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German Pages 356 Year 2019
Vivien Aehlig Die Theatralität der Performance
Theater | Band 126
Vivien Aehlig arbeitet an der Friedrich-Alexander-Universität Erlangen-Nürnberg und promovierte im Fach Theaterwissenschaft an der Freien Universität Berlin.
Vivien Aehlig
Die Theatralität der Performance Verhandlungen von »Theater« im US-amerikanischen Performancediskurs
Diese Publikation wurde 2017 unter dem Titel »Die Theatralität der Performance: Verhandlungen von ›Theater‹ in US-amerikanischen Performancediskursen« als Dissertation an der Freien Universität Berlin angenommen. Die Publikation wird durch einen Druckkostenzuschuss der Ernst-Reuter-Gesellschaft der Freunde, Förderer & Ehemaligen der Freien Universität Berlin e.V. unterstützt.
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Inhalt
Einleitung | 7 1.1 Vorbemerkungen: Performance als Gegenstand, Begriff und Diskurselement | 10 1.2 Anmerkungen zum Forschungsstand | 14 1.3 Fragestellung und Ziele | 28 1.4 Methodische Überlegungen | 31 1
Der dramatische Kern der Performance | 49 2.1 Theater als Weltmodell? Zum performative turn in den amerikanischen social sciences | 49 2.2 Erving Goffmans Performancetheorie | 57 2.3 Victor Turners Performancetheorie | 75 2.4 Richard Schechners Performancetheorie | 91 2.5 Resümee | 109 2
Performance als Nicht-Theater | 113 3.1 Happening, Body Art, Performance: Erste Beobachtungen zur Diskursivierung der neuen Kunstpraktiken in den USA seit den 1950er Jahren | 113 3.2 Konzeptionen von Theatralität im Diskurs über Performancekunst: drei Beispiele | 122 3.3 Resümee | 157 3
Theater, Performance und Performativität | 161 4.1 Performance im Spannungsfeld von poststrukturalistischen und theatralen Definitionen von Akt | 161 4.2 Akt und Widerstand: Performance im Kontext der culture wars in den USA | 184 4.3 Politisierungen des Performancebegriffs | 193 4.4 Resümee | 205 4
Performance Studies | 209 5.1 Performance Studies als (Anti-)Disziplin: Gründungsdebatten und Institutionalisierung | 210 5.2 Against Performance Theory: Verteidigung des Theaters | 236 5.3 Resümee | 257 5
6
Die Wiederkehr des Theaters | 261
6.1 Der Topos der Flüchtigkeit in der amerikanischen Performancetheorie | 264 6.2 Verschwinden – Bewahren: Zeitlichkeit(-en) der Performance | 293 6.3 Reenactment | 305 6.4 Resümee | 316 Schlussbetrachtung und Ausblick | 321 7.1 Theater und Theatralität im Performancediskurs: Versuch einer Typologie | 324 7.2 Zur globalen Ausweitung der Performancetheorie | 328 7
8
Literaturverzeichnis | 333
Dank | 353
1
Einleitung
Der Performancebegriff gehört zum Inventar zahlreicher Diskurse über verschiedenste Arten von Aufführungen, Ausführungen, Darstellungen, Inszenierungen, Handlungen und Praktiken in Kunst, Alltag, Ökonomie und Technik. Wie divers die unter ›Performance‹ gefassten Gegenstände und Szenarien sind, lässt sich schnell erkennen, führt man sich vor Augen, dass mit ebenso großer Selbstverständlichkeit von der ›Performance‹ eines Computerchips wie von der ›Performance‹ auf der Theaterbühne gesprochen werden kann. Inhaltliche Schärfe und Präzision gewinnt der Performancebegriff immer erst in einem konkreten diskursiven Kontext, so dass sich Aufschluss über die Eigenlogiken des Begriffs am ehesten in der Konzentration auf einen seiner zahlreichen Schauplätze gewinnen lässt. Im deutschsprachigen Raum ist ›Performance‹ als wissenschaftlicher Begriff vor allem innerhalb der Theaterwissenschaft und angrenzender Kunst- und Kulturwissenschaften in Zusammenhang mit der Performativitätsforschung etabliert. Dabei ermöglicht der englischsprachige Performancebegriff einen breiten, globalen Diskurs über Aufführungen, wird jedoch auch zunehmend hinsichtlich seiner kulturübergreifenden Gültigkeit befragt. Inwieweit ist mit ›Performance‹ in deutschsprachigen und in englischsprachigen Debatten dasselbe bezeichnet? Welche Konnotationen und Implikationen trägt der Performancebegriff? Welche Missverständnisse können sich daraus ergeben? Die folgenden Überlegungen verstehen sich als Beitrag zur Beantwortung dieser Fragen. Insofern der skizzierte Problemhorizont vor allem Momente der Übertrag- oder Übersetzbarkeit des englischsprachigen Performancebegriffs berührt, scheint es zielführend, auf genau dieser Ebene anzusetzen. Dementsprechend wird der für das Begriffsverständnis entscheidende US-amerikanische Performancediskurs hier mittels detaillierter Lektüren einschlägiger Texte aus theaterwissenschaftlicher Perspektive systematisch aufgeschlüsselt. Wie sich
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zeigen wird, ist hierfür insbesondere die Frage nach dem Verhältnis von Performance- und Theaterbegriff ein geeigneter Fokus. Performance im transatlantischen Dialog Vier Jahre nach ihrer deutschen Erstveröffentlichung erscheint Erika FischerLichtes einflussreiche Ästhetik des Performativen (2004) in englischer Übersetzung unter dem Titel The Transformative Power of Performance: A New Aesthetics (2008).1 In einer ausführlichen Einleitung zum Buch versucht der amerikanische Theaterwissenschaftler Marvin Carlson Fischer-Lichtes Ansatz und ihre theoretischen Anliegen vor dem Hintergrund der unterschiedlichen Traditionen der Theater- und Performanceforschung in Deutschland und Nordamerika zu verorten und für den angloamerikanischen Leserkreis zugänglich zu machen. 2 Carlson weist dabei gleich zu Beginn auf einen wichtigen Unterschied hin. Er erklärt, dass sich der Status von Theater als Untersuchungsgegenstand innerhalb der amerikanischen Performance Studies und der deutschsprachigen Theaterwissenschaft voneinander unterscheidet. Während das Theater in der amerikanischen Performanceforschung eine marginale Position innehabe, wenn nicht gar aus dem Interessenbereich der Performance Studies gänzlich ausgeschlossen werde, kenne die deutschsprachige Theaterwissenschaft eine derartige Opposition von Theater und Performance nicht.3 Insofern die durch Max Herrmann in den 1920er Jahren begründete Theaterwissenschaft das Theater als soziales Ereignis und Prozess körperlicher Handlungen begreift, steht das Theater tatsächlich seit Beginn als Aufführungsereignis im Zentrum des theaterwissenschaftlichen Interesses. Da auch nicht künstlerische Aufführungen wie z.B. Rituale von Anfang an dem Gegenstandsbereich der Theaterwissenschaft zugerechnet wurden, erscheinen die im Zuge des sogenannten performative turn erfolgenden Ausweitungen des Untersuchungsbereiches als logische Fortentwicklungen der Theaterwissenschaft und nicht etwa als radikaler Bruch oder Paradigmenwechsel. Aufgrund dieser spezifischen Tradition der Theaterwissenschaft im deutschsprachigen Raum, so Carlson, sei es Fischer-Lichte möglich, eine allgemeine
1
Siehe Fischer-Lichte, Erika, 2004a: Ästhetik des Performativen. Frankfurt/M.: Suhrkamp und Fischer-Lichte, Erika, 2008: The Transformative Power of Performance. A New Aesthetics. Übersetzt von Saskya Iris Jain. London/New York: Routledge.
2
Siehe Carlson, Marvin, 2008: Introduction. Perspectives on Performance. Germany and America. In: Fischer-Lichte, Erika, 2008: The Transformative Power of Performance. A New Aesthetics. Übersetzt von Saskya Iris Jain. London/New York: Routledge, S. 1-10.
3
Siehe Carlson 2008, S. 3-4.
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Theorie der Aufführung/Performance unter Rückgriff auf in erster Linie Beispiele aus Theater und Performancekunst zu entwerfen.4 Neben der, für die in der amerikanischen Performanceforschung verankerte Leserschaft möglicherweise überraschend starken, Fokussierung auf den Bereich der Kunst in Fischer-Lichtes Aufführungs-/Performancetheorie identifiziert Carlson einen zweiten Aspekt, der Fischer-Lichtes Ansatz von der amerikanischen Performanceforschung unterscheidet. Während sich The Transformative Power of Performance, wie der englische Titel bereits verrät, ganz wesentlich für die Wirkungsweisen von Aufführungen interessiere und damit ein ähnliches Anliegen verfolge wie Großteile der amerikanischen Performanceforschung, bestehe ein wesentlicher Unterschied in den jeweiligen Ansatzpunkten, die hierfür gewählt würden. Anders als die amerikanischen Forschungen, die die Wirkweisen von Aufführungen/Performances eher als soziale Prozesse begriffen, die auf relativ konkrete gesellschaftspolitische (Macht-)Fragen bezogen seien, verorte Fischer-Lichte die Wirkung der Aufführung/Performance im Ästhetischen und charakterisiere sie als intensive, existenzielle Erfahrung der eigenen Verfasstheit als embodied mind.5 Carlson betont, dass eine derartige Vorstellung der Transformationswirkungen von Aufführungen der amerikanischen Performanceforschung bisher weitgehend fremd sei, genau aus diesem Grund jedoch eine wichtige Alternative und Ergänzung darstelle. In seiner Einleitung betont Carlson allerdings nicht nur die Aspekte, die The Transformative Power of Performance von der amerikanischen Performanceforschung unterscheiden, sondern weist auch auf die vielfältigen theoretischen Anleihen aus der amerikanischen Performancetheorie – von J.L. Austin, Judith Butler über Victor Turner bis zu Peggy Phelan und Philip Auslander – hin, die in Fischer-Lichtes Aufführungstheorie Eingang finden.6 Weiterhin stellt nicht zuletzt der Begriff ›Performance‹, der nicht nur in der englischen Übersetzung, sondern auch im deutschsprachigen Original der Ästhetik des Performativen Verwendung findet und der Dreh- und Angelpunkt in den amerikanischen Performance Stu-
4
Siehe Carlson 2008, S. 4-5. Einen weiteren Grund dafür, dass Fischer-Lichte ihre Theorie der Aufführung/Performance vorrangig mit Blick auf das Theater formulieren kann, sieht Carlson in dem unterschiedlichen Status des Theaters in den USA und in Deutschland und in den verschiedenen Theaterlandschaften beider Länder. Die Theaterlandschaft Deutschlands beschreibt Carlson als hochgradig reflexiv, gesellschaftspolitisch engagiert, kritisch und vor allem offen für aktuelle theoretische Themen und Strömungen.
5
Siehe Carlson 2008, S. 6 u. 8.
6
Siehe ebd., S. 5.
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dies ist, eine Verbindung zwischen amerikanischem und deutschsprachigem Diskurs her. In Carlsons Einführung bleibt die Frage, wie die amerikanische Performancetheorie und der Performancebegriff in der Theaterwissenschaft rezipiert wurden jedoch offen. Auch die Frage nach dem Verhältnis von deutschsprachigem Aufführungsbegriff und dem angloamerikanischen Performancebegriff wird nicht als Problem aufgeworfen. Gerade die nahtlose Überführung dieser beiden Begriffe scheint mir jedoch mit Grund für manches Missverständnis in der transatlantischen Diskussion zu sein. Die von Carlson dargelegten unterschiedlichen wissenschaftlichen Traditionen schreiben sich ja nicht zuletzt auch in das jeweilige Begriffsvokabular ein, das in den Forschungen zur Anwendung kommt. Statt davon auszugehen, dass sich hinter dem Begriff ›Performance‹ im amerikanischen und im deutschsprachigen Gebrauch in jedem Fall Gleiches verbirgt, nimmt die vorliegende Arbeit den Performancebegriff als fremdsprachlichen Begriff in den Blick und wird versuchen, ihn aus der Perspektive der deutschsprachigen Theaterwissenschaft zu beleuchten.
1.1 VORBEMERKUNGEN: PERFORMANCE ALS GEGENSTAND, BEGRIFF UND DISKURSELEMENT Wovon ist also die Rede, wenn es um ›Performance‹ geht? Für das Anliegen dieser Arbeit, Aufschluss über die Konstellationen von ›Theater‹ und ›Performance‹ im US-amerikanischen Performancediskurs zu gewinnen und so Einsicht in die Eigenlogik eines Begriffs zu erhalten, der nicht nur im angloamerikanischen Raum, sondern auch in der kontinentaleuropäischen Theaterwissenschaft eine zentrale Position einnimmt, ist diese Frage entscheidender Ausgangspunkt. Von welcher Position aus lassen sich Performancediskurse in den Blick nehmen und wie lassen sich Verhältnisse von ›Performance‹ und ›Theater‹ beschreiben? Unter Berücksichtigung des derzeitigen Forschungsstandes zum Performancebegriff möchte ich im Folgenden die grundlegende Perspektive skizzieren, von der aus die Analysen in dieser Arbeit ihren Ausgang nehmen. Vorab kann hierzu festgehalten werden, dass sich in den Texten über ›Performance‹ drei Dimensionen unterscheiden lassen: 1. ›Performance‹ als Gegenstand, 2. ›Performance‹ als Begriff und 3. ›Performance‹ als Diskurselement. Wenn also von ›Performance‹ die Rede ist, gilt es, stets genauer hinzusehen, welche der drei Dimensionen je angesprochen ist. Kommentare, die auf ›Performance‹ als Gegenstand zielen, haben in der Regel die Aufführung im Visier und fragen nach deren Elementen und materiellen Besonderheiten. Hierzu sind auch jene Kommentare zu zählen, die ›Perfor-
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mance‹ als spezifische künstlerische Praxis bzw. Gattung begreifen. In beiden Fällen ist zugrunde liegende Frage und Antrieb der Versuch, zu (er-)klären, was ›Performance‹ ist. Häufig werden dem Gegenstand ›Performance‹ dabei Prozesshaftigkeit und das Potenzial attestiert, bestimmte Transformationen zu bewirken. Beispiele für derartige Kommentare lassen sich u.a. in Definitionsvorschlägen und programmatischen Texten finden. So definiert der Volkskundler und Anthropologe Richard Bauman ›Performance‹ z.B. folgendermaßen: »A mode of communicative behavior and a type of communicative event. While the term may be employed in an aesthetically neutral sense to designate the actual conduct of communication (as opposed to the potential for communicative action), performance usually suggests an aesthetically marked and heightened mode of communication, framed in a special way and put on display for an audience.«7
Baumans Definition macht deutlich, dass die Suche danach, was ›Performance‹ ist, nicht mit dem Glauben an eine quasi ontologische Essenz des mit ›Performance‹ benannten Gegenstandes einhergehen muss, sondern durchaus sensibel für das Zusammenwirken von begrifflicher Benennung und Gegenstand sein kann. Dennoch geht es in der hier zitierten Definition nicht vordergründig um den Begriff ›Performance‹, sondern darum, zu skizzieren, was für ein Gegenstand ›Performance‹ ist. Kurz gefasst ist ›Performance‹ laut Bauman die tatsächliche Durchführung einer Handlung, die darauf ausgerichtet ist, ein Gegenüber zu erreichen und die als solche durch Rahmung als kommunikatives Ereignis hervorgehoben werden kann. Texte, die ›Performance‹ als Begriff oder Konzept adressieren, interessieren sich stärker für den theoretischen Status, die Implikationen, das analytische Programm und das Verhältnis zu anderen Begriffen, das sich mit ›Performance‹ verbindet.8 Als Besonderheiten des Performancebegriffs gelten dabei häufig
7
Bauman, Richard, 1989: Performance. In: Erik Barnouw et al. (Hg.), International Encyclopedia of Communication. New York/Oxford: Oxford University Press, S. 262266, hier S. 262.
8
Ich verwende hier ›Begriff‹ und ›Konzept‹ nicht trennscharf. Mit Mieke Bal lassen sich Konzepte folgendermaßen charakterisieren: Konzepte besitzen ein entwerfendes Potenzial. Dies bedeutet, dass sie einen spezifischen Blick auf Objekte ermöglichen, der von theoretischen Vorannahmen getragen wird, ohne jedoch das Objekt überzudeterminieren. In ihrer Eigenheit als »miniature theories« perspektivieren Konzepte Objekte und machen ihnen Wesentliches sichtbar. Dies unterscheidet Konzepte von Worten. Letzteren fehlt die mit dem Konzept verbundene erklärende Kraft, so dass sie ei-
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Ambivalenz, Flexibilität und das Potenzial, bestimmte in ethischer oder politischer Hinsicht brisante Aspekte in den Fokus zu rücken. So heben Mary S. Strine, Beverly Withaker Long und Mary Frances HopKins in einem viel zitierten Überblicksartikel hervor, dass ›Performance‹ oft als umstrittenes Konzept – als »an essentially contested concept«9 – verstanden wird.10 In ähnlicher Weise bemerkt Shannon Jackson in ihrer Studie Professing Performance: Theatre in the Academy from Philology to Performativity (2004), dass sich ›Performance‹ durch eine bemerkenswerte Fülle von Ambivalenzen und Widersprüchen auszeichnet, die dem Begriff eingeschrieben sind: »[P]erformance is about doing, and it is about seeing; it is about image, embodiment, space, collectivity, and/or orality; it makes community and it breaks community; it repeats endlessly and it never repeats; it is intentional and unintentional, innovative and derivative, more fake and more real.«11 Den Texten, die ›Performance‹ als Begriff oder Konzept reflektieren, sind auch jene Beiträge zuzurechnen, die die Metaphorizität von ›Performance‹ diskutieren, um auf diese Weise Potenzial und Problematik von ›Performance‹ als Sammelbegriff für unterschiedlichste Gegenstände zu erfassen. Mit der Perspektivierung von ›Performance‹ als Metapher verbindet sich die Auffassung, dass es einen Ursprungsbereich gibt, dem der Performancebegriff angehört und von dem
nem Objekt eher als Etikett anhaften, ohne dieses zu erhellen (Siehe Bal, Mieke, 2002: Travelling Concepts in the Humanities. A Rough Guide. Toronto/Buffalo/London: University of Toronto Press, hier S. 22 u. 33). 9
Strine, Mary S./Beverly Whitaker Long/Mary Frances HopKins, 1990: Research in Interpretation and Performance Studies. Trends, Issues, Priorities. In: Gerald M. Phillips/Julia T. Woods (Hg.), Speech Communication. Essays to Commemorate the Seventy-Fifth Anniversary of the Speech Communication Association. Carbondale/Edwardsville: Southern Illinois University Press, S. 181-204, hier S. 183 [Herv. i.O.].
10 Marvin Carlson greift die Idee der Strittigkeit als zentrales Merkmal des Performancebegriffs auf und macht sie zum Ausgangspunkt seiner Einführung (Siehe Carlson, Marvin, 2004: Performance. A Critical Introduction. 2. Aufl. London/New York: Routledge [EA 1996]). Für Strine, Long und HopKins ist die Perspektive auf ›Performance‹ als strittiges Konzept nur eine von drei Fluchtlinien, die sie zur Sortierung der Perspektiven auf den Performancebegriff identifizieren: »Three interrelated perspectives organize this discussion: performance viewed as an essentially contested concept, performance viewed as text, and performance viewed as metaphor and as metonymy.« (Strine/Long/HopKins 1990, S. 183 [Herv. i.O.]) 11 Jackson, Shannon, 2004: Professing Performance. Theatre in the Academy from Philology to Performativity. New York: Cambridge University Press, hier S. 15.
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aus er in andere Bereiche eingeht. Mit der Beschreibung des Performancebegriffs als Metapher geht dementsprechend oft auch die Kritik einher, dass ›Performance‹ die unter diesem Begriff subsumierten Phänomene nie ganz treffe und zwangsläufig zu diesen auf Distanz bleibe.12 Texte, die der zuvor genannten dritten Perspektivierungsdimension zuzuordnen sind, thematisieren ›Performance‹ als Diskurselement. Sie treten noch einen weiteren Schritt zurück und fragen nach den Effekten und Funktionen, die der Performancebegriff in größeren diskursiven Zusammenhängen entfaltet. So vertritt z.B. der Theaterwissenschaftler Marvin Carlson in seiner Einführung Performance: A Critical Introduction (2004) die These, dass ›Performance‹ als »a kind of critical wedge«13 fungiert und bestimmte Vorstellungen von Theatralität in weite Diskursbereiche einträgt. Carlsons Formulierung von der ›Performance‹ als »einer Art Keil« greift auch der Performancetheoretiker Jon McKenzie in Perform or Else: From Discipline to Performance (2001) auf und fasst Carlsons Beobachtungen zu den diskursiven Bewegungen des Performancebegriffs folgendermaßen zusammen: »From theater to metaphor to analytical concept and back to theater and other performances: such is the general movement of Performance Studies according to Carlson.«14 Laut dieser Beschreibung wandelt sich der Performancebegriff ausgehend von seinem eigentlichen Bedeutungsbereich – dem Theater – in eine lose Metapher, die in andere Diskurse eingeht, dort wieder zu einem präzisen Konzept geschärft wird, um schließlich neue analytische Perspektiven auf die Gegenstände des ›ursprünglichen‹ Diskurskontexts zu eröffnen. Wie sich bereits in dieser groben und notwendigerweise lückenhaften Skizzierung zeigt, hängen die Thematisierung von ›Performance‹ als Gegenstand, als Begriff und als Diskurselement eng zusammen. Weiterhin wird deutlich, dass das Nachdenken über ›Performance‹ häufig mit Bezug auf ›Theater‹ stattfindet – sei es, dass in Richard Baumans Definition die Grundvorstellung von ›Theater‹ als Vorgang des Zeigens aufgerufen wird oder, dass bei Marvin Carlson darauf verwiesen wird, dass der Performancebegriff diskursiv als Träger von Vorstellungen von ›Theatralität‹ fungiert. Die vorliegende Arbeit setzt mit ihren Beobachtungen auf der dritten Perspektivierungsebene an und macht es sich zur Aufgabe, US-amerikanische Performancediskurse in ihren Verläufen seit den
12 Siehe z.B. States, Bert O., 1996: Performance as Metaphor. In: Theatre Journal 48, 1, S. 1-26. 13 Carlson 2004, S. 6. 14 McKenzie, Jon, 2001: Perform or Else. From Discipline to Performance. London/ New York: Routledge, hier S. 35.
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1950er Jahren zu beschreiben. Hierfür wird im Folgenden noch ein eigenständiger Zugang zu entwickeln sein, der bei der Besonderheit ansetzt, dass ›Theater‹ für die Verläufe von Performancediskursen offensichtlich eine strukturierende Rolle spielt.
1.2 ANMERKUNGEN ZUM FORSCHUNGSSTAND 1.2.1 Sortierungsversuche zum Performancebegriff Seit den 1990er Jahren nimmt das Interesse an einer systematischen und historisierenden Beschreibung des Performancebegriffs und seiner vielfältigen diskursiven Kontexte zu. Dies mag vor allem damit zusammenhängen, dass sich in dieser Zeit die Performance Studies als eigenständige Disziplin bzw. eigenständiges Forschungsfeld an US-amerikanischen Universitäten formieren und somit ein erhöhter Orientierungsbedarf besteht.15 Unter den Sortierungsversuchen finden sich einerseits Einführungs- und Lehrbücher wie Carol Simpson Sterns und Bruce Hendersons Performance: Texts and Contexts (1993), Marvin Carlsons Performance: A Critical Introduction, die erstmalig 1996 erscheint, Richard Schechners Performance Studies: An Introduction (2002), Elizabeth Bells Theories of Performance (2008) und der von Tracy C. Davis herausgegebene The Cambridge Companion to Performance Studies (2008).16 Weiterhin bieten auch Anthologien und Handbücher wie die von Philip Auslander herausgegebenen vier Bände Performance: Critical Concepts in Literary and Cultural Studies (2003), Henry Bials The Performance Studies Reader (2004) oder das von D. Soyini Madison und Judith Hamera herausgegebene The SAGE Handbook of Performance Studies (2006) eigene Ordnungsvorschläge zum Performancebegriff.17
15 Siehe zur Institutionalisierung der Performance Studies ausführlich Kapitel 5. 16 Siehe Bell, Elizabeth, 2008: Theories of Performance. Los Angeles: Sage Publications; Carlson, Marvin, 2004: Performance. A Critical Introduction. 2. Aufl. London/New York: Routledge; Davis, Tracy C. (Hg.), 2008: The Cambridge Companion to Performance Studies. Cambridge: Cambridge University Press; Schechner, Richard, 2002a: Performance Studies. An Introduction. London/New York: Routledge; Stern, Carol Simpson/Bruce Henderson, 1993: Performance. Texts and Contexts. New York/London: Longman. 17 Siehe Auslander, Philip (Hg.), 2003: Performance. Critical Concepts in Literary and Cultural Studies. 4 Bände. London/New York: Routledge; Bial Henry (Hg.), 2004:
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Neben diesen systematisierenden Ansätzen, die insbesondere hinsichtlich der Frage interessant sind, mit welchen Strategien die Autorinnen und Herausgeber ihren sortierenden Griff auf ›Performance‹ vornehmen, liegen auch einige Untersuchungen vor, die den Performancebegriff in seiner historischen Dimension befragen. Besonders umfangreich fallen Shannon Jacksons Professing Performance und Jon McKenzies Perform or Else aus. Während Jackson sich mit der Karriere von ›Performance‹ als Gegenstand legitimer akademischer Beschäftigung auseinandersetzt, thematisiert McKenzie unter dem Stichwort ›Performance‹ weitreichende gesellschaftliche Entwicklungen. Die Geschichte des Performancebegriffs reflektieren auch Paul Edwards in Unstoried: Teaching Literature in the Age of Performance Studies (1999) und, in kürzeren Artikeln, Elizabeth Bell und Henry Bial. 18 Für das Vorhaben, die analytische Beschäftigung mit Performancediskursen sowohl in theoretisch-methodischer Hinsicht als auch in Bezug auf bereits geleistete Forschungen zu verorten, geben diese Untersuchungen und Kommentare zur Geschichte des Performancebegriffs wichtige Hinweise auf den zeitlichen Verlauf und auf wichtige Dynamiken der Performancediskurse. Nicht zuletzt geht es auch darum, zu klären, wie sich der Versuch dieser Arbeit, die Geschichte des US-amerikanischen Performancediskurses von ›Theater‹ ausgehend zu erzählen, zu den bisherigen Erzählungen der Geschichte des Performancebegriffs verhält. In den bisherigen Sortierungsversuchen zum Performancebegriff lassen sich drei Strategien unterscheiden, die im Wesentlichen den im vorherigen Abschnitt benannten drei Perspektiven auf ›Performance‹ entsprechen. Es wird einerseits versucht, ›Performance‹ über eine Sortierung der Gegenstände zu erfassen, die sich als ›Performance‹ benennen lassen. Zweitens richtet sich der Blick auf den Performancebegriff und sein Verhältnis zu anderen, verwandten Begriffen. Drit-
The Performance Studies Reader. London/New York: Routledge; Madison, D. Soyini/Judith Hamera (Hg.), 2006: The SAGE Handbook of Performance Studies. Thousand Oaks/London/New Delhi: Sage Publications. 18 Siehe Edwards, Paul, 1999: Unstoried. Teaching Literature in the Age of Performance Studies. In: The Theatre Annual. A Journal of Performance Studies 52, S. 1-147; Bell, Elizabeth, 1993: Performance Studies as Women’s Work. Historical Sights/Sites/ Citations from the Margin. In: Text and Performance Quarterly 13, 4, S. 350-374; Bial, Henry, 2014: Performance Studies 3.0. In: Sharon Aronson-Lehavi/Atay Citron/David Zerbib (Hg.), Performance Studies in Motion. International Perspectives and Practices in the Twenty-First Century. London et al.: Bloomsbury Publishing, S. 30-41.
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tens sortieren einige Untersuchungen ›Performance‹ vor dem Hintergrund disziplinärer und diskursiver Traditionen und Logiken. Selbstverständlich lassen sich diese Ordnungsstrategien selten in Reinform finden, sondern werden miteinander kombiniert. Im Folgenden möchte ich einige Sortierungsvorschläge genauer darstellen. Von Interesse sind dabei sowohl die generellen Beobachtungen, die zu den Eigenheiten des Performancebegriffs gemacht werden, als auch die methodischen Vorgehensweisen, die dabei zum Einsatz kommen. Prinzipiell sind die Studien und Kommentare, die den Performancebegriff von seinen disziplinären und diskursiven Kontexten her beleuchten, für mein Forschungsanliegen von größter Relevanz. Ihnen wird daher im Folgenden besonders viel Raum gegeben. Sortierungsversuch I: Performance als Gegenstand oder Begriff Bei den Sortierungsversuchen, die von Nachbarbegriffen und/oder den Gegenständen ausgehen, die sich unter ›Performance‹ subsumieren lassen, fällt auf, dass stets ein relativ klares Bild davon entsteht, was ›Performance‹ ist oder meint. Richard Schechners Performance Studies: An Introduction gliedert sich z.B. in die Kapitel »What is Performance Studies?«, »What is Performance?«, »Ritual«, »Play«, »Performativity«, »Performing«, »Performance Processes« und »Global and Intercultural Performance«.19 Das als Einführung konzipierte Überblickswerk nähert sich ›Performance‹ also über die Nachbarbegriffe ›Ritual‹ und ›Spiel‹ und über die Reflexion von Praxis. Schechner hebt eingangs hervor, dass was ›Performance‹ sei bzw. was für ›Performance‹ gehalten werde von soziokulturellen Konventionen abhängig und damit begrenzt sei, während ›Performance‹ als Perspektive und Sichtweise weit dehnbar sei und in sehr unterschiedlichen Feldern produktiv gemacht werden könne.20 Trotz dieser Distanznahme von jeglichem ontologisierenden Begriffsverständnis liefert Schechners Performance Studies eine klare Definition von ›Performance‹. Generell gilt für Schechner: »Performances are actions.«21 Entsprechend bedeutet, ›Performance‹ als analytische Perspektive einzunehmen, einen betrachteten Gegenstand oder Vorgang als Tun, Verhalten, Zeigen in den Blick zu nehmen: »Any behavior, event, action, or thing can be studied ›as‹ performance, can be analyzed in terms of doing, behaving, and showing.«22 In Schechners Perfor-
19 Siehe Schechner 2002a. 20 Siehe ebd., S. 30. Schechner unterscheidet hier zwei Arten, den Performancebegriff zum Einsatz zu bringen: ›is‹ performance und ›as‹ performance. 21 Schechner 2002a, S. 1. 22 Ebd., S. 32.
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mance Studies: An Introduction konturiert sich der Performancebegriff weiterhin in engem Bezug zu den Begriffen ›Ritual‹ und ›Spiel‹ und damit aus einer anthropologischen Perspektive heraus. Die Verankerung des Performancebegriffs mit Blick auf ›Ritual‹ und ›Spiel‹ führt Schechner zu folgender Definition von ›Performance‹: »[…O]ne definition of performance may be: Ritualized behavior conditioned/permeated by play.«23 Im größeren Zusammenhang von Performance Studies: An Introduction wird klar, dass mit dem Bezug zu ›Ritual‹ angezeigt ist, dass sich ›Performance‹ stets aus vorgängigen Versatzstücken zusammensetzt und doch – dies bringt die Nähe zu ›Spiel‹ mit ein – stets neu und innovativ ist. Elizabeth Bells Theories of Performance nähert sich dem Performancebegriff in Auseinandersetzung mit verschiedenen Performancetheorien. Die Kapitelbetitelung folgt einem klaren Schema: »Performing Texts«, »Performing Drama«, »Performing Social Roles«, »Performing Identity«, »Performing Resistance«, »Performing Technologies«.24 Bell sortiert die unterschiedlichen Zugänge zu ›Performance‹ also nach deren jeweiligem Fokus – sei dies der Bezug auf ein gemeinsames Denkmodell (»Performing Drama«), das geteilte Interesse an bestimmten Gegenständen (z.B. »Performing Social Roles«) oder ein verbindendes politisches Anliegen (»Performing Resistance«). Diese Sortierungsstrategie hat einerseits den Effekt, die Vielfalt der Bedeutungskontexte von ›Performance‹ zu akzentuieren. Gleichzeitig werden das Sammelsurium an theoretischen Zugängen und die damit verbundene zentrifugale Aufspaltung des Performancebegriffs durch die zentrale Idee des Auf-, Aus-, Durch-, und Vorführens (performing) von etwas zusammengehalten. Bells Theories of Performance macht den Performancebegriff insgesamt als Perspektive stark, die Kultur und Gesellschaft als durch prozesshafte, kommunikative Vorgänge konstituiert in den Blick nimmt. ›Performance‹ wird bei Bell als »a mode of communication«25 definiert. Damit wird die Funktion, Werte, Überzeugungen, Sichtweisen und Beziehungen zu verhandeln, zum bestimmenden Merkmal von ›Performance‹. Anders als Elizabeth Bell gehen Carol Stern und Bruce Henderson in ihrem Einführungsbuch Performance: Texts and Contexts die Sortierung von ›Performance‹ über die Logik verschiedener Genres an und gliedern in »Cultural Per-
23 Schechner 2002a, S. 45. 24 Siehe Bell 2008. 25 Ebd., S. 1. Mit der Vorstellung von ›Performance‹ als Modus der Kommunikation verbindet sich die Annahme, dass ›Performance‹ sowohl Situation der Erfahrung als auch der Reflexion und Kritik ist (Siehe Bell 2008, S. 10).
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formance«, »Literary Performance« und »Performance Art«.26 Der Performancebegriff ist hier übergeordneter umbrella term, der verschiedene Phänomene, von Stierkampf über Erzählungen am Lagerfeuer bis zur ShakespeareAufführung, umfasst.27 Gemeinsam, so Stern/Henderson, sei allen Spielarten von ›Performance‹, dass sich bestimmte Elemente fänden: Es gebe stets einen Handelnden (performer), einen Text, ein Publikum und einen Kontext. 28 Stern und Henderson schlagen dann eine Differenzierung der verschiedenen Arten von ›Performance‹ nach Dimensionen wie dem Grad an Kollektivität oder der Nähe zum Alltäglichen vor.29 Sterns und Hendersons Sortierung zielt vor allem auf schematische Klassifizierung und setzt bei einer weiten Definition des Performancebegriffs an. ›Performance‹ wird bestimmt als »[a] human activity, interactional in nature and involving symbolic forms and live bodies, which constitutes meaning, expressing or affirming individual and cultural values«30. Die drei hier exemplarisch skizzierten Sortierungsversuche zeichnen sich alle durch einen expansiven Gestus aus. Als Überblicksdarstellungen kennzeichnet sie weniger ein interessegeleiteter und wählerischer Blick auf das weite Feld der Performancetheorie und -forschung. Stattdessen fächern sie unterschiedliche Theorien und Themengebiete in der Breite auf. Auch wenn ein solches Vorgehen der Tatsache Rechnung trägt, dass der Performancebegriff in unterschiedlichen Kontexten vorkommt und sich aus verschiedenen Denkrichtungen speist, so liegt ein entscheidender Nachteil darin, dass die Orientierung in die Breite zulasten der Berücksichtigung von Details und diskursiven Zusammenhängen geht. Da Antrieb meines Forschungsvorhabens das Interesse am Performancebegriff, nicht jedoch im Sinne seiner endgültigen Klärung, ist, kann die Beschäftigung mit Performancetheorien und -diskursen hier weder ausgehend von der RundumPerspektive der Überblicksdarstellung erfolgen, noch sich auf die Frage verengen, was denn nun ›Performance‹ ist. Welche anderen Zugänge sind denkbar? Sortierungsversuch II: Performance als Diskurselement Wie bereits zuvor erwähnt, gibt es neben den Überblicksdarstellungen und Lehrbüchern, die das Feld der Performancetheorien sortieren, auch einige Studien, die sich aus einer distanzierteren Perspektive mit ›Performance‹ als Diskurselement befassen und ›Performance‹ aus den sie prägenden disziplinären und dis-
26 Siehe Stern/Henderson 1993. 27 Siehe ebd., S. 3. 28 Siehe ebd., S. 16. 29 Siehe ebd., S. 14-15. 30 Ebd., S. 546.
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kursiven Logiken heraus befragen. So folgt Shannon Jackson in Professing Performance einem institutionsgeschichtlichen Ansatz und nimmt verschiedene theoretische Ansätze zum Performancebegriff in den Blick. Es geht Jackson jedoch nicht um eine Überblicksdarstellung verschiedener theoretischer Ansätze zum Performancebegriff, sondern um Beobachtungen zu (inter-)disziplinären Einigungs- und Abgrenzungsprozessen, die sich am Beispiel des Umgangs mit ›Performance‹ aufzeigen lassen. Während auch bei der Lektüre der Überblickdarstellungen von Schechner, Bell oder Stern/Henderson schnell klar wird, dass es keinen einfachen Konsens darüber geben kann, was genau ›Performance‹ meint, warnt Jackson dezidiert davor, in der Disziplinen übergreifenden Kommunikation zu schnell zu Konsens zu gelangen und sich auf eine Verständnisweise von ›Performance‹ zu einigen.31 Mit dem voreiligen Ausblenden der Vielfältigkeit und Widersprüchlichkeit des Performancebegriffs verbindet sich für Jackson vor allem die Gefahr, einem Denken in binären Oppositionen Tür und Tor zu öffnen.32 Insofern sich der Performancebegriff schon immer auf ereignishafte Gegenstände mit unklaren Grenzen – sei es die konventionelle Theateraufführung, andere Arten von Aufführungen oder die Ausführung von Handlungen in einem weiteren Sinne – beziehe, sei ›Performance‹ in besonderer Weise von ihren diskursiven und disziplinären Kontexten abhängig.33 Erst im ›Korsett‹ eines spezifischen Diskurszusammenhangs, so Jackson, gewinne der Performancebegriff überhaupt Stabilität und Aussagekraft. Aufgrund dieser Besonderheit sei es, argumentiert Jackson, auch schwierig, in Zusammenhang mit ›Performance‹ Einflüsse oder Traditionslinien zu identifizieren. Welche Denkerin, welcher Text oder Theoretiker für ausschlaggebend in der Formierung des Performancebegriffs gehalten werde, hänge in den komplexen Performancediskursen nämlich von der (disziplinären) Position ab, von der aus diese Frage beantwortet werde. So könne in der literatur- und sprachwissenschaftlichen Beschäftigung mit ›Performance‹ J.L. Austins Theorie des perfor-
31 Siehe Jackson 2004, S. 4. 32 Jackson hat hier besonders das routiniert als Gegensatz begriffene Verhältnis von ›Performance‹ und ›Theater‹ im Visier, an das sich eine Reihe weiterer Oppositionsbildungen, z.B. marginal/dominant oder nicht westlich/westlich, knüpft und das im amerikanischen Raum seine logische Fortsetzung in der These von der Gegensätzlichkeit der Performance Studies und Theater Studies findet. Gegen diese in Jacksons Sicht falsche Opposition argumentiert Professing Performance (Siehe Jackson 2004, S. 24-25). 33 Siehe Jackson 2004, S. 6.
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mativen Sprechaktes als wichtigster Ausgangspunkt gelten, während für die Queer Studies Judith Butler die bedeutendste Performancetheoretikerin sei.34 Konsequenterweise verabschiedet sich Shannon Jackson gleich zu Eingang ihrer Studie von jedwedem Versuch, einen eigenen Vorschlag zur hierarchisierenden Sortierung der theoretischen und disziplinären Fluchtlinien des Performancediskurses zu erarbeiten: »Rather than offer a corrective intellectual history, I hope to provide ways of negotiating this discursive complexity and of accepting it as a condition of performance research.«35 Paul Edwards’ Unstoried: Teaching Literature in the Age of Performance Studies diskutiert ›Performance‹ im Kontext der Geschichte der Elocution, einer in den USA im 18. Jahrhundert entstandenen und an einigen Universitäten institutionalisierten Disziplin, in deren Mittelpunkt die akademische und künstlerische Auseinandersetzung mit literarischen Texten steht, die durch Inszenierung und Aufführung – also mithilfe von ›Performance‹ – studiert werden. Edwards verortet ›Performance‹ in diesem Zusammenhang zwischen professioneller Theaterpraxis und universitärer Literaturwissenschaft.36 Hauptsächliches Augenmerk und sortierende Fluchtlinie ist in Edwards’ historischer Abhandlung dementsprechend die Frage nach den Verhältnissen von ›Performance (Studies)‹ und ›Theater‹. Edwards zeigt, dass in den Debatten um den Status von ›Performance‹ als pädagogische und akademische Praxis, die er bis in das 18. Jahrhundert zurückverfolgt, ebenso wie in den Debatten um das disziplinäre Selbstverständnis der Performance Studies am Ende des 20. Jahrhunderts, ›Theater‹ ein wichtiger Bezugspunkt ist, gegen den ›Performance‹ abgegrenzt wird. So entdeckt Edwards in den Anfängen der Legitimierungsdiskurse der Elocution beispielsweise eine implizit antitheatrale Argumentationsweise, wenn dort dezidiert der Geist und die Vorstellungskraft, nicht der Körper, als Ausgangs- und Angelpunkt der Aufführung literarischer Texte im universitären Kontext – der performance of literature – betont werden.37 Das paradoxe Verhältnis der Vertreter der Elocution zum
34 Siehe Jackson 2004, S. 12. 35 Ebd., S. 12. 36 Siehe Edwards 1999, S. 5. 37 Siehe das Kapitel 2 »Bad Enough to Please« in Edwards 1999, S. 16-33. In einem weiteren Kapitel nimmt Edwards die Bemühungen des Theatermanns Thomas Sheridan und des Reformpolitikers James Burgh in den Blick, im England des 18. Jahrhunderts Sprecherziehung als anerkannten Teil bürgerlicher Erziehung zu etablieren. Den Grund für das Scheitern dieses Vorhabens sieht Edwards in der Nähe der Sprecherziehung zum, aus Sicht des Bürgertums, moralisch zweifelhaften Theaterschauspiel (Siehe Edwards 1999, S. 43-54).
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Theater, das sich daraus ergebe, dass es ihnen darum ging, die Verkörperung literarischer Texte als legitime akademische Praxis der Wissenserzeugung zu etablieren, so dass sie diese vom mit dem Theaterspiel verbundenen Ruch fehlender akademischer Rigorosität fernhalten mussten, fasst Edwards folgendermaßen zusammen: »The advancement of their educational program, relying on the claims of embodied knowledge, needed the theater as a model […]. But they similarly needed to hold the theater at arm’s length.«38 Ähnlich wie Shannon Jackson stellt Edwards also eine grundlegende Spannung zwischen ›Performance‹ als theatraler Aufführungspraxis und der akademischen Institution der Universität fest. Edwards geht es insgesamt darum, aufzuzeigen, dass sich bestimmte Argumentationsmuster und Grundauffassungen, die die Debatte um die disziplinäre Verortung von ›Performance‹ bis in die Gegenwart prägen, bis weit in das 19. Jahrhundert zurückverfolgen lassen.39 In diesem Sinne ist Edwards’ Unstoried auch Korrektur und Gegenentwurf zu den von Marvin Carlson und Richard Schechner vorgelegten Beschreibungen der disziplinären Geschichte der Performanceforschung als radikale Verschiebung vom Text zur Aufführung bzw. vom ›Theater‹ zur ›Performance‹. Gegen die Linearität und Revolutionsrhetorik dieser Erzählungen stellt Edwards die Geschichte von ›Performance‹ im Kontext der angelsächsischen Elocution/Expression/Interpretation40, die sich durch ein
38 Edwards 1999, S. 61. 39 Siehe hierzu bes. Kapitel 5 »Nerve Gymnastics and the Crisis of Manhood« in Edwards 1999, S. 54-63. Edwards zeigt, dass bestimmte Argumente, die später in den Gründungsdebatten der Performance Studies vorgetragen werden, sich bereits in der Abhandlung Imagination and Dramatic Instinct (1896) des amerikanischen Sprecherziehers S.S. Curry finden. Dazu zählen die Abkehr von einer Fokussierung auf die Dimension der Repräsentation, die Betonung der Bedeutsamkeit von Dialog, kultureller Vielfalt und interdisziplinärer Zusammenarbeit bei gleichzeitiger Anerkennung der Notwendigkeit institutioneller Eigenständigkeit (Siehe Edwards 1999, S. 60-61). 40 Elocution, Expression und Interpretation sind nicht dasselbe, auch wenn sie sich auf einen gemeinsamen Bereich, nämlich die professionalisierte, teils institutionalisierte Praxis der Sprecherziehung beziehen, in deren Zentrum die Auseinandersetzung mit literarischen Texten steht, die laut vorgelesen und inszeniert werden. Um die geeignete Benennung der Disziplin wurde von Anfang an gestritten. Später folgten noch die Bezeichnungen Communication, Performance of Literature und schließlich Performance Studies (Siehe Edwards 1999, S. 63-64).
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kompliziertes Verhältnis zum Theater – sowohl als künstlerischer Praxis wie als Vorstellungskomplex – auszeichne.41 Für die vorliegende Arbeit sind Paul Edwards’ Unstoried und Shannon Jacksons Professing Performance in mehrfacher Weise wichtig. Beide sensibilisieren für die Komplexität der Performancediskurse und fordern dazu heraus, in der Auseinandersetzung mit diesen den Blick auf den diskursiven ›Unterbau‹, die impliziten Konflikte und Oppositionen zu richten, die den Diskurs strukturieren. Weiterhin zeigen beide Studien, dass sich Performancebegriff, Performanceforschung und Performancediskurs nicht ohne Bezug zu Theaterbegriff, Theaterwissenschaft und Theaterdiskursen denken und beschreiben lassen. Nicht zuletzt anregend für mein eigenes Forschungsanliegen sind Jackson und Edwards in methodischer Hinsicht. Beide nähern sich ihrem sehr umfassenden historischen Material in eng fokussierten Fallstudien und durch die genaue Lektüre einzelner Texte. Auf diese Weise gelingt ein detaillierter Blick auf Nuancen des Performancediskurses. Auch wenn weder Jackson noch Edwards ihre Geschichte der Performanceforschung konsequent von ›Theater‹ ausgehend erzählen, legen sie doch die Spur, dass dieses Vorhaben lohnend sein wird. Sortierungsversuch III: Performance als Norm Jon McKenzie setzt in Perform or Else bei der Besonderheit des Performancebegriffs an, nicht nur Fachterminus oder theoretisch geschärftes Konzept, sondern auch – und vielleicht sogar in erster Linie – weitverbreitetes Wort der Alltagssprache zu sein.42 Aufgrund seines Bedeutungsspektrums, das im angloamerikanischen Sprachgebrauch von ›Aufführung‹, ›Durchführung‹, ›Ausführung‹ bis hin zu ›Leistung‹ und ›Effizienz‹ reicht, bringt der Performancebegriff unterschiedliche gesellschaftliche Bereiche, insbesondere Kultur, Ökonomie, Militär und Technik, miteinander in Verbindung. Die Beobachtung, dass ›Performance‹ in verschiedenen gesellschaftlichen Diskursen und sozialen Konstellationen eine Rolle spielt, führt McKenzie zu dem Versuch, eine allgemeine, letztlich als Gesellschaftstheorie angelegte, Performancetheorie – »a general theory of performance«43 – zu formulieren. Die Kernthese McKenzies ist, dass ›Performance‹ im
41 Edwards kritisiert explizit, dass Carlsons Performance: A Critical Introduction die Beiträge der Elocution und Interpretation zur Performanceforschung, vor allem die Leistungen der Performance Studies Division der National Communication Association (NCA), ignoriere und daher ein unvollständiges Bild liefere (Siehe Edwards 1999, S. 34-43). 42 Siehe McKenzie 2001, S. 3. 43 Ebd., S. 4 [Herv. i.O.].
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20. und 21. Jahrhundert als komplexe Wissen-Macht-Formation eine ähnliche Funktion für die Gestaltung des Sozialen und die Ausübung von Macht habe wie Disziplin im 18. und 19. Jahrhundert.44 ›Performance‹ präge, so McKenzie, die gesellschaftlichen Diskurse in den USA und zunehmend auch weltweit, sei bestimmend für geltende Paradigmen des Denkens und übersetze sich in konkrete Praktiken. Die Verortung von ›Performance‹ im Kontext wissenschaftlicher Disziplinen nimmt McKenzie mit Blick auf die amerikanischen Performance Studies vor.45 Auch er interessiert sich, ähnlich wie Jackson und Edwards, nicht für die Performancetheorien einzelner Disziplinen, sondern lenkt die Aufmerksamkeit auf die impliziten diskursiven Logiken. McKenzie zeigt, dass im Diskurs der universitär institutionalisierten Performanceforschung eine Generalisierung und Übertragung nicht nur des Modells des Theaters, sondern insbesondere des Modells der Übergangsriten (rites de passage) stattfindet. Übergangsriten seien zunächst Untersuchungsgegenstand der Performance Studies, später verallgemeinertes Modell zur Beschreibung einer Vielfalt von Aufführungen und avancierten zuletzt zum Modell der akademischen Selbstbeschreibung.46 Zentral sei dabei die Idee der Liminalität, die sich mit den Übergangsriten verbinde. Das den Übergangsriten zugeschriebene Potenzial, soziale Strukturen aufzulösen, der Reflexion zu öffnen und so zu bestärken oder zu verändern, werde, beobachtet McKenzie, gleichermaßen den Forschungsinitiativen der Performance Studies attestiert: »Drawing upon the reflexivity found in rites of passage, cultural performance scholars have also theorized our own activities in terms of liminality, arguing that we operate in the interstices of academia as well as the margins of social structures and seek to reflect upon and transform both the academy and society at large. […] Even more than theater, rites of passage have provided Performance Studies a metamodel for its own initiation as a discipline, its passage to paradigm.«47
Die Vorstellung von der Wirksamkeit (efficacy) von ›Performance‹ und der Glaube an das transgressive Potenzial von ›Performance‹ hielten, so argumentiert McKenzie, den Diskurs über ›Performance‹ trotz aller Verschiebungen zu-
44 Siehe McKenzie 2001, S. 176-177. 45 Siehe das Kapitel »The Efficacy of Cultural Performance« in McKenzie 2001, S. 2953. 46 Siehe McKenzie 2001, S. 36-37. 47 Ebd., S. 36-37.
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sammen.48 Die routinierte Assoziation von ›Performance‹ mit Widerstand und Grenzüberschreitung habe sich dabei derartig verselbständigt, dass sie im Diskurs bereits eine normative Dimension angenommen habe. Für diese den Performancediskurs prägende und normierende Ausrichtung schlägt McKenzie den Begriff »liminal-norm«49 vor. McKenzies Anmerkungen erinnern daran, dass sich an ›Performance‹ als Begriff, theoretisches Konzept, wissenschaftliche oder kulturelle/künstlerische Praxis häufig spezifische politische Hoffnungen knüpfen. Für das Anliegen dieser Arbeit lässt sich daraus die Konsequenz ziehen, dass der Performancediskurs auch auf seine programmatischen Dimensionen hin zu befragen ist. Zugleich gilt es, McKenzies Beobachtung aufzugreifen, dass ›Theater‹ im Performancediskurs insbesondere zu Beginn ein wichtiges Modell ist, das eine gewisse Generalisierung erfährt, dann jedoch anscheinend von anderen Modellen abgelöst wird. Warum ist dies so? Zusammenfassend kann festgehalten werden, dass sich bereits beim schlaglichtartigen Blick auf einige Sortierungsversuche zu ›Performance‹ zeigt, wie verwoben in der angloamerikanischen Diskussion ›Performance‹ und ›Theater‹ sind. Zugleich hat sich gezeigt, dass gerade Sortierungsversuche, die die weitläufigeren historischen Bewegungen des Performancediskurses thematisieren, die Rolle von ›Theater‹ ansprechen und erste wichtige Beobachtungen hierzu liefern. Die vorliegende Arbeit greift diese Spuren auf und bündelt sie in der Leitfrage, welche Rolle ›Theater‹ und der Vorstellungskomplex des Theatralen im US-amerikanischen Performancediskurs spielen.
48 McKenzie skizziert die Verschiebungen folgendermaßen: In den Anfängen der Performanceforschung waren das Modell ›Theater‹ und die Anthropologie leitend. Dementsprechend wurde davon ausgegangen, dass sich die Wirksamkeit von ›Performance‹, insbesondere deren Potenzial zur Transgression, aus der Körperlichkeit von ›Performance‹ und deren Besonderheit als Situation von Präsenz – face to face – erklärt. Später gewinne mit dem Aufstieg poststrukturalistischer Theorien das Modell diskursiver Iterabilität an Bedeutung. Die Wirksamkeit von ›Performance‹ werde in Folge dessen als Vorgang des Widerstandes und der Revision von ›innen‹ gedacht (Siehe McKenzie 2001, S. 49). 49 McKenzie 2001, S. 50 [Herv. i.O.].
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1.2.2 Zur (Un-)Übersetzbarkeit des Performancebegriffs Wie sich bereits am in diesem Kapitel eingangs beschriebenen Beispiel gezeigt hat, gehört der Performancebegriff zwar mittlerweile zum festen Inventar der deutschsprachigen Theaterwissenschaft, garantiert aber dennoch keine reibungslose Verständlichkeit über die Grenzen der deutschen Sprache hinweg. Der Performancebegriff etabliert sich in der deutschsprachigen Theaterwissenschaft seit den 1970er Jahren als Bezeichnung für Performancekunst und ihr verwandte Aufführungsformen und wird so, im Gegensatz zum angloamerikanischen Gebrauch, in relativ enger Verständnisweise verwendet.50 ›Performance‹ als Gattungsbezeichnung verweist im deutschsprachigen Kontext vorrangig auf Aufführungen, die die Aufmerksamkeit auf den tatsächlichen Vollzug von Handlungen im Hier und Jetzt der Aufführungssituation lenken und nicht darauf zielen, die Illusion einer anderen Welt entstehen zu lassen. Diese Eigenheiten der Performancekunst (ver-)führen in der deutschsprachigen Theaterwissenschaft zu einer Engführung des Performancebegriffs mit dem deutschsprachigen Aufführungsbegriff. Insofern sich die Aufführung durch Ereignishaftigkeit auszeichnet und sich allein in der Ko-Präsenz von Agierenden und Zuschauenden in und als deren energetische, körperliche und emotionale Interaktion konstituiert, erscheint Performancekunst als Inbegriff der Aufführung. Dies meint, dass Performances die prinzipiellen Merkmale der Aufführung in besonderem Maße hervorheben und wahrnehmbar machen.51 Auch der aus dem amerikanischen Kontext in die
50 Siehe Fischer-Lichte, Erika/Jens Roselt, 2001: Attraktion des Augenblicks – Aufführung, Performance, performativ und Performativität als theaterwissenschaftliche Begriffe. In: Paragrana 10, 1, S. 237-253, bes. S. 241 und Umathum, Sandra, 2005: Performance. In: Erika Fischer-Lichte/Doris Kolesch/Matthias Warstat (Hg.), Metzler Lexikon Theatertheorie. Stuttgart/Weimar: Verlag J.B. Metzler, S. 231-234. 51 Erika Fischer-Lichte und Jens Roselt vertreten in einem Artikel aus dem Jahr 2001 z.B. folgende These: »Performance Kunst konstituierte sich in der bzw. durch die Intensivierung und Radikalisierung eben jener Merkmale, auf die Max Herrmann bei seiner Bestimmung von Theater als Aufführung abgehoben hatte« (Fischer-Lichte/ Roselt 2001, S. 242). Zum Aufführungsbegriff siehe auch: Fischer-Lichte, Erika, 2004b: Einleitende Thesen zum Aufführungsbegriff. In: Dies./Clemens Risi/Jens Roselt (Hg.), Kunst der Aufführung – Aufführung der Kunst. Berlin: Theater der Zeit, S. 7-26 und Fischer-Lichte 2004a. Für eine Sichtweise auf ›Performance‹, die diese zwar ebenfalls mit Performancekunst eng führt, aber stärker die Zwiespältigkeit von ›Performance‹ im Kontext einer neoliberalen Konsumgesellschaft und ihrer Forderung von Mobilität und stetiger Erneuerung berücksichtigt siehe: Klein, Gabriele/Wolfgang
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deutschsprachige Theaterwissenschaft übernommene Begriff der cultural performance wird meist als Aufführungsbegriff interpretiert und oft mit ›kulturelle Aufführung‹ übersetzt.52 Besonders deutlich wird die Tendenz, in der Rezeption des amerikanischen Performancebegriffs innerhalb der deutschsprachigen Theaterwissenschaft, ›Performance‹ mit ›Aufführung‹ gleichzusetzen, in Erika-Fischer Lichtes Performativität: Eine Einführung (2012).53 Fischer-Lichte entscheidet sich hier explizit dafür, ›Aufführung‹ und ›Performance‹ als Synonyme zu verwenden. Dabei unterschlägt sie keineswegs die Mehrdeutigkeit des Performancebegriffs, sondern betont, dass ›Performance‹ im Amerikanischen sowohl ›Aufführen‹ als auch ›Ausführen/Leisten‹ bedeuten kann. Für die Übersetzung des Performancebegriffs im Deutschen schlägt Fischer-Lichte dementsprechend zwei Begriffe vor: ›Aufführung‹ und ›Ausführung/Leistung‹.54 Es gibt ohne Zweifel gute Gründe dafür, den Performancebegriff im Deutschen mit ›Aufführung‹ wiederzugeben. In vielen Fällen sind in den amerikanischen Performancetheorien ganz klar Aufführungsphänomene in Kunst und Kultur angesprochen. Gleichzeitig jedoch übernimmt, wie Fischer-Lichte auch anmerkt, die Übersetzung von ›Performance‹ mit ›Aufführung‹ nur eine Bedeutungsfacette des amerikanischen Performancebegriffs. Weiterhin darf auch nicht übersehen werden, dass der Aufführungsbegriff in der deutschsprachigen Theaterwissenschaft stark aus phänomenologischen Grundüberzeugungen heraus gedacht wird, die in den amerikanischen Debatten keine vergleichbare Verbreitung erfahren haben. Auch wenn also im amerikanischen Gebrauch ›Performance‹ die Opernaufführung, das Sportereignis oder den Vollzug eines Rituals – also Aufführungen – meint, so verbinden sich damit nicht notwendigerweise das Primat des Körperlichen und dieselben emphatischen Implikationen von Flüchtigkeit, Präsenz und Emergenz, die der Aufführungsbegriff im Deutschen oftmals trägt. Die Übersetzung von ›Performance‹ mit ›Aufführung‹ impliziert also eine Bewegung in zwei Richtungen: Es werden Bedeutungsaspekte, die der Begriff im Amerikanischen hat, übertragen und gleichzeitig verstrickt sich ›Performance‹ in ihrer
Sting, 2005: Performance als soziale und ästhetische Praxis. Zur Einführung. In: Dies. (Hg.), Performance. Positionen zur zeitgenössischen szenischen Kunst. Bielefeld: transcript Verlag, S. 7-23. 52 Siehe Fischer-Lichte/Roselt 2001, S. 247-248. 53 Siehe Fischer-Lichte, Erika, 2012: Performativität. Eine Einführung. Bielefeld: transcript Verlag. 54 Siehe Fischer-Lichte 2012, S. 53.
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Übersetzung als ›Aufführung‹ in die ›fremden‹ Voraussetzungszusammenhänge des deutschsprachigen Kontextes und lädt sich mit neuen Konnotationen auf. Nun kann es in der Frage der Übersetzbarkeit des angloamerikanischen Performancebegriffs natürlich auch nicht darum gehen, in Richtung einer nahtlosen Passgenauigkeit von Original und Übersetzung zu argumentieren. Dies würde ja von der Voraussetzung ausgehen müssen, dass es so etwas wie Identität in der Sprache bzw. im Verhältnis zweier Sprachen zueinander überhaupt geben kann. Zugleich würde die Suche nach vollständigen Äquivalenzen in der Übersetzung auch unterschlagen, dass ein gewisses Maß an Unübersetzbarkeit eine wichtige Eigenheit eines Begriffes sein kann. Für die Performancetheoretikerin Diana Taylor kommt der Schwierigkeit, den amerikanischen Performancebegriff in andere Sprachen adäquat zu übersetzen, z.B. ein besonderer politischer Wert zu. Die Unübersetzbarkeit des Performancebegriffs fungiere wie ein »Stolperstein«, der daran erinnere, dass Kulturen einander nie vollkommen transparent sein könnten und, dass jeder Übersetzungsversuch auch Ausdruck des Begehrens nach Zugang und Zugriff sei.55 Walter Benjamin regt in seinem Aufsatz Die Aufgabe des Übersetzers (1923) an, Übersetzung nicht im Paradigma der Treue zu einem Original und dem von ihm Gesagten zu denken, sondern als einen Gleichklang oder eine gemeinsame Bewegung in der Form, die das Original und die Übersetzung aufeinander öffnen.56 Benjamin beschreibt das Verhältnis von Übersetzung und Original auch
55 Siehe Taylor, Diana, 2002: Translating Performance. In: Profession, S. 44-50, bes. S. 49. Taylor beschäftigen vor allem die Möglichkeiten einer Übersetzung des Performancebegriffs ins Spanische. Sie reflektiert verschiedene gängige Übersetzungen wie teatralidad, espectáculo, acción oder representación. Taylor kritisiert, dass in einigen Übersetzungen die aktive Dimension des Performancebegriffs verloren gehe. Diese drückt sich für Taylor darin aus, dass das englische ›Performance‹ als Substantiv und als Verb existiert. Weiterhin kritisiert Taylor, dass die Übersetzungen die Ambivalenzen des Performancebegriffs glätteten, indem der Performancebegriff in der Übersetzung als acción z.B. eine klare intentionale Richtung erhalte, streiche er die Dimensionen des Zwanges und der Normierung, die in ›Performance‹ im Englischen mitschwängen, aus. 56 Siehe Benjamin, Walter, 1972: Die Aufgabe des Übersetzers. In: Ders., Gesammelte Schriften. Bd. IV. Frankfurt/M.: Suhrkamp, S. 9-21. Benjamin geht es insgesamt darum, dass sich in der Übersetzung die ›reine Sprache‹ freilegen lässt. Tatsächlich macht Benjamin das Streben, jener ›reinen Sprache‹, in der sich für Benjamin alle Sprachen der Welt treffen und ein Gemeinsames sagen, näherzukommen, zur eigentlichen Aufgabe von Übersetzung. Die Idee der ›reinen Sprache‹ trägt bei Benjamin
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als »Echo« oder »Widerhall«.57 Dies erscheint mir für die Frage, aus welcher Position und unter welchen Bedingungen eine Beschäftigung mit Texten der USamerikanischen Performancetheorie aus der Perspektive der deutschsprachigen Theaterwissenschaft erfolgen kann, wesentlich. Denn natürlich stellt sich im Schreiben ganz konkret die Frage, wann, ob und wie, ›Performance‹ übersetzt werden kann bzw. sollte. Weiterhin lässt sich vielleicht sogar mein gesamtes Forschungsvorhaben als eine Art Übersetzungsarbeit denken, wenn es auch nirgends um die Übertragung kompletter Texte der amerikanischen Performancetheorie ins Deutsche geht. In Anschluss an die Überlegungen Diana Taylors scheint es mir jedenfalls produktiv, in den folgenden Ausführungen auf die Übersetzung des Performancebegriffs weitestgehend zu verzichten, um dem Performancebegriff auch innerhalb des deutschen Sprachkontextes in der ihm eigenen Mehrdeutigkeit Raum zu geben. Statt jeweils zu entscheiden, ob ›Performance‹ am besten mit ›Aufführung‹, ›Darstellung‹, ›Inszenierung‹, ›Ausführung‹, ›Durchführung‹, ›Leistung‹ oder ›Performancekunst‹ zu übersetzen wäre, werde ich den Performancebegriff hier bevorzugt in einfachen Anführungszeichen verwenden und als englischen Begriff belassen. Im besten Fall ermöglicht diese Strategie, dass die Eigenheiten, die den Performancebegriff im angloamerikanischen Sprachgebrauch kennzeichnen, auch ein gewisses Echo im vorliegenden Text, der sich zu den hier betrachteten Performancediskursen als fremdsprachlicher Text verhält, entfalten.
1.3 FRAGESTELLUNG UND ZIELE Das Forschungsvorhaben setzt, wie in den vorherigen Abschnitten bereits bemerkt, bei der Beobachtung an, dass für die Formierung des Performancebegriffs in den angloamerikanischen Diskursen die Bezugnahme auf ›Theater‹ bzw. auf den Vorstellungskomplex des Theatralen und seine Konnotationen eine wichtige Funktion erfüllt. Es scheint so, dass der wandelbare und vielfältigen Besetzungen zugängliche Performancebegriff häufig im Verhältnis zu ›Theater‹ erst Kontur und Präzision gewinnt. Nicht selten werden, wie sich im Verlauf dieser Arbeit zeigen wird, ›Performance‹ und ›Theater‹ dabei als verschieden, ja gegentei-
messianische und heilige Züge. Diese metaphysische Dimension des Benjamin’schen Übersetzungsmodells darf im Kontext des diskursanalytischen Vorhabens dieser Arbeit jedoch zurückgestellt werden. 57 Siehe Benjamin 1972, S. 16.
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lig, verstanden. Die zentrale Aufgabe wird hier sein, die Bezugnahmen auf ›Theater‹ sowie das Wechselverhältnis von ›Performance‹ und ›Theater‹ zu untersuchen, das den amerikanischen Performancediskurs dynamisiert. Der Fokus der Arbeit liegt auf in den USA geführten Debatten, da sich hier die performancetheoretischen Diskussionen sowie die als Performance Studies institutionalisierten Forschungen konzentrieren. In zeitlicher Hinsicht beschränkt sich die Untersuchung auf Diskurse seit den 1950er Jahren. Der Untersuchungszeitraum ist so gewählt worden, dass frühe Schlüsseltexte der Performancetheorie, z.B. von Richard Schechner, ebenso in den Blick genommen werden können wie die diskursive Begleitung der Entstehung der Performancekunst und die gegenwärtigen Diskussionen um das Reenactment. Die Beobachtung, dass in den angloamerikanischen Performancetheorien Abgrenzungen zu ›Theater‹ eine zentrale Rolle spielen, ist bereits von verschiedenen Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftlern gemacht und reflektiert worden. So beobachtet Erika Fischer-Lichte in Performativität: Eine Einführung (2012), dass in der englischsprachigen Diskussion »›theatricality‹ und ›performativity‹ ebenso wie ›theatre‹ und ›performance‹ geradezu als Gegensätze begriffen werden.«58 Als Grund hierfür vermutet Fischer-Lichte einerseits einen im amerikanischen Sprachgebrauch enger gefassten Theaterbegriff, der auf das literarische Sprechtheater beschränkt bleibt. Andererseits hegt sie auch den Verdacht, dass die »negative Rezeption des Begriffs der Theatralität in den nordamerikanischen Kunst- und Kulturwissenschaften«59 Effekt der antitheatralen Argumentationen innerhalb der Kunstkritik ist, deren prominentester Vertreter Michael Fried jegliche Form von Theatralität in der modernen Kunst ablehnte.60 Wie die Opposition ›Theater/Performance‹ in Theorie und Praxis der Performancekunst operiert, hat z.B. Hans-Friedrich Bormann in seinem Aufsatz »Out of Theatre: Performancekunst als (Anti-)Theater« (2012) diskutiert. Anhand von drei Beispielen aus der Performancekunst zeigt Bormann, dass sich Vertreter und Vertreterinnen der Performancekunst nicht unbedingt in feindlicher Abwehr von ›Theater‹ abgrenzen, sondern sich durchaus auch affirmativ auf ›Theater‹ beziehen.61 Eine binär gedachte Sortierung von »›Performance‹ (im
58 Fischer-Lichte 2012, S. 29. 59 Ebd., S. 29. 60 Hier ist insbesondere an den Aufsatz »Kunst und Objekthaftigkeit« von Fried gedacht. Siehe Fried, Michael, 1967: Art and Objecthood. In: Artforum 5, 10, S. 12-23. 61 Siehe Bormann, Hans-Friedrich, 2012: ›Out of theatre‹. Performance als (Anti-)Theater. In: Stefanie Diekmann/Christopher Wild/Gabriele Brandstetter (Hg.), Theaterfeindlichkeit. München: Fink Verlag, S. 99-111.
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Sinne von: Präsenz, Ereignis, Körper, Materialität usw.) und ›Theater‹ (im Sinne von: Repräsentation, Wiederholung, Text, Zeichen usw.)«62 sei also nicht nur verkürzt gedacht, sondern werde von der künstlerischen Praxis auch gar nicht eingelöst. In englischsprachigen Diskussionen wurde die Logik einer vermeintlichen Gegensätzlichkeit von ›Performance‹ und ›Theater‹ ebenfalls bereits hinsichtlich ihrer historischen Genese und ihrer Funktion in den theoretischen Debatten befragt. In einer Sonderausgabe der Zeitschrift SubStance zum Thema ›Theatralität‹ (2002) stellt Janelle G. Reinelt, ähnlich wie Fischer-Lichte, fest, dass die US-amerikanischen Diskurse dem Begriff ›Performance‹ den Vorzug gäben, während sich in den europäischen Diskussionen ›Theatralität‹ als Leitbegriff stärker durchgesetzt habe. Dabei formiere sich der englische Performancebegriff häufig in Absetzung von ›Theater‹.63 Reinelt selbst arbeitet in ihrem Aufsatz dann an einer produktiven Verschränkung der beiden Denklinien. Eine noch schärfer formulierte Analyse der Unterscheidungsoperationen von ›Theater‹ und ›Performance‹ in amerikanischen Performancediskursen und eine Kritik des tendenziell eng gefassten Theaterverständnisses liefert Stephen J. Bottoms in seinem Aufsatz »The Efficacy/Effeminacy Braid« (2003).64 In Anspielung auf einen Aufsatz Richard Schechners wirft Bottoms den Performancediskursen vor, nicht nur antitheatralen Argumenten Vorschub zu leisten, sondern sich einer homophoben Rhetorik zu bedienen, die als problematisch gelten müsse.65 Die diskursive Dichotomisierung von ›Theater‹ und ›Performance‹ beschreibt Bottoms nämlich als Opposition von viril konnotierter Wirksamkeit und mit ›Weiblichkeit‹ assoziierter Konsequenzlosigkeit. Gemeinsam ist den hier exemplarisch angeführten Positionen aus der aktuellen Forschung, dass die Opposition von ›Theater‹ und ›Performance‹ nicht als ontologische Differenz und auch nicht als statisches Verhältnis gedacht wird. Stattdessen rückt das Wechselverhältnis der Begriffe als strategische Operation und historisierbare Konstellation in den Blick. Diese Perspektive wird auch für die vorliegende Untersuchung leitend sein. In Bezug auf die aktuelle For-
62 Bormann 2012, S. 101. 63 Siehe Reinelt, Janelle G., 2002: The Politics of Discourse. Performativity Meets Theatricality. In: SubStance #98/99 (Special Issue: Theatricality) 31, 2/3, S. 201-215. 64 Siehe Bottoms, Stephen J., 2003: The Efficacy/Effeminacy Braid. Unpicking the Performance Studies/Theatre Studies Dichotomy. In: Theatre Topics 13, 2, S. 173-187. 65 Der Aufsatz auf den Bottoms anspielt ist: Schechner, Richard, 1974: From Ritual to Theatre and Back. The Structure/Process of the Efficacy-Entertainment Dyad. In: Educational Theatre Journal 26, 4, S. 455-481.
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schungslage lässt sich also festhalten, dass mehrfach bemerkt wurde, dass Bezugnahmen auf und Abgrenzungen von ›Theater‹ in Performancediskursen wirksam sind. Punktuell wurden auf die Frage nach Art und Funktion der Bezugnahme auf ›Theater‹ in Performancediskursen auch erste Antworten diskutiert. Es steht jedoch noch eine systematische Studie aus, die die bisherigen Beobachtungen sortiert und an einem umfassenderen Korpus vertieft. Meine Arbeit möchte einen Beitrag zur Schließung dieser Forschungslücke leisten, indem US-amerikanische Performancediskurse in größerem Umfang als bisher auf die in ihnen wirksamen Bezugnahmen auf das semantische Feld ›Theater‹ befragt werden. Die drei grundlegenden Leitfragen meines Vorhabens werden sein: 1. Wann, wo und wie tauchen in US-amerikanischen Performancediskursen der Theaterbegriff bzw. Vorstellungen und Konnotationen des Theatralen auf? 2. Wie verhalten sich ›Theater‹ und der Vorstellungskomplex des Theatralen jeweils zum Performancebegriff? 3. Welche Veränderungen in Art und Funktion von Bezugnahmen auf ›Theater‹ lassen sich im Verlauf des Performancediskurses beobachten und wie lassen sich diese erklären?
1.4 METHODISCHE ÜBERLEGUNGEN 1.4.1 Anknüpfungspunkte aus der Theatralitätsforschung Die Kernfrage der vorliegenden Arbeit nach dem Schicksal von ›Theater‹ in amerikanischen Performancediskursen bedeutet, dass den sich im amerikanischen Performancediskurs formierenden Theaterbegriffen besondere Aufmerksamkeit zu widmen ist. Ausgangsannahme ist hierbei, dass Theaterbegriffe historisch wandelbar, kulturell spezifisch und je nach Gebrauchskontext verschieden sind. Insofern ein Theaterbegriff niemals »Theater in seiner Gesamtheit« erfasst, sondern stets ausschnitthaft bestimmte Phänomene oder Aspekte wählt, die als ›Theater‹ bezeichnet werden, besitzt jeder Theaterbegriff auch eine funktionale oder strategische Dimension.66 Gerade die Erforschung der diskursiven Funktionalität der in der amerikanischen Debatte kursierenden Theaterbegriffe erscheint mir für das hiesige Forschungsanliegen von zentraler Bedeutung.
66 Kotte, Andreas, 2005a: Theaterbegriffe. In: Erika Fischer-Lichte/Doris Kolesch/ Matthias Warstat (Hg.), Metzler Lexikon Theatertheorie. Stuttgart/Weimar: Verlag J.B. Metzler, S. 337-344, hier S. 337.
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Andreas Kotte weist darauf hin, dass sich Theaterbegriffe auf drei grundlegende Arten sortieren lassen.67 Erstens lassen sich Theaterbegriffe historisch diachron untersuchen, wobei dann z.B. offenbar wird, dass der in der Antike vorherrschende weite Theaterbegriff mit den Bemühungen um eine Literarisierung des Theaters im 18. Jahrhundert tendenziell durch einen engen Theaterbegriff ersetzt wird, so dass ›Theater‹ reserviert bleibt für das Rollenspiel nach dramatischer Vorlage. Zweitens lassen sich Theaterbegriffe systematisch ordnen und nach verschiedenen Arten unterscheiden. Hierbei kommen gewissermaßen Sekundärmerkmale der jeweiligen Theaterbegriffe ins Spiel. Kotte weist darauf hin, dass sich Theaterbegriffe danach unterscheiden lassen, ob sie »die Situation selbst oder aber erst den daraus erwachsenden Sinnzusammenhang als Theater deuten […], die Agierenden oder die Schauenden in den Vordergrund rücken […], von Erscheinungen der alltäglichen Praxis […] oder separierter gesellschaftlicher Bereiche z.B. Kunst ausgehen und damit aus der Beschreibung konkreter Vorgänge gebildet oder aus Theorien abgeleitet werden […] bzw. historisch universell einsetzbar oder aber epochengebunden zu verwenden sind […].«68 Drittens lassen sich Theaterbegriffe auch unter Berücksichtigung der sie prägenden »Kontexte und Forschungsfelder« in den Blick nehmen und charakterisieren.69 Interessanterweise identifiziert Kotte hier als ein wichtiges solches Feld »Performance und Theater« und weist darauf hin, dass der Performancebegriff »eher produktionsorientiert« ausgerichtet sei.70 Weiterhin beobachtet Kotte, dass sich die »Phänomenbereiche und Forschungsfelder«, die mit ›Theater‹ bzw. ›Performance‹ benannt würden, weitestgehend überschnitten, so dass die Entscheidung für den Theater- oder den Performancebegriff häufig kulturell bedingte Präferenz sei. Andererseits sei, so Kotte, die Begriffswahl manchmal auch Ausdruck »unterschiedlicher Perspektiven auf einen weitgehend gemeinsamen Gegenstandsbereich«71. Während es sicher richtig ist, dass der amerikanische Performancebegriff in seiner Reichweite häufig einem weiten Theaterbegriff im deutschsprachigen Gebrauch entspricht, scheint mir das von Kotte angedeutete weitgehend harmonische Verhältnis von Theater- und Performancebegriff im amerikanischen Diskurs nicht in jedem Fall gegeben. Wie im vorhergehenden
67 Siehe Kotte 2005a und ausführlicher: Kotte, Andreas, 2005b: Theaterbegriffe. In: Ders., Theaterwissenschaft. Eine Einführung. Köln: Böhlau Verlag, S. 62-140. 68 Kotte 2005a, S. 339. 69 Ebd., S. 342. 70 Ebd., S. 343. 71 Ebd., S. 343.
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Abschnitt bereits gezeigt wurde, stehen Theater- und Performancebegriff im amerikanischen Diskurs häufig in Spannungsverhältnis zueinander. Insofern wird es im Folgenden vor allem darum gehen müssen, darzustellen, wie sich die mit den Begriffen ›Theater‹ und ›Performance‹ verbundenen Perspektiven auch unterscheiden. Für die analytische Befragung des amerikanischen Performancediskurses mit Blick auf das ›Schicksal‹ des Theaterbegriffs scheint es mir sinnvoll, die von Kotte skizzierten Möglichkeiten einer Sortierung von Theaterbegriffen miteinander zu kombinieren. Für die in den einzelnen Kapiteln auf bestimmte Ausschnitte des Performancediskurses fokussierten Analysen gilt es, nach der Art der zum Einsatz kommenden Theaterbegriffe zu fragen und diese auch historisch zu verorten. Beschränkt sich ›Theater‹ auf das Rollenspiel nach dramatischer Vorlage, so dass sich der enge Theaterbegriff des 18. Jahrhunderts im Diskurs fortsetzt? Wird ›Theater‹ als anthropologische Konstante menschlicher Kultur zu universeller Gültigkeit erweitert? Bezeichnet ›Theater‹ die Situation des Schauens oder werden mit dem Begriff bestimmte Dynamiken des Zeigens angedeutet? Insofern hier Texte aus der amerikanischen Performancetheorie als Analysegegenstand gewählt werden, finden die Betrachtungen zu den Verwendungen des Theaterbegriffs von vornherein unter Berücksichtigung eines besonderen Kontextes bzw. Forschungsfeldes statt. Durch das chronologische Vorgehen in den Analysen, die bei der Beschäftigung mit Texten der 1950er Jahre ansetzen und bei der Reenactment-Debatte in der Gegenwart enden, ergibt sich weiterhin eine diachrone Betrachtungsweise. Ziel der Arbeit ist ja auch, wie bereits erwähnt, Veränderungen im Gebrauch des Theaterbegriffs im historischen Verlauf des amerikanischen Performancediskurses aufzudecken. Den Vorstellungen von ›Theater‹ in den amerikanischen performancetheoretischen Diskursen nachzuspüren, bedeutet neben der Betrachtung der im Diskurs kursierenden Theaterbegriffe auch, nach den Vorstellungen des Theatralen, die den Diskurs prägen, zu fragen. Hierbei geht es dann weniger um die konkrete Frage, was wann im Diskurs als ›Theater‹ benannt wird, sondern darum, wann und wie die Begriffe ›theatral‹ oder ›Theatralität‹ im Performancediskurs Verwendung finden. Theaterbegriff und Theatralitätsbegriff müssen prinzipiell unterschieden werden, auch wenn beide häufig eng aufeinander bezogen und ineinander verschränkt sind. Tatsächlich leitet sich der Begriff ›Theatralität‹ stets von einem Theaterbegriff ab, so dass jede Vorstellung des Theatralen nach dem
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dahinterstehenden Theatermodell befragt werden kann.72 Dabei können in den einzelnen Verwendungsweisen des Theatralitätsbegriffs der Grad der Explizitheit und der Spezifik des dahinterstehenden Theatermodells jedoch bis hin zu einem nur metaphorischen Gebrauch des Theatralitätsbegriffs variieren.73 In anderen Fällen liegen Theater- und Theatralitätsbegriff eng beieinander. Insbesondere dort, wo mit dem Theatralitätsbegriff nach den theatralen Dimensionen des Alltags, der Politik, der Medien oder des Sports gefragt und untersucht wird, wie in diesen Bereichen Prozesse der (Selbst-)Inszenierung ablaufen oder welche Bedeutung dort das Moment des Zeigens und Schauens hat, erweist sich der Theatralitätsbegriff teils auch als erweiterter Theaterbegriff.74 Ähnlich wie Theaterbegriffe lassen sich auch Theatralitätsbegriffe in verschiedene Gruppen sortieren. Matthias Warstat schlägt vor, grundlegend den Gebrauch von ›Theatralität‹ als anthropologische Kategorie und als ästhetische Kategorie voneinander zu unterscheiden, wobei als dritte Gruppe auch Theatralitätsbegriffe auszumachen seien, in denen sich beide Perspektiven verbinden. 75 In diese dritte Gruppe fallen neben den Ansätzen der, insbesondere mit Rudolf Münz verbundenen, Forschungen, die ›Theatralität‹ als historisch spezifisches Gefüge von Beziehungen verschiedener theatraler Praktiken und auf das Theater bezogener Haltungen fassen, auch Verwendungen von ›Theatralität‹ als Perspektive auf Kultur und Kunst.76 Diese hier kurz skizzierten Unterscheidungen zum
72 Siehe Warstat, Matthias, 2005: Theatralität. In: Erika Fischer-Lichte/Doris Kolesch/ Matthias Warstat (Hg.), Metzler Lexikon Theatertheorie. Stuttgart/Weimar: Verlag J.B. Metzler, S. 358-364. 73 Siehe Warstat 2005, S. 359. 74 Vgl. hierfür exemplarisch die Forschungsprojekte des von 1996 bis 2002 bestehenden DFG-Sonderforschungsbereiches »Theatralität – Theater als kulturelles Modell in den Kulturwissenschaften« an der FU Berlin. Die Forschungsergebnisse des Sonderforschungsbereiches sind in mehreren Bänden im Francke Verlag erschienen z.B. Fischer-Lichte, Erika/Christian Horn/Sandra Umathum/Matthias Warstat (Hg.), 2004: Theatralität als Modell in den Kulturwissenschaften. Tübingen/Basel: A. Francke. Die Verständnisweise von ›Theatralität‹ als weiter Theaterbegriff wird z.B. von Andreas Kotte kritisiert. Er merkt an, dass diese Gebrauchsweise lediglich den Theaterbegriff doppele und eine Unterscheidung in ›enger‹ Theaterbegriff, mit dem dann die »Stadt-, Staats- und Nationaltheater […] sowie die Synonymbildung von Drama und Theater« angezeigt seien, und ›weiter‹ Theaterbegriff etabliere (Kotte, Andreas, 2005b: Theaterwissenschaft. Eine Einführung. Köln: Böhlau Verlag, hier S. 278). 75 Siehe Warstat 2005, S. 359. 76 Siehe ebd., S. 361-363.
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Theatralitätsbegriff liefern für die folgenden Analysen hilfreiche Anhaltspunkte für die Beschreibung und Sortierung der im Performancediskurs aktivierten Vorstellungen des Theatralen. Zu untersuchen wäre z.B., ob ›Theatralität‹ in den frühen Performancediskursen als anthropologische Kategorie aufgerufen wird und erst mit dem Aufkommen von Performancekunst als ästhetische Kategorie auf den Plan tritt. Inwiefern spielt ›Theatralität‹ im Performancediskurs überhaupt eine Rolle, wenn sich der Performancediskurs doch durch eine oft distanzierte Haltung zum Theater auszeichnet? Mit der Frage der Bedeutung von Theatralität für Erkenntnisvorgänge und damit verbunden für Diskurse hat sich insbesondere auch Helmar Schramm auseinandergesetzt.77 Da hauptsächlicher Analysegegenstand der vorliegenden Arbeit Texte aus der amerikanischen Performancetheorie sind und insofern eine wichtige Leitfrage die Frage nach der diskursiven Funktionalität der Bezugnahmen auf ›Theater‹ ist, lässt sich das methodische Vorgehen unter Berücksichtigung der Anmerkungen Helmar Schramms noch schärfen, ohne jedoch dem bei Schramm vorgestellten, sehr spezifischen Verständnis von ›Theatralität‹ vollständig zu folgen. Schramm geht grundlegend von der Annahme aus, dass das Theater innerhalb einer Gesellschaft »geradezu modellhaft als ambivalentes Zusammenspiel von Wahrnehmung, Bewegung und Sprache [funktioniert]«78. Im Blick auf die jeweilige Verfasstheit des Theaters offenbaren sich dementsprechend in verdichteter Form die Wahrnehmungshaltungen und Arten des Umgangs mit bzw. des Zugangs zur Welt, die eine Gesellschaft zu einem bestimmten Zeitpunkt prägen. Schramm schlägt den Begriff ›Theatralität‹ schließlich als epistemologische Kategorie vor und vertritt die These, dass ›Theatralität‹ die »drei entscheidende[n] Faktoren kultureller Energie – Aisthesis, Kinesis, Semiosis – auf spezifische Weise in sich bündelt.«79 ›Theatralität‹ ist für Schramm dabei weniger ein fest umrissener Arbeitsbegriff, sondern eher flexible Suchmaske und Lektürestrategie.80 Mit ›Theatralität‹ als Perspektive lassen sich so umfassende Prozesse kulturellen Wandels beschreiben, die sich als Spuren nicht zuletzt auch auf der Ebene des Diskurses nachweisen lassen.81
77 Siehe Schramm, Helmar, 1996: Karneval des Denkens. Theatralität im Spiegel philosophischer Texte des 16. und 17. Jahrhunderts. Berlin: Akademie Verlag. 78 Schramm 1996, S. 44. 79 Ebd., S. 44. 80 Siehe ebd., S. 251. 81 In Karneval des Denkens zeigt Schramm z.B., dass das verstärkte Auftauchen der Metapher des Welttheaters in philosophischen Texten des 16. und 17. Jahrhunderts auch als kulturelles Krisensymptom zu interpretieren ist, insofern sich der Bezug auf die
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Anspruch der vorliegenden Arbeit ist nun nicht, anhand der amerikanischen Performancediskurse auf umfangreiche kulturelle Umbrüche in der amerikanischen Gesellschaft zu schließen. Für ein derartiges Vorhaben ist der hier betrachtete Zeitraum zu kurz und die Art der ausgewählten Texte zu spezifisch. Zwar werden über die Lektüre einzelner Texte immer wieder auch weitere soziale, politische und kulturelle Zusammenhänge aufscheinen, ohne jedoch die Bündelung zu einer umfassenden Gesellschaftsthese zu erlauben. Anschlussfähig für mein Vorhaben ist Schramms Konturierung von ›Theatralität‹ vor allem als analytische Perspektive. Helmar Schramm folgend, kann ›Theatralität‹ nämlich als Diskurselement verstanden werden, das in unterschiedlichen Funktionen operiert. 82 Schramm unterscheidet drei grundlegende Formierungen diskursiver Bezugnahmen auf ›Theater‹, die zueinander auch in Konkurrenz und Spannung treten können: »Theater als metaphorisches Modell, Theater als rhetorisches Instrument; Theater als schöne Kunst«.83 Während die Theater-Metapher »als distanzgewährendes Orientierungsmodell«84 auf ein weites Verständnis von ›Theater‹ angewiesen sei, komme es bei Versuchen einer Bestimmung von ›Theater‹ als Kunst häufig zu einer Engführung, die ›Theater‹ mit dem »dramatischen Kunstwerk« identifiziere.85 Diese Beobachtungen Schramms laden dazu ein, zu fragen, ob sich auch die Bezüge auf ›Theater‹, die in der amerikanischen Performancetheorie operieren, nach solchen Mustern der metaphorischen, strategischen und ontologisierenden Bezugnahmen sortieren lassen? Liegt die ›Theatralität der Performance‹, die für diese Arbeit titelgebend ist, möglicherweise gerade in diesem komplexen Netz verschiedener Arten der Bezugnahmen auf ›Theater‹? Zusammenfassend lässt sich festhalten, dass sich aus der Theatralitätsforschung sowohl das Vokabular als auch die Perspektive gewinnen lassen, die für die systematische Beschreibung der Bezugnahmen auf ›Theater‹ in amerikanischen Performancediskursen gefordert sind. Insofern es mir zudem nicht um die Anwendung eines vorab entschiedenen Theatralitätsbegriffs geht, sondern um die Beobachtung und Analyse der Art und Weise, wie sich ›Theater‹ und ›Theatralität‹ im amerikanischen Performancediskurs verschiedentlich formieren und
Idee des Theatrum mundi insbesondere aus dem Ringen um eine stabile Perspektive motiviert, die in einer im Umsturz begriffenen Welt zunehmend schwieriger zu finden ist (Siehe Schramm 1996, S. 49-109). 82 Siehe Schramm, Helmar, 2005: Theatralität. In: Karlheinz Barck et al. (Hg.), Ästhetische Grundbegriffe. Bd. 6. Stuttgart und Weimar: Verlag J.B. Metzler, S. 48-73. 83 Siehe Schramm 2005, S. 50. 84 Ebd., S. 50. 85 Ebd., S. 66.
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funktionieren, ordnet sich das hiesige Forschungsanliegen in die Fragerichtung der Theatralitätsforschung ein, »Prozesse der Theatralisierung, d.h. das Entstehen und Vergehen von Th[eatralität]«86 in den Fokus zu rücken. Matthias Warstat bestimmt diese Fragerichtung folgendermaßen: »So wie die Ritualforschung mittlerweile weniger von ›fertigen‹ Ritualen als von unabgeschlossenen ›Ritualisierungen‹ spricht, könnte die Theatralitätsforschung verstärkt dazu übergehen, das Konstruieren und Negieren theatraler Qualitäten (nicht zuletzt durch die Theaterwissenschaft selbst) zu untersuchen.«87 Eine Befragung amerikanischer Performancediskurse hinsichtlich der in diesen wirksamen Bezugnahmen auf ›Theater‹ gibt unweigerlich Aufschluss darüber, wie innerhalb dieses Diskurses Qualitäten des Theatralen konzipiert, mit bestimmten Gegenständen verbunden, anderen wiederum abgesprochen werden. Die vorliegende Forschungsarbeit möchte so auch einen Beitrag zu Fragen der jüngeren Theatralitätsforschung leisten und ›Theatralität‹ als Diskurseffekt in den Fokus rücken. Die für diese Arbeit titelgebende ›Theatralität der Performance‹ wird hier dementsprechend nicht in der sinnlichen Konstellation der Aufführung vermutet oder in den Dimensionen des Zeigens und Täuschens, die sich teils ja auch in Inszenierungen antreffen lassen, die insgesamt als ›nicht theatral‹ rezipiert werden. Stattdessen interessiert die ›Theatralität der Performance‹ hier als Effekt diskursiver Zuschreibungen und soll als solcher analysiert werden. Das aus Sicht der Rezeptionsgeschichte des Performancebegriffs in der deutschsprachigen Theaterwissenschaft möglicherweise überraschende Zusammenbringen von ›Theatralität‹ und ›Performance‹ deutet damit vor allem auf das analytische Anliegen dieser Arbeit hin. 1.4.2 Anknüpfungspunkte aus der Diskursanalyse Insofern es im Folgenden um eine Befragung des amerikanischen Performancediskurses gehen wird, kann es in den methodischen Vorbemerkungen nicht ausbleiben, auch mit Blick auf den Diskursbegriff einige Grundlegungen vorzunehmen, um im Anschluss daran, das methodische Vorgehen zu klären, das hier zur Anwendung kommen soll. Prinzipiell ist festzustellen, dass die historische Diskursanalyse von der Annahme ausgeht, dass Zeichen für die Weltaneignung des Menschen entscheidend sind. In der Sprache und in medialen Zeichenpraktiken wie z.B. dem Bild konstituiert sich ›Welt‹ überhaupt erst. Aus dieser Grundüberzeugung ergibt sich die Konsequenz, dass sich in der Auseinandersetzung
86 Warstat 2005, S. 363 [Herv. i.O.]. 87 Ebd., S. 363.
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mit den zeichenhaften Produkten und Praktiken der Vergangenheit Aufschluss darüber gewinnen lässt, welche Sachverhalte zu einer bestimmten Zeit als gegeben betrachtet wurden und so das Leben maßgeblich (mit-)bestimmten.88 Dies impliziert eine Öffnung der diskurshistorischen Frage hin auf die sozialen Realitäten einer Zeit, auf die politischen und ökonomischen Kontexte, von denen losgelöst kein Diskurs betrachtet werden kann. 89 Als analytische Praxis richtet sich die historische Diskursanalyse dann einerseits auf die »Makrostruktur des Diskurses«90 und fragt: »Welche Merkmale stehen im Mittelpunkt, welche Worte, Argumente, Abgrenzungen tauchen immer wieder auf, halten den Diskurs zusammen und sind Kernpunkte von Auseinandersetzungen?«91 Andererseits gibt die historische Diskursanalyse auch Raum für »mikrostrukturell[e] Untersuchungen«92, die dann kleinteiliger »Aspekte der Argumentation, Stilistik und Rhetorik«93 in den Mittelpunkt der Aufmerksamkeit stellen. Die mikrostrukturelle und makrostrukturelle Analyseperspektive sind in der historischen Diskursanalyse selbstverständlich eng aufeinander bezogen. Im historischen Verlauf von Diskursen gilt es dann, nach den Veränderungen zu fragen, die sich im Diskurs feststellen lassen.94 Diese hier knapp umrissene Vorgehensweise der historischen Diskursanalyse wird sich für die Beantwortung der Leitfrage der vorliegenden Arbeit nach den Bezugnahmen auf ›Theater‹ im amerikanischen Performancediskurs als produktiv erweisen. Sie ermöglicht, durch die detailorientierte Auseinandersetzung mit einzelnen Texten Aufschluss über die größeren diskursiven Bewegungen und Verschiebungen im Performancediskurs zu erhalten. Mit der Skizzierung des analytischen Vorgehens der historischen Diskursanalyse ist hier eine pragmatische und systematische Analysestrategie für die folgenden Kapitel gewonnen. Noch offen ist jedoch die Frage nach einer theoretisch fundierten Konzeption von Diskurs, die tragfähige Grundlage für alle weiteren Ausführungen sein kann. Es soll hier nun nicht darum gehen, eine umfassende Diskussion des Diskursbegriffes vorzunehmen. Es erscheint mir jedoch
88 Für einen Überblick zum Diskursbegriff und zur historischen Diskursanalyse siehe Landwehr, Achim, 2009: Historische Diskursanalyse. 2. Aufl. Frankfurt/M.: Campus Verlag und Mills, Sara, 2007: Der Diskurs. Begriff, Theorie, Praxis. Tübingen/Basel: A. Francke. 89 Siehe Landwehr 2009, S. 106. 90 Ebd., S. 114 [Herv. i.O.]. 91 Ebd., S. 115. 92 Ebd., S. 117. 93 Ebd., S. 117. 94 Siehe ebd., S. 128.
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wichtig, einige grundlegende Fragen zu diskutieren, die sich aus der Lektüre diskurstheoretischer Positionen ergeben. Diese betreffen nämlich nicht nur die Frage, was in der vorliegenden Arbeit überhaupt unter einem ›Diskurs‹ verstanden wird, sondern berühren auch Fragen der Zulässigkeit bestimmter analytischer Zugriffe. Für den Diskursbegriff ebenso wie für den Entwurf von Möglichkeiten der Diskursanalyse sind ohne Zweifel die Arbeiten Michel Foucaults prägend. Obwohl Foucaults Auffassungen zum Diskurs im Verlauf der Zeit mehrfachen Verschiebungen unterlagen und der Diskursbegriff bei Foucault später tendenziell durch den Dispositivbegriff abgelöst wird, scheint es für den Zweck der Formulierung eines theoretisch schärferen Diskursbegriffes hier ausreichend, die Aufmerksamkeit auf nur eine der Schriften Foucaults zu lenken. In Archäologie des Wissens (1969) umkreist Michel Foucault das diskurshistorische Verfahren, das er in früheren Schriften tentativ in Fallbeispielen erprobt hatte. 95 Die Archäologie ist somit der Versuch, eine analytische Methodik zu beschreiben und dabei zugleich den Diskursbegriff näher zu fassen. Auch wenn Foucaults Ausführungen vorsichtig bleiben, Gedachtes immer wieder in Frage gestellt und verworfen wird, lassen sich einige grundlegende Aspekte seines Verständnisses von ›Diskurs‹ herausarbeiten. Zunächst einmal ist wichtig, dass Foucault Diskurse als Praktiken bzw. als Netze von Bedingungen begreift, die bestimmen, wie und was zu einem Zeitpunkt gesagt werden kann. Sein hauptsächliches Interesse gilt der Beschreibung dieser Voraussetzungen der Genese von Aussagen, die die Ordnung und Regelmäßigkeit der »diskursiven Formation«96 prägen. Diskurse sind für Foucault nicht rückführbar auf irgendeinen Ursprung oder ein Subjekt. 97 Sie sind für ihn nichts Rätselhaftes, das es auf Unter- und Zwischentöne abzuhorchen oder auf »das halbverschwiegene Geschwätz eines anderen Diskurses«98 abzuklopfen gelte. Aus Foucaults Perspektive ist der Diskurs ein positiv Gegebenes, das als Manifestes beobachtet und beschrieben werden kann. Die große Herausforderung für die Analyse von Diskursen besteht dann gerade darin, die gegebene Spezifik eines Diskurses zu erklären, herauszufinden, »warum er nicht anders sein konnte als er war, worin er gegenüber jedem anderen exklusiv ist, wie er inmitten der
95 Siehe Foucault, Michel, 1981: Archäologie des Wissens. Frankfurt/M.: Suhrkamp (Frz. 1969). 96 Foucault 1981, S. 58 [Herv. i.O.]. 97 Siehe ebd., S. 39 u. 82. 98 Ebd., S. 43.
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anderen und in Beziehung zu ihnen einen Platz einnimmt, den kein anderer besetzen könnte.«99 Insofern Foucault auf der »Positivität«100 des Diskurses besteht, kann sich die Aufmerksamkeit einer Beschreibung des Diskurses nur auf dessen »Äußerlichkeit«101 richten. Jedes interpretierende Vorgehen erscheint in dieser Perspektive als irreführend, da es Verknüpfungen konstruiert und Ergänzungen leistet, die so im Diskurs nicht als gegeben angenommen werden können. Aus diesem Grund lehnt Foucault auch den Ansatz der Ideengeschichte ab. Diese scheint zu sehr von einer Kohärenz des Diskurses auszugehen bzw. auf diese hinzuarbeiten. Wenn Beschreibungen von Diskursen sich jedoch einem derartigen »Zwang […,] nicht unnütz die Widersprüche zu vermehren«102, unterwerfen, bestünde die Gefahr, den Diskurs in seiner tatsächlichen Beschaffenheit zu verfehlen. Insgesamt vollzieht sich Diskursanalyse bei Foucault als Systemanalyse. 103 Zu fragen ist nach den funktionalen Strukturen und Bedingungen einer Diskursformation und weniger nach dem, was auf semantischer Ebene ausgehandelt wird. Foucaults diskursanalytisches Programm scheint kaum in Einklang zu bringen mit dem hier skizzierten Forschungsanliegen. Impliziert nicht bereits die Ausgangsannahme, dass im amerikanischen Performancediskurs Bezugnahmen auf ›Theater‹ eine Rolle spielen und sich der Performancediskurs ausgehend von diesen sortieren lässt, unweigerlich jenen von Foucault kritisierten »Kohärenzkredit«104? Tatsächlich bleibt eine derartig interessegeleitete Beschäftigung mit Diskursen zur Anlage der Foucault’schen Diskursanalyse als distanziert-objektive Beschreibung in Spannungsverhältnis.105 Dennoch muss eine Analyse, die
99
Foucault 1981, S. 43.
100 Ebd., S. 182 [Herv. i.O.]. 101 Ebd., S. 182. 102 Ebd., S. 213. 103 Siehe ebd., S. 168-169. 104 Ebd., S. 213. 105 Dies liegt nicht zuletzt auch darin begründet, dass Anliegen meiner Arbeit nicht allein ist, den amerikanischen Performancediskurs zu beschreiben und eine informative Bestandsaufnahme vorzulegen. Insofern der Performancediskurs hier aus der Perspektive der deutschsprachigen Theaterwissenschaft betrachtet wird und insofern davon ausgegangen wird, dass der Performancediskurs als Diskurs der Gegenwart sich weiterhin wandelt, geht es auch darum, einen Beitrag zur Diskursivierung des Performancebegriffes innerhalb der deutschsprachigen Debatten zu leisten. Auch diese Intention verträgt sich nicht ganz mit der auf reine Beobachtung angelegten Diskursanalyse Foucault’scher Prägung, die gewissermaßen die Abgeschlossenheit
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Foucaults Modell nicht in aller Strenge folgt, nicht zwangsläufig in eine naive Haltung verfallen oder sich in spekulative Interpretation versteigen. Die mit dem Foucault’schen Diskursbegriff verbundenen Annahmen, dass es sich bei Diskursen um Aussageformationen handelt, die weder durch die Intentionen einzelner Subjekte bestimmt und bestimmbar sind, noch mit den Abgrenzungen einzelner Wissenschaften oder Disziplinen notwendigerweise deckungsgleich sind, sind auch für das Diskursverständnis der vorliegenden Arbeit maßgeblich. Ebenso scheint die Frage nach der Funktionalität der Bezugnahmen auf ›Theater‹ im Performancediskurs der Foucault’schen Diskursanalyse mit ihrem Interesse an diskursiven Gesetzmäßigkeiten nicht gänzlich fern zu sein. Gleichzeitig wird klar, dass ein diskursanalytischer Zugang, der Aufschluss über die Frage nach dem Schicksal von ›Theater‹ im amerikanischen Performancediskurs geben kann, sich nicht allein auf den Foucault’schen Diskursbegriff stützen kann. Der Historiker Philipp Sarasin fragt in Geschichtswissenschaft und Diskursanalyse (2003) nach den Herausforderungen und dem Potenzial diskursanalytischer Ansätze in der Geschichtswissenschaft.106 Er tritt für eine diskursanalytische Kulturgeschichte ein und formuliert einen dekonstruktivistisch und psychoanalytisch inspirierten Diskursbegriff, der von den positivistischen Implikationen der Foucault’schen Diskursanalyse Abstand zu gewinnen sucht, ohne im gleichen Atemzug die Idee einer nicht diskursiven Realität aufzugeben. Sarasins Ausführungen sind für die Klärung eines Diskursbegriffes, der in der Beschäftigung mit Performancediskursen in ihrem historischen Verlauf produktiv gemacht werden kann, insofern hilfreich, als dass sie die Eigenlogik einzelner Texte und deren interdiskursive Verknüpfungen als Ansatzpunkt für diskurshistorische Forschungsfragen stark machen. Sarasin kritisiert an der Foucault’schen Diskursanalyse, dass diese zu sehr auf die Explizitheit sowie die klare Eingrenzbarkeit von Aussagen innerhalb eines Diskurses vertraut. 107 Ausgehend von der
des betrachteten Diskurses voraussetzt. Siehe zu dieser Frage auch den kurzen einleitenden Kommentar: Richarz, Frank, 2012: Diskurs der Aufführung – Die vierfache Diskursivierung eines Begriffes. In: Fischer-Lichte, Erika/Adam Czirak/Torsten Jost/Frank Richarz/Nina Tecklenburg (Hg.), Die Aufführung. Diskurs – Macht – Analyse. München: Wilhelm Fink Verlag, S. 27-33. 106 Siehe Sarasin, Philipp, 2003: Geschichtswissenschaft und Diskursanalyse. Frankfurt/M.: Suhrkamp. 107 Siehe Sarasin 2003, S. 41-45. Gleichzeitig erkennt Sarasin an, dass eine Diskursanalyse Foucault’scher Prägung gerade dort besonders produktiv zu sein verspricht, wo es um Fragen nach den Zusammenhängen von Produktionsbedingungen, Ordnung und institutioneller Einbettung von Diskursen geht (Siehe Sarasin 2003, S. 43).
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Lacan’schen Vorstellung, dass jede symbolische Formation durch das »unaufhörliche Gleiten der Signifikate«108 dynamisiert wird, vertritt Sarasin die These, dass die Texte eines Diskurses »als eine ›Oberfläche‹, als ein Gewebe von Signifikanten und signifikativen Einheiten [verstanden werden müssen; VA], die in ihrer Intertextualität und in ihrem vom Autor nie wirklich kontrollierten Arrangement Bedeutungseffekte haben, die immer über den einheitlichen, intendierten Sinn hinausgehen«109. Sarasins Perspektive lädt also dazu ein, nach dem ›Unbewussten‹ eines Diskurses zu fragen und den, häufig uneingestandenen, Verbindungen zu anderen, benachbarten Diskursen nachzugehen. Es geht in der Analyse nicht darum, den ›eigentlichen‹ Bedeutungen, die sich in einem Diskurs einstellen, oder den ›eigentlichen‹ Intentionen der sprechenden Subjekte auf die Schliche zu kommen. Das von Sarasin vorgeschlagene diskursanalytische Vorgehen lenkt die Aufmerksamkeit vorrangig auf die Struktur der Signifikanten eines Textes und bemüht sich zuerst um die Aufschlüsselung der polysemischen Eigenlogik des Textes, die von keinem Autor und keiner Autorin kontrolliert werden kann. 110 Von zentraler Bedeutung sind für die Analyse dabei in den Texten explizit oder implizit verwendete Metaphern. Diese geben zum einen Hinweise auf einen möglichen »zweiten, ›halb verschwiegenen‹ Diskur[s]«111, der unter einem Diskurs mitläuft. Zum anderen fungieren Metaphern auch als Scharniere, die verschiedene Diskurse miteinander in Verbindung bringen. So zeigt Sarasin z.B., dass die eine Rationalisierung des Körpers propagierenden Diskurse der Taylor’schen Arbeitstheorie mit Sexualdiskursen der Zeit über den gemeinsamen Rückgriff auf den »›Interdiskurs‹, das heißt […das; VA] Reservoir von Metaphern und Sprachformen«112, der Thermodynamik eng miteinander verknüpft waren. Auch für den Prozess der wissenschaftlichen Erkenntnisproduktion weist Sarasin, in Anschluss an die erkenntnistheoretischen Ansätze Ludwig Flecks und Hans-Jörg Rheinbergers, der Metapher eine zentrale Funktion zu.113
108 Sarasin 2003, S. 42. 109 Ebd., S. 44. 110 Siehe ebd., S. 45. 111 Ebd., S. 46. 112 Ebd., S. 93. Siehe das Kapitel »Die Rationalisierung des Körpers. Über ›Scientific Management‹ und ›biologische Rationalisierung‹« (Sarasin 2003, S. 61-99). Sarasin übernimmt den Begriff ›Interdiskurs‹ von Jürgen Link. 113 Siehe das Kapitel »Infizierte Körper, kontaminierte Sprache. Metaphern als Gegenstand der Wissenschaftsgeschichte« (Sarasin 2003, S. 191-230).
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Sarasin kennzeichnet den Gebrauch von Metaphern in wissenschaftlichen Texten als Prozess der Loslösung eines Signifikanten aus der Signifikantenkette, aus der er »seine wörtliche Bedeutung«114 gewinnt, und der Übertragung in einen neuen semantischen Kontext. Erkenntnisstiftend ist die Metapher, insofern »sich die mutmaßliche Bedeutung des unbekannten X per Analogieschluss zum diskursiv stabilisierten Signifikat des metaphorischen Signifikanten ergibt«115. Als Knotenpunkt zweier semantischer Felder trägt der metaphorische Signifikant in den neuen semantischen Kontext so immer auch das assoziative Potenzial seines ›ursprünglichen‹ Kontextes ein. Dies bedeutet, dass durch metaphorisches Sprechen erhellte Objekte oder Konzepte für die Resonanzen eines anderen semantischen Feldes offen bleiben, ja von dort aus erst Sinn gewinnen. 116 Für eine Beschäftigung mit Bezugnahmen auf ›Theater‹ in performancetheoretischen Diskursen könnte dies bedeuten, dass danach gefahndet werden muss, wie das semantische Feld des Theatralen in Formulierungen des Performancebegriffs jeweils nachhallt. Denn auch wenn ›Performance‹ häufig in Abgrenzung zum Theatralen skizziert wird, so ist eine Aussage der Form ›Performance ist nicht wie Theater‹ dennoch eine metaphorische Bezugnahme. Weiterhin privilegiert Sarasins diskursanalytisches Vorgehen einen synchron oder horizontal ausgerichteten Blick auf Diskurse und zeigt sich gegenüber der Vorstellung einer diachronen oder vertikalen Sedimentierung von Bedeutungen, wie sie mit einer diskursanalytischen Berücksichtigung von ›Traditionszusammenhängen‹ verbunden scheint, skeptisch. Statt von der Stabilität bzw. Stabilisierung von Sinn auszugehen, regt Sarasin zu einer dekonstruktivistischen Lektüre an, die das Augenmerk darauf richtet, wie Texte unwillkürlich ihre Sinnkonstruktionen immer wieder auch unterlaufen.117 Sarasins Perspektive scheint mir für eine Auseinandersetzung mit dem amerikanischen Performancediskurs vor allem aus zwei Gründen anschlussfähig. Sie gibt Raum für minutiöse Textanalysen, die die Konnotationen und impliziten semantischen Dimensionen, die sich in einem Text entfalten, offenlegen. Dies erscheint mir gerade für das Verständnis der theoretischen und philosophischen Texte, die hier den Materialkorpus
114 Sarasin 2003, S. 210. 115 Ebd., S. 210. 116 Die Idee der ›Resonanz‹ der Metapher übernimmt Sarasin von Max Black. Siehe Black, Max, 1996a: Die Metapher. In: Anselm Haverkamp (Hg.), Theorie der Metapher. 2. Aufl. Darmstadt: Wissenschaftliche Buchgesellschaft, S. 55-79 und Black, Max, 1996b: Mehr über die Metapher. In: Anselm Haverkamp (Hg.), Theorie der Metapher. 2. Aufl. Darmstadt: Wissenschaftliche Buchgesellschaft, S. 379-413. 117 Siehe Sarasin 2003, S. 44-45.
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bilden und die sich durch eine besondere Sensibilität für Sprache auszeichnen, wesentlich zu sein. Weiterhin lädt Sarasins Diskursverständnis dazu ein, danach zu fragen, ob und welche grundlegenden Metaphern den Performancediskurs bestimmen. Eine derartige Perspektive kann dann z.B. aufdecken, dass der frühe Performancediskurs der 1960er und 1970er Jahre, der sich in der Kontaktzone der amerikanischen Theater Studies und der Anthropologie formierte, stark von der Metapher des Stammes geprägt wurde, die sich u.a. in die Konzeption von ›Performance‹ als kollektiver Gruppenprozess einschrieb.118 Eine derartige Perspektivierung ermöglicht, über die Dynamiken des Performancediskurses jenseits disziplinärer Grenzen oder theoretischer Traditionslinien nachzudenken und auf diese Weise zu einem besseren Verständnis des Performancediskurses zu gelangen, dessen zentrales Element – der Performancebegriff – sich ja durch eine besonders hohe Mobilität auszeichnet. Das den in dieser Arbeit vorgestellten Lektüren ausgewählter Texte der amerikanischen Performancetheorie zugrunde liegende methodische Vorgehen findet, wie sich gezeigt hat, wichtige Anhaltspunkte sowohl in der Theatralitätsforschung als auch der Diskursanalyse. Gleichzeitig löst mein Vorgehen keinen der vorgestellten Ansätze vollständig ein, sondern integriert die jeweils hilfreichen Versatzstücke in einer eigenen analytischen Perspektive. Diese lässt sich als Theoriereflexion beschreiben und zielt vor allem darauf, ausgewählte Schlüsseltexte der angloamerikanischen Performancetheorie einer systematischen ReLektüre zu unterziehen. 1.4.3 Diskursive Schauplätze: Lektürestrategien Trotz der zuvor skizzierten Schwierigkeiten, eine Analyse des Performancediskurses an den Fluchtlinien verschiedener wissenschaftlicher Disziplinen zu orientieren, muss für die folgenden Kapitel eine Ordnungslogik gefunden werden, die es möglich macht, den Performancediskurs, wenn auch nur aus heuristischpragmatischen Gründen, in verschiedene Ausschnitte zu teilen, die dann in den einzelnen Kapiteln jeweils genauer untersucht werden können. Insofern es mir darum geht, den historischen Verlauf des amerikanischen Performancediskurses nachzuzeichnen, ergibt sich als eine erste Ordnungsdimension die chronologische Abfolge der Texte im Materialkorpus. Dementsprechend wird der Performancediskurs in den folgenden Kapiteln grob entsprechend seines zeitlichen
118 Siehe Bial 2014, S. 30-41. Bial sieht auch die Faszination der frühen Performancetheorie für Rituale und Trancezustände als Beleg der diskursiven Wirksamkeit der Metapher des Stammes (tribe) (Siehe Bial 2014, S. 32).
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Verlaufs sortiert. Dabei überlappen sich einige in den Kapiteln betrachtete Zeiträume auch. Dies ergibt sich dadurch, dass die chronologische Sortierung nicht das einzige Kriterium zur Ordnung des Materials sein soll. Dadurch, dass die Auseinandersetzung mit dem amerikanischen Performancediskurs unter der Leitfrage erfolgt, welche Rolle darin Bezugnahmen auf ›Theater‹ spielen, scheint es mir sinnvoll, das zu befragende Material vorab auch dahingehend zu sortieren, wann und wo im Performancediskurs die Frage nach ›Theater‹ besondere Brisanz gewinnt. Eine derartige an bestimmten diskursiven ›Schauplätzen‹119 orientierte Ordnung des Performancediskurses findet sich z.B. auch in einem Artikel Janelle G. Reinelts.120 Reinelt identifiziert drei diskursive Schauplätze – sie nutzt die Formulierung »scenes of development«121 –, die für die Formierung des Performancebegriffs bedeutsam seien: Erstens konstituiere sich ›Performance‹, laut Reinelt, im Kontext avantgardistischen Denkens sowie, in Reaktivierung überkommener theaterfeindlicher Haltungen, in Abgrenzung von ›Theater‹, das mit Repräsentation gleichgesetzt werde. Zweiter Ort der Formierung von ›Performance‹ sei ein politisches Denken, das, gespeist aus den Cultural Studies sowie einer postkolonial reflektierten Ethnologie und Anthropologie, den Begriff ›Performance‹ als kritischen Begriff gegen Traditionen einer humanistischen Fokussierung auf den vermeintlich interesselosen Sonderraum der Kunst in Stellung bringe. Schließlich formiere sich ›Performance‹ in philosophischen Diskursen, die dem Performancebegriff, über eine Engführung mit Konzepten der Performativität, das Potenzial zu Innovation und Subversion einschrieben.122 Diese von Reinelt vorgeschlagene Ordnung des Performancediskurses wird sich auch in den folgenden Kapiteln spiegeln. So nimmt das zweite Kapitel der vorliegenden Arbeit den Zeitraum von Mitte der 1950er Jahre bis Ende der 1970er Jahre in den Blick und diskutiert die Rolle von ›Theater‹ in der frühen Performancetheorie, die maßgebliche Impulse aus Anthropologie und Soziologie erhält. Das dritte Kapitel fokussiert die Diskursivierung der Performancekunst in den 1970er bis 1990er Jahren. Die Frage nach dem Verhältnis von ›Theater‹ und ›Performance‹ stellt sich hier vorrangig als Frage nach unterschiedlichen ästhetischen Praktiken und deren Verhältnis
119 Mit ›diskursivem Schauplatz‹ soll hier eine Dichte an Aussagen bezeichnet sein, die z.B. in zeitlicher Hinsicht (zeitnahe Erscheinungsdaten) oder mit Bezug auf ein Kernproblem (Frage nach Repräsentation, Gegenwärtigkeit etc.) in enger Beziehung zueinanderstehen. 120 Siehe Reinelt 2002, S. 201-215. 121 Ebd., S. 201. 122 Siehe ebd., bes. S. 201-203.
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zueinander. Die von Reinelt angesprochenen philosophischen Diskurse stehen im Zentrum des vierten Kapitels, das die in den 1980er und 1990er Jahren aufkommenden Performativitätstheorien diskutiert. Gerade auch weil in der deutschsprachigen Rezeption der Performancebegriff und das Konzept der Performativität häufig als eng verbunden, ja teilweise synonym, aufgefasst werden, erscheint es mir wichtig, die Rolle der Performativitätstheorien im amerikanischen Performancediskurs gesondert zu betrachten. Gleichzeitig darf natürlich auch nicht vergessen werden, dass die Herauslösung der Performativitätstheorien in einem eigenen Kapitel eine heuristische Entscheidung ist und, dass das im vierten Kapitel diskutierte Material die in zeitlicher Hinsicht größte Schnittmenge mit dem Material aufweist, das in den vorhergehenden und folgenden Kapiteln im Mittelpunkt der Analysen steht. Die die universitäre Institutionalisierung der Performanceforschung begleitenden Debatten Ende der 1980er bis Anfang der 2000er Jahre stehen im Fokus des fünften Kapitels, das sich mit den amerikanischen Performance Studies befasst. Die Frage nach ›Theater‹ betrifft hier besonders die Aushandlung des Verhältnisses der neu entstehenden Disziplin der Performance Studies zu den bereits etablierten Theater Studies. Diskursive Annäherungs- und Abgrenzungsbewegungen vollziehen sich hier daher immer auch im Zeichen institutionspolitischer Interessen. Das sechste und letzte Kapitel widmet sich dem gegenwärtigen Interesse des Performancediskurses an Reenactments und nimmt Texte in den Blick, die seit Anfang der 2000er Jahre erschienen sind. Die Praxis der Inszenierung vergangener Ereignisse wie z.B. Schlachten des amerikanischen Bürgerkrieges oder die wiederholte Aufführung von Inszenierungen der Performancekunst fordert einige im Performancediskurs etablierte Annahmen heraus und wirft gleichzeitig die Frage auf, mit welchen Begrifflichkeiten sich das Phänomen des Reenactments am besten beschreiben lässt. In diesem Zusammenhang scheint dann insbesondere der Theatralitätsbegriff an Attraktivität zu gewinnen. Da die Diskussionen um das Reenactment relativ hohe Wellen geschlagen haben und hierbei insbesondere die Frage nach dem Verhältnis von ›Theater‹ und ›Performance‹, sowohl als Kunstformen wie auch als theoretische Begriffe, erneute Brisanz angenommen hat, bietet es sich an, die dieser Diskurslinie zurechenbaren Texte im letzten Kapitel ins Visier zu nehmen. In den Schlussbetrachtungen werden die Ergebnisse aus den einzelnen Kapiteln noch einmal zusammengefasst und mit Blick auf die Leitfrage dieser Arbeit nach der Bedeutung und Funktion von ›Theater‹ im US-amerikanischen performancetheoretischen Diskurs systematisiert. Zuletzt wird es in einem Ausblick auch darum gehen, die Frage aufzugreifen, wie die Karriere des angloamerikanischen Performancebegriffs insgesamt einzuschätzen ist, da dieser ja nicht nur
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Eingang in den deutschsprachigen Diskurs gefunden hat, sondern im Rahmen mittlerweile in zahlreichen kulturellen und sprachlichen Kontexten stattfindender Performanceforschung nahezu globale Verbreitung erfahren hat.
2
Der dramatische Kern der Performance
2.1 THEATER ALS WELTMODELL? ZUM PERFORMATIVE TURN IN DEN AMERIKANISCHEN SOCIAL SCIENCES Die Anfänge der Performancetheorie werden meist als umfassender Paradigmenwechsel in der Anthropologie, Soziologie und Philosophie beschrieben und mit dem Schlagwort des performative turn in Verbindung gebracht. Seit den 1950er Jahren – nimmt man Erving Goffmans The Presentation of Self in Everyday Life (1956) als markanten ›Startpunkt‹ im Diskurs – ist vor allem in den amerikanischen social sciences eine Abkehr von einer strukturalistischen Perspektivierung der Welt als Text zu beobachten.1 Dagegen rücken die »Aufführungs-, Darstellungs- und Inszenierungsaspekte«2 von Kultur in den Fokus. Dies bedeutet, dass Kultur nicht als starres symbolisches System begriffen wird, das sich in erster Linie in schriftlichen Texten artikuliert, sondern Kultur wird als prozesshaftes, dynamisches Konstrukt verstanden, das durch konkrete individuelle und kollektive Handlungen überhaupt erst als Realität hervorgebracht wird. Das verstärkte Interesse an den Handlungsdimensionen von Kultur führt zugleich zu einer erhöhten Aufmerksamkeit für die verschiedenen Aufführungen, die das kulturelle Leben prägen z.B. Rituale, Bräuche, Feste, religiöse Zeremo-
1
Siehe Goffman, Erving, 1956: The Presentation of Self in Everyday Life. Edinburgh: University of Edinburgh Social Science Research Centre.
2
Bachmann-Medick, Doris, 2007: Performative Turn. In: Dies., Cultural Turns. Neuorientierungen in den Kulturwissenschaften. 2. Aufl. Reinbek: Rowohlt Taschenbuch Verlag, S. 104-143, hier S. 104.
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nien oder populäre Sportereignisse. Statt der Vorstellung von der »Kultur als Text« wird ›Performance‹ zur leitenden Metapher.3 Dabei ist auffällig, dass der performative turn in den USA, anders als im deutschsprachigen Kontext, nicht gleichermaßen mit einem Aufstieg der Begrifflichkeit des Theatralen einhergeht. Während im deutschsprachigen Raum die Theaterwissenschaft zur Pionierin und »Leitwissenschaft«4 des performative turn wird und der Begriff ›Theatralität‹ als Träger fungiert, der die Abkehr von der Vorstellung der Kultur als Text in andere Disziplinen ein- und fortschreibt, bleibt die US-amerikanische Theorie weitgehend auf Distanz zum Theatralitätsbegriff, wenn auch – wie sich noch zeigen wird – nicht unbedingt zum Vorstellungskomplex des Theatralen. Leitend in der amerikanischen Theoriebildung ist der Begriff der ›Performance‹. Dabei werden im Zuge des performative turn in der amerikanischen Anthropologie und Ethnologie zwei prominente Verständnisweisen von ›Performance‹ formuliert, die für die amerikanische Performancetheorie grundlegend werden. Zum einen formiert sich ein Verständnis von ›Performance‹ als Situation und kollektives Handeln. Für diese Begriffsvariante steht vor allem Milton Singers Idee der cultural performance, die er in When a Great Tradition Modernizes (1972) formuliert. Singer definiert ›Performance‹ als zeit-räumlich eingegrenztes Aufführungsereignis, das Agierende und Publikum an einem spezifischen Ort und aus bestimmtem Anlass zusammenbringt.5 Diese Variante des Performancebegriffs spielt insbesondere in den frühen ritualtheoretisch informierten Performancetheorien eine Rolle. Zum anderen formuliert der amerikanische Ethnologe Dell Hymes ebenfalls in den 1970er Jahren einen Performancebegriff, der stärker auf individuelles Handeln bezogen ist. Hymes definiert ›Performance‹ als Tun und erinnert daran, dass kulturelles Handeln immer ein körperlicher Vorgang ist, der sich in einem spezifischen Kontext und unter bestimmten biografi-
3
Siehe Fischer-Lichte, Erika, 2001: Vom ›Text‹ zur ›Performance‹. Der ›performative turn‹ in den Kulturwissenschaften. In: Georg Stanitzek/Wilhelm Vosskamp (Hg.), Schnittstelle. Medien und kulturelle Kommunikation. Köln: DuMont, S. 111-115.
4
Bachmann-Medick 2007, S. 125.
5
Siehe Singer, Milton, 1972: When a Great Tradition Modernizes. An Anthropological Approach to Indian Civilization. London: Pall Mall Press, hier S. 71. Singer prägt den Begriff cultural performance. In der amerikanischen Performancetheorie wird jedoch selten begrifflich strikt zwischen kultureller und künstlerischer ›Performance‹ unterschieden.
Der dramatische Kern der Performance | 51
schen Vorzeichen vollzieht.6 Diese Version des Performancebegriffs wird vor allem in einer späteren Phase der Performancetheorie in Zusammenhang mit der Performativitätstheorie zur dominanten Begriffsvariante. Hier geht es zunächst jedoch um die frühe ritualtheoretisch informierte Performancetheorie, die sich unter anderem mit den Namen Erving Goffman, Richard Schechner und Victor Turner verbindet. 7 Hauptsächliches Interesse der Lektüren in diesem Kapitel ist es, Aufschluss über die jeweilige Formation des Performancebegriffs sowie die Funktionsweise der Bezugnahmen auf ›Theater‹ zu erhalten. Es wird sich zeigen, dass in der frühen Performancetheorie der 1950er bis 1970er Jahre neben dem Modell des Rituals auch das Modell des dramatischen Theaters wichtiger Bezugspunkt ist. Dabei geht die theoretisch produktive Mobilisierung des Modells des dramatischen Theaters paradoxerweise mit einer auffallenden Ablehnung des Theaters als Kunstform einher. Dies lässt sich möglicherweise dadurch erklären, dass die mit dem Theaterbegriff verbundenen Konnotationen des Illusionären und des Als-Ob schwer mit dem Anspruch vereinbar scheinen, reale soziale Vorgänge zu beschreiben. Der amerikanische Performancetheoretiker Jon McKenzie beschreibt die Bezugnahme auf das Modell des Theaters in der frühen Performancetheorie entsprechend als rein formale Bezugnahme, die als Suchraster fungiert, während das Modell des Übergangsrituals den Erklärungsansatz für die Funktion bzw. Wirksamkeit von ›Performance‹ liefert: »Theater provided anthropologists and ethnographers with a formal model for ›seeing‹ performance, for recognizing its forms in society, for conceptualizing the ways in which social meanings and values become embodied in behaviors and events. In turn, liminal rites of passage gave theater scholars a functional model for theorizing the transformational potential of theater and other performative genres.«8
McKenzies Beobachtung stimme ich grundlegend zu. Es sind damit jedoch noch nicht alle Fragen beantwortet. So bleibt beispielsweise offen, auf was für ein his-
6
Siehe Hymes, Dell, 1975: Breakthrough into Performance. In: Dan Ben-Amos/ Kenneth Goldstein (Hg.), Folklore. Performance and Communication. Den Haag/ Paris: Mouton, S. 11-74.
7
Für einen Überblick über die ritualtheoretisch informierte Performancetheorie siehe auch MacAloon, John J., 1984: Introduction. In: Ders. (Hg.), Rite, Drama, Festival, Spectacle. Rehearsals Toward a Theory of Cultural Performance. Philadelphia: Institute for the Study of Human Issues, S. 1-15.
8
McKenzie 2001, S. 36 [Herv. i.O.].
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torisches Theatermodell sich die frühe Performancetheorie bezieht und wie sich die Aufspaltung zwischen ›Theater‹ als formalem Denkmodell und ›Theater‹ als Kunstform vollzieht. Was für ein Performancebegriff wird in der frühen Performancetheorie entwickelt? Wie und mit welchen Mitteln erfolgt die Begriffsformierung? Nicht zuletzt gilt es, das für die frühe Performancetheorie spezifische Verhältnis der Begrifflichkeiten ›Ritual‹, ›Drama‹ und ›Theater‹ mit Blick auf die Formulierung des Performancebegriffs auszuloten. Erste Beobachtungen zu der Frage, welche Rolle die Theatermetapher in der frühen Performancetheorie spielt, finden sich in dem einflussreichen und viel zitierten Aufsatz »Blurred Genres: The Refiguration of Social Thought« (1979) des amerikanischen Ethnologen Clifford Geertz.9 Theater und Drama als Metapher Geertz reflektiert in seinem Aufsatz seinerzeit aktuelle Entwicklungen in der soziologischen und ethnologischen Theoriebildung in den USA. Er beobachtet, dass in diesen Forschungsbereichen, die er unter dem Sammelbegriff social sciences fasst, zunehmend Analogien aus den Bereichen Kunst und Kultur – d.h. dem Bereich der »cultural performance«10 – Einzug halten. Das vorherrschende metaphorische Repertoire speise sich, so Geertz, zunehmend aus den Feldern »Theater, Malerei, Grammatik, Literatur, Gesetz, Spiel«11. Über Gesellschaft werde seltener als »komplexe Maschine« oder als »organische Einheit« nachgedacht. Stattdessen würden Gesellschaft und soziales Handeln als »a serious game, a sidewalk drama, or a behavioral text«12 ins Auge gefasst.13 Geertz’ Aufsatz ist in diesem Sinne auch Kommentar des performative turn in den Sozial- und Kulturwissenschaften. Für Geertz bringt der Einzug der Theatermetapher dabei in erster Linie die Konsequenz mit sich, dass die Grenzen zwischen den social sciences und den
9
Siehe Geertz, Clifford, 1979: Blurred Genres. The Refiguration of Social Thought. In: The American Scholar 49, 2, S. 165-179.
10 Geertz 1979, S. 168. 11 Siehe ebd., S. 168. 12 Ebd., S. 168. 13 Geertz diskutiert in seinem Aufsatz drei in der Theoriebildung der social sciences zunehmend verwendete Analogien: ›Spiel‹, ›Drama‹ und ›Text‹. Ihre Eigenheiten und Logiken entschlüsselt er am Beispiel exemplarischer Vertreter (Erving Goffman, Victor Turner, Kenneth Burke, Alton Becker). Da mein Interesse den Bezugnahmen auf das semantische Feld des ›Theaters‹ gilt, scheint es erlaubt, sich auf die von Geertz zur Verwendung der Drama-Analogie gemachten Beobachtungen zu konzentrieren.
Der dramatische Kern der Performance | 53
humanities unschärfer werden. Die Analogiebildung zwischen dem sozialen und dem kulturellen bzw. künstlerischen Bereich fungiere dabei als Kontaktzone und Öffnung in beide Richtungen: »The trouble with analogies – it is also their glory – is that they connect what they compare in both directions. Having trifled with theater’s idiom, some social scientists find themselves drawn into the rather tangled coils of its aesthetics.«14 Die Schwierigkeit der Theatermetapher besteht also darin, dass sie bestimmte ästhetische Grundannahmen, die bei Geertz nicht näher bestimmt werden, in die Beschreibung von Phänomenen einträgt, die bisher außerhalb des Bereiches des Ästhetischen lokalisiert waren. Weiterhin schlägt Geertz eine Sortierung der Theoriebildungen vor, die Impulsgeber für die Ausbreitung der Theatermetapher in den social sciences seien. Geertz unterscheidet einerseits die »ritual theory of drama«15, zu deren Vertretern er unter anderen Victor Turner zählt, und, andererseits die von Kenneth Burke, Ernst Cassirer, Northrop Frye, Michel Foucault und Emile Durkheim vertretene »symbolic action theory«16, die im Fall von Kenneth Burke auch als »›dramatism‹«17 bezeichnet wird. Auffallend ist, dass nicht der Begriff ›Theater‹, sondern das ›Drama‹ Pate für die beiden theoretischen Richtungen steht, aus denen sich, Geertz zufolge, theatrale Metaphorik am intensivsten entfalte. Für die Ausbreitung der Drama-Analogie in den social sciences bemerkt Geertz dabei zwei Besonderheiten, die sich auch in den frühen Performancetheorien bestätigen werden: »First, the full weight of the analogy is coming to be applied extensively and systematically, rather than being deployed piecemeal fashion […]. And second, it is coming to be applied less in the depreciatory ›mere show,‹ masks and mummery mode that has tended to characterize its general use, and more in a constructional, genuinely dramaturgical one – making, not faking, as the anthropologist Victor Turner has put it.«18
Mit der Theatermetapher verbinde sich, so Geertz’ Beobachtung, also nicht primär die Vorstellung, dass soziales Agieren eine Abfolge von Akten der Täuschung und Verstellung sei. Vielmehr wird die produktive Seite von Rollenspiel und ›Performance‹ im sozialen Leben hervorgehoben, die es dann in den Forschungen detailliert zu entschlüsseln gelte. Geertz argumentiert, dass die ritual-
14 Geertz 1979, S. 172. 15 Ebd., S. 172. 16 Ebd., S. 172. 17 Ebd., S. 172. 18 Ebd., S. 171-172.
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theoretisch orientierte Verwendung der Drama-Analogie dabei das Augenmerk stärker auf die strukturelle Einbettung und die regelmäßige Abfolge performativer Aktivitäten – »the repetitive performance dimensions of social action«19 – lege, während die Verwendung der Drama-Analogie in der Theorie der symbolischen Handlung stärker am Einzelfall orientiert sei und daran arbeite, dessen jeweiliges symbolisches Potenzial zu enthüllen – Ziel sei in diesem Fall das »unpacking of performed meaning«20. Zusammenfassend lässt sich festhalten, dass Geertz im Zuge des performative turn in den amerikanischen social sciences eine zunehmende Bedeutung von ›Theater‹ und ›Drama‹ als Metaphern feststellt. Dabei erscheint die Metaphorik des Theatralen insofern nicht ganz unproblematisch, als sich mit ›Theater‹ bestimmte Konnotationen wie z.B. Schein und Verstellung sowie ästhetische Erwartungshaltungen verbinden, die dann auch den Blick auf die Gegenstände der social sciences bestimmen. Die Theatermetapher erfährt aus diesem Grund eine Umdeutung. Statt für Maskerade und Schein einzustehen, wird die Theatermetapher ›dramaturgisch‹ interpretiert und verweist stattdessen darauf, dass Realität durch konkretes Handeln hervorgebracht wird. Wie genau diese Wendung im theoretischen Diskurs möglich wird, erläutert Geertz jedoch nicht. Dies verstehe ich als Anregung für die folgenden Lektüren, in denen derartige textimmanente Operationen nachvollzogen werden sollen. Zuletzt darf auch nicht vergessen werden, dass, wie Geertz beobachtet, die Theatermetapher in Form der Drama-Analogie Verbreitung erfährt. Was macht gerade das ›Drama‹ als Modell der Beschreibung der vielfältigen Aufführungen, Inszenierungen und Darstellungen, die in den Schriften Erving Goffmans, Victor Turners und Richard Schechners in den Blick rücken, so attraktiv? Insofern sich Anthropologie, Ethnologie und Soziologie auch nach dem performative turn zunächst nach wie vor vorrangig für Gesetzmäßigkeiten, Regeln und Ordnungsmuster des Sozialen und nicht für das singuläre Ereignis interessieren, bietet das Drama als Form Anknüpfungspunkte für eine systematisierende Beschreibung sozialer Prozesse. Die im amerikanischen Sprachgebrauch unter den Sammelbegriff ›Performance‹ gefassten Aufführungen/Inszenierungen/Darstellungen werden in der frühen Performancetheorie als in übergeordnete strukturelle Logiken eingebunden betrachtet, auch wenn sie nicht als dadurch determiniert erscheinen, sondern vielmehr an deren Gestaltung mitwirken. Dimensionen wie Flüchtigkeit, Emergenz oder Unwiederholbarkeit, die sich in der deutschsprachigen Theaterwissenschaft routinemäßig mit dem Performancebegriff verbinden, spielen da-
19 Geertz 1979, S. 173. 20 Ebd., S. 174.
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gegen eine untergeordnete Rolle. Die Metapher des ›Dramas‹, so meine These, ist im frühen Performancediskurs deshalb so erfolgreich, weil sich mit ihr komplexe und unübersichtliche Realitäten des sozialen Lebens in eine systematische Ordnung übersetzen lassen. Anmerkungen zur Textauswahl Um Aufschluss über die Konstellation von ›Theater‹ und ›Performance‹ in der frühen amerikanischen Performancetheorie zu erhalten, werde ich im Folgenden Lektüren von Texten von Erving Goffman, Victor Turner und Richard Schechner vorstellen. Die Auswahl der Texte begründet sich dabei einerseits durch ihre Relevanz innerhalb des Performancediskurses. Goffman, Turner und Schechner bleiben in fast keinem der einschlägigen Einführungs- und Überblickswerke unerwähnt.21 Weiterhin zeichnen sich die ausgesuchten Texte durch bestimmte Gemeinsamkeiten aus, die ihre Lektüre vor dem Hintergrund der Leitfrage dieser Arbeit besonders interessant machen. Goffman, Schechner und Turner teilen ein dezidiertes Interesse an ›Performance‹ als theoretischer Kategorie wie als Untersuchungsgegenstand und machen insbesondere auch das Theater als Institution und Kunstform immer wieder zum Thema. Zudem standen Goffman, Turner und Schechner in persönlichem Kontakt miteinander und insbesondere in den Schriften Schechners und Turners werden die Überlegungen der jeweils anderen beiden immer wieder aufgegriffen und diskutiert.22 Weiterhin verbindet die im Folgenden diskutierten Texte, dass ›Theater‹ als theoretisches Modell, metaphorisches Reservoir oder als Gegenstand zwar aufgegriffen, dass der Theaterbegriff aber zugleich auch auf Distanz gehalten wird. Damit ist gemeint, dass entweder das Theater als Institution oder Kunst zum Problem wird oder, dass gewisse Konnotationen, die sich mit dem Theatralen verbinden – nämlich zumeist jene von Clifford Geertz beschriebene Dimension der »›mere show,‹ masks and mummery«23 –, in den Texten abgewiesen werden.
21 Vgl. exemplarisch Auslander, Philipp (Hg.), 2003: Performance. Critical Concepts in Literary and Cultural Studies. 4 Bände. London/New York: Routledge. 22 Siehe exemplarisch Schechner, Richard, 1977: Towards a Poetics of Performance. In: Ders., Essays on Performance Theory, 1970-1976. New York: Drama Book Specialists, S. 108-139, bes. S. 120-121 und Turner, Victor, 1985: The Anthropology of Performance. In: Ders., On the Edge of the Bush. Anthropology as Experience. Herausgegeben von Edith L.B. Turner. Tuscon: The University of Arizona Press, S. 177-204, bes. 180-181. 23 Geertz 1979, S. 171-172.
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Nun kann gegen die hier vorgeschlagene Textauswahl eingewendet werden, dass zwei wichtige, ebenfalls der frühen Performancetheorie zugerechnete, Autoren nicht berücksichtigt werden: J.L. Austin und Kenneth Burke. Mit seinem posthum erschienenem How To Do Things with Words (1962) gilt der Philosoph J.L. Austin – gerade in der deutschsprachigen Rezeption – als einer der wichtigsten Vertreter der US-amerikanischen Performancetheorie und auch Kenneth Burke gilt mit seinem in A Grammar of Motives (1945) entwickeltem Konzept des dramatism insbesondere in der amerikanischen Rezeption als wichtiger Wegbereiter der Performancetheorie.24 So argumentiert beispielsweise Marvin Carlson, dass Goffman, Schechner und Turner den von Burke formulierten Ansatz des dramatism fortschrieben: »[…S]uch leading performance theorists as Goffman, Turner, and Schechner have all followed his [Kenneth Burke; VA] strategy of using the approach of ›dramatism‹ to analyze a variety of social interactions and cultural behavior.«25 Burke entwirft das Konzept des dramatism in A Grammar of Motives (1945). Darin arbeitet er sich unter Bezugnahme auf die fünf Kategorien »Act, Scene, Agent, Agency, Purpose«26, mit denen ihm jede Aussage beschreibbar erscheint, durch die Philosophiegeschichte. ›Dramatisch‹ ist dieses analytische Vorgehen für Burke, insofern Sprache und philosophisches Denken als »modes of action«27 in den Blick genommen werden. Goffman, Turner und Schechner stehen Burkes Ansatz natürlich in dem Sinne nahe, als dass sie ebenfalls ihre Aufmerksamkeit auf Handlungsdimensionen, in ihrem Fall von Kultur und Gesellschaft, richten. Sie finden hierfür jedoch ein eigenes Vokabular und Vorgehen, so dass die Schriften Turners, Schechners und Goffmans meines Erachtens nicht als exemplarische Fortführungen des Burke’schen dramatism gelesen werden können. Es scheint letztlich auch aus dem Grund erlaubt, Kenneth Burke in der Diskussion zur frühen Performancetheorie zurückzustellen, da er sich weniger mit dem Performancebegriff auseinandersetzt und mit philosophischen Texten auch einen sehr eigenen Gegenstand wählt.28 Bei J.L. Austin ist die Begrifflichkeit des Per-
24 Siehe Austin, J.L., 1975: How to Do Things with Words. Herausgegeben von J.O. Urmson und Marina Sbisà. 2. Aufl. Cambridge: Harvard University Press (EA 1962) und Burke, Kenneth, 1945: A Grammar of Motives. New York: Prentice-Hall. 25 Carlson 2004, S. 34. 26 Burke 1945, S. xv. 27 Ebd., xxii. 28 Für eine ausführliche Diskussion der Bedeutung von Kenneth Burke für die Performancetheorie siehe Puchner, Martin, 2006: Kenneth Burke. Theater, Philosophy, and the Limits of Performance. In: David Krasner/David Z. Saltz (Hg.), Staging Philoso-
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formativen zwar Thema. Da die intensive Rezeption Austins in der USamerikanischen Performancetheorie jedoch erst verspätet in den 1980er Jahren einsetzt, scheint es erlaubt, die Auseinandersetzung mit Austin in das Kapitel 4 zu verschieben, das die Performancediskurse dieser Zeit in den Blick nimmt.
2.2 ERVING GOFFMANS PERFORMANCETHEORIE 2.2.1 Verstecken – Zeigen: Performance als Alltagstheater Erving Goffmans The Presentation of Self in Everyday Life (1956), das in der deutschen Übersetzung den Titel Wir alle spielen Theater: Die Selbstdarstellung im Alltag trägt, wird häufig herangezogen, wenn es darum geht, über theatrale Dimensionen des Alltagslebens nachzudenken. 29 Tatsächlich interessiert sich der
phy. Intersections of Theater, Performance, and Philosophy. Ann Arbor: The University of Michigan Press, S. 41-56. Puchner geht von der These aus, dass die Performance Studies als Höhepunkt einer im 20. Jahrhundert beobachtbaren Theatralisierung der Theoriebildung zu bewerten seien. Eine Beschäftigung mit Kenneth Burke, den Puchner als Pionier einer »theatrical philosophy« begreift, verspricht, zu einem besseren Verständnis der philosophischen und disziplinären Rahmenbedingungen zu verhelfen, unter denen die Performance Studies entstehen konnten (Puchner 2006, S. 44). Weiterhin beobachtet Puchner eine grundlegende Spannung in den von ihm ›theatral‹ genannten Theoriebildungen, die das Verhältnis von Gegenstand und Methode betrifft. Die Anziehungskraft von ›Theater‹ scheine nämlich stets einherzugehen mit gleichzeitiger Kritik an und Abgrenzungsbemühungen von ›Theater‹. 29 Siehe Goffman, Erving, 1956: The Presentation of Self in Everyday Life. Edinburgh: University of Edinburgh Social Science Research Centre. Siehe ebenso Goffman, Erving, 1959: The Presentation of Self in Everyday Life. New York et al.: Doubleday Anchor Books. Für die Überlegungen in diesem Kapitel greife ich sowohl auf die Erstausgabe von Goffmans The Presentation of Self aus dem Jahr 1956 als auch auf die drei Jahre später erscheinende zweite Auflage zurück, da diese eine weitaus größere Verbreitung erfahren hat und da die Bezugnahmen auf ›Theater‹ in dieser Auflage noch verdichteter erfolgen. Beide Ausgaben unterscheiden sich im Argument nicht. Einleitung und Schlusskapitel fallen jedoch verschieden aus. Ebenso gibt es hier und da feine Formulierungsunterschiede. Es erscheint mir dennoch, vor dem Hintergrund des hauptsächlichen Anliegens dieser Arbeit, den Funktionsweisen der Bezugnahmen auf ›Theater‹ in performancetheoretischen Diskursen auf die Schliche zu kommen, erlaubt, die beiden zeitlich dicht beieinander liegenden Ausgaben gemeinsam in den
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Soziologe Goffman für alltägliche Verhaltensweisen, insbesondere für die Begegnungen und Interaktionen von Menschen in privaten Situationen, im Berufsleben und der Öffentlichkeit. Da in der deutschen Übersetzung der von Goffman in The Presentation of Self häufig verwendete Performancebegriff verschwindet – stattdessen ist die Rede von ›Darstellung‹ –, wird erst in der Lektüre des amerikanischen Originals ersichtlich, dass Goffman als Vertreter der frühen Performancetheorie zu gelten hat und auch als solcher hier zur Diskussion kommen soll. Goffman stellt in The Presentation of Self die direkte Begegnung von Angesicht zu Angesicht – »face-to-face interaction«30 – in den Mittelpunkt seiner Reflexionen. Die Beteiligten stünden sich dabei mit je spezifischen strategischen Interessen gegenüber.31 Die alltägliche Interaktion sei, laut Goffman nämlich, als »a kind of information game«32 zu begreifen, da die Begegnung im Kern durch den Versuch bestimmt werde, einerseits den Eindruck zu kontrollieren, den man bei seinem Gegenüber erwecke, und, andererseits selbst sein Gegenüber zu ›lesen‹, um eventuelle Unstimmigkeiten im Auftreten zu erkennen und so möglicherweise verborgene Wahrheiten zu entlarven.33 Goffmans Modell der sozialen Interaktion ist in dem Sinne grundlegend theatral, als dass es Momente des Exponiert-Seins beschreibt, in denen jemand einem oder mehreren anderen zur Anschauung gegenüber steht.34 Da in The Presentation of Self zudem die Metapho-
Blick zu nehmen und in der Lektüre miteinander zu verschränken. Unterschiede in den beiden Versionen werden im Folgenden in den Fußnoten nachgewiesen. 30 Goffman 1956, S. 8. 31 In seinem Buch Strategic Interaction entwickelt Goffman die Idee der strategischen Dimension von Interaktion noch ausführlicher. Bemerkenswerterweise findet in Strategic Interaction der Performancebegriff jedoch keine Verwendung. Im Fokus stehen stattdessen die Konzepte expression game und strategic interaction. Interaktion kommt hier als prinzipiell antagonistisch strukturierte Form der Begegnung in den Blick, in der es vor allem darum geht, bestimmte Informationen zu verbergen und bestimmte Wahrheiten zu verstecken. Goffman entnimmt seine Beispiele in erster Linie aus den Bereichen taktischer Kriegsführung und Agentenschaft (Siehe Goffman, Erving, 1969: Strategic Interaction. Philadelphia: University of Pennsylvania Press). 32 Goffman 1959, S. 8. Diese Formulierung findet sich nur in der Einleitung der Ausgabe von 1959. 33 Goffman 1956, S. 8. 34 Vgl. Warstat 2005, S. 358-364. In Goffmans Modell rücken Konstellationen in den Blick, in denen Menschen einander zeitlich und räumlich gegenwärtig sind und miteinander interagieren. Insofern ist in Goffmans Modell die Dimension des Schauens und
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rik des Rollenspiels zentral und der Fokus auf dessen taktische Dimensionen gelenkt ist, erscheint es mir überzeugend, das in Goffmans Theorie entworfene Performancekonzept als Modell eines strategischen Theaters zu beschreiben. The Presentation of Self lässt sich dann dementsprechend auch als Semiotik dieses strategischen Alltagstheaters lesen, insofern es Goffman hier auch um den Entwurf eines analytischen Vokabulars geht. Umso überraschender ist es vielleicht, dass der Begriff ›Theater‹ in The Presentation of Self explizit kaum Verwendung findet. Der zentrale theoretische Begriff der Goffman’schen Theorie ist ›Performance‹. Der Performancebegriff bewegt sich aber, wie noch zu zeigen sein wird, durch seine enge Verzahnung mit Vokabeln wie ›Dramatisierung‹, ›dramatische Umsetzung‹, ›Rollenspiel‹ oder ›Ausdruck‹ eng im Vorstellungsbereich des Theatralen. Implizit rücken bei Goffman ›Theater‹ und ›Performance‹ also eng zusammen. Die Besonderheit des Goffman’schen Performancebegriffs besteht prinzipiell darin, dass er maßgeblich durch die Dimensionen des Strategischen konturiert wird. Das handelnde Subjekt rückt hierbei in das Zentrum.35 Entsprechend formuliert Goffman für den Performancebegriff folgende Definition: »A ›performance‹ may be defined as all the activity of a given participant on a given occasion which serves to influence in any way any of the other participants.«36 ›Performance‹ meint also ein zielgerichtetes Agieren in einer Aufführungssituation vor Zuschauenden, das auf das Erreichen bestimmter Wir-
Angeschaut-Werdens notwendig impliziert. Die Unterscheidung von Agierenden und Zuschauenden ist bei Goffman allerdings eher eine heuristische Zuordnung. Goffman betont, dass auch die Zuschauenden aktiv Teilnehmende der Interaktion und selbst darauf bedacht seien, auf die Lesart der Situation Einfluss zu nehmen und einen bestimmten Eindruck von sich zu produzieren. In diesem Sinne seien Zuschauende zugleich immer auch Agierende (Siehe Goffman 1956, S. 58 u. 64). Zuschauende hätten, wie Goffman argumentiert, einen wesentlichen Anteil am Gelingen einer ›Performance‹, insofern sie in der Regel bereit sind, ›mitzuspielen‹ und z.B. kleinere Unstimmigkeiten ignorieren, die räumlichen Abgrenzungen einer ›Performance‹ respektieren usw. (Siehe Goffman 1956, S. 149). 35 In einem späteren Kapitel erweitert Goffman dieses Konzept und argumentiert, dass die ›kleinste Einheit‹ einer Performance nicht das einzelne handelnde Subjekt sei, sondern häufiger eine Gruppe, ein Team, das strategisch zusammenarbeite, um in einer sozialen Situation einen bestimmten Eindruck zu erzeugen und aufrechtzuerhalten (Siehe Goffman 1956, S. 47-65). 36 Goffman 1956, S. 8.
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kungen abgestellt ist.37 Hierin liegt die strategische Dimension des Performancebegriffs begründet. Im ersten Kapitel von The Presentation of Self wird der Performancebegriff dann ausführlicher entfaltet und auch in seiner theatralen Konturierung entwickelt. Wie hier noch genauer zu zeigen sein wird, ist es das Modell des dramatischen Theaters, in dem Schauspieler Rollen übernehmen und so vor Zuschauenden fiktive Figuren erzeugen, das Pate für Goffmans Performancebegriff steht. Da Goffman ›Performance‹ über die Metaphorik des Rollenspiels und der Maskierung denkt, schreibt sich in seinen Performancebegriff eine auffällige Spaltung in ein Inneres und ein Äußeres ein: »Behind many masks and many characters, each performer tends to wear a single look, a naked unsocialized look, a look of concentration, a look of one who is privately engaged in a difficult, treacherous task.«38 Das mit »Performances« betitelte, erste Kapitel beginnt entsprechend mit dem Hinweis, dass das handelnde Subjekt – der performer – zu seinen auf kommunikative Außenwirkung zielenden Handlungen eine Haltung der Nähe bzw. Ernsthaftigkeit oder der Distanz bzw. des Unernst, ja in bestimmten Fällen sogar des Zynismus, einnehmen könne.39 Man könne an die Rolle, in der man in die soziale Interaktion eintritt, glauben oder ihr kritisch gegenüberstehen. Dabei ist dieses Verhältnis von innen und außen nicht statisch gedacht, sondern als dynamisches Verhältnis. Es könne immer wieder zu Rückwirkungen des ›Äußeren‹ auf das ›Innere‹ kommen, in deren Folge sich die Haltungen des Subjekts und damit auch es selbst veränderten.40 Goffmans Performancetheorie bewegt sich damit bereits in bemerkenswerter Nähe zu späteren Theorien einer performativen Herstellung von Identität. Allerdings hält Goffman an der prinzipiellen Unterscheidbarkeit von wahrer und falscher Erscheinung sowie an der Vorstellung eines von seinem Rollenspiel trennbaren Subjekts fest. Diese Differenz von wahr/falsch schreibt sich in The Presentation of Self, in dem stets der gesellschaftliche Kontext einer ›Performance‹ und deren normative Dimensionen mitgedacht werden, in der großen Faszination für Täuschungen, Lügen, Hochstapelei und Doppelagentenschaft fort – allesamt Varianten von ›Performance‹, die häufig als moralisch verwerflich be-
37 Siehe auch folgende Definition: »We have been using the term ›performance‹ to refer to all the activity of an individual which occurs during a period marked by his continuous presence before a particular set of observers and which has some influence on the observers.« (Goffman 1956, S. 13) 38 Goffman 1956, S. 150-151. 39 Siehe ebd., S. 10-13. 40 Siehe ebd., S. 11-12.
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trachtet werden.41 Soziale Interaktion werde nämlich, laut Goffman, durch die Erwartung bestimmt, dass äußerer Schein und tatsächliches Sein übereinstimmen.42 Gerade diese Annahme ermögliche es erst, durch den geschickten Einsatz bestimmter Zeichen und das Einhalten von Verhaltenserwartungen, in einer ›Performance‹ einen unwahren Eindruck bei seinem Gegenüber zu erzielen. Strategische Performance Wie sich hier andeutet, entwirft Goffman ›Performance‹ als strategische Hervorbringung von Zeichen, die sich an etablierten Mustern orientiert und die in engem Zusammenhang mit den Wertvorstellungen und hierarchischen Ordnungen steht, nach denen eine Gesellschaft organisiert ist.43 Immer geht es in einer ›Performance‹ darum, durch die Gestaltung von Raum, Requisiten, Handlungen, Gesten, Gesichtsausdruck und Redeweise eine bestimmte Lesart der sozialen Situation und vor allem der eigenen Person sicherzustellen. Dabei konzentrieren sich Goffmans Beispiele, die teilweise aus eigener Feldforschung, jedoch in erster Linie aus anekdotischen Erzählungen in Zeitschriften, Büchern zur Etikette und soziologischen Studien stammen, auffallend häufig auf die Markierung und Aufführung von Status- und Klassenunterschieden. Aus seinen eigenen Feldforschungen in einer kleinen Gemeinde auf den schottischen Shetland-Inseln berichtet Goffman z.B. dass viele Männer der Gemeinde in der Öffentlichkeit häufig bäuerliche Kleidung – Lederwams und Gummistiefel – trügen und die Reno-
41 Auch wenn Goffman anerkennt, dass die moralische Dimension von ›Performance‹ eine entscheidende Rolle bei der Bewertung von Auftritten spielt, die sich als Täuschungen oder Lügen herausstellen, besteht er darauf, dass es in der wissenschaftlichen Beschäftigung mit ›Performance‹ nicht um die Entscheidung gehen kann, wann eine ›Performance‹ tatsächlich ›falsch‹ ist, sondern dass es nur um die Beobachtung und Beschreibung der Erzeugung und ggf. des Bruchs des Realitätseindrucks gehen kann, der sich in einer ›Performance‹ einstellt (Siehe Goffman 1956, S. 43-44). 42 Goffman spricht davon, dass mit Blick auf die ›Performance‹ eines einzelnen Kohärenz erwartet wird. Das heißt, dass von Zuschauern in Bezug auf die verschiedenen Dimensionen einer ›Performance‹ ein harmonisches Zusammenspiel erwartet wird. 43 Goffman nimmt an, dass in einer Gesellschaft für die meisten ›Performances‹ in der Regel standardisierte Ideale etabliert sind, an denen sich die Gestaltung der ›Performance‹ orientiert, die sie aus Sicht der Zuschauenden verstehbar macht und an der sich ihr Erfolg bemisst: »The pre-established pattern of action which is unfolded during a performance and which may be presented or played through on other occasions may be called a ›part‹ or ›routine.‹« (Goffman 1956, S. 8-9). Siehe auch Goffman 1956, S. 22-23.
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vierung ihrer Häuser vernachlässigten, obwohl ihr Arbeitsalltag und ihre materiellen Möglichkeiten realiter längst nicht mehr auf das bescheidene und arme landwirtschaftliche Dasein beschränkt sein müssten.44 Goffman deutet das Verhalten der Männer nun nicht etwa als Beleg allzu großer Bequemlichkeit oder Gewohnheit, sondern versteht es als strategisches Handeln, das äußerst pragmatisch darauf abzielt, einer Mieterhöhung entgegenzuwirken und über die solidarische Haltung der Männer gegenüber den ›einfachen Leuten‹ in der Gemeinde keine Zweifel aufkommen zu lassen. Die Annehmlichkeiten, die ein Mittelklasse-Haushalt biete, würden dann eben hinter verschlossenen Türen genossen. In der ›Performance‹ – dem Auftritt vor Zuschauenden – geht es also auch um die Akzentuierung und das Sichtbarmachen von Werten: »[…W]hen the individual presents himself before others, his performance will tend to incorporate and exemplify the officially accredited values of the society, more so, in fact, than does his behavior as a whole.«45 Das Paradieren in Lederwams und Gummistiefeln führt in verdichteter Weise und gleichsam auf den Punkt den Wert bäuerlicher Bescheidenheit und harter körperlicher Arbeit vor, ohne dass dies in konsequenter Relation zu dem tatsächlichen allgemeinen Verhalten des Auftretenden stehen muss. Es ist genau diese kommunikative Ebene – jenes Potenzial von ›Performance‹, sozusagen die Interpretation einer Handlung oder Situation mitzuliefern –, die Goffman interessiert und die er als die ›dramatische‹ oder Ausdrucksfunktion von ›Performance‹ bezeichnet.46 Mit Blick auf diese Dimension von ›Performance‹ spricht Goffman an anderer Stelle auch von ›theatraler‹ Kommunikation und rückt so ›Drama‹ und ›Theater‹ in synonyme Nähe zueinander. Gleich zu Beginn von The Presentation of Self ist zu lesen:
44 Siehe Goffman 1959, S. 39. Das Beispiel wird in der Erstausgabe noch nicht ausführlich entfaltet (Siehe Goffman 1956, S. 25). Bezugspunkt sind Goffmans Feldforschungen im Rahmen seiner Dissertation Communication Conduct in an Island Community (1953). 45 Goffman 1956, S. 23. 46 Goffman unterscheidet also einerseits die Dimension des tatsächlichen Vollzugs und die sozusagen semiotische Dimension einer Handlung: »While in the presence of others, the individual typically infuses his activity with signs which dramatically highlight and portray confirmatory facts that might otherwise remain unapparent or obscure. For if the individual’s activity is to become significant to others, he must mobilize his activity so that it will express during the interaction what he wishes to convey.« (Goffman 1956, S. 19-20 [Herv. i.O.]).
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»Of the two kinds of communication – expressions given and expressions given off – this report will be primarily concerned with the latter, with the more theatrical and contextual kind, the non-verbal, presumably unintentional kind, whether this communication be purposely engineered or not.«47
Die Unterscheidung zwischen »expressions given« und »expressions given off« lässt sich am besten als Differenz von expliziten verbalen Äußerungen verstehen, die dezidiert darauf ausgerichtet sind, als Zeichen verstanden zu werden, und nicht verbalen Handlungen oder Elementen, deren Zeichencharakter nicht markiert ist, die aber dennoch als bedeutungstragend gelesen werden können und manchmal auch sollen. Das kommunikative Potenzial entfaltet sich hier dann quasi als ›Nebenprodukt‹, was auch durch die Wahl des Verbes give off deutlich wird, das ›ausdünsten, verströmen‹ bedeutet. Interessant ist, dass Goffman jene Funktionsweise von Zeichen, zu bedeuten, ohne explizit als Bedeutungsträger akzentuiert zu sein, mit dem Begriff ›theatral‹ in Verbindung bringt. Insofern Goffman hier äußerst knapp bleibt, ist es zwar spekulativ, daraus weite Schlüsse für die in The Presentation of Self deutlich werdende Vorstellung von ›Theater‹ zu ziehen. Zumindest erwähnenswert erscheint mir dennoch der Gedanke, dass die Verwendung von ›theatral‹ hier daran erinnert, dass alle auf der Theaterbühne vollzogenen Handlungen und gezeigten Materialien in der Regel als bedeutungstragend wahrgenommen werden. Es wird in diesem Abschnitt noch genauer zu erforschen sein, wie sich in The Presentation of Self ›Theater‹ als Metapher der Beschreibung sozialer Interaktion und ›Theater‹ als Kunst zueinander verhalten. Aufgrund der Tatsache, dass Goffmans Text das Theater selbst nur wenig zum Gegenstand macht und bemerkenswerterweise seine Beispiele und sein Belegmaterial aus Handbüchern zur Etikette, soziologischen Studien, aus in Zeitungen berichteten Anekdoten, aus Simone de Beauvoirs Le Deuxième Sexe (1949) und der Literatur (z.B. Kafka) entnimmt, kaum jedoch aus dem Theater, ergibt sich Goffmans Bild vom Theater erst über die puzzleartige Kombination von Einzelaussagen. Hauptsächlich nähert sich The Presentation of Self dem Theater über die Reflexion der Tätigkeit des Schauspielens, die Alltag und Kunst miteinander verbindet. Schauspielen im Theater wird als unernst beschrieben. Das heißt, Goffman geht davon aus, dass sich Agierende und Zuschauende – anders als im Falle der Trickbetrügerei – bewusst sind, dass die im Rahmen von Theater erzeugten Realitäten Illusion sind und keine Konsequenzen haben. In diesem Sinne sind Schauspieler, in der Perspektive Goffmans, sozusagen ›ehrliche Betrüger‹. Sie
47 Goffman 1959, S. 4. Dieses Zitat findet sich nicht in der Einleitung der Erstausgabe.
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machen keinen Hehl daraus, dass sie nur ›so tun als ob‹. Angesichts der Verunsicherungen und Ängste, die das Auffliegen von Hochstapelei und betrügerischer Täuschungen im Alltag auszulösen vermögen, scheint dem Theater als Ort des ehrlichen Schwindels dann sogar eine regelrecht therapeutische Funktion zuzukommen: »Paradoxically, the more closely the impostor’s performance approximates to the real thing, the more intensely we may be threatened, for a competent performance by someone who proves to be an impostor may weaken in our minds the sacred connection between legitimate authorization to play a part and the capacity to play it. (Skilled mimics, who admit all along that their intentions are unserious, seem to provide one way in which we can ›work through‹ some of these anxieties.)«48
Es wird von Goffman jedoch nicht näher ausgeführt, wie jenes »Durcharbeiten« von Ängsten im Theater vonstattengehen mag. Auch bleibt unberücksichtigt, dass Theater keineswegs auf die einerseits realistisch-überzeugende, aber zugleich auch in ihrer Gemachtheit durchschaubare, Erzeugung von illusionären Eindrücken festgelegt ist. Deutlich wird aber, dass The Presentation of Self genau dieses Modell eines raffinierten und technisch anspruchsvollen dramatischen Illusionstheaters zugrunde legt – und zwar sowohl, wenn auf ›Theater‹ als Grundmodell zur Beschreibung alltäglicher Interaktionen Bezug genommen wird, als auch, wenn Theater als Kunst in den Blick rückt. Die Unterschiede zwischen den in The Presentation of Self mit der Theatermetapher beschriebenen alltäglichen Interaktionen und den Interaktionen auf der Theaterbühne sind dabei lediglich gradueller, nicht prinzipieller, Natur. So erfordere eine »theatrical performance«49 zumeist aufwendigere und detailliertere Vorbereitungen als die routinierten ›Performances‹ des Alltags, die es bei der Begegnung mit einem flüchtigen Bekannten oder einem Verkaufsgespräch im Schuhladen auszuführen gelte.50 Theaterschauspielerinnen und die Performer
48 Goffman 1956, S. 38-39. 49 Goffman 1959, S. 73. Dieses Zitat findet sich noch nicht in der in der Erstausgabe gedruckten Version des Kapitels. 50 Allerdings ist aufwendige Vorbereitung – wobei insbesondere an eine exakte Einübung der in der ›Performance‹ gesprochenen Rede gedacht ist – kein Alleinstellungsmerkmal des Theaters. Auch komplexere Betrügereien (confidence games) erfordern zuweilen präzise, wortgenaue Einübung (Siehe Goffman 1959, S. 73). Goffman bezeichnet Aufführungen des dramatischen Theaters – »a staged play« – auch als
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des Alltags nutzten, so Goffman, dabei dieselben »Techniken«, um einen bestimmten Eindruck zu erzeugen.51 Trotz oder möglicherweise auch gerade aufgrund dieser Ähnlichkeiten zwischen Theater- und Alltagsschauspiel zeigt sich Goffman in den Schlussbemerkungen der zweiten Auflage von The Presentation of Self bemüht, Theater und Alltag, die über die Theatermetapher eng zueinander gerückt waren, wieder auseinanderzudividieren. Für diese Unterscheidungsbewegung mobilisiert Goffman die Kategorie der Konsequenz und ringt darum, die Theaterhaftigkeit alltäglicher Interaktionen auf eine strukturelle Ähnlichkeit einzuschränken: »An action staged in a theater is a relatively contrived illusion and an admitted one; unlike ordinary life, nothing real or actual can happen to the performed characters – although at another level of course something real and actual can happen to the reputation of performers qua professionals whose everyday job is to put on theatrical performances. And so here the language and mask of the stage will be dropped. Scaffolds, after all, are to build other things with, and should be erected with an eye to taking them down. This report is not concerned with aspects of theater that creep into everyday life. It is concerned with the structure of social encounters – the structure of those entities in social life that come into being whenever persons enter one another’s immediate physical presence.«52
Besonders bemerkenswert an dem hier angeführten Zitat ist, dass der Versuch, Theater als Ort konsequenzlosen Handelns vom Alltag zu unterscheiden, scheitert, da eingeräumt wird, dass Theaterschauspiel stets auch eine Realitätsdimension besitzt, die nicht in konsequenzloser Fiktion aufgeht. Letztlich bleibt die Differenzierung von Theater und Alltag ungelöst und der Text bricht die Überlegungen einfach ab: »And so here the language and mask of the stage will be dropped.« Das Zitat zeigt, dass die in The Presentation of Self zentrale Theatermetaphorik gewissermaßen an ihre Grenze stößt, wenn sie zu dem Ort zurückkehrt, an dem sie ihren Ausgang genommen hat. Die Beschreibung des Schauspielens im Theater mit der zuvor an Alltagssituationen erprobten Theatermetapher führt hier zu eigentümlichen Redundanzen, Doppelungen und Inversionen.
»[a] completely scripted performance« (Goffman 1959, S. 228). Diese Zitate und Überlegungen finden sich noch nicht in der Erstausgabe. 51 Siehe Goffman 1959, S. 254-255. Goffman spricht auch von character, wenn er den Eindruck, den ein Handelnder von sich vermittelt, bezeichnet (Siehe Goffman 1959, S. 253). Die Passage, auf die ich mich hier beziehe, findet sich nur in den Schlussbemerkungen der Ausgabe von 1959. 52 Goffman 1959, S. 254 [Herv. i.O.]. Das Zitat findet sich nicht in der Erstausgabe.
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Diesen lässt sich letztlich nur mit dem diskursiven Kniff beikommen, Theater und Alltag als ausschließlich strukturell ähnlich auszugeben. Dass es, wie im Zitat betont, Goffman nicht um die Beobachtung geht, dass sich theatrale Dimensionen in das Alltagsleben »einschleichen«, ist für die Einordung der Bezugnahmen auf ›Theater‹ in The Presentation of Self entscheidend. Es wird hier nämlich klar, dass es in The Presentation of Self nicht um die Entfaltung der These einer Theatralisierung des Alltags geht. Stattdessen wird versucht, ein deskriptives Modell zu entwerfen, mit dem sich Interaktionen im Alltag analysieren lassen. Nicht zufällig ist im obigen Zitat von den Gerüsten die Rede, die es nach erfolgreichem Bau abzureißen gelte. Übrig bleiben soll ein Beschreibungsmodell, das zwar vom Theater ausgeht, jedoch die mit den Bezugnahmen auf ›Theater‹ verbundenen komplizierten Konnotationen und Unsicherheiten einer doppelten Realität hinter sich lässt. Die mit der verwendeten Theatermetaphorik verbundene schwierige Frage nach dem Status der in sozialer Interaktion hergestellten Realitäten, die Goffman in The Presentation of Self als Kernproblematik der Theatermetapher identifiziert – »All the world is not, of course, a stage, but the crucial ways in which it isn’t are not easy to specify.«53 –, greift er in Frame Analysis: An Essay on the Organization of Experience (1974) mit der Idee der Rahmung von Wahrnehmungen erneut auf. Da auch in Frame Analysis Bezugnahmen auf ›Theater‹ in verdichteter Form erfolgen und stärker noch als in The Presentation of Self das Theater als Kunst in den Blick gerückt wird, soll Frame Analysis Schwerpunkt der Diskussionen des nächsten Abschnittes sein. Zuvor möchte ich abschließend noch einmal auf die Leitfrage dieses Kapitels zurückkommen. Was kennzeichnet die Bezugnahmen auf ›Theater‹ in The Presentation of Self und wie moduliert sich dort der Performancebegriff? Wie sich gezeigt hat, hängen ›Theater‹ und ›Performance‹ in The Presentation of Self eng zusammen. Der Performancebegriff wird nämlich unter Rückgriff auf das Modell des dramatischen Theaters entworfen, in dem Schauspieler und Schauspielerinnen Rollen übernehmen und vor Publikum fiktive Figuren und Welten präsentieren. Die metaphorische Rede vom Subjekt als Alltagsschauspieler ebenso wie die metaphorische Rede von Vorder- und Hinterbühnen, Requisiten und Rollen, die in den sozialen Interaktionen des Alltags Verwendung finden, bleibt dicht auf dieses spezifische Theatermodell bezogen. Damit geht einher, dass ›Drama‹ und ›Theater‹ in The Presentation of Self weitgehend synonym verwendet werden. Dramatisch bzw. theatral sind die ›Performances‹ des Alltags, insofern es im Kern stets darum geht, vor anderen etwas zu zeigen, das von diesen
53 Goffman 1959, S. 72. Dieses Zitat findet sich nicht in der Erstausgabe.
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nicht allein zur Kenntnis genommen, sondern auch interpretiert werden soll. Der Ritualbegriff, der für die Performancetheorien Victor Turners und Richard Schechners zentral ist, spielt in The Presentation of Self dagegen keine Rolle.54 2.2.2 Ping Pong in Masks: Performance als Interaktionsspiel Während die Theatermetapher in The Presentation of Self zentral ist, scheint sie aus Goffmans ungefähr zwanzig Jahre später erscheinender Monografie Frame Analysis: An Essay on the Organization of Experience (1974) auf den ersten Blick komplett verschwunden.55 Die zentrale Frage, die in Frame Analysis verfolgt wird, ist auch nicht mehr die nach Struktur und Ablauf alltäglicher Begegnungen. Vielmehr stellt Goffman die Frage nach der Wahrnehmung von Realität. In der Einleitung wird bereits darauf hingewiesen, dass diese Frage nicht als Versuch einer Ergründung dessen verstanden werden darf, was Realität ist. Dagegen verschiebt Goffman – in Anschluss an den Philosophen und Psychologen William James – die Frage darauf, wann etwas als Realität wahrgenommen wird. Diese Verschiebung fasst Goffman mit einer Metapher aus dem Bereich der Filmtechnik. In den Mittelpunkt soll nicht das rücken, wovon sich die Kamera ein Bild macht, sondern der Apparat selbst: »The important thing about reality […] is our sense of its realness in contrast to our feeling that some things lack this quality. One can then ask under what conditions such a feeling is generated, and this question speaks to a small, manageable problem having to do with the camera and not what it is the camera takes pictures of.«56
Insofern in Frame Analysis dann jedoch de facto nicht das Bild der Apparatur im Zentrum des Textes steht, sondern das Bild des Rahmens, möchte ich argumen-
54 In anderen Schriften Goffmans ist der Ritualbegriff in der Konzeption alltäglicher Interaktion präsenter. Siehe z.B. Goffman, Erving, 1955: On Face-Work. An Analysis of Ritual Elements in Social Interaction. In: Psychiatry. Journal of Interpersonal Relations 18, 3, S. 213-231. Die ritualistische Dimension der Begegnungen im Alltag liegt für Goffman darin, dass die alltägliche Interaktion von dem sprichwörtlichen Bemühen geprägt ist, sein Gesicht zu wahren und mit Respekt behandelt zu werden. Die sich darin treffenden Aspekte des Symbolischen und des Heiligen bilden für Goffman das Ritualistische der alltäglichen Interaktion. 55 Siehe Goffman, Erving, 1974: Frame Analysis. An Essay on the Organization of Experience. Cambridge: Harvard University Press. 56 Goffman 1974, S. 2
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tieren, dass sich auch hier die Bezugnahme auf das illusionistische Guckkastentheater als Modell fortsetzt. In der Vorstellung der ›Rahmung‹ von Wahrnehmung schreibt sich nämlich gewissermaßen die Idee des Proszeniums ein. Als architektonische Rahmung scheidet das Proszenium den Theaterraum in Zuschauersaal und Bühne und markiert damit verbunden auch Unterscheidungen wie real/fiktiv. Genau um diese durch Rahmungen ermöglichten Markierungen von Realitäten geht es in Frame Analysis. ›Theater‹ ist in Frame Analysis – ähnlich wie im zuvor diskutierten The Presentation of Self – sowohl Denkmodell als auch Untersuchungsgegenstand. Als Ort, an dem Wahrnehmung auf komplexe Weise gerahmt wird, so dass verschiedene Realitätsebenen entstehen, rückt das Theater als Untersuchungsobjekt in Frame Analysis allerdings noch stärker ins Zentrum des Interesses.57 In Bezug auf das theoretische Vokabular, das in Frame Analysis verwendet wird, lässt sich feststellen, dass Goffmans Untersuchung bei der heuristischen Einheit »strip of activity«58 ansetzt. Die Grundannahme ist, dass Handlungen in Abhängigkeit von ihrer Rahmung unterschiedlich wahrgenommen und bewertet werden, so dass sie sich auf vielfältige Weise transformieren lassen. Goffman entnimmt die Idee der Verwandlung von Handlungen durch Verschiebung der Rahmung ebenso wie den zentralen theoretischen Begriff frame aus Gregory Batesons Spieltheorie. Zentrales Anliegen in Frame Analysis ist es, einerseits die Dynamiken der Setzung, Stabilisierung und des Bruchs von Wahrnehmungsrah-
57 Das Theater als Untersuchungsgegenstand steht insbesondere im Mittelpunkt der Kapitel »The Theatrical Frame«, »Out-of-Frame Activity« und »The Manufacture of Negative Experience« (Siehe Goffman 1974, S. 123-155 u. 201-246 u. 378-438). 58 Goffman 1974, S. 182. Goffman liefert folgende Definition: »The term ›strip‹ will be used to refer to any arbitrary slice or cut from the stream of ongoing activity, including here sequences of happenings, real or fictive, as seen from the perspective of those subjectively involved in sustaining an interest in them. A strip is not meant to reflect a natural division made by the subjects of inquiry or an analytical division made by students who inquire; it will be used only to refer to any raw batch of occurences (of whatever status in reality) that one wants to draw attention to as a starting point for analysis.« (Goffman 1974, S. 10). An dieser Stelle ist der Hinweis interessant, dass auch Richard Schechner in einem seiner bekanntesten Aufsätze »Restoration of Behavior« die zu Goffmans Formulierung sehr verwandte Wendung »strip of behavior« nutzt. Schechner verwendet diese Formulierung ebenfalls als heuristische Kategorie in Zusammenhang mit seinen Reflexionen zur Wiederholungsdimension von ›Performance‹. Siehe Schechner, Richard, 1981: Restoration of Behavior. In: Studies in Visual Communication 7, 3, S. 2-45.
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men zu beschreiben und, andererseits herauszuarbeiten, wie die verschiedenen Rahmungen eines Vorgangs sich auf die Erfahrung (experience) des Wahrnehmenden auswirken. Überraschenderweise gerät der Performancebegriff in Frame Analysis etwas in den Hintergrund, auch wenn mit der Fokussierung auf ›Handlungsstreifen‹ nach wie vor das Ausführen von Handlungen vor Zuschauenden sowie die Arten und Möglichkeiten, in soziale Interaktion einzutreten, im Kern der Überlegungen stehen. Anders als in The Presentation of Self steht jedoch weniger das handelnde Subjekt im Zentrum der Überlegungen. Frame Analysis denkt stärker von der Perspektive des Zuschauenden ausgehend. Der Performancebegriff taucht in Frame Analysis dennoch zum einen in einer eher losen Verwendungsweise auf und meint schlichtweg ›Durchführung‹ oder ›Ausführung‹. Zum anderen findet sich gleichzeitig auch eine engere Verwendung des Performancebegriffs. Diese kommt immer dann zum Tragen, wenn es um Aufführungen im Theater, Musikkonzerte oder Sportveranstaltungen geht, die in Frame Analysis als »pure performances«59 bezeichnet werden. Ein Blick in die Beispielliste, die Folgendes enthält: »exhibition sports, such as wrestling and roller derby, and dramatic scriptings, whether live, taped, photographed, written, or drawn«60, zeigt, dass für die Kategorie der pure performance das Moment des sorgsam vorbereiteten Zeigens entscheidend ist. Damit wird die, wie sich in der Lektüre von The Presentation of Self gezeigt hat, theatrale Grundkonturierung des Goffman’schen Performancebegriffs fortgeführt. Die eingehende Beschäftigung mit Goffmans Frame Analysis im Kontext der Leitfrage nach den Funktionen der Bezugnahmen auf ›Theater‹ im amerikanischen Performancediskurs verspricht jedoch weniger mit Blick auf eine mögliche Neuformierung des Performancebegriffs aufschlussreich zu sein. Da insbesondere die Auseinandersetzung mit dem Theater als Kunst einen großen Raum einnimmt, lädt Frame Analysis stärker dazu ein, zu fragen, wie und als was hier Theater in den Blick kommt. Dabei gilt es insbesondere auch auf die Beobachtung Clifford Geertz’ zu reagieren, der in seinem Aufsatz »Blurred Genres« argumentiert, dass Goffmans Performancetheorie einen eigentümlichen Gebrauch von Theatermetaphorik mache, der es eigentlich verbiete, Goffmans Theorien als Beispiel für eine zunehmende Verwendung der Drama-Analogie in den amerikanischen social sciences zu lesen. Geertz schreibt: »Goffman […] employs the language of the stage quite extensively, but as his view of the theater is that it is
59 Goffman 1974, S. 388. 60 Ebd., S. 388.
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an oddly mannered kind of interaction game – Ping-Pong in masks – his work is not, at base, really dramaturgical.«61 Mir geht es im Folgenden nicht um eine Entscheidung darüber, ob Goffmans Performancetheorie legitimerweise der von Geertz identifizierten Tendenz eines zunehmenden Gebrauchs der Theatermetapher in den amerikanischen social sciences zuzurechnen ist oder nicht. Letztlich scheint hierzu auch keine absolute Antwort möglich, insofern Geertz’ Argumentation ja bereits ein bestimmtes Verständnis zugrunde legt, worin denn eine »wirklich dramaturgisch« orientierte Theoriebildung besteht, das man natürlich nicht teilen muss. Dagegen erscheint es spannender, die bereits im vorigen Abschnitt aufgeworfene Frage nach dem Verhältnis des in Goffmans Performancetheorie zentralen Theatermodells und des metaphorischen Gebrauchs von ›Theater‹ zur Beschreibung von Alltagsphänomenen noch einmal aufzugreifen. Eine genauere Betrachtung der Vorstellung von Theater, die Goffman in Frame Analysis entwirft, ist nicht zuletzt auch für die Sortierung und das Verständnis der Funktionsweisen der Bezugnahmen auf ›Theater‹ in amerikanischen Performancetheorien wichtig und wird im Schlussteil dieses Kapitels in Bezug zu den in den Texten Victor Turners und Richard Schechners zentralen Vorstellungen von ›Theater‹ zu setzen sein. Theater ist in Goffmans Frame Analysis in mehreren Kapiteln Untersuchungsgegenstand. Zunächst stehen die Eigenheiten des Theaterrahmens (theatrical frame) im Fokus eines eigenen Kapitels.62 Tatsächlich präsentiert sich hier – und somit ist Geertz’ Beobachtung durchaus korrekt – Theater als Interaktionsspiel, in dessen Rahmen die Beteiligten in der Rolle des Schauspielers oder in der Zuschauerrolle aufeinandertreffen und für dessen Ablauf es klare Regeln gibt. Die Theateraufführung (performance) beschreibt Goffman in Frame Analysis folgendermaßen: »A performance, in the restricted sense in which I shall now use the term, is that arrangement which transforms an individual into a stage performer, the latter, in turn, being an object that can be looked at in the round and at length without offense, and looked to for engaging behavior, by persons in an ›audience‹ role. […] A line is ordinarily maintained between a staging area where the performance proper occurs and an audience region where the watchers are located. The central understanding is that the audience has neither the right nor the obligation to participate directly in the dramatic action occuring on the
61 Geertz 1979, S. 170. 62 Siehe Goffman 1974, S. 124-155.
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stage, although it may express appreciation throughout in a manner that can be treated as not occuring by the beings which the stage performers present onstage.«63
Anliegen oder Ziel der Begegnung im Theater sei die Hervorbringung einer fiktiven Realität, an deren ›Echtheit‹ – so die Grundregel des Spiels – die Teilnehmenden in ihrer Position als Darsteller fiktiver Figuren bzw. als Betrachtende für die Dauer der ›Performance‹ zu glauben hätten.64 ›Theater‹ meint in Frame Analysis also das dramatische Guckkastentheater, dessen Konventionen im Text systematisch und nicht ganz ohne ironischen Unterton ausgebreitet werden. Neben der bereits im obigen Zitat Erwähnung findenden klaren Trennung von fiktiven und nicht fiktiven Räumen zeichne sich das Theater – oder präziser die auf der Bühne ausgeführte Interaktion – dadurch aus, dass es darauf ausgerichtet sei, von Dritten – den Zuschauenden – nachvollzogen zu werden: Im Theater eröffneten sich Blicke in Räume, deren Bewohner eigentlich unsichtbar hinter einer Mauer verborgen sein müssten. Im Gespräch ließe man sich stets ausreden und falle sich nicht ins Wort. Es werde nur Signifikantes Gegenstand der Konversation und dies werde in einer geschliffenen und wohlklingenden Sprache vorgetragen, die Alltagsgespräche zumeist vermissen ließen. Schließlich werde derjenige, dessen Rede oder Handlungen besondere Aufmerksamkeit verdienten, stets räumlich klar exponiert.65 Das in Frame Analysis evozierte Bild vom Theater zeichnet sich durch einen hohen Grad an Konventionalisierung, ja Steifheit, aus. Es erinnert in seiner Insistenz auf deutliche Deklamation und strenge räumliche Ordnung stärker an die Visionen der europäischen Theaterreformer des 18. Jahrhunderts als an die vielfältige Theaterszene der USA in den 1970er Jahren, in deren Kontext Frame Analysis erscheint und in der längst schon experimentelle Formen abseits des Guckkastentheaters erprobt werden. Dennoch ignoriert Frame Analysis die Experimente der amerikanischen Theateravantgarde nicht vollkommen. Im Kapitel »The Manufacture of Negative Experience« werden sie als Gegenstand ins Zentrum gerückt und hinsichtlich ihres Umgangs mit dem konventionellen Theater-
63 Goffman 1974, S. 124-125. 64 Goffman nimmt sowohl für den Agierenden als auch für den Zuschauenden im Theater eine doppelte Verfasstheit an. Das Selbst des Schauspielers teile sich gewissermaßen in die zwei Dimensionen »stage actor« und »staged character«. Der Zuschauende vereine in sich die beiden Dimensionen »theatergoer and onlooker« (Siehe Goffman 1974, S. 129 u. 131). 65 Siehe Goffman 1974, S. 139-144.
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rahmen befragt.66 Goffman diskutiert Fälle eines spielerischen oder destabilisierenden Umgangs mit den Rahmungen, die Lesart, Haltung und Verhaltensweisen der an einer ›Performance‹ Beteiligten bestimmen. In der amerikanischen Dramatik und der experimentellen Theaterszene der 1960er und 1970er Jahre findet Goffman einen reichen Fundus an Beispielen, die versuchen, den Zuschauenden über die Rahmung des Ereignisses im Unklaren zu lassen oder die sich bemühen, den alle Handlungen als ›nicht echt‹ akzentuierenden Theaterrahmen zu durchbrechen. Goffman bezeichnet diese Tendenz im Gegenwartstheater auch mit dem Schlagwort »theater of frames«67. Unfaire Spiele Goffman widmet sich z.B. einer in der Zeitung The Daily California berichteten Anekdote aus einer Aufführung von Paradise Now durch das Living Theatre in der Academy of Music in New York, die er im Text als »the Becks-Schechner incident«68 einführt. Berichtet wird, dass Richard Schechner, der sich unter den Zuschauenden der Aufführung befand, auf die Rufe der Mitglieder des Living Theatre »I am not allowed to take my clothes off« und auf das Sich-Entkleiden der Akteure reagierte, indem er diese als wörtliche Aufforderung verstand, sich von seinem Sitz erhob, laut ausrief »All right, let’s take our clothes off« und sich nackt auszog.69 Goffman interessiert dieser Vorfall als Beispiel einer Verletzung des Theaterrahmens: »The frame implications here are interesting. A downkeying is involved, a member of the audience providing a literal response to what is (although almost not) a theatrical presentation. And a vulnerability of the performance is exposed to us, this being the point at which a downkeying is dramatically facilitated.«70
Ein zweites Beispiel dafür, welche Konsequenzen die Destabilisierung des Theaterrahmens haben kann, entstammt dann Schechners eigener Theaterpraxis. Goffman zitiert aus einem Text Schechners, in dem dieser berichtet, dass die in Dionysus in 69 angelegte intensive Interaktion mit den Zuschauenden zu Grenzver-
66 Siehe Goffman 1974, S. 378-438. 67 Ebd., S. 420. 68 Ebd., S. 432. 69 Siehe ebd., S. 432-433. 70 Ebd., S. 434. Mit den Begriffen downkeying und upkeying bezeichnet Goffman in Frame Analysis die Abnahme bzw. die Zunahme der Intensität der Involviertheit eines Teilnehmenden.
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letzungen z.B. sexuelle Annäherungen geführt habe, die von den Mitgliedern der The Performance Group als unzumutbar empfunden worden seien.71 Auch das Happening findet Erwähnung. Offensichtlich fällt es Goffman jedoch schwer, mit dem Happening etwas anzufangen. Kurz und knapp degradiert er es als »an emptied entertainment performance current for a couple of years in the sixties«72. Die »Leere« des Happenings besteht für Goffman dabei darin, dass es zwar die unterschiedlichsten Rahmungen – z.B. ›Konzert‹ im Falle der Stücke John Cages – mobilisiert, dann jedoch in keiner Weise den erwarteten ›Inhalt‹ – z.B. ›Musik‹ – liefert.73 In der Perspektive der Goffman’schen Rahmenanalyse erscheinen Happenings als Spiele mit Wahrnehmungsrahmungen, die jedoch nicht etwa als selbstreflexive Kunstform oder als sinnliches Ereignis geschätzt werden. Eher kommen Happenings als unfaire Interaktionsspiele in den Blick: »The creator here is said to have a didactic interest: an audience is presumably made conscious of its own restrictive conventions when it is forced to sustain its side of the bargain, readying itself for the performance proper, only to find that delivery is not made, this failure itself being the intent of the performance. (Actual performances of this kind often do succeed, of course, in driving the audience up and down various keys in their effort to arrive at a viable interpretation of what is being done to them.) In any case, these occasions provide natural experiments in what happens when a spectacle occurs without its game, a social occasion without the inner activity that presumably occasioned it.«74
Bemerkenswert ist, dass das Zitat eine regelrecht ökonomische Perspektive auf das Happening eröffnet. Das Happening erscheint deshalb so ablehnungswürdig, weil es ein Geschäft (bargain) sei, bei dem sich die eine Seite der Erfüllung ihrer vertraglichen Pflichten ganz bewusst verweigere und das Erwartete nicht liefere: »Delivery is not made«. Dass Zuschauende z.B. eines Cage-Konzerts durchaus etwas ›bekommen‹ – und sei dies eben die Erfahrung, sich auf die eigenen Erwartungen zurückgeworfen zu sehen und damit umgehen zu müssen –, kann in
71 Siehe Goffman 1974, S. 434-435. 72 Ebd., S. 408. Wie ratlos Goffman den Happenings gegenübersteht wird in der auf derselben Seite eingefügten Fußnote deutlich, die auf Michael Kirbys Standardwerk Happenings verweist. Dort ist nämlich folgender Kommentar zu lesen: »It is hard now to believe that happenings happened«. 73 Siehe Goffman 1974, S. 408. Für Goffman ist die Musik John Cages nicht mehr als »mere noise« (Goffman 1974, S. 408). 74 Goffman 1974, S. 408-409.
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Goffmans Perspektive bestenfalls als eine Art paternalistische Pädagogik verbucht werden. In erster Linie ist das Spiel mit unterschiedlichen Situationsdefinitionen, das die Zuschauenden in einen ununterbrochenen Reigen der Anpassung und Verwerfung von Wahrnehmungshaltungen schickt, in Goffmans Sicht nichts weiter als eine Zumutung: etwas, das den Zuschauenden »angetan« wird. Unfair ist das Happening also nicht nur, insofern es nicht einlöst, was es zu sein bzw. leisten verspricht. Unfair ist das Happening auch, insofern es dem Zuschauenden nicht erlaubt, wirklich mitzuspielen. Anders als im dramatischen Guckkastentheater sind die Spielregeln im Happening schlichtweg nicht klar und zwar in einem Ausmaß, das Goffman zu dem Schluss führt, dass das Spiel überhaupt nicht stattfinde, sondern nur mehr seine äußeren Bedingungen – das zur Schau gestellte Spektakel und die soziale Grundsituation des Zusammentreffens von Agierenden und Zuschauenden – aufgerufen würden. Mit der im obigen Zitat vorgetragenen doppelten Verfasstheit der ›Performance‹ als einerseits Spiel (game) und andererseits Spektakel (spectacle) eröffnet sich noch einmal der Blick auf die Logik des Goffman’schen Performancebegriffs, der sich nicht etwa zwischen Spiel-Analogie und Theater-Analogie entscheidet, sondern sich als durch beides konturiert erweist. Während die Dimension des Spiels gewissermaßen in das ›Innere‹ der ›Performance‹ verweist und die Regelhaftigkeit, die Anspruchshaltungen und gewissermaßen auch die ›Rechte‹ erfasst, die die Begegnung in einer ›Performance‹ bestimmen und so die soziale Verankerung der ›Performance‹ sichern, ist mit der Dimension des Spektakelhaften der ›Performance‹ ihr äußerer Rahmen angezeigt, der Orientierung und Zugang ermöglicht. Goffmans Performancebegriff ist, so lässt sich abschließend zusammenfassen, insgesamt darauf ausgelegt, die strukturelle Logik sozialer Interaktion – sei dies nun die alltägliche Begegnung oder die auf der Theaterbühne gezeigte Interaktion – aufzuschlüsseln. Es geht um die Herausarbeitung von Gesetzmäßigkeiten. Dabei erweist sich das Modell des dramatischen Illusionstheaters, das strikt schematisch verstanden wird, als zentraler ›Kern‹ des Performancebegriffs.75 ›Performance‹ und ›Theater‹ sind bei Goffman also eng miteinander verzahnt
75 Interessanterweise erkennt Goffman an, dass der von ihm entworfene Performancebegriff nicht unbedingt universale Gültigkeit beanspruchen könne und insbesondere in nicht westlichen Gesellschaften höchstwahrscheinlich nicht greife. Goffman argumentiert nämlich, dass die Tatsache, dass sich soziales Leben zumeist in Innenräumen abspielt, eine Eigenheit westlicher Gesellschaften sei (Siehe Goffman 1959, S. 244). Mir scheint in dieser Anmerkung Goffmans zudem der Gedanke implizit, dass auch das dramatische Illusionstheater, von dem aus, wie sich gezeigt hat, der Goffman’sche Performancebegriff ja gedacht wird, ein spezifisch westliches Modell ist.
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und aufeinander bezogen. Weiterhin bestätigt sich die zu Beginn dieses Kapitels geäußerte Vermutung, dass in der frühen amerikanischen Performancetheorie zwar durchaus der Blick verstärkt auf die prozesshafte Verfasstheit von Welt gelenkt wird, dass jedoch die Materialität und die ephemeren Qualitäten der ins Zentrum der Aufmerksamkeit rückenden Aufführungen/Inszenierungen/Darstellungen weniger thematisiert werden. Es ist daher kaum überraschend, dass eine künstlerische Praxis wie das Happening – die aus der Perspektive anderer Stränge der Performancetheorie gut einzuordnen ist – in der Goffman’schen Performancetheorie mit ihrer schematischen Orientierung für Aufruhr sorgt.
2.3 VICTOR TURNERS PERFORMANCETHEORIE 2.3.1 Ordnung – Krise: Performance und social drama Anders als im Fall Erving Goffman überrascht eine Lektüre des Anthropologen Victor Turner als Performancetheoretiker aus der Perspektive der deutschsprachigen Theaterwissenschaft kaum. Turners Name ist hier in der Rezeption eng mit dem sogenannten performative turn verbunden. Umso mehr erstaunt daher vielleicht, dass der Performancebegriff in Turners Texten erst spät – nämlich Ende der 1970er bzw. zu Beginn der 1980er Jahre – theoretisch ausformuliert wird. Das Nachdenken über die Dynamiken sozialer Gemeinschaft vollzieht sich bei Turner zunächst mit Bezugnahme auf das Drama als leitende Metapher. Bereits in Schism and Continuity in an African Society: A Study of Ndembu Village Life (1957) stellt Turner das Modell des social drama vor.76 Das Buch ist Turners Dissertationsschrift, die auf insgesamt zweieinhalb Jahren Feldforschung bei den Ndembu im zentralafrikanischen Sambia basiert.77 Turner entwirft darin das social drama als »principal unit of description and analysis in the study of social process«78. Es handelt sich also um einen analytischen Begriff, der jedoch, wie Turner insistiert, aus genauen Beobachtungen in der Feld-
76 Siehe Turner, Victor, 1957: Schism and Continuity in an African Society. A Study of Ndembu Village Life. Manchester/New York: Manchester University Press. 77 Turner hielt sich zwischen 1950-1952 und 1953-1954 mit Unterbrechungen als Forschender des Rhodes-Livingstone-Institut in Sambia auf. Sambia war zu dieser Zeit noch britische Kolonie und wurde Nordrhodesien genannt. 78 Turner 1957, S. xvii.
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forschung gewonnen und den Phänomenen sozusagen abgeschaut, nicht etwa auferlegt, sei.79 Das social drama ist generell Symptom einer Krise der sozialen Gemeinschaft. Es stört und durchbricht den stabilen Ordnungszustand und gibt den Blick auf die normalerweise verborgenen Konflikte und Spannungen, die das Leben in der Gemeinschaft prägen, frei. Diese im Konzept des social drama angelegte Teilung in sichtbares Äußeres und verborgene Vorgänge im Inneren fasst Turner mit geologischen Bildern wie dem Durchbruch der Oberfläche oder der Eruption. So schreibt er: »Through the social drama one may sometimes look beneath the surface of social regularities into the hidden contradictions and conflicts in the social system.«80 Das social drama bezeichnet jedoch nicht nur den Ausbruch einer Krise, sondern gibt ebenso den Verlauf der Überwindung des krisenhaften Konflikts vor. Der idealtypische Verlauf eines social drama umfasst vier Phasen: »(1) breach; (2) crisis; (3) redressive action; (4) re-integration or recognition of schism«81. Am Beginn steht der Bruch einer sozialen Norm, deren Befolgen für das reibungslose Zusammenleben in der Gemeinschaft Voraussetzung ist. Dementsprechend führt die Normverletzung zu einer Krise, die sich, sofern sie nicht sofort im kleineren Kreis der direkt Betroffenen beigelegt werden kann, zu einer breiten Spaltung der Gemeinschaft auswächst, da sich hinter den Konfliktparteien eine steigende Zahl solidarischer Anhänger versammelt. Der Zusammenhalt der gesamten Gruppe steht auf dem Spiel, so dass in der dritten Phase des social drama, der Phase der Wiedergutmachung, versucht wird, diesen mit bestimmten Mitteln – dem persönlichen Gespräch, informeller Streitschlichtung oder formalisierten Verfahren wie Gerichtsverhandlung und Ritual – zu retten. Diese Phase der Wiedergutmachung ist auch der Ort der ›Performance‹ innerhalb des social drama.82 ›Performance‹ kommt bei Turner dementsprechend als besondere Situ-
79 Vgl. für Turners Insistieren auf der induktiven Gewinnung des Begriffes social drama: Turner, Victor, 1980: Social Dramas and Stories about Them. In: Critical Inquiry 7, 1, S. 141-168, bes. S. 153. 80 Turner 1957, S. xvii. Siehe ebenfalls ebd., S. 91. 81 Ebd., S. 92. 82 In seinen frühen Forschungen liegt Turners Fokus auf dem Ritual als Untersuchungsgegenstand. In den Texten der 1950er und 1960er Jahre findet der Performancebegriff als umbrella term, unter den Formen kultureller Aufführungen wie das Ritual fallen, allerdings noch keine Verwendung. ›Performance‹ taucht dort ohne weitere Erläuterungen in der alltagssprachlichen Bedeutung von ›Durchführung‹ bzw. ›Ausführung‹ auf. So ist öfter routiniert die Rede von der performance of rituals (Siehe exempla-
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ation sozialer Interaktion in den Blick, die sich vor allem dadurch auszeichnet, dass die in einer Gemeinschaft geltenden Verhaltensnormen und Regeln sichtbar, reflektiert und zumeist bestärkt werden.83 Zuletzt kennt das social drama ausschließlich zwei finale Lösungsmöglichkeiten: die Versöhnung des Normbruchs und die erneute Zusammenfindung der Gemeinschaft oder die Anerkennung einer unumkehrbaren Diskrepanz, die die Trennung der Gruppe nach sich zieht.84 Auch wenn das social drama in Turners Schism and Continuity als Begriff einfach gesetzt wird und ohne explizite Reflexion der Konzeption des Dramatischen, auf die es Bezug nimmt, auskommt, wird aus der Anlage des Begriffs klar, dass das social drama von der aristotelischen Tragödientheorie her gedacht ist.85 Dabei ist es weniger das Moment der Nachahmung, das eine Akzentuierung erfährt, sondern die dramaturgische Dynamik aus antagonistischer Spannung, Höhepunkt und Lösung.86 So wie sich die aristotelische Tragödie als »Zusam-
risch das Kapitel »The Politically Integrative Function of Ritual« in Turner 1957, S. 288-317). Theoretisch ausformuliert wird der Performancebegriff bei Turner erst Ende der 1970er Jahre. Die in der dritten Phase des social drama zum Einsatz kommenden Formen der Konfliktaushandlung fallen in der Perspektive der späteren Texte dann unter den Begriff der cultural performance, den Turner von Milton Singer übernimmt. Insofern ist die Beobachtung, dass der Ort der Performance innerhalb des social drama die dritte Phase der Wiedergutmachtung ist, zwar retrospektiv angeleitet, aber konsistent mit Turners Theoriebildung. 83 Siehe auch die Definition von Ritual in Schism and Continuity: »Ritual is the social mechanism by which a group is purged of the anarchic and disruptive impulses which threaten its crucial norms and values.« (Turner 1957, S. 124) 84 Siehe Turner 1957, S. 91-92. 85 Hierfür spricht auch die Tatsache, dass Turner in seinem 1980 erscheinenden Aufsatz »Social Dramas and Stories about Them« das aristotelische Tragödienmodell als dem social drama verwandtes Modell benennt. Allerdings gibt Turner dies aufgrund seines Bestehens auf der induktiven Gewinnung des Begriffes als Zufall aus, der sich aus der engen Verflechtung und den Wechselwirkungen konfliktbeladener Ereignisserien im sozialen Leben und deren künstlerischer Bearbeitung und Reflexion erklären lasse. 86 Vgl. Aristoteles, 1994: Die Poetik. Übersetzt und herausgegeben von Manfred Fuhrmann. Stuttgart: Reclam. Die bekannte Tragödiendefinition des Aristoteles lautet: »Die Tragödie ist Nachahmung einer guten und in sich geschlossenen Handlung von bestimmter Größe, in anziehend geformter Sprache, […] Nachahmung von Handelnden und nicht durch Bericht, die Jammer und Schaudern hervorruft und hierdurch eine Reinigung von derartigen Erregungszuständen bewirkt.« (Aristoteles 1994, S. 19)
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menfügung von Geschehnissen«87 um einen zentralen Wendepunkt herum organisiert, so steht im Zentrum der Ereignisfolge des social drama die Phase der Wiedergutmachung, in der sich das ›Schicksal‹ der Gemeinschaft entscheidet. Die Attraktivität des Dramas als Metapher scheint also insbesondere in seinem Potenzial zu liegen, soziale Interaktion nach einem klaren Verlaufsmodell beschreibbar zu machen. Gleichzeitig trägt sich über den Bezug auf den aristotelischen Dramenbegriff in das social drama ein Moment tragischer Größe ein, das in Schism and Continuity insbesondere in den zugespitzten Titeln zum Ausdruck kommt, die Turner den beobachteten sozialen Dramen gibt. Titel wie »Two Headmen Dispute over a Death Payment« oder »The Expulsion and Return of Sandombu« versprechen Machtkämpfe, Fehden und Intrigen in den Reihen der Ndembu, die den Konflikten im Hause der Atriden in Nichts nachstehen.88 Zentrum der Beschreibungen und Analysen in Schism and Continuity sind die Geschehnisse um den jungen und ehrgeizigen Sandombu, der sich Hoffnungen auf das Amt des Oberhauptes des Dorfes Mukanza macht. Doch als sozialer Außenseiter, dessen leidenschaftliche Hingabe und außergewöhnlicher Kenntnisreichtum im Ackerbau ihn ständig unter den Verdacht der Zauberei stellen und der zudem noch kinderlos ist, bleibt Sandombu chancenlos. Dass er seinen politischen Ambitionen und Machtansprüchen in der Gemeinschaft dennoch lautstark Gehör verschafft, erscheint in Turners Beschreibungen wie ein ›tragischer‹ Fehler, der Sandombu immer wieder in Schwierigkeiten bringt und schließlich sogar zu seinem Ausschluss aus der Gemeinschaft führt. Insofern bei Turner aus der Bezugnahme auf das aristotelische Drama sowohl ein abstraktes Verlaufsmodell sozialer Interaktion als auch eine narrative Form für die Präsentation ethnologischer Feldforschungen gewonnen wird, bleibt die Bezugnahme strukturlogisch orientiert.89 Dass in Turners frühen Schriften das ›Drama‹ und nicht ›Theater‹ Metapher der Beschreibung sozialen Lebens ist, mag daran liegen, dass Turners Interesse in den frühen Schriften dem langwierigen, sich teilweise über Monate erstreckenden, prozessualen Verlauf sozialer Interaktionen gilt und weniger den punktuellen Zusammenkünften von Angesicht zu Angesicht, die Erving Goffman in seinen performancetheoretischen Überlegungen ins Zentrum stellt. Stärker als die Theater-Metapher hält das
87 Aristoteles 1994, S. 23. 88 Siehe Turner 1957, S. vii-viii. 89 Dies wird auch darin deutlich, dass Turners social drama, anders als das aristotelische Tragödienmodell, ohne die metaphysischen Dimensionen von Glück und Unglück und ohne die moralische Differenzierung von guten und schlechten Handlungsträgern auskommt.
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›Drama‹ die beobachteten sozialen Interaktionen in ihrer Körperlichkeit auf Distanz und erlaubt, sie in überindividuelle Verlaufsmuster zu übersetzen. Erst mit zunehmendem Interesse an der zeitlich kürzeren, spezifischen Situation – insbesondere der Situation der Aus- und Aufführung eines Rituals – und ihrer konstitutiven Funktion für soziale Realitäten wird in Turners Texten der Performancebegriff zum zentralen Terminus, der dann nicht über Bezugnahmen auf den Dramenbegriff, sondern in Verhältnis und Abgrenzung zu ›Theater‹ konturiert wird. Das ›Drama‹ bleibt dabei gewissermaßen die übergeordnete und ordnende Klammer, die der ›Performance‹ innerhalb der Logiken sozialen Lebens ihren Ort und ihre Funktion gibt. Mit der Bezugnahme auf das Drama als Metapher zur Beschreibung gruppendynamischer Prozesse halten dennoch auch gewisse Vorstellungen des Theatralen Einzug in das Nachdenken über das Soziale. So stützt sich Turners Studium der Ndembu z.B. durchaus auf die Annahme, dass es soziale Rollen gibt, die mit einem spezifischen sozialen Status, bestimmten Kompetenzen und Erwartungen verbunden sind.90 Anders als Erving Goffman vertieft Turner die Bedingungen eines derartigen Rollenspiels jedoch nicht auf der Mikroebene, sondern richtet die Aufmerksamkeit auf den globalen Verlauf sozialer Prozesse. Die soziale Rolle rückt eher als Positionsmarkierung in den Blick, denn wie bei Goffman als komplexe Handlungsaufforderung. Prinzipiell bleibt, wie ich versucht habe zu zeigen, Turners Übertragung der Idee des Dramas auf den Bereich des Sozialen strukturlogisch orientiert und vermeidet es, die mit dem ›Drama‹ bzw. dem ›dramatischen Theater‹ verbundenen Konnotationen von Nachahmung, Maskerade und Illusionierung auszuspielen. So ist der These Ian Maxwells, dass die Performancetheorie Turners vom Grundmodell des dramatischen Theaters ihren Ausgang nimmt, generell zuzustimmen und gleichzeitig darauf hinzuwei-
90 Siehe z.B. Turner, Victor, 1979a: ›Liminal‹ to ›Liminoid‹ in Play, Flow, and Ritual. An Essay in Comparative Symbology. In: Ders., Process, Performance and Pilgrimage. A Study in Comparative Symbology. New Delhi: Concept Publishing Company, S. 11-59, bes. S. 42-43. Turner äußert sich hier in Zusammenhang mit der Darstellung seines Communitas-Begriffs zu der Frage der sozialen Rollen. Die soziale Rolle kommt dabei als ein Organisationsprinzip sozialer Verhältnisse in den Blick, die die Menschen in Distanz zueinander setzt und sie normativen Strukturen unterwirft. Die Realisierung des von Turner als communitas bezeichneten intensiven Gemeinschaftsgefühls geht denn auch mit dem Heraustreten aus den Grenzen der jeweiligen sozialen Rolle einher.
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sen, dass Turners Umgang mit der Dramen-Metapher gerade auch darauf zielt, diese Verwurzelung in Vorstellungen des Theatralen zu verbergen.91 Nicht zuletzt geht es in Turners Beobachtungen des sozialen Gemeinlebens als Abfolge ›dramatischer‹ Ereignisse ja darum, Kenntnis über den ›wahren‹ Zustand einer einzelnen Gemeinschaft und letztlich Einsicht in universelle Gesetzmäßigkeiten des menschlichen Seins zu erlangen. Bei einem derartigen Unterfangen gilt es, die mit dem Modell des Theaters verbundenen Konnotationen von Schein und Trug, die es zu einem denkbar unzuverlässigen Verbündeten in der Suche nach absoluter Gewissheit machen, beiseitezuschieben. Turners Einsatz der Dramen-Metapher basiert, so lässt sich abschließend festhalten, sowohl auf einer Lesart des ›Dramas‹ als abstraktem Muster sozialer Prozesse als auch auf einem humanistischen Glauben an die ›Kraft‹ der Literatur, existenzielle Wahrheiten zu enthüllen. Turners Witwe und langjährige Arbeitskollegin Edith Turner bringt dies so auf den Punkt: »Drama was in his [Turner’s; VA] blood. He was reared on Shakespeare, Aeschylus, Shaw, Flecker, Ibsen. Ibsen’s plays were like Ndembu trouble cases; out of each of them shone some emerging truth, that the courage of Nora was a good in itself, that the pious Brand was possessed by a demon, not God as he thought.«92
91 Siehe Maxwell, Ian, 2008: The Ritualization of Performance (Studies). In: Graham St. John (Hg.), Victor Turner and Contemporary Cultural Performance. New York/ Oxford: Berghahn Books, S. 59-75, bes. S. 66-67. Maxwell vertritt die These, dass die Performancetheorie Turners und ihre Fortsetzung in der Theorie Schechners zirkulär funktioniere – was sich auch ganz offen in Richard Schechners bekannter Darstellung der Austauschbewegungen zwischen social drama und ästhetischem Drama als auf die Seite gekippte Acht zeige. Die performancetheoretischen Überlegungen Turners und Schechners, die Maxwell gemeinsam betrachtet, nehmen, so die These, ihren Ausgang vom Theater als (Denk-)Modell, entwerfen eine allgemeine Theorie der ›Performance‹ und behaupten dann wiederum das Theater als Sonderfall jener als anthropologische Konstante postulierten menschlichen Aktivität ›Performance‹. 92 Turner, Edith, 1985: Prologue. From the Ndembu to Broadway. In: Victor Turner, On the Edge of the Bush. Anthropology as Experience. Herausgegeben von Edith L.B. Turner. Tuscon: The University of Arizona Press, S. 1-15, hier S. 5 [Hervorhebung durch VA].
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2.3.2 Making, not faking: Performance als Arbeit an der Realität So wie das social drama von Turner als universelles Muster von Konfliktausbruch und Krisenbewältigung gefasst wird, so wird auch ›Performance‹ als anthropologische Konstante konzipiert, die dann folgerichtig Ansatz- und Ausgangspunkt ethnologischer Forschungen sein muss. In dem Aufsatz »The Anthropology of Performance« aus dem Jahr 1979 ist zu lesen: »If man is a sapient animal, a toolmaking animal, a self-making animal, a symbol-using animal, he is, no less, a performing animal, Homo performans, not in the sense, perhaps, that a circus animal may be a performing animal, but in the sense that man is a selfperforming animal – his performances are, in a way, reflexive; in performing he reveals himself to himself. This can be in two ways: the actor may come to know himself better through acting or enactment; or one set of human beings may come to know themselves better through observing and/or participating in performances generated and presented by another set of human beings.«93
Die performative Dimension des Mensch-Seins, so wird aus dem Zitat ersichtlich, besteht dabei nicht so sehr in der Tatsache, dass der Mensch als körperlich verfasstes Wesen in all seinem Handeln stets auf jene Körperlichkeit verwiesen ist – dies konstituiert ja gerade die Variante ›animalischer Performativität‹, von der die Idee des homo performans im Text abgesetzt wird –, sondern macht sich am reflexiven Potenzial ›menschlicher Performances‹ fest. ›Performance‹ ist daher in dem Sinne anthropologische Konstante, als Turner davon ausgeht, dass zu allen Zeiten und in allen Kulturen Aufführungen und Erzählungen stattfinden, in denen sich Teilnehmende und Zuschauende über sich selbst verständigen, also Vorstellungen davon generieren und aushandeln, wer sie sind und wie ihre Welt beschaffen ist.94 Wenn davon ausgegangen wird, dass sich in der ›Performance‹ ein Raum öffnet, in dem normative Orientierungen vorstellig werden, so ist auch
93 Turner, Victor, 1979b: The Anthropology of Performance. In: Ders., Process, Performance and Pilgrimage. A Study in Comparative Symbology. New Delhi: Concept Publishing Company, S. 60-93, hier S. 72 [Herv. i.O.]. 94 Wenn in den Texten Turners über ›Performance‹ und ihr selbstreflexives Potenzial nachgedacht wird, wird nicht zwischen medial verschiedentlich verfassten Formen von ›Performance‹ unterschieden. Das in körperlicher Ko-Präsenz gemeinsam durchgeführte Ritual oder die mündlich vor Zuhörenden vorgetragene Erzählung kommt ebenso in den Blick wie schriftlich verfasste Erzählungen oder der Film.
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einsichtig, warum gerade die ›Performance‹ im Verlauf des social drama eine Schlüsselstellung einnimmt. Weiterhin fällt im obigen Zitat auf, dass eine Variante von ›Performance‹ durch die theatrale Grundkonstellation von Agierenden und Zuschauenden – »human beings […] observing and/or participating in performances generated and presented by another set of human beings«95 – skizziert ist. Tatsächlich stehen sich ›Theater‹ und ›Performance‹ in den Turner’schen Texten nicht prinzipiell als Opposition gegenüber. Der Performancebegriff ist bei Turner umbrella term für verschiedene Formen kultureller Aufführungen und umfasst neben Ritual, mündlicher Erzählung u.a. eben auch das Theater. Die Differenzierung der verschiedenen Varianten – insbesondere die diskursive Organisation des Verhältnisses von ›Ritual‹ und ›Theater‹ – folgt dabei, wie noch zu zeigen sein wird, einer evolutionären Logik. Ritual und Theater als Spielarten von Performance Diese zeigt sich nicht zuletzt in Turners Vorliebe für die Präpositionen from – to, die in vielen seiner Aufsatztitel auftauchen und sich auch im Titel einer der bekanntesten Aufsatzsammlungen Turners From Ritual to Theatre: The Human Seriousness of Play (1982) finden.96 ›Ritual‹ und ›Theater‹ als Genres von ›Performance‹ werden bei Turner unterschiedlichen historischen Gesellschaftsformen zugeordnet und so in ein zeitliches Verhältnis zueinander gesetzt. Während das Ritual bei Turner als ursprünglichere Form von ›Performance‹ verstanden wird, die insbesondere in ›primitiven‹ Gesellschaften Bedeutung besitze, wird mit ›Theater‹ ausschließlich die Institution des literarischen Unterhaltungstheaters bezeichnet, die als solches Teil der Freizeitkultur moderner Industriegesellschaften sei.97 Insoweit die Theateraufführung und die Durchführung eines Rituals für Turner beides Beispiele von ›Performance‹ sind, teilen sie natürlich einige Gemeinsamkeiten. In beiden Fällen handele es sich um soziale Situationen, die vom Alltag abgesetzt seien und in denen die normative Ordnung des Zusammenseins dynamisiert werde.98 Bekanntermaßen übernimmt Turner zur Bezeichnung des be-
95 Turner 1979b, S. 72. 96 Siehe Turner, Victor, 1982: From Ritual to Theatre. The Human Seriousness of Play. New York: PAJ Publications. 97 Siehe Turner 1979a. Turner besteht in diesem Aufsatz darauf, dass zwischen »cultures which have developed before and after the Industrial Revolution« klar unterschieden werden müsse (Turner 1979a, S. 23). 98 Siehe Turner 1979a, S. 40-41.
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sonderen Zustands der Auflösung von Ordnungsmustern – jenes Eintretens eines »instant of pure potentiality«99 – den Begriff ›liminal‹ aus Arnold van Genneps Les Rites de Passages (1909), das 1960 erstmals in englischer Übersetzung erscheint.100 Allerdings gesteht Turner, wie er in »›Liminal‹ to ›Liminoid‹ in Play, Flow, and Ritual« (1979) darlegt, eher dem Ritual als dem Theater die vollständige Entfaltung des liminalen Potenzials zu und schlägt vor, die kulturellen Aufführungen der Industriegesellschaften, unter die ein breites Panorama an Phänomenen fällt – z.B. »a play by Becket, a show of Mort Sahl’s, a Super-bowl Game, a symphony concert, or an art exhibition«101 –, nicht als ›liminale‹, sondern als ›liminoide‹ Phänomene zu bezeichnen.102 Während sich liminale Phänomene dadurch auszeichneten, dass sie für die Gemeinschaft als Ganzes relevant seien, beträfen liminoide Aufführungsformen immer nur einen ausgewählten, kleinen Teil einer Gemeinschaft.103 Sie zeichneten sich zudem durch eine größere Unverbindlichkeit aus und besäßen daher eine größere soziale ›Leichtigkeit‹: »Optation pervades the liminoid phenomenon, obligation the liminal. One is all play and choice, an entertainment, the other is a matter of deep seriousness, even dread […].«104 Diese dichotomisierende Gegenüberstellung von ›reiner Unterhaltung‹ und ›sozial existenziellem Ereignis‹, die sich mit Turners Unterscheidung von ›liminal/liminoid‹ und damit auch ›Ritual/Theater‹ verbindet, schreibt sich in den ritualtheoretisch informierten Strängen der Performancetheorie fort und organisiert dort das Verhältnis von ›Theater‹ und ›Performance‹ als Gegensatz – als welches es bei Turner noch nicht
99
Turner 1979a, S. 41.
100 Siehe Turner, Victor, 1964: Betwixt and Between. The Liminal Period in Rites de Passage. In: Melford E. Spiro/June Helm (Hg.), Symposium on New Approaches to the Study of Religion. Proceedings of the Annual Spring Meeting of the American Ethnological Society. Seattle: American Ethnological Society, S. 4-20. Für die englische Übersetzung von van Genneps einflussreicher Studie siehe van Gennep, Arnold, 1960: The Rites of Passage. Chicago: University of Chicago Press (Frz. 1909). 101 Turner 1979a, S. 54. Explizit weist Turner auch an anderer Stelle des Aufsatzes noch einmal darauf hin, dass eine Beschäftigung mit liminalen und liminoiden Phänomenen die gesamte Bandbreite kultureller Ausdrucksformen in den Blick nehmen und Populärkultur ebenso wie Hochkultur einschließen müsse (Siehe Turner 1979a, S. 55). 102 Siehe Turner 1979a, S. 26. 103 Siehe ebd., S. 51. 104 Ebd., S. 39.
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konsequent konzipiert ist. Eine weitere Zuschreibung, die sich mit der Differenzierung liminaler und liminoider Phänomene verbindet und die ebenfalls ein breites Echo im performancetheoretischen Diskurs entfaltet, ist die Beschreibung liminoider Ausdrucksformen als Ware: »The liminoid is more like a commodity – indeed, often is a commodity, which one selects and pays for – than the liminal, which elicits loyalty and is bound up with one’s membership or desired membership in some highly corporate group. One works at the liminal, one plays with the liminoid.«105
Liminoide Phänomene werden, Turner zufolge, in gewissem Maß durch die kapitalistischen Tauschlogiken der Industriegesellschaften, in denen sie stattfinden, reguliert. Der individuellen und über das Medium Geld vermittelten Entscheidung zur Teilnahme an einem liminoiden Ereignis wie dem Theater steht die Zugehörigkeit zu einer Gemeinschaft als Antrieb und affektives Motiv der Partizipation an liminalen Ereignissen wie dem Ritual gegenüber. Die geringere Verbindlichkeit und losere soziale Verankerung von Theater bedeutet jedoch auch größere Freiheiten. Komplexes, kreatives und kritisches Spiel mit dem symbolischen Repertoire einer Gemeinschaft sei im Theater keine Ausnahme, sondern gehöre zu dessen Kernaufgabe.106 Dagegen seien, wie Turner betont, die Öffnungs- und Auflösungsbewegungen des Rituals dezidiert darauf ausgelegt, die gegebenen Ordnungsmuster letztendlich zu bestätigen und zu festigen. Als entscheidender Wendepunkt im Verlauf eines social drama ist das Ritual ja in erster Linie Mittel des Krisenmanagements und bewirkt idealerweise die (Wieder-) Herstellung eines sozial stabilen Zustands. Die hier dargelegten Unterscheidungen Turners von Ritual und Theater als unterschiedliche Spielarten der ›Performance‹ liefern, wie noch zu zeigen sein wird, ein Reservoir an konnotativen Zuschreibungen, das an anderer Stelle des Performancediskurses dann das Verhältnis der Begriffe ›Theater‹ und ›Performance‹ als Dichotomie organisiert. In einem Text Turners ist die Richtung, in der die diskursive Fortschreibung erfolgt, bereits vorgezeichnet. Abschließend soll daher Turners »Dramatic Ritual/Ritual Drama: Performative and Reflexive Anthropology« (1979) im Mittelpunkt der Analyse stehen.107
105 Turner 1979a, S. 54 [Herv. i.O.]. 106 Siehe ebd., S. 36-37. 107 Siehe Turner, Victor, 1979c: Dramatic Ritual/Ritual Drama. Performative and Reflexive Anthropology. In: Kenyon Review 1, 3, S. 80-93.
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Überwindung der theatralen Verfasstheit der Performance Turner reflektiert in »Dramatic Ritual/Ritual Drama« die Möglichkeiten alternativer Zugänge – das heißt Zugänge jenseits argumentativer, textbasierter und schriftlicher Vermittlung – zu ethnologischen Forschungsbeobachtungen. Im Text stehen insbesondere die eigenen praktischen Versuche einer anderen Form ethnologischer Wissensvermittlung im Zentrum. Turner schildert hier nämlich die Erfahrungen aus einem Workshop, den er gemeinsam mit seiner Frau Edith und Richard Schechner an der New York University gegeben hat.108 Studentinnen und Studenten der Studiengänge Regie, Schauspiel, Dramaturgie und Ethnologie versuchten sich im Rahmen dieses Workshops, unter Anleitung der Turners, an der Re-Inszenierung verschiedener Rituale der Ndembu. Antrieb für diesen Versuch ist die Annahme, dass die der Form, wenn auch nicht dem Detail, getreue gemeinsame Aufführung eines Rituals einen unmittelbaren, intuitiven Zugang zu den geografisch und kulturell fernen Erfahrungs- und Erlebenswelten der Ndembu öffnen könne. In diskursiver Hinsicht ist der Text aufschlussreich, da die Beschreibung des Reenactments109 des Rituals und die Reflexion seines Potenzials als alternative Form der Genese und Vermittlung von Wissen von einer terminologischen Unsicherheit begleitet wird, die sich letztlich in dem Bemühen zentriert, zu klären, warum das Reenactment des Ndembu-Rituals durch amerikanische Studierende auf gar keinen Fall als ›Theater‹ verstanden und bezeichnet werden kann. Statt von ›Theater‹ ist im Text dann davon die Rede, dass es sich bei der ReInszenierung des Ndembu-Rituals um ein ›lebendes Ritual‹, um enactment, recreation, um das titelgebende ritual drama oder eben ›Performance‹ handelt – keinesfalls jedoch um ›Theater‹ oder die mit ihm eng verbundene Mimesis. Im Gegensatz zur Lesart W.B. Worthens scheint mir das diskursive Spannungsverhältnis im Turner’schen Aufsatz daher nicht vorrangig, wie Worthen argumentiert, zwischen ›Text‹ und ›Performance‹ zu verlaufen, sondern zwischen ›Theater‹ und ›Performance‹.110
108 Auch Erving Goffman nahm an der von Richard Schechner im Sommer 1978 organisierten Veranstaltung teil, in deren Rahmen der Workshop stattfand. Thematisch ging es um Berührungspunkte von Theater und Ritual. 109 Von Turner wird der Begriff ›Reenactment‹ zur Bezeichnung der Re-Inszenierung des Rituals nicht verwendet. Dennoch erscheint der Begriff hier passend, da es im Workshop um die möglichst präzise Nachahmung eines konkreten vergangenen Ereignisses geht. 110 Vgl. Worthen, W.B., 1995a: Disciplines of the Text/Sites of Performance. In: The Drama Review 39, 1, S. 13-28. Worthens Beschäftigung mit Turners Aufsatz steht
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Besonders klar kommt dies in den Blick, wenn man die im Text geschilderte Szene des Reenactments des Ndembu-Rituals der Namensvererbung Kuswanika ijina, das der Besänftigung unruhiger und umherirrender Geister Verstorbener dient, betrachtet.111 Der Beschreibung dieser, im Text als Erfolg bewerteten, Inszenierung geht die Schilderung einer Serie scheiternder Bemühungen, den Lebensrealitäten der Ndembu nahezukommen, voraus. So wird berichtet, dass weder das Vorlesen aus den Forschungstagebüchern Turners noch der gemeinsame Tanz, die fremde und ferne Kultur der Ndembu in den Räumlichkeiten der New Yorker Performing Garage, in der der Workshop abgehalten wird, zu vergegenwärtigen vermag.112 Hindernis scheint dabei immer eine zu große Distanz zwischen den Mitteln, mit denen auf die Lebensrealitäten der Ndembu verwiesen wird, und der Tatsächlichkeit eben jener Lebensrealitäten zu sein.113
im Kontext einer kritischen Gegenrede auf die in der Diskussion über disziplinäre Grenzziehungen häufig anzutreffende Opposition von Theater Studies und Performance Studies. Worthen vertritt die These, dass die diese Grenzziehung in der Regel motivierende Dichotomisierung ›Performance vs. Text‹ als Wiederholung der von Roland Barthes getroffenen Unterscheidung von ›Text‹ und ›Werk‹ interpretiert werden könne. Die mit dieser Unterscheidung verbundene Machtdynamik der Autorisierung schreibe sich, so Worthen, in der diskursiven Konturierung des TextPerformance-Verhältnisses fort. Sowohl literarische Autorität als auch die ›Authentizität‹ einer Performance beruhten auf einer Rhetorik der Essenz und des Ursprungs, die das Verhältnis von ›Text‹ und ›Performance‹ letztlich in ein komplexeres Licht stellten als das eines einfachen Gegensatzes. Auch Turners Glaube, mit der Re-Inszenierung des Ndembu-Rituals einen Ausweg aus der autoritären Starre des Textes gefunden zu haben, erweist sich in Worthens Sicht als Missverständnis, da die Relation von Lesenden (die amerikanischen Studierenden) und als authentisch verstandenem Ursprungswerk (das Ritual der Ndembu) aufrechterhalten bleibe (Siehe Worthen 1995a, S. 15 u. 17-18 u. 22-23). 111 Siehe Turner 1979c, S. 85-87. 112 Für die Kontextualisierung der Inszenierungsexperimente Turners ist sicher nicht unerheblich, dass die Performing Garage zur Zeit des Workshops Proben- und Aufführungsraum von Richard Schechners Theatergruppe The Performance Group ist. 113 So stellt Turners Text z.B. heraus, dass der Versuch, die »Stimmung« in einem Dorf der Ndembu in der Performing Garage mithilfe von Aufnahmen von Musik der Yoruba zu vergegenwärtigen, scheitert, da diese Musik eben aus einem anderen kulturellen Kontext stammt und damit kaum als ›deckungsgleich‹ mit den kulturellen Produktionen der Ndembu gelten könne (Siehe Turner 1979c, S. 86).
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Dabei verfehlt nicht nur die Abstraktheit des schriftlichen Berichts die komplexe Erlebenswelt der Ndembu, auch der Körper scheint nicht unbedingt Garant einer nahtlosen Annäherung zu sein. So findet nämlich auch das Vor- und Ausführen der Tänze der Ndembu seine Grenze in der konkreten Bedingtheit der Mittel, mit denen auf die ›originären‹ Bewegungen verwiesen wird, und gelingt, wie Turner gesteht, nur »to the best of my limited, arthritic ability«114. Dass Turners Text die zunächst scheiternden Annäherungsversuche als »fun, but offcenter fun«115 bezeichnet, verstärkt den Eindruck, dass der Gruppe in ihren Inszenierungsbemühungen nicht nur an einer grundlegenden Ernsthaftigkeit gelegen ist, sondern dass die Bemühungen um eine adäquate Form der performance of ethnograpy116 darauf zielen, die Dinge in ihrem Kern – oder eben Zentrum – zu treffen. Ziel des in Turners Text beschriebenen Reenactments ist dementsprechend die Herstellung eines möglichst geringen Abstands zwischen den Mitteln des Verweisens und den Dingen, auf die sie zeigen. Damit wird in Turners Text die theatrale Logik des Stellvertretens zum Hauptproblem der ›Performance‹. Detailliert wird im Text geschildert, wie die Gruppe für das Reenactment des Ndembu-Rituals Kuswanika ijina in den Räumen der New Yorker Performing Garage nach geeigneten Mitteln für die Inszenierung sucht: Ein Pinselstiel, der mit einem scharfen Küchenmesser angeritzt und in eine Bodenspalte gesteckt wird, steht für den Setzling des Muyombu-Baumes ein, der von den Ndembu zur Erinnerung an Verstorbene gepflanzt wird. Statt mit weißem Ton werden die Teilnehmenden mit glatt gerührtem Salz gesalbt. Den Platz der im Fokus des von Turner in der Feldforschung beobachteten Rituals stehenden Protagonistin Manyosa nimmt eine Regiestudentin ein, deren Körper in der Position ›ritueller Bescheidenheit‹ drapiert wird. Turner selbst agiert in der Rolle des Dorfoberhauptes.117 Für die Frage nach den diskursiven Dynamiken von Vorstellungen des Theatralen innerhalb der Performancetheorie ist es dabei nun weniger bedeutsam, auf die Naivität oder, positiv formuliert, den Optimismus des in Turners Text
114 Turner 1979c, S. 86. 115 Ebd., S. 86 [Hervorhebung durch VA]. 116 Turner schreibt in »Dramatic Ritual/Ritual Drama« vom »›playing‹ of ethnography«, davon »to perform ethnography« sowie von einem »movement from ethnography to performance« (Turner 1979c, S. 81 u. 82 u. 92; Herv. i.O.). In späteren Texten findet sich dann auch die Formulierung »performed ethnography« (Siehe bes. Turner, Victor/Edith Turner, 1982: Performing Ethnography. In: The Drama Review 26, 2, S. 33-50). 117 Siehe Turner 1979c, S. 87.
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deutlich werdenden Glaubens an die Möglichkeit der Überwindung der medialen Verfasstheit der Aufführung hinzuweisen. Mir scheint spannender, dass sich gerade im Text selbst die Unsicherheit über die (Un-)Möglichkeit der Ausstreichung der theatralen Verfasstheit der ›Performance‹ immer wieder Bahn bricht. Turners Text eröffnet die Diskussion der Möglichkeiten, die ›Welt‹ der Ndembu für die am Workshop teilnehmenden Studentinnen und Studenten ›lebendig‹ werden zu lassen, nicht nur mit einer skeptischen Frage: »We had to try to create the illusion of what it is to live Ndembu village life. Could this possibly be done with a few bold strokes, with a gesture or two? «118 Wie ein Echo wiederholt sich die Frage in Anschluss an die detaillierte Schilderung des Reenactments des Rituals Kuswanika ijina gleich noch einmal: »Surely, at so many removes, must not the whole performance have seemed highly artificial, inauthentic?«119 Die Fragen verraten zugleich eine sozusagen platonische Theaterfeindlichkeit und erlauben den Versuch, die Theaterhaftigkeit der beschriebenen Inszenierung diskursiv zu bändigen, indem die skeptischen Fragen schlicht verneint werden: »[…A]t so many removes, must not the whole performance have seemed highly artificial, inauthentic? Oddly enough, according to the students, it did not.«120 Die leicht verstohlene Formulierung »komischerweise« und der Verweis auf die Erlebensrealität der Teilnehmenden, die der Performance ihre Authentizität bestätigen, macht nicht nur deutlich, dass Turner ob der Möglichkeit, die Lebenswelt der Ndembu tatsächlich mittels Re-Inszenierung zugänglich zu machen, skeptisch bleibt. Gleichzeitig wird klar, dass der Performancebegriff in Turners Text erst durch die Abgrenzung von einem Modell eines auf Nachahmung basierenden Illusionstheaters Kontur gewinnt und sich mit Konnotationen des Echten und Unmittelbaren ›auflädt‹. Nicht unwichtig ist in diesem Zusammenhang, dass Turner in seinem Text den Beschreibungen und Analysen des ei-
118 Turner 1979c, S. 84. 119 Ebd., S. 87. 120 Ebd., S. 87 [Hervorhebung durch VA]. Die Rede von dem sich »at so many removes« vollziehenden Aufführungsgeschehen ruft die Mimesistheorie Platons und die Kritik an der zweifachen Entfernung künstlerischer Produktionen vom eigentlichen Ort der ›Realität‹ – bei Platon das Reich der Ideen – auf, die dieser im 10. Buch der Politeia formuliert (Siehe Platon, 1999: Great Dialogues of Plato. Übersetzt von W.H.D. Rouse und herausgegeben von Eric H. Warmington und Philip G. Rouse. New York et al.: Signet Classic). Im letzten Absatz seines Aufsatzes verweist Turner explizit auf Platon und die Politeia, wobei er anführt, dass sich die platonische Unterscheidung zwischen dem hierarchisch privilegierten Reich des Geistes und der niederen Ordnungen, in der Performance auflöse (Siehe Turner 1979c, S. 93).
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genen Inszenierungsversuches, die Beschreibung und Reflexion der Inszenierung einer Szene aus Ibsens Nora voranschickt, die Richard Schechner im Rahmen des gemeinsamen Workshops mit den Teilnehmenden unternimmt. 121 Turner akzentuiert die von Schechner forcierte Schauspielweise als ein Verfahren, das von innen heraus hervorbringt, statt aus der Distanz nachzuahmen: »This is a different style of acting from that which relies on superb professional technique to imitate almost any Western role with verisimilitude. Schechner aims at poesis, rather than mimesis: making, not faking.«122 Diese Dichotomisierung von Erzeugen vs. Nachahmen, von Tun vs. Täuschung, die hier vorgenommen wird, gibt einerseits den Rahmen für die Einordnung von Turners eigenem Inszenierungsversuch vor, der sich diskursiv ebenfalls auf der Seite des not faking zu positionieren versucht, und öffnet andererseits das polare Spannungsfeld, in dem sich Theater- und Performancebegriff in Turners Text »Dramatic Ritual/Ritual Drama« zueinander sortieren. Mit Richard Schechner wird im Text ein Vertreter der US-amerikanischen Theateravantgarde der 1960er Jahre aufgerufen – es wird explizit auf Schechners »notable innovative performances«123 verwiesen –, der hier exemplarisch für das Ringen um und auch die Möglichkeit eines ›nicht theaterhaften Theaters‹124 steht. Durch die Parallelführung von Schechners avantgardistischer Theaterarbeit mit dem Reenactment des Ndembu-Rituals erscheint Turners Inszenierungsversuch ebenfalls als innovative Praxis, die ihre eigene Theaterhaftigkeit zu überwinden vermag und für die daher auch die Bezeichnung ›Theater‹ nicht greifen kann. Auch wenn die Begriffsunsicherheit in Turners Text und die Suche nach einem anderen, neuen Namen für die Praxis der Re-Inszenierung hier noch nicht zu einer programmatisch motivierten Forcierung des Performancebegriffs ausformuliert wird, so wird der Performancebegriff doch zumindest als terminologische Alternative angeboten. Als Ur-Szene
121 Siehe Turner 1979c, S. 84-85. 122 Ebd., S. 84 [Herv. i.O.]. Die mit Schechners Arbeitsweise und darüber implizit mit Turners ›performativer Anthropologie‹ assoziierte Dimension der Nähe und Intimität wird auch an anderer Stelle im Text evoziert. So ist im Text z.B. davon die Rede, dass man im Nachspielen der Rituale und sozialen Dramen der anderen direkt in deren »Haut schlüpfen« könne und nicht etwa lediglich deren (soziale) Rollen übernehme (Siehe Turner 1979c, S. 81). 123 Turner 1979c, S. 84. 124 Mit ›nicht theaterhaft‹ meine ich Schechners Versuch, Inszenierungen zu verwirklichen, die zwar dramatische Texte umsetzen und insofern dem konventionellen bürgerlichen Literaturtheater nicht radikal den Rücken kehren, die aber gleichzeitig mit dem Modell des Illusionstheaters brechen.
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der amerikanischen Performancetheorie wird der Turner’sch-Schechner’sche Workshop bzw. seine diskursive Aufarbeitung so zur Szene der Scheidung des Performance- und des Theaterbegriffs. Zum Abschluss der hier unternommenen Beobachtungen und Überlegungen soll sich der Blick auf Turners etymologisch fundierte Definition des Performancebegriffs richten. Diese begriffliche Grundlegung, die sich relativ zu Beginn des Aufsatzes »Dramatic Ritual/Ritual Drama« findet, wird im Verlauf der US-amerikanischen Performancetheorie auch von anderen Autorinnen und Autoren aufgenommen: »Performance is derived from the Middle English parfournen, later parfourmen, which is itself from the Old French parfournir – par (›thoroughly‹) plus fournir (›to furnish‹) – hence performance does not necessarily have the structuralist implication of manifesting form, but rather the processual sense of ›bringing to completion‹ or ›accomplishing‹. To perform is thus to complete a more or less involved process rather than to do a single deed or act.«125
›Performance‹ wird mit Produktivität und der Kraft zur Hervorbringung assoziiert, die über den punktuellen Akt der Manifestation oder Abbildung hinausgeht. Reflexivität impliziert der Performancebegriff auch in dieser Definition, insofern der in den Verben bringing to completion und accomplishing angedeutete Prozess des Vervollständigens und Vollendens voraussetzt, dass es etwas gibt, das es zu entfalten gilt, etwas, das über das Handeln im Moment hinausgeht und auf das sich die ›Performance‹ bezieht. Dass hier ›Performance‹ so klar als Prozess akzentuiert und von der Idee des singulären Aktes abgegrenzt wird, setzt die Turner’sche Performancetheorie zudem von den Performativitätstheorien der 1980er und 1990er Jahre ab. Turners Performancetheorie bleibt im Kern dem Modell des dramatischen Theaters verhaftet, dessen Aufführungen ja ebenfalls gut als Prozesse der Entfaltung beschrieben werden können. Abschließend bleibt festzuhalten, dass ›Theater‹ und ›Performance‹ bei Turner nicht prinzipiell als Gegensätze aufgestellt sind. In dem Moment jedoch, in dem es um die Beschäftigung mit verschiedenen Inszenierungsstrategien, also um ästhetische Praxis, geht, rücken ›Theater‹ und ›Performance‹ in ein Spannungsverhältnis zueinander. Dieses Spannungsverhältnis wird wesentlich durch die Konnotationen geprägt, die sich bei Turner an das Verständnis von Ritual als liminales und Theater als liminoides Phänomen knüpfen. So verbindet sich ›Theater‹ in »Dramatic Ritual/Ritual Drama« mit einer geringeren Intensität des
125 Turner 1979c, S. 82 [Herv. i.O.].
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Erlebens, mit Distanz und Ungewissheit bezüglich der ›Treffsicherheit‹ der verwendeten Mittel der Darstellung. Hinzukommt die Assoziation von ›Theater‹ mit Täuschung und Künstlichkeit. Demgegenüber steht dann eine Inszenierungsweise, die, wenn es sich auch nicht tatsächlich um ein Ritual handelt, die diesem zugeschriebene existenzielle Bedeutsamkeit, soziale Intimität und Verbindlichkeit besitzt und die daher nicht korrekt als ›Theater‹ beschrieben scheint, sondern Bezeichnungen wie ›lebendes Ritual‹, enactment, recreation, ritual drama oder eben ›Performance‹ auf den Plan ruft. Wie sich im nächsten Abschnitt zeigen wird, ist genau dieses Ringen um eine Überwindung der theatralen Verfasstheit der ›Performance‹ auch ein zentrales Anliegen der theoretischen Reflexionen Richard Schechners.
2.4 RICHARD SCHECHNERS PERFORMANCETHEORIE Die frühe Performancetheorie entwickelt, wie sich gezeigt hat, den Performancebegriff als Terminus, mit dem sich Situationen sozialer Interaktion systematisch beschreiben und analysieren lassen. Dabei haben sich die Texte Erving Goffmans und Victor Turners als im Denkmodell des dramatischen Theaters verhaftet erwiesen. Die mit dem dramatischen Theater verbundene Vorstellung der Rolle und der Maske war Ausgangspunkt für Goffman, die ›Performances‹ des Alltags als komplexe Varianten des Theaterspiels zu beschreiben. Victor Turner destilliert aus den im dramatischen Theater zur Aufführung kommenden Dramen die spannungsgetriebene Dramaturgie sozialer Konfliktverläufe. Richard Schechner, dessen performancetheoretische Texte im Zentrum dieses Abschnitts stehen, knüpft insbesondere an Victor Turners Überlegungen an. Stärker noch als Goffman und auch Turner formuliert Schechner unter dem Leitbegriff ›Performance‹ allerdings eine explizite performance theory aus.126 Schechner teilt mit Goffman und Turner generell die Überzeugung, dass ›Performance‹ Mittel der Hervorbringung und Gestaltung sozialer Realitäten ist.
126 Nach eigenen Angaben verwendet Schechner in seinem Aufsatz »Actuals: A Look Into Performance Theory« (1970) erstmalig die Bezeichnung performance theory. Siehe »What Is ›Performance Studies‹ Anyway?« (2007): http://frankleonroberts. typepad.com/conversations_with_frank_/files/unpublished-draft-whatisperformance studiesanyway.pdf (nur online veröffentlicht; letzter Zugriff 01.06.2019) und Schechner, Richard, 1970: Actuals. A Look Into Performance Theory. In: Alan Cheuse/Richard Koffler (Hg.), The Rarer Action. Essays in Honor of Francis Fergusson. New Brunswick: Rutgers University Press, S. 97-135.
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Genau wie Turner geht Schechner von der Ubiquität der ›Performance‹ aus, geht in der Bewertung der Funktion von ›Performance‹ jedoch noch einen Schritt weiter, wenn er ›Performance‹ auch als Phänomen des Tierreiches reflektiert und ihr somit umfassende Bedeutung, nicht nur für die menschliche Existenz zuweist. Der Impuls, Theater- und Performancebegriff in ein Oppositionsverhältnis zu setzen und dabei den Performancebegriff mit dem Versprechen von Unmittelbarkeit, Intensität und gleichberechtigter Kommunikation aufzuladen, der sich ansatzweise in den Texten Turners findet, wird in Schechners Schriften intensiver verfolgt. Als Vertreter der US-amerikanischen Theateravantgarde der 1960er Jahre ist für Schechner das etablierte bürgerliche Unterhaltungstheater dabei nicht nur als abstraktes Modell ein Problem, sondern ist auch eine konkrete künstlerische Herausforderung, der er sowohl theoretisch als auch in der eigenen Praxis begegnet. 2.4.1 Survival Values: Die Wirksamkeit der Performance Seine Überlegungen zu Theaterpraxis und Theatertheorie bringt Richard Schechner seit Mitte der 1960er Jahre in zahlreichen Aufsätzen zu Papier, die u.a. in The Drama Review (TDR) erscheinen, dessen Herausgeber Schechner über viele Jahre ist.127 Von Anfang an arbeitet Schechner in seinen Texten gegen die privilegierte Sonderstellung des bürgerlichen Literaturtheaters und setzt sich für die breitere Berücksichtigung performativer Phänomene in Alltags- und Populärkultur ein, die er unter den umbrella term ›Performance‹ fasst. Erster Ansatzpunkt ist für Schechner die Entkräftung der von den sogenannten Cambridge Ritualists vertretenen These vom Ursprung des Theaters aus dem Ritual. Statt eines teleologisch ausgerichteten Blicks, der performative Aktivitäten »vertikal« und oft auch hierarchisierend ordnet, tritt Schechner für eine »horizontale« Sortierung und Betrachtung performativer Aktivitäten ein.128 Das Theater gilt Schechner demnach grundlegend als eine Spielart von ›Performance‹, die sich im Netz performativer Aktivitäten in Verhältnis zu verwand-
127 Richard Schechner ist von 1962 bis 1969 Herausgeber von TDR. Im Jahr 1985 übernimmt er die Herausgeberschaft erneut und hat diese bis heute inne. Siehe Sandford, Mariellen R., 2011: Fanning the Flames. Richard Schechner’s TDR. In: James Harding/Cindy Rosenthal (Hg.), The Rise of Performance Studies. Rethinking Richard Schechner’s Broad Spectrum. Basingstoke/New York: Palgrave Macmillan, S. 152161. 128 Siehe Schechner, Richard, 1966: Approaches to Theory/Criticism. In: The Drama Review 10, 4, S. 20-53, bes. S. 26-27.
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ten Formen wie dem Spiel oder dem Ritual beschreiben lässt. Die Details der Schechner’schen Anordnungs- und Sortierungsvorschläge, die er häufig in Diagrammen, Tabellen und Skizzen schematisch zum Ausdruck bringt, sind hier weniger von Interesse. Für die Frage nach Stellung und Funktion von ›Theater‹ in den performancetheoretischen Texten Richard Schechners ist allerdings von Belang, dass er ›Performance‹ als umbrella term für verschiedene Gegenstände forciert, deren Gemeinsamkeit darin besteht, dass sie sich als Handlungsabläufe bzw. Prozesse im Zeitverlauf entfalten. Dass Schechner in den 1960er Jahren daran arbeitet, das Theater im Zeichen von ›Performance‹ zu denken, zielt also vor allem darauf, Theater als Handlung ernst zu nehmen und als solche zu beschreiben: »The need to analyze the action of theatre […] is not satisfied by the adoption of the Cambridge thesis or its derivates. I suggest that other tools and approaches – mathematical and transactional game analysis, model building, comparisons between theatre and related performance activities – will prove more fruitful. […] They may be extremely productive because they explore horizontal relationships among related forms. They also yield results which situate theatre in its proper place: performance, not literature. The text, where it exists, is understood as the key to action, not its replacement; where there is no text, action is treated directly.«129
Wie sich aus dem Zitat erkennen lässt, verbindet sich für Schechner mit dem Performancebegriff als wichtigste semantische Dimension der Aspekt des Handelns, des Tuns, des Agierens, die in Opposition zu der mit dem Denkmodell des Textes assoziierten Statik gesehen wird.130 Auch wenn der Performancebegriff in Schechners Texten als zunächst wertneutraler umbrella term vorgeschlagen wird, werden mit ›Performance‹ – wie sich im Folgenden an der Lektüre zweier Aufsätze Schechners aus den 1970er Jahren zeigen wird – auch ganz bestimmte Annahmen und Versprechen verbunden, die den Performancebegriff in Spannung und Reibung zum Theaterbegriff bringen. Dabei ist es in den frühen Texten, wie bereits bei Victor Turner, neben dem Performancebegriff insbesondere der Ritualbegriff, gegen den sich die Konzeption von ›Theater‹ in Schechners Texten entfaltet. Generell ist die spezifische
129 Schechner 1966, S. 53 [Herv. i.O.]. 130 Schechner lehnt in »Approaches to Theory/Criticism« nicht nur die Theorie der Cambridge Ritualists ab, sondern kritisiert auch Theorie und Methodik des New Criticism als für die Auseinandersetzung mit Theater ungeeignete Ansätze (Siehe Schechner 1966, S. 53).
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Konturierung des Performancebegriffs, die bei Schechner später in den programmatischen Schriften zu den Performance Studies noch besonders pointiert entwickelt wird, ohne die Idee des Rituals gar nicht denkbar. Gewissermaßen auf der ›Unterseite‹ der Aushandlung des Verhältnisses von ›Performance‹ und ›Theater‹ tragen sich die mit dem Ritual verbundenen Vorstellungen, insbesondere die Idee der Wirksamkeit, in den Performancebegriff ein. Diese Verschiebungen und Verschachtelungen werden erst in der genauen Lektüre sichtbar. Drama, Skript, Theater, Performance In seinem Aufsatz »Drama, Script, Theatre, and Performance« (1973) bemüht sich Richard Schechner um eine grundlegende Klärung und Sortierung der titelgebenden Begriffe und schlägt eine heuristische Begriffsunterscheidung nach dem Modell der Schichtung vor.131 Dabei gilt ihm ›Drama‹ als engster Begriff, der Formen schriftlich fixierter, raumzeitlicher und handlungsbezogener Muster umfasst. ›Skript‹ bezeichnet ebenfalls die Struktur oder die Codierung eines Ereignisses. Anders als das Drama müsse ein Skript jedoch von Körper zu Körper tradiert werden. Während sich mit ›Drama‹ und ›Skript‹ somit Unterscheidungen in der Art und Weise der Aufzeichnung und Weitergabe der Organisationsstruktur eines Ereignisses markieren lassen, lenken die Begriffe ›Theater‹ und ›Performance‹, so wie sie der Text entwirft, den Blick auf die Konstellation von Zuschauenden und Agierenden in einer Aufführungssituation. Dabei fokussiert ›Theater‹ die Agierenden und die Dimension des Zeigens, da es zu verstehen sei als: »the event enacted by a specific group of performers […] the manifestation or representation of the drama and/or script.«132 ›Theater‹ als auf das Zeigen ausgerichtetes Tun stehe im Kern jeder ›Performance‹ und mache diese erst als solche wahrnehmbar: »I distinguish a ›performance‹ from a simple ›gathering,‹ such as for a party, by the presence in a performance of a theatrical event – something planned and designed for presentation.«133 Schechners Konzeption von ›Performance‹ – jener »broadest, most ill-defined disc«134 in seinem Schichtungsmodell – bleibt also im Grundmodell des dramatischen Theaters verhaftet. Zugespitzt könnte man auch sagen, dass sich in Schechners Verständnis ›Performance‹ überhaupt erst in ihrer Theatralität zu erkennen gibt. Hier drängt sich die Frage auf, warum dann der Performancebegriff – wenn er
131 Siehe Schechner, Richard, 1973: Drama, Script, Theatre, and Performance. In: The Drama Review 17, 3, S. 5-36. 132 Schechner 1973, S. 8 [Herv. i.O.]. 133 Ebd., S. 20. 134 Ebd., S. 8 [Herv. i.O.].
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doch so deutlich theatral konturiert ist – in Schechners theoretischem Wurf überhaupt notwendig ist. Warum wird hier nicht einfach ein erweiterter Theaterbegriff etabliert? Warum ist stattdessen so umständlich die Rede vom ›Theater‹ als Kern der ›Performance‹? Der Grund, so möchte ich vorschlagen und so legt es auch die Argumentationslogik des zweiten hier diskutierten Aufsatzes nahe, ist Schechners ablehnende Haltung gegenüber dem bürgerlichen Literatur- und Unterhaltungstheater, die eben nicht nur eine spezifische künstlerische Praxis, sondern mit dieser auch den Begriff ›Theater‹ in Ungnade fallen lässt. Schechners Performancebegriff gibt sich dagegen als offene, nicht unbedingt mit einer spezifischen künstlerischen Praxis verbundene, Bezeichnung für ein theatrales Aufführungsgeschehen.135 In »Drama, Script, Theatre and Performance« wird ›Performance‹ entsprechend definiert als: »[t]he whole constellation of events, most of them passing unnoticed, that takes place in both performers and audience from the time the first spectator enters the field of the performance – the precinct where the theatre takes place – to the time the last spectator leaves.«136 Mit dieser Definition kommt Schechners Performancebegriff dem aktuellen Aufführungsbegriff der deutschsprachigen Theaterwissenschaft nahe, rückt doch hier ›Performance‹ als Ereignis des Zusammentreffens von Agierenden und Zuschauenden in den Blick. Allerdings wurzelt Schechners Begriffsverständnis nicht in phänomenologischer Philosophie oder ästhetischer Theorie und interessiert sich daher nicht für die Aufführung als emergentes und flüchtiges ästheti-
135 Obgleich ›Theater‹ und ›Performance‹ von Schechner als eng ineinander verschränkt gedacht werden, eröffnet »Drama, Script, Theatre, and Performance« auch eine differenzierende Lesart der beiden Begriffe, insofern diese, wie der Text nahelegt, auch als Bezeichnungen für verschiedene Arten der Einrichtung des Akteur-ZuschauerVerhältnisses in einer Aufführungssituation gebraucht werden können. In dieser Lesart wird ›Performance‹ als Bezeichnung für eine die Seite der Zuschauenden dezidierter einbeziehende Aufführungspraxis konturiert. Dies wird u.a. deutlich, wenn Schechner z.B. die ›Thovil‹ genannten rituellen Tänze und Gesänge Sri Lankas als »reines Theater« bezeichnet, da hier Zuschauer und Zuschauerinnen von den sich in Trance befindenden Akteuren nicht wahrgenommen würden und somit, Schechner zufolge, passive Betrachter blieben. Dagegen versteht Schechner seine eigene Arbeit als Regisseur als »Arbeit an den Nähten zwischen ›Theater‹ und ›Performance‹«, insofern sich z.B. seine Inszenierung von Sam Shepards Tooth of Crime um das Aufbrechen einer frontalen Gegenüberstellung von Zuschauenden und Agierenden bemüht (Siehe Schechner 1973, S. 10 u. 17 u. 24). 136 Schechner 1973, S. 8 [Herv. i.O.].
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sches Ereignis. Ganz im Gegenteil tritt in Schechners Text Ästhetik und das Ästhetische gar in eher negativer Konnotation auf. Seine Überlegungen zu Ausprägung und Funktion von ›Performance‹ im Tierreich – Schechners Beispiel sind Beobachtungen von Verhaltensweisen wilder Schimpansen, die Jane Goodall dokumentiert hat – lassen ihn gar zu dem Schluss kommen, dass über ›Performance‹ nicht im Zeichen des Ästhetischen nachgedacht werden dürfe, sondern, dass ›Performance‹ einzig in der Perspektive ihrer existenziellen Notwendigkeit und Unabdingbarkeit verstanden werden könne.137 Dabei betrifft dieser Perspektivwechsel auch ›Performances‹, die dem Bereich der Künste zugehören: »[…T]heories about aesthetics that talk about art as a ›luxury,‹ or a function of ›leisure,‹ are put into question. Instead one ought to seek for the survival value of performance […].«138 Der Suche nach der Bedeutung der ›Performance‹ für das menschliche Überleben entsprechend, konzentrieren sich die Überlegungen in »From Ritual to Theatre and Back: The Structure/Process of the Efficacy-Entertainment Dyad« (1974) darauf, die Vielfalt performativer Aktivitäten hinsichtlich ihrer existenziellen Notwendigkeit und Wirksamkeit zu sortieren.139 Ausgehend von eigenen und überlieferten Feldforschungen unter den Tsembaga und Asaro Mudmen im Hochland Neu-Guineas widmet sich Schechner in diesem Aufsatz den Graden der Funktionalität und der transformativen Kraft verschiedener Arten von ›Performance‹. Er nutzt die Begriffe ›Theater‹ und ›Ritual‹ als Markierungen, mit denen sich die Funktion von ›Performances‹ als entweder konsequenzlose Zerstreuung oder nachhaltige Transformation beschreiben lässt. Schechner stellt dennoch klar, dass zwar Wirksamkeit und Unterhaltung als mögliche Funktionen von ›Performance‹, nicht jedoch Ritual und Theater als unterschiedliche Genres von ›Performance‹ in polarem Gegensatzverhältnis zueinander stünden.140 ›Performance‹ wird als übergreifender umbrella term positioniert, der sich in Abhängigkeit vom ›Wirkungsgrad‹ der beschriebenen Aufführung als ›Theater‹ oder ›Ritual‹ spezifizieren lässt: »Whether one calls a specific performance ritual or theatre depends on the degree to which the performance tends toward efficacy or entertainment. No performance is pure efficacy or pure entertainment.«141
137 Siehe Schechner 1973, S. 27-28. 138 Ebd., S. 28 [Herv. i.O.]. 139 Siehe Schechner, Richard, 1974: From Ritual to Theatre and Back. The Structure/Process of the Efficacy-Entertainment Dyad. In: Educational Theatre Journal 26, 4, S. 455-481. 140 Siehe Schechner 1974, S. 468. 141 Ebd., S. 468.
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Für die Frage der Bedeutung des Theaterbegriffs in der Performancetheorie Richard Schechners lässt sich hier festhalten, dass sich ›Performance‹ und ›Theater‹ nicht als einfache Dichotomie formieren. Das Verhältnis der beiden Begriffe lässt sich eher als Dynamik der Ausweitung und Verengung beschreiben. Während ›Theater‹ zum Synonym für das Unterhaltungstheater einer gesellschaftlichen Elite verengt wird, vergrößert sich ›Performance‹ zu einem flexiblen umbrella term, der Divergentes zu vereinen vermag und sich nicht festlegen lässt: »In all entertainment there is some efficacy and in all ritual there is some theatre. The entire binary ›efficacy/ritual – entertainment/theatre‹ is performance: performance includes the impulse to be serious and to entertain; to collect meanings and to pass the time; to display symbolic behavior that actualizes ›there and then‹ and to exist only ›here and now‹; to be oneself and to play at being others; to be in a trance and to be conscious; to get results and to fool around; to focus the action on and for a select group sharing a hermetic language, and to broadcast to the largest possible audiences of strangers who buy a ticket.«142
Insofern die Ausweitung des Performancebegriffs mit einem ontologisierenden und engen Theaterverständnis einhergeht, stellt sich die Frage, auf welche Eigenheiten ›Theater‹ festgeschrieben wird und welche Konnotationen im Theaterbegriff mitschwingen. Verengung des Theaterbegriffs Es lassen sich dabei drei Aspekte herausarbeiten, die für die Konturierung des Theaterbegriffs in Schechners Texten eine Rolle spielen: 1. Marginalität, 2. Wirkungslosigkeit und 3. Distanz. Es ist auffällig, dass das Theater – in Abgrenzung zum Ritual – als im Sozialgefüge einer Gesellschaft weniger fest verankert erscheint. Während sich Rituale, Schechner zufolge, dadurch auszeichneten, dass sie zur Teilnahme verpflichten, müsse das Theater um Aufmerksamkeit und Kapital einzelner buhlen und erweise sich gegenüber möglichem Desinteresse als äußerst verletzlich: »The paradigmatic theatrical situation is a group of performers soliciting an audience […]. The audience is free to attend or stay away – and if they stay away it is the theatre that suffers, not its would-be audience.«143
142 Schechner 1974, S. 480. 143 Ebd., S. 473 [Hervorhebung durch VA]. Für die Aufschlüsselung der Konnotationen von ›Theater‹ ist hier sicherlich nicht unerheblich, dass das Verb solicit im Englischen auch ein sexuelles Werben meinen kann.
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Der anonymen Masse zahlender Zuschauerinnen und Zuschauer (»strangers who buy a ticket«144), die zum reinen Zeitvertreib dem Lockruf des Theaters folgen, steht im Text das Bild einer intimen Gemeinschaft Ausgewählter (»a select group sharing a hermetic language«145) gegenüber, die sich im Ritual konstituiert, so dass ein Fernbleiben automatisch den sozialen Tod bedeute.146 Ein derartig durchschlagendes Potenzial für die Konstitution sozialer Formationen wird dem Theater abgesprochen. Dieses verbleibt im Modus des Zusätzlichen und steht damit gewissermaßen auch im Verdacht, abkömmlich zu sein. Die dem Theater zugewiesene marginale Position in Bezug auf das Sein in einer Gemeinschaft steht in engem Zusammenhang mit der ihm zugeschriebenen Wirkungslosigkeit. Das Theater erscheint als Spiel, das auf Zerstreuung ausgerichtet ist, als auf die Selbstbezüglichkeit des Hier und Jetzt beschränktes Ereignis, das keine nachhaltigen Veränderungen zu erzielen vermag.147 In rituellen Aufführungen wie dem von Schechner in »From Ritual to Theatre and Back« beschriebenen Kaiko-Schlachtritual der Tsembaga komme es dagegen zu einer Ansammlung von tatsächlichem Vermögen und realen Machthabenden, so dass die gemeinsam ausgeführten Handlungen im Ritual soziale Positionen und Machtverhältnisse direkt gestalten und verändern könnten.148 Theater – genauer das Theater westlicher Gesellschaften, das Schechner auch »esthetic theatre«149 nennt, – erscheint in Bezug auf gesellschaftliche Machtrelationen dagegen vollkommen hilflos. Die sich hier zeigenden Formen von Macht seien lediglich eine »Farce«:
144 Schechner 1974, S. 480. 145 Ebd., S. 480. 146 Siehe ebd., S. 473. Der vollständige Satz lautet: »In ritual, staying away means rejecting the congregation – or being rejected by it, as an excommunication, ostracism, or exile.« (Schechner 1974, S. 473) 147 Siehe die von Schechner in der zuvor zitierten Passage verwendeten und mit ›Theater‹ assoziierten Formulierungen »to entertain«, »to fool around«, »to pass the time«, »to exist only ›here and now‹« sowie, auf das ›Ritual‹ bezogen, »to get results« (Schechner 1974, S. 480). 148 Siehe Schechner 1974, S. 466. Im Zentrum der Kaiko-Feierlichkeiten der Tsembaga steht das Zusammentreffen rivalisierender, benachbarter Gruppen. Jede Gruppe bringt zum Kaiko eine gewisse Anzahl von Schweinen, die geschlachtet werden und deren Fleisch, begleitet von Tänzen und Gesängen, untereinander verteilt wird. Das Fleisch fungiert als Medium der Aushandlung der Bedingungen eines weiterhin friedlichen Zusammenlebens. 149 Schechner 1974, S. 466.
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»In our society only a charade of power is displayed in theatrical performances. When this is recognized, authenticating theatres preoccupy themselves with symbolic activities, feeling helpless in the face of the hollowness of the authenticating tasks they set up for themselves. So-called real events are revealed as metaphors. In a society as large and wealthy as ours only esthetic theatre is possible.«150
Eine Bezugnahme auf Realität sei im Theater allein auf symbolisch-metaphorische Weise möglich. Jede sich betont ›echt‹ gebende Geste, die zuweilen als Reaktion des Theaters auf das Gewahrwerden seiner eigenen Machtlosigkeit mit verstärktem Nachdruck erfolge, erweise sich dagegen als »leer«. So ist es vor allem die Differenz von Symbolischem und Realem, mit der in Schechners Text die Wirkungslosigkeit des Theaters begründet wird.151 Dies führt noch zu einem etwas amüsanten Dreh, wenn die Unmöglichkeit eines nach dem Modell des Rituals effektiven Theaters in westlichen, kapitalistischen Gesellschaften implizit damit erklärt wird, dass der dort vorhandene Reichtum allein aufgrund seiner Ausmaße nicht realiter im Aufführungsraum präsent gemacht werden könne. Dies war ja gerade für die Wirksamkeit des Kaiko-Rituals eine Voraussetzung. Das im Schlachtritual verwendete Schweinefleisch konstituiert tatsächlich das gesamte Vermögen der Beteiligten. Im Text heißt es: »In a society as large and wealthy as ours only esthetic theatre is possible. Or authenticating theatres must seek a basis other than economics; or fully ally themselves with established authority.«152 Nicht nur die radikal andere ökonomische Basis der westlichen Gesellschaften, die den Kontext von Theater bilde, auch der für Theater charakteristische Modus der Repräsentation – der Täuschung – erscheint als Ursache für die prinzipielle Wirkungslosigkeit von Theater. Dem könnten, Schechner zufolge, auch die auf die Akzentuierung von ›Echtheit‹ ausgelegten, theatralen Strategien der experimentellen Theateravantgarde keine Abhilfe schaffen. Dass sich derartige Versuche in der Theaterpraxis der 1960er und 1970er Jahre dennoch häuften, interpretiert Schechner als Symptom einer Sehnsucht nach Authentizität, die sich als Reaktion auf eine hochgradig theatralisierte amerikanische Gesellschaft Mitte
150 Schechner 1974, S. 466. 151 Schechner schreibt über das Schlachtritual der Tsembaga: »As in all rites of passage something has happened during the performance; the performance both symbolizes and actualizes the change in status. […] This convergence of symbolic and actual event is missing from esthetic theatre.« (Schechner 1974, S. 465 [Herv. i.O.]) 152 Schechner 1974, S. 466.
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des 20. Jahrhunderts einstelle.153 Der Täuschungen und Scheinhaftigkeit des öffentlichen Lebens müde, wachse, so Schechner, die Sehnsucht des Publikums, im Theater hinter den Kulissen und Masken etwas ›Echtes‹ zu erblicken. Das Theater antworte auf diesen Wunsch vor allem mit einer Art Selbstentblößung, indem es die eigenen Mittel transparent ausstelle und insbesondere die Akteurinnen und Akteure dazu anhalte, ihr ›wahres Gesicht‹ zu zeigen: »The attention paid to the procedures of making theatre are, I think, attempts at ritualizing performance, of finding in the theatre itself authenticating acts. In a period when authenticity is increasingly rare in public life the performer has been asked to surrender his traditional masks and be himself; or at least to show how the masks are put on and taken off. Instead of mirroring his times the performer is asked to remedy them. The professions taken as models for theatre are medicine and the church.«154
Ein letzter Aspekt, der für die Konturierung von ›Theater‹ in Schechners »From Ritual to Theatre and Back« von Bedeutung ist, ist die Konnotation der Distanz. Diese betrifft nicht nur den bereits erwähnten Spalt zwischen dem Symbolischen und dem Realen oder den körperlichen Abstand zwischen Agierenden und Zuschauenden. Entscheidend ist auch eine Form der reflexiven Distanznahme. Während sich das Ritual mit einem äußerst intensiven Zustand des selbstvergessenen Involviertseins verbinde (»to be in a trance«155), gehe das Theater mit einem klaren Bewusstsein und Verständnis für die Situation einher (»to be conscious«156). Das Wirken des Rituals hängt also in ganz entscheidendem Maße davon ab, dass es nicht kritisch-reflektierend befragt und, dass die Bedeutung der verwendeten Symbole unmittelbar verstanden wird.157 So kann auch Nichtwissen als Symptom der Verwandlung von Ritual in Theater gelten, wenn der eigentliche Zweck und die traditionelle Verankerung des Rituals in Vergessenheit geraten und ästhetische Aspekte in den Vordergrund treten. Sobald z.B. die farbliche Gestaltung einer rituellen Gesichtsbemalung persönlichen Vorlieben folge oder das gemeinsame rituelle Singen und Tanzen um seiner selbst willen genossen werde, habe man es nicht mehr mit einem Ritual, sondern mit Theater zu tun.
153 Siehe Schechner 1974, S. 468. 154 Ebd., S. 468. 155 Ebd., S. 480. 156 Ebd., S. 480. 157 Dies wird im Text folgendermaßen auf den Punkt gebracht: »Knowing what the ritual does is a very important step in the development of theatre from ritual.« (Schechner 1974, S. 461)
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Zusammenfassend lässt sich festhalten, dass sich ›Theater‹ in den beiden hier besprochenen Texten Richard Schechners mit Blick auf eine spezifische Theaterpraxis formiert. Auch weil Schechner aus der Position eines Vertreters der amerikanischen Theateravantgarde schreibt, wird immer wieder das institutionalisierte Theater – sowohl das kommerzielle Unterhaltungstheater des Broadways als auch das zumeist dramatischen Klassikern verschriebene Literaturtheater – zum Referenten für ›Theater‹. Der in ›Avantgarde‹ implizierten zeitlichen Logik des Vorwegnehmens des Zukünftigen entsprechend erscheinen diese Theaterpraktiken dann in Schechners Sicht als obsolet und dem Aussterben anheimgestellt: »In the twentieth century the entertainment theatre, threatened with extinction, broke into two parts: an increasingly outmoded commercial theatre typified by Broadway and a subsidized community museum typified by the regional theatres.«158 Es ist hier nicht von Bedeutung, ob eine derartige Diagnose historiografisch haltbar ist. Ebenso wenig ist interessant, ob sich die Schechner’sche Zukunftsprognose, dass auf Wirksamkeit ausgerichtete Theaterpraktiken (»efficacious theatres«159) gegen Ende des 20. Jahrhunderts vorherrschen werden, bewahrheitet hat.160 Wichtig für die Frage nach den Eigenheiten der Bezugnahmen auf ›Theater‹ in der frühen Performancetheorie ist allerdings, dass sich hier der Theaterbegriff mit den Konnotationen des Musealen und Überholten auflädt. Insgesamt formulieren Schechners Texte einen engen Theaterbegriff, der ›Theater‹ mit einer institutionalisierten Kunstpraxis gleichsetzt, die kaum mehr Berührungspunkte mit dem ›wahren‹ Leben aufweist und daher nur noch ornamentale und museale Interessen bedienen kann. Trotz seiner vehementen Kritik am ›Theater‹ wendet sich Schechner, selbst Regisseur, dennoch nicht vom Theater als Kunstform ab, sondern arbeitet an dessen Revolutionierung. Dabei geht es ihm, wie die Lektüren im nächsten Abschnitt zeigen werden, um eine Annäherung der Inszenierungs- und Aufführungspraxis an die Wirkungslogiken des Rituals.
158 Schechner 1974, S. 470. 159 Ebd., S. 471. 160 Siehe ebd., S. 471.
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2.4.2 Theater ritualisieren – Theater politisieren: Performance als andere Art der Aufführung Richard Schechner gehört als Theaterregisseur und Gründer der The Performance Group (1967-1980) zur US-amerikanischen Theateravantgarde, die sich seit den 1960er Jahren um eine Erneuerung des Theaters bemüht. 161 Theaterarbeit findet in den 1960er und 1970er Jahren in den USA dabei in einer politisch aufgewühlten Zeit statt. Vielfältige soziale und politische Bewegungen, die häufig mit dem Label counterculture zusammengefasst werden, lehnen sich, oft auch gewaltsam, gegen den Status Quo im Land auf. Die junge Nachkriegsgeneration protestiert gegen die amerikanische Politik, vor allem gegen den Vietnamkrieg (1954-1975), kritisiert kapitalistischen Materialismus, Rassismus und die als repressiv empfundene konservative Sexualmoral der Elterngeneration. In den 1960er und 1970er Jahren kämpft die Bürgerrechtsbewegung für die Gleichberechtigung der afroamerikanischen Bevölkerung und erreicht mit dem Civil Rights Act von 1964 die Aufhebung der bis dato vom Gesetz gedeckten Rassentrennung. In der feministischen Bewegung engagieren sich Frauen für die Gleichberechtigung der Geschlechter im gesellschaftlichen und im Privatleben, protestieren gegen sexuelle Gewalt und kämpfen für das Recht auf körperliche Selbstbestimmung. Auch Homosexuelle wehren sich zunehmend gegen Diskrimierung und Verfolgung. Die anlässlich einer Razzia in einer Schwulenbar 1969 ausgebrochenen gewaltsamen Auseinandersetzungen zwischen Polizei und der ansässigen gay community im New Yorker Stadtteil Greenwich Village gehen als Stonewall riots in die Geschichte ein und gelten als Beginn des Gay rights movement in den USA. In den gegen das Establishment gerichteten Bewegungen, insbesondere unter den sogenannten Hippies, steigt zudem das Interesse an nicht westlicher Spiritualität und intensiven, teils durch Drogen verstärkten, Bewusstseinserfahrungen. Die Arbeiten der amerikanischen Theateravantgarde der 1960er und 1970er Jahre zeichnen sich vor allem durch den Versuch aus, das Theater zu politisieren und es gleichzeitig vom Ruch der bürgerlichen Insitution, die sich dem Realismus, der Illusionierung und der leichten Unterhaltung verschrieben hat, zu befreien. Gegenmodell von Gruppen wie The Performance Group, Living Theatre
161 Zur Geschichte der Performance Group und der amerikanischen Theateravantgarde der 1960er und 1970er Jahre vgl. Harding, James M./Cindy Rosenthal (Hg.), 2006: Restaging the Sixties. Radical Theaters and Their Legacies. Ann Arbor: The University of Michigan Press und Shank, Theodore, 2002: Beyond the Boundaries. American Alternative Theatre. Ann Arbor: University of Michigan Press.
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oder Bread and Puppet Theater ist vor allem das kommerzielle amerikanische Broadway-Theater. Dem entgegen wird in der amerikanischen Theateravantgarde häufig ein Ideal der Authentizität und der Gemeinschaft mobilisiert. Statt fiktiven Welten Raum zu geben, soll Theater Ort ›echter‹ sozialer Erfahrung und ›tatsächlicher‹ politischer Auseinandersetzung – am besten Impulsgeber revolutionärer Aktionen – sein. Insofern Spektakelhaftigkeit und jegliche Form des fake abgelehnt werden, lässt sich die Haltung der amerikanischen Theateravantgarde der 1960er und 1970er Jahre auch als antitheatral beschreiben.162 Im letzten Abschnitt dieses Kapitels soll daher die Frage aufgegriffen werden, welche Vorstellung eines anderen, nicht theatralen Theaters in den Texten Schechners entworfen wird und wie sich diese auf den Performancebegriff auswirkt. Theater des Tatsächlichen Trotz seiner vehementen Kritik am Theater als Kunstform, der er kommerzialisierte Oberflächlichkeit und museale Erstarrung vorwirft, wendet sich Richard Schechner nicht vom Theater ab, sondern arbeitet an dessen Erneuerung. Dabei geht es nicht um eine dezidierte Abkehr vom Drama, um Versuche eines dekonstruktivistischen Regietheaters oder um radikal-minimalistische Experimente. Für die Performance Group bleiben dramatische Texte – von Euripides über Shakespeare und Brecht bis hin zu Sam Shepard – Ausgangs- und Bezugspunkt der Theaterarbeit. Zwar verabschiedet sich Schechner in seiner Regietätigkeit vom Prinzip des Primats des Dramas, demzufolge sich alle anderen Theatermittel dem Text unterzuordnen haben. Dennoch zeigen sich Schechners Arbeiten stets der dramatischen Erzählung verpflichtet. Die Impulse für eine Erneuerung des Theaters richten sich letztlich auf das Verhältnis von Agierenden und Zuschauenden sowie darauf, in der Aufführung (performance), jenseits des theatralen Als-Ob, Momente von ›Tatsächlichkeit‹ herzustellen.163
162 Vgl. hierzu Auslander, Philip, 2006a: Performing Glam Rock. Gender and Theatricality in Popular Music. Ann Arbor: The University of Michigan Press. Auslander stellt fest, dass die Musikkultur der counterculture durch eine antitheatrale Haltung geprägt war. Erst ab den späten 1970er Jahren findet mit dem Aufkommen von Glamrock eine Neubewertung und positive Hinwendung auf ›Theatralität‹ im Sinne von Spektakel, des Hyperbolischen und des lustvollen Spiels mit Identitäten statt. 163 Den Begriff der ›Tatsächlichkeit‹ entlehne ich hier aus Schechners Aufsatz »Actuals. A Look Into Performance Theory« (1970). Mit dem ›Tatsächlichen‹ (actual) wird darin sowohl auf die Konkretheit des Aufführungsortes, den Handlungsvollzug in der Realität des Hier und Jetzt, aber auch auf die Dimensionen eines ›echten‹ Ri-
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Hinsichtlich des Verhältnisses von Agierenden und Zuschauenden wird in den Texten Schechners die Vision einer erhöhten Dynamik und Intensivierung der Begegnung von Publikum und Ensemble formuliert. Die Vorschläge für einen anderen Umgang mit Raum, Körper und Zuschauenden bündeln sich vor allem im Konzept des ›environmentalen Theaters‹, das in der gleichnamigen Publikation Environmental Theater (1973) ausführlich beschrieben wird.164 In Bezug auf die Zuschauenden ist das hauptsächliche Anliegen, bewusst und in der Aufführung erlebbar zu machen, dass das Publikum aktiver und konstitutiver Bestandteil der Aufführung (performance) ist. Statt – dem Modell des Guckkastentheaters entsprechend – auf einen räumlich festen Platz fixiert zu sein und sich als stille Empfängerin des Bühnengeschehens zu verstehen, imaginiert und realisiert Schechner räumliche Arrangements, in denen Zuschauende aufgefordert sind, sich frei zu bewegen. Die Beziehung des Publikums zu den Darstellenden soll zudem mittels körperlicher Interaktion, direkter Ansprache oder Aus-derRolle-Treten verändert werden. Ziel ist neben der Akzentuierung des Publikums als Bestandteil des Ereignisses ›Aufführung‹ – bei Schechner liest man an dieser Stelle natürlich ›Performance‹ – die Ermöglichung eines Gemeinschaftsgefühls. Die Mühen um Aktivierung der Zuschauenden und deren gruppendynamische Verschmelzung motivieren sich aus der Hoffnung, auf diese Weise das Theater wieder ein Stück weit ins Zentrum des sozialen Lebens zu rücken. Diese politische Dimension der Schechner’schen Performancetheorie wird bereits in seiner ersten Buchpublikation Ende der 1960er Jahre deutlich. In einer Weise, die auch für alle späteren Bücher typisch ist, versammelt Public Domain: Essays on the Theatre (1969) eine Reihe von Aufsätzen Richard Schechners, die zuvor in verschiedenen Zeitschriften veröffentlicht wurden und die in meist leicht veränderter Version in den Band aufgenommen werden. Public Domain schließt mit einem unbekannteren, jedoch äußerst aufschlussreichen Aufsatz, der den Titel »The Politics of Ecstasy« trägt.165 Schechner reflektiert darin den Status und die gesellschaftspolitischen Möglichkeiten des Theaters im Kontext der veränderten Medienlandschaft und der politischen Umbruchsituation in den USA
sikos und der potenziell nachhaltigen Transformation verwiesen, die in der ›Performance‹ bestünden (Siehe Schechner 1970, S. 114-115). 164 Siehe Schechner, Richard, 1994: Environmental Theater. An Expanded New Edition Including ›Six Axioms for Environmental Theater‹. New York/London: Applause (EA 1973). 165 Siehe Schechner, Richard, 1969: Public Domain. Essays on the Theatre. Indianapolis: The Bobbs-Merrill Company.
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der 1960er Jahre. Der Essay beginnt mit der rätselhaften wie enthüllenden Beschreibung eines fiktiven Eroberungsszenarios: »I have had the fantasy of the revolution beginning, crowds storming across Washington Square and entering my apartment building, overpowering the doorman, breaking into apartments. They are on the fifteenth floor, and my apartment will be next. After a few moments’ hesitation, fond glances at my hi-fi, this neat electric typewriter, my thousand books, the paintings and prints – after all that – I rush out into the hallway and wait on the fire stairs. As the revolutionary mob storms my door I join them, am among the first. We break the door down together and I collaborate in the pillaging of my own apartment. Fear, not nobility, makes me part of the revolution.«166
Nicht allein eröffnet diese Szene in komprimierter Weise den Blick auf die Ambivalenzen und Paradoxien, die die Teilnahme der Privilegierten am gewalttätigen Aufstand der Unterdrückten bedeutet. Gleichzeitig ist auch die Frage aufgeworfen, in welchem Verhältnis Kunst – hier aufgerufen im Bild der mit Büchern, Gemälden und Drucken gefüllten Wohnung des Akademikers – und Gesellschaft zueinanderstehen. Schechner hält in seinem Essay die Diskrepanz zwischen direkter, politisch motivierter Aktion (die Erstürmung von Wohnhäusern) und der Meinungs- und Wahrnehmungspolitik, der er seine eigenen Anstrengungen als Professor und Theatermacher zuordnet, offen. Dennoch hält er an der Überzeugung fest, dass Kulturinstitutionen wie das Theater für gesellschaftliche Veränderungen, mithin für die Revolution, eine Schlüsselrolle spielen können. Das Theater könne als Katalysator und Kanal »sozialer Energie« Einfluss auf Entstehung, Erhalt und Ausrichtung von Handlungsimpulsen üben und so gesellschaftliche Prozesse mitgestalten.167 Für das Theater bedeutet die von Schechner imaginierte Politisierung nicht etwa eine Hinwendung zu politischen Themen oder ausschließlich ästhetische
166 Schechner, Richard, 1969: The Politics of Ecstasy. In: Ders., Public Domain. Essays on the Theatre. Indianapolis: The Bobbs-Merrill Company, S. 209-228, hier S. 211. 167 Die Vorstellung von ›Theater‹ als Ort des Austausches sozialer Energie hängt eng mit der Vorstellung zusammen, dass ›Theater‹ ein Ort von Gemeinschaft ist. Gleichzeitig betont Schechner die prinzipielle Offenheit dieses Prozesses. ›Theater‹ könne sich sowohl in den Dienst revolutionärer als auch repressiver Ziele stellen: »Theatre can be celebratory, even orgiastic, and communal. It can channel social energy and redistribute it; it can generate action or neutralize the impulse toward action. In the hands of those who know how to use it, it can be a powerful weapon for public control or, conversely, for radical change.« (Schechner 1969, S. 213)
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Neuerungen. Es geht, wie im folgenden Zitat deutlich wird, um eine grundlegende Änderung der gesellschaftlichen Verankerung des Theaters. Dessen Status als kulturelle Einrichtung der Eliten gelte es zugunsten der (Rück-)Übereignung des Theaters an die Gesellschaft als Ganzes zu überwinden: »It would indeed be a rare – but not unthinkable – circumstance for the cultural revolution to precede the physical one. But if so, one must take that revolution seriously and understand its consequences: no more galleries, resident theatres, symphony orchestras with furry subscription audiences, lecture-hall universities. The paraphernalia of our culture must be uprooted and a second renaissance promulgated.«168
Die anvisierte Überführung des Theaters in den öffentlichen Besitz (public domain) wird von Schechner dabei nicht als radikale Neuerung, sondern als Rückbesinnung auf die, in seiner Sicht, historisch dominante Funktion des Theaters als Ort von Öffentlichkeit und Gemeinschaft begründet.169 Die im obigen Zitat herbeigesehnte ›zweite Renaissance‹ ist daher tatsächlich wörtlich als Wiederbelebung eines Theatermodells zu verstehen, das Schechner u.a. im Theater des Elisabethanischen Zeitalters lebendig und verwirklicht sieht. So fordert er an anderer Stelle: »Our models should be the civic celebrations of Athens, the processional pageants of the Middle Ages, the tumultuous simultaneity of Elizabethan life, the embracing rituals of many nonliterate peoples.«170 Wie eine Performancepraxis aussehen kann, die sich, wie von Schechner im obigen Zitat vorgeschlagen, auf u.a. das Ritual als Modell besinnt, schildert er am Ende des Aufsatzes »The Politics of Ecstasy«, wenn er einen Einblick in die Arbeits- und Probenpraxis der von ihm geleiteten The Performance Group gibt.171 Er berichtet davon, wie die Performerin Georgie in einem Workshop während einer Körperübung zum Thema Sterben von ihrem Mitspieler Bill, der, wie später zu erfahren ist, bereits zuvor durch gewalttätiges Verhalten aufgefallen ist, zu Boden geworfen wird. Die in der Probensituation komplexe Überlagerung verschiedener Realitätsebenen erschwert es zunächst das Ausmaß des Sturzes zu erkennen: »She [Georgie; VA] was hurt, perhaps seriously. I did not know that she was hurt because the exercise dealt with dying, and many members of the group were groaning and rolling
168 Schechner 1969, S. 212. 169 Siehe ebd., S. 212-213 u. 227. 170 Ebd., S. 202. 171 Siehe ebd., S. 223-225.
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about in pain. Finally after some fifteen minutes, having crawled across the floor from where she had landed, she insisted weakly to me, ›Richard Schechner, this is not part of the workshop. I am hurt.‹ I stopped the exercise. An ambulance was called, she was taken to the hospital.«172
Nach dem unglücklichen Vorfall ist trotz seines glimpflichen Ausgangs – Georgie ist, wie sich im Krankenhaus herausstellt, nicht ernsthaft verletzt – das Verhältnis der Gruppenmitglieder zueinander gestört und angespannt. Schechner initiiert daraufhin am nächsten Probentag eine Übung, in der Bill und die mit ihm am engsten verbundene Spielerin Margaret durch die Gruppe symbolisch geopfert werden. »›You must sing and dance them to death [,]‹«173 lautet die Anweisung Schechners an die Gruppe. Das Paar hockt auf einer Matte und wird durch einen Kreis von Stühlen, der um sie herum aufgebaut wird, vom Rest der Gruppe getrennt. Singend und tanzend umkreist die Gruppe Bill und Margaret in immer engeren Zügen. Rhythmus und Lautstärke steigern und verdichten sich im Verlauf von vierzig Minuten merklich. Sie finden ihren Höhepunkt darin, dass jemand nach und nach die das Paar abschirmenden Stühle umstößt und so den unumgänglichen Ausgang markiert: »[…] Bill and Margaret realized that they had to die.«174 Unter den eindringlichen Gesängen der Gruppe brechen zunächst Margaret, schließlich auch Bill ›tot‹ in der Mitte der Gruppe zusammen. Georgie ist in Tränen aufgelöst. Der gewaltsame Vorfall des Vortags scheint gesühnt. Die Rückkehr Margarets und Bills aus ihrer ›Leblosigkeit‹ wird durch die Gruppe auf ebenso intensive Weise begleitet. »You must now bring your people back to life [,]«175 fordert Schechner auf. Durch vorsichtige, dann zunehmend intensive, Liebkosung und Berührung versucht die Gruppe das Paar zu wecken. Bill reagiert jedoch auch auf heftiges Rütteln nicht. Reglos bleibt er am Boden liegen. Erneut sorgt er für Angst in der Gruppe, wenn diesmal auch unter anderem Vorzeichen. Schechner schreibt: »These minutes were very long, and very frightening for me. […] I […] felt that perhaps we had gone too far. I went over and took Bill’s pulse. It was beating strongly and I decided to let the exercise go on. An exercise that had transcended exercises.«176 Nach über zwei Stunden endet die Übung im triumphalen Tanz des ›auferstandenen‹ Paares.
172 Schechner 1969, S. 222. 173 Ebd., S. 223. 174 Ebd., S. 224. 175 Ebd., S. 224. 176 Ebd., S. 225.
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Für die Frage nach dem in Public Domain entworfenen Modell eines anderen Theaters nimmt die hier so ausführlich rekapitulierte Szene eine Schlüsselstellung ein. Auch wenn es sich nicht um eine Aufführung vor Publikum, noch nicht einmal um die Einübung einer spezifischen Inszenierung, handelt, so lässt sich die Szene dennoch als komprimierte Vision einer Form von Theater lesen, das, im Zusammenspiel von intensivierter Körpererfahrung, Imagination und symbolischer Besetzung, direkt auf die soziale Verfasstheit der versammelten Gruppe wirkt. Tatsächlich weist Schechners Text die Probenszene in der Rückschau als Testlauf für ein reformiertes Theater aus: »It was ritual, theatre, art; and it was also reality – a species of symbolic reality that I had read about but had never seen. It was the beginning of research into a theatre art for our culture and time; something which at its very base is simply different from the theatre of plays. It was traditional theatre, but a different tradition than that which has functioned in the West since the renaissance.«177
Mit Blick auf die in Kapitel 3 im Zentrum stehenden Diskurse zur Performancekunst, erscheint es mir wichtig, herauszustellen, dass in der in Schechners Text skizzierten Theatervision nicht die Überwindung von Repräsentation oder Fiktion im Fokus stehen – immerhin ist entscheidender Kern der beschriebenen Szene ja das Durch- oder Vorspielen eines Mordes, der natürlich nicht wirklich stattfindet. Es geht also nicht um die Herstellung einer Situation ›purer Präsenz‹ oder das Durchführen von Handlungen, die sich in ihrer Tatsächlichkeit erschöpfen. Dagegen scheint das wichtigste Moment der Szene gerade in der unauflösbaren Gleichzeitigkeit und Gleichwertigkeit von symbolischem Vorgang – Bill wird von der Gruppe ›getötet‹ und ›wiederbelebt‹ – und tatsächlichem Geschehen – Bill fällt in starker körperlicher Agitation zu Boden, reagiert nicht auf seine Mitspieler und ist erst nach längerer Zeit ansprechbar – zu bestehen. Genau in diesem Zusammenfallen von symbolischer und tatsächlicher Ebene des Geschehens, das zu einer grundlegenden Transformation der Gruppe führt – nach der gewaltsamen Tat Bills gegen Georgie findet die Gruppe wieder zu Stabilität –, besteht die Vision eines Theaters, das, anders als ein, wie Schechner es nennt, »rein ästhetisches Theater«, soziale Kraft und Relevanz besitzt. Modell einer solchen auf Wirksamkeit ausgerichteten Performancepraxis ist ganz klar das Übergangsritual. So scheint Schechners Beschreibung des Schlachtrituals der Tsembaga nahezu problemlos auch auf die eben dargestellte Szene in der Performance Group zuzutreffen: »As in all rites of passage something has happened
177 Schechner 1969, S. 225.
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during the performance; the performance both symbolizes and actualizes the change in status. […] This convergence of symbolic and actual event is missing from esthetic theatre.«178 Für den Begriff der ›Performance‹ bedeutet Schechners Entwurf eines ritualisierten und auf Wirksamkeit orientierten Theaters, dass sich auch der Performancebegriff in Richtung Effektivität verschiebt. ›Performance‹ interessiert Schechner nicht als ästhetisches Ereignis oder als Ort der Imagination und des Als-Ob, sondern als sozialer Prozess, in dem Realität gestaltet wird.
2.5 RESÜMEE Im vorliegenden Kapitel standen die zwischen Mitte der 1950er und Ende der 1970er Jahre formulierten Performancetheorien Erving Goffmans, Victor Turners und Richard Schechners, die als Anfänge der US-amerikanischen Performancetheorie gelten, im Mittelpunkt der Lektüre. Wie sich gezeigt hat, gehen alle drei Autoren in ihrem Nachdenken über ›Performance‹ vom Modell des dramatischen Theaters aus. Aus diesem Grund, so meine These, lässt sich der in den hier diskutierten Texten konturierte Performancebegriff auch zugespitzt als im Kern dramatischer Performancebegriff beschreiben. Goffman nimmt soziale Interaktion im Alltag, insbesondere den Auftritt des einzelnen vor anderen, als ›Performance‹ in den Blick und entnimmt dem Modell des dramatischen Theaters die Idee des Rollenspiels – der Maskerade –, um diese beschreibbar zu machen. Victor Turners Beschäftigung mit den Dynamiken der Aushandlung sozialer Konflikte führt ihn dazu, diese als soziale Dramen zu analysieren und nach dem dramaturgischen Modell der aristotelischen Tragödie zu fassen. Richard Schechner kommt aus dem Versuch einer Neubewertung und Reform des bürgerlichen Literaturtheaters heraus zum Performancebegriff, den er als umbrella term für eine Vielfalt von Aufführungsformen positioniert. Auch wenn dies aus dem Impuls heraus geschieht, dem Theater westlicher Prägung seine Stellung als vermeintlich höherentwickelte und höherwertige Kulturleistung streitig zu machen, so hat sich doch gezeigt, dass auch Schechners Performancebegriff in der Vorstellung der theatralen Aufführungssituation fundiert bleibt. Schechner betont ja, dass ›Performance‹ als solche erst durch den Vorgang des Zeigens, der stets ihr Inneres konstituiert und der wiederum oftmals durch das Muster eines Dramas oder Skripts organisiert wird, überhaupt wahrnehmbar wird.
178 Schechner 1974, S. 465 [Herv. i.O.].
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Bemerkenswert ist nun, dass in den diskutierten Texten trotz der offensichtlich theoretisch ergiebigen Bezugnahme auf ›Theater‹ stets auch ein Unbehagen gegenüber der Idee des Theatralen mitschwingt. So wird in Goffmans Texten die mit dem Gebrauch von ›Theater‹ als Metapher verbundene Verunsicherung der Grenzen von ›Sein‹ und ›Schein‹ nicht zu Ende gedacht. Ebenso sind Turners Texte von dem Bemühen geprägt, die mit ›Theater‹ verbundenen Konnotationen von Täuschung und Künstlichkeit auf Distanz zu halten, um das Reenactment von Ritualen als alternativen Weg der ethnologischen Erkenntnisgewinnung zu legitimieren. Bei Schechner konzentriert sich die ablehnende Haltung gegenüber dem Theater in der scharfen Kritik am amerikanischen Unterhaltungs- und Literaturtheater, dem museale Starre und soziale Bedeutungslosigkeit zum Vorwurf gemacht werden. Es geht dann vor allem darum, an die direkte Wirksamkeit zu erinnern, die ›Performance‹ entfalten kann, wenn sie nicht im Modell des westlichen Literaturtheaters befangen bleibt und sich stattdessen den Logiken des Rituals annähert. Was bedeuten nun diese Beobachtungen für die Frage nach den Dynamiken der Bezugnahme auf ›Theater‹ in US-amerikanischen performancetheoretischen Diskursen? Wichtig festzuhalten scheint mir, dass das Theater in der frühen Performancetheorie Modell und gewissermaßen Voraussetzung der Wahrnehmung und Beschreibung von ›Performance‹ ist. ›Dramatisch‹ wäre der Performancebegriff der hier diskutierten frühen Performancetheorie dann insofern zu nennen, als dass ›Performance‹ erst ausgehend vom Modell des dramatischen Theaters sicht- und denkbar wird. Die Bezugnahme auf ›Theater‹ bleibt in der frühen Performancetheorie dabei strukturlogisch orientiert. Mit dem dramatischen Theater wird also vor allem eine bestimmte Form aufgegriffen und für die Konturierung des Performancebegriffes produktiv gemacht. Es ist dabei insbesondere die Idee, dass sich ein Aufführungsgeschehen auf Basis eines vorgegebenen Skripts entfaltet, die aus dem Modell des dramatischen Theaters entlehnt wird.179 Dagegen
179 Siehe für eine ähnliche Beobachtung auch: MacAloon 1984. MacAloon vertritt ebenfalls die These, dass die frühe amerikanische Performancetheorie ›dramatisch‹ zu nennen sei, insofern cultural performance – gewissermaßen der zentrale Gegenstand der frühen Performancetheorien – immer als Entfaltung eines Skripts gedacht werde. Zugleich schreibt sich in MacAloons Aufsatz auch jene, insbesondere in den Texten Schechners und Turners beobachtbare, antitheatrale Haltung fort, wenn MacAloon unterstreicht, dass das ›Dramatische‹ der cultural performance vor allem ein strukturelles Merkmal sei und nichts mit dem Modus des ›So-Tuns-als-ob‹ oder mit Theatralität zu tun habe: »This special, ›mixed‹ kind of action is the truly uni-
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werden die mit der Metapher des Theaters verbundenen Konnotationen des fake in der frühen Performancetheorie vehement in Abrede gestellt und auf Abstand gehalten, indem im Diskurs ein enger Theaterbegriff etabliert wird, der auf das Illusionstheater eingeschränkt und zum Reservoir für alle mit dem Modell des Theaters verbundenen negativen Assoziationen wird. Der Erfolg der Metapher des dramatischen Theaters zur Beschreibung sozialer Prozesse – insbesondere zur Beschreibung von Vorgängen innerhalb einer Gemeinschaft oder Gruppe – geht also in der frühen Performancetheorie paradoxerweise mit einer ablehnenden Haltung gegenüber dem Theater als Kunstform einher. 180 Gegen die problematische Konnotation von Künstlichkeit und Fiktion, die das Modell des dramatischen Theaters in die frühe Performancetheorie einträgt, wird zudem das Modell des Rituals mobilisiert. Das Ritual fungiert in Bezug auf den Performancebegriff dabei als funktionales Modell, mit dem sich – gegen den Verdacht des Nicht-Echten – die tatsächliche Wirksamkeit der ›Performance‹ hervorheben und beglaubigen lässt. Dabei wird das Potenzial der ›Performance‹ zur Transformation von Wirklichkeit in der frühen Performancetheorie noch nicht ins Utopische überbetont. Die Logiken und Notwendigkeiten normativer sozialer Ordnungsstrukturen und die für diese konstitutive Leistung der ›Performance‹ bleiben stets mit im Blick.
versal dramatic or ›dramatistic‹ feature of cultural performances, not the sense of ›play-acting‹ or theatricality which is culture-bound.« (MacAloon 1984, S. 9) 180 Vgl. Bial 2014, bes. S. 32. Bial nimmt eine Sortierung des historischen Verlaufs des amerikanischen Performancediskurses unter Rückgriff auf das Denkmodell aufeinanderfolgender Versionen von Computerbetriebssystemen vor. Er schlägt vor, die Geschichte des Performancediskurses nicht als Abfolge von ›Wellen‹ zu erzählen, sondern die grundlegenden Verschiebungen im diskursiven ›Unterbau‹ zu beobachten. Wichtigste These Bials ist, dass die frühen Performancetheorien von der Idee des ›Stammes‹ ausgingen, während ab den 1980er Jahren das Einzelsubjekt Grundbezugspunkt der Konzeption von ›Performance‹ sei.
3
Performance als Nicht-Theater
3.1 HAPPENING, BODY ART, PERFORMANCE: ERSTE BEOBACHTUNGEN ZUR DISKURSIVIERUNG DER NEUEN KUNSTPRAKTIKEN IN DEN USA SEIT DEN 1950ER JAHREN Seit den 1950er Jahren – wenn der als Untitled Event1 in die Kunstgeschichte eingegangene von John Cage und weiteren Künstlern gestaltete Abend am Black Mountain College im Jahr 1952 als Beginn begriffen wird – sucht eine Vielzahl der in den USA tätigen Künstlerinnen und Künstler aus Theater, Tanz, Musik, Malerei und Bildhauerei verstärkt nach neuen Ausdrucksformen.2 Sie experi-
1
Mir ist bewusst, dass der Verweis auf das Untitled Event als historiografische Marke nicht unproblematisch ist. Die Quellen zum Ereignis sind wenige, teils widersprüchlich, und auch die Überhöhung des Untitled Event zur sozusagen ›ersten‹ genuin amerikanischen ›Performance‹ ist umstritten. Siehe hierzu die aktuellen Forschungen an der FU Berlin in der von Annette Jael Lehmann geleiteten Forschungsgruppe zum Black Mountain College: https://black-mountain-research.com/2015/07/06/untitledevent/ (letzter Zugriff 01.06.2019). Im Kontext meiner Überlegungen zur Geschichte der amerikanischen Performancetheorie scheint es mir jedoch legitim, der gängigen Erzählung zu folgen.
2
Meine Ausführungen konzentrieren sich hier auf die Entwicklungen in Nordamerika. Es soll jedoch keinesfalls suggeriert werden, dass sich die Verschiebungen in den Künsten auf Nordamerika beschränken. Gerade die Performancekunst wird in Historiografie wie auch von den Künstlerinnen und Künstlern selbst in der Regel als von Anfang an internationale Bewegung reflektiert. Siehe für einen Überblick zur Performancekunst z.B. Dreher, Thomas, 2001: Performance Art nach 1945. Aktionstheater und Intermedia. München: Fink sowie Schimmel, Paul (Hg.), 1998: Out of Actions. Zwischen Performance und Objekt 1949-1979. Osterfildern: Cantz Verlag. Aus ame-
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mentieren nicht nur grenzübergreifend mit Traditionen und Praktiken verschiedener Kunstgattungen, sondern widmen auch dem Prozess oder Vollzug des künstlerischen Tuns erhöhte Aufmerksamkeit. Prominenter Beleg für diese Entwicklung im amerikanischen Kontext ist meist der Abstrakte Expressionismus, allen voran die sogenannten Action Paintings Jackson Pollocks. Statt sich der Darstellung auf der Leinwand zu verschreiben, macht Pollock den Prozess des Malens selbst zum Fokus seiner künstlerischen Arbeit. Es geht dabei dann nicht mehr um die Herstellung eines spezifischen Objekts, sondern nur mehr um den Akt des Malens selbst. Während diese Verschiebung von Objekt zu Prozess im deutschsprachigen Kontext meist als Performativierungsschub in den Künsten oder als performative turn beschrieben wird, wird sie im US-amerikanischen Raum zunächst als Prozess der ›Entmaterialisierung‹ und ›Theatralisierung‹ der Kunst beschrieben.3 So fasst die Kunstkritikerin Lucy R. Lippard die Entwicklungen in den Künsten der 1960er Jahre unter das Schlagwort der »Dematerialization of the Art Object« und der Kunstkritiker Harold Rosenberg verweist 1952 in einem Kommentar zum Abstrakten Expressionismus auf die neue »dramatische« Qualität, die den Arbeiten der amerikanischen Action Painter eigne.4
rikanischer Perspektive: Battcock, Gregory/Robert Nickas (Hg.), 1984: The Art of Performance. A Critical Anthology. New York: E. P. Dutton; Carlson, Marvin, 2004: Performance. A Critical Introduction. 2. Aufl. New York/London: Routledge und Goldberg, RoseLee, 2004: Performance. Live Art since the 60s. London: Thames & Hudson. Ebenfalls wichtig und ein Beispiel für den Versuch, Performancekunst als spezifisch amerikanische Entwicklung in den Künsten zu positionieren: Sayre, Henry M., 1989: The Object of Performance. The American Avant-Garde since 1970. Chicago/London: The University of Chicago Press. Für einen Überblick zur Performancekunst aus feministischer Perspektive siehe: Roth, Moira (Hg.), 1982: The Amazing Decade. Women and Performance Art, 1970-1980. Los Angeles: Astro Artz. 3
Erika Fischer-Lichte, die sich der europäischen und amerikanischen Avantgarde der 1960er Jahre in zahlreichen Publikationen widmet, spricht in Zusammenhang mit dieser von »Performativierungsschüben« (Siehe exemplarisch: Fischer-Lichte, Erika, 2003: Theater als Modell für eine Ästhetik des Performativen. In: Jens Kertscher/ Dieter Mersch [Hg.], Performativität und Praxis. München: Wilhelm Fink Verlag, S. 97-111, hier S. 97).
4
Siehe Lippard, Lucy R., 1973: Six Years. The Dematerialization of the Art Object from 1966 to 1972. New York: Praeger Publishers und Rosenberg, Harold, 1952: The American Action Painters. In: Art News 51, 8, S. 22-23 u. 48-50. Von Rosenberg wird das Aufeinandertreffen von Künstler und Material im Action Painting unter Rückgriff
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Das Verwischen der Grenzen zwischen den etablierten Kunstgattungen und die Abkehr vom Objekt, die die Entwicklungen in den Künsten seit den 1950er Jahren kennzeichnen, werfen dabei im US-amerikanischen Diskurs vor allem zwei Fragen auf. Zum einen steht in der Kunstkritik zur Debatte, wie die Experimente in Malerei, Tanz, Musik und Theater, insbesondere mit Blick auf das formalistische Ideal der Autonomie und Originalität des modernen Kunstwerkes, zu bewerten sind. Weiterhin stellt sich die Frage, ob die Entwicklungen in den Künsten sich in einer neuen Kunstgattung – der ›Performance‹ – bündeln und was deren Wesen ausmacht. Für die Leitfrage nach den diskursiven Dynamiken, die ›Theater‹ und ›Performance‹ in den theoretischen Debatten zur Performancekunst entfalten, ist gerade eine Lektüre von Texten, die zu den beiden genannten Fragen Stellung beziehen, aufschlussreich, da hier Bezugnahmen auf ›Theater‹ eine wichtige Funktion einnehmen. Der Diskurs um ›Performance‹ als Kunstform erschöpft sich natürlich nicht in der Perspektive formalistischer und gattungsspezifischer Fragen. Gerade für die feministische Performancekunst sind identitätskritische und politische Anliegen ebenso dringend. Die hier vorgenommene Einschränkung der Betrachtungen auf denjenigen Teil des theoretischen Diskurses um ›Performance‹ als Kunstform, in dem formale und gattungsspezifische Fragen im Fokus stehen, erscheint mir jedoch im Kontext des Interesses an den Bezugnahmen auf den Vorstellungskomplex des Theatralen sinnvoll. Erste Beschreibungen von Performance als Kunstform Der Begriff ›Performance‹ setzt sich als Bezeichnung für die neu entstehende Kunstform erst im Lauf der Zeit durch. Zunächst werden die experimentellen Arbeiten unter ganz verschiedenen Bezeichnungen gezeigt und im Diskurs reflektiert. Die Bezeichnungen sind teils offengehalten, teils bereits mit einem gewissen programmatischen Impuls verbunden. Während z.B. Begriffe wie action, play, live art, event oder piece zwar den Aufführungscharakter der Arbeiten hervorheben, bleiben sie doch unspezifischer als die Bezeichnungen happening oder body art, mit denen sich bereits genauer umrissene programmatische Vorstellungen verbinden. In der Kritik und in der später einsetzenden wissenschaftlichen Reflexion der künstlerischen Experimente seit den 1950er Jahren setzen sich schließlich die Begriffe ›Happening‹, ›Body Art‹ und ›Performance‹ durch. Während sich ›Happening‹ und ›Body Art‹ auf einen historisch engeren Zeitraum und auf eine bestimmte Gruppe von Künstlerinnen und Künstlern bezie-
auf die Metapher des Theaters als spannungsgeladene, antagonistisch strukturierte Auseinandersetzung beschrieben.
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hen, setzt sich ›Performance‹ ab Mitte der 1970er Jahre im amerikanischen Diskurs zunehmend als übergeordneter Sammelbegriff für die neu entstehende Kunstform und später als theoretischer Begriff durch.5 Die Übergänge zwischen der Reflexion von Happening, Body Art und dem, was später als Performancekunst benannt und zum Gegenstand des Wissens wird, sind fließend und spielen im Diskurs zusammen. Aus diesem Grund scheint es sinnvoll, sich in den folgenden Betrachtungen nicht ausschließlich auf die spätere Diskursphase ab Mitte der 1970er Jahre zu beschränken, in der sich der Begriff ›Performance‹ als Sammelbegriff für die neue Kunstform durchgesetzt hat. Stattdessen gehe ich hier davon aus, dass der theoretische Diskurs um ›Performance‹ als Kunst ganz wesentlich durch die Diskussionen über u.a. den Abstrakten Expressionismus, die Minimal Art und das Happening bestimmt wird. Welcher Performancebegriff wird also in der hier betrachteten Diskursphase entworfen? Wie und mit welchen Mitteln wird der Begriff entwickelt? Welche Rolle spielt dabei der Vorstellungskomplex des Theatralen? Die Kunsthistorikerin RoseLee Goldberg, die 1979 die erste umfassende historische Überblicksdarstellung über Performancekunst veröffentlicht, benennt den Aufführungscharakter der Arbeiten als kleinsten gemeinsamen Nenner der Kunstform ›Performance‹ und betont deren Gattungsgrenzen überschreitenden Charakter als grundlegendes Merkmal: »Moreover, by its very nature, performance defies precise or easy definition beyond the simple declaration that it is live art by artists. Any stricter definition would immediately negate the possibility of performance itself. For performance draws freely on any number of references – literature, theatre, drama, music, architecture, poetry, film and fantasy – deploying them in any combination. No other artistic form of expression can be said to have such a boundless manifesto. Each performer makes his or her own definition in the very process and manner of execution.«6
5
Siehe Barber, Bruce, 1979: Indexing. Conditionalism and Its Heretical Equivalents. In: A.A. Bronson/Peggy Gale (Hg.), Performance by Artists. Toronto: Art Metropole, S. 183-204. Barber analysiert die Verwendung verschiedener Schlagworte im Art Index, der die Artikel zahlreicher englischsprachiger Kunstzeitschriften katalogisiert. Barber stellt fest, dass Performance Art im Index erstmalig in der Ausgabe von 197273 zur Verschlagwortung von Artikeln verwendet wird (Siehe Barber 1979, S. 185).
6
Goldberg, RoseLee, 1979: Performance. Live Art 1909 to the Present. New York: Harry N. Abrams, hier S. 6. Goldberg beginnt ihre Geschichte der Performancekunst bei den historischen Avantgarden Europas: Futurismus, Dada, Surrealismus und Bauhaus. Die Experimente am Black Mountain College, insbesondere unter Mitwirkung
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Die in Goldbergs Definition zentrale Offenheit der ›Performance‹ entspricht einerseits einer genauen Beobachtung der Vielfalt der künstlerischen Praxis und stellt gleichzeitig eine besondere Herausforderung für den theoretischen Diskurs dar. Insoweit ›Performance‹ im Diskurs als Innovation bzw. eigenständige Kunstform erkennbar werden soll, werden nämlich Grenzziehungen erforderlich, die den Entwurf einer eigenen Identität der ›Performance‹ ermöglichen. Erst in einer späteren Phase des Diskurses, wenn Unbestimmbarkeit und Grenzüberschreitung im Zeichen identitätskritischer Theoriebildungen sowohl eine stärkere politische Deutung und Aufwertung als auch eine klare theoretische Fundierung erfahren, können Offenheit und Undefinierbarkeit selbst zu einem ausreichend identitätsstiftenden Merkmal von ›Performance‹ erhoben werden. Der Performancediskurs der 1950er bis Anfang der 1980er Jahre bleibt daher vorrangig von dem Versuch einer positiven Bestimmung von ›Performance(-kunst)‹ geprägt und ringt immer wieder mit der Frage, was ›Performance‹ denn nun ist. Wie ich im Folgenden zeigen möchte, sind es insbesondere Bezugnahmen auf Vorstellungen des Theatralen und des ›Theaters‹, die mobilisiert werden, um den neuen Tendenzen in der künstlerischen Praxis im Diskurs Sichtbarkeit zu verschaffen. Theater als negativer Bezug Dies wird bereits in einem der ersten Überblicksartikel deutlich, der in der in New York herausgegebenen Avantgardezeitschrift Avalanche erscheint. Avalanche gehört zusammen mit den Zeitschriften Art Forum, High Performance, The Drama Review (TDR), Performing Arts Journal und Performance Art Magazine zu den Zeitschriften, die die Performanceszene der 1970er Jahre kritisch begleiten und dokumentieren. Avalanche wurde vom Kunsthistoriker und Kurator Willoughby Sharp und der Philosophin und Publizistin Liza Béar herausgegeben und erschien von 1970 bis 1976. Der Schwerpunkt der Zeitschrift lag auf der
des Musikers John Cage und des Tänzers Merce Cunningham, gelten Goldberg als Anfänge der Performancekunst in den USA. In ihrem Vorwort hebt Goldberg den provokativen und reflexiven Charakter von ›Performance‹ hervor. Als Grenzgängerin zwischen den Künsten und als Mittel der direkten Kommunikation mit einem Publikum eröffne ›Performance‹ die Möglichkeit, das Wesen und die gesellschaftliche Rolle von Kunst grundlegend neu zu befragen. Dabei, so Goldberg, sei das Schockieren des Publikums häufiges Mittel und Ziel zugleich. In diesem Sinne sei ›Performance‹ schon immer »anarchisch« gewesen (Siehe Goldberg 1979, S. 6-7).
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Dokumentation der Arbeiten von Künstlerinnen und Künstlern, die der New Yorker und europäischen Avantgarde der 1970er Jahre angehörten.7 In der ersten Ausgabe von Avalanche stellt Willoughby Sharp in seinem Artikel »Body Works« (1970) die Arbeiten von Dennis Oppenheim, Vito Acconci und Bruce Nauman vor.8 Zusätzlich zu der Sortierung nach unterschiedlichen Arten, in denen in den beschriebenen Arbeiten der Künstlerkörper zum Einsatz kommt – als Instrument, als Fläche, als Ort, als Objekt, als Requisite – werden bestimmte Vorstellungen des Theatralen aufgerufen, um Unterscheidungsbewegungen zu ermöglichen und zu einer genaueren Bestimmung der Arbeiten Oppenheims, Acconcis und Naumans zu gelangen. Die Arbeiten Acconcis, Oppenheims und Naumans werden als intensive und risikofreudige Auseinandersetzungen mit dem eigenen Körper und dessen Möglichkeiten, als künstlerisches Material zu dienen, skizziert. Der Text betont, dass es in den Arbeiten um formale Anliegen gehe, die in erster Linie als Befragungen der Möglichkeiten der Skulptur zu verstehen seien.9 Im Text fungiert die Idee des Theatralen dabei mehrmals als Folie, gegen die diese neue Praxis der künstlerischen Körperarbeit, mit dem Argument ihrer ausschließlichen Fokussierung auf den Körper des Künstlers und mit dem Verweis auf die den Arbeiten eigene Reflexivität, abgegrenzt wird. ›Theater‹ bzw. das Theatrale deuten im Text einerseits eine Situation des Ausstellens bzw. des Vorführens vor Publikum an. So werden Yves Kleins Inszenierungen vor Zuschauenden, in denen er nackte, weibliche Modelle mit Farbe bemalt und ihre Körper auf Leinwand Abdrücke erzeugen lässt, trotz auffallender Ähnlichkeiten, zum theatralen Gegenbeispiel der Körperarbeiten Oppenheims, Acconcis und Co.:
7
Siehe Béar, Liza/Willoughby Sharp, 2005: The Early History of Avalanche. London: Chelsea Space. Für einen schnellen Überblick zur Geschichte der Zeitschrift siehe die Beschreibung des im Archiv des Museum of Modern Art gelagerten Materials: https://www.moma.org/learn/resources/archives/EAD/Avalancheb.html (letzter Zugriff 01.06.2019).
8
Siehe Sharp, Willoughby, 1970: Body Works. A Pre-Critical, Non-Definitive Survey of Very Recent Works Using the Human Body or Parts Thereof. In: Avalanche 1, S. 14-17.
9
Siehe Sharp 1970, S. 16. Der Text grenzt die Arbeiten Oppenheims, Naumans und Acconcis dezidiert gegen mögliche Vergleiche mit anderen kulturellen Körperpraktiken wie Tätowierungen, Ritzen etc. ab und betont, dass es bei diesen um Verschönerung oder gezielte Verstümmelung gehe – Ziele, die in der ›Body Art‹ nicht verfolgt würden.
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»In some ways it [Oppenheim’s Backtrack (1969); VA] is reminiscent of Yves Klein’s Imprints (1961) using the bodies of nude models to apply paint to canvas, but Klein was more interested in the theatrics of the works which were generally done as performances. He also kept the physical contact with his materials down to a minimum and wore white gloves so as not to get paint on his hands.«10
Im Text steht die Figur des dandyhaften Yves Klein, der sich nicht die Hände schmutzig machen möchte, der Figur des ›Body Artist‹ gegenüber, der bewusst den Kontakt mit den Elementen sucht und den eigenen Körper gezielt schmerzhaften Bearbeitungen unterzieht. Mit dem Bezug auf das ›Theater‹ wird im Text also ein künstlerisches Agieren aus einer Haltung der Distanz bezeichnet, das auf das Moment des Zeigens ausgerichtet ist. Aus einem noch anderen Grund erscheint schließlich auch Joseph Beuys’ Aktion Wie man dem toten Hasen die Bilder erklärt (1965) im Text als Beispiel einer ›theatralen‹ Körperarbeit: »The body as prop is related to the use of the body as a backdrop in that the body is presented in relation to other physical objects. But here the body exists in a identifiable field, as one particular among other particulars. Consequently, the works are slightly more theatrical. […] In Joseph Beuys’ How to Explain a Painting to a Dead Hare (1965) in which the artist painted his face gold and sat immobile on a stool cradling a dead rabbit in his left arm, his body acts as a prop. The whole took on the character of a living tableau with Beuys as a frozen statue. […] While the work has the superficial appearance of a theatrical event, Beuys considers it one of his ›actions‹ or sculptural works […].«11
Im Falle Beuys’ ist es vor allem die Beobachtung, dass der Körper des Künstlers ›nur‹ Bestandteil einer Gesamtkomposition sei und nicht gesondert als das Wichtigste exponiert werde, die die Arbeit von den Aktionen Acconcis, Oppenheims oder Naumans unterscheidet und ihr die Bezeichnung ›theatral‹ einbringt. Zusätzlich zu der Assoziation des Theatralen mit Distanz und Ausrichtung auf ein Publikum kommt hier gewissermaßen die Dimension des Semiotischen hinzu. Gleichzeitig fällt auf, dass sich die Bezugnahme auf ›Theater‹ im Text nicht auf ein klar umrissenes, historisch fundiertes Theatermodell stützt. Stattdessen wird ›Theater‹ im Text eher als assoziatives Feld aufgerufen. Auch wenn die Bezugnahmen auf den Vorstellungskomplex des Theatralen in dem besprochenen Text punktuell und diffus bleiben, so lassen sich dennoch
10 Sharp 1970, S. 15 [Dritte Hervorhebung durch VA]. In Backtracks ließ sich Oppenheim durch Sand ziehen, so dass sein Körper im Sand Spuren hinterließ. 11 Ebd., S. 16 [Erste Hervorhebung durch VA].
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bereits einige grundlegende Beobachtungen zur Rolle der Bezugnahmen auf ›Theater‹ im Diskurs um die Kunst der ›Performance‹ vornehmen. In der Auseinandersetzung mit dem Text fallen insbesondere drei Aspekte auf: 1. Die Bezugnahmen auf Vorstellungen des Theatralen fungieren im Text als Mittel, die beschriebenen künstlerischen Praktiken zu sortieren und einzuordnen. 2. Dabei wird ›Theater‹ als Referenz genutzt, gegen die sich neue künstlerische Strategien ex negativo abgrenzen lassen. 3. Mit dem ›Theatralen‹ werden im Text einerseits eher formale Eigenheiten markiert, andererseits klingen mit ›Theater‹ negative Konnotationen wie Übertreibung und Oberflächlichkeit an. So bezeichnet der im Text in Zusammenhang mit Yves Klein genutzte Begriff theatrics im Englischen ja ein übertriebenes, exaltiertes Gebaren und so ist auffällig, dass Beuys’ Aktion Wie man dem toten Hasen die Bilder erklärt die »oberflächliche Erscheinung eines Theaterereignisses« attestiert wird. Dichotomisierung von Theater und Performance Im Gegensatz zu den ritualtheoretisch inspirierten frühen Performancetheorien, die Fokus des vorigen Kapitels waren, stehen, so meine These, ›Theater‹ und ›Performance‹ in den Diskursen über die neuen performativen Kunstpraktiken zunehmend in einem gegensätzlichen Verhältnis. ›Performance‹ wird seltener als eine untergeordnete Kategorie oder Spielart von ›Theater‹ begriffen und das dramatische Theater ist auch nicht mehr Modell, mithilfe dessen sich Aufschluss über ›Performance‹ gewinnen ließe. Stattdessen avanciert ›Theater‹ im USamerikanischen Diskurs über Performancekunst zur wichtigsten Kategorie, mit der sich im Diskurs Differenzen herstellen lassen. Die in den Texten Goffmans, Turners und Schechners beobachtete Verschränkung von ›Theater‹ und ›Performance‹ wird abgelöst durch eine Dichotomisierung von ›Theater‹ und ›Performance‹. Diese wird, so möchte ich im Folgenden zeigen, vor allem durch den Wunsch motiviert, der neuen Kunstform ›Performance‹ als eigenständiger Kunstgattung durch Abgrenzung Sichtbarkeit zu verschaffen. ›Performance‹ wird dabei nicht allein aus dem Grund zum ›Nicht-Theater‹, weil die unter dem Begriff ›Performance‹ gebündelten künstlerischen Arbeiten als schlicht gegensätzlich zu ›Theater‹ beschrieben werden, sondern weil sich im Diskurs um Performancekunst auch grundlegende negative Haltungen zum Theater als Kunstform und zu mit ›Theater‹ in Verbindung gebrachten Eigenheiten und Vorgängen in den Diskurs eintragen.12
12 Vgl. Andreas Kottes Begriff des ›Nichttheater‹. Bei Kotte steht der Begriff des ›Nichttheater‹ im Kontext der historiografischen Beschäftigung mit dem Theatralitätsgefüge und bezieht sich vor allem auf die diskursiven Kontexte, die die vielfältigen Erschei-
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In den folgenden Lektüren wird es daher nicht allein darauf ankommen, nachzuweisen, dass, wann und wo ›Performance‹ als etwas anderes als ›Theater‹ behauptet wird, sondern es gilt, nachzuvollziehen, wie Bezüge auf ›Theater‹ das Verständnis der neuen Kunstform ›Performance‹ prägen. Welche Vorstellungen von ›Theater‹ tragen wie zur Formierung des Performancebegriffs bei? Inwiefern unterscheiden sich die verschiedenen negativen Bezugnahmen auf ›Theater‹ und wo treffen sie sich? Der Beobachtung entsprechend, dass Bezugnahmen auf ›Theater‹ vor allem in jenen Strängen des theoretischen Diskurses zu ›Performance‹ als Kunstform eine Rolle spielen, die formale und gattungsspezifische Fragen behandeln, berücksichtigt die Textauswahl hier insbesondere Texte, die nach dem Wesen der ›Performance‹ und nach ihren formalen Eigenheiten fragen. Der erste Abschnitt stellt den Aufsatz »Art and Objecthood« (1967) des Kunstkritikers Michael Fried in den Mittelpunkt. Auch wenn es in Frieds Aufsatz nicht explizit um Performancekunst, sondern um die Minimal Art geht, nimmt der Text im Diskurs eine besondere Stellung ein, insofern er die Dichotomisierung von ›Theater‹ und ›Performance‹ maßgeblich vorbereitet. Im zweiten Abschnitt stehen Texte zum Happening im Fokus. Gerade weil die amerikanischen Happenings meist vor Publikum aufgeführt wurden und also Aufführungsereignisse waren, wird in ihrer diskursiven Bearbeitung die Abgrenzung zu traditionellen Formen des Theaters zu einem wichtigen Thema. Im letzten Abschnitt werden Texte diskutiert, die die Kunstform ›Performance‹ erstmals unter dem Einfluss postmoderner Theorien und Philosophien befragen und ›Theater‹ und ›Performance‹ entlang des Übergangs von Moderne zur Postmoderne differenzieren. Alle Texte verbindet eine gewissermaßen formalistische Perspektive auf ›Performance‹, die sich oft in der Frage bündelt, was ›Performance‹ denn nun ist. Dabei wird vor allem die Relationalität der ›Performance‹, also ihr Bezogensein auf einen Schauenden, als wichtiges Merkmal und gleichzeitig Problem entdeckt. Mit dem Vorhandensein des Zuschauers rückt ›Performance‹ nämlich unweigerlich in die Nähe des Theatralen.
nungen von Theater, Rollenspiel und Inszenierung in einer Gesellschaft rahmen und ermöglichen. Unter dem Begriff ›Nichttheater‹ rücken bei Kotte vor allem die Argumente in den Fokus, mit denen zu verschiedenen Zeiten Theaterverbote begründet wurden. Insofern es in dieser Arbeit nicht um die Analyse eines Theatralitätsgefüges geht, sondern mithilfe des Begriffs ›Nichttheater‹ der analytische Griff angedeutet werden soll, mit dem der Diskurs um Performancekunst hier sortiert werden soll, werde ich die abgewandelte Schreibweise ›Nicht-Theater‹ verwenden (Siehe Kotte, Andreas, 2005b: Zur Typologie des Nichttheaters. In: Ders., Theaterwissenschaft. Eine Einführung. Köln: Böhlau Verlag, S. 283-297, hier S. 283).
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3.2 KONZEPTIONEN VON THEATRALITÄT IM DISKURS ÜBER PERFORMANCEKUNST: DREI BEISPIELE 3.2.1 The Desire to Distinguish: Art and Objecthood (1967) als Wegbereiter im Performancediskurs Der Kunstkritiker Michael Fried steht für eine formalistische Position in der Kunstkritik, die in den USA zuvor ausführlich von Clement Greenberg entwickelt wurde. Zu den Grundüberzeugungen des Formalismus gehören die Idee der Autonomie des Kunstwerkes und der Glaube an die Originalität des künstlerischen Schöpfergenius’. Der Aufsatz »Art and Objecthood« (1967) des Kunstkritikers Michael Fried nimmt in der amerikanischen Performancetheorie eine zentrale Stellung ein, obwohl es in Frieds Aufsatz gar nicht um Performancekunst geht.13 Gegenstand von Frieds Ausführungen sind nämlich die, unter dem Begriff Minimal Art in die Kunstgeschichte eingegangenen, Arbeiten der Malerei und Plastik, insbesondere die Arbeiten von Donald Judd, Tony Smith, Robert Morris und ihre theoretische Begründung durch die Künstler.14 Frieds Text kursiert in der amerikanischen Performancetheorie einerseits als bequemer Beleg einer vorherrschend innovationsfeindlichen und antitheatralen Haltung in der Kunstgeschichte und -kritik.15 Dies hat in der Performancetheorie vor allem
13 Frieds Aufsatz wird 1967 erstmals veröffentlicht: Siehe Fried, Michael, 1967: Art and Objecthood. In: Artforum 5, 10, S. 12-23. Der Einfluss des Textes ist bereits daran zu erkennen, dass er mehrfach wieder abgedruckt wird. So erscheint »Art and Objecthood« u.a. nochmals in Battcock, Gregory (Hg.), 1968: Minimal Art. A Critical Anthology. New York: E. P. Dutton und in Auslander, Philip (Hg.), 2003: Performance. Critical Concepts in Literary and Cultural Studies. Bd. 4. London/New York: Routledge. Dies zeigt, dass »Art and Objecthood« sowohl zentraler Text der Diskurse über die Minimal Art als auch wichtiger Text für die Formierung des amerikanischen Performancediskurses ist. 14 Für eine kritische Auseinandersetzung mit der Minimal Art als nicht nur künstlerische Praxis, sondern als vor allem Diskurs, siehe: Meyer, James, 2001: Minimalism. Art and Polemics in the Sixties. New Haven/London: Yale University Press. Meyer führt die Etablierung der Definition von Minimal Art als relationale Kunst, die sich als Zusammentreffen von Betrachterin und Werk vollzieht, auf Frieds Aufsatz zurück (Siehe Meyer 2001, S. 166). 15 Dies beobachtet auch Michael Quinn. Siehe Quinn, Michael, 1995: Concepts of Theatricality in Contemporary Art History. In: Theatre Research International 20, 2, S. 106-113, hier S. 107.
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Konsequenzen für die Einschätzung der Relevanz von Beiträgen der kunstwissenschaftlichen Forschung und für den Status der Bildenden Kunst als möglicher Gegenstand performancetheoretischer Reflexion.16 Andererseits – und dies ist hier entscheidend – eröffnet »Art and Objecthood« eine sprachliche Strategie, die im Diskurs über die Kunst der ›Performance‹ mehrfach wiederholt und variiert wird. Der Text, so möchte ich argumentieren, trägt wesentlich zur diskursiven Entleerung des Begriffs ›Theater‹ im Performancediskurs bei. Die in »Art and Objecthood« beobachtbare Loslösung des Theaterbegriffs von der Bindung an eine historisch spezifische Kunstform, Institution oder Praxis ist Voraussetzung dafür, dass sich die Vorstellung von Performancekunst als per definitionem der Unmittelbarkeit verpflichtete Kunst in Abgrenzung zu ›Theater‹ im theoretischen Diskurs etablieren kann.17 In »Art and Objecthood« ist, wie bereits erwähnt, Performancekunst nicht explizit Thema. Es geht auch nicht um die detaillierte Analyse einzelner Arbeiten der Minimal Art, sondern um die Beschreibung und Problematisierung zweier gegenläufiger Auffassungen (sensibility) von Kunst. Diese werden im Text mit den Begriffen »modernist« und »literalist« benannt.18 Entlang dieser grundlegenden Gegenüberstellung von moderner und ›literalistischer‹ Kunstauffassung erfolgt in »Art and Objecthood« eine Reihe weiterer Oppositionsbildungen, die es im Folgenden aufzuschlüsseln gilt. Nun wären die Unterscheidungen zwischen moderner und ›literalistischer‹ Kunst vielleicht im Bereich des Diskurses
16 Siehe Jones, Amelia, 2008: Live Art in Art History. A Paradox? In: Tracy C. Davis (Hg.), The Cambridge Companion to Performance Studies. Cambridge: Cambridge University Press, S. 151-165, hier S. 161. Jones beobachtet, dass die Performancetheorie erst ab Ende der 2000er Jahre beginnt, die Forschungsbeiträge aus der Kunstwissenschaft und die aus dem Bereich der Bildenden Kunst (Visual Arts) kommenden Arbeiten der Performancekunst anzuerkennen und zu berücksichtigen. 17 Die erste Beobachtung übernehme ich hier von Hans-Friedrich Bormann, der in seiner Lektüre von »Art and Objecthood« feststellt, dass sich über die Verwendung von ›Theater‹ und ›Theatralität‹ in Frieds Text »ein Begriffs- und Bezugsfeld [eröffnet], dessen Grenzen nicht klar auszumachen sind. […] Für den Begriff der Theatralität scheinen weder ein nachdrücklicher Bezug zum Theater als sozialer Institution oder Gegenstand künstlerischer Arbeit noch eine Beschäftigung mit der Avantgarde der sechziger Jahre wesentlich zu sein.« (Bormann, Hans-Friedrich, 2005: Theatralität als Vorschrift. Zu Michael Frieds Kunst und Objekthaftigkeit. In: Erika Fischer-Lichte/ Christian Horn/Sandra Umathum/Matthias Warstat [Hg.], Diskurse des Theatralen. Tübingen/Basel: A. Francke, S. 91-106, hier S. 94) 18 Siehe Fried 1967, S. 12.
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über die Bildende Kunst verblieben, wenn »Art and Objecthood« diese vermeintlich allein kunsthistorische Opposition im Lauf des Textes nicht zunehmend in Richtung einer allgemeinen Unterscheidung von ›theatral‹ und ›nicht theatral‹ verschieben würde. Tatsächlich scheint es im Kern nämlich genau um diese Unterscheidung zu gehen: »The crucial distinction […] is between work that is fundamentally theatrical and work that is not.«19 Gleich zu Beginn wird in »Art and Objecthood« festgestellt, dass die ›literalistische‹ Kunst oder, wie sie andernorts heißt, die Minimal Art nicht als isolierte Erscheinung zu begreifen sei, sondern vielmehr als Symptom einer umfassenden Krise in der Kunst verstanden werden müsse, die diese zunehmend ergreife und in ihrem Bestand bedrohe.20 Wichtigstes Kennzeichen der Minimal Art und zugleich größte Gefahr für den Bestand der Kunst sei nämlich ihre ›Theatralisierung‹: »[…T]heater and theatricality are at war today, not simply with modernist painting (or modernist painting and sculpture), but with art as such – and to the extent that the different arts can be described as modernist, with modernist sensibility as such. […] The success, even the survival, of the arts has come increasingly to depend on their ability to defeat theater.«21
Doch was genau ist gemeint, wenn hier von ›Theater‹ bzw. von ›Theatralität‹ die Rede ist? Wogegen gilt es, die Kunst zu verteidigen? Als erstes Problemfeld wirft der Text den Umgang des Kunstwerkes mit der ihm eigenen Materialität bzw. mit der Tatsache auf, dass jedes Bild, jedes Objekt nie vollständig in Darstellung oder Gestaltung aufgeht, sondern eben immer auch realweltliche Erscheinung bleibt. Das moderne Kunstwerk strebe danach, diese, im Text als Objekthaftigkeit (objecthood) bezeichnete, Grundbedingung mithilfe der Form zu überwinden oder zumindest auszusetzen.22 Im Gegensatz dazu zeichneten sich die minimalistischen Objekte dadurch aus, dass sie ihre Objekthaftigkeit nicht zu überwinden suchten, sondern diese erkunden, ausstellen und sogar zuspitzen.23 Moderne Kunst und Minimal Art zeigen sich als in dieser Hinsicht unvereinbar: »There is, in any case, a sharp contrast between the literalist espousal of objecthood – almost, it seems, as an art in its own right – and modernist painting’s
19 Fried 1967, S. 19 [Herv. i.O.]. 20 Ebd., S. 12. 21 Ebd., S. 21 [Herv. i.O.]. 22 Siehe ebd., S. 15. 23 Siehe ebd., S. 15.
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self-imposed imperative that it defeat or suspend its own objecthood through the medium of shape.«24 Für diese Tendenz zur Exposition und Akzentuierung der eigenen Objekthaftigkeit, die minimalistische Objekte auszeichne, mobilisiert der Text schließlich den Begriff ›Theater‹: »[…T]he literalist espousal of objecthood amounts to nothing other than a plea for a new genre of theater; and theater is now the negation of art.«25 Wenn ›Theater‹ jedoch die Verneinung von Kunst ist, dann ist klar, dass der Begriff hier keine bestimmte Kunstform meinen kann. Es scheint sich also nicht um einen Gattungsbegriff zu handeln. Denn, wie an anderer Stelle zu lesen ist, ist ›Theater‹ auch genau zwischen den Künsten zu verorten: »What lies between the arts is theater.«26 Ist mit ›Theater‹ dann vielleicht die Institution Theater gemeint, wie sie ja in den Manifesten und Schriften der Avantgarden der 1960er Jahre häufig zum Zielobjekt der Kritik wird? Zumindest wird an späterer Stelle betont, dass das Überleben aller Künste, also auch der Theaterkunst, von der Überwindung des ›Theaters‹ abhänge. »Art and Objecthood« verweist an dieser Stelle auf Bertolt Brecht und Antonin Artaud als die »selbstverständlich« einschlägigen Vertreter eines derartigen Kampfes gegen das ›Theater‹ im Theater.27 Es bleibt dabei allerdings offen, wie die Positionen Artauds und Brechts miteinander in Deckung zu bringen wären. Als gemeinsamer Kernpunkt wird zwar auf den veränderten Umgang mit dem Theaterpublikum verwiesen. Doch die dahinterliegenden theoretischen Überlegungen Artauds und Brechts bleiben ebenso ausgespart wie die Beschäftigung mit den – ebenfalls häufig auf einen veränderten Bezug zum Publikum zielenden – Experimenten der, zum Erscheinungszeitpunkt von »Art and Objecthood« äußerst aktiven, amerikanischen Theateravantgarde. So wird klar, dass ›Theater‹ in »Art and Objecthood« nicht etwa für eine als überkommen betrachtete Institution einsteht, wie dies häufig in Texten der Avantgarde aus dieser Zeit der Fall ist. Im Gegenteil stellt sich »Art and Objecthood« mit der Ablehnung der ›Theatralisierung‹ der Künste gerade gegen bestimmte avantgardistische Entwicklungen in den Künsten der 1960er Jahre. Ließe sich dann festhalten, dass »Art and Objecthood« ›Theater‹ und ›Theatralität‹ in metaphorischer Weise verwendet? Auch hierfür wäre der Bezug auf eine konkreter umrissene Vorstellung oder Praxis von ›Theater‹ notwendig, da die Metapher stets als Übertragung aus einem Bereich in einen anderen funktioniert und sozusagen darauf angewiesen ist, dass der erste Bereich klar genug ist,
24 Fried 1967, S. 15. 25 Ebd., S. 15. 26 Ebd., S. 21 [Herv. i.O.]. 27 Siehe ebd., S. 21.
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um den zweiten Bereich zu erhellen.28 Genau dieser konkrete Bezug eröffnet sich in »Art and Objecthood« jedoch nicht. Es ist daher Hans-Friedrich Bormann zuzustimmen, der in seiner Lektüre von »Art and Objecthood« zu dem Schluss kommt, dass der Begriff ›Theater‹ bzw. ›Theatralität‹ im Text »ein Begriffs- und Bezugsfeld [eröffnet], dessen Grenzen nicht klar auszumachen sind.«29 Bormann vertritt die These, »daß ›Theater‹ bzw. ›Theatralität‹ die Namen einer spezifischen, genuin sprachlichen Bezugnahme sind, die weder von der Institution des Theaters noch von bestimmten Erscheinungsformen der Bildenden Kunst abzuleiten wären.«30 Die Frage, was ›Theater‹ oder ›Theatralität‹ in Frieds Text eigentlich meinen, ist also falsch gestellt. Es gilt stattdessen, der Funktion auf die Spur zu kommen, die ›Theater‹ und ›Theatralität‹ innerhalb des Textes erfüllen. Für Bormann besteht diese vor allem darin, zu verschleiern, dass es sich bei der »schrankenlose[n] Präsenz des Kunstwerks«31, die in »Art and Objecthood« für die moderne Kunst behauptet wird – und die im Verlauf des Performancediskurses zu einer der wichtigsten Eigenschaften der Performancekunst erhoben wird – tatsächlich um ein »Phantasma der Theorie«32 handelt und auch um nichts anderes handeln kann. Bormann argumentiert, dass ›Theater‹ in »Art and Objecthood« als sprachliche Setzung fungiere, die eine Spaltung in die Sprache eintrage und auf diese Weise die Vorstellung einer Wahrnehmung ermögliche, die ohne sprachlichen Bezug auskomme, sich also unmittelbar vollziehe.33 Tatsächlich spitzt »Art and Objecthood« die Unterscheidung von ›theatraler‹ und ›nicht theatraler‹ Kunst auf die Frage unterschiedlicher Zeitlichkeiten zu. Theater als sprachliche Setzung ›Theatrale‹ Kunst wie die Minimal Art zeichnet sich, wie bereits angemerkt, laut »Art and Objecthood« durch einen veränderten Umgang mit der Objekthaftigkeit des Kunstwerkes aus. Dass das minimalistische Kunstwerk, anders als das moderne Kunstwerk, seine Objekthaftigkeit nicht zu überwinden sucht, hat signifikante Konsequenzen für das Verhältnis von Objekt und Betrachterin bzw. Betrachter. An die Stelle der Konzentration auf die bildliche Darstellung oder die gestaltende Form trete nun nämlich die Erfahrung einer Situation, in die sich der
28 Vgl. für theoretische Überlegungen zur Metapher die Einleitung. 29 Bormann 2005, S. 94. 30 Ebd., S. 96. 31 Ebd., S. 103. 32 Ebd., S. 103. 33 Siehe ebd., S. 102.
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Betrachter als selbst körperlich eingebunden erlebe.34 Die Begegnung mit dem minimalistischen Objekt fordert dabei zu einer Öffnung gegenüber der gesamten Wahrnehmungssituation heraus und steht einer Haltung zeit- und selbstvergessener Versunkenheit entgegen.35 Die Dynamik der Situation erklärt sich der Text dabei vor allem aus der besonderen Intensität der Erscheinung des minimalistischen Objekts. Dieses zeichne sich nämlich durch eine besondere Präsenz aus, in der es sich dem Betrachter regelrecht aufdränge und ihn in Unruhe versetze.36 Insofern minimalistische Objekte wie z.B. Tony Smiths Kubus Die (1962) oft nicht viel kleiner und auch nicht größer als ihre Betrachterinnen und Betrachter seien, entwickelten die Objekte eine anthropomorphe Qualität. Die Begegnung mit einem minimalistischen Objekt könne also der Konfrontation mit einem menschlichen Gegenüber ähnlich sein.37 Wichtig zu bemerken ist hier, dass im Text an dieser Stelle gleich eine Differenzierung vorgenommen und behauptet wird, dass es sich bei dieser Erfahrung von Gegenwärtigkeit lediglich um den Eindruck oder »Effekt« von Gegenwart handelt, nicht aber – so der Umkehrschluss – um ›echte‹ Gegenwärtigkeit: »[…T]he presence of literalist art […] is basically a theatrical effect or quality – a kind of stage presence.«38 Für die terminologische Spaltung der Gegenwart (presence) in zwei voneinander unterschiedene Arten mobilisiert der Text den Bezug zum Theatralen. Doch worin begründet sich jene ›theatrale‹ Form von Gegenwart? Aus welchen Gründen erscheint sie problematisch? Minimal Art, so argumentiert »Art and Objecthood«, sei auf eine Steigerung der Präsenzerfahrung ausgerichtet, so dass tendenziell nicht nur Darstellung, Gestaltung und Form ihre zentrale Bedeutung verlören, sondern die Existenzberechtigung des (Kunst-)Objekts selbst ganz grundlegend in Frage stehe. Um dies zu verdeutlichen, zitiert der Text an dieser Stelle einen Auszug aus einem Auf-
34 Siehe Fried 1967, S. 15-16. Dass die minimalistische Kunst den Betrachter gerade auch in seiner Körperlichkeit trifft, erscheint als besonders skandalös. Dies wird durch die Hervorhebung im Text deutlich: »It is, I think, worth remarking that ›the entire situation‹ means exactly that: all of it – including, it seems, the beholder’s body.« (Fried 1967, S. 16 [Herv. i.O.]) 35 Diesen Gegensatz von Versunkenheit vs. Theatralität entwickelt Fried in einem sehr viel später erscheinenden Buch. Siehe: Fried, Michael, 1980: Absorption and Theatricality. Painting and Beholder in the Age of Diderot. Berkeley: University of California Press. 36 Siehe Fried 1967, S. 16 u. 19. 37 Siehe ebd., S. 16. 38 Ebd., S. 16 [Herv. i.O.].
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satz des Künstlers Tony Smith. In diesem schildert Smith seine nächtliche Fahrt auf einer sich noch im Bau befindenden Autobahn in New Jersey.39 Während der Fahrt auf der noch nicht von Leitplanken und Leitlichtern begrenzten Strecke, die sich bis in die Unendlichkeit fortzusetzen scheint, macht Smith eine Erfahrung, die ihn dazu veranlasst, das baldige Ende der Kunst zu beschwören: »It was a dark night and there were no lights or shoulder markers, lines, railings, or anything at all except the dark pavement moving through the landscape of the flats, rimmed by hills in the distance, but punctuated by stacks, towers, fumes, and colored lights. This drive was a revealing experience. The road and much of the landscape was artificial, and yet it couldn’t be called a work of art. On the other hand, it did something for me that art had never done. […] It seemed that there had been a reality there which had not had any expression in art. […] I thought to myself, it ought to be clear that’s the end of art.«40
Die zitierte Passage ist in »Art and Objecthood« vor allem Beispiel des, so ja das Kernargument des Textes, ›theatralen‹ Charakters minimalistischer Kunst: »[…W]hat was Smith’s experience if not the experience of what I have been calling theater?«41 Die Passage scheint dabei die denkbar höchstmögliche Steigerung der Tendenz zum ›Theater‹ zu beschreiben. Statt die Objekthaftigkeit des (Kunst-)Objekts zum Zentrum der Erfahrung zu machen, kommt die von Smith beschriebene Situation der nächtlichen Autofahrt sogar ganz ohne die Konfrontation mit einem (Kunst-)Objekt aus. An deren Stelle tritt nun die Wahrnehmung der Erfahrung selbst. Eine solche Verschiebung kann vom Standpunkt der formalistischen Kunstkritik mit ihren Idealen der Autonomie und Originalität des Kunstwerkes nur als Ende der Kunst interpretiert werden. So ist es denn wenig überraschend, dass in »Art and Objecthood« diese als ›Theater‹ oder ›Theatralität‹ benannte Entwicklung als »Kriegszug« gegen die Kunst interpretiert wird. 42 Die mit der minimalistischen Kunst verbundene Erfahrung von Zeit zeichnet sich dadurch aus, dass sie sich – wie die Asphaltstraße in der Dunkelheit – in endloser Dauer fortzusetzen scheint. Diese augenscheinliche Unerschöpflichkeit wird jedoch nicht als in irgendeiner Weise positiver Wert anerkannt, sondern scheint lediglich Beleg der prinzipiellen Leere zu sein, die sich hinter dem Präsenzeffekt des minimalistischen Objekts verberge.43 Unerschöpflich ist die Be-
39 Siehe Fried 1967, S. 19. 40 Tony Smith zitiert in Fried 1967, S. 19. 41 Fried 1967, S. 19 [Herv. i.O.]. 42 Siehe ebd., S. 21. 43 Siehe ebd., S. 22.
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gegnung mit dem minimalistischen Objekt nicht aufgrund einer sich immer wieder neu erschließenden Fülle von Wahrnehmungseindrücken, Einsichten oder handwerklichen Details, sondern aufgrund der Tatsache, dass das minimalistische Objekt keinen ihm eigenen ›Wesenskern‹ besitzt, den zu erfassen endgültiges Ziel der Wahrnehmung sein könnte. Das minimalistische Objekt hält die Wahrnehmung gewissermaßen zwangsläufig in andauernder Offenheit. Genau dieser Art von Unabschließbarkeit der Wahrnehmung wird in »Art and Objecthood« das Ideal eines instantanen Gegebenseins gegenübergestellt, das von der Betrachterin oder dem Betrachter ad hoc erfasst werde und das allein der modernen Kunst vorbehalten bleibe.44 Das moderne Kunstwerk entfaltet sich nicht im Verlauf von Zeit, sondern ist in jedem Moment jederzeit vollständig gegeben. Es ist der Betrachterin oder dem Betrachter in diesem Sinne immer auch als Ganzes gegeben, als Ganzes gegenwärtig. Ein einziger aufmerksamer Augenblick der Betrachtung würde ausreichen, um das moderne Kunstwerk in seiner ganzen Fülle und endgültig zu erfassen: »It is this continuous and entire presentness, amounting, as it were, to the perpetual creation of itself, that one experiences as a kind of instantaneousness: as though if only one were infinitely more acute, a single infinitely brief instant would be long enough to see everything, to experience the work in all its depth and fullness to be forever convinced by it.«45
Sprachlich erfolgt die Unterscheidung zweier Arten von Gegenwart (presence) in »Art and Objecthood« durch die Begriffe presentment und presentness. Ersteres markiert die sich in der Zeit entfaltende Dauer, die für die ›theatrale‹ Kunst der Minimal Art kennzeichnend sei, und letzteres das augenblickliche, quasi zeitlose, Gegebensein des modernen Kunstwerks. 46 Ob ein derartiger Unterschied im Erfahren von Gegenwart empirisch möglich oder plausibel ist, ist hier nicht entscheidend. Wichtiger scheint mir die Tatsache, dass – wie sich u.a. in eben jener begrifflichen Spaltung von Gegenwart zeigt – die Argumentation in »Art and Objecthood« insgesamt von dem unbedingten Ziel getragen scheint, zu unterscheiden. Dies legt der Text in seinem Schlussabsatz sogar explizit offen, wenn der Autor unumwunden zugibt, dass das Geschriebene sich vor allem einer An-
44 Siehe Fried 1967, S. 22. 45 Ebd., S. 22 [Herv. i.O.]. 46 Siehe ebd., S. 22.
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triebskraft verdankt: dem Bedürfnis zu unterscheiden, dem »desire to distinguish«.47 Wie gezeigt werden konnte, spielt die Bezugnahme auf ›Theater‹ für den Aufbau des Systems aus Oppositionen, die der Text etabliert, die entscheidende Rolle. Alle im Text getroffenen Unterscheidungen lassen sich auf die Dichotomie von ›theatral‹ und ›nicht theatral‹ zurückführen, die gleich zu Beginn von »Art and Objecthood« auch als die wichtigste Unterscheidung (crucial distinction) vorgestellt wird.48 Mit dem Theaterbegriff wird dabei nicht eine bestimmte Kunstgattung, Institution oder Praxis aufgerufen. Es schwingen in der in »Art and Objecthood« formulierten Idee von ›Theatralität‹ zwar bestimmte, mit dem Theater als Kunst verbundene Aspekte mit z.B. das Bezogensein auf ein Publikum oder die Vorstellung von Theater als Zeitkunst.49 Dennoch bleibt die Bezugnahme auf das Theater insgesamt diffus, so dass der Begriff ›Theater‹ in »Art and Objecthood« als gewissermaßen leerer Begriff vor allem als negativ besetzter Anker der Unterscheidung von ›Theater/Nicht-Theater‹ funktioniert.50 »Art
47 Die Passage lautet: »This essay will be read as an attack on certain artists (and critics) and as a defense of others. And of course it is true that the desire to distinguish between what is to me the authentic art of our time and other work which, whatever the dedication, passion and intelligence of its creators, seems to me to share certain characteristics associated here with the concepts of literalism and theater, has specifically motivated what I have written.« (Fried 1967, S. 23 [Hervorhebung durch VA]) 48 Siehe Fried 1967, S. 19. 49 Zumindest für den deutschen Sprachraum geht die Vorstellung von Theater als Zeitkunst u.a. auf Gotthold Ephraim Lessings bekannten Laokoon-Aufsatz zurück. In diesem unterscheidet Lessing die Künste, die sich im Raum entfalten wie Malerei und Bildhauerei, von den Künsten, die sich in der Zeit entfalten wie das Theater und die Dichtung. Siehe: Lessing, Gotthold Ephraim, 2000: Laokoon. In: Klaus Lazarowics/Christopher Balme (Hg.), Texte zur Theorie des Theaters. Durchg. u. erg. Ausg. Stuttgart, S. 460-461 (1766). 50 Diese Beobachtung macht auch Rosalind Krauss. Krauss betont, dass ›Theater‹ und ›Theatralität‹ in »Art and Objecthood« nicht definiert werden. Stattdessen, so Krauss, markiere ›Theater‹ in »Art and Objecthood« eine Leerstelle. Als leerer Begriff diene ›Theater‹ vor allem der Stabilisierung eines Systems aus Oppositionen zwischen ›Theater‹ und ihm gegenübergestellten Begriffen. Es handele sich dabei nicht um eine neutrale Unterscheidung. ›Theater‹ markiere stets die negativ besetzte Seite der Opposition (Siehe: Krauss, Rosalind, 1987: Theories of Art after Minimalism and Pop. In: Hal Foster [Hg.], Discussions in Contemporary Culture. Number One. Seattle: Bay Press, S. 59-64, hier S. 62-63).
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and Objecthood«, so meine These, bereitet den Grund für die den späteren Diskurs über die Kunst der ›Performance‹ bestimmende Dichotomisierung von ›Theater‹ und ›Performance‹. Es gibt jedoch einen wichtigen Unterschied. Zwar besetzt ›Theater‹ auch in der Dichotomisierung ›Theater/Performance‹ den negativen Pol und steht als Marker für all das ein, das im Diskurs über die Performancekunst als ablehnungswürdig erscheint. Allerdings sind die Künstlerinnen und Künstler, die dann unter dem positiv besetzten Signum ›Performance‹ verhandelt werden, genau jene Künstlerinnen und Künstler, die in »Art and Objecthood« als Vertreter einer ›theatralen‹ Kunst gelten und daher kritisiert werden.51 Wie es zu dieser Umkehr im Diskurs kommen kann, wird im Folgenden noch auszuführen sein. 3.2.2 Aufführung/Ausführung: Performance jenseits von Zeigen und Zuschauen Der Aufsatz »Art and Objecthood« ist nicht nur deshalb für die Frage nach der Funktion der Bezugnahmen auf ›Theater‹ im US-amerikanischen Performancediskurs wichtig, weil er eine grundlegende sprachliche Operation vorzeichnet, die sich im Verlauf der Performancetheorie wiederholt. Insofern der Text die Frage nach dem durch die neuen Kunstpraktiken veränderten Verhältnis des Kunstwerkes zu seinem Betrachter als zentrales Problem aufwirft, etabliert »Art and Objecthood« auch eine wichtige Grundfrage, auf die der Diskurs um die Kunst der ›Performance‹ immer wieder zurückkommt und von der aus er sich dementsprechend – mit Blick auf das Verhältnis von ›Performance‹ und ›Theater‹ – auch sortieren lässt. Die in »Art and Objecthood« vorgeschlagene Unterscheidung von ›theatraler‹ und ›nicht theatraler‹ Kunst tritt nicht zuletzt als Ausdifferenzierung verschiedener Verhältnisse von (Kunst-)Objekt und Betrachter in Erscheinung. Wie sich zeigen wird, ist genau diese Frage nach dem Zuschauenden der Anschlusspunkt, der eine verbindende Lektüre erlaubt, die von »Art and Objecthood« ihren Ausgang nimmt, sich über einschlägige Texte über das Happening fortsetzt und schließlich mit einem Blick auf die von poststrukturalistischen Theorien beeinflusste Reflexion der Kunst der ›Performance‹ endet.
51 In einer Fußnote wird in »Art and Objecthood« der Zusammenhang zwischen den hauptsächlich diskutierten Vertretern aus der Malerei und Skulptur mit Künstlern der Happening-Bewegung hergestellt: »It is theatricality, too, that links all these artists to other figures as disparate as Kaprow, Cornell, Rauschenberg, Oldenburg, Kienholz, Segal, Samaras, Christo, Kusama…the list could go on indefinitely.« (Fried 1967, S. 23)
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Wie ich im vorherigen Abschnitt argumentiert habe, verstehe ich »Art and Objecthood« als grundlegenden Text im Diskurs über die Kunst der ›Performance‹, da »Art and Objecthood« eine gegen das ›Theater‹ gewendete Unterscheidungsbewegung einübt, die sich maßgeblich aus der Sorge um das Verhältnis von Kunstobjekt und Betrachter motiviert. Wie in »Art and Objecthood« beobachtet wird, treffen in der dynamisierten Wahrnehmungssituation der ›theatralen‹ Kunst der Minimal Art nicht mehr ein in sich geschlossenes Kunstwerk auf einen autonomen Betrachter, sondern Kunstwerk und Betrachter sind eng aufeinander bezogen, regelrecht ineinander verstrickt. Wenn sich Kunst jedoch erst in Relation zu einem Betrachter entfaltet, dann ist sie gewissermaßen auf diesen angewiesen. Im Gegenzug scheint auch der Betrachter in der veränderten Wahrnehmungssituation von Destabilisierung betroffen. Er tritt dem Kunstwerk nicht mehr als Souverän gegenüber, sondern das Kunstobjekt rückt ihm auf den Leib, drängt sich auf und beunruhigt ihn. Aus der Perspektive des in »Art and Objecthood« vertretenen, konservativ-idealistischen Kunstverständnisses wird dies als Bedrohung interpretiert. Wenn man daran erinnert, dass Theaterkunst Aufführungskunst ist und also die Zuschauenden unerlässlicher Teil der Theatersituation sind und auch in historischer Rückschau, sowohl mit Blick auf die Praxis als auch die Begriffsbildung, immer waren, dann wird klar, dass die Bezugnahme auf ›Theater‹ in »Art and Objecthood« zwar diffus bleibt, aber nicht willkürlich erfolgt. Die Vorstellung vom ›Theater‹ als Kunst des Zeigens und Zuschauens spielt hier eine ganz wichtige Rolle. Malerei und Plastik erscheinen ja gerade deshalb von ›Theatralisierung‹ bedroht, weil sie sich stärker auf die Zuschauenden hin öffnen. Nun vollziehen sich jedoch zahlreiche Experimente amerikanischer Künstlerinnen und Künstler seit den 1950er Jahren gerade als Aufführungen, werden also im Hier und Jetzt vor einem körperlich anwesenden Publikum gezeigt. 52 Der in »Art and Objecthood« befürchtete Abschied von der instantanen Präsenz und Souveränität des autonomen Kunstwerkes und die Überführung von Kunst in eine Situation, in der sich Kunst als Erfahrung vollzieht, scheinen in den Experimenten der amerikanischen Avantgarde Wirklichkeit zu werden. Zu einer ersten Verdichtung dieser Entwicklung, sowohl im Sinne eines engen künstlerischen Austausches zwischen den Beteiligten als auch im Sinne einer konzentrierten Diskursivierung der künstlerischen Praxis, kommt es in den 1960er Jahren im sogenannten ›Happening‹. Auch wenn der Performancebegriff
52 Ich verwende an dieser Stelle den Aufführungsbegriff wie er in der deutschsprachigen Theaterwissenschaft insbesondere durch Erika Fischer-Lichte geprägt wurde. Siehe Fischer-Lichte 2004b.
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für das Happening zwar nicht namensgebend ist, so spielt er doch in dessen Diskursivierung eine wichtige Rolle. Es darf zudem nicht vergessen werden, dass die Aufführungen der Happening-Künstler in der historischen Rückschau, z.B. bereits in RoseLee Goldbergs Performance (1979), in die Erzählung der Genese der Performancekunst einbezogen und als in engem Zusammenhang mit der Kunstform ›Performance‹ oder sogar als eine weitere Spielart von Performancekunst verstanden werden. Weiterhin erfolgt die Einordnung und Abgrenzung des Happenings häufig unter Bezugnahme auf ›Theater‹, so dass die Texte über das Happening für die hier verfolgte Frage nach dem Theaterbegriff in der amerikanischen Performancetheorie von besonderer Relevanz sind. Tatsächlich ist die Frage nach dem Verhältnis zum ›Theater‹ eine Konstante in der Diskursivierung des Happenings. Sowohl in frühen Texten, z.B. Michael Kirbys Happenings (1966), als auch in aktuellen historischen Darstellungen von z.B. Philip Ursprung (2003) oder Judith Rodenbeck (2011) wird das Happening vom ›Theater‹ aus oder in Abgrenzung zu diesem gedacht. 53
53 Siehe Kirby, Michael, 1966: Happenings. An Illustrated Anthology. New York: E.P. Dutton. Kirby weist darauf hin, dass das Happening nicht allein in Bezug zu Malerei und Bildhauerei erklärt werden kann, sondern dass es auch in seiner Relation zum Theater verstanden werden muss (Siehe Kirby 1966, S. 35). Siehe Ursprung, Philip, 2003: Grenzen der Kunst. Allan Kaprow und das Happening; Robert Smithson und die Land Art. München: Verlag Silke Schreiber, bes. S. 23-30. Ursprung verweist auf die Bedeutung von zur Zeit der Happenings verbreiteten Vorstellungen von Theatralität für die Einordnung des Happenings. Er vertritt die These, dass sich in den Happenings ein Ideal von Partizipation verwirklicht, hinter dem ein spezifisch amerikanisches Verständnis von Theatralität steht – nämlich ein demokratisches Verständnis von ›Theatralität‹ als Ideal der gleichberechtigten gesellschaftlichen Teilhabe, die sich im Happening im gleichberechtigten ›Mitspielen‹ einlöst. Siehe Rodenbeck, Judith, 2011: Radical Prototypes. Allan Kaprow and the Invention of Happenings. Cambridge/London: The MIT Press. Rodenbeck stellt die Frage nach der Relation von Happening und ›Theater‹ besonders ausführlich im Kapitel »Madness and Method«. Sie beobachtet, dass das Happening von der Forschung und Kritik verschiedentlich als antitheatral und theatral beschrieben wird. Rodenbeck selbst entscheidet sich in ihrer Argumentation dann dafür, ›Happening‹ und ›Theater‹ als voneinander verschiedene Praktiken zu lesen. Hauptsächlicher Unterscheidungspunkt ist der Entwurf von Subjektivität. Während ›Theater‹, so Rodenbeck, einer modernen Vorstellung von Subjektivität verbunden scheint und sich daher z.B. dem Ideal der Authentizität verpflichtet fühlt (z.B. Living Theatre), geht das ›Happening‹ von einer aus postmodernen Diskursen gespeisten Vorstellung von Subjektivität aus und arbeitet eher an der Auflösung
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Im Folgenden soll der Frage nach den Bezugnahmen auf ›Theater‹ in der Diskursivierung des Happenings in der Analyse einiger Texte u.a. Allan Kaprows nachgegangen werden. Kaprow gehörte neben Claes Oldenburg, Red Grooms, George Brecht, Jim Dine und Al Hansen zu den bekanntesten Vertretern des Happenings in den USA. Die Happening-Künstler lebten und arbeiteten überwiegend in New York, wo auch die meisten Happenings, häufig in kleinen avantgardistischen Kunstgalerien, in den Privatwohnungen der Künstler, aber auch im öffentlichen Raum der Stadt, aufgeführt wurden. Allan Kaprow inszenierte seit 1959 mehrere Happenings und trug maßgeblich zu ihrer theoretischen Reflexion bei. Nicht zuletzt wird Kaprow die Prägung des Begriffs ›Happening‹ zugeschrieben.54 In der diskursiven Bestimmung des Happenings als eigenständiger Kunstform und Ausweg aus den Beschränkungen strikt voneinander getrennter Kunstgattungen spielt die Bezugnahme auf ›Theater‹ eine wichtige Rolle. Die Inszenierung der Happenings in Galerien, Lofts oder Museen und die Tatsache, dass die Happenings vor einem, meist kleinen und ausgesuchten, Kreis von Zuschauenden gezeigt wurden, führen dazu, dass das Happening im Diskurs zunächst als eine Art Theater interpretiert wird. So ist bei Kirby zu lesen, dass es sich beim Happening um Folgendes handelt: »a form of theatre in which diverse elements, including nonmatrixed performing, are organized in a compartmented structure«55. Der Happening-Künstler Al Hansen schlägt ebenfalls vor, das Happe-
des Subjekts als daran, ihm z.B. in einer Aufführungssituation Raum als souveräner Agent zu verschaffen (Siehe Rodenbeck 2011, S. 129-174). 54 Siehe Kaprow, Allan, 1966: Assemblage, Environments and Happenings. New York: Harry N. Abrams, hier S. 184. In einer Fußnote verweist Kaprow darauf, dass er den Begriff ›Happening‹ 1959 in einem Artikel für die Zeitschrift Anthologist verwendet hatte. Im gleichen Jahr führte Kaprow »18 Happenings in Six Parts« in der New Yorker Reuben Gallery auf. Kaprow betont, dass es ihm nicht um die programmatische Benennung einer Kunstform ging, sondern dass der Begriff ›Happening‹ von einigen Künstlern aufgegriffen und vor allem durch die Presse populär gemacht wurde. 55 Kirby 1966, S. 21. An dieser Stelle ist sicherlich relevant, dass Kirby selbst Theatermann und aktives Mitglied der amerikanischen Theateravantgarde der 1960er Jahre war. Referenz von Kirbys Überlegungen sind also Theaterexperimente, die auf vielfältige Weise ein neues Verhältnis zum Publikum erproben, sich an der Überwindung der theatralen Logik der Repräsentation abarbeiten und sich für die anderen Künste öffnen. Mit dem Begriff nonmatrixed performing bezeichnet Kirby das Ausführen von Handlungen in einer Aufführung, die nicht mehr als Darstellungen verstanden werden können, also nicht stellvertretend als z.B. die Handlungen einer Figur in einem fikti-
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ning als eine besondere Form von Theater zu verstehen. So wird das Happening zwar in klarer Opposition zum kommerziell ausgerichteten Broadway-Theater positioniert, ohne sich jedoch grundlegend von ›Theater‹ als positivem Bezugspunkt für Praxis und Theorie des Happenings abzuwenden. Hansen schreibt: »I would accept as a concise definition of happenings the fact that they are theater pieces in the manner of collage and that each action or situation or event that occurs within their framework is related in the same way as each part of an abstract expressionist painting, i.e., not that it depicts a tree or nature or a book or a famous event in history, but that this paint is doing this at this time, at this place.«56
Das Broadway-Theater wird von Hansen als künstlerisch uninteressante Institution, die sich kompromisslos kapitalistischen Verwertungsmechanismen verschrieben hat, abgelehnt.57 Weiterhin betont Hansen, ähnlich Kirby, die Abkehr von der Logik der Repräsentation als wichtigen Unterschied von Happening und konventionellem Theater. Es geht im Happening also nicht um Darstellung, sondern der Fokus liegt auf dem Vollzug von Handlungen im Hier und Jetzt der Aufführungssituation. Die Abwendung vom Prinzip der Repräsentation wird, unter Einfluss der Rezeption poststrukturalistischer Theorien in den USA, im Verlauf des Performancediskurses in den 1980er Jahren zum wichtigsten Differenzierungsmerkmal, um die neue Kunstform ›Performance‹ entlang der Opposition ›Theater/Performance‹ zu bestimmen. Dies wird im nächsten Abschnitt dieses Kapitels noch genauer diskutiert. Hier möchte ich jedoch zunächst die Frage nach der Konstellation von ›Theater‹ und ›Performance‹ auf die Frage zuspitzen, wie das in »Art and Objecthood« als ›theatral‹ beschriebene Verhältnis zu den Zuschauenden im Diskurs über die sich als Aufführungen vollziehenden Experimente des Happenings fortgeschrieben wird.
ven Zeit-Raum-Kontext interpretiert werden können. Siehe hierzu ausführlich: Kirby, Michael, 1972: On Acting and Non-Acting. In: The Drama Review 16, 1, S. 3-15. 56 Hansen, Al, 1965: A Primer of Happenings and Time/Space Art. New York: Something Else Press, hier S. 24. 57 Hansen bringt dies folgendermaßen zum Ausdruck: »There seems to be a richer involvement of artists in theater in the twentieth century than at any other time in history. One reason, in our own time, might be the complete absence of anything interesting in more conventional forms of theater. Broadway is operating in terms of real estate and property and is entirely lacking in nerve.« (Hansen 1965, S. 6)
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Happening als Nicht-Theater Wenn das Happening von seinen Zuschauenden, wie in Hansens Text vermutet, als eine Art »crazy theater«58 wahrgenommen wird, dann bleibt ›Theater‹ weiterhin der hauptsächliche Bezugspunkt für die Wahrnehmung des Geschehens. Genau dies gerät nun jedoch als Problem in den Blick, wenn es um die Behauptung der Eigenständigkeit und auch um die Vorstellung der Radikalität der neuen Kunstform ›Happening‹ geht. Ein Auszug aus Allan Kaprows Assemblage, Environments and Happenings (1966): »The rooms enframed the events, and the immemorial history of cultural expectations attached to theatrical productions crippled them. It was repeatedly clear with each Happening that in spite of the unique imagery and vitality of its impulse, the traditional staging, if it did not suggest a ›crude‹ version of the avant-garde Theater of the Absurd, at least smacked of night club acts, side shows, cock fights and bunkhouse skits. Audiences seemed to catch these probably unintended allusions and so took the Happenings for charming diversions, but hardly for art or even purposive activity.«59
Hauptgrund dafür, dass es als Problem erscheint, wenn sich die Zuschauenden angesichts des chaotischen Treibens in einem Happening an das Theater des Absurden, an Zirkusshows, Hahnenkämpfe oder Nachtclubauftritte erinnert fühlen, scheint zu sein, dass das Happening auf diese Weise nicht als eigenständige und ernstzunehmende Kunstform (an-)erkannt wird. Der im Text befürchteten Verwechslungsgefahr kann das Happening schließlich nur entgehen, wenn es zu jeglicher Form des Theatralen auf Distanz geht. Es geht also nicht nur darum, Abstand zum konventionellen Broadway-Theater zu gewinnen, sondern Aufführungen denk- und ausführbar zu machen, die das ›Theater‹ in einer grundlegenderen Weise überwinden. Insofern ›Theater‹ im Text vor allem eine spezifische räumliche Organisationsform des Zuschauer-Akteur-Verhältnisses markiert, werden für das Happening eine konsequente Abkehr von der Guckkastensituation und damit verbunden ein Ende der distanzierten Zuschauhaltung eingefordert. Ziel ist nicht weniger als die Neuordnung der Grundelemente der Aufführung: »All the elements – people, space, the particular materials and character of the environment, time – can in this way be integrated. And the last shred of theatrical convention dis-
58 Hansen 1965, S. 7. 59 Kaprow 1966, S. 188.
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appears. […] A Happening with only an empathic response on the part of a seated audience is not a Happening but stage theater.«60
Sowohl die Assoziation von ›Theater‹ mit strikter Trennung von Agierenden und Publikum als auch der Versuch, eine andere Art von Aufführung theoretisch zu fassen und gegen die konventionelle (Theater-)Aufführung abzugrenzen, bestimmen auch einen zehn Jahre nach Assemblage, Environments and Happenings erscheinenden Text Allan Kaprows. Interessanterweise ist es hier nicht mehr der Begriff ›Happening‹, der als theoretischer Schlüsselbegriff entwickelt wird und mit dem es verschiedene Eigenheiten künstlerischer Praxis zu bündeln gilt. Stattdessen ist es nun der Performancebegriff, der als Sammelbegriff auch für die Experimente der Happening-Künstler fungiert und der ins Zentrum der theoretischen Reflexion rückt. Dabei deutet bereits der Titel des Textes »NonTheatrical Performance« (1976) darauf hin, dass sich die Aufmerksamkeit vor allem auf die Entdeckung von Aufführungsarten richtet, die als von ›Theater‹ verschieden beschrieben werden können.61 Tatsächlich ist die Opposition ›theatral‹ und ›nicht theatral‹ im Text zentral und erweist sich als wichtigster Bezugspunkt für die Formulierung des Performancebegriffs. Ähnlich wie in »Art and Objecthood«, wird der Bezug zu ›Theater‹ mobilisiert, um eine sprachliche Spaltung – diesmal des Begriffs ›Performance‹ – einzutragen. ›Theater‹ steht im Text nicht als klare Opposition der ›Performance‹ gegenüber, sondern mit dem Theatralen wird eine Differenz innerhalb des Performancebegriffs hergestellt. Wie nun unterscheidet »Non-Theatrical Performance« zwischen ›theatralen‹ und ›nicht theatralen‹ Aufführungen? Inwiefern steht die Unterscheidung verschiedener Arten von ›Performance‹ im Zeichen des Versuchs, eine neue, eigenständige Kunstform diskursiv bestimmbar zu machen? Der Text »Non-Theatrical Performance« setzt mit einem Epigraf ein, das in knapper Weise die Szene des konventionellen Theaters evoziert: »Traditional theater: an empty room except for those who’ve come to watch. The lights dim. End of performance. Audience leaves.«62 In dieser, aufgrund seiner Reduziertheit minimalistisch anmutenden, Szene wird ›Theater‹ als klaustrophobische Raumsituation aufgerufen, in der die Zuschauenden in Dunkelheit verharren, um den Ort nach Ablauf eines, hier völlig unbestimmt bleibenden, Aufführungsgeschehens (performance) anscheinend unverrichteter Dinge wieder zu verlassen. Die eingangs umrissene Szene verweist nicht nur darauf, dass mit ›Theater‹ im Text ei-
60 Kaprow 1966, S. 195-196. 61 Kaprow, Allan, 1976: Non-Theatrical Performance. In: Artforum 14, 9, S. 45-51. 62 Kaprow 1976, S. 45 [Herv. i.O.].
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ne spezifische Kunstform bezeichnet ist, die vorranging als besondere räumliche Organisation des Verhältnisses zu den Zuschauenden bestimmt wird. Sie fungiert zugleich auch als Gegenentwurf zu den in »Non-Theatrical Performance« diskutierten Aufführungen der Happenings. Ohne verbindenden Übergang wird dem Bild der düsteren Guckkastentheatersituation eine Beschreibung von Wolf Vostells Happening Berlin Fever (1973) gegenübergestellt. Das Aufführungsgeschehen findet hier nicht in einem leeren Innenraum statt, sondern, beschienen von der »warmen Septembersonne«, auf einem offenen Feld in der Nähe der Berliner Grenze zwischen Ost und West.63 Die für das Happening zusammenkommenden Menschen werden auch nicht als Zuschauende (audience) benannt, sondern als Teilnehmerinnen und Teilnehmer (participants).64 Dem Modell des distanzierten Zuschauens wird die Idee der involvierten, ja privaten, Erfahrung gegenübergestellt. Handlungen wie die bewusst verlangsamte Fahrt im Autokonvoi oder das hundertfache Schließen und Öffnen des Kofferraumdeckels, die von den Teilnehmenden in Berlin Fever, den schriftlichen Anweisungen Vostells folgend, ausgeführt werden, erschließen sich nur in der Innenansicht und dem Erleben derjenigen, die sie vollziehen. Die Unterscheidung zwischen einem Schauen aus der Distanz und der bewussten, nach innen gerichteten Aufmerksamkeit für eine Tätigkeit, die der Beobachter selbst ausführt, ist in »Non-Theatrical Performance« der entscheidende Ansatzpunkt für die Differenzierung von ›theatraler‹ und ›nicht theatraler‹ ›Performance‹. Es geht also nicht etwa um einen verstärkten Einbezug des Zuschauers oder um dessen ›Aktivierung‹, sondern um das möglichst konsequente Ausstreichen der Position des Zuschauens überhaupt bzw. um den Übergang von einem Zuschauen bei einem Geschehen zu einem introspektiven Beobachten von Handlungen, die man selbst ausführt. Das Ideal, so ließe sich festhalten, ist also die selbstreflexive Beobachtung. ›Performance‹ wird damit zu einer Frage der inneren Haltung oder des Bewusstseins: »[…›P]erformance‹ is an attitude about involvement on some plane in something going on. It does not have to be ›on stage,‹ and it really does not have to be announced.«65 Die Fokussierung auf die Details einfacher alltäglicher Handlungen wie Schreiben, Räuspern, die Nase putzen oder eine einfache Wortfolge aufsagen, die im Zentrum von vielen Aufführungen stehen, die in »Non-Theatrical Perfor-
63 Siehe Kaprow 1976, S. 45. 64 Siehe zu Kaprows Idee einer anderen Art der Beteiligung am Aufführungsgeschehen auch Kaprow, Allan, 1977: Participation Performance. In: Artforum 15, 7, S. 24-29. 65 Kaprow 1976, S. 50.
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mance« als Ausweg aus dem ›Theater‹ genannt werden, führt in letzter Konsequenz zu einem Bruch mit der Kunst(-welt), ihren Prinzipien und Vermarktungsmechanismen.66 Der Theaterbegriff bleibt in »Non-Theatrical Performance« dabei eng mit Kunst assoziiert, auch wenn er implizit in Richtung der Idee einer Theatralität des Alltags erweitert wird, wenn im Text auch Sportveranstaltungen, Paraden und Hochzeiten als Beispiele für ›theatrale‹ Aufführungen (theatrical performance) genannt werden. Der Begriff ›Theater‹ selbst wird im Text jedoch ausschließlich als Bezeichnung für künstlerische Aufführungen verwendet. Die Überwindung des ›Theaters‹ ist so immer auch Abwendung von der Kunst: »Art performance is that range of doing things called theater. An artist choosing to make non-art performances simply has to know what theatrical performances are and avoid doing them […].«67 Weil in »Non-Theatrical Performance« Theater- und Kunstbegriff fast schon zu Synonymen werden, positioniert der Text den Performancebegriff als Alternative, um Aufführungsformen denk- und beschreibbar zu machen, die sich jenseits von Kunst und damit jenseits von Konventionen und dem Ideal schöpferischer Kreativität vollziehen.68 Dabei ist es die Doppeldeutigkeit von ›Performance‹ als einerseits Bezeichnung für alle möglichen Arten von Aufführungen und andererseits Bezeichnung für die Aus-, und Durchführung einer Handlung, die sprachlich den Raum öffnet, um den Performancebegriff als Bezeichnung für Formen des ›Nicht-Theaters‹ zu positionieren. Die hier entscheidende Textstelle lohnt es, in aller Ausführlichkeit zu zitieren: »Ordinarily, a performance is some kind of play, dance, or concert presented to an audience – even in the avant-garde. But actually, there are two types of performance currently
66 Das Beispiel, auf das ich mich hier beziehe, ist Allan Kaprows 7 Kinds of Sympathy. Diese Performance basiert auf einem Skript mit einfachen Handlungsanweisungen wie
»A, writing occasionally blowing nose« oder »A, examining something occasionally feeling for something in pocket« (Kaprow 1976, S. 47). 67 Kaprow 1976, S. 50. Im Text werden verschiedene Strategien für eine Verwirklichung von Performancearbeiten aufgezeigt, die nicht mehr als ›theatral‹ zu bezeichnen wären. Als größtmögliche Steigerung dieser Tendenz werden u.a. Sozialarbeit in einem Ghetto und das Reisen per Anhalter genannt. In diesen Beispielen werden keine per se künstlerischen Handlungen mehr ausgeführt und sie finden auch in keinem künstlerischen Kontext statt. Allein die innere Einstellung, das eigene Bewusstsein, können ermöglichen, die Handlungen zumindest punktuell als ›Kunst‹ zu betrachten (Siehe Kaprow 1976, S. 50). 68 Siehe Kaprow 1976, S. 50 u. 51.
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being made by artists: a predominant theatrical one, and a smaller, less recognized nontheatrical one. They correspond, interestingly, to the two meanings the word ›performance‹ has in English. One meaning refers to artistry, as in performing on the violin; while the second meaning has to do with carrying out a job or function, as when performing a task, service, or duty; viz. a ›high-performance engine.‹ Theatrical performance, in the broadest sense, takes not only the form of plays, etc., but includes marriage ceremonies, stock-car races, football games, aerial stunts, parades, TV shows, classroom teaching, and political rallies. Something occurs in a certain place, someone comes to attend it in an adjacent place, and it begins and ends after a usually conventional time has elapsed. […] Non-theatrical performance does not begin with an envelope containing an act (the fantasy) and an audience (those affected by the fantasy). By the early ’60s the more experimental Happenings and Fluxus events had eliminated not only actors, roles, plots, rehearsals, and repeats – the special outgrowths of this twofold division of theater. They also dispended with audiences, the single staging area, and time block of an hour or so. […] Since those first efforts, Activities, Landworks, Concept pieces, Information pieces, and Bodyworks have added to the idea of a performance that isn’t theater.«69
Die zitierte Passage macht deutlich, dass die Unterscheidung von ›theatralen‹ und ›nicht theatralen‹ Aufführungen sich in »Non-Theatrical Performance« vor allem an der klaren (räumlichen) Trennung von Agierenden und Zuschauenden festmacht (twofold division of theater) und daran, dass in ›theatralen‹ Aufführungen ein Geschehen gezeigt wird, das in der Regel gezielt als Spektakel für die Schauenden inszeniert ist (presented to an audience). Für die Frage nach der Rolle von Vorstellungen von ›Theater‹ und ›Theatralität‹ im amerikanischen Performancediskurs erscheinen mir hier abschließend drei Feststellungen wichtig: 1. Die Idee einer neuen Kunstform ›Performance‹, in der sich zahlreiche, unter verschiedenen Namen seit den 1950er Jahren durchgeführte, Experimente wie Happenings, Body Art, Concept Art etc. bündeln, wird unter Abgrenzung zu ›Theater‹ als negativem Bezugspunkt im Text positioniert. 2. Der Theaterbegriff ist dabei, anders als in »Art and Objecthood«, zwar weniger diffus und ruft eine konkretere Vorstellung von ›Theater‹ als spezifische Art von Aufführung auf. 3. Er wird im Text dennoch vor allem auch mobilisiert, um in den Performancebegriff eine Differenz einzutragen, die Voraussetzung dafür ist, Aufführungen klar voneinander zu unterscheiden und entlang der Opposition ›theatral/nicht theatral‹ zu sortieren. Der Bezug zum ›Theater‹ dient dabei vor allem dazu, die im Performancebegriff aufgrund seines alltagssprachlichen
69 Kaprow 1976, S. 50.
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Gebrauchs im Englischen bereits gegebene Doppelbedeutung von Aufführung/Ausführung zu betonen und stärker als Opposition lesbar zu machen. Wenn nun in »Non-Theatrical Performance« ›Performance‹ als idealerweise eine Kunst der Ausführung vorgeschlagen wird, die sich jenseits von Zuschauen und Zeigen vollzieht und in der es auch gar nicht mehr um die Herstellung einer außeralltäglichen Situation geht, sondern in der das Ziel vor allem eine Veränderung der Wahrnehmungshaltung ist, so scheinen die in »Art and Objecthood« von Tony Smith beschriebene Fahrt auf der nächtlichen Autobahn und die in »Non-Theatrical Performance« geschilderte langsame Fortbewegung im Autokonvoi, die die Teilnehmer in Vostells Berlin Fever unternehmen, gar nicht so weit voneinander entfernt. Die Loslösung von jeder Form von konventioneller Kunstproduktion und das Aufgehen im Moment intensivierter Wahrnehmung, wie es Tony Smith angesichts der sich scheinbar bis in die Unendlichkeit fortsetzenden Asphaltstraße beschreibt, wird in »Art and Objecthood«, wie bereits mehrfach erwähnt, als bedrohliches Ende der Kunst und zugleich größtmögliche Steigerung von ›Theater‹ verstanden. Aus der Perspektive von »Non-Theatrical Performance« ist es nun jedoch gerade diese Abwendung von Kunst, auf die es ankommt und die positiv bewertet wird. Und genau dieser Abschied von Kunst geht in der Sichtweise von »Non-Theatrical Performance« mit einer Abwendung vom ›Theater‹ einher. Die verdichtete Wahrnehmungssituation, die sich in der bewussten Ausführung einer Handlung, z.B. dem wiederholten Öffnen und Schließen des Kofferraums, einstellt, ist hier gerade das genaue Gegenteil von ›Theater‹ und nicht etwa dessen Steigerung. Diese Feststellung verweist zunächst einmal vor allem auf die grundlegende Flexibilität des Theaterbegriffs. Dieser zeigt sich als ganz unterschiedlichen, auch völlig gegensätzlichen, Besetzungen zugänglich, so dass klar wird, dass es sich sowohl in »Art and Objecthood« als auch in »Non-Theatrical Performance« um eine strategische Begriffsverwendung handelt, die nicht um historische Fundierung bemüht ist. Dort, wo es im Diskurs über die Kunst der ›Performance‹ darum geht, die Eigenheit einer Kunstform – ihre Essenz – zu behaupten und diese in ihrer Spezifik gegen andere Künste abzugrenzen, wird der Theaterbegriff mobilisiert, um gewissermaßen für das andere einzustehen, gegen das sich die betreffende Kunstform – in »Art and Objecthood« die moderne Plastik, in »NonTheatrical Performance« die neuen, experimentellen Aufführungen des Happenings – abheben lässt. Die in »Non-Theatrical Performance« zu beobachtende Verbindung von ›Theater‹ bzw. ›Theatralität‹ mit einer als überkommen betrachteten künstlerischen Praxis setzt sich auch in Texten der 1980er Jahre, die die Frage nach den Besonderheiten der Performancekunst stellen, fort.
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3.2.3 Performance als Theater der De-Subjektivierung 1977 erscheint ein Sammelband, der unter dem Titel Performance in Postmodern Culture die Diskussion über ›Performance‹ in den Kontext der, ab Mitte der 1970er Jahre in den USA einsetzenden, Rezeption der, dem Poststrukturalismus und der Dekonstruktion zugerechneten, Schriften von Jacques Derrida, Julia Kristeva, Michel Foucault, Roland Barthes, Gilles Deleuze, Jacques Lacan und Jean-François Lyotard stellt.70 Mit den postmodernen Theorien gerieten bisherige Gewissheiten des philosophischen, literatur- und kulturkritischen Denkens ins Wanken. Die heterogenen Theorien eint die grundlegende Skepsis gegenüber jeglichem Glauben an Metaphysik und Transzendenz. An die Stelle des objektivistischen Weltbilds der Moderne, das mit der Vorstellung verbunden ist, dass es eine eindeutige Wahrheit geben kann, treten in der Postmoderne Relativismus und das Prinzip der Pluralität. Sprache erscheint in Folge ebenfalls nicht mehr als transparentes Mittel zur Erfassung der Welt, sondern wird als Produzent von Wirklichkeit(-en) aufgefasst und kritisch beschrieben. Die Sprachkritik der postmodernen Theorien übersetzt sich im Kontext der amerikanischen Performancetheorien dabei als umfassende Kritik der Logiken der Repräsentation.71 ›Performance‹ wird im Zuge dessen vor allem als eine Praxis in den Blick genommen, die sich konventionellen Formen der Repräsentation widersetzt und dabei selbst die kritische Frage nach der (Un-)Möglichkeit der Repräsentation stellt. In dem von Michel Benamou und Charles Caramello herausgegebenen Sammelband Performance in Postmodern Culture wird der Zusammenhang zwi-
70 Siehe Benamou, Michel/Charles Caramello (Hg.), 1977: Performance in Postmodern Culture. Madison: Coda Press. Der Band versammelt Aufsätze, die aus dem International Symposium on Post-Modern Performance, das im November 1976 abgehalten wurde, hervorgegangen sind. Das Symposium brachte Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler, Philosophen, Künstlerinnen und Künstler wie u.a. Ihab Hassan, Dick Higgins, Herbert Blau, Jean-François Lyotard, Carol Duncan, John Cage, Allan Kaprow, Carolee Schneemann und Erving Goffman zusammen. Zur Rezeption der französischen Theorien in den USA siehe Berman, Art, 1988: From the New Criticism to Deconstruction. The Reception of Structuralism and Post-Structuralism. Urbana/ Chicago: University of Illinois Press. 71 Zur komplexen Beziehung der Begriffe ›Performance‹ und ›Postmoderne‹ siehe Auslander, Philip, 2004: Postmodernism and Performance. In: Connor, Steven (Hg.), The Cambridge Companion to Postmodernism. Cambridge: Cambridge University Press, S. 97-115.
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schen ›Performance‹ und Postmoderne noch in anderer Weise hergestellt. Gleich in der Einleitung wird ›Performance‹ als umfassendes Prinzip bzw. bestimmender Modus der Postmoderne hervorgehoben: »Performance, the unifying mode of the postmodern, is now what matters.«72 Dabei, so stellt der Einleitungstext des Bandes klar, betreffe die Hinwendung zu ›Performance‹ nicht nur die Künste, sondern ebenso das Alltagsleben und die Bereiche von Technik und Ökonomie.73 Nicht nur in Kunst und Kultur komme es immer mehr darauf an ›zu performen‹. Auch in Wirtschaft und Technologie zähle zunehmend vor allem die ›Performance‹ im Sinne der messbaren Leistungsfähigkeit. ›Performance‹ gerät so auch als Symptom umfassender gesellschaftlicher Veränderungen in den Blick, die sowohl auf der Mikroebene des einzelnen Subjekts als auch auf der Makroebene gesellschaftlicher Tendenzen und Trends wirksam werden. Dieser zentrifugalen Ausweitung des Nachdenkens über ›Performance‹ möchte ich hier nun jedoch nicht nachgehen, sondern die Frage diskutieren, welche Verschiebungen sich unter dem Eindruck postmoderner Theorien im Diskurs über Performancekunst zu Beginn der 1980er Jahre mit Blick auf die Konstellation von Theater- und Performancebegriff ergeben. Dabei ist selbstverständlich, dass kaum die Rede von der postmodernen Theorie im Singular sein kann und, dass konkrete Texte natürlich jeweils Bezug auf spezifische, untereinander durchaus sehr verschiedene, Theoretikerinnen und Theoretiker der Postmoderne nehmen. Trotz der Heterogenität und Komplexität postmoderner Theoriebildung, der hier nur mit strategischer Verkürzung begegnet werden kann, scheinen es für die Beziehung von ›Theater‹ und ›Performance‹ recht konkrete Problemfelder zu sein, die sich angesichts postmoderner Ideen aufwerfen. Diese bringt Michel Benamou in seiner Einleitung zu Performance in Postmodern Culture folgendermaßen auf den Punkt, wenn er fragt: »[…I]s it possible to bring postmodern theory full circle to a reconciliation of the theatrical paradigm, the event still called theater, with the non-perspectival, non-centered, and
72 Benamou, Michel 1977: Presence and Play. In: Ders./Charles Caramello (Hg.): Performance in Postmodern Culture. Madison: Coda Press, S. 3-7, hier S. 3. 73 Benamou identifiziert drei Aspekte, die in engem Zusammenhang, sowohl als treibender Kontext als auch Symptom, mit der Ausweitung von ›Performance‹ im Zeitalter der Postmoderne stehen: die »Dramatisierung« des Alltagslebens durch den Einfluss der Medien, die zunehmende Hinwendung zu Spiel/Verspieltheit in den Künsten und die gesteigerte Fokussierung auf Funktionalität in einer von Technik dominierten Gesellschaft (Siehe Benamou 1977, S. 4).
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radically de-symbolized performances called art events, happenings, and now, activities?«74
In der kurzen Passage stellt Benamou die mit der Postmoderne verbundenen Prinzipien des Relativismus und des Pluralismus der modernen Idee eines stabilen Zentrums, die immer auch die Vorstellung einer souveränen und autonomen Subjektposition impliziert, entgegen und bezieht sie auf das Verhältnis von ›Theater‹ und ›Performance‹. Die Vervielfältigung der Blickpunkte, der Verlust von Einheit und Zentrum sowie das Aufbrechen von festen Zeichenstrukturen und -ordnungen werden dabei als typische Merkmale von ›Performance(-kunst)‹ identifiziert. Im selben Moment wird so eine traditionelle Vorstellung vom Theater als der Zentralperspektive verpflichteter Apparat der Repräsentation aufgerufen und der ›Performance‹ gegenübergestellt. Indem postmoderne Theorien insbesondere auch auf eine Kritik logozentrischen Denkens zielen und eine Abkehr von traditionellen Vorstellungen von Identität und Essenz forcieren, geben sie dem performancetheoretischen Diskurs neue Impulse, um die Abkehr von Repräsentation und die Abkehr von der Idee einer auf ›Empfangen‹ festgelegten Zuschauhaltung, die in Kritik und theoretischem Kommentar zu den in den 1950er Jahren begonnenen, künstlerischen Experimenten in Malerei, Skulptur, Musik, Tanz und Theater von Anfang an bemerkt wird, neu zu thematisieren. Erst unter dem Eindruck postmoderner Theoriebildung gelingt es, so meine These, in der Performancetheorie die Fragen von Repräsentation, Präsenz und Zuschauen im Performancebegriff zu integrieren. Dabei, so wird sich zeigen, spielt die Bezugnahme auf ›Theater‹ wieder eine entscheidende Rolle. Im Folgenden möchte ich diese These anhand zweier Texte verfolgen. In einer Sonderausgabe der Zeitschrift Modern Drama aus dem Jahr 1982 erscheinen zwei für die amerikanische Performancetheorie äußerst einflussreiche Aufsätze: Chantal Pontbriands »›The eye finds no fixed point on which to rest…‹« und Josette Férals »Performance and Theatricality: The Subject Demystified«.75 Die Texte lassen sich gut gemeinsam in den Blick nehmen, da sie mehrere Berührungspunkte aufweisen. In beiden Fällen geht es um den Versuch einer grundlegenden Bestimmung dessen, was ›Performance‹ ist. Gestellt wird also die Frage nach dem Wesen der ›Performance‹, wobei sich der Performancebegriff hier klar
74 Benamou 1977, S. 6. 75 Siehe Pontbriand, Chantal, 1982: ›The eye finds no fixed point on which to rest…‹. In: Modern Drama 25, 1, S. 154-162. Siehe Féral, Josette, 1982: Performance and Theatricality. The Subject Demystified. In: Modern Drama 25, 1, S. 170-181.
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auf eine spezifische künstlerische Praxis bezieht und demnach im engeren Sinne Performancekunst meint. Interessanterweise erfolgt die Bestimmung des Wesens der Performancekunst in beiden Texten in enger Auseinandersetzung mit der Idee des ›Theaters‹. Die Bezugnahme vollzieht sich dabei nicht nur als einfache Abgrenzung von ›Theater‹, sondern mündet in einer theoretischen Neubestimmung von ›Theatralität‹ als symbolischer Praxis. ›Performance(-kunst)‹ wird dabei schließlich als ihrem Wesen nach ›Theater der De-Subjektivierung‹ bestimmt. Theatralität positiv gewendet Chantal Pontbriands Aufsatz »›The eye finds no fixed point on which to rest…‹« greift gleich zu Beginn die in Michael Frieds »Art and Objecthood« geäußerte Beobachtung der Theatralisierung der Künste auf. Die Veränderungen in den Künsten der 1960er und 1970er Jahre seien tatsächlich vor allem Hinwendung zu und Affirmation einer »Art Theatralität«, insofern den Elementen »Zuschauer/ Bühne/Spektakel« zunehmend größere Bedeutung zukomme.76 Diese Entwicklung könne auch als zunehmende Durchsetzung der Kunstform ›Performance‹ bezeichnet werden: »This whole phenomenon is called performance.«77 Allerdings übernimmt der Text nicht die kritische Wertung aus »Art and Objecthood«. Im Gegenteil arbeitet »›The eye finds no fixed point on which to rest…‹« gerade daran, jene bei Fried beobachtete Theatralisierung der Künste positiv umzudeuten. Hierzu bedient sich der Text eines argumentativen Kniffs. Die in »Art and Objecthood« vorgeschlagene Unterscheidung zwischen ›theatral/nicht theatral‹, die, wie zuvor dargelegt, mit der Unterscheidung zweier Arten von Gegenwart (presentment vs. presentness) einhergeht, wird als unzureichend kritisiert. Dabei erscheint nicht als Problem, dass unterschieden wird, sondern, dass nicht richtig unterschieden wird: »It should be pointed out first of all that for these critics [Clement Greenberg und Michael Fried; VA] there is no distinction between theatre and performance.«78 Die einem modernen Ideal von Kunst verbundenen Kritiker, die daran festhalten, dass sich die Essenz einer Kunstform durch die möglichst konsequente Beschränkung auf die ihr je eigene, eine Form bestimmen lässt, sehen nicht, dass sich innerhalb der in »Art and Objecthood« dem Bereich des ›Theatralen‹ zugerechneten künstlerischen Praxis irgendwelche Differenzierungen vornehmen ließen, die zu deren ›Rettung‹ beitragen könnten. Der Bereich des ›Theatralen‹ bleibt ihnen insgesamt suspekt. Hier
76 Siehe Pontbriand 1982, S. 154. 77 Ebd., S. 154. 78 Ebd., S. 155.
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setzt Pontbriands Text an, indem er auf der Anerkennung der ›Performance‹ als eigene, vom ›Theater‹ klar unterschiedene, Kunstform besteht. Ansatzpunkt für die Unterscheidung von ›Performance‹ und ›Theater‹ ist interessanterweise erneut die Frage der Zeitlichkeit: »[…O]ur aim is to draw a distinction between classical presence and post-modern presence. One must add that performance unfolds in a real time and a real place without any imaginary or transcendental space-time a priori, that performance actualizes time and place. In other words, performance presents; it does not re-present.«79
Zwei Dinge erscheinen mir an der zitierten Textstelle für das Verständnis der, sich unter dem Eindruck postmoderner Theoriebildungen ergebenen, Verschiebungen der Konstellation von ›Performance‹ und ›Theater‹ wichtig. Einerseits wird die Frage der Zeitlichkeit hier auch in eine Frage der Zeichenhaftigkeit überführt, wenn betont wird, dass sich ›Performance‹ vor allem auch dadurch auszeichnet, dass sie nicht(-s) repräsentiert, sondern Zeit und Raum in ihrer konkreten Tatsächlichkeit zur Entfaltung bringt. Weiterhin werden hier Moderne und Postmoderne als größere Bezugsrahmen aufgerufen und für die Zementierung der Unterscheidung von ›Performance‹ und ›Theater‹ mobilisiert, wobei ›Theater‹ der Moderne und ›Performance‹ der Postmoderne zugerechnet wird.80 Dennoch ist es nicht etwa ein Denker der Postmoderne, der in »›The eye finds no fixed point on which to rest…‹« Pate für die Beobachtung steht, dass sich ›Performance‹ durch konsequenten Bruch mit dem Prinzip der Repräsenta-
79 Pontbriand 1982, S. 155. 80 Siehe hierzu auch: Auslander, Philip, 1997: Presence and Theatricality in the Discourse of Performance and the Visual Arts. In: Ders., From Acting to Performance. Essays in Modernism and Postmodernism. London/New York: Routledge, S. 49-57. Auslander diskutiert in seinem Aufsatz die Resonanz von Michael Frieds »Art and Objecthood« in der amerikanischen Performancetheorie und vertritt die These, dass sich sowohl der Grundimpuls des Aufsatzes – nämlich die Suche nach der Essenz bestimmter Kunstformen – als auch die Grundüberzeugung, dass sich die Identität einer Kunstform nur in klarer Abgrenzung zu anderen Künsten bestimmen ließe, in den Aufsätzen Chantal Pontbriands und Josette Férals fortschreibt. Dabei komme es zu einer Umwertung. Während in Frieds Perspektive ›Theatralität‹ die Postmoderne bezeichnet, gegen die es das moderne Kunstwerk zu verteidigen gelte, markiert ›Theatralität‹ bei Pontbriand und Féral die Moderne, in die die postmoderne Kunstpraxis keineswegs zurückfallen dürfe.
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tion und durch eine Art »radikale Präsenz« vom Theater unterscheidet.81 Theoretischer Hauptbezugspunkt des Textes ist Walter Benjamins Aufsatz »Das Kunstwerk im Zeitalter seiner technischen Reproduzierbarkeit« (1935), aus dem Pontbriand auch den Titel für ihren eigenen Aufsatz entnimmt.82 Benjamin beobachtet in seinem Aufsatz bekanntermaßen, dass sich die Herstellungs- und Rezeptionsbedingungen von Kunst mit dem Aufkommen von Film und Fotografie im 20. Jahrhundert grundlegend verändert haben. Insofern Film und Fotografie wiederholt gezeigt und leicht einer großen Masse zugänglich gemacht werden können, erscheint die Vorstellung von der Einmaligkeit des Kunstwerkes ebenso wie die Vorstellung des nur einigen wenigen vorbehaltenen Privilegs des Zugangs zu Kunst obsolet. Die Demokratisierung des Zugangs zu Kunst führt schließlich dazu, dass das Kunstwerk seine ›Aura‹ und auch seinen kultisch-rituellen Wert verliert, deren Bestehen gerade eine möglichst große Distanz und Exklusivität voraussetzen. Weiterhin hebt Benjamins Aufsatz die neuen Techniken als analytische Instrumente hervor, die einen anderen, sezierenden Blick auf die Welt eröffnen und Wahrnehmungserfahrungen ermöglichen, die bisher nicht denkbar waren. Performance als antimetaphysische Praxis Pontbriands Text nutzt nun diese in Benjamins Aufsatz formulierte Opposition zwischen dem auratischen und dem technisch reproduzierbaren Kunstwerk für die Konturierung ihres Performancebegriffs, indem die Benjamin’sche Unterscheidung in zwei einander gegenübergestellte Zeit-/Zeichenlogiken übersetzt wird. ›Performance‹ unterscheidet sich, Pontbriand zufolge, als eigenständige Kunst vom ›Theater‹ dadurch, dass sie sich konsequent vom Prinzip der Repräsentation und der damit verbundenen »klassischen Präsenz« zugunsten der Verwirklichung einer »radikalen Präsenz« abwendet. Dass diese neue Art der Präsenz weniger mit phänomenologischen Vorstellungen von körperlicher Unmittelbarkeit oder energetischem Austausch zu tun hat, sondern eher eine analytische Wahrnehmungspraxis meint, wird deutlich, wenn der Text den verstärkten
81 Siehe Pontbriand 1982, S. 156. Pontbriand vertritt die These, dass ›Performance‹, je mehr sich diese vom Prinzip der Repräsentation und der damit verbundenen »klassischen Präsenz« (classical presence) wegbewegt, eine besondere Art von Präsenz realisiert, die Pontbriand »radikale Präsenz« (radical presence) nennt. 82 Vgl. Benjamin, Walter, 1974: Das Kunstwerk im Zeitalter seiner technischen Reproduzierbarkeit. In: Ders., Gesammelte Schriften. Band I. 2. Herausgegeben von Rolf Tiedemann und Hermann Schweppenhäuser. Frankfurt/M.: Suhrkamp, S. 435-508 (1935).
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Einsatz von Technik und Medien als eine wichtige Voraussetzung für die Emanzipation der ›Performance‹ vom ›Theater‹ benennt: »[…T]he more performance is expressed by technical means, the more chance it has of being removed from the theatre or theatricality; the more it withdraws from representation into simple presentation; the more it draws away from aura into simple actuality; the more it draws away from classical presence to assert a new and different presence, a radical presence. It seems therefore that technical mediation is a necessary condition for a ›good‹ performance, a performance in which presence differs from what it is in the theatre.«83
Aufzeichnungstechniken ermöglichen z.B. mittels Großaufnahme das Hervorund Herausheben von Einzelheiten und eröffnen so einen sezierenden Blick, der das Ganze in Fragmente zerlegt.84 Pontbriand hat hier konkrete Beispiele der künstlerischen Praxis im Blick und verweist u.a. auf Yvonne Rainer, Meredith Monk, Trisha Brown und Philip Glass, die in ihren Arbeiten immer wieder der Qualität und den Möglichkeiten einzelner Elemente wie z.B. der Stimme, dem Körper oder dem Klang nachgehen.85 Dass »›The eye finds no fixed point on which to rest…‹« gerade Walter Benjamins Aufsatz einbindet, um für die besonderen Merkmale und die Eigenständigkeit der Kunstform ›Performance‹ zu streiten, erklärt sich meines Erachtens einerseits daraus, dass hier die Unterschiede zwischen ›Theater‹ und ›Performance‹ im Übergang von Moderne zu Postmoderne verortet und damit als historische, revolutionäre Entwicklung verstanden werden sollen. Weiterhin bietet Benjamins These von der Verschiebung vom auratischen ›Kultwert‹ hin zum säkularen ›Ausstellungswert‹ des Kunstwerkes eine Basis, um die Veränderungen in der Darstellungspraxis und im Umgang mit der Position des Zuschauenden, die sich in der künstlerischen Praxis seit den 1950er Jahren beobachten lassen, zu integrieren. Die Herauslösung aus rituellen und kultischen Zusammenhängen und die damit verbundene Abkehr von jeglichem Bezug zum Metaphysischen wird in »›The eye finds no fixed point on which to rest…‹« zu dem definierenden Merkmal der ›Performance‹ erhoben. Dies führt dann in Konsequenz dazu, dass Spielarten der Performancekunst, die sich mystischer Elemente bedienen oder Anklänge an mythisch-rituelle Praktiken aufweisen, z.B. Hermann Nitschs Or-
83 Pontbriand 1982, S. 156. 84 Siehe ebd., S. 156. 85 Siehe ebd., S. 156.
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gien-Mysterien-Theater, aus Pontbriands Performancebegriff kategorisch ausgeschlossen werden: »Performance aims to show the real without mystification. (My definition of performance excludes any mystifying action, any shamanizing performance – for example, those of Herman Nitsch – as being regressive for these reasons.)«86
Unter Rückgriff auf Benjamins berühmten Aufsatz entwirft der Text »›The eye finds no fixed point on which to rest…‹« also einen Performancebegriff, der ›Performance(-kunst)‹ vor allem als Praxis der ›Entzauberung‹ und der kühlen Analyse vorstellt. So wie die Reproduktionstechniken des 20. Jahrhunderts zu einer Befragung der gesellschaftlichen Rolle des Kunstwerkes herausfordern und die mit dem auratischen Kunstwerk verbundenen Werte und Ideen der Kritik öffnen, so ermöglicht nun im Zeitalter der Postmoderne die ›Performance‹ jenen freien Blick auf »das Reale«.87 Mit dem schwierigen Begriff des ›Realen‹ scheint hierbei zweierlei gemeint zu sein. Das besondere Potenzial der ›Performance‹ besteht zunächst vor allem darin, dass sie sich von jedem Moment der Referenz – sei diese als Bezogensein auf eine metaphysische Instanz, sei diese zeichentheoretisch verstanden – freimacht: »Performance appears much more as disarticulation of the whole than as signifying totality. In this respect, performance reveals an aversion for metaphysics […].«88 Das ›Reale‹ meint an dieser Stelle dann die konkrete Materialität der in der Aufführung verwendeten Ausdrucksmittel, die in ihrer Eigenwertigkeit ins Zentrum der Aufmerksamkeit rücken und nicht mehr vorrangig als Träger von Ideen oder als Positionen in einem übergeordneten Sinnzusammenhang ins Spiel kommen. Gleichzeitig öffnet sich in der ›Performance‹ jedoch nicht nur der klare Blick auf die Tatsächlichkeiten von Raum, Zeit und Körper. Dass die ›Performance‹ zu erhöhter Aufmerksamkeit für die Realität der Aufführungssituation drängt, hat auch Konsequenzen für den Zuschauenden. Diesem eröffnet die im doppelten Sinn analytische Kraft der ›Performance‹ nämlich gewissermaßen ein Fenster in das eigene Unbewusste, indem die ›Performance‹ den Wahrnehmungseindruck der Aufführung in visuelle, klangliche und kinetische Einzelreize zerlegt, die in schneller Abfolge auf den Zuschauenden einprasseln und ihm so den Rückzug
86 Pontbriand 1982, S. 157. 87 Siehe ebd., S. 157. 88 Ebd., S. 156.
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auf eine kontemplative, souveräne Beobachterposition, von der aus sich ›alles‹ überschauen ließe, verwehrt.89 Das im Text an dieser Stelle am ausführlichsten diskutierte Beispiel für diese Praxis der ›Performance‹ sind die Arbeiten des amerikanischen Regisseurs Richard Foreman. Diese zeichnen sich durch eine komplexe Choreografie von plötzlich wechselnden Lichteinstellungen, häufigen Veränderungen am Bühnenraum, überraschend einsetzenden Geräuscheffekten und durch eine ungewöhnliche Aufteilung des vorgetragenen Textes aus. Diese insgesamt als Strategie der Fragmentierung zu beschreibende Inszenierungspraxis Foremans verhindere, so wird in »›The eye finds no fixed point on which to rest…‹« beobachtet, dass der Zuschauer zu einer souveränen Haltung findet, von der aus sich das Geschehen als ein Ganzes in den Blick nehmen ließe. Dadurch dass die visuellen und klanglichen Effekte den Zuschauer immer wieder aufrütteln, bleibe diesem letztlich nur übrig, sich immer wieder neu einzustellen und das Geschehen in seiner ›Tatsächlichkeit‹ (actuality) wahrzunehmen.90 Zusammenfassend lässt sich festhalten, dass der Performancebegriff in »›The eye finds no fixed point on which to rest…‹« vor allem aus der postmodernen Abwendung von Metaphysik entworfen wird. Pontbriands antimetaphysischer Performancebegriff weist ›Performance‹ als eine Praxis der Analyse aus, die aus den Elementen des Theaters nicht ein Ganzes oder sogar eine fiktive Welt schmiedet, sondern immer wieder zurückverweist auf die Elemente selbst. In dieser Selbstbezüglichkeit wird zugleich die antitheatrale Dimension der ›Performance‹ lokalisiert. Während die Selbstbezüglichkeit der Minimal Art für Michael Fried gerade deren Theatralität ausmachte und als Symptom der Postmoderne interpretiert wurde, kommt es bei Pontbriand zur genauen Umwendung der Vorstellung vom Theatralen. Das ›Theater‹ steht hier nun für die Moderne und für das Prinzip der Repräsentation ein. Abkehr von Repräsentation Dass es in der ›Performance‹ nicht mehr um die Darstellung einer in sich geschlossenen fiktiven Welt geht, der sich der Zuschauende gegenübersieht und die er kontemplativ als Ganzes betrachten kann, ist auch zentrale Beobachtung in Josette Férals »Performance and Theatricality. The Subject Demystified« (1982). Stärker noch als in »›The eye finds no fixed point on which to rest…‹« wird hier die Kunstform ›Performance‹ als Ort beschrieben, an dem die Souveränität des Subjekts auf die Probe gestellt wird. Der Text ist in seinen theoretischen Bezü-
89 Siehe Pontbriand 1982, S. 158-159. 90 Siehe ebd., S. 159-161, insb. 159.
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gen recht voraussetzungsreich und macht das psychoanalytische Subjektmodell Jacques Lacans zur Basis der Argumentation. Um sich hier nicht in Detailfragen der Lacan’schen Psychoanalyse zu verirren, erscheint es wichtig, noch einmal die Leitfrage dieses Abschnitts in Erinnerung zu rufen. Es geht mir darum, einige grundlegende Verschiebungen zu skizzieren, die sich im Verhältnis von ›Theater‹ und ›Performance‹ im Diskurs unter dem Eindruck postmoderner Theoriebildung zu Beginn der 1980er Jahre ergeben. Ausgangspunkt von »Performance and Theatricality« ist ebenso wie in »›The eye finds no fixed point on which to rest…‹« die Beobachtung, dass aus künstlerischen Neuerungen in Tanz, Musik, Malerei und Plastik eine neue Kunstgattung (»a new genre«91) entstanden ist, nach deren Wesensmerkmalen der Text fragt. Trotz der Heterogenität der neuen Kunstgattung ›Performance‹ gebe es einige grundlegende Eigenschaften, die die ›Performance‹ als unabhängiges Genre eine. Diese verortet der Text in drei Bereichen: Umgang mit dem Körper, Umgang mit dem Raum, Gestaltung der Beziehungen zwischen Zuschauenden, Künstler und Kunstwerk.92 Insgesamt beschreibt der Text die ›Performance‹ als Aufführung, in der sich etablierte Grenzen und Ordnungen verflüssigen. Die Inszenierung sowohl von Körper als auch von Raum ziele in der ›Performance‹ nicht auf die Herstellung eines geschlossenen Gesamteindrucks wie z.B. die Erzeugung einer fiktiven Figur. Stattdessen zerlege die ›Performance‹ den Vorgang der Bedeutungserzeugung in seine Bestandteile und Abläufe und führe diese in ihrer Prozesshaftigkeit vor. Eine Videoinszenierung wie Vito Acconcis Conversions (1971), in der der Künstler Handlungen an seinem Körper wie das Verbrennen der eigenen Körperbehaarung oder das In-Form-Kneten seiner Brust, so dass diese dem Busen einer Frau ähnelt, ausführt und in filmischer Großaufnahme zeigt, werden in »Performance and Theatricality« als typische Arbeiten der ›Performance (-kunst)‹ vorgestellt.93 Dabei werden die Abkehr von Logiken der Repräsentation
91 Féral 1982, S. 171. 92 Siehe ebd., S. 171. 93 Siehe ebd., S. 171. Féral nennt Vito Acconci als Vertreter der Performancekunst, bespricht jedoch nicht die Arbeit Conversions (1971). In derselben Ausgabe von Modern Drama, in der Férals Aufsatz erscheint, findet sich ein weiterer Aufsatz, der die Arbeit Demo Model (1978) der Künstlerin Elizabeth Chitty diskutiert und der, ähnlich Féral, die These vertritt, dass sich Chittys Performance als Dekonstruktion theatraler Repräsentationslogiken verstehen lasse. Obwohl der Aufsatz keinen Bezug zu Féral nimmt, spiegelt er doch die Grundüberlegungen Férals und ist damit Beleg für die diskursive Reichweite der in diesem Abschnitt diskutierten Überlegungen zur Performancekunst
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und das Herausnehmen des Körpers aus jeglichem übergeordneten Sinnzusammenhang hier psychoanalytisch gedeutet. Dass Acconci seinen Körper in seinen Details vorführt und auch in der Regel tabuisierte Körperzonen zeigt, wird im Text als Technik der Herauslösung des Körpers aus seinen üblichen semiotischen und libidinösen Besetzungen interpretiert: »Performance rejects all illusion, in particular theatrical illusion originating in the repression of the body’s ›baser‹ elements, and attempts instead to call attention to certain aspects of the body […]. The body is made conspicuous: a body in pieces, fragmented and yet one, a body perceived and rendered as a place of desire, displacement, and fluctuation, a body the performance conceives of as repressed and tries to free […].«94
Die in »Performance and Theatricality« als für die Performancekunst typisch beschriebene Inszenierungsweise von Raum zielt, wie die Inszenierungsweise des Körpers, ebenfalls auf eine Verflüssigung der räumlichen Grenzen und symbolischen Besetzungen. Raum wird nicht mehr als stabiler ›Rahmen‹ einer sich in diesem abspielenden Handlung inszeniert oder als ein fiktiver anderer Ort lesbar, sondern erfährt eine radikale Dynamisierung, die letztlich zur Auflösung des Raumes als fester Bezugsgröße führt.95 Körper und Raum gehen in der ›Performance‹ in Bewegung, in Prozess und Vollzug auf: »Exactly like the body, therefore, space becomes existential to the point of ceasing to exist as a setting and place. It no longer surrounds and encloses the performance, but like the body, becomes part of the performance to such an extent that it cannot be distinguished from it. It is the performance.«96
Dass Körper und Raum in der ›Performance‹ eine umfassende Dynamisierung und Verflüssigung erfahren, hat sowohl für den in der ›Performance‹ agierenden Künstler als auch für den Zuschauenden weitreichende Konsequenzen. Insofern die ›Performance‹ nicht die Darstellung von Figuren oder das Erzählen von Geschichten in den Vordergrund stellt, sondern den Fluss und das Pulsieren von Energieströmen verschiedenster Art erfahrbar macht, bietet die ›Performance‹ kaum Möglichkeiten des Wiedererkennens oder der identifizierenden Bezug-
(Siehe Monk, Philip, 1982: Common Carrier. Performance by Artists. In: Modern Drama 25, 1, S. 163-169). 94 Féral 1982, S. 171 [Herv. i.O.]. 95 Siehe ebd., S. 173. 96 Ebd., S. 172-173 [Herv. i.O.].
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nahme.97 Weder kann sich der Künstler in einer von ihm dargestellten Figur wiederfinden noch zeigt die ›Performance‹ dem Zuschauer Figuren oder Situationen, in denen er sich erkennen und mit denen er sich identifizieren kann. Diese für die ›Performance‹ typische Verweigerung von Bedeutung und Form, die in »Performance and Theatricality« beobachtet wird, wirft schließlich die Frage nach dem Verhältnis der neuen Kunstgattung ›Performance‹ zum Theater auf, das in den Beschreibungen der Beispiele aus der Performancekunst im Text bereits implizit immer wieder als Gegenmodell aufgerufen wird. Der Text rückt ›Theater‹ und ›Performance‹ dabei nicht als einander ausschließende Gegensätze in den Blick, sondern verweist zunächst auf die grundlegende Verwandtschaft von ›Theater‹ und ›Performance‹. Beide seien Orte des Imaginären.98 Wie bereits erwähnt, ist für »Performance and Theatricality« die Lacan’sche Psychoanalyse wichtiger theoretischer Bezugspunkt, ohne den die Argumente des Textes kaum verstanden werden können. Ausschlaggebend ist hier insbesondere das Subjektmodell Lacans. Dieses geht davon aus, dass sich das Subjekt im Spannungsfeld dreier Bereiche konstituiert: dem Realen, dem Symbolischen und dem Imaginären.99 Während das Reale den für Bewusstsein und Sprache unzugänglichen und damit unfassbaren Bereich der Träume und Triebe andeutet, die das Subjekt in seiner Stabilität bedrohen, bezeichnen das Symbolische und das Imaginäre den Bereich der Sprache und der Bilder, der die Entstehung eines Subjekts überhaupt erst ermöglicht. Als entscheidenden Schritt in der Entwicklung des Subjekts beschreibt Lacan den Moment, in dem das Kind, das den eigenen Körper noch nicht vollständig kontrollieren kann und entsprechend ungelenk ist, sich selbst im Spiegel erblickt und als es selbst (v-)erkennt.100 Das Spiegelbild, das den Körper des Kindes als Ganzen zeigt, suggeriert eine Vollkommenheit und Perfektion, die der Erfahrung des Kindes widerspricht, mit der es sich jedoch fortan identifiziert, auf die es sein Begehren richtet und die die Ich-Vorstellung des Kindes entscheidend prägt.
97
Siehe Féral 1982, S. 174. Im Text wird betont, dass der Körper in der ›Performance‹ zum Ort der Passage verschiedener Energieströme werde. Diese könnten verstanden werden als libidinöse Begehrensströme, aber auch als im Fluss belassene Ausführungen von Gesten etc.
98
Siehe Féral 1982, S. 176.
99
Zum Subjektmodell Lacans siehe Pagel, Gerda, 1989: Jacques Lacan zur Einführung. Hamburg: Junius.
100 Siehe Lacan, Jacques, 1996: Das Spiegelstadium als Bildner der Ichfunktion. Übersetzt von Peter Stehlin. In: Ders., Schriften I, hg. v. Norbert Haas. 4. durchgesehene Aufl. Weinheim: Quadriga, S. 61-70 (Frz. 1949).
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Das Subjekt bleibt auch in späteren Lebensphasen auf diesen Mechanismus der Identifikation mit einem Gegenüber angewiesen. Wenn in »Performance and Theatricality« darauf hingewiesen wird, dass ›Performance‹ und ›Theater‹ zuallererst Aushandlungsorte des Imaginären seien, dann ist hier gemeint, dass in ›Performance‹ und ›Theater‹ ähnliche Dynamiken am Werk sind wie in der Lacan’schen Konstellation des Kindes vor dem Spiegelbild. Im ›Theater‹ wie auch in der ›Performance‹ werden Räume, Bilder, Objekte, Figuren konstruiert oder eben dekonstruiert, auf die das (Zuschauer-)Subjekt sein Begehren richtet und zu denen es sich in Bezug setzen kann. Férals Text stellt die Frage nach dem Verhältnis von ›Performance‹ und ›Theater‹ also als Frage nach der Position, die das Subjekt jeweils einnimmt. Während das ›Theater‹ – gemeint ist hier das psychologisch-realistische Theater – sowohl auf die Identifikation des Schauspielers mit seiner Rolle als auch auf die Identifikation des Zuschauenden mit den Figuren hinarbeitet und damit auf das Subjekt angewiesen bleibt, wirken die Techniken der Fragmentierung, der Verweigerung von Bedeutung und Form, die als typisch für ›Performance‹ beschrieben werden, wenn nicht auf die gänzliche Auflösung des Subjekts, dann doch auf dessen umfassende ›Entzauberung‹ hin: »It is precisely when it comes to the position of the subject, that performance and theatre would seem to be mutually exclusive and that theatre would perhaps have something to learn from performance. Indeed, theatre cannot do without the subject (a completely assumed subject), and the exercises to which Meyerhold and, later on, Grotowski subjected their students could only consolidate the position of the unitary subject on stage. Performance, however, although beginning with a perfectly assumed subject, brings emotional flows and symbolic objects into a destabilized zone – the body, space – into an infrasymbolic zone. These objects are only incidentally conveyed by a subject (here, the performer), and that subject lends himself only very superficially and partially to his own performance. Broken down into semiotic bundles and drives, he is a pure catalyst. He is what permits the appearance of what should appear. Indeed, he makes transition, movement, and displacement possible.«101
Insofern ›Performance‹ die symbolischen Besetzungen, auf deren Stabilität und Konsistenz das Subjekt angewiesen ist, auflöst, in Bewegung versetzt und Körper wie Raum durchfließen lässt, verweigert die ›Performance‹ die Entstehung einer festen Ordnung, in der sich das Subjekt einrichten, wiedererkennen und bestätigt finden kann.
101 Féral 1982, S. 177 [Herv. i.O.].
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Prinzipiell, so wird in »Performance and Theatricality« deutlich gemacht, greifen ›Performance‹ und ›Theater‹ zwar auf dasselbe Repertoire an Elementen – aus der Perspektive der Lacan’schen Psychoanalyse heißt dies, auf dasselbe Repertoire an Signifikanten – zu, gehen jedoch unterschiedlich mit diesen Elementen um. In »Performance and Theatricality« werden ›Theater‹ und ›Performance‹ also als verschiedene Dispositive102 oder als unterschiedliche Strategien des Umgangs mit dem Signifikantenreservoir, aus dem sich die Bereiche des Imaginären und des Symbolischen speisen, beschrieben. ›Theatralität‹ bewegt sich schließlich im Spannungsfeld zwischen dem freien Fluss von Signifikanten, der für die ›Performance‹ typisch ist, und der festen (An-)Ordnung von Signifikanten, die das ›Theater‹ kennzeichnet und die dafür sorgt, dass der Zuschauer das im ›Theater‹ Gesehene in Bedeutung und Sinn auflösen kann: »Performances can be seen, therefore, as a storehouse for the accessories of the symbolic, a depository of signifiers which are all outside of established discourse and behind the scenes of theatricality. […] Theatricality can therefore be seen as composed of two different parts: one highlights performance and is made up of the realities of the imaginary; and the other highlights the theatrical and is made up of specific symbolic structures. The former originates within the subject and allows his flows of desire to speak; the latter inscribes the subject in the law and in theatrical codes, which is to say, in the symbolic.«103
›Performance‹ und ›Theater‹ bleiben in Férals Text also eng aufeinander bezogen, insofern ›Performance‹ gewissermaßen als »Unter- oder Rückseite« des ›Theaters‹ in den Blick gerückt wird.104 Ähnlich wie in Pontbriands »›The eye finds no fixed point on which to rest…‹« wird der ›Performance‹ vor allem das Potenzial zugeschrieben, die etablierten Logiken theatraler Repräsentation zu
102 Mit dem Begriff ›Dispositiv‹, der u.a. von Michel Foucault und Gilles Deleuze entwickelt wird, sind ganz allgemein die materiellen, diskursiven und machtbasierten Voraussetzungen und Bedingungen der kulturellen Produktion von z.B. Wissen gemeint (Siehe Neumeyer, Harald, 2001: Dispositiv. In: Nünning, Ansgar [Hg.], Metzler Lexikon Literatur- und Kulturtheorie. 2., überarbeitete und erweiterte Auflage. Stuttgart/Weimar: Verlag J.B. Metzler, S. 117-118). Ich verweise mit dem Dispositivbegriff hier vor allem auf die von Féral beschriebene, nach spezifischen Ordnungsprinzipien und Verknüpfungslogiken organisierte, Konstellation von Raum, Körper und Signifikantengebrauch. 103 Féral 1982, S. 178 [Herv. i.O.]. 104 Siehe ebd., S. 176.
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zerlegen und so Wahrnehmungseindrücke zu ermöglichen, die das (Zuschauer-) Subjekt in seiner Souveränität verunsichern. Anders als dem psychologischrealistischen Theater wird der Performancekunst hier dementsprechend das Potenzial zur Neuerung zugesprochen, während das Theater als im Dienst der Bewahrung und Konsolidierung etablierter Ordnungen stehend gesehen wird. Zusammenfassend lässt sich festhalten, dass »Performance and Theatricality« mit der Lacan’schen Psychoanalyse ein theoretisches Modell aufgreift, das ermöglicht, die Veränderungen in der Darstellungsweise und im Verhältnis zu den Zuschauern, die die künstlerische Praxis seit den 1950er Jahren kennzeichnen, in einem komplexen Performancebegriff zu integrieren. Dies ist möglich, da das Modell einen Weg öffnet, den spezifischen, in einer Aufführung beobachtbaren Zeichengebrauch mit der Frage der Konstitution des (Zuschauer-)Subjekts zusammenzudenken. Insofern das Subjekt nicht als Rezipient eines Zeichengeschehens verstanden wird, sondern als selbst Produkt und Teil der dynamischen Verkettungen von Signifikanten, lassen sich bisher getrennte produktions- und rezeptionsästhetische Perspektiven integrieren. Der psychoanalytisch und dekonstruktivistisch konturierte Performancebegriff Férals bringt ›Performance‹ als spezifische, gewissermaßen antisymbolische Zeichenpraxis ins Spiel, die zu ›Theater‹ nicht einfach in einem Verhältnis strikter Abwendung steht, sondern diesem eng verbunden bleibt. Dass ›Theater‹ und ›Performance‹ nicht vollkommen miteinander brechen können, sondern als »komplementäre Modi«105 aufeinander bezogen bleiben, erklärt sich letztlich daraus, dass beide als Zeichenpraktiken verstanden werden, die mit demselben Signifikantenrepertoire arbeiten. »Performance and Theatricality« knüpft damit unmittelbar an die postmoderne Kritik der Repräsentation an und macht diese für die Formierung des Performancebegriffs produktiv.106
105 Siehe Féral 1982, S. 176. Féral beschreibt hier ›Theater‹ und ›Performance‹ als zwei komplementäre Modi, die jedoch nicht völlig gleichwertig seien. Insofern es das ›Theater‹ sei, das von der ›Performance‹ lernen könne (und nicht etwa umgekehrt), wird der ›Performance‹ das Potenzial zur Innovation zugeschrieben, während ›Theater‹ im Umkehrschluss für die Konsolidierung des Status Quo einsteht. 106 Siehe vor allem den bekannten Aufsatz Derridas »Das Theater der Grausamkeit und die Geschlossenheit der Repräsentation«. Derrida kritisiert darin das ›dramatische Guckkastentheater‹ als Theater der Nachahmung und Repräsentation, wobei er den Zeichengebrauch im ›Theater‹ als metaphysische Praxis ausweist, insofern die Bedeutung der Zeichen im ›dramatischen Guckkastentheater‹ durch Bezug auf eine außerhalb situierte, göttergleiche Instanz stabilisiert werde. Dagegen stellt Derrida Antonin Artauds Modell des ›Theaters der Grausamkeit‹ als ein ›Theater der originären
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3.3 RESÜMEE In diesem Kapitel standen Texte im Fokus, die sich mit ›Performance‹ als Kunstform in vorwiegend formaler Perspektive beschäftigen. Verbindendes Anliegen der in den Lektüren vorgestellten Texte ist die Frage nach dem Wesen der ›Performance‹. Als wichtige Konstante hat sich dabei einerseits die Mobilisierung des Vorstellungskomplexes des Theatralen erwiesen. Weiterhin ist auffällig, dass mit der Frage nach der ›Performance‹ als Kunst immer wieder die Frage nach dem Status des Betrachtersubjekts auf den Plan rückt. Dies erklärt sich unter anderem daraus, dass sich, im Zuge der Tendenz in Malerei, Bildhauerei, Tanz, Musik und Theater seit den 1950er Jahren, sich von der Verpflichtung zur Darstellung und zur Herstellung eines Kunstwerkes zu lösen und stattdessen den Akt der Produktion und die Wahrnehmungssituation von Kunst zum künstlerischen Anliegen zu erheben, vor allem auch die Rolle der Betrachterin und deren theoretische Reflexion verändert haben. In »Art and Objecthood« richtet sich die Kritik denn auch insbesondere gegen die neue Position des Betrachtersubjekts, das im Falle der im Text diskutierten Skulpturen der Minimal Art dem Kunstwerk nicht mehr souverän gegenüberstehe, sondern unmittelbar in dessen Anmutungen impliziert sei. Eine derartige Relationalität des Kunstwerkes, die zudem auch damit einhergeht, dass sich Rezeption nicht länger als instantaner Moment des Erfassens denken lässt, sondern nur mehr als Vorgang zeitlicher Entfaltung, ist mit dem modern-formalistischen Ideal der Autonomie der Kunst nicht vereinbar und wird in »Art and Objecthood« vehement als ›Theatralisierung‹ der Kunst abgelehnt. Die Bezugnahme auf ›Theater‹ in »Art and Objecthood« motiviert sich hierbei sicherlich aus der Vorstellung vom Theater als Zeit- und Zuschaukunst, bleibt gleichzeitig jedoch bemerkenswert diffus. In der genauen Lektüre hat sich der Theaterbegriff in »Art and Objecthood« als leer erwiesen. Dabei ist jene Entleerung des Theaterbegriffs Voraussetzung dafür, dass ›Theater‹ zum Anker für die verschiedensten Unterscheidungsbewegungen werden kann, die sich in »Art and Objecthood« vollziehen und die darauf zielen, eine klare Grenze zwischen ›theatralen‹ und ›nicht theatralen‹ Kunstformen zu ziehen. Damit bereitet »Art and Objecthood«
Repräsentation‹. Dieses führe das Werden der Zeichen vor. Letztlich entkomme das ›Theater‹ dennoch nicht den Logiken von Repräsentation und Wiederholung, sondern könne immer nur deren Funktionsweise reflektieren (Siehe Derrida, Jacques, 1972: Das Theater der Grausamkeit und die Geschlossenheit der Repräsentation. Übersetzt von Rodolphe Gasché. In: Ders., Die Schrift und die Differenz. Frankfurt/M.: Suhrkamp, S. 351-379 [Frz. 1967]).
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eine sprachliche Strategie vor, die auch in späteren performancetheoretischen Texten fortgesetzt wird. In der Diskursivierung des Happenings hat sich gezeigt, dass die Bezugnahme auf ›Theater‹ auch hier vorrangig der Formulierung spezifischer Oppositionen dient. Am Beispiel von Allan Kaprows »Non-Theatrical Performance« konnte gezeigt werden, wie sich die Unterscheidung von ›theatral‹ und ›nicht theatral‹ in den Performancebegriff selbst hinein verlagert. Die Bezugnahme auf ›Theater‹ hat sich in diesem Fall als konkreter erwiesen, insofern mit ›Theater‹ vor allem das konventionelle Guckkastentheater aufgerufen und als negatives Beispiel einer passiven und distanzierten Zuschauhaltung abgelehnt wird. Interessanterweise wird das Bezogensein auf einen Zuschauenden in »NonTheatrical Performance« zum entscheidenden Merkmal der ›theatralen Performance‹ erhoben, so dass es zur Realisierung der von Kaprow als Ideal anvisierten ›nicht theatralen Performance‹ vor allem darauf ankommt, die Position des unbeteiligten Zuschauenden zu überwinden. Zum Modell der ›nicht theatralen Performance‹ werden daher Aktionen, in denen Teilnehmerinnen und Teilnehmer Handlungen ausführen und sich dabei selbst beobachten. Die Position des Zuschauers, der von außen auf das Geschehen blickt, löst sich also in der Funktion der Introspektion auf und überwindet dabei – so die Idee – die ›Theatralität‹ der ›Performance‹. Auch in den letzten beiden hier präsentierten Lektüren konturiert sich der Performancebegriff in Abgrenzung zu ›Theater‹ und mit Blick auf die Position des Betrachtersubjekts. Unter Bezugnahme auf postmoderne Theorien werden ›Theater‹ und ›Performance‹ in »›The eye finds no fixed point on which to rest…‹« und »Performance and Theatricality« als spezifische Zeichenpraktiken ausgewiesen. Während mit ›Theater‹ vor allem ein übersichtlich geordneter Repräsentationsapparat aufgerufen ist, in dem das Betrachtersubjekt von einer stabilen Position aus die Darstellung souverän überblicken kann, rückt ›Performance‹ als Ort der Destabilisierung und der Analyse in den Blick. Statt auf Ganzheitlichkeit und feste (An-)Ordnung zielt der Umgang der ›Performance‹ mit ihren Mitteln auf Dynamisierung und perspektivische Vervielfältigung. Insofern das Subjekt im Zuge postmoderner Theoriebildung prinzipiell nicht mehr als autonome Entität gedacht, sondern als Produkt komplexer libidinöser, diskursiver und/oder semiotischer Bewegungen entworfen wird, scheint das Betrachtersubjekt unmittelbar durch den dynamisierten Umgang der ›Performance‹ mit ihren Mitteln betroffen. ›Performance‹ wird dabei zum Raum, in dem sich das Betrachtersubjekt als instabil erfährt. Für die Frage nach der Konstellation von ›Theater‹ und ›Performance‹ lässt sich festhalten, dass in der in diesem Kapitel diskutierten Diskursphase ein enger
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Performancebegriff entworfen wird, der für eine spezifische Kunstform einsteht, die aufgrund ihrer Verfasstheit als Aufführung immer unter dem Verdacht des Theatralen steht. Dass sich die Texte immer wieder intensiv am Vorstellungskomplex des Theatralen abarbeiten und vor allem darum ringen, ›Theater‹ und ›Performance‹ als Gegensätze zu etablieren, erklärt sich daraus, dass es hier um die diskursive Etablierung von ›Performance‹ als neuer und eigenständiger Kunstform geht. Dabei wird der Vorstellungskomplex des Theatralen als negative Gegenfolie aktiviert.
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Theater, Performance und Performativität
4.1 PERFORMANCE IM SPANNUNGSFELD VON POSTSTRUKTURALISTISCHEN UND THEATRALEN DEFINITIONEN VON AKT Während der Performancediskurs, der sich in Auseinandersetzung mit Entwicklungen in der Kunst – insbesondere Minimal Art, Happening und experimentelle Theaterformen – formiert, vorrangig von dem Versuch einer gattungslogischen Bestimmung von ›Performance‹ angetrieben wird und dabei immer wieder auf die Frage nach dem Zuschauer zurückkommt, verschiebt sich diese diskursive Grundorientierung im Verlauf der 1980er und 1990er Jahre. Im Performancediskurs verliert die Frage, was denn ›Performance‹ nun ist, zunehmend an Bedeutung. An ihre Stelle tritt die Frage, was denn ›Performance‹ eigentlich tut. Dabei wird die Funktions- und Wirkweise von ›Performance‹ nicht nur in ihrer theoretischen und philosophischen, sondern vor allem auch in ihrer politischen und ethischen Dimension thematisiert. Für die sich Ende der 1990er Jahre als eigenständiges Forschungsfeld etablierenden Performance Studies ist diese Diskursphase grundlegend, insofern hier die in den Performance Studies routiniert vorgenommene Verbindung von ›Performance‹ mit dem Versprechen, marginalisierten Gruppen eine Stimme zu geben und hegemoniale Strukturen subversiv zu unterlaufen, begründet wird.1 Wesentliche Impulse erhält der amerikanische Performancediskurs in den 1980er und 1990er Jahren aus der feministischen und poststrukturalistischen Theorie und Philosophie. Es werden insgesamt vor allem Ansätze, Begrifflichkeiten und Ideen aufgenommen, die die Konstitution von Identität und Macht betreffen. Fragen nach den Dynamiken von sozialer Normierung, hegemonialen
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Zum Performancediskurs im Umfeld der Institutionalisierung der amerikanischen Performance Studies siehe Kapitel 5.
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Machtgefügen, Identitätsbildung, Unterdrückung und Subversion werden im USamerikanischen Performancediskurs der 1980er und 1990er Jahre zum Hauptthema. In einem Aufsatz zur Geschichte der Performancetheorie charakterisiert Henry Bial diese von ihm als »PS 2.0«2 benannte Diskursphase dementsprechend wie folgt: »PS 2.0 can be understood as shaped by and in response to the postmodern ›identity crisis‹ of the 1980s and 90s. This version of performance studies is characterized by the highly reflexive deployment of theory and the gradual redefinition of the term ›performative‹ from a rough synonym for ›theatrical‹ to a more specialized meaning that emphasizes performance’s potential for social efficacy. Its interface metaphor is the solo performance artist.«3
In Anschluss an Bials Beobachtung muss es im Folgenden einerseits darum gehen, das spezifische Interesse des Performancediskurses seit den 1980er Jahren an Fragen der Identitätsbildung, gerade auch mit Blick auf und in Zusammenhang mit dem hier angesprochenen ›Typus‹ der Solo-Performancekünstlerin bzw. des Solo-Performancekünstlers, zu beleuchten. Andererseits gilt es, die Spur aufzunehmen und Bials These zu prüfen, dass sich der Begriff des Performativen (performative) im Verlauf des Performancediskurses der 1980er und 1990er Jahre von seiner synonymen Verstrickung in die Begrifflichkeit des Theatralen löst. Was bedeutet – so die Leitfrage dieses Kapitels – überhaupt das Aufkommen eines theoretisch differenzierten Nachdenkens über das Performative für das diskursive Verhältnis von ›Performance‹ und ›Theater‹? Um sich angesichts der vielfältigen theoretischen und philosophischen Strömungen, die in den Performancediskurs der 1980er und 1990er Jahre eingehen und zu unterschiedlichen Konturierungen des Begriffs des Performativen führen, nicht zu verlieren, erscheint es mir für dieses Kapitel besonders wichtig, einen engen Fokus zu wählen. Worin treffen sich die im Folgenden verhandelten Texte aus Sprechakttheorie, Gender Studies und Performancetheorie? Wie lassen sie sich gemeinsam in den Blick nehmen und hinsichtlich der übergeordneten Frage nach dem Verhältnis von ›Theater‹ und ›Performance‹ diskutieren? Ich möchte hierfür vorschlagen, die Beobachtung von Henry Bial, dass es die gemeinsame Metapher des Solo-Performancekünstlers ist, die die Texte verbindet, noch abs-
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Siehe Bial 2014. Bial beschreibt die verschiedenen Phasen des Performancediskurses unter Rückgriff auf die Metapher des Computersystemupdates.
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Bial 2014, S. 32.
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trakter zu formulieren und in der Frage nach der Idee des performativen Aktes zu konzentrieren. Richtig scheint mir, dass es in der amerikanischen Performancetheorie der 1980er und 1990er Jahre tatsächlich vor allem um die Frage geht, wie die Handlungen des bzw. der einzelnen Wirklichkeit herstellen und verhandeln, wobei es insbesondere um die Wirklichkeit der eigenen Identität und deren Positionierung innerhalb eines hegemonialen Repräsentationsregimes geht.4 Identität wird dabei nicht als etwas Gegebenes verstanden, sondern als etwas, das sich erst im Ausführen bestimmter Handlungen herstellt. Im Diskurs tritt im Zuge dessen die Frage nach dem performativen Akt ins Zentrum, wobei der performative Akt als der Moment entwickelt wird, in dem das einem einzelnen zugerechnete Handeln auf die machtbestimmten Strukturen trifft, die gleichzeitig seine Voraussetzung und Einschränkung sind. Für die Formierung des Performancebegriffs bedeutet das Aufkommen der Theorie des Performativen, wie noch auszuführen sein wird, vor allem Impulse für die Konzeption der Funktions- und Wirkweise von ›Performance‹. Dabei erweisen sich Performancebegriff und der Begriff der ›Performativität‹ nicht unmittelbar als kompatibel oder gar synonym. Stattdessen stehen beide Begriffe auch in einem Spannungsverhältnis zueinander. Dieses wiederum lässt sich gerade unter Berücksichtigung der Bezugnahmen auf ›Theater‹ erklären, die auch diese Phase des amerikanischen Performancediskurses dynamisieren. Am Beispiel des vielleicht bekanntesten Textes, der oft auch als Ursprungstext der Idee des performativen Aktes verstanden wird, gilt es, zunächst zu zeigen, welche Eigenheiten dem performativen Akt zugeschrieben werden und warum das Theater zunächst als Ort charakterisiert wird, an dem sich kein performativer Akt wirkungsvoll vollziehen lässt. Im folgenden Abschnitt geht es um J.L. Austins How to Do Things with Words.
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Unter Repräsentationsregime verstehe ich hier, in Anschluss an Stuart Hall, das Repertoire an Darstellungen, die sich zu einem spezifischen historischen Zeitpunkt verdichten und Vorstellungen von Differenz, ebenso wie Identität, prägen. Dabei ist das Repräsentationsregime kein machtpolitisch neutrales Gebilde, das die gleichberechtigte Partizipation aller erlaubt. Im Gegenteil ist das Repräsentationsregime durch die Machtverhältnisse und -interessen bestimmt, die in einer Gesellschaft zu einem bestimmten Zeitpunkt vorherrschen (Siehe: Hall, Stuart, 2004: Das Spektakel des ›Anderen‹. In: Ders.: Ideologie Identität Repräsentation. Ausgewählte Schriften. Herausgegeben von Juha Koivisto und Andreas Merkens. 4. Aufl. Hamburg: Argument Verlag, S. 108-166 [Engl. 1997], hier S. 115).
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4.1.1 How to Do Things with Words: Performance in der Theorie performativer Sprechakte Ein Schlüsseltext im amerikanischen Performancediskurs, der den Begriff des Performativen prägt, ist J.L. Austins 1962 erstmalig unter dem Titel How to Do Things with Words veröffentlichte Sammlung von bereits 1955 an der Harvard University gehaltenen Vorträgen.5 Austin beschäftigt sich hier mit den Möglichkeiten, in denen Sprache an der Schaffung von Welt beteiligt ist. Anstatt Sprache als stets transparentes Mittel der Weltbeschreibung zu verstehen und jede sprachliche Aussage vor allem nach dem Kriterium zu bemessen, ob es sich um eine wahre oder unwahre Feststellung handelt, versteht Austin Sprache als – zumindest unter gewissen Umständen – wirklichkeitskonstituierend. So ist die bei einer Eheschließung ausgesprochene Formel »I do take this woman to be my lawful wedded wife« keine Beschreibung des Vorgangs der Eheschließung, sondern im Aussprechen des Satzes vollzieht sich genau das, was ausgesprochen wird.6 Im und durch das Sprechen wird eine wesentliche Änderung in der Wirklichkeit herbeigeführt. Diese Art von Sprechakten nennt Austin ›performativ‹: »I propose to call it a performative sentence or a performative utterance, or, for short, ›a performative‹. […] The name is derived, of course, from ›perform‹, the usual verb with
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Siehe Austin, J.L., 1975: How to Do Things with Words. Herausgegeben von J.O. Urmson und Marina Sbisà. 2. Aufl. Cambridge: Harvard University Press (EA 1962). Siehe ebenfalls: Austin, J.L., 1979: Performative Utterances. In: Ders., Philosophical Papers. Herausgegeben von J.O. Urmson und G.J. Warnock. 3. Aufl. Oxford et al.: Oxford University Press, S. 233-252. In Philip Auslanders Anthologie wichtiger Texte der Performancetheorie erscheint »Lecture I« aus Austins How to Do Things with Words im ersten Band in der Sektion »Foundational Texts and Concepts« (Siehe Auslander 2003, S. 91-96).
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Austin unterscheidet zunächst zwischen konstativen Sprechakten und performativen Sprechakten. Später wird in »Lecture VIII« diese Unterscheidung zugunsten der Trias aus lokutionären, illokutionären und perlokutionären Sprechakten fallen gelassen (Siehe Austin 1975, S. 94-108). Ein lokutionärer Sprechakt ist jede Art der Äußerung. Ein lokutionärer Sprechakt bringt Bedeutung zum Ausdruck, ist körperliche Lautäußerung und damit immer auch Handlung. Ein illokutionärer Sprechakt führt im Aussprechen eine Veränderung in der Wirklichkeit herbei z.B. die Formel zur Eheschließung »I do«. Er besitzt also eine gewisse Kraft (force). Bei einem perlokutionären Sprechakt geht es darum, bei anderen eine bestimmte Wirkung oder Effekte zu erzielen z.B. Versprechen, Drohen (Siehe Austin 1975, S. 109 u. 121).
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the noun ›action‹: it indicates that the issuing of the utterance is the performing of an action – it is not normally thought of as just saying something. «7
Mit Blick auf einen performativen Sprechakt kann nicht danach gefragt werden, ob dieser wahr oder falsch ist. Das Kriterium, nach dem sich performative Sprechakte bemessen lassen, ist nicht Wahrheit, sondern die Frage des Gelingens.8 Entsprechend viel Raum nimmt in Austins Texten die Beschäftigung mit mal mehr, mal weniger abstrusen Beispielen von nicht gelungenen, unglücklichen (unhappy) performativen Sprechakten ein. So wird in How to Do Things with Words spekuliert, ob die bei einer Eheschließung konventionell gesprochene Formel »I do« auch wirksam wäre, wenn die als Braut oder der als Bräutigam Anwesende kein Mensch, sondern ein Affe wären.9 Insofern in How to Do Things with Words gerade Fällen von nicht wirksamen, fehlgehenden (misfires) oder missbräuchlichen (abuses) Verwendungen performativer Sprechakte viel Raum gegeben wird, zeigt sich Austin vor allem auch als Theoretiker des Scheiterns performativer Sprechakte. 10 Es wird in How to Do Things with Words jedenfalls gleich zu Beginn betont, dass die wirklichkeitskonstituierende Kraft eines performativen Aktes sich nicht allein durch die Verwendung der richtigen sprachlichen Formel einstellt, sondern, dass es entscheidend auf das Vorhandensein angemessener (appropriate) Voraussetzungen, manchmal auch auf das aktive Mitwirken anderer, ankommt.11 Damit ein performativer Sprechakt wirklichkeitskonstituierende Kraft entfalten kann, muss es weiterhin ein innerhalb einer Gesellschaft akzeptiertes, konventionelles Verfahren geben, das in der Ausführung (performance) vollständig und korrekt umgesetzt wird.12 Die Ausführung eines performativen Aktes wird also
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Austin 1975, S. 6-7 [Herv. i.O.].
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Siehe ebd., S. 14.
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Siehe ebd., S. 24.
10 Austin diskutiert die Voraussetzungen für ein Gelingen des performativen Sprechaktes sowie die verschiedenen Fälle von fehlgehenden und missbräuchlichen Sprechakten in »Lecture II« (Siehe Austin 1975, S. 12-24). Vgl. für eine Austin-Lektüre, die zeigt, wie lustvoll und konsequent Austins Texte die Wirkungs- und Wahrheitslogiken von Sprache – gerade auch in ihrem Anspruch als Medium des Wissens zu fungieren – an den Rand treiben und kollabieren lassen: Felman, Shoshana, 1983: The Literary Speech Act. Don Juan with J.L. Austin, or Seduction in Two Languages. Übers. v. Catherine Porter. Ithaca/New York: Cornell University Press (Frz. 1980). 11 Siehe Austin 1975, S. 8. 12 Siehe ebd., S. 14-15.
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als ein ritualartiger, situativ bestimmter und dadurch immer prekärer Akt vorgestellt, der sich nur unter bestimmten Bedingungen erfolgreich vollzieht.13 Theater als Sonderfall In Zusammenhang mit der Frage nach der Position von ›Theater‹ im Performancediskurs ist wichtig festzuhalten, dass das Theater in der Austin’schen Theorie des Performativen zu einem schwierigen Sonderfall wird. Insofern sich Theater durch die Eigenheit auszeichne, einen Rahmen vorzugeben, innerhalb dessen alle Handlungen gewissermaßen in Anführungszeichen gesetzt und damit als von der Alltagsrealität verschieden wahrgenommen würden, biete Theater, Austin folgend, keinen Raum für den wirkungsvollen Vollzug performativer Sprechakte, sondern erlaube eben nur deren Zitat.14 Das Aufführen performativer Sprechakte im Theater wird dementsprechend aus den Überlegungen in How to Do Things with Words als (Sonder-)Fall eines »unernsten« Gebrauchs, der zu den ernsten Verwendungen im Alltag in einem »parasitären« Verhältnis steht, ausgeschlossen: »[…A] performative utterance will, for example, be in a peculiar way hollow or void if said by an actor on the stage, or if introduced in a poem, or spoken in soliloquy. This applies in a similar manner to any and every utterance – a sea-change in special circumstances. Language in such circumstances is in special ways – intelligibly – used not seriously, but in ways parasitic upon its normal use – ways which fall under the doctrine of the etiolations of language. All this we are excluding from consideration. Our performative utterances, felicitous or not, are to be understood as issued in ordinary circumstances.«15
Mit Blick auf die hier angeführte Passage zeigt sich in der verdichteten Krankheitsmetaphorik – das Theater als Parasit, das Theater als Ort schwächlicher
13 Die Situativität einer sprachlichen Äußerung führt schließlich dazu, dass in How to Do Things with Words die zunächst vorgenommene strikte Unterscheidung von konstativen und performativen Sprechakten aufgelöst wird (Siehe Austin 1975, S. 52). 14 Im weiteren Verlauf des Performancediskurses wird dann genau diese Zitathaftigkeit, befördert durch die Auseinandersetzung mit den Schriften Jacques Derridas, zum wichtigsten Merkmal des Performativen. 15 Austin 1975, S. 22 [Herv. i.O.].
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Verkümmerung16 – einerseits, dass sich in How to Do Things with Words eine antitheatrale Haltung einschreibt, die im theaterfeindlichen Diskurs eine lange Tradition hat, wobei die dem Theater zugeschriebene Schwächlichkeit dort häufig auch geschlechtlich codiert und mit Weiblichkeit assoziiert wird.17 Es wäre jedoch voreilig, How to Do Things with Words als schlicht weiteres Beispiel einer strengen Dichotomisierung von ›Theater‹ und ›Performance‹ aufzufassen. Der Performancebegriff im engeren Sinne ist nicht Hauptthema von How to Do Things with Words, sondern wird immer nur implizit aufgerufen, wenn von der Ausführung (performance) eines performativen Aktes die Rede ist.18 Weiterhin wird Theatermetaphorik an anderer Stelle auch genutzt, um den performativen Sprechakt nicht in Abgrenzung, sondern in Analogie zu ›Theater‹, nämlich als, in grammatikalischer Hinsicht, theatralen Trickbetrüger zu bestimmen. So wird im Versuch einer Abgrenzung performativer Sprechakte von anderen Aussagearten bemerkt: »[…I]t [the performative utterance; VA] does not by any means necessarily masquerade as a statement of fact, descriptive or constative. Yet it does quite commonly do so, and that, oddly enough, when it assumes its most explicit form. Grammarians have not, I believe, seen through this ›disguise‹, and philosophers only at best incidentally. «19
Es sind demnach in How to Do Things with Words mindestens zwei Verständnisweisen von ›Theater‹ am Werk. Einmal ist mit ›Theater‹ das Illusionstheater
16 Im Englischen bezeichnet etiolation den kümmerlichen Wuchs von Pflanzen, die aufgrund von Lichtmangel längliche, dünne Blätter und Stengel sowie eine blässliche Farbe entwickeln. 17 Für eine ausführliche Diskussion der Assoziation von ›Theater‹ und Weiblichkeit siehe im amerikanischen Kontext vor allem Diamond, Elin, 1997: Unmaking Mimesis. Essays on Feminism and Theater. London/New York: Routledge. 18 Der Performancebegriff wird in How to Do Things with Words in der Diskussion über den performativen Sprechakt nicht explizit als theoretischer Begriff thematisiert. ›Performance‹ wird im alltagssprachlichen Sinne von ›Ausführung‹, ›Vollzug‹ verwendet. So ist z.B. mit Blick auf die möglichen Fehlschläge bei der Ausführung eines performativen Sprechaktes von einer »incomplete performance « die Rede oder wird darauf hingewiesen, dass eine performative Äußerung immer als »performance of an action« verstanden werden muss. An anderer Stelle ist zu lesen: »[…H]ere the utterance of the performative is not the whole of the performance […]« oder »performance of an act« (Austin 1975, S. 33 u. 60 u. 64 u. 99). 19 Austin 1975, S. 4 [Hervorhebung durch VA].
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aufgerufen, dessen (Bühnen-)Geschehnisse fiktional und von der eigentlichen Realität unterscheidbar sind. Zweitens wird ›Theater‹ metaphorisch verwendet und markiert dabei Momente der Verstellung. Insgesamt wird ›Theater‹ dennoch immer mit dem negativ konnotierten Bereich des Unernsten, Unehrlichen und Unnormalen assoziiert.20 Vor allem aber wird ›Theater‹ in How to Do Things with Words als Zitat beschrieben. Während diese Zitathaftigkeit des Theaters in Austins Text Anlass ist, Sprechakte im Theater als Sonderfall auszuschließen und von Sprechakten im Alltag zu unterscheiden, findet, unter Einfluss poststrukturalistischer Theorien und Philosophie, im Diskursverlauf eine wichtige Verschiebung statt. Zitathaftigkeit und Wiederholbarkeit werden hierbei zum wichtigsten Merkmal des performativen Aktes erhoben und nicht mehr als dessen Gegenteil verstanden. Performativer Akt als Zitat Der für diese Verschiebung entscheidende Text ist Jacques Derridas Aufsatz Signature Event Context (1982).21 Darin wird argumentiert, dass der in How to Do Things with Words vorgenommene Ausschluss des Theaters aus der Theorie des performativen Aktes Beleg dafür sei, dass Austin das eigentliche Wesen des performativen Aktes verfehle. In Signature Event Context wird argumentiert, dass die Zitathaftigkeit des Sprechaktes im Theater nicht einen problematischen Sonderfall darstelle, den es aus den Betrachtungen auszuschließen gelte. Stattdessen sei das Theater vielmehr paradigmatisch für das Funktionieren performativer Akte: »For, finally, is not what Austin excludes as anomalous, exceptional, ›non-serious,‹ that is, citation (on the stage, in a poem, or in a soliloquy), the determined modification of a general citationality – or rather, a general iterability – without which there would not even be a ›successful‹ performative? Such that – a paradoxical, but inevitable consequence – a successful performative is necessarily an ›impure‹ performative […].«22
20 Vgl. hierzu den Kommentar von Parker und Sedgwick, die diese Assoziation von
›Theater‹ mit dem Anormalen und Unernsten als Echo homophober Diskurse lesen (Siehe Parker, Andrew/Eve Kosofsky Sedgwick, 1995: Introduction. Performativity and Performance. In: Dies. [Hg.], Performativity and Performance. New York/London: Routledge, S. 1-18, hier S. 5). 21 Siehe Derrida, Jacques, 1982: Signature Event Context. Übersetzt von Alan Bass. In: Ders., Margins of Philosophy. Brighton: The Harvester Press, S. 307-330 (Frz. 1972). 22 Derrida 1982, S. 325 [Herv. i.O.].
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Derrida geht davon aus, dass die Bedeutung und Wirksamkeit jedes performativen Sprechaktes – letztlich jeder Art von Zeichen – gerade auf dessen Wiederholbarkeit beruhen.23 Ein Sprechakt ist nicht allein aufgrund des Kontextes, in dem er sich vollzieht, oder gar allein aufgrund der Intention seines Urhebers wirksam, sondern vor allem weil er kein singulärer Akt ist, sondern ein Akt, der sich bereits viele Male zuvor vollzogen hat und der daher wiedererkannt werden kann.24 In diesem Sinne ist jeder wirksame performative Sprechakt Zitat. Derrida zieht daher die in How to Do Things with Words formulierte Opposition von singulären originalen und zitierten Sprechakten in Zweifel und schlägt vor, stattdessen zwischen verschiedenen Arten wiederholbarer Zeichen bzw. Zeichenketten zu unterscheiden.25 Für den Performancediskurs ist die in Signature Event Context vorgenommene Austin-Lektüre wichtig, weil sie den in How to Do Things with Words ausgeschlossenen Bereich der Künste für eine Reflexion unter dem Leitbegriff des Performativen öffnet. Dies wird im Folgenden noch genauer diskutiert. Zusammenfassend kann festgehalten werden, dass How to Do Things with Words ›Performance‹ als Gesamtsituation und Ablauf aufruft, in und als der sich ein performativer Sprechakt vollzieht. Das Gelingen des performativen Sprechaktes hängt dabei von Kontext, Anwesenden (als Zeugen und als Angesprochene) und Sprechenden gleichermaßen ab.26 Performative Akte werden so als inhärent prekär gekennzeichnet. Insofern sie sich als offen für verschiedene Formen des Eingreifens, Umlenkens oder Abwendens erweisen, steht ihr Gelingen stets in Frage. Die amerikanische Performancetheorie der 1980er und 1990er Jahre greift einerseits die Beobachtung auf, dass performative Sprechakte Wirklichkeit konstituieren und schließt verstärkt körperliche Akte in die Überlegungen ein.27
23 Siehe Derrida 1982, S. 325. 24 Für Derrida stellt sich die Identität eines Sprechaktes durch den Teil ein, der sich wiederholen lässt und der also wiedererkannt werden kann. Ein völlig singulärer Sprechakt ließe sich überhaupt nicht als bedeutungsvoll wahrnehmen (Siehe Derrida 1982, S. 318). 25 Siehe Derrida 1982, S. 326. 26 Damit ein Sprechakt wirksam werden kann, ist häufig Voraussetzung, dass der z.B. in einer Drohung Angesprochene oder die bei einer Hochzeit als Zeugen Anwesenden den Sprechakt seinem Ziel entsprechend annehmen (uptake) (Siehe Austin 1975, S. 117). 27 Die Grenze zwischen Sprechakten und körperlichen Akten ist natürlich nicht scharf zu ziehen. In How to Do Things with Words wird darauf hingewiesen, dass jeder Sprech-
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Weiterhin setzt der Performancediskurs vor allem die Befragung der Möglichkeiten des Scheiterns performativer Akte fort und erkundet sowohl mögliche Brüche im Kontext, Chancen zur Abwendung durch die Angesprochenen als auch das Potenzial des abweichenden Zitierens. Dabei erhält die Frage des Scheiterns performativer Akte eine zunehmend politische Dimension, die weder in How to Do Things with Words noch in Signature Event Context formuliert ist. Die Politisierung des Performancebegriffs wird insbesondere durch die Texte der Philosophin Judith Butler, in denen der sprachphilosophische Begriff des Performativen mit Blick auf die Konstitution von geschlechtlicher Identität weiterentwickelt wird, vorangetrieben. Butlers Texte sind dabei von besonderem Interesse, da in ihnen das Konzept der Performativität dezidiert für die Konturierung des Begriffs ›Performance‹ produktiv gemacht wird. Wie sich im nächsten Abschnitt zeigen wird, spielt dabei zudem die Bezugnahme auf ›Theater‹ eine zentrale Rolle. In den folgenden Lektüren wird es daher darum gehen, aufzuzeigen, was für ein Performancebegriff in Butlers Texten formuliert wird und wie sich dieser zum Vorstellungskomplex ›Theater‹ verhält. 4.1.2 Gender Acts: Performance in der Theorie geschlechtlicher Performativität Bevor hier einzelne Lektüren von Butlers Texten vorgestellt werden, bleibt anzumerken, dass es mir nicht um eine Gesamtschau der komplexen und umfangreichen theoretischen Überlegungen Butlers geht, sondern um eine fokussierte Re-Lektüre ausgewählter Texte unter der Fragestellung, wo und wie Bezugnahmen auf ›Theater‹ für die Formierung des Performancebegriffs erfolgen. Dabei gilt auch zu berücksichtigen, dass die Frage nach Bedeutung und Problematik des Theaterbegriffs für die Formulierung der Theorie geschlechtlicher Performativität in den Texten immer wieder explizit zum Thema wird. Insofern es Butler um eine gewissermaßen identitätspolitische28 Wendung der bei Austin und Der-
akt immer eine körperliche Dimension besitzt, da er als Lautäußerung die Bewegung der Stimmorgane voraussetzt (Siehe Austin 1975, S. 115). Mit »körperlichen Akten« verweise ich daher hier auf non-verbale Gesten, Handlungen und Bewegungen. Dass auch diese nach ähnlichen Dynamiken funktionieren wie Sprechakte, wird in How to Do Things with Words ebenfalls bereits beobachtet (Siehe Austin 1975, S. 119). 28 Die Idee der ›Identität‹ wird in Butlers Texten einer grundlegenden Kritik unterzogen. Statt ›Identität‹ als etwas Gegebenes zu begreifen und als feste Größe, auf die sich jede feministische Argumentation stützen muss, besteht Butler darauf, die diskursive Genese von ›Identität‹ kritisch zu untersuchen und zu hinterfragen, inwiefern das
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rida formulierten sprachphilosophischen Theorie des Performativen geht, erweist sich die Bezugnahme auf ›Theater‹ als wichtiges Scharnier zur Konzeption der körperlichen Dimensionen und der Öffentlichkeit der unter dem Begriff Gender Performance entworfenen Idee geschlechtlicher Performativität. Gleichzeitig trägt die Metapher des ›Theaters‹ jedoch auch Konnotationen von Wahlfreiheit in die Konturierung des Performancebegriffs ein, die im Spannungsverhältnis zu dem Anliegen stehen, die ›Performance‹ geschlechtlicher Identität als existenzielle und zwingende Frage auszuweisen. Erstmals ausführlich stellt Judith Butler ihren Performancebegriff im Aufsatz »Performative Acts and Gender Constitution: An Essay in Phenomenology and Feminist Theory« vor, der 1988 im Theatre Journal erscheint.29 Der Aufsatz zielt hauptsächlich auf eine Kritik einer essentialistischen Vorstellung von binären Geschlechteridentitäten. Der Vorstellung von der Natürlichkeit der Unterscheidung von ›weiblich‹ und ›männlich‹ und der Annahme der Natürlichkeit heterosexuellen Begehrens stellt Butler die These gegenüber, dass sowohl die geschlechtliche Identität als auch ihre Verknüpfung mit bestimmten Mustern des Begehrens Resultat sich ständig wiederholender Akte seien. Diese stetigen Wiederholungen der Akte, die selten als solche zu erkennen seien, verfestigten sich im Verlauf der Zeit zu eben jener Illusion, dass es einen klaren Unterschied zwischen ›männlich‹ und ›weiblich‹ gebe und, dass es sich dabei um feste, naturgegebene Identitäten handele.30 Es geht nun darum, jene geschlechtlich codierten Identitäten in ihrem Aufführungscharakter kenntlich zu machen und daran zu erinnern, dass es sich um performative Leistungen handelt, deren zu einem bestimmten Zeitpunkt jeweils mittels »körperlicher Gesten, Bewegungen und vielfältiger Handlungsvollzüge«31 aktualisierte Form immer nur eine mögliche und damit prinzipiell auch anders machbare Variante von Gender Performance ist.32
Festhalten an ›Identität‹ zu einer Fortschreibung hierarchischer binärer Geschlechterverhältnisse beiträgt. In diesem Sinne erweist sich Butler vor allem auch als scharfe Kritikerin der identity politics. 29 Butler, Judith, 1988: Performative Acts and Gender Constitution. An Essay in Phenomenology and Feminist Theory. In: Theatre Journal 40, 4, S. 519-531. 30 Siehe Butler 1988, S. 519-520. Hier wird darauf hingewiesen, dass Identität hergestellt wird durch: »a stylized repetition of acts« (Butler 1988, S. 519 [Herv. i.O.]). 31 Siehe Butler 1988, S. 519. Der Originaltext lautet: »Further, gender is instituted through the stylization of the body and, hence, must be understood as the mundane way in which bodily gestures, movements, and enactments of various kinds constitute the illusion of an abiding gendered self.« (Butler 1988, S. 519) 32 Siehe Butler 1988, S. 520.
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Der Performancebegriff bezeichnet hier also die Art und Weise wie sich das körperlich verfasste Selbst vor anderen zeigt und sich dabei im gleichen Moment überhaupt erst herstellt.33 Dabei wird im Text von Anfang an betont, dass es sich bei Gender Performance um eine streng regulierte Praxis handelt, deren Erfolg von existenzieller Bedeutung für den einzelnen ist: »[…G]ender identity is a performative accomplishment compelled by social sanction and taboo. […G]ender is a project which has cultural survival at its end […]. Hence, as a strategy of survival, gender is a performance with clearly punitive consequences.«34 Indem hervorgehoben wird, dass es sich weder um eine völlig freiwillig gewählte noch um eine in irgendeiner Weise konsequenzverminderte Inszenierung handelt, bringt der Text die ›Performance‹ geschlechtlicher Identität entschieden in Distanz zur Analogie des Rollenspiels im dramatischen Theater. Gleichzeitig erweist sich die Bezugnahme auf ›Theater‹ jedoch auch als wichtigste Voraussetzung für die Formierung des Performancebegriffs im Text. Diesen Widerspruch gilt es näher zu beleuchten. »Performative Acts and Gender Constitution« bewegt sich prinzipiell im Schnittpunkt phänomenologischer Diskurse, die den Körper als Produkt einer je spezifischen historischen Situation ausweisen, und den Diskursen zur Theatralität des Alltagslebens, die sich meist in der Metapher des Menschen als Schauspieler bündeln und, mit Blick auf die Konstitution von Körperlichkeit, die Dimensionen von Inszenierung und Illusionserzeugung einbringen.35 Für die Frage nach der Bedeutsamkeit der Bezugnahme auf ›Theater‹ ist dabei vor allem die
33 Insofern in Butlers Theorie der Gender Performance davon ausgegangen wird, dass das Selbst sich erst in und durch die ständige Wiederholung der Akte herstellt und diesen nicht etwa als bereits Gegebenes vorausgeht, grenzt sich Butlers Theorie u.a. von Erving Goffmans Modell ab, das zwar ebenso die Inszenierungsdimension des Selbst betont, aber davon ausgeht, dass auch unabhängig vom Moment des Rollenspiels ein festes Selbst existiert (Siehe Butler 1988, S. 520). 34 Butler 1988, S. 520 u. 522. 35 Vgl. zur Theatermetapher im Kontext des Alltagslebens: Wilshire, Bruce, 1982: Role Playing and Identity. The Limits of Theatre as Metaphor. Bloomington: Indiana University Press. Wilshire argumentiert, dass Theater und Leben sich gegenseitig bespiegeln, da das Selbst theatral verfasst sei. Insofern sich ›Mensch-Sein‹ in und durch mimetische Akte und durch Akte der Autorisierung durch andere konstituiere, biete das Theater zudem den idealen Ort, um die Mechanismen und Potenziale von Identitätsbildung zu verhandeln. Seine Grenze finde die Theatermetapher zur Beschreibung des Alltagslebens darin, dass sich die Rollen des Alltags, anders als Rollen im Theater, nie gänzlich ablegen ließen.
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Auseinandersetzung mit dem Modell des theatralen Rollenspiels ausschlaggebend, die sich durch »Performative Acts and Gender Constitution« zieht. Das theatrale Rollenspiel kommt im Text dabei in zweifacher Weise vor. Einmal erfolgt der Rückgriff auf ›Theater‹, um eine Erweiterung des phänomenologischen Begriffs des ›Aktes‹ voranzubringen: »In order to describe the gendered body, a phenomenological theory of constitution requires an expansion of the conventional view of acts to mean both that which constitutes meaning and that through which meaning is performed or enacted. In other words, the acts by which gender is constituted bear similiarities to performative acts within theatrical contexts.«36
Zweitens wird der Bezug zu ›Theater‹ in dem Moment ins Spiel gebracht, in dem es das Verhältnis von Öffentlichkeit und einzelnem auszuloten gilt: »[…T]he theatrical sense of an ›act‹ forces a revision of the individualist assumptions underlying the more restricted view of constituting acts within phenomenological discourse. As a given temporal duration within the entire performance, ›acts‹ are a shared experience and ›collective action.‹ […] The act that gender is, the act that embodied agents are inasmuch as they dramatically and actively embody and, indeed, wear certain cultural significations, is clearly not one’s act alone.«37
Wie häufig im amerikanischen Performancediskurs wird auch hier mit der Bezugnahme auf ›Theater‹ kein historisch reflektiertes Theatermodell aufgerufen. Stattdessen wird in der Bezugnahme auf ›Theater‹ mit gewisser Selbstverständlichkeit und etwas allgemein auf die Situation der Verkörperung einer Rolle vor den Augen kritisch Zuschauender verwiesen. Diese Skizzierung der theatralen Situation und des theatralen Aktes als körperliche und Bedeutung produzierende Aktion vor Zuschauenden trägt in den im Text formulierten Performancebegriff die komplexe Vorstellung ein, dass im Moment der Aufführung geschlechtlicher Identität nicht nur Bedeutung – z.B. ›weiblich‹ oder ›männlich‹ – hergestellt wird, sondern dass diese Bedeutung zeitgleich auch immer als Bedeutung gedacht werden muss, die vollzogen (performed, enacted) wird und also auf etwas Vorgängiges rekurriert. Die Ähnlichkeit zum theatralen Rollenspiel läge dann genau in dieser Simultanität der sich in actu und scheinbar spontan vor den Augen der Zuschauenden
36 Butler 1988, S. 521. 37 Ebd., S. 525 [Herv. i.O.].
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einstellenden Bedeutung, die jedoch gleichzeitig immer auch Aktualisierung bzw. Wiederholung einer bereits andernorts gegebenen Bedeutung ist.38 Auf die Inszenierung des geschlechtlich codierten Körpers bezogen formuliert Butler diese Beobachtung wie folgt: »Just as a script may be enacted in various ways, and just as the play requires both text and interpretation, so the gendered body acts its part in a culturally restricted corporeal space and enacts interpretations within the confines of already existing directives. «39 Die zweite, über die Bezugnahme auf ›Theater‹ ins Spiel gebrachte Idee, dass Gender Performance, wie die Theateraufführung, ein öffentliches Ereignis ist, klingt in diesem Zitat bereits an. Sie ist es, die dem in »Performative Acts and Gender Constitution« formulierten Performancebegriff seine politische Dimension verleiht. Dabei liegt die Brisanz nicht allein in der Vorstellung, dass sich Gender Performance stets vor den kritischen und richtenden Augen der Zuschauenden vollzieht, sondern auch darin, dass sich die ›Performance‹ geschlechtlicher Identität durch eine gewisse Unverfügbarkeit auszeichnet: »The act that one does, the act that one performs, is, in a sense, an act that has been going on before one arrived on the scene.«40 Unverfügbar ist die im Text beschriebene Art von ›Performance‹, weil der einzelne sie weder frei und willentlich gestalten, noch gänzlich aus der ›Performance‹ aussteigen kann. Die ständig wiederholte Aufführung der eigenen geschlechtlich codierten Identität ist eine Pflichtleistung, da sich das Selbst nur durch sie seine soziale Existenz erhalten kann. Unverfügbar ist Gender Performance nicht zuletzt auch dadurch, dass es sich um eine streng regulierte Praxis handelt, die sich an bestimmten vorgängigen Mustern messen lassen muss, die sich keinem spezifischen Ursprung zurechnen lassen, sondern als immer bereits »im Gange« befindlich gedacht werden müssen. Dies wird in »Performative Acts and Gender Constitution« in der Metapher der bereits begonnenen (Theater-)Szene gefasst, zu der man als weitere Spielerin dazustößt und deren Regeln man sich somit aussetzt. Dennoch wird Gender Performance nicht vollständig durch die ihr vorgängigen Normen und Muster de-
38 Butlers Text nimmt an dieser Stelle Bezug auf Victor Turners Theorie des sozialen Dramas, die ›Performance‹ als Aufführung versteht, in der die sozialen Normen einer Kultur verkörpert und so für die Gemeinschaft sichtbar werden. Damit wird klar, dass es bei Gender Performance nicht um fantastische Darstellungen geht, sondern vor allem um die körperliche Aktualisierung von sozialen Normen (Siehe Butler 1988, S. 526). 39 Butler 1988, S. 526. 40 Ebd., S. 526.
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terminiert. Ganz entscheidend ist ja, dass in »Performative Acts and Gender Constitution« darauf bestanden wird, dass geschlechtliche Identität als Wiederholung einer stilisierten Abfolge von Akten immer auch die Möglichkeit zu Bruch und Subversion öffnet.41 Die politische Brisanz der Gender Performance liegt also darin, dass sie stets auf eine kritische Öffentlichkeit bezogen ist, deren soziale Normen sie sowohl aktualisieren als auch unterlaufen kann. Die Frage nach dem subversiven Potenzial nicht normativer Varianten von Gender Performance im Kontext von Theater und Alltag wird im Text dann auch aufgegriffen. Die Theatermetaphorik, die sich als für das Verständnis der Struktur und Funktion der Inszenierung geschlechtlicher Identität erhellend erwiesen hat und die so gewissermaßen als Katalysator die Formierung des Performancebegriffs im Text befördert hat, wird dabei allerdings zum Problem. Wenn der Inszenierung von Geschlecht im Alltag eine gewisse ›Theatralität‹ zugeschrieben wird, dann wirft dies nämlich die Frage auf, wie sich die alltägliche Gender Performance zu Inszenierungen von Geschlecht im Theater verhält. Gender Performance in Theater und Alltag In »Performative Acts and Gender Constitution« folgt auf die Ausweitung der Theatermetapher auf die alltägliche Inszenierungsarbeit tatsächlich gleich der Versuch, die eben aufgehobene Differenz von theatraler und Alltagsszene wieder einzuführen: »[…I]t seems clear that, although theatrical performances can meet with political censorship and scathing criticism, gender performances in non-theatrical contexts are governed by more clearly punitive and regulatory social conventions. Indeed, the sight of a transvestite onstage can compel pleasure and applause while the sight of the same transvestite on the seat next to us on the bus can compel fear, rage, even violence. «42
Das Spiel mit Inszenierungsmustern geschlechtlicher Identität, das hier durch die Figur des Transvestiten verkörpert wird, unterscheidet sich in Theater und Alltag also sowohl durch ein jeweils sehr unterschiedliches Spektrum an emotionalen Reaktionen als auch durch unterschiedliche Konsequenzen, die es auszulösen vermag. Während der Auftritt auf der Theaterbühne Lust und Zustimmung erzeuge, scheinen negative Gefühle die wahrscheinliche Reaktion auf die Konfrontation mit einer nicht normativen Inszenierung von Geschlechtlichkeit im Alltag zu sein. Zur Erklärung der unterschiedlichen Reaktionsweisen verweist der Text
41 Siehe Butler 1988, S. 520. 42 Siehe ebd., S. 527.
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darauf, dass das Verhältnis von Zuschauenden und Akteur in Theater und Alltagssituation unterschiedlich organisiert sei: »The conventions which mediate proximity and identification in these two instances are clearly quite different.«43 Das Theater kommt dabei als Schutzraum im doppelten Sinn in den Blick. Es hält den Auftritt des Transvestiten räumlich und affektiv auf Distanz, so dass der Zuschauer den Anblick genießen kann, ohne sich in irgendeiner Weise in der eigenen Position verunsichert zu fühlen. Umgekehrt eröffnet das Theater auch die Möglichkeit zum ungestraften Spiel mit geschlechtlichen Codierungen und gibt so alternativen Identitätsentwürfen einen Ort.44 Theater wird hier also als Sonderraum verstanden, der Alternativen zu zeigen vermag, die dennoch stets klar unterschieden bleiben von dem, was als eigentlich real anerkannt wird: »In the theatre, one can say, ›this is just an act,‹ and de-realize the act, make acting into something quite distinct from what is real. Because of this distinction, one can maintain one’s sense of reality in the face of this temporary challenge to our existing ontological assumptions about gender arrangements; the various conventions which announce that ›this is only a play‹ allows strict lines to be drawn between the performance and life. On the street or in the bus, the act becomes dangerous, if it does, precisely because there are no theatrical conventions to delimit the purely imaginary character of the act, indeed, on the street or in the bus, there is no presumption that the act is distinct from a reality; the disquieting effect of the act is that there are no conventions that facilitate making this separation.«45
Selbst experimentelle Theaterformen, die bewusst daran arbeiten, den konventionellen Theaterrahmen zu durchbrechen, scheinen noch immer die Möglichkeit zur Unterscheidung von ›wirklich‹ und ›nicht wirklich‹ zu bieten, so dass das Geschehen auf beruhigende Distanz gehalten werden kann.46 Das Potenzial des Theaters, das Repertoire an vorstellbaren Inszenierungen von Geschlecht zu erweitern und so möglicherweise längerfristig subversiv zu wirken und auch Spiel-
43 Butler 1988, S. 527. 44 Dass das Theater prinzipiell als Schutzraum fungieren, aber dass dieser Status niemals als gesichert gelten kann, macht der Text deutlich, wenn darauf verwiesen wird, dass auch Theateraufführungen Zensur und Strafverfolgung ausgesetzt sein können und, dass die lustvolle Reaktion auf Normbrüche im Theater zwar wahrscheinlich, aber eben niemals garantiert sein kann. 45 Butler 1988, S. 527. 46 Im Text wird hier auf Richard Schechners Beschreibungen der amerikanischen Theateravantgarde in seinem Buch Between Theater and Anthropology (1985) verwiesen.
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räume in der alltäglichen Praxis zu öffnen, wird im Text nicht formuliert. 47 Es muss an dieser Stelle offenbleiben, ob der Text das subversive Potenzial des Theaters unterschätzt. Für die Frage nach dem Verhältnis von ›Theater‹ und ›Performance‹ und für die Frage nach der diskursiven Konsequenz des Performativitätsbegriffs ist hier die Beobachtung ausschlaggebend, dass das Theater in »Performative Acts and Gender Constitution« als Sonderraum positioniert wird. Dabei kommt das Theater nicht etwa als einfach Ort der Illusionierung in den Blick, sondern als Raum, in dem recht zuverlässig Unterscheidungen getroffen werden können. Auch angesichts vielfältiger und von binären Geschlechternormen abweichender Inszenierungen von Geschlecht erlaubt das Theater scheinbar stets die Unterscheidung von ›wahr/falsch‹. Insofern das entscheidende Merkmal des Performativen in der sprachphilosophischen Variante des Begriffs gerade darin besteht, dass es nicht im Schema von Wahrheit und Unwahrheit beschreibbar ist, gerät ›Theater‹ in Butlers Texten in Spannungsverhältnis zur Idee der Performativität. Es wiederholt sich hier, wenn auch unter anderem Vorzeichen, die Beobachtung aus How to Do Things with Words, dass ein performativer Akt im »unernsten« Kontext des Theaters nicht dieselbe Kraft zu entwickeln vermag wie in der ihm entsprechenden Alltagssituation. Im Theater, so war in How to Do Things with Words zu lesen, bleibt der performative Akt nichtig: »[…A] performative utterance will […] be in a peculiar way hollow or void if said by an actor on the stage […].«48 In Butlers Text wird der besondere Status des Theaters damit angedeutet, dass sich Geschehnisse im Theater stets mit dem Verweis »›[T]his is just an act‹«49 auf Distanz halten ließen. Die Frage nach der Theatralität der Gender Performance, die in »Performative Acts and Gender Constitution« aufgeworfen wird, findet sich fortgesetzt in Gender Trouble: Feminism and the Subversion of Identity (1990) und Bodies
47 Dass und wie alternative Entwürfe von Geschlecht im Theater sich auf die heteronormativen Muster von Gender Performance auswirken können, wird in »Performative Acts and Gender Constitution« nicht zum Thema. Es bleibt anderen Theoretikerinnen und Theoretikern wie z.B. José Esteban Muñoz in seinem Konzept der disidentification überlassen, die Zusammenhänge zwischen alternativen Identitätsentwürfen in Kunst und Populärkultur und der Identitätsbildung des einzelnen Subjekts auszuloten. 48 Austin 1975, S. 22 [Herv. i.O.]. 49 Butler 1988, S. 527.
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That Matter: On the Discursive Limits of ›Sex‹ (1993).50 Zum einen wird die Frage nach der Subversivität abweichender Inszenierungen von Gender im Theater am Beispiel von Drag weiter spezifiziert. Auch das Verhältnis von Performativität und Theatralität wird in Bodies That Matter nochmals ausführlicher diskutiert. Zum Abschluss sollen hier diese Beobachtungen aus Butlers Texten vorgestellt und mit Bezug auf die Frage nach der Bedeutung von ›Theater‹ diskutiert werden. Performance zwischen Performativität und Theatralität Obwohl Gender Performance bereits in »Performative Acts and Gender Constitution« als Praxis konzipiert wird, die durch vorgängige normative Muster bestimmt wird und gewissermaßen unter Zwang erfolgt, öffnet sich mit der Analogie zum Theater dennoch die Vorstellung von freier Gestaltbarkeit und der Existenz eines Subjekts, das als Urheberin hinter den performativen Akten steht, die in ständiger Wiederholung den Eindruck geschlechtlicher Identität erzeugen. Dies führt dazu, dass in Butlers späteren Texten zum Performancebegriff etwas auf Distanz gegangen wird und stattdessen vor allem von der ›Performativität‹ von Geschlecht die Rede ist. In Gender Trouble wird ›Performativität‹ nochmals in strikter Abgrenzung zur Idee der Expressivität entworfen. Geschlecht ist performativ, so ist zu lesen, weil es sich um einen Vorgang der ritualisierten Wiederholung stilisierter Akte handelt, in deren Lauf sich der Eindruck geschlechtlicher Essenz, deren Ausdruck Gender vermeintlich ist, überhaupt erst herstellt.51 Die Idee der Performativität von Geschlecht fordert also dazu heraus, Gender jenseits jeglicher Vorstellung des Ontologischen zu denken. Weder das Subjekt noch der Körper ließen sich als dem Prozess der Performativität von Geschlecht vorgängig annehmen, sondern seien unweigerlich in diesen eingebunden bzw. dessen Effekte. Die Auflösung der Vorstellung des Ontologischen, die mit der Idee der ›Performativität‹ einhergeht, hat zur Konsequenz, dass sich Geschlecht nicht mehr in Oppositionen von ›falsch/richtig‹ oder ›echt/unecht‹ beschreiben lässt: »Genders can be neither true nor false, neither real nor apparent, neither original nor derived.«52
50 Siehe Butler, Judith, 1993: Bodies That Matter. On the Discursive Limits of ›Sex‹. New York/London: Routledge; Butler, Judith, 1999: Gender Trouble. Feminism and the Subversion of Identity. 2. Aufl. New York/London: Routledge (EA 1990). 51 Siehe Butler 1999, S. 43-44 u. 173 u. 179. 52 Ebd., S. 180.
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Dass Gender dennoch als strikt binäre Opposition von ›weiblich‹ und ›männlich‹ entworfen wird und sich sowohl mit Männlichkeit als auch Weiblichkeit jeweils spezifische als ›natürlich‹ verstandene Ideale verbinden, wird als Funktion der Diskurs- und Machtoperationen der heterosexuellen Matrix ausgewiesen.53 Als modus operandi der heterosexuellen Matrix erweist sich Performativität dabei als das produktive Prinzip, das Geschlechternormen ausruft und zugleich die Nachahmung jener Geschlechternormen und die illusionäre Verdichtung zum Eindruck von Essenz ermöglicht. Beispiel ist hier der Ausruf »It’s a girl!« bei der Geburt eines Kindes, der nicht als Feststellung misszuverstehen sei, sondern der als performativer Sprechakt eine lebenslang nie abschließbare Folge des Zitierens des normativen Ideals von Weiblichkeit initiiere.54 Der Begriff der ›Performativität‹ beschreibt bei Butler also in ganz umfassender Weise den Modus des Zitierens als dessen Effekte sich Subjektivität, geschlechtliche Identität, Körper usw. produzieren, wobei gleichzeitig stets deren Genese verschleiert werden muss, um den Eindruck zu halten, es handle sich um ontologisch gegebene Größen.55 ›Performativität‹ meint hier also nicht wie bei Austin die wirklichkeitskonstituierende Kraft eines mit spezifischer Intention durch ein Subjekt vorgetragenen Sprechaktes oder, wie häufig im deutschsprachigen Gebrauch, den Aufführungscharakter eines Vorgangs.56 Stattdessen arbeitet Bodies That Matter daran, die in der Rezeption teils als Synonyme wahrgenommenen Begriffe ›Performativität‹ und ›Performance‹ stärker zu trennen. Deutlich heißt es an einer Stelle: »The reduction of performativity to performance would be a mistake.«57 Dabei sind es, wie bereits erwähnt, die Suggestion von Intentionalität, Wahlfreiheit und Einmaligkeit, die den Performancebegriff von der Idee der ›Performativität‹ distanzieren:
53 Siehe Butler 1999, S. 23-24. Mit dem Begriff ›heterosexuelle Matrix‹ bezeichnet Butler die strikt binär organisierte Verknüpfungslogik von sex, gender und Begehren, die bestimmt, welche Subjekt- und Identitätspositionen als ›lesbar‹ und sozial ›lebbar‹ anerkannt werden. 54 Butler 1993, S. 232. 55 Siehe ebd., S. 231. An dieser Stelle wirft Butler die Frage auf, welche Unterschiede zwischen der Performativität körperlicher Akte und der Performativität des Diskurses zu bemerken sind, betont jedoch vor allem die Ähnlichkeit beider Formen von Performativität, insofern es sich in beiden Fällen um »modes of citationality« handle. 56 Vgl. für ein im deutschsprachigen Raum besonders einflussreiches Verständnis von ›Performativität‹: Fischer-Lichte 2004a. 57 Butler 1993, S. 234.
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»[…P]erformance as bounded ›act‹ is distinguished from performativity insofar as the latter consists in a reiteration of norms which precede, constrain, and exceed the performer and in that sense cannot be taken as the fabrication of the performer’s ›will‹ or ›choice‹; further, what is ›performed‹ works to conceal, if not to disavow, what remains opaque, unconscious, unperformable.«58
Die ›Performance‹ – die Aufführung/Inszenierung von Geschlecht – erweist sich also gewissermaßen als der Schauplatz, an dem sich der Imperativ normativer Geschlechtlichkeit in die Ausführung spezifischer Akte umsetzt und so der illusionäre Eindruck geschlechtlicher Identität erzeugt wird, wobei letzterer gerade nur dadurch entstehen kann, dass die eigentliche ›Performativität‹ von Geschlecht – ihre prekäre Verfasstheit als ständiges Zitat – verschleiert wird. In Butlers Texten wird, so lässt sich festhalten, insgesamt ein Performancebegriff formuliert, der ›Performance‹ als öffentlich vollzogene, wirklichkeitskonstituierende soziale Praxis entwirft und insbesondere deren normative und illusionäre Dimensionen betont. Die ›Theatralität‹ der ›Performance‹ wird in Bodies That Matter schließlich nicht mehr über die Metapher des Rollenspiels mit ihrer problematischen Konnotation von Wahlfreiheit und intentional agierendem Subjekt entworfen. Wenn der ›Performance‹ ›Theatralität‹ attestiert wird, dann begründet sich dies einerseits aus ihrem öffentlichen Status, aber vor allem auch aus der Struktur der ›Performance‹ als Imitation und Taktik des Verbergens.59 Dabei öffnet die ›theatrale‹ Verfasstheit der Gender Performance zugleich Ansatzpunkte für kritische Einwendungen. Im Schlusskapitel von Bodies That Matter »Critically Queer« wird die ›Theatralität‹ der ›Performance‹ am Beispiel des Drag60 präzisiert und
58 Butler 1993, S. 234. 59 Die Auseinandersetzung mit dem Begriff der ›Theatralität‹ findet in Bodies That Matter punktuell an verschiedenen Stellen im Text statt. Siehe insbesondere Butler 1993, S. 12-13 und 230-233. 60 »Drag bezeichnet die kulturelle Praxis der gegengeschlechtlichen Verkleidung in homosexuellen Subkulturen des Camp. D[rag] ist vom psychopathologischen Begriff des Transvestismus ebenso wie von der kabarettistischen Travestie zu unterscheiden. Im Cross-dressing und gegengeschlechtlichen Styling des Körpers wird entweder ein ernsthaftes vorübergehendes passing im anderen Geschlecht oder eine deutliche Übertreibung und Parodie von Identitäten inszeniert, die nicht auf ein eigentliches Geschlecht hinter der Maskerade verweist, sondern die Kategorie Geschlecht als solche in Frage stellt.« (Funk, Julika, 2002: Drag. In: Renate Kroll [Hg.], Metzler Lexikon
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dabei auch nochmal die Überlegung aus »Performative Acts and Gender Constitution« nach dem subversiven Potenzial gegengeschlechtlicher Verkleidung aufgenommen. Für die Leitfrage nach der Bedeutung von Bezugnahmen auf den Vorstellungskomplex des Theatralen in der amerikanischen Performancetheorie ist dies insofern spannend, als dass hier die ›Theatralität‹ der ›Performance‹ nicht nur in ihrer das normative Gefüge stützenden Funktion, sondern auch als Ansatzpunkt der kritischen Revision entworfen wird. Prinzipiell ist die ›Theatralität‹ der Gender Performance Konsequenz der zwanghaft erfolgenden Zitation bzw. Imitation normativer Geschlechterideale. ›Theatralität‹ hat in dieser Hinsicht weder mit narzisstischer Selbstentfaltung noch mit fantastischem Selbstentwurf zu tun, sondern verweist darauf, dass in der ›Performance‹ spezifische Muster von ›Weiblichkeit‹ und ›Männlichkeit‹ nachgeahmt werden.61 Insofern in den Inszenierungen des Drag Geschlecht als Prozess normativ regulierter Nachahmung kenntlich gemacht und insofern die Ideale von ›Weiblichkeit‹ und ›Männlichkeit‹ übersteigert und damit in ihrer Künstlichkeit ausgestellt werden, erweist sich Drag als potenziell kritische Praxis, wenn auch nicht als Garant subversiver Umkehrung. Ansatzpunkt für Kritik ist dabei die zeichenhafte Verfasstheit von Gender, die sich in der ›Performance‹ aktualisiert.62 Diese Strategie der Resignifikation63 – also die Möglichkeit, dass sich die performativen Machtoperationen gegen sich selbst wenden lassen, um so Alternativen zu eröffnen – wird in der amerikanischen Performancetheorie zu einem wichtigen Erklärungsmuster für die Wirkweise identitätskritischer Inszenierungen in Kunst und Alltag. Mit der weitreichenden Rezeption der Butler’schen Theorie der Gender Performance avanciert die Frage, inwiefern eine spezifische Aufführung/Inszenierung in Bezug auf Geschlechternormen subver-
Gender Studies Geschlechterforschung. Ansätze – Personen – Grundbegriffe. Stuttgart/Weimar: Verlag J.B. Metzler, S. 73-74 [Herv. i.O.]) 61 Siehe Butler 1993, S. 232. 62 Siehe ebd., S. 231 u. 237. Zu Drag siehe ebenfalls Butler 1999, S. 174-176. 63 Die Überlegungen zu Möglichkeiten der Abwendung der normativen Anrufungen des Diskurses betreffen in Bodies That Matter im Kapitel »Critically Queer« vor allem die schädigende Wirkung und positiv gewendete Aneignung des Schimpfwortes ›queer‹. Ausführlich entwickelt Butler ihre Gedanken zur Performativität von Sprache und zu den Möglichkeiten der Resignifikation verletzender Sprache in: Butler, Judith, 1997: Excitable Speech. A Politics of the Performative. New York/London: Routledge.
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siv ist, zudem zum zentralen Anliegen zahlreicher Publikationen der 1990er Jahre.64 Politisierung des Performancebegriffs Zusammenfassend lässt sich festhalten, dass der Performancebegriff in Judith Butlers Texten in Spannung zur Idee der ›Theatralität‹ und dem aus der Sprachphilosophie stammenden Konzept der ›Performativität‹ entwickelt wird.65 Während sich die Metapher des ›Theaters‹ vor allem zu Beginn als produktiv für die Formulierung des Aufführungs- und Inszenierungscharakters von Geschlecht erwiesen hat, erfolgt in den späteren Texten eine nochmalige deutliche Distanzierung von der Vorstellung, dass die performative Konstitution von Geschlecht nach dem Muster theatralen Rollenspiels funktioniert. Als umfassender und außerhalb jeglichen willentlichen Zugriffes liegender Modus des Zitierens, dem die Macht zukommt, Subjektivität, Körper und Identität hervorzubringen, ist ›Performativität‹ nicht auf die zeitlich und räumlich spezifische Situation der ›Performance‹ beschränkt, sondern übersteigt diese in vielerlei Hinsicht. Die ›Performance‹ von Geschlecht als konkrete Aufführung einer Reihe performativer Akte erweist sich dennoch als unweigerlich in die normative Logik der ›Performativität‹ verstrickt, insofern die Gender Performance den Appell normativer Geschlechterideale einlöst und dabei zugleich ihre eigene Konventionalität und Historizität, ihren Status als Zitat, verschleiert. Da ›Performativität‹ jedoch nicht deterministisch ist und da sich mit dem auf ständige Wiederholung angewiesenen Zitatcharakter der ›Performativität‹ vor allem das Risiko fehlgehender Wiederholungen verbindet, birgt jede ›Performance‹ auch das Potenzial zur Transgression. Während die ›Theatralität‹ der ›Performance‹ im Butler’schen Begriffsverständnis in der Öffentlichkeit der ›Performance‹ sowie in ihrer imitativen Struktur und ihrem Präsenz-Effekt, der den Zitatcharakter der ›Perfor-
64 Für eine Kritik der Reduktion des analytischen Potenzials der Kategorie der ›Performativität‹ auf die Formel »kinda subversive, kinda hegemonic« siehe Sedgwick, Eve Kosofsky, 1993: Queer Performativity. Henry James’s The Art of the Novel. In: GLQ. A Journal of Lesbian and Gay Studies 1, 1, S. 1-16, hier S. 15. 65 Vgl. hierzu auch Butlers eigenen Kommentar in der 1999 verfassten Einleitung zur 2. Auflage von Gender Trouble: »Moreover, my theory sometimes waffles between understanding performativity as linguistic and casting it as theatrical. I have come to think that the two are invariably related, chiasmically so, and that a reconsideration of the speech act as an instance of power invariably draws attention to both its theatrical and linguistic dimensions.« (Butler 1999, S. xxv)
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mance‹ verbirgt, lokalisiert wird, positioniert der Bezug zu ›Performativität‹ die ›Performance‹ im Spannungsfeld von Normativität und Transgression.66 Der Performancebegriff wird hier insgesamt als ambivalenter Begriff entworfen, der zugleich als ›theatral‹ und ›nicht theatral‹, ›normativ‹ und ›transgressiv‹ gedacht werden muss. Weiterhin handelt es sich um einen politisierten Performancebegriff, insofern er nicht als anthropologischer umbrella term oder als gattungslogische Bezeichnung für eine bestimmte Kunstform entwickelt, sondern aus konkreten identitätspolitischen Anliegen heraus entworfen und mit Blick auf die ihm eigene Funktions- und Wirkweise reflektiert wird. Damit setzt in der amerikanischen Performancetheorie eine wichtige Verschiebung hin zu einer Theoriebildung ein, die wesentliche Impulse aus spezifischen politischen Interessen und lebensweltlichen Fragen gewinnt und sich in engem Dialog mit sozialen Realitäten formiert. Diese Verschiebung wirkt sich auch auf die analytische Beschäftigung mit künstlerischen Arbeiten aus. Dabei werden theatrale Inszenierungsformen im Performancediskurs nicht kategorisch ausgeschlossen, sondern sind sogar häufige Gegenstände analytischer Betrachtungen. Entscheidendes Kriterium dafür, ob eine Inszenierung im Performancediskurs der 1990er Jahre Berücksichtigung findet, ist weniger ihre gattungslogische Einordnung, sondern das ihr zugeschriebene politische Potenzial. Leitend ist in der Auseinandersetzung mit künstlerischen ›Performances‹ oft die Frage nach deren Verhältnis zu hegemonialen Machtformationen und normativen Identitätsmustern. Unabhängig davon, ob eine Inszenierung mit theatralen Mitteln wie Rollenspiel, Maskierung, Narration und Fiktionalisierung arbeitet oder in aller Konsequenz zum Guckkastentheater auf Distanz geht, wird sie im amerikanischen Performancediskurs der 1990er Jahre interessant, sobald sie identitätspolitische Fragen verhandelt. Viele der im Diskurs am meisten diskutierten Künstlerinnen und Künstler wie z.B. Karen Finley, Holly Hughes, die Wooster Group, Annie Sprinkle, Guillermo Gómez-Peña oder Spalding Gray arbeiten in den Traditionen theatraler Inszenierungsformen. Das in der amerikanischen Performancetheorie der 1990er Jahre erstarkende Interesse an identitätspolitischen Fragen motiviert sich, wie gezeigt, einerseits aus theorieimmanenten Verschiebungen, lässt sich jedoch auch nicht unabhängig von den gesellschaftspolitischen Ereignissen in den USA der 1990er Jahre verstehen. Aus diesem Grund wird es im nächsten Abschnitt um die Frage gehen,
66 Vgl. zur Beobachtung, dass Butlers Performativitätstheorie vor allem auch als Theorie der Normativität von ›Performativität‹ gelesen werden muss: McKenzie, Jon, 1998: Genre Trouble. (The) Butler Did It. In: Peggy Phelan/Jill Lane (Hg.), The Ends of Performance. New York/London: New York University, S. 217-235.
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welche politischen und sozialen Entwicklungen zu einer identitätspolitischen Sensibilisierung von Theorie sowie Kunst beigetragen haben.
4.2 AKT UND WIDERSTAND: PERFORMANCE IM KONTEXT DER CULTURE WARS IN DEN USA Um die in diesem Kapitel im Fokus stehende Phase der US-amerikanischen Performancetheorie einordnen zu können und zu verstehen, warum der Diskurs immer wieder auf die Frage nach Identität bzw. die Frage nach der ›Performance‹ von Identität zurückkommt, wird im folgenden Abschnitt ein Exkurs in die politische Situation der USA in den 1980er und 1990er Jahren unternommen. Es geht dabei nicht darum, einen Kontext als gewissermaßen Äußeres der hier im Mittelpunkt stehenden Diskurse zu skizzieren. Dagegen ist davon auszugehen, dass das, was im Folgenden als Kontext skizziert wird, auf vielfältige und hier nicht vollständig erfassbare Weise in und auf den Performancediskurs einwirkt. Die 1980er und 1990er Jahre gelten generell als Jahrzehnte, die in den USA durch ein politisch konservatives Klima geprägt werden. Unter den republikanischen Präsidenten Ronald Reagan (1981-1989) und George H.W. Bush (19891993) verfolgen die USA außenpolitisch eine Politik der Stärke, die sich insbesondere in einer stetigen Erhöhung des Militärbudgets und durch umstrittene Interventionen in anderen Staaten zeigt. Das innenpolitische Handeln steht im Zeichen des Bemühens, die kriselnde Wirtschaft, die insbesondere unter dem Niedergang der für den Nordosten und Mittleren Westen wichtigen Stahl- und Autoindustrie leidet, anzukurbeln und den Haushalt durch die Reduktion sozialer Transferleistungen zu entlasten.67 Der in den 1980er und 1990er Jahren in den USA erstarkende Konservatismus macht sich vor allem aber in einer breit und oft unter religiösem Vorzeichen geführten Wertedebatte bemerkbar, die sich gegen die Ausweitung einer liberalen Haltung und der damit einhergehenden Bejahung von Pluralismus, Rechten von Minderheiten, Frauen und Homosexuellen formiert. Es handelt sich dabei um eine vielschichtige und von unterschiedlichen Akteuren geführte Debatte, die sich weniger als Konflikt verstehen lässt, der sich an
67 Für eine ausführliche historische Darstellung der USA in den durch die Präsidentschaft Reagans geprägten Jahren siehe Wilentz, Sean, 2008: The Age of Reagan. A History, 1974-2008. New York et al.: Harper Perennial. Wilentz geht davon aus, dass der Einfluss des mit Reagan verbundenen Konservativismus auch nach Ende der Präsidentschaft Reagans andauerte.
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spezifischen Parteilinien orientiert, denn als Konflikt verschiedener moralischer Überzeugungen. Der Soziologe James Davison Hunter hat den als culture war in die historischen Beschreibungen eingegangenen Konflikt als Streit zwischen einer orthodoxen Haltung, die sich auf eine externe, unveränderliche Autorität beruft, und einer progressiven Haltung, die das Individuum als Maß nimmt, charakterisiert.68 Während die orthodoxe Streitlinie vor allem auch durch die seit den späten 1970er Jahren in den USA erstarkende christliche Rechte getragen wird, sind für die Verbreitung der progressiven Haltung sowohl die Grundgedanken des Postmodernismus69 als auch die Entwicklung relevant, dass viele der in den kritischen Bewegungen der 1960er Jahre Aktive und ihre Ideen in den 1980er Jahren bereits fester und prägender Bestandteil des kulturellen Lebens in den USA, nicht zuletzt an vielen Universitäten, sind. Die Brisanz der culture wars liegt weiterhin auch darin, dass der Konflikt im Kern auch Streit um die nationale Identität ist. Aus Sicht vieler dem orthodoxen Lager Angehöriger erscheinen weitreichende Abtreibungsrechte, ein liberaler Umgang mit Pornografie, Anerkennung und Gleichberechtigung von Homosexualität unvereinbar mit den Werten des ›guten, alten Amerika‹.70 Für die hier verfolgte Frage nach den US-amerikanischen Performancediskursen sind die culture wars der 1980er und 1990er Jahre von Interesse, weil diese sich nicht zuletzt als Streit um Repräsentation vollziehen. Die akademische Lehre an Universitäten gerät dabei ebenso ins Visier wie Darstellungen in den Medien und den Künsten.71 Die Kontroversen, die die Universitäten betreffen, berühren insbesondere Fragen nach dem Kanon, nach der Berücksichtigung kulturell heterogener Perspektiven und den Möglichkeiten einer Ethik des Umgangs mit Differenz, die sich oft als Praxis der political correctness realisiert. 1986 wird beispielsweise ein an der Standford University seit Jahren als Pflichtveran-
68 Siehe Hunter, James Davison, 1991: Culture Wars. The Struggle to Define America. New York: Basic Books. 69 In den 1970er und 1980er Jahren werden in den USA die Schriften Jacques Derridas, Michel Foucaults, Jean Baudrillards und Jean-François Lyotards insbesondere in den Literaturwissenschaften intensiv rezipiert. Die postmoderne Vorstellung, dass es keine transzendenten, universalen Wahrheiten gibt, sondern jede Form von Realität konstruiert und damit relativ, subjektiv und durch Machtbeziehungen bestimmt ist, gewinnt auch in anderen wissenschaftlichen Disziplinen Einfluss (Siehe Collins, Robert M., 2007: Culture War. In: Ders., Transforming America. Politics and Culture in the Reagan Years. New York: Columbia University, S. 171-192, hier S. 182). 70 Siehe Collins 2007, S. 171-192. 71 Siehe ebd., S. 179.
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staltung für Bachelor-Studierende angebotener Kurs über Western Culture zum Ziel der Kritik. Die Lektüreliste des Kurses wird unter anderem von den Mitgliedern der Black Student Union als rassistisch und sexistisch kritisiert, da sie ausschließlich Werke weißer Autoren enthält.72 Derartige Auseinandersetzungen erfassen eine Vielzahl amerikanischer Universitäten. Trotz vorhandenem Gegenwind setzen sich bis Mitte der 1990er Jahre an den Universitäten – in Lehrplänen, Studienplangestaltung ebenso wie in den das Campusleben bestimmenden Handlungsleitlinien – die Prinzipien des Multikulturalismus und der political correctness durch.73 Kontroversen um universitäre Lehrpläne und die politische Verantwortung von Wissenschaft bestimmen und begleiten insbesondere auch die universitäre Institutionalisierung der Performance Studies, die sich in den 1980er und 1990er Jahren vollzieht. Da die Entstehung der Performance Studies Thema des folgenden Kapitels sein wird, sollen weiterführende Überlegungen zu den Auswirkungen der culture wars im akademischen Feld hier zurückgestellt werden. Die Frage nach den ideologischen und moralischen Dimensionen von Repräsentation, um die viele der im Zuge der culture wars ausgetragene Kontroversen kreisen, wird in den 1980er und 1990er Jahren auch mit Blick auf die Medien und Künste gestellt. Aus dem orthodox-konservativen Lager werden Vorwürfe erhoben, dass in Journalismus, Fernsehen, Radio und Printmedien linksliberale Positionen dominierten, die einem Großteil der Amerikaner völlig fremd und zudem moralisch gefährdend seien.74 In den Künsten sorgt im Jahr 1989 die auch juristisch ausgetragene Kontroverse um die öffentliche Förderagentur National Endowment for the Arts (NEA) für Aufmerksamkeit. Der NEA hatte in diesem Jahr Fördergelder für Andres Serrano, Robert Mapplethorpe und Karen Finley gewährt. Konservative Kritiker wie die christlich-fundamentalistische Organisation American Family Association sah sich durch den provokativen Umgang der künstlerischen Arbeiten mit christlicher Symbolik, Nacktheit und Homosexualität provoziert. So zeigt Serranos’ Piss Christ ein in Urin getränktes Kruzifix. Mapplethorpes Fotografien zeigen Szenen homoerotischer Begegnungen und Karen Finley wird für den schonungslosen Einsatz ihres nackten Körpers in ihrer Performancekunst bekannt und von Kritikern als »chocolate-smeared young woman«75
72 Siehe Collins 2007, S. 180. 73 Siehe ebd., S. 186. 74 Siehe ebd., S. 186-188. 75 Die Benennung von Karen Finley als »nude, chocolate-smeared young woman« geht auf einen Artikel von Rowland Evans und Robert Novak in der Washington Post zu-
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belächelt. Die American Family Association schaltet in Zeitungen zudem großflächige Anzeigen, in denen sie die Förderpolitik des NEA skandalisiert und als Verschwendung von Steuergeldern anprangert. Von ihren Unterstützern werden die Arbeiten Serranos, Mapplethorpes und Finleys dagegen entschieden als durch die Freiheit der Kunst und das in den USA durch den ersten Zusatzartikel der Verfassung verbriefte Recht auf freie Meinungsäußerung geschützt verteidigt.76 Der 1989 begonnene Streit um die Förderpolitik des NEA und die moralischen Dimensionen von Kunst setzt sich im amerikanischen Senat und später am Obersten Gerichtshof bis Ende der 1990er Jahre fort und soll hier nur in einigen Momentaufnahmen skizziert werden. Ziel ist es, das ›Klima‹ anzudeuten, in dem sich der Performancediskurs dieser Zeit formiert. Die für die Performancetheorie der 1980er und 1990er Jahre typische Politisierung, so meine These, lässt sich nämlich nur verstehen, wenn berücksichtigt wird, welchem Druck künstlerische Arbeiten in dieser Zeit ausgesetzt waren, die Körper, Sexualität, Macht- und Identitätsfragen in offensiver Weise verhandeln. Die culture wars sorgten nicht nur für eine größere Bekanntheit – und damit auch vermehrte Diskursivierung – der Arbeiten von Performancekünstlerinnen und -künstlern wie Karen Finley, Annie Sprinkle, Holly Hughes, Tim Miller oder John Fleck. Die culture wars verschieben den Performancediskurs auch in eine Richtung, in der ›Performance‹ immer in ihrer politischen Dimension, das heißt ihrer Verbundenheit mit spezifischen gesellschaftlich-sozialen Anliegen, reflektiert wird. Im Kontext der culture wars wird im Diskurs eine Befragung von ›Performance‹ hinsichtlich rein ästhetischer und formaler Gesichtspunkte ebenso unmöglich wie eine undifferenzierte, im schlimmsten Fall esoterisch anmutende Bejahung von ›Performance‹ als universeller anthropologischer Konstante. Um die Skizze des gesellschaftspolitischen Kontextes des Performancediskurses der 1980er und 1990er
rück (Siehe: Evans, Rowland/Robert Novak: The NEA’s Suicide Charge. In: Washington Post am 11.05.1990. In: Richard Bolton [Hg.], Culture Wars. Documents from the Recent Controversies in the Arts. New York: New Press, S. 208-209, hier S. 208). 76 Siehe Collins 2007, S. 188. Zu den culture wars im Bereich der Künste und Populärkultur siehe ebenfalls: Martin, Bradford, 2011: Popular Culture and the Culture Wars. In: Ders., The Other Eighties. A Secret History of America in the Age of Reagan. New York: Hill and Wang, S. 67-94; Bolton, Richard (Hg.), 1992: Culture Wars. Documents from the Recent Controversies in the Arts. New York: New Press. Unter den deutschsprachigen Veröffentlichungen ist besonders zu beachten: Zimmermann, Anja, 2001: Skandalöse Bilder – Skandalöse Körper. Abject Art vom Surrealismus bis zu den Culture Wars. Berlin: Reimer.
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Jahre abzuschließen, gilt es, einen letzten Blick auf die Kontroversen um als anstößig empfundene Kunst zu werfen. Die NEA-Kontroverse In Reaktion auf die, unter anderem von Pastor Donald Wildmon und der von ihm gegründeten christlich-konservativen American Family Association geäußerten, Kritik an der Förderpolitik des NEA bringt der konservative Senator Jesse Helms im Juli 1989 einen Gesetzesvorschlag in den US-Senat ein, der dem NEA untersagt, ›unanständige‹ Kunst zu fördern – und darunter fallen unter anderem Darstellungen, die religiöse Gefühle verletzen, jede Darstellung von Geschlechtsverkehr, homoerotischen oder sadomasochistischen Akten. Von seinen Gegnern wird der Gesetzesvorschlag als Zensurmaßnahme und Angriff auf die Meinungsfreiheit abgelehnt. In abgeschwächter Form wird Helms’ Vorschlag dennoch am 23. Oktober 1989 Bestandteil der Gesetzgebung (Public Law 101-121). Das Gesetz schreibt einerseits die Überprüfung des Auswahlprozesses des NEA vor und hält den NEA dazu an, keinerlei ›obszöne‹ Kunst zu fördern. Der entsprechende Auszug aus dem Gesetzestext ist in Richard Boltons Anthologie Culture Wars: Documents from the Recent Controversies in the Arts (1992), die zahlreiche Primärquellen der NEA-Kontroverse bündelt, abgedruckt: »None of the funds authorized to be appropriated for the National Endowment for the Arts or the National Endowment for the Humanities may be used to promote, disseminate, or produce materials which in the judgment of the National Endowment for the Arts or the National Endowment for the Humanities may be considered obscene, including but not limited to, depictions of sadomasochism, homoeroticism, the sexual exploitation of children, or individuals engaged in sex acts and which, when taken as a whole, do not have serious literary, artistic, political or scientific value.«77
Der NEA reagiert auf das Gesetz zunächst mit dem Versuch, die von ihm geförderten Künstlerinnen und Künstler zur Unterzeichnung einer Erklärung zu zwingen, in der sie sich dazu verpflichten, die Fördermittel nicht zur Herstellung ›obszöner‹ Kunst zu verwenden. Gegen diese Art der Selbstzensur regt sich allerdings großer Widerstand. Einige entscheiden sich dafür, die ihnen gewährte NEA-Förderung lieber abzulehnen als die Obszönitätsklausel zu akzeptieren. Der NEA nimmt schließlich Abstand von der Praxis der Selbstverpflichtung,
77 Bolton 1992, S. 121.
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nicht zuletzt nachdem in einem Gerichtsverfahren entschieden wurde, dass eine derartige Erklärung als Auflage einer NEA-Förderung unzulässig ist.78 Richard Bolton weist weiterhin auf die generelle Aggressivität der Attacken hin, mit der aus dem rechtskonservativen Lager gegen die vermeintliche Dekadenz und Amoral der Gegenwartskunst agiert wird. Der Ruf nach einer erneuten Besinnung auf Werte wie Schönheit, Harmonie und moralische Erbauung als Leitlinien künstlerischen Schaffens ist oft alles andere als Ausdruck einer harmlosen, rein formalistischen Auffassung. Wie im scharfen, oft persönlich verletzenden Wortlaut vieler Beiträge, die sich insbesondere gegen Mapplethorpes Kunst richten, klar wird, geht es immer auch um einen Angriff auf die liberale Agenda. Die NEA-Kontroverse ist also vor allem auch Streit um Feminismus, sexuelle Freiheit, kulturelle Heterogenität und Gleichberechtigung von Homosexualität.79 So wird die Gegenwartskunst von ihren Kritikern als Symptom und Träger einer brandgefährlichen und schlichtweg perversen Ideologie – »the purveyor of a destructive, degenerative, ugly, pornographic, Marxist, anti-American ideology.«80 – verworfen. Mit besonderer Aggressivität wird Robert Mapplethorpe, der im März 1989 an seiner HIV-Infektion stirbt, attackiert. Es darf dabei nicht vergessen werden, dass die 1980er Jahre auch die Zeit sind, in der AIDS als Krankheit entdeckt wird und, angesichts der Vielzahl von Infektionen, der Brutalität des Krankheitsverlaufs und der zunächst unbekannten Übertragungswege, für große Angst und Unsicherheit sorgt.81 Im Diskurs über die Frage obszöner Kunst vermischen sich vor diesem Hintergrund nicht selten homophobe Überzeugungen, AIDSPanik, Kritik an der liberalen Kunstwelt und diffuse Befürchtungen einer bevorstehenden nationalen Apokalypse. So schreibt der konservative Journalist Patrick Buchanan im Kontext der Kontroverse um die NEA-Förderung für Mapplethorpe am 2. August 1989 in der Washington Times:
78 Siehe Bolton 1992, S. 5. 79 Siehe ebd., S. 5-6. 80 James Cooper zitiert in Bolton 1992, S. 6. 81 An dieser Stelle ist zu erwähnen, dass auch die von Nan Goldin kuratierte Ausstellung Witnesses: Against Our Vanishing in der New Yorker Galerie Artists Space, die vom 16. November 1989 bis 6. Januar 1990 zu sehen war, Gegenstand der culture wars wurde. Die Ausstellung zeigte Arbeiten, die sich mit der AIDS-Krise befassten. Der Ausstellungskatalog enthielt einen wütenden Aufsatz des selbst an AIDS erkrankten Künstlers David Wojnarowicz, in dem er sich gegen Homophobie und fehlende Unterstützung für Forschungs- und Aufklärungsprojekte zu AIDS wendet (Siehe Bolton 1992, S. 20-21).
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»Barbarism! The precise word, as we observe journalistic yahoos hail poor, pathetic Robert Mapplethorpe for having photographed, for their amusement, the degraded acts by which he killed himself. What’s to be done? We can defund the poisoners of culture, the polluters of art; we can sweep up the debris that passes for modern art outside so many public buildings; we can discredit the self-anointed critics who have forfeited our trust. America is not yet Weimar.«82
In der NEA-Debatte lassen sich zahlreiche ähnlich kompromisslose und scharfe Attacken aus dem rechtskonservativen Lager finden. Wie Richard Bolton bemerkt, speiste sich die feindselige Haltung gegenüber künstlerischen Arbeiten wie den Fotografien Mapplethorpes oder der Performancekunst Karen Finleys jedoch nicht immer nur aus einer grundlegenden Ablehnung der in diesen zum Ausdruck gebrachten sexuellen Identitäten. Bereits zu Beginn der 1980er Jahre gab beispielsweise Samuel Lipman, Herausgeber des konservativen Kunst- und Kulturmagazins New Criterion, in einem Aufsatz zu bedenken, dass sich die Förderpolitik des NEA in eine, aus seiner Sicht, problematische Richtung bewege. Lipman befürchtete, dass der NEA in seiner Förderpolitik einer zunehmend sozialpolitischen Agenda folge, die mehr das Publikum als den ›authentischen‹ künstlerischen Impuls berücksichtige und eher das Ziel der Förderung sozialer Intervention und Veränderung verfolge und weniger die Förderung von Kunst im Sinn habe.83 Kritik an gesellschaftspolitisch engagierter Kunst Auf Lipman sei hier stellvertretend für eine elitäre und kulturkonservative Haltung verwiesen, die in den culture wars zunächst vielleicht weniger schrill zur Geltung kommt, aber dennoch eine wichtige Rolle spielt. Vertreter der kulturkonservativen Position halten dem Modell einer kritischen Kunst, die zu aktuellen politischen und sozialen Fragen Stellung bezieht, die Vorstellung einer autonomen, allein dem Prinzip der Schönheit verpflichteten Kunst entgegen, die losgelöst von Alltäglichkeiten und fernab von konkreten persönlichen oder sozialpolitischen Anliegen stattfindet. Aus kulturkonservativer Sicht sind viele der in den 1990er Jahren, insbesondere im Bereich der Performancekunst, entstehende Arbeiten, die autobiografische Themen, AIDS, Gewalterfahrungen oder sexuelle Identität verhandeln, schlichtweg nicht als ›Kunst‹ rezipierbar. So weigert sich
82 Buchanan, Patrick: Pursued by Baying Yahoos. In: Washington Times vom 02.08. 1989. In: Richard Bolton (Hg.), Culture Wars. Documents from the Recent Controversies in the Arts. New York: New Press, S. 86-88, hier S. 87-88. 83 Siehe Bolton 1992, S. 13.
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die Tanzkritikerin Arlene Croce in einem am 26. Dezember 1994 im New Yorker erscheinenden Artikel »Discussing the Undiscussable« beispielsweise, die Performance Still/Here des afroamerikanischen, an AIDS erkrankten Tänzers Bill T. Jones zu rezensieren.84 Jones’ Performance bringt Menschen auf die Bühne, die unheilbar erkrankt sind und setzt sich mit existenziellen Fragen nach Tod, Leben und Heilung auseinander. Ohne eine Aufführung gesehen zu haben, lehnt Croce eine kritische Beschäftigung mit Still/Here mit dem Argument ab, dass es nicht möglich sei, die Inszenierung nach den im Genre der Tanzkritik gültigen ästhetischen Kriterien zu beurteilen. Indem Jones die Zuschauenden mit persönlichen Leidensgeschichten konfrontiere, nehme er, so Croce, das Publikum quasi in emotionale Haft, so dass es nicht aus einer Haltung der Distanz, sondern nur unmittelbar mit Mitleid und Betroffenheit reagieren könne. Croce lehnt Jones’ Performance als ein Beispiel von »victim art«85 ab, die in den 1990er Jahren die Kunstszene zu beherrschen scheine und die sich aufgrund ihrer autobiografischen und sozialpolitischen Dimension dem Urteil der Kunstkritik und damit gewissermaßen der Kategorie ›Kunst‹ insgesamt entziehe. Die Verschiebung hin zu einer zunehmend auf soziale Nützlichkeit ausgerichteten Kunst bedeutet für Croce vor allem, dass Kunst ihre Kraft zu Transzendenz, Bestärkung des Geistes und der individuellen Handlungsmacht verliere.86 Während sich eine formalistische und an vorwiegend ästhetischen Kriterien orientierte Kunstkritik mit einer Aufführung wie Still/Here schwertut, sind die von Croce als victim art abgelehnten sozial- und identitätskritischen Inszenierungen der hauptsächliche Gegenstand des sich in den 1990er Jahren unter Eindruck feministischer und poststrukturalistischer Theorien formierenden Performancediskurses. Dabei ist entscheidend, dass künstlerische Arbeiten gerade nicht mit der Erwartung diskutiert werden, dass sie in Distanz zu lebensweltlichen Fragen bleiben. Stattdessen setzt sich eher die Vorstellung durch, dass Kunst als diskursive Praxis an aktuellen Debatten partizipiert und einen Beitrag zum besseren Verständnis sozialer und identitätskritischer Fragen leistet. In besonderem Maß fokussiert der Performancediskurs dabei die Solo-Performances und Performances im öffentlichen Raum, die in den USA in den 1990er Jahren zum hauptsächlichen Format sozialpolitisch engagierter und iden-
84 Siehe Croce, Arlene, 1994: Discussing the Undiscussable. In: The New Yorker vom 26.12.1994, S. 54-60. 85 Croce 1994, S. 55. 86 Siehe ebd., S. 59.
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titätskritischer Inszenierungsarbeit werden.87 Vor allem in den alternativen Spielstätten im New Yorker East Village, z.B. The Kitchen, WOW Café, Franklin Furnace, P.S. 122, sind in den späten 1980er und 1990er Jahren zahlreiche Solo-Performances zu sehen.88 Häufig sind diese autobiografisch inspiriert und als Monolog verfasst. Vor allem Künstlerinnen und Künstler, die Minderheiten angehören, nutzen die Solo-Performance, um persönliche Erfahrungen und gesellschaftspolitische Fragen zu thematisieren. Dabei zeichnet sich sowohl die Inszenierungsweise des Körpers als auch die Gestaltung der Rede in vielen SoloPerformances der 1980er und 1990er durch besondere Direktheit aus, die sich nicht zuletzt darin spiegelt, dass die Performances in ihrer Rezeption oft mit Bezeichnungen wie ›explizit‹, ›provokativ‹, ›extrem‹ oder ›aggressiv‹ sortiert werden.89 Dies trifft besonders auf die Solo-Performances von Annie Sprinkle, Karen Finley, Holly Hughes und Tim Miller zu, die in Folge der NEA-Kontroverse verstärkt in den Fokus nicht nur konservativer Attacken, sondern auch poststrukturalistisch-feministischer Performanceanalysen rücken. Während die Thematisierung von Fragen geschlechtlicher und sexueller Identität und die Inszenierung insbesondere des nackten weiblichen Körpers auf konservativer Seite Ablehnung hervorruft, werden die identitätskritischen Solo-Performances der 1990er Jahre in ihrer poststrukturalistisch-feministischen Rezeption oft als wichtige und intelligente Analyse und Dekonstruktion stereotyper Vorstellungen von Weiblichkeit und Männlichkeit verstanden.90
87 Solo-Performances, ebenso wie performative Interventionen im öffentlichen Raum, spielten z.B. in der feministischen Performancekunst der 1960er und 1970er Jahre bereits eine wichtige Rolle (Siehe Roth 1982). 88 Für einen Überblick zu Akteuren, Spielstätten und Aufführungsberichten aus der Performanceszene im New York der 1980er und 1990er Jahre siehe: Banes, Sally, 1998: Subversive Expectations. Performance Art and Paratheater in New York, 1976-85. Ann Arbor: The University of Michigan Press; Carr, Cynthia, 1993a: On Edge. Performance at the End of the Twentieth Century. Hanover: Wesleyan University Press; Carr, Cynthia, 2005: The Fiery Furnace. Performance in the ’80s, War in the ’90s. In: The Drama Review 49, 1, S. 19-28; Kirby, Michael (Hg.), 1985: East Village Performance. TDR Special Issue 29, 1. 89 Vgl. exemplarisch Bonney, Jo (Hg.), 2000: Extreme Exposure. An Anthology of Solo Performance Texts from the Twentieth Century. New York: Theatre Communications Group. 90 Zu den Künstlerinnen und Künstlern aus poststrukturalistisch-feministischer Perspektive siehe: Carr, Cynthia, 1993b: Unspeakable Practices, Unnatural Acts. The Taboo Art of Karen Finley. In: Lynda Hart/Peggy Phelan (Hg.), Acting Out. Feminist Per-
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Es ist insbesondere der im vorigen Abschnitt vorgestellte Performancebegriff Judith Butlers, der sich als produktiv für eine Beschäftigung mit identitätskritischen Inszenierungen erweist. Dies erklärt sich nicht allein daraus, dass bei Butler ›Performance‹ spezifisch als Gender Performance entworfen wird, sondern auch dadurch, dass der Butler’sche Performancebegriff sowohl zu erklären vermag, wie die ›Performance‹ des einzelnen in übergeordnete Macht- und Diskurszusammenhänge eingebunden ist, als auch, wie sich Strategien der Subversion und des Widerstandes denken lassen. Die Solo-Performancekünstlerin und der Solo-Performancekünstler, die auf der Bühne die Auseinandersetzung mit konventionellen Wahrnehmungsmustern suchen und identitätspolitische Anliegen durch offensive Inszenierungsstrategien unmittelbar am eigenen Körper verhandeln, werden im Performancediskurs der 1990er Jahre dabei vor allem auch lesbar als scharfsinnige Analytiker hegemonialer Machtdynamiken.
4.3 POLITISIERUNGEN DES PERFORMANCEBEGRIFFS Wie sich in den vorigen Abschnitten gezeigt hat, erweist sich die Politisierung des Performancebegriffs als wichtigste Tendenz der amerikanischen Performancetheorie der 1990er Jahre. Während die Annahme, dass ›Performance‹ das Potenzial besitzt, eine besondere affektive und soziale Wirksamkeit zu entfalten, bereits fester Bestandteil der frühen ritualtheoretisch inspirierten Performancetheorie ist, wird die Vorstellung von ›Performance‹ als politischem Akt erst im Performancediskurs der 1990er Jahre theoretisch präzise entwickelt. Es
formances. Ann Arbor: The University of Michigan Press, S. 141-151; Davy, Kate, 1993: From Lady Dick to Ladylike. The Work of Holly Hughes. In: Lynda Hart/Peggy Phelan (Hg.), Acting Out. Feminist Performances. Ann Arbor: The University of Michigan Press, S. 55-84; Fuchs, Elinor, 1989: Staging the Obscene Body. In: The Drama Review 33, 1, S. 33-58; Hart, Lynda, 1992: Motherhood According to Finley. The Theory of Total Blame. In: The Drama Review 36, 1, S. 124-134; Kistenberg, Cindy J., 1995: AIDS, Social Change, and Theater. Performance as Protest. New York/London: Garland Publishing Inc.; Patraka, Vivian M., 1992: Binary Terror and Feminist Performance. Reading Both Ways. In: Discourse 14, 2, S. 163-185; Schneider, Rebecca, 1997: The Explicit Body in Performance. London/New York: Routledge; Tamblyn, Christine, 1991: No More Nice Girls. Recent Transgressive Feminist Art. In: Art Journal 50, 2, S. 53-57; Williams, Linda, 1993: A Provoking Agent. The Pornography and Performance Art of Annie Sprinkle. In: Social Text 37, S. 117-133.
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sind dabei drei Kernaspekte, die hierfür und auch für die Sortierung des Verhältnisses von Theater- und Performancebegriff entscheidend sind: 1. Mit den in den USA seit den 1980er Jahren verstärkt rezipierten poststrukturalistischen Philosophien findet eine Vorstellung von Macht in den Performancediskurs Eingang, die Macht nicht ordnungspolitisch als an Institutionen, Ämter oder Personen gebunden denkt, sondern Macht als Moment der Hierarchisierung und Tabuisierung von Diskursen, Darstellungen und Praktiken versteht. 2. Eng mit dieser Verschiebung des Machtbegriffs verbunden ist, dass die Frage nach Repräsentation an Brisanz gewinnt. Repräsentation wird dabei als umkämpftes Feld verstanden, in dem entschieden wird, welche Identitätsangebote, welche Narrative und Wahrheiten in einer Gesellschaft Bestand haben. 3. Für den Performancediskurs spezifisch ist dabei, dass sich die Überlegungen zu Macht und Repräsentation in der Frage konzentrieren, wie der Körper in diese Machtdynamiken eingebunden und im Kontext eines spezifischen Repräsentationsregimes geformt wird; sich diesem aber auch widersetzen kann. Dieser dreifache Fragehorizont findet sich in fast schon programmatisch kondensierter Form im Klappentext der bei der Indiana University Press seit 1995 erscheinenden, von Sue-Ellen Case, Philip Brett und Susan Leigh Foster herausgegebenen Buchreihe Unnatural Acts: Theorizing the Performative. Es lohnt sich daher den Text in Gänze wiederzugeben: »The partitioning of performance into obligatory appearances and strict disallowances is a complex social code assumed to be ›natural‹ until recent notions of performativity unmasked its operations. Performance partitions, strictly enforced within traditional concepts of the arts, foreground the gestures of the dancer, but ignore those of the orchestra player, assign significance to the elocution of the actor, but not to the utterances of the audience. The critical notion of performativity both reveals these partitions as unnatural and opens the way for the consideration of all cultural intercourse as performance. It also exposes the compulsory nature of some orders of performance. The oppressive requirements of systems that organize gender and sexual practices mark who may wear the dress and who may perform the kiss. Further, the fashion of the dress and the colorizing of the skin that dons it are disciplined by systems of class and ›race.‹ These cultural performances are critical sites for study. The series ›Unnatural Acts‹ encourages further interrogations of all varieties of performance both in the traditional sense of the term and from the broader perspective provided by performativity.«91
91 Nachzulesen z.B. in Román, David, 1998: Acts of Intervention. Performance, Gay Culture, and AIDS. Bloomington/Indianapolis: Indiana University Press.
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Die zentrale Beobachtung ist hier, dass in ›Performances‹ immer bestimmte Hierarchien wirksam sind, die die Wahrnehmung lenken und regulieren, welche Handlungen zulässig sind. Performativität wird dabei als Begriff zur Beschreibung der Operationsweise von ›Performance‹ genutzt. Die Überlegungen betreffen sowohl künstlerische Aufführungen in Tanz, Musik und Theater als auch die alltäglichen Inszenierungen von Geschlecht, Klassenzugehörigkeit oder ›Rasse‹. Im Folgenden möchte ich an einem Schlüsseltext der amerikanischen Performancetheorie, der die Verschränkungen von ›Performance‹ und Identität in ihrer komplexen Mehrdimensionalität diskutiert, aufzeigen, wie und in welcher Weise der Performancebegriff unter Eindruck der in den 1980er und 1990er Jahren aufkommenden Performativitätstheorie als politisch aufgeladener Begriff gebraucht wird. Ich habe José Esteban Muñoz’ Disidentifications: Queers of Color and the Performance of Politics (1999) gewählt, da der Text zum Ende der hier betrachteten Phase der Performancetheorie entsteht und viele theoretische Anliegen bündelt.92 Die Frage nach dem Verhältnis von ›Performance‹ und ›Theater‹ wird in der folgenden Lektüre ebenfalls aufgegriffen. Es wird sich dabei zeigen, dass – anders als in der um das Einziehen möglichst scharfer Grenzen zwischen ›Performance/Theater‹ bemühten theoretischen Aufarbeitungen der Performancekunst in den 1970er und 1980er Jahren – der Theaterbegriff und ›Theatralität‹ wieder mit größerer Selbstverständlichkeit verwendet werden. In Muñoz’ Disidentifications setzt sich dabei ein Theatralitätsbegriff durch, der vor allem auf die Dimension der Öffentlichkeit eines Ereignisses abhebt. Diese Lesart des Theatralen schließt an Butlers Konzeption von ›Performance‹ an und verbindet sich leicht mit Fragen von Macht, Repräsentation und Körper, die in der hier betrachteten Phase der Performancetheorie im Zentrum stehen. 4.3.1 Macht José Esteban Muñoz beginnt seine Ausführungen in Disidentifications, indem er die Szene einer queeren Solo-Performance aufruft. Der zunächst nicht näher spezifizierte Auftritt markiert im Text gleich den hauptsächlichen Analysegegenstand, auf den sich die Aufmerksamkeit richtet. Disidentifications beschäftigt sich mit Performances von queers of color. Gegenstand sind Aufführungen und Darstellungspraktiken von afro-amerikanischen, Latino/a und asiatisch-amerikanischen Künstlerinnen und Künstlern, deren sexuelle und Gender-Identifika-
92 Siehe Muñoz, José Esteban, 1999: Disidentifications. Queers of Color and the Performance of Politics. Minneapolis: University of Minnesota Press.
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tionen nicht den heteronormativen Mustern der ›Mehrheitsgesellschaft‹93 entsprechen. Genauer gesagt steht die Frage im Zentrum, in welcher Weise diese ›Performances‹ einen Raum zur Entfaltung von alternativen Formen von Subjektivität eröffnen. Es wird gleich zu Beginn darauf hingewiesen, dass sich die in Disidentifications betrachteten Performances in den USA der 1990er Jahre in einem besonders feindseligen Klima vollziehen. Sie finden in einer Zeit statt, die durch AIDS-Krise und den rechtskonservativen backlash gegen Homosexuelle, Frauen, Immigranten und sozial Schwache geprägt ist. Genau aus diesem Grund besitze die queere Solo-Performance besondere Attraktion und Bedeutung: »There is a certain lure to the spectacle of one queer standing onstage alone, with or without props, bent on the project of opening up a world of queer language, lyricism, perceptions, dreams, visions, aesthetics, and politics. Solo performance speaks to the reality of being queer at this particular moment. More than two decades into a devastating pandemic, with hate crimes and legislation aimed at queers and people of color institutionalized as state protocols, the act of performing and theatricalizing queerness in public takes on ever multiplying significance.«94
Die Szene lässt sich auch als Echo der Szene des Auftritts des Transvestiten im Theater verstehen, die sich in dem zu Beginn dieses Kapitels diskutierten Aufsatz Judith Butlers findet. Dies erscheint umso überzeugender, wenn bedacht wird, dass Butler in Disidentifications der wichtigste theoretische Bezugspunkt ist. Muñoz setzt viele Grundüberzeugungen Butlers – insbesondere die Vorstellung von den Zusammenhängen von Macht und Subjektivität – fort. Gleichzeitig entwickelt Muñoz einen Performancebegriff, mit dem sich das politischemanzipatorische Potenzial von ›Performances‹ in den Künsten beschreiben lässt. Diese wurden in Butlers Aufsatz »Performative Acts and Gender Constitution« von 1988 ja noch als Sonderfall aus den theoretischen Überlegungen ausgeklammert. Hierfür ist entscheidend, wie in Disidentifications der Zusammenhang zwischen dem ästhetischen Bereich der Künste und dem Alltagsbereich beschrieben wird. Das verbindende Moment, das beide Bereiche zusammenbringt, ist die Frage nach der Konstitution von Identität. Wichtigster Impuls für die Beschäftigung mit Solo-Performances von queeren nicht weißen Künstlerinnen und Künstlern ist zunächst die überhaupt nicht auf den Bereich der Künste bezogene Frage, wie
93 Muñoz verwendet die Adjektive majoritarian und minoritarian um die Differenz von dominanter Mehrheitsgesellschaft und marginalisierten Gruppen zu markieren. 94 Muñoz 1999, S. 1 [Herv. i.O.].
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Individuen in einer Gesellschaft überleben können, die ihnen feindlich gesinnt ist und die ihnen ständig die Unmöglichkeit ihrer Existenz signalisiert. Im Fall der queers of color wirken Ausschlussmechanismen dabei nicht nur innerhalb der weißen, heteronormativen ›Mehrheitsgesellschaft‹, sondern auch innerhalb der verschiedenen Minderheitsgruppierungen. Diese sind aufgrund einer heteronormativen Orientierung oder aufgrund eines impliziten Selbstverständnisses als ›weiß‹ häufig ebenfalls nicht in der Lage, queers of color vollständig anzuerkennen. Während zum Beispiel große Teile der Diskurse, die sich kritisch mit der Benachteiligung von Afroamerikanern und Latinos auseinandersetzen, von einem männlichen und heterosexuellen Subjekt ausgehen, bleibe die Queer Theory, wie Muñoz anmerkt, weitgehend blind für die Bedeutung von race und denke das queere Subjekt in der Regel als ›weiß‹. Dass es queers of color gelingt, ein positives Identitätsverständnis aufzubauen, erscheint unter diesen Umständen als besonders bemerkenswert. Hauptsächliches Interesse von Disidentifications ist dementsprechend, Aufschluss über die Mechanismen und Strategien zu gewinnen, die es queers of color ermöglichen, mit den negativen Diskursen und Bildwelten umzugehen, die sie umgeben. Für José Esteban Muñoz ist diese Frage zugleich ein persönliches Anliegen, insofern sich der Autor im Text als selbst der Gruppe der queers of color zugehörig zu erkennen gibt. Grundlegend wird in Disidentifications davon ausgegangen, dass sich Identität immer in Auseinandersetzung mit dem dominanten Machtapparat und den in ihm zirkulierenden normativen Identitätsentwürfen herstellt. Macht wird dabei vor allem als Kraft verstanden, Hierarchisierungen und Tabuisierungen von Diskursen, Darstellungen und Praktiken zu bewirken. Das einzelne Subjekt steht diesen Operationen der Macht nicht etwa gegenüber oder wird als von diesen getrennt vorgestellt. Muñoz schließt sich hier Judith Butlers Annahme an, dass Subjektivität sich immer erst durch die autoritären Anrufungen des Machtapparats und deren Anerkennung herstellt. Unter Rückgriff auf Butlers Lektüre der Szene der Anrufung wird in Disidentifications die Frage nach den identitätsbezogenen Überlebensstrategien von queers of color als Frage nach den Möglichkeiten formuliert, sich zu den negativen Anrufungen des Machtapparats zu verhalten. Dabei wird das titelgebende Moment des sich Anders-Identifizierens (disidentification) als Strategie beschrieben, sich in die Identitätsangebote der dominanten ›Mehrheitsgesellschaft‹ ebenso wie in die Identitätsangebote von Minderheitsgruppierungen weder vollständig einzupassen noch diese gänzlich abzulehnen.95 Muñoz beschreibt disidentification als komplexe Taktik, bei der in ei-
95 Siehe Muñoz 1999, S. 11 u. 97.
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nem negativen Bild, in einer Geste der Unterdrückung oder in einem schädigenden Stereotyp, entgegen seiner eigentlichen Anlage, Anlass zu erotischem Genuss und positiver Selbststärkung gefunden werden. Disidentification kann dabei sowohl Rezeptionsstrategie als auch Darstellungsprinzip sein.96 Es handelt sich nicht um eine Strategie der Absolution, die negative Bilder oder Stereotype in positive umdeutet oder ihnen ihr destruktives Potenzial austreibt. Vielmehr geht es darum, die Ambivalenz aufrecht, aber die Negativität auf Distanz zu halten. Wichtig ist weiterhin, dass disidentification eine Strategie ist, die die Gleichzeitigkeit und Gleichwertigkeit der verschiedenen identitätsbestimmenden Vektoren wie race, sexuality, gender und class anerkennt. Muñoz stellt disidentification daher auch als »intersektionale Strategie«97 vor. Es geht immer darum, die Vielschichtigkeit der Subjektivität von queers of color nicht zugunsten eines vermeintlich wichtigsten Identitätsmarkers zu reduzieren. 4.3.2 Repräsentation Die Strategie der disidentification zielt in zwei Richtungen. Als Rezeptionstaktik ist disidentification vor allem ein psychischer Mechanismus, der es dem Subjekt ermöglicht, in einer Welt zu überleben, in deren durch verschiedene Formen der Repräsentation vermittelten Identitätsangeboten es sich nicht nur kaum wiederfinden kann, sondern die es in seiner Existenz negieren. Als Darstellungsstrategie ist disidentification vor allem politische Taktik. »Disidentificatory performances«98 wie die queeren Solo-Performances von Vaginal Creme Davis oder Carmelita Tropicana, die Muñoz diskutiert, sind immer auch selbst Akte der Repräsentation und erzeugen alternative Öffentlichkeiten, in denen eine Welt vorstellbar wird, in der komplexe hybride Identitäten möglich sind. Die politische Dimension von ›Performance‹ besteht also einerseits in ihrer analytischen Kraft, das heißt in ihrer Fähigkeit, bestehende Repräsentationsmuster zu zerlegen, ihre Mechanismen offenzulegen und, sozusagen in Reibung mit diesen, Raum für die Darstellung hybrider Subjektivitäten zu schaffen. Andererseits ist es ihr Status als öffentliche Aufführung vor Zuschauenden, die der ›Performance‹ politische Relevanz verleiht: »[…P]erformance permits the spectator, often a queer who has been locked out of the halls of representation or rendered a static caricature there, to imagine a world where
96 Siehe Muñoz 1999, S. 72. 97 Siehe ebd., S. 99. 98 Ebd., S. 25.
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queer lives, politics, and possibilities are representable in their complexity. The importance of such public and semipublic enactments of the hybrid self cannot be undervalued in relation to the formation of counterpublics that contest the hegemonic supremacy of the majoritarian public sphere.«99
Muñoz nutzt den Begriff ›Öffentlichkeit‹ als Bezeichnung des sozialen Raumes, in dem sich Subjekte bewegen und Identitäten formieren. Öffentlichkeit wird dabei sowohl durch Diskurse und Repräsentationen geprägt, meint aber auch die ganz konkreten materiellen Bedingungen und Möglichkeiten des Zusammenlebens.100 Wichtigster Ansatzpunkt für die disidentificatory performance ist – wie aus dem obigen Zitat ersichtlich wird – die Dimension der Repräsentation. ›Performance‹ kann in die hegemonialen Repräsentationslogiken eingreifen, diese bis zu einem gewissen Grad nutzen, um in ihrem Inneren alternative Darstellungen zu platzieren. Dies geschieht z.B. wenn der kubanisch-amerikanische, schwule AIDS-Aktivist Pedro Zamora, der selbst HIV positiv war, in der MTV-Serie The Real World auftritt. In der Sendung zieht eine eigens für die Sendung zusammengestellte Gruppe junger Menschen gemeinsam in ein Haus ein und wird beim Zusammenleben vor Kameras vom Fernsehpublikum beobachtet.101 Muñoz charakterisiert Pedro Zamoras Auftritt in The Real World als disidentificatory performance. Als Produkt des kommerziellen Musiksenders MTV ist die Sendung nämlich sicherlich der öffentlichen Sphäre der ›Mehrheitsgesellschaft‹ (majoritarian public sphere) zuzurechnen und bedient dementsprechend die dort geltenden heteronormativen und ›weißen‹ Repräsentationsnormen. Bis zu einem gewissen Grad musste sich Zamora den Repräsentationslogiken fügen, die ja auch weitgehend außerhalb seiner Kontrolle lagen. Dennoch gelingt es Zamora, so argumentiert Muñoz, entgegen den Repräsentationszwängen der Sendung ein sympathisches Selbstportrait zu zeigen, das ihn, jenseits stereotyper Darstellungen, als vielschichtigen, liebenden und liebenswerten Menschen wahrnehmbar macht. Dabei steht Zamoras Selbstinszenierung nicht allein für ihn selbst ein, sondern erfolgt gewissermaßen auch für die Gruppe der queers of color insgesamt. Für sie ist Zamoras Auftritt potenzieller Bezugspunkt und Anlass zur Bildung von »Gegenöffentlichkeiten« (counterpublics).102
99
Muñoz 1999, S. 1.
100 Siehe ebd., S. 148-149. 101 Muñoz diskutiert Pedro Zamoras Auftritt in The Real World in einem eigenen Kapitel (Siehe Muñoz 1999, S. 143-160). 102 Siehe Muñoz 1999, S. 145-147.
200 | Die Theatralität der Performance
Mit der Konzeption von ›Performance‹ als die Sphären von Repräsentation und Öffentlichkeit berührendem Akt hält auch der Theaterbegriff in José Esteban Muñoz’ Performancetheorie Einzug. So wird eine Kernszene, die im Zuge der Sendung The Real World ausgestrahlt wird und für die Fernsehdarstellung von Pedro Zamora entscheidend ist, als »counterpublic theater«103 beschrieben. Gemeint ist die in The Real World gezeigte Zeremonie, bei der Pedro Zamora und sein Freund Sean zum Zeichen ihrer Liebe Ringe tauschen, sich gegenseitig ihrer Verbundenheit versichern und sich vor laufender Kamera – im Ausstrahlungsjahr 1994 ein außergewöhnliches Ereignis – küssen. Muñoz schreibt: »Despite […] efforts by the show’s producers to diminish the importance of Pedro and Sean’s relationship, the ceremony itself stands as an amazingly powerful example of publicly performing an ethics of the self while simultaneously theatricalizing a queer counterpublic sphere.«104 Für die hier verfolgte Leitfrage nach den Bedeutungen und Veränderungen der Bezugnahmen auf ›Theater‹ in amerikanischen Performancetheorien ist festzuhalten, dass Performance- und Theaterbegriff in Muñoz’ Disidentifications unproblematisch nebeneinander bestehen und gleichermaßen genutzt werden, um zu beschreiben, wie die Inszenierungen, Auftritte, Darstellungen und Aufführungen von queers of color dazu beitragen, Existenzräume jenseits dominanter Identitätsmuster zu öffnen. ›Performance‹ wird dabei als sowohl ›performativ‹ als auch ›theatral‹ gekennzeichnet. ›Theatral‹ ist die ›Performance‹ von Pedro Zamora in The Real World, insofern sie als öffentlicher Akt stattfindet, aber auch weil in ihr etwas ganz Spezifisches – nämlich die Möglichkeit einer anderen Welt – gezeigt wird. Die performative Dimension von ›Performance‹ besteht wiederum in ihrer analytisch-zerlegenden, zugleich auch schöpferischen Kraft. Der Performativitätsbegriff schließt bei Muñoz also an Judith Butlers Konzeption des Performativen als Moment der Hervorbringung von Wirklichkeit an. Dass in Muñoz’ Text die Begrifflichkeiten des Theatralen und Performativen nicht konkurrierend verwendet werden, liegt vor allem daran, dass es nicht um die Bestimmung der quasi ontologischen Eigenschaften von ›Performance‹ geht, sondern um die Frage, wie ›Performance‹ in einem politisch-emanzipatorischen Sinn funktionieren und wirken kann. Anders formuliert ist das zentrale Interesse in Muñoz’ Disidentifications eben die titelgebende »performance of politics«
103 Muñoz 1999, S. 157. 104 Ebd., S. 158.
Theater, Performance und Performativität | 201
und nicht die »politics of performance«.105 Dies bedeutet auch, dass für José Esteban Muñoz ›Performance‹ per se keinen automatischen politischen Wert, aber immer das Potenzial, politisch wirksam zu werden, besitzt. Anders als Peggy Phelan, deren einflussreiches Buch Unmarked: The Politics of Performance (1993) wenige Jahre zuvor erscheint, schreibt Muñoz ›Performance‹ keinen inhärenten politischen Wert zu. Im Gegenteil weist er dezidiert darauf hin, dass bestimmte Arten von ›Performance‹ gerade mit Blick auf das marginalisierte Subjekt hochgradig problematisch seien. 4.3.3 Körper Im letzten Kapitel von Disidentifications wird im Abschnitt »›The Burden of Liveness‹: Toward a Minoritarian Performance Theory« die in Peggy Phelans Unmarked (1993) vorgeschlagene und als eine prominente Linie in der Performancetheorie fortgesetzte Assoziation von ›Performance‹ mit Flüchtigkeit (liveness) kritisch diskutiert.106 Damit ist zugleich die Frage nach der Rolle des Körpers in der ›Performance‹ aufgeworfen. Prinzipiell – und in Anschluss an Judith Butler – wird in Disidentifications davon ausgegangen, dass der Körper performativ hervorgebracht wird und damit Produkt von machtbestimmten Diskursen ist. Als performatives Konstrukt ist ein Körper immer in ihm vorgängige Diskurse und Repräsentationen eingebunden und konstituiert sich unweigerlich in Verhältnis zu diesen. Zugleich bedeutet die performative Konstitution des Körpers, dass er sich in ständiger Wiederholung spezifischer Akte konstituiert und daher Möglichkeiten zum Bruch mit normativen Mustern durch abweichende oder fehlerhafte Wiederholungen entstehen. Unter dieser Annahme kann der Körper auch zum Schauplatz der kritischen Auseinandersetzung mit den ihn bestimmenden normativen Mustern werden. Wie gleich an einem Beispiel zu zeigen sein wird, ist dies die Perspektive, die Disidentifications in Bezug auf den Körper einnimmt. Der Körper gerät nicht als materielle oder energetische Präsenz in den Blick, sondern als Vorgang der Verkörperung, wobei insbesondere eine Art kritisch-reflektierte Verkörperung gemeint ist, die es ermöglicht, stereotype Muster der Verkörperung aufzurufen, aber zu ihnen gleichzeitig auf Distanz zu bleiben und sie so durchschaubar und einer kritischen Revision zugänglich zu machen.
105 Man vergleiche die spiegelbildlichen Titel von Peggy Phelans Unmarked: The Politics of Performance (1993) und Muñoz’ Disidentifications: Queers of Color and the Performance of Politics (1999). 106 Siehe zum Topos der ›Flüchtigkeit‹ der ›Performance‹ Kapitel 6.
202 | Die Theatralität der Performance
José Esteban Muñoz macht dies am Beispiel eines Auftritts des queeren afroamerikanischen Künstlers Vaginal Creme Davis deutlich.107 Davis tritt in den beiden besprochenen Szenen in der Rolle des Clarence auf. Clarence – wie Muñoz anmerkt ist ›Clarence‹ der Geburtsname von Vaginal Davis – ist eine der zahlreichen Figuren, die Davis in ihren Inszenierungen verkörpert. Clarence ist ein homophober, weißer, rassistischer Mann, der Militärkleidung und einen dichten grauen Bart trägt. In seinen wütenden, rassistischen und homophoben Songs brüstet sich Clarence unter anderem mit dem Besitz schwerer Waffen, die ihm im zunehmend von ›Nicht-Weißen‹ bewohnten Los Angeles ein Gefühl von Sicherheit geben würden. Muñoz hebt dabei hervor, dass Davis ihre Verwandlung in die Figur des Clarence auf der Bühne mit dem Geständnis ankündigt, dass sie weiße Rassisten unwiderstehlich anziehend finde und sich daher einer entsprechenden Geschlechts- und Hautumwandlung unterzogen habe, um sich in Clarence zu verwandeln. Clarence werde also von Anfang an als libidinöses Objekt der schwarzen, queeren Vaginal Davis eingeführt.108 Muñoz analysiert Davis’ Darstellung von Clarence insgesamt als »terrorist drag«109. Insofern der Auftritt in keinster Weise auf Authentizität ausgelegt sei und unter der grob aufgetragenen, weißen Gesichtsschminke und hinter dem verrutschenden Plastikbart stets Davis’ queerer schwarzer Körper sicht- und wahrnehmbar bleibe, ließe der Auftritt völlig unvereinbare Bilder miteinander kollidieren. Die Strategie verspreche dabei, destruktive Repräsentationen ihrer Kraft zu berauben: »The white supremacist is forced to cohabit in one body with a black queen in such a way that the image loses its symbolic force. A figure that is potentially threatening to people of color is revealed as a joke.«110 Es ist hier noch anzufügen, dass die von José Esteban Muñoz in den Performances von Vaginal Davis erkannte Inszenierungsstrategie nicht nur darauf beruht, unvereinbare Körperbilder miteinander zu kollidieren. Entscheidend sind für Muñoz vor allem auch die dabei mobilisierten Dynamiken von Identifikation und Begehren, die in ihrer ambivalenten und komplizierten Verstrickung nicht in das psychoanalytische binäre Schema von, jemanden begehren und haben wollen, oder, sich mit jemandem identifizieren und derjenige sein wollen, passen. Indem Vaginal Davis die Figur des Clarence sowohl als Objekt der eigenen Begierde inszeniere und gleichzeitig selbst als Clarence auftrete, bringe die Performance die binäre
107 Siehe Muñoz 1999, S. 103-111. 108 Siehe ebd., S. 103. 109 Ebd., S. 108 [Herv. i.O.]. 110 Ebd., S. 109.
Theater, Performance und Performativität | 203
Opposition zwischen Haben/Sein zum Einsturz.111 Die politische Wirksamkeit von ›Performance‹ wird in diesem Moment also in ihrem Potenzial lokalisiert, binär organisierte Ordnungsmuster zu stören. Insofern die Körperarbeit in den von Muñoz analysierten Performances vor allem als kritische Auseinandersetzung mit bestehenden Repräsentationen und dem mit diesen verbundenen Machtapparat in den Blick genommen wird, wird der Körper immer auch in seiner Historizität reflektiert. Dieses Bewusstsein für Zeitlichkeit, das die von Muñoz diskutierten Performances demonstrieren, bringt sie in Spannung zu einer Vorstellung von ›Performance‹ als emergentem Ereignis, das sich gänzlich in seinem Hier und Jetzt erschöpft. Die in der amerikanischen Performancetheorie vor allem seit Peggy Phelans Unmarked (1993) verbreitete Gleichsetzung von ›Performance‹ und Flüchtigkeit kritisiert Muñoz aus der Perspektive des einer Minderheit angehörenden Subjekts. Dessen Marginalisierung bestehe nämlich gerade dadurch, dass es keinen Zugang zu selbstbestimmter Repräsentation erhalte und Sichtbarkeit vor allem in Form von LiveAuftritten erlange, die stets unter den Vorgaben und zum Amüsement der Herrschenden erfolgten: »Some performances are structured through historically embedded cultural mandates that the body of color, the queer body, the poor body, the woman’s body perform his or her existence for elite eyes. This performance is positioned within the dominant culture as a substitute for historical and political representation. Thus, performing beyond the channels of liveness and entering larger historical narratives seems especially important.«112
Ein Performancebegriff, der einseitig auf den Eigenwert von Flüchtigkeit bzw. Liveness vertraut, erscheint für das Projekt einer identitätskritischen Performancetheorie problematisch. Aufgrund der an das marginalisierte Subjekt immer wieder herangetragenen Forderung, sich den stereotypen Vorstellungen der Mächtigen entsprechend vor ihren Augen aufzuführen, erweist sich ›Performance‹ für das marginalisierte Subjekt oft eher als Ort der Begrenzung denn als Möglichkeit, repressiven Strukturen zu entkommen. José Esteban Muñoz regt daher dazu an, von einem in naiver Weise positiv besetzten Performancebegriff ebenso Abstand zu nehmen wie von der Einschränkung von ›Performance‹ auf das Live-Ereignis. Dieser Konzeption von ›Performance‹ entsprechend werden in Disidentifications sowohl Performances auf der Bühne als auch in Fernsehen, Film und Malerei diskutiert. Für Muñoz besteht das politische Potenzial von
111 Siehe Muñoz 1999, S. 105. 112 Ebd., S. 188.
204 | Die Theatralität der Performance
›Performance‹ nicht in ihrem Status als Aufführung und in ihrer Flüchtigkeit, sondern in ihrem Potenzial, durch die Strategie des Anders-Identifizierens (disidentification) Kritik zu üben und andere Welten vorstellbar zu machen: »It is important to keep in mind that not all performances are liberatory or transformative. Performance, from the positionality of the minoritarian subject, is sometimes nothing short of forced labor. […] It is equally important to understand the ways in which the ›burden of liveness‹ structures temporality. The ›burden of liveness‹ affords the minoritarian subject an extremely circumscribed temporality. To be only in ›the live‹ means that one is denied history and futurity. […] It is important to offset the ›burden of liveness‹ by employing a performance theory that disentangles a reified linkage between performance and liveness. […] I have chosen to interrogate disidentification’s always already performative properties in both live and mediated manifestations because it is not the liveness of disidentificatory performance in and of itself that bestows it with its worldmaking properties. I am interested in disidentificatory performance’s power of critique and its vision of transformative politics. This is what constitutes the power and relevance of disidentification.«113
Zusammenfassend lässt sich festhalten, dass José Esteban Muñoz in Disidentifications einen Performancebegriff entwickelt, der vor allem darauf angelegt ist, das politische Potenzial von ›Performance‹ zu beschreiben. Dabei sind mit dem Politischen weniger das Agieren staatlicher Institutionen oder das Verhandeln von gesellschaftspolitischen Themen in den Künsten gemeint. ›Politik‹ meint hier Identitätspolitik. Im Fokus stehen die Bedingungen, unter denen sich Subjektivität konstituiert und, damit verbunden, die Möglichkeiten des einzelnen, insbesondere des marginalisierten, Subjekts, sich zu entfalten. Identitätspolitische Positionen werden in den 1990er Jahren vor allem durch feministische und queere Theoriebildungen entwickelt. Dabei machen Judith Butlers Überlegungen zur performativen Konstitution von Gender schließlich die Begriffe ›Performance‹ und ›Performativität‹ zum zentralen Ankerpunkt identitätspolitisch ausgerichteter Befragungen von Aufführungen und Inszenierungen in den Künsten und der Populärkultur. Auch wenn die in Disidentifications an ausgewählten Performances von queers of color entwickelte und hier vorgestellte Argumentation sich natürlich nicht zur Blaupause der gesamten amerikanischen Performancetheorie der 1990er Jahre verallgemeinern lässt, so zeigen sich hier dennoch Grundzüge, die über den Einzeltext hinaus Relevanz besitzen. So sind die in den letzten Abschnitten dargelegten Grundannahmen zu den Zusammenhängen von Macht,
113 Muñoz 1999, S. 189.
Theater, Performance und Performativität | 205
Repräsentation und Körper weitgehend Konsens in der identitätskritischen Performancetheorie der 1990er Jahre. Identität gilt als in performativen Akten konstituiertes und daher prekäres Konstrukt, das sowohl kritisch in Frage gestellt als auch verändert werden kann. Weiterhin ist auch die Ausrichtung der Überlegungen an Fragen der politischen Effektivität und der sozialkritischen Bedeutsamkeit von ›Performance‹ für die Performancetheorie der 1990er Jahre charakteristisch. Dabei wird die politische Wirksamkeit von ›Performance‹ vor allem als gelungener Eingriff in dominante Repräsentationslogiken interpretiert. ›Performance‹ wird, unabhängig davon, ob diese als Aufführung und also als LiveEreignis in Kunst, Populärkultur und Alltag oder in medialisierter Form in Film, Fotografie oder Fernsehen stattfindet, dahingehend befragt, wie und welche binären Ordnungslogiken gestört oder sogar zum Einsturz gebracht werden, welche, in der Regel als ›natürlich‹ verschleierten, identitätskonstituierenden Akte in ihrer Willkür sichtbar gemacht und welche alternativen Konstellationen und Möglichkeiten mittels ›Performance‹ gezeigt werden. Diese Perspektivierung von ›Performance‹ geht meist mit einer theoretisch recht voraussetzungsreichen Argumentation einher. Auffallend ist, dass die als Analysegegenstand diskutierten ›Performances‹ dabei nicht nur als Schauplätze verstanden werden, an denen sich bestimmte theoretische Überlegungen einlösen, sondern die künstlerische Arbeit wird häufig als selbst eine Art theoretische Arbeit in den Blick genommen. Der Performancediskurs der späten 1980er und 1990er Jahre fokussiert also nicht nur das politische und identitätskritische Potenzial von ›Performance‹, sondern auch in besonderem Maß ihr theoretisch-reflexives Potenzial – »the theory-making power of performance«114.
4.4 RESÜMEE Dieses Kapitel hat mit der Leitfrage begonnen, welche Veränderungen das Aufkommen der Theorie des Performativen für das Verhältnis von ›Theater‹ und ›Performance‹ im amerikanischen Performancediskurs bewirkt. Auch wenn der Begriff performative in früheren Phasen der amerikanischen Performancetheorie hier und da verwendet wird, findet eine präzise theoretische Ausformulierung erst in den 1990er Jahren statt. Hauptsächlicher Ausgangspunkt ist hierbei die von J.L. Austin mit Blick auf die Funktionsweise von Sprache formulierte Idee des performativen Sprechaktes. Austin weist mit dem Begriff des Performativen
114 Muñoz 1999, S. 33.
206 | Die Theatralität der Performance
auf die wirklichkeitskonstituierende Kraft eines sich unter bestimmten Umständen vollziehenden Sprechaktes hin. Anders als in den späteren, unter Eindruck der in den USA seit den späten 1980ern verstärkten Rezeption poststrukturalistischer Theorien und Philosophien formulierten, Theorien des Performativen, die die wirklichkeitskonstituierende Kraft des Performativen in dessen Eigenheit lokalisieren, Akt der Wiederholung zu sein, bleibt der Austin’sche Performativitätsbegriff bis zu einem gewissen Grad der Vorstellung des Originären verhaftet. Zwar wird auch bei Austin darauf hingewiesen, dass die wirklichkeitskonstituierende Kraft des performativen Aktes von ihm vorausgehenden Konventionen abhängig ist, so dass es sich bei einem gelingenden performativen Akt nicht um einen im radikalen Sinn erstmaligen und einmaligen Akt handeln kann. Dennoch ist es für Austin gerade der Zitatcharakter des Theaters, der es verbietet, die im Theater ausgeführten Akte als gelingende performative, also wirklichkeitskonstituierende, Akte zu beschreiben. Insofern die Agierenden im Theater nicht die Autorität und auch nicht die entsprechende Absicht besitzen, bleibt ein Satz wie »I do take this woman to be my lawful wedded wife « auf der Theaterbühne ohne Konsequenzen für den Familienstand der Beteiligten. Aus diesem Grund schließt Austin das Theater als problematischen Sonderfall aus seinen Überlegungen aus und setzt gleichzeitig die antitheatrale Argumentationslinie fort, in der ›Theater‹ mit Unernst und Schwächlichkeit assoziiert wird. Judith Butler entwickelt in Anschluss an Derridas kritische Austin-Lektüre einen Performativitätsbegriff, der das Performative nicht nur als wirklichkeitskonstituierend denkt, sondern als unweigerlich iterativ. Die Performativität der ›Performance‹ besteht dann für Butler nicht nur darin, dass etwas hervorgebracht wird, sondern vor allem darin, dass sich ›Performance‹ als Wiederholung vollzieht. Insofern die wirklichkeitskonstituierende Kraft des Performativen in genau dem Moment der Wiederholung verortet wird, spielt die Dimension der Intention, die für die Austin’sche Bestimmung des performativen Aktes wichtig ist, bei Butler keine Rolle. Im Gegenteil beschreibt Butler mit dem Begriff des Performativen ja gerade den Zitatcharakter von Diskursen, die sich einem steuernden Zugriff durch das Subjekt entziehen. Wie sich gezeigt hat, wird bei Butler ›Theater‹ zunächst als hilfreiche Metapher genutzt, um auf die performative Konstitution von Geschlechtlichkeit mit dem Topos der Gender Performance aufmerksam zu machen. Doch die mit der Theatermetapher verbundene Idee des Rollenspiels birgt auch zwei entscheidende Schwierigkeiten. Mit der Idee des Rollenspiels geht einerseits die Vorstellung einer gewissen Freiheitlichkeit und Intentionalität einher, insofern eine Rolle im Theater in der Regel aus freien Stücken und bewusst gewählt ist. Andererseits verbindet sich mit der Idee des Rollen-
Theater, Performance und Performativität | 207
spiels auch die Vorstellung, dass es jemanden gibt, der eigentlich hinter der im Theater gezeigten Figur steckt. Aufgrund dieser Schwierigkeit arbeiten Butlers spätere Texte daran, ›Performance‹ und ›Performativität‹ stärker zueinander in Distanz zu bringen. Während der Begriff der ›Performativität‹ von Butler dabei als umfassender Modus des Zitierens vorgeschlagen wird, der die Hervorbringung von Subjektivität, Körper und Identität ermöglicht und dabei vor allem normativ strukturiert ist, verweist der Begriff ›Performance‹, der allerdings nicht in vergleichbarer Ausführlichkeit entwickelt wird, auf die Ausführung performativer Akte vor Zuschauenden. ›Performance‹ meint also eine zeitlich und räumlich spezifische Situation, während ›Performativität‹ jede ›Performance‹ in vielerlei Hinsicht übersteigt. ›Performance‹ konstituiert sich im Begriffsentwurf Butlers insgesamt im Spannungsfeld zwischen ›Performativität‹ und ›Theatralität‹. Die ›Theatralität‹ der ›Performance‹ besteht dabei in ihrer Öffentlichkeit sowie in ihrer Eigenheit, Imitation normativer Muster zu sein. Zugleich wird auch der verbergende Charakter der ›Performance‹, die ihre eigene Genese stets verschleiert, als ›theatrale‹ Dimension der ›Performance‹ beschrieben. Die Theorie des Performativen trägt an dieser Stelle dann vor allem zur Konzeption der Funktions- und Wirkweise von ›Performance‹ bei, insofern sich mit ›Performativität‹ sowohl die normative Dimension als auch das transgressive Potenzial von ›Performance‹ beschreiben lässt. Während bereits im Butler’schen Begriffsentwurf eine klare politische Dimension angelegt ist, insofern die Theorie des Performativen bei Butler aus spezifischen und auch explizit formulierten identitätspolitischen Anliegen heraus verfasst wird, setzt sich die Politisierung des Performancebegriffs, wie am Beispiel von José Esteban Muñoz’ Disidentifications gezeigt, im amerikanischen Performancediskurs der 1990er Jahre fort. Der Blick auf ›Performance‹ in den Künsten steht dabei oft unter der Frage, wie sich die ›Performance‹ zu hegemonialen Machtformationen verhält und inwiefern sie in Bezug auf diese kritisch, ja sogar subversiv, wirken kann. Die Politisierung des Performancebegriffs erklärt sich dabei nicht allein aus theorieimmanenten Verschiebungen, sondern auch aus den in den 1990er Jahren hitzig geführten Debatten um kulturellen Pluralismus, Feminismus und Homosexualität, die als culture wars in die historischen Beschreibungen Eingang gefunden haben. Für die Leitfrage nach den Bezugnahmen auf ›Theater‹ lässt sich festhalten, dass sich der Vorstellungskomplex des Theatralen für die Formation des Performancebegriffs im amerikanischen Diskurs der 1990er Jahre einmal mehr als wesentlich erweist. Für die hier betrachtete Phase der Performancetheorie ist dabei spezifisch, dass mit der Bezugnahme auf ›Theater‹ vor allem die Dimension der
208 | Die Theatralität der Performance
Öffentlichkeit aufgerufen wird, die dann in ihrem politischen Potenzial interessiert. Generell treten die Begriffe ›performativ‹ und ›theatral‹ nicht in konkurrierendem Gebrauch auf, sondern akzentuieren die verschiedenen Operationsweisen der ›Performance‹.
5
Performance Studies
Die theoretischen Diskussionen um den Begriff ›Performance‹ vollziehen sich Ende der 1980er Jahre und Anfang der 1990er Jahre vor allem auch in Zusammenhang mit der Gründung der ersten Institute für Performance Studies an Universitäten in den USA. An der New York University wird im Jahr 1980 das Graduate Drama Department in Department of Performance Studies umbenannt. Vier Jahre später wechselt das Department of Oral Interpretation an der Northwestern University seinen Namen und nennt sich fortan ebenfalls Institut für Performance Studies.1 Begleitet wird der Institutionalisierungsprozess der Performance Studies von programmatischen Debatten über ›Performance‹ als epistemologischer Leitkategorie sowie über das Verhältnis der Performance Studies zu ihren Vorgänger- und Nachbardisziplinen. Kennzeichnend ist hierbei, dass sich ein expansiver Gestus mit strategischen Verengungen verbindet, wobei letztere, wie noch zu zeigen sein wird, insbesondere den Theaterbegriff betreffen. Im Folgenden gilt es, anhand ausgewählter Texte herauszuarbeiten, wie die Notwendigkeit einer neuen, unter ›Performance Studies‹ operierenden Disziplin begründet wird. Was für ein Performancebegriff wird im Zuge der Institutionalisierungs- und Legitimierungsdebatten entworfen? Welche Vorteile und Hoffnungen verbinden sich mit dem Performancebegriff? Für welche Forschungsanliegen scheinen Performance Studies besonders gut gewappnet? Welchen Stel-
1
Es folgen bis heute weitere Gründungen. Allerdings bleibt die Zahl der eigenständigen Departments und Studienprogramme der Performance Studies überschaubar. Viele Institute nehmen jedoch ›Performance Studies‹ als Namenszusatz auf. Vgl. z.B. das Department of Theater, Dance, and Performance Studies an der University of California (Berkeley), das Department of Theatre Arts and Performance Studies an der Brown University oder die School of Theatre, Dance, & Performance Studies an der University of Maryland (College Park).
210 | Die Theatralität der Performance
lenwert nimmt dabei das Theater als Untersuchungsgegenstand ein? Welche Rolle spielen der Theaterbegriff und der Vorstellungskomplex des Theatralen in den Gründungsdebatten? Die Beantwortung dieser Fragen soll hier in zwei Schritten erfolgen. Zunächst wird der Verortung der Performance Studies im universitären Feld nachgespürt, bevor den Implikationen der Leitkategorie ›Performance‹ detaillierter auf den Grund gegangen wird. Wichtig ist hier noch der Hinweis, dass, insofern es sich bei den im Folgenden betrachteten Texten um programmatische Texte handelt, die darin verhandelten Entwürfe idealtypischen bzw. strategischrhetorischen Charakter besitzen. Sie müssen weder mit der tatsächlich gelebten Forschungspraxis einzelner Projekte der Performance Studies noch mit den Überzeugungen der jeweiligen Forschenden notwendigerweise deckungsgleich sein. Im komplexen Feld performancetheoretischer Überlegungen bilden die Gründungsdebatten der Performance Studies jedoch einen wichtigen diskursiven Schauplatz, an dem insbesondere das Verhältnis von ›Theater‹ und ›Performance‹ an Brisanz gewinnt. Genau dieses gilt es zu fokussieren.
5.1 PERFORMANCE STUDIES ALS (ANTI-)DISZIPLIN: GRÜNDUNGSDEBATTEN UND INSTITUTIONALISIERUNG Im Zentrum der folgenden Analysen steht ein relativ eng gesteckter Textkorpus. Ausgewählt wurden Texte mit dezidiert programmatischem Anspruch, die für die Gründung der Performance Studies Argumente liefern und erste Visionen bezüglich Forschungsanliegen und Selbstverortung im akademischen Raum formulieren. Dass die betrachteten Texte für die disziplinären Aushandlungsprozesse relevant waren, zeigt sich darin, dass sie teilweise kontroverse, manchmal polemisierende, Reaktionen hervorgerufen haben. Dieses negative Echo, die Argumentation gegen die Performance Studies, wird im Schlussteil des vorliegenden Kapitels Thema sein. In ihm spiegeln sich bestimmte Setzungen der Gründungsdebatten der Performance Studies nochmals besonders scharf.
Performance Studies | 211
5.1.1 Verortungen: Performance Studies an der New York University und Northwestern University Zur Kontextualisierung der Gründungsdebatten sind den Lektüren von Einzeltexten einige Bemerkungen zur institutionellen Verortung der Performance Studies vorauszuschicken. Hierfür kann auf eine Reihe von Publikationen zurückgegriffen werden, die in den letzten Jahren an einer Historisierung der Performance Studies gearbeitet haben.2 Unabhängig davon, ob die Geschichte der Performance Studies über die Biografien einzelner Akteure wie z.B. im Sammelband The Rise of Performance Studies: Rethinking Richard Schechner’s Broad Spectrum (2011) oder mit Blick auf disziplinäre Genealogien wie im Falle von Shannon Jacksons Professing Performance: Theatre in the Academy from Philology to Performativity (2004) erzählt wird, gelten die New York University in New York City und die Northwestern University in Evanston, Illinois, als diejenigen Institutionen, von denen die Etablierung der Performance Studies in den USA getragen und vorangetrieben wurde. Dabei ist mit Blick auf die Northwestern University hinzuzufügen, dass die Akzentuierung ihrer Vorreiterrolle in der Konstituierung der Performance Studies historiografisch umstritten ist. Teilweise wird in der Forschungsliteratur betont, dass Ort und treibende Kraft der mit der Northwestern University verbundenen Spielart der Performance Studies der Verband der Rhetoriklehrerinnen
2
Für eine kritische historische Reflexion der Performance Studies vgl. Bell, Elizabeth, 1993: Performance Studies as Women’s Work. Historical Sights/Sites/Citations from the Margin. In: Text and Performance Quarterly 13, 4, S. 350-374; Edwards, Paul, 1999: Unstoried. Teaching Literature in the Age of Performance Studies. In: The Theatre Annual. A Journal of Performance Studies 52, S. 1-147; Harding, James/Cindy Rosenthal (Hg.), 2011: The Rise of Performance Studies. Rethinking Richard Schechner’s Broad Spectrum. Basingstoke/New York: Palgrave Macmillan; Jackson, Shannon, 2004: Professing Performance. Theatre in the Academy from Philology to Performativity. New York: Cambridge University Press; Jackson, Shannon, 2010: Rhetoric in Ruins. Performance Studies, Speech, and the ›Americanization‹ of the American University. In: Jon McKenzie/Heike Roms/C.J. Wan-ling Wee (Hg.), Contesting Performance. Global Sites of Research. Basingstoke/New York: Palgrave Macmillan, S. 71-88; McKenzie, Jon, 2001: Perform or Else. Form Discipline to Performance. London/New York: Routledge. Für eine deutschsprachige Reflexion der Performance Studies siehe Pewny, Katharina, 2011: Die Performance Studies und die Theaterwissenschaft. In: Dies., Das Drama des Prekären. Über die Wiederkehr der Ethik in Theater und Performance. Bielefeld: transcript Verlag, S. 85-102.
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und -lehrer war, der sich 1914 in den USA als National Association of Academic Teachers of Public Speaking gründete und heute unter dem Namen National Communication Association bekannt ist.3 Die an der New York University entstehenden Performance Studies sind also, wenn überhaupt, gegen eine netzförmige, spezifisch anglophone Tradition abzugrenzen, die eng mit den RhetorikStudien an amerikanischen Universitäten verbunden ist und für die in der Forschungsliteratur die Bezeichnungen »NCA tradition«4 oder »rhetorical performance studies«5 vorgeschlagen wurden. Die Formierung der Performance Studies an der New York University und der Northwestern University – als sichtbarste Vertreterin einer weitläufigeren Entwicklung an unterschiedlichen institutionellen Schauplätzen – wird als paralleler Verlauf unter jeweils verschiedenen Vorzeichen beschrieben. Während sich die Performance Studies an der New York University vor allem im Schnittpunkt von Anthropologie und Theater Studies entwickeln, gehen die Performance Studies an der Northwestern University aus der akademischen Beschäftigung mit Rhetorik und Literatur hervor. Die jeweiligen Kontexte und, damit verbunden, das Spannungsfeld, in dem sich ›Performance‹ im Zuge der Formierung einer eigenständigen Disziplin als epistemologische Leitkategorie entfaltet, sind an der New York University und der Northwestern University entsprechend unterschiedlich. Trotz der Gegensätze darf – auch dies ist Konsens in der Forschungsliteratur – nicht vergessen werden, dass es auch Austausch zwischen beiden ›Linien‹ gegeben hat und gibt. An der New York University (NYU) entstehen die Performance Studies an der kunstwissenschaftlichen Fakultät (School of Arts) und im Kontext der Beschäftigung mit Drama und Theater. Richard Schechner wird 1967 Professor im Drama Department der New York University und bringt die Zeitschrift The Drama Review (TDR), deren Herausgeber er ist und die sich zu einem der wichtigsten Organe der Performance Studies entwickelt, von der Tulane University an die Ostküste mit. Als sich 1980 die Umbenennung des Graduate Drama Department in Department of Performance Studies vollzieht, wird die Ethnologin Barbara Kirshenblatt-Gimblett erste Lehrstuhlinhaberin für Performance Studies. In der Rückschau erscheint ihr die Entscheidung für die Besetzung des Lehrstuhls mit jemandem, der keinen theaterpraktischen oder theaterwissenschaftli-
3
Siehe Jackson, Shannon, 2009: Rhetoric in Ruins. Performing Literature and Performance Studies. In: Performance Research 14, 1, S. 6-16, hier S. 8.
4
Edwards 1999, S. 3.
5
Jackson 2010, S. 76.
Performance Studies | 213
chen Hintergrund hat, als Indiz des Wunsches, die Differenz zu Lehr- und Forschungspraxis des vormaligen Drama Department deutlich zu markieren.6 Dennoch bleiben die Beschäftigung mit der historischen Theateravantgarde sowie eine experimentelle Theaterpraxis, wie sie in New York insbesondere in der Off-Off-Broadway-Szene stattfindet, zentraler Bezugspunkt und Gegenstand der Performance Studies an der NYU. Die Formierung der Performance Studies an der NYU steht generell im Zeichen eines komplex motivierten Interesses an nicht westlichen Theaterformen sowie einer grundlegenden Absage an das Primat des dramatischen Textes. Es geht vor allem darum, das bürgerliche Theater westlicher Prägung in einem interkulturellen und interdisziplinären Kontext neu zu verorten und neu zu bewerten. Eine Konsequenz ist, dass das europäische und amerikanische Drama sowie das literarische Theater, wie im Folgenden zu zeigen sein wird, nicht mehr als privilegierter Gegenstand der neu begründeten Performance Studies angesehen werden.7 An der Northwestern University entstehen die Performance Studies an der School of Speech. Kontext ist hier die bis in das 19. Jahrhundert rückführbare Tradition der verschiedentlich als Elocution, Oral Interpretation, Speech Education oder Performance of Literature bezeichneten akademischen Beschäftigung mit Rhetorik und literarischen Texten, wobei die Besonderheit dieser akademischen Disziplinen darin besteht, dass der Zugang zu Texten mittels lautem Vorlesen sowie Aufführung und Inszenierung – also mithilfe theatraler Mittel – gesucht wird.8 Dabei ist das Hauptinteresse ein Zweifaches: Es geht einerseits um ein vertieftes Verständnis für die ästhetischen Funktionsweisen sowie Inhalte literarischer Texte. In diesem Sinne fungiert das Aufführen der literarischen Texte als hermeneutische Praxis des close reading. Andererseits wird die intensive Beschäftigung mit literarischen Texten – und dies ist auch für die späteren Performance Studies entscheidend – mit dem pädagogischen Versprechen verbunden,
6
Siehe Kirshenblatt-Gimblett, Barbara, 2002: NYU’s Department of Performance Studies. In: Richard Schechner (Hg.), Performance Studies. An Introduction. London/New York: Routledge, S. 6.
7
Siehe Kirshenblatt-Gimblett 2002, S. 6.
8
Für eine umfassende historische Aufarbeitung der Performance Studies im Kontext der Oral Interpretation siehe Edwards 1999. Siehe ebenfalls: Robb, Mary Margaret, 1941: Oral Interpretation of Literature in American Colleges and Universities. A Historical Study of Teaching Methods. New York: H.W. Wilson. Für eine aktuelle Reflexion der Situation der aus der Oral Interpretation hervorgegangenen Performance Studies siehe Dailey, Sheron J. (Hg.), 1998: The Future of Performance Studies. Visions and Revisions. Annandale: National Communication Association.
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durch die Suche nach und das körperlich-stimmliche Einüben einer für einen spezifischen literarischen Text geeigneten Aufführungsweise zu einer besseren Leserin/Zuhörerin und damit zu einem in moralischer Hinsicht besseren Menschen zu werden, da das Vortragen literarischer Texte dabei helfe, eine höhere Sensibilität für die Stimmen und Positionen anderer zu entwickeln.9 Sowohl die Fokussierung auf ausschließlich literarische Texte als auch der emphatische und aus der heutigen Perspektive postkolonialer und identitätskritischer Theoriebildungen naive Gestus, einen ›anderen‹ vollkommen kennen zu können, werden in den 1980er Jahren zunehmend problematisiert und spielen auch im Prozess der Umbenennung des Department of Oral Interpretation der Northwestern University in Department of Performance Studies im Jahr 1984 eine Rolle. Das Interesse am pädagogischen Potenzial von ›Performance‹ sowie das Inszenieren und Aufführen von Texten als Praxis in Lehre und Forschung bleiben für die in der ›NCA-Tradition‹ stehenden Performance Studies dennoch bis heute zentrales Anliegen und Bezugspunkt für das disziplinäre Selbstverständnis. Insofern ›Performance‹ gewissermaßen Dreh- und Angelpunkt der Oral Interpretation und ihrer historischen Vorgänger ist, formieren sich die Performance Studies der ›NCA-Tradition‹ an der Northwestern University, der Southern Illinois University und anderen über die National Communication Association verbundenen Institutionen nicht so sehr im aggressiven Bruch mit den bisherigen Gegenständen, Interessen und Methoden der Oral Interpretation. Die Hinwendung zu ›Performance Studies‹ als Eigenname der Disziplin erscheint hier stärker getragen von dem Wunsch, einerseits eine Ausweitung der Gegenstände auf nicht literarische Texte und Formen mündlicher Rede zu markieren und, andererseits ›Performance‹ als epistemologisches Prinzip und me-
9
Diese pädagogische Hoffnung erklärt sich aus der Überzeugung, dass literarische Texte Zugang zu den Erfahrungswelten anderer eröffnen und damit Verständnis und Sensibilität für das Denken und Handeln anderer erhöhen. Siehe exemplarisch Bacon, Wallace A., 1976: A Sense of Being. Interpretation and the Humanities. In: Southern Speech Communication Journal 41, S. 135-141. Bacon kennzeichnet die Situation des Lesens hier als Form der Entfaltung von Subjektivität, die erst im Bewusstsein für ihr Bezogen-Sein auf einen anderen Vollständigkeit erlange. Siehe für eine Aktualisierung dieser Grundüberzeugung der Oral Interpretation im Kontext der Performance Studies: Conquergood, Dwight, 1983: A Sense of the Other. Interpretation and Ethnographic Research. In: Isabel Crouch/Gordon Richard Owen (Hg.), Proceedings of Seminar/Conference on Oral Traditions. Las Cruces: New Mexico State University, S. 148-155.
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thodisches Vorgehen stark zu machen.10 Die theoretische Aufarbeitung des spezifischen – auch politischen – Potenzials von ›Performance‹ als Methode verbindet sich dabei insbesondere mit dem Ethnologen Dwight Conquergood, der im Jahr 1978 an der Northwestern University zu lehren beginnt und dessen Schriften u.a. in The Drama Review (TDR) erscheinen und ihnen auch in den sich an der NYU formierenden Performance Studies Sichtbarkeit verschaffen. Zusammenfassend lässt sich für die institutionellen und disziplinären Kontexte, in denen die im Folgenden diskutierten programmatischen Texte stehen, festhalten, dass es das eine Mal um die Abgrenzung von einer institutionalisierten Beschäftigung mit ›Theater‹ geht, die sich auf das dramatische Theater westlicher Prägung beschränkt. Im anderen Fall geht es darum, den Gegenstandsbereich um nicht literarische Texte und Formen mündlicher Rede zu erweitern und ›Performance‹ dezidiert als Modus der Erkenntnis vorzustellen, so dass ›Performance‹ hier in doppelter Funktion als Untersuchungsobjekt und Forschungsmethode in den Blick kommt. Die Frage nach ›Theater‹ stellt sich in beiden Fällen. Im ersten Fall firmiert ›Theater‹ als klares Feindbild gegen das es eine als neuartig begriffene Disziplin zu etablieren gilt. Im zweiten Fall ist ›Theater‹ aufgrund der zentralen Bedeutung des Inszenierens und Aufführens von Texten gewissermaßen inhärenter Bestandteil des disziplinären Selbstverständnisses. Problematisch wird ›Theater‹ hier dann jedoch auf der Ebene der konkreten Inszenierungspraxis und den sich dabei ergebenden komplexen Beziehungen von Agierenden-Text-Zuschauenden. Dies betrifft insbesondere die Frage, wie sich der zu vermittelnde Text zur konkreten körperlich-stimmlichen Dimension des Vortragens oder Aufführens verhält. ›Theater‹ wird in diesem Zusammenhang immer in dem Moment zum Problem, wenn der Text hinter den vermeintlichen Spektakelcharakter der Aufführung zurückzufallen droht.11
10 Siehe Jackson 2010, S. 84. Jackson beobachtet, dass die Performance Studies der ›NCA-Tradition‹ stärker und früher als die sich an der NYU formierenden Performance Studies die Frage nach Methoden und Vorgehen gestellt haben. 11 Siehe Edwards 1999. Edwards verfolgt die Geschichte der Oral Interpretation in den USA bis in das 19. Jahrhundert zurück und weist nach, dass eine antitheatrale Haltung in der Abgrenzung der Inszenierungspraxis der Oral Interpretation von ›Theater‹ konstant eine Rolle spielte. Die antitheatrale Haltung zeigt sich in den Schriften der Elocution und der Oral Interpretation u.a. in der Ermahnung zu körperlicher Zurücknahme im Vortrag sowie der Betonung, dass im Zentrum der Text stehe und nicht Effekte, die allein der Aufführung zuzurechnen seien.
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5.1.2 Performance als Paradigma Es ist besonders der amerikanische Regisseur und Theatertheoretiker Richard Schechner, der Ende der 1980er und Anfang der 1990er Jahre zu einem umfassenden Paradigmenwechsel in der Erforschung performativer Aktivitäten aufruft.12 Grundlegende Stoßrichtung ist dabei einerseits eine Erweiterung der Untersuchungsgegenstände, die als sogenannter Broad Spectrum Approach in Schechners Beiträgen forciert wird.13 Andererseits geht es Schechner um einen konsequenten Wechsel von einer vorrangig ästhetischen Untersuchungsperspektive zu einem im weitesten Sinne sozialwissenschaftlichen Blick, der die akademische Beschäftigung mit performativen Aktivitäten leiten soll.14 Die hierfür von Schechner angeführten Argumente sind vielseitig, manchmal überspitzt und lassen ein klares Bild davon entstehen, was Lehre und Forschung in den Performance Studies sein und leisten sollen. Gegenfolie des Schechner’schen Entwurfes sind die amerikanischen Theater Studies und das in ihnen operierende Theaterverständnis. Im Folgenden ist weniger von Interesse, ob die kritischen Einwände Schechners gerechtfertigt sind oder nicht. Im Sinne der Leitfrage nach dem ›Schicksal‹ des ›Theaters‹ in der amerikanischen Performancetheorie gilt es vielmehr, herauszuarbeiten, wie der Performancebegriff in den Beiträgen Schechners konturiert wird und wie er sich zum Begriff ›Theater‹ verhält.
12 Schechners Begriff des Paradigmas geht auf den Wissenschaftshistoriker Thomas S. Kuhn zurück, der darunter versteht: »allgemein anerkannte wissenschaftliche Leistungen, die für eine gewisse Zeit einer Gemeinschaft von Fachleuten maßgebende Probleme und Lösungen liefern« (Kuhn, Thomas S., 2012: Die Struktur wissenschaftlicher Revolutionen. Zweite revidierte und um das Postskriptum von 1969 ergänzte Auflage. 23. Aufl. Frankfurt/M.: Suhrkamp [Amerik. 1973], hier S. 10). Für Kuhn ist ein Paradigmenwechsel ein entsprechend radikaler Umbruch, in dem bisherige wissenschaftliche Überzeugungen und Vorgehen vollständig verworfen werden und unter anderen Prämissen ein kompletter Neuanfang gewagt wird. 13 Siehe Schechner, Richard, 1988: Performance Studies. The Broad Spectrum Approach. In: The Drama Review 32, 3, S. 4-6. 14 Vgl. hierzu die 1973 erschienene Ausgabe zum Thema »Theatre and the Social Sciences« der Zeitschrift The Drama Review. Schechner ist Mitherausgeber der Ausgabe und steckt in seinem Vorwort das Untersuchungsfeld der Performancetheorie ab. Ausgehend von einem Verständnis von ›Performance‹ als Verhalten benennt er verschiedene Forschungsgegenstände: von Ritual und Sport über ethnografische Fragestellungen bis hin zu Spielverhalten im Tierreich. Die Künste ebenso wie der Hinweis auf die Dimension des Ästhetischen sind in Schechners Liste jedoch auffällig absent.
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Kritik an den Theater Departments Im Jahr 1992 erscheint in der Zeitschrift The Drama Review (TDR) unter dem Titel »A New Paradigm for Theater in the Academy« die gedruckte Version einer Rede, die Richard Schechner im selben Jahr auf der Jahreskonferenz der Association for Theatre in Higher Education (ATHE) in Atlanta gehalten hatte. Hauptsächliches Thema des Beitrags ist eine Kritik an der, in Schechners Augen, einseitig praktisch-künstlerischen Ausrichtung der amerikanischen Theater Departments.15 Diese erscheint Schechner in zweifacher Hinsicht problematisch. Einerseits geißelt er die an Universitäten stattfindende Ausbildung von Schauspielern, Regisseurinnen oder Bühnenbildnern als »Augenwischerei« und »Verrat« an den Studierenden, deren Hoffnungen auf eine berufliche Zukunft in den darstellenden Künsten angesichts eines hochgradig angespannten Arbeitsmarktes und eines allgemeinen »Überangebots« an Kreativschaffenden in den meisten Fällen unerfüllt bleiben würden.16 Andererseits zeigt sich Schechner frustriert darüber, dass die Theater Departments aufgrund der Konzentration auf Berufsausbildung ihr volles Potenzial als Orte gesellschaftlich relevanter Reflexion nicht ausschöpfen würden.17 An der künstlerischen Realität des Gegenwartstheaters, in der, Schechner zufolge, das literarische Theater ein Auslaufmodell sei, dem nur mehr der Status eines marginalen Liebhaberphänomens zukäme, gingen die Lehr- und Forschungstätigkeiten der Theater Departments ebenso radikal vorbei wie an den komplizierten gesellschaftlichen Realitäten, die ihren Kontext bilden.18
15 Siehe Schechner, Richard, 1992: A New Paradigm for Theatre in the Academy. In: The Drama Review 36, 4, S. 7-10. Ich habe mich für das Beibehalten der englischen Formulierung ›Theater Department‹ entschieden, da mir eine mögliche Übersetzung als ›Theaterinstitut‹ oder ›theaterwissenschaftliches Institut‹ irreführend schien. Hinsichtlich Geschichte, Traditionen, Lehr- und Forschungspraxis unterscheiden sich die US-amerikanischen Theater Departments nämlich teils beträchtlich von theaterwissenschaftlichen Instituten an Universitäten und Theaterakademien in Deutschland. 16 Diese Kritik entwickelt Schechner noch schärfer in einem späteren Artikel. Siehe Schechner, Richard, 1995: Transforming Theatre Departments. In: The Drama Review 39, 2, S. 7-10. 17 Siehe Schechner 1992, S. 8. 18 Zur Frage der Aktualität bestimmter Theaterformen formuliert Schechner: »The fact is that theatre as we have known and practiced it – the staging of written dramas – will be the string quartet of the 21st century: a beloved but extremely limited genre, a subdivision of performance.« (Schechner 1992, S. 8)
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Dementgegen stellt Schechner die Vision einer umfassend veränderten universitären Lehr- und Forschungspraxis, deren Anker das Konzept ›Performance‹ ist. Hauptsächlich geht es darum, die Aktivitäten der Theater Departments in engeren Kontakt mit gesellschaftlichen Wirklichkeiten zu bringen. Eine besondere Herausforderung, auf die an den Universitäten reagiert werden müsse, seien dabei die innerhalb der USA und global sich intensivierenden Kontakte, Austauschbewegungen und Reibungen zwischen unterschiedlichen Kulturen. Auf die sich daraus ergebenden Fragen, Anliegen und Krisen müsse von Seiten der Theater Departments mit einer Neuausrichtung der Zielsetzungen und Studienprogramme, aber auch mit einer veränderten Stellenvergabe- und Zulassungspraxis geantwortet werden.19 Schechners umfassende Kritik an den Theater Departments zielt also in einem Rundumschlag gleichermaßen auf Inhalte, Methoden und institutionelle Strukturen. Eine derartige Neuorientierung ist für Schechner nicht ohne eine Abwendung vom Theaterbegriff und ohne ein Bekenntnis zu ›Performance‹ als paradigmatischer Leitkategorie zu verwirklichen. Während mit ›Theater‹ eurozentrisches Vorurteil und eine auf den Bereich der Kunst begrenzte Perspektive unweigerlich verbunden scheinen, firmiert ›Performance‹ als inklusive, demokratische Kategorie, mit der ein breites Spektrum an Gegenständen aus den Künsten, der Alltags- und Populärkultur sowie gesellschaftlichen Feldern wie Politik und Ökonomie in den Blick genommen werden kann. Auch die übliche Hierarchisierung von Theorie und Praxis scheint im Begriff ›Performance‹ überwunden, insofern ›Performance‹ stets praktische und theoretische Dimensionen integriere.20 Es ist dieses Versprechen einer umsichtigen und vorurteilsfreien Perspektive, die den Performancebegriff besonders attraktiv und geeignet erscheinen lässt, in einer gesellschaftlichen Realität, die durch kulturelle Heterogenität geprägt ist, zu vermitteln. Da Schechners Skizze der Neuausrichtung der Theater Departments entlang des Performancebegriffs als programmatische Grundlegung einer institutionalisierten Performanceforschung gelesen werden kann, ist die ausführliche Zitation der entsprechenden Passage hier sinnvoll:
19 Siehe Schechner 1992, S. 9. Schechner spricht hier explizit von einer »cultural crisis«, auf die es zu reagieren gelte. In Bezug auf die Zusammensetzung der Studierendenschaft und des Lehrkörpers in den Theater Departments plädiert Schechner für eine gezielte Erhöhung der Zahl von Frauen sowie Lehrender und Studierender, die Minderheiten angehören. Dies fasst Schechner in einer etwas kruden Metapher: »So the coloring of the professorate, the coloring of the student body, and the coloring of the curriculum go hand-in-hand.« (Schechner 1992, S. 10) 20 Siehe Schechner 1992, S. 9.
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»The new paradigm is ›performance,‹ not theatre. Theatre departments should become ›performance departments.‹ Performance is about more than the enactment of Eurocentric drama. Performance engages intellectual, social, cultural, historical, and artistic life in a broad sense. Performance combines theory and practice. Performance studied and practiced interculturally can be at the core of a ›well-rounded education‹. That is because performed acts, whether actual or virtual, more than the written word, connect and negotiate the many cultural, personal, group, regional, and world systems comprising today’s realities. Performance, of course, includes ›the arts‹ but goes beyond them. Performance is a broad spectrum of entertainments, arts, rituals, politics, economics, and person-to-person interactions. This broad spectrum enacted multiculturally and interculturally can do much to enhance human life.«21
An diesem kurzen Ausschnitt wird ersichtlich, wie der mit dem Performancebegriff verbundene expansive Gestus des Einschlusses mit der Verengung des Theaterbegriffes einhergeht. Während ›Performance‹ sich hier in jeder Hinsicht durch Überschuss auszeichnet – sie ist mehr als Inszenierung von Dramen, mehr als geschriebene Worte, umfasst mehr als die Künste und trägt, zumindest potenziell, zu einem generellen Mehrwert im menschlichen Zusammenleben bei –, wird der Begriff ›Theater‹ auf das dramatische Theater nach europäischem Vorbild verengt. Mit ›Theater‹ ist insofern in erster Linie ein spezifisches Objekt bezeichnet, das aufgrund seiner Verankerung in der westlichen Schriftkultur obsolet, einer Verständigung über kulturelle Grenzen hinweg gar hinderlich, erscheint. Der Ruch des Anachronistischen und des Eurozentrismus diskreditiert zudem auch das semantische Feld des Theatralen als Reservoire metaphorischer Beschreibungen. Statt die Welt als ›Theater‹ zu perspektivieren, gilt es, den programmatischen Vorschlägen folgend, daher die Welt als ›Performance‹ in den Blick zu nehmen. Anders als der auf die Objektebene festgelegte Theaterbegriff wird der Begriff ›Performance‹ also funktional gedehnt: ›Performance‹ ist sowohl Objekt, Perspektive als auch Modus des Wissens: »a way of understanding today’s world; performance as a key means of humanist education.«22 Zusammenfassend lässt sich festhalten, dass es Schechner in seinen Beiträgen zur Gründungsdebatte der Performance Studies insbesondere um die Kritik eines elitären und die Hochkultur privilegierenden akademischen Selbstverständnisses geht, das ihm zufolge in den amerikanischen Theater Departments vorherrschend sei. Die in Schechners ›Performance-Paradigma‹ geforderte Fokussierung nicht künstlerischer und nicht westlicher Darstellungsformen steht so
21 Schechner 1992, S. 9. 22 Schechner 1995, S. 8.
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auch dezidiert im Zeichen einer Entthronung des Primats der Kunst. Wie an späterer Stelle noch zu diskutieren sein wird, wird die Möglichkeit, Kunst als privilegierten und von einem sozialen und politischen Umfeld abgegrenzten Sonderraum zu denken und allein nach ästhetischen Kategorien zu reflektieren, in den Performance Studies entschieden in Frage gestellt. Insofern erschöpft sich die im ›Performance-Paradigma‹ geforderte Umorientierung nicht im additiven Einschluss weiterer Untersuchungsgegenstände, sondern ist als grundlegende epistemologische Neuausrichtung angelegt. Es geht dabei, wie zuvor argumentiert, insbesondere um einen Wechsel von einem Denken in ästhetischen Kategorien zu einem im weitesten Sinne sozialwissenschaftlich23 sensibilisierten Denken. Gegen das Primat der Hochkultur Dies soll an einem weiteren Beispiel aus den in der ›NCA-Tradition‹ stehenden Performance Studies noch einmal unterstrichen werden. Im Jahr 1987 veröffentlichen Ronald J. Pelias und James VanOosting – zu dieser Zeit Professoren am Department of Speech Communication der Southern Illinois University – unter dem Titel »A Paradigm for Performance Studies« ihren programmatischen Entwurf für das Forschungsfeld der Performance Studies.24 Pelias und VanOosting schreiben in einem anderen Kontext als Richard Schechner. Nicht die Theater Studies bilden Rahmen bzw. Gegenstück ihrer Überlegungen zu einem ›Performance-Paradigma‹, sondern die Disziplin der Oral Interpretation. Der im Text von Pelias und VanOosting zu beobachtende expansive Gestus, der sich mit dem ›Performance-Paradigma‹ verbindet, richtet sich daher auf den Textbegriff sowie auf das Konzept der »ästhetischen Kommunikation«. Zum Verständnis ist hier einzufügen, dass Pelias und VanOosting davon ausgehen, dass zentraler Untersuchungsgegenstand der Performance Studies »the practice of aesthetic communication« sein müsse.25 Mit dieser etwas ungewöhnlichen Bezeichnung sind Aufführungssituationen gemeint, die sich, Pelias und VanOosting folgend, als Konstellation von Text, Agierenden und Zuschauenden begreifen lassen und sich
23 Die Bezeichnung der Ansätze, die in den Performance Studies Berücksichtigung finden sollen, als ›sozialwissenschaftlich‹ folgt hier dem Sprachgebrauch Richard Schechners. Gemeint sind in erster Linie Ansätze der Anthropologie und Ethnologie. 24 Siehe Pelias, Ronald J./James VanOosting, 1987: A Paradigm for Performance Studies. In: Quarterly Journal of Speech 73, 2, S. 219-231. 25 Siehe Pelias/VanOosting 1987, S. 220.
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durch bewusste Hervorhebung seitens der Agierenden oder Zuschauenden als ästhetische Situation vom alltäglichen Geschehen abheben.26 Die Argumente für einen veränderten akademischen Umgang mit derartigen ›ästhetischen Kommunikationssituationen‹ oder eben ›Performances‹ setzen – darin den Ausführungen Schechners ähnlich – mit dem Gestus demokratischer Nivellierung hierarchischer Unterscheidungen zwischen Hoch- und Alltagskultur ein. Nicht literarische Texte und der künstlerische Umgang mit ihnen sollen in dem ›Performance Studies‹ genannten Forschungsfeld fortan primäres Interesse sein, sondern Kommunikation in ihrer ganzen Bandbreite. 27 Diese Forderung führt zu einer enormen Dehnung der Konzeption des Ästhetischen und des Künstlerischen. Beides erscheint nicht mehr auf besondere Voraussetzungen, spezifische materielle Qualitäten oder professionelles Können angewiesen, sondern geht in einer Rezeptionshaltung auf, die jeder und jedem gleichermaßen zugänglich und deren einziges Kriterium das Moment des Hervorgehoben-Seins ist. Pelias und VanOosting bringen diese Vision der Performance Studies folgendermaßen auf den Punkt: »Performance studies […] includ[es] all members of a speech community as potential artists, all utterances as potentially aesthetic, all events as potentially theatrical, and all audiences as potentially active participants who can authorize artistic experience.«28 Ein Blick auf die Welt im Zeichen der Performance Studies geht dementsprechend mit einer Nivellierung hierarchisierender Grenzen zwischen ›Kunst‹ und ›Alltag‹, ›Professionalität‹ und ›Laienhaftigkeit‹ sowie zwischen künstlerischer, akademischer und alltäglicher Praxis einher. Der Wunsch nach einer Aufhebung derartiger Grenzziehungen erwächst, glaubt man der Rhetorik Pelias’ und VanOostings, in erster Linie aus einem machtpolitischen Bewusstsein: »By rejecting canonical security and exclusionary conventions, performance studies practitioners eschew artistic imperialism in favor of aesthetic communalism.«29 Insofern alltäglichen Kommunikationsereignissen, nicht künstlerischen Textund Redeformen die gleiche wissenschaftliche Aufmerksamkeit zuteilwerden
26 Die Definition von Pelias und VanOosting lautet: »To satisfy one or more conditions of the definition, someone (the ›performer‹ or the ›audience‹) must take responsibility for naming an aesthetic intent, quality, or effect. Without such a claim of responsibility, aesthetic communication is not foregrounded in the flow of everyday behavior and discourse.« (Pelias/VanOosting 1987, S. 221 [Herv. i.O.]) 27 Siehe Pelias/VanOosting 1987, S. 222-223. 28 Ebd., S. 221. 29 Ebd., S. 221.
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soll wie der Kunst, gilt das Projekt der Performance Studies als »radikaldemokratisch« und antielitär.30 Die Frage nach politischen und ethischen Dimensionen stellt sich in den von Pelias und VanOosting skizzierten Performance Studies jedoch nicht nur in der Auswahl der Gegenstände und deren Nobilitierung zu Objekten des Wissens. Insbesondere in der Praxis der Aufführung von Texten, die zentraler Bestandteil der Performance Studies der ›NCA-Tradition‹ bleibt, spielen soziale, ethische und politische Dimensionen eine Rolle. Vor allem in Fällen, in denen nicht ein literarischer Text, sondern in Feldforschungen gesammelte persönliche Erzählungen und autobiografische Zeugnisse Material der Inszenierung sind, stellt sich die Frage nach einem verantwortungsvollen Umgang mit besonderer Brisanz.31 Als Herausforderung und gleichzeitig besonderes Versprechen der Performance Studies nimmt sich insbesondere Dwight Conquergood der Frage an, wie die Begegnung mit anderen und ihren Lebenswelten mittels ›Performance‹ gelingen kann und wie sich die Performance Studies als Sprachrohr der Marginalisierten nutzen lassen. Hierauf wird im nächsten Abschnitt dieses Kapitels noch zurückzukommen sein. Vorerst gilt es, den Entwurf Pelias’ und VanOostings zu einem ›Performance-Paradigma‹ noch einmal genauer hinsichtlich der Bezugnahmen auf ›Theater‹ zu befragen. Es fällt hierbei auf, dass bei Pelias und VanOosting das Ästhetische und das Künstlerische mit dem Theatralen zusammenfallen und letztlich in der Idee der ›Performance‹ aufgehen. Pelias und VanOosting skizzieren die Performance Studies nämlich als Beschäftigung mit sowie praktische Umsetzung von textbasierten Aufführungen, deren Absetzung vom alltäglichen Geschehen diese auch als ›theatrale Ereignisse‹ benennbar macht. Anders als Schechner ringen Pelias und VanOosting nicht um eine scharfe Abgrenzung von ›Performance‹ und ›Theater‹, sondern schreiben Theatralität in ihr Performancekonzept mit ein. Das
30 Pelias/VanOosting 1987, S. 221. 31 Siehe ebd., S. 224-226. In ihrer Diskussion der Rolle des Agierenden heben Pelias und VanOosting das aktivistisch-kritische Potenzial hervor und erinnern gleichzeitig an die ethische Verantwortlichkeit des- oder derjenigen, die den Text eines anderen zur Aufführung bringen: »[…] a broader conceptualization allows for the performer to be cast as social activist, not only articulating one’s own views or representing institutional perspectives, but especially giving voice to the culturally silenced. By endorsing performance in social contexts, one encourages dialogue with the disenfranchised. […] Not only must the performer strive for a ›dialogical performance,‹ to use Conquergood’s term, but he or she must also remain keenly aware how each performance amplifies some voices and muffles others.« (Pelias/VanOosting 1987, S. 225)
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Theater kommt dabei allein als eine Möglichkeit eines ›theatralen Ereignisses‹ bzw. einer ›Performance‹ in den Blick: »Performance studies envisions theatrical events in more contexts than the traditional proscenium or arena. This vision owes considerable debt to modern experimentation within theatre practice. […] Thus, modern theatrical experiments ask not only what happens artistically in the event but also what political or psychosocial changes may occur as the result. To alter the balance between artistic and rhetorical foregrounds in the theatrical experience displays performance as an integral part of everyday life, rather than a rarefied event on the periphery of communal experience.«32
Es geht Pelias und VanOosting also – ähnlich wie Schechner – darum, Ubiquität und Verankerung im Alltagsleben als entscheidende Merkmale von ›Performance‹ hervorzuheben. Gegenstand der Performance Studies ist in diesem Sinne nicht das als marginal erscheinende Kunstereignis. Vielmehr richtet sich ihre Aufmerksamkeit gewissermaßen auf den Kern dessen, was Gesellschaft und soziales Leben ausmacht. Dabei ist es gerade die künstlerische Praxis einer experimentierfreudigen Theateravantgarde, die, wie Pelias und VanOosting in der zitierten Passage zugeben, an theatrale Dimensionen des Alltags sowie das politische und psychologische Wirkpotenzial von ›Performance‹ erinnert. Pelias und VanOosting erheben dementsprechend ein weites Konzept von Theatralität zur Grundfeste der Performance Studies. Dies wird insbesondere in der folgenden Passage deutlich: »Performance, from this perspective, serves a primary social or cultural function. […] Performance studies, then, allows for broader conceptions of the theatrical event, just as it embraces a wider catalogue of performance texts. Practitioners do not restrict themselves to traditional theatrical events bound by fixed temporal/spatial settings and artistic purposes. Rather, they step across the footlights onto a social stage and celebrate the performative nature of human communication.«33
›Performance‹ wird hier gleichbedeutend mit ›theatralem Ereignis‹ verwendet. Aufführungen des Theaters – jene »traditional theatrical events«34 – und nicht künstlerische Aufführungsereignisse, die sich aufgrund ihres HervorgehobenSeins ebenso als theatral beschreiben lassen, können somit auf einem Kontinuum
32 Pelias/VanOosting 1987, S. 223. 33 Ebd., S. 224. 34 Ebd., S. 224.
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verortet werden. Bemerkenswert ist, dass die Hinwendung zu ›Performance‹ und ›Performance Studies‹ im obigen Zitat bildreich als Ausbruch aus dem Theater beschrieben wird. Mit dem Schritt über die Rampe verlassen die Forschenden die räumlichen und zeitlichen Beschränkungen des Theaters, um sich auf der ›Bühne des Lebens‹ mit ihrem, letztlich im Theater geschulten, Blick den Inszenierungen des Alltags zuzuwenden. Ohne die Tragweite dieser kurzen Passage zu überschätzen, ist es doch bemerkenswert, dass sich die Performance Studies hier als Projekt zu erkennen geben, das in kunstfernen Bereichen ein Denken in Kategorien des Theatralen forciert. Leitbegriff eines derartigen Vorhabens ist dennoch nicht ›Theater‹, sondern der umbrella term ›Performance‹, der, anders als der Theaterbegriff, von vornherein vergleichsweise frei von der konnotativen Verbindung mit einer spezifischen Kunstform und daher offener erscheint. Abschließend kann festgehalten werden, dass sich die Texte, die Ende der 1980er Jahre und Anfang der 1990er Jahre programmatisch für eine Hinwendung zu ›Performance‹ als Forschung und Lehre leitendes Paradigma plädieren, in folgenden Punkten treffen: 1. Die Performance Studies sind nicht als Kunstwissenschaft konzipiert, sondern als Sozialwissenschaft, die dezidiert Gegenstände und Methoden aus Anthropologie, Ethnologie und sozialwissenschaftlichen Disziplinen übernimmt. 2. Das Theater als Kunstform steht nicht länger im Fokus und wird als ein Untersuchungsgegenstand unter vielen begriffen. 3. Politische Fragen sowie Fragen nach Konsequenzen, Funktionen und Wirkungen von ›Performance‹ werden für dringlicher gehalten als Reflexionen zu Ästhetik und kunstimmanenten Problematiken. Mit Blick auf die Bezugnahmen auf ›Theater‹, die in den hier diskutierten programmatischen Texten zur Gründung der Performance Studies erfolgen, lässt sich weiterhin festhalten, dass ›Theater‹ vor allem als spezifische Kunstform und zwar als dramatisches Literaturtheater aufgerufen wird. Zur Diskussion steht dann besonders die Frage nach dem Status von ›Theater‹ als Untersuchungsgegenstand innerhalb der Performance Studies. Insofern die Performance Studies als antielitäre Disziplin ausgerufen werden, die sich sowohl gegen Eurozentrismus als auch gegen das Primat der Hochkultur stellt, gerät ›Theater‹ in eine schwierige Position. Als Kunstform steht es in den hier diskutierten Texten für das westliche Guckkastentheater und damit für eben jene Hochkultur und das Primat des Ästhetischen, die im programmatischen Entwurf der Performance Studies kritisch beäugt werden. Selbst dort, wo sich die Vision der Performance Studies – wie im Fall von Pelias/VanOosting – als auf den Alltagsbereich erweitertes Denken in Kategorien des Theatralen liest, wird der Theaterbegriff weitgehend gemieden und nicht etwa als Metapher zur Beschreibung kunstferner Bereiche produktiv gemacht. Der Vorzug wird dem Performancebegriff gegeben,
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der hier als historisch ›unschuldiger‹ und offener Begriff präsentiert wird, der noch keine spezifischen Erwartungshaltungen oder Werturteile evoziere. In gewisser Weise wird der Performancebegriff dabei programmatisch aufgeladen, verbindet sich mit ihm doch nicht weniger als das Versprechen einer vorurteilsfreien Wissenschaft, deren Arbeiten für sich beanspruchen, statt einen isolierten Bereich von Sonderinteressen zu behandeln, unmittelbar in das Zentrum gesellschaftspolitischer Spannungsfelder zu zielen. 5.1.3 Selbstbeschreibungen der Performance Studies Die in den programmatischen Texten aus der Gründungsdebatte der Performance Studies geforderte Abwendung von einer Fokussierung ästhetischer Fragestellungen und die Forderung, stattdessen nach der sozialen Kontextualisierung, der Wirksamkeit und identitätspolitischen Relevanz von ›Performance‹ zu fragen, mündet in den Selbstbeschreibungen der Performance Studies schließlich im Bild der Performance Studies als ›liminaler Trickster-Disziplin‹, die mit gängigen disziplinären Abgrenzungen und Hierarchisierungen bricht und als selbsternannter akademischer Rebell vor allem den ›Performances‹ bisher vernachlässigter und marginalisierter Gruppen Aufmerksamkeit schenkt. Dieses Selbstbild der Performance Studies gilt es im Folgenden genauer aufzuschlüsseln. Für die Position von ›Theater‹ im Institutionalisierungs- und Legitimierungsdiskurs der Performance Studies bedeutet das spezifische Selbstbild der Performance Studies, dass es zu einer Aufspaltung in ›Theater‹ als elitärer Kunstform und ›Theater‹ als volkstümlicher Praxis kommt. Während erstere mit eskapistischer Illusionierung assoziiert wird, interessieren sich die Performance Studies durchaus für das subversive und kritische Potenzial populärer und subkultureller Theaterformen, die jenseits des etablierten Kunstbetriebes stattfinden. Dass in den Selbstbeschreibungen der Performance Studies zudem die theatrale Figur des Tricksters mobilisiert wird, die für subversives Rollenspiel, Grenzgang, Täuschung und Maskerade steht, zeigt, dass das Denken der Performance Studies dem Vorstellungskomplex des Theatralen verbunden bleibt. 35
35 Zur Figur des Tricksters im US-amerikanischen Kontext siehe Gates, Henry Louis, 1988: The Signifying Monkey. A Theory of Afro-American Literary Criticism. New York/Oxford: Oxford University Press. Der Trickster ist eine in verschiedenen Gesellschaften verbreitete Figur, die in erster Linie für den subversiven Grenzgang steht. Als begabter Rollenspieler stellt er mit List und Täuschungsmanövern Machtverhältnisse auf den Kopf und hält den Machthabenden so kritisch den Spiegel vor.
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Liminalität als Arbeitsprinzip der Performance Studies Seit Beginn der Formierung der Performance Studies wird immer wieder die Frage gestellt, was Performance Studies überhaupt sind bzw. sein können, was sie auszeichnet, welche Anliegen und Strategien ihnen zuzuordnen sind und wie sie sich zu anderen Disziplinen verhalten. Diese Dynamik der Selbstbefragung ist dabei nicht Weg zu einer sich endgültig konsolidierenden disziplinären Definition, sondern wird von den Forschenden in den Performance Studies bewusst in Bewegung gehalten. Die Frage, was denn Performance Studies nun seien, immer wieder neu zu stellen, muss daher als wichtiger Teil des Selbstverständnisses der Performance Studies gelten. Insofern gewinnt die vermeintlich destabilisierende Infragestellung des eigenen Programms, Gegenstands und Ziels paradoxerweise identitätsstiftende Kraft. Einigkeit besteht in den Performance Studies nämlich gerade darüber, dass sich diese als Forschungsfeld nicht endgültig abstecken und festlegen lassen. In der Reflexion der Frage, was Performance Studies sind, wird dementsprechend häufig eine Rhetorik der Grenzüberschreitung genutzt, um das Feld zu charakterisieren. Richard Schechner beantwortet die Frage, was denn Performance Studies überhaupt sind, in einem Aufsatz aus dem Jahr 1998 z.B. folgendermaßen: »Performance studies is ›inter‹ – in between. It is intergeneric, interdisciplinary, intercultural – and therefore inherently unstable. Performance studies resists or rejects definition. As a discipline, PS cannot be mapped effectively because it transgresses boundaries, it goes where it is not expected to be. It is inherently ›in between‹ and therefore cannot be pinned down or located exactly.«36
Schechners Skizze kann als typisch gelten.37 Grenzüberschreitung als Arbeitsprinzip betrifft die Performance Studies dabei in zweifacher Hinsicht. Zum einen
36 Schechner, Richard, 1998: What Is Performance Studies Anyway? In: Peggy Phelan/Jill Lane (Hg.), The Ends of Performance. New York/London: New York University Press, S. 357-362, hier S. 360. 37 Vgl. die Interview-Reihe »What is Performance Studies?«, die von dem von Diana Taylor geleiteten und an der New York University ansässigen Hemispheric Institute of Performance and Politics kuratiert wird und seit 2001 Interviews mit Vertreterinnen und Vertretern der Performance Studies in Nord- und Südamerika sammelt. Aus der Sichtung der mittlerweile 33 Stellungnahmen von u.a. Barbara Kirshenblatt-Gimblett, Rebecca Schneider, Tracy Davis, Richard Schechner, José Esteban Muñoz und Joseph Roach lassen sich einige Aspekte herausarbeiten, die als Konsens für das Selbstverständnis der Performance Studies gelten können. Die Annahme, dass Performance
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betrifft der Grenzen sprengende Gestus die Untersuchungsgegenstände der Performance Studies, die der vielfältigen Bandbreite von Kult, Ritus, Kunst, Populärkultur und Alltagsleben entspringen. Insofern Theateraufführungen, Musik, Tanz, Alltagskonversation, Rituale, Film oder Literatur ja auch in eigenständigen Disziplinen mit eigenen Traditionen untersucht werden, erscheint der freie Griff der Performance Studies in dieses breite Gegenstandsrepertoire, zumindest aus Sicht der auf einzelne von ihnen spezialisierten Disziplinen, potenziell als Überschreitung des Zuständigkeitsbereiches. Zum anderen betrifft die für das Selbstverständnis der Performance Studies wichtige Grenzüberschreitung die theoretischen Ansätze und das methodische Vorgehen. Grundprinzip ist auch hier Bricolage sowie die Verabschiedung eines Denkens in Eigentumsverhältnissen in Bezug auf bestimmte Theorien und Verfahren. Hierzu noch einmal Richard Schechner: »The second fundamental is that performance studies enthusiastically borrows from other disciplines. There is nothing that inherently ›really belongs to‹ or ›really does not belong to‹ performance studies. […] Especially in its present formative stage, performance studies draws on and synthesizes approaches from the social sciences, feminist studies, gender studies, history, psychoanalysis, queer theory, semiotics, ethnology, cybernetics, area studies, media and popular culture theory, and cultural studies.«38
Der expansive Gestus, den die Performance Studies hinsichtlich ihrer Gegenstände pflegen, und die affirmative Haltung gegenüber einer freien Kombination
Studies sich dadurch auszeichnen, dass sie einen breiten Gegenstandsbereich erfassen, der disziplinäre und kulturelle Grenzen überschreitet und eine interdisziplinäre Arbeitsweise erfordert, wird in den Interviews immer wieder genannt. Ebenso oft wird auf die zentrale Bedeutung des Körpers für das Denken in den Performance Studies verwiesen. Performance Studies werden so als Perspektive verstanden, die konkrete Materialitäten ernst nimmt und in den Fokus rückt. Weiterhin spielt eine Form des engagierten, politischen Denkens eine wichtige Rolle für das Selbstverständnis der Performance Studies. Dies wird besonders von Patrick Anderson hervorgehoben, der Performance Studies als Gelegenheit zur Reflexion skizziert, mit der unweigerlich spezifische Verpflichtungen und Verantwortlichkeiten einhergehen. Siehe die Interviewclips auf der Webseite des Hemispheric Institute: http://hemisphericinstitute.org/ hemi/en/hidvl/hidvl-int-wips (letzter Zugriff 01.06.2019). 38 Siehe Schecher, Richard, 2002b: Foreword. Fundamentals of Performance Studies. In: Nathan Stucky/Cynthia Wimmer (Hg.), Teaching Performance Studies. Carbondale: Southern Illinois University Press, S. ix-xii, hier S. x.
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von Theorien und Methoden hat den Performance Studies den Vorwurf eingetragen, in ihrem Anspruch, ›alles‹ zu behandeln, letztlich überhaupt nichts mehr erfassen zu können und durch ihr ›parasitäres‹ Entlehnen von Begrifflichkeiten und Verfahren aus anderen Disziplinen selbst keinen eigenständigen wissenschaftlichen Beitrag zu leisten.39 Diesem relativ gängigen Verdacht kann mit Blick auf die Texte zum Selbstverständnis der Performance Studies entgegnet werden, dass hier durchaus nicht davon ausgegangen wird, dass ›alles‹ eine ›Performance‹ ist. Allerdings gilt eine derartige Einschränkung nicht für ›Performance‹ als erkenntnisleitende Perspektive. Als ›Performance‹ lässt sich im Prinzip nämlich tatsächlich ›alles‹ in den Blick nehmen und beschreiben, ohne dass dies automatisch mit der Behauptung einhergeht, es handle sich bei den betrachteten Gegenständen um ›Performances‹ in einem quasi ontologischen Sinne. An verschiedenen Stellen ist daher auch argumentiert worden, dass gerade in Entwurf und Entwicklung von ›Performance‹ als erkenntnisleitender Perspektive die wissenschaftliche Eigenleistung der Performance Studies bestehe.40 Diese wichtige Unterscheidung im Gebrauch des Performancebegriffs in den Performance Studies bringt Richard Schechner auf die Formel ›ist/als Performance‹, wenn er schreibt: »There are limits to what ›is‹ a performance. But just about anything can be studied ›as‹ performance. Something ›is‹ a performance when historical and social context, convention, usage, and tradition say it is. […] One cannot determine what ›is‹ a performance without referring to specific cultural circumstances. There is nothing inherent in an action in itself that makes it a performance or disqualifies it from being a performance.«41
39 Für eine besonders pointierte Version dieses Vorwurfs siehe Jacobson, Lynn, 1994: What is Performance Studies? NYU and Northwestern Define an Elusive Field. In: American Theatre 11, 1, S. 20-22. Jacobson, die sich selbst als Studienabbrecherin der Performance Studies zu erkennen gibt, formuliert polemisch: »Performance studies is the ideal field of study for the intellectually promiscuous. In what other academic program can you research the death rituals of the Yanomamo tribe, compare them to the construction of the self in a Jane Fonda exercise video, and then present your findings in the form of a modern dance piece?« (Jacobson 1994, S. 20) 40 Siehe exemplarisch Dwight Conquergood: »The distinctive contribution we bring to the table is the heuristic potential of performance as concept, practice, and epistemology.« (Conquergood, Dwight, 1995: Of Caravans and Carnivals. Performance Studies in Motion. In: The Drama Review 39, 4, S. 137-141, hier S. 139) 41 Schechner 2002a, S. 30.
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Für Schechner bedeutet, etwas – sei dies ein raumzeitlicher Vorgang oder ein materielles Objekt – in den Performance Studies als ›Performance‹ in den Blick zu nehmen, es als eine Form des Tuns zu begreifen: »Any behavior, event, action, or thing can be studied ›as‹ performance, can be analyzed in terms of doing, behaving, and showing.«42 Die vermeintlich unkomplizierte Reihung von Tun/ Verhalten/Zeigen macht deutlich, dass sich der Performancebegriff hier einmal mehr im Spannungsfeld zwischen der Idee eines reinen Vollzugs und Vorstellungen des Theatralen bewegt. Auf diese Beobachtung wird noch zurückzukommen sein. Hier geht es zunächst weiterhin um die Skizzierung des Selbstverständnisses der Performance Studies als Inter- oder Anti-Disziplin, die sich einer Festlegung auf einen bestimmten Gegenstand, auf spezifische Ansätze oder Verfahren widersetzt. Dabei hat sich gezeigt, dass die entgrenzende und expansive Bewegung, die für das Selbstverständnis der Performance Studies zentral ist, insbesondere auch durch die Forcierung von ›Performance‹ als Perspektive getragen und plausibilisiert wird. Insofern die Performance Studies ihrem Programm nach auch bzw. gerade dort agieren, wo sie nicht erwartet, wo sie vielleicht sogar als Eindringling wahrgenommen, werden, fungieren sie, ihrem Selbstverständnis nach, im Gefüge wissenschaftlicher Disziplinen und Hierarchien als eine Art Trickster. Explizit mobilisiert Dwight Conquergood in seinen Aufsätzen »Of Caravans and Carnivals: Performance Studies in Motion« (1995) und »Performance Studies: Interventions and Radical Resarch« (2002) die Figur des Tricksters in der Beschreibung des Projekts der Performance Studies: »Performance studies is a border discipline, an interdiscipline, that cultivates the capacity to move between structures, to forge connections, to see together, to speak with instead of simply speaking about or for others. Performance privileges treshold-crossing, shapeshifting, and boundary-violating figures, such as shamans, tricksters, and jokers, who value the carnivalesque over the canonical, the transformative over the normative, the mobile over the monumental.«43
Zwei Aspekte scheinen mir in dem Conquergood-Zitat für das Selbstverständnis der Performance Studies wichtig zu sein. Erneut werden die Performance Studies hier als antidisziplinäres Forschungsfeld umrissen, das sich als ständige Überschreitung von Grenzen versteht. Des Weiteren wird klar, dass die Präferenz der Performance Studies für die Verwischung von Grenzen und die ständige meta-
42 Schechner 2002a, S. 32. 43 Conquergood 1995, S. 137-138.
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morphotische Wandlung ihrer disziplinären Erscheinung mit einer besonderen Sympathie für subversive Figuren wie dem Narr oder eben dem Trickster einhergeht. Wie erklärt sich diese Präferenz der Performance Studies für die Trickster-Figur? In welchem Zusammenhang stehen die Selbstbeschreibung der Performance Studies als ›liminaler Trickster-Disziplin‹ und der politische Impuls der Performance Studies, der in Conquergoods Zitat anklingt, wenn er darauf verweist, dass die Performance Studies sich dem Ideal verschreiben, mit statt über oder für die anderen zu sprechen, deren ›Performances‹ zu ihrem Unterschungsgegenstand werden? Performance Studies als engagiertes Denken Im Fall von Dwight Conquergood ist sicherlich ausschlaggebend, dass er sich als Ethnologe schwerpunktmäßig mit den Lebenssituationen und der Identitätsbildung marginalisierter Gruppen auseinandersetzt und aus diesen Forschungsarbeiten heraus zu den Performance Studies als Disziplin findet. Conquergood hat sich unter anderem mit den Dynamiken rivalisierender jugendlicher Gangs in Chicago, mit der Situation der Hmong in einem Flüchtlingslager in Thailand und den Strategien der Bewohner und Bewohnerinnen des Big-Red-Sozialbaus befasst, ihr Leben in einem sozial schwachen, von Armut und Gewalt geprägten Stadtteil Chicagos zu gestalten.44 In diesen Kontexten interessieren Conquergood Theater und ›Performance‹ vorrangig als Mittel sozialer Kommunikation und Identitätsbildung. So entwickelte Conquergood beispielsweise im Auftrag des International Rescue Committee während eines Aufenthalts im von Hmong bewohnten Flüchtlingslager Ban Vinai in Thailand im Jahr 1985 eine Aufklärungskampagne, die die Lagerbewohner mit Mitteln des Theaters für Gesundheitsfragen und grundle-
44 Vgl. Conquergood, Dwight, 1991: Life in Big Red. Struggles and Accommodations in a Chicago Polyethnic Tenement. Evanston: Center for Urban Affairs and Policy Research, Northwestern University; Conquergood, Dwight, 1992: On Reppin’ and Rhetoric. Gang Representations. Evanston: Center for Urban Affairs and Policy Research, Northwestern University; Conquergood, Dwight, 2007: Performance Theory, Hmong Shamans, and Cultural Politics. In: Janelle Reinelt/Joseph Roach (Hg.), Critical Theory and Performance. Revised and Enlarged Edition. Ann Arbor: The University of Michigan Press, S. 482-505. Aus Conquergoods Feldforschungen sind unter Mitarbeit von Taggart Siegel zudem zwei Dokumentarfilme hervorgegangen: Between Two Worlds. The Hmong Shaman in America (USA 1984) sowie The Heart Broken in Half (USA 1990).
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gende Hygieneregeln sensibilisieren sollte.45 Ein solches Projekt des angewandten Theaters stellt das Theater dezidiert in den Dienst eines spezifischen Ziels und rückt dabei ab von einer Vorstellung von Theater als Raum rein ästhetischer Auseinandersetzung. Auch andere Formen der ›Performance‹ wie z.B. die spezifischen Praktiken der Selbstdarstellung der Gangmitglieder in Chicago interessieren Conquergood vor allem in ihrer sozialen Funktionalität und ihrem subversiven Potenzial. Die bei Conquergood in der Selbstbeschreibung der Performance Studies aufgerufene Figur des Tricksters steht also in engem Zusammenhang mit der Situation der gesellschaftlich Marginalisierten, denen die Performance Studies als gewissermaßen verschwisterte Disziplin besondere Aufmerksamkeit und Solidarität schenken sollen. Das akademische Vorhaben der Performance Studies und die Lebensrealitäten der Akteure, denen ihr Interesse gilt, treffen sich dabei in Idee und Praxis der ›Performance‹. Als konstitutives Element der Identitätsbildung und des sozialen Lebens erscheint ›Performance‹ gerade für in konfliktbelasteten Situationen lebende Gruppen wichtige Möglichkeiten des Protests, des Widerstandes und des kulturellen Überlebens zu öffnen. Konfliktartige Reibungen und zu kämpferischem Engagement herausfordernde Umstände benennt Conquergood entsprechend als produktiven ›Nährboden‹ für sowohl ›Performance‹ als sozialer Praxis als auch Performance Studies als Forschungsfeld: »What I have learned […] is that performance flourishes within a zone of contest and struggle. That observation is as true for the everyday resisting performance practices of subaltern groups as it is for performance studies programs.«46 Implizit wird auf diese Weise das Projekt der Performance Studies in Analogie zu Situation und Handlungspotenzial des marginalisierten Subjekts gesetzt. Als neuartige inter- und antidisziplinäre Formation, die sich ihrem Selbstverständnis nach nicht unbedingt an die Spielregeln des akademischen Betriebes hält, unterlaufen die Performance Studies dessen gängige Ordnungsstrukturen. Dabei legitimiert sich dieser Impuls zur Subversion insbesondere aus der für das Selbstverständnis der Performance Studies entscheidenden Sympathie für jene von Marginalisierung Betroffenen als deren Forum und Advokat sie sich verstehen. Allgemeiner formuliert lässt sich feststellen, dass in der Selbstbeschreibung der Performance Studies ein ausgeprägtes Bewusstsein für Machtverhältnisse und die ethischen sowie politischen Potenziale von Lehre und Forschung deut-
45 Siehe Conquergood, Dwight, 1988: Health Theatre in a Hmong Refugee Camp. Performance, Communication, and Culture. In: The Drama Review 32, 3, S. 174-208. 46 Conquergood 1995, S. 137.
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lich wird. Zugespitzt verstehen sich die Performance Studies als eine Art akademischer Aktivismus, dessen Radikalität vor allem darin gesehen wird, die epistemologischen Gewohnheiten geistes- und sozialwissenschaftlicher Forschungen in Frage zu stellen.47 Insofern diese üblicherweise Text und Schrift als sowohl Objekte als auch Praktiken des Wissens privilegierten, hätten sie nämlich direkten Anteil daran, dass körperbasierte, mündlich verfasste und implizite Formen des Wissens, die gerade in marginalisierten Gemeinschaften oder auch nicht westlichen Kulturen von zentraler Bedeutung seien, in der akademischen Welt wenig Beachtung fänden. Jenem text- und schriftfixierten Modell des Wissens, das historisch mit dem westlichen Imperialismus verbunden scheint und Conquergood daher in politischer Hinsicht als alles andere als unschuldig gilt, stellt er in seinem Entwurf der Performance Studies die Vision einer gleichberechtigten Behandlung unterschiedlichster Wissensarten gegenüber. Die in den Performance Studies Forschenden sind dabei nicht nur aufgefordert, jenseits von Artefakt und schriftlich Fixiertem für die weniger expliziten – da in stimmlicher Intonation, flüchtiger Geste oder kontextspezifischer Körperbewegung verfassten – Formen kulturellen Wissens aufmerksam zu werden.48 Es müsse den Performance Studies auch darum gehen, Modi des Denkens und der Wissensvermittlung zu erschließen, die den üblichen wissenschaftlichen Praktiken der Verschriftlichung und Diskursivierung als gleichwertige Alternativen an die Seite gestellt werden könnten. Ziel sei dabei, so betont Conquergood, nicht die Umkehr der bisherigen Hierarchisierungen zugunsten ausschließlich verkörperter, künstlerischer und kreativer Wissenspraktiken oder generell zugunsten einer »romantisierenden« Konzeption von ›Performance‹. Es ginge vielmehr um die gänzliche Überwindung starrer Hierarchien und binärer Oppositionen in der akademischen Praxis der Performance Studies durch die Affirmation hybrider und mehrdeutiger Vorgehensweisen, die einander bei- statt über-/untergeordnet seien. Einmal mehr wird der spielerische Grenzgang, wird ›Liminalität‹49 zum konstitutiven Prinzip der Performance Studies erhoben:
47 Conquergood bringt das Programm der Performance Studies auf die Formel »artistry, analysis, activism« bzw. »creativity, critique, citizenship« (Conquergood, Dwight, 2002: Performance Studies. Interventions and Radical Research. In: The Drama Review 46, 2, S. 145-156, hier S. 152). 48 Siehe Conquergood 2002, S. 146. 49 Der Begriff des Liminalen geht auf Victor Turner zurück und bezeichnet innerhalb des Übergangsrituals den Zustand, in dem sich der bisherige Status eines Ritualteilnehmers bereits aufgelöst hat, während der durch das Ritual beförderte Übergang in
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»The performance studies project makes its most radical intervention […] by embracing both written scholarship and creative work, papers and performances. We challenge the hegemony of the text best by reconfiguring texts and performances in horizontal, metonymic tension, not by replacing one hierarchy with another, the romance of performance for the authority of the text. […] Performance studies brings this rare hybridity into the academy, a commingling of analytical and artistic ways of knowing that unsettles the institutional organization of knowledge and disciplines. The constitutive liminality of performance studies lies in its capacity to bridge segregated and differently valued knowledges, drawing together legitimated as well as subjugated modes of inquiry.«50
Die in den Eigenbeschreibungen forcierte Sensibilität für Machtverhältnisse und -dynamiken verschiedenster Art sowie die Betonung der Bedeutung von Kritik und Intervention führt einerseits dazu, dass vor allem auch Reflexionen zu Pädagogik in den Publikationen, die der Selbstverortung der Performance Studies dienen, viel Raum einnehmen.51 Immer wieder werden die Performance Studies dabei als Ort vorgestellt, an dem in pädagogischer Hinsicht insbesondere die Frage nach Begegnung und Umgang mit anderen sowie mit dem eigenen Selbst im Zentrum stehen. Eine auch in persönlicher, biografischer Hinsicht bestehende Nähe zum Gegenstand des eigenen Forschungsprojekts wird im Selbstverständnis der Performance Studies daher grundlegend als Gewinn empfunden und spielt insbesondere in den identitätskritischen Forschungen innerhalb der Performance Studies eine Rolle.52 In jedem Fall bekennen sich die Performance Studies zu der konkreten Situiertheit und damit einhergehenden Bedingtheit jeder Position, von der aus geforscht wird. Der ethisch-politische Anspruch der Performance Studies richtet
einen neuen Status noch nicht abgeschlossen ist. In dieser Phase befindet sich der Ritualteilnehmer in einem Zwischenzustand, für den Turner den Begriff ›liminal‹ geprägt hat (Siehe Turner 1964). 50 Conquergood 2002, S. 151-152 [Herv. i.O.]. 51 Vgl. Stucky, Nathan/Cynthia Wimmer (Hg.), 2002: Teaching Performance Studies. Carbondale: Southern Illinois University Press; Alexander, Bryant K./Gary L. Anderson/Bernardo P. Gallegos (Hg.), 2005: Performance Theories in Education. Power, Pedagogy, and the Politics of Identity. Mahwah/London: Lawrence Erlbaum Associates. 52 Nur ein Beispiel für eine Monografie, in der die Nähe zwischen Forschungsgegenstand und Biografie des Autors explizit thematisiert und produktiv gemacht wird, ist José Esteban Muñoz’ Disidentifications: Queers of Color and the Performance of Politics (1999). Siehe Kapitel 4 dieser Arbeit.
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sich also sowohl nach außen als auch nach innen auf die jeweils individuelle Verortung der Forschenden, die es stets kritisch zu reflektieren gelte. Richard Schechner bringt dies in einem Beitrag für den Sammelband Teaching Performance Studies (2002) folgendermaßen auf den Punkt: »Performance studies does not aspire to ideological neutrality. In fact, a basic theoretical claim of performance studies is that no approach or position is ›neutral.‹«53 Zusammenfassend lässt sich festhalten, dass sich die Performance Studies selbst als antidisziplinäre Forschungsformation beschreiben, die sich in ständiger Bewegung befindet, sich immer wieder neu in Frage stellt und neu erfindet.54 Der Grenzgang zwischen etablierten Disziplinen – sowohl mit Blick auf Untersuchungsgegenstände als auch Theorien und Methoden – wird zum Arbeitsprinzip erhoben. Ihrem Selbstverständnis nach bewegen sich die Performance Studies beständig und unabschließbar zwischen verschiedenen, sich eigentlich gegenseitig ausschließenden, binären Oppositionen und operieren somit bevorzugt in einem ›liminalen Schwebezustand‹. Weiterhin hat sich gezeigt, dass die Performance Studies sich ihrer Selbstbeschreibung nach als eine Art akademischer Aktivismus verstehen und ihre Aufmerksamkeit vor allem auf die soziale Funktion, die Wirksamkeit und das subversive Potenzial von ›Performance‹ richten. Dabei beanspruchen die Performance Studies für sich ein ähnlich transgressives Potenzial wie sie dies ihrem Untersuchungsgegenstand ›Performance‹ zuschreiben. Dies hat der Performancetheoretiker Jon McKenzie als Übertragung der Logik des mit dem Übergangsritual verbundenen Prinzips der Liminalität auf das Selbstverständnis der Performance Studies beschrieben und gleichzeitig kritisiert, dass sich die Konzentration der Performance Studies auf die transgressiven und subversiven Dimensionen der ›Performance‹ mittlerweile zu einer regelrechten Norm verengt habe.55 McKenzie ist zuzustimmen, dass sich in den Gründungsdebatten der Performance Studies ein programmatisch aufgeladener Performancebegriff formiert. Während der Theaterbegriff mit Eurozentrismus und Elitismus assoziiert und daher als Leitbegriff des sich neu formierenden Forschungsfeldes abgelehnt wird, positionieren die programmatischen Texte der Gründungsdebatte der Per-
53 Schecher, Richard, 2002b, S. xi. 54 Dwight Conquergood verbindet dieses metamorphotische Selbstverständnis einerseits mit dem Motiv der Trickster-Figur und andererseits mit dem Bild der nomadischen Karawane: »Instead of a stable, monolithic paradigm of performance studies, I prefer to think in terms of a caravan: a heterogeneous ensemble of ideas and methods on the move.« (Conquergood 1995, S. 140) 55 Siehe McKenzie 2001, S. 36 u. 50.
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formance Studies den Begriff ›Performance‹ als historisch unschuldig und kulturübergreifend neutral.56 Insofern der Performancebegriff – anders als ›Theater‹ – zudem nicht mit einer spezifischen Kunstform verbunden ist, scheint er auch besser dem Anspruch der Performance Studies gerecht zu werden, statt nur den Bereich der Kunst, die gesamte Bandbreite sozialer Interaktion in Alltag und Populärkultur in den Blick zu nehmen. ›Performance‹ wird also in den Performance Studies dezidiert als soziale Praxis und nicht vorrangig als Kunstform verstanden. In den Gründungs- und Legitimierungsdebatten der Performance Studies erfährt der Performancebegriff zudem eine funktionale Ausdehnung. ›Performance‹ bezeichnet nicht länger nur Aufführungen/Inszenierungen/Darstellungen, die zum wissenschaftlichen Untersuchungsobjekt werden können. ›Performance‹ verweist nun auch auf eine bestimmte theoretische Perspektive und sogar Forschungsmethode. Etwas ›als Performance‹ zu betrachten bedeutet dabei, einen Untersuchungsgegenstand als Tun in den Blick zu nehmen. ›Performance‹ als Methode hat insbesondere in den aus der Oral Interpretation hervorgegangenen Performance Studies Tradition und bedeutet, dass bestimmte Fragestellungen nicht in schriftlich-diskursiver Form bearbeitet, sondern zum Gegenstand einer Aufführung werden. ›Theater‹ taucht in den programmatischen Texten der Performance Studies einerseits als verengter und tendenziell negativ besetzer Begriff auf, der für Theater als elitäre Kunstform steht. Andererseits bleiben die Performance Studies dem Vorstellungskomplex des Theatralen auch positiv verbunden und beziehen sich durchaus affirmativ auf Maskerade, Rollenspiel, Täuschung und Verstellung, mit deren subversivem Potenzial sie sympathisieren. Dass es dennoch weder der Theater- noch der Theatralitätsbegriff ist, der in den Gründungsdebatten zur Leitkategorie der Performance Studies erhoben wird, erklärt sich vor allem aus dem antielitären und antieurozentrischen Gestus, den sich die Performance Studies in ihren Selbstbeschreibungen geben.
56 Dies soll nicht heißen, dass die Performance Studies die Problematiken ihrer eigenen Setzung des Performancebegriffs als kulturübergreifend neutralen umbrella term übersehen. Der eigenen hochgradigen Selbstreflexivität gemäß wird die Frage nach den spezifisch angloamerikanischen Implikationen des Performancebegriffs und die damit verbundenen Schwierigkeiten ab Mitte der 2000er Jahre in den Performance Studies intensiv diskutiert. Siehe hierzu das Schlusskapitel dieser Arbeit.
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5.2 AGAINST PERFORMANCE THEORY: VERTEIDIGUNG DES THEATERS Es ist wenig überraschend, dass die negative, manchmal feindliche Haltung gegenüber dem Theater als Kunstform, die in den programmatischen Verortungen der Performance Studies deutlich wird, nicht ohne Widerspruch geblieben ist. Es lassen sich dabei grundlegend drei Positionen identifizieren, von denen aus Einwände formuliert werden. Erstens reagieren Vertreterinnen und Vertreter der amerikanischen Theater Studies auf das insbesondere von Richard Schechner gezeichnete negative Bild der Disziplin und wehren sich gegen den Vorwurf der Obsoletheit. Es werden dabei sowohl inhaltliche als auch institutionspolitische Argumente ins Feld geführt. Zweitens werden das dramatische Theater und die Idee des Ästhetischen als besondere, vom Alltag zu unterscheidende, Dimension und Qualität gegen die mit den Performance Studies verbundene Tendenz verteidigt, Unterschiede zwischen Kunst bzw. Hochkultur und Alltag bzw. Populärkultur zu nivellieren. Drittens kommen kritische Einwände aus den eigenen Reihen der Performancetheorie. So erscheint z.B. dem Performancetheoretiker Jon McKenzie die starke Fokussierung auf Grenzüberschreitung und Subversion, die in den Performance Studies forciert wird, als einseitig und problematisch.57 Da sich diese Kritik jedoch nicht unmittelbar auf die Perspektivierung von ›Theater‹ in den Performance Studies bezieht, soll sie im folgenden Abschnitt nicht thematisiert werden. Im Fokus steht die Frage nach Formierung und Funktion des Theaterbegriffs in den Gegendebatten, die die Gründung der Performance Studies begleiten. 5.2.1 Theater Studies vs. Performance Studies Richard Schechners 1992 und 1995 in TDR veröffentlichte Ausrufe eines ›Performance-Paradigmas‹ sowie der von Pelias/VanOosting 1987 im Quarterly Journal of Speech erschienene Entwurf der Performance Studies lösen eine zwar in ihrem schriftlichen Umfang überschaubare Debatte aus, in der jedoch umso klarer Position bezogen wird. Zwei Texte, die jeweils im zeitlich dichten Umfeld von Schechners schriftlich artikulierten Forderungen von Wechsel und Veränderung in den amerikanischen Theater Departments erscheinen, sollen hier zuerst im Mittelpunkt der Betrachtungen stehen. Erinnert sei an dieser Stelle auch daran, dass zum Erscheinungszeitpunkt der hier diskutierten Texte die Performance
57 Siehe McKenzie 2001. Die Performance Studies behandelt McKenzie bes. im Kapitel »The Efficacy of Cultural Performance« (Siehe McKenzie 2001, S. 29-53).
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Studies unter dem Titel »The Future of the Field« ihre erste Konferenz an der New York University abhalten, auf die zwei Jahre später die Gründung von Performance Studies international, der Dachorganisation der Performance Studies, folgt.58 Auswahlkriterium für die hier besprochenen Texte der Theaterwissenschaftlerin Jill Dolan und des Theaterhistorikers W.B. Worthen ist, dass beide Texte explizit auf Schechners Vorschläge zur disziplinären Neuorientierung sowie auf die Dichotomisierung von Theater Studies und Performance Studies reagieren.59 Gemeinsam ist Dolans und Worthens Texten weiterhin, dass sie das Theater als relevante Kunstform und die Theater Studies als eigenständige Disziplin verteidigen. Dolan arbeitet in ihrem Text »Geographies of Learning. Theatre Studies, Performance, and the ›Performative‹« (1993) an der ›Rettung‹ der Theater Studies, indem sie einerseits an das Theater als zentralen Gegenstand der Theater Studies erinnert und, andererseits – darin den Forderungen Schechners nicht ganz unähnlich – für eine stärker politische und identitätskritische Sichtweise in den Theater Studies argumentiert. Anstoßpunkt für Dolan ist ihre Beobachtung, dass die Metapher des ›Theaters‹ sich in anderen Disziplinen enorm erfolgreich verbreitet habe und sich dort gerade auch für ein politisiertes Denken und Fragen als förderlich erweise, während in den Theater Studies selbst noch zu wenig nach dem politischen Potenzial von Theater gefragt werde. Aus Dolans Sicht wird der Vorstoß und Aufruf zu einer ›neuen‹ (Inter-)Disziplin wie den Performance Studies von eben dieser Tendenz der Theater Studies befeuert. Die traditionell humanistische Fokussierung der amerikanischen Theater Studies auf einen westlich orientierten Kanon ›großer Werke‹, Ästhetik und ›universelle Ideen‹ erschwere es, so Dolan, die soziologischen und politischen Dimensionen des Theaters anzuerkennen und ins Zentrum der Untersuchungen zu rücken. 60 Nur so sei zu
58 Die Webseite der Performance Studies international listet als Beginn der Konferenztätigkeiten, aus denen 1997 die Organisation hervorgeht, eine vom 24. bis 26.03.1995 unter dem Titel »The Future of the Field« abgehaltene Konferenz in New York. Dem voraus ging eine studentisch organisierte, im Jahr zuvor ebenfalls in New York abgehaltene, Konferenz zum Thema der Verschränkung von ›Performance‹ und Alltag. Siehe die Tagungschronik der Psi: http://www.psi-web.org/psi-events/past-events/ (letzter Zugriff 01.06.2019). 59 Siehe Dolan, Jill, 1993: Geographies of Learning. Theatre Studies, Performance, and the ›Performative‹. In: Theatre Journal 45, 4, S. 417-441 sowie Worthen, W.B., 1995a: Disciplines of the Text/Sites of Performance. In: The Drama Review 39, 1, S. 13-28. 60 Siehe Dolan 1993, S. 418-420.
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erklären, dass das Theater oft als »anachronistisches Relikt« verkannt, statt als Ort »kritischer kultureller Arbeit« erkannt werde: »Theatre studies’s gaping absence at these sites points to exclusions based, perhaps, on misrecognizing theatre production and commentary as anachronistic, humanist relics of artistry rather than as sites at which oppositional cultural work is frequently conducted.«61 Plädoyer für kritische Theater Studies Insofern es für Jill Dolan allen Grund gibt, das Theater als Ort der Versammlung und damit als sozialen und potenziell politischen Ort ernst zu nehmen, erscheint die im ›Performance-Paradigma‹ geführte Rede von der Überholtheit und Marginalität des Theaters als irreführend.62 Anstatt sich übereilt in interdisziplinäre Auflösungsprozesse zu stürzen, müsse es in den Theater Studies, Dolan zufolge, daher um eine Veränderung der Disziplin von innen gehen. Dem Enthusiasmus für Interdisziplinarität sowie für den umbrella term ›Performance‹, der das ›Performance-Paradigma‹ maßgeblich trägt, begegnet Dolan mit Skepsis. Interdisziplinarität per se erscheint nicht notwendigerweise automatisch auch ein politisch progressives Arbeiten und Denken zu garantieren.63 Mit der Differenzen nivellierenden Kraft eines als umbrella term verstandenen Performancebegriffs scheint sogar vielmehr die Gefahr verbunden, für identitätskritische Problematiken und Fragen erneut ›blind‹ zu werden. Dolan zeigt sich an dieser Stelle besonders misstrauisch darüber, dass das Schechner’sche ›Performance-Paradigma‹ gerade zu einem Zeitpunkt – auch noch von einem weißen, heterosexuellen Mann – ausgerufen werde, an dem identitätskritische Fragen und für die Differenzen von race, gender und sexuality sensibilisierte Denkweisen in den Theater Studies gerade aufkommen. Auch das Selbstverständnis der Performance Studies als akademischer Underdog kritisiert sie als schiefe Analogiebildung zur Situation tatsächlich von Marginalisierung Betroffener.64
61 Dolan 1993, S. 423. 62 Dolan schreibt: »Contemporary anti-humanist critiques launched by post-structuralist theorists have usefully questioned theatre’s capacity to generate an untheorized ›communitas,‹ but theatre remains a site to which people travel to view and/or experience something together. Because of this persistent potential to engage with the social in physically, materially embodied circumstances, looking at theatre (studies) continues as a vital, important research agenda.« (Dolan 1993, S. 441) 63 Dolan 1993, S. 429. 64 Siehe ebd., S. 428.
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Die grundlegende Herausforderung für eine politisch bewusste Neuausrichtung der Theater Studies bestehe somit im Finden einer für Differenzen sensiblen Vorgehensweise, die insbesondere identitätsbezogene Unterschiede nicht hinter einem humanistischen Sammelbegriff verdecke. Entsprechend fragt Dolan: »How can practice, method, and identity be thought together without reverting to a humanist umbrella that implies an ameliorating, neutral objectivity, which masks, once again, racism, sexism, and heterosexism?«65 Letztlich findet Jill Dolan in Judith Butlers Performativitätstheorie – die Veröffentlichung von Butlers Gender Trouble: Feminism and the Subversion of Identity (1990) liegt zum Zeitpunkt von Dolans Artikel drei Jahre zurück – ein Modell für ein politisches Theater, das verspricht, in den Theater Studies produktiv entwickelt werden zu können.66 Die konkrete körperliche Materialität und die konkrete historische Lokalisierbarkeit von Theateraufführungen begreift Dolan dabei als entscheidende Faktoren des besonderen politischen Potenzials von Theater sowie als wichtiges Gegengewicht zum »spin of postmodernist and poststructuralist relativity«.67 Insgesamt lässt sich festhalten, dass Dolan den in ihrer Wahrnehmung feindlichen Expansions- und Nivellierungsgestus des ›Performance-Paradigmas‹ – sie spricht von der »imperialist gesture of performance as ethnography«68 – mit dem Entwurf eines eigenen politischen Programms für die Theater Studies kontert. In seinem Impuls der Abkehr von einem westlich dominierten Kanon und der erhöhten Aufmerksamkeit für bisher marginalisierte Positionen scheint dieses Programm dem ›Performance-Paradigma‹ zunächst recht nahe zu sein. Entscheidender Unterschied ist jedoch, dass bei Dolan für dieses Anliegen relevante Phänomene nicht erst außerhalb oder jenseits des Theaters bzw. der Theater Studies vermutet werden. Entgegen der Tendenz des ›Performance-Paradigmas‹, ›Theater‹ aufgrund seiner vermeintlich engen Verfasstheit als unpolitische, museale ›schöne Kunst‹ für unweigerlich verloren zu geben, besteht Dolan auf der Wandelbarkeit und »Mobilität« von ›Theater‹: »Theatre can be a mobile unit in a journey across new geographies, a place that doesn’t center the discourse in white male hegemony, but a space that can be filled and moved, by and to the margins, perpetually decentered as it explores various identity configurations of production and reception.«69
65 Dolan 1993, S. 429. 66 Siehe ebd., S. 434. 67 Siehe ebd., S. 426. 68 Ebd., S. 432. 69 Ebd., S. 436.
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Es ist sogleich auffällig, dass hier für die Umschreibung eines Theaterbegriffs, der für eine Politisierung der Theater Studies relevant zu sein verspricht, dieselbe Bildlichkeit – nämlich Beweglichkeit, Grenzgang, Wandelbarkeit, Subversion – aufgerufen wird, die sich auch in den Skizzen des Performancebegriffs innerhalb der Selbstbeschreibungen der Performance Studies findet. ›Theater‹ wird hier als lebendige Praxis verstanden und stark gemacht. Somit tritt Dolans Text dem verengenden Theaterbegriff des ›Performance-Paradigmas‹ entgegen, der ›Theater‹ als bürgerliche Institution oder Untersuchungsobjekt, nicht jedoch als bewegliche Praxis oder politisch produktive Metapher konzipiert. Grenzen des Performancebegriffs Der Theaterhistoriker W.B. Worthen diskutiert das Verhältnis von Performance Studies und Theater Studies in seinem Text »Disciplines of the Text/Sites of Performance« (1995) nicht wie Dolan über die Frage des Politischen, sondern ausgehend vom Begriff ›Text‹. Auch Worthen kritisiert eine dichotomisierende Gegenüberstellung der Theater Studies und Performance Studies sowie die Annahme, dass es sich bei den Performance Studies um eine völlig neuartige disziplinäre Formation handle. Er startet mit der Beobachtung, dass in den Debatten um die Performance Studies und um die Neuorientierung der Theater Studies allzu häufig von einer Opposition von ›Text‹ und ›Performance‹ ausgegangen werde. Hinzu kommt, dass dabei ›Text‹ oft mit Konvention und Kanon assoziiert werde, während ›Performance‹ Transgression und Revision verspreche.70 Ziel von Worthens Beitrag ist entsprechend, zu zeigen, dass ›Text‹ für und in der Konzeption von ›Performance‹ immer eine Rolle spielt und nicht als überwundene Kategorie gelten kann. Worthens Beitrag rückt zu diesem Zweck zwei Inszenierungen in den Mittelpunkt, die gerade auch in performancetheoretischen Diskussionen Aufmerksamkeit erregt haben: Kathakali King Lear sowie die Reenactments von Ritualen der zentralafrikanischen Ndembu durch Victor und Edith Turner sowie Richard Schechner mit Studierenden der New York University. In beiden Fällen, so Worthens These, trete ›Performance‹ nicht als Gegenteil von oder völlig ohne Bezug zu ›Text‹ in Erscheinung, sondern erweise sich als auf komplexe Weise in Vorstellungen des Textuellen verstrickt. Indem Schechner, Turner und ihre Studierenden als ›Leser‹ der Rituale der Ndembu aufträten und insofern für die Inszenierung Kathakali King Lear behauptet werde, Shakespeares Drama ›treu‹ zu
70 Siehe Worthen 1995a, S. 14.
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bleiben, schrieben sich nämlich Figuren von Autorschaft in das Verständnis dieser ›Performances‹ wieder ein.71 ›Performance‹ erweise sich somit als auf komplexe Weise der ›Heimsuchung‹ durch Vorstellungen von ›Text‹ ausgesetzt. Ähnliches könne für die Behauptung des Bruchs der Performance Studies mit den Theater Studies gelten. Worthen geht es nicht darum, in Abrede zu stellen, dass die Gründungsimpulse der Performance Studies neue Fragen aufwerfen oder neue Einsichten ermöglichen können. Im Gegenteil erkennt er dies ganz explizit an. Seine Einwände richten sich jedoch gegen den Entwurf eines unzureichend historisierten ›Performance-Paradigmas‹, das sich als völlig neu versteht und damit für die eigenen Verstrickungen in disziplinäre Vorgänger und für die Präsenz konzeptioneller Wiedergänger blind bleibe.72 Letztlich gehe damit nämlich die Gefahr einher, Hierarchisierungen und Dichotomien, zu deren Überwindung die Performance Studies doch gerade aufgebrochen waren, zu wiederholen und festzuschreiben: »In its particular blending of ethnology with literary and cultural theory, as well as in the productive eclecticism it sponsors, performance studies has certainly brought new questions into view, new ways of thinking, writing, and teaching into practice. But to define this ›new paradigm‹ in opposition to theatre studies – or, indeed, to the other ›paradigms‹ from which performance studies often draws its theoretical armature and methodological practice – is, finally, to reinscribe performance studies with at least some of the analytical hierarchies its practitioners would contest.«73
Auf Worthens Artikel folgen Antworten von Richard Schechner, Joseph Roach, Phillip B. Zarrilli und Jill Dolan, die im Einzelnen zu skizzieren hier nicht unbe-
71 Siehe Worthen 1995a, S. 20 u. 22-23. 72 Siehe ebd., S. 23. Worthen greift auf die Metaphorik der Heimsuchung und des Gespenstischen zurück, um das Aufkommen neuer Paradigmen und disziplinärer Formationen zu kennzeichnen: »New paradigms are often ghosted by their history in ways that are difficult to recognize, acknowledge, and transform; to understand ›performance studies‹ through a simple opposition between text and performance is to remain captive to the spectral disciplines of the past.« (Worthen 1995a, S. 23). Eine ähnliche Argumentation gegen ein strikt ontologisch konturiertes Verständnis von ›Performance‹, das für die eigene Historizität blind ist, führen Powell, Benjamin D./ Tracy Stephenson Shaffer, 2009: On the Haunting of Performance Studies. In: Liminalities. A Journal of Performance Studies 5, 1, S. 1-19. 73 Worthen 1995a, S. 21.
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dingt erhellend wäre.74 Erwartbarerweise werden die Performance Studies gegen die ihnen in Worthens Beitrag vorgeworfene Reduktion auf eine simple ›Text/Performance‹-Opposition verteidigt. Von Schechner und Roach wird dennoch die Grundüberzeugung bekräftigt, dass textbasiertes, dramatisches Theater kein universalisierbares Modell zur Beschreibung der vielfältigen Aufführungsformen dieser Welt sein könne. Jill Dolan sympathisiert mit Worthens Argumentation und vertritt die These, dass eine dichotomisierende Abgrenzung von Theater Studies und Performance Studies nicht allein inhaltlich kaum begründbar sei, sondern dass dies auch in institutionspolitischer Hinsicht ein gravierender Fehler wäre. In einer Zeit, in der ökonomische Rationalisierungs- und Kürzungsbemühungen die Humanities an amerikanischen Universitäten unter Druck setzten, sei es, so Dolan, strategisch ungeschickt, eine institutionell vergleichsweise etablierte Position wie die der Theater Studies zu schwächen oder gar ganz aufzugeben.75 Gegen ein als ›radikale Wende‹ ausgerufenes ›Performance-Paradigma‹, das den Theaterbegriff und die Theater Studies als Disziplin für obsolet erklärt, werden – so lässt sich zusammenfassend festhalten – nicht nur pragmatische Argumente gesetzt, sondern es wird insbesondere auch auf das Potenzial des Theaters als Kunstform und der Theater Studies als Disziplin hingewiesen, genau diejenigen Fragen und Anliegen zu berücksichtigen, die gewöhnlich zur Begründung der Notwendigkeit von abseits der Theater Departments befindlicher Performance Studies ins Feld geführt werden. Mit Blick auf die Leitfrage der vorliegenden Arbeit nach den Dynamiken der Begrifflichkeiten ›Theater‹ und ›Performance‹ in US-amerikanischen Performancediskursen könnte man auch sagen, dass sich die aus den Reihen der Theater Studies hervorgebrachten Einwände bzgl. des ›Performance-Paradigmas‹ gegen die diskursive Schließung des Theaterbegriffs stellen. Als abschließendes Beispiel sei hier auf einen ebenso im Jahr 1995 in TDR erscheinenden Text des Performancetheoretikers Philip Auslander verwiesen, dessen sprechender Titel »Evangelical Fervor« recht klar auf den Punkt bringt, woran sich der Autor in Bezug auf den Vorstoß der Performance Studies stört.76
74 Vgl. Dolan, Jill/Joseph Roach/Richard Schechner/Phillip B. Zarrilli, 1995: Responses to W.B. Worthen’s ›Disciplines of the Text/Sites of Performance‹. In: The Drama Review 39, 1, S. 28-41. Vgl. ebenso und in derselben Ausgabe erschienen: Worthen, W.B., 1995b: Worthen Replies. In: The Drama Review 39, 1, S. 41-44. 75 Siehe Dolan/Roach/Schechner/Zarrilli 1995, S. 33. 76 Siehe Auslander, Philip, 1995: Evangelical Fervor. In: The Drama Review 39, 4, S. 178-183.
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Der vereinnahmende Gestus des ›Performance-Paradigmas‹ erscheint Auslander zum einen angesichts der Tatsache absurd, dass die Realität der Forschungspraxis in den Theater Studies schon länger verwirkliche, was im ›PerformanceParadigma‹ als dringende Innovation gefordert werde.77 Der Traum der Performance Studies, innerhalb der Universitäten als eine Art akademische »Guerilla« zu fungieren – »a counterhegemonic guerilla operation within the academy«78 –, erscheint Auslander zudem als täuschende Utopie, die letztlich in den doch irgendwie bestehenden Institutionalisierungsbestrebungen der Performance Studies implodiere. Schließlich äußert Auslander Zweifel am Performancebegriff selbst: »It’s not clear to me that the performance paradigm has the kind of universal applicability some would claim for it. Although I recognize that just about anything can be looked at ›as performance,‹ I’m not sure that it’s profitable in every case to do so. It’s also not entirely clear how looking at other phenomena ›as performance‹ is different from looking at them ›as theatre.‹ […] What questions does thinking in terms of the performance metaphor raise that thinking in terms of the theatre metaphor does not? The theatrical metaphor has a long history and is deeply ingrained in our culture, in our thinking about performance and, arguably, in performance itself. […] Much as some practitioners of performance studies would like to establish performance as an episteme separate from theatre, it may well be that our primary concept of what performance is derives inevitably from theatre.«79
Dass hier auf dem Potenzial von ›Theater‹ als Perspektive bzw. als erkenntnisleitende Metapher insistiert wird, steht der in den Gründungsdebatten der Performance Studies beobachteten Tendenz entgegen, ›Theater‹ auf die Ebene des Objekts festzuschreiben und so in seinen diskursiven Einsatzmöglichkeiten einzuschränken. Auslander entlarvt die Rhetorik des ›Performance-Paradigmas‹ weiterhin als strategische Operation, die – so steht zu vermuten – gerade deshalb so hart an der Grenzziehung zwischen ›Theater‹ und ›Performance‹ arbeiten müsse, weil die Konzeption von ›Performance‹ letztlich nie ganz ohne einen Bezug auf ›Theater‹ auskomme. Fazit der Diskussionen zum Verhältnis von Theater Studies und Performance Studies aus der Perspektive der Theater Studies ist schließlich, dass zum einen beide Forschungsfelder nicht in dichotomer, sondern in dialogischer Beziehung
77 Siehe Auslander 1995, S. 178. 78 Ebd., S. 180. 79 Ebd., S. 179-180 [Herv. i.O.].
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zueinander gedacht werden sollten. Zum anderen wird resümiert, dass die Ausrufungen eines ›Performance-Paradigmas‹ zu neuen Impulsen innerhalb der Theater Studies geführt hätten.80 So identifiziert der Theaterwissenschaftler Marvin Carlson die folgenden Aspekte als Ansatzpunkte einer vom ›PerformanceParadigma‹ ausgehenden Neuerung innerhalb der Theater Studies: »internationalism, democratization, and contextualization«81. Die Performance Studies erscheinen in Carlsons Sicht als potenziell Katalysator für eine Ausweitung des Gegenstandsbereiches der amerikanischen Theater Studies auf populäre und nicht westliche Theaterformen sowie als Impuls für Veränderungen der Forschungsverfahren innerhalb der Theater Studies, die insbesondere in einer stärkeren Berücksichtigung sozialer und politischer Kontexte bestehen. 5.2.2 Vom Wert der Kunst: kulturkritische Einwände »An Appalachian storyteller is not exactly the same as Laurence Olivier.«82 lautet ein zentraler Satz aus »The Displacement of the Aesthetic: Problems of Performance Studies« (1990). Der Autor des Artikels, Ted A. Wendt, Professor am Department of Theatre and Dance der California State University in Chico, reagiert in diesem Text einerseits auf das von Ronald J. Pelias und James VanOosting entworfene ›Performance-Paradigma‹ und nimmt andererseits den Entschluss der Interpretation Division – einer Arbeitsgruppe innerhalb der National Communication Association – zur Umbenennung in Performance Studies Division zum Anlass seines Schreibens. Wenn hier auf Unterschied und Unterscheidbarkeit der Kunst eines britischen Schauspielers, der insbesondere durch
80 Siehe jüngst Carlson, Marvin, 2011: Performance Studies and the Enhancement of Theatre Studies. In: James Harding/Cindy Rosenthal (Hg.), The Rise of Performance Studies. Rethinking Richard Schechner’s Broad Spectrum. Basingstoke/New York: Palgrave Macmillan, S. 13-22. Carlson identifiziert »internationalism, democratization, and contextualization« (Carlson 2011, S. 18) als Veränderungen, die in den Theater Studies durch das Aufkommen der Performance Studies gefördert wurden. Siehe ebenfalls Carlson, Marvin, 2001: Theatre and Performance at a Time of Shifting Disciplines. In: Theatre Research International 26, 2, S. 137-144; Roach, Joseph, 2002: Theatre Studies/Cultural Studies/Performance Studies. The Three Unities. In: Nathan Stucky/Cynthia Wimmer (Hg.), Teaching Performance Studies. Carbondale: Southern Illinois University Press, S. 33-40. 81 Carlson 2011, S. 18. 82 Wendt, Ted A., 1990: The Displacement of the Aesthetic. Problems of Performance Studies. In: Text and Performance Quarterly 10, 3, S. 248-256, hier S. 253.
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seine Darstellung von Shakespeares Hamlet Berühmtheit erlangt hat, und der Tradition des mündlichen Erzählens in einer sich im Osten Nordamerikas über Kilometer erstreckenden Gebirgsregion bestanden wird, ist schnell klar, in welchem Spannungsfeld sich die im Folgenden diskutierten Einwände gegen das in den Gründungsdebatten der Performance Studies ausgerufene ›PerformanceParadigma‹ bewegen. Es geht um nicht weniger als um die Frage nach dem Status des Theaters als Kunstform. Wie sich im Folgenden zeigen wird, wird diese Frage nicht als akademisches Detail verstanden. Auf dem Spiel stehen vielmehr ganz grundlegende Vorstellungen von Kultur, Gesellschaft und Zivilisation. Die hier diskutierten Texte beziehen dabei in zweifacher Weise Stellung für die Besonderheit des Theaters, die innerhalb des ›Performance-Paradigmas‹ aufgrund der mit diesem verbundenen Nivellierungstendenzen in Vergessenheit zu geraten drohe. Zum einen wird das Theater als besonderer Ort von Kontemplation und kritischer Reflexion verteidigt. Zum anderen wird – entgegen der Präferenz innerhalb des ›Performance-Paradigmas‹ für im weitesten Sinne sozialwissenschaftliche Betrachtungsperspektiven – an der Bedeutung des Ästhetischen festgehalten. Allerdings bleibt die Konzeption des Ästhetischen hierbei oft diffus. Weiterhin verbinden sich mit der Idee des Ästhetischen teilweise normative Vorstellungen, wird Ästhetik also als Lehre von der Schönheit verstanden. Dies wird in dem hier zum Aufhänger des Abschnitts genommenen Beitrag Ted A. Wendts besonders deutlich. Die von Wendt formulierten Einwände gegen die ›Ersetzung des Ästhetischen‹ innerhalb des ›Performance-Paradigmas‹ werden nämlich vor allem mit der Sorge begründet, dass sich der Schwerpunkt in der als Performance Studies neu ausgerichteten Disziplin der Oral Interpretation von der Praxis und Kritik eigener künstlerischer Arbeit auf die analytische Beschäftigung mit den Aufführungen anderer verschiebe.83 Die im ›Performance-Paradigma‹ forcierte Einebnung der Unterscheidung von Kunst und Populärkultur erscheint aus dieser Perspektive dann insofern problematisch, als gewissermaßen bisher verbindliche ästhetische Qualitätskriterien für die Aufführungs- und Inszenierungspraxis, die ja zentraler Bestandteil der Lehr- und Lernpraxis der Oral Interpretation ist, erodieren. Wenn die Leistungen eines professionellen Schauspielers – für den Laurence Olivier in Wendts Text einsteht – vom Können eines Erzählers populärer Geschichten, der in Wendts Text bemerkenswerterweise eine generisch-anonyme Kategorie bleibt, nicht wesentlich zu unterscheiden sei, dann scheint insbesondere die normative Orientierung in Umgang mit und Ausübung von künstlerischer Praxis betroffen:
83 Siehe Wendt 1990, S. 251-252.
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»[…] I don’t disagree that – within the ›broad spectrum,‹ cultural/anthropological performance paradigm – criticism evolves out of ›different aesthetic norms [i.e., than those we might call expert/artistic/educated norms], all carrying cultural, political, and ethical values.‹ But that paradigm does not account for the performing arts as they are practiced in contemporary Western cultures (i.e., as arts and, usually, as interpretive arts) and it cannot address the pedagogical needs of most student practitioners preparing themselves to take their place in those arts.«84
Das Arbeitsprinzip der Performance Studies, statt von universell gültigen Bewertungsmaßstäben auzugehen, die sich an eine ›Performance‹ anlegen lassen, diese immer in ihrem je spezifischen Kontext zu betrachten, führt zu einer relativistischen Auffassung von ästhetischen Maßstäben. Ein derartiges Verständnis erscheint Wendt nicht vereinbar mit der Arbeitsrealität im Theater und daher als wenig nützlich für die Ausbildung Studierender. Für die hier verfolgte Frage nach den Einwänden, die gegen das in den Gründungsdebatten der Performance Studies forcierte ›Performance-Paradigma‹ vorgetragen werden, ist wichtig festzuhalten, dass sich in einem Text wie »The Displacement of the Aesthetic: Problems of Performance Studies« zeigt, dass es in der Argumentation, die sich gegen die Performance Studies richtet, häufig auch um die Verteidigung eines traditionellen Verständnisses von Kunstkritik geht, deren universalistischer Anspruch sich nicht mit dem politischen und antielitären Gestus der Performance Studies verträgt.85 Es geht also auch um das Bestehen auf bestimmten Hierarchien zwischen Darstellungsformen und den ihnen jeweils zugeschriebenen Werten. Das Theater – insbesondere das dramatische Theater – wird dabei häufig als besonders wertvoller Ort der distanzierten Kontemplation und der geistigen Auseinandersetzung in den Blick gerückt. Theater erhält dann seine spezifische Identität über den ihm zugesprochenen Bildungsauftrag und erscheint daher als nicht verlustfrei in die Reihe anderer Darstellungs- und Aufführungsformen wie z.B. populäre Theaterformen und cultural performances integrierbar. Im Folgenden
84 Wendt 1990, S. 256 [Herv. i.O.]. 85 Für kritische Reaktionen auf Wendts Beitrag siehe Conquergood, Dwight, 1990: Response to Wendt. In: Text and Performance Quarterly 10, 3, S. 256-259; Pelias, Ronald J./James VanOosting, 1990: Performance Studies. Continuing the Dialogue. In: Text and Performance Quarterly 10, 3, S. 267-268. Pelias und VanOosting verweisen auf die Kontextabhängigkeit und kulturelle Spezifik von Definitionen des Ästhetischen/Künstlerischen. Conquergood nimmt vor allem Anstoß an der in Wendts Beitrag deutlich werdenden Bemühung um disziplinäre ›Reinheit‹.
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soll diesen Argumentationslogiken am Beispiel einiger ausgewählter Texte genauer nachgespürt werden. Theater als Bildungsauftrag Marvin Carlson greift im Schlusskapitel der zweiten Auflage seines Überblickswerks Performance: A Critical Introduction (2004) die Beobachtung auf, dass, insofern der Performancebegriff jede Inszenierung, egal ob diese im Fußballstadion oder in einem Theatergebäude stattfinde, als soziales Ereignis beschreibbar mache, die Unterscheidung von Kunst und Alltags- bzw. Populärkultur im ›Performance-Paradigma‹ eingeebnet werde. Carlson, dessen Buch sich auch als Beleg der Produktivität der weit gefassten Kategorie ›Performance‹ liest, setzt in seinen Schlussbetrachtungen einer ubiquitären Ausweitung des Performancebegriffs ein Plädoyer für die Besonderheiten ›theatraler Performance‹ (theatrical performance) entgegen.86 Das dramatische Theater und die Performancekunst, die Carlson beide unter ›theatrale Performance‹ fasst, zeichneten sich, so Carlson, durch ein besonderes kritisches und reflexives Potenzial aus. Dadurch unterscheide sich der Besuch eines Fußballspiels dann doch erheblich von einem Abend im Theater. Als Ort, an dem Vorstellungen von Selbst und Welt bewusst zur Disposition gestellt würden, werde das Dargebotene im Theater von den Zuschauerinnen und Zuschauern dezidiert als Anlass intellektueller Auseinandersetzung verstanden und gerade als solcher auch geschätzt.87 Auch wenn sich andere Formen kultureller ›Performance‹ ebenso als gesellschaftliche Kommentare verstehen ließen, so sei es doch dem Theater vorbehalten, die Rolle des Kommentators explizit und in privilegierter Weise einzunehmen: »Cultural performance may indeed function as a kind of metacommentary on its society, and may be best studied in that function by ethnographers, but neither performers nor spectators can be primarily characterized as consciously seeking out cultural performance as metacommentary on their culture. […] In ›theatrical‹ performance, however, such activity is constantly foregrounded. Performers and audience alike accept that a primary function of this activity is precisely cultural and social metacommentary, the exploration of self and other, of the world as experienced, and of alternative possibilities.«88
Carlson sieht die Besonderheit von ›Theater‹ also darin, dass es sich als Raum der Ideen verstehen lässt, als potenziell utopischer Ort, an dem Vorstellungen
86 Carlson 2004, S. 213. 87 Siehe ebd., S. 214. 88 Ebd., S. 214.
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von Selbst und Welt erprobt werden können.89 Gerade in der Funktion der Rahmung des Dargebotenen, das dieses aus dem Fluss des alltäglichen Geschehens auf eine andere Realitätsebene hebe, entfalte ›Theater‹ sein ihm ganz eigenes Potenzial. Es ist wichtig, dass Carlsons ›theatrale Performance‹ sich nicht auf eine spezifische Theaterform beschränkt. Es geht ihm nämlich vor allem darum, die Idee von Kunst stark zu machen, die in der Unterschiede nivellierenden Perspektive des ›Performance-Paradigmas‹ verloren zu gehen drohe. Noch klarer als von Marvin Carlson wird die Engführung von Theater und Bildungs- oder gar zivilisatorischem Auftrag von der Theaterkritikerin Bonnie Marranca, einer wichtigen Kommentatorin der amerikanischen Avantgarde, ausformuliert. In einem Artikel für das Performing Arts Journal, der 1995, also im gleichen Jahr wie der Schechner’sche Aufruf zur Transformation der Theater Departments, erscheint, nimmt sich Marranca ebenfalls der Situation der universitären Theaterforschung an.90 Wie Schechner beklagt Marranca die starke Fokussierung der Theater Departments auf eine künstlerisch-praktische Ausbildung. Ebenfalls als Problemfeld macht Marranca die Tatsache aus, dass zu wenig fundierte Kenntnisse der Theatergeschichte sowie – auch darin Schechner an sich nicht unähnlich – kaum Wissen über nicht westliche Theaterkulturen vermittelt würden. Der entscheidende Unterschied zur Argumentation Schechners besteht jedoch darin, dass Marranca dezidiert auf dem Kunstbegriff besteht. Kunst – und darunter fällt dann auch ›Theater‹ – wird von Marranca als Ort der Wahrheit und Erkenntnis positioniert: »In this age of information theatre has something of infinitely more nuance to offer: knowledge. It is the only cultural space in which felt speech and concentrated listening and looking is preserved, and which in each historical period takes as its subject the representation of the self. In this realm one can discover qualities increasingly disappearing from contemporary experience, such as privacy and intimacy and spiritual feeling.«91
89 In ähnlicher Weise verteidigt Jill Dolan in Utopia in Performance (2005) das Theater als Ort, an dem in Zusammenkunft der Zuschauenden Entwürfe einer besseren Zukunft geteilt werden. Dolan plädiert dabei auch für eine Erneuerung humanistischer Begrifflichkeiten wie ›Hoffnung‹ und ›Liebe‹, die im Zuge dekonstruktivistischer Theoriebildungen in Ungnade gefallen waren. Siehe Dolan, Jill, 2005: Utopia in Performance. Finding Hope at the Theater. Ann Arbor: The University of Michigan Press. 90 Siehe Marranca, Bonnie, 1995: Theatre and the University at the End of the Twentieth Century. In: Performing Arts Journal 17, 2/3, S. 55-71. 91 Marranca 1995, S. 57.
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Wie sich im Folgenden noch zeigen wird, entfalten Marrancas Texte ›Theater‹ und ›Performance‹ nach einem Modell von Tiefe und Oberfläche. So kommt das Theater in der zuvor zitierten Passage als Ort kontemplativer Sammlung und Selbstbefragung in den Blick. Nicht in der Dimension des Öffentlichen oder gar der massenhaften Versammlung bestehe die Relevanz von Theater. Im Gegenteil stellt Marranca das Theater gerade als Rückzugsmöglichkeit vor, die es erlaube, dem rastlosen Treiben der Außenwelt zu entkommen. ›Theater‹ erscheint auf der Schwelle zum 21. Jahrhundert – einer Zeit, die bestimmt sei vom rasanten Austausch von Daten und einer narzisstischen ›Performancekultur‹ – als letzter Ort, an dem in »intimer Privatsphäre« komplexe und ›tiefe‹ Erfahrungen geistiger Erbauung gemacht werden könnten. Den Performance Studies und dem mit ihnen verbundenen ›PerformanceParadigma‹ wirft Marranca vor, diesen elementaren Wert des Theaters zu verkennen. Anstatt das Potenzial des Theaters, Überblick zu verschaffen, ernst zu nehmen und auch in der universitären Ausbildung stark zu machen, verlören sich die Performance Studies im Disparaten und Mikroskopischen. Diesem Versäumnis sowie der prominenten Forcierung von kritischer und politischer Theoriebildung sei der katastrophale Zustand der amerikanischen Humanities geschuldet. Marranca bringt dies in zugespitzter Weise zum Ausdruck, wenn sie schreibt: »[…Students] have been robbed of this world book of knowledge by the chaotic, politicized nature of study in the university throughout the eighties and nineties that has bred a culture of fear and despair and self-hatred and divisiveness.«92 Marranca macht gegen die theoretisch informierten und politisch sensibilisierten Performance Studies formalistische Kriterien im Nachdenken über Kunst sowie die Position der Kritikerin als distanzierte und objektive Beurteilungsinstanz stark.93 Marrancas Ausführungen müssen im Kontext einer weitreichenderen Diskussion über das Selbstverständnis der Humanities an den amerikanischen Universitäten gesehen werden. Mit dem Erfolg poststrukturalistischer Theorien, insbesondere der Dekonstruktion, und der damit verbundenen Erschütterung der Idee der Autonomie und Universalität der Kunst, geriet auch das Selbstverständnis der Kunstwissenschaften ins Wanken. Ein Studienprogramm, das auf die Vermittlung ›großer Werke‹, die Einführung in kulturelle ›Errungenschaften‹ der westlichen Zivilisation sowie die Erziehung zu einem Gefühl der Verantwortung für das Bewahren dieses ›Erbes‹ zielt, erschien im Licht der differenzbewussten und für die Mechanismen der Konstruktion von Bewertungskategorien sensiblen
92 Marranca 1995, S. 71. 93 Siehe ebd., S. 64-66.
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dekonstruktivistischen, feministischen und postkolonialistischen Perspektiven nicht nur obsolet, sondern politisch problematisch. Die darauffolgenden revisionistischen Umarbeitungen des Kanons sowie der Aufstieg der Sensibilisierung für politische Dimensionen und Konflikthaftigkeit kultureller Prozesse zum pädagogischen Ideal lassen die interesselose Beschäftigung mit ›reiner Kunst‹ unmöglich, ja reaktionär, scheinen. Die Debatte um die vermeintliche oder tatsächliche ›Politisierung‹ von Lehre und Forschung an amerikanischen Hochschulen wurde entsprechend hitzig geführt und kann hier nicht im Detail dargestellt werden. Es sei daher an dieser Stelle auf die entsprechende Literatur verwiesen.94 Wichtig festzuhalten ist hier, dass der Performancebegriff und das ›Performance-Paradigma‹ einer Disziplin wie der Performance Studies aus einer kulturkonservativen Perspektive gerade auch aufgrund ihrer politischen Aufladungen abgelehnt werden. Bonnie Marranca und Gautam Dasgupta, Herausgeber des Performing Arts Journal, schreiben in einem Kommentar z.B.: »To make performance a means of cultural analysis is to substitute a kind of Performacism for Marxism in the analysis of societies and their means of production.«95 Es ist die
94 Vgl. für die Idee einer kritischen Pädagogik, in deren Fokus die Erziehung zu Konfliktbewusstsein steht: Graff, Gerald, 1992: Beyond the Culture Wars. How Teaching the Conflicts Can Revitalize American Education. New York/London: W.W. Norton and Co. Siehe auch: Gunn, Giles, 1987: The Culture of Criticism and the Criticism of Culture. New York/Oxford: Oxford University Press. Für teils stark polemisch formulierte Einwände gegen eine Abkehr von einem traditionellen Verständnis der Humanities als Entdecker, Bewahrer, Richter und Vermittler ›großer Werke‹ sowie für eine Kritik der Politisierung universitärer Lehre und Forschung vgl. Bloom, Allan, 1987: The Closing of the American Mind. How Higher Education Has Failed Democracy and Impoverished the Souls of Today’s Students. New York: Simon & Schuster; Kimball, Roger, 1990: Tenured Radicals. How Politics Has Corrupted Our Higher Education. New York: Harper and Row; Smith, Page, 1990: Killing the Spirit. Higher Education in America. New York: Viking. Für Gegenstimmen, die den Einzug eines politisch sensibilisierten Bewusstseins in die Humanities gegen die Bedenken von rechtskonservativer Seite verteidigen vgl. Levine, George et al., 1989: Speaking for the Humanities. New York: American Council of Learned Societies; Levine, Lawrence W., 1996: The Opening of the American Mind. Canons, Culture, and History. Boston: Beacon Press. 95 Marranca, Bonnie/Gautam Dasgupta, 1988: Critical Positions. In: Performing Arts Journal 11, 2, S. 4-6, hier S. 5. Marrancas und Dasguptas Kritik, die in erster Linie das von Richard Schechner forcierte ›breite Spektrum‹ der Performance Studies im Visier hat, bleibt von Schechners Seite nicht unbeantwortet. Schechner antwortet in
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Fokussierung auf die sozialen Dimensionen und politischen Verortungen von Aufführungen, die das ›Performance-Paradigma‹ in die Nähe marxistischer Gesellschaftsanalyse rückt und daher ablehnungswürdig erscheinen lässt. Die Gefahr der Nivellierung, die mit dem ›Performance-Paradigma‹ hier verbunden wird, speist sich, so wird deutlich, aus zwei Quellen. Einerseits scheint das ›Performance-Paradigma‹ das Theater als Untersuchungsobjekt in den Blick zu nehmen, das als von populären und alltagskulturellen Praktiken und Ereignissen nicht wesentlich verschieden wahrgenommen wird. Zweitens erscheint Differenz durch die gewissermaßen homogenisierende Untersuchungsperspektive des ›Performance-Paradigmas‹ in Abrede gestellt zu werden. Marranca und Dasgupta beharren dagegen auf der Notwendigkeit, dem Theater auf eine Weise zu begegnen, die diesem angemessen ist. Angemessen scheint dabei ausschließlich eine Perspektive, die das Theater als geistiges Phänomen ernst nimmt: »Unless theatre departments return the study of theatre to the life of the mind (and that includes the body’s contribution), we are in grave danger of seeing not only theatre, but every activity in the world itself, simply as one big performance act. That is a reductive, dead-end view, irresponsibly ahistorical.«96 Unter diesem Gesichtspunkt gewinnt dann auch das Drama an Bedeutung. Wenn ›Theater‹ Anschauungsort bzw. Ort der Diskursivierung ist, an dem Vorstellungen von Selbst und Welt verhandelt werden, dann kommt dem dramatischen Text dabei eine herausragende Bedeutung zu. Das Drama ist für Marranca vielmehr sogar der einzige Garant für die Existenz und kulturelle Legitimität des Theaters als eigenständiger Kunstform.97 Hinter dem von Marranca vehement gegen eine Subsumierung unter den Begriff ›Performance‹ verteidigten Theater-
einem TDR-Kommentar mit dem Verweis darauf, dass es keine ideologiefreie und damit nicht in soziale und politische Belange verstrickte Kunst geben könne. Er wirft Marranca und Dasgupta eine elitäre Haltung sowie Befangenheit in kolonialistischen Denkmustern vor: »[…T]he ›realm of art‹ is a phony country, an elitist cover-up for making art (both works and artists) into consumer objects and capitalist fetishes. […] When the PAJ editors celebrate what they call ›the history of civilizations‹ they are invoking nothing other than the old racist/colonial distinction between ›civilized‹ and ›savage‹ […].« (Schechner, Richard, 1989: PAJ Distorts the Broad Spectrum. In: The Drama Review 33, 2, S. 4-9, hier S. 8) 96 Marranca/Dasgupta 1988, S. 6 97 Siehe Marranca, Bonnie, 1984: The Politics of Performance. In: Dies., Theatre Writings. New York: Performing Arts Journal Publications, S. 129-142.
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begriff steht also das Modell eines bürgerlichen Literaturtheaters. 98 Dies zeigt sich noch expliziter in einem späteren Artikel Bonnie Marrancas, in dem sie sich noch einmal mit dem Erfolg des Begriffs ›Performance‹ auseinandersetzt.99 Performance als Symptom einer narzisstischen Kultur Marranca konstatiert in »Performance, a Personal History« (2006), fast 20 Jahre nach Erscheinen ihrer Einwände gegen Schechners ›Performance-Paradigma‹, dass sich ›Performance‹ als das kulturelle Leben in den USA bestimmende Denk- und Leitfigur durchgesetzt habe: »Offering a vocabulary of human action that can be used to shape a view of the world and its histories, performance is the condition to which American culture increasingly aspires.«100 Noch einmal stärkt Marranca ihre Kritik an einer Verwischung der Grenzen zwischen Hoch- und Populärkultur, die nicht allein von der akademischen Theoriebildung, sondern auch von der künstlerischen Praxis zunehmend verwirklicht werde.101 Ebenso wiederholt Marranca ihre Kritik an einer übermäßig theorielastigen Herangehensweise an die Beschäftigung mit Kunst und plädiert für stärker deskriptive und dokumentarische Forschungsarbeiten.102 Von größerem Interesse ist jedoch, dass Marrancas kulturkritische und teils pessimistisch getönte Reflexionen der Dominanz von ›Performance‹ das Modell eines dramatischen Theaters als rettende Alternative evozieren. Marranca skizziert die Karriere von ›Performance‹ als Symptom einer narzisstischen Kultur, die auf Aufmerksamkeit ausgerichtet sei und deren beschleunigte Kommunikation sich nur als Austausch von Informationen ohne jede Tiefe vollziehe.103 Das öffentliche Leben erscheint in hohem Maße theatralisiert, insofern sich die agierenden Subjekte ständig für die Blicke anderer inszenierten und sich ihres Be-
98
Wenn hier von ›bürgerlichem Literaturtheater‹ die Rede ist, dann gilt es, zu bedenken, dass das Theater und insbesondere das Verständnis von Theater als Hochkultur und dem Drama verpflichtete Institution in den USA eine andere Geschichte hat als z.B. das ›bürgerliche Literaturtheater‹ in Deutschland. Vgl. für eine Diskussion des Aufstiegs des Theaters in den USA zu einer Institution der Hochkultur: Levine, Lawrence W., 1988: Highbrow/Lowbrow. The Emergence of Cultural Hierarchy in America. Cambridge: Harvard University Press.
99
Siehe Marranca, Bonnie, 2006: Performance, a Personal History. In: Performing Arts Journal 28, 1, S. 3-19.
100 Marranca 2006, S. 3. 101 Siehe ebd., S. 7-8. 102 Siehe ebd., S. 16-17. 103 Siehe ebd., S. 11-12 u. 18.
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trachtet-Werdens bewusst seien. Die Metapher der ›Performance‹, in der dieses öffentliche Leben beschrieben werde und derer sich auch der einzelne bediene, um sich und sein Tun zu erklären, entlarve, so Marranca, die generelle Leere und Orientierungslosigkeit, die das gesellschaftliche und kulturelle Leben in den USA bestimmten. Nicht Sinnstiftung und Verortung in überindividuellen Zusammenhängen leiste ›Performance‹ als Metapher, sondern sie liefere lediglich eine Vorlage für einen unendlichen Reigen prahlerischer Verwandlung und infantilen Spiels: »The performance culture that is America transforms everything into some form of actorspectacle equation. Can one differentiate any longer between an installation, a theatre set, a window display or interior design? […] On the street I’ve noticed that everyone’s gestures seem so much bigger these days, their responses to ordinary events so highly emotional, as if they know they are being watched. […] If at emotionally-heightened moments people used to describe their lives as being like a film, now the same situation is framed within the context of performing. The difference is this: in the film metaphor, a person described him or herself as a ›character,‹ that is, someone part of a larger narrative, whereas in the performance scenario, one sees oneself as a ›celebrity‹ of sorts; here there is no narrative context, only a repertoire of morphing positions, playing around. […] In the performance marvelous, now turned performance pathetic, the idea is to be noticed, applauded, rewarded for effort. If once all the arts aspired to music, today art and culture long for the state of performance. Performance has become an essential point of reference, as it contributes increasingly to the analysis of culture, and, at the individual level, redefines itself as a medium of self-empowerment and vainglory.«104
Eine Alternative zu ›Performance‹, die als künstlerische und kulturelle Praktik ebenso wie als analytische Metapher Verflachungen und egozentrischen Attitüden Vorschub zu leisten scheint, bietet, Marranca zufolge, das ›Drama‹. Es sind dabei zwei Eigenschaften, die ›Drama‹ in deutliche Spannung zu ›Performance‹ setzen und dadurch attraktiv erscheinen lassen: seine Unzeitmäßigkeit und sein Potenzial zu Tiefe. Gerade weil das Drama anderen zeitlichen Rhythmen folge – Marranca schreibt, das ›Drama‹ »hinke« hinterher – als die beschleunigte Gegenwart, berge es das Potenzial zur Ausnahme.105 Die Andersartigkeit des Dramas besteht dabei in seiner Komplexität und in seiner Ermöglichung von Konzentration:
104 Marranca 2006, S. 11-12 [Herv. i.O.]. 105 Siehe ebd., S. 18.
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»Even as contemporary life is lived more and more publicly, and with a diminished sense of the private, individuals have also turned inward. Perhaps the dramatic form, which lags behind in its rhythms and has so much competition with increasingly spectacle-oriented experience, can reinvent itself as an exceptional cultural space. Here one might find subleties of human acts and concentrated speaking and listening, or the long sentences of complex thought, now disappearing from the public realm.«106
Fast wortgenau wiederholt sich hier in der Skizzierung des Begriffs des ›Dramas‹ die Beschreibung, die Marranca einige Jahre zuvor für ›Theater‹ gegeben hatte.107 Zusammenfassend kann also festgehalten werden, dass Marranca gegen die zunehmende Rede von der ›Performance‹ einen engen Theaterbegriff verteidigt, der ›Theater‹ mit dem dramatischen Literaturtheater gleichsetzt. Insofern schreibt sich in der aus kulturkonservativer Perspektive formulierten Kritik an den Performance Studies das enge Theaterverständnis des im Kontext der Gründungsdebatten der Performance Studies forcierten ›Performance-Paradigmas‹ fort. Kritisiert wird nicht etwa, wie in Philip Auslanders »Evangelical Fervor«108, dass die Präferenz der Performance Studies für den Begriff ›Performance‹ das Potenzial von ›Theater‹ als Metapher verkenne oder, dass, wie W.B. Worthen in »Disciplines of the Text/Sites of Performance«109 einwendet, die Positionierung des Performancebegriffs als historisch ›unschuldiger‹ und kulturübergreifend unproblematischer Begriff die spezifischen Abhängigkeiten des Performancebegriffs von seinen Gegenbegriffen übersehe. Es geht dagegen um die Verteidigung eben jener Kunstform, die in den Gründungsdebatten der Performance Studies für marginal und überholt erklärt wird. Dabei wird nicht nur darauf bestanden, dass das dramatische Theater den Großteil der Theaterproduktionen in den USA ausmache und damit sowohl für Zuschauende als auch für diejenigen, die eine berufliche Zukunft im Theaterbereich anstreben, den hauptsächlichen Bezugspunkt bilde.110 Es kommt auch zu einer idealistischen Überhöhung des dra-
106 Marranca 2006, S. 18. 107 Marranca charakterisiert ›Theater‹ zuvor als »concentrated listening and looking« (Marranca 1995, S. 57). Dass an die Stelle des früheren Schauens nun das Sprechen tritt, erklärt sich möglicherweise aus einer gewachsenen Skepsis gegenüber mit ›Performance‹ verbundenen spektakelhaften Schauwerten. 108 Siehe Auslander 1995. 109 Siehe Worthen 1995a. 110 Siehe hierzu auch: Bottoms, Stephen, 2011: In Defense of the String Quartet. An Open Letter to Richard Schechner. In: James Harding/Cindy Rosenthal (Hg.), The
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matischen Theaters als Ort geistiger Erbauung und als Gegenentwurf zur schnelllebigen und von Oberflächlichkeit geprägten Gegenwart. Der Performancebegriff taucht in der kulturkonservativen Kritik an den Performance Studies als negativer Begriff auf, der symptomatisch für eine ganze Reihe an für problematisch gehaltenen Entwicklungen in Kunst, Kultur und Gesellschaft steht. Mit Blick auf den Bereich der Kunst scheint mit der Durchsetzung von ›Performance‹ die Vorstellung von Kunst als Sonderraum gefährdet, an den Universitäten verdränge das ›Performance-Paradigma‹ die Beschäftigung mit einem für allgemein gültig befundenen Kanon ›großer Werke‹ und in Populärkultur wie Alltag scheint sich im Performancebegriff die Selbstverliebtheit einer durch Medien geprägten Generation zu bündeln. In dieser häufig polemischen Auseinandersetzung mit ›Performance‹ wird ›Theater‹ vor allem als positiv besetztes Gegenbeispiel mobilisiert und dabei auf die Bedeutung ›dramatisches Theater‹ verengt. Dabei steht dann ›Theater‹ nicht nur für eine spezifische Kunstform, sondern erscheint darüberhinaus auch als Kulturtechnik der Konzentration und Versenkung. Der Wert der Distanz Es soll abschließend noch auf zwei Aufsätze eingegangen werden, die ihre Kritik an performancetheoretischen Ansätzen mit Bezug auf die Arbeit des Schauspielers formulieren und die dabei einige im vorigen Abschnitt dargestellte Argumente gegen Performancetheorie und Performance Studies – vor allem den Vorwurf, dass die Forcierung von ›Performance‹ zu einer übermäßigen Fokussierung des Partikularen führe – fortschreiben. Richard Hornby und Davi Napoleon diskutieren in jeweils im Jahr 1994 und 1995 in der Zeitschrift TheaterWeek erscheinenden Aufsätzen das Aufkommen von Performancetheorie und Performance Studies einerseits als Gefahr für den akademischen Stellenwert von Drama und Theatergeschichte und andererseits als Gefahr für die Theaterpraxis. Bemerkenswerterweise bringen beide Performancetheorie und Lee Strasbergs als Method Acting bekannt gewordene Lehre naturalistischen Schauspiels miteinander in Verbindung. Richard Hornby beginnt seinen Aufsatz »Against Performance Theory: A Polemic on the Lack of Connection Between the Study and Practice of Theater« (1994) mit einer Klage über die mangelnde Qualität amerikanischer Schauspielerinnen und Schauspieler.111 Einen Hauptgrund hierfür sieht
Rise of Performance Studies. Rethinking Richard Schechner’s Broad Spectrum. Basingstoke/New York: Palgrave Macmillan, S. 23-38. 111 Siehe Hornby, Richard, 1994: Against Performance Theory. A Polemic on the Lack of Connection Between the Study and Practice of Theater. In: TheaterWeek vom
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Hornby im Erfolg der Strasbergschen Methode, deren Forcierung der persönlichen Erfahrungen als Grundimpuls des Schauspielens dafür sorge, dass der Schauspieler sich im Spiel nicht mehr über das Individuelle hinaus erheben könne: »Shackled by a realistic acting theory that minimalizes performance, relating everything to the actor’s personal life, the American actor cannot soar anymore; he pines, he sinks, he stinks.«112 Als weiteren Grund führt Hornby die angeblich mangelnde Lektürelust von Schauspielern und anderen Theaterschaffenden an.113 Ähnlich wie in Bonnie Marrancas Texten wird hier also der Bedeutungsverlust von Literatur beklagt, der automatisch mit der Abkehr von Abstraktion verbunden scheint. Insofern Performancetheorie die Bedeutsamkeit dramatischer Texte in Abrede stelle und auch nicht das Schauspiel zum Hauptgegenstand der Reflexion mache, trage sie nicht zur Lösung der von Hornby diagnostizierten Probleme bei. So strittig Hornbys Ansichten auch sein mögen, so gibt die von ihm gezogene Verbindung von Performancetheorie und Method Acting doch Einsicht in die den Einwänden gegen das ›Performance-Paradigma‹ zugrunde liegenden Motive. Dies wird mit Blick auf die von Davi Napoleon formulierte Kritik der Performance Studies noch deutlicher. Napoleon kritisiert die Performance Studies für ihre interdisziplinären Entgrenzungen sowie für die Nivellierung von Differenzen zwischen Kunst und Alltag. Sie greift Hornbys Aufsatz auf und führt die dort aufgebrachte Referenz auf Strasberg zu folgender Kritik an den Performance Studies zusammen: »While Strasberg limited a character to what the actor brought to it from his own experience, PS eliminates characters altogether, substituting you and me and everyone else. Performance Studies is method gone mad.«114 Wie ist diese Metapher zu verstehen? Mit dem Method Acting rufen Hornby und Napoleon ein Schauspielideal auf, das darauf zielt, die Distanz zwischen Rolle und Schauspieler zu verringern und das von der Relevanz leiblich verankerter Erfahrungen und Emotionen ausgeht, die im Schauspiel zu einem besonders überzeugenden Effekt von Realität oder Authentizität einer Figur führen könnten. Diese Art der Bindung an das Tatsächliche erscheint bei Hornby als Einschränkung des Schauspielers auf das Konkre-
17.-23. Oktober, S. 31-37. Der Beitrag wurde nochmals in einer ausführlicheren Version veröffentlicht: Hornby, Richard, 1995: The Death of Literature and History. In: Theatre Topics 5, 2, S. 143-150. 112 Hornby 1994, S. 31. 113 Siehe ebd., S. 35. 114 Napoleon, Davi, 1995: Transcending Substance. In: TheaterWeek vom 20.-26. November, S. 46-50, hier S. 50.
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te und Individuelle. Napoleons Formulierung hebt stärker auf die Eliminierung des Fiktiven ab, die sie sowohl als Grundtendenz der Strasbergschen Methode als auch als Konsequenz der Nivellierung der Unterscheidung von professionellem Schauspiel und Alltagshandeln erkennt, die sie den Performance Studies zum Vorwurf macht. In Zusammenhang mit der Frage nach den Bezugnahmen auf ›Theater‹ im amerikanischen Performancediskurs ordnen sich Hornbys und Napoleons Texte in die kulturkonservative Verteidigung des Theaters als Ort ein, an dem es um die Auseinandersetzung mit Vorstellungen von Selbst und Welt geht, die in überindividueller und abstrakter Weise verhandelt werden.
5.3 RESÜMEE In diesem Kapitel standen die Debatten um die Gründung der Performance Studies als universitärer Disziplin im Fokus, die sich Ende der 1980er Jahre bis zu Beginn der 2000er Jahre erstrecken. In den Texten, die für eine Neuausrichtung der Theater Studies bzw. der Oral Interpretation als Performance Studies streiten, wird ein weitreichendes ›Performance-Paradigma‹ ausgerufen, das für eine Entgrenzung des Gegenstandsbereiches, für interdisziplinäre Methodenvielfalt, vor allem aber für eine stärkere Berücksichtigung der Verbindungen von ›Performance‹ mit den jeweiligen sozialen und politischen Realitäten, die ihren Kontext bilden, steht. Argumentiert wird im Zuge des Interesses der Performance Studies an der sozialen Bedeut- und Wirksamkeit von ›Performance‹ weiterhin für eine Abkehr von der Vorstellung von Kunst als ästhetischem Sonderraum sowie generell für einen Abschied von den Künsten als privilegiertem Untersuchungsgegenstand der Performance Studies. Der Theaterbegriff wird in den programmatischen Texten der Gründungsdebatten der Performance Studies auf die Bedeutung ›dramatisches Theater‹ verengt und bezieht sich damit auf eine bestimmte Kunstform. Unter den vielfältigen Aufführungsformen, die unter dem Begriff ›Performance‹ die Untersuchungsgegenstände der Performance Studies bilden, erscheint das dramatische Theater im ›Performance-Paradigma‹ der Gründungsdebatten zudem als marginal, da es, anders als sub- oder alltagskulturelle ›Performances‹, nicht unmittelbar und in existenzieller Dringlichkeit mit dem Leben der Beteiligten verbunden scheint. Obwohl sich das Interesse der Performance Studies auf Aufführungen erstreckt und mit der Forcierung von ›Performance‹ als Perspektive erprobt wird, wie produktiv sich auch z.B. ein Museum oder ein Gemälde als ›Tun‹ analysieren lassen, wird der Theaterbegriff in den Gründungsdebatten der Performance Studies nicht als leitende Metapher entwickelt.
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Der Vorzug wird dem Performancebegriff gegeben, der als umbrella term verschiedene Aufführungsformen umfasst und zugleich als leitende analytische Perspektive entworfen wird. Begründet wird die Ablehnung des Theaterbegriffs damit, dass dieser historisch auf eine spezifisch westliche Kunstform verweist und daher Konnotationen trägt, die sich nicht mit dem Anspruch vereinbaren lassen, Aufführungen kulturübergreifend und jenseits einer hierarchischen Unterteilung in Kunst und Populär- bzw. Alltagskultur zu beschreiben. Der Performancebegriff wird dementsprechend in den Gründungsdebatten, die für die Institutionalisierung der Performance Studies argumentieren, als historisch ›unschuldiger‹ Begriff formiert, der als kulturübergreifend neutral und demokratisch gilt. Weiterhin schreibt sich in den Gründungsdebatten der Performance Studies auch die zuvor in den ritualtheoretisch informierten Performancetheorien formulierte Assoziation von ›Performance‹ mit Tatsächlichkeit, Hervorbringung und Transformation fort. Auch dadurch motiviert sich, dass im Diskurs zur Begründung der Performance Studies dem Performancebegriff der Vorzug vor dem Theaterbegriff gegeben wird.115 Trotzdem in den programmatischen Texten zur Gründung der Performance Studies auf Abstand zum Theaterbegriff gegangen wird, halten sich insbesondere in der Konturierung des Performancebegriffs als politisch geladenem Begriff bestimmte Assoziationen des Theatralen. Ihrer Selbstbeschreibung als AntiDisziplin gemäß erheben die Performance Studies die Kritik an bestehenden Machtverhältnissen – seien dies etablierte Hierarchisierungen wissenschaftlicher Untersuchungsgegenstände und Vorgehensweisen, seien dies gesellschaftspolitische Verhältnisse von Hegemonie und Marginalisierung – zu einem ihrer hauptsächlichen Anliegen. Dabei rückt auch das Potenzial der ›Performance‹ in den Blick, Ort subversiver Akte des Verstellens und Versteckens – der, in Dwight Conquergoods Worten, »protective arts of disguise and secrecy«116 – zu sein. Die Vorstellung, dass in der ›Performance‹ mittels Maskerade, Täuschung und Verstellung Machtverhältnisse unterlaufen werden können, erinnert an das beson-
115 Explizit verweist Dwight Conquergood auf die Bedeutung der ritualtheoretisch informierten Performancetheorie für die Formulierung eines Performancebegriffes, der die Dimensionen der Tatsächlichkeit, Hervorbringung und transformativen Kraft in den Vordergrund rückt: »His [Victor Turner; VA] constructional theory foregrounded the culture-creating capacities of performance and functioned as a challenge and counterproject to the ›antitheatrical prejudice‹ that, since Plato, has aligned performance with fakery and falsehood (Barish 1981). […] Turner shifted thinking about performance from mimesis to poiesis.« (Conquergood 1995, S. 138) 116 Conquergood 2002, S. 146.
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ders prominent von Michail Bachtin beschriebene Modell eines karnevalesken Volkstheaters.117 Bachtin geht davon aus, dass volkstümliche Feierlichkeiten wie der Karneval einen Gegenraum eröffnen, in dem mittels Maskerade Rollen getauscht und auf körperlich-sinnliche Weise Entgrenzungszustände genossen werden können. Auf diese Weise werden die gesellschaftlichen Ordnungsstrukturen und gängigen Machtverhältnisse auf den Kopf und auf die Probe gestellt. Auch das Interesse der Performance Studies an volkstümlichen, populären und subkulturellen Aufführungen, die als das ›Andere‹ der Hochkultur erscheinen, zeugt davon, dass die Performance Studies – trotz ihrer Abwendung vom dramatischen Theater als privilegiertem Untersuchungsgegenstand und trotz der Distanzierung von ›Theater‹ als Metapher – einer antibürgerlichen, karnevalesken Vorstellung von ›Theatralität‹ verbunden bleiben, die ›Theatralität‹ mit trickreicher Verwandlung und Grenzüberschreitung assoziiert.118 Gegen die Performanceforschung und gegen das sich formierende Feld der Performance Studies wird, wie sich gezeigt hat, der Vorwurf erhoben, dass es sich um eine literaturfeindliche und ahistorisch denkende Bewegung handele, die die Tatsache ignoriere, dass das dramatische Theater sowohl in historischer Rückschau als auch mit Blick in die Gegenwart auf amerikanischen Bühnen dominiere. Gegen die für die Kategorie ›Performance‹ charakteristische Tendenz zur Einebnung von Unterscheidungen zwischen Kunst und Alltag, Hoch- und Populärkultur bzw. Professionalität und Laientum wird zudem immer wieder auf die Besonderheit und das Potenzial der Kunst und des Ästhetischen verwiesen. Im Zuge dessen arbeiten die Texte, die sich gegen das ›Performance-Paradigma‹ richten, insbesondere an einer Verteidigung des Theaters. Dabei wird im Wesentlichen der enge Theaterbegriff des ›Performance-Paradigmas‹, der ›Theater‹ auf das dramatische Theater einschränkt, fortgeschrieben – nur eben in positiver Wendung. Gerade im dramatischen Theater, so die Argumentation, eröffne sich ein Raum für geistige Erbauung und kritische Auseinandersetzung mit den verschiedensten Entwürfen von Selbst und Welt. Das Theater als Kunstform wird also einerseits als Bildungsstätte verstanden, deren hauptsächliche Funktion der
117 Vgl. Bachtin, Michail, 1987: Rabelais und seine Welt. Volkskultur als Gegenkultur. Frankfurt/M.: Suhrkamp (Russ. 1965). 118 Zur Konzeption von volkstümlichen und populären Aufführungen als das ›andere‹ der offiziellen Hochkultur und ihrer Künste siehe: Münz, Rudolf, 1979: Das ›andere‹ Theater. Studien über ein deutschsprachiges teatro dell’arte der Lessingzeit. Berlin: Henschel.
260 | Die Theatralität der Performance
kritische Kommentar und die Anregung zu Reflexion ist. Weiterhin wird der besondere Wert des Theaters in seiner Autonomie und Kraft zur Abstraktion lokalisiert. Im Theater scheint es möglich, sich über das Konkrete und Individuelle hinaus zu erheben. Wenn das Theater mit der Berufung auf seinen Status als Kunst gegen die Zugriffe der Performancetheorie verteidigt wird, dann wird sowohl auf das besondere Können z.B. einer professionellen Schauspielerin insistiert als auch auf der Zweckfreiheit der Kunst bestanden. Dass Theater als Kunstform nicht an bestimmte Ziele gebunden ist und sich also auch nicht danach bemessen lassen muss, ob und welche Effekte erreicht werden, erscheint als schützenswerte Eigenheit. In der Verteidigung des Theaters verbinden die kritischen Einwendungen gegen das ›Performance-Paradigma‹ also Konnotationen von Schönheit und Perfektion mit der Idee der Autonomie der Kunst. Dabei wird das Theater schließlich in einigen Texten sogar zum idealisierten Gegenentwurf einer als narzisstisch und schnelllebig geltenden Gegenwart überhöht. Zusammenfassend lässt sich festhalten, dass ›Performance‹ und ›Theater‹ in den die Gründung der Performance Studies begleitenden Debatten in einem Spannungsverhältnis zueinanderstehen. Dieses erklärt sich vor allem aus der programmatischen Ausrichtung sowohl der Texte, die für das ›PerformanceParadigma‹ streiten, als auch der Texte, die gegen die Performancetheorie argumentieren. In beiden Fällen werden Performance- und Theaterbegriff aus einem jeweils spezifischen strategischen Interesse heraus modelliert und gewissermaßen ideologisch aufgeladen. Je nach Standpunkt ist es dann entweder die ›Performance‹ oder das ›Theater‹, denen als Gegenständen ein besonderes Potenzial – zur Überwindung etablierter Machtverhältnisse oder zur kritischen Distanznahme auf die Gegenwart – zugesprochen wird. Gleichermaßen gilt entweder ›Performance‹ oder ›Theater‹ als das zu verteidigende leitende Konzept, wobei ›Performance‹ als übergreifender, historisch ›unschuldiger‹ Begriff angepriesen wird und im Fall von ›Theater‹ gerade dessen Historizität und Verbundenheit mit einer spezifischen Kunstform als Argumente angeführt werden. Nicht zuletzt steht hinter dem Streit für und wider den Performancebegriff als Leitbegriff der neu zu etablierenden Disziplin der Performance Studies auch der Streit um die Rolle der Geisteswissenschaften (humanities), die in den USA seit Ende der 1980er Jahre unter dem Druck einerseits postmoderner Theoriebildungen wie auch neoliberalen Sparzwangs nach einer neuen Ausrichtung suchen.
6
Die Wiederkehr des Theaters
Seit den frühen ritualtheoretisch inspirierten Performancetheorien der 1950er Jahre erfolgt die theoretische Reflexion von ›Performance‹ in den USamerikanischen Debatten in engem Bezug zu Formierungen des Theaterbegriffs. Das Verhältnis von ›Theater‹ und ›Performance‹ zeigt sich im chronologischen Verlauf des Performancediskurses mal als Relation intimer Verwandtschaft, mal als antagonistische Opposition und manchmal als komplexe Verflechtung, bei der nur gewisse semantische Anteile von ›Theater‹ und ›Performance‹ in Gegensatz zueinanderstehen. Wenn spätestens seit dem Bestehen von ›Performance‹ als eigenständiger Kunstgattung in den 1960er und 1970er Jahren ›Performance‹ in der Performancetheorie häufig als Gattungsbegriff verwendet wird und nicht mehr nur im Sinne von ›Aufführung/Ausführung‹, wird das Verhältnis von ›Performance‹ und ›Theater‹ noch einmal komplizierter. Verstanden als Kunstgattungen können sich dann ›Performance‹ und ›Theater‹ als Gegensätze gegenüberstehen, während beide dennoch, insofern sie Orte der Aufführung sind, dasselbe Potenzial teilen, das sich aus der Grundkonstellation der Aufführung als Zusammentreffen von Agierenden und Zuschauenden im Hier und Jetzt ergibt. Die in diesem Kapitel betrachtete Phase der Performancetheorie zeichnet sich insgesamt dadurch aus, dass es nicht mehr hauptsächlich um die Abgrenzung von ›Theater‹ und ›Performance‹ geht. Sowohl auf der Ebene der diskutierten Gegenstände als auch auf Ebene der theoretischen Konzeption werden ›Theater‹ und ›Performance‹ nebeneinander und/oder in Koppelung verwendet. ›Theater‹ kehrt mit bestimmten Entwicklungen im experimentellen Theater in den USA wie z.B. den Inszenierungen der New Yorker Wooster Group, die weder dem realistischen Literaturtheater noch der formalistischen Performance-
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kunst entsprechen, zurück in die Performancetheorie.1 In Theaterarbeiten wie denen der Wooster Group zeigt sich das Theater dem Performancediskurs neu als Ort kritischer und politischer Aufführungen. Zudem, so wird im Folgenden zu zeigen sein, entdeckt die amerikanische Performancetheorie seit Ende der 1990er Jahre verstärkt auch das theoretische Potenzial von ›Theater‹. Dies hat vor allem mit einem zunehmenden Interesse an Fragen der Zeitlichkeit von ›Performance‹ zu tun. Nachdem die Performancetheorie, wenn auch immer wieder unter anderem Vorzeichen, ›Performance‹ vor allem als Aufführungsgeschehen in den Blick genommen hat, das sich im zeitlichen Hier und Jetzt vollzieht, fragt der Diskurs seit Ende der 1990er Jahre stärker nach den Verflechtungen von ›Performance‹, Geschichte und Erinnerung. ›Performance‹ wird dabei als Medium diskutiert, in dem Vorstellungen von Vergangenheit ausgehandelt und die Bedeutungen des Vergangenen für die Gegenwart artikuliert werden. ›Performance‹ wird das Potenzial zugesprochen, Vergangenes in die Gegenwart zu holen, Erinnerung zu übertragen und Lesarten von Geschichte zu revidieren. Das Theater spielt hierbei als Analysegegenstand eine wichtige Rolle. Dies mag daran liegen, dass insbesondere das textbasierte Theater die Auseinandersetzung mit Geschichte immer wieder explizit zum Stoff hat und dass gerade im textbasierten Theater stets dessen eigene Verstrickung in zeitlich Vorgängiges erkennbar ist. Das Interesse an der Zeitlichkeit der ›Performance‹ verstärkt sich Ende der 1990er Jahre jedoch nicht nur aus der Theoriebildung internen Motiven, sondern gewinnt Impulse auch aus der künstlerischen Praxis. Im Jahr 2005 präsentiert die Performancekünstlerin Marina Abramović im New Yorker Guggenheim Museum Seven Easy Pieces.2 Über einen Zeitraum von sieben Tagen re-inszeniert Ab-
1
Zur Wooster Group siehe Callens, Johan (Hg.), 2004: The Wooster Group and Its Traditions. Brüssel et al.: P.I.E.-Peter Lang; Savran, David, 1986: Breaking the Rules. The Wooster Group. New York: Theatre Communications Group.
2
Die Performance ist dokumentiert in: Abramović, Marina (Hg.), 2007a: 7 Easy Pieces. Milano: Charta. Für Abramović ist 7 Easy Pieces nicht die erste Annäherung an das Theater. Bereits 1983 zeigte sie mit Michael Laub eine Performance in Amsterdam, bei der Abramović für jedes ihrer Lebensjahre einen Satz sprach. Dies war laut Abramović ihre erste Theaterarbeit: »This was the first time I did something that looked like theater.« (Abramović, Marina, 2004: The Biography of Biographies. In: Dies. [Hg.], The Biography of Biographies. Milano: Charta, S. 11-16, hier S. 11). Abramović experimentierte seitdem mehrfach mit dem Format der (Auto-)Biografie und mit den Mitteln des Theaters. Die jüngste Arbeit der Biography-Serie ist The Life and Death of Marina Abramović (2011), bei der Robert Wilson Regie führte und deren
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ramović sechs Performances der 1960er und 1970er Jahre, darunter Bruce Naumans Body Pressure (1974), Valie Exports Genitalpanik (1969), Vito Acconcis Seedbed (1972) und Abramovićs eigene Performance Lips of Thomas (1975). Abramovićs Reenactments werfen einerseits Fragen nach Autorschaft und Authentizität auf. Vor allem aber steht mit dem Reenactment die grundlegende Vorstellung von ›Performance‹ als Kunstform, die nicht wiederholbar ist, auf dem Spiel. In der amerikanischen Performancetheorie, so meine These, führt dies zu einer Wiederentdeckung des ›Theaters‹ bzw. der ›Theatralität‹ als theoretische Begriffe. Im Folgenden gilt es, diese Verschiebungen im Performancediskurs nachvollziehbar zu machen. Hierfür muss zunächst der für die amerikanische Performancetheorie spezifische Topos der Flüchtigkeit (ephemerality) der ›Performance‹ vorgestellt werden. Die Idee, dass sich ›Performance‹ in ihrem zeitlichen Vollzug erschöpft und sich Speicherung, Dokumentation und Wiederholung entzieht, wird im amerikanischen Diskurs insbesondere von Peggy Phelan entwickelt und bereits vor den Debatten um das Reenactment durch Philip Auslander herausgefordert. Auslander geht es vor allem darum, aufzuzeigen, dass die Ereignishaftigkeit (liveness) der ›Performance‹ in einer mediengesättigten Gegenwart Effekt medialer Prozesse ist, so dass sich ›Performance‹ als abhängig von Speicherung und Dokumentation und nicht als deren Gegenteil erweist. Mit Blick auf die Frage nach den diskursiven Dynamiken von ›Theater‹ und ›Performance‹ wird sich zeigen, dass der Topos der Flüchtigkeit zu einer Oppositionsbildung zwischen ›Theater‹ und ›Performance‹ beiträgt. Während Einmaligkeit und Flüchtigkeit dann als Wesensmerkmale der ›Performance‹ gelten, wird ›Theater‹ mit Wiederholung assoziiert. Im zweiten Abschnitt dieses Kapitels wird es um die Frage gehen, mit welchen Begrifflichkeiten und Modellen in der Performancetheorie seit Ende der 1990er Jahre die Zeitlichkeit der ›Performance‹ jenseits der vereinfachten Gleichsetzung von ›Performance‹ mit Gegenwärtigkeit und Vergänglichkeit beschrieben wird. Hierbei wird es insbesondere darum gehen, herauszufinden, ob und welche unterschiedlichen Zuschreibungen mit Blick auf ›Theater‹ und ›Performance‹ vorgenommen werden. Abschließend steht Rebecca Schneiders Performing Remains: Art and War in Times of Theatrical Reenactment (2011) im Fokus der Ausführungen, da hier die Überlegungen zu einer theatralen Zeitlich-
monumentale und hypertheatrale Ästhetik sichtbar Wilsons Handschrift trägt. Interessanterweise ist es im Falle Abramovićs die Rückwendung auf die eigene biografische Vergangenheit, die sie zum Theater führt.
264 | Die Theatralität der Performance
keit der ›Performance‹ am umfassendsten formuliert werden.3 Für die Leitfrage nach der Bedeutung von ›Theater‹ im US-amerikanischen Performancediskurs kommt Schneiders Text daher eine Schlüsselposition zu.
6.1 DER TOPOS DER FLÜCHTIGKEIT IN DER AMERIKANISCHEN PERFORMANCETHEORIE In der amerikanischen Theoriebildung gilt Flüchtigkeit zunächst einmal als spezifische Eigenheit des Theaters. Insofern das Theater Aufführungskunst ist und sich als zeitlicher Verlauf ereignet, ist es zwangsläufig immer Akt des Verschwindens. Insbesondere Herbert Blau vertritt die Vorstellung von der Flüchtigkeit des Theaters. In einem prägnanten Satz in seinem Take Up the Bodies: Theater at the Vanishing Point (1982) kennzeichnet er das Theater als Ereignis, das im ständigen Kampf gegen das eigene Verschwinden zum Erscheinen kommt: »All theater comes against the inevitability of disappearance from the struggle to appear.«4 Für Blau besteht die Besonderheit des Theaters in seiner Vergänglichkeit, die letztlich immer auch die Vergänglichkeit des Schauspielers oder der Schauspielerin impliziere. Im Theater seien die Zuschauenden nicht nur Zeugen des Auftritts des Schauspielers, sondern wohnten ein Stück weit auch seinem sterblichen Verschwinden bei: »[…H]e is right there dying in front of your eyes. […] The critical thing […] in the institution of theatre is not so much that an actor is there, but that an actor is so vulnerably there.«5 Diese Art existenzieller Flüchtigkeit ist für Blau Wesensmerkmal des Theaters und unterscheidet es von allen anderen Formen der Repräsentation. Vor allem grenze sich das Theater, Blau zufolge, durch seine Unwiederholbarkeit von medialen Darstellungsformen wie Film, Fernsehen und Computersimulation ab.6
3
Siehe Schneider, Rebecca, 2011: Performing Remains. Art and War in Times of Theatrical Reenactment. London/New York: Routledge.
4
Blau, Herbert, 1982a: Take Up the Bodies. Theater at the Vanishing Point. Urbana: University of Illinois Press, S. 298 [Herv. i.O.].
5
Blau, Herbert, 1982b: Blooded Thought. Occasions of Theatre. New York City: Performing Arts Journal Publications, S. 134.
6
Blau besteht gerade auch angesichts der verstärkten Verwendung medialer und technologischer Mittel im Gegenwartstheater und angesichts der Vielfalt medialer und virtueller Darstellungsformen auf der Unwiederholbarkeit des Theaters als dessen ontologischer Eigenheit (Siehe Blau, Herbert, 2007: Virtually Yours. Presence, Liveness, Lessness. In: Janelle G. Reinelt/Joseph R. Roach [Hg.], Critical Theory and Perfor-
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In der Performancetheorie wird die Vorstellung von ›Performance‹ als radikal ephemeres Ereignis, das sich in seinem Hier und Jetzt erschöpft und sich als unweigerliches Verschwinden vollzieht, vor allem in den Debatten zur Performancekunst als eigenständiger Gattung vertreten, setzt sich jedoch nicht als dominante Lesart von ›Performance‹ durch. Bereits in der ritualtheoretisch inspirierten frühen Performancetheorie, aber auch später in der unter Eindruck des Begriffs der ›Performativität‹ stehenden Diskursphase wird ›Performance‹ vor allem als Wiederholung gedacht. Dies verdichtet sich unter anderem in Richard Schechners Formulierung von der ›Performance‹ als »twice-behaved behavior«7 und Judith Butlers Idee der ›Performance‹ als »stylized repetition of acts«8. Schechners und Butlers Formulierungen fungieren für einen Großteil der amerikanischen Performancetheorie als Standarddefinitionen von ›Performance‹. Dabei stellt die Theoriebildung, die vom Wiederholungscharakter der ›Performance‹ ausgeht, nicht in Abrede, dass sich eine Aufführung kein zweites Mal auf exakt dieselbe Weise wiederholen lässt. Da das theoretische Interesse hier jedoch systemisch orientiert ist, liegt der Fokus nicht auf der ›Performance‹ als einmaligem und einzigartigem Ereignis. Stattdessen interessiert die Einbettung der ›Performance‹ in übergeordnete Strukturen menschlicher Gemeinschaft (Schechner) bzw. richtet sich das Nachdenken auf die Funktionsweise der ›Performance‹ innerhalb diskursiver Machtordnungen (Butler). Hierin liegt ein wichtiger Unterschied der amerikanischen Performancetheorie zum deutschsprachigen Diskurs zur Aufführung.9 Während in den deutschsprachigen Debatten die Theateraufführung und die Performance – im Sinne von Aufführungen der Performancekunst – vor allem als einmalige Ereignisse beschrieben und analysiert werden, ist dies im amerikanischen Diskurs seltener der Fall. Prominent wird die Idee von der ›Performance‹ als einmaligem Vollzug von Peggy Phelan in Unmarked: The Politics of Performance (1993) entworfen und von Philip Auslander in Liveness: Performance in a Mediatized Culture
mance. Überarbeitete und erweiterte Auflage. Ann Arbor: The University of Michigan Press, S. 532-546). 7
Schechner, Richard, 1985: Restoration of Behavior. In: Ders., Between Theater and Anthropology. Philadelphia: University of Philadelphia Press, S. 35-116, hier S. 36.
8
Butler 1999, S. 179 [Herv. i.O.].
9
Für eine aktuelle Übersicht über den Aufführungsbegriff im deutschsprachigen Raum und in seinen internationalen Bezügen siehe Fischer-Lichte, Erika/Adam Czirak/ Torsten Jost/Frank Richarz/Nina Tecklenburg (Hg.), 2012: Die Aufführung. Diskurs – Macht – Analyse. München: Wilhelm Fink Verlag.
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(1999) kritisch befragt.10 Phelans und Auslanders Überlegungen stehen, wie sich zeigen wird, im Spannungsverhältnis zueinander. Interessanterweise treffen sich Auslanders und Phelans theoretische Reflexionen zur ›Performance‹ jedoch darin, dass sie ›Performance‹ durch ihr komplexes Verhältnis zur Idee der Präsenz beschreiben. Auch wenn ›Performance‹ bei Auslander und Phelan als Vollzug im Hier und Jetzt in den Blick gerät, so gehen beide nicht von einem emphatischen, phänomenologisch geprägten Ereignisbegriff aus, wie er Teile der deutschsprachigen Debatte um die Aufführung/Performance prägt. Phänomenologische Vorstellungen von sinnlicher Fülle und unmittelbarer Gegebenheit sind Auslander und Phelan fremd. Die Ereignishaftigkeit der ›Performance‹ liegt für Phelan vor allem im Moment des Entzugs und Verschwindens. Für Auslander ist die Ereignishaftigkeit der ›Performance‹ Effekt medialer Prozesse und birgt dabei kritisches Potenzial gerade in der Verweigerung von Präsenz.11 Im Folgenden geht es darum, anhand genauer Lektüren darzulegen, was für einen Performancebegriff Auslander und Phelan formulieren und welche Position in ihren Überlegungen dem ›Theater‹ zukommt. 6.1.1 Representation without Reproduction: Performance als Entzug Für Peggy Phelans Unmarked kann grundlegend festgehalten werden, dass es um die theoretisch anspruchsvolle Frage der politischen Dimensionen von Sichtbarkeit (visibility) geht. Der analytische Fragehorizont ist dabei nicht auf ein spezifisches Medium eingeschränkt, sondern es werden verschiedene Arten von Re-
10 Siehe Auslander, Philip, 1999: Liveness. Performance in a Mediatized Culture. London/New York: Routledge; Phelan, Peggy, 1993: Unmarked. The Politics of Performance. London/New York: Routledge. 11 Auslander und Phelan stehen dekonstruktivistischen Theoriebildungen zur Aufführung nahe, die es auch im deutschsprachigen Diskurs gibt und die die Ereignishaftigkeit der Aufführung »gerade nicht mit naiven Vorstellungen der Fülle und vermeintlich unmittelbaren Gegebenheit von Erfahrung [verbinden], sondern mit Dimensionen der Abwesenheit, des Bruchs, Mangels, Entzugs und des Nichtverstehens.« (Kolesch, Doris, 2005: Präsenz. In: Erika Fischer-Lichte/Doris Kolesch/Matthias Warstat [Hg.], Metzler Lexikon Theatertheorie. Stuttgart/Weimar: Verlag J.B. Metzler, S. 250-253, hier S. 251)
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präsentation diskutiert.12 Fotografie, Malerei, Film, Demonstrationen und Aufführungen in Theater und Performancekunst stehen als Gegenstände gleichberechtigt nebeneinander. Sie alle verbindet, dass sie Bestandteile des Repräsentationsregimes sind bzw. Mittel, in denen und durch die sich Kultur reproduziert. 13 Fotografie, Malerei, Film, Theater, Performancekunst und Demonstrationen sind somit auf vielfältige und durchaus unterschiedliche Weise in die Machtoperationen verstrickt, die Subjektivität(-en) produzieren. Tatsächlich ist die Frage nach den Zusammenhängen von Repräsentation, kultureller Reproduktion und Subjektivität das hauptsächliche Anliegen von Unmarked, das Phelan aus feministischer und psychoanalytischer Perspektive diskutiert. Der politische Impuls der Überlegungen richtet sich dabei vor allem auf die Frage, mit welchen Strategien eine Repräsentationspolitik operieren kann, die nicht auf die gewaltsame Vereinnahmung des Bildes des anderen angewiesen ist. Der aus dem Lager linksliberaler Identitätspolitik immer wieder gestellten Forderung nach quantitativ und qualitativ angemessener Darstellung von Minderheiten in Öffentlichkeit, Kultur und Kunst begegnet Unmarked mit Skepsis und vertritt die These, dass eine höhere Sichtbarkeit für die einer marginalisierten Gruppierung Angehörenden nicht automatisch gleichbedeutend mit mehr politischem Einfluss oder mehr Gleichberechtigung sei. Phelan bringt dies wie folgt auf den Punkt: »If representational visibility equals power, then almostnaked young white women should be running Western culture.«14 Einem naiven Glauben an den Wert vermehrter Sichtbarkeit liege, so argumentiert Peggy Phelan, einerseits zugrunde, dass die mit Sichtbarkeit verbundenen Fallstricke wie Überwachung, Fetisch oder Voyeurismus nicht ausreichend erkannt würden.15 Zweitens basiere die Vorstellung einer unmittelbaren und unproblematischen politischen Wirksamkeit von Sichtbarkeit auf einer grundlegenden Verwechslung von Repräsentation und Realem, insofern vorausgesetzt werde, dass Darstellung und das dahinter stehende ›reale‹ Subjekt deckungsgleich seien.16 Das Verhältnis von Subjekt, Repräsentation, Sichtbarkeit und dem Unsichtbaren sei jedoch wesentlich komplexer. Unmarked kritisiert daher identitätspolitische Anstrengungen, die sich einseitig auf die Veränderung und Erweiterung von Darstellungen konzentrieren. Um aus den asymmetrischen Dynamiken der Vereinnahmung und
12 Phelan verwendet die Formulierungen »diverse representational mediums« und »forms of representation« (Phelan 1993, S. 4 u. 27). 13 Phelan spricht von »›cultural reproduction‹« (Phelan 1993, S. 27). 14 Phelan 1993, S. 10. 15 Ebd., S. 10-11. 16 Siehe ebd., S. 2.
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Inbesitznahme, die das Verhältnis von betrachtendem Subjekt und dargestelltem anderen prägen, auszubrechen, sei ein weitaus grundlegenderes Umdenken erforderlich. Es gelte, das politische Potenzial des Nicht-Sichtbaren, des NichtBemerkten und Nicht-Ausgesprochenen, das Phelan mit dem Begriff des ›Unmarkierten‹ (unmarked) andeutet, zu entdecken.17 Um Phelans komplexe Argumentation einzuordnen, ist wichtig, im Blick zu halten, dass sie ihre Überlegungen vor allem ausgehend von der Lacan’schen Psychoanalyse entwickelt. Die Lacan’sche Psychoanalyse geht davon aus, dass Subjektivität immer durch einen schmerzlichen Mangel, eine innere Leerstelle, bestimmt ist, die Triebkraft allen Begehrens ist und dennoch nie abschließend befriedet werden kann. Ohne detailliert in das theoretische Argument Lacans einzusteigen, sei hier nur kurz Folgendes skizziert: Die Lacan’sche Psychoanalyse beschreibt die Genese des Subjekts als Austritt aus dem Bereich des Imaginären und Übergang in die symbolische Ordnung.18 Während sich das Kind im Imaginären als Einheit mit der Mutter und als ganzheitlich und vollkommen erlebt, erfährt sich das Kind in der symbolischen Ordnung als Einzelwesen, das auf radikale Weise von der Mutter getrennt ist. Dieser als schmerzhaft empfundene Verlust der ursprünglichen Ganzheitlichkeit und Einheit wird zum Antrieb für das Subjekt, sich der Sprache zu bedienen, um Verbindung zu anderen herzustellen. Die Sehnsucht danach, sich selbst als Ganzes zu erleben, strukturiert auch das Verhältnis des Subjekts zum Bild. In der bekannten Spiegel-Szene beschreibt Lacan wie sich das Kind, noch ungeschickt und ohne vollständige Kontrolle über den eigenen Körper, im Spiegel erblickt. Das eigene Spiegelbild zeigt dem Kind sich selbst als Ganzes und gaukelt ihm so eine Vollkommenheit vor, auf die das Kind mit ekstatischer Freude reagiert. Die Spiegel-Szene strukturiert dabei gewissermaßen auch das Verhältnis von schauendem Subjekt und Repräsentation in der symbolischen Ordnung. Hierbei ist entscheidend, dass es für das schauende Subjekt darum geht, sich selbst im Spiegelbild bzw. in allen anderen Bildern, die an die Stelle des Spiegelbildes treten, wiederzuerkennen. Das durch Mangel geprägte Subjekt ist auf das Bild des anderen angewiesen, um sich selbst als ganz zu erfahren und die eigene Leerstelle zu kaschieren. Das Bild des anderen erweist sich somit als notwendiges Element in der Konstitution von Subjektivität und steht also nie für sich allein oder gar für den im Bild gezeigten anderen. Aus der Perspektive der Lacan’schen Psychoanalyse ist das Bild des anderen immer auf das schauende Subjekt bezogen und somit dessen Zweck und Beanspruchung unterworfen. Von
17 Siehe Phelan 1993, S. 7. 18 Zu Lacan siehe Pagel 1989.
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dieser Grundkonstellation des Verhältnisses von schauendem Subjekt und Bild gehen auch die Überlegungen in Unmarked aus. Performance im Kontext spätkapitalistischer Repräsentation Peggy Phelan beschreibt, ausgehend von der Lacan’schen Psychoanalyse, die Repräsentationslogik der westlichen spätkapitalistischen Gesellschaft als Feld, in dem Bild und Diskurs/Sprache – beides Praktiken des Symbolischen – zusammenwirken und Differenzbeziehungen eröffnen, die dem Subjekt erlauben, sich selbst zu verorten und damit zu (er-)kennen, wo und wer es ist. Von zentraler Bedeutung seien dabei die Blickdynamiken, die zwischen schauendem Subjekt und dem anderen bestünden und in beide Richtungen wirkten. Das Subjekt wolle sich nämlich nicht nur im anderen selbst sehen, sondern wolle auch vom anderen gesehen werden.19 Insofern das Subjekt die Position, aus der der andere schaut, jedoch nicht selbst besetzen könne, oder – anders gesagt – dadurch, dass es für das Subjekt unmöglich sei, sich selbst aus der Perspektive des anderen zu sehen, sei der für das Subjekt konstitutive Prozess des Blickwechsels, so Phelan, immer durch eine Unmöglichkeit gekennzeichnet, die sich als grundlegender Verlust beschreiben lasse. Zusammenfassend bedeutet dies, dass das im Austausch der Blicke hervorgebrachte Selbst durch blinde Flecken und Leerstellen gekennzeichnet ist, die wiederum immer neu Antrieb für Repräsentation und das damit verbundene Versprechen sind, bessere und vollständigere Darstellungen zu liefern, in denen sich das Subjekt selbst erkennen kann.20 An dieser Stelle ist noch zu ergänzen, dass in Unmarked nicht etwa ein universalistischer Subjektbegriff angesetzt wird. Dass die Position des Subjekts in der Freud’schen Psychoanalyse als ›männlich‹ gedacht ist und dass auch in der Lacan’schen Psychoanalyse auf die Bedeutung von Geschlecht für die Relation zum Symbolischen hingewiesen wird, betont Phelan gleich zu Beginn ihrer Ausführungen.21 Daraus ergibt sich für das Nachdenken über die Relationen von und den Blickwechsel zwischen Subjekt und anderem eine größere Komplexität. Es sind dann nämlich immer auch die geschlechtlichen Markierungen eines Subjekts, seine Positionierung als ›weiblich‹ oder ›männlich‹, zu bedenken. Insofern in der westlichen spätkapitalistischen Kultur das betrachtende Subjekt, dessen Selbst-Reproduktion im Mittelpunkt der Anstrengungen der Repräsentationsmaschinerie stehe, implizit immer als männlich, heterosexuell, weiß und der Mittelklasse angehörend bestimmt sei, gelte es
19 Siehe Phelan 1993, S. 21. 20 Siehe ebd., S. 16. 21 Siehe ebd., S. 17-18.
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zudem auch Heteronormativität und Whiteness als Vektoren zu berücksichtigen, die die Machtbeziehungen innerhalb der Repräsentationsökonomie bestimmten. Um den automatischen Fortgang endloser Reproduktion desselben zu durchbrechen und zu einem anderen Verhältnis von Subjekt und anderem zu gelangen, sind schließlich zwei Ansatzpunkte für Phelan entscheidend. Einerseits müssten die blinden Flecken und Leerstellen, die das Subjekt bestimmen, die Unvollkommenheit und Unvollständigkeit seines Blickes anerkannt werden. Andererseits scheint eine Aufwertung der Dimensionen des Nicht-Sichtbaren, des Immateriellen und des Entzugs notwendig. Beides könne zu einer anderen Ökonomie der Repräsentation führen – einer Form der Repräsentation, die nicht auf Ausschluss und Aneignung des anderen basiere. Phelans analytische Beschäftigung mit unter anderem der Fotografie Robert Mapplethorpes, der Malerei Mira Schors, der Performancekunst Angelika Festas, mit Jennie Livingstons Film Paris Is Burning, Tom Stoppards Theaterstück Hapgood und den Anti-Abtreibungsdemonstrationen der rechten Gruppe Operation Rescue steht dementsprechend im Zeichen der Frage, wie jeweils Sichtbarkeit, Repräsentation, Blick und die vielfältigen Formen des Nicht-Markierten (unmarked) zusammenwirken. Es geht – anders formuliert – um die Aufdeckung der jeweils operierenden ›Politik‹, die Subjekt und anderen zueinander in Beziehung setzt. Insofern es dabei immer um die Hervorbringung von Subjektivität geht, gilt das Zusammenspiel von Sichtbarkeit, Repräsentation, Blick und dem Unmarkierten als ›performativ‹. Phelan spricht in diesem Zusammenhang dementsprechend auch von »performative politics«22. Diese gilt es an den jeweiligen Analysegegenständen zu erkunden. Wenn nun in Unmarked: The Politics of Performance das Unmarkierte dezidiert als gattungs- und medienübergreifendes Potenzial positioniert und in seinen performativen Funktionen diskutiert wird, stellt sich die Frage nach der Stellung des Performancebegriffs, der ja immerhin auch titelgebend ist. Worin besteht die spezifische Politik der ›Performance‹? Inwiefern zeichnet sich die ›Performance‹ durch ein besonderes Verhältnis zu den mit dem Begriff des ›Unmarkierten‹ bezeichneten Dynamiken des Entzugs aus?
22 Phelan 1993, S. 27.
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Ontologie der Performance Der Performancebegriff wird in Phelans Unmarked als Bezeichnung für eine spezifische Kunstpraxis, die Performancekunst, genutzt. In einem eigenen Kapitel, das den Titel »The Ontology of Performance«23 trägt, werden die Besonderheiten der ›Performance‹ reflektiert und ihr bestimmte Eigenschaften als ontologische Merkmale zugeschrieben. ›Performance‹ wird dabei nicht als umbrella term für verschiedene Arten von Aufführungen stark gemacht und verweist auch nicht auf Formen der theatralen (Selbst-)Inszenierung. ›Performance‹ wird hier eher zum Begriff, mit dem sich die Aufführung als Vollzug beschreiben und ihre Bedeutung im Kontext der auf Sichtbarkeit und Reproduktion desselben orientierten Repräsentationsökonomie bestimmen lässt. Als zeitlicher Vollzug, der »auf der Schwelle der Gegenwart«24 stattfinde und nichts (re-)produziere, das materiell fassbar und von Dauer sei, zeige sich die ›Performance‹ vor allem als ständiges Verschwinden. Als Vorgang des Entzugs rücke ›Performance‹ in besondere Nähe zu den Bereichen bzw. den Dynamiken des Unmarkierten und berge das Versprechen, die auf Aneignung des anderen basierende Repräsentationsökonomie westlich-kapitalistischer Kultur besonders effektiv zu durchbrechen. ›Performance‹ sei in diesem Sinn auch allgemein Modell für eine andere Praxis der Repräsentation: »Performance, insofar as it can be defined as representation without reproduction, can be seen as a model for another representational economy, one in which the reproduction of the Other as the Same is not assured. […] Performance is the art form which most fully understands the generative possibilities of disappearance. Poised forever at the threshold of the present, performance enacts the productive appeal of the nonreproductive.«25
Bemerkenswert ist, dass ›Performance‹ in Phelans Unmarked nicht einfach als Gegenteil von Repräsentation verstanden wird, sondern vielmehr als eine spezifische Art der Repräsentation in den Blick gerät – Repräsentation ohne Reproduktion. Auch wird ›Performance‹ nicht gänzlich jenseits des Feldes der Produktion oder des Materiellen verortet. Der Ort der ›Performance‹ ist kein absolutes außen, sondern die Schwelle. ›Performance‹ vollzieht sich dabei nicht nur in zeitlicher Hinsicht auf der Grenze, sondern spielt auch auf der Schwelle der Repräsentation, deren Prinzipien sie aufruft, in deren Logik sie sich bewegt und deren Forderung nach positiver Fülle, Stabilität und Beständigkeit sie sich dennoch
23 Siehe Phelan 1993, S. 146-166. 24 Siehe ebd., S. 27. 25 Ebd., S. 3 u. 27 [Herv. i.O.].
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entzieht.26 Insofern ›Performance‹ als Vollzug von Gegenwart und als ständiger Entzug beschrieben wird, gerät sie in Spannung zu Techniken der Speicherung und Wiederholung und steht im Kontrast zu den ökonomischen Gesetzmäßigkeiten der Zirkulation der Waren und des Kapitals: »Performance’s only life is in the present. Performance cannot be saved, recorded, documented, or otherwise participate in the circulation of representations of representations: once it does so, it becomes something other than performance. […] Performance’s being, like the ontology of subjectivity proposed here, becomes itself through disappearance. The pressures brought to bear on performance to succumb to the laws of the reproductive economy are enormous. For only rarely in this culture is the ›now‹ to which performance addresses its deepest questions valued. […] Performance occurs over a time which will not be repeated. It can be performed again, but this repetition itself marks it as ›different.‹«27
Die Formulierung, dass sich ›Performance‹ nicht an der Zirkulation der »Repräsentation von Repräsentation« beteilige, bringt das psychische und damit eng verbundene politische Potenzial der ›Performance‹ formelhaft auf den Punkt. Während die übliche Dynamik kultureller Reproduktion in westlichspätkapitalistischen Kulturen und die in ihr möglichen Positionierungen des Subjekts auf dem Prinzip der Metapher beruhten, sich also darauf verließen, dass sich Darstellungen naht- und reibungslos ersetzen ließen, dass sie füreinander und letztlich für das Subjekt einstehen könnten, folge die ›Performance‹ dieser Logik der Stellvertretung nicht. Gegen das metaphorische Prinzip der Stellvertretung und sein Versprechen, das Reale im Positiv darstellen und fassbar machen zu können, setze die ›Performance‹ eine Politik der »radikalen Negativität« und erinnere auf diese Weise daran, dass sich der Bereich des Realen jeglichem Zugriff entziehe und in keiner Darstellung erfassbar sei.28
26 Für Phelan besteht in dieser für ›Performance‹ kennzeichnenden Verweigerung von positiver Fülle und Beständigkeit die Analogie zur in Unmarked beschriebenen Dynamik der Konstitution von Subjektivität. Auch das Subjekt ist nie ein positiv Gegebenes, sondern muss seine vermeintliche Ganzheit gegen die es bestimmenden Leerstellen und blinden Flecken immer wieder neu etablieren, ohne dabei jemals zum Abschluss zu kommen. Ähnlich wie die ›Performance‹ findet Subjektivität also als ständiger Vorgang des Verschwindens statt (Siehe Phelan 1993, S. 146). 27 Phelan 1993, S. 146 [Herv. i.O.]. 28 Siehe ebd., S. 165. Phelan entlehnt den Begriff der »radikalen Negativität« von Shoshana Felman. Die Idee des Realen steht hier im Zeichen der Lacan’schen Psychoana-
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Körper als Leerstelle der Performance Auch wenn also für Peggy Phelans Performancebegriff die aus der deutschsprachigen phänomenologischen Aufführungstheorie vertrauten Dimensionen der Gegenwärtigkeit, der Nicht-Wiederholbarkeit und Unverfügbarkeit entscheidend sind, ist festzuhalten, dass der in Unmarked formulierte Performancebegriff wesentlich stärker auf das Moment des Entzugs abhebt als der phänomenologische Aufführungsbegriff. Die Vorstellung, dass sich über Momente der energetischen Übertragung, durch körperliche, stimmliche oder atmosphärische Intensität in der Aufführung so etwas wie, in doppelter Bedeutung, sinnliche Fülle einstellt, ist mit Phelans Performancebegriff nicht vereinbar. Vielmehr erweist sich beispielsweise auch die Erscheinung des Körpers in Unmarked als nicht weniger den Dynamiken des Entzugs und der Logik der Metapher unterworfen, die alle Formen der Repräsentation in der westlichkapitalistischen Kultur bestimmten. Der Vorstellung, dass der Körper bzw. der Leib gleichbedeutend ist mit Sein, mit Identität und Subjektivität, wird in Unmarked daher mit Skepsis begegnet.29 Aus der Perspektive Phelans könne der Körper ebenso wenig wie die Sprache oder das Bild das ›Reale‹ einholen. In der ›Performance‹ sei der Körper zwar das wichtigste Element, zeige sich aber dennoch nur in ständigem Entzug und vielfacher Verschiebung. In der bewussten Ausstellung dieser Dynamiken bestehe dann auch das spezifisch feministische Potenzial der ›Performance‹: »For performance art […] the referent is always the agonizingly relevant body of the performer. […] In performance the body is metonymic of self, of character, of voice, of ›presence.‹ But in the plenitude of its apparent visibility and availability, the performer actually disappears and represents something else – dance, movement, sound, character, ›art.‹ […] Performance uses the performer’s body to pose a question about the inability to
lyse. Lacan unterscheidet drei Strukturdimensionen des Psychischen: das Reale, das Imaginäre und das Symbolische. Das Reale deutet dabei einen Bereich an, der außerhalb der fassbaren und beschreibbaren Realität liegt. Das Reale bricht beispielsweise in Momenten der Gewalt oder auch der sexuellen Ekstase ein. 29 Dies liegt nicht zuletzt daran, dass die Lacan’sche Vorstellung von Subjektivität als relationaler Konstellation schwer mit der phänomenologischen Vorstellung einer im Leiblichen situierten Subjektivität (embodied mind) zu vereinbaren ist. Phelan betont gleich zu Beginn von Unmarked, dass sich Subjektivität und Identität immer in, zwischen Vereinnahmung und Ablehnung vibrierendem, Bezug zu einem anderen konstituieren und weder im Eigennamen noch im Körper beherbergt seien (Siehe Phelan 1993, S. 13).
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secure the relation between subjectivity and the body per se; performance uses the body to frame the lack of Being promised by and through the body – that which cannot appear without a supplement. In employing the body metonymically, performance is capable of resisting the reproduction of metaphor, and the metaphor I’m most keenly interested in resisting is the metaphor of gender, a metaphor which upholds the vertical hierarchy of value through systematic marking of the positive and the negative. In order to enact this marking, the metaphor of gender presupposes unified bodies which are biologically different.«30
In der ›Performance‹ sei der Körper, Phelan zufolge, gerade nicht als Fülle, als kraftvolle Präsenz oder unhintergehbare Materialität gegeben. Die ›Performance‹ bemühe sich auch nicht darum, einen derartigen Eindruck zu erzeugen, sondern stelle den Körper bewusst als Leerstelle aus. Insofern der Körper in der ›Performance‹ in seiner Negativität inszeniert werde, breche die ›Performance‹ mit der metaphorischen Logik binärer Geschlechtlichkeit. Wenn der Körper kein positiv Gegebenes, wenn er nicht biologische Materie, sei und auch nicht als solches ausgegeben werde, dann könne er auch nicht für die binäre Unterscheidung von ›Männlichkeit‹ und ›Weiblichkeit‹ einstehen und diese absichern. Dass sich Phelan in Unmarked vor allem für ›Performance‹ als Entzug interessiert, zeigt sich auch in der Wahl des Analysegegenstandes im Kapitel »The Ontology of Performance«. Ein Großteil des Kapitels beschäftigt sich mit den Arbeiten der Künstlerin Angelika Festa. Ausführlich wird Festas Performance Untitled Dance (with fish and others) (1987) diskutiert.31 In Untitled Dance hängt Festa, ihr Körper dicht in weißes Tuch gewickelt und die Augen mit Silberfolie verklebt, 24 Stunden lang von einer Stange herab, die ungefähr im Winkel von 80 Grad im Boden des Studios steckt, das Aufführungsort ist. Festas nackte Füße ruhen auf einem kleinen, an der Stange befestigten Podest. Ihre Füße werden von einer Kamera gefilmt und das Bild auf eine große Leinwand hinter Festa projiziert. Vor Festa ist ein kleiner Bildschirm platziert, der in Endlosschleife die Embryonalentwicklung eines Fisches zeigt. 32 Phelan analysiert Festas Performance als Inszenierung der polaren Spannungsverhältnisse zwischen Vergangenheit und Zukunft, Tod und Geburt, Verschwinden und Erscheinen. Festas Untitled zeichne sich dabei dadurch aus, dass sie diese Oppositionen in Frage stelle, umkehre und immer wieder als dasselbe erscheinen lasse. Die Performance bediene somit weder die binäre Logik noch
30 Phelan 1993, S. 150-151 [Herv. i.O.]. 31 Siehe ebd., S. 152-163. 32 Siehe ebd., S. 153.
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die Teleologie westlich-patriarchaler Kultur und befrage die widersprüchliche und schwierige Position, die der ›Frau‹ in diesem System zukomme. Phelans Analyse beruft sich an dieser Stelle vor allem auf die Assoziationen, die Festas Performance aufruft z.B. die in der filmischen Endlosschleife der Entstehung eines Fisches und durch Festas weiß umhüllten Körper und die nackten Füße evozierte Idee von Geburt, Wiedergeburt, Auferstehung.33 In der Lesart Phelans erscheint Festas Performance insgesamt als kluge Inszenierung des Übergangs und der Umkehr von Sichtbarkeit in Unsichtbarkeit, in deren Zirkelbewegung die Repräsentation ›der Frau‹ stattfinde.34 Phelan identifiziert neben dem Aufruf spezifischer Assoziationen noch eine zweite Strategie, mit der Festas Performance auf die Dynamiken der Sichtbarkeit verweise und gleichzeitig daran erinnere, dass deren Logik die immer neue Auslöschung des anderen zur Voraussetzung habe. Festa präsentiere ihren Körper in Untitled nicht nur in einer provokativen Pose der Anstrengung und weise das Erscheinen des Körpers so als schmerzhaft aus. Entscheidend sei auch, dass Festas Augen mit Silberfolie verklebt seien. Sie könne den Blick der Zuschauenden nicht erwidern und entziehe sich gleichzeitig dem aneignenden Blick der Betrachterin, deren Bedürfnis, gesehen zu werden, unerfüllt bleibe und die stattdessen auf sich selbst zurückgeworfen werde.35 Phelans Analyse stellt abschließend fest, dass Festas Untitled den Körper als Verlust inszeniere und die Gewalt erfahrbar mache, die das Zusammentreffen von Subjekt und anderem im Feld der Sichtbarkeit bestimmten. Die Performance entfalte ihre Kritik an den Gesetzmäßigkeiten der Sichtbarkeit also nicht nur durch die ausgeklügelte Inszenierung vielfacher Verschiebungen, die unter anderem den Blick des Betrachters immer wieder von Festas Körper auf die überdimensionale Abbildung ihrer Füße zögen oder die Assoziationskette von Festas gewickeltem Körper zu ähnlichen Bildern gefesselter Frauen gleiten ließen – das auf den Bahngleisen geknebelte weibliche Opfer der Trickfilme, die Hysterikerin im Krankenbett, die Witwe auf dem Scheiterhaufen.36 Festas Performance entfalte ihre kritische Wirkung vor allem auch im Affektiven, wie Phelan bezeugt: »As I watch Festa’s exhaustion and pain, I feel cannibalistic, awful, guilty, ›sick.‹ But after a while another more complicated response emerges. There is something almost obscenely arrogant in Festa’s invitation to this display. […] This arrogance, which she
33 Siehe Phelan 1993, S. 153-156. 34 Siehe ebd., S. 153. 35 Siehe ebd., S. 156 u. 161. 36 Siehe ebd., S. 160.
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freely acknowledges and makes blatantly obvious, in some senses, ›cancels‹ my cannibalism. […] I feel instead the terribly oppressive physical, psychic, and visual cost of this exchange.«37
Phelans Analyse nach löst Festas Untitled nahezu paradigmatisch das besondere Potenzial von ›Performance‹ ein, sich in ihrer Eigenheit als »Repräsentation ohne Reproduktion« dem Imperativ der westlich-kapitalistischen visuellen Kultur zu entziehen. Die hier erfolgte ausführliche Wiedergabe der Analyse von Festas Performance erscheint mir für die Darstellung des in Peggy Phelans Unmarked formulierten Performancebegriffs wichtig, da in ihr die Zusammenhänge von Gegenwärtigkeit (present) der ›Performance‹, die nicht mit einer emphatisch verstandenen Präsenz (presence) verwechselt werden sollte, und den politischen Dimensionen des Entzugs besonders ersichtlich werden. Die Gegenwärtigkeit der ›Performance‹ besteht darin, dass sie sich nicht medial speichern und auch nicht wiederholen lässt, ohne dabei etwas anderes zu werden.38 In diesem Sinne kann ›Performance‹ nichts anderes sein als Entzug und birgt damit ein besonderes politisches Potenzial. Deutlicher als alle anderen Formen der Repräsentation kann sich ›Performance‹ von dem ohnehin nie zu haltenden Versprechen lösen, das ›Reale‹ einzuholen und in der Darstellung des anderen, die immer gewaltsame Aneignung ist, für das Subjekt einen stabilisierenden Bezugspunkt zu bieten. Das politische Potenzial der ›Performance‹ liegt also gewissermaßen in ihrer Fähigkeit, die Jagd nach der letztgültigen Referenz aufzugeben und diese als unmögliches Bestreben anzuerkennen. In ihrem Entzug ruft die ›Performance‹, wie am Beispiel von Festas Untitled deutlich wird, zwar dennoch alle möglichen Bilder und Assoziationen auf, steht aber – und das ist entscheidend – nie vollständig für etwas ein. So wie Festas Körper im Raum da
37 Phelan 1993, S. 161-162. 38 Phelan reflektiert aus diesem Grund im Kapitel »The Ontology of Performance« auch das Verhältnis von Festas Performance zum eigenen Text. Sie hebt hervor, dass die Beschreibungen der Performance nicht auf die Reproduktion der Performance zielten, sondern Erinnerungsarbeit seien. Das Schreiben über die Performance erinnere daran, dass diese verschwunden/verloren sei. Das Schreiben erprobe dabei den Umgang mit Verlust und vollziehe so die Grunderfahrung von Subjektivität nach: »The descriptions remind us how loss acquires meaning and generates recovery – not only of and for the object, but for the one who remembers. […] The act of writing toward disappearance, rather than the act of writing toward preservation, must remember that the after-effect of disappearance is the experience of subjectivity itself.« (Phelan 1993, S. 147-148)
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und gleichzeitig abwesend ist, so befinden sich auch die referenziellen Bezüge der ›Performance‹ gleichzeitig im Erscheinen und Verschwinden. Theater als Wiederholung Nun lässt sich argumentieren, dass sich auch das Theater durch genau jene Eigenheiten auszeichnet, die Phelan der ›Performance‹ zuschreibt. Eine Aufführung im Theater ist genauso Vollzug in der Zeit und lässt sich nicht medial speichern oder wiederholen, ohne sich in etwas anderes zu verwandeln. Dies wird in Unmarked auch nicht in Zweifel gezogen. So ist zu lesen: »Theatrical performance is always bound to the present. For this reason, theatre continually marks the perpetual disappearance of its own enactment.«39 Allerdings richtet sich die hauptsächliche Aufmerksamkeit in Phelans Text dann weniger auf die Theateraufführung als auf das Theater als Apparat. Genauer gesagt wird in Unmarked das realistische Literaturtheater reflektiert und hinsichtlich seines Verhältnisses zu Sichtbarkeit und Unsichtbarkeit befragt. Wie der Performancekunst ist auch dem Theater ein eigenes Kapitel gewidmet, dessen Titel bereits auf die psychoanalytische Perspektive verweist, aus der argumentiert wird. In »Theatre and its mother: Tom Stoppard’s Hapgood«40 diskutiert Phelan das 1988 erstmalig aufgeführte Drama Hapgood, in dem eine britische Spionin, die auch Mutter ist, versucht herauszufinden, ob ein Physiker, der von der russischen Seite übergelaufen ist und nun für Großbritannien spioniert, in Wahrheit ein Doppelagent ist und Informationen an die russische Seite weitergibt. Die Handlung des Dramas wird davon angetrieben, dass sich immer wieder neue Unsicherheiten, Vermutungen und überraschende Wendungen mit Blick auf die Identität der Figuren, ihre Doppelagentenschaft, ihre Beziehungen zueinander und mit Blick auf die Frage eröffnen, wer eigentlich der Vater von Hapgoods Sohn ist. Dabei laufen die Fäden der Handlung immer wieder in der weiblichen Hauptfigur Hapgood zusammen, die von den männlichen Figuren, mit denen sie in unterschiedlichen beruflichen und Liebesbeziehungen verbunden ist, auch mit ihrem Codenamen ›Mutter‹ angesprochen wird. Dies ist für Peggy Phelans Lesart des Dramas kein unwesentliches Detail. Mit seinen Motiven der Mutterschaft, des Doubles (Doppelagenten, Zwillinge), des Geheimnisses und der erotischen Verführung fordert Stoppards Drama geradewegs zu einer psychoanalytischen Lektüre heraus. Phelan nimmt jedoch keine Dramenanalyse im engeren Sinn vor, sondern nutzt Hapgood als Ausgangs- und Bezugspunkt für weitreichendere, assoziativ gehaltene Überlegungen
39 Phelan 1993, S. 118. 40 Siehe ebd., S. 112-129.
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zu den strukturellen Analogien von Quantenphysik, Spionage, Theater und Liebe.41 Diese Bereiche werden unter der Annahme verbunden, dass sie alle wesentlich durch Zweifel bestimmt würden. So wie die Unschärferelation der Quantenphysik den Glauben an die objektive Darstellbarkeit von Realität ad absurdum führe und in jede Beobachtung einen prinzipiellen Zweifel einfüge, so sei auch die theatrale Darstellung mit ihrem Versprechen der Präsenz stets dem Zweifel ausgesetzt.42 Wie lasse sich auch an die theatrale Darstellung glauben, wenn man wisse, dass sie keineswegs originärer Akt, sondern Produkt vorhergehender Proben, Teil vergangener und nicht wiederholbarer Aufführungen, Ergebnis des Als-Ob, der auswendig gelernten Zeilen und der Verkleidung ist? Im Theater sähen die Zuschauenden – wie die Physiker in ihren Laboren – das, was sie für falsch hielten, und seien herausgefordert, ihre Vorstellung von Realität zu überdenken.43 Nun geht es Phelan hier nicht darum, das Theater als Lüge auszustellen und etwa gegen andere vermeintlich ›wahrhaftigere‹ Formen der Repräsentation auszuspielen. Leitend ist vielmehr das Interesse an der Frage, wie das Theater in die Dynamiken und die geschlechtlich codierten Logiken des Sichtbaren und Unsichtbaren eingebunden ist. Was bedeutet es, dass das Theater Präsenz verspricht und gleichzeitig an dieser zweifeln lässt? Prinzipiell, so Phelans Beobachtung, operiere das realistische Literaturtheater – und dieses ist hier mit ›Theater‹ gemeint – zwischen dem Bedürfnis, etwas zu offenbaren und dem Bedürfnis, zu verführen: »The theatrical production wants simultaneously to seduce and to reveal. It finds itself using doubles and making up the truth and confronting again the secret force of the illusion of a (transparent) real.«44 Insofern Verführung ein gewisses Maß an Entzug und Geheimnis voraussetze, könne die theatrale Darstellung nicht darauf zielen, ›alles‹ zu zeigen. Auch aus einem zweiten Grund, nämlich des im Zitat angesprochenen illusionären Status’ des ›Realen‹, verfehle das Theater unweigerlich und immer das eigene Versprechen, die Realität zu zeigen, und kehre dennoch immer wieder zu diesem Versuch zurück. Das Theater bleibe dem Prinzip der Nachahmung verpflichtet und locke mit dem paradoxen Versprechen einer »wahrhaftigen Illusion«45. In diesem Wahr-
41 Stoppards Drama bringt die drei Themen Spionage, Physik und Liebe in seinen komplex verwobenen Handlungssträngen zusammen (Siehe Phelan 1993, S. 117). 42 Siehe Phelan 1993, S. 121. 43 Siehe ebd., S. 116. Es geht dabei vor allem darum, dass die Zuschauenden im Theater die »Wahrheit der Verkleidung« zu erkennen lernen. 44 Phelan 1993, S. 125. 45 Siehe ebd., S. 112.
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heitsversprechen, das sich auf kuriose Weise selbst ausstreicht, bestehe die Attraktion des Theaters, liege seine Kraft zur Verführung. Theater operiere damit in einem, wie Phelan schreibt, »seltsamen psychischen Raum«46. Es entscheide sich weder für das Positiv des Sichtbaren noch für das Verschwinden und das Reich des Unsichtbaren. Stattdessen bewege sich das Theater exakt auf der Trennlinie von Sichtbarem und Unsichtbarem und verbleibe genau zwischen Zeigen und Entzug: »Half-way between seduction which removes the visible apparatus of desire and production which displays it, theatre operates in a curious psychic space. […] Enfolded within fiction, theatre seeks to display the line between visible and invisible power.«47 Daraus folgt, dass die theatrale Fiktion nicht etwa auf eine jenseits der Bühne liegende Realität verweise, sondern sich gewissermaßen in sich selbst falte und auf das Kräftespiel zwischen Sichtbarem und Unsichtbarem verweise. Weil das Theater Apparat sei, der sichtbar mache und weil es Ort sei, an dem sich die Blicke der Zuschauenden und Agierenden begegneten, werde es weiterhin durch das Begehren des schauenden Subjekts gestaltet. Auch im Theater wirke die Sehnsucht des Subjekts, sich in den Darstellungen selbst zu erkennen und sich diese zu eigen zu machen. Dabei gehe es im Theater, das aufgrund seiner offensichtlichen Wiederholungsstruktur ständig auf seine eigene Vergangenheit verweise, für das Subjekt insbesondere auch um die Vergewisserung seines eigenen Ursprungs.48 Dieser Wunsch bleibe im Theater – ebenso wie jeder andere Versuch, das ›Reale‹ einzuholen und in Wissen wie Gewissheit zu binden – zwangsläufig unerfüllt. Selbst die im Theater auftretenden echten Körper und echten physischen Objekte könnten das ›Reale‹ nicht garantieren und würden stattdessen immer nur ihre eigene Unzulänglichkeit ausstellen:
46 Siehe Phelan 1993, S. 112. 47 Ebd., S. 112. 48 Phelan entwickelt ihre Argumentation, dass es für das schauende Subjekt im Theater vor allem darum gehe, sich des eigenen Ursprungs zu versichern, mit Bezug auf Luce Irigaray. Irigaray geht davon aus, dass ›die Frau‹ in einer patriarchalen Ordnung nicht als eigenständiges Subjekt vorkommen könne, sondern immer nur als Hintergrund für die Konstitution des ›männlichen‹ Subjekts fungiere. Dies bedeutet, dass ›die Frau‹, die immer gleichgesetzt werde mit der potenziellen Rolle als Mutter, aus dem Symbolischen ausgeschlossen bleiben müsse. Phelans Analyse von Stoppards Hapgood zeigt, wie im Drama die Figur der Mutter als Ursprung des ›männlichen‹ Subjekts aufgerufen und dabei selbst ausgestrichen wird (Siehe Phelan 1993, S. 124-125).
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»Corporeal bodies amid real objects: realistic theatre employs properties which reproduce the effects of the real. These props index the failure of representation to reproduce the real. The real inhabits the space that representation cannot reproduce – and in this failure theatre relies on repetition and mimesis to produce substitutes for the real. Behind the effects of the real is a desire to experience a first cause, an origin, an authentic beginning which can only fail because the desire is experienced and understood from and through repetition. […] Nonetheless the desire for a true referent is always already the true referent of mimetic theatre.«49
Die im Theater auftauchenden Körper und Objekte sind mit dem ›Realen‹ nicht deckungsgleich und können für das ›Reale‹ auch nicht vollständig einstehen. Sie erinnern stattdessen immer nur an die jeder Art der Repräsentation inhärente Unmöglichkeit, das ›Reale‹ zu erfassen. In diesem Sinne verweist das realistische Literaturtheater generell nicht auf Realität, sondern immer nur auf das Begehren und die Sehnsucht des Subjekts nach dem ›Realen‹ als letztgültiger Referenz. Anders als die ›Performance‹, der Phelan das Potenzial zugesteht, statt den endlosen Wiederholungen der auf Reproduktion desselben basierenden Repräsentationsökonomie zu folgen, deren reibungslosen Ablauf zu stören und »Sand in das Getriebe«50 zu werfen, scheint das Theater stärker in seinen Wiederholungsschleifen befangen. Hinzukommt die für das realistische Literaturtheater mit seiner Ausrichtung auf die Erzeugung einer fiktiven Welt typische, räumliche Formation des Guckkastentheaters. Diese räumliche Ordnung zeichnet sich durch eine klare Trennung zwischen Zuschauenden und Agierenden aus. Während die Schauspielerin im Scheinwerferflicht der Bühne agiert und sich müht, etwas zum Vorschein zu bringen, zu zeigen, bleibt der Zuschauer schweigend im Dunkeln verborgen. In dieser asymmetrischen Verteilung von Sichtbarkeit und Unsichtbarkeit liegt für Phelan auch die spezifische geschlechtlich codierte Machtrelation des Theaters begründet. Der theatrale Austausch der Blicke werde durch die dominante ›männliche‹ Zuschauerposition kontrolliert. Die ›weibliche‹ Position des Agierenden (performer) werde von dem Druck bestimmt, sich zu offenbaren, (sich) zu verkaufen und dem Begehren des schweigenden, ›männlich‹ codierten, Zuschauersubjekts zu entsprechen, während dieses selbst unbehelligt bleibe.51 Eine kritische Revi-
49 Phelan 1993, S. 126 [Herv. i.O.]. 50 Phelan schreibt: »Performance clogs the smooth machinery of reproductive representation necessary to the circulation of capital.« (Phelan 1993, S. 148) 51 Siehe Phelan 1993, S. 163.
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sion dieser Machtdynamik im Theater, die wiederum Teil und Träger der allgemeinen Logik der kulturellen (Selbst-)Reproduktion westlich-kapitalistischer Kultur sei, müsse dementsprechend bei einer Veränderung der Relation von Agierenden und Zuschauenden ansetzen: »Performers and their critics must begin to redesign this stable set of assumptions about the positions of the theatrical exchange.«52 Performance und Theater als Praktiken der Repräsentation Zusammenfassend kann festgehalten werden, dass ›Theater‹ und ›Performance‹ in Peggy Phelans Unmarked als spezifische Praktiken der Repräsentation diskutiert werden. Beide Begriffe werden im Text nicht metaphorisch verwendet, sondern sind konkret auf das realistische Literaturtheater und die Performancekunst bezogen. ›Theater‹ und ›Performance‹ werden dabei zwar nicht vorrangig als Opposition betont, werden aber in ihren unterschiedlichen Bedingungen und Strategien beschrieben, mit denen sie die Konstellation von Sichtbarkeit und Unsichtbarkeit – und damit verbunden das Verhältnis zum ›Realen‹ – gestalten. Aus Phelans feministisch-psychoanalytischer Perspektive geht es dabei vor allem um die Frage, inwiefern ›Theater‹ und ›Performance‹ dem Imperativ folgen, Darstellungen zu bieten, in denen sich das ›männliche‹ (Zuschauer-)Subjekt um den Preis der gewaltsamen Ausstreichung des anderen wiedererkennt. Diese Logik der Reproduktion, die darauf zielt, aus zwei (Subjekt/Objekt, männlich/weiblich) eines zu machen, ist durchgängig kritischer Bezugspunkt, wenn in Unmarked das unterschiedliche Verhältnis von ›Theater‹ und ›Performance‹ zu Wiederholung, Präsenz und Flüchtigkeit reflektiert wird. Während Wiederholung prinzipiell zur Modalität von ›Theater‹ gehört, ist der Modus der ›Performance‹ – das Verschwinden – nicht mit Wiederholung vereinbar. Die ›Performance‹ stellt sich ad hoc als Gegenwart ein und verschwindet, ohne etwas materiell Fassbares zu hinterlassen, das mit ihr deckungsgleich wäre. In diesem Sinne erweist sich die ›Performance‹ als flüchtig. Allerdings ist das Verschwinden der ›Performance‹ nicht absolut. ›Performance‹ hinterlässt Spuren in Form von Dokumenten, Beschreibungen und vor allem in Form von Erinnerungsspuren – Spuren im Gedächtnis, Spuren im Unbewussten. ›Performance‹ verflüchtigt sich also gewissermaßen in das Innere des (schauenden) Subjekts. In dieser Vorstellung wird besonders deutlich, dass Phelans Performancebegriff letztlich – trotz der expliziten Behauptung einer Ontologie der ›Performance‹ und entgegen seiner gängigen Rezeption innerhalb des Performancedis-
52 Phelan 1993, S. 163.
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kurses – weniger ein Gattungsbegriff denn Beschreibung einer psychischen Dynamik ist. Dies lässt sich sicherlich für die Gesamtheit der Überlegungen in Unmarked festhalten. Fotografie, Film, Theater oder Performance werden in Unmarked vor allem als psychische Räume oder psychische Strukturen diskutiert und danach befragt, welche Möglichkeiten der Produktion von Subjektivität sie eröffnen. Die Flüchtigkeit der ›Performance‹, ihr Verschwinden, ist daher mehr als ein nur zeitlicher Vorgang. Es ist auch eine Bewegung des Verlustes, die unweigerlich auf die Leerstelle, auf das für das Subjekt konstitutive Moment des Verlustes verweist. Genau aufgrund dieser strukturellen Verwandtschaft von ›Performance‹ und Subjektivität bietet die ›Performance‹ die Chance, einen anderen Umgang mit Verschwinden/Verlust zu üben.53 Insofern ›Performance‹ in Unmarked als Entzug charakterisiert wird, bleibt Phelans Performancebegriff auf Distanz zu Vorstellungen von ›Performance‹ als Situation erfüllender Präsenz. ›Performance‹ vollzieht sich zwar ausschließlich im Präsens (present), in ihrer ständigen Entzugsbewegung stellt sich jedoch keine Präsenz (presence) im Sinne eines vollständigen Da-Seins ein. Nicht zuletzt auch weil die Behauptung von Präsenz in sich den Gestus trägt, mit dem ›Realen‹ deckungsgleich zu sein, ist sie aus Phelans Perspektive politisch suspekt. Aus ähnlichen Gründen besteht in Unmarked auch Misstrauen gegenüber der Wiederholung, die ja für viele in Anschluss an Judith Butlers Performativitätsbegriff entworfene Konzeptionen von ›Performance‹ gerade Ansatzpunkt für identitätskritischen Widerstand und Revision ist. In Unmarked wird Wiederholung in Zusammenhang mit dem Imperativ der Reproduktion gesehen, der das gewaltsame Verhältnis von Subjekt und anderem aufrechterhält und fortschreibt. Kritisch wirksam ist Wiederholung daher nicht per se, sondern nur dort, wo sie
53 Dies wird von Phelan in Mourning Sex (1997) noch weiter ausgeführt. Phelan nimmt auch hier verschiedene Kunstformen in den Blick und diskutiert unter Rückgriff auf psychoanalytische Theoriebildungen die Frage nach dem Verschwinden des Körpers, die gleichzeitig immer auch die Frage nach dem Verhältnis des Subjekts zu Verwundung, Sterben und Tod ist. Der Performancebegriff findet dabei kaum explizit Verwendung und wird auch nicht eigens thematisiert. Insofern Phelan jedoch komplexe dynamische Konstellationen von Sehen/Nicht-Sehen, Berühren/Entzug und Begehren beschreibt, die sich stets zwischen Betrachtenden und Angesehenen ereignen, werden in Mourning Sex alle diskutierten Beispiele – die Debatten über den Umgang mit den bei Bauarbeiten Ende der 1980er Jahre entdeckten Resten des Theaters The Rose, Caravaggios Gemälde Der ungläubige Thomas oder der Film Silverlake Life – als ›Performance‹ in den Blick genommen (Siehe Phelan, Peggy, 1997: Mourning Sex. Performing Public Memory. New York/London: Routledge).
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die vermeintliche Verlässlichkeit des Sichtbaren, dessen Status als Reales, stört. So ist die Wiederholungsstruktur des ›Theaters‹ gewissermaßen auch sein politisch-kritisches Potenzial. Anders als ›Performance‹ hält das ›Theater‹ am Versprechen von Präsenz fest und muss dabei ständig überdecken, dass es nicht originärer Akt, sondern eben Wiederholung ist. Das sich hieraus eröffnende Moment des Zweifels positioniert Phelans Unmarked als wichtigsten Ausgangspunkt für eine Revision der auf Reproduktion desselben und Aneignung des anderen basierenden Logik westlicher Kultur, deren Imperativ alle Repräsentation unterliegt. Abschließend scheint es mir wichtig, noch einmal festzustellen, dass der Performancebegriff in Phelans Unmarked ausgehend von einer spezifischen Vorstellung von Subjektivität entworfen wird und nicht ausgehend von der Idee des Ereignisses. ›Theater‹ und ›Performance‹ werden nicht als Gegensätze gegeneinandergestellt, aber als durchaus unterschiedliche Praktiken der Repräsentation kenntlich gemacht. ›Performance‹ wird dabei als Entzug konturiert und ihr das Potenzial zur Störung der gängigen Systemlogiken als ontologische Eigenheit zugesprochen. Die Vorstellung von ›Performance‹ als unwiederholbarem Verschwinden wird im weiteren Lauf des amerikanischen Performancediskurses zum vielleicht wichtigsten Bezugspunkt für die Debatte um zunächst das Verhältnis von ›Performance‹ und Medien und später, in der Reenactment-Debatte, um das Verhältnis von Performancekunst und Re-Inszenierung. 6.1.2 Liveness: Performance als mediatisierte Inszenierung In der amerikanischen Performancetheorie reagieren vor allem Philip Auslanders Texte auf die in Phelans Unmarked prominent formulierte Gleichsetzung von ›Performance‹ mit Verschwinden und Nicht-Wiederholbarkeit. Bereits ein Jahr nach Erscheinen von Unmarked gibt Auslander in Presence and Resistance: Postmodernism and Cultural Politics in Contemporary American Performance (1994) zu bedenken, dass sich die Möglichkeiten für jede Art kritischer Praxis unter den Bedingungen der Postmoderne grundlegend verändert hätten.54 Nicht nur hätten sich, so Auslander, zuvor stabile Unterscheidungen von z.B. Mainstream und Avantgarde aufgelöst. Mit der weitreichenden Durchsetzung von Technologien wie Fernsehen, Video und den, im Jahr 1994 noch neuen, digitalen Techniken gebe es auch keinen gesellschaftlichen, sozialen oder kulturellen Be-
54 Siehe Auslander, Philip, 1994: Presence and Resistance. Postmodernism and Cultural Politics in Contemporary American Performance. Ann Arbor: The University of Michigan Press.
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reich mehr, der nicht von Mediatisierung betroffen und wesentlich durch sie geprägt sei.55 Dementsprechend skeptisch steht Auslander Phelans Vorstellung gegenüber, dass die ›Performance‹ sich jeder Form von Speicherung und medialer Reproduktion entziehen könne. Eine quasi ontologische Unterscheidung von ›Performance‹ und Medien scheint zudem auch angesichts der Entwicklungen in der Performancekunst und dem experimentellen Theater in den USA seit den 1980er Jahren zweifelhaft. Künstlerinnen und Künstler wie Spalding Gray, Laurie Anderson oder die Wooster Group setzen nicht nur Medien als künstlerische Mittel in ihren Aufführungen ein, sondern nähern sich vor allem dem Fernsehen auch in struktureller und ästhetischer Hinsicht an. Auch die in den 1960er und 1970er Jahren für das Selbstverständnis der Performancekunst so wichtige Kritik am Warencharakter der Kunst und das damit verbundene Bemühen, sich dem Zugriff ökonomischer Verwertungsdynamiken zu entziehen, indem schlicht die Herstellung eines künstlerischen Produkts, das sich kaufen und verkaufen lässt, verweigert wird, scheint für die Arbeiten Spalding Grays, Laurie Andersons und der Wooster Group nicht mehr wesentlich. Ihre Arbeiten werden nicht nur als Aufführungen gezeigt, sondern auch als Video, CD oder Buch vertrieben. Insbesondere Laurie Anderson, die 1981 einen Plattenvertrag bei Warner Brothers unterschreibt und mit ihren Multimedia-Performances und ihrer Musik – Andersons O Superman ist einige Zeit sogar in den britischen Popcharts vertreten – ein breites Publikum gewinnt, bewegt sich als Künstlerin flexibel zwischen Avantgarde und Populärkultur.56 Performance unter den Bedingungen der Postmoderne Für Auslander bedeuten diese Veränderungen, dass das politische Potenzial der ›Performance‹, will man Arbeiten wie denen Andersons, Grays und der Wooster Group nicht pauschal jegliche kritische Dimension absprechen, nicht darin bestehen könne, dass sie der medialen Speicherung und ökonomischen Verwertung entgingen. Ein Ausstieg oder Rückzug in einen alternativen Bereich erscheint ohnehin unter den alles umfassenden postmodernen Bedingungen unmöglich. Auslander argumentiert daher, dass in der Postmoderne kritische oder politische Kunst nur aus der intimen Kenntnis der Machtstrukturen heraus, also von einer Position innerhalb des Systems aus, erfolgen könne. Um Kritik zu üben, müsse
55 Siehe Auslander 1994, S. 9-19. 56 Für einen Überblick zu Biografie und künstlerischem Schaffen Laurie Andersons siehe Goldberg, RoseLee, 2000: Laurie Anderson. New York: Harry N. Abrams; Howell, John, 1992: Laurie Anderson. New York: Thunder’s Mouth Press.
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die ›Performance‹ zwangsläufig bis zu einem gewissen Grad genau die Mittel und Voraussetzungen gebrauchen, auf die sich ihre Kritik richtet: »Because postmodernist political art must position itself within postmodern culture, it must use the same representational means as all other cultural expression yet remain permanently suspicious of them.«57 Wenn sich in der Postmoderne die Bedingungen für politisch wirksame ›Performance‹ grundlegend verschoben haben, dann greifen auch die bisherigen Erklärungen der Performancetheorie nicht mehr. Sowohl Richard Schechners Theorien, die den Überzeugungen der 68er-Bewegung entsprechend auf die erlösende Kraft der Gruppe vertrauen, als auch psychoanalytisch geprägte Performancetheorien wie die Peggy Phelans, Josette Férals und Chantal Pontbriands, basieren auf der Annahme, dass es einen alternativen Raum jenseits der hypermedialen, kapitalistischen Warenkultur gibt, der eine Gegenposition und einen Rückzugsort bietet.58 Die politischen Dimensionen von Performances wie die der Wooster Group oder Laurie Andersons, die keinerlei Berührungsängste gegenüber medialen Technologien und kapitalistischer Vermarktung aufweisen, lassen sich daher schwer aus der Perspektive bisheriger Performancetheorien erfassen. In Presence and Resistance entwirft Auslander schließlich eine Theorie postmoderner politischer ›Performance‹, die, statt nach Möglichkeiten der Transgression zu suchen, auf das politische Potenzial von Strategien des Widerstands (resistance) setzt. Das politische Potenzial von Spalding Grays, Laurie Andersons und der Performances der Wooster Group liege demnach nicht darin, dass sie den Machtmechanismen, der Warenlogik und der medialen Repräsentationsmachinerie der spätkapitalistischen amerikanischen Gesellschaft entkämen, sondern darin, dass sie deren Mittel und Logik dekonstruierten.59 Wichtigster Ansatzpunkt dekonstruktiver Strategien in der postmodernen Performance, so Auslanders These, ist die Idee der Präsenz.60 Während das experimentelle Theater der 1960er Jahre z.B. Richard Schechners Performance Group oder das The Living Theatre davon ausgingen, dass in der Begegnung des Publikums mit dem unmittelbar als lebendiger Mensch anwesenden Akteur (performer) das spirituelle und politische Potenzial der ›Performance‹ liegt, wird Präsenz in der Postmoderne suspekt.61 Nicht nur gilt die mit Präsenz verbundene
57 Auslander 1994, S. 23 [Herv. i.O.]. 58 Siehe ebd., S. 47. 59 Siehe ebd., S. 51. 60 Siehe hierzu ebenfalls Auslander, Philip, 1987: Toward a Concept of the Political in Postmodern Theatre. In: Theatre Journal 39, 1, S. 20-34. 61 Siehe Auslander 1994, S. 37.
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Behauptung unmittelbarer Realität im mediengesättigten Umfeld postmoderner Gesellschaften als obsolet. Insofern Präsenz als tragendes Element autoritärer Machtstrukturen entlarvt wird, gilt Präsenz auch in politischer Hinsicht als fragwürdig. Als Eigenheit charismatischer Persönlichkeiten stützte Präsenz nicht zuletzt auch die Machthierarchien, die selbst das Arbeiten in der Theateravantgarde der 1960er Jahre prägten.62 Wenn nun in den Performances der Wooster Group, Laurie Andersons oder in den Auftritten von Künstlerinnen und Künstlern der Populärkultur wie Andy Kaufman oder Sandra Bernhard Präsenz bewusst verweigert werde, indem beispielsweise im Changieren zwischen verschiedenen Personae und medialen Vermittlungsebenen stets unsicher bliebe, ob und wann sich der ›wahre‹ Mensch zeige, dann ist dies für Auslander eine den Bedingungen des medialen Kontexts der Postmoderne entsprechende kritische Strategie.63 Auslander weist darauf hin, dass eine solche gegen Präsenz gerichtete kritische Strategie postmoderner Performance dem Prinzip nach eine antitheatrale Strategie sei, da sie immer auch gegen konventionelle Strukturen theatraler Autorität arbeite.64 Dabei scheint die Abkehr von der Fokussierung auf die Präsenz des unverstellten lebendigen Darstellers nicht nur durch das nach Ende der 1960er-Bewegung schwindende Vertrauen in die Macht der Gruppe bedingt, sondern auch dadurch begründet, dass, wie Auslander in Anschluss an Baudrillard bemerkt, die Theatermetapher die Situation in der postmodernen spätkapitalistischen Informationsgesellschaft nicht mehr überzeugend beschreiben könne.65 Die Metapher vom gesellschaftlichen Leben als Theater impliziere nämlich, dass es eine Distanz zwischen dem Subjekt und seiner sozialen Repräsentation gebe. Ein derartiges Hinein- und Hinausbewegen aus einer sozialen Rolle scheint in der vollständig durch elektronische Informations- und Kommunikationsprozesse durchdrungenen postmodernen Gesellschaft, deren Modell eher die Simulation denn die Maskerade ist, schlicht nicht mehr denkbar.66 In der von elektronischen Medien dominierten postmodernen Informationsgesellschaft steht die Vorstellung von ›Performance‹ als flüchtigem Ereignis noch aus einem weiteren Grund in Zweifel: »Today videos, photographs, and sound recordings are no longer documents of ephemeral performances but often
62 Siehe Auslander 1994, S. 45. 63 Siehe ebd., S. 139-167. 64 Siehe ebd., S. 45. 65 Vgl. Baudrillard, Jean, 1994: Simulacra and Simulation. Übersetzt von Sheila Faria Glaser. Ann Arbor: The University of Michigan Press (Frz 1981). 66 Siehe Auslander 1994, S. 50-51.
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constitute virtual performances in themselves.«67 Wenn Foto und Video nicht mehr nur als Abbilder des Ereignisses ›Performance‹ und damit als nachrangig gelten, sondern als mit der Aufführung vor leiblich anwesenden Zuschauenden gleichwertige Spielarten von ›Performance‹ anerkannt werden, ist Flüchtigkeit nicht länger das entscheidende Wesensmerkmal von ›Performance‹. Tatsächlich ist bei Auslander der Begriff ›Performance‹ nicht dem Zusammenwirken von leiblich ko-präsenten Agierenden und Zuschauenden vorbehalten. Zwar steht für Auslander im Zentrum jeder ›Performance‹ die Kommunikation zwischen Akteur und Zuschauer, jedoch wird ›Performance‹ nicht ausschließlich als direktes Interagieren zwischen Darstellern und Publikum und also als Ereignis verstanden, das nur im gemeinsamen Handeln hervorgebracht wird. Für Auslander besteht daher kein prinzipieller Unterschied zwischen einem Popkonzert, bei dem ein Großteil des Publikums die Bühnengeschehnisse nur über Videoleinwände verfolgen kann, und einer Theateraufführung, bei der die Zuschauenden unverstellte Sicht auf die lebendigen Körper der Schauspieler genießen. Auslander geht in einem späteren Aufsatz sogar so weit, auch ein Foto wie Yves Kleins berühmten Sprung in die Leere (1960), das den Künstler beim scheinbar ungeschützten Sturz aus einem Fenster zeigt, als ›Performance‹ aufzufassen.68 Selbst wenn das Foto von Kleins Sprung bekanntermaßen gar nicht auf ein Ereignis verweist, das wirklich stattgefunden hat, so tue dies der Bedeutsamkeit und dem Erfolg der Aufnahme keinen Abbruch. Auch im Betrachten des Fotos, so Auslander, erschließe sich offensichtlich das künstlerische Anliegen Kleins, so dass die Begegnung mit dem Foto in keiner Weise als im Vergleich zur Teilnahme an einem realen Ereignis sekundär erscheine: »It may well be that our sense of the presence, power, and authenticity […] derives […] from perceiving the document itself as a performance that directly reflects an artist’s aesthetic project or sensibility and for which we are the present audience.«69 Insbesondere in Liveness: Performance in a Mediatized Culture (1999) argumentiert Auslander gegen einen Performancebegriff, der ›Performance‹ mit Flüchtigkeit und Unwiederholbarkeit gleichsetzt und rigoros gegen Formen medialer Aufzeichnung abgrenzt.70 Vor allem aufgrund der de facto sehr engen Ver-
67 Auslander 1994, S. 58. 68 Siehe Auslander, Philip, 2006b: The Performativity of Performance Documentation. In: PAJ: A Journal of Performance and Art 28, 3, S. 1-10, hier S. 7 u. 9. 69 Auslander 2006b, S. 9 [Herv. i.O.]. 70 Siehe Auslander 1999.
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flechtungen von Live-Performance und mediatisierter71 Performance erscheine eine ontologische Unterscheidung beider Formen rein »ideologisch«.72 Wenn, wie Auslander argumentiert, das Publikum bei einem Madonna-Konzert vor allem die Musikvideos der Sängerin ›live‹ sehen wolle und den Bühnenauftritt nach dem Maßstab möglichst großer Ähnlichkeit mit den Videos bemesse, könne die Live-Performance kaum als vorgängig oder prioritär verstanden werden.73 Die Live-Performance richte sich in diesem Fall ja an der medialen Aufzeichnung aus. Es geht Auslander dabei nicht um die Behauptung, dass es einerlei sei, ob man ein Video anschaut oder eine Musikerin hic et nunc im Konzert erlebe. Es geht ihm jedoch um eine Kritik an einer strikt ontologischen Assoziation von ›Performance‹ mit Flüchtigkeit, Unmittelbarkeit und Unwiederholbarkeit sowie darum, in Frage zu stellen, dass Flüchtigkeit, Unmittelbarkeit und Unwiederholbarkeit politisch automatisch subversiver Wert zugesprochen, mediatisierter ›Performance‹ dagegen prinzipiell abgesprochen werde. Insgesamt geht es Auslander darum, statt von einem ontologischen Oppositionsverhältnis von LivePerformance und mediatisierter Performance auszugehen, das Verhältnis zwischen beiden jeweils historisch spezifisch und unter Rücksicht auf den jeweiligen kulturellen Kontext zu beschreiben.74 Wie er in Liveness selbst in verschiedenen Fallstudien zeigt, erweist sich die Konstellation von ›live‹ und ›medial‹ als durchaus wandelbar und auch die mit Liveness bzw. Mediatisierung verbunden Wertigkeiten zeigen sich als veränderbar. Hinsichtlich der Frage, welche Bedeutung dem ›Theater‹ in Auslanders Texten zukommt, lässt sich zunächst festhalten, dass das Theater in verschiedenen Ausprägungen – von der experimentellen Theateravantgarde der 1960er Jahre über die amerikanische Neo-Avantgarde der 1990er Jahre bis hin zum weltweit tourenden Broadway-Musical – Gegenstand der Reflexionen Auslanders ist und
71 Auslander versteht unter mediatized performance jede Art von ›Performance‹, die als Aufzeichnung vorliegt und sich daher wiederholt abspielen lässt (Siehe Auslander 1999, S. 5). 72 Siehe Auslander 1999, S. 42. Bereits in einer Fußnote in Presence and Resistance merkt Auslander an, dass der Performancebegriff – gerade auch in seiner Abgrenzung vom Theaterbegriff – in der amerikanischen Performancetheorie häufig ›ideologisch‹ genutzt, also so zurechtgeschnitten werde, dass er den theoretischen und politischen Überzeugungen der jeweiligen Theoretiker entspricht (Siehe Auslander 1994, S. 184185). 73 Siehe Auslander 1999, S. 31. 74 Siehe ebd., S. 51 u. 54.
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genauso in den Blick genommen wird wie Musikkonzerte, Comedy-Auftritte im Fernsehen oder die Gerichtsverhandlung. Gattungsspezifische Abgrenzungsfragen problematisiert Auslander eher, als dass er sich an ihrer Fortschreibung beteiligt. So spielt auch die Frage, ob und welche Unterschiede sich zwischen ›Theater‹ und ›Performance‹ feststellen lassen, in Auslanders Texten keine Rolle. Im Zentrum der theoretischen Ausführungen Auslanders steht der Performancebegriff als Leitbegriff. Der Begriff ›Performance‹ wird dabei nicht im engen Sinn als Bezeichnung für Performancekunst verwendet, sondern mit ›Performance‹ sind allgemein Aufführungen in Theater, Musik und Populärkultur gemeint. Dabei schwankt die Verständnisweise von ›Performance‹ in Auslanders Texten zwischen dem deutschsprachigen ›Aufführung‹ und ›Inszenierung‹. ›Performance‹ ist nicht ausschließlich als das Interagieren leiblich ko-präsenter Darsteller und Zuschauer definiert, sondern kann auch Situationen meinen, in denen sich der Eindruck von Gegenwärtigkeit beim Betrachten eines Fotos oder Videos einstellt. Innerhalb der amerikanischen Performancetheorie stehen Auslanders Presence and Resistance sowie Liveness für einen nicht ontologisch verstandenen Performancebegriff, der medienübergreifend gedacht wird und ›Performance‹ weder auf Flüchtigkeit noch auf Unwiederholbarkeit festlegt. 6.1.3 Performance als Aufführungsbegriff? Zum Abschluss sollen hier noch einmal die wichtigsten Grundlinien aus der Debatte zwischen Philip Auslander und Peggy Phelan zusammengetragen und mit Blick auf die Frage, was für ein Performancebegriff hier formuliert wird, zugespitzt werden. Dabei ist festzuhalten, dass sowohl Auslander als auch Phelan die Fragen verhandeln, welche politische Bedeutung ›Performance‹ in der spätkapitalistischen Gesellschaft zukommt, in welchem Verhältnis ›Performance‹ zu Mediatisierung steht und inwiefern ›Performance‹ als flüchtiges Ereignis zu verstehen ist. Dabei ist es, im Unterschied zu den Debatten der 1960er und 1970er Jahre über ›Performance‹ als eigenständiger Kunstgattung und im Gegensatz zu den Institutionalisierungsdiskursen der Performance Studies, weniger das ›Theater‹, das als Gegenfolie für die Formierung des Performancebegriffs fungiert, sondern der Begriff der Mediatisierung, vor allem im Sinne medialer Speicher-, Dokumentier- und Wiederholbarkeit. Die Dichotomisierung verläuft dementsprechend weniger zwischen ›Performance‹ und ›Theater‹ als zwischen ›Performance‹ und ›Medien‹. ›Theater‹ hat dennoch in den Texten Auslanders und Phelans einen Platz. Es ist Gegenstand der Reflexion und wird dabei als spezifische Form der Repräsentation in den Blick genommen, die in der westlichen Gesellschaft eine eigene
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Historie und dementsprechend ausgeprägte Konventionen besitzt. Dabei ist mit ›Theater‹ das literarische Guckkastentheater gemeint. Dieses interessiert Phelan als spezifische räumliche Ordnung des Sehens und Gesehen-Werdens und als Repräsentationsform, die ihrer Struktur nach auf Wiederholbarkeit ausgelegt ist. Auslander interessiert das konventionelle Guckkastentheater in seiner kulturellen Positionierung als ›live‹. Auch er identifiziert mit Blick auf das ›Theater‹ Logiken der Wiederholung, wenn er darauf aufmerksam macht, dass es bei den weltweit gezeigten kommerziell erfolgreichen Broadway-Musicals nicht um Einzigartigkeit gehe, sondern um größtmögliche Standardisierung, die ortsunabhängig dieselbe Erfahrung reproduzierbar werden lasse. Es wäre zwar eine Überdehnung der Texte Auslanders und Phelans hier einen einseitig negativen Theaterbegriff anzukreiden oder sogar theaterfeindliche Argumentationslinien auszumachen. Phelans Texten ließe sich wahrscheinlich eher Medienfeindlichkeit vorwerfen und Auslander liegt mit seiner Betonung, dass gattungsspezifische Zuschreibungen stets von kulturellen und historischen Kontexten abhängig seien, ebenfalls fern, bestimmte Merkmale als unumstößliche ontologische Eigenheiten des ›Theaters‹ festzuschreiben. Dennoch lässt sich festhalten, dass die Art, wie Auslander und Phelan ›Theater‹ thematisieren, eher zu einer Verengung des Theaterbegriffs beiträgt, wie sie ja häufig im amerikanischen Performancediskurs zu beobachten ist. Jedenfalls stehen Auslanders und Phelans Texte nicht für ein weites Verständnis von ›Theater‹ ein, weder hinsichtlich der Gegenstände, die unter dem Begriff ›Theater‹ verhandelt werden, noch hinsichtlich einer möglichen metaphorischen Verwendungsweise von ›Theater‹ im Sinne von Rollenspiel, wie sie sich beispielsweise in den Performancebegriff Erving Goffmans einschreibt. In den Texten Auslanders und Phelans ist ›Theater‹ mit Institutionalisierung, der räumlichen Organisation der Guckkastenbühne, mit Konventionalität und Kommerzialisierung verbunden. Diese Assoziationsreihe wird nicht in programmatischer Form verdichtet, bildet aber dennoch den Hintergrund an Konnotationen, vor dem sich in den Texten der Performancebegriff formiert. Der Performancebegriff wird sowohl bei Auslander als auch Phelan im Spannungsfeld zwischen der Vorstellung von Flüchtigkeit und medialer Speicherung entworfen. Während Phelan daran festhält, dass ›Performance‹ immer live art und also flüchtiges Ereignis sei, das sich nicht wiederholen oder medial speichern lasse, stellt Auslander die vermeintlich ontologische Unterscheidung von ›live‹ versus ›mediatisiert‹ in Frage. Für Auslander ist die Unmittelbarkeit und Flüchtigkeit der ›Performance‹ – ihr Live-Charakter – Effekt von Mediatisierung und nicht etwa deren Gegenteil. Abgesehen von einem a priori gesetzten, negativen Medienbegriff bei Phelan und einem eher deskriptiven Medienbegriff bei
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Auslander ergibt sich die Unvereinbarkeit von Auslanders und Phelans Performancebegriff noch aus einem zweiten Grund. Während Phelan ›Performance‹ als Aufführungsereignis reflektiert, entwirft Auslander ›Performance‹ eher im Sinne von ›Inszenierung‹. Bereits in Liveness konzentriert sich Auslanders Blick vor allem auf die Dimension der Produktion von ›Performance‹ und die Frage der jeweils genutzten Inszenierungsstrategien. Dagegen interessiert sich Peggy Phelan in Unmarked vor allem für die Frage der Rezeption von ›Performance‹ und diskutiert eine ›Performance‹ wie Angelika Festas Untitled als vergängliches Ereignis. Zwar geht Phelans in Unmarked formulierter Performancebegriff mit seiner feministisch-psychoanalytischen Konturierung nicht im deutschsprachigen Begriff der ›Aufführung‹, der diese eher pragmatisch als im Interagieren von leiblich ko-präsenten Darstellern und Zuschauern hervorgebrachtes Ereignis definiert, auf. Phelans Performancebegriff steht diesem Begriffsverständnis dennoch deutlich näher als Auslanders Begriff der ›Performance‹. Diese Beobachtung lässt sich abschließend an zwei jüngeren Texten Auslanders und Phelans noch einmal bestätigen. In einem Artikel aus dem Jahr 2004 über Marina Abramovićs The House with the Ocean View (2002) bekräftigt Peggy Phelan, dass ›Performance‹ immer live art und also flüchtiges, unwiederholbares Ereignis sei. Sie unterstreicht auch nochmals ihre Überzeugung, dass ›Performance‹ und Medien wie Fotografie, Film oder Video ontologisch grundverschieden seien, insofern sich die Teilnehmenden nur in der ›Performance‹ in Ko-Präsenz gegenüberstünden und aufeinander und damit auf die ›Performance‹ einwirken könnten. Es sei diese für die ›Performance‹ spezifische Ereignishaftigkeit (liveness), die die ästhetische und ethische Besonderheit von ›Performance‹ ausmache. Weil diese Formierung des Performancebegriffs bemerkenswert nah an den prominent von Erika FischerLichte im deutschsprachigen Diskurs formulierten Aufführungsbegriff rückt, lohnt sich ein ausführliches Zitat der Passage aus Phelans Text: »In terms of performance’s ontological question, streaming video functions in the way a still photograph works: it conveys the work but it is not the live event itself. Performance remains a compelling art because it contains the possibility of both the actor and the spectator becoming transformed during the event’s unfolding. People can often have significant and meaningful experiences of spectatorship watching film or streaming video. But […] the spectator’s response cannot alter the pre-recorded or the remote performance, and in this fundamental sense, these representations are indifferent to the response of the other. [...] In live performance, the potential for the event to be transformed in unscripted ways by those participating (both the artists and the viewers) makes it more exciting to me. This
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is precisely where the liveness of performance art matters. [...] because this is the point where the aesthetic joins the ethical.«75
Während Peggy Phelan auf der Flüchtigkeit von ›Performance‹ besteht, weist Philip Auslander in seinem Aufsatz »The Performativity of Performance Documentation« (2006) nochmals auf die Bedeutung von Mediatisierung für die Konstitution von ›Performance‹ hin.76 Auslander macht darauf aufmerksam, dass sich die Bedeutsamkeit und Bekanntheit der meisten Aufführungen der Performancekunst nicht aus deren flüchtiger Ereignishaftigkeit ableite, sondern ganz im Gegenteil auf ihrer fotografischen und filmischen Dokumentation beruhe. So sei beispielsweise Chris Burdens berüchtigte Performance Shoot (1971) ausschließlich als fotografisches und filmisches Dokument überliefert und habe nur deshalb Eingang in den historischen und kritischen Diskurs zur Performancekunst finden können. Weiterhin argumentiert Auslander, dass viele Performances bereits mit Rücksicht auf ihre spätere Dokumentation inszeniert und nicht unbedingt auf das während der Aufführung leiblich anwesende Publikum ausgerichtet seien. In diesem Sinne konstituiere sich ›Performance‹ erst durch ihre mediale Dokumentation. Diese im Text auch als ›Theatralität‹77 der Performance(-kunst) beschriebene Eigenheit führt Auslander zu dem Schluss, dass es in der Dokumentation von Performance darum gehe, die Performance als Werk und nicht etwa als Ereignis zu bewahren: »It is very rare that the audience is documented at anything like the same level of detail as the art action. The purpose of most performance art documentation is to make the artist’s work available to a larger audience, not to capture the performance as an ›interactional accomplishment‹ to which a specific audience and a specific set of performers coming toge-
75 Phelan, Peggy, 2004: Marina Abramović. Witnessing the Shadows. In: Theatre Journal 56, 4, S. 569-577, hier S. 575. 76 Siehe Auslander 2006b. 77 Auslander diskutiert die Unterscheidung von ›dokumentarischer‹ und ›theatraler‹ Dokumentation. Während Dokumentation, die als ›dokumentarisch‹ gilt, ein Ereignis vermeintlich genauso wiedergebe wie es geschehen ist, sei im Fall einer als ›theatral‹ geltenden Dokumentation erkennbar, dass das Ereignis auf seine Dokumentation ausgerichtet sei oder, dass es sogar ausschließlich für die Kamera ausgeführt werde. Auslander verwirft die Unterscheidung letztlich als ›ideologisch‹ und betont, dass jede Dokumentation von ›Performance‹ diese nicht einfach nur abbilde, sondern immer dazu beitrage, dass sich ›Performance‹ überhaupt erst als solche konstituiere (Siehe Auslander 2006b, S. 1 u. 3-4).
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ther in specific circumstances make equally significant contributions. [...] In that sense, performance art documentation participates in the fine art tradition of the reproduction of works rather than the ethnographic tradition of capturing events.«78
Wenn es nun vor allem die Künstlerinnen und Künstler selbst sind, die die Dokumentation ihrer Performances bewusst gestalten und initiieren, dann lässt dies vermuten, dass sie ›Performance‹ nicht ausschließlich als flüchtiges Ereignis verstehen, das sich der medialen Speicherung entzieht und nur dadurch seinen Wert entfaltet. Auch wenn ›Performance‹ und die Dokumentation der ›Performance‹ natürlich zwei verschiedene Sachen sind, so unterstreicht diese Beobachtung dennoch Auslanders in Presence and Resistance und Liveness formulierte Position, dass ›Performance‹ sich erst durch Prozesse der Mediatisierung als Live-Ereignis, eigenständige Kunstgattung oder künstlerische Leistung konstituiert.
6.2 VERSCHWINDEN – BEWAHREN: ZEITLICHKEIT(-EN) DER PERFORMANCE Im vorherigen Abschnitt ging es darum aufzuzeigen, welche Position die Vorstellung von der Flüchtigkeit der ›Performance‹ im amerikanischen Performancediskurs einnimmt. Im folgenden Abschnitt werde ich an diese Beobachtung anknüpfen und Lektüren von Texten vorstellen, die sich in besonderer Weise mit der Frage der Zeitlichkeit der ›Performance‹ befassen und dabei vor allem die Verstrickungen der ›Performance‹ in Vergangenheit herausarbeiten. Gerade seit Ende der 1990er und zu Beginn der 2000er Jahre besteht in der amerikanischen Performancetheorie ein intensives Interesse an Fragen der Rolle von ›Performance‹ in der Konstitution von Geschichte, ihrer Position in der Erinnerungskultur und dem Potenzial von ›Performance‹, als Speicher für Vergangenes zu fungieren. Für den performancetheoretischen Diskurs sind in diesem Zusammenhang vor allem zwei Texte einflussreich. Joseph Roachs Cities of the Dead: CircumAtlantic Performance (1996) steht nicht nur für einen historiografischen Blick ein, der die Austauschbewegungen von ›Performance‹ über nationale und kulturelle Grenzen hinweg beschreibt.79 Roach plädiert vor allem auch dafür, ›Per-
78 Auslander 2006b, S. 6 [Herv. i.O.]. 79 Siehe Roach, Joseph, 1996: Cities of the Dead. Circum-Atlantic Performance. New York: Columbia University Press.
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formance‹ als Medium des gleichermaßen Erinnerns und Vergessens zu begreifen, das stets die ›Geister‹ der Vergangenheit in sich trage. Mit The Archive and the Repertoire: Performing Cultural Memory in the Americas (2003) setzt Diana Taylor die Bemühungen fort, die gewaltsamen Auslöschungen sichtbar zu machen, die so oft Voraussetzung von nationaler Identität sind.80 Dabei entwirft sie einen Performancebegriff, der ›Performance‹ als Medium der Speicherung und Übertragung von Wissen und Erinnerung in den Fokus rückt. Sowohl Roach als auch Taylor entfernen sich also von einem Begriffsverständnis, das ›Performance‹ mit Flüchtigkeit assoziiert. Anders als für Philip Auslander ist es bei Taylor und Roach aber nicht die komplexe gegenseitige Bedingtheit von ›Performance‹ und medialen Speichern wie Fotografie oder Film, die die Rede von der Flüchtigkeit und Unmittelbarkeit der ›Performance‹ in Zweifel ziehen. Für Roach und Taylor ergibt sich die enge Verflechtung von ›Performance‹ und Vergangenheit aus ihrer Körperlichkeit. Im folgenden Abschnitt geht es nun darum, den bei Roach und Taylor entworfenen Performancebegriff vorzustellen und vor allem sein Verhältnis zu Vorstellungen des Theatralen herauszuarbeiten. Wenn sich die amerikanische Performancetheorie seit Ende der 1990er Jahre wieder verstärkt dem ›Theater‹ als Gegenstand zuwendet und ›Theatralität‹ als theoretisches Konzept neu entdeckt, wieso bleibt dann dennoch der Performancebegriff der zentrale Leitbegriff? Wie beschreiben Roach und Taylor die spezifische Zeitlichkeit der ›Performance‹? Was bedeutet es für das politische Potenzial von ›Performance‹, sie als Speicher und Träger des Vergangenen und nicht als unwiederholbar flüchtig zu denken? 6.2.1 Exkurs: Theater als Wiedergänger Während die ›Performance‹ zumindest in einigen Theorielinien offensiv mit Flüchtigkeit und Unwiederholbarkeit assoziiert wird, gilt das Theater seit Platon im westlichen Diskurs meist paradigmatisch als Ort der Wiederholung. In der Tradition abendländischer Theaterfeindlichkeit bringt ihm dies den Vorwurf des Unwahren und Überflüssigen ein. Der Wiederholungscharakter des Theaters verbindet dieses jedoch auch auf intime Weise mit der Vergangenheit. Im amerikanischen Kontext beschreibt Marvin Carlson diese Eigenheit des Theaters ausführlich in The Haunted Stage: The Theatre as Memory Machine (2003).81
80 Siehe Taylor, Diana, 2003: The Archive and the Repertoire. Performing Cultural Memory in the Americas. Durham: Duke University Press. 81 Siehe Carlson, Marvin, 2003: The Haunted Stage: The Theatre as Memory Machine. Ann Arbor: The University of Michigan Press.
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Carlson vertritt die These, dass das Theater zu allen Zeiten und überall eng an Erinnerungsprozessen beteiligt und von Wiederholungen bestimmt ist. Wiederholung betrifft dabei alle Theatermittel: den Text, die Körper der Schauspieler, die Inszenierung, Theatergebäude und Bühnenraum. Wiederholung im Theater kann das exakte Zitat meinen ebenso wie Verfahren der Parodie oder des postmodernen Recyclings. Vor allem aber erweist sich das Theater als bestimmt durch nicht intendierte Wiederholungen, die sich oft aus pragmatischen Gründen ergeben. So tritt eine Schauspielerin in ihrer beruflichen Laufbahn in verschiedenen Rollen auf, ein Theatergebäude ist über Jahrzehnte Ort der unterschiedlichsten Aufführungen und ein Dramentext wird in verschiedenen Inszenierungen gezeigt. Die Wiederholung – im Sinne dieses Auftauchens desselben Elements – führe zu unberechenbaren und unbeabsichtigten Assoziationen und Referenzen, die für die Rezeption im Theater jedoch entscheidend seien.82 Carlson geht es genau um diese Momente, die er als Formen der Heimsuchung (haunting) und der gespenstischen Wiederkehr (ghosting) beschreibt und zum Spezifikum des Theaters erhebt: »Everything in the theatre, the bodies, the materials utilized, the language, the space itself, is now and has always been haunted, and that haunting has been an essential part of the theatre’s meaning to and reception by its audiences in all times and all places.«83 Die Attraktivität und kulturelle Bedeutung des Theaters lokalisiert Carlson also nicht vorrangig im Interesse an Innovation und Originalität, sondern betont die Lust am Wiedererkennen und Wiederholen als hauptsächliche Antriebskraft des Theaters. Das Theater erzählt über Jahrhunderte immer wieder dieselben dramatischen Stoffe, das Publikum drängt in den Theatersaal, um immer wieder denselben Schauspieler zu sehen und eine Regisseurin verwendet immer wieder dieselben formalen Strategien, die ihren Inszenierungsarbeiten schließlich eine wiedererkennbare ›Handschrift‹ verleihen. Carlson verweist zwar darauf, dass die Ausprägung des Wiederholungscharakters des Theaters kulturell unterschiedlich ausgestaltet werde. So weise die Theaterkultur der USA Besonderheiten auf wie z.B. eine nur geringe Zahl an über Jahrzehnte kontinuierlich zusammenarbeitenden Theatergruppen und eine dominant realistische Ästhetik, die dazu führen, dass es im amerikanischen Kontext, anders als in einigen asiatischen Kultu-
82 Carlson geht es dezidiert nicht um die Wiederholung von z.B. durch ein Genre vorgegebene Grundstrukturen, sondern um das mehrfache Auftauchen von exakt denselben Elementen im Theater: »[…G]hosting presents the identical thing they [the audience; VA] have encountered before, although now in a somewhat different context.« (Carlson 2003, S. 7) 83 Carlson 2003, S. 15.
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ren, kaum denkbar sei, denselben Schauspieler über sein ganzes Berufsleben hinweg im selben Rollentyp zu zeigen.84 Dennoch bleibt Carlson dabei, dass Wiederholung essentielles Merkmal des Theaters sei. Weil es vor allem um einen historischen Abriss und eine Systematisierung der Elemente, die im Theater der Wiederholung unterliegen, geht, bleiben Carlsons Beobachtungen eher deskriptiv und werden nicht in einer eigenen theoretischen Perspektive gebündelt und geschärft. Joseph Roach und Diana Taylor formulieren ihre Überlegungen zu den Zeitlichkeiten der ›Performance‹ dagegen mit einem dezidiert theoretischen und politischen Anspruch, den es im Folgenden darzustellen gilt. Die Vorstellung, dass ›Performances‹ auf komplexe Weise von Vergangenem heimgesucht werden, ist sowohl in Cities of the Dead als auch in The Archive and the Repertoire die zentrale Grundannahme. In der Performancetheorie stehen beide Texte daher der Rede von der Flüchtigkeit der ›Performance‹ entgegen und öffnen stattdessen den Blick für die Historizität der ›Performance‹. Diese Perspektive erweist sich als relativ unproblematisch anschlussfähig für Beobachtungen zum ›Theater‹. Joseph Roach und Diana Taylor geht es auch generell nicht um Abgrenzungen von ›Theater‹ und ›Performance‹. Sie schreiben ausgehend von einem umfassenden Performancebegriff, unter den sich verschiedene Aufführungen aus Kunst, Kultur und Alltag subsumieren lassen, und interessieren sich gerade für die Austauschbewegungen und Resonanzen, die unterschiedliche Aufführungsformen und performative Praktiken über nationale, zeitliche und gattungsspezifische Grenzen hinweg miteinander verbinden. 6.2.2 Zur Historizität der Performance Joseph Roachs Cities of the Dead: Circum-Atlantic Performance beschreibt die komplexen Austauschbewegungen und Beziehungen zwischen afrikanischen, amerikanischen und europäischen Kulturen entlang des Atlantiks seit dem 18. Jahrhundert. Roachs historische Kulturanalyse zeichnet sich dadurch aus, dass sie sich nicht auf einen bestimmten, entlang geografischer oder nationaler Grenzen abgetrennten, Raum konzentriert, sondern die Region um den Atlantik als dynamisches Netz in den Blick nimmt, in dem Wirtschaftsgüter wie Zuckerrohr und Kakao, vor allem aber Körper und, mit diesen unweigerlich verbunden, performative Praktiken, zirkulieren. Die Bewegung der Körper im atlantischen Raum erweist sich dabei meist als gewaltsamer Prozess. Die koloniale Gründung Amerikas geht mit der massen-
84 Siehe Carlson 2003, S. 57 u. 81.
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haften Bewegung der Körper versklavter Menschen einher, die vom afrikanischen Kontinent in die ›Neue Welt‹ gebracht werden. In der Narration des manifest destiny wird das ›Verschwinden‹ der Körper der indigenen Bevölkerung Amerikas zur vermeintlich schicksalhaften Notwendigkeit erklärt. Die privilegierte Position der Körper der ›weißen‹ Siedler, die für sich ›Freiheit‹ und ›Überlegenheit‹ beanspruchen, könne sich, wie Roach zeigt, angesichts dieser gewaltsamen Verdrängungsbewegungen nur durch einen umfassenden Akt des Vergessens etablieren.85 Roach interessiert sich dann genau für diese Dynamiken des Erinnerns, Vergessens und Ersetzens und ihre Bedeutung für die Konstitution von kultureller Identität – insbesondere die Konstitution von whiteness. Der zentrale theoretische und analytische Leitbegriff in Cities of the Dead ist der Performancebegriff. Dabei meint ›Performance‹ kulturelle und künstlerische Aufführungen wie die Sklavenauktion, Mardi Gras, Theateraufführungen, William ›Buffalo Bill‹ Codys Wild West-Shows ebenso wie Beerdigungspraktiken. Alle diese Arten von ›Performance‹ werden von Roach als Aushandlungsorte von Differenz und Identität und, damit verbunden, als prägend für Erinnerung und Gedächtnis im atlantischen Raum diskutiert. Tatsächlich ist diese mnemonische Dimension der ›Performance‹ das Hauptinteresse in Cities of the Dead und begründet die Bedeutung des Textes innerhalb der amerikanischen Performancetheorie. Ausgangspunkt der Überlegungen zur Historizität der ›Performance‹ ist die Annahme, dass die relative Stabilität und Kontinuität einer Kultur auf dem andauernden Prozess des Ersetzens, des Füllens von entstehenden Lücken und damit sowohl auf Praktiken des Erinnerns als auch des Vergessens beruhe. Für dieses Prinzip des kulturellen Selbsterhalts prägt Joseph Roach den Begriff surrogation. Gemeint sind Akte des Ersetzens und Stellvertretens, die zwar niemals vollständig passgenau seien, von denen aber dennoch das Fortbestehen einer Kultur abhänge: »In the life of a community, the process of surrogation does not begin or end but continues as actual or perceived vacancies occur in the network of relations that constitutes the social fabric. Into the cavities created by loss through death or other forms of departure […] survivors attempt to fit satisfactory alternates. […] The fit cannot be exact. The intended substitute either cannot fulfill expectations, creating a deficit, or actually exceeds them, creating a surplus.«86
85 Siehe Roach 1996, S. 4. 86 Ebd., S. 2.
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Auch die ›Performance‹ folge dieser Logik des Stellvertretens (surrogation). Roach schließt seinen Performancebegriff dabei an Definitionen von Victor Turner, Richard Bauman und Richard Schechner an, die ›Performance‹ als Ausführung eines Zweckes, als Realisierung eines Potenzials und als Wiederholung vorgängiger Handlungsmuster bestimmt haben. Diese durchaus unterschiedlichen Performancebegriffe treffen sich für Roach in dem ihnen eingeschriebenen Prinzip der Ersetzung: »Performance, in other words, stands in for an elusive entity that it is not but that it must vainly aspire both to embody and to replace.«87 Aus dieser Bezogenheit auf etwas Vorgängiges, das verkörpert werden müsse und dennoch nicht vollständig eingeholt werden könne, ergebe sich die historische Dimension der ›Performance‹.88 Die Historizität der ›Performance‹ bestehe dabei einerseits in den Bewegungsmustern, die jeder lebendige Körper als gewissermaßen kinetischer Speicher in sich trage. Weiterhin bestehe die Historizität der ›Performance‹ in ihrer Verbundenheit mit Bewegungsmustern, die als Reste oder Spuren im diskursiven und visuellen Gedächtnis einer Kultur erinnert würden oder dort als fantastische Entwürfe enthalten seien. Die Aufschlüsselung dieser komplexen zeitlichen, medialen und kulturellen Verflechtungen von ›Performance‹ ist Ziel einer genealogischen Perspektive auf ›Performance‹ wie sie Cities of the Dead fordert und selbst auch einlöst: »Performance genealogies draw on the idea of expressive movements as mnemonic reserves, including patterned movements made and remembered by bodies, residual movements retained implicitly in images or words (or in the silences between them), and imaginary movements dreamed in minds, not prior to language but constitutive of it, a psychic rehearsal for physical actions drawn from a repertoire that culture provides.«89
Die Eigenheit der ›Performance‹, Vergangenes in die Gegenwart einzutragen, stehe im Spannungsverhältnis zum, so Roach, für den kulturellen Selbsterhalt zentralen Prinzip der Ersetzung (surrogation). Dieses ziele ja gerade nicht auf
87 Roach 1996, S. 3. 88 Roach plädiert in Cities of the Dead für einen historiografischen Ansatz, der die Genealogien von ›Performance‹ erforscht, also nach dem historischen Verlauf der Übertragung und Verbreitung performativer Praktiken fragt, die Reibungen zwischen verkörperter Erinnerung und schriftlich fixierter Geschichtsschreibung beschreibt und, anstatt nach dem Ursprung einzelner performativer Praktiken zu suchen, die Prozesse der Transformation, Übertragung und Aneignung von ›Performance‹ beschreibt (Siehe Roach 1996, S. 25-31). 89 Roach 1996, S. 26.
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die Erinnerung, sondern darauf, etwas zum Verschwinden zu bringen. Insgesamt präsentiert sich ›Performance‹ in Cities of the Dead also als Vorgang des Stellvertretens, der auf das Vergessen von Vergangenheit zielt und gleichzeitig von dieser heimgesucht wird. Für die Frage nach der Position von ›Theater‹ in der amerikanischen Performancetheorie ist festzuhalten, dass Roachs Performancebegriff die theatralen Dimensionen der ›Performance‹, wie sie unter anderem in der frühen ritualtheoretisch informierten Performancetheorie entworfen wurden, aktiviert. Die ›Theatralität‹ der ›Performance‹ wäre dabei im Prinzip der Stellvertretung und in ihrem Bezug auf etwas Vorgängiges zu lokalisieren. Durch die Betonung der Historizität von ›Performance‹ geht Cities of the Dead auch auf Abstand zu Vorstellungen von der absoluten Flüchtigkeit der ›Performance‹. Allerdings bleibt mit dem Prinzip der surrogation das Moment des Auslöschens und Verschwindens wichtige Funktion der ›Performance‹. Diana Taylors performancetheoretische Überlegungen in The Archive and the Repertoire: Performing Cultural Memory in the Americas (2003) setzen gewisse Anliegen von Roachs Cities of the Dead fort. Taylor geht es ebenfalls um die Zusammenhänge von ›Performance‹, Gedächtnis und den Austauschbewegungen zwischen Kulturen, wobei Taylor die Kolonialisierung Südamerikas und die Latino/a-Kultur in den USA der Gegenwart im Blick hat. Gleich zu Beginn nimmt Taylor auf die Rede von der Flüchtigkeit der ›Performance‹ Bezug und wirft die Frage nach den politischen Implikationen der Annahme auf, dass ›Performance‹ verschwindet: »Debates about the ›ephemerality‹ of performance are, of course, profoundly political. Whose memories, traditions, and claims to history disappear if performance practices lack the staying power to transmit vital knowledge?«90 Es sei, so Taylor, das Primat des Schriftlichen im westlichen Wissenschaftsverständnis sowie das Primat von Originalität und Innovation im AvantgardeDiskurs, die dazu führten, dass insbesondere die Beschäftigung mit den ›Performances‹ nicht westlicher Kulturen für deren Historizität und Eigenwertigkeit häufig blind bleibe.91 Statt also von einem strikt gezogenen Unterschied zwischen diskursiv verfassten oder materiell auf Dauer angelegten Elementen (z.B. Texte, Dokumente, Gegenstände, Gebäude), die sich im Archiv dauerhaft spei-
90 Taylor 2003, S. 5. 91 Siehe ebd., S. 8-9. Vgl. zur Frage der politischen Konsequenzen der Rede von der ›Flüchtigkeit‹ der ›Performance‹ für das zu einer Minderheit gehörende Subjekt auch Muñoz, José Esteban, 1996: Ephemera as Evidence. Introductory Notes to Queer Acts. In: Women and Performance. A Journal of Feminist Theory 8, 2, S. 5-16.
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chern und überliefern ließen, und vermeintlich flüchtigen Formen des verkörperten Wissens (z.B. Gesten, Bewegung), die Teil des kulturellen Repertoires seien, auszugehen, besteht Taylor auf der gegenseitigen Bedingtheit von Archiv und Repertoire.92 Prinzipiell geht es ihr darum, die vermeintlich flüchtigen Ausdrucksformen des Repertoires in ihrer Funktion als Träger und Speicher von Wissen aufzuwerten. Für das in dieser Arbeit verfolgte Interesse, Aufschluss über die Bedeutung von ›Theater‹ im amerikanischen Performancediskurs zu gewinnen, ist Taylors The Archive and the Repertoire aus zweifacher Perspektive interessant. Einerseits vertritt Taylor einen Performancebegriff, der entgegen der Rede vom Verschwinden der ›Performance‹ auf deren zeitlichem Fortbestehen insistiert. Weiterhin – und dies soll im Folgenden Schwerpunkt der Betrachtungen sein – wird in The Archive and the Repertoire mit dem Begriff des ›Szenarios‹ eine Perspektive entwickelt, aus der sich das Zusammenwirken von diskursiven und performativen Praktiken in ihrer politischen Dimension beschreiben lässt. Dabei aktiviert die theoretische Begründung des ›Szenarios‹ explizit den Theatralitätsbegriff. Worin genau besteht die Theatralität des ›Szenarios‹? Was bedeutet die Rückkehr von Vorstellungen des Theatralen für den Performancebegriff in The Archive and the Repertoire? Taylor versteht ›Performance‹ in Anschluss an Richard Schechners Formulierung prinzipiell als twice-behaved behavior und betont, dass ›Performances‹ immer auch Akte der Übertragung seien, in denen Wissen und Erinnerung weitergegeben und Identität hergestellt werde.93 Gegen Joseph Roachs Modell der Ersetzung (surrogation) setzt Taylor ein Modell der Multiplikation, das davon ausgeht, dass kulturelle Praktiken, z.B. indigene Praktiken bei der Eroberung Mexikos durch das katholische Spanien, nicht einfach durch andere Praktiken abgelöst würden, sondern dass es zu einer Art Verdoppelung komme, bei der vermeintlich verdrängte Praktiken in den neuen Praktiken in oft widerständiger Weise weiter existierten. So könnten sich die spanischen Eroberer nie sicher sein, dass der Kniefall, den die zum Katholizismus gezwungene indigene Bevölkerung in den neu errichteten Kirchen ausführt, tatsächlich nur Gott gilt und nicht etwa gleichzeitig auch in Richtung der indigenen Götter Ehrerbietung erweist.94 Stärker als Roach hält Taylors Performancebegriff also am subversiven Potenzial von ›Performance‹ fest. Das dem Begriff ›Performance‹ eingeschriebene
92 Siehe Taylor 2003, S. 19-20. 93 Siehe ebd., S. 2-3. 94 Siehe ebd., S. 46 u. 48-49.
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Moment individueller Handlungsmacht (agency), das sich sprachlich für Taylor vor allem auch darin beweist, dass der Begriff ›Performance‹ – anders als ›Theater‹ – eine eigene Verbform hat (to perform), ist auch Grund dafür, dass Taylor dem Begriff ›Performance‹ den Vorzug gegenüber Begriffen wie ›Theater‹ oder ›Spektakel‹ gibt.95 Zweiter Grund für Taylors Präferenz für den Begriff ›Performance‹ als theoretischer Leitbegriff ist die größere Voraussetzungsfreiheit des Begriffs, die trotz aller mit der Übernahme des englischen ›Performance‹ in andere Sprachen einhergehenden Schwierigkeiten bestehe.96 Auch wenn ›Performance‹ bisher vor allem im angloamerikanischen Diskurs ausformuliert wurde, scheint der Performancebegriff dennoch von spezifisch westlichen Assoziationen weniger belastet als der Begriff ›Theater‹, der durch die jahrhundertelange Geschichte der Kolonialisierung und der Dominanz des Westens belastet sei – »weighed down by centuries of colonial evangelical or normalizing activity.«97 Theater- und Performancebegriff stehen sich in The Archive and the Repertoire also unvereinbar gegenüber. Gleichzeitig erweist sich jedoch gerade auch die mit ›Theater‹ verbundene Dimension der Normativität, auf die Taylor hier verweist, als theoretisch produktiv und findet Eingang in Taylors Konzeption des ›Szenarios‹. Das ›Szenario‹ (scenario) ist die Verdichtung und Rahmung von visuellen und diskursiven Strukturen und Praktiken der Verkörperung zu einer spezifischen Konstellation, deren narrative Logik, feste Vorgabe von Positionen für Akteure und Beobachter und deren affektive Ausgestaltung jeweils spezifische Sichtweisen auf Weltzusammenhänge vorgeben und transportieren.98 Beispiele für ein ›Szenario‹ sind die koloniale Szene der ›Entdeckung‹ ›neuer‹ Welten, in der die Eroberer auf ›primitive Wilde‹ treffen, die zugleich für die Unschuld wie auch die gefährliche Rohheit der Natur einstehen, oder das im US-amerika-
95 Siehe Taylor 2003, S. 14. 96 Taylor reflektiert vor allem die Möglichkeiten einer Übersetzung oder direkten Verwendung des englischen Performancebegriffs im spanischen und portugiesischen Sprachraum Lateinamerikas. Dabei erscheinen ihr alle gängigen Übersetzungen wie lo performático, teatralidad, espectáculo, acción oder representación unzureichend, da sie jeweils nur einen bestimmten Aspekt des englischen ›Performance‹ wiedergeben würden. Taylor plädiert daher für die Übernahme des englischen Performancebegriffs und dafür, seine Fremdheit in anderen Sprachen als wertvollen ›Stolperstein‹ zu begreifen, der an die prinzipiellen Übersetzungsschwierigkeiten erinnert, die in jedem Kontakt zwischen den Kulturen bestünden (Siehe Taylor 2003, S. 12-15). 97 Taylor 2003, S. 15. 98 Siehe ebd., S. 28-33.
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nischen Kontext wichtige ›Szenario‹ der frontier, das Härte als Voraussetzung und Freiheit als Versprechen des (Über-)Lebens in den unwirtlichen Landstrichen jenseits der etablierten Siedlungen im ›wilden Westen‹ vermittelt. ›Szenarios‹ zeichnen sich prinzipiell durch Multimedialität aus, insofern sie sowohl Elemente des Archivs als auch des Repertoires einbinden und sich in verschiedensten medialen Formaten weitergeben lassen. ›Szenarios‹ zeichnen sich durch Langlebigkeit und Formelhaftigkeit aus und werden, wenn auch nicht in statisch-unveränderter Weise, innerhalb einer kulturellen Gemeinschaft immer und immer wieder wiederholt. Sie sind damit unmittelbar an der Ausgestaltung von Machtverhältnissen beteiligt und besitzen daher nicht nur eine politische Dimension, sondern sind immer auch Ausdruck eines bestimmten strategischen Interesses. Die ›Theatralität‹ des ›Szenarios‹ liegt für Taylor nun einerseits darin, dass es stets spezifische Formationen von Sichtbarkeit ausprägt und, dass es vor allem auf die Beeinflussung der Haltung des Beobachters zielt, den jedes ›Szenario‹ unweigerlich als Adressat impliziert. Die ›Theatralität‹ des ›Szenarios‹ liegt insgesamt also vor allem in der Dimension der Inszenierung und in der Sinnlichkeit des ›Szenarios‹, die dafür sorgt, dass das ›Szenario‹ zum Schauen einlädt und die Aufmerksamkeit der Betrachterin bindet. Dass die ›Gemachtheit‹ des ›Szenarios‹ dabei durch seine ›Theatralität‹ potenziell durchschaubar wird, erweist sich gewissermaßen als Preis für die strategische Wirksamkeit des ›Szenarios‹. Taylor entwirft ›Theatralität‹ nämlich vor allem als politische Strategie, die auf das Erreichen eines spezifischen Effekts ausgerichtet ist: »Theatricality makes that scenario alive and compelling. In other words, scenarios exist as culturally specific imaginaries – sets of possibilities, ways of conceiving conflict, crisis, or resolution – activated with more or less theatricality. […] Theatricality (like theatre) flaunts its artifice, its constructedness. […] Theatricality strives for efficaciousness, not authenticity. It connotes a conscious, controlled, and, thus, always political dimension that performance need not imply.«99
Während die Assoziation von ›Theatralität‹ mit Künstlichkeit in der amerikanischen Performancetheorie weit verbreitet ist, ist die Verbindung von ›Theatralität‹ und Effektivität, die Taylor hier vornimmt, ungewöhnlich.100 Effektivität
99
Taylor 2003, S. 13.
100 Für eine ausführliche Reflexion der politisch-strategischen Dimension von ›Theatralität‹ am Beispiel der gewaltsamen argentinischen Militärdiktatur und ihrer Bearbeitung in Kunst und Kultur siehe Taylor, Diana, 1997: Disappearing Acts. Spectacles
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wird im Performancediskurs zumeist ja mit dem Konzept der ›Performativität‹ verbunden. Wie kommt es in The Archive and the Repertoire zu dieser Wendung des Theatralitätsbegriffs? Hauptsächlicher Grund scheint zu sein, dass, Taylor zufolge, der Begriff des ›Performativen‹ zu einseitig auf den Bereich des Diskursiven verengt sei.101 Da es Taylor um die Analyse lokal und materiell konkreter Vorgänge von Verkörperung geht – auch das ›Szenario‹ interessiert sie vor allem als Muster, das nur durch wiederholte Aufführung (performance) fortbesteht –, erscheint ihr der Begriff der ›Theatralität‹ als geeigneter, um die spezifische materielle Verfasstheit des ›Szenarios‹, seine lokale Verortung und Körperlichkeit zu erfassen. Wie sind nun das Taylor’sche ›Szenario‹ und der Performancebegriff in The Archive and the Repertoire aufeinander bezogen? Prinzipiell gilt Taylor die ›Performance‹ als Praxis der Verkörperung bzw. als Aufführung im Hier und Jetzt, die sich jedoch nicht vollkommen im flüchtigen Vollzug erschöpft, sondern stets auf vorgängige Muster bezogen ist und diese in der Gegenwart aktualisiert. Das ›Szenario‹ ist dabei Teil der strukturellen Verfasstheit und prägender Teil des Selbst- und Weltverständnisses einer Gesellschaft. ›Performance‹ konstituiert sich dementsprechend nicht vorrangig im Verschwinden, sondern macht vor allem das sichtbar, was immer schon da ist. In diesem Sinn erweist sich ›Performance‹ eher als Mittler zwischen den Zeiten und als unauflösbar in strukturelle und systemische Logiken eingebunden, denn als ausschließlich auf die Gegenwart bezogenes Ereignis, das Ausweg und Alternative aus den bestehenden Strukturen sein kann. Dies wird besonders im folgenden Zitat aus Taylors The Archive and the Repertoire noch einmal deutlich: »For Phelan, the defining feature of performance – that which separates it from all other phenomena – is that it is live and disappears without a trace. The way I see it, performance makes visible (for an instant, live, now) that which is always already there: the ghosts, the tropes, the scenarios that structure our individual and collective life. These specters, made manifest through performance, alter future phantoms, future fantasies. […] In one sense, of course, the live performance eludes the ›economy of reproduction,‹ as Phelan puts it. But I would argue that its efficacy, whether as art or as politics, stems from the way performances tap into public fantasies and leave a trace, reproducing and at times altering
of Gender and Nationalism in Argentina’s ›Dirty War‹. Durham: Duke University Press. 101 Weil, wie Taylor beobachtet, der Begriff ›performativ‹ unlösbar mit dem Feld des Diskursiven verbunden sei, schlägt sie als Alternative die Formulierung performatic als Adjektiv zum englischen ›Performance‹ vor (Siehe Taylor 2003, S. 6).
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cultural repertoires. Performance, then, involves more than an object (as in performance art), more than an accomplishment or a carrying through. It constitutes a (quasi-magical) invocational practice. It provokes emotions it claims only to represent, evokes memories and grief that belong to some other body. It conjures up and makes visible not just the live but the powerful army of the always already living. The power of seeing through performance is the recognition that we’ve seen it all before – the fantasies that shape our sense of self, of community, that organize our scenarios of interaction, conflict, and resolution.«102
Taylor positioniert hier gegen den, über das Moment der Flüchtigkeit und Unwiederholbarkeit bestimmten, Phelan’schen Performancebegriff ein Verständnis von ›Performance‹ als Praxis der ›Beschwörung‹ (invocation), die stets auf Vergangenes bezogen ist und dieses in der Gegenwart auf affektiv wirksame Weise aktualisiert. Insgesamt steht der bei Joseph Roach und Diana Taylor entworfene Performancebegriff in der amerikanischen Performancetheorie für ein Verständnis von ›Performance‹ als historische Praxis. Beide erinnern zudem an die ›Theatralität‹ der ›Performance‹. Während sich der theatrale Charakter der ›Performance‹ bei Roach implizit darin offenbart, dass er ›Performance‹ als nach dem Prinzip der Stellvertretung operierend begreift, aktiviert Taylor ›Theatralität‹ explizit als theoretischen Begriff. ›Performance‹ wird von beiden als weit gefasste Bezeichnung für Formen kultureller und künstlerischer Aufführungen genutzt. Das Nachdenken über ›Performance‹ kehrt hier ab von der Fokussierung auf den singulären Akt und die Logiken des Diskursiven, die für performativitätstheoretisch informierte Performancetheorien charakteristisch sind. Gleichzeitig wird jedoch auch nicht nahtlos an die ritualtheoretisch inspirierten frühen Performancetheorien angeknüpft, die die ›Theatralität‹ der ›Performance‹ vor allem an der Strukturierung der ›Performance‹ nach dem Modell des Dramas festmachten. Aufgerufen wird ›Theatralität‹ eher in der Bedeutungsdimension von Inszenierung und theatron – Ort des Schauens. Das Theatrale kehrt in der amerikanischen Performancetheorie gegen Ende der 1990er Jahre einerseits aufgrund eines verstärkten Interesses an Fragen nach den Zusammenhängen von ›Performance‹, Geschichte und Gedächtnis zurück. Ende der 1990er und in den 2000er Jahren ist aber auch im Bereich der Performancekunst eine zunehmende Beschäftigung mit Geschichte, vor allem der eigenen Gattungsgeschichte, zu beobachten. Die theoretische Reflexion des Reenactments soll das vorliegende Kapitel und die Beantwortung der Frage ab-
102 Taylor 2003, S. 143.
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schließen, unter welchen Vorzeichen ›Theater‹ und ›Theatralität‹ in die amerikanische Performancetheorie der 1990er und 2000er Jahre zurückkehren.
6.3 REENACTMENT Mit dem Begriff ›Reenactment‹ wird einerseits die Praxis bezeichnet, historische Ereignisse z.B. Schlachten des amerikanischen Bürgerkrieges in möglichst großer Detailtreue nachzustellen und wiederaufzuführen. Insbesondere in den USA gibt es zahlreiche Laiengruppen, die sich derartigen Wiederaufführungen historischer Ereignisse verschrieben haben. In den 1990er und 2000er Jahren findet das ›Reenactment‹ als Wiederholung einer vergangenen Aufführung auch vermehrt in die Künste Eingang.103 Dabei werden, wie Joy Kristin Kalu gezeigt hat, vor allem die Performances der 1960er und 1970er Jahre zur Wiederaufführung gebracht und so gleichzeitig Geschichte und Status der Performancekunst als Kunstform reflektiert.104 Das Reenactment als Wiederholung einer vergangenen Aufführung ist für die Performancekunst, aber auch für den Performancebegriff im weiteren Sinne, insofern eine Herausforderung, als für ›Performance‹ ja häufig gerade NichtWiederholbarkeit als entscheidendes Kriterium positioniert wurde und so auch häufig der Unterschied von ›Performance‹ und ›Theater‹ diskursiv abgesichert wurde. Das Reenactment fordert die Performancetheorie dementsprechend zu einer Neubewertung des Verhältnisses von ›Performance‹ und ›Theater‹ und auch zu einer Neubewertung des theoretischen Wertes des Theatralitätsbegriffs heraus. Im Folgenden möchte ich am Beispiel von Marina Abramovićs Seven Easy Pieces (2005) und The Artist Is Present (2010), die beide in Museen in New
103 Zum Reenactment in den Künsten siehe die beiden Ausstellungskataloge: Arns, Inke/Gabriele Horn (Hg.), 2007: History Will Repeat Itself. Strategien des Reenactment in der zeitgenössischen (Medien-)Kunst und Performance. Ausstellungskatalog. Frankfurt/M.: Revolver; Lütticken, Sven (Hg.), 2005: Life, Once More. Forms of Reenactment in Contemporary Art. Ausstellungskatalog. Rotterdam: Witte de With, Center for Contemporary Art. Zum Reenactment in den Künsten aus theaterwissenschaftlicher Sicht: Kalu, Joy Kristin, 2013: Ästhetik der Wiederholung. Die US-amerikanische Neo-Avantgarde und ihre Performances. Bielefeld: transcript Verlag, bes. S. 207-247; Roselt, Jens/Ulf Otto (Hg.), 2012: Theater als Zeitmaschine. Zur performativen Praxis des Reenactments. Theater- und kulturwissenschaftliche Perspektiven. Bielefeld: transcript Verlag. 104 Siehe Kalu 2013, S. 209-210.
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York zu sehen waren und im amerikanischen Kontext der vielleicht wichtigste Bezugspunkt für die Debatte um das künstlerische Reenactment sind, sowie mit Blick auf Rebecca Schneiders Performing Remains: Art and War in Times of Theatrical Reenactment (2011) aufzeigen, welche Impulse für die Performancetheorie vom Reenactment ausgingen.105 6.3.1 Marina Abramovićs Seven Easy Pieces (2005) und The Artist Is Present (2010) Die serbische Performancekünstlerin Marina Abramović führt seit den 1970er Jahren Performances aus – von 1976 bis 1989 gemeinsam mit ihrem Partner Ulay –, in denen sie sich immer wieder körperlich enorm anstrengenden oder schmerzhaften Situationen aussetzt. Das Austesten körperlicher Grenzen, vor allem aber das Erproben verschiedener mentaler und energetischer Zustände, steht im Zentrum von Abramovićs künstlerischem Interesse. Abramovićs Verständnis von ›Performance‹ als einer existenziellen Kunstform, die kompromisslose Hingabe erfordere und deren Ziel die Herstellung eines intensiven Moments der Präsenz sei, führt dazu, dass für Abramović ›Performance‹ zwangsläufig Gegenteil von ›Theater‹ sein müsse.106 »Keine Proben, kein festgelegtes Ende, keine Wiederholung« – so lautet das Motto.107 In einem Interview betont Abramović, dass die strikte Ablehnung von allem, was mit ›Theater‹ verbunden ist, gerade zu Beginn ihrer Karriere strategisch wichtig war, um insbesondere zu jeglichem Ruch des Künstlichen Abstand zu halten: »In the beginning, you had to hate theater. That was a main thing, because you have to reject all the artificiality of the theater, the rehearsal situation, in which everything is predictable, the time structure and the predetermined ending. Performance should never be
105 Siehe Schneider, Rebecca, 2011: Performing Remains. Art and War in Times of Theatrical Reenactment. London/New York: Routledge. 106 Siehe Abramović, Marina, 2010: Marina Abramović on Performance Art. In: Biesenbach, Klaus (Hg.), Marina Abramović. The Artist Is Present. New York: The Museum of Modern Art, S. 211. 107 Siehe Iles, Chrissie, 2010: Marina Abramović and the Public. A Theater of Exchange. In: Biesenbach, Klaus (Hg.), Marina Abramović. The Artist Is Present. New York: The Museum of Modern Art, S. 40-43, hier S. 40.
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done on a stage, never done with theatrical light. Instead, it should always be in a neutral situation, the most basic possible.«108
Abramovićs Skizze des Selbstverständnisses der Performancekunst als nicht theatrale Aufführungskunst entspricht der dominanten Konzeption von Performancekunst. Gleichzeitig steht der Anspruch einer möglichst großen Distanz zum ›Theater‹ in Widerspruch zu einigen jüngeren Arbeiten Abramovićs. Seit 1989 bearbeitet die Künstlerin ihre eigene Biografie und bringt diese auf die Theaterbühne. Die jüngste Arbeit aus dieser sogenannten Biography-Serie ist The Life and Death of Marina Abramović (2011), bei der Robert Wilson Regie führte und die in Theaterhäusern in Europa, Kanada und den USA zu sehen war. Weiterhin zeigte Marina Abramović im November 2005 an sechs Abenden unter dem Titel Seven Easy Pieces im New Yorker Guggenheim Museum jeweils eine Wiederaufführung einer Performance aus den 1960er und 1970er Jahren. Dem Reenactment ihrer eigenen Performance Lips of Thomas (1975) gingen Wiederaufführungen von Bruce Naumans Body Pressure (1974), Vito Acconcis Seedbed (1972), Valie Exports Aktionshose: Genitalpanik (1969), Gina Panes The Conditioning, first action of Self-portrait(s) (1973) und Joseph Beuys’ Wie man dem toten Hasen die Bilder erklärt (1965) voraus. Am letzten Abend zeigte Abramović eine neue Performance, in der sie in einem spektakulären, zeltartigen, weiten Kleid auftrat, dessen Ausmaße es erlaubten, die Bühne in der Rotunde des Guggenheim Museums, die an den vorhergehenden Abenden Aufführungsort der Reenactments war, vollständig zu verdecken.109 Abramović harrte sieben Stunden lang in ihrem mehrere Meter langen Kleid hoch über den Köpfen der Zuschauer aus. Über eine Tonbandeinspielung war Abramovićs Stimme zu vernehmen, die die Anwesenden um Aufmerksamkeit bat und daran erinnerte, dass man gerade im Hier und Jetzt gemeinsam Zeit teilte. Es sind sowohl die visuell spektakuläre Anmutung als auch die dezidierte Ausrichtung von Abramovićs Arbeiten auf die Zuschauer, die die Kuratorin Chrissie Iles dazu veranlassen, von der ›Theatralität‹ der Arbeiten Abramovićs zu sprechen.110 In besonders verdichteter Weise zeige sich die ›Theatralität‹ der Arbeiten Abramovićs, so Iles, in der Performance The Artist Is Present (2010),
108 Abramović, Marina, 2007b: Marina Abramović Interviewed by Nancy Spector (May 2006). In: Abramović, Marina (Hg.), 7 Easy Pieces. Milano: Charta, S. 13-30, hier S. 18. 109 Siehe den Katalog zur Ausstellung: Abramović, Marina (Hg.), 2007a: 7 Easy Pieces. Milano: Charta. 110 Siehe Iles 2010.
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die sie während der Retrospektive zu ihrem Schaffen im New Yorker Museum of Modern Art (MoMa) zeigte.111 Während der Öffnungszeiten der Ausstellung saß Abramović regungslos und schweigend auf einem Stuhl. Die Besucherinnen und Besucher waren eingeladen, ihr gegenüber ebenfalls auf einem Stuhl Platz zu nehmen und dort eine beliebig lange Zeit zu verweilen. Die Begegnung löste bei einigen Besuchern starke emotionale Reaktionen aus. Für Iles offenbart sich hier die für Abramović spezifische Theatralität: »The core of Abramović’s theatricality is formed by the combination of her use of catharsis and the visual power of its delivery. She presents everyday actions as psychologically and visually dramatic propositions that demand an open-ended commitment from the viewer.«112 Gegen Iles’ Beschreibung der Performances Abramovićs als ›theatral‹ steht die Selbstbeschreibung der Künstlerin, die nach wie vor daran festhält, dass ihre Arbeiten nichts mit ›Theater‹ zu tun hätten. Zu ihren biografischen Inszenierungen im Rahmen des Biography-Zyklus, bei denen bereits immer wieder Reenactments von Abramovićs Performances durch andere Künstlerinnen und Künstler integriert wurden, bemerkt Abramović, dass der Theaterrahmen eher zu einer Hervorhebung und Steigerung des für ›Performance‹ spezifischen Anspruchs auf Realität und Präsenz geführt habe: »When you come to the theater you know everything is fake – the knives are fake in the theater, but in the case of the Biography, you’re confronted with the real thing. In the beginning, you don’t believe it, but then you get totally shocked when this performance within the theater structure becomes even more real.«113
In ähnlicher Weise argumentiert Abramović auch mit Blick auf die Reenactments in Seven Easy Pieces. Für Abramović hat die Wiederaufführung von Performances anderer Künstlerinnen und Künstler nichts mit Theaterspiel zu tun, sondern wird von ihr als eine Form der Dokumentation begriffen: »The only real way to document a performance art piece is to re-perform the piece itself. […] Seven Easy Pieces examines the possibilities of representing and preserving an
111 Zu Abramovićs The Artist Is Present siehe: Biesenbach, Klaus (Hg.), 2010: Marina Abramović. The Artist Is Present. New York: The Museum of Modern Art sowie den Film The Artist Is Present (USA 2012). 112 Iles 2010, S. 40. 113 Abramović 2007b, S. 19.
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art form that is, by nature, ephemeral.«114 Während die Distanz des Reenactments zu ›Theater‹ sich im ersten Fall daraus ableitet, dass die durch den Theaterrahmen aufgerufene Erwartung, Handlungen im Als-Ob-Modus zu sehen, durch die Hervorhebung der Tatsächlichkeit der Handlungsvollzüge gebrochen wird, ergibt sich der Abstand im zweiten Fall dadurch, dass das Reenactment in einem ganz anderen Kontext positioniert wird, der nicht mit Rollenspiel oder Nachahmung zu tun hat, sondern mit dem Spannungsverhältnis von Flüchtigkeit und Archiv. Dabei entwirft Abramović das Reenactment als Praxis, die sich in erster Linie dem Skript des Originals verpflichten und die Urheberschaft, z.B. durch die Berücksichtigung von Regularien des copy right und die Ausstellung von Artefakten aus der ›Original‹-Performance, anerkennen soll. Gleichzeitig erhebt Abramović an das Reenactment den Anspruch, eine eigenständige Interpretation des Ursprungswerkes zu liefern.115 Es geht in diesem Modell also nicht darum, eine ›Performance‹ der Vergangenheit durch möglichst große historische Detailtreue in die Gegenwart zu holen, sondern es geht eher um das Einhalten einer Art Werktreue, die als Voraussetzung dafür verstanden wird, der Performancekunst einen dauerhaften Platz in der Kunstgeschichte zu sichern. 116 Für den Umgang
114 Abramović, Marina, 2007c: Reenactment. Introduction by Marina Abramović. In: Abramović, Marina (Hg.), 7 Easy Pieces. Milano: Charta, S. 9-11, hier S. 11. 115 Siehe Abramović 2007c, S. 11. 116 Tatsächlich wichen Abramovićs Reenactments von bekannten Performances aus den 1960er und 1970er Jahren in Seven Easy Pieces teilweise erheblich von ihren ›Originalen‹ ab. Abramovićs Reenactments dauerten jeweils sieben Stunden und waren damit erheblich länger als alle ihre jeweiligen ›Originale‹. Neben einer zeitlichen Dehnung kam es teils zu erheblichen Veränderungen z.B. im Fall von Bruce Naumans Body Pressure (1974), das ursprünglich eine einfache Handlungsanweisung war, die den Besucher dazu aufforderte, den eigenen Körper in verschiedenen Haltungen gegen eine Wand zu drücken. In Abramovićs Reenactment von Body Pressure war es Abramović selbst, die sich sieben Stunden lang in verschiedenen Haltungen gegen eine auf der Bühne in der Rotunde des Guggenheim Museums aufgestellte Glaswand drückte. Diese teils erheblichen Differenzen zwischen ›Original‹ und Abramovićs Reenactments veranlassen Erika Fischer-Lichte zu dem Gedanken, Abramovićs Seven Easy Pieces überhaupt nicht mit der Kategorie des Reenactments, sondern als jeweils eigenständige Ereignisse zu beschreiben, die bestimmte Beispiele der Performancegeschichte zitieren (Siehe Fischer-Lichte, Erika, 2007: Performance Art – Experiencing Liminality. In: Abramović, Marina [Hg.], 7 Easy Pieces. Milano: Charta, S. 33-45).
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mit der prinzipiellen Flüchtigkeit der ›Performance‹, auf der Abramović weiterhin besteht und die der vollständigen Archivierbarkeit von ›Performance‹ entgegensteht, wird im Prinzip eine Art Belebung und Erweiterung des Archivs vorgeschlagen, die sich aus der Kombination und gewissermaßen Interaktion von Materialien aus dem Archiv mit der erneuten Verkörperung der historischen ›Performance‹ im Reenactment ergibt.117 Tatsächlich avanciert im theoretischen Diskurs über das Reenactment in der Performancekunst die Frage nach dem Verhältnis von ›Performance‹ als flüchtigem Ereignis und seiner Dokumentation zur Hauptfrage, an die sich unmittelbar Fragen nach der Medialität und Historizität von ›Performance‹ anschließen. In der amerikanischen Performancetheorie werden diese Fragen am umfassendsten von Rebecca Schneider in Performing Remains: Art and War in Times of Theatrical Reenactment (2011) bearbeitet. Für die Frage nach der ›Theatralität‹ des Reenactments eröffnet Schneider zudem eine Perspektive jenseits der z.B. in der Selbstbeschreibung Abramovićs weiterhin erkennbaren Dichotomisierung von ›Theater‹ und ›Performance‹. 6.3.2 Überlegungen zur Theatralität des Reenactments Rebecca Schneider diskutiert in Performing Remains: Art and War in Times of Theatrical Reenactment (2011) unter anderem historische Reenactments des amerikanischen Bürgerkrieges durch Gruppen von Laiendarstellern in den USA, die Inszenierung Poor Theatre der amerikanischen Avantgarde-Gruppe Wooster Group, Suzan-Lori Parks’ The America Play, Marina Abramovićs The Artist Is Present, die Fotografien Cindy Shermans und Yasumasa Morimuras sowie Allison Smith’ The Muster.118 Die Beispiele eint, dass sie Ereignisse der Vergangenheit – seien dies historische Kampfhandlungen, vergangene Aufführungen der Performancekunst und Theateravantgarde oder aus der Filmgeschichte bekannte Posen – möglichst präzise nachstellen, so dass sich der Eindruck der Wiederkehr von Vergangenheit einstellt. Derartige Formen des Reenactments werfen für Schneider vor allem die übergreifende theoretische Frage nach dem Verhältnis von ›Performance‹ und Zeit auf. Meine Lektüre setzt hier an und wird Schneiders Text als performancetheoretische Reflexion der Zeitlichkeit der Aufführung (performance) und als entschiedenes Plädoyer für die Rückkehr von ›Theatralität‹ als kritischen Begriff vorstellen.
117 Eine ähnliche Beobachtung macht Joy Kristin Kalu (Siehe Kalu 2013, S. 243). 118 Siehe Schneider 2011.
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Dabei reaktiviert Schneider, wie zu zeigen sein wird, nicht etwa eine der zahlreichen möglichen Konzeptionen von ›Theatralität‹, die die lange Geschichte dieses Begriffes vorrätig hält, sondern entwirft einen eigenen, politisch konturierten Theatralitätsbegriff, für dessen Formierung nicht zuletzt die in der amerikanischen Performancetheorie wichtigen Impulse aus »feminist, queer, […und] critical race theory«119 entscheidend sind. In diesem Sinne muss Schneiders Theatralitätsbegriff in jedem Fall als spezifisch performancetheoretische Ausformulierung von ›Theatralität‹ eingeordnet werden. In die kontinentaleuropäischen Diskussionen zu ›Theatralität‹ lässt sich Schneiders Begriffsverständnis jedenfalls nicht unbedingt ohne Missverständnisse konvertieren, sondern fordert einmal mehr dazu heraus, die diskursive Situierung des Begriffs mitzudenken. Wie genau kommt ›Theatralität‹ in Performing Remains ins Spiel? Warum erscheint der Theatralitätsbegriff im Kontext des Reenactments theoretisch vielversprechender als der ja gerade auch zur Beschreibung der politischen Effektivität von ›Performance‹ fest etablierte Performativitätsbegriff? Was bedeutet die Rückkehr von ›Theatralität‹ als kritischer Begriff für den Performancebegriff? Prinzipielle Grundbeobachtung in Performing Remains ist, dass sich das Reenactment durch eine gewissermaßen unheimliche Zeitlichkeit auszeichne, insofern es sich, aufgrund seiner dezidierten Bezugnahme auf vergangene Zeiten, nicht ausschließlich im Hier und Jetzt der Gegenwart zu vollziehen scheint. Auch wenn, wie Schneider mehrfach betont, es z.B. den Spielern, die den amerikanischen Bürgerkrieg nachstellen, bewusst sei, dass sie sich nicht im 19. Jahrhundert befinden, bleibe im Reenactment dennoch gleichzeitig der Eindruck, dass man sich dennoch nicht nicht in der Vergangenheit bewege. Diese eigentümliche und unentscheidbare Verstrickung verschiedener Zeiten – Vergangenheit, Gegenwart, Zukunft – identifiziert Schneider als wichtigstes Merkmal des Reenactments. Genau hierin besteht auch die größte Herausforderung, die das Reenactment für etablierte theoretische Denk- und Ordnungsmuster darstellt. So stellt das Reenactment nicht nur, wie Schneider in einem eigenen Kapitel ausführlich darlegt, die Annahme der Performancetheorie in Frage, dass ›Performance‹ flüchtig sei und sich als Verschwinden konstituiere.120 Mit der binären Opposition von vergänglicher ›Performance‹ und dauerhaft bleibenden ›Resten‹ gerate auch die im westlichen Denken fest etablierte Vorstellung von der Linearität der Zeit ins
119 Schneider 2011, S. 18. 120 Siehe das Kapitel »In the Meantime: Performance Remains« (Siehe Schneider 2011, S. 87-110).
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Wanken.121 In weiterer Konsequenz sind damit neue Fragen nach dem Andauern der Vergangenheit und nach der politischen Verantwortung für die Vergangenheit im Jetzt aufgeworfen.122 Im Bereich der Künste, in dem, wie Schneider zeigt, die Vorstellung von einer linearen Zeit und der Glaube an die Unterscheidbarkeit von vergangen/gegenwärtig bzw. tot/lebendig Voraussetzung für die Abgrenzung verschiedener Medien oder Kunstgattungen ist, wirft das Reenactment letztlich auch Fragen der Intermedialität auf. Es ist tatsächlich die mit dem Reenactment verbundene Einfaltung, Verflechtung oder Berührung von Vergangenheit, Gegenwart und Zukunft, die in Performing Remains Anlass für die Rückkehr des Theatralitätsbegriffs ist. Insofern das ›Theater‹ als Kunst gilt, die in vielfache Wiederholungslogiken verstrickt ist und die daher für sich noch nie eine absolute Gegenwärtigkeit, im Sinne einer scharfen Trennung von der Vergangenheit, behaupten konnte, wird der Vorstellungskomplex des Theatralen für das Nachdenken über das Reenactment attraktiv.123 Schneider leitet ihren Theatralitätsbegriff dabei nicht systematisch etymologisch oder aus einem historisch spezifischen Theatermodell ab, sondern aktiviert ›Theatralität‹ als semantischen Sammelbegriff, in dem sich Vorstellungen bündeln lassen, die zumeist mit verwandten Begrifflichkeiten wie ›Bühne‹, ›Mimesis‹, ›fake‹, ›Nachahmung‹, ›Kopie‹ oder ›Double‹ angedeutet werden. ›Theater‹ zeichnet sich für Schneider einerseits durch eine besondere Form der Zeitlichkeit und durch Scheinhaftigkeit aus: »The theatre, after all, is a temporal medium – but a temporal medium in the crease or fold of its own condition. Many have claimed temporality itself as theatre’s primary medium, where any material, composed in if not contaminated by repetition, is spatially encountered both in time and of time. However, this fundamental temporality is volatile, easily swerved. It is not straightforward. […] For theatre, while composed of and in time, is also
121 Schneider geht es vor allem um eine Kritik an der Dichotomisierung von vermeintlich flüchtiger ›Performance‹ und auf Dauer bestehenden ›(Über-)Resten‹ (remains) (Siehe Schneider 2011, S. 168). Dies bringt nicht zuletzt der Titel ihres Buches Performing Remains zum Ausdruck. Dieser verweist gleichzeitig in zwei Richtungen und lässt sich sowohl im Sinne von ›Performance bleibt‹ als auch ›Überreste performen‹ lesen. 122 Siehe hierzu besonders das Schlusskapitel von Performing Remains (Siehe Schneider 2011, S. 169-186). 123 Siehe Schneider 2011, S. 30. Hier nennt Schneider die im Begriff ›Theatralität‹ implizierte Wiederholungslogik als Grund dafür, dass sie dem Begriff ›Theatralität‹ den Vorzug vor dem Performancebegriff gibt.
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a medium of masquerade, of clowning, of passing and not passing, the faux, the posed, the inauthentic, the mimetic, the copy, the double, the gaffe – all given to interruption and remix.«124
Im Zitat zeigt sich, dass ›Theatralität‹ nicht nur aufgrund der im Begriff implizierten Vorstellung einer Gleichzeitigkeit von Vergangenheit und Gegenwart als theoretischer Begriff interessant wird. ›Theatralität‹ impliziert noch eine zweite Form von Gleichzeitigkeit, die sich paradigmatisch in der doppelten Verfasstheit des Schauspielers zeigt. Das Handeln des Schauspielers, der in der Rolle des Hamlet auf der Bühne steht, vollzieht sich einerseits tatsächlich als reales Geschehen vor den Augen des Publikums und ist gleichzeitig doch nur Repräsentation der Handlungen einer fiktiven Figur und in diesem Sinne ›nicht echt‹. Für die Rückkehr zum Theatralitätsbegriff als theoretischer Kategorie sind in Performing Remains gerade diese Dimension von Gleichzeitigkeit von eigentlich Unvereinbarem und das Moment der Unentscheidbarkeit ausschlaggebend. Der Schauspieler auf der Bühne ist nicht Hamlet und dennoch nicht nicht Hamlet. Die Theatersituation ist gleichzeitig real und fake. Das Geschehen findet im Hier und Jetzt statt und ruft gleichzeitig ein vergangenes Dort und Damals auf. ›Theatralität‹ versteht Schneider demnach vor allem als einen unauflösbaren Zustand des Sowohl-als-auch (both/and).125 Dabei erscheint die sozusagen ›zweite‹ Seite des ›Theaters‹, sein Status als ›unecht‹, als ›Schein‹ oder ›nur Kopie‹, in Schneiders Perspektive nicht als negativ besetzt oder problematisch, sondern eröffnet gerade das spezifisch kritische, ja politische, Potenzial von ›Theatralität‹, auf das es Schneider in Performing Remains letztlich ankommt. Die eigentümliche Unzeitigkeit des ›Theaters‹ und das ihm innewohnende Moment des Verfehlens sind sein wichtigstes Potenzial: »›Theatricality‹ – by which I mean to reference something theatrical, or something of (or reminiscent of) the theatre – is relative to mimesis, simulation, doubling, imitating, copying, even if not identical. Identicality is already undone in all of these words, as they are all words for the side-step operation by which one thing stands in for another thing, either as the same or as almost the same but not quite. There is something, too, of queerness in this slip and slide.«126
124 Schneider 2011, S. 89. 125 Siehe ebd., S. 41 u. 43. 126 Ebd., S. 18 [Herv. i.O.].
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Die kritische Wirksamkeit von ›Theatralität‹ entfaltet sich in den Momenten des Verschiebens und Verfehlens, die Schneider auch als queeres Potenzial von ›Theatralität‹ deutet. In Anschluss an J.L. Austin versteht Schneider die Wirksamkeit von ›Theatralität‹ auch als eine Form »parasitärer Performativität«127, deren Effekte nicht in unmittelbarer Einwirkung auf Realität einsetzen, sondern sich eher dadurch einstellen, dass mittels Fehler und Irrtum stabile Unterscheidungen und vermeintlich verlässliche ›Wahrheiten‹ ins Wanken gebracht werden. In diesem Sinne gefährdet ›Theatralität‹ alle Arten binärer Ordnungslogiken. Was bedeutet die Rückkehr des theoretischen Begriffs ›Theatralität‹ nun für den Performancebegriff? Wie bereits erwähnt, geht es Schneider in Performing Remains vor allem darum, die in der Performancetheorie etablierte Opposition von ›flüchtiger Performance‹ und ›dauerhaft bestehenden Materialien‹ in Zweifel zu ziehen. Schneider argumentiert dabei, dass die Vorstellung vom Verschwinden der ›Performance‹ in der Logik des Archivs gründe, die wiederum Ausdruck patriarchaler und westlich-hegemonialer Überzeugungen und Machtverhältnisse sei.128 Schneider dekonstruiert schließlich die binäre Opposition von Archiv und vergänglichen körperlichen Vollzügen, indem sie aufzeigt, dass das Archiv auf die Aktivierung durch körperliche Akte in der Zukunft ausgerichtet und angewiesen sei und in diesem Sinne eine theatrale Struktur aufweise.129 Statt der dichotomen Gegenüberstellungen von ›Archiv/Repertoire‹, ›Performance/ Fotografie‹, ›dauerhaft/flüchtig‹ etc. schlägt Schneider vor, eher auf die Verschränkungen und gegenseitigen Bedingtheiten zu achten. Dies bedeutet dann zum einen, das Archiv nicht als Speicher des Vergangenen, sondern als Ort der Antizipation zukünftiger Akte, zu denken und den körperlichen Akt nicht als verschwindend, sondern als Akt, der von Körper zu Körper weitergegeben werden kann, zu begreifen. Für den Performancebegriff bedeuten die Überlegungen in Performing Remains zusammengefasst vor allem, dass ›Performance‹ nicht als flüchtig vorgestellt wird: »In this sense performance becomes itself through messy and eruptive re-appearance. It challenges, via the performative trace, any neat antimony between appearance and disappearance, or presence and absence through the basic repetitions that mark performance as indiscreet, non-original, relentlessly citational, and remaining. Indeed, approached in this way, performance challenges loss. […] Performance does not disappear when approached
127 Siehe Schneider 2011, S. 69. 128 Siehe ebd., S. 97. 129 Siehe ebd., S. 108.
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from this perspective, though its remains are the immaterial of live, embodied acts. Rather, performance plays the ›sedimented acts‹ and spectral meanings that haunt material in constant collective interaction, in constellation, in transmutation.«130
Der bei Schneider entworfene Performancebegriff konzipiert ›Performance‹, ähnlich wie die Texte Joseph Roachs und Diana Taylors, als auf die Vergangenheit bezogene und von der Vergangenheit heimgesuchte Praxis. In allen Fällen wird davon ausgegangen, dass ›Performance‹ sich nicht im Verschwinden konstituiert, dass selbst dort, wo Vergessen und Auslöschen das eigentliche Ziel einer ›Performance‹ sind, wie in den in Cities of the Dead diskutierten Beispielen, das Vergangene stets und zwangsläufig aufgerufen wird. Während Roach vor allem auf das in der ›Performance‹ wirksame Spannungsverhältnis von Verdrängen und widerständigem Verbleiben abhebt, geht es Taylor um die normativ wirksame Aktualisierung vorgängiger Wahrnehmungsdispositive in der ›Performance‹. In Performing Remains wiederum steht die Kritik an einer ontologisch verstandenen Assoziation von ›Performance‹ mit Flüchtigkeit im Kontext einer generellen Kritik an binär organisierten Denkmustern, die vor allem auch die Diskussion über die Unterschiede zwischen verschiedenen Künsten und Medien organisieren. Statt danach zu fragen, inwiefern ›Performance‹ als eigenständige Gattung gegen Fotografie, Film oder Skulptur abzugrenzen ist, wird in Performing Remains vorgeschlagen, nach den komplexen Bezügen, Abhängigkeiten und Impulsen zu fragen, über die die verschiedenen Medien miteinander in Beziehung stehen und durch die sie sich gegenseitig konstituieren. Als leitendes Denkmodell für diese Perspektive wird die Idee der inter(in)animation131 positioniert, die letztlich eine weitreichende Verschiebung des Blickes auf das ›Dazwischen‹ andeutet und die Abkehr von sowohl linearen Vorstellungen von Zeitlichkeit als auch ontologischen Annahmen über mediale Spezifika markiert. Die durch das Reenactment aufgeworfenen Fragen nach der Position der ›Performance‹ als eigenständiger Kunstform werden, wie sich gezeigt hat, im Diskurs zu Marina Abramovićs Seven Easy Pieces (2005) und The Artist Is Present (2010) mit einer gewissen Ängstlichkeit diskutiert und vor allem von dem Versuch begleitet, die Grenzen zwischen ›Performance‹ als flüchtigem Ereignis und ›Archiv‹ als Ansammlung zeitlich beständiger Materialien sowie zwischen ›Performance‹ und ›Theater‹ abzusichern. Dagegen setzt Rebecca Schneiders Performing Remains eine Vorstellung von ›Performance‹ als auf komplexe
130 Schneider 2011, S. 102. 131 Ebd., S. 163-164.
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Weise in Vergangenheit verstrickt und auf andere Medien bezogen. Statt um strikte Grenzziehungen geht es darum, das Potenzial des Unordentlichen und Unsauberen (messiness) zu entdecken und als Eigenheit wie auch spezifisch politische Dimension der ›Performance‹ ernst zu nehmen. Dabei aktiviert Schneider das ›Theater‹ mit seiner prinzipiellen Doppeltheit von echt/fake und jetzt/nicht jetzt als wichtigste Ressource zur Formulierung des Performancebegriffs. Die Bestimmung der ›Performance‹ als ›theatral‹ und zugleich ›nicht theatral‹, die bereits für den Performancebegriff der performativitätstheoretisch informierten Diskursphase kennzeichnend ist, wird hier zudem weiter integriert, indem der bei J.L. Austin als ›parasitär‹ bezeichnete Status des performativen Aktes im Theater als eine spezifische, politisch wirksame Form von ›Performativität‹ gedeutet wird. In Schneiders Entwurf der ›Performance‹ stehen sich also die ›Theatralität‹ der ›Performance‹ und ihre performative Wirksamkeit nicht mehr in Spannung gegenüber, sondern werden als sich gegenseitig bedingend gedacht.
6.4 RESÜMEE Die Lektüren des vorliegenden Abschnitts haben einen Bogen von den Diskussionen zu Beginn der 1990er Jahre zur Flüchtigkeit der ›Performance‹ über die Reflexion der Historizität der ›Performance‹ bis hin zu aktuell durch das Reenactment aufgeworfenen Fragen geschlagen. Trotz der Unterschiedlichkeit der in den einzelnen Texten diskutierten Gegenstände und trotz der teilweise unterschiedlichen theoretischen Vorannahmen hat sich als leitendes Anliegen der hier betrachteten Phase des Performancediskurses die Frage nach der Zeitlichkeit der ›Performance‹ und, damit untrennbar verbunden, die Frage nach der medialen Spezifik der ›Performance‹ erwiesen. Anders als in den die Entstehung der Performancekunst als eigenständiger Kunstgattung begleitenden Diskursen und anders als in den die Institutionalisierung der Performance Studies flankierenden Debatten stehen Abgrenzungsbemühungen von ›Performance‹ und ›Theater‹ nicht mehr im Fokus. Als Gegenfolie für die Konturierung des Performancebegriffs fungiert in den hier diskutierten Texten eher die Vorstellung des Medialen, mit der sowohl konkret Film und Fotografie als auch allgemeiner Speicher- und Wiederholbarkeit aufgerufen sind. Im Fokus steht immer wieder die Frage, inwiefern ›Performance‹ als flüchtiges Ereignis zu verstehen ist, das sich in seinem Vollzug erschöpft und nicht dokumentiert oder wiederholt werden kann. Insbesondere in Peggy Phelans Unmarked wird Flüchtigkeit zur ontologischen Eigenheit der
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›Performance‹ und zu ihrem wichtigsten politischen Potenzial erhoben. In ihrem Status als flüchtiges Ereignis liegt für Phelan auch die mediale Spezifik der ›Performance‹ begründet, die sie klar von anderen Künsten und Medien unterscheidet. Wie sich gezeigt hat, kommt Peggy Phelans Performancebegriff dabei dem im deutschsprachigen Diskurs durch Erika Fischer-Lichte geprägten Aufführungsbegriff am nächsten, insofern auch für Phelan Flüchtigkeit, Ko-Präsenz und Interaktion zwischen Zuschauenden und Agierenden wichtige Merkmale der ›Performance‹ sind. Allerdings ist der Performancebegriff bei Phelan nicht phänomenologisch konturiert und betont statt als sinnliche Fülle verstandener Präsenz eher die Dimension des Entzugs. Gegen den Performancebegriff Phelans und die Definition von ›Performance‹ als flüchtig wird dann einerseits eingewendet, dass ein derartig ontologisch konturierter Performancebegriff die Bedeutung des Medialen für die Konstitution von ›Performance‹ unterschätzt. Dieses Argument wird vor allem von Philip Auslander in Liveness geführt. Nicht nur wirkt sich die Dominanz von Fernsehen, Film und Video im kulturellen und gesellschaftlichen Leben der Postmoderne unmittelbar auf die Möglichkeiten einer kritischen Kunst aus, für die ein Rückzug in einen Bereich, der als nicht medial durchdrungen behauptet werden könnte, zunehmend schwierig wird. Gleichzeitig erweisen sich sowohl das Erleben einer ›Performance‹ als auch der Status einer ›Performance‹ als Kunstereignis, das auch in der Geschichtsschreibung einen Platz für sich behauptet, als vielfältig in Prozesse der Mediatisierung verstrickt. Eine strikte Grenzziehung zwischen ›Performance‹ als flüchtigem Ereignis und Medien erscheint aus diesem Grund irreführend. Statt an einem ontologischen Performancebegriff festzuhalten, schlägt Auslander einen Performancebegriff vor, der stärker die kulturellen und historischen Voraussetzungen seiner Formierung berücksichtigt und nicht einseitig auf Flüchtigkeit festgelegt ist. Dabei hebt der Performancebegriff Auslanders insgesamt stärker auf die Dimension der Inszenierung ab und löst die Vorstellung, dass ›Performance‹ sich in der direkten Begegnung von leiblich ko-präsenten Beteiligten konstituiert, durch ein weiter gefasstes Verständnis von ›Kommunikation‹ zwischen Künstler und Betrachter als auch medial vermittelt, ab. Gegen die ontologisch verstandene Assoziation von ›Performance‹ mit Flüchtigkeit wird weiterhin eingewendet, dass es sich bei der Vorstellung, dass Texte und Artefakte im Archiv überdauern, während Bewegungen und Gesten in ihrem Vollzug verloren gehen, nicht um eine politisch neutrale Unterscheidung handelt. Joseph Roach und Diana Taylor bestehen darauf, dass in nicht westlichen Kulturen und in marginalisierten oder von Unterdrückung betroffenen Gruppen performative Praktiken – Rituale, Tänze, Gesänge, Gesten – im sozia-
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len Leben zentral sind und über Generationen von Körper zu Körper tradiert werden. Für eine ›Performance‹ ist aus dieser Perspektive nicht ihre Flüchtigkeit, sondern ihre Historizität, ihre komplexe Verflechtung mit der Vergangenheit, entscheidendes Merkmal. Dabei positioniert der bei Taylor und Roach formulierte Performancebegriff ›Performance‹ als Praxis des bewussten Erinnerns wie auch der unwillkürlichen Beschwörung von Vergangenem. Auch wenn in der ›Performance‹ stets Handlungsspielräume und Ambivalenzen bestehen, die Räume für Widerstand öffnen, betonen Roach und Taylor vor allem den normativen Druck, unter dem sich ›Performance‹ vollzieht. Als kulturelle Praxis, die verschiedenste Arten von Aufführungen in Kunst und Alltag umfasst, steht ›Performance‹ oft unter dem Imperativ, bestehende Machtordnungen zu stützen und ihre Kontinuität sicherzustellen. So dient ›Performance‹ als Praxis der Ersetzung (surrogation) in Joseph Roachs Perspektive vor allem der Gestaltung des reibungslosen Übergangs, wenn in einer Gesellschaft Machtpositionen frei werden. In ähnlicher Weise thematisiert Diana Taylor ›Performance‹ als Vorgang, der vorgängige, von Taylor als ›Szenario‹ benannte, Muster aktualisiert, die das Selbst- und Weltverständnis einer Gemeinschaft strukturieren und dabei bestimmte Machtverhältnisse installieren. Der bei Roach und Taylor formulierte Performancebegriff geht also nicht nur insofern zu Peggy Phelans Verständnis von ›Performance‹ auf Distanz, als dass gegen die Vorstellung der Flüchtigkeit der ›Performance‹ ihre Historizität hervorgehoben wird. Mit der Betonung der normativen Dimensionen von ›Performance‹ erweist sich der bei Roach und Taylor formulierte Performancebegriff auch weniger optimistisch, insofern ›Performance‹ hier nicht per se mit Widerstand oder Transgression assoziiert wird. In den Diskussionen um das Reenactment verbinden sich dann noch einmal Fragen der Zeitlichkeit der ›Performance‹ mit Überlegungen zu ihrer medialen Spezifik. Während in den Beschreibungen von Marina Abramovićs Reenactments tendenziell weiterhin auf der Besonderheit der ›Performance‹ als eigenständiger Kunstform, die sich durch Flüchtigkeit auszeichnet, bestanden wird, arbeitet Rebecca Schneiders Performing Remains an der Überwindung dichotomisierender Denkmuster, die sowohl Basis einer linearen Vorstellung von Zeit als auch ontologisch konturierter Gattungsunterscheidungen sind. Stattdessen plädiert Schneider, auch mit Blick auf die Formulierung des Performancebegriffs, dafür, den Blick auf das ›Dazwischen‹ zu lenken und sowohl verschiedene, vermeintlich strikt getrennte Zeiten als einander berührend und die als flüchtig (live) und nicht flüchtig unterschiedenen Künste als aufeinander bezogen zu denken. Dementsprechend formuliert Schneider einen Performancebegriff, der ›Performance‹ als Wiedergänger definiert, der auf unlösbare Weise in Vergangenheit
Die Wiederkehr des Theaters | 319
verstrickt ist und sich nicht im flüchtigen Vollzug erschöpft. Dabei wird die am Beispiel des Reenactments formulierte Vorstellung von der ›Performance‹ als Zustand des Sowohl-als-auch (both/and) nicht nur im Sinne einer zeitlichen Doppeltheit, sondern auch als Gleichzeitigkeit von ›Echtheit‹ und fake entworfen. Für diese Eigenheit der ›Performance‹ wird in Performing Remains der Begriff der ›Theatralität‹ mobilisiert. Dieser ist schließlich auch Ansatzpunkt für die Bestimmung des politischen Potenzials von ›Performance‹. Nicht in Flüchtigkeit oder im abweichenden Zitieren entfaltet die als ›theatral‹ verstandene ›Performance‹ ihr politisches Potenzial, sondern dadurch, dass sie in ihrer ›Theatralität‹ jegliche Form von Identität verweigert und sich damit binären Ordnungslogiken widersetzt. Es sind gerade die mit ›Theatralität‹ assoziierten Dimensionen des Stellvertretens, des fake und der Kopie, die durch das mit ihnen verbundene Moment des Verfehlens und der generellen Unsicherheit bezüglich ihrer ›Treffsicherheit‹ jegliche Denkmuster, die auf der Annahme der Möglichkeit von Identität beruhen, in Frage stellen. Die Logik des Verweisens und Stellvertretens als Merkmal des ›Theatralen‹ findet sich auch in Phelans Unmarked und implizit in den Texten Roachs und Taylors, die darauf aufmerksam machen, dass jeder Versuch der Ersetzung mit fehlender Passgenauigkeit verbunden ist. In diesem Sinne wird in allen Texten das ›Theater‹ vor allem auch als Raum des Zweifels aufgerufen, in dem man sich des Status’ des Gesehenen nie sicher sein kann. Es wird also in der hier betrachteten Phase des Performancediskurses ein relativ konventioneller Theaterbegriff mobilisiert, der ›Theater‹ mit dem Als-Ob-Modus, mit Nachahmung und Künstlichkeit assoziiert. Gleichzeitig werden diese Dimensionen des ›Theatralen‹ jedoch nicht mehr als problematisch angesehen und abgelehnt. Es kommt vielmehr zu ihrer positiven Neubewertung, die sich vor allem aus einer poststrukturalistisch informierten Kritik an binären Denkmustern begründet. ›Theatralität‹ wird dabei in ihrer spezifisch politischen Wirksamkeit entdeckt. Insgesamt zeigt sich, dass die in diesem Abschnitt diskutierte performancetheoretische Diskursphase von der Frage durchzogen wird, wie und welches politische, ethische und kritische Potenzial ›Performance‹ entfaltet. Auch wenn die im Einzelnen formulierten Performancebegriffe durchaus nicht immer miteinander vereinbar sind, wie sich am Beispiel von Phelan und Auslander besonders deutlich zeigt, erweist sich die Frage nach dem ›Politischen‹ der ›Performance‹ als Konstante. Dabei geht es nicht darum, ›Performance‹ als per se und immer kritische oder progressive Praxis zu behaupten, aber ›Performance‹ stets in ihren sozialen, kulturellen und politischen Kontexten zu denken und auf ihre Verstrickungen in bestehende normative Machtformationen ebenso wie auf Möglichkeiten des Widerstandes zu befragen. Wie sich gezeigt hat, strahlt die Fokussie-
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rung auf das ›Politische‹ der ›Performance‹ in der hier betrachteten Diskursphase auch auf die Bezugnahmen auf den Vorstellungskomplex des Theatralen aus. Gerade in dieser Dimension des ›Politischen‹, die sich mal als Frage nach der Wirksamkeit von ›Performance‹, als Frage nach der Normativität von ›Performance‹ oder mal als Frage nach einer Ethik der ›Performance‹ artikuliert, liegt eine wichtige Besonderheit des angloamerikanischen Performancebegriffs, die es schwierig macht, für den Performancebegriff eine adäquate Übersetzung zu finden. Die Frage nach dem Verhältnis der kontinentaleuropäischen Diskurse zur US-amerikanischen Performancetheorie ebenso wie die Frage nach der Bedeutung der globalen ›Karriere‹ des Performancebegriffs, der weit über den angloamerikanischen Raum hinaus Eingang in die Theoriebildung gefunden hat, wird daher in den Schlussbetrachtungen ausführlicher diskutiert.
7
Schlussbetrachtung und Ausblick
Die in dieser Arbeit vorgestellten Lektüren ausgewählter Schlüsseltexte der amerikanischen Performancetheorie haben gezeigt, dass es immer wieder Bezugnahmen auf den Vorstellungskomplex des Theatralen sind, die zur Formierung des Performancebegriffs im angloamerikanischen Diskurs beitragen und diesen dynamisieren. Dabei variieren die Bezugnahmen sowohl hinsichtlich ihrer Art als auch ihrer Qualität. Während in einigen Fällen die konventionelle Vorstellung des sich im Als-Ob-Modus vollziehenden Guckkastentheaters Pate für ein allgemeines Modell von ›Performance‹ als Vorgang der Selbstinszenierung steht, das dann systematisch entwickelt wird, folgt die Bezugnahme auf ›Theater‹ in anderen Fällen einer engen Verständnisweise und verweist auf das Theater als Institution der ›schönen Kunst‹. Häufig wird der Vorstellungskomplex des Theatralen auch in eher diffuser Weise mobilisiert, um Konnotationen des Scheins, des fake, der Wirkungslosigkeit bis hin zu schwerer greifbaren Assoziationen des Eurozentrismus oder des kulturellen Elitismus aufzurufen. Dabei spielen die Konnotationen, die der Vorstellungskomplex des Theatralen selbst in den Diskurs einträgt, und die Zuschreibungen, die erst in der Formierung des Diskurses mit Blick auf ›Theater‹ vorgenommen werden, zusammen und lassen sich kaum klar auseinanderhalten. Im Verlauf des performancetheoretischen Diskurses finden sich weiterhin sowohl affirmative Bezugnahmen auf den Vorstellungskomplex des Theatralen, die diesen als wichtiges Reservoir für die Formulierung des Performancebegriffs anzapfen und für die Begriffsbildung produktiv machen, als auch abgrenzende Arten der Bezugnahme, die ›Theater‹ als negativ konnotierte Gegenfolie für die Konturierung des Performancebegriffs aufrufen. Die negativen, polemisierenden Bezugnahmen auf den Vorstellungskomplex des Theatralen motivieren sich dabei meist aus einem Legitimierungsanliegen, wenn beispielsweise für die Anerkennung der ›Performance‹ als eigenständiger Kunstgattung oder für die Institutionalisierung einer universitären Performanceforschung gestritten wird.
322 | Die Theatralität der Performance
Es hat sich insgesamt gezeigt, dass die diskursive Konstellation von ›Theater‹ und ›Performance‹ nicht in einem einfachen Schema der dichotomen Opposition aufgeht, wenn auch in einzelnen Texten und Diskursphasen immer wieder auf eine derartige Gegensätzlichkeit hingearbeitet wird. ›Theater‹ und ›Performance‹ rücken im Diskurs mal als beinahe Synonyme zusammen, überlappen sich in bestimmten semantischen Dimensionen und treten dann wieder weit auseinander. Diese Dynamik erklärt sich dabei nicht nur aus der Instabilität und Offenheit des Performancebegriffs, dessen jeweils spezifische Konturierung in den einzelnen Phasen des theoretischen Diskurses aufzuschlüsseln ein wichtiges Interesse der vorliegenden Arbeit ist. Auch der Theaterbegriff erweist sich als vielfältigen Besetzungen zugänglich und fungiert im Diskurs keineswegs als semantisch stabiler und unveränderlicher Bezugspunkt. Dieser Tatsache habe ich versucht Rechnung zu tragen, indem nicht durchgängig mit einem im Vorfeld festgelegten Theaterbegriff operiert wurde, sondern indem das Suchraster zur Identifikation dessen, was jeweils als Bezugnahme auf ›Theater‹ identifiziert und diskutiert wurde, in den Lektüren jeweils immer wieder neu angepasst wurde. Die hier vorgestellten Lektüren spiegeln daher nicht nur die vielfältige und komplexe Formierung des angloamerikanischen Performancebegriffs von den 1950er Jahren bis in die Gegenwart wider, sondern erzählen unweigerlich zugleich von den Wandlungen des Theaterbegriffs und der sich verändernden Position des Vorstellungskomplexes des Theatralen in der US-amerikanischen Performancetheorie. An dieser Stelle scheint der Hinweis wichtig, dass sich die Lektüren in der vorliegenden Arbeit ausschließlich auf Texte aus Anthropologie, Kulturwissenschaften, Kunstkritik und Philosophie, die sich theoretisch mit ›Performance‹ beschäftigen, beschränken. Mit dieser Fokussierung auf den im weiten Sinne Diskursbereich der Geisteswissenschaften sind die Diskursfelder der Ökonomie und der Technik, in denen, wie Jon McKenzie in Perform or Else deutlich gemacht hat, der Performancebegriff ja eine enorme Verbreitung erfahren hat und routiniert Verwendung findet, ausgeschlossen.1 Insofern es jedoch nicht Anspruch dieser Arbeit ist, eine umfassende, allgemeine historische oder etymologische Bestandsaufnahme des angloamerikanischen Performancebegriffs zu leisten, sondern das Ziel war, den Performancebegriff ausgehend vom für die deutschsprachige Theaterwissenschaft wichtigen Interesse an Theatralität zu beleuchten, erscheint die vorgenommene Einschränkung nicht nur legitim, sondern methodisch zwingend. Es ging ja zunächst einmal darum, Aufschluss über die Formationen des Performancebegriffs in denjenigen Texten und Diskurssträngen zu
1
Siehe McKenzie 2001.
Schlussbetrachtung und Ausblick | 323
gewinnen, die auch in der kontinentaleuropäischen theaterwissenschaftlichen Forschung wahrgenommen und genutzt werden. Damit soll keineswegs unterschätzt sein, dass die im Bereich des Ökonomischen und Technischen primären semantischen Dimensionen von ›Performance‹, die auf Leistung, Effizienz und Effektivität abheben, nicht gerade ausschlaggebend für den angloamerikanischen Performancebegriff sind. Die Verflechtungen der ›Performance‹ in normative Leistungslogiken und technokratische Optimierungsfantasien dürfen keineswegs unberücksichtigt bleiben, wenn man nicht Gefahr laufen möchte, in einseitig emphatischer Hinwendung auf die ebenfalls mit ›Performance‹ verbundenen Vorstellungen von individueller Handlungsmacht und Transgression zu übersehen, dass sich die Vorzeichen für Aktivierung, Individualität und Subversion in der postfordistischen Gesellschaft der Gegenwart grundlegend verschoben haben. Nicht umsonst ist in der jüngeren theaterwissenschaftlichen Forschung angeregt worden, kritisch über den performativen Zwang zum ständigen Handeln, Agieren und Darstellen nachzudenken und damit die normative Logik der ›Performance‹ in Frage zu stellen.2 Gleichzeitig haben die hier präsentierten Lektüren auch deutlich gemacht, dass die Normativität der ›Performance‹ nicht erst im Diskursfeld von Ökonomie und Technik entwickelt wird, sondern als eine wesentliche Dimension der ›Performance‹ auch in den theoretischen Debatten in Anthropologie, Philosophie, Kunst- und Kulturwissenschaften immer wieder bemerkt wird. Die in dieser Arbeit vorgenommenen Re-Lektüren theoretischer Texte fordern damit auch zu einem intensivierten Nachdenken über die Dimensionen des Normativen der ›Performance‹ heraus, die sich aus den jeweiligen sozialen, ökonomischen, kulturellen und politischen Kontexten ergeben, in denen sich ›Performance‹ vollzieht. Abschließend möchte ich noch einmal die drei Leitfragen dieser Arbeit aufgreifen und mit Blick auf die Ergebnisse aus den einzelnen Kapiteln resümierend zusammenfassen: 1. Wann, wo und wie tauchen in US-amerikanischen Performancetheorien der Theaterbegriff bzw. Vorstellungen und Konnotationen des Theatralen auf? 2. Wie verhalten sich ›Theater‹ und der Vorstellungskomplex des Theatralen jeweils zum Performancebegriff? 3. Welche Veränderungen in Art und Funktion von Bezugnahmen auf ›Theater‹ lassen sich im Verlauf des Performancediskurses beobachten und wie lassen sich diese erklären?
2
Siehe z.B. die Anmerkungen von Matthias Warstat in: Warstat, Matthias, 2011: Krise und Heilung. Wirkungsästhetiken des Theaters. München: Wilhelm Fink, S. 173-175.
324 | Die Theatralität der Performance
7.1 THEATER UND THEATRALITÄT IM PERFORMANCEDISKURS: VERSUCH EINER TYPOLOGIE In der frühen Phase der ritualtheoretisch inspirierten Performancetheorie, die hier über Lektüren ausgewählter Texte Erving Goffmans, Victor Turners und Richard Schechners erschlossen wurde, steht das Interesse an ›Performance‹ als anthropologischer Konstante im Fokus. ›Performance‹ wird als Aufführung thematisiert, die vor allem für das soziale Gefüge der Gemeinschaft, in der sie stattfindet, existenzielle Bedeutung entfaltet. In der ›Performance‹ werden Konflikte ausgetragen, gemeinsame Werte bestärkt und soziale Positionen innerhalb der Gruppe verhandelt. Zur Formierung des Performancebegriffs wird in dieser Diskursphase vor allem auf das Modell des Dramas bzw. des dramatischen Theaters zurückgegriffen. Dieses wird als Metapher genutzt, um Vorgänge der Selbstdarstellung, Ablauf und Lösung sozialer Spannungen sowie die Struktur von Aufführungen in Kunst und Alltag zu erfassen. Trotz der produktiven Aktivierung der Metapher des Dramas bleiben die frühen Performancetheorien auf Distanz zum Theater als Kunstform. Der Theaterbegriff wird eher vermieden und verengt sich auf die Bedeutung ›bürgerliches Literaturtheater‹. Während für die ›Performance‹ gerade Wirksamkeit und direkte Gestaltung sozialer Realität als wichtigste Eigenheit betont werden, geht der Theaterbegriff mit negativ konnotierten Assoziationen wie Wirkungslosigkeit, Illusion und Marginalität einher. Mit der Entwicklung der Performancekunst als eigenständiger Kunstform seit den 1960er und 1970er Jahren rückt der Bereich der Künste in den Fokus der Performancetheorie. Angetrieben werden die verschiedenen Definitionsversuche von ›Performance‹ in dieser Phase von einem starken programmatischen Interesse. Während der Kunstkritiker Michael Fried in seinem Aufsatz »Art and Objethood« auf Abwehr der von ihm als ›Theatralisierung‹ benannten Tendenzen der Gegenwartskunst zielt, geht es in den Debatten um das Happening und in späteren, durch poststrukturalistische Theorieimpulse inspirierten Texten zur ›Performance‹ als Kunstform um die Betonung der besonderen Qualitäten und Potenziale der neuen Kunstgattung. Dabei fungiert auch hier das ›Theater‹ als negativer Bezugspunkt, gegen den sich der Performancebegriff in Abgrenzung formiert. Die Bezugnahmen auf ›Theater‹ und die Entwürfe des Performancebegriffs erfolgen in dieser Diskursphase in ontologisierender Weise, insofern es immer wieder darum geht, festzustellen, was ›Performance‹ als Kunst ist. Als zentrales Problem für die theoretische Beschreibung und gattungslogische Einordnung der ›Performance‹ hat sich vor allem der Aufführungscharakter der ›Performance‹ erwiesen. Dass sich die Künste seit den 1960er und 1970er Jahren
Schlussbetrachtung und Ausblick | 325
verstärkt auf die Gestaltung der Erfahrung der Zuschauenden konzentrieren und weniger auf die Herstellung eines Objekts, stellt sie unter den Verdacht des ›Theatralen‹. Mit der Bezugnahme auf den Vorstellungskomplex des Theatralen wird in dieser Diskursphase also vor allem die Idee vom Theater als Zuschaukunst aufgerufen. Um dann die neue Gattung ›Performance‹ in möglichst große Ferne zum ›Theater‹ zu rücken, wird in den Texten intensiv am Entwurf der Position des Zuschauenden gearbeitet und nicht selten auf deren Auflösung gezielt. Insgesamt verhalten sich ›Theater‹ und ›Performance‹ in dieser Phase der Performancetheorie als Opposition zueinander. Mit dem Aufkommen der identitätspolitisch konturierten Theorie der Performativität in den 1980er und 1990er Jahren, die im angloamerikanischen Performancediskurs maßgeblich von Judith Butlers Texten geprägt wird, verlagert sich die Spaltung ›theatral/nicht theatral‹ in den Performancebegriff selbst. Mit dem Begriff der ›Performativität‹ wird vor allem die wirklichkeitskonstituierende Funktion der ›Performance‹ erfasst und theoretisch begründet. Dabei erklärt sich die Kraft der ›Performance‹ zur Herstellung von Wirklichkeit mit dem Butler’schen Performativitätsbegriff aus ihrem Zitatcharakter. Indem die ›Performance‹ diskursiv vorgängige Muster wiederholt und in konkreten Akten materialisiert, entfaltet sie ihre Wirksamkeit im sozialen Raum. Dabei erweist sich ›Performance‹ als immer auch normativ geprägt, da die in der ›Performance‹ aktualisierten Muster Teil bestehender Machtordnungen sind. Gleichzeitig zeigt sich die Wiederholungsstruktur der ›Performance‹ für Brüche und Abweichungen offen, so dass die Frage, wie sich in der ›Performance‹ bestehende gesellschaftliche Normen und Machtlogiken unterlaufen lassen, nicht zuletzt unter dem Eindruck der sogenannten culture wars in den USA, zu einem zentralen Anliegen der angloamerikanischen Performancetheorie der 1990er Jahre avanciert. Die soziale Bedeutung und Wirksamkeit der ›Performance‹ wird in der performativitätstheoretisch informierten Phase des Performancediskurses weiterhin nicht allein mit ihrem Zitatcharakter, sondern auch mit ihrer Öffentlichkeit begründet. ›Performance‹ wird als Geschehen gedacht, das sich vor Zuschauenden vollzieht und zu dem sich diese in Bezug setzen. Es ist diese Dimension der Öffentlichkeit, die die ›Performance‹ in die Nähe des ›Theaters‹ rückt. Die dabei mit der Bezugnahme auf ›Theater‹ aufgerufenen Konnotationen von Freiwilligkeit und intentionaler Gestaltbarkeit werden dabei immer wieder mit dem Verweis auf die normative Zwangsdimension von ›Performance‹ diskursiv auf Distanz gehalten. Der Performancebegriff formiert sich in dieser Phase also im Spannungsfeld zwischen Vorstellungen des ›Theatralen‹ und des ›Performativen‹. Dabei kommt ›Performance‹ als zugleich ›theatral‹ und ›nicht theatral‹ in den Blick, wobei sich das Interesse in dieser Diskursphase dann nicht so sehr da-
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rauf fokussiert diese beiden Dimensionen zu trennen, sondern gleichermaßen dahingehend zu befragen, wie sie zusammenspielen und die politische Dimension der ›Performance‹ gestalten. In den Legitimations- und Institutionalisierungsdebatten um die Performance Studies, für und wider deren Etablierung als eigenständige (Anti-)Disziplin seit Ende der 1980er Jahre im angloamerikanischen Performancediskurs gestritten wird, wird vorrangig ein programmatischer Performancebegriff formuliert. Einerseits wird ›Performance‹ als umbrella term mobilisiert, der eine große Bandbreite an Aufführungen/Inszenierungen/Darstellungen in Kunst und Alltag umfasst und damit Disziplinen übergreifende Reichweite signalisiert. Gleichzeitig wird der Performancebegriff von den Befürwortern der Performance Studies als historisch unschuldiger, nicht hierarchisierender und kulturübergreifend gültiger Begriff propagiert, der, so das Argument, anders als der Theaterbegriff, frei ist von Konnotationen des Eurozentrismus und Elitismus. Die Bezugnahmen auf ›Theater‹ erfolgen in dieser Phase insgesamt vorrangig in strategischer Weise. Mit dem ›Theater‹ ist meist das ›dramatische Theater‹ und damit eine bürgerliche Kunstinstitution aufgerufen, wobei der so verstandene Theaterbegriff von den Vertretern eines weitreichenden ›Performance‹-Paradigmas dann als Empfänger negativer Zuschreibungen genutzt wird, gegen den sich der Performancebegriff als innovativ und in politischer Hinsicht progressiv formieren lässt. Gegen die programmatische Aufladung des Performancebegriffs und die Behauptung der Rückständigkeit und Marginalität des ›Theaters‹, die sich oft auch als Kritik an den institutionell etablierten Theater Studies artikuliert, gibt es in dieser Diskursphase auch deutliche Einwände. Vertreterinnen und Vertreter aus den Theater Studies und aus dem Bereich einer traditionell verstandenen Kunstkritik übernehmen dabei in ihren Argumentationen gegen das ›Performance‹-Paradigma den engen Theaterbegriff der Befürworter der Performance Studies und verteidigen das ›Theater‹ als Ort der Kontemplation, geistigen Erbauung und Möglichkeit der Distanznahme auf eine als narzisstisch kritisierte Gegenwart. In der letzten hier betrachteten Diskursphase, die sich von Ende der 1990er Jahre bis in die Gegenwart erstreckt, tritt die Frage nach der Zeitlichkeit der ›Performance‹ in den Fokus der performancetheoretischen Debatten. Die Assoziation von ›Performance‹ mit Flüchtigkeit und Vergänglichkeit, die sich meist mit der Behauptung einer spezifischen Medialität der ›Performance‹ verbindet und im angloamerikanischen Diskurs vor allem von Peggy Phelan entwickelt wird, wird dabei durch eine komplexere Vorstellung von sowohl der Zeitlichkeit der ›Performance‹ als auch ihrer medialen Verfasstheit abgelöst. Nicht zuletzt gibt das Reenactment, das in den 2000er Jahren in den Künsten Verbreitung findet, Impulse zur Revision der Assoziation von ›Performance‹ mit Flüchtigkeit.
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Mit dem erhöhten Interesse an der Historizität der ›Performance‹ kehrt das ›Theater‹ in den performancetheoretischen Diskurs insbesondere als theoretischer Begriff zurück. Insofern das ›Theater‹ als auf besonders intime Weise mit der Vergangenheit verbunden gilt und sich aufgrund seiner Gleichzeitigkeit von Tatsächlichkeit und illusionistischem Verweis auf Abwesendes durch eine besondere Doppeltheit auszeichnet, bietet der Vorstellungskomplex des Theatralen einen wichtigen Bezugspunkt, um die Zeitlichkeit der ›Performance‹ theoretisch zu erfassen. Die dichotomisierende Gegenüberstellung von ›Theater‹ und ›Performance‹, die andere Diskursphasen kennzeichnet, löst sich in dieser Phase eher in einem pragmatischen Verhältnis auf. Mit Rebecca Schneiders Theorie der ›Theatralität‹ des Reenactments wird der Vorstellungskomplex des Theatralen schließlich sogar in einer performativitätstheoretisch informierten Wendung aufgerufen, wenn ›Theatralität‹ als Zustand des Sowohl-als-auch verstanden wird, der jegliche binären Ordnungsmuster unterläuft und darin politische Wirksamkeit entfalten kann. Insgesamt haben die hier vorgestellten Re-Lektüren ausgewählter Schlüsseltexte der angloamerikanischen Performancetheorie gezeigt, dass Bezugnahmen auf den Vorstellungskomplex des Theatralen für die Formierung des Performancebegriffs entscheidend sind. Es lassen sich dabei metaphorische, ontologisierende und strategisch-programmatische Arten der Bezugnahme unterscheiden. Motiviert werden die unterschiedlichen Arten der Bezugnahme einerseits aus wissenschaftsinternen Impulsen wie z.B. einer Hinwendung auf anthropologische und ethnologische Theorien in der frühen Performancetheorie oder der Rezeption poststrukturalistischer Theorien in den 1990er Jahren. Andererseits sind es auch immer wieder konkrete Entwicklungen in den Künsten, die zu einer Neubewertung des Performancebegriffs anregen z.B. die Entwicklung der Performancekunst als eigenständiger Gattung, die Politisierung der Künste unter dem Druck der amerikanischen culture wars oder das gegenwärtige künstlerische Interesse am Format des Reenactments. Der angloamerikanische Performancebegriff lässt sich mit Mieke Bal dementsprechend auch als ›Konzept auf Reisen‹ (travelling concept) verstehen, das sich in der andauernden Zirkularität aus theoretischer Überlegung, Analyse und kultureller Praxis entfaltet.3 Wichtiger ›Reisebegleiter‹ ist dabei, wie sich gezeigt hat, der Vorstellungskomplex des Theatralen mit seiner wiederum eigenen Entstehungsdynamik im Zusammenspiel von Theorie, Analyse und kultureller Praxis.
3
Siehe Bal 2002, S. 21.
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7.2 ZUR GLOBALEN AUSWEITUNG DER PERFORMANCETHEORIE Mieke Bal hat weiterhin darauf hingewiesen, dass es im interdisziplinären Dialog – und als solcher gestaltet sich das Verhältnis der angloamerikanischen Performanceforschung zu Theaterwissenschaft und Performanceforschung weltweit – darauf ankommt, mit dem Nachdenken über die gemeinsam genutzten Konzepte einzusetzen.4 Was bedeutet es also, dass sich der im angloamerikanischen Kontext formulierte Performancebegriff im Zuge der Durchsetzung des Englischen als hauptsächlicher Sprache, auch der Geisteswissenschaften, global zunehmend verbreitet? Aufgrund ihres charakteristischen selbstreflexiven Bewusstseins für die ideologischen und machtpolitischen Verstrickungen der eigenen Forschungen haben die angloamerikanischen Performance Studies immer wieder selbst hinterfragt, inwiefern primär in den USA bzw. dem anglophonen Sprachraum (Vereinigtes Königreich, Australien) verankerte und praktizierte Forschungen, die sich mit ›Performance‹ in allen Regionen der Welt befassen, kolonialistische Dynamiken entfalten.5 »Sind die Performance Studies imperialistisch?« fragten sich dement-
4
Siehe Bal 2002, S. 5.
5
Stellvertretend für die anhaltende Debatte um Fragen der Institutionalisierung der Performance Studies kann auf die Roundtable-Diskussion zum Thema »Institutional Memories and Transformations: Negotiating Performative Power« verwiesen werden, die am 27.05.2011 auf der 17. Jahreskonferenz der Dachorganisation Performance Studies international (PSi) im niederländischen Utrecht stattfand. Die Diskussion wurde von Jon McKenzie moderiert und führte Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler von in den USA (Laurie Beth Clark), Europa (Marin Blažević, Rachel Fensham, Mike Pearson) und Asien (Ray Langenbach, Tadashi Uchino) ansässigen Universitäten zusammen. Im Fokus der Debatte stand die Frage nach Möglichkeiten einer kritischen Praxis in einem institutionellen Rahmen sowie die Frage nach der Notwendigkeit, die eigene Teilhabe an institutioneller Macht, die sich mit der Besetzung einer universitären Position (z.B. als Hochschullehrender) unweigerlich verbindet, kritisch zu befragen. Interessanterweise wurde in der Diskussion auch PSi als Institution problematisiert. Marin Blažević von der Universität Zagreb wies darauf hin, dass PSi außerhalb der USA manchmal als bedrohliches, global agierendes Unternehmen wahrgenommen werde, dessen Ziel zu sein scheine, »to spread the word of Richard Schechner«.
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sprechend Vertreterinnen und Vertreter der Performance Studies in einer in TDR in den Jahren 2006 und 2007 erschienenen Beitragsserie.6 Jon McKenzie und Janelle Reinelt beobachten in ihren Artikeln, dass die Performance Studies international häufig als dezidiert US-amerikanisches Projekt wahrgenommen und nahezu ausschließlich mit der New York University bzw. Richard Schechner als Pionier und ›Patriarch‹ dieser Forschungsformation identifiziert werden.7 Der von Anfang an global ausgerichtete und ein Denken in nationalen Grenzziehungen negierende Gründungsimpetus der Performance Studies werde nicht immer als befreiende und freundliche Geste, sondern häufig als unzulässiger Versuch der Aneignung und Dominanz empfunden. Als zentrale Herausforderung identifizieren McKenzie und Reinelt daher die Frage, wie die aus ihrer Sicht wichtige internationale Perspektive der Performance Studies beibehalten bzw. weiter ausgebaut werden kann, ohne zugleich problematische Dynamiken globaler Machtverhältnisse, wie sie insbesondere auch im Stichwort ›Amerikanisierung‹ häufig verdichtet zum Ausdruck kommen, fortzuschreiben. Nicht erst auf der Makroebene des konkreten interkulturellen Zusammenarbeitens zeigt sich, wie schwierig es ist, dieser Forderung gerecht zu werden. Bereits auf der Mikroebene der Begriffsverwendung wird, so argumentieren McKenzie und Reinelt, deutlich, dass es bereits problematisch ist, davon auszugehen, dass ›Performance‹ ein weltweit konsensfähiger Begriff sei. Insofern der Performancebegriff ja wesentlich in der Sprachlogik des Amerikanischen formuliert wurde und wird, ist nämlich zu bedenken, dass er durch sowohl linguistische Eigenheiten als auch implizite, dem spezifischen kulturellen Kontext geschuldete Codierungen geprägt ist. Diese seien, so McKenzie, keineswegs zweitrangige Epiphänomene, sondern bestimmten in entscheidender Weise mit, was und wie in den Performance Studies in den Blick genommen werden könne. McKenzie schreibt hierzu: »English is the lingua franca of performance studies. […T]he dominance of English informs and deforms the very concept of ›performance‹ and, by extension, the very objects studied ›as‹ performance.«8
6
Siehe McKenzie, Jon, 2006: Is Performance Studies Imperialist? In: The Drama Review 50, 4, S. 5-8; Reinelt, Janelle, 2007: Is Performance Studies Imperialist? Part 2. In: The Drama Review 51, 3, S. 7-16; Schechner, Richard/Eugenio Barba/Diana Taylor et al., 2007: Is Performance Studies Imperialist? Part 3. A Forum. In: The Drama Review 51, 4, S. 7-23. Vgl. ebenfalls McKenzie, Jon/Heike Roms/C.J. Wan-ling Wee (Hg.), 2010: Contesting Performance. Global Sites of Research. Basingstoke/New York: Palgrave Macmillan.
7
Siehe McKenzie 2006, S. 6 sowie Reinelt 2007, S. 10.
8
McKenzie 2006, S. 7 [Herv. i.O.].
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Gerade die enge Assoziation von ›Performance‹ mit politisch wirksamer Subversion erscheint in anderen Kontexten – McKenzie bezieht sich auf den Erfahrungsaustausch mit Kollegen und Kolleginnen in Slowenien und Reinelt erinnert an Gespräche in Japan und Europa – als fragwürdig oder sogar gefährlich.9 Ebenso mutet die im Selbstverständnis der Performance Studies als wichtige Innovation forcierte expansive Breite des Performancebegriffs aus Sicht einiger europäischer Theaterwissenschaftlerinnen und -wissenschaftler wenig neuartig an, da im europäischen Forschungskontext häufiger und schon seit längerem von einem weiten Theaterbegriff ausgegangen wird, der ein ähnlich breites Feld an Gegenständen in den Blick rückt wie der angloamerikanische Performancebegriff.10 Die Beobachtungen McKenzies und Reinelts verweisen auf verschiedene Aspekte des angloamerikanischen Performancebegriffs, die seinem spezifischen kulturellen Kontext geschuldet sind, und bieten damit erste Anknüpfungspunkte für weitere Reflexionen über Potenzial und Problematik der globalen Mobilität des Performancebegriffs. Weitere Forschungen werden nicht nur nach der Reichweite des Performancebegriffs im Sinne der von diesem sinnvollerweise bezeichneten Gegenstände fragen, sondern vor allem auch den mit ›Perfor-
9
Jon McKenzie berichtet, dass die von ihm vertretene Idee einer notwendigen Politisierung von ›Performance‹ in Slowenien vor dem Hintergrund der kommunistischen Vergangenheit des Landes als ambivalent, gar potenziell gefährlich, wahrgenommen wurde (Siehe McKenzie 2006, S. 6). Janelle Reinelt skizziert den für Forschungen in Japan grundlegenden Performancebegriff und hebt hervor, dass eher ein pragmatisches Verständnis von ›Performance‹ vorherrschend ist, das von Assoziationen der Subversivität weitgehend frei ist (Siehe Reinelt 2007, S. 13). Siehe auch: Sun, William H./Faye C. Fei, 2014: Social Performance Studies. A New PS School with Chinese Characteristics. In: Atay Citron/Sharon Aronson-Lehavi/David Zerbib (Hg.), Performance Studies in Motion. International Perspectives and Practices in the Twenty-First Century. London/New York: Bloomsbury, S. 288-300. Sun und Fei betonen das disziplinierende und normalisierende Potenzial von ›Performance‹ als zentrale Ansatzpunkte der Performance Studies im chinesischen Kontext. Sie vertreten also einen Performancebegriff, der, anders als im US-amerikanischen Diskurs, die Assoziation von ›Performance‹ mit individueller Freiheit und Kreativität sowie Transgression eher als Schwierigkeit begreift.
10 Auf diesen Punkt macht Janelle Reinelt aufmerksam. Als wichtige Differenz zu europäischen Forschungstraditionen markiert Reinelt jedoch die für die Performance Studies charakteristische Bedeutung von politischen, am Kontext orientierten und ethnografischen Ansätzen (Siehe Reinelt 2007, S. 12).
Schlussbetrachtung und Ausblick | 331
mance‹ verbundenen impliziten Annahmen Aufmerksamkeit widmen müssen. Welche Rolle können die mit ›Performance‹ verbundenen Konnotationen individueller Handlungsmacht (agency) und identitätspolitischer Kritik in kulturellen und gesellschaftlichen Kontexten spielen, die nicht vorrangig auf individuelle Entfaltung und Freiheit orientiert sind? Wie kann der mit ›Performance‹ verbundenen Leistungs- und Effizienzlogik, die letztlich auch Produkt eines maßgeblich von US-Konzernen mitgetragenen global operierenden Kapitalismus ist, kritisch begegnet werden? Was gerät aus dem Blickfeld, wenn der mit dem angloamerikanischen Performancebegriff verbundenen Verschiebung von einer vorrangig ästhetischen Befragung der Aufführung hin zu einer Befragung der sozialen, ethischen und politischen Kontexte und Wirkweisen der Aufführung gefolgt wird? Die vorliegende Arbeit versteht sich auch als Beitrag zu dieser aktuellen Debatte um die globale Verbreitung des Performancebegriffs. Der hier gewählte Weg, den angloamerikanischen Performancebegriff in verschiedenen Diskursphasen mit Blick auf sein Verhältnis zu ›Theater‹ und dem Vorstellungskomplex des Theatralen zu befragen, ermöglicht dabei, Aufschluss über ›Performance‹ als theoretischem Begriff und wichtigem Konzept geisteswissenschaftlicher Reflexion zu gewinnen. Gleichzeitig öffnet sich ein erster Blick auf die Spannungen, Unverträglichkeiten, aber auch produktiven Verbindungen des angloamerikanischen Performancebegriffs zu dem im kontinentaleuropäischen Kontext traditionsreichen und etablierten Nachdenken über ›Theatralität‹. Es ließen sich an die Ergebnisse der vorliegenden Arbeit so noch weitere Untersuchungen anschließen, die die hier bemerkten Konstellationen von ›Performance‹ und ›Theater‹ jeweils in stärker komparatistischer Weise untersuchen und Antworten auf die Frage liefern, welche Bedeutung die Übernahme des Performancebegriffs spezifisch im Kontext deutschsprachiger Forschungen entfaltet. Die Erschließung des angloamerikanischen Performancebegriffs als ›Konzept auf Reisen‹, die hier mit Beobachtungen zu den Dynamiken der Bezugnahmen auf ›Theater‹ im performancetheoretischen Diskurs begonnen wurde, wäre damit um die wichtige Dimension der kultur- und sprachübergreifenden Bewegungen ergänzt.
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Dank
Diese Arbeit ist Ergebnis einer langen Reise. Dass das Vorhaben einen erfolgreichen Abschluss gefunden hat, verdankt sich auch der stetigen Ermutigung und Unterstützung meines Doktorarbeitsbetreuers Matthias Warstat, der die Arbeit von Anfang an mit Begeisterung und vielen wichtigen Anregungen begleitet hat. Bei ihm möchte ich mich herzlich bedanken. Mein Dank gilt auch Doris Kolesch für ihre Unterstützung als Zweitgutachterin. Bei meinen Kolleginnen und Kollegen am Institut für Theaterwissenschaft der Freien Universität Berlin bedanke ich mich für ihr Interesse, die vielen Gespräche und die schöne Zusammenarbeit. Dank gilt vor allem auch meinen Eltern und Schwiegereltern für ihre in jeglicher Hinsicht großzügige Hilfe. Sebastian danke ich für beharrlichen Zuspruch ebenso wie für beharrliches Drängeln. Beides hat wesentlich dazu beigetragen, den Schreibprozess zu einem guten Abschluss zu bringen.
Theater- und Tanzwissenschaft Gabriele Klein (Hg.)
Choreografischer Baukasten. Das Buch (2. Aufl.) Februar 2019, 280 S., kart., Klebebindung 29,99 € (DE), 978-3-8376-4677-1 E-Book: 26,99 € (DE), ISBN 978-3-8394-4677-5
Manfred Brauneck
Die Deutschen und ihr Theater Kleine Geschichte der »moralischen Anstalt« – oder: Ist das Theater überfordert? 2018, 182 S., kart., Klebebindung 24,99 € (DE), 978-3-8376-3854-7 E-Book: 21,99 € (DE), ISBN 978-3-8394-3854-1 EPUB: 21,99 € (DE), ISBN 978-3-7328-3854-7
Wolfgang Schneider, Anna Eitzeroth (Hg.)
Partizipation als Programm Wege ins Theater für Kinder und Jugendliche 2017, 270 S., kart., Klebebindung 29,99 € (DE), 978-3-8376-3940-7 E-Book: 26,99 € (DE), ISBN 978-3-8394-3940-1
Leseproben, weitere Informationen und Bestellmöglichkeiten finden Sie unter www.transcript-verlag.de
Theater- und Tanzwissenschaft Adam Czirak, Sophie Nikoleit, Friederike Oberkrome, Verena Straub, Robert Walter-Jochum, Michael Wetzels (Hg.)
Performance zwischen den Zeiten Reenactments und Preenactments in Kunst und Wissenschaft Februar 2019, 296 S., kart., Klebebindung, 31 SW-Abbildungen 34,99 € (DE), 978-3-8376-4602-3 E-Book: 34,99 € (DE), ISBN 978-3-8394-4602-7
Ingrid Hentschel (Hg.)
Die Kunst der Gabe Theater zwischen Autonomie und sozialer Praxis Januar 2019, 310 S., kart., Klebebindung, 6 Farbabbildungen 29,99 € (DE), 978-3-8376-4021-2 E-Book: 26,99 € (DE), ISBN 978-3-8394-4021-6
Olivia Ebert, Eva Holling, Nikolaus Müller-Schöll, Philipp Schulte, Bernhard Siebert, Gerald Siegmund (Hg.)
Theater als Kritik Theorie, Geschichte und Praktiken der Ent-Unterwerfung 2018, 578 S., kart., Klebebindung, 11 SW-Abbildungen 39,99 € (DE), 978-3-8376-4452-4 E-Book: 39,99 € (DE), ISBN 978-3-8394-4452-8
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