste Mann", sagte er plötzlich, als sie die Gemäldegalerie betraten. „Ich bin nicht tapfer, und Sie sind nicht verächtlich, mein Freund" antwortete sie rnhig. „Wir sind Beide dem Verderben sehr nahe gewesen, aber Gott hat es gefallen uns zu retten." „Durch Sie!" sagte Saracinesca feierlich. Er wußte, daß er binnen sechs Stunden draußen vor der Stadt auf einem nassen Rasenplatz todt liegen könnte, und er wurde sehr ernst, wie es die Art muthiger Männer ist, wenn der Tod an sie herantritt. „Sie haben heute meine Seele gerettet", sagte er ernst und innig. „Wollen Sie mir Ihren Segen und ihre volle Verzeihung geben? Lachen Sie mich nicht aus, halten Sie mich nicht für thöricht. Der Segen einer Frau wie Sie sollte die Männer tapferer und besser machen." Die Galerie war wieder leer. Der Cotillon hatte angefangen, und die Gäste, welche nicht tanzten, waren beim Abendessen. Corona stand einen Augenblick an dem­ selben Platze still, wo sie so lange gesessen hatten. „Ich vergebe Ihnen ganz und gar. Ich bete, daß

189 Gottes reichster Segen immerdar über Ihnen sein möge, im Leben und im Tode." Giovanni neigte ehrfurchtsvoll das Haupt. Ihm war es, als ob die Fran, die er so liebte, einen Segen über seinen Tod ausspräche, ein letztes in pace, das ihn in alle Ewigkeit begleiten würde. „Im Leben und im Tode will ich Sie ehren und Ihnen treulich dienen bis ans Ende", antwortete er. Als er das Haupt erhob, sah Corona, daß ihm Thränen in die Augen traten. „Kommen Sie", sagte sie und schweigend gingen sie weiter. Endlich fand sie ihren Mann im Speisezimmer. Er plauderte bei einem Hühnerflügel und einem Gläschen Rothwein mit Wasser gemüthlich mit einem gichtischen Ge­ sandten, dessen Frau darauf bestanden hatte, den Cotillon zu tanzen, und der sich dafür an einer Straßburger Pastete und einer Flasche Champagner schadlos hielt. „Ach, meine Liebe," sagte Astrardente, von seinem bescheidenen Mahl aufblickeud, „hast Du getanzt? Kommst Du um etwas zu genießen? Das ist sehr vernünftig von Dir. Ich habe selbst recht viel getanzt, aber ich habe Dich nicht gesehen. Der Saal war so voll. Hier, an diesem Tischchen haben wir alle Platz, — just ein Quartett!" — „Danke — ich bin nicht hungrig. Willst Du mit mir nach Hause kommen, wenn Du gegessen hast? Oder willst Du noch bleiben? Warten Sie nicht, Don Giovanni; ich weiß, Sie haben beim Cotillon zu thun. Mein Mann wird für mich sorgen. Gute Nacht!" Giovanni verbeugte sich und ging, froh endlich allein zu fein. Seinem Versprechen gemäß mußte er in einer halben Stunde zu Hause sein, und er mußte sich nach ei-

ISO nem Freunde umsehen. Ganz Rom war auf dem Ball, aber die Männer, von denen er den ihm nöthigen Dienst fordern konnte, tanzten alle. Ueberdies bedachte er, daß er in diesem Falle einen besonders zuverlässigen Freund haben müßte. Es ging nicht an, daß die wahre Ursache des Duelles bekannt würde, und die Wahl eines Sekun­ danten war eine hochwichtige Angelegenheit. Er zweifelte keinen Augenblick, daß Del Ferice ihm zur bestimmten Stunde eine Herausforderung, schicken würde. Del Ferice war zweifellos ein Schurke; aber er verstand mit dem Säbel umzugehen und war bei Ehrenhändeln ost als Se­ kundant erschienen. Giovanni stand an der Thür des Ballsaals und sah die vielen bekannten Gesichter an und fragte sich, wen er wohl bewegen könnte, zu dieser Stunde seine Tänzerin zu ver­ laffen und mit ihm nach Hause zu kommen. Plötzlich bemerkte er, daß sein Bater neben ihm stand und ihn forschend ansah. „Was ist Dir, Giovanni?" fragte der alte Fürst. „Warum tanzest Du nicht?" „Die Sache ist —" fing Giovanni an und hielt dann plötzlich inne. Er hatte einen Einfall. Er trat dicht an seinen Vater heran und sprach mit leiser Stimme. „Die Sache ist die, daß ich eben einen Mann bei der Gurgel gepackt und auch sonst noch beleidigt habe,, indem ich ihn einen Hund genannt. Der Kerl schien das übel zu nehmen, und so sagte ich ihm, er könnte in einer Stunde zu uns schicken und sich eine Erklärung ausbitten lassen. Nun kann ich keinen Freund finden, denn alle tanzen diesen abscheulichen Cotillon. Vielleicht kannst Du mir helfen", setzte er hinzu, indem er seinen Vater zweifelnd ansah. Zu. seiner Ueberräschung und wesentlichen Erleichterung brach der alte Fürst in ein herzhaftes Lachen aus.

191 „Natürlich!" rief er. „Wofür hältst Du mich denn? Meinst Du, ich werde meinen Jungen bei einem Zwei­ kampf im Stiche lasten? Gehe und rufe meinen Wagen, und warte, während ich mir einen Zeugen suche; wir können aus dem Heimwege reden." Der alte Fürst war zu seiner Zeit ein Duellant ge­ wesen, und es wäre ihm eben so wenig eingefallen, seinem Sohn vom Zweikampf abzurathen, als selbst eine Heraus­ forderung auszuschlagen. Er langweilte sich überdies sehr auf dem Ball und war gar nicht schläfrig. Die Aussicht aus eine aufregende Nacht war ihm etwas Neues und An­ genehmes. Er kannte Giovannis außerordentliche Geschick­ lichkeit und fürchtete nichts für ihn. Er wußte, daß im Ballsaal alle engagirt waren und ging also in das Speise­ zimmer, wo er irgend Jemanden zu finden hoffte. Astrardente, die Herzogin und der gichtische Gesandte saßen noch beisammen, wie Giovanni sie vor wenig Minuten verlaffen hatte. Der Fürst mochte Astrardente nicht leiden, aber mit dem Gesandten war er gut bekannt. Er rief ihn auf die Seite und entschuldigte sich bei der Herzogin. „Ich brauche sofort einen jungen Mann", sagte der alte Saracinesca und strich sich den weißen Bart mit sei­ ner breiten braunen Hand. „Wiffen Sie einen, der nicht tanzt?" „Da ist Astrardente", antwortete Se. Excellenz mit ironischem Lächeln. „Ein Duell?" fragte er. Saracinesca nickte. „Ich bin zu alt," sagte der Diplomat nachdenklich; „sonst würde es mich sehr amüfiren. Ich kann Ihnen auch keinen von meinen Secretären anbieten. Es erregt immer solch unliebsames Aufsehen. Oho, da kommt der Rechte! Fasten Sie ihn, ehe es zu spät ist."

192 Der alte Saracinesca sah nach der Richtung, wohin der Gesandte zeigte und schoß davon. Er war so flink wie ein Jüngling trotz seiner sechzig Jahr. „He!" rief er. „He! hören Sie! kommen Sie her! Spicca, Halt! Entschuldigen Sie, — ich bin in großer Eile!" Graf Spicca, den er so anredete, stand still und sah sich durch sein Monocle etwas erstaunt um. Er war ein riesengroßer, gespenstisch aussehender Mann mit schwarzem Bart und durchdringenden grauen. Augen. „Ich muß Sie wirklich um Verzeihung bitten," sagte der Fürst eilig und mit leiser Stimme, indem er an ihn heranirat, „aber ich bin in großer Eile — eine Ehren­ sache — wollen Sie Zeuge sein? Mein Wagen steht vor der Thür." „Mit Vergnügen", sagte Graf Spicca ruhig, und ohne eine weitere Bemerkung begleitete er den Grasen in die Vorhalle. Giovanni wartete, und der Lakai des Fürsten stand oben an der Treppe. In drei Minuten saßen der Fürst, sein Sohn und der schwermüthige Spicca im Wagen und fuhren nach dem Palast Saracinesca. „Nun denn, Giovannino," sagte der Fürst, indem er im Dunkeln eine Cigarette anzündete, „erzähle uns alles." „Da ist nicht viel zu erzählen," sagte Giovanni. „Wenn die Herausforderung kommt, bleibt nichts andres übrig, als fich zu schlagen. Ich packte ihn bei der Gurgel und erwürgte ihn beinahe." „Wen?" fragte Spicca ruhig. „O! Del Ferice!" antwortete Giovanni; er hatte ganz vergessen, daß er den Namen seines muthmaßlichen Gegners noch nicht erwähnt hatte. Der Fürst lachte.

193 „Del Ferice! Wer hätte das gedacht! Er ist ein ver­ lesener Mann. Weshalb war es denn?" „Das ist unnöthig hier zu sagen," versetzte Giovanni ruhig. „Er beleidigte mich gröblich, ich würgte ihn bei­ nahe ab, und sagte ihm, er wäre ein Hund. Ich vermuthe, er wird mich fordern." „O ja, er wird Sie wahrscheinlich fordern," wiederholte Spicca gedankenvoll. „Was für Waffen, Don Giovanni?" „Welche er will." „Aber Sie haben die Wahl, wenn er sie fordert," ver­ setzte der Graf. „Wie es Ihnen beliebt. Machen Sie das aus — Stoßdegen, Säbel oder Pistolen." „Sie scheinen nicht viel Interesse an der Sache zu nehmen," bemerkte Spicca traurig. „Er ficht am besten mit dem Stoßdegen," sagte der alte Fürst. „Natürlich, Stoßdegen oder Pistolen," sagte der Graf. „Säbel find Kinderspiel." Zufrieden daß seine Sekundanten die Sache ernst nah­ men, lehnte fich Giovanni in die Ecke des Wagens zurück und schwieg. „Wir sollten das Zusammentreffen lieber in meiner Villa stattfinden lassen," sagte sein Vater. „Wenn es reg­ net, können fie drinnen fechten. Ich werde gleich nach einem Wundarzt schicken." In wenig Minuten erreichten sie den Palast der Saracinesca. Der Fürst bestellte beim Portier, wenn ein Herr käme, sollte er vorgelaffen werden, und alle drei gingen nach oben. Es war halb drei Uhr. Als sie die Wohnung betraten, hörten fie unten einen Wagen durch den gewölbten Thorweg fahren. Crawford, Saracineöca.

13

194 „Geh auf Dein Zimmer, Giovanni," sagte der alte Fürst. „Diese Leute sind pünMich. Ich werde dich rufen, wenn sie wieder fort find. Ich vermuthe, du nimmst die Sache ernst?" „Ich mache mir gar nichts aus ihm. Ach will ihm jede Genugthuung geben, die er verlangt," antwortete Gio­ vanni. „Es ist sehr gütig von Dir, die Sache in die Hand zu nehmen. Ich bin Dir sehr dankbar." „Ich möchte sie keinem anderen überlassen," murmelte der alte Fürst, während er Del Ferices Sekundanten ent­ gegen eilte. Giovanni ging auf sein Zimmer und trat sofort an seinen Schreibtisch. Er nahm eine Feder und ein Blatt Papier und begann zu schreiben. Sein Antlitz war sehr ernst, aber seine Hand fest. Er schrieb über eine Stunde ununterbrochen. Dann trat sein Vater ins Zimmer. „Nun?" fragte Giovanni aufblickend. „Es ist alles abgemacht", sagte der alte Herr ernst. „Ich fürchtete sehr, fie würden gegen mich als Sekundan­ ten etwas einwenden. Du weißt, es giebt eine alte Klausel darüber, daß nahe Verwandte bei solchen Sachen nicht betheiligt sein sollen. Aber sie erklärten, daß sie meine Mit­ wirkung für eine Ehre ansähen — und so ist alles in Ord­ nung. Du mußt dein Bestes thun, mein Junge. Der Schurke beabsichtigt dir ein Leid anzuthnn, wenn er irgend kann. Sieben Uhr ist die Stunde. Du kannst zwei und eine halbe Stunde schlafen. Ich will wachen und Dich wecken. Spicca ist nach Hause gegangen sich umzuziehen und wird gleich wiederkommen. Nun lege Dich hin. Ich werde nach Deinen Rapieren sehen." „Also auf Stoßdegen?" fragte Giovanni ruhig. »Ja, fie hatten nichts dagegen. Nun lege Dich aber hin."

195 „Das will ich. Vater, wenn mir etwas zustoßen sollte — Du weißt, es wäre ja möglich — so wirst Du meine Schlüssel in diesem Schubfach finden, und auch diesen Brief, den ich Dich zu lesen bitte. Er ist an Dich." „Unsinn, mein lieber Junge! Dir wird nichts zustoßen. Du wirst ihn durch den Arm stoßen — und zum Früh­ stück nach Hause kommen." Der alte Fürst sprach in seiner kurzen heitern Weise, aber seine Stimme zitterte und er wendete fich ab, um zwei große Thränen zu verbergen, die auf seine dunkeln Wangen gefallen waren und in seinen grauen Bart herabrollten.

Zwölftes Kapitel. Giovanni schlief zwei Stunden ganz fest. Er war von den Gemüthsbewegungen, die er in dieser Nacht durch­ gemacht hatte, sehr ermüdet, und als die Vorkehrungen zum Zweikampf getroffen waren, schien es ihm, als wäre die Arbeit vorüber, und die Aufregung ließ nach. Man sagt, daß Angeklagte stundenlang schlafen, wenn die Ge­ richtsverhandlung vorüber und ihr Todesurtheil gesprochen ist; und obschon es wahrscheinlicher war, daß Del Ferice auf dem Platze bleiben würde und nicht Giovanni, war dem letzteren doch ungefähr so zu Muthe, als hätte er unter einer Anklage auf Tod und Leben gestanden. Er hatte binnen ein paar Stunden fast alle Gemüthsbewegungen, deren er fähig war, durchgemacht, — seine Liebe zu Co­ rona, die er solange beherrscht und unterdrückt, hatte end­ lich alle Fesseln gesprengt und Ausdruck gefunden; er hatte in einem Augenblick die tiefste Demüthigung und die auf­ richtigste Betrübniß über ihre Borwürfe empfunden, dann 13*

195 „Das will ich. Vater, wenn mir etwas zustoßen sollte — Du weißt, es wäre ja möglich — so wirst Du meine Schlüssel in diesem Schubfach finden, und auch diesen Brief, den ich Dich zu lesen bitte. Er ist an Dich." „Unsinn, mein lieber Junge! Dir wird nichts zustoßen. Du wirst ihn durch den Arm stoßen — und zum Früh­ stück nach Hause kommen." Der alte Fürst sprach in seiner kurzen heitern Weise, aber seine Stimme zitterte und er wendete fich ab, um zwei große Thränen zu verbergen, die auf seine dunkeln Wangen gefallen waren und in seinen grauen Bart herabrollten.

Zwölftes Kapitel. Giovanni schlief zwei Stunden ganz fest. Er war von den Gemüthsbewegungen, die er in dieser Nacht durch­ gemacht hatte, sehr ermüdet, und als die Vorkehrungen zum Zweikampf getroffen waren, schien es ihm, als wäre die Arbeit vorüber, und die Aufregung ließ nach. Man sagt, daß Angeklagte stundenlang schlafen, wenn die Ge­ richtsverhandlung vorüber und ihr Todesurtheil gesprochen ist; und obschon es wahrscheinlicher war, daß Del Ferice auf dem Platze bleiben würde und nicht Giovanni, war dem letzteren doch ungefähr so zu Muthe, als hätte er unter einer Anklage auf Tod und Leben gestanden. Er hatte binnen ein paar Stunden fast alle Gemüthsbewegungen, deren er fähig war, durchgemacht, — seine Liebe zu Co­ rona, die er solange beherrscht und unterdrückt, hatte end­ lich alle Fesseln gesprengt und Ausdruck gefunden; er hatte in einem Augenblick die tiefste Demüthigung und die auf­ richtigste Betrübniß über ihre Borwürfe empfunden, dann 13*

196 die Furcht fie nie wieder z« sehen erfahren und daraus die Wonne, von ihren Lippen Worte der Vergebung zu HSten; er war plötzlich in einen Anfall gerechten Zornes

gegen Del Ferice gerathen, und hatte einen Augenblick dar­ aus seine Empörung hinter einer ruhigen Miene verbergen müssen, und endlich als die Rächt vorgerückt war, hatte er die Zusicherung erhalten, daß er in weniger als vier Stun­

den Gelegenheit haben würde, an dem feigen Horcher Rache

zu nehmen, der sich so schmählich eines ihm theuern Ge­ heimnisses bemächtigt hatte. Ermattet von all dem, was er durchgemacht hatte, und ruhig dem bevorstehenden Zwei­ kampf entgegensehend, legte sich

Giovanni zu Bett und

schlief ein. Del Ferice dagegen konnte nicht schlafen.

Er hatte

ein unangenehmes Gefühl am Halse, als ob er gehängt

und im letzten Augenblick abgeschnitten wordm wäre; er litt unter dem unbeschreiblich kränkenden Bewußtsein nach

langer und erfolgreicher sozialer Laufbahn von seinem schlimmsten Feinde auf einem schmählichen Bubenstück er­

Erstlich könnte Giovanni ihn tödten. Del Ferice war ein guter Fechter, aber Saracinesca war stärker und gewandter; der Zweikampf war jedenfalls mit beträcht­ licher Gefahr verbunden. Andrerseits, wenn er mit dem Leben davonkäme, so hatte ihn Giovanni für dm Rest seines Lebens in seiner Gewalt, und es war kein Entrinnen möglich. Er war beim Horchen ertappt, — bei einem schimpflichen unredlichen Streich ertappt worden, und er tappt zu sein.

wußte wohl, wenn die Sache vor ein Ehrengericht käme, würde ihm das Recht, Genugthuung zu fordern abgesprochen,

werden. Es «ar nicht das erste Mal, daß Del Ferice der­ gleichen gethan hatte, aber zum ersten Mal war er dabei

197 ertappt worden. Er verfluchte seine Ungeschicklichkeit, den Blumentopf gerade in dem Augenblicke umzuwerfen, als er seinen Streich glücklich ausgeführt hatte, — gerade als er anfing Land zu sehen, weil er zweifellos entdeckt hatte, daß Giovanni mit Leib und Seele Corona von Astrardente ergeben sei. Diese Gewißheit war ihm nöthig gewesen, denn er fing an seine Bewerbung um Donna Tullia ernstlich zu betreiben und mußte sicher sein, daß Giovanni nicht als Nebenbuhler zu fürchten wäre. Er hatte längst Giovannis Liebe für die Herzogin geargwohnt, und indem er ihm be­ ständig in den Weg kam, hatte er sein Bestes gethan, um seine Eifersucht zu erregen und seine Leidenschaft anzu­ stacheln. Giovanni würde Del Ferice niemals als einen Nebenbuhler betrachtet haben; der Gedanke wäre lächerlich gewesen. Allein der beständige Aerger darüber, ihn in Coronas Nähe zu finden, wenn er mit ihr allein sein wollte, hatte gewiffermaßen die von Del Ferice gewünschte Wir­ kung erhöht, wenn auch nicht thatsächlich hervorgebracht. Als guter Menschenkenner hatte er seine Chancen gegen Don Giovanni abgewogen und den stolzen und hingeben­ den Charakter des jungen Mannes so richtig beurtheilt, daß er fest davon überzeugt war, wenn Saracinesca Corona liebte, würde er nicht ernstlich daran denken, Donna Tullia zu heirathen. Er hatte gethan, was er konnte, um die wachsende Leidenschaft in ihm zu nähren, als er sie nur erst vermuthete, und gerade in dem Augenblick, wo sie ihm durch Beweise zu völliger Gewißheit geworden war, hatte er sich in Folge seiner unverzeihlichen Ungeschicklichkeit er­

tappen laffen. Der einzige Ausweg aus dieser Verwicklung war augen­ scheinlich, Giovanni aus der Welt zu schaffen, wenn er es

198 könnte. Auf diese Art würde er sich von einem Feinde und zugleich von dem gegen ihn sprechenden Zeugen be­ freien. Die Frage war nur, wie das zu machen sei; denn Giovanni war ein Mann von Muth, Kraft und Erfahrung, und er selbst, Hugo Del Ferice, besaß keine dieser Eigen­ schaften in hohem Grade. Die Folge war, daß er gar nicht schlief, sondern die Nacht in einem Zustande ängst­ licher Spannung verbrachte, die für Festigkeit der Hand und Ruhe der Nerven keineswegs zuträglich war. Er war um so weniger zufrieden, als er erfuhr, die Sekundanten seines Gegners wären dessen eigner Vater und der schwermüthige Spicca, der berühmteste Duellant in Italien, trotz seines langen dürren Körpers, seiner wehmüthigen Stimme, und seines Ausdrucks schmerzlicher Ergebung in den Lauf der Dinge. Was er am meisten fürchtete, falls weder er noch Gio­ vanni auf dem Platze bliebe, war die Gewißheit für den Rest seines Lebens in der Gewalt seines Feindes sein zu müssen. Er wußte, daß Giovanni aus Rücksicht aus Corona die Veranlassung zum Duell nicht erwähnen würde, und ihn hätte Niemand dazu gebracht, darüber zu sprechen; aber es würde ihm in seinem fernern Leben sehr hinderlich gewesen sein, zu fühlen, daß ein ihm verhaßter Mensch es in seiner Macht hätte, ihn vor der Welt als einen Schur­ ken vom reinsten Waffer bloßzustellen. Was er gehört hatte, gab ihm nur geringen Einfluß auf Saracinesca, obschon es für seine eigne Handlungsweise sehr wichtig war. Der Welt laut zu verkünden, daß Giovanni die Herzogin von Astrardente liebte, konnte ihm wenig helfen. Del Ferice konnte ja um keinen Preis sagen, wie er dahinter gekom­ men wäre, und es lag kein andrer Beweis vor als seine Behauptung, denn er konnte sich wohl denken, daß fortan

199 der Verkehr zwischen den beiden förmlicher sein würde als je, — und auch die leichtgläubigsten Leute glauben nicht an ein großes Feuer, wenn sie nicht ein wenig Rauch sehen. Et hatte nicht ein Mal den Vortheil, das Duell in seinem Interesse bei Donna Tullia verwerthen zu können, weil Giovanni unter Androhung, seine Tücke bekannt zu machen, ihn zwingen konnte zu verneinen, daß sie in die Sache verwickelt war. Es gab entschieden in dieser Sache keinen andern zufrieden stellenden Ausweg, als seinen Gegner zu todten. Er würde eine Zeit lang Rom verlassen müssen; wenn aber Giovanni erst todt wäre, konnte er Donna Tullia leicht einreden, daß sie sich ihretwegen geschlagen hätten, und allen Vortheil daraus ziehen, in den Augen der Welt als ihr Vertheidiger zu gelten. Aber obwohl Del Ferices Ruhe durch das Ueberlegen all dieser Schwierigkeiten gestört wurde, unterließ er doch keine Vorsichtsmaßregel, um seine Kraft für den nächsten Morgen zu schonen. Er legte sich aufs Bett, streckte sich lang aus, und achtete darauf, daß sein rechter Arm frei blieb, damit er im Liegen nicht mit dem Gewicht seines Körpers darauf drücke und so die Muskeln betäube oder die Gelenke steif mache; von Zeit zu Zeit rieb er sich das Handgelenk mit stärkender Salbe ein, und hütete sich davor, daß ihm das Licht in die Augen schien nnd sie angriffe. Um sechs Uhr kamen seine Sekundanten mit dem von ihnen angenommenen Wundarzt, und die vier Herren fuhren als­ bald rasch den Corso hinab dem Thore zu. Beide Parteien waren so pünktlich, daß sie gleichzeitig am Thore der Villa anlangtcn, welche für das Zusammen­ treffen ausersehen worden war. Der alte Fürst zog einen Schlüssel aus der Tasche und öffnete selbst das große eiserne Gitterthor. Die Wagen fuhren hinein und das Thor wurde

200 von dem erstaunten Pförtner wieder verschloffen, welcher

herbeigeeilt war,

als er es in den Angeln knarren hörte.

Es war schon genügend hell, um zu fechten, als die acht Männer gleichzeitig vor dem Landhause ausstiegen. Der

Himmel war bewölkt, aber der Boden trocken.

Die Par­

teien und Sekrmdanten grüßten einander mit Förmlichkeit. Giovanni trat mit seinem Wundarzt aus die eine Seite, und Del Ferice stand mit dem

seinen in

einiger Ent­

fernung.

Der schwermüthige Spicca, welcher in der grauen Morgenbeleuchtung wie der Schatten des Todes aussah,

sprach zuerst. „Sie kennen natürlich den besten Platz in der Billa?" sagte er zu dem alten Fürsten.

„Da die Sonne nicht scheint, schlage ich vor, daß sie auf dem Platze hinter dem Hause fechten; da ist der Boden hart und trocken." Die ganze Gesellschaft folgte dem alten Saracinesca. Spicca trug die Degen in einem grünen Sack.

Der vom Fürsten vorgeschlagene Platz schien in jeder Hinsicht geeig­ net, und Del Ferices Sekundanten erhoben keinen Einwand dagegen. Es war durchaus kein Unterschied in der Stel­

lung auf diesem Platze: ein offnes Biereck von ungefähr zwanzig Metern im Quadrat, hart und festgerollt, in jeder Beziehung einem Rasenplatze vorzuziehen.

Ohne weitere Umstände zog sich Giovanni Rock und Weste aus, und Del Ferice, der bleicher und ungesunder als gewöhnlich aussah, folgte seinem Beispiel. Die Se­ kundanten gingen je nach der andern Seite hinüber,

um

die Hemden der Duellanten zu untersuchen und sich zu ver­

sichern, daß sie keinen Flanell unter dem ungestärkten Leinen

trugen.

Nachdem diese Förmlichkeit erledigt war, wurden

201 die Degen genau geprüft, und Giovanni zuerst die Wahl gelaffen. Er nahm den, der ihm zunächst zur Hand war, der andere wurde Del Ferice gebracht. Es waren einfache Stoßdegen; wenn die Knöpfe ab­ genommen und die Spitzen geschärft waren, so war kein Unterschied dabei. Dann nahmen die Sekundanten jeder einen Degen, und stellten die Combattanten sieben bis acht Schritt von einander auf, während sie selbst ein wenig zur Seite traten, jeder zur Rechten seines Freundes, und die Zeugen stellten sich an entgegengesetzten Ecken das Platzes aus, während die Wundärzte auf beiden Enden hinter den Gegnern stan­ den. Es entstand eine augenblickliche Pause. Als alles bereit war, trat der alte Saracinesca dicht an seinen Sohn heran, während Del Ferices Sekundant sich ihm in gleicher Weise näherte. „Giovanni," sagte der alte Fürst ernst, als Dein Se­ kundant bin ich verpflichtet, Dir anzuempfehlen, alles zu thun, was in Deinen Kräften steht, um eine fteundschastliche Verständigung herbeizuführen. Kannst Du das?" „Rein, Vater, ich kann es nicht," antwortete Giovanni mit seinem Lächeln. Sein Gesicht war vollständig ruhig und hatte seine natürliche Farbe. Der alte Saracinesca ging über den Platz und traf auf halbem Wege Casalverde, den Sekundanten des Gegners. Jeder drückte dem andern sehr förmlich sein Bedauern darüber aus, daß keine Aus­ söhnung möglich wäre, und dann traten beide wieder auf die rechte Seite ihres Combattanten. „Meine Herren," fragte der Fürst mit lauter Stimme, „find Sie fertig?" Da beide fich zustimmend verneigten, setzte er sofort in scharfem befehlenden Ton hinzu: „En gärde!“

202 Giovanni und Del Ferice traten jeder einen Schritt vor, salntirten einander mit ihren Degen, salutirten dann ebenso die Sekundanten und die Zeugen, stellten sich ein­ ander gegenüber und legten sich aus. Jeder führte als üb­ liches Compliment eine Terz nach dem andern und beide parirten auf dieselbe Weise. „Halt!" riefen Saracinesca und Caselvarde in einem Athem. „En garde!“ schrie der Fürst noch ein Mal und der Zweikampf begann. In einem Augenblick konnte man den Unterschied zwi­ schen beiden erkennen. Del Ferice focht auf neapolitanische Art, mit gerade ausgestrecktem Arm, ohne den Ellbogen zu biegen, all seine Bewegungen mit dem Handgelenk machend, mit geradem Rücken und die Kniee so sehr eingeknickt, daß er nur halb so groß aussah, als er wirklich war. Er machte kurze und rasche Bewegungen, und zwar verhältnißmäsiig wenige, augenscheinlich aus Furcht, sich gleich am Anfang zu ermüden. Für den oberflächlichen Beobachter war seine Art zu fechten minder anmuthig als die seines Gegners, seine Anzüge weniger gewagt, seine Deckungen minder elegant. Aber als der alte Fürst ihn beobachtete, bemerkte er, daß die Spitze seines Degens sich in vollkom­ men gerader Linie vor- und rückwärts bewegte und beim Pariren den möglichst kleinsten Kreis beschrieb, während sein kaltes wasserblaues Auge fest auf seinen Gegner gehef­ tet war. Der alte Saracinesca knirschte mit den Zähnen, denn er sah, daß der Mensch ein ganz vorzüglicher Schlä­

ger war. Giovanni focht wie einer, der sich vertheidigt, ohne viel ans Angreifen zu denken. Er beugte sich nicht so tief wie Del Ferice, sein Arm krümmte sich ein wenig vor dem

203 Stoß, und sein Degen beschrieb mitunter einen weiten Kreis in der Lust. Er schien sorglos, war aber an Stärke und Schnellkraft seinem Gegner weit überlegen und konnte, sich vielleicht auf diese Vorzüge verlassen, während ein Mann wie Del Ferice seine ganze Kunst und Geschicklichkeit auf­ bieten mußte. Sie hatten mehr als zwei Minuten ohne ersichtliches Ergebniß gefochten, als Giovanni plötzlich seine Taktik zu verändern schien. Er senkte die Spitze seiner Waffe ein wenig, hielt sie gerade vor sich hin und fing an, seinem Gegner auf den Leib zu rücken. Del Ferice hielt den Arm in seiner vollen Länge ausgcstreckt und wich ein bis zwei Meter zurück, während er geschickte Finten in carte auf den Körper seines Gegners machte, in der Absicht sein Vor­ dringen aufzuhalten. Aber Giovanni drang auf ihn ein und machte plötzlich eine eigenthümliche Bewegung mit seinem Degen, indem er denselben in seiner ganzen Länge mit dem seines Gegners in Berührung brachte. „Halt!" schrie Casalverde. Beide senkten sofort die Waffen, die Sekundanten sprangen ein und kreuzten die Degen zwischen ihnen. Giovanni biß sich ärgerlich auf die Lippen. „Weshalb Halt?" fragte der Fürst scharf. „Keiner von beiden ist getroffen." Meinem Freunde ist das Schuhband aufgegangen", versetzte Casalverde ruhig. Es war wirklich so. Er könnte leicht stolpern und fallen, erklärte Del Ferices Freund und bückte sich, um das seidene Band zuzubinden. Der Fürst zuckte die Achseln und trat mit Giovanni einige Schritte zurück. „Giovanni," sagte er, mit vor Aufregung bebender Stimme, „wenn Du Dich nicht besser in Acht nimmst,

204 wird er Dir Schaden anthun. Um Himmelswillen, stoße ihn durch den Arm und mache der Sache ein Ende." „Ich würde ihn jetzt entwaffnet haben, wenn sein Sekun­ dant nicht dazwischen getreten wäre", sagte Giovanni ruhig. „Er ist wieder bereit", setzte er hinzu. „Komm."

„En garde!“ Wiederum gingen die Beiden aus einander los und wiederum kreuzten sich die Säbel und flirrten laut in der Morgenluft. Noch ein Mal drang Giovanni auf Del Ferice ein und dieser wich zurück. In Erwiderung auf eine rasche Finte, machte Giovanni eine Kreisparade, ge­ folgt von einer scharfen kurzen Terz. „Halt!" schrie Casalverde. Der alte Saracinesca sprang ein, und Giovanni senkte seine Waffe. Aber Casalverde hielt nicht seinen Degen vor. Volle zwei' Sekunden nach dem Haltrus stieß Del Ferice gerade aus. Giovanni streckte den Arm aus, um seinen Körper vor dem hinter­ listigen Angriff zu schützen, — er hatte keine Zeit, die Waffe zu erheben. Del Ferices scharfer Degen drang ihm am Handgelenk ein und riß ihm eine lange Wunde fast bis zum Elbogen. Giovanni sagte nichts, aber der Degen fiel ihm aus der Hand, und bleich vor Wuth wendete er sich zu seinem Vater. Das Blut strömte an seinem Aermel entlang, und sein Wundarzt eilte auf ihn zu. Der alte Fürst hatte mit einem raschen Blick das tückische Spiel durchschaut, er trat vor und legte Del Ferices Sekundanten die Hand auf den Arm. „Warum ließen Sie sie halten Herr? und wo war Ihr Degen?" sagte er im höchsten Zorn. Del Ferice lehnte sich an seinen Freund, eine grünliche Bläffe überzog sein

205

Gesicht, aber unter seinem farblosen Schnurrbart spielte ein Lächeln. „Mein Freund war verwundet", sagte Casalverde und wies auf einen leichten Riß am Halse Del Ferices, aus dem ein einziger Blutstropfen langsam hervorquoll. „Warum verhinderten Sic ihn denn nicht am Stoßen, nachdem Sie Halt gerufen?" fragte Saracinesca streng. „Sie haben Ihre Pflicht merkwürdig falsch ausgefaßt, mein Herr, und wenn diese Herren Genugthuung gehabt haben, werden Sie mir dafür Rede stehen." Casalvcrde schwieg. „Ich erkläre mich für vollkommen befriedigt", sagte Hugo mit einem häßlichen Lächeln, indem er nach dir Stelle hinsah, wo der Wundarzt Giovannis Arm verband. „Herr", sagt« der alte Saracinesca, sich wüthend an den Sekundanten wenden; „ich bin nicht hier, um mit Ihrem Combattanten Worte zu wechseln. Er kann sich durch Sie für befriedigt erklären lassen, wenn es ihm be­ liebt. Mein Sohn erNärt durch mich, daß er durchaus nicht befriedigt ist." „Ihr Herr Sohn, Fürst", antwortete Casalverde kalt, „kann nicht weiter fechten, da sein rechter Arm verletzt ist." „Herr! mein Sohn schlägt sich mit der linken Hand gerade so gut wie mit der rechten," versetzte der alte Saracinesca. Del Fcrice erblaßte, und sein Lächeln verschwand sofort. „In dem Falle sind wir bereit", entgegnete Casalverde, freilich nicht im Stande seinen Aerger zu verhehlen. Er war Del Ferices Freund und hätte Giovanni ganz gern von dem tückischen Stoß durchbohrt gesehen. Aus der andern Seite fand eine kurze Berathung statt.

206 „Ich werde mir das Vergnügen machen, jenen Herrn morgen früh ins Jenseits zu befördern", bemerkte Spicca, während er dem Wundarzt wehmüthig beim Verbinden zufah. „Wenn ichs nicht schon heute thue!" murmelte der alte Fürst wüthend in seinen weißen Bart. „Bist Du fertig, Giovanni?" Es fiel ihm gar nicht ein, seinen Sohn zu fragen, ob er zu schwer verwundet wäre, um weiter zu fechten. Giovanni sprach kein Wort, aber das heiße Blut war ihm in die Schläfe gestiegen, und er war in gefähr­ lichem Zorn. Er nahm den Degen, welcher ihm gereicht wurde, und befühlte die Spitze; fie war scharf wie eine Radel. Auf seines Vaters Frage nickte er bejahend, und fie nahmen wieder ihre Plätze ein; dieses Mal stand der alte Fürst auf der linken Seite, da sein Sohn die andre Hand gebrauchte. Del Fericc trat etwas zaghaft an. Bis dahin hatte ihn sein Muth austecht gehalten; aber das Bewußtsein, einen tückischen Streich gespielt zu haben und der Anblick seines zornigen Gegners fing an ihn ängstlich zu machen. Auch war ihm unbehaglich zu Muthe bei dem Gedanken gegen einen linkhandigen Gegner zu fechten. Giovanni machte ein paar Stöße, und dann, — mit einer eigenthümlichen Bewegung, wie fie keinem der An­ wesenden bekannt war, schien er seine Klinge um die seines Gegners zu winden, und mit einem hefttgen Ruck des Handgelenks schlug er ihm die Waffe aus der Hand, daß sie quer über den Platz flog. Sie fuhr in ein Fenster des Hauses und schlug durch die Scheiben. „Roch mehr zerbrochenes Glas!" sagte Giovanni ver­ ächtlich, während er die Spitze seines Degens senkte und

207 zwei Schritte zurücktrat. „Nehmen Sie einen andern Degen, Herr," sagte er, „ich wiü Sie nicht wehrlos tobten." „Mein Himmel, Giovannino!" rief sein Vater in höchster Aufregung. „Wo in aller Welt hast Du den Kunstgriff gelernt?" „Aus meinen Reisen, Vater," versetzte Giovanni lächelnd, „wo ich, wie Du sagst, so viel Schlechtes gelernt habe. Er steht verängstigt aus", setzte er leise hinzu, indem er Del Ferices leichenblaffes Gesicht ansah. „Wenn je im Leben hat er jetzt Ursache dazu", erwi­ derte der Fürst. Casalverde und sein Zeuge kamen von der andern Seite mit ein Paar neuen Degen herbei; denn der eine, welcher durchs Fenster geflogen, war nicht sofort wiederzufinden und vermuthlich durch den Ruck arg ver­ bogen. Die Herren wollten Giovanni wählen laffen. „Wenn man nichts dagegen hat, möchte ich meinen Degen behalten," sagte er zu seinem^Vater. Die Degen wurden gemessen und ganz gleich befunden. Die beiden Herren traten zurück und Del Ferice suchte sich die Waffe aus. „Das ist recht," sagte Spicca, während er langsam auf seinen Platz zurückging, „man muß sich nie von einem alten Freunde trennen." „Wir sind fertig!" wurde von der andern Seite gerufen. „En garde also!" rief der Fürst. Die Zornesröthe war noch nicht von Giovannis Stirn gewichen, als es von neuem los ging. Del Ferice ttat auf wie ein Mann, der sich plötzlich entschloffen hat, dem Tode ins Antlitz zu schauen, ein Ausdruck merkwürdiger Entschloffenheit lag auf seinem bleichen Gesicht. Ehe sie ein halb Dutzend Gänge gemacht hatten, glitt Hugo aus, oder that so als ob er ausglitt, und fiel aufs rechte Knie; aber als er den Boden berührte, führte er

208 einen scharfen Stoß aufwärts unter Giovannis ansgestreck­ ten linken Arm.

Der alte Fürst stieß einen fürchterlichen Fluch aus, der au den Mauern des alten Landhauses wiederhallte.

Del Ferice hatte die berühmte, als „Colpo di Tancredi“ seit lange bekannte Finte gemacht, die nach dem angeb­ lichen Ramen ihres Erfinders „Tancreds Stoß" genannt wird.

Jetzt ist fie. beim Duell nicht mehr erlaubt.

Alleiu

gegen einen mit der Linken Fechtenden verliert der tödtliche Stoß zur Hülste au Gefahr. Der Degeu schrammte das Fleisch an Giovannis linker Seite und wieder befleckte sein Blut das weiße Hemd.

In dem Augenblick als Del Fe­

rice ausglitt, hatte Giovanni einen geraden und tödtlichen

Stoß nach seinem Gegner geführt und statt durch Hugos Lungen zu gehen, fuhr der Degen schnell und ficher durch

seinen Hals, und zwar mit solcher Kraft, daß der Korb mit fürchterlicher Wucht au die Kinnlade des Fallenden schlug, ehe noch der Fluch den Lippen des alten Fürsten vollständig entflohen war.

Sekundanten und Zeugen und Wundärzte sprangen eilends herzu. Del Ferice lag auf der Seite; sein Fall war so schwer und so plötzlich, daß er Giovannis Hand den Degen entriß. Der alte Fürst warf einen Blick auf

Del Ferice und zog seinen Sohn mit fich fort. „Er ist todt wie ein Stein," murmelte er und seine

Augen funkelten wild. Giovanni fing schleunig an fich anzukleidcn, ohne die frische, im letzten Treffen erhaltene Wunde zu beachten. In der allgemeinen Aufregung war sein Arzt zu der den Ge­ fallenen umstehenden Gruppe getreten.

Ehe noch Giovanni

seinen Ueberrock angezogen hatte, kam er mit Spicca zu­ rück, der niedergeschlagen und enttänscht aussah.

209 „Er ist keineswegs tobt," sagte der Wundarzt. „Sie haben Ihre Sache mit Meisterhand gemacht. Sie haben ihm den Hals durchbohrt, ohne die Schlagader oder das Rückgrat zu verletzen." „Will er sich noch weiter schlagen?" fragte Giovanni so wüthend, daß die drei andern Herren ihn anstarrten. „Sei nicht so blutdürstig, Giovannino," sagte der alte Fürst vorwurfsvoll. „Ich hätte das Recht hinzugehen und ihn auf der Stelle zu tödten," sagte der junge Saracinesca erbittert. „Zwei Mal war er heute nahe daran mich zu ermorden." „Das ist wahr," sagte der Fürst, „der tückische Schurke!" „Uebrigens," sagte Spicca, indem er sich eine Ciga­ rette anzündete, „ich fürchte, ich habe Sie um das Ver­ gnügen gebracht, ihre Sache mit dem Sekundanten des Del Ferice auszumachen. Ich nahm eben die Gelegenheit wahr, mit ihm ein paar Worte unter vier Augen zu spre­ chen, und wir geriethen etwas an einander." „O, mir ganz recht," brummte der Fürst, „wie es Ihnen paßt. Ich werde wohl morgen mit Giovannis Pflege genug zu thun haben. Das ist eine abscheuliche Schramme auf seinem Arm." „Bah! nicht der Rede werth, außer wegen der hinter­ listigen Art, mit der sie mir beigebracht worden!" sagte Giovanni und biß die Zähne zusammen. Noch ein Mal gingen der alte Saracinesca und Spicca quer über den Platz. Es wurden einige förmliche Worte gewechselt, welche besagten, daß beide Combattanten be­ friedigt wären, und dann zog Giovanni mit seiner Gesell­ schaft ab, Spicca trug den grünen Sack mit den Rapieren unter dem Arm und blies Rauchwolken in die feuchte Morgenluft. Sie waren beinahe eine Stunde auf dem Crawford, Saracinesca.

14

210 Platz gewesen und von der Kälte erstarrt und erschöpft durch Mangel an Schlaf. Sie stiegen in den Wagen und fuhren rasch nach Hause. „Kommen Sie mit nach oben und frühstücken Sie bei und", sagte der alte Fürst zu Spicca, als sie den Palast der Saracinesca erreicht hatten. „Nein, ich danke", sagte der Schwermüthige. „Ich habe viel zu thun, da ich morgen Vormittag mit dem Zehn­ uhrzuge nach Paris reise. Kann ich dort etwas für Sie besorgen? Ich werde einige Monate sortbleiben." „Ich dachte, Sie wollten sich morgen schlagen?" wandte der Fürst ein. „Nun eben darum wird es für mich angezeigt sein, gleich darauf Italien zu verlassen." Der alte Fürst schauderte. Bei seinem heißen Blute und seiner Leidenschaftlichkeit konnte er nicht die furchtbare Ruhe dieses sonderbaren Mannes begreifen, dessen Geschick­ lichkeit so groß war, daß er den Tod seines Gegners als etwas Selbstverständliches anfah, wenn er es so wollte. Giovanni selbst war noch so empört, daß er sich um den Ausgang des zweiten Duells kaum bekümmerte. „Ich bin Ihnen aufrichtig dankbar für Ihren gütigen Beistand," sagte er, als Spicca sich von ihm verabschiedete. „Sie sollen für die beiden Versuche, Sie zu ermorden, gründlich gerächt werden," sagte Spicca ruhig; und nach­ dem er dann allen die Hand geschüttelt hatte, stieg er wie­ der in den Wagen. Es war zum letzten Mal für lange Zeit, daß sie ihn sahen. Er führte seinen Vorsatz treulich aus. Am nächsten Morgen um sieben Uhr traf er mit Casalverde zusammen und eine Viettelstunde darauf ließ er ihn todt auf dem Platz. Um halb neun frühstückte er mit seinen Sekundanten und um zehn reiste er mit ihnen

211 von Rom nach Paris. Er hatte sich zwei französische Of­ fiziere ausgesucht, welche gerade in ihr Vaterland zurück­ kehren wollten, um nicht andre seiner Freunde in Unge­ legenheil zu bringen, indem er fie nöthigte, das Land zu verlaffen; das bewies, wie Graf Spicca selbst in Augen­ blicken höchster Aufregung auf andere Rückficht nahm. Als der Wundarzt Giovanni verbunden hatte, blieben Vater und Sohn allein. Giovanni lag in seinem Wohn­ zimmer auf dem Sopha und nahm sein Frühstück so gut er konnte mit einer Hand ein. Der alte Fürst ging auf und ab, und machte von Zeit zu Zeit Bemerkungen über die Ereignisse des Morgens. „Es ist eben so gut, daß Du ihn nicht getödtet hast, Giovannino," meinte er; „es wäre sehr unangenehm ge­ wesen, gerade jetzt zu verreisen." Giovanni gab keine Antwort. „Natürlich, es ist eine große Sünde sich zu dueüiren, und unsere Religion verbietet es streng," sagte der Fürst plötzlich, „indessen"-------„Allerdings", versetzte Giovanni. „Wir können den­ noch nanchmal nicht anders" — „Was ich sagen wollte," fuhr sein Vater fort, „war, daß es natürlich fehr sündhaft ist, und wenn einer im Zweikcmps fällt, fährt er wahrscheinlich sofort zur Hölle. Fndeffrn — es lohnte mitanzusehen, wie Du den Degen des Menschen durchs Fenster fliegen ließest!" „§s ist ein sehr einfacher Handgriff. Wenn Du ein Rapier nehmen willst, werde ich ihn Dir zeigen." „Um ein Weilchen, wenn Du gefrühstückt hast. Sage mir doh, weshalb riefst Du: „Noch mehr zerbrochenes Glas"? Giovanni biß sich auf die Lippen, als er an seine Unvorfchtigkeit dachte.

212 „Ich weiß selbst nicht recht. Ich glaube, es erinnerte mich an etwas. In Augenblicken großer Aufregung sagt man allerlei Unfinn." „Die Bemerkung fiel mir als sehr sonderbar aus," entgegnete der alte Fürst noch immer auf und ab gehend. „Uebrigens", setzte er hinzu, indem er an dem Schreibtische stehen blieb, „hier liegt der Brief, den Du an mich ge­ schrieben hast. Soll ich ihn lesen?" „Nein", versetzte Giovanni lachend. „Es hätte jetzt keinen Zweck. Es wäre komisch, da ich am Leben und ge­ sund bin. Es war nur ein Abschiedswort." Der Fürst lachte ebenfalls und warf den versiegelten Brief ins Feuer. „Der letzte Saracinesca lebt noch!" sagte er. „Gio­ vannino, was sollen wir zu den Neugierigen sagen? Noch vor Abend wird diese Geschichte in ganz Rom herum sein. Du mußt natürlich einige Tage zu Hause bleiben, sonst erkältest Du dir den Arm. Ich will ausgehen und von unserm Siege erzählen." „Am besten wäre es, nichts darüber zu sagen, am besten, die Leute an Del Ferice zu »erweisen, und ihnen zu sagen, daß er mich gefordert hatte. Herein!" rief Giovanni, denn es klopfte. Pasquale, der alte Diener, trat ins Zimmer. „Der Herzog von Astrardente läßt sich nach dem Be­ finden Seiner Excellenz, Don Giovanni, erkundigen", sagte der Alte ehrerbietig. Der alte Saracinesca blieb stehen und brach in ein lautes Gelächter aus. „Schon jetzt! Siehst Du, Giovannino!" sagte er. „Sage ihm, Pasquale, daß Don Giovanni sich gestern auf dem Balle stark ertältet hat, oder nein, — warte! Was sollen wir ihm sagen lassen, Giovannino?"

213 „Sage dem Diener," versetzte Giovanni ernst, „daß ich für die gütige Nachfrage sehr verbunden bin, daß ich ganz wohl bin, und daß Du mich eben hast frühstücken sehen." Pasquale verbeugte fich und ging hinaus. „Du willst sie wohl nicht wissen lassen", — sagte der Fürst, der plötzlich seine ernste Stimmung wieder ange­ nommen hatte. Giovanni nickte schweigend. „Ganz recht, mein Junge," sagte der alte Fürst ernst. „Auch ich will nichts weiter davon wiffen. Wie zum Teu­ fel können sie eS schon erfahren haben?" Die Frage war mehr an sich selbst, als an seinen Sohn gerichtet, und der letztere gab keine Antwort darauf. Er war seinem Vater dankbar für sein rücksichtsvolles Schweigen.

Dreizehntes Kapitel. Als Astrardente des ältern Saracinescas Gesicht wäh­ rend seiner kurzen Unterredung mit dem Diplomaten beob­ achtet hatte, ward seine Neugier sofort erregt. Er bemerkte, daß irgend etwas vorgefallen war, und versuchte die Sache von seinem Bekannten herauszulocken. Der Gesandte kehrte zu seiner Pastete und seinem Champagner zurück und sah dabei belustigt und angeregt aus, aber er war nicht zu Mittheilungen geneigt. „Was für ein merkwürdig unterhaltender Mensch der alte Saracinesca ist!" bemerkte Astrardente. „Wenn er Lust hat!" versetzte die Excellenz mit vollem Munde.

213 „Sage dem Diener," versetzte Giovanni ernst, „daß ich für die gütige Nachfrage sehr verbunden bin, daß ich ganz wohl bin, und daß Du mich eben hast frühstücken sehen." Pasquale verbeugte fich und ging hinaus. „Du willst sie wohl nicht wissen lassen", — sagte der Fürst, der plötzlich seine ernste Stimmung wieder ange­ nommen hatte. Giovanni nickte schweigend. „Ganz recht, mein Junge," sagte der alte Fürst ernst. „Auch ich will nichts weiter davon wiffen. Wie zum Teu­ fel können sie eS schon erfahren haben?" Die Frage war mehr an sich selbst, als an seinen Sohn gerichtet, und der letztere gab keine Antwort darauf. Er war seinem Vater dankbar für sein rücksichtsvolles Schweigen.

Dreizehntes Kapitel. Als Astrardente des ältern Saracinescas Gesicht wäh­ rend seiner kurzen Unterredung mit dem Diplomaten beob­ achtet hatte, ward seine Neugier sofort erregt. Er bemerkte, daß irgend etwas vorgefallen war, und versuchte die Sache von seinem Bekannten herauszulocken. Der Gesandte kehrte zu seiner Pastete und seinem Champagner zurück und sah dabei belustigt und angeregt aus, aber er war nicht zu Mittheilungen geneigt. „Was für ein merkwürdig unterhaltender Mensch der alte Saracinesca ist!" bemerkte Astrardente. „Wenn er Lust hat!" versetzte die Excellenz mit vollem Munde.

214 „Im Gegentheil! wenn er am wenigsten daran denkt.. Mir ist noch nie ein Mensch vorgekommen, der sich beffer zu einer gelungenen Carricatur eignete. Eigentlich ist er keine üble Carricatur von seinem eignen Sohn, oder der Sohn von ihm, — ich weiß nicht recht, ob so oder so." Der Gesandte lächelte und nahm einen großen Biffen. „Ha! ha! ausgezeichnet!" murmelte er beim Essen. „Er würde das zu schätzen wiffen. Er liebt sein Geschlecht, und würde lieber ein komischer Vertreter des häßlichsten Saracinesca sein, der je gelebt hat, als alle Schönheit der Astrardente besitzen und einen andern Namen tragen." Der Diplomat hielt nach diesen Worten inne und ver­ neigte sich dann ein wenig vor der Herzogin; allein der Hieb hatte ihren Gemahl an einer empfindlichen Stelle ge­ troffen. Der alte Geck war einst auf seine Art schön ge­ wesen und that sein Bestes durch künstliche Mittel Spuren seines guten Aussehens zu erhalten. Die Herzogin lä­ chelte matt. „Ich möchte darauf wetten," sagte Astrardente ver­ drießlich, „daß seine Aufregung jetzt eben einen oder den andern Grund hatte, — entweder ist sein Ansehen oder sein Geld in Gefahr. Die Art, wie er Spicca nachschrie, ließ vermuthen, daß ein Duell in der Luft läge — denken Sie, der Alte sich duellireu! Zu lächerlich!" „Ein Duell!" wiederholte Corona leise. „Ich finde nichts so besonders Lächerliches darin", sagte der Diplomat, indem er sein Glas Champagner lang­ sam herumdrehte nnd dann daran nippte. „Ueberdies", setzte er bedächtig hinzu, indem er die Herzogin von der Seite ansah, „hat er einen Sohn." Corona schreckte ganz leise zusammen. „Weshalb sollte ein Duell stattfinden?" fragte sie.

215 „Ihr Herr Gemahl kam aus den Gedanken", versetzte der Diplomat. „Aber Sie sagten, es wäre nichts Lächerliches dabei," wendete die Herzogin ein. „Allein ich sagte auch nicht, es wäre etwas Wahres daran," antwortete Se. Excellenz tu beruhigendem Tone. „Wie kamen Sie ans ein Duell?" fragte er, sich an Astrardente wendend. „Durch Spicca!" versetzte dieser. „Wo Spicca im Spiel ist, handelt es sich um ein Duell. Er ist ein schreck­ licher Kerl, mit seinem Todtenkopf und seinen schlotternden Knochen — eines von jenen außerordentlichen Phänome­ nen — bah, mich schaudert, wenn ich an ihn denke!" Der alte Mann machte mit seinem Zeigefinger und kleinen Fin­ ger das sogenannte Zeichen der Hörner, indem er den Dau­ men einkniff, als wollte er sich gegen den bösen Blick schützen, — gegen den schlimmen Einfluß, welchen die Er­ wähnung Spiccas heraufbeschwor. Der alte Astrardente war sehr abergläubisch. Der Gesandte lachte und selbst Corona lächelte ein wenig. „Ja", sagte der Diplomat. „Spicca ist ein lebendiges memento mori; er erinnert andre gelegentlich an den Tod, indem er sie umbringt." „Wie gräßlich!" rief Corona. „Ach, meine gnädige Frau, die Welt ist voll von gräß­ lichen Dingen!" „Das ist kein Grund darüber zu scherzen." „Es ist besser, das Unvermeidliche leicht zu nehmen," sagte Astrardente. „Bist Du bereit nach Hause zu fahren, meine Liebe?" „Ganz bereit — ich wartete nur auf Dich," antwor­ tete Corona, die sich danach sehnte, zu Hanse und allein zu sein.

216 „Lassen Sie mich das Ergebniß von des alten Saracinesca kriegerischen Unternehmungen hören/ sagte Astrardente mit einem listigen Lächeln auf seinem geschminkten Gesicht. „Da er Sie zu Rathe zog, wird er Ihnen natür­ lich morgen Bescheid sagen lassen." „Sie scheinen so darauf bestrebt zu sein, daß ein Duell stattfinden möchte, daß ich mich beinahe versucht fühle, einen Bericht darüber zu erfinden, auf daß Sie nicht zu schmerz­ lich enttäuscht werden!" versetzte der Diplomat. „Sie wissen recht gut, daß kein Erfinden nöthig sein wird!" sagte der Herzog in ihn dringend, denn seine Ren­ gier war erregt. „Run, wie Sie es nehmen wollen. Gute Nacht!" er­ widerte der Gesandte. Es belustigte ihn, Astrardente ein wenig zu necken, und er verließ ihn mit dem angenehmen Bewußtsein, die Neugier seines Freundes bis zum höchsten Grade gespannt zu haben, ohne derselben irgend welche Nahrung zu geben. Leute, welche mehr mit Menschen als mit Dingen zu thun haben, finden oft ein großes und scheinbar grausames Vergnügen daran, mit den Gefühlen und kleinen Schwächen ihres Nächsten ihr Spiel zu treiben. Die Gewohnheit ist bei ihnen so mächtig, wie es die beständige Uebung Kunst­ stücke zu machen beim Taschenspieler wird; selbst wenn dieser keine Vorstellung giebt, spielt er stundenlang mit Geldstücken, macht Kartenkunststücke oder wirst mit bewun­ dernswürdiger Behendigkeit Kugeln in die Lust; er ist nicht im Stande seine Berufsthätigkeit auch nur einen Tag ruhen zu lassen, weil fie für ihn zur einzigen natürlichen Aeußerung seiner Kräfte geworden ist. Bei Leuten, deren Berus es ist, andre zu durchschauen, findet etwas Aehnliches statt. Sie können nicht eine Stunde mit einem Menschen zusam-

217 men fein, ohne seinen besondren Charakterschwächen aus die Spur zu kommen, — seiner Eitelkeit, seinen Neigungen, seinen Lastern, seiner Neugier, Geldgier oder Ruhmsucht; die geistige Thätigkeit solcher Leute läßt sich einer Auscultation vergleichen — denn sie halten ihr Ohr immer ihrem Nächsten aufs Herz — und ihre Unterhaltung gleicht der Untersuchung eines Arztes, welcher den Sitz des Uebels in ein Paar schwindsüchtigen Lungen erforschen will. Aber trotz all seiner Schwächen war Astrardente ein Mann von bedeutendem Scharffinn. Er hatte Saracinescas Angelegenheit schlau errathen, und ferner aus einer Aeuße­ rung, die seinem diplomatischen Freunde entfallen war, entnommen, daß wenn es sich überhaupt um ein Duell handelte, Giovanni sich schlagen würde. Thatsächlich wußte der Diplomat nichts Gewiffes von der ganzen Sache, sonst wäre er möglicherweise mit der Wahrheit herausgerückt, um den Eindruck zu beobachten, welchen eine solche Nach­ richt auf die Herzogin machen würde; denn natürlich hatte er das Gerede über Giovannis Leidenschaft für sie gehört, und das Experiment wäre ihm zu anziehend und interessant gewesen, als daß er es sich hätte entgehen lassen. Sie war ja schon so wie so bei der Erwähnung von Saracinescas Sohn zusammengefahren. Der Diplomat that nur das, was damals alle zu thun versuchten, die mit Corona in Berührung kamen, nämlich er versuchte sich zu vergewiffern, ob sie selbst etwas für den Mann fühlte, welchen die Schwätzer ihren eifrigsten Anbeter nannten. Die arme Herzogin! Kein Wunder, daß sie bei dem Gedanken erschrak, Giovanni könnte in Gefahr fein. Er hatte an diesem Tage eine große Rolle in ihrem Leben gespielt, und sie konnte ihn nicht vergessen. Sie hatte noch kaum Zeit gehabt über ihre Empfindungen nachzudenken,

218 denn mir durch die äußerste Anstrengung war es ihr mög­ lich gewesen, ihre Faffung zu bewahren. Hütte fir ihn nicht geliebt, so wäre es etwas Anderes gewesen, urd in dem wunderbaren Wirrwarr ihrer Gefühle wünschtk sie, daß sie ihn nie geliebt hätte, oder daß fie ihre Lieb« ver­ gessen und durch ein Wunder plötzlich wieder in jene träu­ merische Gleichgültigkeit gegen alle Männer zurückßnken könnte, in jene unermüdliche Rücksicht gegen ihren Rann, kurz in jene frühere Gemüthsverfaffung, aus der sie so grausam aufgeschreckt worden war. Sie hätte alles darum gegeben, nie geliebt zu haben, jetzt da der große Kampf vorüber war; aber ehe der entscheidende Augenblick ge­ kommen, hatte fie die gefährlichen Gedanken nicht von sich bannen mögen, außer in den Stunden des Gebetes und einsamen Ringens, wenn die volle Wahrheit in unverhüllter Nacktheit vor ihr aufstieg. So bald fie wieder in die Welt hinausgetreten, hatte fie fich unbedenklich nach Gio­ vannis Gegenwart gesehnt. Aber nun war alles anders geworden. Sie hatte fich nicht selbst getäuscht, als fie ihm sagte, daß fie ihn lieber nicht mehr Wiedersehen wollte. Es war die Wahrheit; nicht nur wünschte fie, ihn nie mehr wiederzusehen, sondern auch die Liebe zu ihm aus ihrem Herzen zu verbannen. Mit plötzlicher Sehnsucht flogen ihre Gedanken zurück zu ihrem Mädchenleben im Kloster mit seinen regelmäßigen Beschäftigungen, seinem beschränkten Gefichtskreis und seiner unveränderlichen Einfachheit. Was schadete die Beschrän­ kung, wenn alles was über jene engen Grenzen hinauslag, voll Uebel war? War es nicht besser, daß die Lippen Li­ taneien sängen, als daß das Herz von Versuchungen gequält werde? Waren jene einfachen Obliegenheiten, welche da­ mals so hochwichtig erschienen, nicht süßer zu vollbringen,

219 als die mannichfachen Pflichten dieses verwickelten gesell­ schaftlichen Lebens, dieses großen Gewebes auf dem Web­ stuhl des Lebens, — diese zusammengesetzte Maschinerie, welche ohne Ende auf ihren Rädern rollte und ächzte und arbeitete, ohne ein größeres Ergebniß hervorzubringen als das endlose Drehen einer Tretmühle im Gefängniß? Aber es gab jetzt keinen Ausweg aus diesem Leben; es gab kein Entrinnen, eben so wenig wie eine Aussicht auf Erlösung von Angst und Sorge. Es war kein Grund vorhanden, weshalb Giovanni fortgehen, und auch kein Grund, wes­ halb Corona ihn weniger lieben sollte. Sie gehörte zu einer Klaffe von Frauen, — falls es nämlich deren über­ haupt so viele giebt, daß von einer Klasse die Rede sein kann, — welche, wo es sich um Liebe handelt, nur eines Eindrucks fähig sind, der in ihrem Herzen, sei es zum Bösen oder zum Guten, Siegel und Zeichen für ihr ganzes Leben wird. Corona war allerdings eine so treue und tugendhafte Frau, daß der starke Druck der Liebe ihren edlen Sinn nicht erniedrigen, noch Unwahrheit in ihre makellos reine Seele bringen konnte; allein ihre Liebe zu Giovanni hatte ihrem Wesen für immer den Stempel aus­ geprägt. Die Leere in ihrem Herzen war ganz und gar ausgefMt, das Bollwerk, welches sie gegen Mannesliebe in ihrem Herzen errichtet hatte, war zusammengebrochen und sortgerissen, und die Fluthen rollten sanft darüber hin, als ob es nie gewesen wäre. Sie konnte nie wieder dieselbe sein, das empfand sie bitter: denn immer würde Giovannis Antlitz sie im Wachen wie im Traum verfolgen, ein be­ ständiger Vorwurf für sie, eine dauernde Erinnerung an den verzweifeltsten Kampf in ihrem Leben, ja mehr als eine Erinnerung — die unvergängliche Gegenwart einer unwantulbaren Liebe.

220 Sie war ihrer in Zukunft sicher, ebenso wie sie auch fest auf Giovannis Versprechen baute. Es würde kein schwacher Augenblick mehr kommen, kein Wort sollte je wie­ der ihren Lippen entschlüpfen, welches ihn zu einem neuen leidenschaftlichen Ausbruch verleiten könnte, ihr Leben sollte fortan durch die Erinnerung an die überstandenen Ge­ fahren geregelt werden, und es sollte kein unbewachter Augenblick mehr kommen, keine Stunde, in der sie sich sagte, es wäre süß zu lieben und geliebt zu werden. Es war ja nicht süß, sondern bitter wie der Tod, diese Last auf ihrem Herzen, dieses beständige Ringen in ihrer Seele zu fühlen, um die Leidenschaft in ihrer Brust niederzukämpsen. Aber Corona hatte viele Opfer gebracht, sie wollte auch noch dieses bringen; durch ihr Gebet wollte sie Kraft und durch ihren Stolz Muth erlangen, und vor der Welt wollte sie lächeln, wie sie noch nie zuvor gelächelt hatte. Sie konnte sich selbst trauen, denn sie that das Rechte und trat das Unrecht zu Boden; aber trotz all ihres. Stolzes würde ihr Leiden doch nicht geringer werden; sie konnte es sich nicht verhehlen, es würde furchtbar sein. Ihm täglich in der Gesellschaft zu begegnen, mit ihm zu sprechen, seine Stimme zu hören, vielleicht seine Hand zu berühren und dazu immerfort kalt zu lächeln, noch immer und für alle Zeit über allen Argwohn erhaben zu sein, während ihr eignes Bewußtsein ihre Vergangenheit an­ klagte und die Gefahren des bloßen Weiterlcbens bei jedem Schritte auf ihrem Pfade wie gähnende Abgründe erscheinen ließ, — all dieses würde furchtbar schwer zu ertragen sein, aber mit Gottes Hülfe wollte sie es ertragen bis ans Ende. Jetzt aber ergriff sie eine neue Angst und quälte sie unbeschreiblich. Dieses Gerücht von einem Duell, — ein bloßes im Gespräch leicht hingeworfenes Wort eines un-

221 bedachten Bekannten — beschwor plötzlich Bilder drohen­ den Unheils vor ihr herauf. Wie sehr sie auch gegen ihre Liebe ankämpfen und sie in ihrer Brust ersticken mochte, so konnte es doch sicherlich kein Unrecht sein, Gefahr für Giovanni zu fürchten; es konnte keine Sünde sein, um den Ausgang zu bangen, wenn diese Gefahr so nahe war. Viel­ leicht war es nicht wahr, denn die Leute in der großen Welt lieben es, ihren leeren Geist mit müßigen Geschichten zu beschäftigen, auch wenn sie deren Leerheit zugeben. Es war vielleicht nicht wahr; sie hatte ja Giovanni noch vor wenig Minuten gesehen — er würde ihr einen Wink ge­ geben, eine Andeutung gemacht haben. Und warum denn? Rühmten sich solche Männer nicht, daß sie in Zeiten der größten Angst und Gefahr vor der Welt mit gleichgültiger Miene erscheinen könnten? Wenn aber Giovanni in einen so ernsten Streit verwickelt ge­ wesen wäre, daß derselbe blutige Entscheidung erforderte, so hätte das Gerücht davon zu ihr dringen müssen. Sie hatte an diesem Abend mit vielen Herren und mit einigen Damen gesprochen, — lauter Schwätzern, deren Zungen sich lustig über die Noth von Freund und Feind ergingen — und die über eine solche Neuigkeit wie ein Duell in der vornehmen Gesellschaft so gierig hergefallen sein würden, wie eine Heerde Schakale über den Leichnam eines von ihres Gleichen, um sich leichten Herzens daran zu ergötzen. Irgend einer von denen hätte ihr etwas davon erzählt, der Streit wäre binnen einer halben Stunde Gemeingut ge­ worden, denn irgend Jemand hätte doch Zeuge davon ge­ wesen sein müssen. Es war für Corona ein Trost, über die große Un­ wahrscheinlichkeit der Geschichte nachzudenken; denn nach­ dem der Diplomat fortgegangen war, spann ihr Mann sie

222 aus, sei es weil er seine unbefriedigte Neugier nicht ver­ hehlen konnte, sei es aus andern Gründen; das war schwer zu entscheiden. Astrardente führte seine Frau von der Tafel durch die großen, jetzt beinahe leeren Zimmer, an der weitgeöffneten Thür des Ballsaals vorüber, wo der Cotillon in vollem Gange war. Sie standen einen Augenblick still und blick­ ten hinein, wie es Giovanni vor einer Viertelstunde gethan hatte. Es war ein prachtvoller Anblick; das Licht strahlte zurück von den Juwelen schöner Frauen und fluthete über die Tanzenden wie Sternenschein auf bewegten Wellen. Die Luft war erfüllt von dem berauschenden Duft zahlloser Blumen, welche die tiefen Fensternischen füllten und die zu Hunderten von Sträußen bei den Cotillontouren vertheilt wurden; entzückende Walzermelodien schwebten von oben herab und versetzten die Schaaren der Tänzer in harmo­ nische Bewegung, so daß die Töne durch Umwandlung in anmuthige Bewegungen gleichsam sichtbar wurden. Wäh­ rend Corona hinsah, entstand eine Pause; die Menge theilte sich, während ein ungeheurer Tiger, das Wappenthier der Frangipani, von dem jungen Fürsten und Bianca Valdarno in den Saal gezogen wurde. Das prachtvolle Fell war so kunstvoll ausgestopft, daß das Thier wie lebendig aus­ sah, und in seinem ungeheuern Rachen hing ein Korb voll ganz kleiner Tiger, welche von den aufführenden Tänzern als Orden vertheilt werden sollten. Jubelnder Beifall be­ grüßte diese neue Tour und alles strömte herbei, um sich den Tiger in der Nähe anzusehen. „Ach!" rief der alte Astrardente, „ich beneide sie um den Einfall, meine Liebe, er ist ganz wundervoll! Du mußt einen Tiger zum Andenken mitnehmen. Wie gut, daß wir noch gerade zu rechter Zeit kamen!" Er machte

223 sich Bahn durch die Menge und ließ seine Frau einen Augen­ blick allein, an der Thür stehen, es gelang ihm zu Valdarno durchzudringen, welcher die kleinen Wappen rechts und links austheilte. Madame Mayers scharfe Augen hatten Corona und ihren Mann erspäht und von Neugier getrieben näherte fie sich der Herzogin. Sie war noch immer so böse, wie sie nie zuvor in ihrem kurzen Leben gewesen, und zwar über Giovannis Unhöflichkeit, den Tanz mit ihr vergessen zu haben, und sie wünschte brennend, die schöne Frau zu krän­ ken, welche Ursache dieses Vergessens gewesen war. Als Astrardente von seiner Frau fortging, drängte Donna Tullia sich in der allgemeinen Verwirrung, welche auf das Er­ scheinen des Tigers folgte, mit ihrem Tänzer hindurch, so daß sie dicht an Corona vorüberkam. Dann sah sie sie Plötzlich mit überraschter Miene an. „Wie, Herzogin, Sie tanzen nicht?" fragte sie. „Ist Ihr Tänzer nach Hause gegangen?" Durch den Blick, welcher diese Frage begleitete, hatten die Worte etwas entschieden Beleidigendes. Hätte Donna Tullia gesehen, daß der alte Astrardente dicht hinter ihr stand, so hätte sie sie nicht gesprochen. Der alte Stutzer kam triumphirend mit dem kleinen Tigerorden für Corona zurück. Er hörte die Worte und beobachtete mit stillem Vergnügen den ruhig gleichgültigen Blick seiner Frau. „Gnädige Frau," sagte er, plötzlich vor Madame Mayer hintretend, „die Tänzer meiner Frau gehen nicht nach Hause, so lange sie bleibt." „Ach so! ich sehe!" versetzte Donna Tullia schnell erröthend, „die Herzogin tanzt den Cotillon mit Ihnen. Ich bitte um Entschuldigung, ich hatte vergessen, daß Sie noch tanzen." „Es ist allerdings lange her, daß ich mir die Ehre

224 gab, Sie um eine Quadrille Zu bitten, gnädige Frau,antwortete Astrardente mit verbindlichem Lächeln; und da­ mit wendete er sich um, überreichte seiner Frau den kleinen Tiger mit einer höflichen Verbeugung. Es floß gutes Blut in den Adern des alten Stutzers. Corona war gerührt über diese Freundlichkeit, mit der er sich bemüht hatte, ihr das kleine Andenken an den Ball zu verschaffen, nnd mehr noch durch die gewandte Art, mit der er sie in Schutz nahm. Er war freilich manchmal etwas lächerlich mit seiner Schminke und seinem gekünstel­ ten Lächeln, er war oft reizbar und empfindlich in Kleinig­ keiten, aber er war niemals unfteundlich noch rücksichtslos gegen sie. Trotzdem daß sie Donna Tullia nur kalt und gleichgültig angestarrt, hatte sie doch die Beleidigung scharf empfunden, und sie war dem alten Mann dankbar dafür, daß er für sie eintrat. Um deffentwillen, was sie sich an diesem Abend bewußt worden, war sie ihm für seine Güte um so dankbarer. Sie nahm die keine Gabe und legte die Hand auf seinen Arm. „Vergieb mir," sagte sie, als sie fortgingen, „wenn ich jemals undankbar gegen Dich bin. Ich kenne keinen, der so gütig und rücksichtsvoll ist wie Du." Ihr Mann sah sie voll Entzücken an. Er liebte sie aufrichtig, so weit er überhaupt noch lieben konnte. Der Gedanke hatte etwas Trauriges, daß ein Mann wie er die einzige wahre Liebe seines Lebens erst gesunden hatte, als er alt und abgelebt war. Ihre Worte versetzten ihn in den siebenten Himmel der Seligkeit. „Ich bin der glücklichste Mann in Rom," sagte er, und nahm einen schwebenden Gang an, während er seinen Hut in der Hand schwenkte. — Aber in ihm bewegten sich tiefe Gedanken, als er neben seiner Frau die breite Treppe

225 hinabschritt. Er dachte darüber nach, was sein Leben hätte werden können, wenn er Corona del Carmine — nein, das war ja nicht möglich, sie war damals noch nicht geboren — oder wenn er ihres Gleichen vor dreißig Jahren gefunden hätte. Er dachte, was für Opfer er nicht bringen möchte, um seine Jugend wieder zu gewinnen, — ja selbst sein Leben hätte er hingeben mögen, hätte er nur auf eine dreißigjährige Ehe mit Corona zurückblicken können. Wie anders würde er gelebt, wie anders würde er gedacht haben! Wie würden all seine Erinnerungen erfüllt sein von der holden Vergangenheit, und eins sein mit ihrem eignen ver­ gangenen Leben, an welches auch sie gern zurückdenken würde! Er würde ein so guter Mann gewesen sein, ihr so treu durch all jene Jahre! Aber sie waren vergangen, und er hatte sie erst gefunden, als sein Fuß am Rande des Grabes stand, als er kaum noch auf ein Jahr dieses erbärmlichen erkünstelten Lebens rechnen konnte — ge­ schmückt mit einer Perrücke, von einem geschickten Schnei­ der zum Ebenbilde eines Mannes herausstasfirt, während sie in der Blüthe ihrer herrlichen Jugend neben ihm stand! Was hätte er darum gegeben, die Kraft und männliche Frische des alten Saracinesca zu besitzen — dieses alten Saracinesca, den er nicht leiden konnte. Ja freilich, fein volles Haar war weiß — doch es hätte sich färben lasten. Was war ein wenig künstliche Farbe im Vergleich zu seiner durch und durch gekünstelten Erscheinung? Wie voll und laut erklang des alten Fürsten tiefe Stimme aus seiner breiten Brust! Wie kräftig war er mit seinem festen Tritt, seinen breiten braunen Händen und seinen feurigen schwarzen Augen! Er haßte ihn wegen seines frischen kräftigen Alters — wegen seines stämmigen Sohnes, auch einer von diesem stolzen langlebigen GeCrawford, Saracinesca.

15

226 schlecht der Saraclnesca, das bestimmt schien die Zeiten zu überdauern. Er ftlbst hatte keine Kinder, keine Verwandte, Niemanden, der feinen Namen trug; er hatte nur eine

schöne junge Frau und großen Reichthum, und just Kraft genug, um neben ihr einen elastischm Gang anzunehmen und dann unsicher auf sein Lager zu schwanken, wenn er

allein war, erschöpft von der Anstrengung jung zu scheinen. Als sie im Wagen saßen, dachte er an all dies mit Bitterkeit und schwieg. Corona war selbst müde und ftoh still sein zu Knnen. Sie ging die Treppe hinauf, und als sie seinen Arm nahm, suchte sie ihn eher sanft zu stützen als sich stützen zu lassen.

Er bemerkte es und nahm sich zu­ sammen, allein er war sehr müde. Er blieb auf dem Treppenabsatz stehen und sah sie an, ein mildes wehmüthi­ ges Lächeln fiog über sein Gesicht, wie Corona es noch nie

an ihm gesehen hatte. „Wollen wir noch aus zehn Minuten in dein Boudoir gehen, meine Liebe?" sagte er, „oder willst Du in mein Rauchzimmer kommen? Ich möchte noch etwas rauchen, ehe ich zu Bette gehe."

^Du kannst natürlich in meinem Boudoir rauchen," antwortete sie freundlich, obwohl sie sich über die Bitte wunderte. Es war halb vier Uhr. Sie gingen zusammen in das matt erleuchtete kleine Zimmer, wo die Asche noch im Kamin glühte. Corona ließ ihren Pelzumhang auf einen Stuhl fallen und setzte sich an die eine Seite des Kamins.

Astrardente sank erschöpft in den Lehnstuhl ihr gegen­ über, zündete sich eine Cigarette an und sing an zu rau­ chen. Er schien in einer Stimmung, wie Corona sie nie an ihm gesehen hatte.

zu sprechen.

Nach kurzem Schweigen begann er

227 — „Corona," sagte er, „ich liebe Dich." Seine Frau blickte ihn mit sanftem Lächeln an, und über dem festen Entschluß, ihm treu zu sein, vergaß ste beinahe jenen an­ dern Mann, der vor zwei Stunden dieselben Worte in so ganz anderer Weise zu ihr gesprochen hatte. „Ja," sagte er mit einem Seufzer, „Du hast das schon ost gehört, es ist Dir nichts Neues. Ich denke, Du glaubst es. Du bist gut, aber Du liebst mich nicht — nein, meine Liebe, unterbrich mich nicht; ich weiß, was Du sagen willst. Wie solltest Du mich lieben? Ich bin ein alter Mann, — sehr alt, älter als meine Jahre." Wiederum seufzte er, während er gestand, was er noch nie zuvor zugegeben hatte. Die Herzogin war zu erstaunt, um ihm antworten zu können. „Corona," sagte er dann, „ich werde nicht mehr lange leben." „Ach, sprich nicht so," rief ste plötzlich. „Ich hoffe und bete, daß Du noch viele Jahre leben mögest!" Är Mann sah fie scharf an. „Du bist so gut," versetzte er, „daß Du wirklich im Stande wärest, ein solches Gebet auszusprechen, so abge­ schmackt es scheinen möchte." „Weshalb abgeschmackt? Es ist unfreundlich von Dir, das zu sagen." — „Nein, meine Liebe. Ich kenne die Welt sehr genau. Das ist alles. Ich glaube, es ist mir unmöglich, Dir klar zu machen, wie ich Dich liebe; es muß Dir unglaublich erscheinen, in der Fülle deiner Kraft and Juge»dsch-ne, daß ein Mann wie ich — ein gckünstelter Mann" — er lachte spöttisch — „ein geschminktes Geschöpf, laß es mich gerade heraussagen: ein Geschöpf mit einer Perrücke, einer rasenden Leidmschaft fähig sein sollte. Und doch, Corona," setzte er hinzu und seine dünne gebrochene Stimme bebte

228 vor wahrer Empfindung, „und doch liebe ich Dich von ganzem Herzen. Zweierlei verbittert mir das Leben: das Bedauern, daß ich Dich nicht in meiner Jugend gesunden, daß Du »och nicht geboren wärest, als ich jung war, und schlimmer als das, die Gewißheit, daß ich Dich sehr bald verlaffen muß — ich, der hinfällige Stutzer, der Schatten dessen, was ich einst war, der dem Grabe znwankt mit der letzten vergeblichen Anstrengung, um deinetwillen jung zu scheinen, ja um deinetwillen, liebe Corona. Ach, es ist verächtlich!" stöhnte er beinahe. Corona barg ihr Gesicht in den Händen. Seine selt­ samen Reden raubten ihr die Fassung. „£) sprich nicht so, bitte, sprich nicht so!" rief sie. „Du machst mich ganz unglücklich. Habe ich Dir je einen Vor­ wurf gemacht? Habe ich Dich je fühlen lassen, daß Du — älter bist als ich? Ich will ein neues Leben anfangen, Du sollst nicht mehr daran denken. Du bist zu gut — zu gütig gegen mich!" „Es hat noch Niemand gesagt, daß ich zu gut sei," versetzte der alte Mann mit einem Anflug von Traurigkeit. „Ich freue mich, daß das einzige Wesen, welches mich gut findet, eben auch das einzige ist, um deffeniwillen ich mich je bestrebt habe, gut zu sein. Ich wäre ganz anders ge­ worden, Corona, wenn ich Dich dreißig Jahre zur Frau gehabt hätte, anstatt fünf. Doch jetzt ist es zu spät. Bald werde ich todt sein — und Du wirst frei sein." „Wie kommst Du darauf, mir so etwas zu sagen?" fragte Corona. „Kannst Du mich für so niedrig, so un­ dankbar, so lieblos halten, daß ich deinen Tod wünschen sollte?" „Nicht lieblos, nein, mein liebes Kind, aber auch nicht liebevoll. Ich verlange keine Unmöglichkeiten. Du wirst

229 mich eine Weile betrauern, — meine arme Seele wird in Frieden ruhen, wenn Du einen Augenblick wahre Trauer um mich fühlst, um deinen alten Mann, ehe Du einen an­ dern nimmst. Weine nicht, liebste Corona. Das ist der Gang der Welt. Wir vergeuden unsere Jugend, indem wir die Wirklichkeit verhöhnen, und in dem Scheinleben unseres Alters nützt uns die Gegenwart nicht mehr viel. Du kennst mich, vielleicht verachtest Du mich. Als ich jung war, würdest Du mich nicht verachtet haben. O wie jung war ich! Wie stark und wie stolz auf meine Jugend vor dreißig Jahren!" „WiMch, glaube mir, solche Gedanken sind mir nie in den Sinn gekommen. Ich gebe Dir alles, was ich habe," rief Corona, in großer Betrübniß. „Ich will Dir noch mehr geben, ich will Dir mein ganzes Leben wid­ men" — „Das thust Du, meine Liebe. Ich erkenne es an", sagte Astrardente ruhig. „Du kannst nicht mehr thun, auch wenn Du wolltest. Du kannst mich nicht wieder jung machen, noch die Bitterkeit des Todes von mir nehmen, des Todes, der mich von Dir reißt." Corona beugte sich vor und starrte in die hinsterbende Gluth des Feuers, das Kinn auf eine Hand gestützt. Thränen standen in ihren Augen und flossen über ihre Wangen. Der alte Mann in seinem wahren Schmerz hatte ihr Mitleid erregt. „Ich würde lange um Dich trauern", sagte sie. „Du magst Dein Leben vergeudet haben, Du sagst es selbst. Ich würde Dich noch mehr lieben, wenn ich es könnte, Gott weiß es. Du bist gegen mich immer ein rücksichts­ voller Herr und ein treuer Gatte gewesen." Der alte Mann stand mühsam von seinem niedrigen

230 Sessel auf, trat an sie heran und ergriff die Hand, welche auf ihrem Schoße ruhte. Sie sah zu ihm auf. „Wenn ich dächte, daß mein Segen etwas werth wäre, so würde ich Dich segnen für das» was Du zu mir gesagt, hast. Aber ich möchte nicht, daß Du Deine Jugend ver­ lörest.

Ein Mal verlorene Jugmd ist wie auf den Bode»

vergossenes Waffer. Du mußt wieder heirathen und zwar bald. Erschrick nicht! Du wirst mein ganzes Vermögen, meinen Titel erben. gehen.

Der muß auf Deine Kinder über­

In mir nimmt er ein unwürdiges Ende; in Dir

muß er neu erstehen." „Wie kannst Du an so etwas denken?

Bist Du krank?" fragte Corona liebevoll und drückte seine magere Hand sanft in der ihren. „Warum verweilst Du eben heute bei dem Gedanken an den Tod?" „Ja, ich bin krank, unheilbar, meine Liebe," sagte der alte Mann und zog ihre Hand zärtlich an die Lippen, um

sie zu küssen. „Wie meinst Du das?" fragte Corona, indem sie plötzlich aufstand und ihm die Hand liebevoll auf die Schulter legte. „Wamm hast Du mir das niemals gesagt?" „Warum sollte ich es Dir eher sagen, als jetzt da das Ende nahe ist und Du darauf gefaßt sein mußt?

Warum

sollte ich Dich mit Sorge beschweren? Aber Du warst eben heute auf der Treppe so sanft, so gütig," sagte er zö­

gernd, „daß ich dachte, es würde Dir vielleicht eine

Er­

leichterung sein zu wiffen, daß es nicht mehr lange währen

kann." Es war in seinem Tone etwas so Sanftes, etwas so

unendlich Rührendes in seinem Gedanken, daß er vielleicht die Last erleichtern könnte, die seine Fran so standhaft trug, es war etwas so rein Menschliches in der liebevollen Weh-

231 Muth, mit der er sprach, daß Corona all seine Schwächen vergaß, seine Perrücke, seine falschen Zähne und seine klein­ liche Eitelkeit; sie ließ den Kopf auf seine Schultern sinken und brach in heftiges Weinen aus. „Ach nein, nein!" schluchzte sie. „Es muß noch lange dauern, Du mußt noch nicht sterben!" „Es kann «och ein Jahr dauern, länger nicht", sagte

er sanft. „Gott segne Dich für diese Thränen, Corona, diese Thränen, die Du um mich weinst. Gute Nacht, Geliebte." Er ließ sie auf ihren Stuhl zurückfinken, und seine Hand ruhte einen Augenblick auf ihrem Rabenhaar. Mit letzter Aufbietung seiner Kraft verließ er dann rasch das Zimmer.

Vierzehntes Kapitel.

Ein Ereigniß wie das Duell zwischen Giovanni und Del Ferice war in Rom etwas höchst Seltenes. Duelle kamen freilich öfters vor, doch in der Regel waren fie nicht ernstlich, und die erste leichte Verwundung pflegte der Sache zu beiderseitiger Befriedigung ein Ende zu machen. Aber dies war ein Kamps auf Leben und Tod gewesen. Einer der Kombattanten hatte zwei Wunden erhalten, welche ge­ nügt haben würden, einem gewöhnlichen Zweikampfe ein Ende zu machen, und der andere lag mit durchstochenem Halse an der Schwelle des Todes. Die Gesellschaft war in höchster Auftegung. Giovanni wurde von Dutzenden seiner Bekannten besucht; er empfing sie und unterhielt sich heiter mit ihnen, um es bekannt werden zu laffen, daß er nicht schwer verletzt wäre. Del Ferices Wohnung wurde von

231 Muth, mit der er sprach, daß Corona all seine Schwächen vergaß, seine Perrücke, seine falschen Zähne und seine klein­ liche Eitelkeit; sie ließ den Kopf auf seine Schultern sinken und brach in heftiges Weinen aus. „Ach nein, nein!" schluchzte sie. „Es muß noch lange dauern, Du mußt noch nicht sterben!" „Es kann «och ein Jahr dauern, länger nicht", sagte

er sanft. „Gott segne Dich für diese Thränen, Corona, diese Thränen, die Du um mich weinst. Gute Nacht, Geliebte." Er ließ sie auf ihren Stuhl zurückfinken, und seine Hand ruhte einen Augenblick auf ihrem Rabenhaar. Mit letzter Aufbietung seiner Kraft verließ er dann rasch das Zimmer.

Vierzehntes Kapitel.

Ein Ereigniß wie das Duell zwischen Giovanni und Del Ferice war in Rom etwas höchst Seltenes. Duelle kamen freilich öfters vor, doch in der Regel waren fie nicht ernstlich, und die erste leichte Verwundung pflegte der Sache zu beiderseitiger Befriedigung ein Ende zu machen. Aber dies war ein Kamps auf Leben und Tod gewesen. Einer der Kombattanten hatte zwei Wunden erhalten, welche ge­ nügt haben würden, einem gewöhnlichen Zweikampfe ein Ende zu machen, und der andere lag mit durchstochenem Halse an der Schwelle des Todes. Die Gesellschaft war in höchster Auftegung. Giovanni wurde von Dutzenden seiner Bekannten besucht; er empfing sie und unterhielt sich heiter mit ihnen, um es bekannt werden zu laffen, daß er nicht schwer verletzt wäre. Del Ferices Wohnung wurde von

232 denselben müßigen jungen Herren belagert, welche von dem Einen zum Andern gingen, bestrebt so viel als möglich von der Sache zu erfahren. Aber Del Ferices Thür wurde von dem treuen neapolitanischen Diener sorgsam gegen alle Eindringlinge gehütet; der Bursche wußte von seinem Herrn mehr als das ganze übrige Rom zusammen genommen, aber er hatte ein so glänzendes Talent zu lügen, daß er dadurch zu einem sichern Gewahrsam für jedes ihm anver­ traute Geheimniß wurde. Im gegenwärtigen Falle hatte er indesien wenig Veranlaffung zu lügen. Er saß den ganzen Tag an der offnen Thür, denn er hatte den Klin­ gelgriff abgenommen, damit das Schellen seinen Herrn nicht störte. Er hatte einen Korb, in welchen er alle Karten der Besucher legte, und auf alle Anfragen gab er unver­ änderlich dieselben Antworten: „Der junge Herr ist sehr krank. Machen Sie kein Geräusch." „Wo ist er verwundet?" pflegten die Besucher zu fra­ gen." Dann zeigte Themistokles aus seine Gurgel. „Wird er durchkommen?" war die nächste Frage, worauf der Diener die Schultern bis an seine Ohren her­ aufzog, die Augen schloß, während er die Augenbrauen emporzog und die Handflächen über den Kartenkorb aus­ breitete; das sollte heißen, er wiffe es nicht, zweifle aber sehr daran. Da es unmöglich war, mehr aus ihm her­ auszubringen, blieb dem Besucher nichts andres übrig, als seine Karte abzugeben und sortzugehen. Der Verwundete wurde von einer barmherzigen Schwester gepflegt. Der Wundarzt hatte seine Genesung für wahrscheinlich erfuhrt, wenn er geeignete Pflege hätte; die Wunde war gefährlich, aber nicht nothwendigerweise tödtlich, wenn der Kranke nicht am Wundfiebcr oder an Entkräftung stürbe. Die unbeschäftigt«« jungen Herren, welche aus diese

233 Weise Nachricht von den beiden Duellanten erhielten, säum­ ten nicht, dieselbe von Haus zu Haus zu tragen. Giovanni selbst ließ sich zwei Mal des Tages nach seinem Gegner erkundigen und empfing durch seinen Diener dieselbe Ant­ wort wie alle andern. Ehe der frühe Winterabend auf Rom herabsank, waren zwei vollkommen wohl verbürgte Geschichten über die Ursache zu dem Streite in Umlauf, von denen natürlich keine ein Körnchen Wahrheit enthielt. Erstens wurde von der einen Partei, zu der Valdarno und Genossen gehörte, versichert, Giovanni hätte es Del Ferice übel genommen, daß er vorgeschlagen hätte, ihn herbeizu­ rufen, damit er von der Herzogin über seine Abwesenheit aus der Stadt ausgefragt werde; dieses hatte einen greif­ baren Vorwand gegeben, Händel anzufangen, denn es war ja allbekannt, daß Saracinesca die Astrardente liebte, und daß Del Ferice ihm immer in den Weg käme. „Giovanni ist ein heftiger Mensch", bemerkte Valdarno, „und kann keinen Widerstand vertragen, so nahm er die erste beste Gelegenheit wahr, um den Kerl aus dem Wege zu räumen. Seht ihrs denn nicht? Die alte Geschichte! — eifersüchtig auf den Falschen. Kann man auf Del Ferice eifersüchtig sein? Bah!" „Und wer wäre denn der rechte Mann zum Angreifen gewesen?" fragte man. „Natürlich ihr Gemahl", versetzte Valdarno spöttisch. „Dieser Engel von Schönheit hat die unaussprechlich lächer­ liche Idee, daß sie das alte Transparent, dieses Scheinbild eines Mannes aus einer Laterna magica liebt!" Andrerseits gab es eine Partei, welche behauptete, das Duell wäre ohne Zweifel eine Folge davon, daß Giovanni vergessen hatte, mit Donna Tullia zu tanzen. Del Ferice habe natürlich für sie Partei ergriffen, wohl wissend, daß

234 er dadurch in ihrer Gunst steigen würde. Er hatte sich scharf darüber gegen Giovanni ausgesprochen und ihm ge­ sagt, daß er sich nicht wie ein Gentleman benommen, wor­ auf Giovanni geantwortet habe, das ginge ihn nichts an. Daraus wäre in einem entlegenen Zimmer im Palast Frangipani ein Streit entstanden; Giovanni wäre außer sich gerathen, hätte Del Ferice bei der Gurgel gepackt und sonst noch schwer beleidigt. Die Folge davon war der Zwei­ kampf, in welchem Del Ferice beinahe aus dem Platze ge­ blieben wäre. Die Geschichte klang wahrscheinlich und wurde so erzählt, daß Del Ferice dabei als der Beleidigte erschien. Welche der beiden Geschichten aber auch wahr sein mochte, so viel stand fest, daß die beiden Männer sich schon seit lange nicht leiden konnten, und daß fie beide nur aus eine Gelegenheit zu offenkundigem Streit gewar­ tet hatten. Der alte Saracinesca zeigte sich am Nachmittag und wurde von allen Seiten mit Fragen bestürmt. Daß er seinem eignen Sohn sekundirt hatte, erregte allgemeines Staunen. So etwas war in den Annalen der römischen Gesellschaft noch nicht vorgekommen und wurde von manchem hochweisen alten Herrn streng getadelt. Was konnte wohl unnatürlicher und empörender sein? Was sollte man zu der Hartherzigkeit eines Vaters sagen, der ruhig dabei steht, während sein Sohn das Leben aufs Spiel seht? Ab­ scheulich! Der alte Fürst wollte entweder nicht sagen, was er wußte oder wußte wirkich nichts Bestimmtes. Dieses Letztere war unwahrscheinlich. Jemand machte eine darauf bezügliche Bemerkung. „Aber, Fürst," fragte er, „würden Sie Ihrem Sohn sekundirt haben, ohne die Ursache des Streites zu wissen?"

235 „Mein Herr,"

erwiderte der alte Fürst stolz,

„mein

Sohn bat mich um seinen Beistand; ich verlangte dafür

nicht sei« Vertrauen als Kaufpreis." Man kannte den Eigenfinn des alten Herrn und mußte sich mit seinen kurzen Antworten begnügen, denn er war

selbst kampflustig wie ein Berserker oder wie seine eignen streitsüchtigen Vorfahren.

Auf der Straße begegnete ihm Donna Tullia. Sie ließ den Wagen halten und winkte ihn heran. Sie sah bleicher aus, als Saracinesca sie je gesehen hatte, und war sehr aufgeregt. „Wie konnten Sie ihn sich schlagen lassen!" war ihr

erstes Wort. „Es ging nicht anders. Der Streit war zu ernst. Niemand hätte es lieber verhindert als ich; aber da mein Sohn den Del Ferice so schwer beleidigt hatte, mußte er ihm Genugthuung geben." „Genugthuung!"

rief Donna Tuüia.

„Rennen Sie

das Genugthuung, einem den Hals abzuschneiden?

Was

war denn die eigentliche Ursache zu dem Streit?" „Ich weiß es nicht."

„Sagen Sie mir das nicht — ich glaube es Ihnen nicht," versetzte Donna Tullia ärgerlich.

„Ich gebe Ihnen mein Ehrenwort,

daß ich es nicht

weiß," entgegnete der Fürst.

„Das ist etwas andres.

Wollen Sie einsteigen und

ein Stückchen mitfahren?"

„Wie Sie befehlen." und stieg ein.

Saracinesca öffnete den Schlag

„Die Welt wird uns anstaunen, aber ich mache mir „Sagen Sie mir,

«Ws daraus," sagte Donna Tullia. ist Don Giovanni schwer verwundet?"

236 „Nein, ein paar Schrammen, die binnen acht Tagen heilen werden. Del Ferice ist sehr schwer verwundet." „Das weiß ich", versetzte Donna Tullia traurig. „Es ist gräßlich! Ich fürchte, ich bin daran schuld." „Wie das?" fragte Saracinesca schnell. Er hatte die Geschichte von dem vergessenen Walzer nicht gehört und wußte wirklich nichts von der ursprünglichen Ursache des Streites. Jndeffen vermuthete er, daß Donna Tullia da­ ran minder betheiligt wäre als die Herzogin von Astrardente. „Ihr Sohn war sehr unhöflich gegen mich", sagte Madame Mayer. „Vielleicht sollte ich es Ihnen nicht erzählen, es ist aber doch am besten, daß Sie es wiffen. Er hatte mich zum vorletzten Walzer vor dem Cotillon engagirt, vergaß das aber, und ich fand ihn mit der — mit einer Dame in tiefem Gespräch." „Mit wem sagten Sie?" fragte Saracinesca sehr ernst. „Mit der Astrardente, — wenn Sie es durchaus wiffen wollen", erwiderte Donna Tullia; bei dem Gedanken an die Beleidigung stieg ihr vor Aerger plötzlich das Blut ins Gesicht. „Verehrte Frau," sagte der alte Fürst, „im Namen meines Sohnes spreche ich Ihnen die demüthigen Entschul­ digungen aus, welche er Ihnen in Person ausdrücken wird, sobald er wohl genug ist, um Ihre Verzeihung zu erbitten." „Ich brauche keine Entschuldigungen", sagte Madame Mayer und wandte sich ab. „Dennoch sollen sie Ihnen werden. Aber, verzeihen Sie meine Neugierde, was hatte Del Ferice damit zu thun?"

237 „Er war bei mir, als ich Don Giovanni mit der Herzogin fand. Es ist ganz einfach. Ich war sehr böse — und bin noch immer sehr böse; aber ich hätte doch nie gewünscht, daß Don Giovanni um meinetwillen sein Leben aufs Spiel setzte, ebenso wenig wie der arme Del Ferice. Die ganze Sache hat mich sehr erschüttert." Der alte Saracinesca fragte sich, ob Donna Tullias Eitelkeit gekränkt werden würde, wenn er ihr sagte, daß das Duell durchaus nicht ihretwegen stattgefunden hätte. Allein er überlegte, daß ihre Annahme sehr plausibel wäre, und daß ihm alle Gegenbeweise fehlten. Ueberdies war er, trotz seiner Güte gegen Giovanni, entrüstet bei dem Gedanken, daß sein Sohn sich wegen der Herzogin geschlagen hätte. Sobald Giovanni von seinen Wunden hergestellt sein würde, wollte er ihm gründlich seine Meinung sagen. Donna Tullia aber that ihm leid, denn trotz ihrer Ver­ schrobenheiten gefiel fie ihm und er hätte fie gern zur Schwiegertochter gehabt. Er war ein praktischer Mann und faßte die Welt von der prosaischen Seite auf. Donna Tullia war reich und hübsch genug, um schön genannt zu werden. Sie hatte die Gabe fich zu einer Art von Mittel­ punkt in der Gesellschaft zu machen. Sie war etwas laut, aber das war Mode, und es war nichts Schlimmes an ihr — Niemand hatte ihr je etwas nachgesagt. Ueberdies war fie eine der wenigen überlebenden Verwandten der Saracinesca, die Tochter von einem Vetter des Fürsten; fie würde für Giovanni eine gute Frau abgeben und Sonnenschein ins Haus bringen. Es war ein vulgärer Anflug in ihren Manieren, aber, wie so manche ältere Herren, verzieh ihr Saracinesca diesen Fehler, in Rückficht auf ihre muntere Laune und ihre Gutmüthigkeit. Er war sehr ärgerlich darüber, daß sein Sohn sie durch seine Ver-

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geßlichkeit so beleidigt hatte; besonders unangenehm war eS ihm, daß sie, weil sie sich für die Veranlaffung zu dem Duell hielt, glauben sollte, Del Ferice habe Giovanni ge­ fordert, um für die ihr angethane Beleidigung Genug­ thuung zn erhalten. Nach solch einem Vorfall war wenig Aussicht dazu, die beabsichtigte Partie zu Stande zn bringen. „Es thut mir aufrichtig leid", sagte der Fürst, indem er sich den weißen Bart streichelte und feiner Begleiterin ins Gesicht zv sehen versuchte, das sie hartnäckig von ihm abwavdte. „Vielleicht ist es am besten, nicht zu viel an die Sache zu denken, bis wir die Gnzelheiten genau kennen. Irgend Jemand wird doch dieser Tage sicherlich die ganze Geschichte erzählen." „Wie kaltblütig Sie darüber sprechen! Man sollte denken, es hätte sich in Peru zugetragen und nicht hier, heute früh!" Saracinesca war mit seiner Weisheit zu Ende. Er wollte die Sache ausgleichen, oder wenigstens die ungün­ stige Stimmung gegen Giovanni mildern, hatte aber nicht die entfernteste Idee wie er das anfangen sollte. Er war kein Diplomat. „Nein, nein, Sie mißverstehen mich. Ich bin nicht kalt. Ich begreife Ihre Stimmung vollkommm. Sie sind mit vollem Recht böse." „Natürlich bin ichs!" sagte Donna Tullia ungeduldig. Es that ihr schon leid, daß sie ihn gebeten hatte, in ihren Wagen zu steigen. „Jawohl, natürlich find Sie böse! Nnn, sobald Gio­ vanni wieder ganz gesund ist, werde ich ihn zu Ihnen schicken, damit er sein Benehmen erkläre oder" — „Erklären? Wie kann er es erKären? Ich will gar



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«icht, daß Sie ihn schicken, wenn er nicht von selbst kommt. Wozu?" „Nun gut, ganz wie Sie wollen, meine liebe Cousine," sagte der alte Saracinesca und lächelte, um seine Verlegen­ heit zu verbergen. „Ich bin kein gutex Gesandter; aber Sie wissen, ich bin ein guter Freund, und möchte wirklich Hern Giovanni wieder bei Ihnen in Gnade bringen!" „Das wird schwer halten!" versetzte Donna Tullia, obschon sie recht gut wußte, daß sie Giovanni fteundlich empfangen würde, wenn sie nur erst ein Mal Gelegenheit gchabt hätte, sich gegen ihn auszusprechen. „Seien Sie nicht hartherzig!" bat der Fürst. „Ach bin überzeugt, er ist sehr reumüthig." „Dann soll er das sagen." „Das verlange ich sn eben." „So? Nun meinetwegen. Wenn er kommen will, werde ich ihn annehmen, weil Sie es wünschen. Wo soll ich Sie ubsetzm?" „Irgendwo. Hier an der Ecke, wenn es Ihnen paßt. Leben Sie wohl. Seien Sie nicht zu strenge gegen den Jungen." „Das wird sich finden," antwortete Donna Tullia; sie wollte nicht zu nachsichtig scheinen. Der alte Fürst ver­ beugte sich und ging fort durch die dunkeln Straßen. „Das ist vorüber," murmelte er. „Ich möchte wissen, wie die Astrardente darüber denkt." Er hätte sie gern be­ sucht; aber da er nicht oft zu ihr ging, sah er ein, daß es auffallend wäre, gerade diesen Augenblick zu einem Besuche zu wählen. Es ging nicht an, es würde sich kaum schicken, da er sie ja für die Veranlassung zum Zweikampfe hielt. Dennoch trugen ihn seine Schritte unwillkürlich in der Richtung nach dem Palaste Astrardente fort, und ehe er «S selbst recht wußte, stand er vor dem Portal. Er konnte

240 der Versuchung, Corona zu sprechen, nicht widerstehen und fragte den Pförtner, ob die Herzogin zu Hause wäre. Auf dessen bejahende Antwort trat er entschlossen ein und ging die Marmortreppe empor, — entschloffen, aber doch mit einem sonderbaren Gefühl, wie ein Schuljunge, der im Be­ griff ist einen Streich zu machen. Corona war eben nach Hause gekommen und saß in ihrem großen Salon am Feuer, in der Hand ein Buch, in welchem sie nicht las. Eigentlich verweilte sie selten in den großen Gesellschaftszimmern; heute aber gefiel fie sich in ihrer einsamen Größe und so hatte sie sich dort nicdergelaffen. Sie war sehr überrascht, als die Thüren plötzlich weit geöffnet wurden und der Diener den Fürsten Saracinesca meldete. Einen Augenblick dachte fie, es müsse Giovanni sein, denn sein Vater "betrat nur selten ihr Haus, und als die mächtige Gestalt des Alten sich ihr näherte, ließ sie vor Erstaunen das Buch fallen und erhob sich von ihrem niedrigen Seffel, um ihm entgegen zu gehen. Sie war sehr blaß, und die dunkeln Ringe um ihre Augm zeugten von Kummer und Mangel an Schlaf. Sie war ein so vollkommener Gegensatz zu Donna Tullia, welche er soeben verlaffen hatte, daß der Fürst durch ihre statt­ liche Erscheinung fast eingeschüchtert wurde; mehr wie je war ihm zu Muthe wie einem Schulbuben in der Klemme. „Zch hoffe, Sie fühlen sich nach dem Ball nicht über­ müdet?" fing er an, da er nicht recht wußte, was er sagen sollte. „Nicht im geringsten, wir blieben nicht lange," ver­ setzte Corona und wunderte sich im Stillen, weshalb er gekommen wäre. „Es war wirklich prachtvoll", erwiderte er. „Seit Jah­ ren hat kein solcher Ball stattgefunden. Schade, daß er

241 ein so unangenehmes Ende nehmen mußte" setzte er hinzu, indem er kühn auf den Gegenstand überging, von dem er zu sprechen wünschte. „Sehr schade. Sie haben heute Morgen nichts Gutes gethan," sagte die Herzogin streng. „Es wundert mich, daß Sie darüber sprechen." „Es wird von nichts Anderem gesprochen," entgegnete der Fürst zu seiner Entschuldigung. „Ueberdies sehe ich nicht ein, was dabei zu machen war." „Sie hätten es verhindern sollen," antwortete Corona, und ihre dunkeln Augen funkelten in gerechtem Unwillen. „Sie hätten es um jeden Preis verhüten sollen, wenn nicht im Namen der Religion, welche es als ein Verbrechen ver­ bietet, fo wenigstens aus Rücksicht auf den Anstand, als Don Giovannis Vater." „Sie reden in starken Ausdrücken, Herzogin," sagte der Fürst, durch ihren Ton sichtlich gereizt. „Wenn ich mich stark ausdrücke, so geschieht es, weil ich der Ansicht bin, daß Sie sich schmählich benommen haben, indem Sie dieses empörende Blutvergießen zuließen." Saracinesca wurde plötzlich heftig, was bei ihm oft vorkam. „Gnädige Frau," sagte er, „es steht Ihnen sicherlich nicht zu, mich eines Verbrechens, Mangels an Anstand, und empörenden Blutvergießens anzuklagen, wie Sie sich auszudrücken belieben, in Rücksicht darauf, wer die muthmaßliche Veranlassung zu dem ehrenvollen Zweikampf ge­ wesen ist, den Sie mit so gewählten Ausdrücken bezeichnen." „Ehrenvoll in der That!" sagte Corona verächtlich. „Lassen wir das! Bitte, sagen Sie doch, wer hat mehr Schuld als Sie? Wer ist die muthmaßliche Veranlassung gewesen?" Crawford, SaracmeSca.

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242 „Muß ich Ihnen das erst sagen?" fragte der alte Fürst und heftete seine blitzenden Augen auf fie. „Was meinen Sie?" stagte Corona erbleichend, und ihre Stimme bebte vor Zorn und Aufregung. „Ich kann mich irren," sagte der Fürst, „allein ich glaube, ich habe recht. Ich glaube, das Duell hat Ihret­

wegen stattgefundeu." „Meinetwegen!" wiederholte Corona, indem sie sich in ihrer Entrüstung halb vom Stuhle erhob. Dann sank fie wieder zurück und setzte eiskalt hinzu: „Wenn Sie hierher gekommen find, um mich zu beleidigen, Fürst, werde ich meinen Mann rufen lassen." „Ich bitte Sie um Verzeihung, Herzogin," sagte der alte Saracinesca, „nichts liegt mir ferner als die Abficht, Sie zu beleidigen." „Und wer hat Ihnen diese abscheuliche Unwahrheit ge­ sagt?" fragte Corona noch immer sehr empört. „Niemand, auf Ehrenwort." „Wie wagen Sie es also —" „Weil ich Grund habe anzunehmen, daß Sie die ein­ zige Frau auf der Welt find, um deretwillen mein Sohn sich schlagen würde." „Es ist unmöglich!" rief Corona. „Ich will es nimmer glauben, daß Don Giovanni —“ Sie hielt inne. „Don Giovanni Saracinesca ist ein Ehrenmann, gnä­ dige Frau," sagte der alte Fürst stolz. „Er kann schweigen. Ich bin ohne ein Wort von seinen Lippen zu dieser Ueber­ zeugung gekommen." „Dann verstehe ich Sie nicht," versetzte die Herzogin. „Ich muß Sie bitten, Ihre seltsame Sprache entweder zu erklären oder mich zu verlaffen." In ihrem Zorn war Corona d'Astrardente jedem Manne

243 gewachsen. Allein der alte Saracinesca war zwar kein Di­ plomat, doch ein furchtbarer Gegner, wegen seiner Uner­ schrockenheit und Entschloffenheit, der Wahrheit um jeden Preis aus den Grund zu kommen. „Gerade weil ich, selbst aus die Gefahr hin Sie zu beleidigen, eine Erklärung wünschte, bin ich heute zu Ihnen gekommen," versetzte er. „Wollen Sie mir noch eine Frage gestatten, ehe ich gehe?" „Falls es keine beleidigende ist, werde ich sie beant­ worten," erwiderte Corona. „Wiffen Sie etwas über die Umstände, welche zu dem heutigen Zweikampfe geführt haben?" „Durchaus nichts," antwortete Corona erregt. „Ich versichere Ihnen feierlich," fuhr sie dann ruhiger fort, „daß ich nichts davon weiß. Ich nehme an, Sie haben ein Recht dies zu erfahren." „Ich versichere Ihnen meinerseits aus mein Wort, daß ich nicht mehr weiß als Sie, sondern nur so viel: in Folge einer Provokation, über welche er nicht sprechen will, ergriff mein Sohn den Herrn Del Ferice am Kragen und sprach sehr deutlich mit ihm. Es war kein Zeuge dabei. Del Ferice ließ ihn fordern. Mein Sohn konnte keinen Sekun­ danten finden und wandte sich an mich, wie es nur richtig war. Eine Entschuldigung war unmöglich. Giovanni mußte dem Menschen Genugthuung geben. Nun wiffen Sie eben so viel wie ich." „Darum kann ich aber doch noch nicht verstehen, wes­ halb Sie mich anklagen, den Streit veranlaßt zu haben," sagte Corona. „Was habe ich mit dem armen Menschen, dem Del Ferice, zu thun?" „Nur dies: Jeder kann sehen, daß Ihnen mein Sohn so gleichgültig ist wie jeder Andre. Jeder weiß, 16*

244 daß die Herzogin von Astrardente über allen Argwohn erhaben ist." Corona erhob stolz ihr Haupt und starrte den Für­ sten an. „Allein andrerseits weiß auch Jedermann, daß mein Sohn Sie wahnfinnig liebt — können Sie selbst es leugnen?" „Wer wagt so etwas zu sagen?" fragte Corona, in der von neuem der Zorn emporstieg. „Wer es fleht, der wagt es. Können Sie es leugnen?" „Sie haben kein Recht, mir solch Geschwätz wiederzu­ erzählen," antwortete Corona. Aber die Röthe stieg in ihre bleichen Wangen und fie schlug plötzlich die Augen nieder. „Können Sie es leugnen, Herzogin?" fragte der Fürst zum dritten Male mit rücksichtsloser Beharrlichkeit. „Wenn Sie Ihrer Sache so gewiß find, was kann es Ihnen dann auf mein Verneinen ankommen?" fragte Corona. „Herzogin, Sie müssen mir vergeben," antwortete Saracinesca plötzlich in sanfterm Ton. „Ich bin rauh, viel­ leicht unhöflich, aber ich liebe meinen Sohn von ganzem Herzen. Ich kann es nicht mit ansehen, daß er fich in eine gefährliche und hoffnungslose Leidenschaft stürzt, aus der er vielleicht plötzlich alt geworden und verbittert, ent­ täuscht und elend für sein ganzes übriges Leben hervor­ gehen könnte. Ich halte Sie für eine edle Frau. Ich kann Sie nicht ansehen und an der Wahrheit Ihrer Worte zweifeln. Wenn er Sie liebt, so haben Sie Einfluß auf ihn. Wenn Sie Einfluß haben, gebrauchen Sie ihn zu seinem Bestm; gebrauchen Sie ihn, um diese wahnsinnige Leidenschaft zu zerstören, um ihm seine Thorheit zu zeigen

245 — kurz, um ihn von seinem Verhängniß zu retten. Ver­ stehen Sie mich? Verlange ich zu viel?" Corona verstand nur zu gut — viel zu gut. Sie kannte die ganze Größe von Giovannis Liebe zu ihr, und was der alte Saracinesca nicht ahnte, auch die ganze Stärke ihrer eignen Liebe zu ihm, um deretwillen sie alles thun wollte, was eine Frau thun kann. Es entstand eine lange Pause nach den Worten des alten Fürsten. Er war­ tete geduldig auf Antwort. „Ja, ich verstehe Sie," sagte sie endlich. „Wenn Ihre Vermuthung richtig ist, so muß ich einen gewissen Einfluß auf Ihren Sohn haben. Wenn ich ihm rathen kann, und er meinen Rath annehmen will, so will ich ihn nach bestem Wissen berathen. Sie haben mich in eine sehr peinliche Lage gebracht und haben in Ihrer Art und Weise mit mir zu sprechen mir wenig Rücksicht erwiesen. Indessen will ich versuchen, Ihre Bitte zu erfüllen, falls sich dazu Gele­ genheit bietet, um — um das, was schlecht ist, in etwas umzuwandeln, was schließlich zum Guten führen kann." „Ich danke Ihnen, ich danke Ihnen, Herzogin!" ries der Fürst. „Niemals werde ich vergessen —" „Danken Sie mir nicht," sagte Corona kalt. „Ich bin nicht in der Stimmung, Ihre Dapkbarkeit zu schätzen. ES klebt zu viel von dem Blut jener braven Männer an Ihren Händen." „Verzeihen Sie, Herzogin, ich wünsche, auf meine Hände und mein Haupt käme das Blut jenes Mannes, den Sie brav nennen — des Mannes, der es heute Morgen zwei Mal versuchte, meinen Sohn hinterrücks zu tödten, und dem es beinahe gelungen wäre!" „Was?" rief Corona plötzlich voll Entsetzen. „Jener Kerl stieß ein Mal nach Giovanni, um ihn

246 umzubringen, als Halt geboten worden und er den Degen gesenkt hielt; und das andere Mal kniete er nieder und versuchte, ihn zu erstechen — ein seiger hinterlistiger Kniff, der in keinem Lande gestattet ist. Selbst beim Zweikampf nennt man das Mord, das ist der rechte Name dafür." Corona war sehr blaß. Giovannis Gefahr war ihr plötzlich in grellem Lichte vor die Seele getreten, und sie entsetzte sich darüber. »Ist Don Giovanni schwer verwundet?" fragte fie. „Nein, Gott sei Dank. Er wird in acht Tagen wie­ der hergestrllt sein. Aber diese beiden Angriffe Hütten ihm den Tod bringen können, und — verzeihen Sie mir, cs ist dies Mal keine Beleidigung, — ich glaube, er würde um Ihretwillen gestorben sein. Sehen Sie jetzt, weshalb ich diese Neigung für Sie fürchte, welche ihn dazu treibt, sein Leben in jedem Augenblicke wegen eines Wortes über Sie aufs Spiel zu setzen? Sehen Sie jetzt ein, weshalb ich Sie bitte, über die Sache ernstlich nachzudenken und all Ihren Einfluß aufzubieten, um ihn zur Vernunft zu brin­ gen?" „Ich sehe es ein; aber in Bezug auf dieses Duell haben Sie doch keinen Beweis dafür, daß ich daran betheiligt war." „Nein, — vielleicht keinen Beweis. Ich will Sie nicht mit Vermuthungen belästigen; doch selbst wenn es dieses Mal nicht um Ihretwillen gewesen sein sollte, so sehen Sie doch, daß es so hätte sein können." „Vielleicht," sagte Corona sehr traurig. „Ich muß Ihnen danken, selbst wenn Sie mich nicht anhören wollen," sagte der Fürst und stand auf. „Sie haben mich verstanden. Mehr verlange ich nicht. Guten Abend."

247 „Guten Abend," sagte Corona, ohne sich von ihrem Sitze zu rühren, noch ihm die Hand zu reichen. Sie war viel zu aufgeregt, um an Förmlichkeiten zu denken. Saracinesca verbeugte sich tief und verließ das Zimmer. Es war bezeichnend für ihn, daß er zur Herzogin ge­ kommen war, ohne zu wissen, was er sagen sollte, daß er dann mit der ganzen Wahrheit herausgeplatzt und bei Be­ hauptung derselben heftig geworden war. Er war ein hef­ tiger Mann, von edler Empfindung, aber immer eher ge­ neigt, einen Knoten zu zerhauen, als ihn zn lösen, — mit Gewalt zu thun, was ein Anderer durch Geschick erreicht hätte, — durch Widerspruch gereizt, und ihn doch durch seine streitsüchtige Natur herausfordernd. Als er Corona verlassen hatte, war sein erster Impuls zu Giovanni zu gehen und ihm zu erzählen, was er gethan hatte. Auf dem Heimwege indessen überlegte er, daß sein Sohn noch an seinen Wunden litte, und daß es ihm scha­ den könnte, wenn er fich ärgerte, was er natürlich thun würde, wenn er erfuhr, was sein Vater gethan. Ueberdies, als der alte Saracinesca ernstlicher über die Sache nach­ dachte, kam er zu dem weisen Schluffe, daß es beffer wäre, über den Besuch zu schweigen, und als er in das Zimmer trat, wo Giovanni mit einem Romane und einer Cigarette aus dem Sopha lag, hatte er beschloffen, ihm die ganze Sache zu verheimlichen. „Nun, Giovanni," sagte er, „natürlich find wir das Stadtgespräch." „Das ließ fich erwarten. Wen hast Du gespro­ chen?" „Erstens habe ich Madame Mayer gesehen. Sie ist in einem Zustande von Wuth gegen Dich, der an Wahnfinn grenzt, — nicht weil Du Del Ferice verwundet, son-

248 dern weil Du vergeffen hast, mit ihr zu tanzen. Ich be­ greife nicht, wie Du so dumm sein konntest." „Ich auch nicht. Es war blödsinnig im höchsten Grade," versetzte Giovanni, ärgerlich darüber, daß sein Vater die Geschichte erfahren hatte. „Du mußt sie sofort besuchen, — sobald Du ausgehen kannst. Es ist eine unangenehme Geschichte." „Allerdings. Was hat sie sonst noch gesagt?" „Sie denkt, Del Ferice habe Dich ihretwegen gefordert, weil Du nicht mit ihr getanzt hattest." „-Wie albern! Als ob ich mich ihretwegen schlagen würde!" „Da doch vermuthlich eine Dame im Spiel war, hätte sie es ja sein können", meinte sein Vater. „Es war im Grunde genommen keine Dame im Spiel", sagte Giovanni kurz. „So? Nun, ich dachte, es wäre eine betheiligt. Indessen riech ich Donna Tullia nicht mehr an die Sache zu denken, bis die ganze Geschichte herausgekommen wäre." „Und wann sollte das wohl geschehen?" fragte Gio­ vanni lachend. „Kein Mensch kennt die Ursache des Strei­ tes außer Del Ferice und mir. Er wird sie sicherlich nicht weiter erzählen, da sie ihm noch mehr Schande macht, als sein Benehmen heute Morgen, und auch ich habe keine Veranlaffung darüber zu sprechen." „Wie verschlossen Du bist, Giovanni!" rief der alte Herr. „Glaube mir, wenn ich Dir die ganze Geschichte er­ zählen könnte, ohne einem Andern als Del Ferice zu nahe zu treten, so thäte ichs. „Also war wirklich eine Dame im Spiel?"

249 „Es war eine Dame außerhalb des Spieles, welche tut§ hineinbrachte," versetzte Giovanni. „Immer Deine abscheulichen Räthsel!" rief der alte Herr ärgerlich, und als er sah, daß sein Sohn hartnäckig schwieg, ging er aus dem Zimmer, um sich zu Tische an­ zukleiden.

Fünfzehntes Kapitel.

Als Astrardente nach dem Ball bei Frangipanis so zärtlich mit seiner Frau sprach, hatte er vielleicht ein Vor­ gefühl von dem Schwinden seiner Kräfte. Sein Herz war in einem gefährlichen Zustande, und der Hausarzt hatte ihm gesagt, daß er sich in Acht nehmen müsse. Er war nach dem langen Abend sehr müde gewesen, und eine plötz­ liche Anwandlung von Schwäche hatte ihn wahrscheinlich tief erschüttert. Nach ungewöhnlich tiefem Schlaf erwachte er mit einem seltsamen Gefühl des Erstaunens, als ob er nicht mehr erwartet hätte, noch ein Mal in diesem Leben anfzuwachen. Er fühlte sich schwächer als seit langer Zeit, und selbst sein gewohntes Getränk, Chokolade mit Kaffee gemischt, gab ihm nicht die nöthige Stärkung, deren er am Morgen bedurfte. Er stand sehr spät auf, und sein Diener sand ihn reizbarer als gewöhnlich; die Nachricht über Giovannis Befinden schien auch nicht gerade seine Laune zu verbeffern. Mit seiner Frau kam er erst auf Mittag beim Frühstück zusammen und war merkwürdig schweigsam, Nachmittags schloß er sich in seine Gemächer ein und wollte Niemanden vorlaffen; aber am Abend er­ schien er wieder bei Tische, scheinbar neu belebt und gab die Abficht kund, seine Frau in eine Gesellschaft auf der

249 „Es war eine Dame außerhalb des Spieles, welche tut§ hineinbrachte," versetzte Giovanni. „Immer Deine abscheulichen Räthsel!" rief der alte Herr ärgerlich, und als er sah, daß sein Sohn hartnäckig schwieg, ging er aus dem Zimmer, um sich zu Tische an­ zukleiden.

Fünfzehntes Kapitel.

Als Astrardente nach dem Ball bei Frangipanis so zärtlich mit seiner Frau sprach, hatte er vielleicht ein Vor­ gefühl von dem Schwinden seiner Kräfte. Sein Herz war in einem gefährlichen Zustande, und der Hausarzt hatte ihm gesagt, daß er sich in Acht nehmen müsse. Er war nach dem langen Abend sehr müde gewesen, und eine plötz­ liche Anwandlung von Schwäche hatte ihn wahrscheinlich tief erschüttert. Nach ungewöhnlich tiefem Schlaf erwachte er mit einem seltsamen Gefühl des Erstaunens, als ob er nicht mehr erwartet hätte, noch ein Mal in diesem Leben anfzuwachen. Er fühlte sich schwächer als seit langer Zeit, und selbst sein gewohntes Getränk, Chokolade mit Kaffee gemischt, gab ihm nicht die nöthige Stärkung, deren er am Morgen bedurfte. Er stand sehr spät auf, und sein Diener sand ihn reizbarer als gewöhnlich; die Nachricht über Giovannis Befinden schien auch nicht gerade seine Laune zu verbeffern. Mit seiner Frau kam er erst auf Mittag beim Frühstück zusammen und war merkwürdig schweigsam, Nachmittags schloß er sich in seine Gemächer ein und wollte Niemanden vorlaffen; aber am Abend er­ schien er wieder bei Tische, scheinbar neu belebt und gab die Abficht kund, seine Frau in eine Gesellschaft auf der

250 österreichischen Gesandtschaft zu begleiten. Er war so an­ ders wie sonst, daß Corona nicht wagte von dem Duell zu sprechen, welches am Morgen stattgefunden hatte, denn sie fürchtete ihn ausznregen und wußte wohl, daß jede Auf­ regung für ihn verhängnißvoll werden könnte. Sie that, was sie konnte, um ihm vom Ausgehen abzureden; allein er wurde gereizt, und so fügte sie sich gegen ihren Willen. Auf der Gesandtschaft erfuhr er bald alle Einzelheiten, denn es wurde von nichts anderm gesprochen; allein Astrardente schämte sich, daß er nicht schon alles wußte, und nahm die Geschichte, welche ein Militärattachv der Bot­ schaft zu seinem Besten noch ein Mal erzählte, mit cynischer Gleichgültigkeit aus. Er geruhte zu bemerken, Duel­ liren wäre der natürliche Zeitvertreib für junge Herren, und wenn einer den andern umbrächte, so wäre mindestens ein Narr weniger in der Gesellschaft, daraus sah er sich nach einer jungen Schönheit um, sür die er ein Dutzend Complimente abhaspeln könnte. Er war sich dabei voll­ kommen bewußt, daß er sich sehr anstrengte, daß ihm un­ erklärlicherweise sehr unwohl sei, und daß er wünschte, er hätte den Rath seiner Frau, ruhig zu Hause zu bleiben, befolgt. Aber gegen das Ende des Abends hörte er zu­ fällig eine Bemerkung, die Valdamo zu Casalverde machte, der äußerst blaß und beklommen aussah. „Du solltest lieber Dein Testament machen, mein lie­ ber Freund," sagte Valdarno; „Spicca ist ein furchtbarer Gegner mit dem Stoßdegen." Astrardente wandte sich rasch um und sah den Sprecher au. Aber beide verstummten plötzlich und schienen in den Anblick der Menge vertieft. Indessen das genügte. Astrar­ dente hatte daraus entnommen, daß Casalverde sich am nächsten Tage mit Spicca schlagen würde, und daß die am

251 heutigen Morgen angefangene Geschichte noch nicht zu Ende sei. Er beschloß, daß er es sich nicht wieder wolle zu Schulden kommen lassen, nicht zu wissen, was in der Ge­ sellschaft vorginge, und in der Absicht, am nächsten Tage früh aufzustehen, suchte er Corona auf und sagte ihr ohne Umstände, es wäre Zeit nach Hause zu fahren. Am folgenden Vormittag betrat der Herzog von Astrardente bald nach zehn Uhr den Club. An gewöhnlichen Tagen war dieser Sammelplatz seiner Genoffen noch zu viel späterer Stunde ganz leer; aber heute hatte Astrardente sich nicht verrechnet Zwanzig bis dreißig Herren standen in dem großen Saal, der als Rauchzimmer diente, und alle sprachen sehr aufgeregt mit einander. Als die Thür aufging, und der alte Stutzer hereinkam, trat ein Plötzliches Schweigen ein. Astrardente schloß daraus na­ türlich, das Gespräch hätte sich um ihn gedreht und wäre durch sein Erscheinen unterbrochen worden; aber er that, als merke er das nicht, rückte sein Monocle zurecht und betrachtete die Anwesenden ganz unbefangen. Obschon sie so laut gesprochen hatten, merkte er doch, daß es sich um eine ernste Sache handeln müsse, denn auf keinem der Gesichter vor ihm sah er eine Spur von Fröhlichkeit. Sofort nahm er eine ernste Miene an, ging aus Valdarno zu, der soeben im Gespräch eine Hauptrolle gespielt zu haben schien, und fragte leise: „Vermuthlich hat Spicca ihn getobtes?" Valdarno nickte und sah sehr ernst aus. Er war zwar sonst ein recht leichtsinniger junger Mensch, aber die Nachricht von dem Todesfall hatte ihn ernüchtert. Astrar­ dente hatte Casalverdes Tod vorausgesehen und war nicht weiter überrascht, aber er war nicht ohne ein menschliches Gefühl und bezeigte angemessenes Bedauern über das trau-

— 252 — rige Ende eines Bekannten, mit dem er so ost zusammen gewesen war. „Wie kam es?" fragte er. „Ganz einfach: eins,, zwei, Terz und Quart beim er­ sten Angriff. Spicca ist schnell wie der Blitz. Kommen Sie ein wenig fort von den Andern," setzte Valdarno leise hinzu, „dann will ich Ihnen alles erzählen." Trotz seines Schmerzes über den Tod seines Freundes kam sich Baldarno sehr wichtig vor, weil er Astrardente die Geschichte erzählen konnte. Valdarno war eitel in kleinem Maßstab, aber seine Eitelkeit war im Vergleich zu der des Herzogs was das bescheidene Veilchen neben der vollerblühten Zuckerrose ist. Astrardente stand als Coronas Gemahl in der Gesell­ schaft in hohem Ansehen und war ein besonderer Gegen­ stand des Jntereffes für Valdarno, der die unglaubliche Theorie von CoronaS Hingebung für den alten Mann aufrecht hielt. Valdarnos Stall lag in der Nähe des Club, und unter dem Vorwande, Astrardente ein neues Pferd zu zeigen, nickte er seinen Freundm zu und ging mit dem alten Stutzer fort. Es war ein frischer klarer Wintertag und die beiden Herre» gingen langsam den Corso hinab nach Valdarnos Palast. „Sie wiffen natürlich, wie die Sache angefangen hat?" fragte der junge Mann. „Das erste Duell? Das weiß Niemand — ich sicher­ lich nicht." „Nun, vielleicht nicht", versetzte Valdarno zweifelhaft. „Jedenfalls wiffen Sie, daß Spicca wüthend wurde, weil der arme Casalverde vergaß, dazwischen zu treten, nachdem er Halt gerufen hatte; und darauf stach Del Ferice Giovanni durch den Arm."

253 „Das war sehr unrecht — höchst verwerflich", sagte Astrardente und nahm sein Augenglas vor, um eine hübsche kleine Nähterin anzusehen, die auf dem Wege zu ihrer Arbeit an ihnen vorübereilte. „Ich glaube es wohl. Jndeffen Casalverde dachte sich nichts Böses dabei, und wenn Del Ferice in der Aufregung des Augenblickes sich nicht unglücklicherweise so vergeffen hätte, dann würde Niemand etwas dabei gefunden haben." „Nun ja, wahrscheinlich nicht", murmelte Astrardente und sah noch immer dem Mädchen nach.. Als er ihr Ge­ sicht nicht mehr sehen konnte, wandte er sich scharf zu Valdarno. „Das ist ja höchst interressent", sagte er. „Erzählen Sie mir noch mehr." „Nun, als es vorüber war, hatte der alte Saracinesca selbst Lust, Casalverde umzubringen." „Der alte Feuerfreffer! Er sollte sich schämen. „Allein Spicca kam ihm zuvor und forderte Casal­ verde auf der Stelle. Da beide Gegner im ersten Duell so schwer verwundet waren, mußte das zweite bis heute früh verschoben werden." „Sie rückten aus und piff, paff! Spicca stach ihn ab!" fiel Astrardente ein. „Was für eine gräßliche Tragödie!" „Ach ja, und was noch schlimmer ist —" „Was mich am meisten Wunder nimmt," unterbrach ihn der Herzog wieder, „ist, daß in unserm köstlich fried­ lichen Nest, unter unsrer väterlichen Regierung, die Obrig­ keit nicht im Stande gewesen sein sollte, diese beiden Duelle zu verhindern. Es ist erstaunlich! Ich kann mich auf nichts Aehnliches besinnen. Wollen Sie wirklich sagen, daß gestern sowohl wie heute kein sbirro oder gendarme in der Nähe war?"

254 „Das ist nicht so verwunderlich," antwortete Baldarno mit schlauem Mick. „In allerhöchsten Kreisen wären nie Thränen vergoflcn worden, wenn Del Ferice gestern daS Zeitliche gesegnet hätte, und heute wird wenig um den Tod des armen Casalverde geweint werden." „Bah!" rief Astrardente. „Hätte Antonelli etwas von diesen Händeln gewußt, so hätte er ihnen schnell ein Ende gemacht." Baldarno sah fich um, und indem er sich etwas zu Astrardente überbeugt, flüsterte er ihm ins Ohr: „Sie müffen wissen, beide waren Liberale!" „Liberale?" wiederholte der alte Geck mit cynischem Lachen, „Unsinn! Liberale! Nun ja, so wie Sie und Donna Tullia Mayer Liberale find, und Spicca selbst, der soeben den liberalen Casalverdc getödtet hat. Allerdings Liberale! Schmeicheln Sie sich auch nur einen Augenblick, daß Antonelli vor solchen Liberalen wie Sie Furcht hat? Glauben Sie, daß für seine Politik das Leben Del Ferices wichtiger ist als das Leben seines Hundes?" Astrardente pflegte über alle die kleinlichen Kund­ gebungen politischen Lebens, welche er um sich her in der Gesellschaft wahrnahm, erbarmungslos zu spotten. Er ver­ trat eine Klaffe, welche sowohl von Baldarnos Kreis, wie von Männern wie die Saracinesca durchaus verschieden war, eine Klaffe, welche alles, was zur Politik gehörte, wie etwas der Aufmerksamkeit vornehmer Leute Unwürdiges verachtete, alles Bestehende als selbstverständlich annahm und überzeugt war, daß alles aufs Beste bestellt sei, so lange die Gesellschaft auf glatten Rädern dahinrollte und Niemand die alten Einrichtungen antastete. Die Weisheit der städtischen Verordnungen in Zweifel ziehen, hieß die Regierung angreifen; die Regierung angreifen, hieß die Heiligkeit des Papstes antasten und das war Ketzerei und

255 überdies sehr gemein. Astrardente hatte viel von der Welt gesehen, aber seine Begriffe von Politik waren beinahe kind­ lich einfältig, — während viele behaupteten, daß seine Grundsätze im Verhältniß zu seinen Nebenmenschen teuflisch cynisch waren. Er war jedenfalls kein guter Mensch, und wenn er keinen Anspruch auf den Ruf der Frömmigkeit machte, so lag das wahrscheinlich daran, daß er die Ab­ geschmacktheit einsah, in dieser Weise posiren zu wollen. Aber in politischer Hinsicht war er davon überzeugt, daß der Cardinal Antonelli mit oder ohne den Beistand der Franzosen Europa in Schach halten könnte, und er lachte eben so laut über Louis Napoleons Idee, den Papst an die Spitze eines italienischen Staatenbundes zu stellen, wie er über Cavours Lieblingsausspruch von der Freien Kirche im Freien Staate spottete. Er hatte edles Blut in den Adern und somit auch etwas von dem erblichen Muth, der oft damit verbunden ist. In weltlichen Angelegenheiten hatte er eine gewiffe Klugheit; aber in polittschen schien sein Verstand einer frühern Generation anzugehören und zur Aufnahme neuer Eindrücke unfähig zu sein. Valdarno aber war eitel und legte großen Werth auf seine Ansichten, deshalb ward er durch die Art, in der Astrardente von ihm und seinen Freunden sprach, tief ver­ letzt. Nach seiner Ansicht wagte er viel für die sogenannte gute Sache, und nahm eine verächtliche Bemerkung über liberale Grundsätze sehr übel. Niemand machte sich etwas Besonderes aus Astrardente, und sicherlich fürchtete ihn Keiner; indeffen zu jenen Zeiten scheuten sich die meisten Leute davor, liberale Ideen zu vertreten, wenn sie belauscht werden konnten oder wenn sie desjenigen, mit dem sie sprachen, nicht ganz sicher waren. Wenn auch Niemand Astrardente fürchtete, so traute

256 ihm doch auch Keiner. Valdarno hielt es deshalb fürs Beste, seinen Aerger über des Alten Worte zu verschlucken und sich an ihm zu rächen, indem er ihn an einer schwachen Stelle verletzte. „Wenn Sie Del Ferice so sehr verachten", bemerkte er, „so wundert es mich, daß Sie ihn so lange geduldet haben." „Ich dnlde ihn. Duldung ist das rechte Wort; es drückt genau mein Gefühl für ihn aus. Er ist ein durch­ aus harmloses Geschöpf, das einen tiefen Einblick in die Angelegenheiten der Menschheit zu haben vorgiebt, und nicht einen Zoll breit geradeaus sehen kann. Ach ja, ich werde Del Ferice immer dulden, den armen Kerl!" „Vielleicht werden Sie das nicht mehr lange zu thun brauchen", versetzte Valdarno. „Er soll in großer Gefahr sein." „So?" rief Astrardente und richtete fein Augenglas auf seinen Begleiter. „Meinen Sie das im Ernst?" Es lag etwas so Freches in dem gezierten Anstarren des alten Gecken, daß selbst der gutmüthige Valdarno außer sich gerieth, da er schon zuvor etwas gereizt war. „Schade, daß Ihnen das so gleichgültig ist. Es schickt sich kaum. Wenn Sie ihn nicht so lange geduldet hätten, läge er vielleicht jetzt nicht im Sterben." Astrardente starrte ihn jetzt erst recht an. „Mein lieber junger Freund," sagte er, „Sie führen die merkwürdigste Sprache, welche ich je gehört habe. Was in aller Welt kann mein Bmehmen gegen den Unglücklichen mit seiner Verwundung im Duell zu thun haben?" „Mein lieber alter Freund," spottete Valdarno ihm unverschämt nach, „Ihre Einfalt übertrifft alles, was mir je vorgekommen ist. Wiffen Sie denn wirklich

— 257 — nicht, daß jenes Duell wegen Ihrer Frau stattgefunden

hat?« Astrardente sah Valdarno starr an; das Glas fiel aus seinem Auge und unter seiner Schminke wurde er aschgrau. Er schwankte einen Augenblick und hielt fich an einer Laden­ thür. Sie gingen eben an der Ecke von Piazza Sciarra, einer der belebtesten Stellen des Corso vorbei. „Valdarno," sagte der alte Mann, und seine dünne Stimme nahm einen Heisern tiefen Ton an, „Sie müssen fich deutlicher erklären oder mir dafür Rechenschaft geben!" „Was! noch ein Duell!" rief Valdarno spöMsch. Als er aber sah, wie unwohl sein Gefährte aussah, nahm er ihn beim Arm und führte ihn rasch durchs Gedränge am Arco bei Carbognani vorbei. Sie traten in das Cafe Aragno, damals ganz etwas Neues, und beide setzten fich an einen kleinen Marmortisch. Der alte Geck war bleich vor Aufregung; Valdarno schwelgte im Gefühl der Rache. „Ein Glas Cognac, Herzog?" fragte er, als der Kell­ ner herantrat. Astrardente nickte, und Beide schwiegen, während der Kellner den stärkenden Trank brachte. Der Herzog führte eine streng geregelte Lebensweise und suchte die Thorheiten seiner Jugend durch äußerste Borficht im Alter auszugleichen; seit langer Zeit hatte er am Vormit­ tag keinen Cognac getrunken. Er schluckte ihn rasch hin­ unter, und das Reizmittel that sofort seine Wirkung. Er rückte sein Augenglas zurecht und sah Valdarno streng an. „Und nun," sagte er, „da wir in Ruhe find, darf ich fragen, was zum Teufel Sie mit Ihren Anspielungen auf meine Frau sagen wollen?" „O", versetzte Valdarno mit erheucheltem Gleichmuth, „ich sage nur, was alle Welt sagt. Für die Herzogin ist es keine Beleidigung.« Crawford, Saracinesca.

17

258 „Das sollte ich freilich meinen? Weiter!" „Liegt Ihnen wirtlich etwas daran, die Geschichte zw hören?" fragte der junge Mann. „Ich will sie hören nnd sogleich," verfehle Astrardente. „Sie brauchen fie mir nicht mit Gewalt abzuzwingen, das kann ich verstchem," sagte Büldarno «nd rückte sich auf seinem Stuhl zurecht, wich aber dem zornigen Blick des Alten aus. „Alle Menschen erzählen fie fich seit vorgestern, wo sie geschehen ist. Sie waren ja aus dem Ball bei Frangipani; Sie hätten es alles mit ansehen können. Erstens mässen Sie wissen, daß es noch ein anderes jener Wesen giebt, auf welche Sie Ihre barmherzige Duldung ausdehnen — einen gewissen Giovanni Saracinesca. Viel­ leicht ist er Ihnen bekannt?" „Was ists mit ihm?" fragte Astrardente wüthend. „Unter anderm ist er es, der ben Del Ferice tödtlich verwundet hat, wie Sie vielleicht schon gehört haben. Unter anderm hat er fich die Ehre gegeben, fich leidenschaftlich in die Herzogin von Astrardente zu verlieben, welche" — „Was?" rief der alte Mann mit gebrochener Stimme, als Valdarno inne hielt. „Welche Ihnen die Ehre erweist, sein Vorhandensein gewöhnlich zu ignoriren, die fich aber unglücklicher Weise auf dem Ball bei Frangipani seiner erinnerte. Wir saßen an jenem Abend alle in einem Kreise um den Sessel der Herzogin herum, als das Gespräch zufällig aus besagten Giovanni Saracinesca geneth, einen Feuerfteffer von schlim­ mer Laune. Er war einige Tage verreist gewesen; ja man hatte ihn zuletzt in Ihrer Loge im Apollotheater gesehen, als „Norma" gegeben wurde" — „Ich besinne mich," unterbrach ihn Astrardmte. Die Erwähnung jenes Abends war nur so ein Schuß ins Blane.

259 Valdarno war in der Clubloge gewesen und hatte Giovanni gesehen, als er den Astrardentes seinen Besuch machte; da­ nach hatte er ihn erst auf dem Ball bei Frangipani,wie­ dergesehen. „Nun also, wie gesagt, wir sprachen von Giovanni, und Jeder hatte ein Wort über seine Abwesenheit zu sagen. Die Herzogin bezeigte den Wunsch etwas darüber zu er­ fahren und Del Ferice, der unter uns war, schlug vor, ihn heranzurufen, — er stand nämlich am andern Ende des Saales, — damit er selbst Rede stehen könnte. Also ging ich hin und holte ihn. Er war in sehr übler Laune" — „Was hat diese abgeschmackte Geschichte mit -er Sache zu thun?" fragte der alte Mann ungeduldig. „Es ist die Sache selbst. Der reizbare Giovanni nimmt es übel, daß er ausgefragt wird, behandelt uns alle, als ob wir Staub unter seinen Füßen wären, setzt sich neben die Herzogin und zwingt «ns sortzugehen. Die Her­ zogin erzählt ihm die Geschichte, ohne Zweifel lachend, und Giovannis Zorn bricht los. Er sucht Del Ferice auf und würgt ihn beinahe ab. Die Folge dieser Excentticitäten ist das erste Duell, welches das zweite herbeiführt." Astrardente war sehr böse, und seine hagere Hand packte krampfhaft den Griff seines Stockes. „Und dieses," sagte er, „diese Reihe trivialer Vorfälle in einem Ballsaal, scheint Ihnen ein genügender Vorwand, um zu behaupten, das Duell habe wegen meiner Frau stattgefunden?" „Gewiß", erwiderte Baldarno unverfroren. „Wenn Saracinesca nicht seit Monaten offenkundig der Herzogin gehuldigt hätte, welche, ich versichere es Ihnen, keine Notiz von ihm nimmt" — „Sie brauchen nicht Ihre Worte zu verschwenden" — 17'

260 „Ich thue es nicht, — und wenn Giovanni es nicht der Mühe für werth gefunden hätte, auf Del Ferice eifer­ süchtig zu sein, so hätte kein Zweikampf stattgesunden." „Haben Sie etwa Ihren jungen Freunden erzählt, daß meine Frau die Veranlassung zu all diesem gewesen sei?" fragte Astrardente bebend vor gerechtem Zorn, der seinem schwachen Körper und seinem geschminkten Gesicht für den Augenblick eine gewisse Würde verlieh. „Warum nicht?" „Haben Sie es gethan oder nicht?" „Allerdings, wenns beliebt!" versetzte Valdarno un­ verschämt, sich an der Wuth des Alten weidend. „Dann erlauben Sie mir, Ihnen zu sagen, daß Sie sich eine empörende Freiheit herausgenommen, daß Sie gelogen haben und nicht verdienen wie ein Ehrenmann be­ handelt zu werden." Damit stand Astrardente auf und verließ das Kaffee­ haus ohne weiter ein Wort zu sagen. Valdarno hafte ihn allerdings an seiner empfindlichsten Stelle verwundet, und die Wunde war tödtlich. Sein Blut war in Wallung, und in diesem Augenblick hätte er Valdarno mit dem Degen in der Hand entgegentreten und sich als kein verächtlicher Gegner erweisen können; so große Macht hat der Zorn, auch in den abgelebtesten Menschen das Feuer der Jugend neu zu beleben. Er glaubte an seine Frau mit voller Ueberzeugung, und sein Blut kochte bei dem Gedanken, daß man von ihr rücksichtslos als von der Veranlassung zu einem schmäh­ lichen Streite spräche, wie sehr auch Valdarno betonen mochte, daß sie sowohl gegen Giovanni wie gegen Del Fe­ rice vollkommen gleichgültig sei. Der Geschichte sah man die leere Erfindung auf den ersten Blick an. Aber obwohl

261 sich der alte Mann das immer wieder und wieder sagte,

während er durch die engen Straßen nach Hause eilte,

haftete doch ein von Valdarno angeregter Gedanke wie ein Pfeil in seiner Seele.

Es war richtig, daß Giovanni zu­

letzt in seiner Loge in der Oper gesehen worden war; daß er kaum

fünf Minuten

neben der Herzogin gesessen und

sich dann unter einem nichtigen Vorwande entfernt hatte;

und endlich war kein Zweifel daran, daß Corona in jenem Augenblick heftig erregt erschienen war.

Giovanni hatte

sich erst auf dem Ball bei Frangipani wieder gezeigt, und

den Morgen darauf hatte das Duell stattgefunden.

Astrar-

dente konnte nicht überlegen, seine Entrüstung über Val­ darno hatte ihn zu sehr aufgeregt; aber das unbestimmte Gefühl,

daß

irgend etwas in der Sache nicht richtig sei,

trieb ihn in wilder Erregung nach Hause.

Ueberdies war

er unwohl, und wäre er in der Stimmung gewesen, über

sich selbst nachzudenken, so hätte er bemerken müssen, daß sein Herz bedenklich unregelmäßig schlüge. Er dachte aber nicht ein Mal daran, eine Droschke zu nehmen, sondern

eilte zu Fuß weiter; vielleicht fand er in dieser Anstrengung augenblickliche Erleichterung.

Sein altes Blut strömte ihm

in vollem Ernst ins Gesicht und beschämte die zart auf­

gesetzten Lichter und Schatten, welche die Meisterhand des Monsieur Isidore, seines kosmopolitischen Kammerdieners,

gemalt hatte. Valdarno blieb im Kaffeehause sitzen, betroffen über

das was er angerichtet hatte. Er hatte nicht daran ge­ dacht, solch einen Sturm heraufzubeschwören; er war ein schwacher, gutmüthiger Bursche, dessen Eitelkeit leicht ver­ letzt war,

der im Uebrigen aber nicht gerade empfindlich

und jedenfalls nicht besonders gescheut war.

Astrardente

hatte über ihn und seine Freunde in einer Weise gespottet,

262 welche ihn aufs Tiefste kränkte, und mit kindischer Heftig­ keit hatte er auf die leichteste Art, welche stch ihm bartrot, dafür Rache genommen. Es war in der That mehr Grund für seine Geschichte vorhanden, als Astrardente zugoben «oute. So viel wenigstens war richtig, doch die Geschichte an jenem Morgen im Munde aller Schtvätzer war, und da- Valdarno nur nacherzählte, was er gehört hatte. Er hatte den alten Mann ärgern wollen, aber sicherlich nicht beäbfichtigt, ihn so in Wuth zu bringen. Was nur die wohlüberlegte Beleidigung betraf, die er hatte einfieckon muffen, so war es freilich schrecklich, so ganz klar und deutlich ein Lügner genannt zu werden; andererseits aber wäre es im höchsten Grade lächerlich gewesen, von solchem alten Wrack wie Astrardente Genugthuung zu fordern. Val­ darno war starker Leidenschaften unfähig und ließ sich leicht einreden, daß er unrecht habe, wenn Jemand ihm geradezu widersprach; nicht als ob er ganz ohne physischen Muth gewesen wäre, wenn man ihn in die Enge trieb, aber er hatte nicht viel Selbstvertrauen, war nicht besonders stark, nicht just streitlustig und nicht ganz wahrhaft. Als Astrar­ dente fort war, wartete er noch einige Minuten, dann schlenderte er wieder den Corso herauf, seinem Club zn und überlegte sich, wie er aus seinem Abenteuer eine gute Geschichte herausschlagen könnte, ohne albern oder feige zu erscheinen. Es war überdies nöthig, seine Erzählung so zu drehen, daß, falls sie Giovanni zu Ohren käme, dieser nicht Lust bekäme, ihm den Hals abzuschneiden, obschon es eigentlich unwahrscheinlich war, daß irgend Jemand kühn genug sein sollte, «m sich mit dem jungen Saracinesca auf ein Gespräch über diesen Gegenstand einzulaffen. Als er wieder in das Rauchzimmer des Clubs trat,

263 begrüßte ihn ein Chor von Fragen über seine Unterredung

mit Astrardente. „Was hat er gefragt? Was hat er gesagt? Wo ist er? Was hast Du ihm gesagt? Fiel ihm das Augenglas ab? Erröthete er unter der Schminke?" Alle sprachen durcheinander in einem Athem. Baldarnos Eitelkeit war der Gelegenheit gewachsen. Von Natur schwach und unbedeutend, freute er sich besonders darüber, der Mittelpunkt des allgemeinen Jnterefles zu sein, wenn auch nur auf, einen Augenblick. „Ihm fiel wirklich das Augenglas ab," antwortete er mit fröhlichem Lachen, „und er wechselte die Farbe trotz der Schminke." „Dann muß es eine fürchterliche Unterredung gewesen sein," meinte ein Paar der jungen Müßiggänger. „Ich will Ihnen gern meine Dienste anbieten, falls Sie einander den Hals abschneiden wollen," sagte ein fran­ zösischer Offizier von den päpstlichen Zuaven, der am Kamin stand und eine Cigarette, drehte. Daraus lachten alle laut aus. „Danke", versetzte Valdarno. „Ich erwarte in jedem Augenblick eine Herausforderung. Wenn er einen Puder­ quast und ein Schminkdöschen als Waffen vorschlägt, gehe ich ohne Besinnen darauf ein. Ja, es war höchst belusti­ gend. Er wollte alles ganz genau wissen, und so erzählte ich ihm den Vorfall bei Frangipani. Er schien es gar nicht zu verstehen. Er ist ein sehr dickköpfiger alter Herr." „Ich hoffe, Du hast ihm den Zusammenhang der Er­ eignisse erklärt," sagte ein Andrer. „Freilich that ich das. Es war gelungen, seine Wuth mit anzusehen! Dabei ließ er das Augenglas fallen und

264 wurde roth wie ein Krebs. Er beschwor wie gewöhnlich, daß seine Frau über allen Verdacht erhaben sei." „Das ist wahr", sagte ein junger Mann, der ein Jahr zuvor versucht hatte, Corona den Hof zu machen. „Natürlich ist es wahr", wiederholten alle Uebrigm, mit einer Einmüthigkeit, wie sie selten ist, wenn es sich um den Ruf einer Frau handelt. „Ja", fuhr Valdarno fort, „natürlich. Er aber geht so weit zu sagen, es sei abgeschmackt, daß Jemand seine Frau bewundre, während sie doch die allerbewundernswür­ digste Frau ist. Er stampfte mit den Füßen, er schrie, wurde ganz roth, und ging fort, ohne mir Adieu zu sagen, dabei schwang er seinen Stock, und schwor der ganzen ge­ bildeten Welt ewigen Haß und furchtbare Rache. Es war köstlich! Will Jemand Baccarat spielen? Ich will die

Bank halten." Die meisten stimmten für das Spiel und faßen bald darauf an einem langen grünen Tisch, zogen Karten und machten ihre Einsätze mit größtem Eifer; während des Spiels machten sie hier und da eine Bemerkung über die Ereigniffe dieses Morgens.

Sechszehntes Kapitel. Corona gerieth allmälig in einen Seelenzustand, in welchem eine Art passiver Erwartung, eine blinde Ergebung in das Schicksal, das Uebergewicht hatte. Sie hatte Thrä­ nen vergaffen, als ihr Mann von seinem nahen Ende sprach, weil ihr sanftes Herz ihm dankbar war und sich durch Selbstaufopferung an seine Gegenwart gewöhnt hatte, und dann auch weil sie plötzlich die ganze Größe seiner Liebe

264 wurde roth wie ein Krebs. Er beschwor wie gewöhnlich, daß seine Frau über allen Verdacht erhaben sei." „Das ist wahr", sagte ein junger Mann, der ein Jahr zuvor versucht hatte, Corona den Hof zu machen. „Natürlich ist es wahr", wiederholten alle Uebrigm, mit einer Einmüthigkeit, wie sie selten ist, wenn es sich um den Ruf einer Frau handelt. „Ja", fuhr Valdarno fort, „natürlich. Er aber geht so weit zu sagen, es sei abgeschmackt, daß Jemand seine Frau bewundre, während sie doch die allerbewundernswür­ digste Frau ist. Er stampfte mit den Füßen, er schrie, wurde ganz roth, und ging fort, ohne mir Adieu zu sagen, dabei schwang er seinen Stock, und schwor der ganzen ge­ bildeten Welt ewigen Haß und furchtbare Rache. Es war köstlich! Will Jemand Baccarat spielen? Ich will die

Bank halten." Die meisten stimmten für das Spiel und faßen bald darauf an einem langen grünen Tisch, zogen Karten und machten ihre Einsätze mit größtem Eifer; während des Spiels machten sie hier und da eine Bemerkung über die Ereigniffe dieses Morgens.

Sechszehntes Kapitel. Corona gerieth allmälig in einen Seelenzustand, in welchem eine Art passiver Erwartung, eine blinde Ergebung in das Schicksal, das Uebergewicht hatte. Sie hatte Thrä­ nen vergaffen, als ihr Mann von seinem nahen Ende sprach, weil ihr sanftes Herz ihm dankbar war und sich durch Selbstaufopferung an seine Gegenwart gewöhnt hatte, und dann auch weil sie plötzlich die ganze Größe seiner Liebe

265 zu ihr begriff, wie fie fie noch nie zuvor verstanden hatte. In den fünf Jahren ihres ehelichen Lebens an seiner Seite hatte sie sich niemals erlaubt an seinen Egoismus, an seine kleinliche alltäglich hervortretende Selbstsucht zu denken; denn er war, wenn es ihn auch nicht viel kostete, immer großmüthig und rücksichtsvoll gegen sie gewesen. Aber fie war fich bewußt gewesen, wenn fie jemals den Druck selbst­ auferlegter Zurückhaltung von ihrem Gewiffen nähme, und ihrem Urtheil freien Lauf ließe, so würde der Richterspruch ihres Herzens über ihren Gatten nicht so nachfichtig aus­ fallen, wie es die vorgefaßte Meinung war, an der sie sich zwang sestzuhalten. Jetzt aber schien es ihr, als ob das Beste, was sie von ihm zu glauben gewünscht hatte, wirk­ lich wahr wäre; und mit der Ueberzeugung, daß er nicht nur nicht selbstsüchtig, sondern ihr ganz ergeben wäre, über­ kam fie eine Furcht vor Vereinsamung, eine Angst, allein zu bleiben — diesen seltsamen Gefährten zu verlieren, den einzigen Menschen auf der weiten Welt, mit dem die Ge­ wohnheit vertraulichen Zusammenlebens und das Band einer gemeinsamen Vergangenheit fie verband. Astrardente hatte gedacht und es auch ausgesprochen, daß die Ausstcht auf seinen nahen Tod ihre Last erleichtern, die noch übri­ gen Tage ihrer Selbstverleugnung verkürzen würden; er hatte freundlich von ihrer Wiederverheirathung nach seinem Tode gesprochen, und in seinem plötzlichen Ausbruch von Großmuth vielleicht gemeint, daß sie im Stande sein würde, über die unglückliche Gegenwart hinaus auf die Möglich­ keit einer glänzenden Zukunft zu blicken, oder wenigstens, daß die Gewißheit seiner Zustimmung zu einer zweiten Ehe ihr wohl thun würde. Es war schwer zu sagen, wes­ halb er gesprochen. Es war ein Impuls gewesen, wie ihm

die meisten selbstsüchtigen Menschen gelegentlich nachgeben,

266 wenn das Schwinden der Kraft es ihnen plötzlich zum Be­ wußtsein bringt, daß sie nicht mehr im Stande sind, sich gegen den Lauf der Ereigniffe zu stemmen. Die Eitelkeit des Menschen ist so erstaunlich, daß, wenn er nicht qrehr die Aufmerksamkeit auf sich ziehen kann, die ihm so nöthig ist wie das tägliche Brod, er im Stande ist, seine Menschen­ würde so zu erniedrigen, daß er lieber durch seine Schwäche Theilnahme erregen möchte, als aufhören überhaupt ein Gegenstand des Interesses zu sein. Die Analyse der Ge­ fühle alter und egoistischer Personen ist das allerschwerste Studium; denn in dem Verhältniß wie die Stärke der herrschenden Leidenschaft oder Leidenschaften in dem bittern stehenden Wasser des Hafens hohen Alters verlöscht, nehmen die kleinen Einflüffe- des Lebens an Wichtigkeit zu. Wie wenn die Brandung des tosenden Meeres das Waffer hoch an die wiederhallenden Felsen emporwirft, und kleine durch­ sichtig klare Lachen in den Höhlungen der sturmgepeitschten Klippen zurückbleiben; und wie wenn die Wuth der stür­ mischen Wogen sich gelegt hat, die warme Sonne auf diese kleinen Seen scheint, und das klare, zuvor so durchsichtige Waffer dick und trübe wird durch das Leben und Weben einer kleinen unbedeutenden Welt von Jnsecten, von der zuvor in dieser krystallhellen Klarheit keine Spur war; so muß auch das klare gewaltige Meer der Jugend in den Lachen und Pfützen des Alters und in der regungslosen Ruhe der stillen Plätze austrocknen, wohin der Ocean des Lebens es gespült hat; es vertrocknet und wird verzehrt von Myriaden winziger Parafitm, Leben innerhalb des Lebens, Leidenschaft auf Leidenschaft, kleinliches Streben nach fal­ scher Größe, eine ruhelose kleine Welt, eine Parodie und unendlich kleine Nachbildung der mächtigen Fluth, aus der es entstanden, in der große Ungeheuer ihr Wesen treiben

267 imb wo Dinge von unaussprechlicher Schönheit frei in den

weiten Tiefen des unergründlichen. Meeres wachsen.

In Folge ihrer treuen Hingebung für ihren Gemahl war Corona von Astrardente in der Frische ihrer Jugend

das Studium der sonderbaren Kleinlichkeit ihres Gatten zur zweiten Natur geworden.

Allein ste konnte ihn jetzt

nicht verstehen, sie konnte sich dieses plötzliche Eingestehen seines hohen Alters,

diese ruhige Erwartung des Todes,

die unbegreifliche Großmuth gegen sie nicht erklären.

wußte nur so viel,

Sie

daß er im Grunde seines Herzens ein

gütigerer und besserer Mensch sein müsse, als im allgemeinen

geglaubt wurde,

und sie beschloß ihr Aeußerstes zu thun,

um es ihm zu vergelten und das Elend seiner letzten Jahre

Weil er es ihr so deutlich gesagt hatte, Es war vielleicht natürlich,

zu erleichtern.

mußte es wohl wahr sein.

denn er wurde von Tag zu Tag schwächer,

sehr traurig.

aber es war

Vor fünf Jahren, als sie ihren Widerwillen

gegen den alten Mann überwand, dem sie sich ihrem Vater zu Licke verkaufte,

hätte sie nicht geglaubt,

daß sie einst

heiße Thränen bei dem Gedanken weinen würde, sterben und sie frei sein würde. würde frei sein.

daß er

Er hatte es gesagt;

sie

Es heißt, daß Leute, die lange im Kerker

eingeschlossen leben, stumpf werden, und wenn sie wieder frei gelaffen werden, gern in ihr Gefängniß zurückkehren möchtm.

Freiheit ist zunächst ein Trieb, wird aber leicht

zur Gewohnheit. Corona hatte vor fünf Jahren jeden Gedanker an Freiheit aufgegeben, und indem sich ihre edle Raturgeduldig dem Loose fügte, das sie erwählt, war sie zu einem Zustande der Entsagung gelangt,

ähnlich dem

eines Mannes, der sich für immer in einen Trappistenorden

begralen hat, und weder von der Freiheit der Außenwelt träunt,

noch davon zu träumen wünscht.

Sie hatte den

268 alten Stutzer und seine thörichte Art und Weise lieb ge­ wonnen, — eine Art und Weise, die dämm thöricht er­ schien, weil sie der Zugmd angehörte und dem Greisen­ alter ausgepftopst wurde. Sie hatte nicht gewußt, daß sie ihm gut war; aber jetzt da er vom Sterben sprach, fühlte sie, daß sie seinen Verlust beweinen würde. Er war ihr einziger Genoß, ihr einziger Freund. In dem festen Vorsatz, ihm treu zu sein, hatte sie sich von allem vertraulichen Umgang dermaßen abgeschloffen, daß sie keine Freunde hatte. Von andern Frauen hielt sie sich fern, weil sie unwillkürlich fürchtete, in ihren leicht­ fertigen Gesprächen könnte ein Wink, eine Anspielung sie daran erinnern, daß sie ein Mann geheirathet habe, der in ihren Augen lächerlich war; und mit Männern konnte sie nur wenig Verkehr haben, denn ihre Gesellschaft war gefährlich. Seit Jahren hatte kein Mann, außer Giovanni Saracinesca, sich ihr im Lichte eines bloßen Bekannten gezeigt, der immer bereit war mit ihr über Dinge von allge­ meinem Interesse zu sprechen, bei allen Erörterungen sich ab­ sichtlich aus dem Spiele zu lassen, und durch feine Achtung vor ihrem Urtheil ihrer Eitelkeit auf seine Weise zu schmeicheln. Alle andern Männer hatten gewöhnlich schon beim zweiten Zusammentreffen von Liebe gesprochen und ihr am Ende der Woche erklärt, daß sie ihr für ihr ganzes Leben ergeben seien; sie hatte sie ruhig abgewiesen, und sie waren in die Reihe gleichgültiger Bekannter zurückgesunken, die auf andre Beute ausgingen, nach Art müßiger junger Herren. Nur Giovanni hatte seine ruhige Haltung fest bewahrt, und hatte nie ihren harmlosen Stolz auf ihre Treue gegen Astrardente durch Wort oder That gekränkt, so daß sie, trotz der Furcht vor ihrem zunehmenden Interesse für ihn, doch immer geglaubt hatte, er habe keinen Theil an ihrem

269 Leben, bis fie endlich enttäuscht und zu dem Bewußtsein seiner heftigen Leidenschaft für fie erweckt worden war, und da ihr dies ganz unerwartet kam, wurde fie beinahe von dem Sturm mit fortgerifien, welchen seine Worte in ihrer Brust erregt hatten. Aber ihre Kraft hatte fie nicht ganz verlaffen. Jahre opferfreudiger Hingebung an das Rechte, Jahre aufrichtiger, unverbrüchlicher Treue, in denen fie weder einerseits ihr Gewiffen durch die ungesunde Nah­ rung erkünstelter religiöser Begeisterung beschwichtigte, noch auch andrerseits in cynische Gleichgültigkeit gegen unver­ meidliches Elend versank: Tage ruhiger und beständiger Anstrengung, lange Stunden ernsten Nachdenkens über die Ausgabe ihres Lebens, — das alles hatte die ihr ange­ borene Charakterstärke gekräftigt, so daß fie nicht unterlag, als endlich die größte Prüfung an sie herantrat, sondern ein für alle Mal, im Augenblick der schwersten Versuchung siegreich blieb. Und für sie konnte die Gefahr nicht wiederkehren. Da fie Kraft gefunden hatte, zu widerstehen, konnte keine Anwandlung von Schwäche mehr für fie kommen; ihre Liebe zu Giovanni war tief und aufrichtig, aber fie war jetzt die Hauptursache des Leidens in ihrem Leben geworden; sie hatte völlig ausgehört, die Hauptquelle ihrer Freude zu sein, wie sie es wenig kurze Tage gewesen war. Es war eine Last mehr zu tragen, und fie überwog all ihre andern. Die Nachricht vom Duell hatte ihr viel Kummer be­ reitet. Sie war aufrichtig davon überzeugt, daß sie nichts damit zu thun hätte, und hatte des alten Saracinesca Be­ schuldigung schwer übel genommen. Bei den heftigen Worten, welche fie mit einander gewechselt, hatte fie gefühlt, wie ihr gerechter Zorn gegen den alten Fürsten aufwallte; aber als er fie um seines Sohnes willen beschwor, da hatte

270 ihre Liebe zu Giovanni den Zorn gegen den alten Mann überwunden. Was auch kommen mochte, sie wollte das thun, was für ihn das Beste wäre. Wo möglich wollte sie ihn dazu bewegen, Rom sofort zu verlassen, und sich so von der Qual befreien, ihm überall zu begegnen. Viel­ leicht konnte sie ihn dazu bringen, sich zu verheirathen — alles wäre besser, als den Dingen ihren jetzigen Lauf zu lassen, ihn aller Orten zu treffen, und zu wissen, daß er in jedem Augenblick sich mit Jemandem streiten und ihret­ wegen dueüiren könnte. Sie ging an jenem Abend kühn in die Gesellschaft, ohne zu wissen, ob sie Giovanni treffen würde oder nicht, aber ihres Verhaltens sicher, falls er erscheinen sollte. Viele Leute sahen sie neugierig an und lächelten verschmitzt, als sie Spuren von Besorgniß auf ihrem stolzen Antlitz zu sehen glaubten, aber obwohl sie sie beobachteten und keine Gelegenheit versäumten, mit ihr über den einen Gegenstand zu sprechen, welcher das allgemeine Interesse in Anspruch nahm, so hatte doch Keiner die Genugthuung, sie auch nur zu einem Erröthen zu bringen oder zum Niederschlagen ihrer Augen, die sie alle gleichgültig durchschauten. Indessen Giovanni erschien nichts und sie hörte, daß er noch einige Tage das Zimmer hüten müsse, so kam sie nach Hause, ohne irgend etwas in der Angelegenheit aus­ gerichtet zu haben. Ihr Mann war sehr schweigsam, sah sie aber mit einem Ausdruck von Unsicherheit an, als zögere er, mit ihr über etwas zu sprechen, was ihn besonders interessirte. Keiner von Beiden kam auf die merkwürdige Unterredung in der verflosfenen Nacht zurück. Sie fuhren früh nach Hause, wie schon erwähnt wurde, da an jenem Abend nur ein großer, förmlicher Empfang stattfand, zu dem sich die Gesellschaft versammelte; und selbst die zähesten

271 alten Gesellschaftsklepper waren müde von dem Balle am Tage vorher, der erst um halb sieben Uhr Morgens sein Ende erreicht hatte. Tags darauf, etwa um zwölf Uhr, saß Corona in ihrem Boudoir und schrieb eine Anzahl von Einladungen, welche am Nachmittag herumgeschickt werden sollten, als die Thür aufging und ihr Mann ins Zimmer trat. „Meine Liebe!" rief er in großer Aufregung, „es ist ganz gräßlich! Hast Du schon gehört?" „Was denn?" fragte Corona und legte die Fe­ der hin. „Spicca hat Casalverde gelobtet, — den Mann, der gestern Del Ferice sekundirte, — auf dem Fleck getödtet!" Corona stieß einen Ausruf des Entsetzens aus. „Und es heißt, Del Ferice ist todt, oder liegt im Sterben," seine dünne Stimme wurde bei jedem Worte lauter, „und die Leute sagen", dabei schrie er beinahe und legte seine dürre Hand hart auf die Schulter seiner Frau, „sie sagen, das Duell habe Deinetwegen stattgefunden — um Deinetwillen, verstehst Du?" „Das ist nicht wahr", sagte Corona mit Festigkeit. „Beruhige Dich, ich bitte Dich, sei ruhig. Erzähle mir im Zusammenhang, was vorgefallen ist und wer Dir diese Geschichte erzählt hat." „Was haben die Leute für ein Recht, Deinen Namen in einen Streit zu ziehen?" schrie der alte Mann ganz heiser. „Alle sagen es, es ist empörend, abscheulich-------- " Corona schob ihren Mann sanft auf einen Stuhl und setzte sich neben ihn. „Du bist aufgeregt, Du wirst Dir schaden, — denke an Deine Gesundheit", sagte sie, indem sie ihn zu beruhigen versuchte. „Zuerst erzähle mir, wer Dir gesagt hat, daß es um meinetwillen geschehen."

272 „Valdarno erzählte es mir; er behauptete, alle fegten es, es wäre allgemeines Stadtgespräch." „Aber warum?" fragte Corona dringend.

„Du ILM

Dich von einer Klätscherei zum Zom hiureißeu, die durch»

aus keinen Gmnd hat. Was wird denn eigentlich erzählt?" „Merlei Unfinn über Giovannis Mweseuheit in vori­ ger Woche.

Del Ferice habe vorgefchlagen, ihn zu Dir

heranzurufen, und Giovanni sei darüber böse gewesen." „Das ist abgeschmackt!" sagte Corona. „Don Gio­

vanni war nicht im geringsten ärgerlich.

Er sprach noch

nachher mit mir" —

„Immer Giovanni! Immer Giovanni! hingehst,

da ist Giovanni!"

Wo Du auch

rief der alte Mann tn un­

billigem Aerger — von seinem Standpunkt aus unbillig, billig genug wenn er die Wahrheit gewußt hätte. Allein er schlug uubewußt den Grundton aller Leiden CoronaS cm,

und sie erbleichte bis in die Lippen.

„Du sagst, es sei nicht wahr," fing er wieder au. Wie kaunst Du wiffeu, was ge-

„Me weißt Du das?

sprochen sein mag?

Wie kannst Du es errathen?

Gio­

vanni Saracinesca ist in Gesellschaften mehr in deiner Nähe als irgend ein Anderer.

Er hat fich Deinetwegen

gezankt, und in Folge dessen haben zwei Menschen daS Leben verloren.

Er ist in Dich verliebt, sag ich Dir.

Siehst Du es denn nicht? Du mußt wiMch blind sein."

Corona lehnte fich in ihren Sessel zurück, ganz überwältigt durch die plötzliche Wendung der Dinge, unfähig

zu antworten, fie hielt die Hände gefaltet, die bleichen Lippen fest zusammengepreßt.

Aergerlich über ihr Schwel

gen redete der alte Astrardeute weiter, allmälig fiegte sein

Zorn über seine Vemunst und seine Wuth steigerte fich fast

bis zur Raserei.

273 „Blind — ja, völlig blind!" schrie er. „Glaubst Du, ich bin auch blind? Meinst Du, ich werde all dies über­ sehen? Siehst Du nicht, daß Dein Ruf angetastet wird — daß die Leute Deinen Namen und seinen zusammen nennen? Daß keine Frau in einem Athem mit Giovanni Saraeimsca genannt werden und noch hoffen kann, ihren fleckenlosen Ruf zu bewahren? Ein Mensch, dessen Aben­ teuer in aller Mund find, dessen Handlungen berüchtigt find, der eine Frau nur anzusehen braucht, um sie zu Grunde zu richten; ein Duellant, ein Wüstling" — „Das ist nicht wahr", unterbrach ihn Corona, un­ fähig den Schimpf mit anzuhören, der den Mann traf, den sie so liebte. „Du bist von Sinnen" — „Du vertheidigst ihn noch!" kreischte Astrardente und bog sich mit geballten Fäusten auf seinem Stuhl vor. „Du wagst es für ihn zu sprechen, — Du giebst zu, daß Du Dich für ihn interessirst! Verfolgt er dich nicht überall, so daß die ganze Stadt davon spricht? Du hättest Dich längst von ihm befreien müssen, hättest lieber wünschen sollen, er wäre todt, als zulaffen, daß dein Name neben dem seinen genannt würde, und statt dessen vertheidigst Du ihn noch gegen mich, — Du sagst, er hat recht, sagst, Dir ist seine verfluchte Anbetung lieber, als Dein guter Name, als mein guter Name! O es ist nicht zu glauben! Selbst wenn Du ihn liebtest, könntest Du nichts Schlimmeres thun!" „Wenn auch nur die Hälfte von dem, was Du sagst, wahr wäre," — sagte Corona in furchtbarer Angst. „Wahr?" schrie Astrardente, der keine Unterbrechung dulden wollte. „Es ist alles wahr — und noch viel mehr. Es ist wahr, daß er Dich liebt, wahr, daß alle Welt es sagt, wahr — bei allem was heilig ist, wenn ich Dein GeCrawsord, Saraciiiesca. 18

274 sicht ansehe, könnte ich fast glauben, daß Du ihn liebst! Warum sagst Du nicht nein? Elendes Weib!" kreischte er, sprang auf sie zu und ergriff sie rauh beim Arm, als sie ihr Gesicht in den Händen verbarg. „Elendes Weib! Du hast mich betrogen!" In seinem Wuthanfall wurde der schwächliche Greis beinahe stark; fest packte er das Handgelenk seiner Frau

und riß sie von ihrem Sessel empor. „Betrogen! und von Dir!" schrie er wieder, bebend vor Wuth. „Von Dir, die ich so geliebt habe! Das ist Deine Dankbarkeit, Deine scheinheilige Treue! Deine listig gespielte Geduld! Alles nur um Deine Liebe zu solch einem Menschen zu verbergen! — Du Heuchlerin, Du"-------Mit einem plötzlichen Ruck befreite sich Corona aus seinem Griff und richtete sich in edlem Zorn zu ihrer gan­ zen Höhe empor. „Du mußt mich anhören," sagte sie mit tiefer ge­ bietender Stimme. „Ich habe viel verdient, aber nicht dies." „Aha!" zischte er und trat einen Schritt zurück. „Jetzt kannst Du sprechen! Jetzt hab' ich Dich an der rechten Stelle getroffen! Nun hast Du Worte gesunden. — Es war auch die höchste Zeit!" Corona war bleich wie der Tod, und ihre schwarzen Augen glühten wie feurige Kohlen. Sie sprach ihre Worte langsam aus, klar und deutlich, mit zurückgehaltener Leiden­ schaftlichkeit. „Ich bin Dir nicht untreu gewesen. Ich habe kein Liebeswort zu irgend einem Mann auf der Welt gesprochen, und Du weißt, daß ich die Wahrheit rede. Wenn Jemand zu mir etwas gesagt hat, was nicht hätte gesagt werden sollen, so habe ich ihn'zurückgewiesen, so daß er verstummte.

275 Obschon Du mich anklagst, weißt Du, daß ich mein Bestes gethan habe, um Dich zu ehren und zu lieben; Du weißt sehr gut, daß ich mir lieber als dein treues und makel­ loses Weib mit eigner Hand den Tod geben würde, als auch nur ein Wort der Liebe zu einem Andern aus­ sprechen." Corona hatte große Gewalt über ihren Mann. Sie war eine so durch und durch wahre Frau, daß die Wahr­ heit fichtbar in ihren klaren Augen erschien; und was sie sprach, war die lautere Wahrheit. An einem furchtbaren Augmblick hatte sie an sich selbst gezweifel, jetzt wußte sie sich über allen Zweifel erhaben. Vor der Betheuerung ihrer Unschuld schwand des alten Mannes Argwohn und sein Zorn legte sich. Er erbleichte unter der Schminke und seine Lippen bebten. Er that einen Schritt vorwärts, sank vor Corona auf die Kniee und griff nach ihren Händen. „O, Corona! vergieb mir!" stöhnte er. „Vergieb mir! Ich liebe Dich so!" Plötzlich ließen seine Hände die ihren los und mit tiefem Aechzen fiel er vorn über, gegen ihre Kniee. „Gott weiß, daß ich Dir vergebe!" rief Corona, in­ dem Thränen des Mitleids plötzlich ihren Augen entström­ ten. Sie beugte sich herab, um ihn zu stützen, aber sobald sie sich bewegte, fiel er platt aufs Gesicht vor ihr nieder. Mit einem Schreckensruf kniete sie neben ihm nieder; mit starken Armen wendete sie seinen Körper um und hob seinen Kopf auf ihre Kniee. Sein Gesicht war geisterbleich, außer da, wo die Schminke wie ein gräßlicher Spott auf seiner fahlen Haut erschien. Seine geöffneten Lippen waren bläu­ lich, und seine hohlen Augen starrten weit geöffnet seiner Frau ins Gesicht, während die krause Perrücke weit vou seiner kahlen runzeligen Stirn zurückgerutscht war.

276 Corona stützte die Last seines Körpers mit einem Knie und erfaßte seine schlaffe Hand. Todesangst überkam sie. „Onofrio!" ries fie — nur selten nannte sie ihn beim Vornamen — „Onoftio! sprich zu mir! Mein lieber Mann!" Sie schloß ihn stürmisch in die Arme. „O Gott, habe Erbarmen!" Onofrio von Astrardente war todt. Der arme alte Stutzer mit seiner Schminke, seiner Perrücke, seiner Wattirung, war zu den Füßen seiner Frau gestorben, mit dem letzten Athemzuge seine Liebe zu ihr betheuemd. Der lang abgewehrte Schlag war gefallen. Jahre lang hatte er sich vor heftigen Auftegungen gehütet, denn er war wegen seines Herzübels davor gewarnt worden und kannte die Gefahr; aber der Zorn hatte ihn getödtet. Er hätte vielleicht noch eine Stunde leben können, wenn der Wuthanfall angedauert hätte, allein der Umschwung der Gefühle, die plötzliche Reue über das seiner Frau angethane Unrecht, hatte das Blut zu rasch nach dem Herzen zurückgetrieben, und mit dem letztm Ruf der Liebe auf den Lippen war er gestorben. Corona hatte wohl noch nie Sterben gesehen. Sanft ließ fie die Last des todten Körpers herabgleiten, bis er ausgestreckt am Boden lag. Dann sprang fie auf, trat zurück ans Kamin und schaute die Leiche ihres Gatten an. Volle fünf Minuten stand fie regungslos und wagte kaum zu athmen, betäubt vor Schrecken, bemüht fich das Geschehene klar zu machen. Da lag er, ihr einziger Freund, der Gefährte ihres Lebens, seit fie ins Leben hinausgetre­ ten war, der Mann, welcher noch vor zwei Tagen in die­ sem selben Zimmer so güttge Worte zu ihr gesprochen hatte, daß ihre Thränen gefloffen waren — Thränen, die jetzt nicht fließen wollten; der Mann, welcher vor kaum einer Minute in einem Anfall von Wuth sie bitter geschmäht

277 hatte, — dessen Zorn bei den ersten Worten ihrer Ver­ theidigung dahingeschmolzen, der ihr zu Füßen gefallen war, um sie um Verzeihung zu bitten, um ihr noch ein Mal, zum letzten Male, zu erklären, daß er sie liebte! Ihr Freund, ihr Lebensgefährte, ihr Gatte — hatte er noch ihre Antwort gehört, daß sie ihm von Herzen vergäbe? Er konnte nicht todt sein, es war unmöglich. Vor einem Augen­ blick hatte er ja noch mit ihr gesprochen. Sie trat wieder herzu und kniete neben ihm nieder. „Onofrio," sagte sie sehr sanft, „Du bist nicht todt — Du hast mich gehört?" Sie schaute einen Augenblick auf die starren Züge. Mit weiblicher Zartheit hob sie seinen Kopf ein wenig und schob die Perrücke auf seiner armen Stirn zurecht. Dann wurde ihr plötzlich alles klar, und mit einem wilden Schrei der Verzweiflung warf sie sich in einem Schmerzensausbruch leidenschaftlich weinend aus die Leiche. Wie lange sie so dalag, wußte sie nicht. Ein Klopfen an der Thür drang nicht an ihr Ohr; es folgte ein zweites, ein drittes in kur­ zen Zwischenräumen, und dann trat Jemand ins Zimmer. Es war der Diener, welcher gekommen war, die Herrschaft zum Frühstück zu bitten. Er that einen Schrei und trat zurück, die Thürklinke festhaltend. Corona erhob sich langsam auf die Kniee und blickte dem Todten noch ein Mal ins Antlitz. Dann schlug sie ihre thränenströmenden Augen auf und bemerkte den Diener. „Euer Herr ist todt", sagte sie feierlich. Der Mann erbleichte und zitterte, er zauderte einen Augenblick, dann wendete er sich um und lief hinaus, die Vorhalle entlang, nach der Art indischer Diener, welche vor dem Tode, ja vor dem bloßen Anblick eines Todten, Furcht haben wie vor nichts Ander« auf der Welt.

278 Corona stand auf und wischte die Thränen aus ihren Augen. Dann klingelte sie. Eine lange Weile erfolgte keine Antwort darauf. Die Nachricht hatte sich blitzschnell im ganzen Hause verbreitet, und alles war in Verwirrung. Endlich kam eine Frau und blieb scheu an der Thür stehen. Es war eine von den untergeordneten Dienstboten, ein ein­ faches starkes Weib aus dem Gebirge. Als sie all die an­ dern entsetzt und wie gelähmt sah, fiel es ihr in ihrer ein­ fach gesunden Vernunft ein, daß ihre Herrin ganz allein wäre. Corona verstand sie. „Hilf mir ihn tragen", sagte sie ruhig, und die Bäue­ rin und die Herzogin bückten sich und hoben den todten Herzog auf und trugen ihn schweigend in sein Zimmer und legten ihn sanft aufs Bett. „Laß den Arzt holen," sagte Corona, „ich werde bei ihm bleiben." „Aber fürchten Excellenz sich nicht?" fragte die Frau. Coronas Lippen zuckten. „Nein, ich fürchte mich nicht", antwortete sie. „Schicke sofort nach dem Arzt." Als das Weib fort war, setzte sie sich ans Bett und wartete ruhig. Ihre Thränen waren versiegt, aber sie konnte keinen Gedanken fassen. Regungslos wartete sie eine Stunde. Dann trat der alte Hausarzt leise ins Zim­ mer, während eine Schaar von Dienstboten draußen stand und scheu durch die offene Thür guckte. Corona ging durchs Zimmer und machte sie leise zu. Der Arzt stand am Bette. „Es ist ein höchst einfacher Fall, Frau Herzogin," sagte er sanft. „Er ist todt. Ich warnte ihn noch vor­ gestern und sagte ihm, daß sein Herzübel sich verschlimmert hätte. Können Sie mir sagen, wie es gekommen ist?" „Ja, ganz genau," antwortete Corona mit leiser Stimme. Sie hatte sich jetzt gefaßt. „Er kam vor zwei Stunden in

279 mein Zimmer, und während er mit mir sprach, wurde er plötzlich sehr heftig. Dann schwand sein Zorn in einem Augenblick, und er sank mir zu Füßen." „Es ist genau, wie ich es erwartet hatte," erwiderte der Arzt ruhig. „Das Ende pflegt in solchen Fällen so einzutreten. Ich bitte Sie, seien Sie ruhig, — bedenken Sie, daß alle Menschen sterblich sind —" „Ich bin jetzt ruhig", unterbrach ihn Corona. „Ich bin ganz allein. Wollen Sie dafür sorgen, daß alles Nöthige schnell geschieht? Ich will Sie einen Augenblick verlassen. Draußen sind Leute." Als sie die Thür öffnete, machte die gaffende Menge der Dienstboten ihr Platz. Gesenkten Hauptes schritt sie durch sie hindurch und ging in das große Gesellschafts­ zimmer, dort saß sie allein mit ihrem Kummer. Ihr Schmerz war in seiner Art ächt. Die Seele des armen Mannes konnte in Frieden ruhen, denn sie fühlte um seinen Tod den wahren Kummer, welchen er für sich ersehnt und wohl kaum von ihr zu erhoffen gewagt hatte. Wäre ihr Schmerz nicht wahr gewesen, so wäre ihr in diesen ersten Augenblicken ein Gedanke durch den Sinn gefahren, — eine leise, rasch unterdrückte Befriedigung darüber, daß sie nun endlich frei wäre — frei und Gio­ vanni Saracinesca heirathen könnte. Allein dem war nicht so. Sie fühlte sich nicht frei, sondern allein — ganz verlassen. Sie sehnte sich nach dem vertrauten Ton seiner verdrießlichen Stimme, nach dem Ausdruck seiner tausend kleinen Bedürfnisse und Interessen, sie dachte zärtlich an seine harmlosen kleinen Eitelkeiten. Sie dachte an seine Perrückc und weinte. So wahr ist es, daß das, was im Leben lächerlich ist, im Tode tief rührend wird. Es war kein kleiner Zug an ihm, dessen sie jetzt nicht mit schmerz-

280 licher Wehmuth gedachte. Nun war alles aus. Seine Eitelkeit war mit ihm gestorben; auch seine zäMche Liebe zu ihr war todt. Es war die einzige Liebe, welche sie gekannt hatte, bis jene andere Liebe — jene dunkle, auf­ regende Leidenschaft in ihr erregt worden war. Aber die berührte fie jetzt nicht. Vielleicht hatte das undeutliche Bewußtsein, daß sie fortan lieben dürste, wen fie wollte, einem Gefühl plötzlich die Bedeutung genommen, welches fie zuvor in ihrer Seele mit dem furchtbaren Namen eines Verbrechens bezeichnet hatte. Der Kampf für ihre Treue war vorüber, allein die Erinnerung an all das, was fie für den Todten getragen hatte, machte ihn ihr noch theurer. Der Thorheiten in seinem Leben waren viele gewesen, aber viele davon um ihretwillen begangen, und es klang ein Ton von Wahrheit in seinen letzten Worten: „Ach könnte ich jung sein, um Deinetwillen, Corona, um Deinetwillen." Diese Worte ertönten immer noch in ihrer Seele und ihre stillen Thränen stoffen von neuem. Er hatte in seinem Leben viele Thorheiten begangen, ihr aber war er treu gewesen. Selbst die Heftigkeit in seinen letzten Augen­ blicken, die Zärtlichkeit seines leidenschaftlichen Flehens um Vergebung, sprach für die Aufrichtigkeit seines Herzens, selbst wenn dieses Herz früher nicht aufrichtig gewesen. Sie brauchte nie wieder daran zu denken, wie fie ihm gefallen, ihm helfen könne, oder um seinetwillen einem Verkehr entsagen, den sie sich besonders wünschte. Aber dieser Gedanke gab ihr keinen Trost. Er war so ganz ein Theil von ihrem Leben geworden, daß fie sich nicht denken konnte, wie sie ohne ihn leben sollte; überall würde er ihr fehlen. Das neue Leben, was vor ihr lag, schien ihr un­ aussprechlich öde und leer. Sie fragte sich, was sie mit ihrer Zeit anfangen sollte. Einen Augenblick überfiel sie

281 die Sehnsucht, in ihr Uebes Kloster zurückzukehren, Rang und Herrlichkeit für immer abzuthun, und in einfacher Tracht einfache gute Werke zur Ehre Gottes zu thun. Endlich raffte sie sich aus und ging in ihre Gemächer, schleppenden Schrittes, als drücke sie eine schwere Last. Sie betrat das Zimmer, in dem er gestorben war, und ein kalter Schauer durchrieselte sie. Die Nachmittagssonne strömte durch das Fenster auf den Schreibtisch, wo noch unvollendet die Einladungskarten lagen, welche sie geschrieben hatte, und aus die Pflanzen und den reichen Zierrath des Zimmers, aus den dicken Teppich — genau auf die Stelle, wo er sein letztes Liebeswort ausgehaucht und zu ihren Füßen gestorben war. Auf dieser Stelle kniete Corona von Astrardente an­ dächtig nieder und betete, — betete, daß ihr alles vergeben werden möchte, worin sie gegen den theuren Verstorbenen gefehlt; daß sie Kraft haben möge, ihren Kummer zu tra­ gen und sein Gedächtniß zu ehren; vor allem aber, daß feine Seele in Frieden ruhen und Vergebung finden, und daß er missen möge, sie sei wirklich unschuldig gewesen; auch darum betete sie, denn ihr kam ein furchtbarer Zweifel. Aber sicherlich, jetzt wußte er alles: wie sie gerungen hatte, ihm treu zu bleiben, und wie aufrichtig, ja wie auf­ richtig sie seinen Tod betrauerte. Endlich stand sie auf und zögerte noch einen Augen­ blick, ihre Hände waren noch wie zum Gebet gefaltet. Als sie zu Boden sah, bemerkte sie etwas Glänzendes auf dem Teppich. Sie bückte sich und hob es auf. Es war ihres Gatten Siegelring mit dem alten Wappen der Astrar­ dente. Sie sah das Kleinod lange an und steckte es dann -an den Finger.

282 „Gott gebe mir Gnade, sein Gedächtniß so zu ehrm, wie er es geehrt zu haben wünschte," sagte sie feierlich. Wahrlich sie hatte die tief empfundene Liebe des arme» alten Stutzers verdient.

Siebzehntes Kapitel.

An diesem Abend bestand Giovanni darauf auszugehen. Seine Wunden schmerzten ihn nicht mehr, sagte er; von Gefahr könne keine Rede sein, und es langweile ihn zu Hause zu bleiben; er wolle aber wie gewöhnlich mit seinem Vater speisen. Er war sehr gern mit seinem Vater zusammen, und wenn die beiden sich nicht um Klei­ nigkeiten zankten, paßten sie vortrefflich zu einander. Ei­ gentlich entsprangen die Zwistigkeiten zwischen ihnen ge­ wöhnlich aus der leicht erregbaren Heftigkeit des Fürsten; denn in seinem Sohn verband sich sein eigner reizbarer Charakter mit dem schwermüthigen Ernst, welchen Gio­ vanni von seiner Mutter geerbt hatte, und kraft deffen er schweigsam und oft auch langmüthig war. Wie gewöhnlich saßen sie einander gegenüber, und der alte Diener Pasquale wartete auf. Als er Giovanni die Suppe reichte, fing er an zu sprechen. Gewiffe Frei­ heiten waren Pasquale gestattet. Italienische Dienstboten gehören zur Familie, selbst in fürstlichen Häusern. Zwischen Vertrauen und Vertraulichkeit wissen sie den richtigen Un­ terschied zu machen und nehmen sich nie zu viel heraus. Dennoch redete Pasquale seine Herrschaft bei Tische äußerst selten an. „Ich bitte Excellenz um Entschuldigung —" fing er an, als er den Suppenteller hinstellte.

282 „Gott gebe mir Gnade, sein Gedächtniß so zu ehrm, wie er es geehrt zu haben wünschte," sagte sie feierlich. Wahrlich sie hatte die tief empfundene Liebe des arme» alten Stutzers verdient.

Siebzehntes Kapitel.

An diesem Abend bestand Giovanni darauf auszugehen. Seine Wunden schmerzten ihn nicht mehr, sagte er; von Gefahr könne keine Rede sein, und es langweile ihn zu Hause zu bleiben; er wolle aber wie gewöhnlich mit seinem Vater speisen. Er war sehr gern mit seinem Vater zusammen, und wenn die beiden sich nicht um Klei­ nigkeiten zankten, paßten sie vortrefflich zu einander. Ei­ gentlich entsprangen die Zwistigkeiten zwischen ihnen ge­ wöhnlich aus der leicht erregbaren Heftigkeit des Fürsten; denn in seinem Sohn verband sich sein eigner reizbarer Charakter mit dem schwermüthigen Ernst, welchen Gio­ vanni von seiner Mutter geerbt hatte, und kraft deffen er schweigsam und oft auch langmüthig war. Wie gewöhnlich saßen sie einander gegenüber, und der alte Diener Pasquale wartete auf. Als er Giovanni die Suppe reichte, fing er an zu sprechen. Gewiffe Frei­ heiten waren Pasquale gestattet. Italienische Dienstboten gehören zur Familie, selbst in fürstlichen Häusern. Zwischen Vertrauen und Vertraulichkeit wissen sie den richtigen Un­ terschied zu machen und nehmen sich nie zu viel heraus. Dennoch redete Pasquale seine Herrschaft bei Tische äußerst selten an. „Ich bitte Excellenz um Entschuldigung —" fing er an, als er den Suppenteller hinstellte.

283 „Nun, Pasquale?" fragte der alte Saracinesca und fah den getreuen Diener unter seinen dunkeln Augenbrauen hervor scharf an. „Haben Ihre Excellenzen schon die Neuigkeit gehört?" „Was für eine? Nein!" versetzte der Fürst. „Der Herzog von Astrardente —" „Nun, was ists mit ihm?" „Er ist todt." „Todt?" wiederholte Giovanni mit lauter Stimme, so daß sie von der gewölbten Decke des Speisesaals wider­ hallte. „Es ist nicht wahr!" sagte der alte Saracinesca. „Ich habe ihn heute Vormittag auf der Straße gesehen." „Und doch, Excellenz!" versetzte Pasquale. „Es ist wirklich wahr. Die Thore des Palastes waren heute Nach­ mittag schon vor Ave Maria schwarz behangen, und der Portier, ein Neffe von mir, trug Krepp aus dem Hut und um den Arm. Er sagte mir, der Herzog wäre heute um halb ein Uhr vom Schlage getroffen der Herzogin todt vor die Füße gefallen." „Ist das alles, was Du erfahren hast?" fragte der Fürst. „Und dann noch, daß die Fran Herzogin außer sich ist vor Schmerz," versetzte der Diener ernst. „Das läßt sich denken — ihr Mann am Schlage ge­ storben! Es ist ganz natürlich!" sagte der Fürst, Giovanni ansehend. Dieser schwieg und bemühte sich zu essen, als ob nichts vorgefallen wäre; innerlich kämpfte er dagegen an, sich nicht zu sehr über den Todesfall zu freuen. In Folge der Anstrengung, den Ausdruck seines Gesichtes zu beherrschen, strömte ihm das Blut in die Stirn und seine Hand zitterte heftig. Sein Vater sah es, machte aber keine Bemerkung darüber.

284 „Der arme Astrardente!" sagte er. „Er war nicht so schlecht, wie die Welt glaubte." „Rein," erwiderte Giovanni mit großer Anstrengung, „er war ein sehr guter Mann." „Run, das möchte ich doch kaum behaupten," versetzte sein Vater und konnte sich dabei kaum das Lachen ver­ beißen. „Ich denke selbst bei äußerster Nachsicht könnte

man ihn nicht gut nennen." „Und warum nicht?" fragte der Sohn, schnell die Möglichkeit zu einem kleinen Streit ergreifend, um seine Verlegenheit zu verbergen. „Ei nun, warum nicht! Weil er ein gut Theil Erb­ sünde mitbekommen hatte, zu dem er noch viel persönliche dazu that!" „Ich bleibe dabei, er war ein sehr guter Mann," wie­ derholte Giovanni, seinen Ausspruch mit dem Ausdruck der Ueberzeugung behauptend. „Wenn es um Deine Begriffe von Tugend so bestellt ist, so ists kein Wunder, daß Du es noch nicht zur Heilig­ keit gebracht hast," sagte der alte Fürst spottend. „Es beliebt Dir witzig zu sein!" versetzte sein Sohn. „Astrardente war kein Spieler; in den letzten Jahren fröhnte er keinem Laster. Er war sehr gut gegen seine Frau." „Kein Laster — nein, er stahl nicht, wie ein betrü­ gerischer Commis, und versuchte keinen Meuchelmord wie Del Ferice. Er hinterging seine Frau nicht und ließ sie nicht hungern. Folglich hatte er keine Laster. Er war ein guter Mann." „Laß den armen Del Ferice in Ruhe!" sagte Giovanni. „Er thut Dir wohl schon leid", versetzte der Fürst höhnisch. „Du wirst anders reden, wenn er stirbt und Du plötzlich außerLandes gehen mußt, wie Spicca heuteMorgen."

285 „Es würde mir sehr leid thun, wenn Del Ferice stürbe. Ich würde nie darüber fortkommen können. Ich bin kein berufsmäßiger Duellant wie Spicca. Und doch verdiente Casalverde den Tod. Ich kann verstehen, daß Del Ferice in der Aufregung des Augenblicks nach mir stieß, nachdem schon Halt! gerufen worden, aber ich kann es nicht ver­ stehen, wie Casalverde so nichtswürdig sein konnte, nicht deu Degen vorzuhalten, als er selbst Halt rief. Es sah ganz nach einer Verabredung aus. Casalverde verdiente zur Sicherheit der Gesellschaft zu sterben. Mich dünkt, Rom wird für eine Weile das Duelliren satt haben." „Ja; aber im Grunde hatte Casalverde nicht viel zu bedeuten. Ich kann mich kaum erinnern, den Burschen je zuvor gesehen zu haben. Und Del Ferice wird wohl durch­ kommen. Heute früh hieß es, er wäre todt, aber ich ging selbst nach ihm fragen und hörte, es ginge ihm bester. Die Leute find ganz entsetzt über dieses zweite Duell. Nun, es war nicht zu vermeiden! Der arme alte Astrardente! Also werden wir seine Perrücke nicht mehr auf jedem Ball und in jeder Gesellschaft und im Theater sehen! Er war ein Mann, der bis zu seinem Ende Genuß am Leben fand." „Ich würde es keinen Genuß nennen, jeden Morgen von seinem Kammerdiener aufgebaut zu werden wie ein Kartenhaus, um nachher wieder zusammenzufallen, wertn die Stützen fortgenommen werden," sagte Giovanni. „Du scheinst ihn jetzt nicht so feurig zu vertheidigen wie vor ein paar Minuten", sagte der Fürst lächelnd. Giovanni war durch die unerwartete Nachricht so auf­ geregt, daß er kaum wußte, was er sprach. Er gab sich die äußerste Mühe vernünftig und gefaßt zu sein. „Mir scheint, daß die äußere Erscheinung eines Mannes und sein sittlicher Werth zwei ganz verschiedene

286 Dinge sind," sagte er feierlich. Der alte Fürst lachte laut aus. „Der Ansicht dürsten die meisten sein! Iß Dein Mttag, Giovanni, und rede nicht solchen baaren Unsinn." „Warum ist es Unsinn? Weil Du mir nicht zu­ stimmst?" „Weil Du zu aufgeregt bist, um vernünftig zu reden," sagte sein Vater. „Meinst Du, ich kann das nicht sehen.?" Giovanni schwieg ein Weilchen. Er war ärgerlich, daß sein Vater den Grund seiner Unruhe errathen hatte, indeffen dabei war nichts zu machen. Endlich ging Pas­ quale aus dem Zimmer. Der alte Saracinesca seufzte er­ leichtert auf. „Und nun, Giovannino", sagte er verttaulich, „was hast Du von Dir selbst zu sagen?" „Fch?" fragte der Sohn überrascht. „Ja, Du! Was wirst Du nun thun?" „Ich werde zu Hause bleiben", sagte Giovanni kurz. „Davon ist nicht die Rede. Es ist vernünftig von Dir, daß Du zu Hause bleibst, denn Du mußt die Schram­ men heilen lassen. Giovanni, die Astrardente ist jetzt Wittwe." „Da ihr Mann todt ist, natürlich. Deine Schluß­ folgerung ist sehr scharfsinnig", versetzte der Sohn und sah seinen Vater argwöhnisch an. „Sei nicht albern, Giovannino! Ich meine, da sie jetzt Wittwe ist, habe ich nichts dagegen, daß Du sie heirathest." „Großer Gott, Vater? Was meinst Du?" rief Gio­ vanni. „Ich meine, was ich sage. Sie ist die schönste Frau in Rom. Sie ist eine der besten Frauen, die ich kenne.

287 Sie wird ein ausreichendes Vermögen haben. Heirathe sie! Mit einem albernen kleinen Mädchen, das eben aus dem Kloster kommt, würdest Du doch nicht glücklich werden. Du bist nicht der Mann danach. Die Astrardente ist kaum dreiundzwanzig, aber sie hat fünf Jahre in der großen Welt gelebt und die Probe gut bestanden. Ich werde sie mit Stolz meine Tochter nennen." In seiner Aufregung sprang Giovanni auf, eilte zu seinem Vater und fiel ihm um den Hals. So etwas hatte er noch nie in seinem Leben gethan. Dann blieb er stehen und wurde plötzlich nachdenklich. „Es ist herzlos von uns, so zu sprechen," sagte er. „Der arme Mann ist noch nicht begraben." „Mein lieber Junge," sagte der alte Fürst, „Astrar­ dente ist todt. Er haßte mich, und fing an, auch Dich zu hasten, wie ich glaube. Jedenfalls gehörten wir beide nicht zu seinen Freunden. Wir freuen uns nicht über seinen Tod, wir sehen ihn nur als ein Ereigniß an, welches unsre Aussichten für die nächste Zukunft verändert. Er ist todt und seine Frau ist frei. So lange er lebte, war Deine Liebe zu seiner Frau ein Unglück; sie scha­ dete Dir und war ein Unrecht gegen sie. Jetzt dagegen wäre es für euch beide das größte Glück, wenn ihr euch heirathetet." „Das ist wahr", sagte Giovanni. Von der Nachricht so plötzlich überrascht, war es ihm nicht eingefallen, daß sein Vater die Verbindung je mit günstigen Augen ansehen würde, obschon die Möglichkeit dieser Heirath ihm plötzlich wie ein Helles Licht in tiefster Finsterniß aufgegangen war. Sein Wesen aber, obschon eben so kräftig wie das seines Vaters, war doch etwas zarter besaitet, und selbst inmitten seiner großen Freude kam es ihm herzlos vor, über die

288 Aussicht zu sprechen, eine Frau heirathen zu sönnen, deren Mann noch nicht begraben war. Keine derartigen Bedmken störten die Heiterkeit des alten Fürsten. Er war ein gerader, ehrlicher Mann, leicht von einem einzigen Gedan­ ken eingenommen, und inniger Liebe fähig. Er hatte seine spanische Frau auf seine Art sehr innig geliebt, und auch sie hatte ihn geliebt; jetzt aber hatte er nur noch seinen Sohn, der sein Alles war, und die übrige Welt sah er an, wie Schachfiguren, die zur Ehre und Verherrlichung der Saracinesca hin- und hergeschoben werden konnten. Das Ende eines Lebens war ihm nicht mehr als ein Cigarren­ stummel, der ausgeraucht ist und sortgeworfen wird. Astrardente war ihm nur ein Stein des Anstoßes gewesen. Es war ihm nicht eingefallen, daß derselbe je hätte sortzeräumt werden können, aber da es der Vorsehung gefallen hatte, ihn aus dem Wege zu räumen, gab es für ihn durchaus keinen Grund, seinen Tod zu betrauern. Alle Menschen müffen sterben, — es war entschieden bester, daß der Tod diejenigen nähme, welche ihren Mitmenschen im Wege standen. „Ich bin ihrer Einwilligung durchaus nicht ficher", sagte Giovanni und fing an, im Zimmer aus- und abzu­ gehen. „Bah!" rief sein Vater. „Du bist die beste Partie in Italien. Weshalb sollte irgend eine Frau Dich ab­ weisen?" „Ich bin wirklich nicht so ficher. Sie ist nicht wie andre Frauen. Wir wollen jetzt nicht weiter darüber spre­ chen. Ein Jahr lang wird fich nichts dabei thun lasten. Ein Jahr ist eine lange Zeit. Zunächst werde ich auf das Begräbniß des armen Herzogs gehen." „Natürlich. Ich auch."

289 Und so gingen sie Beide und befanden sich in einem großen Kreise von Bekannten. Keiner hatte daran gedacht, daß Astrardentc sterben, daß je der Tag kommen könnte, wo sein Platz in der Gesellschaft leer sein würde, und einmüthig schickten alle ihre Wagen zum Begräbniß und gin­ gen ein paar Tage darauf zu der großen Seelenmesse in der Pfarrkirche. Dort war nichts zu fehen, als der große schwarze Katafalk, hinter dem Coronas Dienerschaar in schwarzer Livree kniete. Verwandte hatte sie nicht, und der Verstorbene war der letzte seines Geschlechtes. Sie stand ganz allein. „Sie hätte es nicht so furchtbar feierlich machen sollen", sagte Madame Mayer, als die Messe vorüber war. Ma­ dame Mayer blieb am Weihbecken stehen, tauchte einen ihrer behandschuhten Finger ein und hielt ihn Valdarno mit freundlichem Lächeln hin. Beide bekreuzten sich. „Sie hätte es wirklich nicht so schrecklich feierlich machen sollen", sagte sie noch ein Mal. «Ich glaube, er wird ihr zuerst sehr fehlen," versetzte Baldarno, der im Grunde ein gutmüthiger Mensch war, und dem es nicht im entferntesten einfiel, wie viel er zu dem plötzlichen Tode des alten Stutzers beigetragen hatte. „Sie ist eine eigenthümliche Frau. Ich glaube, fie hatte ihn mit der Zeit wirklich lieb gewonnen." „O, ich kenne das alles", sagte Donna Tullia, als fie die Kirche verließen. „Ja," erwiderte ihr Begleiter mit bedeutungsvollem Lächeln, „ich vermuthe, Sie kennen das." Donna Tullia lachte herb, als fie in den Wagen stieg. „Sie find unausstehlich, Valdarno. Sie mißver­ stehen mich immer. Gehen Sie heute Abend auf den Ball?" Crawford, Saraclnesca.

19

290 „Natürlich. Darf ich auf das Vergnügen hoffen, den Cotillon mit Ihnen zu tanzen?" „Wenn Sie sehr artig find — wenn Sie sich nach Del Ferice erkundigen wollen." „Ich habe heute Morgen hingeschickt. Es heißt, er ist ganz außer Gefahr." „So? Ach, das freut mich sehr. Mir war so schlecht bei der Sache zu Muthe, wie Sie sich denken können. Ah, Don Giovanni! find Sie hergestellt?" fragte fie kalt, als Saracinesca von der andern Seite an den Wagen trat. Valdarno trat einige Schritte zurück und that, als ob er fich den Ueberzieher zuknöpste; er wollte sehen, wie die Be­ gegnung ablausen würde. „Ja, danke. Ich war nicht schwer verwundet. Heute bin ich zum ersten Male wieder ausgegangen, und es freut mich, daß ich eine Gelegenheit finde mit Ihnen zu sprechen. Laffen Sie mich noch ein Mal sagen, wie sehr ich meine Vergeßlichkeit am neulichen Abend bedauere." — Donna Tullia war eine kluge Frau, und obwohl fie damals sehr böse gewesen, so war sie doch in Giovanni verliebt. Sie sah ihn deshalb plötzlich mit sanftem Lächeln yn, und einen Augenblick berührten ihre Finger seine Hand, die auf dem Wagenschlag lag. „Glauben Sie, das war freundlich?" fragte sie leise. „Es war abscheulich. Ich werde es mir nie verzeihen", versetzte Giovanni. „Ich will Ihnen verzeihen", antwortete Donna Tullia sanft. Sic liebte ihn wirklich. Es war das Beste an ihr, wurde aber durch ihre Eifersucht auf die Herzogin von Astrardente überwogen. „Hatten Sie fich deswegen mit dem armen Del Ferice ent­ zweit?" fragte pe einenAugenblickdarauf. „Ich fürchtete es."—

291 „Keineswegs", antwortete Giovanni schnell. „Bitte, beruhigen Sie sich darüber. Del Ferice oder jeder andere beliebige Herr hätte das volle Recht gehabt, mich dafür zu fordern — es geschah aber nicht deswegen. Es war nicht Ihretwegen. „O, das freut mich sehr — es ist ein großer Trost für mich", sagte sie ziemlich kalt. „Kommen Sie heute Abend auf den Ball?« „Nein. Ich kann nicht tanzen. Wie Sie sehen, trage ich den rechten Arm in der Binde.« „Es thut mir leid, daß Sie nicht kommen. Adieu also!« „Adieu! Ich bin Ihnen sehr dankbar für Ihre Ver­ zeihung.« Giovanni verbeugte sich tief, und Donna Tullias prächtiger Wagen fuhr davon. Er war sehr zufrieden, die Versöhnung so leicht er­ reicht zu haben, und dennoch fürchtete er Gefahr von Donna Tullia. Das Nächste, wofür Rom sich interessirte, war Astrardentes Testament, indeffen wurde Keiner durch den Inhalt desielben besonders überrascht. Da keine Verwandten vor­ handen waren, fiel alles an seine Frau. Der Palast in Rom, das Städtchen und Schloß im Sabincrgebirge, die großen Güter im Hügellande nach Caprano zu, und was

selbst den Sachwalter der Familie in Erstaunen setzte, eine beträchtliche Summe in sichern englischen Papieren; kurz, alles in allem, ein glänzendes Vermögen nach römischen Begriffen. Astrardente hatte es nicht leiden können, von Geld zu sprechen, — das war eine seiner Zierereien ge­ wesen; aber er hatte sich trotzdem vortrefflich aus Ge­ schäfte verstanden und war in der Verwaltung seines Vermögens sehr ordentlich gewesen. Der Sachwalter

292 meinte, die Erbschaft beliefe sich auf etwa drei Millionen Scudi'). „Und all dieser Reichthum ist mein?" fragte Corona, nachdem der Sachwalter ihr die Verhältniffe dargelegt hatte. „Alles gehört Ihnen, Frau Herzogin. Sie find un­ geheuer reich." Ungeheuer reich! und allein auf der Welt! Corona fragte fich, ob fie noch dieselbe wäre, dieselbe Corona del Carmine, welche vor fünf Zähren unter der Demüthigung litt, kein Taschengeld zu haben, deren Brautstaat aus dem Erlös der letzten Reste von ihres Vaters einstmals präch­ tiger Sammlung von seltenem Porzellan und alten Bildem gekauft werden mußte. Nach ihrer Verheirathung hatte fie nie mehr an Geld gedacht; ihr Mann war freigebig, aber methodisch; fie kaufte niemals etwas, ohne ihn vorher zu fragen, und die Rechnungen gingen alle durch seine Hände. Dann und wann hatte sie schüchtern um eine kleine Summe zu einem wohlthätigen Zweck gebeten, ihr hatte nichts ge­ fehlt, was für Geld zu haben war, aber fie konnte fich nicht erinnern, jemals mehr als hundert Frank in ihrer Börse gehabt zu haben. Astrardente hatte ihr ein Mal eine bestimmte Summe jährlich angeboten und erfreut ge­ schienen, daß fie dieses Anerbieten ablehnte. Er hatte lieber alles selbst verwalten mögen, denn er war wirthschastlich. Und nun war fie ungeheuer reich und allein. Es war ein seltsames Gefühl. Es war ihr so neu, daß fie es dem Sachwalter ganz unschuldig sagte. „Was soll ich mit all dem Gelde anfangen?" *) Ein Scudo gleich fünf Frank oder vier Mark; also zwölf Mllionen Mark.

293 „Frau Herzogin," versetzte der alte Mann, „beim Gelde ist die Frage nicht, was man damit machen soll, sondern wie man sich ohne dasselbe behelfen soll. Sie sind sehr jung, Frau Herzogin." „Im August werde ich dreiundzwanzig Jahr alt", sagte Corona einfach. „Nun eben! Ich möchte mir die Bemerkung erlauben, daß Sie nach den Bestimmungen des Testaments und nach den Gesetzen des Landes nicht bloß die Herzogin Wittwe sind, sondern in Ihrem eignen Recht und in Ihrer eignen Person die alleinige Feudalherrin und Inhaberin des Titels." „Bin ich das?" „Gewiß, mit sämmtlichen dazu gehörigen Vorrechten. Es kann sein, — ich bitte um Entschuldigung, daß ich darüber spreche, — es kann sein, daß Sie im Laufe der Jahre, wenn die Zeit Ihren Kummer gemildert hat, wün­ schen oder einwilligen werden, sich wieder zu verheirathen." „Ich bezweifle es, — es ist aber möglich," sagte Co­ rona ruhig. „In dem Falle, und wenn Sie eine Ehe aus Neigung eingehen, würden Sie keinerlei Schwierigkeit haben, den Titel auf Ihren Gatten übertragen zu laffen, mit jed­ wedem Vorbehalt, der Ihnen beliebte. Ihre Söhne wür­ den dann von Ihnen den Titel erben und Herzöge von Astrardente werden. Dieses, glaube ich, ist der Zweck und die Bedeutung vom Testamente des verstorbenen Herzogs. So ansehnlich das Vermögen ist, wird es für die Grün­ dung einer neuen Familie nicht zu groß sein. Wenn Sie für sich einen besondern Titel wünschen, so können Sie sich die Herzogin del Carmine von Astrardente nennen, es würde sehr gut klingen", bemerkte der Sachwalter, indem er die schöne Frau betrachtete.

294 „Es ist wenig daran gelegen, wie ich mich nenne," sagte Corona. „Fürs Erste werde ich sicherlich keine Aenderungen treffen. Es ist sehr unwahrscheinlich, daß ich wie­ der heirathen sollte." „Ich hoffe, Frau Herzogin, daß Sie jedenfalls stets über meine bescheidenen Dienste verfügen werden." Mit dieser Betheuerung von Ergebenheit verließ der Sachwalter den Palast Astrardente, und Corona blieb in ihrem Boudoir und dachte darüber nach, wie es wohl sein würde, Feudalherrin eines hohen Titels und großer Güter zu sein. Sie war sehr traurig, fing aber an, fich an ihre Einsamkeit zu gewöhnen. Ihre Freiheit war ihr etwas Ungewohntes, allmälig aber fing sie an fie zu genießen. Zuerst fehlte ihr die beständige Sorge für den armen Mann, der fünf Jahre lang ihr Lebensgefährte gewesen war; sie vermißte seine Anwesenheit und die Aufgabe, bei jeder Gelegenheit, zu jeder Tagesstunde an ihn zu denken. Aber das währte nicht lange. Ihr Gedenken an ihn war zärtlich und treu, und noch Monate nach seinem Tode tra­ ten ihr beim Anblick einer Sache, die sie an ihn erinnerte, Thränen in die Augen. Oft wünschte sie, er möchte nach alter Art ins Zimmer treten und von den tausend Kleinig­ keiten des Stadtklatsches reden, die ihn interefprten. Aber das erste Gefühl der Trostlosigkeit ging bald vorüber, denn er war ihr nicht mehr als ein Gefährte gewesen; fie konnte für jede ihrer Erinnerungen an ihn Qnelle und Ursache ergründen. In ihr war nicht jene leidenschaftliche unbe­ stimmte Sehnsucht nach ihm, wie sie ein liebendes Herz überkommt, wenn ihm sein Nächstes und Liebstes genom­ men wird, jene Sehnsucht, welche allein der Beweis einer wahren und ächten Liebe ist. Sie gewöhnte sich bald an seine Abwesenheit.

295 Wieder heirathen — Zeder würde sagen, sie thäte recht, — heirathen und die Mutter von Kindern, braven Söhnen und edlen Töchtern werden, — ach, ja! das war ein neuer Gedanke, ein wunderbarer, — einer von den vielen wunderbaren Gedanken. „Ich habe etwas in der Welt zu bedeuten", sagte sie sich und erschrak fast über die Wahrheit dieses Gedankens, und freute sich doch darüber. „Ich bin, was die Leute reich und mächtig nennen. Zch habe Geld, Güter, Schlösser, Paläste. Ich bin jung und stark. Was soll ich mit alle dem anfangen?" Als sie so dahinging, träumte sie davon, eine große Wohlthätigkeitsanstalt zu errichten; sie wußte nicht recht zu welchem Zweck, allein für Wohlthätigkeit ist in Rom Spiel­ raum genug. Der große Torlonia hatte Kirchen, Kranken­ häuser und Bewahranstalten gebaut. Das wollte sie auch thun; am Wohlthun wollte sie Interesse finden, eine Be­ friedigung in der Ausübung ihrer Macht zur Bekämpfung des Uebels in der Welt. Es mußte herrlich sein zu füh­ len, das hätte fie selbst, allein und ohne Hülfe gethan, fie hätte die Mauern vom Fundament bis zum Schlußstein am Dach erbaut, sie hätte sich um alle Einzelheiten be­ kümmert und die große Anstalt mit solchen Wesen bevöl­ kert, welche am meisten der Hülfe bedurften — vielleicht mit kleinen Kindern. Sie wollte sie alle Tage besuchen und selbst für ihre Bedürfnisie sorgen und ihre Leiden lin­ dern. Sie wollte die Anstalt nach ihrem Gemahl be­ nennen, und die guten Werke, welche sie mittelst seiner irdischen Habe vollbrächte, würden vielleicht seiner Seele zu gute kommen. Sie wollte zum Pater Philippus gehen und ihn um Rath fragen. Er würde wiffen, was das Beste sei, denn er kannte das Elend in Rom beffer als

296 irgend ein anderer und hatte den Wunsch es zu lindem. Sie hatte ihn schon nach ihres Gatten Tode gesehen, aber damals hatte sie noch nicht diesen Plan gefaßt. Und Giovanni — auch an ihn dachte sie, aber die Gewohnheit, ihn aus ihrem Herzen zu bannen, war stark. Sie dachte, in ferner Zukunft könnte vielleicht der Tag kommen, wo es ihr erlaubt sein würde, an ihn zu denken, wenn sie es wollte; aber für jetzt erschien ihr die Treue gegen ihren verstorbenen Gatten mehr als je wie eine hei­ lige Pflicht. Sie gestattete es sich nicht, an Giovanni zu denken, selbst wenn ihr ganz im Allgemeinen der Gedanke an die Möglichkeit einer zweiten Ehe in den Sinn kommen sollte. Sie wollte zum Pater Philippus gehen und alles mit ihm besprechen, er würde sie gut berathen. Dann ergriff sie eine heftige Sehnsucht, Rom eine Zeit lang zu verlassen, Landluft zu athmen, dem Schauplatz all ihrer Leiden, all der furchtbaren Auftegungen, welche wäh­ rend der letzten drei Wochen ihre Seele bestürmt hatten, zu entfliehen, allein in den Bergen oder an der See zu sein. Es schien ihr schrecklich, an das große Haus in der Stadt gefesselt zu sein, in ihrer Trauer plötzlich ausgeschloffen von der Welt und durch eine Kette von Förmlichkeiten an eine bestimmte Lebensweise gebunden zu sein. Sie wollte fort um jeden Preis. Warum denn nicht? Mit einem Male wurde ihr klar, was so schwer zu fassen war: daß ihr frei stünde, hinzugehen wohin es ihr beliebte, — wenn sie nur, zufällig, vor ihrer Abreise noch ein Mal Giovanni Saracinesca begegnen könnte! Nein — der Gedanke war un­ würdig. Sie wollte sofort die Stadt verlaffen, sie hatte ja Giovanni nichts zu sagen. Sie wollte am nächsten Mor­ gen abreisen.

Eine

Römische Fürstensamilie Roman

in drei Büchern von

F. Marion Crawford.

Erstes Buch

Saraciuesra in zwei Theilen.

Berlin. Dmck und Verlag von Georg Reimer.

1892.

Saraciaesca von

Z Marion Crawford.

Zweiter Theil. Autorisirte Uebersetzung

von

Th. Höpfner.

Berlin. Druck und Verlag von Georg Reimer. 1892.

Erstes Kapitel.

Es war für Corona unmöglich, die Stadt so bald zu verlaffen, wie fie es wünschte. Sie hatte freilich große Wagenladungen von Möbeln, ihre Dienstboten und Pferde, kurz alles für ihren Landaufenthalt Erforderliche htnausgeschickt, und glaubte, fie könne jetzt sofort selbst hinaus­ ziehen, als fie einen sehr verbindlichen Brief vom Cardinal Antonelli erhielt, der fich die Ehre erbat, am folgenden Tage um zwölf Uhr bei ihr erscheinen zu dürfen. Eine ablehnende Antwort war unmöglich, und so sah fie fich zu ihrem Leidwesen genöthigt, ihre Abreise um vierundzwanzig Stunden aufzuschieben. Sie vermuthete, der große Mann werde der Ueberbringer einer Botschaft vom Heiligen Vater selbst sein, und in ihrer gegenwärtigen Gemüthsverfaffung mußten ihr solche Worte von Pius IX. hochwillkommen sein, den fie so auftichtig verehrte und liebte, wie alle, die ihn kannten. Für den Cardinal hatte fie allerdings keine Vor­ liebe; indessen verwechselte fie den Abgesandten nicht mit dem Sender der Botschaft. Der Cardinal war ein feiner vollendeter Weltmann, und Corona konnte fich ihre Ab­ neigung gegen ihn selbst nicht leicht erklären. Hätte fie begreifen können, welche Rolle er in dem damaligen großen europäischen Kampfe spielte, so würde fie ihm wahrschein­ lich wenigstens die Bewundemng gezollt haben, welche er

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als Staatsmann verdiente. Er hatte seine Fehler, und zwar Fehler, welche einem Cardinal der Römischen Kirche übel anstanden. Wenige aber sind geneigt zu bedenken, daß er, obwohl Cardinal, doch kein Priester war, sondern thatsächlich ein Laie, der allein durch sein Genie zu großer Macht gelangt war, und daß jene Fehler, die an ihm mit so viel Schärfe gerügt wurden, manch einem großen Staats­ mann unserer und jener Tage unbemerkt und ungerügt hin­ gehen würden, ja in der That hingegangen sind. Er war ein tapferer Mann, der einen verzweifelten, hoffnungslosen Kamps bis zum lxtzten Athemzuge fortsetzte und der bei­ nahe ganz allein kämpfte; ein Mann, der von vielen bitter gehaßt ward, über dessen Tod viele sich freuten und wenige trauerten; und zu vieler Schande sei es gesagt: seine hart­ näckigsten Gegner, gerade die, welche ihn bei Lebenszeiten schonungslos schmähten und sich über sein Ende rücksichts­ los freuten, gehörten zu den Leuten, unter welchen er seine willigsten Anhänger und treuesten Freunde hätte finden sollen. Aber im Jahre 1865 wurde er gefürchtet, und wer in der Politik die Rechnung ohne ihn machte, der verrech­ nete sich. Corona war eine Fran und noch sehr jung. Sie hatte nicht genug Einsicht und Erfahrung, um ihn nach seinem Werth zu schätzen, und sie hatte bei ihrem ersten Auftreten in der Gesellschaft eine persönliche Abneigung gegen ihn gefaßt. Für sie war er zu glatt, sie hielt ihn für falsch. Ihr sagte ein gerades Wesen mehr zu. Ihr Mann da­ gegen hatte eine grenzenlose Bewunderung für den Car­ dinal-Staatsmann gehegt, und vielleicht hatte die Art und Weise, in welcher Astrardente beständig bemüht gewesen war, seiner Frau die Achtung vor den Verdiensten des großen Mannes einzuflößen, mittelbar dazu beigetragen,

ihre Abneigung gegen ihn zu vermehren. Als er sie in­ dessen wissen ließ, daß er von ihr empfangen zu sein wünschte, zögerte sie keinen Augenblick, sondern erklärte so­ fort ihre Bereitwilligkeit. Pünktlich, als eben die Kanone der Engelsburg donnernd verkündete, daß die Sonne auf der Mittagshöhe stünde, betrat der Cardinal Coronas Haus. Sie empfing ihn im großen Salon. Die Begeg­ nung hatte etwas Feierliches. Das Gemach an sich, all der tausend Kleinigkeiten entkleidet, welche bereits aufs Land geschickt waren, sah öde und förmlich aus; die schwe­ ren Vorhänge ließen nur wenig Licht eindringen, es war kein Feuer im Kamin. Corona stand ganz in Schwarz gekleidet, wie eine Verkörperung der Trauer da, als der Cardinal über den dunkeln Teppich leise auf sie zuschritt. Seine scharfen Züge waren durch den Ausdruck freund­ licher Theilnahme gemildert, als er aus sie zutrat und ihre Hand mit seinen beiden erfaßte und ihr einen Augenblick in die schönen Augen sah. „Ich bin ein Gesandter, Herzogin," sagte er sanft. „Ich komme, um Ihnen zu sagen, wie innig der Heilige Vater an Ihrem tiefen Kummer theil nimmt." Corona neigte ehrfurchtsvoll das Haupt, und winkte dem Cardinal sich zu setzen. „Ich bitte Ew. Eminenz Seiner Heiligkeit meine auf­ richtige Dankbarkeit für diesen Beweis väterlicher Güte gegen eine so Unglückliche auszusprechen." „Ich werde nicht verfehlen, Ihren Auftrag auszurich­ ten, Herzogin," antwortete der Cardinal, indem er sich neben sie auf einen der großen Armstühle setzte, welche in der Mitte des Zimmers zusammengerückt worden waren. „Seine Heiligkeit hat versprochen, Ihrer im Gebefx zu ge­ denken, und ich bitte Sie, auch in meinem ssign?n Ramen,



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überzeugt zu sein, daß ich auftichtigen Antheil an Ihrem Schmerze nehme."

„Ew. Eminenz find sehr gütig," versetzte Corona ernst. Es schien, als ob bei einer solchen Gelegenheit wenig

mehr zu sagen wäre. Zwischen den beiden bestand keine Freundschaft, kein Band der Gemeinschaft oder Sympathie;

es war nur ein einfacher Kondolenzbesuch, wie Coronas hohe Stellung ihn erheischte. Der Papst hatte ihr zu ihrer Hochzeit ein Geschenk geschickt; er sandte ihr jetzt, beim

Tode ihres Gatten,

die Versicherung seiner Theilnahme.

Ein halbes Dutzend Redensarten mnßten gewechselt werden, dann würde der Cardinal fich verabschieden, begleitet von Coronas Dienerschaar — und damit würde alles vorbei sein. Allein der Cardinal war ein Staatsmann, ein Diplo­ mat, und einer der gewandtesten Sprecher in Europa; er ließ nie eine Gelegenheit, die seinen Zwecken dienen konnte,

ungenützt vorübergehen. „Ach, Herzogin," sagte er, indem er die Hände über

dem Knie faltete und zu Boden sah, „es giebt nur einen Tröster in solchem Schmerz wie der Ihre.

Es ist umsonst^

daß wir Sterbliche davon sprechen, wahres Seelenleiden zu

Es giebt für manche Leute allerlei Tröstungen, doch die paffen nicht für Sie, Vielen würden die obwab-

lindern.

tenden Verhältniffc, Reichthum, Jugend, Schönheit, in eben dem Augenblicke, wo alles in tiefes Dunkel verhüllt scheint,

die Ausficht auf eine glänzende Zukunft eröffnen; aber wenn Sie mir, der Sie so wenig kennt, erlauben wollen,

es offen auszusprechen: ich glaube nicht, daß alle diese Dinge, welche Sie in so überreicher Fülle besitzen, das Maß Ihres Kummers vermindem werden.

Ich glaube, es wäre auch

nicht recht, wenn es geschähe.

Es schickt fich nicht, daß

edle Seelen im Stande seien, wahres Leiden über die un-

9 wahren Kleinigkeiten irdischen Reichthums zu vergessen, welche den Schwachen so leicht neuen Muth verleihen und gemeine Seelen zum Vergessen eines würdigen Schmerzes bringen. Ich bin kein Moralprediger, kein pedantischer Philosoph. Der Stoiker mag in dumpfer Gleichgültigkeit gegen das Geschick die Achseln zucken; der Epikuräer mag in der äußersten Verfeinerung mäßigen Genusses so viel körperliches Behagen finden, daß er den tiefsten Kummer über die Ausficht auf das Vergnügen der nächsten Mahl­ zeit vergißt. Ich kann Leute wie diese philosophischen Ge­ nußmenschen nicht begreifen; ebensowenig kann ich mir vorstellen, mit welchen Gründen die Weisesten dieser Welt einen leidenden Mitmenschen dahin bringen können, sein Leid zu vergessen. Schmerz bleibt Schmerz für jede fein organifirte Natur. Die Fähigkeit, Schmerz zu empfinden, ist einer der schärfsten Prüfsteine für eine edle Natur, wie sie nicht immer bei denen, die durch Geburt und Geschlecht hoch stehen, zu finden ist, wohl aber beim Volke, wo näm­ lich das Volk unverdorben ist." Die Stimme des Cardinals wurde beim Sprechen immer weicher. Er selbst war von sehr geringer Herkunft und sprach mit Gefühl. Corona hörte zu, obschon fie eigent­ lich nur die Hälfte von dem vernahm, was er sagte; aber fein sanfter Ton beruhigte fie unvermerkt. ,Es giebt wenig Trost für mich — ich stehe ganz allein", sagte fie. ,Sie gehören nicht zu Denen, welche Trost in irdischer Größe finden," fuhr der Cardinal fort. „Aber ich habe schöne, reiche junge Frauen ihre Trauer mit wunderbarer Fassung tragen sehen. Jugend gilt viel, Reichthum noch viel mehr, Schönheit übt eine so große Macht in der Welt aus, — alle drei vereint find unwiderstehlich. Manche

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junge Wittwe schämt sich nicht, an eine WiederverheirathMg zu denken, ehe ihr Mann einen Monat todt ist, und solche werden nicht eben schlechte Gattinnen. Eine Frau, welche jung verheirathet worden und ftüh ihren Gemahl verloren hat, besitzt viel Erfahrung, große Kenntniß der Welt. Manche fühlen, daß sie kein Recht dazu haben, die ihnen verliehenen Güter in einem Leben einsamer Trauer zu ver­ geuden. Reichthum wird verliehen auf daß er Nutzen bringe, und manche junge Wittwe denkt, sie kann ihn in Gemeinschaft mit einem jungen Gatten baffer verwenden. Es mag so sein; ich weiß es nicht. In unseren Tagen sollte jede Art von Macht ausgenützt werden, und vielleicht sollte Niemand auch nur einen Augeyblick daran ducken, sich von dem Schauplatz zurückzuziehen, aus dem so große Kämpfe ausgefochten werden. Aber der Eine wählt die Art seine Macht zu gebrauchen weise, der Andere ist unweise in seiner Wahl. Es giebt so viel zu thun." „Wie?" fragte Corona, sein Aussprechen eines Gedan­ kens aufgreifend, der sie verfolgte. „Hier bin ich, reich, allein, mächtig, — und vor allem sehr unglücklich. Was kann ich thun? Ich wünsche, ich wüßte es, dann würde ich es versuchen." „Ach! Ich sprach nicht von Ihnen, Herzogin," ant­ wortete der Staatsmann. „Sie find eine zu edle Fra«, um fich leicht zu trösten. Und doch, obschon Sie keine Er­ leichterung Ihres großen Kummers finden sollten, giebt eS viele Dinge in Ihrem Bereiche, welche Sie thun könnten und dabei empfinden, daß Sie ihrem entschlafenen Gatten so wie fich selbst damit Ehre machen. Sie haben große Güter, — Sie können fie verbeffern und könne« vor allen Dingui die Lage Ihrer Bauern verbeffern und fie in ihrer Ergebenheit gegen Sie und den Staat bestärken. Aus Ihren

11 Gütern dürsten Sie manch ein Dorf finden, wo eine Schule errichtet, eine Bewahranstalt gegründet, eine neue Straße gebaut werden könnte; irgend etwas, das den Armen äße» schästigung verschaffen und nach seiner Vollendung zu ihrem Vesten dienen könnte. Besonders um Astrardente herum find die Leute sehr arm. Ich kenne die Gegend genau. Zn einem halben Jahre könnten Sie dort manches ändern; und dann könnten Sie im nächsten Winter nach Rom zurück­ kehren. Wenn es Ihnen beliebt, können Sie mit der Ge­ sellschaft alles Mögliche machen. Sie könnten Ihr Haus zum Mittelpunkt für eine neue Partei machen — es ist die älteste von allen Parteien, würde aber hier für neu gelten. Wir haben keinen Mittelpunkt. Es giebt keinen Salon im guten alten Sinne des Wortes; kein Haus, von dem alles, was intelligent, mächtig, einflußreich ist, un­ widerstehlich angezogen wird. Einen solchen Mittelpunkt zu bilden erscheint mir als eine würdige Aufgabe. Sie würden fich mit Männern von Geist umgebe»; Sie würden solche Leute zusammenbringen, die fich anderswo nicht be­ gegnen könnten. Sie würden einer durch ihre Leere in sich verfallenden Gesellschaft neue Kraft einflößen. Sie könnten zu einer Macht, einer wirklichen Macht nicht bloß in Rom, sondern in Europa werden, Sie könnten Ihr Haus berühmt machen, als den Punft, von dem alles Gute und Große in Rom ausstrahlen würde bis an die Enden der Welt. Sie könnten all dies als junge Wittwe thun, ohne dem Anden­ ken dessen, den sie so innig geliebt haben, Unehre zu machen." Corona sah den Cardinal ernst an, als er ihr so den Ausblick in ihr neues Leben erschloß. Was er sagte, klang gut und wahr. Seine Worte eröffneten ihr ein größeres Feld der Thätigkeit, als sie es fich vor einer halben Stunde

12 hatte träumen lassen. Besonders lockte ste der Plan für die Verbefferung ihrer Güter und der Verhältnisse ihrer Leute. Sie wollte sofort etwas thun, — etwas Gutes, das der Mühe werth wäre. „Ich glaube, Sie haben recht," sagte sie. „Ich müßte sterben, wenn ich müßig bliebe." „Ich weiß, daß ich recht habe," versetzte der Cardinal im Tone der Ueberzeugung. „Nicht als ob ich Ihnen all dies als einen unabänderlichen Plan in Vorschlag brächte. Ich will nicht, daß Sie meinen, ich wolle Ihnen ein System vorschreiben oder Ihnen auch nur einen Rath geben. Ich habe nur laut gedacht. Es macht mich glücklich, wenn meine Gedanken Ihnen gefallen, wenn meine Worte Ihre Seele auch nur einen Augenblick von dem schweren Druck dieses plötzlichen Schmerzes erleichtern können. Ich biete Ihnen keinen Trost. Ich bin kein Priester, sondern ein Mann der That, und Thätigkeit rathe ich Ihnen an, nicht als ein Mittel gegen den Kummer, sondem nur weil es recht ist, daß wir heutzutage alle nach Kräften wirken. Von Ihren Bauern find viele in übler Lage; Sie können fie daraus erretten und glücklich machen, selbst wenn Sie für fich kein eignes Glück mehr finden. Unsre hiesige Ge­ sellschaft geräth in Verfall oder geht sonderbaren Göttern nach, besonders Madame Mayer und ihre Laren und Penaten, der junge Valdarno und Del Ferice: es steht in Ihrer Macht hier ein neues Leben zu schaffen, oder wenig­ stens viel dazu beizutragen, das gesellschaftliche Gleichge­ wicht herzustellen. Was ich sage, ist dies: thun Sie es, wenn Sie wollen, denn es ist eine gute That. Jedenfalls, während Sie in Astrardente Wege, oder vielleicht Schulen bauen lassen, können Sie über das, was Sie später thun wollen, nachdenken. Und nun, meine liebe Herzogin, habe

13 ich Sie zu lange aufgehalten. Verzeihen Sie, wenn ich Sie belästigt habe, aber mir liegen große Dinge am Her­ zen, und manchmal muß ich darüber sprechen, wenn ich auch nicht gut spreche. Rechnen Sie stets auf meinen Bei­ stand, falls Sie dessen bedürfen sollten. Haben Sie Geduld mit mir, wenn ich Sie langweile, denn ich war ein guter Freund besten, den wir beide betrauern." „Ich danke Ihnen, Sie haben mich auf gute Gedanken gebracht", sagte Corona einfach. Also stand der geschmeidige Cardinal auf und verab­ schiedete sich, und wieder war Corona allein. Es war son­ derbar, daß während er sich die Macht absprach, sie zu trösten, und ableugnete, daß Trost für sie möglich wäre, sie ihm doch voll Antheil zugehört hatte und jetzt ernsthaft über das von ihm Gesagte nachdachte. Es war als hätte er ihren Gedanken Gestalt und dem Bewußtsein von Macht, welches sich schon in ihr zu regen begann, eine bestimmte Richtung gegeben. Zum ersten Male in ihrem Leben em­ pfand sie eine Art von Sympathie für den Cardinal; sie verweilte noch einige Minuten in dem großen Empfangs­ zimmer und dachte darüber nach, ob sie wohl etwas von dem, was er ihr vorgeschlagen, ausführen könne. Jeden­ falls stand ihrer Abreise nichts mehr im Wege, und sie dachte mit einer Art von Freude an das felsige Sabiner­ gebirge, an die Einsamkeit in den Bergen, die einfachen Gesichter der Landleute auf ihren Gütern und an das ruhige Leben, welches sie dort während des nächsten halben Jahres führen wollte. Der Cardinal aber ging seiner Wege und rollte in seiner großen Kutsche durch die engen Straßen. Weit auf seinem gepolsterten Sitz znrückgelehnt, konnte er eben die Vorübergehenden erspähen und seine scharfen Augen er-

14 kannten viele, Höhe und Niedrige.

Aber es lag ihm nichts

daran, sich zu zeigen, denn er wußte, daß er unbeliebt war,

und in seiner fein organistrten Natur lag eine Empfind­ lichkeit, welche durch den Haß des Volkes verwundet wurde.

Es verletzte ihn, die finsteren Blicke des Armen zu sehen und die gezwungene Verbeugung des Neichen, der ihn fürchtete, zu erwidern. Oft wünschte er, sowohl dem Armen, wie dem Reichen so manches erklären zu können; und wenn

er dann einsah, wie unmöglich es war, daß er von ihnen verstanden wurde, seufzte er bitter und versteckte flch noch tiefer in seinem Wagen. Wenige haben mitten in der Welt so völlig allein gestanden wie der Cardinal Antonelli.

An diesem Tage indeflen hatte er eine Begegnuug

verabredet, welcher er mit einer ihm ganz neuen Art von Interesse entgegensah. Anastase Gouache sollte kommen, um sein Bild anzufangen, und Anastase war für ihn ein Gegenstand der Neugierde. Es würde den jungen Fran­ zosen überrascht haben, wenn er geahnt hätte, wie genau er beobachtet wurde, denn er war ein bescheidener junget Mann und hielt sich nicht für besonders wichtig. Er ließ Donna Tullia und ihre Freunde in sein Atelier kommen,

so oft es ihnen beliebte: er hörte ihr seichtes Gerede an

uud mischte sich bisweilen in ihre Unterhaltung, wobei et sie glauben ließ, daß er ihre Ansichten theile, lediglich weil seine eignen nicht seflstanden. ES war für ihn vorthetl-

haft, Donna Tullia zu malen, denn es brachte ihn in Mode,

und er machte sich kein Gewissen daraus, ihren Ansichten

beizupflichten, so lange er keine eignen festen Ueberzeugun­ gen hatte. Sie und ihre Partei sahen ihn als einen harm­ losen Jungm an,

und sein Atelier als einen bequemen

Zusammenkunstsort; als Lohn dafür führten sie ihn in die Gesellschaft ein und verbreiteten das Gerücht, er wäre das

15 ausgehende Gestirn des Tages im Reiche der Kunst. Aber der große Cardinal hatte ihn mehr als ein Mal gesehen und hatte Wohlgefallen an seinem geistvollen Gesicht un­ feinem bescheidenen Austreten gefunden. Er hatte ihn selbst beobachtet und beobachten lassen, und sein Interesse hatte zugenommen; endlich war es ihm eingefallen, sich von dem jungen Manne malen zu lasten. Dieser Tag war für die erste Sitzung bestimmt; und als der Cardinal seine Woh­ nung hoch oben im Vatican erreichte, fand er Anastase Gouache im kleinen Vorzimmer auf ihn wartend. Der Premierminister hatte keine üppige Wohnung. Vier Zimmer genügten ihm, nämlich das besagte Vor­ zimmer, kahl und ohne Teppich, nur mit drei bemalten hölzernen Kastenbänken ausgestattet; ein bequemes Studirzimmer, mit Büchergestellen und Schränken, einem halben Dutzend großer Stühle und einem Schreibtisch möblirt, aus dem ein Kruzifix und ein Schreibzeug stand; dahinter ein Schlafzimmer und ein kleines Speisezimmer: das war alles. Die Schiebladen der Schränke und Büchergestelle enthielten eine Correspondenz, welche Europa in Erstaunen gesetzt hätte, und eine Sammlung von Juwelen und Edel­ steinen, die auf der Welt nicht ihresgleichen hatte; allein dem Auge war kein Zimmerschmuck sichtbar, es sei denn, daß man eine recht gute Büste Pius IX. dafür nehmen wollte, welche auf einfachem Marmorsockel in einer Ecke stand. Gouache folgte dem großen Mann in sein Studirzimmer. Die Einfachheit des Gemaches überraschte ihn; aber sie muthete ihn an, wie das Wesen des Cardinals, und mit dem feinen Gefühl des Künstlers sah er voraus, daß er ein gelungenes Bild malen würde. DerCardinal machte sich mit einigen Papieren zu schaffen, während der Maler schweigend seine Vorbereitungen traf.

16 „Wenn Ew. Eminenz bereit sind?" fragte Gouache. „Zu dienen, mein Freund," versetzte der Cardinal ver­ bindlich. „Wie soll ich fitzen? Ich denke, das Bild muß en face ausgenommen werden". „Jedenfalls, Hier; ich denke so. Das Licht ist um diese Stunde sehr gut, aber etwas später werden wir Sonne haben. Wenn Ew. Eminenz mich ansehen wollten, — etwas mehr nach links. So ist's recht. Ich will den Entwurf mit Kohle machen, und Ew. Eminenz werden sehen —* „Jawohl", versetzte der Cardinal. „Sie werden den Teufel noch schwärzer malen als er ist." „Den Teufel?" wiederholte Gouache und zog mit feinem Lächeln die Augenbrauen in die Höhe. „Ich wußte nicht" —, „Und doch find Sie schon ein Jahr in Rom." „Ich bin sehr vorsichtig", sagte Gouache. „Ich höre niemals irgend etwas Uebles von denen, die ich malen soll." „Sie haben sehr wohlerzogeneOhren, Monsieur Gouache. Ich fürchte, wenn ich einigen von den Zusammenkünften in Ihrem Atelier beigewohnt hätte, als Donna Tullia sich malen ließ, so würde ich seltsame Dinge gehört haben. Sind sie Ihnen alle entgangen?" Gouache schwieg einen Augenblick. Es überraschte ihn nicht, daß der allwisiende Cardinal mit den Vorgängen in seinem Atelier genau bekannt war, aber er sah den großen Mann forschend an, ehe er ihm antwortete. Des Cardinals kleine glänzende Augen begegneten den seinen mit furcht­ loser Ueberlegenheit. „Ich erinnere mich nur des Guten von Ew. Eminenz," erwiderte der Maler endlich lachend; dann machte er sich ans Werk und fing an, den Kops des Cardinals im Um­ riß zu zeichnen. Die eben vernommenen Worte, welche

17 eine gründliche Kenntniß der geringsten Einzelheiten des geselligen Lebens verriethen, würden Madame Mayer er­ schreckt und Del Ferice vielleicht aus Furcht für sein Leben aus dem Kirchenstaat getrieben haben. Selbst der gut­ müthige thörichte Valdarno hätte sich mit Recht erschrecken können; aber Anastase war aus anderm Stoff gemacht. Sein Großvater hatte die Bastille erstürmen helfen, sein Vater hatte zu den Männern von 1848 gehört; es floß revolutionäres Blut in seinen Adern, und er wußte die wahre von der eingebildeten Verschwörung mit der instinctiven Sicherheit zu unterscheiden, mit welcher der Bluthund die Spur des Menschen von der des niedern Wildes unter­ scheidet. Er lachte über Donna Tullia, er mißtraute Del Ferice und bis zu einem gewiffen Grade verstand er den Cardinal. Und der Staatsmann verstand ihn auch und interessirte sich für ihn. „Sie mögen immerhin ihr Geschwätz vergessen. Mir schadet es nichts, und ihnen macht es Vergnügen. Es scheint Sie indessen nicht zu überraschen, daß ich darum weiß. Sie haben gute Nerven, Monsieur Gouache." „Natürlich können Ew. Eminenz mich morgen aus Rom ausweisen, wenn es Ihnen so beliebt," antwortete Gouache ohne jede Verlegenheit. „Aber so bald wird das Bild nicht fertig sein." „Nun, das wäre Schade. Sie dürfen bleiben. Aber die Andern — was rathen Sie mir mit ihnen zu thun?" fragte der Cardinal und seine glänzenden Augen funkelten vor Vergnügen. „Wenn Ew. Eminenz unter den Andern meine Bekann­ ten verstehn, fo kann ich v.ersichcrn, daß keiner derselben Ihnen je die geringste Unannehmlichkeit verursachen wird." „Zch glaube, Sie haben recht, ihre Fähigkeit mir zu Cr.iwford, Sckracinesca. II. 2

18 schaden ist bedeutend geringer als ihre Lust dazu.

Nicht

wahr?" „Wenn Ew. Eminenz es mir erlauben wollen," sagte

Gouache plötzlich aufstehend und den Kohlenstift aus der Hand legend,

„so möchte ich diesen Vorhang über dem

Fenster zustecken.

Die Sonne fängt an Hereinzuscheinen."

Er war nicht gesonnen, Fragen zu beantworten. Wenn der Cardinal etwas von den Zusammenkünften in der Via San Basilio wußte, so war das nicht Gouaches Schuld.

Er wollte sicherlich keine weitere Auskunft geben. Der Staatsmann hatte das eigentlich erwartet und wunderte sich nicht über die Verschwiegenheit des jungen Mannes. „Einer von diesen jungen Herren scheint wenigstens einen gefunden zu haben, der ihm gewachsen ist," bemerkte

er bald darauf.

„Es thut mir leid, daß es auf die Art

gekommen ist." „Ew. Eminenz hätten

das Duell leicht verhindern

können." „Ich wußte nichts davon", versetzte der Cardinal, in­ dem er Gouache scharf ansah.

„Ich auch nicht", sagte der Künstler einfach.

„Sie sehen, ich bin nicht immer so gut unterrichtet, wie die Leute glauben, mein Freund." „Es ist schade", bemerkte Gouache. „Es wäre besser gewesen, wenn der arme Del Ferice auf der Stelle getödtet

worden wäre.

Dann hätte die Sache ein Ende gehabt."

„Während jetzt"--------„Während jetzt Del Ferice natürlich nach einer Ge­ legenheit suchen wird sich zu rächen."

„Sie sprechen, als ob Sie ein Freund von Don Gio­

vanni wären," sagte der Cardinal. „Nein, ich kenne ihn nur ganz oberflächlich.

Ich be-

19 wundere ihn, er hat einen so schönen Kopf. Es sollte mir leid thun, wenn ihm etwas zustieße." „Halten Sie Del Ferice für fähig, ihn zu ermorden?" „Ach nein! Aber er könnte ihm viel Aerger ver­ ursachen." „Ich denke nicht", versetzte der Cardinal nachdenklich. „Del Ferice fürchtete, Don Giovanni könnte Donna Tullia heirathen und so seine Pläne kreuzen. Aber daran wird Giovanni nicht mehr denken." „Nein; ich vermuthe, Don Giovanni wird die Herzogin von Astrardente heirathen." „Natürlich", versetzte der Cardinal. Einige Minuten lang herrschte Schweigen. Während Gouache seinen Stift handhabte, wunderte er sich über das Interesse des großen Mannes an all solchen Einzelheiten des gesellschaftlichen Lebens von Rom. Der Cardinal dachte an Corona, die er vor kaum einer halben Stunde, gesehen hatte und über­ legte die Vortheile, welche sich aus einer Verbindung zwi­ schen ihr und Giovanni ziehen ließen. Er hatte eine gewiffe Durchlaucht für sie im Auge, die er sich geneigt machen wollte und deren Verhältnisie nicht so glänzend waren, als daß Coronas Vermögen dabei unbedeutend er­ schienen wäre. Andrerseits aber hatte der Cardinal für Giovanni keine Durchlaucht bei der Hand und fürchtete, er könne am Ende doch Donna Tullia heirathen und ins feind­ liche Lager übergehen. „Sie find aus Paris, nicht wahr, Monfieur Gouache?" sagte der Cardinal endlich. „Parisien des Parisiens, Eminenz." „Wie können Sie so lange in der Verbannung leben? Sie find seit vier Jahren nicht daheim gewesen, glaube ich." „Ich möchte fürs Erste lieber in Rom leben. Später 2*

20 werde ich nach Paris gehen. Es wird mir immer eine angenehme Erinnerung sein, Rom in dieser Zeit gesehen zu haben. Meine Freunde schrieben mir, daß Paris sehr

belebt, doch nicht angenehm ist." „Glauben Sie, es wird von dieser Zeit bald nichts mehr übrig sein als die Erinnerung daran?" fragte der Cardinal. „Ich weiß nicht, was ich denken soll. Die Zeiten scheinen unsicher und meine Ansichten find es auch. Mir wurde gesagt, Ew. Eminenz würden mir helfen, mich zu entscheiden, was ich zu glauben habe." Gouache lächelte freundlich und blickte auf. „Und wer hat Ihnen das gesagt?" „Don Giovanni Saracinesca." „Aber ich muß doch erst Aufschluß darüber haben, was Ihre Ansichten sind," sagte der Cardinal. „Wann hat Don Giovanni Ihnen das gesagt?" „Beim Fürsten Frangipani. Er hatte mit Ew. Emi­ nenz gesprochen. Vielleicht war er in Folge dessen zu einem Entschluß gekommen", meinte Gouache. „Vielleicht", erwiederte der große Mann mit sichtlicher Befriedigung. „Jedenfalls ist die Meinung von mir, welche er gegen Sie aussprach, schmeichelhaft für mich. Vielleicht kann ich Ihnen Helsen, sich zu entscheiden. Was haben Sie für Ansichten? oder vielmehr: was für Ansichten möchten Sie haben?" „Ich bin ein eifriger Republikaner", sagte Gouache kühn. Es gehörte mehr als gewöhnlicher Muth dazu, solch ein Bekenntniß gegen das Haupt reaktionärer Politik in jenen Tagen auszusprechen, und das innerhalb der Mauern des Vatican, kaum zweihundert Schritt von den Privat­ gemächern des heiligen Vaters. Aber der Cardinal An-

21 tonelli lächelte verbindlich und schien nicht im geringsten erstaunt oder verletzt. „Republikaner ist ein sehr unbestimmter Ausdruck, Monsieur Gouache," sagte er. „Aber mit was für andern Ansichten wünschen Sie Ihre republikanischen in Einklang

zu bringen?" „Mit denen der Kirche. Ich bin ein guter Katholik und wünsche es zu bleiben; in der That, ich kann nicht

anders." „Christenthum ist jedenfalls nichts Unbestimmtes", ant­ wortete der Cardinal, der allerdings über die Zusammen­ stellung dieser beiden Prinzipien etwas erstaunt war. „Er­ stens erlauben Sie mir zu bemerken, mein Freund, daß das Christenthum die reinste Form einer Republik ist, welche die Welt je gesehen hat, daß es daher nur von Ihrer Einsicht abhängt, in Ihrer Seele zwei Begriffe auszusöhnen, welche von Anfang an unlöslich mit einander verknüpft worden sind." Run war die Reihe an Gouache, sich über das Zugeständniß des Cardinals zu verwundern. „Ich fürchte, ich muß Ew. Eminenz um nähere Er­ klärungen bitten," sagte er. „Ich hatte keine Idee davon, daß Christenthum und Republikanerthum dasselbe wären." „Republikanerthum", versetzte der Staatsmann, „ist ein unbestimmter Ausdruck, durch den mißglückten Versuch erfunden, mit einem Worte die unlösliche Verwirrung zu bezeichnen, welche in unseren Tagen aus der Vermischung sozialistischer Ideen mit rein republikanischen entstanden ist. Wenn Sie über diese Dinge sprechen wollen, so müssen Sie Ihre Stellung zum Sozialismus, so wie zu der reinen Theorie eines Freistaates genau bestimmen. Wenn Sie von einer thatsächlichen Republik in irgend einer bekannten

22 Form sprechen wollen, wie von der altrömischen, der hollän­ dischen, oder der amerikanischen, so verstehe ich Sie ohne weitere Erklärung." „Ich beabfichtige allerdings von der reinen Republik zu sprechen. Ich glaube, in einer wahren Republik würde die Vertheilung der Güter von selbst kommen." „Sehr gut, mein Freund. Was nun die ersten Christen anbetrisft, würden Sie ihre Gemeinden monarchisch, aristo­ kratisch oder oligarchisch nennen?" „Keins von den dreien, sollt' ich meinen", sagte Gouache. „Dann bleiben nur noch zwei Systeme übrig, — Demokratie und Hierarchie. Sie werden wahrscheinlich sagen, die Regierung der ersten Christen war von der letz­ ter» Art, d. h. sie wurden thatsächlich von Priestern regiert. Andrerseits aber leidet es keinen Zweifel, daß sowohl die Regierenden wie die Regierten alles mit einander gemein hatten, keinen Menschen von Natur für höherstehend als die andern ansahen, und Freiheit und Gleichheit mindestens ebenso aufrichtig predigten als unter der ersten französischen Revolution. Ich sehe nicht ein, wie Sie umhin können, ein solches Gemeinwesen Republik zu nennen, weil darin eine gleichmäßige Gütervertheilung stattfand, noch es zu­ gleich als demokratisch zu bezeichnen, weil alle sich unter einander Brüder nannten." „Aber die Hierarchie — was wurde daraus?" fragte Gouache. „Die Hierarchie bestand innerhalb der Demokratie, nach allgemeinem Uebereinkommen und zum allgemeinen Besten, und bildete eine zweite minder zahlreiche aber um so mächtigere Demokratie. Jeder konnte Priester, jeder Priester konnte Bischof, jeder Bischof konnte Papst werden,

23 eben so sicher wie jeder gehonte römische Bürger Konsul werden konnte, oder jeder Eingeborne von New Jork zum Präsidenten der Vereinigten Staaten erwählt werden kann. Nun war das in der Theorie sehr schön, und in der Praxis hat der demokratische Geist der Hierarchie, die kleinere Re­ publik, in unverminderter Kraft fortbestanden bis auf diesen Tag! Nach der ursprünglichen christlichen Theorie sollte die ganze Welt jetzt eine große Republik sein, in welcher sich alle Christen Brüder nennen und in weltlichen wie in geistlichen Dingen einander beistehen. Innerhalb dieses Freistaates sollte unter allgemeiner Zustimmung die klei­ nere hierarchische Republik bestehen, — eine erwählte Ge­ meinschaft, die ihre Glieder aus der größern entnimmt, wie es noch jetzt geschieht; die ihr Oberhaupt, den höchsten Priester, als Haupt von Kirche und Staat erwählt, wie es noch jetzt geschieht, der für diese Stellung aufs beste geeignet ist, und zwar aus dem sehr einfachen Grunde, daß in einem auf folchen Grundsätzen gegründeten und be­ ruhenden Gemeinwesen, in welchem kraft wahrer und all­ gemeiner Frömmigkeit die besten Männer in die Kirche eintreten würden, die besten auch endlich auf den päpst­ lichen Thron gelangen würden." „Ew. Eminenz erklären die Sache sehr überzeugend," erwiderte Gouache. „Aber weshalb hat die größere Re­ publik, welche die kleinere enthalten sollte, aufgehört zu be­ stehen? oder vielmehr weshalb ist sie nie zu Stande ge­

kommen?" „Weil die Menschen ihren Theil des Vertrages nicht erfüllt haben. Die Sache liegt in einer Nußschale. Die Leute, welche in die Kirche eintreten, find genügend intel­ ligent und gebildet, um die Vorzüge einer christlichen De­ mokratie, Gemeinschaft, Solidarität und brüderliche Liebe

24 würdigen zu können. Die Republik der Kirche hat deshalb fortbestanden und wird ewig bestehen. Die Leute dagegen, welche die Majorität bilden, haben niemals weder die Ein­

sicht noch die Bildung besessen, um zu begreifen, daß die Demokratie die endgültige Regierungsform ist; statt sich

haben sie sich in feindliche Parteien gespalten , sich Nationen genannt und jede Gelegenheit gesucht, einander zu plündern und zu zer­ zu einem Bunde zusammenzuschließen,

stören, ja sich sogar oft gegen die Kirche selbst gewendet.

Die Kirche hat im Verlanf der Geschichte ohne Zweifel Fehler begangen, im großen Ganzen aber hat sie den Ver­

trag edelmuüthig erfüllt, und erntet die Früchte ihrer Treue

in der Kraft und Einigkeit, welche sie nach achtzehn Jahr­ hunderten entfaltet.

Das Volk, andrerseits, hat seine Pflicht

nicht erfüllt, und alle Geschlechter der Menschen leiden folg­

lich für ihre Misiethaten, die Völker sind mit einander ent­ zweit,

und jede Nation ist wie ein Haus, das unter sich

uneins ist und früher oder später zu Falle kommen muß."

„Aber," wendete Gouache ein, „wenn man dies alles

zugiebt, was man ja leicht kann, so werden Ew. Eminenz doch immer in der Politik ein Reaktionär genannt. Stimmt

das zu diesen Ansichten?" Gouache hielt diese Frage für unbeantwortbar,

aber

während er sie stellte, zeichnete er ruhig fort; er arbeitete eifrig, um in seinem Entwurf etwas von dem merkwürdi­

gen Gesichtsausdruck des Cardinals festzuhalten. „Nichts ist leichter, mein Freund," versetzte der Staats­

mann.

trieben.

„Der Freistaat der Kirche wird in die Enge ge­ Wir stehen aus dem Kriegsfuß.

Um der Stärke

willen find wir gezwungen, so fest zusammenzuhalten, daß

wir zur Zeit nur daran denken können, die alten Traditionen

aufrecht zu erhalten, ohne von Fortschritt zu träumen oder

Experimente zu machen. Wenn wir den Sturm bestanden haben, wird uns Muße zu vielen nothwendigen Verbesserun­ gen bleiben. Denken Sie nicht, daß ich über zwanzig Jahre, falls ich dann noch leben sollte, dasselbe anrathen würde wie jetzt. Dereinst werden wir Frieden haben. Wir werden im Kampf einigen Zierrath von unsern Gewändern verlieren, aber unser Leib wird unversehrt bleiben, und zur Zeit des Friedens wird uns unser Schmuck vielfältig zurück­ erstattet werden. Jetzt aber ist Krieg und Kriegsgeschrei. Es ist ein großer Unterschied zwischen der idealen Republik, von der ich eben gesprochen habe, und der realen Anarchie und Verwirrung, welche durch das sogenannte Republikanerthum herbeigeführt werden würde." „Mit andern Worten, wenn der Angriff auf die Kirche plötzlich aufhörte, so würden Ew. Eminenz sofort Ihre reactionäre Politik aufgeben und fortschrittliche Ansichten ver­ treten?" sagte Gouache. „Sofort", erwiderte der Cardinal. „Ich verstehe", sagte Gouache. „Etwas mehr nach mir hin — so daß ich das Auge recht auffassen kann. Danke sehr, so ists gut."

Zweites Kapitel. Als Del Ferice von seiner Wunde soweit hergestellt war, daß ihm Tagesneuigkeiten mitgetheilt werden durften, also etwa drei Wochen nach dem Duell, erfuhr er, daß Astrardente gestorben war, daß die Herzogin sein ganzes Vermögen geerbt hätte und im Begriff stände, Rom zu verlassen. Es wäre schwer zu sagen, wie ihre Absicht aufs Land zu gehen bekannt geworden war, vielleicht hatte ein schlauer Schwätzer die Sache errathen, vielleicht hatten alle

Experimente zu machen. Wenn wir den Sturm bestanden haben, wird uns Muße zu vielen nothwendigen Verbesserun­ gen bleiben. Denken Sie nicht, daß ich über zwanzig Jahre, falls ich dann noch leben sollte, dasselbe anrathen würde wie jetzt. Dereinst werden wir Frieden haben. Wir werden im Kampf einigen Zierrath von unsern Gewändern verlieren, aber unser Leib wird unversehrt bleiben, und zur Zeit des Friedens wird uns unser Schmuck vielfältig zurück­ erstattet werden. Jetzt aber ist Krieg und Kriegsgeschrei. Es ist ein großer Unterschied zwischen der idealen Republik, von der ich eben gesprochen habe, und der realen Anarchie und Verwirrung, welche durch das sogenannte Republikanerthum herbeigeführt werden würde." „Mit andern Worten, wenn der Angriff auf die Kirche plötzlich aufhörte, so würden Ew. Eminenz sofort Ihre reactionäre Politik aufgeben und fortschrittliche Ansichten ver­ treten?" sagte Gouache. „Sofort", erwiderte der Cardinal. „Ich verstehe", sagte Gouache. „Etwas mehr nach mir hin — so daß ich das Auge recht auffassen kann. Danke sehr, so ists gut."

Zweites Kapitel. Als Del Ferice von seiner Wunde soweit hergestellt war, daß ihm Tagesneuigkeiten mitgetheilt werden durften, also etwa drei Wochen nach dem Duell, erfuhr er, daß Astrardente gestorben war, daß die Herzogin sein ganzes Vermögen geerbt hätte und im Begriff stände, Rom zu verlassen. Es wäre schwer zu sagen, wie ihre Absicht aufs Land zu gehen bekannt geworden war, vielleicht hatte ein schlauer Schwätzer die Sache errathen, vielleicht hatten alle

26 andern Kammerjungfern der Stadt sie durch ihre Zofe erersahren. Wie dem auch sei, als Del Ferice davon hörte» knirschte er auf seinem Bette mit den Zähnen und schwor, wenn es möglich wäre, die Herzogin von Astrardente an ihrer Abreise aus der Stadt zu hindern, so wollte er es thun. Nach seiner Ansicht war es gefährlich, Corona uüd Giovanni sich trennen und Donna Tullia bei ihren Heiraths-Plänen freies Spiel zu lassen. Giovanni würde natürlich nie Madame Mayer heirathen, namentlich jetzt nicht, wo es ihm frei stand, sich um die Astrardente zu bewerben, aber Madame Mayer könnte sich sterblich in ihn verlieben, wozu sie bereits geneigt schien, und das würde schlecht zu Del Ferices Plänen stimmen. Von den Vortheilen, die sich aus dem Tode des alten Herzogs ziehen ließen, durste nichts verloren gehen. Giovanni mußte zu einer Heirath mit Corona getrieben werden, später würde noch Zeit ge­ nug sein, aus Rache für die gräßliche Wunde zu sinnen, die so langsam heilte. Es war schade, daß Del Ferice und Donna Tullia nicht Verbündete waren, denn wenn Madame Mayer Co­ rona nicht leiden konnte, so haßte Del Ferice Giovanni mit gleicher Feindseligkeit, nicht nur weil er ihm im Zwei­ kampf, den sein eignes schändliches Betragen unvermeidlich gemacht hatte, so schmählich unterlegen war, sondern weil Donna Tullia Giovanni liebte und alles daran setzte, um ihn zu heirathen. Augenscheinlich ließ sich nichts Besseres thun, als zwischen den beiden ein Mißverständniß Hervor­ rufen; aber Giovanni einen Streich zu spielen war gefähr­ lich, denn er hatte Del Ferice in seiner Hand, weil er um den leidigen Austritt hinter der Pflanzenwand im Gewächs­ hause wußte. Saracinesca war in der Gesellschaft ein an­ gesehener Mann und wegen seiner Wahrhaftigkeit berühmt;

27 man würde ihm eher glauben als Del Ferice, wenn die Geschichte bekannt wurde.

Das ging also nicht an.

nach war es also das Beste,

Da­

Giovanni und Corona so

schnell als möglich zusammen zu bringen, ihre Verlobung

zu beschleunigen, und somit einen gefährlichen Nebenbuhler zu beseitigen.

Del Ferice war ein sehr eigensinniger und

sehr schlauer Mensch.

Er war mehr als

je gesonnen,

Donna Tullia zu heirathen, und wollte sich in der Errei­

chung seines Zweckes nicht durch kleinliche Bedenken stören

lasten. Viel zu sprechen war ihm nicht erlaubt,

damit die

Anstrengung nicht die Heilung seines Halses behindere; aber in

den langen Tagen und Nächten, als er still in

seiner ruhigen Wohnung lag, hatte er reichlich Zeit über mancherlei Pläne nachzudenken. Endlich bedurfte er nicht mehr der Pflege der barmherzigen Schwester; sein Diener pflegte ihn und der Wundarzt kam zwei Mal am Tage, um seine Wunde zu verbinden.

Eines Morgens lag er

im Bette und beobachtete Themistocles, der sich geräuschlos im Zimmer umher bewegte. „Themistocles," sagte er, „Du bist ein kluger Bursche.

Du mußt die Gaben gebrauchen,

welche Dir die Natur

verliehen hat." Themistocles war damals höchstens fünfundzwanzig

Jahre alt.

Er hatte eine unreine Gesichtsfarbe, eine Haken­

nase und schielte auf einem Auge, was seinem Gesicht einen

besonders unangenehmen Ausdruck gab. anredete,

Als sein Herr ihn

stand er still und hörte mit einem verzerrten

Lächeln zu, als Dank für das ihm gemachte Kompliment. „Themistocles, Du mußt herausbringen, wann die Herzogin von Astrardente Rom zu verlassen gedenkt, und

wohin sie reist.

Kennst Du Jemanden in ihrem Hause?"

28 „Ja, mein Herr, den zweiten Koch. Er .hat mit mir zusammen bei dem Kinde eines Vetters von mir Gevatter gestanden — des jungen Menschen, der den Privatwagen des Fürsten Valdarno kutschirt, er ist auch ein schlauer Bursch." „Und dieser zweite Koch," sagte Del Ferice, der nicht über vertrauliche Unterhaltungen mit seinem Diener erha­ ben war, „ist der ein verschwiegner Mensch?" „O, in dieser Beziehung können Sie ihm trauen! Nur manchmal"-------- Themistocles grinste und machte eine Geberde, als ob er tränke. „Und wenn er betrunken ist?" fragte Del Ferice. „Wenn er betrunken ist, schwatzt er alles aus; allein er besinnt sich nachher nicht auf das, was er gehört oder was er gesagt hat. Wenn er betrunken ist, so ist er wie ein Wörterbuch; aber der erste Schluck Master wäscht sein Gedächtniß ab wie eine Schiefertafel." „Gut — reiche mir meine Börse; sie liegt unter meinem Kopfkissen. So, hier ist ein Scudo'), Themistocles, dafür kannst Du ihn tüchtig betrunken machen." Themistocles zögerte und besah das Geld. „Noch ein Paar Pauls würden es sichrer machen", sagte er. „Nun gut, da hast Du sie; aber Du mußt ihn tüch­ tig betrunken machen. Du mußt von ihm alles heraus­ bekommen, was er weiß, und mußt selbst nüchtern bleiben." „Verlassen Sie sich auf mich. Ich will ihn zu einem Schwamm machen, er soll ausgedrückt und wieder einge­ weicht und nochmals ausgepreßt werden. Ich will seinen Beichtvater spielen." *) Ein Scndo = 5 Franken.

Ein Paul — 50 Centimes.

29 „Wenn Du herausbekommst, was ich wiffen will, so werde ich Dir" — Del Ferice hielt inne, er wollte nicht zu viel geben. „Die grauen Hosen schenken?" fragte Themistocles mit habgierigem Blick in dem Auge, das nicht schielte. „Ja," antwortete sein Herr, als ob es ihm schon leid thäte, „ich glaube, Du mußt wohl endlich die grauen Hosen bekommen." „Für die grauen Hosen will ich Himmel und Erde in Bewegung setzen", versetzte Themistocles vergnügt. An jenem Tage wurde nichts weiter gesprochen, aber früh am andern Morgen kam der Diener herein, öffnete die Fensterläden und nahm die kleine Oellampe fort, welche die ganze Nacht gebrannt hatte. Er heftete ein Auge auf seinen Herrn, der sich bald daraus langsam umdrehte und ihn fragend ansah. „Die Herzogin reist übermorgen nach Astrardente im Sabinergebirge", sagte Themistocles. „Ihre Abreise ist ganz sicher, denn sie hat schon zwei Paar Wagenpferde und mehrere Kisten mit Sachen hingeschickt, auch das zweite Stubenmädchen und den ersten Diener und zwei Reitknechte." „Aha, sehr gut. Themistocles, ich denke, ich werde heute aufstehen und mich ins andere Zimmer setzen." „Und die grauen Hosen?" „Nimm sie, und trage sie zu Ehren des freigebigsten Herrn von der Welt", sagte Del Ferice mit Nachdruck. „Nicht jeder Herr schenkt seinem Diener ein Paar graue Hosen. Merk' Dir das." „Der Himmel segne Sie, Herr Graf," ries Themi­ stocles inbrünstig. Del Ferice verlor keine Zeit. Er war noch furchtbar

30 schwach, und seine Wunde noch nicht völlig geheilt; ober er setzte sich mit Entschlossenheit an seinen Schreibtisch und stand nicht eher auf, als bis er zwei Briefe geschrie­ ben hatte. Der erste war sorgfältig mit großer ruvder Schrift, ähnlich der gothischen geschrieben, wie sie Kopisten in Italien anwenden. Es war unmöglich, die künstlich geformten conventionellen Buchstaben mit einer bestimmten Person in Verbindung zu bringen. Der Brief war sehr kurz und lautete: „Es dürfte Sie interessiren, zu erfahren, daß die Herzogin von Astrardente übermorgen auf ihr Schloß im Sabinergebirge geht." Diese lakonische Zuschrift adressirte Del Ferice sorg­ sam an Don Giovanni Saracinesca in seinem Palaste und klebte eine Briefmarke darauf; aber er ließ Themistocles nicht die Adreffe sehen. Der zweite Brief war länger und mit seiner eigenen zierlichen Handschrift ge­ schrieben. Er war an Donna Tullia Mayer und lautete also: „Sie würden es mir verzeihen, daß ich Sie mit einem Briese belästige, liebenswürdige Donna Tullia, wenn Sie sich meine trostlose Einsamkeit vorstellen könnten. Mehr als drei Wochen lang bin ich des Vergnügens, des hohen Glückes beraubt mit Der zu sprechen, für welche ich ge­ litten habe. Ich leide noch immer sehr! Ach, wenn mein Papier Goldstoff wäre und meine Feder Buchstaben von Diamanten und Perlen darauf verzeichnete, so würden doch Worte, die sich auf Sie beziehen, durch solche Schrift noch nicht hinreichend geehrt werden! In den elenden Tagen und Nächten, als ich zwischen Tod und Leben schwebte, hat mich Ihr Bild getröstet, der Nachklang Ihrer holden Stimme meinen Schmerz gelindert, die Erinnerung an die letzten mit Ihnen verlebten Stunden meine Fieber-

träume vergoldet. Sie sind der Schutzengel des aller­ unglücklichsten unter den Menschen, Donna Tnllia. Wissen Sie das? Ohne Sie hatte ich den Tod als Tröster er­ fleht. So aber habe ich mich verzweifelt ans Leben fest­ geklammert, in der Hoffnung, noch einmal Ihr holdes Antlitz wiederzusehen, Ihr helles Lachen zu hören. Viel­ leicht — ich wage nicht, es zu erwarten, — empfange ich von Ihnen ein Wörtchen der Theilnahme, eine Keine An­ deutung, daß es Ihnen nicht eben leid thut, in diesen langen Leidenswochen unbewußt die Trösterin meiner be­ trübten Seele und meines gequälten Körpers gewesen zu sein. Sie würden mich kaum erkennen, wenn Sie mich sehen könnten, ohne Ihre holde geistige Nähe, die mich vom Rachen des Todes errettet hat, würden Sie mich niemals wiedergesehen haben. Ist es Anmaßung von mir, so zu schreiben? Haben Sie mir je ein Recht gegeben, so zu Ihnen zu sprechen? Ich weiß es nicht. Mich kümmerts nicht. Man hat das Recht, dankbar zu sein. Mein erstes und heiligstes Recht ist, meine Dankbarkeit zu empfinden und auszusprechen. Denn aus der Fülle der Güte, welche Sie mir erwiesen haben, als ich noch in der Welt wandelte, stolz und beglückt durch den Vorzug Ihres Umganges, habe ich während meiner Krankheit heilenden Balsam geschöpft, wie gemarterte Seelen im Fegefeuer Labung empfangen durch die Gebete der From­ men und Guten, welche auf Erden ihrer gedenken. Wenn ich also zu viel gesagt habe, vergeben Sie mir, verzeihen Sie mir die tiefempfundene Dankbarkeit, welche mich dazu treibt; und glauben Sie stets an die ehrfurchtsvolle und unvergängliche Ergebenheit Ihres untertänigsten Dieners Hugo Del Ferice.

32 Del Ferice las das Geschriebene mit sichtlicher Be­ friedigung durch, und als er den Brief an Donna Tullia adresfirt hatte, sandte er Themistocles unverzüglich damit ab, indem er ihm einschärfte zu fragen, ob er auf Ant­ wort warten sollte. Sobald der Diener aus dem Hanse war, klingelte Hugo nach feiner Wirthin und ließ de« kleinen Sohn des Portiers rufen; diesem übergab er den Brief an Don Giovanni, damit er ihn in den nächste« Postkasten würfe. Dann legte er sich hin, erschöpft von seinem Tagewerk. Nach zwei Stunden kam Themistocles von Donna Tullia mit einem kleinen duftenden Briefchen zurück, — zu stark parfümirt, und das Papier etwas zu klein. — Sie nahm keine Notiz von dem, was er in feiner sorgsam abgesaßten Epistel geschrieben hatte, sondern sagte nur, sie freue sich aufrichtig, daß es ihm besser ginge, und bäte ihn, sie fobald als möglich zu besuchen. Hugo war nicht enttäuscht; er hatte keinen sie compromittirendm Ausdruck von Interesse als Antwort auf seinen Herzens­ erguß erwartet, und war zufrieden mit der Aufforderung sie zu besuchen, denn diese bewies, daß sein Brief den erwünschten Eindruck gemacht hatte. Spät am Abend erhielt Don Giovanni Saracinesca die anonyme Zuschrift. Er hatte selbstverständlich mit seinem Vater zusammen Condolenzkarten im Palast Astrardente abgegeben und war später allein hingegangen, um zu fragen, ob die Herzogin ihn empfangen würde. Der Pfört­ ner hatte ihm geantwortet, daß fürs Erste bestimmter Be­ fehl ergangen wäre, Niemanden vorzulaffen, und da Gio­ vanni sich nicht näherer Beziehungen zu der Familie rühmen, noch sonst einen triftigen Vorwand angeben konnte, mußte er sich bescheiden. Er hatte in der Villa Borghese und am Concertplatz aus dem Pincio geduldig gewartet, in der Vor-

aussetzung, daß früher oder später Coronas Wagen erschei­ nen würde, aber als er endlich ihren Brougham erspäht hatte, war sie tief verschleiert rasch an ihm vorübergesahren, und er glaubte, sie habe ihn nicht bemerkt. Cr würde an sie geschrieben haben, allein er konnte noch nicht die Feder halten, und er sagte sich, daß es im Grunde eine abscheu­ liche Komödie sein würde, wenn er Beileid und Theilnahme ausspräche, wie sehr er sich auch bemühen mochte, seine ge­ heime Freude über ihres Gatten Tod sich selbst zu verhehlen. Da er zu stolz war, sich auf so niedrigem Wege wie Del Ferice Nachricht zu verschaffen, wußte er nichts von Coronas Verhalten, und es war ein glänzender Beweis für Del Ferices Schlauheit, daß er Giovannis Verhältniß ihr gegen­ über richtig beurtheilt und den Werth der in seinem ano­ nymen Brief enthaltenen Nachricht richtig abgeschätzt hatte. Saracinesca las den Zettel und warf ihn ärgerlich ins Feuer. Er haßte versteckte Handlungen; er zürnte sich wegen seines Interesses an dem Briefe und wunderte sich darüber, wer es der Mühe werth finden konnte, ihn von der bevorstehenden Abreise der Herzogin zu unterrichten. Aber das Briefchen that doch seine Wirkung, wenn er sich auch dessen schämte, und er dachte die ganze Nacht daran. Am folgenden Tage um drei Uhr ging er allein aus und nahm rasch seinen Weg nach dem Palast Astrardente. Er konnte die Spannung nicht länger ertragen; der Gedanke, daß Corona sortzöge, um sich wie es schien auf unbestimmte Zeit in die Einsamkeit der alten Burg einzuschließen, daß er sie bis zum Herbst nicht Wiedersehen sollte, war ihm un­ erträglich. Er wollte sich wenigstens bei ihr melden lassen, sie sollte wissen, daß er an ihrer Thür sei. So machte er denn den Versuch und wartete lange, die Fliesen unter dem Portal aus und abschreitend, während der Pförtner selbst Crawford, Saraciaeica. II.

3

34 mit seiner Karte und seiner Bestellung nach oben ging. Er hatte gezögert, aber ein Mann wie Don Giovanni Saracinesca läßt sich nicht von einem Diener abweisen. End­ lich kam der Pförtner zurück und sagte fich tief verneigend, daß die Frau Herzogin ihn empfangen werde. Fünf Minuten wartete er allein in dem großen Salon. Es hatte Corona einen Kamps gekostet, ihn vorzulaffen. Sie zauderte lange, denn es schien ihr ein thatsächliches Unrecht gegen das Gedächtniß ihres Gatten zu sein, aber das Weib in ihr gab endlich nach, sie wollte am nächsten Morgen abreisen und konnte es nicht abschlagen, ihn noch ein Mal zu sehen. Sie zögerte wieder, als sie die Hand aufs Thürschloß legte und wußte, er wartete drinnen; dann trat sie endlich ein. Ihr Antlitz war sehr bleich und sehr ernst. Ihr ein­ faches eng anschließendes schwarzes Kleid hob ihre hohe Gestalt und floß weich herab in Harmonie mit ihren edlen Bewegungen, als sie auf Giovanni zutrat, der fast wie versteinert mitten im Zimmer stand. Er konnte es nicht fassen, daß diese dunkle traurige Fürstin dieselbe Frau war, zu der er vor wenig Wochen so leidenschaftliche Worte ge­ sprochen, die er halb sinnlos vor Leidenschaft hatte in seine Arme schließen wollen. Stolz wie er war, erschien es ihm als Anmaßung einer so königlichen Frau gegenüber an Liebe zu denken; und doch wußte er, daß er sie jetzt besser und wahrer liebte als vor einem Monat. Sie reichte ihm die Hand, und er zog sie an die Lippen. Dann setzten sie fich beide schweigend. „Ich hatte fast die Hoffnung aufgegeben, Sie jemals wiederzusehen," sagte Giovanni endlich mit gedämpfter Stimme. „Ich hatte mich nach einer Gelegenheit gesehnt, um Ihnen sagen zu können, wie aufrichtig ich an Ihrem

35 großen Verluste theilnehme." Es waren sehr förmliche Worte, wie man sie in solchen Fällen zu sprechen pflegt. Sie hätten besser sein können, aber er war nicht beredt, selbst seinem schroffen alten Vater stand bei gewöhnlichen Gelegenheiten die Sprache mehr zu Gebote, obwohl Gio­ vanni recht gut sprechen konnte, wenn er erregt war. — Aber in Gegenwart der von ihm angebeteten Frau fühlte er sich befangen. Corona selbst wußte kaum, was sie ant­ worten sollte. ,,Sie sind sehr gütig", sagte sie einfach. „Ich wünsche, es wäre mir möglich, Ihnen irgend einen Dienst erweisen zu können", versetzte er. „Ich darf Ihnen nicht erst sagen, daß sowohl mein Vater als ich es uns zur Ehre rechnen würden, Ihnen in irgend einer Weise nützlich zu sein." Er erwähnte seinen Vater aus Zart­ gefühl, er wollte sich nicht in den Vordergrund stellen. „Sie sind sehr gütig", wiederholte Corona ernst. „Ich habe keine Schwierigkeiten gehabt. Ich habe einen vor­ trefflichen Rechtsbeistand." Es entstand eine momentane Pause. Dann schien sie seine Verlegenheit zu bemerken und fing wieder an zu sprechen. „Ich freue mich, Sie ganz hergestellt zu sehen", sagte sie. „Es war nichts", erwiederte Giovanni mit einem Blick auf seinen rechten Arm, welcher noch in einen schwarzseidnen Verband gewickelt war, aber nicht mehr in der Binde ruhte. „Es war sehr unrecht von Ihnen", versetzte Corona, ihm ernst in die Augen schauend. „Ich weiß nicht, warum Sie sich duellirt haben, aber es war Unrecht. Es ist eine große Sünde."

36 Giovanni lächelte ein wenig. „Wir muffen alle mitunter sündigen", sagte er. „Woll­ ten Sie, daß ich ruhig dabei stehen und eine abscheuliche Schändlichkeit mit ansehen sollte, ohne die Hand zu erheben, um den Verbrecher zu strafen?" „Wer schändlich handelt, nimmt immer ein böses Ende", sagte die Herzogin. „Vielleicht; aber wir armen Sünder sind ungeduldig und möchten, daß sofort Gerechtigkeit geübt würde. Ich bedaure etwas gethan zu haben, was Sie für unrecht hal­ ten", setzte er mit einem Anflug von Bitterkeit hinzu. „Wollen Sie mir erlauben, von etwas Anderm zu sprechen? Gedenken Sie in Rom zu bleiben oder fortzugehen?" «Ich gehe morgen nach Astrardente", antwortete Co­ rona schnell. „Ich will allein und auf dem Lande sein." Giovanni bezeigte keine Ueberraschung; sein anonymer Berichterstatter hatte recht. Del Ferice hatte seine grauen Hosen nicht umsonst verschenkt. »Ich glaube, Sie thun recht", sagte er. „Allein zu dieser Jahreszeit denke ich es mir im Gebirge sehr kalt." „Das Schloß ist behaglich; es ist erst vor kurzem neu eingerichtet worden und hat viele warme Zimmer. Ich liebe den alten Landsitz und ich bedarf auf längere Zeit des Alleinseins." Giovanni fühlte sich durch das Gespräch bedrückt. Er dachte daran, was bei ihrem letzten Zusammensein im Ge­ wächshause des Palastes Frangipani zwischen ihnen vor­ gegangen war. „Ich werde den Sommer in Saracinesca zubringen", sagte er plötzlich. „Sie wissen, es ist nicht weit von Astrar­ dente. Darf ich hoffen, daß es mir erlaubt sein wird, Sie bisweilen zu besuchen?"

37 Corona hatte sicherlich nicht daran gedacht, Giovanni zu sehen, als sie nach Astrardente zu ziehen beschloß; sie war nicht oft dort gewesen und hatte nicht bedacht, daß es von Saracinesca aus leicht zu erreichen wäre. Sie war etwas betroffen. „Ist es so nahe?" fragte sie. „Ein halber Tagesritt durchs Gebirge", erwiederte Giovanni. „Das wußte ich nicht. Natürlich, wenn Sie kommen, wird Ihnen Gastfreundschaft nicht verweigert werden." „Sie möchten mich aber lieber nicht sehen?" fragte er im Tone der Enttäuschung. Er hatte auf mehr Ermuthigung gehofft. Corona antwortete freimüthig: „Ich möchte Sie lieber nicht sehen. Halten Sie mich nicht für un­ freundlich", setzte sie in freundlicherem Tone hinzu. „Was bedarf es der Erklärung? Suchen Sie nicht mich zu sehen! Ich wünsche Ihnen alles Gute; ich wünsche Ihnen mehr —

das beste Glück; — aber suchen Sie mich nicht auf!" Giovannis Antlitz wurde bleich und sehr ernst. Er fühlte sich enttäuscht, ja gedemüthigt; aber eine innere Stimme sagte ihm, daß nicht Kälte ihr diese Bitte einge­ geben hätte. „Ihre Befehle sind mir Gesetz", antwortete er. „Mir wäre es lieber, wenn Sie meine Bitte nicht als einen Befehl ansähen, sondern selbst fühlten, daß dies die natürliche Eingebung Ihres Herzens sein sollte", versetzte Corona etwas kalt. „Vergeben Sie mir, wenn mein Herz mich zu dem treibt, was mein Gehorsam gegen Sie mir verwehrt", sagte Giovanni. „Ich bitte Sie, damit zufrieden zu fein, daß ich blindlings thun werde, was Sie verlangen." „Nicht blindlings — Sie kennen meine Gründe."

38 „Zwischen Ihnen und mir ist etwas, das alle Vcrnunstgründe über den Haufen wirft", sagte Giovanni mit bebender Stimme. „In meiner Lage ist etwas, das Ihre Achtung erhei­ schen sollte", sagte Corona. Sie fürchtete, er könne zu weit gehen, und doch wußte sie, daß sie dieses Mal nicht zu viel gesagt hatte, und daß sie, indem sie ihm gebot, sie zu mei­ den, nur das that, was zu ihrem Seelenfrieden unumgäng­ lich nöthig war. „Ich bin Wittwe", fuhr sie mit großem Ernst fort. „Ich bin eine junge Frau und stehe ganz allein. Mein einziger Schutz besteht in der Rücksicht, welche ich von Männern wie Sie erwarten darf. Sie haben mir Ihre Theilnahme ausgesprochen, beweisen Sie sie, indem Sie meine Bitte gern erfüllen. Ich spreche nicht in Räth­ seln, sondern sehr deutlich. Sie erinnern mich an einen höchst schmerzlichen Augenblick, und Ihre Gegenwart, die bloße Thatsache, daß ich Ihren Besuch annehme, erscheint mir wie eine Untreue gegen das Gedächtniß meines Mannes. Ich habe Ihnen keinen Grund gegeben anzunehmen, daß ich je mehr Antheil an Ihnen genommen habe als an einem Freunde. Ich bete stündlich, daß dieses — dieses zu große Interesse, was Sie für mich hegen, rasch vorüber­ gehen möge, und daß Sie wieder sein möchten, wie Sie vordem waren. Sie sehen, ich spreche nicht unklar; und ich möchte nicht unfreundlich sprechen. Antworten Sie mir nicht; ich bitte Sie, sondern nehmen Sie dies als mein letztes Wort. Vergeffen Sie mich, wenn Sie können."------„Ich kann es nicht!" sagte Giovanni tief bewegt. „Versuchen Sie es. Gott helfe Ihnen, wenn Sie es nicht können! Allein ich bin überzeugt, wenn Sie es ernst­ lich wollen, werden Sie es können. Und nun müssen Sie gehen", sagte sie in sanfterem Ton. „Sie hätten nicht

39 kommen — ich hätte Sie nicht annehmen sollen. Aber es ist so am besten. Ich bin Ihnen dankbar für Ihre Theil­ nahme. Ich zweifle nicht, daß Sie thun werden, um was ich Sie gebeten habe, und was Sie mir versprochen. Leben Sie wohl!" — Corona stand auf und legte die Hände in einander. Giovanni blieb keine Wahl. Sie ließ ihre Augen auf ihm ruhen — nicht unfreundlich, aber sie reichte ihm nicht die Hand. Einen Augenblick stand er zögernd da, dann ver­ neigte er sich und verließ das Zimmer ohne ein Wort. Corona stand still, und ihre Blicke folgten seiner entschwin­ denden Gestalt, bis er sich an der Thür noch ein Mal umwandte, das Haupt neigte und dann verschwand. Sie sank auf ihren Sessel zurück und starrte leeren Blickes auf die Wand ihr gegenüber. „Es ist geschehen!" sagte sie endlich. „Ich hoffe, es war recht und weise gethan." Wohl war es hart für sie gewesen, so zu sprechen; aber es war besser, es gleich zu thun, als eine unzeitige Nachgiebigkeit zu spät zu bereuen. Und doch hatte es ihr weniger gekostet, ihn entschieden sortzuschicken, als es ihr vor einem Monat gekostet, seinem leidenschaftlichen Flehen zu widerstehen. Sie schien aus ihrem Schmerz Kraft geschöpft zu baden. Also war er fort! Sie seufzte erleichtert auf, und fühlte gleich darauf einen stechenden Schmerz, so plötzlich, daß sie es kaum be­ greifen konnte. All ihre Vorbereitungen waren getroffen. Im letzten Augenblicke war ihr eingefallen, daß es sich für sie, in ihrem Alter, nicht schicke allein zu reifen, noch als Wittwe ganz allein zu leben. Sie hatte sich die Sache überlegt und war zu dem Schluffe gekommen, daß unter ihren Be­ kannten keine Dame wäre, die sie auch nur aus kurze Zeit

40 einladen könnte. Sie hatte keine Freunde, keine Verwandte, Niemanden, an den sie sich in solchem Falle wenden konnte. Nicht als ob sie sich nach einer Gesellschaft in ihrer Ein­ samkeit gesehnt hätte — es war nur eine Frage der Schick­ lichkeit. Um die Schwierigkeit zu beseitigen, erbat sie sich die Erlaubniß, eine barmherzige Schwester mit aufs Land nehmen zu dürfen, eine Dame in mittlern Jahren, deren Gesundheit durch unermüdliche Arbeit geschwächt war. Die Sache machte sich leicht, und als sie am folgenden Morgen den Palast verließ, hielt sie an dem Thor des Klosters, wo Schwester Gabriele mit ihrem bescheidnen Gepäck sie erwartete. Die Nonne stieg in den großen Reisewagen, und die beiden Damen fuhren nach Astrardente ab. Es war der erste Carnevalstag, ein denkwürdig trau­ riger für Giovanni Saracinesca. Er wäre im Stande gewesen, Rom sofort zu verlasfen, wenn er nicht Corona versprochen hätte, keinen Versuch zu machen, sie zu sehen. Er hätte nach Saracinesca gehen mögen, bloß um ihr nahe zu sein, hätte er nicht bedacht, daß er dadurch allem möglichen Geklätsch Nahrung geben könnte. Aber er be­ schloß beim Beginn der Fasten seine Absicht auszusprechen, Rom aus ein Jahr zu verlassen. Kein Mensch kam je nach Saracinesca, und auf einem Umwege konnte er das Schloß seiner Ahnen erreichen, ohne Argwohn zu erregen. Er konnte sogar auf einige Tage nach Paris gehen und so thun, als ob er in Europa herum reisen wolle, denn aus seine Dienstboten konnte er sich unbedingt verlaffen, sie gehörten nicht zu der Klasse, welche mit Themistocles oder seinesgleichen in einer Schenke Wein trinken würden. Der alte Fürst kam am Vormittag in das Zimmer seines Sohnes und fand ihn trübselig seine Flinten musternd, um doch eine Beschäftigung zu haben.

41 „Nun, Giovanni," sagte er, „Du hast Zeit über Dein künftiges Verhalten nachzudenken. Was! willst Du auf eine Jagdpartie gehen?" „Ich wünsche, ich könnte es. Ich wünsche, ich hätte etwas zu thun!" antwortete Giovanni, indem er den Hin­ terlader hinlegte und aus dem Fenster sah. „Die Welt ist um und umgekehrt, wie eines Bettlers Tasche, und es ist nichts darin." „Also die Astrardente ist fort!" bemerkte der Fürst. „Ja, fort, um zwanzig Meilen von Saracinesca zu leben!" erwiderte Giovanni in gereiztem Ton. „Gehe noch nicht hin," sagte sein Vater. „Laß sie eine Weile in Ruhe! Frauen gerathen in der Einsamkeit außer sich." „Denkst Du, ich bin ein Narr?" rief Giovanni. „Na­ türlich werde ich bleiben, wo ich bin, bis der Carneval vorüber ist." Er war nicht bei guter Laune. „Warum bist Du so gereizt?" versetzte der alte Herr. „Ich gab Dir nur meinen Rath." „Nun, und ich werde ihn befolgen. Er ist gut. Wenn der Carneval vorüber ist, will ich fort, und vielleicht auf Umwegen nach Saracinesca gehen, so daß Niemand weiß, wo ich bin. Wirst Du nicht auch hinkommen?" „Wahrscheinlich", antwortete der Fürst, den es stets erfreute, wenn sein Sohn Verlange» nach seiner Gesellschaft kund gab. „Ich wünsche, wir lebten in der guten alten Zeit." „Weshalb denn?" „Wir würden uns kein Gewissen daraus machen, Astrardente zu belagern und die Herzogin zu entführen, für Dich, mein Junge," sagte der Fürst ingrimmig. Giovanni lachte. Vielleicht war ihm derselbe Gedanke

42 durch den Kopf gefahren. Freilich leuchtete es ihm nicht ein, daß es ehrerbietig gegen Corona wäre, an eine Ent­ führung zu denken, wie fein Vater sie vorschlug; aber es lag ein gewisser Reiz in der Möglichkeit eines solchen Plans, da ihn ein Mann vorschlug, dessen Großvater so etwas hätte thun können, und deffen Urgroßvater solch ein Unter­ nehmen ausgeführt haben sollte. So stark ist der Instinkt der Gewaltherrschaft bei Geschlechtern, in denen die Tra­ dition von Gewaltthaten in ununterbrochner Kette fort» läuft, daß Vater und Sohn bei dem Gedanken lachten, als wäre es etwas ganz Natürliches, obwohl Giovanni erst am Tage zuvor versprochen hatte, daß er nicht ein Mal ver­ suchen wolle, Corona ohne ihre Erlaubniß zu sehen. Er sagte seinem Vater nichts von diesem Versprechen, denn sein größeres Zartgefühl sagte ihm, daß trotzdem er recht daran gethan, sein Vater über seine Bedenken lachen und ihm sagen würde, Frauen liebten es, stürmisch umworben zu werden. Giovanni war zu Muthe, als wäre Rom für ihn eine weite Einöde geworden, und das Lächeln schwand bald von seinem Antlitz bei dem Gedanken, daß er in die Welt treten müsse und um Coronas willen so thun, als ob nichts vor­ gefallen wäre.

Drittes Kapitel.

Die arme Madame Mayer war in großer Aufregung. Sie besaß nicht viel Stolz, dafür desto mehr Eitelkeit, und in dieser war sie tief gekränkt. Sie war eigentlich eine gutmüthige Frau und von Natur nicht rachsüchtig; aber sie konnte nicht anders als eifersüchtig sein, denn sie war verliebt. Sie merkte, wie Giovanni sich von Tag zu Tag

42 durch den Kopf gefahren. Freilich leuchtete es ihm nicht ein, daß es ehrerbietig gegen Corona wäre, an eine Ent­ führung zu denken, wie fein Vater sie vorschlug; aber es lag ein gewisser Reiz in der Möglichkeit eines solchen Plans, da ihn ein Mann vorschlug, dessen Großvater so etwas hätte thun können, und deffen Urgroßvater solch ein Unter­ nehmen ausgeführt haben sollte. So stark ist der Instinkt der Gewaltherrschaft bei Geschlechtern, in denen die Tra­ dition von Gewaltthaten in ununterbrochner Kette fort» läuft, daß Vater und Sohn bei dem Gedanken lachten, als wäre es etwas ganz Natürliches, obwohl Giovanni erst am Tage zuvor versprochen hatte, daß er nicht ein Mal ver­ suchen wolle, Corona ohne ihre Erlaubniß zu sehen. Er sagte seinem Vater nichts von diesem Versprechen, denn sein größeres Zartgefühl sagte ihm, daß trotzdem er recht daran gethan, sein Vater über seine Bedenken lachen und ihm sagen würde, Frauen liebten es, stürmisch umworben zu werden. Giovanni war zu Muthe, als wäre Rom für ihn eine weite Einöde geworden, und das Lächeln schwand bald von seinem Antlitz bei dem Gedanken, daß er in die Welt treten müsse und um Coronas willen so thun, als ob nichts vor­ gefallen wäre.

Drittes Kapitel.

Die arme Madame Mayer war in großer Aufregung. Sie besaß nicht viel Stolz, dafür desto mehr Eitelkeit, und in dieser war sie tief gekränkt. Sie war eigentlich eine gutmüthige Frau und von Natur nicht rachsüchtig; aber sie konnte nicht anders als eifersüchtig sein, denn sie war verliebt. Sie merkte, wie Giovanni sich von Tag zu Tag

43 weniger aus ihrer Gesellschaft machte, und wie andrerseits Del Ferice sich seine Stellung ihr gegenüber sicherte, so daß man schon anfing zu flüstern, er hätte Ausficht sie zu heirathen. Ihr mißfiel Del Ferice nicht; er war ein be­ quemer Gesellschaftsmensch, den sie stets bereit fand ihr zu helfen, wenn sie Beistand brauchte. Dadurch daß sie ihn ausnutzte, fühlte sie sich gewissermaßen verpflichtet, ihn als ein Element in ihrem Leben anzusehen, und dies Verhält­ niß behagte ihr nicht. Der Brief, welchen er ihr geschrie­ ben hatte, war der Art, wie ihn ein Mann an eine Frau, die er liebt, schreiben könnte; er streifte an Vertraulichkeit, wenn auch der Schreiber in übertriebenen Ausdrücken der Ehrfurcht sprach. Wäre Del Ferice gesund gewesen, so hätte sie vielleicht von seinem Schreiben einfach keine Notiz genommen und ihm keine Antwort zukommen lassen, aber in seiner augenblicklichen Lage konnte sie es nicht übers Herz bringen, ihn ganz und gar zurückzustoßen. Ein Satz war dem Briefe schlau eingefügt und doppelsinnig abgefaßt, der zu bedeuten schien, daß er ihrethalben die Wunde empfangen habe. Er sprach davon, daß er um ihretwillen so viel gelitten habe und noch leide — meinte er damit körperliches oder seelisches Leiden? Es war nicht klar. Don Giovanni hatte ihr die Versicherung gegeben, daß sie nichts mit dem Duell zu thun habe, und seine Wahrhaf­ tigkeit war anerkannt; indesien hätte er ans Zartgefühl suchen können, ihr die Wahrheit vorzuenthalten. Es sah ihm ähnlich. Sie sehnte sich nach einer Gelegenheit, mit ihm zu sprechen und eine Erklärung über sein Benehmen zu erlangen. Es hatte eine Zeit gegeben, wo er sie zu be­ suchen pflegte und immer etwas in ihrer Nähe verweilte, wenn sie sich in Gesellschaft trafen, jetzt dagegen fchien er sie zu meiden, wo er nur konnte, und in demselben Ver-

44 hältniß wie sie sein kühler werdendes Benehmen bemerkte, wuchs ihre Eifersucht gegen Corona von Astrardente, bis sie zuletzt sogar ihre Liebe zu Giovanni zu verschlingen und in Haß zu verwandeln drohte. Liebe ist eine Leidenschaft, welche gleich kräftigen Arzneimitteln auf verschiedene Temperamente verschieden­ artig wirkt; Liebe wirkt auch stärker, wenn sie unglücklich und unerwidert, als wenn sie gegenseitig und ereignißlos ist. Wenn zwei sich wahrhaft lieben, und ihrer Verbindung kein Hinderniß im Wege steht, so ist es wahrscheinlich, daß ihre Liebe, ohne heftige Aufregungen, unvermerkt, allmälig zunimmt und stärker wird, ohne ihr eigentliches Wesen zu verändern; aber wenn ihr ungünstige Verhält­ nisse in den Weg treten, so nimmt die Leidenschaft, falls sie ächt ist, plötzlich einen Umfang an, den sie sonst erst in Jahren erreichen würde. Es kommt mitunter vor, daß die Seele, in welcher diese unerwartete und abnorme Ent­ wickelung stattfindet, nicht im Stande ist, das unzeitige Anwachsen zu ertragen, dann verliert sie ihre Identität aus den Augen, und in der wundersamen inneren Ver­ irrung des Herzens und Geistes, welche daraus folgt, wird sie zum Wahnsinn getrieben, und alle Schranken durchbrechend, erreicht sie entweder mit einem Sprung ihr Ziel, oder wird gebrochen und zerschmettert, indem sie sich gegen die undurchdringliche Mauer völliger Unmöglichkeit wirft. Im letzteren Falle, wenn Liebe unerwidert bleibt, kann sie aber auch eines natürlichen Todes an Entkräftung sterben, wenn sie nämlich in einer gewöhnlichen Durch­ schnittsnatur entstanden ist; oder wenn der oder die davon Heimgesuchte stolz und edlen Sinnes ist, so wird die Lei­ denschaft eine Art Herzenskultus — heilig und würdig vor dem Auge der Welt behütet zu werden, oder endlich

45 wenn sie in dem Wesen, wo sie entsprungen, Eitelkeit als die herrschende Eigenschaft vorfindet, saugt sie vergiftetes Leben aus dem ungesunden Boden, der sie nährt, und der zarte Samen der Liebe schießt empor und treibt schädliche Blätter und Blüthen, und wird eine sehr giftige Pflanze, und diese Pflanze ist der Haß. Donna Tullia gehörte entschieden zu dieser letzten Menschenklasse. Sie hatte gewisse Eigenschaften, die allen­ falls gut — eben weil sie nicht geradezu schlecht waren, aber die Haupttriebfeder ihres Wesens war ungezügelte Eitelkeit, und gerade hierin wurde sie am tiefsten verletzt, als ne einsah, daß Giovanni sich allmälig von ihr zurück­ zog. Sie hatte sich daran gewöhnt, ihn als ihren muthmaßlichen Gatten anzusehen, das allgemeine Gerede bestärkie sie in diesem Wahn und gelegentliche Anspielungen, lächelnde Fragen, die sich auf ihn bezogen, ließen sie glauben, daß er nicht mehr lauge zaudern würde; und er, von seinem Vater zu der Ueberzeugung gebracht, daß sie für ihn die passendste Partie wäre, und halb wider Willen der Macht der Verhältnisse nachgebend, welche ihn zu einer Heirath zu zwingen schienen, hatte sich mit einer Gleich­ gültigkeit treiben lassen und in ihre Launen gefügt, welche in Madame Mayers Augen wie Zustimmung aussah. Sie hatte seine Verehrung für die Herzogin vön Astrardente, die allen auffiel, mit wachsender Furcht und Eifersucht beobachtet, und endlich war ihr Zorn bei der ihr auf dem Ball bei Frangipani zugefügten Kränkung losgebrochen. Aber selbst damals liebte sie Giovanni noch auf ihre eigne Weise. Erst als Corona Plötzlich Wittwe wurde, fing Donra Tullia an, die Hoffnungslosigkeit ihrer Lage einzusehrn, und als sie bemerkte, daß Saracinesca ihr bei jeder Gelegenheit aus dem Wege ging, verwandelte sich

46 ihre bisherige Liebe in bittern Haß, der sogar noch stär­ ker war als ihre Eifersucht auf die Herzogin. Es fand keine Scene zwischen ihnen statt, keine Erklärung, kein dramatischer Austritt, wie Donna Tullia es liebte; die Umwandlung geschah in wenig Tagen und war vollstän­ dig. Sie hatte nicht einmal die Genugthuung etwas von der Aufmerksamkeit abzubekommen, welche Giovanni Co­ rona zugewandt haben würde, wäre fie in der Stadt ge­ wesen. Er war nicht bloß gleichgültig gegen sie geworden, sondern er mied sie sichtlich und gab damit ihrer Eitelkeit die schmerzlichste Wunde, welche fie treffen konnte. Haffen hieß bei Donna Tullia nach Schaden trachten, sich nach Rache sehnen, — nicht von der Art, wie sie im Stillen genoffen wird, so daß nur der Leidende und der das Leid verursacht hat, darum weiß. Daraus machte fie fich nicht so viel; aber sie wünschte vor der Welt einen glänzenden Triumph über ihre Feinde zu erreichen; irgend ein auffallendes Beispiel von poetischer Gerechtigkeit, wel­ ches mit einem Schlage Corona eine tödtliche Kränkung zufügen und Giovanni Saracinesca mit Gewalt reumüthig und zerknirscht ihr zu Füßen legen sollte, auf daß sie, wie ihr gutdünkte, je nach seinen Missethaten an ihm handeln könne. Allein fie hatte ihre Feinde schlecht gewählt, und ihr sank der Muth. Sie konnte ihnen nicht beikommen, denn sie waren stark und mächtig und standen bei allen andern in hohem Ansehen. Es war nicht leicht, sie in Verlegenheiten zu verwickeln; es schien unmöglich, sie zu demüthigen, wie sie es wünschte, und doch war ihr Haß sehr stark. Sie wattete ab und sann hin und her, und fing an Giovanni, wenn sie ihm begegnete, mit hochmüthiger Kälte zu behandeln. Aber Giovanni lächelte und schien ganz zufrieden, daß sie endlich aufgab, was ihm

47 wie eine Verfolgung vorgekommen war. Ihr Zorn wurde Heitzer gerade durch seine Ohnmacht. Die Welt bemerkte es und lachte. Die Carnevalstage kamen und gingen wie gewöhnlich in einem Strudel von Vergnügungen und Zerstreuungen dahin. Giovanni ging überall hin und zeigte sein ernstes Gesicht; aber er sprach wenig und natürlich sagten alle, er gräme sich über die Abreise der Herzogin. Indessen zeigte er ein gewisses Interesse an allem, was vorging, und da Niemand es wagte ihn auszufragen, ließ man ihn in Ruhe. Die hastende Menge des gesellschaftlichen Lebens füllte bald die Lücken aus, welche der alte Astrardente und die schöne Herzogin gelassen hatten; sie wurden schnell vergesien, denn sie hatten wenig eigentliche Freunde gehabt. Am letzten Abend des Carnevals erschien Del Ferice wieder. Er hatte nicht der Versuchung widerstehen können, einen Blick in die Welt zu thun, die er so sehr liebte, ehe der Ernst der Fastenzeit die Lichter im Ballsaal auslöschte und der Fröhlichkeit der Tänzer ein Ende machte. Alle waren überrascht, ihn wiederzusehen, und die meisten er­ freut; er war ein so brauchbarer Mann, daß er während seiner Krankheit ost vermißt worden war. In seiner Er­ scheinung hatte er gewonnen, denn er war zwar sehr bleich, aber auch erheblich magerer geworden und seine Züge hatten sich verfeinert. Als Giovanni ihn sah, ging er auf ihn zu, und die beiden Herren wechselten einen freundlichen Gruß, während alle Andern einen Augenblick stillstanden, um die Begeg­ nung mitanzusehen. Sie war schnell vorüber, und die Gesellschaft seufzte erleichtert auf, als ob ihr ein Stein vom Herzen genommen wäre. Dann ging Del Ferice

48 aus Donna Tullia zu. Bald darauf saßen sie neben ein­ ander auf einem kleinen Sopha allein in einem Neben­ zimmer, in welches nur einzelne Paare von Zeit zu Zeit während der Pausen im Tanz eintraten. Hie und da gingen einige Personen durch, aber mehr als eine Stunde blieben sie ungestört. „Ich freue mich sehr, Sie wiederzusehen," sagte Donna Tullia, „allein ich hatte gehofft, Ihr erster Ausgang würde zu mir gewesen sein." „Dieses ist mein erster Ausgang — Sie sehen, ich hätte Sie nicht zu Hause gefunden, da ich Sie hier finde." „Sind Sie wirklich hergestellt? Sie sehen noch krank aus!" „Ich bin noch recht schwach, aber eine mit Ihnen verlebte Stunde wird mir mehr helfen, als alle Aerzte der Welt." „Danke", sagte Donna Tullia mit hellem Lachen. „Es war komisch anzusehen, wie Sie sich eben mit Gio­ vanni Saracinesca die Hand schüttelten. Männer muffen wohl dergleichen thun." „Sie können sich darauf verlassen, daß ich es nicht gethan hätte, wenn es nicht nothwendig gewesen wäre," sagte Del Ferice bitter. „Das sollt' ich meinen. Was er für ein anmaßender Mensch ist!" „Er gefällt Ihnen also nicht mehr?" fragte Del Ferice unschuldig. „Gefallen? Nein, er hat mir nie gefallen", sagte Donna Tullia rasch. „O, ich dachte es doch, ich habe mich oft darüber gewundert." Hugo wurde nachdenklich.

49 „Ich war immer gut gegen ihn," sagte Donna Tullia, „aber ich kann ihm sein Benehmen ans dem Ball bei Frangipani natürlich nie vergeben." „Nein, ich auch nicht," versetzte Del Ferice schnell. „Ich werde ihn deshalb auch ewig hassen." »Ich sage ja nicht, daß ich ihn geradezu hasse." „Sie hätten genügenden Grund dazu. Es scheint mir, daß wir seit meiner Krankheit wieder in einem Punkte mehr übereinstimmen, daß ein neues Band der Sympathie zwischen uns besteht." Del Ferice sprach beinahe zärtlich; gleich daraus aber lachte er, als wolle er seine Worte nicht ernst genommen haben. Auch Donna Tullia lächelte, fie war sehr freundlich gegen ihn gesinnt. „Sie machen vorschnelle Schlüsse", sagte fie und spielte mit ihrem rothen Fächer, während sie die Augen nieder­ schlug. „Es ist immer leicht zu dem angenehmen Schlüsse zu kommen, daß zwischen uns Sympathie besteht," antwor­ tete er mit zärtlichem Blicke, „selbst im Haß gegen ein und dieselbe Person. Das Band würde freilich fester sein, wenn es auf dem Gegentheil von Haß beruhte. Sind Sie nicht die beste Freundin, welche ich auf der Welt habe?" „Ich weiß es nicht. Ich bin Ihnen eine gute Freun­ din", antwortete sie. „Das find Sie in der That, aber glauben Sie nicht, es wäre möglich, unsere Freundschaft noch fester zu ver­ knüpfen?" Donna Tullia sah plötzlich auf; sie war durchaus nicht gesonnen zuzulaffen, daß er ihr einen Heirathsantrag machte. Indessen sein Gesicht sah ernst aus, ganz anders als sonst, wenn er zärtlich werden wollte, — ein Ausdruck, den sie recht gut kannte. Crawford, Saracinesca.

II.

4

— 50 „Ich weiß nicht", sagte sie leicht lachend. „Was meinen Sie?" „Wenn ich Ihnen einen großen Dienst erweisen, wenn ich auf irgend eine Art den Wunsch erfüllen könnte, der Ihnen jetzt besonders am Herzen liegt, würde das nicht dazu dienen, unsere Freundschaft fester zu knüpfen?" „Vielleicht", versetzte sie nachdenklich. „Aber Sie wissen ja nicht, Sie können nicht einmal errathen, was ich in diesem Augenblick am sehnlichsten wünsche." „Mich dünkt, ich könnte es," sagte Del Ferice, sie fest ansehend. „Ich bin gewiß, ich könnte es, aber ich will es nicht thun. Ich würde Gefahr laufen, Sic zu beleidigen." „Nein; ich werde es nicht übel nehmen. Sie können rathen, wenn Sie wollen." Jetzt heftete Donna Tullia ihre Augen auf Del Ferice. Es schien, als wollten Sie gegen­ seitig ihre Gedanken lesen. „Nun gut", sagte Hugo endlich. „Ich will es Ihnen sagen. Sie möchten die Astrardente todt und Giovanni tief gedemüthigt sehen." Donna Tullia fuhr zusammen. Es war aber nichts Seltsames daran, daß er ihre Gefühle errieth. Gar manche Leute würden auf die Frage, was sie empfinde, wahrschein­ lich daffelbe geantwortet haben, denn die Welt hatte ihre Niederlage mitangesehen und darüber gelacht. „Sie sind ein merkwürdiger Mensch", sagte sie beun­ ruhigt. „Mit andern Worten," versetzte Del Ferice ruhig, „ich habe richtig errathen. Ich sehe es auf Ihrem Gesicht. Natürlich," setzte er lachend hinzu, „es ist ein bloßer Scherz. Aber die Sache ist nicht unmöglich. Wenn ich Ihren Wunsch nach poetischer Gerechtigkeit erfüllte, was würden Sie mir dafür geben?"

51 Donna Tullia lachte jetzt auch, um ihr großes Inter­ esse an dem Gesagten zu verhehlen. „Was Sie wollen", erwiderte sie; aber während noch das Lächeln auf ihren Lippen schwebte, suchten ihre Augen unruhig die seinen. „Würden Sie mich zum Beispiel heirathen, wie die verzauberte Prinzessin im Feenmärchen den Prinzen heirathet, der sie vom Zauberbann erlöst?" Der Gedanke schien ihn höchlich zu belustigen. „Warum nicht?" sagte sie lachend. „Es würde nur die einzig gerechte Belohnung sein", antwortete er. „Sehen Sie, wie unmöglich die Sache scheint! — Und doch einige Pfund Dynamit würden die Große Pyramide in die Lust sprengen. Giovanni Saracinesca ist nicht so stark wie er aussieht." „O ich möchte nicht, daß er Schaden nähme!" rief Donna Tullia erschrocken. — „Ich meine weder physisch, noch moralisch, sondern in sozialer Hinsicht." — „Wie?" „Das ist mein Geheimniß," entgegnete Del Ferice ruhig. „Es scheint, als geben Sie vor mehr zu wissen, als wirklich der Fall ist", versetzte sie. „Nein, es ist die lautere Wahrheit," sagte Del Ferice ruhig. „Wenn es Ihnen Ernst wäre, so wäre ich geneigt, Ihnen mein Geheimniß anzuvertrauen, aber bloß zum Scherz kann ich es nicht. Dazu ist es eine viel zu ernste Sache." Sein Ton überzeugte Donna Tullia, daß er wirklich eine Waffe besäße, welche er nach seinem Belieben gegen 4*

52 Giovanni gebrauchen konnte. Nur verwunderte sie sich, weshalb er es denn nicht wirklich thäte, da er doch Saracinesca von ganzer Seele Haffen mußte. Del Ferice wußte so viel von Andrer Angelegenheiten, kannte so viele seltsame, in Vergeffenheit gerathene Geschichten, hatte ein so treff­ liches Gedächtniß, so viel Scharfsinn, daß er möglicherweise wohl im Besitz eines Geheimniffes sein konnte, das sich auf die Saracinescas bezog. Sie waren wilde zügellose Männer, oder galten doch dafür, der Vater sowohl wie der Sohn, von beiden wurden allerhand Geschichten erzählt, und nichts wahrscheinlicher, als daß während irgend einer langen Ab­ wesenheit von Hause Giovanni der Held eines romantischen Abenteuers gewesen wäre, welches er nicht gern allgemein bekannt gemacht haben wollte. Del Ferice war klug genug zu schweigen; jetzt aber da sein Haß aufs äußerste gestei­ gert war, würde er vielleicht von seiner Kenntniß Gebrauch machen. Donna Tullias Neugier war aufs höchste gereizt, zu gleicher Zeit hatte sie die angenehme Aussicht aus die Demüthigung des Mannes, von dem sie sich so schwer be­ leidigt fühlte. Es lohnte ein Opfer zu bringen, um Del Ferices Geheimniß zu erfahren. „Dies braucht kein bloßer Scherz zu sein", sagte sie nach einer kleinen Pause. „Das steht in Ihrem Belieben", versetzte Del Ferice ernst. „Wenn Sie das Ihre thun wollen, können Sie sicher sein, daß ich das Meine thun werde." „Sie können doch nicht glauben, daß ich wirklich meinte, was ich eben sagte?" versetzte Donna Tullra. „Es war Wahnsinn." „Warum denn? Bin ich ein Krüppel? Bin ich lahm oder blind? Bin ich abschreckend häßlich? Bin ich so arm, daß ich mir etwas aus Ihrem Gelde machen sollte? Liebe

53 ich Sie nicht schon lange und treu? Bin ich zu alt? Ist irgend ein Grund vorhanden, weshalb ich nicht danach streben dürfte, Ihr Gatte zu werden?" Es war eigenthümlich. Er sprach ruhig, als ob er die Vorzüge eines Bekannten aufzählte. Donna Tullia sah ihn einen Augenblick an; dann lachte sie laut auf. „Nein", sagte sie. „Das ist alles richtig. Sie könnten danach streben, wie Sie es nennen. Die Frage ist nur, ob ich auch streben werde. Natürlich, wenn wir beide dem gleichen Ziel zustrebten, könnten wir uns morgen heirathen." „Gewiß", versetzte Del Ferice unerschüttert. „Ich mache Ihnen ja keinen Antrag. Ich bespreche nur den Fall. Einerlei dabei liegt vielleicht außerhalb des Argu­ ments, nämlich, daß ich Ihnen aufs Innigste ergeben bin. Vielleicht wird der Fall dadurch um so dringlicher. Ich wollte nur beweisen, daß der Gedanke an eine Verbindung zwischen uns gar nicht so abgeschmackt ist. Sie sagten lachend, Sie würden mich heirathen, wenn ich Ihnen einen großen Gefallen thäte. Ich lachte ebenfalls; nun aber wiederhole ich meinen Vorschlag im Ernst, denn ich bin überzeugt, wenn er Ihnen auch zuerst belustigend vorkommen mag, so werden Sie ihn bei näherer Betrachtung ganz praktisch finden. Einigkeit macht stark." Donna Tullia schwieg einen Augenblick, und ihr Ge­ sicht wurde sehr ernst. Was er sagte, klang vernünftig. Sie liebte ihn nicht — sie hatte nie daran gedacht, ihn zu heirathen; aber sie sah die Richtigkeit seiner Worte ein. Es war klar, daß ein Mann von seiner gesellschaftlichen Stellung, der überall Zutritt hatte und in ihrem Kreise vertraut war, daran denken durste, sie zu heirathen. Seit seiner Verwundung sah er förmlich hübsch aus; er war klug und gebildet, hatte ausreichende Mittel, um gegen den Ver-

54 dacht geschützt zu sein, daß er sie nur um ihres Vermögens willen heirathete, und hatte ihr allen Ernstes betheuert, daß er sie liebte. Vielleicht that er das wirklich. Es schmeichelte Donna Tuüias Eitelkeit, ihm Glauben zu schenken, und seine Handlungen standen im Einklang mit seinen Worten. Er war ihr eifrigster Verehrer und stets bemüht, sie mit der Hochachtung zu behandeln, welche sie Valdarno und den übrigen nie hatte abgewinnen können. Eine Frau, welche sich gern laut und auffallend benimmt und sich bewußt ist, etwas gewöhnlich zu sein, fühlt sich immer geschmeichelt, wenn ein Mann sie mit großer Ehr­ erbietung behandelt, Es heilt sie sogar mitunter von ihrer Gewöhnlichkeit. Donna Tullia dachte über Del Ferices Worte ernstlich nach. „Noch nie im Leben ist mir so ein Vorschlag gemacht worden", sagte sie. „Natürlich können Sie nicht verlangen, daß ich ihn für ausführbar halte. Sie können von mir nicht so niedrig denken, daß ich mich verkaufen sollte, um mich für eine erlittene Kränkung zu rächen. Wenn ich dies als einen Heirathsantrag ansehen soll, so muß ich ihn dankend ablehnen. Wenn es nur der Antrag zu einem Bündniß ist, so scheinen mir die Bedingungen des Vertrages ungleich." Del Ferice lächelte. „Ich kannte Sie genügend, um Ihre Antwort im vorans zu wissen," sagte er. „Ich habe Sie nie durch die Voraus­ setzung beleidigt, daß Sie auf solch einen Vorschlag ein­ gehen würden. Aber mich in Gedanken damit zu beschäf­ tigen ist reizend. Es ist für mich entzückend, daran zu denken, daß ich Ihr Gatte sein könnte; für Sie ist es eben so entzückend, an die Demüthigung eines Feindes zu den­ ken. Ich habe mir die Freiheit genommen, die beiden Ge-

55 danken zu einem Traum zu vereinigen — einem Traum voll unaussprechlicher Seligkeit für mich." Donna Tullia gewann ihre fröhliche Laune wieder. „Sie haben mich mit Ihren Träumen eine Viertel­ stunde lang sehr gut unterhalten", antwortete sie. „Ich wünsche, Sie sagten mir, was Sie von Don Giovanni missen. Es muß sehr interessant sein, wenn es wirklich Einfluß auf sein Leben haben kann." „Ich kann es Ihnen nicht sagen. Das Geheimniß ist zu werthvoll. „Aber wenn die Sache, um die Sie wissen, so wichtig ist, warum machen Sie denn nicht selbst davon Gebrauch? Sie müssen ihn viel mehr hassen als ich." „Das bezweifle ich", sagte Del Ferice mit listigem Lächeln. „Ich mache keinen Gebrauch davon, ich will den Schlag nicht führen, weil mir an Wiedervergeltung für mich allein nicht genug liegt. Ich mache keinen Anspruch auf Großmuth, aber ich nehme nicht genug Interesse an ihm, um ihm zu schaden, obschon er mir gründlich zuwider ist. Wir haben neulich unsere Zwistigkeiten vorläufig ausge­ glichen, und wurden dabei beide verwundet. Der arme Casalverde verlor den Kopf und beging eine Thorheit, und der kaltblütige Schurke Spicca nahm ihm in Folge dessen das Leben. Mir scheint, daß in unserm Streit genug Blut vergossen worden ist. So weit es mich angeht, will ich ihn fürs Erste in Ruhe lassen. Aber um Ihretwillen — ja das wäre etwas Anderes! Ich könnte etwas Schlimmeres thun als ihn umbringen, wenn ich Lust hätte." „Um meinetwillen?" fragte Donna Tullia. Was wür­ den Sie um meinetwillen thun?" Sie lächelte süß und war willens, all ihre Ueberredungskunst anszubieten, um ihm sein Geheimniß zu entlocken.

56 „Ich könnte Don Giovanni verhindern, die Astrardente zu heirathen, was seine Absicht ist," antwortete er und sah sie scharf dabei an. „Wie in aller Welt könnten Sie das thun?" fragte sie im höchsten Staunen. „Das, meine liebe Freundin, ist wie gesagt mein Geheimniß. Ich kann es Ihnen jetzt nicht enthüllen." „Sic sind so dunkel wie das Heilige Uffizium," sagte Donna Tullia etwas ungeduldig. „Was könnte es denn schaden, wenn Sie es mir sagten?" „Und was könnte es nützen?" war Del Ferice's Ge­ genfrage. „Sie könnten es nicht so ausnützen wie ich. Sie würden nichts dadurch erreichen, wenn Sie es wüßten. Natürlich," fügte er lächelnd hinzu, wenn wir das Bündniß abschlössen, von dem wir soeben im Scherze sprachen, so wäre es etwas Anderes." „Sie wollen es mir also nicht sagen, wenn ich nicht verspreche, Sie zu heirathen?" „Offen gesagt: nein!" antwortete er, noch immer lachend. Es reizte Donna Tullia über die Maßen zu wissen, daß er im Besitz deffen war, wonach sie so sehr begehrte, und zu fühlen, daß er halb im Ernst, halb im Scherz mit ihr um ihr Leben als Preis für sein Geheimniß han­ delte. Einen Augenblick fühlte sie sich fast versucht einzu­ willigen, zu versprechen, sie wollte ihn heirathen, so groß war ihre Neugier. Es würde ja nachher leicht sein, ihr Wort zu brechen und ihn auszulachen. Allein sie war keine schlechte Frau im Vergleich zu andern Frauen ihrer Klaffe. Sie hatte eine herbe Enttäuschung erlitten, und ihr Groll entsprach ihrer Eitelkeit. Aber sie wollte doch kein falsches Versprechen geben, um ihre Rache befriedigen

57 zu können; sie war nur schlecht genug, um an die Mög­ lichkeit einer solchen Treulosigkeit zu denken. „Aber sie sagten doch, sie glaubten nicht ernstlich daran, daß ich auf einen solchen Vertrag eingehen würde?" wandte sie ein, da sie nicht mehr wußte, was sie sagen sollte. „Das sagte ich", erwiderte Del Feriee. „Ich hätte noch hinzufügen können, daß ich nie im Ernst daran gebacht habe, mein Geheimniß preiszugeben." „Aus Ihnen ist nichts herauszubekommen", sagte Donna Tullia im Tone der Enttäuschung. „Ich denke, nachdem Sie mich halb toll vor Neugier gemacht haben, könnten Sie mir wirklich etwas sagen." „Ach nein, verehrte Frau! Sie können alles von mir verlangen, nur dieses nicht. Sie können auch das von mir verlangen, wenn Sie den von mir in Vorschlag ge­ brachten Vertrag unterzeichnen wollen." „Sie werden mich dahin bringen, Sie aus reiner Neugier zu heirathen," sagte Donna Tullia mit gereiztem Lachen. „Ich wünsche, das wäre möglich. Ich wünsche, ich wüßte, wie ich es Ihnen mittheilen könnte, denn die Sache ist so merkwürdig, daß sie das höchste Interesse für Sie haben würde. Allein es kann gar nicht die Rede da­ von sein." „Dann hätten Sie mir lieber überhaupt gar nichts davon sagen sollen," erwiderte Madame Mayer. „Nun, ich will es mir überlegen," sagte Del Ferice endlich, als hätte er sich plötzlich entschlossen, ein Opfer zu bringen. „Ich will einige Papiere durchsehen, die in mei­ nem Besitz sind, ich will es mir überlegen. Ich verspreche Ihnen, wenn ich einsehe, daß ich Ihnen mit gutem Ge-

58 wissen etwas von der Sache mittheilen kann, so können Sie sich darauf verlassen, daß ich es thun werde." Donna Tullia ging noch ein Mal von Ungeduld zur Ueberredung über. Die ihr plötzlich eröffnete Aussicht war köstlich für sie. Es fiel ihr nicht ein, daß Del Ferice, nachdem er erst ihr volles Jntereffe erregt hatte, mit ihren Launen spielen könnte, wie auf den Saiten eines Instru­ mentes. Hätte sie nicht gewünscht, daß seine Geschichte wahr sein möchte, so wäre ihr vielleicht der Verdacht ge­ kommen, er wolle mit ihrer Leichtgläubigkeit spielen. So aber ergriff sie den Gedanken, sie könne auf Giovannis Leben einen geheimen Einfluß gewinnen, und sie ward da­ von völlig berauscht. „Sie müssen es mir sagen — Sie werden es gewiß thun!" sagte sie und sah ihren Gefährten mit den süßesten Blicken an. „Kommen Sie zu Tische zu mir! Effen Sie Fastenspeise? — Nein? ich auch nicht. Kommen Sie Frei­ tag, ja?" „Mit dem größten Vergnügen", antwortete Del Ferice mit einem leisen Lächeln des Triumphs. „Ich werde natürlich die alte Dame einladen, so kön­ nen Sie es mir bei Tische nicht erzählen; aber nach Tisch wird sie einschlafen, wie sie zu thun Pflegt. Kommen Sie um sieben. Ueberdies ist sie bekanntlich taub." Die besagte alte Dame war die bejahrte Gräfin, welche Donna Tullia in ihrer einsamen Herrlichkeit gern zur Gesellschaft bei sich hatte. „Und wollen Sie mich jetzt in den Ballsaal zurück­ führen? Eben fällt mir ein, daß einer meiner Tänzer mich suchen könnte." Del Ferice ließ sie beim Tanz und fuhr in seinem kleinen Coupö nach Hause. Er war entsetzlich müde, denn

59 er war noch sehr schwach, und fürchtete, die Unvernunft, so früh ausgegangen zu sein, könnte einen Rückfall verursachen. Dennoch schickte er Themistocles fort, ehe er zu Bette ging und öffnete einen schäbig aussehenden schwarzen Kasten, der auf seinem Schreibtisch stand. Er war mit Eisen be­ schlagen und mit einem Patentschloß versehen, welches schon ost der Geschicklichkeit des Themistocles getrotzt hatte. Die­ sem Behälter entnahm er eine Menge Papiere, welche alle in bester Ordnung, mit der feinen zierlichen Handschrift des Besitzers bezeichnet dalagen. Unter einem Pack Briefe fand er, was er suchte: einen großen Umschlag, der meh­ rere znsammengefaltete Dokumente enthielt. Er breitete die Papiere aus und las sie aufmerksam durch. „Es ist eine höchst sonderbare Geschichte," sagte er für sich, „aber gar nicht zu bezweifeln! Da steht es!" Er faltete die Papiere wieder zusammen, steckte sie in den Umschlag und legte diesen tief unter die Briefe in sei­ nem Kasten. Dann schloß er denselben zu, hängte den Schlüssel an eine Kette, die er um den Hals trug, und ging matt und erschöpft zu Bette.

Viertes Kapitel.

Del Ferice hatte Donna Tullias Neugier absichtlich erregt und beabsichtigte ihr nächstens mehr zu sagen, als in diesem ersten vertraulichen Gespräch. Allein er zitterte, wenn er an die Größe seines plötzlich gefaßten Planes dachte, denn Furcht vor Giovanni war in seinem Herzen. Die Versuchung, sich gegen Donna Tullia zu rühmen, daß es in seiner Hand läge, Giovannis Heirath zu vereiteln, war zu stark für ihn gewesen; als es nun aber dazu kam,

59 er war noch sehr schwach, und fürchtete, die Unvernunft, so früh ausgegangen zu sein, könnte einen Rückfall verursachen. Dennoch schickte er Themistocles fort, ehe er zu Bette ging und öffnete einen schäbig aussehenden schwarzen Kasten, der auf seinem Schreibtisch stand. Er war mit Eisen be­ schlagen und mit einem Patentschloß versehen, welches schon ost der Geschicklichkeit des Themistocles getrotzt hatte. Die­ sem Behälter entnahm er eine Menge Papiere, welche alle in bester Ordnung, mit der feinen zierlichen Handschrift des Besitzers bezeichnet dalagen. Unter einem Pack Briefe fand er, was er suchte: einen großen Umschlag, der meh­ rere znsammengefaltete Dokumente enthielt. Er breitete die Papiere aus und las sie aufmerksam durch. „Es ist eine höchst sonderbare Geschichte," sagte er für sich, „aber gar nicht zu bezweifeln! Da steht es!" Er faltete die Papiere wieder zusammen, steckte sie in den Umschlag und legte diesen tief unter die Briefe in sei­ nem Kasten. Dann schloß er denselben zu, hängte den Schlüssel an eine Kette, die er um den Hals trug, und ging matt und erschöpft zu Bette.

Viertes Kapitel.

Del Ferice hatte Donna Tullias Neugier absichtlich erregt und beabsichtigte ihr nächstens mehr zu sagen, als in diesem ersten vertraulichen Gespräch. Allein er zitterte, wenn er an die Größe seines plötzlich gefaßten Planes dachte, denn Furcht vor Giovanni war in seinem Herzen. Die Versuchung, sich gegen Donna Tullia zu rühmen, daß es in seiner Hand läge, Giovannis Heirath zu vereiteln, war zu stark für ihn gewesen; als es nun aber dazu kam,

60 ihr mitzutheilen, durch welche Mittel er das bewirken könnte, hielt ihn seine Vorsicht zurück. Er wünschte, Jemand an­ ders möchte den Plan ausführen; denn wie außerordentlich derselbe auch war, ganz sicher schien der Erfolg doch nicht. Er fühlte sich auch Donna Tullias Verschwiegenheit nicht sicher, ehe er ihr durch wohlbedachte Vorcnthaltuug des Ge­ heimnisses einen Begriff von der Wichtigkeit desselben ge­ geben hatte. Bei reiflicher Ueberlegung indeffen kam er zu dem Schluffe, daß sie es nicht wagen würde darüber zu sprechen oder auch nur darauf anzuspielen, wenn sie erst um sein Geheimniß wüßte. Das graue Morgenlicht des Aschermittwochs dämmette über Rom und stahl sich durch das Fenster in Giovannis Schlafzimmer. Er hatte nicht viel geschlafen, allein seine Ruhelosigkeit lag mehr an der Freude darüber, daß er seine letzten gesellschaftlichen Verpflichtungen erfüllt hatte, als an sonstiger Aufregung. Die ganze Nacht hindurch lag er da und überlegte, was er thun sollte; wie er sein Gut im Gebirge auf Umwegen erreichen und andre in dem Glau­ ben lassen könnte, er wäre im Auslande, — und wie er, endlich in Saracinesca angekommen, in der Einsamkeit und in dem Gedanken schwärmen wollte, nur eine halbe Tage­ reise von Corona entfernt zu sein. Er war bereit, sich große Mühe zu geben, denn er wollte nicht, daß die Leute wußten, wo er wäre; es sollte nicht heißen, er wäre aufs Land gegangen, um Corona nahe zu sein und sie täglich zu sehen, wie das Gerede zweifellos gehen würde, wenn man sein wahres Reiseziel entdeckte. Also hielt er sein Programm buchstäblich ein. Am Aschermittwoch Nachmit­ tags reiste er nach Florenz; dort besuchte er verschiedene Bekannte, die, wie er wußte, darüber nach Rom berichten würden; von Florenz reifte er nach Paris und erzählte

61 überall, daß er zur Jagd nach dem hohen Norden gehen würde, sobald das Wetter warm genug wäre. Da er als reisender Sportsman bekannt war, erregte das keine Ver­ wunderung, und als er endlich von Paris abreifte, berich­ teten die Zeitungen, so wie sämmtliche Klatschbasen, er wäre auf dem Wege zum hohen Norden nach Kopenhagen gereist. Seiner Zeit drang das Gerücht nach Rom und man nahm an, die Gesellschaft habe Giovanni Saracinesca für wenigstens acht Monate aus den Augen verloren. Man sand, daß er mit großen Zartgefühl gehandelt hatte, indem er sich so weit entfernte; so ließ er die ersten Mo­ nate von Coronas Trauerzeit verstreichen, ehe er in der Gesellschaft als ihr förmlicher Bewerber austrat. Angesichts dieses eigenthümlichen Falles konnte vom Standpunkt der Gesellschaft aus nichts Unpassendes dabei sein, wenn er Corona ein Jahr nach ihres Gatten Tod heirathete. Daß er sie heirathen würde, war natürlich; daran war nicht zu zweifeln, er hatte sie schon so lange geliebt und nun war sie frei und reich. Kein Mensch ahnte, daß Giovanni statt in Scandinavien zu sein, ruhig in Saracinesca saß, eine Tagereise von Rom, mit der Bewirthschaftung seiner Güter beschäftigt und fürs erste zufrieden in dem Bewußtsein, der geliebten Frau so nahe zu sein. Donna Tullia konnte kaum den Tag erwarten, an dem Del Ferice bei ihr speisen sollte; sie war mehrmals nahe daran, an ihn zu schreiben und ihn zu bitten, sofort zu ihr zu kommen. Allein sie unterließ es, weil sie sich sagte, daß er um so mehr Schwierigkeiten machen würde, je mehr sie ihn drängte. Endlich kam er; er sah bleich und ange­ griffen aus — interessant, wie Donna Tullia es nannte. Die alte Gräfin sprach bei Tisch sehr viel; allein da sie zu taub war, um mehr als den vierten Theil von dem zu

62 verstehen, was die andern sagten, war die Unterhaltung nicht interessant. Nach Tische setzte sie sich auf einen be­ quemen Lehnstuhl im Boudoir und nahm ein Buch zur Hand. Einige Minuten später forderte Donna Tullia Del Ferice auf, mit ihr in den Salon zu gehen, sie hatte einige neue Walzer aus Wien erhalten und wollte sie mit Del Ferice durchsehen. Zwar war sie nicht besonders musika­ lisch, aber sie liebte lustige laute Musik und spielte so gut wie gebildete junge Weltdamen im Durchschnitte zu spielen pflegen. Natürlich blieben die Thüren zwischen dem Salon und dem Boudoir offen, wo die Gräfin bald über ihrem Buche einschlief. Donna Tullia saß am Flügel und Del Ferice neben ihr. Sie schlug einige Accorde an und begann einen Tanz zu spielen. „Sie haben natürlich gehört, daß Don Giovanni ver­ reist ist?“ fragte sie obenhin. „Ich vermuthe, er ist nach Saracinesca gegangen, es soll von dort ein bequemer Weg nach Astrardente führen.“ „Ich traue ihm mehr Anstandsgefühl zu, als daß er die Herzogin im ersten Monat ihrer Trauerzeit aufsuchen sollte,“ antwortete Del Ferice und lehnte den Arm auf den Flügel; er stützte sein blasses Gesicht mit der einen Hand während er Donna Tullias Finger beobachtete, wie sie über die Tasten glitten. „Weshalb? Er macht sich nichts daraus, was die Leute sagen, warum auch? Wenn das Jahr vorüber ist, wird er sie heirathen. Woran sollte er sich kehren?“ „Er kann sie niemals heirathen, wenn ich es nicht zulaffe,“ sagte Del Ferice ruhig. „Das sagten Sie mir schon neulich“, versetzte Donna Tullia. „Aber Sie werden es natürlich zulaffen. Ueber-

63 dies könnten Sie es ja gar nicht verhindern. Ich glaube es nicht!" Sie lehnte sich in ihren Stuhl zurück, ihre Hände ruhten auf den Tasten, ohne sie anzufchlagen, und sie sah Del Ferice mit süßem Lächeln an. Es entstand eine kleine Pause. „Ich habe mich entschlossen, Ihnen etwas zu sagen," sagte er endlich, „aber unter einer Bedingung." „Wozu Bedingungen stellen?" fragte Donna Tullia, indem sie ihre Aufregung zu verbergen suchte. „Nur eine einzige: Verschwiegenheit. Wollen Sie mir versprechen, das was ich Ihnen jetzt mittheilen werde, niemals weiter zu sagen, ohne mich vorher um Rath zu fragen? Ich verlange kein gewöhnliches Versprechen, son­ dern einen Eid." Er sprach mit großem Ernst. „Es ist eine sehr ernste Sachch wir spielen mit Feuer, ja mit Tod und Leben. Sie müssen mir eine Bürgschaft für Ihre Verschwiegenheit geben." Seine Art und Weife machte einen tiefen Eindruck auf Donna Tullia; noch nie hatte sie ihn so ernst ge­ sehen. „Ich will Ihnen versprechen, was und wie sie wollen," sagte sie. „Dann sprechen Sie mir dies nach," fuhr er fort, ästigen Sie: ich schwöre hiermit und verpflichte mich feier­ lich, daß ich das mir anvertraute Geheimniß treulich be­ wahren will, und wenn ich es nicht bewahre, so gelobe ich zur Sühne, sofort Hugo del Ferice zu heirathen —" „Das ist Unsinn", rief Donna Tullia zurückfahrend. Er beachtete es nicht. „Und zu Zeugen dieses Eides nehme ich das Gedächt­ niß meiner seligen Mutter, die Hoffnung auf das Heil meiner Seele und diese Reliquie vom Wahren Kreuz

64 Christi." Dabei zeigte er auf die Kapsel, welche sie um den Hals trug, und die, wie sie ihm oft versichert hatte-, besagte Reliquie enthielt. „Es ist unmöglich!" rief sie aus. „Ich kann in einer solchen Sache keinen feierlichen Eid leisten. Ich kann nicht geloben, Sie zu hcirathen." „Das heißt soviel als Sie können nicht versprechen, mein Geheimniß zu bewahren," antwortete er ruhig. Er kannte sie ganz genau und war überzeugt, sie würde einen Eid, wie den von ihm vorgeschlagenen, in keinem Falle brechen. Er wollte nichts durch ihre Jndiscretion aufs Spiel setzen. Donna Tullia zauderte, als sie sah, daß er fest blieb. Die Neugier quälte sie über alle Maßen. „Ich soll also nur versprechen, Sie zu heirathen, falls ich das Geheimniß verrathe?" fragte sie. Er nickte zu­ stimmend. „So daß ich also eigentlich nur verspreche zu schweigen? Nun, ich sehe nicht ein, wozu es so feierlich sein soll. Aber wenn Sie es verlangen, will ich es thun. Wie lauteten die Worte?" Er wiederholte sie langsam, und sie sprach sie nach. Er achtete auf jedes ihrer Worte, damit sie ja nichts ausließe. „Ich, Tullia Mayer, schwöre und verpflichte mich feierlich, das Geheimniß, welches mir jetzt anvertraut werden soll, zu bewahren; wenn ich es aber nicht bewahre, so verspreche ich zur Sühne dafür sofort Hugo del Ferice zu heirathen," ihre Stimme bebte vor Aufregung: „und zu Zeugen dieses Eides nehme ich das Gedächtniß meiner seligen Mutter, die Hoffnung aus das Heil meiner Seele und diese Reliquie vom Wahren Kreuz." Bei den letzten Worten nahm , sie die Kapsel in die Hand.

65 „Verstehen Sie, daß Sie versprochen haben, mich zu heirathen, falls Sie mein Geheimniß verrathen? Haben Sie das deutlich verstanden?" fragte Del Ferice. „Ja, ich habe es verstanden," antwortete sie schnell, als schäme sie sich dessen, was sie gethan. „Und nun das Geheimniß!" setzte sie eifrig hinzu, denn sie fühlte, daß sie sich gedemüthigt hätte,, um ihr Stück durchzu­ setzen. „Don Giovanni kann die Herzogin von Astrardente nicht heirathen, weil" — er hielt einen Augenblick inne, um seinen Worten den rechten Nachdruck zu geben, — „weil Don Giovanni Saracinesca bereits verheirathet ist." „Was!" rief Donna Tullia und sprang überrascht durch die erstaunliche Nachricht vom Stuhle auf. „Es ist wirklich wahr", sagte Del Ferice ruhig lächelnd. Beruhigen Sie sich; es ist wirklich wahr. Ich weiß, woran Sie denken. Ganz Rom glaubte, er würde Sie heirathen." Donna Tullia war überwältigt durch das Seltsame ihrer Lage. Sie barg einen Augenblick das Gesicht in den Händen und beugte sich über das Klavier. Dann blickte sie plötzlich auf. „Was für eine abscheuliche Schurkerei!" rief sie mit erstickter Stimme. Dann erholte sie sich allmälig von ihrem ersten Schreck und sah Del Ferice an. Sie war fast eben so bleich wie er. „Was haben Sie für Beweise?" fragte sie. „Ich habe die beglaubigte Abschrift des Aufgebotes von dem Priester, der ihn getraut hat. Das ist ein Be­ weis. Ueberdies ist das Kirchenbuch mit den Aufgeboten im Original vorhanden, und Don Giovannis Name steht im Kirchenregister eingetragen. Ich habe auch eine AbCrawford, Saracinesca.

II.

5

66

schrist von dem Civiltrauschein, welchen Giovanni selbst unterschrieben hat." „Sagen Sie mir noch mehr!" bat Donna Tullia. „Wie haben Sie es entdeckt?" „Ganz einfach", antwortete Del Ferice. „Sie können selbst nachsehen, wenn Sie eine kleine Reise nicht scheuen. Im vergangenen Sommrr machte ich wie gewöhnlich eine kleine Erholungsreise und kam dabei zufällig nach Aquila — der Hauptstadt der Abruzzen, wie Sie wissen. Eines Tags ging ich zufällig in die Sacristei von einer der dor­ tigen Pfarrkirchen, um mir einige Bilder anzusehen. Es hatte soeben eine Trauung stattgesunden, und während der Küster mit mir herumging, um mir die Bilder zu zeigen, legte er die Hand aus ein offenes Buch, das mir wie ein Register aussah. Ich fragte ihn, was es wäre, und er zeigte es mir, es amüsirte mich, die Namen der Leute zu lesen, und so durchblätterte ich es neugierig. Plötzlich fiel mir ein bekannter Name auf: .Giovanni Saraciuesca' stand deutlich auf dem Blatte und darunter .Felice Baldi' — der Name seiner Frau. Der Hochzeitstag war der 19. Juni 1863. Sie besinnen sich vielleicht, daß in jenem Sommer, ja eigentlich während jenes ganzen Jahres, Don Giovanni abwesend war, wie es hieß, auf seinen berühm­ ten Jagden in Canada, wovon er so viel erzählte. Es scheint nun, daß er vor zwei Jahren nicht in Amerika war, sondern in Aquila lebte — verheirathet mit Felice Baldi, — vermuthlich ein hübsches Bauernmädchen! Ich staunte beim Anblick der Namen und erwirkte mir die Er­ laubniß, mir von einem Notar eine beglaubigte Abschrift machen zu lassen. Ich suchte den Priester auf, der die Beiden getraut hatte, allein er konnte sich nicht auf das Paar besinnen. Der Mann, sagte er, wäre brünett ge-

67 wesen, das wisse er bestimmt, die Frau, meinte er, blond. Er traute so viele Leute in einem Jahr. Diese waren nicht aus Aquila gebürtig; sie waren vom Lande in die Stadt gekommen, hatten sich vielleicht hier getroffen. Das Aufgebot habe er noch, ja und auch ein Trauregister, aus welchem er manchmal beglaubigte Auszüge machte. Er war ein guter alter Mann, sehr gefällig gegen mich, allein sein Gedächtniß war schwach. Er gestattete mir, notarielle Abschriften vom Aufgebot und der im Register eingetrage­ nen Trauhandlung machen zu lassen. Dann ging ich auf das Standesamt. Wie Sie wiffen, unterschreiben sich die Leute im Kirchenbuch nicht selbst; der Priester schreibt die Namen ein. Ich wollte die Unterschriften sehen, und ließ mir das Register auf dem Standesamt zeigen. Es war Giovannis Handschrift, deffen bin ich sicher — etwas größer als gewöhnlich und nicht so fest, aber auf den ersten Blick erkennbar. Ich nahm mir die Abschriften der Merkwürdigkeit wegen mit und sprach nicht darüber, aber ich habe sie aufbewahrt. Das ist die ganze Geschichte. Sehen Sie ein, wie ernst die Sache ist?" „Ja, allerdings", versetzte Donna Tullia, welche der Erzählung mit gespannter Aufmerksamkeit gelauscht hatte. „Aber was kann ihn bewogen haben, das Weib zu heirathen?" „Irgend eine liebenswürdige Excentricität, wie deren seiner Familie eigen sind," erwiderte Del Ferice achsel­ zuckend. Das Interessante bei der Sache wäre, heraus­ zubekommen, was aus Felice Baldi geworden — aus Donna Felice Saracinesca, wie sie ja wohl berechtigt ist sich zu nennen. „Wir wollen sie aufsuchen, Giovannis Frau!" ries Donna Tullia lebhaft. „Wo mag sie sein?"

68 „Wer weiß!" sagte Del Ferice. „Es müßte eine eigene Sache sein, sie zu sehen. Der Name ihres Geburts­ dorfes ist angegeben, ebenfalls der Name ihrer Eltern. Giovanni hat auf dem Scheine angegeben: „Grundbesitzer aus Neapel", und über seine Familie nichts weiter ge­ sagt. Nichts kann unbestimmter sein; Grundbesitzer ist Jeder, von dem elenden Bauer, der einen Morgen Land beackert, bis zu Ihrer Herrlichkeit den Fürsten Saracinesca. Vielleicht könnte man in dem genannten Dorfe nähere Auskunft erhalten. Er hat sie wahrscheinlich hinreichend versorgt, und ist dann unter dem Vorwande, auf einen Tag zu verreisen, nie wieder zurückgekehrt. Er ist ein ganz gewissenloser Mensch und legt auf diesen tollen Streich nicht mehr Gewicht als auf eine Gemsjagd in Tirol. Er weiß, sie kann ihn niemals auffinden und hat nie gewußt, wer er eigentlich war." „Vielleicht ist sie gestorben", meinte Donna Tullia, und ihr Gesicht wurde plötzlich ernst. „Warum denn? Er würde sich nicht die Mühe ge­ nommen haben, sie ums Leben zu bringen — ein Bauer­ mädchen in den Abruzzen! Es hat ihm keine Schwierig­ keit gemacht, sie zu verlassen, und sie ist vermuthlich zur Zeit frisch und gesund, vielleicht die Mutter des künftigen Fürsten Saracinesca. Wer weiß!" „Aber sehen Sie denn nicht ein," sagte Donna Tullia, „daß wir ihm nichts anhaben können, wenn Sie keine Beweise dafür beibringen, daß sie noch lebt. Er könnte ja die ganze Sache zugeben und uns dann ruhig sagen, die Frau wäre gestorben." „Dies ist wahr; aber selbst dann müßte er beweisen, daß sie eines natürlichen Todes gestorben und ordentlich begraben ist. Glauben Sie mir, Giovanni würde lieber

69 alle Hoffnung auf eine Verbindung mit der Astrardente aufgeben, als diese schmähliche Geschichte bekannt werden lassen." „Ich möchte ihn geradezu darüber befragen und dabei sein Gesicht beobachten", sagte Donna Tullia heftig. „Denken Sie an Ihren Eid", versetzte Del Ferice. „Aber jetzt ist er fort. Sie werden ihn monatelang nicht sehen." „Sagen Sie mir, wie könnte man Ihre Kenntniß von dieser Angelegenheit ausnützen, wenn man wirklich seine Verheirathung mit der Astrardente verhindern wollte?" „Ich würde Ihnen rathen zu ihr zu gehen und ihr den Fall vorzutragen. Sie brauchten dabei Niemanden zu nennen. Jeder, der Lust dazu hat, kann in Aquila die Register einsehen. Ich denke, Sie könnten ihr die Sache so beredt wie nöthig mittheilen." „Ich glaube, das könnte ich," antwortete sie mit zu­ sammengebissenen Zähnen. „Welch merkwürdiger Zufall hat Ihnen das Register in die Hand gespielt?" „Der Himmel sendet uns die Gelegenheit," sagte Del Ferice andächtig, „dem Menschen liegt es ob, sie zu be­ nutzen. Wer weiß, wie glänzend Sie diese benutzen werden." „Ich kann es nicht, da ich durch mein Versprechen ge­ bunden bin," sagte Donna Tullia. „Nein. Ich bin überzeugt, es wird Ihnen nicht ein« fallen es zu thun. Aber vielleicht könnten wir uns dahin einigen, daß die obwaltenden Verhältnisse ein Eingreifen wünschenswerth machten. Es müssen noch viele Monate hingehen, ehe er daran denken kann, um sie anzuhalten. Dann wird es Zeit genug sein, die Sache zu überlegen; zu entscheiden, ob wir ein Recht haben, solch ein fürchter­ liches Aufsehen zu erregen, einer unschuldigen Frau wie

70 der Herzogin und einem unwürdigen Manne wie Giovanni so viel Herzeleid zuzufügen. Denken Sie sich, was für eine Schande es für die Saracinescas sein müßte, wenn es be­ kannt würde, daß Giovanni sich öffentlich mit einer großen Erbin verlobt hätte, während er im Geheimen schon mit einer Bänerin verheirathet war!" „Das würde freilich schrecklich fein!" sagte Donna Tullia mit einem hämischen Blick ans ihren blauen Augen. „Vielleicht sollten wir gar nicht daran denken", setzte sie hinzu, und blätterte in den Noten. Dann sagte sie plötzlich: „Wiffen Sie, Sie haben mich in eine schreckliche Lage ge­ bracht, indem Sie mir das Versprechen abgedrungen!" „Nein", sagte Del Ferice ruhig. „Sie wollten das Geheimniß hören. Nun haben Sie es gehört und brauchen nur es für sich zu behalten." „Das ist es eben- “ sie hielt inne und schlug laut einen Accord auf dem Klavier an. Sie hatte sich von Del Ferice abgewendet und konnte nicht das Lächeln aus seinem Gesichte sehen, welches seine blassen Züge einen Augenblick überflog und dann gleich wieder verschwand. „Denken Sie nicht mehr daran", sagte er freundlich. „Man vergißt solche Geschichten so leicht, wenn man nur fest entschlossen ist, nicht weiter daran zu denken." Donna Tullia lächelte bitter und schwieg. Sie begann ziemlich geläufig und jedenfalls sehr energisch vom Blatt zu spielen. Del Ferice saß geduldig neben ihr, schlug das Blatt um und sah von Zeit zu Zeit ihr Gesicht an, das ihm wirklich ausnehmend gefiel. Er gehörte zu den blaffen, etwas phlegmatischen Männern, welche sich häufig in san­ guinische kräftige Frauen verlieben. Donna Tullia war ein vorzüglicher Typus dieser Klaffe von Frauen; sie wurde schön genannt, obwohl sie den Vergleich mit andern Frauen,

71 die weniger Anspruch auf Schönheit, aber mehr Feinheit und Zartheit besaßen, nicht gut aushalten konnte. Del Ferice aber gefiel sie sehr; und wie gesagt, ihr Vermögen gefiel ihm noch mehr. Er sah fich allmälig dem Ziele seines Strebens näher rücken, und je näher er diesem er­ sehnten Ziele kam, desto vorsichtiger wurde er. Heute Abend hatte er eine seiner besten Karten ansgespielt; nun wollte er abwarten und die Dinge ruhig ihren Lauf nehmen taffen, ohne sie weiter zu treiben. Der Same würde aufgehen, daran war nicht zu zweifeln, und er hatte eine günstige Stellung inne. Er konnte das Ende ruhig abwarten. Nach einer halben Stunde entschuldigte er sich, daß er als kaum Genesener noch nicht spät ausbleiben könne, weil es ihn zu sehr angriff. Donna Tullia nöthigte ihn nicht zu bleiben, denn sie wollte gern allein sein, und als er fort war, saß sie noch lange vor dem offnen Klavier und dachte nach über das, was sie gethan, und noch mehr an das, was sie zu ihrem Glücke nicht gethan hatte. Der Gedanke war entsetzlich, daß sie, wenn Giovanni im Laufe des Winters um sie angehalten hätte, ihm sofort und gern ihr Jawort gegeben haben würde; es war schrecklich zu denken, in welche Lage sie Del Ferice gegenüber gerathen sein würde, der ja durch ein bloßes Wort ihre Ehe hätte ungültig machen können, indem er die früher in Aquila geschloffene bewies. Mit dergleichen Beschuldigungen scherzt man nicht, und er wußte wohl, was er that; sie wäre ganz in seiner Macht gewesen. Oder gesetzt, Del Ferice wäre an seiner Wunde gestorben und seine Papiere wären von seinen Erben — wer die anch sein mochten — durchforscht worden; dann wären jene beglaubigten Documente ans Tageslicht gekommen. Welch drohender Gefahr war Gio­ vanni entgangen!

Und wie leicht hätte sie selbst in seinen

72 Ruin verwickelt werden können! Sie gefiel sich in dem Gedanken, daß er beinahe um sie angehalten; das schmei­ chelte ihr, obschon sie ihn jetzt von ganzer Seele haßte. Sie konnte nicht umhin, Del Ferices Discretion zu bewun­ dern, mit der er so lange eine Scandalgeschichte verschwie­ gen hatte, welche die römische Gesellschaft in ihren Grund­ festen erschüttert haben würde, und sie zitterte bei dem Ge­ danken, was wohl geschehen würde, wenn sie je in Ver­ suchung käme, das so eben Gehörte zu enthüllen. De! Ferice war entschieden ein Genie — so ruhig und doch im Besitze solcher Waffen; es fehlt ihm auch nicht an Großmuth, denn sonst hätte er sich für seine Wunde gerächt, in­ dem er Giovannis Rus zu Grunde richtete. Sie überlegte, ob sie an seiner Stelle hätte schweigen können. Uebrigens, wie er ja auch gesagt, war der Augenblick, mit den Docu­ menten hervorzutreten, noch nicht gekommen, denn bis jetzt hatte Giovanni noch nicht die Absicht bezeigt, sich zu verheirathen. Vielleicht war seine heimliche Ehe in Aquila der Grund dafür. Del Ferice beurtheilte ihn vielleicht falsch, indem er ihn gewiffenlos nannte; er mochte seine bäurische Gattin verlassen haben, weil er seine Thorheit bereute, aber vielleicht hatte er ihretwegen nicht um Donna Tullia angehalten; dann hatte er also auch mit Corona nur gespielt. All das kam ihr sehr wahrscheinlich vor, so wahrscheinlich, daß es ihren Glauben an Del Ferices Mit­ theilungen nur noch erhöhte. Ganz wie es in Giovannis Absicht lag, verbreitete sich einige Tage darauf in Rom die Nachricht, daß er in Flo­ renz gewesen und zur Zeit in Paris wäre; dann hieß es, er wolle während des Sommers Jagdausflüge im hohen Norden machen. Das sah ihm ähnlich und stimmte ganz zu seinen Neigungen. Er konnte die ruhigen Empfangs-

73 abende in den großen römischen Familien während der Fastenzeit nicht leiden, und hätte sie doch besuchen müssen, wenn er in Rom geblieben wäre. So machte er sich na­ türlich davon, wenn er es konnte. Äber Donna Tullia

konnte ihnen nicht entgehen und ihr gelang es auch, sich auf solchen Empfangsabenden zu amüsiren. Sie war an­ erkannt der Miltelpunkt des lustigern Theiles der Gesell­ schaft, und wohin sie kam, sammelten sich um sie Leute, die unterhalten sein wollten oder willens waren, einander zu unterhalten. Bei einer solchen Gelegenheit traf sie den alten Saracinesca. Seit sein Sohn verreist war, ging er nicht viel aus; aber er schien recht munter und da ihm uncrklärlicherweise Madame Mayer gefiel, so gefiel er ihr eigentlich ebenfalls. Ucberdies trieb sie ihr Interesse für Giovanni, das freilich nunmehr keineswegs ein liebevolles war, zu dem Wunsche, etwas über ihn zu hören. „Sie müssen sich recht vereinsamt fühlen, seit Don Giovanni wieder verreist ist," sagte sie. „Eben darum gehe ich aus", erwiderte der Fürst. „Es ist nicht besonders amüsant, aber doch besser als gar nichts. Es kommt mir vor, wie wenn man kaltes Fleisch nach dem Dessert auftischte, aber wenn man hungrig ist, kommt es auf die Speiseordnung wenig an." „Giebts etwas Neues, Fürst? Ich sehne mich nach Unterhaltung." — — „Neues? Nein. Die Welt lebt im Frieden, und folglich in Sünden, wie gewöhnlich wenn sie sich nach einem heftigen Ausbruch ausruht." „Sie scheinen mir heute Abend moralisch aufgelegt!" sagte Donna Tullia lächelnd und den rothen Fächer, den sie immer trug, sanft bewegend. „So? Dann werde ich alt, glaube ich. Es ist das

74 Vorrecht des Alters, an Andern zu tadeln, was man an sich selbst zu loben nicht mehr jung genug ist. Altwerden ist ein schlimmes Ding, aber es macht die Leute gut oder macht wenigstens, daß sie sich dafür halten, was in ihren eigenen Augen auf daffelbe hinauskommt." „Wie köstlich cynisch!" „Hündisch?" fragte der Fürst lachend. „Ich habe von Gelehrten sagen hören, daß cynisch auf Griechisch hündisch heißt. Die Fabel vom Hunde in der Krippe wurde er­ sonnen, um den ächten Cyniker zu bezeichnen — einen Menschen, der das Leben weder selbst genießt, noch zuläßt, daß andere es genießen. Ich bin nicht solch ein Mensch. Ich hoffe zum Beispiel, daß Sie alles genießen werden, was sich Ihnen bietet." „Selbst das kalte Fleisch nach dem Dcffert, von dem Sie eben sprachen?" fragte Donna Tullia. „Dankeschön, ich will es versuchen; vielleicht können Sie mir dabei helfen." „Mein Sohn hat es verschmäht", sagte der Fürst. Er ist ausgezogen sich frische süße Weide zu suchen." „Und hat Sie zurückgelassen." „Jemand sagte ein Mal, das Klügste, was ein Sohn thun könnte, wäre, seinen Vater so bald als möglich los zu werden." — „Dann ist Don Giovanni ein kluger Mann", versetzte Donna Tullia. „Vielleicht. Er forderte mich indessen auf, ihn zu be­ gleiten." — „Sie lehnten es ab?" „Natürlich. Solche Unternehmungen passen für junge Leute. Ich mag Florenz nicht, liebe Paris nicht besonders und verabscheue den Nordpol. Sie haben wahrscheinlich aus den Zeitungen ersehen, daß er in jene Gegend reist?

75 Es ist ganz nach ihm! Ich glaube er strebt nach Origi­ nalität. Da er im Süden geboren ist, zieht es ihn natür­ lich nach dem hohen Norden." „Er wird Ihnen vermuthlich interessante Briefe schrei­ ben", bemerkte Donna Tullia. „Ist er ein guter Brief­ schreiber?" „Ganz hervorragend, denn er belästigt einen niemals. Von Zeit zu Zeit schreibt er seine Adresse und erhebt Geld bei feinem Banquier. Seine Briefe sind nicht so intereffant, als man vermuthen dürfte, denn sie sind selten mehr als fünf Zeilen lang; andererseits aber dauert es auch nicht lange sie zu lesen, und das ist ein Segen." „Sic scheinen ein sehr liebevoller Vater zu sein", sagte Donna Tullia lachend. „Wenn Sie die Liebe nach der Ausgabe an Postmar­

ken berechnen, haben Sie recht, sarkastisch zu sein. Wenn Sie sie auf andre Weise ermessen, haben Sie unrecht. Ich kann nicht anders als einen Menschen lieben, der mir selbst so ähnlich ist wie mein Sohn. Das würde sonst einen abscheulichen Mangel an Schätzung meiner eignen Verdienste beweisen." »Ich finde Don Giovanni Ihnen nicht so sehr ähnlich", sagte Donna Tullia nachdenklich. „Vielleicht kennen Sie ihn nicht so genau wie ich", bemerkte der Fürst. „Worin finden Sie den größten Unter­ schied zwischen uns beiden?" „Mich dünkt, Sie sprechen besser, und ich denke, Sie sind — nicht gerade aufrichtiger, aber vielleicht offener." „Ich kann Ihnen nicht beistimmen", sagte der alte Saracinesca rasch. „Es giebt keinen Mensch aus der Welt, welcher behaupten kann, Giovanni jemals auch nur auf der unschuldigsten Entstellung der Wahrheit betroffen zu haben.

76 Wahrscheinlich aber haben Sie bemerkt, daß er zurückhal­ tend ist; er kann den Mund halten, mein Sohn ist kein Schwätzer, kein Papagei." „Sicherlich nicht", versetzte Donna Tullia, und diese Antwort beruhigte den alten Herrn; sie aber dachte, was für eine außerordentliche Zurückhaltung Giovanni inbetreff seiner Berheirathung bewiesen und fragte sich, ob der Fürst wohl je etwas davon gehört hätte.

Fünftes Kapitel.

Anastasius Gouache arbeitete eifrig an dem Bildniß des Cardinals und that gleichzeitig fein Bestes, um Donna Tullia zufrieden zu stellen. Das letztere war freilich nicht leicht, und Gouache fand es schwer, ihrem Abbilde genau so viel Poesie einzuhauchen, wie sie es verlangte, ohne seinem künstlerischen Gefühl Gewalt anzuthun. Aber mit dem andern Bilde ging es rasch vorwärts. Der Cardinal war ein ruheloser Mann, und nach den ersten zwei oder drei Sitzungen wünschte er nichts sehnlicher, als ganz und gar damit fertig zu sein. Allerdings unterhielt Anastasius ihn, und der Staatsmann bemerkte bald, daß er an der Seele des jungen Mannes eine Eroberung gemacht und ihm, wie Giovanni Saracinesca vorausgesagt, verhalfen hatte, zu einem Entschluß zu kommen. Auf das praktische Ereigniß, welches diesem Entschluß unmittelbar folgte, war der Cardinal nicht vorbereitet, und er fing eben an, das Ende der Sitzungen herbeizuwünschen, als Anastasius ihn durch eine erstaunliche Mittheilung überraschte. Wie gewöhnlich befanden sie sich im Studirzimmer des Cardinals. Der Staatsmann war schweigsam und gedankenvoll und Gouache arbeitete mit aller Macht.

76 Wahrscheinlich aber haben Sie bemerkt, daß er zurückhal­ tend ist; er kann den Mund halten, mein Sohn ist kein Schwätzer, kein Papagei." „Sicherlich nicht", versetzte Donna Tullia, und diese Antwort beruhigte den alten Herrn; sie aber dachte, was für eine außerordentliche Zurückhaltung Giovanni inbetreff seiner Berheirathung bewiesen und fragte sich, ob der Fürst wohl je etwas davon gehört hätte.

Fünftes Kapitel.

Anastasius Gouache arbeitete eifrig an dem Bildniß des Cardinals und that gleichzeitig fein Bestes, um Donna Tullia zufrieden zu stellen. Das letztere war freilich nicht leicht, und Gouache fand es schwer, ihrem Abbilde genau so viel Poesie einzuhauchen, wie sie es verlangte, ohne seinem künstlerischen Gefühl Gewalt anzuthun. Aber mit dem andern Bilde ging es rasch vorwärts. Der Cardinal war ein ruheloser Mann, und nach den ersten zwei oder drei Sitzungen wünschte er nichts sehnlicher, als ganz und gar damit fertig zu sein. Allerdings unterhielt Anastasius ihn, und der Staatsmann bemerkte bald, daß er an der Seele des jungen Mannes eine Eroberung gemacht und ihm, wie Giovanni Saracinesca vorausgesagt, verhalfen hatte, zu einem Entschluß zu kommen. Auf das praktische Ereigniß, welches diesem Entschluß unmittelbar folgte, war der Cardinal nicht vorbereitet, und er fing eben an, das Ende der Sitzungen herbeizuwünschen, als Anastasius ihn durch eine erstaunliche Mittheilung überraschte. Wie gewöhnlich befanden sie sich im Studirzimmer des Cardinals. Der Staatsmann war schweigsam und gedankenvoll und Gouache arbeitete mit aller Macht.

77 „Ich habe mich entschieden", sagte letzterer plötzlich. „Worüber denn, mein Freund?" fragte der große Mann, ziemlich zerstreut. „Ueber alles, Eminenz," antwortete Gouache, „inbezug auf Politik, Religion, Leben und Tod, und alles, was fönst zu meiner Laufbahn gehört. Ich will mich bei den Zouaven anwerben lassen." Der Cardinal sah ihn einen Augenblick an und brach dann in ein leises Lachen aus. „Extremis malis extrema remedia“, rief er aus. „Just so: aux grands maux les grands remedes, wie wir sagen. Ich will in die streitende Kirche eintreten. Ich bin überzeugt, das ist das Beste, was ein ehrlicher Mann thun kann. Ich mag gern kämpfen, und ich liebe die Kirche, darum will ich für die Kirche kämpfen." „Vortreffliche Logik!" antwortete der Cardinal. Allein er sah Anastasius an, und als er seine zarten Züge und seine feine Gestalt betrachtete, wunderte er sich darüber, wie der junge Bursche wohl im Soldatenrock aussehen würde. „Vortreffliche Logik, aber mein lieber Herr Gouache, was soll dann aus Ihrer Kunst werden?" „Ich werde nicht den ganzen Tag Wache stehen und die Zouaven dürfen ihre eigene Wohnung haben. Ich werde in meinem Atelier wohnen und malen, wenn ich keinen Dienst thue." „Und mein Bild?" fragte der Cardinal höchst belustigt. „Ew. Eminenz werden zweifellos die Güte haben, mir Zeit auszuwirken, um es zu vollenden." „Könnten Sie nicht die Anwerbung noch eine Woche aufschieben?" Gouache sah verstimmt aus; ihn ärgerte der Gedanke, warten zu müssen.

78 „Ich habe mich schon zu lange besonnen", erwiderte er. „Ich muß sofort den Kopfsprung machen. Ich bin überzeugt, Ew. Eminenz haben mich überzeugt, — daß ich bisher sehr thöricht gewesen bin." „Davon habe ich Sie gewiß niemals überzeugen wollen", bemerkte der Cardinal lächelnd. „Sehr thöricht", wiederholte Gouache, ohne die Unter­ brechung zu beachten. „Ich habe großen Unsinn geschwatzt, ich weiß kaum weshalb, — vielleicht um herauszufinden, wo der wahro Sinn eigentlich liege. Ich habe mich so lange der Träumerei hingegeben, daß ich manchmal glaube, ich bin gemüthskrank. Vielleicht sind alle Künstler krankhaft. ES ist besser eine That zu thun, als im Sumpfe krankhafter Phantasie zu versinken." „Darin stimme ich Ihnen bei", antwortete der Car­ dinal. „Aber Sie scheinen mir nicht an krankhafter Phan­ tasie zu leiden, ich möchte Sie eher überschwänglich als krankhaft nennen. Offen gestanden, es sollte mir leid thun, wenn Sie durch die Ausführung dieses neuen Ein­ falls die große Laufbahn beeinträchtigten, welche Sie zweifellos vor sich haben; andrerseits kann ich nicht um­ hin zu wünschen, daß eine größere Anzahl junger Leute Ihrem Beispiel folgen.möchte." — „Also billigen Ew. Eminenz meinen Entschluß?" — „Glauben Sie, daß Sie ein guter Soldat sein werden?" — „Schon mancher Künstler ist ein tüchtiger Soldat gewesen, z. B. Cellini." — — „Benvenuto Cellini sagt, er sei ein tüchtiger Sol­ dat gewesen; er sagt es selbft; allein sein Ruf der Wahr­ heitsliebe war in Hinsicht aus andere Sachen zweifelhaft, um es gelinde auszudrücken. Wenn er den Counetable von

79 Bourbon nicht erschossen hat, so steht doch fest, daß irgend ein anderer es gethan hat. Ueberdies muß ein Soldat in unsern Tagen ein wesentlich anderer Mensch sein als die selbst bewaffneten Bürger zur Zeit Clemens VIII. und des besagten Connetable. Sie werden eine Uniform tragen und auf der Wache auf einer Pritsche schlafen müssen. Sie werden früh autstehen und ercerciren müssen, und spät aufbleiben, um bei Wind und Welter, Kälte und Regen Wache zu stehen. Das ist harte Arbeit. Ich glaube nicht, daß Ihre Constitution dazu geeignet ist. Ihre Absicht aber ist gut. Sie können es ja versuchen, und wenn Sie krank werden, will ich dafür sorgen, daß Sie ohne Schwierigkeit Ihr Künstlerleben wieder auf­ nehmen können." „Ich beabsichtige gar nicht, es aufzugeben," versetzte Gouache im Tone der Ueberzeugung. „Und was meine Gesundheit anbetrifft, bin ich eben so stark wie jeder andere." „Vielleicht", sagte der Cardinat in zweifelhaftem Tone. „Wann wollen Sie denn in das Corps treten?" „Ungefähr in einer Stunde", sagte Gouache ruhig. Und er hielt Wort, aber außer dem Cardinal hatte er Niemandem etwas von seiner Absicht gesagt, und ob­ schon er in den nächsten Tagen vielen seiner Bekannten auf der Straße begegnete, erkannte doch keiner von ihnen Anastasius Gouache in dem jungen Soldaten in der grauen Turcouniform mit einer rothen Schärpe um den schlanken Leib und dem kleinen Kepi, das schmuck auf einer Seite saß. Es war ein Zeichen der Zeit, Rom wimmelte von Fremden, und viele von ihnen traten in das kosmopolitische Regiment ein, — Männer von Stande, Edelleute, Künst-

80 ler, Gelehrte, Abenteurer, zeitweise verbannte Duellanten, irische Herumtreiber, Enthusiasten, Leute aus allen Klaffen und Verhältnissen. Aber alles in allem genommen, war es eine Schaar prächtiger Leute, die ihr Leben für nichts achteten und im Geiste der alten Kreuzfahrer für eine Idee fochten. Viele von ihnen, wie Gouache, waren aus reiner Ueberzeugung eingetreten, und Beispiele von De­ sertion waren äußerst selten. Es geschah häufig, daß ein Fremder nur zum Besuche nach Rom kam und nach Ver­ lauf eines Monats seinen Bekannten die Ueberraschung machte, in der grauen Uniform zu erscheinen. Man war ihm vielleicht am Abend vorher auf einem Balle im üb­ lichen Gesellschaftsanzuge mit Cotillonorden bedeckt wie ein Toller walzend begegnet; am nächsten Morgen erschien er im Gaffe di Roma in einer schnurbesetzten am Halse offe­ nen Jacke und erzählte, er wäre Soldat, — gemeiner Soldat, der jeden Unteroffizier der französischen Infanterie grüßen mußte und vierundzwanzig Stunden eingesperrt werden konnte, wenn er zu spät ins Quartier kam. Donna Tullias Bild war noch nicht ganz fertig, und Gouache hatte sie noch um ein paar Sitzungen gebeten. Drei Tage nachdem der Künstler seinen großen Entschluß gefaßt hatte, traten Madame Mayer und Del Ferice in sein Atelier. Es hatte ihm keine Schwierigkeiten gemacht, zur Zeit der Sitzung frei zu sein, und er hatte nur seine Jacke mit dem alten Malerrock vertauscht, ohne den übrigen Theil seiner Uniform abzulegen. „Wo haben Sie denn die ganze Zeit gesteckt?" fragte Donna Tullia, als sie den Vorhang hob und ins Atelier trat. Er war ihr in den letzten Tagen aus dem Wege gegangen. „Mein Himmel, Gouache!" schrie Del Ferice zurück-

81 prallend, als er die grauen Beinkleider und gelben Kamaschen gewahr wurde. „Was bedeutet diese Komödie?" „Was?" fragte Gouache unverfroren. Mit einem Blick auf seine Beine antwortete er dann: „O gar nichts weiter. Ich bin Zouave geworden, — das ist alles. Wollen Sie sich setzen, Donna Tullia, ich habe schon aus Sie gewartet." „Zouave geworden!" riefen Madame Mayer und Del Ferice in einem Athem. „Zouave geworden!" „Nun?" sagte Gouache, die Augenbrauen in die Höhe ziehend und sich an ihrer Ueberraschung weidend, „nun, warum denn nicht?" Del Ferice nahm eine feierliche Haltung an, er legte die Hand auf Donna Tullias Arm und flüsterte ihr mit heiserer Stimme ins Ohr: „Siamo traditi! Wir find ver­ rathen!" worauf Donna Tullia erblaßte. „Verrathen!" wiederholte sie, „und von Gouache!" Gouache lachte, während er den alten zerbeulten ge­ schnitzten Stuhl herbeirückte, auf dem Madame Mayer wäh­ rend des Malens zu sitzen pflegte. „Beruhigen Sie sich, gnädige Frau," sagte er. „Ich habe nicht die geringste Absicht, Sie zu verrathen. Ich habe eine Gegenrevolution gemacht — allein ich bin durch­ aus ehrlich. Ich werde nichts von den Schreckensthaten erzählen, von denen ich habe reden hören." Del Ferice blickte finster und trat zurück, es war halb Komödie halb Ernst. Es lag in seinem Plane, Donna Tullia weiß zu machen, daß sie in eine wirkliche Verschwö­ rung verwickelt sei, und von diesem Gesichtspunkt aus, das fühlte er, mußte er das größte Entsetzen und die höchste Ueberraschung heucheln. Andrerseits wußte er, daß Gouache den Cardinal gemalt hatte, und vermuthete, daß der Crawford, Saracinesra. II.

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82 mann großen Einfluß auf den Künstler gewonnen hatte, — ein Einfluß, welcher sich bereits in gefährlicher Weise zu zeigen begann. Es war ihm zuvor nie eingefallen, daß Anastasius, Republikaner von Geburt und Ueberzeugung, plötzlich ins reaktionäre Lager übergehen könnte. „Verzeihen Sie, Donna £utttat" sagte Hugo in ernstem Ton, „verzeihen Sie, aber mich dünkt, wir thäten bester, Herrn Gouache der Betrachtung seiner neuen Laufbahn zu überlasten. Dies ist kein Platz für uns, — die Gesellschaft von Verräthern —" „Hören Sie, Del Ferice," sagte Gouache, plötzlich auf ihn zutretend und ihm ins Gesicht sehend, „glauben Sie im Ernst, daß irgend etwas, was Sie jemals in diesem Zimmer gesprochen haben, des Verrathens werth sei? und wenn Sie das meinen, glauben Sie wirklich, daß ich es verrathen würde?" „Bah!" fiel Donna Tullia ein, „es ist Unsinn! Gouache ist natürlich ein Ehrenmann, und überdies will ich mein Bild haben — trotz aller Politik." Mit dieser entschiedenen Erklärung setzte sich Donna Tullia, und Del Ferice blieb nichts andres übrig, als ihrem Beispiel zu folgen. Er ärgerte sich sehr, sah aber ein, daß es vergeblich sein würde, Madame Mayer von etwas abzureden, was sie sich in den Kopf gesetzt hatte. „Und nun können Sie uns alles erzählen!" sagte sie. „Was im Namen aller Verrückten hat Sie bewogen Zouave zu werden? Es ängstigt mich wirklich Sie anzusehen." „Das giebt Ihrem Ausdruck etwas Poetisches", unter­ brach sie Gouache. „Ich wünsche, Sie wären immer ängst­ lich. Sie wollen also wirklich wissen, weshalb ich Zouave geworden bin? Das ist sehr einfach. Sie wiffen, ich folge immer meinen Eingebungen."

83 „Eingebungen!" rief Del Ferice verdrießlich. „Ja, denn meine Eingebungen sind immer gut; — wenn ich aber viel nachdenke, fällt mein Urtheil immer falsch aus. Ich fühlte einen starken Trieb die graue Uni­ form zu tragen, also ging ich aufs Rekrutenbureau und schrieb meinen Namen ein." „Ich fühle einen starken Trieb, Ihr Atelier zu ver­ lassen, Monsieur Gouache", sagte Donna Tullia mit er­ zwungenem Lachen. „Dann gestatten Sie mir Ihnen zu sagen, daß, wäh­ rend meine Eingebungen richtig sind, die Ihrigen es nicht sind," versetzte Anastasius, ruhig weiter malend. „Weil ich eine neue Kleidung habe" — „Und neue Ueberzeugungen," unterbrach ihn Del Ferice, „Sie, der immer von Ueberzeugungen redete!" „Ich hatte keine, darum redete ich so viel darüber. Jetzt habe ich deren reichlich, und rede nicht mehr darüber." „Daran thun Sie klug", entgegnete Hugo. „Ihre Ueberzeugungen können keine Erörterung aushalten." „Enschuldigen Sie", antwortete Gouache. „Wenn Sie sich der Mühe unterziehen wollen, sich S. Eminenz dem Cardinal Antonelli vorstellen zu lassen" — Donna Tullia hob vor Entsetzen die Hände empor. „Dieser gräßliche Mensch! Dieser Mephistopheles!" schrie sie. „Dieser Macchiavelli! Dieser Erzfeind unserer heiligen Freiheit!" rief Del Ferice in theatralischem Ton. „Ganz richtig", versetzte Gouache. „Wenn er dazu bewogen werden könnte, eine Viertelstunde seiner kostbaren Zeit auf eine Unterredung mit Ihnen zu verwenden, so würde er Ihre Ueberzeugungen um den Finger wickeln." „Das geht zu weit!" rief Del Ferice zornig.

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84 „Ich finde es sehr belustigend", sagte Donna Tullia. „Wie schade, daß nicht alle Liberalen Künstler find, die Seine Eminenz auffordern könnte, sein Bild zu malen, um fie für so und so viel die Stunde zu bekehren!" Gouache lächelte und malte ruhig fort. „Also hat er Ihnen gesagt, Sie sollten Zouave werden," bemerkte Donna Tullia nach einer Pause, „und Sie folgten wie ein Lamm?" „Der Cardinal war so weit davon entfernt, mir dazu zu rathen, daß er das höchste Erstaunen bezeigte, als ich ihm meinen Entschluß mittheilte," versetzte Gouache kalt. „Es ist freilich genug, um selbst einen Cardinal zu verblüffen," antwortete Madame Mayer. „Nie, nie in meinem Leben hat mich etwas so überrascht!" Gouache stand auf, um seine Arbeit zu besehen, und Donna Tullia betrachtete ihn prüfend. „Tiens!“ rief sie. „Die Tracht ist kleidsam. Was für feine Knöchel Sie haben, Gouache!" Anastasius lachte. Gegenüber so völlig frivoler Jnconsequenz war es unmöglich ernst zu bleiben. „Sie verändern Ihren Gefichtsausdruck so ost, Donna Tullia! Es ist unmöglich ihn festzuhalteu." „Wie Ihre Ueberzeugungen!" murmelte Del Ferice in seinem Winkel. Hugo konnte aus dem Vorgang nicht klug werden. Er hatte die Stärke von Donna Tullias Furcht im Vergleich zu dem Wunsch, ein geschmeicheltes Bildniß von sich zu besitzen, überschätzt. Lieber, als das Bild un­ vollendet lassen, zeigte sie gegen die Gefahr eine cynische Gleichgültigkeit, welche einem Beffern als Del Ferice Ehre gemacht hätte. Vielleicht verstand sie auch Gouache genügend, um zu wissen, daß man ihm trauen konnte. In der That würde Jeder ihm getraut haben. Selbst Del Ferice wurde

85 weniger durch die Möglichkeit beunruhigt, daß der Künstler etwas von dem trivialen liberalen Gerede, welches er mit angehört hatte, wiederholen könnte, als durch die Gleich­ gültigkeit gegen etwaige Entdeckung, wie Donna Tullia sie bezeigte. Für Del Ferice war die ganze Sache nur ein harmloses Spiel gewesen, aber er wollte Madame Mayer glauben machen, daß es alles feierlicher Ernst gewesen und daß sie wirklich in eine gefährliche Verschwörung verwickelt wäre; denn dadurch bekam er zu seinen Zwecken mehr Ge­ walt über sie. „Also jetzt werden Sie für Pio Nono fechten?" bemerkte Hugo nach einem Weilchen verächtlich. „Das werde ich", erwiederte Gouache. „Und nichts für ungut, mein Freund, wenn ich Sie im rothen Hemde unter den Garibaldinern treffe, werde ich Sie tobten. Es würde mir sehr unangenehm sein, also hoffe ich, Sie werden nicht unter dieselben gehen." „Nehmen Sie sich in Acht, Del Ferice!" lachte Donna Tullia. „Ihr Leben ist in Gefahr! Sie sollten lieber unter die Zouaven gehn." Ich kann Seine Eminenz nicht malen," versetzte Hugo spottend, „folglich habe ich keine Aussicht darauf." „Ich dächte, Sie könnten ihn mit heilsamen Rath­ schlägen unterstützen," antwortete Gouache. „Ich bezweifle nicht, daß Sie ihm manche nützliche Auskunft ertheilen könnten." „Und zum Verräther werden"-------„Still! Seien Sie nicht so albern, Del Ferice," unterbrach ihn Donna Tullia, denn sie begann zu fürchten, seine herausfordernden Bemerkungen könnten Unheil aurichten. Sie war im Stillen überzeugt, es tauge nicht, den sanften Anastasius zu sehr zu reizen. Er war zu ruhig,

86 zu bestimmt und zu ernst, um nicht gefährlich zu sein, wenn er einmal aufgebracht wurde. „Seien Sie nicht so abgeschwückt", sagte fie wieder. „Was auch Gouache thun wag, er ist ein Ehrenmann, und ich lasse es nicht zu, daß Sie so von Verräthern sprechen. Er zankt fich nicht mit Ihnen, warum wollen Sie sich mit ihm zanken?" „Ich denke er hat genug gethan, um Grund zum Streit zu geben," versetzte Del Ferice verdrießlich. „Mein verehrter Herr," sagte Gouache, indew er seine Arbeit unterbrach und fich an Del Ferice wandte, „Donna

Tullia hat ganz recht. Ich streite nicht, und ich will auch nicht mit mir streiten lassen. Ich gebe Ihnen die feierliche Versicherung, daß ich alles, was früher hier vorgegangen ist, alles, was ich von Ihnen, von Donna Tullia, von Valdarno, von irgend einem Ihrer Freunde gehört habe, als unverbrüchliches Geheimniß ansehe. Sie sagten vordem, ich hätte keine Ueberzeugungen, und Sie hatten recht darin. Ich hatte auch keine, und hörte die Auseinandersetzung der Ihrigen mit großem Jntereffe an. Jetzt steht es anders um mich. Ich brauche Ihnen nicht erst zu sagen, wie ich denke, denn ich trage die Uniform der päpstlichen Zouaven. Als ich sie anlegte, dachte ich wahrlich nicht daran, Sie zu beleidigen. Auch jetzt will ich Sie nicht beleidigen; nur bitte ich, daß Sie es unterlassen, mich zu beleidigen. Ich für meinen Theil sage nur, daß ich fürder keinen Antheil an Ihren Berathungen haben will. Wenn Donna Tullia mit Ihrem Bilde zufrieden ist, so liegt keine weitere Veranlafiung für uns vor, noch ferner zusammenzukommen. Wenn wir uns aber dennoch wieder begegnen sollten, so bitte ich, daß es unter der Form gegenseitiger Rücksicht und Höflichkeit geschehen möge."

87 Es war unmöglich noch mehr zu sagen, und so weit Del Ferice dabei betheiligt war, machte Gouaches Rede der Sache ein Ende. Donna Tullia drückte lächelnd ihre Zustimmung aus. „Ganz recht, Gouache," sagte sie. „Sie sehen selbst ein, daß das Bild unmöglich so bleiben kann wie es jetzt ist. Am Munde versprachen Sie ja noch etwas zu ändern — es ist eben der Ausdruck!" Gouache neigte ein wenig das Haupt und fing wieder an zu arbeiten, ohne ein Wort zu sagen. Del Ferice sprach während der ganzen Sitzung nicht mehr, sondern starrte verdrießlich bald die Leinwand, bald Donna Tullia, bald den Fußboden an. Er war nicht leicht aus seiner gewöhn­ lichen verbindlichen Manier herauszubringen, aber Gouaches Benehmen hatte ihn in eine höchst unbehagliche Stimmung verseht. Als Donna Tullia das nächste Mal zur Sitzung kam, brachte fie ihre alte Gräfin mit und Del Ferice erschien nicht wieder. Das Bild wurde schließlich zur Befriedigung aller Detheiligten vollendet und in Donna Tullias Salon anfgehängt, um von all ihren Bekannten bewundert und beur­ theilt zu werden. Gouache aber freute sich, als es endlich aus seinem Atelier fort war, denn es war ihm zuwider geworden, und er hatte sich versucht gefühlt, Madame Mayer darauf über die Grenzen der Aehnlichkeit zu schmeicheln, um nur nicht ewig dem kalten starren Blick ihrer blauen Augen zu begegnen. Er vollendete ebenfalls das Bild des Cardinals, und der Staatsmann bezahlte es nicht nur mit außerordentlicher Freigebigkeit, sondern gab dem Künstler wie er es nannte ein kleines Andenken an die gemeinsam verlebten Stunden. Er öffnete einen Schrank in seinem

88 Studirzimmer und nahm aus einem Schubfach einen alter« thümlichen Ring mit einem Bergkrystall, in welchen eine Victoria fein geschnitten war. Er faßte des jungen Künst­ lers Hand und steckte ihm den Ring an den Finger. Ihm war Anastasius besonders lieb geworden. „Tragen Sie dies als ein kleines Andenken an mich," sagte er gütig. „Es ist eine Victoria. Sie siud jetzt Sol­ dat, also bete ich, daß der Sieg Sie begleiten möge, und lege die Siegesgöttin selbst in Ihre Hand." „Und ich", sagte Gouache, „will beten, daß sie in meiner Hand ein Sinnbild der wirklichen Siege sein möge, die Sie erringen werden." „Nur ein Sinnbild", sagte der Cardinal nachdenklich. „Nichts als ein Sinnbild. Ich bin nicht zum Siegen ge­ boren, sondern nur um auf einen verlornen Posten zu führen, — Besiegte mit trügerischer Hoffnung und Sieger mit trü­ gerischer Furcht zu täuschen. Und dennoch, mein Freund," fügte er hinzu, indem er Gouaches Hand ergriff und ihn mit seinen kleinen blanken Augen ansah, „dennoch wollen wir kämpfen — ringen bis ans Ende!" „Wir wollen kämpfen bis ans Ende, Eminenz," sagte Gouache. Er war nur ein gemeiner Zouave, und der Mann, dessen Hand er hielt, war groß und mächtig; allein tu beider Herzen lebte derselbe Geist, derselbe Muth, die­ selbe Hingabe an eine hoffnungslose Sache, und Beide hiel­ ten ihr Wort, jeder in seiner Weise.

Sechstes Kapitel.

Astrardente war in vieler Hinsicht ein malerischer Ort. Die Lage des Städtchens bot eine Aussicht nach zwei Seiten hin; denn es war auf einer steilen Anhöhe erbaut,

88 Studirzimmer und nahm aus einem Schubfach einen alter« thümlichen Ring mit einem Bergkrystall, in welchen eine Victoria fein geschnitten war. Er faßte des jungen Künst­ lers Hand und steckte ihm den Ring an den Finger. Ihm war Anastasius besonders lieb geworden. „Tragen Sie dies als ein kleines Andenken an mich," sagte er gütig. „Es ist eine Victoria. Sie siud jetzt Sol­ dat, also bete ich, daß der Sieg Sie begleiten möge, und lege die Siegesgöttin selbst in Ihre Hand." „Und ich", sagte Gouache, „will beten, daß sie in meiner Hand ein Sinnbild der wirklichen Siege sein möge, die Sie erringen werden." „Nur ein Sinnbild", sagte der Cardinal nachdenklich. „Nichts als ein Sinnbild. Ich bin nicht zum Siegen ge­ boren, sondern nur um auf einen verlornen Posten zu führen, — Besiegte mit trügerischer Hoffnung und Sieger mit trü­ gerischer Furcht zu täuschen. Und dennoch, mein Freund," fügte er hinzu, indem er Gouaches Hand ergriff und ihn mit seinen kleinen blanken Augen ansah, „dennoch wollen wir kämpfen — ringen bis ans Ende!" „Wir wollen kämpfen bis ans Ende, Eminenz," sagte Gouache. Er war nur ein gemeiner Zouave, und der Mann, dessen Hand er hielt, war groß und mächtig; allein tu beider Herzen lebte derselbe Geist, derselbe Muth, die­ selbe Hingabe an eine hoffnungslose Sache, und Beide hiel­ ten ihr Wort, jeder in seiner Weise.

Sechstes Kapitel.

Astrardente war in vieler Hinsicht ein malerischer Ort. Die Lage des Städtchens bot eine Aussicht nach zwei Seiten hin; denn es war auf einer steilen Anhöhe erbaut,

89 welche sich jäh inmitten eines schmalen fruchtbaren Land­ strichs erhob; das langgestreckte allmälig ansteigende Thal führte an feinem unteren Ende in vielen Windungen nach der römischen Campagna und verlor sich oberhalb in die ersten rauhen Pässe der niederen Abruzzen. Nach unten zu erstreckte sich das Städtchen bis zu den Weinbergen und Olivenhainen, welche den kleinen Hügel rings um­ geben, und den Gipfel krönte das Feudalschloß — ein ungeheures massives Gebäude im Style des fünfzehnten Jahrhunderts. Auf derselben Stelle hatte früher eine trotzige Festung gestanden, aber die Prachtliebe des Papstes aus dem Geschlechte der Astrardente hatte einen derartigen Rest von Barbarei nicht geduldet, die alte Veste war niedergerissen worden und auf ihren Grundmauern erhob sich ein Riesengebäude, welches aus einem Hauptpalast mit vielen Balkönen und säulengetragener Front, das Städtchen hoch überragend, und aus zwei massiven Flü­ geln bestand, welche thurmartig bis zum Rande des schroffen Felsens im Norden reichten. Zwischen diesen Flügeln bildete ein großer gepflasterter Hof eine Art von Terrasse, die an einer Seite offen und innen mit auf den Gütern ausgegrabenen Statuen und vielen Gewächsen verziert war, welche der alte Herzog sorgsam hatte in Töpfen ziehen lassen, und welche nur während der warmen Som­ mermonate auf der Terrasse standen. Die Aussicht vom Hofe ging nach Norden, — das heißt, das Thal hinab, und umfaßte Gebirgszüge, welche sich in weiter Ferne mehrfach zu durchkreuzen schienen; ihre Umriffe wurden allmälig immer undeutlicher, je nachdem die aufeinander folgenden Bergmassen eine sanftere violette Farbe an­ nahmen. Der Palast enthielt

im Innern eine Menge ver-

90 schiedenartigster Gemächer. Im Erdgeschoß waren Reihen gewölbter Säle mit Fresken im guten Styl des fünften Jahrhunderts; darüber waren andere Zimmerfluchten mit alten Gobelintapeten, altmodischen Marmortischen und Spiegeln in großen schwer vergoldeten Rahmen, und ein ganzer Flügel war neuerdings in modernem Geschmack ausgestattet worden. In diesem Theil des Palastes rich­ tete sich Corona mit Schwester Gabriele ein und begann in tiefster Abgeschiedenheit ein durch regelmäßige Beschäf­ tigung ausgefülltes Leben zu führen, welches mehr einer Fortsetzung ihres Mädchenlebens im Kloster glich, als einem Theil des glanzvollen Daseins der stolzen Herzogin von Astrardente, welche fünf Jahre hindurch eine der her­ vorragendsten Persönlichkeiten in der römischen Gesellschaft gewesen war. Jeden Morgen um acht Uhr wohnten die beiden Damen in tiefer Trauerkleidung der Messe bei, welche für sie in der Schloßkapelle gefeiert wurde. Dann ging Corona mit ihrer Gesellschafterin eine Stunde auf der Terraffe spazieren, oder bei Regenwetter unter den bedeckten Balkönen aus der Südseite. Die Vormittags­ stunden brachte sie einsam zu und las Andachtsschristen oder andere ernste Bücher, wie sie für ihre traurige Ge­ müthsstimmung paßten, pünktlich um die Mittagsstunde frühstückten sie und Schwester Gabriele zusammen in feier­ licher Weise; und um drei Uhr hielt der große Landauer mit den schwarzen Pferden und den Bedienten in Trauer­ livree am inneren Thor. Die beiden Damen erschienen fünf Minuten später, und Corona gab durch einen Wink kund, ob sie das Thal heraus oder hinabfahren wollte. Der Wagen rollte den langen glatten Weg hinab, der in Windungen durch die Stadt führte und kam unfehlbar nach zwei Stunden zurück, fuhr wieder die gewundene

91 Straße herauf und verschwand unter dem dunkeln Thor­ weg. Um sechs Uhr wurde das Hauptmahl mit demselben feierlichen Pomp servirt wie das Frühmahl. Corona und Schwester Gabriele blieben bis zehn Uhr beisammen, und damit war der Tag zu Ende. In ihrer Lebensweise fand nicht mehr Abwechselung statt, als wenn sie durch das Räderwerk der großen Schloßuhr geregelt worden wäre, die Tag und Nacht die Stunden und Viertelstunden schlug und nach der sich das Treiben im Städtchen unten richtete. Aber trotz dieses unabänderlichen Gleichmaßes der Tage verging Corona die Zeit angenehm. Sie hatte von dem blendenden Glanz und dem summenden Getriebe der Gesellschaft in den letzten fünf Jahren mehr als genug gehabt; zu viel Lärm, zu viel müßiges Geschwätz, zu viel zweckloses Treiben; sie bedurfte auch des Ausruhens von der beständigen Anstrengung, ihre sich selbst auferlegten Pflichten gegen ihren Galten zu erfüllen, am meisten viel­ leicht bedurfte sie des Aufathmens nach den Leiden, welche die mühsam bekämpfte Liebe für Giovanni Saracinesca ihr verursacht hatte. All dieses fand sie in der erhabenen Ruhe ihres Lebens in Astrardente. Sie dachte viel an ihren Gatten, sie erinnerte sich liebevoll seiner besten Seiten und vergaß gern seine vielen kleinen Schwächen, seine Eitel­ keit und seine Reizbarkeit. In der Erinnerung durchlebte sie die mannigfachen Vorgänge ihrer Vergangenheit und gewann die süße stille Einsamkeit der Gegenwart lieb im Vergleich zu all dem nutzlosen und lärmenden Treiben der Welt, dem sie sich für eine Weile entzogen hatte. Sie hatte nicht erwartet in Schwester Gabriele mehr als eine passive Gesellschaft zu finden; allein im täglichen Verkehr mit ihr entdeckte sie in ihr ein Wesen von höchstem Zart-

92 gefühl und schneller Auffassung, Tiefe des Mitgefühls und umfassender Erfahrung, die sie in Erstaunen setzte und neben der ihre eigenen Anschauungen ihr beschränkt er­ schienen. Die Nonne war fromm und streng in der Be­ obachtung ihrer Ordensregel, insoweit als sie die besonde­ ren Vorschriften derselben durchführen konnte, ohne die Dame des Hauses in ihren Gewohnheiten zu stören; allein in ihrer Unterhaltung zeigte sie feine Menschenkenntniß, welche zu einer ständigen Quelle des Vergnügens für Corona wurde; denn sie erzählte der Schwester lange Ge­ schichten aus dem Kreise ihrer Bekannten, um ihre scharf­ sinnigen Bemerkungen über gesellschaftliche Fragen zu hören. Allein außer ihrer Lectüre und den langen Stunden des Nachdenkens und ihren Unterhaltungen mit Schwester Gabriele fand Corona Beschäftigung durch die Angelegen­ heiten des Städtchens unterhalb des Schlosses. Sie ver­ suchte ein paar Mal die ärmlichen Häuserchen zu besuchen, in der Hoffnung Gutes zu thun, allein sie entdeckte, daß sie für die Bewohner ein Gegenstand so heiliger Scheu war, daß sie in ihrer Gegenwart sprachlos waren, oder in dem Bestreben ihre Fragen zu beantworten so verschüchtert wurden, daß die Auskunft, welche sie über ihre Noth er­ hielt, zu unbestimmt war, um ihr nützen zu können. Die italienischen Landleute sind nicht, wie gewöhnlich angenommen wird, in allen Gegenden dieselben. Der Toscaner, welcher beständig in vertraulichem Verkehr mit sei­ nem Gutsherrn lebt und zu ihm ein gewisses freundliches Zutrauen faßt, spricht beredt über seine Verhältnisie; das ist aber nicht der Fall bei dem rauhern Geschlecht, welches in den Thälern der Sabina und in den samnitischen Ge­ birgen arbeitet. Die Bauern des Agro Romano (der Um-

93 gegend von Rom) sind bildungsfähig, sie sind im Stande ihre Herren zu verstehen, wenn sie nur allmälig an den Verkehr mit ihnen gewöhnt werden; leider kommt das nur selten vor. Viele der großen römischen Landbesitzer bringen jedes Jahr ein paar Monate auf ihren Gütern zu. Der alte Astrardente hatte in seinen späteren Jahren beträcht­ liche Ausgaben gemacht, um das Schloß in Stand zu setzen und neu einzurichten, allein er hatte wenig für den Ort gethan. Herren wie die Saracinescas gehörten in jener Zeit zu den seltnen Ausnahmen; obgleich sie viel im Aus­ lande reisten, brachten sie doch oft eine Reihe von Mona­ ten auf ihrer rauhen alten Veste zu. Sie kannten die Be­ wohner ihrer Ländereien rings umher und bei ihnen waren sie nicht nur bekannt sondern beliebt; sie verwendeten ihr Geld dazu, die Lage ihrer Bauern zu verbessern, ihre Wäl­ der auszudehnen und die Fruchtbarkeit des Bodens zu ver­ mehren, allein sie legten keinen Werth darauf, die grauen Steinmauern ihres Ahnenschlosses zu verschönern. Tausend Jahre hindurch war die Burg gut genug gewesen und war ihnen auch ferner gut genug; sie hatte den furchtbaren Be­ lagerungen in der wüsten Zeit der römischen Baronialherrschaft widerstanden, sie konnte auch in ihrer monumen­ talen Stärke der heranrollenden Fluth der Civilisation des neunzehnten Jahrhunderts unverändert Trotz bieten. Sie selbst, Vater und Sohn, begnügten sich mit den praktischen Verbesserungen, welche sie zum Besten ihrer Leute und zur Hebung der Bodenkultur einführen konnten; ein männliches Geschlecht waren sie, gleichgültig gegen Luxus, und so mach­ ten sie sich wenig daraus, ob die wenigen Gäste, welche sie gelegentlich aus acht Tage zu sich einluden, ihr Haus behaglich fanden oder nicht. Sie hatten viel Verkehr mit den Bauern, waren täglich nnter ihnen, verstanden ihre

94 Bedürfnisse und bestärkten sie in der vernünftigen Ansicht, daß das Land nicht gedeihen kann, wenn nicht Besitzer und Bauer beide ihre Pflicht thun. Aber in Astrardente lagen die Verhältnisse wesentlich anders, und bei ihren ersten Versuchen sie zu verstehen, stieß Corona an eine feste Mauer tiefen Schweigens, hinter welcher, wie sie ahnte, ein noch unentdecktes Land voller Mißstände lag. Sie kannte die Verhältniffe ihrer Leute so gut wie gar nicht; ihr waren die Beziehungen, in wel­ chen sie zu ihr standen, der Grad ihrer eignen Macht über sie und der Leute Ansprüche ihr gegenüber nur unvollkom­ men klar. Die Geheimniffe von emphyteusis, emphyteuma und emphyteuta waren ihr noch verborgen, obschon ihr Verwalter mit erstaunlicher Beredtsamkeit und Geläufigkeit davon sprach. Sie gab sich die größte Mühe, das System zu begreifen, nach welchem ihre Sassen ihr Land inne hatten, und es dauerte eine Weile, bis es ihr gelang. Es ist leichter die Sache auf ein Mal zu erklären, als Corona in ihren Bemühungen sie zu verstehen zu folgen. Aus den angewendeten Bezeichnungen zu schließen, ist das im Kirchenstaate übliche System der ländlichen Lehen ohne Unterbrechung von der Zeit der Römer bis auf unsere Tage übergegangen. Wie im alten römischen Recht be­ deutet emphyteusis, jetzt emfiteuse geschrieben, ein erbliches Anrecht aus das Land eines andern; und heutzutage, wie bei den Römery, wird der Besitzer eines solchen Anrechtes der emphyteuta oder emfiteuta genannt. Wie die Römer dazu kamen, griechische Wörter bei ihren Gesetzen über länd­ lichen Grundbesitz zu gebrauchen, das geht uns hier nichts an; jene Wörter find in dem betreffenden Theil von Italien heutzutage die einzig gebräuchlichen, und zwar werden sie genau so gebraucht wie in jenen alten Zeiten.

95 Ein Sasse kann das Recht der emfiteuse direct vom Besitzer des Landes erwerben, wie jede gewöhnliche Pacht, oder er kann es durch Ansiedelung erwerben — durch Fest­ setzen wie der volksthümliche Ausdruck ist. Wo es unbe­ bautes Land giebt, da darf sich jeder anfiedeln und es be­ bauen, unter der Bedingung, daß er dem Eigenthümer einen bestimmten Antheil vom Ertrage des Landes, gewöhn­ lich ein Viertel, entweder in baarem Geld oder in Naturallieferungen auszahlt. Der Grundbesitzer darf freilich das Recht der Niederlaffung von Anfang an verweigern, swas aber selten geschieht, denn die meisten Leute, welche un­ fruchtbare felsige Strecken und Haiden besitzen, sind nur allzu froh, irgend eine Art des Anbaus zu befördern. Aber wenn der Grundbesitzer einmal das Recht gewährt hat, so folgt aus diesem Recht ein Besitz, über welchen der Bauer nach Belieben verfügen kann, selbst durch Verkauf an einen andern. Das Gesetz schreibt indeffen vor, daß im Falle eines solchen Verkaufes der Gutsherr die Pacht für ein Jahr in Naturalien oder baarem Gelde noch außer der sonst festgesetzten Pacht erhalten soll, und dieser Konus wird dem Vertrage gemäß vom Käufer und Verkäufer gemein­ sam bezahlt. Solche Pachten gehen durch viele Generationen vom Vater auf den Sohn über und werden als Erbpachten angesehen. Der Gutsherr kann keinen Pächter ausweisen, außer wenn er drei Jahre nach einander keine Pacht ent­ richtet. Thatsächlich ist das Recht des emfiteuta auf den Grund und Boden viel wichtiger als das des Gutsherrn, denn der Pächter kann seinen Herrn betrügen, so viel er will, während die Ungerechtigkeit des Gesetzes dafür sorgt, daß der Gutsherr unter keinen Umständen den Pächter be­ trügen kann. Thatsächlich wird auch die Pacht allgemein in Naturalien entrichtet, und der Bauer verzehrt das

96 Uebrige des Ertrages, so daß auf dem Lande baares Geld selten ist. Corona entdeckte, daß ihr Einkommen aus den Gütern von Astrardente korbweise von der Tenne und tonnenweise aus den Weinbergen von etwa zweihundert Bauern einge­ sammelt wurde. Es war keine Kleinigkeit, von zweihundert Tennen genau ein Viertel des ausgedroschenen Korns ein­ zusammeln, und aus fünfzig oder sechzig Weinbergen genau den vierten Theil des gekelterten Weines. Die Bauern kelterten ihren Wein alle zur gleichen Zeit und droschen ihr Getreide alle in derselben Woche. Wenn der Verwalter nicht beim Dreschen oder bei der Weinlese zur Stelle war, so machte es dem Bauern keine Schwierigkeit, einen großen Theil seines Ertrages zu verhehlen. Da die Pacht niemals sestgestellt war, sondern sich lediglich nach dem Jahreser­ trage richtete, lag es entschieden im Vortheil des Pächters, dem Gutsherrn, wo er nur konnte, Sand in die Augen zu streuen. Der Gutsherr sand die Aufgabe, seinen Bauer» auszupassen, schwierig und unergiebig und nahm natür­ licherweise seine Zuflucht zum ärgsten aller ländlichen Uebel­ stände — der Anstellung eines Pächters der Einkünfte. Dieser war jedenfalls willens jährlich eine bestimmte Summe zu zahlen, und wenn diese Summe auch in der Regel be­ trächtlich geringer war als der wirkliche Werth der Pachten, so sicherte dieses Abkommen dem Gutsherrn doch wenigstens ein festes Einkommen zu, und zwar mit der Gewißheit, es ohne eigne Mühe zu erhalten. Die Mittelsperson aber drückte den Bauern nach eigenem Belieben und Ermessen, um möglichst viel bei dem Handel zu gewinnen. Das Re­ sultat war, daß die Mittelsperson allmälig beträchtliche Summen ansammelte, während die Bauern darben mußten und der Gutsherr weniger erhielt als ihm gebührte, in

Anbetracht seiner Erledigung von aller persönlichen Mühe­ waltung. Nach diesem System wurden neun Zehntel der Län­ dereien im Kirchenstaat bewirthschaftet, und trotz des neuen Pachtgesetzes bestehn in einem großen Theil derselben diese Verhältnisse noch heute und zwar aus Gründen, welche in einem andern Theil dieser Erzählung erörtert werden sollen. Corona sah die Größe des Uebelstandes bald ein. Sie besprach die Angelegenheit mit ihrem Verwalter oder ministro, wie er genannt wurde, der aber kein anderer als besagte Mittelsperson war, und je mehr sie die Frage er­ örterte, desto hoffnungsloser kam sie ihr vor. Der Ver­ walter hatte mit ihrem verstorbenen Gemahl auf eine Reihe von Jahren einen Contract abgeschlossen. Er hatte die festgesetzte Summe alljährlich regelmäßig bezahlt, und es war noch auf Jahre hinaus unmöglich, ihn abzusetzen. Er war natürlich gegen jede Aenderung und that sein Bestes, um sich als Engel der Milde und Gerechtigkeit anfzuspielen, der über einer glücklichen Familie zufriedener Bauern in­ mitten eines irdischen Paradieses waltete. Zu seinem Un­ glück hatte er indessen von Anfang an nicht den Beweg­ grund verstanden, welcher Coronas Nachforschungen veran­ laßte. Er glaubte zuerst, daß sie mit der von ihm ge­ zahlten Pachtsumme nicht zufrieden wäre und dieselbe nach Ablauf des Contracts zu erhöhen beabsichtigte; als sie ihn also zum ersten Mal zu sich kommen ließ, entwarf er ein jämmerliches Bild von der Lage der Bauern und erging sich in beredten Worten über seine Armuth und die große Schwierigkeit, die Pacht überhaupt aufzubringen. Erst als er entdeckte, daß Coronas Hauptsorge das Wohl der Bauern wäre —, änderte er seine Taktik und suchte ihr zu beweisen, daß auf diesem besten aller Güter alles aufs Beste zuginge. Crawford, Lara».lnesca. II.

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98 Darauf theilte ihm Corona zu seinem höchsten Er­ staunen mit, daß der Contract nicht erneuert werden würde, und daß sie nach Ablauf desselben die Pacht selbst ein­ sammeln wollte. Es hatte lange gedauert, bis sie die Sach­ lage begriff; nachdem sie sie aber verstanden hatte, beschloß sie, daß etwas geschehen müsse. Hätte ihr Vermögen ledig­ lich auf den Einkünften aus den Gütern von Astrardente beruht, so würde sie sich lieber darin ergeben haben, in Dürftigkeit zu leben, als die Dinge so fortgehen zu laffen wie bisher. Zum Glück war sie reich und wenn es ihr auch an der zu solchen Angelegenheiten nöthigm Erfahrung fehlte, so hatte sie doch viel guten Willen, Großmuth und Geld im Ueberfiuß. Nach ihrer einfachen Auffassung der Landwirthschaft schien ihr die beste Art ein Gut zu ver­ bessern, den Ertrag desselben sofort auf diese Verbesserung zu verwenden, bis sie schließlich die Verwaltung selbst in die Hände bekommen könnte. Sie meinte, das Uebel be­ stände darin, daß die Bauern zu wenig Geld hätten; die beste Art ihnen zu Helsen, wäre Geld in ihr Bereich zu bringen. Die Frage war nur, wie sich das thun ließe, ohne sie zu demoralisiren und ohne ihre Verpflichtungen gegen den ministro zu vergrößern. Darauf ließ sie den Pfarrer zu sich kommen. Von ihm erfuhr sie, daß es den Leuten im Sommer ganz leid­ lich gehe, daß sie sich aber vor dem Winter fürchteten. Sie fragte weshalb. Er antwortete, sie wären nicht vorsorglich; das Pachtsystem tauge nichts, und selbst wenn sie etwas ersparten, nähme der ministro es ihnen ab. Sie fragte, ob er es für möglich hielte, die Leute an weisere Sparsam­ keit zu gewöhnen; er meinte, das dürfte sich in zehn Jahren thun lassen, doch nicht in einem Jahr. „In diesem Fall", sagte Corona, „bleibt das einzige

99 Mittel zur Verbesserung ihrer Lage, ihnen im Winter Arbeit zu geben. Ich will auf den Gütern Wege anlegen und in der Stadt große Wohnhäuser bauen lassen. Jeder soll genug Arbeit bekommen." Der Plan war einfach; er wurde in der Folge aus­ geführt und veränderte das Aussehen der Güter von Astrardente im Verlauf weniger Jahre. Corona ließ aus Rom einen Ingenieur kommen, der zugleich ein tüchtiger Bau­ meister war. Sie unterrichtete sich selbst über die Verhält­ nisse auf ihren Gütern, ließ, ihm aber genügend freie Hand und bestand nur darauf, daß sowohl Material wie Arbeits­ kräfte nicht außerhalb ihrer Güter herbezogen wurden. Dies gab ihr eine Beschäftigung, bei der ihr die Zeit rasch genug verstrich. Die Fasten waren vorüber, und auf die Osterzeit folgte bald Pfingsten. Die Obstbäume blühten weiß und die Blüthen fielen in schneeigem Regen zu Boden, um den Kirschen, Mandeln und Birnen Platz zu machen. Die braunen Dornhecken waren belaubt und darinnen sangen kleine Vögel; große grüne Eidechsen huschten über die Waldpfade am Hügel und fingen die Fliegen, welche in der Frühlingssonne summten. An den trocknen Weinstöcken sproßten zarte Blätter, und der Mais schoß in den üppigen Furchen im Sonnenschein plötzlich empor wie zahllose glän­ zend grüne Dolche, welche die bräunliche Erdkruste durch­ bohren. Am Wege wuchs das Gras hoch empor, und die breiten seichten Bäche schwanden zusammen zu schmalen Rinnsalen, bis sie unter den hochaufwachsenden Binsen in der Gluth der steigenden Sonne verschwanden. Coronas Tagesordnung blieb unverändert, aber als ein Monat nach dem andern verging, tauchte mitunter ver­ stohlen ein Gedanke in ihr auf, — scheu, als fürchte er 7*

100 verjagt zu werden, zuerst still wie ein Schatten im Traum, — allmälig aber nahm er Gestalt und Wesen an und sprach verständliche Worte, endlich sagte er deutlich: „Wird er sein Wort halten? Wird er nimmer kommen?" Aber er kam nicht, als die frischen Frühlingsfarben in die üppige Reife des Sommers übergingen, blickte Corona in das Thal hinab und sah die allmälige Verwandlung auf der schönen Erde, und ahnte die Wandlung, welche in ihr Leben kommen würde. Sie hatte aus eignem Antrieb die Einsamkeit gesucht, aber nicht gewußt, was sie ihr brin­ gen würde. Sie hatte gewünscht, ihren verstorbenen Gatten zu ehren, indem sie sich eine Zeit lang von der Welt zurück­ zog, um seinem Gedächtniß zu leben. Das hatte sie ge­ than; endlich aber empörte sich in ihr die Jugend gegen die beständige Erinnerung an das Alter, — an eine alte Zeit, die für sie vorüber und für immer dahin war. Es war recht, eine Zeit lang dem Gedanken an ihre Wittwenschaft Raum zu geben, allein die innere Stimme sagte ihr, es würde nicht für immer recht sein. — Langsam und zögernd war die ruhige geräuschlose Fluth des schwinden­ den Greisenlebens sortgeebbt von ihrer Küste, und sie war ihr in dem Meer des Leides bis zur äußersten Grenze ihres Dahinschwindens gefolgt; während sie aber jetzt am Rande des stehenden Gewässers stand und hinausblickte, um die langsam sinkende Ebbe noch weiter zu verfolgen, war un­ vermerkt die Fluth um sie her emporgestiegen, ein frischer Seewind hatte sich erhoben und durchbrach die Meeresstille mit der lebhaften Bewegung kräuselnder Wellen, die von neuem lustig über den öden Strand rollten, und das Wasser des Lebens plätscherte wieder fröhlich und munter um ihre Füße. Der Gedanke an Giovanni, — der eine immer wieder-

101 kehrende Gedanke ihrer Seele, — ward süß für sie, so süß wie er einstmals bitter gewesen. Jetzt hinderte nichts mehr seine wachsende Macht, und sie ließ ihn gewähren. Was schadete es, wenn er — nur jetzt noch nicht — zu ihr käme? Eines Tages würde er doch kommen; sie fragte sich wann, — und wie lange er wohl sein Versprechen halten würde. Unterdeffen aber fühlte sie sich nicht unglücklich, und lag nach wie vor ihren Beschäftigungen ob; nur manchmal trat sie Abends allein auf den Balkon, der nach den höheren Bergen hinausging und stand dort wohl eine halbe Stunde und schaute südwärts nach den steilen Felsen, die den rothen Glanz der sinkenden Sonne auffingen; dann fragte sie sich, ob er dort weile, oder ob er, wie das Gerücht besagte, wirklich im hohen Norden wäre. Er hatte gesagt, es wäre nur ein halber Tagesritt über die Berge. Aber wie sehr sie auch ihre Augen anstrengen mochte, die grauen Felsen konnten ihre Blicke nicht durchdringen, noch in die waldigen Schluchten dahinter schauen. Er hatte gesagt, dort wolle er den Sommer zubringen; hatte er sich anders besonnen? Aber sie war nicht unglücklich. In ihr lebte etwas, das dem wehrte, ein Gefühl, das in Helle Freude ausge­ brochen wäre, wenn sie es zugelassen hätte; doch das wollte sie noch nicht. Es war noch zu früh, um laut zu sagen, was sie täglich in ihrem Herzen sagte: daß sie Giovanni von ganzer Seele liebte und daß sie jetzt frei wäre und ihn lieben dürfe. In diesem Gedanken lag Seligkeit genug. Aber wenn er wollte, könnte er jetzt kommen; ihr Zorn würde nicht groß sein, wenn er jetzt sein Versprechen bräche, er hatte es ja so lange gehalten, — sechs volle Monate. Als aber die Tage allmälig hinschlichen, störte ein Mißton unbestimmter Furcht die Harmonie ihres Glückes. Wenn sie ihm nun zu erfolgreich verboten hatte, sie aufzusuchen?

102 Menn er nun in all seinen Hoffnungen getäuscht, wirklich nach dem fernen Scandinavien gegangen wäre, wie die Zeitungen sagten, und sein Leben bei tollen Abenteuern aufs Spiel setzte? Im Grunde aber fürchtete fie das nicht. Er war stark, jung, mnthig, er hatte tausend Gefahren überlebt und würde auch diese überleben. Zwischen ihr und dem Gedanken an ihn stieg ein böser Schatten empor, das Bild einer Frau, und es nahm die Gestalt von Donna Tullia an, — so lebendig, daß sie die rothen Lippen sich bewegen sah und beinahe ihr lautes Lachen hören konnte. Sie zürnte sich selbst bei diesem Gedanken; dennoch kehrte er immer wieder und machte ihr Schmerz, und der Schmerz wurde zu un­ erträglicher Angst. Sie fühlte, fie müsse um jeden Preis wiffen, wo er weile, sonst könnte sie keine Ruhe finden. Sie war aufgeregt und unruhig und manchmal zerstreut bei ihren Gesprächen mit Schwester Gabriele. Die Gute bemerkte es und rieth eine kleine Zerstreuung an, wie zum Beispiel einen Tagesausflug; Corona, sagte sie, wäre zu jung für ein so einförmiges Leben. Diese faßte den Gedanken mit Freuden auf. Es war nur ein Ritt von einem halben Tage, hatte er gesagt; sie wollte jene Höhen erklimmen und nach Saracinesca hin­ überschauen, nur ein einziges Mal. Vielleicht würde sie einem Dauern begegnen und durch eine hingeworfene Frage erfahren, ob er dort wäre oder im Laufe des Sommers hinkommen würde. Niemand würde es erfahren, und über­ dies hatte Schwester Gabriele gesagt, ein Ausflug würde Corona gut thun. Schwester Gabriele hatte vermuthlich nie gehört, daß Saracinesca so nahe wäre, und sie konnte natürlich nicht ahnen, daß die Herzogin an dem Gutsherrn besonderen Antheil nähme. Corona gab ihre Absicht kund

103 und die Schwester billigte sie — sie selbst freilich, sagte sie, wäre einer solchen Anstrengung nicht gewachsen. Am nächsten Morgen stieg Corona allein in ihren Wagen und ließ sich viele Meilen gen Süden bergauf fahren, bis in die Fahrstraße ein breiter Reitweg mündete, der östlich nach den Abruzzen führte. Hier traf sie auf eine Schar Berittener, ihre eignen guardiani oder Förster, in dunkelblauen Röcken und ledernen Kamaschen. Jeder von ihnen trug auf der Brust eine runde Silberplatte mit dem Wappen der Astrardente, jeder hatte eine lange Flinte über der Schulter und eine Pistolenhalfter am Knopfe seines ungeheuren Sattels. Ein Paar kräftige schwarzköpfige Bauern hielten ein Maulthier am Zügel, nach alter Mode schwerfällig aufgeschirrt, unter einem großen rothen spani­ schen Sammetsattel hing der verblichene einst mit Silber gestickte Behang lang herab. Einige Bauern und zerlumpte Jungen standen herum und beobachteten die Zurichtung mit lebhaftem Interesse und machten hörbare Bemerkungen über die Schönheit der edlen Dame. Corona bestieg ihr Maulthier von einem Stein am Wege aus, und die jungen Leute führten es den Pfad empor. Sie lächelte still für sich, denn so etwas hatte sie noch nie unternommen, allein sie fühlte sich ganz sicher in­ mitten ihres rauhen Gefolges. Sie wußte, daß sie bei diesen Leuten so sicher war wie im eignen Hause. Jemehr der gewundene Reitweg aufwärts führte, desto rauher wurde die Gegend, desto spärlicher der Pflanzen­ wuchs und desto reichlicher das Geröll. Es war eine öde einsame Felsenwildniß; so weit das Auge reichte, keine Spur eines menschlichen Wesens, keine Seele auf dem einsamen Wege, kein lebendes Geschöpf aus den öden Bergen, welche zu beiden Seiten in schroffen Zacken zum Himmel empor-

104 stiegen. Corona sprach ein wenig mit dem obersten Forst­ wärter, der mit schlaffem Zügel neben ihr ritt und sein kleines Gebirgspferd seinen Weg allein auf dem rauhen Pfade suchen ließ. Er erzählte ihr, daß selten Leute des Weges kämen. Es war ein Richtweg nach Saracinesca. Die Fürsten ließen mitunter ihren Wagen den länger» Um­ weg machen und ritten über die Berge, und zur Zeit der Weinlese wäre hier etwas Verkehr, da viele der kleineren Bauern ihre Trauben über den Paß zu den größern Kel­ tern trugen und sofort verkauften. Es wäre kein gefähr­ licher Weg, eben weil er so wenig begangen wurde. Die Herzogin erklärte, sie wolle nur von der Höhe des Passes ins Thal hinabsehen und dann umkehren. Mittag war vorüber, als der Trupp den höchsten Punkt erreichte, — eine Einsenkung zwischen den Felsen, die nur eben breit genug war, um ein beladenes Maulthier hindurchzulassen. Der Förster sagte, sie könne am Ende des schmalen Weges, ehe der Abstieg begönne, Saracinesca sehen. Sie stieß einen Ruf der Ueberraschung aus, als sie die Stelle er­ reichte. Kaum ein halbes Kilometer entfernt zur Rechten am äußersten Ende einer breiten Gebirgsstraße erblickte sie die ungeheuren grauen verwitterten Thürme von Saracinesca aus dichtem Gehölz emporragend. Der ganze Raum da­ zwischen, wie überhaupt das ganze tiefe Thal, so weit sie es übersehen konnte, war ein dichter Kastanienwald. Hie und da, unterhalb des Schlaffes, zeigten die Häuser des Städtchens ihre Giebel von Ziegelsteinen, allein die Masse der Gebäude blieb dem Blick gänzlich entzogen. Corona hatte nicht gedacht, daß sie so ganz in der Nähe des Ortes herauskommen würde, und plötzlich überkam sie die Furcht, Giovanni könnte auf dem langen geraden Pfade erschei-

105 nett, der in den Wald führte. Sie zog sich ein wenig zurück. „Sind die Herrschaften hier?" Er wußte es nicht: aber einen Augenblick darauf kam rin Bauer auf einem Getreidesack sitzend auf seinem Esel angeritten, der Förster rief ihn an und befragte ihn. Als der Bauer Corona auf ihrem Maulthier, von Bewaffneten in Livree umgeben, gewahr wurde, hielt er still und zog seinen weichen schwarzen Tuchhut ab. Beide Fürsten wären in Saracinesca, sagte er, der junge Fürst schon seit Ostern. Sie bauten eine Wasser­ leitung, welche die ganze Stadt mit Wasser versorgen würde, sie sollte hier oben durch den Wald gehen. Die Fürsten gingen fast jeden Tag hin, um die Arbeiten zu besichtigen, Excellenz könnte sie vielleicht jetzt eben dort antreffen, wenn nicht, so würden sie im Schlosse sein. Excellenz hatte aber nicht die Absicht, sie zu treffen. Sie gab dem Mann ein Geldstück und trat schleunig den Rückzug an. Die Leute ihres Gefolges waren schweigsam, zu gehorchen gewöhnt, und folgten ihr den steilen Pfad hinab, ohne auch nur unter einander ein Wort zu wechseln. Im Schatten eines vorspringenden Felsens machte sie Halt, stieg oon ihrem Maulthier ab und ließ sich das mitgenom­ mene Frühstück vorsetzen. Sie aß wenig und saß dann in Nachdenken versunken da und betrachtete das kahle Gestein, während ihre Leute in einiger Entfernung hastig die Ueberreste ihres Mahles verzehrten. Sie hatte eine tiefe Ge­ müthsbewegung empfunden, als sie sich plötzlich Giovanni so nche wußte; es war ihr beinahe, als ob sie ihn gesehen hätte, und ihr Herz schlug schnell, während ihr von Zeit zu Zeit dne tiefe Röthe in die Wangen stieg. Er hätte so leicht des Weges daher kommen können, während sie eben

106 am Anfänge des Reitwegs hielt. Wie unsäglich schrecklich wäre es gewesen, entdeckt zu werden, wie sie nach seinem Wohnsitz ausschaute, während sie ihm so streng verboten hatte, ihr zu nahen! Die Nöthe brannte auf ihren Wan­ gen, — sie hatte etwas so Würdeloses gethan, was sich so schlecht für ihre erhabene Stellung schickte. Einen Augen­ blick schämte sie sich unbeschreiblich. Und dennoch konnte sie nicht die lebhafte Freude bei dem Bewußtsein unter­ drücken, daß er also doch hier wäre; daß er zwar sein Wort gehalten, sie zu meiden, aber eben so gut seiner Absicht treu geblieben war, den Sommer in Saracinesca zuzubringen. Er war sogar schon seit Ostern dort, und die Geschichte von feiner Reise nach dem Norden war eine bloße Erfin­ dung der Zeitungen. Sie begriff seine Handlungsweise nicht, auch nicht, weshalb er nach Paris gegangen war,— eine Thatsache, die von seinen Bekannten bestätigt worden. Wahrscheinlich in Geschäften, das ist ein Vorwand, der für Frauen fast jede plötzliche Reise eines Mannes erklärt. Jetzt aber war er im Schlosse und ihr Herz war befriedigt. Die Leute packten die Sachen in den Korb, und Co­ rona bestieg wieder ihr Maulthier. Langsam ritten sie den steilen Pfad hinab, der nach unten zu breiter und bequemer wurde; dort wartete der Wagen auf sie und bald rollte sie auf dem glatten Fahrweg heim, die berittene Wache, die Bauern und ihr langsam schreitendes Maulthier weit zurücklaffend. Die Sonne stand niedrig, als der Wagen in den Thorweg von Astrardente rollte. Schwester Gabriele sagte, Corona sähe nach ihrem Ausflug viel besser aus, und fügte hinzu, sie müsse sehr kräftig fein, um solche Anstrengung so gut ausznhalten. Und am nächsten Tage, und an man­ chem folgenden, bemerkte die Schwester die Veränderung im Wesen der Hausfrau und beschloß, wenn die Herzogin wie-

107 der verstimmt wäre, würde sie ihr noch einen Ausflug ins Gebirge anrathen, so wunderbar war die Wirkung dieser kleinen Unterbrechung ihres einförmigen Lebens. An jenem Abend saß der alte Saracinesca mit seinem Sohne in der großen Halle des Schlosses bei Tische. Der getreue Pasquale bediente sie mit derselben Feierlichkeit wie in Rom. Heute Abend fing er wieder an zu sprechen. Seit er ihnen den Tod des Herzogs von Astrardente mitgetheilt, halte er es nicht wieder gewagt. „Ich bitte Excellenz um Verzeihung", fing er mit seiner gewöhnlichen Form der Entschuldigung an. „Nun, Pasquale, was giebts?" fragte der alte Sara­ cinesca. „Ich weiß nicht, ob Ew. Excellenz wissen, daß die Herzogin von Astrardente heute hier gewesen ist." „Was?" brüllte der Fürst. „Du mußt verrückt sein, Pasquale"! rief Giovanni leise. „Ich bitte Ew. Excellenzen um Vergebung, wenn ich mich irre, aber so habe ich es erfahren: Gigi Secchi, der Bauer aus Acquaviva unten imWalde, brachte heute einen Sack Getreide nach der Mühle, und er hat es dem Müller erzählt, und der Müller hats dem Hector erzählt, und der Hector hat es dem Nino erzählt, und der Nino"-------„Was zum Teufel hat er ihm denn erzählt?" fiel der alte Fürst ein. „Nino hats dem Küchenjungen erzählt", fuhr Pasquale unerschütterlich fort, „und der Küchenjunge hat es mir er­ zählt, Excellenz, daß Gigi auf dem Wege nach Serveti hiehergeritten ist, da haben ihn eine Anzahl guardiani angehülten, welche eine schöne dunkle Dame in Trauer be­ gleiteten, die auf einem Maulthier ritt, und die guardiani

108 haben ihn gefragt, ob Ew. Excellenzen in Saracinesca wären, und als Gigi Ja gesagt hat, da hat ihm die Dame Geld geschenkt und ist sofort umgekehrt und den Reitweg nach Astrardente hinabgeritten, und er sagt, die guardiani wären die von Astrardente, denn er erinnert sich, daß er den einen von ihnen, der eine Narbe über dem linken Auge hat, voriges Jahr aus dem Jahrmarkt in Genazzano ge­ sehen hat. Und so habe ich es gehört." „Das ist eine merkwürdige Geschichte, Pasquale," ver­ setzte der Fürst laut lachend, „aber sie klingt ganz glaub­ lich; gehe und laß Gigi Secchi holen, wenn er noch in der Nähe ist, und bringe ihn her, damit wir die Geschichte aus seinem eigenen Munde hören." Als sie allein waren, sahen die beiden Herren einander einen Augenblick an, dann fing der alte Saracinesca wie­ der an zu lachen, Giovanni aber sah sehr ernst aus, und sein Gesicht ward bleich. Bald wurde auch sein Vater wieder ernst. „Wenn die Sache wahr ist," sagte er, „so würde ich Dir rathen, Giovanni, jenseits des Gebirges einen Besuch zu machen. Es ist Zeit." Giovanni schwieg ein Weilchen. Die Sache interessirte ihn aufs Aeußerste, allein er konnte seinem Vater nicht sagen, daß er Corona versprochen habe, sie nicht aufzu­ suchen, und er konnte sich ihr plötzliches Erscheinen so nahe bei Saracinesca noch nicht recht erklären. „Ich denke, es wäre besser, wenn Du zuerst hingingest," sagte er zu seinem Vater. „Aber ich bin durchaus nicht sicher, daß die Geschichte wahr ist." „Ich? O ich will hingehen, sobald es Dir gefällt," versetzte der Atte wiederum lachend. Er war stets bereit zu handeln.

Aber Gigi Seech) war nicht mehr zu finden. Er war sofort nach Acquaviva zurückgekehrt, und einen Boten hin­ zuschicken war nicht so leicht. Zwei Tage später indessen bemühte sich Giovanni selbst, den Mann zu Hause aufzu­ suchen. Er war nicht eben überrascht, als Gigi Pasquales Erzählung in allen Einzelheiten bestätigte. Corona war wirklich in Saracinesca gewesen, nm herauszubekommen, ob Giovanni dort wäre oder nicht, und als sie erfahren, datz er im Schlosse wäre, hatte sie eilig die Flucht ergriffen. Giovanni war von Natur ernst und schwermüthig. In den letzten Monaten aber war er noch schweigsamer als gewöhn­ lich gewesen, hatte sich mit eigensinniger Beharrlichkeit mit dem Bau seiner Wasserleitung beschäftigt, bei Tage die Arbeiten besichtigt und Abends stundenlang die Pläne dazu studirt. Er wollte abwarten. Er glaubte, daß Corona sich für ihn interessirte, und er wußte, daß er sie liebte; fürs Erste aber mußte er ruhig warten, sowohl seines Versprechens wegen, als aus Rücksicht auf ihre Wittwentrauer. Um warten zu können, fühlte er das Bedürfniß nach bestän­ diger Beschäftigung und deshalb hatte er sich mit seinem Vater entschlossen ans Werk gemacht, denn dessen Ideal wär es, Saracinesca zum vollkommensten und gedeihlich­ sten Gemeinwesen in dieser Gebirgsgegend zu machen. „Ich denke, es würde viel besser sein, wenn Du hin­ überreiten wolltest," sagte er am Ende der Woche. „Ich möchte mich ihr jetzt noch nicht ausdrängen, und Du könn­ test ja leicht herausbringen, ob sie mich zu sehen wünscht. Sie mag am Ende nur einen Ausflug zu ihrem Ver­ gnügen gemacht haben und zufällig hierhergekommen sein. Es ist mir oft ausgefallen, wie plötzlich man auf jenem Reitwege in Sicht des Schlosses kommt. „Andrerseits", versetzte der Fürst lächelnd, „hätte ihr

110 Jeder sagen können, daß jener Reitweg nirgends anders hinführt als nach Saracinesca. Aber ich will morgen hin­ gehen," fügte er hinzu, „binnen viemndzwanzig Stunden will ich Deiner Seele Ruhe schaffen." „Ich danke Dir", sagte Giovanni.

Siebentes Kapitel.

Der alte Saracinesca hielt Wort; am nächsten Mor­ gen, gerade acht Tage nach Coronas Ausflug ins Gebirge, ritt er nach Astrardente hinab, und kam gegen Mittag auf dem Schlöffe an. Er schickte seine Karte hinein und stand wartend unter dem großen Thor, wobei er mit seiner Reit­ peitsche sich den Staub von den Stiefeln klopfte. Sein Gesicht sah dunkler aus als je, weil er es beständig der Sonne ausgesetzt hatte, und sein kurz geschnittnes Haar und der viereckig geschorne kurze Bart waren in diesem letzten halben Jahre noch weißer geworden, allein seine kräftige Gestalt hielt sich gerade und sein Schritt war fest und elastisch. Er war ein merkwürdiger alter Mann; mancher Jüngling von zwanzig Jahren hätte ihn um seine Stärke und unverwüstliche Lebenskraft beneiden können. Corona war eben mit Schwester Gabriele beim zweiten Frühstück, als ihr die Karte des alten Fürsten gebracht wurde. Sie fuhr beim Anblick des Namens zusammen, und obwohl sie deutlich genug auf der Karte las: Der Fürst von Saracinesca, zögerte sie noch und fragte den Diener, ob es wirklich der Fürst wäre. Er bejahte es. „Haben Sie etwas dagegen, ihn zu sehen?" fragte sie die Schwester Gabriele. „Er ist ein alter Herr," setzte sie erklärend hinzu, „ein Nachbar hier aus der Umgegend."

110 Jeder sagen können, daß jener Reitweg nirgends anders hinführt als nach Saracinesca. Aber ich will morgen hin­ gehen," fügte er hinzu, „binnen viemndzwanzig Stunden will ich Deiner Seele Ruhe schaffen." „Ich danke Dir", sagte Giovanni.

Siebentes Kapitel.

Der alte Saracinesca hielt Wort; am nächsten Mor­ gen, gerade acht Tage nach Coronas Ausflug ins Gebirge, ritt er nach Astrardente hinab, und kam gegen Mittag auf dem Schlöffe an. Er schickte seine Karte hinein und stand wartend unter dem großen Thor, wobei er mit seiner Reit­ peitsche sich den Staub von den Stiefeln klopfte. Sein Gesicht sah dunkler aus als je, weil er es beständig der Sonne ausgesetzt hatte, und sein kurz geschnittnes Haar und der viereckig geschorne kurze Bart waren in diesem letzten halben Jahre noch weißer geworden, allein seine kräftige Gestalt hielt sich gerade und sein Schritt war fest und elastisch. Er war ein merkwürdiger alter Mann; mancher Jüngling von zwanzig Jahren hätte ihn um seine Stärke und unverwüstliche Lebenskraft beneiden können. Corona war eben mit Schwester Gabriele beim zweiten Frühstück, als ihr die Karte des alten Fürsten gebracht wurde. Sie fuhr beim Anblick des Namens zusammen, und obwohl sie deutlich genug auf der Karte las: Der Fürst von Saracinesca, zögerte sie noch und fragte den Diener, ob es wirklich der Fürst wäre. Er bejahte es. „Haben Sie etwas dagegen, ihn zu sehen?" fragte sie die Schwester Gabriele. „Er ist ein alter Herr," setzte sie erklärend hinzu, „ein Nachbar hier aus der Umgegend."

111 Schwester Gabriele hatte nichts dagegen. Sie meinte sogar, es wäre für die Herzogin gut, Jemanden zu sehen. „Bitten Sie den Fürsten herein und legen Sie noch ein Gedeck auf!" sagte Corona. Einen Augenblick darauf trat der alte Herr ein und Corona stand aus, um ihn zu begrüßen. Es war etwas Erfrischendes im Klang seiner tiefen Stimme und im Klir­ ren seiner Sporen auf dem Marmorboden. -„Frau Herzogin, es ist sehr gütig von Ihnen, mich zu empfangen. Ich wußte nicht, daß dies Ihre Frühstücks­ stunde war. Ah," rief er, indem er Schwester Gabriele ansah, die ebenfalls aufgestanden war, „Guten Tag, ver­ ehrte Schwester." „Schwester Gabriele," sagte Corona sie vorstellend. „Sie hat die Güte, mir in meiner Einsamkeit Gesellschaft zu leisten." Eigentlich war Corona unruhig zu Muthe; doch war das Gefühl eher angenehm, obschon es ihr durch den Sinn fuhr, daß der Fürst etwas von ihrem Ausflug gehört haben könnte und vielleicht herausbringen wollte, weshalb sie seinem Schlosse so nahe gekommen wäre. Sie bot den Umständen kühn die Stirn. „Ich wäre neulich beinahe eben so unerwartet auf Sie gestoßen, wie Sie heute zu mir kommen," sagte sie lächelnd. „Ich hatte Lust, in Ihr Thal hinab zu schauen, und als ich den Gipfel des Hügels erreichte, befand ich mich bei­ nahe vor Ihrem Hause." „Ich wünsche, Sie wären wirklich hingekommen," ver­ setzte der Fürst. „Ich hörte natürlich, daß man Sie ge­ sehen hätte, und wir vermutheten, daß Sic bei einem Aus­ flug ins Gebirge zufällig bis zu uns gerathen wären.

112 Mein Sohn ritt bis nach Acquaviva, um den Mann auf­ zusuchen, der mit Ihnen gesprochen hatte." Saracinesca sagte dies, als ob es etwas Selbstver­ ständliches wäre, und nahm dabei etwas von der Schüssel, welche ihm der Diener reichte. AIs er aber aufsah, be­ merkte er, daß Corona erröthete. „Man hat von jenem Punkt aus so plötzlich die Aus­ sicht ins Thal, daß ich ganz betroffen war," sagte sie ver­ legen. „Ich wünsche, Sie hätten Ihren Gleichmuth so lange bewahrt, um noch etwas weiter zu reiten. Saracinesca ist selten durch den Besuch einer Herzogin von Astrardente beehrt worden. Aber nach Ihrem Besuche — oder viel­ mehr dem Besuche, den Sie nicht gemacht haben, — muß ich den meinen erklären. Erstens müssen Sie missen, daß ich nicht zufällig, sondern mit wohlüberlegter und endlich zu meiner Befriedigung ausgeführter Absicht hier bin. Ich bin nicht gekommen, um in Ihr Thal zu blicken, oder Ihr Schloß aus der Ferne anzuschauen, sondern um Sie, Sie selbst, zu sehen. Ihre gastfreundliche Aufnahme hat folglich meinen Wunsch gekrönt." Corona lächelte. „Das war eine sehr schöne Rede", sagte sie. „Die Ihnen entgangen wäre, wenn Sie mich nicht empfangen hätten," antwortete er vergnügt. „Ich bin noch nicht zu Ende. Ich habe noch viele schöne Reden für Sie im Vorrath. Ihr Anblick lockt schöne Worte hervor, wie die Maiensonne die Blumen zum Blühen bringt." „Das ist schon wieder eine!" lachte Corona. „Brin­ gen Sie Ihre Tage in Saracinesca damit zu, Gedichte zu lesen? Lieft Don Giovanni sie mit Ihnen?" „Giovanni ist eine Thatsache", erwiderte der Fürst.

113 „Ich bin eine Kabel. Alle alten Leute sind Fabeln, denn sie stellen in harmloser Form die Thorheiten der Mensch­ heit dar; ihr Ende ist immer an und für sich eine Moral, und junge Leute könyen viel lernen, indem sie sie studiren." „Ihr Vergleich ist witzig," sagte Corona, die an der Unterhaltung des alten Saracinesca viel Gefallen fand, „aber ich bezweifle, daß Sie so harmlos find, wie Sie vorgeben. Jedenfalls sind Sie nicht thöricht, und ich bin nicht sicher, ob als Gegenstand des Studiums für die Ju­ gend" -------- sie hielt inne und lachte. „Ob ganz junge Leute Verstand genug haben würden, oie Tugend daran zu erkennen, daß sie sich verbirgt — wie der witzige alte Römer zu sagen pflegte, die Bilder von Brutus und Cassius wären merkwürdiger als die aller andern, eben weil sie nirgend zu sehen wären, — gerade wie meine Tugenden, das ist die Frage! Giovanni zum Beispiel ist darin das gerade Gegentheil von mir, obschon er den schlechten Geschmack gehabt hat, mir im Aeußern ähnlich zu sehen." „Tugenden sollte man niemals verbergen", sagte Schwester Gabriele sanft. „Man sollte nicht sein Licht unter den Scheffel stellen, wie Sie wissen." „Schwester," erwiderte der alte Fürst mit lustigem Blinzeln in seinen schwarzen Augen, „wenn ich in meinem ganzen Wesen so viel Licht hätte, als Sie brauchen um ein halb Dutzend Worte in Ihrem Brevier zu lesen, so würde es Ihnen zur Verfügung stehen. Ich würde es mitten auf der Piazza Colonna ausstecken und es die merkwürdigste Beleuchtung seit Menschengedenken nennen. Leider ist mein Licht, wie die Lampe des einsamen Bergmannes, nur für mich sichtbar und selbst das nur trübe." „Sie müffen sich nicht so herabsetzen", sagte CoronaCrawford, Saracinesca. II.

8

114 „Nun, es ist wahr. Sie können entweder glauben, daß ich die Wahrheit spreche oder nicht. Ich weiß nicht, was schlimmer wäre. Wir wollen von etwas Anderm sprechen, Herzogin, mein Sohn Giovanni läßt sich Ihnen angelegentlichst empfehlen." „Danke; wie geht es ihm?" „Er ist gesund, aber in äußerst schwermüthiger Stim­ mung. Er baut eine Wasserleitung, und ich thue daffelbe. Die Sache kommt dadurch zu Stande, daß er unablässig arbeitet, während ich Cigaretten rauche und Romane lese." „Mich dünkt, die Theilung der Arbeit ist zu Ihrem Vortheil," bemerkte Corona. „Ganz entschieden, das versichere ich Ihnen. Er be­ fördert die Verbefferung meiner Güter und ich den Handel mit Cigarren und schöner Literatur. Er arbeitet vom Mor­ gen bis zum Abend, ist sein eigner Ingenieur, Unternehmer, Aufseher und Maurermeister. Er thut alles und macht es gut. Wenn wir in unsrer Junggesellenwirthschast minder naturwüchsig wären, würde ich Sie bitten uns zu besuchen — dies Mal aber im Ernst — und unser Werk zu besehen. Es lohnt der Mühe. Vielleicht willigen Sie auch so ein. Wir wollen Ihretwillen das Schloß räumen und die ganze Nacht vor den Thoren Wache stehen." Wiederum erröthete Corona. Sie hätte um jeden Preis hingehen mögen, allein sie fühlte, daß es unmög­ lich wäre. „Ich käme gern," sagte sie, „wenn man am selben Tage zurückkehren könnte." „Das haben Sie ja schon gethan", bemerkte der Fürst kurz. „Ja, aber es war spät, als ich nach Hause kam, und ich war keine Minute dort geblieben."

115 „Das weiß ich", lachte der alte Fürst. „Sie gaben Gigi Secchi Geld, und dann ergriffen Sie schleunig die Flucht." „Allerdings, ich fürchtete, Sie könnten mir plötzlich begegnen, und so eilte ich davon", sagte Corona, nun auch lachend, während das Blut ihr dunkel in die olivenfarbigen Wangen stieg. „Was meine liebenswerthen Vorfahren an derselben Stelle thaten, wenn Jemand mit vollem Beutel vorüber­ zog", meinte Saracinesca. „Indessen haben wir uns seit­ dem etwas gebessert. Wir würden Sie zum Frühstück ein­ geladen haben. Wollen Sie kommen?" „Allein möchte ich nicht kommen. Sie sehen ein, daß ich es nicht könnte, und Schwester Gabriele könnte nimmer­ mehr den Berg auf einem Maulthier hinaufreiten." „Es giebt aber auch einen Fahrweg", sagte der Fürst. „Ich will Ihnen einen Compromiß vorschlagen. Ich will mit Giovanni und unserm Gespann Gebirgspferde Herkom­ men. Ihre großen Thiere find nicht zu der Partie geeig­ net. Wir werden Sie und Schwester Gabriele fast eben so schnell hinauffahren, als fie aus dem Reitwege hinge­ langen könnten." ,Und am selben Tage zurück?" fragte Corona. ,Nein, am nächsten." .Aber ich sehe nicht ein, worin der Compromiß besteht", sagte sie. .Schwester Gabriele ist zugleich der Compromiß und der Erund, weshalb Sie nicht compromittirt werden. Ich bitte Sie um Entschuldigung." Jeide Damen lachten. .Ich will sehr gern mitkommen", sagte die Schwester. „Ich finde nichts Besonders an dem Vorschläge des Fürsten." 8'

116 „Schwester," versetzte Saracinesca, „Sie sind auf dem besten Wege zur Heiligkeit, Sie haben schon selige Visionen, Sie sehen mit himmlischer Klarheit."

„Der Vorschlag ist reizend", sagte Corona.

„Aber in

dem Falle mutzten Sie den Tag zuvor Herkommen."

Sie

war etwas verlegen.

„Wir werden nicht ins Kloster eindringen", antwortete

der Fürst.

„Giovanni und ich werden die Nacht damit

hinbringen, uns schöne Redensarten auszudenken, und mit diesen ausgerüstet, werden wir bei Tagesanbruch vor Ihren Thoren erscheinen."

„Es ist Platz genug in Astrardente", erwiederte Corona. „Gastfreundschaft für die Nacht soll Ihnen nicht fehlen.

Wann werden Sie kommen?" „Morgen Abend, wenn Sie erlauben. Eine gute That sollte schnell gethan werden, damit man sie ohne Verzug wieder vergelten kann." „Meinen Sie, ich würde es noch einmal thun?" Saracinesca heftete seine schwarzen Augen

auf

Corona und sah sie einige Augenblicke fest an, ehe er ant­ wortete. „Gnädige Frau," sagte er dann sehr ernst, „ich hoffe,

Sie werden wiederkommen und länger bleiben." „Sie find sehr gütig", sagte Corona sanft. „Jedenfalls

werde ich dieses eine Mal kommen." „Wir werden versuchen, Ihnen unsere Dankbarkeit zu beweisen, indem wir es Ihnen behaglich machen", antwor­

tete der Fürst, und schlug dabei wieder den alten Ton an. „Sie sollen Morgens eine Meffe und Abends eine Litanei haben.

Wir da oben find gottlose Leute, aber wir haben

einen Priester."

„Sie scheinen unser Behagen ganz von gottesdienst-

117 lichen Handlungen abhängig zu machen", lachte Corona. „Sie sind aber jedenfalls sehr rücksichtsvoll." »Ich sehe neben Ihnen das reizendste Beispiel von Frömmigkeit", entgegnete er. „Schwester Gabriele ist so­ wohl ein Beweis Ihrer Frömmigkeit, wie auch an sich ein Beispiel für den Segen der Religion. Wir wollen Ihnen indeß auch noch andre Genüsse bieten als Meffen und Litaneien." Nach dem Frühstück ließ Schwester Gabriele die andern beiden allein. Sie gingen aus dem Speisezimmer in die große gewölbte Halle im Innern des Gebäudes. Dort war es Uhl und an den Wänden standen hohe alte Lehnstühle. Die geschlossenen Laden ließen von der Mittagsgluth draußen ein sanftes grünes Licht hineindringen. Corona wandelte gern auf dem kühlen Marmorboden; sie war eine gesunde, thatkräftige Frau und hatte Freude daran sich zu bewegen, ohne ruhelos zu sein; müde wurde sie eigentlich nie, ihre Bewegungen waren nicht rasch, doch leicht und anmuthig. Saracinesca ging neben ihr und rauchte einige Minuten in Gedanken versunken. „Herzogin," sagte er endlich, in ihr schönes Ant­ litz schauend, „seit wir uns zuletzt gesehen haben, hat sich viel verändert. Sie waren damals böse auf mich, ob mit Recht, weiß ich nicht, aber Sie waren einige Augen­ blicke sehr böse. Ich will jetzt auf denselben Gegenstand zurückkommen. Ich hoffe, Sie werden es mir nicht übel­ nehmen." Corona erbebte einen Augenblick und schwieg. Sie hätte ihm gern gewehrt mehr zu sagen, allein ehe sie Worte finden konnte, fuhr er fort: „In mancher Hinsicht hat sich viel verändert, in an­ derer garnichts. Es ist nur natürlich, daß Sie im Lauf

118 der Zeit daran denken werden, sich wieder zu vermählen. Herzogin, mein Sohn liebt Sie mit großer Treue. Ver­ zeihen Sie, es kann Sie jetzt nicht mehr beleidigen, daß er es mir gesagt hat. Ich bin sein Vater und habe keinen andern, der meinem Herzen nahe steht. Er ist zu sehr Ehrenmann, als daß er früher von seiner Liebe zu Ihnen gesprochen hätte, jetzt aber hat er es mir gesagt." Corona stand mitten in der großen Halle dem Fürsten gegenüber still. Während er sprach, war sie bleich gewor­ den, doch schwieg sie. „Ich habe nichts weiter zu sagen — das ist alles", sagte Saracinesca und blickte in die Tiefe ihrer Augen. „Ich habe nichts mehr zu sagen." „Wollen Sie also Ihre damalige Warnung wieder­ holen?" fragte Corona, noch bleicher werdend. „Wollen Sie damit sagen, daß für Ihren Sohn Gefahr vorhan­ den ist?" „Es ist Gefahr, große Gefahr für ihn vorhanden — wenn Sie sie nicht abwenden." „Und wie?" fragte Corona mit leiser Stimme. „Herzogin, indem Sie seine Frau werden." Corona erbebte und wandte sich in heftiger Erregung ab. Saracinesca blieb stehen, während sie einige Schritte weiter ging. Sie konnte nicht sprechen. „Ich könnte noch viel mehr sagen, Herzogin," sagte er, als sie wieder aus ihn zu kam. „Ich könnte sagen, daß diese Verbindung nicht nur in jeder Hinsicht paffend, sondern auch vom weltlichen Gesichtspunkt aus Vortheilhaft ist. Sie sind die alleinige Herrin von Astrardente; mein Sohn wird in kurzem der alleinige Herr von Saracinesca sein. Unsre Güter grenzen an einander; das ist ein großer Vortheil, eine wichtige Sache inbezug auf das Vermögen.

119 Ich darf ferner erwähnen, daß Sie in Ihrer glänzenden Stellung sich nicht herablafsen könnten, einem Mann von geringerer Herkunft die Hand zu reichen, sondern nur einem aus den besten Familien des Landes. Keine steht höher als die Saracinesca, entschuldigen Sie meine Anmaßung — und unter den Fürsten giebt es keinen bravern treff­ lichern Edelmann als meinen Sohn Giovanni. Ich ent­ schuldige mich nicht dafür, daß ich dies sage, ich will es der ganzen Welt gegenüber behaupten. Ich lasse alle Fra­ gen des weltlichen Vortheils bei Seite und gründe hierauf meine Werbung. Er ist der beste Mensch, den ich kenne, und er liebt Sie von ganzer Seele." „Weiß er, daß Sie zu diesem Zwecke hergekommen sind?" fragte Corona plötzlich. Sie sprach mit großer An­ strengung. „Nein. Er weiß nur, daß ich hier bin, und freute sich, daß ich herging. Er wünschte, ich möchte erforschen, ob Sie ihn empfangen würden. Er hätte sicherlich nicht daran gedacht, jetzt um Sie zu werben. Aber ich bin ein alter Mann und fühle, daß ich rasch handeln muß. Das diene zu meiner Entschuldigung." Corona schwieg wieder. Sie war zu wahrhaft, um eine ausweichende Antwort zu geben, und doch zögerte sie zu sprechen. Sie befand sich in Verlegenheit; sie war überrascht worden, und erschrak über ihre tiefe Erregung. Nie war es ihr eingefallen, daß der alte Fürst für seinen Sohn werben könnte, und nun wußte sie nicht, wie sie ihm begegnen sollte. „Ich bin vielleicht zu plötzlich gewesen", sagte Sara­ cinesca. „Ich liebe meinen Sohn herzlich, und sein Glück gilt mir mehr als was noch von meinem eignen übrig ist. Wenn Sie meinen Antrag von Anfang an als eine Un-

120 Möglichkeit ansehen, so möchte ich ihm eine schmerzliche Demüthigung ersparen, — vor dem Uebrigen, fürchte ich, würde ich ihn nicht retten können, vor einem Schmerz, der ihn zum Wahnsinn treiben könnte. Aus diesem Grunde flehe ich Sie an, mir, wenn Sie es können, eine Antwort zu geben, nicht damit ich sie ihm bestelle, sondern damit ich mich in Zukunft danach richten kann. Er kann Sie nicht vergessen, allein er hat Sie seit sechs Monaten nicht gesehen. Sie Wiedersehen, um Sie auf immer zu verlasien, würde ihm nur eine neue Wunde schlagen." Er hielt inne, wäh­ rend Corona langsam neben ihm herging. „Ich sehe nicht ein, weshalb ich Ihnen die Wahrheit vorenthalten sollte," sagte sie endlich. „Ich kann sie mir selbst nicht verhehlen. Ich bin kein Kind, daß ich mich Ihrer schämen sollte. Es ist kein Unrecht dabei — kein Grund, weshalb es nicht so sein sollte. Auch Sie sind auf­ richtig, weshalb sollten wir uns* gu täuschen suchen? Ich traue auf Ihre Ehre, daß Sie schweigen werden, und ge­ stehe, daß ich — daß ich Ihren Sohn liebe." Corona blieb stehen und wendete ihr Antlitz ab, bren­ nende Röthe stieg ihr in die Wangen. Ihre Antwort war bezeichnend für sie, offen und ehrlich. Sie schämte sich ihrer nicht, und doch waren ihr die Worte so neu, klangen so seltsam, so bedeutungsvoll, daß sie erröthete, während sie sie aussprach. Saracinesca war ebenfalls höchlich über­ rascht, denn er hatte eine ausweichende Wendung erwartet, einen Wink, daß er Giovanni herbringen möchte, allein sein Entzücken kannte keine Grenzen. „Herzogin," sagte er, „der glücklichsteTag, dessen ich mich entsinnen kann, war der, als ich meine junge Frau nach Sara­ cinesca brachte. Mein stolzester Tag wird der sein, an dem mein Sohn an Ihrer Seite durch dieselben Thore einzieht."

121 Er nahm ihre Hand und führte sie ritterlich an die Lippen. „Das wird noch lange dauern — — es muß noch sehr lange dauern," antwortete Corona. „Es soll geschehen, wann Sie wollen, gnädige Frau, wenn es nur endlich geschieht! Fürs Erste werden wir morgen Herkommen und Sie nach unsrer Burg abholen. Verstehen Sie jetzt, weshalb ich sagte, ich hoffte, Sie wür­ den wiederkommen und länger bleiben? Hoffentlich haben Sie sich inbetreff des Ausflugs nicht anders entschieden." „Nein. Wir werden Sie morgen Abend erwarten. Denken Sie daran, daß ich gegen Sie offen gewesen bin; ich verlasse mich darauf, daß Sie schweigen werden." „Mein Wort darauf! Und jetzt will ich, wenn Sie es gestatten, nach Saracinesca zurückkehren. Glauben Sie mir, die Nachricht, daß Sie uns erwarten, lohnt schon Giovanni mitzutheilen." „Sie können ihn von mir grüßen.. Aber wollen Sie sich nicht etwas ausruhen, ehe Sie zurückreiten? Sie müs­ sen müde sein." „Das ist nicht zu befürchten!" antwortete der Fürst. „Sie haben den alten Menschen zu einem neuen gemacht. Ich werde nicht müde werden, wenn ich meinem Sohn Ihren Gruß bringen kann." So verließ sie der alte Fürst und bestieg sein Pferd und ritt den Paß aufwärts. Corona aber blieb stunden­ lang in der gewölbten Halle und schritt auf und ab. Es war zu früh gekommen, viel zu früh. Und dennoch, wie hatte sie sich danach gesehnt! Wie hatte sie sich gefragt, ob es je dazu kommen würde! Die Sachlage war überdies seltsam genug. Giovanni hatte ihr einst seine Liebe gestanden und sie hatte ihm ge-

122 boten zu schweigen. Er sollte ihr jetzt wieder davon spre­ chen und sie sollte ihn anhören. Er würde um ihre Hand bitten, und ihre Antwort stand im voraus fest. Es schien, als wäre dieses größte Ereigniß ihres Lebens bis auf die kleinsten Umstände vorher bestimmt; als sollte sie eine Rolle spielen, dke sie einstudirt hatte, und die doch keine Komödie war, sondern der Ausdruck der tiefsten Wahrheit ihres Lebens. Die Zukunft war ihr, so zu sagen, offenbart und vollständig vorausgesagt worden, und konnte ihr keine Ueberraschungen mehr bringen; und doch war es süßer daran zu denken, als an ihre ganze Vergangenheit. Sie fragte sich, wie er es wohl sagen würde, mit welchen Wor­ ten, wie er dabei aussehen würde, ob er wieder so furcht­ bar aufgeregt sein würde, wie an jenem Abend im Palaste Frangipani. Am meisten zerbrach sie sich den Kopf dar­ über, was sie ihm antworten würde. Doch es war ja noch lange Zeit bis dahin. Sie würden sich vorher noch oft sehen, es würden noch viele glückliche Tage vor diesem aller­ glücklichsten kommen. Schwester Gabriele bemerkte eine wunderbare Verände­ rung in Coronas Gesicht, als sie am Nachmittag mit ihr das Thal hinauffuhr, und äußerte, daß eine kleine Zer­ streuung einen merkwürdigen Einfluß auf ihre Stimmung habe, sie könne nicht sagen auf ihre Gesundheit, denn Co­ rona schien aus Sammet und Stahl gemacht, so glatt und dunkel, und doch so stark und biegsam. Corona lächelte strah­ lend und blickte hoch empor zu den schroffen Felsen, hinter denen Saracinesca verborgen lag. „Uebermorgen werden wir dort sein!" sagte sie. „Wie wunderbar das sein wird." Sie lehnte sich zurück, ihre dunkeln Augen strahlten und sie lächelte glückselig. Am folgenden Nachmittag fuhren sie wieder thalauf-

123 wärts. Allein sie waren noch nicht weit gekommen, als sie in der Ferne eine Staubwolke sahen, aus der alsbald ein Wagen mit drei Pferden bespannt und von Giovanni Saracinesca selbst gelenkt hervorkam. Sein Vater saß neben ihm aus dem Vordergesäß und hinten saß ein Livreebedienter mit einer langen Flinte zwischen den Knieen. Es war ein doppelsitziger Wagen, in dem vier Personen, und dahinter zwei Diener Platz hatten. In einem Augenblick begegneten sich die beiden Wagen und hielten neben einander. Giovanni sprang ab und warf die Zügel seinem Vater zu; dieser stand auf mit dem Hute in der Hand und verneigte sich von seinem Platze aus. Corona reichte Giovanni die Hand, als er mit entblößtem Haupte neben ihr am Wege stand. Ein langer Blick sagte alles; Worte waren in Gegenwart des alten Fürsten und der Nonne unmöglich, aber ihre Augen sprachen — vom Schmerz der langen Trennung, von der Wonne zweier liebenden Herzen sich endlich ohne Hinderniß wiederzusehen. „Lassen Sie Ihren Diener fahren und steigen Sie zu uns ein", sagte Corona, welche vor Aufregung kaum sprechen konnte. Dann erbebte sie leicht und lächelte in ihrer Ver­ wirrung. Sie hielt unbewußt noch immer Giovannis Hand. Der Diener des Fürsten stieg auf den Vordersitz, der alte Saracinesca stieg aus und nahm im Landauer Platz. Es war eine eigenthümliche schweigende Begegnung, lange erwartet, längst ersehnt von den beiden Liebenden — und doch, da es nun endlich so gekommen, konnten sie es kaum fassen. Der Fürst sprach, wie gewöhnlich, zuerst. „Sie erwarteten uns zu treffen, Herzogin?" fragte er. „Wir erwarteten, Ihnen zu begegnen. Eine erfüllte Er­ wartung ist besser als eine Ueberraschung. In Saracinesca ist alles zu Ihrem Empfange bereit. Don Angelo, unser

124 Priester, ist von Ihrem Kommen benachrichtigt, und der Junge, der ihn bei der Meffe bedient, ist gewaschen wor­ den. Sie können sich denken, daß große Festlichkeiten be­ vorstehen. Giovanni hat das Schloß um und um gekehrt und hat ein Zimmer ganz mit gestickten Tapeten behängt, die meine Urgroßmutter selbst gearbeitet hat. Er meint, weil das Schloß so alt ist, sollte das Alterthümliche auch in allen Einzelheiten durchgeführt werden." Corona lachte munter, heute hätte sie über alles ge­ lacht —, und die Stimme des alten Fürsten klang frisch und lustig. Er hatte ihnen über die erste Befangenheit hinweggeholfen. „Auch in Astrardente find Vorkehrungen zu Ihrem Empfange getroffen worden", versetzte die Herzogin. „Wir waren um die Auswahl verlegen, da etwa hundert leere Zimmer im Hause sind. Der Butler schlug vor, Ihnen eine Flucht von sechzehn Zimmern als Nachtquartier zu geben, aber ich habe ein lustiges Eckchen in einem der Flügel ausgesucht, wo Sie nur durch zehn zu gehen brauchen, um in Ihr Schlafzimmer zu kommen." „Nichts geht über große Räume," sagte der Fürst, „sie erweitern den Gedankenkreis." „Ich kann mir nicht vorstellen, was mein Vater thun würde, wenn seine Gedanken noch vergrößert würden", be­ merkte Giovanni. „Schon jetzt ist alles, was er sich aus­ denkt, koloffal. Er spricht davon für meine Wasserleitung einen Tunnel durchs Gebirge zu machen, als ob's nichts weiter wäre, als mit einem Stock durch ein Stück Papier zu stoßen. „So? Deine Wafferleitung!" rief sein Vater aus. „Ich möchte wohl wiffen, von wem der Gedanke ausging!" „Ich höre, Sie arbeiten selbst wie ein Ingenieur, Don

125 Giovanni," sagte Corona. „Ich lasse in Astrardente Pläne zu neuen Wegen machen, vielleicht könnten Sie uns eines Tages mit Ihrem Rath unterstützen." Eines Tages! Wie süß klangen Giovanni diese Worte, als er der Geliebten gegenüber saß und in der Kühle des Sommerabends durch das üppige Weinland dahinrollte!

Achtes Kapitel. Die Gelegenheit mit Corona allein zu sein, nach der Giovanni sich sehnte, ließ lange auf sich warten. Schwester Gabriele zog sich gleich nach Tisch zurück, und die Herzogin blieb mit den beiden Herren allein. Der alte Saracinesca hätte seinen Sohu gern mit der Hausfrau allein gelaffen, aber das war entschieden unmöglich. Die Sitte der Zeit gestattete es nicht, und die Folge davon war, daß der Fürst den Abend über für zwei ziemlich theilnahmlose Zuhörer Conversation machte. Er versuchte mit Giovanni einen freundschaftlichen Streit anzubinden, aber letzterer war zu zerstreut, um gereizt zu werden, er versuchte, das Interesse der Herzogin zu fesseln, allein sie lächelte nur freundlich und machte von Zeit zu Zeit eine Bemerkung, die sich stets als unzutreffend auszeichnete. Aber der alte Saracinesca war bei guter Laune und hielt sich tapfer bis zehn Uhr; dann gab Corona das Zeichen zum Aufbruch. Sie müßten am nächsten Morgen sehr früh fortsahren, sagte sie, und sie bedürfe der Ruhe. Als die beiden Herren allein waren, wendete sich der Fürst in scherzhaftem Zorn gegen seinen Sohn und warf ihm seine störrische Langweiligkeit vor. Giovanni lächelte nur ganz ruhig und zuckte die Achseln. Es ließ sich nichts weiter darüber sagen.

125 Giovanni," sagte Corona. „Ich lasse in Astrardente Pläne zu neuen Wegen machen, vielleicht könnten Sie uns eines Tages mit Ihrem Rath unterstützen." Eines Tages! Wie süß klangen Giovanni diese Worte, als er der Geliebten gegenüber saß und in der Kühle des Sommerabends durch das üppige Weinland dahinrollte!

Achtes Kapitel. Die Gelegenheit mit Corona allein zu sein, nach der Giovanni sich sehnte, ließ lange auf sich warten. Schwester Gabriele zog sich gleich nach Tisch zurück, und die Herzogin blieb mit den beiden Herren allein. Der alte Saracinesca hätte seinen Sohu gern mit der Hausfrau allein gelaffen, aber das war entschieden unmöglich. Die Sitte der Zeit gestattete es nicht, und die Folge davon war, daß der Fürst den Abend über für zwei ziemlich theilnahmlose Zuhörer Conversation machte. Er versuchte mit Giovanni einen freundschaftlichen Streit anzubinden, aber letzterer war zu zerstreut, um gereizt zu werden, er versuchte, das Interesse der Herzogin zu fesseln, allein sie lächelte nur freundlich und machte von Zeit zu Zeit eine Bemerkung, die sich stets als unzutreffend auszeichnete. Aber der alte Saracinesca war bei guter Laune und hielt sich tapfer bis zehn Uhr; dann gab Corona das Zeichen zum Aufbruch. Sie müßten am nächsten Morgen sehr früh fortsahren, sagte sie, und sie bedürfe der Ruhe. Als die beiden Herren allein waren, wendete sich der Fürst in scherzhaftem Zorn gegen seinen Sohn und warf ihm seine störrische Langweiligkeit vor. Giovanni lächelte nur ganz ruhig und zuckte die Achseln. Es ließ sich nichts weiter darüber sagen.

126 Aber am nächsten Morgen bald nach sechs Uhr hatte Giovanni die hohe Befriedigung Corona neben sich auf dem Vordersitze des Wagens Platz nehmen zu sehen, wäh­ rend sein Vater und Schwester Gabriele hinter ihnen saßen. Die Sonne stand noch nicht über den Bergen, die Gebirgs­ lust war kühl und frisch; das Stampfen der Pferde klang hell und scharf, und ihre Schellen ertönten lustig, als sie ihre kräftigen Hälse schüttelten und ihre kurzen Ohren spitzten, um Giovannis Stimme zu vernehmen. „Haben Sie auch nichts vergeffen, Herzogin?" fragte Giovanni, indem er die Zügel erfaßte. „Nein, nichts, danke. Ich habe unsre Sachen mit Maulthieren aus dem Reitwege vorausgeschickt." Sie lä­ chelte unwillkürlich, als sie an ihr Abenteuer dachte, und sah zur Seite. „Ach ja, auf dem Reitwege," widerholte Giovanni, während er dem Groom einen Wink gab, den Pferden aus dem Wege zu gehen. Einen Augenblick darauf trabten sie munter die gewundene Straße durch das Städtchen Astrardente hinab; die Straßen waren kühl und still, denn die Bauern waren alle schon vor zwei Stunden an die Arbeit gegangen und die Kinder waren noch nicht heraus­ gelaffen. „Ich hatte nie auf die Ehre gehofft, Sie selbst nach Saracinesca fahren zu dürfen. Der Ort ist ziemlich wild in seiner Art," sagte Giovanni. „Sie werden sich nach der Schweiz versetzt glauben können." „Ich möchte lieber in Italien sein", antwortete Corona. „Ich mache mir nichts aus den Alpen. Unsre eignen Berge sind eben so schön und nicht von Touristen heim­ gesucht." „Sie sind heute eine Touristin, und es hat dem Him-

127 mel gefallen, mich zu Ihrem Führer zu machen", versetzte

Giovanni. „Ich werde Ihren Erklärungen der Gegend mit Inter­ esse zuhören." „Das Verhältnitz ist jetzt umgekehrt, nicht wahr? Als wir uns zuletzt sahen, leiteten Sie mich, und ich folgte demüthig Ihren Weisungen. Ich that genau, was Sie mir vorschrieben." „Hätte ich daran gezweifelt, daß Sie thun würden, um was ich bat, so hätte ich garnicht gesprochen," antwortete Corona. „Einerlei aber riethen Sie mir an, was ich nicht ein Mal zu thun versucht habe." „Was war das?" „Sie sagten mir, ich sollte Sie vergessen. Sechs Mo­ nate habe ich unablässig an Sie gedacht und aus diesen Augenblick gehofft. That ich unrecht?" „Natürlich", erwiderte die Herzogin mit leisem Lachen. „Sie hätten in der Zeit mein Dasein vergessen sollen. Es hieß, Sie wären an den Nordpol gegangen, — weshalb änderten Sie Ihren Entschluß? „Ich folgte meinem Leitstern. Er führte mich von Rom nach Saracinesca über Paris. Ich wäre ruhig in Saracinesca geblieben — aber auch Sie änderten Ihre Entschließung. Ich fürchtete schon, Sie würden es niemals thun." „Wie lange gedenken Sie hier im Gebirge zu bleiben?" fragte Corona, um dem Gespräch eine andere Wendung zu geben. „Genau so lange wie Sie in Astrardente bleiben wer­ den", antwortete er. „Sie werden mir doch nicht verbieten, Ihnen nach Rom zu folgen?"

128 „Wie kann ich es verhindern, wenn Sie es thun wollen?" „Wie vordem: durch ein Wort." „Glauben Sie, ich würde das Wort sprechen?" fragte sie. „Ich hoffe nein. Warum sollten Sie mir unnütz Schmerz und Qual bereiten? Damals war es recht, jetzt würde es unrecht sein. Ueberdies kennen Sie mich zu gut, um zu denken, daß ich Sie belästigen oder mich an Sie drängen würde. Ich werde aber ganz so thun, wie Sie wünschen." „Danke", sagte sie ruhig. Aber sie wendete ihm ihr schönes Antlitz zu und sah ihn einen Augenblick sanft, bei­ nahe liebevoll an. Wozu sollte fie zu verbergen suchen, was sich doch nicht verhehlen liefe? Jedes seiner Worte verkün­ dete seine unwandelbare Liebe, obschon seine Rede kurz und einfach war. Weshalb sollte sie ihre Gefühle verhehlen? Sie wufete, es war Bestimmung. Sie liebten sich und sie würde ihn nach Ablauf eines Jahres sicherlich heirathen. Die lange zurückgedrängte Kraft ihrer Natur fing an sich geltend zu machen, sie hatte ihr eigentliches Wesen niedergekämpft, um ihrem alten Gatten alles in allem sein zu können, um ihr wachsendes Interesse an Giovanni zu ersticken, um seinen Liebeserklä­ rungen zu widerstehen, um ihn aus ihrer Trauerzeit zu verbannen; jetzt aber schien es, als wären alle Hinderniffe plötzlich fort. Sie fühlte deutlich, wie sie ihn liebte, und es schien ihr eine Thorheit, das verbergen zu wollen. Als fie so neben ihm safe, war sie so grenzenlos glücklich, wie sie noch nie in ihrem Leben gewesen war; der kühle Mor­ genwind fächelte über ihre Wangen, und der melodische Klang seiner leisen Stimme beruhigte sie, während das köstliche Gefühl schneller Bewegung jedem ihrer Athemzüge

129 neue Lust verlieh. Es kam nicht darauf an, was sie sagte, ihr war, als spräche sie halb unbewußt. Alles schien voy Urzeiten her vorausbestimmt und brauchte nur ausgeführt zu werden. Die Vergangenheit versank allmälig wie eine entschwindende Landschaft. Der müde Wandrer, erschöpft von der Hitze in der Campagna, klimmt langsam den Hügel nach Tivoli empor, zum Hafen kühler Wasser, dann und wann steht er auf dem Weg still und blickt zurück und sieht, wie die öde Strecke wellenförmiger Hügel unter ihm all­ mälig in eine unbestimmte glatte Ebene zu versinken scheint, während in weiter Ferne die mächtigen Kuppeln und Thürme von Rom im warmen Dunst des westlichen Himmels wie eine Luftspiegelung verschwimmen; wenn er dann weiter wandert, spürt er den Hauch von den Bergen her und hört das frische Rauschen des kühlen Wasserfalles, bis endlich, wenn seine Kraft beinahe erschöpft ist, sie sich in ihm erneut, und die Last und Hitze des Tages vergeffen wird über die Fülle der Erquickung. So war es Corona von Astrardente; müde aber nicht gebrochen durch die An­ strengungen und Leiden und Versuchungen der letzten fünf Jahre, fühlte sie sich plötzlich emporgehoben und durch die Gärten eines irdischen Paradieses dahingetragen, wo weder Leid noch Versuchung war, und wo in der frischen Luft eines neuen Lebens die eine geliebte Stimme ihr lauter süße Dinge in ihr willig lauschendes Ohr flüsterte. Als der Weg allmälig anstieg und sich um den Fuß des Berges und aufwärts in gleichmäßigen Abstufungen an seiner Südseite emporwand, stieg die Sonne höher am Himmel und in den Hecken stimmten die Grillen ihren Sommergesang an in den einförmigen langgezogenen Tönen, die dem Ohr des Südländers so süß klingen. Corona aber fühlte nicht die Hitze und spürte nicht den Staub auf Crawford, Saracmesca.

II.

9

130 dem Wege; sie war in einem neuen Zustande, wo solche Dinge sie nicht berühren konnten. Die erste Befangenheit der erneuten Bekanntschaft schwand rasch; sie sprach ver­ traulich mit Giovanni über alles Mögliche, von vergan­ genen Ereignissen und gegenseitigen Bekanntschaften, gab dem Gespräch eine andre Wendung, wenn es sie oder Gio­ vanni zu direct betraf, kam aber doch immer wieder auf das zurück, was so süß und jetzt nicht mehr verbotenes Ge­ biet war. Bei einer Biegung des Weges kamen endlich die trotzigen Thürme von Saracinesca von fern in Sicht, und der Wagen fuhr in einen weiten Kastanienwald, der nach dem sonnigen Anstieg erquickenden Schatten und Kühle bot. Als sie dem Schlöffe nahten, trabten die kräftigen Pferde den letzten Anstieg wild hinan, bis ihre Hufe auf den Quadern der Brücke erdröhnten, und jagten durch den dunklen gewölbten Thorweg, bis sie aus dem Hofe dahinter hielten. Corona war überrascht von der Größe der alten Burg. Sie erschien wie eine endlose unregelmäßige Masse von Thürmen und Gebäuden aus rauhem grauen Stein, von Zinnen und Wällen umgeben, in gutem Stand gehalten, doch jeglichen Schmuckes baar. Noch heutzutage hätte sie eine Festung sein können, und augenscheinlich lebte in ihren Mauern ein Geist der Ordnung und des Gehorsams fort, wie er jeder Kaserne Ehre gemacht haben würde. Die Herrschergewalt des Burgherrn machte sich überall fühlbar, und die Diener thaten schnell und geräuschlos ihre Pflicht. Für Corona hatte dieses Gepräge von Kraft, welches die Burg trug, etwas höchst Anziehendes, und Giovanni war ihr noch nie so männlich und so ganz in seinem Element erschienen, wie im Bereich der grauen Mauern seines Ahnen­ schlosses. Es knüpften sich so viele geschichtliche Erinnerun-

131 gen an den Ort, die beiden Männer, Leo und Giovanni Saracinesca, standen hier neben ihr auf der Stelle, wo ihre Vorfahren desfelben Namens vor fast tausend Jahren ge­ standen hatten, ihre kräftigen braunen Gesichter trugen die­ selben Züge, welche seit Jahrhunderten ihrem Geschlechte eigenthümlich waren, Züge, die den Römern durch unzäh­ lige Statuen und Bilder so bekannt sind wie die Steine von Rom selbst; abgesehen von der Tracht, schien es Co­ rona, als wäre sie plötzlich ins dreizehnte Jahrhundert zurückversetzt. Der Gedanke entzückte sie. Die beiden Her­ ren führten sie die breite Steintreppe empor und brachten sie und Schwester Gabriele in die Prunkgemächer, welche für sie hergerichtet worden waren. „Wir haben unser Bestes gethan," sagte der Fürst, „allein es ist lange her, seit wir in Saracinesca Damen­ besuch empfangen haben." „Es ist prächtig!" rief Corona, als sie das Vorzimmer betrat. Die Wände waren über und über mit unschätzbaren gestickten Tapeten bedeckt und der Boden mit großen orien­ talischen Teppichen belegt. Corona stand still. „Nachher müssen Sie uns das ganze Schloß zeigen", sagte sie. „Giovanni wird Ihnen alles zeigen", versetzte der Fürst. „Wenn es Ihnen genehm ist, wollen wir in einer hal­ ben Stunde frühstücken." Er ging mit seinem Sohn fort und gab den Damen Zeit, sich vor dem Frühstück etwas auszuruhen. Giovanni hielt Wort; er erließ seinen Gästen keinen Raum der weiten Burg, bis die arme Schwester Gabriele endlich nicht mehr konnte. Giovanni hatte darauf gerech­ net, daß sie müde werden würde, und mit der Herzlosigkeit 9*

132 eines Verliebten, der auf einen günstigen Augenblick lauert, den Zeitpunkt ersehnt, da fie zurückbleiben würde. „Sie haben noch nicht die Aussicht vom großen Thurm gesehen, sagte er. „Sie ist prachtvoll und jetzt ist gerade die beste Stunde dafür. Sind Sie müde Herzogin?" „Nein, ich werde niemals müde", antwortete Corona. „Warum wollen Sie nicht mit Giovanni hinaufgehen?" meinte der Fürst. „Ich werde hier bei Schwester Gabriele bleiben, die gewiß schon ganz erschöpft vom Besehen unserer Herrlichkeiten ist." Corolla zögerte. Der Gedanke, eine Viertelstunde mit Giovanni allein zu sein, war entzückend, aber es schien ihr eigentlich nicht ganz paffend, mit ihm allein im Schlöffe umherzuwandern. Andrerseits Hütte eine Weigerung fast wie Ziererei ausgesehen; sie war ja nicht in Rom, wo jede ihrer Handlungen der Beurtheilung ausgesetzt war; über­ dies war fie nicht nur eine verheirathete Frau, sondern eine Wittwe, fie kannte Giovanni seit Jahren, es wäre lächerlich gewesen, es abzuschlagen. „Nun gut," sagte fie, „wir wollen die Ausficht sehen, ehe es zu spät wird." Schwester Gabriele und der alte Saracinesca setzten fich auf eine Steinbank auf dem Wall um zu warten, und die Herzogin verschwand mit Giovanni durch die niedrige Thür, welche zum großen Thurm führte. „Was für eine wunderbare Frau Sie find!" rief Gio­ vanni aus, als fie das obere Ende der Wendeltreppe er­ reichten, die freilich breiter war als die Treppe in manchem großen römischen Hause. „Sie scheinen nie müde zu werden." „Nein, ich bin sehr kräftig", antwortete Corona lächelnd. Sie war nicht ein Mal außer Athem. „Was für eine

133 wundervolle Aussicht!" rief sie, als sie auf das flache steinerne Dach des Thurmes hinaustraten. Giovanni schwieg einen Augenblick. Die beiden standen bei einander und blickten weit hinaus gen Osten nach den purpurschimmern­ den Bergen, welche die letzten Strahlen der Sonne hoch über den Schatten des Thales auffingen; und als sie dann hinabschauten, erblickten fie den Fürsten und Schwester Gabriele hundert Fuß unter sich auf dem Wall. Beide dachten daffelbe, noch vor drei Tagen war ihr Wiedersehen unendlich fern erschienen, wie ein Wunsch, ein Traum, — und nun standen sie allein auf dem höchsten Thurm von Giovannis Schloß, vertraut mit einander durch den Verkehr eines langen Tages, mit dem Gefühl, als wären sie nur getrennt gewesen, und als könnten sie sicher­ lich nie wieder getrennt werden. „Es ist seltsam," sagte Giovanni, „wie es in der Welt zugeht, und wie wenig wir wiffen, was uns bevor­ steht. Vergangene Woche fragte ich mich noch, ob ich Sie je Wiedersehen würde; jetzt kann ich mir nicht vorstellen, daß ich Sie nicht mehr sehen sollte. Ist es nicht seltsam?" „Ja," antwortete Corona leise. „Daß wir gestern durch eineu nübersteigliche Schranke getrennt schienen und heute" — er hielt inne. „O wenn das Heute nur ewig währen könnte!" rief er plötzlich aus. Corona schaute schweigend nach den Purpurhügeln, aber ihr Gesicht erstrahlte im Abglanz des fernen Gluth­ schimmers, und ihre dunklen Augen hatten einen eigenthüm­ lichen Glanz. Sie hätte ihm nicht wehren können zu sprechen, sie hatte die Bande gelöst, welche ihr Leben so lange gefesselt hatten; der Anker war gelichtet, und der Hauch der Liebe schwellte die Segel und trug das Schiff­ lein, auf das sie traute, seewärts über das klare Wasser.

134 Als sie ihn wiedersah, hatte sie sich ihm ergeben und selbst wenn sie es gewollt hätte, konnte sie nicht ihre eigne Herrin werden. Es war war zu bald gekommen, aber es war süß. „Und warum nicht?" sagte er ganz leise. „Warum sollte es nicht immer so bleiben, bis zu unserm letzten Athem­ zuge? Warum wollen Sie cs nicht immer so bleiben lassen?" Noch immer schwieg sie; aber Thränen traten ihr in die Augen und quollen über und lagen aus ihren Sammtwangen wie Thautropfen auf den Blättern einer zarten dunkeln Tulpe; Giovanni sah sie und wußte, daß es die Juwelen waren, die seines Lebens Krone schmücken sollten. „Sie wollen es", sagte er und legte seine breite braune Hand sanft über ihre feinen Finger und hielt sie fest. „Sie wollen es, ich weiß, daß sie es wollen." Sie sagte nichts, und obschon sie zuerst eine leise Be­ wegung, nicht des Widerstrebens, doch scheuen Zagens — ganz ihr unähnlich — machte, überließ sie ihm ihre Hand. Er zog sie näher an sich, schüchterner im Augenblicke des Erfolges, als er je gewesen, wenn er Zurückweisung erwartete; sie war so ganz anders als alle Frauen, die er je ge­ kannt. Ganz sanft legte er den Arm um sie und zog sie an sich. „Meine Geliebte, endlich!" flüsterte er, als ihr Haupt auf seine Schulter sank. Da richtete sie sich plötzlich zu ihrer vollen Höhe auf und sah ihn einen Augenblick an. Ihr ganzes Wesen war verwandelt durch die Gewalt ihrer Leidenschaft: ihr dunkles Antlitz war leuchtend blaß geworden, ihre Lippen waren fast weiß und aus ihren Augen blitzte Feuer. Einen Augen­ blick sah sie ihn an, dann schlang sie die Arme um seinen Hals und drückte ihn heftig an sich.

135 „Ach, Giovanni," rief sir leidenschaftlich, „Sie wissen nicht, was Liebe ist!" Einen Augenblick darauf sanken ihre Arme herab; sie wendete sich ab und barg ihr Gesicht in den Händen, indem sie sich an die hohe steinerne Brustwehr des Thur­ mes lehnte. Sie weinte nicht, aber ihr Gesicht war bleich und ihr Busen hob sich in raschen heftigen Athem­

zügen. Giovanni trat zu ihr und faßte sie in seinen starken Arm; wiederum ruhte ihr Haupt an seiner Schulter. „Es ist zu bald — zu bald," murmelte sie. „Aber wie kann ich anders! Ich liebe Dich so sehr, daß ich mit der Zeit nicht rechnen kann." „Es dünken mich Jahre, seit wir uns gestern wieder­ sahen, und ich dachte, es müßten Jahre vergehen, ehe ich es Dir sagte. O Giovanni! ich bin so glücklich! Ist es möglich, daß Du mich so liebst, wie ich Dich liebe?" Es ist wunderbar, wie bald zwei Wesen, die sich lieben, die holde Vertraulichkeit lernen, welche nur die Liebe geben kann. Wenige Minuten später gingen Corona und Gio­ vanni langsam auf dem flachen Dache auf und ab, er hatte den Arm um sie geschlungen, und ihre Hand ruhte in der seinen. „Weißt Du auch," sagte sie, „ich zerbrach mir den Kopf darüber, ob Du wohl Dein Wort halten und nie suchen würdest mich zu sehen. Die Tage in Astrardente waren so lang!" „Nicht halb so lang wie in Saracinesca", versetzte er. „Ich wollte meine Wasserleitung die Seufzerbrücke nennen. Jetzt will ich sie Liebesquelle taufen." „Ich muß sie morgen besehen gehen", sagte sie. „Oder übermorgen" —

136 „Uebermorgen!" rief sie mit fröhlichem Lachen. „Denkst Du beim, ich werde hier bleiben? — „Für immer!" fiel Giovanni ein. „Du weißt, wir haben hier einen Priester; der kann uns morgen trauen und dann brauchst Du nie mehr fortzugehen." Coronas Antlitz wurde ernst. „Davon müssen wir noch nicht sprechen", sagte sie sanft, „selbst nicht im Scherz." „Nein, Du hast recht, vergieb mir", antwortete er. „Ich vergeffe so manches; mir scheint, ich habe alles verfleflen, nur nicht, daß ich Dich liebe." „Giovanni," sagte sie, den Namen langsam und liebe­ voll aussprechend, „Giovanni, wir müssen es gleich Deinem Vater sagen." „Willst Du, daß ich es thue?" fragte er schnell. „Natürlich, er muß es wissen, und Schwester Gabriele ebenfalls. Aber außer ihnen kein Andrer! In Rom muß nicht darüber gesprochen werden bis — bis zum nächsten Jahre." „Wir wollen bis dahin auf dem Laude bleiben, nicht wahr?" fragte Giovanni dringend. „Es scheint mir am besten. Hier können wir uns sehen, ohne daß Jemand darüber redet. Ich werde unten im Städtchen Astrardente wohnen und den Ingenieur spielen und für Dich Wege bauen." „Ich weiß nicht recht", sagte Corona zweifelnd lächelnd. „Das könntest Du doch nicht. Aber Du kannst vielleicht ein Mal in der Woche auf einen Tag herüberkommen." „Das wird sich alles finden", sagte Giovanni lachend. „Wenn Du glaubst, daß ich leben kann und Dich nur ein Mal jede Woche sehen, nun, dann kennst Du mich noch nicht."

137 „Wir werden sehen", sagte Corona, ebenfalls lachend. „Aber wie lange sind wir eigentlich schon hier oben?" „Ich weiß nicht", sagte Giovanni, „aber die Aussicht ist prachtvoll, nicht wahr?" „Entzückend!" erwiderte sie und sah ihm in die Augen. Dann stieg ihr plötzlich das Blut in die Wangen. „O Giovanni!" sagte sie, „wie konnte ich es thun?" „Ich wäre gestorben, wenn Du es nicht gethan hättest," antwortete er und schloß sie wieder in die Arme. „Komm," sagte sie, „wir wollen hinuntergehen, es wird spät." Als sie am Fuße des Thurmes ankamen, sanden sic den Fürsten allein auf dem Wall auf- und ab­ gehend. Schwester Gabriele scheute die Abendluft und hatte sich ins Haus zurückgezogen. Der alte Saracinesca trat ihnen plötzlich entgegen. Er sah aus wie ein alter Löwe; sein dichtes weißes Haar und sein Bart sträubten sich um sein dunkles Gesicht. „Vater," sagte Giovanni vortretend, „die Herzogin von Astrardente hat eingewilligt, meine Gattin zu werden. Ich bitte um Deinen Segen." Der alte Mann fuhr zusammen und stand dann stock­ still. Sein Sohn hatte ihn erschreckt, denn er hatte diese Kunde erst in drei bis vier Monaten erwartet. Dann trat er auf Corona zu, ergriff ihre Hand und küßte sie. „Herzogin," sagte er, „Sie haben meinem Sohn eine Ehre erwiesen, welche sich auf mich und auf alle Saracinescas, verstorbene, lebende und zukünftige erstreckt." Dann legte er Coronas Hand in Giovannis und seine eigne auf beide. „Gott segne Euch!" sprach er feierlich, und als Corona ihr stolzes Haupt neigte, berührte er ihre Stirn mit den Lippen; dann umarmte er Giovanni und feine Freude brach in lauten Jubel aus.

138 „Ha, meine Kinder!" rief er, „solch ein Paar wie ihr ist seit Menschenaltern nicht dagewesen! Solche frohe Kunde ist in diesen alten Mauern nicht gemeldet worden, seit sie hier stehen. Wir wollen das Schloß, ja die ganze Stadt, euch zu Ehren illuminiren, — wir wollen die Glocken läuten und ein Te Deum fingen lassen — wir wollen Feste feiern, wie sie noch keiner gesehen hat — wir wollen morgen nach Rom fahren und die Hochzeit feiern — wir wollen" — „Still, Padre mio," unterbrach ihn Giovanni, „noch muß Niemand etwas davon wiffen. Du mußt bedenken" — „Was bedenken? Die Hochzeit bedenken? Na, natür­ lich werden wir sobald daran denken, wie ihr wollt. Ihr sollt eine Hochzeit haben, wie man noch nie eine ähnliche erlebt hat — ihr sollt vom Cardinal Erzpriester in der Peterskirche, oder gar vom Heiligen Vater selbst getraut werden. Das ganze Land soll vom Jubel widerschallen." — Nur schwer gelang es Giovanni die Aufregung seines Vaters zu beschwichtigen und ihn an Umstände zu erinnern, welche es nöthig machten, die Verlobung fürs Erste geheim zu halten. Endlich gab der alte Herr, wenn auch ungern, nach und gerieth wieder in eine ruhigere Stimmung. Eine Weile gingen die drei noch auf dem Walle hin und her. „Dies ist geradezu eine Grausamkeit gegen einen Men­ schen von meinem Temperament," sagte der Fürst, „von mir zu erwarten, daß ich mich wie ein gewöhnliches Ge­ schöpf betragen und lächeln und grinsen und leise austreten soll, wenn ich eben gehört habe, was ich seit Jahren ersehnte. Aber dafür will ich später auch Lärm genug machen. Ich will mir Pläne für eure Hochzeit ausdenken und von nichts als Illuminationen und Decorationen träumen. Du sollst Fürst von Sant Ilario werden, Giovanni, wie ich es war, ehe mein Vater starb; und ich will Dir das fürstliche Gut

139 sofort abtreten und den Palast am Corso zum Wohnsitz geben." „Vielleicht könnten wir in meinem Palast wohnen", meinte Corona. Es kam ihr sonderbar vor, über ihre Verheirathung zu sprechen, allein dem alten Fürsten zu Gefallen mußte es geschehen. „Natürlich", sagte er. „Das hatte ich ganz vergessen. Ihr habt genug Paläste zu bewohnen. Ich vergaß, daß ihr schließlich das reichste Paar in Italien sein werdet. Ha!" rief er in plötzlicher Begeisterung aus, „die Saracinescas find noch nicht todt! Sie sind größer denn je, und unsere Besitzungen liegen so nahe an einander. Wir wollen eine neue Straße nach Astrardente anlegen, und wenn ihr verheirathet seid, sollt ihr zuerst von dort aus hierher fahren. Wir wollen alles Mögliche thun — wir wollen einen Tunnel durch den Berg machen." „Ich bin überzeugt, Du wirst das doch noch thun," sagte Giovanni lachend. „Nun — jetzt wollen wir zu Tische gehen", versetzte sein Vater. „Während unsers Redens ist es ganz dunkel geworden, und wir werden über den Abhang fallen, wenn wir nicht vorsichtig sind." „Ich will zur Schwester Gabriele gehen und es ihr noch vor Tische mittheilen", sagte Corona. So begleiteten sie sie bis zur Thür ihrer Gemächer und sie ging hinein. Sie fand die Schwester in einem der inneren Zimmer mit einem Andachtsbuch in der Hand. „Beten Sie für mich, liebe Schwester", sagte sie ruhig. „Ich habe mich für einen wichtigen Schritt' entschieden. Ich will mich wieder verheirathen." Schwester Gabriele sah sie an und ein sanftes Lächeln überflog ihr Gesicht.

140 „Es ist sehr bald, meine Freundin," sagte sie, „sehr bald, daran zu denken. Aber vielleicht haben Sie recht. — Ist es der junge Fürst?" „Za", antwortete Corona und sank in einem tiefen gestickten Lehnstuhl. „Ich weiß recht gut, daß es sehr bald ist. Und doch ist es sehr lange — ich habe hart gerungen — ich liebe ihn so sehr, wie Sie es sich gar nicht denken können." Die Schwester seufzte leise, trat zu ihr und faßte sie bei der Hand. „Es ist recht, daß Sie heirathen," sagte sie leise. „Sie find zu jung, zu wunderschön, zu reich be­ gabt, um ein Leben zu führen, wie Sie es in all diesen Monaten auf Astrardente geführt haben." „Das ist es nicht", sagte Corona, und ein Ausdruck von wundersamer Schönheit erhellte ihr herrliches Antlitz. „Nicht weil ich jung und schön bin, wie Sie sagen, wenn dem so ist — noch weil mir Reichthum verliehen ist, — all diese Gründe gelten nichts. Aber dieses sagt es mir," flüsterte sie, die Hand aufs Herz legend, „wenn man so liebt, wie ich liebe, so ist es recht." „Gewiß", stimmte die gute Schwester bei. „Und ich denke, Sie haben gut gewählt. Wann werden Sie sich verheirathen?" „Wohl kaum vor nächstem Sommer" — ich kann noch kaum im Zusammenhang denken — es ist so plötzlich ge­ kommen. Ich wußte, ich würde ihn endlich heirathen, aber ich dachte nie daran, daß ich so schnell einwilligen würde. O, Schwester Gabriele, Sie sind so gut — haben Sie nie geliebt?" Die Schwester schwieg und sah zur Seite. „Nun, natürlich Sie könnten es mir nicht sagen," fuhr Corona fort, „aber es ist so etwas Wunderbares. Die

141 Liebe macht, daß uns Tage dünken wie Jahrhunderte, oder sie vergehen wie der Blitz, in einer Sekunde; sie verwirrt alle Begriffe von Zeit und spielt mit unsern Entschlüffen wie der Wind mit einer Feder. Wenn sie uns erst be­ zwungen hat, so drängt sie eine Lebenszeit Schmerz und Freude in einen Tag zusammen, sie verläßt uns keinen Augenblick. Ich kann die Liebe nicht erklären — sie ist etwas Wunderbares." „Meine liebe Freundin," sagte Schwester Gabriele, „die Erklärung der Liebe ist das Leben." „Aber ihr Ende ist nicht der Tod. Es kann nicht sein," sagte Corona inbrünstig. „Sie muß immer und ewig währen. Sie muß besser und reiner und stärker wer­ den, bis sie endlich im Himmel vollkommen wird. Aber was hilft es solche Dinge aussprechen zu wollen?" „Ich denke, es ist genug, sie zu fühlen," sagte Schwester Gabriele.

Neuntes Kapitel.

Der Sommer ging bald in den Herbst über, und auf den Herbst folgte der Winter und Rom füllte sich von neuem. Oft drehte sich in der Gesellschaft des Gespräch um die Wahrscheinlichkeit einer Verbindung zwischen der Herzogin von Astrardente und Don Giovanni Saracinesca und als endlich drei Wochen vor der Fastenzeit die Ver­ lobung bekannt ward, fand sie von allen Seiten Beifall. Es schien als ob die wichtige Frage über Coronas Leben, welche die Schwätzer jahrelang aufgeregt hatte, nun end­ lich erledigt wäre. Alle hatten ihre Ehe mit dem alten Astrardente als etwas Verübergehendes angesehen, da er

141 Liebe macht, daß uns Tage dünken wie Jahrhunderte, oder sie vergehen wie der Blitz, in einer Sekunde; sie verwirrt alle Begriffe von Zeit und spielt mit unsern Entschlüffen wie der Wind mit einer Feder. Wenn sie uns erst be­ zwungen hat, so drängt sie eine Lebenszeit Schmerz und Freude in einen Tag zusammen, sie verläßt uns keinen Augenblick. Ich kann die Liebe nicht erklären — sie ist etwas Wunderbares." „Meine liebe Freundin," sagte Schwester Gabriele, „die Erklärung der Liebe ist das Leben." „Aber ihr Ende ist nicht der Tod. Es kann nicht sein," sagte Corona inbrünstig. „Sie muß immer und ewig währen. Sie muß besser und reiner und stärker wer­ den, bis sie endlich im Himmel vollkommen wird. Aber was hilft es solche Dinge aussprechen zu wollen?" „Ich denke, es ist genug, sie zu fühlen," sagte Schwester Gabriele.

Neuntes Kapitel.

Der Sommer ging bald in den Herbst über, und auf den Herbst folgte der Winter und Rom füllte sich von neuem. Oft drehte sich in der Gesellschaft des Gespräch um die Wahrscheinlichkeit einer Verbindung zwischen der Herzogin von Astrardente und Don Giovanni Saracinesca und als endlich drei Wochen vor der Fastenzeit die Ver­ lobung bekannt ward, fand sie von allen Seiten Beifall. Es schien als ob die wichtige Frage über Coronas Leben, welche die Schwätzer jahrelang aufgeregt hatte, nun end­ lich erledigt wäre. Alle hatten ihre Ehe mit dem alten Astrardente als etwas Verübergehendes angesehen, da er

142 ja doch nicht lange leben konnte, und die Frage über ihre Zukunst war bei seinen Lebzeiten saft eben so häufig erörtert worden wie nach seinem Tode. Eine der angenehmsten Pflichten für die Gesellschaft, deren gewiffenhaste Erfüllung fie nie verabsäumt, ist die Art von scharfsinniger Astro­ logie, womit fie ihres Nächsten Zukunft voraussagt. Eines Jeden sociales Horoskop muß von den um fünf Uhr thee­ trinkenden Social-Astrologen gestellt werden, und im All­ gemeinen fallen ihre Weissagungen nicht weit von der Wahrheit ab, denn die Gesellschaft kennet ihre eigene Bitter­ keit und ist merkwürdig scharfsinnig bei der Diagnose ihres Zustandes. Als verkündet wurde, daß Corona bald nach Ostern Giovanni heirathen würde, sah die Gesellschaft zu und fand es alles sehr gut. Keine abweichende Stimme ließ sich in dem allgemeinen Beifall vernehmen. Corona hatte sich während ihres Trauerjahres mit musterhaftem Anstande benommen, sie hatte auf ihren Gütern, nur mit einer barm­ herzigen Schwester ein frommes zurückgezogenes Leben geführt und nicht die geringste Beranlaffung zu übler Nachrede gegeben. Alle hatten sich bemüht ihr zu gefallen oder von ihr beachtet zu werden; allein mit einer einzigen Ausnahme hatte sie bei ihrer Gleichgültigkeit keine Eifersucht noch Empfindlichkeit erregt, denn Niemand hatte von ihr ein böses Wort gegen irgend einen ihrer Bekanntschaft gehört. Donna Tuüia hatte ihre eigenen Beweggründe, Corona zu Haffen, und vielleicht beargwöhnte sie die Welt, allein von der lauten Donna Tullia mit ihrer Lebendigkeit und ihrem lustigen albernen Gerede erwartete man keinen ernstgeneinten Haß, noch viel weniger die Ausführung eines Racheplans. Madame Mayer hatte freilich nicht den Sommer und

143 Herbst bloß damit zugebracht, ihre Wuth gegen Corona zu nähren. Sie war mit ihrer alten Gräfin herumgereist und mehrmals war Del Ferice an den Badeorten aufgetaucht, welche sie zeitweilig zum Aufenthalt erkoren hatte. Er brachte ihr von Zeit zu Zeit Nachricht von gemeinschaft­ lichen Freunden, welche sie gewissenhaft mit Berichten der neuesten Klatschgeschichten vergalt. Sie waren ein Paar glerchgesinnte Seelen, und Hugo merkte, daß er durch seine beständige Beachtung ihrer Wünsche und durch ihre stete Bereitwilligkeit, seine Dienste anzunehmen, mit ihr auf einen Fuß von Vertraulichkeit getreten war, der ihm im nächsten Winter einen entschiedenen Vortheil über alle an­ dern Mitbewerber geben würde. Sie glaubte, sie hätte mindestens schon sechs Mal heirathen und bei ihrem Ver­ mögen eine glänzende Partie machen können; aber ihre Nei­ gung zu Giovanni und die Hoffnungen, welche sie sich so lange aus ihn gemacht, hatten sie verhindert, irgend einen Andern besonders zu bevorzugen. Durch seine große Schlau­ heit war es Del Ferice gelungen, sich ihr unentbehrlich zu machen, und dieser Erfolg war um so merkwürdiger als er trotz seiner Gaben und seiner allgemeinen Beliebtheit als Heirathskandidat durchaus der am wenigsten wünschenswerthe von ihren Bekannten war. Als aber Donna Tullia Giovanni wieder in Gesell­ schaften traf, erweckte die Erinnerung an die erlittenen Kränkungen von neuem ihren Zorn gegen ihn, und die Nachricht von seiner Verlobung mit der Astrardente brachte die Sache aus ihren Höhepunkt. In der Aufregung des Augenblicks wurden ihr Zorn und ihre Eifersucht durch das Licht gerechten Unwillens erleuchtet. Sie wußte, oder ver­ meinte zu wiffen, daß Giovanni bereits verheirathet wäre. Sie hatte keinen Beweis, daß die im Trauschein erwähnte

144 Bauerfrau noch am Leben wäre, aber es lag auch kein Be­ weis für ihren Tod vor. Selbst in letzterm Falle war es empörend, daß er Corona heirathen wollte, ohne ihr etwas von seiner Vergangenheit zu sagen, und Donna Tullia war bei sich überzeugt, daß er das nicht gethan hatte. Die Herzogin war eine so stolze Frau, daß ste vor dem Ge­ danken zurückgeschreckt wäre, sich mit einem Mann zu ver­ binden, der zuvor der Gatte einer Bäuerin gewesen. Madame Mayer dachte qn ihr Del Ferice gegebenes feierliches Versprechen und wagte nicht, ohne seine Einwil­ ligung zu handeln. Eine Stunde, nachdem sie die Ver­ lobung erfahren hatte, liefe sie ihn sofort zu sich bitten. Zu ihrer Ueberxaschung und Bestürzung brachte der Diener den Bescheid zurück, daß er plötzlich in dringenden Geschäf­ ten nach Neapel gereist sei. Diese Nachricht machte sie stutzen; während der Diener zu Del Ferice gegangen war, hatte sich Donna Tullia schon den ganzen Austritt vorgestellt und ausgemalt, der stattfinden mußte, wenn sie Corona das Geheimniß mittheilte. Donna Tullia war eine sehr lebhafte Frau, und der Gedanke sich endlich für alle Kränkungen rächen zu können, regte sie dermaßen aus, dafe sie in ihrem Salou auf und abging, während sie die 3tfid= kehr des Dieners erwartete und sich dabei alle Umstände der herannahenden Krisis lebendig vorstellte, das Blut in ihren Schläfen pochte hefttg und sie verlor alle Besonnen­ heit in der köstlichen Erwartung eines heftigen Wortwechsels. Del Ferice hatte mit grausamer Ueberlegung ihrem Tem­ perament Rechnung getragen und gehofft, daß sie in augen­ blicklicher Aufregung den Kopf verlieren würde, so daß sie sich durch Verrath des Geheimnifies unwiderruflich in seine Hände geben würde. Genau so geschah es. Kaum hörte sie, daß er nicht in Rom sei, so konnte sie sich nicht länger

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halten unö rasch entschlossen, lieber alles blindlings aufs Spiel zu setzen, als das Vergnügen und die Aufregung, welche sie sich ausgemalt hatte, zu verlieren, bestellte sie den Wagen und fuhr nach dem Palast Astrardente. Corona war überrascht über diesen unerwarteten Be­ such. Sie war selbst im Begriff auszugehen und stand in ihrem Boudoir vor dem Feuer, ihre schwarzen Handschuhe anziehend, während ihre Pelzhüllen auf einem Stuhl da­ neben lagen. Sie wunderte sich, weshalb Donna Tullia käme, und wurde zum Theil von Neugier bewogen, sie vorzulaffen. Donna Tullia trat rasch ins Zimmer, bis an die Zähne bewaffnet mit der fürchterlichen Neuigkeit, die sie enthüllen wollte, und blieb mit halbtragischer Miene vor der Herzogin stehen, worüber Corona sich sehr verwunderte. „Wie gehts, Donna Tullia?" sagte sie, ihr die Hand reichend. „Ich komme, um mit Ihnen über eine sehr ernste Sache zu sprechen," antwortete die Besucherin, ohne den Gruß zu beachten. Corona starrte sie einen Augenblick an, da sie aber nicht leicht aus der Fassung zu bringen war, lud sie Donna Tullia ein, Platz zu nehmen, und setzte sich selbst in einen Stuhl ihr gegenüber. „Ich habe soeben gehört, daß Sie Don Giovanni Saracinesca heirathen wollen," sagte Madame Mayer. „Sie werden das Interesse entschuldigen, welches ich an Ihnen nehme; ist es wirklich wahr?" „Vollkommen wahr", versetzte Corona. „Zn Bezug auf ihre Verheirathung wollte ich mit Ihnen sprechen, Herzogin. Ich flehe Sie an, Ihren Ent­ schluß nochmals zu überlegen." „Und weshalb, wenn ich bitten darf?" fragte Corona Crawford, Saractneica. 11. 10

146 und zog ihre schwarzen Augenbrauen empor, während sie einen Blick auf ihren Gast heftete. „Ich könnte es Ihnen sagen — ich möchte aber lieber nicht", — antwortete Donna Tullia unerschrocken, denn ihr Blut war in Wallung. „Ich könnte Ihnen sagen — aber bitte, fragen Sie mich nicht! Nur überlegen Sie die Sache noch ein Mal, sie ist sehr ernst. Nichts als das große In­ teresse, welches ich an Ihnen nehme, und meine Ueber­ zeugung" — „Donna Tullia, Ihr Benehmen ist so ungewöhnlich," fiel Corona ein, indem fie sie forschend ansah, „daß ich versucht bin, Sie für toll zu halten. Ich muß Sie bitten zu erklären, was Ihre Worte bedeuten." „Ach nein", versetzte Madame Mayer. „Sie thun mir unrecht, ich bin nicht von Sinnen, ich möchte Sie nur vor einer ganz furchtbaren Gefahr retten." „Wiederum frage ich: was meinen Sie? Ich lasse nicht so mit mir spielen", sagte die Herzogin, die noch viel böser geworden, wenn sie nicht so maßlos erstaunt ge­ wesen wäre; indeffen stieg doch in ihr rasch der Zorn empor. „Ich spiele nicht mit Ihnen," entgegnete Donna Tullia, „ich flehe Sie an, wohl zu überlegen, ehe Sie handeln, ehe Sie Don Giovanni heirathen. Sie können nicht annehmen, daß ich es wagen würde, Sie zu belästigen, wenn ich nicht die dringendsten Gründe dafür hätte. Es ist mein voller Ernst." „Dann in des Himmels Namen, sprechen Sie deutlich!" rief Corona die Geduld verlierend. „Wenn Sie mich war­ nen wollen, so nehme ich an, daß Sie irgend einen Grund dafür — eine Anklage gegen Don Giovanni vorzubringen haben. Haben Sie die Güte, mir mitzutheilen, was Sie zu sagen haben, und fassen Sie sich kurz."

147 „Das will ich", sagte Donna Tullia und hielt dann einen Augenblick inne; ihr Gesicht wurde ganz roth vor Aufregung und ihre blauen Augen funkelten unheimlich. „Sie können Don Giovanni nicht heirathen/' sagte sie, „weil dem ein unüberwindliches Hinderniß im Wege steht." „Was denn?" fragte Corona, ihren Zorn beherrschend. „Er ist schon verheirathet!" zischte Donna Tullia. Corona erbleichte ein wenig und fuhr zusammen; aber ihre Farbe kehrte im Augenblick zurück und sie brach in ein leises Lachen aus. „Sie sind sicherlich von Sinnen", sagte sie, indem sie Madame Mayer argwöhnisch ansah. Es war nichts Leichtes, ihren Glauben an den Mann, den sie liebte, zu erschüttern. Donna Tullia war enttäuscht über den von ihr gemachten Eindruck. Sie war aus ihre Art eine kluge Frau, allein sie wußte nicht die Sachlage richtig zu benutzen. Sie sah, daß sie bloß ein Gegenstand der Verwunderung war, und daß l5orona alles Ernstes an eine geistige Störung bei ihr glaubte. Das erschreckte sie und um sich Herauszuhelsen, stürzte sie sich noch tiefer hinein. „Sie können mich toll nennen, wenn es Ihnen be­ liebt,' sagte sie ärgerlich, „aber ich sage Ihnen, es ist wahr Don Giovanni wurde am 19. Kuni 1863 in Aquila in dm Abruzzen mit einem Mädchen Namens Felice Baldi getrart. Das Kirchenregister ist vorhanden, und auch eine Abschrift des Trauscheins. Ach habe die vom Notar beglauligten Abschriften gesehen. Ich sage Ihnen, es ist wahr," fuhr sie mit schriller Stimme fort, „Sie sind mit einem Mame verlobt, der schon eine Frau hat, — ein Bauern­

weib, irgendwo im Gebirge." Zorona stand auf und griff nach dem Glockenzuge. Sie war bleich, aber nicht aufgeregt. Sie hielt Donna 10*

148 Tullia für wahnsinnig, vieüeicht für gefährlich, und wollte sich vor ihr fchützen, indem sie Hülfe herbeirief. „Entweder sind Sie wahnsinnig oder Sie meinen wirk­ lich, was Sie fügen," sagte sie, indem sie die Augen aus das zornige Weib ihr gegenüber geheftet hielt. „Sie wer­ den dieses Haus nicht anders als in Begleitung meines Arztes verlassen, wenn Sie wahnsinnig sind; und wenn Sie im Ernst das meinen, was Sie sagen, sollen Sie nicht fortgehen, ehe Sie Ihre Worte vor Don Giovanni Saracinesca selbst wiederholt haben. Nein, springen Sie nicht auf, versuchen Sie nicht zu entfliehen. Es hilft Ihnen nichts. Ich bin sehr schnell entschloffen und heftig. Nehmen Sie sich in Acht!" Donna Tullia biß sich auf die rothen Lippen. Es fing ihr an klar zu werden, daß sie sich in eine Verlegenheit gebracht hatte, aus der sie nicht so leicht wieder heraus­ konnte. Aber sie fühlte sich gewaffnet und wünschte nur, sie hätte die Beweise für ihre Behauptungen bei sich. Sie war so sanguinischer Natur, daß sie willens war, den Kampf durchzuführen, und es auf den Ausgang ankommen zu lassen. „Sie können Don Giovanni holen lassen, wenn Sie wollen," sagte sie. „Ich habe die Wahrheit gesprochen — wenn er leugnet, kann ich sie beweisen. Wäre ich an Ihrer Stelle, so würde ich ihm die Demüthigung ersparen" — Ein Diener trat auf das Klingeln ins Zimmer und Corona fiel Donna Tullia ins Wort, indem sie ihm ihre Befehle ertheilte. „Gehen Sie augenblicklich nach dem Palast Saracinesca, und bitten Sie Don Giovanni, sofort mit seinem Vater, dem Fürsten, herzukommen. Nehmen Sie den Wagen, er steht an der Thür." —

149 Der Diener verschwand, und Corona setzte sich ruhig wieder. Donna Tullia schwieg einige Augenblicke, und ver­ suchte durch angenommene Würde ihren Zorn zu bekämpfen; bald aber brach sie von neuem los, gereizt und beunruhigt durch das ruhige Wesen und die scheinbare Gleichgültigkeit der Herzogin. „Ich begreife nicht, wie Sie sich einer solchen Scene aussetzen können," sagte Madame Mayer. „Es war mein aufrichtiger Wunsch, Sie aus einer schrecklichen Gefahr zu retten. Es fcheint mir vollkommen genügend, wenn ich Ihnen dre Thatsache unwiderleglich beweisen kann. Ich dachte, anstatt böse auf mich zu sein, würden Sie mir danken." „Ich bin nicht böse", antwortete Corona ruhig. „Ich will Ihnen nur sofort Gelegenheit geben, Ihre Behauptung und Ihre Zurechnungsfähigkeit zu beweisen." „Meine Zurechnungsfähigkeit'" ries Donna Tullia empört. „Glauben Sie denn im Ernst" — „Nichts von dem, was Sie sagen," vollendete Corona ihren Satz. Madame Mayer konnte es nicht länger aus­ halten, sie sprang auf und ging mit kurzen heftigen Schritten zornig auf und ab. „Sie werden sehen," sagte sie wüthend, „Sie werden sehen, daß es alles wahr ist. Sie werden sein Gesicht sehen, wenn ich ihn anklage, Sie werden ihn gedemüthigt, vernichtet, in seiner Schurkerei bloßgestellt sehen, — den Elenden! Sie werden sehen, wie" — Coronas laute Stimme unterbrach die Schmähungen ihrer Feindin. „Schweigen Sie", rief sie. „In zwanzig Minuten wird er hier sein. Wenn Sie aber vorher noch ein Wort gegen ihn sagen, schließe ich Sie in dieses Zimmer ein und lasse Sie allein. Ich will Sie auf keinen Fall länger anhören."

150 Donna Tullia überlegte, daß die Herzogin in ihrem eigenen Hause wäre und überdies keine Frau, mit der sich scherzen ließ. Sie warf sich auf einen Sessel, ergriff ein Buch, das auf dem Tische lag und that, als ob sie läse. Corona blieb am Kamin sitzen und warf von Zeit zu Zeit einen Blick auf sie. Eigentlich fühlte sie sich versucht über die ganze Geschichte zu lachen, die ihr äußerst abge­ schmackt vorkam, — denn es kam ihr garnicht in den Sinn, daß an der Anklage gegen Giovanni ein wahres Wort sein könnte. Trotzdem konnte sie sich Donna Tullias Sicherheit garnicht erklären und am wenigsten ihre Bereitwilligkeit, dem von ihr also Verleumdeten entgegenzutreten. Eine Viertelstunde verging so in diesem gespannten Schweigen — die beiden Frauen sahen einander von Zeit zu Zeit an, bis das Rollen der Räder unter dem großen Thorweg an­ kündigte, daß der Bote aus dem Palaste Saracinesca zurück­ gekehrt wäre und wahrscheinlich Don Giovanni und seinen Vater mitgebracht habe. „Also sind Sie fest entschlossen, den Mann, den Sie lieben, zu demüthigen?" fragte Donna Tullia, indem sie mit höhnischem Blick von ihrem Buche aufsah. Corona ließ sich zu keiner Antwort herbei; ihre Augen wandten sich erwartungsvoll der Thür zu. Bald ließen sich draußen Schritte hören. Der Diener trat ein und meldete den Fürsten Saracinesca und Don Giovanni. Corona stand auf. Der alte Herr trat zuerst ein, sein Sohn folgte ihm auf dem Fuße. „Ein unverhofftes Vergnügen!" sagte er munter. „Ein wahres Glück! Wir waren gerade beide zu Hause. Ah, Donna Tullia!" rief er, Madame Mayer erblickend. „Wie geht es Ihnen?" Als er ihr aber ins Gesicht sah, setzte er plötzlich hinzu: „Ist etwas vorgefallen?"

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Unterdessen war auch Giovanni hinzugetreten und stand neben Corona am Kamin. Er bemerkte sofort, daß nicht alles in Ordnung war, und sah besorgt von der Herzogin zu Donna Tullia hinüber. Corona fing ohne Weiteres zu sprechen an. „Donna Tullia," sagte sie ruhig, „ich habe die Ehre, Ihnen eine Gelegenheit zu bieten, um sich zu er­ klären." Madame Mayer blieb mit zorngeröthetem Gesicht am Tische sitzen. Sie lehnte sich in ihren Stuhl zurück, schloß die Augen halb mit einem häßlichen Ausdruck von Verach­

tung und redete dann Don Giovanni an. „Es thut mir leid, Ihnen eine so tiefe Demüthigung zuzufügen," hub sie an, „allein im Interesse der Herzogin von Astrardente fühle ich mich verpflichtet zu sprechen. Don Giovanni, erinnern Sie sich an Aquila?" „Gewiß," erwiderte er kühl, „ich bin oft dort gewesen. Weshalb fragen Sie?" Der alte Saracinesca starrte einen nach dem andern an. „Was bedeutet diese Komödie?" fragte er Corona, sie aber gab ihm einen Wink still zu sein. „Dann erinnern Sie sich ohne Zweifel auch der Felice Baldi, der armen Felice Baldi," fuhr Donna Tullia fort, indem sie von ihrem Platze aus noch immer Don Giovanni voll Verachtung ansah. — „Ich habe den Namen nie gehört, so viel ich mich er­ innere," antwortete Giovanni, als ob er sich bemühte, sich auf etwas Vergangenes zu besinnen. Er konnte sich nicht denken, worauf sie hinauswoüte, war aber bereit ihre Fra­ gen zu beantworten. „Sie erinnern sich nicht, daß Sie mit ihr in Aquila am 19. Juni 1863 getraut wurden?"

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„Ich — getraut?" ries Giovanni in höchstem Er­ staunen. „Frau Herzogin," sagte der Fürst, seine düstre Stirn neigend, „was bedeutet das alles?" „Ich will ihnen sagen, was es bedeutet," sagte Donna Tullia in leisem zischenden Ton und plötzlich aufspringend nahm sie eine theatralische Haltung an und deutete auf Giovanni. „Ich will Ihnen sagen, was es bedeutet, daß Don Giovanni Saracinesca in der Kirche San Bernardino zu Aquila am 19. Juni 1863 mit Felice Baldi getraut worden, die jetzt seine rechtmäßige Frau und wahrscheinlich Mutter seiner Kinder ist, während er hier in Rom beab­ sichtigt, die Herzogin von Astrardente zu heirathen. Kann er das leugnen? Kann er ableugnen, daß seine eigene Unterschrift aus dem Standesamt zu Aquila vorhanden ist, nm gegen ihn zu zeugen? Kann er —" „Still!" brüllte der Fürst. „Still, Weib, oder bei Gott im Himmel, ich mache Deinem Geschwätz für immer ein Ende." Er trat ihr einen Schritt näher und in sei­ nem Augen blitzte ein mörderischer röthlicher Glanz. Aber Giovanni sprang dazwischen und ergriff seinen Vater bei der Hand. „Sie können mich nicht zum Schweigen bringen", kreischte Donna Tullia. „Man soll mich hören, ganz Rom soll mich hören. Von den Dächern will ich es in die Welt hinausschreien." „Dann werden Sie Ihre Einschließung ins Irrenhaus von Santo Spirito nur beschleunigen," sagte Giovanni in kaltem, ruhigem Ton; „Sie sind augenscheinlich von Sinnen." „Das sagte ich gleich", stimmte Corona bei, die indeflen bleich war und vor Aufregung zitterte. „Lassen Sie mich mit ihr sprechen," sagte Giovanni

153 lind trat auf sie zu. „Sie sagen, daß ich verheirathet bin und im Begriff stehe ein furchtbares Verbrechen zu be­

gehen.

Worauf

gründen Sie

ihre ungeheuerlichen Be­

hauptungen?"

„Auf beglaubigte Abschriften Ihres Trauscheins, auf das Standesamtsregister, wo Ihre Handschrift gesehen und erkannt worden ist.

Was wollen Sie noch mehr?"

„Es ist empörend!" schrie der Fürst von neuem vor­

tretend; „es ist die niederträchtigste Lüge, die je ersonnen

worden.

Mein Sohn verheirathet, ohne meine Einwilligung

und mit einer Bäuerin. Unsinn!" Giovanni aber winkte seinen Vater zurückzutreten und blieb vor Donna Tullia stehen. „Ich stelle Ihnen die Alternative entweder die Beweise, von denen sie sprechen, sofort beizubringen," sagte er, „und das können sie sicherlich nicht, oder hier zu warten, bis

ein berufener Arzt entschieden hat, ob sie genügend bei Sinnen sind, um allein nach Hause gehen zu können." Donna Tullia zauderte. Sie befand sich in einer schrecklichen Lage, denn Del Ferice war plötzlich verreist

und obschon die Papiere in seinem Hause verwahrt lagen, wußte sie doch nicht wo, noch wie sie dazu gelangen sollte. Man konnte sich keine verzweifeltere Lage denken, als sie sich umschaute und die Gesichter der drei energischen Per­

sonen ansah, deren Zorn sie gereizt hatte.

Sie hielt Gio-

vinni zu allem fähig, wunderte sich indessen doch über seine erstaunliche Ruhe. Sie zauderte einen Augenblick. „Das ist vollkommen gerecht", sagte Corona. „Wenn Wenn Sie

Sie Beweise haben, können Sie sie vorlegen.

keine haben, sind Sie wahnsinnig." Zch habe Beweise und werde sie Ihnen morgen um

diese Stunde vorlegen", versetzte Donna Tullia; sie wußte

154 zwar nicht, wie sie zu den Papieren kommen sollte, woht aber daß sie verloren sei, wenn sie dieselben nicht erlangte. „Warum nicht heute? weshalb nicht sofort?" fragte Giovanni voll Hohn. „Sie braucht vierundzwanzig Stunden, um sie zu fälschen," brummte sein Vater. „Sie haben kein Recht, mich so gröblich zu beleidigen," rief Donna Tullia. „Aber hüten sie sich — ich habe Sie in meiner Macht. Morgen um diese Zeit sollen sie mit eigenen Augen sehen, daß ich die Wahrheit spreche. Lassen Sie mich gehen!" schrie sie, als der alte Fürst sich zwischen sie und die Thür stellte. „Das will ich", sagte er. „Aber ehe Sie gehen, bitte ich Sie sich eins zu merken: Wenn Sie bis zu der Zeit daß Sie uns die betreffenden Documente vorlegen, auch nur ein Wort Ihrer Anklagen gegen Andere äußern, so lasse ich Sie als eine gefährliche Wahnsinnige festnehmen und in Santo Spirito einsperren; und wenn jene Papiere nicht authentisch sind, werden Sie morgen Nachmittag unter der Anklage der Fäschung verhaftet. Haben Sie ver­ standen?" Er trat zurück und ließ sie vorbei gehen. Sie lachte ihm höhnisch ins Gesicht und ging hinaus. Als sie fort war, sahen die drei sich an, als suchten sie zu verstehen, was vorgefallen. Es war in der That über ihre Begriffe! Corona lehnte sich ans Kamin und ihre Augen ruhten liebevoll auf Giovanni. Nie war ein Zweifel an seiner Rechtlichkeit in ihrer Seele aufgestiegen. Der alte Saracinesca sah einen Augenblick von einem zum andern, dann schlug er die Hände zusammen und fing an auf- und abzugehen. „Erstens", sagte Giovanni, „war ich zu der von ihr erwähnten Zeit mit einer Gesellschaft von Engländern aus

155 der Jagd in Canada. Das ist leicht zu beweisen, denn so viel ich weiß, sind sie noch alle am Leben. Donna Tullia ist entschieden verrückt." „Die Nachricht von Deiner Verlobung hat sie um den Verstand gebracht", sagte der alte Fürst mit ingrimmigem Lachen. „Es ist ein interessanter, romantischer Fall." Corona erröthete ein wenig, ihr Blick suchte Giovannis Augen, allein ihr Antlitz war sehr ernst. Es war schreck­ lich mitanzusehen, wie eine Person, die sie schon so lange kannte, plötzlich wahnsinnig wurde, und zwar um des Man­ nes willen, den sie selbst so liebte; und doch zweifelte sie nicht an Donna Tullias Wahnsinn. Es war sehr traurig. „Ich möchte nur wissen, wer ihr den Gedanken in den Kopf gesetzt haben mag!" sagte Giovanni nachdenklich. „Er scheint mir nicht in ihrem eigenen Hirn entsprungen zu sein. Ich möchte auch wissen, was für abgeschmacktes Zeug sie unter dem Namen von Documenten vorbringen wird; natürlich müssen es Fälschungen sein." „Sie wird gar nichts vorbringen!" versetzte sein Vater im Tone vollkommener Sicherheit. „Morgen werden wir hören, daß sie in Fieberphantasien rast." „Die Arme!" rief Corona. „Der Gedanke ist schrecklich." „Es ist ein schrecklicher Gedanke, daß sie Dir so viel Unruhe und Aerger gemacht hat," sagte Giovanni mit Wärme. „Du mußt eine fürchterliche Scene mit ihr ge­ habt haben, ehe wir kamen. Was sagte sie denn?" „Dasselbe was sie zu Dir gesagt hat. Dann fing sie an, Dich zu schmähen. Darauf schickte ich nach euch und sagte ihr, wenn sie nicht still wäre, würde ich sie einschließen, bis ihr kämet. Da setzte sie sich hin und that, als ob sie läse. Es war mir aber ein großer Trost, als Ihr kämet." „Du glaubtest doch keinen Augenblick, daß möglicher-

156 weise an ihren Worten etwas Wahres wäre?" fragte Gio­ vanni mit zärtlichem Blick. „Ich? Wie konntest Du das nur denken!" rief Co­ rona. Dann lachte sie und fügte hinzu: „Natürlich weißt Du, daß ich das nie gethan hätte." „Ja, gewiß," antwortete er. „Es fiel mir gar nicht ein." „Uebrigens," sagte der alte Saracinesca, indem er einen Blick auf den schwarzen Hut und die behandschuhten Hände der Herzogin warf, „Sie waren wohl eben im Be­ griff auszugehen, als sie kam — wir dürfen Sie also nicht aufhalten. Ich denke, als sie sagte, sie würde morgen um diese Stunde die Beweise beibringen, meinte sie, sie wolle sie hieherbringen. Sollen wir also morgen wiederkommen?" „Ja, bitte, auf jeden Fall!" versetzte Corona. „Kommt morgen um ein Uhr zum Frühstück. Ich bin allein, wie ihr wißt, denn Schwester Gabriele hat darauf bestanden in ihr Kloster zurückzukehren: allein was thut das jetzt?" „Was thuts?" wiederholte der Fürst. „Ihr werdet nächstens heirathen. Ich denke wirklich, wir können thun, was wir wollen." Er that gewöhnlich, was er wollte. Die beiden Herren gingen, und bald darauf schritt Corona die Palasttreppe hinab und stieg in ihren Wagen, als ob nichts vorgefallen wäre. Sechs Monate waren verstrichen, seit sie Giovanni auf dem Thurm von Saracinesca ihr Wort gegeben hatte, und sie wußte, daß sie ihn jetzt noch mehr liebte als damals. In der Zwischenzeit war kaum etwas von Bedeutung vor­ gefallen, und die Tage schienen lang. Aber bis nach Weih­ nachten war sie in Saracinesca geblieben und hatte sich, von Giovanni mit Rath unterstützt, beständig mit den schon begonnenen Verbesserungen beschäftigt. Er hatte unten im

157 Dorfe ein ihr zugehöriges Häuschen bezogen und mit den geringen für ihn erforderlichen Bequemlichkeiten ausgestat­ tet. In dieser Wohnung hatte er gewöhnlich die Hälfte der Woche gehaust, war täglich nach dem Palast auf der Höhe hinaufgegangen und hatte viele Stunden in Coronas Gesellschaft zugebracht, ihre Pläne in Betracht gezogen und mit ihr die Arbeiten besichtigt, welche unter ihrer gemein­ samen Aufsicht gediehen. Sie hatte ihn so kennen lernen, wie es vorher nicht möglich gewesen, und verstand seinen männlichen Charakter immer besser. Er war ein sehr wil­ lenskräftiger Mann und nahm es mit allem sehr ernst, wenn er überhaupt etwas that; aber die von seiner Mutter ererbte melancholische Ader stimmte ihn oft zu unthätiger Betrachtung und dann schien sein Geist ganz von seinen Gedanken hingenommen. Viele nannten diese Anfälle von Schweigsamkeit Ziererei oder seine besondre Art sich intereffant zu machen; Corona aber erkannte bald, daß sein in sich Versunkensein ihm natürlich war, und sah auch, daß sie allein im Stande wäre, seine Aufmerksamkeit wach zu rufen und ihm Interesse einzuflößen, wenn der Anfall ihn überkam. Durch allmälige Beobachtung lernte sie, was wenige je errathen hatten, nämlich, daß in dem erfahrenen Weltmann, unter seinem bescheidnen Auftreten und sanften Wesen, ein mächtiger Ehrgeiz, ein Vorrath von Kraft ver­ borgen lag, die eines Tages thätig werden und auf seine Umgebung wirken würde. Er hatte sich langsam entwickelt, sich durch die mannigfachen Erfahrungen der Welt in vielen Ländern bereichert; mit dem schnellen Verstand des Italieners begriff er oft innerlich mehr als es den Anschein hatte, während die aus seinem spanischen Blute stammende ruhige Würde ihn oft kalt erscheinen ließ. Unter dem Einfluß eines großen Gedan-



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kens aber löste sich mitunter seine Zunge durch den Zauber von Coronas Gegenwart, und zu ihr sprach er, wie er noch nie zu Jemanden gesprochen hatte, von weltbewegenden Entwürfen und Plänen. Nicht immer verstand sie ihn ganz; aber sie wußte, der Mann, den sie liebte, war mehr als das, wofür die Welt ihn hielt, und dieser Gedanke er­ füllte sie mit einem Gefühl von Stolz, das sie bis ins Innerste ihrer Seele entzückte. Auch sie war ehrgeizig, doch nur für ihn. Sie fühlte, daß in seinen sowohl wie in ihren Verhältnissen für gewöhnlichen Ehrgeiz wenig Raum wäre. Alles was hohe Geburt, Reichthum und persönliches Ansehen geben konnten, hatten sie beide in Ueberfluß, über alles Wünschen; was sie noch darüber hinaus ersehnen konnten, mußte auf einem weitern Felde der Thätigkeit lie­ gen als bloß in der gesellschaftlichen Sphäre oder auf dem Gebiet der Politik. Sie selbst hatte den Gedanken gehabt und hegte ihn noch, eine große Wohlthätigkeitsanstalt zu gründen, irgend etwas für ihre ärmeren Brüder zu thun; allein sie erkannte allmälig, daß Giovanni's Streben über diese gewöhnlichen Mittel seine Macht zu gebrauchen, hinaus­ ging, und daß in ihm der Ehrgeiz lag, große Kräfte in großen Fragen zur Erreichung hoher Zwecke in Thätigkeit zu setzen. Die sechs Monate ihrer Verlobungszeit hatten nicht nur ihre Liebe zu ihm gestärkt, die schon tief unbmächtig gewesen, sondern ihr den festen Entschluß eingegeben ihm in allen Lagen, des Lebens treu zur Seite zu stehen, nichts, was in ihrer Macht stand, zu unterlassen, wenn es ihm in seiner selbstgewählten Laufbahn nützen könnte, welche sie als das eigentliche Feld für seine ungewöhnlichen Fähig­ keiten ansah. Es war sonderbar, daß die Leute, welche ihn doch in allem Uebrigen anerkannten, nie daran gedacht hatten, ihn einen Mann von außerordentlichem Verstände

159 zu nennen. Aber Keiner kannte ihn so wie Corona; Niemand ahnte, daß in ihm mehr wäre als der traditionelle Charakter der Saraeinescas, nebst just soviel Verstand wie genügte, um ihn, gleich seinem Vater, zu einem angemessenen Ver­ treter seines Geschlechtes zu machen. Es war mehr als bloße Liebe und Hingebung in ihrem Gefühl vollkommener Sicherheit als sie ihn von Donna Tullia angegriffen sah; es war schon die Gewiß­ heit, daß er dazu geboren wäre, über alles Kleinliche er­ haben zn sein und sich seinen eigenen Wirkungskreis zu schaffen, in welchem er sich bewegen würde, wie Andere es nicht konnten.

Zehntes Kapitel. Als Donna Tullia den Palast der Astrardente verließ, schwindelte ihr der Kopf. Sie hatte durchaus nicht erreicht, was sie wollte, aus der Anklägerin war sie plötzlich die Angeklagte geworden. Anstatt Corona Furcht einzuflößen und Giovanni die schreckliche Demüthigung zu bereiten, die er nach ihrer Erwartung bei der Bekanntmachung seiner früher eingegangenen Ehe fühlen sollte, hatten sie ihr ein­ fach gesagt, sie wäre von Sinnen und ihre angeblichen Be­ weise wären Fälschungen. Obschon sie selbst nicht den leise­ sten Zweifel an der Aechtheit der Doeumente hegte, war es doch sehr enttäuschend, daß die Erwähnung derselben auf Niemanden besonderen Eindruck machte, am wenigsten aber aus Giovanni selbst. Dieser Mensch, dachte sie, muß ein abgefeimter Schurke sein; wenn er im Stande ist, solche verstockte Gleichgültigkeit gegen ihre Anklage zu zeigen, dann wird er auch fähig fein, ihren Beweis von der Wahrheit dieser Anklage zu vereiteln, und sie zitterte bei diesem Ge-

159 zu nennen. Aber Keiner kannte ihn so wie Corona; Niemand ahnte, daß in ihm mehr wäre als der traditionelle Charakter der Saraeinescas, nebst just soviel Verstand wie genügte, um ihn, gleich seinem Vater, zu einem angemessenen Ver­ treter seines Geschlechtes zu machen. Es war mehr als bloße Liebe und Hingebung in ihrem Gefühl vollkommener Sicherheit als sie ihn von Donna Tullia angegriffen sah; es war schon die Gewiß­ heit, daß er dazu geboren wäre, über alles Kleinliche er­ haben zn sein und sich seinen eigenen Wirkungskreis zu schaffen, in welchem er sich bewegen würde, wie Andere es nicht konnten.

Zehntes Kapitel. Als Donna Tullia den Palast der Astrardente verließ, schwindelte ihr der Kopf. Sie hatte durchaus nicht erreicht, was sie wollte, aus der Anklägerin war sie plötzlich die Angeklagte geworden. Anstatt Corona Furcht einzuflößen und Giovanni die schreckliche Demüthigung zu bereiten, die er nach ihrer Erwartung bei der Bekanntmachung seiner früher eingegangenen Ehe fühlen sollte, hatten sie ihr ein­ fach gesagt, sie wäre von Sinnen und ihre angeblichen Be­ weise wären Fälschungen. Obschon sie selbst nicht den leise­ sten Zweifel an der Aechtheit der Doeumente hegte, war es doch sehr enttäuschend, daß die Erwähnung derselben auf Niemanden besonderen Eindruck machte, am wenigsten aber aus Giovanni selbst. Dieser Mensch, dachte sie, muß ein abgefeimter Schurke sein; wenn er im Stande ist, solche verstockte Gleichgültigkeit gegen ihre Anklage zu zeigen, dann wird er auch fähig fein, ihren Beweis von der Wahrheit dieser Anklage zu vereiteln, und sie zitterte bei diesem Ge-

160 danken. Der alte Saracinesca war nicht ein Mann, mit dem sich scherzen ließ, und sein Sohn eben so wenig; sie waren mächtig und würden sich für Beleidigungen rächen. Nun hatte sie versprochen, die Beweise beizubringen, und als sie genug Fassung wiedergewann, um die Sache von allen Seiten zu betrachten, kam sie zu dem Schlüsse, daß ihr Spiel im Grunde doch noch nicht verloren sei, weil beglaubigte Documente Beweise sind, welche selbst so mäch­ tige Leute wie Leo und Giovanni Saracinesca nicht leicht widerlegen können. Sie überredete sich allmälig, daß ihre Gleichgültigkeit nur erheuchelt gewesen und daß sie Mit­ schuldige in der Sache wären, die keinen andern Zweck hatte, als Corona mit ihrem großen Vermögen zur Ge­ mahlin für Giovanni zu gewinnen. Zu gleicher Zeit aber regten sich doch ängstliche Zweifel in Donna Tullias Her­ zen, denn sie war klug genug, um selbst wider ihren Willen den Unterschied zwischen einem Lügner und einem ehrlichen Manne zu erkennen. Sie mußte in den Besitz jener Papiere gelangen und das sofort; ohne Verzug mußte sie Corona diese Beweise vorlegen und sie davon überzeugen, daß dies keine leere Fabel sondern eine auf Thatsachen begründete Behauptung sei. Del Ferice war plötzlich nach Neapel gereist; so blieb ihr augenscheinlich kein andrer Ausweg, als seinen Diener durch Bestechung zur Herausgabe der Papiere zu bewegen. Hugo hatte bisweilen den Themistocles gegen sie erwähnt und aus seinen Bemerkungen über ihn schloß sie, daß der Bursche ein Schurke wäre, der um Geld seine eigne Seele verkaufen würde. Madame Mayer fuhr nach Hause, zog das einzige dunkle Kleid an, welches sie besaß, band sich einen dichten Schleier um, versah sich mit einer Anzahl Banknoten, die sie in ihren Handschuh steckte, verließ das

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Hans zu Fuß und nahm eine Droschke. Es blieb ihr nichts Andres übrig als selbst zu gehen, sie konnte Keinem trauen. Ihr Herz schlug heftig, als sie die enge Steintreppe zu Del Ferices Wohnung emporstieg und auf dem Treppenabsatz vor der kleinen grünen Thür stehen blieb, an der sein Name stand. Sie zog die Klingel und Themistocles erschien in Hemdärmeln. „Wohnt hier der Graf Del geriet?" fragte sie, indem sie über die Schulter des Dieners in den langen dunkeln Gang spähte. „Er wohnt hier, aber er ist nach Neapel gereift," ant­ wortete Themistocles schnell. „Wann wird er zurückkommen?" fragte sie. Der Mensch zog seine Schultern bis an die Ohren empor, und streckte seine flachen Hände aus, um anzudeuten, daß er es nicht wisse. Donna Tuüia zauderte. Sie hatte es nie in ihrem Leben versucht, einen Menschen zu bestechen, und wußte nicht recht, wie sie das anfangen sollte. Sie dachte, der Anblick des Geldes könnte Eindruck machen, zog eine Banknote aus ihrem Handschuh hervor und glättete sie zwischen den Fingern. Themistocles sah sie gierig au. „Hier sind fünfundzwanzig Scudi", sagte sie. „Wenn Sie mir helfen wollen, im Zimmer Ihres Herrn nach einem Papier zu suchen, sollen Sie sie haben." Themistocles richtete sich mit der Miene gekränkte« Stolzes empor. Madame Mayer sah ihn an. „Unmöglich, gnädige Frau!" sagte er. Darauf zog sie noch eine Banknote hervor. Themistocles spähte neu­ gierig nach dem Handschuh, ob noch mehr darin wären. „Gnädige Frau," sagte er nochmals, „es ist unmöglich. Mein Herr würde mich umbringen. Es ist gar nicht daran

zu denken."

Allein seine Stimme klang etwas nachgiebiger.

Crawford, -Laracinesca.

II.

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162 Donna Tullia holte noch eine Banknote heraus und hielt jetzt fünfundsiebzig Scudi in der Hand. Es schien ihr, als ob Themistocles vor Aufregung zitterte, aber noch immer zauderte er. „Gnädige Frau, mein Gewissen!" sagte er leise ab­ wehrend. „Warten Sie," sagte Madame Mayer ungeduldig, „hier ist noch eine — so, nun find es hundert Scudi, — das ist alles, was ich bei mir habe," damit drehte fie ihren leeren Handschuh um. Plötzlich streckte Themistocles die Hand aus und er­ griff begierig die Banknoten, allein anstatt zurückzutreten, um fie einzulassen, drängte er fich ungestüm an ihr vorbei. „Sie können hineingehen", flüsterte er in heiserm Tone, dann wandte er fich schnell um und stürzte, so wie er da war, in Hemdärmeln, die enge Treppe hinab. Madame Mayer stand einen Augenblick still und sah ihm staunend nach, selbst noch als er bereits verschwunden war. Dann drehte sie sich um und ging ziemlich zaghaft hinein; aber ehe sie zwei Schritte in dem dunkeln Gang gethan hatte, stieß sie einen Schreckensschrei aus. Del Ferice, in einen losen Schlafrock gehüllt, vertrat ihr den Weg; auf seinem Gesichte lag ein seltsamer Ausdruck, und weil es so weiß war, konnte sie das selbst im Halbdunkel erkennen. Themistocles hatte sie betrogen, er hatte ihr vor­ gelogen, daß sein Herr verreist wäre, hatte die Bestechung genommen und war dann davongelaufen. Er konnte leicht eine Ausrede finden, weshalb er fie hereingelaffen, und mit der Gewitztheit des Knechtes dachte er sich wohl, sie würde Del Ferice nicht gestehen, daß sie ihn bestochen habe. Hugo trat einen Schritt vor und erkannte sofort Madame Mayer.

163 „Donna Tullia!" rief er. „Was thun Sie? Man darf Sie hier nicht sehen!" Ein minder schlauer Mann als Hugo hätte sich über ihr Kommen hoch erfreut gestellt. Del Ferices Scharfsinn aber sagte ihm: aus welcher Veranlassung sie auch gekom­ men sein mochte — und er errieth den Grund leicht genug — immer würde er höher in ihrer Achtung steigen, wenn er sich über ihre Unvorsichtigkeit entsetzt stellte. Donna Tullia war halb ohnmächtig vor Angst und lehnte sich an die Wand des Ganges. „Ich dachte — ich — ich müßte Sie sofort sprechen," stammelte sie. „Nicht hier", versetzte er rasch. „Fahren Sie unver­ züglich nach Hause. In fünf Minuten bin ich bei Ihnen. Sie sind verloren, wenn es herauskommt, daß Sie hier gewesen sind." Madame Mayer faßte Muth bei seinen Worten. „Sie müssen sie mitbringen — die Papiere, meine ich," sagte sie hastig. „Es ist etwas Gräßliches geschehen. Versprechen Sie mir gleich zu kommen!" „Ich will gleich kommen, meine liebe gnädige Frau," sagte er, und schob sie leise nach der Thür. „Ich darf Sie nicht ein Mal die Treppe hinunter begleiten. Verzeihen Sie mir! Sie haben natürlich Ihren Wagen unten?" „Ich habe eine Droschke," sagte Donna Tullia matt und ließ sich zur Thür hinausweisen. Er ergriff ihre Hand und küßte sie leidenschaftlich oder mit einem gelungenen Anschein von Leidenschaft. Mit entsetztem Blick wendete sich Donna Tullia um und eilte die Treppe hinab. Del Ferice lächelte befriedigt, als sie fort war, und ging hinein, um den Schlaf­ rock mit einem Ueberrock zu vertauschen. Endlich hatte er sie in seiner Macht. Er hatte sich gedacht, daß sie sein

164 Geheimniß verrathen würde, daß sie nach der Veröffentlichung der Verlobung sich nicht enthalten würde, Corona von Astrardente Mittheilungen zu machen, und kaum hatte er die Nachricht gehört, so schloß er sich in seine Zimmer ein, gab eine plötzliche Reise nach Neapel vor und beschloß, nicht eher wieder einen Fuß aus dem Hause zu setzen, bis er wüßte, daß Donna Tullia sich compromittirt habe. Er wußte, wenn sie erst etwas gesagt hätte, würde sie ver­ zweifelte Versuche machen, die Papiere zu erlangen; denn er wußte nur zu gut, daß Behauptungen wie die ihrigen auf der Stelle bewiesen werden müßten, wenn es nicht um ihre Stellung in der Gesellschaft geschehen sein sollte. Bis dahin war sein Plan gelungen. Seine einzige Sorge war jetzt zu erfahren, ob sie seinen Namen bei der Sache ge­ nannt hatte; aber nach ihrem Charakter zu urtheilen, glaubte er, sie würde das nicht thun, sie würde genug Achtung vor ihrem Eide haben, um seinen Namen zu verschweigen, selbst wenn sie ihr Versprechen bräche; sie würde sich das Ver­ dienst der Entdeckung gern allein anmaßen und ein Geständniß vermeiden, aus welchem hervorginge, daß sie mit einem Andern die Mittel, die Heirath zn hintertreiben, be­ sprochen hätte, denn damit wäre ihre Eifersucht und folg­ lich ihr persönliches Interesse für Don Giovanni ein­ gestanden worden. Del Ferice war ein sehr schlauer Kunde. Er zog sich den Rock an und binnen fünf Minuten war er auf dem Wege zu Donna Tullia mit einem großen Umschlag voller Papiere in der Tasche. Er fand sie, wie sie ihn verlaffen hatte, das Gesicht noch mit dem Schleier verhüllt in höchster Aufregung auf und abgehend. Er trat auf sie zu und begrüßte sie mit einer feierlichen Würde, die ihm der Gelegenheit entsprechend schien.

165 „Und nun meine theure gnädige Frau," sagte er sanft, „wollen Sie mir genau sagen, was Sie gethan haben?" „Heute morgen", antwortete Madame Mayer mit er­ stickter Stimme, „erfuhr ich die Verlobung der Astrardente mit Don Giovanni. Es kam mir so schrecklich vor!" „Allerdings schrecklich!" sagte Del Ferice feierlich. „Ich schickte gleich zu Ihnen, um fragen zu können, was ich dabei thun sollte, es hieß Sie seien nach Neapel gereist. Ich dachte natürlich, wenn Sie hier wären, würden Sie es billigen, denn selbstverständlich mußten wir doch so ein furchtbares Verbrechen zu verhindern suchen." Sie wartete auf ein Zeichen der Zustimmung, aber Del Ferices blasses Gesicht drückte nichts als eine Art ernsten Vor­ wurfs aus. „Und dann," fuhr sie fort, „da ich Sie nicht auffin­ den konnte, hielt ich ich es fürs Beste unverzüglich zu handeln, also ging ich zur Astrardente, sicher daß Sie mir beistehen würden. Es war eine schreckliche Scene. Sie ließ die beiden Saracinescas rufen, und ich — wartete, bis sie kamen, denn ich war fest entschlossen, daß den Frevler die Gerechtigkeit ereilen sollte. Ich hatte doch sicher­ lich recht, nicht wahr?" „Was sagten sie?" fragte Del Ferice, ruhig ihr Gesicht beobachtend. „Werden Sie es glaube« können, das Ungeheuer von einem Schurken, Don Giovanni, blieb kalt wie ein Stein und leugnete die ganze Geschichte von Anfang bis zu Ende; aber sein Vater war sehr böse. Natürlich verlangten sie Beweise. Nie im Leben habe ich etwas Aehnliches gesehen wie die verhärtete Unverschämtheit von Don Giovanni." „Erwähnten Sie mich?" fragte Del Ferice. „Nein, ich hatte Sie ja nicht gesehen und wollte Sie

166 nicht mit in die Geschichte verwickeln. Ich sagte, ich würde

ihnen morgen um dieselbe Stunde die betreffenden Papiere zeigen." „Und dann kamen Sie zu mir", sagte Del Ferice.

„Das war sehr unbesonnen,

aufs Spiel.

Sie setzten dabei Ihren Rus

Ich wäre ja gekommen, wenn Sic zu mir

geschickt hätten." „Aber es hieß

doch,

Sie wären in Neapel!

Ihr

Diener", fuhr Donna Tullia fort und wurde scharlachroth

bei der Erinnerung an ihre Unterredung mit Themistocles, — „Ihr Diener versicherte mir selbst, daß Sie in Neapel wären" — „Ich sehe schon", versetzte Del Ferice ruhig.

Er wollte sie nicht zu dem Geständniß zwingen, daß sie einen Ver­ such gemacht habe, sich die Papiere in seiner Abwesenheit

zu verschaffen. Sein Zweck war sie zu beruhigen. „Meine liebe gnädige Frau," fuhr er sehr sanft fort,

„Sie haben eine große Unvorsichtigkeit begangen, aber ich will Ihnen zur Seite stehen, indem ich die Documente so­ fort in Ihre Hände lege. Es ist schlimm, daß Sie so vor­ schnell gehandelt haben, denn wir wissen nicht, was aus dieser Felice Baldi geworden ist und können es auch nicht

ohne Weiteres ermitteln. zufinden.

Es kann Wochen dauern sie auf­

Warum waren Sie so vorschnell?

Sie hätten

meine Rückkehr abwarten sollen, dann hätten wir die Sache ruhig besprechen und

entscheiden können,

ob es wirklich

gerathen wäre von meiner Kenntniß Gebrauch zu machen." „Sie bezweifeln also, daß ich recht gethan?"

fragte

Donna Tullia erbleichend. „Ich finde, daß Sie übereilt gehandelt haben, indem

Sie etwas sagten, ehe Sie mich um Rath gefragt hatten.

Es kann noch

alles gut werden.

Erstens aber,

da Sie

167 mich nicht um meine Meinung befragt haben, werden Sie einsehen, daß auch mein Name nicht genannt werden darf.

Es könnte nichts nützen, denn die Documente sprechen für sich, und der Werth, den sie haben können, liegt in ihnen.

Sehen Sie das ein?" „Es ist natürlich nicht nöthig, Sie zu nennen, ausgenonmen wenn Sie einen Antheil an der Enthüllung dieses

abscheulichen Verbrechens haben wollen." „Ich

bin mit meinem Antheil zufrieden", erwiderte

Del Ferice ruhig lächelnd. „Es ist kein bedeutender," versetzte Donna Tullia ver­ legen. „Es ist der Löweuantheil," antwortete er.

„Anbetungs­

Sie haben doch nicht die Bedingungen unsers Vertrags vergessen, Bedingungen, die mir so theuer find, daß jedes Wort davon auf ewig in meinem Herzen würdigste Frau,

eingraben ist!" Madame Mayer erschrak.

Sie hatte nicht bedacht,

daß ihr Versprechen Hugo zu heirathen nun verfallen war, fie gaubte nicht, daß er darauf bestehen würde; er hatte

es iir abgepreßt, um sie einzuschüchtern, und überdies hatte sie sch so fest eingeredet, er würde ihre Handlungsweise billigen, daß ihr gar nicht so zu Muthe gewesen, als ver­ riethe sie sein Geheimniß.

„Sie können — Sie werden mich nicht für gebunden daran halten; im Ganzen billigen Sie es ja, daß ich die Astrdente

gewarnt habe, — es ist doch dasselbe, als ob

ich Sie um Rath gefragt hätte" —

„Verzeihen Sie, verehrte Frau; Sic haben mich nicht

zu Rathe gezogen", versetzte Del Ferice beschwichtigend.

Er

saß eben ihr am Kamin, den Hut auf den Knieen haltend,

und sah sie nicht länger an, sondern betrachtete gedanken-

168 voll die brennenden Holzscheite. Seit seiner Verwundung im vorigen Jahre hatte sein bleiches Gesicht eine Zartheit bekommen, die es recht anziehend machte; während er früher zur Stärke neigte, war er jetzt schlanker und geschmeidiger geworden, theils weil seine Gesundheit wirklich durch die Krankheit angegriffen war, theils weil er beschloffen hatte, in Zukunft zu verhindern, daß er je wieder zu dick würde. „Ich habe es aber doch versucht, Sie zu Rathe zu ziehen," warf Donna Tullia ein. „Das ist doch dasselbe!" „Für mich ist es nicht dasselbe," antwortete er, „ob­ schon Sie mich nicht mit in die Geschichte verwickelt haben. Ich würde Ihnen ganz entschieden gerathen haben, fürs Erste nichts zu sagen. Sie haben vorschnell gehandelt und sich in eine höchst peinliche Lage gebracht. Sie haben mir Ihr Versprechen gebrochen — ein feierliches Gelöbniß, Donna Tullia, das Sie beim Gedächtniß Ihrer Mutter und auf eine heilige Reliquie beschworen haben. Solche Ver­ sprechungen kann man nicht leicht nehmen." „Sie preßten es mir ab, um mich einzuschüchtern. Die Kirche bindet uns nicht an erzwungene Eide", sagte sie. „Entschuldigen Sie; von Zwang war keine Spur da­ bei. Sie wollten mein Geheimniß wiffen und darum ban­ den Sie sich durch Ihr Wort. Das ist kein Zwang. Ich kann Sie nicht zwingen. Auch jetzt würde ich mir nicht anmaßen, Sie zu einer Heirath mit mir zu zwingen. Aber ich kann Ihnen sagen, daß ich Sie mit der größten Hin­ gebung liebe, daß meines Lebens Ziel und Zweck ist, Sie zu heirathen, und wenn Sie sich weigern, werde ich Ihnen sagen, daß Sie ein großes Unrecht begehen, einen feier­ lichen Vertrag brechen." — „Wenn ich mich weigere — so — nun ja — aber die Papiere würden Sie mir doch geben?" fragte Donna Tullia,

169 welche für den Ausgang der Unterredung zu zittern ansing-. Sie hatte eine dunkle Ahnung, daß um die Documente zu erlangen, sie sogar willens sein könnte, Del Ferice ein Heirathsversprechen zu geben. Vielleicht wäre das sehr un­ recht, allein es geschähe zu einem guten Zweck, um Corona davor zu bewahren, daß sie in die Falle ginge — die ver­ haßte Corona! Immerhin würde es eine großmüthige That sein, sie zu retten. Der Gedankengang von Frauen wie Madame Mayer pflegt etwas gewunden zu sein, wenn sie sich zwischen Eifersucht, Haß und persönlichem Interesse eingeklemmt fühlen. „Wenn Sie sich weigerten, — nein! Wenn Sie sich weigern sollten, fürchte ich, könnte ich Ihnen die Papiere nicht geben," versetzte Del Ferice nachdenklich, während er das Feuer anstarrte. „Ich liebe Sie zu sehr, um die Aus­ sicht Sie zu gewinnen aufzugeben, selbst wenn dadurch die Herzogin von Astrardente vor ihrem Geschick bewahrt wer­ den könnte. Warum weigern Sie sich? Warum unter­ handeln Sie?" fragte er, sich plötzlich zu ihr wendend. „Gilt all meine treue Ergebenheit, meine Liebe, mein jahre­ langes geduldiges Werben nichts? O, Sie können nicht so grausam sein, mir den Kelch von den Lippen zu reißen! Nicht um dieser erbärmlichen Papiere willen, was kümmerts mich, ob Don Giovanni der Bigamie angeklagt als Ver­ brecher dasteht — ob er jetzt zu Grunde geht, oder später, wie es ihm für seine Missethaten geschehen muß, oder ob er ungehindert und straflos auf der Bahn des Verbrechens fortwandelt? Ich mache mir nichts aus ihm, noch aus seiner blassen Braut. Aus Sie kommt es mir an, um Ihretwillen bin ich alles zu thun bereit, sei es gut oder böse. Sehen Sie das denn nicht? Bin ich Ihnen nicht treu gewesen seit langer Zeit? Haben Sie Mitleid mit

170 mir, vergessen Sie diese ganze Sache, vergessen Sie, daß Sie etwas versprochen haben, vergessen Sie alles, nur nicht, daß ich hier zu Ihren Füßen liege, ein elender Mann, wenn Sie nicht das erlösende Wort sprechen und all mein Leid in Frcnde verwandeln." Er glitt vom Seffel hinab und ließ sich vor ihr auf ein Knie nieder, während er ihre Hand leidenschaftlich mit beiden Händen erfaßte. Der Auftritt war gut erson­ nen und gut durchgeführt; seine Stimme hatte einen leiden­ schaftlichen Ton, der in Donna Tuüias Ohren angenehm erklang und seine Hände zitterten vor Erregung. Sie stieß ihn nicht zurück, denn sie war ein eitles Weib und glaubte gern an die Wirklichkeit einer so vorzüglich gespielten Lei­ denschaft. Vielleicht war diese auch nicht gänzlich erkünstelt, denn sie war eine hübsche brillante Frau in voller Jugend­ blüthe, und Del Ferice war für derartige Reize immer be­ sonders empfänglich gewesen. Donna Tullia zauderte und hätte gern gehört, was er wohl sonst noch sagen würde. Er aber kannte die Gefahr, sich zu sehr aus seine Beredtsamkeit zu verlassen, wenn nicht eine größere Kraft als seine eigne dahinter stände, und drang auf Antwort. „Seien Sie großmüthig — vertrauen Sie mir!" rief er. „Glauben Sie, daß Ihr Glück für mich das Höchste ist; glauben Sie, daß ich aus Ihrem übereilten Versprechen keinen unbilligen Vortheil ziehen will. Sagen Sie mir aus freiem Willen, daß Sie mein Weib sein wollen, und gebieten Sie ganz über mich, auf daß ich Ihnen meine Hingebung beweisen kann. Sie ist so wahr, so treu, — Tullia, ich bete Sie an, ich lebe nur für Sie! Sprechen Sie das eine Wort und machen Sie mich zum Glücklichsten der Sterblichen!" Er sah wirklich ganz hübsch aus, als er so vor ihr

171 kniete, und sie fühlte den leichten, bebenden Druck der Hand bei jedem seiner Worte. Was kam es denn im Grunde darauf an? Sie konnte ihm ihr Jawort geben, und dann — nun dann, wenn ihr nachher der Gedanke nicht mehr gefiele, könnte fie ja mit ihm brechen. Es würde ihr nur eine heftige Scene und einige höchst unangenehme Augen­ blicke kosten. Unterdessen konnte sie die Papiere bekommen. „Aber Sie werden mir doch die Papiere geben und es mir überlassen zu entscheiden, ob, — Wirklich, Del Ferice," sagte sie, von nervösem Lachen unterbrochen, „dies ist ab­ geschmackt." „Ich bitte Sie, nicht von den Papieren zu sprechen — es ist nicht abgeschmackt. Ihnen mag es so scheinen, für mich handelt es sich um Tod und Leben. Es ist mein Tod, wenn Sie mich abweisen, mein Leben, wenn Sie ein Wort sprechen und mein sein wollen!" Donna Tullia faßte einen Entschluß. Augenscheinlich wollte er ihr das Verlangte nicht anders geben als gegen ein Heirathsversprechen. Während des letzten Jahres hatte sie sich an ihn gewöhnt, er war ihr beinahe lieb geworden. „Gut, ich weiß nicht ob ich recht thue," sagte sie, „aber ich habe sie wirklich sehr gern, und wenn Sie alles thun wollen was ich sage" — „Alles, meine Theuerste! Alles auf der Welt will ich thuu, wenn Sie mich so überglücklich machen wollen," rief Del Ferice feurig. „Nun — ja; ich will Sie heirathen. Aber stehen Sie auf und setzen Sie sich wie ein vernünftiger Mensch. Nein; Sie müssen wirklich vernünftig fein, sonst müssen Sie gehen!" Hugo küßte mit Inbrunst ihre Hände. Er war wirklich ein guter Schauspieler, wenn es nämlich alles nur ein Spiel war. Sie konnte nicht umhin durch sein

172 feines blasses Gesicht und seine leidenschaftlichen Worte gerührt zu werden. Schnell sprang er auf und stand vor ihr mit gefalteten Händen und sah sie innig an. „O ich bin heute der glücklichste Mensch auf Erden!" rief er und das Siegesbewußtsein lieh seiner Stimme Kraft. „Bitte setzen Sic sich," sagte Donna Tullia munter, „jetzt wollen wir alles besprechen. Erstens was soll ich zunächst thun?" Del Ferice befand es für gut, seine Aufregung vor­ übergehen zu lassen, und ging deshalb zuerst zwei Mal im Zimmer auf und ab. „Es ist so schwer, ruhig zu sein!" rief er; trotzdem setzte er sich alsbald auf seinen vorigen Platz und schien seine Fassung mit wunderbarer Leichtigkeit wiederzugewinuen. „Was muß zunächst geschehen?" fragte Donna Tullia nachmals. „Erstens", antwartete Del Ferice, „sind hier diese kost­ baren Papiere. Da es nur notarielle Abschriften und nicht die Originale sind, schadet es nichts, wenn Don Gio­ vanni sie zerreißt. Wenn er es thun sollte, lassen sich leicht neue beschaffen. Ich habe mir alle Namen und Daten angeschrieben. Ich wünsche, wir wüßten Genaueres über Felice Baldi. Leider ist das nicht der Fall; aber sie auf­ zufinden, könnte vielleicht einen Monat dauern." „Ich muß sofort handeln", sagte Donna Tullia ent­ schlossen; denn sie dachte an die Drohungen des alten Saracinesca und hatte Eile. „Natürlich. Diese Documente sprechen für sich. Sie tragen die Adresse des Notars, welcher die Abschriften in Aquila gemacht hat. Wenn die Saracinescas wollen, kön­ nen sie selbst hinsahren und die Originale einsehen."

173 „Könnten sie nicht auch die Originale vernichten?" fragte Donna Tullia ängstlich. „Nein; sie können nur je eines auf ein Mal sehen, und die Person, welche sie ihnen zeigt, wird Acht auf sie geben. Ueberdies wäre es ein Leichtes, an den Pfarrer von San Ber­ nardino zu schreiben, er möge auf seiner Hut sein. Das wollen wir in jedem Falle thun. Die Sache ist ganz klar. Für Sie ist es am besten, morgen zur verabredeten Zeit mit der Astrardente zusammenzutreffen und ihr ganz ein­ fach diese Papiere vorzulegen. Niemand kann deren Glaub­ würdigkeit anzweifeln, denn sie tragen den Stempel der Regierung und das Siegel des Notars; hier und da wie Sie sehen. Wenn sie Sie fragen — und das werden sie sicherlich — wie Sie dazu gekommen sind, so können Sie antworten: weil Sie sie ein Mal hätten, käme es nicht darauf an zu wissen von wem; sie könnten ja hingehen und sie mit den Originalen vergleichen; durch ihre Warnung hätten Sie eine Pflicht gegen die Gesellschaft erfüllt und

der Astrardente einen Dienst geleistet, wenn auch nicht dem Giovanni Saracinesca. Sie müssen dem Zeugniß ihrer Sinne trauen und entweder eingestehen, daß Giovannis erste Frau noch lebt, oder über ihren Tod Rechenschaft ab­ legen und ihr Ableben beweisen. Angesichts dieser That­ sachen ist kein Leugnen möglich." Donna Tullia athmete tief auf, denn die Sache schien ihr ganz klar, und die Aussicht auf ihren Triumph entschädigte sie schon jetzt für das von ihr gebrachte Opfer. „Sie sind ein wunderbarer Mensch, Del Ferice!" rief sie aus. „Ich weiß nicht, ob cs klug von mir ist, daß ich verspreche, Sie zu heirathen, aber ich habe die höchste Be­ wunderung für Ihren Verstand!" Del Ferice sah sie an und lächelte. Er that als ob

174 er die Papiere wieder in die Tasche stecken wollte. Sie sprang aus ihn zu und ergriff ihn am Handgelenk. „Fürchten Sie nichts!" rief sie. „Ich werde mein Wort halten." „Feierlich?" fragte er, noch immer lächelnd, und hielt den Umschlag fest in der Hand. „Feierlich," antwortete sie und setzte dann, plötzlich auflachend hinzu, „aber Sie sind so abscheulich klug, daß ich glaube, Sie könnten mich dahin bringen, Sie wider meinen Willen zu heirathen." „Niemals!" betheuerte Del Ferice. „Ich liebe Sie viel zu sehr!" Er war merkwürdig klarsehend. „Und nun", fuhr er fort, „haben wir diese Angelegenheit abgemacht. Wann aber soll der Hochzeitstag sein?" „O daran zu denken ist noch lange Zeit!" antwortete Donna Tullia mit einem Erröthen, welches für ein Zeichen spröder Verschämtheit gelten konnte, in der That aber durch einen gewissen Aerger über seine Dringlichkeit verursacht wurde. „Nein," wendete Del Ferice ein, „wir muffen unsere Verlobung sofort bekannt machen. Es ist kein Grund zum Aufschub vorhanden, — heute ist besser als morgen." „Heute?" wiederholte Donna Tullia erschrocken. „Warum nicht? warum nicht, meine Theuerste? Da es uns Beiden ernst ist?" „Ich denke, es wäre viel besser, zuerst diese Sache ab­ zumachen." „Im Gegentheil," warf er ein, „von dem Augenblick an, daß wir öffentlich verlobt sind, bin ich Ihr natürlicher Beschützer. Wenn Jemand Sie in dieser Angelegenheit beleidigt, habe ich dann das anerkannte Recht, Sie zu rächen — ein Recht, das ich heiß ersehne. Meinen Sie,

175 ich würde mich fürchten, Don Giovanni noch ein Mal zu fordern? Er hat mich verwundet, das ist wahr, aber auch er trägt die Spuren meines Degens an seinem Körper. Geben Sie mir sofort das Vorrecht, als Ihr Kämpe auf­ zutreten, und Sie werden es nicht bereuen. Wenn Sie es aber verschieben, so können allerlei Umstände eintreten, allerlei Aergernisse vorkommen — und wer könnte Sie dann beschützen? Ich würde es natürlich auch in dem Falle thun; aber Sie kennen die bösen Zungen in Rom, — es würde Ihnen schaden anstatt zu nützen." „Das ist wahr, und Sie sind sehr tapfer und gut; aber es scheint mir eigentlich zu bald" — wendete Donna Tullia ein, obschon sic bereits anfing zu lernen, sich seinem Urtheil unterzuordnen. „Dergleichen kann gar nicht zu bald geschehen. Es giebt uns die nöthige Freiheit und gewährt der Welt Be­ friedigung, es schützt Sie und beglückt mich unaussprechlich. Weshalb wollen Sie das Unvermeidliche aufschieben? Sofien Sie uns sofort als Verlobte auftreten, damit drücken Sie mir das Schwert in die Hand, um Sie zu vertheidigen und Ihre Stellung in dieser unglückseligen Angelegenheit mit der Astrardente zu stützen." „Nun, dann können Sie es bekannt machen, wenn Sie wollen," versetzte sie zögernd. „Ich danke Ihnen, meine Theuerste," sagte Del Ferice. „Und hier sind die Papiere. Machen Sie den möglichst besten Gebrauch davon; jeder Gebrauch, den Sie davon machen, wird gut sein. Wie könnte es auch anders sein?" Donna Tullias Finger erfaßten den großen Umschlag mit begierigem Griff, als ob sie das nimmer wieder loslassen wollte, wofür sie einen so theuern Preis bezahlt hatte. Ein Mal war sie ja fast daran verzweifelt, die

176 Papiere zu erlangen und hatte eine furchtbare Stunde ver­ lebt; außerdem hatte sie sich zu der fruchtlosen Bestechung des Themistocles erniedrigt. Aber sie hatte ihren Zweck erreicht, wenn auch um den Preis, daß Del Ferice ihre Verlobung mit ihr bekannt machen durste. Sie dachte, sie könnte sie noch immer aufheben, wenn sie später ein­ sähe, daß diese Verbindung ihr zu sehr zuwider wäre; allein sie sah voraus, daß sie vom Standpunkt der Welt aus nicht viel verlieren würde, wenn sie einen Mann von solcher Schlauheit heirathete, der solche Waffen gegen seine Feinde in Händen hatte, und der im Ganzen genommen, wie sie glaubte, völlig mit ihrer Lebensauffassung harmonirte. Sie sah ein, daß ihre Aussichten, eine große Partie zu machen, mehr und mehr schwanden; weshalb konnte sie nicht recht sagen, allein zu ihrer Kränkung fühlte sie, daß sie ihre Stellung als reiche Wittwe nicht gehörig ausgenutzt hatte; sie wurde nicht besonders geachtet, und da dies ihre Eitelkeit berührte, empfand sie den Mangel an Hochachtung ihr gegenüber. Sie hatte nichts Böses gethan, aber sie wußte, daß alle sie für eine leichtsinnige Frau hielten, und daß die ökonomischen Römer sich vor ihrer Verschwendung fürchteten, wenn auch vielleicht manchem der Sinn nach ihrem Vermögen stand; viele hatten sie bewundert und bis zu einem gewiffen Grade ihre Verehrung ausgesprochen, allein kein Sproß einer vornehmen Familie hatte um ihre Hand geworben. Die nächste Annäherung an eine Bewer­ bung war die zweifelhafte Aufmerksamkeit gewesen, welche Giovanni Saracinesca ihr zu der Zeit bewiesen hatte, al& sein herrschsüchtiger Vater ihn beinahe überredet hatte, sie zu heirathen, und sie dachte voll Bitterkeit an ihre getäusch­ ten Hoffnungen. Giovanni durch die beabsichtigten Ent­ hüllungen zu Grunde zu richten, Del Ferice zu heirathen

177 und dann mittelst des von ihrem ersten Gatten ererbten Vermögens eine glänzende Stellung einzunehmen, das schien im Ganzen genommen ein kluger Plan. Del Ferices Titel war freilich nicht viel, andrerseits aber stand er mit all ihren Bekannten auf vertrautem Fuße, und für ein paar tausend Scudi konnte sie eine kleine Herrschaft mit einem dazu gehörigen glänzenden Titel kaufen. Dann wollte sie ihre Lebensweise verändern und in der Gesell­ schaft eine Machtstellung einnehmen, wie sie es als junge Wittwe nicht gekonnt hatte. Im Grunde genommen, war es nicht so schlimm, besonders wenn sie ihren Verlobungs­ tag dadurch feiern konnte, daß sie Giovanni Saracinescas Ruf von Grund aus zerstörte, und Coronas Glück einen Schlag versetzte, von dem es sich nie mehr erholen konnte. Del Ferice betrachtete seinen Triumph als einen voll­ kommenen. Ihm war es höchst gleichgültig, was aus Gio­ vanni wurde, — ob er das gegen ihn beigebrachte Zeugniß widerlegen könne oder nicht. Bei der ganzen Sache war keine Unredlichkeit vorgekommen, und beglaubigte Trau­ scheine sind nicht so leicht für ungültig zu erklären. Giovanni mochte obsiegen oder unterliegen — das war Del Ferice ganz gleich, da er nun den Hauptzweck seines Lebens er­ reicht hatte und seine Verlobung mit Donna Tullia Mayer bekannt machen durfte. Er verlor keine Zeit, seinen Freun­ den die frohe Kunde mitzutheilen, und ehe der Tag sich neigte, hatten ihm über hundert Personen gratulirt. Donna Tullia erschien noch auffallender und eleganter als gewöhn­ lich gekleidet und empfing lächelnd die Glückwünsche, mit denen sie überschüttet wurde. Sie war nicht geneigt, die Aufrichtigkeit der Gratulanten in Frage zu stellen, denn in ihrer gegenwärtigen Gemüthsversassung war der Reiz, allgemeines Aufsehen zu erregen, ihren Nerven wohlthuend, Crawford, SaraciiieSca. II.

12

178 welche durch die Aufregung des Tages stark angegriffen worden

waren.

Wenn sie die Augen schloß, hatte sie

schlimme Msionen: Themistoclcs, der mit seiner unverdien­

ten Bestechung die Treppe hinabstürmte, oder Del Ferices ruhiges blasses Gesicht,

wie er an jenem Nachmittag in

ihrem Hause dagesefsen und die kostbaren Papiere festgehal­

ten hatte, bis sie versprochen hatte, den verlangten Preis

dafür zu zahlen, und dieser Preis war sie selbst.

Aber sie

lächelte bei jedem neuen Glückwunsch und dachte in ihrem Her­ zen, daß sie doch noch eine bedeutende Macht in der Gesellschaft werden und ihr Haus zum Mittelpunkt alles Anziehenden

machen werde. Unterdessen dachte sie darüber nach, was für einen Titel sie für ihren Mann kaufen sollte; sie selbst

stammte aus altadligem Geschlecht, und wußte recht gut, wie solche Würden wie „Fürst" oder „Herzog" angesehen werden, wenn sie gekauft sind. Es blieb ihr nichts übrig, als ein nettes kleines Marquisat ausfindig zu machen. „Marchese" klang gut, wenn man sich auch nicht von seinen nennen lassen konnte, indeffen als Tochter eines Fürsten konnte sie am Ende auch das. „Marchese" — ja doch war es recht Schade, daß es in

Dienern „Excellenz"

Rom nur vier „marchesi del baldachino“ *) mit fürstlichem

Range gab! Das wäre eben die Vereinigung von Titel und Würden gewesen, wie Donna Tullia sie für ihren Gatten begehrte.

Wenn er aber erst Marchese wäre und

sie sich sehr mildthätig zeigte und etwas für das öffent­ liche Wohl thäte, so könnte sich der Heilige Vater vielleicht herablassen Del Ferice zum Herzog zu erheben. Donna Tullia träumte in jener Nacht von mancherlei Dingen, und

*) Die das Recht haben, im Vorsaal ihr Wappen unter einem Baldachin anzubringen.

179 die meisten davon erreichte sie später zu aller Ueberraschung,

und wenn die Wahrheit gesagt werden soll, zu ihrem eignen

Erstaunen. Elftes Kapitel.

„Giovanni, Du bist das Opfer abscheulicher Ränke", sagte der alte Saracinesca, als er am folgenden Tage in das Zimmer seines Sohnes trat. „Ich habe es mir in der Nacht überlegt und bin davon überzeugt."

Giovanni lag auf dem Sopha mit einem Buch in der Hand und der Cigarre im Munde. Er blickte ruhig auf. „Noch bin ich kein Opfer und werde auch keins wer­

den," antwortete er, „so viel aber ist klar, daß noch etwas mehr dahinter steckt als bloß Madame Mayers Phantasie. Ich werde das herausbekommen." —

„Was mir besonders gefällt," bemerkte der alte Fürst, Es wäre alltäglich gewesen zu entdecken, daß Du ein halbes Dutzend „ist die erstaunliche Originalität der Erfindung.

Weiber vergiftet und sie im Gewölbe von Saracinesca be­

graben hättest; es wäre banal zu sagen, daß Du nicht Du

selbst sondern Jemand anders wärest, oder zu behaupten,

daß Du ein verkleideter Revolutionär wärest, der den ächten Giovanni ermordet hätte und an seine Stelle getreten wäre,

ohne daß ich es gemerkt, — all das wäre abgedroschen. Aber zu sagen, daß Du wirklich eine lebendige Frau hast

und zu versuchen, das durch Documente zu beweisen,

ein Einfall, der eines großen Geistes würdig ist.

ist

Es macht

einen starr!"

Giovanni lachte. „Das Ende vom Liede wird sein, daß wir nach Aquila

reisen müssen, um meine angebliche bessere Hälfte aufzu­

suchen," sagte er.

„Und nun gerade Aquila! 12*

Wenn fie

179 die meisten davon erreichte sie später zu aller Ueberraschung,

und wenn die Wahrheit gesagt werden soll, zu ihrem eignen

Erstaunen. Elftes Kapitel.

„Giovanni, Du bist das Opfer abscheulicher Ränke", sagte der alte Saracinesca, als er am folgenden Tage in das Zimmer seines Sohnes trat. „Ich habe es mir in der Nacht überlegt und bin davon überzeugt."

Giovanni lag auf dem Sopha mit einem Buch in der Hand und der Cigarre im Munde. Er blickte ruhig auf. „Noch bin ich kein Opfer und werde auch keins wer­

den," antwortete er, „so viel aber ist klar, daß noch etwas mehr dahinter steckt als bloß Madame Mayers Phantasie. Ich werde das herausbekommen." —

„Was mir besonders gefällt," bemerkte der alte Fürst, Es wäre alltäglich gewesen zu entdecken, daß Du ein halbes Dutzend „ist die erstaunliche Originalität der Erfindung.

Weiber vergiftet und sie im Gewölbe von Saracinesca be­

graben hättest; es wäre banal zu sagen, daß Du nicht Du

selbst sondern Jemand anders wärest, oder zu behaupten,

daß Du ein verkleideter Revolutionär wärest, der den ächten Giovanni ermordet hätte und an seine Stelle getreten wäre,

ohne daß ich es gemerkt, — all das wäre abgedroschen. Aber zu sagen, daß Du wirklich eine lebendige Frau hast

und zu versuchen, das durch Documente zu beweisen,

ein Einfall, der eines großen Geistes würdig ist.

ist

Es macht

einen starr!"

Giovanni lachte. „Das Ende vom Liede wird sein, daß wir nach Aquila

reisen müssen, um meine angebliche bessere Hälfte aufzu­

suchen," sagte er.

„Und nun gerade Aquila! 12*

Wenn fie

180 Paris — oder meinethalben Florenz gesagt hätte — aber

warum, im Namen aller Geographie just Aquila?" „Wahrscheinlich hat sie im alphabetischen Register nach

einem abgelegenen Ort gesucht, und ist dabei zunächst auf

Aquila gestoßen," sagte der Fürst lachend.

„In zwei Stun­

Komm, es ist Zeit." Sie sanden Corona in ihrem Boudoir. Sie hatte gestern,

den werden wir es wissen.

nachdem sie sie verlassen hatten, eine unruhige Stunde ver­ lebt; jetzt war ihr Gleichmuth wieder vollkommen hergestellt.

Sie war zu dem Schluffe gekommen, daß wie geschickt auch die Beweise zusammengestellt sein mochten, es doch völlig unmöglich sein würde,

etwas anzuhaben.

mittelst derselben Giovanni

Seine Stellung war über jeden Angriff

erhaben, wie nach ihrer Ansicht sein Character über jede Verleumdung. Weit entfernt davon sich über den Ausgang von Donna Tullias Besuch zu beunruhigen, empfand sie vor allen Dingen Neugierde in Betreff der angeblichen Beweise. Sie glaubte noch immer, Madame Mayer wäre verrückt.

„Ich sprach mich eben gegen Giovanni über Donna der alte Saracinesca.

Tullias Originalität aus", sagte

„Sie ist reizend, sie beweist eine Erfindungsgabe, die man ihr nicht zugetraut, ja kaum geahnt hätte — eine erstaun­

liche, ganz unerhörte Begabung für Erfindungen!" „Es ist reiner Wahnfinn", antwortete Corona im Ton der Ueberzeugung. „Das Weib ist verrückt." „Verrückt wie ein Engländer", bekräftigte der Fürst, indem er den stärksten Vergleich in der italienischm Sprache

gebrauchte.

„Noch vor dem Abend bringen wir sie nach

Santo Spirito, sie wird den Aerzten zu schaffen machen!"

„Sie ist nicht verrückt," sagte Giovanni ruhig.

„Ich

glaube nicht ein Mal, daß sich ihre Documente als Fäl­

schungen herausstellen werden."

181 „Was?" schrie sein Vater. Corona sah ihn ruhig an. „Du selbst", sagte sein Sohn, sich an den alten Saracinesca wendend, „versichertest mir vor einer halben Stunde, ich wäre das Opfer ränkevoller Anschläge. Wenn aber so eine Sache im Ernst unternommen wird, kannst Du Dich darauf verlassen, daß sie geschickt gemacht wird. Sie hat einen guten Verbündeten in ihrem Verlobten. Del Ferice ist kein Narr, und er haßt mich." „Del Ferice!" rief Corona überrascht. Da sie noch keine Gesellschaften besuchte, hatte sie natürlich auch nicht die Neuigkeit gehört, welche am Abend zuvor überall ver­ kündet wurde. „Du meinst doch nicht, daß sie Del Ferice heirathen wird?" „Ja, in der That", sagte Giovanni. „Sie erschienen gestern Abend zusammen und kündigten das Ereigniß an und nahmen von allen Seiten Glückwünsche entgegen. Es ist eine höchst passende Partie." „Da stimme ich Dir bei — eine köstliche dreifache Alliteration von Verstand, Vermögen und Verruchtheit", be­ merkte der Fürst. „Er hat Verstand, sie hat Geld, und Beide sind so schlecht wie nur möglich." „Ich dachte, Donna Tullia hätte Ihnen früher sehr gefallen?" sagte Corona, ein Lächeln unterdrückend. „Das hat sie auch," sagte der alte Saracinesca un­ erschrocken. „Ich wünschte, Giovanni sollte sie heirathen. Es hat der Vorsehung gefallen, dieses schreckliche Unglück abzuwenden. Mir gefiel Madame Mayer, weil sie reich und munter und hübsch war, und ich dachte, als Giovannis Frau würde sie Leben ins Haus bringen. Wir sind ein Paar so ernsthafte Bären, daß uns Jemand tanzen lehren mußte. Ich gestehe, es war ein thörichter Einfall, obwohl er mir damals sehr schön vorkam. Das beweist nur, wie

182 leicht wir uns irren können.

Denkt Euch Giovanni mit

einer Verrückten verheirathet."

„Ich sage noch ein Mal: sie ist nicht verrückt!" sagte „Wie sie es gemacht haben, weiß ich nicht,

Giovanni.

aber auf jeden Fall haben sie es geschickt angefangen und

werden uns Unannehmlichkeiten bereiten.

Das werdet ihr

sehen." „Ich begreife gar nicht, wie dabei von Unannehmlich­ keiten die Rede sein kann," sagte Corona stolz. „Wir

branchen nur ganz einfach die Wahrheit zu sagen und nach­ zuweisen, daß ihre Behauptungen Lügen find. Du kannst leicht nachweisen, daß Du zu jener Zeit in Canada warst. Ich .wünsche, fie wäre erst hier.

Unterdessen wollen wir

zum Frühstück gehen." Die Auffaffnng der drei Personen war bezeichnend für ihre verschiedenen Charactere. Der alte Fürst war von heftiger Gemüthsart und immer geneigt, seinen Feind in jedweder Gestalt zu verachten, also spottete er über den Gedanken, daß überhaupt Beweise vorhanden sein könnten,

und obschon ihm sein natürlicher Verstand mitunter sagte,

daß ein Anschlag gegen seinen Sohn im Spiele sein müßte, blieb er doch bei der Anficht, daß es flch um einen eigen­ thümlichen Fall von Wahnsinn handelte. Er glaubte nicht daran, daß Donna Tullia überhaupt erscheinen würde; und

falls sie käme, war er auf einen heftigen Ausbruch, einen beklagenswerthen Beweis des Wahnsinns gefaßt. Corona dagegen bewahrte ihre stolze Gleichgültigkeit; sie verwarf den Gedanken, daß Giovanni in irgend einer Weise etwas anzuhaben sein könnte, sie liebte ihn zu sehr, um zuzugeben,

daß er überhaupt verwundbar wäre, am wenigsten aber, daß er etwas gethan haben könnte, was auch nur den ge­ ringsten Anhalt für die erhobene Anklage bieten konnte.

183 Giovanni war der Einzige von den Dreien, welcher Unan­ nehmlichkeiten voranssah und ungefähr errieth, wie die Sache zu Wege gebracht worden war; denn er verfiel nicht in den Irrthum seines Vaters, einen Feind zu verachten, und hatte zu viel von der Welt gesehen, um nicht zu wissen, daß die Gefahr oft am größten ist, wenn sie am kleinsten scheint. Kaum war das Frühstück vorüber, als Donna Tullia gemeldet wurde. Alle standen auf, um ihr entgegen zu gehen, und alle sahen sie gleich erwartungsvoll an. Sie war ruhiger, als am Tage vorher, und hielt ein Pack Pa­ piere in der Hand. Ihre rothen Lippen waren zusammen­ gepreßt, und ihre Augen blicken die Anwesenden heraus­ fordernd an. Was sie auch für Fehler haben mochte, an­ gesichts der Gefahr war sie nicht feige. Sie war fest ent­ schlossen, die Sache durchzuführen, sowohl weil sie wußte, daß ihr nichts andres übrig blieb, als weil sie einen Act der Gerechtigkeit zu thun glaubte, der zugleich ihren Durst nach Rache völlig befriedigte. Sie trat dreist aus und stellte sich an den Tisch in der Mitte des Zimmers. Corona stand am Kamin und die beiden Saracinesca an der an­ dern Seite des Zimmers. Alle drei waren athemlos vor Spannung, was Donna Tullia sagen würde; sie war von dem Bewußtsein ihrer Wichtigkeit durchdrungen, und da ihre Vorliebe für dramatische Situationen hier volles Genügen sand, nahm sie die Miene eines rächenden Bühnenengels an und sprach in hochtrabendem Ton. „Ich komme", sagte sie, „auf Ihre Aufforderung, um vor Ihren Augen die Beweise meiner gestrigen Behauptungen darzu­ legen, — die Beweise des furchtbaren Verbrechens, dessen ich jenen Mann beschuldige." Hiebei erhob sie den Finger mit verächtlicher Geberde, streckte den Arm in voller Länge aus und zeigte auf Giovanni.

184 „Gnädige Frau," unterbrach sie der alte Fürst, „ich muß Sie bitten, Ihre Ausdrücke etwas sorgfältiger zu wählen. Bitte, fassen Sie sich kurz und zeigen Sie, was

Sie mitgebracht haben. „Das werde ich allerdings zeigen," sagte Donna Tullia, „und Sie werden erzittern, wenn Sie es sehen. Wenn Sie Beweise für die Wahrheit meiner Behauptun­ gen haben, so mögen Sie selbst die Ausdrücke wählen, um die Handlungsweise Ihres Sohnes zu bezeichnen. Diese Documente", sagte sie, indem sie das Päckchen empyrhielt, „sind beglaubigte Abschriften nach den Originalen, von denen sich die ersten beiden im Besitz des Pfarrers von San Bernardino da Siena zu Aquila befinden, das dritte auf dem Standesamt derselben Stadt. Da es nur Abschriften sind, dürfen Sie sich nicht schmeicheln, daß es ihnen etwas helfen würde, wenn Sie sie vernichteten." „Erlassen Sie uns ihre Bemerkungen über unser muthmaßliches Benehmen", unterbrach sie der Fürst schroffDonna Tullia sah ihn mit verächtlichem Blick an, und ihr Gesicht röthete sich. „Sie können sie vernichten, wenn es Ihnen beliebt," wiederholte sie, „allein ich bitte Sie zu beachten, daß sie den Stempel der Regierung und das Amtssiegel von Gianbattista Caldani, dem öffentlichen Notar in der Sadt Aquila tragen, daß sie also zweifellos ächte Abschriften von authentischen Documenten sind." Darauf öffnete Donna Tullia den Umschlag und zog die drei darin enthaltenen Papiere heraus. Sie glättete sie und nahm das erste zur Hand, welches eine Abschrift aus des Pfarrers Register der Aufgebote enthielt. Sie besagte, daß an den drei dem 19. Juni 1863 vorangegan­ genen Sonntagen besagter Pfarrer in der Pfarrkirche von

185 San Bernardino da Siena des Aufgebot von Giovanni Donna Saracinesca und Felice Baldi verlesen habe. Tullia las es vor. Giovanni konnte kaum ein Lächeln unterdrücken, es klang so sonderbar, — Corona erblaßte, obgleich sie die ganze Sache für eine Betrügerei hielt. „Erlauben Sie, gnädige Frau", sagte der alte Sara­ cinesca und trat zu ihr heran, um ihr das Papier aus der Hand zu nehmen. Er untersuchte das Siegel und den Stempel genau. „Es ist geschickt gemacht," sagte er spöttisch, „aber der Name Saracinesca muß mit einem r geschrie­ ben werden, und hier ist er mit zweien geschrieben. Sehr geschickt, aber doch ein kleiner Fehler! Sehen Sie selbst", sagte er und zeigte Donna Tullia die Stelle. „Es ist ein Versehen des Abschreibers", sagte sie ver­ ächtlich. „In den andern Papieren ist der Name richtig geschrieben. Hier ist die Abschrift aus dem Trauungsregister. Soll ich sie auch vorlefen?" „Ersparen sie mir die Demüthigung," sagte Giovanni mit kalter Verachtung, „ersparen Sie mir die unbeschreib­ liche Kränkung zu erfahren, daß es noch einen Giovanni Saracinesca auf der Welt giebt!" „Ich hätte nicht geglaubt, daß Jemand so verhärtet sein könnte," sagte Donna Tullia. „Aber ob sie sich durch den Beweis Ihrer Missethaten gedemüthigt fühlen oder nicht, ich werde Ihnen nichts ersparen. Hier steht es ganz deut­ lich, und Sie können sehen, daß Ihr Name auch richtig buchstabirt ist." Sie hielt ihm das Document hin und las es vor, die Abschrift aus dem Kirchenbuch, welche besagte, daß am 19. Juni 1863 Giovanni Saracinesca und Felice Baldi in den Stand der heiligen Ehe getreten und in der Kirche

186

des Heiligen Bernadino von Siena getraut worden wären. Sie reichte dem Fürsten das Papier und las dann den Auszug aus dem Standesamtsregister und die Beglaubi­ gung der Unterschriften von Seilen des Notars. Auch dieses gab sie dem Fürsten; dann verschränkte sie die Arme und stand den dreien in feierlicher Haltung gegenüber. „Sind Sie jetzt davon überzeugt, daß ich die Wahr­ heit gesprochen habe?" fragte sie trotzig. „Die Sache ist jedenfalls sehr geschickt gemacht", sagte der Fürst, indem er die Papiere prüfte, ohne darüber ins Klare kommen zu können. Obgleich er ganz genau wußte, daß sein Sohn zur Zeit dieser seiner angeblichen Verheirathung in Canada gewesen war, gestand er sich doch, daß. er solchen Beweisen Glauben geschenkt hätte, wenn sie gegen einen andern vorgebracht worden wären. „Es ist ein schändlicher Betrug!" rief Corona, indem sie über die Schulter des alten Fürsten hin auf die Pa­ piere sah. „Das ist eine Lüge!" rief Donna Tullia, kirschroth vor Zorn. „Vergessen Sie nicht den Anstand oder Sie werden sich Unannehmlichkeiten aussetzen", sagte Giovanni streng. „Ich durchschaue die ganze Sache. Es liegt kein Betrug vor, und doch sind die Folgerungen durchaus unrichtig. Erstens, Donna Tullia, wie wollen Sie die hier gemachten Angaben mit der Thatsache vereinigen, daß ich den ganzen Sommer 1863 und den ersten Theil des Jahres 1864 in Canada war mit einer Gesellschaft von Herren, die noch alle am Leben sind und diese Thatsache bezeugen können?" „Ich glaube es nicht", antwortete Madame Mayer verächtlich. „Ich würde es Ihren Freunden nicht glauben, auch wenn sie hier wären, um es zu beweisen, daß Sie

187 im vorigen Sommer am Nordpol waren,

wie es in den

Zeitungen hieß, während doch jetzt Zeder weiß, in Saracinesca gewesen sind.

daß Sie

Sie verstehen es, Ihre Hand­

lungen und Ihren Aufenthalt sehr geschickt zu verbergen. Das wissen wir."

Giovanni verlor nicht die Selbstbeherrschung, sondern

entwickelte seine Ansicht in voller Ruhe weiter.

„Sie werden indessen finden, daß vor einem Gerichts­ hof die eidliche Versicherung von Ehrenmännern gültig

„Ueberdies werde ich als weiteres Zeugniß und höchst bedeutungsvollen Beweis wahrscheinlich ist", versetzte er ruhig.

Giovanni Saracinesca und Felice Baldi selbst vorführm können, um wider Sie zu zeugen. Ja, ich vermuthe, be­ sagter Giovanni Saracinesca wird nachdrücklichst betheuern,

daß besagte Felice Baldi seine Frau ist und nicht meine." „Sie sprechen in merkwürdigen Räthseln, aber mich

werden Sie nicht täuschen!

Geld vermag freilich viel, aber

es wird doch nicht vermögen, was Sie erwarten." „Gewiß nicht", sagte Giovanni, unerschüttert durch „Geld wird sicherlich keinen zweiten Gio­

ihre Gegenrede.

vanni Saracinesca aus

dem Nichts

erschaffen, eben so

wenig wie den Kreis seiner Bekannten, noch auch die Per­ sonallisten, welche von der Polizei im Königreich Italien ziemlich in derselben Weise geführt werden wie hier bei

uns im Kirchenstaat. beschaffen."

Geld vermag nichts von alledem zu

Sein Vater und die Herzogin lauschten seinen Worten

mit gespannter Aufmerksamkeit. „Donna Tullia," fuhr Giovanni fort, „ich bin nach Ihrem Benehmen willens zu glauben, daß Sie mich wirk­ lich für den in diesen Papieren bezeichneten Mann halten; aber erlauben Sie mir, Ihnen zu erklären, daß Sie das

188 Opfer einer leicht zu durchschauenden Täuschung geworden sind, und zwar wahrscheinlich von Seiten desjenigen, der Ihnen eben diese Papiere übergab und Ihnen rieth, in der Weise, wie Sie es jetzt gethan, Gebrauch davon zu machen." „Ich? Ich das Opfer einer Täuschung?" wiederholte Donna Tullia, welche durch seine beharrlich ruhige Haltung doch endlich betroffen wurde. „Ja", wiederholte er. „Ich kenne Aquila und die Abruzzen recht gut. Es fügt sich so, daß obschon unsre Familie, die Saracinesca aus Rom, nicht zahlreich ist, der Name in jener Gegend nicht selten vorkommt. Dasselbe ist mit all unsern großen Namen der Fall. Es giebt überall im Lande Colonna, Orsini, Caetani, ja es giebt sogar viele Familen, welche den Namen der Medici führen, obschon deren Geschlecht erloschen ist. Sie wissen das eben so gut wie ich, oder könnten es wenigstens wissen, denn ich glaube, Ihre Mutter war eine Cousine meines Vaters. Ist es Ihnen gar nicht eingefallen, daß der hier erwähnte Giovanni Saracinesca ganz einfach ein niedriggeborener Namensvetter von mir sein könnte?" Donna Tullia war sehr blaß geworden; sie stützte sich auf den Tisch, als ob sic sich schwach fühlte. Die Andern lauschten athemlos. „Ich glaube es nicht", sagte Madame Mayer leise mit gebrochener Stimme. „Nun will ich Ihnen sagen, was ich thun will," fuhr Giovanni fort. „Ich will sofort nach Aquila reisen, viel­ leicht wird mein Vater mich begleiten"--------„Natürlich komme ich mit", fiel der alte Fürst ein. „Wir wollen Hinreisen und binnen vierzehn Tagen die ganze Geschichte dieses Giovanni Saracinesca, ihn selbst und seine Frau in Person ans Tageslicht ziehen, wenn sie

189 noch leben, wir wollen sie mit nach Rom bringen, und sie werden Ihnen die Versicherung geben, daß Sie schnöde getäuscht, hintergangen und in eine falsche Stellung ge­ bracht worden sind —• von — nun von demjenigen, der Ihnen diese Documente verschafft hat. Es wundert mich nur, daß irgend ein Römer mit gesundem Menschenverstände die Ursache dieses Irrthums nicht sofort eingesehen haben sollte." „Ich kann es nicht glauben", murmelte Donna Tullia. Dann setzte sie mit lauterer Stimme hinzu: „Was auch das Ergebniß Ihrer Nachforschungen sein möge, ich kann nicht anders als glauben, daß ich in dieser Sache meine Pflicht gethan habe. Ich glaube weder an Ihre Muth­ maßung, noch an Sie, und ich werde es nicht, ehe Sie jenen andern zur Stelle bringen. Ich habe meine Pflicht gethan" — „Ohne Zweifel eine sehr schmerzliche", bemerkte der alte Saracinesca; dann brach er in ein lautes Gelächter aus. „Und wenn Ihre Nachforschungen keinen Erfolg haben, wird es meine Pflicht sein, im Interesse der Gesellschaft diese Sache der Polizei zu übergeben. Weil Sie die Un­ verschämtheit haben zu sagen, daß diese Papiere werthlos sind, verlange ich sie zurück." „Keineswegs, gnädige Frau," erwiderte der Fürst, deffen Lachen bet der wiederkehrenden Dreistigkeit ihres Auftretens verstummte. „Ich werde sie Ihnen nicht zurück­ geben. Ich beabsichtige, sie mit den Originalen zu ver­ gleichen. Wenn keine entsprechenden Originale vorhanden sind, werden sie dazu dienen, den Notar, dessen Siegel sie tragen, sowie Sie selbst, unter wohl begründeter Anklage wegen Fälschung, absichtlicher Verleumdung und einer gan­ zen Reihe von Verbrechen vor Gericht zu stellen, die ge­ nügen möchte, Sie lebenslänglich auf die Galeeren zu brüt«

190 gen. Wenn dagegen die Originale vorhanden sind, so können diese Papiere keinen Werth für Sie haben, denn Sie können ja nach Aquila schicken und sich neue Abschriften machen laffen, wenn es Ihnen beliebt, wie Sie mir selbst gesagt haben." Die Sache nahm für Donna Tullia eine schlimme Wen­ dung. Sie hielt die Documente für ächt, aber es kam ihr der furchtbare Argwohn, daß Del Ferice vielleicht diese Papiere hätte fälschen laffen, um sie zu täuschen. Jedweder konnte Stempelpapier kaufen, und das Siegel eines Notars nachmachen lassen war auch eine leichte Sache. Sie war entsetzt über diesen Gedanken, allein es war keine Möglich­ keit, die Papiere von dem alten Fürsten zurückzuerlangen, denn er hielt sie fest in seiner breiten braunen Hand. Ihr blieb nichts übrig, als die Sache ihren Lauf nehmen zu laffen und jetzt zu gehen. „Wie Sie wünschen", sagte sie. „Es ist ja natürlich, daß Sie mich beleidigen, — mich, eine wehrlose Frau, welche das Rechte zu thun sucht. Es ist Ihres Geschlechts und Ihres Rufes würdig. Ich will Sie der Ueberlegung beffen, was Sie thun wollen, übertaffen und rathe Ihnen nur, nichts zu unterlassen, was dazu beitragen kann, die Unschuld Ihres Sohnes zu beweisen." Donna Tullia warf noch einen Blick höhnischer Heraus­ forderung auf die Gruppe und rauschte empört aus dem Zimmer. „Das war also ihre Verrücktheit!" rief Giovanni aus, als sie fort war. „Ich denke, ich bin der Sache auf den Grund gekommen." „Es scheint so einfach und doch war es mir nie ein­ gefallen", sagte Corona. „Wie klug Du bist, Giovanni." „Es bedurfte keiner großen Klugheit, einen so plum-

191 pen Anschlag zu durchschauen," versetzte Giovanni. „Ich argwöhnte so etwas schon heute Morgen, und als ich sah, daß die Documente ächt und völlig in Ordnung waren, war ich davon überzeugt. Del Ferice hat dies angezettelt, vermuthlich um sich dafür zu rächen, daß ich ihm in recht­ mäßigem Zweikampfe beinahe das Leben genommen. Es war ein edler Plan! Mit etwas mehr Klugheit und etwas mehr Mühe hätte er mir große Unannehmlichkeiten bereiten können. Wenn solche beglaubigten Beweisstücke aus einem entlegenen französischen Dorfe in Canada beigebracht wor­ den wären, hätten sie uns für längere Zeit Beschäftigung gegeben." „Ich wünsche Donna Tullia Glück zu ihrem Gatten", bemerkte der Fürst. „Er wird ihr Geld in ein paar Jahren durchbringen, und sie dann dem Nachdenken über seine Verschwendung überlassen. Ich möchte wissen, wie er sie bewogen hat, ihm ihr Jawort zu geben." „Vielen gefällt Del Ferice," sagte Giovanni, „er ist sehr beliebt und hat sein Anziehendes." „Wie kannst Du das sagen!" rief Corona entrüstet. „Du solltest von den Frauen eine bessere Meinung haben, als zu glauben, daß irgend eine an solchem Manne etwas Anziehendes finden könnte." „Trotzdem wird Donna Tullia ihn heirathen", versetzte Giovanni. „Er muß doch nach Ihrem Geschmack sein. Ich dachte früher, sie würde Valdarno heirathen, — Du weißt, der ist so gutmüthig." Giovanni sprach nachdenUich, die beiden Andern lachten.

„Und nun, Giovannino," sagte sein Vater, „müssen wir nach Aquila reisen und Deinen Namensvetter suchen." „Ihr werdet doch nicht wiMch fortreisen?" fragte Co-

192 rona enttäuscht. Sie konnte den Gedanken nicht ertragen, auch nur einen Tag von dem Geliebten getrennt zu sein. „Ich sehe nicht, was wir anders thun können," ant­ wortete der Fürst. „Ich muß darüber ins Reine kommen, ob diese Papiere gefälscht find oder nicht. Sind fie es, so muß das Weib dafür ins Gefängniß." „Aber sie ist unsre Cousine — Du kannst das nicht thun," wendete Giovanni ein. „Ich will es aber doch. Ich bin böse. Versuche nicht, mich zurückzuhalten. Meinst Du, ich mache mir etwas aus der Verwandtschaft im Vergleich dazu, ihr all diesen Aerger zu vergelten? Du wirst doch nicht plötzlich barm­ herzig werden, Giovanni? Ich würde Dich nicht wieder­ erkennen." Es lag eine Art von wehmüthigem Vorwurf im Ton dieser Worte, als ob der alte Fürst seinem Sohn tadeln wollte, daß er vom Pfade der Tugend abgewichen wäre. Corona lachte, sie war nicht hartherzig, aber auch nicht eine so engelgleiche Seele, als daß sie nicht tiefen und nachhal­ tigen Groll über erlittene Unbill gefühlt hätte. In diesem Augenblick gefiel ihr der Gedanke, über Donna Tullia Ge­ richt ergehen zu lassen. „Nun," sagte Giovanni, „kein Mensch kann fich rüh­ men, Dich je von dem abgebracht zu haben, was Du Dir vorgenommen hattest. Das Beste, was geschehen kann, ist, daß Du die Papiere ächt und meinen Namensvetter am Leben findest. Ich wünsche, Aquila wär Florenz oder Ne­ apel," setzte er zu Corona gewendet hinzu, „dann könntest Du vielleicht mitreisen." „Das ist unmöglich", antwortete sie traurig. „Wie lange, meinst Du, werdet ihr fortbleiben?" Giovanni glaubte nicht, daß sie unter vierzehn Tagen

193 zurück sein könnten, wenn die Documente ächt wären und sie den darin bezeichneten Mann aussuchen müßten. „Warum entsendet ihr nicht einen Polizisten — einen sbirro?" schlug Corona vor. „Er könnte nichts ausrichten", erwiderte der Fürst. „Er könnte dort nur schaden, wir müssen selbst Hinreisen." „Beide?" fragte Corona betrübt, Giovanni ansehend. „Es ist meine Angelegenheit," entgegnete dieser, „und ich kann es nicht von meinem Vater verlangen, daß er allein hingeht." „Unsinn!" rief der alte Fürst, gereizt durch den Ge­ danken, daß er der Hülfe bedürfte, um die Angelegenheit zu erledigen. „Meinst Du, ich brauche Jemanden, der für mich sorgt wie für ein kleines Kind? Ich werde allein reisen. Du sollst nicht mitkommen, selbst nicht, wenn Du es wünschest! Es ist abgeschmackt so zu reden, als ob ich Jemanden bei mir haben müßte. Ich werde Dir zeigen, was ein Vater thun kann, wenn er aufgebracht ist." Alle Gegenrede blieb nutzlos. Der alte Herr wurde böse über den Widerstand und ohne Rücksicht auf die Form, ergriff er seinen Hut und verließ das Zimmer, indem er brummte, daß er so gut wäre wie jeder andre, ja noch besser. Als er fort war, sahen Corona und Giovanni einander an und lächelten. „Ich glaube, mein Vater ist der beste Mensch von der Welt," sagte Giovanni. „Er würde auf der Stelle ab­ reisen, wenn ich es zuließe. Ich will ihm nachgehen und ihn zurückbringen. Ich glaube, ich muß es." „Ich glaube es auch", sagte Corona; aber als sie so neben einander standen, legte sie zärtlich die Hand in seinen Arm und sah ihm in die Augen. Es war ein sehr liebeCrawford, Saracineöca. II.

13

194 voller, sanfter Blick, — kein andrer als Giovanni hatte je einen solchen Ausdruck auf ihrem Gesicht gesehen. Er schlang den Arm um sie, zog sie an sich und küßte ihre dunkle Wange. „Ich kann es nicht ertragen fortzugehen und Dich auch nur einen Tag zu verlassen", sagte er, sie ans Herz drückend. „Warum solltest Du auch?" flüsterte sie und sah ihn an. „Warum solltest Du überhaupt Hinreisen? Es ist eine zu dumme Geschichte. Ich möchte wohl wissen, ob das Weib sich wirklich eingebildet hat, daß je etwas zwischen uns treten könnte? Das brachte mich auf den Gedanken, sie müsse von Sinnen sein." „Ein ausgezeichneter Grund", sagte er. „Jeder muß von Sinnen sein, der daran denkt uns zu trennen. Es ist, als ob ich Dich vor einem Jahre noch gar nicht geliebt hätte." „Das freut mich so!" sagte Corona. „Erinnerst Du Dich, wie ich Dir im vorigen Sommer auf dem Thurm von Saracinesca sagte, Du wüßtest nicht, was Liebe ist?" „Es ist wahr, Corona, ich wußte es nicht. Aber ich glaubte es zu wiffen. Ich konnte mir nicht denken, was das Glück der Liebe wäre, noch wie groß, noch wie es so alles Sinnen und Denken ausfüllen könnte." „Alles Denken? Auch Deine großen Gedanken?" „Wenn ich überhaupt große Gedanken habe, so sind sie es, weil Du die Triebfeder dazu bist," antwortete er. „Wird es immer so bleiben?" fragte sie. „Du wirst einst ein großer Mann werden, Giovanni, wirst Du immer fühlen, daß ich Dir etwas bin?" „Immer, mehr als alles andre, mehr als ich selbst!" „Mir ist es oft, als verstände ich Dich jetzt besser als früher," sagte Corona. „Ich glaube so gern, daß Du

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fühlst, wie ich Dich verstehe, wenn Du zu mir sprichst. Ich bin natürlich nicht so klug, wie Du, aber ich liebe Dich so sehr, daß mir ist, als ob ich alles verstünde. Es ist wie ein Heller Blitz in einem dunkeln Zimmer." Giovanni küßte sie wieder. „Weshalb denkst Du, daß ich ein großer Mann wer­ den sollte, Corona? Niemand hält mich für klug. Mein Vater würde Dich auslachen und sagen, es sei Größe ge­ nug, als ein Saracinesca auf die Welt gekommen zu sein. Weshalb denkst Dn es?" Corona stand neben ihm und legte ihre zarte Hand ans sein dichtes kurz geschnittenes schwarzes Haar und sah ihm in die Augen. „Ich weiß es," sagte sie, „ich weiß es, weil ich Dich so liebe. Ein Mann wie Du muß groß sein. In Dir ist etwas, das Niemand ahnt, außer mir, das eines Tages alle in Erstaunen setzen wird, das weiß ich." „Ich möchte wohl wissen, ob Du cs mir sagen kannst, wenn wirklich so etwas in mir ist?" fragte Giovanni. „Es ist Dein Ehrgeiz", sagte Corona. „Du bist der ehrgeizigste Mensch, den ich kenne, und das hat noch Nie­ mand heransgefunden." „Ich glaube, es ist wahr, Corona," sagte Giovanni; er wendete sich ab und lehnte sich ans Kamin, den Kopf auf eine Hand gestützt. „Ich glaube, Du hast recht. Ich bin ehrgeizig; hätte ich nur so viel Verstand, wie manche andre, so könnte ich Großes thun." „Du hast unrecht, Giovanni. Weder Verstand, noch Kraft, noch Ehrgeiz fehlt dir — nur Gelegenheit!" „Es heißt, wer etwas in sich hat, schafft sich selbst die Gelegenheit," antwortete Giovanni wehmüthig. „Ich fürchte, eben weil nichts in mir ist, kann ich nichts thun. Dieser 13*

196 Gedanke macht mich ost recht unglücklich. Ich glaube, weil er meine Eitelkeit kränkt." „Sprich nicht so", sagte Corona. „Du bist natürlich nicht ohne Eitelkeit, aber sie ist von großer Art, und darum nenne ich sie Ehrgeiz. Nicht nur weil ich Dich mehr liebe als je ein Mann geliebt ward, rede ich so. Ich weiß es instinctiv. Ich habe dich sagen hören, daß unsre Zeiten unruhig sind. Warte ab; es wird für Dich eine Gelegen­ heit kommen wie ost in früheren Jahrhunderten für deine Vorfahren." „Ich möchte ihr Beispiel kaum für ein gutes halten", erwiderte Giovanni lächelnd. „Sie pflegten in bedeutungsvollen Zeiten bedeutende Dinge zu thun", sagte Corona. „Du wirst ein Gleiches thun. Dein Vater, zum Beispiel würde es nicht." „Er ist viel klüger als ich", wendete Giovanni ein. „Klüger! Es gilt für Klugheit. Er faßt schnell auf, ist thätig, spricht gut, hat schlagenden Witz und weiß scharf zu antworten,. — er ist gutmüthig, wenn ihn die Laune ankommt, grausam, wenn er danach gestimmt ist, — aber nicht ein Mann von tiefen Ueberzeugungen oder großen Thaten. Du bist ganz anders als er." „Möchtest Du ein Bild von mir entwerfen, Corona?" fragte Giovanni. „So weit ich Dich kenne. Du bist ein Mann, der schnell denkt und langsam zu einem Entschluffe kommt. Du bist nicht glänzend in der Unterhaltung — Du siehst, ich schmeichle Dir nicht; ich bin gerecht, Du hast die merkwürdige Eigenschaft kalt zu werden, wenn andre sich erhitzen, und unter allen Verhältniffen vollkommene Faffung zu bewahren. Wenn Du eine Entscheidung getroffen hast, bist Du nicht davon abzubringen, allein Du bist durch

197 Gründe zu überzeugen. Du hast eine große Ruhe in Deinem Auftreten, hinter welcher sich ein ruheloser Geist verbirgt. Alle Deine Leidenschaften sind stark. Du kannst nie ver­ geben noch vergessen, und kaum jemals bereuen. Zu all diesem hast Du einen unbezähmbaren Ehrgeiz, der noch nicht ein geeignetes Feld der Thätigkeit gefunden hat. Das sind Deine Eigenschaften und ich liebe sie alle, aber Dich mehr als alle zusammen." Corona endete ihre Rede damit, daß sie ihre Arme um seinen Hals schlang, und in ein glückseliges Lachen aus­ brechend, barg sie ihr Gesicht an seiner Schulter. Keiner, der sie in der Gesellschaft gesehen, würde ihr diese plötzlichen und lebhaften Ausbrüche von Zärtlichkeit zugetraut haben, — sie galt für so kalt. Als Giovanni nach Hause kam hörte er, sein Vater sei oor einer Stunde nach Terni abgereist und ließe ihm sagm, er ginge nach Aquila.

Zwölftes Kapitel. Zn jener Zeit ging die Eisenbahn in der Richtung nach Aquila nicht weiter als bis Terni; die vierzig römi­ schen Meilen zwischen diesen beiden Städten mußten mit der Post zurückgelegt werden. Spät am Nachmittag des folgenden Tages rollte die schwerfällige Kutsche vor die Thir des Wirthshauses zur Sonne in Aquila, und der Fürst Saracinesca befand sich am Orte seiner Bestimmung. Die rothe Abendsonne vergoldete den Schnee auf dem Gran Saso d'Jtalia, der ungeheuren Bergkuppe, welche über der Stadt Friedrichs emporragt. Die Stadt selbst lag schon lange im Schatten, und die Frühlingsluft war scharf

197 Gründe zu überzeugen. Du hast eine große Ruhe in Deinem Auftreten, hinter welcher sich ein ruheloser Geist verbirgt. Alle Deine Leidenschaften sind stark. Du kannst nie ver­ geben noch vergessen, und kaum jemals bereuen. Zu all diesem hast Du einen unbezähmbaren Ehrgeiz, der noch nicht ein geeignetes Feld der Thätigkeit gefunden hat. Das sind Deine Eigenschaften und ich liebe sie alle, aber Dich mehr als alle zusammen." Corona endete ihre Rede damit, daß sie ihre Arme um seinen Hals schlang, und in ein glückseliges Lachen aus­ brechend, barg sie ihr Gesicht an seiner Schulter. Keiner, der sie in der Gesellschaft gesehen, würde ihr diese plötzlichen und lebhaften Ausbrüche von Zärtlichkeit zugetraut haben, — sie galt für so kalt. Als Giovanni nach Hause kam hörte er, sein Vater sei oor einer Stunde nach Terni abgereist und ließe ihm sagm, er ginge nach Aquila.

Zwölftes Kapitel. Zn jener Zeit ging die Eisenbahn in der Richtung nach Aquila nicht weiter als bis Terni; die vierzig römi­ schen Meilen zwischen diesen beiden Städten mußten mit der Post zurückgelegt werden. Spät am Nachmittag des folgenden Tages rollte die schwerfällige Kutsche vor die Thir des Wirthshauses zur Sonne in Aquila, und der Fürst Saracinesca befand sich am Orte seiner Bestimmung. Die rothe Abendsonne vergoldete den Schnee auf dem Gran Saso d'Jtalia, der ungeheuren Bergkuppe, welche über der Stadt Friedrichs emporragt. Die Stadt selbst lag schon lange im Schatten, und die Frühlingsluft war scharf

198 und schneidend. Saracinesca ließ sein leichtes Gepäck bei dem behäbigen Wirth, sagte, er würde in einer halben Stunde zum Abendessen wiederkommen, und fragte nach dem Wege zur Kirche San Bernardino von Siena. Es war nicht schwer sie zu finden, sie lag am Ende des Corso — des unvermeidlichen „Corso" jeder italienischen Stadt. Der alte Herr schritt schnell die reinliche breite Straße entlang und erreichte die Kirche gerade, als der Küster den schweren Ledervorhang emporzog, um die Kirche für die Nacht zu verschließen. „Wo kann ich den Padre Curato finden?" fragte der Fürst. Der Mann sah ihn an, gab ihm aber keine Ant­ wort, sondern fuhr fort die Thüren mit größter Sorgfalt zu verschließen. Es war ein alter Mann in schäbigem Chorrock mit struppigem Bart, und er schien eben Tabak geschnupft zu haben. „Wo ist der Curato?" wiederholte der Fürst und zupfte ihn am Aerrnel. Aber der Mann schüttelte den Kops und drehte den wuchtigen Schlüssel im Schloß herum. Zwei kleine zerlumpte Jungen spielten auf den Stufen vor der Kirche, sie legten fünf Kastanien auf ein Häuflein und warfen sie dann mit einem kleinen Stein herunter. Als einer eben den Hausen umgeworfen hatte, hörte er auf und näherte sich dem Fürsten. „Der ist taub", sagte er, auf den Küster zeigend. Dann lief er zu ihm, stellte sich hinter ihm auf die Zehen und schrie ihm ins Ohr: „Bratta bestia!“ Der Küster hörte cs nicht, aber er sah den Buben und holte nach ihm aus. Er verfehlte ihn aber und ver­ lor beinahe das Gleichgewicht. „Was für Manieren! — ehe educazione!“ rief der alte Mann ärgerlich.

199 Unterdessen verbarg sich der kleine Junge hinter Saracinesca, znpfte ihn am Rock und bat um einen Soldo. Der Küster zog ruhig den Schlüssel aus dem Schloß und ging fort, ohne den Fürsten eines Blickes zu würdigen. „Er ist taub", kreischte der kleine Knabe, dessen Ge­ fährte nun zu ihm gestoßen war, und beide umtanzten den seinen Herrn in großer Aufregung. „Geben Sie mir einen Soldo", zeterten beide zugleich. „Zeigt mir das Haus des Padre Curato", antwortete der Fürst, „dann will ich jedem von euch einen Soldo geben, lesti! schnell!" Darauf begauneu die beiden Jungen mit fabelhafter Behendigkeit mit Händen und Füßen Rad zu schlagen. Endlich verfielen sie wieder in eine natürliche Stellung und zeigten den Weg nach dem Pfarrhaus, kaum zwanzig Schritt von der Kirche, in einer engen Gasse. Der Fürst zog die Klingel an einer langen Kette, die neben der offenen Haus­ thür hing und gab den Jungen die versprochenen Kupfer­ münzen. Sie gingen aber nicht fort, sondern blieben stehen, um zu sehen, was geschehen würde. Ein altes Weib sah von oben aus dem Fenster und nachdem sie den Fürsten prüfend betrachtet hatte, rief sie zu ihm herunter: „Was wollen Sie?" „Ist der Padre Curato zu Hause?" „Natürlich ist er zu Hause", kreischte das alte Weib. „Um diese Stunde!" setzte sie verächtlich hinzu. „Ebbene! kann ich ihn sprechen?" „Was! ist die Thür verschloffen?" versetzte die Hexe. „Nein!" — „Warum kommen Sie denn nicht herauf ohne zu fragen?" Der Kopf der Alten verschwand und das Fenster wurde klirrend zugeschlagen. „Sie ist eine Frau ohne Manieren, Senza educazione,"

200 bemerkte einer der Jungen und schnitt eine Fratze nach dem Fenster hinauf. Der Fürst trat durch die Thür und stolperte die dunkle Treppe in die Höhe, und nach etwas mehr Hin- und Her­ reden erlangte er Zutritt zur Wohnung des Pfarrers. Der Pfarrer saß in einer Stube, welche zugleich als Speise­ zimmer, Wohn- und Studirstube zu dienen schien. Aus einem reinlich gedeckten kleinen Tisch befand sich ein Teller, ein Brod, ein zerbeulter Lössel, ein Mester und ein kleines Maß dünnen Weines. Eine Messinglampe mit drei Doch­ ten, von denen nur einer brannte, ergoß ein mattes Licht über das ärmliche Zimmer. An der Wand stand ein roher Tisch mit einem Schreibzeug und drei bis vier verschimmel­ ten Büchern. Darüber hing ein kleines schwarzes Kreuz mit einer bronzenen Christusgestalt, und über diesem ein Farbendruck vom Heiligen Bernardino von Siena. Die Wände waren geweißt, — durchaus reinlich, wie überhaupt alles im Zimmer, und ein großer Nelkenstock, der zur Nacht hereingenommen war und auf der Steinbrüstung innerhalb des geschloffenen Fensters stand, verbreitete süßen Blumen­ duft. Der Pfarrer war ein großer ältlicher Mann mit besonders sanftem Gesicht und milden braunen Augen. Er trug einen fadenscheinigen sorgsam gebürsteten Priesterrock und unter seiner dreieckigen schwarzen Mütze hing sein dün­ nes Haar in schlichter grauer Franse herab. Als der Fürst ins Zimmer trat, rief das alte Weib über seine Schultern dem Priester eine unbestimmte Form von Anmeldung zu. „Ddn Paolo, — c’e uno, da ist Einer." Dann zog sie sich mit hörbarem Murren zurück. Der Priester zog die Mütze ab, verneigte sich höflich und bot seinem Gast einen der beiden Stühle. Dann setzte er mit einer Entschuldigung die Mütze wieder auf und

201 nahm dem Fürsten gegenüber Platz. Es lag viel höfliche Einfachheit in seiner Art und Weise. „Womit kann ich Ihnen dienen, Signore?" fragte er. „Diese Papiere", antwortete der Fürst, indem er den berühmten Umschlag aus seiner Tasche zog, „find Abschrif­ ten gewisser Documente, die Sie in Verwahrung haben, fie beziehen fich auf die angebliche Heirath eines gewissen Giovanni Saracinesca. Mit Ihrer gütigen Erlaubniß möchte ich gern die Originale davon sehen." Der alte Pfarrer verneigte sich wie zustimmend und sah seinen Gast einen Augenblick fest an, ehe er ant­ wortete. „Nichts einfacher als das, mein lieber Herr. Sie wer­ den indessen verzeihen, wenn ich es wage nach Ihrem Namen zu fragen und auch zu welchem Zwecke Sie die betreffen­ den Papiere zu sehen wünschen?" „Ich bin Leo Saracinesca aus Rom." Der Priester schien betroffen. „Ein Verwandter von Giovanni Saracinesca?" fragte er und setzte dann gleich hinzu: „Wollen Sie mich einen Augenblick entschuldigen?" Damit verließ er plötzlich das Zimmer. Der Fürst war nicht wenig erstaunt, allein er hielt die Papiere fest in der Hand und rührte sich nicht von seinem Sitz. Der Pfarrer kam in einem Augenblick zurück und brachte ein altes bemaltes, hie und da bestoßenes Porzellankörbchen mit, welches eine Anzahl von Visiten­ karten enthielt. Es waren kaum zwanzig, vom angehäuften Staub gebräunt. Der Priester suchte eine heraus, welche etwas neuer aussah als die andern und nachdem er sich seine große Brille sorgsam auf der Nase zurecht gerückt hatte, ging er an die Lampe und besah die Karte. „11 Conte del Ferice“, las er langsam. „Kennen Sie

202 vielleicht den Herrn?" fragte er, sich zum'Fürsten wendend und sah ihn scharf dabei an. „Jawohl", antwortete Saracinesca, der jetzt aufing den Zusammenhang der Sache zu verstehen. „Ich kenne ihn sehr gut." „Ach, das ist schön!" sagte der Priester. „Er war vor zwei Jahren hier und ließ diese Giovanni Saracinesca be­ treffenden Eintragungen aus dem Kirchenbuch abschreiben. Wahrscheinlich, ja vielmehr sicherlich, sind die Papiere, welche Sie da haben, genau dieselben, welche er von hier mitnahm. Als er mich aufsuchte, gab er mir diese Karte." „Das wundert mich", versetzte Saracinesca. „Allerdings", entgegnete der Pfarrer, nachdem er sich etwas besonnen hatte, „kam er am nächsten Tage wieder, ja, ich erinnere mich, und wollte seine Karte zurückhaben, aber ich konnte sie nicht finden. Ich hatte ein Loch in der Tasche, durch das war sie hindurchgeglitten. Carmela, meine alte Magd fand sie nach einigen Tagen im Futter meines Rockes. Ich fand es sonderbar, daß er sie zurück­ verlangte." „Es war ganz natürlich. Er wünschte, Sie möchten ihn vergessen. „Er fragte mich vielerlei über Giovanni," sagte der Priester, „aber ich konnte ihm damals keine Antwort geben." „Könnten Sie es jetzt?" fragte der Fürst lebhaft. „Entschuldigen Sie, mein guter Herr, wie sind Sie mit Giovanni verwandt? Sie sagen, Sie sind aus Rom?" „Wir wollen uns verständigen, Signor Curato," sagte Saracinesca. „Ich sehe, es ist besser, wenn ich Ihnen die Sache auseinandersetze. Ich bin Leo Saracinesca, der Fürst dieses Namens und das Haupt der Familie." Der Priester verneigte sich ehrerbietig bei dieser Mittheilung. „Mein

203 einziger Sohn lebt bei mir in Rom, er ist gegenwärtig dort und sein Name ist Giovanni Saracinesca. Er ist verlobt. Als die Verlobung bekannt gemacht wurde, ver­ suchte ein Feind unsrer Familie mittelst dieser Papiere zu beweisen, daß er bereits mit einer gewissen Felice Baldi verheirathet wäre. Nun möchte ich wissen, wer dieser Giovanni Saracinesca ist, wo er ist, und wie er zum Namen meines Sohnes kommt. Ich möchte eine Bescheinigung oder irgend einen Beweis dafür haben, daß er nicht mein Sohn ist, — daß er entweder lebt, oder daß er gestorben und begraben ist." Der alte Priester brach in ein herzliches Lachen aus und rieb sich vergnügt die Hände. „Mein lieber Herr, ich meine Excellenz, vor vierzehn Tagen habe ich Felice Baldis zweites Kindchen getauft! Nichts ist einfacher" — „Das dachte ich mir!" rief der Fürst und sprang in großer Aufregung vom Stuhl auf. „Das dachte ich mir! Wo ist das Kindchen? Lassen Sie sofort das Kind holen — und die Mutter, und den Vater, die ganze Familie!" „Subito! Sofort, oder kommen Sie mit. Ich will Jhnm die ganze Familie zusammen zeigen", sagte der Pfarrer mit harmloser Freude. „Prächtige Kinder sind es! Carmela, meinen Mantel! sbrigati! spute Dich!" „Noch einen Augenblick", wandte Saracinesca ein, als ob ihm plötzlich etwas einfiele. „Noch einen Augenblick, Signor Curato; wer langsam geht, geht sicher. Von wo ist dieser Mann her, und wie kommt er zu seinem Namen? Ich möchte erst etwas über ihn wissen, ehe ich ihn sehe." „Ganz recht", sagte der Priester und setzte sich wieder. „Das hatte ich vergessen. Nun die Geschichte ist nicht lang. Gioranni Saracinesca ist ans Neapel. Sie wissen, es

204 gab einst im Königreich Neapel einen Zweig Ihrer Familie, so wenigstens sagt Giovanni, der ist ein ehrlicher Kerl. Ihr Titel war: Marchese di San Giacinto; und wenn Giovanni ihn beanspruchen wollte, so hat er noch immer ein Recht auf den Titel." „Aber jene Saracinesca waren vor fünfzig Jahren ausgestorben", sagte der Fürst, der in der Geschichte seiner Familie wohl bewandert war. „Giovanni sagt nein. Es hieß, fie wären ausgestor­ ben. Der letzte Marchese di San Giacinto kämpfte unter Napoleon. Er verlor alles, was er besaß, Güter, Vermögen, kurz alles, durch Confiscation, qls 1815 Ferdinand wieder eingesetzt wurde. Er war ein schlichter kräftiger Mann; er legte den Titel ab und heirathete die einzige Tochter eines Bauern, lebte selbst wie ein Bauer und starb un­ beachtet in einem Dorf bei Salerno. Er hinterließ einen Sohn, welcher das Gütchen bewirthschaftete und später von seiner Mutter erbte, dann ein einigermaßen gebildetes Mädchen aus dem Dorfe heirathete und an der Cholera starb; er hinterließ einen einzigen Sohn, den jetzt noch lebenden Giovanni. Dieser Giovanni erhielt eine bessere Erziehung als sein Vater, machte Verbesserungen auf seinem Gütchen, fing an Wein und Oel zur Ausfuhr zu verkaufen, kam bis nach Aquila und lernte Felice Baldi kennen, die Tochter eines wohlhabenden Mannes, der hier ein Gasthaus errichtet hat. Giovanni gewann sie lieb. Ich traute das Paar. Dann ging er wieder nach Neapel, ver­ kaufte sein Grundstück zu einem ansehnlichen Preise und kehrte nach Aquila zurück. Er verwaltet den Gasthof seines Schwiegervaters, welcher der zweitgrößte im Orte ist, und betreibt dabei ein gutes Geschäft, da er sein eignes Capital in das Unternehmen gesteckt hat. Sie haben zwei Kinder,

205 von denen das zweite erst vor drei Wochen geboren ist, und sind sehr glücklich." Saracinesca sah den alten Pfarrer Don Paolo nach­ denklich an. „Hat der Mann Papiere, um die Wahrheit dieser seltsamen Geschichte zu beweisen?" fragte er endlich. „Altro! Das war das ganze Vermächtnis seines Großvaters — ein Haufen Pergamente! Sie scheinen alle in Ordnung zu sein, er zeigte sie mir vor seiner Trauung." „Warum versucht er nicht, das Urtheil gegen seinen Großvater umstoßen zu lassen und seine Ansprüche geltend zu machen?" Der Pfarrer zuckte die Achseln und spreitete die flachen Hände aus, indem er ungläubig lächelte. „Er sagt, die Ländereien seien in die Hände gewisser Patrioten gefallen; es sei keine Aussicht sie wiederzuerlan­ gen. Es nützt wenig ein Marchese ohne Vermögen zu sein. Was er besitzt, ist ein bescheidenes Auskommen, ja für seine jetzige Stellung sogar Wohlstand. Für einen Edelmann wäre es nichts. Ueberdies ist er durch Blut und Erziehung ein halber Bauer." „Er ist nicht der einzige Adlige in solcher Lage", sagte Saracinesca lachend. „Aber wissen Sie auch" — Er hielt plötzlich inne. Er hatte sagen wollen, wenn er selbst und sein Sohn stürben, würde der Gastwirth aus Aquila Fürst Saracinesca werden. Der Gedanke empörte ihn und er behielt ihn für sich. „ Bei alledem", fuhr er fort, „stammt der Mann in gerader Linie von meinen Vorfahren ab. Ich möchte ihn sehen." „Nichts leichter als das. Wenn Sie mitkommen wollen,

206 werde ich ihn Ew. Exellenz vorstellen", sagte der Priester. „Wünschen Sie auch noch das Kirchenbuch zu sehen?" „Das ist überflüssig. Das Räthsel ist gelöst. Komme» Sie wir wollen diesen meinen neuentdeckten Verwandten besuchen." Don Paolo hüllte sich in seinen Mantel und führte seinen Gast aus dem Zimmer die Treppe hinab. Er trug ein Wachslichtchen und hielt es niedrig, um die Stufen zu beleuchten, wobei er häufig still stand und den Fürsten mahnte, vorsichtig zu gehen. Es war dunkel, als sie hinaus­ traten. Die Luft war scharf und kalt; Saracinesca knöpfte sich den Ueberrock bis oben zu, während er neben dem alten Priester einherschritt. Die beiden gingen einige Minuten lang schweigend neben einander den Corfo Vittorio Emanuele entlang. Endlich stand der Pfarrer vor einem reinlichen Hause still, aus dessen Fenster helles Licht auf die Straße strömte. Don Paolo nöthigte den Fürsten einzutreten und folgte ihm. Ein Mann mit weißer Schürze, die Arme voll Teller, der wahrscheinlich Diener, Kellner, Stiefelputzer und Factotum der Wirthschaft war, kam aus dem Speisezimmer, welches links vom Eingang lag, und dem Lärm nach zu urtheilen voller Gäste zu sein schien. Er sah erst den Pfarrer, dann den Fürsten an. „Bedaure sehr Ihnen nicht dienen zu können, Don Paolo mio," sagte er, in der Voraussetzung, daß der Priester einen Kunden brächte, „thut mir sehr leid, es ist kein Bett mehr bei uns zu haben." „Das thut nichts, Giacchino," antwortete der Pfarrer. „Wir möchten Sor Giovanni einen Augenblick sprechen." Der Mann verschwand und gleich darauf kam Sor Gio­ vanni selbst den Gang herab. „Favorisca, lieber Don Paolo. Treten Sie näher!"

207 Er verneigte sich vor dem Fürsten und öffnete die Thür zu dem kleinen Wohnzimmer, welches der Familie des Wirthes vorbehalten war. Als sie eingetreten waren, besah sich Saracinesca den Namensvetter seines Sohnes. Er sah einen Mann vor sich, an dessen Erscheinung er lange mit unwillkürlichem Wider­ willen zurückdenken sollte. Giovanni, der Gastwirth, war von mächtigem Körperbau. Zwei Generationen Bauern­ blut hatten dem alten Geschlecht neue Kraft gegeben. Er war groß, hatte starke Knochen, breite Schultern und mas­ sive Glieder; dabei war er mager, und braun von Gesichts­ farbe, seine hohen Backenknochen ließen seine Wangen hohl aussehen, glatt rasirt, mit schlichtem, sauber gekämmtem schwarzen Haar, durchdringende, nahe an einander stehende schwarze Augen, über denen die Augenbrauen mitten auf der Stirn zusammenliefen; dünne Lippen, nm die ein Zug von Grausamkeit spielte, die aber jetzt durch ein Lächeln geöffnet, ein mächtiges Gebiß kurzer, weißer, ebenmäßiger Zähne zeigten, vorspringende eckige Kinnladen, und eine breite starke, beinahe unnatürlich spitze Nase, — im Ganzen genommen ein merkwürdiges Gesicht, das in einer Menschen­ menge durch seine Kraft auffallen würde, dabei aber von seltsam schlauem Ausdruck und nicht ohne Wildheit. Noch nach Jahren erinnerte sich Saracinesca dieser seiner ersten Begegnung mit dem Gastwirth und wunderte sich nicht mehr, daß sein erstes Geftchl Abneigung gegen den Mann gewesen wäre. Jetzt betrachtete er ihn indessen mit großem Interesse, und wenn er ihm auch beim ersten Blick mißfiel, so sagte er sich, daß es unter seiner Würde wäre, gegen einen Gastwirth Antipathie zu zeigen. „Sor Giovanni," sagte der Pfarrer, „dieser Herr wünscht Ihre Bekanntschaft zn machen."

208 Giovanni, dessen Manieren bester waren, als sein Stand erwarten ließ, verbeugte sich höflich und sah seinen Besuch fragend an. „Signor Saracinesca," sagte der Furst, „ich bin Leo Saracinesca aus Rom. Ich habe erst eben etwas von Ihrer Existenz gehört. Wir glaubten lange, Ihre Familie wäre ausgestorben. Es freut mich, in Ihnen noch einen Vertreter derselben zu finden, von dem sich erwarten läßt, daß er den Namen sortpflanzen werde." Der Gastwirth heftete seine durchdringenden Augen aus das Gesicht des Sprechers und sah ihn lange an, ehe er antwortete. „Also Sie sind der Fürst Saracinesca", sagte er ernst. „Und Sie sind der Marchese di San Giacinto", sagte der Fürst in demselben Tone und reichte ihm die Hand. „Verzeihen Sie, — ich bin Giovanni Saracinesca, der Gastwirth zu Aquila," versetzte der Andre, aber er er­ griff die Hand des Fürsten. Dann setzten sie sich alle. „Wie es Ihnen beliebt," sagte der Fürst. „Der Titel gebührt Ihnen darum nicht minder. Wenn Sie sich da­ mit unterschrieben hätten, als Sie sich verheiratheten, so hätten Sie mir viel Mühe erspart; andrerseits aber hätte ich dann nicht das Vergnügen gehabt, Sie kennen zu lernen." „Das verstehe ich nicht", sagte Giovanni. Der Prinz erzählte seine Angelegenheit so kurz wie möglich. „Erstaunlich! Außerordentlich! Welch wunderbarer Zufall!" rief der Pfarrer und nickte von Zeit zu Zeit mit seinem grauen Kopfe, während der Fürst sprach, als ob er nicht alles schon ein Mal gehört hätte. Der Gastwirth sagte nichts, ehe der alte Saracinesca geendigt hatte.

209 „Ich sehe, wie es gemacht worden," sagte er endlich. „Als der Herr seine Nachfragen anstellte, war ich fort. Ich war mit meiner Frau nach Salerno zurückgegangen, und mein Schwiegervater hatte sich noch nicht in Aquila niedergelaffen. Signor Del — wie heißt er doch?" „Del Ferice." „Jawohl, Del Ferice dachte, wir wären verschwunden und würden schwerlich wieder hierher kommen. Sonst wäre er ein Narr." „Er ist kein Narr", sagte der alte Saracinesca. „Er glaubte sich seiner Sache sicher. Jetzt ist alles ganz klar. Nun, Signor Marchese, oder Signor Saracinesca, es freut mich sehr, Ihre Bekanntschaft gemacht zu haben. Durch Ihre Rückkehr nach Aquila haben Sie eine höchst wichtige Frage aufgeklärt. Es wird mir immer das größte Vergnügen machen, Ihnen zu dienen, wie ich irgend kann." „Tausend Dank! Wenn ich während Ihres hiesigen Aufenthaltes etwas für Sie thun kann —" „Sie sind sehr freundlich. Ich will mir Pferde be­ stellen und noch heute Nacht nach Rom zurückkehren. Meine Geschäfte in Rom sind dringend. Meine Rückkehr wird mit der größten Spannung erwartet." „Sie werden doch ein Glas Wein trinken, ehe Sie abreisen?" fragte Giovanni und ohne eine Antwort abzu­ warten, schritt er aus dem Zimmer. „Und was denken Ew. Excellenz von dem neuen Ver­ wandten?" fragte der Pfarrer, als er mit dem Fürsten allein war. „Ein Mann von furchtbarem Aussehen! Indessen —" Der Fürst drückte durch Miene und Geberde eine Frage über den Charakter des Gastwirths aus. Crawford, Saracinesca.

II.

14

210 „O fürchten Sie nichts!" antwortete der Priester. „Er ist der redlichste Mensch von der Welt." „Natürlich", versetzte der Fürst höflich. „Sie haben ja vielfach Gelegenheit gehabt, sich deffen zu vergewissern." Giovanni, der Gastwirth, kam mit einer Flasche Wein und drei Gläsern zurück, die er auf den Tisch stellte und dann sofort füllte. „Mir fällt eben ein," sagte der Fürst, „in der Auf­ regung habe ich vergessen, nach Ihrer Signora zu fragen. Ich hoffe, sie befindet sich wohl." „Danke bestens, sie ist sehr wohl," erwiderte Gio­ vanni kurz. „Ein SoW ohne Zweifel?" „Ein prächtiger Junge!" antwortete der Pfarrer. „Sor Giovanni hat auch eine kleine Tochter. Er ist ein sehr glücklicher Mann." „Auf Ihre Gesundheit!" sagte der Gastwirth, sein Glas gegen das Licht haltend. „Und auf die Ihre!" versetzte der Fürst. „Und auf die Gesundheit der ganzen Familie Saracinesca!" sagte der Pfarrer, seinen Wein bedächtig nippend. Er bekam selten ein Glas alten Lacrimae und hatte so rechten Genuß daran. „Und nun", sagte der Fürst, „muß ich fort. Vielen Dank für ihre Gastfreundschaft. Ich werde mich immer mit Vergnügen des Tages erinnern, an dem ich einen mir bis dahin unbekannten Verwandten getroffen habe." „Das Albergo di Napoli wird nicht vergessen, daß der Fürst Saracinesca sein Gast gewesen," erwiederte Giovanni verbindlich, mit einem Lächeln auf seinen dünnen Lippen. Er schüttelte seinen beiden Gästen die Hand und geleitete sie mit höflicher Verbeugung aus dem Hause. Ehe sie

211

dreißig Schritte auf der Straße gegangen waren, sah der Fürst sich um und erblickte noch ein Mal Giovannis hohe Gestalt aus den Stufen, von innen her fiel Helles Licht darauf. Noch lange erinnerte er sich dieses Eindrucks. An der Thür seines Gasthofes verabschiedete er sich von dem guten Pfarrer mit vielen Versicherungen der Dank­ barkeit und Einladungen ihn im Palast Saracinesca zu besuchen, falls sein Weg ihn je nach Rom führen sollte. „Ich habe Rom nie gesehen, Excellenz," antwortete der Priester wehmüthig. „Ich bin ein alter Mann, und werde nicht mehr hinkommen." So schieden sie und der Fürst verspeiste sein einfaches Abendbrod, Tauben und Salat, in dem großen Halbdunkeln Saale des Gasthofes zur Sonne, während seine Pferde zur langen Nachtreise angeschirrt wurden. Die Begegnung und die ganze Aufklärung der selt­ samen Verwickelung hatte aus den alten Fürsten einen tiefen Eindruck gemacht. Er hegte nicht den geringsten Zweifel daran, daß die Erzählung des alten Pfarrers voll­ ständig richtig war. Alles daran war so durchaus wahr­ scheinlich. In den unruhigen Zeiten war der letzte neapoli­ tanische Zweig der Saracinesca verschwunden, und die reichen und mächtigen Fürsten dieses Namens waren gern geneigt gewesen, ihn für erloschen zu halten. Sie hatten sich nicht einmal bemüht, den Titel „Marchese di San Giacinto" für sich zu fordern, denn sie besaßen mehr als fünfzig eigne Titel, und es war keine Aussicht vorhanden, die Güter San Giacinto je wieder zu erlangen, welche bereits mit Hypotheken belastet, und zur Zeit der Einziehung mehr als zur Hälfte vergeudet gewesen. Daß der rauhe Kriegsmann sich in seinem Heimathlaude verborgen hielt, nachdem Ferdinand, sein rechtmäßiger König, gegen den er 14'

212 gekämpft hatte, zurückgekehrt, war nur natürlich, ebenso

natürlich,

an

die

einzige wesen

daß

bei seinem ungezügelten Wesen sich

er

Lebensweise Tochter

eines

eines

Bauern

gewöhnte

mit ihrem

Bauern

von Orangenpflanzungen,

und

die

großen An­

Oel- und Weinbergen

heirathete; denn fern im Süden gab es manche reiche Bauern und ihre Töchter waren gewöhnlich schön — ein

sehr verschiedenes

Geschlecht von

den halb verhungerten

Bauern der römischen Campagna. Der Fürst kam zu dem Schlüsse, daß die Geschichte völlig wahr sein müsse, und er dachte mit Bitterkeit daran,

daß wenn sein Sohn keine Erben bekäme, dieser herkulische Gastwirth aus Aquila der rechtmäßige Erbe seines Titels und aller Güter der Saracinesca sein würde. Er beschloß, daß Giovannis Heirath keinen Tag länger verschoben werden sollte, und mit der ihm eigenthümlichen Hast eilte er nach Rom zurück, eigentlich ohne zu bedenken, daß er die vorige

Nacht und diesen ganzen Tag

auf der Reise zugebracht

und jetzt wieder eine Fahrt von vierundzwanzig Stunden

vor sich hatte. Beim Morgengrauen hielt sein Wagen in einer kleinen

Stadt unweit der Grenze des Kirchenstaates.

Als

der

Wagen eben wieder absahren wollte, steckte ein großer Mann aus dessen Falten der braune Lauf einer langen Flinte hervorguckte, den Kopf durchs Fenster. Der Fürst fuhr zusammen und griff in einen ungeheuern Mantel gehüllt,

nach seinem Revolver, der neben ihm auf dem Sitz lag.

„Guten Morgen, Fürst," sagte der Mann.

„Ich hoffe,

Sie haben gut geschlafen."

„Sor Giovanni!" rief der alte Herr.

„Wo kommen

Sie her?"

„Die Wege sind nicht ganz sicher", versetzte der Gast-

213 Wirth.

„Darum hielt ich es fürs Beste, Sie zu begleiten.

Addio! buon viaggio!" Ehe der Fürst antworten konnte, rollte der Wagen fort, die Pferde liefen im Galopp. Saracinesca steckte den Kopf zum Fenster hinaus, aber sein Namensvetter war verschwunden, und er rollte weiter gen Terni und wunderte sich über des Gastwirths Sorge um seine Sicherheit.

Dreizehntes Kapitel.

Selbst die eiserne Kraft des alten Saracinesca bedurfte der Ruhe, als er nach dieser Reise von achtundvierzig Stunden wieder in das Zimmer seines Sohnes trat und sich auf den großen Divan warf. „Wie geht es Corona?" war seine erste Frage. „Sie ist sehr besorgt um Dich", versetzte Giovanni, der selbst in merklicher Unruhe war. „Wir wollen zu ihr gehen und sie beruhigen, sobald ich etwas gegessen habe," sagte sein Vater. „Es ist also alles in Ordnung? Es war so wie ich sagte — ein Namensvetter?" „Ganz recht. Nur stellt sich dieser Namensvetter als ein wirklicher Vetter heraus. Der letzte der San Giacinto, er hat ein Gasthaus in Aquila. Ich habe ihn gesehen und ihm die Hand geschüttelt." „Unmöglich!" rief Giovanni. „Sie sind alle todt!" „Es hat eine Auferstehung stattgefunden", erwiderte der Fürst. Dann erzählte er schnell und anschaulich die ganze Geschichte seiner Reise. „Das ist eine höchst wunderbare Geschichte", bemerkte

213 Wirth.

„Darum hielt ich es fürs Beste, Sie zu begleiten.

Addio! buon viaggio!" Ehe der Fürst antworten konnte, rollte der Wagen fort, die Pferde liefen im Galopp. Saracinesca steckte den Kopf zum Fenster hinaus, aber sein Namensvetter war verschwunden, und er rollte weiter gen Terni und wunderte sich über des Gastwirths Sorge um seine Sicherheit.

Dreizehntes Kapitel.

Selbst die eiserne Kraft des alten Saracinesca bedurfte der Ruhe, als er nach dieser Reise von achtundvierzig Stunden wieder in das Zimmer seines Sohnes trat und sich auf den großen Divan warf. „Wie geht es Corona?" war seine erste Frage. „Sie ist sehr besorgt um Dich", versetzte Giovanni, der selbst in merklicher Unruhe war. „Wir wollen zu ihr gehen und sie beruhigen, sobald ich etwas gegessen habe," sagte sein Vater. „Es ist also alles in Ordnung? Es war so wie ich sagte — ein Namensvetter?" „Ganz recht. Nur stellt sich dieser Namensvetter als ein wirklicher Vetter heraus. Der letzte der San Giacinto, er hat ein Gasthaus in Aquila. Ich habe ihn gesehen und ihm die Hand geschüttelt." „Unmöglich!" rief Giovanni. „Sie sind alle todt!" „Es hat eine Auferstehung stattgefunden", erwiderte der Fürst. Dann erzählte er schnell und anschaulich die ganze Geschichte seiner Reise. „Das ist eine höchst wunderbare Geschichte", bemerkte

214 Giovanni nachdenklich. „Wenn wir also kinderlos stechen, wird der Gastwirth Fürst." „Richtig! Und nun, Giovanni, höre, nächste Woche muß Deine Hochzeit sein." „Sobald Du willst. Meinetwegen morgen." „Was sollen wir mit Del Ferice machen?" fragte der Fürst. „Ihn zur Hochzeit einladen", antwortete Giovanni großmüthig. „Es wird eine sehr stille Hochzeit sein muffen, glaube ich," bemerkte sein Vater nachdenklich. „Das Jahr ist kaum vorüber." „Je stiller, desto besser, wenn's nur bald ist. Wir müssen natürlich gleich Corona fragen." „Dachtest Du, ich würde den Tag bestimmen, ohne sie zu fragen?" sagte der alte Fürst. „Aber um des Himmels willen, bestelle das Mittag und laß uns bald

essen." Der Fürst hatte es augenscheinlich eilig, überdies war er müde und sehr hungrig. Als beide Herren eine Stunde später beim Kaffee saßen, war er zugänglicher. Ein Mittag­ essen zu Hause macht eine wunderbare Wirkung aus einen Menschen, der achtundvierzig Stunden unterwegs gewesen ist und schlecht gegessen hat. „Giovannino," sagte der alte Saracinesca, „hast Du eine Idee, was der Cardinal über Deine Heirath denkt?" „Nein, und es ist mir auch ganz gleichgültig," ant­ wortete sein Sohn. „Er rieth mir einst davon ab, Donna Tullia zu heirathen. Seitdem hat er mich nicht oft ge­ sehen." „Ich denke mir, es wird ihm ungeheuer gefallen," sagte der Fürst.

215 „Mir wäre es gleich, auch wenn es ihm mißfiele." „Ganz gleich! Hast Du heute schon Corona gesehen?''

„Ja, natürlich", entgegnete Giovanni. „Wozu soll ich übrigens heute Abend mit Dir hingehcn?" fragte sein Vater mit einem Male. „Ich denke, Du kannst Deine Angelegenheiten auch ohne mich ab­ machen." „Ich dachte, da Du Dir so viel Mühe gemacht hast, würdest Du Deine Erlebnisse gern selbst erzählen." „Denkst Du, ich bin ein alter Narr, dem es Spaß macht, sich von einer Frau loben zu hören? Unsinn, gehe Du nur selbst hin!" „Auf jeden Fall!" antwortete Giovanni. Er kannte seines Vaters Gewohnheit, um Kleinigkeiten Streit anzu­ fangen, und war viel zu glücklich um jetzt davon Notiz zu nehmen. „Du bist müde!" fuhr er fort. „Du hast wahrlich ein Recht dazu. Du mußt Lust haben, dald zu Bett zu gehen." „So, zu Bett?" brummte der Alte. „Müde! Denkst Du, ich bin zu gar nichts mehr zu brauchen? Ich weiß, Du denkst das. Du hältst mich für einen schwachsinnigen Krüppel. Ich sage Dir, Junge, ich kann" — „Um des Himmes willen, padre mio, thue genau das was Du willst! Ich habe nie gesagt" — „Was nie gesagt? Warum zankst Du Dich immer mit mir?" brüllte sein Vater, der seit zwei Tagen nicht heftig geworden war und dem so ein Ausbruch ordentlich fehlte.

„Was für einen Tag sollen wir bestimmen?" fragte Giovanni unerschüttert. „Welchen Tag? Irgend einen. Was gehts mich an?

216 Ach so! weil Du grade davon sprichst, so könntest Du sagen, Sonntag über acht Tage. Heute ist Freitag. Uebrigens ists mir ganz gleich. „Gut, — wenn Corona fertig werden kann!" „Sie wird fertig werden, sie muß fertig werden!" ant­ wortete der alte Herr im Tone der Ueberzeugung. „Ich möchte doch wiffen, warum sie nicht fertig werden sollte?" „Es ist durchaus kein Grund dafür vorhanden", sagte Giovanni mit ungewöhnlicher Milde. „Nun also! Es ist nie ein Grund vorhanden für das was Du sagst, Du unvernünftiger Junge." „Natürlich nie." Giovanni stand auf und biß sich auf die Lippen, um das Lachen zu unterdrücken. „Was zum Teufel fällt Dir ein mir immer zuzu­ stimmen , Du impertinenter Schlingel? Und nun lachst Du auch noch — lachst über mich, so wahr ich lebe! Auf mein Wort!" Giovanni drehte ihm den Rücken zu und steckte sich

eine Cigarre an; dann ging er, ohne sich umzusehen, nach der Thür. „Giovannino!" rief der Fürst. „Nun?" — „Mir ist jetzt besser. Ich mußte auf Je­ manden schimpfen. Komm her, warte einen Augenblick!" Er stand rasch auf und verließ das Zimmer. Giovanni setzte sich und rauchte ungeduldig, indem er von Zeit zu Zeit nach der Uhr sah. In fünf Minuten kam sein Vater zurück und hielt ein altes rothes Saffian­ etui in der Hand. „Gieb ihr das mit meinen Grüßen, mein Junge," sagte er. „Es find einige Brillanten Deiner Mutter, nur einige davon. Die übrigen soll fie am Hochzeitstage be­ kommen."

217 „Ich danke Dir", sagte Giovanni und drückte seinem Vat«r die Hand. „Und grüße sie von mir und sage, ich werde morgen um zwei Uhr zu ihr kommen," sagte der Fürst jetzt ganz heiter. Mit den Brillanten unter dem Arm ging Giovanni aus. Die Lust war klar und frostig und die Sterne schie­ nen hell hoch oben zwischen den hohen Häusern der engen Straße hindurch. Giovanni hatte keinen Wagen bestellt, und als er sah, wie schön der Abend war, beschloß er zu Fuß zu gehen. Es war erst acht Uhr und Corona würde um diese Stunde noch kaum gespeist haben. Er ging lang­ sam. Als er auf die Piazza di Venezia kam, holte ihn Jemand ein. „Guten Abend, Fürst." Giovanni wendete sich um und erkannte Anastasius Gouache, den Zouaven. „Ah, Gouache, wie geht es Ihnen?" „Ich werde Ihnen einen Besuch machen", antwortete der Franzose. „Ach es thut mir leid, ich komme eben von Hause," versetzte Giovanni etwas erstaunt. „Nicht in Ihrem Hause", fuhr Anastasius fort. „Meine Compagnie hat Ordre ins Gebirge zu gehen. Wir gehen morgen früh nach Subiaco ab, und einige von uns sollen in Saracinesca einquartirt werden." „Ich hoffe, Sie werden zu diesen gehören," sagte Giovanni. „Ich werde wahrscheinlich nächste Woche Hoch­ zeit machen, und die Herzogin wünscht gleich darauf in die Berge zu gehen. Wir werden uns herzlich freuen, Sie zu sehen." „Danke verbindlichst! Ich werde nicht ermangeln mir die Ehre zu geben; meine ehrerbietige Empfehlung

218 an die Frau Herzogin. Hier muß ich einbiegen. Gute Nacht!« „Auf Wiedersehen!« sagte Giovanni und ging seines Weges. Er fand Corona in einem kleinen Wohnzimmer an einem großen Holzfeuer sitzend und lesend. Zartes Lila war mit dem Schwarz ihres Kleides gemischt. Das Trauer­ jahr war vorüber und sobald sie konnte, milderte sie das feierliche Schwarz ihrer Wittwentracht. Es war unmöglich, so kurz vor ihrer zweiten Verheirathung tiefe Trauer zu tragen; und die Welt hatte erklärt, sie habe einen hohen Grad von Tugend bewiesen, indem sie so lange einen Tod betrauerte, den alle durchaus gelegen fanden. Corona in» dessen empfand anders. Für sie gehörten ihr verstorbener Gatte und der Manu, den sie jetzt liebte, zu zwei ganz verschiedenen Menschenklassen. Ihre Liebe, ihre Heirath mit Giovanni, schien eine so natürliche Folge ihrer Vereinsamung» — so durchaus ohne Zusammenhang mit ihrem früheren Leben, daß sie beim Gedanken an ihre bevorstehende Hoch­ zeit beinahe wünschen konnte, der arme alte Astrardente wäre noch am Leben und könnte sich wie ein Freund über ihr neu gefundenes Glück freuen. Sie begrüßte Giovanni mit strahlendem Lächeln. Sie hatte ihn an diesem Abend nicht mehr erwartet, denn er war den ganzen Nachmittag bei ihr gewesen. Schnell sprang sie auf und eilte ihm entgegen. Mechanisch nahm sie ihm das Saffianetui aus den Händen, ohne es zu besehen, kaum wiffend, was sie that. „Mein Vater ist zurückgekommen. Es ist alles in Ordnung!" rief Giovanni. „So bald! Er muß geflogen sein!" sagte sie und bat ihn sich zu setzen.

219 „Ja, er hat sich keinen Augenblick ausgeruht und hat es alles herausbekommen. Es ist eine wunderbare Ge­ schichte. Uebrigens schickt er Dir die herzlichsten Grüße und bittet Dich, diese Diamanten anzunehmen. Sie ge­ hörten meiner Mutter", setzte er mit weicherer Stimme hinzu. Corona verstand den Ton und dachte vielleicht auch daran, wie kurze Zeit jetzt noch vor ihnen läge. Sie öff­ nete behutsam das Etui. „Sie sind wunderschön. Hat Deine Mutter sie getra­ gen, Giovanni?" Sie sah ihn liebevoll an, dann beugte sie sich nieder und küßte das prachtvolle Krönchen, als ein Zeichen der Verehrung gegen die verstorbene Spanierin, welche den Mann geboren, den sie liebte, woraus Giovanni zu ihr trat und ihr dunkles Haar zärtlich küßte. „Ich soll Dir sagen, daß noch viel mehr da sind," sagte er, „welche mein Vater Dir am Hochzeitstage schenken will." Dann kniete er neben ihr nieder, nahm das Diadem aus dem Etui und setzte es mit beiden Händen auf ihre Flechtenkrone. „Meine Fürstin!" rief er. „Wie schön bist Du!" Er uahm das große Halsband und legte es um ihren weißen Hals. „Freilich," sagte er, „Du hast schon selbst so pracht­ vollen Schmuck, daß Du Dir vielleicht aus diesem und den übrigen Brillanten kaum etwas machst, aber ich sehe Dich gern damit, ich fühle dann so recht, daß Du wirklich mein bist." Corona lächelte glücklich und nahm behutsam das Diadem ab, um es wieder ins Etui zu legen. Das Hals­ band behielt sie um. „Du hast mir ja aber noch nichts von der Entdeckung Deines Vaters erzählt", sagte sie plötzlich. „Ja, ich will Dir alles erzählen."

220 In wenigen Minuten theilte er ihr die Einzelheiten der Reise mit. Sie hörte gespannt zu. „Es ist höchst seltsam," sagte sie, „und doch auch wie­ der so ganz natürlich." „Wie Du sichst, ist alles von Del Ferice angezettelt," sagte Giovanni. „Ich glaube zuerst war es wirklich ein bloßer Zufall, aber er wußte viel daraus zu machen. Es ist eigentlich höchst belustigend zu entdecken, daß der letzte des andern Familienzweiges ein Gastwirth in den Abruzzen ist. Wahrscheinlich aber werden wir nie mehr etwas von ihm hören. Er scheint nicht geneigt, Ansprüche auf den Titel zu erheben. Meine Corona, ich habe Dir noch etwas viel Wichtigeres zu sagen." „Was denn?" fragte sie, und sah ihn mit ihren gro­ ßen dunkeln Augen verwundert an. „Es ist jetzt kein Grund mehr vorhanden, weshalb wir uns nicht heirathen können," — „Denkst Du denn, ich glaubte, es wäre je einer ge­ wesen?" fragte sie vorwurfsvoll. „Nein, Geliebte, Nur — wäre es Dir unlieb, wenn cs sehr bald geschähe?" Das heiße Blut stieg ihr langsam in die Wangen, allein sie antwortete ohne Besinnen; sie war zu stolz um zu zaudern. „So bald Du willst, Giovanni! Nur muß es ganz still dabei zugehcn, und dann wollen wir gleich nach Saracinesca ziehen. Wenn Du diesen beiden Bedingungen zu­ stimmst, kann es sein, so bald Du willst." „Nächste Woche? Sonntag über acht Tage?" fragte Giovanni lebhaft. „Ja — Sonntag über acht Tage. Ich möchte lieber nicht eine lange Verlobnngszeit durchmachen. Ich kann es

221 nicht aushalten, daß alle Menschen Herkommen und mir vom Morgen bis zum Abend Glück wünschen, wie sie es durchaus wollen." „Ich will morgen die Dienerschaft nach Saracinesca hinausschicken," sagte Giovanni voll Entzücken. „Es ist dort den ganzen Winter gearbeitet worden, um das Schloß

anständig zu machen." „Hoffentlich ist nichts daran verändert?" fragte Corona, denn sie liebte die alten grauen Mauern. „Nur die Prunkzimmer sind wieder hergestellt. Da fällt mir ein, ich bin eben Gouache begegnet. Er zieht mit einer Compagnie Zouaven hinaus, um Jagd auf die Ränder zu machen, falls wirklich welche da sind." „Ich hoffe, er wird nicht zu uns kommen," versetzte Corona. „Ich möchte lange mit Dir ganz allein sein, Giovanni. Möchtest Du nicht auch gern ein Weilchen mit mir allein sein?" fragte sie und sah ihn mit schüchternem Lächeln an. „Würde ich Dich sehr langweilen?" Es ist überflüssig, Giovannis Antwort zu berichten. Wenn Corona sich danach sehnte, mit ihm allein in den Bergen zu sein, so wünschte er solche stille Abgeschieden­ heit noch viel mehr. Ach nur einen Monat von der Welt fern zu sein, er­ schien ihm als die entzückendste Aussicht; denn er war der Stadt, der Gesellschaft und aller Dinge müde, nur nicht der Frau, die er liebte. Ihrer konnte er nie müde werden; er konnte sich nicht denken, daß ihm in ihrer Gesellschaft je der Tag lang werden könnte, selbst nicht im alten Saracinesca inmitten der grauen Felsen des Sabinergebir­ ges. Der Durchschnittsmensch ist wohl gesellig; aber in starken Seelen wohnt häufig eine große Sehnsucht nach Einsamkeit oder wenigstens nach Zurückgezogenheit mit

222 einer verständnißvollen Seele. Das Gefühl, welches solche Menschen treibt, die Welt eine Zeit lang zu meiden, ist nicht von beständiger Dauer, wenn es nicht krankhaft wird. Es ist ein natürliches Gefühl, und ein starker Geist ge­ winnt Kraft aus dem Verkehr mit sich selbst oder mit einer gleichgesinnten Seele. Es giebt wenig große Männer, die sich nicht bisweilen in die Einsamkeit zurückgezogen haben; und auf solche Zurückgezogenheit ist dann gewöhnlich eine Zeit außerordentlicher Thätigkeit gefolgt. Starke Geister sind mitunter dem Zweifel und der Ungewißheit ausgesetzt, die kleinern Geistern unbegreiflich sind, und das liegt eben an der großartigen Auffassung, welche denselben Gedanken von vielen Seiten betrachtet. Einem so veranlagten Menschen ist die entscheidende Stimme eines andern, den er liebt und mit dem er fast unbewußt übereinstimmt, mitunter nothwendig, um ihn zur Thätigkeit anzuspornen, seinen Fähigkeiten die Richtung zu geben, die überströmende Fluth seiner Gedanken in die Canäle des Weltgetriebes der Ar­ beit zu lenken. Wenn der Summe seiner Kräfte nicht eine bestimmte Richtung gegeben werden könnte, so würde manch hochbegabter Geist seine Kräfte verschwenden, indem er sich in seine eigenen Labyrinthe vergrübe — unerkannt, mißverstanden oder ungehört von der Werktagswelt da draußen. Denn der Alltagswelt fehlt es nie an Vor­ urtheilen, die ihrer Arbeit ein Ziel geben. Giovanni und Corona sprachen eine Weile über ihre Pläne für den Frühling und Sommer. Sie wollten lesen, wollten mit einander an den Plänen zur Ver­ einigung und Verbefferung ihrer Güter arbeiten. Sie wollten den neuen Fahrweg von Astrardente nach Saracinesca bauen, von dem im vorigen Jahre soviel die Rede gewesen war; sie wollten alle ihre Besitzungen gemeinsam

223 besuchen und sich nach den Verhältnissen jedes einzelnen Bauern erkundigen; der Ausdehnung der Forsten wollten

sie besondere Aufmerksamkeit widmen, denn darin sah Gio­ vanni eine Quelle des Wohlstandes für seine Kinder vor­

aus; vor allen Dingen aber wollten sie nach Herzenslust mit einander reden und an jedem neuen Tage, der ihrem

Glücke aufging, fühlen, daß es ihnen frei stünde, hinzugehen, wohin sie wollten, ohne daß ihnen an allen Ecken die lästi­ gen Pflichten einer anspruchsvollen Gesellschaft entgegen­ träten. Endlich wendete sich das Gespräch wieder auf die jüngsten

Ereignisse und besonders auf die Rolle, welche Del Ferice und Donna Tullia bei dem Versuch, ihre Heirath zu hinter­ Corona fragte Giovanni, was er

treiben, gespielt hatten.

in der Sache zu thun gedenke.

„Ich finde nicht, daß dabei viel zu thun ist," ant­ wortete er.

„Ich

zu Donna Tullia gehen

will morgen

und ihr auseinandersetzen, daß

hierbei ein merkwürdiges

Mißverständniß obgewaltet hat, — daß ich ihr sehr ver­ bunden dafür bin, meine Aufmerksamkeit auf das Vorhan­ densein eines entfernten Verwandten gelenkt zu haben,

daß ich indessen hoffe, sie werde sich in Zukunft nicht mehr in meine Angelegenheiten mischen." „Glaubst du, sie wird trotz alledem Del Ferice heirathen?" fragte Corona. „Warum nicht?

gegeben.

Natürlich

hat er ihr die Papiere

Möglicherweise hielt er sie wirKich für einen

Beweis dafür, daß ich schon verheirathet wäre.

Sie wird

ihm vielleicht Vorwürfe über den Mißerfolg machen, aber

er wird sich vertheidigen, fürchte nichts!

Er wird sie schon

dahin bringen, ihn zu heirathen." „Ich wünsche, sie möchten heirathen und sortziehen,"

224 sagte Corona, der schon der Name Del Ferice ein Greuel war, während sie Donna Tullia fast ebenso sehr verab­ scheute. Corona war eine sehr gute und edle Frau, aber fern von der heiligen Erhabenheit, welche es vergißt, über Beleidigungen zu zürnen. Ihre Leidenschaften waren durch und durch menschlich und sehr stark. Sie hatte gegen ihre überwältigende Liebe zu Giovanni tapfer angekämpft, und so viel Herrschaft über sich gewonnen, daß sie bis zum Ende ausgeharrt haben würde, wenn der Tod ihres Mannes ihr nicht die Freiheit gegeben hätte. Während sie noch die Nothwendigkeit empfand gegen ihre Liebe anzukämpfen, war sie eine Zeit lang vielleicht sogar zu einer Erhabenheit des Charakters gelangt, in der ihr solche persönlichen Beleidigungen, wie Donna Tullia sie zufügen konnte, unbedeutend erschienen im Vergleich zu dem großen Kampf, den sie gegen ein größeres Uebel zu bestehen hatte. Als sie aber im Bewußtsein ihrer Frei­ heit ihrer so lange durch festen Willen in Schranken ge­ haltenen Natur die Zügel schießen ließ, brach all ihre Leidenschaftlichkeit aus ein Mal mit erneuter Stärke hervor, und die Ueberzeugung, daß ihr Zorn gegen ihre beiden Feinde gerecht und wohl begründet war, goß Oel ins Feuer. Ihre Augen flammten wild, während sie von Del Ferice und seiner Braut sprach, und keine Strafe schien zu streng für diejenigen, welche es versucht hatten, ihr den Freu­ denkelch zn entreißen, als sie ihn schon an die Lippen setzte. „Ich wünsche, sie möchten heirathen", wiederholte sie, „und der Cardinal möchte sie den Tag darauf aus Rom

jagen." „Das könnte geschehen", sagte Giovanni, der selbst über mehr als einen Racheplan gegen die Uebelthäter nachgedacht hatte. „Das Schlimme ist nur, daß der Car-

225 dmal den Del Ferice und seinen politischen Dilattentismus verachtet. Er macht sich gar nichts daraus, ob der Kerl in Rom bleibt oder nicht. Ich gestehe, es würde mir eine große Befriedigung gewähren, dem Schurken den Hals umzudrehen." „Du darfst Dich nicht noch einmal mit ihm schlagen", rief Corona in plötzlicher Angst. „Du darfst nicht mehr Dein Leben aufs Spiel setzen, Du weißt ja, jetzt ist es mein." Sie legte ihre Hand zärtlich aus die seine und er fühlte, sie zitterte. „Nein, Geliebte, das werde ich nicht. Aber mein Vater ist sehr böse. Ich meine, wir können Del Ferice ihm ruhig überlassen. Mein Vater ist ein sehr heftiger und jähzorniger Mann." „Das weiß ich," versetzte Corona; „er ist großartig in seinem Zorn. Ich zweifle gar nicht, daß er die Sache mit Del Ferice in Ordnung bringen wird." Sie lachte beinahe wild aus. Giovanni sah sie besorgt an und doch nicht ohne Stolz, als er in ihrem starken Zorn etwas seinem Wesen Ver­ wandtes entdeckte. „Wie böse Du bist!" sagte er lächelnd. „Habe ich nicht Grund dazu? Habe ich nicht Grund genug, diesen Leuten ein schlimmes Ende zu wünschen? Haben sie uns nicht beinahe auseinander gebracht? Nichts ist schlecht genug für sie. Wozu so thun als fühlte man nichts? Du bist ruhig, Giovanili. Vielleicht bist Du viel stärker als ich. Ich glaube, Du machst dir nicht klar, woraus sie hinaus wollten, — sie wollten uns trennen — uns! Als ob danach irgend eine Strafe hart genug für

sie wäre!" Giovanni hatte sie nie so von Grund aus erregt geCrawford, 'Sntiicine3c.i. II. 15

226 sehen. Er war selbst böse, und mehr als das, denn seine Wange erbleichte und seine ernsten Züge nahmen einen Ausdruck von Härte an, während seine Stimme einen leisen

Heisern Ton hatte. „Mißverstehe mich nicht, Corona," sagte er. „Halte meine Ruhe nicht für Gleichgültigkeit. Del Ferice soll es dereinst alles noch bitter büßen!" „Das hoffe ich allerdings", antwortete Corona mit zusammengebiffenen Zähnen. Hätte Giovanni den langen bittern Kampf voraussehen können, den er noch einst durch­ zumachen haben würde, so hätte er wahrscheinlich um seiner Frau willen jetzt auf der Stelle auf die Rache verzichtet. Aber wir Sterblichen sehen nur wie in einem Spiegel, und wenn der Spiegel durch leidenschaftlichen Haß verdunkelt ist, so sehen wir gar nicht. Corona und Giovanni vereint, reich und mächtig, konnten wohl für einen Elenden, wie Del Ferice, furchtbar erscheinen, der sein täglich Brod durch Spiondienste und Verrätherei verdiente. Aber in jenen Tagen fing das Glücksrad an sich zu wenden, und weitsichtige Leute sagten voraus, daß mancher obscure Mensch einst eine große Rolle spielen werde. Vor dieser Umwälzung könnten noch Jahre vergehen, endlich aber würde sie sicher kommen. Giovanni ging in tiefen Gedanken noch Hause. Er fühlte sich glücklich und hatte Ursache dazu, denn der er­ sehnte Tag war nahe herbeigekommen. Er hatte das Ziel seines Sterbens beinahe erreicht, und jetzt waren keine Hindernisse mehr zu überwinden. Die Rückkehr seines Vaters hatte ihm unbeschreibliche Erleichterung gebracht, denn obgleich er wußte, daß das ihm plötzlich in den Weg gelegte Hinderniß bald gehoben werden mußte, so empörte ihn doch schon jedes Hinderniß an sich, und er konnte nicht

227

berechnen, was für Aerger ihm die Ränke von Donna Tullia und ihrem Verlobten noch ferner bereiten dürften. Durch sein thatkräftiges Einschreiten hatte aber sein Vater nun alle Schwierigkeiten überwunden, und Giovanni war zu Muth, als wäre ihm eine Last von den Schultern und ein Schleier von den Augen gefallen. In weniger als vierzehn Tagen würde er mit Corona vermählt sein, dem Kreise der Gesellschaft und all ihren Plagen entrückt, mit ihr allein auf seinem Ahnensitze leben und sie endlich sein Weib nennen. Und dennoch war er gedankenvoll und sein Antlitz trug nicht den Ausdruck ungemischter Freude, als er durch die engen Gaffen nach Hause ging; denn seine Gedanken richteten sich wieder auf Del Ferice und Donna Tullia, und Coronas wilder Blick stand ihm noch vor Augen. Er überlegte, daß sie fast eben so sehr beleidigt worden war wie er, daß ihr Zorn gerecht, und daß es seine Pflicht wäre, die von ihr erlittene Kränkung eben so wie seine eigene an den Schuldigen zu rächen. Sein melancholisches Gemüth war leicht geneigt über ein Uebel zu grübeln, welches stark genug war, ihn aus seiner Gleichgültigkeit aufzurütteln, und die Aergernisse, welche zuerst aus so ge­ ringer Ursache entsprungen waren, hatten riesige Verhältnisse angenommen und einen Schlag nach den Wurzeln seines Glückes geführt. Del Ferice war ihm von Anfang an zuwider gewesen, er hatte ihn gleichgültig übersehen, wenn er ihm in den Weg kam; Del Ferice hatte diese hochmüthige Gleichgültig­ keit wie eine persönliche Beleidigung übel genommen und angefangen, Giovanni zu schaden und seine Absichten zu durchkreuzen, wo er nur konnte. Giovanni hatte ihn bei einem feigen hinterlistigen Streiche ertappt und war darüber so empört gewesen, daß er an ihm in dem Zweikampfe 15*

228 Rache nahm, der nach dem Ball bei Frangipani stattfand. Die Wunde war Hugo in die Seele gedrungen, und sein Haß war um so stärker geworden, da er keine Gelegenheit zur Rache fand. Als dann endlich Giovannis Glück vollen­ det schien, da hatte sein Feind jenen angeblichen Beweis für eine früher geschlossene Ehe vorgebracht; er wußte sehr gut, daß seine Waffen nicht unbesieglich, sondern vielmehr recht schwach waren, aber er hatte dem Durst nach Rache nicht länger widerstehen können. Wiederum hatte Giovanni einen leichten Sieg davongetragen, aber mit dem Siege kam ihm das Gefühl, daß nun an ihm die Reihe wäre, seinen Gegner zu bestrafen, und zu seinem gerechten Groll kam nun ein neuer mächtiger Antrieb durch den wohlbe­ gründeten Zorn seiner Braut über die gegen sie beide geübte Tücke. Es hatte zweier Jahre bedurft, um Giovanni zu thätigem Einschreiten gegen einen Menschen zu bewegen, den er zuerst gleichgültig übersehen, dann verachtet, mit gründlichem Widerwillen angesehen und endlich gehaßt hatte. Aber auf seinen Haß war jedes Mal eine ärgere Beleidi­ gung gefolgt, die nicht leicht zu sühnen war. Nichts Ge­ ringeres als Del Ferices Untergang konnte jetzt genügen, und dieser Untergang mußte durch gesetzliche Mittel herbei­ geführt werden. Giovanni brauchte seine Waffen nicht weit zu suchen. Er hatte Del Ferice schon lange wegen verrätherischer Um­ triebe im Verdacht und bezweifelte nicht, daß er mit gerin­ ger Mühe inculpirende Beweise gegen ihn beschaffen könnte. Dann wollte er Del Ferice erst Donna Tullia heirathen lassen, und am Tage nach der Hochzeit sollte er fcstgenommen und als politischer Verbrecher der niedrigsten und gefährlichsten Klaffe, als politischer Spion, ins Gefängniß der Inquisition eingesperrt werden. Dieser Entschluß war

229 bald gefaßt. Er kam Giovanni nicht grausam vor, denn er war in unbarmherziger Gemüthsverfafsung; auch Corona würde es nicht grausam gefunden haben; Del Ferice hatte das reichlich verdient — und mehr als das. So ging Giovanni nach Hause und schlief den Schlaf eines Mannes, der in einer wichtigen Angelegenheit zum Entschluß gekommen ist. Am nächsten Morgen stand er früh auf und theilte seine Ideen seinem Vater mit. Das Ergebniß war, daß sie beschloffen, zunächst eine Unterredung mit Donna Tullia zu vermeiden und ihr den Erfolg der schnellen Reise des alten Saracinesca schriftlich mitzutheilen.

Vierzehntes Kapitel.

Als Donna Tullia Saracinescas Brief erhielt, in welchem er ihr das Vorhandensein eines zweiten Giovanni mittheilte und dessen Stammbaum und gegenwärtige Verhältniffe auseinandersetzte, wurde sie beinahe ohnmächtig vor Enttäuschung. Es schien ihr, als hätte sie sich vor der Welt bloßgestellt, als wüßte ganz Rom um die lächer­ liche Rolle, welche sie in Del Ferices Komödie gespielt hatte, und als ob diese Schande unvergeßlich bleiben müßte. Mit einem Male sah sie ein, wie sie sich von ihrem Haß gegen Giovanni hatte Hinreißen lassen, an eine thörichte Geschichte zu glauben, durch welche sich kein Kind hätte täuschen lassen. Sobald sie das Vorhandensein eines zwei­ ten Giovanni Saracinesca erfuhr, war es ihr, als hätte sie toll sein müssen, um nicht von Anfang an eine solche Lösung vorauszusehen. Sie war zum Besten gehalten wor­ den, hatte die Katze spielen müssen, welche die Kastanien aus dem Feuer holt; schmählich war sie von Del Ferice

229 bald gefaßt. Er kam Giovanni nicht grausam vor, denn er war in unbarmherziger Gemüthsverfafsung; auch Corona würde es nicht grausam gefunden haben; Del Ferice hatte das reichlich verdient — und mehr als das. So ging Giovanni nach Hause und schlief den Schlaf eines Mannes, der in einer wichtigen Angelegenheit zum Entschluß gekommen ist. Am nächsten Morgen stand er früh auf und theilte seine Ideen seinem Vater mit. Das Ergebniß war, daß sie beschloffen, zunächst eine Unterredung mit Donna Tullia zu vermeiden und ihr den Erfolg der schnellen Reise des alten Saracinesca schriftlich mitzutheilen.

Vierzehntes Kapitel.

Als Donna Tullia Saracinescas Brief erhielt, in welchem er ihr das Vorhandensein eines zweiten Giovanni mittheilte und dessen Stammbaum und gegenwärtige Verhältniffe auseinandersetzte, wurde sie beinahe ohnmächtig vor Enttäuschung. Es schien ihr, als hätte sie sich vor der Welt bloßgestellt, als wüßte ganz Rom um die lächer­ liche Rolle, welche sie in Del Ferices Komödie gespielt hatte, und als ob diese Schande unvergeßlich bleiben müßte. Mit einem Male sah sie ein, wie sie sich von ihrem Haß gegen Giovanni hatte Hinreißen lassen, an eine thörichte Geschichte zu glauben, durch welche sich kein Kind hätte täuschen lassen. Sobald sie das Vorhandensein eines zwei­ ten Giovanni Saracinesca erfuhr, war es ihr, als hätte sie toll sein müssen, um nicht von Anfang an eine solche Lösung vorauszusehen. Sie war zum Besten gehalten wor­ den, hatte die Katze spielen müssen, welche die Kastanien aus dem Feuer holt; schmählich war sie von Del Ferice

230 hintergangen worden, der ihr durch werthlose Bestechung ein Heirathsversprechen abgelockt hatte. Sie fühlte sich sehr unwohl, wie das eitlen Leuten öfters geht, wenn sie mer­ ken, daß sie lächerlich gemacht worden find. Sie lag auf dem Sopha in ihrem kleinen Boudoir, wo alles in mög­ lichst schlechtem Geschmack war, von dem bunten Plüsch­ teppich und den Allasmöbeln bis zu der vergoldeten Stutz­ uhr auf dem Kamin; fie wurde bald roth, bald blaß und wünschte, fie wäre todt — oder in Paris, oder irgendwo, nur nicht in Rom. Wenn fie ausginge, so könnte sie an jeder Straßenecke einem Saracinesca oder gar Corona be­ gegnen. Wie würden sie sie lächelnd grüßen und sich an ihrer Niederlage mit der Ueberlegenheit der Unverwund­ baren weiden! Und fie — sie wußte nicht, was sie thun sollte. Sie hatte ihre Verlobung mit Del Ferice bekannt gemacht, aber sie konnte ihn nicht heirathen. Er hatte sie in die Falle gelockt und ihr ein Versprechen, einen furchtbaren Eid ab­ gepreßt; aber die Kirche hielt solche Eide nicht für bindend. Sie wollte zum Pater Philippus gehen und ihn um Rath fragen. Wenn sie aber zum Pater Philippus ging, mußte sie alles beichten, was fie gethan hatte, und darauf war sie nicht vorbereitet. Einige Wochen wollte sie vorübergehen lassen, und diese Zeit würde ausreichen, um die Erinnerung an ihre Rachepläne zu mildern und sie in minder frag­ würdiger Gestalt erscheinen zu lassen. Nein, — jetzt konnte sie noch nicht alles beichten. Jedenfalls war ein solcher Eid nicht bindend, fie konnte Del Ferice auf keinen Fall heirathen, ob fie damit ein Versprechen bräche oder nicht. Fürs Erste wollte sie ihn kommen taffen und ihrem Zorn gegen ihn Luft machen, so lange er noch recht heiß war.

231 Nach Verlauf von etwa dreiviertel Stunden erschien also Hugo, lächelnd, geschmeidig und einschmeichelnd wie immer. Donna Tullia nahm eine erhabene Miene der Verachtung an, als sie seinen Schritt vor der Thür hörte. Sie wollte durch den plötzlichen vollen Anblick ihres gerech­ ten Zornes einen niederschmetternden Eindruck auf ihn machen. Er schien keineswegs betroffen, ging wie gewöhn­ lich auf sie zu und wollte ihr die Hand süssen. Sie aber verschränkte die Arme und starrte ihn mit all der Verach­ tung an, welche der Blick ihrer blauen Augen ausdrücken konnte. Es war eine gelungene Komödie. Del Ferice, der gleich beim Eintreten bemerkt hatte, daß etwas nicht in Ordnung war und sich die Ursache dafür ungefähr den­ ken konnte, that, als führe er entsetzt zurück, als sie sich weigerte, ihm die Hand zu reichen. Sein blasses Gesicht drückte ganz gut eine Mischung von Unwillen und Betrüb­ niß über den harten Empfang aus. Donna Tullias Auge ruhte auf ihm mit starrem Blick. „Was heißt das? Was habe ich gethan?" fragte er mit leiser Stimme. „Können Sie noch fragen? Elender! Lesen Sie dies, und begreifen Sie, was Sie gethan haben!" antwortete Donna Tullia, und trat einen Schritt vor, indem sie ihm den Brief von Saracinesca vors Gesicht hielt. Del Ferice erkannte die Handschrift sofort und wußte ungefähr, was der Inhalt des Briefes sein müsse. Er runzelte mit düstrer Miene die Brauen und sah sie mit halbgeschlossenen Augen an. „Es wird ein schlimmer Tag sein für Jeden, der sich zwischen Sie und mich stellt!" sagte er in tragischem Ton. Donna Tullia lachte höhnisch und richtete sich hoch auf, sie beobachtete sein Gesicht und erwartete ihn in äußer-

232 ster Bestürzung zu sehen. Aber sie war dem Schauspieler, mit dem sie sich verlobt hatte, in keiner Weise gewachsen. Del Ferice fing an den Brief zu lesen, und während des Lesens glätteten sich seine Züge; allmälig stahl sich ein häß­ liches Lächeln, welches teuflische List ausdrücken sollte, über sein Gesicht und als er zu Ende war, stieß er einen Triumph­ schrei aus. „Ha!" rief er. „Ich dachte es mir! Ich hoffte es — und es ist wahr! Endlich ist er aufgefunden! Der Rechte! Der wahre Saracinesca! Es ist nur eine Frage der Zeit«--------Donna Tullia sah ihn jetzt mit ungeheucheltem Er­ staunen an. Statt ihn zu Boden zu schmettern, wie sie es erwartet hatte, schien ihn der Brief in das höchste Entzücken zu versetzen. Er ging in wilder Aufregung im Zimmer auf und ab und schwatzte wie ein Verrückter. Wider ihren Willen wurde sie selbst heiterer und ihr Zorn gegen Del Ferice milder. Vielleicht war noch nicht alles verloren, wer konnte seine weitverzweigten Pläne ergründen? Er war jedenfalls nicht der Mann dazu, seinen eignen Ränken zum Opfer zu fallen. „Wollen Sie die Güte haben, mir Ihre außerordent­ liche Befriedigung über diese Nachricht zu erklären?" sagte Madame Mayer. Ihr kaum besänftigter Zorn, ihre neu belebte Hoffnung und ihre plötzlich erregte Neugierde — all dies zusammen versetzte sie in einen Zustand furchtbarer Spannung. „Erklären?" rief er. „Was soll ich erklären, anbetungs­ würdigste aller Frauen? Erklärt es sich nicht von selbst? Haben wir nicht den Marchese di San Giacinto, den wahren Saracinesca gefunden? Ist das nicht genug?"

233 „Zch verstehe nicht" — Del Ferice stand jetzt neben ihr. Er schien sich kaum vor Freude fassen zu können. In der That spielte er Ko­ mödie und zwar eine verzweifelte Rolle, welche ihm im Augenblick die drohende Gefahr eingab, die Braut und ihr Vermögen ganz kurz vor der Hochzeit zu verlieren. Nun ergriff er ihre Hand, zog ihren Arm durch den seinen und ging rasch mit ihr auf und ab, indem er schnell und eifrig sprach. Zögern taugte nicht, denn wenn er nur einen Augenblick Unsicherheit verrieth, konnte alles verloren sein. „Nein; Sie können natürlich nicht die ungeheuere Tragweite dieser Entdeckung verstehen^ Ich muß sie Ihnen erklären. Ich mutz auf geschichtliche Einzelheiten eingehen, und bin doch durch diese unerhörte Wendung des Geschickes so überwältigt, dah ich kaum sprechen kann. Bannen Sie alle Zweifel aus Ihrer Seele, meine Theuerste, denn wir haben schon gesiegt. Dieser Gastwirth, dieser Giovanni Saracinesca, dieser Marchese di San Giacinto ist der recht­ mäßige und ächte Fürst Saracinesca, das Haupt der Familie." — „Was!" kreischte Donna Tullia plötzlich stille stehend und seinen Arm fest umklammernd. „Das ist er in der That. Ich vermuthete es, als ich zuerst seine Unterschrift in Aquila entdeckte; aber der Mann war mit seiner jungen Frau fortgezogen, Niemand wußte wohin. Ich konnte ihn trotz aller Nachforschungen nicht finden. Jetzt ist er zurückgekommen und was mehr ist, mit allen Documenten, die seine Identität beweisen. So stehen die Sachen. Geben Sie Acht, Tullia mia! Der alte Leo Saracinesca, welcher als letzter den Titel Marchese di San Giacinto führte" — „Der hier erwähnte?" fragte Donna Tullia athemlos.

234 „Ja, derjenige, welcher bei Murat, unter Napoleon Dienste nahm. Nun, es ist allbekannt, daß er Anspruch auf den römischen Titel erhob und mit vollem Recht. Zwei Generationen vorher war eine freundschaftliche Vereinbarung abgeschlossen, — ein freundschaftliches aber durchaus unge­ setzliches Abkommen, wonach der ältere Bruder, eiu kränk­ licher Hagestolz, die römischen Familengüter auf seinen jüngern Bruder übertrug, der verheirathet war und Kinder hatte, und dafür die neapolitanischen Güter nebst dem Titel annahm, welche soeben durch den Tod eines kinderlosen Marchese di San Giacinto an den Hauptstamm der Familie zurückgefallen waren. In vorgerückten Jahren heirathete dieser alte kränkliche Mann wider Erwarten, jedenfalls wider sein früheres Vornehmen. Ihm wurde ein Kind ge­ boren — ein Sohn. Der alte Mann hatte sich durch seine eigene That seines fürstlichen Besitzes und Titels entkleidet und statt auf seinen Sohn ging die Erbfolge auf den Sohn seines jüngern Bruders über. Er knüpfte Unterhandlungen an, um den römischen Titel wiederzuerlangen, — so lauten wenigstens die Berichte — allein sein Bruder, der sich in Rom festgesetzt hatte, wollte nichts von seinen Forderungen hören. Um diese Zeit starb der alte Mann, welcher, mer­ ken Sie wohl, nach dem Gesetz noch das Haupt der Familie war; sein Sohn hätte sein Nachfolger werden sollen. Allein seine Frau, die Tochter eines unbedeutenden neapolitani­ schen Edelmanns, war erst achtzehn Jahre und ihr Sohn erst sechs Monate alt. Zu jener Zeit heirathete man jung. Sie versuchte zu protestiren, allein vergeblich, und ihr Sohn wuchs als Marchese di San Giacinto aus. Er erfuhr die Geschichte seiner Geburt von seiner Mntter und protestirte seiner Zeit ebenfalls. Er ruinirte sich durch die Versuche, seine Ansprüche bei der neapolitanischen Regierung durch-

235 zusetzen, und endlich zur Zeit der Siegeslaufbahn Napoleons, trat er unter Murat in Dienst, nachdem er vom Kaiser das feierliche Versprechen erhalten hatte, daß er seinen Titel und seine Güter wieder erhalten sollte. Allein der Kaiser vergaß sein Versprechen; vielleicht hatte er seine Gründe, sich nicht mit Pius VII. zu entzweien, der den römischen Saracinesca beschützte. Dann kam das Jahr 1815, der Sturz des Kaiserreichs, und die daraus folgende gänzliche Vernichtung von San Giacintos Hoffnungen. Es hieß, er wäre gefallen oder hätte sich das Leben genommen. Saracinesca selbst giebt zu, daß der Großsohn dieses Mannes am Leben und im Besitz der Familienpapiere ist. Sara­ cinesca selbst hat das rechtmäßige Haupt seiner Familie entdeckt, gesehen und gesprochen, und unter dem Segen des Himmels und dem Beistand des Gerichtes wird ihn dieser Giovanni bald von Haus und Hof vertreiben und an seiner Statt herrschen im Palast Saracinesca, als römischer Fürst, als Fürst des heiligen römischen Reiches, Grande von Spa­ nien und so weiter. Wundern Sie sich noch, daß ich mich freue, da ich sicher bin einen Gastwirth über das Haupt meines Feindes zu erheben? Denken Sie sich die Demüthi­ gung des alten Saracinesca und Giovannis, der anstands­ halber den Titel seiner Gemahlin, der Astrardente anneh­ men müssen wird, wenn sie entdeckt, daß sie den mittellosen Sohn eines mittellosen Prätendenten geheirathet hat." Del Ferice kannte die Geschichte der Familie Sara­ cinesca gerade genug um zu wissen, daß etwas Aehnliches wie das, was er Donna Tnllia eben so genau und geläufig erzählt hatte, wirklich vorgefallen war, und er wußte recht gilt, daß sie nicht alle Einzelheiten der so rasch vorgetragenen Geschichte behalten würde. Bei seinem tiefen Haß gegen die Familie hatte er alles über sie in Erfahrung gebracht,

236 was er konnte, ohne Zutritt zu ihrem Privatarchiv zu haben. Sein Scharfsinn verband dann das Ganze zu einer recht plausibeln Geschichte. Allerdings war sie so plausibel, daß sie Donna Tullias Entschluß, Del Ferice zu zürnen, über den Haufen warf und ihr etwas von der Begeisterung ein« flößte, die er selbst zur Schau trug. Im Stillen hoffte er, daß an der Geschichte genug wäre, um den Saracinescas empfindlichen Schaden znzufügen; sein unmittelbarer Zweck aber war, sich Donna Tullia nicht entgehen zu lasten, in­ dem er sie über die vom alten Fürsten soeben gemachte Entdeckung die geringste Enttäuschung ftihlen ließ. Donna Tullia hörte ihm bis zu Ende mit athemloser Spannung zu. „Was sind Sie für ein Mann, Hugo! Wie verstehen Sie es, eine Niederlage in Sieg zu verwandeln! Ist es wirklich alles wahr? Glauben Sie, wir könnten es thun?" „Und wenn ich auf der Stelle sterben sollte," betheuerte Del Ferice feierlich die Hand erhebend, „es ist alles voll­ kommen wahr!" Aus mehr als einem Grunde hoffte er, keinen Meineid zu schwören. „Was sollen wir denn thun?" fragte Madame Mayer. „Erst lassen wir sie heirathen und dann können wir sie sicherlich beide demüthigen", antwortete er. Ahnungs­ los sprach er denselben Entschluß aus, zu dem Giovanni am Abend zuvor inbetreff seiner gekommen war. „Unter­ dessen können wir Rechtskundige zu Rathe ziehen und sehen, wie sich die Sache am besten schnell und sicher ausführen läßt," setzte er hinzu. „Sie müssen den Gastwirth Herkommen lassen." „Ich werde ihn aufsuchen. Es wird nicht schwer halten, ihn zu bereden, sein gesetzliches Recht geltend zu machen." Del Ferice verblieb noch einige Zeit im Gespräch mit

237 Donna Tullia. Die Großartigkeit des Planes fesselte sie und anstatt die Verlobung mit Hugo aufzuheben, wie es ihre Absicht gewesen, erlag sie so ganz seinem Einfluß, daß sie sogar den Hochzeitstag bestimmte. Sie kamen darin überein, daß der zweite Ostertag ihnen am besten paffen würde. Der Gedanke, ihrem Gelübde untreu zu werden, war ihr eigentlich nur durch den vorübergehenden Anfall von Wuth eingegeben worden; wenn sie gefürchtet hatte, durch ihre Verbindung mit Hugo eine mesalliance einzu­ gehen, so war diese Befürchtung durch die Art und Weise wie die Welt ihre Verlobung aufnahm, völlig beseitigt wor­ den. Del Ferice wurde schon mit mehr Achtung behandelt; die Dienstboten fingen sogar an ihn „Eccellenza“ zu nen­ nen, eine Auszeichnung, die ihm weder zukam, noch auf welche er je ein Recht haben konnte, die aber Donna Tullias Eitelkeit schmeichelte. Die Stellung, welche Hugo sich durch eifrige Beobachtung sozialer Ansprüche und Vor­ urtheile sozialer Größen und Orakel verschafft hatte, ward ihm plötzlich gesichert und durch die Nachricht von seiner Verbindung mit Donna Tullia zehn Mal glänzender ge­ macht. Er erregte überdies keine Eifersucht; denn Donna Tullias Eigenthümlichkeiten waren der Art, daß sie von Anfang an ihren Heirathsprojecten im Wege gestanden hatten. Als junges Mädchen, als Verwandte der Saracinescas, die sie jetzt so bitter haßte, wäre sie von allen jungen römischen Edelleuten, von Valdarno abwärts, für heirathsfähig angesehen worden. Aber sie hatte nur eine geringe Mitgift und galt für verschwenderisch; zwei Hinderniffe, die damals nicht so leicht übersehen wurden wie heute. Ueberdies galt sie auch für etwas leichtsinnig, und das Urtheil der Welt lautete, daß sie, wenn sie heirathete, in der Gesellschaft sehr angenehm, aber keine gute Gattin sein

238 würde. Allein fast noch ehe dieses Urtheil über sie gefällt war, hatte sie in Gestalt des reichen ausländischen Bau­ unternehmers Mayer einen Mann gefunden, der eine Frau aus guter römischer Familie haben wollte, und dem es auf

Geld durchaus nicht ankam. Sie behandelte ihn sehr gut, wurde aber durch seinen frühzeitigen Tod bald aller Sor­ gen ledig. Unter all ihren Standesgenossen sand sich kein andrer als der alte Saracinesca, der sie als eine geeignete Frau für seinen Sohn ansah; woraus deutlich hervorging, daß Giovannis eigner Vater eben derjenige war, welcher am wenigsten seinen Geschmack verstand. Aber dieser Heirathsplan wurde wegen Giovannis Neigung für Corona zu Wasser, und Madame Mayer hatte keine andre Aussicht mehr, als bis ans Ende ihres Lebens Wittwe zu bleiben oder einen armen Mann zu heirathen. Sie entschied sich für das Letztere, und das Schicksal führte ihr den klügsten armen Mann in Rom zu, als ob es sie dafür entschädigen wolle, daß sie nicht in Person von Giovanni einen der vornehmsten Edelleute hatte heirathen können. Obschon sie stets ein Mittelpunkt war, der viele anzog, wollte doch kei­ ner der von ihr angezogenen Männer sie heirathen, und schließlich billigten alle die von ihr getroffene Wahl. Der eine sagte, es wäre großmüthig von ihr, einen unbemittel­ ten Mann zu heirathen; ein andrer meinte, es wäre klug von ihr, einen Mann zu wählen, der auf bestem Wege war, sich unter der italienischen Regierung eine gute Stel­ lung zu machen; ein dritter bemerkte, er sei entzückt dar­ über, denn nun könnte er sich an ihrer Gesellschaft ergötzen, ohne in den Verdacht zu kommen, daß er sie heirathen wollte, und alle waren einstimmig in ihrem Lobe und be­ handelten Del Ferice mit der einem vom Glück begünstig­ ten Manne gebührenden Achtung.

239 Donna Tullia bestimmte den Hochzeitstag und ihr Verlobter schied von ihr in bester Laune, mit sich, mit ihr und mit seinem Plan zufrieden. Er war noch etwas auf­ geregt und wollte gerne allein sein. Er hatte sich die Größe seines Planes noch nicht recht klar gemacht und brauchte Zeit, um darüber nachzudenken; aber mit dem richtigen Instinkte des Intriganten erkannte er sofort, daß sein neuer Plan genau das war, wonach er so lange und eifrig gesucht, und mehr werth als alle seine andern Pläne zusammen genommen. Also ging er nach Hause und machte sich daran, die Frage zu studiren; zu­ nächst schrieb er ein Briefchen an einen ihm befreundeten jungen Rechtsgelehrten von zweifelhaftem Ruf, doch glänzen­ den Gaben, den er sofort zum Hauptberather bei seinem Unternehmen erkor. Bald darauf erfuhr er, daß die Vermählung von Giovanni Saracinesca mit Corona von Astrardente nächste Woche in der Familienkapelle des Palastes Saracinesca stattfinden sollte. Wenigstens ging das Gerücht, daß die Feierlichkeit dort vor fich gehen würde, und daß dies in aller Stille geschehen sollte, ging aus dem Umstande her­ vor, daß keine Einladungen dazu ergangen waren. Die Gesellschaft ermangelte nicht, über solche Ausschließlichkeit ihre Bemerkungen zu machen, und zwar ungünstige, wurde ihr doch ein lange erwartetes Schauspiel entzogen. Diese Stimmung hatte zwei Tage angehalten, als am Sonntag Morgen, genau eine Woche vor der Hochzeit, ganz Rom durch eine feierliche Einladung überrascht wurde, welche besagte, daß die Vermählung in der Heiligen Apostelkirche stattfinden, und daß darauf ein großer Empfang im Palaste Saracinesca folgen würde. Bald wurde auch bekannt, daß der Cardinal Erzpriester von St. Peter die Trauung

240 vollziehen, und daß der vereinigten Chor der Peterskirche und der Sixtinischen Kapelle die Meffe fingen würde, kurz, daß die ganze Feierlichkeit von unerhörter Pracht und Feierlichkeit sein würde. So hieß es im „Osservatore Romano“, und diese Zeitung brachte ebenfalls eine lange und begeisterte Lobrede auf das glückliche Paar. Rom war in höchster Aufregung, und obschon einige Unzufrie­ dene meinten, cs wäre unschicklich, Coronas Vermählung so kurz nach dem Tode ihres ersten Gemahls mit solchem Prunk zu feiern, so lautete doch das allgemeine Urtheil dahin, daß die ganze Feier für ein so wichtiges Ereigniß durchaus paffend und angemessen wäre. Als nun erst alle eingeladen waren, sand es keiner mehr sonderbar, daß die Einladungen erst so spät ergangen waren. Es ward nicht allgemein bekannt, daß in den Tagen zwischen der Fest­ setzung des Hochzeitstages und dem Herumschicken der Ein­ ladungen verschiedene Unterredungen zwischen dem Cardinal Antonelli und dem Fürsten Saracinesca stattgefunden hatten, daß der Fürst Coronas ganz natürlichen Wunsch erklärt hatte, die Vermählung in aller Stille zu vollziehen, und daß der Cardinal verschiedene Gründe angeführt hatte, weshalb ein so wichtiges Ereigniß öffentlich gefeiert werden müßte, daß Saracinesca gesagt hatte, ihm käme es gar nicht darauf an, er spräche nur die Wünsche des Braut­ paars aus, daß der Cardinal gesagt hatte, er wünsche es allen recht zu machen, daß Corona nicht in die öffentliche Feier hatte willigen wollen, und daß der Cardinal endlich in die Enge getrieben, den Papst selbst überredet hatte, den Wunsch auszusprechen, die Vermählung möchte öffentlich und in feierlicher Weise stattfinden, weshalb Corona nach­ gegeben hatte und die Sache zu Stande gekommen war. Thatsache war, daß der Cardinal wünschte, eine Art von

241 Schaustellung der Solidarität des römischen Adels zu ver­ anstalten, es paßte zu seinen Zwecken, aus alle Einzelheiten Gewicht zu legen, welche die Bedeutung des römischen Hofes erhöhen und dazu beitragen konnten, auf die ausländischen Gesandten den Eindruck zu machen, daß die Römer in allen Fällen wie Ein Mann zu einander und zum Vatican stehen würden. Niemand wußte besser als er, welchen tiefen Eindruck das Schauspiel einer kirchlichen Feierlichkeit, an der sich der ganze römische Adel betheiligte, auf die Fremden in Nom machen muffe, denn bei Kirchenfeierlich­ keiten in Rom wurde damals eine Pracht und ein Glanz entfaltet, der alles übertraf, was man an einem andern europäischen Hofe sehen konnte. Die ganze Vermählung würde zu einem Ereigniß werden, von dem er nachdrück­ lichen Gebrauch machen könnte, und eine so gute Gelegen­ heit wollte er sich auf keinen Fall entgehen lassen; denn er war vor allem ein Mann, der die Bedeutung aller Neben­ umstände wohl verstand, wenn es galt das prestige aufrecht zu erhalten. Aber für die beiden Hauptmitwirkenden war das Schau­ spiel jenes Festtages eine entschiedene Plage, und selbst ihr großes wahres Glück konnte ihnen nicht die schwere Last der pomphaften Kirchenfeier und des darauf folgenden noch, prachtvolleren Empfanges erleichtern. Den Tag beschreiben hieße ein Verzeichniß prächtiger Wagen, prächtiger Kleider und prächtiger Decorationen anfertigen. Biele Seiten wür­ den nicht hinrcichen, die Cardinäle, die Würdenträger, die Gesandten, die vornehmen Adelsfamilien aufzuzählen, deren prachtvolle Kutschen über die Piazza bei Santi Apostoli an das Portal der Basilika rollten. Die Spalten des Offervatore Romano waren noch eine Woche darauf voll davon. Die Beschreibungen der Toiletten nahmen kein Ende, vom Crawford, Saracinesca. II.



242 weißen Atlaskleide und den Brillanten der Braut, bis zu den Festgewändern des Gefolges des Cardinal-Erzpriesters. Keine bedeutende Persönlichkeit wurde in dem Zeitungs­ bericht übergangen, kein Diplomat, kein Zouavenoffizier. Und die Gesellschaft las ihr eignes Lob und fand das viel interessanter als die Verherrlichung des Brautpaars; nur ein paar Personen waren gekränkt, weil der Berichterstatter sich in der Farbe der Decken aus ihren Kutschböcken geirrt hatte. Im Ganzen aber war die Sache ein großer Erfolg. Als nun endlich die Sonne sank und die Gäste den Palast Saracinesca verlassen hatten, stiegen Corona und Giovanni unter dem dunkeln gewölbten Thorweg in ihren Reisewagen und seufzten unendlich erleichtert von Herzens­ grund auf. Der alte Prinz umarmte und küßte seine neue Tochter herzlich und zum zweiten Male ist im Verlaufe dieser Geschichte zu verzeichnen, daß sich zwei stille Thränen über seine braunen Wangen in seinen grauen Bart herabstahlen. Darauf umarmte er Giovanni, dessen Gesicht bleich und sehr ernst war. „Dies ist nicht das Ende unsers Zusammenlebens, padre mio," sagte er. „Wir werden Dich bald in Saraciuesca erwarten." „Ja, mein Junge," erwiderte der alte Fürst, „ich werde euch nach Ostern besuchen. Aber bleibt nicht dort, wenn es zu kalt ist. Ich habe noch ein kleines Geschäft zu er­ ledigen, ehe ich Rom verlaße," setzte er mit ingrimmigem Lächeln hinzu. „Ich weiß", versetzte Giovanni, und seine Augen blitz­ ten. „Wenn Du Beistand brauchst, laß mich rufen, oder komm selbst." „Fürchte nichts, Giovanni: ich habe furchtbare Bundes­ genossen. Aber nun fort! Die Wache wird ungeduldig!"

243 „Lebewohl! Gott segne Dich, padre mio!" „Gott segne euch Beide!" So fuhren sie ab und ließen den alten Saracinesca unbedeckten Hauptes allein unter dem düstern Thorweg seines Ahnenschlosses stehen. Der große Wagen rollte hinaus, und die Wache berittener Gensdarmen, welche der Cardinal theils aus Höflichkeit, theils zur Sicherheit dem jungen Paar mitgab, ritt hinter­ her und trabte mit lautem Hufschlag und Säbelgerafsel die enge Gasse hinab. Giovanni aber hielt Coronas Hand in der seinen und Beide schwiegen eine Weile. Dann fuhren sie durch den niedrigen Thorbogen von San Lorenzo im Abendscheine hinaus in die Campagna. „Gott sei gelobt, daß es endlich dazu gekommen ist!" sagte Giovanni. „Ja, es ist dazu gekommen!" erwiderte Corona und ihre weißen Finger umklammerten beinah krampfhaft seine braune Hand; „und nun mag kommen, was da will, Du bist mein, Giovanni, bis wir sterben!" Es war etwas Leidenschaftliches in der Liebe dieser Beiden; sie hatten lange kämpfen müssen, ehe sie vereint wurden, und hatten jedes allein sich selbst überwunden, ehe sie gemeinsam andre Hindernisse überwinden konnten. Unter­ wegs wurden ihre Pferde mehrmals gewechselt und die be­ rittene Wache abgelöst. Spät in der Nacht erreichten sie Saracinesca, das von Fackeln und Lampen strahlte. Junge Bauern spannten die Pferde ab und sich selbst mit Stricken vor den Wagen, und zogen die schwere Kutsche in rasender Eile die letzte Anhöhe hinauf, indem sie wie toll in der frischen Bergluft sangen und jauchzten. Sie stürmten den steilen Weg empor unter den großen alten Thorweg, der durch flammende Fackeln taghell erleuchtet war, und dann 16*

244 erscholl ein Jubelruf, von dem das alte Gewölbe wider­ hallte, wie von einem wilden Chor rauschender Musik, und Corona wußte, daß sie am Ziel ihrer Reise war. So führte Giovanni Saracinesea seine Braut heim.

Fünfzehntes Kapitel.

Der alte Fürst war allein zurückgeblieben, wie schon oft in früherer Zeit, wenn Giovanni in weite Ferne gezogen war, um seinem Vergnügen nachzugehen. Bei solchen Ge­ legenheiten hatte dann der alte Saracinesea häufig seinen Koffer gepackt und war dem Beispiel seines Sohnes gefolgt, selten aber pflegte er weiter zu reisen als bis nach Paris, wo er viele Freunde hatte und gewöhnlich Trost für seine Einsamkeit fand. Jetzt aber fühlte er sich einsamer denn je. Giovanni war freilich nicht weit fort; denn mit guten Pferden ließ sich das Schloß in acht Stunden erreichen; aber zum ersten Male fühlte der alte Saracinesea, daß er nicht willkommen sein würde, wenn es ihm einfiele, seinem Sohne plötzlich nachzureisen. Der Junge war endlich verheirathet und mußte mit seiner jungen Frau einige Tage in Ruhe ge­ lassen werden. Mit dem ihm angebornen Widerspruchsgeist empfand der alte Saracinesea, sobald er der Abwesenheit seines Sohnes recht inne wurde, den lebhaftesten Wunsch, bei ihm zu sein. Giovanni hatte ost nach vierundzwanzig Stunden vorher ergangener Meldung das väterliche Hans verlaffen, um nach irgend einer fernen Großstadt abzureisen, und er hatte nie Lust verspürt ihn zu begleiten, lediglich weil er wußte, daß er es thun könnte, wenn er wollte; nun aber fühlte er, daß Jemand anders an seine Stelle getreten

244 erscholl ein Jubelruf, von dem das alte Gewölbe wider­ hallte, wie von einem wilden Chor rauschender Musik, und Corona wußte, daß sie am Ziel ihrer Reise war. So führte Giovanni Saracinesea seine Braut heim.

Fünfzehntes Kapitel.

Der alte Fürst war allein zurückgeblieben, wie schon oft in früherer Zeit, wenn Giovanni in weite Ferne gezogen war, um seinem Vergnügen nachzugehen. Bei solchen Ge­ legenheiten hatte dann der alte Saracinesea häufig seinen Koffer gepackt und war dem Beispiel seines Sohnes gefolgt, selten aber pflegte er weiter zu reisen als bis nach Paris, wo er viele Freunde hatte und gewöhnlich Trost für seine Einsamkeit fand. Jetzt aber fühlte er sich einsamer denn je. Giovanni war freilich nicht weit fort; denn mit guten Pferden ließ sich das Schloß in acht Stunden erreichen; aber zum ersten Male fühlte der alte Saracinesea, daß er nicht willkommen sein würde, wenn es ihm einfiele, seinem Sohne plötzlich nachzureisen. Der Junge war endlich verheirathet und mußte mit seiner jungen Frau einige Tage in Ruhe ge­ lassen werden. Mit dem ihm angebornen Widerspruchsgeist empfand der alte Saracinesea, sobald er der Abwesenheit seines Sohnes recht inne wurde, den lebhaftesten Wunsch, bei ihm zu sein. Giovanni hatte ost nach vierundzwanzig Stunden vorher ergangener Meldung das väterliche Hans verlaffen, um nach irgend einer fernen Großstadt abzureisen, und er hatte nie Lust verspürt ihn zu begleiten, lediglich weil er wußte, daß er es thun könnte, wenn er wollte; nun aber fühlte er, daß Jemand anders an seine Stelle getreten

245 und daß er, eine Zeit lang wenigstens, von Giovannis Gesellschaft ausgeschloffen war. Hätte ihn nicht eine be­ sondere Angelegenheit in Rom zurückgehalten, so würde er wahrscheinlich das glückliche Paar dadurch überrascht haben, daß er den Tag nach der Hochzeit zum Thorweg des alten Schlaffes eingeritten wäre: jenes Geschäft aber war dringend, geheim und überdies der gegenwärtigen Stimmung des alten Herrn durchaus entsprechend. Er hatte die Angelegenheit mit Giovanni gründlich besprochen, und sie waren über die zu thuenden Schritte einig geworden. Es gab indeffen noch viel zu thun, ehe der von beiden ernstlich gewünschte Zweck erreicht werden konnte Es erschien so einfach, zum Cardinal Antonelli zu gehen und ihn zu ersuchen, Del Ferice für feine Miffethaten fest nehmen zu lasse». Da aber diese Miffethaten bis jetzt noch nicht deutlich erwiesen, war es nöthig sie festzustellen. Der Cardinal griff selten, außer in den allerdringendsteu Fäl­ len, zu solchen Maßregeln, und Saracinesca wußte recht gut, daß es schwer halten würde, Del Ferice Schlimmeres zu beweisen als seine Betheiligung an dem albernen Ge­ schwätz von Valdarno und Genoffen. Giovanni hatte seinem Vater gesagt, er wäre überzeugt, Del Ferice bezöge seine Einkünfte aus unlauterer Quelle, aber er war außer Stande diese Quelle nachzuweiseu. Die meisten Leute glaubten die Fabel, Del Ferice habe von einem unbekann­ ten Verwandten etwas geerbt, die meisten hielten ihn für klug und verschlagen, ließen sich aber von seinem frei­ müthigen und unbefangenen Benehmen doch weit genug täuschen, um zu glauben, daß er immer geradezu das sagte, was ihm durch den Kopf fuhr; die meisten Leute freuen sich so sehr darüber, wenn ein ungewöhnlich ge­ scheuter Mensch sich herbeiläßt, mit ihnen zu sprechen, daß

246 sie schon aus Eitelkeit nicht daran denken, er könne sie täuschen. Saracinesca bezweifelte nicht, daß schon die bloße Aeußerung seiner eigenen Ansichten über Del Ferice beim Cardinal ins Gewicht fallen würde, denn er war sich einer gewiffen Macht bewußt, und war daran gewöhnt, daß sein Urtheil mit Achtung ausgenommen wurde; allein er kannte den Cardinal als einen vorsichtigen Mann, der Gewaltmaßregeln vermied, weil er sich durch solche so arg verhaßt gemacht hatte, und nicht gern mit Gewalt durch­ setzte, was sich durch Klugheit erreichen ließ; er würde am Ende eher geneigt gewesen sein, Del Ferice zu reactionären Ansichten zu bekehren, als ihn wegen seiner allzu freisinnigen des Landes zu verweisen. Selbst wenn der alte Sara­ cinesca mehr diplomatisches Talent besesien hätte, ver­ bunden mit gewiffenloser Verlogenheit, wovon bei ihm keine Spur war, dürfte es ihm schwer geworden sein, den Car­ dinal wider dessen Willen zu überreden; aber Saracinesca war vor allen Dingen ein zu gewaltsamem Handeln ge­ neigter Mann dagegen aber wenig geneigt zum Nachdenken vor oder nach der That. Daß er schließlich an Del Ferice und Donna Tullia für den ihm jüngst gespielten Streich gerächt werden würde, stand für ihn ganz zweifellos fest; aber als er nach Mitteln suchte, um den Cardinal zu be­ wegen, ihm dabei zu helfen, stieß er überall auf Schwierig­ keiten. Nur einerlei half ihm, nämlich die feste Ueber­ zeugung, daß wenn der Cardinal nur zu bewegen wäre, Del Ferices Verhalten genau zu prüfen, letzterer sich nicht nur als einen Feind des Staates, sondern auch als einen bittern Feind des Cardinals erweisen werden. Je mehr Saracinesca über die Sache nachdachte, um so mehr ward er davon überzeugt, daß er am besten thäte, kühn vor den Cardinal zu treten und ihm zu sagen, daß

247 er Del Ferice für einen gefährlichen Verräther hielte, gegen den summarisch verfahren werden müßte. Wenn der Car­ dinal den Fall erörtern würde, so wollte der Fürst auf feine Weise Behauptungen aufstellen, und irgend ein Er­ gebniß müsse doch darauf folgen. Indem er sich fo über­ legte wie er handeln wollte, schwanden seine Zweifel, wie gewöhnlich bei einem starken Geiste, wenn er vor der That steht, und die Zuversicht, welche der alte Fürst gegen seinen Sohn bezeigt hatte, wurde Wahrheit. Indessen war es un­ erträglich abzuwarten, und Giovanni hatte beschlossen, Del Ferices Hochzeit stattfinden zu lassen, ehe sie einen Ausbruch herbeiführten, um beide Sünder desto sicherer zu treffen; jetzt aberschien es besser, den Streich sofort zu führen. Angenommen, überlegte der Fürst, Donna Tullia und ihr Mann hätten Lust, den Tag nach ihrer Hochzeit von Nom noch Paris zu reisen, so ginge die Hälfte des Tri­ umphes verloren, denn die Hälfte des Triumphes sollte darin bestehen, daß Del Ferice in Rom als Spion ein­ gesperrt würde; wenn er aber erst einmal über die Grenze wäre, könnte ihm höchstens die Rückkehr verboten werden, und das wäre für Giovanni und seinen Vater nur eine geringe Genugthuung gewesen. Eine Woche ging vorüber, und die Lustbarkeiten des Carnevals waren wiederum auf ihrer Höhe, und noch eine Woche entschwand und die Fastenzeit war da. Saracinesca ging überall hin und sah alle Welt ganz wie gewöhnlich; nach dem Aschermittwoch zeigte er sich gelegentlich an diesem oder jenem der ruhigen Empfangsabende, die seinem Sohne so zuwider waren; allein er war ruhelos und unzufrieden. Er sehnte sich danach, den Kampf aufzunehmen, und konnte bei dem Gedanken daran nicht schlafen. Gleich Giovanni war er kräftig und rachsüchtig; Giovanni aber hatte von

248 seiner Mutter eine gewisse geistige Langsamkeit geerbt, die ihn oft gerade lange genug vom Handeln zurückhielt, um ihm Zeit zum Nachdenken zu lassen, während sein Vater, wenn er erst aufgebracht war — und das geschah sehr leicht —, gern gleich losschlug. Eines Abends traf Saracinesca zufällig den Cardinal in einem vornehmen Hause allein in einem der Vorgemächer. Er war aus dem Wege zu den Empfangszimmern, blieb aber stehen, gefesselt durch den Anblick einer schönen Krystallschale von alter Arbeit, welche unter andern ähnlichen Kunstgegenständen auf einem Marmortisch in einem der Säle stand, durch welche er gehen mußte. Die aus Bergkrystall geschnittene Schale war in eiselirtes Silber gefaßt, und wenn sie nicht ein Werk von Cellini selbst war, mußte sie die Arbeit eines seiner Schüler sein. Saracinesca blieb neben dem großen Mann stehen. „Guten Abend, Eminenz." „Guten Abend, Fürst," versetzte der Cardinal, welcher Saracinesca an der Stimme erkannte, ohne aufzublicken. „Haben Sie je diese wundervolle Arbeit gesehen? Ich bewundre sie schon seit einer Viertelstunde." Er liebte der­ gleichen Arbeiten und hatte ausgezeichnetes Verständniß dafür. „Sie ist wirklich wunderschön", antwortete Saracinesca, welcher gern die Gelegenheit wahrnehmen wollte, mit dem Cardinal von dem zu sprechen, was ihm besonders am Herzen lag. „Ja, ja," versetzte der Cardinal Antonelli obenhin und that als wollte er weiter gehen. Er merkte aus Saracinescas Art des Lobes, daß er nichts von der Sache ver­ stünde. Der alte Fürst fürchtete, die günstige Gelegenheit könne ihm entschlüpfen, und verlor darüber den Kopf. Er

249 dachte nicht daran, daß er den Cardinal sprechen könnte, sobald er wollte, indem er einfach eine Audienz nachsuchte. Das Schicksal hatte ihm den Cardinal in den Weg geführt, und das Schicksal war dafür verantwortlich. ,®enn Ew. Eminenz gestatten wollten, möchte ich gern ein paar Worte mit Ihnen sprechen," sagte er plötzlich. „So viel Sie wollen", antwortete der Staatsmann verbindlich. „Wir wollen uns dort in die Ecke setzen, für ein Weilchen wird uns Niemand stören." Er schien ungewöhnlich liebenswürdig, wie er sich so «eben Saracinesca setzte, den Zipfel seines Scharlachmantels übers Knie legte und seine feinen Hände mit der Miene ruhiger Aufmerksamkeit verschränkte. „Ew. Eminenz kennen vermuthlich einen gewiffen Del Ferice?" hub der Fürst an. „Sehr gut — den deus ex machina, der erschienen ist, um Donna Tullia Mayer zu entführen. Ja, ich kenne ihn." „Ganz recht und sie werden sehr gut zusammen passen, die Welt muß Beifall klatschen, wenn so das Fleisch sich mit dem Teufel verbündet." Der Cardinal lächelte. „Das Gleichniß ist treffend," sagte er, „doch was ists mit ihnen?" „Das will ich Ihnen mit zwei Worten sagen," ver­ setzte der Fürst, „Del Ferice ist ein Schurke vom reinsten Waffer —" „Eine Perle unter den Schurken," fiel der Cardinal ein, „denn bei alledem ist er unschädlich — ein Theater­ bösewicht." „Ich glaube, Ew. Eminenz täuschen sich in ihm." „Das kann leicht sein," antwortete der Staatsmann, „ich täusche mich viel öfter, als die Leute glauben."

250 Er sprach sehr mild, sah aber mit seinen kleinen schwar­ zen Augen Saracinesca scharf an. „Was hat er gethan?^ fragte er nach einer Pause. „Er hat versucht, meinem Sohn und meiner Schwieger­ tochter großen Schaden zu thun. Ich habe ihn stark im Verdacht, daß er auch Ihnen Schaden thut, Eminenz." Ob Saracinesca ganz ehrlich war, als er zum Car­ dinal „Ihnen" sagte, während er den ganzen Staat meinte, den der Premierminister vertrat, ist nicht leicht zu entschei­ den. Ein lateinisches Sprichwort sagt: Ein Mann, den viele fürchten, sollte vor vielen auf seiner Hut sein, und das Wort ist wahr. Der Cardinal war persönlich ein tapfrer Mann, aber er kannte die Gefahr, und die Erinne­ rung an den ermordeten Rossi') war ihm noch frisch im Gedächtniß. Trotzdem lächelte er verbindlich und ant­ wortete: „Das ist etwas unbestimmt gesagt. In wie fern schadet er mir, wenn ich fragen darf?" „Ich folgere so", versetzte Saracinesca, also befragt. „Der Kerl fand eine höchst geschickte Art heraus, meinen Sohn anzugreifeu; er durchforschte das ganze Land, bis er entdeckte, daß ein Mann Namens Giovanni Saracinesca sich vor einiger Zeit tu Aquila verheirathet hätte. Er ließ die Trauscheine abschreiben und brachte sie angeblich als Beweise dafür vor, daß mein Sohn bereits verheirathet wäre. Hätten wir nicht den betreffenden Menschen aufge­ funden, so hätten wir große Unannehmlichkeiten gehabt. *) Graf Rossi, Mitglied des ersten liberalen Ministeriums unter Pius IX., wurde im Hofe der Cancelleria ermordet. Der Thäter wurde nie entdeckt. Die Clericalen schrieben den Mord den Radikalen zu; von liberaler Seite wurde behauptet, der Mörder wäre von der ultramontanen Partei gedungen worden. Anmerk. d. Nebers.

251 Aber überdies ist es bekannt, daß Del Ferice liberale An­ sichten hat" — „Von der schwächsten Sorte", unterbrach ihn der Staats­ mann, der indessen sehr ernst geworden war. „Die Ansichten, welche er äußert, find allerdings von der schwächsten Sorte, und er giebt sich keine Mühe, sie zu verhehlen. Aber ein Kerl, der verschmitzt genug ist, einen Plan, wie den gegen uns ausgeführten zu ersinnen, ist kein Narr." „Ich verstehe, mein lieber Freund," sagte der Cardinal. „Dieser Kerl hat Sie beleidigt, und Sie wünschen, daß ich die Beleidigung räche, indem ich ihn einsverre." „Ganz recht", sagte Saracinesca und lachte über seinen eignen Einfall. „Das hätte ich eben so gut gleich zuerst sagen können." „Viel bester! Sie würden einen schlechten Diplomaten abgeben, Fürst. Aber was in aller Welt würde ich dabei gewinnen, wenn ich Ihr Unrecht an dem Geschöpf rächte?" „Gar nichts; es fei denn, wenn Sie sich die Mühe nehmen wollten, sein Thun und Treiben zu untersuchen und entdeckten, daß er wirklich gefährlich wäre. In dem Falle würden Ew. Eminenz genöthigt sein, an Ihre eigne Sicher­ heit zu denken. Wenn Sie ihn umschuldig befinden, wer­ den Sie ihn laufen lassen." „Und was werden Sie in diesem Falle thun?" fragte der Cardinal lächelnd. „Ich werde ihm den Hals abschneiden", antwortete Saracinesca ungerührt. „Ihn ermorden?" „Nein, fordern und ihn auf ehrenhafte Art tobten, was viel mehr ist als er verdient." „Ich bezweifle nicht, daß Sie es thun würden," sagte

252 der Cardinal ernst. — „Ihren Vorschlag indeffen finde ich annehmbar. Wenn dieser Mensch wirklich gefährlich ist, werde ich für ihn sorgen. Aber ich muß Sie in der That bitten, nichts Unbesonnenes zu thun. Ich habe beschloffen, diesem Duelliren ein Ende zu machen, und warne Sie, daß Niemand, auch Sie nicht, der Gesängnißstrafe entgehen wird, der sich aus einen Zweikampf einläßt." Saracinesca unterdrückte ein Lächeln bei der Drohung des Cardinais; er sah aber, daß er seinen Zweck erreicht hatte, und war folglich zufrieden. Er war sich bewußt, in die Seele des Staatmanns ein Körnchen Argwohn gesäet zu haben, welches bald Frucht bringen würde. In jenen Tagen drohte Gefahr von allen Seiten, und man konnte es sich nicht gestatten, sie zu übersehen, ganz gleich in wel­ cher Gestalt sie sich zeigte, am wenigsten konnten es Leute wie der Cardinal selbst, der einen ungleichen Kampf gegen überlegene Mächte außerhalb des Kirchenstaates zu bestehen hatte, und zu gleicher Zeit fühlte, daß im Innern jeder seiner Schritte von Gefahren umgeben war. Daß er Del Ferice lange als müßigen Schwätzer verachtet hatte, hin­ derte ihn nicht, den Gedanken aufkommen zu lasien, daß er sich am Ende doch getäuscht hätte, wie Saracinesca an» deutete. Er hatte Hugo allerdings überwachen lassen, aber nur von Zeit zu Zeit und von Leuten, die keine andre Pflicht hatten, als nachzuspüren, ob er verdächtigen Um­ gang pflege. Das kleine Nest von Schwätzern in Gouaches Atelier wurde bald entdeckt und recht harmlos befunden. Darauf ließ man Del Ferice unbeachtet seiner Wege gehen. Aber die paar Worte, mit denen Saracinesca Hugos Plan zur Vechinderung von Giovannis Heirath geschildert hatte, gaben dem Cardinal zu denken, und selten verlor der Car­ dinal seine Zeit mit nutzlosem Nachdenken. Seine Unter-

253 redung mit Saracinesca war bald zu Ende; der Fürst und der Staatsmann traten in das überfüllte Gesellschaftszimmer und mischten sich unter die Menge. Es währte lange, ehe sic sich wieder privatim begegneten. Am nächsten Tage gab der Cardinal den Befehl, daß Del Ferices Briefe aufgefangen werden sollten, durchaus keine so ungewöhnliche Maßregel in jenen Zeiten, und auch in unsern nicht so selten, als man gewöhnlich glaubt. Das Postamt war damals noch in den Händen eines Privat­ manns und das Wort des Cardinais war Gesetz. Del Ferices Briefe wurden also regelmäßig geöffnet und untersucht. Die erste Entdeckung war, daß sie häufig Geld ent­ hielten, gewöhnlich in der Form einer kleinen Anweisung aus London, von einem Florentiner Banquier unterzeichnet, und daß die Briefumschläge mit Geld nie etwas Anderes enthielten. Sie waren alle zu Forenz zur Post gegeben. Was die Briefe anbetraf, so erschienen sie sehr unschuldige Mittheilungen von allen möglichen Leuten zu sein, die sich selten auf Politik bezogen, und dann nur in ganz allgemei­ nen Ausdrücken. Wenn Del Ferice erwartete, daß seine Briefe aufgemacht werden würden, so hätte er die Sache gar nicht besser einrichten können. Es war nicht leicht die Personen ausfindig zu machen, welche die Geldanweisungen schickten; es war unmöglich einen Spion in ein Florentiner Geschäftshaus einzuschmuggeln, und bei den vielen Wechseln, welche täglich ausgefertigt und eingelöst wurden, war es beinahe unmöglich herauszubekommen, wer einen bestimmten abgeschickt hatte, ohne die Bücher des Banquiers einsehen zu können. Die Adresse war immer von derselben Hand, aber die Schrift war durchaus nicht eigenthümlich und rührte sicherlich nicht von einer der hervorragenden

254 Personen her, von denen der Cardinal Autographen besaß. Nun galt es zunächst, einiger von Del Ferice selbst geschriebener Briefe habhaft zu werden, oder wo möglich alles, was er schrieb, aufzufangen. Aber obgleich die Briefe mit den Wechseln regelmäßig geöffnet und nach der Be­ sichtigung frisch versiegelt und regelmäßig durch die Post an Hugos Adreffe gesandt wurden, mußten die gewitzigten Leute, welche angestellt waren, seine eigenen Briefe aufzu­ fangen, nach drei Wochen emsigen Aufpassens gestehen, er schiene gar keine Briefe zu schreiben und gäbe sicherlich niemals welche auf die Post. Sie gestanden dem Cardinal ihren Mißerfolg mit ängstlicher Befangenheit ein, denn sie fürchteten einen Verweis für ihre Nachlässigkeit zu erhalten, allein der Cardinal hieß sie nur, nicht in ihrer Aufmerk­ samkeit nachzulaffen, und entließ sie mit freundlichem Lächeln. Jetzt wußte er, daß er dem Verrath auf der Spur war; denn von einem Manne, der überhaupt gar keine Briefe schreibt, während er viele empfängt, läßt sich biüigerweise annehmen, daß er seine geheime Privatpost habe. Del Ferices Bewegungen wurden einige Tage hindurch genau beobachtet, aber ohne jeden Erfolg. Dann ließ sich der Cardinal das Polizeiregister des Stadtbezirks bringen, in dem Del Ferice wohnte, und worin der Name, die Natio­ nalität und die Wohnung jedes Einzelnen in dem „Rione" oder Stadtkreise sorgsam eingetragen war, wie das noch heute geschieht. Indem der Cardinal die Liste durchlief, stieß er aus den Namen: Themistocles Fattoruffo aus Neapel, Diener bei Hugo bei Conti del Ferice, und ihm kam ein Gedanke. „Sein Diener ist ein Neapolitaner", dachte er. Wahr­ scheinlich schickt er seine Briefe über Neapel."

255 Folglich wurde nunmehr Themistocles anstatt seines Herrn beobachtet. Es wurde bemerkt, daß er viel mit andern Neapolitanern umging und sich besonders von Zeit zu Zeit nach Ripa Grande, dem Hafen am Tiber, begab, wo er zahlreiche Bekannte unter den neapolitanischen Schiffern zu haben schien, die beständig in ihren „martigane“ (schwere seetüchtige Segelschiffe) längs der Küste herauskamen und Ladungen von Orangen und Limonen auf den römischen Markt brachten. Nun war das Geheimniß entdeckt. Eines Tages wurde Themistocles in der That gesehen, wie er eben einem Kerl mit rother Wollmühe einen Brief in die Hand gab. Der sbirro, welcher es sah, merkte sich den Schiffer und dessen Fahrzeug und verlor es nicht aus den Augen, bis er die Segel aufzog und stromabwärts fuhr. Da bestieg der Spion ein Pferd und galoppirte hinunter nach Fiumicino, wo er das kleine Schiff abwar­ tete, es dann von einem Boote aus in Begleitung einiger Gensdarmen bestieg und keine Schwierigkeit hatte, dem er­ schrockenen Schiffer den Brief abzunehmen; der Mensch war froh ohne Strafe davon zu kommen. Während der nächsten vierzehn Tage wurden mehrere Briefe verschiedenen Schiffern auf diese Weise abgenommen, und alle diese Briefschaften gingen sofort an den Cardinal. Er gab sich selten damit ab, den Geheimpolizisten in eigner Person zu spielen; aber wenn er es that, so geschah es nicht leicht vergeblich. Und nun bemerkte er, daß ungefähr eine Woche nach der Be­ schlagnahme des ersten Briefes die kleinen Geldsendungen, welche so häufig unter Del Ferices Adresse aus Florenz gekommen waren, plötzlich aufhörten; daraus ging deutlich hervor, daß jeder Brief seinem Werthe entsprechend, immer gleich nach Empfang bezahlt worden war. Ueber den Inhalt dieser Episteln braucht nicht viel ge-

256 sagt zu werden. Del Ferice fühlte fich durch die Art der Uebersendung so sicher, daß er nicht ein Mal eine Chiffre anwendete, obschon er natürlich nie einen Brief unterzeich­ nete. Es war jedes Mal eine ausführliche Chronik von allem, was in Rom gesagt und gethan wurde, ein so ge­ nauer Bericht von allen Vorgängen, wie Hugo ihn nur irgend abfafsen konnte, und selbst der Cardinal war erstaunt über die Richtigkeit der also gemachten Mittheilungen. Sein eignes Erscheinen in der Oeffentlichkeit, die Namen derer, mit denen er gesprochen, sogar Bruchstücke seiner Ge­ spräche waren mit peinlicher Genauigkeit wiedergegeben. Der Staatsmann erfuhr zu seinem größten Aerger, daß er seit längerer Zeit Gegenstand einer Spionage gewesen, die mindestens eben so vollkommen war als die von ihm ersonnene, und was noch verletzender für seine Eitelkeit war, der Spion war eben der Mann, den er vor allen andern am meisten verachtet, den er schwach und harmlos genannt hatte, nur weil er fich listig schwach zu stellen wußte. Wo oder wie Del Ferice all seine Nachrichten herbekam, darauf kam es dem Cardinal wenig an, denn er beschloß auf der Stelle, daß er keine mehr verbreiten sollte. Daß noch andre Verräther im Lager waren und daß fie Del Ferice mit ihrem Rath unterstützt hatten, ließ fich mit Sicherheit annehmen, aber wenn fie auch durch Verlängerung des ein­ geschlagenen Verfahrens vielleicht entdeckt werden konnten, so wäre eine solche Verzögerung für die auswärtigen Feinde von Vortheil gewesen. Wenn überdies Del Ferice bemerkte, — und das mußte bald geschehen, — daß seine Privat­ briefe vom Vatican aus ausgefangen wurden, fo war er nicht der Mann dazu, seine Flucht zu verschieben; und er würde nicht leicht einzufangen sein, wenn es ihm erst ge­ länge einige Meilen Campagna zwischen fich und Rom zu

257 legen. Wer konnte wissen, in was für einer Verkleidung er sich über die Grenze schleichen würde; und allerdings war er auf solch einen Nothfall gut vorbereitet, wie sich hernach herausstellte. Der Cardinal besann sich nicht länger. Er hatte so eben den vierten Brief erhalten und wenn er noch länger zögerte, könnte Del Ferice Verdacht schöpfen und ihm ent­ wischen. Er schrieb eigenhändig an den Polizeipräsidenten und befahl die sofortige Festnahme des Hugo bei Conti Del Ferice, mit der Anweisung, daß er ohne Aufsehen zu erregen in seiner eigenen Wohnung festgenommen und von Polizisten in Civilkleidung unverzüglich nach dem Sant' Uffizio gebracht werden sollte. Um sechs Uhr Abends schrieb er diesen Befehl und gab ihn seinem Kammerdiener zur Beförderung. Dieser verlor keine Zeit; binnen zwanzig Minuten hatte der Po­ lizeipräsident den Befehl in Händen und beeilte sich, den­ selben so schleunig wie möglich auszuführen. Vor sieben saßen zwei anständig gekleidete Herren in des Präsidenten eignem Wagen und fuhren schnell nach Del Ferices Woh­ nung. In weniger als einer halben Stunde mußte der Mensch, welcher so viel Aergerniß gegeben, sicher im Ge­ fängniß der Inquisition sitzen und seiner Verurtheilung als politischer Spion entgegensehen. In vierzehn Tagen hätte er Donna Tullia Mayer heirathen sollen, — ihre Ausstat­ tung war soeben von Paris gekommen! — Man kann kaum behaupten, daß das Verfahren des Cardinals sich nicht rechtfertigen ließe, obschon viele sagen werden, daß Del Ferices geheimes Treiben sich leicht auf Grund seines Patriotismus vertheidigen ließe. Der Car­ dinal Antonelli hatte in seinem Gespräch mit Gouache die Lage der Dinge tresiend bezeichnet, indem er sagte, die E r a wf Di'i), Sdiaeiueiica.

I l.

17

258 weltliche Macht wäre in die äußerste Enge getrieben. Allem Anscheine nach hatte Europa Frieden, thatsächlich aber war dieser Friede nur eine bewaffnete Neutralität. Auf die Lage des Kirchenstaates concentrirten sich so viele Inter­ essen, wie sie nur selten durch Ereignisse von scheinbar viel größerer Wichtigkeit als die Besetzung eines kleinen Fürsten­ thums durch fremde Truppen erregt worden waren. Ganz Europa stand in Waffen. In wenig Monaten sollte Oest­ reich eine der plötzlichsten und überwältigendsten Nieder­ lagen erleiden, welche die Kriegsgeschichte verzeichnet hat. In wenigen Jahren sollte die größte Militärmacht der Welt von einem noch furchtbareren Unglück heimgesucht werden. Und all diese damals bevorstehenden Ereignisse sollten der weltlichen Herrschaft des Papstes den Todesstoß geben. Das Papstthum war in verzweifelte Enge getrieben, und diejenigen, welchen die letzte Vertheidigung anvertraut war, hatten sicherlich recht, alle in ihrer Macht stehenden Mittel anzuwenden, um ihre Stellung zu verstärken. Daß Rom selbst von elenden Verschwörungen wimmelte und zum Jagd­ gefilde für politische Spione geworden war, während der Schutz, den es von Louis Napoleon erhielt, ihm schon zum Theil entzogen worden war, beweist nur, wie hart die Auf­ gabe des Mannes war, der gegen eine solche Uebermacht so tapfer ankämpfte. Es ist kein Wunder, daß er Spione niederhetzte, und verdächtigen Subjecten befahl, binnen vier­ undzwanzig Stunden die Stadt zu verlassen, denn die Stadt befand sich thatsächlich im Belagerungszustand und ein Nachlassen der eisernen Disciplin, kraft welcher sie der Cardinal regierte, hätte während jener zwanzig Jahre in jedem Augenblick verderblich werden können. Er wurde gehaßt und gefürchtet; mehr als ein Mal schwebte sein Leben in drohender Gefahr, aber er that an seiner Stelle

259 seine Pflicht.

nicht sagen,

Wäre sein Ansehen gesunken,

so ließe sich

was für Unheil für die Stadt und ihre Be­

wohner daraus hätte folgen können; — weit mehr zu be­ fürchtendes Unheil als der Einzug eines ordentlichen italie­

nischen Heeres durch die Bresche bei Porta Pia.

Denn

die Erinnerung an die Ermordung des Grafen Rossi, und

an die kurze gesetzlose Zeit der Republik von 1848 war

noch frisch im Gedächtniffe des Volkes

und

ehe sie ent­

schwunden, erhoben sich drohende Gerüchte von einem Auf­

stande, welcher der Theorie nach minder republikanisch sein

sollte, aber bei weitem verhängnißvoller durch die thatsäch­ liche soziale Anarchie, welche aus seinem Erfolge hätte her­ vorgehen müssen.

Giuseppe Mazzini hatte seinen Erzfeind

Cavour überlebt und sein Einfluß war unberechenbar.

Mir aber liegt es nicht ob, die Geschichte jener Tage der Ungewißheit zu schreiben, obschon Niemand,

der das soziale Leben Roms von damals oder von heute ins Auge saßt, umhin kann, den Einfluß zu erkennen, welchen poli­ tische Ereigniffe auf das Alltagsleben der Menschen aus­

üben.

Wir müssen jetzt dem Privatwagen mit den beiden

anständigen Herren folgen,

die sich auf dem Wege nach

Del Ferices Wohnung befanden.

Sechzehntes Kapitel. Nun traf es sich aber, daß Del Ferice um die Stunde,

als der Wagen mit den beiden Polizisten an seiner Thür

vorfuhr, nicht zu Hause war.

In der Regel war er um

diese Zeit selten zu finden, denn wenn er nichts andres speiste er mit Donna Tullia und ihrer alten

vorhatte,

Gräfin und begleitete sie danach in irgend eine jener zur

17*

259 seine Pflicht.

nicht sagen,

Wäre sein Ansehen gesunken,

so ließe sich

was für Unheil für die Stadt und ihre Be­

wohner daraus hätte folgen können; — weit mehr zu be­ fürchtendes Unheil als der Einzug eines ordentlichen italie­

nischen Heeres durch die Bresche bei Porta Pia.

Denn

die Erinnerung an die Ermordung des Grafen Rossi, und

an die kurze gesetzlose Zeit der Republik von 1848 war

noch frisch im Gedächtniffe des Volkes

und

ehe sie ent­

schwunden, erhoben sich drohende Gerüchte von einem Auf­

stande, welcher der Theorie nach minder republikanisch sein

sollte, aber bei weitem verhängnißvoller durch die thatsäch­ liche soziale Anarchie, welche aus seinem Erfolge hätte her­ vorgehen müssen.

Giuseppe Mazzini hatte seinen Erzfeind

Cavour überlebt und sein Einfluß war unberechenbar.

Mir aber liegt es nicht ob, die Geschichte jener Tage der Ungewißheit zu schreiben, obschon Niemand,

der das soziale Leben Roms von damals oder von heute ins Auge saßt, umhin kann, den Einfluß zu erkennen, welchen poli­ tische Ereigniffe auf das Alltagsleben der Menschen aus­

üben.

Wir müssen jetzt dem Privatwagen mit den beiden

anständigen Herren folgen,

die sich auf dem Wege nach

Del Ferices Wohnung befanden.

Sechzehntes Kapitel. Nun traf es sich aber, daß Del Ferice um die Stunde,

als der Wagen mit den beiden Polizisten an seiner Thür

vorfuhr, nicht zu Hause war.

In der Regel war er um

diese Zeit selten zu finden, denn wenn er nichts andres speiste er mit Donna Tullia und ihrer alten

vorhatte,

Gräfin und begleitete sie danach in irgend eine jener zur

17*

260 Fastenzeit üblichen ruhigen Gesellschaften, welche sie zu be­ suchen wünschten.

Themistocles war ebenfalls aus,

denn

es war die Stunde seines Abendbrodes, welches er gewöhn­ lich in einer kleinen Osteria, gegenüber der Wohnung seines Herrn einnahm.

Da saß er eben bei seinem Gericht Boh­

nen mit Oel, und überlegte, ob er sich noch eine mezza foglietta von seinem weißen Lieblingswein gönnen sollte. Er hatte sich auf die hölzerne Bank an der Wand gesetzt, hinter den schmalen Tisch mit schmutziger Serviette,

wor­

auf jetzt die Reste seines fettigen Mahles standen.

Das

Licht der einsamen Oellampe, welche von der schwarzen Decke herabhing, war nicht blendend, und er konnte durch die Glasthür ganz gut sehen, daß der Wagen, welcher ge­ genüber hielt, keine Droschke war. Da er vermuthete, Je­ mand wolle zu dieser ungewöhnlichen Stunde seinen Herrn

besuchen, stand er auf und ging hinaus.

Er besah den Wagen; der gefiel ihm nicht.

Er hatte

so ein besondres Aussehen, wie es den Equipagen des Va-

tican eigen ist, und welches sie für das Auge eines gebornen Römers noch heute von allen andern Wagen unter­ scheidet. Das Gefährt war von veralteter Form, die Pferde

waren schwarz, der Kutscher trug einen einfachen schwarzen Rock und einen altmodischen Hut; die ganze Equipage war höchst anständig und gut im Stande, aber — Themistocles gefiel sie nicht.

Er zog sich den Hut ins Gesicht und ging

von hinten daran vorbei, darin saß,

und als er sah,

daß Niemand

die etwa damit Gekommenen also schon aus­

gestiegen und ins Haus gegangen sein müßten, ging auch

er hinein.

Die enge Treppe war durch kleine Oellampen

matt erleuchtet.

Themistocles stieg auf Zehspitzen empor,

denn er hörte schon, wie die Männer die Klingel zogen und leise mit einander sprachen. Der Neapolitaner schlich

261 sich näher.

Immer wieder wurde die Klingel gezogen und

die Leute fingen an, ungeduldig zu werden.

„Er ist entwischt", sagte der eine ärgerlich. „Vielleicht — oder er wird zum Essen ausgegangen

sein, das ist viel wahrscheinlicher." „Wir wollen lieber fortgehen und später wiederkommen", meinte der erste.

„Er wird sicherlich nach Hause kommen; wir wollen lieber warten. Der Befehl lautet, ihn in seiner Wohnung

festzunehmen." „Wir könnten

in die Osteria gegenüber gehen, und

eine Foglietta trinken."

„Nein," sagte der andere, welcher der Vorgesetzte zn sein schien, „wir müssen hier warten und wäre es auch bis Mitternacht, so lautet der Befehl."

Der andere murmelte etwas Unverständliches, und dann Aber Themistocles hatte ganz genug gehört. Er war, wie wir wissen, ein verschlagener Kunde, viel mehr war alles still.

auf seinen eigenen Vortheil als auf den seines Herrn be­ dacht, obwohl es ihm bisher leicht geworden war, beides

zu vereinigen.

Ja, in gewiffer Weise war er seinem Herrn

treu und bewunderte ihn, wie ein Soldat seinen General.

Sein jetzt rasch gefaßter Entschluß machte seiner Treue gegen Del Ferice und seinem Diebsgenie gleiche Ehre. Er beschloß, wo möglich seinen Herrn zu retten und ihn nach­

her in aller Ruhe zu bestehlen.

Wenn Del Ferice nicht

entkäme, so würde er doch Themistocles wahrscheinlich dafür

belohnen, daß er sein Möglichstes gethan, um ihn zu retten; wenn er aber davon käme, so hatte Themistocles den Schlüssel zu seiner Wohnung und konnte nehmen, was er

wollte.

Es war aber eine Schwierigkeit bei

der Sache.

Del Ferice war im Gesellschaftsanzug bei Donna Tullia.

262 In solchem Anzug konnte er nicht hoffen, durchs Thor zu kommen; denn zu jener Zeit wurden die Thore für die Nacht geschloffen und streng bewacht. Del Ferice war ein vorsichtiger Mann, und wie viele andre in jenen Tagen hatte er in seiner Wohnung ein paar Verkleidungen ver­ steckt, die ihm im Nothsall bienen konnten. Sein barres Geld trug er immer bei sich, denn manchmal ging er Abends noch in den Club und spielte eine Partie ecarte, wobei er gewöhnlich Glück hatte. Die Frage war nun, wie war es möglich, in die Wohnung zu gelangen, der nothwendigen Kleidungsstücke habhaft zu werden, und wieder hinauszu­ kommen, ohne den Verdacht der Geheimpolizisten zu erregen. Themistocles entschied sich bald. Er schlich leise die Treppe hinab, damit es nicht so aussähe, als wäre er zu sehr in der Nähe gewesen; dann machte er möglichst viel Geräusch, ging ganz dreist hinauf und zog den Schlüffel zur Wohnung aus der Tasche, als er auf den Absatz kam, wo die beiden Männer unter der Oellampe standen. „Bnona sera, Signori,“ sagte er höfllich, indem er ohne Weiteres den Schlüffel ins Schloß steckte. „Wünschen Sie den Grafen Del Ferice zu sprechen?" „Ja," antwortete der ältere von beiden mit verstellter Höflichkeit, „ist der Herr Graf zu Hause?" „Ich glaube nicht," versetzte der Neapolitaner, „aber ich will nachsehen. Treten Sie näher, Signori. Er wird nicht mehr lange ausbleiben — sempre a quest’ ora— er kommt immer ungefähr um diese Zeit nach Haufe." „Besten Dank," sagte der Polizist, „wenn Sie uns erlauben zu warten."-------„Altro — wie? Sollte ich Freunde meines Herrn auf der Treppe stehen lassen? Kommen Sie herein, neh­ men Sie Platz! Es ist dunkel. Ich will Licht anzünden."

263 Damit zündete Themistocles ein paar Kerzen an und stellte

sie auf den Tisch im kleinen Wohnzimmer.

Die beiden

Männer setzten sich und hielten die Hüte auf dem Knie.

„Wenn Sie mich entschuldigen wollen," sagte Themi­

stocles, „so möchte ich den Kaffee für den Herrn machen. Er speist im Restaurant und kommt immer zum Kasfee nach Hause.

Vielleicht trinken die Herren auch eine Taffe?

Es ist ganz gleich, ob ich eine mache oder drei."

Allein die beiden dankten und sagten, sie wollten keinen Kaffee trinken, und das war gut, denn es fiel Themistocles

garnicht ein, ihnen welchen zu geben. Er ging indessen in die kleine Küche, die zu jeder römischen Wohnung gehört,

und klapperte laut mit dem Kaffeegeschirr. Dann schlüpfte er unvermerkt in Del Ferices Schlafzimmer und holte aus einem dunkeln Winkel einen schäbigen schwarzen Reisesack,

den er mit in die Küche nahm.

Aus der Küche lief der

übliche Eisendraht zum Brunnen auf dem Hof hinab, daran war ein eiserner Eimer und ein Strick um Waffer herauf­ zuziehen. Themistocles hing mit lautem Geklapper den

Sack an den Eimer und ließ ihn hinabgleiten, dann band er den Strick fest und ging aus. Er hatte die Thür des Wohnzimmers fest geschloffen, aber wohlbedacht die Thür zur Treppe offen gelassen. Er schlich geräuschlos hinaus, ließ die Thür offen stehen und rannte die Treppe hinunter

in den kleinen Hof; da hakte er den Sack vom Stricke ab, nahm ihn in die Hand und ging ruhig damit auf die Straße. Der Kutscher schlief auf dem Bock des Wagens, der noch immer vor der Thür wartete, und würde Themi­ stocles, auch wenn er wach gewesen, nicht bemerkt haben.

Noch ein Augenblick und der Neapolitaner war vor Ver­ folgung sicher.

Auf dem Spanischen Platz nahm er eine

Droschke und fuhr schnell nach Donna Tullias Wohnung;

264 dort bezahlte er den Kutscher und entließ ihn. Die Dienst­ boten kannten ihn genau, denn es verging kaum ein Tag, ohne daß er ein Briefchen oder eine Bestellung von seinem Herrn an Donna Tullia brachte. Er ließ seinem Herrn sagen, daß er ihn sofort in Geschäften sprechen müsse. Del Ferice kam in großer Aufregung hastig heraus und diese Aufregung wurde durch den Anblick des wohlbekannten schwarzen Sackes keineswegs vermindert. Themistocles sah sich im Flur um, ob sie allein wären. „La forza — die Polizei", flüsterte er, „ist im Hause, Ecceüenza! Hier ist der Sack. Fliehen Sie um Himmels­ willen!" Del Ferice wurde geisterbleich und sein Gesicht zuckte vor Angst. „Aber" — fing er an, dann taumelte er zurück und lehnte sich an die Wand. „Rasch! Fliehen Sie!" drängte Themistocles und schüttelte ihn derb am Arm. „Sie sind vom Sant' Uffizio, Sie haben noch Zeit. Ich habe ihnen gesagt, Sie würden bald nach Hause kommen, und so warten sie ruhig. Sie werden die ganze Nacht warten. Hier ist Ihr Ueberzieher", setzte er hinzu, indem er seinem Herrn mit Gewalt den Rock anzog, „und Ihr Hut, so! Nun kommen Sie. Sic haben keine Zeit zu verlieren. Ich werde Sie an einen Ort führen, wo Sie sich umkleiden können." Del Ferice gehorchte blind. Glücklicherweise kam der Diener nicht wieder in den Flur. Donna Tullia und ihre Gäste hatten soeben gespeist, und nun waren die Dienst­ boten zu ihrem Abendbrod gegangen; ja der Lakai hatte sich beschwert, daß Themistocles ihn beim Essen gestört habe, als er ihm die Thür aufmachen mußte. Der Neapolitaner schob seinen Herrn hinaus und mahnte ihn dringend zur

265 höchsten Eile. Während die beiden durch die dunkeln Gasten eilten, sprachen sie leise mit einander. Del Ferice zitterte an allen Gliedern. „Aber Donna Tullia", winselte er. „Ich kann sie

nicht so verlassen, sie muß doch misten" — „Retten Sie Ihre Haut vor der Inquisition, Herr Graf," erwiderte Themistocles und zog ihn fort, so schnell er konnte. „Ich werde zurückkehren und es Ihrer Dame sagen. Fürchten Sie nichts. Morgen wird sie Rom ver­ lasten. Sie werden natürlich nach Neapel gehen. Sie wird Ihnen folgen. Ja, sic wird vor Ihnen dort sein." Del Ferice murmelte eine unverständliche Antwort. Seine Zähne klapperten vor Furcht und Kälte, als ihm aber allmälig die drohende Gefahr klar wurde, lieh die Angst seinen Füßen Flügel, und er lief fast noch schneller als der behende Themistocles. Endlich erreichten sie den verfallenen Theil der Stadt bei der Porta Maggiore und im Schatten des tiefen Thorweges, da wo der Weg rechts nach Santa Croce in Gerusalemme abzweigt, machte Themistocles Halt. „Hier", sagte er kurz. Del Ferice sprach kein Wort, sondern fing an, sich im Dunkeln auszuziehen. Es war ein finstrer bewölkter Abend, die Wege waren schmutzig und von Zeit zu Zeit fielen einige kalte Regentropfen, wie Vor­ boten eines nahenden Unwetters. In wenigen Augenblicken war die Verkleidung vollendet, und Del Ferice stand neben seinem Diener in der schäbigen braunen Kutte eines Kapu­ ziners, den Leib mit dem Strick gegürtet. „Nun kommt das Schwierigste", sagte Themistocles und holte ein Rasirmcster und eine Scheere aus dem Sack heraus. Del Ferice hatte zu oft an die Möglich­ keit der Flucht gedacht, um diese wichtigen Dinge zu ver­ gessen.

266 Du kannst ja nicht sehen! Du wirst mir den Hals abschneiden", flüsterte er kläglich. Aber der Bursch war der Gelegenheit gewachsen. Er trat noch mehr in die Tiefe des Bogens zurück, zündete eine Cigarre an und indem er tüchtig paffte, brachte er ein schwaches Licht hervor, bei dem er eben genug sehen konnte, um seinen Herrn zu rasiren. Er war daran ge­ wöhnt es zu thun und hatte keine Schwierigkeit, ihm den blonden Schnurrbart von der Oberlippe abzunehmen. Dann ließ er ihn den Kops herunterbiegen, rauchte um so stärker und schnitt ihm das dünne Haar ab, wobei er eine ganz leidliche Tonsur zu Stande brachte. Aber die ganze Ge­ schichte hatte mindestens eine halbe Stunde gedauert, und Del Ferice zitterte noch immer. Themistocles steckte die Kleider in den Sack. „Meine Uhr!" rief der Unglückliche; „und meine Man­ schettenknöpfe mit den ächten Perlen! Gieb sie mir. Was? Du Schurke, Du Dieb, Du" — „No chiacchiere, kein Gerede, padrone“, fiel The­ mistocles ein und knöpfte den Sack zu. „Wenn Sie etwa durchsucht würden, so würde es sich für einen Bettelmönch schlecht schicken, eine goldene Uhr und Perlenknöpfe bei sich zu tragen. Ich werde sie noch heute Abend Donna Tullia geben. Geld haben Sie und können ja sagen, daß Sie es nach Ihrem Kloster bringen sollen." „Schwöre mir, daß Du Donna Tullia die Uhr ab­ geben wirst," sagte Del Ferice, worauf Themistocles einen fürchterlichen Eid ablegte, den er natürlich nicht verfehlte zu brechen. Aber er mußte jetzt doch seinem Herrn be­ ruhigen, und als alles fertig war, trennten sich die beiden. „Ich werde Donna Tullia bitten, mich auf ihren Paß mit nach Neapel zu nehmen," sagte der Neapolitaner.

•267 „Nimm Dich meiner Sachen an, Themistocles. Wenn Du kannst, verbrenne alle Papiere; aber ich fürchte, die sbirri haben sie schon in Beschlag genommen. Bringe mir meine Kleider mit, wenn Du etwas stiehlst, so bedenke daß es in Rom Messer giebt, und daß ich weiß, an wen ich schreiben muß, auf daß sie gebraucht werden." Hier­ aus brach Themistocles in einem Strom von Betheureungen aus. Wie konnte sein Herr nur denken, daß sein treuer Diener ihn bestehlen würde, nachdem er ihn mit eigner Gefahr gerettet habe? „Gut", sagte Del Ferice nachdenklich. „Du bist ein geriebener Schurke, das weißt Du. Aber gerettet hast Du mich wie Du sagst, und hier hast Du einen Scudo." Themistocles schlug nie etwas aus. Er nahm das Geldstück und küßte seinem Herrn die Hand als letztes Zeichen von Unterwürfigkeit, dann ging er ohne weitere Worte nach der Stadt zurück. Del Ferice schauerte, er zog fich die schwere Kaputze über den Kopf und schritt rasch der Porta Maggiore zu. Dann ging er aus dem schmutzigen Wege innerhalb der Mauer bis nach der Porta San Lorenzo. In seiner Verkleidung war er völlig sicher. Er hatte gut gespeist, hatte Geld in der Tasche und war den Krallen des geistlichen Gerichts entgangen. Ein Barsüßermönch konnte tagelang unangefochten durch die Campagna und die benachbarten Ge­ birge wandern, und bis zur südöstlichen Grenze war es nicht weit. UeberTivoli hinaus kannte erzwar nicht den Weg, konnte ihn aber erfragen, ohne den geringsten Argwohn zu erregen. Es giebt kaum eine vollständigere Verkleidung als die Kutte eines Capuziners und Del Ferice hatte sich schon längst diese Rolle ausgedacht, denn sie paßte vorzüglich für ihn. Obgleich sein Gesicht magerer war als früher, war es doch noch immer rund und konnte ohne Schnurr-

268 bart für ein harmloses Mönchsgesicht gelten. eine

vortreffliche

Ausbildung

genossen

und

Er hatte

wußte viel

mehr Latein als die meisten Bettelmönche. Als guter römischer Katholik kannte er alle Klöster in der Stadt und

die Namen der Hauptwürdenträger das Kapuzinerordens. Als Knabe hatte er häufig die Messe bedient und die meisten gewöhnlichen Gebräuche des Klosterlebens waren ihm bekannt. Das Schlimmste, was ihm zustoßen konnte, war, daß er auf seiner Reise herbeigerufen würde, um die letzte Beichte eines armen Sterbenden zu hören, der im Streite beim Moraspiel erstochen worden.

Es stand noch

nicht so schlecht um ihn, wie es schien, im Vergleich zu dem viel größern Uebel, dem er entgangen war. An der Porta San Lorenzo waren die Thorflügel wie

gewöhnlich

verschlossen,

aber

der schlaftrunkene Wächter

ließ Del Ferice ohne Weiteres durch das Nebenpförtchen

hinaus. Jeder konnte die Stadt ungehindert verlassen, obschon es eines Passes bedurfte, um während der Nacht wieder hineinzukommen. Die eisenbeschlagene schwere eichene

Pforte knarrte hinter dem Flüchtling, und dieser athmete

freier auf, als er den Weg nach Tivoli betrat.

In einer

Stunde war er über Ponte Mammolo und schauderte als er in der tiefen Dunkelheit auf das weiß schäumende Ge­ wässer des vom Winterregen an geschwollenen Teverone hinabblickte. Aber die Furcht vor dem Sant' Uffizio war

hinter ihm her, und er eilte fort auf seinem einsamen Wege. Er hatte Sandalen

anlegen

müssen,

um

seine Verklei­

dung vollständig zu machen, das Gehen darin wurde ihm schwer und manchmal sank er bis an die Knöchel in den

Schmutz; dann wieder schleppte er sich mühsam über eine Strecke

kleiner Steine, mit denen der Weg ausgebessert war; aber

er achtete nicht ans Schmerz und Mühe, da er wußte, daß

269 jede Minute ihn dem Gebirge an der Grenze näher brachte,

wo er vor Verfolgung sicher sein würde.

Und so schleppte

er sich fort bis er den fauligen Geruch der Schwefelquellen volle vierzehn Meilen von Rom verspürte; als endlich der

Weg nach der Villa des Hadrian aufwärts zu steigen be­ gann, setzte er sich auf einen Stein am Wege um ein wenig auszuruhen. Er war fünf Stunden in der Dunkel­

heit gewandert und hatte beim Gehen immer nur wenig

Meter des Weges vor sich erkennen können.

Er war müde,

ihm schmerzten die Füße, und die Nacht wurde immer

schauriger, Wind und Regen peitschten ihn, und der Sturm fegte durch die Berge und die tiefe Schlucht bei Tivoli auf seinem Wege durch die öde Campagna. Er fühlte

indessen, wenn er nicht vor Erschöpfung stürbe, wäre er gerettet und für einen Mann in seiner Lage war schlechtes Wetter das geringste Uebel.

Seine Gedanken waren nicht angenehm.

Vor fünf

Stunden hatte er als feiner Herr gekleidet an einer köst­

lichen Tafel neben einer hübschen und amüsanten Dame gesessen, die nächstens seine Frau werden sollte.

Er hatte

noch den Geschmack des zarten chaud-froid, des köstlichen

Auerhahns und des schäumenden Champagners im Munde; Donna Tuüias letzte laute Scherze klangen ihm noch in

den Ohren, — und siche, da saß er am Wege im Regen, im elendenGewande eines Bettelmönches, fünfStunden vonRom. Er hatte seine Braut ohne ein Abschiedswort verlassen, all

sein Eigenthum in den Händen des Themistocles, — dieses

Schurken Themistocles! — und er war ganz allein! —

Aber während er sich ausruhte und seine Kapuze dich­ ter über den Kopf zog und seine frierenden Füße unter

den Zipfeln seiner braunen Kutte zu wärmen suchte, dachte er daran,

daß wenn es ihm nur gelänge die Grenze zu

270 überschreiten, er wie ein Patriot behandelt werden würde, wie ein Mann, der für die gute Sache gelitten hatte und eine Belohnung verdiente. Er bedachte auch, daß Donna Tullia eine romantisch angehauchte Dame war, die Geschmack an dramatischen Situationen hatte; in der Theorie war seine augenblickliche Lage höchst romantisch, wie unbequem sie auch in der Praxis sein mochte. Wenn er erst in Sicherheit wäre, so würde seine Geschichte in die Zeitungen kommen, und er würde schon dafür sorgen, daß sie inter­ essant erzählt würde. Donna Tullia würde sie lesen, von der Schilderung seiner Leiden gerührt sein und ihm folgen. Seine Verbindung mit ihr würde dann seine eigne Wich­ tigkeit bedeutend erhöhen. Er gedachte seine Karten gut zu spielen, und wenn ihm erst ihr großes Vermögen zur Verfügung stände, könnte er nach jeder ihm erwünschten Auszeichnung streben. Er wünschte nur, es hätte noch drei Wochen in alter Weise fortgehen können, bis er wirk­ lich verheirathet gewesen wäre. Unterdessen mußte er Muth fassen und weiter wandern, um sich der Verfolgung zu ent­ ziehen. Wenn er nur erst Subiaco erreicht hätte, so könnte er in zwölf Stunden über die Grenze sein. Von Tivoli ab gab es vetture durchs Thal, billige Fahrgelegenheiten für Landleute, mit denen ein Barfüßermönch fahren konnte, ohne Aufsehen zu erregen. Er wußte, daß er über Terni und die Serra di Sant' Antonia die Grenze überschreiten müßte, und wollte von Subiaco aus den Weg dahin er­ fragen. Während Del Ferice also durch die Campagna wan­ derte, traf Themistocles Maßregeln zu seinem eignen Vor­ theil und für seine Sicherheit. Er hatte den Sack mit den Kleidern seines Herrn, die werthvoüe Uhr nebst Kette und die Perlenknöpfe. Er hatte auch den Schlüssel zu Del

271 Ferices Wohnung, von dem er Gebrauch zu machen beab­

sichtigte, sobald er sicher sein konnte, daß die Polizisten fort wären. Donna Tullia beschloß er fürs Erste über die Flucht seines Herrn in Ungewißheit zu lassen.

Durch die

Benachrichtigung konnte er nichts gewinnen; in ihrer hef­

tigen Weise würde sie vermuthlich selbst nach Del Ferices

Wohnung gehen, wie sie schon ein Mal gethan hatte, und wenn sie sähe,

daß er wirklich fort sei, würde sie seine

Sachen in Verwahrung nehmen, wobei Themistocles ver­ lieren würde. Während er rasch von dem verfallenen Stadttheil bei Porta Maggiore zurückwanderte und schon die Lichter der Stadt wieder vor sich flimmern sah, stieg

der Muth in seiner Brust. Er dachte daran, wie leicht er die Spürhunde der Polizei vor anderthalb Stunden hinter­

gangen hatte, und beschloß, sie wiederum zu täuschen. Allein er hatte sich verrechnet.

Als er kaum zehn

Minuten fort war, schöpften die beiden Polizisten aus der andauernden Stille Verdacht, und nachdem sie die Wohnung

durchsucht hatten,

entdeckten sie, daß der höfliche Diener,

der ihnen Kaffee angeboten,

macht hatte.

sich ohne Abschied davon ge­

Der eine Polizist fuhr sofort zu seinem Vor­

gesetzten und erbat sich weitere Befehle. Der Befehl lau­ tete, den Diener unverzüglich festzunehmen, falls er sich

wieder zeigen sollte. Die Folge war, daß Themistocles, der die Thür ganz dreist öffnete mit einer Entschuldigung für seine Abwesenheit auf den Lippen, plötzlich von vier starken Armen gepackt und ins Wohnzimmer gezerrt wurde;

im Namen des Gesetzes wurde ihm Schweigen geboten. Und das war das Letzte, was man für lange Zeit von Themistocles erfuhr. Aber als der Morgen graute, wußten die Polizisten, daß Del Ferice ihnen entwischt war. Die Sache war nicht richtig angesangen worden.

Der

272 Cardinal war ein guter Spion, aber ein schlechter Polizist. In der Uebereilung hatte er den Fehler begangen zu be­ fehlen, daß Del Ferice sofort und zwar in seiner Wohnung festgenommen werden sollte. Wenn der Staatsmann dem Polizeipräsidenten einfach den Auftrag gegeben hätte, Del Ferice möglichst bald und ohne Aufsehen in sichres Gewahr­ sam zu bringen, so hätte er nicht entfliehen können. Aber der Beamte hatte den Brief des Cardinais so verstanden, als ob Del Ferice thatsächlich in seiner Wohnung gewesen war zur Zeit, als der Befehl ertheilt wurde. Der Cardi­ nal galt bei seinen Untergebenen für allwissend, und Nie­ mand dachte daran, seine Befehle je anders als buchstäblich aufzufassen. Natürlich wurde der Cardinal sofort von dem Vorgefallenen benachrichtigt, und Telegramme und berittene Agenten wurden in allen Richtungen abgesandt. Aber Del Ferices Vermummung war gelungen, und als gleich nach Sonnenaufgang ein Gensdarm in Tivoli einsprengte, ahnte er nicht, daß der wegmüde blasse Mönch, der seinen Rosen­ kranz vor dem Heiligenbilde an der Porta Romana abbetete, der politische Verbrecher wäre, dem er nachjagte. Donna Tuüia erlebte eine unruhige Nacht. Sie schickte «ach Del Ferices Wohnung, wie Themistocles vermuthet hatte, und der Diener brachte den Bescheid zurück, er habe den Neapolitaner nicht gesehen, die Wohnung wäre von Fremden in Beschlag genommen, die Jedem den Zutritt verwehrten. Madame Mayer errieth nur zu gut, was vor­ gefallen, und fing an für ihre eigne Sicherheit zu zittern. Ja, sie dachte daran, ihre Werthsachen zusammenzupacken, für den Fall, daß sie ausgewiesen würde, denn sie bezwei­ felte nicht, daß die Inquisition den Del Ferice in Folge irgend einer Entdeckung, ihren kleinen Verein der Unzu­ friedenen betreffend, verfolgte. Sie zitterte für Hugo mit

273 einer Angst, welche aufrichtiger war als ihre meisten andern Gefühle in letzter Zeit, denn sie wußte ja nicht, ob er ent­ flohen wäre oder nicht. Aber am nächsten Abend wurde sie einigermaßen beruhigt, da ihr Valdarno erzählte, die Polizei habe eine große Belohnung auf die Festnahme Del Ferices ausgesetzt. Valdarno erklärte, es wäre seine Ab­ sicht, Rom ohne Verzug zu verlassen; er wäre seines Lebens keinen Augenblick sicher. Der schändliche Gouache, welcher Zouave geworden, hätte sie alle verrathen, und sie könnten jeden beliebigen Tag im Sant' Uffizio eingesperrt werden. Allerdings wurde der Cardinal immer argwöhnischer, als er entdeckte, wie schlau er von Del Ferice hintergangen worden, und seine Agenten waren geschäftiger denn je. Aber Valdarno hatte weder Klugheit, noch Thorheit genug bezeigt, um für den Premierminister ein Gegenstand des Verdachts zu werden. Trotzdem verließ er Rom und blieb lange in Paris, ehe er sich überzeugte, daß er ruhig nach Hause zurückkehren könnte. Die römische Gesellschaft wurde durch die Nachricht von der versuchten Gefangennahme Hugos bis in ihre Grund­ festen erschüttert, und Donna Tullia fand etwas Entschädi­ gung in der Thatsache, daß sie für einige Zeit der Mittel­ punkt des allgemeinen Interesses wurde. Sie war aller­ dings in großer Angst um ihren Verlobten; aber zum ersten Male in ihrem Leben fühlte sie auch, daß sie wirk­ lich mitten in der Romantik lebte, von der sie fo lange geträumt, von der sie aber nie das Mindeste erlebt hatte. Die Gesellschaft fah zu, stellte Vermuthungen an und schwatzte in ihrer Weise; aber ihr Geschwätz war gemäßig­ ter als bisher, denn man fragte sich, wer noch sicher wäre, wenn der harmlose Del Ferice proscribirt würde! Der alte Saracinesca sagte wenig. Er wäre gern zum Cartiran'forb, SaracmeSc.i. II.

18

274 dinal gegangen, um ihn zu beglückwünschen, da es sich doch nicht schicken wollte, ihm zu danken; leider aber war der Cardinal nicht in der Lage, Glückwünsche annehmen zu können. Hätte er den Del Ferice gefaßt, so würde er dem Fürsten gedankt haben, anstatt Ausdrücke der Dankbarkeit von ihm abzuwarten; aber er fing Del Ferice nicht und zwar aus guten Gründen, welche im letzten Auftritt dieses Schauspiels zu Tage kommen werden. Drei Tage nach Hugos Verschwinden stieg der alte Fürst in seinen Wagen und fuhr nach Saracinesca hinaus. Mehr als ein Monat war seit der Hochzeit vergangen, und er sehnte sich, seinen Sohn wiederzusehen, selbst auf die Gefahr hin, ihn in seinen Flitterwochen zu stören. Eigent­ lich fand er, daß seine Rache nicht recht gelungen wäre. Del Ferice war dem Sant' Uffizio entgangen, Niemand wußte wie; und anstatt daß Donna Tullia tief gedemüthigt worden, wie geschehen wäre, wenn Del Ferice als gemeiner Spion verurtheilt worden wäre, war sie jetzt der Mittel­ punkt allgemeinen Interesses und großer Theilnahme, weil ihr Verlobter sich aus unbekannten Ursachen das Mißfallen des großen Cardinals zugezogen hatte, und das ganz kurz vor seiner Hochzeit; — Verhältnisse, welche für den in der römischen Gesellschaft herrschenden Ton bezeichnend waren. Ja, die ganze Sache, welche bald mit lebhaften Aus­ schmückungen und Uebertreibungen in allen Kreisen und Klassen der Stadt herum kam, trug viel dazu bei, bei Hoch und Niedrig die Furcht vor dem Cardinal Antonelli und den Haß gegen ihn zu vermehren, — den Mann, gegen den beständig Anklagen erhoben wurden, ohne daß man je seine Vertheidigung anhörte.

275

Siebzehntes Kapitel.

Man wunderte sich, datz Giovanni und Corona ihre Flitterwochen in aller Stille auf dem Lande verlebten, statt nach Frankreich und England zu reisen und ihre Hochzeits­ reise in der Schweiz zu beenden. Im Frühjahr war es so kalt im Gebirge und überdies würden sie dort ganz allein sein. Man verstand nicht, wesbalb Corona sich nicht das Ende ihrer Wittwenzeit zu Nutze machte, um sofort wieder in die Welt zu treten und sich für das Trauerjahr durch ein ungewöhnlich vergnügtes Jahr zu entschädigen. Andrer­ seits aber lobten auch viele diese Handlungsweise, welche wie man meinte, einen verständigen Sinn für Sparsamkeit bekundete und sich Vortheilhaft von der Verschwendung andrer junger Paare unterschied, welche viel mehr Grund hatten, ihre Mittel zu schonen. Die Leute, welche diese Ansicht hatten, gehörten zu der alten patriarchalischen Klasse, zu dem noch kräftigen Ueberrest der letzten Generation, welche sich auf ihre gute Wirthschaft, ihre guten Sitten und ihre einfache Lebensweise etwas einbildete; zu der Klaffe von Leuten, bei denen im Ehevertrag ausgemacht wurde, daß die Frau zwei Mal am Tage Fleisch haben sollte, außer an Fasttagen, ihre tägliche Spazierfahrt, — la trottata, wie man zu sagen pflegte — und jedes Jahr zwei neue Kleider. Selbst in unsern Tagen, wo die meisten von jener Generation schon todt sind, kommen solche Bedingun­ gen noch oft vor; in der ersten Hälfte des Jahrhunderts waren sie allgemein. Noch etwas früher pflegte abgemacht zu werden, daß das Fleisch nicht capra, Ziegenfleisch, sein dürfe, eine Speise, welche man nur für Dienstboten gut genug hielt. Aber die patriarchalische Generation war ein 18*

276 treffliches Geschlecht, trotz der Sparsamkeit, und lobte Gio­ vannis Verhalten laut. Niemand aber begriff, daß die Einsamkeit zu Saracinesca in der That die höchste Wonne war, welche sich das junge Paar wünschen konnte. Sie wollten allein sein, und dieser Wunsch ward ihnen erfüllt. Keiner hatte etwas von den Vorbereitungen erfahren, welche Giovanni zum Empfang seiner jungen Frau getroffen hatte, und wenn eine Schil­ derung der Veränderung im alten Schlosse zu den Ohren besagter Patriarchen gedrungen wäre, so wären sie wahr­ scheinlich über Giovannis Sparsamkeit anderer Ansicht ge­ worden. Die Saracinescas waren nicht prunksüchtig, aber sie gaben ihr Geld auf ihre eigene stille Weise fürstlich aus; das Innere der alten Burg war völlig umgewandelt worden, während das alte graue Gestein der Mauern und Thürme grade so düster wie zuvor ins Thal Hinabschaule. Riesensäle waren decorirt und in einem der Alterthümlichkeit der Burg entsprechenden Style möblirt, kleine sonnige Gemächer mit dem verfeinerteren Luxus ausgestattet wor­ den, wie er vor zwanzig Jahren in Italien anfing beliebt zu werden. Auf der Südzinne war ein großes Gewächs­ haus angelegt worden. Die Wasserleitung war glücklich vollendet und Springbrunnen spielten jetzt in den Höfen der Burg. Die altmodischen Kamine waren wieder in Ge­ brauch genommen, und ungeheure Holzklötze brannten auf riesigen Feuerböcken in den Sälen und warfen einen röthlichen Schein auf die Trophäen von alten Rüstungen und Waffen, die polirten Fußböden und die schweren Vorhänge. Massen von prachtvollen gestickten und gewirkten Tapeten, welche bei Coronas erstem Besuche auf dem Schlöffe her­ vorgeholt worden, hingen jetzt auf den Treppen und Corridoren. Der große baldacchino, der Thronhimmel, welchen



277



römische Fürsten das Vorrecht haben in ihrem Vorsal auf­ zustellen, war über die vereinigten Wappen der Saracinesca und der Astrardente drapirt, und dasselbe Wappen schmückte das prächtige gemalte Fenster an der Haupttreppe. Die Gediegenheit und Stärke der alten Burg erschien durch den Schmuck und die Verfeinerung einer spätern Zeit noch im­ posanter, und Giovanni fühlte zum ersten Male, daß dem Glanze seines Ahnenschlosses Gerechtigkeit widerfahren wäre. Hier er lebte mit seiner schönen jungen Frau in vollkommner Einigkeit und Glückseligkeit mitten auf ihren eigenen Gütern, umgeben von ihren eigenen Leuten, beide ganz für einander. Aber obwohl ein großer Theil des Tages in nimmer endendem Gespräch und Gedankenaus­ tausch hinging, wie das ausschließlich einem glücklich verheiratheten Paar eigen zu sein pflegt, verbrachten sie ihre Stunden doch nicht ganz müßig. Täglich bestiegen sie ihre Pferde nnd ritten die ebene Strecke nach Aquaviva zu entlang bis sie an die Ecke kamen, von der aus Corona zuerst Saracinesca erblickt hatte. Hier war eine breite Landstraße bereits durchgebrochen, der Bau war soweit vorgeschritten, daß wenigstens zwei (römische) Meilen bereits benutzbar waren; der Weg zog sich in sanft ansteigenden Win­ dungen hin und durchschnitt zu wiederholten Malen den alten Reitweg, der ins Thal hinabführte; und von dem äußersten Punkt der bis jetzt vollendeten Strecke konnte Corona in der Ferne das große viereckige Schloß von Astrardente erkennen, welches den Hügel über der Stadt krönte. Dorthin ritten die beiden jeden Tag, um das Werk zu fördern. Hier beriethen sie sich mit ihrem Wegebaumeister und freuten sich auf den Tag, wenn ihr Wagen zum ersten Male auf glatter Straße von Saracinesca nach Astrardente hinabrollen würde, ohne den weiten Umweg auf der alten Fahrstraße zu machen,

27 >5 die sich um die Berge herumzog. Es machte ihnen un­ beschreibliches Vergnügen, das Fortschreiten des so lange geplanten Werkes zu beobachten, die Vortheile zu bedenken, welche aus dieser Vereinigung ihrer beiden Bcsitzung.en hervorgehen würden, und zu fühlen, wie sie, nun endlich Eins geworden, gemeinsam für das Wohl ihrer Leute ar­ beiteten. Denn die bei diesen Arbeiten beschäftigten Arbeiter waren ohne Ausnahme ihre eigenen Sauern, welche im Winter nichts zu thun hatten und ohne diese ihnen zu rechter Zeit angewiesene Beschäftigung die Wintermonate in jenem Zustand stumpfsinnigen Darbens verdämmert haben würden, der dem dürftigen ländlichen Arbeiter eigen­ thümlich ist, wenn er nichts zu thun hat, — in jener harten Jahreszeit, wenn Vater und Mutter und die frösteln­ den Kleinen den mehr und mehr schwindenden Maissack ansehen, dem Tag für Tag ein paar Handvoll Korn ent­ nommen und zwischen den Steinen der Handmühle zer­ mahlen und dann zu dem dicken ungesunden Teig geknetet werden, welcher im Winter die einzige Nahrung der ärmeren Bauern ausmacht. Jetzt aber arbeiteten alle Männer, welche Hacke und Bohrer, Hammer und Spaten handhaben konnten, von früh bis spät an der neuen Fahrstraße, und am Samstag Abend nahm ein jeder einen Silberscudo in der Tasche mit nach Hause; und wo die Leute mäßig sind und ihren Lohn nicht vertrinken, reicht ein Silberscudo beträchtlich weiter als gar nichts. Und dennoch würde mancher hagere schwarzbraune Maun sich eingebildet haben, er würde betrogen, wenn er nicht außer dem Gelde auch täglich die Erinnerung an das schöne Gesicht, die freundlichen Augen und die ermuthigenden Worte der schlanken hohen Schloßfrau mitgenommen hätte. Die Arbeiter schauten nach dem Kommen der „grau principessa“ eben so sehn-

279 süchtig aus, wie am Samstag nach der Ankunft des Haus­ meisters mit den Geldbeuteln. Oft auch brachten die Weiber und Töchter der Arbeiter ihnen Mittags ihr Esten, statt daß sie es von ihnen am Morgen mitnehmen ließen, nur damit auch sie Corona und ihren schönen kräftigen Gemahl zu sehen bekämen. Und die Leute arbeiteten mit gutem Willen, denn es hatte sich das Gerücht verbreitet, daß es willigen Händen noch jahrelang nicht an Arbeit fehlen werde. So gingen die Tage hin, ohne mehrere Wochen lang durch einen Zwischenfall unterbrochen zu werden. Eines Tages machte Gouache, der Künstler-Zouave, auf dem Schlosse einen Besuch. Er hatte mit einem Theil seiner Compagnie in Su­ biaco gestanden, ohne sofort nach Saracinesca geschickt zu wer­ den, wie er zuerst erwartet hatte. Jetzt aber war er mit einer kleinen Abtheilung von sechs Mann eingetroffen, und hatte Befehl, den Paß zu bewachen. Es war nichts Un­ gewöhnliches darin, daß er nach dieser Seite hin abgeschickt worden, denn Saracinesca lag sehr nahe an der Grenze an einem der directen Wege nach der Serra di Sant' Antonio, einem Gebirgspaß, der den kürzesten Weg durchs Gebirge nach dem Königreich Neapel eröffnete; die umliegende Ge­ gend galt für besonders unsicher und obschon sich seit Jahren kein Räuber gezeigt hatte, hieß es doch, daß die Gebirgs­ wege von Räuberbanden gefährdet würden. Thatsächlich wurde auf dem Paß viel Schmuggel getrieben, und von Zeit zu Zeit entwischte ein politischer Flüchtling auf diesem Wege über die Grenze. Gouache wurde von Giovanni sehr freundlich und von Corona, die ihn nur wenig kannte, ziemlich kalt empfangen. „Ich gratulire Ihnen," sagte Gouache, als er die Treffen auf dem Aermel des jungen Mannes bemerkte, „ich sehe, Sie sind avancirt."

280 „Ja. Ich habe den wichtigen Befehlshaberposten über sechs Mann. Ich bringe viel Zeit mit dem Studium der Kriegskunst Napoleons und Condös zu. Uebrigens bin ich mit einem wichtigen Auftrage hier." „Wirklich?" „Ich muß annehmen, Sie gestatten sich den Luxus, in dieser glückseligen Abgeschiedenheit keine Zeitungen zu lesen. Vorgestern hat der Cardinal Antonelli versucht, unsern Freund Del Ferice festnehmen zu lassen, haben Sie das nicht gehört?" „Nein! wie denn? ist er entflohen?" fragten Giovanni und Corona in einem Athem, aber in verschiedenem Tone. Giovanni hatte diese Nachricht erwartet und war empört bei dem Gedanken, der Bube könne entkommen sein. Co­ rona war einfach überrascht. „Ja. Der Himmel weiß wie — er ist entflohen. Ich bin hier, um ihn abzufangen, falls er sucht nach der Serra di Sant' Antonio durchzukommen." Giovanni lachte. „Er wird schwerlich versuchen, diesen Weg zu nehmen, gerade unter den Mauern meines Schlosses," sagte er. „Er ist zu allem fähig, er ist schlüpfrig wie ein Aal." Gouache berichtete von den nähern Umständen alles, was er wußte. „Das ist sehr sonderbar", sagte Corona nachdenklich. Dann setzte sie nach einer Pause hinzu: „Wir wollen unsern neuen Weg besichtigen, Monsieur Gouache. Wollen Sie nicht mitkommen? Mein Mann wird Ihnen ein Pferd geben." Gouache war entzückt über den Vorschlag. Er mochte sich lieber mit Giovanni unterhalten und Corona ansehen, als zu seinen sechs Zouaven zurückkehren oder im Gebirge umherziehen und apf Del Ferice passen.

281 In wenigen Minuten saßen die drei zu Pferde und ritten langsam auf der ebenen Strecke der Arbeitsstelle zu. Als sie auf den neuen Weg kamen, geriethen Corona und Giovanni wie gewöhnlich ins Gespräch über ihr Unternehmen und vergaßen ihren Gast. Gouache blieb zurück und be­ trachtete das schöne Paar mit ächt künstlerischer Bewun­ derung. Er hatte eben so gut den Geschmack des Parisers für Luxus und Vollkommenheit im Anzug, wie des Künstlers Liebe für Schönheit, und sein Auge ruhte mit ungemischtem Vergnügen auf den Reitern und ihren Pferden, ihm ent­ ging keine Einzelheit ihres Anzugs, ihres einfachen eng­ lischen Zaum- und Sattelzeugs, ihrer sichern und anmuthigen Haltung. Aber an einer Biegung des Weges verlor er die beiden Reitenden plötzlich aus dem Gesicht; seine Aufmerksamkeit ward durch die wunderbare Schönheit der Landschaft gefesselt, als er das Thal nach Astrardente zu hinabblickend einen violettschimmernden Höhenzug nach dem andern in weiter Fernsicht aufsteigen sah, gekrönt von zackigen Felsen oder von scharf umrissenen bräunlichen Dörfern, die in der sinkenden Sonne roth erglühten. Er hielt sein Pferd an und saß regungslos da, die vor ihm aufgethane Herrlichkeit in sich aufnehmend. So kann es kommen, daß Erfcheinungen in der Natur Ereignisse im Leben der Menschen veranlassen. Giovanni und Corona aber ritten den sanften Abhang langsam hinab und bemerkten über ihrer Unterhaltung kaum, daß Gouache zurückgeblieben war. Als sie in eine neue Windung des Weges einbogen, sah Corona, die an der inneren Seite ritt, empor und erblickte Gouaches regungs­ lose Gestalt an dem gegenüberliegenden Rande der Kehre, welche sie eben hinabgeritten waren. Giovanni sah gerade vor sich hin und bemerkte einen bleichen Kapuzinermönch,

282 der augenscheinlich erschöpft mit niedergeschlagenen Augen mühsam den Berg emporstieg, selbst in diesen öden Bergen war der Mönch eine auffallend armselige und vom Wetter mitgenommene Erscheinung. „Gouache macht geographische Studien", sagte Corona. „Schon wieder ein Kapuziner!" rief Giovanni und suchte unwillkürlich in seiner Tasche nach Kupfermünzen. Dann ergriff er plötzlich den Arm seiner Frau. Sie ritten dicht neben einander langsam abwärts. „O Gott! Corona!" rief er. „Es ist Del Ferice!" Corona sah den Mönch schnell an. Seine Kapuze war so weit zurückgeschlagen, daß man seine Züge sehen konnte, dennoch würde sie sein glatt rasirtes Gesicht kaum erkannt haben, hätte nicht Giovanni sie darauf aufmerksam gemacht. Auch Del Ferice hatte sie erkannt, und entsetzt stand er still, an allen Gliedern zitternd, nicht wissend, was er thun sollte. Er war unten von der Landstraße in den fal­ schen Weg eingebogen; an den Gebirgsdialect nicht gewöhnt, hatte er den Bauern mißverstanden, der ihm ausdrücklich gesagt hatte, er solle nicht den Reitweg einschlagen, wenn er Saracinesca vermeiden wolle. Er stand still, zauderte,

zog dann die Kapuze übers Gesicht und ging ruhig weiter. Giovanni sah nach oben und bemerkte, daß Gouache lang­ sam den Weg Herabritt, noch immer in den Anblick der Landschaft versunken. „Wir wollen ihn seinem Schicksal überlassen", mur­ melte Saracinesca. „Was gehts mich an?" „Nein, nein, Giovanni! rette ihn! Er sieht so elend aus," rief Corona, mit schnell erregter Theilnahme. Sie sah vor Aufregung ganz blaß aus. Giovanni sah sie einen Augenblick an und zögerte, aber ihren flehenden Blicken war nicht zu widerstehen.

283 „Dann reite zurück, meine Geliebte. Sage Gouache, es sei kalt im Thal, sage was Du willst. Laß ihn mit Dir zurückreiten. Ich will ihn retten, weil Du es wünschest." Corona wendete ihr Pferd ohne ein Wort zu sagen und galloppirte wieder den Berg empor. Der Mönch war langsam weitergegangen und befand sich jetzt dicht vor Gio­ vanni. Dieser hielt und starrte das bleiche Gesicht unter der Kapuze an. „Wenn Sie weiter gehen, sind Sie verloren," sagte er leise und deutlich. „Die Zouaven lauern Ihnen aus. Halt! sage ich!" rief er, als der Mönch versuchte vorbeizugehen. Giovanni sprang vom Pferde, ergriff ihn beim Arm und hielt ihn fest. Da verlor Del Ferice alle Fassung. „Sie werden mich doch nicht ausliefern! Um Christi willen!" jammerte er. „O wenn Sie eine Spur von Er­ barmen haben, lassen Sie mich los — ich habe Ihnen nie etwas zu Leide thun wollen." — „Hören Sie!" sagte Giovanni. „Ich möchte Sie schon eben so gern dem Gerichte ausliefern; aber meine Frau hat mich gebeten, Sie zu retten" — „Gott segne sie! Ach, alle Heiligen mögen sie segnen! Gott vergelte ihr ihre Güte!" schluchzte Del Ferice, der vor Furcht und Erschöpfung schon halb von Sinnen war. „Still!" sagte Giovanni streng. „Sie können ihr dan­ ken, wenn Sie je Gelegenheit dazu haben. Kommen Sie ruhig mit. Ich werde einen Arbeiter mit Ihnen durchs Gebirge schicken. Sie müssen in Trevi übernachten, und dann so gut Sie können über die Serra zu kommen suchen." Er faßte sein Pferd am Zügel und schritt neben seinem Feinde einher. „Sie werden mich doch nicht ausliefern!" stöhnte der

284 Elende. „Um des Himmels willen, verrathen Sie mich nicht! Ich bin so weit gegangen; ich bin so müde." „Meinetwegen mögen die Wölfe Sie fressen", versetzte Giovanni. „Ich werde Ihnen nichts thun. Ich gebe Ihnen mein Wort, daß ich Sie sicher weiter befördern will, wenn Sie aufhören zu winseln und sich wie ein Mann betragen wollen." In diesem Augenblick konnte Del Ferice nichts übel nehmen, aber noch nach Jahren nagten diese harten Worte ihm am Herzen. Giovanni war dieses eine Mal grausam; er hatte Lust dem Schurken den Hals umzudrehen oder ihn Gouache und seinen Zouaven auszuliefern. Der Ton von Hugos Stimme mahnte ihn an erlittene Unbill, die noch zu frisch war, um vergeffen zu sein. Aber er unterdrückte seine Wuth und ging weiter, weil er, sehr gegen seinen Willen, seiner Frau versprochen hatte, den Elenden zu retten. Erst nach einer Viertelstunde erreichten sie den Arbeitsplatz, für Del Ferice war es die längste Viertel­ stunde seines Lebens. Keiner von Beiden sprach ein Wort. Giovanni ries einen stämmigen Burschen heran, der am Wege Steine klopfte. „Komm her, Carluccio", sagte er. „Dieser gute Mönch hat sich verirrt. Du mußt ihn um den Berg herumführen, über Ponza nach Arcinazzo, und ihm den Weg nach Trevi zeigen. Es ist weit, aber hinter Ponza ist der Weg ganz gut; es ist kürzer als über Saracinesca zu gehen, und der gute Mönch hat Eile." Carluccio sprang bereitwillig auf. Er mochte viel lieber in den Bergen herumschweifen, als Steine zerklopfen, wenn er nur dafür bezahlt wurde. Er hob seine zerrissene Jacke auf, warf sie über die eine Schulter und setzte seinen zer­ beulten Hut verwegen auf seine dicken schwarzen Locken.

285 „Gebt uns euern Segen, padre mio, und laßt uns gehen! Non e mica un passo! Es ist weit bis Trevi." Del Ferice zauderte. Er wußte kaum, was er thun oder sagen sollte, und selbst wenn er hätte sprechen wollen, war er kaum Herr seiner Stimme. Giovanni machte der peinlichen Lage ein Ende, indem er sich umwandte und sein Pferd bestieg. Einen Augenblick darauf trabte er wieder bergauf, zur großen Verwunderung der Arbeitsleute, welche daran gewöhnt waren, daß er mindestens eine halbe Stunde das Fortschreiten der Arbeit besichtigte. Aber Giovanni war nicht in der Stimmung über Wegebau zu sprechen. Er hatte eine gräßliche Viertelstunde verlebt im Conflict mit dem Wunsche, Del Ferice bestraft zu sehen, und mit dem seiner Frau gegebenen Versprechen, ihn zu retten. Er war seiner selbst so wenig sicher, daß er sich gar nicht um­ sah, um nicht in die Versuchung zu gerathen, einen an­ dern Mann nachzuschicken, der den Flüchtling ausgriffe und den Händen der Gerechtigkeit überliefere. Er knirschte mit den Zähnen, und sein Herz war voll bitterer Verwün­ schungen, während er bergan ritt und kaum über das, was er gethan, nachzudenken wagte. Daß er, nach der An­ schauung des Gesetzes, wissentlich einem Verräther davon­ geholfen hatte, beschwerte sein Gewissen sehr wenig. Sein inneres Gefühl hieß ihn Del Ferice unschädlich machen, indem er ihn auslieferte, und er hätte sich viel Mühe und Sorge erspart, wenn er diesem Gefühl gefolgt wäre. Allein dieser Impuls entsprang eigentlich einem tief gewurzelten Wunsch nach Rache, welchem widerstanden zu haben, er bitter bereute, — ungefähr so wie der Mörder bei Shake­ speare seinem Gefährten klagt, daß der Teufel hinter ihm stehe und ihm gebiete, den Herzog nicht zu ermorden. Giovanni verschonte seinen Feind lediglich seiner Frau zu

286 Liebe, und ein paar Worte von ihr hatten eine Wirkung gethan, wie keine Rücksicht auf Gnade und Barmherzigkeit sie hätte haben können. Corona und Gouache hielten eben am Wege, um auf ihn zu warten. Durch ein unmerkliches Kopfnicken gab Giovanni seiner Frau zu verstehen, daß Del Ferice in Sicherheit wäre. „Es thut mir leid, unsern Ritt abzukürzen," sagte er falt, „aber meine Frau fand es unten im Thal zu kühl." Anastasius sah Giovannis bleiches Gesicht verwundert an und fragte sich, ob nicht alles in Ordnung wäre. Auch Corona schien sehr aufgeregt. „Jawohl", sagte Gouache mit feinem Lächeln. „Die Gebirgslust ist noch recht kalt." Also ritten die drei schweigend zum Schloß zurück; am Thore stieg Gouache ab und verließ sie, eine ziemlich kühle Einladung mit hineinzukommen höflich ablehnend. Giovanni und Corona gingen still mit einander die Treppe hinauf und dann in ein kleines Gemach, welches sie während der kalten Jahreszeit zu ihrem Wohnzimmer erkoren hatten. Als sie allein waren, legte Corona die Hände auf seine Schultern und blickte ihm lange in die zürnenden Augen. Dann schlang sie die Arme um seinen Hals und zog ihn an sich. „Mein Geliebter!" rief sie stolz, „Du bist alles, was ich mir gedacht, und noch viel mehr!" „Sage das nicht," antwortete Giovanni, „ohne Dich hätte ich keinen Finger gerührt, um den Hund zu retten." „Ach, aber Du hast es doch gethan, Liebster," sagte sie und küßte ihn. Am nächsten Abend erschien unangemeldet der alte Saracinesca und wurde sehr warm empfangen. Nach Tische

287 erzählte ihm Giovanni die Geschichte von Del Ferices Flucht. Darauf gerieth der alte Herr in eine wahre Ber­ serkerwuth und tobte und fluchte ganz in der ihm eigen­ thümlichen Weise; endlich aber erklärte er, Spione einzu­ fangen wäre ein Amt für Spione, und Giovanni hätte sich benommen wie ein Edelmann, natürlich hätte er, als sein Sohu auch gar nicht anders gekonnt. Und so fällt der Vorhang nach dem ersten Act. Gio­ vanni und Corona sind glücklich verheirathet. Del Ferice ist sicher über die Grenze bei seinen Freunden in Neapel, und Donna Tullia wartet noch immer auf Nachricht von ihm, am Ende der Fastenzeit des Jahres 1866. Die Geschichte von diesem Zeitpunkt an weiter zu er­ zählen, hieße auf eine neue Reihe von Begebenheiten ein­ gehen, welche an sich vielleicht interessanter sein dürften, als die hier erzählten, und für die Familie Saracinesca von gleicher Wichtigkeit, welche aber ihrem Character nach eine Erzählung für sich — einen zweiten Act zu dem Drama bilden, wenn man es so nennen darf. Ich bin zufrieden, wenn diese Blätter den Leser mit denjenigen Personen, welche später wichtigere Rollen spielen werden, so weit bekannt gemacht haben, um ihn in den Stand zu setzen, die Geschichte ihres fernern Lebens zu verstehen, und gewisfermaßen ihre Zukunft nach ihrer Vergangenheit zu beurtheilen, indem er sie als Bekannte ansieht, die, wenn nicht sympathisch, doch einiger Beachtung werth sind. Besonders bitte ich um Nachsicht in Bezug auf poli­ tische Angelegenheiten. Ich schreibe nicht eine Geschichte politischer Ereignisse, sondern die Geschichte einer römischen Familie zu Zeiten großer Ungewißheit und Aufregung. Wenn Jemand sagen wollte, ich hätte Del Ferice als einen Typus der liberalen italienischen Partei vorgeführt und

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sorgfältig einen Schurken dargestellt, um ihn mit den Waffen poetischer Gerechtigkeit zu zerschmettern, so entgegne ich, daß ich nichts der Art gethan habe. Del Ferice ist allerdings ein Typus, — allein der Typus einer entarteten Klaffe, welche ungerechterweise die liberale Partei in Rom vor 1870 vertrat, und welche bei denen, die Zeuge ihrer Thaten waren, der großen politischen Partei, welche die Einheit Italiens anstrebte, einen schmählichen Ruf zuzog, den jene Partei nicht im entferntesten verdiente. Im Jahre 1866 beobachteten die ehrlichen und rechtschaffenen Liberalen eine abwartende Haltung. Was sie thaten, das thaten sie für ihr Vaterland und thaten es kühn. Keinem verstän­ digen Menschen brauche ich zu sagen, daß Del Ferice mit Massimo d'Azeglio, mit dem großen Cavour, mit Cavours großem Feinde, Giuseppe Mazzini, oder mit Garibaldi nicht mehr Verwandtschaft hat als der Schakal mit dem Löwen. Del Ferice repräsentirte den Abschaum, welcher übrig blieb, nachdem die Fluthen der Revolution von 1848 sich verlaufen hatten. Er war einer jener Leute, welche von Besferen als sie selbst gebraucht und zugleich verachtet werden, und deren Gebrauch Cavour dazu brachte zu schrei­ ben: „Se noi facessimo per noi quel ehe facciamo per l’Italia, saremmo gran bricconi“ — wenn wir für uns selbst thäten, was wir für Italien thun, so wären wir große Schelme. Und daß es außerhalb Rom ehrenwerthe und gerechte Leute gab, wird sich in der Folge dieser wahr­ haften Geschichte genugsam zeigen.