Die Verfassung als Maßstab: Eine argumentationstheoretische Untersuchung am Beispiel des Problems der Verfassungsmäßigkeit nichtfiskalischer Abgaben [1 ed.] 9783428441150, 9783428041152


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Die Verfassung als Maßstab: Eine argumentationstheoretische Untersuchung am Beispiel des Problems der Verfassungsmäßigkeit nichtfiskalischer Abgaben [1 ed.]
 9783428441150, 9783428041152

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Schriften zum Öffentlichen Recht Band 340

Die Verfassung als Maßstab Eine argumentationstheoretische Untersuchung am Beispiel des Problems der Verfassungsmäßigkeit nichtfiskalischer Abgaben

Von

Manfred Rack

Duncker & Humblot · Berlin

M A N F R E D RACK

Die Verfassung als Maüetab

Schriften zum öffentlichen Band 340

Recht

Die Verfassung als Maßstab Eine argumentationstheoretische Untersuchung am Beispiel des Problems der Verfassungsmäßigkeit nichtfiskalischer Abgaben

Von D r . Manfred Rack

D U N C K E R

& H U M B L O T

/

B E R L I N

Alle Rechte vorbehalten © 1978 Duncker & Humblot, Berlin 41 Gedruckt 1978 bei Buchdruckerei Bruno Luck, Berlin 65 Printed in Germany ISBN 3 428 04115 1

Vorwort Diese Untersuchung hat dem Fachbereich Rechtswissenschaft der Universität i n Frankfurt am Main i m Wintersemester 1976 als Dissertation vorgelegen. Herrn Professor Dr. Günther Jaenicke danke ich für die gewährte Freizügigkeit, durch die ich ermutigt wurde, verfassungsrechtliche Fragen aus wissenschaftstheoretischer Sicht zu behandeln. Erste Anregungen zu den finanzverf assungsrechtlichen Problemen verdanke ich Herrn Professor Dr. Peter Selmer. F ü r die Möglichkeit, die gewonnenen Einsichten erstmals vortragen und diskutieren zu können, danke ich Herrn Professor Dr. Wolfgang Naucke. Für wertvolle Hinweise und anregende Diskussionen zu sprachphilosophischen Fragen danke ich schließlich Herrn Professor Dr. Hans-Joachim Koch. Manfred

Rack

Inhaltsverzeichnis Einleitung

I. Die Frage der Verfassungsmäßigkeit von Sonderabgaben

13

14

1. Einzelne Beispiele f ü r Sonderabgaben

15

2. Das Problem der Gruppenbelastung

21

3. Der Solidaritätsgedanke als Legitimation f ü r fremdnützige A b gaben

26

4. Die B i l d u n g von Solidargemeinschaften als methodisches Problem

27

5. Die Forderung nach einer Grundlage i n der Verfassung f ü r Sonderabgaben oder das Begründungsdefizit der Rechtsprechung . .

32

6. Die Begründung durch einen Verfassungsvorbehalt

34

7. Die Paradoxie i n der Forderung nach einer Bindung an die V e r fassung oder die Sorge v o r dem selbstgewählten Maßstab

44

8. K r i t i k an der Forderung nach einem Verfassungsvorbehalt. Die Überforderung der Verfassung oder die Gesetzgebung als V e r fassungsvollzug

48

9. Die begriff s juristische Tradition der Regel v o m Recht aus Begriffen

51

10. Das Grundschema der Begriffsdiskussion an Beispielen der F i nanzverfassung

56

11. Die Frage des Eigentumsschutzes vor Geldleistungspflichten

66

12. Der Eigentumsschutz v o r Geldleistungspflichten als Gleichheitsproblem

67

13. Einschränkung des Lastengleichheitsprinzips

70

14. Die Bindung a n Vorgegebenes oder die Suche nach einem Maßstab

71

15. Übersicht u n d Zusammenhang der Probleme aus methodischer Sicht

74

8

Inhaltsverzeichnis

II. Die Sprache der Verfassung als Maßstab .

78

1. Die Argumentations weise als Untersuchungsgegenstand auf einer Meta-Ebene oder die unbekannten Größen i n der j u r i s t i schen Diskussion

78

2. Die sprachtheoretische Betrachtungsweise

81

3. Die durch das Namenmodell verursachten Probleme

83

4. Die Beziehung von abstrakten zu konkreten Gegenständen als U r b i l d - A b b i l d - V e r h ä l t n i s oder die Position des methodologischen Essentialismus 85 5. Die K r i t i k a m U r b i l d - A b b i l d - M o d e l l durch die Typentheorie von Frege u n d Russell

87

6. Wittgensteins Sprachtheorie

99

a) Wittgensteins K r i t i k am Namenmodell

99

b) Wittgensteins Ergebnis u n d die Relevanz für die Möglichkeit der Bindung an juristische Begriffe 100 c) Die K r i t i k am Namenmodell bei Eigennamen

101

d) Modelle als Deutungshilfen

101

e) Das Sprachspielmodell

103

aa) Die Funktionsvielfalt als Ausdruck verschiedener Lebensformen anstatt der Ausschließlichkeit der Namenfunktion 103 bb) Sprache als Instrument 104 f) Die Kontextabhängigkeit der Sprache

104

g) Stilisierte Lernsituation als H i n t e r g r u n d des Namen- u n d des Sprachspielmodells 105 7. Die Bedeutungstheorien aus der Sicht Wittgensteins

109

a) Die K r i t i k an drei das Namenmodell voraussetzenden Bedeutungstheorien 109 b) Die Relevanz der Bedeutungstheorien für die Möglichkeit der B i n d u n g an die Verfassung 109 c) Die Bedeutung als benannter Gegenstand

110

d) Die Bedeutung als ein vorgegebener, nichtdispositiver Gegenstand 112 e) Die Dreiteilung i n Wort, Bedeutung u n d Gegenstand

113

f) Der Sinn (Bedeutung) nach Frege als intersubjektiver Gegenstand, als den Menschen gemeinsamer Schatz von Gedanken . 114 aa) Freges K r i t i k an der psychologischen Bedeutungstheorie 115 bb) Freges platonistische Bedeutungstheorie 115 g) Die K r i t i k Wittgensteins an den platonistischen u n d psychologischen Bedeutungstheorien 117

Inhaltsverzeichnis h) Wittgensteins Bedeutungstheorie: Die Bedeutung als V e r wendung sprachlicher Ausdrücke (Gebrauchstheorie) 121 i) Juristische Sätze als grammatische Sätze i m Sinne Wittgensteins 132 j) Die Entstehung von Begriffen oder die Gegenstandskonstitution durch Sprache 134 8. Die Grenzen des Konventionalismus oder drei Möglichkeiten f ü r Willkür 144 a) Die klassische Position

147

b) Die konstruktivistische oder intuitionistische Position

149

c) Der totale Konventionalismus Wittgensteins

153

9. Die axiomatische Methode i n der Rechtswissenschaft

I I I . Das Begründungsprinzip

159

165

1. Die Regel v o m Recht aus Begriffen i m Rahmen des Begründungsmodells u n d der Einfluß Labands auf die heutige j u r i s t i sche Argumentationspraxis 165 2. Das Prinzip der zureichenden Begründung als unausgesprochene Voraussetzung der Methode Labands 169 3. Die erweiterte K r i t i k am Prinzip der zureichenden Begründung 172

IV. Die Bindung an Regelmäßigkeiten

180

1. Der Wandel i m Verständnis von Kausalgesetzen oder das I n d u k tionsproblem u n d seine Bedeutung f ü r die juristische Methode 180 a) Der Gegenstand des Induktionsproblems u n d seine Relevanz für die juristische Methode 180 b) Das Ergebnis der Untersuchung zum Induktionsproblem

181

aa) Die Relevanz für das Problem der Klassenbildung bei Begriffen u n d Solidargemeinschaften 183 bb) Die Relevanz f ü r die Methode der Folgeerwägung u n d f ü r das Problem der konkurrierenden Prognosen 185 2. Folgeerwägungen als teleologische Methode

187

3. Vorbemerkungen zu einer normativen Entscheidungstheorie . . . 189 4. Folgebehauptungen als Ausdruck von Kausalgesetzmäßigkeiten 191 5. Die Situation der konkurrierenden Theorien

195

10

Inhaltsverzeichnis 6. Das Problem der I n d u k t i o n oder die Möglichkeit, über Kausalgesetzmäßigkeiten Aussagen machen zu können 196 a) Die vergebliche Suche nach einem Induktionsprinzip

198

b) Die Entstehung von Hypothesen nach der Ansicht Poppers oder das Argument von der Relativität der Ähnlichkeiten u n d der Unmöglichkeit von Identitätsurteilen 204 7. Konsequenzen für die juristische Begriffsverwendung

208

8. Die Relevanz des Argumentes von der relativen Ähnlichkeit für das Gleichheitsproblem 209 9. Gesetzeszweckbehauptungen als Aussagen über Kausalgesetzmäßigkeiten 213 10. Verfahren zur Auszeichnung von Hypothesen a) Die Verifikation von Hypothesen

216 217

b) Die Falsifikation von Hypothesen

217

c) Die Bewährung von Hypothesen

219

11. Die Relevanz von Aussagen über Kausalgesetzmäßigkeiten i m juristischen Entscheidungsprozeß f ü r die Verfassungskontrolle wirtschaftspolitischer Gesetze 220 12. E i n Ansatz zu einer normativen Entscheidungstheorie

224

13. Bemerkungen zum hermeneutischen Z i r k e l oder ein Zirkel, der gar k e i n Z i r k e l ist 228 14. Gesetzliche Maßnahmen als gesellschafts- u n d wirtschaftspolitische Großexperimente m i t ungewissem Ausgang 231

V. Die intersubjektive Sprachpraxis als Maßstab

233

1. Die Bindung an Sprache als regelgeleitetes Handeln

233

2. Z u m Begriff der Regel

234

3. Die intersubjektive Sprachpraxis als Maßstab der Verwendung juristischer Begriffe u n d als Bindungsmöglichkeit 242 4. Die Unbestimmtheit sekundärer Regeln

252

a) Sekundäre Regeln

252

b) Die Unbestimmtheit der Regel v o m Recht aus Begriffen

255

VI. Korrekturbedürftige wissenschaf tstheoretische Positionen als unausgesprochene Voraussetzungen der juristischen Methode 259 1. Voraussetzungen f ü r die Auffassungen der juristischen Tätigkeit als Erkenntnisvorgang 259

Inhaltsverzeichnis 2. Der Psychologismus als implizierte Theorie vom richtigen Denken beim Vorgang der „Rechtserkenntnis" oder die Theorie von der L o g i k als Denknötigung 264 3. Die überholten wissenschaftstheoretischen Positionen als H i n t e r grund der Begriffsjurisprudenz oder die begriffsjuristische V o r ratshaltung f ü r juristische Problemlösungen 268 4. Die teleologische Methode i n der heutigen L i t e r a t u r

274

5. Differenzierung innerhalb des Entscheidungsvorgangs

275

VII. Zum Ausgangspunkt und Anlaß der Untersuchung 1. Die Maßstabs- u n d Bindungsfunktion der Verfassung

279 279

2. Z w e i Beispiele f ü r Folgeerwägungen aus der Diskussion u m die Sonderabgaben 281 a) Gefahr u n d Nachteil f ü r die föderale Machtbalance durch eine zweite apokryphe Finanzverfassung 281 b) Die Gefahr einer Spaltung der öffentlichen Meinung durch die Belastung einzelner Gruppen oder die Gefahr der Flucht vor politischer Rechenschaft 283

Schlußbemerkung

286

Literaturverzeichnis

287

Einleitung Gegenstand der Untersuchung ist die Argumentationsweise, wie sie i m Rahmen des Problems der Verfassungsmäßigkeit von Sonderabgaben beobachtet werden kann. Die Frage der Verfassungsmäßigkeit nichtfiskalischer Abgaben ist Anlaß, Ausgangspunkt und illustratives Hintergrundproblem für die Behandlung argumentationstheoretischer Fragen. Zunächst werden typische i m Finanzverfassungsrecht wiederholt zu beobachtende Argumentationsmuster i n ihrem Kontext dargestellt. Daran anschließend werden die methodischen Positionen freigelegt, die unausgesprochen den beobachteten Argumentationen zugrunde liegen. Schließlich werden die aufgezeigten Argumente und ihre offengelegten theoretischen Grundlagen auf ihre Gültigkeit untersucht, indem sie am derzeitigen Stand der neueren Wissenschaftstheorie und analytischen Philosophie gemessen werden. Ausgelöst wurde diese A r t der Untersuchung durch Fragestellungen innerhalb der finanzverfassungsrechtlichen Problematik, die zunächst i n t u i t i v als fragwürdig und unfruchtbar erschienen. I m Laufe der Untersuchung w i r d nachgewiesen, daß die beobachteten Argumentationsweisen größtenteils auf überholten theoretischen Positionen beruhen, Scheinprobleme erzeugen und deshalb korrekturbedürftig sind. Das Hauptthema bildet die Frage, inwieweit der Abgabengesetzgeber an die Verfassung gebunden werden kann. Es w i r d untersucht werden, auf welche Weise die Verfassung die ihr -herkömmlich zugewiesene A u f gabe erfüllen kann, Maßstab zu sein, an den der Gesetzgeber gebunden, an dem er durch das Bundesverfassungsgericht gemessen werden kann und auf den sich die Betroffenen berufen können. Die Bindung an die Verfassung w i r d dabei als die Bindung an die Sprache der Verfassung verstanden. Einsichten der neueren Sprachtheorie werden zur Beantwortung dieser Fragen herangezogen. Insgesamt soll der Nachweis für die Notwendigkeit erbracht werden, bei der Behandlung juristischer Probleme die A r t der Argumentation i n den Untersuchungsgegenstand mit einzubeziehen.

I . Die Frage der Verfassungsmäßigkeit von Sonderabgaben Herkömmlich werden die öffentlichen Abgaben i n drei Typen eingeteilt, i n die Steuern, Gebühren und Beiträge. Daneben existieren eine Reihe von Abgaben, deren Einordnung i n den traditionellen Abgabenkatalog Grund für eine umfassende Diskussion zu bieten scheint. Diese Abgaben werden hauptsächlich unter dem Begriff der Sonderabgaben zusammengefaßt 1 , die i n jüngster Zeit Anlaß zu verschiedenen Darstellungen gegeben haben 2 , auf die Bezug genommen werden soll. Als repräsentative Beispiele für Sonderabgaben sollen hier zunächst die I n vestitionshilfe und der Konjunkturzuschlag genannt werden 3 . U m i n einer ersten Annäherung den Standort der Sonderabgaben aufzuzeigen, sollen die öffentlichen Abgaben i n vier Gruppen aufgeteilt werden 4 . Zwei Obergruppen lassen sich unterscheiden, von denen die erste dadurch charakterisiert ist, daß für eine besondere Leistung eine Gegenleistung zu erbringen ist. Dazu gehören die Gebühren, die eine Gegenleistung für eine besondere Inanspruchnahme der Verwaltung sind, und die Beiträge, die abkürzend als Beteiligungen von Interessenten an den Kosten einer öffentlichen Einrichtung bezeichnet werden können 5 . Die zweite Obergruppe bilden die Abgaben, die von einem Gemeinwesen aufgrund von Gesetzeszwang auferlegt werden und an gesetzlich bestimmte Tatbestände anknüpfen. Sie stellen keine Gegenleistung für eine besondere Leistung dar und unterscheiden sich dadurch von der ersten Gruppe der Gebühren und Beiträge. Innerhalb dieser zweiten Gruppe stehen sich nun Steuern und Sonderabgaben zur Abgrenzung gegenüber 6 . Den Sonder abgaben sei gemeinsam, i m Gegensatz zu den 1 Meessen, Z u r verfassungsrechtlichen Zulässigkeit von Sonderabgaben, B B 71, S. 228 f.; Selmer, Steuerinterventionismus u n d Verfassungsrecht, 1972, S. 183 f.; Friauf, öffentliche Sonderlasten u n d Gleichheit der Steuerbürger, i n : Festschrift f ü r Hermann Jahrreiß, 1974, S. 45 f.; Brodersen, Nichtfiskalische Abgaben u n d Finanzverfassung, i n : Festschrift für Gerhard Wacke, zieht den Ausdruck „nichtfiskalische Abgaben" vor, S. 106; i m folgenden soll der Ausdruck Sonderabgaben verwendet werden. 2 Strauß, Die Abgaben der Ausgleichseinrichtungen i m System des allgemeinen Abgabenrechts, 1971. 3 Investitionshilfe, Gesetz über die Investitionshilfe der gewerblichen W i r t schaft v o m 7. 1. 1952 (BGBl. I S. 7). Weitere Nachweise bei Strauß, S. 21; K o n junkturzuschlagsgesetz v o m 23. 7.1970 (BGBl. 1 1970, S. 1125). 4 Mattern, Der Begriff der Steuer u n d das Grundgesetz, B B 1970, S. 1405. 5 BVerfG 9, S. 291, S. 297; B V e r f G 7, S. 244, 254, 255. 6 Mattern, S. 1405; Brodersen, S. 103; Meessen, B B 71, S. 928.

1. Einzelne Beispiele für Sonderabgaben

15

Steuern nicht „der Erzielung von Einnahmen zu dienen" 7 . Bei diesem Merkmal handelt es sich um das umstrittenste K r i t e r i u m des ganzen allgemeinen Abgabenrechts 8 . Bevor nun auf die Frage der verfassungsrechtlichen Zulässigkeit von Sonderabgaben eingegangen wird, sollen einige dieser Abgaben vorgestellt werden, die vor allem Gegenstand der Rechtsprechung waren. 1. Einzelne Beispiele für Sonderabgaben Die Investitionshilfe Als Sonderabgabe ist zunächst die Investitionshilfe der deutschen Wirtschaft zu erwähnen. Hierbei handelt es sich um eine hoheitlich durchgeführte Kapitallenkungsmaßnahme. Nach dem Investitionshilfegesetz9 hatte die gewerbliche Wirtschaft zur Deckung des vordringlichen Investitionsbedarfs des Kohlenbergbaus, der eisenschaffenden Industrie und der Energiewirtschaft einen einmaligen Beitrag i n Höhe von 1 M i l liarde D M aufzubringen. Gemäß § 1 I H G betrug der Aufbringungssattz 3,5 Vo von einer gemischten Bemessungsgrundlage aus Gewinn, Absetzungen, Sonderabschreibungen und Umsatz, bezogen auf die Jahre 1950 und 1951. Das Aufkommen aus der Investitionshilfe bildete ein m i t eigener Rechtspersönlichkeit ausgestattetes Sondervermögen, aus dem den begünstigten Unternehmen der Grundstoffindustrie Darlehen gewährt wurden. Zum Ausgleich wurden die begünstigten Unternehmen verpflichtet, dem Sondervermögen börsengängige Wertpapiere i m Nennbetrag des Darlehens zur Zeichnung anzubieten, zu deren Erwerb die Abgabenschuldner durch die Zahlung ihres Aufbringungsbetrages berechtigt waren. Die Wertpapiere konnten auch zugeteilt werden. Bei der Aufbringung w i r k t e n die Finanzämter mit. M i t der Investitionshilfe sollte die Gefahr der sinkenden Produktion i n der Schwerindustrie verhindert werden, der die Investitionsmittel infolge der noch vorhandenen Höchstpreisbindung nicht dem Bedarf entsprechend zuflössen. Der Gesetzgeber erwartete, daß durch die aufgebrachten M i t t e l weitere I n vestitionen ausgelöst würden 1 0 . Die Feuerwehrabgaben nach baden-württembergischen Recht Dieses Gesetz 11 bestimmt, daß alle gesundheitlich tauglichen Männer vom 18. bis zum 50. Lebensjahr zum Dienst i n der Feuerwehr verpflich7

Brodersen, S. 106. Strauß, S. 113. 9 v o m 7. 1. 1952, BGBl. I, S. 7, abgeändert durch Gesetz v o m 22. 8. 1952, BGBl. I, S. 585 u n d v o m 30. 3. 1953, BGBl. I, S. 107, aufgehoben durch Investitionshilfe-Schlußgesetz v o m 24. 2.1955, BGBl. I, S. 69. 10 B V e r f G 4, S. 14; Strauß, S. 21, m i t weiteren Nachweisen. 8

16

I. Die Frage der Verfassungsmäßigkeit von Sonderabgaben

tet sind. Da nicht alle Dienstpflichtigen zum Dienst benötigt werden, sollen die Diensitpflichtigen, die — aus welchen Gründen auch immer — nicht zum Dienst herangezogen werden, zum Ausgleich eine Geldleistung erbringen. Das Aufkommen darf gemäß § 38 nur für Zwecke der Feuerwehr verwendet werden 1 2 . Die bayerische Ärzteversorgung Aufgrund der A r t i k e l 46, 47, 48 des bayerischen Gesetzes über das öffentliche Versicherungswesen 13 hatte die Versicherungskammer eine Satzung über die Ärzteversorgung erlassen 14 , wonach die i n Bayern praktizierenden Ärzte Pflichtmitglieder sind und einen Beitrag i n Höhe von 7°/o des jährlichen Berufseinkommens zu entrichten haben. Es handelte sich um eine Berufsunfähigkeitsversicherung, die i m Falle der Berufsunfähigkeit Ruhegeld und i m Falle des Todes den Hinterbliebenen Sterbegeld zahlt. Die Zwangsversicherung der Ärzte wurde m i t dem Interesse der Allgemeinheit an der Sicherung der ärztlichen Versorgung gerechtfertigt. Diese könnte dadurch gefährdet werden, daß Ärzte wegen mangelnder Vorsorge für Alter und Berufsunfähigkeit in Notlagen geraten 15 . Abführungspflicht der Hebamme Gemäß § 14 des Hebammengesetzes 16 konnte ein Einkommensausgleich zwischen den vielbeschäftigten und gut verdienenden und den weniger beschäftigten Hebammen vorgenommen werden. Diese Regelung hatte den Zweck, die Verteilung der Hebammen, insbesondere i n den geburtenschwachen Regionen, zu sichern. Den unterbeschäftigten Hebammen wurde ein Mindesteinkommen garantiert, zu deren Finanzierung die besser verdienenden Hebammen durch die Ausgleichsabgabe herangezogen werden konnten 1 7 . Abgaben an Preisausgleichskassen Gemäß § 2 des Übergangsgesetzes über Preisbildung und Preisüberwachung 18 ist der Bundeswirtschaftsminister ermächtigt, Verordnungen 11 v o m 6. 2. 1956 i n der geänderten Fassung v o m 9. 2. 1960, GVB1. für BadenWürttemberg S. 12. 12 B V e r f G v o m 17. 10. 1961, N J W 61, S. 2155; Bopp, GVB1. für b a d e n - w ü r t tembergische Feuerwehrabgabe 1967, S. 22. 18 v o m 7. 12. 1933, BayBS I, S. 242, i n der Fassung v o m 16. 2. 1957, Bay. GVBL, S. 47. 14 i n der Fassung v o m 5. 9. 1968, GVBL, S. 53 u n d 272. 15 B V e r f G 10, S, 359. 16 v o m 21.12.1938, RGBl. I, S. 1893. 17 BVerfG 18, S. 315. 18 vom 10. 4. 1948, WiGBl., S. 27, Fassung vom 29. 3. 1951, BGBl. I, S. 223.

1. Einzelne Beispiele für Sonderabgaben

17

zu erlassen, durch die u. a. Preise festgesetzt oder durch die der Preisstand aufrechterhalten werden soll. Dazu gehören die Maßnahmen, die unter der Bezeichnung „Preisausgleich" zusammengefaßt werden. I h r Sinn besteht darin, Preise für Güter gleicher A r t in standortgünstigen und standortungünstigen Gebieten einander zu nähern 1 0 . Der Preisausgleich w i r d i n der Weise durchgeführt, daß bestimmte wirtschaftliche Vorgänge mit Ausgleichsbeträgen i n Form von Zuschlägen zum Preis belastet werden. Diese werden an eine Ausgleichskasse abgeführt und von ihr als Ausgleichsbeträge zugunsten bestimmter anderer wirtschaftlicher Vorgänge ausgezahlt. Walzwerksfertigerzeugnisse, die i n dem Ruhrgebiet nahegelegene Gegenden geliefert werden, sind mit Preisausgleichzuschlägen belastet. Dagegen erhalten Abnehmer i n revierfernen Gebieten Frachtzuschüsse. Nach diesem Muster w i r d ebenfalls für Gießerei-Rohre ein Preis ausgleich für Lieferungen i n frachtungünstige Gebiete erhoben. Aufgrund der geographischen und politischen Sonderlage West-Berlins w i r d der dortigen eisenverbrauchenden Wirtschaft ein Zuschuß gewährt, der den Abnehmern von Walzwerksfertigerzeugnissen und Röhren i n der Bundesrepublik i n Form eines Zuschlages aufgelastet w i r d 2 0 . Ausgleichsabgaben auf Milch nach § 12 des Milch- und Fettgesetzes 21 Die nach § 12, Abs. 3 MuFG zu entrichtende Milchausgleichsabgabe hat den Zweck, einen Ertragsausgleich zwischen den ertragsgünstiger arbeitenden Trinkmilchmärkten und den ertragsungünstiger arbeitenden Werkmilchmärkten — dem Milchverkauf zur Herstellung von B u t ter und Käse — herzustellen 22 . M i t der Abgabe belastet sind vor allem die Molkereien. Das Aufkommen ist ausschließlich für die Durchführung des übergebietlichen Ausgleichs zu verwenden. Die Trinkmilchmärkte liegen i n verbraucherdichten Regionen, während i n stadtfernen Regionen der Milchüberschuß als Werkmilch zu Butter und Käse verarbeitet wird. Um den Trinkmilchpreis überall konstant zu halten, wurde eine Marktordnung errichtet, die dem Absatz und Preisschutz dient. Die Molkereien der stadtfernen Gebiete, die nur Werkmilch zu Preisen absetzen können, die unter denen der Trinkmilch liegen, erhalten die Ausgleichszahlungen 28 . Die Höhe der Abgabe richtet sich nach dem Unterschied zwischen den durchschnittlichen Nettowerterlösen der Trinkmilch 19

B V e r f G 8, S. 316. BVerfG 8, S. 316; Strauß, S. 14; Götz, Wirtschaftsverwaltungsrechtliche Ausgleichsabgaben, AöR 85 (1960), S. 209. 21 v o m 28. 2.1951, BGBl. I, S. 135. 22 Götz, S. 204; B V e r w G 6, S. 134,142. 23 BVerfG 18, S. 318. 20

2 Rack

18

I. Die Frage der Verfassungsmäßigkeit von Sonderabgaben

und der Werkmilch 2 4 . Diese Marktordnung w i r d überwiegend mit Gründen des Gemeinwohls gerechtfertigt, die darin bestehen, daß die Versorgung mit Milch zu angemessenen Preisen gesichert w i r d und eine leistungsfähige Landwirtschaft erhalten bleibt. Die Milchmarktordnung ist ein Mittel, bei bestehender Überproduktion diese Ziele zu erreichen 25 . I m Rahmen der Marktordnung gleicht die Ausgleichsabgabe standortbedingte Vor- und Nachteile aus. Der Familienlastenausgleich des Kindergeldgesetzes 26 Die unfallversicherungspflichtigen Unternehmer wurden zu Abgaben herangezogen. Das Aufkommen wurde zur Gewährung von Kindergeld für Familien m i t drei und mehr Kindern verwendet, während das Zweitkindergeld aus M i t t e l n des Bundeshaushaltes finanziert wurde 2 7 . Die Abgabe zum Absatzfondsgesetz 28 Nach diesem Gesetz wurde ein Absatzfonds als Anstalt des öffentlichen Rechts gegründet, um den Absatz und die Verwertung von Erzeugnissen der deutschen Land-, Forst- und Ernährungswirtschaft durch Erschließung und Pflege von Märkten zentral zu fördern. Neben Zuschüssen aus dem Bundeshaushalt fließen dem Fond „Beiträge" zu, die von den land- und forstwirtschaftlichen Betrieben zu entrichten sind. Als Bemessungsgrundlage dient der Grundsteoiermeßbetrag und der Einheitswert der Betriebe 2 9 . Die Abgabe zum Stabilisierungsfonds nach dem Weinwirtschaftsgesetz 80 A n den Stabilisierungsfonds, eine Anstalt des öffentlichen Rechts, sind nach diesem Gesetz Abgaben zu entrichten, die die Winzer mit jährlich D M —,50 je A r ihrer Anbaufläche aufzubringen haben. Das Aufkommen w i r d verwendet für die Absatz Werbung und die Qualitätsverbesserung des Weines 31 . Die Abgabe zum großen Erft-Verband 3 2 Nach diesem Gesetz wurde eine Körperschaft des öffentlichen Rechts, der große Erft-Verband, gegründet. Seine Aufgabe ist die Regelung der 24

BVerfG 18, S. 320. BVerfG 18, S. 327. 28 v o m 13. 11. 1954, BGBl. I, S. 333, aufgehoben durch das Bundes-KindergeldG v o m 14. 4.1964, B G B l . I , S. 265. 27 Strauß, S. 41, m i t umfangreichen Nachweisen BVerfG 11, S. 105 f. 28 v o m 26. 6.1969, BGBl. I , S. 635. 29 Mußgnug, Die zweckgebundene öffentliche Abgabe, 1972. 30 v o m 29. 8. 1961, BGBl. I, S. 1622, i. d. F. vom 9. 5. 1968, BGBl. I, S. 471. 31 Mußgnug, S. 267. 25

1. Einzelne Beispiele für Sonderabgaben

19

Wasserwirtschaft i m Verbandsgebiet, dem rheinischen Braunkohlenrevier i n der Kölner Bucht. Mitglieder des Verbandes sind die Eigentümer der dort ansässigen Braunkohlenbergwerke, der Elektrizitätswerke und der Industriebetriebe mit großem Wasserbedarf sowie die Landkreise und Städte des Gebiets. Die M i t t e l werden durch Geldleistungen der Mitglieder aufgebracht 83 . Die Abgabe nach dem Filmförderungsgesetz Zur Überwindung der durch das Fernsehen und die ausländische Konkurrenz verursachten künstlerischen und wirtschaftlichen Schwierigkeiten des deutschen Films soll das Gesetz über Maßnahmen zur Förderung des deutschen Films dienen 84 . Als Förderungsmaßnahme sieht das Gesetz Filmförderungshilfen i n Form von Darlehen und verlorenen Zuschüssen vor, von denen die Filmproduzenten etwa dreimal so viel erhalten wie die Filmtheaterbesitzer 35 . Diese Filmförderungshilfe w i r d allein von den Kinobesitzern aufgebracht, indem jede Eintrittskarte mit einem Zuschlag von D M 0,10 belastet w i r d 3 6 . Das Unfallversicherungsneuregelungsgesetz 87 Durch dieses Gesetz wurde die Rentenlast der Bergbauberufsgenossenschaften aus Versicherungsfällen, die sich vor dem 1. Januar 1953 ereignet haben, auf die gewerblichen Berufsgenossenschaften und die Seeberufsgenossenschaften übertragen 38 . Die Mitglieder der so belasteten Berufsgenossenschaften mußten Versicherungsbeiträge bezahlen, die erheblich über den Betrag hinausgingen, der durch das typische Unfallrisiko ihres eigenen Berufszweiges erforderlich war. Bei diesem System der Unfallversicherung handelt es sich um eine Zwangsgemeinschaft der Unternehmer, die ohne Ansehen der Verantwortlichkeit solidarisch für die Folgen der von den Versicherten erlittenen Berufsunfälle aufkommen 8 9 . Die Ausgleichsbelastung stellt einen Risiko ausgleich über die Grenze einer Berufsgenossenschaft hinaus dar. Eine Unternehmergruppe w i r d zugunsten der anderen belastet 40 . 82

Gesetz v o m 3. 6. 1958, GVB1. des Landes Nordrhein-Westfalen, S. 253. B V e r f G 10, S. 93. 34 v o m 22. 12. 1967, BGBl. I, S. 1352, siehe i. d. F o r m 9. 8. 1971, BGBl. I, S. 1251. 35 Mußgnug, S. 295. 36 Strauß, S. 23. 37 v o m 30. 4.1963, BGBl. I, S. 241. 38 Mußgnug, S. 268. 39 B V e r f G 23, S. 22. 40 B V e r f G 23, S. 23. 33

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I. Die Frage der Verfassungsmäßigkeit von Sonderabgaben

Die Abgabe nach dem Fremdrentengesetz 41 Nach § 9 Abs. 1 dieses Gesetzes tragen die gewerblichen Berufsgenossenschaften, letztlich deren Mitglieder, die Unternehmer, die Last der Fremdrenten i n der Unfallversicherung. Bei den Fremdrenten handelt es sich um Rentenansprüche, denen Arbeitsunfälle zugrunde liegen, die sich außerhalb des Gebietes des ehemaligen deutschen Reiches oder innerhalb dieses Gebietes bei den Unternehmen ereignet haben, die niemals M i t glied einer noch bestehenden und i m Bundesgebiet ansässigen Berufsgenossenschaft waren. Das Gesetz dient der Kriegsfolgenlastregelung, der Eingliederung der Vertriebenen. Dies geschieht i n der Weise, daß Vertriebene so gestellt werden, als ob sie i n der Bundesrepublik gearbeitet hätten und versichert gewesen wären und nicht außerhalb des Geltungsbereiches des Grundgesetzes 42 . Der Konjunkturzuschlag Das Gesetz über die Erhebung eines rückzahlbaren Konjunkturzuschlages zur Einkommens- und Körperschaftssteuer 43 bestimmt, daß ein Zuschlag i n Höhe von 10°/o der einen Mindestbetrag übersteigenden Steuervorauszahlungen oder Steuerbeträge, die i n der Zeit vom 1. 8. 1970 bis zum 30. 6. 1971 fällig wurden, von den unbeschränkt Einkommensund Körperschaftssteuerpflichtigen zu leisten war. Das Konjunkturzuschlagsaufkommen war von dem Steueraufkommen getrennt zu erfassen und bis zum Zeitpunkt der Freigabe stillzulegen. Es wurde nach der Stillegungszeit an die Zuschlagszahler zinslos zurückgezahlt 44 . Das Konjunkturzuschlagsgesetz verfolgte das Ziel, möglichst kurzfristig Kaufkraft zeitweilig stillzulegen und das stillgelegte Geld zum konj u n k t u r e l l richtigen Zeitpunkt zurückzuzahlen, u m die Preisstabilität zu erreichen 45 . Neben den genannten Abgabegesetzen sind verschiedene Gesetzgebungsvorhaben i m Gespräch, die an das Muster der exemplarisch aufgeführten Abgaben anknüpfen, die bisher die höchstrichterliche Rechtsprechung beschäftigt haben. Es ist hier die überbetriebliche Ertragsbeteiligung der Arbeitnehmer zu nennen. Das Ziel dieser Maßnahmen geht über die Forderung der individuellen Vermögensbildung als einer sozialen Sicherung der A r beitnehmer hinaus. Diese Maßnahmen sollen die Arbeitnehmer am Ertrag des Produktivvermögens i n der Wirtschaft und damit am Wachs41

v o m 25. 2. 1960, BGBl. I, S. 93. BVerfG 14, S. 224. 43 v o m 24. 7.1970, BGBl. I, S. 1125. 44 Krause-Ablaß, Z u r Frage der Verfassungsmäßigkeit des K o n j u n k t u r z u schlags, StW 1970, S. 707. 45 Koch, K., DStR 70, S. 520. 42

2. Das Problem der Gruppenbelastung

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tum der Volkswirtschaft beteiligen und zugleich bewirken, daß sich i m Laufe der Zeit durch die aus diesem Ertragsanteil resultierende Fondsund Vermögensbildung eine Veränderung i n den Besitzanteilen an den wirtschaftlichen Unternehmen ergibt. Ein Anteil am Ertrag der Erwerbswirtschaft soll i n Sammelfonds fließen, an denen alle Arbeitnehmer durch Anteile beteiligt werden sollen. A l l e n Arbeitnehmern und Beamten innerhalb bestimmter Einkommensgrenzen sollen diese Beteiligungen gewährt werden, und zwar i n Form von Anteilscheinen, die eine Zeitlang gesperrt werden sollen. Das Fondsvermögen soll von den größeren Unternehmen mit einem Jahresgewinn von über 100 000,— D M aufgebracht werden 4 6 . Das i n der Reformdiskussion eingeführte Modell zur bundesgesetzlichen Neugestaltung der studentischen Krankenversicherung war Anlaß zu einer finanzverfassungsrechtlichen Studie über die Umverteilung durch Sozialversicherungsbeiträge 47 . Bei der Lösung des Zentralproblems der studentischen Krankenversicherung ist davon auszugehen, daß Studenten keine kostendeckenden Versicherungsbeiträge zugemutet werden können. Zwei Möglichkeiten stehen zur Wahl, die ungedeckten Aufwendungen zu finanzieren, nämlich sie entweder auf den Staat oder aber auf eine Gruppe der Gesellschaft abzuwälzen. Das diskutierte Modell zieht die zweite Möglichkeit vor. Danach sollen die Studenten Pflichtmitglieder der bestehenden gesetzlichen Krankenversicherungen werden, und die Versichertengemeinschaft soll mit dem Teil der Kosten belastet werden, der von den verbilligten Studentenbeiträgen nicht getragen w i r d 4 8 . 2. Das Problem der Gruppenbelastung Soweit die Gerichte und die Literatur sich mit zweckgebundenen Abgaben beschäftigt haben, wurden dabei hauptsächlich Sonderprobleme der einzelnen Abgaben behandelt 49 . Uber einstimmend w i r d i n jüngster Zeit darauf hingewiesen, daß das Kernproblem bisher unbeachtet geblieben ist. Bei allen zweckgebundenen Abgaben erhebt sich die fundamentale Frage, ob überhaupt und gegebenenfalls unter welchen Voraussetzungen anstelle einer finanziellen Belastung aller Steuerzahler enger begrenzte Gruppen von Abgabenschuldnern mit den Kosten bestimmter öffentlicher Abgaben belastet werden dürfen 5 0 . Das Bundesverfassungsgericht argumentierte stets rein systemimmanent, ohne diese Vorfrage 4e Scheuner, Die überbetriebliche Ertragsbeteiligung der Arbeitnehmer u n d die Verfassungsordnung. Rechtsgutachten, 1972, S. 14. 47 Isensee, Umverteilung durch Sozialversicherungsbeiträge, 1973. 48 Ebd., S. 9. 49 Mußgnug, S. 270; Friauf, öffentliche Sonderlasten, S. 52. 50 Mußgnug, S. 270.

2 2 I .

Die Frage der Verfassungsmäßigkeit von Sonderabgaben

zu stellen 51 . Dieses Problem der Gruppenbelastuiig w i r d i n Beziehung zum Gleichheitssatz nach A r t i k e l 3 GG gesetzt 52 . Für die Finanzierung öffentlicher Aufgaben sind drei Möglichkeiten zu unterscheiden, und zwar die allgemeinen Steuern, die sich durch ihre Gemeinnützigkeit auszeichnen, und die Abgaben, die demgegenüber eine mehr oder weniger starke Gruppennützigkeit aufweisen. Die gruppennützigen Abgaben lassen sich wiederum i n eigennützige und fremdnützige aufteilen 53 . Die eigennützigen Abgaben werden treffend auch als staatlich erzwungene Selbsthilfen charakterisiert. Typische Beispiele für diese Gruppe sind die Abgaben i m Rahmen des großen Erft-Verbandes, die Abgaben zum Stabilisierungsfonds nach dem Weinwirtschaftsgesetz und dem Absatzfondsgesetz. Die Gruppe der Belasteten ist dabei identisch mit der Gruppe der durch die Zweckbindung Begünstigten. E i n Indiz für den eigennützigen Charakter der Abgabe ist oft die Tatsache, daß diese Gruppen aufgrund von eigenen Initiativvorschlägen gebildet werden und der Gesetzgeber lediglich organisatorische Hilfestellung durch Gesetz und Verwaltung leistet 5 4 . Als ganz und gar unproblematisch läßt sich diese Gruppe der eigennützigen Abgaben nicht kennzeichnen, wenn man bedenkt, daß etwa i m Falle der bayerischen Ärzteversorgung ein Zwangsverband geschaffen wurde mit der Begründung, die zwangsweise Versicherung der Ärzte gegen Alter und Berufsunfähigkeit sei durch das Interesse der Allgemeinheit an einem leistungsfähigen Ärztestand gerechtfertigt 55 . Es handelt sich hierbei um einen Fall der eigennützigen Abgabe i m öffentlichen Interesse, eine Mischform also, deren Gefahr darin liegt, Muster für sonstige Zwangsverbände abzugeben, die leicht zu staatlicher Bevormundung bei der eigenen Lebensgestaltung führen und den Unterschied zwischen eigenem und öffentlichem Interesse verwischen können. Es ist zu befürchten, daß die nicht zu leugnenden eigenen Interessen zum Vorwand unerwünschten staatlichen Zwanges werden. Nicht immer hat der Gesetzgeber bei der Einführung zweckgebundener Abgaben auf die eigentlich Betroffenen zurückgegriffen und sie dazu gezwungen, ihre Anliegen selbst zu tragen. Bei fremdnützigen zweckgebundenen Abgaben t r i t t die verfassungsrechtliche Problematik i n vollem Umfang hervor. I n diesen Fällen blieben die Betroffenen, deren Anliegen geregelt wurde, verschont und zugleich wurde die allgemeine staatliche Belastung umgangen, statt dessen wurden ganz anderen Gruppen zweckgebundene Abgaben auferlegt 56 . Ein Beispiel für die Fäl51

Friauf, öffentliche Sonderlasten, S. 52. Isensee, S. 62; Friauf, öffentliche Sonderlasten, S. 52. 53 Mußgnug, S. 288. 54 Mußgnug, S. 289; Strauß, S. 47, m i t Überblick über die aufgrund eigener I n i t i a t i v e zustandegekommenen Lastenverbände. 55 BVerfG 10, S. 359, 369. 56 Mußgnug, S. 269; Selmer, S. 369. 52

2. Das Problem der Gruppenbelastung

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le, i n denen die Identität zwischen den Abgabepflichtigen und den Begünstigten fehlt, bilden die Abgaben der zwangsweise zu Berufsgenossenschaften zusammengeschlossenen Unternehmer, die über die Grenzen ihrer Berufsgenossenschaft hinaus Risikoausgleich für die Unfallversicherung auch branchenfremder Arbeitnehmer zu leisten haben, indem die Rentenlast der schrumpfenden Bergbau-Berufsgenossenschaft den Berufsgenossenschaften der gewerblichen Wirtschaft aufgelastet wurde. Hierbei handele es sich nicht um eine Verpflichtung der Allgemeinheit und des Staates — so führt das Bundesverfassungsgericht aus — sondern es sei ein „Problem der Unfallversicherung und der Solidargemeinschaft der Unternehmer untereinander, diese Last erträglich zu machen" 57 . Vom Gesetzgeber wurde diese Lösung als Ausnahmefall verstanden 58 . Ausdrücklich wurde betont, daß die Auswirkungen auf einen einzelnen Gewerbezweig diese Maßnahme nicht zu einer öffentlichen Angelegenheit werden lassen 59 . Die dem Unfall Versicherungswesen eigene Solidarität der Unternehmer erlaube die Umverteilung auf alle Berufsgenossenschaften 60 . Es 'handele sich bei dieser Maßnahme um eine Hilfe innerhalb der Wirtschaft aus eigener K r a f t 6 1 . I n gleicher Weise wurden schon vorher den Unternehmern der gewerblichen Berufsgenossenschaften die Fremdrenten aus Unfällen der Vorkriegszeit i n ehemals deutschen Gebieten aufgelastet, während andere Berufsgenossenschaften verschont blieben 62 . Ebenfalls ausschließlich den Arbeitgebern wurden Abgaben aufgelastet, deren Aufkommen als Kindergeldleistung den Arbeitnehmern zufloß 63 . Diese fremdnützige Belastung der Arbeitgeber zugunsten der Arbeitnehmer entspreche dem Gedanken der .Fürsorgepflicht des Arbeitgebers 64 . Die Investitionshilfe stellt i n ihren Grundzügen ebenfalls eine fremdnützige Abgabe dar. Die Unternehmen der gewerblichen Wirtschaft wurden zugunsten der Schwerindustrie belastet. Der Charakter der Fremdnützigkeit wurde allerdings durch die Abgabe börsenfähiger Wertpapiere entschärft, so daß die Belastungen nicht unentgeltlich abgefordert wurden 6 5 . Die Filmförderungsabgabe läßt sich als Beispiel einer fremdnützigen Abgabe einreihen, soweit den belasteten Kinobesitzern aus dem Aufkommen keine Vorteile erwachsen 66 . Von den geplanten Maßnahmen ist die überbetriebliche Ertragsbeteiligung der A r 57 58 59 60 81 82 83 84 85 88

B V e r f G 23, S. 21. B V e r f G 23, S. 21. B V e r f G 23, S. 23. B V e r f G 23, S. 24. B V e r f G 23, S. 27. B V e r f G 14, S. 226, 240. B V e r f G 11, S. 116. B V e r f G 11, S. 116. Mußgnug, S. 294. Mußgnug, S. 295.

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I. Die Frage der Verfassungsmäßigkeit von Sonderabgaben

beitnehmer als Beispiel einer fremdnützigen Abgabe zu Lasten der Unternehmer anzuführen. I n den genannten Beispielen sind es hauptsächlich Unternehmer, die als Belastete zur Finanzierung herangezogen w u r den, einmal zugunsten anderer Unternehmer — i n den Fällen der Investitionshilfe, der Fremdrentenübernahme und der Verlagerung der Bergbau-Altrentenlast — zum anderen i n den sozialversicherungsrechtlichen Fällen — zugunsten der Arbeitnehmer. Allgemein w i r d vor der A r t der Aufgabenfinanzierung gewarnt, durch Sonderbelastungen bestimmte Gruppen zu beschweren und die Einnahmen zugunsten anderer Gruppen zu verwenden. Es sei grundsätzlich von einem Verbot fremdnütziger Abgabelasten auszugehen und die Gefahr sei nicht zu gering einzuschätzen, daß der Grundsatz der steuerlichen Lastengleichheit ausgehöhlt und durchbrochen werde 8 7 . Der verfassungsrechtlich verbürgte Grundsatz der Steuergerechtigkeit durch gleichmäßige Belastung aller Zensiten wäre ad absurdum geführt, wenn der Gesetzgeber einzelnen Gruppen außerhalb des durch den Haushalt vermittelten Verteilungsnexus beliebige Zusatzbelastungen aufbürden könnte 6 8 . Die durch die Erledigung öffentlicher Angelegenheiten entstehenden Lasten dürften nur die Allgemeinheit treffen und nur m i t öffentlichen Mitteln durchgeführt werden. M i t diesem Argument beruft sich Friauf 6 9 auf ein obiter dictum des BVerfG zur Verlagerung der BergbauAltlasten 7 0 . Es sei ein Grundsatz egalitärer Demokratie, daß alle gleichmäßig zu den öffentlichen Lasten herangezogen werden; was i m Namen aller geschehe, solle auch von allen bezahlt werden 7 1 . Beliebig ausgewählte Gruppen innerhalb der Gemeinschaft dürften nicht zur Disposition der Mehrheit stehen. Dies sei nicht überlegte Sozialpolitik, sondern Vergewaltigung von Minderheiten 7 2 . I n ebenso illustrativer Überzeichnung w i r d der Fall der fremdnützigen zweckgebundenen Abgaben zu Lasten einzelner Gruppen als finanzielle Zwangspatenschaft charakterisiert 7 3 . Die staatliche Forderung ohne Einsatz staatlicher Finanzierungsmittel erscheine als „finanzpolitisches Ei des Kolumbus", wenn der Gesetzgeber lediglich einen finanzschwachen Bevölkerungskreis rhit einem leistungsfähigen zu einem Lastenverband zusammenschließe 74 . Als ein Grundsatzproblem der heutigen Gesellschaftspolitik bezeichnet 67

Selmer, S. 369, 371. Friauf, Öffentliche Sonderlasten, 1974, S. 50. 69 Ebd., S. 49; Selmer, S. 371. 70 B V e r f G 23, S. 23. 71 Leisner, Sozialbindung des Eigentums, S. 229; Friauf, lasten, S. 54. 72 Leisner, Sozialbindung des Eigentums, S. 229; Friauf, lasten, S. 62. 73 Mußgnug, S. 292. 74 Isensee, S. 10. 88

öffentliche Sonderöffentliche Sonder-

2. Das Problem der Gruppenbelastung

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Isensee die Frage, ob der Staat von Verfassung wegen dazu legitimiert sei, innergesellschaftliche Kostgängerbeziehungen einzuführen 75 . Diese Grundhaltung gegen die Gruppenbelastung und für die Belastung der Allgemeinheit, die der Entscheidung des Grundgesetzes für den Steuerstaat entspreche 76 , w i r d allerdings nicht ohne Einschränkung vertreten. Vielfach werden fremdnützige Abgaben m i t dem Hinweis verteidigt, es handele sich um einmalige Fälle zur Regelung von Notsituationen. Dieses Argument findet sich schon i n der Begründung zur Ablösung der Renten-Altlast zu Lasten der gewerblichen Unternehmen 7 7 und w i r d ebenfalls für den Fall der Investitionshilfe 7 8 und für den der Übernahme der Bergbau-Altlasten 7 9 verwendet. M i t der Charakterisierung dieser Gesetze als Einzelfälle w i r d zu Recht die Warnung verbunden, diesen Finanzierungsmodus auszuweiten 80 . Es bleibt jedoch die Frage, ob diese A r t der Gruppenbelastung als Finanzierungssystem überhaupt zulässig ist, und zwar auch für die sogenannten einmaligen Situationen* weisen doch alle Situationen je nach Hinsicht immer etwas Einmaliges auf. Die grundsätzliche Ablehnung der Gruppenbelastung als Finanzierungssystem neben der steuerlichen Belastung der Allgemeinheit w i r d nun durch die Forderung eingeschränkt, die Sonderbelastung müsse durch einen spezifischen Zurechnungsgrund gerechtfertigt sein 81 . Es werden Gründe gefordert, die die Sonderbelastung legitimieren 8 2 . I n diesem Zusammenhang ist vom zureichenden, sachlichen und einleuchtenden Grund die Rede, ohne den eine Sonderlast nicht gerechtfertigt sei 83 . Die Natur der Sache müsse solche finanzielle Zwangspatenschaften rechtfertigen 84 . Es werden vernünftige, auf der Eigenart des Sachverhalts gründende Differenzierungsgesichtspunkte gefordert, die die Festschreibung des Kreises der Begünstigten decken 85 . Diese Begründungen für die Sonderbelastung, die den Grundsatz der gleichmäßigen steuerlichen Belastung durchbricht, besagen wenig. Insbesondere w i r d ein K r i t e r i u m diskutiert, das geeignet sein soll, die Sonderbelastungen von Gruppen zu rechtfertigen. 75

Ebd., S. 11. Leisner, Sozialbindung des Eigentums, S. 229, 231; Friauf, Sonderlasten, S. 55. 77 B V e r f G 23, S. 21. 78 Selmer, S. 371. 79 Mußgnug, S. 292. 80 Selmer, S. 371; B V e r f G 23, S. 21. 81 Friauf, öffentliche Sonderlasten, S. 50. 82 Mußgnug, S. 299. 83 Ebd., S. 269, 291, 292. 84 Ebd., S. 292. 85 Selmer, S. 370. 76

öffentliche

26

I. Die Frage der Verfassungsmäßigkeit von Sonderabgaben

3. Der Solidaritätsgedanke als Legitimation für fremdnützige Abgaben Als Legitimationsgrund w i r d der Grundsatz der Solidarität bemüht, der i m Rahmen der Sozialversicherung eine bedeutende Rolle spielt. Die Sozialversicherung geht vom versicherungsrechtlichen Äquivalenzprinzip aus, wonach die Summe der Beitragseinnahmen eines Versicherers die Summe seiner Leistungen auf wiegen soll. Dieses Gebot der Ausgabendeckung bezieht sich auf den Gesamthaushalt der Kasse 86 . I n der Beziehung der versicherten Einzelpersonen zu der Sozialversicherung, gilt das Prinzip von Leistung und Gegenleistung nicht. Der zu leistende Beitrag des Versicherten richtet sich nicht nach dem Versicherungsschutz, der Gegenleistung, sondern nach der subjektiven Leistungsfähigkeit. Dies kommt darin zum Ausdruck, daß sich die Beitragsbemessung nach dem Arbeitsentgelt richtet 8 7 . Aus den Mehrbelastungen der leistungsfähigeren Versicherten werden die Vergünstigungen der weniger Leistungsfähigen finanziert. Es w i r d als zulässig angesehen, daß einzelne Gruppen der Versicherten nach dem Grundsatz der Solidarität aller Versicherten stärker zu Beiträgen herangezogen werden als andere, denen, wie ζ. B. den krankenversicherten Rentnern, ein kostendeckender Beitrag nicht zumutbar ist. Dieses Umverteilungssystem hat mit dem eigentlichen Versicherungszweck nichts mehr zu tun. Der versicherungsrechtliche Leistungsaustausch gleitet nach Isensee über i n sozialrechtliche Umverteilung 8 8 . Der Solidar ausgleich werde einmal interpersonal zwischen den Beziehern unterschiedlicher Einkommen verwirklicht, weiterh i n intertemporär zwischen verschiedenen Generationen nach dem Grundsatz, daß der Sozialaufwand aus dem Volkseinkommen der laufenden Periode gedeckt werden müsse, und schließlich interorganisatorisch zwischen verschiedenen Versicherungsträgern 89 . Eine Solidargemeinschaft — so entschied das Bundesverfassungsgericht bei der Übernahme der Bergbau-Altlasten — bestehe zwischen den Unternehmern. Dem Gesetzgeber sei es i m Hinblick auf die dem Unfallversicherungswesen eigene Solidarität der Unternehmer nicht verwehrt, die wirtschaftliche Stützung eines Gewerbezweiges durch eine Umverteilung innerhalb der Berufsgenossenschaften herbeizuführen 90 . Zwischen Arbeitern und Angestellten 9 1 wurde ebenfalls eine Solidargemeinschaft angenommen, ebenso zwischen den noch Berufstätigen und den Rentnern hinsichtlich der Krankenversicherung 92 . Die sachliche Berechtigung der Belastung 88 87 88 89 90 91 92

Isensee, Ebd., S. Ebd., S. Ebd., S. BVerfG BVerfG BVerfG

S. 13. 14. 15. 18. 19, S. 12, 24. 14, S. 288. 13, S. 21, 22, 29.

4. B i l d u n g von Solidargemeinschaften als methodisches Problem

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der Arbeitgeber m i t den Lasten der Kindergeldleistung bestehe i n der Fürsorgepflicht der Arbeitgeber für die Arbeitnehmer 9 3 ; es herrsche hierbei der Grundsatz sozialen Ausgleichs, nicht der der Abgeltung eines individuellen Vorteils 9 4 . „Die Solidarität der Gesamtwirtschaft, nicht einzelner Berufszweige" rechtfertige die Belastungen der gewerblichen Familienausgleichskassen zugunsten der landwirtschaftlichen 95 . 4. Die Bildung von Solidargemeinschaften als methodisches Problem Nach diesen Beispielen aus der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts soll nun die Aufmerksamkeit darauf gelenkt werden, wie diese Solidargemeinschaften Zustandekommen. Diese Hinweise sollen zeigen, daß die Frage der Gruppenbildung ein spezifisch methodisches Problem ist, das wegen seiner großen Tragweite eine ausführliche Erörterung i n der folgenden Untersuchung erfahren soll. Der Gesetzgeber umschreibe den Mitgliederkreis der Gruppe und knüpfe an vorgegebene Strukturen der Rechtswirklichkeit an 9 6 , nämlich an die gesellschaftliche Homogenität einer Bevölkerungsgruppe. Diese Gruppenhomogenität könne etwa aus der Zugehörigkeit zur selben Berufsart, aus der Tätigkeit i m selben Wirtschaftssektor oder aus der Beziehung zwischen A r beitnehmern und Arbeitgebern erwachsen. Gemeinsame soziale Interessen könnten Personen als Gruppe verbinden 9 7 . A n einem Testfall, dem Reformmodell der studentischen Krankenversicherung, untersucht Isensee, ob eine Solidargemeinschaft zwischen den förderungsbedürftigen Studenten und den bisherigen Pflichtmitgliedern der gesetzlichen Krankenversicherung anzunehmen ist. Mehr als das Ergebnis — Isensee lehnt eine Solidargemeinschaft ab — soll hier die Methode interessieren, mit der vorgegangen wird. Für eine Solidargemeinschaft verlangt Isensee einen gemeinsamen Nenner, hier eine wesentliche Gemeinsamkeit zwischen den Studenten und den sonstigen Pflichtmitgliedern, die die finanzielle Zwangspatenschaft für die zu keinem kostendeckenden Beitrag fähigen Studenten übernehmen müssen 98 . Das den Pflichtmitgliedern Gemeinsame sei die Teilnahme am Erwerbsleben, und diese Gemeinsamkeit teilten die Studenten nicht. Hier liege der Ünterschied, der die Studenten ausschließe. Auch vom Lehrling, der zur Solidargemeinschaft gehöre und ihr Nutznießer sei, unterscheide sich der Student. Bei normalem beruflichem Werdegang werde der Lehrling in den Kreis der Pflicht93 94 95 96 97 98

B V e r f G 11, S. 116. B V e r f G 11, S. 117. B V e r f G 11, S. 105,121. Isensee, S. 18. Ebd., S. 18, m i t weiteren Literaturnachweisen. Ebd., S. 24.

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I. Die Frage der Verfassungsmäßigkeit von Sonderabgaben

mitglieder eingereiht, was vom Studenten nicht gesagt werden könne". I n diesem Beispiel w i r d die Zugehörigkeit der Studenten zur Solidargemeinschaft verneint, da der Solidaritätsgedanke entwertet und durch den Ausgleichsmechanismus eine A r t legalisiertes Nassauertum ermöglicht würde 1 0 0 . Bedenkt man zudem, daß Unternehmer unterschiedlicher Branchen aufgrund der Gemeinsamkeit, Unternehmer zu sein, m i t Hinweis auf den Solidaritätsgedanken zu Lasten herangezogen wurden, daß weiterhin die Belastung für das Kindergeld durch keinerlei Gemeinsamkeit zwischen Unternehmern und Kindergeldbeziehern gedeckt ist, dann erscheint es fragwürdig, Sonderbelastungen mit dem Solidaritätsgedanken zu rechtfertigen. Was für die methodische Betrachtung zunächst festgehalten werden muß, sind die Erwägungen, die zur Anerkennung oder Ablehnung einer Solidargemeinschaft führen. Es werden Gemeinsamkeiten und Unterschiede genannt. Für die Zugehörigkeit zu der Solidargemeinschaft w i r d das Gemeinsame der zu verbindenden Personen herangezogen. W i r d die Zugehörigkeit verneint, so werden die Unterschiede hervorgehoben. Nicht i m Erwerbsleben zu stehen, ist für Isensee der ausschlaggebende Unterschied für die Ablehnung der Solidargemeinschaft zwischen Studenten und Pflichtmitgliedern. Für die Solidargemeinschaft der Unternehmer ist die Eigenschaft, Unternehmer zu sein, vom Bundesverfassungsgericht als maßgebend angesehen worden, während die Unterschiede, zu verschiedenen Branchen zu gehören und verschiedene Grade von Unfallrisiken zu haben, unbeachtet geblieben sind. Es drängt sich die Frage nach dem K r i t e r i u m auf, nach dem einmal auf Gemeinsamkeiten, ein andermal auf Unterschiede abgestellt und daraufhin eine Solidargemeinschaft angenommen oder abgelehnt wird. Gemeinsamkeiten, wie etwa der gemeinsame Wirtschaftssektor, die gemeinsame Berufsart oder gemeinsame soziale Interessen sollen die Solidargemeinschaft und die Sonderbelastungen begründen 101 . Fraglich ist nun, ob es überhaupt möglich ist, daß Gemeinsamkeiten zwischen Personengruppen eine Sonderbelastung rechtfertigen können, was auch immer darunter zu verstehen ist. Bisher ist die Frage nicht behandelt worden, ob Gemeinsamkeiten zwischen Personengruppen nicht i n jedem Falle behauptet werden können. Es muß also die Frage gestellt werden, ob nicht jede beliebige Personengruppe mit jeder anderen immer etwas gemeinsam hat, wobei die Betonung darauf liegen soll, ob nicht i n jedem Fall sich eine Gemeinsamkeit aufweisen läßt. Wäre das der Fall, ließe sich also immer ein gemeinsamer Nenner angeben, dann könnte mit dem K r i t e r i u m der Gemeinsamkeit, das dem der Solidargemeinschaft zugrunde liegt, nie99

Ebd., S. 24. Ebd., S. 26. 101 Ebd., S. 18. 100

4. B i l d u n g von Solidargemeinschaften als methodisches P r o b l e m 2 9

mais eine Solidarbeziehung verneint werden. Das K r i t e r i u m der Solidargemeinschaft würde i n jedem Fall eine Begründung liefern und damit als Abgrenzungskriterium unbrauchbar. Das hier angeschnittene Problem der Gruppenbildung kommt i n der übereinstimmend erhobenen Forderung zum Ausdruck, welche Eigenschaft das K r i t e r i u m — solle es die Gruppenbelastung als Ausnahme von der steuerlichen Belastung der Allgemeinheit rechtfertigen können — auf keinen Fall haben dürfe. Es dürfte nicht „machbar" 1 0 2 , nicht „manipulierbar" 1 0 3 sein, wie auch immer i m einzelnen das Kriterium zur Legitimation der Gruppenbelastung verstanden wird. Was mit „machbar" und „manipulierbar" gemeint sein soll, erschließt sich durch die Betrachtung des Gegenteils. Es müsse, so w i r d betont, „vorgegeben" sein. Dieser Gegensatz zwischen „machbar" einerseits und „vorgegeben" andererseits findet sich i n den entsprechenden Stellungnahmen unterschiedlich ausgedrückt. Zur Wahrung des grundlegenden Prinzips der staatsbürgerlichen Lastengleichheit müsse die Zusatzbelastung durch einen Zurechnungsgrund gerechtfertigt werden. Die spezifische Verantwortlichkeit müsse aus der Sache selbst heraus ableitbar sein. Der Gesetzgeber könne sie — da andernfalls das Prinzip der Lastengleichheit praktisch zu seiner w i l l kürlichen Disposition stünde — nicht künstlich schaffen. Ohne vorgegebene Sachbeziehung — und das soll hier betont werden — könnten unterschiedliche Interessen nicht zu einem Lastenverband zusammengeschlossen und könnte ein Solidarausgleich innerhalb des so geschaffenen Verbandes nicht angeordnet werden 1 0 4 . Das Essentiale einer legitimen außersteuerlichen Sonderabgabe sei die Sachnähe zwischen Abgabepflicht u n d der zu finanzierenden Maßnahme. Die belastete Gruppe müsse dem finanzierten Zweck näherstehen als andere Gruppen oder die Gesamtheit der Steuerzahler. Diese Sachnähe dürfe kein durch den Gesetzgeber jederzeit „machbares" K r i t e r i u m sein 1 0 5 . Ausgleichsprinzip und Sachnähe dürften nicht vom Gesetzgeber beliebig manipulierbar sein, es müse vielmehr an vorgegebene Strukturen der Rechtswirklichkeit angeknüpft werden 1 0 6 . I n diesem Zusammenhang ist von der wesenseigenen Verknüpfung von Belastung und Vergünstigung die Rede, die zu Recht als ein machbares K r i t e r i u m verdächtigt w i r d 1 0 7 , ohne daß ausdrücklich erklärt oder untersucht wird, ob nun diese Verknüpfung machbar oder vorgegeben ist. Differenzierungsgesichtspunkte für die Fest102

Selmer, S. 199, 370, 371; Friauf, öffentliche Sonderlasten, S. 55. Isensee, S. 21. 104 friauf, öffentliche Sonderlasten, S. 50.

103

105 108 107

Ebd., S. 54, 56. Ebd., S. 55. Selmer, S. 199.

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I. Die Frage der Verfassungsmäßigkeit von Sonderabgaben

Schreibung des Kreises der Hilfeleistungspflichtigen müßten auf der Eigenart des Sachverhaltes gründen 1 0 8 . I m Anschluß an die Ausführungen des Bundesverfassungsgerichts zur Solidarlast der Arbeitgeber zugunsten der Familienausgleichskassen, wo eine „sachgerechte Verknüpfung zwischen den Begünstigungen und den Belastungen" gefordert wird, führt Isensee aus, daß dem Gericht organisatorische Zusammenhänge nicht zur Legitimation genügten. Die Organisationsform präjudiziere die Sonderlast nicht. Damit sei aber auch gesagt, daß die Beteiligung an einem Lastenverband — sei es als Ausgleichsempfänger, sei es als Ausgleichsgeber — nicht manipulierbar sei und der Gesetzgeber nicht beliebig irgendwelche Personen m i t der Mitgliedschaft „beglücken" dürfe 1 0 9 . Wäre die Solidarität nicht i n einer realen Interessengemeinschaft angelegt, bliebe es unverständlich, weshalb soziale Lasten eines Personenkreises auf einen Teil der Bevölkerung, nicht aber auf die Allgemeinheit umgelegt werden 1 1 0 . Der Sozialversicherungs-Gesetzgeber könne den Solidarausgleich nur unter solchen Personen aktivieren, unter denen Solidarität bereits als Vorgegebenheit der Hechtswirklichkeit angelegt sei 1 1 1 . Dem Gleichheitssatz des A r t . 3 Abs. 1 GG werde nicht Genüge getan, wenn der Gesetzgeber Förderungsbedürftige mit Leistungsfähigen zu Lastengemeinschaften zusammenpferche und durch innerkorporative Einstandspflichten sich eigener Pflichten entledige. Der korporative Zusammenschluß rechtfertige nicht die Sonderlast, er bedürfe selber der Rechtfertigung. Es liege nicht i n der Macht des Gesetzgebers, beliebige Gruppen der Gesellschaft zu wechselseitiger Solidarität zu verpflichten. Die Einführung einer gesetzlichen Gruppensolidarität setze Gruppenhomogenität voraus 1 1 2 . I n all diesen Zitaten kommt die gemeinsame Sorge zum Ausdruck, der Gesetzgeber könne einzelne Gruppen beliebig zu finanziellen Lasten heranziehen, um dadurch öffentliche M i t t e l einzusparen. Diese A r t staatlicher Finanzierung w i r d i m Widerspruch zur Fundamentalentscheidung der Verfassung für den Steuerstaat und der damit verbundenen Gewährleistung der Gleichheit der Staatsbürger als Steuerzahler gesehen 113 . Diese Sorge ist unter all den Gesichtspunkten berechtigt, die sich unter dem Stichwort des Minderheitenschutzes zusammenfassen lassen 114 . Zu Recht w i r d diese Frage als ein Gleichheitsproblem behandelt 1 1 5 . Beden109

Ebd., S. 370. Isensee, S. 21. 110 Ebd., S. 20. 111 Ebd., S. 49. 112 Ebd., S. 63. 115 Friauf, öffentliche Sonderlasten, S. 55; Leisner, Sozialbindung des Eigentums, S. 231. 114 Leisner, Sozialbindung des Eigentums, S. 230. 115 Friauf, öffentliche Sonderlasten, S. 47. 100

4. B i l d u n g von Solidargemeinschaften als methodisches P r o b l e m 3 1

ken sind gegen die Hoffnung anzumelden, der Gesetzgeber könne durch die Forderung, nur vorgegebene Gruppen zu einem Lasten verband zusammenzuschließen, daran gehindert werden, Lastenverbände aus beliebigen Gruppen zu schaffen. M i t der Forderung, Kriterien zur Rechtfertigung von Sonderbelastungen, wie Sachnähe oder Solidargemeinschaft, dürften nicht machbar, sondern müßten vorgegeben sein, ist die Frage noch nicht beantwortet, ob Solidargemeinschaften überhaupt machbar oder vorgegeben sind. Ohne diese Frage gestellt zu haben, w i r d nämlich stillschweigend vorausgesetzt, es könne überhaupt vorgegebene, nichtmachbare Gruppen geben. Zu erinnern ist daran, wie Solidargemeinschaften überprüft und gekennzeichnet werden. Es werden Gemeinsamkeiten zwischen den Belasteten und den Begünstigten aufgezeigt, die beide Untergruppen zur Solidargemeinschaft, dem Lastenverband, verbinden. Es läßt sich nun die These aufstellen, jede Gruppe habe mit einer anderen immer irgendeine Gemeinsamkeit, etwas, das beide ansonsten unterschiedliche Gruppen verbindet. Sollte i n jedem Fall ein gemeinsamer Nenner, auch wenn er noch so klein ist, zu behaupten sein, dann ließen sich immer Gruppen als Lastenverbände bilden, sie wären machbar. Eine ganz andere und davon zu trennende Frage ist die, ob die mittels einer Gemeinsamkeit hergestellten Beziehungen zwischen Belasteten und Begünstigten allgemein einleuchtend sind. I n der Regel, so läßt sich die Prognose stellen, w i r d die behauptete Beziehung zur Rechtfertigung einer Sonderlast dem Belasteten nicht einleuchten. Es ist an die Beziehung zwischen den mit dem Kindergeld belasteten A r beitgebern und den Begünstigten zu erinnern. Die Unternehmer leugneten eine Beziehung zu dem Kinderreichtum der Arbeitnehmer; sie könnten hierfür kein Risiko i m üblichen Sinne der Sozialversicherung tragen 1 1 6 , während i m Gegensatz dazu das BVerfG diese Verknüpfung zwischen Begünstigung und Belastung als „sachgerecht" bezeichnete 117 . Damit soll gezeigt werden, daß zwischen den beiden Gesichtspunkten ,ob Beziehungen zwischen Gruppen vorgegeben oder ob sie einleuchtend sind, zu unterscheiden ist. Das Problem, das für die weitere Untersuchung abkürzend als Problem der Gruppenbildung bezeichnet werden soll, läßt sich auf die Frage reduzieren, ob Gruppen vorgegeben sind, an die der Gesetzgeber anknüpfen kann, oder ob Gruppen beliebig machbar sind. Es handelt sich hierbei u m ein allgemeines methodisches Problem der B i l dung von Klassen und der Beziehungen dieser Klassen zu ihren Elementen. Hier werden Personen zu Gruppen zusammengefaßt. Die Bildung von Klassen, soweit läßt sich schon vorgreifen, ist abhängig von Standpunkten, und der eingenommene Standpunkt entscheidet darüber, welche Klassifizierung vorgenommen wird. Die Behauptung von Gemeinsamkei11β 117

B V e r f G 11, S. 114. BVerfG 11, S. 115.

3 2 I .

Die Frage der Verfassungsmäßigkeit von Sonderabgaben

ten ist somit standpunktabhängig. Klassen zu bilden bedeutet, Entscheidungen zu treffen, nicht aber Vorgegebenes zu erkennen. Anzeichen der Unsicherheit i n dieser Frage lassen sich i n folgendem beobachten: einerseits ist davon die Rede, daß der Staat Rechtsverhältnisse stifte, die nicht a priori vorhanden seien, indem der Gesetzgeber Strukturen der einzelnen Organisationen und ihren Mitgliederkreis bestimme — was also für die Machbarkeit der Gruppierungen spricht; andererseits aber heißt es, der Gesetzgeber müsse an vorgegebene Strukturen der Rechts Wirklichkeit anknüpfen 1 1 8 . Unumgänglich ist demnach die Frage, was nun gelte: die Machbarkeit von Gruppen, abgesehen von der Plausibilität, oder deren Vorgegebenheit. Festzuhalten ist insgesamt für das Problem der Gruppenbildung, daß dem Gesetzgeber Schranken gezogen werden sollen, indem man ihn auf vorgegebene Gruppen beschränken will. Offen ist dabei, ob diese Bindung möglich ist, ob nicht mangels vorgegebener Gruppen, die sich als grundsätzlich machbar herausstellen könnten, eine solche Bindung unmöglich ist. Wovon die Gruppenbildung abhängt, bleibt zu untersuchen. 5. Die Forderung nach einer Grundlage in der Verfassung für Sonderabgaben oder das Begründungsdefizit der Rechtsprechung Nachdem die Sonderabgaben repräsentativ vorgestellt wurden und das Problem der Gruppenbildung dargelegt worden ist, soll auf den Schwerpunkt dieser Untersuchung eingegangen werden. Untersucht werden soll, wie die Frage der Verfassungsmäßigkeit von Sonderabgabengesetzen gestellt und beantwortet wird. Es w i r d also nicht auf Einzelfragen zu den Sonder abgaben eingegangen 119 und auch keine Antwort auf die Frage der Verfassungsmäßigkeit der einzelnen Sonderabgaben gegeben, sondern hauptsächlich soll die Fragestellung nach der Verfassungsmäßigkeit als methodisches Problem erörtert werden. Folgende Überlegungen sollen die Einsicht i n die Notwendigkeit einer solchen Untersuchung wecken und gleichzeitig den Gedankengang nachzeichnen, der für die methodische Problembehandlung Anlaß war. Die Belastung durch Sonderabgaben w i r d von Friauf i n jüngster Zeit als die Ausnahme von einem Grundsatz gekennzeichnet, nach dem die Finanzierung aller öffentlichen Aufgaben aus dem Staatshaushalt zu erfolgen hätte 1 2 0 . Die Rechtsprechung erkenne die grundsätzliche Zulässigkeit der Erhebung von Sonderabgaben als eine wirtschafts- oder 118

Friauf, öffentliche Sonderlasten, S. 55; Isensee, S. 18. Diese sind zuletzt ausführlich von Strauß behandelt worden. Die Ausgaben der Ausgleichseinrichtungen 1971. 120 Friauf, öffentliche Sonderlasten, S. 50. 119

5. Das Begründungsdefizit der Rechtsprechung

33

sozialrechtliche Inpflichtnahme eines begrenzten Personenkreises außerhalb des Steuerrechts i n zahlreichen Entscheidungen an, argumentiere dabei aber stark fallbezogen und habe bisher eine grundsätzliche Auseinandersetzung mit der Zulässigkeit und den Grenzen der außersteuerrechtlichen Abgabenerhebung vermieden 1 2 1 . Eine umfassende dogmatische Untersuchung stehe noch aus. Die Sonderabgaben stellen also die Ausnahme i n der Finanzierung öffentlicher Aufgaben dar. Ihre Zulässigkeit müsse sich eindeutig rechtfertigen lassen. Die Verantwortlichkeit müsse aus der Sache selbst abzuleiten sein. Der Zusammenschluß zu einem Lastenverband müsse als solcher gerechtfertigt werden 1 2 2 . Zutreffend w i r d das Schema der Argumentation des Bundesverfassungsgerichts 123 dahingehend zusammengefaßt, daß zunächst festgestellt werde, die zu beurteilende Abgabe sei keine Steuer, da sie nicht zur Erzielung von Einkünften für den öffentlichen Haushalt diene 1 2 4 . Nachdem der Steuercharakter verneint sei, werde meist die Kompetenz auf A r t . 74 Nr. 11 GG statt auf Art. 105 GG gestützt. Damit werde die Frage der Zulässigkeit der Sonderabgaben auf eine problemlose Ebene verdrängt, da man sich einig sei, daß die allgemeine Gesetzgebungszuständigkeit auch Abgabengesetze trage 1 2 5 . Als gewichtiger w i r d die Frage des Verhältnisses der Sonderabgabepflichtigen zum Staat gesehen, über dessen Behandlung zu Recht Unzufriedenheit geäußert w i r d 1 2 6 . Dieses Bürger-Staat-Verhältnis w i r d von dem seit dem Investitionshilfe-Urteil des Bundesverfassungsgerichts 127 vertretenen Grundsatz bestimmt, daß Art. 14 GG nicht das Vermögen gegen Auferlegung von Geldleistungspflichten schütze 128 . Diese Theorie sei einerseits ständige Rechtsprechung, andererseits von der Literatur als unhaltbar erwiesen worden 1 2 9 . Würde diese Rechtsprechung aufgegeben, dann würde das „Begründungsdefizit" offengelegt, unter dem die Rechtsprechung zu den 'außensteuerlichen Abgaben leide. Das Grundgesetz setze einen ungeschriebenen Verfassungsvorbehalt voraus, der i n A r t . 105 f. GG anklinge, rechtfertige aber nicht die Belastung des Bürgers m i t Abgaben ohne Steuerqualität. Wörtlich meint Friauf schließlich: „Des121

Ebd., S. 51. Ebd., S. 50. 123 B V e r f G 29, S. 402, 408 f.; B V e r f G 18, S. 315.

122

124

Friauf, öffentliche Sonderlasten, S. 52. Ebd., S. 52; eingehend zu Kompetenzfragen und den Mißbrauchsmöglichkeiten Brodersen, S. 114. ΐ2β Friauf, öffentliche Sonderlasten, S. 52. 125

127 BVerfG 4, S. 7 (17); Leibholz/Rinck, Bd. Nr. 7 zu A r t . 14 m i t weiteren Nachweisen aus der Rechtsprechung. 128 Friauf, öffentliche Sonderlasten, S. 52; Pestalozza, Der Garantiegehalt der Kompetenznorm, Der Staat 1972, S. 177. is® Friauf, öffentliche Sonderlasten, S. 52.

3 Hack

34

I. Die Frage der Verfassungsmäßigkeit von Sonderabgaben

halb müßte die Zulässigkeit einer solchen Abgabe jeweils besonders begründet werden 1 8 0 ." A n dieser Stelle nun ist die Notwendigkeit einer methodischen Behandlung des Themas zu betonen. Friauf s Forderung nach der Begründung von Sonderabgabengesetzen veranlaßt die Frage, wie ein Gesetz überhaupt zu begründen sei. Die Forderung und die Bereitschaft, die Sonderabgabengesetze zu begründen, hilft solange nicht weiter, als nicht geklärt ist, wie die Begründung von Gesetzen überhaupt zu bewerkstelligen ist. Auch Mußgnug formuliert das verfassungsrechtliche Grundproblem der Sonderabgaben i n der Frage, ob es angehe, statt der Gesamtheit der Steuerzahler einzelnen Gruppen die Kostenlast bestimmter öffentlicher Aufgaben aufzuerlegen, ohne daß ein zureichender Grund es rechtfert i g t 1 8 1 . Von dem Rechtsprechungsgrundsatz, die Eigentumsgarantie schütze das Vermögen nicht gegen die Auferlegung von Geldleistungspflichten, w i r d ebenfalls gesagt, es handele sich um eine „an keiner Stelle auch nur ansatzweise begründete Theorie" 1 8 2 . Was heißt es, so muß man auch hier fragen, eine Sonderlast zu begründen oder zu rechtfertigen 1 8 8 . Es handelt sich um methodische Fragen, wenn es darum geht, wie ein Gesetz zu rechtfertigen, zu begründen oder zu legitimieren ist. Bevor also nicht klar ist, was unter der Begründung, Rechtfertigimg oder Legitimation eines Gesetzes zu verstehen ist, kann ein Gesetz nicht begründet werden. Ausdrückliche Ausführungen zur Frage, wie eine solche Begründung methodisch auszusehen habe, sind i m Problembereich der Sonderabgaben nicht auszumachen. Es werden Argumente zwar benutzt, aber nicht zu Gegenständen einer eigenen Erörterung gemacht. Diese Frage nach der Methode der Begründung läßt sich nur durch eine Untersuchung beantworten, wie man i n der Argumentationspraxis üblicherweise ein Gesetz begründet oder rechtfertigt. Es muß beobachtet werden, i n welchem Zusammenhang von Begründen und Rechtfertigen gesprochen wird. 6. Die Begründung durch einen Verfassungsvorbehalt E i n ungeschriebener Verfassungsvorbehalt oder Steuervorbehalt trage die grundsätzliche Legitimation des steuerlichen Eingriffs in den Schutzbereich der Eigentumsgarantie, rechtfertige allerdings nicht die Sonderabgaben 184 . E i n Gesetz also glaubt man durch einen Verfassungsvorbehalt begründen zu können. Diese Feststellung wiederum veranlaßt die 180 181 182 188 184

Ebd., S. 53. Mußgnug, S. 269. Friauf, öffentliche Sonderlasten, S. 52. Isensee, S. 62. Friauf, öffentliche Sonderlasten, S. 53.

6. Die Begründung durch einen Verfassungsvorbehalt

35

Frage, was unter einem solchen Verfassungsvorbehält zu verstehen ist. Es wurde i m Zusammenhang m i t der Verfassungsmäßigkeit der Sonderabgaben die Frage gestellt, ob Abgabegesetze sich auf eine Ermächtigungsgrundlage i n der Verfassung stützen müssen 135 . Gäbe es einen derartigen „Vorbehalt der Verfassung" beim Erlaß von Abgabegesetzen, so müßte die Ermächtigung zur Erhebung einer bestimmten Abgabe jeweils positiv nachgewiesen werden 1 3 6 . Eine solche Ermächtigung zur Erhebung des Konjunkturzuschlages wurde ζ. B. nach A r t . 20 Abs. 1 GG aus dem Begriff der Staatlichkeit abgeleitet. Für die Zulässigkeit des Konjunkturzuschlages genüge es nicht, daß er durch A r t . 105-108 GG nicht ausgeschlossen sei; die Zulässigkeit könne sich nicht negativ aus dem bloßen Fehlen einer Hinderungsnorm, sondern nur positiv aus einer verfassungsrechtlichen Zulassung ergeben. Als Grundlage verfassungsrechtlicher Zulassung sei A r t . 20 Abs. 1 GG i n Betracht zu ziehen. Aus A r t . 20 Abs. 1 GG ergebe sich, daß der Bundesrepublik die Erbringung all der Leistungen obliege, die dem Begriff der Staatlichkeit zugeordnet seien. Der „Begriff des Staates" umfasse funktionell die Leistung allgemeiner Kollektivgüter, insbesondere des allgemeinen Kollektivgutes der öffentlichen Ordnung. Zur öffentlichen Ordnung gehöre auch die Stabilität der Wirtschaft, die der Staat zu sichern habe. Diese Pflicht ergebe sich generell aus dem Grundsatz der Staatlichkeit, nicht aber aus A r t . 109 Abs. 2 GG. Das verfassungsrechtliche Gebot der Sicherung einer stabilen Wirtschaftsordnung impliziere die Ermächtigung zu allen Maßnahmen, die der Erreichung dieses Zieles dienten. Die Ermächtigung umfasse alle geeigneten Maßnahmen 1 3 7 . Hervorzuheben ist, daß Krause-Ablaß den Konjunkturzuschlag aus dem Begriff der Staatlichkeit herzuleiten versucht. Es erscheint problematisch aus methodischer Sicht, ein konkretes Gesetz, wie den K o n j u n k t u r zuschlag, aus einem abstrakten Begriff, wie dem der Staatlichkeit, gewinnen zu wollen. Schon lange vorher hat Ipsen die Ansicht vertreten, das Investitionshilfegesetz sei Ausdruck einer Wirtschaftspolitik, „die — um verfassungsrechtliche gänzlich unbeanstandet stattfinden zu dürfen — irgendeiner verfassungsmäßigen Grundlage bedürfte 1 3 8 ". Ebenso macht Forsthaff die Vereinbarkeit des Investitionshilfegesetzes mit der Verfassung davon abhängig, ob das Grundgesetz eine Pflicht vorsehe, nach der der eine für den anderen einzustehen habe. Die Sozialpflichtigkeit des einzelnen und seines Eigentums gelte gegenüber den Interessen und Bedürfnissen der Allgemeinheit. Das Grundgesetz habe aber nicht vorgesehen, daß jeder Teil des von ihm umfaßten Sozialorganismus für jeden anderen Teil unmittelbar einzustehen habe. Weiter führt Forst185 186 187 188



Meessen, S. 928, ausdrücklich m i t Hinweis auf Krause-Ablaß, 711. Meessen, S. 928. So fast w ö r t l i c h Krause-Ablaß, S. 711, 712. Ipsen, Rechtsfragen der Investitionshilfe, AöR 78,1952/53, S. 309.

3 6 I .

Die Frage der Verfassungsmäßigkeit von Sonderabgaben

hoff aus, die Investitionshilfe erzwinge das unmittelbare Einstehen des gebenden für den nehmenden Teil der gewerblichen Wirtschaft. Dazu gebe die Verfassung keine Handhabe. Das Grundgesetz habe die Voraussetzungen, unter den jemand gezwungen werden könne, zugunsten eines Dritten zu leisten, m i t der Enteignung nach A r t . 14 I I I GG abschließendgeregelt. Vermögenseingriffe, wie sie die Investitionshilfe darstelle, sind nach Forsthoffs Ansicht 'allerdings nicht als Enteignungen zu verstehen. Auch sei die hoheitliche Aufbringung von M i t t e l n für die Zwecke eines Zwangskredits (des gebenden an den nehmenden Teil der Wirtschaft) i n der abschließenden Aufzählung der finanzpolitischen Befugnis des Bundes i n A r t . 105 ff. GG nicht vorgesehen 139 . Auch bei Isensee ist die Begründungsargumentation zu beobachten, wenn er grundsätzlich i n Erwägung zieht, aus der Sozialstaatsklausel könne sich eine konkrete Einrichtungsgewährleistung folgern lassen. Er lehnt dies i m Ergebnis jedoch deshalb ab, weil die Sozialstaatsklausel zu abstrakt sei 1 4 0 . Die Begründung der Sozialversicherung sieht Isensee darin, daß aus dem abstrakten Begriff des Sozialstaates konkrete Gesetze zu „folgern" seien, was der begriffsjuristischen Methode entspricht 1 4 1 . Wie verwischt unverträgliche methodische Ansichten dicht nebeneinander stehen, zeigt sich, wenn Isensee dann zutreffenderweise grundsätzlich die Ansicht vertritt, die inhaltsarme Verfassungsformel „sozial" sei m i t sozialrechtlichem Gesetzesmaterial auszufüllen. Es ist zu Recht von der Rezeption der sozialrechtlichen Gehalte i n das Verfassungsrecht die Rede und von der Offenheit der Verfassung für unterschiedliche Lösungen 142 . Diese Autoren machen also die Verfassungsmäßigkeit von Sonderabgaben, wie etwa Investitionshilfe und Konjunkturzuschlag, davon abhängig, ob diese Gesetze sich positiv aus einer verfassungsrechtlichen Zulassung ergäben, ob eine derartige Geldleistungspflicht wie die Investitionshilfe zu den abschließend geregelten finanzhoheitlichen Befugnissen oder zu der i n A r t . 14 GG abschließend geregelten Leistungspflicht zugunsten eines Dritten gehöre oder, wie Forsthoff es noch allgemeiner formuliert, ob das Grundgesetz eine derartige Geldleistungspflicht vorsehe, oder — so Ipsen — ob irgendeine verfassungsrechtliche Grundlage gegeben sei. Eindeutig w i r d die Forderung nach einer verfassungsmäßigen Grundlage von Götz abgelehnt. Das Grundgesetz enthalte keine Bestimmung, die dem Gesetzgeber lenkende Eingriffe i n den Wirtschaftsm Forsthoff, Z u r verfassungsrechtlichen Problematik der Investitionshilfe, B B 53, S. 421, 422. 140 Isensee, S. 27, 28. 141 Allerdings müß hinzugefügt werden, daß i m gleichen Zusammenhang gefordert w i r d , die konkreten A u s w i r k u n g e n müßten dargestellt werden, was wiederum einer teleologischen Argumentationsweise entspricht. 142 Isensee, S. 28.

6. Die Begründung durch einen Verfassungsvorbehalt

37

ablauf grundsätzlich verbiete. Daraus folge die generelle Möglichkeit, wirtschaftsverhaltungsrechtliche Ausgleichsabgaben gesetzlich einzuführen 1 4 3 . Scheuner betont, sich dieser Ansicht von Götz anschließend, daß die Gestaltungsfreiheit des Gesetzgebers Belastungen finanzieller A r t für Ziele der wirtschaftlichen Ordnung und Lenkung ermögliche. Die Rechtsprechung habe i m wesentlichen Regelungen i m Auge, die dem wirtschaftlichen Ausgleich innerhalb von Gruppen betrafen, die i n einer Wechselbeziehung von Begünstigung und Belastung stünden 1 4 4 . Uber diese Gruppen hinaus könnten für Ziele der wirtschaftlichen Ordnung und Lenkung auch Belastungen finanzieller A r t auferlegt werden, die keiner besonderen verfassungsrechtlichen Grundlage bedürften, sondern der Gestaltungsfreiheit des Gesetzgebers entsprängen 145 . A u f die Rechtsprechung zur Investitionshilfe und zum Konjunkturzuschlag bezugnehmend, spricht Scheuner von einer gefestigten Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts zur Frage der verfassungsrechtlichen Grundlage. Mehrfach habe das BVerfG ausgesprochen 146 , daß der Bund nach A r t . 74 Nr. 11 GG auch Gesetze erlassen könne, die ordnend und lenkend i n das Wirtschaftsleben eingreifen, und daß er i n diesem Zusammenhang auch Geldleistungen auferlegen könne. Das gelte nicht nur innerhalb bestimmter wirtschaftlicher Gruppen verwandter Betriebe und Produktionsstätten, wie etwa Mühlen und Molkereien, sondern auch für Maßnahmen, die eine gesamtwirtschaftliche Lenkungsfunktion erfüllen 1 4 7 . Soweit die allgemeine Ermächtigung des Gesetzgebers zu solchen Maßnahmen außer Frage stehe, stehe auch die überbetriebliche Ertragsbeteiligung zu Lasten der Arbeitgeber und zugunsten der Arbeitnehmer außer Frage 1 4 8 . Deutlich w i r d von Scheuner die Gestaltungsfreiheit des Gesetzgebers m i t der Forderung nach einem Verfassungsvorbehalt i n Beziehung gesetzt 149 . Die Gestaltungsfreiheit des Gesetzgebers einerseits und die unumstrittene Bindung des Gesetzgebers an die Verfassung andererseits stehen i n einem Spannungsverhältnis. Es soll deshalb i m folgenden der Frage nachgegangen werden, inwieweit durch eine Verfassung m i t der Eigenschaft, i n einer sprachlichen Form als Text zu existieren, die Gestaltungsfreiheit des Gesetzgebers eingeschränkt werden kann. Es soll die Beziehung des Gesetzgebers zu einem Text untersucht werden, von dem gefordert wird, daß er diesen Gesetzgeber binde. Es geht um die Frage, ob und inwieweit die Verfassung Maßstab sein kann. 148 144 145 148 147 148 149

Götz, S. 219. Scheuner, S. 25, m i t Hinweis auf B V e r f G 18, S.315, 329. Ebd., S. 25. B V e r f G 4, S. 7,13; 8, S. 274, 317; 18, S. 315, 329. Scheuner, S. 25. Ebd., S. 26. Ebd., S. 25.

3 8 I .

Die Frage d r Verfassungsmäßigkeit von Sonderabgaben

Meessen verneint i n seiner Stellungnahme zwar zunächst die Not* wendigkeit eines Verfassungsvorbehalts ausdrücklich, diskutiert aber trotzdem verschiedene Verfassungs vorbehalte u n d stellt fest, ein ungeschriebener Verfassungsvorbehalt, aufgrund dessen nach einer verbreiteten Meinung die Auferlegung von Geldleistungspflichten gestattet sei, komme für Sonderabgaben nicht i n Frage. Er beruft sich vielmehr auf den „Begriff der Sozialpflichtigkeit", der „gegenüber neuartigen Abgabenreformen grundsätzlich offen sei", offener als der ungeschriebene Verfassungsvorbehalt 150 . Diese Argumentation erscheint widersprüchlich. Wenn grundsätzlich ein Verfassungs vorbehält nicht für nötig gehalten wird, trotzdem aber Verf asungsvorbehalte dann diskutiert werden und die Sozialpflichtigkeit als Verfassungsvorbehalt statt eines ungeschriebenen Verfassungsvorbehalts angesehen w i r d 1 5 1 , so offenbaren sich hier Unsicherheiten bezüglich der Frage, was überhaupt unter einem Verfassungsvorbehalt zu verstehen ist, welche Funktion er erfüllt. K l a r heit bringt auch nicht der Hinweis, es sei nur ein Vorrang der Verfassung anzunehmen und die materiell-rechtlichen Schranken der Verfassung seien zu beachten 152 . Von Interesse ist für die Aufklärung dieser Unsicherheit i n der Frage, was unter einem Verfasungsvorbehalt verstanden werden kann, die A r t der Beziehung, i n der Sonderabgabengesetze und die Sozialpflichtigkeit gesehen werden. Verstanden w i r d „die Auferlegung einer Sonderabgabe als Konkretisierung der Sozialpflichtigkeit des Vermögens" 1 5 3 . Für die Verfassungsmäßigkeit der Sonderabgaben sei entscheidend, ob sie eine als Konkretisierung der Sozialpflichtigkeit oder als eine Verletzung des Wesensgehalts von A r t . 14 GG anzusehen seien 154 . Unklar ist hierbei, was es heißen soll, ein Gesetz sei die Konkretisierung der Sozialpflichtigkeit. Die Sozialpflichtigkeit ist zunächst nur ein Begriff, ein sprachlicher Ausdruck. Die Verfassungsmäßigkeit eines Sonderabgabengesetzes würde demnach davon abhängen, ob es sich als die Konkretisierung eines Begriffes darstellt. Unklar ist ebenfalls, was unter dem Wesensgehalt des A r t . 14 GG zu verstehen ist; auf konkrete Fragen nach der zulässigen Höhe, dem Kreis der Beteiligten, dem Abgabezweck, der Organisationsform einer Abgabe läßt sich auf diese Weise nichts gewinnen. V o n Mußgnug w i r d erwogen, öffentliche Abgaben zum Zwecke der Rechtfertigung und Legitimation unter den Begriff des Gemeinwohls zu subsumieren. Dazu sei der Begriff des Gemeinwohls allerdings zu vage 1 5 5 . 150

Meessen, S. 928. Ebd., S. 931. 152 Ebd., S. 928 m i t Hinweis auf Hesse, Grundzüge des Verfassungsrechts der Bundesrepublik Deutschland, S. 81. 153 Ebd., S. 931. Ebd., S. 931. 155 Mußgnug, S. 277. 151

6. Die Begründung durch einen Verfassungsvorbehalt

39

Inzwischen läßt sich also festhalten, daß die so eindringlich geforderte Begründung, Rechtfertigung oder Legitimation eines Sonderabgabengesetzes, wie auch die eines Steuergesetzes, durch einen Verfassungsvorbehalt geleistet werden soll. Einen Verfassungsvorbehalt zu haben, bedeutet für ein Gesetz wie dem Konjunkturzuschlag, die Konkretisierung eines verfassungsrechtlich relevanten Begriffs darzustellen 156 . Dieses methodische Vorgehen ist durchgehend zu beobachten. Als Gegenstand der verfassungsrechtlichen Prüfung w i r d für den Konjunkturzuschlag die Suche nach einer verfassungsrechtlichen Grundlage angegeben 1 5 7 . I n Erwägung gezogen werden i n diesem Falle die das Steuerwesen regelnden A r t i k e l 105 -108 GG. Als weniger spezielle verfassungsrechtliche Grundlagen für das Konjunkturzuschlagsgesetz werden weiter die konkurrierende Gesetzgebung über das „Recht der W i r t schaft", A r t . 74 Nr. 11 GG, und die ausschließliche Gesetzgebung für das Währungswesen, A r t . 73 Nr. 4 GG, i n Betracht gezogen. Davon, ob eine solche verfassungsrechtliche Grundlage vorliege, hänge die verfassungsrechtliche Zulässigkeit ab 1 5 8 . Das Steuererhebungsverfahren nach A r t . 108 Abs. 5 GG w i r d als Grundlage für den Konjunkturzuschlag abgelehnt. Wie bei allen Sonderabgaben, so auch beim Konjunkturzuschlag nimmt der Versuch breiten Raum ein, als Rechtsgrundlage A r t . 105 GG anzunehmen und den Konjunkturzuschlag aus dem Steuerbegriff zu gewinnen. Der Steuercharakter des Konjunkturzuschlags wurde verneint, da er nicht zur Erzielung von Einkünften diene. Diese Argumentation bereitete keine Schwierigkeiten, da der Konjunkturzuschlag keinerlei Einnahmewirkungen nach sich zog, und so die sonst umstrittenen Fragen u m den Fiskalzweck gar nicht angeschnitten werden mußten 1 5 9 . Hier kommt es darauf an, daß der Steuerbegriff als Rechtsgrundlage und Ermächtigungsgrundlage, als Verfassungsvorbebalt diskutiert wird. Beim Konjunkturzuschlag wurde weiter A r t . 109 GG als verfassungsrechtliche Grundlage erwogen. I n den Gesetzesberatungen sei häufig zur Legitimation des Konjunkturzuschlags das Stabilitätsgesetz herangezogen worden, das eine Konkretisierung der i n A r t . 105 GG niedergelegten Grundsätze darstellt 1 6 0 . Z u beobachten ist auch hier wieder, daß ein Gesetz als Konkretisierung eines verfasusngsrechtlichen Grundsatzes gesehen wird, es also wieder um das Verhältnis von konkretem Gesetz und abstrakter Verfassung geht. Diese Beziehung von konkretem Gesetz und abstrakter Verfassung w i r d hier deshalb betont, weil sie zum Gegenstand der methodischen Untersuchung gemacht werden soll, um 156

Meessen, S. 931. Kirchhof / Walter, Die verfassungsrechtliche Problematik des rückzahlbaren Konjunkturzuschlages, N J W 70, S. 1576 f. 158 Ebd., S. 1576. 159 Ebd., S, 1578. 160 Ebd., S. 1578. 157

40

I. Die Frage der Verfassungsmäßigkeit von Sonderabgaben

das Verhältnis zwischen dem Gesetzgeber und der Verfassung zu erhellen, durch die er gebunden sein soll. Nachdem die speziellen finanz-verfassungsrechtlichen Bestimmungen als Ermächtigungsgrundlagen für den Konjunkturzuschlag abgelehnt worden waren, wurden die allgemeinen Kompetenznormen als Rechtsgrundlagen i n Betracht gezogen. Das Währungswesen nach A r t . 73 Nr. 4 GG w i r d als Ermächtigungsgrundlage abgelehnt, da m i t dem Konjunkturzuschlag nicht, wie es erforderlich sei, unmittelbar währungspolitische Ziele verfolgt würden 1 6 1 . Das Bundesverfassungsgericht hat schon eine Reihe von Ausgleichsabgabegesetzen auf A r t . 74 Nr. 11 GG, „das Recht der Wirtschaft" gestützt 1 6 2 und ebenfalls i n der Entscheidung zum Konjunkturzuschlagsgesetz die Kompetenz aus A r t . 74 Nr. 11 GG hergeleitet. Es hat damit eine weite Auslegung des Begriffs „Recht der Wirtschaft" angenommen 1 6 3 . Die weite Auslegung des Begriffs „Recht der Wirtschaft" wurde kritisiert. Der bloße gesamtwirtschaftliche Effekt könne das Gesetz nicht dem A r t . 74 Nr. 11 GG zuordnen, da dessen Anwendungsbereich so erweitert würde, daß jede Unterscheidung von anderen enumerati ν aufgezählten Kompetenzen unmöglich würde, zumal fast alle Gesetze wirtschaftliche Auswirkungen hätten 1 6 4 . Gegen diese Ansicht w i r d nun angeführt, daß m i t dem Begriff „Recht der Wirtschaft" die Kompetenz für konjunkturpolitische Maßnahmen dem Bund zugewiesen werden solle und diese Zuteilung von größerem Vorteil sei, als sie 11 unterschiedlich regierten Ländern zuzuweisen 165 . Außerdem sei m i t dem Begriff „Recht der Wirtschaft" nicht die Frage zu beantworten, ob der Staat überhaupt Sonderabgabengesetze erlassen dürfe; vom Gesichtspunkt der Kompetenzzuteilung sei die Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts nicht zu tadeln 1 6 6 . Kirchhof / Walter betonen die den individuellen Freiheitsraum verbürgende Funktion der Kompetenzen und kommen zum Ergebnis, der Konjunkturzuschlag sei verfassungsrechtlich nicht zu rechtfertigen, da weder der Steuerbegriff noch das Währungswesen, noch der Begriff des „Rechts der Wirtschaft" als Ermächtigungsgrundlage i n Frage kämen 1 6 7 . E i n Gesetz wie den Konjunkturzuschlag zu rechtfertigen, zu begründen bedeutet demnach, einen Verfassungsvorbehalt oder eine Ermächtigungsgrundlage in Form eines abstrakten 181

Ebd., S. 1579. m B V e r f G 4, S. 7,13; 8, S. 274, 294; 18, S. 315, 329. ics B V e r f G 29, S. 409; Meessen, S. 929.

164 Kirchhof / Walter, Die verfassungsrechtliche Problematik des rückzahlbaren Konjunkturzuschlages, N J W 70, S. 1578, 1579. Z u m Begriff „Recht der Wirtschaft" i m Zusammenhang m i t Sonderabgaben eingehend Scheuner, S. 26 - 30. 185 Meessen, S. 929. Ebd., S. 929. 167 Kirchhof / Walter, Die verfassungsrechtliche Problematik des rückzahlbaren Konjunkturzuschlages, S. 1580.

6. Die Begründung durch einen Verfassungsvorbehalt

41

Begriffs wie „Sozialpflichtigkeit", „Steuer" oder „Recht der Wirtschaft" aufzuweisen, als dessen Konkretisierung das zu begründende Gesetz ausgegeben wird, auf den es sich stützt. Zweifel an diesem Verfahren der Rechtfertigung und Begründung eines Gesetzes, wie es exemplarisch am Konjunkturzuschlag aus neueren Stellungnahmen vorgeführt wurde, werden dadurch angemeldet, daß auf den Charakter der Kompetenznorm verwiesen wird. Die Kompetenznorm habe die Kompetenzen zu regeln und — was nun angezweifelt w i r d — nicht die Frage zu beantworten, ob der Staat zu Lasten der Bürger überhaupt tätig werden solle 1 6 8 . Es w i r d gefragt, inwieweit eine Kompetenznorm einer ihr konformen gesetzlichen Regelung zugleich eine allgemeine verfassungsrechtliche Unbedenklichkeitsbescheinigung ausstellen könne 1 6 9 . Der Streit w i r d i n diesem Zusammenhang also darum geführt, ob die Kompetenznormen ausschließlich die Kompetenzverteilung zwischen Bund und Ländern regeln oder auch Gesetze gegenüber dem Bürger legitimieren oder rechtfertigen, neben dem primären Zweck der Zuständigkeitsregelung noch dem sekundären der Legitimation genügen 170 . Eine Norm, deren eindeutiges Zentrum i n der Legitimation der Monopole und Steuern liege — an diesem Beispiel w i r d die Legitimationswirkung von Kompetenznormen untersucht — sei nicht zur Hand 1 7 1 . Die Zulässigkeit von Finanzmonopolen werde durch die Regelungszuständigkeit des Bundes impliziert. Zutreffend w i r d darauf hin aber betont, daß die Frage nach den Grenzen der Zulässigkeit damit erst gestellt sei. Auch wenn also i n Art. 105 GG i m Rahmen der Zuständigkeit Steuern und Finanzmonopole ausdrücklich genannt werden, so sind Steuern und Finanzmonopole keineswegs i n einem beliebigen Bestände garantiert 1 7 2 . Die kurz angeschnittene Diskussion um die Kompetenznormen soll zeigen, daß grundsätzlich nach einer Legitimation oder auch einer Begründung, Rechtfertigung gesucht wird. Man streitet zwar darüber, ob eine Kompetenznorm diese Legitimation leisten könne, nicht gestellt w i r d allerdings die Frage, ob überhaupt, zu welchem Zweck und nach welcher Methode ein Gesetz zu legitimieren, zu begründen oder zu rechtfertigen sei. Der Unterschied bezüglich dieser Frage zwischen Steuern und Finanzmonopolen einerseits und Sonderabgaben andererseits besteht darin, daß Sonderabgaben i m Gegensatz zu Steuern und Finanzmonopolen i m Grundgesetz überhaupt nicht begrifflich repräsentiert sind, noch nicht 188 189 170 171 172

Meessen, S. 929. Pestalozzi S. 161. Ebd., S. 183. Ebd., S. 183. Ebd., S. 183.

4 2 I .

Die Frage der Verfassungsmäßigkeit von Sonderabgaben

einmal i n einer Kompetenznorm. Das Problem der Legitimation oder Begründung von Sonderabgaben w i r d darin gesehen, daß erst einmal eine solche begriffliche Repräsentanz gesucht werden müsse. Die bezüglich der Kompetenznorm gestellte Frage läßt sich darauf erweitern, ob überhaupt durch den Nachweis eines abstrakten Begriffs i n der Verfassung als dessen Konkretisierung Sonderabgaben ausgegeben werden, diesen Sonderabgaben eine Unbedenklichkeitbescheinigung ausgestellt werden kann. Es ist an die frühere Feststellung zu erinnern, daß einerseits eine Begründung der Sonderabgaben gefordert 1 7 3 , andererseits aber nicht gesagt wird, wie diese Begründung auszusehen habe. Mangels ausdrücklicher methodischer Äußerungen mußte die Argumentationsweise selbst beobachtet werden. Diese Beobachtung ergab, daß man Sonderabgaben durch Verfassungsvorbehalte, Ermächtigungsgrundlagen, Rechtsgrundlagen zu begründen, zu legitimieren können glaubt. Das geschieht dadurch, daß man Begriffe aufzeigt, als deren Konkretisierung diese Gesetze ausgegeben werden, als ob sie sich schon vor ihrer Konkretisierung i n der Verfassung verborgen gehalten und eine A r t namenlose Existenz gefristet hätten. Als solche Verfassungsvorbehalte werden bevorzugt die Begriffe „Steuer", „Recht der Wirtschaft", „Sozialpflichtigkeit" angeführt, diskutiert, angenommen oder abgelehnt. Es drängt sich nun die Frage auf, was denn m i t einem Begriff gewonnen sein soll, der als Verfassungsvorbehalt angenommen werden kann. Was soll insbesondere für Sonderabgaben damit gewonnen sein, sie, statt wie die Steuern auf einen ungeschriebenen Verfassungsvorbehalt, auf die Sozialpflichtigkeit oder den Begriff der Steuer zu stützen. Für Fragen nach der zulässigen Höhe, oder nach dem Kreis der Abgabenpflichtigen und Abgabeberechtigten oder Abgabebegünstigten, nach den zulässigen Zwecken ist mit einem solchen Verfassungsvorbehalt wenig erreicht. Die hier geäußerten grundsätzlichen Zweifel an der Begründungsmethode, Sonderabgabengesetze aus abstrakten Begriffen der Verfassung gewinnen zu wollen, wurden ganz besonders dadurch geweckt, daß ein ungeschriebener Verfassungsvorbehalt i n Erwägung gezogen w i r d 1 7 4 . Es entsteht der Verdacht, hier werde ein Verfassungsvorbehalt um jeden Preis gesucht. Die Erwägung eines ungeschriebenen Verfassungsvorbehalts als praktisch beliebig auffüllbaren Leerposten stellt die Konstruktion des Verfassungsvorbehalts als solche i n Frage. Deutlicher werden die Zweifel noch, wenn man den ungeschriebenen Verfassungsvorbehalt nach der zulässigen Höhe, den zulässigen Kreisen der Pflichtigen und der Begünstigten oder nach dem zulässigen Zweck einer Sonderabgabe befragen wollte, um nur einige Beispiele für Detailfragen zu nennen, auf die keine A n t 178 174

Friauf, öffentliche Sonderlasten, S. 53. Meessen, S. 930.

6. Die Begründung durch einen Verfassungsvorbehalt

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worten zu erwarten sind. Es bleibt offen, was eigentlich der Verfassung vorbehalten sein soll, was sie als zulässig erachtet und was schließlich verfasungsmäßig ist. Daß der verfassungsrechtlichen Diskussion, die i n der Forderung nach einem Verfassungsvorbehalt; implizierte Vorstellungen nicht fremd ist, es müsse und könne eine A r t namenlose, unaussprechbare, sprachunabhängige Existenz für einen so neuartigen Typ von Abgabengesetzen wie den der Sonder abgaben i n der Verfassung geben, zeigt diese Annahme eines ungeschriebenen Verfassungsvorbehalts. A u f grund eines ungeschriebenen Verfassungsvorbehalts, so formuliert etwa Meessen 175 i m Anschluß an eine weitverbreitete Meinung, sei die Auferlegung von Geldleistungspflichten gestattet und greife deshalb nicht i n die Eigentumsgarantie ein. Meiner Ansicht nach läßt sich über einen solchen ungeschriebenen Verfassungsvorbehalt nicht mehr sagen, als daß er eben ungeschrieben ist, nicht aber, daß er etwa einen Eigentumseingriff gestatte. Die Forderung nach einem Verfassungsvorbehalt für neuartige Rechtsinstitute führt, einmal zu Ende gedacht, zur Annahme, es gebe etwas Ungeschriebenes i m geschriebenen Text. Insgesamt entsteht durch die Ansicht vom ungeschriebenen Verfassungsvorbehalt oder vom Verfassungsvorbehalt überhaupt der Eindruck, es solle mehr aus einem Text herausgelesen werden, als er enthalten zu können scheint. Die Erwartungen an die Verfassung erscheinen überspannt. Der Umstand, daß die Verfassung als Text i n sprachlicher Form gefaßt ist, legt die Vermutung nahe, es handele sich bei der Uberforderung der Verfassung um das Problem eines falschen Sprachverständnisses i n dem Sinne, daß einem sprachlichen Text Leistungen abverlangt werden, die er aufgrund der Eigentümlichkeit der Sprache nicht leisten kann.Verfassungsvorbehalte sind zunächst Begriffe der Verfassung. Es fragt sich, ob Begriffe ein Gesetz begründen, rechtfertigen oder legitimieren können, wie man sich diesen Vorgang auch immer vorstellen mag. Vor allem die ausufernde Diskussion um den Begriff der Steuer legt die Frage nahe, was damit gewonnen ist, die Steuereigenschaft eines Abgabengesetzes nachzuweisen. Es scheint letzten Endes darum zu gehen, eine begriffliche Repräsentanz für Gesetze zu gewinnen, um sie dann als verfassungsmäßig bezeichnen zu können. Treffend bemerkt Friauf, Sonderabgaben trotz der Unterschiede als Steuern bezeichnen zu wollen, bedeute, die Probleme zu verdrängen 1 7 6 . Die hauptsächlich begrifflich orientierte Diskussion veranlaßt vor allem zwei Fragen: was erstens m i t Verfassungsvorbehalten i n Form von verfassungsrechtlichen Begriffen gewonnen werden soll, wenn es um die Zulässigkeit von Gesetzen wie Sonderabgaben geht und zweitens wovon die Anwendung dieser Begriffe wie „Steuer", „Recht der Wirtschaft", „Sozialpflichtigkeit", „Verfassungsmäßigkeit" auf Gesetze wie die Sonderabgaben abhängen kann. 175

Ebd., S. 930. "β Friauf, öffentliche Sonderlasten, S. 51.

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I. Die Frage der Verfassungsmäßigkeit von Sonderabgaben

7. Die Paradoxie in der Forderung nach einer Bindung an die Verfassung oder die Sorge vor dem selbstgewählten Maßstab Die Verfassung w i r d als Grundlage für das Handeln der Staatsorgane angesehen, und die i n der Verfassung verwendeten Ausdrücke bedürfen deshalb einer gewissen begrifflichen Präzision, da sonst die Staatsoroane nur zum Schein an die Verfassung gebunden wären. Sie könnten in Wirklichkeit ad hoc jeweils selbst Maßstab und Grundlage ihres Handelns bestimmen. I m Bereich des Finanzwesens drohe ansonsten die Gefahr, daß dem Gesetzgeber beliebige Kompetenzen zustünden 177 . Wenn ζ. B. die ausdrückliche Erwähnung von Steuern und Finanzmonopolen i m Grundgesetz festgestellt ist, dann wird, was die Legitimität betrifft, die Ansicht vertreten, der Begriffskern und der Wesensgehalt der Steuern und Finanzmonopole sei das, was von den Grundrechten sicher sei. Der Wesenskern von Steuern habe sich aus der Verfassung selbst zu ergeben, nicht aus dem Komplex einfacher Steuernormen 178 . Dieser verfassungsfeste Begriffskern sei dem Gesetzgeber vorgegeben, der andernfalls Voraussetzung und Umfang seiner Zuständigkeit selbst bestimmen würde 1 7 9 . I m Problemzusammenhang der Finanzverfassung w i r d auf die Bindung des Gesetzgebers an die Verfassung großen Wert gelegt. Begriffe seien i n ihrem Kern dem Gesetzgeber vorgegeben. Hier w i r d eine Beziehung zwischen Gesetzgeber und Begriffen der Verfassung hergestellt, auf die schon jetzt die besondere Aufmerksamkeit gelenkt werden soll. Der Gesetzgeber soll an Begriffe gebunden werden, zumindest an den Begriffskern, an den Wesensgehalt. Ansonsten würde er seine eigene Bindung bestimmen können und sich selbst seine Maßstäbe bilden. Die Verfassung könne nur dann das Maß der Gesetze sein, wenn ihr Inhalt sich von dem des zu messenden Gesetzesrechts unterscheide 180 . Außer i n diesen neueren Stellungnahmen zur Bindungsfunktion der Begriffe und zu der Gefahr, der Gesetzgeber könne seine eigenen Maßstäbe setzen, wurde auch schon von Leisner auf diese Gefahr hingewiesen. Er brachte sie i n der Formel von der „Verfassungsmäßigkeit der Gesetze zur Gesetzmäßigkeit der Verfassung" treffend zum Ausdruck. Er warnt vor der Gefahr einer totalen Unterwanderung der Inhaltlichkeit von Verfassungsbegriffen. Die Gefahr der durch den Gesetzgeber manipulierten Verfassungsbegriffe nennt Leisner die „Verfassung nach Gesetz". Besonders groß sei die Gefahr bei der Finanzverfassung. Das Bund-Länder-Verhältnis drohe weitgehend der Bundesgesetzgebung überantwor177 Starci c, Überlegungen zum verfassungsrechtlichen Steuerbegriff, i n : Festschrift für Wacke, S. 193. 178 Pestalozza, S. 184, m i t Hinweis auf Leisner. 179 Ebd., S. 186. 180 Boppt Baden-württembergische Feuerwehrabgabe, S. 201.

7. Die Sorge vor dem selbstgewählten Maßstab

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tet zu werden. Nie dürften die Finanzverfassungsbegriffe i m Zweifel niederrangig erfüllt werden 1 8 1 . Besonders hebt Selmer i n diesem Zusammenhang die ernste Bedrohung der föderativen Finanzordnung der Bundesrepublik durch eine zweite apokryphe Steuerverfassung hervor, die durch die Herausnahme der Sonderabgaben aus dem Finanzrecht hervorgerufen werde, und betont, daß die Sonderregelungen der Finanzverfassung nicht zur Disposition des einfachen Gesetzgebers stehen dürften 1 8 2 . Damit der Gesetzgeber nicht die von der Verfassung gezogenen Grenzen zwischen der allgemeinen und der Steuergesetzgebung nach seinem Belieben überspielen könne, indem er einfach den Charakter einer Abgabe als Steuer bejahe oder verneine und sie willkürlich auf die eine oder andere Kompetenz berufe, müsse für das Grundgesetz ein m i t Verfassungskraft feststehender Begriff der Steuer vorausgesetzt werden 1 8 3 . Der Forderung nach Bindung des Gesetzgebers an die Verfassung liegt die Forderung zugrunde, das Verfassungsrecht dürfe nicht dispositiv sein. Dispositives Verfassungsrecht kenne unsere Verfassungsordnung nicht. I h m stehe die Bestimmung des Art. 79 GG entgegen, wonach Verfassungsänderungen nur i n dem dort vorgesehenen Verfahren und nur i m Wege einer ausdrücklichen Änderung des Wortlauts der Verfassung zulässig sind 1 8 4 . Ungeprüft w i r d hierbei vorausgesetzt, daß die Verfassung überhaupt die Eigenschaft haben kann, nicht dispositiv zu sein. Festgestellt wird, was die Begriffe betrifft, es handele sich bei den Begriffen der A r t i k e l 105 f. GG um Gattungsbegriffe. Diese Gattungsbegriffe umfaßten alles, was sich der Sache nach als Steuer oder Finanzmonopol darstelle 185 . Einerseits betont Isensee für den Kompetenzbegriff „Sozialversicherung", dieser habe eigenständigen verfassungsrechtlichen Gehalt, den das Bundesverfassungsgericht erschlossen habe. Es hänge von der Qualifikation des Verfassungsrechts ab, nicht aber davon, wie der Gesetzgeber seine Regelung werte und etikettiere 1 8 6 . Danach also müßten sich die sozialversicherungsrechtlichen Gesetze aus der Verfassung ergeben, die Verfassung wäre Maßstab und Muster, an das der Gesetzgeber gebunden und das ihm unbeeinflußbar vorgegeben wäre. Andererseits — i m Gegensatz zu dieser Ansicht vom eigenständigen, vorgegebenen verfassungsrechtlichen Gehalt eines Begriffs — vertritt Isensee die Ansicht, das Grundgesetz verwende den Begriff der „Steuer", ohne ihn eigen181 Leisner, Von der Verfassungsmäßigkeit der Gesetze zur Gesetzmäßigkeit der Verfassung, 1964, S. 36. 182 Selmer, S. 184. 183 Friauf, Verfassungsrechtliche Grenzen der Wirtschaftslenkung u. Sozialgestaltung durch Steuergesetze, S. 13 f. 184 Vogel, Finanzverfassung u n d politisches Ermessen, S. 26. 185 Pestalozza, S. 187. 186 Isensee, S. 44.

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I. Die Frage der Verfassungsmäßigkeit von Sonderabgaben

ständig abzugrenzen und inhaltlich zu füllen. Ob eine Abgabenregelung dem Zuständigkeitsbereich der Steuer oder einer Sachkompetenz zuzuordnen sei, werde weithin bereits durch Qualifikation auf Unterverfassungsebene vorentschieden. Es ist von der Abhängigkeit des Grundgesetzes von einer unterverfassungsrechtlichen Kategorie die Rede, wozu gerade i n den Kompetenzkatalogen aufschlußreiche Beispiele geliefert würden. Die höchste Norm der staatlichen Rechtsordnung sei zugleich die inhaltsärmste. Die inhaltliche Konkretisierung der Verfassungsnorm sei i n hohem Maße auf Rezeption des niederrangigen Rechts angewiesen, das sie beherrschen solle. Der Vorrang der Verfassung vor dem Gesetz werde durch die partielle Abhängigkeit des Verfassungsverständnisses von den Begriffsvorstellungen des Gesetzes relativiert 1 8 7 . Für das Finanzverfassungsrecht betont T i p k e 1 8 8 i m Anschluß an Sasse 189 die steuerrechtlichen Begriffe würden der vollen Disposition des Steuergesetzgebers unterliegen, eine Ansicht, die von Vogel nicht geteilt w i r d 1 9 0 . Danach also wäre das Verfassungsrecht dispositiv und könnte nicht als Maßstab und Muster den Gesetzgeber binden. Hier t r i t t der Gegensatz offen hervor. Es ist unklar, ob die Begriffe des Grundgesetzes eigenständigen Gehalt haben und für einfache Gesetze Maßstab sind oder ob sie ihren Inhalt durch Rezeption aus niederrangigem Recht beziehen und damit zur Disposition des Gesetzgebers stehen. Die als wichtig empfundene Notwendigkeit, den Gesetzgeber zu binden, darf allerdings nicht die Vorfrage verdecken, ob überhaupt eine Bindung möglich ist. Hier soll davon ausgegangen werden, daß Bindung an die Verfassung als Bindung an Sprache, an Begriffe zu verstehen ist. Ob nun eine Bindung an Sprache überhaupt möglich ist, ist die Frage, der i n dieser Untersuchung aus sprachtheoretischer Sicht hauptsächlich nachgegangen werden soll. Nicht nur speziell für Sonderabgaben, sondern auch generell für alle Gesetze w i r d i n jüngster Zeit ausdrücklich ein Vorbehalt der Verfassung gefordert, der den Vorbehalt des Gesetzes als Bindung der Gesetzmäßigkeit der Verwaltung vorgeschaltet werden müsse. Vom Vorbehalt der Verfassung hänge die Rechtmäßigkeit staatlichen Handelns i n erster Linie ab 1 9 1 . Alles staatliche Handeln müsse auf die Verfassung zurückführbar sein. I m Verfassungsstaat bedürfe die Ausübung der staatlichen Funktion einer Grundlage i n der Verfassung, das Grundgesetz sei heute Grundlage des staatlichen Geschehens geworden 1 9 2 . Diese Forderung 187

Ebd., S. 30. 188 Tipke, Erbschaftssteuerreform u n d GG, ZRP, 1971, S. 158.

189 Sasse, Die verfassungsrechtliche Problematik von Steuerreformen, AöR 85, S. 457. 190 Vogel, Z u r Konkurrenz zwischen Bundes- u n d Landessteuerrecht nach dem GG, StuW 1971, S. 314. 191 Bull, Die Staatsauf gaben nach dem GG, S. 110. 192 Ebd., S. 116.

7. Die Sorge vor dem selbstgewählten Maßstab

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nach einer Ermächtigungsgrundlage w i r d einerseits fast kompromißlos erhoben, andererseits ebenso kompromißlos abgelehnt, so daß von einer Unsicherheit i n einer Grundfrage des Verfassungsrechts gesprochen werden kann. Sie betrifft das Verhältnis von Verfassung und Gesetz, von Verfassung -und Gesetzgeber. Die Verfassung muß nach Hupp als Grundlage und alleinige Legitimation aller Staatsgewalt begriffen werden 1 9 3 . I m strengen Gegensatz dazu w i r d die Ansicht vertreten, die politische Entscheidung des Gesetzgebers empfange ihre Legitimität durch den demokratischen Prozeß der politischen Willensbildung und nicht durch eine legalistische Ableitung aus der Verfassung. Gesetzgebung sei nicht als Anwendimg oder Vollzug der Verfassung zu verstehen 194 . Die staatliche Einwirkung des Gesetzgebers auf die Wirtschaft bedürfe keiner besonderen verfassungsrechtlichen Ermächtigung. Es bestehe kein Ermächtigungszusammenhang zwischen Verfassung und Gesetzgeber 195 . Beim Verfassungsvorbehalt handelt es sich um nichts mehr als eine Forderung. Es w i r d nicht bedacht, ob mit der Verfassung überhaupt ein solches Ziel erreicht werden kann. Es ist also hier die Frage zu stellen, ob die Verfassung auf Grund ihrer Eigenschaft, aus Begriffen zu bestehen, überhaupt i n der Lage ist, Grundlage für alles Staatshandeln zu sein. Hervorgehoben wurde schon, daß das Motiv der Forderung nach einem Verfassungsvorbehalt darin bestehe, den Gesetzgeber zu binden, seinen Gestaltungs- und Entscheidungsspielraum einzuschränken. Die Frage ist nun, ob die Verfassung den Gesetzgeber überhaupt binden kann, auch wenn sie dies unumstritten leisten sollte. I m folgenden soll nun dargelegt werden, w o r i n das Paradoxe der Bindungsforderung besteht. Zweifel an der Forderung nach einem Verfassungsvorbehalt für jedes staatliche Handeln werden selbst bei ihren Verfechtern deutlich, wenn sie betonen, es sei nicht nötig, daß die staatlichen Aufgaben i m einzelnen schon i n der Verfassung i m formellen Sinne niedergelegt seien, sondern sie werde ergänzt durch niederrangiges Recht, Verfassung und sonstiges Recht seien ohnehin so eng miteinander verbunden und so sehr aufeinander bezogen, daß eine Trennung i n verschiedenen Rangstufen nur ein Notbehelf sei 1 9 6 . Entscheidungen des einfachen Gesetzgebers, die das Verfassungsgesetz inhaltlich ausfüllen, könnten nach längerer unangefochtener Geltung selbst zum Inhalt der Verfassung werden. Die Eigenart dieser Situation liegt darin, daß vom Gesetzgeber Widersprüchliches verlangt wird. Einerseits soll er an 198

Rupp, Grundfragen der heutigen Verwaltungsrechtslehre, 1965, S. 134. Badura, Die Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts zu den v e r fassungsrechtlichen Grenzen wirtschaftspolitischer Gesetzgeber i m sozialen Rechtsstaat, S. 601. 195 Ebd., S. 602; ders., Das Verwaltungsmonopol, 1963, S. 313 f. 19β B u l l , S. 114. 194

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I. Die Frage der Verfassungsmäßigkeit von Sonderabgaben

die Verfassung gebunden sein, die Aufgaben des Staates aus der Verfassung entnehmen, die Grundlage allen staatlichen Handelns sein soll, andererseits traut man dem einfachen Gesetzgeber zu, die Verfassung inhaltlich auszufüllen. Er soll also das bestimmen können, woran er selber gebunden sein soll. Dieser Widerspruch w i r d hier abkürzend als das Problem der Bindungsparadoxie bezeichnet werden und soll eine Untersuchung aus sprachtheoretischer Sicht erfahren, indem eine A n t w o r t auf die Frage gesucht wird, ob und gegebenenfalls inwieweit eine Bindung an sprachliche Begriffe möglich und praktikabel ist. 8. Kritik an der Forderung nach einem Verfassungsvorbehalt. Die Oberforderung der Verfassung oder die Gesetzgebung als Verfassungsvollzug Die Forderung nach einem Verfassungsvorbehalt ist der Ausdruck eines neueren Verfassungsverständnisses, das stark angezweifelt w i r d 1 9 7 . Die Verfassung wird, wie es Hennis zusammenfassend beschreibt, anscheinend verstanden als normative Grundordnung, die die politische Willens- und Meinungsbildung geistig vorwegzunehmen i n der Lage sein soll 1 9 8 . Neuartige Hechtsformen und deren Auswirkungen werden an der Verfassung auf ihre Verfassungsmäßigkeit überprüft, als habe der Verfassungsgesetzgeber alles Fragliche schon vorbedacht. I n welcher Höhe, zu wessen Gunsten und Lasten, zu welchen Zwecken etwa die Sonderabgaben zu erheben sind, müßte vom Verfassungsgesetzgeber schon entschieden, schon vorweggenommen worden sein, wenn man eine Antwort auf die Frage erwartet, ob spezielle Gesetze, wie die Investitionshilfe und der Konjunkturzuschlag, eine Grundlage in der Verfassung haben. Angesichts dieser Erwartungen an die Verfassung drängt sich die von Hennis gestellte Frage auf, ob eine Verfassung wirklich die ganze geistige und politische Entwicklung einer Nation vorwegnehmen könne. Er verweist auf die i m gleichen Sinne kritische Frage von Lerche 109 , ob die Verfassung ein „unerschöpflicher Quell von sehr detaillierten Inhalten sei, die der Gesetzgeber nur ans Tageslicht zu heben" habe. Das Verständnis von der Verfassung als Kodifikation aller Grundnormen, aller moralisch-politischen Prinzipien und Gegebenheiten des Staates w i r d zu Recht und treffend als „Vorwegnahme der politischen Willens und Meinungsbildung" gedeutet und angezweifelt. Nach diesem Verständnis komme die Verfassung einem Ersatz für politische Meinungsbildung gleich und gerate i n die Gefahr, als politisches A l i b i be197 Hennis , Verfassung u n d Verfassungswirklichkeit — ein deutsches Problem, 1968, S. 20. 198 Ebd., S. 20. 199 Lerche, AöR 90, S. 349.

8. Die Gesetzgebung als Verfassungsvollzug

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nutzt zu werden 2 0 0 . Hesse 201 billigt Hennis' Warnung vor einer „Uberfrachtung der Verfassung" durch den Versuch, Verfassungsaufträge an Regierung und Parlament aus der Verfassung zu gewinnen. Nach Hennis normiert die Verfassung nicht Inhalte, sondern nur Kompetenzen, Verfahren und Grenzen der Politik, was er bis auf einige ausdrückliche Gesetzgebungsaufträge als Prinzip verstanden wissen möchte. Die Forderung einer verfassungsrechtlichen Grundlage für Gesetze, wie die nichtfiskalischen Abgaben entspreche diesem hier unter dem Stichwort der überforderten Verfassung diskutierten Verfassungsverständnis. Wenn jedes neue Gesetz eine Grundlage i n der Verfassung hätte und durch die Verfassung ermächtigt sein sollte, so müßte die Tätigkeit des Gesetzgebers auf Verfassungsvollzug beschränkt werden und ein freier, offener politischer Prozeß wäre ausgeschlossen. Wegen dieser unannehmbaren Konsequenzen sei das Verfassungsverständnis abzulehnen, das mit der Forderung nach einem Verfassungsvorbehalt für alle neuen Gesetze vorausgesetzt w i r d 2 0 2 . Auch Böckenförde schließt sich der Warnung vor einer „materiellen Uberanstrengung der Verfassung, einem Verfassungstotalitarismus durch die versuchte Vorabfestlegung der geistigen und politischen Entwicklung der Nation" an. Auch sieht er die „reale Gefahr" dieses Verfassungsdenkens i n der „Verdrängung freier politischer Willensbildung und Entscheidung durch eine immer weitere Bereiche ergreifende rechtlich gebotene „Verfassungsverwirklichung" 2 0 8 . Die Diskussion über das als Überforderung der Verfassung zusammenfassend bezeichnete Thema läßt zweierlei Argumentationsmöglichkeiten erkennen. Es w i r d einmal über die Zielvorstellung und zum anderen über das zur Zielverwirklichung eingesetzte methodische M i t t e l diskutiert. Hinsichtlich der Zielvorstellung w i r d gefragt, ob es w ü n schenswert sei, die Verfassung als unerschöpflichen Quell sehr detaillierter Inhalte, als eine A r t General auftrag oder wie Hennis es überzeichnet formuliert, als sozialen und geistigen Eisenbahnfahrplan zu verstehen 2 0 4 . Abgelehnt w i r d diese verfassungstheoretische Zielvorstellung wegen der damit verbundenen unerwünschten Folge, daß dann ein politischer Willens- und Meinungsbildungsprozeß entfallen müsse und Pol i t i k zu bloßem Verfassungsvollzug reduziert würde. Die Furcht vor der Bevormundung durch eine als allwissend verstandene Verfassung bestimmt die Diskussion und führt zur Ablehnung einer solchen Zielvorstellung. 200

Hennis , S. 20. Hesse, AöR 96, S. 139. 202 Ebd., S. 139; Badura, Die Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts zu den verfassungsrechtlichen Grenzen wirtschaftspolitischer Gesetzgeber i m sozialen Rechtsstaat, S. 601. 208 Böckenförde, S. 35. 204 Hennis, S. 11. 201

4 Rack

5 0 I .

Die Frage der Verfassungsmäßigkeit von Sonderabgaben

Die methodische Frage, ob und wie überhaupt die Verfassung unerschöpflicher Quell detaillierter Inhalte sein kann, auch wenn man sich über diese Funktion einig wäre, w i r d nur andeutungsweise gestellt. Hennis nämlich stellt die Frage, ob es denn wirklich Sinn der Verfassung sein könne, politische Willens- und Meinungsbildung geistig vorwegzunehmen, wie dieses jedenfalls nach der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts und nach einflußreichen Richtungen der Lehre den A n schein habe 2 0 5 . Erst wenn die Leistungsfähigkeit einer Verfassung mit der Eigenschaft, sprachlich verfaßt zu sein, aus abstrakten Begriffen zu bestehen, geklärt ist, läßt sich sinnvoll über die Funktion diskutieren, die sie erfüllen kann, ohne überfordert zu werden. Wenn die Verfassung überfordert wird, dann ist es zunächst der Text, der überfordert wird. Eigentümlichkeiten der sprachlichen Form, so könnte man vermuten, setze der Verfassung Grenzen, Lösungen zu speichern, unerschöpflicher Quell detaillierten Inhalts, Generalauftrag und Ermächtigungsgrundlage — letzten Endes also Maßstab — zu sein, auch wenn sie wünschenswerterweise all dies sein sollte. Es läßt sich nun vermuten — und dieser Vermutung soll nachgegangen werden — daß die Überforderung des Grundgesetzes auf einem korrekturbedürftigen Sprachverständnits beruht. Dies sollen die folgenden ausführlichen sprachtheoretischen Untersuchungen bestätigen. Versteht man die Verfassung als Grundlage für alle Staatstätigkeit, so ist zunächst zu bedenken, daß die Verfassung aus Begriffen besteht, aus denen man Rechtssätze, wie die Sonderabgabengesetze, zu gewinnen oder an denen man Rechtssätze, zu messen versucht, um sie verfassungsmäßig nennen zu können. Die Bemühungen aus Begriffen, wie „Steuer", „Recht der Wirtschaft", konkrete Gesetze, wie die Sonderabgaben, ableiten zu wollen oder damit Zweifel an diesen Rechtssätzen zu beseitigen, soll hier abkürzend als die Regel vom Recht aus Begriffen bezeichnet werden. Es geht um die Frage, was es heißen kann, eine einfachgesetzliche Regelung als einen Begriff der Verfassung entsprechend zu deuten 2 0 6 . Diese Argumentationspraxis ist Gegenstand der folgenden methodischen Untersuchungen. Bevor auf dieses Untersuchungsprogramm eingegangen wird, soll die Tradition dieser Methode dargelegt werden. Es gilt, die These zu bestätigen, die zu beobachtende Argumentationspraxis, Recht aus Begriffen gewinnen zu wollen, entspreche der Methode des Gesetzespositivismus und diese bestimme noch heute die Argumentation, diese Methode setze wissenschaftstheoretische Positionen unausgesprochen voraus, die heute als überholt anzusehen sind. Damit w i r d sich die Argumentationspraxis i n vielen Punkten als korrekturbedürftig herausstellen. 205

Ebd., S. 20. Leisner, V o n der Verfassungsmäßigkeit der Gesetze zur Gesetzmäßigkeit der Verfassung, 1964, S. 38. 206

9. Recht aus Begriffen

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9. Die begriffsjuristische Tradition der Regel vom Recht aus Begriffen Der einzige überkommene Gesamtentwurf verfassungsrechtlicher Methodik ist der des Gesetzespositivismus von Gerber und Laband. Savignys Kunstregeln der Interpretation beziehen sich ausdrücklich nicht auf das Staats- und Verfassungsrecht. Weder die Analyse der Verfassungsrechtsprechung noch der Diskussionsstand der wissenschaftlichen Literatur, noch die methodischen Praktiken von Gesetzgebung, Regierung und Verwaltung ergeben eine über die gesetzespositivistische hinausführende Konzeption. Was i n Praxis und Wissenschaft an neuen Ansätzen vorgeschlagen und geübt werde, sei zum Teil widersprüchlich, zum Teil auch nicht ausreichend diskutiert. Es füge sich nicht zu einem einheitlichen B i l d 2 0 7 . Laband faßt Rechtserkenntnis als ein Deduzieren aus allgemeinen Rechtsbegriffen auf 2 0 8 . Das vorhandene System juristischer Begriffe ist nach Ansicht Labands vollständig und i n sich geschlossen. „Gesetze können lückenhaft sein, die Rechtsordnung selbst kann aber ebensowenig eine Lücke haben wie die Ordnung der N a t u r 2 0 9 . " „Eigentümlich ist der deutschen Verfassung, wie jeder konkreten Rechtsbildung, nur die tatsächliche Verwendung und Verbindung der allgemeinen Rechtsbegriffe; dagegen ist die Schaffung eines neuen Rechtsinstitutes, welches einem höheren und allgemeineren Rechtsbegriff überhaupt nicht untergeordnet werden kann, gerade so unmöglich, wie die Erfindung einer neuen logischen Kategorie oder die Entstehung einer neuen Naturkraft 2 1 0 ." Diese ausdrücklich geäußerte Ansicht Labands liegt noch heute der Argumentation i m Rahmen des Verfassungsvorbehalts zugrunde, wenn nämlich ein Verfassungsvorbehalt um jeden Preis, also auch u m den Preis eines ungeschriebenen Verfassungsvorbehalts, gesucht wird, so entspricht dies der Ansicht Labands, ein neues Rechtsinstitut, wie es die Gruppe der Sonderabgabengesetze darstellt, könne nicht etwa erfunden werden, sondern müsse sich auf einem höheren, allgemeinen Rechtsbegriff auf jeden Fall ergeben. Rechtsinstitute, die sich nicht ableiten lassen, könne es gar nicht geben. Nicht nur Laband vertrat diese Ansicht, sondern schon vor i h m pointierter der frühe Jhering, der auf die heute von Lerche gestellte Frage, ob die Verfassung wirklich ein unerschöpflicher Quell von detaillierten Inhalten sein könne, die der Gesetzgeber nur ans Tageslicht zu heben habe 2 1 1 , geantwortet hätte, ein Begriffssystem, wie es das 207 ρ Müller, nung, S. 48.

Juristische Methodik, S. 193; Kriele,

Theorie der Rechtsgewin-

208 Wilhelm, Z u r juristischen Methodenlehre i m 19. Jahrhundert, S. 12, 13; Tsatsos, Z u r Problematik des Rechtspositivismus, 1964, S. 17. 2oe Laband, Das Budgetrecht nach den Bestimmungen der Preußischen V e r fassungs-Urkunde, 1871, S. 75. 210 211

4*

Laband, Staatsrecht I, S. 6; Wilhelm, Lerche, AöR 90, S. 349.

S. 10.

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I. Die Frage der Verfassungsmäßigkeit von Sonderabgaben

Recht darstelle, sei eine unversiegbare Quelle neuen Stoffs 2 1 2 . M i t der sogenannten naturhistorischen Methode glaubte Jhering der Praxis voraneilen zu können 2 1 3 . Jhering meinte zur Leistungsfähigkeit der Begriffe, wenn der Gattungsbegriff erfaßt und gehörig ausgebildet sei, so sei nicht bloß für alle jetzt bereits vorhandenen, sondern auch für alle künftig auftretenden Spezies ein stets bereites Rechtsmaterial gewonnen. Eine ausgebildete Jurisprudenz brauche nie ein absolutes Defizit an Rechtssätzen zu befürchten, denn i n wie ungewöhnlich abweichenden Bildungen sich auch der fortschreitende Verkehr ergehen möge, die Besorgnis, daß er etwas absolut Neues bringen könne, etwas, was nicht unter irgendeinen der bisherigen Begriffe falle, und wäre derselbe auch noch so allgemein, diese Besorgnis sei ebenso unbegründet, als wenn man glauben wolle, es könnten noch Tiere entdeckt werden, die i m zoologischen System der heutigen Wissenschaft absolut kein Unterkommen fänden 2 1 4 . Dieser Tradition der Begriffsjuristen scheint die heutige Argumentation nach der Regel vom Recht aus Begriffen noch verpflichtet zu sein. Trotz umfangreicher K r i t i k am Gesetzespositivismus 215 haben sich offenbar dessen Argumentationsmuster als Grundschema erhalten 2 1 6 . Sie sollen hier einer K r i t i k vom heutigen Stand der wissenschaftstheoretischen Diskussion aus unterzogen werden. Die angeführten Schlüsselzitate aus Labands Äußerungen zur Methode, vom Recht aus Begriffen, den sogenannten höheren und allgemeineren Rechtsbegriffen, gewinnen zu wollen, weisen Laband als den Hauptvertreter dieser Methode für das Verfassungsrecht aus. Laband w i r d als der Repräsentant einer methodischen Entwicklung angesehen, die bei Puchta begann und vor allem von Gerber und Jhering stark beeinflußt wurde 2 1 7 . Die fachwissenschaftliche Tradition der Methode Paul Labands, der das Verfassungsrecht wesentlich beeinflußt hat, ist von Wilhelm nachgezeichnet worden 2 1 8 . A u f die hinter dieser Methode stehende allgemeine Wissenschaftstheorie wurde nicht eingegangen. Wilhelm hebt allerdings hervor, daß der methodische Streit etwa zwischen Laband und Gierke kein juristischer Hausstreit gewesen sei, sondern Ausdruck einer allgemeinen Methodendiskussion war, die auch i n der Volkswirtschaft der damaligen Zeit etwa zwischen Schmoller und Carl Menger geführt wurde 2 1 9 . Dieser Hinweis, die j u r i stische Methodenlehre sei lediglich Ausdruck einer allgemeinen Wissen212 Wilhelm, S. 115; Jhering, Geist des römischen Rechts auf den verschiedenen Stufen seiner Entwicklung, 1891, II/2, S. 386. 213 Wilhelm, S. 115. 214 Ebd., S. 114; Jhering, Jherings Jahrbücher I, S. 16. 215 F. Müller, S. 48 f. 218 Kriele, Theorie der Rechtsgewinnung, S. 48. 217 F. Müller, S. 59. 218 Wilhelm, S. 13. 219 Ebd., S. 12.

9. Recht aus Begriffen

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schaftstheorie der jeweiligen Epoche, und der Hinweis aus jüngster Zeit, die juristische Methode habe ihre Abhängigkeit von der Philosophie ihrer Zeit noch nie auf Dauer verleugnen können 2 2 0 , hat die A r t der hier vorgenommenen Untersuchung bestimmt. Es sollen die allgemeinen wissenschaftstheoretischen Positionen herausgearbeitet werden, die der heutigen Argumentationspraxis unausgesprochen zugrunde liegen. Diese A n sichten sollen mit der heutigen Wissenschaftstheorie konfrontiert werden. Sollte sich die Vermutung bestätigen, es handele sich um Positionen, die vom heutigen Standpunkt als überholt angesehen werden müssen, so ist die der jeweiligen Position entsprechende Argumentationspraxis korrekturbedürftig und der zeitgemäßen Wissenschaftstheorie anzupassen. Die beobachtete Argumentationspraxis nach der Regel vom Recht aus Begriffen, wonach konkrete Rechtssätze wie die Sonderabgabengesetze aus Begriffen der Verfassung wie „Steuer" und „Recht der Wirtschaft" begründet werden, soll als einer ganz bestimmten Tradition verpflichtet dargestellt werden, bevor auf allgemeine wissenschaftstheoretische Positionen eingegangen wird. Labands Methode läßt sich auf Puchta zurückführen, dessen methodische Ansichten eine Abkehr von der historischen Schule Savignys darstellt. Puchta hat den Typ des wissenschaftlichen Rechts geprägt. Wissenschaftliches Recht i m strengen Sinne ist nach Puchtas Meinung nur dasjenige Recht, welches weder i n der gemeinsamen Volksüberzeugung noch i n Aussprüchen des Gesetzgebers i n Erscheinung trat, sondern erst als „Produkt einer wissenschaftlichen Deduction" entstand 2 2 1 . Neben der Rechtsquelle des wissenschaftlichen Rechts unterschied man Gewohnheitsrecht und Gesetzesrecht, die aufgrund einer äußeren Autorität galten, welche der gemeinsamen Volksüberzeugung und der gesetzgebenden Gewalt zukam 2 2 2 . Wissenschaftliches Recht dagegen beruhe nicht auf solcher äußeren, sondern auf innerer Autorität, nämlich „auf der Vernunftmäßigkeit des bestehenden Rechts, auf der Wahrheit der daraus abgeleiteten Prinzipien und drittens auf der Richtigkeit der Folgerungen, die aus diesen Prinzipien gemacht werden" 2 2 3 . Juristen sind nach Puchta „Träger der wissenschaftlichen Wahrheit" 2 2 4 . Die Abkehr Puchtas von der frühen historischen Schule Savignys besteht darin, daß er damals anerkannten Rechtsquellen von Gewohnheitsrecht und Gesetzgebung eine dritte, nämlich das wissenschaftliche Recht, hinzugefügt hat 2 2 5 . Die 220 Roellecke, Grundfragen der juristischen Methodenlehre u n d die Spätphilosophie L u d w i g Wittgensteins, i n : Festschrift f ü r G. Müller, S. 323; Rottleuthner, Richterliches Handeln, Z u r K r i t i k der juristischen Dogmatik, S. 1. 221 Puchta, Institutionen I, S. 37; Wilhelm, S. 77. 222 Puchta, Gewohnheitsrecht I I , S. 15; Wilhelm, S. 77. 223 Puchta, Vorlesungen I, S. 41; Wilhelm, S. 77. 224 Puchta, Vorlesungen I , S. 42; Wilhelm, S. 77. 225 Wilhelm, S. 77, 80.

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I. Die Frage der Verfassungsmäßigkeit von Sonderabgaben

Vernünftigkeit des Rechts verdrängte als Quelle und Geltungsgrund den Volksgeist und Volkswillen. Wenn bei Puchta noch der Volksgeist als Rechtsquelle Erwähnung findet, so handelt es sich dabei um die überkommene, aber zurückgedrängte Ansicht der historischen Schule. Nach Auffassung der historischen Schule handeln Juristen als Repräsentanten des Volkswillens und sprechen unmittelbar Volksansichten aus, während sie nach Puchta — und darin besteht nun die Abwendung von der historischen Schule — wissenschaftliches Recht deduzieren, wissenschaftliche Wahrheiten aussprechen, die nichts mehr mit dem organisch gewachsenen Volksrecht zu t u n haben, sondern ein Produkt der Vernunft, ein Recht aus dem Begriff darstellen 2 2 6 . Grundsätzlich waren sich Puchtas Anhänger darin einig, daß das Recht dem Begriff entspringe und daß alle wissenschaftliche Fortbildung des Rechts Entwicklung aus dem Begriff bedeute 227 . Recht aus dem Begriff zu gewinnen, wurde damit zum Hauptkennzeichen der Begriffsjoirisprudenz. Noch nach Savigny sollten die allgemeinen Begriffe nicht als Grundlagen des Rechts selber angesehen werden, sondern die „allgemeinen Formeln" sollten nur dem Zweck dienen, „das Recht aufzufassen und seinen Inhalt zu concentrieren" 2 2 8 . I m Gegensatz zu Savigny verstand Puchta Begriffe als selbständige Wesen, aus denen man konkrete Entscheidungen und dogmatische Lehrsätze ohne Anschauung der gesellschaftlichen Realität i m Wege logischer Entwicklung zu erschließen suchte. Puchta nannte dies die „Genealogie der Begriffe, die Abstammung eines jeden Begriffs durch alle M i t t e l glieder, die an seiner Bildung Antheil haben, auf- und abwärts verfolgen" 2 2 9 . Es sollte also die Herkunft eines jeden einzelnen Gesetzes bis hinauf zum Begriff des Rechts und von diesem obersten Rechtsbegriff wiederum hinab zu jedem einzelnen Recht verfolgt werden können. Die Natur des Rechts sollte dadurch bestimmt werden 2 3 0 . Puchtas Bedeutung für die heutige juristische Argumentationsweise besteht i n der Konzeption eines sogenannten wissenschaftlichen Rechts. Noch heute ist Puchtas Unterscheidung zwischen der Autorität des wissenschaftlichen Redits, des Rechts aus dem Begriff, und der Autorität des Volkswillens, des Rechts des Gesetzgebers, erkennbar. Noch heute versucht man ganz i m Sinne Puchtas einzelne Rechtssätze aus Begriffen herzuleiten, um diese Rechtssätze unangreifbar zu machen, ihnen Autorität zu verleihen. Man spricht dabei von begründeten oder legitimierten Rechtssätzen. Die allgemeinen Begriffe sind die der Verfassung, aus denen die Rechtssätze des Gesetzgebers abgeleitet werden. Es läßt sich beobachten, daß ein Rechtssatz, insbesondere bei Sonderabgabegesetzen, dann ver226 227 228 229 230

Ebd., S. 79. Ebd., S. 81. Ebd., S. 82; F. von Savigny, System I, S. 47. Puchta, Institutionen I , S. 101; Wilhelm, S. 83. Wilhelm, S. 83.

9. Recht aus Begriffen

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fassungsmäßig genannt wird, wenn er sich auf verfassungsrechtliche Begriffe zurückführen läßt. Sonderabgabengesetze versucht man aus Begriffen der Verfassung herzuleiten. Neben dieser Unterscheidung zwischen zwei A r t e n von Autorität ist noch eine weitere Parallele zwischen Puchtas Methoden und der heutigen Argumentationspraxis zu beobachten. Es handelt sich u m das Primat des Rechts aus dem Begriff gegenüber dem Recht des Volkswillens. Das Verhältnis beider Autoritäten ist so geordnet, daß der Gesetzgeber an die Verfassung gebunden sein soll, so daß seine Rechtssätze sich auf die Verfassung zurückführen lassen müssen. Die heutige Argumentationspraxis, die hier abkürzend als die Regel vom Recht aus Begriffen bezeichnet wurde, mit der man Sonderabgabengesetze zu begründen, zu rechtfertigen, zu legitimieren versucht, hat ihre Wurzeln also i m Gesetzesposiitivismus Labands. Laband erweist sich als der Repräsentant einer methodischen Entwicklung, die über Puchta, Jhering und Gerber sich vollzog 2 3 1 . Labands Methode stellt noch heute den einzigen überkommenen Gesamtentwurf einer verfassungsrechtlichen Methodik dar 2 3 2 . Daß die Methode, Recht aus Begriffen zu gewinnen, noch heute die Argumentationspraxis beherrscht, läßt sich an der Argumentation nachweisen, m i t der Sonderabgabengesetze begründet werden. Eine Methodenkritik muß also an der hier aufgezeigten Position Labands, an der Position der Begriffsjuristen, anknüpfen. Bisher wurde der größere Rahmen dargestellt, in dem die Diskussion um den Begriff der Steuer i m Finanzverfassungsrecht steht. Die Verfassungsmäßigkeit von Sonderabgabengesetzen w i r d davon abhängig gemacht, ob sie aus Begriffen der Verfassung hergeleitet werden können. Ist dies der Fall, so w i r d von dem Gesetz gesagt, es habe einen Verfassungsvorbehalt und sei somit verfassungsmäßig. Es sei begründet, gerechtfertigt, legitimiert. Der Verfassungsvorbehalt ist i m einzelnen umstritten. Es w i r d diskutiert, welcher von mehreren i n Frage komme, z.B. ob nun der Begriff „Steuer", der Begriff „Recht der Wirtschaft", ob ein ungeschriebener Verfassungsvorbehalt anzunehmen sei, ob Kompetenznormen die Funktion eines Verfassungsvorbehalts haben können oder nicht. Die Frage, ob überhaupt ein Verfassungsvorbehält zur Verfassungsmäßigkeit eines Gesetzes nachgewiesen werden muß, w i r d selten gestellt 2 3 3 , und wenn, dann nur ohne weitere Argumentation angenommen oder abgelehnt 234 . Zweifel an dem Verfahren werden durch die Unergiebigkeit der Annahme eines Verfassungsvorbehalts für offene Fragen bezüglich der Sonderausgaben geweckt. Für Fragen nach der zulässigen Höhe, den Beteiligten, den Abgabezwecken, der Organisations231 232 233 234

F. Müller, Juristische Methodik, S. 59. Ebd., S. 195. Meessen, S. 928. Götz, S. 219.

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I. Die Frage der Verfassungsmäßigkeit von Sonderabgaben

form läßt sich kaum etwas daraus gewinnen, welcher Verfassungsvorbehalt angenommen wird. Die Annahme eines ungeschriebenen Verfassungsvorbehalts begründet letztlich den Verdacht, es werde um jeden Preis ein Verfassungsvorbehalt i n Form eines Begriffs aus der Verfassung gesucht und auf einen solchen Verfassungsvorbehalt komme es letzten Endes gar nicht an. 10. Das Grundschema der Begriffsdiskussion an Beispielen der Finanzverfassung M i t den bisherigen Darlegungen, insbesondere zur Regel vom Recht aus Begriffen, sollte auf die wichtige Rolle aufmerksam gemacht werden, die Begriffe der Verfassung i m Verhältnis von Grundgesetz und Gesetzgeber spielen. Übereinstimmend w i r d die Forderung erhoben, die Verfassung dürfe nicht zur Disposition des Gesetzgebers stehen 235 . Der Gesetzgeber sei an die Verfassung gebunden. Hier soll nun betont werden, daß die Bindung an die Verfassung zunächst als Bindung an die Begriffe der Verfassung angesehen werden muß. I m Rahmen der finanzverfassungsrechtlichen Problematik w i r d immer wieder darauf hingewiesen, wie wichtig es sei, die Kompetenzordnung einzuhalten und den Gesetzgeber daran zu hindern, diese zu unterlaufen. Voraussetzung dazu sei, ein m i t Verf assungskr aft feststehender Begriff der Steuer 2 3 6 . Verfassungsrecht, das nicht dispositiv sein soll, erfordert Begriffe, die nicht dispositiv sind. Die Begriffe der Verfassung sollen Maßstab, Muster und Vorbild sein, nicht aber dispositiv. Unsicherheit ist allerdings i n der Frage zu beobachten, ob die Begriffe der Verfassung dem Gesetzgeber unbeeinflußbar vorgegeben sind oder ihren Gehalt aus unterverfassungsrechtlichem Recht beziehen. A n der einerseits erhobenen Forderung, der Gesetzgeber solle an die Verf assung gebunden sein, und andererseits an dem Zugeständnis, der Gesetzgeber habe Begriffe der Verfassung mit Inhalt zu füllen, wurde das Problem der Bindungsparadoxie aufgezeigt. Einig ist man sich i n der Forderung, daß der Gesetzgeber an die Verfassung gebunden sein soll; offen dagegen ist die Vorfrage, ob er überhaüpt gebunden sein kann. Den Widerspruch zwischen der Bindungsforderung einerseits und der Ausgestaltungsfunktion des Gesetzgebers andererseits hebt vor allem Häberle hervor. Erkenne man die Ausgestaltungsbedürftigkeit der Grundrechte an, müsse man die Bindung des Gesetzgebers an die Grundrechte ablehnen 287 . Das Problem der Bindungsparadoxie läßt sich auf die Frage konzentrieren, ob Begriffe der Verfassung dispositiv 235 Vogel, Finanzverfassung u n d politisches Ermessen, S. 26; Selmer, Steuerinterventionismus, S. 40, 184, 197; Friauf, Verfassungsrechtliche Grenzen, S. 13,14; Starck, S. 193; Bopp, S. 201 f. 288 237

Selmer, S. 184; Friauf, Verfassungsrechtliche Grenzen, S. 13,14. Häberle, Die Wesensgehaltsgarantie, S. 163.

10. Das Grundschema der Begriffsdiskussion

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oder ob sie unbeeinflußbar vorgegeben sind. Hier schon zeigt sich die methodische Verwandtschaft mit dem Problem der Gruppenbildung, das sich i n der Frage zusammenfassen ließ, ob Gruppen für den Gesetzgeber machbar oder ihm vorgegeben seien. Um die Frage beantworten zu können, ob Begriffe dispositiv oder machbar einerseits oder vorgegeben und unbeeinflußbar feststehend andererseits sind, muß untersucht werden, wovon die Verwendung bestimmter Begriffe abhängig ist. Verwandt ist diesem Problem die Frage, ob Begriffe der Verfassung Legitimationsgrundlagen für Gesetze sein können. Gesetze glaubt man durch Herleitung aus Begriffen der Verfassung rechtfertigen zu können, was als die Kegel vom Hecht aus Begriffen bezeichnet wurde und was sich als begriffsjuristische Methode erwiesen hat. Eine Ermächtigungsgrundlage für ein Abgabengesetz zu fordern und zu suchen beruht auf der Ansicht, der Verfassungsgesetzgeber habe bestimmte Gesetze nach A r t und Ausstattung schon vorgesehen und den Gesetzgeber zu deren Erlaß ermächtigt, während andere Gesetze nicht vorgesehen und deshab verfassungswidrig seien. Die Verfassung wäre danach als eine A r t Sammlung von Mustern für Gesetze zu verstehen, auf die der Gesetzgeber beschränkt ist. Die Funktion der Muster erfüllen die Begriffe der Verfassung, und danach wäre eine einfach-gesetzliche Regelung als dem Begriff der Verfassung „entsprechend" zu deuten 2 3 8 . Nachdem nun gezeigt wurde, daß die Diskussion um Begriffe dazu dient, Ermächtigungsgrundlagen für Abgabengesetze i n der Verfassung nachzuweisen und die Einhaltung der Kompetenzordnung zu sichern, letzten Endes — und darin liegt das Hauptmotiv — den Gesetzgeber an die Verfassung zu binden, gilt es nun darzulegen, nach welchem Grundschema die Diskussion um Begriffe abläuft. Es werden Unterschiede und Gemeinsamkeiten zwischen den Abgabetypen und den zu qualifizierenden Abgabegesetzen diskutiert. Die Gemeinsamkeiten m i t einem Abgabetyp, wie etwa dem der Steuer, bestimmen die Qualifikation. Unumgänglich muß sich die Frage anschließen, worauf sich Unterschiede und Gemeinsamkeiten beziehen, wovon sich das zu qualifizierende Abgabengesetz unterscheidet und womit es Gemeinsamkeiten hat. Es ist die Frage nach dem Maßstab und dem Muster des Vergleichs, die Frage, was dafür maßgebend sein soll, ob ein Abgabengesetz als Steuer, Beitrag, Gebühr oder Sonderabgabe zu qualifizieren ist. Auffallend und besonders i n der abgabenrechtlichen Diskussion unübersehbar w i r d das Wesen des jeweiligen Abgabentyps, z.B. das Wesen der Steuer als Maßstab bemüht. Unterschiede und Gemeinsamkeiten werden als wesentlich oder unwesentlich voneinander abgehoben. Gleichbedeutend ist damit die Bezugnahme auf den „Begriff", etwa der 238 Leisner, Von der Verfassungsmäßigkeit der Gesetze zur Gesetzmäßigkeit der Verfassung, S. 38.

5 8 I .

Die Frage der Verfassungsmäßigkeit von Sonderabgaben

Steuer. Es ist von Begriffsnotwendigkeit die Rede. Dieses Grundschema soll zum Gegenstand einer sprachtheoretischen Untersuchung gemacht werden. Zuvor sollen Beispiele als Belege angeführt werden. Dieses Schema, zunächst Unterschiede und Gemeinsamkeiten aufzuzeigen und dann das Wesen als Maßstab zu benutzen, läßt sich schon i m Urteil des Bundesverfassungsgerichts zur Investitionshilfe beobachten. A u f Gemeinsamkeiten Bezug nehmend, w i r d ausgeführt, die Investitionshilfe weise einige einer Steuer verwandte Züge auf. Die Finanzbehörden wirkten bei ihrer Aufbringung mit, und die Aufbringungspflicht sei zunächst öffentlich-rechtlich. Dies mache die Investitionshilfe aber nicht zu einer Steuer. Die Unterschiede werden darin gesehen, daß die Leistungen i n privatrechtliche Beziehungen einmünden. Es werde an den marktwirtschaftlichen Vorgang der Zeichnung von Wertpapieren angeknüpft. Die Leistungen der Aufbringungsschuldner stünden den Gegenleistungen der begünstigten Unternehmen gegenüber. Die Aufbringungsbeträge gelangten nur als durchlaufende Mittel i n das Sondervermögen Investitionshilfe. Es handele sich nicht um die Verwaltung staatlicher Einkünfte, sondern um staatliche Kreditlenkung und um Vermittlung zwischen Aufbringungsschuldnern und begünstigten Unternehmen. Dies alles zeige, daß die Investitionshilfe sich ihrem Wesen nach von der Steuer unterscheide 289 . Während i m Fall der Investitionshilfe die M i t wirkung der Finanzbehörde, eine gemeinsame Eigenschaft von Steuerund Investitionshilfe, nach Ansicht des Bundesverfassungsgerichts die Steuernatur nicht ausmachen konnte, war diese Eigenschaft für die Qualifikation der Förderungsabgabe nach dem Badischen Gesetz zur Förderung des Wiederaufbaus in Gebäudebrandschadensfällen maßgebend. Diese Abgabe — und darin liege der Unterschied — werde von einer öffentlich-rechtlichen Versicherungsanstalt erhoben und nicht, wie die Steuer, vom Bund, von den Ländern oder von Gebietskörperschaften. Dieser Unterschied verleihe ihr einen besonderen Charakter 2 4 0 . Einmal kommt es also auf die M i t w i r k u n g der Finanzverwaltung an, ein andermal nicht 2 4 1 . Ansonsten beschränkt sich das Bundesverfassungsgericht darauf, den Unterschied zwischen Steuern und Sonderalbgaben darin zu sehen, daß Sonderabgaben nicht zur Deckung des Finanzbedarfs der öffentlichen Verwaltung bestimmt seien 242 , und verneint damit den Steuercharakter. Deutlicher noch läßt sich das beschriebene Grundschema bei der Begriffsdiskussion i n der einschlägigen Literatur zu den Sonderabgaben ausmachen, die sich fast ausschließlich auf die Abgrenzung der Sonder239 240 241

B V e r f G 4, S. 13,14. B V e r f G 10, S. 141,157. Selmer, S. 189, zur organisatorischen Eingliederung als formales K r i t e -

rium. 242

BVerfG 8, S. 317; B V e r w G 6, S. 134,138.

10. Das Grundschema der Begriffsdiskussion

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abgaben von den herkömmlichen Abgabentypen beschränkt 243 . I m Verhältnis der Sonderabgaben zu den Gebühren w i r d auf den Unterschied abgehoben, daß Sönderabgaben kein spezielles Entgelt darstellen. Sonderabgaben seien ohne Gegenleistungen zu erbringen und könnten deshalb nicht als Gebühren bezeichnet werden 2 4 4 . Dagegen ist die Abgrenzung zwischen Sonderabgaben und Beiträgen nicht so leicht vorzunehmen. Die Gemeinsamkeit bestehe darin, daß Sonderabgaben wie Beiträge bestimmte hoheitliche Veranstaltungen finanzierten und das Aufkommen beider Abgaben von vornherein zweckgebunden sei. Ein grundsätzlicher Unterschied bestehe darin, daß bei den Sonderabgaben der Kreis der Aufbringungspflichtigen und der Kreis der Begünstigten nicht identisch sei, wie es für die Beiträge bezeichnend ist. Ganz i m Gegenteil würden den Sonderabgabenpflichtigen typischerweise keine Vorteile erwachsen, was uneingeschränkt jedoch nur für die fremdnützigen Sonderabgaben g i l t 2 4 5 . Wesensnotwendig sei es für den Beitrag, daß ein Kreis von Personen belastet werde, von denen zu vermuten sei, daß sie durch die betreffenden Veranstaltungen des Beitragsgläubigers einen Sonder^ vorteil erhalten 2 4 8 . Bei aller Ähnlichkeit sei letztlich dieses K r i t e r i u m ausschlaggebend 247 . Zwar bestünden Gemeinsamkeiten, doch sei der Unterschied wesentlich 248 . I n ihrem Wesen seien Beiträge und Sonderabgaben verschieden und könnten nicht i n dieselbe Gruppe der Abgaben eingeordnet werden 2 4 9 . Die Untersuchung der Sonderabgaben i m Verhältnis zu den Steuern ist für das angegebene Grundschema, insbesondere für die Begründung nach dem Maßstab des Wesens beispielhaft. Eine Subsumtion unter den Steuerbegriff wäre nur möglich, wenn das Wesen von Steuern und Sonderabgaben gleich wäre 2 5 0 . Vorangestellt w i r d die Gemeinsamkeit als entgeltlose Belastung, und danach w i r d auf die Unterschiede eingegangen. Als Unterschied zwischen Sonderabgaben und Steuern w i r d das Merkmal der „Erzielung von Einkünften" untersucht und i m Ergebnis von M a i als dem Steuercharakter nicht entgegenstehend verstanden 251 . Die für die Sonderabgaben als typisch bezeichnete wirtschafts- und sozialpolitische Zielsetzung stehe dem nicht entgegen, da sie mit den finanzwirtschaftlichen Zielen verträglich sei 2 5 2 . Gemeinsam sei Sonderabgaben und Steuern die Mittelbeschaffung m i t dem Un248 244 245

*4β 247 248 249 250 251 252

Mußgnug, S. 270; Friauf, öffentliche Sonderlasten, S. 52. Mai, Sonderabgaben, S. 115. Hierbei ist Mais Gliederung der Sönderabgaben zugrundegelegt. Mai, Sönderabgaben, S. 116. Ebd., S. 121. Ebd., S. 122. Ebd., S. 122. Ebd., S. 122. Ebd., S. 122. Ebd., S. 122.

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I. Die Frage der Verfassungsmäßigkeit von Sonderabgaben

terschied, daß einmal die spezielle Mittelverwendung bei Sonderabgaben schon m i t dem Gesetz und bei den Steuern erst vom Haushaltsgesetzgeber bestimmt werde. Darauf komme es aber nicht an 2 5 3 . Der Unterschied zwischen Sonderabgaben und Steuern bestehe darin, daß der Ertrag statt i n den Haushalt i n besondere Fonds fließt. Entscheidend sei jedoch, ob dieser Unterschied für den Steuerbegriff wesentlich sei. Die Verwendung des Steuerertrages sei ein rein haushaltsrechtliches Problem. Das innere Wesen einer Steuer, ihr Charakter und ihr Aufbau würden jedoch überhaupt nicht davon berührt, ob ihr Ertrag in die allgemeine Finanzkasse fließe oder einem Sonderfonds überwiesen werde 2 5 4 . Man werde sowohl der Fassung des § 1 RAO als auch dem Wesen der Steuer gerecht, wenn man nur verlange, daß die aufzubringenden M i t t e l zur Finanzierung öffentlicher Aufgaben dienen müßten 2 5 5 . Was die für Sonderabgaben typische Wechselwirkung zwischen Einnahmen und Ausgaben, den sachlichen Zusammenhang zwischen Aufbringung und Mittelverwendung betreffe, so w i r d auch hier betont, diese Eigenschaft stehe dem Wesen der Steuer nicht entgegen 256 . Insgesamt also vertritt Mai die Ansicht, Sonderabgaben seien als Steuern zu qualifizieren. Die einzelnen Unterschiede zwischen Sonderabgaben und Steuern, zweckgebunden zu sein, nicht i n den Haushalt, sondern in Fonds zu fließen und nicht i n erster Linie finanzwirtschaftlichen Zwecken zu dienen, werden als unwesentlich oder nicht dem Wesen der Steuer entgegenstehend angesehen. Dieses Argument vom Wesen soll einer eingehenden kritischen Überprüfung aus methodischer Sicht unterzogen werden. Schon hier soll festgehalten werden, daß auf diese Weise gefundene Ergebnisse sich nicht nachvollziehen lassen und eine Untersuchung dieses Arguments notwendig erscheint. Nach demselben Schema versucht man auch die Sozialversicherungsbeiträge, die eine bedeutende Geruppe der Sonderabgaben darstellen 2 5 7 , zu qualifizieren. Als Beispiel für diese Argumentationsweise soll Isensees umfangreiche Darlegung aus jüngster Zeit herangezogen werden. Der Sozialversicherungsbeitrag w i r d zunächst vom finanzrechtlichen Beitrag, der Vorzugslast, wie z. B. dem Erschließungsbeitrag unterschieden 258 . Gemeinsam ist dem Sozial Versicherungsbeitrag m i t dem finanzrechtlichen Beitrag, daß er ein Entgelt darstellt, dem ein individueller Versicherungsschutz als Gegenleistung entspricht. Von der ebenfalls entgeltlichen Gebühr unterscheidet sich der Sozial Versicherungsbeitrag darin, daß die 253

Ebd., S. 122. Ebd., S. 127, 128 m i t weiteren Nachweisen zu diesem Ergebnis, das von i h m auf S. 31 als überwiegende Meinung bezeichnet w i r d . 255 Ebd.,S. 138,139. 256 Ebd., S. 147. 257 Selmer, S. 188. 258 Isensee, S. 32. 254

10. Das Grundschema der Begriffsdiskussion

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Pflicht zur Leistung auch dann besteht, wenn der Pflichtige den Versicherungsschutz nicht i n Anspruch nimmt; eine Eigenschaft, die der Sozialversicherungsbeitrag mit dem finanzrechtlichen Beitrag teilt. Gemeinsam ist dem Sozial Versicherungsbeitrag, dem finanzrechtlichen Beitrag der Äquivalenzgedanke, wonach sich Leistung und Gegenleistung gleichwertig gegenüber stehen. Diese Gemeinsamkeit liegt insofern vor, als auf den Gesamtkostenaufwand der versicherten Gemeinschaft abgestellt w i r d (Globaläquivalenz). Der Unterschied besteht nun darin, daß der Entgelt-Charakter des Sozialversicherungsbeitrages insoweit modifiziert wird, als der Äquivalenzgedanke von dem Solidargrundsatz i n den Beziehungen der Pflichtmitglieder untereinander eingeschränkt wird. Die Beitragshöhe richtet sich nicht nach der möglichen Gegenleistung, sondern nach der Leistungsfähigkeit des einzelnen. Die individuelle Belastung beim finanzrechtlichen Beitrag darf dagegen das Maß des Vorteils nicht überschreiten. Es werden nur persönliche Vorteile, nicht aber auch — wie beim Sozialversicherungsbeitrag — soziale Unterschiede ausgeglichen. Gebühr und finanzrechtlicher Beitrag stellen auf die individuelle Beziehung zwischen dem staatlichen Leistungsträger und dem individuellen Leistungsempfänger ab, nicht aber, wie beim Sozialversicherungsbeitrag, auf die kollektive Beziehung. Beim Sozialversicherungsbeitrag muß der Leisungsfähigere ohne Rücksicht auf seinen individuellen Vorteil auch für das weniger leistungsfähige Pflichtmitglied leisten 2 5 9 . Die Anknüpfung an das Leistungsfähigkeitsprinzip stelle den Unterschied dar, aufgrund dessen der Sozialversicherungsbeitrag nicht dem finanzrechtlichen Beitrag zugeordnet werde. Als solche finanzrechtlichen Beiträge seien die öffentlich-rechtlichen Individualversicherungen zu qualifizieren, denen die Solidarkomponente fehle, wie ζ. B. bei Brandkassen mit Beitragshoheit 2 6 0 . Die Bemessung der Abgabenlast nach dem Leistungsfähigkeitsprinzip, die Eigenschaft, die die Sozialversicherungsbeiträge von den finanzverfassungsrechtlichen Beiträgen unterscheidet, ist hingegen der Verbandslast und dem Sozialversicherungsbeitrag gemeinsam. Die Verbandslast oder der korporative Beitrag soll keine einzelnen Leistungen abgelten, sondern den Finanzbedarf der Korporationen, ζ. B. der Notarkammern, decken und knüpft an die bloße Mitgliedschaft an. Diesen korporativen Beiträgen fehlt der Entgeltcharakter, der im Unterschied dazu den Sozialversicherungsbeiträgen eigen ist 2 8 1 . M i t den Steuern hat der Sozialversicherungsbeitrag die wirtschaftlichen Wirkungen gemeinsam, was vielfach Grund für die Annahme der 259 290 261

Ebd., S. 35. Ebd., S. 36. Ebd., S. 37.

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I. Die Frage der Verfassungsmäßigkeit von Sonderabgaben

Steuerqualität ist 2 6 2 . Allerdings werden auch Unterschiede diskutiert, die als unerheblich oder erheblich angesehen werden. Ein Unterschied bestehe darin, daß der Sozialversicherungsbeitrag nicht von einem öffentlichen Gemeinwesen erhoben werde. Dem Träger der Sozialversicherung komme keine Steuerhoheit zu. Dieser Unterschied sei für die Qualifikation allerdings unerheblich, da es sich um ein K r i t e r i u m dafür handele, ob die Steuer zulässig erhoben werde, das aber für die Abgabenform Bedeutung habe 2 6 3 . Nach anderen Ansichten soll die A r t der Erhebung allerdings für den Steuercharakter maßgeblich sein 2 6 4 . Unerheblich sei ebenfalls der Unterschied, daß der Sozialversicherungsbeitrag Umverteilungsfunktion habe. Jede Steuer diene auch Nebenzwecken, und die reine Fiskalsteuer sei ein nicht existierender Idealtyp 2 6 5 . Gemeinsam sei weiterhin der anerkannten Erscheinungsform der Zwecksteuer und den Sozial Versicherungsbeiträgen die Globaläquivalenz. Dem Steuergesetzgeber stehe es frei, die Verwendung des Steueraufkommens an einen Zweck zu binden, wie es j a bei der Mineralölsteuer zu Zwecken des Straßenbaues der Fall ist 2 6 6 . Der Unterschied besteht nun darin, daß nicht nur die Gesamteinnahmen der Sozialversicherung wie bei den Zwecksteuern gebunden sind, sondern daß die jeweilige Abgabenschuld des einzelnen Pflichtigen eine Gegenleistung voraussetze, auch wenn diese kein genaues Äquivalent darstelle. Die Versicherungsleistung macht den steuerfremden Entgeltcharakter aus. I m Sozialversicherungsrecht gelten nicht die Grundsätze des Steuersystems, ohne Ersatz zu nehmen und ohne Entgelt zu geben 267 . Der Unterschied zur Steuer werde dadurch gewahrt, daß der Solidarausgleich auf eine homogene Bevölkerungsgruppe beschränkt bleibe. Je mehr sich die Sozialversicherung allerdings der Volksversicherung annähere, desto näher rücke der Sozialversicherungsbeitrag der Steuer 2 6 8 . Gruppensolidarität und Individualäquivalenz sind die Unterschiede, die den Sozialversicherungsbeitrag von der Steuer trennen 2 6 9 . Die Belastung der Versichertengemeinschaft m i t den Kosten der studentischen Krankenversicherung sei nun ein Beispiel für einen solidarentfremdeten Beitrag, der notwendig als Zwecksteuer angesehen werden müsse. Isensee vertritt die Ansicht, die Studenten gehörten nicht der homogenen Solidargemeinschaft der Pflichtmitglieder i n der gesetzlichen Krankenversicherung an, da sie nicht im Erwerbsleben stehen 270 . 262 263 284 265 2ββ 267 268 2 M 270

Ebd., S. 37 m i t weiteren Nachweisen. Ebd., S. 39. Brodersen, S. 108. Isensee, Umverteilung, S. 39. Ebd., S. 40. Ebd., S. 40. Ebd., S. 41. Ebd., S. 42. Ebd., S. 23.

10. Das Grundschema der Begriffsdiskussion

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Diese Qualifizierungsdiskussion dient dem Zweck, die Kompetenzen für die Sozialversicherung nach A r t . 74 Nr. 12 GG von anderen, insbesondere von der Kompetenz zur Steuererhebung abzugrenzen 271 . Von Interesse ist deshalb die Frage, wie i n Zweifelsfällen die Grenze zwischen Steuer und Sozialbeitrag zu ziehen ist. Es handelt sich um die Frage, welche Gemeinsamkeit als erheblich oder als unerheblich angesehen wird. Isensee räumt ein, nicht jedwede Zweckentfremdung mache den Sozialversicherungsbeitrag zur Steuer. Als Maßstab für diese Grenze nennt er den Abgabentypus, von dessen Wesensgesetzen sich die jeweilige Abgabe nur m i t einer bestimmten Quantität entfernen dürfe, um nicht i n die Qualität des anderen Typus umzuschlagen 272 . Die Schwelle zur Steuer lasse sich nicht begriffsscharf markieren 2 7 3 . Hier ist nun wieder aus methodischer Sicht die Frage nach dem Maßstab zu stellen, der dafür ausschlaggebend ist, ob ein Unterschied wesentlich oder unwesentlich ist, ob eine Steuer oder ein Sozialversicherungsbeitrag vorliegt. Dazu macht Isensee nun die methodisch relevante Bemerkung, der „Typus Sozialversicherung" entscheide. Dieser werde durch einen festen Wesenskern konstituiert — einen Grundbestand von Prinzipien, welcher die Identität der Kompetenzmaterie ausmachen solle. Die kompetenzrechtliche Qualifikation fordere nicht die Subsumtion unter einen verfassungsrechtlich definierten „Massenbegriff Sozialversicherung", sondern die Zuordnung zum verfassungsrechtlich intendierten „Typus Sozialversicherung" aufgrund eines Strukturausgleichs 274 . Schließlich ist von einem typus-gerechten Solidarausgleich die Rede 275 , durch den die Kompetenzen abgegrenzt werden sollen. Aus methodischer Sicht ist also die Frage nach dem Maßstab zu stellen, der die erheblichen von den unerheblichen Unterschieden und Gemeinsamkeiten zu trennen vermag. Besonders deutlich nennt das Bundesverfassungsgericht i n der Kindergeldentscheidung den Maßstab. Das „Wesen der Sozialversicherung" sei ausschlaggebend 276 . „Dazu gehöre die jedenfalls gemeinsame Deckung eines möglichen, i n seiner Gesamtheit schätzbaren Bedarfs durch Verteilung auf eine organisierte Vielheit 2 7 7 ." „Die Formulierung des A r t . 74 Nr. 12 GG versteht Sozialversicherung' vielmehr als verfassungsrechtlichen Gattungsbegriff, der alles umfaßt, was sich der Sache nach als Sozialversicherung darstellt." Das Bundesverfassungsgericht spricht von einem Mißverständnis zu glauben, „das Wort,Sozial Versicherung' sei i n der Verfassung nicht als Gattungsbegriff gemeint und stehe 271 272 278 274 275 276 277

Ebd., S. 44. Ebd., S. 43. Ebd., S. 43. Ebd., S. 45. Ebd., S. 49. B V e r f G 11, S. 105,112,113. B V e r f G 11, S. 105,112.

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I. Die Frage der Verfassungsmäßigkeit von Sonderabgaben

auch hier nur für die vier klassischen Versicherungszweige" (Krankheit, Alter, Invalidität und Unfall) 2 7 8 . Das Bundesverfassungsgericht führt weiter aus, wie der Kreis der Sachverhalte immer mehr erweitert wurde. Zuerst sei die Sozialversicherung für den Arbeiter, später für Angestellte m i t geringem Einkommen geschaffen worden. „Die durch Krieg und Inflation bedingten gesellschaftlichen Umwälzungen führten dazu, den Kreis der Betreuten immer mehr auszuweiten", auf Arbeitnehmer mit höherem Einkommen und auf Selbständige. Für die hier interessierende Frage nach dem Maßstab der Begriffsverwendung ist schließlich wieder der folgende Satz bedeutsam: „Die Beschränkung auf Arbeitnehmer und auf eine Notlage gehört also nicht zum Wesen der Sozialversicherung 270 ." I m Anschluß an diese Formulierungen drängen sich die Fragen auf, was denn nicht und was denn noch zum Wesen der Sozialversicherung gehöre, was sich und was sich nicht der Sache nach als Sozialversicherung darstelle. Diese Fragen bleiben offen. Es fragt sich i m konkreten Fall, welche Auskunft das nach dem Bundesverfassungsgericht maßgebende Wesen der Sozialversicherung dazu geben kann, ob die Gruppe der Studenten i n den Kreis der Beteiligten gehört und ob nicht auch i n die Reihe der Sachverhalte von Krankheit, Alter, Invalidität und Unfall der Sachverhalt der Universitätsausbildung gehört. Dieser stellt zwar keine Notlage dar, was nach dem Bundesverfassungsgericht auch nicht zum Wesen der Sozialversicherung gehöre, hat aber m i t den angeführten Sachverhalten doch gemeinsam, menschliche Zustände partieller und vorübergehender Hilflosigkeit zu betreffen. Damit soll angedeutet sein, daß sich jede beliebige Ansicht auf das Wesen, den Typus oder den Begriff berufen kann, ohne daß man sie wiederlegen könnte. Es ist deshalb notwendig, vom methodischen Standpunkt her diese sehr häufig zu beobachtende Argumentation zu untersuchen, die nicht auf das Finanzverfassungsrecht beschränkt ist, nur hier besonders augenfällig hervortritt. I m Fall der Übernahme der Bergbau-Altrentenlast durch die gewerblichen Unternehmer taucht ebenfalls das Wesensargument auf. Aus dem Wesen der Unfallversicherung, die die Haftung des Unternehmers durch eine Solidargemeinschaft der Unternehmer ablöse, ergebe sich auch die Regelung der Übernahme der den gewerblichen Unternehmen branchenfremden Bergbau-Altrentenlast 2 8 0 . Nicht immer wurde derart unkritisch auf das Wesen der Steuer i n der abgabenrechtlichen Diskussion Bezug genommen. I m Anschluß an eine Bemerkung Neumarks 2 8 1 , wonach jede sachgerechte und i n diesem Sinne richtige Definition der Besteuerung alle die Elemente zum Ausdruck bringen müsse, die i n ihrem 278 BVerfG 11, S. 105,112. 279 BVerfG 11, S. 105,113. 280 BVerfG 23, S. 21. 281 Neumark, V o m Wesen der Besteuerung, S. 7.

10. Das Grundschema der Begriffsdiskussion

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charakteristischen Zusammenspiel das Wesen der als Steuer bekannten Abgaben ausmachten, meldet Bopp Zweifel an, ob damit die Funktion des Begriffs Steuer eindeutig geklärt sei 2 8 2 . Diesen Zweifel gilt es hier nachzugehen. U m das gleiche methodische Problem geht es bei der Frage, die unter dem Stichwort der Gleichartigkeit von Steuern behandelt w i r d 2 8 3 . Einen Tatbestand, an den ein Bundesgesetz bereits eine Steuer geknüpft habe, könne der Landesgesetzgeber nicht mehr mit einer gleichartigen Steuer belegen 284 . M i t dem K r i t e r i u m der Gleichartigkeit sei nichts gewonnen, wenn nicht der Maßstab angegeben werde. Vogel führt dazu aus: Da zwei Steuergesetze kaum je aufs Wort identisch seien, komme es auf die rechtlichen Gesichtspunkte an, nach denen bestimmte Übereinstimmungen als „wesentlich andere als unwesentlich" angesehen werden 2 8 5 . I m Vergleich etwa von Verkehrs- und Umsatzsteuern, die i n A r t . 106 GG Abs. 2 und Abs. 3 aufgeführt sind, können Unterschiede und Gemeinsamkeiten aufgewiesen werden. Wie aber diese Begriffe trennscharf definiert werden sollen, sei unerfindlich. Welche Übereinstimmungen wesentlich und welche Unterschiede unwesentlich sind, müsse sich aus der Verfassung selbst entnehmen lassen 286 . Auch hier zeigt sich die Neigung zu der A n nahme, es könne einen Maßstab geben, den die Verfassung selbst enthalte, i n Form eines Wesens, m i t dem eine Abgabe verglichen werden könnte, und dieser Vergleich ermögliche es, wesentliche von unwesentlichen Eigenschaften zu trennen. M i t diesen Darlegungen und Zitaten zum Grundschema der Begriffsdiskussion sollte zweierlei geleistet werden. Einmal galt es, eine häufig benutzte Argumentationsweise vorzuführen, wozu die Zitate möglichst originalgetreu wiedergegeben wurden. Diese Argumentationsweise soll i m folgenden methodischen Teil selbst Untersuchungsgegenstand sein. Darüber hinaus sollte das Problem der Sönderabgaben vorgestellt werden, daß Anlaß für die methodischen Untersuchungen ist, Hintergrundproblem für die i n weiten Teilen notwendigerweise abstrakte wissenschaftstheoretische Untersuchung sein soll und zu deren Verständnis beitragen kann. Vollständigkeit i n der Darstellung des Meinungsstandes über das Problem der Sönderabgaben ist nicht das Ziel. Angesichts des immer wiederkehrenden Grundschemas der Qualifikationsdiskussion schien die Darstellung von immer neuen Unterschieden und Gemeinsamkeiten der Abgaben endlos erweiterbar zu sein, und statt dieser Diskus282

Bopp, S. 117. 283 B V e r f G 7, S. 263. 284 B V e r f G 7, S. 258 ff. 285 Vogel, Z u r Konkurrenz zwischen Bundes- u n d Ländersteuer nach dem Grundgesetz, S. 313. 288

5 Rack

Ebd., S. 314.

6 6 I .

Die Frage der Verfassungsmäßigkeit von Sonderabgaben

sion zu folgen oder sie darzustellen, schien es angebrachter, die Frage zu behandeln, i n welcher Weise die ausschließlich auf der Begriffsebene stattfindende und deshalb fruchtlos anmutende Argumentation ersetzt werden könne. 11. Die Frage des Eigentumsschutzes vor Geldleistungspflichten I n den methodischen Zusammenhang der Diskussion u m Begriffe gehört auch das Problem der Sonderabgaben und der Schutz des Art. 14 GG vor Geldleistungspflichten. Auch hier verdeckt die überwiegend begriffliche Behandlung des Problems fruchtbarere Fragestellungen. Es ist an die Ausgangsfrage zu erinnern. Wie die Sonderabgaben, so sei auch die seit dem Investitionshilfeurteil des Bundesverfassungsgerichts vertretene Theorie, die Eigentumsgarantie schütze das Vermögen nicht gegen die Auferlegung von Geldleistungspflichten, an keiner Stelle auch nur ansatzweise begründet 2 8 7 . Dieser Hinweis Friauf s aus jüngster Zeit forderte die hier gestellte Vorfrage heraus, wie eine solche Begründung auszusehen habe. Auch Pestalozza weist darauf hin, daß diese A n sicht bis heute nicht begründet worden sei. Daß eine Rechtsprechung ständig ist, w i r d nicht als Begründung anerkannt 2 8 8 . A n diese Stellungnahmen aus jüngster Zeit soll angeknüpft werden. A u f die Darstellung der umfangreichen Problemdiskussion soll, der i h r bescheinigten mangelnden Überzeugungskraft entsprechend, m i t Ausnahme der aller jüngsten Stellungnahmen verzichtet werden 2 8 9 . Vielmehr soll, der selbstgesetzten Absicht folgend, Argumentationen zu untersuchen, der Frage nachgegangen werden, wie über einen derart wiederholten und trotzdem nicht überzeugenden Satz — Geldleistungspflichten greifen i n das Vermögen und nicht i n das Eigentum ein — argumentiert werden kann. Bei der Formulierung dieses Saitzes soll einmal von allen Nuancierungen abgesehen und die Aufmerksamkeit auf die Unterscheidung zwischen Vermögen und Eigentum gelenkt werden. M i t großer Beharrlichkeit werde immer wieder der Versuch unternommen, die Abgabenerhebung gegenüber der bloßen Vermögensbeeinträchtigung begrifflich als aliud auszuweisen und sie als relevanten Eingriff i n das Eigentum am geschützten Rechtsgut „Geld" zu charakterisieren 290 . A u f der Trennung von geschütztem Eigentum und ungeschütztem Vermögen w i r d bestanden 2 9 1 . Typisch ist auch i n diesem Zusammenhang wieder das Wesensargument. Es könne „das rechtliche Wesen der Auferlegung von Geld287

Friauf, öffentliche Sonderlasten, S. 52; Selmer, S. 299. Pestalozza, S. 177, m i t Überblick über diese Ansicht anzweifelnde Stellungnahmen. 289 Siehe die umfassende Darstellung bei Selmer, S. 295 ff. 290 Ebd., S. 303. 291 Ebd., S. 312. 288

12. Der Schutz vor Geldleistungspflichten als Gleichheitsproblem

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leistungspflichten kaum als Entziehung des Vollrechts „Eigentum am Geld" erfaßt werden 2 9 2 . Nicht nachvollziehbar bleibt auch die Ausage des Bundesverfassungsgerichts 293 , Schutzobjekt des A r t . 14 GG könnten zwar neben dem Sacheigentum auch andere Vermögenswerte Rechte sein, geschützt werde aber nicht „das Vermögen als solches". Die Behandlung des Verhältnisses von grundgesetzlichem Eigentumsschutz und der Belastung durch Geldleistungspflichten bleibt auf nicht nachvollziehbare Erwägungen beschränkt. Dieses Verhältnis von Eigentum und Vermögen zu Geldleistungspflichten soll hier als ein methodisches Problem der Begriffsbildung behandelt werden. Es soll untersucht werden, wovon die Verwendung der Begriffe Eigentum und Vermögen abhängt, worin der Grund für die begriffliche Trennung von Eigentum und Vermögen liegen kann. Zu dem eben behandelten Fragenkreis, ob Sönderabgaben Steuern sind oder nicht, besteht eine Verbindung insoweit, als es sich beides M a l um viel diskutierte Sätze handelt, über die sich bisher keine abschließende Meinung gebildet hat. Die beiden Sätze „Geldleistungspflichten sind Eingriffe ins Vermögen und nicht ins Eigentum" und „Sönderabgaben sind Steuern oder Abgaben eigener A r t " fordern eine methodische Betrachtung heraus. Es ist die Frage zu stellen, wie, nach welcher Methode, für oder gegen diese Sätze argumentiert werden kann. Wie es zu der Trennung der Begriffe Vermögen und Eigentum kam, vor allem, wie sich diese Trennung verfestigen konnte, soll die Frage sein, deren Klärung die sprachtheoretische Betrachtung dienen soll. 12. Der Eigentumsschutz vor Geldleistungspflichten als Gleichheitsproblem Diese Frage, wie es zu der rein begrifflichen Behandlung kommen konnte, welcher theoretische Hintergrund, vor allem, welches Sprachverständnis dafür verantwortlich zu machen ist, soll später erörtert werden. Ohne zunächst auf die A r t der Argumente einzugehen, soll ein neuer Ansatz vorgestellt werden, über die Beziehungen von Eigentumsschutz und Geldleistungspflicht mehr Klarheit zu gewinnen, wobei es sich hauptsächlich u m eine Neuformulierung der Frage als Gleichheitsproblem handelt. Gerade i n Verbindung mit dem Problem der Sönderabgaben läßt sich ein neuer Zugang zu dieser alten Frage schaffen. Art. 14 GG schütze nicht vor Geldleistungspflichten. Eine Geldleistungspflicht sei kein Fall der Enteignung. Die alte These, Enteignung sei ein Eingriff i n das Eigentumsrecht ohne Eingriff i n das Vermögen, 2 M 2 M



Ebd., S. 304, 303. B V e r f G 27, S. 326, 343.

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I. Die Frage der Verfassungsmäßigkeit von Sonderabgaben

die Steuer sei umgekehrt ein Eingriff i n das Vermögen ohne Eingriff i n das konkrete Eigentumsrecht w i r d als Ausgangspunkt der Überzeugung von der eigentums- und enteignungsrechtlichen Irrelevanz steuerlicher Eingriffe angeführt 2 9 4 . Ebenso alt sei die Erwägung, die sich schon bei Anschütz findet 2 9 5 , daß die mit der Enteignung verbundene Entschädigungspflicht — die regelmäßig i n Geld gewährt w i r d — zu dem offenbar sinnlosen Ergebnis führen müssen, dem Staat zuzumuten, das Geld, was er dem einzelnen nehmen wolle, auf dem Weg der Entschädigung unmittelbar wieder zurückgeben zu müssen. Eigentumsschutz vor Geldleistungspflichten w i r d demnach deshalb als unmöglich angesehen, w e i l i m Ergebnis dann der Staat ohne Einnahme bliebe und nur sinnlose Geldbewegungen stattfänden. Diesem Argument ist der Charakter des Selbstverständlichen nicht leicht abzusprechen. Es überzeugt, aber nur für den Fall, daß Geldleistungspflichten i n Form von Steuern erhoben werden, die grundsätzlich die Allgemeinheit belasten 298 . Entschädigungen für steuerliche Belastungen anzunehmen, hätte i n der Tat den Staat ohne Einnahmen zur Folge. Das aber gilt nicht für die Geldleistungspflichten i n Form von Sonderabgaben, m i t denen nicht die A l l gemeinheit, sondern einzelne Gruppen belastet werden. I m Falle der Sonderabgaben stellt sich das Problem der Lastengleichheit. Wenn M i n derheiten m i t Sonderabgaben über ihre Steuerbelastung hinaus i n A n spruch genommen werden, dann läßt sich die Ansicht, Geldleistungspflichten seien bloße Vermögenseingriffe, aber keine Enteignungen und deshalb entschädigungslos zu dulden, nicht mehr m i t dem Argument vom Staat ohne Einnahmen untermauern. Es ist also zu unterscheiden zwischen Geldleistungspflichten i n Form der die Allgemeinheit belastenden Steuern und i n Form der Minderheiten belastenden Sonderabgaben. Die Belastung einer einzelnen Gruppe läßt sich nicht mehr dadurch plausibel machen, daß der Staat ohne diese Abgabe ohne Einnahmen bliebe. Es stellt sich bei dieser Argumentation nämlich die Frage, warum gerade diese Gruppe und nicht die Allgemeinheit belastet werde. Das Problem der Beziehung zwischen Eigentumsschutz und Geldleistungsverpflichtung ist somit als ein Gleichheitsproblem zu charakterisieren, worauf vor allem Friauf i n jüngster Zeit besonders nachdrücklich hingewiesen hat 2 9 7 . Ausschließlich an den Begriff der Geldleistungspflichten anzuknüpfen verdeckt diese weiterführende Fragestellung. Es ist daran zu erinnern, daß vor allem das Bundesverfassungsgericht seit dem Investitionshilfeurteil sich darauf beruft, vor Geldleistungspflichten 294

Ebd., S. 297. Anschütz, Der Anspruch aus Vermögensbeschädigung, VerwArch. 5, 1897, S. 1 ff. (6); Selmer, S. 297, m i t wörtlichem Zitat. 298 Kirchhof, Besteuerungsgewalt u n d GG, S. 79; Friauf, öffentliche Sonderlasten, S. 45. 297 Friauf, öffentliche Sonderlasten, S. 52 ff. 295

12. Der Schutz vor Geldleistungspflichten als Gleichheitsproblem

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schütze A r t . 14 GG nicht. Gerade bei Sönderabgaben w i r d das Gleichheitsproblem durch die Bezugnahme auf den Begriff der Geldleistungspflichten abgeschnitten. Geldleistungspflichten werden also deshalb nicht als Fall einer Enteignung angesehen, weil sie Geldleistungspflichten sind, sondern wegen der absurden Folge, daß andernfalls der Staat ohne Einnahmen bliebe. Das aber gilt nur für Geldleistungspflichten i n Form der allgemein belastenden Steuern. Steuern sind als entschädigungslose Inanspruchnahmen zu verstehen, die nur deshalb entschädigungslos bleiben, weil alle gleichmäßig belastet werden und nicht alle entsprechend entschädigt werden können. Den Schutz des A r t . 14 GG generell für Geldleistungspflichten auszusetzen bedeutet, von vornherein die Frage abzuschneiden, ob die Auferlegung von Sönderabgaben nicht infolge der ungleichen Belastung ein Fall der Enteignung darstellen, mit der Besonderheit, daß die Ungleichheit der Belastung i m Entzug von Geld anstatt von unvertretbarem Sachvermögen besteht. Ausschlaggebend ist also nicht, ob Geld oder Sachen entzogen werden, sondern ob statt der Allgemeinheit ein einzelner oder eine einzelne Gruppe belastet wird. Das Argument, Geldleistungspflichten könnten deshalb keine Enteignung sein, weil eine Entschädigung unmöglich sei, und zwar aus zwei Gründen, einmal bliebe der Staat ohne Einnahmen und zum anderen würde Geld durch die Geldleistungspflicht genommen und durch die Entschädigung i n Geld wieder zurückgewährt, dieses Argument läßt sich nur i m Falle der Steuern verwenden. Hier wären die Folgen tatsächlich sinnlos. Der Staat bliebe ohne Einnahmen, und es käme bloß zu sinnlosen Geldbewegungen. I n den Fällen der Sönderabgaben w i r d das Gleichheitsproblem verdeckt, knüpft man an die Eigenschaft der Belastungen an, eine Verpflichtung zur Geldleistung zu sein. Auszuräumen ist i n diesen Fällen nun noch die zweite Variante des Arguments, Geldleistungspflichten könnten keine Enteignung sein, da es zu sinnlosen Geldbewegungen komme, wenn Entschädigungen i n Geld geleistet werden müsse. M i t Nachdruck verweist Friauf in diesem Zusammenhang auf die Notwendigkeit, zwischen der Zulässigkeit der Inanspruchnahme und der Entschädigungspflicht zu trennen 2 9 8 . Seit der Ausweitung des Enteignungsbegriffs sei die Gewohnheit zu beobachten, die Abgrenzung zwischen Sozialbindung und Enteignung allein unter dem Blickwinkel der Entschädigungspflicht zu sehen. Die Entschädigungslosigkeit werde damit praktisch zum Tatbestandsmerkmal der Sozialpflichtigkeit. M i t der Sozialbindung nach Art. 14 Abs. 2 GG sei allerdings nicht zwangsläufig verbunden, den Belasteten entschädigungslos i n Anspruch zu nehmen. Die Ableistung einer bestimmten Last aus der Sozialpflichtigkeit des Eigentums rechtfertige keineswegs ipso iure ihre Unentgeltlichkeit. Vielmehr müsse die Unentgeltlichkeit der Bela298

Ebd., S. 63.

7 0 I .

Die Frage der Verfassungsmäßigkeit von Sonderabgaben

stung jeweils besonders gegenüber den Anforderungen des Prinzips der Lastengleichheit gerechtfertigt werden. Seit jeher gelte dies für die Lastenverteilungsregeln dm Polizeirecht. Die Inanspruchnahme des Eigentümers zur Gefahrenbeseitigung beruhe sowohl i m Fall des Störers als auch i m Fall des Nichtstörers auf der Sozialpflichtigkeit des Eigentums, womit noch nicht feststehe, ob eine Entschädigung zu gewähren sei. Die Entschädigungslosigkeit bedürfe eines besonderen Zurechnungsgrundes 299 . Zusammengefaßt: Die Sozialbindung rechtfertigt also nach Friauf die Sonderbelastung, nicht aber deren Entschädigungslosigkeit, die noch besonders zu rechtfertigen sei. Damit dürfte auch die Überzeugungswirkung der zweiten Variante i m Argument von der enteignungsrechtlichen Irrelevanz der Geldleistungspflicht ausgeräumt sein. Enteignung und Entschädigungspflicht sind zu trennen. Für die Enteignung ist maßgebend, ob eine ungleiche Sonderbelastung gegeben ist, nicht aber die Möglichkeit der Entschädigung. Diese Erwägungen haben dazu gedient, die Besonderheit der Belastung, nämlich i n Geld leisten zu müssen, als unbedeutend zu erweisen. A n diesem Gesichtspunkt anzuknüpfen, u m die Beziehung von Enteignungsschutz, Eigentumsschutz und Geldleistungsschutz zu klären, bedeutet, den wichtigeren Gesichtspunkt der Lastengleichheit außer acht zu lassen. Das Gleichheitsproblem ist dadurch verkannt und verdeckt geblieben. Nicht auf die A r t und Form der Belastung — ob also Geld oder Sachvermögen entzogen w i r d —, sondern auf das Verhältnis zur Belastung der anderen Staatsbürger muß es ankommen. Die Enteignungsentschädigung ist der Sache nach nichts anderes als der verfassungsrechtlich gebotene Modus zur Wiederherstellung der staatsbürgerlichen Gleichheit 8 0 0 . Der Grundsatz der staatsbürgerlichen Lastengleichheit läßt sich so formulieren, daß die Aufwendungen, die m i t i m öffentlichen Interesse gebotenen Maßnahmen verbunden sind, von der Allgemeinheit zu tragen, also aus Steuermitteln aufzubringen sind. Mehraufwendungen sind durch Steuererhöhungen auf die Allgemeinheit umzulegen 3 0 1 . 13. Einschränkung des Lastengleichheitsprinzips Allerdings w i r d dieser Grundsatz der staatsbürgerlichen Lastengleichheit nicht ohne Einschränkung vertreten. Die zusätzliche Sonderbelastung über die Steuerpflicht hinaus w i r d dann für zulässig gehalten, wenn ein spezifischer Zurechnungsgrund gegeben sei. Die Sonderbelastung einer einzelnen Gruppe anstelle der Allgemeinheit sei zu recht299

Ebd., S. 60, 61. Ebd., S. 57; B G H Z 6, S. 270, 295; Hesse, Grundzüge des Verfassungsrechts, S. 185. 801 Friauf, öffentliche Sonderlasten, S. 60; Leisner, Sozialbindung, S. 229. 800

14. Die Bindung an Vorgegebenes oder die Suche nach einem Maßstab

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fertigen 3 0 2 . Sofern kein spezifischer Zurechnungsgrund vorliege, der eine vorrangige Verantwortlichkeit des Eigentümers begründe, seien die Lasten von der Allgemeinheit zu tragen 3 0 8 . Die Entschädigungslosigkeit und Unentgeltlichkeit sei gesondert zu rechtfertigen 304 . Aus methodischer Sicht ist nun von Interesse, welche Aussagen über diesen Zurechnungsgrund gemacht werden, der die Ungleichbehandlung rechtfertigen und nach dem die Vereinbarkeit der Sonderbelastung mit dem Prinzip der Lastengleichheit jeweils beurteilt werden müsse. Er lasse sich kaum abstrakt definieren. Der Zurechnungsgrund müsse aus der Sachgerechtigkeit der verschiedenen Belastungstypen heraus entwickelt und ihnen angepaßt werden 3 0 5 . Die Sachgerechtigkeit eines Belastungstyps stellt ein K r i t e r i u m dar, das dem Gesetzgeber vorgegeben ist, an das er gebunden sein soll, das dagegen nicht machbar sein und nicht i n seiner Disposition stehen soll. 14. Die Bindung an Vorgegebenes oder die Suche nach einem Maßstab Zu erinnern ist an den schon am Anfang erwähnten Hinweis Friaufs, vom Begründungsdefizit bei Sönderabgaben und der entsprechenden Forderung, Sönderabgaben müßten begründet werden. Was allerdings unter einer solche Begründung, Rechtfertigung oder Legitimation zu verstehen ist, w i r d nicht ausdrücklich dargelegt. Deshalb war es nötig, die Argumentationsweise zu beobachten, u m herauszufinden, wie Gesetze etwa die Sonderabgabengesetze, begründet, gerechtfertigt oder verfassungsmäßig genannt werden können. Alle diese Attribute drücken die Eigenschaft eines Gesetzes aus, unbedenklich zu sein. Zwei Möglichkeiten konnten ausgemacht werden, nach denen man glaubt, Sonderabgabengesetze i n dem geschilderten Sinne begründen zu können. Das eine Verfahren besteht darin, an vorgegebene Strukturen, an die Gruppenhomogenität, anzuknüpfen 8 0 6 , an die i n einer realen Interssengemeinschaft angelegte Solidarität 3 0 7 . Als Begründung und Zurechnungsgrund für die Belastung einer Gruppe anstelle der Allgemeinheit durch Steuern w i r d also die dem Gesetzgeber vorgegebene homogene Solidargemeinschaft i n Erwägung gezogen. Das andere Verfahren, bei dem ebenfalls von begründen, rechtfertigen und legitimieren gesprochen wird, ist die Regel vom Recht aus Begriffen. Aus Begriffen der Verfassung soll 802 308 804 805 806 807

Friauf, öffentliche Sonderlasten, S. 55. Ebd., S. 59. Ebd., S. 63. Ebd., S. 65, 66. Ebd., S. 55. Isensee, S. 20.

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I. Die Frage der Verfassungsmäßigkeit von Sonderabgaben

ermittelt werden, was der Verfassung vorbehalten und der Dispositionsfreiheit des Gesetzgebers entzogen ist. Es handelt sich u m die Diskussion der Verfassungsvorbehalte für die Sonderabgabengesetze, die eine Grundlage i n der Verfassung haben müßten, u m verfassungsmäßig zu sein. Z u erinnern ist i n diesem Zusammenhang an die wiederholte einmütige Feststellung, das Verfassungsrecht dürfe nicht zur Disposition des Gesetzgebers stehen, sondern müsse der Maßstab sein, nach dem er sich zu richten habe und an dem er zu messen sei. Die mit diesem Begründungsverfahren verbundene Problematik wurde abkürzend als die Frage der Bindungsparadoxie bezeichnet. Den beiden Begründungsverfahren, der Regel vom Recht aus Begriffen einerseits und der Forderung andererseits, es müsse an vorgegebene homogene Gruppen und Solidargemeinschaften angeknüpft werden, ist das Ziel, gemeinsam den Gesetzgeber i n seinem Belieben zu binden, Grundsätzlich soll er an die Verfassung nach Art. 1 Abs. 3 GG gebunden sein. Dispositives Verfassungsrecht kenne unsere Verfassung nicht. I h m stehe Art. 79 GG entgegen, wonach eine Verfassungsänderung nur durch die ausdrückliche Änderung des Wortlauts zulässig ist 8 0 8 . Ebenso ist es das Ziel des zweiten Verfährens, dem Gesetzgeber die Gruppenbelastung und damit die Durchbrechung des Lastenausgleichspostulats nur zu gestatten, wenn er i n der Lage ist, auf eine vorgegebene Solidargemeinschaft zu verweisen. Das Ziel ist also beide Male, den Gesetzgeber an etwas Vorgegebenes zu binden, einmal an Begriffe und zum anderen an eine homogene Gruppe. Offen ist nun die Frage, ob es derart vorgegebene Kriterien überhaupt geben kann. Das nämlich w i r d stillschweigend vorausgesetzt. Vorgegebene Solidargemeinschaften setzen Gruppen voraus, die nicht beliebig zu bilden sind. Verfassungsrecht, das nicht dispositiv sein soll, setzt Begriffe voraus, die nicht dispositiv sind. Zu erinnern ist an den Maßstab des Wesens von Steuer oder Sozialversicherung, das jeweils angeführt wird, als ob es sich dabei u m ein vorgegebenes Maß handeln könne. Nachdem als Hauptmotiv hinter allen bisher angeführten Argumenten das Ziel herausgearbeitet wurde, den Gesetzgeber zu binden, gilt es zunächst den Hintergrund dieser Forderung nach Bindung darzustellen. Als bedeutsame Wende und Neuerung stellte vor allem Selmer i m Rahmen der Finanzverfassungsdiskussion den Umstand heraus, daß das Grundgesetz i n A r t . 1 Abs. 3 GG die Grundrechte der Disposition des Gesetzgebers entzogen habe. Diese Relativierung des gesetzgeberischen Willens durch die Verfassung habe die Frage nach den rechtlichen Grenzen der hoheitlichen Besteuerungsgewalt aktualisiert. Die inhaltliche eoe Vogel, Finanzverfassungspolitisches Ermessen, S. 26; Lerche, Stiller V e r fassungswandel als aktuelles Politikum, 1971, S. 292.

14. Die Bindung an Vorgegebenes oder die Suche nach einem Maßstab

73

Bindung der Abgabenerhebung an bestimmte Rechtsgrundsätze sei vergangenen Verfassungsepochen fremd gewesen 809 . Zwei Möglichkeiten werden unterschieden, sich vor dem abgabenerhebenden Gesetzgeber zu schützen. Den sichersten Schutz vor unangemessenen Abgabenforderungen glaubte man durch die parlamentarische Beteiligung der Betroffenen an der Abgabenerhebung zu erreichen 810 . I n Preußen habe man durch die Verknüpfung von Stimmgewicht und Steuerpflicht der i m Parlament vertretenen Gruppen eine Lage geschaffen, i n der die am Parlament Beteiligten über ihre Lasten selbst beschließen konnten 3 1 1 . Das Ziel der selbstgewählten staatlichen Belastungen war nahezu erreicht. Diese Situation hat sich allerdings mit der Einführung des allgemeinen und gleichen Wahlrechts und der Übernahme der gesamten Staatsgewalt durch das Volk geändert 312 . Das Parlament kann nun nicht mehr die Funktion des alleinigen Garanten einer Freiheit vom Staat erfüllen. Die Gefahr des Mißbrauchs der legislativen Dispositionsfreiheit ist i m System des allgemeinen und gleichen Wahlrechts angelegt 318 . Hervorzuheben ist, daß die Gefahr den Minderheiten droht. M i t der Veränderung des Wahlrechtssystems wurde es mehr als früher notwendig, den M i n derheitenschutz zu verstärken. Der Gesetzgeber, der ursprünglich gegen Übergriffe der nicht demokratisch gewählten monarchischen Exekutive zu schützen hatte, war nun selbst zur potentiellen Bedrohung geworden, ohne daß entsprechende neue Sicherungen der Individualrechtssphäre gegenüberstünden 314 . Das Verfahren der parlamentarischen Beteiligung der Gesellschaft reicht zum Schutz vor der Abgabengesetzgebung allein nicht mehr aus. Die zweite Sicherung vor der sich ausdehnenden Gesetzgebungsmacht soll das Grundgesetz leisten, das der Disposition des Gesetzgebers nach einhelliger Ansicht entzogen sein soll. Es galt Schutz nicht nur durch, sondern auch vor dem Gesetzgeber zu suchen 815 . Auch bei den Abgabengesetzen fordere das Grundgesetz nach A r t . 19 Abs. 2 GG i n erster Linie, den Wesensgehalt eines Grundrechts gegen gesetzliche Eingriffe zu schützen, und es w i r d auch für den Bereich der Abgabenerhebung ein Kernbestand an Grundrechtsinhalt gefordert, der jedem Zugriff des Steuergesetzgebers standhalten solle 8 1 6 . Den Minderheitenschutz, auf den es 309

Selmer, S. 40. Ebd., S. 43; Hesse, Grundzüge des Verfassungsrechts, S. 181. 311 Selmer, S. 43; Kirchhof, Besteuerungsgewalt u n d Grundgesetz, S. 14. 312 Selmer, S. 44; Kirchhof, Besteuerungsgewalt u n d Grundgesetz, S. 14. 313 Selmer, S. 44. 314 Ebd., S. 45. 315 Kirchhof, Besteuerungsgewalt u n d Grundgesetz, S. 15. 316 Ebd., S. 15; Klein, Eigentumsgarantie u n d Besteuerung, StuW 1966, S. 433; dazu kritisch Tipke, Erbschaftssteuerreform u n d GG, ZRP 1971, S. 158 ff. 310

7 4 I .

Die Frage der Verfassungsmäßigkeit von Sonderabgaben

gerade bei der Belastung m i t Sonderabgaben ankommt, sollte die Verfassung leisten. Daß ein derartiger Schutz notwendig ist, kann nicht bestritten werden. Offen ist allerdings die Frage — und darauf soll hier besonders hingewiesen werden —, ob die Verfassung einen derartigen Schutz durch Bindung leisten kann. Die Verfassungsfunktion betreffend, werden zwei Fragen, nämlich, was Verfassungen sollen und was Verfassungen können, als bisher ungeklärte Vorfragen bezeichnet. Sie seien nicht zu trennen 3 1 7 . Eine diese Fragen beantwortende Verfassungstheorie fehle bis heute 3 1 8 , so daß Aufschluß über die Leistungsfähigkeit der Verfassung von einer heutigen Verfassungstheorie nicht zu erwarten ist. Von der vorliegenden Forderung, die Verfassung müsse den Gesetzgeber binden, ist auszugehen. Ob die Verfassung diese Bindungsfunktion erfüllen kann, w i r d verschiedentlich angezweifelt. Das Grundgesetz binde den demokratischen Gesetzgeber zwar nunmehr explicite — durch Art. 1 Abs. 3 GG an die Grundrechte. Den Stand der Einsichten charakterisiert Selmer damit, der verfassungsrechtliche Stellenwert dieser Bindung für die Steuergesetzgebung sei jedoch bisher i m einzelnen noch ohne Konturen 3 1 9 . 15. Übersicht und Zusammenhang der Probleme aus methodischer Sicht I n der Forderung, Sonderabgaben seien nur durch Kriterien zu begründen, die dem Gesetzgeber vorgegeben und nicht machbar oder dispositiv seien, gleichgültig ob es sich hierbei um Begriffe der Verfassung oder vorgegebene Solidargemeinschaften handelt, kommt die dargestellte Forderung nach Bindung des Gesetzgebers zum Ausdruck. Diese steht in einem Spannungsverhältnis zur gesetzgeberischen Gestaltungsfreiheit. Der Sorge u m den Mißbrauch der demokratischen Mehrheit entspricht die Intensität der Forderung nach Bindung des Gesetzgebers, der sich wiederholt als der Feind der Freiheit des Bürgers erwiesen habe 3 2 0 . Je gößer diese Sorge u m den Schutz von Minderheiten vor der Mehrheit, u m so nachhaltiger w i r d die Bindungsforderung erhoben. Rupp genügt es nicht, daß die Verfassung nur Rahmen sein soll, sondern sie sei als alleinige Legitimation aller Staatsgewalt zu begreifen 321 . Dagegen vertritt Badura die Ansicht, die politischen Entscheidungen des Gesetzgebers empfängen ihre Legitimität durch den demokratischen Prozeß der politischen Willensbildung und nicht durch die legalistische Ableitung aus der Verfassung. Gesetzgebung sei nicht Anwendung oder 317 818 819 820 821

Grimm, Verfassungsfunktion u n d Grundgesetzreform, AöR 97, S. 489. Ebd., S. 490. Selmer, S. 52. Häberle, Die Wesensgehaltsgarantie, S. 163. Rupp, S. 133,134.

15. Übersicht u n d Zusammenhang der Problème aus methodischer Sicht 75

Vollzug der Verfassung, sondern schöpferische Entscheidung was er allerdings m i t der Einschränkung versieht, daß es verfassungsrechtlich begrenzte Entscheidung sei 8 2 2 . I m Hinblick auf die Funktion des Bundesverfassungsgerichts als Gegenspieler des Gesetzgebers sei für dessen Kontrolle die Frage wichtig, ob und an welchem Punkt die verfassungsrechtliche Kontrolle i n eine Beschneidung des politischen Mandats des Gesetzgebers übergehen könne 8 2 8 . Das Bundesverfassungsgericht habe sich zu der Ansicht bekannt, daß das „Gemeinwohl" seinen Inhalt erst aus der Entscheidung des Gesetzgebers empfange und nicht eine festliegende und vom Gesetzgeber nur richtig zu erkennende Größe sei. Badura faßt damit die Gestaltungsfreiheit des Gesetzgebers weit und betont die Ausgestaltungsfunktion des Gesetzgebers für die Verfassung unter Berufung auf die Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts. Dies kommt insbesondere i n der Äußerung zum Ausdruck, die Idee des Sozialstaates sei ein „der konkreten Ausgestaltung i n hohem Maße fähiges und bedürftiges Prinzip" 8 2 4 . Danach wären also Begriffe der Verfassung dispositiv und machbar, nicht aber als Maßstab für eine Bindung geeignet. Trotz dieser weiten Deutung der Gestaltungsfreiheit hält Badura die Bindung des Gesetzgebers für möglich. Die Bindung des Gesetzgebers an die Verfassung hebe seine Gestaltungsfreiheit nicht auf. I n einer konstitutionellen Demokratie könne es sich nicht um die Frage handeln, ob der Gesetzgeber verfassungsrechtlich gbunden sei, sondern nur darum, was diese Bindung bedeutet 8 2 5 . Die Zweifel bleiben aber bestehen, wie die Bindungsforderung und die Gestaltungsfreiheit zueinander i n Beziehung zu setzen sind. A m klarsten bezieht Häberle zu diesem Verhältnis Stellung. Er vertritt die Ansicht, daß das Zugeständnis an den Gesetzgeber, die Verfassung auszugestalten, wegen der unleugbar inhaltsarmen Verfassungsbegriffe unumgänglich erscheine, womit freilich die Ablehnung einer Bindung des Gesetzgebers an die Grundrechte verbunden ist 82 «. Für die Rolle des Bundesverfassungsgerichts — dies sei hier betont — ist die Frage nach dem Maßstab wichtig. Denn ohne i h n kann das Gericht nicht kontrollieren oder messen, so wie der Gesetzgeber ohne Maßstab nicht wissen kann, woran er gebunden sein soll und woran er durch das Bundesverfassungsgericht gemessen werden wird. Die Funktion der Verfassung als Maßstab für die Bindung des Gesetzgebers und für die Kontrolle des Bundesverfassungsgerichts ist i n Frage zu stellen. Gerade am Beipiel der Sönderabgaben zeigt sich die Notwendigkeit des Minder321

Badura, Die Staatliche E i n w i r k u n g auf die Wirtschaft, 1971, S. 601. Ebd., S. 593. 824 B V e r f G 5, S. 85, 198; Badura, Die staatliche E i n w i r k u n g auf die W i r t schaft, 1971, S. 596; B V e r f G 8, S. 274, 328 f.; B V e r f G 10, S. 354, 370 f. 825 Badura, Die staatliche E i n w i r k u n g auf die Wirtschaft, S. 605. 328 Häberle, Die Wesensgehaltsgarantie, S. 163. 823

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I. Die Frage der Verfassungsmäßigkeit von Sonderabgaben

heitenschutzes, und es fragt sich, ob dieser durch die Bindung an die Verfassung geleistet werden kann. Das Hauptanliegen der hier vorgenommenen Untersuchung besteht nun darin, einen Beitrag zur Auflösung dieses Verhältnisses von Gestaltungsfreiheit des Gesetzgebers einerseits und Bindung des Gesetzgeber andererseits zu leisten. Dabei ist zunächst auf die Notwendigkeit einer anderen Fragestellung hinzuweisen. Die Forderung, es müsse der Gesetzgeber gebunden werden, w i r d hier als ungenügend empfunden, da die Vorfrage nicht geklärt ist, ob eine solche Bindung möglich ist, insbesondere woran der Gesetzgeber gebunden werden soll. Dieses Programm bestimmt die Untersuchung aus methodischer Sicht unter Berücksichtigung der neueren Wissenschaftstheorie, die damit zu juristischen Problemen i n Beziehung gesetzt wird. Ausgangspunkt ist die selbstverständlich klingende Tatsache, die gerade wegen ihrer Selbstverständlichkeit unbeachtet zu bleiben pflegt, daß die Verfassung i n sprachlicher Form verfaßt i s t 3 2 7 und daß deshalb zu fragen ist, ob eine Bindung an Sprache i m weitesten Sinne überhaupt möglich ist. I n einer ersten Etappe geht es u m die Frage, ob das vielberufene Wesen, ζ. B. der Steuer, der Sozialversicherung und des Eigentums, Maßstab sein kann. Es w i r d sich erweisen, daß es sich dabei nicht u m eine bloße Redensart handelt, sondern um die unausgesprochene Theorie des strikten Essentialismus, der durch die Typentheorie Freges und Russells heute als widerlegt gilt. Der Fehler besteht darin, nicht zwischen Begriff und Gegenstand zu unterscheiden und den konkreten Gegenstand für das A b b i l d des abstrakten Begriffs zu halten. I n der juristischen Argumentation w i r d dieser Fehler dann begangen, wenn aus abstrakten Begriffen der Verfassung konkrete Gesetze abgeleitet oder als Maßstab herangezogen werden. Daraufhin ist zu untersuchen, ob eine Bindung an die Bedeutung eines Wortes möglich und was unter der Bedeutung zu verstehen ist. Dazu w i r d vor allem die Spätphilosophie Wittgensteins betrachtet, wonach die Bedeutung eines sprachlichen Ausdrucks als dessen Verwendungsregel verstanden w i r d und als solche zur Disposition der Sprachbeteiligten steht. Die Bedeutung sprachlicher Ausdrücke ist nach dieser Sprachtheorie dispositiv und machbar. Abgelehnt w i r d damit die realistische Semantik, wonach Sprache ausschließlich Namensfunktion besitze und sprachliche Ausdrücke als Namensträger vorgegebener Gegenstände ebenfalls vorgegeben und nicht dispositiv seien. Die pragmatische Semantik i m Sinne Wittgensteins stellt dagegen auf den Gedanken der Gegenstandskonstitution durch Sprache ab, wonach abstrakte Begriffe erst durch die Sprachteilnehmer geschaffen, beeinflußt und fortgebildet werden. Nachdem so die Einsicht gewonnen wurde, daß Begriffe 327

Roellecke, S. 323. Naucke, J Z 71, S. 238. Z u r grundsätzlichen Bedeutung Wittgensteins für die Rechtstheorie.

15. Übersicht u n d Zusammenhang der Probleme aus methodischer Sicht 77

für Klassen von Gegenständen stehen, juristische Begriffe für Klassen von Sachverhalten und Gesetzen, w i r d untersucht, ob diese Gegenstandsklassen nach Gesetzmäßigkeiten gebildet sind, an die der Gesetzgeber gebunden sein könnte, an denen er zu messen wäre und die seinen Spielraum einschränken könnten. I m Ergebnis w i l d sich herausstellen, daß die Behauptung von Gesetzmäßigkeiten standpunktabhängig ist und daß heute noch keine genügend tauglichen Auszeichnungsverfahren zur Verfügung stehen, wonach eine behauptete Kausalgesetzmäßigkeit einer anderen vorgezogen werden könnte. Vor allem Poppers Einsichten zum Induktionsproblem werden hierzu herangezogen. Daß sich die Elemente von Klassen nicht durch vorgegebene Regelmäßigkeiten zusammensetzen, ist darüber hinaus bedeutsam für die Frage, ob es vorgegebene, nicht beliebig machbare Personengruppen gebe, an die der Gesetzgeber als vorgegebene homogene Solidargemeinschaft bei der B i l dung von Lastenverbänden gebunden werden könne, wodurch also sein Spielraum begrenzt wäre. I m Ergebnis erweist sich die Gruppenbildung als theoretisch unbegrenzbar. Als einzige Bindungsmöglichkeit ließ sich die Bindung der Begriffs Verwendung an die Gemeinschaft der Sprachbenutzer ausmachen. Hierfür ist der Ansatz des englischen Rechtstheoretikers H a r t 3 2 8 maßgebend gewesen, der das Problem der Bindungsparadoxie aus sprachtheoretischer Sicht treffend behandelt. Es geht u m die von Wittgenstein als zentrales Problem behandelte Frage, ob eine Bindung an Regeln möglich ist. Die dabei gewonnenen Einsichten wurden umfassend von Hart für die Rechtswissenschaft fruchtbar gemacht. Dabei w i r d deutlich, daß juristische Tätigkeiten als Entscheidungsvorgänge zu kennzeichnen sind, die von persönlichen Standpunkten abhängen. Diese wiederum richten sich nach den Folgeerwägungen der Beteiligten. Eindeutige Folgebehauptungen sind allerdings deshalb nicht zu leisten, weil Folgebehauptungen Aussagen über Kausalgesetzmäßigkeiten darstellen, zu deren Auszeichnung bisher nur annähernd taugliche Verfahren zur Verfügung stehen. Hiermit sollte thesenartig der Untersuchungsgang i m großen und ganzen vorgezeichnet werden, und zwar an dieser Stelle deshalb, weil die Beziehung der methodischen Betrachtungen zu der Frage hervorgehoben werden soll, ob die Verfassung den Gesetzgeber überhaupt binden könne, auch wenn sie dies unbestritten und insbesondere aus Gründen des Minderheitenschutzes leisten sollte. Zur Beantwortung dieser Frage soll die vorliegende Untersuchung beitragen.

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Hart, Der Begriff des Rechts, 1971.

I I . Die Sprache der Verfassung als Maßstab 1. Die Argumentationsweise als Untersuchungsgegenstand auf der Meta-Ebene oder die unbekannten Größen in der juristischen Diskussion I n der bisherigen Diskussion lassen sich zweierlei Arten von Ausdrucksweisen unterscheiden. Es werden einerseits Ausdrücke wie Steuer, Abgaben, Eigentum, Enteignung, Gesetzgeber, Verfassung benutzt, die sich i n Gesetzen und Äußerungen juristischer A r t finden. Daneben werden aber auch Ausdrücke einer anderen A r t , wie etwa Begriff, Bedeutung, ableiten, begründen, rechtfertigen, deduzieren, Legitimation, Wesen, Zweck verwendet. Die juristischen Ausdrücke erfahren eine ausführliche Behandlung. Sie werden gegeneinander abgegrenzt, definiert, kommentiert und sind Gegenstand umfangreicher Untersuchungen, wozu die Diskussion um den Steuerbegriff ein augenfälliges Beispiel darstellt. Der anderen Gruppe von Ausdrücken dagegen w i r d wenig Beachtung geschenkt. Sie werden zwar ebenso oft wie juristische Ausdrücke benutzt, sind aber selbst nicht Gegenstand der Diskussion und bilden so die unbekannten Größen i n jeder juristischen Betrachtung. Bevor über den Begriff von Eigentum, Steuer, Vermögen oder Verfassungsmäßigkeit diskutiert wird, sollte davon die Rede sein, was unter einem Begriff zu verstehen ist. Bevor man sich auf das Wesen der Steuer oder des Eigentums beruft, sollte geklärt sein, was unter dem Wesen zu verstehen ist. Ebenso sollte man nicht über den Zweck eines Gesetzes, insbesondere etwa über den Fiskalzweck streiten, bevor nicht erörtert ist, was unter dem Zweck selbst zu verstehen ist. Auch bei der Forderung, Sonderabgaben müßten begründet, legitimiert oder gerechtfertigt werden, sollte zuvor die Rede davon sein, w i e dieser Vorgang des Begründens, Legitimierens und Rechtfertigens auszusehen habe. Ein diesen methodischen Forderungen entsprechendes Vorgehen bedeutet, die benutzt Argumentationsweise i n den Untersuchungsgegenstand m i t einzubeziehen. Argumente und Ausdrücke zu benutzen, ohne deren Bedeutung offenzulegen, heißt dagegen, von vornherein das Nachvollziehen einer Erwägung zu verbauen und sie gegen jede K r i t i k zu immunisieren. Es ist also eine gestufte Argumentationsweise zu fordern. Es ist darüber zu argumentieren, wie argumentiert wird. Anderenfalls bewegt sich die Diskussion i m Kreise und läßt Meinungen, i n unschlichtbarem Streit verfangen, sich gegenüberstehen. Diese Bemerkungen gelten vor allem der finanzverfassungsrechtlichen Diskussion, die Sätze diskutiert, wie

1. Die Argumeiitationsweise als Untersuchungsgegenstand

79

Geldleistungspflichten sind keine Enteignungen, sondern Vermögenseingriffe, die ständig wiederholt werden und von denen erklärtermaßen die wenigsten überzeugt sind. Bevor über einen solchen Satz wie etwa: Sönderabgaben sind Steuern, diskutiert wird, ist es notwendig, die A r t dieses Satzes zu untersuchen, um dann zu wissen, wie für oder gegen solche Aussagen zu argumentieren ist. Es ist nämlich offen, ob gegen diese A r t Aussagen etwa Tatsachen ins Feld zu führen sind, ob die Logik bemüht werden soll oder schließlich, ob es sich um standpunktabhängige Entscheidungen handelt, die unterschiedlich ausfallen können. I n der Frage, wie über juristische Sätze zu argumentieren ist, lassen sich schon die unterschiedlichen Diskussionsebenen erkennen. Dementsprechend soll zur Präzisierung des Untersuchungsgegenstandes auf eine von Hart vorgeschlagene Unterscheidung zwischen primären und sekundären Regeln eingegangen werden, die miteinander die Rechtsordnung, die Summe aller Regeln bilden. Während sich die primären Regeln auf die Rechte und Pflichten der Individuen und Körperschaften untereinander und zum Staat beziehen, beschäftigen sich die sekundären Regeln m i t diesen primären Regeln. Es handelt sich dabei um Regeln über Regeln. Sie bestimmen u. a. auf welche Weise Zweifel bezüglich der primären Regeln zu beheben sind 1 . Sonderabgafoengesetze und die Normen der Verfassung zählen ζ. B. zu den primären Regeln. Die sekundären Regeln sollen darüber Auskunft geben, wann primäre Regeln wie Sönderabgaben, gültig oder verfassungsmäßig sind 2 . Diese Regeln sind selten ausdrücklich formuliert und werden meist i n unausgesprochenem Konsens praktiziert 3 . Beobachtet man die Diskussion i m Rahmen der Sonderabgabenproblematik, so lassen sich zwei Argumentationsweisen unterscheiden, die als sekundäre Regeln i m Sinne Harts verstanden werden können. Eine solche Regel stellt die Argumentationsweise dar, die abkürzend als Regel vom Recht aus Begriffen bezeichnet wurde. Damit ist die begriffliche Behandlung juristischer Fragen gemeint, die die herrschende Methode des 19. Jahrhunderts war und noch heute die Argumentation bestimmt. A u f diese Methode ist schon umfassend eingegangen worden. Sie soll i n ihrer heutigen Form Gegenstand einer kritischen Untersuchung aus methodischer Sicht sein. I m Ergebnis w i r d sich herausstellen, daß sie auf überholten wissenschaftstheoretischen Positionen beruht. Dieser kritischen Untersuchung soll die Frage vorangestellt werden, wovon die Verwendung von Begriffen abhängt. I m Ergebnis w i r d sich herausstellen, daß die Begriffsverwendung von vorangegangenen Entschei1

Hart, S. 135. Ebd., S. 135, hierzu sind die Erkenntnisregeln i m Sinne Harts von Interesse. * Ebd., S. 152. Es geht darum, auf einer Metaebene zu argumentieren, u m Paradoxien u n d Z i r k e l i n der juristischen Diskussion zu verhindern. 2

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I I . Die Sprache der Verfassung als Maßstab

dungs Vorgängen abhängt. Dies veranlaßt wiederum die Frage, wovon Entscheidungen bestimmt werden. Die als Alternative zu empfehlende teleologische Methode gibt hierauf die Antwort. Folgeerwägungen bestimmen danach Entscheidungen. Die Verwendung von Begriffen hängt demgemäß von den Folgen dieser Verwendung ab. Die Folgen der Verwendung juristischer Begriffe sind festgelegt. Die Entscheidung für oder gegen diese Folgen bestimmen die Begriffsverwendung, nicht aber etwa das Wesen oder ähnliche vorgegebene Maßstäbe, auf die man sich vorzugsweise beruft. Die beiden Methoden, die begriffsjuristische und die der Folgeerwägungen, repräsentieren zwei verschiedenartige Argumentationsweisen, nach denen man die Gültigkeit von Gesetzen, ζ. B. der Sonderabgabengesetze, zu gewinnen sucht. Es geht bei beiden Methoden um die Frage, wie über Sonderabgabengesetze und deren verfassungsrechtliche Zulässigkeit argumentiert w i r d und wie argumentiert werden soll. Andeutungsweise soll eine solche Folgeerwägung, auf die noch später näher einzugehen sein wird, exemplarisch vorgeführt werden. Zu den Folgeerwägungen ist der A r t nach das Argument zu zählen, m i t dem Finanzierungssystem der Sonderabgaben könnte die Finanzverfassung unterlaufen, eine zweite apokryphe Steuerverfassung gebildet und die föderative Machtbalance zuungunsten des Staatsbürgers gestört werden 4 . Ebenfalls zu den Folgeerwägungen ist das ausführlich dargestellte Argument zu zählen, das zur Stützung der Ansicht von der grundsätzlichen enteignungsrechtlichen Irrelevanz der Geldleistungspflichten herangezogen wurde. Geldleistungspflichten seien keine Enteignung, sondern Vermögenseingriffe. Wollte man die Entschädigung von Geldleistungspflichten zulassen, bliebe der Staat ohne Einnahmen und es käme zu sinnlosen Geldbewegungen. Diese Folgen, nicht aber das Wesen der Abgabenerhebung, so soll hier gezeigt werden, bestimmen die Verwendung der Begriffe Enteignung, Vermögen und Geldleistungspflichten i n diesem Zusammenhang. Folgeerwägungen und Erwägungen nach der Regel vom Recht aus Begriffen sind alternative Argumentationsweisen. Hierbei handelt es sich um sekundäre Regeln i m Sinne Harts, m i t deren Hilfe über juristische Aussagen argumentiert wird. Die begriffsjuristische Methode w i r d sich als nicht nachvollziehbar und deshalb als untauglich erweisen. Empfohlen w i r d dagegen die Argumentation m i t Folgeerwägungen, wobei gleichzeitig deren Grenzen aufgezeigt werden, um nicht alte durch neue Illusionen zu ersetzen. I n der methodischen Untersuchung w i r d weiterhin der Vermutung nachgegangen, die begriffsjuristischen Argumente setzten unausgespro4

Selmer, S. 138, 183, 197; Friauf, öffentliche Sonderlasten, S. 54, Verfassungsrechtliche Grenzen, S. 15, 13; Isensee, S. 59; Vogel, Finanzverfassung u n d politisches Ermessen, S. 26.

2. Die sprachtheoretische Betrachtungsweise

81

chen Positionen voraus, die wissenschaftstheoretisch überholt und die dem heutigen Stand der entsprechenden methodischen Einsichten anzupassen sind. Da diese Methoden stillschweigend praktiziert werden, da argumentiert wird, ohne daß über die Argumentationsweise Rechenschaft abgelegt wird, liegt die Hauptschwierigkeit darin, die implizierten Positionen überhaupt erst einmal offenzulegen und zu formulieren, u m sie dann m i t neueren methodischen Einsichten zu konfrontieren und schließlich dem modernen Stand anzupassen. 2. Die sprachtheoretische Betrachtungsweise Die Vorstellung, es müsse Begriffe der Verfassung geben, die dem Gesetzgeber unbeeinflußbar vorgegeben seien, nicht zu seiner Disposition stünden, die als Maßstab, Muster und Vorbild dienen könnten, aus denen sich sogar Gesetze ableiten ließen und an denen Gesetze zu messen seien, setzt ein bestimmtes Sprachverständnis voraus, das i m folgenden näher vorgestellt werden soll. Von der Frage, ob es dispositive Begriffe der Verfassung gebe, hängt die Möglichkeit der Bindung an die Verfassung ab. Es geht um die Klärung des Verhältnisses zwischen den abstrakten Begriffen der Verfassung und den konkreten Gesetzen, die der Verfassung entsprechen sollen. Diese Fragen sollen aus sprachtheoretischer Sicht behandelt werden. Schon allein die Selbstverständlichkeit, daß Verfassung und Gesetze i n sprachlicher Form verfaßt sind, legt es nahe, bei Schwierigkeiten m i t verfassungsrechtlichen oder sonstigen gesetzlichen Texten die Sprachtheorie zu Rate zu ziehen, da diese sich mit dem Problem der Bedeutung sprachlicher Ausdrücke befaßt 6 . I n der Sprachtheorie w i r d zwischen zwei Gruppen unterschieden, die ein gegensätzliches Sprachverständnis vertreten. Aus der K r i t i k an der älteren Gruppe, den realistischen Bedeutungstheorien, haben sich die neueren, die pragmatischen Theorien entwickelt®. Die Entwicklung der Sprachtheorie wurde von Wittgenstein stark beeinflußt. Er kann als Repräsentant sowohl der realistischen als auch der pragmatischen Sprachtheorie bezeichnet werden, da er i n seiner Frühschrift, dem ,Tractatus logico-philosophicus', eine pointiert realistische Sprachtheorie vertreten hat, von der er sich dann i n seinem philosophischen Spätwerk, vor allem i n den »Philosophischen Untersuchungen', abgewendet und der rein realistischen Semantik des Traktats die rein pragmatische Antithese gegenübergestellt hat 7 . Wittgensteins Spätphilosophie hat — so Lenk — eine Revolution der Philosophie vollbracht, eine linguistische Revolution, die m i t der kopernikanischen Wende Kants zu vergleichen sei 8 . Es 5 6 7

Roellecke, S. 323. von Kutschern, Sprachphilosophie 1971, S. 162. Ebd., S. 218.

β Rack

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I I . Die Sprache der Verfassung als Maßstab

w i r d betont, daß Wittgensteins Untersuchungen nicht nur eine Theorie der Sprache, sondern zugleich eine philosophische Theorie m i t weitgehend ontologischen Thesen enthalte 9 . Da die juristische Methode ihre Abhängigkeit von der Philosophie ihrer Zeit noch nie auf die Dauer hat verleugnen können, sei es unwahrscheinlich, daß Wittgensteins Sprachphilosophie für die juristische Methodenlehre unergiebig sei 10 . Die realistische Sprachtheorie bietet ein Modell zum Verständnis der Sprache, wonach die Grundfunktion der Sprache darin besteht, die Welt abzubilden, und zwar so, daß die Sätze der Sprache für bestimmte Sachverhalte i n der Welt stehen 11 . Diese Zuordnung verleihe den Wörtern eine selbständige Bezeichnungsfunktion, die sie auch i n allen größeren Zusammenhängen der Sprache beibehielten 12 . Elementarsätze werden als ein Zusammenhang, eine Verkettung von Namen verstanden, die jeweils für bestimmte Gegenstände stehen. Der Satz als Ganzes bezieht sich also auf ein Gefüge von Gegenständen, auf den Sachverhalt 13 . Diese Abbildbeziehung zwischen den sprachlichen Zeichen und den Gegenständen w i r d regelmäßig ein Grundgedanke der realistischen Semantik angesehen, die deshalb auch als Abbildtheorie 1 4 oder als Benennungstheorie 1 5 bezeichnet wird. Aus der Lage des fremde Sprachen lernenden Erwachsenen ist dieses Namenmodell anschaulich und einsichtig, wonach man meint, alle oder doch die meisten Wörter müßten sich mehr oder weniger so auf ihren Gegenstand beziehen wie die Namen auf ihre Namensträger und die Sprache ließe sich mit hinweisenden Definitionen lehren, indem man auf den Namensträger zeigt und den Namen dazu nennt 1 6 . Dieses Namenmodell, die Auffassung also, Wörter seien Namen und hätten eine Abbildungsfunktion, veranlaßt die Frage, wofür ein Wort Name sei, was es benenne und abbilde. Die Namensträger sind die Gegenstände der Welt. Die Untersuchung der verschiedenen Arten von Gegenständen, deren jeweiliger Struktur gehört i n der traditionellen Philosophie zum Aufgabenbereich der Ontologie 17 . Die Ontologie spielt i n der realistischen Sprachtheorie insofern eine wichtige Rolle, als sie das K r i t e r i u m dafür liefert, wie sprachliche Ausdrücke zu verwenden sind 1 8 . Die Sprache hat nach der realistischen Semantik ausschließlich 8

Lenk, Metalogik u n d Sprachanalyse, 1973, S. 57. Specht, Die sprachphilosophischen u n d ontologischen Grundlagen i m Spätw e r k L u d w i g Wittgensteins, 1963, S. 27. 10 Roellecke, S. 323. 11 Specht, Spätwerk, S. 10. 12 Ebd., S. 31. 13 Ebd., S. 10, m i t Nachweisen aus Wittgensteins Traktat. 14 von Kutschera, Sprachphilosophie, S. 162, 124, 129; Wunderlich, Grundlagen der Linguistik, 1974, S. 139. 15 Lenk, Metalogik u n d Sprachanalyse, S. 59. 16 Specht, Spätwerk, S. 66. 17 Ebd., S. 156. 9

3. Die durch das Namenmodell verursachten Probleme

83

die Funktion, die Gegenstände der Welt wahrheitsgetreu abzubilden. Von der Beziehung zwischen dem Wort und dem benannten Gegenstand w i r d gesagt, sie sei eindeutig, i n dem Sinne, daß ein Wort eindeutig dem entspreche, was es benenne. Piaton sei vermutlich der erste gewesen, der diese Ansicht vertrat und diese Ansicht sei bisher ohne wirkungsvollen Widerspruch gelehrt worden und uns größtenteils i n Fleisch und B l u t übergegangen 19 . Nach Piatons Ansicht habe jedes Ding einen natürlichen Namen und dieser sei nicht beliebig zu verändern oder beizubehalten. Ob ein Wort wahr und falsch sei, ergebe sich nach Piaton daraus, ob es der Sache, für die es steht, ähnlich sei oder nicht 2 0 . 3. Die durch das Namenmodell verursachten Probleme I m folgenden soll n u n gezeigt werden, daß dieses Namenmodell die Ursache vieler Schwierigkeiten ist. Die Hauptschwierigkeit besteht darin, den Namensträger für sogenannte Prädikatsausdrücke auszumachen. Juristische Ausdrücke wie Steuer, Sönderabgaben, Enteignung sind i m Sinne der Sprachtheorie keine Eigennamen, sondern Prädikate, die i m Unterschied zu den Eigennamen für beliebig viele Gegenstände immer wieder verwendet werden 2 1 . Es sind klassifizierende Wörter 2 2 . Der Unterschied zwischen Eigennamen und Prädikaten w i r d deutlich am Beispiel von Wörtern wie „Goethe" und „Dichter". Das Wort „Goethe" ist ein Eigenname und nur einer Person zugeordnet, während das Wort „Dichter" für viele andere Personen verwendet wird. Wie das Wort „Dichter" sind auch juristische Wörter klassifizierende Ausdrücke, die für untereinander ansonsten verschiedene Gegenstände Verwendung finden. Es ist an die hier als Standardbeispiel benutzte Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts zur Kindergeldabgabe zu erinnern. Hier w i r d ausdrücklich betont, das Wort „Sozialversicherung" sei i n der Verfassung als Gattungsbegriff gemeint 2 8 . Der Ausdruck „Sozialversicherung" w i r d auf ansonsten untereinander verschiedene Sachverhalte angewendet, wie auf Alter, Invalidität, Unfall, Krankheit und sogar auf Fälle, die keine Notlagen darstellen. Die korrekte Verwendung solcher Gattungsbegriffe, wie Sozialversicherung, Steuer oder Eigentum, würde nach der realistischen Semantik davon abhängen, welchen Gegenstand der jeweilige Ausdruck bezeichnet 24 . Diese Ausdrücke sollen nach dem 18 Essler, Analytische Philosophie I, 1972, S. 109; von Kutschern, Sprachphilosophie, S. 162,124 f. 19 Essler, Analytische Philosophie I, S. 108. 20 Ebd., S. 107. 21 Kamiah / Lorenzen, Logische Propädeutik, 1973, S. 172; Wunderlich, S. 240. 22 Hart, S. 27,173. 23 BVerfG 11, 105, 112; Pestalozza, S. 187.

6*

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I I . Die Sprache der Verfassung als Maßstab

Namenmodell der realistischen Semantik die Gegenstände wahrheitsgetreu abbilden. E i n Indiz für dieses Sprachverständnis sind die sogenannten Was-ist-Fragen oder die Fragen nach dem Wesen der Steuer, dem Wesen der Sozialversicherung, dem Wesen der Enteignung und nach der korrekten Definition der Steuer 25 . Diese Fragen werden gestellt, als ob es einen Gegenstand gäbe, der i m Fall von Unklarheiten als Muster, Maßstab, Vorlage und U r b i l d dienen u n d zum Vergleich herangezogen werden könne und für den ζ. B. der Ausdruck Steuer der Name sei, der i h n abbilde2®. Diese abstrakten Gegenstände bestimmten die korrekte Verwendung der Ausdrücke. Für die Forderung der Gesetzesbindung ist diese Position der realistischen Semantik von großer Bedeutung. Gäbe es nämlich eine solche einseitig korrekte Verwendung eines verfassungsrechtlichen Ausdrucks und könnte dies zweifelsfrei festgestellt werden, dann herrsche Klarheit darüber, woran Gesetzgeber, Richter und Verwaltungsbeamte zu binden sind. Die K r i t i k an der realistischen Semantik w i r d üblicherweise i m Rahmen des sogenannten Universalienproblems erörtert, das m i t den A n sichten des Philosophen Piaton eng verbunden ist. Zwei Fragen sind zu unterscheiden, erstens ob abstrakte Gegenstände anzunehmen sind und zweitens wie die Beziehung zwischen abstrakten und konkreten Gegenständen zu verstehen ist. M i t naiver Selbstverständlichkeit — so betont Stegmüller 2 7 — fasse der Piatonist alle Prädikatausdrücke als Namen auf und habe damit bereits seine eigene Grundthese vorweggenommen. Angesichts eines Namens sei nämlich m i t Recht zu fragen, wofür das Wort ein Name sei und was es benenne, und es müsse dann unvermeidlich die A n t w o r t erfolgen, daß es kein konkreter, sondern ein abstrakter Gegenstand sein könne, der durch Prädikatausdrücke benannt werde. Daß neben den konkreten auch abstrakte Gegenstände angenommen werden können, w i r d als Entdeckung Piatons gewürdigt. Dementsprechund w i r d diese Ansicht auch als Piatonismus bezeichnet. Wenn auch die Existenz abstrakter Gegenstände neben konkreten angenommen werden muß, so w i r d heute jedoch einhellig die Ansicht Piatons abgelehnt, die er zur Beziehung von abstrakten und konkreten Gegenständen vertreten hat. Diese Beziehung, wie sie Piaton verstand, soll zunächst dargestellt und kritisiert werden, da sie die Ursache für heute noch nicht ausgeräumte Mißverständnisse i n der Wissenschaftstheorie bildet und insbesondere auch die juristische Argumentation belastet. 24 Pestalozza hebt für die Begriffe der A r t . 105 ff. GG hervor, es handele sich u m Gattungsbegriffe, die alles umfaßten, was sich der Sache nach als Steuer u n d Finanzmonopol darstelle, S. 187. 25 Strauß, Einleitung. 26 Wittgenstein, Philosophische Untersuchungen, 216. 27 Stegmüller, Universalienproblem, S. 193.

4. Methodologischer Essentialismus

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4. Die Beziehung von abstrakten zu konkreten Gegenständen als Urbild-Abbild-Verhältnis oder die Position des methodologischen Essentialismus Die Beziehung zwischen abstrakten und konkreten Gegenständen verstand Piaton i n einer Weise, die treffend als Urbild-Abbild-Verhältnis bezeichnet werden kann 2 8 . Eine Darstellung ist zur Vermeidung unausweichlicher Mißverständnisse vorauszuschicken, daß diese Vorstellung heute als Mythos empfunden w i r d 2 9 und deshalb unverständlich bleiben muß. Es handelt sich um eine wichtige Fehlerquelle für das heutige Sprachverständnis. M i t der Urbild-Abbild-Beziehung wollte Plato die feststellbaren Ähnlichkeiten und Gleichheiten zwischen den realen Einzeldingen erklären 3 0 . Ein gewisses Verständnis läßt sich für diese Vorstellung über die Beziehung von abstrakten und konkreten Gegenständen gewinnen. Wenn man sich vor Augen führt, was m i t dieser Vorstellung bezweckt und erreicht werden sollte. Die abstrakten Ideen w u r den als Urbilder aufgefaßt und die Einzeldinge als deren Nachahmungen und Abbilder verstanden 31 . Für dieses Verhältnis fand Piaton die Modellvorstellung, daß ähnliche individuelle Gegenstände Abkömmlinge und daher Abbilder derselben ursprünglichen „Form" seien, die „außerhalb" der verschiedenen individuellen Dinge bestehe und „älter" als diese und ihnen „überlegen" sei 32 . Der Mythos w i r d darin gesehen, daß die Ideen, wie Piaton die abstrakten Gegenstände nannte, als primär, die Einzelgegenstände hingegen als etwas sekundär Seiendes verstanden wurden, weshalb ihre Existenz aus der des idealen Seins irgendwie abgeleitet werden müsse. Demnach ist aus dem allgemeinen, abstrakten U r b i l d das individuelle konkrete Abbild ableitbar. Bei dieser Ableitungsbeziehung handelt es sich u m das sogenannte Individuationsprinzip, welches den Übergang von den allgemeinen Ideen zu den realen Einzeldingen bewirken soll 3 3 . Diese hier skizzierte Position des platonistischen Urbild-Abbild-Verhältnisses scheint der theoretische Ursprung für die Regeln vom Recht aus Begriffen, für die Frage nach der Rechtsnatur oder nach dem Wesen juristischer Gegenstände zu sein. Als Beispiele für juristische Prädikatsausdrücke seien hier für viele andere die Ausdrücke Eigentum, Steuer und Sozialversicherung angeführt. M i t ihnen werden untereinander ansonsten verschiedene Dinge benannt. Bewegliche Sachen, unbewegliche 28

Ebd., S. 204. Ebd., S. 202, 204. 30 Ebd., S. 202; Popper, Objektive Erkenntnis, 1973, S. 218. 31 Stegmüller, Universalienproblem, S. 204. 32 Popper, Objektive Erkenntnisse; Popper nennt es eine Theorie der Ä h n lichkeit. S. 21&. 33 Stegmüller, Universalienproblem, S. 203, 204; Specht, Spätwerk, S. 132. 29

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I I . Die Sprache der Verfassung als Maßstab

Sachen, wie Grundstücke, ja Gewerbebetriebe, werden trotz ihrer Unterschiede Eigentum genannt. M i t Recht läßt sich hier fragen, was denn das all diesen Dingen Gemeinsame sei, was ihre Ähnlichkeit begründe. Regelmäßig werden diese Fragen in der Form gestellt, daß nach der Rechtsnatur von Eigentum, dem Wesen oder ganz schlicht gefragt w i r d : Was ist Eigentum? Diese Frage i n der Was-ist-Form soll hier Untersuchungsgegenstand sein. Der Frage „Was ist eine Steuer?" oder „Was ist Eigent u m " soll nicht hier i n allen Details nachgegangen werden, sondern es soll der durch die uferlose Diskussion veranlaßten Vermutung nachgegangen werden, daß die Fragestellung selbst fragwürdig und korrekturbedürftig sei. Vorausgeschickt werden soll, daß diese Was-ist-Frage oder die Fragen nach dem Wesen oder dem Begriff, wie sie i n der juristischen Argumentationsweise verbreitet sind, i n der wissenschaftstheoretischen Literatur umfassend diskutiert und i m Ergebnis übereinstimmend als sinnlos abgelehnt w i r d 3 4 . Diese Diskussion um die Form der Fragestellung soll hier nachgezeichnet werden. Die K r i t i k an dieser Frageform richtet sich dam i t auch gegen die Fragestellung i m juristischen Argumentationsbereich. Diese zu kritisierende Fragestellung, für die die Was-ist-Form typisch ist, taucht i n vielen Varianten auf. Besonders i m Bereich der Finanzverfassung springt die umfassende Bemühung ins Auge, eine „exakte Definition des Steuerbegriffs" zu liefern 3 5 . Die hier vorgestellte Position w i r d auch als methodologischer Essentialismus, i m Universalienstreit als Realismus und nach Popper als strikter Essentialismus bezeichnet 36 . Nach Poppers Definition handelt es sich hierbei um die Lehre Piatons, daß jeder Ausdruck — insbesondere jeder Gattungsausdruck — eine einheitliche Bedeutung habe, die genau eine konstante Wesenheit, eine Substanz oder Essenz, bezeichne, welche durch ihre Wesensmerkmale bestimmt sei. Damit etwas richtig unter einem solchen Ausdruck subsumiert werden könne, müßten alle Wesenseigenschaften auf das betreffende Etwas zutreffen. Bei abstrakten Ausdrükken ist diese Wesenheit nach Ansicht der geschilderten Position i n idealer Gegenstand und hinter dem sprachlichen Ausdruck verborgen und muß erst durch eine Analyse und durch eine intuitive Wesenseinsicht erkannt und i n einer allein zutreffenden, wahren Wesensdefinition enthüllt werden. Diese Wesensdefinition beantwortet Was-ist-Fragen. Was ist die 34 Popper, Objektive Erkenntnis, 1973, S. 218; Stegmüller, Hauptströmungen, S. 610; von Kutschera, Sprachtheorie, 1971, S. 188; Lenk, Metalogik und Sprachanalyse, 1973, S. 82; die K r i t i k dieser genannten Fragestellungen w i r d unter den Stichwörtern Wesensphilosophie u n d Essentialismus behandelt. Hoerster, Grundthesen analytischer Rechtstheorie, S. 120. 35 Strauß, Einleitung. 36 Popper, Die offene Gesellschaft, Bd. I, S. 59 ff.; Lenk, Metalogik u n d Sprachanalyse, S. 82.

5. Die Typentheorie von Frege u n d Russell

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Zeit? Oder, auf Juristisches bezogen, Was ist Eigentum, Steuer, Vermögen usw.? 37 . Ausdrücklich hebt Specht hervor, daß der Gebrauch der Namen i n der Sprache auf diese Weise festgelegt sei 38 . Dieser wesensphilosophischen Theorie liege das Namensmodell zur Erklärung der Funktion der Sprache zugrunde. Die Gegenstände hätten ein von der Sprache unabhängiges Wesen; durch Intuition erkenne man die Eigenschaft des Wesens und, da die Gegenstände gemäß ihrem Wesen aufgebaut seien, kämen ihnen auch alle Eigenschaften des Wesens notwendig zu. Nachträglich gebe man den vorgefundenen Gegenständen bestimmte Namen. Die Regeln für den Gebrauch dieser Namen lese man von den Gegenständen bzw. deren Wesen ab, und zwar bezeichne man alle diejenigen Gegenstände m i t einem Namen, die an ein und demselben Wesen teilhaben 3 9 . Diese Ansicht läßt die Vorstellung zu, neuartige Gesetze, wie die Sönderabgaben, seien schon, bevor man über sie sprechen konnte, i n der Verfassung irgendwie vorhanden, sie seien also schon vor ihrer Namensgebung vorgegeben und hätten irgendwie am Wesen eines begrifflich repräsentierten, abstrakten Gegenstandes teil. Diese abstrakten, idealen, vorgegebenen Gegenstände müßten dann nur noch konkretisiert werden. Die wesensphilosophische Position gibt also eine A n t w o r t auf die Frage, wonach sich die korrekte Verwendung juristischer Begriffe richtet. Juristische Ausdrücke wären demnach zunächst sprachliche Ausdrücke, die Namensfunktion erfüllen. Damit sie ein getreues Abbild oder richtige Namen werden, muß vorher das Wesen genau ausgemacht sein. Hier w i r d schon die Schwierigkeit dieser Theorie deutlich, auf die insbesondere Wittgenstein hingewiesen hat 4 0 . Sie besteht darin, das Wesen zu erkennen, es auszumachen. Nach dieser Theorie ist keine A n t w o r t auf die Frage des korrekten Gebrauchs juristischer Ausdrücke zu erwarten. 5. Die Kritik am Urbild-Abbild-Modell durch die Typentheorie von Frege und Russell Nach heutiger Ansicht gilt die Vorstellung von der Urbild-Abbild-B eziehung, die das Verhältnis zwischen abstrakten und konkreten Gegenständen dadurch zu veranschaulichen sucht, daß sie die konkreten Gegenstände als die Abbilder der abstrakten deutet, als unhaltbar. Zwischen U r b i l d und Abbild werde eine Ähnlichkeit angenommen, die nur dann vorliegen könne, wenn die ähnlichen Gegenstände vom selben Typus sind. Diese Voraussetzung ist i m vorliegenden Fall gerade nicht 37 38 39 40

Lenk, Metalogik u n d Sprachanalyse, S. 82. Specht, Spätwerk, S. 132. Ebd., S. 32. Lenk, Metalogik u n d Sprachanalyse, S. 82 u n d Specht, Spätwerk, S. 132.

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erfüllt, denn ideale Objekte bilden einen anderen Gegenstandstypus, als die konkreten Dinge. Dies w i r d folgendermaßen veranschaulicht. Die Klasse der roten Dinge ist selbst kein rotes Ding, genausowenig wie die Klasse der Menschen ein Mensch ist. Die Klasse unterscheidet ich von ihren Elementen 41 . Die Erörterung und die K r i t i k der platonistischen Urbild-Abbild-Beziehung soll Aufschluß bringen über die Frage nach der Idee, dem Wesen, dem Begriff oder der exakten Definition von j u r i stischen Ausdrücken, wie ζ. B. Steuer, Eigentum und Sozialversicherung. Diese auch bei anderen juristischen Begriffen zu beobachtende Fragestellung wurde zunächst als intuitiv, unfruchtbar und unergiebig empfunden. Die Vermutung, hierbei handele es sich u m eine fehlerhafte Fragestellung, bestätigt sich. Der Fehler liegt i n der Verwechslung von unterschiedlichen Typen 4 2 . Das Verhältnis zwischen Abstraktem und Konkretem besteht zwischen Begriffen, wie Eigentum und Steuer und den jeweils unter sie fallenden Gegenständen, also den Enteignungssachverhalten und den Steuergesetzen. Wenn nun, wie i m Fall der Sonderabgaben, unklar ist, ob ein A b gabegesetz unter den Begriff der Steuer, ob der Fall einer Geldleistungspflicht unter den Begriff der Sozialversicherung fällt, dann erscheint es — obwohl üblicherweise so vorgegangen w i r d — unfruchtbar nach der Idee, dem Begriff, dem Wesen oder der exakten Definition von Eigentum, von Steuer oder von Sozialversicherung zu fragen. Der Fehler besteht darin, daß zwischen dem Begriff und dem unter i h n fallenden Gegenstand nicht unterschieden wird. Begriff und Gegenstand sind von unterschiedlichem Typus. Abkürzend läßt sich dies auf die Formel bringen, der Begriff der Steuer ist selbst keine Steuer, der Begriff der Enteignung ist selbst keine Enteignung und der Begriff der Sozialversicherung ist selbst kein Sozialversicherungsgesetz. Die Typentheorie einerseits und die platonistische Urbild-AbbildTheorie stehen sich als gegensätzliche wissenschaftstheoretische Positionen gegenüber. Nach dem Urbild-Abbild-Modell ist der Begriff der Steuer das U r b i l d und die Gegenstände, die Steuergesetze, sind die Abbilder. Bestehende Zweifel sollen durch die Betrachtung des Urbildes, der Idee, des Wesens, des Begriffs, ζ. B. der Steuer, ausgeräumt werden. Das Wesen der Steuer w i r d als eine A r t Ur-Steuer aller Steuern, das Wesen oder der Begriff des Eigentums als eine A r t Ur-Eigentum verstanden. Das Wesen oder der Begriff w i r d als das Gemeinsame aller ansonsten unterschiedlichen Gegenstände angesehen. Der Begriff, unter den ein Gegenstand fällt, ist i m Sinne des Urbild-Abbild-Modells dasselbe, wie der Gegenstand, nur i n höchster Vollendung 4 3 . Das Wesen, der 41 Stegmüller, Universalienstreit, S. 205; Wittgenstein, führung i n die mathematische Philosophie, S. 152. 42 Russell, S. 151. 48 Patzig, Sprache u n d Logik, 1970, S. 90.

G M 182; Rüssel, E i n -

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Begriff i n seiner abstrakten Form ist das, wofür der Prädikatsausdruck Name ist, das, was er nach der Abbild-Theorie abbilden muß. U m i h n getreu abbilden zu können, muß vorher das Wesen festgestellt werden. Das platonistische Urbild-Abbild-Modell bildet also den Vorstellungshintergrund für die Fragen nach dem Wesen, dem Begriff, der Idee oder der exakten Definition sprachlicher Ausdrücke. Nach der Gegentheorie zur Erklärung des Verhältnisses zwischen Abstraktem und Konkretem, nach der Typentheorie ist streng zwischen Begriff und Gegenstand zu unterscheiden. Diese Unterscheidung nicht vorzunehmen bedeutet, i n den Fehler Piatons zu verfallen, was bei der sogenannten Was-ist-Frage oder, was dasselbe bedeutet, i n der Frage nach dem Wesen oder der richtigen Definition der Fall ist. Vor allem Frege, einem bedeutenden Mathematiker, w i r d das Verdienst zugeschrieben, das Verhältnis zwischen dem Abstrakten und Konkreten i n seiner Ausdrucksweise, zwischen Begriff und Gegenstand geklärt zu haben. Er habe Piatons Fehler korrigiert, der von vielen Philosophen i m Anschluß an Piaton gemacht wurde 4 4 . Dieser Fehler w i r d ebenfalls i n der juristischen Methodologie nachvollzogen, indem Fragen nach dem Wesen, dem Begriff und der exakten Definition gestellt werden, um Unklarheiten zu beseitigen, und zwar Unklarheiten bei der Verwendung juristischer Ausdrücke. Es gilt also hier Freges Erkenntnisse über die Beziehung von Begriff und Gegenstand für die juristische Methode fruchtbar zu machen. Es soll letztlich verhindert werden, daß j u ristische Probleme auf einer begrifflichen Ebene behandelt werden, wo sie nicht zu lösen sind. Frege geht es i n seinem klassischen Aufsatz „Über Begriff und Gegenstand" von 189245 darum, einen, wie er betont, Unterschied von höchster Wichtigkeit deutlich zu machen 46 . Diesem Unterschied w i l l er durch die unterschiedlichen Bezeichnungen, Begriff und Gegenstand Rechnung tragen. „Es sei etwas da, was eine besondere Benennung verdiene 47 ." Eine Aussage, die auf einen Begriff passe, passe nicht auf einen Gegenstand 48 . Es sei unmöglich und sinnlos, das von einem Gegenstand auszusagen, was von einem Begriff ausgesagt werde 4 9 . Für alles, was er unterschieden haben w i l l , benutzt er einen jeweils eigenen Ausdruck. Unter einem Begriff versteht Frege das, was ein Prädikatausdruck bezeichnet, unter einem Gegenstand das, was ein Eigenname bezeichnet. Diese Einsichten gewann Frege anläßlich der Beschäftigung m i t dem Wesen 44 46 46 47 48 49

Ebd., S. 91. Frege , Funktion, Begriff, Bedeutung (FBB), 1969, S. 66 f. Ebd., S. 79. Ebd., S. 66. Ebd., S. 74. Ebd., S. 75.

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der Zahl i n seinen „Grundlagen der Arithmetik". Er analysierte Zahlenaussagen, wie ζ. B. „Hier sind 500 Mann". Das Ergebnis seiner Analyse war, daß die Zahlenangaben eine Aussage von einem Begriff enthalten 5 0 . Die Unterscheidung zwischen Begriff und Gegenstand macht Frege wie folgt deutlich: Ein Gegenstand habe Eigenschaften. Diese Eigenschaften nennt Frege auch die Begriffe, unter die der Gegenstand fällt. Die Begriffe haben nun zweierlei, nämlich Merkmale und Eigenschaften. Die Merkmale des Begriffs sind die Eigenschaften des Gegenstandes, die von den Eigenschaften des Begriffs selbst wieder zu unterscheiden sind. Es könne also etwas zugleich Eigenschaft und Merkmal sein, aber nicht von demselben 51 . Piatons und Freges Ansichten lassen sich an einem anschaulichen Beispiel von Patzig gegenüberstellen: Ein konkreter Gegenstand, wie etwa die geometrische Figur des rechtwinkligen Dreiecks, hat die Eigenschaften, „dreieckig" und „rechtwinklig" zu sein. A l l e Gegenstände, Figuren m i t diesen Eigenschaften, fallen unter den Begriff „rechtwinkliges Dreieck". Die Eigenschaften „rechtwinklig" und „dreieckig" sind die Merkmale des Begriffs „rechtwinkliges Dreieck", aber nicht die Eigenschaften des Begriffs, weil der Begriff selbst Eigenschaften haben kann, die sich von den Merkmalen unterscheiden, und deshalb anders benannt werden müssen. Das zeigt sich daran, daß man sagen kann, die konkreten Gegenstände, die Figuren seien rechtwinklig und dreieckig, während der Begriff „rechtwinkliges Dreieck" selbst nicht rechtwinklig und nicht dreieckig sein kann. Er kann jedoch die Eigenschaften haben, Lernstoff i m Geometrie-Unterricht zu sein. A n diesem Beispiel w i r d klar, daß zwischen Begriff und Gegenstand und Eigenschaft und Merkmal unterschieden werden muß. Darüber hinaus w i r d deutlich, daß ein und derselbe Ausdruck, wie etwa „dreieckig" Eigenschaft und Merkmal sein 50 Sluga, Frege u n d die Typentheorie, S. 196, 206. Sluga verweist auf einen Briefwechsel zwischen Russell u n d Frege, anhand dessen er nachweist, daß Frege schon lange vor Russell Vorstellungen einer Typentheorie entwickelt hat, von denen sich Russell inspiriert zeigte. Russell gilt als der Entdecker des Antinomienproblems, auf das hier nicht eingegangen werden soll. Dazu siehe Stegmüller, Hauptströmungen, S. 434. Die Beziehung zwischen der ontologischen Position des Piatonismus, dem Antinomienproblem u n d der Typentheorie besteht darin, daß der Piatonismus die Ursache für das A n t i n o m i e n problem darstellt. So ausdrücklich von Kutschera, A n t i n o m i e n der Logik, S. 15. Die Typentheorie w i r d als eine Lösungsmöglichkeit für das Antinomienproblem u n d als eine Reaktion auf das Antinomienproblem angesehen (Essler, Analytische Philisophie, S. 181). Eine Stufenunterscheidung — u n d damit die Unterscheidung von Typen — hat Frege unabhängig v o n dem A n t i n o m i e n problem aufgrund von allgemeinen philosophischen Überlegungen eingeführt, Sluga, S. 196. D a m i t erklärt er Freges Unverständnis gegenüber dem A n t i n o mienproblem, das dieser aufgrund seiner Stufenunterscheidung gar nicht mehr als Problem empfunden habe, bevor i h m Russell dieses Problem mitteilte. Die Einsicht i n die Notwendigkeit von Stufenunterscheidungen lasse sich also auch ohne das Antinomienproblem gewinnen. 51

Frege , S. 76.

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kann, jedoch nicht von demselben. Eigenschaft ist der Ausdruck, wenn er sich auf den Gegenstand, die Figur des Dreiecks, bezieht und Merkmal, wenn er sich auf den Begriff des „rechtwinkligen Dreiecks" bezieht. Diese Beziehung von Gegenstand und Begriff, Merkmal und Eigenschaft, würde nach Piatons Urbild-Abbild-Modell anders zu verstehen sein. Danach müßte der abstrakte Gegenstand, um Urbild zu sein, selbst die Eigenschaft des konkreten Gegenstandes auf weisen, der ja abzuleitendes Abbild sein müßte. Der Begriff eines Dreiecks, der nach Frege selbst nicht dreieckig sein kann, müßte vollkommen dreieckig und unveränderlich dreieckig sein 52 . Der Begriff des Dreiecks müßte Urbild, Muster und Vorlage aller konkreten und i n Zuschnitt und Größe voneinander verschiedenen Dreiecke sein. Der Begriff, die Idee des Dreiecks müßte älter als die verschiedenen Konkreten sein, da ja die Idee vor dem konkreten Gegenstand nach Piaton zu denken ist. Dagegen steht nun Freges These, daß etwas gleichzeitig Eigenschaft und Merkmal sein kann, aber nicht von demselben. Als weitere illustrative Beispiele nennt Patzig den Begriff der Wärme, der selbst nicht w a r m ist, den Begriff der Teilbarkeit, der selbst nicht teilbar ist und den Begriff der Schönheit, der selbst nicht schön ist 5 3 . Diese Beispiele lassen sich durch juristische fortsetzen. Der Begriff der Steuer ist selbst kein Steuergesetz, der Begriff des Eigentums ist selbst kein Eigentum und der Begriff der Sozialversicherung ist selbst kein Sozialversicherungsgesetz. Diese Beispiele dienen dazu, den von Frege aufgezeigten Unterschied zwischen einem Begriff und den unter i h n fallenden Gegenständen deutlich zu machen. Begriffe und Gegenstände sind von unterschiedlichem Typus. Dieser Unterschied w i r d nach Piatons Urbild-Abbild-Modell nicht gemacht. Danach sind die konkreten Gegenstände die Abbilder der abstrakten Begriffe. Piaton hat bekanntlich nicht nur dies von Ideen behauptet, er hat sogar behauptet, die Ideen seien das, wovon sie die Ideen sind i n unübertrefflicher Intensität und Vollkommenheit. Sie besäßen ihre Merkmale i n vollkommener Ausprägung als Eigenschaft 54 . A u f den Begriff der Steuer übertragen ergibt sich nun aufgrund dieser Einsichten folgende Beziehung. Der Begriff der Steuer hat das Merkmal, zur Erzielung von Einkünften erhoben zu werden. Dieses Merkmal des Steuerbegriffs ist die Eigenschaft eines Steuergesetzes. Der Begriff der Steuer hat neben Merkmalen auch Eigenschaften. Eigenschaften des Steuerbegriffes sind z. B., umstritten zu sein und eine Legaldefinition zu sein. Aber der Begriff Steuer hat demgegenüber nicht die Eigenschaft zum Zwecke der Erzielung von Einkünften erhoben zu werden. Das 52 58 54

Patzig, Sprache u n d Logik, 1970, S. 87. Ebd., S. 86 bis 91. Ebd., S. 90, 91; Popper, Objektive Erkenntnis, 1973, S. 140.

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Merkmal zur Erzielung von Einkünften ist Eigenschaft und Merkmal zugleich, aber nicht von demselben, so lautet Freges Hauptargument. Es ist die Eigenschaft von Steuergesetzen und es ist das Merkmal des Begriffs der Steuer. I n einer Interpretation dieser Unterscheidung Freges stellt also Patzig die Verbindung zwischen Freges Einsichten und Piatons Urbild-AbbildAbleitungsverhältnis her. Sowohl Frege als auch Piaton behandeln das Verhältnis von Abstraktem und Konkretem. Piatons Ideen seien zwar mehr als Begriffe, aber sie seien doch auch als Begriffe gedacht und w ü r den als solche von i h m verwendet, nämlich als die Bedeutung von Prädikaten 5 5 , als das, was Prädikate bezeichnen, wofür Prädikate Namen sind. Die Ideen werden von Piaton deshalb angenommen, u m erklären zu können, was Prädikate i m Gegensatz zu Eigennamen bezeichnen, genau so wie Frege aus demselben Grund Begriffe annimmt, um den Unterschied zu kennzeichnen, der sich aus dem unterschiedlichen Gebrauch von Eigennamen und Prädikaten ergibt. I n der Annahme, es müsse neben den konkreten Gegenständen noch solche geben, die nicht konkret, also abstrakt sind, Idealgegenstände oder auch begriffliche Gegenstände, sind sich alle sogenannten Platonisten einig. Freges K r i t i k am Piatonismus richtet sich allein gegen die Urbild-Abbild-Beziehung zwischen Abstraktem und Konkretem. Nach Freges Einsichten ist die von Piaton angenommene Urbild-Abbild-Beziehung zwischen konkreten und abstrakten Gegenständen abzulehnen. Die Verwendung der Ideen als Begriffe bei Piaton sind m i t den Grundsätzen, die Frege aufgestellt hat, nicht zu vereinbaren 56 . Daß Piatons Modell noch die heutige Definitionspraxis und damit jede begriffliche Diskussion beherrscht, zeigt die traditionelle Definitionsweise nach dem Muster von genus proximum und differentia specifica. Das genus proximum läßt sich m i t dem Begriff i m Sinne von Frege vergleichen, einer gemeinsamen Eigenschaft, die ansonsten untereinander verschiedenen Gegenständen zukommt. Die Unterschiede werden durch die differentia specifica i n der Definition dargestellt. Eine Reäldefinition ist nach traditionellem Verständnis keine Konvention, durch welche einem neuen Ausdruck eine bestimmte Bedeutung verliehen wird, sondern vielmehr eine Aussage über das Wesen bestimmter Gegenstände 57 . Es ist an das Grundschema der Begriffsdiskussion zu erinnern, das dadurch gekennzeichnet war, daß Unterschiede und Gemeinsamkeiten aufgezeigt werden. Es ist ebenfalls an die sich diesem Grundschema anschließende Frage zu erinnern, worauf sich Unterschiede und Gemeinsamkeiten beziehen, wovon sich der jeweilige juristische Gegenstand 55 56 57

Patzig, Sprache u n d Logik, S. 91. Ebd., S. 91. Stegmüller, Wissenschaftstheorie, S. 336.

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unterscheidet und womit er Gemeinsamkeiten hat (dargestellt wurde die Diskussion, u m Unterschiede und Gemeinsamkeiten bei Abgabearten i m Rahmen der Finanz Verfassung). Es handelt sich dabei um die offene Frage nach dem Maßstab, dem Muster. Der methodologische Essentialismus, insbesondere das für diese Position charakteristische Urbild-Abbild-Modell gibt hierauf eine Antwort. Als Maßstab w i r d das Wesen bemüht, so wie es i n der hier vorgestellten Position verstanden wird, nämlich als abstraktes Urbild, von dem die konkreten Gegenstände als Abbilder abgeleitet sind. Der fragwürdige Ausdruck Wesen w i r d als Urbild, Form, Substanz, Essenz, als göttliche Idee verstanden und alle Gegenstände, die an ihr teilhaben, werden als Abbilder verstanden. Das Teilhaben an der Idee i m Sinne Piatons deutet nun Stegmüller i n die moderne Element-Klasse-Beziehung um 5 8 . Danach ist ein Gegenstand Element einer Klasse von Dingen. Ein Begriff steht für diese Klasse von Elementen; statt von einer Klasse und ihren Elementen läßt sich auch von einem Begriff und den Gegenständen sprechen, die unter diesen Begriff fallen. Nicht umzudeuten und vom heutigen Standpunkt nach Frege abzulehnen ist, daß ein solches Element, das m i t anderen untereinander verschiedenen die Klasse bildet oder m i t anderen Worten eine gemeinsame Eigenschaft teilt oder unter einen Begriff fällt, als Abbild des Begriffs zu verstehen ist. Es ist von ganz anderem Typus 5 9 . Auch nach Esslers Interpretation werden bei Piaton Wörter aus sogenannten Stammwörtern abgeleitet 60 . Plato entwickle eine axiomatische Theorie der natürlichen und eindeutig vorgegebenen Intensionen, worunter die Verwendungsregeln von Wörtern zu verstehen sind 6 1 . Ob das Stammwort wahr oder falsch sei, ergebe sich nach Piaton daraus, ob es der Sache, für die es steht, ähnlich ist oder nicht. Die hier vorgetragenen Überlegungen dienten grundsätzlich dazu, A u f schluß darüber zu gewinnen, was damit gemeint ist, wenn ein Gesetz wie der Konjunkturzuschlag m i t einem Begriff wie dem der Sozialpflichtigkeit i n Verbindung gebracht wird, oder wenn der Begriff des Gemeinwohls Abgabengesetze rechtfertigen soll 6 2 . Der Begriff der Sozialpflichtigkeit w i r d als Verfassungsvorbehalt für Sonderabgaben, wie den Konjunkturzuschlag, bemüht 6 3 . Die Unterscheidung zwischen Begriff und Gegenstand soll zur Klärung der Behauptung beitragen, die Auferlegung einer Sonderabgabe sei die Konkretisierung der Sozialpflichtigkeit. Der Begriff der Sozialpflichtigkeit sei gegenüber neuartigen Abgabeformen 58 59 60 61 62 83

Stegmüller, Universalienstreit, S. 204. Ebd., S. 205. Essler, Analytische Philosophie I, S. 110 (1972). Ebd., S. 278. Mußgnug, S. 277, m i t Zweifeln an diesem Vorgehen. Meessen, S. 931.

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grundsätzlich offen 64 . Versteht man nun das Verhältnis zwischen einem verfassungsrechtlichen Begriff und dem konkreten Gegenstand, wie dem Konjunkturzuschlagsgesetz, als das Verhältnis zwischen Begriff und Gegenstand, dann läßt sich sagen, daß eine Abgabe die Eigenschaft habe, sozialpflichtig zu sein, oder daß sie unter den Begriff der Sozialpflichtigkeit falle. Es fragt sich nun, was m i t dieser Klassifizierung oder Einordnung gewonnen ist. Es soll Aufschluß darüber gewonnen werden, was damit gemeint sein soll, ein Gesetz sei einem Begriff der Verfassung als entsprechend zu deuten 65 . Von der Urbild-Abbild-Theorie aus ließe sich diese Argumentationsweise deuten und rekonstruieren. Die Sozialpflichtigkeit oder das Wohl der Allgemeinheit oder die Steuer oder ein sonstiger verfassungsrechtlicher Begriff könnten als ideale Wesen, als die Urform aller Abgabengesetze angesehen werden. Man könnte dann sagen, wenn das Wesen der Steuer i m Grundgesetz begrifflich repräsentiert ist, dann stellen die Sönderabgaben die Konkretisierung der Steuer dar. Ebenso könnten die Sönderabgaben als die Konkretisierung der abstrakten Sozialpflichtigkeit verstanden werden. Abstrakte Begriffe, die die Funktion des Verfassungsvorbehaltes erfüllen sollen, könnten damit eine Grundlage darstellen. Alle konkreten Gesetze wären nach dieser Ansicht Abbilder der abstrakten Wesenheiten, für die verfassungsrechtlichen Ausdrücke die Namen darstellen. Der Gesetzgeber hätte lediglich die Aufgabe, zunächst diese Wesenheiten auszumachen und sie dann zu konkretisieren. Gesetze wären danach nicht das Ergebnis von freier Gestaltung durch den Gesetzgeber, sondern Konkretisierungen von Vorgegebenem 66 . Die K r i t i k der Typentheorie an dem platonischen Urbild-Abbild-Modell läßt sich nun auf diese Argumentationsweise übertragen. Die Begriffe, die als verfassungsrechtliche Grundlagen für Sönderabgaben herangezogen wurden, wie zum Beispiel Steuer, Recht der Wirtschaft, Sozialpflichtigkeit oder Gemeinwohl stellen einen anderen Typus dar als die Sonderabgabengesetze, die i m Verhältnis zum Begriff als die Gegenstände zu verstehen sind. Ein Sonderabgabengesetz, wie der Konjunkturzuschlag, kann kein A b b i l d und keine Konkretisierung des Begriffs der Sozialpflichtigkeit oder etwa der Steuer sein. Wenn Sonderabgabengesetze m i t Begriffen der Verfassung i n Verbindung gebracht werden, dann handelt es sich um eine behauptete, konstruierte Beziehung, die i n keiner Weise vorgegeben ist. Die Behauptung also, die Auferlegung einer Sonderabgabe sei die Konkretisierung der Sozialpflichtigkeit des Vermögens 67 läßt sich als ein Argument erkennen, das dem platonischen 64

Ebd., S. 931. Leisner, Von der Verfassungsmäßigkeit der Gesetze zur Gesetzmäßigkeit der Verfassung, S. 38. ββ Mußgnug, S. 277; Friauf, öffentliche Sonderlasten, S. 46. 87 Meessen, S. 931. 85

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Urbild-Abbild-Modell verpflichtet ist. Nachdem die Einsicht i n die Notwendigkeit einer Typenunterscheidung gewonnen wurde und wissenschaftstheoretisch heute unangefochten sein dürfte 6 8 , läßt sich die Methode wirksam kritisieren, konkrete Gesetze aus Begriffen gewinnen zu wollen. Ein Vergleich zwischen den Gesetzen und den abstrakten Begriffen der Verfassung ist ebenfalls nicht dazu geeignet, Unklarheiten über die Verwendungen der abstrakten Begriffe zu beseitigen. Die Forderung, die Verfassung solle die Grundlage jeder Staatstätigkeit, sie solle Gestaltungshilfe für den Gesetzgeber, die Begriffe der Verfassung sollten Muster, Modelle und Urbilder sein, erscheint nunmehr als i l l u sorisch. Inwieweit die Verfassung Maßstab sein kann, soll i m folgenden untersucht werden. Als abstrakte Gegenstände werden heute Klassen, Eigenschaften, Relationen, Funktionen, Propositionen vom Piatonismus als Namensträger von Prädikatsausdrücken anerkannt, wobei nur Klassen von Eigenschaften als Namensträger von Prädikaten von Belang sind 6 9 . Ein Prädikat kann nun als Name einer Klasse von Gegenständen verstanden werden, was heute allgemein als Extension dieses Prädikats bezeichnet, und es kann Name für eine Eigenschaft von Gegenständen sein, was als Intension des Prädikatausdrucks bezeichnet w i r d 7 0 . Damit ist zunächst die aus dem Namenmodell sich zwangsläufig ergebende Frage beantwortet, wofür sprachliche Ausdrücke Namen sind, wenn sie — das Namenmodell vorausgesetzt — ausnahmslos Namen sein sollen. Sie können einmal als Namen von Klassen und Gegenständen verstanden werden, dann spricht man von der Extension eines Ausdrucks, und sie können als Namen von Eigenschaften von Gegenständen oder auch als Begriffe, was dasselbe bedeutet, verstanden werden, dann spricht man von der Intension eines Ausdrucks 71 . M i t diesen abstrakten Gegenständen lassen sich viele untereinander ansonsten verschiedene konkrete oder auch abstrakte Gegenstände unter Obergesichtspunkte zusammenfassen. Die abstrakten Gegenstände sind M i t tel, um vieles auf weniges, kompliziertes auf einfaches zu reduzieren. Das Ordnen von unterschiedlichen Dingen unter Klassen, Eigenschaften und Begriffe w i r d später noch als die Wahl von Standpunkten näher erörtert werden. Juristische Ausdrücke stellen also ebenfalls Prädikatausdrücke dar, so daß die bisher gewonnenen sprachtheoretischen Einsichten als Orientierungshilfen dienen können. Diese Unterscheidungen 68

Russell, S. 152. Stegmüller, Universalienstreit, S. 198. 70 Ebd., S. 199; Essler, Analytische Philosophie I, S. 236 f. 71 Intensionen sind Aussagen, die den Gebrauch bestimmter Ausdrücke regeln. Es handelt sich dabei u m metasprachliche Aussagen, Essler, A n a l y t i sche Philosophie I, S. 239. Neben dieser intensionalen Interpretation lassen sich sprachliche Ausdrücke auch extensional interpretieren. Dann redet man von einer bestimmten Klasse von Gegenständen, Essler, ebd., S. 236 f.; W u n derlich, S. 242. 69

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müssen beachtet werden, u m Fehler i n der Argumentation, wie etwa die Typenverwechslung, zu vermeiden. Vor allem w i r d der I r r t u m bei der Frage nach dem Verfassungsvorbehalt vermieden. Begriffe und das Wesen von juristischen Gegenständen sind nach dieser Position vorgegeben und vor den Einzelfällen existent. Diese Ansicht erlaubt die Vorstellung von einer Ableitungsmöglichkeit konkreter Gegenstände aus abstrakten Begriffen. Nur dieser I r r t u m kann die Versuche erklären, neuartige konkrete Rechtssätze, wie die Sonderabgabengesetze, aus vorhandenen Begriffen der Verfassung herleiten zu wollen, wie es bei der Forderung nach einer Ermächtigungsgrundlage i n der Verfassung zum Ausdruck kommt und wie es für die Regel vom Recht aus Begriffen kennzeichnend ist. U m die fehlerhafte Position zu verdeutlichen, sei annäherungsweise schon auf die Gegenposition kurz eingegangen. Danach sind die von Prädikaten bezeichneten Begriffe, Eigenschaften und Klassen nachträglich gebildet worden, und zwar zu dem Zweck, die Vielzahl von Einzelfällen übersichtlich zu ordnen. Abstrakte Begriffe erfüllen die Aufgabe von Ordnungsgesichtspunkten. Begriffe sind also nachträglich den Einzelfällen übergeordnet worden, während Plato meinte, die Einzelfälle seien Abkömmlinge und Abbilder von vorgegebenen Begriffen und Ideen. Diese Reihenfolge ist umzukehren. Man verbindet m i t den anschaulichen Wörtern aufgrund einer lebenslangen Verwendung und Gewohnheit bestimmte Assoziationen und meint daher, diese Verbindung bestehe notwendigerweise 72 . Es handelt sich u m eine Denkweise — wie Essler 73 Piatons Lehre charakterisiert —, die uns i n Fleisch und B l u t übergegangen ist, die als Selbstverständlichkeit empfunden w i r d und gegen K r i t i k durch lange Praxis immunisiert erscheint. Was-ist-Fragen m i t Definitionsketten aus immer neuen abstrakteren Begriffen, die Suche nach der Definition, die Frage nach dem Wesen sind Ausdruck und Indizien dieser inziwschen überholten Position. Es w i r d die letzte Erklärung, das Stammwort oder das Urbild gesucht 74 . Die bisherigen Erörterungen galten dem Nachweis, daß die juristische Methode der Regel vom Recht aus Begriffen, stillschweigend wissenschaftstheoretisch überholte Positionen voraussetzt. Die Annahme, für neuartige Gesetze wie die Sönderabgaben, ließe sich aus abstrakten Begriffen der Verfassung etwas gewinnen, stellt sich als Ausdruck der überholten Position des Urbild-Abbild-Modelles heraus. A n dieser Stelle muß ausdrücklich betont werden, daß mit dem vorgenommenen Rekonstruktionsversuch nicht gesagt werden soll, daß diejenigen, die so argumentieren, sich ausdrücklich zu Piatons Lehre von der Urbild-AbbildBeziehung bekennen. Es ist vielmehr anzunehmen, daß weder die Her72 Essler, Analytische Philosophie I, S. 101; E. von Savigny, Philosophie, 1970, S. 133. 78 Essler, Analytische Philosophie I, S. 108. 74 Ebd., S. 111.

Analytische

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kunft dieser intuitiv, unbewußt und unreflektiert benutzten Argumentation bekannt ist, noch die Gegenposition, die durch die Typentheorie repräsentiert ist. Damit soll gesagt sein, daß auch ohne Kenntnis dieser Modelle die aufgezeigten Fehler nachvollzogen werden können. Schließlich soll auf eine Eigentümlichkeit des Namenmodells aufmerksam gemacht werden, die i m Mittelpunkt der folgenden Überlegungen steht. Das Charakteristische des Namenmodells liegt darin, daß Namen immer nachträglich gegeben werden, nachdem der Namensträger schon vorhanden ist. Wenn also Prädikate und damit auch juristische Ausdrücke Namen sein sollen, muß der Namensträger schon vor der Benennung vorgegeben sein. Die abstrakten Begriffe müßten demnach schon vor den Namen existieren. Es handelt sich um eine Konsequenz aus der Auffassung von der Namensfunktion der Sprache. Diese Eigenschaft, schon vor der Benennung existent zu sein, w i r d i n der Sprachtheorie als Sprachunabhängigkeit bezeichnet. Daß diese Vorstellung i m Verfassungsrecht nicht fremd ist, zeigt die Annahme von ungeschriebenen Verfassungsvorbehalten 75 . Von derartigen ungeschriebenen Verfassungsvorbehalten läßt sich nur sagen, daß sie ungeschrieben sind, ohne daß sie weitere Informationen für Fragen nach der Höhe einer Abgabe, dem Zweck oder etwa dem Beteiligtenkreis liefern würden. Ebenso läßt sich von abstrakten idealen Gegenständen lediglich sagen, daß sie abstrakt und ideal sind. Herausgestellt werden soll hier diese sich aus dem Namenmodell ergebende Gemeinsamkeit aller bisher behandelten Positionen, daß die Namensträger vorgegeben sein müssen. Dieser Umstand w i r d als Grundgedanke der realistischen Semantik bezeichnet 76 . M i t Hilfe von Frege konnte die Ansicht Piatons widerlegt werden, konkrete und abstrakte Gegenstände seien Abbilder von Urbildern, seien auf Stammwörter zurückzuführen. Nachdem nun die Entstehung durch Ableitung sich als unhaltbar erwiesen hat, ist die Frage der Entstehung abstrakter Gegenstände offen. Es handelt sich dabei um ein erkenntnistheoretisches Problem 7 7 . Gerade am Beispiel der Sonderabgaben w i r d deutlich, wie sehr die Anstrengungen darauf hinauslaufen, neuartige Gesetze aus der bestehenden verfassungsrechtlichen Begriffswelt abzuleiten. Es entsteht der Eindruck, daß hinter all diesen Bemühungen die Ansicht existiert, eine Ableitung müsse gelingen. Es konnte schon nachgewiesen werden, daß diese Hoffnung von Begriffsjuristen, wie Gerber und Laband, geweckt wurde, die i m Anschluß an Puchta, aus den höheren, allgemeinen Rechtsbegriffen neuartige Rechtssätze gewinnen zu können glaubten. 75 Meessen, S. 929, w o dieser den ungeschriebenen Verfassungsvorbehalt als Grundlage f ü r die Erhebung von Steuer m i t weiteren Nachweisen darstellt. 76 von Kutschera, Sprachphilosophie, S. 328; Specht, Spätwerk, S. 132. 77 von Kutschera, Sprachphilosophie, 332.

7 Rack

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Diese Ansicht wurde hier als die Regel vom Recht aus Begriffen bezeichnet. Die Frage der Entstehung abstrakter Begriffe w i r d vor aljen Dingen von Wittgensteins Spätphilosophie beantwortet, auf die i m folgenden eingegangen werden soll. Konsequenzen hat die Wende i m Verständnis des Verhältnisses von abstrakten zu konkreten Gegenständen für die Frage nach der Bindung des Gesetzgebers an Begriffe der Verfassung. Die Vorstellung ist nun nicht haltbar, der Gesetzgeber finde i n den Begriffen der Verfassung Maßstäbe, Muster oder Vorbilder und die Gesetze seien ihre getreuen Abbilder nur i n konkreter Ausführung. Der Gesetzgeber läßt sich insofern auch nicht binden oder an den Begriffen der Verfassung messen. Niemand kann sich auf die Verfassung m i t dem Argument berufen, daß der Gesetzgeber bei einem Abgabengesetz vom verfassungsrechtlichen Muster und Maßstab abgewichen sei, da ζ. B. der Begriff der Steuer selbst kein Steuergesetz, der Begriff der Sozialversicherung selbst kein Sozialversicherungsgesetz ist. Es handelt sich hierbei u m einen ersten Schritt i n der Beantwortung der Frage, woran der Gesetzgeber gebunden sein kann. Festzuhalten bleibt, daß er nicht an Begriffe oder — was dasselbe bedeutet — an irgendein abstraktes Wesen gebunden sein kann. Es gilt weiterhin zu untersuchen, ob Begriffe der Verfassung als machbar oder vorgegeben, als dispositiv oder nichtdispositiv zu verstehen sind. Dabei geht es darum, wovon die korrekte Verwendung verfassungsrechtlicher Begriffe abhängt — was sich jetzt schon sagen läßt — von einem vorgegebenen abstrakten Wesen jedenfalls nicht. Die hier vorgestellte K r i t i k richtet sich gegen den Glauben, es könnte eine exakte Definition geben, u m Begriffe klar voneinander zu trennen. Dieser Glaube an die Möglichkeit der exakten Definition äußert sich i n der Forderung nach begrifflicher Präzision, da ansonsten die Staatsorgane nur zum Schein an die Verfassung gebunden wären 7 8 . Strauß gibt als Ziel seiner umfangreichen Arbeit an, einen Beitrag zu einer exakten Definition des grundgesetzlichen Steuerbegriffs leisten zu wollen. Die exakte Definition der nicht-steuerlichen Abgaben sei ein dringendes verfassungsrechtliches Gebot 79 . Geht man nun der Frage nach, ob und wie diese exakte Definition geleistet werden kann, stößt man auf ein altes Problem, das schon i n den Frühdialogen Piatos auftaucht 80 . Sokrates frage dort nach der Definition bestimmter ethischer Begriffe, was also eigentlich die Tapferkeit, die Tugend usw. seien. Antworten werden i n Form von Definitionen versucht. Sokrates weise dem Gesprächs78 Starck, S. 193; Friauf, Verfassungsrechtliche Grenzen der Wirtschaftslenk u n g u n d Sozialgestaltung durch Steuergesetze, S. 13, 14; Selmer, S. 184; Vogel, Finanzverfassung u n d politisches Ermessen, S. 26. 79 Strauß, Einleitung. 80 Specht, Wittgenstein u n d das Problem der Aporetik, S. 310.

6. Wittgensteins Sprachtheorie

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partner m i t Hilfe seines bekannten Elenchus (Gegenbeweis) nach, daß sie den zur Diskussion stehenden Begriff nicht angemessen umgrenzt hätten. Dieser elenchus bestehe darin, daß Sokrates jeweils ein Gegenbeispiel gibt, das nicht i n die vorgelegte Definition passe und so zeige, daß die Definition jeweils zu weit oder zu eng ist 8 1 . Wittgenstein hat am Begriff „Spiel" dieses Argumentationsmuster untersucht und die Frage nach dem Wesen von Spiel gestellt. Diese Was-ist-Fragen lassen sich nicht beantworten 8 2 . Nach der klassischen Definitionslehre w i r d jeweils eine Gemeinsamkeit (genus proximum) und es werden die Unterschiede (differentia spezifica) aufgezeigt 83 , was umfassend als Grundschema der Begriffsdiskussion nachgewiesen werden konnte. Da nun der Maßstab fehlt, das Wesen also, auf das man die Frage beziehen könnte, wovon sich der zu definierende Gegenstand unterscheide, lassen sich immer neue Unterschiede aufzeigen, immer neue Gegenbeispiele nennen, die nicht i n die Definition passen. Je nach Standpunkt lassen sich Unterschiede aufzeigen und immer neue Gegenbeweise führen. Die Diskussion um die exakte Definition ist von Anfang an endlos und mangels Maßstab ist ein Streit über die exakte Definition unschlichtbar. Diesem Nachweis dienen die hier vorgenommenen sprachtheoretischen Untersuchungen, wobei vor allem Wittgensteins Verdienst darin besteht, die Sinnlosigkeit der Frage der exakten Definition hervorgehoben zu haben. Definitionen sind also immer jeweils zu weit oder zu eng. Das Bemühen um die exakte Definition eines Begriffs, die ein für alle M a l feststünde, bleibt also von Anfang an ein erfolgloses Unterfangen. 6. Wittgensteins Sprachtheorie a) Wittgensteins Kritik am Namensmodell Auch wenn der heutige Piatonismus keine Wesenschau durch Intuition zur Erkenntnis der Namensträger empfiehlt, bleibt doch offen, wie die durch Prädikatausdrücke benannten abstrakten Gegenstände, die Klassen, Eigenschaften oder Begriffe festzustellen sind. Innerhalb des Namenmodells ist es unumgänglich, diese abstrakten Gegenstände festzuhalten, da sich ja nach den Namensträgern die Benennungen richten sollen. Die Verwendung sprachlicher Ausdrücke soll ja von den abgebildeten Gegenständen abhängen. Die abstrakten Gegenstände sind allerdings nicht feststellbar 84 . Die Schwierigkeit bei der Feststellung der abstrakten Namensträger war Anlaß für Wittgenstein, den Ausgangspunkt kritisch i n Frage zu stellen. Da die Namensträger bei Prädikaten unauf81 82 83 84

7*

Ebd., S. 310. Ebd., S. 312. Ebd., S. 311. von Kutschera, Sprachphilosophie 1971, S. 163.

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findbar sind, meint der Piatonist, eine abstrakte Wesenheit als Namensträger annehmen zu müssen, während der Nominalist dagegen daraus die Konsequenz zieht, es gebe keine Namensträger für Prädikatausdrücke 85 . Während sowohl Platonisten als auch Nominalisten am Namenmodell als Grundvorstellung für das Funktionieren der Sprache festhalten, besteht Wittgensteins Lösung des sprachtheoretischen Problems darin, das Namenmodell selbst i n Frage zu stellen. Ohne die Vorstellung, Sprache habe nur Namenfunktion, würde die unbeantwortete Frage nach dem Namenträger von Prädikatausdrücken gar nicht entstehen. b) Wittgensteins Ergebnis und die Relevanz für die Möglichkeit der Bindung an juristische Begriffe Wittgensteins Ergebnis soll vorweggenommen werden, um den Untersuchungsgang zu erleichtern. Nicht von Gegenständen und ihrer Beschaffenheit hänge die korrekte Verwendung von Wörtern ab, sondern von Sprachregeln, die von den Sprachteilnehmern ausdrücklich geschaffen werden oder die sich inoffiziell i n einer intersubjektiv gültigen Praxis einspielen. Die Gegenstände, über die die Sprache Aussagen macht, lassen sich nicht unabhängig von Sprache denken. Die abstrakten Gegenstände existieren also nicht vor, sondern nur i n der Sprache. Es ist sinnlos, solche Gegenstände anzunehmen, über die sich nur sagen läßt, sie seien abstrakt, ungeschrieben, auf jeden Fall aber irgendwo vorgegeben. Das Verhältnis von sprachlichen Ausdrücken und Gegenständen, das bisher als ein Verhältnis von Namen zu Namensträgern verstanden wurde, w i r d damit neu gedeutet. M i t dem sprachlichen Ausdruck entsteht gleichzeitig der Gegenstand, über den eine Aussage gemacht wird. Ausdruck von Gegenstand können erst m i t dem Entstehen einer Sprachregel über die Verwendungsweise des Ausdrucks sinnvoll angenommen werden. Prädikate entstehen als Ergebnis eines Entscheidungsprozesses. Prädikatausdrücke bezeichnen ja — so die realistische Redeweise — abstrakte Gegenstände, wie Klassen und Eigenschaften. Diese sind entgegen dem realistischen Verständnis nicht vorgegeben, sondern Ergebnis einer sprachlichen A k t i v i t ä t des Menschen. Wittgensteins Auffassung w i r d als Theorie der Gegenstandskonstitution durch Sprache bezeichnet 86 . Vor der Darstellung des zu diesem Ergebnis führenden Gedankengangs gilt es, noch kurz die Relevanz dieser Theorie für die juristische Fragestellung anzudeuten. Wenn Begriffe nicht vorgegeben, sondern Ergebnisse menschlicher Entscheidungsvorgänge i n Form von Sprachregeln sind, dann bedeutet dies für die Ausgangsfrage, daß Begriffe grundsätzlich dispositiv sind. Die Forderung nach Bindung des Gesetzgebers an die Verfassung wäre unerfüllbar, da die Begriffe der Verfassung dann 85 Specht, Spätwerk, S. 68, 73; E. von Savigny, S. 133. 86 Specht, Spätwerk, S. 132 f.

Analytische Philosophie,

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insoweit zur Disposition des Gesetzgebers stünden, als dieser Einfluß auf ihre Verwendung nehmen könnte. c) Die Kritik am Namenmodell bei Eigennamen I m folgenden soll Wittgensteins Gedankengang referiert werden. Aus der K r i t i k an der Gegenposition entwickelt sich seine eigene Ansicht über die Funktion der Sprache. Zunächst setzt sich Wittgenstein m i t dem Namenmodell bei Eigennahmen kritisch auseinander 87 . Gerade an den Eigennamen hat sich das Namenmodell entwickelt 8 8 . Die Bedeutung w i r d m i t dem Namenträger identifiziert. Die Bedeutung eines Wortes ist das Bedeutete. Diese Ansicht führt zu unhaltbaren Konsequenzen. M i t dem gestorbenen Namenträger hätte sein Name keine Bedeutung mehr. Die Namen würden m i t dem Untergang des Bedeutungsträgers bedeutungslos. Die Bedeutung eines Wortes und der Namenträger sind demnach nicht identisch. I n diesem Ergebnis gleichen sich die bisher genannten Untersuchungen. Auch Frege unterscheidet vom Gegenstand etwas, das wegen dieses Unterschiedes eine eigene Benennung verdiene. Ä h n lich der Unterscheidung Freges zwischen Gegenstand und Begriff trennt Wittgenstein Gegenstand und Bedeutung. Es hieße, die Bedeutung eines Namens m i t dem Träger des Namens verwechseln, würde man die Bedeutung m i t dem Namenträger gleichsetzen 89 . Alles bisher Gesagte hält sich i m Rahmen des Namenmodells, das als Ausgangspunkt nicht i n Frage gestellt wird. Prädikatausdrücke werden als Namen von abstrakten Gegenständen, wie Klassen (Extensionen) und Eigenschaften (Intensionen), verstanden. Auch juristische Ausdrücke wären danach als Namen zu verstehen. Das Namenmodell ist ein Schema, das dazu dient, die Funktion der Sprache zu deuten. Danach existieren die Dinge der Welt vor und unabhängig von Sprache, und die Wörter sind Namen, die den Dingen nachträglich zugeordnet werden 9 0 . Sprache funktioniert also nach dem Schema vom vorgegebenen Ding und seiner nachträglichen Benennung. Sprache ist m i t einem B i l d zu vergleichen, das die Welt nach einem bestimmten Gesetz der Projektion abbildet 9 1 . A n diesem Modell setzt nun Wittgensteins K r i t i k an. Er deutet die Sprache nach einem eigenen Modell, nämlich dem des „Sprachspiels". d) Modelle als Deutungshilfen Bevor nun das Sprachspiel-Modell vorgeführt wird, gilt es, etwas über die Methode zu sagen, Modelle als Deutungshilfen zu benutzen. Von 87 88 89 90 91

Wittgenstein, PU, S. 1. Stegmüller, Universalienstreit, S. 218. Wittgenstein, P U 39, 40, 43. Specht, Spätwerk, S. 36. Ebd., S. 37.

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Modellen kann nicht gesagt werden, sie seien wahr, richtig, notwendig, sondern sie sind Erklärungshilfen, Deutungsversuche und legen bloß nahe oder werden nahegelegt. Die Lernsituation des Erwachsenen ζ. B. legt es nahe, das Funktionieren von Sprache nach dem Namenmodell zu verstehen. Die Lernsituation des Kindes dagegen legt das Sprachspielmodell Wittgensteins nahe. Für die Anwendung des Sprachspielmodells gilt eine Maxime, die für alle sprachanalytischen Erwägungen Wittgensteins Bedeutung hat und die er i n den Philosophischen Untersuchungen (PU) 132 formuliert: „ W i r wollen i n unserem Wissen vom Gebrauch der Sprache eine Ordnung herstellen: eine Ordnung zu einem bestimmten Zweck; eine von vielen möglichen Ordnungen, nicht die Ordnung". Wie Wittgensteins Ordnungen bestimmten Zwecken dienen, so dienen auch Modelle bestimmten Zwecken. K r i t i k ist dann angebracht, wenn die gesetzten Zwecke nicht erfüllt werden. M i t dem Sprachmodell ist nun das Funktionieren von Sprache zu deuten und zu erklären. Demnach ist das Modell zu finden, daß angemessener als andere das Funktionieren der Sprache erhellt. Modelle oder auch Bilder werden nahegelegt, dienen einem Zweck, sind mehr oder weniger angemessen, können aber auch — und das ist zu betonen — Fragen offen lassen, irritieren und zu Mißdeutungen führen 9 2 . Es kann dazu kommen, daß uns „ein B i l d gefangen hält", wie es Wittgenstein metaphorisch ausdrückt 93 . Diese Aussagen über Ordnungen, Modelle, Bilder stehen i n einem Zusammenhang mit der Theorie der Gegenstandskonstitution, nach deren Darstellung die Maxime der Ordnung zu einem Zwecke klarer wird. Dann ist nämlich geklärt, daß alle Wörter und abstrakten Gegenstände zu bestimmten Zwecken konstituiert sind, vom Menschen erdachte Vorrichtungen zu einem Gebrauch darstellen, machbar und nicht vorgegeben sind. Es ist möglich, daß ein Modell, statt zu erklären, Probleme erzeugt und den Blick für Problemlösungen verstellt. Daher gilt als Leitmotiv der Sprachphilosophie, Scheinprobleme zu verhindern, die meist i n linguistischen Konfusionen bestehen 94 . Es geht letzten Endes darum, nicht zum Gefangenen irgendeiner Denkweise zu werden 9 5 . Unser Horizont sei durch diese Bilder von vornherein eingeengt, und selbst dann, wenn w i r unsere Auffassungen durch Beispiele zu kontrollieren suchten, verfielen w i r i n eine einseitige Diät. Bilder seien i n der Lage, einen hypnotischen Zwang auf das Denken auszuüben 96 .

92 93 94 05 96

Wittgenstein, P U 124, 644; Specht, Spätwerk, S. 76. Wittgenstein, P U 115. Stegmüller, Universalienstreit, S. 218. Stegmüller, Hauptströmungen, S. 598. Ebd., S. 606.

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e) Das Sprachspielmodell Die Situation des Kindes beim Lernen seiner Muttersprache scheint Wittgenstein veranlaßt zu haben, sprachliche Phänomene mit einem Spiel zu vergleichen 97 . Sprachspiele sind i n den philosophischen Untersuchungen „primitive Arten der Sprachverwendung", „primitive Sprachen" oder auch Sprachformen, die das K i n d beim Sprechenlernen gebraucht. Aber auch die gewöhnliche Umgangssprache m i t allen Tätigkeiten und Verrichtungen, die unlösbar zu ihr gehören, nennt Wittgenstein „Sprachspiel" 98 . Das Wort „Sprachspiel" soll anzeigen, daß das Sprechen Teil einer Tätigkeit oder einer Lebensform ist. Die Mannigfaltigkeit der Sprachspiele führt Wittgenstein an Beispielen vor, wie befehlen, beschreiben, Hypothesen aufstellen, einen Gegenstand herstellen, einen Witz machen, bitten, danken, fluchen usw. 9 9 . Wittgensteins Anliegen, das er m i t dem verstreut angeführten Sprachspielbegriff verfolgt, der für seine gesamte Sprachphilosophie als typisch angesehen w i r d 1 0 0 , ist, drei aufs engste verbundene Eigenschaften der Sprache hervorzuheben 101 aa) Die Funktionsvielfalt als Ausdruck verschiedener Lebensformen anstatt der Ausschließlichkeit der Namenfunktion Er w i l l erstens Sprache als eine menschliche A k t i v i t ä t verstanden wissen, die m i t der ganzen Lebensform des Sprechpartners zusammenhängt 1 0 2 . Diese A k t i v i t ä t kommt i n ganz verschiedenen Situations- und Handlungskontexten vor, und muß daher auf dem Hintergrund dieses Kontextes gesehen werden. Da Sprache als Teil verschiedener Lebensformen zu verstehen ist, ist die Funktion von Sprache für jede Lebensform neu zu bestimmen. Jedem von vielen möglichen Lebensformen entspricht somit ein Sprachspiel. Damit soll betont werden, daß der Sprachgebrauch i n den verschiedensten Kontexten jeweils spezifischen Regeln folgt 1 0 3 . Damit richtet er sich gegen das Namenmodell, das nur eine Funktion, die Namenfunktion, kennt. Der Beschränkung auf die Namenfunktion setzt er die Vielfalt sprachlicher Funktionen entgegen 104 .

97

von Kutschera, Sprachphilosophie 1971, S. 231. Wittgenstein, P U 5, 7; Specht, Spätwerk, S. 41. 99 Wittgenstein, P U 23. 100 von Kutschera, Sprachphilosophie, S. 223. 101 Specht, Spätwerk, S. 44, m i t weiteren Beispielen für Sprachspiele u n d deren Klassifizierung. 102 Ebd., S. 46. 103 von Kutschera, Sprachphilosophie, S. 23. 104 Wittgenstein, P U 23. 98

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I I . Die Sprache der Verfassung als Maßstab bb) Sprache als

Instrument

Zweitens stellt Wittgenstein die Eigenschaft der Sprache heraus, Instrument zu sein. „Die Sprache ist ein Instrument. Ihre Begriffe sind Instrumente 1 0 5 ." Sprachgebrauch w i r d m i t Werkzeuggebrauch verglichen. Auch hierbei geht es Wittgenstein wieder darum, Verschiedenheit und Vielfalt der Funktion von Sprache der Ausschließlichkeit des Namenmodells entgegenzustellen. So verschieden die Funktionen der Werkzeuge i n einem Werkzeugkasten sind, so verschieden sind die Funktionen der Wörter 1 0 6 . f) Die Kontextabhängigkeit der Sprache Drittens bringt Wittgenstein i m Sprachspielmodell zum Ausdruck, daß Sprache sich i n Funktionseinheiten gliedern lasse, die einzelnen Sprachspiele. Nach dem Sprachspielmodell sind sprachliche Ausdrücke nur i m Funktionszusammenhang verständlich. Aus diesem Zusammenhang gerissene sprachliche Ausdrücke ergeben regelmäßig keinen Sinn. Abgelehnt w i r d damit die sogenannte atomistische Vorstellung, daß jedes Einzelwort für sich allein und isoliert eine fixierte Bedeutung habe 1 0 7 . Schon hier kann gesagt werden, daß die Mißachtung der Kontextabhängigkeit i n der juristischen Argumentationsweise ein häufiger Fehler ist. Die Funktionsvielfalt der Sprache w i r d durch die Gleichartigkeit der Erscheinung der Wörter verdeckt. Der gleiche Wortlaut muß nicht die gleiche Bedeutung nach sich ziehen. Für die Begriffe Steuer und Eigent u m spielt diese Einsicht eine große Rolle. Beide Begriffe kommen i n unterschiedlichen Kontexten mit gleichem Wortlaut vor. „Steuer" w i r d i n der Abgabenordnung und i m Grundgesetz verwendet. Der Begriff Eigentum w i r d i m Kontext des BGB und i m Kontext des Grundgesetzes verwendet. Die Unterschiedlichkeit des Kontextes bleibt regelmäßig unberücksichtigt. Die Mißachtung der Kontextabhängigkeit ist eine Wurzel des Problems der Abgrenzung von Vermögen und Eigentum, deren Trennung i m Kontext des BGB einen Zweck erfüllt, nicht aber i m GG. Das Vermögen eignet sich nicht dazu, dingliches Recht zu sein wie das Eigentum. Das hat für das BGB einen Sinn, nicht aber für den Kontext des GG, i n dem die Ausgestaltung als dingliches Recht nicht notwendig ist. Es muß nicht gegen jedermann wirken, sondern nur gegen den Staat. Zum Verhältnis von Namen- und Sprachspielmodell läßt sich sagen, daß die K r i t i k am Namenmodell sich nicht gegen die Auffassung von der Namenfunktion der Sprache richtet, sondern gegen die Vorstellung von der Ausschließlichkeit der Namenfunktion. Das Sprachspielmodell umfaßt das Namenmodell, wenn es die Vielfalt und die Verschie105

Ebd., P U 569. « Ebd., P U 11; Specht, Spätwerk, S. 50. 107 Specht, Spätwerk, S. 54. 10

6. Wittgensteins Sprachtheorie

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denheit der Funktionen von Wörtern betont. Das Sprachspielmodell schließt also auch nicht die Redeweise aus, ein Wort benenne etwas 1 0 0 . g) Stilisierte Lernsituation als Hintergrund des Namen- und Sprachepielmodells Nachdem nun die beiden Modelle gegenübergestellt sind, ist zu zeigen, daß das Sprachspielmodell sprachliche Funktionen angemessener beschreibt als das Namenmodell. Zuvor soll aufgezeigt werden, durch welche Situationen beide Modelle naheglegt werden. Die Darstellung dieser Situationen ist für die Einsicht wichtig, Sprache müsse von ihrer Verwendung her betrachtet werden. Nach dem Namenmodell beziehen sich die Wörter der Sprache so auf ihren Gegenstand, wie die Namen für Einzeldinge auf ihre vorgegebenen Namenträger. Wittgenstein hat untersucht, warum man in den atomistischen Sprachtheorien gerade die Namen für bestimmte Einzeldinge als Basis für die Deutung der Bezeichnungsbeziehung nimmt. Wittgenstein diskutiert die Lernsituation des eine Muttersprache lernenden Kindes, die fälschlicherweise nicht von der Situation eines Erwachsenen unterschieden wird, der eine Fremdsprache erlernt. Die Schwierigkeit, den Unterschied einzusehen, liegt darin, daß sich niemand i n die Lage versetzen kann, überhaupt noch nicht sprechen zu können. I n dieser Situation ist dem K i n d noch nicht klar, welche Rolle Wörter in der Sprache überhaupt spielen sollen 1 0 9 . Es gehören sprachliche Vorkenntnisse dazu, hinweisende Definitionen und i n der Form „dieses Wort . . . bezeichnet . . . " verstehen zu können. Diese A r t Erklärungen stehen also gar nicht am Anfang des Sprechen-lernens. „Als käme ein K i n d i n ein fremdes Land und verstehe die Sprache des Landes nicht; das heißt: so als habe es bereits eine Sprache, nur nicht diese.. . 1 1 0 . " Betont w i r d also, daß ein Erwachsener anders eine Fremdsprache lernt, als ein K i n d die Muttersprache. Der Erwachsene versteht, was damit gemeint ist, wenn auf einen Gegenstand gedeutet und dazu ein Name gesagt wird. Er weiß dann schon, daß man diesen Gegenstand so nennt. Das K i n d i m vorsprachlichen Zustand muß aber erst einmal lernen, was das Deuten auf einen Gegenstand und das gleichzeitige Nennen eines Namens heißen soll. Es kennt also das ganze Sprachspiel vom Benennen noch gar nicht. Die simplifizierende Modellvorstellung vom Erlernen der Sprache, wonach das Beherrschenlernen der Sprache i m richtigen Erlernen von Namen bestehen soll, übersieht, daß das Benennen selbst schon ein kompliziertes 108 Ebd., S. 85; es w i r d v o r allem auch bei von Kutschera, Sprachphilosophie, S. 236, die Verwendung realistischer u n d pragmatischer Redeweisen nebeneinander als möglich bezeichnet. 109 Wittgenstein, P U 29, 30. 110 Ebd., P U 32; Specht, Spätwerk, S. 65; Stegmüller, Das Wahrheitsproblem und die Idee der Semantik, 1957, S. 287.

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Sprachspiel darstellt, das nur von dem verstanden werden kann, der bereits die Technik des Gebrauchs der Sprache erlernt hat 1 1 1 . Diesen Unterschied übersehen zu haben, führte zur Ansicht, Sprache funktioniere so, wie man Fremdsprachen lernt und sei als Folge von Namen zu verstehen. Demgegenüber funktioniert kindliches Sprechenlernen derart, daß Wörter i n Situationen, i m Lebenskontext gebraucht werden, i n Funktionseinheiten, so daß das K i n d den Wortgebrauch immer m i t einer entsprechenden Situation lernt und das Wort auch nur anläßlich dieser Situation wiederholt. Es werden nicht von der Situation isolierte Namen gelernt, die dann aneinandergereiht werden. Sprache lernt sich also nicht an sprachlichen Einzelteilen, sondern nur i n Funktionseinheiten i m Lebenszusammenhang. Diese vorsprachliche Situation w i r d auch m i t der Situation eines Schiffbrüchigen verglichen, der sein Schiff auf hoher See nachbauen müßte. Wolle man das Funktionieren der Sprache verstehen, so müsse man sich i n die Lage desjenigen versetzen, der noch gar nicht sprechen könne oder aber i n den eigenen vorsprachlichen Zustand 1 1 2 . Wittgenstein benutzt also stilisierte Lehr- und Lernsituationen von Sprache für Modelle, die erklären sollen, wie Sprache funktioniert. Die Schwierigkeiten, sich i n den vorsprachlichen Zustand zu versetzen, ist der Grund dafür, daß das Namenmodell diesen Grad an Selbstverständlichkeit erreicht hat. M i t der Situation des Erwachsenen das Funktionieren von Sprache erklären zu wollen, bedeutet soviel, wie das falsche Muster gewählt zu haben. Die Situation des die Muttersprache lernenden Kindes dagegen legt es nach Wittgenstein nahe, die Funktion der Sprache nach dem Sprachspielmodell zu deuten. Danach w i r d Sprache innerhalb eines Kontextes gelernt und ist auch so zu verstehen und zu verwenden. Die Grundstruktur der Lernsituation des Erwachsenen hat eine derartige Anschaulichkeit, daß man sie auf die ganze Sprache zu übertragen sucht; man meine, alle oder doch die meisten Wörter müßten sich mehr oder weniger so auf ihren Gegenstand beziehen, wie die Namen i n der genannten Lernsituation auf ihre vorgegebenen Namensträger 113 . Mehrfach w i r d betont, das Namenmodell habe den Universalienstreit ausgelöst 114 . Die mit dem Namenmodell ausgelöste Hauptschwierigkeit besteht darin, jeweils den Namensträger für Prädikatausdrücke ausfindig zu machen, der ja die korrekte Verwendung dieses Ausdruckes bestimmen soll. Das Namenmodell veranlaßt die erfolglose Suche nach abstrakten Dingen, wie dem Wesen des Eigentums, dem Wesen der 111

Stegmüller, Hauptströmungen, S. 588. Lorenzen, Methodisches Denken, S. 28, 29. 113 Specht, Spätwerk, S. 67. 114 Stegmüller, Universalienstreit, S. 193, 219; E. von Savigny, Analytische Philosophie, S. 133; Specht, Spätwerk, S. 67, 68, 73; von Kutschera, Sprachphilosophie, S. 328. 112

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Steuer, dem Wesen der Sozialversicherung, wenn es darum geht, diese Ausdrücke auf neue Sachverhalte zu beziehen. Das Namenmodell führt zu einer hypostasierenden Ontologie 1 1 5 . Die Gegenüberstellung von Namenmodell und Sprachspielmodell soll die Einsicht vermitteln, daß die Suche nach abstrakten Dingen von vornherein erfolglos sein muß. Wenn also die Frage nach dem Wesen des Eigentums, dem Wesen der Steuer gestellt wird, so handelt es sich um eine Konsequenz des Namenmodells, das zu diesem Fall einer „linguistischen Konfusion" f ü h r t 1 1 6 . Das Satzschema „das Wort . . . bezeichnet . . ." bringt die Beziehung zwischen einem Einzelnamen und einem Einzelding zum Ausdruck und w i r d nun auf alle anderen Wortarten übertragen, indem man davon ausgeht, alle anderen Wortarten müßten ebenso Namen von Namensträgern sein, wie es die Eigennamen sind 1 1 7 . I m Bereich des Namenmodells versucht man die Bedeutung juristischer Ausdrücke wie „verfassungsmäßig" oder „Steuer" dadurch zu finden, daß man nach der Definition oder dem Wesen der Verfassungsmäßigkeit fragt, als ob es eine einzige richtige Definition gäbe. Je nachdem für welches Sprachmodell man sich entscheidet, muß man die Bedeutung von Begriffen anders feststellen. Nach der realistischen Semantik würde nach dem Namensträger gefragt, dem abstrakten Wesen, der exakten Definition oder ganz einfach: Was ist eigentlich eine Steuer? Was ist eigentlich Eigentum oder Verfassungsmäßigkeit? Die Fragen sind so gestellt, als ob ein Gegenstand existierte, eine A r t Ursteuer, neben die man zum Vergleich ein Abgabengesetz halten könnte, um Zweifel auszuräumen, ob es eine Steuer sei oder nicht. Anders dagegen würde man nach dem Sprachspielmodell verfahren. Danach würde man die Verwendung beobachten und Verwendungsregeln festsetzen, falls Zweifel bestünden. Es schließt sich die Frage an, auf welche Weise, wenn nicht als Namen, die Wortarten tatsächlich funktionieren. Es soll also die Frage verfolgt werden durch welche Frageform die fruchtlose „Was-ist-Fragestellung" ersetzt werden kann. Wie ein Wort funktioniert, kann man nicht erraten, man müsse seine Anwendung ansehen und daraus lernen 1 1 8 . Wittgenstein empfiehlt also, diese Anwendungen zu beobachten, so wie ein K i n d es tue, das noch keine Sprache beherrscht. Nur der Verwendungskontext macht klar, wie Wörter zu verstehen sind 1 1 9 . Was ein Wort bezeichnet, läßt sich allein aus dem Gebrauch des betreffenden Wortes entnehmen. Wenn von Bezeichnen die Rede ist, so handelt es sich u m eine verkürzte Ausdrucksweise für den Gebrauch des Wortes, ohne 115 116 117 118 119

Specht, Spätwerk, S. 68. Stegmüller, Hauptströmungen, S. 605. Specht, Spätwerk, S. 67. Wittgenstein, P U 340. von Kutschera, Sprachphilosophie, S. 226.

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daß diese Redeweise nun völlig sinnlos wäre 1 2 0 . Die Formel vom Bezeichnen ist nicht wörtlich zu nehmen. Wörtlich genommen, verdeckt sie die unterschiedlichen Gebrauchsmöglichkeiten ein und desselben Wortes i n verschiedenen Kontexten. Die unterschiedlichen Gebrauchsmöglichkeiten ein und desselben Wortes helfen nicht weiter, wenn der Sprachgebrauch noch nicht bekannt ist 1 2 1 . A u f die Ausgangsfrage also, wonach sich die Verwendung von juristischen Ausdrücken richtet, werden zwei unterschiedliche Antworten gegeben. Nach dem Namenmodell ist nach dem Namensträger, für den der Ausdruck Name ist, zu suchen. Der sprachliche Ausdruck muß diesem Namensträger entsprechen, was immer darunter zu verstehen ist. Jedenfalls soll der Namensträger A n t worten für Zweifelsfälle bereithalten. Das bringt die Schwierigkeit mit sich, daß bei Gattungsbegriffen, wie sie die juristischen Ausdrücke darstellen, ein abstrakter Gegenstand gesucht werden und die Suche deshalb von vornherein fruchtlos sein muß. Das Sprachspielmodell dagegen empfiehlt, die Verwendung eines Wortes zu beobachten, um Zugang zum Verständnis eines sprachlichen Ausdrucks zu gewinnen. Die Empfehlung, den Gebrauch und die Verwendung eines Wortes zu beobachten, um dessen Funktion erkennen zu können, w i r d durch die Lehr- und Lernsituation bei Kindern nahegelegt 122 . Beide konkurrierenden Modelle zur Erklärung der Funktion von Sprache, das Namenmodell und das Sprachspielmodell, stellen wichtige Orientierungshilfen dar. A l l e i n schon ihre Formulierung hilft, die sogenannten linguistischen Konfusionen zu verhindern. Der Alltagsverstand hält die an sich plausiblen Modelle nicht auseinander und begeht Fehler, wie etwa die Mißachtung der Kontextabhängigkeit oder die endlose und fruchtlose Suche nach abstrakten Gegenständen. Dadurch w i r d der Zugang zur Lösung versperrt. Schon eingangs wurde die Methode, die Verwendung sprachlicher Ausdrücke zu beobachten, praktiziert. Es wurde nämlich die Verwendung des Ausdrucks „Verfassungsmäßigkeit" beobachtet, und als Ergebnis konnte die Regel formuliert werden, daß Verfassungsmäßigkeit für die Gesetze verwendet wird, die sich aus Begriffen der Verfassung herleiten oder ihnen unterordnen lassen. Es konnte aufgrund dieser Beobachtung nach der Sprachspielmethode die Regel vom Recht aus Begriffen formuliert werden. Nach dem Namenmodell hätte man dagegen nach der exakten Definition, dem Wesen, dem Begriff oder der Natur von „verfassungsmäßig" suchen müssen. Die Kontextabhängigkeit w i r d leicht übersehen, wenn juristische Ausdrücke i n einen anderen Kontext übernommen werden, was sowohl bei der Steuer als auch bei dem Begriff des Eigentums geschieht 123 . 120 Specht, Spätwerk, S. 70; von Kutschern, Sprachphilosophie, S. 236; Stegmüller, Wahrheitsproblem u n d die Idee der Semantik, S. 285. 121 von Kutschera, Sprachphilosophie, S. 188. 122 Ebd., S. 213.

7. Die Bedeutungstheorien aus der Sicht Wittgensteins

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7. Die Bedeutungstheorien aus der Sicht Wittgensteins Wie das Schema von der Bezeichnung, so ist auch das von der Bedeutung Ausdruck des Namenmodells. I m Rahmen seines Grundanliegens, K r i t i k am Namenmodell zu üben, beschäftigt Wittgenstein sich auch m i t den Bedeutungstheorien, die die Frage untersuchen, was unter der Bedeutung eines Wortes zu verstehen sei. a) Die Kritik an drei das Namenmodell voraussetzenden Bedeutungstheorien Die K r i t i k Wittgensteins richtet sich gegen drei verschiedene Ansichten. Die erste versteht unter der Bedeutung eines Wortes den bezeichneten Gegenstand. Von der ersten unterscheiden sich die beiden anderen darin, daß sie neben dem Wort und dem das Wort bezeichnenden Gegenstand die Bedeutung als etwas Drittes verstehen. Untereinander aber unterscheiden sie sich i n ihrem Verständnis davon, welcher ontologischen A r t die Bedeutung sei. Die zweite Bedeutungstheorie versteht unter Bedeutung ein psychisches Gebilde, ein B i l d i n der Seele, und die dritte, die platonistische Bedeutungstheorie, versteht unter Bedeutung eine vorgegebene ideale Wesenheit 124 . Gemeinsam ist diesen Bedeutungstheorien, daß sie vom Namenmodell ausgehen. A l l e drei Bedeutungstheorien lehnt Wittgenstein deshalb ab und vertritt die Ansicht: „Bedeutung eines Wortes ist sein Gebrauch i n der Sprache 125 ." Die Gebrauchstheorie Wittgensteins ist also als vierte Bedeutungstheorie anzusehen 126 . b) Die Relevanz der Bedeutungstheorien für die Möglichkeit der Bindung an die Verfassung Zu diesem Ergebnis kommt Wittgenstein durch die K r i t i k an den herkömmlichen Theorien der Wortbedeutung. Sie macht deutlich, w o r i n Bedeutung nicht besteht und soll zunächst dargestellt werden. Schon hier soll auf die Tragweite der These, die Bedeutung eines Wortes sei sein Gebrauch, seine Verwendung, für die Möglichkeit der Gesetzesbindung, insbesondere der Bindung an die Verfassung hingewiesen werden. Die Bedeutung eines Wortes oder eines ganzen Textes hängt demnach von denjenigen ab, die Wort und Text gebrauchen und nicht vom gleichbleibenden Wortlaut. Gerade sie sollten aber an den Text gebunden sein. Die Bedeutung eines Wortes liegt demnach nicht fest, 123 Als Beispiele für eine funktionsdifferente Auslegung durch das BVerfG nennt F. Müller, S. 144, den Ausdruck „verfassungsmäßige Ordnung" u n d „Körperschaft des öffentlichen Rechts". H i e r hat der jeweilige K o n t e x t die Auslegung beeinflußt (BVerfG 6, 32). 124 Specht, Spätwerk, S. 87 f.; Stegmüller, Hauptströmungen, S. 578. 125 Wittgenstein, P U 43, 432; Specht, Spätwerk, S. 97,109. 12e von Kutschera, Sprachphilosophie, S. 236.

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es kann i h m nicht an sich selbst eine bestimmte Bedeutung zukommen. Die Bedeutung wechselt vielmehr je nach Gebrauch und Kontext. Nach dem Namenmodell dagegen würde dem Wort eindeutig nur ein einziger Gegenstand, der die Bedeutung dieses Wortes darstellt, entsprechen. Die Bedeutung juristischer Ausdrücke, wie Steuer, Eigentum wären von deren Wortlaut abhängig, ohne Rücksicht auf den Kontext, i n dem sie verwendet werden. M i t gleichem Wortlaut bliebe auch die Bedeutung eines Ausdrucks gleich. Diese sprachtheoretische Vorstellung scheint hinter der Regelung des A r t . 79 I Satz 1 GG zu stehen, wonach das Grundgesetz nur durch ein Gesetz geändert werden kann, das den Wortlaut des Grundgesetzes ausdrücklich ändert oder ergänzt 1 2 7 . Es ist zu vermuten, daß man glaubte, an den Wortlaut die Bedeutung eines Ausdrucks der Verfassung binden zu können, so, als ob ein unveränderter Wortlaut gegen jeglichen Wandel der Bedeutung Sicherheit bieten könnte. M i t Hilfe dieser Regelung stützt Vogel die Ansicht, es gebe kein dispositives Verfassungsrecht 128 . Die Vorfrage, ob es nicht dispositive, unbeeinflußbare Begriffe geben kann, ob ein gleichbleibender Wortlaut Sicherheit vor einem Bedeutungswandel bieten kann, oder ob die Bedeutung von den Verwendern der sprachlichen Ausdrücke abhängt, ist Gegenstand der Bedeutungstheorie. Es ist zu untersuchen, ob eine Bindung an die Bedeutung der Verfassungsbegriffe möglich ist. Zuvor gilt es zu klären, was unter der Bedeutung eines Ausdrucks zu verstehen ist. Die alternative Frage lautet also, ob die Bedeutung eines Wortlautes vom Sprachbenutzer unabhängig oder abhängig zu denken sei, ihm zur Disposition stehe oder nicht 1 2 9 . Entsprechend ihrer Tragweite für die zentrale Frage der Gesetzesbindung, speziell der Verfassungsbindung, und damit für die Frage nach der Verfassungsmäßigkeit, soll hier die Theorie Wittgensteins dargelegt werden. c) Die Bedeutung als benannter Gegenstand Zunächst setzt sich Wittgenstein mit der These auseinander, die Bedeutung eines Wortes bestehe i m ihn bezeichnenden Gegenstand. W i t t genstein diskutiert i n den Philosophischen Untersuchungen die Bedeutungstheorien am Beispiel der Eigennahmen. I m Traktat hat er selbst die Ansicht vertreten, daß beim Namen die Bedeutung m i t dem Namensträger identisch sei 1 3 0 . Die Vorstellung von der Lernsituation, die fälschlicherweise als Lernen von Namen gesehen wird, lege die Theorie nahe, die Bedeutung eines Wortes sei m i t dem Gegenstand identisch, für den es stehe. I n den Philosophischen Untersuchungen 1 führt Wittgenstein 127 128 129 130

Lerche, Stiller Verfassungswandel als aktuelles P o l i t i k u m , 1971, S. 285. Vogel, Finanzverfassung u n d politisches Ermessen, S. 26. Specht, Spätwerk, S. 119. Wittgenstein, Tractatus-logico-philosophicus, 3.202, 3.203.

7. Die Bedeutungstheorien aus der Sicht Wittgensteins

111

wörtlich aus: „Die Wörter der Sprache benennen Gegenstände — Sätze sind Verbindungen von solchen Benennungen —. I n diesem B i l d von der Sprache finden w i r die Wurzel der Idee: Jedes Wort hat eine Bedeutung. Diese Bedeutung ist dem Wort zugeordnet. Sie ist der Gegenstand, für welchen das Wort steht . . .". Bei gleichbleibendem Wortlaut müßte danach die Bedeutung ebenfalls gleichbleiben und ein für allemal die Bindung an einen Gesetzes- oder Vertragstext garantieren. Auslegungsstreitigkeiten um Texte wären Streitigkeiten um die richtige Erkenntnis des Namensträgers oder der Bedeutung. Wenn jedem Wort eindeutig nur eine einzige Bedeutung zukäme, wären Streitigkeiten darüber allein ein Problem der richtigen Erkenntnis. A l l e i n schon die gegenteilige Erfahrung mit der Mehrdeutigkeit der sprachlichen Ausdrücke macht die Theorie der realistischen Semantik fragwürdig. Den Gründen soll nun nachgegangen werden. Aus der Identifikation von Bedeutung und Namensträger ergeben sich folgende Schwierigkeiten: Ein Name dürfte dann keine Bedeutung mehr haben, wenn sein Träger nicht mehr existiert. Konsequenterweise müßte angenommen werden, der Name werde m i t dem Untergang seines Trägers bedeutungslos. Diesen Umstand macht Wittgenstein einmal an folgendem Beispiel deutlich: Wenn der Namensträger ein Mensch ist, und dieser stirbt, so könne man nicht sagen, es sterbe die Bedeutung des Namens, sondern es sterbe der Träger des Namens 131 . A m Beispiel des zerbrochenen Werkzeugs, dessen Name auch dann noch Bedeutung hat, wenn es nicht mehr existiert, veranschaulicht Wittgenstein diesen Gedanken ebenfalls 132 . M i t diesen Beispielen soll das Argument verdeutlicht werden, daß die Wörter „Bedeutung" und „Namensträger" nicht miteinander austauschbar sind, sie sind nicht synonym. Das Wort „Bedeutung" würde sprachwidrig gebraucht, wenn man damit das Ding bezeichnet, das dem Wort entspricht 1 3 3 . Diesen Schwierigkeiten w i r d auf zweierlei Weise begegnet. Entweder man hält an der These fest, Bedeutung und Namensträger seien identisch, oder man läßt diese These fallen und bemüht sich, wie Wittgenstein, u m ein neues Verständnis. Die Bedeutung eines Namens ist vollkommen unabhängig davon, ob der betreffende Namensträger existiert oder nicht. Die These, Bedeutung sei mit dem Namensträger identisch, ist also fallenzulassen, da sie nicht erklären kann, ob man sagen kann, ein Wort habe auch ohne bezeichneten Gegenstand Bedeutung 1 3 4 .

131

Wittgenstein, P U 40. Ebd., P U 41. 133 Ebd., P U 40; Specht, Spätwerk, S. 93. 134 von Kutschera, Sprachphilosophie, S. 132, 236, 237; Essler, Philosophie I, S. 262. 132

Analytische

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I I . Die Sprache der Verfassung als Maßstab

d) Die Bedeutung als ein vorgegebener, nichtdispositiver Gegenstand Wittgensteins Auffassung dagegen, die Bedeutung eines Wortes sei sein Gebrauch, kennt die genannten Schwierigkeiten nicht. Solange ein Wort gebraucht und verwendet wird, läßt sich von i h m sagen, es habe Bedeutung. Bisher wurde die Trennung von Bedeutung und Namensträger, man kann auch sagen, von Bedeutung und Bedeutetem, bei Eigennamen vorgenommen. Auch bei den für die juristische Argumentation wichtigen Prädikatausdrücken läßt sich m i t dem gleichen Argument Wittgensteins die Trennung vornehmen 1 3 5 , wenn eine Person sterbe, so sterbe der Namensträger und nicht die Bedeutung des Namens 1 3 8 . Als Beispiele für Prädikate führt Wittgenstein den Ausdruck „Saurier" an, für eine Tiergattung, die ausgestorben sei. Sie ist nicht identisch m i t der Bedeutung des Wortes „Saurier", denn es kann nicht gesagt werden, die Bedeutung von „Saurier" sei ausgestorben. Ebenso könne ein Farbenblinder nicht die Farbe Rot sehen, jedoch könne nicht gesagt werden, er sehe die Bedeutung des Wortes „ r o t " nicht. Das hier benutzte Argument läßt sich verallgemeinert so formulieren, Aussagen über den Gegenstand, den ein Wort bezeichnet, sind verschieden von den Ausagen über die Bedeutung des betreffenden Wortes 1 3 7 . Die Trennung von Bedeutung und bedeutetem Gegenstand erlaubt die getrennten Fragen nach A r t und Beschaffenheit des Gegenstandes und nach der Bedeutung, das heißt der Verwendung 1 3 8 . Bisher wurde Klarheit darüber gewonnen, daß unter Bedeutung nicht der bezeichnete Gegenstand zu verstehen ist. Was unter der Bedeutung eines Wortes zu verstehen ist, ist nach der platonistischen und der psychologischen Bedeuungstheorie etwas Drittes neben dem Wort und dem benannten Gegenstand. Bei der Beantwortung der Frage, was für eine A r t von Gegenstand die Bedeutung ist, lassen sich zwei Richtungen unterscheiden. Die eine interpretiert die Bedeutung als ein ideales Gebilde und w i r d deshalb auch platonistische Bedeutungstheorie genannt, während die andere Richtung ein psychisches Gebilde annimmt und daher psychologische Bedeutungstheorie genannt wird. Bedeutung w i r d also als ein B i l d i n der Seele oder als ein selbständiger abstrakter Gegenstand neben den realen Gegenständen verstanden 139 . Die drei kritisierten Bedeutungstheorien haben eine gemeinsame Eigenschaft, die hier i m juristischen Problemzusammenhang von großem 135

Specht, Spätwerk, S. 98. Wittgenstein, P U 40. 137 Specht, Spätwerk, S. 98. 138 Ebd., S. 99. 139 Wittgenstein, Bemerkungen über die Grundlagen der Mathematik (GM), 18, 36; Specht, Spätwerk, S. 101; Stegmüller, Hauptströmungen, S. 578. 136

7. Die Bedeutungstheorien aus der Sicht Wittgensteins

113

Interesse ist. Sie gehen von der Annahme aus, daß die Bedeutung eines sprachlichen Ausdrucks etwas darstellt, was dem Menschen unbeeinflußbar vorgegeben ist. Ob die Bedeutung als das Bedeutete oder nach der psychologischen Bedeutungstheorie als ein B i l d i n der Seele oder nach der platonistischen Bedeutungstheorie als eine Idee verstanden wird, es handelt sich immer u m etwas vom Menschen Unbeeinflußbares, etwas ihm Vorgegebenes, das nicht zu seiner Disposition steht. Erst Wittgensteins Theorie, die unter der Bedeutung eines Wortes dessen Verwendungsregel versteht, macht die für die Gesetzesbindungsfrage wichtige Bindungsparadoxie offensichtlich, wonach der zu Bindende die Möglichkeit hat, die Verwendung der Ausdrücke, an die er gebunden ist, selbst zu beeinflussen. Insofern ist die Diskussion der Bedeutungstheorien für die wichtige Frage der Gesetzesbindung, insbesondere für die Bindung an die Sprache der Verfassung, aufschlußreich und verlangt eine umfassende Darstellung. Das Verständnis von einer dem Menschen nicht zur Disposition stehenden Bedeutung würde die Vorstellung erlauben, Menschen seien an einen Wortlaut und dessen unbeeinflußbare Bedeutung zu binden, eine Vorstellung, die den Regelungen der A r t . 1 Abs. 1 und A r t . 79 Abs. 1 S. 1 GG unausgesprochen impliziert zu sein scheint. Von dem Unterschied zwischen platonistischer und psychologischer Bedeutungstheorie absehend, kritisiert Wittgenstein die beiden Theorien gemeinsame Ansicht, Bedeutung müsse etwas Drittes neben Wort und bezeichnetem Gegenstand sein. Bevor auf die Frage eingegangen wird, von welcher A r t die Bedeutung sei, sollen die Erwägungen dargelegt werden, die zur Ansicht führten, Bedeutung sei neben Wort und bezeichnetem Gegenstand etwas Drittes. e) Die Dreiteilung in Wort, Bedeutung und Gegenstand Die Dreiteilung i n Wort, Bedeutung und Gegenstand geht auf Frege zurück und bestimmt heute die Bedeutungstheorien. Terminologisch ist die Besonderheit festzuhalten, daß Frege den bezeichneten Gegenstand, die Bedeutung und was bisher hier für Bedeutung verwendet wurde, den Sinn nannte. Die unterschiedliche Terminologie, die das Gleiche ausdrückt, findet sich bei Wunderlich zusammengestellt 140 . Gemeinsam ist allen Autoren beim Bedeutungsproblem die Dreiteilung i n Wort, bezeichneten Gegenstand und das vom Gegenstand zu unterscheidende Dritte: der „Sinn". I m weiteren Verlauf der Untersuchung soll an der 140 Bedeutung u n d Gegenstand werden m i t folgenden Ausdrücken bezeichnet: von J. S. M i l l m i t Denotation u n d Connotation, von Frege m i t Bedeutung u n d Sinn, von Russell m i t Denotation u n d Meaning, von Black m i t Reference u n d Sense, von Rudolf Carnap m i t Extension u n d Intension, von Franz von Kutschera m i t Bezug u n d Bedeutung. A u f die Besonderheiten dieser u n t e r schiedlichen Terminologie soll hier nicht eingegangen werden. Nach Wunderlich, S. 242.

8 Rack

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I I . Die Sprache der Verfassung als Maßstab

bisher benutzten Terminologie festgehalten werden und von Wort, Gegenstand und Bedeutung die Rede sein. Wenn aber Freges Erwägungen referiert werden, sollen seine Originalausdrücke verwendet werden. Üblicherweise w i r d heute dieser Unterschied zwischen Bedeutung und Gegenstand m i t Carnaps Termini Extension und Intension ausgedrückt 141 . Die beschriebene Dreiteilung führt Frege i n seinem Aufsatz über „Sinn und Bedeutung" von 1892 142 m i t zwei Beispielen ein, dem Schnittpunkt der Seitenhalbierenden eines Dreiecks und dem i n der sprachtheoretischen Literatur immer wieder genannten Beispiel von Morgenstern und Abendstern 1 4 3 . „Wenn w i r sagen, der Morgenstern sei identisch m i t dem Abendstern, so erhebt sich die Frage, wem w i r die Identität eigentlich zuschreiben. Die Ausdrücke ,Morgenstern' und ,Abendstern 4 sind j a gar nicht identisch, sondern gerade verschieden voneinander. Wollten w i r also sagen, die Ausdrücke seien identisch, so sagten w i r etwas Falsches. Eine andere Auffassung bietet sich an." W i r könnten den Satz so auffassen, daß er dem m i t dem Namen „Morgenstern" bezeichneten Gegenstand, nämlich dem Planeten Venus die Identität m i t dem als „Abendstern" bezeichneten Gegenstand zuspricht. Da auch der Abendstern der Planet Venus ist, würde hier dem Morgenstern eine Identitätsbeziehung zu sich selbst zugesprochen. Es ergibt sich aber die Schwierigkeit, daß die Sätze „der Morgenstern ist der Abendstern" und „der Morgenstern ist der Morgenstern" dasselbe sagen würden, obwohl w i r den letzeren als logisch gültig, den ersteren als ein astronomische Entdeckung ansehen, die w i r den Babyloniern zuschreiben. Es muß daher außer dem Zeichen (dem sprachlichen Ausdruck) und der genannten Sache (dem Gegenstand, i n unserem Fall dem Planeten) noch ein Drittes geben und das bezeichnet nun Frege als „den Sinn eines solchen Ausdrucks bzw. Namens". Den Sinn definiert er als die Gegebenheitsweise des Gegenstandes. I n dem Ausdruck „Morgenstern" w i r d uns der Planet Venus i n einer anderen Weise gegeben als i n dem Ausdruck „Abendstern" 1 4 4 . f) Der Sinn (Bedeutung) nach Frege als intersubjektiver Gegenstand, als den Menschen gemeinsamer Schatz von Gedanken Frege n i m m t nun auch zu der ontologischen Frage Stellung, von welcher A r t das ist, was er Sinn nennt, i m Unterschied zu Wort und Gegenstand.

141

Wunderlich, S. 242. Frege , Funktion, Begriff, Bedeutung (FBB), 1969, S. 40 f. 143 von Kutschera, Sprachphilosophie, 1971, S. 144. 144 Patzig, Sprache und Logik, 1971, S. 92. Weitere Beispiele, die die Bedeutung als etwas Drittes aufzeigen, bei Specht, Spätwerk, S. 104. 142

7. Die Bedeutungstheorien aus der Sicht Wittgensteins

aa) Freges Kritik

115

an der psychologischen Bedeutungstheorie

„Von der Bedeutung (Gegenstand nach der hier verwendeten Terminologie) und dem Sinn (Bedeutung) eines Zeichens ist die m i t i h m verknüpfte Vorstellung zu unterscheiden 145 . Bei dieser Unterscheidung geht es u m die Frage, ob das Dritte ein psychologisches Gebilde sei, also um die Auseinandersetzung zwischen platonistischer und psychologischer Bedeutungstheorie. Frege wendet sich gegen die psychologische Bedeutungstheorie, indem er ausführt: „Wenn die Bedeutung (der Gegenstand) eines Zeichens (Wortes) ein sinnlich wahrnehmbarer Gegenstand ist, so ist meine Vorstellung davon ein aus Erinnerung von Sinneseiridrücken . . . entstandenes inneres B i l d 1 4 6 . " Dieses innere B i l d versteht er als „ m i t Gefühlen getränkt, schwankend". „Nicht immer ist, auch bei demselben Menschen, dieselbe Vorstellung m i t demselben Sinn verbunden. Die Vorstellung ist subjektiv: die Vorstellung des einen, nicht die des anderen . . . Die Vorstellung unterscheidet sich dadurch wesentlich von dem Sinn eines Zeichens, welcher gemeinsames Eigentum von vielen sein kann und also nicht Teil oder Modus der Einzelseele ist; denn man w i r d wohl nicht leugnen können, daß die Menschheit einen gemeinsamen Schatz von Gedanken hat, den sie von einem Geschlecht auf das andere überträgt." „Während es demnach keinen Bedenken unterliegt, von dem Sinne schlechtweg zu sprechen, muß man bei der Vorstellung genaugenommen hinzufügen, wem sie angehört und zu welcher Zeit 1 4 7 ." Frege versteht also den Sinn als Teil eines gemeinsamen Schatzes an Gedanken und unterscheidet davon die Vorstellung als B i l d i n der Seele. bb) Freges platonistische Bedeutungstheorie Der Sinn liege zwischen dem Gegenstand einerseits und der subjektiven Vorstellung andererseits. Der Sinn sei nicht mehr subjektiv wie die Vorstellung, aber doch auch nicht der Gegenstand selbst 148 . A n anderer Stelle betont Frege, daß i n verschiedenen Ausdrücken etwas Gemeinsames liege, was er Sinn und bei Sätzen den Gedanken nennt, das heißt daß man denselben Sinn, denselben Gedanken verschieden ausdrücken kann. Er spricht von Gedanken ( = Sinn) i n seinen mannigfachen Einkleidungen 1 4 9 . Treffend w i r d Freges Sinn als das zwischen der subjektiven Vorstellung und dem objektiven Gegenstand Liegende, als das Intersubjektive, als das gemeinsame Gedankengut gekennzeichnet 150 . 145 Frege, S. 43. 146

Ebd., S. 43. Ebd., S. 44. 148 Ebd., S. 44. 149 Ebd., S. 70. 150 von Kutschera, Sprachphilosophie, 1971, S. 145, 360; Carnap, und Notwendigkeit, S. 21; Wunderlich, S. 252. 147



Bedeutung

116

I I . Die Sprache der Verfassung als Maßstab

Eine anschauliche Beschreibung aus jüngster Zeit m i t ausdrücklicher Bezugnahme auf Frege liefert Popper 1 5 1 . Er unterscheidet die erste Welt der physikalischen Gegenstände und Zustände, die zweite Welt der geistigen Zustände, was Freges Vorstellung gleichkommt, und schließlich eine dritte Welt von objektiven Gedankeninhalten, die ausdrücklich Freges Sinn entsprechen sollen. Dazu zählt er Probleme, kritische Argumente, den Stand einer Diskussion, den Inhalt von Büchern und Bibliotheken. Die Aufmerksamkeit soll hier darauf gelenkt werden, daß die Anhänger der platonistischen Bedeutungstheorie das, was hier Bedeutung heißt und was Frege den Sinn genannt hat, für unabhängig von menschlichem Denken und von den Wörtern der Sprache halten. Es handelt sich u m Sprachunabhängiges. Eine derartige Position müßte vorausgesetzt werden, wollte man eine strikte Bindung an Rechtsnormentexte annehmen. Die Bedeutungstheorien sind relevant für die Frage, woran der Gesetzgeber gemäß der Forderung nach Bindung an die Verfassung gebunden sein soll. Dreierlei steht zur Wahl, das Wort, der dadurch bezeichnete Gegenstand oder die Bedeutung. Insofern ist die hier ausführlich geschilderte Position für die Frage der Gesetzesbindung interessant. Frege betont, er verstehe unter den Gedanken und dem Sinn, was dasselbe bedeute, nicht das subjektive Tun des Denkens, sondern dessen objektive Inhalte 1 5 2 . Zahlen werden als Beispiele für platonistische Gebilde vorgeführt, die nicht m i t dem A k t des Zählens entstünden und vergingen, die ein Inbegriff von Gegenständen darstellten, den niemand vermehren oder vermindern könne 1 5 3 . Diese Auffassung von Zahlen erinnert an die Auffassung Labands von der Verfassung, wonach die Schaffung von neuen Rechtsinstituten, die sich nicht aus allgemeinen höheren Rechtsbegriffen herleiten lassen, undenkbar sei. Hier erweist sich Laband, ob nun bewußt oder unbewußt, als Anhänger der platonistischen Bedeutungstheorien, die die Zahlen als unbeeinflußbar, als unabhängig, als ideale Existenzen ansehen. Ebenso scheint Laband den Rechtsinstituten diesen ontologischen Charakter zuzumessen. Von dieser A r t wäre demnach auch die Bedeutung juristischer Ausdrücke. Die Bedeutung eines juristischen Ausdrucks läßt sich als etwas unter Juristen intersubjektiv Verbreitetes verstehen, als Teil allgemeinen juristischen Gedankengutes. Diese Vorstellung kann, das läßt sich hier schon sagen, beibehalten werden, obwohl wichtige Fragen, nämlich die der Entstehung und Anwendung, offen bleiben, was i m folgenden zu untersuchen ist. Abgelehnt w i r d von dieser platonistischen Bedeutungstheorie die dritte Theorie, nämlich die psychologische Bedeutungstheorie, die den 151

Popper, Objektive Erkenntnis, 1973, S. 123 f., 126,127, 124. Frege , S. 44; ebenso betont Popper die unabhängige Existenz der sogenannten „ d r i t t e n Welt", S. 125. 153 Specht, Spätwerk, S. 102, m i t Hinweisen auf Husserl als Repräsentanten der platonistischen Bedeutungstheorie. 152

7. Die Bedeutungstheorien aus der Sicht Wittgensteins

117

Ausdruck „Bedeutung" als Name für ein B i l d i n der Seele, als Vorstellung versteht. Als Vertreter der psychologischen Bedeutungstheorie w i r d Aristoteles genannt, der den Umstand, daß nämlich die verschiedenen Völker zwar verschiedene Sprachen haben, trotzdem aber Gleiches zum Ausdruck bringen können, damit zu erklären versucht, neben den Wörtern sei etwas allen Menschen Gleiches anzunehmen, die Bilder der Dinge i n der Seele 154 . Zusammenfassend läßt sich also sagen, daß die platonistische Bedeutungstheorie unter der Bedeutung den gemeinsamen Schatz von Gedanken, etwas Intersubjektives, nicht etwas Subjektives und nicht etwas Objektives versteht. Als idealer Gegenstand ist die Bedeutung vom Denken des Menschen unabhängig. Sie ist als etwas m i t dem Inhalt von Bibliotheken und Büchern Vergleichbares zu verstehen. Nach der bisherigen Untersuchung erscheint die Bedeutung also als etwas Drittes neben Wort und Gegenstand und als etwas Ideales, als ein platonistisches Gebilde. g) Die Kritik Wittgensteins an den platonistischen und psychologischen Bedeutungstheorien A u f die Frage nach der Bedeutung von Eigentum, Vermögen, Steuer oder Verfassungsmäßigkeit etwa sagen zu können, daß die Bedeutung dieser Wörter etwas Drittes und Abstraktes sei, kann nicht als großer Gewinn verstanden werden. Die platonistische Bedeutungstheorie ist als Modell insofern interessant, als sie von denjenigen vorausgesetzt werden müßte, die eine strikte Gesetzesbindung als Bindung an Sprache für möglich halten. Auch wenn diese Unterscheidung zwischen Gegenständen, Wörtern und der Bedeutung noch so einsichtig und scharfsinnig erscheint, so h i l f t sie doch i m konkreten Fall nicht weiter. Ob nun ein Sachverhalt als Eigentum oder Vermögen oder ob eine neuartige Abgabe wie der Konjunkturzuschlag als Steuer bezeichnet werden kann, darauf geben diese Bedeutungstheorien keine Antwort, wenn man fragen muß, was denn die Bedeutung von Eigentum, Vermögen oder Steuer sei. Zweifel über die Bedeutung eines bestimmten Ausdrucks sind also nicht auszuräumen. Diese Bedeutungstheorien geben keine Kriterien dafür, nach welchen Gesichtspunkten abstrakte juristische Begriffe auf konkrete Sachverhalte anzuwenden sind, auf die sie bisher noch nicht angewendet wurden. Die umfassende Darstellung dieser Bedeutungstheorien ist durch die K r i t i k Wittgensteins an diesen Positionen gerechtfertigt. Ohne deren Darstellung würde sein eigener für die juristische Argumentation interessanter Standpunkt nicht verständlich, wonach unter der Bedeutung eines Wortes seine Verwendung zu verstehen ist 1 5 5 . Wittgensteins K r i t i k setzt an dem der psychologischen und der platonistischen Bedeu154 155

Ebd., S. 103. Wittgenstein,

P U 43.

118

I I . Die Sprache der Verfassung als Maßstab

tungstheorie gemeinsamen Standpunkt an, Bedeutung müsse etwas Selbständiges neben dem Wort und dem bezeichneten Gegenstand sein. A n laß für diese K r i t i k sind die von der realistischen Semantik offengelassenen Fragen. Offengeblieben ist die Frage, wie die Bedeutung eines Wortes festzustellen sei. Das gilt sowohl für die platonistische als auch für die psychologische Bedeutungstheorie. Ob Bedeutung als B i l d der Seele oder platonistisch als etwas Selbständiges neben den realen Dingen verstanden wird, über die Bedeutung von sprachlichen Ausdrücken lassen sich nach keiner der beiden Theorien zweifelsfreie Aussagen machen. Die Annahme, wenn nicht konkreter, dann sei sie abstrakter Natur, macht die Bedeutung sprachlicher Ausdrücke nicht zugänglicher 156 . Offen bleibt vor allem die Frage, wie ein Streit über die Bedeutung eines bestimmten Ausdrucks zu schlichten sei, wie Unklarheiten zu beseitigen seien. Das aber ist für die juristische Argumentationsweise gerade interessant. Es ist an die Ausgangsfrage zu erinnern, wonach sich die korrekte Verwendung von sprachlichen Ausdrücken, insbesondere von j u ristischen Ausdrücken wie Steuer, Sozialversicherung, Eigentum, Verfassungsmäßigkeit richte. Offen bleibt also vor allem die Frage, wie ein Streit über die Bedeutung eines bestimmten juristischen Ausdrucks zu schlichten sei. Nach den bisher behandelten Bedeutungstheorien würde ein Streit u m die Bedeutung eines Ausdrucks, wie etwa der Steuer, um einen abstrakten Gegenstand geführt werden müssen, der sich einer allgemeinen Beobachtung allerdings entzieht. Die Ansicht, Bedeutung müsse ein selbständiger Gegenstand sein, w i r d von der besonderen Grammatik des Wortes Bedeutung nahegelegt 157 . Wittgenstein spricht von der Versuchung, nach etwas zu forschen, was Bedeutung genannt werden könne 1 5 8 , was der Tendenz entspräche, für jedes Substantiv eine Substanz anzunehmen. Es geht u m die die Namentheorie kennzeichnende Annahme, daß jedes Wort Namenfunktion erfülle und konsequenterweise ebenfalls gefragt werden müsse, wofür das Wort „Bedeutung" Name sei. Dem entspricht die typische Fragestellung i n der Was-ist-Form. Stegmüller nennt Beispiele wie: „Was ist Zeit, Erkenntnis, Wahrscheinlichkeit?" 159 . Zum selben Muster gehören die Fragen nach dem Wesen. Mehrfach wurde schon darauf hingewiesen, daß diese Form der Fragestellung i n der juristischen Argumentationsweise üblich ist. Zahlreich sind die Fragen nach dem Wesen von Eigentum, Steuer, Vermögen, Verfassung usw. Es w i r d nach dem Wesen von Grundrechten und nach dem Wesen der Gesetzgebung gefragt. Diese Frage156

S. 105. 157 158 159

von Kutschera,

Sprachphilosophie, S. 163, 129, 227; Specht,

Specht, Spätwerk, S. 105 ; von Kutschera, Specht, Spätwerk, S. 106. Stegmüller, Hauptströmungen, S. 580.

Spätwerk,

Sprachphilosophie, S. 180.

7. Die Bedeutungstheorien aus der Sicht Wittgensteins

119

form w i r d als nicht sinnvoll abgelehnt 160 . Nach dem Wesen zu fragen oder die Frage i n der Was-ist-Form, was das Gleiche ist, nennt Stegmüller einem Phantom nachzujagen 161 . Gegen diese Fragestellung richtet sich nun Wittgensteins K r i t i k . Er ist der Ansicht, daß die Frage: „Was ist die Bedeutung?" die Untersuchung von vornherein i n eine falsche Richtung lenke. A l l e i n schon die Frageform läßt nämlich an einen besonderen und selbständigen Gegenstand denken, nach dessen Sein gefragt w i r d 1 6 2 . Diese Fragestellung enthält schon die stillschweigende Voraussetzung, es müsse sich um einen Gegenstand handeln. Da es kein konkreter Gegenstand sein könne — so scheint dieser Gedankengang abzulaufen — müsse es ein abstrakter, idealer sein 1 6 3 . Dies ist ein immer wiederkehrendes Argument. Man geht vom Vorurteil aus, Wörter müßten bedeuten, bezeichnen, benennen und es müsse deshalb ein Gegenstand bedeutet werden. Ist kein Gegenstand zu beobachten, wie es bei den Eigennamen von Legendengestalten oder Verstorbenen und bei Prädikatausdrücken — einschließlich der juristischen — der Fall ist, so w i r d ein nichtkonkreter, nichtkörperlicher Gegenstand angenommen, auf jeden Fall w i r d ein Namensträger als existent vorausgesetzt. Damit beginnen die Schwierigkeiten, diese abstrakten idealen Gegenstände erfassen, beurteilen und feststellen zu können. „Wo unsere Sprache uns einen Körper vermuten läßt und kein Körper ist, dort möchten w i r sagen, sei ein Geist 1 6 4 ." Die bisherigen Erwägungen zur realistischen Semantik bewegten sich alle i m Rahmen des Namenmodells, da es ja das Grundschema der allgemeinen Sprachtheorie bildet. Diese w i r d hier realistische Semantik genannt, weil sie abstrakte Gegenstände als reale Gebilde begreift, i m Gegensatz zur pragmatischen Semantik, zu der Wittgensteins Theorie gehört. Innerhalb dieser allgemeinen Sprachtheorie werden die Bedeutungstheorien diskutiert. A m Wort „Bedeutung" führt Wittgenstein seine allgemeine Sprachtheorie exemplarisch für alle anderen Prädikate vor. U m Verständnisschwierigkeiten zu verhindern, soll auf diese Eigentümlichkeit der Wittgensteinschen Untersuchungen aufmerksam gemacht werden, die ansonsten Verwirrung stiften könnte. A m Wort „Bedeutung" weist Wittgenstein die Unfruchtbarkeit der Fragestellung i n der Wasist-Form nach. Diese Einsichten, die er an dem Wort „Bedeutung" gewinnt, sind auf andere Prädikate wie etwa Kaufkraft 1 6 5 , aber auch auf juristische Ausdrücke wie etwa Eigentum, Steuer oder Verfassungsmä160 popper, Objektive Erkenntnis, 1973, S. 218. 161 Stegmüller, Hauptströmungen, S. 580, 611. 182 Specht, Spätwerk, S. 107. 163 Stegmüller, Universalienstreit, S. 193. 164 Wittöfenstein, P U 36. 165 Specht, Spätwerk, Beispiel S. 107.

120

I I . Die Sprache der Verfassung als Maßstab

ßigkeit übertragbar. Statt die Bedeutung der Ausdrücke Eigentum oder Kaufkraft zu untersuchen, wählt er das Wort „Bedeutung" und erschwert natürlich dadurch den Zugang zu seiner Gedankenführung. Die zu k r i tisierende Fragestellung führt er also am Beispiel der Frage vor: „Was ist die Bedeutung des Wortes Bedeutung?" Ausdrücklich weist Stegmüller darauf h i n 1 8 8 . Es sei charakteristisch für Wittgenstein, daß er ein und dasselbe zur Illustration von Verschiedenem verwendet. Wie er Sprachspiele an dem Begriff Spiel vorführt, so legt er hier sein Verständnis von der Bedeutung der Wörter i m allgemeinen am Wort „Bedeutung" selbst dar. Es geht also i m Grunde um die K r i t i k an einer typischen Fragestellung, die i n verschiedenen Formen auftritt, nämlich i n der Form „Was i s t . . . ? " , „Was ist das Wesen von ...?", „Was ist die wahre Natur v o n . . . ? " , und schließlich „Was ist die Bedeutung von ...?". Wie alle diese Fragen, so sei auch die Frage „Was ist die Bedeutung von Bedeutung?" fruchtlos 1 8 7 , genauso, wie die Frage „Was ist die Bedeutung von Eigentum oder Steuer?" sinnlos ist. Nun soll gezeigt werden, daß die Ansicht, Bedeutung sei Name, für einen selbständigen Gegenstand naheliegt. Die Auffassung, die grammatische Verwendung von Wörtern wie „bedeuten", „benennen", „bezeichnen" verleite zu dieser Annahme, soll näher ausgeführt werden. „Bedeuten" als transitives Verb erzeugt die Neigung, einen Gegenstand anzunehmen, der bedeutet w i r d 1 8 8 . Eine ähnliche Tendenz wie das Wort „bedeuten" erzeugen die Wörter „benennen", „bezeichnen", „Bedeutung, Name, A b b i l d zu sein". Ihre grammatische Verwendung verleitet zu der Frage, wovon sie Bedeutung, Name, A b b i l d sind oder welches Etwas sie benennen, bedeuten. Es handelt sich dabei u m den Hauptfehler des Namenmodells, das der allgemeinen Sprachtheorie zugrundeliegt. Dieser Fehler bestehe darin, daß den Sprachformen der Verkehrssprachen blindlings vertraut werde. Der Philosoph dürfe zwar die Sprache beim Wort, nicht aber wörtlich nehmen 1 8 9 . Nicht nur die Redeweise von bedeuten, benennen, bezeichnen, sondern auch gebräuchliche Redewendungen wie: „ein Wort hat Bedeutung", „die Bedeutung ist gleich" drängen die Vorstellung auf, es müsse sich um einen selbständigen Gegenstand neben dem Wort handeln 1 7 0 . Die aufgezeigte Fruchtlosigkeit der Fragestellung gibt Anlaß, die Fragestellung selbst i n Frage zu stellen.

188

187 188 189 170

Stegmüller,

Hauptströmungen, S. 612, Fußn. 1.

Ebd., S. 583; Specht, Spätwerk, S. 107. von Kutschera, Sprachphilosophie, S. 181. Patzig, Sprache u n d Logik, S. 32. Ebd., S. 36.

7. Die Bedeutungstheorien aus der Sicht Wittgensteins

121

h) Wittgensteins Bedeutungstheorie: Die Bedeutung als Verwendung sprachlicher Ausdrücke (Gebraudistheorie) A u f der Suche nach einer anderen A r t der Fragestellung prüft W i t t genstein, wie man die Bedeutung eines Wortes erklärt 1 7 1 . Seine Empfehlung läuft darauf hinaus, sich i n die Lage des unvoreingenommen Lernenden zurückzuversetzen, ähnlich wie er bei der Behandlung des logischen Schlusses vorgeht und fragt: „Wie lernen w i r denn logisch schließen oder lernen w i r es nicht?". Auf die Lernsituation des Kindes wurde schon ausführlich hingewiesen 172 . Auch derjenige, der einen Ausdruck wie Bedeutung, Zeit, Eigentum, logisches Schließen oder Verfassungsmäßigkeit, Benennen, Bezeichnen erklären möchte, muß sich i n die Lage des Ahnungslosen versetzen. Wie beim Sprachspiel des Bezeichnens ist auch hier wieder zunächst das Sprachspiel des Bedeutens zu lernen und zu erklären. A m Beispiel eines nichtsprachlichen Zeichens, eines Pfeils, w i r d vorgeführt, wie die Bedeutung dieses Zeichens erlernt w i r d 1 7 8 . Ein anderes berühmtes Beispiel ist das des Handtuchs am Fenster, das ein Zeichen für eine bestimmte Nachricht sein soll 1 7 4 . I n beiden Fällen kommt den Zeichen Bedeutung dadurch zu, daß durch allgemeine Übung oder durch besondere Vereinbarung zwischen Menschen, die Verwendung des Zeichens, sein Gebrauch festgelegt wird. Wenn eine Vereinbarung über die Verwendung und den Gebrauch getroffen wurde, so läßt sich von dem Zeichen sagen, es habe eine Bedeutung. Ein Signal hat eine Bedeutung, wenn seine Verwendungsweise festgelegt ist 1 7 5 . „Die Bedeutung eines Wortes ist das, was die Erklärung der Bedeutung erklärt, das heißt: willst Du den Gebrauch des Wortes ,Bedeutung' verstehen, so sieh nach, was man ,Erklärung der Bedeutung' nennt 1 7 6 ." Bei der Prüfung, wie die „Erklärung der Bedeutung" vor sich gehe, stellt sich heraus, daß man dem Lernenden beibringt, den Ausdruck zu verwenden. Das Lehren und Lernen der Bedeutung sind stets ein Lehren und Lernen des Gebrauchs eines Zeichens 177 . Die Bedeutung des Zeichens erklären heißt soviel wie: den Gebrauch des Zeichens, seine Verwendungsweise, die Regeln seiner Verwendung erklären. Man erklärt die Bedeutung durch Angabe der Verwendungsregeln 178 . Was i n dem Zeichen eines Pfeiles oder eines Signals i n Gestalt eines Handtuch-Zeichen, die i m Gegensatz 171 172

Sprecht, Spätwerk, S. 107. von Kutschera, Sprachphilosophie, S. 213; Wittgenstein,

P U 32; ders.,

G M 6. 173

Stegmüller, Hauptströmungen, S. 579. Specht, Spätwerk, S. 108. 175 Nicht verbale Zeichen dieser A r t sind als Beispiele vor Verfälschung durch die G r a m m a t i k sicher. Specht, Spätwerk, S. 108. 176 Wittgenstein, P U 560. 177 Stegmüller, Hauptströmungen, S. 583. 178 Specht, Spätwerk, S. 108. 174

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I I . Die Sprache der Verfassung als Maßstab

zu Worten vor grammatischer Verfälschung sicher sind — exemplarisch verdeutlicht wurde, daß nämlich die Bedeutung eines Zeichens i m Zusammenhang m i t seinem Gebrauch, seiner Verwendungsweise steht, läßt sich auch auf Wörter übertragen. Es kann also festgehalten werden, daß die Lernsituation Wittgensteins Ergebnis nahelegt, die Bedeutung eines Wortes sei sein Gebrauch i n der Sprache 179 . Diese am Beispiel nichtsprachlicher Zeichen gewonnene Vermutung verdichtet sich zu Einsichten, wenn man erkennt, daß i n vielen Kontexten sich die Ausdrücke „Bedeutung" und „Verwendungsweise" ersetzen lassen, ohne daß sich der Wahrheitsgehalt der Sätze ändert. Die Sätze: „Die Bedeutung des Wortes hat sich geändert", „Dieses Wort hat mehrere Bedeutungen" können auch lauten: „Der Gebrauch des Wortes hat sich geändert", „Dieses Wort hat mehrere Verwendungsweisen". Diese Austauschbarkeit von „Bedeutung" und „Verwendungsweise" bzw. „Regel der Verwendung" legt es ebenfalls nahe, unter „Bedeutung" die Verwendungsweise oder den Gebrauch eines Wortes zu verstehen. Durch diese sprachanalytischen Erwägungen über den Zusammenhang zwischen Bedeutung und Verwendungsweise w i l l Wittgenstein zeigen, daß das Wort „Bedeutung" kein Substantiv ist, das einen selbständigen Gegenstand bezeichnet, der mittels einer „Was-ist-Frage" ausgemacht w i r d 1 8 0 . Das Wort „Bedeutung" ist somit nicht Name eines selbständigen Gegenstandes neben dem Wort und unabhängig vom Wort, sondern eine Eigenschaft des Wortes. Es ist Name für die Verwendungsweise des Wortes. Ein Wort hat demnach die Eigenschaft, eine Verwendungsweise zu haben, eine Bedeutung zu haben oder auch verwendet oder gebraucht zu werden. Wogegen sich Wittgenstein m i t diesen Untersuchungen wehrt, ist der Gedanke, jedem Wort komme an sich eine bestimmte Bedeutung zu und man könne diese Bedeutung verfehlen, wenn man das Wort nicht i n Übereinstimmung m i t seiner ihm an sich zukommenden Bedeutung gebrauche 181 . Das wäre nach dem Namenmodell der Fall, da ja der Name ein getreues Abbild sein müßte. Wenn also von der Bedeutung von Wörtern wie Eigentum, Steuer, Verfassungsmäßigkeit die Rede ist, so handelt es sich nicht um Namen für eindeutig festgelegte Gegenstände, die man eventuell verfehlen könnte, sondern u m den Gebrauch dieser Wörter, ihre Verwendungsweise. Zu erinnern ist an den Anlaß dieser Untersuchung. Es galt, eine als unzulänglich und i n unüberwindliche Schwierigkeiten führende Fragestellung zu überwinden. Die Was-ist-Frageform führte zu unschlichtbaren, endlosen Diskussionen über die Bedeutung eines Wortes, weil man das Wort Bedeutung als Name eines Gegenstandes verstand, der ein abstrakter sein mußte, was die weitere Schwierigkeit m i t sich 179 180 181

Wittgenstein, P U 43. Specht, Spätwerk, S. 109. Ebd., S. 116; Stegmüller, Hauptströmungen, S. 580.

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brachte, über diesen Gegenstand nichts weiter sagen zu können, als daß er eben abstrakt, geistig, ideal sei, auf jeden Fall nicht beobachtbar. I n dem sich Wittgenstein i n die Situation des Lernenden oder des Erklärenden versetzt, gewinnt er die Einsicht, unter Bedeutung sei die Verwendung zu verstehen. Wie das Wort „Bedeutung" dessen Verwendungsweise ist, so ist die Bedeutung von Wörtern wie Verfassungsmäßigkeit, Steuer, Eigentum, ihre Verwendung, ihr Gebrauch. Diese Methode wurde i n dieser Untersuchung schon vorweggenommen, als die Verwendung des Wortes „verfassungsmäßig" beobachtet wurde. Die Beobachtung zeigte, daß „verfassungsmäßig" nur dann auf Gesetze angewendet wird, wenn diese aus Begriffen der Verfassung abgeleitet oder ihnen untergeordnet werden. Der Ausdruck „verfassungsmäßig" w i r d auch dann verwendet, wenn an einem Gesetz keinerlei Zweifel bestehen. Die Beschäftigung mit der Methodenlehre des 19. Jahrhunderts, insbesondere m i t der der Begriffsjuristen, ergab dann, daß diese Regel vom Recht aus Begriffen einmal ausdrücklich die juristische Methode darstellte. Danach war nun das Recht gültig, das durch Deduzieren aus allgemeinen Begriffen gewonnen werden konnte. Diese unbewußt bis heute geübte Praxis muß als methodische Rückständigkeit bezeichnet werden. W i l l man ein Wort verstehen, so gilt es, die Verwendung zu beobachten, statt einen Gegenstand neben dem Wort zu suchen, einem Phantom nachzujagen 1 8 2 . Die typischen anderen Formen der Was-ist-Frage nach dem Wesen, der Natur, der Bedeutung eines Ausdrucks sind zu ersetzen durch die Frage nach seiner Verwendung. Von den Vorteilen dieser neuen Fragemöglichkeit war bisher noch nicht die Rede. Diese These verliert ihren trivialen Charakter, wenn man bedenkt, daß die Neigung, diese Einsicht als Selbstverständlichkeit zu empfinden, einmal darauf beruht, daß man den Unterschied zwischen beiden Fragestellungen schwer versteht, und zum anderen darauf — was ebenfalls und noch mehr das mangelnde Problembewußtsein bedingen mag — daß w i r i n aller Regel die Ausdrücke ebenso lernen, wie Wittgenstein es analysiert hat. Abstrakte juristische Begriffe werden an Fällen gelernt. Man lernt, i n welchen Sachverhalten, i n welchen Kontexten etwa das Wort „Steuer" oder „Eigentum" oder „verfassungsmäßig" verwendet wird. Die Was-istFrage w i r d meist schon m i t der Verwendungsweise beantwortet. Zu den bisher offenen Fragen, Unklarheiten und Zweifeln über die Bedeutung insbesondere juristischer Wörter erhält man durch Wittgenstein einen neuen Zugang. Die Frage, ob zwei Ausdrücke die gleiche Bedeutung haben oder ob ein und derselbe Ausdruck verschiedene Bedeutungen hat, läßt sich nun leichter behandeln. Interessant ist hier die Frage nach der Bedeutung von Steuer oder Eigentum, wenn sie — gleichlautend — 182

Stegmüller,

Hauptströmungen, S. 580.

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i n unterschiedlichem Kontext gebraucht werden. Weniger bedeutsam ist hier, was i n der sprachtheoretischen Diskussion breit behandelt wird, nämlich die Frage der gleichen Bedeutung von Wörtern m i t verschiedenem Wortlaut. Dieser letztere Fall der gleichen Bedeutung bei unterschiedlichem Wortlaut veranlaßte ja die Annahme, es müsse etwas Unabhängiges existieren, was die Bedeutung sei. Ausdrücklich abzulehnen ist die Ansicht, daß einem Wort immer eindeutig ein und dieselbe Bedeutung zukomme, die man verfehlen könne, und daß deshalb immer nach einer exakten Definition gefragt werden müsse. Die Verwendung der fraglichen Ausdrücke 1 8 3 ist einer inter subjektiven Beobachtung zugänglich. Umgangen ist damit die Notwendigkeit, nach den platonistischen idealen Gebilden und den Bildern i n der Seele suchen zu müssen, wozu ja das Namenmodell zwang. Es lassen sich nun überprüfbare Aussagen über die Bedeutung machen, die als Verwendungsweise, als Sprachpraxis zu verstehen ist. Die Frage der Bedeutungsgleichheit und Bedeutungsverschiedenheit ist nun eine Frage der Gleichheit oder Verschiedenheit von Verwendungsweisen, die feststellbar und beobachtbar sind. Unter dem Gebrauch sind nicht die einzelnen Verwendungen eines Wortes zu verstehen, sondern seine regelmäßige Verwendung. Unter Sprachgebrauch ist die durch implizite oder explizite Regeln festgelegte Verwendungsweise eines Wortes zu verstehen, die i n einer Sprachgemeinschaft üblich der Brauch ist. Jedoch m i t der Einsicht, die Bedeutung eines Wortes sei sein Gebrauch, ist die Frage, ob die Bedeutung gleich oder verschieden sei, nicht zu beantworten, sondern nur auf eine andere Diskussionsebene verlagert. I n allen Fällen eines gefestigten und eindeutigen Sprachgebrauchs, den niemand anzweifelt, lassen sich die Verwendungsregeln ohne Schwierigkeiten feststellen. Dann allerdings bietet auch die realistische Semantik keinerlei Problem, da die Bedeutung nicht angezweifelt wird. Es wäre falsch zu meinen, i n den problematischen Fällen, i n denen über Bedeutung gestritten wird, ließen sich nun Verwendungsregeln ohne weiteres feststellen. Der Gewinn der Wittgensteinschen These liegt darin, daß eine plausible Erklärung und ein Ausweg geboten werden, für Wörter m i t umstrittener Bedeutung. Es hilft nicht viel weiter, wenn unter Bedeutung etwa die Extension, die Klasse von Gegenständen, oder die Intension eines Wortes verstanden wird. Wenn man weiß, für welche Klasse von Sachverhalten der Begriff Eigent u m steht, die Extension von Eigentum also bekannt ist, so ist die Frage nach der Bedeutung ohne Schwierigkeiten zu beantworten. Für den Sachverhalt des beeinträchtigten Gewerbebetriebes etwa ist die Bedeutung bekannt. Dieser Sachverhalt zählt zur Klasse der Sachverhalte, die Enteignung genannt werden. Ebenso ist bekannt, daß Zölle und 188

von Kutschera,

Sprachphilosophie, S. 163, 227.

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Lastenausgleichsabgaben zur Klasse der Steuergesetze zählen, für die der Steuerbegriff steht. Unbekannt war zum Beispiel die Bedeutung des Begriffs „Sozialversicherung". Anlaß zu einer Klage war die Unsicherheit, ob auf die Kindergeldabgabe wie auf die schon bekannten klassischen Sachverhalte Alter, Invalidität, Krankheit und Unfall der Ausdruck „Sozialversicherung" verwendet werden könne 1 8 4 . Während die Anhänger der platonistischen Bedeutungstheorie keine A n t w o r t auf die Frage, was die Bedeutung eines Wortes sei, zu erwarten haben und noch nicht einmal eine Erklärung geben können, warum keine A n t w o r t zu erwarten ist, kann demgegenüber nach Wittgenstein eine einfache Erklärung dafür gegeben werden, die auf viele Fälle anwendbar ist 1 8 5 . „Viele Ausdrücke unserer Umgangssprache aber auch einer Fachsprache, wie der juristischen, sind nicht für alle Fälle ihrer möglichen Anwendung m i t eindeutigen Anwendungsregeln ausgestattet. W i l l man bei solchen Ausdrücken weiter diskutieren, dann muß man die Regeln der betreffenden Ausdrücke von sich aus erweitern oder präzisieren, ein Vorgang, den Wittgenstein gelegentlich mit den Worten umschreibt: „Make up the rules as we go along 1 8 6 ."Hierbei handelt es sich um einen Lösungsvorschlag bei Wörtern mit umstrittener Bedeutung. Es w i r d eine Vereinbarung über die Verwendungsregeln empfohlen. Dam i t w i r d gleichzeitig erklärt, wie Bedeutung zustandekommt, nämlich durch Vereinbarung und durch Entscheidung darüber, wie ein Wort verwendet werden soll, wobei die Übereinkunft ausdrücklich oder stillschweigend Zustandekommen kann. Meist entsteht eine Verwendungsweise durch eine allmählich sich einspielende Praxis 1 8 7 . Während die platonistische Bedeutungstheorie i m I r r t u m verharrt, Bedeutung sei vorgegeben, feststellbar, wobei nur die Feststellung Schwierigkeiten bereite, und dementsprechend sich selbst zu einer hoffnungslosen Suche nach Unauffindbarem verurteilt, gewährt Wittgensteins Methode, die Bedeutung als Verwendungsregel verstanden hat und diese als noch nicht vorhanden begreifen kann, die Möglichkeit, eine Entscheidung und Einigung über die Bedeutungsverschiedenheit oder Bedeutungsgleichheit herbeizuführen, indem die Verwendungsregeln festgelegt werden. Daß gewisse Fragen nur zu entscheiden sind, wenn man sich vorher über den Sprachgebrauch einigt, gilt als eine der wichtigsten Einsichten Wittgensteins 1 8 8 . Das ist eine plausible Erklärung dafür, daß die Bedeutung — als Verwendungsregel verstanden — als Regel noch gar nicht vorhanden sein und deshalb auch nicht festgestellt 184 185 186 187 188

B V e r f G 11,105. von Kutschera, Sprachphilosophie, S. 227, 228. Wittgenstein, P U 83; Specht, Spätwerk, S. 119. Wittgenstein, P U 355. Specht, Spätwerk, S. 120.

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werden kann. Die Suche muß dann vergeblich bleiben. Für das Fehlen der Verwendungsregel w i r d der Ausdruck von der „gleichen oder verschiedenen Bedeutung" gebraucht. I n einer großen Zahl von Fällen liegt es fest, ob ein Wort gleiche oder verschiedene Bedeutung hat. Daneben gibt es aber viele Grenzfälle, in denen die Ausdrücke so bestimmt werden müssen, daß sie eine eindeutige Anwendung haben 1 8 0 . Diese Einsichten werden an Beispielen illustriert, die so gewählt sind, daß man nicht ohne weiteres sagen kann, ob das i n Frage stehende Sprachzeichen gleiche oder verschiedene Bedeutung hat. Die Beispiele sollen den Übergang zu juristischen Problemen erleichtern helfen. I n Sprachspielen zeigt Wittgenstein, wie die Bedeutungsverschiedenheit oder Gleichheit festzustellen ist 1 9 0 . Die Frage, ob mit der Zahl 1 i n den beiden Sätzen „Der Stab ist 1 Meter lang" und „Hier steht 1 Soldat" dasselbe gemeint ist, w i r d gewöhnlich bejaht. Die Bedeutung des Zeichens 1 w i r d als die gleiche empfunden. Die Frage, ob die Zahl 1 i n den beiden Sätzen verschiedene Bedeutung habe, w i r d der Gefragte auch dann bejahen, wenn man i h m zu bedenken gibt, daß es sich einmal um die Maßzahl und das andere Mal u m die Anzahl handelt. Das soll zeigen, wie das Urteil über die Bedeutungsgleichheit oder Bedeutungsverschiedenheit von Standpunkten der Fragestellung abhängt, von der jeweiligen Betrachtungsweise. Dieses Beispiel mache deutlich, daß nicht jedes Wort eine oder mehrere feste, eindeutige Bedeutungen hat. Es kommt auf die Wahl des Standpunktes an. Je nach dem Standpunkt kommt man zum Urteil der Bedeutungsgleichheit oder der Bedeutungsverschiedenheit. Nur eine Vereinbarung zwischen den Sprachteilnehmern h i l f t weiter. Als offen ist an dieser Stelle noch die Frage zu bezeichnen, wovon die Vereinbarung abhängig zu machen ist. Folgeerwägungen, so wurde mehrfach schon angedeutet, bestimmten letzten Endes die Entscheidung. Erschwert w i r d die Aussage über die Bedeutungsgleichheit oder Verschiedenheit durch die gleiche äußere Erscheinung sprachlicher Ausdrücke. Die verschiedene Bedeutung und Funktion von Wörtern w i r d durch die gleiche Lautgestalt oft verdeckt 1 9 1 . Ein und dasselbe Zeichen kann verschiedene Bedeutung haben, das heißt also verschieden verwendet werden, ζ. B. die Zahl 1 als Maßzahl und Anzahl, was sich je nach dem Standpunkt des Betrachters richtet. Der Kontext gibt darüber Auskunft 1 9 2 . Diese Frage w i r d relevant, wenn es um die Bedeutung von juristischen Ausdrücken gleichen Wortlauts i n unterschiedlichen Kontexten geht. Die Mißachtung der Kontextabhängigkeit ist ein naheliegender Fehler, der durch die 189

Ebd., S. 119. Es besteht nach dieser Ansicht keine brauchbare E r k l ä r u n g der Synonymität. 190 Wittgenstein, P U 552, 553, 556. 191 Stegmüller, Hauptströmungen, S. 588. 192 von Kutschera, Sprachphilosophie, S. 198 m i t weiteren Beispielen zur Kontextabhängigkeit.

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pragmatische Semantik i m hier geschilderten Sinne vermeidbar wird. Die Frage stellt sich, wie schon angedeutet wurde, i m behandelten Problemkreis, wenn es um die Bedeutung von Steuer und Eigentum geht. Zum Beispiel herrscht Einigkeit über die Bedeutung des Steuerbegriffs dahingehend, daß andere Abgabeformen von der Abgabenordnung ausgeschlossen sind und erklärtermaßen ausgeschlossen sein sollen. Nach der Ansicht, ein Wort habe bei gleichem Wortlaut gleiche Bedeutung, wie die realistische Semantik behauptet, müßte der Steuerbegriff überall die gleiche Bedeutung haben. Die Ansicht von der abschließenden Regelung, wonach der Steuerbegriff sonstige Abgabetypen ausschließt, wurde von Forsthoff vertreten 1 9 3 . Dieses sprachtheoretische Problem der Bedeutung von Wörtern gleichen Wortlauts i n unterschiedlichen Kontexten w i r d regelmäßig relevant, wenn juristische Begriffe, wie Steuer und Eigentum, aus unterverfassungsrechtlichen Gesetzen i n die Verfassung rezipiert werden. Ähnlich wie bei der Zahl 1, die einmal als Maßzahl, ein anderes Mal als Anzahl verwendet wird, so läßt sich beim Steuerbegriff die Bedeutungsverschiedenheit durch einen Zusatz verdeutlichen, nämlich i m Grundgesetz werde das Wort Steuer als Steueraufkommen verwendet, während es i n der Abgabenordnung hauptsächlich i m Sinne von Steuerlast verwendet werde. Das Wort Steuer, so läßt sich sagen, hat eine unterschiedliche Bedeutung. Die Abgabenordnung ist ein anderer Kontext und regelt das Verhältnis der Steuerpflichtigen zum Staat, A r t i k e l 105 GG regelt dagegen alles, v/as das Steueraufkommen betrifft. Offen ist, ob Sonderabgaben Steuern genannt werden können. Diese Frage w i r d am Merkmal des Fiskalzweckes und damit an der falschen Stelle diskutiert. Zu fragen ist, ob Sonderabgaben m i t ihren Unterschieden zu den anderen Steuergesetzen auch Steuern genannt werden sollen. Das muß entschieden werden und ist nicht festzustellen oder zu erkennen 194 . Das Problem w i r d durch die Vorstellung erzeugt, Wörter gleichen Wortlauts hätten die gleiche Bedeutung. So ist Forsthoffs Argument zu rekonstruieren, die Abgabentypik habe ausschließende Wirkung. Das entgegengesetzte Ergebnis des Bundesverfassungsgerichts, das die Abgaben eigener A r t anerkennt, ohne dafür eine Erläuterung zu geben, hat dieses Problem erledigt 1 9 5 . Es soll aber hier zur Illustration erörtert werden, da die Diskussion durch das Bundesverfassungsgericht nur abgeschnitten ist und eine Erklärung vom sprachtheoretischen Gesichtspunkt aus möglich erscheint. Unerledigt und deshalb wichtiger ist allerdings die Frage, ob der Ausdruck „Eigentum" 193 Forsthoff, Z u r verfassungsrechtlichen Problematik der Investitionshilfe, S. 421. 194 p. Müller, S. 143: Z u r Kontextabhängigkeit am Beispiel des etappenweise i n das GG rezipierten Eigentumsbegriffs; Häberle, Wesensgehaltsgarantie, S. 169. 195 BVerfG 4, 7 f.

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dieselbe Bedeutung i m Grundgesetz hat wie i m Bürgerlichen Gesetzbuch. Hier verspricht die Sprachtheorie einen neuen Zugang zum Problem. Die realistische Semantik müßte die Trennung von Eigentum und Vermögen beibehalten und vom BGB ins GG übertragen, während die pragmatische Semantik hier die Berücksichtigung der Kontextabhängigkeit fordert. Sie geht davon aus, daß die Bedeutung eines Wortès nicht eindeutig zu erkennen sein muß. Bedeutung ist als Verwendung zu verstehen, die von einem bestimmten Zweck abhängig und die von den Verwendern bestimmt wird. Es ist deshalb zu prüfen, ob die Verwendung der Ausdrücke Eigentum und Vermögen i m BGB demselben Zweck dienen wie i m Grundgesetz. Die Trennung zwischen Eigentum und Vermögen i m BGB läßt sich insofern erklären, als Eigentum i m BGB als dingliches Hecht geschützt wird. Dingliche Rechte wirken gegen jedermann, was voraussetzt, daß sie klar zu erkennen sind. Eigentumsrechte werden durch Grundbucheintragung oder durch den Besitz eindeutig erkennbar gemacht. Vermögen dagegen stellt Positionen dar, die für Dritte nicht eindeutig zu erkennen sind. Vermögenspositionen eignen sich nicht als dingliche Rechte, die gegen jedermann geschützt werden. Insofern erfüllt die Trennung zwischen Vermögen und Eigentum i m BGB einen plausiblen Zweck. Fraglich ist nun, ob diese begriffliche Trennung auch für das Grundgesetz von Bedeutung sein muß. Hier w i r d die Beziehung zwischen Staat und einzelnem geregelt, bei dem dieser Gesichtspunkt der Erkennbarkeit eines Rechts, wie er für die dinglichen Rechte maßgebend sein muß, nicht von Gewicht ist. Die Bedeutung eines Wortes als dessen Verwendungsweise zu verstehen zwingt dazu, eine Relativierung der Sprache auf den Menschen bzw. auf die jeweilige Sprachgemeinschaft anzunehmen. Dieser Gedanke der Abhängigkeit der Sprache vom Menschen ist nach allem, was bisher ausgeführt wurde, schon i m Begriff des Sprachspiels angelegt, den Wittgenstein seiner ganzen Sprachtheorie zugrundelegt 1 9 6 . A n dieser Stelle w i r d schon klar, welche Auswirkungen eine pragmatische Bedeutungstheorie, die die Bedeutung eines Wortes als Verwendungsweise versteht und diese Verwendung von der Sprachgemeinschaft abhängig macht, auf dem Grundsatz der Normbindung hat, insbesondere auf die Forderung nach der Bindung an den Verfassungstext. Die Bindung an die Bedeutung eines Textes bedeutet danach Bindung an eine Lebensform. Die Bindung aber ist allein vom Menschen abhängig. Eine Bindung an einen Wortlaut gegen den Willen des zu Bindenden erscheint vom Standpunkt der pragmatischen Semantik aus kaum möglich. Für die Ausgangsfrage, ob Begriffe der Verfassung dispositiv oder vorgegeben sind, läßt sich hier schon sagen, daß nach Wittgensteins pragmati196

Specht, Spätwerk, S. 121; Essler, Analytische Philosophie, S. 275, 278; von Kutschera, Sprachphilosophie, S. 333.

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scher Semantik Begriffe als abhängig vom Sprachbenutzer zu sehen sind. Begriffe stehen demnach grundsätzlich zur Disposition derjenigen, die sie verwenden, also auch zur Disposition des Gesetzgebers und der Gerichte 1 9 7 . Bezüglich der Gesetzesbindung, insbesondere der Bindung an die Verfassung, w i r d die Ansicht vertreten, der Richter dürfe nicht selbst darüber entscheiden, „wann er an das Gesetz gebunden ist und wann er unter Berufung auf das Recht von der Gesetzesgebundenheit frei i s t " 1 9 8 . Gegenüber dieser strikten Bindungsforderung gilt es als Allgemeingut, daß der Richter stets, selbst unter der Herrschaft eines strengen Gesetzespositivismus, einen nicht unbeträchtlichen Anteil an der Rechtsschöpfung habe 1 9 9 . Über diese Einsicht könne nicht mehr hinweggegangen werden. Heute schon wüßten wir, daß i n jeder richterlichen Interpretation einer Norm zugleich Normgestaltung, i n jedem richterlichen Werturteil stets ein Stück echter und originärer Entscheidung über die Rechtsordnung liege 2 0 0 . Z u Recht w i r d betont, daß m i t der Bindung des Gesetzgebers an die getroffenen Wertentscheidungen der Verfassung, die keine festen Größen seien, für die Verfassungsgerichtsbarkeit, die autoritativ über das Verhältnis von Rechtgebung und Rechtsprechung entscheidet, die Probleme allerdings erst anfangen 201 . Hervorzuheben ist, daß es sich hierbei nicht nur u m feste Größen, sondern daß es sich dabei um unbekannte Größen handelt. I m Zusammenhang m i t dem Grundsatz der Bindung an die Verfassung und der Gesetzesbindung i m allgemeinen w i r d von einem Wechselbezug zwischen Norm und dem damit erfaßten W i r k lichkeitsbereich gesprochen 202 . Es sei letzten Endes vom Primat der Normbindung auszugehen 203 . Diese offensichtlichen Unsicherheiten i n der Frage der Gesetzesbindung macht das, was hier als Bindungsparadoxie bezeichnet wurde, deutlich. Indem Bindung an Gesetz und Recht hier als Bindung an Sprache und Text verstanden wird, soll ein neuer Zugang zur Problematik der Gesetzesbindung gefunden werden. M i t dem Begriff der Bindungsparadoxie soll die Abhängigkeit der Sprache von ihren Verwendern zum Ausdruck gebracht und gezeigt werden, daß der zu Bindende seine eigene Bindung bestimmen kann. Nur ein vom Menschen völlig unabhängiger Text, eine völlig unabhängige Bedeutung, wie sie die realistische Semantik annimmt, indem sie unter der Bedeutung eines Wortes den Namensträger, ein abstraktes Wesen, ein B i l d i n der Seele oder ein anderes platonistisches Gebilde versteht, das vom M n schen unbeeinflußt bleibt, läßt die Vorstellung von der Möglichkeit einer 197 198 199 200 201 208 203

9 Rack

von Kutschera, Sprachphilosophie, S. 333. Forsthoff, Die B i n d u n g an Gesetz u n d Recht, DÖV 59, S. 44. Bachof, S. 8. Ebd., S. 8; R. Schmidt, S. 106; Häberle, Wesensgehaltsgarantie, S. 163. R. Schmidt, S. 106. Ebd., S. 107. Ebd., S. 107.

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Gesetzesbindung zu. Die pragmatische Semantik zeigt dagegen die Abhängigkeit der Bedeutung von Wörtern von denen, die diese Wörter verwenden. Die Bindungsparadoxie liegt darin, daß die Verwendung, das heißt die Bedeutung von sprachlichen Ausdrücken von denen abhängt, die an sie gebunden werden sollen. Der i n diesem Zusammenhang gängige Hinweis, das juristische Denken sei durch ein „ H i n - und Herwandern des Blickes" 2 0 4 gekennzeichnet, macht die Ratlosigkeit i n dieser Frage deutlich 2 0 5 . Jeder noch nicht entschiedene Sachverhalt, jeder noch nicht dagewesene Fall w i r f t Fragen nach der Bedeutung eines vorhandenen juristischen Begriffes auf, die nur durch Festsetzung von Verwendungsregeln unter den Beteiligten i n Form einer Übereinkunft ausgeräumt werden können. Jeder neue Sachverhalt erfordert die Festsetzimg von neuen Verwendungsregeln. Sönderabgaben zum Beispiel sind solche neuen Sachverhalte, für die die Verwendungsregeln der verfassungsrechtlichen Begriffe, wie Steuer, Eigentum, Vermögen, neu festgelegt werden müssen. Über die Bedeutungsgleichheit oder Bedeutungsverschiedenheit w i r d immer zwischen den Parteien gestritten, die jeweils ein anderes Ergebnis anstreben. Streit u m die Bedeutung juristischer Ausdrücke ist ein Streit um das Ergebnis, nicht um eine vorgegebene Bedeutung dieser Begriffe. Der Streit u m Begriffe ist i n Wirklichkeit ein Streit um die Folgen der Begriffsverwendung. Wenn zum Beispiel auf den Sachverhalt der Vermögensbelastung der Begriff Enteignung angewendet würde, so hätte das die Folge der Entschädigungspflicht. Es w i r d darum gestritten, ob diese Folge i n dem fraglichen Sachverhalt eintreten soll, aber es geht nicht u m Namen, Wörter und, wie es oft scheint, um einen korrekten Gebrauch, eine exakte Definition eines juristischen Begriffs, als ob dieser vorgegeben wäre. Die bisherige Untersuchung hat als Ergebnis gebracht, daß die Bedeutung eines sprachlichen Ausdrucks als dessen Verwendungsregel zu verstehen ist, daß die Bedeutung nicht eindeutig für jedes Wort festliegt, sondern von der Betrachtungsweise, vom Standpunkt abhängt und daß Unbestimmtheit (Inkonsistenz) der Bedeutung durch Vereinbarungen der beteiligten Sprachbenutzer über die künftige Verwendungsweise behoben werden kann. Dieser Standpunkt bringt eine Relativierung der Sprache m i t sich 2 0 6 und stellt die Möglichkeit der Bindung von Menschen an einen Text, an Sprache und damit die Gesetzesbindung i n Frage. Bedeutung ist nicht als selbständiger Gegenstand neben dem Wort und als diesem eindeutig und ein für alle Male zugeordnet zu verstehen, wie es der Standpunkt der realistischen Semantik verlangt. Bei der realistischen 204

Engisch, Logische Studien zur Geseztesanwendung, 1960, S. 15. von Kutschera, Sprachphilosophie, S. 333; Esslér, Analytische Philosophie I, S. 275. 206 von Kutschera, Sprachphilosophie, S. 333; Essler, Analytische Philosophie I, S. 275. 205

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Semantik kann von einer Abhängigkeit der Sprache vom Sprachbenutzer nicht gesprochen werden, da die Bedeutung eines Wortes ja als etwas neben dem Wort, als etwas Sprachunabhängiges und damit auch vom Menschen Unabhängiges und Unbeeinflußbares verstanden wird. U m eine strikte Gesetzesbindung annehmen zu können, müßte man die Bedeutung eines Wortes als das Bedeutete, als einen Namensträger also, verstehen oder als B i l d i n der Seele, wie die psychologische Bedeutungstheorie meinte, oder als ideales Gebilde, wie es die Ansicht der platonistischen Bedeutungstheorie war. Diese Positionen haben sich als vom heutigen sprachtheoretischen Standpunkt aus als überholt erwiesen. Dementsprechend sind die Vorstellungen über die Möglichkeit der Bindung an Sprache und damit der Bindung an Gesetzestexte korrekturbedürftig. Wenn die Bedeutung — als Verwendungsweise und Gebrauch verstanden — von den Sprachbenutzern spontan oder ausdrücklich festgelegt wird, so erhebt sich die Frage, nach welchen Regeln sich diese Sprachfestsetzung richtet. Dieser Frage gelten die folgenden Untersuchungen, die unter dem Gesichtspunkt der Gegenstandskonstitution durch Sprache diskutiert werden 2 0 7 . Es war andeutungsweise davon die Rede i m Zusammenhang m i t der Einsicht, die Bedeutung eines Wortes sei seine Verwendungsregel, daß Unstimmigkeiten i n der Wortbedeutung durch Übereinkünfte ausgeräumt werden können. Daß die Sprache auf Übereinkunft beruht 2 0 8 , soll i m folgenden noch einmal erörtert werden, da sich aus diesen sprachtheoretischen Einsichten Konsequenzen von großer Tragweite für den Gedanken der Gesetzesbindung ergeben. Es gilt nun, der Frage nachzugehen, wie Begriffe entstehen, wenn nicht durch Ableitung. Bisher wurden diese Begriffe, die für Klassen und Eigenschaften von Gegenständen stehen, als vorgegeben verstanden. Die Ausdrücke Eigentum, Sonderabgaben, Steuer, Vermögen sind danach als Namen von Fallklassen zu verstehen, die gemeinsame Eigenschaften aufweisen. Daß zum Beispiel der Begriff der Sonderabgaben nicht von anderen abstrakten verfassungsrechtlichen Begriffen abzuleiten ist, kann nach der dargestellten K r i t i k als sicher gelten. Es hat sich weiter erwiesen, daß die Was-ist-Frage nach Wesen und Rechtsnatur keinen Aufschluß darüber bringt, ob ein Einzelfall, etwa die Vermögensbelastung, Enteignung genannt werden kann oder nicht. Fraglich bleibt auch, warum Sonderabgaben nicht Steuern genannt werden können. Offen ist also, nach welchen Kriterien sich Verwendungsregeln für sprachliche Ausdrücke richten oder, m i t anderen Worten, wovon die Verwendungsweise abhängig ist. 207 Specht, Spätwerk, S. 122 f.; von Kutschera, Sprachphilosophie, S. 325 f.; Lenk, Wozu Philosophie, S. 84; ders., Metalogik u n d Sprachanalyse, S. 128 u n d 136. 208 Wittgenstein, P U 355; Bemerkungen über die Grundlagen der Mathematik, G M 182, 29, Specht, Spätwerk, S. 132.

9*

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i) Juristische Sätze als grammatische Sätze im Sinne Wittgensteins Das Ergebnis soll vorweggenommen werden, damit der Gedankengang verständlicher wird. Nach Wittgenstein beruht Sprache auf Übereinkunft 2 0 9 . Die Menschen führen spontan Sprachzeichen ein, die Verwendungsregeln für sprachliche Ausdrücke werden von den Menschen festgesetzt 210 . Es handelt sich dabei u m eine schöpferische Leistung. Die Verwendungsregeln hängen somit von Übereinkünften zwischen Menschen ab, die spontan oder auch zweckgeleitet, wie es bei juristischen Ausdrücken der Fall sein dürfte, Sprachregeln festsetzen und über Verwendungen entscheiden. Was das Verhältnis zwischen Wörtern und Gegenständen angeht, so sind die abstrakten Gegenstände und die sie bezeichnenden Wörter als gleichzeitig mit der Verwendungsregel entstanden zu denken. I m Ergebnis stehen sich die Ansicht von der Abhängigkeit der Sprache von den Gegenständen, für die sprachliche Ausdrücke Namen seien, und die Ansicht von der Abhängigkeit der Verwendungsregeln von Übereinkünften zwischen Menschen gegenüber. Das Verhältnis von Wort, Verwendungsregel und Gegenstand läßt sich an einem Satztyp entwickeln, den Wittgenstein als „grammatischen Satz" bezeichnet und der mit juristischen Sätzen i n Beziehung gebracht werden soll 2 1 1 . Zu erinnern ist an die Frage am Anfang, wie man für oder gegen solche Sätze wie „Sönderabgaben sind keine Steuern", oder „Geldleistungspflichten sind keine Enteignungen" argumentieren kann. Diese Sätze sollen als grammatische Sätze angesehen werden. Zu diesem Satztyp gehören Sätze wie „Patience spielt man allein" 2 1 2 , „Jeder Stab hat eine Länge", „Jeder Körper hat eine Ausdehnung" 2 1 3 oder auch „ A l l e Körper sind schwer" 2 1 4 . Grammatische Sätze sind solche, die eine Aussage über einen Gegenstand machen, i n ihrem Wahrheitswert aber ausschließlich von den Verwendungsregeln des den Gegenstand bezeichnenden Sprachzeichens abhängen. Zu bemerken ist, daß der grammatische Satz keine Aussage über eine Sprachregel ist, wie ζ. B. „ I m Südwestdeutschen w i r d das Wort ,wo' als Relativpronomen gebraucht". Er ist ebenso von einer reinen Verwendungsregel, wie ζ. B. „Das Wort »Patience4 bezeichnet nur Kartenspiele, die man allein spielt", zu unterscheiden 215 . Gemeinsam ist diesen sogenannten grammatischen Sätzen, daß sie erstens Aussagen über bestimmte Gegenstände machen, also Kartenspiele, Stäbe, Körper, und zweitens Verwendungsregeln erken209

Wittgenstein, P U 355, G M 23. Ebd., P U 224, G M 120; Specht, Spätwerk, S. 133. 211 Specht, Spätwerk, S. 124 f.; Lenk, Wozu Philosophie?, S. 82. 212 Wittgenstein, P U 248. 210

213 214 215

Ebd., P U 251, 252. Lenk, Wozu Philosophie?, S. 82. Specht, Spätwerk, S. 127.

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nen lassen, die die üblichen gegenständlichen Sätze nicht i n dieser Weise haben 2 1 6 . Der Unterschied zwischen empirischen Sätzen über Gegenstände und grammatischen Sätzen zeigt die Überlegung, aus welchen Gründen diese Sätze falsch sein können. Bei den empirischen Sätzen gibt es zwei Fehlermöglichkeiten. Der Satz „Jeder Mensch hat einen Fehler" kann erstens dadurch falsch werden, daß ein Mensch ohne Fehler entdeckt wird, und zweitens dadurch, daß die Wörter „Mensch" und „Fehler" anders gebraucht werden 2 1 7 . Bei den grammatischen Sätzen dagegen hängt der Wahrheitswert nur von dem jeweiligen Sprachgebrauch ab. Zum Beispiel der Satz „Jeder Stab hat eine Länge" würde sich i n seinem Wahrheitswert nur dann ändern, wenn sich der Sprachgebrauch m i t den Wörtern „Stab" und „Länge" i n bestimmter Weise verändern würde. Der grammatische Satz w i r d weiter dadurch charakterisiert, daß sein jeweiliges Gegenteil unvorstellbar oder undenkbar ist. Jeder grammatische Satz ist apriorisch, das heißt er hängt i n seinem Wahrheitswert von keiner Erfahrungstatsache ab 2 1 8 . Insgesamt werden grammatische Sätze als von der Erfahrung unabhängig geltende, aber nicht als formallogisch gültige Sätze gekennzeichnet 219 . Der grammatische Satz w i r d dadurch zum Problem, daß vom Standpunkt einer realistischen Semantik ein solcher Satz nicht denkbar ist, da sie die Ansicht vertritt, Sprache habe nur Namens- und Abbildungsfunktion. Dieser realistischen Grundhaltung entsprechend, hat Wittgenstein i m Tractatus, der diese später aufgegebene Position enthält, derartige Sätze, die interne, das heißt notwendige Eigenschaften oder Relationen zum Ausdruck bringen, wie etwa der Satz: „ 1 ist eine Zahl" als unsinnige Scheinsätze bezeichnet 220 . Da sie keine Gegenstände abbilden, nach der realistischen Semantik die Abbildung von Gegenständen aber einzige Funktion der Sprache sein soll, war diese Ansicht konsequent. Das Grundproblem beim grammatischen Satz ist also, wie ein Satz Aussagen über Gegenstände machen kann, ohne i n seinem Wahrheitswert von diesen Gegenständen abzuhängen 221 . Ein Problem ist dieser Satztyp somit nur für 216 Ebd., S. 129; Lenk, Wozu Philosophie?, S. 83. Die grammatischen Sätze werden m i t Carnaps Pseudoobjektsätzen verglichen. 217 Specht, Spätwerk, S. 129; Hart, S. 209, m i t dem Beispiel der Ausdrücke »Parlament 4 u n d »Gesetzgebung4, deren Verwendungsregeln er als veränderbar nachweist. 218 Specht, Spätwerk, S. 131; Wittgenstein, P U S. 251, Verneinung eines Satzes a priori. 219 Lenk, Wozu Philosophie?, S. 82; von Kutschera, Sprachphilosophie, S. 189; von Kutschera weist auf die umfangreichen Ausführungen Quines zu der Frage des Unterschiedes zwischen analytischen u n d synthetischen U r t e i len h i n ; Wittgenstein, G M 125,126. 220 Specht, Spätwerk, S. 131; Wittgenstein, Traktatus-logico-philosophicus, 2.122 - 4.1274. 221 Specht, Spätwerk, S. 133.

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die realistische Semantik, nach der Sätze von dieser A r t nicht möglich sind. Sie sind aber doch offenbar möglich und deshalb w i r d eine Erklärung erforderlich. Bevor Wittgensteins Erklärung dieses Problems dargestellt wird, soll die These aufgestellt werden, juristische Sätze seien als grammatische Sätze zu verstehen. Auch sie weisen wie die Sätze „ A l l e Körper sind schwer", „Patience spielt man allein", „ A l l e Junggesellen sind unverheiratet" einen Bezug zu Gegenständen auf, ohne daß man sich das Gegenteil vorstellen kann. Es läßt sich sagen, daß zum Beispiel verheiratete Junggesellen eben keine Junggesellen sind. Diesen Sätzen i n ihrer pauschalen Gestalt einmal angepaßt, läßt sich als juristisches Beispiel der hier interessierende Satz anfügen „Geldleistungspflichten sind keine Enteignung". Die Charakterisierung dieser juristischen Sätze als synthetischapriorische Sätze oder als grammatische Sätze i m Sinne von Wittgenstein ist insofern von großer Wichtigkeit, als diese Charakterisierung bestimmt, wie über diese Sätze argumentiert werden kann. Behauptet jemand, der angeführte Satz sei wahr oder falsch, so kann er sich weder auf Tatsachen berufen, weil es ein apriorischer, das heißt nichtempirischer Satz ist, noch kann er sich auf logische Argumente beziehen, da dieser Satz synthetisch und nicht analytisch ist. Dieser Gedanke läßt sich noch anders ausdrücken. Die Veränderung von Tatsachen hat keinerlei Einfluß auf den Satz. Lediglich die Änderung von Verwendungsregeln beeinflußt ihn. A l l e i n von Verwendungsregeln sind grammatische Sätze i m Sinne Wittgensteins abhängig. Die angeführten Sätze könnten falsch werden, indem die Verwendungsregeln für „Enteignung" oder für „Geldleistungspflicht" verändert bzw. für „Sönderabgaben" oder „Steuern" verändert werden 2 2 2 . Über diese Sätze läßt sich nicht dadurch argumentieren, daß man Tatsachen anführt oder daß man logisch argumentiert. Es handelt sich u m grammatische Sätze, die von Verwendungsregeln abhängen, über die Entscheidungen zu fällen sind. Die Erklärung zum Problem des grammatischen Satzes geht zunächst i m Anschluß an Wittgenstein davon aus, daß m i t den grammatischen Sätzen Regeln oder Festlegungen über die Verwendung von Wörtern ausgedrückt werden 2 2 8 . Das ist nun näher zu erläutern. j) Die Entstehung von Begriffen oder die Gegenstandskonstitution durch Sprache Die Entstehung eines apriorischen oder grammatischen Satzes ist m i t dem Entwurf eines neuen Sprachspiels zu vergleichen. Dabei werden spontan oder zweckgeleitet neue Gruppen, Klassen, gebildet, indem Gegenstände m i t bestimmten Eigenschaften zusammengefaßt werden. Es 222 223

Hart, S. 209. Lenk, Wozu Philosophie?, S. 82.

7. Die Bedeutungstheorien aus der Sicht Wittgensteins

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werden dabei gleichzeitig neue Namen eingeführt, und zwar so, daß nur die Gegenstände der neu zusammengefaßten Klasse, das heißt nur die Gegenstände, an denen die betreffenden Eigenschaften vorkommen, den Namen tragen sollen. Damit sind die Anwendungsregeln für den Gebrauch des Namens festgelegt. Gegenstände, die diese bestimmten Eigenschaften nicht haben, fallen nicht unter die neugebildete Gruppe und werden nicht m i t den entsprechenden Namen benannt. Der grammatische oder apriorische Satz bringt nun diejenigen Eigenschaften eines Gegenstandes zum Ausdruck, die diesem aufgrund der Sprachregeln für seinen Namen notwendig zukommen; sein Wahrheitswert hängt also von der A r t unserer Zusammenfassung der Gegenstände und der dadurch festgelegten Sprachregeln ab. Sätze oder, wie Wittgenstein es nennen würde, Sprachspiele, wie „ A l l e Junggesellen sind unverheiratet", entstehen also dadurch, daß man alle Männer zu einer Klasse zusammenfaßt, die die Eigenschaft haben, unverheiratet zu sein und daß man für die Mitglieder den Namen Junggesellen einführt. Es w i r d die Sprachregel für den Namen Junggeselle so festgelegt, daß alle Gegenstände und nur diese zu einer Gruppe zusammengefaßt werden, die die Eigenschaft haben, ein Mann und unverheiratet zu sein. Dabei w i r d von allen anderen Eigenschaften abgesehen, das heißt, diese Gegenstände können ansonsten untereinander völlig verschieden sein. I n gleicher Weise werden die Sätze „Geldleistungspflichten sind (oder sind keine) Enteignungen" oder „Sonderabgaben sind (oder sind keine) Steuern" gebildet. Es ist also hervorzuheben, daß der Satz „Junggesellen sind unverheiratet" aufgrund einer Sprachregel g i l t 2 2 4 . Anschaulich w i r d die A b hängigkeit der Verwendungsweise von Entscheidungen i n den Fällen der inkonsequent anmutenden Begriffsverwendungen. Deutlich w i r d dies am Beispiel der Lastenausgleichsabgabe, die trotz ihrer Ähnlichkeiten m i t Sonderabgaben, nämlich i n einen Fonds zu fließen und zweckgebunden zu sein, als Steuer behandelt w i r d 2 2 5 . Umgekehrt w i r d der Konjunkturzuschlag trotz seiner Ähnlichkeiten m i t einer Steuer nicht als solche angesehen 226 . Trotz der Unterschiede zu anderen Sozialversicherungsgesetzen w i r d der Begriff „Sozialversicherung" auf die K i n dergeldabgabe verwendet 2 2 7 . Bopp und Mußgnug weisen auf inkonsequente und auf das Ergebnis abstellende Begriffsverwendungen h i n 2 2 8 . Nach der Wesensphilosophie dagegen müßten sich diese Eigenschaften aus dem Wesen, dem Begriff oder der Idee, zum Beispiel der Steuer oder des Eigentums ergeben, das man m i t Hilfe der Frage zu ermitteln sucht, 224 Specht, Spätwerk, S. 133; Lenk, Wozu Philosophie?, S.82; Specht, W i t t genstein u n d das Problem der Aporetik, S. 310. 225 Strauß, Die Ausgleichsabgaben, S. 250; Meessen, S. 928. 229 Friauf, öffentliche Sonderlasten, S. 53, Fn. 43. 227 B V e r f G 11, S. 105 ff. 228 Bopp, S. 221; Mußgnug, S. 264.

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was denn eigentlich Steuer oder Eigentum sei. Daß ein Begriff die Eigenschaften der unter i h n fallenden Gegenstände als Merkmale, aber nicht selbst diese Eigenschaften besitzt, konnte m i t Frege nachgewiesen werden. Wittgensteins Erklärung bedeutet insoweit einen Fortschritt, daß sich nun sagen läßt, wie die Begriffe entstehen, die ja auch als Klassen (extensional) interpretiert werden. Sie entstehen aufgrund von Sprachregeln. Durch sie erhalten Gegenstände Eigenschaften und werden zu einer Klasse unter einem Namen gruppiert, der ebenfalls durch eine Sprachregel entsteht. Worauf Junggeselle zutrifft, darauf soll auch unverheirateter Mann zutreffen 2 2 9 . Wenn nach Freges K r i t i k an der Wesensphilosophie die Ableitungsbeziehung nicht mehr als Erklärung für die Entstehung der Begriffe und Gegenstände dienen kann, so kann nun erklärt werden, wie diese Begriffe entstehen, nämlich durch Festsetzung von Sprachregeln. Diese Überlegungen gelten auch für juristische Sätze und Begriffe. Sie entstehen nicht durch Ableitung aus anderen Begriffen, wie es die Forderung nach einem Verfassungsvorbehalt impliziert, sondern durch Klassifizierung und Festsetzung von Verwendungsregeln. Auch juristische Begriffe fassen Klassen von Einzelfällen m i t gemeinsamen Eigenschaften zusammen, die diesen Einzelsachverhalten aufgrund von Verwendungsregeln zukommen. I m Anschluß an die Beispiele aus der Sprachtheorie lassen sich ebenfalls Beispiele aus dem hier behandelten Problemkreis der nichtfiskalischen Abgaben anführen. Es werden Klassen von Gegenständen gebildet, die gemeinsame Eigenschaften haben und einem Begriff untergeordnet werden, Beiträge, Sönderabgaben, Enteignungsfälle. Wenn ein Satz apriorisch, nicht empirisch also, nicht von Tatsachen abhängend bezeichnet wird, dann läßt sich gegen diesen Satz nicht sagen, die Tatsachen sprächen gegen ihn, zum Beispiel: „Sönderabgaben sind (oder sind keine) Steuern" oder „Geldleistungspflichten sind keine Enteignung". Wenn ein Satz als synthetisch i m Gegensatz zu analytisch bezeichnet wird, so kann man von i h m nicht sagen, er sei unlogisch. Es kann nur gesagt werden, daß die derzeitige Sprachpraxis diesen Satz als richtig anerkennt oder K r i t i k an diesem Satz übt oder diesen Satz ablehnt, oder daß die Meinungen geteilt sind, oder daß eine der Ansichten herrschende Meinung ist. Zum Problem des grammatischen Satzes gehört auch die Frage, in welchem Verhältnis die Verwendungsregeln und die Gegenstände stehen, über die j a Aussagen gemacht werden. Die realistische Semantik verstand Gegenstände als vorgegeben, denen nachträglich die sprachlichen Ausdrücke als Namen zugeordnet wurden. Die Theorie der Gegenstandskonstitution durch Sprache vertritt die Ansicht, mit der Sprachzeicheneinführung, der Festsetzung der Verwendungsregeln also, werde 229

Lenk, Wozu Philosophie?, S. 82.

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gleichzeitig eine neue Klasse von Gegenständen konstituiert. Nicht die realen Gegenstände, sondern die Klassen von Gegenständen, das ist zu betonen, werden konstituiert 2 8 0 . Ein Begriff, der für eine Klasse steht, entsteht somit gleichzeitig m i t Einführung des Prädikatausdrucks, der für i h n steht. Statt der nachträglichen Benennung von vorgegebenen Gegenständen i m Sinne der realistischen Semantik gilt, daß die Begriffe gleichzeitig m i t der Verwendungsregelfestsetzung geschaffen und konstituiert werden. A n einem vielgenannten Beispiel soll das erläutert werden, dem Satz „ E i n und dieselbe Fläche ist nicht zugleich blau und rot". Durch die Festlegung der Verwendungsregeln für die Ausdrücke „rote Fläche" und „blaue Fläche" ist ausgeschlossen, daß eine rote Fläche zugleich eine blaue Fläche sein kann 2 3 1 . Bei diesem Farbbeispiel zeigt sich, daß die Dinge nicht an sich i n rote, blaue, gelbe zerfallen, sondern daß w i r diese Unterscheidung erst m i t Hilfe der Spräche durchführen, indem w i r Beispielsklassen von farbähnlichen Objekten aussondern und sie m i t einem einheitlichen Wort bezeichnen 232 . Daß ein und dieselbe Fläche nicht zugleich rot und blau sein kann, ist darin begründet, daß beim spontanen Entwurf des Sprachspiels m i t den roten und blauen Flächen sowohl eine Gliederung und Zusammenfassung der Farbphänomene als auch eine Festlegung der Verwendungsregeln für die entsprechenden Sprachzeichen gemäß der Gliederung vorgenommen wurde. Ebenso sind die Abgabengesetze klassifiziert worden und nicht von vornherein gegliedert, sondern erst mit den Begriffen, die Klassen repräsentieren, entstanden. Wenn von der „Konstitution des Gegenstandes i m Sprachspiel" die Rede ist, so ist dieser Ausdruck natürlich nicht so zu verstehen, als ob der Mensch den Gegenstand produziere, sondern es soll damit nur auf die Tatsache aufmerksam gemacht werden, daß die sprachliche A k t i v i t ä t des Menschen einen maßgeblichen Anteil an der Zusammenfassung der Phänomene zur geordneten Ganzheit hat 2 3 3 . Die von der realistischen Semantik als vorgegeben verstandenen abstrakten Gegenstände werden von der pragmatischen Semantik nicht als vorgegeben, vorsprachlich und sprachunabhängig, sondern erst durch Sprache konstituiert begriffen. Die Klassenbildung unter Führung eines Paradigmas ist nicht als eine Auswahl aus Gegebenem aufzufassen, sondern das Gegebene besteht aus einer unendlichen Vielzahl möglicher Formen, und aus einer unendlichen Vielzahl von Möglichkeiten zu wählen, heißt, die Formen zu schaffen 2 3 4 . Dieser Gedanke der Gegenstandskonstitution w i r d i m Zusammen230

Specht, Spätwerk, S. 136; Lenk, Wozu Philosophie?, S. 82. Specht, Spätwerk, S. 135; Wittgenstein, G M 39,125. 232 von Kutschera, Sprachphilosophie, S. 279. 233 Specht, Spätwerk, S. 136; von Kutschera, Sprachphilosophie, S. 332. 234 Specht, Spätwerk, S. 155; E. von Savigny, Analytische Philosophie, S. 134; aufschlußreich ist von Savignys Beispiel über die Klassenbildung bei der E i n 231

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hang m i t ontologischen Fragen diskutiert. Essler formuliert i m Rahmen der Betrachtung unterschiedlicher ontologischer Positionen die des hypothetischen Piatonismus. Dieser gibt eine A n t w o r t auf die Frage, was erkenntnistheoretisch primär sei, die Struktur der Gesamtheit von Gegenständen oder aber die Sprache, die diese Struktur repräsentiert 285 . Es handelt sich u m die wichtige Frage der Reihenfolge, was zuerst existiert, die Gegenstandswelt oder die Sprache. Die Theorie der Gegenstandskonstitution gibt nun kein Verhältnis von Vorher oder Nachher an, sondern betont die Gleichzeitigkeit von Sprache und Gegenstandswelt. Zu den Gegenständen zählen auch abstrakte Gegenstände. Dementsprechend formuliert Essler: „Nach dem Piatonismus w i r d die Sprache einer bereits vorhandenen Ontologie nachgebildet, nach dem hypothetischen Piatonismus w i r d sie durch eine derartige Sprache überhaupt erst geschaffen oder genauer: w i r d sie durch die Sprache erst angenommen. Diese Annahme ist aber durchaus hypothetischer N a t u r 2 8 6 . " Den gleichen Gedanken der Gegenstandskonstitution durch Sprache drückt von Kutschera aus: „Wenn Sprache nicht nur M i t t e l zum Ausdruck vorgefundener Eigenschaften, Unterschiede und Sachverhalte ist, sondern diese erst definiert, so kann man nicht sagen, daß die Welt, das heißt die konkreten Dinge, Zustände, Prozesse und so weiter, an sich, also vor allem Feststellungen über sie, wohl bestimmt ist und daß w i r diese ihre vorgängige Bestimmtheit i n unseren Aussagen über sie mehr oder minder korrekt ausdrücken. Sondern dann entsteht so etwas wie eine wohlbestimmte Welt immer erst durch sprachliche Interpretation, dann ist die Welt immer sprachlich vermittelt 2 8 7 ." Zugegeben wird, daß diese Gedanken den Anstrich des Merkwürdigen und Ungewöhnlichen haben, als gäbe es die wirkliche Welt, auf die sich doch unsere Erkenntnis ihrer Intension nach immer richtet, gar nicht. Es gibt demnach nicht das richtige Weltbild, sondern nur verschiedene gleichberechtigte Weltbilder der verschiedenen Sprachen 288 . Zusammenfassend läßt sich sagen, daß Begriffe erst m i t dem Wort gebildet werden 2 3 9 . Der Gedanke der Gegenstandskonstitution durch Sprache, wonach Wort und Begriff gleichzeitig entstehen, w i r d auch dadurch ausgedrückt, daß Sprache und Gegenstände untrennbar miteinteilung der Bäume durch die Insulaner, die nach der Verwendung Bäume i n Haus-, Boot- u n d Nichtsnutzbäume gliedern. Damit verweist von Savigny auf alternative Klassifizierungsmöglichkeiten. Die Gliederung der W e l t w i r d hier als K u l t u r l e i s t u n g des Menschen gesehen, nicht aber als alternativlos vorgegeben. 285 Essler, Analytische Philosophie I, S. 202,143. 23e Ebd., S. 202. 237 von Kutschera, Sprachphilosophie, S. 332. 238 Ebd., S. 333. 239 Ebd., S. 281, der diese Ansicht i n die Tradition der Sprachtheorien H u m boldts, Sapirs u n d Whorfs stellt.

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ander verbunden sei und der Ausgangspunkt der realistischen Semantik, die Trennung von Namen und benannten Gegenständen abzulehnen sei 2 4 0 . Über das, was jenseits der Grenzen einer Sprache liege, und was sich i n ihr nicht sagen lasse, könne man nicht i n ihr sprechen. Es lasse sich noch nicht einmal sagen, daß es jenseits dieser Grenzen etwas gäbe 241 . Winch drückt diesen Gedanken ebenso aus. W i r haben danach keine Möglichkeit, uns jenseits der Begriffe zu begeben, i n deren Rahmen w i r Gedanken über die Welt fassen. Die Welt ist das, was sich uns durch diese Begriffe hindurch darbietet 2 4 2 . I n diesem Zusammenhang ist an die Vorstellung von einem ungeschriebenen Verfassungsvorbehalt zu erinnern. Nach der Gegenstandskonstitutionstheorie existiert nichts, wenn man nicht darüber sprechen kann. Von einem ungeschriebenen Verfassungsvorbehalt läßt sich nur sagen, daß er ungeschrieben ist und nichts weiter. Nachdem nun die Theorie von der Gegenstandskonstitution der Sprache als Erklärung für die synthetisch-apriorischen Sätze, zu denen auch juristische Sätze zu zählen sind, anhand der entsprechenden Stimmen aus der neueren Literatur dargestellt wurde, soll noch darauf hingewiesen werden, daß mit dieser Theorie die Tradition älterer Konstitutionstheorien fortgesetzt wird. Es w i r d einhellig auf die Beziehung zwischen Kant und Wittgenstein hingewiesen 243 . Es geht darum, daß das erkennende Subjekt die Erkenntnis durch seine eigenen Verstandesbegriffe mitformt, ja die Gegenstände erst bildet, mitkonstituiert — dies ist eine Einsicht, die den antiken Philosophen völlig fremd gewesen ist. Insbesondere Piaton habe gleichsam m i t den Augen des Geistes eine unveränderliche Ideenwelt gesehen und die wirkliche Welt statisch diesen Ideen untergeordnet. M i t Kants Theorie der Gegenstandskonstitution ist eine neue Reflexionsebene erreicht. I n ähnlicher Weise habe W i t t genstein einen Ansatz entwickelt, wonach die Regeln des Sprachgebrauchs eine erhebliche Rolle bei der Weltgliederung und Gegenstandskonstitution spielen 244 . Deutlich w i r d also die Gegenstandskonstitution der Wesensphilosophie entgegengesetzt. Die Wensensphilosophie diskutiert Wittgenstein am Beispiel der Mathematik und macht den Gegensatz zu seiner Auffassung dadurch deutlich, daß er den Mathematiker als Erfinder, nicht aber als Entdecker versteht. „Der Mathematiker erzeugt Wesen" 2 4 5 , „. . . er ist ein Erfinder, kein Entdecker" 2 4 6 , „. . . Mathematik 240

Ebd., S. 222, 339. Ebd., S. 338. 242 Winch , Die Idee der Sozialwissenschaften, 1974, S. 25. 243 von Kutschera, Sprachphilosophie, S. 333, 331; Specht, Spätwerk, S. 157, 152, 150; Lenk, Wozu Philosophie?, S. 91, 92; Stegmüller, Wittgenstein als Ontologe, S. 141. 244 Lenk, Wozu Philosophie?, 1974, S. 92. 245 Wittgenstein, G M 12, 32. 241

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w i r d hier nicht verbessert, sondern ein neues Stück Mathematik erfunden" 2 4 7 . I n diesem Sinne — um die Beziehung zu den juristischen Fragestellungen herzustellen — sind auch die diskutierten Begriffe der Verfassung zu verstehen. Sonderabgabe, Steuer, Eigentum, Vermögen sind Begriffe, die für Klassen von Gegenständen stehen, die konstituiert, erfunden, zusammengestellt wurden. Sie sind Menschenwerk, nicht aber vorgegeben, wie die Wesensphilosophie meinte. Nach der Wesensphilosophie sind die Wesen vorgegeben, zu entdecken, abzuleiten, auf dem Weg der Analyse oder wie auch immer zu gewinnen. Nach der Konstitutionstheorie dagegen sind die Gegenstände Ergebnisse einer schöpferischen synthetischen Leistung des Menschen 248 . Der Unterschied zwischen Kants und Wittgensteins Konstitutionstheorie w i r d darin gesehen, daß nach Kant die Erscheinungen zwar konstituiert werden, aber — und das macht den Unterschied aus — vor der Sprache. Nach Kant entwirft unsere Vernunft i n einem spontanen A k t die apriorischen Gesetzlichkeiten der Dinge 2 4 9 . Sprache liefert die Namen der durch die Vernunft konstituierten Gegenstände. Nach Wittgenstein konstituiert dagegen die Sprache die Gegenstände 250 . A n dieser Stelle ist an Labands Ansicht von der Lückenlosigkeit der Rechtsordnung zu erinnern, die er m i t der Logik und der Ordnung der Natur vergleicht. Nur passiv w i l l er die höheren allgemeinen Rechtsbegriffe verwendet und verbunden wissen und schreibt: „Dagegen ist die Schaffung eines neuen Rechtsinstitutes, welches einem höheren und allgemeineren Rechtsbegriff überhaupt nicht untergeordnet werden kann, geradeso unmöglich, wie die Erfindung einer neuen logischen Kategorie oder die Entstehung einer neuen Naturkraft 2 5 1 . Hier t r i t t der Gegensatz zur heutigen Sprachtheorie unmittelbar hervor. Während nach Wittgenstein mathematische Begriffe erfunden, konstituiert und nicht entdeckt werden, schließt Laband die Erfindung und Schaffung einer neuen logischen Kategorie aus. Die Welt ist nach Wittgenstein durch Sprache gegliedert, während Labands Ordnung der Natur lückenlos vorgegeben ist. Laband erweist sich als Anhänger der antiken, heute nicht mehr vertretbaren Wesensphilosophie. Bei Laband w i r d die Einbruchsteile der 248

Ebd., G M 47. Ebd., G M 194. 248 Ebd., GM, 13, Nr. 32: „Was zum Wesen gehört, lege ich unter den Paradigmen der Sprache nieder. Der Mathematiker erzeugt Wesen." Z u m Wesen gehört demnach, was w i r dazugehören lassen. Wenn darüber noch keine E n t scheidung getroffen wurde, dann muß festgelegt werden, was von n u n an zum Wesen zu rechnen ist. 249 Specht, Spätwerk, S. 150. 250 Ebd., S. 157. 251 Laband, Staatsrecht I, 5. Aufl., 1911, S. V I ; Wilhelm, Z u r juristischen Methodenlehre i m 19. Jahrhundert, S. 10. 247

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Wesensphilosophie i n die Rechtswissenschaft deutlich. Nach Labands Auffassung sollen juristische Begriffe aus anderen juristischen Begriffen logisch gewonnen werden 2 5 2 . Während nach der pragmatischen Semantik also Begriffe konstituiert, geschaffen werden, glaubte Laband, daß diese Begriffe vorgegeben und zu entdecken seien. Wie der Mathematiker so erzeugt auch der Jurist die Wesen und entdeckt sie nicht. Entsprechend dieser i n den Rechtspositivismus Labandscher Prägung implizierten Wesensphilosophie glaubt man noch heute, neue juristische Begriffe ableiten zu müssen, wie die Argumentation nach der Regel vom Recht aus Begriffen zeigt. Die Forderung nach einem Verfassungsvorbehalt setzt diese Position stillschweigend voraus. Weiterhin kommt i n der ständigen Rechtsprechung zur Enteignung die Ansicht zum Ausdruck, Begriffe wie Eigentum und Enteignung seien ihrem Wesen nach vorgezeichnet, existierten i n vollkommener, idealer Vollendung mit allen Merkmalen und man müsse nach dem Wesen nur intensiv genug fragen. Die Was-ist-Fragen sind Ausdruck hierfür. Wie aber der gesamte Begriff durch Sprache erst entsteht, so werden i h m auch seine Merkmale erst zugesprochen. Diese hat er nicht an sich schon, sondern nur durch die Formulierung seiner Schöpfer, der Gesetzgebung oder der Rechtsprechung oder der Wissenschaft. Hierfür gilt der treffende Satz W i t t gensteins, daß das, was zum Wesen gehöre, unter den Paradigmen der Sprache niedergelegt sei 2 5 3 . Der Jurist erzeugt Wesen. Statt also zu fragen, welche Merkmale ein Begriff hat, ist — wenn sie noch nicht festliegen — zu fragen, wie diese Merkmale beschaffen sein sollen. Über ein Merkmal, etwa das des Fiskalzweckes beim Steuerbegriff, bestimmen allein die an der juristischen Sprachgemeinschaft Beteiligten. Die Verwendung der Sprache hängt also nicht von den Gegenständen ab, sondern i m Entwurf eines Sprachspiels w i r d zugleich m i t einem neuen Sprachzeichen eine neue Gliederung und Zusammenfassung der Phänomene geschaffen. A u f diese Weise konstituiert sich in einem Sprachspiel zugleich m i t einem neuen Sprachzeichen eine neue Gruppe von Gegenständen. Der grammatische Satz drückt diese Einheit von Sprachzeichen und Gegenständen aus 2 5 4 . Nach der durch die Gegenstandskonstitutionstheorie beschriebenen A r t ist auch die Entstehung des Begriffs Sonderabgaben zu verstehen. Es wurde eine Klasse von Fällen m i t bestimmten Eigenschaften zusammengefaßt und ein neuer Name eingeführt. Dieser Begriff ist nicht etwa aus anderen Begriffen der Verfassung abzuleiten, wie es vom Standpunkt einer realistischen Semantik konsequent wäre und i n der Forderung nach einem Verfassungsvorbehalt zum Ausdruck kommt. Der weite Exkurs i n die Sprachtheorie hat somit die Vermutung 252 253 254

Τ satsos, Zur Problematik des Rechtspositivismus, S. 18. Wittgenstein, GM, S. 13, Nr. 32. Specht, Spätwerk, S. 136,155.

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bestätigt, daß die Frage nach dem Verfassungsvorbehalt falsch gestellt ist. Dies konnte am Begriff der Sönderabgaben exemplarisch dargelegt werden. Fragen nach dem Wesen, der korrekten Definition, dem Begriff, der Rechtsnatur beruhen auf unhaltbaren sprachtheoretischen Positionen. Welchen Sinn die Frage hat, ob Sönderabgaben Steuern sind, läßt sich ebenfalls erklären. Es ist die Frage, ob ein neuer Sachverhalt einer schon gebildeten Klasse zugehört oder nicht. M i t der Bildung einer Klasse von Gegenständen m i t Eigenschaften, die ihnen aufgrund von Sprachregeln zukommen, ist diese Klasse nicht ein für alle Male eindeutig bestimmt. Die Frage der Zugehörigkeit stellt sich bei jedem Gegenstand, der Ä h n lichkeit m i t den Elementen der Klasse aufweist. So ist die Frage, ob Sönderabgaben den vorhandenen Abgabentypen untergeordnet werden können, als Frage nach der Klassenzugehörigkeit zu verstehen. Die beschriebene Klassifizierung ist kein einmaliger, sondern ein ständiger Vorgang. Es muß nämlich ständig von neuem über die Zugehörigkeit von Einzelfällen entschieden werden. Es ist unmöglich, für alle überhaupt denkbaren Arten und Situationen Regeln festzulegen 255 . Hierbei handelt es sich u m eine Einsicht, die der juristische Alltag besonders deutlich macht. Schon an so einfachen Beispielen wie dem Satz über den Junggesellen läßt sich zeigen, daß die Verwendungsregeln unmöglich für alle Fälle festzulegen sind, wenn nämlich etwa ein Witwer heute dem Begriff Junggeselle untergeordnet werden sollte 2 5 6 . Die Klassenzugehörigkeit noch nicht dagewesener Fälle ist immer wieder von neuem zu entscheiden, da die Klassen nicht eindeutig zu bestimmen sind. Dieser Umstand w i r d i n der juristischen Argumentations weise häufig als Kasuistik bezeichnet und bedauert, als ob es anders sein könnte. Der Gedanke eines perfekten Begriffsystems w i r d treffend als methaphysische Illusion bezeichnet 257 . Nicht eine gemeinsame Eigenschaft, sondern eine Reihe von Ähnlichkeiten und Verwandtschaften sind den Elementen einer Klasse gemeinsam. Es wurde schon darauf hingewiesen, daß die unterschiedlichsten Dinge, wie zum Beispiel bewegliche und unbewegliche Sachen, gemeinsam Eigentum genannt werden, also zu einer Klasse gehören, die durch den Ausdruck Eigentum gekennzeichnet ist. Die Kindergeldabgabe w i r d zu den Fällen der Sozialversicherung gezählt. Wittgenstein spricht i n diesem Zusammenhang von der „Familienähnlichkeit der Begriffe" 2 5 8 . Ob ein Sachverhalt, wie die Geldleistungspflicht zu der Klasse von Fällen zählt, die unter den Begriff der Enteignung fallen, ist als Frage der Zugehörigkeit zu einer Klasse zu behandeln, die nicht durch eine gemeinsame Eigenschaft gekennzeichnet wird, sondern 255

Stegmüller, Hauptströmungen, S. 621. Lenk, Metalogik u n d Sprachanalyse, S. 26. 257 Stegmüller, Hauptströmungen, S. 621. 258 Ebd., S. 611; Specht, Spätwerk, S. 314, 310; Wittgenstein, Wittgenstein u n d das Problem der Aporetik, S. 310, 314. 258

P U 67; Specht,

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durch Familienähnlichkeit. Zwischen den Fällen, die Eigentum genannt werden, bestehen Familienähnlichkeiten, ohne daß Eigenschaften angeführt werden könnten, die allen Fällen gemeinsam sind. Es handelt sich um Begriffsfamilien, die man nicht durch Angabe einer oder mehrerer Eigenschaften umgrenzen kann 2 6 9 . Besonders deutlich w i r d dies beim Begriff der Steuer, dessen Vielfalt endlose Diskussionen auslöst, die die hier vorgenommene sprachtheoretische Untersuchung notwendig erscheinen ließen 2 6 0 . Wittgenstein hat diesen Umstand der Familienähnlichkeit umfassend am Begriff des Spiels untersucht, der auch auf Fälle verwendet wird, die keine gemeinsamen Eigenschaften, sondern nur Ä h n lichkeiten aufweisen 261 . Gemeinsam ist den juristischen Gegenständen, die unter einen Begriff fallen, daß sie eine gemeinsame Rechtsfolge haben. I n diesem Zusammenhang kann schon bemerkt werden, daß diese Rechtsfolgen die Begriffswahl bestimmen 2 6 2 und nicht irgendwelche feststellbaren essentiellen Merkmale, die vorgegeben wären und die Begriffswahl als Maßstab und Muster bestimmten. Bei juristischen Begriffen pflegt man nach Gemeinsamkeiten i n Form des Wesens, der Rechtsnatur und der korrekten Definition zu suchen, findet aber höchstens Familienähnlichkeiten. Etwas resigniert, ohne aber den Glauben an die Gemeinsamkeit aufzugeben, w i r d dann — etwa i m Rahmen einer Analyse der Enteignungsrechtsprechung — festgestellt, die Enteignung sei nur noch kasuistisch verstehbar 2 6 3 . Ungeachtet dessen, so w i r d weiter ausgeführt, daß das Gericht nach wie vor auch dogmatisch argumentieren und entsprechend unserem Rechtsverständnis so argumentieren müsse, könne man eine Schwerpunktverlagerung von der Dogmatik zur Kasuistik feststellen 264 . I m Zusammenhang mit den Sonderabgaben spricht Friauf von stark fallbezogener Betrachtungsweise, von systemloser Kasuistik 2 6 5 , als ob es anders sein könnte. Zur Klassifizierung muß noch gesagt werden, daß jede Klasse nach einem bestimmten Vorbild oder Paradigma gebildet wird. Dies hat eine Parallele i n den Leitentscheidungen der Rechtsprechung. Die Gruppe der Sonderabgaben w i r d angeführt von der Entscheidung zum Investitionshilfegesetz des Bundesverfassungsgerichts 266 . Auf diese Entscheidungen berufen sich die Gerichte i n den nachfolgenden Fällen. 259 Stegmüller, Hauptströmungen, S. 613. 280 Selmer, S. 70, 80, 98. sei Specht, Wittgenstein u n d das Problem der Aporetik, S. 315. 262

Mußgnug, S. 264; Bopp, S. 221, 223. Hier w i r d die Ansicht beiläufig geäußert, die Begriffsverwendung, die Ausgestaltung des Abgabentyps hänge von den jeweiligen Folgen der Begriffsverwendung ab. 283 Peter, Enteignungsrechtsprechung des BGH, J Z 1969, S. 552. 284 Ebd., S. 552. 285 Friauf, öffentliche Sonderlasten, S. 51; B V e r f G 4, S. 7. 288 B V e r f G 4, 7 f.

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Die Verwendungsregeln, die einen Begriff und damit eine Klasse konstituieren, werden i n der Regel durch ein Paradigma vermittelt, einem Vorbild, das der weiteren Verwendung als Muster dient 2 8 7 . Indem ein neues Sprachzeichen eingeführt und an ein Paradigma gebunden wird, w i r d ein regulatives Prinzip für eine neue Gruppenzusammenfassung gegeben. Das Paradigma ist das Vorbild, nach dem alle diejenigen Phänomene zu einer Gruppe zusammengefaßt und m i t einem Namen belegt werden, die dem Paradigma ähnlich sind2®8. Hervorzuheben ist, daß die Klassen- und Begriffsbildung eine synthetische Leistung ist 2 6 9 , die auf menschlicher A k t i v i t ä t und Entscheidung beruht und keine analytische Ableitung darstellt 2 7 0 . Die Einsicht, Begriffs- und Klassenbildung hätten synthetischen Entscheidungscharakter darf als Hauptergebnis dieser sprachtheoretischen Erörterungen gelten. Die gegenteilige Ansicht, Begriffe ließen sich aus anderen herleiten und rechtfertigen, sie seien schon vorgegeben, hat sich als unhaltbar erwiesen, wie die K r i t i k an der Wesensphilosophie gezeigt hat. Als Zwischenergebnis kann also festgehalten werden, daß die Frage, wovon Verwendungsregeln abhängen, wenn nicht von den Gegenständen, die bezeichnet werden, m i t der sogenannten Theorie der Gegenstandskonstitution beantwortet wird. Das Verhältnis von Sprache und Gegenständen, das bisher so gedeutet wurde, daß die Gegenstände vor der Sprache existierten, vorsprachlich und sprachunabhängig seien, bedurfte einer neuen Erklärung. Nach der Theorie der Gegenstandskonstitution ist das Verhältnis von Sprache und Gegenstand so zu verstehen, daß Gegenstände nicht vorgegeben sind und Sprache nicht nachträglich namengebend hinzukommt, sondern daß m i t der Sprachzeicheneinführung die Gegenstände erst entstehen. Die Verwendung von Wörtern hängt damit nur von Konventionen ab. Dies gilt auch für die Verwendung juristischer Ausdrücke. Als Zwischenbefund für die Ausgangsfrage ist festzuhalten, daß Begriffe der Verfassung als machbar, dispositiv, nicht aber als unbeeinflußbar vorgegeben anzusehen sind. 8. Die Grenzen des Konventionalismus oder drei Möglichkeiten für Willkür Wenn Sprache und Gegenstände durch Konventionen konstituiert werden, so erhebt sich die Frage, inwieweit diese Übereinkünfte w i l l k ü r lich sind. Diese Frage der Grenzen des Konventionalismus soll nun untersucht werden. Dabei geht es um die Frage, wie Entscheidungen nachvollzogen und kritisiert werden können, welche Kriterien den Ent267 268 2ββ 270

Specht, Spätwerk, S. 138. Ebd., S. 137. von Kutschera, Sprachphilosophie, S. 281. Wittgenstein, G M 125,126.

8. Die Grenzen des Konventionalismus

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scheidungsprozeß bestimmen und i h m den herkömmlich zugesprochenen Charakter der W i l l k ü r nehmen. Es geht darum, die i n der philosophischen Literatur diskutierte Methode der Folgeerwägung vorzustellen, die Entscheidungen, eine neu- und andersartige Rationalität verleiht. Das Stichwort der Folgeerwägung soll schon jetzt, nachdem der Entscheidungscharakter der Bildung und Anwendung von Begriffen sich ergeben hat, darauf hinweisen, daß Entscheidungen nicht w i l l k ü r l i c h sein müssen, ja weniger willkürlich sind als nicht nachvollziehbare A b leitungen m i t bloß behaupteter Rationalität. Zunächst soll die Frage des Konventionalismus bei Wittgenstein dargestellt werden, u m dann an einem juristischen Beispiel seine Differenzierung zu erläutern. Mehrfach betont Wittgenstein, daß Sprache auf Übereinkunft beruhe 2 7 1 . Diese Position ist gekennzeichnet durch vollkommene Bindungslosigkeit des Menschen 272 . Es handelt sich hierbei u m eine Einsicht von großer verfassungsrechtlicher Bedeutung, da immer wieder die Frage aufgeworfen wird, ob dem Gesetzgeber Spielraum und politische Gestaltungsfreiheit zukomme, und wenn ja, wo die Grenzen dieses Spielraumes durch Grundrechte gezogen werden können 2 7 3 . Wenn der Gesetzgeber Fragen der Abgabenhöhe, des Zwecks, der Kreise von Verpflichtungen und Begünstigten und so weiter zu beantworten hat, werden Kriterien notwendig, u m diese Fragen diskutieren und entscheiden zu können. Hierauf soll die besondere Aufmerksamkeit gerichtet werden. Wenn von W i l l k ü r i m Zusammenhang m i t Konventionen die Rede ist, so gibt es unterschiedliche Auffassungen darüber, wo W i l l k ü r i m Spiel sei. Das kann bei der Festsetzung der Regeln über die Verwendung von Ausdrücken oder bei der Anwendung dieser Regeln der Fall sein. Es w i r d von Sprachspielen und von Sätzen innerhalb von Sprachspielen gesprochen. Es ist ein Satz über ein Sprachspiel m i t einem Satz i n einem Sprachspiel zu unterscheiden, und zwar deswegen, w e i l die Aussagen über beide Sätze jeweils andersartig sind. Diese wichtige Unterscheidung w i r d am Sprachspiel der Längenmessung deutlich und läßt sich von da auch auf die juristische Ebene übertragen. Es ist zwischen dem Maßsystem, dem Maßstab, der Meßmethode also, und der Maßgabe zu unterscheiden 274 . Bei der Meßmethode handelt es sich um das sogenannte Sprachspiel, bei der Maßangabe u m einen Satz innerhalb dieses Sprachspiels 275 . Über beide Aussagearten läßt sich nun Unterschiedliches sagen. Ein Sprach271 Ebd., G M 23. Dies hat Interpreten veranlaßt, seine Position als totalen Konventionalismus zu verstehen. Das würde einer vollkommenen Relativier u n g auf den Menschen gleichkommen. 272 Stegmüller, Wittgenstein als Ontologe, S. 149; Specht, Spätwerk, S. 143. 273 Vogel, Finanzverfassung u n d politisches Ermessen, S. 9, 37; Selmer, S. 40. 274

Specht, Spätwerk, S. 145; Wittgenstein, G M 45,155. E i n ähnliches Beispiel bei Wittgenstein, G M 34, Rechnung u n d Rechenvorgang. 275

io Rade

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I I . Die Sprache der Verfassung als Maßstab

spiel entsteht durch Regelfestsetzung und ein Satz innerhalb eines Sprachspiels durch Regelanwendung. Statt des Beispiels von der Meßregel und der Maßangabe soll der Satz als Beispiel dienen „Geldleistungspflichten sind Enteignungen". Aufschlußreich ist die Frage, wo hier der Fehler liegt. Handelt es sich u m eine falsche Regelanwendung oder u m eine falsche Regelsetzung? K a n n man überhaupt von falscher oder richtiger Regelsetzung sprechen? Die vom Bundesverfassungsgericht grundsätzlich vertretene Regel würde lauten, daß Geldleistungspflichten keine Enteignung darstellen. Behauptet also jemand, Geldleistungspflichten, wie etwa der Konjunkturzuschlag, seien eine Enteignung, so würde das als falsch bezeichnet. Es handelt sich u m eine Regelanwendung, wenn behauptet wird, der Satz „Geldleistungspflichten sind Enteignungen" gelte nicht. Z u untersuchen ist nun, auf welche Weise hierbei zu argumentieren ist. Wenn alles nun auf Konventionen beruhen soll, dann stellt sich zunächst die Frage, wovon Konventionen abhängen können, wo Machbarkeit und W i l l k ü r ihre Grenzen finden. Hierbei sollen drei Möglichkeiten angenommen werden, bei denen i n unterschiedlicher Weise W i l l k ü r bei der Regelfestsetzung und der Regelanwendung i m Spiel sein kann. Erstens kann W i l l k ü r sowohl bei der Regelsetzung als auch bei der Regelanwendung ausgeschlossen sein. Dies w i r d hier die klassische Position genannt. Es besteht nach dieser Position keinerlei Spielraum bei der Begriffsverwendung. Die zweite Position läßt W i l l k ü r bei der Regelsetzung zu und schließt sie bei der Regelanwendung aus. Es handelt sich u m den sogenannten Konstruktivismus oder Konventionalismus 2 7 6 . Die dritte Position schließlich ist die Steigerung der zweiten, der totale Konventionalismus Wittgensteins 277 , der sowohl bei der Regelsetzung als auch bei der Regelanwendung W i l l k ü r zuläßt. Diese drei Positionen stammen aus der Philosophie der Mathematik, die von Frege und Wittgenstein stark beeinflußt wurde. Deren Einsichten sollen auf die verfassungsrechtliche Argumentation übertragen werden, ein Vorgehen, das dadurch nahegelegt wird, daß der bis heute einzige methodische Gesamtentwurf, der des Gesetzespositivismus, ebenfalls aus dem Bereich der Mathematik und der Logik seiner Zeit die wichtigsten Argumentationsweisen bezogen hat. Es soll der naheliegenden Vermutung nachgegangen werden, daß das damalige wissenschaftstheoretische Verständnis sich inzwischen geändert hat und vom heutigen Standpunkt Korrekturen notwendig werden, die die juristische Argumentation ebenfalls korrekturbedürftig machen 278 . 278

Terminologie nach Stegmüller, Hauptströmungen, S. 673 f. Specht, Spätwerk, S. 141; Stegmüller, Wittgenstein als Ontologe, S. 149; ders., Hauptströmungen, S. 685. 278 Wittgenstein hat an mathematischen Beispielen allgemeine philosophische Gedanken erläutert. Die Mathematik ist also nicht Untersuchungsgegenstand, 277

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a) Die klassische Position Die als klassisch bezeichnete Position ist identisch m i t der dargestellten Position der Wesensphilosophie, dem Platonismus 2 7 0 . Gekennzeichnet w i r d diese Position durch die Anerkennung der Idee einer objektiven Wahrheit. Danach muß eine Aussage — ob wissenschaftlich oder alltäglieh —, u m sinnvoll genannt zu werden, entweder wahr oder falsch sein 2 8 0 . Diese Voraussetzimg w i r d Wahrheitsdefinitheit genannt. Jede sinnvolle Aussage ist wahrheitsdefinit, das heißt es existiert etwas von der Aussage Unabhängiges (Sprachunabhängiges), aufgrund dessen eindeutig festliegt, ob die Aussage wahr oder falsch ist, ganz gleichgültig, ob w i r dies jemals kennenlernen oder nicht 2 8 1 . Es ist nach dieser klassischen Auffassung immer entscheidbar, ob etwas der Fall ist oder nicht. Der Fortschritt der mathematischen Erkenntnis besteht danach i m Prinzip darin, daß es sich u m wahre Sätze handelt, das heißt u m Sätze, die m i t dem an sich bestehenden Sachverhalt übereinstimmen. Hinter dieser Auffassung steht ein platonistischer Realismus oder auch Hyperrealismus 2 8 2 , der j a die ontologische Grundlage der realistischen Semantik bildet. Diese Position ist schon beim Namenmodell eingehend vorgestellt worden. M i t der bisherigen Diskussion kann diese Position schon als widerlegt gelten. U m die Entwicklung aufzuzeigen, w i r d sie hier kurz vorgeführt. Sie schließt jede W i l l k ü r aus, da Sprache ja nach i h r als A b b i l d von vorgegebenen Gegenständen zu verstehen und keinerlei menschlichen Einfluß, also Konvention oder W i l l k ü r zuläßt. Verdeutlicht w i r d diese Position am Beispiel des Satzes: „Es gibt vollkommene ungerade Zahlen" 2 8 3 , was bis heute weder bejaht noch verneint werden kann. Der Klassiker billigt diesen Zustand allerdings nicht. Entweder gibt es diese A r t Zahlen, oder es gibt sie nicht. Entweder ist dieser Satz wahr oder falsch. Ein Drittes kann es nach der klassischen Auffassung nicht geben. Der Klassiker — und das ist zu betonen — hält am logischen Prinzip vom ausgeschlossenen Dritten fest. Er muß dementsprechend danach suchen, wie etwas sich an sich verhält. Das zwingt zu der typisch platonischen Vorstellung, die Reihe der natürlichen Zahlen existiere als fertige Gesamtheit und für jedes Element dieser Gesamtsondern sie dient ihm als Modellbeispiel. Dementsprechend handelt es sich meist um einfache mathematische, Fälle, die den Eindruck entstehen lassen, Wittgenstein hätte sich nicht auf den Stand der Mathematik seiner Zeit be279 funden. Ausdrücklich betont dies Stegmüller, Stegmüller, Hauptströmungen, S. 680 f. Wittgenstein als Ontologe, S. 140.

280 Ebd., S. 680, 684, 675; ders., Wittgenstein als Ontologe, S. 148. Es geht hierbei nicht u m den Wahrheitsbegriff, sondern u m die Frage, w a n n eine A u s sage sinnvoll ist, u m die Problematik der Beschränkung auf die zweiwertige klassische Logik. 281 Stegmüller, Wittgenstein als Ontologe, S. 148. 282 Stegmüller, Hauptströmungen, S. 675; Essler, Analytische Philosophie, S. 200 f. 283 Ebd., Hauptströmungen, S. 676.

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heit sei daher auch eindeutig festgelegt, ob es die Eigenschaft besitzen soll, vollkommen zu sein oder nicht 2 8 4 . Der Klassiker ist zu einer metaphysischen Annahme gezwungen. Der hier interessierende Satz „Geldleistungspflichten sind Enteignungen" müßte demnach wahr oder falsch sein. Eine dritte Möglichkeit kann es danach nicht geben. Das gilt auch für die Frage, ob Sönderabgaben Steuern seien. Auch diese Sätze lassen sich nicht m i t Ja oder Nein beantworten. Vielmehr kann man von Ähnlichkeiten, von Familienähnlichkeiten, i n bestimmten Eigenschaften sprechen. Die klassische Position w i r d dagegen nach dem Wesen von Steuern, Sönderabgaben, Eigentum und vor allem nach den Wesensmerkmalen fragen. I m platonistischen Himmel müßten abstrakte Gegenstände, die Geldleistungspflichten, existieren, und es müßte an ihnen die Eigenschaft eindeutig abzulesen sein, ob sie Enteignungen sind oder nicht. U m das zu erkennen, w i r d die sogenannte Was-ist-Frage oder Wesensfrage gestellt, was denn Geldleistungspflichten an sich eigentlich seien, was denn ihr Wesen oder ihre Natur sei. Ebenso w i r d nach dem Wesen von zum Beispiel Enteignung und Eigentum gefragt. Es w i r d i n ständiger Rechtsprechung an essentielle Merkmale von Eigentum angeknüpft 2 8 5 . Hinter dieser Redensart vom Wesen steht die hier ausführlich geschilderte sprachtheoretische Position der realistischen Semantik und die entsprechende ontologische Position des Piatonismus. Menschlicher Einfluß und damit auch W i l l k ü r sind danach nicht denkbar, weil alles vorgegeben ist, und zwar vollständig und unbeeinflußbar, und ohne daß etwas neu hinzuerfunden werden kann. Unverkennbar w i r d vom Vertreter des Gesetzespositivismus, Laband, dieser Gedanke ausgedrückt, wenn er schreibt: „So wenig wie eine logische Kategorie könne ein neues Rechtsinstitut geschaffen werden 2 8 6 ." Zusamenfassend läßt sich also über die sogenannte klassische Position sagen, daß sie W i l l k ü r vollkommen ausschließt, weil sie eine vom Menschen unabhängige, objektive, zeitlos geltende Wahrheit annimmt. A u f die juristische Argumentation übertragen, hätte die klassische Position die Konsequenz, daß juristische Aussagen, u m sinnvoll zu sein, nur entweder wahr oder falsch sein können, wobei etwas D r i t tes ausgeschlossen w i r d 2 8 7 . 284

Ebd., S. 677. Siehe zur Frage nach dem Wesen von Eigentum als Beispiel Wolff , V e r waltungsrecht, 7. Aufl., Bd. 1, S. 429. Hier w i r d zwischen essentiellen u n d akzidentellen Merkmalen unterschieden. Es w i r d von Begriffswesentlichem gesprochen. 286 Laband, Staatsrecht I , 5. A u f l . 1911, S. V I . 287 Es handelt sich hier u m die Voraussetzungen der klassischen zweiwertigen Logik, die zwar verbreitet ist u n d als Selbstverständlichkeit empfunden w i r d , deren einzelne Prinzipien, w i e ζ. B. das t e r t i u m non datur, aber zur Diskussion stehen. Dazu Essler, Analytische Philosophie I, S. 140; Lenk, Metalogik u n d Sprachanalyse, S. 88. 285

8. Die Grenzen des Konventionalismus

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b) Die konstruktivistische oder intuitionistische Position Sie entwickelt sich aus der K r i t i k an der klassischen Position und richtet sich gegen die Ansicht der Wahrheitsdefinitheit aller Aussagen. Dieses Prinzip vom ausgeschlossenen Dritten, dem tertium non datur, w i r d von Konstruktivisten nicht als logisch-gültiges Prinzip akzept i e r t 2 8 8 . Abgelehnt w i r d die Wahrheitsdefinitheit wegen ihrer unvermeidlichen ontologischen Folge. Herausgefordert, seine Grundvoraussetzung, nämlich die Wahrheitsdefinitheit zu rechtfertigen, bleibt dem Vertreter der klassischen Logik kein anderer Ausweg, als zu einer platonistischen Ontologie zu greifen 2 8 9 . Wenn nämlich der Klassiker i n Anerkennung des Prinzips vom ausgeschlossenen Dritten behauptet, es könne nur zwei Möglichkeiten geben, eine ungerade Zahl zum Beispiel könne nur entweder vollkommen sein oder nicht, dann heißt das offenbar nur, daß diese Zahlen m i t eindeutigen Eigenschaften existieren. Da sie nicht erkennbar sind, läßt man sie i n einer A r t platonistischem Himmel existieren, wo sie auf ihre Entdeckung warten 2 9 0 . Diese Argumentationsweise läßt sich auch bei juristischen Gegenständen beobachten. Es w i r d gefragt, ob Sönderabgaben Steuern sind oder nicht, ob Geldleistungspflichten Enteignungen sind oder nicht. Nur zwei Möglichkeiten scheinen diese Fragen zuzulassen. Die Frage w i r d meist i n der Was-ist-Form gestellt, als ob die rigorose A n t w o r t gegeben werden könnte, daß eine Abgabe eine Steuer ist oder nicht. Dahinter steckt die stillschweigende Anerkennung des Prinzips vom ausgeschlossenen Dritten. Gerade der Steuerbegriff ist jedoch mehrdeutig. Sönderabgaben haben zum Beispiel große Ähnlichkeit mit Zwecksteuern, die ebenfalls zweckgebunden sind, aber den Steuern zugezählt werden. Der Lastenausgleich trägt Merkmale der Sönderabgaben, w i r d jedoch als Steuer bezeichnet. Neben der Eigenschaft, eine Steuer zu sein oder nicht, läßt sich diese dritte Eigenschaft, die der Steuerähnlichkeit denken. Eine solche Antwort ist allerdings nur möglich, wenn man das Prinzip vom ausgeschlossenen Dritten nicht anerkennt. I n diesem Zusammenhang ist an den Begriff der Familienähnlichkeit zu erinnern. Die Familienähnlichkeit von Begriffen besagt, daß keine eindeutige Bedeutung von Begriffen anzunehmen ist, sondern nur von Ähnlichkeiten gesprochen werden kann. So wie sich Familienmitglieder nur ähnlich sind und doch den gleichen Familiennamen tragen, so können die unterschiedlichsten Gegenstände unter ein und denselben Begriff fallen 2 9 1 . Das Prinzip vom ausgeschlossenen Dritten setzt somit stillschweigend die unabhängige Existenz zum 288 Stegmüller, Hauptströmungen, S. 684. Ebd., S. 677, 681. 290 Ebd., S. 677. 291 von Kutschera, Sprachphilosophie, S. 375; Specht, Wittgenstein u n d das Problem der Aporetik, S. 310. 289

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Beispiel mathematischer oder juristischer Gebilde voraus. Indem es nur zwei Antworten zuläßt, eine bejahende und eine verneinende, setzt es voraus, daß eine eindeutige A n t w o r t gegeben werden kann, und zwar durch Überprüfung an einem objektiv existierenden Gebilde. Nur so läßt sich die Gewißheit erklären, m i t der nach den Merkmalen juristischer Begriffe gefragt wird. M i t Gewißheit lassen sich diese A r t Fragen nicht beantworten, auch wenn dies vielfach angenommen wird. Die Gewißheit, daß man nach dem Merkmal eines juristischen Begriffs fragen könne, kann nur der haben, der sich i m Besitz eines Vergleichsobjektes, eines Maßstabs weiß. Diese Vergleichsobjekte werden als abstrakt verstanden, sie sind nicht greifbar und unkenntlich. Diese platonistischen Gebilde bleiben intersubjektiv unfaßbar 2 9 2 . Wer m i t „dem seltsamen A r gument" des tertium non datur argumentiere, den vergleicht Wittgenstein mit einem Gott m i t göttlichem Überblick, der behauptet, etwas zu sehen, was andere nicht sehen 293 . Es wurde schon mehrfach das Argument gegen den Piatonismus gebraucht, daß man den Gebilden, die man nicht intersubjektiv erfassen kann, kurzum die Eigenschaft des Abstrakten, des Geistigen gibt. A l l e anderen Merkmale erhalten sie ebenfalls dadurch, daß man sie ihnen zuspricht, was das Gegenteil davon ist, daß man diese als vorgegeben annimmt 2 9 4 . Die sogenannten Konstruktivisten lehnen die Wahrheitsdefinit deswegen ab, w e i l sie dazu zwingt, die reale Existenz platonistischer idealer Gebilde anzunehmen, die als vollkommene Vergleichsobjekte und als Maßstäbe darüber entscheiden, ob eine Aussage über sie wahr oder falsch ist. Da diese idealen abstrakten Gebilde nicht vorgegeben sind, läßt sich die Frage, ob eine Aussage wahr oder falsch ist, nicht beantworten. Inzwischen kann hier an die Theorie der Gegenstandskonstitution erinnert werden, wonach diese vorgegebenen Gebilde durch Sprache erst konstituiert werden, nicht vorgegeben sind und nur solche Merkmale haben, die ihnen von ihren menschlichen Konstrukteuren zugesprochen werdein 295 . Bei vorausgesetztem Prinzip vom ausgeschlossenen Dritten enden Zweifelsfragen meist i n einer Situation, i n der sich gegensätzliche Aussagen unversöhnlich gegenüberstehen, ohne daß die Diskussion irgendwie entschieden werden könnte. Das liegt daran, daß abstrakte Gebilde als vorgegebene Muster angenommen werden, nach denen aber deshalb vergeblich gesucht wird, w e i l sie vom Suchenden selbst entworfen wer292 Diese Unsicherheit w a r ein H a u p t m o t i v f ü r Wittgenstein, den intersubj e k t i v zu beobachtenden Sprachgebrauch als Gegenstand der Betrachtung zu empfehlen, Wittgenstein, P U 36. 298 Stegmüller, Wittgenstein als Ontologe, S. 147; Wittgenstein, P U 235, 146; G M 139,142. 294 Wittgenstein, P U 36: „ W o unsere Sprache uns einen Körper vermuten läßt u n d k e i n Körper ist, dort möchten w i r sagen, sei ein Geist." 295 Wittgenstein, G M 12, Nr. 32: „Was von n u n an zum Wesen zu rechnen ist, bestimmt der Mensch."

8. Die Grenzen d s Konventionalismus

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den müssen. Diese Einsicht hat die Theorie von der Gegenstandskonstitution vermittelt. Auseinandersetzungen dieser A r t erreichen meist einen toten Punkt und führen i n eine ausweglose Siuation 2 0 6 . Das A u f geben der Wahrheitsdefinitheit bedeutet, daß der Konstruktivist keinen Gebrauch von der Annahme macht, daß seine Aussage nur dann sinnv o l l ist, wenn sie entweder wahr oder falsch ist 2 9 7 . Nach der konstruktivistischen Ansicht dagegen ist eine Aussage dann sinnvoll, w e n n bekannt ist, wie eine Begründung oder ein Beweis dieser Aussage geführt würde 2 9 8 . Aussagen sind nicht mehr deshalb sinnvoll, w e i l sie wahr oder falsch sind, sondern weil sie bewiesen oder begründet werden können. A u f eine zeitlos geltende Objektivität der Wahrheit w i r d verzichtet, und an ihre Stelle t r i t t die Objekivität der Begründung. Beweis und Begründung stellen eine aus Regeln bestehende Gewinnstrategie dar 2 9 9 . Diese Regeln legen fest, wann ein Beweis als erbracht anzusehen ist. I n jeder Situation, i n der eine Begründung oder ein Beweis für eine Aussage gefordert wird, steht ein entsprechender Beweisbegriff zur Verfügung, der die Entscheidung zuläßt, ob es sich u m einen gültigen Beweis handelt oder nicht. Als Beispiel für einen solchen Beweis w i r d ein Frage- und Antwortspiel angeführt, für das als Beweisverfahren festgelegt ist, die Antworten i n einem bestimmten Lexikon zu überprüfen. Enthält das Lexikon zum Beispiel selbst Fehler, so ist der Beweis trotzdem als erbracht anzusehen. Die auf Paul Lorenzen zurückgehende Methode des Konstruktivismus ist m i t der klassischen zu vergleichen. Die klassische Methode legte die Bedeutung der logischen Ausdrücke „und", „oder", „nicht" jeweils durch semantische Regeln fest (Wahrheitstabellen, die beschreiben, wie der Wahrheitswert der m i t Hilfe dieser logischen Ausdrücke gebildeten komplexen Aussagen vom Wahrheitswert der dabei verwendeten Teilaussagen abhängt). Demgegenüber legen die Konstruktivisten die Bedeutung logischer Ausdrücke durch Regeln fest, die angeben, wie man eine m i t Hilfe dieser Formwörter gebildete Aussage rechtfertigen kann, wenn man dazu aufgefordert w i r d 3 0 0 . Es handelt sich u m eine spiel theoretische Semantik. Die die Bedeutung der logischen Ausdrücke festlegenden Regeln geben an, wie die mittels der logischen Ausdrücke zusammengesetzten Aussagen zulässig sind, angegriffen und verteidigt werden müssen. Diese. Methode schließt die Möglichkeit nicht aus, daß nach den Beweisregeln eine Aussage als unbegründet und unbewiesen anzusehen ist, obwohl sie wahr ist, ohne daß aber der festgelegte Beweis geliefert werden konnte. Der Vorteil dieser konstruktivistischen beweisdefiniten Methode gegenüber der klas298 297 298 299 300

Popper, Die offene Gesellschaft, Bd. 2, S. 365. Stegmüller, Hauptströmungen, S. 681. Stegmüller, Wittgenstein als Ontologe, S. 148. Stegmüller, Hauptströmungen, S. 683. Ebd., S. 682.

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sischen wahrheitsdefiniten Methode w i r d darin gesehen, daß es keinen Streit darüber geben könne, ob eine Aussage bewiesen ist oder nicht. Die Beweisregeln geben dafür Entscheidungskriterien an. Dagegen bleibt nach der klassischen Logik die Diskussion meist offen, weil sie kein allgemeines Entscheidungsverfahren dafür hat, ob eine Aussage wahr oder falsch ist. Es fehlt an dem abstrakten Vergleichsobjekt, das fiktiv angenommen w i r d 3 0 1 . Die Situation des unschlichtbaren Streites über wahr und falsch w i r d vermieden. Dieser Streit war das hauptsächliche Motiv der Konstruktivisten zur Ablehnung der klassischen L o g i k 3 0 2 . Für die Konstruktivisten sind Aussagen nicht gültig, wenn sie wahr oder falsch sind, sondern wenn sie bewiesen sind. Wann sie bewiesen sind, lasse sich nach deren Ansicht durch Beweisregeln festsetzen. Ausgangspunkt der Überlegungen war die Frage, worauf sich Konvention und W i l l k ü r beziehen. Es war die Unterscheidung zwischen dem Sprachspiel und dem Satz i m Sprachspiel gemacht worden, zwischen der Regelsetzung und der Regelanwendung. Bei der klassischen Position bestand keinerlei Spielraum für Einfluß durch menschliche Konvention oder W i l l k ü r . Der implizierte Piatonismus bedeutet, daß alle Gegenstände vorgegeben sind und von der Sprache benannt und abgebildet werden. Die Verwendungsregeln liegen von vornherein fest, da diese von den Gegenständen abzulesen sind, entweder richtig oder falsch, korrekt oder unkorrekt sind. Danach würden juristische Begriffe entweder korrekt oder nicht korrekt verwendet, eine dritte Möglichkeit bestünde nicht. Sie hätten nur eine eindeutige Bedeutung, ohne daß diese allerdings festzustellen wäre. Der konstruktivistische Standpunkt läßt nun Konventionen bei der Festsetzung der Beweisregeln zu. Die Objektivität der Begründung oder des Beweises w i r d beeinflußt durch die Konvention, die bei der Festsetzung der Beweisregeln i m Spiel ist. Dagegen w i r d eine Bindung an die vereinbarten Regeln insofern angenommen und damit Konvention und W i l l k ü r ausgeschlossen, als die Konsequenzen der durch konventionelle Beschlüsse festgesetzten Regeln akzeptiert werden müssen 303 . A u f eine kurze Formel gebracht, ließe sich also die konstruktivistische Position dadurch charakterisieren, daß Konventionen bei der Regelsetzung, nicht aber bei der Regelanwendung i m Spiel sind. Die Aufforderung Friaufs, Sonderabgaben seien zu begründen, muß also zunächst damit beantwortet werden, daß Beweis- und Begründungsregeln, die sogenannte Gewinnstrategie, offengelegt werden. Als Regel zur Gewinnung von Rechtssätzen wurde die Regel vom Recht aus den Begriffen offengelegt. Welche Schwächen diese beweisdefinite Position 301 Ebd., S. 682, 685; Rottleuthner, S. 25, spricht von präexistenten Wesenheiten. 302 Stegmüller, Hauptströmungen, S. 684; Essler, Analytische Philosophie, S. 182. 303 Stegmüller, Hauptströmungen, S. 686.

8. Die Grenzen des Konventionalismus

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allerdings trotz ihrer auf den ersten Blick unleugbaren Plausibilität hat, soll i m folgenden gezeigt werden. Die Schwäche liegt i n der Unbestimmtheit der Beweisregeln 304 . Das hier unter der Position des Konstruktivismus geschilderte Konzept erinnert an die Methode der Kodifikation, wonach Regeln konventionell aufgestellt werden und dann einen Zwang zur Befolgung erzeugen. Die Bindung an selbstgesetzte Regeln ist eine vertraute Vorstellung. c) Der totale Konventionalismus Wittgensteins Die eben vorgestellte Position ist gekennzeichnet durch die Anerkennung der Objektivität des Beweises. Diese Idee gibt Wittgenstein preis 3 0 5 . Er vertritt eine dritte Position zur Beantwortung der Frage, worauf sich Konventionen und W i l l k ü r beziehen. Vor allem am Beispiel des mathematischen Beweises macht Wittgenstein seine Haltung i n dieser Frage deutlich 3 0 0 . Wittgensteins Ansicht w i r d gegenüber dem i n der zweiten Position behandelten Konventionalismus als Steigerung, als totaler Konventionalismus bezeichnet. Nicht nur die Festsetzung der Begründungs- und Beweisregeln beruht danach auf Konvention, sondern auch deren Anwendung. Sowohl bei der Regelfestsetzung als auch bei der Regelanwendung sind Konvention und W i l l k ü r möglich. Es gilt als selbstverständlich, daß — wenn einmal die Bedeutung logischer Ausdrücke kraft Konvention festgesetzt und bestimmte Regeln damit akzeptiert seien — diese Regeln auch befolgt würden. Man ist geneigt zu meinen, daß sich jeder an die von i h m selbst gesetzten Regeln binden lasse. Die Konsequenzen eigener Beschlüsse müßten akzeptiert werden, weil man sich ja sonst zu sich selbst i n Widerspruch setzen würde. Dieser Glaube an logische Notwendigkeiten i n Gestalt zwingender Folgerungen aus bestimmten Festsetzungen ist nach Wittgenstein abzulehnen 507 . Von der Logik auf den juristischen Bereich übertragen, hätte dieser angedeutete totale Konventionalismus die Konsequenz, daß sich niemand an selbstgewählte Gesetze und Regeln binden ließe. Es bestünde keine Notwendigkeit der Regelanwendung trotz konventioneller, übereinstimmender Regelfestsetzung. Gesetzesbindung wäre demnach unmöglich. Dem entspricht die oft geäußerte Ansicht, die Möglichkeit der Herrschaftsfreiheit durch selbstgewählte gesetzliche Belastung sei Utopie. Die unausrottbare Utopie der Herrschaftslosigkeit bedeute, daß i m richtigen U r t e i l (gerichtliches Urteil) letztlich jeder über sich selbst entscheide. I n diesem Urteil werde das Machtgefälle zwischen dem, der i n concreto 304

Hart, S. 205, die sekundären Regeln i. S. Harts sind ebenfalls unbestimmt. Stegmüller, Wittgenstein als Ontologe, S. 148; ders., Hauptströmungen, S. 685; Specht, Spätwerk, S. 141. eoe Wittgenstein, G M 65 f.; Stegmüller, Hauptströmungen, S. 690. 305

307

Stegmüller,

Hauptströmungen, S. 686.

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entscheide, und dem, über den entschieden werde, praktisch aufgehoben. Die Utopie der Herrschaftslosigkeit sei eine eminent politische Utopie. Sie rechtfertige den, der faktisch entscheiden könne, weil sie seinen Entscheidungen eine unanfechtbare Verbindlichkeit verleihe. Da dié Entscheidung dem eigenen, wirklichen Willen des Betroffenen entspreche, müsse der Betroffene sie als richtig einsehen, wenn er sich nicht m i t sich selbst i n Widerspruch setzen wolle. I n der Regel diene die Utopie der Herrschaftslosigkeit, dann auch den Herrschaftsansprüchen derer, die sich darauf berufen 3 0 8 . Wenn man einmal irgendwelche Axiome oder Ableitungsregeln oder sonstige Prinzipien akzeptiert habe, dann hätte man keine Wahl mehr, den Übergang zu immer neuen Theorien gemäß diesen Regeln anzuerkennen oder zu verwerfen; vielmehr sei i n jedem Schritt der Übergang entweder korrekt, das heißt i m Einklang m i t diesen Regeln, erfolgt oder nicht 3 0 9 . Dieser so selbstverständlich erscheinende Glaube kommt i n der alltäglichen Redeweise durch das Sprichwort zum Ausdruck: „Wer A sagt, muß auch Β sagen" oder i n Goethes Mephisto-Wort: „Das Erste steht uns frei, beim Zweiten sind w i r Knechte" 3 1 0 . Diesen Glauben an jeglichen logischen Zwang lehnt Wittgenstein ab. Nach i h m gibt es keine uns auferlegte objektive Notwendigkeit. W i r d eine Aussage als eine logisch wahre oder logisch notwendige Folgebeziehung betrachtet, so ist dies unmittelbarer Ausdruck eines ad hoc gefaßten Beschlusses und nicht etwa eine logische Konsequenz anderer Beschlüsse 311 . Beschlossen ist dabei, diesen Satz und diese Beziehung als unangreifbar zu betrachten und nichts i h r Widersprechendes gelten zu lassen 312 . Die Besonderheit des Wittgensteinschen Konventionalismus besteht darin, daß jedes notwendige Urteil als direkter, also nicht durch Schluß vermittelter Ausdruck einer linguistischen Konvention aufgefaßt w i r d 3 1 3 . Das Hauptargument Wittgensteins für die Ablehnung jeglicher objektiver Notwendigkeit aus Regelfestsetzungen besteht darin, daß der Gedanke absolut präziser Regeln eine F i k t i o n darstelle. Auch wenn Axiome und Regeln absolut präzise formuliert wären, zum Beispiel i n einem vollständig formalisierten System der mathematischen Logik, würde Wittgenstein die Annahme ablehnen, man hätte doch sicherlich dann keine freie Wahl, einen ,Beweisschritt' anzunehmen. Der Gedanke absolut präziser Regeln stellt deshalb eine Fiktion dar* w e i l der Gebrauch dieser Regeln vor ihrer Verwendung alltagssprach308 Roellecke, S. 329. F ü r den Bereich des Abgabenrechts siehe Selmer, S. 43; Kirchhof, Besteuerungsgewalt u n d Grundgesetz, S. 43; zur Entscheidung über selbstgewählte Abgabelasten.

809 310

311

312 313

Stegmüller, Hauptströmungen, S. 688. Lenk, Metalogik u n d Sprachanalyse, S. 109. Dies v e r t r i t t der Konstruktivismus.

Stegmüller, Hauptströmungen, S. 686. Specht, Spätwerk, S. 141.

8. Die Grenzen des Konventionalismus

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lieh erläutert werden muß. Die dabei verwendeten Ausdrücke kann man zwar wieder und wieder erläutern, aber irgendwo müssen diese Erläuterungen ein Ende haben, und dort, wo man stehen bleibt, ist die Gefahr, eine Vielzahl von Deutungsmöglichkeiten i n Kauf zu nehmen. Diesen Gedanken, daß die Regeln für den Gebrauch von Wörtern der Alltagssprache oder einer künstlichen Sprache niemals so zu formulieren sind, daß kein Spielraum i n der Interpretation übrig bleibt, hat W i t t genstein vielfach illustriert 8 1 4 . Hart drückt diesen Gedanken der Unmöglichkeit letzter präziser Regeln für den juristischen Problemkreis dadurch aus, daß er meint, am Ende einer Regelhierarchie müsse eine Regel stehen, die ihre eigene Anwendung regelt 3 1 5 . Auch noch so präzise Regeln vermögen demnach den einzelnen nicht gegen seinen Willen zu binden* Hier interessiert i m Rahmen der Gesetzesbindung die Möglichkeit, wie der Gesetzgeber an Normen der Verfassung gebunden werden kann. Wittgensteins Position läßt eine solche Bindung nicht zu. Die Forderung nach einer absoluten verfassungsmäßigen Bindung ist nach dieser sprachtheoretischen Position nicht erfüllbar. Bisher wurde — wie schon erwähnt — unter dem Stichwort Politik als VerfassungsVollzug die Wünschbarkeit einer Bindung an die Verfassung diskutiert. Jetzt läßt sich sagen, daß eine Bindung, auch wenn sie geleistet werden sollte, nicht geleistet werden kann. Zum Beispiel betont für den Gleichheitssatz i m Steuerrecht Tipke den Gedanken der Bindung an selbstgesetzte Regeln. Der Gesetzgeber sei zwar frei i m Bestimmen von primären Prinzipien, er sei jedoch nicht frei bei der Durchführung eines Prinzips. Es müsse folgerichtig verfahren werden 3 1 6 . Zunächst müßte einmal formuliert werden, daß der Gesetzgeber nicht frei sein soll bei der Durchführung eines Prinzips, ob er gebunden werden kann, wenn audi an seine eigenen Regeln, ist bisher noch offen und von Wittgensteins Position her anzuzweifeln. A u f dieses Beispiel soll an späterer Stelle noch einmal eingegangen werden, wenn Klarheit gewonnen sein wird, was unter Prinzipien und Regelmäßigkeiten zu verstehen ist. Vor einer umfassenden Würdigung dieser sprachtheoretischen Position für den verfassungsrechtlichen Bereich soll diese Position gerade wegen ihrer großen Tragweite noch näher an Originalbeispielen Wittgensteins erläutert werden. Festzuhalten ist, daß die Festsetzung einer Regel nicht zur Regelanwendung zwingt. Ausdrücklich für den juristischen Bereich hat Hart i n jüngster Zeit dies festgestellt, worauf später noch einzugehen sein w i r d 3 1 7 . Hier w i r d der Einfluß Wittgensteins auf Hart deutlich. Hervorgehoben werden muß, daß eine Bindung an Gesetzes314 315 816 317

Stegmüller, Hauptströmungen, S. 690. Hart, S. 176; Wittgenstein, P U 84; Rottleuthner, Tipke, Steuerrecht, S. 34. Hart, S. 176, 205.

S. 25.

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I I . Die Sprache der Verfassung als Maßstab

texte nicht gegen den Willen des zu Bindenden möglich ist, was an den folgenden Beispielen Wittgensteins erläutert werden soll. Die bisher nach Wittgenstein-Interpreten dargestellte Position des totalen Konventionalismus soll durch einige aufschlußreiche Zitate aus den Bemerkungen über die Grundlagen der Mathematik belegt werden. Damit soll auch verdeutlicht werden, m i t welcher für Wittgenstein typischen Methode dieses Ergebnis gewonnen wurde. Er beobachtet nämlich die Verwendungsweisen und Situationen, i n denen die Ausdrücke vorkommen, u m deren Verständnis er sich bemüht. „Wenn ich sage: ,Dieser Satz folgt aus jenem', so ist das die Anerkennung einer Regel, sie geschieht aufgrund des Beweises. Das heißt, ich lasse mir diese Kette als Beweis gefallen — aber könnte ich denn anders? Muß ich sie m i r nicht gefallen lassen?" — „Warum sagst Du, Du müßtest? Doch darum, w e i l D u am Schlüsse des Beweises etwa sagst: ,Ja — ich muß diesen Schluß anerkennen.' Aber das ist doch nur der Ausdruck deiner unbedingten Anerkennung . . 3 1 8 . " „Wer über das Wesen spricht, konstatiert bloß eine Übereinkunft 3 1 9 ." „ . . . ,wie kommt es dann, daß sich alle Menschen (oder doch alle normalen Menschen) diese Figuren als Beweise dieser Sätze gefallen lassen?4 — ,Ja, hier besteht eine große — und interessante — Übereinstimmung' 3 2 0 ." Besonders aufschlußreich für die These von der Fiktion absolut präziser Regeln ist ein Sprachspiel, i n dem deutlich wird, daß Regeln wieder und wieder alltagssprachlich erklärt werden müssen. „ ,Aber b i n ich also i n einer Schlußkette nicht gezwungen, zu gehen, wie ich gehe?' — »Gezwungen? Ich kann doch wohl gehen, wie ich w i l l ! ' — ,Aber wenn du i m Einklang mit den Regeln bleiben willst, mußt du so gehen.' — »Durchaus nicht, ich nenne das »Einklang'.' — ,Dann hast du den Sinn des Wortes ,Einklang' verändert, oder den Sinn der Regel.' ,Nein, wer sagt, was hier »verändern' und was ,gleichbleiben' heißt? Wieviele Regeln du m i r angibts — ich gebe dir eine Regel, die meine Verwendung deiner Regel rechtfertigt' 3 2 1 ." „Ist es nicht so: Solange man denkt, es kann nicht anders sein, zieht man logische Schlüsse." — Das heißt wohl: Solange das und das gar nicht i n Frage gezogen w i r d 3 2 2 . " Letzten Endes macht die Annahme der W i l l k ü r auch bei der Regelanwendung die Bemühung des Gesetzespositivismus zunichte, dessen Hauptziel darin bestand, jegliche menschliche Einflußmöglichkeit, jegliche W i l l k ü r auszuschließen 323 . Was aber unterblieb und hier geleistet werden soll, ist die Untersuchung, ob eine Bindung an einen Normtext überhaupt dazu geeignet ist, W i l l k ü r und menschlichen Einfluß 318 819 320 321 322 323

Wittgenstein, G M 13, Nr. 33. Ebd., G M 23, Nr. 74. Ebd., G M 13, Nr. 35. Ebd., G M 33, Nr. 113. Ebd., G M 45, Nr. 155. Tsatsos, S. 9.

8. Die Grenzen des Konventionalismus

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auszuschließen. Jeder Beweis ist gleichsam ein Bekenntnis zu einer bestimmten Zeichenverwendung. Der Beweis ist ein neues Paradigma 2 3 4 ." Zusammenfassend läßt sich sagen, wenn eine Aussage als logisch zwingend und notwendig bezeichnet wird, so ist das Ausdruck eines Bechlusses, diese Aussage als unangreifbare Wahrheit verstehen zu wollen. Dieses Ergebnis ist durch die Beobachtung der Verwendung von Wörtern wie „logisch", „schließen", „Beweis", „folgern" und so weiter zu gewinnen. Die Beobachtung führt dazu, daß eine logische Folgerung als Niederschlag eines ad hoc gefaßten Beschlusses anzusehen ist. Logisch wahr w i r d das genannt, von dem man beschließt, nichts als i h m widersprechend gelten zu lassen. Bei jedem einzelnen Beweisschritt muß man sich zu einem neuen Entschluß durchringen. Zu dieser Position des totalen Konventionalismus w i r d allgemein gesagt, obwohl die Neigung bestehe, sie als absurd abzutun, sei bisher nichts Vernünftiges oder Überzeugendes gegen eine solche Auffassung vorgetragen worden 3 2 5 . Danach ist also die Ableitung von Gesetzen aus Verfassungsbegriffen nur Ausdruck unbedingter Anerkennung des Abgeleiteten. Indem eine quasi logische Schlußkette von Begriffen formuliert wird, entsteht der Eindruck, eines ergebe sich zwangsläufig aus dem anderen und letzten Endes komme man schon wegen der Verfassung nicht u m ein bestimmtes Gesetz herum. Die Plausibilität von Wittgensteins Konventionalismus soll durch folgende Überlegungen verdeutlicht werden. Wenn zwischen der Festsetzung einer Regel und deren Anwendung unterschieden w i r d und die Festsetzung durch eine Konvention zustande kommt, so w i r d m i t jeder Anwendung der konventionellen Regel diese erstmalige Originalkonvention erneuert und i n ihrer Gültigkeit damit aufrechterhalten. Jede Regelanwendung enthält die Bestätigung der Konvention bei der Regelfestsetzung. Abgelehnt w i r d nur die Ansicht, einmal konventionelle festgelegte Regeln als unangreifbare, unerschütterliche Wahrheiten zu verstehen, die sich nach ihrer konventionellen Schöpfung verselbständigt und jedem Einfluß ihrer Konstrukteure entzogen haben. E i n Zwang zur Regelanwendung besteht nicht 3 2 6 . Von mathematischen Beweisen w i r d mit Recht gesagt, daß bei jedem einzelnen Beweisschritt eine neue Entscheidung getroffen werden müsse, ob man die fragliche Anwendung der betreffenden Regel als eine korrekte anerkennen w i l l oder nicht. I n dem, was uns vorgegeben sei, sei nichts, was uns zwingen würde, die Beweisschritte und den ganzen Beweis zu akzeptieren 327 . 324

Wittgenstein, G M 82, Nr. 41. Stegmüller, Wittgenstein als Ontologe, S. 149, ähnlich kompromißlos über Ableitungsbeziehungen schon Menger, Moral, W i l l e u n d Weltgestalt, Grundlage zur L o g i k der Sitten, 1934, S. 22. 326 Hart, S. 203. 327 Stegmüller, Hauptströmungen, S. 689. 325

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I I . Die Sprache der Verfassung als Maßstab

Hart sagt, daß Regeln solange existieren, solange nicht genügend viele lange genug diese Regeln brechen und ablehnen 328 . Heller spricht treffend von einer tagtäglich zu erneuernden Entscheidung — plébiscite de tous les jours — die die Verfassung rechtfertigt 3 2 9 . Eine verfassunggebende Instanz habe weder Macht noch Autorität, auch keine Existenz, wenn sie m i t der für die Machtstruktur ausschlaggebenden Schicht nicht durch gemeinsame Rechtsgrundsätze verbunden sei 3 3 0 . M i t einer neuen Entscheidung ist nicht eine von der Entscheidung über die Regelfestsetzung verschiedene zu verstehen, sondern die wiederholte Entscheidung über die Regelfestsetzung. Der als total bezeichnete Konventionalismus drückt die plausible Einsicht aus, daß Konventionen nur solange die Beteiligten zu binden vermögen, solange deren ursprünglicher Wille zur Konvention besteht. A u f den Vorwurf, jemand befinde sich nicht i m Einklang m i t den Regeln, könnte der Angegriffene erwidern, er verstehe etwas anderes unter Einklang. Wollte einer entgegnen, der Sinn des Wortes Einklang sei verändert worden, während sein Verständnis dasselbe geblieben sei, könnte der andere behauptend er teile nicht sein Verständnis von gleich oder verändert. I n diesem Sinne illustriert W i t t genstein die Fiktion präziser Regeln, wenn er schließlich meint: „Wieviel Regeln du m i r immer angibts, ich gebe dir eine Regel, die meine Verwendung deiner Regel rechtfertigt 3 3 1 ." Neben den gesetzlichen Regeln sind prozessuale Regeln notwendig, die den Streit u m gesetzliche Regeln regeln. Selbstverständlich kann man sich auch über prozessuale Regeln streiten und über deren Auslegungsregeln wiederum, die ebenfalls Auslegung durch methodische Regeln verlangen. A l l e diese Beobachtungen zur Regelhierarchie stützen Wittgensteins Ansicht des sogenannten totalen Konventionalismus 3 3 2 . Der Unterschied zwischen Festsetzung und Anwendung von Regeln w i r d insofern aufgehoben, als dieselben Erwägungen i i i beiden Fällen notwendig werden. Es handelt sich jeweils u m einen Vorgang von gleicher konventionalistischer A r t . I n beiden Fällen w i r d eine Entscheidung getroffen. Als Ergebnis auf die gestellte Frage, i n welchen Fällen Konventionen i m Spiel sind, läßt sich festhalten, daß sowohl Regelfestsetzung als auch Regelanwendung von Konventionen abhängen. Offen ist nun noch die Frage, wonach sich diese Konventionen richten, wovon sie abhängig sind. Es geht nun darum, Methoden zu finden, Entscheidungen nachvollziehbar und kritisierbar zu machen 333 . Die sprachtheoretische Betrachtung hat ergeben, daß dieses Ziel nicht da328

Hart, S. 203. Heller, Staatslehre, S. 216. 330 Ebd., S. 279; Sattler, i n : Staat u n d Recht, 1972, S. 158. 331 Wittgenstein, G M 33, N r . 113. 332 Patzig, E t h i k ohne Metaphysik, 1971, S. 11. 333 Der Ausschluß v o n W i l l k ü r w a r eines der Hauptziele des Gesetzespositivismus. Tsatsos, S. 9. 329

9. Die axiomatische Methode i n der Hechtswissenschaft

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durch zu erreichen ist, daß man die Beteiligten, also Gesetzgeber, Richter oder Vertragspartner an einen Wortlaut bindet. 9. Die axiomatische Methode in der Rechtswissenschaft Zusammenfassend und i m Hinblick auf Wittgensteins Position ist eine Methode zu nennen, die ebenfalls i n der vergangenen Zeit einen Verständniswandel erfahren hat. Es handelt sich dabei um die axiomatische Methode, die i n einer systematischen Wissenschaft die Aufgabe erfüllt, Begriffe und Aussagen zu ordnen. Die Ordnung der Begriffe besteht darin, daß man einige Begriffe als undefinierbare Grundbegriffe auswählt und die übrigen durch Definitionsketten auf sie zurückführt. I n gleicher Weise werden Aussagen derart geordnet, daß man bestimmte Grundsätze oder Axiome an den Anfang stellt und alle übrigen Aussagen aus diesen durch rein logische Ableitung zu gewinnen sucht 3 3 4 . Ursprünglich glaubte man, jede Wissenschaft axiomatisch aufbauen zu können. Das galt auch für die Rechtswissenschaft, deren wissenschaftlichen Charakter besonders der Gesetzespositivismus dadurch sichern zu müssen glaubte, daß er die Rechtsordnung als axiomatisches System darstellte 3 3 5 . Seit Aristoteles und Euklid g i l t unbestritten die sogenannte axiomatische Methode als die einzige wissenschaftliche Methode. Sie besagt, i n zwei Thesen kurz formuliert, daß erstens unser Wissen auf bestimmten Undefinierten Begriffen aufbaut und alle weiteren Begriffe m i t ihrer Hilfe zu definieren sind. Zweitens gelten für die Grundlagenbegriffe unbewiesene Grundsätze, die Axiome, und alle weiteren Sätze sind m i t ihrer Hilfe zu beweisen 336 . Axiome sind erste Sätze, die ihrerseits nicht durch Sätze begründet werden und am Anfang eines Systems von Sätzen stehen, die i n einem Begründungszusammenhang zu denken sind. Sie sind das Ergebnis einer intensiven Erkenntnis, zu der Menschen fähig sein sollen, ein Vernunftglaube, der wie ein Wunschtraum k l i n g t 3 3 7 . Über 2000 Jahre hindurch verstand man seitdem unter Axiomen einleuchtende Prinzipien, evidente Urteile. Die aus ihnen durch logische Deduktion gewonnenen Lehrsätze waren danach von einer mittelbaren Evidenz. Als erster axiomatischer Aufbau einer Wissenschaft ist die Axiomatisierung der Geometrie durch Euklid bekannt 3 3 8 . Die Wissenschaft des 17. Jahrhunderts war weithin darauf ausgerichtet, neben die tradierte Geometrie neue axiomatische Theorien zu setzen, zunächst die Mechanik, oder wie bei Spinoza und Hobbes, auch Ethik und Politik. Gegen Ende 384

Stegmüller, Hauptströmungen, S. 376. Wilhelm, S. 83, m i t Hinweis auf Puchtas Vorstellung von der Genealogie der Begriffe. 338 Lorenzen, S. 24. 337 Ebd., S. 16. 338 Stegmüller, Hauptströmungen, S. 376. 335

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I I . Die Sprache der Verfassung als Maßstab

des 19. Jahrhunderts trat die axiomatische Methode m i t einem solchen Anspruch auf Ausschließlichkeit auf, daß allgemein alle Geisteswissenschaften, die nicht nach dieser Methode vorgingen, als unwissenschaftlich abgetan wurden 3 3 9 . Die entscheidende Frage, wie Axiome überhaupt möglich seien, beantwortete man damit, sie seien unmittelbar einleuchtend und man berief sich dazu auf intuitionistische Gaben des Menschen, sie zu erkennen. A u f diese offene Frage geben die Konstitutionstheorien eine neue A n t w o r t und leiten somit eine Wende i n dem traditionellen axiomatischen Verständnis ein. Entsprechend der monopolartigen Stellung der axiomatischen Methode glaubte man, auch der Rechtswissenschaft dadurch den Charakter einer Wissenschaft geben zu können, daß man die Rechtsordnung als axiomatisches System aufbaute. I n der Rechtswissenschaft steht die Regel vom Recht aus Begriffen i n der Tradition axiomatischer Wissenschaften. Es werden Definitionsketten gebildet, Begriffe aus anderen hergeleitet. U m verfassungsmäßig zu sein, muß ein Satz oder ein Begriff aus verfassungsrechtlichen Begriffen ableitbar sein, es w i r d nach Grundlagen gesucht. Die Forderung nach einem Verfassungsvorbehalt ist also i n die Tradition der axiomatischen Methode zu stellen. Ob diese Methode oder das auf Legitimation bedachte Demokratiemodell m i t dem Ziel der Herrschaftslosigkeit für die Forderung nach einem Verfassungsvorbehalt verantwortlich zu machen ist, kann nicht gesagt werden. Denkbar ist, daß die Forderung nach einer Ermächtigung nur deshalb gestellt werden wird, weil sie für methodisch erfüllbar und durchführbar gehalten wurde. Denkbar ist, daß die Methode die Theorie bestimmt hat 3 4 0 . Der Ursprung des Systemgedankens i n der Rechtswissenschaft w i r d i n der griechischen Philosophie gesehen 341 . Ganz i m Gegensatz zur Anschauung der Moderne, erschien den griechischen Denkern das Allgemeine, der Begriff, nicht die einzelne konkrete Erscheinung, als das wahrhaft Reale. So suchten sie die Einzelerscheinungen unter allgemeinen Begriffen zu ordnen und aus ihnen abzuleiten. Als Hilfsmittel wurde die Kunst der Definition entwickelt: Was unter einen Begriff gehört, w i r d auch gemeinsam beschrieben. Dabei handelt es sich nicht u m ein deduktives System, sondern u m eine Ordnung nach inneren Sachzusammenhängen 342 . Die römischen Juristen der Zeit Ciceros definierten die Grundbegriffe, wie ζ. B. den des „dolus" und der „actio", und rezipierten damit die systematische Methode der Griechen. I n einem Lehrbuch, den Institutionen des Gaius, werden Rechtsbegriffe klassifiziert, ohne daß die Rechtswissenschaft aber deduktiv-axiomatisch aufgebaut würde. Diese Rechtsbegriffsbildung durch Definitionen diente da839

Lorenzen, S. 24. Barsch, Der Gerber-Labandsche Positivismus, S. 52. 341 Coing , Geschichte u n d Bedeutung des Systemgedankens i n der Rechtswissenschaft, S. 33. 342 Ebd., S. 33. 340

9. Die axiomatische Methode i n der

echtswissenschaft

161

mais rein didaktischen Zwecken: Sie sollte die Stoffülle auf wenige Begriffe reduzieren. Erst wieder i n der Renaissance verstärkten sich die systematischen Bestrebungen und dem wissenschaftlichen Zeitgeist entsprechend, gewann die platonistische und aristotelische Philosophie an Einfluß. Autoren dieser Zeit machten nun den Versuch, die Rechtswissenschaft als ein deduktives System zu entwickeln. Allgemeine Rechtsbegriffe, wie Vertrag oder Willenserklärung, wurden ausgebildet 343 . Gegen Ende des 19. Jahrhunderts war ein Gebäude von Rechtsbegriffen errichtet, denen die einzelnen Rechtssätze untergeordnet wurden. Es schien möglich, die rechtliche Entscheidung des einzelnen Falles ausschließlich als logische Subsumtion zu verstehen, so daß sich die juristische Praxis auf die logische Anwendung des Systems beschränken zu können glaubte 3 4 4 . Dieses systematische Recht erweckte den Eindruck der Berechenbarkeit und damit der Rechtssicherheit. Die Aufgabe des Juristen erschien als eine logische. Er muß vor allem die einzelnen Rechtssätze i n das Ganze des Systems einordnen 3 4 5 . Dies erscheint heute i m Problembereich der Finanzverfassung, insbesondere bei der Diskussion u m den Steuerbegriff, noch immer als Hauptaufgabe. Diese axiomatische Grundhaltung läßt sich ebenfalls als allgemeine wissenschaftstheoretische Position aufweisen, der z. B. die Forderung nach dem Verfassungsvorbehalt und die Regel vom Recht aus Begriffen verpflichtet ist. Die axiomatische Methode gewinnt also Ergebnisse durch Ableitung aus vorgegebenen selbstevidenten Axiomen. Wittgenstein lehnt diese Methode der logischen Folgerung ab und versteht notwendige Urteile als Ausdrücke für Konventionen, Übereinkünfte, die nicht durch Schlüsse vermittelt werden. Zunächst ist zu bemerken, daß Axiome allgemein als apriorische Sätze verstanden werden. Wie schon ausführlich dargelegt wurde, geben die Konstitutionstheorien eine A n t w o r t auf die Frage nach der grundsätzlichen Möglichkeit von apriorischen Sätzen. Nach den Konstitutionstheorien werden diese apriorischen Sätze von Menschen konstituiert. Die axiomatische Lehre beantwortet die Frage, wie überhaupt Axiome möglich sind, damit, daß diese für vernunftbegabte menschliche Wesen unmittelbar einsichtig seien 348 . Nach dieser Ansicht des konventionalistischen A p r i o r i werden apriorische Sätze, wie die euklidischen Axiome durch eine Konvention i n ihrer Gültigkeit erhalten. Ihre Notwendigkeit beruht letzten Endes darauf, daß man sie als eine Möglichkeit festlegt und dann nicht mehr von ihnen abgehen w i l l 3 4 7 . Danach sind also Axiome, die selbstevi843

Ebd., S. 37. Ebd., S. 38. 345 Ebd., S. 28. 346 Lorenzen, S. 25, weist auf Kants Verdienst hin, diese Frage behandelt zu haben. Die E n t w i c k l u n g der axiomatischen Methode habe allerdings nicht an ihrem Aufstieg gehindert werden können. 344

i l Rade

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I I . Die Sprache der Verfassung als Maßstab

denten unbegründbaren Sätze, konventionalistische Festsetzungen. Sie sind konstituiert durch menschliche A k t i v i t ä t , bei Kant mittels der Vernunft, mittels der Sprache bei Wittgenstein. Hauptsächlich geht die Wende i m Verständnis der Axiome von der Mathematik aus. Diese Gedanken lassen sich aber genauso auf die axiomatische Methode und deren argumentative Rückstände i m Verfassungsrecht übertragen. Wenn die A x i o me als einleuchtende Prinzipien aufgefaßt werden, so müssen die bei ihrer Formulierung verwendeten Begriffe bereits zur Verfügung stehen, und zwar müssen sie, soweit sie nicht durch Definition eingeführt w u r den, alle der Anschauung oder einem sonstigen Erfahrungsbereich entstammen. Damit fände die Vagheit und Ungenauigkeit der Alltagsbegriffe i n die Mathematik Eingang 3 4 8 . Was für die Mathematik als Nachteil empfunden wird, gilt i m gesteigerten Maße für die Rechtswissenschaft, die i n unlösbarem Kontakt zum A l l t a g und seinen Begriffen steht. U m absolute Exaktheit zu erreichen hat der Mathematiker Hilbert das Verhältnis von Begriffen und Aussagen umgekehrt. Die Axiome stellen danach keine Aussagen dar, i n denen bereits vorhandene, letztlich der Erfahrung entnommene Begriffe miteinander verknüpft werden, sondern durch sie werden diese Begriffe überhaupt erst eingeführt. Man spricht auch von einer impliziten Definition dieser Begriffe 3 4 9 . Die moderne A x i o matik versteht die Axiome nicht als wahre Aussagen über bereits vorhandene Begriffe, sondern nach ihr werden vielmehr die i n den Axiomen erwähnten Begriffe durch die Axiome überhaupt erst eingeführt. Der klassischen Axiomatik gelten die Axiome als wahr wegen ihres unmittelbar einleuchtenden Charakters und die daraus ableitbaren Lehrsätze, w e i l sie aus jenen evidenten Prinzipien durch rein logische Ableitungsoperationen gewonnen wurden. Wenn die Axiome aber nunmehr den Charakter impliziter Definitionen haben, das heißt Begriffe durch die Axiome erst eingeführt werden, so kann m i t ihnen überhaupt kein Wahrheitsanspruch gestellt werden. Dann kann sich aber auch kein Wahrheitsanspruch auf die aus den Axiomen ableitbaren Lehrsätze übertragen. E i n Mathematiker stellt also m i t einem Lehrsatz innerhalb eines axiomatischen Systems eine Wenn-dann-Aussage auf. I n der WennKomponente dieser Behauptung ist das gesamte Axiomensystem enthalten und i n der Dann-Komponente der betreffende Lehrsatz. Die Aussage beschränkt sich darauf, daß der Satz dann gilt, wenn die Axiome gelten 3 5 0 . Hervorgehoben werden sollte, daß nach heutigem Verständnis Axiome aus Begriffen bestenen, die nicht vorgegeben sind, wie die klassische 847

Specht, Spätwerk, S. 140. Stegmüller, Wissenschaftstheorie, S. 342. 849 Ebd., S. 343. 850 Stegmüller, Hauptströmungen, S. 379; Lenk, analyse, S. 100. 848

Metalogik u n d Sprach-

9. Die axiomatische Methode i n der Rechtswissenschaft

163

Axiomatik seit Euklid und Aristoteles meinte, sondern — und darin ist die Wende zu sehen — erst m i t dem Axiomensystem eingeführt werden, d. h. entsprechend den Konstitutionstheorien konventionalistischen Charakter haben 3 5 1 . Die Beziehung der modernen Axiomatik zu Wittgensteins Konstitutionstheorie liegt darin, daß Begriffe nicht vorgegeben, sondern Ergebnis einer menschlichen A k t i v i t ä t sprachlicher Natur sind. Eine weitere gemeinsame Auffassung besteht darin, daß i n jedem dieser komplexen Wenn-dann-Aussagen die Regelsetzung i n der Wenn-Komponente zu finden ist und m i t ihr kein Wahrheitsanspruch verknüpft werden kann. Sie haben konventionalistischen Charakter. Die hier als moderne Axiomatik bezeichnete Position entspricht der der Konstruktivisten, die eine Teilobjektivität dadurch erhalten wollen, daß sie zwar nicht mehr die Grundaxiome absolut setzen, sondern nur noch um einen K a l k ü l bemüht sind, der widerspruchsfrei sein soll 3 5 2 . Zur Rolle und Einsatzmöglichkeit dieser modernen Axiomatik i n der juristischen A r gumentation soll i m Rahmen dieser Untersuchung nicht Stellung genommen werden. Das Anliegen war hier, den Einfluß eines heute überholten Verständnisses von Axiomatik auf die gegenwärtige juristische Argumentation aufzuzeigen und eine Revision anzuregen. Aufgezeigt werden sollte, daß i n der Methodologie überholte oder mindestens stark i n Frage gestellte Positionen i n der juristischen Argumentation noch unkritisch verwendet werden. Nach dem Verständnis moderner Axiomatik erhalten auch die Ableitungs- und Begründungsargumente i m Verfassungsrecht, insbesondere bei der Forderung nach einem Verfassungsvorbehalt, ihre Gültigkeit durch eine Konvention über die Prämissen. Begriffe und Aussagen, über deren Gültigkeit Übereinstimmung besteht, bezeichnet man als abgeleitet, i n ihnen erkennt man eine Ermächtigungsgrundlage. Für den Fall, daß man allseits einig ist — wie etwa über den Umstand, daß Steuern erhoben werden müssen — ohne daß eine ausdrückliche Ermächtigungsgrundlage vorhanden ist, n i m m t man einen ungeschriebenen Verfassungsvorbehalt an. Es bleibt ohne Konsequenzen, wenn man die Ermächtigung zur Erhebung von Geldleistungspflichten als hergeleitet ansieht. Da niemand die Notwendigkeit von Steuern grundsätzlich i n Frage zieht, scheint es gleichgültig zu sein, zu welcher Herleitung man sich bekennt, j a es scheint sogar unschädlich, einen ungeschriebenen Verfassungsvorbehalt anzunehmen 353 . Wenn man eine Herleitung behauptet und als Grundlage einen ungeschriebenen Verfassungsvorbehalt angibt, über den man nicht mehr sagen, als daß er ungeschrieben ist, dann liegt die Vermutung nahe, man könne auf Herleitungen ganz 351 352 353

11·

Hare, S. 61. Lenk, Metalogik u n d Sprachanalyse, S. 100. Meessen, S. 931.

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I I . Die Sprache der Verfassung als Maßstab

verzichten. Diese Beobachtung gibt Anlaß, den Sinn der Forderung nach einer Ableitung, die Forderung nach einem Verfassungsvorbehalt überhaupt i n Frage zu stellen. Die Annahme eines ungeschriebenen Verfassungsvorbehaltes macht am ehesten die Forderung nach einer Herleitung aus der Verfassung fragwürdig. I m Anschluß an Wittgenstein läßt sich nun sagen, daß Ableitungen, logische Schlußfolgerungen nur Ausdruck der Übereinstimmung sind. Statt etwas als logisch abgeleitet oder wahr zu bezeichnen, sollte man zugeben, daß man m i t dem Ergebnis einverstanden ist 8 5 4 . Herleitungen und logische Schlüsse bezeichnet i n diesem Zusammenhang Hans Albert treffend als Maskeraden für einen Entschluß 355 . Was unter der Grundlage, unter der Rechtsnatur, dem Wesen, dem Begriff, was unter Begründen, Herleiten, Ableiten, was unter wesentlichen Merkmalen zu verstehen ist, über diese Fragen setzt sich die juristische Argumentation hinweg und benutzt damit unbekannte Größen wie Selbstverständlichkeiten. Zusammenfassend kann festgehalten werden, daß i m Anschluß an Wittgensteins Position die i m Verfassungsrecht für neuartige Gesetze praktizierte Begründungs- und Ableitungsmethode als überflüssig gelten muß, als Rest und Rückstand überholter wissenschaftstheoretischer Anschauungen anzusehen ist.

354 Auch bei anderen neugeschaffenen Rechtsinstituten ist zu beobachten, daß eine Vielzahl von Ableitungen u n d Grundlagen diskutiert w i r d , auf die es nach einiger Zeit nicht mehr ankommt. Das ist auffällig bei Rechtsinstituten, w i e ζ. B. dem Folgenbeseitigungsanspruch, der culpa i n contrahendo, i n der positiven Forderungsverletzung usw. H i e r ist der methodische Fehler zu beobachten, über verschiedene Herleitungen zu diskutieren, ohne daß zuvor geklärt w i r d , was m i t der Herleitung selbst gemeint u n d bezweckt sein soll. 355 Albert, T r a k t a t über kritische Vernunft, S. 15.

I I I . Das Begründungsprinzip 1. Die Regel vom Recht aus Begriffen im Rahmen des Begründungsmodells und der Einfluß Labands auf die heutige juristische Argumentationspraxis Juristische Sätze, über die keine Einigkeit besteht, bei denen kein einheitlicher Sprachgebrauch festzustellen ist, wie etwa „Geldleistungspflichten sind Enteignungen" oder „sind keine Enteignungen", oder „Sönderabgaben sind Steuern", lassen sich nicht als wahr oder falsch erkennen, wie es die klassische Position der Wahrheitsdefinitheit sagen würde; sie lassen sich auch nicht beweisen oder begründen, wie es die konstruktivistische Position behaupten würde, sondern man kann sich nur über solche Sätze einigen, wenn noch kein einheitlicher Sprachgebrauch besteht. Schon hier kann gesagt werden, was später noch näher ausgeführt werden soll, daß juristische Sätze, wie „Sönderabgaben sind Steuern" oder „Sönderabgaben sind verfassungsmäßig" oder „Sönderabgaben stellen Enteignungen dar", sich nur i n bezug zum jeweiligen Sprachgebrauch beurteilen lassen. Entsprechend Wittgensteins Vorgehen läßt sich, was die Beurteilung dieser Sätze betrifft, lediglich der Sprachgebrauch beobachten; man kann nur Urteile über Verwendungsregeln abgeben. Offen ist nun nach diesem Ergebnis die Frage, nach welcher Methode Entscheidungen über die Verwendungsregeln dieser Begriffe getroffen werden. Nach der ausführlichen Behandlung der sprachtheoretischen Positionen soll diese Untersuchung i n einen größeren Problemzusammenhang gestellt werden. Ausgangspunkt war die Regel vom Recht aus Begriffen. Es galt n u n diese durch die Beobachtung gewonnene Regel vom Recht aus Begriffen wissenschaftstheoretisch zuzuordnen. Ausgegangen wurde von der Ansicht Labands, daß es für falsche juristische Ergebnisse nur zwei Fehlerquellen geben könne: nämlich falsche Prämissen gewählt zu haben oder sich eines falschen Schlusses bedient zu haben 1 . Innerhalb dieses Deduktionsvorganges wurden bisher die Prämissen, nämlich die Begriffe, betrachtet. Darüber hinaus war bei Wittgenstein auch schon vom Verfahren des logischen Schließens andeutungsweise die Rede. Die Betrachtung der Begriffe und des logischen Schließens gehören nun i n einen größeren Zusammenhang. Die umfangreiche Diskussion der verfassungsrechtlichen Begriffe ist Teil eines Argumentationsverfahrens, 1

Laband, Budgetrecht, S. 76.

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I I I . Das Begründungsprinzip

das als Prinzip der zureichenden Begründung heute insbesondere vom kritischen Rationalismus diskutiert w i r d 2 . Hier soll nun die These aufgestellt werden, daß dieses Prinzip der zureichenden Begründung der juristischen Argumentationsweise als methodisches Verfahren zugrundeliegt. Die Einsichten aus der Diskussion dieses Prinzips sollen für die j u r i stische Methode nutzbar gemacht werden 3 . Zunächst ist wieder daran zu erinnern, daß der Ausgangspunkt dieser methodischen Betrachtung die bei der Forderung nach einem Verfassungsvorbehalt zu beobachtende Argumentationspraxis war. Entsprechend dieser Forderung wurde die Begründung von Sonderabgabengesetzen ausdrücklich verlangt 4 . Wie alle Gesetze, so müßten auch die Sonderabgaben eine Grundlage i n der Verfassung haben. Friauf stellte fest, die Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts zu den Sonderabgaben leide unter einem Begründungsdefizit 5 . Dem selbstgesetzten Untersuchungsprogramm entsprechend soll hier erst dann von Begründung, von Ermächtigungsgrundlagen oder der Herleitung die Rede sein, wenn vorher geklärt worden ist, was unter einer solchen Begründung zu verstehen ist. Es soll untersucht werden, ob die Frage nach einer Begründimg und einer Grundlage überhaupt berechtigt ist, welchen methodischen Nutzen diese Forderung hat. Die grundsätzliche Frage, ob eine Rechtsgrundlage für Sonderabgaben i n der Verfassung überhaupt vorhanden sein müsse, w i r d nur andeutungsweise behandelt. Mangels einer eigenen methodischen Aussage über diese Begründungsforderung ist man also zunächst auf die Beobachtung angewiesen, i n welchem Zusammenhang von Begründen oder von einer Rechtsgrundlage die Rede ist. Hierbei handelt es sich u m die Methode Wittgensteins, die Bedeutung von Ausdrücken auszumachen. Das beobachtete Vorgehen, das hier als Regel vom Recht aus Begriffen bezeichnet wird, entspricht den methodischen Forderungen Labands, eines der wichtigsten Repräsentanten des sogenannten Gesetzespositivismus, dessen Werk noch heute die einzige methodische Gesamtkonzeption für das Verfassungsrecht darstellt. Nach Laband besteht die wissenschaftliche Aufgabe der Dogmatik „ i n der Zurückführung der einzelnen Rechtssätze auf allgemeinere Begriffe und andererseits i n der Herleitung der aus diesen Begriffen sich ergebenden Folgerungen 6 . Es geht Laband u m die Analyse neu entstandener öffentlich-rechtlicher Verhältnisse, u m die Feststellung der rechtlichen Natur derselben und u m die Auffindung der allgemeineren Rechtsbegriffe, denen sie untergeordnet 2 3 4 8 6

Albert, Marktsoziologie u n d Entscheidungslogik, S. 219. Lenk, Metalogik u n d Sprachanalyse, S. 101. Friauf, öffentliche Sonderlasten, S. 53. Ebd., S. 53. Laband, Staatsrecht, I , S. I X .

1. Das begriffsjuristische Begründungsmodell

167

sind 7 . Zur Lösung diesr Aufgaben gebe es kein anderes M i t t e l als die Logik; dieselbe lasse sich für^iesen Zweck durch nichts ersetzen 8 . Offene Fragen und Zweifel waren danach als Rechtsfragen anzusehen und stets nur i m Wege logischer Subsumtion zu entscheiden 9 . Von gleicher A r t seien die Aufgaben des Richters, „die durch einen gegebenen Obersatz und Untersatz und die allgemeinen i n der menschlichen Natur begründeten Denkgesetze beherrscht werden" 1 0 . Laband faßte also Rechtserkenntnisse als Deduzieren aus allgemeinen Rechtsbegriffen auf 1 1 . Nach Laband ist „die Schaffung eines neuen Rechtsinstitutes, welches einem höheren und allgemeineren Rechtsbegriff überhaupt nicht untergeordnet werden kann, gerade so unmöglich, wie die Erfindung einer neuen logischen Kategorie oder die Entstehung einer neuen Naturkraft" 1 2 . A u f schlußreich ist i n diesem Zusammenhang die Ansicht Labands vom Wesen der Rechtsprechung, die i n der Subsumtion eines gegebenen Tatbestandes unter das geltende Recht bestehe und die wie der logische Schluß vom Willen unabhängig sei; es bestehe keine Freiheit der Entschließung, ob die Folgerung eintreten solle oder nicht 1 3 . Diese methodischen Äußerungen Labands zeigen, daß die heutige Argumentationspraxis nach der Regel vom Recht aus Begriffen der Methode Labands immer noch verpflichtet ist. Als Kennzeichen der Labandschen Methodologie läßt sich also festhalten, daß von der Lückenlosigkeit der Rechtsordnung auszugehen ist, daß jeder neue Rechtssatz unter einen schon vorhandenen allgemeineren Begriff untergeordnet werden muß und die offenen Fragen durch Folgerungen aus den allgemeineren Begriffen zu beantworten sind. Innerhalb dieses methodischen Verfahrens lassen sich unterscheiden, erstens die Ausgangsprinzipien, die allgemeinen Rechtsbegriffe also, und zweitens ein Ableitungsverfahren, nämlich die Logik. Von den Ausgangsprinzipien w i r d gesagt, sie seien lückenlos und vollständig vorhanden und enthielten Antworten auf alle offenen Fragen und Zweifel über Rechtssätze, die ihnen untergeordnet werden müssen. Von der Logik w i r d gesagt, es seien Denkgesetze, die allgemein i n der menschlichen Natur begründet seien. Ein logischer Schluß sei vom Willen des Menschen unabhängig 14 . Die Logik sei schließlich als einziges M i t t e l der Rechtserkenntnis unersetzlich. Die Frage der Verfassungsmäßigkeit nichtfiskalischer Abgaben, so kann beobachtet werden, w i r d nach diesem methodischen Muster be7

Ebd., S. V I . Ebd., S. I X . 9 Laband, Staatsrecht, I, 3. Aufl. 1895, S. 661; Wilhelm, S. 10. 10 Laband, Staatsrecht, I, 3. A u f l . 1895, S. 646; Wilhelm, S. 11. 11 Wilhelm, S. 13. 12 Laband, Staatsrecht, I , S. V I . 13 Laband, Staatsrecht, I . Bd., 3. Aufl. 1895, S. 646; Kriele, S. 48. 14 Laband, Staatsrecht, I. Bd., 3. A u f l . 1895, S. 646.

8

168

I I I . Das Begründungsprinzip

handelt. Breiten Raum nimmt der Versuch ein, Sonderabgaben als neuartiges Rechtsinstitut den vorhandenen Begriffen der Verfassung unterzuordnen, sie auf allgemeinere Begriffe zurückzuführen. Es w i r d der Obersatz zur Subsumtion gesucht. Diese allgemeineren Begriffe sind etwa Sozialversicherung, Steuer, Recht der Wirtschaft, Staatlichkeit. Die Behandlung der Frage scheint sich i n der Feststellung der Rechtsnatur, i n der Unterordnung unter schon vorhandene Begriffe der Verfassung zu erschöpfen. Wenn erst einmal die Rechtsnatur geklärt sei, die allgemeinen Begriffe gefunden seien, unter die die nichtfiskalischen Abgaben untergeordnet werden können, dann, so hofft man, können alle offenen Fragen durch logische Operationen beantwortet werden. Die Fragen nach der Höhe der Abgaben, den Zwecken, dem Kreis der Beteiligten usw. müßte durch logische Verfahren zu beantworten sein, wenn erst einmal der Obersatz gefunden sei. Die Unrichtigkeit eines juristischen Ergebnisses rührt nach Laband daher, „einen falschen Ausgangspunkt genommen oder sich eines falschen Schlusses bedient" zu haben 15 . Hauptsächlich geht der Streit darum, was der richtige Ausgangspunkt sei. Die Diskussion um die Begriffe und die Rechtsnatur der Sonderabgabengesetze ist also methodisch gesehen die Suche nach dem richtigen Ausgangspunkt i m Sinne der Metodologie Labands. Heute w i r d hervorgehoben, daß sich das Labandsche Grundschema durchgehend wiederfindet und die Staatsrechtslehre der Bundesrepublik ebenfalls am Grundgedanken der Subsumtionslehre festhalte 16 . Nach Kriele geht die Subsumtionstheorie davon aus, daß die Regeln, nach denen der Richter entscheidet, i m voraus festliegen, der Obersatz des syllogistischen Schlusses vorgegeben ist und daß der Richter deshalb i m Untersatz feststellen kann, die Rechtsfolge bedingenden Tatbestandsmerkmale des Obersatzes seien i m konkreten Sachverhalt gegeben. Daraus ergebe sich dann der Schluß, daß die gesetzlich vorgesehene Rechtsfolge eintritt. Kriele bezeichnet dieses Verfahren als nur scheinbar logisch klar und als bloßes Ideal 1 7 . Das Problem liegt nach seiner Ansicht darin, wie der richtige Obersatz zu finden sei 18 , während die Subsumtion selbst überhaupt kein Problem sei 19 . Über den Subsumtionsschluß nichts auszuführen, sei kein Versäumnis 20 . Dementsprechend n i m m t auch die Untersuchung u m den Ausgangspunkt den Obersatz, die größte Aufmerksamkeit i n Anspruch. Dem entspricht die breite Diskussion auf begrifflicher Ebene über die Rechtsnatur und den Charakter von Sonderabgabengesetzen. Sei erst einmal der richtige Obersatz ge15 16 17 18 19 20

Laband, Budgetrecht, S. 76; Wilhelm, Kriele, S. 48. Ebd., S. 50. Ebd., S. 51. Ebd., S. 51. Ebd., S. 51.

S. 11.

. Da Prinzip der zureichenden Begründung

169

funden, meint Kriele, so habe sich das angebliche Problem der Subsumtion schon von selbst gelöst. Logische Denkfehler bestünden immer darin, daß unzulässige Schlußverfahren oder unwahre Prämissen gewählt würden 2 1 . Insofern hat sich also seit Laband an der Ansicht über die A r t von Fehlern und K r i t i k an juristischen Ergebnissen bis heute kaum etwas geändert. Als das eigentliche Problem erscheint also i n der verfassungsrechtlichen Methodendiskussion die Frage — so faßt Kriele zusammen — ob, wie und wieweit die Bestimmung des Obersatzes der W i l l k ü r entzogen werden könne. Der Obersatz, der i m Grundgesetz nicht vorgegeben ist, soll doch mittelbar aus dem Grundgesetz und nicht aus dem politischen Meinen und Wünschen des jeweiligen Interpreten gewonnen werden, wozu die Kunstregeln und logischen Prozeduren der gesetzesanwendenden Rechtsfindung helfen sollen 22 . Die Beobachtung der Argumentationsweise beim Problem der Verfassungsmäßigkeit nichtfiskalischer Abgaben läßt ein methodisches Grundmuster erkennen, daß sich bei Laband formuliert findet und sich i n seinen methodischen Forderungen bis heute erhalten hat. Dies zeigen repräsentative Stellungnahmen zur verfassungsrechtlichen Methode. I n der Struktur dieser Argumentationsweise kann man folgende Komponenten unterscheiden: Es werden Ausgangsprinzipien angenommen, auf die alles zurückzuführen ist. Ein logisches Verfahren, das Deduzieren, soll die auftauchenden Fragen und Probleme lösen, wobei andere Mittel ausgeschlossen sein sollen. Offen blieb allerdings u. a. die Frage, wie i m einzelnen das logische Verfahren funktionieren soll, eine Frage, die offenbar noch heute größtenteils als unproblematisch gilt, die man, ohne ein Versäumnis zu fürchten, unerörtert lassen kann. Das Problem der Subsumtion sei ein Scheinproblem, das sich m i t dem Auffinden des Obersatzes von selbst löse 23 . Unter Logik scheint man also ein Wundermittel zu verstehen, i n das blindes Vertrauen gesetzt wird, ohne daß dessen Funktionsweise geklärt wäre. Die Regel vom Recht aus Begriffen soll nun von einem außerjuristischen, wissenschaftstheoretischen Standpunkt her kritisch untersucht werden. 2. Das Prinzip der zureichenden Begründung als unausgesprochene Voraussetzung der Methode Zunächst geht es darum, die methodische Konzeption darzustellen, die hinter den beobachteten Argumenten, der Forderung nach Begründungen und Grundlagen vermutet wird. Als konkreten Anlaß für die Untersuchung der Begründungsmethode ist wiederholt schon auf die Forde21 22 23

Ebd., S. 51. Ebd., S. 53. Ebd., S. 51 u n d 53.

170

I I I . Das Begründungsprinzip

rung Friaufs hingewiesen worden, Sonderabgaben müßten begründet werden und die bisherige Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts leide i n diesem Bereich unter einem Begründungsdefizit. Hier w i r d untersucht, was unter einer Begründung zu verstehen ist. Dieses Verfahren, der juristischen Methode außer juristische wissenschaftstheoretische Positionen zu unterstellen, um K r i t i k an der juristischen Argumentationspraxis zu üben, liegt deshalb nahe, weil die klassische Methode des Gesetzespositivismus ihre Argumentationsweise ebenfalls der allgemeinen Wissenschaftstheorie ihrer Zeit entlehnt hat. Mathematik und Naturwissenschaften standen bei der methodischen Konzeption des Gesetzespositivismus Pate 24 . Bei der vermuteten methodischen Konzeption handelt es sich u m das Prinzip der zureichenden Begründung, das ein allgemeines Postulat der klassischen Methodologie des rationalen Denkens darstellt. Dieses Prinzip besagt i n seinen, allen Versionen gemeinsamen Grundgedanken, daß alles, was ausgesagt werde, einer Rechtfertigung durch Zurückführung auf positive Gründe bedürfe, was i m allgemeinen m i t Hilfe eines logischen oder quasilogischen Ableitungsverfahrens zu geschehen habe. Alles, was nicht auf diese Weise gerechtfertigt werden kann, bleibt problematisch und damit unverbindlich oder verfällt der Ablehnung. Das ganze Verfahren hat den Zweck, das zu Begründende dadurch zu legitimieren, daß man seine Geltung auf letzte Quellen zurückführt, die ihrer Natur nach Autorität für sich i n A n spruch nehmen können und daher i n der Lage sind, diese ihre Autorität i m Wege des betreffenden logischen oder quasilogischen Verfahrens zu übertragen 25 . Die Grundstruktur dieses Begründungsprinzips weist, wie die Methode Labands, wiederum zwei Komponenten auf, die Prämissen und das logische Verfahren. Der Zweck des gesamten Begründungsverfahrens besteht darin, Unanzweifelbarkeit, Autorität also, zu übertragen. Auch hier läßt sich eine Parallele zur verfassungsrechtlichen Argumentation aufweisen. Verfassungsmäßigkeit ist eine Eigenschaft, die einem Gesetz oder einer staatlichen Maßnahme Autorität verleiht, wodurch sie einen unangreifbaren Status erhält. Dies scheint man dadurch erreichen zu wollen, daß man Gesetze auf Begriffe der Verfassung zurückführt. Die aufgezeigten Parallelen bestärken die Vermutung, hinter Labands Methode stehe dieses allgemeine Prinzip der zureichenden Begründung. Über das Prinzip als solches läßt sich noch einleitend sagen, daß das Verfahren der Begründung ein methodisches Grundmuster darstellt und so allgemein verwendet wird, daß es nicht nur i m Bereich der Wissenschaft, sondern auch i n allen sozialen Bereichen anzutreffen ist, wie i n der Rechtsordnung, dem Wirtschaftsleben, i n Fragen der Mo24 25

Barsch, S. 49; F. Müller, S. 51. Albert, Marktsoziologie u n d Entscheidungslogik, S. 219.

. Da Prinzip der zureichenden

B e g r ü n d u n g 1 7 1

ral und Politik 2 6 . Die Begründungsidee bildet den Hintergrund auch des Axiomatisierungsideals 27 , das hier schon als Haupteigenschaft einer Wissenschaft i m klassischen Sinne vorgestellt wurde. A u f die Axiomatisierung der Rechtswissenschaft, die zur Zeit des Gesetzespositivismus das B i l d einer Wissenschaft bestimmte, ist schon ausführlich eingegangen worden. Bei der Begründung von Auffassungen aller A r t spielen logische Folgerungen eine wesentliche Rolle. Eine logische Folgerung ist eine Reihe von Aussagen, Prämissen und Konklusionen, zwischen denen bestimmte logische Beziehungen bestehen. Eine Konklusion ist jeweils m i t Hilfe logischer Regeln aus den betreffenden Prämissen deduzierbar. Z u unterscheiden sind also erstens die Prämissen, zweitens die Konklusionen als Ergebnisse, drittens die logischen Regeln und viertens schließlich, was hier hervorgehoben werden soll, das gesamte Begründungsverfahren, die logische Folgerung selbst also. Diese besteht darin, aus Prämissen nach logischen Regeln Konklusionen zu gewinnen. Diese Unterscheidungen sind insofern wichtig, als sich K r i t i k und Aussagen auf die unterschiedlichen Komponenten des Verfahrens, die Prämissen, die logischen Regeln, die Konklusionen und schließlich auf das Verfahren der logischen Folgerung i n seiner Gesamtheit beziehen. Ausführlich wurden bisher die Prämissen des Begründungsverfahrens i m Rahmen des Verfassungsrechts, nämlich die verfassungsrechtlichen Begriffe, betrachtet. Wenn herkömmlich K r i t i k am Begründungsverfahren geübt wurde, so bezog sich diese entweder auf die Prämissen oder auf die logischen Regeln. Es wurde grundsätzlich ein Streit über die A r t der Ausgangsprinzipien geführt 2 8 . Die K r i t i k am Begründungsprinzip i n seiner juristischen Ausprägung, nämlich an der Methode Labands, bezog sich ebenfalls nur entweder auf die Prämissen oder auf das Schlußverfahren. N u r zwei Fehlerquellen ließ Laband zu, nämlich einen falschen Ausgangspunkt genommen oder sich eines falschen Schlusses bedient zu haben 29 . Wenn heute potentielle Fehlerquellen immer noch nur i n unzulässigen Schlußverfahren oder unwahren Prämissen gesehen werden und das Hauptproblem i n der Zurichtung der Prämissen gesehen wird, so kommt dadurch zum Ausdruck, daß sich seit Laband nicht viel geändert hat 8 0 . Daß auf jeden Fall logisch geschlossen werden muß, was 26

Albert, Traktat, S. 87. Ebd., S. 11. 28 Z w e i Versionen des Begründungsprinzips werden gegenübergestellt. Es handelt sich u m den sogenannten Intellektualismus Descartes u n d den E m p i rismus Bacons. Der Intellektualismus benutzt die Methode der Deduktion, während der Empirismus sich des Verfahrens der I n d u k t i o n bediente. Beide Varianten glaubten unantastbare wissenschaftliche Ergebnisse erzielen zu können. Albert, Traktat, S. 23, m i t Hinweis auf Popper, der die Gemeinsamkeit der beiden Varianten des Begründungsprinzips herausgearbeitet hat. 29 Laband, Budgetrecht, S. 76. 27

172

I I I . Das Begründungsprinzip

immer darunter verstanden werden kann, wurde nicht i n Frage gestellt. Die K r i t i k blieb auf Prämissen und Ableitungsregeln beschränkt, ja es wurde sogar gewarnt, das Subsumtionsverfahren i n Frage zu stellen 31 . 3. Die erweiterte K r i t i k am Prinzip der zureichenden Begründung Heute dagegen ist die logische Folgerung selbst, das ganze Begründungsverfahren also, zum Untersuchungsgegenstand geworden. Die K r i t i k beschränkt sich nicht mehr allein darauf, ob richtig begründet w u r de, sondern fragt, ob überhaupt begründet werden kann. Nicht mehr nur eine bestimmte Begründung, sondern die Forderung nach Begründung, Erklärung, Herleitung überhaupt w i r d zur Diskussion gestellt. Es handelt sich hierbei u m die konsequente Anwendung des Begründungsverfahrens selbst. Wenn danach nämlich alles begründet werden muß, dann muß konsequenterweise auch die Forderung, alles müsse begründet werden, selbst wieder begründet werden 3 2 . Ansonsten müßte man das Begründungsverfahren als Selbstzweck verstehen. Die Annahme etwa, Steuern beruhten auf einem ungeschriebenen Verfassungsvorbehalt, von dem nur gesagt werden kann, daß er ungeschrieben ist, der aber für die Gestaltung von Abgabegesetzen keinerlei Wert besitzt, läßt die Herleitung als Selbstzweck erscheinen. Ohne das gesamte Verfahren i n Frage zu stellen, wäre nicht einmal auszumachen, was er leistet, wozu es nützlich ist. Bezüglich des Untersuchungsgegenstandes ist an dieser Stelle auf Wittgensteins Spätphilosophie zu verweisen. Auch i h m ging es darum, Rechenschaft über logisches Folgern zu geben 33 . Es kann daran erinnert werden, daß das Hauptthema i n den Bemerkungen über die Grundlagen der Mathematik die Frage ist, was unter „logisch schließen", unter „Beweis" usw. zu verstehen sei. A u f den Selbstzweckcharakter der Begründungsbemühungen und der Suche nach Erklärungen weist Wittgenstein ganz besonders deutlich hin, wenn er schreibt, „Erinnere dich, daß w i r manchmal Erklärungen fordern, nicht ihres Inhalts wegen, sondern der Form der Erklärung wegen" 3 4 . Gemeinsam ist also Wittgensteins Spätphilosophie und dem kritischen Rationalismus der Untersuchungsgegenstand, nämlich Sinn, Nutzen und Durchführbarkeit des Begründungsverfahrens. Das Begründungsverfahren soll nun kurz umrissen werden. Das deduktive Argument, die logische Folgerung, wurde als eine Folge von Aussagen vorgestellt, den 30 31 32 33 34

Siehe die Äußerung von K r i e l e zum SubsumtionsVorgang. Kriele, S. 49. Albert, Traktat, S. 13,15, 51. Stegmüller, Hauptströmungen, S. 691. Wittgenstein, P U 217.

3. Die erweiterte K r i t i k am Prinzip der zureichenden Begründung

173

Prämissen und Konklusionen, zwischen denen logische Beziehungen bestehen, die durch logische Regeln bestimmt werden. Die folgenden Betrachtungen beziehen sich auf die logische Folgerung i n ihrer Gesamtheit, nicht also auf ihre Elemente, die Prämissen, Konklusionen und die logischen Regeln. Es geht um die Frage, was die Funktion eines deduktiven Schlusses ist, was und was nicht durch einen Schluß geleistet werden kann und welcher Schluß heute als gültig oder ungültig anzusehen ist. Zunächst ist davon auszugehen, daß ein Schluß zweierlei übertragen soll, Gehalt und Wahrheitswert. Von besonderem Interesse ist hier die Übertragung von Gehalt. Durch logische Folgerungen kann niemals Gehalt gewonnen werden, d. h. man kann aus einer Aussagenmenge nur die Information herausziehen, die i n ihr schon enthalten ist 3 5 . Ein solches Verfahren dient dazu, eine Aussagenmenge zu „melken" — wie es Albert bildhaft ausdrückt, nicht dagegen dazu, neue Informationen zu erzeugen 36 . Hare drückt dies so aus: Es werde jetzt allgemein als wahr per definitionem angesehen, daß i m Schlußsatz eines gültigen deduktiven Schlusses nichts auftreten könne, was nicht i n der Konjunktion der Prämissen aufgrund ihrer Bedeutung implizit enthalten ist 3 7 . Als Ergebnis hauptsächlich der Wittgensteinschen Untersuchung, so betont Hare, gelte heute, daß alle deduktiven Schlüsse ihrem Wesen nach analytisch sind oder, i n anderen Worten, daß es nicht die Funktion eines deduktiven Schlusses sei, aus den Prämissen etwas weiteres zu erhalten, das nicht durch sie impliziert sei, sondern das explizit zu machen, was bereits implizit i n der Konjunktion der Prämissen enthalten gewesen sei 38 . Das folge aus der Eigenart der Sprache. Die Regeln zum Gebrauch der sogenannten logischen Wörter wie „und", „oder", „oder", „ w e n n . . . dann" usw. besagen zweierlei. Wenn man erstens behauptet, was i n den Prämissen eines richtigen Schlusses enthalten ist, dann behauptet man zumindest, was i m Schlußsatz enthalten ist. Wenn zweitens i m Schlußsatz irgend etwas gesagt ist, was nicht explizit oder implizit i n den Prämissen gesagt ist, dann ist der Schluß falsch 39 . U m nach heutiger Ansicht gültig genannt zu werden, muß ein Schluß so aussehen, daß i m Schlußsatz nur das gesagt wird, was i n den Prämissen schon gesagt ist. Nur wenn der Gehalt nicht vermehrt wird, spricht man heute von einem gültigen Schluß. Deduktion bringt also nicht mehr an Wissen, Gehalt oder Information als das, was vor der logischen Operation schon bekannt war. 35

Albert, Traktat, S. 12; Stegmüller, Induktion, S. 16. Albert, Traktat, S. 12. 37 Hare, S. 53, 54; Es sei denn, m a n fügt aufgrund von Definitionen den Begriffen etwas hinzu. 38 Hare, S. 53; Lüderssen, S. 13. 39 Hare, S. 54. 39

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I I I . Das Begründungsprinzip

Das gilt heute, aber galt nicht früher. Die Bedeutung dieser Ansicht über die Leistung eines gültigen deduktiven logischen Schlusses w i r d erst dann bewußt, wenn man sie m i t dem vergleicht, was man zur Zeit Labands einem logischen Schluß an Leistung abfordern zu können glaubte. Repräsentativ für die damalige Ansicht ist die Äußerung des frühen Jhering, der das Begriffssystem als eine „unversiegbare Quelle neuen Stoffs" 4 0 verstand. Aus den Gattungsbegriffen glaubte er auch alles künftig notwendige Rechtsmaterial gewinnen zu können 4 1 . Offene Fragen und Zweifel waren als Rechtsfragen anzusehen und stets nur i m Wege logischer Subsumtion zu lösen 42 . Laband hielt die Schaffung eines neuen Rechtsintitutes, das einem höheren und allgemeineren Rechtsbegriff überhaupt nicht untergeordnet werden könne, für unmöglich 4 3 . Offene Fragen ausschließlich durch logische Operationen ohne Einfluß des menschlichen Willens lösen zu wollen, ohne daß ein neues Rechtsinstitut geschaffen würde, heißt die Ansicht zu vertreten, m i t logischen Deduktionen sei Gehalt zu gewinnen. M i t dem Vorgang der logischen Deduktion glaubte Laband also etwas gewinnen zu können, was vor dieser logischen Operation noch offen war. Es ist also auch i n der A n sicht über die Leistungsfähigkeit des deduktiven Verfahrens ein Verständniswandel festzustellen, der die heutige Argumentationspraxis korrekturbedürftig erscheinen läßt. A n dieser Stelle ist an den Anlaß der methodischen Untersuchung zu erinnern. Es handelt sich u m die Frage, welchen methodischen Sinn die aufwendige Diskussion u m die Feststellung der Rechtsnatur der nichtfiskalischen Abgaben haben könne, was damit gewonnen sei, wenn sich ein Abgabengesetz einem Begriff der Verfassung unterordnen oder aus diesem herleiten lasse. Diese Frage kann nun beantwortet werden. Beim Suchen nach dem allgemeineren, höheren Rechtsbegriff handelt es sich u m den ersten Teil von Labands Methode, offene Fragen zu beantworten. Danach galt es, i n einem ersten Schritt ein Gesetz auf einen allgemeineren Begriff zurückzuführen, u m dann i n einem zweiten Schritt logisch-deduktiv aus i h m Folgerungen zu ziehen und so ausstehende Antworten zu finden. A u f diese Weise die bei nichtfiskalischen Abgaben sich stellenden Fragen nach der zulässigen Höhe, dem Zweck und den beteiligten Kreisen beantworten zu wollen, heißt zuerst allgemeine höhere Rechtsbegriffe zu suchen, unter die die Abgabengesetze eingeordnet werden können, u m dann die Antworten logisch-deduktiv, was darunter auch immer zu verstehen ist, zu ermitteln. Bei der Feststellung der Rechtsgrundlage der Abgabengesetze, handelt es sich dem40 41 42 43

Jhering, Geist, S. 386; Wilhelm, S. 115. Jherings Jahrbücher I, S. 16; Wilhelm, S. 114. Laband, Staatsrecht, 3. A u f l . I , S. 661, Wilhelm, Laband, Staatsrecht I , S. V I .

S. 10.

3. Die erweiterte K r i t i k am Prinzip der zureichenden Begründung

175

nach u m Vorarbeiten für die Beantwortung der offenen Fragen, u m die Suche nach den Prämissen für -die Begründung. Von dem Begründungsverfahren hat man sich — wie hier nach der heutigen Ansicht von den Begriffen gesagt werden kann — insgesamt zu viel versprochen. Festgestellt wurde, daß die unberechtigten Erwartungen i n das Leistungsvermögen der Deduktion korrekturbedürftig sind und damit auch die Vorarbeit, die Feststellung der verfassungsrechtlichen Begriffe als Ausgangsprinzipien, als Prämissen, heute als fragwürdig anzusehen ist. Diese Zusammenhänge bleiben meisten verdeckt, da für die Feststellung der Hechtsnatur noch eine andere Erklärung gegeben werden kann, die hier allerdings zunächst nur als These aufgestellt werden und später näher erörtert werden soll. Würde zum Beispiel ein Abgabengesetz als Steuergesetz eingeordnet, so würde dieses Gesetz wie ein Steuergesetz behandelt. A u f die offenen Fragen nach Höhe, Beteiligtenkreis und Zweck würde man Antworten geben, die man für Steuergesetze entwickelt hat. Insbesondere würden die Rechtsfolgen, die an den verfassungsrechtlichen Begriff der Steuer geknüpft werden, Anwendung finden. Diese These besagt, es komme demjenigen, der eine begriffliche Grundlage i n der Verfassung angibt, auf die Rechtsfolgen an. Nur die Rechtsfolgen, die an den Begriff anknüpfen, bestimmen die Zurückführung auf gerade diesen und nicht einen anderen Begriff. Zwei Erklärungen lassen sich nimmehr für die Suche nach verfassungsrechtlichen Begriffen festhalten. Einmal geht es darum, entsprechend der Methode Labands Prämissen zu finden, aus denen man dedukt i v Antworten zu ermitteln für möglich hält, die bisher noch ausstanden. Insofern ist also die Vermutung begründet, daß die heutige Argumentationspraxis — bewußt oder unbewußt — Labands Methode nachvollzieht. Das ergab die Beobachtung der heutigen Argumentationsweise, deren Ergebnis die Regel vom Recht aus Begriffen war, sodann die Betrachtung der Methode Labands und drittens die Betrachtung des klassischen Begründungsprinzips vom heutigen wissenschaftstheoretischen Standpunkt aus, das hinter Labands Methode steht und noch heute die Argumentation bestimmt. Der andere Grund, Einzelgesetze unter verfassungsrechtliche Begriffe zu ordnen, besteht darin, bestimmte Rechtsfolgen, die sich an diese Begriffe knüpfen, herbeiführen zu wollen. Der Begriff der Enteignung zum Beispiel zieht als Rechtsfolge Entschädigungen nach sich, während der Begriff der Sozialpflichtigkeit keine Entschädigung nach sich zieht. Bei der Diskussion u m Begriffe und deren Einordnung geht es aber i n Wirklichkeit u m etwas anderes, nämlich u m die Folgen dieser Begriffseinordnung. Das aber würde eine andere A r gumentationsweise erfordern. Der Fehler besteht darin, Entscheidungsprobleme als Begriffsprobleme zu behandeln 44 . Dies ruft den V o r w u r f der Maskerade von Entschlüssen hervor 4 5 .

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I I I . Das Begründungsprinzip

Bisher wurden die Ansichten über die Leistungsfähigkeit der Deduktion bloß vom Ergebnis her betrachtet und verglichen, ohne Erklärung für den Verständniswandel. I m Gegensatz zur klassischen Ansicht, die Labands Methode zugrundeliegt, wonach Deduktion Gehalt vermehren können soll, w i r d heute die Ansicht vertreten, daß durch Deduktion nichts hinzugewonnen werden könne, was nicht schon vorher bekannt war46. A u f die Frage, worauf dieser Verständniswandel zurückzuführen ist, soll nun eingegangen werden. Er beruht auf der ebenfalls gewandelten Auffassung von abstrakten Begriffen, die i m Vorangegangenen umfassend untersucht wurde. Es ist an Freges K r i t i k an Piatos Urbild-AbbildBeziehung zu erinnern, wonach das Wesen oder der Begriff eines Gegegenstandes die Vollendung dieses Gegenstandes i n idealer Form selbst darstellen solle. Das Wesen oder der Begriff eines Gegenstandes galt als Urbild, als vollkommene, musterhafte Vorlage. Danach hätte man eine A r t Ursteuer oder eine A r t Ureigentum anzunehmen, die wie das Urmeter als Maßstab und letztes K r i t e r i u m dienen könnten. Wenn also unklar ist, ob ein Einzelfall Enteignung oder Steuer genannt werden kann oder nicht, dann müßte nach dieser Ansicht das Wesen von Enteignung oder Steuer zunächst festgestellt werden. Es müßte das Wesen der Steuer festgestellt werden, wenn nicht klar ist, ob ein Abgabengesetz als Steuergesetz anzusehen ist. Noch heute w i r d i n der Rechtsprechung nach diesem methodischen Grundmuster verfahren, an sogenannte essentielle Merkmale anzuknüpfen, u m zum Beispiel eine Sonderbelastung zu rechtfertigen 47 . Frege hat dagegen gezeigt, daß der Begriff und das, was unter i h n fällt von ganz anderem Typus sind. Der Begriff der Steuer oder das Wesen der Steuer ist selbst kein Steuergesetz, und der Begriff von Enteignung ist selbst keine Enteignung. Wegen dieser Andersartigkeit i m Typus kann eine Ableitungsbeziehung zwischen dem Begriff und den unter i h n fallenden Gegenständen, wie sie die Wesensphilosophie sah, heute nicht mehr angenommen werden. Ob also ein Sonderabgabengesetz unter den Begriff der Steuer fällt, läßt sich nicht dadurch beantworten, daß man nach dem Wesen der Steuer fragt. Wie nun Begriffe entstehen, w i r d von der Konstitutionstheorie W i t t gensteins beantwortet. Danach werden Begriffe konstituiert, sie werden geschaffen, indem Klassen von Gegensänden nach bestimmten Gesichtspunkten, nach Eigenschaften zusammengefaßt werden und als Sammel44

Popper, Die offene Gesellschaft u n d ihre Feinde, Bd. 2, S. 370. Albert, Traktat, S. 15. 48 Hare, S. 53; Albert, Traktat, S. 12; Stegmüller faßt dies zusammen i n der Formel, es gebe keine wahrheitskonservierenden Erweiterungsschlüsse, s. Induktion, S. 16 f. 47 Wolff, S. 429 f. 45

3. Die erweiterte K r i t i k am Prinzip der zureichenden Begründung

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bezeichnung einen Namen erhalten. Ein Begriff ist also eine synthetische Leistung des Menschen, nicht aber vorgegeben. Was unter einen Begriff fällt, was zu seinem Wesen gehört, entscheidet der Schöpfer dieses Begriffs 48 . Die Frage der Zugehörigkeit zu einem Begriff stellt sich für einen Einzelfall immer wieder von neuem und ist immer wieder zu entscheiden. Diese Theorie der Gegenstandskonstitution durch Sprache liefert eine plausible Erklärung dafür, warum durch Deduktion aus abstrakten Begriffen nicht mehr an Gehalt gewonnen werden kann als das, was schon bekannt ist. Werden die abstrakten Begriffe nämlich geschaffen, indem Klassen von Einzelgegenständen unter einem Gesichtspunkt zusammengefaßt werden, so können die Begriffe nur das enthalten, was als Klasse von Gegenständen ihnen schon untergeordnet wurde. Unter Gegenständen können zum Beispiel juristisch relevante Handlungen, Gesetze und Sachverhalte verstanden werden. Ist die Zugehörigkeit noch nicht entschieden worden oder zweifelhaft, dann h i l f t nur eine Entscheidung darüber, ob der Gegenstand dem Begriff untergeordnet werden soll oder nicht. I n diesem Falle ausschließlich nach dem Wesen zu fragen und deduktiv vorgehen zu wollen, setzt unausgesprochen den Glauben voraus, die abstrakten Begriffe enthielten ohne menschliches Zutun von vornherein alle die Gegenstände, die unter sie fallen und der Begriff sei m i t all seinen Merkmalen vorgegeben. Die heutige Ansicht über die Leistungsfähigkeit von logischen Folgerungen, nämlich durch Deduktion lasse sich der Gehalt nicht vermehren, ist also darauf zurückzuführen, daß man abstrakte Begriffe als die Ausgangsprinzipien aus sprachtheoretischer Sicht betrachtet. Es entsteht eine Beziehung zwischen dem Wandel i n der Auffassung von der Leistungsfähigkeit der Deduktion und dem Wandel des Verständnisses von A r t und Entstehungsweise abstrakter Begriffe. Zwei gegensätzliche Positionen lassen sich nun ausmachen. Der ersten Gruppe ist gemeinsam, daß sie aus abstrakten Begriffen mehr an Gehalt zu gewinnen hofft, als bislang bekannt war. Dazu gehört Laband, der offene Fragen ausschließlich logisch-deduktiv aus den sogenannten höheren allgemeinen Rechtsbegriffen beantworten wollte, die vollzählig vorgegeben seien. Der Begriff der Sönderabgaben müßte danach aus dem vorhandenen Begriffssystem gewonnen werden. Wittgensteins Spätphilosophie stellt nun eine Wende dar. Wittgenstein und Laband lassen sich als Repräsentanten konträrer wissenschaftstheoretischer Positionen einander gegenüberstellen. Der Ansicht, abstrakte Begriffe und Wesen seien lückenlos vorgegeben, setzt Wittgenstein die These entgegen, was zum Wesen gehöre, lege derjenige fest, der das Wesen schaffe 49 . Seiner Ansicht nach schaffen zum Beispiel Mathematiker Wesen, während es nach Labands ausdrücklicher Ansicht 48 49

Wittgenstein, Wittgenstein,

12 R a d e

G M 13, Nr. 33. G M 13, Nr. 32.

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I I I . Das Begründungsprinzip

unmöglich sein soll, eine logische Kategorie zu erfinden 50 oder neue Rechtsinstitute zu schaffen. Wesen sind danach nicht vorgegeben, sondern Menschenwerk. Dementsprechend kann Gehalt nicht aus dem abstrakten Wesen heraus gewonnen werden, sondern den Gehalt eines abstrakten Begriffs machen die Gegenstände aus, die zu einer Klasse zusammengefaßt wurden. Den Gehalt eines juristischen Begriffs machen die Fälle aus, die durch Entscheidung i h m untergeordnet wurden. Der Begriff der Enteignung also steht für eine Klasse von Fällen m i t bestimmten Eigenschaften, die von der jeweils herrschenden Enteignungstheorie aufgestellt werden. Diese Eigenschaften stellen — i n Freges Terminologie ausgedrückt — die Merkmale des Enteignungsbegriffs dar. Fraglich ist, ob die Belastung durch Geldleistungspflichten ebenfalls zu dieser Klasse gehört. I n herkömmlicher Weise nach Labands Methode würde man diese Frage dadurch zu beantworten suchen, daß man zunächst nach dem Wesen von Enteignung fragt, zunächst also die abstrakten Ausgangsprinzipien für die logische Folgerung feststellt, u m dann i n einer logischen Operation deduktiv Folgerungen aus dem abstrakten Begriff der Enteignung zu ziehen, die die Frage beantworten sollen. Nach den dargelegten sprachtheoretischen Einsichten dagegen ist ein anderes Verfahren der Problemlösung zu wählen. Es ist zunächst die Frage zu untersuchen, ob der Fall der Geldleistungspflichten zur Klasse der Fälle zählt, die unter den Enteignungsbegriff fallen. Diese konkrete Frage zum Beispiel ist heute noch zu verneinen. Sie wurde bisher noch nicht entschieden 51 . Genau so wie einmal, und zwar zum ersten Mal, entschieden werden mußte, ob zum Beispiel die Beeinträchtigung eines Gewerbebetriebes eine Enteignung darstelle oder nicht, so muß auch der Fall der Geldleistungspflichten entschieden werden. Wenn i n diesem Zusammenhang von einer Entscheidung die Rede ist, so bedeutet Entscheidung das Gegenteil von Erkenntnis, eine Unterscheidung, die i n der juristischen Argumentationspraxis nicht durchgehend vorgenommen wird. Die Charakterisierung eines Vorgangs als Erkenntnis-, Entscheidungs- oder logischen Vorgangs ist nicht gleichgültig, sondern bestimmt die A r t und Weise, wie über einen solchen Vorgang zu argumentieren ist, wie dieser zu beurteilen ist. Eine Entscheidung kann nicht dadurch angegriffen werden, daß etwa auf Tatsachen verwiesen und gesagt wird, diese widersprächen dieser Entscheidung. Zusammenfassend läßt sich also für die Funktion eines deduktiven Schlusses, Gehalt zu übertragen, festhalten, daß nach heutiger Auffassung i m Gegensatz zu der Labands durch gültige logische Schlüsse Gehalt nicht vermehrt werden kann* Erklären läßt sich dieser Verständnis50 51

Laband, Staatsrecht I , S. V I ; Wilhelm, S. 10. Badura, Eigentum i m Verfassungsrecht der Gegenwart, 1972, S. 31.

3. Die erweiterte K r i t i k am Prinzip der zureichenden Begründung

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wandel m i t gewandelten Einsichten über A r t und Entstehung von abstrakten Begriffen und deren Verhältnis zu den unter sie fallenden Gegenständen. Die vom Gesetzespositivismus dem logischen Schluß zugedachte Rolle, die der Wissenschaftstheorie des 19. Jahrhunderts entstammte, kann vom heutigen Stand der Wissenschaftstheorie aus nicht mehr festgehalten werden. Die logische Folgerung i n ihrer Gesamtheit kann ihre herkömmliche Funktion nicht mehr erfüllen, da sich das Verständnis ihrer Prämissen, der abstrakten Begriffe, geändert hat. Die K r i t i k an den Prämissen, den allgemeinen abstrakten Ausgangsbegriffen, zwingt dazu, die herkömmlichen Erwartungen i n die Leistung der logischen Folgerungen stark zurückzuschrauben. Die Vorstellung vom lückenlosen Begriffssystem läßt sich heute nicht mehr halten. Diese Einsicht veranlaßt die Frage, wie denn Entscheidungen getroffen werden sollen, nach welchen Methoden über offene Fragen, wie etwa nach der Höhe, dem Zweck, den beteiligten Kreisen bei nichtfiskalischen Abgaben, entschieden werden soll. Diese Aufgabe stellt sich einer normativen Entscheidungstheorie, die i n dieser Untersuchung skizziert werden soll. Die bisherigen Untersuchungen können vor dem Fehler bewahren, Entscheidungen i m Juristischen als Erkenntnisakte zu begreifen und i n Begriffen der Verfassung Entscheidungshilfen, Maßstab, Muster und Vorlage zu sehen.

I V . Die Bindung an Regelmäßigkeiten 1. Der Wandel im Verständnis von Kausalgesetzen oder das Induktionsproblem und seine Bedeutung für die juristische Methode I m folgenden sollen die von Popper bei dessen Beschäftigung m i t dem Induktionsproblem gewonnenen Einsichten auf die hier angeschnittene Problematik bezogen werden. I n mehrfacher Hinsicht w i r d sich der darzustellende Verständniswandel als bedeutsam erweisen. Bevor das Induktionsproblem selbst vorgestellt wird, soll ein Überblick über Gegenstand, Ergebnis und über die Bedeutsamkeit für die rechtstheoretische Bindungsproblematik gegeben werden. a) Der Gegenstand des Induktionsproblems und seine Relevanz für die juristische Methode Den Gegenstand der Untersuchung bilden beim Induktionsproblem die Regelmäßigkeiten oder Kausalgesetze. Man kann das Induktionsproblem als Frage nach der Geltung der allgemeinen Erfahrungssätze, der empirisch-wissenschaftlichen Hypothesen formulieren 1 . I n erster Linie und ursprünglich ging es u m die Frage, welche Aussagen über Naturgesetze gemacht werden können, und zwar hinsichtlich ihrer Erkennbarkeit, Entstehung und Leistungsfähigkeit, ob sie wahr sein können und eindeutige Prognosen und Erklärungen des Naturgeschehens leisten können. Die bei der Betrachtung des Induktionsproblems gewonnenen Einsichten lassen sich von ihrem Bezug zum Naturgeschehen lösen. Was nach Popper über Gesetzmäßigkeiten und Regelmäßigkeiten i n den Naturwissenschaften gesagt werden kann, läßt sich auf alle Arten von Regelmäßigkeiten beziehen, ohne Rücksicht auf den Gegenstandsbereich. Seine Erkenntnisse lassen sich von den Regelmäßigkeiten i m Naturgeschehen auf solche i m gesellschaftlichen Bereich, insbesondere auch auf die Verwendungsregeln für sprachliche Ausdrücke übertragen. Naturwissenschaftliche Methoden waren maßgebend für die Methode des Rechtspositivismus. Unreflektiert wurden die methodischen Voraussetzungen der Naturwissenschaften auf die Struktur des Rechts übertragen; ohne jegliche theoretische Reflexion wurde vorausgesetzt, Recht und Natur seien gleicher A r t und methodisch gleich zu behandeln 2 . U m 1 2

Popper, L o g i k der Forschung, S. 3. Barsch, S. 49.

1. Das Induktionsproblem i m Rahmen der juristischen Methode

181

fruchtbare K r i t i k an der juristischen Methode üben zu können, ist es also notwendig, sich m i t dem damaligen naturwissenschaftlichen Methodenideal auseinanderzusetzen. Es geht letzten Endes darum, die Entwicklung der juristischen Methode zu ihren Ursprüngen zurückzuverfolgen. Das Methodenideal einer sich noch nicht fragwürdig gewordenen Naturwissenschaft sei unkritisch auf die Rechtswissenschaft übertragen worden 3 . b) Das Ergebnis der Untersuchung zum Induktionsproblem Als Ergebnis dieser Untersuchung w i r d die Einsicht gewonnen, daß alle Gesetze und Theorien als Hypothesen oder Vermutungen betrachtet werden müssen 4 . Danach lassen sich keine Schlüsse von Bekanntem auf Unbekanntes ziehen, was der Alltagsverstand noch heute und die Wissenschaftstheorie vor Poppers Untersuchungen anzunehmen pflegte. Die Kenntnis von Vergangenem gibt keinen Aufschluß über Zukünftiges. Hypothesen aufzustellen sind demnach Sache eines subjektiven Standpunktes. Sie stellen Kausalverknüpfungen dar, die nicht an sich und ohne jegliches menschliche Zutun existieren. Vielmehr ist die Verknüpfung und Paarung von Kausalfaktoren ein menschlicher konstitutiver A k t . Hypothesen sind danach keine Ergebnisse von Erkenntnisakten, sondern von Entscheidungsvorgängen. Dies w i r d i m einzelnen noch auszuführen sein. Hier sei kurz Poppers Hauptargument vorweggenommen, das i m Gesamtzusammenhang des Induktionsproblems A n t w o r t auf die Frage nach der Entstehung von Hypothesen gibt. Hypothesen aufzustellen bedeutet, von Ereignissen, Gegenständen oder Personen zu behaupten, sie seien Wiederholungen voneinander. Das wiederum bedeutet nicht, zu behaupten, sie seien identisch, sondern kann nur heißen, das Wiederholte sei sich ähnlich. Identitätsbehauptungen sind deshalb nicht möglich, w e i l kein Maßstab, kein Muster vorliegt, an dem die Identität zu messen wäre 5 . Wiederholungsbehauptungen implizieren also Ähnlichkeitsbehauptungen. Ein Hauptmerkmal der Ähnlichkeit ist nun deren Relativität. Zwei ähnliche Dinge sind immer nur i n gewisser Hinsicht ähnlich. Ähnlichkeiten anzunehmen bedeutet immer, einen persönlichen Standpunkt zu beziehen, da zwei Gegenstände von einem Standpunkt aus ähnlich, von einem anderen Standpunkt aus unähnlich sein können®. Dieses Argument findet sich auch bei Wittgenstein unter dem Stichwort der Familienähnlichkeit. Bei dieser Gemeinsamkeit w i r d die Richtung der K r i t i k Wittgensteins und Poppers am Essentialismus und dessen Annahme vorgegebener Wesenheiten deutlich 7 . 8 4 5 6

F. Müller, S. 51. Popper, Objektive Erkenntnis, S. 21. Wittgenstein, P U 216; Winch, S. 40. Popper, L o g i k der Forschung, S. 375, 374.

182

I V . Die B i n d u n g an Regelmäßigkeiten

Dieses Argument von der Ähnlichkeit ist nun auf die juristischen Probleme anzuwenden, die sich als Klassifizierungsprobleme erwiesen haben. Begriffe sind als Klassen von Elementen zu verstehen. Juristische Gesetze und Sachverhalte sind die Elemente, die unter juristische Begriffe fallen. Solidargemeinschaften sind ebenfalls als Klassen von Elementen zu verstehen. Deren Elemente sind Personen m i t gemeinsamen Eigenschaften. Für Klassen gleich welcher A r t von Elementen stellt sich die eingangs schon aufgeworfene Frage, ob sie als vorgegeben oder machbar anzusehen sind. Es ist an die Ansicht zu erinnern, Begriffe der Verfassung und homogene Solidargemeinschaften könnten Sönderabgaben nur dann begründen, wenn sie nicht dispositiv, nicht machbar, sondern vorgegeben seien. Aus methodischer Sicht handelt es sich u m das Problem der Klassenbildung. I m Ergebnis versteht Popper Klassifizierungsbemühungen als standpunktabhängige, von persönlichen Interessen geleitete Entscheidimgsvorgänge, die von Erkenntnisakten zu unterscheiden sind, m i t denen Vorgegebenes erfaßt wird. Nach Poppers Ähnlichkeitsargument sind Wiederholungsbehauptungen standpunktabhängig und fallen je nach Standpunkt aus. Nicht dagegen geben sie die Erkenntnis von Vorgegebenem wieder. Behauptungen über die Zugehörigkeit zu einer Klasse, gleichgültig, ob es sich dabei u m eine Klasse von juristischen Gegenständen, wie Gesetzen oder Sachverhalten, oder u m Personen handelt, stellen Wiederholungsbehauptungen dar. Ein Element gehört i n eine Klasse, w e i l es sich u m eine Wiederholung der schon der Klasse zugehörenden handelt, oder, was dasselbe bedeutet, w e i l Ä h n lichkeiten zwischen i h m und den der Klasse zugehörenden Elementen besteht. Es ist daran zu erinnern, daß sowohl bei der Begriffsdiskussion als auch bei der Diskussion u m die Zugehörigkeit zu einer Personengruppe auf Unterschiede und Ähnlichkeiten abgestellt wurde. Welche Unterschiede und Gefmeinsamkeiten wesentlich oder unwesentlich sind, blieb unerfindlich. Ein Maßstab wie zum Beispiel das viel bemühte Wesen hat sich als untauglich erwiesen. Hier nun stellt sich heraus, daß der Standpunkt desjenigen entscheidend ist, der die Behauptung aufstellt, zwei Sachverhalte, Gesetze oder Personen seien sich ähnlich. Ungenannt bleibt gewöhnlich, i n welcher Hinsicht die Ähnlichkeit angenommen wird. Nachdem nun die Gemeinsamkeit aller Klassifizierungsprobleme aufgezeigt wurde, läßt sich das Ergebnis schon hier festhalten, daß es keine vorgegebenen Klassen geben kann, weder i n Form von Begriffen noch i n Form von Personengruppen. Begriffsbildung als auch Gruppenbildung von Personen sind standpunktabhängig und stehen zur Disposition des Gesetzgebers.

7 Die Unmöglichkeit von Identitätsaussagen illustriert Wittgenstein 215, 216.

in PU

1. Das Induktionsproblem i m Rahmen der juristischen Methode

183

aa) Die Relevanz für das Problem der Klassenbildung bei Begriffen und Solidar g emeinschaf ten Es gilt nun, auf die spezifische Relevanz für die juristische Begriffsbildung und die Bindungsproblematik aufmerksam zu machen. Die sprachtheoretischen Untersuchungen haben ergeben, daß unter der Bedeutung eines Ausdrucks einmal die Klasse aller Gegenstände verstanden werden kann, die unter diesen Begriff fallen — die Extension — oder die Verwendungsregel des Ausdrucks — die Intension. Juristische Begriffe lassen sich also extensional interpretieren, indem man sie als Klasse von juristischen Gegenständen versteht. So fallen zum Beispiel unter den Begriff der Steuer als juristische Gegenstände die Steuergesetze, unter den Begriff der Enteignung die Enteignungsfälle. Intensional interpretiert versteht man unter der Bedeutung eines juristischen Ausdrucks die Regel seiner Verwendung. Die Verwendung der juristischen Bezeichnungen auf die unter ihren Begriff fallenden juristischen Gegenstände sind nur teilweise bekannt und unumstritten. I n diesen Fällen läßt sich von der Regelmäßigkeit der Verwendung sprechen, das heißt ein und derselbe sprachliche Ausdruck w i r d wiederholt auf dieselben Sachverhalte angewendet. I n anderen Fällen dagegen ist die Verwendungsweise des jeweiligen juristischen Ausdrucks für bestimmte Gegenstände unsicher und umstritten. So ist umstritten, ob der Begriff der Steuer für Sonderabgabengesetze verwendet w i r d oder, extensional formuliert, ob Abgabengesetze, die als Klasse der Sonderabgaben zusammengefaßt sind, zur Klasse der Steuergesetze gehören. Die Begriffe Steuer und Enteignung werden auf eine Reihe von juristischen Gegenständen regelmäßig angewendet, oder, anders formuliert, unter diese Begriffe fallen bestimmte juristische Gegenstände regelmäßig. Es handelt sich u m eine wiederholte Verwendung. Von Interesse ist hier die Frage der Beziehung zwischen der bekannten und der unbekannten Verwendung juristischer Ausdrücke. Es fragt sich, ob die Regelmäßigkeit und unumstrittene Verwendung eines Ausdrucks für juristische Gegenstände die Fortsetzung der Reihe i n irgendeiner Form bestimmt, ob die Regelmäßigkeit der bisherigen Verwendung die Einordnung eines neuartigen juristischen Gegenstandes erzwingt oder ausschließt. Es geht u m die Frage, wie eine Reihe von juristischen Gegenständen, die unter einen Begriff fallen, fortzusetzen ist, wie und nach welchen Kriterien ein noch nicht unumstritten eingereihter Fall eingeordnet werden kann. Es läßt sich die Frage stellen, ob die Regelmäßigkeit der Verwendung des Begriffs Steuer auf die Klasse der Steuergesetze, die Eingliederung der sogenannten Sonderabgabengesetze, wie Konjunkturzuschlag oder Investitionshilfe, i n diese Reihe zwingend bestimmt oder ausschließt. Ebenso läßt sich fragen, ob die Reihe der Sachverhalte, die unter den

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I V . Die Bindung an Regelmäßigkeiten

Begriff der Enteignung fallen, durch die Regelmäßigkeit der Verwendung einen zwingenden Einfluß darauf ausübt, daß diese Reihe m i t dem Fall der Vermögensbelastung durch Geldleistungspflicht fortzusetzen ist. Für die hier als aufschlußreiches Standardbeispiel benutzte Kindergeldentscheidung 8 würde die Frage lauten, ob i n die Reihe der Sachverhalte der Finanzierung von Alter, Invalidität, Unfall und Krankheit als weiterer Sachverhalt die Finanzierung des Kindergeldes durch die A r beitgeber gehört, ob eine Regel — wie diese auch immer aussehen mag — die Zugehörigkeit eines Sachverhaltes i n gerade diese Klasse zwingend bestimmt und dem Gesetzgeber keine andere Wahl läßt. Eine solche Regel würde eine Möglichkeit darstellen, den Gesetzgeber zu binden. Eine derartige Regel über die Zugehörigkeit der Sachverhalte zu einer Klasse würde Verfassungsbegriffe der Disposition des Gesetzgebers entziehen. Dieser wäre gezwungen, eine Reihe von Gesetzen, für die ein Begriff der Verfassung steht, fortzusetzen und Gesetze, die sich i n keine dieser Reihen einfügen, zu unterlassen. Hierin könnte also eine Bindung bestehen. Vom vorgezogenen Ergebnis her läßt sich hier schon die Frage nach einer solchen bindenden Regel verneinen. Eine Gesetzmäßigkeit, eine Regel bei der Verwendung eines Ausdrucks für Gegenstände anzunehmen bedeutet, die Behauptung aufzustellen, ein Gegenstand sei die Wiederholung eines anderen 9 . So bedeutet die A n sicht, der Konjunkturzuschlag falle nicht unter den Begriff der Steuer, daß dieser keine Wiederholung eines Abgabengesetzes darstellt, das unter den Steuerbegriff fällt. Fällt eine Reihe juristischer Gegenstände unter einen Begriff, so läßt sich nicht nur eine einzige Regel der Verwendung feststellen, sondern je nach Standpunkt lassen sich verschiedene Regeln angeben, ohne daß eine davon als die zutreffende Verwendungsregel gekennzeichnet werden könnte. Wie also die Reihe der Steuergesetze oder die der Enteignungsfälle oder die der Sozialversicherungsgesetze fortgesetzt werden muß, insbesondere ob die Klasse der Steuergesetze durch Sonderabgabengsetze, die Klasse der Enteignungsfälle» durch die Sachverhalte der Geldleistungspflichten oder die Reihe der Sozialversicherungsfälle durch die Kindergeldabgabe ergänzt werden kann oder nicht, läßt sich nicht aus einer bisher unumstrittenen Reihe erkennen. Diese Frage läßt sich nicht so lösen, daß man eine Regel feststellt und i n dieser fortfährt, nach dieser Verwendungsregel neuartige, noch nicht eingereihte Fälle einordnet. Dies meint der angeführte, ganz allgemein formulierte Grundsatz, es könne nicht von Bekanntem auf Unbekanntes geschlossen werden, wenn man sich auf die sprachlichen Verwendungsregeln bezieht. I m Rahmen dieses Überblickes soll darauf hingewiesen werden, daß diese Ansicht keinesfalls selbstverständlich ist. Als Gegenposition ist hier 8 9

B V e r f G 11,105. Popper, L o g i k der Forschung, S. 374; Winch, S. 42, 88,108.

1. Das Induktionsproblem i m Rahmen der juristischen Methode

185

das Begriffsverständnis der Empiristen zu nennen 10 . Begriffe werden nach Ansicht der Empiristen aus der Erfahrung gewonnen, indem man den Gegenstandsbereich nach bestimmten Prinzipien aufteilt. Diese Prinzipien sind jedoch nichts anderes als generelle Sätze, deren Gültigkeit i n diesem Zusammenhang nicht i n Zweifel gezogen w i r d 1 1 . U m generelle Sätze — Gesetze, Hypothesen und Regelmäßigkeiten — geht es i m Rahmen des Induktionsproblems, insbesondere darum, welche Aussagen über deren Gütigkeit und Entstehung gemacht werden können. Die Beziehung zwischen der Bedeutungsproblematik und dem Induktionsproblem läßt sich also dann herstellen, wenn man die Bedeutung als Verwendungsregel und sprachliches Handeln als regelgeleitetes Handeln versteht 1 2 . Für die Möglichkeit der Bindung an die Sprache von Rechtsnormen ist die Frage von Interesse, ob der Sprachbenutzer an die Regeln der Verwendung, an die Bedeutung i m Sinne der pragmatischen Semantik, gebunden werden kann. Dazu ist zunächst zu klären, was unter einer Regel, einer Regelmäßigkeit zu verstehen ist, worauf von der Behandlung der Induktionsproblematik Einsichten zu erhoffen sind. bb) Die Bedeutung für die Methode der Folgeerwägung und für das Problem der konkurrierenden Prognosen Einen Standpunkt einzunehmen soll hier als Entscheidungsvorgang i m Gegensatz zu einem Erkenntnisakt charakterisiert werden. Daß die A n nahme, zwei Gegenstände seien Wiederholungen, das Ergebnis einer Entscheidung ist, w i r d i m Rahmen des Induktionsproblems noch näher erörtert werden. Diese Charakterisierung des Einordnens von juristischen Gegenständen unter einen juristischen Begriff ist insofern wichtig, als sie die Voraussetzung dafür darstellt, juristische Tätigkeit i n richtiger Weise auf Fehler h i n zu überprüfen. Erst diese Charakterisierung ermöglicht die Frage, welche A r t Fehler bei der jeweiligen juristischen Argumentation gemacht werden können. Es läßt sich hier schon auf die Anschlußfrage verweisen, welche Fehler bei einem Eiitscheidungsvorgang gemacht werden können. Dementsprechend sind Normen aufzustellen, deren Befolgung Fehler i n Entscheidungsprozessen verhindern. Entscheidungen lassen sich nach heutiger Ansicht durch sogenannte Folgeerwägungen rational diskutieren. Danach hängt eine Entscheidung, das Beziehen eines Standpunktes also davon ab, welche Folgen diese Entscheidung nach sich ziehen wird. Aufgrund des Entscheidungscharakters hängt die Anwendung eines Ausdrucks auf einen Sachverhalt letzten Endes von den Folgen dieser Verwendung ab. Die Verwendung juristi10 11 12

S. 90.

Essler, Analytische Philosophie I, S. 259. Essler, Analytische Philosophie I, S. 261. öhlschläger, Unterschiede zwischen Naturgesetzen u n d sozialen Regeln,

186

I V . Die Bindung an Regelmäßigkeiten

scher Begriffe zeichnet sich nun i m Gegensatz zur Verwendung von A l l tagswörtern dadurch aus, daß sie streng festgelegte Rechtsfolgen nach sich zieht. Eine Entscheidung über die Verwendung eines juristischen Ausdrucks hängt wiederum von den Folgen der Rechtsfolgen ab. Es hieße nun, Illusionen zu nähren, wenn man behaupten wollte, durch die Methode der Folgeerwägungen könne die einzig richtige Entscheidung gewonnen werden. Es bleibt ein großer Entscheidungsspielraum. Es kann also niemals eine Entscheidung umgangen werden, wenn man den Begriff der Steuer auf Sönderabgaben, den Begriff der Enteignung auf Geldleistungspflichten oder den Begriff der Sozialversicherung auf die Kindergeldabgabe bezieht. Nachdem die Bedeutsamkeit des Induktionsproblems für die Klassenbildung und damit seine Beziehung zur Ausgangsfrage dargelegt worden ist, ob nämlich Begriffe der Verfassung als vorgegeben oder als machbar zu verstehen sind, soll auf eine weitere Relevanz des Induktionsproblems hingewiesen werden. Die Methode der Folgeerwägungen zur Begründung einer Entscheidung besteht darin, eine Maßnahme m i t deren vorteilhaften Folgen zu rechtfertigen oder sie m i t Hinweis auf die negativen Folgen abzulehnen. Folgebehauptungen , so soll nachgewiesen werden, schließen die Behauptung einer Gesetzmäßigkeit ein. Unter I n duktionsproblematik versteht man die Frage, welche Aussagen über Kausalgesetzmäßigkeiten, Prognosen oder — was dasselbe bedeutet — Folgebehauptungen gemacht werden können. Z u Folgebehauptungen zählen alle Aussagen über die Zwecke von Rechtsnormen, so auch die Aussagen darüber, welchen Zwecken bestimmte Steuergesetze dienen. Wenn also Aufschluß über Gesetzmäßigkeiten aus der Induktionsproblematik zu gewinnen ist, dann ist auch Klarheit hinsichtlich der vieldiskutierten, unterschiedlichen Zwecke von Steuergesetzen zu erhoffen. Eine wichtige A r t der Folgebehauptungen stellen die Prognosen dar, die vor allem wirtschaftspolitisch bestimmten Maßnahmegesetzen zugrundeliegen. Die Frage der Beurteilung von Prognosen stellt ein besonderes Problem für die Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts dar, das unter dem Stichwort der „Eignung" vor allem wirtschaftspolitischer Maßnahmen Gesetze überprüft, mangels verfügbaren Beurteilungskriterium sich selbst Zurückhaltung (self-restraint) auferlegt, wom i t sich aber ein Teil der Literatur nicht abzufinden bereit ist, eine umfassendere Kontrolle vom Bundesverfassungsgericht fordert, ohne für die Vorfrage Maßstäbe und Beurteilungskriterien zu liefern. Der K l ä rung dieser Vorfragen, welche Maßstäbe zur Beurteilung von Prognosen zur Verfügung stehen, dient die i m folgenden dargestellte Induktionsproblematik. Als Beispiel für die Rolle der Prognose bei der gesetzgeberischen Vorarbeit sei auf das Konjunkturzuschlagsgesetz hingewiesen, das von der wirtschaftspolitischen Prognose ausging, die zeitweise Still-

2. Folgeerwägungen als teleologische Methode

187

legung von Kaufkraft werde Preisstabilität bewirken. I n der Preisstabilität wurde die Folge des Konjunkturzuschlagsgesetzes gesehen. Die Prognose, die Stillegung von Kaufkraft werde das Konsumverhalten der Staatsbürger beeinflussen, ist eine Hypothese über menschliches Verhalten. Es hätte sich ebenso die Hypothese aufstellen lassen, die Konsumfreudigkeit würde unbeeinträchtigt bleiben, währenddessen die Spartätigkeit der Staatsbürger zurückginge und die stillgelegten M i t t e l dem Sparaufkommen entzogen würden 1 8 . Zur Klärung des Zusammenhangs ist darauf hinzuweisen, daß Entscheidungen grundsätzlich von Folgeerwägungen abhängig sind. Folgebehauptungen werden sich als Behauptungen von Kausalgesetzmäßigkeiten herausstellen 14 . U m nun Fehler i n Entscheidungsprozessen ausschalten zu können, ist es notwendig zu wissen, welche Aussagen über Gesetzmäßigkeiten gemacht werden können. Das ist vor allem dann von Bedeutung, wenn sich gegensätzliche Folgebehauptungen konkurrierend gegenüberstehen. I n dieser Situation der konkurrierenden Theorien zu demselben Problem ist ein Auszeichnungs- und Aussonderungsverfahren notwendig. Vor der Darstellung der Induktionsproblematik soll noch auf die teleologische Methode der Folgeerwägungen eingegangen werden. 2. Folgeerwägungen als teleologische Methode Die A r t der Überlegungen i m Rahmen eines Entscheidungsvorgangs w i r d heute unter dem Stichwort der Folgeerwägungen zusammengefaßt. Entscheidungen zu Maßnahmen werden nicht als Selbstzweck getroffen, sondern i m Hinblick auf ihre Folgen. „ W i r können ganz einfach nicht entscheiden, was w i r tun sollen, wenn w i r nicht zumindest ungefähr wissen, was w i r herbeiführen würden, wenn w i r dies oder jenes täten 1 5 . Bei den Erwägungen i m Verlauf einer Entscheidung geht es u m Folgen der möglichen Handlungsalternativen. Die Entscheidung w i r d von den unterschiedlichen Folgemengen der zur Wahl stehenden Handlung bestimmt 1 6 . Die Folgen einer Entscheidung als K r i t e r i u m ihrer Richtigkeit anzunehmen, heißt i n der Ethik teleologische Theorie des richtigen Handelns. Die Teleologie steht i m Gegensatz zur Deontologie, die die Folgen i n diesem Zusammenhang unberücksichtigt läßt 1 7 . Eine 18

Krause-Ablaß, S. 713. Winch, S. 88; Stegmüller, Wissenschaftliche E r k l ä r u n g u n d Begründung Bd. I, S. 438 f. 15 Hare, S. 81. 18 Ebd., S. 82; Stegmüller, Hauptströmungen, S. 522; E. von Savigny, A n a l y tische Philosophie, S. 22; H.-J. Koch, Z u r Rationalität richterlichen Entscheidens, S. 205, 206. 17 Hoerster, Utilitaristische E t h i k , S. 11. A u f die deontologische Theorie soll hier nicht eingegangen werden. Sie g i l t i n ihren Grundlagen als umstritten. von Kutschera, Einführung i n die L o g i k der Normen, S. 11; Kalinowsky, Einführung i n die Normenlogik, S. 136. 14

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I V . Die Bindung an

egelmäßigkeiten

teleologische Theorie stellt der Utilitarismus dar, nach dem Handlungen dann richtig sind, wenn sie sich durch ihre Folgen als nützlich erweisen 18 . Welche Folgen wertvoll und nützlich sind, entscheiden Wertlehren, die sich mit dem Utilitarismus kombinieren lassen 19 . Es handelt sich dabei u m Urteile, die von Standpunkten abhängen. Eine wichtige Unterscheidung w i r d bezüglich der Frage gemacht, ob die Folgen von Einzelhandlungen (Handlungsutilitarismus) oder die Folgen von Prinzipien und Regeln (Regelutilitarismus) zu berücksichtigen sind 2 0 . Bei den Prinzipien handelt es sich u m solche, die die Einzelhandlungen bestimmen. U m die sittliche Richtigkeit einer Handlung zu bestimmen, so verlangt es der Regelutilitarist, muß man feststellen, ob erstens die Handlung m i t einer Regel, einem Prinzip übereinstimmt und zweitens, ob diese Regel nützliche Folgen hat 2 1 . Der Regelutilitarismus verliert allerdings an Gewicht, wenn man bedenkt, daß kein erschöpfender Katalog von Regeln aufzustellen ist, unter die sich alle utilitätsbezogenen Handlungen subsumieren ließen, da stets neue Handlungskonstellationen denkbar sind, die von keiner der bis dahin konzipierten Regeln erfaßt werden 2 2 . I n neuen Problemkonstellationen sind also die Folgen der konkreten Maßnahmen zu berücksichtigen. Dieser Gesichtspunkt ist für viele wirtschaftspolitische Maßnahmegesetze, so auch für die Sönderabgaben, wichtig. Hier handelt es sich meistens u m die Reaktion auf aktuelle Problemsituationen, die von den Regeln der Verfassung nicht erfaßt sind und auch nicht erfaßt werden können, da man nicht i n der Lage ist, künftige Probleme i m voraus zu lösen. Wegen dieser Eigenschaft der Aktualität w i r d der Regelutilitarismus kaum eine Rolle spielen. Vielmehr sind die Folgen jeder einzelnen konkreten gesetzlichen Maßnahme zu berücksichtigen. Darüber hinaus w i r d der vorläufige Charakter von Regeln betont 2 3 , der Modifikation an den Regeln notwendig macht, die wiederum von den Folgen abhängen. Aufschlußreich für das Verständnis von Prinzipien ist der Hinweis, daß diese i n erster Linie Entlastungszwecke erfüllen, nämlich nicht bei jeder Wiederholung einer Entscheidung schon umfassend vorgenommene Erwägungen erneut vornehmen zu müssen 24 . Wenn nun zu einem bestimmten Problem noch keine Folgeerwägungen angestellt wurden, ja ein Problem erstmals auftritt, wie es bei fast allen interventionistischen Maßnahmegesetzen der Fall ist, dann ist es sinnlos nach Regeln oder Prinzipien zu suchen, die diese Folgeerwägungen und damit die Ent18 19 20 21 22 28 24

Hoerster, Utilitaristische Ethik, S. 11. Ebd., S. 14. Ebd., S. 20; Hare, S. 85 f. Hoerster, Utilitaristische Ethik, S. 25. Ebd., S. 25. Hare, S. 88. Ebd., S. 87, 91.

3. Vorbemerkungen zu einer normativen Entscheidungstheorie

189

Scheidung abnehmen könnten. Maßnahmen lassen sich nicht ausschließlich aus Prinzipien gewinnen. Das anzunehmen hieße, den Entscheidungsfaktor zu übersehen, der sowohl bei einzelnen Entscheidungen als auch beim Aufstellen, Abändern und Befolgen von Prinzipien zu berücksichtigen ist 2 5 . Es handelt sich also jedes Mal u m die gleiche A r t von Folgeerwägungen. Diese A r t der Erwägungen i m Entscheidungsvorgang sind nur ein erster Schritt. Die Erwägung der Folgenützlichkeiten ziehen weitere schwerwiegende Probleme nach sich. Über Folgen Aussagen zu machen heißt über Zukünftiges Aussagen machen. W i r d zum Beispiel Sparleistungsminderung oder Konsumverzicht eintreten? Ob solche Aussagen gemacht werden können, ist ein Problem der richtigen Prognose. Eine A n t w o r t auf die Frage, inwieweit Prognosen aufgestellt werden können, w i r d die Untersuchung zum Induktionsprinzip erbringen. Später soll nachgewiesen werden, daß die juristische Argumentation sich heute dieser Methode der Folgeerwägung ebenfalls bedient, ohne daß sie als offizielle Methode anerkannt wird. Es w i r d gezeigt werden, daß es die Begriffsjuristen waren, die aus politischen Gründen glaubten, die Teleologie als Methode ausschließen zu müssen und aufgrund ihres Wissenschaftsverständnisses sich dazu auch i n der Lage fühlten. Nachdem nun Erwägungen i m Rahmen eines Entscheidungsprozesses als Erwägung über die Folgen dieser Entscheidung ausgewiesen werden könnten, soll untersucht werden, was bei dieser A r t Folgeerwägung zu beachten ist. 3. Vorbemerkungen zu einer normativen Entscheidungstheorie Zunächst soll von der Veränderung i m Verständnis der Gesetz- und Regelmäßigkeiten die Rede sein. Bisher wurde die Einsicht gewonnen, juristische Tätigkeit trage Entscheidungscharakter und Entscheidungen würden von Folgeerwägungen bestimmt. Nun stellt sich die Frage, welche Fehler bei einem Entscheidungsvorgang gemacht werden können. Ist ein Gesetz als Ergebnis eines Entscheidungsvorganges zu verstehen und werden Zweifel an diesem Gesetz angemeldet, so sind diese durch den Nachweis auszuräumen, daß keine Fehler beim Entscheidungsprozeß unterlaufen sind. Dazu ist es notwendig zu wissen, welche Fehler überhaupt bei einer Entscheidung gemacht werden können. A n dieser Stelle ist an Labands Ansicht zu erinnern, Fehler i m Rahmen juristischer Tätigkeit bestünden ausschließlich i n logischen Fehlern, wobei es zwei Möglichkeiten gebe, nämlich „einen falschen Ausgangspunkt genommen zu haben oder sich eines falschen Schlusses bedient zu haben 2 6 ". Es ist nun sinnlos, ausschließlich nach logischen Fehlern i m Sinne Labands dort zu suchen, wo gar kein ausschließlich logischer 25 26

Ebd., S. 91. Laband, Budgetrecht, S. 76.

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I V . Die B i n d u n g an Regelmäßigkeiten

Vorgang anzunehmen ist. Damit soll nicht gesagt werden, daß bei Entscheidungsvorgängen keine logischen Fehler i m Sinne der heutigen Logik gemacht werden könnten. A u f keinen Fall kann aber Labands Ansicht gelten, es seien ausschließlich logische Fehler zu verhindern. Darüber hinaus ist zu betonen, daß zwischen der psychologistischen A n sicht Labands über die Logik und dem heutigen Verständnis von Logik streng zu unterscheiden ist. I n der Auffassung von Logik hat sich seit Laband ein radikaler Wandel vollzogen, auf den noch näher eingegangen werden wird. Notwendig sind also Vorschriften und Normen, nach denen bei einer Entscheidung vorgegangen werden soll, damit keine Fehler unterlaufen, keine Zweifel an dem Entscheidungsergebnis aufkommen können, also vom Entscheidungsergebnis gesagt werden kann, es sei rational oder vernünftig. Es geht u m die Aufstellung von Rationalitätskriterien für die Entscheidungsfindung. M i t der bisher geleisteten Charakterisierung oder einer juristischen Tätigkeit als Ergebnis einer Entscheidung ist noch wenig gewonnen. Es ist nicht der letzte, sondern ein erster Schritt, u m juristische Ergebnisse rationaler, i m Sinne von nachvollziehbarer zu machen. Solche Kriterien und Normen aufzustellen ist Aufgabe einer rationalen Entscheidungstheorie. I m folgenden soll nun eine solche Theorie vorgestellt werden, die i n jüngster Zeit nach dem hier gewonnenen Literaturüberblick zu urteilen, erstmals umfassend von Stegmüller dargestellt wurde 2 7 . Nach Stegmüllers Ansicht versucht Carnap i n einer zweiten Version seiner Induktionstheorie zu klären, auf welche Arten von Überlegungen w i r uns vernünftigerweise immer dann stützen sollten, wenn w i r i n Entscheidungssituationen stehen i n welchen uns die Logik — und dies w i r d von nun an ausschließlich bedeuten: die deduktive Logik — i m Stich läßt. I m Laufe der bisherigen Untersuchung wurde zu zeigen versucht, daß die logische Methode i m Sinne Labands die meisten Fragen offen läßt, also nach i h r zum Beispiel keine A n t w o r t über die Höhe, den Zweck, die beteiligten Kreise von Abgabengesetzen zu gewinnen sind. Es sind Überlegungen notwendig, wie Antworten auf diese Fragen gefunden werden können. Diese Fragen, so wurde festgestellt, müssen entschieden werden. Wenn nun von einer Entscheidungstheorie die Rede ist, so ist gleich zu Anfang auf eine wichtige Differenzierung hinzuweisen. Es muß zwischen einer deskriptiven und einer normativen Betrachtungsweise i n der Entscheidimgstheorie unterschieden werden. Eine deskriptive Entscheidungstheorie beschreibt das tatsächliche Entscheidungsverhalten, während die normative Entscheidungstheorie ohne Rücksicht auf dieses 17 Stegmüller, Personelle u n d Statistische Wahrscheinlichkeit, 1973, S. 389; I n d u k t i o n , 1971, S. 13 f. Stegmüller spricht von einer Uminterpretation der I n duktionstheorie Carnaps.

4. Folgebehauptungen als Ausdruck von Kausalgesetzmäßigkeiten

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tatsächliche Entscheidungsverhalten Aussagen darüber macht, wie man sich beim Entscheiden richtigerweise verhalten solle. I n der folgenden Skizze der Entscheidungstheorie geht es i n erster Linie um den normativen Gesichtspunkt 28 . Damit soll nicht gesagt werden, daß eine deskriptive Entscheidungstheorie i n der Hechtswissenschaft unmöglich wäre. Die Hauptschwierigkeit bei der Darstellung der juristischen Entscheidungspraxis besteht darin, daß herkömmlich juristische Tätigkeit nicht als Entscheidungsvorgang verstanden wird. Üblicherweise versteht man unter juristischer Tätigkeit die Rechtsfindung. Es w i r d zum Beispiel nicht geleugnet, daß juristische Erwägungen üblicherweise das zu erwartende Ergebnis m i t berücksichtigen. Der für eine Entscheidungserwägung typischen Folgeberücksichtigung w i r d aber lediglich eine untergeordnete Funktion der Kontrollüberlegung beigemessen, ohne daß diese ausdrücklich und offiziell als juristische Methode anerkannt würde. Sie w i r d i n die vorbereitende, begleitende Gedankenarbeit verwiesen und darf nicht als der eigentliche Gedankengang ausgegeben werden. Folgeerwägungen, wie sie für Entscheidungsvorgänge typisch sind, treten also nicht i n Erscheinung 29 . Wenn also von Entscheidungstheorie die Rede sein wird, so handelt es sich nicht u m die Beschreibung der heutigen j u r i stischen Argumentationsweise. Vielmehr handelt es sich um einen normativen Vorschlag, u m ein Muster, wie ein Entscheidungsvorgang aussehen sollte. Ausgeschlossen ist dabei allerdings nicht, daß sich die j u ristische Gedankenarbeit schon nach diesem Muster richtet. Dies nachzuweisen bleibt solange schwierig, als Entscheidungserwägungen von einer offiziellen Methodenlehre i n die Anonymität verwiesen werden 3 0 . 4. Folgebehauptungen als Ausdruck von Kausalgesetzmäßigkeiten Bisher konnte die juristische Tätigkeit bei der Verwendung von j u ristischen Begriffen auf juristische Gegenstände und bei der Ausgestaltung von neuen Gesetzen als Entscheidungsvorgang gekennzeichnet werden. Die Überlegungen innerhalb des Entscheidungsvorganges w u r den als Folgeerwägungen dargestellt. Nun soll der Behauptung nachgegangen werden, bei den Folgeerwägungen handele es sich u m Behauptungen über Kausalgesetze. Danach bedeutet die Behauptung, eine Maßnahme habe eine bestimmte Folge, daß zwischen Maßnahmen und dieser Folge ein Kausalverhältnis besteht. Es w i r d zum Beispiel behauptet, der Konjunkturzuschlag habe die Folge, die Kaufkraft abzuschöpfen und dadurch Geldwertstabilität zu erreichen. Kaufkraftstilllegung und Geldwertstabilität werden als Kausalfakoren verknüpft. K r i 28 29 80

Stegmüller, Personelle u n d statistische Wahrscheinlichkeit, 1973, S. 299. Kriele, S. 170. Ebd., S. 27.

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I V . Die Bindung an Regelmäßigkeiten

tiker einer solchen gesetzlichen Maßnahme können bestreiten, daß eine notwendige Beziehung zwischen Kaufkraftstillegung und Geldwertstabilität bestehe. Bei der Abgabenbelastung des Werkfernverkehrs (Leber-Pfennig) ging man von der Folgeerwägung aus, m i t dieser Abgabenbelastung werde der Güterverkehr i n Zukunft von der Straße auf die Schiene verlagert 8 1 . M i t der Investitionshilfe hoffte man eine Initialzündung für weitere Investitionen i n der Grundstoffindustrie zu bewirken. Diese Prognose stellte eine Hypothese über das Investitionsverhalten der deutschen Nachkriegswirtschaft dar 3 2 . Derartige Beispiele zeigen, welche wichtige Rolle Folgeerwägungen i n der wirtschaftspolitisch orientierten Abgabengesetzgebung spielen. Es geht n u n u m die Frage, wie eine Diskussion über Folgeerwägungen zu beurteilen und zu schlichten ist. Bei der Behauptung, eine gesetzgeberische Maßnahme habe eine bestimmte Folge, m i t dem eine notwendige Verknüpfung zwischen einer individuellen Ursache und ihrer Wirkung behauptet wird. Die Behauptung einer notwendigen Kausalverknüpfung bedeutet, zwischen zwei Ereignissen einen Zusammenhang anzunehmen, der kein zufälliger, sondern ein ausnahmslos und zeitlos gültiger ist. A u f ein Ereignis von der A r t a muß ein Ereignis von der A r t b folgen. Es wurde behauptet, daß es möglich sei, eine Einsicht i n solche notwendigen Kausalzusammenhänge zu gewinnen. Ist ein solcher Kausalzusammenhang zwischen zwei Ereignissen entdeckt, so wäre es möglich, ein Ereignis für die Zukunft m i t Gewißheit vorauszusagen, wenn das andere verwirklicht wird. Hume hat als erster die Existenz einer spezifisch kausalen Notwendigkeit geleugnet. Er wandte sich damit gegen die Idee des perfekten Wissens, wonach die Entdeckung von Kausalzusammenhängen ein Wissen u m die Zukunft vermitteln solle, welches denselben Gewißheitsgrad besitze, wie das Wissen um die Gegenwart. Ein Wissen u m künftiges Geschehen sei dann zu erlangen, wenn es gelänge herauszubekommen, welche i n der Vergangenheit beobachteten Regelmäßigkeiten i n die Zukunft übertragen werden können 3 3 . Folgeerwägungen haben die Struktur von Kausalgesetzen. Folgen liegen von der geplanten gesetzgeberischen Maßnahme her gesehen zeitlich immer i n der Zukunft. Die Behauptung, man müßte nur eine bestimmte Maßnahme ergreifen, dann werde die gewünschte Folge i n der Zukunft m i t Notwendigkeit eintreten, stellt also einen singulären Kausalsatz dar, der die notwendige Verknüpfung der Maßnahme und ihrer Folge zum Inhalt hat. I n einer Entscheidung, wie der über den Konjunkturzuschlag, wäre leicht zu bestreiten, daß er Geldwertstabilität bewirke, ohne daß ein sol31 32 88

S. 88.

B V e r f G N J W 75, S. 31 f. B V e r f G 4,14. Stegmüller, Wissenschaftliche E r k l ä r u n g u n d Begründung, S. 438; Winch,

4. Folgebehauptungen als Ausdruck von Kausalgesetzmäßigkeiten

193

eher Streit durch ein überzeugendes K r i t e r i u m geschlichtet werden könnte. Behauptimg stünde gegen Behauptung. Es fragt sich nun, wie es zu einer solchen singulären Kausalbehauptung kommen kann, nach der Maßnahme und Folge der Maßnahme i n einer notwendigen Beziehung stehen. Fraglich ist, was die Behauptung rechtfertigt, die Beziehung sei notwendig. Man könnte erwägen, die Notwendigkeit als Eigenschaft der Beziehung von solchen Maßnahmen und Folgen zu gewinnen, die als kausal bezeichnet werden. Aber auch wenn Maßnahme und Folge nacheinander eintreten, so läßt sich nur diese Aufeinanderfolge beobachten und nicht die Notwendigkeit. Es läßt sich nicht feststellen, ob für die Folge ein Zwang oder eine A r t Nötigung bestand. Der Rat, die Notwendigkeit einer Beziehung doch zu beobachten, kann dem Gesetzgeber nicht gegeben werden, der die Folgen wissen w i l l , bevor diese eingetreten sind, nämlich schon bei der Planung der gesetzlichen Maßnahme. Die Maßnahme soll j a gerade u m der zukünftigen Folgen w i l l e n erlassen werden. Behauptungen über Beziehungen anderer A r t als die Kausalbeziehung, etwa über die Beziehung zweier Gegenstände hinsichtlich ihrer Größe lassen sich durch Beobachtung entscheiden, indem man nämlich feststellt, ob ein Gegenstand größer ist als der andere 34 . Der Streit u m kausale Notwendigkeit der Aufeinanderfolge von Ereignissen läßt sich durch Beobachtungen jedoch nicht ausräumen. Das Eintreten von Folgen als Wirkung der entschiedenen gesetzlichen Maßnahme beweist nicht die Behauptung, die Folgen seien notwendigerweise eingetreten. Wenn also als sicher prognostizierte Folgen tatsächlich eintreten, kann derjenige, der diese Prognose bestritten hat, weiterhin bestreiten, daß sie Folgen notwendig gewesen seien. Er kann behaupten, der E i n t r i t t sei Zufall gewesen oder durch andere Ereignisse, als die beschlossenen Maßnahmen bewirkt worden. Wenn also Geldwertstabilität eintritt, und zwar zeitlich nach der Maßnahme des Konjunkturzuschlages, so läßt sich immer noch die Notwendigkeit der Folge bestreiten m i t dem Hinweis, sie sei Zufall und durch andere unvorhergesehene Ereignisse verursacht worden. Geldwertstabilität sei etwa wegen bestimmter Konstellationen der Konjunkturlage eingetreten. Der Einwand des Zufalls beim Folgeneintritt läßt sich nicht ausräumen, da sich für jedes Ereignis unendlich viele Ursachen behaupten lassen. Hume hat nun die wichtige Entdeckung gemacht, daß die Kausalbeziehung eine Beziehung besonderer A r t ist 3 5 . Nach seiner Deutung ist in einer singulären Kausalbehauptung eine allgemeine Regularitätsaussage i m Prinzip enthalten 3 6 . Die Behauptung, eine Maßnahme sei not84 85 88

Stegmüller, Wissenschaftliche E r k l ä r u n g u n d Begründung, S. 438. Ebd., S. 440. Ebd., S. 439.

13 R a c k

194

I V . Die Bindung an

egelmäßigkeiten

wendig kausal für bestimmte Folgen, setzt unausgesprochen die Behauptung voraus, diese Maßnahmen verursachten die vorausgesagten Folgen, und zwar — was zu betonen ist — regelmäßig. Singuläre Kausalbehauptungen setzen also Kausalgesetzmäßigkeiten voraus 37 . Humes K r i t i k richtete sich gegen die Ansicht, die Notwendigkeit der Beziehung zwischen Maßnahme und Folge sei durch die Betrachtung des individuellen Einzelfalles festzustellen, etwa i n Form einer aufweisbaren Gegebenheit. Dagegen vertrat er die Ansicht, daß der Notwendigkeitscharakter den singulären Kausalverknüpfungen aufgrund von implizierten Kausalgesetzmäßigkeiten beigemessen wird. Nach Humes Lehre von der Kausalität — so formuliert Winch diesen Gedanken — bedeutet die Aussage, daß a die Ursache von b sei, nicht etwa, daß irgendeine erkennbare oder mysteriöse Verkettung von a und b behauptet wird, sondern daß die zeitliche Aufeinanderfolge von a und b der Fall einer Verallgemeinerung ist, dahingehend, daß auf Ereignisse wie a unserer Erfahrung nach immer Ereiginsse wie b folgen 38 . Die Behauptung, die singuläre Kausalverknüpfung sei notwendig, bringt nicht mehr an Information, sondern ist nur wichtig für die Sicherheit der Prognose. W i r d die Maßnahme des Konjunkturzuschlages als m i t der Folge der Geldwertstabilität notwendig kausalverknüpft bezeichnet, so stellt diese Aussage einen größeren Vorteil für den Entscheidungsprozeß dar, als die bloße Behauptung, die Folge werde voraussichtlich eintreten, ohne daß dies mit Sicherheit gesagt werden könne. Wenn kein Streit u m Folgen besteht, lassen sich Entscheidungen leichter treffen. Sichere Prognosen wären i n der Lage, Streit u m die Folgen gesetzgeberischer Maßnahmen zu verhindern. Über die Entdeckung hinaus, daß singuläre Kausalsätze implizit eine Behauptung über das Bestehen deterministischer Gesetzmäßigkeiten enthalten, lieferte Hume eine psychologische Hypothese von großer Plausibilität darüber, wie es zur Annahme solcher Gesetzmäßigkeiten komme. Die Annahme, zwei Ereignisarten folgten regelmäßig aufeinander, sei das Ergebnis von i n der Vergangenheit wiederholt gemachten Beobachtungen. Nicht die Beobachtung der einmaligen Aufeinanderfolge zweier ganz spezieller Ereignisse führt zur Annahme, das sei regelmäßig der Fall, sondern die i n der Vergangenheit gemachte gleichmäßige Beobachtung i n vielen ähnlichen Fällen. Diese Erfahrung festige die Vorstellung, auch i n Zukunft müßten diese Ereignisarten aufeinander folgen. Die Annahme, etwas müsse regelmäßig aufeinander folgen, und zwar auch i n Zukunft t w i r d damit erklärt, daß es i n der Vergangenheit so der Fall w a r 3 9 . Die Behauptung zum Beispiel, Geldwertstabilität sei 37 38

Ebd., S. 440. Winch, S. 88.

5. Die Situation der konkurrierenden Theorien

195

regelmäßig und daher auch i n Zukunft die Folge von Kaufkraftstilllegung, wäre deswegen berechtigt, weil dies auch i n der Vergangenheit der Fall war. Wenn also Maßnahmen argumentativ mit ihren Folgen verteidigt und gerechtfertigt werden, dann werden implizit Kausalgesetze aufgestellt. Nicht nur beim Streit über die Folgen einer Maßnahme spielen diese Kausalgesetzmäßigkeiten eine Holle, sondern auch, wenn es darum geht, Ursachen von Mißständen auszumachen und Maßnahmen zu deren Beseitigung zu planen. Sowohl beim Streit um die Folgen als auch beim Streit um die Ursachen von Zuständen w i r d über Kausalgesetzmäßigkeiten gestritten. 5. Die Situation der konkurrierenden Theorien Nachdem die Rolle von Gesetzmäßigkeiten i m Entscheidungsvorgang dargestellt worden ist, soll n u n untersucht werden, welche Aussagen sich über Kausalgesetzmäßigkeiten machen lassen. Die gesetzgeberische Entscheidungssituation stellt sich i n der Regel so dar, daß über die Folgen geplanter Maßnahmen und über die Ursachen zu beseitigender Mißstände unterschiedliche Annahmen über Kausalgesetzmäßigkeiten zugrundeliegen. Es handelt sich um die Situation der konkurrierenden Theorien, die als Lösung für dieselben Probleme angeboten werden. U m die Situation der konkurrierenden Theorien, handelt es sich nicht nur bei gesetzgeberischen Entscheidungen, sondern auch bei allen Gesetzeszweckbehauptungen. Wenn verschiedene Gesetzeszzwecke ein und derselben Rechtsnorm zugesprochen werden, dann geht es ebenfalls um Folgen der gesetzlichen Maßnahme, deren Wirkungen dem Gesetzgeber als bezweckt unterstellt werden. Aussagen über bezweckte Wirkungen sind Behauptungen über Kausalverknüpfungen. Darüber, wie diese Aussagen zu beurteilen sind, sollen die Untersuchungen zum Induktionsproblem Aufschluß geben. Diese Situation erfordert ein Auswahl- oder Auszeichnungsverfahren, das Kriterien dafür liefert, daß eine der anderen Theorie vorzuziehen und der entsprechend vertretenen Überzeugung Recht zu geben ist 4 0 . Zunächst soll die Verifizierbarkeit von Naturgesetzen oder von Gesetzen i m Ablauf gesellschaftlicher Entwicklungen betrachtet werden. Naturgesetze haben die Gestalt von unbeschränkten Allsätzen und schließen damit eine unbegrenzte Anzahl von Anwendungsfällen i n sich 41 . Sie stellen also Aussagen über das Aufeinanderfolgen von Maßnahmen und 39 Stegmüller, Wissenschaftliche E r k l ä r u n g u n d Begründung, S. 444; ders., Personelle u n d statistische Wahrscheinlichkeit, S. 87, 89. 40 Popper, Objektive Erkenntnis, S. 25; R. Schmidt, S. 155; Watrin, ö k o n o mische Theorien u n d wirtschaftspolitisches Handeln, S. 12. 41 Stegmüller, Hauptströmungen, S. 398.

13·

196

IV. Die Bindung an Regelmäßigkeiten

Folge dar, die unter allen Umständen sowohl i n der Vergangenheit als auch i n der Zukunft gelten sollen. Wegen dieser Eigenschaft der absoluten und zeitlosen Gültigkeit erlauben es Naturgesetze, Zukunftsprognosen zu stellen 42 . Wer also die Gültigkeit eines Naturgesetzes behauptet, schließt i n seine Behauptung ein, er wisse m i t Sicherheit, daß eine Folge i n Zukunft eintreten werde. A l l unser Wissen über Reales aber müsse sich i n irgendeiner Form auf das stützen, was w i r wahrnehmen und beobachten. Durch rein logische Beweisführung ist kein Wissen über die Welt zu erlangen. Dieser Grundüberzeugung des Empirismus widerspricht die Behauptung, man wisse mehr, als man beobachtet habe 43 . Darauf läuft die Behauptung hinaus, eine Maßnahme habe Folgen, da diese ja immer i n der Zukunft liegen. Es stellt sich also die Frage, wie man etwas wissen könne, ohne es beobachtet zu haben. Dem entspricht nämlich die Behauptung, ein Naturgesetz gelte. Nach einhelliger A n sicht lassen sich Naturgesetze nicht verifizieren, da nur endlich viele Beobachtungen zum Zwecke der Überprüfung angestellt werden können, aber unendlich viele nötig wären. A l l die unendlich vielen Fälle, die vor allem auch i n der Zukunft liegen, für die das Kausalgesetz behauptet, die Verbindung von Maßnahme und Folge gelte immer, müßten beobachtet werden. Die Wahrheit keiner einzigen realwissenschaftlichen Hypothese w i r d die Menschheit bis ans Ende aller Tage feststellen können 4 4 . Es ließe sich zum Beispiel fragen, wie man zu der Behauptung komme, Geld wer tstabilität werde durch die Maßnahme des Konjunkturzuschlages immer und unter allen Umständen und damit auch i n Zukunft erreicht. Beim Beispiel der Abgabenbelastung des Werkfernverkehrs ließe sich fragen, wie man zu der Behauptung komme, ebenso wie i n der Vergangenheit so werde auch i n Zukunft diese Abgabe den Werkfernverkehr von der Straße auf die Schiene verlagern. 6. Das Problem der Induktion oder die Möglichkeit, über Kausalgesetzmäßigkeiten Aussagen machen zu können Es bleibt also die Frage, wie, wenn nicht durch Beobachtung, die Wahrheit von Kausalgesetzmäßigkeiten festgestellt werden kann. Hierbei handelt es sich um die Ausgangsituation des sogenannten Induktionsproblems, das erstmals von Hume formuliert wurde. Hume hat zwischen dem logischen und dem psychologischen Problem unterschieden 45 . Das logische Problem formulierte Hume i n der Frage, ob es gerechtfertigt sei, von Einzelfällen, die uns i n der Erfahrung vorliegen, auf noch 42

Ebd., S. 398. Stegmüller, Induktion, S. 16; ders., Hauptströmungen, S. 346. 44 Stegmüller, Hauptströmungen, S. 398; ders., Induktion, S. 21. 45 Popper, Objektive Erkenntnis, S. 16; Stegmüller, Personelle u n d statistische Wahrscheinlichkeit, S. 79. 48

6. Aussagen über Kausalgesetzmäßigkeiten

197

nicht vorliegende erfahrbare Einzelfälle zu schließen oder anders ausgedrückt, ob w i r den Übergang vom Wissen über dasjenige, was w i r beobachtet haben, zu dem angeblichen Wissen über das, was w i r noch nicht beobachtet haben, rechtfertigen können 4 6 . Popper formulierte Humes Induktionsproblem i n der Frage: Läßt sich die Behauptung, eine erklärende Theorie sei wahr, m i t empirischen Gründen rechtfertigen, d. h. dadurch, daß man bestimmte Beobachtungsaussagen, die auf Erfahrung beruhen, als wahr annimmt? Diese Frage wurde zuerst von Hume und später von Popper verneint. Noch so viele wahre Beobachtunsaussagen rechtfertigen nicht die Behauptung, eine erklärende Theorie sei wahr 4 7 . Humes psychologisches Problem lautet, warum trotzdem alle vernünftigen Menschen erwarten und glauben, daß noch nicht vorliegende Erfahrungen den vorliegenden entsprechen werden, warum w i r Erwartungen haben, i n die w i r großes Vertrauen setzen 48 . Humes A n t w o r t lautet, daß aus Gewohnheit sich diese Antworten bilden und rechtfertigen. Die Erwartung, zwei Ereignisarten folgten regelmäßig aufeinander, die Annahme deterministischer Gesetzmäßigkeiten also, entstehe und sei gerechtfertigt durch i n der Vergangenheit wiederholt gemachte Beobachtungen i n vielen ähnlichen Fällen. Solche i n der Vergangenheit gemachten Beobachtungen festigten die Vorstellung, auch i n Zukunft müßten diese Ereignisse aufeinander folgen. Diese psychologische H y pothese Humes besitzt große Plausibilität 4 9 . Der Alltagsverstand hält es einfach für ausgemacht, daß unser Glaube an die Regelmäßigkeiten durch die wiederholten Beobachtungen gerechtfertigt ist, denen er seine Entstehung verdankt. Die Entstehung eines Glaubens aufgrund von Wiederholungen w i r d Induktion genannt 50 . Die Untersuchungen Poppers haben Humes A n t w o r t auf das logische Problem bestätigt, dagegen Humes A n t w o r t auf das psychologische Problem widerlegt. Das Ergebnis dieser Untersuchungen ist die Einsicht, daß alle Behauptungen über Gesetzmäßigkeiten als Vermutungen und Hypothesen anzusehen sind 5 1 . Danach kann ein Streit um das Eintreten von Folgen i n einer Entscheidungssituation nicht durch objektive und definitiv feststellbare Tatsachenbehauptungen geschlichtet werden. Wegen der schon betonten großen Bedeutung für eine juristische Argumentationstheorie soll der 46 Popper, Objektive Erkenntnis, S. 16; Stegmüller, Personelle u n d statistische Wahrscheinlichkeit, S. 76. 47 Popper, Objektive Erkenntnis, S. 19; Stegmüller, Induktion, S. 17, i n einer abstrakten Formulierung. 48 Popper, Objektive Erkenntnis, S. 16; Stegmüller, Personelle u n d statistische Wahrscheinlichkeit, S. 79. 49 Stegmüller, Wissenschaftliche E r k l ä r u n g u n d Begründung, S. 444. 50 Popper, Objektive Erkenntnis, S. 15. 51 Ebd., S. 21; Toulmin, Der Gebrauch von Argumenten, 1975, S. 205 f.

198

I V . Die B i n d u n g an Regelmäßigkeiten

zu diesen Einsichten führende Gedankengang hier nachgezeichnet werden. Zunächst soll Poppers Bestätigung der Antwort Humes auf den logischen Teil des Induktionsproblems dargestellt werden. Es ist an die Ausgangsfragestellung zu erinnern, welche Aussagen über Kausalgesetzmäßigkeiten gemacht werden können. Die Möglichkeit von Aussagen über Kausalgesetzmäßigkeiten, über Hypothesen also, bedeutet, auch Aussagen über Folgebehauptungen und Behauptungen über Zwecke von Rechtsnormen machen zu können. Nur von besonderen Sätzen über Beobachtungen, die wiederholt in der Vergangenheit gemacht wurden, läßt sich sagen, sie seien wahr. I n allgemeinen Sätzen dagegen, wie den Naturgesetzen oder gesellschaftlichen Gesetzen, Hypothesen und Theorien w i r d behauptet, daß das, was i n einem konkreten Fall beobachtet wurde, immer der Fall sei, auch i n Zukunft und unter allen Umständen. Die Wahrheit der besonderen Beobachtungssätze soll auf die allgemeinen Sätze übertragen werden, die ja Behauptungen über nicht Beobachtetes aufstellen. Fraglich ist nun, wie das zu bewerkstelligen ist. a) Die vergebliche

Suche nach einem

Induktionsprinzip

Popper stellt fest, es sei nichts weniger als selbstverständlich, daß w i r logisch berechtigt sein sollen, von besonderen Sätzen, und seien es noch so viele, auf allgemeine Sätze zu schließen. Ein solcher Schluß könne sich immer als falsch erweisen. Bekanntlich berechtigen uns noch so viele Beobachtungen von weißen Schwänen nicht zu dem Satz, daß alle Schwäne weiß sind. Die Frage, ob und wann induktive Schlüsse berechtigt sind, bezeichnet man als Induktionsproblem 5 2 . Wenn jemand behaupten wollte, unsere Erfahrung berechtige uns, aus Beobachtetem Schlüsse auf Unbeobachtetes zu ziehen, sagt Hume, „würde ich meine Frage nochmals stellen: Warum w i r aus dieser Erfahrung irgendwelche Schlüsse ziehen können, die über diejenigen vergangenen Fälle hinausgehen, von denen w i r Erfahrungswissen haben 5 3 ." Es geht also beim Induktionsproblem um die Frage, wie man die Überzeugung rechtfertigen oder begründen könne, daß es sich bei diesem angeblichen Wissen u m tatsächliches Wissen handelt 5 4 . Wie Hume fragt auch Popper, ob die Behauptung, aus empirischen Gründen sei eine Gesetzmäßigkeit wahr, zu rechtfertigen sei. Gefragt also w i r d nach einer Rechtfertigung. Etwas zu behaupten bedeutet, alle denkbaren Zweifel an einer Behauptung auszuschalten. Wenn zum Beispiel i n der Vergangenheit durch Kaufkraftstillegung Stabilität erreicht wurde, und das i m wiederholten Falle, so schließt man, daß es auch i n Zukunft mit Sicherheit der Fall sein werde. Das Induktionsproblem behandelt nun die Berechtigung der A n 52 55 54

Popper, L o g i k der Forschung, S. 4. Ebd., S. 320. Stegmüller, I n d u k t i o n , S. 16.

6. Aussagen über Kausalgesetzmäßigkeiten

199

nähme, was i n der Vergangenheit wiederholt der Fall gewesen sei, müsse auch i n Zukunft der Fall sein. Diese gesuchte Rechtfertigung soll durch Induktionsschlüsse geleistet werden. Induktive Schlüsse könne es nur dann geben, wenn ein Induktionsprinzip, also eine allgemeine Regel, existiere, nach welcher sich diese Schlüsse zu vollziehen hätten 5 5 . Der A l l tagsverstand legt die Annahme nahe, es gäbe eine solche Regel, ein Schlußschema oder ein wie auch immer geartetes Prinzip. Als positive Lösung des Induktionsproblems suchten dementsprechend die Philosophen nach einem Prinzip (Induktionsprinzip), m i t dem man allgemeine Gesetze aus singulären Aussagen ableiten und das als wahr gelten kann 6 6 . Das Prinzip sollte uns i n die Lage versetzen, verfügbare Erfahrungen, die i n der Vergangenheit gemacht wurden, für irgendeine Form von Zukunftswissen zu verwerten 5 7 . Es wurde also nach Regeln des korrekten induktiven Schließens gesucht. Diesem Induktionsprinzip wurde große Bedeutung beigemessen, da es über die Wahrheit wissenschaftlicher Theorien entscheiden können sollte 58 . Induktive Schlüsse sollten die Behauptung rechtfertigen, ein Gesetz sei aufgrund von bestimmten Beobachtungsaussagen wahr, die auf Erfahrung beruhen. Dies sind die Leistungserwartungen, die man an das Induktionsprinzip stellte. Zwei oft angeführte Beispiele sollen illustrieren, was unter einem Induktionsprinzip verstanden werden kann. Das von Popper kritisierte, aber dem Alltagsverstand vertraute Prinzip besagt, daß das wiederholte A u f treten einer Erscheinung uns irgendwie zur Annahme eines allgemeinen Gesetzes berechtige, daß i n der Vergangenheit beobachtete Regelmäßigkeiten auch i n Zukunft gelten werden 5 9 . Das zweite Beispiel ist ein ebenso denkbares aber weniger plausibles Prinzip, das das Gegenteil besagt, daß nämlich Ereignisse, die i n der Vergangenheit häufig eingetreten sind, i n Zukunft u m so seltener sein werden 6 0 . Ein Induktionsprinzip soll also eine wahre Aussage sein, die gute Gründe für unser Vertrauen auf Regelmäßigkeiten abgeben würde 6 1 . Das bisher geschilderte Induktionsproblem, das von Hume erstmals aufgeworfen wurde, versuchte man i n zwei Schritten zu lösen. Man versuchte, erstens ein Induktionsprinzip aufzustellen u n d i n einem zweiten Schritt dieses dann zu rechtfertigen. Man ging also von der Annahme aus, eine positive Lösung sei möglich, ein Induktionsprinzip sei denkbar und zu rechtfertigen. 55

Stegmüller, Hauptströmungen, S. 399. Popper, Objektive Erkenntnis, S. 21. 57 Stegmüller, Personelle u n d statistische Wahrscheinlichkeit, S. 537. 58 Popper, L o g i k der Forschung, S. 4. 59 Stegmüller, Induktion, S. 17; Popper, L o g i k der Forschung, S. 374. 60 Stegmüller, Induktion, S. 19. Dieses Prinzip w i r d auch A n t i i n d u k t i o n s regel genannt. 61 Popper, Objektive Erkenntnis, S. 41. 56

200

I V . Die Bindung an Regelmäßigkeiten

I m Gegensatz dazu kam Popper zum Ergebnis, ein solches Prinzip könne es gar nicht geben 62 . Dieses Ergebnis hat die Konsequenz, daß alle Gesetze Hypothesen und Vermutungen bleiben müssen. Folgebehauptungen, die ja Gesetzmäßigkeitsbehauptungen voraussetzen, wären demnach nie zweifelsfrei aufzustellen. Es könnte nur unschlichtbar über die Folgen von Maßnahmen oder deren Ursachen gestritten werden. Insofern wäre i n einer Entscheidungssituation keine Sicherheit bezüglich der Folgen und der Ursachen zu erreichen. Popper ging der Frage nach, welcher A r t von wahren Aussagen das Induktionspinzip zugehören könnte. Dazu ging er von der Einteilung der Sätze i n analytische und synthetische Sätze aus 63 . Das Begriffspaar analytisch/synthetisch bezieht sich auf die logische Natur der Sätze 64 . Die Unterscheidung ist insofern wichtig, als die Wahrheit der Aussagen jeweils anders bestimmt wird. Das Induktionsprinzip soll nun ein wahres Gesetz sein. Man ist also daran interessiert, ob es zum Beispiel wahr ist, daß i n der Vergangenheit beobachtete Regelmäßigkeiten auch i n Zukunft gelten werden. Der Form nach müßte dieses Induktionsprinzip allgemeingültig sein, das heißt, es müßte unabhängig davon gelten, auf welchem Gebiet die Regelmäßigkeiten behauptet werden, ob es sich u m Naturgesetze oder u m soziale Gesetzmäßigkeiten handelt. Das Induktionsprinzip soll also wahr sein, der Form nach ein genereller Satz sein und dazu befähigen, die Wahrheit von den Beobachtungen auf nicht Beobachtetes zu übertragen. Diese Form und diese Eigenschaften müßte das Induktionsprinzip haben, wenn es die i h m gestelltenAufgaben bewältigen soll. M i t allen diesen Eigenschaften müßte es entweder ein analytischer oder ein synthetischer Satz sein. Ob es ein analytischer Satz sein kann, soll zunächst untersucht werden. Ein analytischer oder logischer Satz müßte, um wahr zu sein, den Charakter einer Tautologie haben, der i n jeder logisch möglichen Welt unter allen denkbaren Umständen gilt 6 5 . Eine Aussage nennt man tautologisch, wenn sie schon allein aufgrund ihrer Form wahr ist, unabhängig von tatsächlichen Umständen 66 . Analytisch sind Sätze dann, wenn allein m i t der formalen Logik ihre Wahrheit festgestellt werden kann 6 7 . Ein Satz von der Form a oder non-a (a ν non a) ist eine solche logische Tautologie. Ein Induktionsprinzip i n Form einer Tautologie würde lauten: wiederholt beobachtete Regelmäßigkeiten gelten auch i n Zukunft oder sie gel82 Stegmüller, Personelle u n d statistische Wahrscheinlichkeit, S. 78, 86, schlägt vor, statt von der Lösung von der Auflösung des Problems durch Popper zu sprechen; Lüderssen, S. 40. 68 Kamiah / Lorenzen, S. 202 f.; Essler, Analytische Philosophie I, S. 266 f. 64 Stegmüller, Personelle u n d statistische Wahrscheinlichkeit, S. 456. 65 Popper, L o g i k der Forschung, S. 320. 68 Kamiah / Lorenzen, S. 205. 87 Stegmüller, Hauptströmungen, S. 44.

6. Aussagen über Kausalgesetzmäßigkeiten

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ten nicht i n Zukunft. Ein solcher Satz ist unter allen denkbaren Umständen wahr. Logische (deduktive) Schlüsse sind tautologische Umformungen 68 . Nach der logischen Struktur betrachtet, sind solche Schlüsse wahrheitskonservierend und nicht gehalterweiternd 6 9 . Formelhaft i n alltagssprachlicher Redeweise ließe sich ein solcher Satz als wahr, aber nichtssagend charakterisieren. Das Merkmal der logischen Schlüsse, nicht gehalterweiternd zu sein, bedeutet, daß der Gehalt der Konklusion nicht über den Gehalt der Prämissen hinausführt. Logische (deduktive) Schlüsse sind keine sogenannten Erweiterungsschlüsse. Erweiterungsschlüsse sind Fehlschlüsse 70 . Das Ergebnis des logischen Schlusses, die Konklusion, bedeutet nicht mehr als die Prämissen zusammen. Durch einen logischen Schluß läßt sich nichts über das hinaus gewinnen, was nicht schon als bekannt i n den Prämissen vorausgesetzt wurde. Analytisch wahre Sätze liefern also nichts über das schon als wahr anerkannte hinaus, sie liefern dies nur i n anderer Form. I m Gegensatz dazu müßte das gesuchte induktive Schlußschema gehalterweiternde Wirkung haben. Es müßte Erweiterungsschlüsse liefern, da der Gehalt der Aussagen, i n denen w i r unser angebliches Wissen über Nichtbeobachtetes mitteilen, unbestritten nicht i m Gehalt unseres Beobachtungswissens eingeschlossen ist 7 1 . M i t Hilfe der logischen Schlüsse, m i t analytischen Aussagen also, ist die Aufgabe nicht zu bewältigen, die den gesuchten induktiven Schlüssen gestellt ist, nämlich die Wahrheit von beobachtetem Wissen auf nicht beobachtetes, nur vermutetes Wissen, zu übertragen. Analytisch wahre Aussagen sind also keine Erweiterungsschlüsse, was aber die Induktionsschlüsse sein müssen, sollten sie ihre Aufgabe erfüllen, von Beobachtungswissen auf Vermutungswissen zu schließen. Das zweite Merkmal der logischen Folgerung, wahrheitskonservierend zu sein, bedeutet, daß die Wahrheit von den Prämissen, sofern diese wahr sind oder als wahr anerkannt sind, auf die Konklusionen übertragen w i r d 7 2 . Die gesuchten induktiven Schlüsse müssen wahrheitskonservierend sein. Sie sollen ja dazu dienen, unser Wissen zu erweitern, und nicht unseren Aberglauben zu vergrößern 73 . Induktionsschlüsse müssen — darauf konzentriert Stegmüller das Induktionsproblem — wahrheitskonservierende Erweiterungsschlüsse sein. Nach einhelliger Ansicht gibt es solche Schlüsse nicht 7 4 . Entweder 68

Popper, L o g i k der Forschung, S. 4. Stegmüller, I n d u k t i o n , S. 16. 70 Ebd., S. 16; ders., Personelle u n d statistische Wahrscheinlichkeit, S. 76. M i t dem Ausdruck „Erweiterungsschluß" w i r d an Kants Terminologie angeknüpft. 71 Ebd., S. 16. 72 Ebd., S. 16. 73 Ebd., S. 16. 74 Stegmüller, Personelle u n d statistische Wahrscheinlichkeit, S. 77; Popper, Objektive Erkenntnis, S. 19; ders., L o g i k der Forschung, S. 4 u. 320; Albert, Traktat, S. 12; Hare, S. 53. 89

202

I V . Die Bindung an Regelmäßigkeiten

ist ein Schluß korrekt, dann ist der wahrheitskonservierend, aber nicht gehalterweiternd, oder aber er ist gehalterweiternd, dann bietet er aber keine Gewähr dafür, daß die Konklusion wahr ist, selbst wenn sämtliche Prämissen richtig sind 7 5 . Zusammenfassend läßt sich also festhalten, daß das Induktionsprinzip i n Form eines analytischen oder logisch wahren Satzes nicht das leisten kann, was es leisten sollte. Es würde i n dieser Form seinen Zweck nicht erfüllen können. Die Wahrheit von Tatsachen läßt sich nicht durch analytisch wahre Sätze gewinnen. Das aber sollten gerade die Induktionsschlüsse leisten. Darin bestand das Induktionsproblem. Herkömmlich werden alle nichtanalytischen Sätze als synthetische Sätze angesehen 76 . Es bleibt nun zu untersuchen, ob das gesuchte Induktionsprinzip m i t all den Eigenschaften, die es haben muß, nämlich wahr, allgemein und gehalterweiternd zu sein, ein synthetisch wahrer Satz sein kann. Die synthetischen Sätze unterscheidet man i n synthetische a posteriori und i n synthetische a priori 7 7 . Bei dem Begriffspaar a priori und a posteriori geht es um die Frage, wie das Wissen u m die Wahrheit eines Satzes erworben wurde. Bei synthetischen Sätzen a posteriori handelt es sich u m solche, bei denen für das Wissen u m die Wahrheit Tatsachenerfahrungen nötig sind, während man bei synthetisch-a-priorischen Sätzen keine Tatsachenerfahrungen braucht, sie können vor aller Erfahrung gewußt werden 7 8 . U m ein wahrer synthetischer Satz a posteriori zu sein, müßte sich das Induktionsprinzip nach dem Grundsatz dem Empirismus durch Erfahrung verifizieren lassen. Da es sich beim Induktionsprinzip um ein Gesetz über die Gewinnung und Überprüfung von Gesetzen handelt, gilt auch für das Induktionsprinzip, was für alle allgemeinen Gesetze gilt und schon näher ausgeführt wurde, daß sie nämlich nicht verifizierbar sind 7 9 . Auch i n diesem Falle wäre die Beobachtung von künftigen Zuständen nicht möglich, die Frage nicht zu beantworten, ob durch wiederholte Beobachtung immer wahre Kausalgesetze (Induktionsprinzip) gewonnen werden können. Das M i t t e l der Verifikation zur Feststellung der Wahrheit scheidet also hier aus. Man müßte ansonsten — so drückt dies Toulmin aus — die Fähigkeit besitzen, „Augenzeuge der Zukunft" zu sein 80 . I n Frage käme nun noch, das 75

Stegmüller, I n d u k t i o n , S. 17. Kamiah / Lorenzen, S. 202; Essler, Analytische Philosophie I, S. 267; Stegmüller, Hauptströmungen, S. 44. 77 Popper, Objektive Erkenntnis, S. 107. 78 Stegmüller, Personelle u n d statistische Wahrscheinlichkeit, S. 457. H i e r m i t soll nicht auf die Frage eingegangen werden, ob es gültige synthetische Sätze a p r i o r i geben kann, w i e K a n t es glaubt u n d unter welchen Voraussetzungen. Dazu näher Essler, Analytische Philosophie I, S. 267 f.; Popper, L o g i k der Forschung, S. 5; ders., Objektive Erkenntnis, S. 36, macht ebenfalls den U n t e r schied zwischen a p r i o r i u n d a p r i o r i gültig. 79 Stegmüller, Hauptströmungen, S. 399. 80 Toulmin, S. 206. 76

6. Aussagen über Kausalgesetzmäßigkeiten

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Induktionsprinzip selbst durch induktive Schlüsse zu rechtfertigen. Dreierlei Fehler könnten nun gemacht werden: Man könnte sich erstens auf einen unendlichen Regreß einlassen oder zirkulär argumentieren oder schließlich einfach die Wahrheit des Induktionsprinzips dogmatisch behaupten. Ein unendlicher Regreß wäre unausweichlich, w e i l ja die der Rechtfertigung des Induktionsprinzips dienenden Induktionsschlüsse selbst noch nicht gerechtfertigt sind und dazu ein Induktionsprinzip höhere Ordnung vorausgesetzt werden müßte, das selbst wieder zu rechtfertigen wäre und so weiter ad infinitum 8 1 . Es wäre durch den Versuch denkbar, daß das Induktionsprinzip zu seiner eigenen Rechtfertigung eingesetzt würde, wobei der Fehler der Argumentation i n der Zirkularität liegen würde. Wollte man behaupten, viele wiederholte wahre Beobachtungsaussagen rechtfertigten die Behauptung, ein Gesetz sei wahr, so müßte das auch für den allgemeinen Satz des Induktionsprinzips gelten, das ja selbst ein Gesetz zur Gewinnung und Überprüfung von anderen Gesetzen darstellt. Die wiederholte Beobachtung, daß wiederholte Beobachtung immer zu wahren Gesetzen führt, läßt sich gar nicht machen. Wegen der Nichtverifizierbarkeit nämlich kann ein wahres Gesetz niemals beobachtet werden. Vielmehr lassen sich zahllose Beispiele aus der Wissenschaftsgeschichte von Gesetzen nennen, die sich trotz der Annahme, sie seien absolut gültig, als bloße Hypothesen herausstellten 82 , nachdem gegenteilige Entdeckungen gemacht worden waren. Das Induktionsprinzip ist — w i l l man es positiv nachweisen — induktiv ungültig, ja paradox 83 . W i l l man die Frage, ob ein Gesetz durch wiederholte Beobachtungen als wahr erkannt werden könne, bejahen und versucht dementsprechende Beobachtungen anzustellen, so ist man gezwungen, die Frage zu verneinen, weil man dann die Unmöglichkeit der empirischen Begründung erkennt. Es läßt sich nämlich nie ein Gesetz aus der Erfahrung als absolut wahr erweisen. Da aus der positiven A n t w o r t auf Humes Problem die negative A n t w o r t folgt, muß die positive Antwort falsch sein 84 . Denkbar wäre nun noch die Möglichkeit, daß das Induktionsprinzip einen synthetisch,apriorischen Satz darstellt. Ob ein solcher Satz wahr sein kann, ist ein seit Kant vieldiskutiertes Problem, zu dem weiter unten Poppers Ansicht dargelegt w i r d 8 5 . Das gesuchte Induktionsprinzip müßte — wie dargelegt — die Eigenschaften haben, wahr, allgemein und gehalterweiternd zu sein, u m die i h m gestellten Aufgaben erfüllen zu können. Untersucht wurde, welcher der denkbaren Arten wahrer Sätze dieses Induktionsprinzip zugehören 81 82 83 84 85

Popper, Logik der Forschung, S. 5. Popper, Objektive Erkenntnis, S. 22 m i t Beispielen. Ebd., S. 23. Ebd., S. 24. Popper, L o g i k der Forschung, S. 5.

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könne, wobei sich herausgestellt hat, daß es mit den genannten Eigenschaften weder ein analytisch noch ein synthetisch wahrer Satz sein kann. Alles i n allem ist man sich heute über die Ansichten Poppers einig, daß es keine induktiven Entdeckungsregeln für Gesetzmäßigkeiten geben kann 8 6 . Aus empirischen Gründen, mit Erfahrungswissen also, lassen sich Gesetzmäßigkeiten nicht so begründen, daß man von wahren Gesetzen sprechen kann. Hiermit hat Popper die erstmals von Hume formulierte Problematik der Induktion und dessen Antwort bestätigt. b) Die Entstehung: von Hypothesen nach der Ansicht Poppers oder das Argument von der Relativität der Ähnlichkeiten und der Unmöglichkeit von Identitätsurteilen Die dargelegte Feststellung zum Induktionsproblem veranlaßt die Frage, wie — wenn nicht nach einem Prinzip oder nach Regeln — Hypothesen entstehen. Hume hatte nach diesem negativen Resultat die psychologische Frage aufgeworfen, wie alle vernünftigen Leute zu der Überzeugung gelangen, daß das, was sie erwarten, i n Einklang stehen w i r d mit dem, was sie bereits erfahren haben 87 . I n seiner psychologischen Theorie i m Rahmen des Induktionsproblems beantwortet Hume die Frage, warum w i r Erwartungen haben, i n die w i r Vertrauen setzen, m i t der Theorie, daß die Wiederholung von Ereignissen die Annahme eines allgemeinen Gesetzes i n uns hervorrufe. Diese psychologische Theorie Humes über die Entstehung von Gesetzesmäßigkeitsannahmen und von Hypothesen w i r d von Popper widerlegt. Es handelt sich um das schon vorweggenommene Hauptargument von der Standpunktabhängigkeit der Gesetzmäßigkeitsbehauptungen. Popper konzentriert das Problem auf die Fragestellung, was zeitlich oder psychologisch zuerst existiere, die Wiederholung von Ereignissen oder die Erwartung eines Ereignisses. Nach Humes Ansicht würden zeitlich und psychologisch zuerst Wiederholungen von Ereignissen wahrgenommen, und danach, also i n einer A r t Folgeakt nach dieser Beobachtung, entstünden Erwartungen des Inhalts, daß diese beobachteten Wiederholungen sich auch i n Zukunft fortsetzen würden. Formelhaft w i r d vom Primat der Wiederholung gesprochen 88 . Es kommt also auf die Reihenfolge an, ob das Beobachten der Wiederholungen vor oder nach dem Entstehen von Erwartungen anzusetzen ist. Popper bestreitet nun, daß beobachtete Wiederholungen die Erwartung entstehen ließen, das wiederholt Beobachtete werde sich i n Zukunft fortsetzen; die Reihenfolge sei vielmehr umzukehren. Erwartungen für die Zukunft seien Anlaß, nach Wiederholungen i n der Vergangenheit zu suchen. Diese Wiederholungen dienten dann dazu, die 86 Stegmüller, Induktion, S. 20; ders., Personelle u n d statistische W a h r scheinlichkeit, S. 81. 87 Stegmüller, Personelle u n d statistische Wahrscheinlichkeit, S. 79. 88 Popper, Logik der Forschung, S. 374.

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Prognosen zu untermauern. Poppers Beobachtungen eines allgemeinen menschlichen Bedürfnisses nach Regelmäßigkeiten inspirierte ihn zu der Hypothese, dieses Bedürfnis, also Erwartungen seien vor allen Regelmäßigkeiten vorhanden und Erwartungen könnten sich ohne und vor jeder Wiederholung bilden 8 9 . Erwartungen von Regelmäßigkeiten müßten dam i t vor deren Beobachtung vorhanden sein. Es handelt sich u m die A n sicht Kants, der Popper ausdrücklich zustimmt, daß unser Verstand der Natur die Gesetze vorschreibe, sie ihr unterstelle. M i t anderen Worten, Regelmäßigkeiten sind psychologisch a priori 9 0 , aber nicht empirisch durch Beobachtung zu ermitteln. Dieser Vermutung nachgehend, zeigte Popper durch seine Analyse, daß sich Erwartungen zunächst nur als rein subjektive Erwartungen ohne jede Beobachtung von Regelmäßigkeiten bilden können 9 1 . Dem Alltagsverstand ist diese Ansicht keineswegs fremd. Dies beweist der hierfür charakteristische Satz, daß der Wunsch — und nicht etwa die Beobachtung — Vater des Gedankens ist. Er hat allerdings den negativen Begleitton, daß dies eigentlich nicht so sein dürfte. U m diese Vermutung zu bestätigen, untersucht Popper die Voraussetzungen von Wiederholungen. Die Wiederholung eines Vorgangs ist nicht m i t dem wiederholten Vorgang identisch, sondern nur mehr oder weniger ähnlich. Es gibt nur annähernde Wiederholungen. Wenn aber Wiederholungsaussagen auf Ä h n lichkeitsbehauptungen beruhen, dann müssen Wiederholungsbehauptungen m i t Ähnlichkeitsbehauptungen deren Hauptmerkmal teilen, nämlich ihre Relativität. Danach sind zwei ähnliche Dinge immer — und darauf kommt es an — nur i n gewisser Hinsicht ähnlich 92 . Gegenstände können i n verschiedener Hinsicht ähnlich sein. Beliebige Dinge sind von einem Standpunkt ähnlich, von einem anderen aus unähnlich. Allgemein gesprochen setzt Ähnlichkeit und somit auch Wiederholungen stets die Einnahme eines Standpunktes voraus 93 . Wenn nun Ähnlichkeiten und Wiederholungen die Einnahme eines Standpunktes oder ein bestimmtes Interesse oder eine Erwartung voraussetzen, dann ist es notwendig, daß Standpunkte oder Interessen oder Erwartungen der Wiederholung sowohl logisch als auch zeitlich und psychologisch vorausgehen. Popper führt dazu weiter aus, daß sich für jede endliche Gruppe von Dingen oder Personen, mag sie noch so regellos zusammengesetzt sein, bei einiger Geschicklichkeit Standpunkte finden lassen, von denen aus alle zu der 89 Popper, Objektive Erkenntnis, S. 36; dazu auch Essler, Analytische Philosophie I, S. 306. 90 Popper, Objektive Erkenntnis, S. 36; daß sie auch a p r i o r i gültig i m Sinne Kants sind, soll damit nicht gesagt sein. 91 Ebd., S. 36. 92 Popper, L o g i k der Forschung, S. 374, m i t Beispielskizzen von geometrischen Figuren. 98 Ebd., S. 375.

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I V . Die B i n d u n g an Regelmäßigkeiten

Menge gehörenden Dinge ähnlich (oder teilweise gleich) sind. Jedes beliebige Ereignis läßt sich als Wiederholung jedes beliebigen anderen ansehen, wenn man nur den geeigneten Standpunkt einnimmt. Es sei naiv, meint Popper, die Wiederholung als etwas Erstes und Gegebenes zu betrachten 94 . Damit ist nachgewiesen, daß Humes induktive Theorie für die Entstehung einer Erwartung aus logischen Gründen gar nicht richtig sein kann 9 5 . Derselbe Gedankengang — ein ganz zentrales Argument der Wissenschaftstheorie — findet sich i n jüngster Zeit bei Peter Winch, der sich ausdrücklich auf Wittgensteins Einsichten über die Befolgung von Regeln bezieht 96 . „Eine Regelhaftigkeit oder Gleichförmigkeit ist die beständige Wiederkehr eines Ereignisses derselben A r t bei einer Gelegenheit derselben A r t ; daher setzen Aussagen über Gleichförmigkeit Urteile über Identität voraus." Kriterien der Identität hingen notwendigerweise von einer Regel ab m i t dem Zusatz, daß zwei Ereignisse, die unter dem Gesichtspunkt der einen Regel als qualitativ ähnlich gelten, unter dem Gesichtspunkt einer anderen Regel als voneinander verschieden anzusehen sind 9 7 . A u f Handlungen von Menschen bezogen, führt Winch aus, jede beliebige Reihe von Handlungen eines Menschen könne durch die eine oder andere Formel erfaßt werden, wenn w i r uns nur darauf einrichten, eine hinreichend komplizierte zu wählen 9 8 . Dieses wichtige Argument von der Ähnlichkeit bedeutet, worauf hier besonders hingewiesen werden soll, daß Identitätsurteile nicht möglich sind, ohne einen Standpunkt, einen Gesichtspunkt mit genannt zu haben. Hier sind i n erster Linie juristische Gegenstände von Interesse, also gesetzliche Maßnahmen und Sachverhalte, die Gerichte beschäftigen und die als gleich zu beurteilen sind. Die Behauptung, zwei Gegenstände seien gleich, würde ein drittes Vergleichsobjekt voraussetzen, eine Urform, ein U r bild, an dem sich die zwei Gegenstände messen ließen. Wie schon ausführlich dargestellt wurde, bemühte der Essentialismus ja das „Wesen" eines Gegenstandes als Maßstab, u m nach einem Blick auf dieses Wesen sagen zu können, ob ein Unterschied oder eine Gemeinsamkeit, die sich beim Vergleich zweier Gegenstände herausgestellt hat, dem Wesen gemäß und daher wesentlich oder unwesentlich ist. Zu erinnern ist an die endlos anmutende Begriffsdiskussion nach dem Schema, Unterschiede und Gemeinsamkeiten aufzuzeigen, u m dann mit einem Hinweis auf das Wesen einen Sachverhalt einzuordnen und die Gemeinsamkeit als wesentlich oder unwesentlich zu bezeichnen. Das Wesen als imaginärer Maßstab bleibt verborgen und kaschiert nur das, was eigentlich vorgegangen ist, daß nämlich ein Standpunkt bezogen, ein Gesichtspunkt ge94 95 98 97 98

Ebd., S. 376. Popper, Objektive Erkenntnis, S. 36. Winch, S. 42,108. Ebd., S. 108. Ebd., S. 42.

6. Aussagen über Kausalgesetzmäßigkeiten

207

wählt oder eine Perspektive eingenommen, letztlich also eine Entscheidung getroffen wurde. Dementsprechend führt Winch aus, w i r könnten nur dann wissen, ob zwei Dinge als gleich anzusehen sind oder nicht, wenn uns der Kontext mitgeteilt würde, indem sich diese Frage erhebt. Es gibt keine absolute, unveränderliche Bedeutung des Wortes „gleich", so sehr w i r auch zu dieser Annahme neigen". Dieses Argument von der Relativität der Ähnlichkeits- und Wiederholungsbehauptungen von der Unmöglichkeit von Identitätsurteilen soll die Ansicht widerlegen, es könne objektive, unbeeinflußbare Vergleichsobjekte — wie etwa das Wesen — als Maßstäbe geben. Von großer Bedeutung ist diese Einsicht für das juristische Problem des Gleichheitssatzes nach A r t . 3 GG, worauf noch eingegangen wird. Aus der dargestellten Einsicht sind nun Konsequenzen zu ziehen. H y pothesenbehauptungen sind demnach Sache eines subjektiven Standpunktes. I m Gegensatz dazu steht die empirische Ansicht, Hypothesen seien so etwas wie die objektiven Beschreibungen von vorgegebenen Wiederholungen u n d Regelmäßigkeiten. Je nach Standpunkt lassen sich verschiedene Hypothesen aufstellen. Hypothesen können sich nur ohne und vor jeder Wiederholung bilden, w e i l Wiederholungsbehauptungen die Ähnlichkeit der verglichenen Gegenstände oder Ereignisse voraussetzen und diese wiederum einen Gesichtspunkt verlangt 1 0 0 . Folgebehauptungen erwiesen sich als Hypothesenbehauptungen. Hypothesenbehauptungen stellen Kausalverknüpfungen dar. Sie sind Standpunktsache. Die Kausalverknüpfungen existieren nicht an sich und ohne jegliches menschliches Zutun, sondern die Verknüpfung und Paarung von Kausalfaktoren ist ein menschlicher Akt, der von Erwartungen und I n teressen geleitet wird. Kausalverknüpfungen werden somit vom Menschen konstituiert. Theorien und Gesetze sind Einf älle, Entdeckungen, zu denen kein rationaler Weg von gemachten Beobachtungen f ü h r t 1 0 1 . Dies sind schöpferische Intuitionen 1 0 2 , sie sind Ergebnisse von Glück und Kombinationsgabe des jeweiligen Forschers 103 . Eine Hypothese aufzustellen ist eine Sache der persönlichen Einstellung, der persönlichen Erwartungen und hängt nicht von vorgegebenen objektiven Regelmäßigkeiten ab. Poppers Ergebnis, die Behauptung über die Ähnlichkeit zweier Gegenstände oder zweier Ereignisse oder zweier Personen sei eine Sache des persönlichen Standpunktes, läßt sich nun auch auf j u ristische Gegenstände übertragen.

M

Ebd., S. 39, 40; Wittgenstein, P U 215, 216. Popper, Objektive Erkenntnis, S. 36. 101 Stegmüller, Hauptströmungen, S. 401. 102 Popper f L o g i k der Forschung, S. 7. 100

103

Stegmüller,

Hauptströmungen, S. 470; Lüderssen, S. 40, 66.

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I V . Die Bindung an Regelmäßigkeiten

7. Konsequenzen für die juristische Begriffsverwendung Von Interesse ist die Anwendung dieser Einsichten auf Fälle der Rechtsprechung und auf Gesetze, die einem juristischen Begriff untergeordnet werden sollen. Jeder juristische Begriff steht für eine Klasse von j u r i stischen Gegenständen, seien es nun Gesetze, wie bei den Sonderabgaben oder Fälle aus der Rechtsprechung, wie die Enteignungsfälle. I n diesem Zusammenhang werden regelmäßig die juristischen Gegenstände i n eine Reihe von anderen eingeordnet. Zweifelhaft ist fast immer, i n welcher Reihe von Fällen der fragliche juristische Gegenstand einzuordnen ist. Diese Einordnung ist — wie dargelegt — Standpunktsache. Es läßt sich je nach Wahl des Standpunktes behaupten, daß der einzuordnende Fall eine Wiederholung der Fälle darstellt, die unter einen schon vorhandenen Begriff fallen. Die Wahl eines anderen Standpunktes führt zu der davon verschiedenen Behauptung, der einzuordnende Fall sei einer anderen Reihe oder Klasse von Fällen ähnlich und als deren Wiederholung einzuordnen. Der Einordnungsvorgang ist somit ein Entscheidungsvorgang. Diese Charakterisierung w i r d deutlicher, wenn man sich das Gegenteil vor Augen führt, nämlich einen Erkenntnisvorgang. Man müßte aus einer Reihe von Fällen etwa der Rechtsprechung oder aus einer Reihe von Gesetzen, wie den Steuergesetzen, ein Prinzip, eine Regel oder Formel, ablesen, nach dem diese Fälle aneinander gereiht sind. Dieses Prinzip würde die Fortsetzung der Reihe bestimmen. Ob nun die Investitionshilfe oder der Konjunkturzuschlag i n die Reihe der Steuergesetze gehört, würde ein solches Prinzip, eine solche Regel bestimmen. Es bestünde also keine Wahl, kein Entscheidungsspielraum, wo ein solcher juristischer Gegenstand einzuordnen wäre. Die Schwierigkeit besteht nun darin, diese empiristische Begriffsbildungsmethode plausibel darzustellen, nachdem umfassend dargelegt worden ist, daß es keinerlei Prinzipien oder Regeln unabhängig von einem persönlichen Standpunkt geben kann 1 0 4 . Das empiristische Begriffsverständnis läßt sich i n der juristischen Praxis sehr schwer nachweisen. Es ist eine von zwei Möglichkeiten, die Einreihung eines juristischen Gegenstandes als vorgegeben anzuehen. Die erste Möglichkeit ist die wesensphilosophische Position, wonach ein Begriff als Wesen, als Urform verstanden wird. Die empiristische Position dient hier lediglich zur Veranschaulichung des Entscheidungscharakters der begrifflichen Einordnung. Es läßt sich nun eine A n t w o r t auf die Frage geben, nach welcher Methode ein bisher nicht eingereihter Fall i n eine Klasse von juristischen Gegenständen, die unter einen Begriff fallen, einzuordnen ist. Es handelt sich um einen Entscheidungsvorgang, der von Folgeerwägungen bestimmt wird. Bestimmend sind hier die Rechtsfolgen, die i n den Gesetzen an juristische Begriffe geknüpft sind. Welche Rechtsfolgen nun von dem jeweiligen Stand104

Essler, Analytische Philosophie I, S. 259 f.

8. Ähnlichkeitsargument u n d Gleichheitsproblem

209

punkt her zu bevorzugen sind, hängt wiederum von den Folgen dieser Rechtsfolgen ab. Folgebehauptungen wiederum stellen Hypothesenbehauptungen dar, so daß hiermit die ganze Unsicherheit und damit der Konfliktstoff für unschlichtbare Diskussionen deutlich zutage tritt. Die Frage, i n welche Reihe die Sonderabgabengesetze einzuordnen sind, konzentriert sich auf die Alternative, ob sie i n die Reihe der Fälle einzuordnen sind, die unter den Steuerbegriff fallen, oder ob sie eine eigene Reihe oder Klasse bilden, wie es das Bundesverfassungsgericht entschieden hat. Vom persönlichen Standpunkt hängt die Behauptung über die Ähnlichkeit der einzuordnenden Sonderabgabengesetze m i t den Steuergesetzen ab. Je nachdem, welche Folgen bevorzugt werden, w i r d Ä h n lichkeit oder Unähnlichkeit m i t den Steuergesetzen behauptet. Insgesamt ist also nicht vorgegeben und nicht zu erkennen, ob eine Sonderabgabe, wie der Konjunkturzuschlag oder die Investitionshilfe eine Steuer ist, sondern dies ist zu entscheiden und hängt von den Folgen der jeweiligen Rechtsfolgen ab, die sich an diese Begriffe knüpfen. Das Lastenausgleichsgesetz zum Beispiel w i r d überraschenderweise als Steuer angesehen, obwohl es alle typischen Eigenschaften der Sönderabgaben aufweist. Ebenso inkonsequent erscheint es, den Konjunkturzuschlag als Sonderabgabe, nicht aber als Steuer einzuordnen, m i t der er Gemeinsamkeiten t e i l t 1 0 5 . Die Darstellung hat gezeigt, daß Hypothesen durch Behauptungen von Wiederholungen, das heißt durch Behauptungen von Ähnlichkeiten entstehen, was bedeutet, daß Standpunkte bezogen werden. Damit trägt letzten Endes juristische Tätigkeit Entscheidungscharakter. Der vermeidbare Fehler i m Entscheidungsprozeß besteht nun darin, dessen Entscheidungscharakter und Standpunktabhängigkeit zu übersehen. 8. Die Relevanz des Argumentes von der relativen Ähnlichkeit für das Gleichheitsproblem Der Gedanke der Standpunktabhängigkeit von Wiederholungs- und Ähnlichkeitsbehauptungen ist vor allem für das Gleichheitsproblem von Interesse. Gerade das Problem der Lastengleichheit spielt i m Bereich der finanzverfassungsrechtlichen Fragen eine bedeutende Rolle. Die Behauptung, Sachverhalte oder Personen seien gleich, erweist sich als standpunktabhängig, da es sich auch dabei um Ähnlichkeitsbehauptungen handelt. Die Bedeutung dieser Einsicht w i r d erst deutlich, wenn die damit abgelehnte Position dargestellt wird. Zu diesem Zweck sollen für diese Position typische Äußerungen aus dem hier behandelten Problembereich angeführt werden, die sich dadurch auszeichnen, daß sie einerseits die Relativität der Gleichheit zwar zugestehen, ja sogar betonen, trotzdem aber nicht die Ansicht aufgeben, es könne doch noch einen 105

Friauf,

14 R a d e

öffentliche Sonderlasten, S. 53.

210

I V . Die Bindung an Regelmäßigkeiten

objektiven Maßstab geben, an dem sich der Gesetzgeber messen ließe. Dem Glauben an den objektiven Maßstab ist die Standpunktabhängigkeit entgegenzusetzen. Inwieweit dieser Maßstab der Standpunktabhängigkeit zu präzisieren ist, insbesondere, daß darunter ein intersubj e k t i v gültiger Maßstab zu verstehen ist, soll später noch eingehend dargestellt werden. Hier galt es zunächst, die Unmöglichkeit eines objektiven Maßstabes zu zeigen. Typisch für die erwähnte zwiespältige Haltung ist folgende Äußerung Baduras 1 0 6 . Er hebt zunächst treffend die Relativität von Gleichheitsbehauptungen hervor. Die Gleichheit oder Ungleichheit von Sachverhalten sei nicht etwas schlechthin Vorgegebenes, sondern bereits das Ergebnis einer wertenden Entscheidung, die der Gesetzgeber vermöge des weiten Ermessensspielraumes treffe, der i h m bei der Ordnung der Lebensverhältnisse bleibe. Der Gesetzgeber könne grundsätzlich selbst diejenigen Sachverhalte auswählen, an die er dieselbe Rechtsfolge knüpfe, die er also i m Rechtssinne als „gleich ansehen wolle". Da die Sachverhalte i n der Lebenswirklichkeit sich nie völlig gleichen, müßten gewisse Verschiedenheiten stets vernachlässigt werden 1 0 7 . Soweit ist diesen Ausführungen zur Gestaltungsfreiheit des Gesetzgebers v o l l zuzustimmen. Dann aber fordert Badura gleich anschließend, der Gesetzgeber müsse aber seine Auswahl „sachgerecht treffen". Die Unterschiede dürften nicht so erheblich sein, daß ihre Außerachtlassung w i l l k ü r l i c h sei. Da bei der Anwendung des Gleichheitssatzes die Rücksicht auf die Freiheit des Gesetzgebers besondere Zurückhaltung gebiete, könne eine gesetzliche Regelung nur als w i l l k ü r l i c h verworfen werden, wenn ihre Unsachlichkeit evident sei. Hierbei beruft sich Badura auf eine Reihe von Entscheidungen des Bundesverfassungsgerichts 1 0 8 . I n dieser Einschränkung, die Auswahl müsse sachgerecht sein, kommt die Hoffnung zum Ausdruck, es könne einen objektiven Maßstab geben. Ebenso unentschieden äußert sich zu dieser Frage des Gleichheitsproblems Tipke 1 0 9 . Gleichheit sei, dadurch unterscheide sie sich von der Identität, immer relativ. Was völlig gleich sei, sei identisch. Der Satz, daß Gleiches gleich zu behandeln ist, meint nicht Identität, sondern relative Gleichheit. Man müsse, wenn man A r t . 3 I GG anwenden wolle, die richtige Relation ermitteln, fragen, i n bezug auf was gleich? Beliebige Verschiedenheiten könnten die Ungleichbehandlung also nicht rechtfertigen. Für solche relative Vergleichung werde ein Vergleichsmaßstab, das richtige tertium comparationis, benötigt. Das Bundesverfassungsgericht habe wiederholt eine am Gerechtigkeitsdenken orien106 Badura, Die Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts zu den v e r fassungsrechtlichen Grenzen wirtschaftspolitischer Gesetzgebung i m sozialen Rechtsstaat, S. 609. 107 Ebd., S. 609. 108 Ebd., S. 609, BVerfGE 1, S. 14, 52; 19, S. 101,115; 19, S. 354. los Tipke, Steuerrecht, 2. Aufl., S. 34.

8. Ähnlichkeitsargument u n d Gleichheitsproblem

211

tierte Betrachtungsweise für maßstäblich erklärt 1 1 0 . Das sei indessen eine abstrakte Leerformel. Trotz dieser klaren Aussage zur Relativität der Gleichheit bietet Tipke als Vergleichsmaßstab das „systemtragende Prinzip" an, das aus der dem Gesetz zugrundeliegenden Wertung oder Motivation zu gewinnen sei 1 1 1 . Das Prinzip sei der vom Gesetzgeber für einen konkreten Sachbereich verbindlich statuierte Vergleichsmaßstab oder Gerechtigkeitsmaßstab. Besondere Aufmerksamkeit verdient Tipkes Satz, der Gesetzgeber sei zwar frei i m Bestimmen von primären Prinzipien, er sei jedoch nicht frei bei der Durchführung eines Prinzips. Das Prinzip müsse konsequent und folgerichtig durchgeführt werden 1 1 2 . Wer, so ist zu fragen, soll dieses Prinzip nun formulieren, feststellen, wenn es zum Streit kommt, was dieses Prinzip sei, was es zum Inhalt habe, ohne nicht selbst einen persönlichen Standpunkt zu beziehen. Einen solchen Maßstab vorzuschlagen bedeutet doch, daß dieser ohne weiteres erkennbar sei. Hier handelt es sich u m ein typisches Beispiel für die ausführlich behandelte konstruktivistische Position der Beweisdefinitheit, die entgegen Wittgensteins und Harts Ansicht davon ausgeht, es könne Objektivität durch eine selbstgesetzte Beweisregelung geben, dabei aber stillschweigend und ungeprüft voraussetzt, es könne letzte präzise Regeln geben. M i t den letzten präzisen Regeln sind die sogenannten sekundären, vor allem die Erkenntnisregeln gemeint, auf die noch näher einzugehen sein wird. A u f den Hinweis nämlich, ein solches systemtragendes Prinzip sei nicht zweifelsfrei zu erkennen, ließe sich antworten, dann müßte eben die Erkenntnis von systemtragenden Prinzipien selbst wieder geregelt werden. Dabei würde es sich um die sogenannten sekundären Erkenntnisregeln i m Sinne Harts handeln. Über solche sekundären Regeln kann es nun wiederum zum Streit kommen. Eine Regelhierarchie wäre notwendig. Dieser Regelskeptizismus findet seinen Ausdruck i n dem Argument, am Ende dieser Regelhierarchie müsse es eine Regel geben, die ihre eigene Anwendung regelt 1 1 3 . Unter Berufung auf die regelskeptische Position Harts und Wittgensteins ist dieser Ansicht Tipkes entgegenzuhalten, daß der Gesetzgeber auch bei der Durchführung eines Prinzips frei ist, da es keine letzten Regeln, auch nicht selbstgesetzte, gibt, an die er gebunden werden könnte. Es ist i m Zusammenhang m i t dem Regelskeptizismus an den Satz Wittgensteins zu erinnern: „Wie viele Regeln immer du m i r gibst, ich gebe dir eine Regel, die meine Verwendung deiner Regel rechtfert i g t 1 1 4 . " Diese Position läßt sich m i t Baduras Formulierung treffend kenn110

Ebd., S. 34; B V e r f G 1, 264, 76, 3,135; 17, 313. Tipke, Steuerrecht, S. 34. 112 Ebd., S. 34, m i t umfangreichen Nachweisen aus der Rechtsprechung des B V e r f G i n Fn. 49. 118 Hart, S. 176; Wittgenstein, P U 84. 114 Wittgenstein, G M 33,113. 111

14·

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I V . Die B i n d u n g an Regelmäßigkeiten

zeichnen, der Gesetzgeber könne grundsätzlich selbst diejenigen Sachverhalte auswählen, an die er dieselbe Rechtsfolge knüpfe, die er also i m Rechtssinne als gleich ansehen wolle 1 1 5 . Allerdings — und das ist zu betonen — kann die Einschränkung Baduras nicht übernommen werden, daß der Gesetzgeber an Sachgerechtigkeiten gebunden sei. Auch Friauf bemerkt ganz ausdrücklich, die steuerliche Gleichheit sei ihrem Wesen nach stets verhältnismäßige Gleichheit 1 1 6 . Die Lastengleichheit folge unmittelbar aus der Anwendung des allgemeinen Gleichheitssatzes. Sie unterliege dem fundamentalen Gebot, Gleiches gleich, zugleich aber auch Ungleiches seiner Eigenart entsprechend verschieden zu behandeln. Die Belastbarkeitsentscheidung könne dem Gesetzgeber nicht durch wissenschaftliche Erkenntnis abgenommen werden, sie sei notwendig Gegenstand der politischen Dezision 117 . Insoweit ist diesen Ausführungen zuzustimmen. Allerdings bleibt die Einschränkung zu kritisieren, Ungleiches könne seiner Eigenart entsprechend verschieden behandelt werden. Hier ist die Frage zu stellen, wer feststellen soll und ob es überhaupt objektiv erkennbar ist, was die Eigenart eines Sachverhaltes ausmacht, wer einen Streit über die Eigenart eines Sachverhaltes und nach welchem Maßstab schlichten soll. Wenn hier gegen die angebotenen Maßstäbe der Sachgerechtigkeit, der systemtragenden Prinzipien oder der Empfehlung, Ungleiches seiner Eigenart entsprechend ungleich zu behandeln, argumentiert w i r d und der totale Regelskeptizismus Wittgensteins und der Gesichtspunkt der Standpunktabhängigkeit bei Popper hervorgehoben werden, dann mag dies zwar rigoros und ausweglos klingen. Es handelt sich jedoch u m die Konsequenz, die man aus der Ergebnislosigkeit der Fragen ziehen muß, wie man die Eigenart einer Sache, die Sachgerechtigkeit, oder wie man systemtragende Prinzipien ausmachen kann. Wittgensteins und Poppers Ansichten treffen sich i n der K r i t i k an objektiven, vorgegebenen Maßstäben, i n der Ablehnung der Ansicht, es könne objektive Maßstäbe geben. Beide bekämpfen die Position des Essentialismus, der platonistische Wesenheiten annimmt, die irrigerweise immer wieder als Maßstäbe bemüht werden und die Hoffnung nähren, man könne mit ihrer Hilfe zwischen essentiellen und akzidentiellen, wesentlichen und unwesentlichen Merkmalen, unterscheiden. Man glaubt zum Beispiel, es könne die Eigenart eines Personenkreises festgestellt werden, die eine Sonderbelastung rechtfertigt. Wenn den die Beliebigkeit und Standpunktabhängigkeit betonenden Positionen der Vorzug gegeben wird, dann deshalb, weil damit der trügerische Eindruck vermieden wird, es gebe doch einen objektiven Maßstab, an dem der Gesetzgeber gemessen werden 115 Badura, Die Rechtsprechung des B V e r f G zu den verfassungsrechtlichen Grenzen wirtschaftspolitischer Gesetzgebung i m sozialen Rechtsstaat, S. 609. 116 Friauf, öffentliche Sonderlasten, S. 47. 117 Ebd., S. 46.

9. Gesetzeszweckbehauptungen als Kausalgesetzmäßigkeiten

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könne. Diesen Eindruck zu erwecken bedeutet, die Gefahr der W i l l k ü r zu verschleiern und zu ignorieren, daß es der Gesetzgeber i n der Hand hat zu entscheiden, welche Sachverhalte i m Rechtssinne gleich sind. Der einmütig für notwendig erklärte Schutz vor dem Gesetzgeber läßt sich erst gar nicht organisieren, wenn man der Ansicht nachhängt, der Gesetzgeber könne an objektive Maßstäbe gebunden und an ihnen gemessen werden. Sich auf das Wesen, auf die Sachgerechtigkeit, auf systemtragende Prinzipien zu berufen bedeutet, den Schein einer unerfüllbaren Objektivität aufrechtzuerhalten und die Illusion zu nähren, der Gesetzgeber sei zu binden. Die Bindung des Gesetzgebers an die Verfassung gemäß A r t . 1 Abs. 3 GG ist als Bindung an Sprache und Begriffe zu verstehen, die der Disposition der Sprachbenutzer unterliegen. Trotzdem zu glauben, eine Bindung sei auf diese Weise möglich, bedeutet, ein Ziel m i t untauglichen M i t t e l n erreichen zu wollen. Offen ist natürlich hierbei die Frage, wie, wenn nicht m i t den M i t t e l n der Sprache, der Gesetzgeber gebunden werden kann. Dies ist als unumstrittenes Ziel weiterzuverfolgen. Durch die Aufrechterhaltung einer Scheinobjektivität, indem so getan wird, als ob Maßstäbe zur Bindung und zur Kontrolle vorhanden seien, w i r d verhindert, daß der Gesetzgeber seine Entscheidungen durch Folgeerwägungen rechtfertigt und die Vor- und Nachteile soweit wie möglich offenlegt. Der Konjunkturzuschlag zum Beispiel ließe sich mit der Folgeerwägung rechtfertigen, es werde Preisstabilität erreicht. Nachdem nun die Relevanz des Arguments von der Relativität der Ähnlichkeitsbehauptungen für juristische Fragen dargelegt wurde und als Ergebnis die Einsicht festzuhalten ist, daß der Gesetzgeber einen weiten Entscheidungsspielraum hat und nicht einmal durch selbstgesetzte Regeln zu beschränken ist, soll nun die Frage weiterverfolgt werden, wie der Entscheidungsvorgang, wenn er schon als unbeschränkbar zu gelten hat, kontrollierbar und nachvollziehbar gemacht werden kann. 9. Gesetzeszweckbehauptungen als Aussagen über Kausalgesetzmäßigkeiten I m Anschluß an die Darstellung des Induktionsproblems ist nun auf eine weitere Klärung einzugehen, die die Einsicht Poppers, die Hypothesenbildung sei standpunktabhängig, für die finanzverfassungsrechtliche Diskussion bringen kann. Bei der Abgrenzung von Steuern und sonstigen Abgaben werden die Merkmale des Steuerbegriffs, die A u f bringung von Geldleistungen, die hoheitliche Auferlegung durch ein öffentliches Gemeinwesen, das Fehlen einer besonderen Gegenleistung des Steuergläubigers und schließlich das Merkmal der Erzielung von Einkünften umfassend diskutiert 1 1 8 . Das umstrittenste K r i t e r i u m des allge118 Tipke/ Kruse, Kommentar zur Reichsabgabenordnung, 3. Aufl., A n m . 4 i n § 1, Bd. 1,1963, A n m . 2 zu § 1.

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I V . Die B i n d u n g an Regelmäßigkeiten

meinen Abgabenrechts ist das Tatbestandsmerkmal „zur Erzielung von Einkünften". Es w i r d nicht nur zur Abgrenzung der Steuer von den Sonderabgaben benutzt, sondern es entzündet sich an diesem Merkmal auch die endlose Diskussion über den finanz- und ordnungspolitischen Zweck der Besteuerung 119 . Statt diese Diskussion i n ihrer Endlosigkeit darzubieten, soll die Frage gestellt werden, warum diese Diskussion derart auswuchert. Statt wie bisher Zwecke der Abgabengesetze, insbesondere den Fiskalzweck, zu diskutieren, soll zunächst Klarkeit über den Begriff des Zwecks selbst erreicht werden. Aussagen über Zwecke setzen unausgesprochen Aussagen über Regelmäßigkeiten oder Kausalverknüpfungen voraus 1 2 0 . Von einer Rechtsnorm zu behaupten, sie habe einen Zweck, bedeutet soviel wie sie habe eine bestimmte Wirkung. Die gesetzliche Maßnahme und ihre Wirkung werden somit als Kausalfaktoren miteinander verknüpft. Zwecke lassen sich als Wirkungen kennzeichnen, deren Eintreten geglaubt und gewünscht w i r d 1 2 1 . Das Eintreten von Wirkungen zu behaupten und daran zu glauben bedeutet, eine Regelmäßigkeit anzunehmen. Die gewonnenen Einsichten über Kausalgesetzmäßigkeiten lassen sich nun für die Diskussion u m Zwecke fruchtbar machen. Es wurde gezeigt, daß Hypothesen standpunktabhängig sind, daß sie Wiederholungsbehauptungen darstellen, denen Ähnlichkeitsannahmen zugrunde liegen 1 2 2 . Kausalfaktoren lassen sich danach beliebig je nach Standpunkt verknüpfen. So lassen sich m i t den Abgabegesetzen ebenfalls Wirkungen verknüpfen, von denen gesagt wird, sie seien bezweckt, das heißt vom Gesetzgeber erwünscht und erwartet. Jede Abgabe, jedes Gesetz hat nun zahllose Wirkungen. Ein Gesetz ist Ursache einer endlosen Kette von W i r kungen. Von all diesen Wirkungen läßt sich nun sagen, sie seien vom Gesetzgeber bezweckt, das heißt der Gesetzgeber habe sie gewünscht und ihr Eintreten erwartet. Darüber hinaus läßt sich grundsätzlich dem Gesetzgeber nahezu jede Annahme unterstellen, daß er eine bestimmte Wirkung verfolgt und beabsichtigt habe. Das Zweck-Kriterium erweist sich demnach als beliebig und standpunktabhängig. Zum Beispiel w i r d die Maßnahme der Werkfernverkehrssteuer m i t der Wirkung verknüpft, den Güterverkehr von der Straße auf die Schiene zu verlagern. Den Gesetzesinterpreten ist es nun möglich, dem Gesetzgeber die Annahme verschiedener Kausalgesetzmäßigkeiten und Absichten zu unterstellen, ohne daß diese auszuschließen wären. Diese gesetzliche Maßnähme hat neben der Verlagerung des Verkehrs noch andere Wirkungen, so auch die Erzielung von Einkünften. Zu behaupten, der Zweck sei die Ein"· Strauß, S. 114. 120 Stegmüller, Wissenschaftliche E r k l ä r u n g u n d Begründung, S. 535. 121 Ebd., S. 535, 536. 122 Ausführlicher dazu, Hypothesenentstehung u n d Hypothesenbildung.

9. Gesetzeszweckbehauptungen als Kausalgesetzmäßigkeiten

215

kunftserzielung gewesen, bedeutet, dem Gesetzeber eine andere oder eine zusätzliche Folgeerwartung zu unterstellen. Ein solches interventionistisches Gesetz hat viele Wirkungen, zum Beispiel auf Speditionsunternehmen und auf Lastwagenhersteller. A l l e könnten dem Gesetzgeber unterstellen, er habe ihren Nachteil oder auch ihren Vorteil bezweckt. Je nachdem, welchen Standpunkt man einnimmt, lassen sich die Folgebehauptungen, die Kausalverknüpfungen, die Gesetzmäßigkeitsbehauptungen also, vermehren. Diese standpunktabhängige Vermeidbarkeit der Zwecke hängt davon ab, daß auf der Kausalebene unleugbare Gesetzmäßigkeiten sich aufstellen lassen, ohne daß diese untereinander eindeutig ausgezeichnet werden können. Darüber hinaus läßt sich jedes M a l leicht dem Gesetzgeber unterstellen, die jeweilige W i r kung habe dieser gewünscht, angenommen und damit auch bezweckt. So zum Beispiel wurden bei der baden-württembergischen Feuerwehrabgabe, deren Aufkommen nur für Zwecke der Feuerwehr verwendet werden dürfte, eine Mehrzahl von Gesetzeszwecken i n Erwägung gezogen und diskutiert. Es wurde der Fiskalzweck, weiterhin ein Sicherungszweck — Sicherung des Brandschutzes — daneben ein Ausgleichszweck, weil nämlich die aktiven Dienstverpflichteten i m Gegensatz zu anderen nicht belastet werden, und schließlich ein Ersatzleistungszweck diskutiert 1 2 3 . Hierbei handelt es sich zunächst u m Wirkungen, die dem Gesetzgeber als bezweckt unterstellt werden, ohne daß sie i m einzelnen ausgeschlossen werden könnten. Die Standpunktabhängigkeit w i r d noch deutlicher, bedenkt man, daß je nach Standpunkt M i t t e l und Zweck vertauschbar werden. Was von einem Standpunkt als Zweck erscheint, läßt sich von einem anderen als M i t t e l deuten 1 2 4 . Dies w i r d vor allem von Luhmann unter dem Stichwort „Relativität der Zweck/Mittel-Charakterisierung" diskutiert. Die Ansichten zum Fiskalzweckmerkmal werden i n Gruppen eingeteilt. Die nach Strauß umfangreichste Gruppe setzt das Merkmal der Erzielung von Einkünften m i t dem Merkmal der Auferlegung von Geldleistungen gleich. Hierbei w i r d deutlich der Standpunkt des Abgabe-Belasteten eingenommen und nur die Wirkung auf den Belasteten berücksichtigt 125 . Eine andere Gruppe, deren Ansicht wohl als die herrschende bezeichnet werden kann 1 2 6 , bezieht sich dagegen bei der Beurteilung der Abgabe auf die Wirkung, die sie vom Standpunkt des Abgabeberechtigten hat. Es w i r d an die W i r k u n g auf den Staatshaushalt angeknüpft. Abgaben, die nicht i n den Haushalt fließen, werden nicht als Steuern angesehen 127 . 128 124 125 126 127

Bopp, S. 139 ff. Luhmann, Zweckbegriff u n d Systemrationalität, S. 115. Strauß, Die Abgaben der Ausgleichseinrichtungen, S. 115. Ebd., S. 118. Ebd., S. 118.

216

I V . Die Bindung an Regelmäßigkeiten

Insgesamt also eignet sich der Zweckbegriff infolge seiner Standpunktabhängigkeit nicht als Abgrenzungskriterium, so daß sich schon aus diesen theoretischen Gründen eine Darstellung der endlosen Diskussion erübrigt. 10. Verfahren zur Auszeichnung von Hypothesen Die Entscheidungssituation stellt sich nach den gewonnenen Einsichten über die Hypothesenbildung so dar, daß Hypothesen je nach Standpunkt beliebig aufgestellt werden können. Das bedeutet, daß beliebige Folgebehauptungen aufgestellt werden können. Unterschiedliche Behauptungen über Folgen gesetzlicher Maßnahmen stellen also unterschiedliche Behauptungen von Hypothesen dar. Diese Situation der konkurrierenden standpunktabhängigen Hypothesen- und Folgebehauptungen veranlaßt die Frage, ob es ein Verfahren geben kann, das die Auszeichnung und Auswahl dieser Hypothesen erlaubt. Es geht darum, Kriterien dafür aufzustellen, welche der konkurrierenden Hypothesen, Vermutungen und Überzeugungen den anderen vorzuziehen sind, wenn zur Lösung des gleichen Problems mehrere dieser Hypothesen zur Diskussion stehen. Die Frage nach den Auswahlgrundsätzen für konkurrierende Hypothesen w i r d als Nachfolgeproblem des Induktionsproblems angesehen. Es w i r d zwischen dem Interesse des Theoretikers und dem des Praktikers an der Beurteilung von Hypothesen unterschieden. Dementsprechend w i r d zwischen theoretischen und praktischen Nachfolgeproblemen unterschieden 1 2 8 . Das Interesse des Theoretikers w i r d durch seine wissenschaftliche Neugierde bestimmt, immer wieder Hypothesen und Theorien zu überprüfen, während der Praktiker gezwungen ist, Entscheidungen zu treffen. Er ist zum Handeln gezwungen. Der Theoretiker ist an der Frage interessiert, was w i r wissen können. Während den unter Entscheidungsdruck stehenden Praktiker hauptsächlich die Frage interessiert, wie w i r handeln sollen, welche Maßnahmen zu treffen sind. Jede Handlung oder Maßnahme setzt Folgeerwartungen voraus, das heißt Hypothesen über die Wirkungen der geplanten Maßnahmen 1 2 9 . Damit soll gesagt sein, daß jede Maßnahme nicht u m ihrer selbst, sondern u m ihrer Folgen wegen vorgenommen wird. Wie schon mehrfach ausgeführt wurde, schließt jede Folgebehauptung die Behauptung einer Hypothese ein, daß nämlich die Maßnahme und ihre Wirkungen immer aufeinander folgen, insbesondere auch i n Zukunft. Unumgänglich stellt sich die Frage, welche der konkurrierenden Hypothesen vernünftigerweise für die praktischen Handlungen vorzuziehen sind. Der Praktiker muß eine Entscheidung fällen und ist zur Wahl zwischen den konkurrierenden Hypothesen und den 128 Popper, Objektive Erkenntnis, S. 25; Stegmüller, sche Wahrscheinlichkeit, S. 83, 537. 120 Popper, Objektive Erkenntnis, S. 33.

Personelle u n d statisti-

10. Verfahren zur Auszeichnung von Hypothesen

217

unterschiedlich behaupteten Folgen gezwungen; er muß sich für eine von vielen zur Wahl stehende Maßnahme entscheiden. Poppers Rat für diese Situation besteht nun darin, die bestgeprüfte Theorie den anderen vorzuziehen 130 . Es soll nun untersucht werden, welche Prüfungen hierfür i n Frage kommen. a) Die Verifikation von Hypothesen Als erstes Prüfungsverfahren ist die Verifikation, die Bestätigung der Hypothesen, aus der Erfahrung zu nennen, die hier aber aus den ausführlich genannten Gründen ausscheidet. Hypothesen lassen sich durch Beobachtung nicht so bestätigen, daß von ihnen gesagt werden könnte, sie seien eindeutig wahr. Damit kann man auch nie m i t Sicherheit behaupten, welche Folgen eine bestimmte Maßnahme haben wird. Absol u t sichere Prognosen bleiben unmöglich. Es gibt keine Augenzeugen der Zukunft 131. b) Die Falsifikation von Hypothesen Als nächstes Prüfungsverfahren kommt die sogenannte Falsifikationsmethode i n Betracht, die Popper vorgeschlagen hat. I m Ergebnis läßt sich m i t dieser Methode die Falschheit von Hypothesen erkennen 1 3 2 . Die bisherigen Betrachtungen haben ergeben, daß die Wahrheit von Gesetzmäßigkeiten niemals festzustellen ist, weder durch verifizierende Beobachtungen noch durch induktive Verfahren. Danach bleibt aber die Problemsituation der konkurrierenden Theorien bestehen, i n der unterschiedliche Theorien Lösungen zum selben Problem anbieten. Die A u f gabe besteht nun darin, aus dem Angebot von Theorien die auszusondern, aufgrund deren man die Entscheidung treffen kann. Popper w i l l zunächst die falschen Theorien ausscheiden, so daß die bestgeprüfte Theorie sich unter den verbleibenden nicht falschen, den nicht falsifizierten Theorien befindet. Poppers Falsifikationsmethode besagt: wenn Hypothesen sich nicht bestätigen lassen, dann soll versucht werden, sie zu widerlegen (falsifizieren). Das Programm der Falsifikation besteht darin, Theorien an der Erfahrung scheitern zu lassen. Alle empirischen Vermutungen sollen einer empirischen Prüfung unterzogen werden, ohne induktive Regeln anzuwenden. Hypothesen sind nicht beweisbar, aber widerlegbar. Das ist die Grundidee der Falsifikationsmethode. Eine A l l hypothese kann zwar nicht aus singulären Aussagen abgeleitet werden, jedoch kann sie m i t Einzeltatsachen i n Widerspruch stehen 133 . Das Überprüfungsverfahren der Falsifikation besteht darin, aufgrund der zu 130

Ebd., S. 34. Toulmin, S. 205. 132 Popper t Objektive Erkenntnis, S. 24.

131

133 Popper, L o g i k der Forschung, S. 16.

218

I V . Die Bindung an Regelmäßigkeiten

testenden Hypothese Prognosen aufzustellen. T r i t t das Vorausgesagte nicht ein, so ist die Hypothese falsifiziert 1 3 4 . Die bei diesem Verfahren verwendete einzige logische Regel ist die deduktive Regel des modus tollens der klassischen Logik, m i t deren Hilfe die Falschheit von besonderen auf die allgemeinen Sätze übertragen wird, aus denen der besondere Satz, etwa eine Prognose, zuvor abgeleitet würde 1 3 5 . Wenn zum Beispiel die Hypothese aufgestellt wird, Kaufkraftstillegung bewirke immer und unter allen Umständen Geldwertstabilität, und die Kaufkraftstillegung führt i n einer bestimmten Situation nicht zur Stabilität, dann ist diese Hypothese widerlegt, falsifiziert. Sie läßt sich nur noch m i t der Abschwächung behaupten, „unter Umständen" bewirke Kaufkraftstillegung Stabilität, nicht aber mehr als allgemeiner Satz. Allgemeine Sätze, die einmal auf diese Weise widerlegt wurden, gelten nun nicht mehr uneingeschränkt. Falsifizierte Hypothesen scheiden für den Praktiker als Entscheidungshilfen aus. Er w i r d keine Maßnahmen erlassen, keine Handlung vornehmen, von der er weiß, daß sie die angestrebten Folgen schon einmal entgegen aller Erwartungen nicht bew i r k t hat. I h n interessieren nur nicht falsifizierte Theorien, deren prognostischer Wert nicht durch begründete Zweifel gemindert ist. Etwa bei der Straßengüterverkehrssteuer konnte auf eine solche nicht falsifizierte „bewährte" Hypothese zurückgegriffen werden, daß nämlich durch diese Abgabenbelastung sich der Güterverkehr von der Straße auf die Schiene verlagern werde 1 3 6 , indem die Erfahrungen über die Folgen der vorangegangenen Werkfernverkehrsbelastung berücksichtigt w u r den. Dem unter Entscheidungsdruck stehenden Praktiker ist nun m i t der Methode der Falsifikation noch nicht viel geholfen. I h n interessiert ja eine einzige Theorie, von der er ausgehen kann, wenn er eine Maßnahme unter anderen auszuwählen hat. I h n interessiert, ob und welche Folgen diese haben wird. Nach der Falsifikation weiß er, welche der Theorien er nicht anwenden kann. Trotz der Falsifikation bleibt die Auswahl an Hypothesen groß, von denen nicht gesagt werden kann, sie seien richtig oder falsch. Es sind alle nichtfalsifizierten Hypothesen. Diese bringen nicht den von ihnen erhofften praktischen Nutzen, aufgrund ihrer Prognoseleistung wirkungsvolle „Lebensweiser" (guide of life) zu sein 1 3 7 .

184 Stegmüller, Induktion, S. 23. A u f das Basissatzproblem braucht hier nicht eingegangen zu werden, da es die Ergebnisse aus der Induktionsproblematik nicht verändert. iss Popper, L o g i k der Forschung, S. 16, 45; Stegmüller, Personelle u n d statistische Wahrscheinlichkeit, S. 401. 188

BVerfG, N J W 75, 31. Stegmüller, I n d u k t i o n , S. 46; Carnap u n d Stegmüller, u n d Wahrscheinlichkeit, S. 101. 187

I n d u k t i v e Logik

10. Verfahren zur Auszeichnung von Hypothesen

219

c) Die Bewährung von Hypothesen Angesichts der großen Zahl nichtfalsifizierter Hypothesen bietet die Falsifikationsmethode dem Entscheidungsträger wenig Entlastung. U m nun innerhalb der Klasse der nichtfalsifizierten Hypothesen wiederum eine Auszeichnung vornehmen zu können, hat Popper den Begriff der „Bewährung" eingeführt. Von den nichtfalsifizierten Hypothesen sollen diejenigen die Entscheidung bestimmen, die nicht nur nichtfalsifiziert sind, sondern auch bewährt sind. A u f die breite Diskussion dieses Begriffs und seiner Leistungsfähigkeit kann hier nicht eingegangen werden 1 3 8 . Unmißverständlich stellt Popper i n jüngster Zeit i n diesem Zusammenhang klar, daß er unter dem Bewährungsgrad einer Theorie einen konzentrierten Testbericht verstehe, der den Stand der kritischen Diskussion der Theorie zu einem bestimmten Zeitpunkt darstelle. Es handelt sich um Aussagen über die bisherigen Leistungen der Theorie i m Vergleich zu konkurrierenden. Nicht das Geringste dagegen werde über deren zukünftige Leistungen oder ihre Verläßlichkeit ausgesagt. Die Bewährung ist kein Indiz für die zukünftigen Leistungen einer Theorie 1 3 9 . Zusammenfassend läßt sich festhalten, daß völlig sichere Beurteilungsmethoden für Hypothesen noch nicht vorliegen 1 4 0 . Es läßt sich durch die Beurteilung konkurrierender Hypothesen keine Auszeichnung erreichen, die die Wahl zwischen den i n Frage kommenden nichtfalsifizierten H y pothesen abnehmen könnte. Für die Entscheidungssituation bedeutet dies, daß eine Entscheidung durch ein Auswahlverfahren bei Hypothesen nicht abgenommen werden kann. Das Ergebnis Poppers besteht also darin, daß alle Gesetzmäßigkeiten bloße Hypothesen darstellen, Folgebehauptungen nie m i t dem Anspruch der absoluten Sicherheit aufgestellt werden können und der Entscheidungsspielraum somit nicht beseitigt, sondern bestenfalls eingeengt werden kann. Eine Würdigung dieser Einsicht darf nicht allein deren Bedeutung für die Entscheidungstheorie berücksichtigen, sondern muß Poppers Ergebnisse daran messen, welche der bisherigen Fehler vermeidbar geworden sind. Konsequenzen werden sich hauptsächlich für die juristische Argumentation ergeben, die von der begriffsjuristischen Methode geprägt ist.

138

Stegmüller, Induktion, S. 46. Popper, Objektive Erkenntnis, S. 30/31. 140 Stegmüller, Personelle u n d statistische Wahrscheinlichkeit, S. 86; Toul min, S. 206. 139

220

I V . Die Bindung an Regelmäßigkeiten

11. Die Relevanz von Aussagen über Kausalgesetzmäßigkeiten im juristischen Entscheidungsprozeß für die Verfassungskontrolle wirtschaftspolitischer Gesetze M i t der Einsicht i n den Entscheidungscharakter juristischer Tätigkeit, die die Auffassung immer mehr verdrängt, daß sich aus Begriffen der Verfassung etwas für die Gesetzgebung oder deren Kontrolle gewinnen lasse 141 , stellt sich die Frage, wie Entscheidungen zu treffen, welche Fehler dabei zu vermeiden sind und vor allem, ob und inwieweit das Bundesverfassungsgericht die Entscheidungen überprüfen kann. Mehrfach wurden schon Folgeerwägungen als Methode empfohlen. Folgeerwägungen stellen Kausalgesetzmäßigkeitsbehauptungen dar, die — wie sich gezeigt hat — immer nur Hypothesen bleiben können. Es gilt Auszeichnungsverfahren zu entwickeln, um konkurrierende Theorien gegeneinander abwägen zu können. Bevor nun auf den Ansatz einer normativen Entscheidungstheorie, die sich diese Aufgabe zum Programm macht, eingegangen wird, soll noch auf die Bedeutung der Folgeerwägungen für den Fragenkomplex der Verfassungskontrolle wirtschaftspolitischer Gesetze hingewiesen werden 1 4 2 . Allen gesetzgeberischen Maßnahmen gehen Prognosen voraus, deren Beurteilung gerade i m Hinblick auf A r t i k e l 109 Abs. 2 GG für den wirtschaftspolitischen Bereich immer wichtiger wird. I n der Überprüfung von Entscheidungsvorgängen auf vermeidbare Fehler könnte dem Bundesverfassungsgericht eine wichtige Aufgabe zuwachsen. Nach Badura kann dem Gesetzgeber der V o r w u r f nicht verfassungsgemäßen Handelns schwerlich gemacht werden, wenn i h m bei einem komplizierten Regelungsgegenstand des Wirtschaftslebens unzutreffende wirtschaftliche Prognosen unterlaufen 1 4 3 . Es w i r d weiter die Ansicht vertreten, das Bundesverfassungsgericht habe sich der Beurteilung von Wahrscheinlichkeitsurteilen über wirtschaftliche Kausalabläufe zu enthalten 1 4 4 . Die beschränkte Erkenntnismöglichkeit setze diesen Prüfungen Grenzen 145 . Ob eine Beurteilung von Hypothesen, die der gesetzgeberischen Entscheidung vorausgehen, überhaupt möglich ist, hängt von der Frage ab, welche Aussagen über Hypothesen gemacht werden können. Dazu sollte die hier gegebene Darstellung von wissenschaftstheoretischen Beurteilungskriterien, wie der Verifikation, der Falsifikation und der Bewährung dienen. Daß das Bundesverfassungsgericht die Prüfung von Kausalgesetzmäßigkeiten ansatzweise vornimmt, soll an 141 Badura, Die Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts zu den verfassungsrechtlichen Grenzen wirtschaftspolitischer Gesetzgebung i m sozialen Rechtsstaat, S. 593; Friauf, öffentliche Sonderlasten, S. 46; Mußgnug, S. 277. 142 Spanner, Z u r Verfassungskontrolle wirtschaftspolitischer Gesetze, S. 217 f. 143 Badura, Die Rechtsprechung des BVerfG, S. 597. 144 Vogel, Finanzverfassung u n d politisches Ermessen, S. 35. 145 R. Schmidt, S. 159 ff.

11. Verfassungskontrolle wirtschaftspolitischer Gesetze

221

zwei Beispielen aus dem Bereich der Abgabengesetze gezeigt werden. I m Urteil zum Konjunkturzuschlag geht das Bundesverfassungsgericht auf den Zweck des Gesetzes ein 1 4 6 , indem es die verschiedenen Maßnahmen nennt, die zur Auswahl standen, um die Gesamtnachfrage zu dämpfen, wie zum Beispiel eine Konjunkturanleihe oder die Erhöhung von Einkommen- und Körperschaftssteuern. Das Gericht beschränkte sich darauf, dem Konjunkturzuschlag die prinzipielle Eignung zur Konjunkturdämpfung zu bescheinigen 147 . I m Gesetzgebungsverfahren wurden Vor- und Nachteile gegeneinander abgewogen, wobei es sich der A r t nach u m Beurteilungen von Prognosen handelte. Gegen eine freiwillige Konjunkturanleihe sprach die Prognose, kapitalkräftige Bürger w ü r den dadurch nicht wie gewünscht zu vermehrter Sparkapitalbildung veranlaßt, sondern es werde nur zu einer Umschichtung bestehender Sparkapitalien kommen. Diese Erwägung stellt eine Hypothese über das Finanzierungsverhalten potentieller Anleihekunden dar 1 4 8 . A b zulehnen ist die zum Konjunkturzuschlagsurteil geäußerte Ansicht, es sei nicht Sache des Juristen, sich i n Prophezeiungen zu ergehen 149 und es sei deshalb nicht Aufgabe des Gerichts, zu überprüfen, ob das Stabilitätsziel auf sinnvolle Weise erreicht werde. Ebenso handelt es sich bei den Prognosen, Kaufkraftstillegung werde die Nachfrage dämpfen oder sie werde nicht den Konsum, sondern die Spartätigkeit einschränken, u m Hypothesen, die zu beurteilen und gegeneinander auszuzeichnen sind. Deutlich hat das Bundesverfassungsgericht i m Urteil zur Sonderbesteuerung des Straßengüterfernverkehrs (Leber-Pfennig) auf die Bedeutung von Prognose-Beurteilungen hingewiesen. M i t einer Lenkungssteuer sollte eine Verlagerung des Güterverkehrs von der Straße auf die Schiene bewirkt werden, u m damit der notleitenden Bahn Einnahmen zu verschaffen und gleichzeitig den Straßenverkehr zu entlasten. I n der Tat stellte die Schwierigkeit einer zutreffenden Prognose den Lenkungserfolg solcher Gesetze nicht selten i n Frage. Dies treffe aber für alle wirtschafte- und verkehrspolitischen Maßnahmen zu und solle den Gesetzgeber zur Vorsicht mahnen 1 5 0 . Das Bundesverfassungsgericht meint, das Gesetz sei gerechtfertigt, da die aufgestellten Prognosen über die Entwicklung des Güterfernverkehrs auf den statistisch festgehaltenen Erfahrungen der vorangegangenen Werkfernverkehrssteuer aufbauten. Der Gesetzgeber könne nur danach beurteilt werden, ob er aus seiner Sicht davon ausgehen dürfe, daß die Maßnahme zur Erreichung des Gesetzeszieles geeignet sei, ob also seine Prognose bei der Beurteilung wirtschaftspolitischer Zusammenhänge sachgerecht und vertretbar sei. ΐ4β BVerfG, N J W 71, S. 319. 147

BVerfG, N J W 71, S. 320. K . Koch, S. 519. 149 Hull , N J W 70, S. 21, 89. wo B V e r f G N J W 75, S. 34, ebenso B V e r f G N J W 71, S. 16003. 148

222

I V . Die Bindung an Regelmäßigkeiten

Dieses Urteil eignet sich als Beispiel für die Methode der Folgeerwägung. Kalkulierte Prognosen bestimmen danach die gesetzgeberischen Maßnahmen. Das Gericht überprüft lediglich den Entscheidungsvorgang daraufhin, ob die Erwägungen fehlerhaft sind oder nicht 1 5 1 . Zum Programm der normativen Entscheidungstheorie gehört es nun, Fehlermöglichkeiten aufzuzeigen und dementsprechend Normen aufzustellen, deren Einhaltung diese Fehler vermeiden helfen. Es gilt vor allem, Auszeichnungsverfahren zu entwickeln, u m konkurrierende Prognosen und Hypothesen aussondern zu können. Hier sollte exemplarisch die Bedeutung der wissenschaftstheoretischen Erwägungen über die Beurteilung von Hypothesen für die Entscheidungsfindung von Gesetzgeber und Bundesverfassungsgericht angedeutet werden. Nach Poppers Einsichten lassen sich verschiedene Hypothesen je nach Standpunkt aufstellen. Das bedeutet, daß es kein Verfahren zur Entdeckung allgemein zutreffender Gesetzmäßigkeiten geben kann. Die Standpunktabhängigkeit der Hypothesenbildung bedeutet, daß Gesetzmäßigkeiten je nach persönlichen Interessen aufzustellen sind. Von dieser A r t Gesetzmäßigkeiten kann niemals gesagt werden, sie seien absolut wahr, sondern nur, sie seien falsch oder falsifiziert. Die Mehrzahl der nichtfalifizierten H y pothesen läßt sich nur mehr oder weniger bewährt nennen, wobei i n der Wissenschaftstheorie noch umstritten ist, was unter der Bewährung einer Hypothese zu verstehen sei und hier als offene wissenschaftstheoretische Frage festzustellen ist. Die Entscheidungspraxis des Bundesverfassungsgerichts bei der Kontrolle wirtschaftspolitischer Gesetze w i r d als zurückhaltend charakterisiert 1 5 2 . Was unter dem Stichwort der Eignung des Gesetzes zur Erreichung des gesetzgeberischen Zieles geprüft wird, stellt methodisch ein Verfahren zur Überprüfung von Hypothesen dar. Die Möglichkeit der Überprüfung hängt von einem Auswahlverfahren für konkurrierende Hypothesen ab. Es ist nun wichtiger zu untersuchen, welche Kontrollverfahren für Hypothesen zur Verfügung stehen, ob eine Hypothesenüberprüfung überhaupt möglich ist, als darübej zu streiten, ob dem Gesetzgeber der weite Rahmen der Gestaltungsfreiheit belassen werden solle oder nicht. Ohne ein solches Auszeichnungsverfahren für konkurrierende Hypothesen ist nämlich die Vorfrage für die Forderung nach einer strengen Überprüfung durch das Bundesverfassungsgericht noch offen, ob nämlich das Bundesverfassungsgericht über Prüfungsmaßstäbe — hier i n Form von Auszeichnungisverfahren — verfüge, ob es also überhaupt prüfen könne, auch wenn es dies solle. Das, was als Zurückhaltung des Bundesverfassungsgerichts ausgelegt wird, ist zunächst nicht eine Entcheidung für die weite Gestaltungsfreiheit des Gesetzgebers, sondern reine Notwendigkeit. Die Zurückhaltung 151

B V e r f G N J W 75, S. 33, m i t weiteren Nachweisen. Spanner, Z u r Verfassungskontrolle wirtschaftspolitischer Gesetze, DÖV 72, S. 217. 152

11. Verfassungskontrolle wirtschaftspolitischer Gesetze

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— self-restraint — des Bundesverfassungsgerichts ist nicht selbst gewählt, sie ist also nicht „weise Selbstbeschränkung", wie es Spanner formuliert 1 5 3 , sondern solange unumgänglich, bis tauglichere Auszeichnungsverfahren als die vorhandenen gefunden sind. M i t Hilfe der Falsifikation können nur falsche Hypothesen ausgesondert werden. Notwendig ist ein Verfahren, das eine Auszeichnung nichtfalsifizierter H y pothesen erlaubt. Diese Frage bleibt deshalb verdeckt, weil der Gesetzgeber gewöhnlich nicht von offensichtlich ungeeigneten Prognosen ausgeht, da dies politischer Selbstmord für ihn bedeuten würde. A l l e n Forderungen nach mehr Kontrolle durch das Bundesverfassungsgericht ist also die Frage nach Auszeichnungsverfahren für konkurrierende H y pothesen voranzustellen. Mangels dieser Verfahren hält sich das Bundesverfassungsgericht somit gezwungenermaßen zurück, ohne eine andere Wahl zu haben. I m Rahmen einer Überprüfung des Geeignetheitsgebots bei w i r t schaftslenkenden Steuergesetzen kritisiert Klopfer anläßlich des U r teils zum Gesetz über Maßnahmen zur außenwirtschaftlichen Absicherung scharf die vom Bundesverfassungsgericht betriebene Minimalisierung des Geeignetheitsmaßstabs zum bloßen Verbot absoluter Ungeeignetheit, die gerade i m Bereich der wirtschaftslenkenden Gesetze zu bedauern sei 1 5 4 . Vor allem i n dem mehr technischen Recht der W i r t schaftslenkung seien die Sachgesetzlichkeit und m i t ihr die Geeignetheit eine wichtige, selbststeuernde Kontrollnorm gegenüber dem Gesetzgeber 155 . N u n ist danach zu fragen, wie diese Kontrollnorm der Sachgesetzlichkeit aussehen soll. Es w i r d stillschweigend vorausgesetzt, es könne Sachgesetzlichkeiten geben. Dem steht aber das wissenschaftstheoretische Ergebnis Poppers entgegen, wonach heute noch ein eindeutig taugliches Auszeichnungsverfahren für Hypothesen fehlt 1 5 6 . Die Forderung nach Kontrolle aufzustellen, genügt nicht, sondern es muß zuvor der objektive Kontrollmaßstab geliefert werden. Die von Klopfer beklagte Subjektivierung des Geeignetheitsgedankens, i n dem das Bundesverfassungsgericht i n seiner Rechtsprechung darauf abstelle, ob der Gesetzgeber von der Zwecktauglichkeit des Gesetzes aus seiner Sicht ausgehen dürfe, ist aus wissenschaftstheoretischer Sicht unumgänglich. Es hieße, eine unerfüllbare Forderung aufstellen, wenn man vom Bundesverfassungsgericht objektive Prüfungen von Prognosen verlangen wollte, ohne jedoch objektive Maßstäbe dafür angeben zu können. Stillschweigend setzt Klöpfer voraus, daß man bestimmen könne, wann 158

Ebd., S. 220. Klöpfer, Das Geeignetheitsgebot bei wirtschaftslenkenden Steuergesetzen, N J W 71,1585,1586. 155 Ebd., S. 1587. we popper, Objektive Erkenntnis, 1973, S. 31; Stegmüller, Personelle u n d statistische Wahrscheinlichkeit, S. 86. 154

224

I V . Die Bindung an Regelmäßigkeiten

eine Maßnahme objektiv untauglich sei, daß man eindeutige Prognosen aufstellen könne, wenn er i n Erwägung zieht, der Gesetzgeber könne nach der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts „objektiv untaugliche M i t t e l einsetzen" 157 . Auch Lerche vertritt die Ansicht, die Berufung auf direkte Zwecke oder gar indirekte Folgen einer gesetzlichen Maßnahme befreie den Gesetzgeber nicht von dem Erfordernis, bei der Wahl seiner Apparatur jene verfassungsrechtlichen Bindungen zu beachten, die sich aus der jeweiligen Sachstruktur und Eigenart des jeweiligen Instruments ergeben 158 . M i t Recht bezweifelt Spanner, daß es dem Bundesverfassungsgericht möglich sei, unter widerstreitenden wirtschafts- und währungspolitischen Auffassungen eine der „Sachstruktur" nach allein richtige und dam i t „objektive" Auffassung zu ermitteln 1 5 9 . Er fragt, wer ihre Richtigkeit letztverbindlich feststellen solle. Insgesamt soll hier unterstrichen werden, daß nicht zuerst zu fragen ist, ob und wieweit das Bundesverfassungsgericht den Gesetzgeber kontrollieren soll oder nicht, sondern ob eine solche, ohne Zweifel wünschenswerte Bindung an objektive K r i terien — wie ζ. B. die von Klopfer bemühte Sachgesetzlichkeit — überhaupt geleistet werden kann. Hier soll nicht der Meinungsstand zum Geeignetheitsgebot dargestellt werden, vielmehr soll das wissenschaftstheoretische Thema der Hypothesenbeurteilung m i t der Kernfrage der Verfassungsgerichtsbarkeit 160 nach der Verfassungskontrolle wirtschaftspolitischer Gesetze i n Beziehung gesetzt werden. Zur wünschenswerten Kontrolle müßte als Maßstab ein Auszeichnungsverfahren für konkurrierende Hypothesen vorliegen, auf dessen Beachtung der Gesetzgeber verpflichtet und kontrolliert werden könnte. Ein solches Auszeichnungsverfahren ist allerdings erst ansatzweise vorhanden.

12. Ein Ansatz zu einer normativen Entscheidungstheorie Nachdem nun der Entscheidungscharakter juristischer Tätigkeit bei der Schaffung und Kontrolle von gesetzlichen Maßnahmen herausgestellt worden ist, soll nun auf einen Ansatz von Stegmüller verwiesen werden, der m i t einer neuen Interpretation der Theorien Carnaps den Zweck verfolgt, Entscheidungsvorgänge rationaler und nachvollziehbarer zu machen. Carnaps ursprüngliches Ziel deckt sich m i t dem Poppers, nämlich Verfahren zur Beurteilung von Hypothesen aufzustellen 101 . Stegmüller weist nun i n jüngster Zeit nach, daß es Carnap u m die 157 158 159 180 161

Klopfer, S. 1585; ähnlich Zacher, Soziale Gleichheit, A Ö R 93, S. 341. Lerche, Stiller Verfassungswandel, S. 285. Spanner, Z u r Verfassungskontrolle wirtschaftspolitischer Gesetze, S. 219. Ebd., S. 219. Stegmüller, Personelle u n d statistische Wahrscheinlichkeit, S. 531.

12. E i n Ansatz zu einer normativen Entscheidungstheorie

225

Begründung von Normen für rationales Handeln bei der Entscheidung unter Risiko geht 1 6 2 . Er zeigt, daß sich Carnaps Lehre nicht auch, sondern nur entscheidungstheoretisch deuten läßt 1 6 3 . Diese Umdeutung stellt nun ein weiteres Angebot dar, Entscheidungen rationaler zu gestalten. Carnaps Theorie soll nunmehr nicht Wissen u m Künftiges liefern, sondern zu Normen führen, gegen die ein rational Handelnder nicht verstoßen sollte. Diese Normen schränken den Spielraum bei Entscheidungen ein, ohne i h n zu beseitigen 164 . Ausgangspunkt der Untersuchungen Carnaps ist i n diesem Zusammenhang der Wahrscheinlichkeitsbegriff. Hypothesen sollen als mehr oder weniger wahrscheinlich ausgezeichnet werden. I m Ergebnis w i r d diese Hoffnung heute als i r r tümlich und unerfüllbar angesehen 165 . Von Popper wurde darauf hingewiesen, daß sich an der logischen Struktur des Induktionsproblems nichts ändert, wenn man statt von wahren von wahrscheinlichen H y pothesen spricht. I n jedem Fall geht die Schlußfolgerung über das i n den Prämissen Gegebene hinaus 1 6 6 . Auch für diesen Fall gelten die angeführten Gegenargumente. Zur Darstellung der rationalen Entscheidungstheorie ist von einer Entscheidungssituation auszugehen, i n der die handelnde Person die für sie bedeutsamen Konsequenzen nicht genau vorauszusehen vermag. Es handelt sich hierbei u m die Situation der Entscheidung unter Risiko 1 6 7 . Der Entscheidungsträger verfügt nur über die subjektive Wahrscheinlichkeit des Eintretens der i n Betracht gezogenen Folgen. Unter der subjektiven Wahrscheinlichkeit eines Zustandes ist der Grad zu verstehen, i n dem das Subjekt an das Eintreffen dieses Zustandes glaubt. Der Grad des rationalen Glaubens ist kein deskriptiver Begriff über den tatsächlich feststellbaren Glauben einer Person, sondern ein normativer Begriff dafür, wie dieser Glaube gebildet werden soll 1 6 8 . Die unter Entscheidungszwang stehende Person, die über kein sicheres Wissen über die Folgen ihrer Entscheidnug verfügt, muß sich auf ihren Glauben stützen. Dieser Glaube wurde präzisiert und meßbar gemacht, indem die Wettbereitschaft der entscheidenden Person als Gradmesser ihres Glaubens herangezogen wurde. Der Grad des Glaubens an eine Behauptung über einen künftigen Zustand soll daran gemessen wer182

Stegmüller, I n d u k t i o n , S. 68. Stegmüller, Personelle u n d statistische Wahrscheinlichkeit, S. 84. 164 Ebd., S. 94. 165 Ebd., S. 330. A u f die von Stegmüller angelegte Uminterpretation der Theorie Carnaps soll hier nicht eingegangen werden, da es sich u m ein Problem innerhalb der Wissenschaftsheorie handelt, hier aber n u r die f ü r j u r i stische Fragen relevanten Ergebnisse Berücksichtigung finden können. lee popper, L o g i k der Forschung, S. 5, 211. 163

167 168

Stegmüller, Stegmüller,

15 R a c k

Personelle u n d statistische Wahrscheinlichkeit, S. 288. I n d u k t i o n , S. 64.

226

I V . Die Bindung an Regelmäßigkeiten

den, wie hoch jemand auf die Behauptung zu wetten bereit ist 1 6 9 . Die Wahrscheinlichkeit w i r d m i t dem größten Wettquotienten gleichgesetzt, zu dem der Handelnde zu wetten bereit ist, daß ein Ergebnis eintreten werde. Die Aufgabe der Entscheidungstheorie w i r d nun nicht darin gesehen, Menschen zu sagen, was sie t u n sollen — dies hieße sie als Automaten behandeln —, sondern Regeln für vernünftiges Handel aufzustellen 170 . Eine solche leicht einsehbare, ja selbstverständliche Regel ist zum Beispiel: es sollen keine Wetten abgeschlossen werden, bei denen man von vornherein weiß, daß man nichts gewinnen kann, vielmehr m i t Sicherheit (Verletzung der Kohärenz) oder möglicherweise (Verletzung der strengen Kohärenz) einen Verlust erleiden w i r d 1 7 1 . M i t diesem Beispiel soll illustriert werden, von welcher A r t die genannten Regeln sein sollen. Wegen der umfangreichen und komplizierten Voraussetzungen soll auf Stegmüllers Darstellung 1 7 2 verwiesen werden, ohne hier auf weitere Regeln dieser A r t einzugehen. Angewandt werden können diese Regeln nur auf Einzelereignisse und nicht auf Gesetze, da es nicht sinnvoll ist, auf Hypothesen zu wetten. Das Zutreffen von Hypothesen ist nie abschließend festzustellen, so daß niemals der Ausgang der Wette auf eine Hypothese bekannt werden würde 1 7 3 . Insgesamt läßt sich sagen, daß die rationale Entscheidungstheorie ein Ansatz und Vorschlag ist, Entscheidungssituationen zu bewältigen. Hier ging es vor allem darum, nicht einfach bei der Feststellung stehen zu bleiben, ein juristischer Vorgang habe Entscheidungscharakter, sondern es sollte gezeigt werden, wie über diese Charakterisierung hinaus Normen aufgestellt und diskutiert werden können. Es werden damit Fehlermöglichkeiten angegeben, die bei Entscheidungsvorgängen gemacht werden können. Bisher wurden zwei Hauptfehlerquellen aufgezeigt. Die eine besteht i n der Annahme, es gebe wahre Gesetze, die sichere Prognosen leisten könnten. Die Annahme von deterministischen Gesetzmäßigkeiten äußert sich i m Aufstellen von Behauptungen über Folgen von Maßnahmen oder die Ursachen von Zuständen m i t dem Anspruch auf absolute Gewißheit. Diese Fehlermöglichkeit dürfte nach Poppers Einsichten erkannt und damit vermeidbar geworden sein. Die zweite Fehlermöglichkeit, die inzwischen festgehalten werden kann, besteht darin, sich bei Entscheidungen von unvernünftigen Überzeugungen leiten zu lassen, wobei das Unvernünftige oder das Irrationale darin 189 Stegmüller, Personelle u n d statistische Wahrscheinlichkeit, S. 288, 536; ders., Hauptströmungen, S. 473. 170 Stegmüller, Personelle u n d statistische Wahrscheinlichkeit, S. 531. 171 Stegmüller, I n d u k t i o n , S. 65, ders., Personelle u n d statistische W a h r scheinlichkeit, S. 531. 172 Stegmüller, Personelle u n d statistische Wahrscheinlichkeit, S. 389 ff. 178 Ebd., S. 533.

12. E i n Ansatz zu einer normativen Entscheidungstheorie

227

besteht, auf den E i n t r i t t künftiger Ergebnisse zu vertrauen, auf die man nur ohne Aussicht auf Erfolg wetten könnte. Daß die Vorschläge der rationalen Entscheidungstheorie nicht unwidersprochen sind und es sich u m i n der Diskussion befindliche Ansätze handelt, zeigen die skeptischen Äußerungen Poppers aus jüngster Zeit 1 7 4 . Obwohl die rationale Entscheidungstheorie noch nicht als unumstritten angesehen und hier nicht i n aller Breite dargestellt werden kann, soll auf weitere Kriterien hingewiesen werden, die i n einer Entscheidungssituation zu berücksichtigen sind und als Untersuchungs- und Argumentationsmuster dienen können. Dreierlei ist i n einer Entscheidungssituation danach zu unterscheiden: 1. die Handlung (Maßnahmen), 2. die herrschenden Umstände (natürliche oder gesellschaftliche Umstände) und 3. die Resultate (Folgen der Handlung) unter den jeweiligen Umständen. Eine Person, die i n einer Entscheidungssituation zwischen endlich vielen möglichen Handlungen wählen muß, hat die genannten Größen und deren Beziehungen i n Betracht zu ziehen. Ein Resultat, das angestrebt wird, hängt 1. von der zu vollziehenden Handlung und 2. von den dabei herrschenden Umständen ab. Welche Folgen auf eine bestimmte Handlung unter den jeweiligen Umständen eintreten können, läßt sich auf einer sogenannten Konsequenzmatrix darstellen 1 7 5 . Jeder Handlung w i r d dabei das jeweils angenommene Resultat zugewiesen. Dabei w i r d nicht die objektive Situation geschildert, sondern die Situation, wie sie sich aus der subjektiven Sicht des Handelnden darstellt. Als weiterer Grundbegriff der Entscheidungstheorie ist der Begriff der subjektiven Nützlichkeit zu beachten 176 . Die die Entscheidung treffende Person soll jeder der möglichen Folgen einen subjektiven Wert oder Nutzen zuordnen, der numerisch zu charakterisieren ist. Es geht u m ein Maß für den Vor- und Nachteil, wobei unter anderem Maße für Zeit oder Geld i n Frage kommen, so daß sich die Nützlichkeit nach Größen ordnen läßt 1 7 7 . Als letzter Grundbegriff ist der oben schon erwähnte Begriff der personellen Wahrscheinlichkeit zu berücksichtigen. Die Wahrscheinlichkeit der möglichen Umstände gehört zu den Daten, die der Entscheidungsträger berücksichtigen muß, so wie er die möglichen Handlungen, deren Folgen und 174 Popper, Objektive Erkenntnis, S. 93. Er h ä l t es für unglaublich naiv, den Grad des Glaubens durch die Wettbereitschaft messen zu wollen. Er verweist darauf, daß die Wettbereitschaft davon beeinflußt werde, was von dieser Wette abhängt. Popper bezweifelt also die Wettbereitschaft als Gradmesser f ü r die personelle Wahrscheinlichkeit. Er zieht damit die Eignung der personellen Wahrscheinlichkeit als Beurteilungsmaßstab u n d Auszeichnungskrit e r i u m f ü r Hypothesen i n Zweifel. 175 Stegmüller, Personelle u n d statistische Wahrscheinlichkeit, S. 289. 179 Dieser Begriff ist volkswirtschaftlichen Ursprungs u n d i m Rahmen der Spieltheorie von Neumann u n d Otto v o n Morgenstern entstanden. Ebd., S. 287. 177 I n Verbindung m i t einer M a t r i x der Folgen läßt sich eine entsprechende Nützlichkeitsmatrix herstellen.

15·

228

I V . Die Bindung an Regelmäßigkeiten

deren Nützlichkeit kennen muß. Auch hier handelt es sich um die schon oben beschriebene subjektive Wahrscheinlichkeit 178 . Z u unterscheiden ist zwischen einer handlungsunabhängigen Wahrscheinlichkeit, wobei die Wahl der Handlungen die Wahrscheinlichkeit der Umstände unbeeinflußt läßt, und dem komplizierteren Fall der handlungsabhängigen Wahrscheinlichkeit. Hier w i r d die Wahrscheinlichkeit dafür, daß ein Umstand verwirklicht ist, auch davon mitbestimmt, welche Handlung vollzogen w i r d 1 7 9 . A u f der Grundlage dieser zu beobachtenden Größen, der Handlung oder Maßnahmen, deren Folgen unter bestimmten Umständen der Nützlichkeit der Folgen und der Wahrscheinlichkeit der Umstände und Folgen, läßt sich die Regel von Bayes formulieren, wonach diejenige Handlung empfohlen wird, m i t der die größte Nutzerwartung verbunden ist 1 8 0 . Weiterhin w i r d betont, daß die Grundsätze der Wahrscheinlichkeitsrechnung gelten müssen 181 , auf die aber hier nicht eingegangen werden kann. Die hier gebotene Skizze einer rationalen Entscheidungstheorie sollte zeigen, welcher A r t von Erwägungen i n Entscheidungssituationen angestellt werden sollten. Damit soll dem verbreiteten Vorurteil entgegengetreten werden, Entscheidungsvorgänge seien irrational, unkontrollierbar und nicht nachzuvollziehen. Die Entscheidungstheorie w i r d die Aufgabe haben, Normen aufzustellen, nach denen i n Entscheidungssituationen vernünftigerweise verfahren werden sollte. Es geht darum, Fehlermöglichkeiten aufzuzeigen und diese Fehler vermeidbar zu machen. 13. Bemerkungen zum hermeneutischen Zirkel oder ein Zirkel, der gar kein Zirkel ist Nachdem von Hypothesen und von Aussagen über Hypothesen die Rede war und gesagt werden kann, daß alle Hypothesen auch Hypothesen bleiben werden, daß sie standpunktabhängig sind und aufgrund von Vorurteilen aufgestellt werden, soll kurz eine Stellungnahme Stegmüllers zum hermeneutischen Zirkel referiert werden 1 8 2 . Hypothesen bilden eine Form des sogenannten Hintergrundwissens (background knowledge), ein zentraler Begriff i n Poppers Wissenschaftstheorie. Hintergrundwissen, Vorurteile, Vorverständnis oder Hypothesen haben i n die178

Auch f ü r die Wahrscheinlichkeit läßt sich eine M a t r i x aufstellen. Stegmüller, Personelle u n d statistische Wahrscheinlichkeit, S. 294. Dagegen können etwa verschiedene wirtschaftspolitische Umstände u n d Maßnahmen beeinflußt werden, die zur Erreichung des jeweiligen wirtschaftspolitischen oder gesellschaftspolitischen Zieles getroffen werden. 180 Ebd., S. 297. 181 Ebd., S. 300. Wenn z. B. bei einer H a n d l u n g das Wetter zu berücksichtigen ist, so ist dies ein Umstand, der von der betreffenden Handlung unabhängig ist. 182 Stegmüller, I n d u k t i o n , S. 42. 179

13. Bemerkungen zum hermeneutischen Z i r k e l

229

sem Zusammenhang die gleiche Bedeutung. I n dem Begriff des Hintergrundwissens sieht Stegmüller einen Schlüssel zum Verständnis für die Behebung einer fundamentalen Begriffsverwirrung, der vor allem die deutschsprachige wissenschaftstheoretische Literatur über die Natur der geisteswissenschaftlichen Erkennntnis unterliege. Es handelt sich u m die „ Theorie des hermeneutischen Zirkels". Nach Esser liegt der hermeneutische Zirkel beim Verhältnis von Fragestellungen und Antworten i m Normverständnis, also i n der Tatsache, daß ohne Vorurteil über die Ordnungsbedürftigkeit und Lösungsmöglichkeit die Sprache der Norm überhaupt nicht das aussagen kann, was erfragt wird, nämlich die gerechte Lösung 1 8 3 . Wertungsaussagen seien durch Wertungsfragen bedingt und diese durch Wertungsmöglichkeiten, welche erst durch die Entdeckung der Regelungsbedürftigkeit erkannt werden 1 8 4 . Das Interesse werde i m ursprünglichen Sinne zum Initiator der Befragung und zum Moderator des interpretativen Verstehens von Normen. Vorverständnis werde an die Begriffe herangetragen 185 . Stegmüller unterscheidet zwei hintereinander geschaltete Irrtümer, die für alle Varianten des hermeneutischen Zirkels bezeichnend seien. Ausgangspunkt sei die totale Fehlinterpretation der Methode der Naturwissenschaften. Der philosophierende Geisteswissenschaftler meine irrtümlich, daß Naturwissenschaftler ihre Behauptungen auf mathematischem Wege bewiesen. Bei einem Vergleich m i t seiner eigenen Methode erkenne der Geisteswissenschaftler dann, daß er dagegen stets m i t einem Vorverständnis oder Vorurteil, daß heißt m i t einer theoretischen Oberhypothese an seine Materie herantrete 1 8 6 . Er w i r d sich seines Vorurteils, seines Standpunktes bewußt. Esser hat dies für die juristische Methode so ausgedrückt, daß nämlich ohne Vorurteil nicht auszukommen sei und ein Vorverständnis an die Begriffe herangetragen werde 1 8 7 . Der I r r t u m über die naturwissenschaftliche Methode besteht darin, daß Naturwissenschaftler ohne Vorurteil, ohne Vorverständnis auskommen könnten. Das gerade wurde von Popper widerlegt. Er hat an der Frage, wie Hypothesen entstehen, nachgewiesen, daß sie standpunktabhängige Behauptungen über die Wiederholungen von Gegenständen, Handlungen, Ereignissen, Sachverhalten oder Personen sind. Da keine Identitätsaussagen über Gegenstände möglich sind 1 8 8 , stellen diese Wiederholungsbehauptungen Aussagen über Ähnlichkeiten dar 1 8 9 , die einen Stand183 Esser, Vorverständnis u n d Methodenwahl, S. 137; dazu auch Schwerdtner, Rechtswissenschaft u n d kritischer Rationalismus, Rechtstheorie, 1971, S. 81. 184 Esser, S. 137. 185 Ebd., S. 137; Schwerdtner, S. 79, 229. 186 Stegmüller, Induktion, S. 43. 187 Esser, S. 137. 188 Wittgenstein, P U 216. 189 Popper, L o g i k der Forschung, S. 376.

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I V . Die B i n d u n g an Regelmäßigkeiten

punkt voraussetzen. Einen Standpunkt beziehen bedeutet, ein Vorurteil oder Vorverständnis haben. Poppers Ergebnis besteht i n der Einsicht, daß der Standpunkt primär ist, nicht aber Gesetzmäßigkeiten und Wiederholungen i m Gegenstandsbereich. Kausalgesetze lassen sich je nach Standpunkt aufstellen, sind nicht vorgegeben und lassen sich nicht als letztlich wahr oder gültig auszeichnen (verifizieren). Der zweite I r r tum, der der Theorie vom hermeneutischen Zirkel zugrundeliegt, betrifft die eigene Methode des Geisteswissenschaftlers. Daß er einem Vorverständnis, einem standpunktabhängigen Vorurteil an die Materie herantrete, darin erblicke der Geisteswissenschaftler so etwas wie einen Zirkel, w e i l er die i m Lichte seines Vorverständnisses interpretierten Materialbefunde ihrerseits zur Prüfung seiner hypothetischen Annahmen verwendet. So komme es schließlich zur These, daß sich die geisteswissenschaftliche Erkenntnis grundsätzlich von der naturwissenschaftlichen unterscheide, da sie wesenhaft zirkulär sei 1 9 0 . I n einem ersten Schritt führte eine Fehldeutung des Vorgehens der Naturwissenschaftler zu einer verworrenen Theorie des hermeneutischen Zirkels. Der I r r t u m bestehe darin, nicht zu erkennen, daß dieser Zirkel überhaupt kein Zirkel ist. Es ist ein Irrglaube, daß man anders als m i t Vorverständnis, standpunktabhängigen Vorurteilen und Hypothesen an einen Text herangehen könnte. Diese Einsicht bedeutet, daß auch die Verfassungsinterpretation nicht anders, als von einem Standpunkt aus vorgenommen werden kann. Der Verfassungstext w i r d auf die Textbenutzer relativiert. Hier ist an die unter dem Stichwort der Bindungsparadoxie behandelte Diskussion zu erinnern, bei der die Sorge vor einem selbstgewählten Maßstab zum Ausdruck kommt. Es gelte zu verhindern, daß sich die Verfassungsmäßigkeit der Gesetze i n die Gesetzmäßigkeit der Verfassung verkehre, u m die Formulierung Leisners zu benutzen, oder daß, wie Lerche es ausdrückt, die Verfassung von unten her umgelesen w i r d 1 9 1 . Diese schubweise Umdeutung der Verfassung von unten her hätte zur Folge, daß dann aus der Verfassung selbst heraus gegenüber derartiger Neuinterpretationen keine Schranken gewonnen werden könnten. Es würde auf das Erfordernis qualifizierter Mehrheiten zur Vefassungsänderung nach A r t . 79 GG verzichtet 1 9 2 . Diese Stellungnahmen setzen alle ungeprüft die A n t w o r t auf die Vorfrage voraus, daß nämlich die Verfassung die Funktion erfüllen könne, die sie erfüllen soll, nämlich Maßstab zu sein und Bindungsmöglichkeiten zu eröffnen. Ob diese Funktion zu erfüllen ist, unterliegt begründeten Zweifeln. Der Wortlaut erscheint als durchlässige Grenze und w i r d ohne Vorverständnis, Vorurteil, Hintergrundwissen gar nicht verständlich. Der I r r t u m 190 191 192

Stegmüller, I n d u k t i o n , S. 43. Lerche, Stiller Verfassungswandel, S. 291. Ebd., S. 287.

14. Gesetzl. Maßnahmen als Großexperimente m i t ungewissem Ausgang 231

bezüglich der Theorie vom hermeneutischen Zirkel besteht darin zu glauben, es könne anders sein, es könne etwas vorurteilsfrei Vorgegebenes geben. 14. Gesetzliche Maßnahmen als gesellschafts- und wirtschaftspolitische Großexperimente mit ungewissem Ausgang Wie wichtig es für die gesetzgeberische Tätigkeit und die Kontrollfunktion des Bundesverfassungsgerichts ist, theoretische Ansichten darüber zu gewinnen, welche Aussagen über Hypothesen gemacht und wie diese ausgezeichnet werden können, soll an einem Beispiel verdeutlicht werden. Schmölders berichtete über die unterschiedlichen Meinungen, die über die heftig diskutierte Auflösung des sogenannten Julius-Turms bestanden. Dabei handelte es sich u m eine Ansammlung von Milliardenbeträgen aus Haushaltsüberschüssen. Diese Thesaurierungspolitik wurde scharf kritisiert 1 9 3 . Das Beispiel bietet sich wegen seiner Verwandschaft m i t dem Konjunkturzuschlagsproblem an, denn es ging auch hierbei darum, ob Gelder stillgelegt werden sollten oder nicht 1 9 4 . Schmölders zeigt, daß nur ein ganz geringer Teil der befragten Abgeordneten dieses Entscheidungsproblem i n der hier vorgeschlagenen Weise zu beantworten suchte, indem sie nämlich Folgeerwägungen über die volkswirtschaftlichen Wirkungen der Auflösung des Staatsschatzes anstellen. Es wurde vielmehr schlagwortartig m i t stereotypen Formeln wie „Etat am Rande des Defizits", „Der Staat als guter Hausvater" oder „Kasse macht sinnlich" geantwortet. Über zwei D r i t t e l der damals Befragten hätten keinerlei volkswirtschaftliche und konjunkturelle Überlegungen mit diesem Problem verknüpft. Ebenso unsicher und geteilt sind die Meinungen i n der Frage, ob zu den geeigneten Mitteln der Konjunkturpolitik die Strukturpolitik gehöre 195 . Man kann diese Diskussionen als die Situation der konkurrierenden Hypothesen kennzeichnen. Die genannten Schlagwörter stehen für solche Hypothesen, die von der Finanztheorie aufgestellt und i n Konkurrenz gesetzt werden müßten 1 9 6 . Nach Poppers Einsichten von der Unmöglichkeit absolut sicherer Prognosen, von der Standpunktabhängigkeit der Hypothesen, die nicht erkannt, sondern konstituiert werden, und schließlich von bisher noch ausstehenden Auszeichnungsverfahren muß jede gesetzgeberische Maßnahme von vornherein ein gesellschafts- oder wirtschaftspolitisches Großexperiment m i t ungewissem Ausgang bleiben. Da w i r nichts Genaues darüber wissen, welche Folgen gesetzgeberische Maßnahmen nach sich ziehen, da Folgebehauptungen Hypothesen bleiben, müssen 193 194 195 19β

Schmölders, Finanz- u n d Steuerpsychologie, S. 166, 1970. Ebd., S. 160. Ebd., S. 158. Ebd., S. 197.

232

I V . Die Bindung an Regelmäßigkeiten

gesetzgeberische Maßnahmen nach dem Schema Poppers von Versuch und I r r t u m (trial und error) behandelt werden. Werden durch ein Gesetz die prognostizierten und erwünschten wirtschaftlichen oder gesellschaftlichen Folgen nicht erzielt, so ist dieses Gesetz wie ein gescheitertes Experiment zu behandeln. Es ist aufzuheben und versuchsweise durch ein anderes Gesetz zu ersetzen. Die wissenschaftstheoretischen Einsichten zum Fehlen von Auszeichnungsverfahren konkurrierender Hypothesen und der daraus folgenden Unschlichtbarkeit des Streites über die prognostizierten Folgen eines Gesetzes müssen die Grundeinstellung zu gesetzgeberischen Maßnahmen beeinflussen. Jedes Gesetz ist als Experiment zu verstehen. Die Effektivität von Gesetzen läßt sich i m voraus nicht bestimmen. Diese für die interventionistische Gesetzgebung wichtige Einsicht muß die Bereitschaft wachsen lassen, Gesetze als gesellschafts- und wirtschaftliche Großexperimente anzusehen und diese i m Falle des Scheiterns wieder aufzuheben. Als gescheitert ist ein Gesetz dann zu verstehen, wenn es die verfolgten Zwecke nicht erreicht hat.

V. Die intersubjektive Sprachpraxis als Maßstab 1. Die Bindung an Sprache als regelgeleitetes Handeln I m Verlauf der bisherigen Untersuchung konnte i n zwei Punkten ein Verständiswandel festgestellt werden. Als erstes ergab die sprachtheoretische Untersuchung einen Wandel der Auffassung vom Funktionieren der Sprache. Die Bedeutung eines sprachlichen Ausdrucks und die Struktur des Begriffs werden heute anders verstanden als früher. Unter der Bedeutung eines Ausducks versteht man heute seine Verwendungsregel (Intension) oder die Klasse der unter i h n fallenden Gegenstände (Extension), und nicht mehr einen konkreten oder abstrakten Gegenstand, wie die realistische Sprachtheorie den Begriff verstanden wissen wollte. Hierbei handelt es sich u m die sogenannte pragmatische Wende von der realistischen Semantik zur pragmatischen. Der Anlaß dieser Untersuchung war die Frage, ob eine, wie auch immer geartete Bindung an Gesetze, insbesondere an die Verfassung, möglich sei, wobei der juristische Grundsatz der Gesetzesbindung als Bindung an Sprache aufgefaßt wurde. U m die Möglichkeit der Gesetzesbindung als Sprachbindung untersuchen zu können, war es notwendig, das heutige Sprachverständnis zu referieren. A u f dem Hintergrund der neuen Einsichten über das Funktionieren der Sprache läßt sich die Frage der Gesetzesbindung neu formulieren. Es muß gefragt werden, ob eine Bindung an die Verwendungsregeln juristischer Ausdrücke möglich ist. Als Vorfrage war zu klären, wie man sich die Verwendungsregel eines Ausdrucks vorzustellen hat. Es wurde zunächst gezeigt, daß ein Begriff streng von dem Gegenstand zu unterscheiden ist, der unter i h n fällt. Diese Trennung w i r d vor allem i n der juristischen Argumentation nicht beachtet, wenn konkrete Gesetze als Abbilder abstrakter Begriffe der Verfassung verstanden werden. Versucht man, sich die Bindung an Sprache als Bindung an die Verwendung sprachlicher Ausdrücke für Gegenstände vorzustellen, dann werden unumgänglich Zweifel an einer solchen Möglichkeit geweckt. Wie nämlich, so ist zu fragen, soll jemand an die Verwendung eines Ausdrucks gebunden werden können, wenn er diese Verwendung selbst bestimmen kann. Wenn die Bedeutung eines sprachlichen Ausdrucks i n seiner Verwendung durch denjenigen besteht, der an einen Wortlaut gebunden werden soll, so würde dieser ja seine eigene Bindung bestimmen. Eine Bindung gegen den Willen der Sprachbenutzer erscheint gar nicht möglich, es sei denn, man verstehe

234

V. Die inter subjektive Sprachpraxis als Maßstab

unter Bindung eine A r t Selbstbindung, was aber mit der juristischen Gesetzesbindung nicht beabsichtigt zu sein scheint. Der zu bindende Gesetzgeber, Richter und Verwaltungsbeamte soll gerade auch gegen seinen Willen von einem Wortlaut gebunden werden können. Hier ist die Frage zu stellen, ob vielleicht aufgrund der Regelmäßigkeit der Verwendung eine Bindung möglich ist. Es w i r d die Bindungsmöglichkeit an Sprache als Bindung an eine Regel untersucht. Regelmäßigkeiten und Gesetzmäßigkeiten sind Untersuchungsgegenstand des Induktionsproblems. Es hat sich i m Verlauf dieser Untersuchung herausgestellt, daß Regeln beliebig aufgestellt und behauptet werden können. Sie sind standpunktabhängig. Die Möglichkeit, einer Regel unbedingt zu folgen, wurde schon von Wittgenstein verneint 1 . Versteht man also die Bindung an Sprache nach der heutigen Sprachtheorie als Bindung an Verwendungsregeln, so werden alle geweckten Zweifel an der Möglichkeit einer solchen Bindung bestärkt. Die Auffassung über Gesetz- und Regelmäßigkeiten ist der zweite hier herausgestellte Fall, bei dem ein Wandel zu beobachten ist. Die Standpunktabhängigkeit der Behauptungen von Regelmäßigkeiten erlaubt nicht die Annahme, daß B i n dungen an eine Regel möglich seien. Die pragmatische Wende i n der Sprachtheorie und der erkenntnistheoretische Verständniswandel bei Gesetzmäßigkeiten erlaubt es, die Begriffsverwendung als Entscheidungsvorgang zu charakterisieren. Da die juristische Tätigkeit hauptsächlich aus der Verwendung sprachlicher Ausdrücke besteht, läßt sich damit auch ihr Entscheidungscharakter nachweisen. 2. Zum Begriff der Regel Für die Ausgangsfrage, ob Gesetzesbindung, verstanden als Sprachbindung, überhaupt möglich sei, muß nun eine weitere wichtige Differenzierung berücksichtigt werden. Bisher war von Regelmäßigkeiten i m allgemeinen die Rede, ohne daß speziell die Regel der Verwendung von sprachlichen Ausdrücken betrachtet wurde. Bis auf Andeutungen unberücksichtigt blieb bisher der Gesichtspunkt, worauf sich eine Regelmäßigkeit bezieht, da dies für die bisherige Untersuchung nicht von Bedeutung war. Es war i m Rahmen der Popperschen Untersuchungen meist von Naturgeschehen und Naturgesetzen die Rede. Jetzt soll der Umstand Beachtung finden, daß es i m juristischen Argumentationsbereich hauptsächlich u m soziales Handeln von Menschen geht, insbesondere ist hier das sprachliche Verhalten, die Verwendung von Wörtern von Interesse. Es w i r d die Notwendigkeit von zweierlei Unterscheidungen behauptet. Die eine Unterscheidung betrifft die Zweideutigkeit von „Regel" und „Naturgesetz". Beide Ausdrücke werden einmal für die Be1

Winch, 1974, S. 36 f.

2. Z u m Begriff der Regel

235

Schreibung eines Geschehens benutzt und zweitens für das Geschehen selbst 2 . Eine andere Zweideutigkeit von „Regel" betrifft die A r t des beschriebenen Gegenstandsbereichs. Es kann einmal um regelgeleitetes Handeln und zweitens u m gesetzmäßiges Geschehen gehen 3 . I m ersten Fall handelt es sich u m Normen, Handlungsmuster, i m zweiten Fall um gesetzmäßiges Geschehen der Natur. Zur Kennzeichnung dieser Unterschiede w i r d vorgeschlagen, m i t Bezug auf den Gegenstandsbereich von Regelmäßigkeiten der Natur und von Regeln des sozialen Handelns zu sprechen, m i t Bezug auf die Beschreibung der Vorgänge aber von Naturgesetzen und von Regelbeschreibungen 4 . I m folgenden soll der behauptete Unterschied von Naturgesetzen und Regelmäßigkeiten der Natur einerseits und Regelbeschreibungen und Regeln andererseits aufgezeigt werden. Es handelt sich u m den Unterschied der Beschreibung — Naturgesetzen und Regelbeschreibungen — und dem Beschriebenen, der Regelmäßigkeit der Natur und den Regeln sozialen Handelns. Für die Frage nach der Möglichkeit der Gesetzesbindung unter dem Aspekt der Bindungsmöglichkeit an Sprache ist das zweite Verhältnis zwischen Regel und Regelbeschreibung von Interesse. Sprachliches Handeln ist nämlich ein Sonderfall des sozialen Handelns 5 . Die Verwendung von Wörtern ist als regelgeleitetes Handeln zu verstehen, also als Regel i m hier angeführten Sinne 6 . Die Betrachtung dieser Beziehung verspricht Aufschluß über die Möglichkeit einer B i n dung an Sprache. Es w i r d behauptet, der Unterschied bestehe darin, daß Gesetzmäßigkeiten der Natur unveränderbar seien, während Regeln und damit auch regelgeleitetes Handeln, wie das Verwenden sprachlicher Ausdrücke, dagegen veränderbar seien7. Das Geschehen der Natur läuft unabhängig vom Menschen ab 8 , während regelgeleitetes Handeln aktiv von Menschen bestimmt w i r d und damit auch durch Menschen veränderbar ist. Ein Abweichen von Regeln sei deshalb möglich 9 . Damit ist der Nachweis erbracht, daß eine Bindung an Regeln zur Verwendung von sprachlichen Ausdrücken nicht möglich ist. Gesetzesbindung als Bindung an Sprache, Text und Wortlaut ist damit ebenfalls nicht realisierbar. Die zu diesem kurz angedeuteten Ergebnis führenden Überlegungen sollen hier erläutert werden. Zunächst sei auf das Verhältnis von Regelmäßigkeiten der Natur und deren Beschreibungen, den Naturgesetzen, eingegangen. Bei der 2

öhlschläger, S. 95. Ebd., S. 90. Ebd., S. 95. 5 Ebd., S. 90,101. • Ebd., S. 90. 7 Ebd., S. 98. 8 Ebd., S. 96. 9 Ebd., S. 97.

3 4

236

V. Die inter subjektive Sprachpraxis als Maßstab

Behandlung des Induktionsproblems hat sich für die Frage der Entstehung von Gesetzmäßigkeiten ergeben, daß diese sich beliebig je nach Standpunkt aufstellen lassen. Ausgehend von der Unterscheidung zwischen dem Naturgesetz und dem dadurch beschriebenen Naturgeschehen stellt sich die Entstehung von Naturgesetzen so dar, daß dem Naturgeschehen vom Menschen eine bestimmte Gesetzmäßigkeit unterstellt w i r d 1 0 . Erst dadurch w i r d das Naturgeschehen für Menschen überhaupt verständlich. Die beobachtbaren Regelmäßigkeiten werden erst zu Regelmäßigkeiten aufgrund einer Theorie, denn je nach Theorie w i r d man andere Regelmäßigkeiten erkennen bzw. anderes Geschehen als regelmäßig ansehen. Diese von öhlschläger referierte Einsicht Poppers läßt sich i n die bekannte Formel kleiden, alle Beobachtungen seien schon theoriegeladen 11 . Unter dem Stichwort der standpunktabhängigen Entstehung von Regelmäßigkeiten werden diese Vorstellungen zusammengefaßt. Wenn mehrfach von der Konstitution der Gesetzmäßigkeiten die Rede war, so kann an dieser Stelle i m Hinblick auf die Unterscheidung zwischen Naturgeschehen und Naturgesetz gezeigt werden, daß nicht das unabhängig vom Menschen ablaufende Geschehen konstituiert wird, sondern nur die Naturgesetze. Sonst müßte man annehmen, Naturereignisse gebe es erst, seit es Menschen gebe 12 . A u f das Naturgeschehen hat der Mensch keinen Einfluß, aber er hat Einfluß auf sein eigenes Handeln. Er kann von seinem bisherigen Verhalten abweichen, während sich das vom Naturgeschehen nicht sagen läßt 1 3 . Nun ist darauf hinzuweisen, daß menschliches Verhalten, auch sprachliches Verhalten, auf zweierlei Weise betrachtet werden kann. Man kann es als Naturgeschehen ansehen, wobei der Mensch ζ. B. wie ein Planet behandelt w i r d und Naturgesetze über sein Verhalten aufgestellt werden. Diese empiristische Sichtweise, deren bekanntester Vertreter der Behaviorismus sein dürfte, versteht Menschen als auf Reize reagierende Wesen, deren Verhalten durch physikalische und physiologische Naturgesetze beschrieben werden kann 1 4 . Der Rechtstheorie ist diese Betrachtungsweise vertraut, die eine häufig kritisierte Variante des Rechtspositivismus darstellt. I n den klassischen Theorien des Naturrechts w i r d diese Auffassung dadurch ausgedrückt, daß es bestimmte Prinzipien des menschlichen Verhaltens gebe, die von der menschlichen Vernunft nur entdeckt werden müßten. M i t diesen Prinzipien müsse das von Menschen gemachte Recht übereinstimmen, wenn es gültig sein solle 15 . Recht wäre hiernach das Ergebnis eines 10 11 12 18 14 15

Ebd., Ebd., Ebd., Ebd., Ebd., Hart,

S. 95. S. 95. S. 96, m i t Hinweisen auf Wittgenstein. S. 96. S. 92. S. 256.

2. Z u m Begriff der Regel

237

Erkenntnisaktes, nicht aber das Produkt eines Entscheidungsvorganges. Die K r i t i k gegen die empiristische Sicht richtet sich gegen den A n spruch der Ausschließlichkeit, wonach menschliche A k t i v i t ä t , auch Sprachverhalten, nur und allein so betrachtet werden könne. Menschliche Handlungen können vielmehr sowohl als reflexartige Naturereignisse gesehen werden als auch als Befolgen einer Regel verstanden werden. Beide Beschreibungen ergänzen sich 16 . Entsprechend dem Naturrechtsprogramm nach wahren Verhaltensprinzipien zu suchen, danach die Rechtsnormen auszugestalten und als gültig beurteilen zu wollen scheitert schon an der ausführlich geschilderten Unmöglichkeit, H y pothesen als wahre und gültige Gesetze auszuzeichnen. Der Streit darüber, was die wahren Prinzipien i m menschlichen Verhalten seien, w i r d sich nie durch ein K r i t e r i u m schlichten lassen. Ein solches Programm vorzunehmen, hieße Kräfte auf utopische Ziele zu verschwenden. Gerade für das Gebiet der Finanzwissenschaft weist Schmölders i m Anschluß an Gerloff auf die Notwendigkeit einer methodischen Besinnung hin 1 7 . Darunter soll eine A r t der Forschungsarbeit verstanden werden, bei der m i t M i t t e l n der Induktion, der Deduktion und der deskriptiven Tatsachenbeobachtung aus der Fülle der Einzelereignisse Tendenzen und Regelmäßigkeiten herausgehoben und als solche verständlich gemacht werden sollen. Die Eigenart dieser Naturgesetze" sei i n der Finanzwissenschaft deutlicher als i n der Wirtschaftstheorie durch das menschliche Element bestimmt 1 8 . Das staatsbürgerliche Bewußtsein folge psychologischen und nicht logischen Gesetzen 19 . Schmölders empfiehlt also das Aufstellen von psychologischen Gesetzen, die menschliches Verhalten i m Finanz- und Steuerbereich erfassen. Die öffentliche Finanzwirtschaft stehe unausgesetzt i n der Gefahr, m i t ihren Planungen und Maßnahmen i n elementarem Gegensatz zu der menschlichen Natur zu handeln, deren Lebensgesetze sie immer von neuem zu mißachten gezwungen sei 20 . Hier w i r d der naturrechtlich bestimmten Hoffnung Ausdruck gegeben, psychologische Naturgesetze über das menschliche Verhalten i m Rahmen des öffentlichen Finanzbereichs als Maßstab und Gestaltungshilfe für den Abgabengesetzgeber heranziehen zu können. Schmölders gibt den Hinweis auf Versuche, Gesetze über die Reaktionen von Steuerzahlern auf eine zusätzliche Steuerlast aufzustellen. Es bestehe die Neigung, die Prognose und damit die Kausalgesetzmäßigkeit aufzustellen, der Steuerzahler werde auf zusätzliche Steuerlasten m i t einem Nachlassen des Erwerbsstrebens reagieren. Es habe 16

öhlschläger, S. 106,103. Schmölders, S. 8; W. Gerloff, 2. Aufl., 1952. S. 34 ff. 18 Schmölders, S. 8. 19 Ebd., S. 11. 29 Ebd., S. 10. 17

Grundlegung der

Finanzwissenschaft,

238

V. Die inter subjektive Sprachpraxis als Maßstab

sich nachweisen lassen, daß die von der klassischen Lehre als feststehend angenommenen Ziele des menschlichen Verhaltens sich i m Verlauf des ökonomischen Prozesses ändern könnten und also alles andere als „Daten" seien 21 . Danach müßte man nach wahren Gesetzmäßigkeiten i m sozialen Verhalten suchen, u m etwa Fragen nach der Höhe, dem Zweck, den beteiligten Kreisen von Abgabegesetzen zu beantworten. Jeweils nach Standpunkt und Interessenlage würden dann empirisch gültige Gesetze behauptet, ohne daß die vielen denkbaren standpunktabhängigen Hypothesen als gültig ausgezeichnet werden könnten. Damit ist nicht gesagt, daß bewährte Hypothesen, wenn der Begriff auch unklar ist, überhaupt keinen Nutzen brächten. Es ist daran zu erinnern, daß gar keine andere Wahl besteht, als m i t den sogenannten bewährten Hypothesen auszukommen. Verhindert werden kann nur die falsche Auffassung, es handele sich u m wahre Gesetze oder solche ließen sich entdecken. Die Vorläufigkeit der Hypothesen darf nicht vergessen werden. Festzuhalten ist, daß Gesetzmäßigkeiten immer Hypothesen bleiben müssen, ob es sich u m Naturgeschehen beim Menschen oder bei unbeseelten Gegenständen handelt. Wollte man von dem tatsächlichen Sprachgebrauch durch Beobachtungen Naturgesetze ablesen, dann bliebe Poppers Einsicht von der Standpunktabhängigkeit dieser Gesetze als Einwand bestehen. Nicht ein Naturgesetz, sondern so viele, wie es Standpunkte geben kann, ließen sich aufstellen. Damit ist nichts für die Frage gewonnen, ob es ein bestimmtes menschliches Verhalten geben kann, das als korrekt, richtig, rational oder vernünftig ausgezeichnet werden kann. A u f diesem empirischen Weg also läßt sich auch die korrekte Verwendung von Wörtern wie „Steuer", „Eigentum", „Vermögen" für Sachverhalte nicht erkennen. Das gilt nicht nur für sprachliches Verhalten, sondern für jedes gesellschaftliche Geschehen, das man ausschließlich durch Beobachtungen zu erfassen sucht. Ein zusätzliches Argument für die Unmöglichkeit der Bindung an Sprache liefert nun eine von der empirisch naturrechtlichen verschiedene Betrachtungsweise. Menschliches Verhalten w i r d dabei nicht als gesetzmäßiges Naturgeschehen, nicht wie die Bewegung eines Planeten, sondern als Befolgen einer Regel beurteilt 2 2 . Den Unterschied zwischen Regeln i m sozialen Bereich und Regelmäßigkeiten der Natur gilt es n u n zu illustrieren. I n ähnlicher Weise w i r d zwischen sozialen Regeln und bloßen Verhaltensgewohnheiten unterschieden 28 . Es w i r d ein Unterschied zwischen — u m ein Beispiel zu nennen — dem fallenden Stein, der dem Gesetz der Schwerkraft folgt, und dem Menschen behauptet, der der Regel für die Verwendung eines Wortes, wie etwa „blau" oder „ver21 Ebd., S. 9; über lähmende u n d anspornende W i r k u n g e n von Steuern näher S. 98 ff. 22 öhlschläger, S. 90. 23 Hart, S. 25.

2. Z u m Begriff der

egel

239

fassungsmäßig", folgt. Dieser Unterschied w i r d meist nicht ausreichend berücksichtigt 24 . Es handelt sich u m den Unterschied zwischen dem Gesetz der Schwerkraft und dem Gesetz der Zehn Gebote 25 , u m den Unterschied zwischen deskriptiven und präskriptiven Gesetzen 26 . Treffend schildert Hart diesen Unterschied, indem er von zwei Gesichtspunkten spricht, dem externen und dem internen, von dem aus man Regelmäßigkeiten i m menschlichen Verhalten betrachten kann 2 7 . Es handelt sich darum, daß menschliches Verhalten auf zweierlei Weise betrachtet werden kann, extern als Naturgeschehen und intern. Bei der externen Betrachtungsweise n i m m t der Betrachter die Rolle eines außenstehenden Beobachters ein und beobachtet menschliches Verhalten, menschliche Gewohnheiten, wie er das Naturgeschehen, etwa das Verhalten von Planeten, betrachtet. Naturgeschehen kann nur extern betrachtet werden, menschliches Verhalten extern und intern, nämlich als Naturgeschehen und als Regel. Es macht einen Unterschied, ob der Beobachter extern die Gewohnheiten einer Gruppe von Menschen betrachtet oder ob er dies von einem internen Gesichtspunkt aus tut, indem er sich als Mitglied dieser von i h m beobachteten Gruppe sieht 2 8 . Vom externen Gesichtspunkt ist er bloß Beobachter, während er vom internen Standpunkt her zum Selbstbeobachter wird. Vom internen Gesichtspunkt her beschreibt er eine Regelkenntnis, die er durch die eigene Teilnahme an einem regelmäßigen menschlichen Verhalten erworben hat und selbst vollzieht. Er selbst zählt zu den Objekten der Beschreibimg 29 . Bei der bloß externen Betrachtung geht das Selbstverständnis, m i t dem die Gruppenmitglieder nach einer Regel handeln, verloren. Der Außenstehende n i m m t nicht an der gemeinsamen Praxis, an dem gemeinsamen Sprachspiel teil 3 0 . Vom externen Standpunkt sind bloß Gewohnheiten, während vom internen Standpunkt soziale Regeln erfaßt werden können 3 1 . Gemeinsam ist ihnen, daß ein Verhalten wiederholt bei entsprechender Gelegenheit geübt wird. I m Unterschied zu bloßen Gewohnheiten muß bei sozialen Regeln hinzukommen, daß eine Abweichung kritisiert, als Vergehen betrachtet w i r d und ein Zwang zur Konformität herrscht. Z u r Gewohnheit gehört i m Gegensatz zu sozialen Regeln nicht, daß sich die Mitglieder des allgemeinen Verhaltens bewußt sind. Wenn eine soziale Regel existieren soll, müssen die Mitglieder der Gruppe das gewohnheitsmäßige 24

öhlschläger, S. 90. Hart, 1973, S. 258. 28 Ebd., S. 259, wobei unter den deskriptiven Gesetzen die Naturgesetze zu verstehen sind. 27 Ebd., S. 84, 127; auf diese wichtige Differenzierung Harts hat vor allem Rottleuthner, S. 15, hingewiesen. 28 Hart, S. 128. 29 öhlschläger, S. 100 f. 80 Ebd., S. 99,101. 31 Hart, S. 83. 25

240

V. Die inter subjektive Sprachpraxis als Maßstab

Verhalten als einen allgemeinen Standard betrachten, um dessen A u f rechterhaltung sie sich bemühen, indem sie Selbstkritik an ihrem eigenen Verhalten üben und Konformitätsforderungen aufstellen. Die Existenz einer sozialen Regel kommt charakteristischerweise i n normativen Formulierungen zum Ausdruck wie „ m a n sollte", „man muß", „richtig", „falsch", „Recht", „Unrecht" 8 2 . Ein wichtiges Indiz für die Existenz von Regeln und für ihre Befolgung ist darin zu sehen, daß sich derjenige, dessen Handeln angezweifelt wird, zur Rechtfertigung auf eine Regel beruft 8 8 . Das entscheidende Kennzeichen einer Regel ist ihre intersubjektive Gültigkeit. Es handelt sich u m eine eingespielte Praxis, der man folgen muß, u m sich nicht der K r i t i k der Gruppenmitglieder auszusetzen 84 . Das ist bei Naturobjekten, die nur extern beobachtbar sind, nicht der Fall. Planeten können nicht intersubjektiv handeln, sie können sich nicht gegenseitig kritisieren oder ein gemeinsames Verhalten absprechen, etwa einmal eine andere, als die übliche Bahn zu nehmen; sie können keine Fehler machen 85 . Das ist gemeint, wenn gesagt wird, Naturobjekte könnten nicht von den Naturgesetzen abweichen, während Menschen von Regeln abweichen können, die sie zu verändern i n der Lage sind. Hierbei handelt es sich u m ein altes Thema, das schon von John Stuart M i l l und Montesquieu behandelt wurde. Montesquieu stellt i m ersten Kapitel seines Esprit des Lois i n Frage, warum, während die unbelebten Dinge, wie die Sterne dem Gesetz ihrer Natur gehorchen, der Mensch davon abweicht und dadurch der Sünde verfällt 3 6 . M i l l wies auf die Verwechslung von präskriptiven und deskriptiven Gesetzen als auf den Fehler hin, der dieser Frage zugrundeliegt. Präskriptive Gesetze können gebrochen werden und bleiben trotzdem Gesetze. Diese Abweichung bedeutet, daß Menschen nicht tun, was man ihnen zu t u n vorschreibt. Dagegen ist es sinnlos zu sagen, Naturgesetze seien gebrochen, wenn Naturobjekte sich i m Gegensatz zu Naturgesetzen verhalten. Diese Gesetze verlieren dann ihr Recht, Gesetze genannt zu werden und sind neu zu formulieren 3 7 . Es müssen andere Gesetze unterstellt werden. M i t anderen Worten, diese Gesetze sind falsifiziert. Regeln lassen sich durch Menschen verändern, Naturgesetze lassen sich durch Naturobjekte nicht verändern, sondern nur durch Menschen. Darin liegt der Unterschied. Regeln und Naturgesetze sind Menschenwerk. Dieser Umstand ist nun wichtig für die Frage der Bindung an Sprache und damit auch für die Frage der Gesetzesbindung. Es geht hier um die Frage, ob eine Bindung an Regeln der Verwendung mög82 33 34 35 88 37

Ebd., S. 86. Ebd., S. 195; öhlschläger, S. 103. öhlschläger, S. 101; Winch, S. 45 f. öhlschläger, S. 94. Nach Hart, S. 257. Ebd., S. 258; öhlschläger, S. 95 f.

2. Z u m Begriff der Hegel

241

lieh ist, insbesondere bei Verfassungsbegriffen. Durch wiederholte A b weichungen kann sich bei intersubjektiver Anerkennung eine neue Regel bilden 3 8 . Dies kann ausdrücklich durch formellen A k t geschehen, aber auch allmählich und unbemerkt, indem die Abweichung nicht mehr k r i tisiert, dann toleriert, schließlich unbemerkt bleibt und damit eine neue Praxis bildet. Diese Einsicht gilt sowohl für die Regeln der Verwendung sprachlicher Ausdrücke als auch für Verhaltensregeln. Ausdrücklich i m Zusammenhang m i t richterlichem Verhalten führt Hart diesen Gedanken aus: „Es gibt keine Garantie gegen den Bruch oder die Verwerfung von Regeln; denn für menschliche Wesen ist es weder psychisch noch physisch unmöglich, Regeln zu brechen oder abzulehnen; und wenn dies von genügend vielen und lange genug geschieht, dann existieren die Regeln eben nicht mehr 3 9 ". Die Aussage, daß es zu einer bestimmten Zeit eine Regel gibt, welche von Richtern verlangt, gewisse Regeln zu akzeptieren, enthält zunächst nur die Aussage, daß es eine allgemeine Unterwerfung unter diese Regeln gibt und daß sowohl Abweichungen von Seiten der Gruppenmitglieder wie Verwerfung von Seiten der einzelnen Richter selten sind. Abweichungen würden die K r i t i k der überwiegenden Mehrheit herausfordern 40 . Es besteht danach also die ständige Möglichkeit, daß die Änderung der Praxis eine stillschweigende Änderung der Regeln bewirkt 4 1 . Auch hier kann wieder auf den Begriff der Sozialversicherung als Beispiel verwiesen werden. Der Ausdruck „Sozialversicherung" wurde ursprünglich für Sachverhalte verwendet, die Notlagen von Arbeitnehmern m i t geringem Einkommen betrafen. Die Klasse der unter den Begriff der Sozialversicherung fallenden Sachverhalte wurde dann immer mehr erweitert, und zwar u m die der A r beitnehmer m i t höherem Einkommen, u m die der Selbständigen und schließlich zählte man auch Fälle hinzu, die keine Notlagen darstellen 42 . Als weiteres Beispiel für den Fall einer geänderten Verwendungsregel ist der Begriff der Enteignung anzuführen. Unter den klassischen Begriff der Enteignung fiel nur die Klasse der Sachverhalte, die die entschädigungspflichtige Übertragung von Grundeigentum durch gesetzlich zugelassenen Verwaltungsakt auf ein i m öffentlichen Interesse liegendes Unternehmen betrafen 43 . Diese Klasse von Sachverhalten wurde u m die Fälle des Eingriffes durch Gesetz (Art. 14 Abs. [3] GG) und u m die Fälle erweitert die anderes als das Grundeigentum betreffen 44 . 38

öhlschläger, S. 99. Hart, S. 203. Ebd., S. 203. 41 Ebd., S. 202. 42 B V e r f G 11, S. 113. 43 B G H Z 6, S. 270, 276 ff. 44 B G H Z 6, S. 270; Hesse, Grundzüge des Verfassungsrechts, S. 182; Der verfassungsrechtliche Enteignungsbegriff änderte sich von B V e r f G 1, S. 264 über B V e r f G 2, S. 380, 402 u n d B V e r f G 11, S. 64, 70. 39

40

16 R a c k

242

V. Die inter subjektive Sprachpraxis als Maßstab

I m Ergebnis ist also festzuhalten, daß eine Bindung an die Regeln der Verwendung von sprachlichen Ausdrücken nicht angenommen werden kann. Dabei wurde unter der Regel regelgeleitetes Handeln verstanden, wozu auch sprachliches Handeln wie die Verwendung eines Ausdrucks für bestimmte Gegenstände gehört 4 5 . Es ist daran zu erinnern, daß zuvor als Einsicht aus der Behandlung des Induktionsproblems die Unmöglichkeit der Bindung an Gesetzmäßigkeiten i m Sinne von Naturgesetzen und Regelmäßigkeiten der Natur gewonnen wurde. Wenn man die regelmäßige Verwendung von Wörtern für Gegenstände als Naturgeschehen extern betrachten wollte, müßte man ebenfalls die Bindungsmöglichkeit verneinen, da Gesetzmäßigkeiten sich je nach dem Standpunkt beliebig aufstellen lassen. Damit wurde die Vermutung bestätigt, daß sich eine einzig korrekte Verwendung eines Ausdrucks nicht erkennen läßt. Die Verwendung von Wörtern erweist sich als abhängig vom Sprachbenutzer, als eine Entscheidung, nicht aber als Erkenntnissache. 3. Die intersubjektive Sprachpraxis als Maßstab der Verwendung juristischer Begriffe und als Bindungsmöglichkeit Die Relativität zum Sprachbenutzer ist auch dann zu berücksichtigen, wenn es u m die Beurteilung eines juristischen Satzes geht. Es soll hier betont werden, daß diese Beurteilung nur relativ zu einer geübten intersubjektiv gültigen Praxis vorgenommen werden kann 4 6 . Eine Aussage also wie etwa, Geldleistungspflichten seien Fälle, auf die der Ausdruck Enteignung zutreffe oder mit anderen Worten, die unter den Begriff der Enteignung fielen, würde heute als falsch oder unvertretbar beurteilt werden, und zwar so lange, als das Bundesverfassungsgericht einen Fall der Geldleistungspflicht nicht unter den Begriff der Enteignung eingeordnet hat. Daran muß sich die Frage anschließen, nach welchem Maßstab diese Aussage falsch sein soll. Bisher wurden verschiedene Maßstäbe oder Beurteilungskriterien betrachtet und abgelehnt. Als erster Maßstab wurde das Wesen als Urform, als Vorlage und Muster betrachtet, wie es der Piatonismus m i t der Theorie des Urbild-AbbildVerhältnisses angeboten hat. Dieser Maßstab wurde deshalb ausgeschieden, weil — wie Frege nachgewiesen hat — ein Unterschied zwischen Begriff und Gegenstand besteht, der Begriff der Steuer also selbst keine Steuer ist, der Begriff der Enteignung selbst keinen Fall der Enteignung darstellt. Das aber setzt man voraus, wenn man die Frage, ob ein Gegenstand unter einen Begriff fällt, dadurch zu beantworten sucht, daß man den Gegenstand m i t dem Begriff als einem U r b i l d vergleicht. Der Begriff der Steuer w i r d z. B. als das Idealbild aller Steuern ange45 46

öhlschläger, S. 90. H.-J. Koch, S. 191.

3. Die intersubjektive Sprachpraxis als Maßstab

243

sehen, m i t dem jedes Abgabengesetz verglichen werden muß, bevor es als Steuer bezeichnet werden darf. Das aber heißt, die verschiedenen logischen Typen zu verwechseln, nämlich den Begriff und den unter ihn fallenden Gegenstand. Der Begriff der Steuer ist als Klasse oder Menge aller Steuergesetze zu verstehen, wobei die Steuergesetze die Gegenstände sind. Wenn nun die Einordnung eines Abgabengesetzes zu klären ist, kann nicht nach dem Begriff der Steuer gefragt werden, da dieser selbst kein Steuergesetz ist. I n der Redeweise der Typentheorie schließt die Fragestellung die Annahme ein, eine Menge könne i h r eigenes Element sein 47 . Ob ein Abgabegesetz oder ein potentieller Enteignungsfall unter einen Begriff wie Steuer oder Enteignung fällt, läßt sich nicht am Begriff erkennen, auch nicht bei noch so intensiver Betrachtung, ist also keine Erkenntnisfrage, sondern die Entscheidungssache. Das bedeutet, daß der Vergleich nicht zwischen dem einzuordnenden Gegenstand und dem einen anderen logischen Typ darstellenden Begriff zu ziehen ist, sondern zwischen i h m und den Gegenständen, die schon unter den Begriff fallen und die vom gleichen logischen Typus sind. Daß die Frage nach dem Wesen oder dem Begriff unfruchtbar ist, beweist der zu beobachtende Umstand, wie unschlichtbar über das Wesen oder den Begriff gestritten werden kann. Dabei halten die Gegner einander mangelnde Erkenntnisfähigkeit vor und stehen sich i n Pattsituationen gegenüber. Der Fehler liegt i n der Verwechslung der unterschiedlichen logischen Typen von Begriff und Gegenstand. Der andere hier behandelte Maßstab für die Richtigkeit der Begriffsverwendung i n einer juristischen Aussage, ist die Reihe oder Klasse der Gegenstände, die schon unbestritten unter den Begriff fallen. Es wurde untersucht, ob eine Regelmäßigkeit i n den Klassen erkennbar ist, die die Einordnung i n eine bestimmte Klasse oder Reihe erzwingt. Es handelt sich u m die Frage, ob eine Klasse von Gegenständen ein Prinzip erkennen läßt, das für die Fortsetzung der Reihe, für die Ergänzung der Klasse keine andere Wahl läßt. Die Verwendung eines Ausdrucks w i r d auch hierbei als ein Erkenntnisproblem mißverstanden, und nicht als Entscheidungsfrage gesehen. Es w i r d versucht, ein Prinzip zu erkennen. Dieses Prinzip wäre Maßstab und Hilfe für den Juristen, Begriffe auf juristische Gegenstände zu verwenden. Das Prinzip würde Auskunft geben, wie eine Reihe juristischer Gegenstände durch andere Gegenstände fortzusetzen wäre, i n welche Reihe ein neuartiger Sachverhalt einzuordnen wäre. Die grundsätzliche Untersuchung Poppers zu Gesetzmäßigkeiten i m allgemeinen am Beispiel der Naturgesetze, ihrer Entstehung und Beurteilung brachte die Einsicht von der Standpunktabhängigkeit aller Gesetzmäßigkeitsbehauptungen. Diese erweisen sich als Wiederholungsbehauptungen und diese wiederum als Behauptungen von Ähnlichkeiten, 47

16*

Russell, S. 153 ; Stegmüller,

Hauptströmungen, S. 435, 432.

244

V. Die inter subjektive Sprachpraxis als Maßstab

da Identitätsurteile nicht möglich sind. Die Paarung von Gegenständen zu Ähnlichkeitspaaren ist aber Standpunktsache und relativ zur Hinsicht. Es läßt sich aus den referierten theoretischen Gründen nicht das eine Prinzip ausmachen, nach dem eine Klasse von Gegenständen gebildet ist, sondern es lassen sich danach je nach dem Standpunkt viele verschiedene Prinzipien aufstellen, die man als zwingenden Grund für eine bestimmte Einordnung unter einen Begriff anführen könnte 4 8 . Ein Unbedingt taugliches Auszeichnungsverfahren gibt es nicht. Der einzuordnende Gegenstand, hier also die Sonderabgabengesetze, lassen sich als Wiederholung von Fällen aus verschiedenen Klassen behaupten, die schon unter Begriffe fallen. Die Sonderabgaben wurden ζ. B. vom Bundesverfassungsgericht als eigene Klasse angesehen, als Abgaben eigener A r t verstanden. Umstritten war, ob sie i n die Klasse der Steuergesetze, unter den Begriff der Steuer also, fallen. Eine Reihe von juristischen Gegenständen, die unter einen Begriff fallen, sagt also nichts über ihre Fortsetzung und Ergänzung. Die Einordnung erweist sich als Entscheidungssache. Der zuletzt angeführte Maßstab ist die inter subjektiv gültige Praxis. Dieser Maßstab für die Beurteilung eines juristischen Satzes oder eines Gesetzes ergab sich aus dem Verständnis von sprachlichem Handeln, wie es die Verwendung juristischer Begriffe darstellt, als regelgeleitetem Handeln, das sich von einem internen Aspekt aus beurteilen läßt 4 9 . Danach sind Regeln, insbesondere Sprachregeln, Handlungsgewohnheiten, die einen Standard, eine eingespielte Praxis darstellen. Ein Abweichen davon fordert die K r i t i k der anderen Sprachteilnehmer heraus 50 . Diese Praxis gilt als Maßstab und Bezugsrahmen für die Beurteilung juristischer Sätze. Richtig oder vertretbar sind danach solche Aussagen, die nicht auf Ablehnung oder K r i t i k der anderen Sprachteilnehmer stoßen. Die Behauptung, es existiere eine Regel, enthält die Aussage, daß es allgemeine Unterwerfung gibt, Abweichungen selten sind und von der überwiegenden Mehrheit kritisiert und abgelehnt werden 5 1 . Die bisher dargestellte Auffassung Harts vom intersubjektiv gültigen Maßstab der Sprachpraxis findet sich treffend ausgedrückt bei Winch, der wie Hart auf den Einsichten Wittgensteins aufbaut. U m sagen zu können, jemand befolge eine Regel, könnten nicht allein die zu beurteilenden Handlungen einer Person berücksichtigt, sondern es müßten auch die Reaktionen anderer auf sein Verhalten i n Betracht gezogen werden. Daß jemand einer Regel folgt, läßt sich nur dann vernünftigerweise sagen, wenn angenommen werden kann, daß ein anderer i n der Lage wäre, die befolgten Regeln zu entdecken 52 . Ausdrücklich bemerkt Winch, 48 49 50 51 52

Popper, L o g i k der Forschung, S. 376; Winch , S. 42,108. Hart, S. 84,127. öhlschläger, S. 101; Hart, S. 202; Winch , S. 43, 46, 53 f. Hart, S. 203. Winch , S. 43.

. Die inter subjektive Sprachpraxis als Maßstab

daß dies nicht nur für mathematische Formeln gelte, an denen es W i t t genstein illustriert 5 3 , sondern für alle Fälle der Befolgung von Regeln, insbesondere für das Befolgen von Regeln der Verwendung sprachlicher Ausdrücke 54 , also auch der hier interessierenden juristischen Ausdrücke. Der Begriff des Befolgens einer Regel ist untrennbar mit dem Begriff des „Fehlermachens" verbunden. Winch führt weiter aus, wenn es möglich sei, von jemandem zu sagen, er folge einer Regel, so bedeutet dies, daß man fragen könne, ob er das, was er tue, richtig tue oder nicht. Andernfalls findet der Begriff einer Regel i n seinem Verhalten keinen Anhaltspunkt. Es sei so möglich, vollzogene Handlungen zu bewerten 55 . Es handelt sich hier also um eine A n t w o r t auf die Frage nach einem Maßstab für die Verwendung von juristischen Ausdrücken. Einen Fehler zu machen oder etwas richtig zu machen heißt, „gegen ein als richt i g Etabliertes" zu verstoßen 56 . Ein Fehler muß als solcher erkennbar sein. Wenn man also i m Gebrauch eines Wortes einen Fehler macht, müssen andere i n der Lage sein, darauf hinzuweisen. Die Etablierung eines Standards läßt sich sinnvollerweise nur unter Individuen annehmen, die miteinander i n Kontakt stehen 57 . Das Befolgen einer Regel ist somit eine Praxis und die gemeinsame menschliche Handlungsweise ist das Bezugssystem 58 . Verständlich ist ein Sprachgebrauch nur i n dem allgemeinen Kontext, i n welchem Sprache gebraucht wird. Ein wichtiger Bestandteil dieses Kontextes ist die Prozedur des Berichtigens, wenn Fehler unterlaufen sind 5 9 . Winchs Ausführungen dienen als Beleg für die These, daß als einziger Maßstab für die Beurteilung juristischer Aussagen die jeweilige intersubjektiv geübte Sprachpraxis zur Verfügung steht. Diese Relativierung beim Beurteilen juristischer Aussagen auf die Kommunikationsgemeinschaft bedeutet auch, daß nur an diesen Maßstab gebunden und an i h m gemessen werden kann. I n jüngster Zeit findet sich i n der juristischen Literatur ansatzweise diese Position, so vor allem bei H. J. Koch, der den Relativitätsgesichtspunkt hervorhebt 6 0 und bei Häberle 61 . Es w i r d die These vertreten, i n die Prozesse der Verfassungsinterpretation seien potentiell alle Staatsorgane, alle öffentlichen Potenzen, alle Bürger und Gruppen eingeschaltet. Häberle bezeichnet die Beteiligten als eine offene Gesellschaft, die 53 54 55 5β 57 58 50 60 61

1975.

Wittgenstein, P U 143,144,145,146,185,186. Winch, S. 44. Ebd., S. 45. Ebd., S. 45. Ebd., S. 46. Wittgenstein, P U 202, 206. Winch, S. 54. H.-J. Koch, S. 191. Häberle, Die offene Gesellschaft der Verfassungsinterpreten, S. 297, J Z

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V. Die inter subjektive Sprachpraxis als Maßstab

Verfassungsinterpretation konstituiere und von dieser mitkonstituiert werde. Die Kriterien der Verfassungsinterpretation sind so offen, wie die Gesellschaft pluralistisch sei 62 . Verfassung sei als öffentlicher Prozeß zu verstehen 63 , was zu einer Relativierung der juristischen Verfassungsinterpretation führe 6 4 . Diese Ansicht Häberles findet ihre Stütze i n der hier gewonnenen sprachtheoretischen Einsicht von der Gegenstandskonstitution durch Sprache und i n dem herausgestellten Gedanken von der Relativität der Sprache auf die Sprachbenutzer. Nach Wittgensteins Bedeutungstheorie ist unter der Bedeutung eines Ausdrucks seine Verwendungsregel zu verstehen, die von den Verwendern der Ausdrücke abhängt. Die Behauptung, es bestehe eine Regel, ist m i t dem Zusatz zu juristischen Aussagen zu vergleichen, es handele sich u m die herrschende Meinung. Diese A r t der Beurteilung eines Satzes läßt keine eindeutige Aussage darüber zu, ob der Satz richtig oder falsch, vertretbar oder unvertretbar sei. Kennzeichnend ist die völlige Relativierung auf die Sprachteilnehmer, auf die geübte Praxis. Von der heutigen Wissenschaftstheorie aus läßt sich der Beurteilungsspielraum der intersubjektiv gültigen Praxis m i t einer Position vergleichen, die Essler pragmatischen Rationalismus genannt hat 6 5 . Danach enthält eine vorgegebene Sprache — hier ist die juristische von Interesse — synthetisch-apriorische Wahrheiten 6 6 , so daß man Aussagen als wahr bezeichnen kann. U m einen Satz a priori handelt es sich, wenn für das Wissen keine Tatsachenerfahrung benötigt w i r d 6 7 . Die von K a n t gestellte Frage, ob es a priori gültige Urteile geben könne, w i r d heute allgemein negativ beantwortet. Der Versuch, bestimmte Urteile ein für alle Mal als a priori wahr zu erweisen, muß scheitern 68 . I m Gegensatz dazu führt Essler nun einen i m Hinblick auf eine Sprache relativierten Aprioritätsbegriff ein, der auf die Intensionen, die Regeln der Verwendung von Ausdrücken Bezug n i m m t 6 9 . Eine Aussage ist danach immer nur i n einer Sprache a priori wahr, wenn sich die Wahrheit aus den in dieser Sprache akzeptierten Verwendungsregeln ergibt 7 0 . Synthetischapriorische Wahrheiten sind die Regeln zum Gebrauch der Grundbegriffe. Sie sind m i t Meßvorschriften und Maßstäben i n den Naturwissen62

Ebd., S. 297. Ebd., S. 300. 84 Ebd., S. 303. 85 Essler, Analytische Philosophie 1,1972, S. 275. 88 Ebd., S. 278. 87 Stegmüller, Bd. 4, S. 457; Popper, Objektive Erkenntnis, S. 107. 88 Essler, Analytische Philosophie I , S. 275; Popper, L o g i k der Forschung, S. 5; Popper, Objektive Erkenntnis, S. 36. 89 Essler, Analytische Philosophie I , S. 275. 70 Ebd., S. 275, 259 ff. Näheres zur E n t w i c k l u n g dieser Position, die hier n u r vereinfacht dargestellt werden kann. 83

. Die inter subjektive Sprachpraxis als Maßstab

Schäften zu vergleichen und erfüllen die Funktion impliziter Definitionen. Die Charakterisierung als synthetisch-apriorisch erklärt sich daraus, daß sie weder aus singulären Erfahrungen durch Induktion gewonnen werden — deshalb apriorisch und nicht empirisch — und daß sie nicht aus anderen Begriffen gewonnen werden — deshalb synthetisch und nicht analytisch. Diese Charakterisierung gibt Aufschluß darüber, daß die gesamte Position aus der K r i t i k am Empirismus und am sogenannten dogmatischen Rationalismus entstanden ist 7 1 . Die letztere Position unterscheidet sich von der ersteren darin, daß nach ihrer Ansicht auch synthetische Urteile definitiv und ohne Zuhilfenahme von Erfahrungswissen als wahr erkennbar seien, nämlich als a priori wahr 7 2 . Wittgensteins Auffassungen von den grammatischen Sätzen entsprechen dieser Ansicht Esslers. Nur i n bezug auf oder relativ zu einer vorgegebenen Sprache lassen sich Aussagen als wahr bezeichnen. Unter vorgegebener Sprache läßt sich die intersubjektiv akzeptierte Praxis verstehen. Wichtig für die hier verfolgte Frage der Bindungsmöglichkeit an Sprache und damit an Rechtsnormen ist besonders ein Umstand, den Essler i m Rahmen der Darstellung seines pragmatischen Rationalismus hervorhebt. Wenn eine Sprache vorgegeben ist, also eine Gesamtheit von Regeln für den Gebrauch von Wörtern darstellt, so gibt es kein definitiv gesichertes System von Argumenten, das die Auszeichnung einer einzigen Gesamtheit von Regeln gestattet. Wenn es aber, so führt Essler weiter wörtlich aus, keine gesicherte Argumentation gibt, die ein einziges Regelsystem für sprachliche Ausdrücke auszuzeichnen gestattet, dann ist es scheinbar jedem freigestellt, die Elemente des Vokabulars m i t den i h m passenden Intensionen, den Verwendungsregeln zu versehen. Wenn jeder diese Möglichkeit zur Sprachanarchie ausnutzen würde, wären die babylonische Sprachverwirrung und der Zusammenbruch einer jeden Kommunikation perfekt 7 3 . Für die hier vertretene These von der Unmöglichkeit der Gesetzesbindung i n der bisherigen Form kann die aufgezeichnete Möglichkeit der Sprachanarchie als Bestätigung dienen. Es schließt sich nun die Frage an, warum dieses Chaos i n der Kommunikation noch nicht eingetreten ist 7 4 . Für die Rechtswisenschaft bedeutet diese Frage, warum noch immer so etwas wie eine Gesetzesbindung i n der Praxis angenommen werden kann, obwohl sie sich hier als theoretisch gar nicht möglich erweist. Die A n t w o r t darauf lautet, daß die theoretische Veränderbarkeit von Regeln nicht dazu führen muß, daß diese Regeln auch tatsächlich verändert werden 7 5 . Daß Regeln veränderbar 71 72 73 74 75

Ebd., S. 265. Ebd., S. 267. Ebd., S. 278; Hart, S. 176. H a r t spricht von der Krise der Kommunikation. Essler, Analytische Philosophie I, S. 279. Hart, S. 211.

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V. Die inter subjektive Sprachpraxis als Maßstab

sind, heißt nicht, daß alle Regeln ohne weiteres verändert werden, denn häufig sind Abweichungen mit derartigen Sanktionen belegt oder haben derart negative Konsequenzen, daß die Regeln schon fast wie unveränderliche Naturgesetzmäßigkeiten erscheinen. Regeln sind zwar prinzipiell, aber doch mehr oder weniger schwer veränderbar 76 . Hart weist zu Recht darauf hin, daß jede Regel hier und da zu Zweifeln Anlaß geben kann, daß es aber eine notwendige Bedingung für ein existierendes Rechtssystem ist, daß nicht alle Regeln insgesamt überall und zur gleichen Zeit zweifelhaft sind 7 7 . Denn dann gäbe es keine Regel. Es kann nicht ein einziges M a l ein Mensch einer Regel gefolgt sein 78 . Wären alle Handlungen einmalig oder sporadisch, dann wäre die Sprachanarchie eine erstzunehmende Gefahr. Dieser Gedanke, daß nicht alle Regeln insgesamt und zur gleichen Zeit zweifelhaft sind, ist nicht nur eine A n t wort auf die Frage nach der Sprachanarchie, sondern auch für die hier von Anfang an herausgestellte Paradoxie der Gesetzesbindung von großer Bedeutung. Die Relativität der Verwendungsregeln i n bezug auf die Sprachbenutzer gilt auch für die Verfassung, da die Verfassung nur i n sprachlicher Form existieren kann. Dasselbe gilt für jede A r t von Gesetzesbindung. Der Gesetzgeber, die Richter und die Verwaltungsbeamten sollen nach A r t . 1 Abs. (3) GG an die Verfassung gebunden sein. Als Sprachbenutzer sind sie prinzipiell i n der Lage, die Verwendungsregeln für verfassungsrechtliche Begriffe zu verändern. Die Bindungsforderung einerseits und die Veränderbarkeit der Verwendungsregeln andererseits machen zusammen die Paradoxie der Gesetzesbindungsforderung aus. Die sprachtheoretische Untersuchung hat ergeben, daß es dem Gesetzgeber möglich ist, die Verwendung der Ausdrücke der Verfassung zu ändern, was sich nicht m i t der Bindungsforderung verträgt 7 9 . Für ein Verfassungsgericht, das ja ebenfalls an die Verfassung gebunden sein soll, formuliert Hart treffend diese Paradoxie i n der Frage, wie eine Verfassung die Autorität übertragen könne, zu sagen, was Verfassung ist 8 0 . Es liegt nahe zu leugnen, daß Gerichte m i t ihren Urteilen an Regeln gebunden sind. Bedenkt man, daß Gerichte, die m i t abschließender Autorität urteilen, das letzte Wort haben, so liegt die Ansicht nahe, Recht und Verfassung sei, was die Gerichte sagen, daß es sei 81 . I m Gegensatz dazu glaubt man herkömmlich, der Wortlaut von Gesetzen repräsentiere das, was man Recht und Verfassung nennt 8 2 . Zwischen deren 76 77 78 79 80 81 82

öhlschläger, S. 99. Hart, S. 211. Wittgenstein, P U 199; Rottleuthner, S. 18. Häberle, Wesensgehaltsgarantie, S. 163. Hart, S. 211. Ebd., S. 197. F. Müller, S. 140.

. Die inter subjektive Sprachpraxis als Maßstab

Leugnen jeder Bindung und der Ansicht der strengen Bindung an den Wortlaut nimmt die hier reformulierte Position der Bindung an Regeln eine Zwischenstellung ein. Regeln werden verstanden als regelgeleitetes Handeln, hauptsächlich i n Form von sprachlichem Handeln, i m Gegensatz zu gesetzmäßigem Naturgeschehen. Wenn hier undifferenziert vom Gesetzgeber, von Gerichten und von der Verwaltung gesprochen wird, so ist dies für das grundsätzliche Problem der Bindung an die Verfassung ohne Einfluß, da i n jedem Fall eine Bindung an die Verfassung verlangt wird, sei es bei der Gestaltung, der Uberprüfung oder bei der Anwendung von Gesetzen. Der Unterschied besteht i n der Funktion der Beteiligten, die sich alle nach dem gleichen Maßstab richten müssen. Der Gesetzgeber müßte wissen, an welchen Maßstab er gebunden ist, und das Bundesverfassungsgericht, an welchem Maßstab Gesetzgebung und Verwaltung zu überprüfen und zu messen sind. Diese aufgezeigte Paradoxie, daß einerseits die Verfassung binden soll, andererseits von dem zu Bindenden verändert werden kann, w i r d als Problem des Verfassungsrechts empfunden. Der Widerspruch wurde besonders treffend von Leisner auf die Formel: „Von der Verfassungsmäßigkeit der Gesetze zur Gesetzmäßigkeit der Verfassung" gebracht. Der Verfassungsgeber habe dieses Problem nicht gesehen, so daß es zunächst einmal darum gehe, es als solches bewußt zu machen 83 . Es handele sich hierbei allgemein u m das Verhältnis von Gesetzen zur Verfassung 84 . Dabei werde wiederholt unterstrichen, das Gesetz sei an der Verfassung zu messen und nicht umgekehrt. I m Grundgesetz finde sich keine Aussage über die Erfüllung der Begrifflichkeit 8 5 , so daß die Frage naheliege, woher die Inhalte der Begriffe kommen sollen 86 . Das Problem sieht Leisner i m Einfluß niederrangigen Rechts auf die Verfassung, was er zusammenfassend als „Verfassung nach Gesetz" bezeichnet 87 . Die Gefahr drohe vom Gesetzgeber i n Form einer Unterwanderung für viele Begriffe 8 8 . Es ist vom Vernichtungswerk des Gesetzgebers die Rede, der sich über das trojanische Pferd vorgängiger Sinnerfüllung eingenistet habe 89 . Neben der offiziellen Form der Verfassung nach Gesetz, nämlich dem Gesetzesvorbehalt, seien andere Formen zu beobachten, deren Einfluß auf die Verfassung man vergeblich zu bannen versuche 90 . N u r wenige Verfassungsbegriffe seien als solche inhaltlich völlig selb- '* i 83

Leisner, Von der Verfassungsmäßigkeit der Gesetze zur Gesetzmäßigkeit der Verfassung, S. 61. 84 Ebd., S. 63. 85 Ebd., S. 11. 88 Ebd., S. 9. 87 Ebd., S. 10. 88 Ebd., S. 51. 89 Ebd., S. 49. 90 Ebd., S. 41.

250

V. Die inter subjektive Sprachpraxis als Maßstab

ständig 91 . Würde eine einfache gesetzliche Regelung als einem Begriff der Verfassung „entsprechend" gedeutet, so sei dies oft nur eine A posteriori-Erfüllung des inhaltsschwachen Verfassungsbegriffs 92 . Darum geht es i n der hier vorgenommenen Untersuchung, nämlich aufzuzeigen, was es heißen kann, Gesetze, wie die Sonderabgabengesetze als Begriffen der Verfassung entsprechend zu deuten. Das Gesetz, darauf sei zu achten, müsse wirklich subsumiert werden und dürfe nicht seinerseits der Verfassung zuerst Inhalt geben 93 . Das hier als Bindungsparadoxie vorgestellte Problem w i r d von Leisner klar erkannt und treffend formuliert. Allerdings w i r d nicht der naheliegende Versuch unternommen, die Struktur von Begriffen zu untersuchen, um festzustellen, ob überhaupt ein Begriff der Verfassung einen selbständigen Inhalt haben könne oder ob damit Begriffe überfordert werden. Die Eigenschaft der Begriffe, von sich aus, ohne menschliches Zutun Inhalt zu haben, wurde gar nicht in Frage gestellt, sondern vorausgesetzt. Die hier vorgenommene sprachtheoretische Untersuchung über die Struktur von Begriffen hat ergeben, daß ihr Inhalt Menschenwerk ist. Die Klassifizierung der Gegenstände und ihre laufende Ergänzung ist eine Konstitutionsleistung des Menschen, aber nicht vorgegeben. Insgesamt w i r d also das Ziel angestrebt, den Gesetzgeber durch die Verfassung irgendwie zu beschränken, ohne daß untersucht worden wäre, wie dies zu leisten ist. Das Ziel, den Einfluß des Gesetzgebers auf den Verfassungsinhalt auszuschalten, w i r d ungeachtet der methodischen Unmöglichkeit weiter verfolgt. Was hier als Bindungsparadoxie bezeichnet wird und das Verhältnis von Gesetzgeber und Grundgesetz kennzeichnet, kommt klar bei Häberle zum Ausdruck. Vom Gesetzgeber als dem Feind der Grundrechte ist die Rede, der aber nicht nur potentieller Gegner, sondern auch — und hierin liegt der Widerspruch — ihr aktueller Garant sei, der eine Ausgestaltungsfunktion habe, die jedoch verkannt werde. Häberle meint, soweit i m staatsrechtlichen Positivismus eine Ausgestaltungsbedürftigkeit der Grundrechte anerkannt werde, sei damit die Ablehnung der Bindung des Gesetzgebers an die Grundrechte verbunden. Zur Überwindung des Eingriffsdogmas fehlten die notwendigen Denkvoraussetzungen 94 . Zu dieser A r t Denkvoraussetzungen sollte mit der hier vorgetragenen wissenschafts- und sprachtheoretischen Untersuchung ein Beitrag geleistet werden. Die hier von der sprachtheoretischen Perspektive aus herausgestellte Abhängigkeit der verfassungsrechtlichen Begriffe von denen, die diese Begriffe verwenden, scheint auf den ersten Blick jegliche Bindung zur 91 92 98 94

Ebd., S. 23. Ebd., S. 38. Ebd., S. 38. Häberle, Die Wesensgehaltsgarantie, S. 163.

. Die inter subjektive Sprachpraxis als Maßstab

absoluten Fiktion werden zu lassen. Dieser Eindruck weicht, wenn man weiter fragt, woran eine Bindung möglich sei, wenn nicht an den Wortlaut und wenn nicht an Verwendungsregeln. Es soll betont werden, daß die Abhängigkeit der Sprache vom Benutzer die Regeln der Verwendung von Ausdrücken für juristische Gegenstände prinzipiell veränderbar macht. Aber dies besagt nicht, daß sie auch alle gleichzeitig bezweifelt und verändert werden 9 5 . Richter — um eine Gruppe der an die Verfassung Gebundenen zu nennen — sind jederzeit, sogar als Richter eines obersten Gerichts, Teilhaber an einem System von Regeln, die in ihrem Kern hinreichend bestimmt sind, um als Standard für korrekte richterliche Entscheidung zu dienen. Jeder Richter findet Regeln vor. Solche Standards können nun nicht — und das ist mit der Relativität gemeint — dauerhaft bestehen, wenn sich nicht die meisten Richter innerhalb einer gegebenen Periode daran halten. Denn die Existenz dieser Standards besteht einfach i n ihrer Annahme und Anwendung für korrekte Judikatur oder auch korrekte Gesetzgebung. Das macht Richter nicht zu U r hebern dieses Standards 96 . Die Bindung stellt eine Bindung an Standards, an eine Praxis dar, deren Änderung als solche empfunden wird, K r i t i k hervorruft und Ablehnung erfährt. Bindung an die Verfassung bedeutet somit Bindung an eine Praxis. Abgelehnt ist damit allerdings die A n sicht, Bindung sei an einen Wortlaut möglich. Bindung an Regeln i m hier geschilderten Sinne ist also möglich. Wenn hier von einer Praxis oder eine Sprachpraxis die Rede ist, so kommt dieser Gedanke anschaulich schon bei Heller zum Ausdruck, und zwar i m Rahmen der Untersuchung zur Rechtfertigung des Staates. Heller spricht von der Staatswirklichkeit „als einer menschlichen Wirklichkeit, die nur existiert als ein plebiscite de tous les jours" 9 7 . Eine Praxis der Begriffsverwendung hat also nicht für sich allein Gültigkeit, sondern nur i n Form einer täglich zu erneuernden Konvention. Einziges Indiz für die Gültigkeit eines Rechtssatzes und einer juristischen Aussage ist die Reaktion — Ablehnung, K r i t i k oder Zustimmung —, die sie erfährt. Danach können juristische Sätze immer nur i n bezug auf eine gegebene Praxis richtig oder vertretbar genannt werden. Eindeutige Urteile allerdings erlaubt dieser hier geschilderte Beurteilungsmaßstab der geübten Praxis oder der vorgegebenen Sprache als der Gesamtheit von Intensionen nicht. Die Beurteilung muß eine ungefähre bleiben. Die Suche nach dem Maßstab, der nicht zur Disposition des Gesetzgebers stehen soll, läßt sich nach allem als Suche nach unbeeinflußbar Vorgegebenem kennzeichnen. Wittgenstein gibt darauf eine A n t w o r t : „Das Hinzunehmende, Gegebene — könnte man sagen — seien Lebensformen 98 ." Lebensformen allerdings sind von den Beteiligten abhängig und beeinflußbar. 95 96 97

Hart, S. 211. So fast wörtlich Hart, S. 202. Heller, S. 202.

252

V. Die inter subjektive Sprachpraxis als Maßstab

4. Die Unbestimmtheit sekundärer Regeln Nachdem nun das Verständnis des Regelbegriffs dargelegt wurde, soll noch eine weitere wichtige Differenzierung eingeführt werden. Wenn bislang von der offenen Struktur der Sprache und der verursachten Unbestimmtheit die Rede war, so ist nun noch deutlich zu machen, auf was sich die Unbestimmtheit beziehen kann. Die hier untersuchte Unbestimmtheit bezieht sich nicht auf die einzelne Rechtsregel, etwa auf einzelne Sonderabgabengesetze, sondern betrifft die Regeln, nach denen die Verfassungsmäßigkeit, etwa der Sonderabgabengesetze, bestimmt werden soll. Es gilt zwischen der Unbestimmtheit einer einzelnen Rechtsnorm und der Unbestimmtheit des Kriteriums zu unterscheiden, das man zur Identifizierung der einzelnen Rechtsnorm als eine Norm des Systems verwendet". a) Sekundäre Regeln Hart unterscheidet grundsätzlich zwischen zweierlei Regeltypen, den primären und den sekundären 100 . Recht bestehe aus der Kombination beider Regeltypen 1 0 1 . Sekundäre Regeln sind methodische Regeln, Regeln auf einer Metaebene. Als Beispiel für die primären Regeln läßt sich die Gruppe aller einfachen Rechtsnormen nennen. Zur Einsicht, es müsse von diesen Regeln ein zweiter Typ zu unterscheiden sein, kommt Hart, indem er Mängel aufzeigt, die aus der Annahme entstehen, daß i n der gesellschaftlichen Struktur nur ein Typ Regeln herrsche 102 . Ein erster Mangel besteht darin, daß Zweifel über den Inhalt primärer Regeln oder über die präzise Absicht einer bestimmten Regel auftauchen können, ohne daß ein Verfahren vorhanden wäre, u m diese Zweifel zu beheben 1 0 8 . Die Regeln eines solchen Verfahrens wären sekundäre Regeln, nämlich Regeln über Regeln. „Während die primären Regeln damit beschäftigt sind festzustellen, was die Individuen t u n dürfen und was nicht, beschäftigen sich die sekundären Regeln m i t den primären. Sie bestimmen, auf welche Weise man sich der primären Regeln schlüssig vergewissern kann, wie sie eingeführt und wieder abgeschafft werden, wie man sie verändert und wie man die Tatsache ihrer Verletzung schlüssig bestimmt 1 0 4 ." Hier ist nur die Erkenntnisregel von Interesse. Andere sekundäre Regeln sind nach Hart die Änderungsregeln, die den stati98

Wittgenstein, P U S. 363; Winch, S. 45, 55. Hart, S. 205. 100 Ebd., S. 118. 101 Ebd., S. 118. 102 Ebd., S. 134. 108 Ebd., S. 132. 104 Ebd., S. 135.

99

4. Die Unbestimmtheit sekundärer Regeln

253

sehen Charakter der primären Regeln beseitigen, indem sie die Regeln bestimmen, Gesetze zu ändern und schließlich die Entscheidungsregeln, die die Unbestimmtheit des sozialen Drucks der primären Regeln konkretisieren 1 0 5 . Der Mangel der Unbestimmtheit mehrerer Regeln, ζ. B. Zweifel über die Höhe, den Zweck und die Kreise der Beteiligten bei Sonderabgaben, soll nach Harts Vorschlag durch eine sekundäre Erkenntnisregel behoben werden. Diese Regel soll ein Kennzeichen der Autorität liefern 1 0 6 , was etwa dadurch geschieht, daß man die Einhaltung der Kompetenznorm prüft. I n der Erkenntnisregel geht es u m die Feststellung der rechtlichen Gültigkeit, wodurch Zweifel an den Gesetzen ausgeräumt werden sollen. Die Schwierigkeit, solche Erkenntnisregeln zu erfassen, beruht darauf, daß sie sehr selten ausdrücklich formuliert sind. Die Existenz dieser Regeln äußert sich i n ihrer Benutzung, was gleichzeitig einschließt, daß der Benutzer diese Regel akzeptiert 1 0 7 . Die nicht ausdrücklich formulierte Regel über die Gültigkeit von Rechtsnormen läßt sich also nur über die tatsächliche Anwendung erfassen. Diese sogenannte Erkenntnisregel existiert nur als Komplex, als normalerweise koordinierte Praxis von Gerichten, Beamten und Privatpersonen, wenn sie m i t Hilfe gewisser Kriterien identifizieren, was Recht ist 1 0 8 . Das Wort „gültig" oder auch „verfassungsmäßig" vert r i t t häufig eine nicht ausdrücklich formulierte, aber anerkannte Erkenntnisregel 109 . Diese Erkenntnisregel läßt sich also dadurch ausmachen, daß man die Verwendung des Wortes „gültig" oder „verfassungsmäßig" beobachtet. Es geht also u m die Bedeutung des Ausdrucks „Verfassungsmäßigkeit", die als dessen Sprachgebrauch, dessen Verwendungsregel, zu ermitteln ist. Die Erkenntnisregel selbst ist unausgesprochen vorausgesetzt 110 und muß zunächst einmal formuliert werden. Sie ließe sich dadurch formulieren, daß man die Methode beobachtet, als deren Ergebnis die Eigenschaft eines Gesetzes behauptet wird, verfassungsmäßig oder gültig zu sein. I m Grundgesetz findet sich keine solche Regelung. A r t . 1 Abs. 3 GG statuiert unmittelbare Geltung, sagt aber nichts darüber, m i t welchem Inhalt diese anzunehmen sei 1 1 1 . Insbesondere bei Sonderabgaben wurde das Fehlen einer formulierten Erkenntnisregel deutlich und gab den A n laß zu dieser Untersuchung. Z u erinnern ist an die eingangs erwähnte Feststellung Friaufs, die Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts 105

Ebd., S. 31 f. Ebd., S. 136. 107 Ebd., S. 145. 108 Ebd., S. 155. 109 S. 146. 110 S. 152. 111 Leisner, Von der Verfassungsmäßigkeit der Gesetze zur Gesetzesmäßigkeit der Verfassung, S. 11. 108

254

V. Die inter subjektive Sprachpraxis als Maßstab

zu den Sönderabgaben leide an einem Begründungsdefizit. Der verfassungsrechtliche Steuervorbehalt, den das Grundgesetz ungeschrieben voraussetze und der i n A r t . 105 ff. GG unmittelbar anklinge, trage zwar die grundsätzliche Legitimation des steuerlichen Eingriffs i n den Schutzbereich der Eigentumsgarantie, rechtfertige aber nicht die Belastung des Bürgers m i t Abgaben ohne Steuerqualität. Deshalb müsse die Zulässigkeit einer solchen Abgabe jeweils besonders begründet werden 1 1 2 . Diese Forderung, Sönderabgaben müßten begründet, gerechtfertigt oder legitimiert werden, bleibt solange sinnlos, als nicht gesagt wird, wie ein Gesetz begründet, gerechtfertigt oder legitimiert werden kann. Die Forderung und Bereitschaft, ein Gesetz zu begründen, h i l f t nicht weiter, bevor nicht geklärt ist, was unter „ein Gesetz begründen, rechtfertigen, legitimieren" zu verstehen ist. Unausgesprochen bleibt hier also das, was Hart die Erkenntnisregel nennt, eine sekundäre Regel über die primären Regeln der Sönderabgaben, an denen Zweifel angemeldet werden, die nur durch eine sekundäre Regel zerstreut werden könnten. Wenn eine solche Regel, m i t der Zweifel an Gesetzen ausgeräumt werden können, nicht formuliert ist, so heißt dies nicht, daß sie nicht existiert. Die Beobachtungen der Argumentationspraxis hat ergeben, daß man die Eigenschaft der Sonderabgabengesetze, verfassungsmäßig gültig, begründet, gerechtfertigt, legitimiert zu sein — was alles dasselbe bedeutet, nämlich unanzweifelbar zu sein —, auf eine ganz bestimmte Weise zu gewinnen sucht. Man bemüht sich nämlich, diese Gesetze als Begriffe der Verfassung gemäß zu deuten 1 1 8 , oder sie aus ihnen abzuleiten. Die Methode besteht darin, für Sonderabgabengesetze eine sprachliche Repräsentanz i n Begriffen der Verfassung zu suchen. Dieses Verfahren wurde hier unter dem Stichwort „Recht aus Begriffen" zusammengefaßt. Die Untersuchung der Sonderabgabengesetze auf ihre Verfassungsmäßigkeit konzentriert sich hauptsächlich darauf, ganz allgemein formuliert, sie m i t Begriffen der Verfassung i n Verbindung zu bringen. Die Praxis dieser Methode wurde eingangs dargelegt. Ihr Ursprung i n der Begriffsjurisprudenz wurde nachgewiesen. Es handelt sich bei dieser Praxis, Rechtssätze aus Begriffen abzuleiten, u m eine Erkenntnisregel i m Sinne Harts, u m eine Regel über die Gültigkeit von Rechtsnormen. Diese Erkenntnisregel wurde abkürzend als die Regel vom Recht aus Begriffen bezeichnet. Verfassungsmäßig ist danach ein Rechtssatz dann, wenn er sich aus einem Begriff der Verfassung herleiten läßt, einem Begriff der Verfassung entspricht, u m einige Ausdrücke zu nennen, die i n diesem Zusammenhang verwendet werden. Diese Erkenntnisregel läßt sich durch die Beobachtung der Verwendung des Ausdrucks „verfassungsmäßig" gewinnen. Die Verwendung des Wortes „verfassungsmäßig" i m Kontext 112

Friauf, öffentliche Sonderlasten, S. 53. Leisner, V o n der Verfassungsmäßigkeit der Gesetze zur Gesetzmäßigkeit der Verfassung, S. 38. 118

4. Die Unbestimmtheit sekundärer Regeln

255

zu beobachten, die Bedeutung also festzustellen, entspricht Wittgensteins pragmatischer Semantik, wonach die Bedeutung eines Ausdrucks als seine Verwendung verstanden wird. Statt „verfassungsmäßig" w i r d oft auch von „begründet", „gerechtfertigt" oder „legitimiert" gesprochen. Diese und ähnliche Ausdrücke stehen für die nicht explicit formulierte Erkenntnisregel vom Recht aus Begriffen. Die Unbestimmtheit dieser Erkenntnisregel vom Recht aus Begriffen ist Gegenstand und Problem der hier vorgenommenen Untersuchung. Es muß an dieser Stelle vermerkt werden, daß nicht der Anspruch erhoben werden soll, die Bedeutung — verstanden als Verwendungsregel — des Ausdrucks „verfassungsmäßig" vollständig erfaßt zu haben. Es handelt sich bei der formulierten Erkenntnisregel vom Recht aus Begriffen u m ein ins Auge springendes und i n der Diskussion breiten Raum einnehmendes K r i t e r i u m der Gültigkeit. Insbesondere konzentriert sich die Diskussion der Verfassungsmäßigkeit der Sonderabgabengesetze auffallend auf die Diskussion u m Begriffe, insbesondere auf den Begriff der Steuer. Zweifel an den Sonderabgabengesetzen und ihrer Zulässigkeit scheint man dadurch beheben zu wollen, daß man sie unter den Steuerbegriff einordnet und damit den Anschein erweckt, als ob sich ein Sonderabgabengesetz m i t Notwendigkeit aus diesem Begriff ergeben könnte. Zweifel an dem Nutzen dieser Methode für die Frage nach der Höhe, dem Zweck und den beteiligten Kreisen waren Anlaß, diese Methode kritisch zu betrachten. b) Die Unbestimmtheit der Regel vom Recht aus Begriffen Nachdem nun die Erkenntnisregel vom Recht aus Begriffen, nach der aus verfassungsrechtlichen Begriffen hergeleitete Rechtssätze verfassungsmäßig sein sollen, formuliert ist, und als Gültigkeitskriterium gekennzeichnet werden konnte, soll dargelegt werden, w o r i n die Unbestimmtheit dieses Kriteriums zu sehen ist, wobei die bisherigen Einsichten Verwendung finden werden. Anlaß zu Zweifeln an der Gültigkeit der Regel vom Recht aus Begriffen gab die Breite der Diskussion u m Begriffe, insbesondere um den der Steuer. Die Unbestimmtheit der Methode, aus Begriffen Rechtssätze herzuleiten, zeigte sich darin, daß die Verfassungsmäßigkeit oder Gültigkeit beliebig behauptet oder nicht behauptet werden konnte. Als Beispiel soll an dieser Stelle auf eine für die kritisierte Methode typische Argumentation noch einmal hingewiesen werden m i t der der Konjunkturzuschlag aus Begriffen hergeleitet w u r de. Aus Grundlage verfassungsrechtlicher Zulässigkeit komme A r t . 20 Abs. 1 GG i n Betracht 1 1 4 . A r t . 20 Abs. 1 GG stelle die Anforderung eines demokratischen und sozialen Bundesstaates. Erfordert sei dadurch die Qualität der vom Grundgesetz rechtlich verfaßten Organisation als Staat, also Staatlichkeit 1 1 5 . Der Begriff des Staates umfasse funk114

Krause-Ablaß,

S. 711.

256

V. Die inter subjektive Sprachpraxis als Maßstab

tionell die Leistung allgemeiner Kollektivgüter, insbesondere des allgemeinen Kollektivgutes der öffentlichen Ordnung. Zur öffentlichen Ordnung gehöre auch die Stabilität der Wirtschaft, die der Staat zu sichern habe. Diese Pflicht ergebe sich generell aus dem Grundsatz der Staatlichkeit. Das verfassungsrechtliche Gebot der Sicherung einer wirtschaftlichen Stabilitätsordnung impliziere die Ermächtigung zu allen Maßnahmen, die der Erreichung dieses Zieles dienen 1 1 6 . Der K o n j u n k t u r zuschlag, so lautet das Ergebnis dieser Argumentation, gehöre zwar nicht zu den gebotenen Maßnahmen, aber A r t . 20 Abs. 1 GG ermächtige dazu 1 1 7 . Aus dem Begriff der Staatlichkeit w i r d so die Zulässigkeit des Konjunkturzuschlags zu gewinnen versucht. Die Unbestimmtheit dieser Methode w i r d deutlich, wenn man zur Kontrolle fragt, wozu A r t . 20 Abs. 1 GG nicht ermächtige, was also der Begriff der Staatlichkeit ausschließe. Lassen sich nicht auch andersgeartete Maßnahmen aus dem Begriff der Staatlichkeit ableiten? Vor dieser Einordnung unter den Begriff der Staatlichkeit wurde die ebenfalls i n Erwägung gezogene Einordnung unter den Begriff der Steuer abgelehnt, da das Merkmal des Fiskalzweckes nicht gegeben sei, was den Unterschied zwischen Steuergesetzen und dem Konjunkturzuschlag ausmache 118 . Die Ähnlichkeit zwischen Steuer und Konjunkturzuschlag ist unübersehbar und gibt Anlaß für die Erwägung, der Konjunkturzuschlag könne i n die Klasse der Steuergesetze gehören 119 . Es sind also Unterschiede und Ähnlichkeiten festgestellt worden, um es i n der hier benutzten Terminologie zu sagen. Warum aber der Konjunkturzuschlag aus A r t . 20 Abs. 1 GG, aus dem Begriff der Staatlichkeit, hergeleitet werden kann, erscheint nicht nachvollziehbar. Weiterh i n ist nicht klar, warum der Konjunkturzuschlag keine Steuer sein könne, wo doch vom Bürger her gesehen, die Belastung i n Höhe der entgangenen Zinsen der einer Steuer gleichkommt 1 2 0 . Darüber hinaus stellt sich die Frage, was diese Einordnung am Ergebnis ändert. Schließlich kann diese A r t der Begriffseinordnung keine Zweifel an Höhe, Zweck, Beteiligtenkreis beseitigen 121 . Daß die Regel vom Recht aus Begriffen nicht nachvollziehbar und nicht praktikabel ist, w i r d oft erkannt, ohne daß die Konsequenz gezogen würde, diese Methode nicht mehr zu praktizieren. Zur Frage zum Beispiel, ob das System der Krankenversi115

W. Patzig,

Gegenwartsfragen

des Finanzverfassungsrechts,

S. 298. 118

117 118 119 120 121

Krause-Ablaß, S. 712. Ebd., S. 713. Ebd., S. 710. Friauf, öffentliche Sonderlasten, S. 53. Ebd., S. 53. Krause-Ablaß, S. 713.

A Ö R 92,

4. Die Unbestimmtheit sekundärer Regeln

257

cherung durch das Grundgesetz gewährleistet sei, verweist Isensee auf die häufig vertretene Rechtsmeinung, die Sozialstaatsbestimmung des Grundgesetzes enthalte eine institutionelle Garantie der Sozialversicherung 122 . Bisher sei aber diese These noch nicht hinreichend dogmatisch begründet. Die Zweifel an der Methode sind an der Äußerung Isensees erkennbar, es scheine, die Begründung werde auch i n Zukunft ausbleiben, da die Sozialstaatsklausel zu abstrakt sei, als daß sich aus ihr eine konkrete Einrichtungsgewährleistung folgern ließe 1 2 3 . Ebenso ist i m Rahmen der Diskussion der Sonderabgaben Mußgnugs Ausführung zu verstehen, das „Wohl der Allgemeinheit" sei ein derart vager Begriff, daß es der Quadratur des Kreises gleichkäme, m i t den Methoden j u ristischer Subsumtion beurteilen zu wollen, ob eine bestimmte öffentliche Abgabe durch das Gemeinwohl gerechtfertigt werde oder mangels Gemeinnützigkeit als verfassungswidrig abzutun sei 1 2 4 . Mußgnug geht in seiner K r i t i k so weit zu behaupten, die Subsumtion versage hier ihren Dienst 1 2 5 . Ausführungen dieser A r t waren Anlaß für die hier vorgenommene Untersuchung der Argumentationsweise auf einer Metaebene. Es soll hier gezeigt werden, daß die vorgeführte Argumentation, i n der das Konjunkturzuschlagsgesetz und andere Sonderabgabengesetze m i t Begriffen der Verfassung i n Verbindung gebracht werden, nicht nachvollziehbar ist. Es läßt sich m i t dieser Regel nicht ausmachen, zu welcher Maßnahme i n welcher Ausgestaltung der Gesetzgeber ermächtigt ist und zu welcher nicht. Diese Unbestimmtheit und Fruchtlosigkeit der Regel vom Recht aus Begriffen läßt sich m i t den hier referierten theoretischen Einsichten über die Begriffe erklären. Es läßt sich der Nachweis für die Unbrauchbarkeit dieser Erkenntnisregel erbringen, wenn man die Bedeutung von juristischen Ausdrücken als Klassen von juristischen Gegenständen versteht (Extension) oder als Verwendungsregel (Intension), nach denen die Ausdrücke auf Gegenstände bezogen werden. Wie schon ausführlich nachgewiesen wurde, handelt es sich bei der Behauptung, ein Gesetz oder ein rechtlicher Sachverhalt falle unter einen Begriff, u m eine Wiederholungs- oder Ähnlichkeitsbehauptung 1 2 8 , die hier als standpunktabhängig gekennzeichnet wurde 1 2 7 . Je nach Standpunkt läßt sich behaupten, ein juristischer Gegenstand sei einem anderen ähnlich und gehöre i n die Klasse der schon unter einen Begriff klassifizierten Gegenstände. Deutlich w i r d dies bei Fällen, die man unge122 Isensee, S. 27, m i t Hinweis u. a. auf die Entscheidung des B V e r f G 28, S. 324, 348. 123 Ebd., S. 27. 124 Mußgnug, S. 227. 125 Ebd., S. 277. 126 Hart, S. 177, 181, 187; Popper, L o g i k der Forschung, grundlegend S. 374 f. 127 Hart, S. 181, drückt diesen Umstand dadurch aus, daß er von Ä h n l i c h k e i ten spricht, die n u r i m Lichte sozialer Ziele erkennbar seien.

17 R a d e

258

V. Die inter subjektive Sprachpraxis als Maßstab

wohnlich, untypisch, unvorhergesehen nennt und die unter allgemeine klassifikatorische Oberbegriffe subsumiert werden sollen. Es gebe keine tatsächliche Situation i m Leben, die uns als eine von anderen deutlich unterschiedene Sachlage erwarte oder die sich selbst als Fall einer allgemeinen Regel ausgebe, deren Anwendung gerade i n Frage stehe 128 . Die Natur der Sprache ist für diese Unbestimmtheit verantwortlich 1 2 9 , die kein Auslegungskanon zu verhindern i n der Lage ist, da ein solcher Kanon selbst wieder allgemeine Ausdrücke verwendet, die wiederum Auslegung verlangten. Diese endlose Kette von notwendigen Regeln einer Regelhierarchie könnte nur durch eine Regel abgeschlossen werden, die ihre eigene Auslegung leistete 180 . Die Klassifikation unter Begriffe erzeugt nach Ansicht Harts eine A r t Krise der Kommunikation insofern, als es Gründe für wie auch gegen unseren Gebrauch allgemeiner Ausdrücke gibt und keine feste Konvention oder allgemeine Übereinstimmimg ihren Gebrauch durch die Person bestimmt, der es obliegt zu klassifizieren 131 . Es sei kein Regelbegriff denkbar, der die Frage ein für allemal i m voraus und ohne Wahlmöglichkeiten offen zu lassen beantworten könne, ob eine Regel auf einen besonderen Fall anzuwenden ist oder nicht 1 3 2 . Die Einsicht von der Standpunktabhängigkeit der Ähnlichkeitsbehauptungen dient dem Nachweis, daß die Erkenntnisregel vom Recht aus Begriffen als Gültigkeitskriterium unbrauchbar ist. Diese Methode bietet kein Auszeichnungsverfahren für unterschiedliche Behauptungen über die Zugehörigkeit zu einer Klasse von juristischen Gegenständen. Die Klassifizierung von juristischen Gegenständen unter Begriffe ist aufgrund ihrer Standpunktabhängigkeit ein Entscheidungsvorgang. Die durch diese Charakterisierung nahegelegte Frage, welche Methode zur Entscheidungsfindung angewendet werden solle, u m diesen Vorgang nachvollziehbar zu machen, ist m i t Hinweis auf die schon dargestellte Entscheidungstheorie zu beantworten. Als Methode zur Entscheidungsfindung w i r d heute ein teleologisches Verfahren favorisiert, das auch unter dem Stichwort der Folgeerwägungen behandelt wird. Bevor auf diese Entscheidungstheorie aus juristischer Sicht eingegangen wird, nämlich auf die Fragen, wieweit sie schon heute inoffiziell gepflegt w i r d und welche Ansichten i n der rechtstheoretischen Tradition dazu vertreten wurden, soll nun noch die Frage erörtert werden, unter welchen Voraussetzungen Recht aus Begriffen gewonnen werden könnte. 128

Ebd., S. 175. Ebd., S. 176. 130 Ebd., S. 176; Wittgenstein, P U 84; hier zeigt sich deutlich Wittgensteins Einfluß auf Hart. 181 Hart, S. 176. H i e r deckt sich Harts Position m i t der Esslers, i n : A n a l y tische Philosophie I , S. 278, der ebenfalls die Möglichkeit der Sprachanarchie aufzeigt. 182 Hart, S. 178. 129

V I . Korrekturbedürftige wissenschaftstheoretische Positionen als unausgesprochene Voraussetzung der juristischen Methode 1. Voraussetzungen für die Auffassungen der juristischen Tätigkeit als Erkenntnisvorgang U m die Charakterisierung der juristischen Begriffsverwendung auf juristische Gegenstände als Entscheidungsvorgang am Gegenteil zu verdeutlichen, soll modellhaft dargestellt werden, welche wissenschaftstheoretischen Voraussetzungen gemacht werden müßten, u m juristische Tätigkeit als Erkenntnisvorgang ansehen zu können. Wäre nämlich die Verwendung juristischer Begriffe eine Frage des Erkennnens von Vorgegebenem, dann müßte auch die korrekte Verwendung der hier interessierenden Ausdrücke, wie „Steuer", „Eigentum", „Vermögen" oder „Verfassungsmäßigkeit" zu erkennen sein. A n die korrekte Verwendung wäre der Gesetzgeber zu binden. Das Verfahren zur Gewinnung j u r i stischer Ergebnisse wäre von unterschiedlicher A r t . Es müßte unterschiedlich argumentiert werden, es bestünden unterschiedliche Fehlermöglichkeiten und es würde i n unterschiedlicher Weise K r i t i k zu üben sein. Die anzuführenden Positionen sind bisher ausführlich behandelt worden. I m Ergebnis haben sie sich als überholte wissenschaftstheoretische Positionen herausgestellt. Die heute überholten Positionen sind hier besonders unter dem Gesichtspunkt der Bindungsmöglichkeit des Gesetzgebers an die Verfassung zusammengestellt. Diese Positionen nämlich, so soll hier die These lauten, müßten vorausgesetzt werden, u m eine Bindung des Gesetzgebers an die Begriffe der Verfassung annehmen zu können. Als erste wäre die ontologische Position des Piatonismus zu nennen, der, kurz gesagt, i n der Annahme besteht, daß die abstrakten Gegenstände der Logik, Begriffe, Funktionen und Klassen, unabhängig vom menschlichen Denken existieren und diese zur wissenschaftlichen Erforschung vorgegeben und damit erkennbar sind 1 . Auch juristische Begriffe wären danach unbeeinflußbar vorgegeben und erkennbar. Sie müßten nach der platonistischen Auffassung i n einem idealen Bereich existieren und vorgegeben sein, nicht aber erst durch menschliche I n telligenz erzeugt werden 2 . Die falschen ontologischen Voraussetzungen des strengen Piatonismus waren Ursache des sogenannten Antinomienproblems 8 , wobei es sich hauptsächlich u m Widersprüche i m Rahmen 1 2

17·

von Kutschera, Die A n t i n o m i e n der Logik, S. 15. Ebd., S. 43.

260

V I . Korrekturbedürftigkeit der juristischen Methode

der klassischen Logik handelt. Eine Lösung der Antinomienprobleme stellt die sogenannte Typentheorie dar 4 . I m hier behandelten Zusammenhang war die Verwechslung der logischen Typen Begriff und Gegenstand wichtig. Es handelt sich u m einen Fehler, der der gängigen Fragestellung nach dem Wesen juristischer Begriffe zugrundeliegt, wenn es u m die Einordnung juristischer Begriffe geht. Der einzuordnende Gegenstand, etwa der Konjunkturzuschlag, w i r d — und darin liegt der Fehler — m i t dem Begriff, etwa dem der Steuer verglichen, statt mit den Gegenständen, also den Steuergesetzen, die unter diesen Begriff fallen 5 . Der Fehler besteht i n der A n nahme, die Begriffe seien Gegenstände nur i n höchster Vollendung und Vollkommenheit 6 . Diese Position müßte man vertreten, wollte man die Zugehörigkeit zu juristischen Begriffen durch einen Erkenntnisvorgang ermitteln, wollte man den Gesetzgeber an sie binden. Die U r sache für die Antinomie lag darin, daß Begriffe als ihre eigenen Gegenstände oder die Menge als ihr eigenes Element behandelt wurden, so als wäre der Steuerbegriff selbst ein Steuergesetz und stehe nicht für die Klasse der Steuergesetze, so als wäre der Begriff der Sozialversicherung selbst ein Sozialversicherungsgesetz oder der Begriff oder das Wesen von Enteignung selbst ein Fall der Enteignung. I m hier dargestellten Zusammenhang wurde auf die Bindungsparadoxie hingewiesen. Die damit zusammenhängenden Fragen gehören i n den Bereich der Paradoxien, die dadurch zum Ausdruck kommen, daß Definitionen zirkulär vorgenommen werden. Zur Verhinderung dieser Paradoxie hat Frege noch vor Rüssel eine Typenordnung eingeführt, indem er zwischen Begriff und Gegenstand unterschied 7 . Ein weiterer Schritt war die Einsicht, daß die Klassen der Gegenstände, die Begriffe also, vom menschlichen Denken erzeugt werden und nicht vorgegeben sind 8 . Auch juristische Begriffe werden erzeugt, indem Klassen von juristischen Gegenständen von Juristen zusammengefaßt und ergänzt werden. Die ontologische Position des strengen Piatonismus 9 müßte man vertreten, um Begriffsbildung als Erkenntnisproblem verstehen zu können. Diese Position hat sich inzwischen als unvertretbar erwiesen, da sie zu A n t i 3

Ebd., S. 15. Essler, Analytische Philosophie, S. 180 f.; Russell, S. 181. 5 E i n Fehler ist es allerdings erst dann, w e n n schon festgestellt wurde, daß ein solcher Gegenstand, der einzuordnen ist, noch nicht zu der Klasse zählt. U m dies festzustellen, muß zunächst die Klasse der Gegenstände festgestellt werden, was durch die Frage der Merkmale des Begriffs möglich ist, die j a die Eigenschaften der Gegenstände darstellen. 6 Patzig, Sprache u n d Logik, S. 90. 7 Sluga, S. 206, ausführlich m i t Zitaten aus dem Briefwechsel zwischen Russell u n d Frege. 8 von Kutschera, Die A n t i m o n i e n der Logik, S. 15. 9 Essler, Analytische Philosophie I , S. 198. 4

1. Juristische Tätigkeit als Erkenntnis Vorgang

261

nomien führt 1 0 . Der Piatonismus verursacht also Antinomien, die durch die Typentheorie gelöst werden 1 1 . Z u dieser ontologischen Position des Piatonismus gehört die sprachtheoretische Auffassung der realistischen Semantik, die den sprachlichen Ausdrücken ausschließlich die Funktion zugesteht, ein A b b i l d von Gegenständen zu sein. Die juristischen Begriffe würden durch Prädikatausdrücke abgebildet und stellten danach abstrakte Wesenheiten dar, die keinen Spielraum für die Verwendung der Prädikatausdrücke ließen, da diese j a getreue Abbilder sein müßten 1 2 . Die Kombination von Piatonismus und realistischer Semantik würde die Verwendung von Ausdrücken als Erkenntnis- und nicht als Entscheidungsvorgang sehen. Die Hauptschwierigkeit besteht hierbei darin, die abstrakten Gegenstände, die Wesenheiten zu erkennen, über die nicht mehr gesagt werden kann, als daß sie abstrakt sind. Das Wesen der Steuer ζ. B. stellt nur das dar, was aus i h m gemacht wird. Es ist keineswegs unabänderlich vorgegeben 13 . Diese Überlegungen sollen zeigen, daß die Vorstellung verfehlt ist, das abstrakte Wesen eines Gegenstandes könne Auskunft über Zweifelsfragen geben. Als weitere, ausführlich behandelte erkenntnistheoretische Position ist die des Empirismus zu nennen, wonach Begriffe aus der Erfahrung gewonnen werden sollen 14 . Danach sind uns die Gegenstände der Welt durch Wahrnehmung gegeben und nach Gesetzmäßigkeiten aufgestellt. Diese Prinzipien werden als erkennbar angesehen 15 , und geben, sind sie einmal entdeckt, darüber Auskunft, wie die jeweilige Klasse oder Reihe von Gegenständen fortzusetzen ist. Hätte man danach die Prinzipien einmal ausgemacht, nach denen der Gegenstandsbereich aufgeteilt ist, dann hätte man ein für allemal einen Maßstab, wie eine Reihe von Gegenständen fortzusetzen ist. Man müßte also die Prinzipien ausfindig machen, nach denen etwa alle Steuergesetze, alle Sozialversicherungsgesetzte, oder alle Enteignungsfälle geordnet sind, und man wüßte jedes i n Zukunft auftauchende neue Gesetz, jeden neuen Sachverhalt als Steuergesetz, als Sozialversicherungsgesetz oder als Enteignungsfall einzuordnen. Nach Poppers Einsichten von der Standpunktabhängigkeit von Gesetzmäßigkeitsaussagen muß auch diese Position als überholt bezeichnet werden. Zu behaupten, ein Gegenstand sei einem anderen ähnlich und dessen Wiederholung, bedeutet, einen Standpunkt zu beziehen oder eine Entscheidung zu fällen, und bedeutet nicht, etwas zu erkennen. Anders wäre es, wenn Identitätsurteile möglich wären. Diese kann 10

Ebd., S. 177; Lenk, Metalogik u n d Sprachanalyse, S. 11. Essler, Analytische Philosophie I, S. 180 f. 12 Stegmüller, Universalienstreit, S. 193 f. 13 Sasse, S. 457; Tipke, Erbschaftssteuerreform u n d GG, S. 160; hier w i r d der Verdacht geäußert, Steuerrecht stehe zur Disposition des Gesetzgebers. 14 Essler, Analytische Philosophie, S. 259. 15 Ebd., S. 261. 11

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V I . Korrekturbedürftigkeit der juristischen Methode

es aber deshalb nicht geben, weil es keine vorgegebenen Wesen oder Urbilder gibt, die zum Vergleich herangezogen wrden könnten, wenn zwei Gegenstände als identisch beurteilt werden sollen und darüber Zweifel bestehen. Die Zugehörigkeit zu einer Klasse von Gegenständen, die unter einen Begriff fallen, ist immer wieder zu entscheiden und für die Zukunft nicht festgelegt. Es müßte ansonsten für jede Klasse von Gegenständen eine A r t Urtyp geben, m i t dem man die einzuordnenden Gegenstände vergleichen könnte, u m ihre Klassenzugehörigkeit festzustellen. Die Klasse der Steuer müßte die Ursteuer, die Klasse der Sozialversicherungsgesetze der Urtyp des Sozialversicherungsgesetzes und die Klasse der Enteignungsfälle eine A r t Urfall der Enteignung sein, die als Maßstab, Muster und Vorlage dienen können. Der Glaube, es könne einen solchen Maßstab geben, kommt i n dem Grundschema der Begriffsdiskussion zum Ausdruck, nach dem Unterschiede und Gemeinsamkeiten aufgezeigt werden und i m Hinblick auf das Wesen des jeweiligen Gegenstandes als wesentlich oder unwesentlich ausgezeichnet werden. I m Zusammenhang m i t dem Empirismus ist auch die naturrechtliche Position zu nennen, nach der es bestimmte Prinzipien des menschlichen Verhaltens gibt, die zu entdecken sind und m i t denen das von Menschen gemachte Hecht übereinstimmen muß, u m gültig zu sein1®. Danach würde keine Unterscheidung zwischen deskriptiven und präskriptiven Gesetzen gemacht. Es bestünde kein Unterschied zwischen Müssen und Sollen. Diese wisenschaftstheoretisch überholten Positionen, die ontologische des Piatonismus, die sprachtheoretische Position der realistischen Semantik oder die erkenntnistheoretische Position des Empirismus müßten vorausgesetzt werden, u m juristische Ergebnisse, insbesondere die Verwendimg von juristischen Ausdrücken, auf dem Wege eines Erkenntnisaktes gewinnen zu können. Die Charakterisierung der juristischen Tätigkeit als Erkenntnisvorgang erlaubt die Ansicht, juristische Begriffe seien vorgegeben und unabhängig von jedem menschlichen Einfluß. Diese A u f fassung läßt sich m i t Hart als formalistischer I r r t u m kennzeichnen. Dieser I r r t u m besteht i n der Annahme, jeder Schritt, den ein Gericht tut, sei durch allgemeine Regeln gedeckt, die i m voraus die Autorität auf diesen Schritt übertragen 17 . Gerichte pflegen ihre Urteile so zu gestalten, als wollten sie den Eindruck erwecken, ihre Entscheidung sei die notwendige Konsequenz i m voraus bestimmter und i n ihrer Bedeutung festgelegter klarer Regeln. Der Richter hat vielmehr aufgrund der offenen Struktur der Sprache zwischen alternativen Bedeutungen zu wählen, die dem Wortlaut gegeben werden, oder zwischen rivalisierenden Interpretationen dessen, was ein Präzedenzfall eigentlich besagen w i l l . Nur aus Tradition heiße es noch, daß die Richter das Recht finden, und nicht 18 17

Hart, S. 256. Ebd., S. 212.

1. Juristische Tätigkeit als Erkenntnisvorgang

263

daß sie es machen und auch nur die Tradition lasse ihre Entscheidungen so erscheinen, als wenn sie glatte Ableitungen aus eindeutig vorausgesetzen Regeln wären, ohne jede persönliche Einmischung des Richters 18 . Ausdrücklich soll hier dieser Glaube kritisiert werden, der persönliche Einfluß der beteiligten Personen sei auszuschalten, Begriffe könnten der Disposition des Gesetzgebers entzogen werden. Da der Sprachgebrauch von Verwendungsregeln bestimmt wird, ist er wie alle Regeln menschlichem Einfluß ausgesetzt, ja die sprachlichen Verwendungsregeln werden vom Menschen erst geschaffen, aufrechterhalten und verändert. Dieser Gedanke wurde unter dem Stichwort der Konstitutionstheorien ausführlich dargestellt. Die pragmatische Wende i n der Sprachtheorie und die Einsichten aus der K r i t i k Poppers an der empiristischen Auffassung von Gesetz- und Regelmäßigkeiten lassen die Ansicht von der unbeeinflußbaren, vorgegebenen Sprache i n Gesetzen und Rechtsfällen nicht zu. Man müßte Empirist sein und an die Bestätigungsfähigkeit von Gesetzen glauben, daß diese nämlich der menschlichen Natur vorgegeben sind, daß sie entdeckt werden können und daß Menschen sich nach ihnen verhalten müssen, ob sie wollen oder nicht, u m die Ansicht einer mechanischen Jurisprudenz vertreten zu können. Z u dieser mechanistischen Ansicht von der juristischen Tätigkeit gehört nicht nur der hier betonte Glaube an die Unbeeinflußbarkeit der Sprache, sondern auch die Auffassimg, juristische Ergebnisse ließen sich exakt prognostizieren. Die genaue Voraussagbarkeit wäre dann anzunehmen, wenn menschliches Verhalten wie Naturgeschehen aufzufassen wäre, das nach deskriptiven Naturgesetzen abläuft. Weiterhin müßte vorausgesetzt werden, daß diese Naturgesetze bestätig werden können. Wenn gerichtliche Entscheidungen, von denen hier i n erster Linie die des Bundesverfassungsgerichts interessieren, voraussagbar sind, dann nicht, w e i l Richter sich wie Automaten mechanisch verhalten, sondern w e i l sie nach einem präskriptiven Gesetz, einem Standard, handeln 1 9 , den sie akzeptieren und dem sie sich verpflichtet fühlen. Voraussagen beruhen also auf dem vom internen Gesichtspunkt her bekannten Standard einer allgemein geübten und anerkannten Praxis, insbesondere einer Sprachpraxis, deren Kenntnis Voraussagen erlaubt. Diese Vorhersagen lassen sich m i t der Einschränkung machen, daß sich diese Praxis ändern, daß eine Praxis sich durchsetzen kann, daß andere Regeln akzeptiert werden können. Eine exakte Prognose, wie man sie herkömmlich der Naturwissenschaft zutraut und wie man sie der Rechtswissenschaft i r r t ü m lich zuzutrauen geneigt ist, könnte man nur erwarten, wenn man Richter wie Naturobjekte ansieht 20 , die sich nach Naturge10 19 20

Ebd., S. 26. Winch, S. 46. Hart, S. 204.

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V I . Korrekturbedürftigkeit der juristischen Methode

setzen verhalten. Aber auch dann müßte man die Einsichten Poppers bedenken, daß alle Gesetzmäßigkeiten standpunktabhängige Behauptungen sind, die Hypothesen bleiben müssen, da kein Auszeichnungsverfahren zur Verfügung steht. Auch dann also wären keine exakten Prognosen zu leisten. Wenn bisher immer nur von Richtern die Rede war, so soll vermerkt werden, daß vom Problem der Bindungsmöglichkeiten her aus sprachtheoretischer Sicht kein Unterscheid zwischen der Bindung des Richters an die Verfassung und der Bindung des Gesetzgebers an die Verfassung zu sehen ist. I n beiden Fällen handelt es sich um Bindung an Sprache. I n beiden Fällen ist ein Maßstab notwendig, an den der Gesetzgeber sich gebunden wissen muß und an dem das Verfassungsgericht den Gesetzgeber kontrollierend messen kann. 2· Der Psychologismus als implizierte Theorie vom richtigen Denken beim Vorgang der „Rechtserkenntnis" oder die Theorie von der Logik als Denknötigung Wenn hier überholte wissenschaftstheoretische Positionen genannt werden, die man voraussetzen müßte, u m die Unbeeinflußbarkeit von Rechtsnormen durch die an sie Gebundenen vertreten zu können, soll ganz besonders auf eine Position hingewiesen werden, die wissenschaftstheoretisch als Psychologismus bezeichnet w i r d und seit Frege und Husserl als abgetan gilt 2 1 . Angeknüpft werden soll an die als Untersuchungsgegenstand herausgestellte Frage nach der Erkenntnisregel, an die Frage, nach welcher Regel oder Methode Gesetze, wie die Sonderabgabengesetze, als gültig und verfassungsmäßig bezeichnet werden können. Als Erkenntnisregel und als Bedeutung des Ausdrucks Verfassungsmäßigkeit wurde die Regel vom Recht aus Begriffen formuliert. Danach wären nur solche Gesetze verfassungsmäßig, die sich aus Begriffen herleiten oder diesen unterordnen lassen. Bisher war vom herkömmlichen Verständnis der Begriffe die Rede, nämlich von dem platonistischen Begriffsverständnis, wonach Begriffe abstrakte vorgegebene Gegenstände sind, und von dem empiristischen Begriffsverständnis, wonach Begriffe als Klassen von Gegenständen zu verstehen und diese Gegenstände nach vorgegebenen Gesetzmäßigkeiten geordnet sind. Beide Positionen gelten i n dieser Form heute als überholt. Dagegen war noch nicht davon die Rede, wie der Erkenntnisakt verstanden wird, durch den der an Rechtsgesetze gebundene Richter oder Gesetzgeber sein Ergebnis gewinnt. Der Erkenntnisakt wurde bisher dem Entscheidungsvorgang als seiner traditionellen Alternative gegenübergestellt. Die Position des Psychologismus kann darüber Auskunft geben, wie Juristen ihre Ergebnisse nach der Regel vom Recht aus Begriffen gewinnen können, ohne 21

Patzig, Sprache u n d Logik, S. 7.

2. Psychologismus als Theorie v o m richtigen Denken

265

selbst auf das Ergebnis Einfluß auszuüben. Die Position des Psychologismus ist — so soll hier behauptet werden — eine der Voraussetzungen für die Annahme, Recht sei aus Begriffen zu gewinnen und unbeeinflußbar durch persönliche Einwirkung. Es handelt sich u m eine der Voraussetzungen, die eine strikte Bindung an die Verfassung anzunehmen erlauben. Der Psychologismus ist eine Theorie, mit der die Tätigkeit des Juristen nach dem herkömmlichen Verständnis wissenschaftstheoretisch zu erklären ist, wenn er Recht aus Begriffen gewinnt. Z u erinnern ist an die Auffassung Labands, der Rechtserkenntnis als ein Deduzieren aus allgemeinen Rechtsbegriffen ansah 22 . Fragen und Zweifel der Rechtspraxis sollten stets nur i m Wege der logischen Subsumtion zu lösen sein 28 . „Die wissenschaftliche Aufgabe der Dogmatik eines bestimmten positiven Rechts liegt aber i n der Konstruktion der Rechtsinstitute, i n der Zurückführung der einzelnen Rechtsätze auf allgemeinere Begriffe und andererseits i n der Herleitung der aus diesen Begriffen sich ergebenden Folgerungen 24 ." Zur Lösung dieser Aufgabe gibt es kein anderes M i t t e l als die Logik 2 5 ." Die Lückenhaftigkeit der Verfassungsurkunde nötige nur zu einer Entscheidung nach allgemeinen Rechtsprinzipien und diese Entscheidung sei eine „logische Operation" 2 6 . Von solcher Natur sei die Tätigkeit des Richters, „die durch einen gegebenen Obersatz und Untersatz und die allgemeinen i n der menschlichen Natur begründeten Denkgesetze beherrscht w i r d " 2 7 . Festgehalten werden soll Labands Ansicht, juristische Tätigkeit sei logischer Natur. Sie werde — und daran soll angeknüpft werden — durch die allgemeinen i n der menschlichen Natur begründeten Denkgesetze beherrscht. M i t dieser Äußerung offenbart Laband seine Ansicht über Logik und die A r t der Tätigkeit des Juristen bei der Rechtserkenntnis. Dieser Ansicht entspricht die heute überholte Position des Psychologismus 28 . Der Psychologismus stellt eine Theorie über die Logik dar und behauptet, die Logik sei die Kunstlehre vom richtigen Denken, die logischen Gesetze seien die durch empirisch-psychologische Analyse gewonnenen realen Gesetze unseres Denkens, wahr sei das, was diesen Denkgesetzen entspreche 29 . I n verschiedenen Varianten berufe sich der Psychologismus darauf, daß Denken und Erkennen ein psychisches Geschehen sei und die Logik es daher m i t psychologischen Gesetzmäßigkeiten zu t u n habe 80 . Die Logik wurde also aufge22

Wilhelm, S. 13. Ebd., S. 10; Laband, Staatsrecht I, 3. Aufl., 1895, S. 661. 24 Wilhelm, S. 9; Laband, Staatsrecht I, 5. Aufl. 1911, S. I X . 25 Laband, Staatsrecht I, 5. A u f l . 1911, S. I X ; Wilhelm, S. 9. 26 Laband, Budgetrecht, S. 76; Wilhelm, S. 11. 27 Wilhelm, S. 11; Laband, Staatsrecht I, 3. Aufl., S. 646. 28 Stegmüller, I n d u k t i v e L o g i k u n d Wahrscheinlichkeit, S. 31; ders., H a u p t strömungen, S. 49 f.; Patzig, Sprache u n d Logik, S. 6, 99; Toulmin, S. 77 f. 29 Stegmüller, I n d u k t i v e L o g i k u n d Wahrscheinlichkeit, S. 49. 30 Stegmüller, Hauptströmungen, S. 51. 23

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V I . Korrekturbedürftigkeit der juristischen Methode

faßt als ein Zweig der Psychologie, deren Aufgabe die vollständige und systematische Aufzeichnung der A r t und Weise wäre, wie w i r tatsächlich denken. Der namhafteste Vertreter war J. S. M i l l 8 1 . Bei philosophischen Laien tauche diese offenbar naheliegende Ansicht immer wieder auf 8 2 . Wenn nun Laband von den allgemeinen i n der menschlichen Natur begründeten Denkgesetzen spricht, die die juristische Tätigkeit beherrschen sollen, so erweist er sich als Anhänger dieser Position des Psychologismus, indem er die Gesetze der Logik als Naturgesetze versteht. Der Psychologismus läßt sich treffend dadurch charakterisieren, daß er logische Folgebeziehungen als Denknötigung versteht 33 . Wenn also behauptet wird, etwas sei eine logische Folgerung, so bedeutet dies nach dem Psychologismus, daß man so zu denken genötigt sei, ob man wolle oder nicht 8 4 . Rechtssätze logisch aus Begriffen abzuleiten wäre demnach ein Vorgang, der nach der A r t eines Naturgeschehens abläuft. Der bei diesem Erkenntnisvorgang tätige Jurist oder Politiker muß zu einem einzig richtigen Ergebnis kommen, ob er nun dieses w i l l oder nicht. Das heißt, daß er keinerlei Einflußmöglichkeit haben kann. Diese psychologistische Theorie begünstigt die Vorstellung vom Subsumtionsautomaten, der funktioniert, aber nicht selbstentscheidend handelt. Durch solche A r t logische Operationen glaubt Laband Lücken der Verfassung schließen zu können. A u f dem Hintergrund des Psychologismus brauchte der Einfluß von Richtern, Gesetzgebern und Verwaltungsbeamten nicht gefürchtet zu werden, da diese Personen als strikt gebunden anzusehen wären. Logisches Denken ist also nach dem Psychologismus ähnlich wie eine Funktion des vegetativen Nervensystems zu verstehen — u m einmal diese Position zu verdeutlichen — auf deren Ablauf Menschen selbst kaum Einfluß haben können. Alles i n allem betrachtet der Psychologismus den logisch Denkenden wie ein Naturobjekt, das sich nach Naturgesetzen verhält, wie einen Planeten — um an ein früher gebrauchtes Beispiel anzuknüpfen — der sich i n seinen von Naturgesetzen vorgeschriebenen Bahnen bewegt. Die Tätigkeit der Rechtsfindung durch die Juristen liefe danach wie ein i n Naturgesetzen erfaßtes Naturgeschehen ab. Rechtssätze wie die Sonderabgabengesetze aus Begriffen der Verfassung logisch abzuleiten, wie es die Begriffsjuristen glaubten leisten zu können, wäre demnach ein durch Naturgesetze bestimmter Vorgang, 81

Patzig, Sprache u n d Logik, S. 6. Ebd., S. 8. 88 Stegmüller, I n d u k t i v e L o g i k u n d Wahrscheinlichkeit, S. 31, m i t H i n w e i sen auf weitere Varianten dieser Position. 84 Z u r K a r i k a t u r v o n Denknötigungen siehe Winch, S. 74; umfassend k r i t i siert Wittgenstein i n G M jegliche F o r m der Denknötigung, insbesondere am Beispiel mathematischer Beweise, G M 13, Nr. 33, 34, 35, G M 36, Nr. 118, 119, G M 45, Nr. 155. 32

2. Psychologismus als Theorie v o m richtigen Denken

267

der als absolut richtig oder falsch beurteilt werden könnte. Ohne Wahlmöglichkeit müßten sich Rechtssätze völlig alternativlos gewinnen lassen; ob man diese i n ihrer Ausgestaltung haben w i l l oder nicht. Juristische Ergebnisse wären vollkommen vorgegeben. Recht aus Begriffen zu gewinnen wäre demnach ein automatischer, mechanischer Vorgang, der m i t empirisch-psychologischen Naturgesetzmäßigkeiten erfaßt werden könnte. Der Rechtsfindungsvorgang wäre vom psychologistischen Standpunkt her frei von jeglichem Einfluß. Die Überwindung des Psychologismus w i r d als die Leistung von Frege und Husserl betrachtet, wobei Frege schon 1884 i n seinen Grundlagen der Arithmetik treffend K r i t i k geübt hat 3 5 . Die Äußerungen Labands über die Denkgesetze der menschlichen Natur stammen aus dem Jahre 1895. Diese Daten zeigen die damals schon vorhandene wissenschaftstheoretische Rückständigkeit Labands. Die wichtigsten Argumente gegen den Psychologismus sollen hier genannt werden. Die K r i t i k gegen diese Position deckt sich zunächst m i t der gegen den Empirismus, wie er von Popper kritisiert wurde. Dessen Einsicht besteht j a darin, daß Gesetzmäßigkeitsbehauptungen immer nur Hypothesen und Vermutungen sein können. So kann es keine Denkgesetze, sondern nur Denkvermutungen geben, nur Hypothesen, wie Juristen denken könnten, wenn sie — wie Laband meinte — m i t logischen Operationen die Lücken der Verfassung schließen. Denkgesetze können nicht den Anspruch der Unfehlbarkeit erheben, der absoluten Gewißheit, die jedoch m i t den Gesetzen der Logik verbunden w i r d 3 6 . Ein zweites Argument besteht darin, daß nach dem Psychologismus logische Irrtümer, z.B. fehlerhafte Schlüsse nicht zu klären sind. Wären die Gesetze der Logik so etwas wie Naturgesetze des Denkens, so könnte das Zustandekommen von logischen Irrtümern nicht erklärt werden 3 7 . Dieses Argument wurde schon einmal gegen die empiristische Ansicht angeführt, die das menschliche Handeln wie das Naturgeschehen von Naturobjekten auffassen w i l l , so wie es die Naturrechtstheorien i m Sinne hatten 3 8 . Wenn man Beschreibungen menschlichen Handelns nur aufgrund von Beobachtungen erstellte, müßte man alle Abweichungen und Fehler m i t erfassen. Fehler könnten nicht als Fehler ausgemacht werden 8 9 . Dieses Argument wurde auf menschliches Handeln allgemein bezogen. Der Psychologismus betrifft nun das spezielle menschliche Verhalten des Denkens sowohl das menschliche Verhalten als auch das Denken über dieses Verhalten soll naturgesetzlich zu erfassen 85 38 87 38

89

Patzig, Sprache u n d Logik, S. 7, 98. Ebd., S. 7, zu diesem Argument Stegmüller, Hauptströmungen, S. 51. Patzig, Sprache u n d Logik, S. 7; öhlschläger, S. 98. Hart, S. 256.

öhlschläger, S. 98.

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V I . Korrekturbedürftigkeit der juristischen Methode

sein 40 . Diesem empiristischen Standpunkt wurde hier der pragmatische Standpunkt Esslers als Alternative gegenübergestellt, wonach Handeln regelgeleitetes Handeln ist und Standards i n einer intersubjektiv gültigen Praxis Maßstab und Richtigkeitskriterium sind. Fehler erkennt man danach an der Ablehnung und K r i t i k der an der Praxis Beteiligten 4 1 . Unter der formalen Logik werden heute Festsetzungen verstanden, die auf Entscheidungen beruhen. Diese Festsetzungen der formalen Logik dienen als Musterbeispiel für gemeinsam anerkannte Redenormen 42 . Abschließend ist zur Position des Psychologismus zu bemerken, daß er Auskunft über die Erkenntnisregel vom Recht aus Begriffen gibt. Diese Position zeigt, wie man Rechtssätze aus der Verfassung gewinnen zu können glaubte, ohne daß die dabei Beteiligten persönlichen Einfluß auf das Ergebnis haben sollten. Die Vorstellungen vom einflußlosen, bloß funktionierenden Subsumtionsautomaten setzt diese Position des Psychologismus voraus. Die Frage nach der Verfassungsmäßigkeit von Sonderabgabengesetzen läßt sich somit nicht nach der Erkenntnisregel vom Recht aus Begriffen beantworten, und der Einfluß dessen, der die A n t w o r t gibt, läßt sich nicht ausschließen. 3. Die überholten wissenschaftstheoretischen Positionen als Hintergrund der Begriffsjurisprudenz oder die begriffsjuristische Vorratshaltung für juristische Problemlösungen Die hier vorgestellten, heute wissenschaftstheoretisch überholten Positionen des Piatonismus, der realistischen Semantik, des Empirismus und die spezielle empiristische Auffassung des Psychologismus stellen Ansichten dar, die kombiniert ein Modell ergeben, nach dem juristische Tätigkeit ein Erkenntnis- und kein Entscheidungsvorgang wäre. Gemeinsam ist diesen Positionen die Annahme von vorgegebenen, platonistischen idealen Wesenheiten von vorgegebener Sprache und vorgegebenen Gesetzmäßigkeiten der menschlichen Natur. Das Vorgegebene ist passiv erkennbar, aber nicht aktiv zu gestalten oder zu konstruieren. Diese Position würde die Vorstellung erlauben, man könne ohne den gestaltenden Einfluß des Menschen juristische Ergebnisse gewinnen und vor allem den Gesetzgeber an Vorgegebenes binden. Die Sprache würde nur abbilden, und zwar einen Gegenstandsbereich der vorgegeben und gesetzmäßig geordnet ist, so daß auch die Sprache i n gesetzmäßig vorge40

Patzig, S. 7; öhlschläger, S. 98. Esser, Analytische Philosophie I, S. 275; Hart, S. 195; öhlschläger, S. 99, vor allem Winch , S. 45, 46. 42 Kamiah / Lorenzen, S. 203, ausführlich dazu Lenk, Metalogik u n d Sprachanalyse, 1973, S. 104 f. A u f das heutige Verständnis von L o g i k soll hier nicht näher eingegangen werden. 41

3. Überholte wissenschaftstheoretische Positionen

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gebener Weise verwendet werden müßte. Der Erkenntnisvorgang i m Menschen selbst würde sich danach ebenfalls gesetzmäßig vollziehen und könnte beobachtet werden, so daß letzten Endes exakte Prognosen über juristische Tätigkeit möglich wären. Dies wären die Voraussetzungen für eine mechanistische Jurisprudenz mit Subsumtionsautomaten, i n der alles nach Gesetzmäßigkeiten funktioniert. Die richtige Verwendung von Ausdrücken wäre vorgegeben, und es wäre nur eine Möglichkeit denkbar, Ausdrücke zu verwenden. Erst die wissenschaftstheoretische Formulierung und K r i t i k solcher stillschweigend vorausgesetzter Positionen erlaubt es, diese Argumentation als unpraktikabel nachzuweisen. Die eben vorgestellten, überholten wissenschaftstheoretischen Positionen lassen sich nicht als einer juristischen Methodologie eindeutig impliziert nachweisen. Sie können deshalb nur idealtypisch und modellhaft i n ihrer wissenschaftstheoretischen Form referiert werden. Die Schwierigkeit des Nachweises erklärt sich aus dem Umstand, daß i n der Rechtswissenschaft argumentiert wird, ohne daß die Argumente selbst offengelegt werden, ohne daß also über Herkunft und Nutzen der Argumente selbst gesprochen würde. Auch heute noch gilt als einziger überkommener Gesamtentwurf einer verfassungsrechtlichen Methodik die gesetzespositivistische Methode von Gerber und Laband 4 8 . Inzwischen wurde schon nachgewiesen, daß die heutige Argumentationsweise, m i t der man Recht aus Begriffen gewinnen w i l l , verantwortlich ist für die breite Begriffsdiskussion und deren Unübersichtlichkeit, die insbesondere bei der Diskussion u m den Steuerbegriff, ins Auge springt 4 4 . Es sollte hier die ideengeschichtliche Hypothese aufgestellt werden, daß die begriffsjuristische Methode von überholten wissenschaftstheoretischen Voraussetzungen ausgeht. Eine umfassende Bestätigung läßt sich i n diesem Rahmen nicht erbringen und muß Programm bleiben. Als Beleg dieser Behauptung sollen einige Zitate dienen. Diese Zitate sind mit den hier gewonnenen Einsichten aus der Diskussion wissenschaftstheoretischer Positionen i n Verbindung zu setzen. Die Gegenüberstellung begriffsjuristischer Äußerungen zur Methodologie m i t den heutigen wissenschaftstheoretischen Ansichten kann i m Ergebnis die Rückständigkeit und die Unzulänglichkeiten der heutigen Argumentationspraxis aufzeigen. Die Beziehungen lassen sich zusammengefaßt so festhalten, daß die heutige Argumentation auf begriffsjuristische Ursprünge zurückzuführen ist und diese Methode inzwischen überholte Positionen voraussetzt, die die heutige juristische Argumentationspraxis noch beherrschen. Als Beispiel wurde hier schon der Psychologismus Labands genannt, eine Ansicht, die dessen Vorstellungen von Logik und menschlichem Denken bestimmte. Da der Psychologismus heute als überholt gilt, muß damit 43 44

F. Müller, S. 48,193. Dazu Strauß, S. 114.

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V I . Korrekturbedürftigkeit der juristischen Methode

auch die Ansicht als überholt gelten, die Feststellung der Verfassungsmäßigkeit eines Gesetzes sei unbeeinflußt vom Standpunkt der Beteiligten zu gewinnen. Zum Zwecke der K r i t i k an der begriffsjuristischen Position soll zunächst untersucht werden, wie die Entstehung der Begriffe gedacht wurde, u m diese Auffassung der entsprechenden heutigen Vorstellung gegenüberstellen zu können. Es ist wieder daran zu erinnern, daß Laband Rechtserkenntnis als ein Deduzieren aus allgemeinen Rechtsbegriffen auffaßte 45 . Gerber, einer der maßgebenden Begriffsjuristen, verfolgte ein Programm, wonach dem Vorbild der römischen Jurisprudenz entsprechend, das deutsche Recht i n eine abstrakte Form gebracht werden sollte. Der zu behebende Nachteil bestand seiner Ansicht nach i n der ungelösten Verbindung des deutschen Rechts m i t den gesellschaftlichen Verhältnissen, aus der die abstrakte Form des Rechts zunächst abgesondert werden sollte 4 6 . Die naturhistorische Methode Gerbers und Jherings unterschied entsprechend zwischen der niederen Jurisprudenz, die sich m i t den gegebenen Einzelrechtssätzen beschäftigte, dem sogenannten Rechtsstoff, und der eigentlichen naturhistorischen Wissenschaft, die das Redit i n einen höheren Aggregatzustand erhob, indem sie den gegebenen Rechtsstoff zu Begriffen verflüchtigte 47 . Gerber ging es u m die Auffindung der Prinzipien der Rechtsbildung, u m so das Besondere und Vergängliche i m überlieferten deutschen Recht von dem zu trennen, was er für das Allgemeine und Beständige hielt 4 8 . Gerber ging es u m das „Zusammenziehen des Einzelnen, Fragmentarischen i n einem höher liegenden Sammelpunkt" 4 9 . Die Materialien mußten zu Rechtssituationen gestaltet werden, „welche nach den i n ihnen liegenden Principien zu construiren und i n ihren Folgesätzen zu entwickeln" waren 5 0 . Diese Äußerungen verraten eine induktive Grundhaltung, wonach aus fragmentarischen Einzelrechtssätzen, aus dem bestehenden Rechtsstoff, etwas Allgemeines und Beständiges gewonnen werden sollte. Weiterhin spricht die Redeweise von den i n den Rechtsinstituten enthaltenen Prinzipien für die Vermutung, es handele sich u m ein induktives Verfahren. Die induktive Grundhaltung w i r d deutlicher noch bei Jhering, der seine i n die so ermittelten Gattungsbegriffe gesetzten Erwartungen wie folgt beschreibt: „Wenn der Gattungsbegriff erfaßt und gehörig ausgebildet ist, so ist damit nicht bloß für alle jetzt bereits vorhandenen, sondern auch für alle künftig auftretenden Species ein stets bereites Rechtsmaterial gewonnen. Hierin hat es seinen Grund, daß eine ausgebildete Ju45 4β 47 48 49 50

S. 51.

Wilhelm, S. 13. Ebd., S. 94, 95. Ebd., S. 112. Ebd., S. 110; Gerber, Das wissenschaftliche Princip, S. 244, 272 f. Wilhelm, S. 109; Gerber, Das wissenschaftliche Princip, S. 267. Wilhelm, S. 111; Gerber, System des deutschen Privatrechts, S. 20; Bärsch,

3. Überholte wissenschaftstheoretische Positionen

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risprudenz nie ein absolutes Deficit an Rechtssätzen zu befürchten hat. Denn i n wie ungewöhnlichen, abweichenden Bildungen sich auch der fortschreitende Verkehr ergehen möge, die Besorgniß, daß er uns etwas absolut Neues bringen könnte, d. h. etwas, was nicht unter irgendeinen unserer bisherigen Begriffe fiele, und wäre derselbe auch noch so allgemein — diese Besorgniß ist ebenso unbegründet, als wenn man glauben wollte, es könnten heutzutage noch Thiere entdeckt werden, die i m zoologischen System der heutigen Wissenschaft absolut kein Unterkommen fänden. Eine Jurisprudenz, die seit Jahrtausenden arbeitet, hat die Grundformen und Grundtypen der Rechtswelt entdeckt, und i n ihnen hält sich auch alle fernere Bewegung, so sehr sie i m übrigen von den bisherigen divergieren möge; eine solche Jurisprudenz läßt sich nicht mehr durch die Geschichte i n Verlegenheit setzen 51 ." A n anderer Stelle charakterisiert Jhering das Begriffssystem als eine „unversiegbare Quelle neuen Stoffs" 5 2 . Fast wörtlich stimmt m i t Jherings Auffassung eine Äußerung Labands überein, so daß sich hierbei von einer verbreiteten Grundhaltung sprechen läßt. Über die deutsche Verfassung sagt Laband „ . . . dagegen ist die Schaffung eines neuen Rechtsinstitutes, welches einem höheren und allgemeineren Rechtsbegriff überhaupt nicht untergeordnet werden kann, gerade so unmöglich wie die Erfindung einer neuen logischen Kategorie oder die Entstehung einer neuen Naturkraft 5 8 ." I m gleichen Sinne äußert er sich an anderer Stelle: „Gesetze können lückenhaft sein, die Rechtsordnung selbst aber kann ebensowenig eine Lücke haben, wie die Ordnung der Natur 5 4 ." Diese begriffsjuristische Grundhaltung, die schon mehrfach als verantwortlich für die heutige Begriffsdiskussion bezeichnet wurde und den Ursprung für die Regel vom Recht aus Begriffen bildet, zeigt den induktiven Charakter der Methode. Dies w i r d nun deutlich, nachdem das Induktionsverfahren ausführlich dargelegt worden ist. Auffällig ist die Ansicht, der Gegenstandsbereich der Natur sei nach Gesetzmäßigkeiten geordnet und diese Gesetze könnten auch über die künftigen Fälle Auskunft geben. A u f der Grundlage des bereits Bekannten glaubt man induktiv auf Unbekanntes schließen zu können 5 5 . Begriffsjuristen glaubten, aus der ihnen bekannten Rechtsmaterie Einsichten für die noch nicht erfaßte gewinnen zu können. Dies am naturwissenschaftlichen Denken orientierte Methode 5 6 läßt sich aufgrund der implizierten induktiven Grundhaltung nicht mehr ernsthaft vertreten. Die Beschäftigung m i t 51 52 68 54 55 58

Jherings, Jahrbücher I , S. 16. Jhering, V o m Geist des Römischen Rechts, II/2, S. 386. Wilhelm, S. 10; Laband, Staatsrechtl, S. V I . Laband, Budgetrecht, 1871, S. 75. Essler, Analytische Philosophie I, S. 260. Barsch, S. 49.

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V I . Korrekturbedürftigkeit der juristischen Methode

dem Induktionsproblem hat ergeben, daß die Induktionsmethode sich als falsch erwiesen hat, so daß Korrekturen nötig sind. I n vorschneller Weise glaubten die Begriffsjuristen, den realen Verhältnissen immer voraus zu sein und m i t Hilfe des Begriffssystems eine A r t Vorratshaltung für j u ristische Lösungen treiben zu können. A u f dieser induktiven Grundhaltung beruht die heute noch geübte Praxis, Recht aus Begriffen gewinnen zu wollen. Der Zukunftsgewißheit Jherings ist die Zukunftsungewißheit aufgrund der Einsichten Poppers gegenüberzustellen. Nach heutiger sprachtheoretischer Ansicht stehen Begriffe für Klassen von Gegenständen, auf die sie regelmäßig verwendet werden. Die Klassen von Gegenständen sind von Menschen geschaffen worden, die sie ebenfalls ergänzen. Sie sind nicht nach erkennbaren vorgegebenen Gesetzmäßigkeiten geordnet, die über die Ergänzung der Klasse bestimmen können. I n der sprachtheoretischen Terminologie bedeutet dies, daß die Intensionen oder die Bedeutung nicht vorgegeben sind, sondern von den Sprachbenutzern bestimmt werden 5 7 . Für die juristische Methode heißt dies, daß eine vorhandene Klasse von juristischen Gegenständen, die unter einen Begriff fallen, nichts darüber aussagt, wie die Klasse zu ergänzen ist, ob etwa ein neuer Rechtssatz dem Begriff untergeordnet werden kann oder nicht. Das ist eine Entscheidungssache, die von den Folgen der Begriffsverwendung abhängt. Die hier als Alternative angebotene teleologische Methode, worunter die Folgeerwägungen zu verstehen sind, wurde von den Begriff s jurist en ausdrücklich als Methode ausgeschlossen58. Von persönlichen Standpunkten bestimmte Nutz- und Zweckerwägungen galten als unzulässig. So wie heute der Entscheidungscharakter der juristischen Tätigkeit hervorgehoben wird, so wurde er von den Begriff s juristen abgelehnt. Das was Heller als den Traum der Epoche bezeichnet hat, nämlich die radikal entpolitisierte Staatslehre 59 , erweist sich heute als unerreichbar, und zwar aus wissenschaftstheoretischen Gründen. Der persönliche Einfluß auf die juristische Tätigkeit läßt sich hauptsächlich wegen der Abhängigkeit der Sprache vom Sprachbenutzer nicht ausschließen. Den Begriffsjuristen ging es i n erster Linie u m die Beschränkung des Einflusses, den der Gesetzgeber ausüben könnte. Jhering äußert sich über seine Motive i n diesem Sinne eindeutig. „Aus der niederen Welt des Positiven, die heute so morgen so, meinem wissenschaftlichen Bedürfnis, das etwas Dauerndes, Festes, an sich Wahres begehrte, keine Befriedigung gewährte, rettete ich mich i n die höhere Welt der i n sich ruhenden Begriffe, an welche die Macht des Gesetzgebers nicht heranreichte 60 ." Für 57 58 59 80

Essler, Analytische Philosophie I, S. 278, 262. Wilhelm, S. 9. Heller, S. 149; Gesammelte Schriften, 3. Bd., S. 149. Jhering, Scherz u n d Ernst i n der Jurisprudenz, S. 342; Wilhelm,

S. 123.

3. Überholte wissenschaftstheoretische Positionen

273

den Ausschluß der teleologischen Methode spricht eine andere Äußerung Jherings „ . . . i n demselben Maße nämlich, i n dem . . . die Umwandlung des Rechts aus dem niederen Aggregatzustand der Rechtssätze i n den höheren der Begriffe vor sich geht, w i r d jene funktionelle Seite des Rechts dem Blick entrückt. Die imperativistische Form der Gebote und Verbote, der Ausdruck, ,so und so soll es sein4, erregt fast nothwendig die Frage nach dem ,warum 4 ; anders aber, wenn die Rechtssätze diese Form abgestreift und sich i n Rechtsbegriffe verwandelt haben. Hier wendet sich die K r i t i k viel eher der logischen Prüfung zu als einer Betrachtung ihrer praktischen Brauchbarkeit 6 1 ." Jhering spricht sich also eindeutig für eine zweckfreie Betrachtung des Rechts aus. I n gleicher Weise äußert sich Gerber, der durch seine Methode die öffentlichen Rechte vor der launenhaften W i l l k ü r der Tagesmeinung hüten w i l l 6 2 . Gerber glaubt ebenfalls m i t seiner Methode die Rechte vor dem Gesetzgeber sichern zu können, der sie „ i n ihrer allzuschnellen experimentalen Veränderlichkeit heute so morgen so" gestaltet 63 . Noch heute gilt das verfassungspolitische Ziel als verfolgenswert, der Verfassung Beständigkeit zu verleihen. Leisner bezeichnet es als großen Versuch, der über der ganzen Verfassung stehe, i m Wandel Bleibendes festzulegen 64 . Laband, der für das Staatsrecht maßgebende Begriffsjurist, äußerte sich entsprechend. Für i h n lag der Zweck „jenseits seines Begriffes" 6 5 . Als einziges methodisches M i t t e l ließ Laband die Logik i n dem beschriebenen psychologischen Sinne zu und Schloß damit jegliche teleologische Erwägung aus 66 . Deutlich kommt bei Laband das Ziel zum Ausdruck, den persönlichen Einfluß, den Willen der bei rechtlichen Vorgängen Beteiligten vollkommen auszuschalten und vor allem die irrtümliche Meinung, dies sei wissenschaftstheoretisch möglich. Seine klassische Äußerung hierzu lautet: „Das Wesen der Gesetzgebung b e s t e h t . . . i n der Aufstellung eines abstrakten Rechtssatzes, das Wesen der Rechtsprechung besteht i n der verbindlichen Feststellung eines konkreten Rechtsverhältnisses..., und zwar „ . . . i n der Subsumtion eines gegebenen Tatbestandes unter das geltende Recht, sie ist wie der logische Schluß vom Willen unabhängig; es besteht keine Freiheit der Entscheidung, ob die Folgerung eintreten soll oder nicht 6 7 ." Laband gesteht zwar dem Richter auch Spielraum zu, beharrt aber grundsätzlich auf dem Ausschluß des persönlichen Einflusses. „Trotzdem hat der Richter nicht seinen Willen, sondern denjenigen 61

Wilhelm, S. 122; Jhering, Geist des Römischen Rechts, I , S. 48 f. Gerber, öffentliche Rechte, S. 69; Wilhelm, S. 155. 83 Wilhelm, S. 155; Gerber, öffentliche Rechte, S. 94. 84 Leisner, Von der Verfassungsmäßigkeit der Gesetze zur Gesetzmäßigkeit der Verfassung, S. 50. 85 Laband, Staatsrecht I, S. 67. 88 Wilhelm, S. 9. 87 Laband, Staatsrecht, I I , S. 163. 62

18 R a c k

274

V I . Korrekturbedürftigkeit der juristischen Methode

des objektiven Rechts zur Geltung zu bringen; er ist die viva vox legis; er schafft sich nicht den Obersatz, sondern nimmt ihn hin als von einer über i h m stehenden Macht gegeben 68 ." Diese Äußerungen der Begriffsjuristen zeigen, daß sich i m Vergleich zum heutigen Ziel, den Gesetzgeber i n seinem Belieben einzuschränken, nichts geändert hat. Wie damals w i r d auch heute noch nach dem nicht zur Disposition stehenden Maßstab gesucht. Zusammenfassend läßt sich die begriffsjuristische Methode, auf die die Regel vom Recht aus Begriffen zurückgeht, dahingehend charakterisieren, daß der persönliche Einfluß auf juristische Ergebnisse ausgeschaltet bleiben sollte. Es wurde eine A r t mechanistische Rechtswissenschaft unabhängig vom Einfluß des Gesetzgebers angestrebt. Die rechtspolitische Funktion der begriffsjuristischen Methode bestand nach 1870 vornehmlich darin, die neugegründeten Staatsrechtsverhältnisse des Kaiserreiches zu legitimieren und ihren Bestand durch den Ausschluß jeglicher politischer K r i t i k zu sichern 69 . Diese so betont unpolitische Methode war selbst Ausdruck einer bestimmten politischen Doktrin 7 0 . Meines Erachtens genügt diese politische Motivation nicht, u m eine solche Methode zu vertreten. Es muß, was bisher kaum Berücksichtigung fand, der Glaube hinzukommen, der Ausschluß des Gesetzgebers, eine zweckfreie, unpolitische, vor jedem persönlichen Einfluß sichere Rechtsfindung m i t Erkenntnischarakter sei wissenschaftstheoretisch möglich. Die Ansicht, eine Methode m i t diesen Eigenschaften sei möglich, muß vom heutigen wissenschaftstheoretischen Stand her bezeifelt werden, ja das Gegenteil w i r d betont, nämlich die Abhängigkeit von den Beteiligten, die auf Eigenschaften der Sprache zurückzuführen ist. Eine intersubjektive Praxis kann, aber muß nicht beständig sein. 4. Die teleologische Methode i n der heutigen Literatur Die von den Begriffsjuristen ausgeschlossene teleologische Methode, die als Alternative zur begriffsjuristisch geprägten Argumentationspraxis angeboten werden soll, w i r d heute praktiziert, ohne als offizielle Methode Anerkennung zu finden. Den Meinungsstand zur teleologischen Methode charakterisiert Kriele nach einem Überblick über die Interpretationstheorien durch zwei Tendenzen dahingehend, daß einerseits die Einsicht i n die Unentbehrlichkeit der Ergebnisbeurteilung gewachsen sei, andererseits werde versucht, den Zwang zur Ergebnisbeurteilung so weit wie irgend möglich zurückzudrängen 71 . Der Ausschluß der Teleologie 68 89 70 71

Ebd., S. 165. Wilhelm, S. 159, m i t weiteren Nachweisen. Ebd., S. 149. Kriele, S. 175.

5. Differenzierungen innerhalb des Entscheidungsvorgangs

275

w i r d als positivistische Fiktion bezeichnet 72 , die durch objektives Deduzieren aus Vorgegebenem ohne Rücksicht auf das Ergebnis zu eindeutigen Ergebnissen kommen zu können glaubte 7 3 und inzwischen preisgegeben sei 74 . Kriele führt an, daß die teleologische Ergebnisbeurteilung vielen Theorien fremd, der Praxis aber geläufig sei 75 . Als Beleg sei hier auf ein Lehrbuch für die praktische Juristenausbildung verwiesen, i n dem die Anleitung gegeben wird, die Rechtsfindung müsse ständig von Fragen begleitet sein, ob das Ergebnis der Überlegungen auch m i t der praktischen Vernunft i n Einklang stehe. Die Ergebnisberücksichtigung w i r d als Selbstkontrolle bezeichnet, die i m Gutachten i n der Regel nicht mehr i n Erscheinung treten dürfe. 7 6 Wie Kriele 7 7 weist auch Friedrich Müller für das Verfassungsrecht ausdrücklich darauf hin, daß alles Recht auf Entscheidungsvorgängen beruhe. Der Richter brauche seinen Entscheidungsbeitrag auch i m Verfassungsrecht nicht mehr als nur kognitiven Prozeß, als logischen Schluß auszugeben 78 . Er könne und müsse u m der rechtsstaatlichen Kontrollierbarkeit willen seine eigene normbildende Entscheidungsarbeit für den Rechtsfindungsprozeß wie für die Darstellung der Begründung strukturell differenzieren 70 . Das Bundesverfassungsgericht verwende ebenfalls den Gesichtspunkt der Notwendigkeit eines sachgemäßen Ergebnisses über die herkömmlichen Auslegungsregeln hinaus 8 0 . Krieles Vorschlag besteht nun darin, diese teleologische Methode der Ergebnisberücksichtigung nicht zu verdrängen, sondern sie zu beherrschen 81 . Dieser von Kriele und Müller geforderten strukturellen Differenzierung des Entscheidungsvorganges, u m diesen beherrschen und kontrollieren zu können, galt hier die besondere Aufmerksamkeit. I m folgenden sollen nun Differenzierungen i m Rahmen des Entscheidungsvorgangs vorgeschlagen werden, die diesen übersichtlicher und kontrollierbarer machen. 5. Differenzierungen innerhalb des Entscheidungsvorgangs Als erstes ist zu unterscheiden, worauf sich die Entscheidung beziehen soll. Von Interesse ist die Entscheidung des Richters und die des Gesetz72

Ebd., sTl74. Ebd., S. 173. 74 Ebd., S. 174. 75 Ebd., S. 169. 78 Sattelmacher / Sirb, Bericht, Gutachten, Urteil, 1972; diesen Hinweis als Beleg für die Ergebnisberücksichtigung i n der Praxis gibt schon Kriele, S. 169. 77 Kriele, S. 175. 78 F. Müller, S. 67. 79 Ebd., S. 67. 80 Ebd., S. 28; z.B. B V e r f G 1, S. 208, 238; 1, S. 164; 275; 4, S. 320, 328; 12, S. 56. 81 Kriele, S. 175. Z u r teleologischen Gesetzesauslegung, Lüderssen, S. 92. 73

18·

276

V I . Korrekturbedürftigkeit der juristischen Methode

gebers. Die Entscheidung des Richters, insbesondere die des Verfassungsrichters, konzentriert sich auf die Verwendung der verfassungsrechtlichen Begriffe, während die des Gesetzgebers i n erster Linie die Ausgestaltung der Gesetze betrifft, nämlich Maßnahmen zur Erreichung eines bestimmten Zweckes. Die richterliche Entscheidung stellt sich i n erster Linie als ein Problem der Begriffsverwendung dar, während die des Gesetzgebers von Zweckmäßigkeitserwägungen geprägt ist und Fragen zu beantworten hat, etwa nach der Abgabenhöhe und den Beteiligten bei Abgabegesetzen oder nach der Organisationsform. Als vorrangiges Problem wurde hier die Entscheidungssituation bei der Verwendung von Begriffen behandelt. Die K r i t i k richtete sich gegen die Ansicht, die hier abkürzend als die Regel vom Recht aus Begriffen bezeichnet wurde. I m Verlauf der kritischen Untersuchung konnte die Einsicht gewonnen werden, daß die Verwendung von juristischen Ausdrücken ein Entscheidungsvorgang ist und keinen Erkenntnisakt darstellt. Diese kritische Untersuchung ging von der Frage aus, wovon die Einordnung von Sachverhalten unter Begriffe abhängen könne. Die bisherige Untersuchung hat gezeigt, daß die Zuordnung zu Begriffen weder an einem abstrakten Wesen (Piatonismus) noch an einer Regel (Empirismus) zu erkennen, sondern als Standpunktsache zu entscheiden ist. Weder durch das Wesen noch durch die Regel ist die Einordnung vorgegeben. Nun stellte sich aber die Frage, wovon die Entscheidung abhängt, wovon das Einnehmen eines Standpunktes beeinflußt wird, was zur Behauptung veranlaßt, zwei juristische Gegenstände seien ähnlich und gehörten deshalb unter einen Begriff. Es geht ζ. B. darum, wovon die Entscheidung abhängt, eine Abgabe dem Steuerbegriff unterzuordnen und die Ähnlichkeit m i t den schon untergeordneten Abgaben zu behaupten. Dieselbe Frage stellt sich etwa bei Sachverhalten wie den Geldleistungspflichten, ob diese nämlich den Enteignungsfällen ähnlich sind oder nicht, ob sie unter den Begriff der Enteignung fallen. Die hier empfohlene A n t wort lautet, die Folgen der Zuordnung zu Begriffen bestimmen die Entscheidung. Die Verwendung juristischer Begriffe auf juristische Gegenstände hat eindeutig festgelegte Rechtsfolgen. Die Entscheidung für eine bestimmte Ausdrucksverwendung bedeutet, über den E i n t r i t t einer Folge zu entscheiden. Allen juristischen Gegenständen, die unter ein und denselben Begriff fallen, sind die Rechtsfolgen gemeinsam. Nicht ein abstraktes Wesen oder eine Regel, sondern die Rechtsfolge ist das Gemeinsame aller juristischen Gegenstände, auf die ein Begriff verwendet w i r d und die ansonsten untereinander Unterschiede aufweisen. Die Wahl der jeweiligen Rechtsfolge stellt wiederum eine Entscheidung dar, die von den Folgen dieser Rechtsfolge abhängt. Wollte man ζ. B. Geldleistungspflichten dem Begriff der Enteignung unterordnen, dann hätte diese Einordnung die Rechtsfolge der Entschädigung, was wiederum die Folge hätte, daß das eingeforderte Geld zurückgezahlt werden müßte. Diese

5. Differenzierungen innerhalb des Entscheidungsvorgangs

277

absurde Folge des Enteignungsbegriffs auf Geldleistungspflichten ist der Grund für die heute zwar noch vertretene, aber nicht unumstrittene A n sicht, Geldleistungspflichten seien keine Enteignungsfälle. I n der gesetzgeberischen Entscheidungssituation sind ebenfalls Folgeerwägungen anzustellen. Folgebehauptungen sind Behauptungen über Gesetzmäßigkeiten, da die Folgen von Maßnahmen immer i n der Zukunft liegen. Zu behaupten, eine Maßnahme habe eine bestimmte Folge, schließt stillschweigend ein, daß dies immer und damit auch i n Zukunft der Fall sein werde. Diese unausgesprochene Voraussetzung, die Folge trete immer und unter allen Umständen und damit auch i n Zukunft ein, stellt eine Gesetzmäßigkeitsbehauptung dar. Folgebehauptungen beeinflussen die Entscheidung für eine Maßnahme. U m der Folgen willen wurde sie geplant, und sie bestimmen ihre Ausgestaltung. Zum Beispiel wurden i m Rahmen der Diskussion u m den Konjunkturzuschlag ebenfalls verschiedene Folge- bzw. Gesetzmäßigkeitsbehauptungen aufgestellt. Der Konjunkturzuschlag sei geeignet, Preisstabilität zu bewirken, wenn die privaten Haushalte ihre Konsumausgaben reduzieren. Dem läßt sich nun entgegenhalten, daß nicht der Konsum reduziert werden muß, sondern daß die Pflicht aus dem Konjunkturzuschlag aus Mitteln geleistet werde, die normalerweise gespart würden. Zwei konkurrierende Hypothesen stehen sich somit gegenüber. Einmal w i r d behauptet, der Konjunkturzuschlag werde den privaten Konsum reduzieren und als Zweites w i r d behauptet, die Spartätigkeit und nicht der Konsum werde reduziert 8 2 . Konkurrierende Kausalgesetzmäßigkeitsbehauptungen müssen als richtig, falsch oder i n anderer Weise ausgezeichnet werden. A u f die Situation der konkurrierenden Hypothesen wurde vor allem für den Bereich der wirtschaftspolitischen Maßnahmengesetze hingewiesen. Insbesondere sind Aussagen über Hypothesen für die interventionistische Gesetzgebung von großer Bedeutung. M i t einem Maßnahmegesetz einen Zweck zu verfolgen bedeutet nämlich, dem geplanten Gesetz bestimmte Folgen zuzuschreiben. Das heißt wiederum, Prognosen aufzustellen und sich von Hypothesen leiten zu lassen. Der Streit u m die Fragen, ob und welche Folgen eine gesetzliche Maßnahme haben werde, erweist sich als ein Streit darüber, welche der konkurrierenden Hypothesen über das Eintreten von Folgen als zutreffend auszuzeichnen und der gesetzgeberischen Entscheidung zugrundezulegen ist. I m Verlauf der Untersuchung wurden drei Auszeichnungsverfahren vorgestellt. Als erstes ist Poppers Falsifikationsmethode zu nennen, m i t deren Hilfe die widerlegten H y pothesen ausgeschieden werden können. Zu erinnern ist daran, daß nach einhelliger Ansicht Hypothesen nicht verifiziert oder bestätigt, sondern nur widerlegt werden können. Als zweites, allerdings nicht umstrittenes 82

Krause-Ablaß,

S. 713.

278

V I . Korrekturbedürftigkeit der juristischen Methode

Auszeichnungsverfahren ist die Bewährung der nichtfalsifizierten Hypothesen zu nennen. Sie stellt einen Grad der Überprüfung einer Hypothese an Fällen der Vergangenheit, praktisch einen Testbericht, dar. Als drittes K r i t e r i u m zur Beurteilung von Hypothesen ist die personelle Wahrscheinlichkeit zu nennen. Es handelt sich u m den Vorschlag der rationalen Entscheidungstheorie für ein Ausscheidungskriterium. Diese Auszeichnungskriterien sind ausführlich dargestellt und entwickelt worden. Soweit ersichtlich lassen sich aus der Diskussion u m die Sonderabgaben keine ausdrücklichen Erwägungen dieser A r t anführen. Insgesamt werden hiermit also normative Argumentationsmuster für die Entscheidungssituationen vorgeschlagen. M i t den genannten Differenzierungen sollen Vorschläge geliefert werden, u m Entscheidungsvorgänge zu strukturieren, überschaubarer und kontrollierbarer zu machen. Hiermit sollte der einmütigen Forderung der verfassungsrechtlichen Methodologie entsprochen werden 8 3 . A n dieser Stelle muß bemerkt werden, daß die genannten Vorschläge kein methodisches Patentrezept liefern, mit dem Entscheidungen abgenommen werden können. Die Einsicht i n den Entscheidungscharakter juristischer Tätigkeit bringt neue schwierige Probleme m i t sich. Nachdem bekannt ist, daß Folgebehauptungen Kausalgesetzmäßigkeiten beinhalten, w i r d die Frage nach dem Auszeichnungsverfahren der Hypothesen zum Hauptproblem, das bis heute noch nicht befriedigend gelöst ist 8 4 . W i l l man die Bedeutung der wissenschaftstheoretischen Einsichten würdigen, so muß darauf hingewiesen werden, daß es i n erster Linie darum geht, bisher gemachte Fehler zu verhindern. Modellhaft und idealtypisch referierte wissenschaftstheoretische Positionen sollen als Grundlage der Argumentationspraxis rekonstruiert werden und eine fruchtbare K r i t i k ermöglichen. Erst die Reformulierung der hinter der Argumentationspraxis vermuteten wissenschaftstheoretischen Positionen macht eine K r i t i k möglich, die keinerlei Hoffnung übrig läßt, aus Begriffen sei mehr als das bisher Bekannte zu gewinnen.

83 84

Kriele, S. 175; F. Müller, S. 67. Stegmüller, Personelle u n d statistische Wahrscheinlichkeit, S. 86.

V I I . Zum Ausgangspunkt und Anlaß der Untersuchung 1. Die Maßstabs- und Bindungsfunktion der Verfassung Nachdem nun ein abschließender Überblick der methodischen Einsichten gegeben worden ist, soll auf den juristischen Anlaß für die A r t dieser Untersuchung zurückgekommen werden. Der Ausgangspunkt war die einmütige Forderung nach der Bindung des Gesetzgebers. M i t A r t . 1 Abs. (3) GG, so betont Selmer, für das Finanzverfassungsrecht, sollten die Grundrechte der Disposition des Gesetzgebers entzogen werden, der Gesetzgeber soll an die Verfassung gebunden werden 1 . Diese Bindung an die Verfassung w i r d deshalb als notwendig erachtet, w e i l der Gesetzgeber heute nicht mehr i n der Lage sei, angemessenen Schutz vor A b gabenerhebungen zu bieten. I m Gegensatz zu der Zeit vor der Einführung des allgemeinen und gleichen Wahlrechts i n der, wie etwa i n Preußen, durch die Verknüpfung von Stimmgewicht und Steuerpflicht die i m Parlament vertretenen Gruppen über ihre eigene Abgabenbelastung hätten bestimmen können. Die parlamentarische Beteiligung der Abgabenschuldner bei der Abgabenfestsetzung bot hinreichenden Schutz vor nicht selbstgewählten Belastungen 2 . M i t dem allgemeinen und gleichen Wahlrecht sei die Machtmißbrauchsmöglichkeit geschaffen worden, vor der der Gesetzgeber zuvor Schutz bieten sollte. Nun sei der Gesetzgeber durch die Wahlsystemänderung selbst zur potentiellen Bedrohung der Individualrechtssphäre geworden 3 und es sei Schutz nicht nur durch den Gesetzgeber, sondern auch vor i h m notwendig 4 . Vor Abgabenerhebungen soll also die Verfassung den Schutz bieten, den der Gesetzgeber infolge des Rollenwechsels nicht mehr bieten kann. Diese grundsätzliche Forderung nach der Bindung des Gesetzgebers kommt hinsichtlich der Sönderabgaben dadurch zum Ausdruck, daß Gruppenbelastungen nur dann für zulässig gehalten werden, wenn für sie Kriterien vorliegen, die nicht zur Disposition des Gesetzgebers stehen. Zwei solche nicht dispositiven Kriterien wurden hervorgehoben, nämlich die homogene Solidargemeinschaft und Begriffe der Verfassung. Von beiden Kriterien wurde gefordert, daß sie dem Gesetzgeber vorge1

Selmer, S. 40; Kirchhof, Besteuerungsgewalt u n d Grundgesetz, S. 14. Selmer, S. 43; Kirchhof, Besteuerungsgewalt u n d Grundgesetz, S. 14. 3 Selmer, S. 45. Diesen Gesichtspunkt betont ganz allgemein Häberle, Wesensgarantie, S. 163. 4 Kirchhof, Besteuerungsgewalt u n d Grundgesetz, S. 15. 2

280

V I I . Z u m Ausgangspunkt u n d Anlaß der Untersuchung

geben sein sollten und nicht machbar sein dürften. Ob es nun derart nichtdispositive Kriterien geben kann, wurde hier als Vorfrage für die Bindung an die Verfassung gestellt und aus wissenschaftstheoretischer Sicht behandelt. Die Bindung des Gesetzgebers setzt vor allem Maßstäbe voraus, an die er sich gebunden fühlen, auf die man sich gegen i h n berufen und an denen er durch das Bundesverfassungsgericht gemessen werden kann. Vor allem wurde die Forderung der Bindung an die Verfassung zum Anlaß für die Vorfrage, ob eine solche Bindung überhaupt möglich ist, wenn man sie, von der Selbstverständlichkeit ausgehend, daß die Verfassung sprachlich formuliert ist, als Bindung an Begriffe oder an die Bedeutung von Ausdrücken versteht. Für eine A n t w o r t auf die Frage nach der Bindungsmöglichkeit an Sprache wurden die neueren Sprachtheorien bemüht. I m Ergebnis erwies sich die Sprache als nur bedingt tauglicher Maßstab, den Gesetzgeber zu binden, zu messen und zu kontrollieren. Die Bedeutung sprachlicher Ausdrücke, verstanden als ihre Verwendungsregel (Intension), steht zur Disposition der Sprachteilnehmer. Als einziger Maßstab ergab sich die intersubjektive Sprachpraxis, die von den Beteiligten — insbesondere von der Rechtsprechung und dem Gesetzgeber — beeinflußt werden kann. Standpunkte bestimmen die Verwendung sprachlicher Ausdrücke. Die Verwendung juristischer Ausdrücke ließ sich damit als standpunktabhängiger Entscheidungsvorgang kennzeichnen. Den Entscheidungen wiederum gehen Folgeerwägungen voraus und bestimmen diese. Welche Normen bei Entscheidungen zu beachten sind, ist Gegenstand und heute noch hauptsächlich Programm einer normativen Entscheidungstheorie. Teleologische Folgeerwägungen bestimmen, welche Standpunkte bezogen und welche Entscheidungen getroffen werden. Zum Schluß seien nun noch exemplarisch einige dieser Folgeerwägungen aus dem Problembereich der Sonderabgaben vorgestellt, u m zu zeigen, daß die empfohlene Methode ansatzweise schon verwendet, aber von der immer noch vorherrschenden begriffsjuristischen Methode überlagert wird. Dadurch werden Probleme, die als Entscheidungsvorgänge zu behandeln wären, auf eine begriffliche Ebene verlagert. I n einer Schlußbetrachtung ist an die Grenze auch einer teleologischen Methode der Folgeerwägungen zu erinnern. Folgeerwägungen stellen standpunktabhängige Gesetzmäßigkeitsbehauptungen dar, ohne daß ein Auszeichnungsverfahren vorliegt. Die Diskussionen über vor- oder nachteilige Folgen sind endlos zu führen. Dieser Einsicht entsprechend soll hier nur auf die wichtigsten aus der Diskussion u m die Sonderabgaben eingegangen werden.

2. Z w e i Beispiele der Folgeerwägungen

281

2. Zwei Beispiele für Folgeerwägungen aus der Diskussion um die Sönderabgaben a) Gefahr und Nachteil für die föderale Machtbalance durch eine zweite apokryphe Finanzverfassung I n Frage standen die Sönderabgaben als ein zum Steuersystem alternatives Finanzierungsverfahren. Zwei oft angeführte Gefahren einer Ausweitung der Sonderabgabengesetzgebung stellen ihrer A r t nach Foigeerwägungen dar. A u f die eine Gefahr w i r d besonders aus der Sorge um die bundesstaatliche Ordnung hingewiesen. Sie steht hinter Selmers Warnung, es könnte durch die Ausweitung der Sonderabgabengesetzgebung eine zweite apokryphe Steuerverfassung entstehen 5 . Eine andere Gefahr w i r d i n der Durchbrechung des Lastengleichheitsgrundsatzes durch Gruppenbelastungen gesehen6. Die Auswirkungen auf die föderative Finanzordnung der Bundesrepublik durch den Finanzierungsmodus der Sönderabgaben seien noch nicht zu übersehen. Von einer Aushöhlung der föderativen Finanzverfassung w i r d allgemein gewarnt 7 . Leicht könnte die gesamte Finanzverfassung unterlaufen werden 8 . Besonders weist Isensee auf die Gefahr hin, daß der Sozialfiskus sich aus seinen Zweckbindungen lösen und zur konkurrierenden Steuergewalt entwikkeln könnte 9 . Die Erträge würden außerhalb der Kanäle fließen, die das Grundgesetz in A r t . 106 GG vorgesehen habe, und würden damit dem vertikalen Finanzausgleich zwischen Bund und Ländern entzogen. Wenn die intermediären Finanzgewalten wie die Sozialversicherungsträger mittels ihrer Beitragszuständigkeit materielle Steuerhoheit an sich ziehen dürften, könnten die föderale Machtbalance und das föderale Kontrollsystem gestört werden 1 0 . Der Gesetzgeber entäußere sich unveräußerlicher Prärogativen, wenn er den Selbstverwaltungsorganen, wie ζ. B. der gesetzlichen Krankenversicherung, die Aufgabe zuweise, durch autonome Beitragsgestaltung Fremdlasten auf den Versicherten abzuwälzen 1 1 . Die Distanz zur Steuer müsse für die Sozialversicherungsbeiträge gewahrt werden, weil diese Beiträge durch das Äquivalenzprinzip limitiert seien, während die Steuereinnahmen nicht i n gleicher Weise meßbar seien 12 . M i t der Äquivalenzbindung ist hierbei die Globaläquivalenz gemeint, während innerhalb der Versichertengemeinschaft die Individualäquivalenz von Leistung und Gegenleistung durch 5

Selmer, S. 183. Friauf, öffentliche Sonderlasten, S. 45 ff. 7 Selmer, S. 184,192,197; Isensee, S. 55. 8 Friauf, öffentliche Sonderlasten, S. 59. 9 Isensee, S. 59. 10 Ebd., S. 56. 11 Ebd., S. 57. 12 Ebd., S. 35. G

282

V I I . Z u m Ausgangspunkt u n d Anlaß der Untersuchung

das Prinzip der Belastung nach der Leistungsfähigkeit durchbrochen ist. Ebenfalls eindringlich warnt Mußgnug i m Rahmen der Sonderabgabendiskussion vor einer Ausweitung des intermediären Finanzbereiches. A r t . 106 GG habe das Besteuerungsrecht dem Bund, den Ländern und den Gemeinden vorbehalten. Körperschaften, Anstalten, Fonds und ähnliche Träger mittelbarer Staatsverwaltung kann der Bund gemäß A r t . 87 Abs. 3 Satz 1 GG für jede Angelegenheit, für die er Gesetzgebungskompetenz besitzt, errichten und sie m i t dem Recht der Beitragserhebung ausstatten. Nicht aber haben diese Verwaltungsträger das Recht, Steuern zu erheben. Grenzen, die dem Bund durch A r t . 106 GG bei der Einführung neuer Steuern gezogen seien, könnte der Bundesgesetzgeber durch die Gründung öffentlich-rechtlicher Anstalten umgehen 1 3 . Er könne so Abgaben erheben, die an sich seiner Ertragshoheit entzogen seien, indem er die Erträge den eigens errichteten Anstalten zuweise. Diese Erträge dürfe er zwar nicht selbst einstreichen, jedoch seien sie den Ländern und Gemeinden vorenthalten 1 4 . Diese Beiträge, die Körperschaften und Anstalten von ihren Benutzern erheben, gelten nicht als Steuern und werden infolgedessen auch nicht vom vertikalen Finanzausgleich des A r t . 106 GG erfaßt 15 . Zusammenfassend warnt Mußgnug zu Recht davor, die Idee der Selbstverwaltung, der die Körperschaften ihre Entstehung verdanken, zu dem Zweck zu mißbrauchen, den Bundeshaushalt von Ausgaben zu entlasten, für die die allgemeinen Steuereinnahmen nicht ausreichten 16 . Dieses Streben des Bundes nach neuen Einnahmequellen sei m i t dem System des vertikalen Finanzausgleichs nicht zu vereinbaren, das Gefahr laufe, unterwandert zu werden 1 7 . Auch Selmer warnt davor, i n korporative oder korporationsähnliche Organisationsformen mit einem entsprechend verengten Kreis von Abgabepflichtigen auszuweichen 18 . Das Interesse an der Erhaltung des föderalen Systems, insbesondere des Ertragsverteilungssystems, diene der vertikalen Gewaltenteilung und damit mittelbar dem Interesse des einzelnen Bürgers daran, daß die staatliche Macht — auch die staatliche Finanzmacht — i n Grenzen gehalten werde 1 9 . Außer auf die vertikale Gewaltenteilung, die den Schutz vor einer omnipotenten Staatsgewalt sichert, w i r d auf die Chancen einer Vielfalt von Initiativen i m Wettbewerb der Länder untereinander hingewiesen 20 , was hier nur angedeutet werden soll. 13

Mußgnug, S. 297. Ebd., S. 297. 15 Ebd., S. 297. 16 Ebd., S. 298; Friauf, öffentliche Sonderlasten, m i t Hinweis auf B V e r f G 23, 12, 23 zur Übernahme der Bergbaualtlast; Leisner, Sozialbindung des Eigentums, S. 229; Selmer, S. 371; Isensee, S. 63. 17 Mußgnug, S. 298. 18 Selmer, S. 371. 19 Vogel, Finanzverfassung u n d politisches Ermessen, S. 26. 14

2. Z w e i Beispiele der Folgeerwägungen

283

b) Die Gefahr einer Spaltung der öffentlichen Meinung durch die Belastung einzelner Gruppen oder die Gefahr der Flucht vor politischer Rechenschaft Außer auf diese eher langfristig wirksame, aber nicht minder große Gefahr der Machtverschiebung zugunsten des Bundes ist auf eine bedeutend gefährlichere Folge des Sonderabgabenfinanzierungssystems hinzuweisen, das die Bildung von Gruppen zu Lastenverbänden nach sich ziehen kann. Es ist daran zu erinnern, daß die Belastung von Gruppen anstelle der Allgemeinheit nur für zulässig erachtet wurde, wenn eine homogene Solidargemeinschaft vorgegeben sei, an die der Gesetzgeber anknüpfen könne. Diese Gruppen dürften nicht machbar sein 21 . Die methodische Untersuchung zur Klassifizierung — als ein solches Problem ist die Bildung einer Solidargemeinschaft anzusehen — hat ergeben, daß Gruppen beliebig zu bilden sind. Die Behauptung, jemand gehöre zu einer Gruppe, stellt eine Ähnlichkeitsbehauptung dar, die standpunktabhängig ist. Je nach der Hinsicht lassen sich Ähnlichkeiten zwischen Personen und Personengruppen behaupten, die einen Grund dafür hergeben, sie zu einer Gruppe zusammenzuschließen. Das Argument von der Relativität der Ähnlichkeit führt zur Einsicht, daß Gruppen theoretisch beliebig gebildet werden können. Jede Person oder Personengruppe teilt m i t einer anderen eine Ähnlichkeit. Abzusehen ist davon, ob diese Ähnlichkeitsbehauptung plausibel erscheint. Es ist an die treffende Formulierung Baduras zu erinnern, der Gesetzgeber könne auswählen, was er als gleich i m Rechtssinn ansehen wolle 2 2 . Gruppen sind also nicht vorgegeben, sondern machbar. Objektive Zurechnungsgründe für die Durchbrechung der Lastengleichheit gibt es nicht. Die Eigenschaft der Machbarkeit teilen Solidargemeinschaften mit den Begriffen der Verfassung, da sie wie diese als Klassen von Elementen anzusehen sind. Der Verdacht und die Warnung, die Verknüpfung von Begünstigung und Belastung sei ein formales und machbares Kriterium, ließ sich somit wissenschaftstheoretisch erhärten. Dem eine gefährliche Eigendynamik entwickelnden Ausgleichsprinzip i n Form von Umverteilungen außerhalb der Steuerverfassung sei nicht Paroli zu bieten 2 3 . M i t der Einsicht i n die Standpunktabhängigkeit und Beliebigkeit von Gruppenbildungen entfällt die Möglichkeit, korporative Umverteilungssysteme zu rechtfertigen, da sie immer durch beliebig machbare Solidargemeinschaften zu rechtfertigen sind. Ohne solche vorgegebenen homogenen Gruppen w u r de bisher die Gruppenbelastung anstelle der Steuerbelastung einmütig 20 Hesse, Grundzüge des Verfassungsrechts der Bundesrepublik Deutschland, S. 95. 21 Isensee, S. 63; Friauf, öffentliche Sonderlasten, S. 50, 55. 22 Badura, Die Rechtsprechung des B V e r f G zu den verfassungsrechtlichen Grenzen wirtschaftspolitischer Gesetzgebung i m sozialen Rechtsstaat, S. 609. 23 Selmer, S. 199.

284

V I I . Z u m Ausgangspunkt u n d Anlaß der Untersuchung

als Brechung des Lastengleichheitsprinzips abgelehnt 24 . Dieses Problem der Gruppenlast trat bisher hauptsächlich aus zwei Gründen noch nicht i n voller Deutlichkeit zutage. Einmal nämlich wurde als Minderheit meist die Gruppe der Unternehmer belastet, die die Möglichkeit wahrnehmen kann, ihre Sonderlast auf die Preise abzuwälzen, wodurch i m Ergebnis einer der Steuerlast ähnliche gleichmäßige Belastung erreicht w i r d 2 5 . Außer durch die Abwälzbarkeit der Sonderlast wurde bisher die Problematik dadurch entschärft, daß die belasteten Gruppen sich aus eigener Initiative zusammengeschlossen hatten oder nach privatrechtlichen Vorbildern entstanden 26 . Wenn allerdings wie hier die Sonderabgaben als Finanzierungssystem zur Diskussion stehen, so sind unter den Folgeerwägungen auch noch nicht akut gewordene Gefahren zu berücksichtigen. Eine ausschlaggebende Folgeerwägung besteht i n der Gefahr, durch Gruppenbelastung Minderheiten i n der Gesellschaft zur Disposition der Mehrheit zu stellen 27 . Das könnte dazu führen, daß nur die, die sich i n der Überzahl befinden, von Belastungen frei bleiben 2 8 . Die grundsätzliche Befürwortung des Lastengleichheitsprinzips und die Ablehnung von Gruppenbelastungen dienen dem eingangs als besonders notwendig dargestellten Schutz der Minderheiten vor Abgabenbelastungen durch die demokratische Mehrheit. Dies glaubte man unter Hinweis auf die Errungenschaft der Verfassungsbindung nach A r t . 1 Abs. 3 GG leisten zu können 2 9 . Die Bindung an die Verfassung hat sich aufgrund der Standpunktabhängigkeit und der Relativität der verfassungsrechtlichen Begriffe als wenig taugliches M i t t e l zum Schutz des einzelnen und der Minderheiten erwiesen. A n die Stelle des Vertrauens auf diese überschätzte Schutzmöglichkeit sollte die Forderung treten, daß die der Entscheidung vorangegangenen Folgeerwägungen offengelegt werden. Finanzielle Belastung von einzelnen Gruppen allerdings zieht die gefährliche Folge nach sich, daß der Gesetzgeber sich der Diskussion entzieht, ja eine solche erst gar nicht aufkommen kann. Indem die Gesamtheit der Staatsbürger i n Minderheiten aufgeteilt und diese jeweils gesondert belastet werden, lassen sich diese Minderheiten gegeneinander ausspielen. Der Gesetzgeber könnte sich so der politischen Verantwortung und der Diskussion seiner Folgeerwägungen bei Abgabebelastungen entziehen, indem er die öffentliche Meinung aufspaltet 80 . Dagegen wäre durch die steuerliche 24 Ebd., S. 371; Friauf, öffentliche Sonderlasten, S. 50 ff.; Isensee, S. 63; Leisner, Sozialbindung des Eigentums, S. 230; Mußgnug, S. 299. 25 Friauf, öffentliche Sonderlasten, S. 64. 28 Strauß, S. 48, m i t umfassender Übersicht. 27 Leisner, Sozialbindung des Eigentums, S. 230; Friauf, öffentliche Sonderlasten, S. 62. 28 Leisner, Sozialbindung des Eigentums, S. 230. 29 Selmer, S. 40.

2. Z w e i Beispiele der Folgeerwägungen

285

Belastung der Allgemeinheit eher gewährleistet, eine Rechenschaft fordernde Mehrheit mit größerem Gewicht i n der öffentlichen Meinung zu bilden. Öffentliche Anliegen durch die Belastung von Gruppen mit Sönderabgaben zu finanzieren begünstigt die Staatsmacht, da jeweils die Mehrheit der durch die Sonderbelastung nicht Betroffenen sich für die i n Anspruch genommenen Minderheiten kaum engagieren dürfte. Die in dieser Untersuchung nachgewiesene Beliebigkeit der Gruppenbildung zwingt allerdings zu der Einsicht, daß jeder einzelne sich von vornherein als potentielles Mitglied einer Minderheit verstehen muß.

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Mußgnug, S. 296, der am Beispiel der Filmförderungsabgabe zeigt, daß eine breit angelegte Diskussion i n der Öffentlichkeit die Förderung u m s t r i t tener F i l m w e r k e hätte verhindern können.

Schlußbemerkung Die Untersuchung diente dem Zweck, verfassungsrechtliche Probleme m i t Hilfe des methodischen Instrumentariums der neueren Wissenschaftstheorie und der analytischen Philosophie zu behandeln. Dazu war es notwendig, die unausgesprochenen theoretischen Hintergründe der typischen Argumentationsmuster i m Wirtschaftsverfassungsrecht freizulegen und zu rekonstruieren. Insgesamt sollte ein Beitrag zu einer sich derzeit erst entwickelnden Argumentationstheorie geleistet werden. Darüber hinaus sollte gezeigt werden, daß der Nutzen derartiger Untersuchungen darin besteht, falsche Fragestellungen und damit die aufwendige Behandlung von Scheinproblemen verhindern zu helfen.

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