Die Textvorlage von Augustins Adnotationes in Iob: Studien zur Erstfassung von Hieronymus‘ Hiob-Übersetzung iuxta Graecos [1 ed.] 9783666552564, 9783525552568


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German Pages [591] Year 2017

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Die Textvorlage von Augustins Adnotationes in Iob: Studien zur Erstfassung von Hieronymus‘ Hiob-Übersetzung iuxta Graecos [1 ed.]
 9783666552564, 9783525552568

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Gerd-Dietrich Warns

Die Textvorlage von Augustins Adnotationes in Iob Studien zur Erstfassung von Hieronymus’ Hiob-Übersetzung

iuxta Graecos

Forschungen zur Kirchen- und Dogmengeschichte Herausgegeben von Volker Henning Drecoll und Volker Leppin

Band 112

Vandenhoeck & Ruprecht

Gerd-Dietrich Warns

Die Textvorlage von Augustins Adnotationes in Iob Studien zur Erstfassung von H ­ ieronymus’ Hiob-Übersetzung iuxta Graecos

Vandenhoeck & Ruprecht

‫הגדיל יהוה לעשות עמנו היינו שמחים׃‬

Bibliografische Information der Deutschen Nationalbibliothek Die Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliografie; detaillierte bibliografische Daten sind im Internet über http://dnb.d-nb.de abrufbar. ISSN 0532-2154 ISBN 978-3-666-55256-4 Weitere Ausgaben und Online-Angebote sind erhältlich unter: www.v-r.de © 2017, Vandenhoeck & Ruprecht GmbH & Co. KG, Theaterstraße 13, D-37073 Göttingen/ Vandenhoeck & Ruprecht LLC, Bristol, CT, U. S. A. www.v-r.de Alle Rechte vorbehalten. Das Werk und seine Teile sind urheberrechtlich geschützt. Jede Verwertung in anderen als den gesetzlich zugelassenen Fällen bedarf der vorherigen schriftlichen Einwilligung des Verlages. Satz: textformart, Göttingen

Inhalt

Vorwort . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 13 Einleitung: Thema, Forschungsstand, Terminologie, Vorgehen, Ergebnisse . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 15 1 Das Thema und sein Kontext . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 15 1.1 Das Thema als Teilprojekt . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 15 1.2 Der exemplarische Ansatz . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 16 2 Der Forschungsstand und die Schwerpunkte der Arbeit . . . . . 2.1 Vorhandene Literatur . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2.1.1 Erstfassung und Endfassung der Übersetzung iuxta Graecos . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2.1.2 Ergebnislose Rekonstruktionsversuche . . . . . . . . 2.1.3 Die Suche nach Hieronymus’ griechischen Vorlagen 2.1.4 Nachweise von Kirchenväterzitaten . . . . . . . . . . 2.2 Schwerpunkte der vorliegenden Arbeit . . . . . . . . . . . . 2.2.1 Profil und Verhältnis der verschiedenen Textfassungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2.2.2 Doppelübersetzungen und Variae lectiones . . . . . . 2.2.3 Hieronymus’ Benutzung griechischer und hebräischer Texte . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

16 17 17 17 19 20 22 22 23 25

3 Zur Terminologie . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 27 4 Überblick über Vorgehen und Ergebnisse . . . . . . . . . . . . . 28 Erster Teil: Hieronymus’ Erstfassung O. und die Fassungen S. T. B. . . . . . . 31 A. Die Ausgangslage: Kapitel 1 . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 31 Kapitel 1: Die Fassungen O. und T. vs. S. und B. . . . . . . . . . . . . . . . . 31 1.1 Die Interdependenz der Analysen von Versio prior und Adnotationes in Iob . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 31 1.2 Das Verhältnis zwischen den verschiedenen Revisionsstufen der Versio prior . . . . . . . . . . . . . . . . 33

6

Inhalt

B. Detailanalysen: Kapitel 2–5 . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 35 Vorbemerkungen zu den Kapiteln 2–5 . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 35 Kapitel 2: Revisionen von O. in S. T. B. unter Wechsel der Textvorlagen I: Wechsel von einer Neben- zu einer Hauptüberlieferung . . . . . 2.1 Wechsel Hebräisch – Hebräisch . . . . . . . . . . . . . . . . 2.2 Wechsel Griechisch – Griechisch . . . . . . . . . . . . . . . 2.2.1 Präzisierung sprachlicher Details . . . . . . . . . . . . 2.2.2 Inhaltliche Verschiebung . . . . . . . . . . . . . . . . 2.2.3 Vereinfachung einer Doppelübersetzung . . . . . . . 2.2.4 Ausnahme: Von einer Haupt- zu einer Nebenüberlieferung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2.3 Wechsel Hebräisch – Griechisch . . . . . . . . . . . . . . . . 2.3.1 Von einer hebräischen Nebenversion zur griechischen Hauptversion . . . . . . . . . . . . . . . 2.3.2 Wechsel Hebräisch – Griechisch: Sonderfälle . . . . . Kapitel 3: Revisionen von O. in S. T. B. unter Wechsel der Textvorlagen II: Wechsel von M zu griechischen Vorlagen . . 3.1 Der Wechsel von M zu griechischen Vorlagen . . . . . . . 3.2 Zusätzliche Motive beim Wechsel zu griechischen Vorlagen 3.2.1 Grammatische Änderungen . . . . . . . . . . . . . . 3.2.2 Neuinterpretation von Tempusfunktionen . . . . . . 3.2.3 Inhaltliche Verschiebungen . . . . . . . . . . . . . . . 3.2.4 Stilistische Veränderungen . . . . . . . . . . . . . . . 3.3 Ausnahmen: Wechsel vom Griechischen zum Hebräischen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

37 37 38 39 40 41 42 43 44 54 57 57 59 59 61 66 67 68

Kapitel 4: Revisionen von O. in S. T. B. ohne Wechsel der Textvorlagen I . . 4.1 Revision griechischer Textvorlagen . . . . . . . . . . . . . . 4.1.1 Korrektur von Fehlern . . . . . . . . . . . . . . . . . . 4.1.2 Präzisierung sprachlicher Details . . . . . . . . . . . . 4.1.3 Inhaltlich bedingte freie Eingriffe in den Text . . . . 4.1.4 Stilistische Veränderungen . . . . . . . . . . . . . . . 4.2 Revision hebräischer Textvorlagen . . . . . . . . . . . . . . . 4.2.1 Präzisierung sprachlicher Details . . . . . . . . . . . 4.2.2 Ein freier Eingriff in einen schwierigen Text . . . . . 4.2.3 Ein Synonymentausch . . . . . . . . . . . . . . . . . .

71 71 71 72 73 75 80 80 82 84

Kapitel 5: Revisionen von O. in S. T. B. ohne Wechsel der Textvorlagen II . . 5.1 Revision unspezifischer ursprachlicher Textvorlagen . . . . 5.1.1 Inhaltliche Verschiebungen . . . . . . . . . . . . . . . 5.1.2 Stilistische Veränderungen . . . . . . . . . . . . . . . 5.1.3 Eine dogmatische Präzisierung . . . . . . . . . . . . .

86 86 86 88 92

Inhalt

7

5.2 Konflation griechischer und hebräischer Textvorlagen . . . 93 5.2.1 Primärvorlage hebräisch . . . . . . . . . . . . . . . . . 94 5.2.2 Primärvorlage griechisch . . . . . . . . . . . . . . . . 96 C. Auswertung: Kapitel 6–7 . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 100 Vorbemerkungen zu den Kapiteln 6–7 . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 100 Kapitel 6: Die Abfolge O. S. T. und die Sonderstellung von B. . . . . . . . . 6.1 Die Ausgangslage: O. gegen S. T. B. . . . . . . . . . . . . . . . 6.2 Problemstellung, Lösungsstrategie und Thesen . . . . . . . 6.2.1 Die offenen Fragen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 6.2.2 Lösungsstrategie . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 6.2.3 Thesen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 6.3 Die Einordnung von S.  . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 6.3.1 Möglichkeiten der Einordnung von S. . . . . . . . . . 6.3.2 S. als eigene Revisionsstufe zwischen O. und T. . . . . 6.4 Die Einordnung von B. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 6.4.1 Möglichkeiten der Einordnung von B. . . . . . . . . . 6.4.2 B. als Kompilation von O. und T. . . . . . . . . . . . . 6.4.3 B. eine Edition der Versio prior? . . . . . . . . . . . . 6.4.4 Die Sonderstellung von B. . . . . . . . . . . . . . . . . 6.5 Rückschlüsse aus B. auf Lesarten von O. . . . . . . . . . . . 6.5.1 Rechtfertigung des Ansatzes . . . . . . . . . . . . . . 6.5.2 Kontraindikation: Sonderfehler in B. . . . . . . . . . 6.5.3 Gute Sonderlesarten in B. als Zeugen für O. . . . . . 6.5.4 Das Verhältnis zwischen B. und O. . . . . . . . . . . . 6.6 Das Verhältnis zwischen B. und S. . . . . . . . . . . . . . . . 6.7 T. als Fassung letzter Hand der Versio prior . . . . . . . . . . 6.7.1 Das Verhältnis der Revisionen in S. und in T. . . . . . 6.7.2 T. als zweite Vorlage der Fratres in Hippo . . . . . . . 6.8 S. als Arbeitsexemplar des Hieronymus? . . . . . . . . . . .

102 102 103 103 104 105 105 105 107 108 108 111 114 114 115 115 116 117 118 119 120 120 121 122

Kapitel 7: Der Weg zur Versio iuxta Graecos und Versio iuxta Hebraeos . . . 7.1 Die Überbietung der Hexapla in O. . . . . . . . . . . . . . . 7.1.1 Phänomene . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 7.1.2 Deutung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 7.2 Der Schritt von O. zur ersten Revision in S. . . . . . . . . . 7.2.1 Phänomene . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 7.2.2 Deutung im Rückblick auf O. . . . . . . . . . . . . . 7.2.3 Deutung im Vorblick auf die Vulgata . . . . . . . . . 7.2.4 Weitere Motive für die Revision in S. . . . . . . . . . 7.3 Der Schritt von S. zur Endfassung T. . . . . . . . . . . . . . 7.3.1 Feinschliff für die Publikation . . . . . . . . . . . . . 7.3.2 Wiederentdeckung hebräischer Vorlagen . . . . . . .

124 124 124 124 126 126 127 128 130 133 133 133

8

Inhalt

7.3.3 Punktuelle Vorwegnahme der Vulgata in T. . . . . . . 7.4 Die Versio prior im Kontext von Hieronymus’ Übersetzungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 7.4.1 Der Umfang der Serie der Versiones priores . . . . . 7.4.2 Die Reihenfolge der erhaltenen Versiones priores . . 7.4.3 Hieronymus’ Einschätzung seiner Versiones priores . .

134 134 135 137 144

Erster Teil (Kapitel 1–7): Zusammenfassung  . . . . . . . . . . . . . . . . . . 150 Zweiter Teil: Reste von O. außerhalb von Hieronymus’ und Augustins Werken 153 D. Glossen in spanischen Vulgata-Bibeln: Kapitel 8–9 . . . . . . . . . . . . . 153 Vorbemerkungen zu den Kapiteln 8–9 . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 153 Kapitel 8: Die Glossen spanischer Bibeln als Zeugen für O.  . . . . . . . . . 8.1 Die beiden Gruppen von Hiob-Glossen in spanischen Bibeln 8.1.1 Von Ziegler edierte Glossen . . . . . . . . . . . . . . 8.1.2 Von Vattioni publizierte Glossen . . . . . . . . . . . . 8.2 Die zweite Gruppe stammt aus der Versio prior . . . . . . . 8.3 Die zweite Gruppe stammt mindestens teilweise aus O. . . . 8.3.1 Die Glossen stammen nicht aus B. oder S.  . . . . . . 8.3.2 Die Glossen stammen mindestens teilweise aus O. . . 8.4 Glossen mit bisher unbekannten Lesarten der Erstfasssung O. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 8.4.1 Übersetzung hebräischer Vorlagen . . . . . . . . . . . 8.4.2 Konflation hebräischer und griechischer Vorlagen . . 8.4.3 Zitat aus O. gesichert durch Differenz zu S. bzw. T. . . 8.4.4 Zwischenbilanz . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 8.5 Glossen mit Hinweisen auf Doppelübersetzungen in O. . . 8.5.1 Divergenzen zwischen den Glossen selbst . . . . . . 8.5.2 Divergenzen zwischen Glossen und Adnotationes . .

155 155 155 155 157 160 160 162

Kapitel 9: Grenzen für die Rekonstruktion von O. anhand der Glossen . . 9.1 Die Aufgabe . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 9.2 Das Problem einer Abhängigkeit der Glossen von T. . . . . 9.2.1 Das Problem . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 9.2.2 Die Kernstelle . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 9.2.3 Unklare Belege . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 9.3 Einzelanalysen schwieriger Glossen aus O. . . . . . . . . . . 9.4 Glossen mit Besonderheiten . . . . . . . . . . . . . . . . . . 9.5 Mängelliste der Glossen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

192 192 192 192 193 195 199 222 224

164 164 166 169 171 171 171 181

Inhalt

9

E. Der Hiob-Kommentar des Philippus Presbyter: Kapitel 10–12 . . . . . . . 228 Vorbemerkungen zu den Kapiteln 10–12 . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 228 Kapitel 10: Philippus Presbyter als Zeuge für die Erstfassung O. . . . . . . . 10.1 Die Aufgabe . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 10.2 Philippus zitiert die Versio prior des Hieronymus . . . . . . 10.3 Die Zuverlässigkeit der Zitate aus der Versio prior . . . . . 10.3.1 Die Qualität von Philipps Vorlagen . . . . . . . . . . 10.3.2 Die Genauigkeit von Philipps Zitierpraxis . . . . . . 10.4 Philippus’ Zitate entstammen der Erstfassung O. . . . . . . 10.4.1 Keine Sonderlesart geteilt mit S. oder T. . . . . . . . 10.4.2 Sonderlesarten gegenüber der Gruppe S. T. B. . . . . . 10.4.3 Rückschlüsse aus Sonderlesarten von B. . . . . . . . .

229 229 233 239 240 244 249 249 249 252

Kapitel 11: Doppelübersetzungen in O. bei Philippus Presbyter . . . . . . . . 11.1 Die Aufgabe . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 11.2 Vorlagen hebräisch – griechisch . . . . . . . . . . . . . . . . 11.2.1 Basis: Zwei Hauptüberlieferungen . . . . . . . . . . . 11.2.2 Basis: Nebenüberlieferung – Hauptüberlieferung . . 11.2.3 Basis: Zwei Nebenüberlieferungen . . . . . . . . . . . 11.3 Vorlagen hebräisch – hebräisch . . . . . . . . . . . . . . . . 11.4 Vorlagen griechisch – griechisch . . . . . . . . . . . . . . . . 11.5 Vorlagen mit Konflation verschiedener Urtexte . . . . . . . 11.6 Doppelübersetzungen einer einzigen Textvorlage . . . . . .

256 256 257 258 267 269 270 273 274 281

Kapitel 12: Schwierige Philippus-Zitate aus der Erstfassung O. . . . . . . . . 12.1 Die Aufgabe . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 12.2 Doppelübersetzung im Vergleich Philippus – Augustin . . . 12.3 Doppelübersetzung in O. fraglich . . . . . . . . . . . . . . . 12.3.1 Adnotationes zum Vergleich vorhanden . . . . . . . . 12.3.2 Adnotationes fehlen zum Vergleich (Kap. 40–42) . . . 12.4 Intrikate Einzelstellen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 12.5 Fazit zu Kapitel 12 . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

284 284 284 292 292 297 304 310

F. Die Hiob-Kommentare von Julian von Aeclanum und Papst Gregor I.: Kapitel 13–14 . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 311 Vorbemerkungen zu den Kapiteln 13–14 . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 311 Kapitel 13: Spuren von O. im Hiob-Kommentar des Julian von Aeclanum . . 13.1 Die Aufgabe . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 13.2 Der Forschungsstand . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 13.3 Thesen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 13.4 Beweis der Benutzung der Erstfassung O. . . . . . . . . . . . 13.4.1 Vorbemerkungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

312 312 313 315 315 315

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Inhalt

13.4.2 Julian zitiert die Versio prior . . . . . . . . . . . . . . 13.4.3 Julian zitiert die Erstfassung O., nicht S. T. B. . . . . . 13.5 Erste Spuren verlorener Lesarten von O. bei Julian . . . . . 13.6 Weitere Spuren: Übersetzungen aus dem Hebräischen . . . 13.6.1 Vaccari zu Julians „hebraisierenden“ Varianten . . . . 13.6.2 Auseinandersetzung mit Vaccari . . . . . . . . . . . . 13.6.3 Weitere „hebraisierende“ Zitate aus O. bei Julian . . 13.7 Zwischenbilanz zur Rekonstruktion von O. bei Julian . . . . 13.8 Weitere Nachweise aufgrund der Überlieferungslage . . . . 13.9 Nicht sicher nachweisbare Fälle . . . . . . . . . . . . . . . .

316 317 319 321 322 323 326 336 336 337

Kapitel 14: Splitter von O. in den Moralia in Iob Gregors des Großen . . . . 14.1 Die Aufgabe . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 14.2 Vetus Latina-Kontaminationen in Gregors Vulgatatext . . . 14.3 Gregors Zitate aus der Versio prior . . . . . . . . . . . . . . . 14.3.1 Thesen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 14.3.2 Zitate aus der Versio prior generell . . . . . . . . . . . 14.3.3 Zitate aus der Erstfassung O. . . . . . . . . . . . . . .

340 340 342 346 346 346 348

Zweiter Teil (Kapitel 8–14): Zusammenfassung . . . . . . . . . . . . . . . . . 359 Dritter Teil: Spuren von Doppelübersetzungen in O. bei Augustin . . . . . . 361 G. Stellen in den Adnotationes in Iob: Kapitel 15–18 . . . . . . . . . . . . . . 361 Vorbemerkungen zu den Kapiteln 15–18 . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 361 Kapitel 15: Das Ende von Kapitel 7 der Adnotationes  . . . . . . . . . . . . . . 15.1 Die parallelen Auslegungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . 15.2 These . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 15.3 Analyse der einzelnen Lemmata . . . . . . . . . . . . . . . . 15.3.1 Die Lemmata Iob 7, 17a–19b . . . . . . . . . . . . . . 15.3.2 Die Lemmata Iob 7, 20a–21b . . . . . . . . . . . . . .

363 363 366 366 366 371

Kapitel 16: In beiden Rezensionen der Adnotationes überlieferte Belege . . . 16.1 Die Aufgabe . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 16.2 Analyse einzelner Lemmata . . . . . . . . . . . . . . . . . . 16.2.1 Stellen aus der ersten vollständig erhaltenen Passage (Iob 19–21) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 16.2.2 Stellen aus der zweiten vollständig erhaltenen Passage (Iob 27–38) . . . . . . . . . . . . .

381 381 382 382 383

Kapitel 17: Nur in der ω2-Rezension überlieferte Belege . . . . . . . . . . . 401 17.1 Die Aufgabe . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 401 17.2 Variae lectiones als Hinweise auf Doppelfassungen . . . . . 401

Inhalt

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17.3 Nachweis von Doppelfassungen im Licht von B. . . . . . . . 404 17.4 Variae lectiones und Väterzitate als kombinierte Indizien . . 407 17.5 Spannung zwischen Lemma und Auslegung als Indiz . . . . 419 Kapitel 18: Ein locus desperatus in den Adnotationes: Iob 27, 18 . . . . . . . . 18.1 Die Aufgabe . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 18.2 Die Textprobleme der Adnotationes . . . . . . . . . . . . . . 18.2.1 Die Varianten des Lemmas . . . . . . . . . . . . . . . 18.2.2 Der archimedische Punkt . . . . . . . . . . . . . . . . 18.2.3 Die Probleme des Relativsatzes . . . . . . . . . . . . . 18.2.4 Die Probleme des Hauptsatzes . . . . . . . . . . . . . 18.2.5 Eingriffe der Fratres in Augustins Kommentartext . . 18.2.6 Zwischenbilanz: Die drei Fassungen in adn. . . . . . 18.3 Augustins Interpretationen des Lemmas Iob 27, 18 . . . . . 18.3.1 Augustins Interpretation des Hauptsatzes . . . . . . . 18.3.2 Augustins Interpretationen der Relativsätze . . . . . 18.4 Das Lemma Iob 27, 18 in der Versio prior und den Vorlagen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 18.4.1 Das Problem griechischer Vorlagen . . . . . . . . . . 18.4.2 Rekonstruktion der hebräischen Textvorlagen . . . . 18.4.3 Die Übersetzungen des Hieronymus . . . . . . . . . .

423 423 423 423 425 426 430 433 436 437 437 438 438 439 440 445

H. Stellen in De peccatorum meritis: Kapitel 19–21 . . . . . . . . . . . . . . . 448 Vorbemerkungen zu den Kapiteln 19–21 . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 448 Kapitel 19: Die Passage Iob 14, 1–5a in De peccatorum meritis . . . . . . . . 19.1 Der Forschungsstand . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 19.1.1 De Bruyne . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 19.1.2 Bogaert . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 19.2 Neue Hypothese: Auch diese Hiob-Fassung entstammt O. . . 19.3 Überprüfung der Herkunft der einzelnen Teil-Lemmata . . 19.3.1 Analyse der Teil-Lemmata Iob 14, 1–3 . . . . . . . . . 19.3.2 Zwischenbilanz zu den Lemmata Iob 14, 1–3 . . . . . 19.3.3 Analyse der Teil-Lemmata Iob 14, 4–5a . . . . . . . . 19.3.4 Zwischenbilanz zu den Teil-Lemmata Iob 14, 4–5a . . 19.4 Der begrenzte Einfluss der Versio prior bei Hieronymus . .

449 449 449 450 451 453 453 462 463 468 469

Kapitel 20: Die Zitate aus Iob 1–13 in De peccatorum meritis . . . . . . . . . 20.1 Die Aufgabe . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 20.2 Überprüfung der Herkunft der einzelnen Teil-Lemmata . . 20.2.1 Analyse der Verse aus Iob 1 . . . . . . . . . . . . . . . 20.2.2 Analyse der Verse aus Iob 9 . . . . . . . . . . . . . . . 20.2.3 Analyse der Verse aus Iob 13 . . . . . . . . . . . . . . 20.3 Zwischenbilanz zum Hiob-Text in De peccatorum meritis . .

473 473 474 474 479 491 499

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Inhalt

20.3.1 Die Schwächen der Theorie von De Bruyne . . . . . . 499 20.3.2 Ein neues Problem – hebräischer Einfluss in S. . . . . 500 Kapitel 21: Die restlichen Hiob-Zitate in De peccatorum meritis (Iob 14, 16aff.) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 21.1 Die Aufgabe . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 21.2 Analyse der restlichen Verse aus Iob 14 . . . . . . . . . . . . 21.3 Analyse der Verse aus Iob 40 . . . . . . . . . . . . . . . . . . 21.4 Analyse der Verse aus Iob 42 . . . . . . . . . . . . . . . . . . 21.5 Exkurs: Zwei Hiob-Passagen aus orig. an. . . . . . . . . . . . 21.6 Gesamtbilanz zu den Hiob-Zitaten in pecc. mer. . . . . . . . 21.6.1 Die Plausibilität der neuen Hypothese . . . . . . . . . 21.6.2 Der Ertrag der neuen Hypothese für die Rekonstruktion von O. . . . . . . . . . . . . . . . 21.6.3 Zur These einer pelagianischen Hiob-Version (Bogaert) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

502 502 502 508 510 514 518 518 519 520

Dritter Teil (Kapitel 15–21): Zusammenfassung . . . . . . . . . . . . . . . . . 521 Ausblick: Offene Probleme . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 523 1 Exemplarische vs. vollständige Bearbeitung des Materials . . . . . . . . . . 523 2 Identifikation der Textvorlagen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 524 3 Identifikation und Profil der Revisionsstufen . . . . . . . . . . . . . . . . . 524 4 Hieronymus’ Entwicklung als Textkritiker und Hebraist . . . . . . . . . . . 525 5 Die verschiedene Nachwirkung von O. und S. T. B. . . . . . . . . . . . . . . 526 6 Die Doppelübersetzungen in O. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 527 Anhänge A. Kontamination der Versio prior aus der Vulgata? . . . . . . . . . . . . . . 529 B. Das Verhältnis von O. zu den von Ziegler edierten Glossen . . . . . . . . 549 C. Antipelagianische Hiob-Zitate bei Hieronymus (adv. Pelag. 2, 4) . . . . . 563 Bibliographie . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 567 Verzeichnis der Hiob-Zitate . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 583

Vorwort

Bei der folgenden Untersuchung handelt es sich um die überarbeitete Fassung meiner Dissertation, die im Wintersemester 2015/16 dem Fachbereich Philosophie und Geisteswissenschaften der Freien Universität Berlin als Promotionsschrift vorgelegt wurde. Die Disputation fand am 26. Februar 2016 statt. Als theologischer Laie freue ich mich besonders darüber, dass die Arbeit in der Reihe Forschungen zur Kirchen- und Dogmengeschichte erscheinen kann. Dafür gilt den Herausgebern mein verbindlichster Dank. Die Arbeit verdankt das Beste dem jahrelangen intensiven Dialog mit meiner Kollegin und Kommilitonin Almut Trenkler. Die Studie wäre aber nie entstanden, wenn nicht Frau Professor Dr. Therese Fuhrer (jetzt in München) unsere Dissertationen als Doktormutter mit exemplarischer Geduld und Liberalität ermutigt und gefördert hätte. Für die bereitwillige Betreuung in der Abschlussphase und die Übernahme des Erstgutachtens, dank deren ich die Promotion an der Freien Universität Berlin abschließen konnte, danke ich herzlich Frau Professor Dr. Melanie Möller. Allen Genannten verdanke ich außerdem zahlreiche Verbesserungsvorschläge, die in die hier vorgelegte Fassung der Arbeit eingegangen sind. Was dagegen noch an Fehlern, Versehen und Ungenauigkeiten stehen geblieben ist, habe ich allein zu verantworten. Berlin, im November 2016

Gerd-Dietrich Warns

Einleitung: Thema, Forschungsstand, Terminologie, Vorgehen, Ergebnisse

1 Das Thema und sein Kontext 1.1 Das Thema als Teilprojekt Die vorliegende Untersuchung enthält meinen Beitrag zu einem gemeinsamen Forschungsprojekt, dessen andere Ergebnisse bereits von Almut Trenkler in ihrer Dissertation „Die beiden Rezensionen von Augustins Adnotationes in Iob im Licht von Hieronymus’ erster Ijob-Übersetzung“ vorgelegt worden sind1. Beide Abhandlungen ergänzen einander; sie verstehen sich als Vorarbeiten2 zu zwei größeren Vorhaben  – zu Editionen von Augustins Hiob-Kommentar Adnotationes in Iob und von dessen Textvorlage, der ersten Hiob-Übersetzung des Hieronymus. Die beiden Editionsprojekte können nicht getrennt voneinander bearbeitet werden, sondern hängen in komplizierter Weise miteinander zusammen. Der Grund liegt darin, dass jedes der beiden Werke eine ungewöhnlich verwickelte Textgeschichte mit mehreren Entwicklungsphasen durchlaufen hat, die nur zu entschlüsseln ist, wenn man ständig Augustins Kommentar mit seiner Textvorlage vergleicht und umgekehrt die Textvorlage mit Augustins Kommentar. So hat Trenkler durch Vergleiche mit den Hiob-Versionen des Hieronymus nachgewiesen, dass Augustins Adnotationes in Iob nicht mehr in dem Wortlaut erhalten sind, wie sie der Bischof diktiert hat, sondern in zwei verschiedenen, von Mitarbeitern Augustins stark überarbeiteten Rezensionen vorliegen. Meine Arbeit hat spiegelbildlich dazu das doppelte Ziel, durch Vergleiche mit den Lemmata der augustinischen Adnotationes und weiteren patristischen Zitaten die Entstehung und mehrfache Revision von Hieronymus’ erster Hiob-Übersetzung durchsichtig zu machen und die Rekonstruktion von deren nur lückenhaft erhaltener Erstfassung voranzutreiben. Dabei überschneiden sich wieder zwei Problemkreise. Es geht zum einen darum, die starken Divergenzen zwischen den erhaltenen Überlieferungszweigen genetisch zu erklären und die innere Logik der Entwicklung sichtbar zu machen, die den Übersetzer Hieronymus von der Erstfassung schließlich zur Endfassung geführt hat. Das andere Problem besteht darin, die Erstfassung des Hieronymus, die 1 Diss. phil. FU Berlin 2015; jetzt veröffentlicht: Almut Trenkler, Die beiden Rezensionen von Augustins Adnotationes in Iob im Licht von Hieronymus’ erster Ijob-Übersetzung (FKDG 111), Göttingen 2017. 2 Erste Arbeitsergebnisse sind enthalten in unserem Artikel: Almut Trenkler/Gerd-Dietrich Warns, Adnotationes in Iob, in: Karla Pollmann u. a. (Hrsg.), The Oxford Guide to the Historical Reception of Augustine, Oxford 2013, Bd. 1, 155–158.

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Augustin als Textvorlage gedient hat, überhaupt in den Blick zu bekommen: Sie ist nicht direkt überliefert, sondern bisher nur aus den Lemmata der Adnotationes bekannt. Diese Lemmata decken aber bei weitem nicht den gesamten Hiob-Text ab und sind überdies – wie Trenkler exemplarisch nachgewiesen hat – von den Herausgebern der beiden Rezensionen nicht selten umformuliert worden. Deshalb bedürfen Wortlaut, ursprachliche Vorlagen und Charakter dieser Erstfassung vielfach noch der Klärung.

1.2 Der exemplarische Ansatz So wie beide Arbeiten trotz ihrer verschiedenen Ansätze doch dieselben Fernziele vor Augen haben, so stimmen sie auch darin überein, dass sie die Probleme immer nur exemplarisch analysieren. Eine vollständige Untersuchung aller 42 Kapitel des Hiob-Buches würde jeden Rahmen sprengen. Um trotzdem möglichst viel Vergleichsmaterial heranzuziehen, werden in beiden Abhandlungen hauptsächlich jene Stellen analysiert, die nicht nur in früher schon ausgewerteten Handschriften der Adnotationes, sondern in abweichender Fassung auch in den jetzt erstmals erschlossenen Fragment-Codices B/A (dem Inguimbertinus 13 und dem Ashburnhamianus 95)3 tradiert sind. Diese decken etwa 39 % des gesamten Augustin-Textes ab4. Die Beschränkung auf ausgewählte Passagen wird dazu führen, dass sich bei der Weiterarbeit noch vertiefende Einsichten bzw. Korrekturen ergeben werden. Ohnehin wäre die Annahme verfehlt, Hieronymus sei bei einer so komplexen Aufgabe, wie es die Emendation älterer lateinischer Hiob-Übersetzungen mit Hilfe verschiedener Urtexte angesichts unterschiedlicher Lesererwartungen darstellte, immer konsequent verfahren. Schon in der vorliegenden Arbeit sind immer wieder Ausnahmen von den selbstgesetzten Regeln zu beobachten, an die sich Hieronymus normalerweise hält.

2 Der Forschungsstand und die Schwerpunkte der Arbeit Zur Lösung der Probleme, die die Textgeschichte von Augustins Hiob-Kommentar in den Adnotationes aufwirft, sind also ständige Vergleiche mit der ersten HiobÜbersetzung des Hieronymus erforderlich. Deshalb hat bereits Trenkler in ihrer Arbeit die notwendigen Hintergrundinformationen sowohl zu den Adnotationes als auch zu Hieronymus’ Hiob-Übersetzungen bis hin zur Vulgata samt den ursprachlichen Vorlagen zusammengetragen5. Ich kann mich daher in dem folgenden Rückblick auf die bisherige Forschung auf solche Aspekte beschränken, die für meinen

3 Zu diesen Handschriften vgl. Trenkler (2017), Kap. 5–8. 4 Trenkler (2017) 63 mit Anm. 54. 5 Vgl. Trenkler (2017), Kap. 2 und 3 sowie den ausführlichen Anhang.

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Beitrag besonders relevant sind: Hieronymus’ eklektische Methode im Blick auf die Urtexte, damit verbunden die Rolle hebräischer Vorlagen in der ersten Hiob-Version und schließlich die starken Divergenzen zwischen den verschiedenen Textfassungen dieser Hiob-Übersetzung.

2.1 Vorhandene Literatur 2.1.1 Erstfassung und Endfassung der Übersetzung iuxta Graecos Was die Erklärung dieser Divergenzen angeht, so hat erst Trenkler in ihrer Arbeit den Schlüssel zur Lösung gefunden: Sie zeigt, dass die Bearbeiter von Augustins Adnotationes wussten, dass die heute im Codex T. (Turonensis)6 überlieferte Textfassung eine von Hieronymus revidierte Version darstellte, und diese deshalb dazu benutzten, stellenweise die Hiob-Zitate Augustins zu korrigieren, die dieser der Erstfassung O.7 des Hieronymus entnommen hatte. Mit dieser Unterscheidung zwischen der Erstfassung O. und der revidierten Fassung T. hat Trenkler die Tür zu einer genetischen Erklärung der verschiedenen Textüberlieferungen geöffnet. Der vorliegenden Arbeit bleibt damit u. a. die Aufgabe zu untersuchen, wie sich die in den Handschriften S. (Sangallensis)8 und B. (Bodleianus)9 tradierten abweichenden Textformen der ersten Hiob-Übersetzung des Hieronymus zu O. und zu T. verhalten.

2.1.2 Ergebnislose Rekonstruktionsversuche Bisher gingen alle Arbeiten zur ersten Hiob-Übersetzung des Hieronymus von der unausgesprochenen Voraussetzung aus, dass es sich um ein einheitliches Werk handele10. Man nahm an, dass die zahlreichen Varianten auf die Wechselfälle einer langen Überlieferung zurückzuführen seien und dass es somit möglich sein müsse, die Urgestalt dieser Version mit den üblichen Editionsmethoden zu rekonstruieren11. 6 Tours, Bibliothèque municipale 18 (11. Jh.). Vgl. dazu Roger Gryson, Altlateinische Handschriften/Manuscrits vieux latins, Première partie, Freiburg 1999, 247, Nr. 161 sowie für die Bezeichnung als T. Trenkler (2017) 16. 31. 7 O. (für „Original“) ist die von Trenkler (2017) 30 eingeführte Bezeichnung für die Erstfassung von Hieronymus’ erster Hiob-Übersetzung. 8 St. Gallen, Stiftsbibliothek 11 (8. Jh.). Vgl. dazu Gryson (1999) 245, Nr. 160 sowie für die Bezeichnung als S. Trenkler (2017) 16. 31. 9 Oxford, Bodleian Library MS. Auct. E. infra 1 (12. Jh.). Vgl. dazu Gryson (1999) 196, Nr. 132 sowie für die Bezeichnung als B. Trenkler (2017) 16. 31. 10 So noch kürzlich Markus Witte, Job. Das Buch Ijob/Hiob, Einleitung, in: Martin Karrer/ Wolfgang Kraus (Hrsg.), Septuaginta Deutsch. Erläuterungen und Kommentare zum griechischen Alten Testament, Bd. 2, Stuttgart 2011, 2041–2066, hier 2044, Anm. 13. In Wittes Bibliographie (S. 2059) wird nur Lagardes Edition der Handschrift B. genannt; Hinweise auf S. und T. fehlen. 11 Vgl. Trenkler (2017) 17. Signifikant ist die Äußerung Bogaerts (2012) 76: Nachdem er die drei Handschriften der ersten Hiob-Übersetzung des Hieronymus aufgezählt hat, fügt er hinzu: „Les citations d’Augustin dans les Annotationes in Iob sont abondantes et doivent être prises en con-

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An dieser Aufgabe sind jedoch alle bisherigen Bearbeiter – Lagarde, Caspari, Beer und Erbes – gescheitert. Lagarde, Caspari, Beer Lagarde, der in seiner Ausgabe von B.12 nur T. zum Vergleich heranzog, weil er S. noch nicht kannte und die Lemmata bei Augustin nicht berücksichtigte, ließ sogar den fertigen Satz seiner Rekonstruktion wieder umbrechen, weil er ihn als ungenügend erkannte13, und äußerte nur die Hoffnung, anhand seiner Publikation werde „ – mit Hülfe recht vieler anderer Zeugen – vielleicht einmal mehr gewonnen werden können.“14 Caspari verglich in den Prolegomena seiner Ausgabe von S.15 mit erheblichem Aufwand die Lesarten bei Augustin sowie in den Codices S., T. und B.16, verzichtete aber stillschweigend auf zusammenfassende Folgerungen für die Textgeschichte. Auch Beer17 begnügte sich mit (sehr interessanten) Einzelbeobachtungen vor allem zu Hieronymus’ Verfahren, Elemente verschiedener hebräischer und griechischer Textvorlagen zu verschmelzen, und schloss seine Serie von drei Aufsätzen mit der skeptischen Frage: „Wird es je dazu kommen, dass wir eine kritische Ausgabe von des Hieronymus Übertragung des griechischen Hiob erhalten?“18 Erbes Erbes schließlich, der in seiner Dissertation19 eine solche Edition unternahm, äußerte sich nicht zu den Verhältnissen zwischen den verschiedenen Textüberlieferungen, sondern erstellte ohne methodische Vorklärung einen Mischtext vor dem Hintergrund griechischer und hebräischer Textvorlagen, die Hieronymus möglicherweise benutzt hat. Im Licht von Trenklers Forschungsergebnissen beruht seine Ausgabe also von vornherein auf falschen Voraussetzungen.

sidération par tout éditeur.“ Vgl. auch noch im ähnlichen Sinn S. 82, wo neben den Adnotationes Augustins auch noch die Expositiones des Philippus Presbyter als wichtiger Zeuge genannt werden. 12 Paul de Lagarde, Des Hieronymus Uebertragung der griechischen Uebersetzung des Iob (Mittheilungen, Band 2), Göttingen 1887, 189–237. 13 Lagarde (1887) 192. 14 Lagarde (1887) 192. 15 Carl Paul Caspari, Das Buch Hiob (1, 1- 38, 16) in Hieronymus’s Uebersetzung aus der alexandrinischen Version nach einer St. Gallener Handschrift (Christiania Videnskabs-Selskabs Forhandlinger 1893. No. 4), Christiania 1893. 16 Caspari (1893) 30–48. 17 Georg Beer, Textkritische Studien zum Buche Job, Zeitschrift für die Alttestamentliche Wissenschaft 16–18, 1896–1898, 297–314; 97–122; 257–286. 18 Beer (Studien 1898) 286.- Auch Paul Dhorme, Le Livre de Job, Paris 21926, CLXV verzichtet in seinem weit ausgreifenden Kommentar auf eine Erklärung der Divergenzen zwischen den drei Codices des Hieronymus: „Pour les divergences entre les trois manuscrits de la version hiéronymienne, nous nous contentons de les signaler dans le commentaire“. 19 Peter Joseph Erbes, Die Job-Übersetzungen des hl. Hieronymus, Diss. theol. Freiburg i. Br. 1950.

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Trotzdem hat seine Arbeit ihre Verdienste: Wie schon Caspari20 und Beer21, so erkennt auch Erbes durchweg als selbstverständlich an, dass Hieronymus neben verschiedenen griechischen Textvorlagen auch in seiner ersten Hiob-Übersetzung schon in großem Umfang den hebräischen Urtext benutzte22. Er hebt zu Recht hervor, dass Hieronymus diese Vorlagen rein eklektisch ausgewertet hat23. Allerdings bemüht er sich nicht um eine Erklärung, sondern äußert nur sein Unverständnis für Hieronymus’ Vorgehen24. Interessant ist ferner Erbes’ Verfahren, durch schwarze Unterstreichungen im Text darauf hinzuweisen, dass Versio prior und Vulgata eine große Anzahl von übereinstimmenden Formulierungen enthalten25. Erbes schließt daraus, dass Hieronymus die Versio prior letztlich nur als Vorstufe zu seinem Vulgata-Unternehmen angesehen habe26. Ein nützliches Hilfsmittel ist schließlich der Wortindex, den Erbes im Anhang beigegeben hat27, und der zumindest den Wortschatz seiner Ausgabe erschließt28.

2.1.3 Die Suche nach Hieronymus’ griechischen Vorlagen Gailey, dessen Dissertation kurz vor Erbes’ Arbeit erschien29, setzte andere Schwerpunkte. Er ist primär daran interessiert, den Text des Hieronymus für die Frage auszuwerten, welche griechischen Vorlagen der Kirchenvater benutzte und welche Lesarten diese Vorlagen enthielten. Auch Gailey geht also von der Einsicht aus, dass die Versio prior des Hiob auf mehreren griechischen Textvorlagen basierte. Dazu legt er eine detaillierte Bestandsaufnahme der verfügbaren Zeugen vor30 und versucht auf dieser Basis, die beteiligten Textformen zu identifizieren und ihren jeweiligen Einfluss abzugrenzen31. Auch Gailey betont zu Recht, dass Hieronymus mit

20 Caspari (1893) 43–48. 21 Beer (Studien 1896–1898) passim. 22 Erbes (1950) passim. 23 Erbes (1950) 141. 143. 154. 156. 24 Erbes (1950) 156 kann „keine sachlichen Begründungen“ dafür erkennen, warum Hieronymus teils dem hebräischen Text und teils der LXX folgt. 25 Erbes (1950) 17–124. 26 Erbes (1950) 141. 143. 154. 156. 27 Der Wortindex folgt nach Seite 229; er ist als Seiten 1–34 separat paginiert. 28 Vermutlich bedingt durch die schwierigen Verhältnisse der Nachkriegszeit ist Erbes’ Edition rein technisch nur schwer zu benutzen. Maschinenschriftlicher Text und meist handschriftlicher Apparat stehen vielfach nicht auf derselben Seite. Viele Seiten sind nicht paginiert; die Seiten 148–149 sind bei der Paginierung übersprungen, so dass S. 150 direkt an S. 147 anschließt. Die auf S. 15 angekündigten roten Unterstreichungen, die die Abweichungen von der LXX nach Rahlfs markieren sollen, sind im Exemplar der UB Tübingen nur auf den ersten beiden Textseiten (S. 17–18) vorhanden. 29 James Herbert Gailey, Jerome’s Latin Version of Job from the Greek. Chapters 1–26, its Text, Character and Provenance, Th.D. thesis Princeton 1945. 30 Gailey (1945) 8–12. 23–43. 31 Gailey (1945) 86–143.

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seinen zahlreichen griechischen Textvorlagen rein eklektisch umgegangen ist32. Allerdings belässt auch er es bei dieser Feststellung, ohne eine Erklärung des Phänomens zu versuchen. Obwohl Gailey in erster Linie nach den Quellen des Hieronymus fragt, stellt er zugleich eine ganze Reihe von gewagten Thesen auf, die die Textgeschichte der Versio prior und der Adnotationes Augustins betreffen. So lässt er in der Schwebe, ob Hieronymus den von ihm übersetzten griechischen Mischtext bereits in einer einzigen Vorlage vorfand oder erst selbst aus diversen Handschriften zusammenstellte33. Weil er ganz auf die griechischen Vorlagen fixiert ist, rechnet er nur in Ausnahmefällen damit, dass Hieronymus sich direkt auf das Hebräische bezog34. Vor allem will Gailey die großen Abweichungen zwischen den einzelnen Codices von Hieronymus’ erster Hiob-Übersetzung mit der Hypothese erklären, diese Handschriften seien im Verlauf der weiteren Überlieferung vielfach mit anderen Lesarten kontaminiert worden, und zwar sowohl aus griechischen Handschriften35 als auch aus der Vulgata36. Auch Augustin habe in den Adnotationes stellenweise die Fassung des Hieronymus nach griechischen Vorlagen verändert37, und abweichende Lesarten der Adnotationes seien später in die Textüberlieferung von Hieronymus’ Version eingedrungen38. Wie sich im Verlauf der vorliegenden Arbeit erweisen wird, sind diese Thesen Gaileys m. E. in der Mehrzahl verfehlt; richtig ist allein – und auch das nur partiell – der Hinweis auf möglichen Vulgata-Einfluss auf die Handschriften von Hieronymus’ erster Hiob-Übersetzung39.

2.1.4 Nachweise von Kirchenväterzitaten Seit Gailey und Erbes war die Arbeit an Hieronymus’ erster Hiob-Übertragung für mehrere Jahrzehnte zum Erliegen gekommen. Untersucht wurde nur ihre Benutzung durch verschiedene lateinische Kirchenväter.

32 Gailey (1945) 102 formuliert in seiner Zusammenfassung: „The result of this survey is to show how eclectic was Jerome’s handling of the Hexapla.“ Vgl. noch S. 138. 143. 33 Gailey (1945) 135–136. 34 So zu Iob 16, 13: Gailey (1945) 55; vgl. noch S. 80 zu Iob 13, 12 und S. 81 zu Iob 13, 23. In der Regel nimmt Gailey an, dass die Übereinstimmungen mit dem Hebräischen indirekt über die Hexapla durch Benutzung der Übersetzungen des Aquila, Symmachos oder Theodotion zu Stande kamen: so besonders S. 96–99 unter der Überschrift „Apparent Agreements of Hier. with the Hebrew Text“. Ähnlich noch S. 87. 89. 101–102. 35 Gailey (1945) 50–59. 60. 36 Gailey (1945) 45–49. 51. 59; 89. 37 Gailey (1945) 53 zu Iob 9, 8; S. 54 zu Iob 13, 6; S. 55 zu Iob 16, 13 und 16, 18; S. 56 zu Iob 21, 19; S. 65 zu Iob 16, 13. 38 Gailey (1945) 60–61 zu Iob 1, 5; S. 60. 67 zu Iob 26, 7; S. 63 zu Iob 9, 31; S. 65 zu Iob 17, 5 und 18, 10; S. 66 zu Iob 23, 8; S. 67 zu Iob 26, 10. 39 Vgl. dazu unten Anhang A: Kontamination der Versio prior aus der Vulgata?

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Diese Frage wurde ursprünglich schon von Samuel Berger aufgeworfen. Er wies 1895 darauf hin, dass drei spanische Vulgata-Bibeln zahlreiche Randglossen aus dieser Version enthielten40, begnügte sich jedoch mit der unkommentierten Publikation von nur neun Beispielen41. Salmon wies 1951 auf einige Splitter in den Moralia Gregors des Großen hin42. Vaccari machte 1958 darauf aufmerksam, dass Philippus Presbyter „innumerevoli volte“ die erste Hiob-Übersetzung des Hieronymus zitiere43. La Bonnardière publizierte 1960 ihre Sammlung der Hiob-Zitate bei Augustin44, die neuerdings durch die Indices biblischer Zitate im elektronischen Corpus Augustinianum Gissense (CAG)45 ergänzt werden. Ziegler nahm 1982 in der Einleitung zu seiner Ausgabe der Hiob-Septuaginta erste Korrekturen an Vaccaris These zu Julian von Aeclanum vor46, führte Salmons Hinweise auf Gregor den Großen weiter47 und fügte ausführliche Nachweise aus dem Kommentar des Philippus Presbyter hinzu48. Erst 1996 hat dann Vattioni die schon von Berger genannten Glossen aus drei spanischen Bibeln publiziert49 und weitere Belege aus Philippus Presbyter nachgewiesen50, ohne allerdings sein Material für die Hieronymus-Forschung auszuwerten. In den letzten Jahren wurden in Aufsätzen noch einzelne Zitate bei Augustin nachgetragen51. Schließlich hat 2012 Bogaert darauf aufmerksam gemacht, dass auch Orosius, Johannes Cassianus, Eucherius von Lyon, Quodvultdeus und Fulgentius von Ruspe die erste Hieronymus-Übersetzung des Buches Hiob kannten und in freilich sehr verschiedenem Umfang neben der Vul-

40 Samuel Berger, Notice sur quelques textes latins inédits de l’Ancien Testament, in: Notices et extraits des manuscrits de la Bibliothèque Nationale et autres bibliothèques 34/2, Paris 1895, 119–152, dort 132–133.– In Grysons Katalog (1999) finden sich die kodikologischen Details zu diesen Glossen auf S. 248, Nr. 162, S. 314–315, Nr. 193 und S. 317, Nr. 194 A. 41 Berger (1895) 133. 42 Pierre Salmon, Le texte de Job utilisé par s. Grégoire dans les „Moralia“, in: Miscellanea Biblica et Orientalia Athanasio Miller Oblata, Rom 1951, 187–194. 43 Alberto Vaccari, Scritti di erudizione e di filologia 2: Per la storia del testo e dell’esegesi biblica (Storia e Letteratura 67), Rom 1958, 107. 44 Anne-Marie La Bonnardière, Biblia Augustiniana, A. T. 2 – Livres historiques, Paris 1960; zu Hiob: S. 109–172. 45 CAG 2. Corpus Augustinianum Gissense a Cornelio Mayer editum, CD mit Handbuch, Basel 2004. Seit 2013 steht auch eine kostenpflichtige Version 3.0 auf Abonnementsbasis im Internet. 46 Joseph Ziegler, Einleitung, in: ders. (ed.), Septuaginta. Vetus Testamentum Graecum, Auctoritate Academiae Scientiarum Gottingensis editum, vol. XI, 4: Iob, Göttingen 1982; darin zu Julian von Aeclanum: S. 23–25. 47 Ziegler (1982) 31–32. 48 Ziegler (1982) 28–31. 49 Francesco Vattioni, Per il testo di Giobbe, Annali del Istituto Universitario Orientale, Supplemento 89, Neapel 1996, 25–29.– Vattionis Publikation kam zu spät, um noch von Roger Gryson in seinem Katalog Altlateinische Handschriften/Manuscrits Vieux Latins, Répertoire descriptif, Première partie, Freiburg 1999 berücksichtigt werden zu können. 50 Vattioni (1996) 14–15 und 30–32. 51 Vgl. die Bibliographie bei Bogaert (2012) 79, Anm. 94–97.

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gata zitierten52. Indirekt wurde und wird die Suche nach Zitaten dieser Hiob-Übersetzung bei den Kirchenvätern durch das Beuroner Vetus Latina-Institut gefördert, das die Hiob-Zitate der neu publizierten Väter-Ausgaben kontinuierlich in seine umfassende Belegsammlung einfügt53. (Eine Edition des Buches Hiob ist jedoch noch nicht in Arbeit.) Alle genannten Autoren begnügen sich mit dem Nachweis der bloßen Tatsache, dass (und ggfs. auch welche) Zitate aus der ersten Hiob-Übersetzung des Hieronymus bei anderen Kirchenvätern vorliegen. Eine Auswertung der Funde zum genaueren Verständnis und zur Rekonstruktion von Hieronymus’ Übersetzung hat man bisher nicht unternommen. Vor allem hat man noch keinen Anlass gesehen zu fragen, welche Auflagen dieser Übersetzung den einzelnen Vätern als Quellen dienten. Man hat nämlich die Unterschiede zwischen den drei Hieronymus-Codices S., T. und B. bisher nicht als Hinweise darauf wahrgenommen, dass diese Übersetzung in verschiedenen Fassungen vorliegt. Immerhin hat Ziegler der Suche nach spezifischen Bezügen dadurch vorgearbeitet, dass er in seinem Apparat zwischen divergierenden Lesarten der drei Hieronymus-Codices differenziert54.

2.2 Schwerpunkte der vorliegenden Arbeit 2.2.1 Profil und Verhältnis der verschiedenen Textfassungen Eine grundsätzlich neue Perspektive zur Erschließung der ersten Hiob-Übersetzung des Hieronymus hat erst Trenkler mit ihrer Unterscheidung zwischen O. als Erstfassung und T. als revidierter Version eröffnet. Die vorliegende Arbeit greift diesen Impuls auf und versucht, die Textvorlage O. der augustinischen Adnotationes genauer in den Blick zu bekommen. Dazu muss nicht nur die Erstfassung O. von der späteren Fassung T. unterschieden, sondern auch geklärt werden, in welchem Verhältnis O. zu den in den Hieronymus-Codices überlieferten Fassungen S. und B. steht. Um ferner verlorene Partien der Erstfassung O. ggfs. aus der indirekten Überlieferung rekonstruieren zu können, ist jedes Mal zu prüfen, wieweit die einschlägigen Glossen und die Zitate bei anderen Kirchenvätern überhaupt auf die Erstversion O. und nicht etwa auf spätere, revidierte Fassungen zurückgehen. Man könnte denken, dass diese Klärung durch einen schnellen Vergleich mit der direkten Überlieferung in den Codices S., T. und B. möglich sein müsse. Berger etwa war sich sicher, der Text der von ihm für die Forschung entdeckten Glossen sei „presque iden-

52 Pierre-Maurice Bogaert, Job Latin chez les Pères et dans les Bibles, Revue Bénédictine 122, 2012, 48–99 und 366–393, hier 80–81 und 88 (Quodvultdeus). 53 Eine CD-Rom mit dem Stand von 2002 wurde von Brepols, Turnhout 2002 publiziert (in der FU Berlin als elektronische Datenbank unter dem Titel Vetus Latina zugänglich). Seit neuestem (2015) steht auch eine kostenpflichtige Ausgabe im Internet. 54 Die drei Hieronymus-Codices S., T. und B. werden von Ziegler mit den Sigla Laγ, Laμ und Laβ bezeichnet: Vgl. Ziegler (1982) 38.

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tique“ mit den Lesarten der Hieronymus-Codices Turonensis und Bodleianus55; deshalb meinte er, seine Erstveröffentlichung auf wenige Proben beschränken zu können. Erst die Praxis zeigt, dass solch pauschales Urteil in die Irre geht. Weiterführend ist nur mühsame Detailarbeit, die auch nicht immer zu eindeutigen Lösungen führt. Trenkler hat exemplarisch gezeigt, wie sich in den Adnotationes ursprüngliche Lesarten von O. von revidierten Lesarten aus T. unterscheiden lassen. Auf der Basis ihrer Ergebnisse versuche ich im Folgenden, das je charakteristische Profil vor allem der Versionen O. und T., aber auch von S. und B. herauszuarbeiten. In dieser Weise hoffe ich auch den unterschiedlichen Motiven auf die Spur zu kommen, die Hieronymus bei der Arbeit an der Erstfassung O. und bei seinen Revisionen geleitet haben.

2.2.2 Doppelübersetzungen und Variae lectiones Im Verlauf meiner Arbeit haben sich immer weitere Beobachtungen zu zwei Phänomenen ergeben, auf die ebenfalls schon Trenkler aufmerksam gemacht hat – Doppelübersetzungen in der Erstfassung O.56 und Variae lectiones im Hyparchetypos des ω2-Fraters57. Zahlreiche Variae lectiones in spätantiken Musterexemplaren, die zur Veröffentlichung bestimmt waren, sind auch sonst nichts Ungewöhnliches58. Dagegen mag die These, dass Hieronymus’ Erstfassung O. viele Doppelübersetzungen enthielt, auf den ersten Blick wenig plausibel erscheinen, ist aber angesichts der Faktenlage m. E. nicht zu leugnen59. Nun unterscheiden sich Doppelübersetzungen von sonstigen Autorenvarianten durch ihren Bezug auf ursprachliche Vorlagen. Gerade in der Versio prior des Hieronymus sind sie oft mit Sicherheit nachweisbar, weil sich Hieronymus dort auf mehrere hebräische und griechische Vorlagen bezieht60, die häufig signifikante Unterschiede aufweisen. Wenn sich also in jüngster Zeit die Stimmen mehren, die davor warnen, in antiken Texten vorschnell Autorenvarianten zu diagnostizieren61, treffen diese berechtigten Bedenken zumindest nicht auf solche Übersetzungs 55 Berger (1895) 133. 56 Trenkler (2017) 124–134. 57 Trenkler (2017) 200 (zu Beleg 10) und 273–274. 58 Vgl. Pasquali (1962) 429 und 432 zu den Archetypoi der Iuvenal- und Lucan-Überlieferung und Weber (2010) 572 zu Augustins erst postum publiziertem Werk Contra Iulianum opus imperfectum. 59 Siehe dazu Pasqualis wegweisende Warnung (1962) 419–420: „le ‚varianti d’autore‘ sono l’ultima ratio della critica testuale, e non è lecito ricorrere a esse, finchè le divergenze si possano spiegare in qualsiasi altro modo.“ Nicht weniger bedenkenswert ist aber auch seine Feststellung S. 438: „Ma peggiori nemici della verità sono gli scettici, quelli qui scrollano le spalle anche dinanzi a doppie redazioni cosi evidenti come in Eusebio, rimaste così distinte nella tradizione come in Ausonio.“ 60 Vgl. Trenkler (2017) 25–26. 61 Vgl. Deufert (2005) 223 mit Anm. 5; ders. (2008) 69, Anm. 31 und vor allem Weber (2010).

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varianten zu, die auf verschiedene Vorlagen zurückgehen. Besonders sicher ist die Diagnose bei Lesarten, denen unterschiedliche hebräische Texte zugrunde liegen; denn aus dem Hebräischen hat zu seiner Zeit nur Hieronymus ins Lateinische übersetzt. Wie sich also aus der Überlieferung ergibt, hat Hieronymus in seiner Erstfassung O. vielfach Doppel- oder sogar Mehrfachübersetzungen seiner Vorlagen vorgeschlagen, die sich entweder direkt oder auch vielfältig gebrochen und verschieden kombiniert in den Zitaten anderer Kirchenväter widerspiegeln. Desgleichen hat der ω2-Frater, der Augustins Adnotationes als Erster für die Publikation bearbeitete62, an zahlreichen Stellen seines Hyparchetypos Variae lectiones geboten. Diese wurden in der ω2-Linie teilweise über lange Zeit tradiert und sind in den erhaltenen Handschriften an der gespaltenen Überlieferung in sonst zusammengehörigen Codexgruppen erkennbar. Hier wird wieder die Interdependenz zwischen der Analyse der Versio prior des Hieronymus und der Arbeit an den beiden Rezensionen der augustinischen Adnotationes deutlich: Ohne die in den beiden Hyparchetypoi teils verschieden überlieferten Lemmata der Adnotationes lässt sich die Textentwicklung der Versio prior oft nicht vollständig rekonstruieren. Umgekehrt erklärt m. E. erst das Beispiel und Vorbild der Mehrfachübersetzungen des Hieronymus in der Erstfassung O. die zahlreichen Variae lectiones in der Rezension des ω2-Fraters. In der vorliegenden Arbeit geht es primär um Variae lectiones in den Hiob-Lemmata. Diese spiegeln in der Regel Doppelfassungen in O. wider, die der ω2-Frater übernommen hat. Für eine künftige Edition der Adnotationes sind darüber hinaus auch Variae lectiones von Interesse, die der ω2-Frater in Augustins erklärenden Anmerkungen bietet. Sie gehen vermutlich auf schwer entzifferbare Stellen in den beiden Schriftstücken zurück, die der ω2-Frater bereits vorfand, also in dem Stenogramm von Augustins mündlichen Erklärungen und in dessen erster, von Augustin nicht mehr korrigierter Übertragung in normale Schrift, d. h. im Archetypos ω der Adnotationes63. Trenkler hat m. E. Recht mit der Vermutung, der hohe Anteil von verwirrenden Variae lectiones im ω2-Hyparchetypos sei einer der Gründe gewesen, warum der ω1-Frater seine eigene Rezension schuf, die keine­ Variae lectiones mehr enthielt64.

62 Vgl. Trenkler (2017) 273–274. 63 Vgl. für die verschiedenen Arbeitsgänge Trenkler (2017) 109, Anm. 11 und 118–119 mit weitergehenden Verweisen. Eigene Autoren- oder besser Bearbeitervarianten des ω2-Fraters scheint es dagegen nicht zu geben: Wenn er nach eigenem Urteil in einen Text eingriff, entschied er sich für nur eine Lesart. Vgl. dazu Trenkler (2017) 208–225; vgl. 274. 64 Vgl. Trenkler (2017) 273–274

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2.2.3 Hieronymus’ Benutzung griechischer und hebräischer Texte Als weiterer entscheidender Gesichtspunkt zum Verständnis der Versio prior, was sowohl die Doppelübersetzungen in O. als auch die Motive für die folgenden Revisionen bis zur Endfassung T. betrifft, erweist sich immer wieder Hieronymus’ Umgang mit seinen griechischen und hebräischen Vorlagen. Dass Hieronymus bei seinen frühen Revisionen von Vetus Latina-Versionen neben verschiedenen griechischen Texten vor allem der Hexapla auch schon das Hebräische herangezogen hat, wurde nach ersten Hinweisen von Bickell65 bereits von Caspari, Beer und Erbes an diversen Details nachgewiesen und wird in allgemeiner Form auch in der neueren Überblicksliteratur referiert66. Eine genauere Untersuchung fehlt. Einen interessanten Impuls hat in diesem Zusammenhang Fürst gegeben. Er schreibt über Hieronymus’ erste Hiob-Übersetzung67: „Er hat zwar wahrscheinlich auch dabei schon zur Kontrolle Einblick in den hebräischen Urtext genommen und oft sogar danach übersetzt. Wie auch immer man sich das aber genauer vorzustellen hat68, im Grunde ist seine erste Iob-Revision eine Übersetzung der Textgestalt der hexaplarischen Septuaginta gewesen.“ Die von Fürst formulierte und bisher unbeantwortete Frage, wie man sich Hieronymus’ Benutzung des hebräischen Textes in seiner ersten Hiob-Übersetzung – seit Trenkler genauer: in den verschiedenen Fassungen dieser ersten Hiob-Übersetzung – konkret vorzustellen habe, spielt in der vorliegenden Arbeit eine besondere Rolle. Deshalb sei hier vorab auf zwei Punkte hingewiesen. An nicht wenigen Stellen ist zu vermuten, dass die hebräischen Textvorlagen der LXX oder des Hieronymus nicht mit dem masoretischen Text übereinstimmten69. Ich bin mir der methodischen Risiken bewusst, mit denen alle Versuche behaftet sind, solche hebräischen Vorlagen durch Retroversionen aus dem Griechischen oder Lateinischen zu rekonstruieren70. Vorsicht ist in besonderem Maße bei der 65 Gustav Bickell, De indole ac ratione versionis Alexandrinae in interpretando libro Jobi, Diss. phil. Marburg 1862, 34–35. 66 Vgl. außer den Zitaten bei Trenkler (2017) 25, Anm. 58 noch Alfons Fürst, Veritas Latina. Augustins Haltung gegenüber Hieronymus’ Bibelübersetzungen, Revue des études augustiniennes 40, 1994, 105–126, hier 107–108 mit Anm. 6 sowie dessen spätere Einleitung zu seiner zweisprachigen Ausgabe Augustinus – Hieronymus, Epistulae mutuae/Briefwechsel, Lateinisch-Deutsch, 2 Bde. (Fontes Christiani 41/1–2), Turnhout 2002, 9–93, dort 55 mit Anm. 143. Fürst beruft sich an beiden Stellen auf Erbes. 67 Fürst (1994) 107–108 mit Anm. 6. 68 Die Hervorhebung stammt von mir. 69 Harry M. Orlinsky, Studies in the Septuagint of the Book of Job, Hebrew Union College Annual 28, 1957, 53–74, hier 53–54 vermerkt dies als eins der Hauptprobleme im LXX-Hiob: „There are very many instances in which the Septuagint text does not appear to correspond to the masoretic Hebrew text.“ 70 Vgl. Staffan Olofsson, The LXX Version (Coniectanea Biblica, Old Testament Series 30), Stockholm 1990, 65–74 sowie Emanuel Tov, Der Text der Hebräischen Bibel, Stuttgart-BerlinKöln 1997, 98. 101–103. 107–112; kurz auch Michael Tilly, Einführung in die Septuaginta, Darmstadt 2005, 60–62 und Alexander Achilles Fischer, Der Text des Alten Testaments, Stuttgart 2009,

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Rückübersetzung von freien Übersetzungen geboten71, wie sie vielfach gerade in der LXX-Fassung des Buches Hiob72 und oft auch bei Hieronymus vorliegen, der im Zweifelsfall eher de sensu übersetzt73. Trotzdem kann man diesen Problemen nicht einfach ausweichen, wenn man verstehen will, wie die Übersetzungen des Hieronymus zustande kamen74. Alle folgenden Erörterungen beanspruchen nicht, das Richtige zu treffen, sondern sollen zunächst einmal nur auf Probleme aufmerksam machen. Ob im Einzelfall die erwogenen Lösungen überzeugen, muss ich dem Urteil der Spezialisten überlassen. In der Regel lässt sich die Herkunft solcher Lesarten nicht klären: Hieronymus kann sie in einer Schriftrolle vorgefunden, von einem jüdischen Berater entlehnt, von einem Sekretär, der sich beim Vorlesen geirrt haben mag, übernommen oder schließlich selbst entwickelt haben – sei es aufgrund eines Lese- bzw. Hörfehlers oder sei es als bewusste Konjektur. Ich verzichte deshalb in solchen Fällen auf fruchtlose Spekulationen. Einem weiteren möglichen Missverständnis muss ich hier vorbeugen: Meine Arbeit versteht sich nicht als Beitrag zur Septuaginta-Forschung. Deshalb verlässt sie sich für alle die LXX bzw. Hexapla betreffenden Details auf Zieglers große HiobAusgabe von 198275. Für mein Teilziel, die Arbeitsweise des Hiob-Übersetzers Hie229. Speziell zum Buch Hiob: Orlinsky, Studies in the Septuagint of the Book of Job, Hebrew Union College Annual 35, 1964, 57–78, hier 57–58. 71 Olofsson (1990) 71–72; Tov (1997) 108. 72 Vgl. Trenkler (2017) Anhang 295 mit Anm. 20. 73 Vgl. Trenkler (2017) 26. 74 Hervé Tremblay, Job 19, 25–27 dans la Septante et chez les Pères Grecques (Études Bibliques, Nouvelle série. No 47), Paris 2002, 63–95 zeichnet die kontroversen Debatten über die Frage nach, wieweit abweichende Fassungen in der Hiob-LXX auf andere hebräische Vorlagen als den masoretischen Text zurückschließen lassen. Dabei arbeitet er heraus, dass die griechischen Übersetzer des Hiob keinen festen Regeln folgten, sondern sehr flexibel vorgingen. Er lehnt deshalb auch die simple Unterscheidung zwischen einer wörtlichen und einer freien Übersetzung ab (S. 98–102) und plädiert insgesamt (S. 95–110) für eine methodische via media, die – ohne mit Patentlösungen zu rechnen – jeden Einzelfall zunächst für sich betrachtet. Diesem pragmatischen Ansatz schließe ich mich an. 75 Die am Southern Baptist Theological Seminary, Louisville entstandenen Dissertationen von Nancy T. Woods, A Critical Edition of the Hexaplaric Fragments of Job: Chapters 1–21, 2009 und John D. Meade, A Critical Edition of the Hexaplaric Fragments of Job: Chapters 22–42, 2012, lagen mir leider erst bei der Fahnenkorrektur vor, so dass eine detaillierte Auseinandersetzung nicht mehr möglich war. Der Schwerpunkt beider Arbeiten liegt auf der Sammlung des griechischen und orientalischen Materials. Was jedoch die Aufarbeitung der lateinischen Spuren der hexaplarischen Hiob-Version betrifft, bringen beide Arbeiten keinen Fortschritt über Ziegler hinaus. Wie Ziegler sehen sie nicht, dass die Differenzen zwischen den Hieronymus-Codices S. T. B. auf Revisionen des Übersetzers Hieronymus zurückgehen; wie Ziegler gehen sie von der irrigen Voraussetzung aus, als seien die Hiob-Lemmata in den Adnotationes ohne wesentliche Varianten überliefert. In gewisser Hinsicht bleiben sie sogar hinter Ziegler zurück: So erwecken sie wieder den schon von Caspari (den sie ebenso wenig zitieren wie Lagarde, Beer, Gailey oder Erbes) widerlegten Eindruck, als sei die Versio prior des Hieronymus eine im Wesentlichen getreue Wiedergabe der hexaplarischen Fassung des Origenes; sie zitieren diese erste Hiob-Übersetzung des Kirchenvaters nur nach Migne (also in der Fassung T. nach der Ausgabe von Vallarsi), ohne die

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ronymus genauer zu verstehen, reicht der Nachweis aus, dass der Kirchenvater eine ganze Reihe verschiedener griechischer Textvorlagen nebeneinander benutzt hat. Ich habe nicht versucht, diese genauer zu identifizieren, wie es etwa Gailey unternommen hat und wie man nun anhand von Zieglers Ausgabe auf breiterer Basis erneut versuchen könnte. Die vorliegende Arbeit begnügt sich deshalb mit Blick auf die LXX mit derselben groben Unterscheidung zwischen „Hauptüberlieferung“ und „Nebenüberlieferungen“, die bereits Trenkler in ihrer Dissertation angewandt hat. Als „Hauptüberlieferung“ gilt der Text, den Ziegler in seiner Edition bietet – also die Rekonstruktion der ursprünglichen LXX sowie die Zusätze sub asterisco in der Hexapla. Unter dem Begriff „Nebenüberlieferungen“ werden alle Varianten aus Zieglers erstem Apparat zusammengefasst.

3 Zur Terminologie Auch abgesehen von den Hinweisen auf die LXX verwende ich dieselbe Zitierweise und Terminologie wie Trenkler. Was Hieronymus betrifft, so bezeichnen wir seine erste Hiob-Übersetzung im Unterschied zum Vulgata-Hiob76 als Versio prior77; der Plural Versiones priores bezieht sich entsprechend auf die Gruppe der frühen Bibelübersetzungen, die Hieronymus vor der Vulgata hauptsächlich auf der Basis von Origenes’ Hexapla angefertigt hat78. Das Sigel O. (für Original) bezeichnet die (in direkter Überlieferung nicht mehr erhaltene) Erstfassung der Versio prior, die Augustin in den Adnotationes kommentierte79. Mit den Sigeln S., T. und B. wird in der Regel nicht auf die mittelalterlichen Codices Sangallensis 11, Turonensis 18 und Bodleianus MS. Auct. E. infra 180 verwiesen, sondern auf die von ihnen (natürlich nicht ohne Fehler) bezeugten verschiedenen, auf Hieronymus zurückgehenden Textfassungen der Versio prior. Sind doch einmal diese Handschriften gemeint, erfolgt ein entsprechender Zusatz.

Editionen von B. und S. durch Lagarde und Caspari heranzuziehen. Auch sind die Fragmente der Versio prior, die in den von Vattioni 1996 publizierten Glossen aus spanischen Vulgata-Bibeln vorliegen, nicht berücksichtigt. 76 Zu dieser – aus strikt historischer Sicht nicht unproblematischen – Bezeichnung vgl. Trenkler (2017) 19 mit Anm. 6 unter Bezug auf Pierre-Maurice Bogaert, La Bible latine des origines au moyen âge. Aperçy historique, état des questions, Revue théologique de Louvain 19, 1988, 137–159. 276–314, hier 291, Anm.  150. Vgl. auch Bogaert (2012) 50.– Ähnlich berechtigt wie praktisch schwer zu beherzigen ist auch der Einwand gegen den verbreiteten Begriff „altlateinische Bibelübersetzungen“, wo man besser nur von Vetus Latina-Versionen sprechen sollte: Vgl. Peter Stotz, Handbuch zur lateinischen Sprache des Mittelalters (Handbuch der Altertumswissenschaft, Zweite Abteilung, Fünfter Teil), Bd. 1, München 2002, 38, zitiert von Trenkler (2017) 19, Anm. 9. 77 Trenkler (2017) 24. 78 Trenkler (2017) 23–24. 79 Siehe oben S. 17 mit Anm. 7. 80 Siehe oben S. 17 mit Anm. 6. 8–9.

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Mit den Kürzeln ω1-Frater und ω2-Frater bezeichnen wir die Mitarbeiter Augustins, die auf der Basis des auf seine Anmerkungen bzw. Diktate zurückgehenden Archetypos ω zwei verschiedene Rezensionen seiner Adnotationes in Iob erarbeitet haben81. Die von ihnen geschaffenen Kopiervorlagen für die Publikation heißen entsprechend ω1- bzw. ω2-Hyparchetypos. Auf einen hebräischen Text, der bereits den Wortlaut des masoretischen Textes bietet, wird mit dem Siglum M verwiesen. Diese Fassung behandeln wir als Hauptversion. M wird nach den Biblia Hebraica Stuttgartensia (BHS) zitiert82. Die Texte sind in der Regel aus der Online-Version der BHS (erkennbar an ihren Akzenten) übernommen83. Alle von M abweichenden hebräischen Textfassungen werden unter den Begriffen „Nebenüberlieferungen“ bzw. „andere hebräische Texte“ zusammengefasst.

4 Überblick über Vorgehen und Ergebnisse Die vorliegende Arbeit soll in ihren drei Teilen zum Verständnis und zur Rekonstruktion der Erstfassung O. von Hieronymus’ Hiob-Übersetzung iuxta Graecos beitragen. Thema des ersten Teils ist die Textgeschichte. Dort werden die Lemmata der Erstfassung O., die in den Adnotationes durch revidierte Fassungen aus T. ersetzt wurden, im Licht der griechischen und hebräischen Vorlagen des Hieronymus miteinander verglichen, um die Motive für Hieronymus’ Revision zu identifizieren. In den Vergleich mit einbezogen werden die Versionen S. und B. der Hiob-Übersetzung, die neben T. in zwei anderen mittelalterlichen Handschriften überliefert sind. Die Detailvergleiche ergeben, dass T. die Endfassung von Hieronymus’ Übersetzung darstellt, während S. eine erste, aber besonders ausgeprägte Revisionsstufe zwischen O. und T. repräsentiert. Die Fassung B. dagegen entpuppt sich als eine spätere Konflation der Fassungen O. und T. Sie stammt nicht von Hieronymus, sondern ist Teil der späteren Rezeption. Möglicherweise handelt es sich um die erste erhaltene Edition der Version iuxta Graecos. Jede der Fassungen O., S. und T. besitzt ihr eigenes Profil: In O. versucht Hieronymus auf der Grundlage der Hexapla auch Origenes noch zu übertreffen. Er geht eklektisch vor, zieht gern randständige Textvorlagen heran und stützt sich neben den griechischen in großem Umfang auch auf hebräische Texte. Typisch für O. sind ferner Doppel- oder Mehrfachübersetzungen einzelner Verse. Bei der ersten Revision in S.  scheidet Hieronymus alle Doppelübersetzungen aus, reduziert den Anteil von Übersetzungen, die auf randständigen bzw. auf he 81 Trenkler (2017) 49. 82 Biblia Hebraica Stuttgartensia, editio funditus renovata, ed. W. Rudolph/H. P. Rüger, Stuttgart 21983. 83 Netzadresse: www.bibelwissenschaft.de/online-bibeln/biblia-hebraica-stuttgartensia-bhs/ lesen-im-bibeltext/

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bräischen Vorlagen beruhen, und überarbeitet seine Erstfassung in vielen Details in Richtung einer lateinischen Version der hexaplarischen Septuaginta. Die End­ revision in T. weist neben den typischen Schlussarbeiten einer Ausgabe letzter Hand Züge einer vorsichtigen Rückbesinnung auf hebräische Textvorlagen auf und nimmt in Details schon die – erst später so genannte – Vulgata vorweg. Diese Phänomene werden in der Arbeit so gedeutet, dass Hieronymus in der Erstfassung O. den Plan verfolgte, auf der Basis altlateinischer Hiob-Versionen hauptsächlich mit Hilfe des in der Hexapla vorliegenden griechischen und hebräischen Materials eine vorbildliche lateinische Hiob-Version zu schaffen. Bei der Arbeit erkannte er den Eklektizismus aus unterschiedlich gut bezeugten hebräischen und griechischen Überlieferungen als verfehlt. Wie das Nebeneinander der Fassung S.  und der Vulgata zeigt, änderte er deshalb seinen Kurs und fuhr fortan doppelgleisig: Einerseits schuf er eine Neuübersetzung des Alten Testamentes iuxta Hebraeos; andererseits arbeitete er als Pendant dazu seine Erstfassung O. bei der Revision in S.  so um, dass sie eindeutiger als zuvor zu einer Übersetzung iuxta Graecos wurde. Ob jedoch die Endfassung T. der Übersetzung iuxta Graecos vor oder neben der Hiob-Vulgata entstand, bleibt ebenso offen wie die Frage, ob Hieronymus im Anschluss an die in S.  und T. zweimal revidierte erste Hiob-Übersetzung noch weitere Bücher des Alten Testaments nach der LXX emendierte. Der zweite und der dritte Teil der Arbeit suchen Antworten auf die Frage, wo, in welchem Umfang und mit welcher Sicherheit Reste der Erstfassung O., die nur noch indirekt in Zitaten bei Kirchenvätern überliefert ist, im Unterschied zu Lesarten aus S., T. und B. zu identifizieren sind. Im Mittelpunkt des zweiten Teils stehen die Randglossen zum Hiob-Text in drei spanischen Vulgata-Bibeln und die Zitate im Hiob-Kommentar des Philippus Presbyter (nach der Ausgabe des Erasmus). Stellvertretend für die selteneren Zitate bei anderen Kirchenvätern werden auch noch die Stellen analysiert, die in den HiobKommentaren des Julian von Aeclanum und von Papst Gregor dem Großen angeführt werden. In all diesen Texten stellt sich häufig die Frage, ob in O. etwa noch zahlreichere Doppel- oder Mehrfachübersetzungen vorlagen, als man bisher wahrgenommen hat. Im dritten Teil konzentriert sich die Suche nach Resten von O. auf die Spuren solcher Doppelfassungen bei Augustin. In einer ersten Reihe von Kapiteln geht es um Hinweise auf Mehrfachübersetzungen, die sich aus den Lemmata der Adnotationes in Iob ergeben. In einer zweiten Kapitelserie wird versucht, die gewonnenen Einsichten auf die Lösung der Frage anzuwenden, ob die Hiob-Übersetzung, die Augustin vor allem in seiner antipelagianischen Schrift De peccatorum meritis zitiert, ebenfalls aus O. stammt. Am Schluss der Arbeit steht ein Ausblick auf die zahlreichen noch ungelösten Probleme der ersten Hiob-Übersetzung des Hieronymus. In Anhängen wird erörtert, ob die erste Hiob-Übersetzung aus der Vulgata kontaminiert wurde. Es wird gezeigt, dass eine weitere Gruppe von Glossen in spa-

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nischen Bibeln Reste einer altlateinischen Hiob-Übersetzung überliefert, die Hieronymus als eine seiner Vorlagen bei der ersten Hiob-Übersetzung diente. Schließlich wird an einem Beispiel veranschaulicht, dass man aus späteren Übersetzungen des Hieronymus nicht ohne weiteres auf den Wortlaut seiner früheren Fassungen zurückschließen kann, weil der Kirchenvater die Bibel häufig spontan in neu variierter Form zitierte.

Erster Teil: Hieronymus’ Erstfassung O. und die Fassungen S. T. B.

A. Die Ausgangslage: Kapitel 1 Kapitel 1: Die Fassungen O. und T. vs. S. und B. 1.1 Die Interdependenz der Analysen von Versio prior und Adnotationes in Iob Die vorliegende Arbeit baut auf einer Beobachtung auf, die Almut Trenkler in ihrer Dissertation über Augustins Adnotationes in Iob entfaltet hat1. Zum Verständnis der folgenden Untersuchungen muss ich deshalb Trenklers Ergebnisse kurz zusammenfassen. Wie Trenkler gezeigt hat, lagen im bischöflichen Skriptorium von Hippo zwei verschiedene Bearbeitungen von Hieronymus’ erster Hiob-Übersetzung vor – die Fassungen O. und T. der Versio prior. (Das Kürzel O. bezeichnet Augustins Originalvorlage, das Siglum T. dagegen die im Codex Turonensis überlieferte Fassung der Versio prior.) Aus der Art, wie Augustin und seine Mitarbeiter diese beiden Versionen benutzt haben, geht hervor, dass es sich bei O. um eine frühere und bei T. um eine spätere, von Hieronymus revidierte Fassung handelte. Augustin hat sich bei der Abfassung seiner Adnotationes in Iob ausschließlich auf die Fassung O. gestützt. Sie hat er in den Lemmata der Adnotationes zitiert und in seinen Kommentaren erläutert. Die Fassung O. ist in keiner Handschrift direkt überliefert, sondern muss aus Zitaten bei Kirchenvätern rekonstruiert werden. Für diesen Zweck stellen die Lemmata der Adnotationes die wichtigste Quelle dar. Sie decken allerdings bei weitem nicht den ganzen Hiob-Text ab, weil Augustin in den Adnotationes viele Verse einfach übersprungen hat. Um den Wortlaut von O. möglichst lückenlos zu rekonstruieren, muss man also auch noch die Zitate bei anderen Kirchenvätern aufspüren und auswerten. (Erste Schritte in dieser Richtung unternehme ich im zweiten und dritten Teil der vorliegenden Arbeit.) In Augustins Adnotationes in Iob sind Lesarten von O. immer dann gesichert, wenn eine genaue Passung zwischen Augustins Erläuterungen und den zugehörigen Lemmata besteht.

1 Almut Trenkler, Die beiden Rezensionen von Augustins Adnotationes in Iob im Licht von Hieronymus’ erster Ijob-Übersetzung, Diss. phil. FU Berlin 2015 (FKDG 111), Göttingen 2017.

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Hieronymus’ Erstfassung O. und die Fassungen S. T. B. 

Wie Trenkler dargelegt hat, sind Augustins Adnotationes jedoch nicht durchweg in der Gestalt überliefert, wie sie der Bischof ursprünglich diktiert hat. Erste Veränderungen an Lemmata traten schon dadurch ein, dass der Schreiber, der die Stenogramme in Reinschrift übertrug und so den Archetypos ω erstellte, die Lemmata, die im Stenogramm nicht vollständig enthalten waren, aus der HiobHandschrift O. heraussuchen und in sein Manuskript hineinkopieren musste. Dabei gab es zwei Fehlerquellen. Zum einen war für den Schreiber aus Augustins Kommentar nicht immer ganz deutlich, wie weit das von Augustin ausgelegte Lemma reichte oder ob überhaupt ein Lemma zitiert wurde. Während Augustin nämlich in der Regel die einzelnen Halbverse des Hiob-Textes interpretierte, fasste er zuweilen auch ganze Verse als Einheit auf. An anderer Stelle wiederum begnügte er sich mit bloßen Anspielungen auf Hiob-Verse, die er nicht ausdrücklich als Lemma zitierte. Die zweite Fehlerquelle ergab sich aus dem Umstand, dass der Hiob-Codex O. Doppelübersetzungen enthielt, mit denen der Bischof verschieden verfuhr. In einigen wenigen Fällen zitierte und kommentierte er beide Varianten. Diese Fälle sind von höchster Bedeutung: Sie sind der klarste Beweis, dass Augustin mit der durch Doppelübersetzungen charakterisierten Fassung O. arbeitete und nicht mit einer Hiob-Version ohne Doppelfassungen, wie sie in den Hieronymus-Codices S. T. B. überliefert sind. In der Regel jedoch berücksichtigte er stillschweigend nur eine Version. Da nun seine Kommentare überdies oft knapp und kryptisch ausfielen, war es für den Schreiber nicht immer leicht zu entscheiden, welche der Varianten im Codex O. der Bischof gemeint hatte und welche also in den Archetypos ω zu übernehmen war. Weitere Veränderungen sowohl an Hiob-Lemmata als auch am Wortlaut von Augustins Kommentaren traten ein, als später zwei Bearbeiter unabhängig voneinander für die Veröffentlichung der Adnotationes auf der Grundlage des Archetypos ω ihre eigenen Rezensionen schufen. Wie Trenkler zeigen konnte, ersetzten sie häufiger die Lemmata von O. durch anderslautende Versionen, die sie der Fassung T. entnahmen. Diese schätzten sie so hoch, dass sie teilweise sogar offensichtliche Fehler kopierten. Das setzt voraus, dass beide Bearbeiter T. als revidierte Version von O. angesehen haben. Ihr Motiv, Lesarten von O. durch Lesarten von T. zu überschreiben, kann nur der Wunsch gewesen sein, den Hiob-Text der Adnotationes für die Publikation auf den letzten Stand zu bringen. Zumindest die Rezension des früheren Bearbeiters (nach Trenklers Terminologie des ω2-Fraters) war schon veröffentlicht, bevor sich der Bischof in seinen Retractationes von dieser Edition der Adnotationes distanzierte; zudem geht aus den Retractationes hervor, dass dieser Bearbeiter zum Mitarbeiterkreis Augustins gehörte. Auch praktisch setzt seine Rezension voraus, dass er mit Material arbeiten konnte, das in dieser Kombination nur in Augustins Skriptorium verfügbar war. Mithin muss dieser Frater über das Verhältnis zwischen O. und T. so gut Bescheid gewusst haben, dass seinem Urteil zu trauen ist. Damit ist die relative Reihenfolge der Fassungen O. und T. geklärt. Im Folgenden gehe ich deshalb davon aus, dass O. die früheste uns in der Überlieferung fass-

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Die Fassungen O. und T. vs. S. und B.

bare Version der ersten Hiob-Übersetzung des Hieronymus ist, und behandele O. mit Trenkler pragmatisch als Erstfassung2. Methodisch betrachtet zeigt sich in Trenklers Klärung des Verhältnisses zwischen O. und T. die Interdependenz der Arbeit an Augustins Adnotationes und an der ersten Hiob-Übersetzung des Hieronymus: Wenn nicht vor allem durch Augustins gelegentliche Interpretationen von Doppelübersetzungen in den Adnotationes bewiesen wäre, dass er die Fassung O. der Versio prior benutzte, und durch den Austausch von O.-Lesarten gegen T.-Lesarten in den Rezensionen der Fratres deutlich würde, dass T. in den Augen der Zeitgenossen die gegenüber O. wertvollere weiterentwickelte Fassung darstellte, könnte man theoretisch das Verhältnis zwischen O. und T. auch genau umgekehrt beurteilen. Statt die Doppelfassungen als charakteristische Elemente der Erstfassung wahrzunehmen, wie es der historischen Realität entspricht, könnte man zumindest fragen, ob nicht die Mehrfachübersetzungen als spätere Autorenvarianten oder sogar als Eingriffe von Dritten zu erklären seien.

1.2 Das Verhältnis zwischen den verschiedenen Revisionsstufen der Versio prior Während Trenkler das Verhältnis zwischen O. und T. geklärt hat, brauchte sie für die Zwecke ihrer Arbeit die Frage nicht zu verfolgen, wie die beiden weiteren Textfassungen der Versio prior, die in den Codices S. (Sangallensis) und B. ­(Bodleianus) überliefert sind, den Versionen in O. und T. zuzuordnen sind. Diese Lücke der Forschung zu schließen ist eines der Ziele, die ich im ersten Teil meiner Arbeit verfolge. Ein erster Hauptpunkt lässt sich schon vor den folgenden Einzelanalysen wiederum im Rückgriff auf eine wesentliche Erkenntnis Trenklers ansprechen: Ich meine wieder die Doppelfassungen. Sie sind nur in O. nachzuweisen, während sie in den direkt überlieferten Hieronymus-Handschriften S., T. und B. fehlen. Sie sind das Alleinstellungsmerkmal, durch das sich die Erstfassung O. am deutlichsten von den anderen Versionen unterscheidet. Trenkler hat solche Doppelfassungen in O. in folgenden Belegen ihrer Arbeit nachgewiesen: Kapitel Trenkler

Beleg-Nr. Trenkler

Kapitel/Vers Hiob

Variante 1

Variante 2

10

12a–b

31, 1b

ut non cogitem

et non cogitabo

10

13

30, 3b

qui fugiebant in desertum

fugientes in deserto

2 Trenkler (2017) 171 macht darauf aufmerksam, dass rein theoretisch O. auch noch einen Vorläufer gehabt haben könnte. Die Existenz vorbereitender Skizzen im Skriptorium des Hieronymus ist sogar sehr plausibel (vgl. zur Arbeitsweise antiker Autoren etwa Dorandi (1991)). Da Spuren solcher Vorformen jedoch nirgendwo nachweisbar sind, kommen wir hinter O. nicht zurück.

34

Hieronymus’ Erstfassung O. und die Fassungen S. T. B. 

Kapitel Trenkler

Beleg-Nr. Trenkler

Kapitel/Vers Hiob

Variante 1

Variante 2

10

14

30, 20b

steterunt

erexit me

10

15

31, 36a–b

super humeros meos

super humeros meos leuans

10

16

31, 19

pereuntem

praetereuntem

Wie sich im zweiten und dritten Teil der vorliegenden Arbeit erweisen wird, lassen sich Trenklers Feststellungen noch ganz erheblich erweitern. Im vorliegenden Zusammenhang kommt es mir aber zunächst nur darauf an, dass in den Mehrfachübersetzungen ein Kriterium vorliegt, das die Erstfassung O. von den Codices S. T. B. unterscheidet. Verglichen mit O. gehören S. und B. also von vornherein auf die Seite von T.

B. Detailanalysen: Kapitel 2–5 Vorbemerkungen zu den Kapiteln 2–5 In den folgenden vier Kapiteln analysiere ich zunächst all jene Hiob-Stellen in Augustins Adnotationes in Iob, an denen Trenkler in ihrer Arbeit bereits Lesarten von O. im Kontrast zu T. identifiziert hat. Neu ist mein Ansatz, sowohl die ursprünglichen Lesarten von O. als auch die anschließenden Änderungen durchweg vor dem Hintergrund von Hieronymus’ hebräischen und griechischen Vorlagen zu analysieren. Diese Untersuchungen dienen mehreren Zielen. Zunächst soll eine möglichst breite Basis zur Klärung der Frage geschaffen werden, in welchem Verhältnis S. und B. zu O. und T. stehen. Gleichzeitig soll das individuelle Profil von O. im Kontrast zu den anderen Fassungen möglichst detailliert und plastisch hervortreten. Nicht zuletzt erhoffe ich mir Hinweise auf die innere Logik, die Hieronymus dazu veranlasst hat, nach der Erstfassung O. überhaupt noch weitere revidierte Fassungen der Versio prior zu erarbeiten. Besonders deutlich wird der Kontrast zwischen der Erstfassung O. und den folgenden Revisionen dort, wo Hieronymus bei der Überarbeitung seine ursprachliche Textbasis gewechselt hat. Deshalb beginnt die Untersuchung mit diesen Stellen (Kapitel 2 und 3). Die Änderungen, die Hieronymus ohne Wechsel seiner ursprachlichen Vorlagen vornahm, werden anschließend in den Kapiteln 4 und 5 erörtert. Die Belege zu den Einzelstellen sind nach folgenden Kriterien gegliedert: – Sprache der Textvorlage – Art der Änderung – Abfolge im Buch Hiob Zu jedem Beleg gehört eine Tabelle, in der zunächst die Lesart des verlorenen Codex O., die Trenkler identifiziert hat, den Lesarten der drei erhaltenen Codices der Versio prior S., T. und B. gegenübergestellt wird. Die Argumente, auf denen Trenklers Identifizierung beruht, werden hier nicht wiederholt, sondern vorausgesetzt; sie sind mit Hilfe der Verweise auffindbar, die jeweils auf Kapitel und Belegnummer ihrer Arbeit gegeben werden. In der Tabelle werden ferner die griechischen bzw. hebräischen Texte zitiert, die als Vorlagen für die Übersetzungen des Hieronymus in Frage kommen. Dabei unterscheide ich gegebenenfalls wie Trenkler zwischen Haupt- und Nebenüberlieferungen. Auf die tabellarische Darstellung der verschiedenen Textfassungen folgt jeweils ein Kommentar zu Augustins Textvorlage O. im Licht der ursprachlichen Originale. Anschließend soll der Kommentar die revidierten Fassungen durchsichtig machen und so verdeutlichen, warum Hieronymus von seiner Erstfassung O. wieder abrückte.

36

Hieronymus’ Erstfassung O. und die Fassungen S. T. B. 

Am Schluss jedes Beispiels werden die wechselnden Kombinationen notiert, in denen die jeweils verschiedenen Lesarten in den vier Fassungen O., S., T. und B. überliefert sind. Die Auswertung dieser Beobachtungen für das Verhältnis zwischen den diversen Fassungen und somit für die Klärung der Textgeschichte der Versio prior erfolgt anschließend in den abschließenden Kapiteln 6 und 7 dieses ersten Teils. Damit dort problemlos auf die vorangehenden Materialsammlungen verwiesen werden kann, sind die Belege der Kapitel 2–5 fortlaufend durchnummeriert. Die Untersuchung der Fälle, in denen Hieronymus bei seinen Revisionen die Textbasis seiner Erstfassung O. verlassen und eine andere Vorlage herangezogen hat (Kapitel 2–3) deckt zwei vorrangige Motive auf: Zum einen stützte sich Hieronymus in O. häufig nicht auf die griechische oder hebräische Hauptüberlieferung, sondern legte seiner Übersetzung eher randständige Varianten zugrunde. Bei der Revision griff er dagegen auf die Hauptüberlieferungen in beiden Sprachen zurück1. Zum andern tendiert Hieronymus bei der Revision dazu, die hebräischen Textvorlagen, die in seiner Erstfassung O. eine große Rolle gespielt hatten, zugunsten von griechischen Vorlagen zu reduzieren. Neben diesen Hauptmotiven verfolgte Hieronymus in seinen Revisionen noch weitere Interessen: Er änderte grammatische Details, verschob inhaltliche Schwerpunkte und glättete vor allem den Stil seiner Texte. Bei der Analyse der Passagen, in denen Hieronymus seine Erstfassung O. revidierte, ohne dabei die ursprüngliche Textvorlage zu wechseln (also in den Kapiteln 4–5), rücken diese anderen Interessen in den Fokus. Zusätzlich zeigt sich, dass Hieronymus Fehler in O. korrigiert hat und an einigen inhaltlich schwierigen Stellen nicht davor zurückgeschreckt ist, sich frei über seine ursprachlichen Vorlagen hinwegzusetzen.



1 Ein Beispiel hat bereits Trenkler (2017) 126 (Kap. 10, Beleg 12a zu Iob 31, 1b) aufgedeckt.

B. Detailanalysen: Kapitel 2–5 Kapitel 2: Revisionen von O. in S. T. B. unter Wechsel der Textvorlagen I: Wechsel von einer Neben- zu einer Hauptüberlieferung Im vorliegenden Kapitel bespreche ich jene Stellen, an denen sich Hieronymus bei der Revision in seiner Erstfassung O. auf hebräische oder griechische Nebenüberlieferungen stützte, bei der Revision jedoch seine Textbasis wechselte und zu einer Hauptüberlieferung überging.

2.1 Wechsel Hebräisch – Hebräisch Hier liegt nur ein einziges Beispiel vor. Damit bestätigt sich die unten in diesem Kapitel nachgewiesene Tendenz, dass Hieronymus in der Regel von einer hebräischen Nebenversion direkt zur griechischen Hauptversion überging: 1 2 Nr. 1

Kapitel- u. Beleg-Nr. bei Trenkler: 15/11

Hiob Kap./ Vers

adn. ed. Zy.

30, 15c

575, 19–20 transit

M1: ‫עָ ְב ָרה‬

Wortlaut adn. = O.

Wortlaut Hieronymus-Codices S.

T.

transiet

transiit

B.

LXX: ohne Äquivalent zu ‫עָ ְב ָרה‬ Hexapla sub * (Üs. des Aquila u. Theodotion)2: παρῆλθεν

Da die LXX in diesem Teilvers kein Prädikat aufweist, kommen als Vorlagen für Hieronymus nur der hebräische Urtext und die Hexapla in Frage. Jedoch könnte nur das Perfekt transiit in T. B. als Übersetzung des Aorists παρῆλθεν der Hexapla erklärt werden. Dagegen gehen sowohl das Präsens transit in O. als auch das Futur transiet in S. auf den hebräischen Konsonantentext zurück, den Hieronymus in beiden Fällen – abweichend von M – als feminines Partizip ‫ עֹ ְב ָרה‬vokalisiert und somit als Prädikatsnomen eines Nominalsatzes gedeutet hat. Allerdings variiert in O. und S. seine Interpretation des Zeitverhältnisses: Das Präsens transit in der Erstfassung O. zeigt, dass Hieronymus das hebräische Partizip als gleichzeitig zu den im selben Vers vorangehenden präsentischen Prädikaten iterantur und discedit auffasste. Mit dem Futur transiet in S. deutete Hieronymus das hebräische Partizip hingegen

1 Dt.: sie ist vorübergegangen/vergangen. 2 Ziegler (1982) 342, Text und 2. Apparat.

38

Hieronymus’ Erstfassung O. und die Fassungen S. T. B. 

als Ausdruck der Nachzeitigkeit. Diese futurische Deutung ist vermutlich von den im folgenden Vers 30, 16a in M und LXX überlieferten Futurformen3 angeregt; sie kehrt auch noch in einigen Vulgata-Codices wieder4. Erst bei der revidierten Fassung T. der Versio prior kann man im Zweifel über Hieronymus’ Vorlage sein. Das Perfekt transiit entspricht nämlich sowohl der hebräischen Hauptüberlieferung in M ‫ עָ ְב ָרה‬als auch dem παρῆλθεν der Hexapla. Da aber auch die Hauptversion der Vulgata mit pertransiit das Perfekt von M wiedergibt, liegt der Schluss nahe, dass Hieronymus ebenso in T. zumindest primär den hebräischen Text vor Augen hatte. Freilich konnte er sich an dieser Stelle durch die Übersetzung des Aquila und Theodotion in seiner Entscheidung für die hebräische Hauptversion als Vorlage bestätigt fühlen. O. und S. stehen hier jeweils allein gegen T. B.

2.2 Wechsel Griechisch – Griechisch Mehrfach wechselt Hieronymus bei der Revision von einer griechischen Nebenüberlieferung zur Hauptüberlieferung. Hier muss aber sogleich darauf hingewiesen werden, dass der Kirchenvater unter der griechischen Hauptüberlieferung ggfs. etwas anderes verstand als die heutigen LXX-Herausgeber Rahlfs/Hanhart und Ziegler: Als Hauptüberlieferung betrachten diese die Lesarten der Codices B (Vaticanus), S (Sinaiticus) und A (Alexandrinus)5, Hieronymus dagegen die in den Spalten 3 bis 6 der Hexapla gesammelten Lesarten – sei es die LXX-Fassung des Origenes oder die Übersetzung eines der „Drei“6. Dies zeigt sich an dem folgenden Beispiel, das eine Wortumstellung betrifft: 7 8 Nr. 2

Kapitel- u. Beleg-Nr. bei Trenkler: 14/18

Hiob Kap./ Vers

adn. ed. Zy.

21, 17a

553, 10–11 impiorum ­ lucerna

ְ ‫נ‬ M7: ‫ֵר־ר ָׁ֘ש ִע֤ים‬

Wortlaut adn. = O.

Wortlaut Hieronymus-Codices S.

T.

B.

lucerna impiorum LXX (B = Vaticanus): ἀσεβῶν λύχνος Origenes’ Rezension8: λύχνος ἀσεβῶν

3 ‫ ִּת ְׁשּתַ ֵּפְ֣ך‬bzw. ἐκχυθήσεται. 4 A liest pertransibit, S pertransiet. 5 Vgl. LXX ed. Rahlfs/Hanhart (2006) LVIII und zur vorliegenden Stelle die Verteilung der Lesarten bei Ziegler (1982) 305 auf Text und 1. Apparat. 6 Zu den „Drei“ (also den Übersetzern Aquila, Symmachos und Theodotion) sowie zu Origenes’ Hexapla vgl. Trenkler (2017) 299–304. 7 Dt.: Lampe Frevler. 8 Ziegler (1982) 305, 1. Apparat.

Revisionen von O. in S. T. B. unter Wechsel der Textvorlagen I

39

In der Erstfassung O. übernahm Hieronymus mit impiorum lucerna die ungewöhnliche Wortstellung ἀσεβῶν λύχνος der griechischen Hauptüberlieferung lt. Codex Vaticanus, wechselte aber bei der Revision zu der normalen Wortfolge lucerna impiorum, mit der Origenes dem Hebräischen folgte9. In diesem Fall entspricht die typisch hebräische Wortfolge zugleich der üblichen griechischen und lateinischen Stellung von Genetivattributen. O. steht allein gegen S. T. B. Mit dem Wechsel von einer Neben- zu einer Hauptüberlieferung verbindet Hieronymus meist noch weitere Anpassungen, die von der Intensität seiner Revisionsbemühungen zeugen.

2.2.1 Präzisierung sprachlicher Details Die ersten Belege verdeutlichen, wie viel Mühe sich Hieronymus auch mit sprachlichen Kleinigkeiten des Bibeltextes gab, die den Sinn nicht erheblich beeinflussten. Je geringer jedoch die Sinnveränderung, desto deutlicher tritt das Motiv hervor, von der griechischen Neben- zur Hauptüberlieferung überzuwechseln: 10 11 Nr. 3

Kapitel- u. Beleg-Nr. bei Trenkler: 14/10

Hiob Kap./ Vers

adn. ed. Zy.

Wortlaut adn. = O.

Wortlaut Hieronymus-Codices

27, 14b

565, 9

si autem iuuenes facti fuerint

si autem et iuuenes facti fuerint

M10: ‫עּו־לחֶ ם‬ ָֽ ‫ל ֹא יִ ְׂש ְּב‬ ֣ ‫אצָ ָ֗א יו‬ ֱ ֶ‫ְו ֝צ‬

S.

T.

B.

LXX Hauptüberlieferung: ἐὰν δὲ καὶ ἀνδρωθῶσιν Nebenüberlieferung11: ἐὰν δὲ ἀνδρωθῶσιν

Die Nebenüberlieferung der LXX enthält kein „auch“. Dies hat Hieronymus erst bei seiner Revision aus der Hauptüberlieferung nachgetragen. O. steht allein gegen S. T. B.

9 Zu Origenes’ Anpassung der Wortstellung an das Hebräische vgl. Munnich (1988) 165, Schaper (1998) 12–13 und A. Fischer (2009) 137. 10 Dt.: und seine Nachkommen werden sich nicht sättigen Brot. 11 Ziegler (1982) 328, 1. Apparat: Lukianische Rezension.

40

Hieronymus’ Erstfassung O. und die Fassungen S. T. B. 

Ähnlich ist das nächste Beispiel zu beurteilen: 12 13 Nr. 4

Kapitel- u. Beleg-Nr. bei Trenkler: 14/20

Hiob Kap./ Vers

adn. ed. Zy.

Wortlaut adn. = O.

Wortlaut Hieronymus-Codices

28, 1a

566, 14

argenti

argento

S.

T.

B.

LXX Hauptüberlieferung: ἀργυρίῳ Nebenüberlieferung13: ἀργυρίου

M12: ‫לַ ּכֶ סֶ ף‬

Auch hier bedeutet die Revision keine erhebliche Sinnverbesserung, beruht aber auf einer besser überlieferten Textvorlage: Die Hauptüberlieferung der LXX bewahrt den Dativ des Hebräischen. O. steht allein gegen S. T. B.

2.2.2 Inhaltliche Verschiebung In der folgenden Passage bedeutet der Wechsel der griechischen Textvorlage eine erhebliche inhaltliche Verschiebung: 14 15 Nr. 5

Kapitel- u. Beleg-Nr. bei Trenkler: 14/8

Hiob Kap./ Vers

adn. ed. Zy.

Wortlaut adn. = O.

Wortlaut Hieronymus-Codices

37, 20a

598, 11

adsistis

adsistit

M14: ‫ם־אמַ ר ִ ֗֝איׁש‬ ָ֥ ‫א ַד ֵּב֑ר ִ ֽא‬ ֲ ‫ּכי‬ ֣ ִ ‫היְ סֻ ּפַ ר־לֹ֖ ו‬ ַֽ ‫ּלע‬ ֽ ָ ֻ‫ּכי יְ ב‬ ִ֣

S.

T.

B.

LXX Hauptüberlieferung: παρέστηκεν Nebenüberlieferung15: παρέστηκας

Die 2. Person Singular adsistis der Erstfassung O. war als Anrede Elihus an Hiob inhaltlich naheliegend. Dagegen ist die besser bezeugte 3. Person adsistit schwerer verständlich. Dass Hieronymus den Wechsel dennoch vollzog, unterstützt m. E. die 12 Dt.: für das Silber. 13 Ziegler (1982) 330, 1. Apparat: S* 480* LaA Co. (Ziegler kannte den Fragment-Codex B/A noch nicht.) 14 Dt.: Soll es ihm etwa berichtet werden, dass ich reden will? Oder hat jemand gesagt, dass er vernichtet (wörtl.: verschlungen) werden wolle? 15 Ziegler (1982) 382, 1. Apparat.

Revisionen von O. in S. T. B. unter Wechsel der Textvorlagen I

41

These, dass er bei der Revision bewusst der stärker bezeugten Hauptversion den Vorzug geben wollte. O. steht wieder allein gegen S. T. B.

2.2.3 Vereinfachung einer Doppelübersetzung Im folgenden Fall spricht lt. Trenkler die Überlieferungslage dafür, dass Hieronymus in O. zwei Übersetzungsvarianten zur Wahl gestellt hatte – das Futur inueniemus und die doppeldeutige Form inuenimus16: 17 18 Nr. 6

Kapitel- u. Beleg-Nr. bei Trenkler: 15/10

Hiob Kap./ Vers

adn. ed. Zy.

Wortlaut adn. = O.

Wortlaut Hieronymus-Codices

37, 23a

599, 13

Variante 1: inueniemus Variante 2: inuenimus

inuenimus

M17: ַ‫מצָ אנֻהּו ׂשַ ּגִ יא־ ֑ ֹכח‬ ֭ ְ ‫ׁשַ ַּד֣י ֽל ֹא־‬

S.

T.

B.

LXX Hauptüberlieferung: εὑρίσκομεν Nebenüberlieferung18: εὑρήσομεν

Das Futur inueniemus in O., das Hieronymus bei seiner Revision fallen ließ, beruhte auf dem εὑρήσομεν der griechischen Nebenüberlieferung. Hieronymus geht in den bisher angeführten Beispielen, in denen er bei der Revision von einer griechischen Nebenüberlieferung abrückt, zur griechischen Hauptversion (die natürlich häufiger mit M übereinstimmt19) und nicht zu einer hebräischen Textvorlage über. Deshalb ist das inuenimus seiner revidierten Codices im Licht des εὑρίσκομεν der griechischen Hauptüberlieferung vermutlich als Präsens zu deuten. Dafür spricht auch, dass Hieronymus in der Vulgata mit der freien Formulierung digne eum inuenire non possumus am Präsens festhält. Trotzdem ist im vorliegenden Fall nicht auszuschließen, dass das doppeldeutige lateinische inuenimus zugleich auch das hebräische Perfekt ‫ מָ צָ אנּו‬im Blick hat20. 16 Trenkler (2017) 200 mit Verweis auf weitere Doppelübersetzungen in ihrem Kapitel 10, Belege 12–16.– Zum Thema Doppelübersetzungen in O. vgl. die Teile II und III meiner Arbeit, passim. 17 Dt.: Der Allmächtige – nicht haben wir ihn gefunden, einen großen Kraft. 18 Ziegler (1982) 382, 1. Apparat. Zieglers Angabe εὑρήσομεν Laγ ist falsch; Caspari druckte irrtümlich das Futur inueniemus. Der Codex S. hat inuenimus (p. 395 s. fin.). 19 Vgl. nur oben Beleg 4. 20 Für bewusst mehrdeutige Formulierungen in der Versio prior, die Differenzen in den Textvorlagen abdecken sollen, vgl. unten die Fälle von Iob 38, 18b quanta quaeque sit (Kap. 5, Beleg 60) und den Relativsatz quae seruauit im Lemma Iob 27, 18 (Kap. 18, S. 445–447).

42

Hieronymus’ Erstfassung O. und die Fassungen S. T. B. 

2.2.4 Ausnahme: Von einer Haupt- zu einer Nebenüberlieferung Die Regel, dass Hieronymus bei der Revision von einer Nebenüberlieferung zur Hauptüberlieferung der entsprechenden Ursprache wechselte, wird im Lemma Iob 36, 17 durchbrochen: 21 22 23 Nr. 7

Kapitel- u. Beleg-Nr. bei Trenkler: 14/30

Hiob Kap./ Vers

adn. ed. Zy.

Wortlaut adn. = O.

Wortlaut Hieronymus-Codices S.

T.

36, 17

590, 12

non deficiet iustos iudicium

non deficiet iu­stus21 iudicium

non deficiet iusto iudicium

M22: ‫ּומ ְׁש ָּפ֣ט יִ ְת ֹֽמכּו‬ ִ ‫ׁשע מָ ֵל ֑אתָ ִ ּ֖ד ין‬ ֥ ָ ‫ין־ר‬ ָ ‫וְ ִד‬

B.

LXX Hauptüberlieferung: οὐχ ὑστερήσει δὲ ἀπὸ δικαίων κρίμα Nebenüberlieferung23: οὐχ ὑστερήσει δὲ ἀπὸ δικαίου κρίμα

Hier hatte er in der Erstfassung mit iustos den Plural ἀπὸ δικαίων der griechischen Hauptübersetzung sinngemäß wiedergegeben; der Akkusativ iustos entspricht der bei deficere üblichen Konstruktion. Die bei der Revision unveränderte Grundstruktur der Übersetzung non deficiet…iudicium zeigt, dass Hieronymus hier bei der griechischen Fassung bleibt (das Hebräische geht in eine andere Richtung). Jedoch beweist der Singular iusto, dass der Kirchenvater jetzt die Nebenüberlieferung bevorzugt, die auch anderen Übersetzungen zugrunde liegt24. Sein Motiv ist unklar. Es kann kaum inhaltlicher Art gewesen sein, denn auch der folgende Vers 36, 18a–b spricht von Sündern im Plural. Ich vermute daher, dass Hieronymus durch die Wahl der griechischen Nebenüberlieferung mit ihrem Singular auch den hebräischen Text mit einbeziehen wollte, der hier auf den Sünder im Singular (‫) ָר ָׁש֥ע‬ verweist. Für diese Erklärung spricht, dass später auch die Vulgata im vorliegenden Lemma wie das Hebräische den Singular impii25 bietet. So hat Hieronymus an dieser Stelle bei der Revision vermutlich noch einmal Elemente verschiedener Urtexte in einer Weise verschmolzen, die sonst eher typisch für seine Erstfassung O. ist. 21 Caspari (1893) 104, Anm. 39 urteilt zu Recht, iustus sei nur für iustos verschrieben. Die Verwechslung von o und u ist in S. häufig: Vgl. Caspari (1893) 24–25. 22 Dt.: Und vom Gericht eines Frevlers bist du voll geworden; Gericht und Strafe werden zupacken. 23 Vgl. Ziegler (1982) 374 zu Iob 36, 17, 1. Apparat. 24 Vgl. Zieglers Angaben zur Stelle. 25 Die Vulgata-Fassung zu Iob 36, 17 nach dem Hebräischen lautet: Causa tua quasi impii­ iudicata est; causam iudiciumque recipies.

Revisionen von O. in S. T. B. unter Wechsel der Textvorlagen I

43

Man muss sich also vor der Erwartung hüten, Hieronymus sei bei seinen Revisionen immer konsequent verfahren. Der Dativ iusto in Abhängigkeit von deficere befremdet zunächst26, dürfte aber bewusst gewählt sein: Der Thesaurus weist nach, dass die seltene Konstruktion deficere mit Dativ typisch für die religiöse Sprache ist27. Vielleicht hat Hieronymus diesen Kasus also deshalb gewählt28, weil er ihm besser zum Kontext zu passen schien. Der Dativ bringt für den Lateiner möglicherweise deutlicher als der Akkusativ zum Ausdruck, dass das göttliche Gericht dem Gerechten seinen Beistand nicht versagen wird29. O. S. stehen gegen T. B.

2.3 Wechsel Hebräisch – Griechisch Die meisten der vorliegenden Belege zeigen, dass Hieronymus bei den Revisionen, die er an seiner Versio prior vornahm, vor allem das Ziel verfolgte, den starken Einfluss hebräischer Vorlagen, der für die Erstfassung O. seiner Übersetzung kennzeichnend war, zu reduzieren. Dabei fällt noch eine weitere Differenzierung auf: In sieben Fällen wechselte Hieronymus von einer hebräischen Nebenversion, die er sich möglicherweise selbst zurechtgelegt hatte, zur griechischen Hauptversion über. An diesen Stellen werden also die beiden leitenden Tendenzen seiner Revisionen – die Abkehr von Nebenüberlieferungen und die Hinwendung zur griechischen Hauptversion – gleichzeitig wirksam. In mehr als doppelt so vielen Fällen (16 von 23) hat Hieronymus aber zugunsten des Griechischen sogar eine hebräische Textvorlage aufgegeben, die bereits mit der Hauptüberlieferung M identisch war, die er anschließend seiner Vulgata zugrunde legte. Bevor eine Erklärung für diese Phänomene gesucht wird30, ist zunächst wieder eine Einzelanalyse der betreffenden Stellen notwendig.

26 Vgl. Trenkler (2017) 187. 27 Vgl. die Belege für deficere mit Dativ im TLL 5.1.336.55–62. 28 Die Beuroner Datenbank weist keine Vetus Latina-Fassung nach, die Hieronymus hier beibehalten haben könnte. 29 Angesichts der Überlieferung scheint mir Erbes’ Entscheidung verfehlt, hier (Iob 36, 17) iustis zu drucken (1950, Text S. 106). Im Apparat S. 105 hält er alternativ auch noch a iustis für möglich. 30 Vgl. dazu unten Kap. 7.

44

Hieronymus’ Erstfassung O. und die Fassungen S. T. B. 

2.3.1 Von einer hebräischen Nebenversion zur griechischen Hauptversion Nach den bisher gesammelten Beobachtungen zur Tendenz des Hieronymus, bei seinen Revisionen griechische Nebenüberlieferungen gegen die Hauptüberlieferung auszutauschen, verwundert es nicht, dass er dasselbe Verfahren auch bei Stellen angewendet hat, die auf hebräischen Nebenversionen beruhten. Wie bei den oben erörterten Übersetzungen aus dem Griechischen gehen mit dem Wechsel der Textbasis auch hier verschiedene Akzentverschiebungen einher. 2.3.1.1 Grammatische Änderungen Eine Veränderung des Numerus liegt an der folgenden Stelle vor: 31 Nr. 8

Kapitel- u. Beleg-Nr. bei Trenkler: 14/9

Hiob Kap./ Vers

adn. ed. Zy.

Wortlaut adn. = O.

Wortlaut Hieronymus-Codices

28, 11a

568, 3

altitudinem fluminum reuelauit

altitudines fluminum reuelauit

M31: ‫ותח ֵּבׁ֑ש‬ ִ ‫מ ְּב ִכי נְ הָ ֹ֣ר‬ ִ֭

S.

T.

B.

LXX: βάθη δὲ ποταμῶν ἀνεκάλυψεν

So klein hier die Veränderung im Wortlaut erscheinen mag, so kompliziert sind die Hintergründe der einzelnen Textfassungen. Der masoretische Text hat hier ‫„( ִחּבֵ ׁש‬er hat verstopft“); so übersetzt auch das rabbinische Targum32. ‫„( ִחּפֵ ׂש‬er hat aufgedeckt“) wird als Vorlage der LXX von Gesenius-Buhl s. v. ‫ חבׁש‬nachgewiesen33. ‫ ִחּפֵ ׂש‬wird auch von Wutz übernommen34, der noch weitere Beispiele für die Verwechslung der Lippenlaute ‫ ב‬und ‫ פ‬anführt35. Schwieriger zu verstehen ist das Verhältnis zwischen dem Plural altitudines der revidierten Codices S. T. B. und dem Singular altitudinem der Erstfassung O. Der Plural altitudines der revidierten Fassung des Hieronymus gibt die Version der LXX βάθη wieder. Nun ist aber βάθη keine Übersetzung des masoretischen Textes, der ‫„( ִמ ְּב ִכי‬vom Tröpfeln“) bietet. Wetzstein schlug vor, den Konsonanten-

31 Dt.: Vom Tröpfeln der Ströme hat man verstopft. 32 Mangan (1991) 64. 33 Gesenius-Buhl (1915) 213 links; ebenso Gesenius-Donner (2013) 322 rechts. Vgl. zur Geschichte dieser überzeugenden Konjektur, die in BHS (1983) fehlt, Dhorme (1926) 370–371. 34 Wutz (1933) 80 und 248. 35 Wutz (1933) 79–80.

Revisionen von O. in S. T. B. unter Wechsel der Textvorlagen I

45

text von M als ‫ מַ ְּבכֵ י‬zu vokalisieren36. Er deutet die Form also als Status constructus Plural zu einem sonst in der Bibel nicht belegten Nomen ‫'מַ ּבַ ְך‬37. Damit wäre tatsächlich die Vorlage der βάθη ποταμῶν der LXX gefunden, sofern man akzeptiert, dass es ein Hapax legomenon ‫ מַ ּבַ ְך‬mit der Bedeutung „Tiefe“ bzw. genauer „tiefe Stelle“38 gegeben hat. Das ist aber problematisch; denn das wurzelverwandte ugaritische mbk, das in BHS3 im Apparat zur Stelle zitiert wird, heißt nicht „tiefe Stelle“, sondern fons („Quelle“). Auch die Wurzel ‫ נבך‬selbst hat die Grundbedeutung „hervorquellen / hervorkommen“39. Da die von den semitischen Parallelen suggerierte Bedeutung „Quellen der Flüsse“ perfekt in den vorliegenden Hiob-Zusammenhang passen würde, ist zu fragen, wie die LXX und Hieronymus auf die Bedeutung „Tiefe(n)“ verfallen sind. Es gibt zu denken, dass Hieronymus noch in der VulgataFassung unserer Stelle Iob 28, 11b mit der Formulierung profunda quoque fluuiorum scrutatus est an dieser Interpretation festhält40. Hier kann eine Parallelstelle in Iob 38, 16a weiterhelfen. Dort steht in M die Constructus-Form des Plurals des Wortes ‫נֵבֶ ְך‬. Auch ‫ נֵבֶ ְך‬ist ein Hapax legomenon41, mit dem das von Wetzstein erschlossene Nomen ‫ מַ ּבַ ְך‬etymologisch eng verwandt wäre. Ich zitiere erst den masoretischen Text zu Iob 38, 16a und füge dann zum Vergleich die Übersetzungen an: M: ‫֭הֲבָ אתָ עַ ד־נִ ְבכֵ י־יָ ֑ם‬ LXX: ἦλθες δὲ ἐπὶ πηγὴν (bzw. πηγὰς42) θαλάσσης; Hieronymus’ Versio prior: aut uenisti ad fontem43 maris? Hieronymus’ Vulgata: numquid ingressus es profunda maris? Bei den Übersetzungen des Hieronymus von Iob 38, 16a springen zwei problematische Punkte ins Auge, die auch für das Verständnis der Passage Iob 28, 11a relevant sind. 36 Zitiert von Dhorme (1926) 371; übernommen von Wutz (1933) 81. Erbes (1950) 229 erwägt in seinen Konjekturen zu M, ‫ נבכי‬zu lesen. 37 Diese Nennform ist nicht bezeugt, kann aber analog erschlossen werden. Das Wort ist von der Wurzel ‫ נבך‬abzuleiten (vgl. Dhorme (1926) 371) und mit dem Präfix ‫( מ‬hier in der Bedeutung des Mem locale) gebildet. Aus dem Verhältnis zwischen der Wurzel ‫„ נתן‬geben“ und dem davon abgeleiteten Nomen ‫„ מַ ּתַ ן‬Geschenk“ (siehe dazu Gesenius-Kautzsch (1909) 246, g) lässt sich aus der Wurzel ‫ נבך‬die Nominalbildung ‫ מַ ּבַ ְך‬ableiten. 38 Diese Nuance ergibt sich aus dem Mem locale der Nominalbildung; vgl. Anm. 37. 39 Vgl. die etymologischen Verweise bei Dhorme (1926) 371 und Köhler-Baumgartner (1953) 589 links. 40 Das rabbinische Targum ist hier keine Hilfe. Mangan (1991) 64 übersetzt Iob 28, 11 „He dams up the river from the overflowing of swift torrents, and the secret thing he brings forth (into) light.“ 41 Vgl. Gesenius-Donner (2013) 774 links. 42 Der Plural ist lt. Ziegler (1982) 386, 1. Apparat in Bo Cyr IV 625 Hil überliefert. 43 Der Singular fontem findet sich bei Hieronymus in T. B. (S. bricht dagegen ausgerechnet nach fon- ab). Jedoch wird fontem auch von allen Handschriften der Adnotationes (auch vom Fragment A) bezeugt; es hat also auch schon in O. gestanden.

46

Hieronymus’ Erstfassung O. und die Fassungen S. T. B. 

Obwohl Hieronymus in der Versio prior von Iob 38, 16a das hebräische Wort ‫נֵבֶ ְך‬ (nach dem Vorbild der LXX) richtig mit fons übersetzt44, ändert er es in der Vulgata zu profundum. Dasselbe Wort hatte er auch schon in der Vulgata-Fassung von Iob 28, 11a benutzt45. Er kommt also am Ende seiner Bemühungen um dieses schwierige hebräische Wortfeld wieder auf jene Bedeutung zurück, die er bereits in der Erstfassung der Versio prior von Iob 28, 11a verwandt hatte. Obwohl im hebräischen Text von Iob 38, 16a die Pluralform ‫ נִ ְבכֵ י‬steht, bieten die Hauptversion der LXX (πηγήν) und Hieronymus in der Versio prior (fontem) den Singular. Zum Plural profunda wechselt Hieronymus erst in der Vulgata. Entsprechende Entwicklungsschritte weist auch seine Versio prior in Iob 28, 11a auf, wo er in der Erstfassung O. – gegen die hebräischen und griechischen Vorlagen – den Singular altitudinem verwandte und erst in der revidierten Version in S. T. B. mit altitudines sowie schließlich in der Vulgata mit profunda die ihm vorgegebenen Pluralformen wiedergab. Beide Probleme bei Hieronymus lassen sich m. E. mit ein- und derselben Hypothese erklären. Während die von der Wurzel ‫ נבך‬abgeleiteten biblischen Hapax legomena ‫ מַ ּבַ ְך‬und ‫ נֵבֶ ְך‬im Licht der Etymologie und der biblischen Kontexte vermutlich beide „Quelle“ heißen, hat der Ausdruck ‫ נִ ְבכֵ י־הַ אַ ְָדמָ ה‬im Neuhebräischen die Bedeutung „Tiefen der Erde“46. Die Wortwahl der LXX (βάθη) legt ebenso wie die Übersetzungen des Hieronymus mit altitudinem / altitudines bzw. profunda den Schluss nahe, dass die Bedeutungsverschiebung bzw. -erweiterung von „Quelle“ in Richtung „Tiefe“ schon sehr früh begonnen hat. Weil die betreffenden Nomina ‫מַ ּבַ ְך‬ bzw. ‫ נֵבֶ ְך‬im Hiob-Text jedoch Hapax legomena waren, waren sie erläuterungsbedürftig. Vielleicht gab es also in der jüdischen Tradition zu beiden Begriffen eine Randglosse, die auf die Bedeutung „Tiefe“ hinwies. Da ferner beide Hapax legomena im Status constructus stehen, ist diese Form auch für die Glosse anzunehmen. Folglich hat die Glosse vermutlich ‫ מצולת‬gelautet (als Status constructus der femininen Vokabel ‫ ְמצּולָ ה‬, „Tiefe“47). Für diese Annahme sprechen die im Alten Testament auch sonst belegten Constructus-Verbindungen ‫„( ְמצּוֹלת יָם‬Tiefen des Meeres“48) und ‫„( ְמצּוֹלת יְ אֹר‬Tiefen des Flusses (= des Nils)“)49. Die Annahme, dass sich Hieronymus an einem so formulierten Hinweis orientiert hat, würde nicht nur erklären, warum er beiden Hapax legomena die Bedeutung „Tiefe“ beilegte, sondern auch verständlich machen, warum er in beiden Fällen so auffällig zwischen den Numeri der Worte schwankte. Die Form der Glosse – ‫ מצולת‬verstanden als Status constructus im Femininum – ist nämlich doppeldeutig: Sie kann entweder als Singular 44 ‫ נֵבֶ ְך‬wird in allen Lexika als „Quelle“ gedeutet: Brown-Driver-Briggs (1906) 614 links;­ Köhler-Baumgartner (1953) 589 links; Gesenius-Donner (2013) 774 links. 45 Vgl. das Zitat auf der vorigen Seite. 46 Vgl. Lavy (1975) 355 links. 47 Im Buch Jona (2, 4) steht ‫ ְמצּולָ ה‬vermutlich als Glosse zu dem poetischen Ausdruck „im Herzen des Meeres“: Vgl. BHS (1983) im Apparat. 48 Ps 68, 23 und Mi 7, 19. 49 Sach 10, 11.

Revisionen von O. in S. T. B. unter Wechsel der Textvorlagen I

47

(‫ ) ְמצּולַ ת‬oder als Plural (‫ ) ְמצּוֹלת‬vokalisiert werden. Hieronymus hat an beiden HiobStellen zunächst den Singular vorgezogen und erst bei der Revision (in Iob 28, 11a schon in der Versio prior, in Iob 38, 16a erst in der Vulgata) den Plural eingesetzt, den ihm sowohl die Konsonantentexte beider Hapax legomena des Hiob-Textes als auch die eben zitierten Parallelen vorgaben. O. steht allein gegen S. T. B. Im nächsten Beispiel führt der Wechsel der Textbasis zu einem Tempuswechsel: 50 Nr. 9

Kapitel- u. Beleg-Nr. bei Trenkler: 14/23

Hiob Kap./ Vers

adn. ed. Zy.

Wortlaut adn. = O.

33, 26b

582, 3

et intrauit

M50: ‫ַו ַּי ְרא‬

Wortlaut Hieronymus-Codices S.

T.

et intrauit

et intrabit

B.

LXX: εἰσελεύσεται δὲ

Die Erstübersetzung intrauit des Hieronymus in O. geht wahrscheinlich darauf zurück, dass er denselben, von M verschiedenen hebräischen Text vor sich hatte, auf den auch die LXX zurückgeht – also ‫„( ַוּיָב ֹא‬und er kam hinein“) statt (wie M) ‫ַוּי ְַרא‬ („und er sah“51). Das Perfekt intrauit ergibt sich aus dem hebräischen Narrativ ‫ ַוּיָב ֹא‬. Durch den Wechsel zum Futur intrabit passt Hieronymus dann die Versio prior an das εἰσελεύσεται der LXX an. In der Vulgata liest Hieronymus uidebit, übernimmt also die Vokabel aus M, deutet aber die Form weiterhin im Licht der LXX als Futur. In M steht dagegen – wie schon erwähnt – ein Narrativ, der üblicherweise als Vergangenheitstempus aufgefasst wird52. Hier taucht ein häufiger wiederkehrendes Problem auf: Weil auch 50 Dt.: und er sah. 51 So Beer (Text 1897) 212. (Beer hat allerdings diesen Vorschlag in seiner Hiob-Edition in BHK (1937) nicht wiederholt.) Jedoch bestätigt die Versio prior des Hieronymus an dieser Stelle Beers These gegen die von Orlinski (1959) 160 geäußerte Skepsis. Das intrauit des Hieronymus widerlegt zugleich die These von Gard, hier habe der LXX-Übersetzer einen „trick“ angewandt. Gard (1952) 54–60 analysiert im Detail die Veränderungen, die der griechische Übersetzer aus theologischen Gründen in der Elihu-Rede (Kapitel 33) gegenüber dem Hebräischen vorgenommen hat. Er zeigt (S. 57), dass die LXX die Aussage von Iob 33, 26b im Hebräischen („so dass er (sc. der Mensch) sein (sc. Gottes) Gesicht sieht mit Freude“) vermeiden will, weil nach seiner Auffassung kein Mensch Gott sehen kann. Gard fährt fort (S. 57): „G. there­ fore, by a trick of the translator, interprets ‫ ירא‬as ‫ יבוא‬and renders εἰσελεύσεται“. Hieronymus’ Übersetzung zeigt, dass die hebräische Vorlage der LXX nicht nur als ‫„ יבוא‬interpretiert“ wurde, sondern diese Form tatsächlich enthielt. 52 Gard (1952) 57 erwähnt das der Verbform voranstehende Waw nicht und erspart sich so eine Erklärung, wie das Futur der LXX zustande kam.

48

Hieronymus’ Erstfassung O. und die Fassungen S. T. B. 

ein Narrativ gelegentlich präsentische oder futurische Bedeutung haben kann53, lässt sich aufgrund der Tatsache, dass die LXX-Übersetzer und auch noch Hieronymus nur unvokalisierte hebräische Texte kannten54, nicht entscheiden, wie sie ihre hebräische Vorlage an dieser Stelle vokalisierten  – ob als Narrativ wie später M oder als normales Imperfekt mit Waw copulativum, das ohnehin präsentische oder futurische Bedeutung hat. Während Heater auch im Buch Hiob von der Vokalisation als Narrativ ausgeht55, neige ich eher zu der einfacheren zweiten Auffassung. O. S stehen gegen T. B. Im nächsten Beispiel bringt der Wechsel der Textbasis eine Veränderung des Genus Verbi und damit eine andere Syntax mit sich: 56 57 Nr. 10

Kapitel- u. Beleg-Nr. bei Trenkler: 14/6

Hiob Kap./ Vers

adn. ed. Zy.

Wortlaut adn. = O.

Wortlaut Hieronymus-Codices

36, 9a

588, 21

adnuntiantur eis opera ­ eorum

adnuntiabit eis opera eorum

M56: ‫ַו ַּיּגֵ ֣ד לָ ֶה֣ם ּפָ ֳע ָל ֑ם‬

S.

T.

B.

Hexapla sub *57: ἀναγγελεῖ αὐτοῖς τὰ ἔργα αὐτῶν

Auch hier hat Hieronymus in O. sehr wahrscheinlich anhand eines anders lautenden hebräischen Urtextes gearbeitet, bevor er seine Erstfassung wieder verwarf und in S. T. B. nach dem Vorbild der LXX-Fassung ἀναγγελεῖ das Futur Aktiv adnuntiabit einsetzte. Die LXX kam hier M so nahe, dass er sie mit geringer Abwandlung auch in der Vulgata zum Vorbild nahm : Dort änderte er lediglich adnuntiabit zu indicabit. Seine Erstübersetzung mit dem Passiv adnuntiantur erklärt sich vermutlich so, dass er seinen hebräischen Text nicht als Narrativ Hif ’il ‫„( ַו ַּיּגֵד‬und er kündigte an“), den der masoretische Text bietet, sondern als Narrativ Hof ’al ‫„( ַו ֻּיּגַד‬und es wurde verkündet“) vokalisiert hat, der im Alten Testament ebenfalls häufig be 53 Belege zur präsentischen bzw. futurischen Bedeutung des Imperfekt consecutivum (= des Narrativs) sind gesammelt bei Joüon (1923) 325–326. 54 Vgl. Trenkler (2017) 29 mit Anm. 80–81. 55 Vgl. Heater (1976) 24–25. Der Autor macht darauf aufmerksam, dass diese Auffassung des hebräischen Imperfekt consecutivum besonders häufig in den Samuel- und Königsbüchern belegt ist. 56 Dt.: Und er kündigte ihnen ihr Tun an. 57 Vgl. Ziegler (1982) 373.– Gard (1952) 37–38 erklärt das Fehlen der ganzen Passage Iob 36, 5b-9 in der LXX als bewusste Auslassung durch den Übersetzer, der Gottes Tätigkeiten nicht allzu mechanisch beschrieben sehen wollte.

Revisionen von O. in S. T. B. unter Wechsel der Textvorlagen I

49

legt ist58. Dementsprechend fasste er in O. das suffigierte Nomen im Singular ‫ּפָ עֳלָ ם‬ („ihr Tun“) als Satzsubjekt auf, während er es bei der Revision im Gefolge der Hexapla als Satzobjekt konstruierte. Das Präsens adnuntiantur in O. verweist ebenfalls auf eine hebräische Vorlage, denn der griechische Text bietet nur das Futur. Wie im vorigen Beleg muss offen bleiben, ob Hieronymus seine Vorlage als Narrativ oder als normales Imperfekt mit Waw copulativum vokalisierte. Während die passivische Konstruktion sowie das Präsens in O. also auf einer hebräischen Textvorlage beruhen dürfte59, zeigt ein anderes Detail, dass sich Hieronymus dort gleichzeitig auch am Text der Hexapla orientierte. Sein Plural opera, also die Auffassung der „Tat“ als kollektiver Singular, ist ein Echo des griechischen τὰ ἔργα60. Damit ist diese Passage ein weiteres Beispiel für Hieronymus’ eklektische Methode in O., auf engstem Raum Details mehrerer Textvorlagen zu kombinieren. O. steht allein gegen S. T. B. 2.3.1.2 Inhaltliche Veränderungen Inhaltlich tiefer greift der Wechsel der Textbasis an der folgenden Stelle ein: 61 Nr. 11

Kapitel- u. Beleg-Nr. bei Trenkler: 14/14

Hiob Kap./ Vers

adn. ed. Zy.

Wortlaut adn. = O.

Wortlaut Hieronymus-Codices

19, 27c

550, 1–2

et omnia mihi consumpta sunt

et omnia mihi consummata sunt

M61: ‫ּכָ ל֖ ּו ִכ ְל ֹי ַת֣י‬

S.

T.

B.

LXX: πάντα δέ μοι συντετέλεσται

Die Wahl der Vokabel consumpta sunt in Hieronymus’ Erstfassung O. beruht auf dem Hebräischen; denn die Wurzel ‫ כלה‬ist eher negativ konnotiert im Sinne von

58 Vgl. Gesenius-Donner (2013) 777 rechts. 59 Das würde auch für die Erklärung gelten, Hieronymus habe hier in freier Übersetzung ein Passivum divinum eingeführt. Dafür kann ich aber aus meinem Material nur wenige Parallelen anführen. Die erste geht nicht erst auf Hieronymus zurück, sondern steht schon in der LXX: Vgl. gleich anschließend den Beleg 11 zu Iob 19, 27c mit dem dort am Ende referierten Rekonstruktionsvorschlag von Gard und Tremblay. Für eine zweite Stelle vgl. Kap. 17, S. 418 zu Iob 8, 21a. 60 Der Plural „ihre Taten“ steht auch schon im Qumran-Targum 11QtgJob (Kolumne 27, Z. 3; dazu York (1973) 236), in der Vulgata sowie im rabbinischen Targum (Mangan (1991) 78 mit Anm. 3). 61 Dt.: es haben sich verzehrt meine Nieren.

50

Hieronymus’ Erstfassung O. und die Fassungen S. T. B. 

„aufgerieben sein/hinschwinden/verschmachten“62. Die revidierte Übersetzung consummata sunt entspricht dagegen dem griechischen συντετέλεσται, das eher positiv besetzt ist63 und im vorliegenden, berühmten Zusammenhang64 als Ausdruck eschatologischer Vollendungshoffnung gedeutet werden kann65. Damit illustriert diese Stelle nicht nur, dass Hieronymus zu Beginn der Arbeit an der Versio prior besonders am hebräischen Text interessiert war, sich aber im späteren Verlauf stärker an der LXX orientierte, sondern auch, dass an dieser Stelle sein Streben nach Wechsel der Textbasis mit einer inhaltlich gut begründeten Neuinterpretation zusammentraf. Sowohl der LXX als auch beiden Varianten des Hieronymus liegt hier eine hebräische Vorlage zugrunde, die sich vom masoretischen Text unterschied. Dieser nämlich liest ‫„( ּכָ לּו ִכ ְליֹתַ י‬es haben sich verzehrt meine Nieren“). Wie allerdings die hebräische Vorlage der LXX und des Hieronymus gelautet hat, ist nicht sicher festzustellen. Wenn man das Griechische wörtlich ins Hebräische zurückübersetzte, erhielte man eine Fassung, die im zweiten Teil deutlich von dem Konsonantentext in M abweicht: ‫„( ּכָ לּו כּוּלָ ם ִלי‬sie alle sind mir aufgerieben worden/sind mir verschmachtet“66). Überzeugender scheint mir deshalb der Vorschlag von Gard zu sein67, der auch von Tremblay vertreten wird68. Beide gehen davon aus, dass dem Übersetzer grundsätzlich derselbe Konsonantentext wie in M vorlag. Jedoch meint Gard, der Übersetzer der LXX habe hier die hebräische Vorlage, die wie M lautete, bewusst manipuliert, um die Aussage zu vermeiden, Hiobs Nieren hätten sich verzehrt. Demgegenüber betont Tremblay mehrfach (m. E. allerdingszu Unrecht), die LXX-Version sei nur das Ergebnis einer anderen Worttrennung69. Beide meinen, der griechische Übersetzer habe das auslautende ‫ ו‬von ‫ּכָ לּו‬, des ersten Wortes von M, ignoriert. So wird aus der Verbform ‫ ּכָ לּו‬das Wort ‫„( ּכָ ל‬alle(s)“). Der LXX-Übersetzer hätte dann das zweite Wort statt als Substantiv ‫„( ִכ ְליֹתַ י‬meine Nieren“) als Verbform der Wurzel ‫ כלה‬vokalisiert: ‫יתי‬ ִ ‫„( ּכָ ִל‬ich bin aufgerieben/vollendet

62 Vgl. Gesenius-Donner (2013) 546 rechts. Entsprechend sind die von Tremblay (2002) 473 gesammelten verschiedenen griechischen Übersetzungen generell in der LXX und speziell im Buch Hiob vielfach negativ getönt. 63 Vgl. Liddell-Scott-Jones (1940) 1726 links. 64 Dem Passus Iob 19, 25–27 und seiner Auslegung bei den griechischen Kirchenvätern hat Tremblay (2002) sein ganzes Buch gewidmet. 65 Tremblay (2002) 202–203. 206. 66 Dhorme (1926) 259 begnügt sich hier mit der Bemerkung, die LXX habe ‫ כָ לּו‬mit ‫ּכָ ל‬ („alle(s)“) verwechselt. 67 Gard (1952) 42. 68 Tremblay (2002) 473–474 mit 483. (Tremblay führt Gard in seiner Bibliographie S. 524 auf, nennt ihn jedoch in seiner Rekonstruktion von Iob 19, 27c nicht als Quelle.) 69 Tremblay (2002) 473. 474. 483. Grundsätzlich ist allerdings richtig, dass sich Hieronymus des Problems bewusst war, hebräische Wörter richtig abzuteilen: Vgl. Hulley (1944) 94. Ein Beispiel für eigenwillige Abteilung durch Hieronymus auch bei Meiser (2010) 267, Anm. 113. Generell zur richtigen Wortunterteilung als Problem atl. Textkritik: Tov (1997) 209–210.

Revisionen von O. in S. T. B. unter Wechsel der Textvorlagen I

51

worden“70). Insgesamt hätte die hebräische Vorlage also ‫יתי‬ ִ ‫ ּכֹל ּכָ ִל‬gelautet („in allem bin ich aufgerieben / vollendet worden“). Beide setzen bei ihrer Rekonstruktion stillschweigend voraus, dass der griechische Übersetzer die aktive Konstruktion des Hebräischen mit dem Passivum divinum wiedergegeben hat. Tremblay verweist auf die Parallelität zur LXX-Fassung des vorangehenden Verses Iob 19, 26b παρὰ γὰρ κυρίου ταῦτά μοι συνετελέσθη. (In beiden Stichen ist der Dativ μοι nicht als Dativus auctoris, sondern als Dativus commodi oder ethicus aufzufassen.) O. steht allein gegen S. T. B. Zur Neuinterpretation eines Attributes kommt es an folgender Stelle: 71 Nr. 12

Kapitel- u. Beleg-Nr. bei Trenkler: 15/1

Hiob Kap./ Vers

adn. ed. Zy.

29, 11b

570, 24–25 oculus uidentis

M71: ‫עַ יִ ן ָר ֲאתָ ה‬

Wortlaut adn. = O.

Wortlaut Hieronymus-Codices S.

T.

fehlt

oculus uidens

B.

LXX: ὀφθαλμὸς […] ἰδὼν

Die Erstfassung des Hieronymus beruht auf einer von der masoretischen Punktierung abweichenden Vokalisation des hebräischen Textes. Während die Masoreten die Konstruktion ‫„( עַ יִ ן ָראֲתָ ה‬ein Auge gesehen hat“) lesen72, setzt die Wendung oculus uidentis voraus, dass Hieronymus dort die Constructus-Verbindung ‫ראֲתָ ה‬ ֹ ‫„( עֵ ין‬Auge einer Sehenden“) vorgefunden oder sich zurechtgelegt hat. Die revidierte Fassung des Hieronymus in T. B. oculus uidens gibt dann die Fassung der LXX ὀφθαλμὸς […] ἰδὼν wieder. Da diese dem masoretischen Wortlaut entspricht, steht oculus uidens auch in der Vulgata. O. steht gegen T. B; S. fehlt. Inhaltlich besonders interessant ist, dass Hieronymus an einer Stelle bei der Revision eine typisch jüdische Umschreibung des Gottesnamens wieder tilgt, die er in der Erstfassung selbst eingeführt hatte: 70 Auch Wutz (1933) 347 meint angesichts des Versendes „in meinem Busen“, der hebräische Text habe hier ursprünglich eine Verbform geboten. Er vokalisiert ‫יתי‬ ִ ֵ‫ ּכָ ל‬und will die Verbform von der Wurzel ‫„( כלא‬zurückhalten/einschließen“) ableiten, wobei der dritte Radikal ‫ א‬durch die Mater lectionis ‫ י‬ersetzt sei. Seine Übersetzung „all das will ich in meinem Busen verschließen“ berücksichtigt allerdings nicht die Tempusfunktion des Hebräischen. In jedem Fall haben die LXX und Hieronymus den Text anders verstanden. 71 Dt.: ein Auge gesehen hat. 72 So vermutlich auch das Quamran-Targum lt. York (1973) 116 (allerdings fehlt gerade die Endung der Form in Kolumne 14, Z. 4) und 125 und sicher das Rabbinische Targum lt. Mangan (1991) 66.

52 73

Hieronymus’ Erstfassung O. und die Fassungen S. T. B. 

Nr. 13

Kapitel- u. Beleg-Nr. bei Trenkler: 14/22

Hiob Kap./ Vers

adn. ed. Zy.

Wortlaut adn. = O.

Wortlaut Hieronymus-Codices

29, 4b

570, 9–10

cum uerbum domini inspiceret domum meam

cum dominus inspiceret domum meam

M73: ‫ְּבסֹ֥ וד א֝ ֱ ֹ֗לוּהַ ֲע ֵל ֣י אָ ֳה ִ ֽלי‬

S.

T.

B.

LXX: ὅτε ὁ θεὸς ἐπισκοπὴν ἐποιεῖτο τοῦ οἴκου μου

In O. übersetzte Hieronymus den Gottesnamen ַ‫ א֝ ֱֹ֗לוּה‬nach rabbinischer Tradition mit uerbum domini74. In seiner Revision reduzierte Hieronymus dagegen seine Übersetzung auf dominus und nähert sich damit der LXX an75, die hier allerdings θεός bietet76. Möglicherweise wählte Hieronymus die Umschreibung mit uerbum domini gerade an der vorliegenden Stelle, weil der hebräische Text eine umstrittene Lesart enthält. M liest hier ַ‫„( ְּבסֹ֥ וד א֝ ֱֹ֗לוּה‬beim Plaudern Gottes“77), während die LXX die graphisch sehr ähnliche Schreibung ַ‫„( ְּבסֹ֥ וְך א֝ ֱֹ֗לוּה‬beim schützenden Umgeben Gottes“78) voraussetzt. Weil diese Lesart besseren Sinn ergibt79, hat auch Hieronymus sie seiner Übersetzung cum inspiceret zugrunde gelegt. Mit der Wendung uerbum domini konnte er jedoch gleichzeitig auch die alternative hebräische Lesart vom „Plaudern Gottes“ andeutungsweise in seine Erstfassung O. integrieren. Dieses Detail ist in den Fassungen S. T. B. eliminiert; sie beruhen also nur noch auf der LXX. O. steht allein gegen S. T. B. 73 Dt.: Beim Plaudern Gottes über meinem Zelt. 74 Dies entspricht nicht seiner Deutung von „eloe“ als dem dritten Gottesnamen in ep. 25, 2 an Marcella über die zehn Gottesnamen im Hebräischen. Dort glossiert er eloe einfach mit Deus. Den Hinweis auf die rabbinische Tradition verdanke ich Dhorme (1926) CLXXIV. Dieser weist nach, dass uerbum mit dem Genetiv der verschiedenen Gottesbezeichnungen im Hiob-Targum mehrfach dazu dient, die direkte Nennung des Gottesnamens zu vermeiden. Für das sehr häufige Vorkommen der Umschreibung des Gottesnamens durch „Wort Gottes“ in den Targumim generell vgl. Levine (1988) 59–60. Dhorme (S. 380) geht aber zur vorliegenden Stelle Iob 29, 4b nicht auf diese Nuance der Übersetzung des Hieronymus bzw. ihre mögliche Quelle ein. Im rabbinischen Hiob-Targum zu Iob 29, 4b (ed. Stec (1994) 191) ist diese Umschreibung nicht belegt. Im Qumran-Targum ist diese Passage verloren: Vgl. York (1973) 116. 75 Lt. Witte (2011) 2052 ist ὁκύριος im griechischen Hiob-Buch ein „Übersetzungsbegriff für sämtliche im hebr. Text verwendeten Gottesbezeichnungen“. 76 Schon Orlinski (1964) 61 mit Anm. 11 macht darauf aufmerksam, dass in der Hiob-LXX θεός und κύριος unterschiedslos zur Übersetzung von ‫ֹלהים‬ ִ ‫א‬ ֱ gebraucht werden. 77 Zur Wurzel ‫„( סֹ֥ וד‬vertraulich reden / schwatzen“) vgl. Gesenius-Donner (2013) 875 rechts. 78 Zur Wurzel ‫„( סֹ֥ וְך‬schützend umgeben“) verweisen Gesenius-Donner (2013) 876 rechts s. v. ‫סֹ֥ וְך‬1 auf die gleichbedeutende Wurzel ‫ ׂשוְך‬1279 rechts. 79 Sie wird auch im Apparat der BHS (1983) vorgeschlagen.

Revisionen von O. in S. T. B. unter Wechsel der Textvorlagen I

53

2.3.1.3 Stilistische Veränderungen Dass Hieronymus in der Versio prior die biblischen Texte möglichst genau wiedergeben wollte, zeigt sich auch daran, dass er bei der Übersetzung hebräischer Verben in der Regel Simplicia benutzt, während er bei der Wiedergabe griechischer Vorlagen Komposita bevorzugt. Damit spiegeln seine Übersetzungen typische Eigenarten der beiden Ursprachen wider: Das Hebräische kann gar keine Komposita bilden, während gerade die LXX-Fassung des Buches Hiob für ihren Reichtum an Komposita bekannt ist80: 81 Nr. 14

Kapitel- u. Beleg-Nr. bei Trenkler: 15/14

Hiob Kap./ Vers

adn. ed. Zy.

30, 17b

575, 23–24 et nerui mei soluti sunt

M81: ‫ְו ֝עֹ ְר ַ֗קי ֣ל ֹא יִ ְׁשּכָ ֽבּון‬

Wortlaut adn. = O.

Wortlaut Hieronymus-Codices S.

T.

B.

et nerui mei dissoluti sunt LXX: τὰ δὲ νεῦρά μου διαλέλυται

Sowohl die LXX als auch Hieronymus lassen hier die letzten beiden Wörter von M im Lemma Iob 30, 17b („sie schlafen nicht/können nicht schlafen“) fort82. Dass sie beide einen anderen hebräischen Text als M lasen83, wird auch durch die ihnen beiden gemeinsame Version „meine Sehnen sind zerstört“ bewiesen. Hier liegt eine Übersetzung der – sonst nicht belegten – Perfekt Pu’al-Form ‫„( וְ עֻ ּקַ ְר ִּתי‬und ich bin an den Sehnen verletzt worden“) zur Wurzel ‫ עקר‬vor, die im Pi’el „einem Pferd/Stier die Sehnen der Hinterbeine durchhauen“ heißt84. Der Text von M, ‫( ְו ֝עֹ ְר ַ֗קי‬wörtlich „und meine Nager“, d. h. „und die, die mich benagen“), geht dagegen auf die Wurzel ‫ערק‬ („benagen“) zurück85: Es liegt eine Vertauschung der letzten beiden Radikale vor86. Dass Hieronymus sich in O. auf diesen hebräischen Text stützte, dagegen bei der Revision zur LXX überging, geht aus den Prädikaten hervor: Der hebräische Hin-

80 Gerleman (1946) 7–8 und 14. 81 Dt.: und die, die mich benagen, schlafen nicht/werden nicht schlafen. 82 Dieser Umstand zeigt, dass die Rekonstruktion der hebräischen LXX-Vorlage durch Wutz (1933) 219 und 258 im Sinne von „und meine Sehnen können nicht schlafen“ nicht richtig sein kann. 83 In der Vulgata übersetzt Hieronymus Iob 30, 17b genau nach M: et qui me comedunt non dormiunt. 84 Gesenius-Donner (2013) 1006 links. 85 Gesenius-Donner (2013) 1017 rechts. 86 Zur Metathese hebräischer Konsonanten als Quelle von Varianten vgl. Tov (1997) 206–207.

54

Hieronymus’ Erstfassung O. und die Fassungen S. T. B. 

tergrund der Erstübersetzung erhellt aus dem typischen Simplex soluti sunt, die griechische Basis der Revision dagegen aus der Übernahme des griechischen Kompositums διαλέλυται in der Form dissoluti sunt. Welchen Wert Hieronymus bei seiner Revision auf den Übergang von der hebräischen Vorlage zur LXX legte, wird daran deutlich, dass er ihm zuliebe die Anspielung auf die Aeneis opferte, die er in der Erstübersetzung untergebracht hatte: Dort konnte der Leser die Formulierung nerui mei soluti sunt leicht mit Vergils soluuntur frigore membra87 assoziieren. O. steht gegen S. T. B.

2.3.2 Wechsel Hebräisch – Griechisch: Sonderfälle Als Übergang zum nächsten Kapitel, in dem Hieronymus’ Abrücken von der Textbasis M thematisiert werden soll, eignen sich zwei Sonderfälle, wo meine pragmatische Unterscheidung von hebräischer Haupt- und Nebenüberlieferung an ihre Grenzen stößt. An der ersten Stelle ist nicht eindeutig zu klären, ob die Erstübersetzung O. auf die hebräische Haupt- oder Nebenüberlieferung zurückgeht. Wieder bestätigt die Passage, wie genau es Hieronymus auch mit kleinen sprachlichen Nuancen nahm: 88 89 Nr. 15

Kapitel- u. Beleg-Nr. bei Trenkler: 15/8

Hiob Kap./ Vers

adn. ed. Zy.

Wortlaut adn. = O.

Wortlaut Hieronymus-Codices

20, 4a

550, 16

aut numquid

numquid

M88: ‫ֲה‬

S.

T.

B.

Hexapla sub *89: μὴ

Die längere Frageeinleitung in O. mit aut numquid wird an der vorliegenden Stelle bei der Revision auf numquid verkürzt. In vier anderen Lemmata bleibt die Langversion bei der Revision jedoch erhalten: in Iob 8, 10; 10, 20; 11, 2 und 38, 12a. Der Grund für die Verkürzung liegt in dem μὴ der Hexapla, die sich damit als Textgrundlage für die Revision der vorliegenden Stelle entpuppt. Ein Vergleich der Lemmata, in denen die Langform aut numquid erhalten blieb, ergibt, dass aut numquid auf vier verschiedene Lesarten der Urtexte zurückgehen kann: auf die hebräi 87 Aeneis 1, 92: extemplo Aeneae soluuntur frigore membra; 12, 951: ast illi (=Turno) soluuntur frigore membra. 88 Dt.: Etwa…? 89 Vgl. Ziegler (1982) 297.

Revisionen von O. in S. T. B. unter Wechsel der Textvorlagen I

55

schen bzw. griechischen Langformen ‫הֲל ֹא‬/ἦ οὐκ / οὐχ (so in Iob 8, 10; 10,20; 11, 2) oder auf die jeweils nicht negierten Kurzformen ‫ ֲה‬/ἦ (so in Iob 38, 12a). Auf die vorliegende Stelle Iob 20, 4a angewendet bedeutet dies, dass die Erstfassung O. auf jede der beiden hebräischen Varianten ‫ ֲה‬oder ‫ הֲל ֹא‬zurückgehen kann, während sich die verkürzte revidierte Fassung nur durch den Bezug auf das griechische μὴ erklären lässt, das unsere Stelle von den genannten Parallelen unterscheidet90. So weist diese Stelle darauf hin,wie sehr sich Hieronymus bei der Revision seiner Versio prior des Buches Hiob darum bemühte, seine Übersetzung nicht mehr auf hebräische Texte, sondern auf die ihm in der Hexapla vorliegende Hauptüberlieferung zu gründen. O. steht allein gegen S. T. B. An der zweiten Stelle wird deutlich, dass Hieronymus in Ausnahmefällen nicht den Text von M, sondern eine andere Vokalisierung als hebräische Hauptüberlieferung angesehen hat: 91 92 Nr. 16

Kapitel- u. Beleg-Nr. bei Trenkler: 15/41

Hiob Kap./ Vers

adn. ed. Zy.

Wortlaut adn. = O.

Wortlaut Hieronymus-Codices S.

T.

37, 2b

594, 5–6

et strepitum oris illius exeuntem

et strepitum oris illius exeuntem

et strepitum oris ipsius exeuntem

M91: ‫ְו ֝ ֗ ֶהגֶה ִמ ִ ּ֥פיו י ֵ ֵֽצא‬

B.

Hexapla sub * (Üs. des Aquila)92: καὶ φθογγὴ ἐκ στόματος αὐτοῦ ἐξελεύσεται

Trenkler hat bereits gezeigt, dass Hieronymus’ Partizipialkonstruktion mit exeuntem auf eine von M abweichende Lesung des Hebräischen zurückgeht – auf das Partizip ‫ יֹצֵ א‬statt das Imperfekt ‫'י ֵ ֵֽצא‬93. Da dieselbe syntaktische Struktur auch in der Vulgata wiederkehrt (dort mit dem leicht veränderten Wortlaut et sonum de ore illius procedentem)94, liegt die Annahme nahe, dass Hieronymus an dieser Stelle die partizipiale Vokalisation des Hebräischen deshalb als Hauptversion ansah, weil ihm die Lesung als Imperfekt gar nicht begegnet war.

90 Die Textänderung bei Hieronymus spricht gegen das Urteil von Beer (Text, 1897) 132: „G (Q) hat schwerlich anders als M gelesen.“ 91 Dt.: und 1. Gemurmel wird aus seinem Mund hervorgehen / 2. das Gemurmel aus seinem Mund hervorgehen wird. 92 Ziegler (1982) 378 im 2. Apparat. 93 Trenkler (2017) 218. 94 Trenkler (2017) 218.

56

Hieronymus’ Erstfassung O. und die Fassungen S. T. B. 

Auch dieses Lemma hat Hieronymus bei der Revision an die griechische Übersetzung angepasst, wenn auch nur leicht durch den Austausch von illius gegen ipsius. Die Vulgata bietet wieder das illius der Erstfassung O.; illius ist hier also eng mit der hebräischen Textvorlage assoziiert. Dagegen entspricht das ipsius des revidierten Codex T. wörtlich dem griechischen αὐτοῦ. O. S. stehen gegen T. B.

B. Detailanalysen: Kapitel 2–5 Kapitel 3: Revisionen von O. in S. T. B. unter Wechsel der Textvorlagen II: Wechsel von M zu griechischen Vorlagen 3.1 Der Wechsel von M zu griechischen Vorlagen Die bisherige Übersicht hat gezeigt, dass Hieronymus seiner Erstfassung O. verhältnismäßig oft hebräische Lesarten zugrunde legte, die von M abweichen. In noch erheblich größerer Zahl lassen sich in O. hebräische Textvorlagen nachweisen, die mit M übereinstimmen. Sie zeigen, dass Hieronymus in der Regel den Text von M kannte und als Hauptüberlieferung behandelte. Aber auch den Einfluss von M hat Hieronymus bei seinen Revisionen zugunsten der LXX reduziert. In vielen dieser Fälle ergeben bereits die Lesarten der Erstfassung O., die auf M basieren, einen vollkommen befriedigenden oder sogar besseren Sinn als die LXXFassungen. Das ist m. E. ein deutlicher Hinweis darauf, dass diese Revisionen in erster Linie nicht inhaltlich motiviert waren, sondern aus Hieronymus’ Bestreben resultierten, die Übersetzung stärker an die LXX anzupassen. Charakteristisch für diese Tendenz sind m. E. die folgenden drei Beispiele. Im ersten Fall versucht die LXX, die Wirkung eines typischen Hebraismus durch ein anderes sprachliches Mittel zu erreichen: 1 Nr. 17

Kapitel- u. Beleg-Nr. bei Trenkler: 14/11

Hiob Kap./ Vers

adn. ed. Zy.

29, 8b

570, 20–21 senes autem adsurgebant

ִ ‫יׁש‬ ִ ֝ ‫ִ ֽו‬ M1: ‫יׁשים ָ ֣קמּו עָ ָ ֽמדּו‬

Wortlaut adn. = O.

Wortlaut Hieronymus-Codices S.

T.

B.

senes autem omnes adsurgebant LXX: πρεσβῦται δὲ πάντες ἔστησαν

Im Zitat von Iob 29, 8b hatte Hieronymus in O. die beiden asyndetischen Prädikate des Hebräischen ‫( קָ מּו עָ מָ דּו‬wörtlich: „sie standen auf standen da“) zu dem einen Verbum adsurgebant zusammengefasst. (Durch sein Imperfekt interpretierte er die Aussage in dem Sinn, dass die Alten in dieser Weise Hiob regelmäßig zu



1 Dt.: und Greise erhoben sich standen .

58

Hieronymus’ Erstfassung O. und die Fassungen S. T. B. 

ehren pflegten.2) In der revidierten Fassung orientierte sich Hieronymus dann wieder an der LXX, die hier anstelle des ersten Verbums ein πάντες („alle“) hat3, und fügte das Wort omnes in seine Übersetzung ein. Erst in der Vulgata übersetzt er dann auf der Basis von M jede der beiden hebräischen Verbformen für sich: et senes adsurgentes stabant; auch dort hält er durch das lateinische Imperfekt – gegen beide Urtexte – an seiner iterativen Deutung fest. O. steht allein gegen S. T. B. An der folgenden Stelle hatte Hieronymus in O. die vermutlich stärkere Nuance eines mehrdeutigen Wortes der hebräischen Vorlage schon gut getroffen. Bei der Revision übernimmt er die abweichende Deutung der LXX samt deren Elativ: 4 Nr. 18

Kapitel- u. Beleg-Nr. bei Trenkler: 15/22

Hiob Kap./ Vers

adn. ed. Zy.

Wortlaut adn. = O.

Wortlaut Hieronymus-Codices S.

T.

30, 1b

572, 10

infirmi

infirmi

infimi

M4: ‫ְצ ִע ִירים‬

B.

LXX: ἐλάχιστοι

Das hebräische ‫ ְצ ִע ִירים‬kann zwei Nuancen ausdrücken: „junge/kleine Kinder“ bzw. „niedrige/geringe Leute“5. Nach dem Kontext von Iob 30, 1 scheinen zunächst beide Nuancen gleich stark mitzuschwingen. Da jedoch die ‫ ְצ ִע ִירים‬anschließend sogar noch unter ihre verachteten Väter gestellt werden, hat die Nuance „schwache Kinder“ die Priorität. Dafür hatte sich Hieronymus in O. mit infirmi auch schon entschieden; dieselbe Interpretation nahm er dann in der Vulgata mit iuniores tempore mit noch größerem Nachdruck wieder auf 6. Dass er in der Zwischenzeit mit infimi die Deutung der LXX übernahm, zeigt wieder, dass ihm im Zweifel wichtiger war, die revidierte Fassung der Versio prior zu einer Übersetzung der LXX umzuformen, als am einmal erkannten Sinn des Urtextes festzuhalten. O. S. stehen gegen T. B. 2 Witte/Kepper (2011) 2106 zu 8 ff. merken an, dass die LXX in diesem Lebensrückblick des Hiob konstatierende Aoriste verwendet. Hieronymus’ Deutung des ebenfalls konstatierenden hebräischen Perfekts als Iterativ der Vergangenheit ist auffällig. Nach der klassischen Grammatik dient das Imperfekt als frequentatives Tempus auch der Vergangenheit: Vgl. Brockelmann (1956) 44, d. 3 Beer (Text, 1897) 186 zitiert Vorgänger, die deshalb statt ‫„( קָ מּו‬sie standen auf “) meinten, die Form ‫„( כֻ ּלָ ם‬sie alle“) annehmen zu sollen. 4 Dt.: 1. kleine Kinder / 2. Leute niederen Standes. 5 Gesenius-Donner (2013) 1127 rechts – 1128 links. 6 Diese Übersetzung ist von Symmachos’ Version οἱ νεώτεροί μου τοῖς χρόνοις angeregt: Vgl. Ziegler (1982) 339 im 2. Apparat.

Revisionen von O. in S. T. B. unter Wechsel der Textvorlagen II 

59

An der dritten Stelle nimmt Hieronymus sogar in Kauf, dass die LXX ein hebräisches Possessivsuffix unterschlägt, das er selbst in O. zu Recht beibehalten hatte: 7 Nr. 19

Kapitel- u. Beleg-Nr. bei Trenkler: 15/9

Hiob Kap./ Vers

adn. ed. Zy.

Wortlaut adn. = O.

Wortlaut Hieronymus-Codices

31, 13a

577, 18

ancillae meae

ancillae

S.

T.

B.

LXX: θεραπαίνης

M7: ‫ֲאמָ ִתי‬

Hier ist Hieronymus’ Tendenz offensichtlich, dem Leser eine Übersetzung der Hauptüberlieferung der LXX vorzulegen. Es spricht für sich, dass er in der Vulgata mit ancillae meae zur ungekürzten hebräischen Textbasis zurückkehrt. O. steht allein gegen S. T. B.

3.2 Zusätzliche Motive beim Wechsel zu griechischen Vorlagen Wie schon im vorigen Kapitel dargestellt, verbindet Hieronymus den Wechsel der Textbasis meist noch mit weiteren Änderungen. Auch bei der Abkehr von M hin zur LXX begegnen wieder die schon gewohnten Kategorien.

3.2.1 Grammatische Änderungen Ein Wechsel des Numerus ergibt sich an folgender Stelle: 8 9 Nr. 20

Kapitel- u. Beleg-Nr. bei Trenkler: 14/7

Hiob Kap./ Vers

adn. ed. Zy.

Wortlaut adn. = O.8

Wortlaut Hieronymus-Codices S.

T.

28, 2b

566, 21

aes autem similiter ut lapides excluditur

est (sic) autem similiter ut lapis exciditur

aes autem similiter ut lapis exciditur

M9: ‫חּוׁשה‬ ָֽ ְ‫ְו ֝ ֶ֗א בֶ ן יָצ֥ ּוק נ‬

B.

LXX: χαλκὸς δὲ ἴσα λίθῳ λατομεῖται

7 Dt.: meiner Dienerin (Genetiv). 8 Für die Überlieferung dieses Lemmas in den Adnotationes vgl. Trenkler (2017) 183 mit Anm. 9 Dt.: und Stein wird man (wörtl.: er) schmelzen zu Erz.

60

Hieronymus’ Erstfassung O. und die Fassungen S. T. B. 

Zwei Details zeigen, dass Hieronymus in seiner Erstfassung O. nach dem hebräischen Text gearbeitet, sich aber bei der Revision an der LXX orientiert hat: Die LXX liest „Stein“ im Singular (λίθῳ) und bietet mit λατομεῖται die Vorlage für exciditur. Der Plural lapides in O. geht vermutlich darauf zurück, dass Hieronymus den hebräischen Singular ‫ אֶ בֶ ן‬kollektiv interpretierte. Die Wortwahl excluditur in O. erklärt sich aus der Verwechslung zweier hebräischer Homonyme: Im Kontext von Iob 28, 2 liegt eigentlich die Wurzel ‫צוק‬2 im Sinne von „gießen/schmelzen“ vor10; Hieronymus dagegen hat mit excluditur offenbar an die Wurzel ‫צוק‬1 mit der Bedeutung „bedrängen“ gedacht11. O. steht allein gegen S. T. B. Auch eine Veränderung der Syntax von einem Relativsatz zum Objektsatz ist belegt: 12 Nr. 21

Kapitel- u. Beleg-Nr. bei Trenkler: 14/24

Hiob Kap./ Vers

adn. ed. Zy.

Wortlaut adn. = O.

Wortlaut Hieronymus-Codices

35, 2b

584, 9

qui dixisti

quia dixisti

M12: ָ‫חָ ַׁש ְ֣בּתָ ְל ִמ ְׁש ָּפ֑ט ָ֝א ֗ ַמ ְרּת‬

S.

T.

B.

LXX: ὅτι εἶπας

Die Erstübersetzung des Hieronymus mit dem Relativpronomen qui kann als Übersetzung aus dem Hebräischen verstanden werden. Dieses weist zwei asyndetisch gereihte Prädikate ָ‫ חָ ַׁש ְ֣בּתָ ְל ִמ ְׁש ָּפ֑ט ָ֝א ֗ ַמ ְרּת‬auf: „Du hast für Recht gehalten – du hast gesagt“. Das zweite Prädikat ָ‫ אָ מַ ְרּת‬kann entweder – wie von Hieronymus in O. – als Relativsatz (dessen Relativpronomen wie im Englischen fehlen kann13) oder mit der LXX als dass-Satz14 konstruiert werden. Wieder beruht die revidierte Über­

10 Gesenius-Donner (2013) 1110 rechts.– Beer (Text, 1897) 177 will das schwierige Qal ‫יָצּוק‬ von M mit Budde zum Ho’fal (also zum Passiv) ‫ יּוצֵ ק‬der Wurzel ‫„ יצק‬Metall gießen“ verbessern, wobei das feminine ‫ אֶ בֶ ן‬nicht adverbial, sondern als Objekt zu konstruieren sei: So auch die Apparate von BHK (1937) und BHS (1983). Dieser Vorschlag setzt die typisch hebräische Regel voraus, die Grether (1967) 198, Punkt o. folgendermaßen formuliert: „In passiven Sätzen kann unter dem Einfluss der aktiven Konstruktion das logische Subjekt als Objektsakkusativ stehen“. 11 Gesenius-Donner (2013) 1110 links. 12 Dt.: Hast du etwa dies für Recht gehalten, 1.  du gesagt hast / 2.  du gesagt hast…? 13 Vgl. Brockelmann (1956) 143–145. 14 Vgl. Brockelmann (1956) 139–140.– Gard (1952) 23–24 zeigt, dass der LXX-Übersetzer vor ὅτι εἶπας die rhetorische Frage σὺ τίς εἶ eingeschoben hat „to tone down the abruptnees (sic) of the Hebrew.“

Revisionen von O. in S. T. B. unter Wechsel der Textvorlagen II 

61

setzung des Kirchenvaters auf der LXX. Auch in der Vulgata setzt sich die Tendenz zur Deutung als dass-Satz mit ut diceres fort. O. steht allein gegen S. T. B.

3.2.2 Neuinterpretation von Tempusfunktionen Besonders häufig hat Hieronymus bei den Revisionen seine Auffassung der hebräischen Tempusfunktionen an die der LXX angepasst. Deshalb sammle ich die Belege in einem eigenen Abschnitt: 15 16 Nr. 22

Kapitel- u. Beleg-Nr. bei Trenkler: 15/2

Hiob Kap./ Vers

adn. ed. Zy.

Wortlaut adn. = O.

Wortlaut Hieronymus-Codices S.

T.

20, 12b

550, 23

abscondit

abscondit

abscondet

M15: ‫ידּנָה‬ ֶ ‫י ְַכ ִח‬

B.

Hexapla sub * (Üs. des Theodotion)16: κρύψει

Hier liegt eine Umdeutung der Tempusfunktion des hebräischen Imperfekts im Licht der LXX vor. Die Form abscondit von Hieronymus’ Erstfassung O. geht auf das hebräische Imperfekt ‫ י ְַכ ִח ֶידּנָה‬zurück. Es bleibt offen, ob Hieronymus damit das Präsens oder das Perfekt meinte: Er konnte ein hebräisches Imperfekt sowohl präsentisch als auch als Vergangenheitstempus deuten17. Das Futur abscondet der revidierten Versio prior gibt das Futur κρύψει der Hexapla wieder, das seinerseits eine besonders naheliegende Interpretation des hebräischen Imperfekts ‫ י ְַכ ִח ֶידּנָה‬darstellt. Diese futurische Deutung hat Hieronymus mit abscondet auch in die Vulgata übernommen. O. S. stehen gegen T. B.

15 Dt.: er wird es gewiss verbergen / er verbirgt es gewiss. 16 Ziegler (1982) 299 im 2. Apparat. 17 Die Deutung eines reinen hebräischen Imperfekts als präsentische oder futurische Verlaufsform ist Standard: Vgl. Brockelmann (1956) 44–45; Grether (1967) 210. Dagegen ist die bei Hieronymus gehäuft auftretende Auffassung des reinen hebräischen Imperfekts als Vergangenheitstempus auffällig. Es wäre zu prüfen, wieweit diese Interpretation bei ihm auf die Übersetzung der poetischen Bücher des AT beschränkt ist. Beispiele dieser Funktion aus den Psalmen hat Michel (1960) 132–137 unter dem traditionellen Stichwort „poetischer Aorist“ gesammelt. Michel analysiert die Tempusfunktionen der Psalmensprache jedoch als Hebraist und geht auf die Frage, wie frühere Übersetzer wie Hieronymus mit dem Phänomen umgegangen sind, nicht ein. Zu den verschiedenen möglichen Schattierungen des Imperfekts als Vergangenheitstempus vgl. auch Brockelmann (1956) 42–45.

62 18 19

Hieronymus’ Erstfassung O. und die Fassungen S. T. B. 

Nr. 23

Kapitel- u. Beleg-Nr. bei Trenkler: 10/12b

Hiob Kap./ Vers

adn. ed. Zy.

Wortlaut adn. = O.

31, 1b

576, 24–25 et non cogitabo

Wortlaut Hieronymus-Codices S.

T.

et non cogitabo

et non cogitaui

B.

Hexapla sub * (Üs. des Theodotion)19: καὶ οὐ συνήσω Hexapla sub * (Üs. des Symmachos): οὐδὲ ἐνόησα

M18: ‫ּומה ֶ֝א ְתּבוֹ ֗ ֵנן‬ ָ֥

Das hebräische reine Imperfekt (das auch Theodotion bereits wie üblich futurisch aufgefasst hatte) steht hinter dem Futur cogitabo der Erstfassung O. des Hieronymus. Symmachos dagegen hatte das Imperfekt des Urtextes als Vergangenheitstempus aufgefasst20 und als Aorist ἐνόησα übersetzt. Diese Variante übernahm Hieronymus in seinen revidierten Codex T., obwohl sie vom Kontext der Stelle her weniger naheliegt. Dass hier das Motiv im Vordergrund stand, sich vom hebräischen Urtext abzusetzen und eine Übersetzung zu liefern, die eindeutig auf einer griechischen Vorlage beruhte, wird auch daran deutlich, dass Hieronymus in der Vulgata mit der modalen Formulierung ut ne cogitem quidem wieder eindeutig auf das hebräische Imperfekt zurückgriff 21. O. S. stehen gegen T. B. 22 Nr. 24

Kapitel- u. Beleg-Nr. bei Trenkler: 14/5

Hiob Kap./ Vers

adn. ed. Zy.

Wortlaut adn. = O.

Wortlaut Hieronymus-Codices

35, 6b

585, 3

quid poteris facere?

quid potes facere?

M22: ‫מַ ה־ּתַ ֲעׂשֶ ה‬

S.

T.

B.

LXX: τί δύνασαι ποιῆσαι;

18 Dt.: und nicht denke ich / werde ich denken. Vgl. Trenkler (2017) 127 mit Anm. 15. 19 Ziegler (1982) 345 im 2. Apparat. 20 Zu diesem sogenannten „poetischen Aorist“ vgl. Anm. 17. 21 Auch die modale Bedeutung des hebräischen Imperfekts ist Standard; vgl. die knappe Darstellung bei Grether (1967) 210–211. 22 Dt.: Was tust du? / wirst du tun? / kannst du tun?

Revisionen von O. in S. T. B. unter Wechsel der Textvorlagen II 

63

Hieronymus fußt hier primär auf der LXX; denn nur in ihr fand er in δύνασαι die eindeutige Vorlage für sein Verbum posse. Das griechische δύνασαι stellt nämlich eine zwar mögliche, aber nicht zwingende modale Interpretation des hebräischen Imperfekts ‫„ ּתַ עֲׂשֶ ה‬du tust/wirst tun“ dar. Der LXX-Übersetzer hat diese Interpretation hier bewusst eingeführt, um jede Andeutung zu entfernen, ein Mensch könne Gott etwas antun23. In seiner Erstübersetzung im Codex O. (quid poteris facere?) hatte Hieronymus aber zugleich auch das Hebräische mit einbezogen; denn nur aus dessen Imperfekt ‫ ּתַ עֲׂשֶ ה‬erklärt sich das Futur poteris. Konsequenterweise schreibt Hieronymus dann in der Vulgata facies. Bei der Revision der Versio prior hat er jedoch mit dem Präsens potes auch das Tempus an das δύνασαι der LXX angeglichen – ein deutlicher Hinweis, dass der griechische Text für ihn bei der Überarbeitung maß­ gebend war. O. steht allein gegen S. T. B. 24 25 Nr. 25

Kapitel- u. Beleg-Nr. bei Trenkler: 14/25

Hiob Kap./ Vers

adn. ed. Zy.

Wortlaut adn. = O.

35, 16a

587, 1

aperuit

M24: ‫יִ ְפצֶ ה‬

Wortlaut Hieronymus-Codices S.

T.

B.

aperit Hexapla sub * (Üs. des Theodotion)25: ἀνοίγει

Die Erstübersetzung eines hebräischen Imperfekts (hier: ‫ )יִ ְפצֶ ה‬mit dem Perfekt (hier: aperuit) ist bei Hieronymus häufiger festzustellen26. Theodotion bietet die üblichere Interpretation des hebräischen Imperfekts als präsentische Verlaufsform; dieses Tempus hat Hieronymus sowohl bei seiner Revision der Versio prior als auch in der Vulgata übernommen. O. steht allein gegen S. T. B.

23 So die Erklärung bei Gard (1952) 60. Orlinski (1964) 60, Anm. 9 weist darauf hin, dass der Übersetzer der Hiob-LXX sich der Vokabel δύναμαι sehr häufig bedient (sc. zur Wiedergabe eines modalen hebräischen Imperfekts). Hatch-Redpath (1897) Bd.  1, 353–354 s. v. δύνασθαι kennzeichnen im Buch Hiob 11 Belege (von insgesamt 16) mit den Symbolen † bzw. – als Hinweis, dass an diesen Stellen das griechische Wort frei ohne direkte Vorlage im Hebräischen eingeführt wurde. 24 Dt.: Er öffnet / wird öffnen. 25 Ziegler (1982) 371, Text und 2. Apparat. 26 Vgl. Anm. 17.

64 27 28

Hieronymus’ Erstfassung O. und die Fassungen S. T. B. 

Nr. 26

Kapitel- u. Beleg-Nr. bei Trenkler: 15/6

Hiob Kap./ Vers

adn. ed. Zy.

Wortlaut adn. = O.

Wortlaut Hieronymus-Codices S.

T.

36, 7a

588, 3 und 5

aufert

aufert

auferet

B.

Hexapla sub * (Üs. des Theodotion)28: ἀφελεῖ

M27: ‫יִ גְ ַרע‬

Die Erstübersetzung in O. mit dem Präsens aufert kann nur auf dem hebräischen Imperfekt ‫ יִ גְ ַרע‬beruhen. Bei der Revision übernahm Hieronymus wieder das Tempus der griechischen Übersetzung – hier also das Futur auferet gemäß dem ἀφελεῖ des Theodotion. Dass diese Änderung in erster Linie nicht auf inhaltlichen Erwägungen beruhte, sondern durch die Präferenz für den griechischen Text motiviert war, lässt sich daraus schließen, dass Hieronymus in der Vulgata zur Deutung des hebräischen Imperfekts als Präsens aufert zurückkehrte. O. S. stehen gegen T. B. 29 30 Nr. 27

Kapitel- u. Beleg-Nr. bei Trenkler: 14/26

Hiob Kap./ Vers

adn. ed. Zy.

Wortlaut adn. = O.

Wortlaut Hieronymus-Codices S.

T.

36, 7c

588, 11

et sedere eos fecit

et sedere eos ­ faciet

et sedere eos facit

M29: ‫ַוּיֹ ִׁשיבֵ ם‬

B.

Hexapla sub * (Üs. des Theodotion)30: καὶ καθιεῖ αὐτοὺς

Das Perfekt fecit in O. kann nur auf dem hebräischen Narrativ ‫ וַּיֹ ִׁשיבֵ ם‬beruhen. Theodotion wählte dagegen das Futur καθιεῖ (dabei kann er den ihm vorliegenden Konsonantentext entweder ebenfalls als Narrativ oder auch als normales Imperfekt mit Waw consecutivum vokalisiert haben31). Dieses Tempus steht hier in dem revidierten Codex S. (faciet). Jedoch können beide Formen statt der futurischen auch präsentische Bedeutung haben32. Von daher erklärt sich das Präsens facit in den 27 Dt.: Er nimmt weg / wird wegnehmen. 28 Ziegler (1982) 372, Text und 2. Apparat. 29 Dt.: und er wird sie platzieren. 30 Ziegler (1982) 372, Text und 2. Apparat. 31 Vgl. Kap. 2, Belege 9 und 10. 32 Vgl. nochmals Kap. 2, Belege 9 und 10.

Revisionen von O. in S. T. B. unter Wechsel der Textvorlagen II 

65

revidierten Codices T. B. Dieselbe Deutung des hebräischen Tempus findet sich auch im conlocat der Vulgata. O. und S. stehen je allein gegen T. B. 33 34 35 Nr. 28

Kapitel- u. Beleg-Nr. bei Trenkler: 15/3

Hiob Kap./ Vers

adn. ed. Zy.

Wortlaut adn. = O.

Wortlaut Hieronymus-Codices

37, 5a

594, 18

tonauit

tonabit

S.

T.

B. tonauit33

Hexapla sub * (Üs. des Theodotion)35: βροντήσει

M34: ‫י ְַרעֵ ם‬

Die Frage, wie das Perfekt tonauit in die Erstübersetzung O. des Hieronymus gelangte, ist nicht sicher zu entscheiden. Die hebräische Form ‫ י ְַרעֵ ם‬ist ein reines Imperfekt im Hif ’il. Vermutlich liegt also wieder ein Fall vor, wo der Kirchenvater in O. eine Imperfektform des Hebräischen als Vergangenheitstempus gedeutet hat36. Es könnte sich aber auch um einen Hörfehler des Schreibers von O. mit der Verwechslung von -bit mit -uit handeln. Mit dem Futur tonabit folgt Hieronymus in jedem Fall Theodotion. Dessen Interpretation des hebräischen Imperfekts hat Hieronymus so überzeugt, dass er auch in der Vulgata daran festhielt. O. B. stehen gegen S. T. 37 38 Nr. 29

Kapitel- u. Beleg-Nr. bei Trenkler: 14/27

Hiob Kap./ Vers

adn. ed. Zy.

Wortlaut adn. = O.

Wortlaut Hieronymus-Codices S.

T.

B.

37, 11ab

596, 4–5

inrigauit […] disseminauit

inrigauit […] disseminauit

inrigabit […] disseminabit

inrigauit […] disseminauit

M37: ‫י ְַט ִ ֣ריחַ […] י֝ ִָ֗פיץ‬

Hexapla sub * (Üs. des Theodotion)38: καταπλάσσει […] διασκορπιεῖ

Wie beim vorigen Beleg ist unklar, ob Hieronymus in seiner Erstübersetzung bewusst das Perfekt zur Übersetzung des hebräischen Imperfekts wählte, oder ob der 33 Lagarde druckt fälschlich tonabit – eine seiner mehrfach auftretenden Angleichungen von B. an die LXX. 34 Dt.: Er lässt donnern / wird donnern lassen. 35 Ziegler (1982) 379, Text. 36 Vgl. oben die Belege 22. 23. 25.  37 Dt.: Er wird belasten …. er wird zerstreuen. 38 Ziegler (1982) 380, Text.

66

Hieronymus’ Erstfassung O. und die Fassungen S. T. B. 

Schreiber des Codex O. beim Diktat wieder -bit mit -uit verwechselt hat. Im vorliegenden Fall kommt hinzu, dass das erste Prädikat inrigauit in keinem der überlieferten Urtexte einen Anhalt hat: M liest ַ‫„( י ְַט ִ ֣ריח‬er wird belasten“), die Theodotion dagegen καταπλάσσει („er wird bestreichen“). Dagegen beruht Hieronymus’ inrigauit vermutlich auf einer Verwechslung zweier hebräischer Wurzeln39: Während M die Wurzel ‫„( טרח‬belasten“40) bietet, las Hieronymus wohl – mit einer Verwechslung der Endbuchstaben – die Wurzel ‫„( טרד‬ständig tropfen“41) und deutete sie aus dem Kontext als Hinweis auf Bewässerung. Dass er auch in der revidierten Fassung T. an dieser Interpretation festhielt, obwohl er die Interpretation des Tempus an das Griechische anpasste, zeigt, wie sicher er sich an diesem Punkt fühlte. Im Ergebnis stellt also seine Lesart in der Endfassung T. eine Konflation aus hebräischer Vokabel und griechischem Tempus dar. Das Futur im revidierten Codex T. dürfte nicht so sehr aus inhaltlichen Erwägungen als vielmehr der Absicht resultieren, den griechischen Text zur Vorlage zu nehmen. In der Vulgata nämlich rückt Hieronymus von dieser futurischen Deutung wieder ab und interpretiert das hebräische Imperfekt in desiderat42 […] spargunt als Präsens. O. S. B. stehen gegen T.

3.2.3 Inhaltliche Verschiebungen Eine starke Veränderung von Sinn und Syntax liegt an der folgenden Stelle vor: 43 Nr. 30

Kapitel- u. Beleg-Nr. bei Trenkler: 14/34

Hiob Kap./ Vers

adn. ed. Zy.

Wortlaut adn. = O.

27, 15b

565, 12–13 et uiduis ­eorum non ­miserebitur

M43: ‫ְו ֝אַ ְל ְמ ֹנ ֗ ָתיו ֣ל ֹא ִת ְב ֶ ּֽכינָה‬

Wortlaut Hieronymus-Codices S.

T.

B.

et uiduis eorum nemo miserebitur LXX: χήρας δὲ αὐτῶν οὐθεὶς ἐλεήσει

39 Eine passende Form der griechischen Vokabel für „bewässern“ (also ἐπιβρέχω) lässt sich m. E. aus den von Ziegler (1982) 380 im 2. Apparat zitierten Lesarten ἐπιβρίσει bzw. ἐπιβρύσι nicht glaubwürdig erschließen. 40 Gesenius-Donner (2013) 428 rechts Mitte. 41 Gesenius-Donner (2013) 428 rechts oben. Diese Wurzel hat auch die Nuance von „belästigen“ und steht insofern der Wurzel ‫ טרח‬von M nahe. 42 Die Vokabel desiderat setzt erneut eine andere hebräische Wurzel voraus, als sie in M überliefert ist. Vielleicht hat Hieronymus dort an ‫„( חמד‬begehren“; vgl. Gesenius-Donner (2013) 362 rechts) gedacht, das seinerseits wieder der Wurzel ‫חמר‬2 („bestreichen“; vgl. Gesenius-Donner (2013) 368 links) graphisch ähnlich ist, das die Vorlage der oben als Hauptüberlieferung zitierten griechischen Lesart καταπλάσσει („er wird bestreichen“) war. 43 Dt.: und seine Witwen werden nicht weinen.

Revisionen von O. in S. T. B. unter Wechsel der Textvorlagen II 

67

Um die verschiedenen Fassungen des Hieronymus zu verstehen, muss man zunächst das Verhältnis der LXX zum Hebräischen klären. Der LXX-Übersetzer ist hier in drei Details von dem in M vorliegenden hebräischen Text abgewichen. Er hat erstens das Prädikat dieses Lemmas nicht als Qal (also Aktiv), sondern als Nif ’al ‫( ִּתּבָ כֶ ינָה‬also als Passiv) vokalisiert44. Statt der Aussage von M „und seine (sc. des Sünders) Witwen werden nicht weinen“ ergab sich zunächst die Übersetzung „und seine Witwen werden nicht beweint werden“. Der Übersetzer hat zweitens das Possessivsuffix im Singular kollektiv aufgefasst und statt „seine Witwen“ „ihre Witwen“ geschrieben – vermutlich, um die anstößige Implikation der Polygamie zu vermeiden. Schließlich hat er den Satz aus dem ursprünglichen Passiv ins Aktiv gewendet und dabei als Subjekt „niemand“ ergänzt. Hieronymus nun kombinierte in der Erstfassung O. typischerweise Elemente seiner griechischen und hebräischen Vorlagen. In der Hauptsache folgte er der LXX mit der Aussage „und ihrer Witwen wird sich […] nicht erbarmen“. Mit Blick auf das Hebräische strich er jedoch das in der LXX ergänzte Subjekt „niemand“ und beließ es bei der einfachen Negation „nicht“ des Urtextes. Dabei setzte er voraus, dass der Leser das fehlende Subjekt „man“ aus der 3. Person Singular Maskulinum des Prädikats ergänzen konnte, wie es dem hebräischen Sprachgebrauch entspricht45. Bei der Revision der Versio prior hielt er sich dann durch den Nachtrag von nemo genau an die LXX. In der Vulgata dagegen legte er mit der Formulierung et uiduae illius non plorabunt eine getreue Übersetzung von M vor. O. steht allein gegen S. T. B.

3.2.4 Stilistische Veränderungen Das einzige Beispiel geht wieder auf das Bestreben zurück, ein griechisches Kompositum möglichst genau zu imitieren: 46 47 Nr. 31

Kapitel- u. Beleg-Nr. bei Trenkler: 14/21

Hiob Kap./ Vers

adn. ed. Zy.

Wortlaut adn. = O.

28, 15a

568, 10

aurum inclusum aurum conclusum

M46: ‫ְסגֹ֣ור‬

Wortlaut Hieronymus-Codices S.

T.

B.

Hexapla sub * (Üs. des Theodotion)47: συγκλεισμὸν

44 Beer (Text, 1897) 175 und Dhorme (1926) 360. 45 Vgl. Brockelmann (1956) 34 (d.) und ausführlich Kedar-Kopfstein (1968) 210–213 und 219. 46 Dt.: Feingold (wörtl.: Verschluss; vgl. Gesenius-Donner (2013) 872 rechts). 47 Ziegler (1982) 332, Text.

68

Hieronymus’ Erstfassung O. und die Fassungen S. T. B. 

Das aurum inclusum der Erstfassung O. beruht auf M. Hieronymus deutet ‫ ְסגֹור‬im Sinne von ‫זָהָ ב סָ גּור‬, „verschlossenes Gold“48. In der revidierten Fassung wählt der Kirchenvater dagegen das Synonym conclusum, das der Vorsilbe συν- des Begriffes συγκλεισμὸν in der Übersetzung des Theodotion entspricht. O. steht allein gegen S. T. B.

3.3 Ausnahmen: Wechsel vom Griechischen zum Hebräischen Die bisher angeführten Beispiele illustrieren, dass eine der beiden hauptsächlichen Tendenzen, die Hieronymus bei der Revision seiner Erstfassung O. leiteten, das Bestreben war, die zuvor in großem Umfang benutzten hebräischen Textvorlagen durch die Lesarten griechischer Textvorlagen zu ersetzen. Unter den von Trenkler identifizierten revidierten Lesarten habe ich nur zwei Gegenbeispiele gefunden, bei denen Hieronymus ausnahmsweise von einer LXXLesart zu einer hebräischen Textvorlage überging. In beiden Fällen lässt sich m. E. nachvollziehen, warum Hieronymus dort von seiner üblichen Linie abwich. Im folgenden Lemma hielt er offenbar das Futur der LXX für inhaltlich verfehlt: 49 50 Nr. 32

Kapitel- u. Beleg-Nr. bei Trenkler: 15/26

Hiob Kap./ Vers

adn. ed. Zy.

Wortlaut adn. = O.

Wortlaut Hieronymus-Codices S.

T.

Iob 35, 3

584, 15

dices

dicens49

dicis

M50: ‫ת ֹאמַ ר‬

B.

LXX: ἐρεῖς

Hier beruht das Futur dices in O. auf dem ἐρεῖς der LXX. Dieses ist eigentlich eine durchaus naheliegende Übersetzung – zum einen grammatisch als Interpretation des hebräischen reinen Imperfekts ‫ת ֹאמַ ר‬, zum anderen inhaltlich in der hier vorliegenden empörten Frage des Elihu an Hiob: „Oder wirst du sagen: ‚Was habe ich denn mit meiner Sünde angerichtet?‘“ Obwohl also dices gut begründet scheint, so hat doch Hieronymus bei seiner Revision an dieser futurischen Deutung offenbar Anstoß genommen. Zwei Gesichtspunkte mögen zusammengekommen sein. Zum einen wird im Griechischen mit dem Indikativ Futur 48 So die Erklärung im Apparat der BHS (1983) zu Iob 28, 15a. Dhorme (1926) 373 interpretiert „verschlossenes“ als „massives“ Gold. 49 Es handelt sich um einen Schreibfehler – den falschen Zusatz einer Nasaltilde. Ein Partizip passt syntaktisch nicht in den Zusammenhang. 50 Dt.: Du wirst sagen/sagst.

Revisionen von O. in S. T. B. unter Wechsel der Textvorlagen II 

69

„der Eintritt einer Handlung als bestimmt erwartet hingestellt“51. Einen so harten Vorwurf des Elihu gegenüber Hiob empfand Hieronymus vermutlich als über­ zogen. Zum anderen mag der Kontext gegen das Futur gesprochen haben. Es handelt sich hier um den Anfang der Elihu-Rede. Elihu hatte sie im vorangehenden Lemma Iob 35, 2 gerade mit zwei tadelnden Verweisen auf Hiobs vergangene Verfehlungen eröffnet52: Quare hoc existimasti in iudicio? Tu qui es quia dixisti: ‚­Iustus sum ante conspectum domini53‘? Offenbar schloss Hieronymus daraus, dass eine futurische Aussage im vorliegenden Vers Iob 35, 3 fehl am Platz war. Dass er in diese Richtung gedacht hat, geht aus seiner Vulgata-Fassung hervor: Dort übersetzt er das vorliegende hebräische Imperfekt sogar mit dem Perfekt dixisti. Wenn er also bei der Revision der Versio prior das Präsens dicis wählte, so ist das m. E. als eine Zwischenstufe auf dem Weg zur Vulgata zu werten: Das Präsens dicis ist grammatikalisch von dem hebräischen ‫ ת ֹאמַ ר‬nicht weniger gedeckt als das Futur; es vermeidet aber das Futur und intensiviert zugleich die rhetorische Frage des Elihu (dt.: „Oder sagst du …?“). Gleichzeitig schreckt es aber noch vor dem Perfekt zurück, das Hieronymus dann in der Vulgata wählt. Wenn diese Erklärung zutrifft, beruhte diese Änderung nicht so sehr auf einer Hochschätzung des hebräischen Textes als vielmehr auf Hieronymus’ eigenwilliger Deutung des Sinnzusammenhanges; die mehrdeutige Verbform von M gab Hieronymus nur die Möglichkeit, seine Deutung mit gutem linguistischem Gewissen im Text wiederzufinden. O. S.54 stehen hier gegen T. B. Die zweite Ausnahme erklärt sich vermutlich daraus, dass es sich um eine besonders schwer verständliche Stelle handelt: 55 Nr. 33

Kapitel- u. Beleg-Nr. bei Trenkler: 14/39

Hiob Kap./ Vers

adn. ed. Zy.

Wortlaut adn. = O.

Wortlaut Hieronymus-Codices S.

T.

21, 19a

553, 12

deficiant filios eius bona eius

deficiant filios eius bona eius

Deus, deficiant filii eius bona eius

M55: ‫ן־לבָ נָ ֥יו אוֹ ֹ֑נו‬ ְ ‫ּפ‬ ֹ ‫א ֹ֗לוּהַ יִ ְצ‬ ֱ

LXX: ἐκλίποι υἱοὺς τὰ ὑπάρχοντα αὐτοῦ

51 Kühner-Gerth (1898) Bd. 1, 173. 52 Text nach S. T. B. 53 domini S., dei T. B. 54 Zu S. dicens als bloßem Schreiberversehen statt dices vgl. Anm. 49. 55 Dt.: Gott wird für seine (sc. des Sünders) Söhne seine Mühe aufsparen.

B.

70

Hieronymus’ Erstfassung O. und die Fassungen S. T. B. 

Die Erstfassung O. entspricht genau der LXX-Fassung („seine Güter mögen56 seinen Söhnen ausgehen!“57). Die LXX gibt ihrerseits den Text von M wieder, lässt allerdings das einleitende ַ‫„( א ֱֹ֗לוּה‬Gott“) aus58. Hieronymus’ revidierte Fassung T. lautet dagegen deus deficiant filii eius bona eius. Dieser schwierige Wortlaut lässt sich nur so konstruieren, dass man deus als Vokativ und bona eius als Apposition zu filii eius auffasst. Der Sinn ist: „O Gott, mögen seine Söhne, die seine Güter sind, schwach werden!“ Hieronymus legt hier einen von M abweichenden hebräischen Text zugrunde59, der vermutlich ‫ אֱלֹוהַ ּ יִ ְצ ְרכּו בָ נָיו אֹונֹו‬lautete. M dagegen liest ‫ֹן־לבָ נָ ֥יו אוֹנֹ֑ו‬ ְ ‫א ֱֹ֗לוּהַ יִ ְצּפ‬, hat also das Prädikat im Singular statt im Plural, während die Wortgruppe „seine Söhne“ als Dativ statt als Akkusativ erscheint. Eine zusätzliche Komplikation liegt darin, dass die hebräische Form ‫ אֹונֹו‬nicht eindeutig ist, sondern von zwei verschiedenen Vokabeln abgeleitet werden kann: von ‫„( אָ וֶן‬Mühe“60) und von ‫„( אֹון‬Vermögen / Reichtum“61). Die zweite Auffassung wird von der LXX mit τὰ ὑπάρχοντα und von Hieronymus mit bona in allen Fassungen seiner Versio prior vertreten. Sinnvoller erscheint aber die Deutung des rabbinischen Targums als „seine Mühe“62 – sc. die Gott dem Sünder als Strafe auferlegt63. Demnach heißt M vermutlich sinngemäß: „Gott wird für seine (sc. des Sünders) Söhne seine mühseligen Sündenfolgen aufsparen“64. Diese Deutung hat schließlich auch Hieronymus übernommen, wenn er in der Vulgata verdeutlichend formuliert Deus servabit filiis illius dolorem patris. Auch bei dieser Ausnahme stehen wieder O. S. gegen T. B. Soweit die Stellen aus den von Trenkler behandelten Passagen der Adnotationes, an denen Hieronymus bei der Revision die Textbasis gewechselt hat. In den beiden folgenden Kapiteln geht es um die Revisionen, bei denen Hieronymus seine ursprachliche Vorlage beibehalten hat. 56 Witte (2011) 2055 diskutiert die Funktion der Optative im Hiob-Text und hält bei den reinen Optativen ohne ἄν die klassische Funktion des Kupitivs für eher wahrscheinlich. So fasst auch Hieronymus den vorliegenden Optativ auf. Zum Optativgebrauch in der LXX vgl. Walters (1973) 237–241 und Usener (2011) 46–47, der jedoch gerade im Buch Hiob „nicht selten“ den­ Potentialis auch bei bloßem Optativ ohne ἄν diagnostiziert. Walters (1973) 238 nennt auch unsere Stelle, nachdem er darauf hingewiesen hat (S. 237–238), dass in den vorangehenden Kapiteln 18 und 20 die Verbformen der LXX typischerweise im Optativ Aorist stehen, während die Ergänzungen aus Theodotion im Indikativ Futur stehen. Er findet aber dort (S. 237) in den Optativen keinen Ausdruck des Wunsches. 57 So Kepper/Witte (LXX Deutsch, 2009) 1031. 58 Beer (Text, 1897) 141 urteilt: „ּ ַ‫ ֱאלֹוה‬wird von G absichtlich unterschlagen.“ 59 Auch Theodotion beginnt den Vers mit ὁ θεός (Beer (Text, 1897) 142 und (Studien, 1897) 106–107 sowie Gailey (1945) 56). Jedoch fährt Theodotion dann anders fort (siehe Ziegler (1982) 306 im 2. Apparat): κατακρύψει τοἳς υἱοῖς αὐτοῦ ἀδικίας αὐτοῦ. Also hatte Hieronymus hier in erster Linie nicht Theodotion, sondern den hebräischen Text vor Augen. 60 Gesenius-Donner (2003) 24 links-rechts. 61 Gesenius-Donner (2003) 24 rechts. 62 So Mangan (1991) 56. 63 Vgl. Dhorme (1926) 288. 64 Dhorme (1926) 287 übersetzt als Satzfrage: „Éloah réserve pour ses fils son iniquité?“

B. Detailanalysen: Kapitel 2–5 Kapitel 4: Revisionen von O. in S. T. B. ohne Wechsel der Textvorlagen I In den Kapiteln 4 und 5 sichte ich die Stellen, an denen Hieronymus die Erstfassung O. revidiert hat, ohne dabei die ursprüngliche Textvorlage zu wechseln.

4.1 Revision griechischer Textvorlagen Unter den Passagen, die im vorliegenden Kapitel zu besprechen sind, überwiegen diejenigen Stellen, die bereits in O. eindeutig auf griechischen Vorlagen beruhten. Ich stelle sie deshalb an den Anfang meiner Übersicht. Die hebräischen Texte sind jeweils nicht vergleichbar; ich nehme sie aber zur leichteren Gegenkontrolle mit in die folgenden Tabellen auf.

4.1.1 Korrektur von Fehlern An zwei Stellen korrigiert Hieronymus ein Versehen der Erstfassung. Im ersten Fall hatte er dort die Konjunktion „wenn“ ausgelassen: 1 2 Nr. 34

Kapitel- u. Beleg-Nr. bei Trenkler: 14/13

Hiob Kap./ Vers

adn. ed. Zy.

Wortlaut adn. = O.

Wortlaut Hieronymus-Codices S.

T.

31, 24a

578, 22

posui aurum robur meum

posui aurum robur meum

si posui aurum robur meum

M1: ‫ם־ׂש ְ֣מ ִּתי ז ָָה֣ב ִּכ ְס ִל֑י‬ ַ ‫ִא‬

Hexapla sub * (Üs. des Theodotion)2: εἰ ἔταξα χρυσίον ἰσχύν μου

O. S. stehen gegen T. B.



B.

1 Dt.: Wenn ich Gold zu meiner Zuversicht gemacht habe. 2 Ziegler (1982) 349, Text und 2. Apparat.

72

Hieronymus’ Erstfassung O. und die Fassungen S. T. B. 

Der zweite Fall kann auf ein Versehen des Vorlesers zurückgehen: 3 Nr. 35

Kapitel- u. Beleg-Nr. bei Trenkler: 14/17

Hiob Kap./ Vers

adn. ed. Zy.

Wortlaut adn. = O.

Wortlaut Hieronymus-Codices

21, 11a

553, 7

et permanent sicut uetustate oues eorum

et permanent sicut uetustae oues eorum

M3: ‫יהם‬ ֶ ֗ ‫יה֑ם ְו ֝י ְַל ֵד‬ ֶ ֵ‫עוִ יל‬ ֲ ‫יְ ׁשַ ְּלח֣ ּו ַ֭כּצ ֹאן‬

S.

T.

B.

LXX: μένουσιν δὲ ὡς πρόβατα αἰώνια

‫יְ ַרּקֵ ֽדּון׃‬

Die Lesart uetustate der Erstfassung O. setzt einen Dativ Singular αἰῶνι voraus, der sonst nicht belegt ist4. Die revidierte Übersetzung gibt das adjektivische Attribut αἰώνια richtig wieder. (Das Hebräische ist an dieser Stelle nicht vergleichbar5.) Der Codex O. steht mit seinem Fehler allein gegen S. T. B.

4.1.2 Präzisierung sprachlicher Details In mehreren Fällen hat Hieronymus seine Übersetzung aus dem Griechischen bei der Revision noch weiter präzisiert: 6 Nr. 36

Kapitel- u. Beleg-Nr. bei Trenkler: 14/15

Hiob Kap./ Vers

adn. ed. Zy.

Wortlaut adn. = O.

20, 2b

550, 10

non enim

M6: ‫ּוׁשי ִ ֽבי‬ ִ ֣‫ע ֗ב ּור ח‬ ֲ ַ‫ל כֵ ן ְׂש ִע ַּפ֣י יְ ִׁש יב֑ ּונִ י וּ֝ב‬ ָ֭

Wortlaut Hieronymus-Codices S.

T.

B.

nec enim LXX: καὶ οὐχὶ

3 Dt.: Sie lassen heraus/werden herauslassen wie die Kleinviehherde ihre Kinder, und ihre Knaben hüpfen/werden hüpfen. 4 Ziegler (1982) 304 zu Iob 21, 11a hat im 1. Apparat die Übersetzung uetustate, die in allen vier von Zycha berücksichtigten Handschriften der Adnotationes und den drei Handschriften der Versio prior überliefert ist, übersehen. 5 Zieglers Hinweis ebendort „La: cf. M“ halte ich für ein Versehen.– Zum Unterschied zwischen der hebräischen Vorlage der LXX und M vgl. Witte/Kepper (2011) 2096 zur Stelle. 6 Dt.: Deshalb geben mir meine Gedanken Antwort und zwar wegen meiner Erregtheit in mir (Siehe Heiligstedt (1889) 66).

Revisionen von O. in S. T. B. ohne Wechsel der Textvorlagen I 

73

Das nec enim von T. gibt καὶ οὐχί genauer wieder als das non enim in O. O. steht allein gegen S. T. B. Vergleichbar ist noch folgendes Beispiel: 7 Nr. 37

Kapitel- u. Beleg-Nr. bei Trenkler: 14/28

Hiob Kap./ Vers

adn. ed. Zy.

Wortlaut adn. = O.

Wortlaut Hieronymus-Codices S.

T.

38, 19b

605, 24

aut quis tenebrarum locus?

fehlt

aut qui tenebrarum locus?

M7: ‫ְו ֝ ֹ֗חׁשֶ ְך אֵ י־ ֶז ֥ה ְמ ֹק ֹֽמו‬

B.

LXX: σκότους δὲ ποῖος ὁ τόπος;

Das qui der revidierten Version des Hieronymus in T. entspricht als adjektivisches (statt substantivisches) Fragepronomen dem ποῖος der LXX genauer als das quis der Erstübersetzung. O. steht allein gegen T. B.; S. fehlt.

4.1.3 Inhaltlich bedingte freie Eingriffe in den Text Während die eben besprochenen Stellen zeigen, wie sich Hieronymus bei seiner Revision um einen noch engeren Anschluss an die griechische Textvorlage bemühte, hat er sich umgekehrt davon zuweilen auch gelöst und seine Übersetzung in freien Formulierungen so weiterentwickelt, wie es ihm der Sinn zu erfordern schien. An der ersten Stelle hatte Hieronymus das syntaktisch sperrige Teil-Lemma der LXX8 schon in O. besser in den Kontext zu integrieren versucht, indem er es in zwei paraphrasierende Relativsätze verwandelte:



7 Dt.: und Dunkel – wo sein Ort? 8 Vgl. Trenkler (2017) 198–199.

74

Hieronymus’ Erstfassung O. und die Fassungen S. T. B. 

9 10 11

Nr. 38

Kapitel- u. Beleg-Nr. bei Trenkler: 15/5

Hiob Kap./ Vers

adn. ed. Zy.

Wortlaut adn. = O.

20, 18b

551, 21–22 quae erunt ut durum quid, quod manducari non potest nec gluttiri

M10: ‫מּור ֹ֗תו‬ ָ ‫ת‬ ּ ְ֝ ‫חיל‬ ֥ ֵ ‫ל ֹא יִ ְב ָל ֑ע ְּכ‬ ֣ ְ‫מֵ ִׁש֣יב ָי ֭גָע ו‬

Wortlaut Hieronymus-Codices S.

T.

B.

quae erunt ut durum quid, quod mandi non potest nec glutti

quae egerunt ut durum quid, quod mandi non potest nec glutiri9

LXX: ὥσπερ στρίφνος ἀμάσητος ἀκατάποτος11

‫ע ֹֽלס‬ ֲ ‫ל ֹא ַי‬ ֣ ְ‫ו‬

In der revidierten Fassung von T. behält Hieronymus die beiden Relativsätze bei, spitzt den Sinn aber noch weiter zu, indem er das erste Prädikat erunt durch das graphisch nur minimal verschiedene egerunt ersetzt. So wird aus der neutralen Aussage „Diese Dinge werden sein…“ die anschaulichere Wendung „Diese Dinge spuckt man aus…“12. O. S. stehen T. B. gegenüber. Eine besonders auffällige Neuinterpretation, die die Aussage der LXX direkt ins Gegenteil verkehrt, ohne dass eine andere Textvorlage überliefert wäre, begegnet im Lemma Iob 36, 27a: 13 Nr. 39

Kapitel- u. Beleg-Nr. bei Trenkler: 14/4

Hiob Kap./ Vers

adn. ed. Zy.

Wortlaut adn. = O.

36, 27a

592, 1

numerabiles

M13: ‫י־מ֑יִ ם ָי ֹ ֖זּקּו מָ ָט ֣ר ְלאֵ ֹֽדו‬ ָ ֵ‫ִכּ ֭י יְ ג ַָר֣ע נִ ְט פ‬

Wortlaut Hieronymus-Codices S.

T.

B.

innumerabiles LXX: ἀριθμηταὶ

9 B. gluttiri. 10 Dt.: als einer, der zurückgibt Erworbenes – so wird er nicht verschlucken; gemäß der Stärke seines Tausches – so wird er nicht froh werden. 11 Vgl. dazu die Glosse im Codex Vaticanus (= B), abgedruckt und erläutert von Ziegler (19851) 93–94. Ein Hinweis auf dasselbe Scholion in der Syrohexapla findet sich schon bei Dhorme (1926) 270. 12 Vgl. Trenkler (2017) 199. 13 Dt.: Denn er wird herabziehen/zieht herab Tropfen von Wasser, welche sickern/sickern werden als Regen für seinen Nebel.

Revisionen von O. in S. T. B. ohne Wechsel der Textvorlagen I 

75

Der Grund, warum Hieronymus seine Übersetzung von numerabiles (in O.) zu innumerabiles (in S. T. B.) änderte, war auch hier nicht der (ganz anders lautende) hebräische Text, sondern offensichtlich der Umstand, dass ihm inzwischen die gegenteilige Aussage sinnvoller zu sein schien. Hieronymus’ Erstfassung in O., numerabiles stillae pluuiae, heißt: „Für ihn (sc. Gott) sind sogar die Regentropfen zählbar“. Die revidierte Version in S. T. B., ei innumerabiles stillae pluuiae, beschreibt dagegen Gottes Macht anders: „Er (sc. Gott) besitzt unzählige Regentropfen“. Während numerabiles die Hauptversion der LXX ἀριθμηταὶ wiedergibt, setzt innumerabiles eine Lesart ἀναριθμητοὶ voraus, die Ziegler auch als Vorlage für S* (also die erste Hand der syrischen Version) und die äthiopische Übersetzung erschließt14. Ich halte aber für möglich, dass an dieser Stelle alle drei Übersetzer unabhängig voneinander15 das griechische ἀριθμηταὶ für ein Versehen hielten und sich deshalb eine Lesart ἀναριθμητοὶ zurechtlegten, die es in der griechischen Überlieferung nie gab16. Der Anlass für ihren Anstoß könnte das vorangehende Kolon Iob 36, 26b gewesen sein, in dem es heißt, dass die Anzahl von Gottes Jahren unendlich sei. Iob 36, 26b lautet in der LXX ἀριθμὸς ἐτῶν αὐτοῦ καὶ ἀπέραντος. Augustins Adnotationes (Zy 591, 26) sowie die Handschriften S. T. B. der Versio prior bieten dort alle numerus annorum eius infinitus17. O. steht hier allein S. T. B. gegenüber.

4.1.4 Stilistische Veränderungen Zum Schluss dieser Übersicht führe ich noch fünf Stellen auf, an denen Hieronymus seine Erstfassung O. ohne Wechsel der griechischen Textvorlage rein stilistisch überarbeitet hat. An einer ersten Stelle übersetzte Hieronymus den Ausdruck ἐν διαίταις zunächst mit in tabernaculis, revidierte dies aber zu in habitaculis:

14 Vgl. Ziegler (1982) 376 im 1. Apparat. 15 Die äthiopische Übersetzung ist unabhängig von Hieronymus und der syrischen Über­ setzung und im Gegensatz zu letzterer sehr frei. Ziegler (1982) 49 sagt zu dem äthiopischen Übersetzer: „Oftmals geht er so weit, daß ein anderer Sinn herauskommt.“ 16 Leider äußert sich Gerleman (1946) 64–72 in seinem Kapitel über die äthiopische Über­ setzung nicht zur vorliegenden Stelle. 17 Die Vulgata ändert lediglich infinitus zu inaestimabilis.

76 18

Hieronymus’ Erstfassung O. und die Fassungen S. T. B. 

Nr. 40

Kapitel- u. Beleg-Nr. bei Trenkler: 14/16

Hiob Kap./ Vers

adn. ed. Zy.

Wortlaut adn. = O.

20, 25b

552, 13

in tabernaculis

M18: ‫ׁשָ לַ ף ֮ ַו ֵּי ֵצ֪א ִמ ֫ ֵּגוָ ֥ה ו ּ֭בָ ָרק ִ ֽמ ְּמ ֹר ָרתֹ֥ ו‬

Wortlaut Hieronymus-Codices S.

T.

B.

in habitaculis LXX: ἐν διαίταις

‫ה ֹ֗לְך עָ ָל֥יו אֵ ִ ֽמים‬ ֲ ‫ַי‬

Das Hebräische ist wieder nicht vergleichbar. Wie Gerleman nachgewiesen hat, war δίαιτα ein Lieblingswort des Übersetzers der Hiob-LXX19. Weil Hieronymus in der Versio prior δίαιτα mehrheitlich wie hier in O. mit tabernaculum wiedergab20 und die Übersetzung mit habitaculum weniger oft benutzte21, bleibt offen, warum er hier von tabernaculum zu habitaculum überging. Trenkler verweist22 auf Stotz, der habitaculum unter die typisch christlichen Wörter rechnet23. Ein Parallelfall begegnet schon vorher im Lemma Iob 18, 14a: Dort zitiert Augustin den Vers nach seiner Vorlage O. mit tabernaculum24, während die Codices T. B. habitaculum lesen25. Für eine gewisse Willkür spricht, dass Hieronymus dieselbe Änderung später im Lemma Iob 39, 6a in umgekehrter Richtung vornahm: Dort fand Augustin, wie die Adnotationes zeigen, in O. die Lesart habitaculum vor26, während der revidierte Codex T. stattdessen tabernaculum liest27. O. steht hier allein gegen S. T. B.

18 Dt.: Er hat herausgezogen, und es ging hinaus aus dem Rücken, und ein Blitz aus seinen Gallengängen; über ihm Schrecken. 19 Gerleman (1946) 14. 20 Iob 5, 24b; 8, 22b; 22, 23b. 21 Iob 20, 19b. 22 Trenkler (2017) 185, Anm. 24. 23 Stotz (Bd. 1, 2002) 49, § 15.7.– Nachweise finden sich bei Rönsch (1875) 37 und Goelzer (1884) 91. 24 adn. Iob zu Iob 18, 14a LXX (Zy 547, 15). 25 Die seltsame Schreibung in S.  d&abitaculo = de tabitaculo scheint mir anzudeuten, dass S. dort in seiner Vorlage de (h)abitaculo und de tabernaculo als Alternativen vorfand. 26 adn. Iob zu Iob 39, 6a (Zy 617, 21). 27 B. hat dort wie O. habitaculum; S. fehlt.

Revisionen von O. in S. T. B. ohne Wechsel der Textvorlagen I 

77

An der folgenden Stelle eliminiert Hieronymus einmal ein Kompositum: 28 Nr. 41

Kapitel- u. Beleg-Nr. bei Trenkler: 14/19

Hiob Kap./ Vers

adn. ed. Zy.

Wortlaut adn. = O.

Wortlaut Hieronymus-Codices

27, 9b

564, 19

si euenerit ei necessitas

si uenerit ei necessitas

S.

T.

B. si euenerit ei ­ necessitas

LXX: ἐπελθούσης αὐτῷ ἀνάγκης

M28: ‫ִ ּֽכי־תָ בֹ֖ וא עָ ָל ֣יו צָ ָ ֽרה‬

In seiner Erstfassung O. ahmte Hieronymus mit euenerit typischerweise das Kompositum ἐπελθούσης der LXX nach29. Der Kirchenvater änderte dann zu necessitas uenit vermutlich deshalb, weil der Ausdruck necessitas euenit zumindest kein elegantes Latein ist30, während die Junktur necessitas uenit lt. Parallelen bei Livius31 und Augustin32 zur kultivierten Sprache gehörte. O. B. stehen hier gegen S. T. An der folgenden Stelle ersetzt der Kirchenvater eine unklassische durch die klassische Form: 33 Nr. 42

Kapitel- u. Beleg-Nr. bei Trenkler: 15/17

Hiob Kap./ Vers

adn. ed. Zy.

Wortlaut adn. = O.

Wortlaut Hieronymus-Codices

27, 13b

565, 1

possessio […] potentum

possessio […] potentium

ִ֗ ‫ח ַל֥ת ֝ ָע ִר‬ ֲ ‫ַנ‬ M33: ‫יצים‬

S.

T.

B.

LXX: κτῆμα […] δυναστῶν

28 Dt.: denn es wird kommen / kommt über ihn Not. 29 Zur Wiedergabe der in der griechischen Hiob-Übersetzung besonders häufigen Komposita durch lateinische Komposita vgl. Kap. 2, Beleg 14. 30 Der TLL hat kein Beispiel s. v. evenio 2.1011.53–1016.24. 31 Livius 1, 5, 6 necessitas prior uenit. 32 Aug. retr. 2, 33 uenit etiam necessitas. 33 Dt.: ein Erbteil von Tyrannen.

78

Hieronymus’ Erstfassung O. und die Fassungen S. T. B. 

Die unklassische Form potentum34 hat Hieronymus möglicherweise in einer alten lateinischen Hiob-Vorlage vorgefunden. O. steht hier allein gegen S. T. B. Hieronymus’ Bemühen, bei der Revision seinen Stil zu verbessern, scheiterte allerdings gelegentlich an seinen Schreibern, die zuweilen auch klassische Formen seiner Erstfassung O. beim Kopieren von T. gegen unklassische Formen austauschten. Dass die folgende Lesart schon in T. stand, also nicht erst auf einen späteren Überlieferungsfehler zurückgeht, beweist der Umstand, dass sie  – wie Trenkler nachgewiesen hat – schon in den ω2-Hyparchetypos von Augustins Adnotationes übernommen wurde: 35 36 37 Nr. 43

Kapitel- u. Beleg-Nr. bei Trenkler: 15/24

Hiob Kap./ Vers

adn. ed. Zy.

Wortlaut adn. = O. ω1-Hyparchetypos35

ω2-Hyparchetypos

36, 28b LXX

592, 7

nubes […] ­ tenebrescent

nubes […] ­ tenebrascent36

Wortlaut Hieronymus-Codices S.

T.

nubes […] tenebrescent

nubes […] tenebrascent

B.

LXX: ἐσκίασεν δὲ νέφη

M37: ‫ְׁשחָ ִ ֑קים ִ֝י ְר ֲע ֗פּו‬

Die letzten beiden Beispiele betreffen eine Änderung der Wortstellung: 38 Nr. 44

Kapitel- u. Beleg-Nr. bei Trenkler: 15/31

Hiob Kap./ Vers

adn. ed. Zy.

Wortlaut adn. = O.

Wortlaut Hieronymus-Codices S.

T.

B.

31, 21b

578, 16

multum mihi est adiutorium

multum mihi deest adiutorium

multum est mihi adiutorium

mihi multum est adiutorium

M38: ‫ִ ּֽכי־אֶ ְר ֶ ֥אה ַ֝ב ֗ ַּׁשעַ ר עֶ זְ ָר ִ ֽתי‬

LXX: πολλή μοι βοήθεια περίεστιν

34 Zum Verhältnis zwischen den Formen potentum und potentium siehe die Nachweise bei Trenkler (2017) 203, Anm. 36. 35 Lt. Fragment A und – durch Kontamination – Hss. F und H. 36 WX tenebrassent. 37 Dt.: Wolken – sie werden träufeln.– Die LXX und Hieronymus setzen statt der Wurzel ‫רעף‬ („träufeln“; vgl. Gesenius-Donner (2013) 1259 links) vermutlich die Wurzel ‫רוף‬2 („dunkel sein/ werden“; vgl. Gesenius-Donner (2013) 937 rechts) voraus. 38 Dt.: denn ich werde sehen / sehe im Tor meine Hilfe.

Revisionen von O. in S. T. B. ohne Wechsel der Textvorlagen I 

79

Wie Trenkler gezeigt hat, entspricht keine der verschiedenen Wortstellungen, die hier in den Handschriften der Versio prior überliefert sind, einer griechischen Vorlage39. (Das Hebräische geht schon syntaktisch in andere Richtung.) Immerhin kommt die Erstfassung O. zu Beginn mit der Wortfolge multum mihi der griechischen Hauptüberlieferung noch relativ nahe. An dieser Stelle hat also Hieronymus einmal von Anfang an frei experimentiert. Für die Sorgfalt seiner Formulierungen spricht, dass sowohl in O. als auch in der revidierten Fassung T. ein Cursus tardus vorliegt40. Hier stehen O., (S.), T. und B. sämtlich allein41.42 Nr. 45

Kapitel- u. Beleg-Nr. bei Trenkler: 15/13

Hiob Kap./ Vers

adn. ed. Zy.

Wortlaut adn. = O.

Wortlaut Hieronymus-Codices

31, 34b

579, 22

exire ­ianuam meam sinu ­ uacuo

sinu uacuo exire ianuam meam

M42: ‫ּובּוז־מ ְׁשּפָ חֹ֥ ות‬ ִ ‫ה מֹ֤ ון ַר ָּ֗בה‬ ֘ ָ ‫ע ֹ֨רוץ׀‬ ֱ ‫ּכי ֶ ֽא‬ ִ֤

S.

T.

B.

LXX: ἐξελθεῖν θύραν μου κόλπῳ κενῷ

‫ֹא־אצֵ א ָ ֽפתַ ח‬ ֥ ֵ ‫יְ ִח ֵּת֑נִ י ָ֝ואֶ ֹּ֗דם ל‬

In seiner Erstfassung O. behielt Hieronymus die Wortfolge der LXX bei. Dort steht die Wortgruppe κόλπῳ κενῷ, die als freier Zusatz im Griechischen kein Vorbild im Hebräischen hat43, am Ende. Bei seiner Revision verschob Hieronymus die Wörter so nach vorn, dass sich am Satzende ein Cursus planus ergab44. O. steht hier allein gegen S. T. B.

39 Trenkler (2017) 210. 40 Trenkler (2017) 211. 41 Trenkler (2017) 211 beurteilt das deest in S. m. E. zutreffend als Überlieferungsfehler; es hat keinen Anhalt in den Urtexten. 42 Dt.: Wenn ich fürchte / fürchten werde eine große Menge und Verachtung von Sippen mich schreckt / schrecken wird und ich ruhig bleibe / ruhig bleiben werde und nicht hinausgehe / hinausgehen werde zur Tür. 43 Lt. Gerleman (1946) 13 ist die abschließende Wortgruppe κόλπῳ κενῷ eine frei hinzu­ gefügte Interpretation des Übersetzers. Sie zeigt nach Gard (1952) 21 das Bemühen des LXXÜbersetzers, den guten Charakter Hiobs zu betonen. Walters (1973) 338, Anm. 3 vermutet, die Wortgruppe κόλπῳ μου gehöre ursprünglich an das Ende von Vers 33. 44 Zum Cursus bei Hieronymus vgl. Trenkler (2017) 201–202; zum Streben nach Cursus bei dem Bearbeiter des ω2-Hyparchetypos der Adnotationes vgl. dieselbe 210–212.

80

Hieronymus’ Erstfassung O. und die Fassungen S. T. B. 

4.2 Revision hebräischer Textvorlagen Verglichen mit den bisher besprochenen neun Lemmata, bei deren Revision Hieronymus an der LXX als Textvorlage festhielt, sind die vier Stellen, denen in allen Fassungen der Versio prior immer dieselben hebräischen Texte zugrunde lagen, in der Minderzahl. Die Revisionen zeigen wieder die inzwischen vertraute Handschrift des Hieronymus.

4.2.1 Präzisierung sprachlicher Details An der ersten Stelle hat Hieronymus bei der Revision den Singular des hebräischen Textes wörtlich genommen. Die folgende Dokumentation der Überlieferung des Lemmas in den beiden Rezensionen von Augustins Adnotationes erweckt auf den ersten Blick den Eindruck, als habe der Singular tempestatis bereits in O. vor­ gelegen; denn er ist in allen Codices beider Rezensionen überliefert, während der Plural tempestatum nur in allen Editionen steht: 45 46 47 48 49 50 Nr. 46

Kapitel- u. Beleg-Nr. bei Trenkler: 14/37

Hiob Kap./ Vers

adn. ed. Zy.

28, 26b

569, 8

Wortlaut adn. = O.

Wortlaut Hieronymus-Codices

ω1-Linie (Fragm. B)

ω2-Linie Variante 1

Variante 2

S.

et uiam tempestatis uocibus

et uiam F45 + Er Maur Zy

et uim46 cett codd + edd

et uiam tempestatis uocibus

tempestatis47

tempestatum

codd

edd

T.

B.

uocibus48 M49: ‫ְו ֝ ֶ ֗ד ֶרְך לַ ֲחזִ ֥יז ֹק ֹֽלות‬

Hexapla sub * (Üs. des Theodotion)50: καὶ ὁδὸν ἐν τινάγματι

45 Dass die im Licht der Urtexte einzig richtige Lesart uiam isoliert in F steht, erklärt sich aufgrund von Kontamination aus der ω1-Linie, die in diesem alten Codex besonders häufig ist. 46 Die Lesart uim der ω2-Linie hat keinen Anhalt in den Urtexten und ist entweder als Fehler oder als Konjektur des Fraters im ω2-Hyparchetypos zu erklären. (Für solche freien Eingriffe des ω2-Fraters in Hiob-Lemmata vgl. Trenkler (2017) 214–224.) Falls der Frater konjiziert hat, beweist das einmal mehr, dass er den griechischen Urtext nicht benutzt hat. 47 N potestatis.– Zycha gibt die Lesart tempestatis des Codex P nicht an. 48 M locibus. 49 Dt.: und einen Weg für einen Gewitterregen 1. von Donnern / 2. aufgrund von Donnern. 50 Ziegler (1982) 334, Text und 2. Apparat.

Revisionen von O. in S. T. B. ohne Wechsel der Textvorlagen I 

81

Bei genauerem Hinsehen haben hier aber die Editionen Recht, den Plural tempestatum zu drucken; denn ihn hat Augustin lt. der folgenden Auslegung (569, 8–9) tempestatum pro tentationum positum est in seiner Textvorlage O. gelesen51. (Dass alle Handschriften beider Rezensionen trotzdem den Singular potestatis bieten, lässt sich in doppelter Weise erklären: Entweder haben hier einmal beide Fratres ausnahmsweise an derselben Stelle die Lesart aus T. eingesetzt – so die Erklärung bei Trenkler52 –, oder Hieronymus hatte in O. eine Doppelübersetzung von Singular und Plural zur Wahl gestellt, und schon der Schreiber des Archetypos ω (dem die beiden Fratres folgten) hat beim Kopieren des Lemmas aus O. die falsche Wahl getroffen.53) Aber auch wenn Hieronymus in O. an dieser Stelle eine Doppelübersetzung vorgeschlagen haben sollte, bleibt richtig, dass er bei seiner Revision den Plural tempestatum, der durch Augustins Auslegung für O. gesichert ist, gestrichen hat und nur noch den Singular tempestatis stehen ließ. Damit ergibt sich folgende Textgeschichte: In O. interpretierte Hieronymus den Singular ‫„( חֲזִ יז‬Gewitterregen/-wolke“54) des hebräischen Urtextes zunächst als Kollektivbegriff und übersetzte ihn deshalb mit dem Plural tempestatum. Auch in der Vulgata nimmt Hieronymus mit dem Plural procellis die kollektive Deutung des hebräischen Singulars wieder auf. Bei der Revision der Versio prior hat er dagegen den normalen Singular tempestatis entweder neu eingesetzt oder allein gelten lassen. Vermutlich wollte er die Übersetzung damit an Theodotions Übersetzung angleichen, die mit ἐν τινάγματι („beim Beben“) ebenfalls den Singular aufweist. Weil jedoch die griechische Übersetzung die hebräische Vokabel missversteht55, hat Hieronymus seine Textbasis an dieser Stelle nicht einfach ausgetauscht, sondern im Licht der LXX nur anders interpretiert. O. steht hier allein gegen S. T. B. An einer zweiten Stelle hat er  – wie vom hebräischen Urtext nahegelegt  – einen Kausalsatz zum Relativsatz verändert:

51 Trenkler (2017) 192. 52 Trenkler (2017) 177 und 192. 53 Zur Kopiertechnik bei der Erstellung des Archetypos anhand des Stenogramms einerseits und des Hiob-Textes in O. andererseits vgl. Trenkler (2017) 117–125. 54 Gesenius-Donner (2013) 335 links. 55 Vgl. Witte/Kepper (2011) 2105 zur Stelle.

82

Hieronymus’ Erstfassung O. und die Fassungen S. T. B. 

56 57 58 59

Nr. 47

Kapitel- u. Beleg-Nr. bei Trenkler: 15/7a–b

Hiob Kap./ Vers

adn. ed. Zy.

Wortlaut adn. = O.

Wortlaut Hieronymus-Codices S.

T.

B.

37, 18b

597, 13– 14 = 598, 4–6

quia aequaliter ad uidendum fusi sunt

quia equaliter56 ad uidendum fusi sunt

qui aequaliter ad uidendum fusi sunt

quia aequaliter ad uidendum fusi sunt

ָֽ ‫ח ז ִָ֗קים ִּכ ְר ִ ֥אי‬ ֲ֝ M57: ‫מּוצק‬

Hexapla sub * (Üs. des Theodotion)58: ἰσχυραὶ ὡς ὅρασις ἐπιχύσεως (Üs. des Symmachos)59: ἰσχυραὶ ὀφθῆναι ἐπιχύσεσιν

Die griechischen Versionen sind deutlich weiter von Hieronymus’ Lemma entfernt als der hebräische Urtext, der wörtlich heißt: „ fest wie ein Spiegel, ein gegossener.“ Denn nur das Hebräische mit seinem indeterminierten Partizip ‫ מּוצָ ק‬erklärt, warum Hieronymus hier zwischen einem Kausalsatz und einem Relativsatz schwanken konnte. Der Relativsatz wird jedoch in diesem Zusammenhang dem Hebräischen besser gerecht als der Kausalsatz der Fassungen O., S. und B. Deshalb hat Hieronymus den Relativsatz zu Recht auch in die Vulgata übernommen. T. steht hier vermutlich allein gegen O. S. B.60

4.2.2 Ein freier Eingriff in einen schwierigen Text Einmal hat Hieronymus von Anfang an den Satzbau seiner hebräischen Vorlage missverstanden und versucht nun bei der Revision, die Stelle zu glätten. Es geht um den Übergang zwischen den Lemmata Iob 31, 19b und 20a:

56 Die Schreibung in S. ist nicht eindeutig (vgl. Caspari (1893) 107, Anm. 44 und Trenkler (2017) 199, Anm. 16): Man kann qui aequaliter oder quia equaliter lesen. Ich folge mit der Deutung quia equaliter Caspari und Trenkler. 57 Dt.: „ fest wie ein Spiegel, ein gegossener. 58 Ziegler (1982) 382, Text und 2. Apparat. 59 Ziegler (1982) 382 im 2. Apparat: So nur Ms. 252, das aber unter den möglichen Vorlagen des Hieronymus häufiger auftaucht. Vgl. unten Kap. 10, S. 254, Anm. 251 und Kap. 11, S. 273, Anm. 85. 60 Aus Anm. 56 folgt, dass hier ggfs. auch die Kombination O. S. gegen T. B. vorliegt.

Revisionen von O. in S. T. B. ohne Wechsel der Textvorlagen I  61 62

Nr. 48

83

Kapitel- u. Beleg-Nr. bei Trenkler: 14/12

Hiob Kap./ Vers

adn. ed. Zy.

Wortlaut adn. = O.

Wortlaut Hieronymus-Codices

31, 19b-20a

578, 6

infirmorum si non benedixerunt mihi humeri

infirmorum uero si non benedixerunt mihi humeri

M: ‫( וְ ֵ ֥אין ְ֝כּ ֗סּות לָ אֶ ְביֹֽ ון׃‬19b)61

ֹ‫חלָ צו‬ ֲ ‫ם־ל ֹא בֵ רֲ כ֣ ּונִ י‬ ֣ ‫( ִא‬20a)62

S.

T.

B.

LXX: (19b) εἰ δὲ καὶ ὑπερεῖδον γυμνὸν ἀπολλύμενον καὶ οὐκ ἠμφίασα, (20a) ἀδύνατοι δὲ εἰ μὴ εὐλόγησάν με

Hier ist auffällig, dass Hieronymus auch bei der Revision nicht den glatten und inhaltlich attraktiven Text der LXX übersetzt, sondern sich erkennbar weiter auf den hebräischen Text stützt. Allerdings gibt es zwischen seiner hebräischen Textvorlage und der Versio prior einen erheblichen Unterschied: Hieronymus zieht den Begriff infirmorum, der im Hebräischen als Dativ-Objekt im (hier kollektiv deutbaren) Singular am Satzende von Vers 19 steht, als Genetivattribut im Plural an den Anfang des neuen Satzes von Vers 20.  Offensichtlich mit dem Ziel, den so vorangestellten Satzteil infirmorum besser in den folgenden Satz zu integrieren, hat er dann in den revidierten Codices S. T. B. der Versio prior noch die Konjunktion uero eingefügt, die weder im Hebräischen noch in der LXX einen Anhalt findet63. Wie aber kam Hieronymus zu dieser seltsamen Verschiebung von einem Dativobjekt im Singular am Satzende zu einem Genetivattribut im Plural am Satzanfang, das nach den Regeln der hebräischen Syntax gar nicht denkbar ist? Ich sehe zwei Lösungsmöglichkeiten. Wenn man vom Hebräischen ausgeht, könnte zumindest der Übergang vom Singular zum Plural auf eine Dittographie zurückgehen: Wenn das ‫„( ִאם‬wenn“) vom Anfang des Verses 20 schon am Ende des vorangehenden Verses hinter ‫„( לָ אֶ ְביֹון‬für den Armen“) geschrieben war, konnte man beides zusammenziehen und als Plural ‫„( לָ אֶ ְביוֹנִ ים‬für die Armen“) deuten. Eine vollständige Erklärung bietet jedoch erst eine Hypothese, die rein vom lateinischen Text ausgeht. Falls Hieronymus in einer Rohübersetzung anstelle des Dativs ‫„( לָ אֶ ְביֹון‬für den Armen“) zuerst den Akkusativ Singular infirmum einsetzte (so wie er später in der Vulgata an dieser Stelle et absque operimento pauperem konstruierte), konnte er beim nächsten Durchgang durch seinen Entwurf diese Form 61 Dt.: und kein Kleid gab für den Armen. 62 Dt.: Wenn mich nicht priesen seine Lenden. 63 Für ähnliche freie Einfügungen als charakteristische Elemente von Hieronymus’ Übersetzungstechnik vgl. D. Brown (1992) 112.

84

Hieronymus’ Erstfassung O. und die Fassungen S. T. B. 

leicht mit dem Genetiv Plural infirmorum verwechseln64, der dann syntaktisch nicht mehr an das Ende von Vers 19 passte, sondern Vers 20 eröffnen musste. Falls die zweite Hypothese zutrifft, hat Hieronymus seine wie immer lautende Rohfassung an dieser Stelle nicht mehr anhand eines Urtextes überprüft, sondern nur noch im lateinischen Sprachgewand weiterentwickelt. Das würde auch erklären, warum er hier nicht zu der attraktiven Alternative, die die LXX bietet, übergegangen ist. Eine Parallele zu dieser Beschränkung auf das Lateinische unter Absehen von einem schwierigen Urtext zeigte sich bereits oben in Beleg 3865. O. steht hier allein gegen S. T. B.

4.2.3 Ein Synonymentausch Einmal hat Hieronymus bei der Revision einen Synonymentausch vorgenommen: 66 67 Nr. 49

Kapitel- u. Beleg-Nr. bei Trenkler: 15/23

Hiob Kap./ Vers

adn. ed. Zy.

Wortlaut adn. = O.

Wortlaut Hieronymus-Codices S.

T.

37, 2a

594, 1

audite ­sonum terroris et ­ uocis eius

audite sonitum terroris et uoces (sic) eius

audite sonitum terroris

M66: ‫ִׁש ְמע֤ ּו ׁשָ מֹ֣ ועַ ְּב ֣ ֹרגֶז ֹקלֹ֑ ו‬

B.

Hexapla sub * (ÜS. des Theodotion)67: ἄκουε ἀκοὴν ἐν ὀργῇ θυμοῦ κυρίου

Hier hat das Lemma der Versio prior keinen Anhalt im Text der Hexapla sub * (Theodotion); denn audite sonum/sonitum terroris et uocis eius kann schwerlich die Übersetzung von * ἄκουε ἀκοὴν ἐν ὀργῇ θυμοῦ κυρίου sein. Umgekehrt spricht für die hebräische Vorlage der Imperativ Plural audite und der Ausdruck uocis eius, die in dieser Kombination nur im Hebräischen stehen68. Hieronymus hat hier jedoch im Ganzen frei übersetzt. Hinter dem Akkusativ-Objekt sonum bzw. sonitum steckt der Infinitivus absolutus der hebräischen Figura etymologica zum Verbalstamm „hören“.

64 Da die Silbe -or- durch das Zeichen ^ abgekürzt werden kann, brauchte er nur infirmum mit infirm^um zu verwechseln, um zu infirmorum zu gelangen. 65 Vgl. auch den Fall Iob 32, 8b (unten Kap. 21, S. 515 mit Anm. 68). 66 Dt.: Hört genau hin auf das Toben seiner Stimme / seines Donners. 67 Ziegler (1982) 378, Text. 68 Auch Erbes (1950) 133 zu Iob 37, 2 führt uocis eius auf M zurück. Wenn man den Ausdruck uocis eius isoliert betrachtet, kann man mit Beer (Studien 1898) 274 auch Aquilas φωνῆς αὐτοῦ als Quelle ansehen.

Revisionen von O. in S. T. B. ohne Wechsel der Textvorlagen I 

85

Was hat Hieronymus bewogen, bei der Revision sonum durch sonitum zu ersetzen? In Augustins Werken ist sonus viel häufiger belegt als sonitus69. In der Vulgata ist es jedoch umgekehrt70. Vielleicht hat also Hieronymus durch den Wechsel zu dem offenbar gewählteren Wort sonitus die Stilebene seiner Bibel-Übersetzung heben wollen. Dass er in diesem Kontext mit verschiedenen Schallworten experimentiert hat, zeigt auch das folgende Lemma Iob 37, 4b71. Dort hat er das hebräische ‫קֹול‬, das er im vorangehenden Halbvers Iob 37, 4a wörtlich mit uox wiedergegeben hatte72, in O., T. und B. mit sonitum, aber in S. mit fremitum übersetzt73. O. und S. stehen hier je für sich allein; T. B. bilden eine Gruppe. Das Fehlen von et uocis eius in T. B. muss auf einen Kopierfehler zurückgehen; denn die Wörter­ uocis eius entsprechen dem hebräischen ‫קֹלֹ֑ ו‬. Es gibt keinen Grund, warum Hieronymus sie hätte streichen sollen. Das bestätigt auch seine Vulgata-Fassung: audite auditionem in terrore uocis eius.

69 Das CAG bietet 429 Belege für Formen von sonus, dagegen nur 49 Stellen für Formen von sonitus. 70 Vgl. Concordantiarum Thesaurus (1897) 1064: Die Anzahl der Belege für sonitus ist ca. dreimal so groß wie die für sonus. 71 In adn:. 594, 11 Zy. 72 In adn:. 594, 9 Zy. 73 Zahlreiche Beispiele für das Bemühen des Hieronymus um Variation des Ausdrucks in seiner Bibel-Übersetzung sammelt Condamin (1911) 434–440; vgl. Kedar-Kopfstein (1968) 70.

B. Detailanalysen: Kapitel 2–5 Kapitel 5: Revisionen von O. in S. T. B. ohne Wechsel der Textvorlagen II 5.1 Revision unspezifischer ursprachlicher Textvorlagen In manchen Versen gibt eine griechische Hiob-Übersetzung ihre hebräische Vorlage so genau wieder, dass kaum oder gar nicht zu entscheiden ist, welche Version Hieronymus seiner lateinischen Übersetzung zu Grunde legte. Auch wenn die Texte in diesen Fällen keine wesentlichen Probleme aufwarfen, hat Hieronymus solche Stellen häufiger revidiert. Das spricht für sein ständiges Bemühen, seine Übersetzung immer weiter zu verbessern.

5.1.1 Inhaltliche Verschiebungen Einige Änderungen sollen offenbar die Aussage genauer an den Kontext anpassen: 1 Nr. 50

Kapitel- u. Beleg-Nr. bei Trenkler: 15/12

Hiob Kap./ Vers

adn. ed. Zy.

Wortlaut adn. = O.

Wortlaut Hieronymus-Codices

32, 13b

580, 23

abicit eum

abiecit eum

M1: ‫יִ ְּדפֶ ּנּו‬

S.

T.

B.

LXX: ἐκρίπτει αὐτὸν

Der Übergang vom Präsens abicit der Erstfassung zum Perfekt abiecit in den revidierten Codices kann kein Schreibfehler sein, weil Hieronymus auch in der Vulgata mit proiecit am Perfekt festhält, sondern muss als bewusste Korrektur seiner Interpretation des hebräischen Imperfekts verstanden werden: In O. fasste er es – der LXX folgend – wie üblich präsentisch auf, verstand es aber später als Vergangenheitstempus2. Tatsächlich ist es vom Sinn her einfacher, Elihu konstatieren zu lassen, Gott habe Hiob verworfen, als ihn schildern zu lassen, wie sich die Verwerfung vollzieht. O. steht hier allein gegen S. T. B. 1 Dt.: Gott wird/möge ihn aus dem Feld schlagen / schlägt ihn aus dem Feld. 2 Auch Erbes (1950) 132 (zu Iob 32, 13–14) führt Hieronymus’ Perfektform abiecit auf M zurück.– Zur Auffassung eines reinen hebräischen Imperfekts als Vergangenheitstempus vgl. oben Kap. 3 zu Beleg 22.

Revisionen von O. in S. T. B. ohne Wechsel der Textvorlagen II 

87

Auch an der folgenden Stelle entspricht das Futur der Erstübersetzung O. gleichermaßen dem Futur der griechischen und dem Perfekt consecutivum der hebräischen Vorlage: 3 4 Nr. 51

Kapitel- u. Beleg-Nr. bei Trenkler: 15/15

Hiob Kap./ Vers

adn. ed. Zy.

Wortlaut adn. = O.

Wortlaut Hieronymus-Codices S.

T.

B.

34, 25bα

583, 15

et uertet noctem

et uertat noctem

et euertet noctem

et uertet noctem

M3: ‫וְ ָ ֥הפַ ְך ֗֝ ַליְ לָ ה‬

Hexapla sub * (Üs. des Theodotion)4: καὶ στρέψει νύκτα

Die in den revidierten Fassungen S. und T. überlieferten Versionen lassen sich dagegen eindeutig auf das Hebräische zurückführen. Der Konjunktiv Präsens uertat in S. setzt das modal interpretierbare hebräische Perfekt consecutivum ‫ וְ הָ פַ ְך‬voraus. Die Variante euertet in T. statt des einfachen uertet bzw. uertat der anderen Schichten resultiert m. E. aus der Mehrdeutigkeit der hebräischen Verbwurzel ‫הפך‬. Diese kann entweder neutral bzw. positiv im Sinne von „umwenden“ oder aber negativ im Sinne von „gewaltsam umstürzen“ verstanden werden5. In der Erstfassung O. interpretierte Hieronymus das Verbum offenbar positiv; denn der von ihm gewählte Ausdruck uertet noctem hat – wie Parallelen bei Augustin zeigen – den positiv konnotierten Sinn von „er wird die Nacht verwandeln“6. In T. gab Hieronymus diese Deutung vermutlich deshalb auf, weil der unmittelbare Kontext Iob 34, 25ab davon spricht, dass Gott die Taten der Sünder kennt und sie demütigen wird. Dazu passt das hoffnungsvolle Bild vom erwünschten Wechsel zwischen Nacht und Tag nicht; gefordert ist eher der Hinweis auf ein zerstörerisches göttliches Strafgericht. In diese Richtung zielt vermutlich Hieronymus’ gezwungene Übersetzung noctem euertet7 in T.: Weil Gott die Untaten der Sünder kennt, wird er ihre Nacht zur Katastrophe machen. Wenn diese Erklärung zutrifft, liegt hier wieder ein Beispiel dafür vor, dass Hieronymus bei der Revision den Sinn einer Stelle durch Zuspitzung verdeutlichen wollte. O. und B. gehen hier zusammen; S. und T. stehen jeweils allein.

3 Dt.: und er wird/soll umdrehen 1.  Nacht / 2. bei Nacht. 4 Ziegler (1982) 367, Text und 2. Apparat. 5 Vgl. Gesenius-Donner (2013) 283 rechts. 6 Vgl. s. Wilm. 15 si nostra humilitas noctem uertit in diem; auch. ep. 138, 2 nonne diurnis (sc. temporibus) tempora nocturna uertuntur? 7 TLL s. v. everto kennt keine Parallele.

88

Hieronymus’ Erstfassung O. und die Fassungen S. T. B. 

An anderer Stelle hat Hieronymus eine zugespitzte Deutung, die er in O. eingeführt hatte, bei der Revision wieder zurückgenommen: 8 9 Nr. 52

Kapitel- u. Beleg-Nr. bei Trenkler: 15/19

Hiob Kap./ Vers

adn. ed. Zy.

Wortlaut adn. = O.

28, 18a

568, 16–17 erunt in ­ memoriam

Wortlaut Hieronymus-Codices S.

T.

erunt in memoriam

erunt in memoria

B.

Hexapla sub *(Üs. des Theodotion)9: μνησθήσεται bzw. μνησθήσονται

M8: ‫יִ ּזָכֵ ר‬

Hier bieten beide Urtexte das Prädikat im Passiv; Hieronymus dagegen formuliert die Verbformen zu präpositionalen Ausdrücken um. In der Erstfassung O. et­ excelsa et gabis non erunt in memoriam („und Himmelskörper und Kristall werden nicht zur Erinnerung dienen“) spitzte er den Vers in finalem Sinn zu; die revidierte Fassung T. et excelsa et gabis non erunt in memoria („und Himmelskörper und Kristall werden nicht in Erinnerung bleiben“) bleibt dagegen näher an den neutraler formulierten Vorlagen. S. geht hier mit O., B. mit T. zusammen.

5.1.2 Stilistische Veränderungen 10 Nr. 53

Kapitel- u. Beleg-Nr. bei Trenkler: 15/21

Hiob Kap./ Vers

adn. ed. Zy.

Wortlaut adn. = O.

Wortlaut Hieronymus-Codices

29, 5b

570, 11

circa me

circum me

M10: ‫ְס ִביבֹותַ י‬

S.

T.

B.

LXX: κύκλῳ μου

Mir ist unklar, warum Hieronymus bei diesem Lemma von circa zu circum überging. Eine grundsätzliche Abneigung gegen circa liegt nicht vor. Denn in den Lemmata Iob 18, 11a und 27, 15a hat der Kirchenvater an circa auch in S. T. B. festgehalten; im Lemma 19, 6b las er in O. S. aduersus und schrieb in T. B. ebenfalls 8 Dt.: Es wird erinnert werden. 9 Ziegler (1982) 333, Text. 10 Dt.: mein Umfeld.

Revisionen von O. in S. T. B. ohne Wechsel der Textvorlagen II 

89

circa. Außerdem zeigt die Konkordanz, dass Hieronymus in der Vulgata die Präposition circum nur sehr selten, dagegen die Präposition circa sehr häufig verwendet11. Auch bei Augustinus gehört circa durchaus zur gehobenen Sprachebene12. Vielleicht jedoch besaß circum – als Wort der frühen Latinität – in der Spätantike einen ganz besonders ehrwürdigen Klang13. Ich halte es deshalb für möglich, dass Hieronymus hier das anfängliche circa deshalb durch circum ersetzte, weil dieses archaisch klingende Wort noch besser als circa zum Kontext passt, in dem Hiob die Details seiner früheren Würde schildert. O. steht hier allein gegen S. T. B. 14 Nr. 54

Kapitel- u. Beleg-Nr. bei Trenkler: 15/20

Hiob Kap./ Vers

adn. ed. Zy.

Wortlaut adn. = O.

Wortlaut Hieronymus-Codices S.

T.

B.

31, 29a

579, 9

gauisus sum super ruinam

gauisus sum ­ super uineam

gauisus sum ­ super ruina

gauisus sum ­ super ruinam

M14: ‫ֶ֭א ְׂשמַ ח ְּב ִ ֣פיד‬

LXX: ἐπιχαρὴς ἐγενόμην πτώματι

Weil Hieronymus hebräisches Imperfekt wiederholt als Perfekt übersetzt15, kann seine Übersetzung ebenso gut auf M wie auf dem Aorist der LXX beruhen. Jedoch legt der präpositionale Ausdruck mit super nahe, dass der hebräische Text mit seiner Präposition ‫ ב‬die Primärquelle war. Hieronymus’ Bevorzugung des Ablativs bei super im revidierten Codex T. beruht vermutlich auf dem Streben nach eleganterem Latein. Für diese Vermutung kann man auf Augustin verweisen. Bei ihm kommt die Wendung gaudere super nur noch in zwei anderen Bibelzitaten vor. Bei seinem Zitat von Ps 40, 12 non gaudebit inimicus meus super me16 ist freilich nicht zu entscheiden, ob er me als Akkusativ oder Ablativ auffasst. Jedoch zitiert er 1 Cor 13, 6 nur ein einziges Mal mit super und Akkusativ in der Form non gaudet (sc. caritas) super iniquitatem17. Sonst führt er 1 Cor 13, 6 immer mit super und Ablativ an in der Fassung non gaudet (sc. caritas) 11 Vgl. Concordantiarum Thesaurus (1897): zu circum S. 225, Sp. 1; zu circa S. 224, Sp. 1–2. 12 Bis auf das Zitat von Aeneis 2, 767 stant circum (civ. 1, 4) schreibt Augustin auch in civ., also in der gehobenen Prosa, immer nur circa: Siehe TLL 3.0.1079.37–38. Lt. CAG kommt circum auch in Augustins Briefen nie vor, in denen jedoch circa 35-mal belegt ist. 13 Zum alleinigen Gebrauch von circum in der frühen Latinität und bei Sallust siehe TLL 3.0.1079.39–44 (in der gedruckten Ausgabe noch übersichtlicher – weil in Tabellenform – als in der Online-Ausgabe). 14 Dt.: Ich werde mich freuen / freue mich über Unglück. 15 Vgl. Kap. 3 zu Beleg 22. 16 So zitiert in en. Ps. 40, 13. 17 s. dom. m. 2, 83.

90

Hieronymus’ Erstfassung O. und die Fassungen S. T. B. 

super iniquitate18. Dieser Wortlaut von 1 Cor 13, 6 ist auch in einer Nebenlinie der Vulgata-Tradition belegt19, während deren Hauptüberlieferung wieder den Akku­ sativ super iniquitatem bietet20. Die Vulgata-Überlieferung zu 1 Cor 13, 6 zeigt also dasselbe Schwanken wie die Tradition der Versio prior zu Iob 31, 29a21. Dies könnte so zu deuten sein, dass der Akkusativ bei super schon in einer alten lateinischen Hiob-Version stand22 und von daher – obwohl weniger elegant – letztlich erfolgreich gegen Veränderung geschützt war. Auch die Vulgata kehrt mit si gavisus sum ad ruinam zum Akkusativ zurück, entschärft ihn aber, indem sie super durch ad ersetzt. Die Lesart super uineam in S.  kann nicht Hieronymus zugeschrieben werden, sondern ist der eindeutige Fehler einer späteren Hand23. Das Versehen lässt immerhin noch erkennen, dass auch S. den Akkusativ von O. beibehielt. Auch B. geht hier mit O. T. steht allein gegen O. (S.) B. Die folgenden drei Belege sind nicht mit Sicherheit zu deuten. Es kann sich um Korrekturen des Hieronymus handeln oder lediglich um Varianten der Überlieferung. Die ersten beiden Stellen könnten zeigen, dass Hieronymus bei der Revision eine unklassische lateinische Form (die er vielleicht in O. pietätvoll aus einer nicht erhaltenen lateinischen Vorlage übernommen hatte)  gegen eine klassische austauschte. Die sprachlichen Aspekte dieser Fälle sind bereits von Trenkler erklärt worden; hier interessiert jetzt, dass die Überlieferung der Beispiele in den revidierten Codices nicht parallel geht: 24 25 Nr. 55

Hiob Kap./ Vers

Kapitel- u. Beleg-Nr. bei Trenkler: 15/16 adn. ed. Zy.

34, 25bβ 583, 15 M24: ‫יִ ַּדּכָ אּו‬

Wortlaut adn. = O. humilabuntur

Wortlaut Hieronymus-Codices S.

T.

B.

humiliabuntur Hexapla sub * (Üs. des Theodotion)25: ταπεινωθήσονται

18 c. litt. Pet. 2, 173–174. 180; ciu. 14, 8; gr. et lib. arb. 34; s. 350, 3; 353, 1. 19 Stuttgarter Vulgata (2007) 1782 zur Stelle. 20 Stuttgarter Vulgata (2007) 1782; so auch spec. 31. 21 Zu dem schwindenden Bewusstsein für den Unterschied zwischen Ablativ und Akkusativ im Spätlatein vgl. B. Fischer (1986) 267. 22 Die von Ziegler edierten spanischen Randnoten (Ziegler (1980) 22) lesen jedoch: si autem et gavisus fui in ruina inimici mei. 23 Bei uineam dürfte es sich um eine Konjektur handeln, die eine vorangehende Haplographie von -r und r- heilen sollte: Statt super ruinam schrieb man zunächst super uinam und konjizierte dann statt uinam uineam. 24 Dt.: sie werden zermalmt/unterdrückt werden. 25 Ziegler (1982) 367–368 im Text und beiden Apparaten.

Revisionen von O. in S. T. B. ohne Wechsel der Textvorlagen II 

91

In diesem Fall steht O. allein gegen S. T. B. Die Überlieferung der folgenden Stelle differiert: 26 27 28 Nr. 56

Kapitel- u. Beleg-Nr. bei Trenkler: 15/18

Hiob Kap./ Vers

adn. ed. Zy.

Wortlaut adn. = O.

Wortlaut Hieronymus-Codices S.

T.

37, 1a

593, 26

obstipuit26

obstipuit

obstupuit

B.

Hexapla sub * (Üs. des Theodotion)28: ἐταράχθη

M27: ‫ֶי ֱח ַר֣ד‬

Das Perfekt beweist nicht, dass Hieronymus hier von dem Aorist der griechischen Vorlage abhing, weil er auch ein reines hebräisches Imperfekt häufig als Vergangenheitstempus auffasste29. Hier gehen S. mit O. und B. mit T. zusammen. Diesen möglichen Belegen für Hieronymus’ Bestreben, den Stil seiner Übersetzung zu ver­feinern, steht auch hier wieder eine andere Stelle gegenüber, an der die revidierten Codices unklassische Formen enthalten, obwohl die Erstfassung O. keine Anstöße gab. Vermutlich gehen diese Formen also auf Hieronymus’ Schreiber zurück: 30 Nr. 57

Kapitel- u. Beleg-Nr. bei Trenkler: 14/29

Hiob Kap./ Vers

adn. ed. Zy.

Wortlaut adn. = O.

Wortlaut Hieronymus-Codices S.

T.

30, 2b

572, 20

peribat ­omnis uita

pergebat ­omnis uita

periebat omnis uita

M30: ‫ָא֣בַ ד ָ ּֽכלַ ח‬

B.

LXX: ἀπώλετο συντέλεια

26 Lt. CAG s. v. obstupesco finden sich bei Augustin nur drei Formen von obstipescere (cons. eu. 3, 63; ench. 46; ep. 220, 4); die restlichen 24 Formen sind von obstupesco gebildet. 27 Dt.: Es wird zittern/erschrecken / Es bebt/erschreckt sich. 28 Ziegler (1982) 378, Text und 2. Apparat. 29 Vgl. Kap. 3, Beleg 22. 30 Dt.: umgekommen ist reifes Alter.

92

Hieronymus’ Erstfassung O. und die Fassungen S. T. B. 

Die Hintergründe dieser Formen erläutert Trenkler31. Da pergebat in S. auf keinem Urtext beruht, jedoch leicht als Verwechslung mit periebat erklärt werden kann32, steht hier vermutlich O. allein gegen (S.) T. B.

5.1.3 Eine dogmatische Präzisierung An der letzten Stelle, an der die Erstfassung der Versio prior ebenso gut auf einem hebräischen wie auf einem griechischen Text beruhen kann, ist die revidierte Fassung von besonderem inhaltlichem Interesse: 33 Nr. 58

Kapitel- u. Beleg-Nr. bei Trenkler: 15/4

Hiob Kap./ Vers

adn. ed. Zy.

Wortlaut adn. = O.

Wortlaut Hieronymus-Codices S.

T.

38, 17b

605, 14

inferi

fehlt

inferni

M33: ‫צַ ְל ָמ֣ ֶות‬

B.

LXX: ᾅδου

Den Wechsel von inferi in O. zu inferni in T. könnte man zunächst für eine rein stilistische Revision halten; denn in der Vulgata benutzt Hieronymus den Begriff infernum mehr als doppelt so oft wie die Singular- bzw. Pluralformen von inferus34. Weil jedoch die vorliegende Stelle Iob 38, 17 die Herausbildung der Lehre von der Höllenfahrt Christi beeinflusst hat35, liegt die Annahme nahe, dass Hieronymus den Wechsel von inferi zu inferni vor allem deshalb vollzog, weil die Formel von Christi Höllenfahrt, die der Westen zur Zeit des Hieronymus zunächst nur zögernd aus dem Osten in das Apostolische Glaubensbekenntnis übernahm36, zu seiner Zeit descendit ad inferna lautete37. Diese Formulierung ist im Westen zuerst für

31 Trenkler (2017) 186–187 mit Anm. 26. 32 Trenkler (2017) 187, Anm. 27. 33 Dt.: Todesdunkel. 34 Vgl. die betreffenden Einträge im Concordantiarum Thesaurus (1897) 592, Sp. 1–2 bzw. 3. 35 Vgl. den Hinweis bei Witte/Kepper (2011) 2118 z. St. (wo allerdings statt vom „Topos von der Höllenfahrt Christi“ irrtümlich vom „Topos von der Himmelfahrt Christi“ gesprochen wird) sowie die ausführlichen Darstellungen bei Kelly (1972) 371–377 (zu Iob 38, 17 dort S. 372) und besonders bei Gounelle (1996). Gounelle erläutert im Detail den griechisch-patristischen Hintergrund, nennt aber Augustins Adnotationes in Iob zur Stelle nur en passant (S. 211) und erwähnt weder Hieronymus noch das Taufbekenntnis von Aquileia. 36 Kelly (1972) 372–374. 37 So lt. dem frühesten Beleg im Westen, dem Taufbekenntnis von Aquileia: Kelly (1972) 363. 372 und Denzinger/Schönmetzer (1973) 23, Nr. 16. Diese Formulierung galt das ganze Mittelalter hindurch bis einschließlich zur Reformation. Lt. Denzinger/Schönmetzer (1973) 28, Nr. 30 wurde

Revisionen von O. in S. T. B. ohne Wechsel der Textvorlagen II 

93

das Taufbekenntnis von Aquileia bezeugt38. Da Hieronymus selbst mehrere Jahre (wohl von 367/368 bis 373/374) in dieser Stadt in einem Kreis asketisch gesinnter Kleriker gelebt hat39, wurde diese Korrektur möglicherweise sogar durch eine persönliche Erinnerung an die Osterliturgie von Aquileia beeinflusst. O. steht hier allein gegen T. B. (S. fehlt).

5.2 Konflation griechischer und hebräischer Textvorlagen Eine Sondergruppe bilden solche Stellen, an denen Hieronymus in seiner Erstfassung O. Elemente verschiedener griechischer und hebräischer Textvorlagen zu einer neuen Einheit verschmolzen hat40. Hier wird sein Hang zu einem eklektischen Vorgehen besonders deutlich. In solchen Fällen versagt die klare Zuordnung zu griechischen bzw. hebräischen Texten; man kann bestenfalls noch zwischen Primär- und Sekundärvorlagen unterscheiden. Da einige der so gewonnenen Übersetzungen sehr komplex sind, verwundert es nicht, dass sich Hieronymus bei deren Revision auf minimale Eingriffe beschränkt hat.

die heute übliche Form descendit ad inferos erst im Catechismus Romanus von 1564 und im Breviarium Romanum von 1568 eingeführt. Vgl. zur Erklärung Kelly (1972) 372, Anm. 1: ad inferna heißt „zur Hölle“, also an den Ort der Verdammnis; ad inferos heißt lediglich „in das Reich der Toten“. 38 Rufinus von Aquileia zitiert den Passus mehrfach in seiner Expositio symboli (datiert von Kelly (1955) 9 kurz nach 400). In § 12 (149, 1–2 Simonetti) lautet das Zitat descendit in inferna; in der Paraphrase in § 26 (160, 1 Simonetti) heißt es in infernum descendit. In § 16 (152, 4–5­ Simonetti) sagt Rufinus ausdrücklich: Sciendum sane est quod in ecclesiae Romanae symbolo non habet additum: „descendit in inferna“. Vgl. dazu Kellys Kommentar (1955) 121, Anm. 98. 39 Zum Aufenthalt des jungen Hieronymus in Aquileia vgl. Fürst (2003) 145; für Details siehe Grützmacher (1901) 139–142 und besonders die Darstellung bei Kelly (1975) 30–33. 40 Schon Beer (Studien 1896–1898) notiert Stellen, an denen Hieronymus sogar Einzelverse aus mehreren Vorlagen kompiliert hat, ohne jedoch Hieronymus’ Methode zu kommentieren oder zu problematisieren: Vgl. Teil 2 (1897) 101–102 zu Iob 18, 17; 102 zu Iob 19, 12; 103–104 zu Iob 19, 29; 106–107 zu Iob 21, 19; 107 zu Iob 21, 21; 109 zu Iob 22, 3; 117 zu Iob 28, 15; 119 zu Iob 29, 20; 121 zu Iob 30, 8; Teil 3 (1898) 257 zu Iob 31, 2; 259–260 zu Iob 32, 11; 260 zu Iob 32, 13; 264–265 zu Iob 34, 23; 265 zu Iob 34, 26; 268 zu Iob 35, 9; 269 zu Iob 36, 7 und 9; 272 zu Iob 36, 28; ­272–273 zu Iob 36, 29; 273 zu Iob 36, 33; 274 zu Iob 37, 2; 276 zu Iob 38, 37; 277 zu Iob 39, 4; 278 zu Iob 39, 13; 278–279 zu Iob 39, 15; 279 zu Iob 39, 18.– Einen ähnlichen Fall aus dem Jesaja-Kommentar (zu Is 14, 18–19c) erläutert Gryson (1991) 69–70.

94

Hieronymus’ Erstfassung O. und die Fassungen S. T. B. 

5.2.1 Primärvorlage hebräisch41 Nr. 59

Kapitel- u. Beleg-Nr. bei Trenkler: 15/40

Hiob Kap./ Vers

adn. ed. Zy.

Wortlaut adn. = O.

34, 9ab

582, 17–18 dixit enim: (vgl. 582, non uisitabitur 20) uir, qui ambulauerit cum deo.

M41: ‫ִ ּֽכי־ ָ֭אמַ ר ֣ל ֹא יִ ְסּכָ ן־ּגָ ֑בֶ ר ִ֝בּ ְר ֹצ ֹ֗תו‬ ‫ֹלהים‬ ִֽ ‫א‬ ֱ ‫ִעם־‬

Wortlaut Hieronymus-Codices S.

T.

B.

dixit enim: non uisitabitur uir, qui ambulat cum deo.

dixit enim: non uisitabitur uir, qui ambulauerit cum deo.

LXX: μὴ γὰρ εἴπῃς ὅτι Οὐκ ἔσται ἐπισκοπὴ ἀνδρός· καὶ ἐπισκοπὴ αὐτῷ παρὰ κυρίου.

Im ersten Teilvers Iob 34, 9a geht Hieronymus vom Hebräischen aus: Er behält mit dixit enim die 3. Person Singular Indikativ Perfekt des Hebräischen ‫ ִ ּֽכי־ ָ֭אמַ ר‬bei, die Hiob die schockierende Aussage in den Mund legt, auch für einen Frommen werde es keine positive Heimsuchung Gottes geben. Dagegen entschärft die LXX diesen Anstoß, indem sie die Aussage ‫ ִ ּֽכי־ ָ֭אמַ ר‬zum Prohibitiv μὴ γὰρ εἴπῃς umdeutet42. Auch im Rest des Teilverses Iob 34, 9a folgt Hieronymus mit der Formulierung non uisitabitur uir der hebräischen Syntax Wort für Wort, wenn wir annehmen, dass er die Konsonanten des schwierigen Prädikats ‫ יסכן‬43 nicht als Qal, sondern als Nif ’al ‫ יִ ּסָ כֵ ן‬vokalisierte44. Gleichzeitig jedoch orientiert er sich für die inhaltliche Deutung 41 Dt.: Denn er hat gesagt: Nicht wird Nutzen haben (?) ein Mann aufgrund seines Liebens mit Gott. 42 Diese theologisch motivierte Umdeutung wurde von Gard (1952) 14 nachgewiesen. 43 Die Imperfekt Qal-Form ‫ יִ ְס ֹּכן‬ist nur noch Iob 15, 3; 22, 2 und 35, 3 belegt, hat aber an all diesen Stellen die Bedeutung „(jdm.) nützen“. An der vorliegenden Stelle dagegen fordert M den sonst nicht belegten Sinn „(selbst) Nutzen haben“ (Gesenius-Donner (2013) 887 links s. v. Qal), wenn man nicht ‫ ּגָבֶ ר‬als Objekt konstruieren will, was gezwungen wäre: Vgl. Brown/Driver/Briggs (1906) 698 links s. v., Qal Nr. 2 fin. Dhorme (1926) 467 begnügt sich damit, die verschiedenen antiken Übersetzungen unkommentiert nebeneinander zu stellen; auch Köhler-Baumgartner (1953) 658 links s. v. qal ignorieren das in Iob 34, 9 vorliegende syntaktische Problem. 44 Die Vokalisation als Nif ’al hat Trenkler (2017) 217 (Tabelle) vorgeschlagen. Beer (Text, 1897) 215, Ziegler (1934) [19], Nr. 8, Gard (1952) 14 und Witte/Kepper (2011) 2113 z. St. drucken nur den Konsonantentext und äußern sich nicht zur Konstruktion. Mir erscheint jedoch das Passiv, wie es offenbar Hieronymus las, auch vom Hebräischen her als die bessere Variante. Wenn man ‫ יסכן‬mit M als Qal vokalisiert und ‫ ּגָבֶ ר‬als Subjekt auffasst, muss man – wie in der vorigen Anmerkung gezeigt – für die vorliegende Stelle eine Sonderbedeutung des Aktivs im Sinne von „Nutzen haben“ postulieren. Dieses Problem entfällt, wenn man die Form als Passiv auffasst. Solch eine Lösung wird möglich, wenn man einen Hinweis von Gray (1974) 349 aufnimmt. Er macht zu unserem Vers darauf aufmerksam, dass die Verbwurzel ‫ סכן‬I. im Aktiv zuweilen auch die Bedeutung „(im positiven Sinn) beaufsichtigen/überwachen“ haben kann. (Er zitiert Is 22, 15, wo das

Revisionen von O. in S. T. B. ohne Wechsel der Textvorlagen II 

95

der schwierigen Vokabel ‫סכן‬145 durch uisitabitur an dem Begriff ἐπισκοπή der LXX: In der Versio prior des Hiob-Buches übersetzt er auch sonst ἐπισκοπή mit uisitatio46 oder umschreibt das Nomen wie im vorliegenden Fall verbal mit einer Form von uisitare47. Somit exemplifiziert dieser erste Teilvers von Iob 34, 9, dass Hieronymus in der Versio prior teilweise eher eine hebräische als eine griechische Vorlage benutzte, dabei aber den hebräischen Konsonantentext anders vokalisierte als M und schließlich in schwierigen Fällen die griechische Übersetzung als Hilfe zur Entschlüsselung des Hebräischen heranzog. Auch im zweiten Teilvers Iob 34, 9b beruht Hieronymus’ Übersetzung qui ambulauerit cum deo eindeutig nicht auf der LXX-Fassung καὶ ἐπισκοπὴ αὐτῷ παρὰ κυρίου, die hier in sehr freier Weise den vorangehenden Halbvers Iob 34, 9a variiert48. Schon das Ende des Verses cum deo (statt des παρὰ κυρίου der LXX) zeigt, ִ ‫„( ִעם־א‬mit Gott“) war. Trotzdem hat er nicht dass seine Vorlage das hebräische ‫ֱֹלהים‬ einfach M wörtlich übersetzt. Eine erste Änderung ist stilistischer Art: Er wandelt die typisch hebräische Konstruktion eines Infinitivus constructus mit Präposition und Personalsuffix (in M ‫ ) ִ֝ ּב ְרצ ֹֹ֗תו‬in einen lateinischen Nebensatz um. Hier in der Versio prior formuliert er einen Relativsatz (qui ambulauerit), bevorzugt aber später in der Vulgata einen Konditionalsatz (etiam si cucurrerit). Die zweite Veränderung, die die beiden Übersetzungen des Hieronymus gegenüber M aufweisen, betrifft die Verbwurzel des Infinitivus constructus. Die Form in M ‫ ִ֝ ּב ְרצ ֹֹ֗תו‬ist von der Wurzel ‫רצה‬1 („Wohlgefallen an jd. haben/jd. lieben“49) abgeleitet und heißt „dadurch, dass er liebt“50. Hieronymus’ Übersetzung qui ambulauerit cum deo in der Versio prior deutet jedoch m. E. darauf hin, dass er – bzw. sein Vorleser – statt der Wurzel ‫רצה‬1 die graphisch sehr ähnliche Wurzel ‫רעה‬2 vor sich zu haben glaubte, die „mit jemandem umgehen“ heißt51. Seine Unsicherheit über die korrekte Lesung dieser Stelle

aktive Partizip Qal soviel wie „steward“ heißt.) Dazu passt, dass Gesenius-Donner (2013) 887 links s. v. ‫סכן‬1 als eine der etymologischen Grundbedeutungen „sorgen für“ angeben. Wenn man Gray folgt und – über ihn hinaus – mit Hieronymus das Prädikat ‫ יסכן‬statt als Qal als Nif ’al konstruiert, ergibt sich für das Hebräische die Aussage „Nicht wird versorgt werden ein Mann.“ Der so mit Hilfe von Hieronymus, Gray und Gesenius-Donner erschlossene Text beseitigt die Notwendigkeit, aus Iob 34, 9a eine Sonderbedeutung des Qal von ‫ סכן‬abzuleiten; zugleich erklärt diese Fassung plausibler als M, wie die LXX auf ihre Konstruktion οὐκ ἔσται ἐπισκοπὴ ἀνδρός verfiel. 45 Gesenius-Donner (2013) 887 links. 46 Iob 6, 14; 7, 18; 31, 14. 47 Iob 29, 4. 48 So Ziegler (1934) [19 und 20], je Nr. 8 sowie Witte/Kepper (2011) 2113 z. St. (An den dort genannten Parallelstellen Iob 6, 14 und 29, 4 führt die LXX den Begriff ἐπισκοπή ebenfalls ohne wörtlichen Anhalt im masoretischen (!) Text ein.) 49 Gesenius-Donner (2013) 1263 rechts – 1264 links. 50 Das Personalsuffix kann auch als Objekt aufgefasst werden; dann heißt der Ausdruck „dadurch, dass er ihn liebt“. 51 Vgl. Gesenius-Donner (2013) 1254 rechts.

96

Hieronymus’ Erstfassung O. und die Fassungen S. T. B. 

wird auch an der Vulgata deutlich: Dort geht seine Übersetzung etiam si cucurrerit cum eo (sc. deo) vermutlich darauf zurück, dass er die Form jetzt von der Wurzel ‫„( רוץ‬laufen“) ableitete52. Von einer Revision zeugt hier nur die Fassung von S.: Dort ersetzte Hieronymus den vorzeitigen Konjunktiv Perfekt mit kausalem Nebensinn (bzw. das Futur II) ambulauerit durch den Indikativ Präsens ambulat. Dieses ambulat gibt den substantivierten Infinitiv mit Präposition ‫ּב ְרעֹ תֹו‬,ִ der im Hebräischen kein bestimmtes Zeitverhältnis, aber einen Kausalzusammenhang impliziert, schlichter wieder als ambulauerit. Jedoch hat der Kirchenvater das vorzeitige und zugleich kausale­ ambulauerit im cucurrerit der Vulgata wiederbelebt. S. steht hier allein gegen O. T. B.

5.2.2 Primärvorlage griechisch Der folgende Text ist ein besonders schlagendes Beispiel für die eklektische Methode des Hieronymus. Während er sich als Primärvorlage auf die Hauptüberlieferung der LXX stützt, bezieht er auch noch zwei verschiedene hebräische Textfassungen in seine Übersetzung mit ein: 53 Nr. 60

Kapitel- u. Beleg-Nr. bei Trenkler: 15/43

Hiob Kap./ Vers

adn. ed. Zy.

Wortlaut adn. = O.

Wortlaut Hieronymus-Codices S.

T.

B.

38, 18b

605, 20

narra ergo mihi, quanta quaeque sit

fehlt

narra ergo mihi, quanta sit

narra ergo mihi, quantaque sit

M53: ‫֝ ַה ֗ ֵּגד ִאם־י ַ ָ֥ד ְעּתָ כֻ ָ ּֽלּה‬

LXX: ἀνάγγειλον δή μοι πόση τίς ἐστιν

52 Vgl. Gesenius-Donner (2013) 1230 rechts.– Angesichts dieser großen Unsicherheit bei Hieronymus scheint mir die These von Wutz (1933) 312 einleuchtend, dass das zentrale Stichwort ἐπισκοπή der LXX in Iob 34, 9b dadurch bedingt ist, dass der Übersetzer statt von der Wurzel ‫רצה‬ („lieben“) von der graphisch ähnlichen Wurzel ‫„( ראה‬sehen“) ausging und dort ‫„( ִּב ְר ִאתֹו‬durch sein Sehen“) las (zum Nomen ‫„ ְר ִאית‬das Sehen“ vgl. Gesenius-Donner (2013) 1206 rechts mit Verweis auf das gleichbedeutende 1206 ‫ ראות‬links). Dieselbe Lösung schlägt Wutz ebendort auch für Iob 6, 14 vor, wo die LXX ebenfalls ἐπισκοπή hat, jedoch M die Vokabel „Ehrfurcht“ bietet (‫ יִ ְראָ ה‬von der Wurzel ‫ירא‬1 „fürchten“; vgl. dazu Gesenius-Donner (2013) 490). Während Ziegler (1934) [20] (zu Punkt 8) diesen Vorschlag für Iob 6, 14 offenbar gelten lässt, will er die hier verhandelte (zweite) Verwendung des Begriffes ἐπισκοπή in Iob 34, 9b als Echo des ersten Auftauchens im vorigen Halbvers Iob 34, 9a erklären. 53 Dt.: sag an, ob du 1. sie ganz kennst / 2. dies alles kennst.

Revisionen von O. in S. T. B. ohne Wechsel der Textvorlagen II 

97

Die ursprüngliche Fassung O. (narra ergo mihi, quanta quaeque sit) hat Vallarsi rekonstruiert54. Jedoch betrachtet er ausschließlich die LXX als Vorlage55 und weist einen Hinweis Martianays auf das Hebräische56 mit dem  – sachlich verfehlten  – Argument zurück, die Übersetzung des Hieronymus basiere allein auf der LXX57. In Wirklichkeit ist m. E. in dem abhängigen Fragesatz quanta quaeque sit sogar eine Konflation der griechischen Hauptvorlage mit gleich zwei hebräischen Versionen nachweisbar. Der erste Schritt zum Verständnis der Passage ist der Nachweis, dass sich die hebräische Vorlage der LXX in der Konstruktion des Halbverses 38, 18b von M unterschied. Um dieses Detail zu verstehen, muss man auch noch den vorangehenden Stichos 38, 18a mit in die Betrachtung einbeziehen. Die Fassung von M lautet: ‫ּלּה׃‬ ֽ ָ ֻ‫ָד ְעּתָ כ‬ ֥ ַ ‫י־א ֶ֑רץ ֝ ַה ֵּג֗ד ִאם־י‬ ָ ֵ‫ד־רחֲב‬ ַ ַ‫ּבנַנְ ּתָ ע‬ ֹ ‫ה ְת‬ ִ֭

Diesen Text hat Hieronymus später zur Vorlage für die Vulgata genommen: Numquid considerasti latitudines terrae? indica mihi si nosti omnia. Schwierig ist an dieser Stelle der Bezug des Suffixes der 3. Person Singular Femininum im letzten Wort ‫כֻ ָ ּֽלּה‬. Rein grammatisch könnte man seinen Bezug allein auf ‫ ָא ֶ֑רץ‬beschränken; dann hieße der Satz: „Sage an, ob du sie (sc. die Erde) ganz kennst“. Hieronymus hat sich aber mit seinem omnia für die sachlich sinnvollere Lösung entschieden, das feminine Suffix als Äquivalent zum Neutrum zu deuten und ‫ כֻ ָ ּֽלּה‬im Sinne von „dies alles“ aufzufassen. Damit bezieht sich ‫ כֻ ָ ּֽלּה‬/ omnia auf all jene Geheimnisse der Welt, die Jahwe zuvor in den Versen Iob 38, 16 ff. aufgezählt hatte. Dagegen geht die LXX auf einen etwas anderen hebräischen Text zurück. Sie hat folgenden Wortlaut: νενουθέτησαι δὲ τὸ εὖρος τῆς ὑπ’ οὐρανόν; ἀνάγγειλον δή μοι πόση τίς ἐστιν. Die Abweichung der hebräischen Vorlage der LXX von M betrifft das letzte Wort im Halbvers 38, 18b: Dort geht das griechische Fragepronomen πόση darauf zurück, dass das Hebräische anstelle des schwierigen ‫ כֻ ָ ּֽלה‬von M das leichter verständliche Fragepronomen ‫„( ּכָ ּמָ ה‬wie groß“) bot58. Indem man dies Pronomen als 54 Trenkler (2017) 220, Anm. 123 zitiert Vallarsi lt. Migne, PL 29, Paris 1846, 107 A. 55 Vallarsi ebendort in Anmerkung c (Sp. 107 C): „Illud quaeque nos ex Augustino supplemus, ita cum primis Gr. jubente textu, πόση ἥτις ἐστὶν.“ 56 Von Vallarsi ohne genauere Quellenangabe in derselben Anmerkung referiert. 57 Ebenda. 58 Beer (Text, 1897) 238 schreibt die Konjektur Duhm zu. ‫„ ּכָ ּמָ ה‬wie groß“ wird auch von Wutz (1933) 285 vertreten. Da diese Lesart den abhängigen Fragesatz der LXX so überzeugend erklärt,

98

Hieronymus’ Erstfassung O. und die Fassungen S. T. B. 

Prädikatsnomen eines Nominalsatzes deutete, konnte man im Griechischen den abhängigen Fragesatz πόση ἐστίν formulieren. Wutz in seiner Erörterung der Stelle geht allerdings nicht darauf ein, dass die LXX mit der Femininum Singular-Form πόση ἐστίν die Frage nach der Größe eindeutig auf „die unter dem Himmel“ zuspitzt. Dagegen könnte sich im Hebräischen das indeklinable Fragewort ‫ּכָ ּמָ ה‬ ebenso gut auch auf die „Breiten“ beziehen; und tatsächlich übersetzt Wutz selbst die Stelle in diesem Sinn59: „Hast du die Breiten der Erde überschaut, sag an, wenn du’s weißt, wie groß sie sind!“ Die übrigen Abweichungen zwischen der LXX und M setzen dagegen keinen anderen hebräischen Text voraus, sondern resultieren aus dem Bemühen des Übersetzers um guten oder sogar gehobenen griechischen Stil. So erklärt sich in Vers 38, 18a die Änderung des Numerus vom Plural ‫ ַרחֲבֵ י־‬zum Singular τὸ εὖρος60 sowie die auffällige Umschreibung der „Erde“ als „der Bereich unter dem Himmel“61. Im zweiten Halbvers 38, 18b hat der Übersetzer sogar an vier Stellen eingegriffen, um idiomatisches Griechisch herzustellen. So erklären sich das Kompositum ἀνάγγειλον statt des Simplex ‫ ֝ ַה ֵּג֗ד‬sowie nicht weniger als drei freie Zusätze: die Partikel δὴ, der Dativ μοι62 nach dem Imperativ ἀνάγγειλον und vor allem das Enklitikon τις, das (im Sinn von „etwa/ungefähr“) an das Fragepronomen πόση angehängt ist. Parallelen für die letztgenannte, typisch griechische Fügung finden sich sowohl in der LXX63 als auch im klassischen Griechisch64, jedoch nicht im Neuen Testament. Hieronymus hat in der Versio prior versucht, diese beiden Vorlagen zu berücksichtigen. Seine Fassung lautet: aut cognouisti latitudinem sub caelo?65 narra ergo mihi, quanta quaeque sit. scheint sie mir besser zu sein als der paläographisch zunächst näherliegende Vorschlag Bickells (ebenfalls von Beer zitiert), ‫„( ּכֵ לָ ּה‬ihr Maß“) zu vokalisieren. Gegen ‫„( *ּכֵ ל‬Maß“) spricht auch, dass das Wort im Hebräischen sonst nicht belegt ist, sondern nur in Analogie zu verwandten Sprachen erschlossen ist. (Vgl. Gesenius-Buhl (1915) 344 rechts s. v. mit Verweis auf die etymologischen Angaben zu ‫ ְּכ ִלי‬S. 348 links. In der Neubearbeitung von Gesenius-Donner (2013) ist dieser Eintrag getilgt.) 59 Wutz (1933) 285. 60 Liddell/Scott/Jones (1940) 730 links s. v. kennen εὖρος nur im Singular. Auch in der LXX ist nur der Singular belegt: Vgl. Hatch/Redpath (1897) Bd. 1, 579 s. v. 61 Gerlemann (1946) 14 weist darauf hin, dass diese „impressively sounding“ Umschreibung der „Erde“ im Buch Hiob nicht weniger als 13-mal vorkommt (daneben nur noch zweimal in Prv). Vgl. die Belege bei Hatch/Redpath (1897) Bd. 2, 1412 s. v. ὑπό und ὁ ὑπό. Im Hebräischen hat der griechische Ausdruck höchstens in Iob 41, 3 einen Anhalt. 62 Orlinski (1958) 261 weist darauf hin, dass μοι nicht auf ein hebräisches Suffix zurückgeht. 63 Ez. 27, 33 πόσον τινὰ εὗρες μισθόν; (Das Enklitikon ist ohne Anhalt im Hebräischen frei hinzugesetzt). Esdr. I, 8, 75 κατὰ πόσον τι ἐγενήθη ἡμῖν ἔλεος παρὰ σοῦ, κύριε; (Dieses Apokryphon wurde von vornherein in guter griechischer Prosa verfasst; es gibt keine hebräische Vorlage.) 64 Kühner/Gerth (1898) Bd. 1, 664 zitieren Belege aus Homer und Xenophon. Zu Homerismen in der Sprache der Hiob-LXX vgl. die von Trenkler (2017) 295, Anm. 18 zitierte Literatur. 65 So übereinstimmend O. T. B. (S. fehlt).

Revisionen von O. in S. T. B. ohne Wechsel der Textvorlagen II 

99

Hieronymus hat sich hier hauptsächlich auf die LXX gestützt. Dies zeigt sich im ersten Halbvers an den Korrespondenzen zwischen τὸ εὖρος und dem Singular altitudinem sowie zwischen den präpositionalen Ausdrücken ὑπ’ οὐρανόν und sub caelo. Noch deutlicher tritt diese Abhängigkeit von der LXX im zweiten Halbvers hervor: die drei griechischen Begriffe δή μοι πόση werden Wort für Wort mit ergo mihi quanta wiedergegeben. Offenbar versuchte Hieronymus aber zugleich auch noch, den Text von M mit einzubeziehen, indem er dessen auffälligste Abweichung – also die Lesart ‫ כֻ ָ ּֽלּה‬statt des Fragepronomens ‫ ּכָ ּמָ ה‬am Versende – dadurch berücksichtigte, dass er das griechische τις mit quaeque wiedergab. Diese Version mag Hieronymus deshalb gewählt haben, weil das lateinische quaeque zwei Funktionen zugleich erfüllt: Es ahmt als auf quanta bezogenes Enklitikon syntaktisch das griechische τις nach und gibt zugleich als Femininum Singular mit der Bedeutung „eine jede“ das hebräische ‫כֻ ָ ּֽלּה‬ wieder. Ob Hieronymus eine Revision dieses Textes unternommen hat, lässt sich nicht mehr feststellen. Die Lesarten der Codices T. und B. sind ersichtlich korrupt; sie verdanken ihren gegenwärtigen Wortlaut dem Umstand, dass die Schreiber die lateinische Konstruktion quanta quaeque sit ohne die ursprachlichen Vorlagen kaum verstehen konnten66. Überdies fehlt hier der Codex S., der im eben erörterten Lemma Iob 34, 9 die einzige vorsichtige Textänderung durch Hieronymus enthielt. Möglicherweise ist die Lesart des Codex B. narra mihi, quantaque sit zu narra mihi, quantaque sit zu ergänzen67. Auch dann bliebe unklar, ob der so emendierte Text eine Alternativ-Übersetzung des Hieronymus darstellt oder auf einen Schreiber von B. zurückgeht68. Hier bieten alle Codices ihre eigene, aber korrupte Lesart (S. fehlt).

66 Vgl. Trenkler (2017) 220. 67 Vgl. Augustin s. 379, 4 Christus dominus, quis et quantus propter nos factus est tantillus quaere a Iohanne euangelista. (Man beachte den Indikativ im abhängigen Fragesatz!) Mehrfach kommt auch die Verbindung qualis quantusque vor: ciu. 19, 4; c. Max. 2, 23, 6; s. Dolbeau 23, 13. 68 Zur Herkunft der Lesarten des Codex B. vgl. Kap. 6.

C. Auswertung: Kapitel 6–7 Vorbemerkungen zu den Kapiteln 6–7 Bereits in Trenklers Arbeit, die in erster Linie der Analyse von Augustins Adno­ tationes in Iob gewidmet ist, dienten alle hier in den Kapiteln 2–5 besprochenen Belege als Beweis für die These, dass wir aus der Feder (bzw. nach dem Diktat) des Hieronymus zwei Fassungen der Versio prior des Hiob-Buches besitzen – die Erstfassung O. und die revidierte Fassung T. Dabei blieb die Frage beiseite, in welchem Verhältnis O. und T. zu den Textfassungen der beiden anderen Codices S. und B. stehen, in denen Hieronymus’ Versio prior ebenfalls überliefert ist. Diesem Problem wende ich mich im folgenden sechsten Kapitel zu. Als Vorarbeit wurde in den Kapiteln 2–5 zu jedem Beleg bereits notiert, wie sich die Lesarten der vier Codices O., S., T. und B. zu verschiedenen Clustern ordnen. Im Folgenden geht es darum, aus diesen isolierten Beobachtungen ein kohärentes Bild der Textgeschichte zu rekonstruieren. Das anschließende Kapitel 7 hat zwei Schwerpunkte. Zunächst frage ich in mehreren Schritten nach den Gründen, die Hieronymus veranlasst haben können, sich nicht mit der Erstfassung O. der Versio prior zu begnügen, sondern sie anschließend in zwei Schritten weiter zu überarbeiten1. Abschließend versuche ich die Hiob-Versio prior in den Kontext der Bibelübersetzungen des Hieronymus einzuordnen. Hier geht es um drei Fragen: Welchen Umfang hatte die Serie der Versiones priores? In welcher Reihenfolge hat Hieronymus die erhaltenen Versiones priores erarbeitet? Wie hat Hieronymus selbst das Verhältnis zwischen den Versiones priores und der Vulgata beurteilt? Die Ergebnisse der Kapitel 6 und 7 lassen sich in folgenden Thesen zusammenfassen: a. T. ist tatsächlich die von Hieronymus erarbeitete Endfassung. b. Die Texte von S. stellen eine eigene Revisionsstufe auf dem Weg von O. zu T. dar. Auch S. stammt von Hieronymus. c. Bei den Texten von B. handelt es sich dagegen um eine spätere eklektische Konflation aus Lesarten von O. und T. Die in B. überlieferte Fassung stammt nicht von Hieronymus. d. O. sollte ursprünglich eine Emendation altlateinischer Hiob-Versionen werden. Hieronymus stützte sich auf Origenes’ Hexapla, indem er verschiedene ursprach­

1 Emonds (1941) 7 insistiert in seinen methodologischen Vorüberlegungen, dass man eine zweite Auflage im Altertum nur dann annehmen dürfe, wenn „auf Seiten des Verfassers hierfür ein subjektiver Grund vorhanden oder wenigstens erschließbar ist.“ Emonds’ Kriterien für die Annahme einer zweiten Auflage werden zustimmend referiert von Weber (2010) 570.

Vorbemerkungen zu den Kapiteln 6–7

101

liche Vorlagen eklektisch kombinierte. Dabei ging er in der Auswertung hebräischer Texte weit über Origenes hinaus. e. Die Revision in S.  war durch Hieronymus’ Plan veranlasst, eine eigene Neu­ übersetzung aus dem Hebräischen zu schaffen. Er arbeitete seine Erstfassung O. deshalb so um, dass sie eindeutiger zu einer Übersetzung der griechischen HiobÜberlieferungen wurde. f. In der endrevidierten Fassung T. gab es einen gewissen Pendelschlag zurück zu hebräischen Textvorlagen. Manche Formulierungen in T. finden sich in der Übersetzung nach dem Hebräischen wieder. g. Die Frage nach dem Umfang der Serie der Versiones priores ist angesichts der Quellenlage nicht zu lösen. h. Hieronymus hat die erhaltenen Versiones priores in der Reihenfolge Chronikbücher – Libri Salomonici – Psalmen – Hiob erarbeitet. i. Hieronymus hat die Versiones priores später nicht schamhaft verschwiegen, sondern hat in allen entsprechenden Vorreden zu seiner neuen Übersetzung iuxta Hebraeos ihren eigenständigen Wert als Emendationen iuxta Graecos hervorgehoben.

C. Auswertung: Kapitel 6–7 Kapitel 6: Die Abfolge O. S. T. und die Sonderstellung von B. 6.1 Die Ausgangslage: O. gegen S. T. B. In diesem Kapitel geht es um die Klärung des bisher noch ungelösten Problems, wie die Fassungen der Codices S. und B. den Versionen zuzuordnen sind, die in der Erstfassung O. und im Codex T. überliefert sind. Wie oben in Kapitel 1 angemerkt, heben sich die Versionen S. T. B. auf den ersten Blick vor allem dadurch als Gruppe von der Erstfassung O. ab, dass sie keine Doppel- oder sogar Mehrfachübersetzungen mehr enthalten. Diese zunächst nur negativ definierte Verwandtschaft zwischen S., T. und B. wird jedoch auch positiv bewiesen durch die große Zahl von Lesarten, die den drei Codices S. T. B. im Gegensatz zu O. gemeinsam sind. Die Einzelanalysen in den Kapiteln 2–5 der vorliegenden Arbeit haben gezeigt, dass es sich dabei in der Regel nicht etwa um Trennfehler, sondern um sinnvolle Varianten handelt, die Hieronymus erst bei seiner Revision aufgrund einer veränderten Textbasis oder aus anderen nachvollziehbaren Motiven eingeführt hat. In den Kapiteln 2–5 der vorliegenden Arbeit wurden folgende Beispiele nachgewiesen: Tabelle 1

gleiche Lesarten in S. T. B. gegenüber O.

Kapitel

Beispiel Nr.

Kapitel/Vers Hiob

S. T. B.

O.

2

2

21, 17a

lucerna impiorum

impiorum lucerna

2

3

27, 14b

et iuuenes

iuuenes

2

4

28, 1a

argento

argenti

2

5

37, 20a

adsistit

adsistis

2

6

37, 23a

inuenimus

1. inueniemus 2. inuenimus

2

8

28, 11a

altitudines

altitudinem

2

10

36, 9a

adnuntiabit

adnuntiantur

2

11

19, 27c

consummata sunt

consumpta sunt

2

13

29, 4b

dominus

uerbum domini

2

14

30, 17b

nerui mei dissoluti sunt

nerui mei soluti sunt

3

15

20, 4a

numquid

aut numquid

3

17

29, 8b

senes autem omnes ­ adsurgebant

senes autem adsurgebant

3

19

31, 13a

ancillae

ancillae meae

3

20

28, 2b

ut lapis exciditur

ut lapides excluditur

3

21

35, 2b

quia dixisti

qui dixisti

Die Abfolge O. S. T. und die Sonderstellung von B.

103

Tabelle 1

gleiche Lesarten in S. T. B. gegenüber O.

Kapitel

Beispiel Nr.

Kapitel/Vers Hiob

S. T. B.

O.

3

24

35, 6b

potes

poteris

3

25

35, 16a

aperit

aperuit

3

30

27, 15b

et uiduis eorum nemo miserebitur

et uiduis eorum non miserebitur

3

31

28, 15a

conclusum

inclusum

4

35

21, 11a

uetustae

uetustate

4

36

20, 2b

nec enim

non enim

4

39

36, 27a

innumerabiles

numerabiles

4

40

20, 25b

in habitaculis

in tabernaculis

4

42

27, 13b

potentium

potentum

4

45

31, 34b

sinu uacuo exire ianuam meam

exire ianuam meam sinu uacuo

4

46

28, 26b

tempestatis

tempestatum

4

48

31, 19b-20a

infirmorum uero

infirmorum

4

49

37, 2a

sonitum

sonum

5

50

32, 13b

abiecit

abicit

5

53

29, 5b

circum

circa

5

55

34, 25bβ

humiliabuntur

humilabuntur

Es wäre aber verfehlt, aus diesen zahlreichen Übereinstimmungen zwischen S., T. und B. zu schließen, es handle sich hier einfach um drei nah verwandte Vertreter ein- und derselben Revisionsschicht gegenüber O. In Wirklichkeit gibt es zwischen S., T. und B. deutliche Unterschiede; jede Fassung weist auch individuelle Lesarten auf; außerdem teilen S. und B. auch gemeinsame Lesarten mit O. All diese Aspekte weisen darauf hin, dass die Beziehungen zwischen den Codices kompliziert sind.

6.2 Problemstellung, Lösungsstrategie und Thesen 6.2.1 Die offenen Fragen Die offenen Fragen, die es noch zu lösen gilt, betreffen das Verhältnis der in den Codices S. und B. überlieferten Texte zu O., zu T. und zueinander1. 1 Bindefehler zwischen allen Codices der Versio prior, die schon in deren Archetypos ψ standen und auch während der Revisionen nicht mehr korrigiert wurden, hat bereits Trenkler (2017) 108–110 gesammelt. Hinzu kommt der Fall von Iob 38, 8b: in utero statt richtig ex utero (vgl. dieselbe, Kap.  15, S.  223–224, Beleg 46). Dass Hieronymus zu Flüchtigkeitsfehlern neigte, wurde schon vielfach beobachtet: Vgl. Stummer (1928) 97; Barr (1966–1967) 290–291; Sparks (1970) 518

104

Hieronymus’ Erstfassung O. und die Fassungen S. T. B. 

6.2.2 Lösungsstrategie Nach Trenklers Befunden ist in der Textüberlieferung der Adnotationes kein Einfluss von S.  bzw. B. festzustellen2. Um also die Zuordnung von S.  bzw. B. zu O. und T. zu klären, kann man von der genetischen Analyse der Adnotationes Augustins keine Hilfe erwarten, sondern muss die Texte der vier Hieronymus-Codices O. S. T. B. miteinander und mit den ursprachlichen Vorlagen vergleichen. Dieser Vergleich wurde für die Stellen, an denen Trenkler das Verhältnis zwischen O. und T. klären konnte, in den vorstehenden vier Kapiteln bereits im Einzelnen durchgeführt. Zu jeder Stelle wurde auch notiert, zu welchen Clustern sich die von den vier Codices repräsentierten Textformen jeweils zusammenschließen. Dabei zeichnete sich jedoch noch kein kohärentes Bild ab. Deshalb ist zu vermuten, dass keine einfachen Abhängigkeiten oder Verwandtschaften im Sinn von Vorlagen und Abschriften vorliegen, sondern dass S. und B. – ebenso wie O. und T. – ihr je individuelles Profil und ihren eigenen Platz in der Textgeschichte der Versio prior besitzen. Im Folgenden versuche ich deshalb, aufgrund der bisher gewonnenen Einzelergebnisse zu klären, welche Stellen S.  und B. in der Textentwicklung der ersten Hiob-Übersetzung des Hieronymus einnehmen. Die Untersuchung orientiert sich primär nicht an den typischen Trenn- und Bindefehlern, durch deren Beobachtung sich die Überlieferungsgeschichte von Texten klären lässt, die auf einen einmal fixierten Archetypos zurückgehen. Das Scheitern von Lagarde, Caspari, Beer und Erbes an dieser Aufgabe zeigt m. E. zur Genüge, dass ihr Ansatz verfehlt war3. Nachdem Trenkler gezeigt hat, dass T. eine revidierte Fassung war, rechne ich im Folgenden zumindest mit der Möglichkeit, dass auch die Fassungen von S. und B. ähnlich wie T. keine mechanischen, fehlerbehafteten Kopien des ursprünglichen Archetypos ψ darstellen, sondern vielleicht weitere Stufen in einer von Hieronymus vorangetriebenen mehrfachen Revision seiner Erstfassung O. repräsentieren. Unter diesem Aspekt sind nicht so sehr die Fehler der Überlieferung als vielmehr die Bezüge auf wechselnde ursprachliche Vorlagen, die sinnvollen Varianten und die erkennbaren Entwicklungstendenzen von Interesse, die darauf hinweisen, dass Hieronymus die Versio prior in mehreren Schritten nach bestimmten Kriterien überarbeitet hat4.

und 524; Kelly (1975) 87. Zu Flüchtigkeiten, Inkonsequenzen bis hin zu „groben Irrtümern“ gerade auch bei der Benutzung des hebräischen Urtextes vgl. Erbes (1950) 136. 154. 157. Auf Fehler im Archetypos der Jesaja-Vulgata verweist Gryson (1991) 61, Anm. 17. 2 Trenkler (2017) 178. 3 Vgl. die Einleitung, S. 15–17. 4 Vgl. die methodischen Überlegungen bei Poirel (2008) 20.

Die Abfolge O. S. T. und die Sonderstellung von B.

105

6.2.3 Thesen Im Ergebnis vertrete ich folgende Thesen: a. Die Texte von S. stellen eine eigene Revisionsstufe auf dem Weg von O. zu T. dar. Auch S. stammt von Hieronymus. b. Bei den Texten von B. handelt es sich dagegen um eine spätere eklektische Konflation aus Lesarten von O. und T. Die im Codex Bodleianus überlieferte Fassung stammt nicht von Hieronymus.

6.3 Die Einordnung von S.  6.3.1 Möglichkeiten der Einordnung von S. 6.3.1.1 Die Nähe zu T. Dass S.5 grundsätzlich zu den revidierten Codices wie T. gehört, wurde bisher schon aus zwei Punkten deutlich: S.  enthält erstens keine Doppelübersetzungen mehr und geht zweitens an zahlreichen Stellen mit T. und B. zusammen (Tabelle 1). Die Nähe zu T. wird auch noch durch einige Beispiele unterstrichen, an denen S. nur mit T. übereinstimmt, während B. entweder mit O. übereinstimmt oder allein steht: Tabelle 2

S. teilt sachlich mögliche Lesart mit T. gegen O. bzw. B.

Kapitel

Beispiel

Kapitel/Vers Hiob

S. T.

O. B.

3

28

37, 5a

tonabit

tonauit

cf. Trenkler Kap. 10

16

31, 19

pereuntem

O. praetereuntes B. praetereunte

Koppelungen zwischen S. und B. kommen nur sehr selten vor und sind in allen Fällen zweifelhaft; ich gehe weiter unten auf sie ein. 6.3.1.2 Die Nähe zu O. Der erste Schritt zu einer genaueren Einordnung von S. ist die Beobachtung, dass S.  durchaus nicht immer nur mit T. B. oder T. allein übereinstimmt, sondern in mehrfacher Hinsicht auch mit O. gegen T. B. zusammengeht. Zunächst ist auffällig, dass S. eine ganze Reihe von sachlich möglichen Varianten mit O. gegen T. B. teilt:



5 Der Codex Sangallensis ist ab Iob 38, 16 init. verloren.

106

Hieronymus’ Erstfassung O. und die Fassungen S. T. B. 

Tabelle 3

S. teilt sachlich mögliche Lesart mit O. gegen T. B.

Kapitel

Beispiel

Kapitel/Vers Hiob

O. S.

T. B.

2

7

36, 17

iustos (S. iustus)

iusto

2

9

33, 26b

intrauit

intrabit

2

16

37, 2b

illius

ipsius

3

18

30, 1b

infirmi

infimi

3

22

20, 12b

abscondit

abscondet

3

23

31, 1b

non cogitabo

non cogitaui

3

26

36, 7a

aufert

auferet

4

43

36, 28b

tenebrescent

tenebrascent

4

44

31, 21b

multum mihi est (S. deest) adiutorium

T. multum est mihi adiutorium; B. mihi multum est adiutorium

5

52

28, 18a

in memoriam

in memoria

5

56

37, 1a

obstipuit

obstupuit

Dass eine Nähe zwischen O. und S. besteht, wird ferner durch jene von Trenkler beobachteten Stellen bestätigt, an denen nur O. und S. das Richtige haben, während T. und B. fehlerhaft sind: Tabelle 4

O. S. haben das Richtige gegen T. B.

Kapitel Trenkler

Beleg Trenkler

Kapitel/Vers Hiob

O. S. richtig

T. B. falsch

14

31

30, 31a

in luctum

in luctu

14

32

35, 8a

uiro simili tui

uiro similis tui

15

25

33, 24b

lituram

litura

cf. 15

28a–b

34, 1; 38, 1

Helius

Heliud/Eliud

Schließlich gibt es auch einen Bindefehler zwischen O. S. gegen T. B.6: Tabelle 5

O. S. haben das Falsche gegen T. B.

Kapitel

Beispiel

Kapitel/Vers Hiob

O. S. falsch

T. B. richtig

4

34

31, 24a

om. si

si

6 Für ein weiteres Beispiel vgl. unten Kap. 12, S. 305–307 zu Iob 15, 33b: O. S. falsch decedat, erst T. richtig decidat.

107

Die Abfolge O. S. T. und die Sonderstellung von B.

6.3.1.3 Die beiden Möglichkeiten zur Einordnung von S. Wie die in den Tabellen 1 bis 5 angeführten Befunde zeigen, steht die Textfassung des Codex S. zwischen der Erstfassung O. und der revidierten Fassung T. (wobei die Lesarten von T. mehrheitlich auch in B. begegnen). Dabei ist die Nähe zu T. ausgeprägter als die Nähe zu O.: Lt. den Tabellen 1 und 2 geht S. mit T. allein bzw. mit T. B. in 32 Fällen zusammen, dagegen mit O. lt. Tabellen 3 bis 5 nur 16-mal. Wenn S. nun einerseits typische Lesarten der Erstfassung O. enthält, aber andererseits auch viele Lesarten der revidierten Fassung T. aufweist, so lässt diese Zwischenstellung grundsätzlich zwei Deutungen zu: Entweder handelt es sich bei S. um eine Kompilation aus O. und T., oder S. repräsentiert eine erste eigene Revisionsschicht auf dem Weg von O. zu T. Ich halte die zweite Möglichkeit für richtig.

6.3.2 S. als eigene Revisionsstufe zwischen O. und T. 6.3.2.1 Sonderlesarten in S. Der Beweis, dass S. tatsächlich eine eigene Revisionsstufe zwischen O. und T. darstellt, liegt in einer Reihe von Sonderlesarten. Sie belegen m. E., dass Hieronymus in dieser Handschrift mit Übersetzungs-Varianten gegenüber O. experimentiert hat, die er anschließend in T. entweder wieder verwarf oder zum dritten Mal änderte. Zum Teil setzen diese Experimente keinen Wechsel der Textvorlage voraus (im ersten der folgenden Beispiele hat Hieronymus seine Textbasis gegenüber O. noch nicht in S., sondern erst anschließend in T. gewechselt): Tabelle 6

Experimentelle Sonderlesarten in S. auf gleicher Textbasis

Kapitel

Beispiel

Kapitel/Vers Hiob

von O.

über S.

zu T.

2

1

30, 15c

transit

transiet

transiit (+ B.)

4

49 fin.

37, 2a

sonitum

fremitum

sonitum (+ B.)

5

51

34, 25bα

et uertet (+ B.)

uertat

euertet

Noch deutlicher wird der Experimentcharakter im folgenden Fall, in dem das Sondergut in S. auf einem Wechsel der Textbasis beruht7: 7 Ein späteres Beispiel findet sich im Lemma Iob 24, 23b (560, 12): von O. (cadit in languorem) über S. (cadet in languorem) zu T. (+B.) (cadet in languore). Das Präsens cadit in O. beruht auf einem hebräischen Imperfekt, das Futur cadet ab S. auf einem griechischen Futur. Die hebräische Vorlage von O. unterschied sich von M : M bietet das Nif ’al der Wurzel ‫„( ׁשען‬sich stützen“; vgl. Gesenius-Donner (2013) 1397), während Hieronymus vermutlich das Nif ’al der Wurzel ‫כׁשל‬ („fallen“; vgl. Gesenius-Donner (2013) 577 links) las.

108

Hieronymus’ Erstfassung O. und die Fassungen S. T. B. 

Tabelle 7

Experimentelle Sonderlesart in S. mit Wechsel der Textbasis

Kapitel

Beispiel

Kapitel/Vers Hiob

von O.

über S.

zu T.

3

27

36, 7c

et sedere eos fecit

et sedere eos faciet

et sedere eos facit (+ B.)

6.3.2.2 Anhang: Verfehlte Korrekturen in der späteren Textschicht S. II Nicht auf Hieronymus zurückzuführen sind drei sachlich verfehlte Versuche, Fehler der Vorlage zu korrigieren. Sie konstituieren eine spätere Textschicht S. II und gehören in die Debatte um das ursprüngliche Verhältnis von S.  zu O., T. und B. nicht hinein: Tabelle 8

Verfehlte Korrekturen in Schicht S. II

Kapitel Trenkler

Beleg Trenkler

Kapitel/Vers Hiob

Fehler S. 2

das Richtige

9

3

37, 17a

stola candida

stola calida (O. T. B. falsch stola ­ ualida)

Kapitel Warns

Beleg Warns

5

54

31, 29a

gauisus sum super ­ uineam

O. B. gauisus sum super ruinam; T. gauisus sum super ruina

5

57

30, 2b

pergebat

O. peribat (cf. T. B. ­periebat)

6.4 Die Einordnung von B. 6.4.1 Möglichkeiten der Einordnung von B. 6.4.1.1 Die Nähe zu T. Auch B. gehört, wie das Fehlen von Doppelübersetzungen sowie die obige Tabelle 1 zeigen, mit S. und T. zu den revidierten Codices, die der Erstfassung O. auf den ersten Blick als eigene Gruppe gegenüberstehen. Die drei Codices der revidierten Gruppe stehen jedoch untereinander in keinem ausgeglichenen Verhältnis. So gibt es kein sicheres Beispiel, wo allein S. und B. gegen T. stehen. Dagegen häufen sich die Belege für eine nahe Verwandtschaft zwischen B. und T. gegen S. Die meisten Beispiele begegneten bereits in den obigen Tabellen 3 bis 7. Der besseren Übersicht halber übertrage ich die einschlägigen Belege noch einmal in die folgenden drei Ta-

Die Abfolge O. S. T. und die Sonderstellung von B.

109

bellen, ordne sie aber so um, dass die Verwandtschaft zwischen B. und T. ins Zentrum rückt. In der ersten Tabelle sind diejenigen Lesarten aufgeführt, bei denen T. B. die eine von mehreren sachlich möglichen Varianten miteinander teilen: Tabelle 9

T. B. teilen sachlich mögliche Lesart gegenüber O. bzw. S.

Kapitel

Beispiel

Kapitel/Vers Hiob

T. B.

O. bzw. S.

2

1

30, 15c

transiit

O. transit S. transiet

2

7

36, 17

iusto

O. iustos S. iustus

2

9

33, 26b

intrabit

intrauit

2

12

29, 11b

oculus uidens

O. oculus uidentis (S. fehlt)

3

16

37, 2b

ipsius

illius

3

18

30, 1b

infimi

infirmi

3

22

20, 12b

abscondet

abscondit

3

23

31, 1b

non cogitaui

non cogitabo

3

26

36, 7a

auferet

aufert

3

27

36, 7c

et sedere eos facit

O. et sedere eos fecit S. et sedere eos faciet

3

32

35, 3

dicis

O. dices S. dicens

4

37

38, 19b

qui tenebrarum locus

O. quis tenebrarum locus (S. fehlt)

4

38

20, 18b

quae egerunt ut durum quid

quae erunt ut durum quid

4

43

36, 28b

tenebrascent

tenebrescent

5

52

28, 18a

in memoria

in memoriam

5

56

37, 1a

obstupuit

obstipuit

5

58

38, 17b

inferni

O. inferi (S. fehlt)

In der zweiten Tabelle ist eine Lesart von T. B. enthalten, die sachlich allein richtig ist und einem Fehler in O. bzw. S. gegenübersteht: Tabelle 10 T. B. haben das Richtige gegen O. bzw. S. Kapitel

Beispiel

Kapitel/Vers Hiob

T. B. richtig

O. bzw. S. falsch

4

34

31, 24a

si

om. si

110

Hieronymus’ Erstfassung O. und die Fassungen S. T. B. 

Die dritte Tabelle enthält umgekehrt Bindefehler zwischen T. B. gegenüber der restlichen Überlieferung: Tabelle 11 T. B. haben das Falsche gegen O. bzw. S. Kapitel Trenkler

Beleg Trenkler

Kapitel/Vers Hiob

T. B. falsch

O. bzw. S. richtig

14

2

20, 16a

mulcebit (O. falsch fulgebit)

S. mulgebit

14

31

30, 31a

in luctu

in luctum

14

32

35, 8a

uiro similis tui

uiro simili tui

15

25

33, 24b

litura

lituram

cf. 15

28a–b

34, 1; 38, 1

Heliud/Eliud

Helius

6.4.1.2 Die Nähe zu O. Wenn die Handschrift B. auch besonders eng mit T. verwandt ist, so enthält sie daneben doch auch Lesarten, die sie eindeutig mit der Erstfassung O. verbinden. Die erste Übersicht zeigt die sachlich möglichen Varianten, die B. mit O. gegenüber S. bzw. T. gemeinsam hat: Tabelle 12 O. B. teilen sachlich mögliche Lesart gegenüber S. bzw. T. Kapitel

Beispiel

Kapitel/Vers Hiob

O. B.

S. bzw. T.

3

28

37, 5a

tonauit

tonabit

4

41

27, 9b

euenerit

uenerit

5

51

34, 25bα

uertet

S. uertat T. euertet

cf. Trenkler Kap. 10

16

31, 19

O. praetereuntem (cf. B. praetereunte)

pereuntem

Daneben gibt es auch wieder einen Bindefehler zwischen O. und B.: Tabelle 13

O. B. haben das Falsche gegenüber S. T.

Kapitel Trenkler

Beleg Trenkler

Kapitel/Vers Hiob

O. B. falsch

S. bzw. T. richtig

14

1

38, 35a

flumina

(S. fehlt) T. fulmina

Die Abfolge O. S. T. und die Sonderstellung von B.

111

6.4.1.3 Die beiden Möglichkeiten zur Einordnung von B. Das Zwischenergebnis für den Codex B., das aus diesen Übersichten folgt, lautet ähnlich wie beim Codex S.: Wenn B. hauptsächlich die Varianten der revidierten Fassung T. enthält, aber daneben auch Lesarten der Erstfassung O. aufweist, während zu S.  keine nähere Verwandtschaft besteht, dann steht B. zwischen O. und T. Also ist B. entweder eine Kompilation aus O. und T. oder aber eine eigene Revisionsstufe zwischen O. und T. Im Fall von B. scheint mir die erste Möglichkeit zuzutreffen.

6.4.2 B. als Kompilation von O. und T. 6.4.2.1 B. stellt keine eigene Revisionsstufe dar Wie sich bei der Analyse des Verhältnisses zwischen den Codices S. und T. gezeigt hat, erweist sich ein bestimmter Texttyp dadurch als eigenständige Revisionsstufe in der Entwicklung von der Erstfassung O. zur revidierten Fassung T., dass Hieronymus frühere Übersetzungen grammatisch oder stilistisch überarbeitet und dabei ggfs. auch die Textbasis gewechselt hat. Darüber hinaus muss sich ein Texttyp, der eine eigene Zwischenstufe zwischen O. und T. repräsentiert, durch sinnvolle Sonderlesarten ausweisen, die in O. noch nicht vorkamen und in T. wieder ausgeschieden wurden. Diese beiden Kriterien sind im Codex B. nicht erfüllt. Das in der vorliegenden Arbeit bisher analysierte Material weist in B. nur eine einzige sinnvolle Sonderlesart auf. Sie besteht in einer Änderung der Wortstellung8. Diese betrifft einen Halbvers, in dem auch die LXX viele Stellungs-Varianten aufweist, ohne jedoch eine Vorlage für die Fassung von B. zu bieten9, und wo auch Hieronymus die Wortstellung zwischen O., S. und T. jedes Mal geändert hat. Damit spiegelt diese Variante in B. zwar die Unsicherheit der LXX und des Hieronymus in diesem Punkt, lässt sich aber auf dieser Stufe meiner Darstellung noch nicht weiter ableiten oder einordnen10:

8 Vgl. Kap. 4, Beleg 44 zu Iob 31, 21b. 9 Vgl. die Angaben bei Ziegler (1982) 349 zu Iob 31, 21b im 1. Apparat. 10 Es handelt sich jedenfalls nicht um eine Kontamination aus der Vulgata, deren Text hier ganz anders lautet. Im weiteren Verlauf der vorliegenden Arbeit häufen sich die Hinweise darauf, dass O. zahlreiche Doppelübersetzungen enthielt und dass B. mehr Lesarten aus O. überliefert, als bisher sichtbar geworden ist. Zusammengenommen suggerieren beide Befunde, dass B. hier eine alternative Wortstellung bewahrt, die Hieronymus in O. neben der von Augustin zitierten Fassung zur Wahl gestellt hatte. Vgl. dazu die Diskussion von Iob 38, 25a in Kap. 17, S. 419–422, wo für O. ebenfalls verschiedene alternative Wortstellungen nebeneinander erschlossen werden.

112

Hieronymus’ Erstfassung O. und die Fassungen S. T. B. 

Tabelle 14 Die einzige sachlich mögliche Sonderlesart in B. Kapitel

Beispiel

Kapitel/Vers Hiob

B.

O., S. bzw. T.

4

44

31, 21b

mihi multum est adiutorium

O. multum mihi est adiutorium S. multum mihi deest adiutorium T. multum est mihi adiutorium

Weil dieser vereinzelte Beleg für eine sinnvolle Sonderlesart in B. überdies auch leicht als spontane Urheber- oder Schreibervariante erklärt werden könnte, ist er kein hinreichender Beweis für die Vermutung, B. repräsentiere eine eigene Revisionsschicht zwischen O. und T. Alle anderen Stellen, die man als Sonderlesarten in B. ansehen könnte, erweisen sich bei näherem Hinsehen als Fehler der Überlieferung und fallen damit als Argumente für B. als eigene Revisionsstufe weg: Tabelle 15 Restliche Sonderlesarten in B. als Überlieferungsfehler Kapitel

Beispiel

Kapitel/Vers Hiob

Fehler in B.

das Richtige lautet

liegt vor in

5

60

38, 18b

quanta que sit

quanta quaeque sit



cf. Trenkler Kap. 9

5

38, 38b

ciuum

cybum/cubum

cf. O. cibum

31, 19

praetereunte

praetereuntem

O.

cf. Trenk- 16 ler Kap. 10

Damit scheint mir bewiesen, dass B. keine eigene Revisionsstufe wie S. und T., sondern eine Kompilation aus O. und T. ist. 6.4.2.2 B. abhängig von T. II Aus den vorstehenden Überlegungen ergibt sich, dass B. von T., nicht T. von B. abhängt. Dieser Schluss lässt sich auch noch mit einem anderen Argument stützen. Wie Trenkler gezeigt hat, enthält die Überlieferung des Codex T. auch Lesarten, die nicht auf Hieronymus selbst zurückgehen, sondern in der Mehrzahl als verfehlte Korrekturversuche eines späteren Bearbeiters aufzufassen sind. Damit ergibt sich für T. noch eine Überlieferungsschicht T. II. Dazu gehören:

113

Die Abfolge O. S. T. und die Sonderstellung von B. Tabelle 16 verfehlte Lesarten der späteren Schicht T. II Kapitel Trenkler

Beleg Trenkler

Kapitel/Vers Hiob

Lesart T. II

das Richtige lautet

liegt vor in

9

5

38, 38b

ciuium

cybum bzw. ­ cubum

– (cf. B. ciuum)

14

2 und 33

20, 16a

mulcebit (+ B.) (O. falsch ­ fulgebit)

mulgebit

S.

Für die Einordnung von B. ist entscheidend, dass dieser Codex drei weitere Lesarten aus der späteren Schicht T. II übernommen hat, die die relative Reihenfolge klären: Tabelle 17 Lesarten der späteren Schicht T. II auch in B. Kapitel Trenkler

Beleg Trenkler

Kapitel/Vers Hiob

Lesart T. II und B.

das Richtige lautet

liegt vor in

15

34

36, 11a

si te audierint

si audierint

O. S.  (+ Vulgata)

15

28a 28b

34, 1; 38, 1

Heliud

(H)eliu(s)

O. S.





3, 14b

qui gloriabantur in malis

qui gloriabantur in gladiis

O. S.

In Iob 36, 11a ist der Zusatz von te (verstanden als Gottesanrede)  zu dem bloßen audierint, auf das sich Hieronymus sowohl in der Versio prior als auch in der Vulgata gemäß den Urtexten beschränkt, ein alternativer Versuch, den Sinn des „Hörens“ als Ausdruck des Gehorsams Gott gegenüber zu verdeutlichen. Dieses klärende te war in dem Exemplar von T., das die Fratres in Hippo benutzten, vermutlich noch nicht enthalten; sonst hätte es der ω2-Frater wie gewohnt aus T. übernommen, anstatt seine eigene Konjektur obaudierint einzusetzen11. Auch in dem anderen Fall ist kaum ein Zweifel daran möglich, dass die Lesart erst nach Hieronymus in die Überlieferung des Codex T. eingeschleust worden ist. Denn der Name (H)eliud, der hier an die Stelle von (H)eliu(s) gesetzt wurde, entstammt erst dem Neuen Testament  – eine Verwechslung, die Hieronymus selbst schwerlich unterlaufen wäre12. Ferner hätte der ω2-Frater in seiner Hochachtung auch vor sachlich verfehlten Lesarten von T.13 vermutlich das falsche (H)eliud übernommen, wenn es schon in seinem Exemplar von T. gestanden hätte, statt die Vul 11 So Trenkler (2017) Kap. 15, Kommentar zu Beleg 34. 12 So Trenkler (2017) Kap. 15, Kommentar zu Beleg 28b. 13 Vgl. Trenkler (2017) 205–206.

114

Hieronymus’ Erstfassung O. und die Fassungen S. T. B. 

gata-Form Heliu einzusetzen. Dass der Frater die Vulgata-Lesart wählte, deutet überdies darauf hin, dass die Hiob-Vulgata vor der Schicht T. II der Versio prior entstand. Im Fall von Iob 3, 14b ist die Lesart in gladiis angesichts der Urtexte und der Auslegung bei Augustin (511, 26) unde est: et gladium spiritus (Eph 6, 17) richtig. Die Lesart in malis in T. B. ist demgegenüber eine verfehlte Konjektur, die Hieronymus nicht zuzutrauen ist; ihr Urheber hat möglicherweise an Rm 5, 3 gloriamur in tribulationibus gedacht. Damit scheint mir die Beziehung von B. und T. endgültig geklärt: B. hängt von T. – und zwar der späten Schicht T. II – ab und nicht umgekehrt T. von B. Weil ferner B. nicht nur T. II folgt, sondern – wie oben in Tabellen 12 und 13 gezeigt wurde – auch mehrere für O. charakteristische Lesarten enthält, ist damit m. E. bewiesen, dass es sich bei B. um eine später angefertigte eklektische Konflation der Handschriften O. und T. II handelt. Wegen der Abhängigkeit von T. II kann diese Fassung nicht von Hieronymus selbst stammen.

6.4.3 B. eine Edition der Versio prior? Nach dem bisher angeführten Material zu urteilen wurden O. und T. nicht zu etwa gleichen Teilen exzerpiert, sondern die meisten Lesarten sind T. entnommen. Ich werde jedoch etwas später in diesem Kapitel anhand weiterer Passagen zeigen, dass dieser Eindruck nicht durchweg zutrifft und nuanciert werden muss. Wenn man an dieser Stelle fragt, warum der Kompilator neben T. überhaupt noch auf O. zurückgegriffen hat, liegt die Hypothese nahe, dass wir in B. einen Versuch vor uns haben, die Hiob-Versio prior des Hieronymus zu edieren: Der Bearbeiter wusste nicht mehr, dass O. und T. verschiedene Revisionsstufen des Werkes darstellen, sondern ging von der irrigen Annahme aus, die Fassungen O. und T. gingen beide auf dasselbe Original des Hieronymus zurück, so dass man die Fehler in der einen Handschrift anhand guter Lesarten aus der anderen verbessern könne14. Falls diese Vermutung zutrifft, stellt sich die Frage, nach welchen Kriterien der Urheber von B. zwischen den Lesarten von O. und T. gewählt hat. Darauf habe ich zurzeit noch keine Antwort.

6.4.4 Die Sonderstellung von B. Aus diesen Überlegungen folgt, dass B. gegenüber den Fassungen O., S. und T. eine Sonderstellung einnimmt: Die Texte von O., S. und T. stellen drei sukzessive Stufen dar, in denen Hieronymus seine Versio prior des Buches Hiob zunächst entworfen

14 Ähnlich wurden im 7./8. Jh. in St. Gallen aus jeweils zwei verschiedenen Rezensionen von Isidor von Sevillas Werken De natura rerum und Allegoriae normalisierte Editionen erarbeitet: Vgl. Poirel (2008) 37 und 45.

Die Abfolge O. S. T. und die Sonderstellung von B.

115

und anschließend in zwei Gängen überarbeitet hat. Dagegen gehört B. nicht mehr in diese Reihe, sondern steht als Arbeit eines Späteren für sich. Aus der Sonderstellung des Codex Bodleianus folgt, dass man ihn nicht mehr wie bisher in eine Reihe mit S. und T. stellen und als direkten Zeugen für die Textüberlieferung der Versio prior werten darf. Er gehört vielmehr  – ebenso wie die Lemmata von Augustins Adnotationes in Iob  – zu den Zeugen der indirekten Überlieferung. Als solcher spricht nun auch B. für die Intensität, mit der man sich mit der ersten Hiob-Übersetzung des Hieronymus auseinandergesetzt hat: B. tritt in dieser Hinsicht neben Augustins Adnotationes in Iob und die beiden Rezensionen, die die Fratres des Bischofs anschließend von dessen Kommentar angefertigt haben.

6.5 Rückschlüsse aus B. auf Lesarten von O. Die Sonderstellung von B. bedeutet nicht, dass der Codex etwa an Wert für die Textkritik der Versio prior verlöre. Im Gegenteil eröffnet der Nachweis, dass B. aus T. und O. kompiliert ist, die Möglichkeit, in B. durch Subtraktion der Lesarten von T. bisher verlorene Lesarten von O. zu identifizieren15. Dies sei hier an den HiobLemmata im Mittelteil der Adnotationes, für den die Fragment-Codices B/A verloren sind, exemplifiziert. Es handelt sich um die Verse Iob 21, 20 bis 27, 4. 

6.5.1 Rechtfertigung des Ansatzes Die erste Tabelle zeigt die Fälle, in denen die in den Adnotationes überlieferten Lesarten von O. in den revidierten Codices S. und/oder T. verändert wurden, aber in B. wieder auftauchen. Diese Stellen rechtfertigen die These, dass der Rückschluss von B. auf O. überhaupt möglich ist: 16 Tabelle 18

O. B. teilen sachlich mögliche Lesart gegenüber S. bzw. T.

Hiob Kap./ Vers

adn. Iob lt. Zycha

Lesart Augustin = O.

Lesart B. = O.

Lesart S.  und / oder T.

23, 9a

557, 7

quid aget

quid aget?

S. quid agitet? T. quid agam?

24, 5b

558, 12–13 et exeuntes

et exeuntes

exeuntes

26, 8b

562, 17

nubis16 sub eo

nubes ab eo

nubes sub eo

15 Dies Verfahren ist natürlich nicht mechanisch anzuwenden, da B. hier und da aus der Vulgata kontaminiert ist (vgl. unten den Anhang A) und überdies nicht wenige Überlieferungsfehler aufweist (vgl. die gleich folgende Tabelle 19). 16 Der Kopierfehler nubis statt nubes korrigiert sich leicht (zur häufigen Verwechslung von e und i im Codex Sangallensis vgl. Caspari (1893) 24–35); von Interesse ist hier die Lesart sub eo statt S. T. ab eo.

116

Hieronymus’ Erstfassung O. und die Fassungen S. T. B. 

6.5.2 Kontraindikation: Sonderfehler in B. Bevor ich jedoch die Stellen sammle, an denen bisher unbekannte Lesarten von O. aus B. rekonstruiert werden können, stelle ich zunächst die zahlreichen Sonderfehler zusammen, die der Bodleianus im Mittelteil des Hiob-Buches aufweist. Die Übersicht zeigt, dass man B. nicht überschätzen darf, weil seine isolierten Lesarten häufig fehlerhaft sind. Man kann sie also nur mit Vorsicht zur Rekonstruktion von O. verwenden: 17 18 19 20 Tabelle 19

Sonderfehler B. gegenüber O. S. T.

Hiob Kap./ Vers

adn. Iob lt. Zy.

Lesart Augustin

Lesart S. 

Lesart T.

fehlerhafte Lesart B.

21, 31 a

554, 16

adnuntiabit […] uiam

annuntiabit […] uiam

annuntiabit […] uiam

annuntiauit […] uia

22, 14b

555, 13–14 ambitum17 caeli

ambitum caeli

ambitum caeli

habitaculum caeli

22, 26b



suspiciens in ­ celum

suspiciens ­ caelum

suscipiens in caelum

übersprungen

23, 2a

556, 11

quia

quia

quia

qui

23, 4a



übersprungen

causam meam

causam meam

causa meam

23, 6b

556, 21

in terrore

in terrore

in terrore

in terrorem

23, 8b



übersprungen

in nouissimis

in nouissimis

nouissimis

24, 2b



übersprungen

rapientes ­ pauerunt

rapientes ­ pauerunt

rapientes ­ rapuerunt18

24, 4a

558, 3

inclinauerunt […] a uia

inclinauerunt […] a uia

inclinauerunt […] a19 uia

inclinauerunt […] uia

24, 4b

558, 6

absconditi

absconditi

absconditi

abscondita

24, 6a

558, 22–23 demessuerunt

demessuerunt

demessuerunt

demersuerunt

24, 12a

559, 8

de domibus eiciebantur

de domibus suis eicebantur

de domibus suis ui eiciebantur

de domibus suis uim eiciebantur

24, 19b

560, 3

enim

enim

enim

autem

24, 20a

560, 4

rememoratum

rememoratum

rememoratum

remoratum

24, 20c



übersprungen

retribuatur

retribuatur

retribuetur20

26, 1



übersprungen

respondens […] dixit

respondit […] dixit

om. B

17 G habitum. 18 Lagarde druckt pauerunt. (Pauerunt ist hier Perfekt zu pascere.) 19 Das a ist im Codex T. am Rand nachgetragen. 20 Lagarde druckt retribuatur.

117

Die Abfolge O. S. T. und die Sonderstellung von B. Tabelle 19

Sonderfehler B. gegenüber O. S. T.

Hiob Kap./ Vers

adn. Iob lt. Zy.

Lesart Augustin

Lesart S. 

Lesart T.

fehlerhafte Lesart B.

26, 3a



übersprungen

cui das ­ consilium?

cui tu das ­ consilium?

cui das ­ auxilium?

26, 8b

562, 17

non est scissa nubes

non est scissa nubes

non est scissa nubes

non scissa nubis

26, 11b

563, 3

ab increpatione

ab increpatione

ab increpatione

ab increpationem

26, 13b

563, 14

praecepto

pr(a)ecepto

pr(a)ecepto

preceptum

26, 14c

563, 18

uirtutem autem

uirtutem autem

uirtutem autem

uirtutem eius

Auch Stellen, an denen B. aus der Vulgata kontaminiert ist, dürfen nicht mit Lesarten von O. verwechselt werden. Im Mittelteil der Adnotationes begegnet folgendes Beispiel21: Tabelle 20

B. aus der Vulgata kontaminiert

Hiob Kap./ Vers

adn. Iob lt. Zy.

Lesart Augustin

Lesart S. 

Lesart T.

B. aus der Vulgata kontaminiert

25, 1

560, 20

Baldad Saucites

baldat saucites

baldad saucites

baldad suites

Bei der Auswertung des Bodleianus ist also Vorsicht geboten.

6.5.3 Gute Sonderlesarten in B. als Zeugen für O. Trotzdem kann man m. E. bei den folgenden Hiob-Lemmata, die Augustin in den Adnotationes übersprungen hatte, von einer Sonderlesart in B. auf Lesarten von O. zurückschließen: 22 Tabelle 21

Sonderlesarten in B. spiegeln verlorene Lesarten aus O.

Hiob Kap./ Vers

adn. Iob lt. Zy.

Lesart Augustin

Lesart B. = O.

Lesart S.  und/oder T.

21, 30a



übersprungen

in diem

in die

21, 30b



übersprungen

deducetur

deducentur

22, 4a



übersprungen

arguit

arguet

22, 17b



übersprungen

importauit22 nobis

nobis inportabit

22, 29d



übersprungen

saluauit

saluabit

21 Vgl. für weitere Fälle unten den Anhang A. 22 Lagarde druckt importabit.

118

Hieronymus’ Erstfassung O. und die Fassungen S. T. B. 

Tabelle 21

Sonderlesarten in B. spiegeln verlorene Lesarten aus O.

Hiob Kap./ Vers

adn. Iob lt. Zy.

Lesart Augustin

Lesart B. = O.

Lesart S.  und/oder T.

23, 16b



übersprungen

turbauit

S. perturbabit T. conturbauit

24, 7b



übersprungen

tegmen

tegumen

24, 8b



übersprungen

tegmen

tegumen (S. tecumen)

6.5.4 Das Verhältnis zwischen B. und O. Das in den vorstehenden Tabellen zusammengestellte Material lässt verschiedene Schlüsse zu. In erster Linie wird deutlich, dass der von einem Späteren kompilierte Codex B. durchaus nicht ohne Interesse für die Rekonstruktion sonst verlorener Lesarten der Erstfassung O. der Versio prior ist, auch wenn er nicht auf gleicher Stufe mit den Codices S. und T. steht, deren Fassungen eigene Revisionen des Hieronymus repräsentieren. Darüber hinaus ergibt sich aus dem in diesen Listen gesammelten Material noch eine unverhoffte Korrektur des Bildes, das sich bisher zu dem Verhältnis zwischen B. und O. abgezeichnet hatte. Die in den vorstehenden Tabellen der Seiten 115–118 gesammelten Belege entstammen dem Mittelteil des Buches Hiob, zu dem die Adnotationes in Iob nur in der ω2-Rezension erhalten sind. Die Analysen in den Kapiteln 2–5 basierten dagegen auf denjenigen vorangehenden bzw. folgenden Hiob-Lemmata der Adnotationes, die in beiden Rezensionen des Werkes überliefert sind. Aus der Analyse der Passagen, die in beiden Rezensionen erhalten sind, drängte sich bisher der Eindruck auf, dass B. ganz überwiegend aus T. schöpfte und O. nur in geringem Umfang heranzog: In den Tabellen 2, 12 und 13 sind insgesamt nur 5 Belege dokumentiert. Dagegen zeigen jetzt die Tabellen 18 und 21, dass der Kompilator von B. im Mittelteil, der nur in der ω2-Rezension überliefert ist, mit insgesamt 11 Beispielen einen höheren Anteil von Lesarten aus O. übernommen hat. Das Ungleichgewicht tritt noch klarer hervor, wenn man sich statt der absoluten Zahlen die relativen Verhältnisse verdeutlicht: Die in beiden Rezensionen erhaltenen Passagen umfassen zusammen etwa 46 Zycha-Seiten = 39 % der Adnotationes23, enthalten aber nur 5 Stellen, an denen bisher die Übernahme einer Lesart aus O. nach B. beobachtet wurde. Dagegen ist der hier ausgewertete Mittelteil des Werkes nur gut 11 Seiten lang (Zy 553, 14–563, 27), entspricht also bei einer Gesamt-

23 Vgl. Trenkler (2017) 63 mit Anm. 54.

Die Abfolge O. S. T. und die Sonderstellung von B.

119

länge von gut 118 Seiten24 nur 9,3 % des Buches. Trotzdem ließen sich in diesem so viel kürzeren Abschnitt, der weniger als ein Viertel des anderen umfasst, 11 Stellen finden, an denen der Kompilator von B. aus O. geschöpft hat. Grob und durchschnittlich gerechnet findet sich also nach den bisherigen Erhebungen in den Passagen, die in beiden Rezensionen erhalten sind, eine Lesart aus O. in B. nur auf jeder 9. Seite, während im Mittelteil solch eine Übernahme aus O. einmal auf jeder einzelnen Seite festzustellen ist. Die Zahl schnellt also im Mittelteil plötzlich im Verhältnis von 9: 1 nach oben. Hier liegt vermutlich ein Beobachtungs- und Messfehler vor: In den Passagen, die in beiden Hyparchetypoi vorliegen, wurden nur diejenigen Hiob-Lemmata ausgewertet, in deren Wortlaut einer der Fratres eingegriffen hat. Für eine gültige Statistik müssten jedoch alle Lemmata dieser Passagen noch mit den Lesarten von B. abgeglichen werden. Gerade weil der genannte Befund wahrscheinlich verzerrt ist, mahnt er erneut dazu, beim gegenwärtigen noch eingeschränkten Kenntnisstand mit allzu zuversichtlichen Aussagen zur Textgeschichte der Versio prior zurückhaltend zu sein. Schon in den Kapiteln 2–5 dieser Arbeit wurde sichtbar, dass sich bei Hieronymus zwar Tendenzen abzeichnen, dass er aber im Einzelfall oft sehr flexibel gehandelt hat. Jetzt deuten sich mögliche Unstetigkeiten auch im Verhalten des Kompilators bzw. Editors von B. an. Man hat sich also vor vorschnellen Verallgemeinerungen nicht nur bei dem Versuch zu hüten, die Entwicklung der Versio prior über mehrere Stufen hin angemessen zu verstehen, sondern auch bei der Analyse der Kompilation im Codex Bodleianus. Hier muss noch genauer nachgeforscht werden.

6.6 Das Verhältnis zwischen B. und S. Wie bereits erwähnt, setzen die bisher vorgetragenen Erwägungen zur Einordnung von B. voraus, dass es keine Abhängigkeit zwischen den Textfassungen von B. und S. gibt. Dieser fehlende Bezug wurde bisher nur konstatiert; ich will ihn aber im Rückblick noch kurz verdeutlichen, soweit das bei einem nicht-existenten Phänomen möglich ist. Um eine Abhängigkeit zwischen B. und S. zu erweisen, müssten sich Lesarten finden lassen, die nur in diesen beiden Codices belegt sind. Das von Trenkler bzw. von mir ausgewertete Material enthält jedoch lediglich zwei Stellen, bei denen man auf den ersten Blick zu dieser Einschätzung kommen könnte. An beiden Stellen lässt sich aber nachweisen, dass in Wirklichkeit keine exklusive Koppelung zwischen S. und B. vorliegt, sondern dass sowohl S. als auch B. jeweils in verschiedener Weise auf Vorlagen in Hieronymus’ verlorener Erstfassung O. zurückgreifen.

24 Vgl. wieder Trenkler (2017) 63 mit Anm. 54.

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Hieronymus’ Erstfassung O. und die Fassungen S. T. B. 

(O. ließ sich an diesen Stellen jeweils durch den Rekurs auf Hieronymus’ ursprachliche Vorlagen erschließen25.) Tabelle 22

S. und B. nicht voneinander, sondern von O. abhängig

Kapitel Trenkler

Beleg Trenkler

Kapitel/Vers Hiob

S. B.

O.

T.

14

36

36, 13b

S. legauit B. ligauit

ligauit

ligabit

Kapitel Warns

Seite Warns

16

S. 399–400

37, 21c

mundabit

1. mundauit 2. mundabit 3. fugabit

emundabit

Im Fall von Iob 37, 21c lässt sich in O. eine besonders komplizierte dreifache Erstfassung nachweisen, die Hieronymus dort zur Wahl gestellt hatte. Die detaillierte Analyse findet sich deshalb erst später auf der Basis von zusätzlichem Vergleichsmaterial in Kapitel 16 der vorliegenden Arbeit26.

6.7 T. als Fassung letzter Hand der Versio prior Die Überlegungen im vorliegenden Kapitel haben ergeben, dass Hieronymus die Versio prior des Buches Hiob in den drei Stufen O., S. und T. erarbeitet hat. Damit lässt sich im Rückblick präzisieren: T. ist im Vergleich mit der Erstfassung O. nicht nur eine weiter entwickelte Version, sondern erweist sich tatsächlich als die von Hieronymus geschaffene Fassung letzter Hand.

6.7.1 Das Verhältnis der Revisionen in S. und in T. Aus den vorgetragenen Analysen geht hervor, dass die beiden Revisionen auf den Stufen S.  und T. verschieden tief in den Erstbestand von O. eingegriffen haben. Den größeren Schritt hat Hieronymus in S. getan: Dort schied er die Doppel- bzw. Mehrfachübersetzungen aus, die er in O. nebeneinander gestellt hatte; dort überstieg (wie ein Vergleich der Tabellen 1 und 2 mit 3 zeigt) die Zahl seiner Verände-

25 Die Stelle Iob 36, 6a, in der S. und B. das Perfekt uiuificauit bieten, während O. und T. gemäß dem hebräischen Imperfekt ‫ יְ חַ ּיֶ ֥ה‬und dem Futur ζωοποιήσει der LXX das Futur uiuificabit haben, ist vermutlich eher ein weiteres Beispiel für die häufige Schreiber-Verwechslung von -bit und -uit, die hier m. E. in beiden Handschriften unabhängig voneinander eintrat. 26 Vgl. unten Kap. 16, S. 399–400.

Die Abfolge O. S. T. und die Sonderstellung von B.

121

rungen an O., die er anschließend auch nach T. übernahm, um das Doppelte die Anzahl von Revisionen, die er erst in T. an dem Bestand von O. S. vornahm. Hinzu kommen die experimentellen Veränderungen in S., von denen Hieronymus in T. wieder abrückte (Tabellen 6 und 7). So zeichnet sich schon rein numerisch ab, dass die erste Stufe der Revision – die von O. zu S. – eine größere Umgestaltung bedeutete als der anschließende letzte Schritt von S. zu T.

6.7.2 T. als zweite Vorlage der Fratres in Hippo Trenkler hat nachgewiesen, dass die beiden Fratres, die unabhängig voneinander Augustins Adnotationes in Iob in eine publikationsfähige Form brachten, die Hiob-Lemmata teilweise überarbeitet haben, um sie auf den neuesten Stand zu bringen. Nach Trenklers Befunden haben sich die Fratres dabei nur auf die Endfassung T. der Versio prior und nicht etwa die Versionen S. oder B. gestützt (sofern sie nicht sogar nach eigenem Ermessen in den Wortlaut der Lemmata eingegriffen haben). Dieser abschließende Blick auf T. wäre deshalb unvollständig ohne eine Zusammenfassung der mittlerweile vorliegenden Belege für die These, dass die Fratres außer O. nur T. benutzten. Der Beweis für die These besteht in dem Nachweis, dass beide Rezensionen Lesarten enthalten, die sie nur aus T. bezogen haben können, weil sie weder in S. noch in B. vorkommen. In den Lemmata, die in beiden Rezensionen überliefert sind, finden sich nur wenige solcher Sonderlesarten aus T.: Tabelle 23

Sondergut T. auch gegenüber B.

Kapitel Trenkler

Beleg Trenkler

Kapitel/Vers Hiob

T.

O. S. B.

9

10

32, 13b

dominus

deus

14

36

36, 13b

ligabit (bzw. legabit)

ligauit (S. legauit)

15

15

34, 25bα

euertet

et uertet (S. et uertat)

Kapitel Warns

Beleg Warns

3

29

37, 11a–b

inrigabit […] disseminabit

inrigauit […] disseminauit

5

54

31, 29a

super ruina

super ruinam (S. super uineam)

Die Gegenprobe anhand des Mittelteils – also der Lemmata Iob 21, 30 bis 27, 4, die nur in der ω2-Rezension erhalten sind – fördert noch zwei weitere Stellen zu-

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Hieronymus’ Erstfassung O. und die Fassungen S. T. B. 

tage, an denen der ω2-Frater Sonderlesarten von T. in seine Rezension eingeführt hat: 27 Tabelle 24

ω2-Hyparchetypos mit Sonderlesart aus T.

Hiob Kap./Vers

adn. Iob lt. Zycha

Wortlaut Augustin adn. (ω2-Linie)

Lesart T. als solitäre Endfassung

S. und B. = O.

22, 19b

556, 1

subsannabit

subsannabit

subsannauit

24, 24b

560, 13

emarcuit

emarcuit

et marcuit27

Beide Stellen fügen sich in das vertraute Bild. Das Futur subsannabit beruht auf dem Hebräischen, während das Perfekt in S. und B., die hier O. repräsentieren, den Aorist ἐμυκτήρισεν der LXX wiedergibt. Die zweite Stelle ist eine typische Konflation aus hebräischen und griechischen Details: Das Kompositum emarcuit in T. hat griechisches Flair (LXX ἐμαράνθη), während die Asyndese den Satzbau der hebräischen Vorlage imitiert; in der Erstfassung O., die wieder durch S. und B. zu erschließen ist, war es umgekehrt. Diese Befunde stützen Trenklers These, dass die beiden Rezensionen der Adnotationes nur Lesarten von Hieronymus’ Erstversion O. und seiner Endversion T. enthalten, aber keine Lesarten aus S. oder B. tradieren.

6.8 S. als Arbeitsexemplar des Hieronymus? Dass Hieronymus die drei Revisionsstufen O., S. und T. erarbeitet hat, heißt nicht, dass er auch alle drei publiziert hat. Das kann nur für O. und T. (ebenso wie für die Hiob-Vulgata) aus dem Umstand erschlossen werden, dass diese drei Versionen in Augustins Skriptorium vorlagen28, aber keine Geschenke des Hieronymus an Augustin waren29. Augustin muss sie sich also auf dem damals üblichen Vertriebsweg für Schriften des Hieronymus verschafft haben30. Für eine weite Verbreitung von O. sprechen auch die deutlichen Spuren dieser Fassung, die ich im zweiten Teil  der vorliegenden Arbeit in den Werken anderer Kirchenväter verfolgen werde. Weil ich dagegen – zumindest bisher – keinerlei Spuren von S. in der patristischen Literatur habe finden können, halte ich beim gegenwärtigen Forschungsstand für möglich, dass S. (das im Unterschied zu O., T. und B. keine Vorrede und 27 Lagarde druckt für B. fälschlich emarcuit. 28 Auf O. und die Hiob-Vulgata bezieht sich Augustin in seinen ep. 28, 2 und 71, 3 an Hieronymus (beide Stellen werden im Wortlaut zitiert bei Trenkler (2017) 35, Anm. 1 und 3). Dass auch T. in Hippo vorlag, ergibt sich aus der Benutzung dieser Fassung durch den ω2-Frater bei der Erarbeitung des ω2-Hyparchetypos: Vgl. Trenkler (2017), besonders Kap. 15. 29 Darauf macht Trenkler (2017) 35 aufmerksam. 30 Als Mittelsmann in Afrika kommt Bischof Aurelius von Karthago in Frage: Vgl. Trenkler (2017) 36, Anm. 12 mit Verweis auf La Bonnardière.

Die Abfolge O. S. T. und die Sonderstellung von B.

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keine Asterisken und Obelen aufweist und überdies mit dem Lemma Iob 38, 16 abbricht31) vielleicht nur ein Arbeitsexemplar aus dem Skriptorium von Bethlehem war, das Hieronymus gar nicht zur Veröffentlichung vorgesehen hatte. S. wäre nicht das einzige Beispiel dafür, dass eine vom Verfasser als unfertig betrachtete Zwischenfassung zwischen zwei von ihm autorisierten Rezensionen trotzdem unter ungeklärten Umständen in Umlauf kam32.

31 Vgl. Trenkler (2017) 31. 32 Vgl. Velázquez Soriano (2008) 99 (dazu ihren Beitrag im Coloquio 2, S. 186) und Martín (2008) 127–151 mit Beispielen aus der Überlieferung von Werken des Isidor von Sevilla.

C. Auswertung: Kapitel 6–7 Kapitel 7: Der Weg zur Versio iuxta Graecos und Versio iuxta Hebraeos Im vorliegenden Kapitel versuche ich zunächst zu klären, aus welchen Motiven Hieronymus seine Erstfassung O. der Versio prior in zwei Schritten – einem größeren von O. zu S. und einem zweiten, kleineren von S. zu T. – gleich zweimal revidiert hat. Anschließend frage ich, in welchem Verhältnis seine erste Hiob-Übersetzung zu seinen anderen Versiones priores und der Hiob-Vulgata steht.

7.1 Die Überbietung der Hexapla in O. 7.1.1 Phänomene Die ersten fünf Kapitel der vorliegenden Arbeit haben gezeigt, dass sich die Erst­ fassung O. durch drei übergreifende Tendenzen von den revidierten Fassungen S. und T. unterscheidet: – die weitgehende Berücksichtigung auch hebräischer Textvorlagen – das Interesse an randständigen Varianten in griechischer und in hebräischer Sprache – die eklektische Methode, die zwischen verschiedenen Vorlagen hin- und herwechselt und häufiger sogar Elemente mehrerer Urtexte verschmilzt. Mehrfach hingewiesen wurde ferner schon auf die vierte charakteristische Eigenschaft von O., die im Detail erst im zweiten und dritten Teil dieser Arbeit zur Sprache kommen wird, nämlich die zahlreichen Doppelübersetzungen, die Hieronymus in seiner Erstfassung angeboten, aber in den revidierten Versionen S. und T. wieder gestrichen hat.

7.1.2 Deutung Die Kombination der genannten vier Merkmale in der Erstfassung O. ergibt m. E. dann ein schlüssiges Bild, wenn man Hieronymus’ Vorgehen aus dem Bemühen erklärt, in seiner Erstfassung das von Origenes in der Hexapla gebotene Material so intensiv auszunutzen wie nur möglich. In der Hexapla fand Hieronymus bereits Mehrfachübersetzungen schwieriger Verse vor1. Die Hexapla bot ihm einen hebräischen Urtext, vier griechische Standardübersetzungen und im Buch Hiob

1 Siehe die Nachweise bei Trenkler (2017) 125, Anm. 4.

Der Weg zur Versio iuxta Graecos und Versio iuxta Hebraeos

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auch noch weitere seltene griechische Versionen2. Vor allem aber lud die Hexapla durch ihre synoptische Darbietung aller für Origenes erreichbaren Urtexte Hieronymus geradezu ein, sich nicht einfach auf eine getreue Übersetzung der LXX aus der fünften Spalte zu beschränken, sondern seine in O. geübte eklektische Methode zu praktizieren3. Vermutlich war also Hieronymus bei der Arbeit an O. der Meinung, sein Ansatz, durch Auswahl aus dem vielfältigen Material der Hexapla die ihm vorliegenden Vetus Latina-Fassungen des Buches Hiob so zu überformen, dass die bestmögliche lateinische Übersetzung entstand, sei ganz im Sinne des Origenes. Doch damit nicht genug. Ich habe den Eindruck, dass sich Hieronymus in O. nicht mit einer imitatio des Origenes begnügte, sondern nach aemulatio strebte. Dass er Origenes noch zu übertreffen suchte, lässt sich m. E. bei jedem der genannten vier Parameter beobachten. Während Origenes zwar das Material zur eklektischen Auswertung bereitstellte, aber die Auswertung dem Benutzer überließ, setzt Hieronymus diese Methode bis ins Detail um. Origenes, dessen Hebräisch-Kenntnisse vermutlich beschränkt waren4, präsentierte zwar den hebräischen Text und benutzte ihn zur Kontrolle der Vollständigkeit der griechischen Versionen, verstand sich aber im Übrigen nur zu vorsichtigen Anpassungen der griechischen Wortstellung und der Eigennamen5. Hieronymus dagegen korrigiert in O. die griechischen Vorlagen vor dem Hintergrund des Hebräischen, interpretiert das Hebräische mit Hilfe des Griechischen oder lässt das Griechische zugunsten des Hebräischen ganz beiseite. Origenes sammelte am Rand der Hexapla auch unbekannte griechische Übersetzungen. Aber Hieronymus hat vielfach auch griechische und sogar hebräische Vorlagen benutzt, die über die Hexapla hinausgingen. All diese Aspekte scheinen mir darauf hinzudeuten, dass Hieronymus bei der Arbeit an seiner Erstfassung O. im Vollgefühl seiner Fähigkeiten als Linguist und Übersetzer Origenes zu übertreffen suchte und dabei alle Register zog. Wenn diese Erklärung seines Vorgehens zutrifft, öffnet sich hier auch eine Perspektive zum Verständnis der überraschend zahlreichen Doppelübersetzungen in O. Zwar hat Ciccarese nachgewiesen, dass in den sehr frühen Vulgata-Handschriften, die der Hieronymus-Schüler Philippus Presbyter seinem Hiob-Kommentar zugrunde legte, ebenfalls noch die eine oder andere Doppelfassung enthalten war6. Insofern gehörten Doppelübersetzungen vermutlich zu den üblichen Merkmalen der Erstfassungen von Hieronymus’ Bibelversionen. Im Fall der Erstfassung O. der Versio prior jedoch sind Mehrfachübersetzungen in einer Menge enthalten, für die 2 Vgl. die Übersicht bei Trenkler (2017) 301–303; zu Hieronymus’ Umgang mit diesen Vorlagen 305–308. 3 Vgl. schon Trenkler (2017) 302. 4 Wiles (1970) 457; Williams (1995) 400. Vogt (1998) 461 schreibt sogar lapidar: „Origenes, der kein Hebräisch konnte“. 5 Trenkler (2017) 305, Anm. 111. 6 Ciccarese (1997) 261–263. Für Beispiele aus der Versio prior des Ecclesiastes und dem Psalterium iuxta Hebraeos vgl. Trenkler (2017) 125, Anm. 9.

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Hieronymus’ Erstfassung O. und die Fassungen S. T. B. 

es m. W. keine Parallele gibt7. Deshalb kann man sie wohl kaum mehr mit dem Hinweis auf die berüchtigten Schwierigkeiten des Hiob-Textes erklären8. Da gelegentliche Doppelfassungen in den griechischen und aramäischen Bibelübersetzungen schon Tradition hatten und auch in der Hexapla zu finden waren9, lässt sich ihr verblüffend häufiges Vorkommen in O. vermutlich so deuten, dass Hieronymus ursprünglich auch durch diese Facette seines Werkes seine überragende Versatilität als Bibelgelehrter unter Beweis stellen wollte10. Wenn sich im zweiten Teil dieser Arbeit wiederholt bestätigen wird, dass andere Kirchenväter – soweit bisher erkennbar – nicht die revidierten Fassungen S. bzw. T., die keine Doppelversionen mehr enthalten, sondern sämtlich die Erstfassung O. benutzten, weist das darauf hin, dass zumindest schriftstellerisch tätige Bischöfe für eine solche Fülle von Anregungen tatsächlich empfänglich waren11.

7.2 Der Schritt von O. zur ersten Revision in S. 7.2.1 Phänomene Bei der ersten Revision seiner Versio prior, deren Ergebnis im Codex S. überliefert ist, hat Hieronymus alle vier Strategien der Erstfassung O., mit denen er Origenes übertreffen wollte, entweder ganz aufgegeben oder zumindest stark eingeschränkt. Ganz verschwunden sind in S. die Doppelübersetzungen. Stark reduziert hat Hieronymus die Abhängigkeit von randständigen Lesarten zugunsten der Hauptüberlieferungen und von hebräischen Textvorlagen zugunsten der in der Hexapla gesammelten griechischen Übersetzungen. Auch eine Verfeinerung der eklektischen Methode zeichnet sich ab: Zwar tastet Hieronymus einige besonders schwierige Stellen kaum an, denen er in O. mit diesem Verfahren einen Sinn abgerungen 7 In der Fülle der von Emonds (1941), bes. 306–384 und Pasquali (1962) 397–465 gesammelten Beispiele (ergänzt noch von Burr (1959) 608 und Menestrina (1997)) findet sich nichts Vergleichbares. Nur Emonds (S.  347–348) bespricht die verschiedenen Psalmenübersetzungen des Hieronymus. Keiner der Autoren erwähnt die erste Hiob-Übersetzung des Hieronymus. 8 Hieronymus schreibt in der Vorrede zur Hiob-Vulgata (Stuttgarter Vulgata (2007) 731, Z. 17–20): Obliquus enim etiam apud Hebraeos totus liber fertur et lubricus et quod graece rethores (sic) vocant εσχηματισμενος, dumque aliud loquitur aliud agit, ut si velis anguillam aut murenam strictis tenere manibus, quanto fortius presseris, tanto citius elabitur. Genau diese Passage zitiert auch Philippus Presbyter im Widmungsschreiben seines Hiob-Kommentars an einen Bischof Nectarius (PLS 3 (1963) 327). 9 Trenkler (2017) 125 mit Anmerkungen 4–8 (Lit.). 10 Die umfassendste Darstellung dieser Facette von Hieronymus’ Persönlichkeit und Werk bietet Rebenich (1992). 11 Vgl. Marti (1974) 51: „Denn Augustin ist es, wie seine Vorgänger Ambrosius und Hilarius, gewohnt, die Vielfalt der Übersetzungsvarianten als Mittel der Auslegung (eventuell eines doppelten Schriftsinns) zu verwerten.“ Zu Augustins Gebrauch verschiedener Bibeltexte vgl. Bogaert (2008) 26–28 und 35. Dieselbe Haltung zu Varianten zeigt sich bei Philippus Presbyter, der in seinem Hiob-Kommentar den Text der Vulgata vielfach mit dem Text der Versio prior konfrontiert: Vgl. unten Kap. 10–12.

Der Weg zur Versio iuxta Graecos und Versio iuxta Hebraeos

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hatte, verfährt aber im Übrigen fortan so, dass er in der Grundstruktur der griechischen Vorlage folgt und nur Details des hebräischen Textes in diesen Rahmen integriert. Bei dem Versuch, die innere Logik der Übergänge von O. zu S. und von S. zu T. zu verstehen, muss man außerdem an den Umstand erinnern, dass Hieronymus bei der ersten Revision in S. etwa doppelt so viele Veränderungen aller Art vorgenommen hat wie bei der anschließenden Schlussrevision von S. zu T.12 Der Schritt von O. zu S. stellt also die entscheidende neue Weichenstellung dar.

7.2.2 Deutung im Rückblick auf O. Dass Hieronymus sich entschied, die Erstfassung O. seiner ersten Hiob-Übersetzung so tiefgehend zu überarbeiten, lässt m. E. darauf schließen, dass er während der Arbeit starke Zweifel an der von der Hexapla suggerierten Methode entwickelte, durch eklektische Kombination mehrerer ursprachlicher Textvorlagen ein befriedigendes Textverständnis zu erzielen. Sein Verfahren in S. deutet auf ein neues, konsolidiertes Methodenbewusstsein hin: War er früher besonders an seltenen Varianten interessiert, bevorzugt er jetzt die besser bezeugten Lesarten13; vermischte er früher griechische und hebräische Vorlagen, hält er sie jetzt – zumindest tendenziell – deutlicher auseinander. Was die Eliminierung der für O. so charakteristischen Doppel- oder Mehrfachübersetzungen betrifft, so scheint mir ein Bündel von Motiven vorzuliegen. Zunächst einmal entschied Hieronymus offenbar, dass Doppelfassungen in der Endversion keinen Platz mehr haben sollten. So verfuhr er auch in seinen VulgataManuskripten14. Im Fall der Versio prior mögen zwei weitere Überlegungen zu dieser Normalisierung beigetragen haben. Eine Bibelhandschrift, die mit Doppelfassungen überladen war, mochte zwar eine Fundgrube für den gelehrten Kommentator sein, war aber als Lesetext im Gottesdienst, bei dem die Gemeinden feste Formulierungen erwarteten, nur schwer zu benutzen. Wir wissen zwar nicht, in welcher Form die Exemplare von O. die Doppelfassungen enthielten  – ob als Interlinearversionen oder als Randglossen. Das kann aber in der Praxis keinen großen Unterschied für das Grundproblem bedeutet haben, dass durch die Fülle der Varianten der Zugriff auf den Text erschwert wurde, der ohnehin noch mit den hexaplarischen Asterisken und Obelen befrachtet war. Der zweite Grund, warum Hieronymus seine häufigen Doppelübersetzungen bei der ersten Revision tilgte, war möglicherweise der Umstand, dass sie nicht wie vermutlich ursprünglich gedacht als Zeichen gelehrter Souveränität, sondern umgekehrt als Ausdruck von Unsicherheit und Unentschlossenheit gedeutet werden 12 Vgl. Kap. 6, S. 118–119. 13 Soweit ich sehe, hat man auf diese Entwicklung bei Hieronymus noch nicht aufmerksam gemacht. 14 Vgl. Ciccarese (1997) 261–263.

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Hieronymus’ Erstfassung O. und die Fassungen S. T. B. 

konnten15. Autorenvarianten lassen schon in der Antike in der Regel16 tatsächlich auf einen noch unfertigen Text schließen oder zeugen davon, dass der Autor mit einer bereits publizierten Erstfassung unzufrieden war und deshalb eine zweite, verbesserte Auflage vorbereitete oder herausbrachte17. Durch die Tilgung der Doppelfassungen bei der Revision in S.  wollte Hieronymus also möglicherweise diesen unerwünschten Eindruck vermeiden.

7.2.3 Deutung im Vorblick auf die Vulgata Nach der geläufigen Auffassung erkannte Hieronymus die volle Bedeutung der Hebraica veritas erst allmählich im Verlauf seiner verschiedenen Bibelrevisionen nach dem Griechischen. Am Ende eines langsamen Reifeprozesses habe er sich schließlich dazu entschieden, eine neue Übersetzung des Alten Testamentes direkt nach dem hebräischen Urtext zu schaffen – die später so genannte Vulgata18.

15 Vgl. Trenkler (2017) 125. 16 Ausnahmen sind die spielerischen Änderungen, die Martial in Geschenkexemplaren seiner Gedichte anbrachte, um den Wert der Gabe zu erhöhen: Pasquali (1962) 401, Anm. 1 und Dorandi (1991) 23–24. 17 Vgl. die von Emonds (1941) und Pasquali (1962) 397–465 in reicher Fülle gesammelten Beispiele. 18 Vgl. Grützmacher Bd.  2 (1906) 96–97: „Bedeutsam ist aber diese Arbeit [sc. die Versiones priores] vor allem dadurch, daß sie uns zeigt, wie Hieronymus sich stufenweise immer mehr seinem Ziel, einen möglichst authentischen Text des Alten Testaments herzustellen, annähert. Erst hatte er nur den Italatext des Psalters korrigiert, dann hatte er eine gründlichere Revision des Psalters, der Bücher Salomonis, der Chronik und wahrscheinlich auch der Propheten nach dem hexaplarischen Texte der LXX vorgenommen, und zuletzt machte er sich an eine neue Übersetzung des Alten Testaments aus dem hebräischen Text.“ Testard (1969) 43: „La logique même de l’esprit scientifique de Jérôme allait l’amener bientôt à choisir une nouvelle base de travail. La Bible latine ne devait pas reproduire une traduction, mais l’original du texte sacré. Ce qui comptait, c’était l’hebreu, l’hebraica veritas.“ Besonders präzise wurde die Schwierigkeit, die Hieronymus bei den Revisionen nach der LXX zunehmend empfand, von Sparks und Kelly formuliert. Sparks schreibt (1970) 515: „What undoubtedly Jerome found, as the work proceeded, was that it became more and more complicated and the result less satisfactory.“ Kelly (1975) 159: „The likelihood is that, by the time he had finished them [sc. die uns erhaltenen Versiones priores], he was already convinced of the supreme authority of the Hebrew, and realised the futility of tinkering with what was, after all, only a translation of a translation.“ Gribomont (1985) 60: „Pourtant, à force de fréquenter les Hexaples, Jérôme se familiarisait avec l’original hébreu, et il appréciat de plus en plus les versions juives. Il avait conscience de découvrir là un domaine où il serait enfin le seul à travailler, au profit des sciences bibliques. […] De là sortit sa décision d’abandonner le grec hexaplaire, et de s’attaquer à une traduction directe sur l’hébreu – ou, si l’on veut, sur les traductions juives en grec d’Aquila et de Symmaque, en référence à l’hebreu.“ Markschies (1994) 146 formuliert: „Man muß sich vergegenwärtigen, dass der Schritt von der Graeca Veritas zur Hebraica Veritas wieder durch eine gründliche philologische Arbeit am Alten Testament und nicht durch eine textferne theologische Entscheidung zur Inspirationstheorie ausgelöst wird; dem gut ausgebildeten Übersetzer mißfällt seine Flickschusterei, neue Lappen auf den brüchigen alten Rock (der Septuaginta bzw. Vetus Latina) zu nähen.“ Stotz, Bd. 1 (2002) 51–52, § 17.5: „Durch seine Arbeit mit der

Der Weg zur Versio iuxta Graecos und Versio iuxta Hebraeos

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Die so skizzierte Auffassung trifft zwar grundsätzlich zu, kann aber im Fall der ersten Hiob-Übersetzung die für die sukzessiven Revisionsgänge charakteristischen Phänomene nicht erklären. Der gängigen Theorie von der allmählichen Annäherung an die Hebraica veritas zufolge müsste man erwarten, dass der Anteil hebräischer Textvorlagen in Hieronymus’ erster Hiob-Übersetzung mit jedem Revisionsschritt zugenommen hätte. In Wirklichkeit verhält es sich gerade umgekehrt: Die meisten Fälle, in denen Hieronymus sich auf eine hebräische Textbasis stützt, begegnen in der Erstfassung O., während er den Einfluss des Hebräischen, wie die Einzelanalysen in den Kapiteln 2 und 3 zeigen, bei der Revision in S. bewusst reduziert hat. Erklären lässt sich dieses Phänomen m. E. mit folgender These: Hieronymus fasste zwischen dem Abschluss von O. und dem Beginn der Revision in S. den endgültigen Entschluss zum Vulgata-Projekt. Der große Anteil von hebräischen Textvorlagen in O. und den anderen Versiones priores19 deutet darauf hin, dass Hieronymus schon dort von der hohen Bedeutung des hebräischen Urtextes für eine korrekte Bibelübersetzung überzeugt war. Jedoch kam diese Überzeugung nur partiell zum Tragen, weil der Kirchenvater gleichzeitig noch der eklektischen Methode verhaftet war, für die Origenes in der Hexapla das Material bereitgestellt hatte und die Hieronymus in der Erstfassung O.  – wie oben wahrscheinlich gemacht – in herausragender Weise umsetzen wollte. Deshalb stehen in O. hebräische und griechische Vorlagen nicht nur nebeneinander, sondern werden teilweise auch miteinander verschmolzen. Nachdem er dieses Verfahren bei der Arbeit an O. auf die Spitze getrieben und dabei als problematisch erkannt hatte, fasste Hieronymus den Entschluss, bei seinen Bibelübersetzungen fortan zweigleisig zu verfahren: Die Hebraica veritas machte er seinen lateinischsprachigen Lesern künftig durch die Vulgata zugänglich; zuvor aber – möglicherweise auch gleichzeitig20 – formte er seine erste HiobÜbersetzung durch die starke Revision in S. zu einer parallelen Version um, die erst

Hexa­pla wurde Hieronymus mit dem Hebr. vertrauter, und so setzte er nunmehr zu einem dritten und entscheidenden Unternehmen an […], nämlich zu einer Neuübersetzung der atl. Schriften nach dem hebr. Urtext, nach der hebraica veritas, wie man gerne sagte.“ Auch Schulz-Flügel (2014) 748–749 konstatiert nur die im Prediger-Kommentar von 388 zunehmende Bedeutung des hebräischen Textes und fährt 749 fort: „Mit den neuen Einsichten gibt sich Hieronymus in schneller Folge an die Übersetzungen der Onomastika […]. Vermutlich gibt Hieronymus zu dieser Zeit die Arbeit an der hexaplarischen Rezension auf.“ 19 Vgl. Trenkler (2017) 25 mit Anm. 55–58. 20 Diese Möglichkeit erwägt Fürst (2003) 103. Schon Stummer (1928) 90 und Brunhölzl (1983) 91 lassen Hieronymus mit der Vulgata beginnen, während er noch mit den hexaplarischen Übersetzungen beschäftigt war. Es ist communis opinio, dass Hieronymus schon ab etwa 390 dazu überging, das gesamte Alte Testament aus dem Hebräischen zu übersetzen: Vgl. z. B. Stummer (1928) 92, Kelly (1975) 159, Brunhölzl (1983) 91, Bartelink (1994) 152 und Fürst (2003) 87. 103–104.

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Hieronymus’ Erstfassung O. und die Fassungen S. T. B. 

jetzt primär die hexaplarische Septuaginta wiedergab. Während er also in O. noch eine Fusion griechischer und hebräischer Quellen anstrebte, liegt der Revision in S.  ein neuer Ansatz zugrunde: Fortan unterschied Hieronymus zumindest theoretisch bei seinen Bibelübersetzungen eindeutig zwischen versiones iuxta Graecos und versiones iuxta Hebraeos21. Damit hat sich sein Umgang mit Origenes’ Hexapla stark verändert: Während er zuvor das von Origenes präsentierte Material auch nach der von Origenes suggerierten Methode bearbeitete, ließ er künftig die Methode ein Stück weit hinter sich, bediente sich aber der Materialsammlung weiterhin in vollem Umfang.

7.2.4 Weitere Motive für die Revision in S. Drei Gründe dürften dazu beigetragen haben, dass Hieronymus sich überhaupt zu der Revision in S. entschied. Zunächst einmal neigte Hieronymus dazu, seine Bibelübersetzungen immer wieder zu überarbeiten22. Zu einigen Bibelbüchern hat Hieronymus sogar mehr als zwei Fassungen erarbeitet. Bezüglich der Psalmen spricht der Kirchenvater selbst von drei Versionen23; wie aber die Forschung gezeigt hat, enthalten die Commentarioli sogar noch eine vierte24. Auch für den Text des Kohelet (Ecclesiastes) sind drei

21 Vgl. vor allem seine Vorrede zur Hiob-Vulgata (Stuttgarter Vulgata (2007) 732, Z. 51–52): Utraque editio, et Septuaginta iuxta Graecos et mea iuxta Hebraeos, in latinum meo labore translata est. Ähnlich in seiner ep. 112, 19 an Augustin (= Augustin, ep. 75, 19): ibi graeca transtulimus, hic de ipso hebraico, quod intellegebamus, expressimus. 22 Vgl. Kedar-Kopfstein (1968) 74. Vgl. für ein weiteres konkretes Beispiel auch den Anhang C. 23 Vaccari (1952) behandelt eine erste flüchtige Revision in Rom (212. 215); dann die Versio prior (= das Psalterium Gallicanum, 221–230); schließlich die Editio iuxta Hebraeos (230–238). Für eine kürzere Darstellung siehe Kelly (1975) 89 und 158–162. 24 Zum Psalmentext in den Commentarioli (ed. Morin, CCL 72), der eine Neuübersetzung nach dem Griechischen, aber mit stetem Vergleich des Hebräischen darstellt, vgl. Vaccari (1952) 213–214 und Kelly (1975) 157. Cavallera (1922) I, 2, 157 datiert die Commentarioli wie die Versio prior auf etwa 389–392.– Darüber hinaus zeigt De Sainte-Marie (1954) XLVI, dass Hieronymus auch nach Abschluss des Psalterium iuxta Hebraeos in epp. 140 und 106 noch weiter an dieser letzten Übersetzung gefeilt hat – teilweise durch Rückgang auf die Versio prior. De Sainte-Marie stellt außerdem dar, dass Hieronymus in seinen Predigten noch weitere Übersetzungen improvisierte (L–LI). Auch Psalmenzitate in den Briefen entstammen nicht einer von Hieronymus’ sonstigen Psalmenübersetzungen, sondern wurden von ihm jeweils neu spontan nach der LXX extemporiert: Vgl. zu diesem für Hieronymus typischen Verfahren Vaccari (1952) 213–217. Dieselbe Freiheit nahm sich Hieronymus teilweise auch gegenüber seiner eigenen Übersetzung aus dem Hebräischen: Gryson (1982) 113–114, (1987) 14 und (1993) 62–68 sowie Haelewyck (1988) weisen darauf hin, dass Hieronymus in seinem Jesaja-Kommentar die Lemmata zwar grundsätzlich nach der Vulgata zitiert, sich aber nicht immer genau an deren Wortlaut hält, sondern sie stellenweise auch nach dem Gedächtnis mit Vetus Latina-Lesarten variiert bzw. bewusst verbessert. Schneider (1938) 84 mit Anm. 177 merkt an, dass uns zu Dt 32, 21 „fünf verschiedene hieronymianische Textfassungen bekannt sind.“

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Fassungen nachgewiesen25. Dasselbe gilt teilweise für seine Jesaja-Übersetzung aus dem Hebräischen26. Zweitens hatte Hieronymus die Erstfassung O., die er inzwischen als methodisch problematisch betrachtet haben dürfte, bereits mit einer selbstbewussten Vorrede an Paula und Eustochium publiziert27; sich öffentlich von dieser Arbeit zu distanzieren, hätte nicht seinem Charakter entsprochen; so lag es nahe, schon um die bereits investierte Arbeit nicht einfach verloren geben zu müssen, stillschweigend eine umgearbeitete Version in Umlauf zu bringen. Ähnlich verfuhr Hieronymus im Fall von De viris illustribus28 sowie in anderen Werken29. Dies Vorgehen war in der Antike eher die Regel als die Ausnahme: Nur selten verweisen die Autoren selbst auf eine zweite Auflage – ob nun Heiden30 oder Christen31; meist stammen solche

25 Neben der Versio prior und der Vulgata-Fassung übersetzte Hieronymus den Ecclesiastes ein drittes Mal in seinem diesbezüglichen Kommentar (ed. Adriaen, CCL 72). Er sagt in der Vorrede, dass er direkt aus dem Hebräischen übersetzte, aber auch die LXX und die drei anderen griechischen Versionen (von Aquila, Symmachus und Theodotion) heranzog (249, 12–16 Adriaen). Die relative Datierung dieser Übersetzung im Verhältnis zur Versio prior und zur Vulgata ist ungeklärt. Vgl. bes. Vaccari (1958) 115–117, der diese Übersetzung ca. 390 zwischen Versio prior und Vulgata ansetzt, sowie Kelly (1975) 150, der sie ca. 389 vor der Versio prior entstanden sein lässt. Kellys Datierung findet sich schon bei Cavallera (1922) I, 2, 27, der dort überzeugend für 388/389 plädiert. Cavallera seinerseits ist aber in seiner Datierung nicht konsequent: In seinen Regesta Hieronymiana (S. 156) gibt er als Datum schon ca. 386–387 an. Auch Birnbaum (2014) 2 setzt das Werk ohne weitere Erörterungen ins Jahr 388/389. 26 Haelewyck (1988) 397–402 und Gryson (1991) 60 unterscheiden (mit minimalen Unterschieden in der Datierung) drei Revisionsstufen: 1. die Erstfassung von ca. 391, 2. eine Überarbeitung der Kapitel 13–23 von ca. 398 sowie 3.  die Endfassung in den Lemmata des Jesaja-Kommentars der Jahre 408–410. Gryson (1993) 66–68 stellt aus dem Jesaja-Kommentar „Variantes de révision“ zusammen. 27 Die Vorrede mit dem Incipit Si aut fiscellam iunco texerem ist ediert in der Römischen Vulgata, Libri Hester et Iob (1951) 74–76. 28 Auf verschiedene spätere Zusätze zu De viris illustribus weisen Emonds (1941) 348–349 und Fürst (2003) 225, Anm. 33 hin. 29 Für die durch Rachsucht motivierte Tilgung seiner ursprünglichen lobenden Einträge zu Melania d. Ä. und Rufinus in den Ergänzungen zu Eusebius’ Weltchronik vgl. Emonds (1941) ­45–55. Rebenich (1992) 136 weist in derselben Schrift eine vermutlich aus persönlichen Rücksichten vorgenommene positive Abänderung einer ursprünglich kritischen Nachricht über Petronius Probus nach. Emonds (S. 346–347) hält auch für wahrscheinlich, dass Hieronymus die ursprüngliche Vorrede zu seiner Teilübersetzung von Origens’ Homilien zum Hohen Lied später durch den heute noch erhaltenen Text ersetzt hat. 30 Emonds (1941) nennt nur Ovid (Amores und Fasti, S.  236–258), Nepos (Atticus-Vita, S. 334) und Plinius d. J. (Panegyricus, S. 368).– Ein Sonderfall sind Ciceros nicht für die Öffentlichkeit bestimmte Briefe an seinen Verleger Atticus über die Umarbeitung der Dialoge Academica priora und posteriora (Emonds S. 265–274) und seine Bitten an Atticus, er möge gewisse Versehen, die Cicero zu spät bemerkt hatte, von seinen Kopisten sogar in schon umlaufenden Exemplaren korrigieren lassen (Emonds S. 274–277. 332–334 und Pasquali (1962) 398–400). 31 Emonds (1941) nennt Tertullian (Adversus Marcionem, S.  258–265), Augustins Ausführungen in den Retractationes über De doctrina christiana, die Genesisauslegungen und De trinitate, S. 324–326) sowie den Kirchengeschichtsschreiber Sokrates (S. 372–373). Zu Augustin ist die

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Informationen entweder von dritter Seite32 oder ergeben sich wie im vorliegenden Fall der Hiob-Versio prior erst aus der Analyse divergenter Textüberlieferungen33. Der dritte Grund, mit S. eine Neufassung der Versio prior zu schaffen, lag vermutlich in dem notorischen Misstrauen der Zeitgenossen gegen sein Projekt einer Neuübersetzung des Alten Testamentes aus dem Hebräischen34. Indem er im Zusammenhang mit der Hiob-Vulgata auch noch eine Übersetzung schuf, die erkennbar auf der hexaplarischen Septuaginta beruhte (S. bzw. T.), sicherte er seine von Kritikern wie Augustin bedrohte Flanke. Mir scheint symptomatisch, dass er in der Vorrede zur Versio prior, also zu der Augustin vorliegenden Erstfassung O., aus Vorsicht kein Wort über deren stark ausgeprägten hebräischen Hintergrund verlor, aber später im Vorwort zur Hiob-Vulgata seine Gegner mit Genugtuung darauf verwies, dass er bereits eine Übersetzung des griechischen Hiob geliefert habe35. In dieser Art konnte Hieronymus von der Versio prior mit einigem Recht nur hinsichtlich der inzwischen revidierten Fassungen S. und T. sprechen; mit Blick auf die Erstfassung O. wäre diese Aussage noch nicht zutreffend gewesen. Seit seiner Vorrede zum Vulgata-Hiob hielt sich Hieronymus an eine klare Sprachregelung, die zeigt, wie er das Verhältnis zwischen den Versiones priores und der Vulgata definieren wollte: Er unterschied zwischen Septuaginta iuxta Graecos und mea iuxta Hebraeos36. Obwohl diese einfache Antithese der komplexen Realität nicht gerecht wurde37, setzte er sich damit durch38.

Notiz über die Umarbeitung von De musica, Buch 6 in ep. 101 nachzutragen: Vgl. Tommasi (2013) 341–342. 32 Am berühmtesten sind wohl die Nachrichten des Servius über die Umarbeitung von Buch 4 der Georgica Vergils: Vgl. Emonds (1941) 380–383. 33 Von Emonds (1941) behandelte Beispiele aus der Patristik sind Tertullians Apologeticum (S. 137–187), die Divinae institutiones des Laktanz (S. 55–72), Eusebs Kirchengeschichte (S. 25–45) sowie Hilarius’ De trinitate, Buch 2 (S. 349). Besonders häufig hat Isidor von Sevilla mehr als eine Rezension seiner Werke erarbeitet, ohne seine Leser darauf hinzuweisen: Vgl. die Beiträge in dem von Andrés Sanz/Elfassi/Martín edierten Kongressband L’Édition critique des Oeuvres d’Isidore de Séville: Les recensions multiples, Paris 2008. 34 Vgl. Trenkler (2017) 27 mit Anm. 68–70 (Lit.). 35 Stuttgarter Vulgata (2007) 732, Z. 51–53: Utraque editio, et Septuaginta iuxta Graecos et mea iuxta Hebraeos, in latinum meo labore translata est. Eligat unusquisque quod vult et studiosum se magis quam malivolum probet. 36 Vgl. nochmals das Zitat aus Anm. 35. 37 Vgl. Trenkler (2017) 24–29. 38 Die von Vattioni publizierten Glossen aus spanischen Bibeln und ebenso schon Julian von Aeclanum verweisen auf die Versio prior des Hieronymus durchweg mit der Bezeichnung „in graeco“: Vgl. unten Kap. 8–9 und 13. Auch Philippus Presbyter zitiert die Versio prior einmal mit der Formel Et sicut Septuaginta transtulerunt (zu Iob 3, 17a; PL 26 (1845) 626 A; schon nachgewiesen bei Ziegler (1982) 29).

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7.3 Der Schritt von S. zur Endfassung T. Als Ausgabe letzter Hand veröffentlichte Hieronymus die Fassung T., die wie O. wieder mit Asterisci und Obeli ausgestattet war. Sie stellt eine Weiterentwicklung von S. dar. Nachdem Hieronymus in S. die geschilderte Abkehr von Origenes’ Methode und die Reduktion auf die griechischen Textvorlagen, die er nach wie vor hauptsächlich der Hexapla entnahm, vollzogen hatte, nahm er in T. noch weitere Korrekturen vor. Diese lassen sich m. E. teilweise als Restarbeiten vor der Publikation der Endfassung verstehen, repräsentieren teilweise aber auch einen gewissen Pendelschlag zurück in Richtung auf den ursprünglichen Ansatz in O.

7.3.1 Feinschliff für die Publikation Zum Feinschliff vor der Publikation zählen vermutlich folgende Phänomene: Hieronymus holte einzelne Verbesserungen zu O. nach, die er in S.  noch vergessen hatte (in Beispiel 3439 trug er die in O. S.  fehlende Nebensatzeinleitung si nach). Dass erst in T. Bindefehler zwischen O. und S.  korrigiert wurden40, bestätigt die These, dass T. eine Revision von S., nicht S. eine Revision von T. darstellt. Vor allem setzte er auch die Anpassung an die LXX über S. hinaus noch weiter fort (Beispiele 16, 18, 23, 26, 29; vgl. 37) Zum andern versuchte er den Sinn mancher Stellen zu verdeutlichen, indem er frühere Übersetzungen zuspitzte (Beispiele 51 und 5841) oder mit freien Formulierungen umschrieb (Beispiel 38). Mehrere Belege lassen sich so deuten, dass er sich bei der Schlussredaktion um ein eleganteres Latein bemühte (Beispiele 44, 54–5642).

7.3.2 Wiederentdeckung hebräischer Vorlagen Hinweise auf einen vorsichtigen Pendelschlag zurück in Richtung O. finde ich an solchen Stellen, an denen Hieronymus in T. im Gegensatz zu S. auch wieder hebräische Vorlagen berücksichtigte – entweder als direkte Basis seiner Übersetzung (so in Beispielen 27, 32 und 33) oder – etwas häufiger – als Quelle von Details, die er mit der griechischen Hauptvorlage verschmolz (so in den Belegen 7, 29, 47, 59

39 Diese Hinweise auf Beispiele beziehen sich auf die durchnummerierten Belege der obigen Kapitel 2–5. 40 Für ein weiteres Beispiel vgl. unten Kap. 12, S. 305–307 zu Iob 15, 33b (O. S. falsch decedat, erst T. richtig decidat). 41 Ein Gegenbeispiel, in dem Hieronymus in T. eine Aussage eher neutraler formuliert, begegnet in Nr. 52. 42 Mögliche Gegenbeispiele, in denen Hieronymus in T. volkssprachliche Formen einsetzt, sind Nr.  4 und 57. Ich neige aber zu der Ansicht, dass diese Formen erst auf spätere Kopisten zurückgehen.

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und 60). Vergleichbare Belege werden auch in späteren Kapiteln dieser Arbeit noch mehrfach auftauchen. Ich deute diese Fälle so, dass Hieronymus nach der bewussten, deutlichen Abkehr vom Hebräischen in S. bei der Schlussredaktion in T. wieder pragmatischer verfuhr und gelegentlich doch wieder auf den hebräischen Text zurückgriff, wenn ihm die griechische Übersetzung problematisch erschien. Darüber hinaus zeigen die Stellen, an denen Hieronymus ein Detail des hebräischen Textes in seine Übersetzung nach dem Griechischen einfügte, dass er seine Technik der Konflation inzwischen weiterentwickelt und verfeinert hatte: Indem er die syntaktische Grundstruktur des Griechischen bewahrte, schuf er erkennbar eine Übersetzung des griechischen Bibeltextes; gleichzeitig hielt er sich die Möglichkeit offen, bei Gelegenheit doch Nuancen der Hebraica veritas mit einfließen zu lassen, ohne dass ein auf die LXX fixierter Leser gleich Verdacht schöpfen oder Anstoß nehmen musste.

7.3.3 Punktuelle Vorwegnahme der Vulgata in T. Unabhängig von den zugrunde liegenden Urtexten weist T. lateinische Wendungen auf, die diese Endfassung der Versio prior schon in die Nähe der Vulgata rücken. An einigen Stellen lassen sich Hieronymus’ Formulierungen als Zwischenstufen in einer Entwicklung von O. über S. zur Vulgata verstehen (Beispiele 32 und 33). Andere in T. umgestaltete Wendungen finden sich anschließend unverändert in der Vulgata wieder (Beispiele 1, 9, 22 und 47). Diese Befunde stellen eine weitere Bestätigung der These dar, dass T. eine Revision von S. darstellt, nicht S. eine Revision von T. Zum anderen hat schon Erbes aus solchen Stellen geschlossen, dass T. dem Übersetzer Hieronymus als Vorarbeit für die Hiob-Vulgata gedient hat43. Sie deuten vielleicht zugleich darauf hin, dass die Arbeit an T. und die Arbeit an der Hiob-Vulgata nebeneinander hergingen44. Dagegen lässt sich die These, solche Übereinstimmungen zwischen der Versio prior und der Vulgata gingen auf Kontamination der ersten Hiob-Übersetzung aus der Vulgata zurück, bei näherem Hinsehen nicht halten45.

7.4 Die Versio prior im Kontext von Hieronymus’ Übersetzungen Der erste Schwerpunkt dieses Kapitels galt der Frage, welche Motive den Über­ setzer Hieronymus dazu veranlasst haben, seine erste Hiob-Übersetzung in zwei Revisionsgängen so intensiv zu überarbeiten. Ein Teil der Antwort bestand in der Hypothese, dass Hieronymus in der Erstfassung O. durch die Fusion hebräischer und griechischer Textvorlagen die endgültige lateinische Hiob-Übersetzung schaf 43 Erbes (1950) 141. 143. 154. 156. 44 Vgl. oben S. 127 mit Anm. 20. 45 Gailey (1945). Ich setze mich mit seinen Argumenten im Anhang A auseinander.

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fen wollte, aber in S. zu dem bescheideneren Ziel umschwenkte, eine Übersetzung der griechischen Hiob-Überlieferung zu erstellen, die neben der nunmehr geplanten oder vielleicht auch schon begonnenen Neuübersetzung aus dem Hebräischen bestehen konnte. Damit rückte auch die Frage nach dem Verhältnis der Versio prior des Buches Hiob zum Hauptwerk des Bibelübersetzers Hieronymus, also zur Vulgata, ins Blickfeld. Im Rest dieses Kapitels gehe ich dieser Frage nach dem Kontext der Versio prior im Schaffen des Hieronymus weiter nach. Ich versuche zum einen, Hieronymus’ erste Hiob-Übersetzung in den Rahmen seiner sonstigen Versionen hexaplarischer Texte einzuordnen. Zum anderen möchte ich genauer herausarbeiten, wie Hieronymus seine Versiones priores im Verhältnis zur Vulgata selbst beurteilt hat.

7.4.1 Der Umfang der Serie der Versiones priores Es ist unklar, wie viele Bücher des Alten Testamentes Hieronymus auf der Grundlage der hexaplarischen LXX emendiert hat: Die Überlieferung ist widersprüchlich. Auf der einen Seite sind Revisionen nach der LXX46 außer für das Buch Hiob47 nur noch für die Psalmen48 und das Hohelied49 vollständig überliefert. Sicher bezeugt sind durch die erhaltenen Vorreden auch noch die Übersetzungen der Chronikbücher50 sowie der beiden anderen „Salomonischen Bücher“ Sprichwörter und Kohelet51. Grützmacher und Kelly weisen darauf hin, dass Hieronymus auch nur diese Bücher nennt, wenn er Lesern, die seine Übersetzung aus dem Hebräischen ablehnen, seine Versionen nach der LXX empfiehlt52. Auf der anderen Seite hat man gemeint, es gebe auch Reste einer Vorrede zum Buch Esther53; man hat gemutmaßt, dass Hieronymus in seinem Habakuk-Kommentar eine früher angefertigte eigene Übersetzung benutzte54; nicht zuletzt hat man Jesaja-Zitate bei Hieronymus55 und in Augustins De ciuitate dei56 gefunden, 46 Vgl. für das Folgende Trenkler (2017) 22–23. 47 Für die drei erhaltenen Handschriften und deren Publikation vgl. oben die Einleitung, S. 4–5. 48 Liber Psalmorum iuxta Septuaginta emendatus; ediert samt der zugehörigen Praefatio Stuttgarter Vulgata (2007) 767 und 772–954 (jeweils auf den geradzahligen linken Seiten). 49 Cantici Canticorum Vetus Latina translatio a s. Hieronymo ad Graecum textum Hexaplarem emendata, ed. Alberto Vaccari, Rom 1959; vgl. dazu Vaccari (1958) 121–146. 50 Edition der Praefatio: Römische Vulgata, Liber Verborum Dierum (1948) 7–10. 51 Edition der Praefatio: Römische Vulgata, Libri Salomonis (1957) 6.– Fragmente aus den Sprichwörtern und Kohelet hat Vaccari (1958) 83–114 bzw. 114–121 publiziert. 52 Grützmacher Bd. 2 (1906) 95; Kelly (1975) 159. Grützmachers und Kellys Aufstellung ist etwas ungenau: Hieronymus empfiehlt in der genannten Weise in Wirklichkeit nur die „Bücher Salomos“ und das Buch Hiob. 53 De Bruyne (1919) 229–236. 54 Schneider (1938) 84, positiv beurteilt von Gryson (1987) 18, Anm. 27 und Bogaert (1998) 45. 55 Vgl. Gryson (1982) 112 und (1987) 18, Anm. 27. 56 Zum Zitat von Is 48, 12–16 in ciu. 20, 30 vgl. Bogaert (1998) 45 unter Berufung auf G ­ ryson (der dort zitierte 28.  Arbeitsbericht des Vetus Latina-Instituts Beuron von 1995 war mir nicht zugänglich).

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die möglicherweise aus der hexaplarischen Version dieses Propheten stammen57. Vor allem lässt Hieronymus selbst häufiger durchblicken, er habe das gesamte Alte Testament in dieser Weise emendiert58. Augustin hat ihm das geglaubt und ihn im Jahr 404 oder 405 gebeten, ihm auch jene Revisionen zu schicken, die er noch nicht kannte59. Jedoch antwortete ihm Hieronymus erst mehr als zehn Jahre später (im Jahre 416) in einem Nachsatz, das sei leider aus zwei Gründen unmöglich: Es stünden ihm keine Kopisten zur Verfügung, und ohnehin seien ihm die Handschriften durch den Betrug eines Un­ genannten abhandengekommen60. Das klingt verdächtig nach Ausflüchten61. In der Forschung herrscht deshalb kein Konsens, wieweit diesen Andeutungen von einer Gesamtrevision des Alten Testamentes nach der Hexapla zu trauen ist. Mehrere Gelehrte erklären dies immerhin für möglich62 oder halten das Problem für unlösbar63. Ob man dagegen eine klare Position bezieht, also Hieronymus in diesem Punkt glaubt64 oder nicht65, dürfte letztlich von der Einschätzung seines Charakters abhängen. Was können die Ergebnisse der vorliegenden Arbeit zur Lösung dieses Problems beitragen? Man kann einerseits auf den Bruch mit der eklektischen Methode des Origenes verweisen (der sich in der Kehrtwende von O. zu S.  abzeichnet), kann 57 Bogaert (2008) 29 schreibt ohne weitere Verweise: „Augustin a vraisemblablement connu aussi une telle révision hexaplaire d’Isaie et des XII Prophètes.“ 58 Grützmacher, Bd. 2 (1906) 94, Anm. 2 zitiert Apologie 2, 24 und 3, 25 (vgl. jetzt S. 170 und 282 Lardet) und ep. 106, 2; Sparks (1970) 515 verweist auf die Praefatio zu Josua (vgl. jetzt Stuttgarter Vulgata (2007) 285); Kelly (1975) 159, Anm. 24 fügt ep. 71, 5 hinzu. 59 Augustin, ep. 82, 34 (= Hieronymus, ep. 116, 34). Der Brief wird datiert auf 404 von Nautin (1986) 308 und Fürst (2006) 332, auf 405 von Divjak (2002) 933). 60 Hieronymus, ep. 134, 2 fin. (= Augustin, ep. 172, 2). Dieses Schreiben wird übereinstimmend datiert auf 416 von Kelly (1975) 159, Nautin (1986) 308, Divjak (2002) 935 mit Anm. 130 und Fürst (2003) 84. 61 Marti (1974) 51 nennt Hieronymus’ Antwort „wenig überzeugend“; Nautin (1986) 308 wertet sie als „Behauptung“ des Kirchenvaters. 62 Gryson (1987) 18 mit Anm. 27; Fürst (2003) 84–85 und vor allem 103. Allerdings urteilt er S. 109, der Umfang dieser Übersetzung sei „nicht mehr mit Sicherheit feststellbar“. Ähnlich Fürst schon (2002) 53, Anm. 133. 63 Kamesar (1993) 53 formuliert: „It is not at all clear when, if ever, Jerome stopped work on the Hexaplaric revision, nor is it known why he may have done so.“ Noch deutlicher S. 54: „In short, in no way can we be sure that Jerome abandoned the Hexaplaric revision in favour of IH.“ (IH ist Kamesars Kürzel für Hieronymus’ Übersetzung iuxta Hebraeos.) Neuestens schreibt Schulz-Flügel (2014) 748, Anm. 7: „Ob H. auch die übrigen Bücher bearbeitete, sie aber nicht veröffentlichte, oder aber die Arbeit abbrach, ist nicht zu entscheiden.“ 64 Cavallera (1922) I, 1, 147, Stummer (1928) 88, Gailey (1945) 7, Schild (1970) 22 (vgl. schon 15), Würthwein (1973) 94 und D. Brown (1992) 102 gehen davon aus, dass diese Aussagen der Wahrheit entsprechen. Weitere Vertreter dieser Ansicht zitiert Kamesar (1993) 53, Anm. 48. 65 Grützmacher, Bd. 1 (1901) 73 und Bd. 2 (1906) 94–96; Kelly (1975) 159: „Although the question remains open, it is very unlikely that he carried his revision of the Latinised Septuagint beyond these books.“ Ähnlich Rebenich (1993) 52. Besonders scharf formuliert Nautin (1986) 309: „Nichts deutet darauf hin, dass sie (sc. die Übersetzung „nach der Septuaginta“) weitere Schriften des Alten Testaments umfasst hat.“

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daraus schließen, dass Hieronymus an diesem Punkt das Unternehmen der Versiones priores als grundsätzlich verfehlt erkannte, und kann argumentieren, dass die Hiob-Revisionen in S. und T. nur noch Rückzugsgefechte waren, denen keine weiteren Übersetzungen dieser Art mehr folgten. Man kann andererseits aber auch darauf verweisen, dass Hieronymus in S. und T. durch die Reduktion der hebräischen Basis und Konzentration auf griechische Vorlagen einen Weg gefunden hat, um neben der Vulgata auch Übersetzungen nach der Hexapla weiterhin gelten zu lassen. In dieser Perspektive spricht m. E. nichts dagegen, dass er parallel zur Vulgata auch noch weitere Versionen iuxta Graecos produziert hat. Die Nachfrage nach solchen Überarbeitungen kann angesichts der zeitgenössischen Kritik an der Übersetzung iuxta Hebraeos kaum bezweifelt werden; Augustins Bitte dürfte also keine Ausnahme gewesen sein. Im Ergebnis halte ich deshalb die Frage, wie viele Bücher des Alten Testaments Hieronymus nach Origenes’ hexaplarischer Version aus dem Griechischen übersetzt hat, für weiterhin offen.

7.4.2 Die Reihenfolge der erhaltenen Versiones priores Dagegen gibt es m. E. Indizien, die die Frage zu klären erlauben, in welcher Reihenfolge die vier erhaltenen bzw. sicher bezeugten Versiones priores, die vor der Arbeit an der Vulgata publiziert wurden, entstanden sind. 7.4.2.1 Der Stand der Frage Die meisten Autoren sind der Meinung, die allerdings in keinem Fall durch Nachweise oder Argumente gestützt wird, Hieronymus habe mit den Psalmen begonnen66. Über die anderen Bücher treffen sie fast alle keine Aussage. Hypothesen über die Reihenfolge innerhalb der kompletten Serie (nicht zu verwechseln mit bloßen Listen des Erhaltenen) sind daher die Ausnahme. Cavallera schlägt die Reihenfolge Libri Salomonici, Chronik-Bücher, Psalmen, Hiob vor67. Gailey bietet die ­Sequenz Psalmen, Chronik-Bücher, Sprichwörter, Kohelet, Hoheslied und Hiob68. Gribomont ordnet: Psalmen, Salomonische Bücher und Chronik-Bücher, übergeht aber Hiob mit Schweigen69. Fürst zählt die Bücher in seiner chronologischen Tabelle in der Reihenfolge der Vulgata auf: Chronik-Bücher, Ijob, Psalmen, Sprichwörter, Kohelet, Hoheslied70.

66 Stummer (1928) 85, Gailey (1945) 6–7, Kelly (1975) 158, Brunhölzl (1983) 91; Gribomont (1985) 60, Rebenich (1993) 51 und Bartelink (1994) 151. 67 Cavallera (1922) I, 2, 28 und 157. 68 Gailey (1945) 6–7. 69 Gribomont (1985) 60. 70 Fürst (2003) 86.

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7.4.2.2 Psalmen und Hiob Während Gailey und Fürst ihre relative Chronologie nicht begründen71, hat schon Cavallera m. E. zutreffend argumentiert, dass die Bücher Psalmen und Hiob nicht die ersten in der Serie gewesen sein können, weil in den beiden zugehörigen Prae­ fationes jeweils Formulierungen begegnen, die voraussetzen, dass schon mehrere vergleichbare Revisionen vorausgegangen sind72. So heißt es in der Hiob-Prae­fatio an Paula und Eustochium: Igitur et vos et unumquemque lectorem solita praefatione commoneo et in principiis librorum semper adnectens rogo73. Die Vorrede zu den nach der LXX revidierten Psalmen an dieselben Empfängerinnen enthält eine ähnliche, wenn auch kürzere Formulierung: Unde consueta praefatione commoneo74. Cavalleras Positionierung von Psalmen und Hiob am Ende der Reihe halte ich deshalb für richtig. Erstens geht die eben zitierte Praefatio zu Iob mit dem Ausdruck et in principiis librorum semper adnectens noch über die Parallelstelle im Vorwort zu den Psalmen hinaus und klingt wie ein Rückblick auf eine längere Abfolge bereits vorhandener vergleichbarer Texte75. Zweitens legen die Befunde der vorliegenden Arbeit m. E. den Schluss nahe, dass der Kirchenvater im Rückblick auf die Erstfassung O. seiner ersten Hiob-Übersetzung seine bis dahin praktizierte Methode, hebräische und griechische Texte eklektisch zu kombinieren, als Irrweg erkannte und deshalb diese Version in zwei anschließenden Revisionsgängen (S.  und T.) zu einer Versio iuxta Graecos umarbeitete. Weil nun für die anderen Versiones priores (sowohl für die erhaltenen Texte Psalmen und Hoheslied als auch die verlorenen ChronikBücher) ebenfalls der Einfluss hebräischer Vorlagen entweder nachgewiesen ist76 oder von Hieronymus selbst bezeugt wird77, ohne dass es dort Hinweise auf sukzessive Revisionen wie bei der Hiob-Version gibt, drängt sich die Schlussfolgerung auf, dass dem Kirchenvater erst bei der Arbeit an der ersten Hiob-Übersetzung die Unzulänglichkeit seiner bis dahin praktizierten Revisionsmethode bewusst wurde. Demnach war die Versio prior des Buches Hiob das letzte Werk der Serie, soweit jedenfalls deren Existenz sicher belegt ist. Man kann m. E. davon ausgehen, dass

71 Fürst (2003) schweigt zu der Frage auch auf S. 84 und 295–296. 72 Cavallera (1922) I, 2, 28. 73 Römische Vulgata, Libri Hester et Iob (1951) 75, Z. 12–14. 74 Stuttgarter Vulgata (2007) 767, Z. 6–7. 75 Auch Bogaert (2012) 76 schließt aus der Kürze, mit der Hieronymus in der Hiob-Vorrede das Thema Obeli und Asterisci abhandelt, dass die Hiob-Übersetzung nicht die erste in der Reihe war. Die Reihenfolge Psalmen – Hiob wurde schon von Grützmacher, Bd. 1 (1901) 92 vorgeschlagen, der diese Revisionen aber an den Anfang der Reihe stellt. 76 Für Bezüge auf das Hebräische vgl. die Nachweise bei Trenkler (2017) 25–26 mit Anm. 55–58. 77 Für die verlorenen Chronik-Bücher bezeugt Hieronymus selbst in der Vorrede, dass er sie mit einem Rabbi aus Tiberias auf Hebräisch durchgearbeitet hat: Römische Vulgata, Liber Verborum Dierum (1948) 8, Z. 8–10. Zu Tiberias als rabbinischem Zentrum vgl. Stemberger (1987) 216–217.

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Hieronymus, falls er nach dem Buch Hiob tatsächlich noch weitere Übersetzungen nach der LXX angefertigt hat, diese von vornherein mit geschärftem Methodenbewusstsein als Versiones iuxta Graecos konzipiert hat. 7.4.2.3 Chronik und Libri Salomonici Aus dem Nachweis, dass Psalmen und Hiob am Ende der Serie entstanden, ergibt sich zugleich, dass Cavallera Recht hat, die Libri Salomonici und die ChronikBücher an den Anfang der Reihe zu stellen78. Die innere Verwandtschaft dieser beiden frühen Revisionen wird dadurch bestätigt, dass Hieronymus in beiden Fällen in den Praefationes einen Punkt betont, der in den Vorworten zu den Psalmen und zu Hiob nicht mehr vorkommt – dass er nämlich die gestörte Abfolge von Textteilen korrigiert habe. So schreibt er in der Vorrede zu den Libri Salomonici: ubi prae­ postero ordine atque perverso sententiarum fuerat lumen ereptum, suis locis restituens feci intellegi quod latebat79. Entsprechend heißt es in der Praefatio zu den Chronikbüchern: Si quis in hac interpretatione voluerit quid reprehendere, interroget Hebreos, suam conscientiam recolat, videat ordinem textumque sermonis, et tunc nostro labori, si potuerit, detrahat80. Dagegen möchte ich die von Cavallera81 (ohne Begründung) vorgeschlagene Reihenfolge der Erarbeitung der Libri Salomonici und der Chronik-Bücher in Zweifel ziehen. Ich vermute umgekehrt, dass die Chronik-Bücher den Anfang der Serie darstellen, während die Revision der drei „Salomonischen Bücher“ erst an die zweite Stelle gehört. Für diese Platzierung der Chronik-Bücher sprechen m. E. vier Erwägungen82: Schon Schild hat gezeigt, dass das Vorwort zur Versio prior der ChronikBücher dadurch aus dem Rahmen fällt, dass es ungewöhnlich positiv von der LXX spricht83. In dieser Vorrede geht Hieronymus mit den Worten Septuaginta interpretibus, qui Spiritu Sancto pleni ea quae vera fuerant transtulerunt84 gegen seine spätere Überzeugung zum einzigen Mal so weit, sogar die Inspiration der LXX zu behaupten85. Diese Inspiration glaubt er ausgerechnet in denjenigen Passagen zu 78 Cavallera (1922) I, 2, 28 und 157. 79 Römische Vulgata, Libri Salomonis (1957) 6, Z. 8–9. 80 Römische Vulgata, Liber Verborum Dierum (1948) 9, Z. 14–16. 81 Cavallera (1922) I, 2, 28 und 157. 82 Auch Fürst (2003) 86 stellt die Chronik-Bücher an den Anfang, gibt aber keine Begründung. 83 Schild (1970) 22–23. 84 Römische Vulgata, Liber Verborum Dierum (1948) 8, Z. 14–15. 85 Kelly (1975) 159, Anm. 1; Fürst (1994) 116; Bouton-Touboulic (2005) 189. In Schulz-Flügels Referat der Stelle (2014, S. 748) wird nicht recht deutlich, wie vereinzelt diese Aussage in Hieronymus’ Werken dasteht. Zur verbreiteten altkirchlichen Auffassung von der Verbalinspiration der LXX vgl. Fürst (2003) 92–93. 108. Speziell zu Augustins lebenslanger Überzeugung von der Inspiration der LXX vgl. die detaillierte Darstellung bei Bouton-Touboulic (2005) 209–226, bes. 216–221. Dagegen betont Markschies (1998) 147. 177. 179, dass Hieronymus weder den hebräischen noch den griechischen Bibeltext als inspiriert ansah.

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finden, die über den hebräischen Urtext hinausgehen und deshalb durch Obeli bezeichnet sind86: Ubi vero obelus, transversa scilicet virga, praeposita est, illic significatur quid Septuaginta interpretes addiderint vel ob decoris gratiam vel ob Spiritus Sancti auctoritatem, et in hebreis voluminibus non legatur87. In den Praefationes zu den anderen drei Versiones priores fehlen solche positiven Töne. In der Vorrede zur Versio prior des Buches Hiob (d. h. zur Erstfassung O.) wird die LXX sogar schon gar nicht mehr erwähnt88. Da die Vorrede zusammen mit der Erstfassung O. publiziert wurde, bestätigt dieses Detail, wie bewusst Hieronymus sich in O. auf die hebräischen Vorlagen konzentrierte. Im Vorwort zur ersten Chronik-Übersetzung erweist Hieronymus jedoch nicht nur der LXX ungewöhnliche Reverenz, sondern hebt  – zweitens  – auch den jüdischen Einfluss auf seine Version in einer Weise hervor, die in den anderen Vorreden zu den Versiones priores keine Parallele findet. Zu den topischen Aussagen aller vier Praefationes zu den Versiones priores gehört der Hinweis, dass Lücken der griechischen Textvorlagen aus dem Hebräischen ergänzt und diese Nachträge durch Asterisken gekennzeichnet seien89. Jedoch spricht Hieronymus nur in der Vorrede zu den Chronik-Büchern zusätzlich den Umstand an, dass die Emendation des Textes, die grundsätzlich nach der LXX vorgenommen wurde, schon vielfach auf dem Hebräischen beruhe, mit Hilfe eines Juden erarbeitet worden sei und von Juden bestätigt werden könne. Er schreibt an die Empfänger Domnio und Rogatianus nach Rom90: Denique cum a me nuper litteris flagitassetis, ut vobis Parali­ pomenon latino sermone transferrem, de Tiberiade legis quondam auctorem, qui apud Hebreos admirationi habebatur, adsumpsi, et contuli cum eo a vertice, ut ­aiunt, usque ad extremum unguem, et sic confirmatus ausus sum facere quod iubebatis. Anschließend präzisiert er, dass vor allem die zahlreichen Namen der ChronikBücher in den griechischen und lateinischen Codices fehlerhaft abgeschrieben waren, und impliziert, dass er sie nach dem Hebräischen verbessert hat91: Libere enim vobis loquor, ita et in grecis et in latinis codicibus hic nominum liber vitiosus est, ut non tam hebrea quam barbara quaedam et sarmatica nomina congesta arbitrandum sit. Schließlich verweist er mögliche Kritiker seiner Übersetzung an Juden, die solche Zweifel entkräften könnten92: Si quis in hac interpretatione voluerit quid reprehendere, interroget Hebreos. 86 Schild (1970) 23. 87 Römische Vulgata, Liber Verborum Dierum (1948) 10, Z. 1–4. 88 Schild (1970) 22. 89 Vgl. für die Chronik-Bücher: Römische Vulgata, Liber Verborum Dierum (1948) 9–10, Z. 17–4; für die Libri Salomonis: Römische Vulgata, Libri Salomonis (1957) 6, Z. 2–5; für die Psalmen: Stuttgarter Vulgata (2007) 767, Z. 9–13; für Hiob: Römische Vulgata, Libri Hester et Iob (1951) 75, Z. 15–16. 90 Römische Vulgata, Liber Verborum Dierum (1948) 8, Z. 7–11. 91 Römische Vulgata, Liber Verborum Dierum (1948) 8, Z. 11–13. 92 Römische Vulgata, Liber Verborum Dierum (1948) 9, Z. 14–15.

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Solche Hinweise auf die hebräische Textbasis seiner Emendationen von LXXFehlern93 hat er in den drei anderen Vorreden, die sämtlich an Paula und Eustochium gerichtet sind, vermieden. Das ist m. E. auffällig, denn sie wären dort nicht nur angebracht, sondern auch besonders naheliegend gewesen: Gerade diese beiden Frauen dürften nämlich an allem Hebräischen besonders interessiert gewesen sein, weil ihnen Hieronymus Hebräisch-Unterricht erteilt hatte mit dem Erfolg, dass sie die Psalmen auf Hebräisch singen konnten94. Dies Schweigen ist vermutlich dadurch zu erklären, dass Hieronymus den häufig gegen ihn erhobenen Vorwurf vermeiden wollte, er räume den Juden zu viel Einfluss auf seine Bibelübersetzungen ein95. Jedenfalls scheint mir dieser Sonder-Aspekt des Chronik-Vorwortes ein zweites Argument dafür zu sein, die Chronik-Bücher für das erste Glied der Reihe zu halten. Diese Einordnung wird m. E. – drittens – durch den Umstand gestützt, dass Hieronymus nur in der Vorrede zu den Chronik-Büchern sagt, es handele sich um eine – ihm von den Adressaten Domnio und Rogatianus abverlangte – neue Übersetzung96: cum a me nuper litteris flagitassetis, ut vobis Paralipomenon latino sermone transferrem. Derselbe Anspruch liegt in dem etwas später folgenden Ausdruck in hac interpretatione97. In allen anderen Vorworten zu den Versiones priores spricht Hieronymus vorsichtiger von bloßen Verbesserungen der überlieferten Texte. Das gilt für die Libri Salomonis98 ebenso wie für die Psalmen99 und in besonders vielen Wendungen für das Buch Hiob100. Ein viertes Argument lässt sich aus den Angaben der Praefationes darüber entnehmen, wie Hieronymus dazu kam, die einzelnen Bücher zu revidieren. Diese Hinweise sind differenziert, wenn auch nicht immer ganz eindeutig.

93 Diese sind zu unterscheiden von den Hinweisen auf die aus Theodotion übernommenen Ergänzungen fehlender Verse, die in allen vier Vorreden erwähnt werden. 94 Vgl. Harnack (1912) 89 mit Anm. 1; Marti (1974) 49; Kelly (1975) 97 und 100; Rebenich (1992) 167. 95 Vgl. Fürst (2003) 108–109. Schulz-Flügel (2014) 746 zitiert dazu Rufinus’ Apologie contra Hieronymum 2, 11 (datiert 401). 96 Römische Vulgata, Liber Verborum Dierum (1948) 8, Z. 7–8. 97 Römische Vulgata, Liber Verborum Dierum (1948) 9, Z. 14. 98 Römische Vulgata, Libri Salomonis (1957) 6, Z. 5–7: Necnon etiam illa, quae inperiti translatores male in linguam nostram de graeco sermone verterant, oblitterans et antiquans curiosissima veritate correxi; ferner Z. 11–12: canonicas scripturas vobis emendare desiderans. 99 Römische Vulgata, Liber Psalmorum (1953) 3, Z. 2–6: Quod (sc. Psalterium iam Romae cursim correctum) quia rursum videtis, o Paula et Eustochium, scriptorum vitio depravatum […], cogitis ut veluti quodam novali scissum iam arvum exerceam et obliquis sulcis renascentes spinas eradicem. 100 Römische Vulgata, Libri Hester et Iob (1951) 75. Dort begegnen folgende Stichworte zur Beschreibung von Hieronymus’ Zielen: Z. 1–2: antiquam divinorum voluminum viam sentibus virgultisque purgare; Z. 3: errores auferre; Z. 5–6 habere […] codices […] emendatos; 75, Z. 17- 76, Z. 1: Necnon et illa quae habere videbamur et ita corrupta erant, ut sensum legentibus tollerent, […] magno labore correxi. (Alle diese Stellen zitiert auch schon Trenkler (2017) 19, Anm. 8.)

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Die Bearbeitung der Psalmen ging auf das Drängen von Paula und Eustochium zurück101. Ob auch die anschließende Hiob-Revision, die ebenfalls Paula und Eustochium gewidmet ist102, von den Frauen angeregt wurde, ist möglich, aber nicht sicher. Wenn Hieronymus ihnen nämlich in Bezug auf die Hiob-Versio prior schreibt: orantibus vobis magno labore correxi103, drückt er sich nicht eindeutig aus. Sinngemäß kann orantibus vobis entweder „auf eure Bitten hin“ oder „von euren Gebeten begleitet“ (bzw. auch beides) heißen104. Kein Zweifel besteht dagegen darüber, dass die Bitte um Revision der Chronikbücher brieflich von zwei römischen Bekannten, Domnio und Rogatianus, geäußert wurde105. Nur in der Vorrede zur Übersetzung der drei „Salomonischen Bücher“, die ebenfalls Paula und Eustochium dediziert wurden106, schweigt Hieronymus über das Motiv seiner Wahl gerade dieser Schriften. Ich deute dies so, dass der Kirchenvater die Revision der Libri Salomonici aus eigener Initiative ohne äußeren Anstoß unternahm107. 7.4.2.4 Fazit zur Frage der Reihenfolge Aufgrund der genannten Befunde lässt sich die Abfolge der einzelnen Bücher m. E. folgendermaßen rekonstruieren: Die Chronikbücher wurden vermutlich am Anfang der Serie und die „Bücher Salomos“ an zweiter Stelle emendiert. Hieronymus erhielt den Anstoß, erstmals ein bestimmtes Buch des Alten Testamentes, an

101 Vgl. das Zitat aus Anm. 99. 102 Römische Vulgata, Libri Hester et Iob (1951) 75, Z. 6. 103 Römische Vulgata, Libri Hester et Iob (1951) 74–75, Z. 17–1. 104 Dagegen meint Erbes (1950) 154, die Hiob-Revision sei auf Bestellung von Paula und­ Eustochium angefertigt worden. Er erklärt ferner (S. 143) die Mängel von Hieronymus’ Arbeit damit, sie habe mehr „den praktischen asketischen Bedürfnissen“ der Damen dienen als „eine prinzipienklar bearbeitete Wiedergabe für gelehrte Ansprüche bieten“ wollen (vgl. im gleichen Sinn auch S. 154 und 156) und urteilt abschließend (S. 157): „Die Absicht, einen Job des praktischen, nicht wissenschaftlichen Gebrauches zu schaffen, enthebt ihn (sc. Hieronymus) einer eingehenden Kritik.“ 105 Römische Vulgata, Liber Verborum Dierum (1948) 7, Z. 1 (Anrede an Domnio und Roga­ tianus); 8, Z. 7–8: Denique cum a me nuper litteris flagitassetis, ut vobis Paralimpomenon latino­ sermone transferrem. Zu den Personen vgl. Rebenich (1992) 223: Domnio, schon ein alter Mann und Besitzer einer umfangreichen Bibliothek, lebte in Rom; Rogatianus ist unbekannt. Die beiden baten Hieronymus später auch noch um die Übersetzung des Esra aus dem Hebräischen (Stutt­ garter Vulgata (2007) 638, Z. 1–2 und 11–12). Domnio veranlasste Hieronymus ferner 394 zur Abfassung der beiden Bücher gegen Jovinian (Rebenich (1992) 199–200). Weiteres zu Domnio bei Fürst (2003) 171, zu Rogatianus ebendort 209. 106 Römische Vulgata, Libri Salomonis (1957) 6, Z. 4–5. 107 Schild (1970) 16–18 zeigt, dass Hieronymus in der Mehrzahl seiner Bibelvorreden seine Übersetzungen als Auftragsarbeiten wechselnder Adressaten darstellt. Marti (1974) 47–49 betont, dass solche Aussagen nicht unbedingt den Tatsachen entsprachen, und weist auf den ungewöhnlich hohen Anteil von Schriften hin, die Hieronymus gerade christlichen Damen gewidmet hat.

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dem ihm selber möglicherweise nicht besonders gelegen war108, neu nach der LXX zu übersetzen, von wichtigen Bekannten aus Rom109, die ihn dort als Revisor der Evangelien und der Psalmen schätzen gelernt hatten110 und deren Wohlwollen er sich erhalten wollte111. Einmal mit der Aufgabe warm geworden, ging der Kirchenvater daraufhin selbsttätig zu den „Salomonischen Büchern“ über, die sich ihm als vergleichsweise leichte Aufgabe112 und zugleich als passende Gabe für die Asketinnen Paula und Eustochium empfohlen haben mögen113. Tatsächlich erregte er ihr lebhaftes Interesse, so dass sie Hieronymus nun ihrerseits zu der ambitionierteren Revision der Psalmen anspornten. Was schließlich die Emendation des Hiob betrifft, so lässt der Ausdruck orantibus vobis offen, ob dieses letzte und sachlich schwierigste Unternehmen von den beiden Frauen nur mit Gebet begleitet oder (wie schon die Psalmen) ausdrücklich eingefordert wurde. Insgesamt komme ich also zu dem Ergebnis, dass Hieronymus seine sicher bezeugten Revisionen alttestamentlicher Bücher nach der LXX in der Reihenfolge Chronikbücher, Bücher Salomos, Psalmen und Hiob erarbeitet hat.

108 In dem Programm zur fortschreitenden Bibellektüre, das Hieronymus in ep. 107, 12 skizziert, nehmen die Chronikbücher – wie die anderen Geschichtsbücher – keinen hervorgehobenen Ort ein. Dieser Einschätzung steht m. E. die Aussage des Kirchenvater in der Praefatio zur Emendation der Chronikbücher nach der LXX nicht entgegen (Römische Vulgata, Liber Verborum Dierum (1948) 9, Z. 8–9): [..] quod omnis eruditio Scripturarum in hoc libro continetur, et historiae, vel quae praetermissae sunt in suis locis vel perstrictae leviter, hic per quaedam verborum compendia explicentur. 109 Domnio war einer der römischen Bekannten, die für die Verbreitung von ­Hieronymus’ Werken sorgten: Vgl. Rebenich (1992) 197, der die Bedeutung dieser Kontakte nach Rom herausarbeitet. 110 Vgl. zu Hieronymus als Revisor der Evangelien und des Psalters in Rom Kelly (1975) 86–88. 89, Rebenich (1992) 149–151 und Fürst (2003) 83–84. 86. 111 Zu diesem für Hieronymus wesentlichen Aspekt vgl. Rebenich (1992), z. B. 197, 202–205. 112 In der Vorrede zur Vulgata-Version behauptet er, er habe diese Übersetzung der drei Bücher an drei Tagen erarbeitet (Stuttgarter Vulgata (2007) 957, Z. 9): tridui opus […], interpretationem videlicet trium Salomonis voluminum. 113 Hieronymus widmete um dieselbe Zeit (lt. Kelly (1975) 150 ca. 389, lt. Fürst (2003) 117. 118 etwa 388/9) Paula und Eustochium seinen schon in Rom auf Bitten von Blesilla (ihrer Tochter bzw. Schwester) begonnenen Kommentar zu Kohelet (mit einer neuen Übersetzung hauptsächlich nach dem Hebräischen; vgl. Kelly (1975) 150) „as a handbook to the life of Christian withdrawal“ (Kelly, S. 152). Hieronymus empfiehlt die Lektüre der Salomonischen Bücher auch in seiner ep. 107 an Laeta, in der er ein Erziehungsprogramm für deren Tochter entwirft. In ep. 107, 12 sagt er, man solle mit den Psalmen beginnen, dann die Sprichwörter, Kohelet und Hiob lesen. Dagegen soll das Hohelied erst ganz am Ende der Lektüre stehen, um nicht fleischlich missverstanden zu werden (vgl. Harnack (1912) 89–90). Wenn man von den Chronikbüchern absieht, hat Hieronymus in den Versiones priores also genau die hier für die weibliche Bildung empfohlenen Bibel-Bücher revidiert und sie sämtlich Paula und Eustochium dediziert.

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7.4.3 Hieronymus’ Einschätzung seiner Versiones priores 7.4.3.1 Das Problem Zum Abschluss der Überlegungen über den Stellenwert, der der ersten Hiob-Übersetzung des Hieronymus innerhalb seines Werkes zukommt, liegt ein Blick auf die Beurteilungen nahe, die Hieronymus selbst über seine Versiones priores im allgemeinen und speziell über die erste Hiob-Übersetzung abgegeben hat. Grützmacher machte darauf aufmerksam, dass Hieronymus in dem Verzeichnis seiner eigenen Werke, das er schon im Jahre 393 seiner Schrift De viris illustribus anfügte114, zwar die damals erst begonnene Vulgata-Übersetzung nennt, aber die Versiones priores „merkwürdigerweise überhaupt nicht“ erwähnt115. Später erklärte Grützmacher dieses Schweigen damit, dass Hieronymus an diesem „Torso […] so wenig Freude hatte, dass er im Verzeichnis seiner Werke für die Nachwelt davon schwieg.“116 Diese Erklärung ist m. E. teilweise zutreffend, wenn auch etwas missverständlich formuliert: Der Kirchenvater war mit den (393 vorliegenden) Versiones priores nicht deshalb unzufrieden, weil sie Torso geblieben waren, sondern das Unternehmen war deshalb (noch) Torso, weil Hieronymus mit ihm unzufrieden war. Grützmachers Hinweis reicht jedoch für eine vollständige Antwort auf die Frage, wie Hieronymus im Rückblick über seine Versiones priores geurteilt hat, nicht aus. Wenn nämlich Grützmacher mit seiner These, Hieronymus habe diese ersten Übersetzungen der Nachwelt verschweigen wollen, Recht hätte117, hätte sie der Kirchenvater nicht mehr erwähnen dürfen, sobald er mit der Publikation der Vulgata begonnen hatte. Das ist jedoch nicht der Fall. Grützmacher hat nicht bedacht, dass sich Hieronymus auch nach Beginn des Vulgata-Unternehmens im Rückblick noch mehrfach positiv über die Versiones priores geäußert hat118. Kamesar verweist vor allem auf ep. 106 (also die Verteidigung der Versio prior der Psalmen etwa aus den Jahren 404–410)119. Kamesar merkt darüber hinaus an, dass positive Urteile über die in den Versiones priores vorliegenden Emendationen auch in Vorworten zu den entsprechenden Vulgata-Büchern begegnen120. Dies scheint mir besonders bedeutsam 114 Hieronymus, vir. ill. CXXXV (p. 56–57 Bernoulli). 115 Grützmacher, Bd. 1 (1901) 73. 116 Grützmacher, Bd. 2 (1906) 96. 117 Fürst (2003) 223–225 übersetzt und kommentiert diesen Hieronymus-Text und sagt (225, Anm. 30) vorsichtig, Hieronymus verschweige seine nach der Septuaginta angefertigten Übersetzungen „aus unbekannten Gründen“. 118 Schild (1970) 15. 119 Kamesar (1993) 54: „The information available suggests that he continued to support the Hexaplaric LXX after the publication of IH. From reading his Ep. 106, one gets the impression that he even made a concerted effort to promote the Hexaplaric revision in the West.“ 120 Kamesar (1993) 56, Anm. 60. Zusätzlich nennt er dort auch noch ep. 71, 5 und adv. Rufin. 2, 24; 3, 25.

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zu sein, weil man gerade in Vulgata-Praefationen solche Einschätzungen am wenigsten zu erwarten hätte, wenn es Hieronymus – wie Grützmacher meint – darauf angelegt hätte, dass seine Versiones priores in Vergessenheit gerieten. 7.4.3.2 Die Würdigung der Versiones priores in den Vulgata-Vorreden In Wirklichkeit bemüht sich Hieronymus in allen vier Vorreden zu den korrespondierenden Vulgata-Büchern darum, nicht nur die Vorzüge der neuen Übersetzung aus dem Hebräischen hervorzuheben, sondern gleichzeitig auch die vorangegan­ genen Versiones priores erneut in Erinnerung zu rufen, sie ins rechte Licht zu setzen und somit vor dem Vergessen zu bewahren. Ein Vergleich der vier Vulgata-Vorreden zeigt, dass der Kirchenvater dabei ganz systematisch vorging. Abgesehen von dem an sich schon bedeutsamen Umstand, dass Hieronymus die Versiones priores dort nicht etwa verschweigt, sondern jeweils bewusst ins Spiel bringt121, lassen sich in seiner Strategie der Leserlenkung vier Methoden unterscheiden. Die erste Methode wird in allen vier Vorreden angewandt. Mit ihr will Hieronymus dem Leser deutlich machen, wie er das Verhältnis zwischen der neuen Vulgata und der zuvor publizierten Versio prior auffassen soll. Hieronymus vollzieht hier einen Balanceakt: Er will einerseits den Anspruch vertreten, dass die Vulgata einen Fortschritt darstellt, aber andererseits die Versiones priores nicht entwerten. Zu diesem Zweck verwendet er eine bewusste Sprachregelung: Er unterscheidet einerseits zwischen editio bzw. „Übersetzung“ im prägnanten Sinn von „Neuübersetzung“ und andererseits „Emendation“ im Sinne von „Revision einer früheren Übersetzung“. Dabei suggeriert er durchweg – ohne den Punkt offen anzusprechen –, dass eine Neuübersetzung höheren Wert hat als eine Emendation, dass aber auch eine sorgfältige Emendation eine beachtliche Leistung ist. In diesem Sinn weist Hieronymus in allen vier Vulgata-Vorreden darauf hin, dass er nunmehr eine Neuübersetzung aus dem Hebräischen vorlegt122. Daneben 121 Damit ist dieser Fall nicht mit dem der Commentarioli in Psalmos zu vergleichen, den Risse (2005) 15–18 referiert. Auch die Commentarioli erwähnt Hieronymus in De viris illustribus CXXXV nicht. In diesem Fall liegt die Deutung, er habe sie bewusst verschwiegen, jedoch näher, weil es sonst nur noch einen beiläufigen Hinweis (in adv. Rufin. I, 19, p. 56, 26–27 Lardet) gibt. 122 Im Prologus zur Vulgata der Chronik-Bücher (Stuttgarter Vulgata (2007) 546–547) sagt Hieronymus (546, Z. 3), der Adressat Cromatius habe gewünscht, ut hebraea volumina latino sermone transferrem. Zusammenfassend heißt es schließlich (Z. 19–20): novam (sc. editionem) condidi. Im Prologus zur Vulgata der Salomonischen Bücher (Stuttgarter Vulgata (2007) 957, Z. 9 wird die Vulgata-Übersetzung als interpretatio bezeichnet. In der Praefatio zur Übersetzung der Psalmen aus dem Hebräischen (Stuttgarter Vulgata (2007) 768–769) erinnert Hieronymus daran, dass Sophronius eine Neuübersetzung wünschte (568, Z. 21–22): studiosissime postulasti ut […] novam editionem latino sermone transferrem. Zusammenfassend spricht Hieronymus (Z. 27) von editio mea. In der Praefatio zur Iob-Vulgata (Stuttgarter Vulgata (2007) 731, Z. 15) formuliert Hieronymus: Haec autem translatio nullum de veteribus sequitur interpretem.

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geht er jedes Mal auch auf die entsprechende Versio prior ein und definiert ihr Verhältnis zur Vulgata. Dabei bezeichnet er die Versiones priores der ChronikBücher, der Libri Salomonici und der Psalmen konsequent nur als Emendationen123. Bei den Libri Salomonici und den Psalmen entspricht diese Sprachregelung dem vorsichtigen Ton, den Hieronymus bereits in den Vorreden zu den Versiones priores selbst angeschlagen hatte124. Im Fall der Chronik-Bücher dagegen bedeutet sie eine subtile Abwertung der Versio prior; denn diese hatte Hieronymus ursprünglich – wenn auch geschickt nur aus der Perspektive der Adressaten – als neue Übersetzung höher eingestuft125. Genau umgekehrt verfährt er mit der Versio prior des Buches Hiob. Diese hatte er in der dazugehörigen Vorrede, die sich auf die Erstfassung O. bezog, noch besonders vorsichtig als bloße Revision charakterisiert126. In der Praefatio zum Vulgata-Hiob dagegen wertet er ausgerechnet diese Versio prior zu einer „Übersetzung“ auf127 und stellt sie sogar neben die Vulgata128. Dieses Urteil wäre erstaunlich, wenn er dabei die Erstfassung O. im Auge hätte, die er inzwischen als methodisch verfehlt angesehen haben muss; es bestätigt aber die obigen Analysen, wonach sich Hieronymus bewusst dazu entschied, in den revidierten Fassungen S. und T. eine Übersetzung aus dem Griechischen zu schaffen, die neben der Vulgata bestehen konnte. Die anderen drei Methoden, mit denen Hieronymus in den Vulgata-Vorreden auch die entsprechenden Versiones priores zur Sprache bringt, sollen dem Leser sämtlich suggerieren, auch die früheren Übersetzungen seien nach wie vor von Interesse. Es fällt auf, dass Hieronymus diese Methoden sparsamer dosiert als die erste und jede nur zweimal verwendet. Ein Kunstgriff des Kirchenvaters besteht darin, beim Leser Neugier auf die entsprechende Versio prior zu wecken. Dies Ziel erreicht er dadurch, dass er in der Vulgata-Vorrede interessante Informationen über die Versio prior nachträgt, die er in 123 Im Prologus zur Vulgata der Chronik-Bücher (Stuttgarter Vulgata (2007) 546–547) sagt Hieronymus im Rückblick auf die Versio prior (547, Z. 35–36): Ceterum memini editionem Septuaginta translatorum olim de graeco emendatam tribuisse me nostris. Im Prologus zur Vulgata der Salomonischen Bücher (Stuttgarter Vulgata (2007) 957) betont er, die Versio prior sei nur eine verbesserte Fassung der LXX (Z. 22–23): Si cui same Septuaginta interpretum magis editio placet, habet eam a nobis olim emendatam. Dieselbe Aussage steht auch in der Praefatio zur Übersetzung der Psalmen aus dem Hebräischen (Stuttgarter Vulgata (2007) 568, Z. 31- 569, Z. 1): Nec hoc dico, quo praecessores meos mordeam […]  quorum translationem diligentissime emendatam olim meae linguae hominibus dederim. 124 Vgl. oben Anm. 98 und 99. 125 Vgl. oben S. 141 mit Anm. 96–97. 126 Vgl. oben Anm. 100. 127 Prologus sancti Hieronymi in libro Iob (Stuttgarter Vulgata (2007) 731, Z. 12–13): ante eam translationem quam sub asteriscis et obelis nuper edidimus. 128 So schon Trenkler (2017) 22.  Hieronymus schreibt (Stuttgarter Vulgata (2007) 732, Z. ­51–52): Utraque editio, et Septuaginta iuxta Graecos et mea iuxta Hebraeos, in latinum meo labore translata est. Ähnlich 404 in ep. 112, 19 an Augustin (= Augustin, ep. 75, 19): ibi graeca transtulimus, hic de ipso hebraico, quod intellegebamus, expressimus.

Der Weg zur Versio iuxta Graecos und Versio iuxta Hebraeos

147

der Praefatio zu der ersten Version noch nicht erwähnt hatte. Diese Methode gebraucht Hieronymus nur im Vorwort zum Vulgata-Hiob, dort aber gleich zweimal. Erstens rühmt er sich erst dort, er habe in der Versio prior im Gegensatz zu der Vetus Latina-Übersetzung nicht weniger als etwa 700 oder 800 Verse unter Asterisken nachgetragen129: [… ] praecipue in Iob, cui si ea quae sub asteriscis addita sunt subtraxeris, pars maxima detruncabitur. Et hoc dumtaxat apud Graecos. Ceterum apud Latinos ante eam translationem quam sub asteriscis et obelis nuper edidimus, septingenti ferme aut octingenti versus sunt, ut decurtatus et laceratus conrosusque liber foeditatem sui publice legentibus praebeat. In der Praefatio zur Versio prior selbst hatte er sich dagegen nur in allgemeiner Form damit gebrüstet, er habe Hiob das zurückgegeben, was er zuvor verloren hatte130. Zweitens erinnert Hieronymus erst in der Vulgata-Vorrede daran, für die Versio prior gegen teures Geld einen jüdischen Gelehrten aus Lydda131 als Helfer herangezogen zu haben132: Memini me ob intellegentiam huius voluminis lyddeum quemdam praeceptorem qui apud Hebraeos primas habere putabatur, non parvis redemisse nummis. Davon hatte er in der Praefatio zur Versio prior überhaupt noch nicht gesprochen. Eine weitere Methode, um den Leser für die Versiones priores zu interessieren, wendet Hieronymus in zwei anderen Vulgata-Vorreden an: Dort lässt er den Anspruch einfließen, er habe mit der betreffenden Versio prior seinen Zeitgenossen ein Geschenk gemacht. Im Prologus zu den Chronik-Büchern der Vulgata schreibt er133: Ceterum ­memini editionem Septuaginta translatorum olim de graeco emendatam tribuisse me nostris. In der entsprechenden Vorrede zu den Psalmen heißt es noch selbstbewusster134: Nec hoc dico, quo praecessores meos mordeam, aut quicquam de his arbitrer detrahendum quorum translationem diligentissime emendatam olim meae linguae hominibus dederim.

129 Prologus in libro Iob (Stuttgarter Vulgata (2007) 731, Z. 10–14). 130 Prologus iuxta emendationem Grecam (Römische Vulgata (1951) 75, Z. 10–12): Quomodo enim probationi atque victoriae ipsius dupliciter universa reddita sunt, ita ego in lingua nostra,­ audacter loquor, feci eum habere quae amiserat. 131 Stemberger (1987) 218 weist darauf hin, dass es sich nicht um einen Rabbiner gehandelt haben muss. Zur möglichen Präsenz einer rabbinischen Schule in Lydda vgl. ebenda S. 216 und 218. 132 Prologus in libro Iob (Stuttgarter Vulgata (2007) 731, Z. 20–23). Dass sich diese Reminiszenz auf die Versio prior, nicht auf die Hiob-Vulgata bezieht, wird bewiesen durch eine vergleichbare Formulierung in der Vorrede zu den Chronik-Büchern der Vulgata, wo Hieronymus ebenfalls auf seine erste Übersetzung dieser Bücher zurückverweist (Stuttgarter Vulgata (2007) 547, Z.  35–36): Ceterum memini editionem Septuaginta translatorum olim de graeco emendatam tribuisse me nostris. 133 Stuttgarter Vulgata (2007) 547, Z. 35–37. 134 Stuttgarter Vulgata (2007) 768–769, Z. 31–33.

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Hieronymus’ Erstfassung O. und die Fassungen S. T. B. 

Die vierte Methode des Hieronymus besteht darin, die ungebrochene Aktualität seiner Versiones priores zu unterstreichen. Sie findet sich in den beiden restlichen Vulgata-Vorworten. Hier richtet sich Hieronymus ausdrücklich an Kritiker, die seine Übersetzungen aus dem Hebräischen ablehnen. Ihnen empfiehlt er die Versiones priores als Alternative. So schreibt er im Prologus zur Vulgata-Fassung der Salomonischen Bücher135: Si cui Septuaginta interpretum magis editio placet, habet eam a nobis olim emendatam; neque enim sic nova condimus ut vetera destruamus. Eine ähnliche Empfehlung formuliert er in der Vorrede zum Vulgata-Hiob136: Utraque editio, et Septuaginta iuxta Graecos et mea iuxta Hebraeos, in latinum meo labore translata est. Eligat unusquisque quod vult et studiosum se magis quam malivolum probet. Man kann die letztgenannten vier Passagen als weitere Belege dafür deuten, dass Hieronymus zu öffentlicher Selbstkritik nicht bereit war, sondern sich jederzeit als überlegenen Geist und Bibel-Philologen zu inszenieren suchte137. Die beiden Stellen mit der Empfehlung, die Kritiker der Vulgata sollten sich ersatzweise an die Versiones priores halten, interpretiert Markschies als Mischung von zunehmender Resignation und zugleich wissenschaftlichem Optimismus138: Hieronymus „überlässt dem Leser schon Anfang der neunziger Jahre die Wahl zwischen seinen beiden Editionen aus dem Griechischen oder Hebräischen – vielleicht noch in der leisen Hoffnung, die philologische Evidenz werde die Menschen zur Hebraica Veritas bringen.“ Beide Passagen lassen sich m. E. aber zugleich auch noch anders verstehen – nämlich als ironische Abfuhr: Wenn die Kritiker zu beschränkt sind, um die Vorzüge der Vulgata-Fassungen nach dem Hebräischen zu würdigen, kann Hieronymus ihnen nur die (letztlich zweitrangigen) Versiones priores empfehlen, die ihren Erwartungen eher entsprechen. Solche Ironie fände eine – allerdings noch bissigere – Parallele in einem späteren Brief des Hieronymus an Augustin139. Dort legt er ihm nahe, alle durch Asterisken gekennzeichneten Ergänzungen, die Origenes im Rückgriff auf Theodotion in seiner hexaplarischen Rezension der LXX angebracht hatte, aus seinen Bibelexemplaren zu streichen und sich mit den verbleibenden (sc. sinnlosen) Fragmenten zu begnügen, wenn er denn allein die alten Übersetzer bzw. Versionen gelten lassen wolle: et miror, quo modo septuaginta interpretum libros legas non puros, ut ab eis editi sunt, sed ab Origene emendatos siue corruptos per obelos et asteriscos et christiani hominis interpretatiunculam non sequaris, praesertim cum ea, quae addita sunt, ex hominis Iudaei atque blasphemi post passionem Christi editione transtulerit. uis amator esse uerus septuaginta interpretum? non legas ea, quae sub asteriscis 135 Stuttgarter Vulgata (2007) 957, Z. 22–23. 136 Stuttgarter Vulgata (2007) 732, Z. 51–53. 137 Vgl. zu diesem Charakterzug Rebenich (1992) passim, bes. 203–205. 138 Markschies (1994) 178. 139 ep. 112, 19 (= Augustin ep. 75, 19) (datiert von Divjak (2002) 933 mit Anm. 127 (S. 937) „nach dem 9.6.404“).

Der Weg zur Versio iuxta Graecos und Versio iuxta Hebraeos

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sunt, immo rade de uoluminibus, ut ueterum te fautorem probes. quod si feceris, omnes ecclesiarum bibliothecas condemnare cogeris. uix enim unus aut alter inuenietur liber, qui ista non habeat. 7.4.3.3 Fazit zu Hieronymus’ Urteil über die Versiones priores Insgesamt komme ich aufgrund der vorgetragenen Erwägungen zu einem anderen Ergebnis als Grützmacher. Während dieser meinte, Hieronymus habe die Versiones priores angesichts der Vulgata so negativ beurteilt, dass er sie der Nachwelt verschweigen wollte, scheint mir Hieronymus’ Selbsteinschätzung nuancierter zu sein. Ich kann mich nicht entschließen, die differenzierten positiven Aussagen über die Versiones priores, die sich in allen vier Vorreden zu den korrespondierenden Vulgata-Büchern finden, einfach in Bausch und Bogen als Belege für Hieronymus’ bekannte Neigung zum Selbstlob abzutun. Dass freilich solche Töne auch hier nicht fehlen, habe ich gezeigt. Aber allein der Umstand, dass Hieronymus von sich aus in allen vier einschlägigen Prologen der Vulgata auch auf die Versiones priores zu sprechen kommt, deutet m. E. darauf hin, dass er diese frühen Übersetzungen tatsächlich hoch genug schätzte, um ihre Berechtigung gegenüber der Vulgata zur Geltung zu bringen. Ich meine seine ehrliche Überzeugung zu hören, wenn er zwar der Vulgata als Neuübersetzung den Vorrang einräumt, daneben aber auch konsequent die Versiones priores als sorgfältige Emendationen würdigt. Man sollte ihm auch zugestehen, dass seine Bemühungen, die Chronik-Bücher und das Buch Hiob mit Hilfe jüdischer Gelehrter für die Versiones priores durchzuarbeiten, bahnbrechende Leistungen waren, auf die er mit berechtigtem Stolz zurückblicken durfte. Schließlich beweisen die zahlreichen Formulierungen, die er aus den Versiones priores des Hohen Liedes und besonders des Hiob unverändert in die Vulgata übernommen hat140, dass er viele Ergebnisse der früheren Versionen auch später noch für richtig hielt. Insofern beruht das Lob, das er gerade der Versio prior des Hiob im Vulgata-Prolog spendet, m. E. durchaus auf innerer Überzeugung und wird seiner Leistung auch objektiv gerecht.

140 Für das Hohelied vgl. Vaccaris Schlussbemerkung (S. 31) zu seiner Edition von 1959. Die zahlreichen Übernahmen im Buch Hiob weist Erbes in seiner Edition (1950) (S. 17–124) durch schwarze Unterstreichungen nach.

Erster Teil (Kapitel 1–7): Hieronymus’ Erstfassung O. und die Fassungen S. T. B. Zusammenfassung  Teil I ist in zwei Schritte gegliedert: Die Kapitel 1–5 dienen der Feststellung von Phänomenen, die Kapitel 6 und 7 deren Deutung und Einordnung in die Übersetzungstätigkeit des Hieronymus. Kapitel 1 fasst zwei Einsichten zusammen, die in der vorliegenden Arbeit bereits vorausgesetzt werden: Die Textfassung des Turonensis (T.) ist verglichen mit der Erstfassung O., die Augustin in den Adnotationes in Iob kommentierte, eine revidierte Version aus der Hand des Hieronymus selbst. Ferner unterscheidet sich die Erstfassung O. nicht nur von T., sondern auch von den beiden anderen – in einem Codex Sangallensis (S.) und einem Codex Bodleianus (B.) – separat überlieferten Fassungen durch Doppelübersetzungen einzelner Verse. In Kapiteln 2 und 3 zeigte sich, dass Hieronymus bei den Revisionen seiner Erstfassung O. hauptsächlich zwei Ziele verfolgte: Statt der in O. häufig benutzten hebräischen und griechischen Nebenüberlieferungen zog er jetzt in beiden Sprachen die besser bezeugten Hauptüberlieferungen heran. Ferner reduzierte er den Einfluss hebräischer Vorlagen, der in O. eine besondere Rolle gespielt hatte, zugunsten griechischer Texte. Dabei revidierte er auffällig häufig seine Erstinterpretation hebräischer Tempusfunktionen im Licht der griechischen Übersetzungen. Die Ergebnisse der Kapitel 4 und 5 bestätigen die Befunde aus den Kapiteln 2 und 3: In keinem Fall ist eine Nebenüberlieferung im Spiel. Die Mehrheit der Stellen beruhte von Anfang an auf der griechischen Hauptüberlieferung. Dass Hieronymus auch solche Verse revidierte, verdeutlicht, dass sich seine Selbstkritik nicht nur auf die hebräischen Texte, sondern auch die Nuancen der griechischen Vorlagen bezog. In den wenigen Fällen, in denen er auch bei der Revision am hebräischen Text als Basis festhielt, bot die griechische Überlieferung keine inhaltlich überzeugenden Alternativen. Darüber hinaus zeigte sich die Spannweite der Motive, die Hieronymus bei seinen Revisionen bewegten: Der Bogen reicht von der Sensibilität für sprachliche Details über das Interesse an dogmatisch relevanten Bezügen bis hin zur inhaltlichen Auseinandersetzung mit dem Text, die so weit gehen kann, die Überlieferung geradezu auf den Kopf zu stellen. Schließlich wurde ein Aspekt deutlich, der für Hieronymus’ Arbeitsweise besonders charakteristisch ist – seine Neigung zu eklektischen Konflationen. Hieronymus hat nicht immer eindeutig zwischen seinen hebräischen und griechischen Vorlagen unterschieden, sondern teilweise mehrere solcher Vorlagen miteinander kombiniert. Gelegentlich meint man auch noch ein Echo der alten lateinischen Hiob-Übersetzungen zu vernehmen, die er in der Versio prior emendieren wollte.

Erster Teil (Kapitel 1–7): Zusammenfassung 

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All diese Facetten vermitteln einen Eindruck davon, wie eklektisch Hieronymus bei der Erarbeitung seiner ersten Hiob-Übersetzung verfuhr. Gerade schwierigen Stellen versuchte er teilweise mit auffälligen Konflationen von Details aus griechischen und hebräischen Vorlagen einen Sinn zu entlocken. In Kapitel 6 wurden die zuvor gesammelten Beobachtungen für die Frage ausgewertet, in welchem Verhältnis die in S. und B. überlieferten Textfassungen zur Erstfassung O. und der revidierten Fassung T. stehen. Es bestätigte sich, dass T. die von Hieronymus erarbeitete Endfassung der Versio prior darstellt. Der Text von S. dagegen ließ sich auf eine erste, sehr weitgehende Revision durch Hieronymus zurückführen. Bei S. handelt es sich also eine Zwischenstufe zwischen O. und T. Da S. im Unterschied zu O. und T. keine aristarchischen Zeichen aufweist und anders als T. und B. auch ohne den zugehörigen Prolog des Hieronymus überliefert ist, war die Fassung vielleicht ursprünglich nur ein Arbeitsexemplar des Übersetzers, das nicht zur Veröffentlichung vorgesehen war. Sowohl in S. als auch in T. ließ sich noch eine spätere Schicht S. II bzw. T. II unterscheiden, die nicht von Hieronymus stammt. Der Text von B. erwies sich als eine Konflation von Details aus O. und vor allem aus T., die nicht von Hieronymus, sondern von einem Späteren stammt. Möglicherweise handelt es sich bei B. um einen ersten Versuch, die Versio prior zu edieren, weil man nicht mehr wusste, dass Hieronymus die Erstfassung O. durch die revidierte Endfassung T. hatte ersetzen wollen. Wenn B. damit auch nicht mehr gleichberechtigt neben O., S. und T. steht und überdies viele Fehler enthält, bleibt sein Text trotzdem weiterhin von großem textkritischem Interesse, weil er stellenweise sonst verlorene Lesarten der Erstfassung O. bewahrt hat. Das Kapitel 7 enthält den Versuch, die bisherigen Einzelbeobachtungen über die drei Revisionsstufen der Hiob-Versio prior zu einem kohärenten Gesamtbild zusammenzuführen und die erste Hiob-Übersetzung sachlich und chronologisch einerseits zu den anderen Versiones priores und andererseits zur Hiob-Vulgata ins Verhältnis zu setzen. Die Erstfassung O. zeichnete sich besonders durch folgende vier Züge aus: Hieronymus zog zur Revision des altlateinischen Hiob nicht nur griechische, sondern auch erstaunlich viele hebräische Texte heran; er war fasziniert von randständigen Textvarianten; er kombinierte seine Vorlagen vielfach eklektisch und schlug für manche Verse mehr als eine Übersetzung vor. Diese charakteristischen Phänomene wurden so gedeutet, dass Hieronymus in O. den Plan verfolgte, mit Hilfe des in Origenes’ Hexapla vorliegenden Materials eine vorbildliche lateinische HiobVersion zu schaffen. Dabei suchte er sein Vorbild Origenes womöglich noch zu übertreffen, um nunmehr sein Meisterstück als Bibelphilologe vorzulegen. Die anderen Versiones priores erscheinen in dieser Perspektive als vorbereitende Gesellenstücke. Bei der großen Revision in S. reduzierte Hieronymus die Abhängigkeit von hebräischen Vorlagen und orientierte sich stattdessen stärker an den griechischen

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Hieronymus’ Erstfassung O. und die Fassungen S. T. B. 

Versionen. Zugleich bevorzugte er fortan die etablierten Hauptüberlieferungen. Nicht zuletzt eliminierte er in S.  alle Doppelübersetzungen und legte sich auf je eine einzige Formulierung fest. Diese Phänomene wurden so gedeutet, dass Hieronymus seine in O. praktizierte eklektische Methode inzwischen als verfehlt ansah und einen neuen Plan verfolgte – nämlich eine neue Übersetzung direkt nach dem Hebräischen anzufertigen und parallel dazu die Hiob-Versio prior zu einer lateinischen Fassung der griechischen Hiob-Überlieferung umzuarbeiten. In dieser Perspektive erscheint der Schritt von O. zu S. als Wendepunkt in Hieronymus’ Entwicklung als Bibelübersetzer und als Weichenstellung in Richtung einer methodisch bewussteren und solideren Philologie. In der Endfassung T. wurden typische Züge einer Schlussredaktion beobachtet; hinzu kamen eine vorsichtige Wiederannäherung an hebräische Vorlagen und manche Formulierungen, die auch in der Neuübersetzung aus dem Hebräischen wieder auftauchen. Diese Phänomene wurden als Bestätigung dafür gedeutet, dass Hieronymus in der Endphase seiner Arbeit an der Versio prior die parallele Neuübersetzung iuxta Hebraeos zumindest schon fest im Blick hatte. Zwei Fragen blieben offen. Es ließ sich nicht klären, ob Hieronymus die End­ fassung T. der Versio prior vor oder neben der Vulgata-Version des Buches Hiob erarbeitet hat. Es fand sich auch keine Lösung für das viel diskutierte Problem, ob er nach der Hiob-Versio prior noch weitere Emendationen alttestamentlicher Bücher iuxta Graecos angefertigt hat. Dagegen sprachen gute Gründe dafür, dass Hieronymus die noch erhaltenen bzw. die sicher bezeugten Versiones priores in der Reihenfolge Chronik-Bücher –­ Libri Salomonici  – Psalmen  – Hiob erarbeitete. Somit erwies sich die Hiob-Versio prior erneut als letztes Glied dieser Serie. Ebenso ließ sich zeigen, dass Hieronymus seine Versiones priores später nicht etwa verschweigen wollte, sondern mehrere Strategien entwickelte, um ihren bleibenden Wert als eigenständige Emendationen bzw. Übersetzungen iuxta Graecos neben seiner Neuübersetzung iuxta Hebraeos zu verteidigen.

Zweiter Teil: Reste von O. außerhalb von Hieronymus’ und Augustins Werken

D. Glossen in spanischen Vulgata-Bibeln: Kapitel 8–9 Vorbemerkungen zu den Kapiteln 8–9 Im ersten Teil dieser Arbeit ging es darum, das besondere Profil der Erstfassung O. der ersten Hiob-Übersetzung des Hieronymus im Unterschied zu den späteren Fassungen S., T. und B. sowie zur Vulgata herauszuarbeiten. Der Rest dieser Arbeit gilt dem Versuch, zur Vorbereitung einer Edition weitere Spuren von O. zu identifizieren. Während die Fassungen S., T. und B. jeweils mehr oder weniger vollständig in direkter Überlieferung erhalten sind, ist das bei der Erstfassung O. nicht der Fall. Sie ist nach bisheriger Kenntnis nur indirekt in den Lemmata von Augustins Adnotationes in Iob überliefert. Diese Tradition ist jedoch sehr unvollständig: Zum einen hat Augustin längst nicht alle Hiob-Verse in seinem Kommentar zitiert. Zum andern haben, wie Trenkler nachgewiesen hat, die Bearbeiter der beiden überlieferten Rezensionen des Werkes die Hiob-Lemmata der Erstfassung O. stellenweise gegen Lemmata der von Hieronymus revidierten Fassung T. ausgetauscht oder sogar frei nach eigenem Ermessen überarbeitet. Einen vollständigen Text von O. gibt es also nicht. Da jedoch eine künftige Edition von Hieronymus’ erster Hiob-Übersetzung unvollständig und wenig aussagekräftig wäre, wenn sie nur die drei Fassungen S., T. und B. enthielte, muss im Vorfeld geklärt werden, in welchem Umfang noch weitere Reste von O. bei Augustin und bei anderen Kirchenvätern aufzufinden sind. Bisher hat man diese Aufgabe noch nicht so präzise wie eigentlich nötig definiert, weil man nicht wahrgenommen hat, dass die Fassungen O., S. und T. verschiedene Revisionsstufen der Versio prior repräsentieren. Überdies ist man bisher immer von der Voraussetzung ausgegangen, auch B. sei eine Primärquelle und stehe mit S. und T. auf einer Stufe. Deshalb sind die Hinweise auf Zitate der Versio prior in der patristischen Literatur bei Ziegler, Vattioni und Bogaert zwar sehr hilfreich, aber für unsere Zwecke noch zu undifferenziert. Für die geplante Edition muss man deshalb Kirchenväterzitate aus der Versio prior noch nach ihrer Herkunft aus den Fassungen O., S., T. oder B. zu differenzieren suchen. Das hier abgesteckte Forschungsfeld erweist sich als so umfänglich, dass es im Rahmen dieser Arbeit nur in Teilen bearbeitet werden kann. In den folgenden Kapiteln 8–9 werte ich deshalb zunächst eine Quelle für O. aus, die sich als besonders ergiebig erweist – die von Vattioni publizierten Glossen zu drei spanischen Vulgata-

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Reste von O. außerhalb von Hieronymus’ und Augustins Werken 

Bibeln. Sie eignen sich auch deshalb als Einstieg in die Fragestellung, wieweit sich in patristischen Texten noch Reste von O. auffinden lassen, weil sie nicht nur die Möglichkeiten, sondern auch die Grenzen für solche Untersuchungen besonders deutlich hervortreten lassen.

D. Glossen in spanischen Vulgata-Bibeln: Kapitel 8–9 Kapitel 8: Die Glossen spanischer Bibeln als Zeugen für O.  8.1 Die beiden Gruppen von Hiob-Glossen in spanischen Bibeln Eine ganze Reihe spanischer Vulgata-Bibeln enthält Randglossen mit Vetus LatinaLesarten zum Hiob-Text. Aufgrund ihrer Textfassungen zerfallen diese altlateinischen Randnoten in zwei deutlich unterschiedene Gruppen.

8.1.1 Von Ziegler edierte Glossen Eine erste Gruppe wurde 1980 von Joseph Ziegler ediert1. Ziegler hat zwar hier und da darauf hingewiesen, dass diese Randnoten manche Berührungen mit der ersten Hiob-Übersetzung des Hieronymus zeigen2, hat sich aber im Übrigen nicht näher zum Verhältnis zwischen den Glossen und der Versio prior geäußert. Ich glaube nun zeigen zu können, dass die von Ziegler edierten Glossen eine jener Vetus Latina-Versionen des Buches Hiob repräsentieren, die Hieronymus in seiner Versio prior emendieren wollte. Obwohl diese Randnoten also interessante Einblicke in die Arbeitsweise des Hieronymus bieten, können sie nicht zur Rekonstruktion verlorener Stellen der Erstfassung O. der Versio prior herangezogen werden. Ich gehe daher nur in einem Anhang auf sie ein3.

8.1.2 Von Vattioni publizierte Glossen Anders steht es mit der zweiten Gruppe von Hiob-Glossen. Sie sind in drei Vulgata-Bibeln enthalten, die in León4, in Burgos5 und in Toledo6 erhalten geblieben sind7. Hier handelt es sich vielfach eindeutig um Lesarten, die der Versio prior

1 Ziegler, Randnoten aus der Vetus Latina des Buches Iob in spanischen Vulgatabibeln (Bayerische Akademie der Wissenschaften, Philosophisch-historische Klasse 1980, 2), München 1980. 2 Vgl. Ziegler (1980) 12. 13. 18. 43–44 (er verweist auf die Versio prior mit dem Kürzel La). 3 Vgl. Anhang B. 4 León, Archivo Catedralicio 6, geschrieben wohl 920 bei León: Vgl. Gryson (1999) 314–315, No. 193. 5 Burgos, Seminario de San Jerónimo s. n., 1. Hälfte des 10. Jh. (sogen. Bibel von Cardeña): Vgl. Gryson (1999) 317, No. 194A. 6 Toledo, Catedral, Biblioteca del Cabildo 2–2, 10.  Jh. Spanien: Vgl. Gryson (1999) 248, No. 162. 7 Der hier interessierende besonders alte Codex aus León (Legionensis) mit Glossen der Versio prior liegt im Kathedralarchiv. Er ist nicht zu verwechseln mit zwei anderen Codices aus León, deren Glossen in Zieglers Publikation enthalten sind. Sie liegen beide in S. Isidoro: der Codex Go­ thicus Legionensis und der Codex 1. 3. Vgl. Ziegler (1980) 7.

156

Reste von O. außerhalb von Hieronymus’ und Augustins Werken 

des Hieronymus entnommen sind8. Es ist aber zunächst nicht deutlich, wieweit die Glossen einer der drei verschiedenen Revisionsstufen der Versio prior – also O., S. oder T. – bzw. den Exzerpten aus O. und T. in B. zuzuordnen sind. Um also diese zweite Gruppe von Glossen für die Rekonstruktion der verlorenen Erstfassung O. der Versio prior auswerten zu können, muss die Frage geklärt werden, in welchem Ausmaß in diesen Randnoten überhaupt Lesarten von O. zu identifizieren sind. Dieser Aufgabe sind die folgenden beiden Kapitel gewidmet. Vorarbeiten für diese Untersuchung liegen nicht vor, weil erst Trenkler jüngst gesehen hat, dass die Erstfassung O. der Versio prior von der Endfassung T. zu unterscheiden ist9. Zwar hat bereits Samuel Berger 1895 auf die Glossen im Codex Toletanus hingewiesen10. Er war sich aber so sicher, dass ihr Text „presque identique“ mit den Lesarten der Hieronymus-Codices Turonensis und Bodleianus sei11, dass er sich damit begnügte, beispielshalber und ohne weitere Erörterungen oder Anmerkungen nur eine kleine Auswahl von neun Glossen zu publizieren12. Nach weiteren, mir nicht zugänglichen Arbeiten zum Thema von Ayuso Marazuela und Tome13 hat erst 1996 der Orientalist Francesco Vattioni eine Gesamtkollation der Glossen nach Mikrofilmen der Abbazia di San Girolamo in Rom publiziert14, und zwar je einzeln für die drei Bibeln von Toledo, Burgos und León15 (im Folgenden mit den Abkürzungen To., Bu. und Le. zitiert). Vattioni hat die Glossen aber nicht für eine Rekonstruktion der Versio prior ausgewertet, sondern versteht seine Arbeit als Stoffsammlung und Stimulus für weitere Forschungen zum HiobText16.

8 Vattioni (1996) 13. 9 Trenkler (2017). 10 Samuel Berger, Notice sur quelques textes latins inédits de l’Ancien Testament, in: Notices et extraits des manuscrits de la Bibliothèque Nationale et autres bibliothèques 34/2, Paris 1895, ­119–152, dort 132–133. 11 Berger (1895) 133. 12 Berger (1895) 133. 13 Verzeichnet von Vattioni (1996) 15 mit Anm. 76. Er verweist auf eine unpublizierte Tesi di Laurea von P. Tome (Madrid 1977), die eine edición crítica enthält. 14 Francesco Vattioni, Per il testo di Giobbe, Annali del Istituto Universitario Orientale, Supplemento 89, Neapel 1996. Zu Vattionis mehrfachen Kollationen der Photographien vgl. S.  25. 27. 29.– Vattionis Publikation erfolgte zu spät, um noch in Grysons Katalog der Altlateinischen Handschriften (veröffentlicht 1999) berücksichtigt zu werden. 15 Der Toletanus ist kollationiert auf den Seiten 25–26, der Codex von Burgos auf den Seiten 27–28 und der Legionensis auf Seite 29. 16 Vattioni (1996) 13.

157

Die Glossen spanischer Bibeln als Zeugen für O.  

8.2 Die zweite Gruppe stammt aus der Versio prior Zunächst ist zu beweisen, dass die Hiob-Glossen in den drei spanischen Bibeln Le. Bu. To. überhaupt der Versio prior entstammen. Dazu sind in der folgenden Tabelle die zahlreichen Glossen gesammelt, die – gelegentlich mit minimalen Abweichungen – denselben Wortlaut wie Augustins Zitate in den Adnotationes und die drei Hieronymus-Codices S. T. B. aufweisen. Die Übersicht beweist zudem, dass die Glossen alle auf eine gemeinsame Quelle zurückgehen17: 18 19 20 21 22 23 24 Hiob Kap. /  Vers

Glosse steht in

Wortlaut Glosse

adn. Wortlaut Sei. / Zei. adn. = O. Zy

Wortlaut Hieronymus-Codices S. T. B.

4, 11a18

Le.

mirmicoleon

513, 17

myrmicoleon

mirmicoleon

4, 17a

To.19

numquid homo ­ coram domino mundus erit

514, 11– 12

numquid homo coram domino mundus erit

numquid homo coram domino mundus erit

5, 22b

Le.

hinc et aferocientes bestias

517, 16

et ferocientes bestias non timebis

et ferocientes20 bestias non timebis

6, 16a

To.21

qui me metuebant nunc inruerunt super me

520, 8–9

qui me metuebant nunc inruerunt super me

qui me metuebant nunc inruerunt22 ­super me

6, 21b

Le. Bu. To.23

sed videntes vulnus meum timete

520, 17– 18

sed uidentes uulnus meum timete

* S.24 fehlt

T. B. sed uidentes uulnus meum ­ timete

17 Für einen Bindefehler (loquens statt richtig eloquens), der diesen Schluss stützt, vgl. unten S. 190 zu Iob 11, 2b. 18 Zum Myrmicoleon in Iob 4, 11 und zur Geschichte seiner Auslegung vgl. das reiche von Ciccarese (1994) gesammelte Material. Kürzer und noch ohne Kennnis von Ciccareses Aufsatz: Bertrand (1996) 222–224. 19 Diese Glosse wurde schon von Berger (1895) 133 publiziert. 20 S. ferrotientes. 21 Diese Glosse wurde schon von Berger (1895) 133 publiziert, aber mit der Fehllesung metuebunt statt des richtigen metuebant. 22 T. B. irruerunt. 23 Diese Glosse wurde schon von Berger (1895) 133 publiziert. 24 Zur Vorbereitung eines späteren Schrittes meiner Argumentation hebe ich sachlich wesentliche Abweichungen, die allein im Hieronymus-Codex S. vorliegen, schon in dieser Tabelle durch einen Asterisk * hervor. Bloße Orthographica stehen in Fußnoten.

158 25 26 27 28 29

Reste von O. außerhalb von Hieronymus’ und Augustins Werken 

Hiob Kap. /  Vers

Glosse steht in

Wortlaut Glosse

adn. Wortlaut Sei. / Zei. adn. = O. Zy

Wortlaut Hieronymus-Codices S. T. B.

7, 12a

Le. Bu.

aut draco

523, 16

utrumne mare sum ego aut draco?

* S. utrumne mare sum aut drago?

T. B. utrumne mare sum ego aut draco ?

9, 6a

To.

a fundamentis

527, 7–8

qui commo­uet orbem a fundamentis

* S. qui commouit orbem a funda­ mentis

T. B. qui commouet ­ orbem a funda­ mentis

10, 1b

To.

proferam

531, 6

proferam contra me sermones

proferam contra me sermones meos

19, 8b

Le. Bu. To.

Le. Bu. in vultu To. in vultu meo

548, 8–9

in uultu meo tenebras posuit

in uultu meo tenebras posuit

19, 13c

Le. To.

inmisericordes facti sunt

548, 20

et amici mei inmisericordes facti sunt

et amici mei inmisericordes facti sunt

19, 25

Le. To.25

quia eternus est qui me (To. om. me) resoluturus est

549, 24– 25

scio enim quia ­ aeternus est qui me resoluturus est

scio enim quia aeternus est qui me resoluturus26 est

21, 6b

Le.

et tenentur carnes mee doloribus

553, 4–5

et tenentur carnes meae doloribus

et tenentur27 carnes meae doloribus

22, 20

To.

erue innocentem et salvaberis in munditia manuum tuarum

556, 8–9

erue innocentem et salvaberis 28 munditia manuum tuarum

erue innocentem et saluaberis

propterea ad eum festinavi et commonitus sollicitus fui de eo

557, 16

23, 15

Bu. To.

18–19

propterea ad eum festinaui et commonitus sollicitus fui de eo

25 Die Glosse in To. wurde schon von Berger (1895) 133 publiziert. 26 S. resoluiturus. 27 Im Turonensis steht über tenentur die Varia lectio terentur. 28 Zychas Konjektur wird durch die Glosse als richtig erwiesen. 29 S. commonitas.

* S. in mundi­ tiam ­ manum tuarum

T. B. in mun­ditia manuum tuarum

propterea ad eum festinaui et commonitus29 sollicitus fui de eo

159

Die Glossen spanischer Bibeln als Zeugen für O.   30 31 32 33 34

Hiob Kap. /  Vers

Glosse steht in

Wortlaut Glosse

adn. Wortlaut Sei. / Zei. adn. = O. Zy

24, 1

To.

quare dominum non latuerunt ore

558, 1

24, 2a

impii autem nescierunt dies eius

Wortlaut Hieronymus-Codices S. T. B.

quare dominum quare dominum non non latuerunt ­horae latuerunt horae30, übersprungen

impii autem nescierunt dies eius?

26, 13a

Bu. To.

claustra celi metuunt (Bu. metunt31) eum

563, ­12–13

et claustra caeli metuunt eum

et claustra caeli metuunt eum

29, 19b

Bu.

in messe mea

571, ­14–15

et ros morabitur in messe mea

et ros morabitur in messe mea

30, 17b

Bu.

et nervi mei disso­ luti sunt

575, ­23–24

et nerui mei dissoluti sunt

et nerui mei disso­ luti sunt

31, 33

To.

quod si et (?) sponte peccans abscondi peccatum meum

579, ­19–20

quodsi et sponte peccans abscondi peccatum meum

quod si et sponte peccans abscondi ­ peccatum meum

35, 11a

Bu. To.

qui separat me a qua- 585, ­27–28 drupedibus terre

qui separat me a quadrupedibus terrae

qui separat32 me a quadrupedibus terrae33

36, 12b

To.

et quum monerentur inobedientes erant

589, ­18–19

et quum moneren- et cum monerentur tur, inoboedieninoboedientes34 erant tes erant

37, 15b

To.

quum faceret lucem de tenebris

597, 1–2

cum faceret lucem de tenebris

cum faceret lucem de tenebris

39, 25a

Bu.

euge

622, ­11–12

dicet: euge

* S. fehlt

T. B. dicet: euge

In die gleiche Richtung geht auch die folgende Stelle, die Augustin übersprungen hat: Hiob Kap./ Vers

Glosse steht in

Wortlaut Glosse

adn. Sei./Zei. Zy

Wortlaut adn. = O.

Wortlaut Hieronymus-Codices S.

T.

B.

2, 11 c–e

Le.

tyrannus



übersprungen

Baldad Saucites tyrannus

Baldad saucites tyrannus

Baldad saucithes tyrannus

30 S. hore. 31 metunt statt metuunt halte ich im Licht der Urtexte für einen Kopierfehler. 32 S. seperat. 33 S. terre. 34 S. inopedientes.

160

Reste von O. außerhalb von Hieronymus’ und Augustins Werken 

Die Kumulation dieser Belege dürfte zeigen, dass die von Vattioni veröffentlichten Glossen tatsächlich fast ausschließlich aus der Versio prior des Hieronymus geschöpft sind35.

8.3 Die zweite Gruppe stammt mindestens teilweise aus O. Für die Zwecke der vorliegenden Arbeit, in der es speziell um die Erstfassung O. der Versio prior geht, genügt jedoch dieser Nachweis nicht. Die Glossen können nur dann etwas zur Rekonstruktion verlorener Stellen der Erstfassung O. beitragen, wenn in ihnen tatsächlich Material aus dieser Erstfassung nachweisbar ist. Im Rest dieses Kapitels versuche ich, diesen Nachweis in zwei Durchgängen zu erbringen. Der erste Beweisgang ist negativ: Er zeigt, dass die Glossen nicht aus den Fassungen B. und S. der Versio prior stammen. Der zweite Durchgang ist positiv: Dort sammle ich in mehreren Schritten diejenigen Stellen aus den Glossen, die m. E. sicher aus der Erstfassung O. stammen.

8.3.1 Die Glossen stammen nicht aus B. oder S.  Eine Herkunft der Glossen aus der Textfassung B., die ein späterer Bearbeiter aus Lesarten der Erstfassung O. und der Endfassung T. hergestellt hat, ist leicht auszuschließen: Es gibt keinen Beleg, wo die Glossen entweder einen Sonderfehler oder eine sinnvolle Sonderlesart mit B. teilen. Damit scheidet B. als Vorlage der Glossen aus. Gegen eine Herkunft der Glossen aus der ersten Revisionsstufe S. spricht eine ganze Reihe von Stellen, an denen S. teils sachlich mögliche, teils fehlerhafte Sonderlesarten bietet. Keine dieser Varianten wurde jedoch in die Glossen übernommen, obwohl ein Glossator, der mit ihnen konfrontiert gewesen wäre, ihre Sonderstellung nicht hätte erkennen können. In der vorangehenden ersten Tabelle habe ich solche Sonderlesarten von S., die sämtlich kein Echo in den Glossen fanden, bereits mit einem Asterisk * hervorgehoben; die folgende Übersicht konzentiert sich jetzt auf diesen Aspekt: Hiob Kap./ Vers

Glosse steht in

Wortlaut Glosse

10, 13a

Le. Bu.

scio quia omnia ­ potes

20, 11b

Le.

in cinere

adn. Sei./Zei. Zy

Wortlaut adn. = O.

532, 7–8

Wortlaut Hieronymus-Codices S. T. B. S.

T.

scio quia omnia ­ potes

S. sciam quia omnia potes

T. B. scio quia omnia potes

übersprungen

in cinerem dormient

in cinere dormient

35 Auf die wenigen Ausnahmen gehe ich am Ende von Kap. 9, S. 222–224 ein.

B.

161

Die Glossen spanischer Bibeln als Zeugen für O.   36 37 38 39 40 41 42

adn. Sei./Zei. Zy

Wortlaut adn. = O.

divitje ­ inique (To. om. inique) congregate evomentur

551, 7

Bu. To.

dulces fuerunt ei (To. et38) lapilli torrentis

554, ­21–22

24, 7a

Bu. To.41

nudos multos fecerunt dormire sine vestimento

27, 22a

Bu.

proiciet

566, 9–10

et proiciet et proiciens super eum, super eum et et non par- non parcet cet

et proiciet super eum et non parcet

34, 9b42

Bu.

ambulaverit cum eo

582, 17–18

ambu­ lauerit cum deo

ambulat cum deo

ambulauerit cum deo

34, 21b

Bu.

nec latet eum quicquam eorum que faciunt

übersprungen

nec latet eum quicquam eorum

Hiob Kap./ Vers

Glosse steht in

Wortlaut Glosse

20, 15a

Le. Bu. To.

21, 33a37

Wortlaut Hieronymus-Codices S. T. B. S.

T.

B.

diuitiae inique congregatae euomentur

diuitia con­ gregate inique euomentur

diuitiae inique congregatae euomentur

diuitiae iniquae36 congregatae euomentur

dulces fuerunt ei lapides torrentis

dulcis fuerunt et39 labilli torrentes

dulces fuerunt ei40 lapilli torrentis

übersprungen

nudos multos fecerunt sine uestimentis

nudos multos fecerunt dormire sine ­ uestimentis

qui faciunt

quae faciunt

36 Lagarde druckt inique. 37 Vgl. zur späteren liturgischen Verwendung dieses Lemmas am Fest des Protomärtyrers Stephanus den Aufsatz von Abel (1923). Der Autor zitiert nur die Fassung mit lapides aus Augustins Adnotationes (S. 599 und 601) und erwähnt die stärker bezeugte Variante lapilli nicht. 38 Zur Lesart et im Toletanus vgl. die folgende Anmerkung. 39 Das et in S. und im Toletanus ist ein allzu naheliegender Kopierfehler, als dass er – jedenfalls in Abwesenheit beweiskräftigerer Belege – als Bindefehler zwischen S. und der Vorlage der Glossen gewertet werden könnte. Überdies steht das falsche et nur in To., während Le. und Bu. richtig ei bieten. 40 Martianay, Vallarsi, Sabatier und Migne drucken für den Turonensis irrtümlich dulces ei fuerunt. 41 Die Glosse im Toletanus wurde schon von Berger (1895) 133 publiziert, aber statt dem Lemma Iob 24, 7 irrtümlich dem ähnlich beginnenden Lemma Iob 24, 10 zugeordnet. 42 Vattioni (1996) 28 gibt irrtümlich 34, 8c an.

162

Reste von O. außerhalb von Hieronymus’ und Augustins Werken 

Hiob Kap./ Vers

Glosse steht in

Wortlaut Glosse

adn. Sei./Zei. Zy

Wortlaut adn. = O.

37, 7b

Bu. To.

ut sciat omnis homo infirmitatem suam

595, 8

ut sciat omnis homo infirmitatem suam43

37, 22b

To.

in his est 599, 11 magna gloria et honor omnipotentis

Wortlaut Hieronymus-Codices S. T. B. S.

T.

ut sciat omnis homo firmi­ tatem suam

ut sciat omnis homo infirmitatem suam

B.

in his est in his est magna gloria magna gloria et honor om- est et honor et honor omnipotentis nipotentis omnipotentis

43

Diese Stellen bestätigen, dass S. nicht als Vorlage der Glossen in Frage kommt. Damit bleiben nur noch die Erstfassung O. und die Endfassung T. als mögliche Quellen übrig. Auch in den folgenden Tabellen gibt es immer wieder Belege, in denen der Codex S. Sonderlesarten hat, die nicht in den Glossen auftauchen. Um den Beweis, dass die Glossen nicht aus S. stammen, im Hintergrund weiterzuführen, sind entsprechende Fälle auch künftig mit einem Asterisk * markiert.

8.3.2 Die Glossen stammen mindestens teilweise aus O. Im Rest des vorliegenden Kapitels sammle ich positive Belege für die These, dass die von Vattioni publizierten Glossen zumindest teilweise aus O. stammen und damit zur Rekonstruktion dieser weithin verlorenen Erstfassung beitragen können. Dieser Nachweis lässt sich mit mehreren Beobachtungen führen. Eine Herkunft aus O. ist dann bewiesen, wenn eine Glosse nur mit der Lesart der Adnotationes übereinstimmt, deren Herkunft aus O. deshalb sicher ist, weil die Hieronymus-Codices S. T. B. andere Varianten enthalten: Hiob Kap./ Vers

Glosse steht in

Wortlaut Glosse

adn. Sei./Zei. Zy

Wortlaut adn. = O.

Wortlaut Hieronymus-Codices S.

T.

B.

17, 11b

Le. Bu. To.

convulse sunt compages

546, 7–8

et conuul­ sae sunt compages cordis mei

* et conuulsi sunt conpages cordis mei

et concussae sunt conpages cordis mei

et compulsae sunt conpages cordis mei

30, 24a

Bu.

atque utinam possem meipsum inter­ficere

576, 8–9

atque utinam possem me ­ipsum inter­ficere

* adque utinam possim me ipsum interficere

atque utinam possem me interficere

43 Dieses Zitat hat Zycha verkannt und nicht durch Sperrdruck hervorgehoben.

163

Die Glossen spanischer Bibeln als Zeugen für O.  

In diese Reihe gehören auch die folgenden Stellen, an denen Hieronymus die Lesarten von O. unverändert nach S. übernommen hat, bevor er sie in T. veränderte. In diesen Fällen folgt der Kompilator von B. teils O. (= S.), teils T.: 44 45 Hiob Kap./ Vers

Glosse steht in

Wortlaut Glosse

adn. Sei./Zei. Zy

Wortlaut adn. = O.

Wortlaut Hieronymus-Codices S.

T.

B.

21, 22b

To.

ipse enim homicidia iudicat

553, 21

ipse enim homicidia iudicat

ipse enim homicidia ­ iudicat

ipse etiam homicidas iudicat

ipse enim homicidia iudicat

22, 24b

To.

et in saxo torrentis ofir

übersprungen

et in saxo

et in saxa

et in saxo

38, 14

Bu. To.

et tu ­ sumens (Bu. et tumens) terre lutum figurasti animal et famosum eum ­ posuisti super terram

torrentis ofir44.

604, 9–10

et tu sumens terrae lutum figurasti

et tu sumens terrae45 lutum figurasti

animal

animal

15–16

et famosum eum

et famosum eum

posuisti

posuisti

super terram

super terram

animae

fecisti

Derselbe Schluss ergibt sich aus der folgenden Stelle, an der die Glosse denselben Wortlaut hat wie die Adnotationes und sich beide von T. B. unterscheiden, während S. fehlt: Hiob Kap./ Vers

Glosse steht in

Wortlaut Glosse

adn. Sei./Zei. Zy

Wortlaut adn. = O.

Wortlaut Hieronymus-Codices S. T. B.

38, 34b

Bu. To.

et (Bu. om. et) in tremore aque valide obedient tibi?

613, 6–7

et in tremore aquae ualidae obedient tibi?

S. fehlt

T. B. et in tremore aquae ualidae oboediunt tibi?

Die bis hierher gesammelten Stellen beweisen m. E., dass zumindest ein Grundstock der Glossen aus der Erstfassung O. der Versio prior stammt. Jedoch ist für die Belange der vorliegenden Arbeit auch damit noch nicht viel gewonnen, weil alle bisher aufgeführten Lesarten der Glossen bereits aus anderen 44 T. offir. 45 S. terre.

164

Reste von O. außerhalb von Hieronymus’ und Augustins Werken 

Quellen bekannt waren. Sie bestätigen zwar unser bisheriges Wissen über O., erweitern es aber nur insofern, als sie die Existenz und die Benutzung eines Exemplars von O. im 10. Jh. in Nordspanien bezeugen. Im nächsten Schritt sammle ich deshalb Stellen, die Lücken in unserer Kenntnis von O. schließen, die Augustin durch Überspringen der Lemmata in den Adnotationes gelassen hat.

8.4 Glossen mit bisher unbekannten Lesarten der Erstfasssung O. Nachdem die Herkunft der bisher behandelten Glossen aus O. gesichert ist, kann man in Analogie schließen, dass eine Glosse immer dann eine Lesart von O. repräsentiert, wenn sie nicht mit einem der revidierten Codices S. oder T. übereinstimmt und zugleich entweder auf eine von Hieronymus’ ursprachlichen Vorlagen zurückgeht oder eine seiner typischen Übersetzungstechniken widerspiegelt.

8.4.1 Übersetzung hebräischer Vorlagen Die meisten der in diesem Abschnitt folgenden Glossen beruhen ganz oder in Details auf dem hebräischen Urtext, während die revidierten Fassungen auf der LXX basieren. Nach den Befunden der Kapitel 2–5 und 7 der vorliegenden Arbeit, wonach die Erstfassung O. besonders stark durch Bezüge auf den hebräischen HiobText geprägt war, ist das ein starkes zusätzliches Argument für die These, dass diese Glossen Lesarten aus O. repräsentieren. 46 Iob 9, 4b Hiob Kap./ Vers

Glosse steht in

Wortlaut Glosse

Wortlaut adn. = O.

Wortlaut Hieronymus-Codices S. T. B.

9, 4b

To.

quis durus fuit coram me et mansit?

fehlt

quis durus fuit coram eo et mansit?

M46: ‫י־ה ְק ָ ׁ֥שה ֵ֝א ֗ ָליו ַוּיִ ְׁש ָ ֽלם‬ ִ ‫ִ ֽמ‬

LXX: τίς σκληρὸς γενόμενος ἐναντίον αὐτοῦ ὑπέμεινεν;

Vulgata: quis restitit ei et pacem habuit

Die Fassung der Glosse mit coram me beruht auf einem von M abweichenden Text, in dem Hieronymus statt des Suffixes ‫ ו‬der 3. Person Singular das graphisch sehr ähnliche Suffix ‫ י‬für die 1. Person Singular las. Die revidierte Fassung in S. T. B. gibt den normalen Text von M wieder, der auch der LXX zugrunde liegt. 46 Dt.: Wer hat verhärtet gegen ihn und ist unversehrt geblieben?

165

Die Glossen spanischer Bibeln als Zeugen für O.  

Iob 12, 12b 47 48 Hiob Kap./ Vers

Glosse steht in

Wortlaut Glosse

Wortlaut adn. = O.

Wortlaut Hieronymus-Codices S. T. B.

12, 12b

To.

et in longinquo vitam (?)47

fehlt

et in longa uita est scientia

LXX: ἐν δὲ πολλῷ βίῳ ἐπιστήμη

M48: ‫ָמים ְּתבּונָ ֽה‬ ֣ ִ ‫וְ ֖ ֹא ֶרְך י‬ Vulgata: et in multo tempore prudentia

Während die revidierten Fassungen auf der LXX beruhen, basiert die in der Glosse vorliegende Form auf dem hebräischen Text: Mit der Wendung in longinquo fasst Hieronymus das Nomen ‫ ֖ ֹא ֶרְך‬des Hebräischen in adverbialem Sinn auf. Das folgende Nomen „Tage“ im Sinn von „Leben“ müsste in jedem Fall als Genetiv verstanden werden, also die Form uitae haben. Falls die schwer lesbare Glosse tatsächlich vitam bietet, liegt ein Kopierfehler vor. Auch an der folgenden Stelle beruht die Glosse auf dem hebräischen Urtext: Iob 22, 26ab 49 50 51 52 Hiob Kap./ Vers

Glosse steht in

Wortlaut Glosse

Wortlaut adn. = O.

22, 26ab

To.

tunc cofehlt ram domino habebis fiduciam suspiciens in celum cum libertate

M52: ‫ִּכי־ ָ֭אז עַ ל־ׁשַ ַּד֣י ִּת ְתעַ ּנָ ֑ג וְ ִת ָ ּׂ֖שא אֶ ל־ ֱאלֹ֣ וּהַ ּפָ נֶ ֽיָך‬

Wortlaut Hieronymus-Codices S.

T.

B.

tunc49 coram domino habebis fiduciam *suspiciens ­ celum

suspiciens in caelum

suscipiens50 in caelum

cum hilaritate51 LXX: εἶτα παρρησιασθήσῃ ἔναντι κυρίου ἀναβλέψας εἰς τὸν οὐρανὸν ἱλαρῶς

Vulgata: tunc super Omnipotentem deliciis afflues et elevabis ad Deum faciem tuam

47 Das Fragezeichen stammt von Vattioni (1996) 25.  48 Dt.: und Länge von Tagen Einsicht. 49 S. tun (Haplographie vor coram). 50 B. suscipiens ist ein Kopierfehler. 51 S. ilaritate. 52 Dt.: Denn dann wirst du dich am Allmächtigen freuen und wirst aufheben zu Gott dein Gesicht.

166

Reste von O. außerhalb von Hieronymus’ und Augustins Werken 

Die Übersetzung cum hilaritate in den revidierten Codices S. T. B. entspricht dem griechischen ἱλαρῶς. Die Übersetzung cum libertate in der Glosse basiert dagegen auf dem Hebräischen; denn das dort vorliegende Idiom mit der Grundbedeutung „sein Gesicht zu jemandem aufheben“ ist in seiner Bedeutung nicht genau festgelegt und kann sowohl „jemanden mit Heiterkeit“ als auch „mit Zutrauen/Zuversicht anschauen“ bedeuten53. Alle bisher genannten Lesarten der Glossen beruhen rein auf dem Hebräischen; das macht umso wahrscheinlicher, dass sie aus der Erstfassung O. stammen.

8.4.2 Konflation hebräischer und griechischer Vorlagen An den folgenden Stellen handelt es sich bei den Glossen dagegen um Konflationen des griechischen Urtextes mit Details, die aus dem Hebräischen stammen; typischerweise verschwindet das Element aus dem Hebräischen in den revidierten Codices. Damit weisen auch diese Lesarten die charakteristische Handschrift des Übersetzers Hieronymus auf: Iob 2, 3d 54 Hiob Kap./ Vers

Glosse steht in

Wortlaut Glosse

Wortlaut adn. = O.

Wortlaut Hieronymus-Codices S. T. B.

2, 3d

To.

innocens et verax

fehlt

homo innocens,

M54: ‫ִ ֣איׁש ָּת֧ם וְ י ָָׁש֛ר‬

S. ferax

T. B. uerax

LXX: ἄνθρωπος ἄκακος, ἀληθινός

Vulgata: vir simplex et rectus

Das „und“ in der Glosse beruht auf M, die Wortwahl uerax dagegen auf der LXX. Ab S. dient nur noch die LXX mit ihrer Asyndese als Vorlage.

53 Gesenius-Donner (2013) 849 links unten. 54 Dt.: ein unsträflicher und gerechter Mann.

167

Die Glossen spanischer Bibeln als Zeugen für O.  

Iob 8, 20b 55 56 57 Hiob Kap./ Vers

Glosse steht in

Wortlaut Glosse

Wortlaut adn. = O. (526, 21)

Wortlaut Hieronymus-Codices S. T. B.

8, 20b

To.

nec ullum munus impii accipit

nec ullum munus55

*S. T. B. nec ullum munus nec ullum munus impi (sic) ac­cipiat56 impii accipiet

LXX: πᾶν δὲ δῶρον ἀσεβοῦς οὐ δέξεται

M57: ‫ַד־מ ֵר ִ ֽעים‬ ְ ‫ח ִ֗ז יק ְּב י‬ ֲ ֝‫וְ ֽל ֹא־ ַי‬ Vulgata: nec porriget manum malignis

Erst die Endfassung T. ist eine reine Übersetzung der LXX. Die Textformen O. (lt. Glosse) und S. sind beides Konflationen mit dem Hebräischen, weil der Indikativ Präsens in O. und der Konjunktiv Präsens in S. nur als Wiedergaben des hebräischen Imperfekts erklärbar sind, das sowohl präsentische als auch modale Bedeutung haben kann. Iob 22, 28a 58 59 Hiob Kap./ Vers

Glosse steht in

Wortlaut Glosse

Wortlaut adn. = O.

Wortlaut Hieronymus-Codices S. T. B.

22, 28a

To.

et restituet tibi conversationem iustitie tue

fehlt

*S. et restituit58

M59: ‫ְ ֽו ִתגְ זַר־אֹ֖ ומֶ ר וְ יָ �֣קָ ם ָל ְ֑ך‬

T. B. et restituet

tibi conuersationem iustitie

LXX: ἀποκαταστήσει δέ σοι δίαιταν δικαιοσύνης

Vulgata: decernes rem et veniet tibi

55 Die Stelle ist ein Beleg dafür, dass der Schreiber des Archetypos der Adnotationes ein HiobLemma zuweilen nur verkürzt aus der Vorlage O. kopiert hat. Vgl. für weitere Fälle Trenkler (2017) 124. 56 1. Hand S.  accipit, vom Schreiber selbst zu accipiat verbessert: Vgl. Caspari (1893) 62, Anm. 35. Ziegler (1982) 248 notiert im 1. Apparat für Laγ (d. h. den Sangallensis) deshalb zu Unrecht accipit. 57 Dt.: und er wird nicht festhalten an der Hand von Übeltätern. 58 Caspari druckt irrtümlich resituit. Das Präsens könnte als Wiedergabe des hebräischen Imperfekts erklärt werden; weil Hieronymus aber gleichzeitig das sicher aus dem Hebräischen stammende tuae gestrichen hat, handelt es sich eher um die für S. besonders typische Verwechslung von i und e: Vgl. Caspari (1893) 24–25. 59 Dt.: Und beschließt du eine Sache – so wird sie dir zustande kommen.

168

Reste von O. außerhalb von Hieronymus’ und Augustins Werken 

In diesem Beleg ist das tue der Glosse ein letzter Reflex der 2. Person Singular des hebräischen ‫ל ְ֑ך‬,ָ der in den revidierten Fassungen getilgt ist. Iob 24, 7a 60 61 Hiob Kap./ Vers

Glosse steht in

Wortlaut Glosse

Wortlaut adn. = O.

Wortlaut Hieronymus-Codices S. T. B.

24, 7a

Bu. To.60

nudos multos fecerunt dormire sine vestimento

fehlt

* S. nudos multos fecerunt sine ­ uestimentis

T. B. nudos multos fecerunt dormire sine uestimentis

LXX: γυμνοὺς πολλοὺς ἐκοίμισαν ἄνευ ἱματίων

M61: ‫עָ ֹ֣רום י ֭ ִָלינּו ִמ ְּב ִל֣י ְלב֑ ּוׁש‬ Vulgata: nudos dimittunt homines indumenta tollentes

Hier folgt die Glosse nach Sinn und Syntax der LXX; der Einfluss des Hebräischen verrät sich jedoch in dem kollektiven Singular sine uestimento. Im folgenden letzten Beispiel Iob 24, 7b ist die Glosse im Toletanus eine gekürzte Version der ursprünglich längeren Glosse, die in der Bibel in Burgos erhalten ist: Iob 24, 7b 62 63 Hiob Kap./ Vers

Glosse steht in

Wortlaut Glosse

Wortlaut adn. = O.

24, 7b

Bu. To62.

et tegumen fehlt (To. tegmen) in frigore abstulerunt de illis (To. om. de illis)

M63: ‫וְ ֵ ֥אין ְ֝כּ ֗סּות ּבַ ּקָ ָ ֽרה‬

Wortlaut Hieronymus-Codices S. T. B. S. T. et tegumen in frigore abstulerunt

B. et tegmen in frigore abstulerunt

LXX: ἀμφίασιν δὲ ψυχῆς αὐτῶν ἀφείλαντο

Vulgata: quibus non est operimentum in ­ frigore

60 Die Glosse in T. wurde schon von Berger (1895) 133 publiziert, aber dort irrtümlich dem ähnlich beginnenden Lemma Iob 24, 10 zugeordnet. 61 Dt.: Nackt übernachten sie ohne Kleid. 62 Die Glosse in T. wurde schon von Berger (1895) 133 publiziert. 63 Dt.: und es gibt/gab keine Decke in der Kälte.

Die Glossen spanischer Bibeln als Zeugen für O.  

169

Hier sind alle Fassungen Konflationen. Grundsätzlich beruht die Übersetzung auf der LXX; das Detail in frigore stammt dagegen aus M64. Ein freier Zusatz nur in O. wird durch das abschließende de illis der Glosse aus Burgos bezeugt, das vielleicht das αὐτῶν der LXX anklingen lassen sollte. In S. hat Hieronymus die Wendung gestrichen. Bei den bisher vorgestellten Glossen zeigte sich die Herkunft aus O. nicht nur im generellen Kontrast zu den Lesarten der revidierten Fassungen in S. und T., sondern speziell auch in ihrer mehr oder weniger ausgeprägten Nähe zu den hebräischen Urtexten.

8.4.3 Zitat aus O. gesichert durch Differenz zu S. bzw. T. Im Folgenden sammle ich noch die Glossen, deren Herkunft aus O. nur noch durch die Differenzen zu den revidierten Fassungen bewiesen wird. Die ersten Belege bestätigen die Beobachtung anlässlich des zugefügten de illis im eben besprochenen Lemma Iob 24, 7b, dass Hieronymus in O. gelegentlich noch recht frei und interpretierend übersetzt hat, bevor er in S. zu einer wörtlicheren Wiedergabe überging. Iob 29, 12a Hier hat Hieronymus in O. aus einem Positiv der Urtexte einen Elativ gemacht: 65 Hiob Kap./ Vers

Glosse steht in

Wortlaut Glosse

Wortlaut adn. = O.

Wortlaut Hieronymus-Codices S. T. B.

29, 12a

Bu

de manu potentissimi

fehlt

liberaui enim pauperem de manu potentis

M65: ַ‫ִ ּֽכי־ ֲא֭מַ ּלֵ ט עָ ִנ ֣י ְמׁשַ ּוֵ ֑ע‬

LXX: διέσωσα γὰρ πτωχὸν ἐκ χειρὸς δυνάστου

Vulgata: quod liberassem pauperem vociferantem

64 Angesichts von Hieronymus’ Neigung, Details aus hebräischen und griechischen Vorlagen zu einer neuen Einheit zu kombinieren, kann man hier aus seiner Version kein zusätzliches Argument für die naheliegende These ableiten, die LXX habe ursprünglich ἐν ψύχει gelautet und ψυχῆς αὐτῶν sei eine spätere Korruptel: Vgl. Orlinsky (1962) 146 mit Verweis u. a. auf Dhorme. 65 Dt.: Denn ich rette/werde retten einen Elenden, der/wenn er um Hilfe ruft.

170

Reste von O. außerhalb von Hieronymus’ und Augustins Werken 

Iob 33, 12b Hier wies O. mit omnes wieder einen erklärenden Zusatz auf: 66 Hiob Kap./ Vers

Glosse steht in

Wortlaut Glosse

Wortlaut adn. = O.

Wortlaut Hieronymus-Codices S. T. B.

33, 12b

Bu.

quia eternus est qui est super omnes homines

fehlt

aeternus enim est qui est super homines

LXX: αἰώνιος γάρ ἐστιν ὁ ἐπάνω βροτῶν

M66: ‫ִ ּֽכי־יִ ְר ֶ ּ֥בה א֝ ֱ ֹ֗לוהַ מֵ ֱאנֹֽ וׁש‬ Vulgata: respondebo tibi quia maior sit Deus homine

Iob 42, 3a Der letzte Beleg in dieser Serie bestätigt den Eindruck, dass Hieronymus bei der Endrevision in T. besonderen Wert auf guten lateinischen Stil gelegt hat67. Während er in O. in dem Relativsatz, der dem hebräischen und griechischen Partizip entspricht, noch den Indikativ setzte, ändert er den Modus in T. zum Konjunktiv, weil der Relativsatz von einer quis est-Frage abhängt und also nach lateinischer Auffassung einen konsekutiven Nebensinn enthält68: 69 Hiob Kap./ Vers

Glosse steht in

Wortlaut Glosse

Wortlaut adn. = O. S.

Wortlaut Hieronymus-Codices T.

B.

42, 3a

Bu.

qui abscondit a te consi­ lium

fehlt

fehlt

quis est enim

M69: ‫ִ ֤מי ֨ ֶזה׀ מַ ְע ִ ֥לים עֵ ֗ ָצה ְ ּֽב ִ֫לי ָ ֥דעַ ת‬

quis enim est

qui abscondat a te consilium LXX: τίς γάρ ἐστιν ὁ κρύπτων σε βουλήν;

Vulgata: quis est iste qui celat consilium absque scientia

66 Dt.: denn größer ist Gott als ein Mensch. 67 Vgl. oben Kap 7, S. 133. 68 Vgl. Kühner-Stegmann (1962) Bd. 2, S. 298; Menge (1965) S. 266, § 398. c). 69 Dt.: Wer derjenige, der verbirgt Rat ohne Einsicht?

Die Glossen spanischer Bibeln als Zeugen für O.  

171

8.4.4 Zwischenbilanz In diesem Abschnitt konnten aus den von Vattioni gedruckten Glossen in spanischen Vulgata-Bibeln elf Lesarten der Erstfassung O. der Versio prior zurückgewonnen werden, die Augustin in den Adnotationes übersprungen hatte.

8.5 Glossen mit Hinweisen auf Doppelübersetzungen in O. Bereits Trenkler hat im Licht von Augustins Adnotationes in Iob in deren Quelle, der Erstfassung O. der Versio prior, mehrere Doppelübersetzungen nachgewiesen70. Diese Doppelfassungen erwiesen sich als einer der wesentlichsten Unterschiede zwischen der Erstfassung O. und den revidierten Fassungen S. und T.71 Auch die Analyse der von Vattioni publizierten Glossen führt zu Hinweisen auf solche Doppel- oder sogar Mehrfachfassungen in O. Allerdings sind die Verhältnisse vielfach kompliziert. Deshalb unterscheide ich im Folgenden zwischen Doppelübersetzungen, die mir sicher nachweisbar scheinen, und anderen Stellen, an denen sie zumindest möglich sind. Den Rest des vorliegenden Kapitels widme ich denjenigen Beispielen, die m. E. sicher nachweisbar sind. Auf der Basis der erzielten Resultate können dann im folgenden Kapitel die schwierigeren Stellen erörtert werden. Die im vorliegenden Kapitel besprochenen leichter klärbaren Stellen lassen sich in zwei Gruppen einteilen. Obenan stehen hier solche Fälle, in denen bereits die Glossen selbst zum selben Lemma divergierende Lesarten aufweisen, die beide sinnvoll und von den möglichen ursprachlichen Vorlagen gedeckt sind. An zweiter Stelle stehen die Lemmata der Glossen, in denen erst der Vergleich mit der restlichen Überlieferung andere, wiederum auf den Ursprachen beruhende Varianten sichtbar werden lässt. Zunächst also bespreche ich solche Lemmata, in denen sich divergierende Lesarten zwischen den Glossen finden, die auf Doppelübersetzungen in ihrer Vorlage O. hinweisen.

8.5.1 Divergenzen zwischen den Glossen selbst Iob 6, 21a Im Lemma 6, 21a zitiert die Glosse im Toletanus dieselbe Fassung nach dem Griechischen, die in Augustins Adnotationes und in den revidierten Hieronymus-Codices S. T. B. vorliegt:

70 Trenkler (2017) Kap. 10, Belege 12–16. 71 Vgl. oben die Kapitel 1, 6 und 7.

172 72

Reste von O. außerhalb von Hieronymus’ und Augustins Werken 

Hiob Kap./ Vers

Wortlaut Glossen Le. Bu.

Wortlaut Glosse To.

Wortlaut adn. = O. ω2-Linie (520, 14–15)

Wortlaut HieronymusCodices S. T. B.

6, 21a

nunc et vos surrexistis in me sine misericordia

nunc autem et vos insurrexistis in me sine misericordia

nunc autem et uos insurrexistis in me sine misericordia

nunc autem et uos insurrexistis in me sine misericordia

M72: ‫ִ ּֽכי־ ַ֭עּתָ ה ֱה ִי ֣יתֶ ם ל ֹא‬

LXX: ἀτὰρ δὲ καὶ ὑμεῖς ἐπέβητέ μοι ἀνελεημόνως

Vulgata: nunc venistis

Dagegen überliefern die Glossen im Leonensis und in der Bibel von Burgos die Übersetzung der hebräischen Vorlage der LXX, die sich hier sehr stark von M unterscheidet. Beer hat gesehen, dass das ἀνελεημόνως der LXX ein Zusatz in Analogie zu Iob 30, 21a ist73. Dort heißt es ἐπέβης δέ μοι ἀνελεημόνως als Wiedergabe von M ‫„( ּתֵ הָ ֵפְ֣ך ְלאַ ְכ ָז֣ר ִל֑י‬du wendest dich hin zur Grausamkeit gegen mich“). Nach diesem Muster lässt sich die hebräische Vorlage der LXX und des Hieronymus hier in Hiob 6, 21 rekonstruieren: Statt ‫ ה ֱִי ֣יתֶ ם ל ֹא‬stand dort vermutlich ‫לאבזר לי נהפחתם‬. Für die Erklärung des Wortlauts der Glossen im Leonensis und in der BurgosBibel sind zwei Details dieser hebräischen Fassung von Belang, durch die sie sich von der LXX unterscheidet. Erstens hat das Hebräische kein anknüpfendes „und“ bzw. „aber“. Dieses fehlt deshalb nicht nur in den beiden Glossen, sondern auch in der Vulgata. Der zweite Unterschied zeigt sich beim Prädikat: Das Hebräische als Vorlage der Glossen verrät sich durch das Simplex surrexistis, während die Fassung nach der LXX typischerweise ein Kompositum (hier insurrexistis entsprechend ἐπέβητε) aufweist. Auch dass Hieronymus in S. die Übersetzung nach M zugunsten der Übersetzung nach der LXX fallen ließ, entspricht den Ergebnissen in Kapitel 3 der vorliegenden Arbeit.

72 Dt. wörtlich: Denn jetzt seid ihr geworden – nicht… (Die Stelle ist heftig umstritten; vgl. z. B. Dhorme (1926) 81 und Fohrer (1988) 162 für Diskussion und Konjekturen.) 73 Beer (Text 1897) 41.

Die Glossen spanischer Bibeln als Zeugen für O.  

173

Iob 7, 1a Die unterschiedliche Überlieferung zeigt, dass auch die Lesarten uita hominis und uita humana bereits als Doppelübersetzungen in O. standen: 74 Hiob Kap./ Vers

Wortlaut Glossen Le. Bu.

Wortlaut Glosse To.

Wortlaut adn. = O. ω2-Linie (521, 17–18)

Wortlaut HieronymusCodices S. T. B.

7, 1a

numquid non temtatio est vita hominis super terram

numquid non temtatio est vita humana super terram

numquid non tentatio est uita humana super terram?

numquid non temp­tatio est uita humana super terram?

LXX: πότερον οὐχὶ πειρατήριόν ἐστιν ὁ βίος ἀνθρώπου ἐπὶ τῆς γῆς

M74: ‫ֲהל ֹא־צָ ָב֣א לֶ ֱא ֹ֣נוׁש עַ ל ָא ֶ֑רץ‬ Vulgata: militia est vita hominis super terram

In diesem Fall geht nur die Fassung uita hominis auf die beiden Urtexte zurück; sie kehrt später in der Vulgata wieder. Dagegen ist uita humana die glattere lateinische Fügung75, die Hieronymus schon in der Erstfassung O. zur Wahl gestellt und – gegen die Urtexte – in den revidierten Fassungen der Versio prior allein festgehalten hat. Iob 19, 6a2 Hier zeigen die Glossen, dass Hieronymus in O. das Prädikat wieder einmal als Simplex und einmal als Kompositum übersetzt hatte, also eine doppelte Übersetzung nach der hebräischen und der griechischen Vorlage suggerierte: 76 Hiob Kap./ Vers

Wortlaut Glosse Bu.

Wortlaut Glosse To.

Wortlaut adn. = O.

Wortlaut HieronymusCodices S. T. B.

19, 6a2

quia dominus est qui me turuabit

quia dominus est qui me conturbabit

übersprungen

quia dominus est qui me

M76: ‫ִּכי־ ֱאלֹ֣ וּהַ ִעּוְ ָת֑נִ י‬

S. turbabit

T. B. turbauit

LXX: ὅτι ὁ κύριός ἐστιν ὁ ταράξας

Vulgata: quia Deus non aequo iudicio adflixerit me

74 Dt.: etwa nicht einen Kriegsdienst für einen Menschen auf Erde? 75 Lt. CAG ist uita humana bei Augustin sehr häufig belegt. Dagegen kommt uita hominis seltener vor in Aussagen wie Gn. adu. Man. 1, 31 haec est hominis uita beata atque tranquilla, cum omnes motus eius rationi ueritatique consentiunt; uera rel. 48 haec est uita hominis uiuentis ex corpore; exp. Gal. 46 sicut enim prima hominis uita est ante legem, […] sic secunda est sub lege ante gratiam. TLL 6.3.2874.75 verweist für die Junktur vita hominum auf das (noch nicht publizierte) Stichwort vita. 76 Dt.: Denn Gott hat mich ungerecht behandelt.

174

Reste von O. außerhalb von Hieronymus’ und Augustins Werken 

Im vorliegenden Fall sind die Futurformen beider Glossen objektiv falsch, weil M nur das Perfekt und die LXX nur den Aorist bieten. Es handelt sich also um Hörfehler zwischen -bit und -uit, wie sie schon Trenkler wiederholt nachgewiesen hat77. Dass diese Hörfehler nicht erst in der direkten Vorlage der spanischen Glossen, sondern tatsächlich schon in Hieronymus’ eigenem Archetypos von O. standen, erhellt daraus, dass das falsche Futur auch noch in S. steht und erst in T. korrigiert wurde. (Ein sekundärer – und dann typisch spanischer – Fehler liegt erst im Codex von Burgos mit der Form turuabit statt turbabit vor.) Iob 20, 2a Eine weitere Doppelübersetzung, die die Glossatoren in ihrer Vorlage O. vorfanden, geht darauf zurück, dass Hieronymus dort die wörtliche Konstruktion nach der LXX contradicere haec78 frei durch die elegantere Variante contradicere his79 ergänzt hat: 80 81 Hiob Kap./ Vers 20, 2a

Wortlaut Glossen Le.

Bu.

sic (noc?)80

non sic

To.

Wortlaut adn. = O.

Wortlaut HieronymusCodices S. T. B.

übersprungen

non sic sperabam contradicturum te haec

sperabam contradicturum te hec

his

hec

M81: ‫ּוׁשי ִ ֽבי‬ ִ ֣‫ע ֗ב ּור ח‬ ֲ ַ‫ל כֵ ן ְׂש ִע ַּפ֣י יְ ִׁש יב֑ ּונִ י וּ֝ב‬ ָ֭

LXX: Oὐχ οὕτως ὑπελάμβανον ἀντερεῖν σε ταῦτα

Vulgata: idcirco cogitationes meae variae succedunt sibi

77 Vgl. Trenkler (2017) Kap. 14, Belege 9, 23, 27, 36 sowie Kap. 15, Belege 3 und 27. 78 Zu contradicere + Akkusativobjekt vgl. die wenigen Belege im TLL 4.0.754.15–21 (die meisten Fälle stehen überdies im Passiv). 79 Zu contradicere + Dativ der Sache vgl. die zahlreichen Belege im TLL 4.0.754.48–65. 80 So die Kollation Vattionis (1996) 29. Bei noc dürfte es sich um missverstandene Abkürzungen für non sic handeln. Eine Wortfolge sic non scheidet angesichts beider Urtexte aus. 81 Dt.: Deshalb antworten mir meine Gedanken und wegen meiner Erregung in mir.

175

Die Glossen spanischer Bibeln als Zeugen für O.  

Iob 21, 5b Im Lemma Iob 21, 5b überliefert jede der drei glossierten Bibeln eine eigene Lesart: 82 Hiob Kap./ Vers 21, 5b

Wortlaut Glossen Le.

Bu.

To.

et ­peniee manus sab mento

et ponite manus sub mento

et ponite manum sub mento

Wortlaut adn. = O.

Wortlaut HieronymusCodices S. T. B.

übersprungen

et ponite manum sub mento

LXX: χεῖρα θέντες ἐπὶ σιαγόνι

M82: ‫ל־ּפה‬ ֶֽ ַ‫ׂש ימּו יָ ֣ד ע‬ ֖ ִ ְ‫ו‬ Vulgata: et superponite digitum ori vestro

Der Legionensis ist hier durch zwei Kopierfehler (peniee und sab)  entstellt. Entscheidend ist aber, dass er mit der Burgos-Bibel zusammen den Plural manus überliefert, während der Toletanus mit den Hieronymus-Codices S. T. B. den Singular manum bietet. Der Plural manus beruht auf der Lukianischen Rezension, der Singular manum entspricht sowohl M als auch der Hauptüberlieferung der LXX. Also haben beide Lesarten in der Vorlage O. der Glossatoren gestanden, aber Hieronymus hat sich in S. T. B. für den besser bezeugten Singular entschieden. Iob 26, 13b 83 84 Hiob Kap./ Vers

Wortlaut Glosse Bu.

26, 13b

praeceptum autem

premit

Wortlaut Glosse To.

Wortlaut adn. = O. ω2-Linie (563, 14–15)

Wortlaut HieronymusCodices S. T. B.

praecepto autem peremit draconem ­ desertorem

S. T. praecepto

peremi

draconem desertorem M84: ַ‫ָחׁש ּבָ ִ ֽריח‬ ֥ ָ ‫ָדו נ‬ ֹ֗ ֝‫ֹֽחל ֲָל֥ה י‬

B. praeceptum83

autem peremit draconem desertorem LXX: προστάγματι δὲ ἐθανάτωσεν δράκοντα ἀποστάτην

Vulgata: et obsetricante manu eius eductus est coluber tortuosus

Um hier zunächst von den Glossen abzusehen: Die sonstige Überlieferung zeigt bereits, dass in O. eine Doppelübersetzung nach der griechischen Hauptüberlieferung 82 Dt.: und legt Hand auf Mund/ Gesicht. 83 Lagarde druckt praecepto. 84 Dt.: es durchbohrt seine Hand flüchtenden Drachen.

176

Reste von O. außerhalb von Hieronymus’ und Augustins Werken 

mit dem instrumentalen Dativ προστάγματι und einem Zweig der Lukianischen Rezension mit dem Nominativ πρόσταγμα85 vorlag. (Beide griechische Fassungen setzen einen anderen hebräischen Text als M voraus; dazu unten.) Die Präsenz der instrumentalen Variante praecepto in O. wird durch Augustins Kommentareinleitung (563, 16) quomodo gesichert; der Ablativ praecepto geht also nicht erst auf die Redaktionsarbeit des ω2-Fraters zurück. Dass jedoch auch schon der Nominativ praeceptum in O. stand, zeigt der Text des Hieronymus-Codex B., der hier von T. abweicht und also aus O. stammt. Nun zu den beiden Glossen. Sie teilen hier die Lesart praeceptum mit dem Codex Bodleianus und bestätigen damit den Schluss, dass praeceptum als Variante in O. stand. Die erste Person Singular peremi des Toletanus ist ein offensichtlicher Kopierfehler statt des richtigen peremit. Um allerdings die Lesart premit der Glosse der Burgos-Bibel einschätzen zu können, muss man auf den von M abweichenden hebräischen Text zurückgehen, der der LXX und der Lukianischen Rezension zugrundeliegt. Die Vermutung liegt nahe, dass premit als Vokabel und als Tempus direkt auf diese hebräische Vorlage zurückgeht. Die gesuchte hebräische Wortgruppe umfasst die ersten beiden Wörter des Lemmas Iob 26, 13b. M liest ‫„( ֹֽחל ֲָל֥ה י֝ ָֹ֗דו‬es durchbohrt seine Hand“), bietet also erst die Verbform und dann das Subjekt. Die griechische Überlieferung setzt dagegen die umgekehrte Reihenfolge der Satzglieder voraus: Voran muss ein Nomen mit der Bedeutung „Weisung“ stehen, das entweder als Subjekt (πρόσταγμα / praeceptum) oder instrumental als Umstandsbestimmung (πρόσταγματι / praecepto) konstruierbar ist. Erst darauf folgt das Prädikat mit der Bedeutung ἐθανάτωσεν / peremit. Eine hebräische Lesart, die diese Anforderungen erfüllt und zugleich dem Konsonantentext von M jedenfalls zu Beginn sehr nahe kommt, wäre etwa ‫הלכה הרגה‬. Die Verbform könnte man als Perfekt oder als Partizip vokalisieren; das Partizip würde eine präsentische Übersetzung ermöglichen. Die Wurzel ‫ הרג‬bedeutet jedoch „töten“ nur im Sinn von „hinrichten“ bzw. „abschlachten“ (auch von Tieren)86. Beide Nuancen passen genau zum vorliegenden Kontext, in dem es um das Töten des Drachens geht, und werden durch θανατόω bzw. perimere zutreffend wiedergegeben. ‫ הרג‬gibt aber keinen Anhalt für die Übersetzung mit premere im Sinn von „durch Erdrücken töten“. Mir scheint daher plausibler, die Lesart premit der Burgos-Bibel als Kopierfehler anstelle von peremit zu erklären; auch der Fehler im selben Wort im Toletanus deutet darauf hin, dass die gemeinsame Vorlage schwer lesbar war. Iob 29, 11a Hier zitiert die Glosse des Toletanus dieselbe Übersetzung nach der LXX, die anschließend auch in den Hieronymus-Codices S. und B. wieder erscheint. Da sich B. hier von T. unterscheidet, kann man schließen, dass S. und B. eine Lesart aus

85 Vgl. Ziegler (1982) 325 im 1. Apparat. 86 Vgl. Gesenius-Donner (2013) 285 rechts – 286 links.

177

Die Glossen spanischer Bibeln als Zeugen für O.  

O. repräsentieren. Das wiederum bestätigt, dass die Glosse im Toletanus aus O. stammt: 87 88 89 Hiob Kap./ Vers

Wortlaut Glosse Bu.

Wortlaut Glosse To.

Wortlaut adn. = O.

Wortlaut Hieronymus-Codices S. T. B.

29, 11a87

aures audientes clico (felicem?)88 mihi dixerunt

audientes felicem me ­ dixerunt

übersprungen

et audientes felicem me dixerunt

M89: ‫ִ ּ֤כי ֣ ֹאזֶן ָׁ֭ש ְמעָ ה וַ ְּֽתאַ ְּׁש ֵר֑נִ י‬

et audientes me felicem dixerunt

et audientes felicem me dixerunt

Hexapla sub *: ὅτι οὖς ἤκουσεν καὶ ἐμακάρισέν με

Vulgata: auris audiens beatificabat me

Die Glosse in der Burgos-Bibel dagegen beruht auf dem Hebräischen, wie der Anfang mit aures audientes zeigt. Typischerweise hat Hieronymus diese Lesart in S. zugunsten der Version nach dem Griechischen aufgegeben. Im Hebräischen steht der ganze Satz im Singular. In O. hat Hieronymus den Numerus als Kollektivbegriff interpretiert und als Plural übersetzt; den wörtlichen Singular wie in M bietet erst die Vulgata. Die Mitte der Glosse in der Bibel von Burgos ist korrupt. Da Hieronymus dort dicere mit dem Dativ mihi (statt wie in der anderen Version mit dem Akkusativ me) verbindet, vermute ich aufgrund der Endung -o des Unwortes clico dort einen zweiten Dativ. Vom Sinn des Hebräischen her könnte Hieronymus also geschrieben haben beato mihi dixerunt90. Wie auch immer man die Stelle emendieren mag, es ergibt sich in jedem Fall eine erhebliche Differenz im Wortlaut zwischen den beiden Übersetzungen aus O. Solch deutliche Verschiedenheit eignet sich also nicht als Gegenargument gegen eine sonst gut begründete Annahme, Hieronymus habe in O. eine Doppelüber­ setzung geboten.

87 Vattioni (1996) 27 gibt für die Glosse aus Burgos irrtümlich 29, 10a an, ebenso für den Toletanus (S. 26). 88 So Vattionis Kollation (1996) 27. 89 Dt.: Denn ein Ohr hörte und pries mich glücklich. M akzentuiert die Form ‫ ָׁ֭ש ְמעָ ה‬als Perfekt Qal; Hieronymus fasst sie in der Vulgata als Partizip Qal auf, muss dann aber das folgende ‫„( ו‬und“) weglassen. 90 Wenn man in Gedanken ergänzt, ergibt sich die Konstruktion „man hat mir den Beinamen „Seliger“ beigelegt“. Strukturparallelen für diese seltene – und von Hieronymus in S. wieder verworfene – Ausdrucksweise finden sich bei Kühner-Stegmann (1955) Bd. 1, S. 421, b) und im TLL 3.0.1491.8–23.

178

Reste von O. außerhalb von Hieronymus’ und Augustins Werken 

Iob 35, 11b In diesem Lemma91 enthielt O. zwei Doppelfassungen: die Doppelübersetzung der Tempora fecit und facit und die doppelte Konstruktion uolatilibus und a uolatilibus: 92 93 94 Hiob Kap./Vers

35, 11b

Wortlaut Glosse Bu.

Wortlaut Glosse To.

Wortlaut adn. = O.

et uolatilibus

et a uolatilibus

et a uolatilibus92 caeli sapientiorem me fecit

celi sapientiorem me fecit M94: ‫ּומֵ עֹ֖ וף הַ ּׁשָ ַמ֣יִ ם יְ חַ ְּכ ֵ ֽמנּו‬

ω1-Linie = ω2-Linie (585, 28)

Wortlaut Hieronymus-Codices

S.

T.

et uolatilibus

et a uolatilibus

B.

caeli sapientiorem me facit

fecit

facit93

Hexapla (Üs. des Aquila): ἀπὸ δὲ πετεινῶν οὐρανοῦ σοφίζει;

Vulgata: et super volucres caeli erudit nos

Das Perfekt fecit, das in beiden Hyparchetypoi der Adnotationes überliefert ist, geht auf keine ursprachliche Vorlage zurück. Es wird für O. auch durch beide Glossen bezeugt; es stammt also in den Adnotationes nicht erst aus T. Damit ist O. auch als Quelle derselben, etwa zeitgenössischen Zitate in den Confessiones 6, 1, 1 und 10, 17, 26 gesichert, die Verheijen nachgewiesen hat95. Dass auch die Variante facit, die sowohl M als auch die Hexpla wiedergibt, in O. enthalten war, zeigt der Hieronymus-Codex B., der von T. abweicht und also von O. abhängt. Bei der ersten Revision in S. hat sich Hieronymus für diese Variante auf der Basis beider Ursprachen entschieden, hat seine Meinung bei der Endfassung in T. aber wieder revidiert. Die Formulierung a uolatilibus gibt wörtlich die typisch hebräische Komparativkonstruktion wieder; dagegen entspricht der bloße Ablativus comparationis uolatilibus dem klassischen lateinischen Stil. Hier zeigen erst die Glossen, wie die Textgeschichte dieses Lemmas verlief. Ohne die Glossen würde man schließen, Hieronymus habe zunächst in O. allein die hebräische Konstruktion nachgeahmt, sei in S. zur griechischen Vorlage übergegangen, um dann in T. wieder zur Fassung nach dem Hebräischen zurückzukehren. Erst die Glossen zeigen, dass Hieronymus in Wirklichkeit in O. bereits beide Varianten nach den zwei Ursprachen zur Wahl stellte. Dieser Befund erklärt dann auch 91 Vgl. zu diesem Lemma den Aufsatz von Verheijen (1977). 92 H uolucribus. 93 Lagarde druckt fecit. 94 Dt.: und 1. seitens der Vögel des Himmels uns belehrt / 2. uns weiser macht als die Vögel des Himmels. 95 Vgl. Anm. 91.

179

Die Glossen spanischer Bibeln als Zeugen für O.  

die zwischen a uolatilibus und bloßem uolatilibus gespaltene Überlieferung an beiden Stellen der Confessiones96. Das wiederum macht es schwierig, mit Verheijen die Lesart a uolatilibus eindeutig als die „bonne leçon“ zu identifizieren97. Damit verdeutlicht diese Stelle, wie abhängig die Rekonstruktion von O. von der Überlieferungslage für die einzelnen Teil-Lemmata ist. Iob 35, 13b-14 In diesem Lemma spielt die hebräische Vorlage keine Rolle. Von den beiden durch die Glossen für O. bezeugten Lesarten beruht nur die eine – die Variante iniusti­ tiam  – auf dem griechischen Urtext; die andere  – iustitiam  – ist offensichtlich eine frei formulierte Alternative des Hieronymus, der über den Sinn der Passage im Zweifel war und in solchen Fällen ohne große Bedenken seine Vorlage „emendierte“98: 99 100 101 Hiob Kap./ Vers

Wortlaut Glosse Bu.

Wortlaut Glosse To.

Wortlaut adn. = O. (586, 12–13) ω1-Linie = ω2-Linie

35, 13b14

perspicit eos qui faciunt

iniustitiam

ipse enim omnipotens perspicit99 eos qui faciunt iu­ stitiam100

iustitiam

M101: ‫ׁשּורּנָה׃‬ ֶֽ ְ‫ל ֹא י‬ ֣ ‫ְו ׁ֝שַ ַ ּ֗ד י‬ ‫ולל ֹֽלו‬ ֽ ֵ ֹ֥‫ּותח‬ ְ ‫ׁשּורּ֑נּו ִ ּ֥דין ְ֝ל פָ ֗ ָנ יו‬ ֶ ‫ל ֹא ְת‬ ֣ ‫י־ת ֹאמַ ר‬ ֖ ‫ַא֣ף ִ ּֽכ‬

Wortlaut Hieronymus-Codices

S.

T.

B.

perspicit eos qui faciunt

S. iniustitiam

T. B. iustitiam

LXX: αὐτὸς γὰρ ὁ παντοκράτωρ ὁρατής ἐστιν τῶν συντελούντων τὰ ἄνομα καὶ σώσει με

Vulgata: et Omnipotens singulorum causas intuebitur etiam cum dixeris non considerat iudicare coram eo et expecta eum

96 Vgl. zu diesem Befund Verheijen (1977) 541–543. 97 Verheijen (1977) 543. 98 Vgl. den ähnlichen Fall von Iob 36, 27a. Dort übersetzte Hieronymus in O. die griechische Vorlage ἀριθμηταὶ wörtlich mit numerabiles, änderte aber seine Übersetzung in S. zu dem leichter verständlichen innumerabiles. Vgl. dazu Kap. 4, Beleg 39 und Trenkler (2017) 181 (Kap. 14, Beleg 4). Meiser führt in seinem Aufsatz über Hieronymus als Textkritiker (2010) keine ähnlich auffallenden, rein vom Sinnverständnis motivierten Eingriffe des Hieronymus in die ihm vorliegenden Texte an. 99 M prospicit. 100 M iucticia. 101 Dt.: und der Allmächtige nimmt es nicht wahr/wird es nicht wahrnehmen. Besonders wenn du sagst, du nähmest ihn nicht wahr. Der Rechtsstreit vor ihm, und du sollst auf ihn warten. (Vgl. Fohrer (1988) 470.)

180

Reste von O. außerhalb von Hieronymus’ und Augustins Werken 

Typischerweise hat der Kirchenvater in S. wieder die Übersetzung nach dem Griechischen gewählt, hat sich aber in T. erneut auf seine gewagte Emendation aus O. zurückbesonnen. Es ist nicht eindeutig festzulegen, welche Lesart hier Augustin seiner Auslegung (586, 14) sicut ipse uidet facientes, qui cordis intima perspicit102 zugrunde legte: Sie ist – vielleicht sogar bewusst – so schwebend formuliert, dass sie zu beiden in O. vorliegenden Lesarten passt, obwohl sie einander widersprechen. Iob 38, 17b Hier beweisen erst die Glossen, dass O. eine Doppelübersetzung nach dem Hebräischen und dem Griechischen enthielt. Es handelt sich wieder um verschiedene Tempora: 103 Wortlaut Glosse To.

Wortlaut adn. = O. (605, 14)

Hiob Kap./ Vers

Wortlaut Glosse Bu.

38, 17b

aut ianitores inferi videntes te

aut ianitores

timebunt

timuerunt

ω2-Linie

Wortlaut HieronymusCodices T. B. (S. fehlt)

inferi

inferni

aut ianitores inferni ­ uidentes te timuerunt?

AF

codd. cett. et edd

ω1-Linie

uidentes te timuerunt? M103: ‫וְ ׁשַ ֲע ֵ ֖רי צַ ְל ָמ֣ ֶות ִּת ְר ֶ ֽאה‬

LXX: πυλωροὶ δὲ ᾄδου ἰδόντες σε ἔπτηξαν;

Vulgata: et ostia tenebrosa vidisti

Das Futur timebunt basiert auf dem Imperfekt, das in der durch Person und Numerus abweichenden Form ‫ ִּת ְר ֶ ֽאה‬vorliegt; das Perfekt timuerunt gibt dagegen den griechischen Aorist wieder. Wie Augustins Kommentar (605, 16) mit den Perfektformen inuenit, dimiserunt und admiserunt zeigt, legte er das Perfekt aus. Typisch ist auch, dass Hieronymus das Futur, das auf dem Hebräischen beruht, bei der Revision ausgeschieden hat zugunsten der Wiedergabe des griechischen Aorists. Im Übrigen bestätigen die Glossen, die beide inferi lesen, die Analyse Trenklers: Demnach schrieb Hieronymus in O. inferi; aber nur der ω1-Frater hielt an die-

102 Der Relativsatz qui cordis intima perspicit ist kein Zitat, sondern nur eine Paraphrase. Vgl. für den Sinn: Prv 24, 12 deus enim qui cordis inspector est (c. ep. Parm. 2,15); Sap 1, 6 cordis illius scrutator est uerus (mend. 31); Act 1, 24 tu, domine, cordis omnium intellector (c. Fel. 1, 4). Für die freie Formulierung cordis intima s. ep. 38, 2; en. Ps. 6, 7; für intima cordis s. en. Ps. 65, 22; 93, 9. 103 Dt.: und die Tore der Finsternis fürchtest du/wirst du fürchten?

Die Glossen spanischer Bibeln als Zeugen für O.  

181

ser Lesart fest, während der ω2- Frater die Alternative inferni aus der Endfassung T. einsetzte104. Anhand der Stellen, an denen bereits die Glossen selbst zum selben Lemma divergierende Lesarten aufweisen, ließen sich also im vorangehenden Abschnitt zehn bisher unbekannte Doppelübersetzungen in der Erstfassung O. der Versio prior nachweisen.

8.5.2 Divergenzen zwischen Glossen und Adnotationes Weil nach den bisherigen Ergebnissen sowohl die Glossen als auch die Lemmata von Augustins Adnotationes mindestens in der Regel auf die Erstfassung O. zurückgehen, ergeben sich Hinweise auf Doppelübersetzungen in O. auch aus Divergenzen zwischen einer Glosse und der entsprechenden Lesart der Adnotationes. Sichere Nachweise sind dort möglich, wo die Lesart der Adnotationes tatsächlich die Erstfassung O. repräsentiert, also nicht von einem der Fratres entweder aus T. (bzw. der Vulgata) übernommen oder sogar frei umformuliert worden ist105. Dieser Punkt muss aus Augustins Kommentar oder einschlägigen Parallelen plausibel hervorgehen. Wenn diese Bedingung dagegen nicht erfüllt ist, ist die Glosse immer noch wertvoll als Beweis für eine Lesart, die mit Sicherheit in O. gestanden hat. Wenn aber zweifelhaft ist, ob auch die Lesart der Adnotationes aus O. und nicht etwa aus T. stammt, kann die Glosse nicht als Argument für eine Doppelübersetzung in O. dienen. Auf solche Fälle gehe ich am Schluss dieses Kapitels ein. Zunächst jedoch bespreche ich die sieben Stellen, die m. E. aufgrund der Glossen mit Sicherheit auf eine Doppel- oder sogar Mehrfachübersetzung in O. zurückgeführt werden können. 8.5.2.1 Sicher erschließbare Doppelübersetzungen Iob 22, 24a Im Lemma 22, 24a zeigt die Überlieferung der Adnotationes, dass der ω2-Frater im Codex O. zwei verschiedene Lesarten von ponere vorfand und sie als Variae lectiones in seinen Hyparchetypos aufnahm: das Futur pones und das Partizip ponens. Die Doppelung zeigt zugleich, dass es sich nicht um eine Angleichung an T. handelt. Denn aus Trenklers Arbeit geht hervor, dass die Fratres immer dann, wenn sie eine Lesart aus T. übernahmen, um Augustins Hiob-Text auf den letzten Stand zu bringen, keine andere Variante als Varia lectio daneben stehen ließen106. 104 Trenkler (2017) Kap. 15, Beleg 4.– Vgl. zu dem dogmatisch motivierten Wechsel von inferi in O. zu inferni in T. schon oben Kap. 5, Beleg 58. 105 Für diese Eingriffe der bearbeitenden Fratres in die Hiob-Lemmata der Adnotationes vgl. Trenkler (2017) Kap. 14 und 15. 106 Vgl. Trenkler (2017) Kap. 14 und 15.

182 107 108 109

Reste von O. außerhalb von Hieronymus’ und Augustins Werken 

Hiob Kap./ Vers

Glosse steht in

Wortlaut Glosse

22, 24a

To.

et ponis illus (?)107 super aggerem in petra

Wortlaut adn. = O. (556, 4–5) ω2-Linie Variante 1

Variante 2

et pones

et ponens

OQ WXYZ + Zy

cett. codd. et edd.

Wortlaut HieronymusCodices S. T. B. et pones illud super ­ aggerem in petram

illud super aggerem in108 petram M109: ‫אוֹפיר‬ ִֽ ‫ּובצ֖ ּור נְ חָ ִל֣ים‬ ְ ‫פר ָּב֑צֶ ר‬ ֥ ָ ָ‫וְ ִׁשית־עַ ל־ע‬

Hexapla sub *: θήσῃ ἐπὶ χώματι ἐν πέτρᾳ

Vulgata: dabit pro terra silicem

Das Futur pones entspricht der LXX; das Partizip ponens, das sich in der ω2-Linie stärker behauptet hat, beruht dagegen auf einem von M abweichenden hebräischen Text. Der Text von M ist hier ohnehin umstritten: Die BHS drucken einen Infinitivus absolutus; aber Hieronymus hat offensichtlich dort ein Partizip Aktiv Qal angenommen. Damit ist für O. allein aus der Überlieferung der Adnotationes bereits eine erste Doppelübersetzung nachgewiesen. Die Glosse im Toletanus zeigt nun, dass Hieronymus dort noch eine dritte Verbform vorgeschlagen hatte: das Präsens ponis. Diese Form beruht auf der – auch im Apparat der BHS vorgeschlagenen – 2. Person Singular im Perfekt consecutivum, die im Lateinischen nicht nur mit dem Futur (et pones), sondern auch mit dem Präsens (et ponis) übersetzt werden kann. Nach dem Zeugnis von S. T. B. hat er bei der Revision – erwartungsgemäß – die beiden auf dem Hebräischen basierenden Formen ponens und ponis ausgeschieden. Mit der präsentischen Version et ponis gab Hieronymus in O. eine hebräische Vorlage wieder; mit dem Ausdruck in petra, der in der Glosse überliefert ist, fußte er dagegen zugleich auf dem griechischen Text. Er hat also dort zwei ursprachliche Vorlagen kombiniert. In der anderen Variante in O., die er dann in S. T. B. beibehielt, hat er umgekehrt das Futur pones, das auf der LXX beruht, mit dem Ausdruck in petram verbunden, der so nur aus dem Hebräischen stammen kann, wo Richtungsangaben weniger deutlich unterschieden werden als im Griechischen und Lateinischen. So stellen alle seine Versionen hier Kontaminationen der ursprachlichen Vorlagen dar; aber typischerweise hat in O. die hebräische, in S. T. B. dagegen die griechische Vorlage den Vorrang.

107 So die Kollation Vattionis (1996) 25. 108 WXYZ (statt in) et. 109 Dt.: und auf Kies von Wadis Ophir.

Die Glossen spanischer Bibeln als Zeugen für O.  

183

Iob 27, 15b Ein schlagendes Beispiel dafür, dass die Glossatoren spanischer Bibeln in ihrem Exemplar von O. eine Doppelübersetzung vorfanden, liegt im Lemma Iob 27, 15b vor: 110 Hiob Kap./ Vers

Wortlaut Glosse Bu.

27, 15b

et vidue eorum nemo non miserebitur

Wortlaut adn. = O. (565, 12–13) ω1-Linie (FragmentCodex B)

ω2-Linie (cett. codd. et edd.)

et uiduis eorum nemo miserebitur

et uiduis eorum non miserebitur

M110: ‫ְו ֝אַ ְל ְמ ֹנ ֗ ָתיו ֣ל ֹא ִת ְב ֶ ּֽכינָה‬

Wortlaut HieronymusCodices S. T. B.

et uiduis eorum nemo miserebitur

LXX: χήρας δὲ αὐτῶν οὐθεὶς ἐλεήσει

Vulgata: et viduae illius non plorabunt

Wenn man die Überlieferung zunächst ohne Blick auf die Glosse analysiert, ist deutlich, dass die Variante mit nemo auf der LXX mit ihrem οὐθεὶς und die Variante mit non auf dem ‫ ֣ל ֹא‬des hebräischen Textes beruht. Es entspricht auch den Erwartungen, dass Hieronymus in den revidierten Fassungen die Version nach dem Griechischen bevorzugte. Ohne Kenntnis der Glosse würde man die Diskrepanz zwischen den beiden Rezensionen der Adnotationes nun so erklären, dass dort der ω1-Frater wie so oft den revidierten Wortlaut der Endfassung T. in seinen Hyparchetypos importiert hat111  – zumal er im zugehörigen Kommentar weitere starke Anpassungen vorgenommen hat112. Die Glosse in der Bibel von Burgos wirft jedoch ein neues Licht auf die Zusammenhänge. Zunächst fällt die im Kontext und mit Blick auf die ursprachlichen Vorlagen sinnwidrige Doppelung der Negationen nemo und non ins Auge. Sie weist darauf hin, dass der Glossator beide als Varianten in seinem Exemplar von O. vorfand, sie aber nicht als Auswahlangebot erkannte, sondern irrtümlich kumulierte. Auf eine Doppelfassung in O. weist auch das neue Detail hin, das die Glosse der Textgeschichte hinzufügt: Hieronymus übersetzte in O. nicht nur uiduis (wie von den Adnotationes und den Hieronymus-Codices S. T. B. bezeugt), sondern stellte auch noch den Singular viduae zur Wahl. Hintergrund ist die Doppeldeutigkeit der griechischen Form χήρας (das hebräische Äquivalent ‫„( אַ ְל ְמנ ֗ ָֹתיו‬seine Witwen“) steht eindeutig im Plural) und die Möglichkeit, ἐλεέω entweder mit dem Genetiv oder dem Akkusativ zu konstruieren: Wenn man ἐλεέω mit dem Genetiv konstruiert113, 110 Dt.: und seine Witwen werden nicht weinen. 111 So Trenkler (2017) Kap. 14, Beleg 34. 112 Vgl. Trenkler (2017) Kap. 14, Beleg 35. 113 Vgl. dazu Kühner-Gerth (1898) Bd. 1, S. 388, 1. a) und 389, Anm. 2.

184

Reste von O. außerhalb von Hieronymus’ und Augustins Werken 

wird man χήρας als Singular auffassen; wenn man umgekehrt davon ausgeht, ἐλεέω regiere den Akkusativ114, findet man in χήρας den Plural. Im Licht der Glosse muss man jetzt davon ausgehen, dass der ω1-Frater die Lesart nemo nicht aus T. entnahm, sondern ebenfalls schon als Doppelübersetzung in O. vorfand. (Vermutlich hat er sich aber für nemo unter dem Einfluss von T. entschieden. Die Analyse der Umarbeitung von Augustins Kommentar durch den Frater bleibt von dieser Verschiebung des Bildes unberührt und weiterhin gültig.) Iob 30, 24b In diesem Lemma spielt der hebräische Urtext keine Rolle. Die doppelte Überlieferung in den Adnotationes hat Trenkler geklärt115: Nur der im Fragment-Codex A der ω1-Linie überlieferte Wortlaut mit dem Infinitiv rogare stammt von Hieronymus und geht auf die Lukianische Rezension der LXX zurück; dagegen beruht der Konjunktiv rogarem, der in der ω2-Linie einstimmig überliefert ist, auf einem freien Eingriff des ω2-Fraters: 116 117 Hiob Kap./ Vers

Wortlaut Glosse Bu.

30, 24b

aut rogare alium qui faceret mihi hoc

M117: ַ‫ידו לָ ֶ ֥הן ֽׁשּוע‬ ֹ֗ ‫ם־בּ ִפ‬ ְ֝ ‫ִא‬

Wortlaut adn. = O. (576, 9–10) ω1-Linie (FragmentCodex A)

ω2-Linie (cett. codd. et edd.)

aut rogare alium et faceret mihi hoc

aut rogarem alium et faceret mihi hoc

Wortlaut HieronymusCodices S. T. B.

aut rogare alium et116 faceret mihi hoc

LXX: ἢ δεηθείς γε ἑτέρου, καὶ ποιήσει μοι τοῦτο

Vulgata: et si corruerint ipse salvabis

Die Glosse der Bibel von Burgos zeigt nun, dass Hieronymus in O. noch eine Doppelfassung angeboten hatte: Das sperrige et faceret, das die griechische Vorlage καὶ ποιήσει wiedergibt, formte er in den gut lateinischen finalen Relativsatz qui faceret um. Diese elegantere Fassung beruht also nicht auf einem Urtext; wohl deshalb hat sie der Übersetzer bei der Revision in S. auch wieder gestrichen. Gelegentlich hat Hieronymus also in den Doppelfassungen in O. nur eine einzige ursprachliche Vorlage variiert.

114 Vgl. dazu Kühner-Gerth (1898) Bd. 1, S. 298 (Belege S. 299). 115 Trenkler (2017) Kap. 15, Beleg 42. 116 Caspari druckt für S. irrtümlich ut. 117 Dt.: oder bei seinem Untergang – deshalb Hilfegeschrei?

185

Die Glossen spanischer Bibeln als Zeugen für O.  

Iob 36, 19ab Auch das Lemma Iob 36, 19ab hat Hieronymus nur nach der LXX übersetzt; das Hebräische ist nicht vergleichbar: 118 119 120 Hiob Kap./ Vers

Glosse steht in

Wortlaut Glosse

Wortlaut adn. = O. (590, 18–19. 22–23)

36, 19ab

To.

non te (?) avertit voluntas animi a precibus infirmorum quum in necessitate fuerint

non te auertat118 uoluntas animi a precibus infirmorum, cum119 in necessitate fuerint

Wortlaut HieronymusCodices S. T. B.

ω1-Linie = ω2-Linie

M120: ַ‫ֲה ַי ֲע ֣ ֹרְך ׁש֖ ּו ֲעָך ֣ל ֹא ְב ָצ֑ר ְו ֝ ֹ֗כל מַ ֲאמַ ּצֵ י־ ֹֽכח‬

non te auertat uoluntas animi a precibus infirmorum S. T. cum in necessitate fuerint

B. cum fuerint in necessitate

LXX: μή σε ἐκκλινάτω ἑκὼν ὁ νοῦς δεήσεως ἐν ἀνάγκῃ ὄντων ἀδυνάτων

Vulgata: depone magnitudinem tuam absque tribulatione et omnes robustos fortitudine

Da aus Augustins Auslegung (590, 19–21) ausdrücklich hervorgeht, dass er im ersten Teil-Lemma eine Aufforderung an Gott las, hat er den Konjunktiv auertat schon in O. vorgefunden; der Adhortativ stammt also nicht erst aus T. Dieser Konjunktiv gibt die Hauptüberlieferung der LXX wieder. Eine schwache Nebenüberlieferung der LXX bietet dagegen den Indikativ, auf dem die Glosse avertit im Toletanus beruht. Hier hat also Hieronymus in der Erstfassung O. eine Doppelübersetzung auertat/auertit vorgeschlagen. Wie üblich hat er die dort berücksichtigte Nebenüberlieferung bei der Revision in S. wieder ausgeschieden. Im zweiten Teil-Lemma fällt die veränderte Wortstellung im Codex B. mit Cursus planus auf. Auch hier vermute ich, dass der Kompilator von B. weder frei formuliert noch einen Kopierfehler begangen hat, sondern wieder von O. abhängt und damit eine weitere Doppelung in der Erstfassung bezeugt121. Wie der Cursus planus zeigt, versuchte Hieronymus mit dieser Variante, die Eleganz des Lateins zu erhöhen. In den revidierten Fassungen S. und T. hielt er sich jedoch wieder an die Wortstellung der LXX, wie es seiner Meinung entsprach, in der Heiligen Schrift sei auch die Wortstellung ein Geheimnis122, das der Übersetzer respektieren solle.

118 Z aduertat; O* CUV auertas. 119 Cum ist bei Zycha irrtümlich nicht gesperrt gedruckt: Es ist Teil des Zitates. 120 Dt.: Wird er etwa in Ordnung bringen dein Hilfegeschrei nicht in Not und mit allen Mitteln Macht? 121 Vgl. Kap. 4, Beleg 44. 122 Vgl. dazu Trenkler (2017) Kap. 15, zu Beleg 13, bes. S. 201, Anm. 23.

186

Reste von O. außerhalb von Hieronymus’ und Augustins Werken 

Iob 37, 9ab Auch im Lemma Iob 37, 9 beweist die Glosse im Toletanus, dass in O. eine Doppelübersetzung vorlag: 123 124 125 Hiob Kap./ Vers

Glosse steht in

Wortlaut Glosse

37, 9ab

To.

de promtuariis et promontoriis

Wortlaut adn. = O. (595, 13–14. 14–15) ω1-Linie = ω2-Linie de promptuariis super­ uenit tempestas et de promptuariis123 frigus

Wortlaut HieronymusCodices S. T. B. de promtuariis S. T. super­ uenit

B. super­ ueniet

tempestas, et de S. promontoriis fricus M125: ‫סּופ֑ה ּוֽ ִמ ְּמז ִ ָ֥רים קָ ָ ֽרה‬ ָ ‫ִמן־ ַ֭החֶ ֶדר ּתָ בֹ֣ וא‬

T. B. promtuariis124 frigus

LXX: ἐκ ταμιείων ἐπέρχονται δῖναι, ἀπὸ δὲ ἀκρωτηρίων ψῦχος

Vulgata: ab interioribus egreditur tempestas et ab Arcturo frigus

Wie ein Blick auf die LXX lehrt, wird dort im ersten Teilvers von den Vorratskammern (promptuaria) und im zweiten Teilvers von den Vorgebirgen (promontoria) gesprochen. Diese Verschiedenheit spiegelt sich jedoch nur in der Glosse im Toletanus und im Text von S., während die Adnotationes sowie die Codices T. und B. in beiden Teilversen – gegen die Urtexte – jeweils von den promptuaria sprechen. Da die Glosse also nicht aus T. geschöpft sein kann, repräsentiert sie eine Lesart von O. Gleichzeitig stammt aber auch der Text der Adnotationes schon aus O. und wurde nicht erst vom ω2-Frater aus T. eingeführt. Das geht aus Augustins Kommentar hervor, der in beiden Teilversen die Wendung de promptuariis in vergleichbarer Weise auslegt: Im ersten Teilvers kommentiert er (595, 14) mit der Wendung de occulto rerum ordine; im zweiten Teilvers spricht er (595, 15) von de secretis. Damit ist gesichert, dass in O. im Halbvers Iob 37, 9b die Wendungen de promptuariis und de promontoriis nebeneinander zur Auswahl standen. Bei seinen Revisionen hat Hieronymus geschwankt – in S. entschied er sich typischerweise für die Übersetzung auf Grundlage der LXX, in T. dann für die andere Variante. Vermutlich hatte er dort einen von M stark abweichenden hebräischen Text vor Augen. Die Überlieferung legt nahe, dass die Erstfassung O. hier noch eine zweite Doppelübersetzung enthielt. Das in den Adnotationes, in S. und T. überlieferte Präsens superuenit entspricht dem Präsens ἐπέρχονται der LXX. Dagegen überliefert allein B. das Futur superueniet. Dies lässt sich zwanglos als Wiedergabe des Imperfekts 123 H XZ promptuarij. 124 B. promptuariis. 125 Dt.: Aus der Kammer wird kommen Sturm und von zerstreuenden Kälte.

187

Die Glossen spanischer Bibeln als Zeugen für O.  

‫ ּתָ בֹ֣ וא‬im hebräischen Urtext verstehen. Da gute isolierte Lesarten von B. auf O. zurückgehen, wäre damit für O. auch noch die Doppelfassung superueniet und super­ uenit erschlossen. Also hat Hieronymus hier in seiner Erstfassung vermutlich sowohl die hebräische als auch die griechische Textvorlage berücksichtigt, bevor er sich bei der Revision auf die Übersetzung der LXX beschränkte.

Iob 38, 36ab Dieses Lemma in der Versio prior beruht nur auf der LXX: 126 127 Hiob Kap./ Vers

Glosse steht in

Wortlaut Glosse

Wortlaut adn. = O. ω2-Linie (613, 19–20)

Wortlaut HieronymusCodices S. T. B.

38, 36ab

To.

quis dedit mulieribus texendi sapientiam et varietatem scientie

quis dedit mulieribus texturae sapientiam et uarietatum126 scientiam?

S. fehlt

M127: ‫ִמי־ ָׁ֭שת ּבַ ּטֻ חֹ֣ ות חָ ְכ ָמ֑ה אֹ֤ ו ִ ֽמי־נ ַ ָ֖תן לַ ֶּׂש ְ֣כוִ י‬ ‫ִב ינָ ֽה‬

T. B. quis dedit mulieribus texturae sapientiam et uarietatum scientiam?

LXX: τίς δὲ ἔδωκεν γυναιξὶν ὑφάσματος σοφίαν ἢ ποικιλτικὴν ἐπιστήμην;

Vulgata: quis posuit in visceribus hominis sapientiam vel quis dedit gallo intellegentiam

In Augustins Kommentar zu dieser Stelle (613, 26–614, 3) geht es um den angemessenen Umgang mit Verschiedenheit in der Kirche, nicht die Verschiedenheit von praktischem Wissen. Also hat Augustin das Lemma mit dem Ende uarietatum scientiam bereits in O. vorgefunden; es wurde nicht erst vom ω2-Frater aus T. eingeführt. Die Glosse im Toletanus bezeugt also eine Doppelübersetzung in O. Dabei ist texendi nur eine Variante zu texturae; beide gehen auf dieselbe Vorlage der LXX zurück. (Das Hebräische ist nicht vergleichbar.) Die Formulierung am Ende der Glosse uarietatem scientiae hat keinen Anhalt in den Urtexten. Auch in M steht das abschließende Wort ‫„( ִבינָ ֽה‬Verstand“) im Akkusativ. Hieronymus hat also wieder einmal in O. eine freie Alternative vorgeschlagen. Den dabei eingeführten eleganten (oder eher bemühten?) Chiasmus ließ er bei der Revision zugunsten größerer Texttreue wieder fallen. Iob 10, 20b-21a Zum Schluss dieser Überschau über Doppelübersetzungen in O., die mit Hilfe der von Vattioni publizierten Glossen in spanischen Vulgata-Bibeln identifiziert werden können, möchte ich noch ein besonders auffälliges Beispiel vorstellen. 126 Z. uarietatem. 127 Dt.: Wer hat gesetzt in die Wolken Weisheit oder wer gab dem Hahn Verstand?

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Reste von O. außerhalb von Hieronymus’ und Augustins Werken 

Dort unterscheidet sich der Wortlaut der Glosse, die auf der hebräischen Vorlage beruht, sehr stark von der Übersetzung nach dem Griechischen, die in den Adnotationes zitiert wird. Trotzdem ist aufgrund der Überlieferungslage klar, dass beide Versionen von Hieronymus stammen und in der Erstfassung O. nebeneinander gestanden haben: 128 129 130 131 132 133 Hiob Kap./ Vers

Glosse steht in

Wortlaut Glosse

Wortlaut adn. = O. (533, 5 und 9)

10, 20b

Bu.

dd (?)128 remitte mihi ut refrigerer

patere me, doS. T. B. nec129 requie­ patere me attere131 me scam130 pusillum ut requiescam pusillum

10, 21a

Bu.

priusquam eam et amplius iam non ero

antequam132 eam in poenas unde reuerti non licet

Wortlaut Hieronymus-Codices S. T. B.

ω2-Linie

M133: ‫ֹא־מ ַע ֣ט י ַָמ֣י י ְֶח ָּדל י ִָׁשית ִ֝מ ֗ ֶּמּנִ י‬ ְ ‫הל‬ ֲ ‫ל ֹא אָ ׁש֑ ּוב‬ ֣ ְ‫ליגָה ְּמ ָ ֽעט ְּב ֶט ֶ֣רם ֵ֭אלֵ ְך ו‬ ֥ ִ ‫וְ אַ ְב‬

antequam eam unde non revertar

LXX: ἔασόν με ἀναπαύσασθαι μικρὸν πρὸ τοῦ με πορευθῆναι ὅθεν οὐκ ἀναστρέψω

Vulgata: dimitte ergo me ut plangam paululum dolorem meum antequam vadam et non revertar ad terram tenebrosam et opertam mortis caligine

Der in den Adnotationes zitierte Text beruht auf der LXX, enthält aber gleich zwei Details, die Hieronymus ohne Anhalt in Urtexten zur Klärung des Sinnes hinzugefügt hat: den interpretierenden Zusatz in poenas und die freie Umschreibung mit licet. Dass diese Übersetzung in O. gestanden hat, ergibt sich zum einen aus den Unterschieden zu den revidierten Fassungen in S. und in T. (B.) und zum anderen aus Augustins Kommentar (533, 10–12), in dem der Bischof sowohl das licet als auch den Zusatz in poenas wieder aufnimmt. In S. hat Hieronymus beide Freiheiten zurückgenommen; seine revidierte Übersetzung entspricht nunmehr genau der LXX. Der ganz anders lautende Text der Glosse gibt dagegen die hebräische Vorlage wieder. Darauf deutet zunächst die Parallele zwischen dem remitte der Glosse und

128 So Vattionis Kollation (1996) 27. 129 Zy gibt für C irrtümlich ut an. 130 M* requiscam; YZ requescam. 131 Dieser Kopierfehler in T. muss sehr alt sein, wie seine kritiklose Übernahme durch B. beweist. 132 WXYZ ante (Augensprung von -quam zu eam). 133 Dt.: etwa nicht wenig meine Tage? Er möge aufhören; er möge ablassen von mir, und ich will doch wieder fröhlich werden ein wenig, bevor ich gehe und nicht zurückkehre!

Die Glossen spanischer Bibeln als Zeugen für O.  

189

dem dimitte der Vulgata hin. Bei näherem Zusehen entspricht die Übersetzung der Glosse im Teilvers Iob 10, 20b mit ihrem ut refrigerer dem Text von M sogar genauer als die Vulgata, in der Hieronymus statt von der Wurzel ‫( בלג‬im Hif ’il „wieder fröhlich werden“134) von der graphisch ähnlichen Wurzel ‫„( אבל‬trauern“135) ausgeht. Im anschließenden Teilvers Iob 10, 21a erklärt sich die zunächst befremdlich klingende Schlusswendung et amplius iam non ero m. E. so, dass Hieronymus dort die Wurzel ‫ ׁשוב‬nicht mit der LXX und wie später in der Vulgata im wörtlichen Sinn als „zurückkehren“136, sondern im übertragenen Sinn von „nochmals etwas sein“137 interpretiert hat. Die Passage lehrt, dass in manchen Fällen, in denen die urtextlichen Vorlagen stark divergieren oder sehr unterschiedliche Interpretationen zulassen, die resultierenden Doppelübersetzungen sich so stark unterscheiden können, dass man sie auf den ersten Blick gar nicht für alternative Fassungen derselben Textstelle halten würde. Weil in der vorliegenden Arbeit auch später noch ähnliche Stellen begegnen werden, liegt hier ein wichtiger Präzedenzfall vor138. 8.5.2.2 Divergenzen zwischen Glossen und Adnotationes als Belege für mögliche Doppelübersetzungen in O. Die im vorigen Abschnitt besprochenen Stellen der Glossen ließen sich deshalb mit Sicherheit auf Doppelübersetzungen der Erstfassung O. zurückführen, weil die jeweils divergierende Lesart der Adnotationes nachweisbar ebenfalls der Erstfassung O. entstammte. Es gibt daneben jedoch noch andere Lemmata, in denen die Herkunft des HiobTextes der Adnotationes nicht zweifelsfrei zu klären ist: Die Lesart kann zwar aus O. stammen, ist aber vielleicht auch erst von einem der Fratres aus T. in seinen­ Hyparchetypos übernommen worden, wie es Trenkler an vielen Stellen nachgewiesen hat139. In den Fällen, um die es hier geht, ist diese Frage aber aus dem Kontext bzw. aufgrund der Überlieferungslage der Adnotationes nicht zu beantworten. Bei dieser Konstellation ist die Glosse immer noch wertvoll als Beweis für eine Lesart, die mit Sicherheit in O. gestanden hat. Weil aber zweifelhaft ist, ob auch die Lesart der Adnotationes aus O. stammt, kann die Glosse nicht als Argument für eine Doppelübersetzung in O. herangezogen werden. Es handelt sich um zwei Fälle:

134 Vgl. Gesenius-Donner (2013) 151 links. 135 Vgl. Gesenius-Donner (2013) 8 links. 136 Vgl. Gesenius-Donner (2013) 1327 rechts – 1328 links. 137 Vgl. Gesenius-Donner (2013) 1329 links oben. 138 Vgl. schon oben in diesem Kapitel S. 177 zu Iob 29, 11a. 139 Trenkler (2017) Kap. 14 und 15.

190

Reste von O. außerhalb von Hieronymus’ und Augustins Werken 

Iob 11, 2b 140 141 142 143 Hiob Kap./ Vers

Glosse steht in

Wortlaut Glosse

Wortlaut adn. = O. ω2-Linie (533, 18–19)

Wortlaut HieronymusCodices S. T. B.

11, 2b

Le. Bu. To.140

aut loquens videbitur iustus

aut numquid141 eloquens uidebitur142 iustus esse?

aut numquid eloquens ­ uidebitur iustus esse?

M143: ‫ם־איׁש ְׂשפָ ַת֣יִ ם יִ ְצ ָ ּֽדק‬ ֖ ִ ‫וְ ִא‬

LXX: ἢ καὶ ὁ εὔλαλος οἴεται εἶναι δίκαιος;

Vulgata: aut vir verbosus iustificabitur?

Aus der Überlieferungslage ergibt sich, dass die Glosse zumindest eine Lesart von O. repräsentiert. Sie unterscheidet sich von der Lesart in den Adnotationes und in S. T. B. hauptsächlich durch das Fehlen des Infinitivs esse, der auf der LXX beruht. Ich halte den Glossentext deshalb für eine Übersetzung aus dem Hebräischen, wobei Hieronymus aber nicht – wie später in der Vulgata – das Qal oder auch Nif ’al der Wurzel ‫„( צדק‬gerecht sein“ bzw. „gerechtfertigt werden“), sondern das Pi’el („als gerecht erscheinen“) zugrundelegte144. Da das hebräische Verb im Imperfekt steht, erklärt sich überdies, warum Hieronymus auf allen Revisionsstufen am Futur uidebitur festhielt, statt das Präsens οἴεται zu übersetzen. Wenn er also den Infinitiv esse auf der Grundlage der LXX in seine Übersetzung einführte, schuf er wieder einmal eine Konflation aus hebräischen und griechischen Details. Dennoch enthält die Glosse mit der Lesart loquens einen Fehler: Im Licht beider Urtexte muss es eloquens heißen. Das bloße loquens hat kein ursprachliches Vorbild und paßt nicht in den Zusammenhang; es muss sich also um einen Schreiberirrtum handeln. Da die Glosse so in allen drei spanischen Bibeln steht, handelt es sich bei loquens um einen Bindefehler, der die Herkunft der Glossen aus einer gemeinsamen Quelle bestätigt; gleichzeitig ist die Lesart ein Trennfehler gegenüber der Überlieferung, der das Lemma der Adnotationes entstammt.

140 T. schon von Berger (1895) 133 publiziert. 141 Q utrum quid. 142 Am. Er. Lovv. Maur. uidebitur eloquens. 143 Dt.: oder ob ein Mann von Lippen im Recht sein wird? 144 Vgl. für die Nuancen der verschiedenen Binjanim Gesenius-Donner (2013) 1102 rechts – 1103 links.

Die Glossen spanischer Bibeln als Zeugen für O.  

191

Iob 24, 8a 145 146 147 Hiob Kap./ Vers

Glosse steht in

Wortlaut Glosse

Wortlaut adn. = O. ω2-Linie (559, 1)

Wortlaut HieronymusCodices S. T. B.

24, 8a

Bu.

stillicidiis montjum madescunt

de stillicidiis montium145 madescent146

de stillicidiis montium ­ madescent

M147: ‫ִמּזֶ �֣ ֶרם הָ ִ ֣רים יִ ְר ָט ֑בּו‬

Hexapla sub *: ἀπὸ ψεκάδων ὀρέων ὑγραίνονται

Vulgata: quos imbres montium rigant

Die in allen Varianten begegnende Vokabel stillicidia stammt aus der LXX. Auch das Präsens madescunt der Glosse basiert auf der LXX; das Futur madescent in den Adnotationes und S. T. B. beruht dagegen auf dem Imperfekt der hebräischen Vorlage. In den Adnotationes und in S. T. B. handelt es sich also wieder um eine Konflation aus beiden Urtexten. Das lateinische de entspricht gleichermaßen dem hebräischen ‫ ִמן‬wie dem griechischen ἀπὸ. Das Fehlen der Präposition de in der Glosse halte ich nicht für eine stilistische Korrektur des Hieronymus, sondern entweder für eine bewusste Kürzung durch den Glossator oder ein Kopier­ versehen148. In den hier verhandelten beiden Fällen überliefern die Glossen zwar bisher unbekannte Lesarten der Erstfassung O.; es bleibt aber aufgrund der Überlieferungslage offen, ob der Glossentext allein den ursprünglichen Wortlaut von O. repräsentiert oder ob auch die Lesart der Adnotationes schon als Doppelübersetzung daneben stand. Hier stößt die Rekonstruktion von O. mit Hilfe der Glossen an eine erste Grenze. Weitere Unsicherheitsfaktoren kommen im folgenden Kapitel zur Sprache.

145 Z mentium. 146 Q madescant. 147 Dt.: Vom Platzregen Berge werden sie nass/werden sie nass werden. 148 Anders wäre das Weglassen eines instrumentalen in zu beurteilen; vgl. dazu Trenkler (2017) Kap. 15, Belege 39 und 40.

D. Glossen in spanischen Vulgata-Bibeln: Kapitel 8–9 Kapitel 9: Grenzen für die Rekonstruktion von O. anhand der Glossen 9.1 Die Aufgabe Im vorigen Kapitel wurde zunächst gesichert, dass die von Vattioni publizierten Glossen der ersten Hiob-Übersetzung des Hieronymus entstammen. Hauptsächlich ging es dann um die Frage, welcher Revisionsschicht der Versio prior die Glossen entnommen sind. Dabei konnten die Fassungen B. und S.  recht einfach ausgeschlossen werden. Stattdessen ergaben sich so starke Hinweise auf die Erstfassung O., dass deren Auswertung den Rest dieses langen Kapitels in Anspruch nahm. Insgesamt konnte mit Hilfe der Glossen eine ganze Reihe von bisher unbekannten Lesarten der Erstfassung O. rekonstruiert werden, darunter nicht wenige der so charakteristischen Doppelübersetzungen. Das vorliegende zweite Kapitel über die Glossen hat demgegenüber Nachtragsfunktion zur Aufarbeitung des verbleibenden Materials. Ich beginne mit der noch offenen Frage, wieweit auch die Endfassung T. der Versio prior einen Einfluss auf die Glossen ausgeübt hat. Diese Problemstellung führt rasch zu Stellen, an denen unklar bleibt, ob bestimmte Glossen der Erstfassung O. oder der Endfassung T. entstammen. Damit zeichnet sich ab, dass der Auswertung der Glossen zur Rekonstruktion von O. auch Grenzen gesetzt sind. An zweiter Stelle diskutiere ich – in der Reihenfolge des Hiob-Textes – diejenigen Glossen, deren Einordnung bzw. Erklärung die Argumentation im vorigen Kapitel gesprengt hätte: Entweder bereiten sie Schwierigkeiten, die längere Ausführungen erfordern, oder betreffen nicht primär die Frage nach einer Herkunft aus O. oder das Problem von Doppelübersetzungen. Am Ende weise ich kurz auf einige Glossen hin, die noch nicht erwähnt wurden, weil sie nichts zur Rekonstruktion der Versio prior beitragen, und schließe mit einer Mängelliste der Glossen. Die Liste ist umfangreich und zeigt, dass diese hier erstmals für Hieronymus’ Versio prior ausgewerteten Randnotizen letztlich auch nicht überschätzt werden dürfen.

9.2 Das Problem einer Abhängigkeit der Glossen von T. 9.2.1 Das Problem Die erste Hiob-Übersetzung des Hieronymus hat zwei Revisionsschritte und eine anschließende Bearbeitung durchlaufen: Auf die Erstfassung O. folgte eine erste Revision, deren Ergebnis im Codex Sangallensis (S.) vorliegt; S. wurde erneut revi-

Grenzen für die Rekonstruktion von O. anhand der Glossen  

193

diert, um die Endfassung zu schaffen, die im Codex Turonensis (T.) überliefert ist. Zum Schluss fertigte ein unbekannter Bearbeiter durch Konflation von O. und T. eine weitere Version an, die im Codex Bodleianus (B.) erhalten ist. Im vorigen Kapitel konnte ein Einfluss der Textformen von B. und von S. auf die Glossen ausgeschlossen werden; stattdessen zeigte sich eine massive Abhängigkeit der Glossen von der Erstfassung O. Angesichts dieser kumulativen Evidenz für O. könnte man meinen, dass sich die bisher noch nicht erörterte Frage, wieweit ggfs. auch die Endfassung T. ihre Spuren in den Glossen hinterlassen hat, mittlerweile von selbst erledigt habe, weil man per analogiam auch alle verbleibenden Glossen ohne weitere Einzelprüfung für O. in Anspruch nehmen könne. Solch ein Schluss würde aber voraussetzen, dass die Glossatoren nur aus einer einzigen Revisionsschicht geschöpft haben. Die Annahme liegt zwar nahe, ist aber nicht selbstverständlich: Mit Blick auf die Konflation von O. und T. in B. muss man mit der Möglichkeit rechnen, dass auch die Vorlage der Glossatoren ein strukturell ähnlicher Mischtext aus O. und T. gewesen sein könnte, wie er in B. tatsächlich vorliegt. Wenn man also auf eine methodisch saubere Rekonstruktion von O. bedacht ist, ist die Frage nach einem möglichen Einfluss von T. auf die Glossen nicht zu umgehen.

9.2.2 Die Kernstelle Es gibt in den Glossen nur ein einziges Detail, das auf den ersten Blick für T. als Quelle spricht – die Form intelligis im Lemma Iob 20, 2b: Iob 20, 2b 1 2 3 Hiob Kap./ Vers

20, 2b

Glosse steht in

Le. Bu. To.

Wortlaut Glossen Le. Bu. To.

nec enim Le. Bu.

To.

intelligis

intelligens

Wortlaut adn. = O. (550, 10–11) ω1-Linie Fragm. B

ω2-Linie codd. cett. et edd.

nec enim

non enim

intellegitis

Wortlaut HieronymusCodices S. T. B.

nec enim intellegitis

intelligis

intellegas1

magis2 quam ego M3: ‫ּוׁשי ִ ֽבי‬ ִ ֣‫ע ֗ב ּור ח‬ ֲ ַ‫וּ֝ב‬ Vulgata: et mens in diversa rapitur



1 Lagarde druckt intelligis. 2 M* magna. 3 Dt.: und wegen meiner Erregung in mir.

LXX: καὶ οὐχὶ συνίετε μᾶλλον ἢ καὶ ἐγώ

194

Reste von O. außerhalb von Hieronymus’ und Augustins Werken 

In diesem Lemma ist kein Einfluss des hebräischen Urtextes auf die Versio prior festzustellen. Jedoch liegt eine wörtliche Übersetzung der LXX nur in den Adnotationes4 und in S. mit dem Plural intellegitis vor. In der Endfassung T. steht der Singular intelligis. Dieser hat keinen Anhalt in einer ursprachlichen Vorlage. Es handelt sich also um eine freie Interpretation des Hieronymus aufgrund des Kontextes: Zu Beginn der Antwortrede des Sophar an Hiob passt die 2. Person Singular besser als der Plural. (Der Konjunktiv intellegas in B. hat erst recht keine Vorlage und auch im Kontext keine sinnvolle Funktion; er ist also ein Sonderfehler des Bodleianus.) Mit Blick auf die Glossen kann man im Licht der griechischen Vorlage und der lateinischen Syntax das Partizip intellegens im Toletanus als Kopierfehler beiseitelassen. Im gegenwärtigen Zusammenhang ist die entscheidende Frage, ob die Lesart intelligis der anderen Glossen aus der Endfassung T. der Versio prior stammt. Wenn das der Fall ist, liegt hier der einzige positive Beweis für T. als Quelle der Glossen vor, den das überlieferte Material enthält. Da im Folgenden zahlreiche Zweifelsfälle zu besprechen sind, für deren Einordnung ein klares Kriterium hochwillkommen wäre, liegt viel daran zu klären, wie belastbar das vorliegende Indiz ist. Als Alternative zur Ableitung der Glosse intelligis aus T. bietet sich die Hypothese an, Hieronymus habe bereits in seiner Erstfassung O. eine Doppelfassung des wörtlichen intellegitis und des freien intelligis vorgeschlagen; anschließend habe er dann bei seinen Revisionen erst der einen und dann der anderen Alternative den Vorzug gegeben. Für dieses Modell kann man auf zahlreiche gesicherte Parallelen in der Versio prior verweisen. Im Rückblick auf die vielen Doppelübersetzungen, die sich bisher schon in der Versio prior haben nachweisen lassen, und im Vorblick auf die zahlreichen Belege, die in dieser Arbeit noch zur Sprache kommen werden, ist die Versuchung groß, einen möglichen Bezug der Glossen auf T. angesichts der Isolation des vorliegenden positiven Beleges zu negieren und für eine uneingeschränkte Abhängigkeit der Glossen von O. zu plädieren. Ich zögere aber, so zu argumentieren, weil es noch eine ganze Reihe von Stellen in den Glossen gibt, die zwar weniger klar als die vorliegende für eine Ableitung aus T. sprechen, aber aufgrund der Überlieferungslage doch so erklärt werden könnten. In ihrer Kumulation relativieren diese Belege den Eindruck, es handele sich bei dem vorliegenden Fall des intelligis in Iob 20, 2b um eine Ausnahme.

4 Auch die Doppelübersetzung von nec enim und non enim beruht allein auf der LXX, deren καὶ οὐχὶ beide Versionen ermöglicht. Das Auftauchen von nec enim in der ω1-Linie der Adnotationes kann auf eine Doppelfassung in O. oder darauf zurückgehen, dass der ω1-Frater den revidierten Text aus T. übernahm.

195

Grenzen für die Rekonstruktion von O. anhand der Glossen  

9.2.3 Unklare Belege Im Folgenden stelle ich deshalb die Glossen zusammen, bei denen man ebenfalls vor dem Dilemma steht, ob man sie als Zitate aus der Endfassung T. oder aus einer Doppelübersetzung in der Erstfassung O. erklären soll. Das Problem entsteht in jedem Fall dadurch, dass die Überlieferungslage keine eindeutige Entscheidung erlaubt. Die vorhandenen Belege lassen sich in zwei Gruppen einteilen. 9.2.3.1 Glossen mit Parallelen in den Adnotationes In der ersten, nur kleinen Gruppe wird das entsprechende Lemma auch in den Adnotationes zitiert. Dieser Umstand bestätigt aber nur, dass die Lesart der Adnotationes tatsächlich aus O. stammt, ohne die Herkunft des etwas anders lautenden Glossentextes zu klären: 5 6 7 Hiob Kap./ Vers

Wortlaut Glosse Bu.

21, 33a5

dulces fuerunt ei

Wortlaut Glosse To.

et

lapilli torrentis M7: ‫קּו־לו ִרגְ ֵ֫בי נָ ֥חַ ל‬ ֹ֗ ‫ָ ֽמ ְת‬

Wortlaut adn. = O. (ω2- Linie) (554, 21–22)

Wortlaut HieronymusCodices S. T. B.

dulces fuerunt ei lapides torrentis

* S. dulcis fuerunt et labilli torrentes

T. B. dulces fuerunt ei6 lapilli torrentis

Hexapla sub *: ἐγλυκάνθησαν αὐτῷ χάλικες χειμάρρου

Vulgata: dulcis fuit glareis Cocyti

Hier weist die Überlieferung in S.  eine Häufung von Kopierfehlern auf; dieselbe Verwechslung von ei mit et (das keinen Anhalt in Urtexten hat) liegt auch in der Glosse im Toletanus vor. Die Lesart lapides in O. beruht auf dem Hebräischen; die anderen Zeugen lesen das Deminutiv lapilli, das die Vokabel χάλικες („Kiesel“) der LXX wiedergibt8. Das ungelöste Problem, ob die Glosse auf Hieronymus’ Endfassung T. oder auf eine Doppelübersetzung in O. zurückgeht, stellt sich auch im folgenden Fall. 5 Vgl. zu diesem Lemma Abel (1923). Er weist eine Anspielung auf die Fassung mit lapides in den Laudes zum Fest des Märtyrers Stephanus nach. 6 Martianay, Vallarsi, Sabatier und Migne drucken für T. irrtümlich dulces ei fuerunt. 7 Dt.: Süß waren ihm die Erdschollen des Wadis. 8 Bogaert (2012) 81 formuliert so, als hielte er Augustins Lesart lapides im Vergleich mit lapilli für die spätere Entwicklungsstufe. Gesichert ist jedoch nur das umgekehrte Verhältnis: Augustin zitiert aus der Erstfassung O., während lapilli erst in den revidierten Codices S. T. B. steht. Allerdings könnte lapilli nach dem ambivalenten Zeugnis der Glossen auch schon als Zweit­ übersetzung in O. gestanden haben.

196

Reste von O. außerhalb von Hieronymus’ und Augustins Werken 

Iob 24, 11ab 9 10 11 Hiob Kap./ Vers

Glosse steht in

Wortlaut Glosse

Wortlaut adn. = O.

Wortlaut HieronymusCodices S. T. B.

24, 11a

To.

in angustiis inique insidiati sunt

in angustiis insidiati sunt9 inique10

in angustiis inique insidiati sunt

viam autem iustitie ignoraverunt

übersprungen

uiam autem iustitie ignorauerunt

24, 11b

LXX: ἐν στενοῖς ἀδίκως ἐνήδρευσαν, ὁδὸν δὲ δικαίαν οὐκ ᾔδεισαν

M11: ‫ּבֵ ין־ׁשּו ֹר ָ ֥תם י ְַצ ִ ֑הירּו יְ קָ ִ ֥בים ָ ֝דּ ְר ֗כּו ַוּיִ ְצ ָ ֽמאּו‬ Vulgata: inter acervos eorum meridiati sunt qui calcatis torcularibus sitiunt

Die Stellung des inique im ersten Teilvers spiegelt zwei verschiedene griechische Überlieferungen: Die Endstellung in O. entspricht einer Nebenüberlieferung; in S. hat sich Hieronymus dann wie üblich auf die Hauptüberlieferung konzentriert. 9.2.3.2 Glossen ohne Parallelen in den Adnotationes Der zweite Halbvers führt bereits zur zweiten, deutlich größeren Gruppe von Belegen hinüber, bei denen offen bleibt, ob die Lesart der Glossen aus T. oder aus einer sonst nicht belegten Zweitübersetzung in O. stammt. In dieser Gruppe wird das betreffende Lemma in den Adnotationes übersprungen. Bei allen Belegen in der folgenden langen Tabelle kann es sich also theoretisch auch um Fälle handeln, in denen Hieronymus auf allen Revisionsstufen von O. bis T. immer nur dieselbe, unveränderte Formulierung gebrauchte. Es kann aber auch sein, dass die Erstfassung O. verloren ist, weil die erhaltenen Lesarten erst bei den Revisionen formuliert wurden: 12 13 Hiob Kap./ Vers

Glosse steht in

Wortlaut Glosse

Wortlaut adn. = O. fehlt

Wortlaut HieronymusCodices S. T. B.

4, 17b

To.12

aut ab operibus suis sine macula vir



aut ab operibus suis sine macula uir?

8, 3a

To.13

numquid deus iniuste agit quum iudicat



numquid deus iniuste agit cum iudicat?

9 F sun. 10 H. undique; WXZ in inique. 11 Dt.: Zwischen ihren Mauern stellen sie Öl her; Keltern haben sie getreten und dürsteten. 12 Diese Glosse wurde schon von Berger (1895) 133 publiziert. 13 Diese Glosse wurde schon von Berger (1895) 133 publiziert.

197

Grenzen für die Rekonstruktion von O. anhand der Glossen   14 15 16 17 18 19 20

Hiob Kap./ Vers

Glosse steht in

Wortlaut Glosse

Wortlaut adn. = O. fehlt

Wortlaut HieronymusCodices S. T. B.

10, 12b

Le. Bu.

inspectjo tua



et inspectio tua custodiuit spiritum meum

12, 19b

To.

et potentes ter14 terre evertit



et potentes terrae ­euertit

14, 5

Le. Bu. To.

etjam si unius diei ­fuerit vita eius super terram



etiamsi unius diei fuerit uita eius super terram

18, 4b

Le. Bu. To.

si tu mortuus15 fueris sub celo non abitabitur



si tu mortuus fueris, sub caelo non habitabitur16?

19, 12a

Le. To.

temtatjones



simul uenerunt temptationes17 eius

20, 5a

Le. Bu. To.

iucunditas impiorum ruina magna est



iocunditas18 impiorum ruina magna est

20, 20a

To.

non est salus substantie eius



non est salus substantiae eius

21, 7b

Le. Bu.

et sennuerunt19 in divitjis



et senuerunt in diuitiis

21, 9b

To.

nec flagellum domini



nec flagellum domini

21, 17c

To.

tenebunt eos ab ira



dolores autem tenebunt eos ab ira

21, 22a

To.

Numquid non dominus qui docet sensum et scientiam



Numquid non dominus est qui docet sensum et scientiam?

21, 26a

Bu.

in terra



et simul in terra ­dormient

22, 12ab

To.

nonne qui in excelso manet respicit et iniuriam facientes humiliat



nonne qui in excelso manet

qui dicunt dominus quid faciet nobis



22, 17

Bu. To.

14 Dittographie von ter vor terrae . 15 T. mortus. 16 S. abitabitur. 17 S. temptationis. 18 S. iucunditas. 19 Sic Le.; Bu. sennerunt. 20 Caspari druckt irrtümlich respicit.

*S. perpicit20

T.  B. ­respicit

et iniuriam facientes humiliat? *S. qui dicunt quid faciaet nobis?

T. B. qui ­ dicunt dominus quid faciet nobis?

198 21 22 23 24 25 26 27 28 29

Reste von O. außerhalb von Hieronymus’ und Augustins Werken 

Hiob Kap./ Vers

Glosse steht in

Wortlaut Glosse

Wortlaut adn. = O. fehlt

Wortlaut HieronymusCodices S. T. B.

22, 20

Bu. To.

numquid non demolita21 est substantja eorum



S. numquid non temulita est substantia eorum?

T. B. numquid non demolita est substantia eorum?

23, 4

To.

ut dicam coram eo causam meam



* S. ut dicam causam meam

T. B. ut dicam coram eo causam22 meam

23, 17

To.

nec enim sciebam quod supervenirent mihi tenebre et ante faciem meam tegeret (?)23 caligo



nec enim sciebam quod superuenirent mihi tenebrae24 et ante faciem meam tegeret caligo

24, 15c

To.

et latibulum faciei posuit



et latibulum faciei posuit

24, 19a

To.

appareant plantationes eorum super terram aride



appareant plantationes eorum super terram aridae25

26, 12a

To.

nonne cui omnis est ­ sapientia



nonne cui omnis est ­ sapientia?

27, 17b

Bu.

et substantiam eius veraces possidebunt



et substantiam eius ueraces possidebunt

30, 21

Bu.

adgressus es me sine ­ misericordia manu potenti verberasti me



aggressus26 es me sine ­ misericordia manu potenti uerberasti me

30, 29a

Bu.

sirenarum



frater factus sum sirenarum

30, 31b

Bu.

psalmus meus



et psalmus meus in fletu

31, 7c

To.

si manibus meis tetigi ­ munera



si manibus meis tetigi27 ­ munera

34, 11b

Bu.

et iusta28 viam suam unusquisque repperiet



et iuxta uiam suam ­ unusquisque reperiet29

34, 21b

Bu.

nec latet eum quicquam eorum que faciunt



nec latet eum quicquam ­ eorum * S. qui ­ faciunt

21 T. demulita. 22 B. causa ist ein Kopierfehler (Haplographie vor meam). 23 So die Kollation Vattaris (1996) 26. 24 S. tenebre. 25 S. aride. 26 S. aggeressus; Caspari druckt ageressus. 27 S. detigi. 28 Iusta ist Kopierfehler für iuxta. 29 T. repperiet.

T. B. quae ­ faciunt

199

Grenzen für die Rekonstruktion von O. anhand der Glossen   Hiob Kap./ Vers

Glosse steht in

Wortlaut Glosse

Wortlaut adn. = O. fehlt

40, 4b

To.

audiens talia quum nihil sim – quod responsum dabo

Wortlaut HieronymusCodices S. T. B. S. fehlt

T. B. audiens talia T. cum nichil sim

B. cum nihil sum

quod responsum dabo? 40, 31a

To.

et omnes naves si conve­ niant non portabunt corium caude eius



S. fehlt

et omnes naues si conueniant non portabunt corium caudae30 eius

30

Fazit: In diesem Abschnitt hat sich gezeigt, dass an vielen Stellen die Über­ lieferungslage mehrdeutig ist und keine klaren Rückschlüsse zulässt, ob die betreffenden Glossentexte aus der Erstfassung O. oder der Endfassung T. stammen. So stößt unsere Suche nach gesicherten Resten der Erstfassung O. auch hier an Grenzen.

9.3 Einzelanalysen schwieriger Glossen aus O. Im Licht der bisher zu den Glossen vorgetragenen Überlegungen kann man bei allen im folgenden Abschnitt besprochenen Stellen davon ausgehen, dass sie auf Hieronymus’ Erstfassung O. zurückgehen: Das zeigt die jeweilige Überlieferungslage. Mit Blick auf die Urtexte stellt sich aber die Frage, ob diese Lesarten in O. allein standen oder als Doppelübersetzungen noch andere Varianten neben sich hatten. Für eine möglichst genaue Rekonstruktion von O. ist diese Frage von erheblichem Belang. Wie sich oben in den Kapiteln 2 und 3 zeigte, hat Hieronymus in O. häufiger eine Übersetzung nach dem Hebräischen vorgeschlagen und anschließend bei der ersten Revision in S. gegen eine Übersetzung aus dem Griechischen ausgetauscht. Dagegen ist nur selten zu beobachten, dass Hieronymus in O. eine Version nach dem Griechischen bot und anschließend in S. zu einer neuen Übersetzung nach dem Hebräischen wechselte31. Vielmehr stand in solchen Fällen die Übersetzung nach dem Hebräischen schon in O. als Doppelübersetzung neben der Version nach dem Griechischen; Hieronymus brauchte sie also in S. nicht neu zu entwickeln, sondern nur aus O. zu übernehmen. 30 B. caude. 31 Vgl. Kap. 11, S. 277–278 zu Iob 15, 2b und Kap. 20, S. 479 zu Iob 9, 2a sowie S. 480–481 zu Iob 9, 2b.

200

Reste von O. außerhalb von Hieronymus’ und Augustins Werken 

Falls diese Überlegungen zutreffen, ergibt sich für die Beurteilung der folgenden Fälle ein Wahrscheinlichkeitskriterium: Wenn eine aus O. stammende Glosse auf einer griechischen Vorlage basiert, während die revidierte Fassung in S. einen hebräischen Text wiedergibt, hat die Version von S. vermutlich auch schon als Doppelübersetzung in O. gestanden. Wenn dagegen die Glosse auf dem Hebräischen beruht, während S.  eine griechische Vorlage voraussetzt, kann Hieronymus den Übergang zum Griechischen auch erst in S. vollzogen haben. Solch ein Fall, in dem die Glosse hauptsächlich auf dem Hebräischen beruht und daher vielleicht allein in O. stand, liegt im Lemma Iob 5, 11b vor: Iob 5, 11b 32 Hiob Kap./ Vers

Glosse steht in

Wortlaut Glosse

Wortlaut adn. = O.

Wortlaut HieronymusCodices S. T. B.

5, 11b

Le.

et perditos exaltat in salute

fehlt

et qui perditos excitat in ­ salutem

M32: ‫ְו ֝ ֹק ְד ִ ֗רים ָׂש֣גְ בּו יֶ ֽׁשַ ע‬

LXX: καὶ ἀπολωλότας ἐξεγείροντα εἰς σωτηρίαν Hexapla (Üs des Symmachos): […] ἐν σωτηρίᾳ

Vulgata: et maerentes erigit sospitate

Während S. hier eine fast wörtliche Übersetzung der LXX bietet, stellt die Glosse eine Konflation eines von M abweichenden hebräischen Textes mit der Übersetzung des Symmachos dar. Auf Symmachos geht der präpositionale Ausdruck in­ salute zurück. Die hebräische Vorlage verrät sich durch die Nuance, die exaltare von excitare unterscheidet: Hinter Hieronymus’ exaltat steht dieselbe Wurzel ‫ׁשגב‬ („hoch sein“33) wie in M, aber nicht im Qal, sondern im Pi’el („hochkommen lassen“34), wie es auch die LXX voraussetzt. Wie die LXX konstruiert Hieronymus das hebräische Prädikat als Singular; in beider Vorlage war also die Pluralendung ‫ו‬- vor dem anlautenden – ‫ י‬des folgenden Wortes vermutlich durch Haplographie ausgefallen.

32 Dt.: und Trauernde haben hohes Heil erlangt (wörtl.: haben hoch gestanden in Bezug auf Heil). 33 Gesenius-Donner (2013) 1276 rechts. 34 Gesenius-Donner (2013) 1277 links.

201

Grenzen für die Rekonstruktion von O. anhand der Glossen  

Iob 9, 33ab In den schon von Berger publizierten Glossen zum Lemma 9, 33ab35 begegnet im zweiten Teilvers eine auffällige Auslassung: 36 37 38 39 40 Hiob Kap.u. Vers

Glosse im Toletanus

9, 33ab

utinam esset nobis arbiter et qui arguere et audire inter utrumque.

Fassung in O. lt. Aug., adn (ω2-Linie) (530, 22–23. 531, 1–2)

Fassung in S. T. B.

utinam esset nobis36 arbiter et qui argueret et qui audiret37 inter utrumque38

utinam esset39 nobis arbiter et qui argueret et qui audiret inter

S.

utrumque

T.

B.

utrosque

M40: ‫ל־ׁשנֵ ֽינּו‬ ְ ַ‫ָׁשת י ָֹ֣ד ו ע‬ ֖ ֵ ‫מוֹכיחַ י‬ ִ֑ ‫ל ֹא יֵׁש־ּבֵ ינֵ ֣ינּו‬ ֣

LXX: εἴθε ἦν ὁ μεσίτης ἡμῶν καὶ ἐλέγχων καὶ διακούων ἀνὰ μέσον ἀμφοτέρων

Vulgata: non est qui utrumque valeat arguere et ponere manum suam in ambobus

LXX Lukianische Rezension: […] καὶ ὁ ἐλέγχων […]

Die in der Glosse überlieferten beiden Infinitive arguere und audire sind nicht zu konstruieren und haben keine Basis in den Urtexten. Daneben fällt auf, dass in der Glosse auch das zweite qui fehlt. Vor einer Diskussion dieser Probleme sei darauf hingewiesen, dass die vorliegende Glosse nicht aus einem der revidierten Codices T. B. stammen kann, wie Berger meinte41, sondern auf die hier auch in S.  noch unrevidierte Fassung von O. zurückgeht. Das zeigt sich daran, dass die Glosse mit O. und S. utrumque liest, während Hieronymus in T. (vielleicht mit Blick auf den Plural ἀμφοτέρων der LXX) den Plural utrosque einsetzte, was der Kompilator von B. übernahm. Wenn also die Glosse jedenfalls auf O. zurückgeht – wie ist ihr Text zu erklären? Die Übersetzung des Hieronymus beruht im Ganzen auf der LXX, ist aber im Detail recht frei. Entscheidend ist zunächst das Verhältnis zwischen den beiden konsekutiven bzw. finalen Relativsätzen qui argueret et qui audiret und den griechischen Textvorlagen. Hier fällt auf, dass die Relativsätze jeweils freie Wiedergaben von Partizipien sind, die im Griechischen in zwei verschiedenen Lesarten überliefert sind: In der Hauptüberlieferung stehen beide ohne bestimmten Artikel, also nicht substantiviert, sondern in prädikativer Funktion. In der Lukianischen

35 Berger (1895) 133. 36 WX uobis. 37 I om. et qui audiret. 38 C argueret inter utrumque et qui audiret. 39 S. bietet durch Kopierfehler esse et. 40 Dt.: Nicht gibt es zwischen uns einen Schiedsrichter, der seine Hand auf uns beide legt/­ legen könnte. 41 Berger (1895) 133.

202

Reste von O. außerhalb von Hieronymus’ und Augustins Werken 

Rezension ist dagegen das erste Partizip durch den Artikel substantiviert, während das zweite weiter prädikativ steht42. Keine der Varianten der Versio prior gibt die beiden prädikativen Partizipien der griechischen Hauptüberlieferung wieder. Dagegen spiegelt sich m. E. in der Syntax der Glosse, in der nur das Pendant zum ersten Partizip durch qui eingeleitet wird, während das Gegenstück zum zweiten Partizip ohne qui bleibt, die asymmetrische griechische Nebenüberlieferung. Was also auf den ersten Blick im Licht der übrigen Tradition als Ausfall des zweiten qui erscheint, dürfte in Wirklichkeit dem Bemühen des Hieronymus geschuldet sein, in O. eine inkonzinne griechische Nebenüberlieferung nachzubilden. Der parallele Satzbau mit doppeltem qui, der durch Augustin ebenfalls schon für O. bezeugt ist und damit an dieser Stelle für O. eine Doppelübersetzung belegt, erklärt sich dann als ein freier Glättungsversuch, der sich aber an dem substantivierten ersten Partizip der Nebenüberlieferung orientiert und in den prädikativen Partizipien der Hauptüberlieferung nur insofern einen Anhalt findet, als diese das Muster für eine parallele Konstruktion der beiden Formen vorgeben. Was die beiden Infinitive arguere und audire betrifft, die in der Glosse so auffällig in der Luft hängen, scheint mir eine Erklärung durch ein doppeltes Kopierversehen wenig wahrscheinlich. Wenn man aber die These weiterverfolgt, dass die Glosse von dem – für die Erstfassung O. vielfach typischen – Bemühen des Hieronymus zeugt, auch randständige Textvorlagen heranzuziehen, zeichnet sich auch hier eine Lösung ab. Die Glosse ergäbe m. E. guten Sinn, wenn man mit dem Ausfall eines posset rechnete und schriebe: et qui arguere et audire inter utrumque. Ähnlich heißt es ja in der Vulgata: qui […] valeat arguere et ponere. Dabei ergäbe sich das posset aus dem ebenfalls für O. typischen Versuch des Hieronymus, durch Konflation auch den hebräischen Urtext in seine Übersetzung mit einzubeziehen: Denn arguere posset entspräche hier – ebenso wie valeat […] ponere der Vulgata – der Imperfektform ‫ י ֵָׁש֖ת‬in M; und die modale Interpretation eines hebräischen Imperfekts durch lateinisches posse ist in der Versio prior des Hiob-Textes noch mehrfach belegt – teils in Nachahmung der LXX43, ebenso häufig aber auch noch darüber hinaus44.

42 Vgl. Ziegler (1982) 253. 43 Schon die LXX deutet hebräisches Imperfekt durch Formen von δύναμαι an folgenden Stellen, an denen Hieronymus mit Formen von posse übersetzt: Iob 7, 20a; 10, 15b; 35, 6b; 40, 14b. 44 Erst Hieronymus führt diese Deutung an folgenden Stellen ein: Iob 6, 6a; 9, 2b; 34, 29a; 37, 4c.

203

Grenzen für die Rekonstruktion von O. anhand der Glossen  

Iob 12, 6ac Das Lemma von Iob 12, 6ac wird in den – hier ungewöhnlich langen – Glossen von León und von Toledo verschieden wiedergegeben. Die Tabelle fasst die Textüberlieferung der drei Teilverse zusammen: 45 46 Hiob Kap./ Vers

Wortlaut Glosse Le.

Wortlaut Glosse To.45

Fassung in O. lt. Aug., adn. (ω2-Linie) 

Wortlaut Hieronymus-Codices S. T. B.

12, 6a

immo vero nullus confidet quum sit nequam se inpunitum

immo vero nullus confidat quum sit nequam se impunitum futurum

(535, 7–8) immo uero nullus confidat, cum sit nequam, se inpunitum ­ futurum

* S. iniquissimo uiro.

T. B. immo uero

nullus confidat, cum sit nequam, se inpunitum futurum

12, 6b

quodquod iracundja provocant deum

quodquod in iracundiam provocant deum

übersprungen

* S. quodquod in iracundia provocant deum

T. quod in iracundiam provocat deum

B. quotquot in iracundiam provocant deum

12, 6c

tanquam inquisitjo non sit

tamquam inqui­ sitjo non sit ­ futura

(535, 9) tamquam inqui­sitio in eos non sit futura

tamquam inquisitio in eos non sit futura

tamquam inquisitio in eo non sit futura

tamquam inquisitio in eos non sit futura

M46: ‫יִ ְׁש ָל֤יּו ֹֽאהָ ִ֨לים׀ ְל ֥ ֹׁש ְד ִ ֗דים ּֽ֭ובַ ּטֻ חוֹת ְלמַ ְר ִּג ֣יזֵי ֵא֑ל‬ ‫א לֹ֣ וּהַ ְּב י ָֹֽדו‬ ֱ ‫א ֶׁש֤ר הֵ ִ ֖ביא‬ ֲ ַ‫ל‬

LXX: οὐ μὴν δὲ ἀλλὰ μηδεὶς πεποιθέτω πονηρὸς ὢν ἀθῷος ἔσεσθαι, ὅσοι παροργίζουσιν τὸν κύριον, ὡς οὐχὶ καὶ ἔτασις αὐτῶν ἔσται

Vulgata: abundant tabernacula praedonum et audacter provocant Deum cum ipse dederit omnia in manibus ­ eorum

Ungeachtet ihrer zahlreichen Unterschiede beruhen all diese Versionen grundsätzlich auf der LXX. Trotzdem hat Hieronymus mit einem Detail auch den hebräischen Text, der als Gesamtvorlage nicht in Frage kommt, mit einbezogen: Die Provokation der Sünder richtet sich bei ihm nicht – wie in der LXX – gegen den Herrn (τὸν κύριον), sondern wie im hebräischen Text (und später in der Vulgata) gegen Gott (‫) ֵא֑ל‬.

45 Die Glosse im Toletanus wurde schon von Berger (1895) 133 veröffentlicht. 46 Dt.: Ruhig sind/werden sein Zelte für Gewalttäter und in sicheren Verhältnissen für Leute, die Gott zum Zorn reizen, für einen, der den Allmächtigen einhergeführt hat in seiner Hand.

204

Reste von O. außerhalb von Hieronymus’ und Augustins Werken 

Die Textgeschichte der Stelle lässt sich besonders klar an dem mittleren TeilLemma ablesen, obwohl Augustin gerade diese Partie übersprungen hat. Zunächst einmal wird deutlich, dass die Glosse im Toletanus  – anders als von Berger angenommen47 – nicht aus T. stammt. In T. nämlich hat Hieronymus eine tiefgreifende Umformung der Teilverse Iob 12, 6bc vorgenommen, indem er ohne Anhalt in den Urtexten die Pluralformen prouocant und in eos zu den Singularfomen prouocat und in eo umbildete; im Zusammenhang damit machte er aus dem bisherigen Subjekt quotquot die Subjunktion quod. Der Kompilator von B. hat sich an dieser Stelle nicht an T. gehalten; damit geht sein Text hier auf O. zurück. Dieser Schluss wird dadurch bestätigt, dass auch Augustins Zitate der Teil-Lemmata 12, 6a und c genau mit B. übereinstimmen. Die Fassung von S. dagegen ist mit dem Ausdruck in iracundia wieder einmal eine typische Sonderform zwischen O. und T., die beide in iracundiam lesen. Die Glosse im Toletanus stimmt – wenn man von dem Ausfall des in eos gegen Ende absieht – wörtlich mit Augustins Zitaten und mit B. überein; daher stammt auch sie aus O. Die Auslassung von in eos geht auf keinen Urtext zurück. Da sie auch in der Glosse im Leonensis vorliegt, handelt es sich vermutlich schon um eine Lücke bzw. eine Kürzung in ihrer gemeinsamen Vorlage. Die Glosse im Legionensis weist im Vergleich mit der Glosse im Toletanus mehrere Abweichungen auf. Das durch keinen Urtext gestützte Futur confidet ist ein Kopierfehler statt des Konjunktivs confidat48, der hier dem Imperativ πεποιθέτω entspricht. Die Auslassung von futurum (am Ende von Teilvers  a nach inpunitum) bzw. von futura (am Schluss von Teilvers c nach sit) lässt sich jeweils als bewusste Kürzung durch den Glossator verstehen. Problematisch ist einzig die Erklärung des reinen Ablativs iracundia als Näherbestimmung von provocant deum, wo S. in iracundia und die restlichen Zeugen in iracundiam lesen. Da es sich in allen Fällen um eine freie Übersetzung des griechischen Ausdrucks παροργίζουσιν τὸν κύριον handelt und alle drei Ausdrücke im Kontext sinnvoll zu verstehen sind, war iracundia möglicherweise ein Alternativvorschlag des Hieronymus in O. zu in iracundiam.

47 Berger (1895) 133. 48 Berger (1895) 133 entzifferte das confidat des Toletanus irrtümlich als confidet.

Grenzen für die Rekonstruktion von O. anhand der Glossen  

205

Iob 14, 4 49 Hiob Kap./ Vers

Wortlaut Glossen Le.

14, 4

quis erit mundus a sorde? unus quidem

Bu. nec unus quidem

To.

Wortlaut adn. = O.

Wortlaut HieronymusCodices S. T. B.

fehlt

quis enim erit mundus

ne unus quidem

etjam si unius diei fuerit vita eius

illius

S. T. B. a sorte? ne absque sorunus quidem de? nec unus quidem etiamsi unius diei fuerit uita eius super terram

super terram M49: ‫ִ ֽמי־יִ ֵּת֣ן ָ֭טהוֹר ִמּטָ ֗ ֵמא ֣ל ֹא אֶ ָ ֽחד‬

LXX: τίς γὰρ καθαρὸς ἔσται ἀπὸ ῥύπου; ἀλλ’ οὐθείς

Vulgata: quis potest facere mundum de inmundo conceptum semine nonne tu qui solus es

Aus dem einstimmigen Zeugnis aller drei Glossen zu Beginn geht hervor, dass der Text quis erit mundus a sorde? in O. stand. (Die Lesart a sorde unterscheidet hier O. von S. und T. B.) Dann fahren die Glossen aber je verschieden fort: Im Legionensis fehlt die Negation ne bzw. nec – ein klarer Kopierfehler. Die Bibel von Burgos zitiert mit nec Hieronymus’ Endfassung T., während der Toletanus mit ne die Fassung von S. wiedergibt. Zur Deutung dieses Falles muss man sich vergegenwärtigen, dass es sich – wie Ziegler gezeigt hat50 – um eins der häufigsten Hiob-Zitate der lateinischen Patristik handelt. Außerdem muss ich hier vorwegnehmen, dass normalerweise die beiden Lesarten a sorde? ne unus quidem bzw. absque sorde? nec unus quidem immer nur sauber getrennt vorkommen51. Der hier im Codex von Burgos vorliegende isolierte Fall eines gleitenden Übergangs von einer Lesart von O. (a sorde) zu einer Lesart von T. (nec unus quidem) geht deshalb m. E. weder auf eine Doppelübersetzung in O. noch auf einen bewussten Eintrag einer Lesart aus T. zurück. Vielmehr dürfte er sich dadurch erklären, dass der Glossator von Burgos beide Lesarten im Kopf hatte und deshalb unwillkürlich von einer Fassung zur anderen überging. Gerade bei einem so verbreiteten Hiob-Vers lag ein Zitat aus dem Gedächtnis mit seinen typischen kleinen Verschiebungen besonders nahe. Immerhin zeigt diese Stelle, dass der Glossator der Burgos-Bibel punktuell auch mit einer typischen Lesart von T. in Berührung gekommen ist. Der Beleg reicht aber nicht hin, um eine bewusste Auswertung der Hieronymus-Fassung T. zu beweisen, die der stark ausgeprägten Abhängigkeit der Glossatoren von O. vergleichbar wäre. 49 Dt.: O dass doch ein Reiner von einem Unreinen ! Nicht ein einziger. 50 Ziegler (19852). 51 Vgl. dazu unten Kap. 19, S. 463–465.

206

Reste von O. außerhalb von Hieronymus’ und Augustins Werken 

Vielleicht hat der Glossator der Bibel von Burgos hier aber auch nicht selbst aus dem Gedächtnis zitiert, sondern die beiden Lesarten ne und nec schon in der Vorlage der Glossatoren als Variae lectiones vorgefunden. Dann wäre deren Kompilator für die Assoziation beider Varianten verantwortlich. Iob 18, 20ab Die Glosse im Toletanus liest hier infirmi, während die drei Hieronymus-Codices S. T. B. infimi bieten: 52 Hiob Kap./ Vers

Glosse steht in

Wortlaut Glosse

Wortlaut adn. = O.

Wortlaut HieronymusCodices S. T. B.

18, 20ab

To.

infirmi et proceres

fehlt

super eum gemuerunt infimi et proceres tenuit ­ miraculum

M52: ‫עַ ל־יֹ֖ומוֹ נ ַָׁשּ֣מּו אַ ֲח ֹר ִנ ֑ים ְו ֝קַ ְד ֹמ ִ ֗נים ָא֣ ֲחזּו ָ ֽׂשעַ ר‬

LXX: ἐπ’ αὐτῷ ἐστέναξαν ἔσχατοι, πρώτους δὲ ἔσχεν θαῦμα

Vulgata: in die eius stupebunt novissimi et primos invadet horror

Im Gegenüber zu proceres ist inhaltlich nur die Lesart infimi aus S. T. B. richtig. Das heißt aber nicht, dass sie deshalb auch schon für O. vorauszusetzen ist. Aus mehreren anderen Stellen geht nämlich hervor, dass sich Hieronymus in der Versio prior mit der Unterscheidung zwischen den Begriffen infimi und infirmi schwer getan hat. So übersetzt er in Iob 5, 11a das griechische ταπεινοὺς in S. mit infimos, aber in der Endfassung T. (B.) mit dem dort weniger passenden infirmos. In zwei anderen Fällen sind – wie im vorliegenden Fall mit ἔσχατοι – griechische Steigerungsformen im Spiel. Der Komparativ ἥττονες wird in Iob 5, 4b in O. und S. mit infirmi, aber in Iob 20, 10a ebenfalls in S. mit infimi wiedergegeben. Der Elativ ἐλάχιστοι erscheint in Iob 18, 7a in O. und S. als infimi und in T. (B.) als infirmi, aber in Iob 30, 1b genau umgekehrt in O. und S. als infirmi und erst in T. (B.) als infimi53. Mit den eben zitierten Belegen sind alle Beispiele für infimus, a, um genannt, die in der Versio prior vorkommen. Wie sich zeigt, hat Hieronymus auf den verschiedenen Stufen der ersten Hiob-Übersetzung überall die Variante infirmus, a, um erwogen. Infirmus, a, um nämlich ist ein Lieblingswort des Hieronymus, das noch an neun anderen Stellen als feste Gleichung für das griechische ἀδύνατος, ον belegt 52 Dt.: Über seinen Tag haben sich entsetzt Hinteren (= Westlichen), und Vorderen (= Östlichen) haben (sic) gepackt Entsetzen. 53 Vgl. zu diesem Lemma Trenkler (2017) 204–205 (Kap. 15, Beleg 22).

207

Grenzen für die Rekonstruktion von O. anhand der Glossen  

ist54, das seinerseits von dem LXX-Übersetzer zur Wiedergabe mehrerer hebräischer Termini benutzt wurde55. Angesichts dieser Parallelen sehe ich für den vorliegenden Fall von Iob 18, 20a, wo der griechische Elativ ἔσχατοι in der Glosse des Toletanus mit infirmi, aber in den drei Hieronymus-Codices S. T. B. mit dem besser passenden infimi wieder­ gegeben wird, drei Erklärungsmöglichkeiten: Die Lesart der Glosse infirmi ist vielleicht ein bloßer Kopierfehler, wie es sie im Codex von Toledo häufiger gibt56. Wenn die Lesart der Glosse kein Kopierfehler ist, muss sie, da sie von S. T. B. abweicht, aus O. stammen. Dann gibt es erneut zwei Möglichkeiten: Entweder repräsentiert die Glosse gegenüber den Codices S. T. B. die einzige ursprüngliche Lesart von O. (die sich aus Hieronymus’ Vorliebe für infirmus erklären würde), oder beide Varianten standen als Doppelübersetzungen in O. nebeneinander, weil sich Hieronymus in dem isolierten Fall des griechischen ἔσχατοι besonders unsicher war, wie die treffende Übersetzung lauten sollte. Da m. E. weder die Überlieferungslage noch die Parallelen eindeutig dafür sprechen, den Glossentext als Schreiberirrtum einzuschätzen, scheint mir wahrscheinlich, dass die Lesart infirmi in O. gestanden hat. Es muss aber offen bleiben, ob O. zugleich auch schon die bessere Variante infimi enthielt. Damit wirft diese Stelle ein weiteres Schlaglicht auf die Schwierigkeit, die ursprüngliche Form der Erstfassung O. eindeutig zu rekonstruieren. Iob 20, 7ab Einen Fehler enthält die Glosse des Toletanus zu Iob 20, 7ab: 57 Hiob Kap./ Vers

Glosse steht in

Wortlaut Glosse

Wortlaut adn. = O.

Wortlaut HieronymusCodices S. T. B.

20, 7ab

To.

qui putabant iam se ­ stabilem

fehlt

cum putauerit se iam stabilem esse

nunc in finem peribit

M57: ‫ֹאמ ֥רּו אַ ּיֹֽ ו‬ ְ ‫ר ָ֗א יו י‬ ֹ ֝ ‫ֹאב֑ד‬ ֵ ‫ְ ֽכּ֭ ֶגלֲלוֹ לָ נֶ ֣צַ ח י‬

tunc in fine ­ peribit

in fine peribit

tunc in fine ­ peribit

LXX: ὅταν γὰρ δοκῇ ἤδη κατεστηρίχθαι, τότε εἰς τέλος ἀπολεῖται

Vulgata: quasi sterquilinium in fine perdetur et qui eum ­ viderant dicent ubi est

54 Iob 5, 15; 24, 6. 22; 31, 16. 20. 34; 34, 20; 36, 15. 19. 55 Für ἀδύνατος als Lieblingswort des Hiob-Übersetzers vgl. Hatch-Redpath (1897) Bd. 1, 28 links. 56 Vgl. die Mängelliste unten am Kapitelende (S. 224–227), besonders die Zusammenfassung am Schluss. 57 Dt.: Wie sein Kot wird er auf immer untergehen; die ihn sehen, werden sprechen: Wo er?

208

Reste von O. außerhalb von Hieronymus’ und Augustins Werken 

Fehlerhaft ist der Plural putabant im Teil-Lemma Iob 20, 7a: Wie der Singular stabilem zeigt, muss vielmehr der Singular putabat stehen, der hier den doppelten Akkusativ se und stabilem regiert, während das putauerit der Codices S. T. B. einen AcI einleitet. Der Blick auf die Urtexte zeigt, dass die Konstruktion der revidierten Codices S. T. B. auf der LXX beruht: Der konjunktionale Nebensatz mit cum entspricht dem ὅτε-Satz und der AcI se […] stabilem esse der Infinitivkonstruktion κατεστηρίχθαι. Die LXX wiederum setzt einen anderen hebräischen Text als M voraus: Statt ֹ‫ְ ֽכּ֭ ֶגלֲלו‬ („wie sein Kot“) boten LXX und Hieronymus nach der einleitenden Präposition ‫ ְכ‬einen Infinitivus constructus – vielleicht vom Stamm Polal der Wurzel ‫„( כון‬befestigt werden“58). So ergab sich eine Zeitangabe, die sich im Griechischen und Lateinischen mit einem Temporalsatz umschreiben ließ. Die Glosse im Toletanus wiederum beruht direkt auf einem hebräischen Text, der sich sowohl von M als auch von der Vorlage der LXX unterschied. Hieronymus las statt der Präposition ‫ ְכ‬offenbar ein ‫מ‬, das mit dem wohl schon von der LXX übersetzten Polal der Wurzel ‫„( כון‬befestigen“) das Partizip ‫ מכונן‬59 bildete, das Hieronymus mit dem Relativsatz qui putabat se stabilem wiedergab. Die Glosse stammt aus O.; also beruhte dort die Übersetzung des Hieronymus primär auf dem Hebräischen. Mit iam, das das griechische ἤδη wiedergibt, enthielt sie jedoch auch ein Element der LXX. Die Erstübersetzung O. stellte also eine Konflation dar, die Hieronymus in S. T. B. zugunsten einer reinen Übersetzung nach dem Griechischen aufgelöst hat. Im folgenden Teil-Lemma Iob 20, 7b ist das einzige Detail, an dem Hieronymus in allen Versionen festhält, das Prädikat peribit. Dieses entspricht sowohl dem hebräischen ‫ֹאב֑ד‬ ֵ ‫ י‬wie dem griechischen ἀπολεῖται. Im Übrigen hat er seine Textbasis auf dem Weg von O. zu T. verschoben. Aus der Übereinstimmung von S. und B. gegenüber T. ergibt sich, dass S. und B. hier eine zweite Übersetzung aus O. bezeugen, die neben dem Text der Glosse stand. Auch diese zweite Version stellt eine Konflation dar: tunc beruht auf dem in der LXX frei hinzugesetzten τότε, während in fine nicht das griechische εἰς τέλος wiedergibt, sondern den hebräischen Ausdruck ‫לָ נֶ ֣צַ ח‬. Dessen einleitendes ‫ ל‬antwortet nicht so eindeutig auf die Frage „wie lange?“ wie das griechische εἰς, sondern kann in temporalen Wendungen auch Antwort auf die Frage „wann?“ geben. (Deshalb steht in fine auch in der Vulgata.) Erst in T. hat sich Hieronymus dann allein auf die hebräische Textvorlage gestützt und tunc getilgt, das nur auf der LXX basierte60.

58 Vgl. Gesenius-Donner (2013) 532 rechts. Das Polal würde die Verdoppelung des Nun erklären, die angesichts des doppelten Lamed von ‫ גלל‬im Schriftbild zu erwarten ist. 59 Diese Form wird von Gesenius-Donner (2013) 532 rechts für Sirach 49, 12 nachgewiesen. 60 Vgl. für ähnliche Fälle einer Rückbesinnung auf das Hebräische in T. Kap. 7, S. 133–134.

209

Grenzen für die Rekonstruktion von O. anhand der Glossen  

Iob 20, 18a Die Analyse der nächsten Stelle ist schwierig, weil Augustin das Lemma nur zur Hälfte zitiert. (Nach seiner Auslegung zu urteilen, liegt auch kein Fall vor, in dem der Kopist das Lemma aus Unachtsamkeit nur verkürzt abgeschrieben hat61.) 62 63 64 Hiob Kap./ Vers

20, 18a

Glosse steht in

Le. Bu.

Wortlaut Glossen

Wortlaut adn. = O. (551, 22–23)

Wortlaut HieronymusCodices S. T. B.

Le.

Bu.

ω1-Linie = ω 2-Linie

inanum62 et frustra laborauit

in vanum et frustra laborabit

in uanum63 et frustra laborauit

in uanum et frustra labo­ rauit divitias

übersprungen

* S. de quibus gustaturus

divitias congregare de ­ quibus non est gustaturus

M64: ‫מֵ ִׁש֣יב ָי ֭גָע וְ ֣ל ֹא יִ ְב ָל ֑ע‬

T. B. de quibus non est gustaturus

LXX: εἰς κενὰ καὶ μάταια ἐκοπίασεν πλοῦτον ἐξ οὗ οὐ γεύσεται

Vulgata: luet quae fecit nec tamen consumetur

Alle hier vorliegenden Varianten der Versio prior beruhen auf der LXX; so auch das Perfekt laborauit als Äquivalent des Aorists ἐκοπίασεν. Also hat laborauit mit hoher Wahrscheinlichkeit schon in O. gestanden. Darauf weist auch die Übereinstimmung der beiden Überlieferungsstränge der Adnotationes hin, weil die Fratres nach Trenklers Feststellungen kaum je dieselben Lesarten aus T. in ihre Hyparchetypoi übertragen haben65. Die Variante laborabit in der Glosse der Bibel von Burgos ist nicht eindeutig zu erklären. Es kann sich entweder um den verbreiteten Hörfehler handeln (die Verwechslung von -uit und -bit); es kann aber auch ein Versuch des Hieronymus sein, in der Erstfassung O. eine alternative Tempusfunktion zur Auswahl zu stellen, die die Imperfektform des Hebräischen widerspiegelte, auch wenn der hebräische Text im Übrigen nicht in die Übersetzung einging. Wie die Glossen zeigen, hat Hieronymus in O. das Wort congregare eingeschoben, um die unlateinische Fügung laborare diuitias zu vermeiden, die sich bei der wörtlichen Übersetzung des ἐκοπίασεν πλοῦτον der LXX ergab. Diesen freien Zusatz in O. hat Hieronymus bei der Revision in S. wieder kassiert. Auch dieses Detail bestätigt, dass der Glossentext aus O. stammt. 61 Für solche Fälle vgl. Trenkler (2017) Kap. 9, Belege 9–11 und S. 124. 62 inanum statt in uanum ist ein bloßer Kopierfehler. 63 M* manum. 64 Dt.: Einer, der Erworbenes zurückgibt und nicht verschlingt. 65 Trenkler (2017) 191–194 hat nur zwei Belege gefunden.

210

Reste von O. außerhalb von Hieronymus’ und Augustins Werken 

Iob 20, 25ac 66 67 68 Hiob Kap./ Vers

Wortlaut Glosse Le.

Wortlaut Glosse To.

Wortlaut adn. = O. (552, 10. 13)

Wortlaut Hieronymus-Codices S. T. B.

ω1-Linie ω2-Linie Fragm. codd. B cett. + edd. 20, 25a

pertransit corpus eius iacula

pertransiet corpus eius iaculum

pertranseat corpus eius iaculum

pertranseat corpus eius iaculum

25b

fulgura in abitaculis eius

fulgura et in habitaculis eius

fulgura in

fulgura in habitaculis66 eius

discurrant terribiliter

discurrant super eum terribiliter

übersprungen

25c

habitaculis67 eius

M68:‫ׁשָ לַ ף ֮ ַו ֵּי ֵצ֪א ִמ ֫ ֵּגוָ ֥ה ו ּ֭בָ ָרק ִ ֽמ ְּמ ֹר ָרתֹ֥ ו ַי ֲה ֹ֗לְך עָ ָל֥יו אֵ ִ ֽמים‬

tabernaculis eius

discurrant super eum terribiliter

LXX: διεξέλθοι δὲ διὰ σώματος αὐτοῦ βέλος, ἀστραπαὶ δὲ ἐν διαίταις αὐτοῦ παριπατήσαισαν· * ἐπ’ αὐτῷ φόβοι.

Vulgata: eductus et egrediens de vagina sua et fulgurans in amaritudine sua vadent et venient super eum horribiles

Da der Konjunktiv pertranseat durch Augustins Auslegung (552, 11) penetret bestätigt wird und überdies die ω2-Linie die im Verhältnis zu den anderen Zeugen singuläre Lesart tabernaculis bewahrt69, ist der Text der ω2-Überlieferung für O. gesichert. Die Vorlage dieser Fassung in O. war eine für Hieronymus typische Konflation. Als Hauptvorlage diente, wie die Gesamtsyntax und vor allem die Konjunktive pertranseant und discurrant zeigen, die LXX mit dem doppelten Optativ διεξέλθοι und παριπατήσαισαν. Der Einfluss des hebräischen Textes zeigt sich in der adverbialen Auffassung des letzten Wortes: Während die LXX entsprechend der hebräischen Syntax φόβοι als neues Subjekt eines Nominalsatzes einführt, versuchte Hieronymus, das hebräische Stichwort ‫„( אֵ ִ ֽמים‬Schrecken“) als Adverb terribiliter zu integrieren.

66 S. abitaculis. 67 Diese Lesart steht auch im Codex I, der hier vermutlich aus der ω1-Linie kontaminiert ist. 68 Dt.: Er hat herausgezogen und es ging hinaus aus Rücken, und ein Blitz wird aus seinen Gallengängen fahren; über ihm Schrecken. 69 Die Variante habitaculis hat erst der ω1-Frater unter dem Einfluss von T. in seinen Hyparchetypos übernommen: Vgl. Trenkler (2017) 185 (Kap. 14, Beleg 16).

Grenzen für die Rekonstruktion von O. anhand der Glossen  

211

Nun zu den Glossen: Durch den Ausdruck in (h)abitaculis stimmen sie mit den revidierten Lesarten von S. T. B. überein. Trotzdem stammen sie nicht aus T., sondern aus O. (wo also habitaculis und tabernaculis als Doppelübersetzungen gestanden haben); denn die Prädikate pertransit (Le.) bzw. pertransiet (To.) zeigen, dass Hieronymus dort wieder verschiedene Möglichkeiten zur Wahl stellte, den hebräischen Text zu interpretieren. Dabei hat er noch nicht – wie später in der Vulgata – die von M gelesene Wurzel ‫„( ׁשלף‬ein Schwert aus der Scheide ziehen“70) vor Augen, sondern geht mit der LXX von der Wurzel ‫„( צלח‬durchdringen“71) aus. Anders jedoch als die LXX, deren Optativ keinen Anhalt im Hebräischen hat, hält sich Hieronymus enger an die hebräische Vorlage. Allerdings hat er das Perfekt Qal, mit dem der hebräische Text beginnt, als Partizip Aktiv Qal vokalisiert. Das hebräische Partizip ließ sowohl eine nachzeitige als auch eine gleichzeitige Deutung zu. Das erklärt die Alternativen pertransiet und pertransit, die in den Glossen Le. und To. vorliegen. All diese Details tragen so deutlich die Handschrift des Übersetzers Hieronymus, dass m. E. kaum zu bezweifeln ist, dass Hieronymus an der vorliegenden Stelle in der Erstfassung O. drei Vorschläge für die Wiedergabe des Prädikats gemacht hat  – pertransiet und pertransit nach dem Hebräischen sowie pertranseat nach der LXX. Die Glossen zeigen überdies, dass Hieronymus in O. noch ein weiteres alter­ natives Detail vorgeschlagen hat – den steigernden Einschub von et vor in habitaculis, den die Glosse im Toletanus bezeugt. Hier handelt es sich m. E. um einen freien Eingriff des Übersetzers, der auf die vorliegende Hyperbole („Blitze sogar in den Zelten“) hinweisen sollte, den aber Hieronymus in S. zugunsten einer wörtlicheren Übersetzung wieder gestrichen hat. Dagegen lassen zwei Details der Glosse im Codex Legionensis keine Schlüsse auf O. zu. Die Auslassung des Ausdrucks super eum (der seine Vorlage sowohl im Hebräischen als auch im griechischen Text hat) lässt sich als bewusste Kürzung durch den Glossator verstehen. Dagegen ist die Form iacula (statt iaculum) ein eindeutiger Fehler. Iob 23, 7a Die Überlieferung im Lemma Iob 23, 7ab ist besonders unübersichtlich. Ich bespreche die beiden Teil-Lemmata einzeln, da das erste auf einer griechischen, das zweite dagegen auf einer hebräischen Textvorlage basiert – ein weiteres Beispiel für Hieronymus’ Verfahren, seine Vorlagen auf engstem Raum zu wechseln.

70 Vgl. Gesenius-Donner (2013) 1371 links – rechts. 71 Vgl. Gesenius-Donner (2013) 1118 links.

212 72

Hiob Kap./ Vers

Reste von O. außerhalb von Hieronymus’ und Augustins Werken  Glosse steht in

Wortlaut Glosse

Wortlaut adn. = O. ω2-Linie (557, 1) Variante 1 codd. vett. + Zy.

23, 7a

To.

veritas enim et increpatjo a deo est

M72: ‫נוֹכ ֣ח ִעּמֹ֑ ו‬ ָ ‫ׁשם יָׁ֭שָ ר‬ ָ֗

Variante 2 codd. recc. + Am. Er. Lovv. Maur.

ueritas enim et increpatio ab eo est

est ab eo

Wortlaut HieronymusCodices S. T. B.

S. T.

B.

ueritas enim et increpatio ab eo est

ueritas enim et ­ increpatio ab eo

LXX: ἀλήθεια γὰρ καὶ ἔλεγχος παρ’ αὐτοῦ

Vulgata: proponat aequitatem contra me

Von diesen verschiedenen Fassungen dürften mindestens drei als Mehrfachübersetzungen in O. gestanden haben. Die Fassung von B. hängt hier nicht von T. ab; außerdem gibt sie als Nominalsatz ohne est die griechische Vorlage wörtlich wieder. Somit scheint mir ihre Herkunft aus O. gesichert zu sein. Im ω2-Hyparchetypos der Adnotationes standen die beiden Wortstellungen ab eo est und est ab eo zur Wahl. Also hat der ω2-Frater in seiner Vorlage O. auch diese beiden Lesarten vorgefunden; denn wenn er die Variante ab eo est aus T. entnommen hätte, hätte er die Alternative unterdrückt. Aus Augustins Interpretation (557, 1–2) ist nicht ersichtlich, welche Wortstellung er bevorzugte; weil die fragliche Wortgruppe am Ende des Teil-Lemmas steht, hat sie der Stenograph vermutlich nicht mitgeschrieben. Zycha folgt hier den älteren Codices P und T; aber deren Alter bzw. Präferenz hat angesichts des bereits gespaltenen Hyparchetypos kein sachliches Gewicht. Der von Augustin in den Adnotationes vorausgesetzte Text ist hier also wieder einmal nicht genau zu rekonstruieren. Die Glosse im Toletanus gehört zu jener Gruppe, die entweder auf O. oder auf T. zurückgehen kann. Da die Endstellung des est sowohl in O. als auch in T. zu finden war, hängt alles davon ab, wie man den Ausdruck a deo beurteilt, der nur der Glosse eigen ist. Wenn man a deo für einen Kopierfehler anstelle von ab eo hält, kann die Glosse immer noch entweder aus O. oder aus T. stammen. Wenn man dagegen meint, a deo sei eine freie Zuspitzung des Hieronymus, um den Sinn des ab eo zu verdeutlichen, ginge die Glosse auf O. zurück. Damit würde allerdings die Anzahl der dortigen Varianten auf vier steigen. Ich wage keine Entscheidung.

72 Dt.: Dann gerecht einer, der mit ihm rechtet.

213

Grenzen für die Rekonstruktion von O. anhand der Glossen  

Iob 23, 7b 73 74 Hiob Kap./ Vers

Glosse steht in

23, 7b

To.

Wortlaut Glosse

Wortlaut adn. = O. (557, 2) ω1-Linie FGN

educet in fine iudicum meum

ω2-Linie cett. codd. + edd.

educit in fine

in finem

iudicium meum M74: ‫ַו ֲאפַ ְּל ָ ֥טה ֝ ָל ֗ ֶנצַ ח ִמ ֹּׁש ְפ ִ ֽטי‬

Wortlaut HieronymusCodices

S.

T.

B.

et ­ educet

educet

et ­ducet

in ­finem in fine iudicium73 meum

LXX: ἐξαγάγοι δὲ εἰς τέλος τὸ κρίμα μου

Vulgata: et perveniat ad victoriam iudicium meum

Keine der in diesem Teil-Lemma überlieferten Formen der Verben educere bzw. ducere gibt den Optativ der LXX wieder. Vielmehr ist der Wechsel zwischen den Indikativen des Futurs und des Präsens typisch für die verschiedenen Deutungsmöglichkeiten eines hebräischen Imperfekts. Wie noch das et perueniat der Vulgata zeigt, hat Hieronymus hier nicht die 1. Person Singular wie in M, sondern die 3. Person Singular vorgefunden. Die Vulgata zeigt zugleich, dass das verbindende et der Fassungen von S. und B. auf dem Hebräischen beruht; da B. hier nicht T. kopiert, muss et auch schon in O. gestanden haben. Dazu passt, dass B. unter allen hier vorliegenden Varianten die reinste Version nach dem Hebräischen darstellt: Typisch dafür sind das Simplex ducet sowie der Ausdruck in fine, der schon oben im Lemma Iob 20, 7b einmal als Übersetzung des hebräischen ‫ לָ נֶ ֣צַ ח‬vorkam, während der Ausdruck in finem genau wie hier auf das griechische εἰς τέλος zurückging. B. zeigt also, dass in fine bereits in O. stand; diese Variante hat nach Ausweis der häufig aus der ω1-Tradition kontaminierten Codices FGN der ω1-Frater in seinen Hyparchetypos übernommen. Der ω2-Frater dagegen optierte für die Alternative in finem. Da er diese nicht aus T. übernommen haben kann, das ebenfalls in fine liest, ist damit auch in finem als Doppelübersetzung für O. gesichert. Insgesamt ist dieses Teil-Lemma deshalb wieder ein Beispiel für die Technik des Hieronymus, Details aus hebräischen und griechischen Vorlagen zu kombinieren: Aus dem Hebräischen stammen die Modi und Tempora des Prädikats, die Anknüpfung mit et, der Ausdruck in fine und das Simplex ducet. Aus dem Griechischen stammen das Kompositum educere und der Ausdruck in finem. Auch die Asyndese des Prädikats dürfte hier auf Hieronymus’ griechische Vorlage zurückschließen lassen, obwohl Ziegler für den Ausfall des δὲ keinen Beleg nennt75. 73 S. iudicum. 74 Dt.: und ich will doch loskommen auf immer von meinem Richter! 75 Ziegler (1982) 315.

214

Reste von O. außerhalb von Hieronymus’ und Augustins Werken 

Was schließlich die Glosse im Toletanus anbelangt, bleibt ihre Quelle offen: Man könnte sie als Beleg für die These ansehen, dass der Glossator gelegentlich Hieronymus’ Endversion T. ausgeschrieben hat; man kann ebenso gut schließen, dass Hieronymus schon in O. die Varianten educet und educit als Doppelübersetzungen zur Auswahl gestellt hatte, weil die hebräische Hauptvorlage beide Tempora gleichermaßen nahe legte. Iob 26, 12a 76 77 78 Hiob Kap./ Vers

Glosse steht in

Wortlaut Glosse

Wortlaut adn. = O. ω2-Linie (563, 4)

Wortlaut HieronymusCodices S. T. B.

26, 12a

To.

sedabit mare

uirtute sua sedauit76 mare77

uirtute sua sedauit mare

LXX: ἰσχύι κατέπαυσεν τὴν θάλασσαν

M78: ‫ב ֹכחוֹ ָרגַ ֣ע הַ ּיָ ֑ם‬ ּ֭ ְ Vulgata: in fortitudine illius repente maria congre­ gata sunt

Das Perfekt sedauit der Adnotationes wird durch Augustins anschließenden Kommentar (563, 4–5) placauit saeculum als Lesart von O. gesichert. Auch LXX (Aorist κατέπαυσεν) und M (Perfekt ‫ ) ָרגַ ֣ע‬haben hier Vergangenheitsformen. Deshalb beruht das Futur sedabit der Glosse im Toletanus vermutlich auf dem typischen – und gerade auch spanischen – Hörfehler, mit dem u/v und b verwechselt werden. Iob 30, 17a In diesem Lemma überliefern beide Hyparchetypoi der Adnotationes dieselbe Lesart; diese stammt daher sehr wahrscheinlich aus O. und ist nicht aus T. übernommen: 79 80 81

Hiob Kap./ Vers

Glosse steht in

Wortlaut Glosse

30, 17a

Bu.

ossa mea contracta sunt

Wortlaut adn. = O. (575, 22)

Wortlaut HieronymusCodices S. T. B.

ω1-Linie = ω2-Linie nocte uero ossa mea confracta79 sunt

M81: ‫֗ ַליְ לָ ה ֲ֭עצָ מַ י נִ ַ ּ֣קר מֵ עָ ָל ֑י‬

nocte uero ossa mea confracta80 sunt

LXX: νυκτὶ δέ μου τὰ ὀστᾶ συγκέκαυται

Vulgata: nocte os meum perforatur doloribus

76 M cedauit. 77 Lovv. 2: mater. 78 Dt.: Mit seiner Macht hat er aufgeschreckt das Meer. 79 V conf[r]racta (das 1. r- ist expungiert, wohl ein vom Schreiber missverstandenes t-; vgl. die folgende Lesart in M); M contracta. 80 S. confracte. 81 Dt.: 1.  Nacht hat meine Knochen durchbohrt (+ wörtl.: von bei mir) / 2. Bei Nacht hat er meine Knochen durchbohrt (+ wörtl.: von bei mir).

Grenzen für die Rekonstruktion von O. anhand der Glossen  

215

Die Lesart der Glosse contracta (die ein schwaches Echo in den Codices V und M der Adnotationes besitzt82) könnte man zunächst für ein Kopierversehen halten. Bei genauerem Hinsehen vermute ich aber, dass es sich um eine von Hieronymus in O. angebotene Alternative handelt. Zu dieser Stelle liegen nämlich in der LXX und bei Hieronymus jeweils drei, insgesamt also sechs verschiedene Lesarten vor. Hier waren sich also weder die griechischen Übersetzer noch Hieronymus sicher, welche hebräische Wurzel eigentlich gemeint sei, und haben entsprechend verzweifelt konjiziert. Die folgende Übersicht zeigt, welche Varianten überliefert sind und auf welche hebräischen Wurzeln die Übersetzer sich möglicherweise bezogen haben. Es fällt auf, dass all diese Wurzeln auf den Buchstaben Resch (‫ )ר‬enden: Lesart belegt in

Lesart

Bedeutung der Vokabel

mögliche Vorlage

übersetzt von

M

‫נִ ַ ּ֣קר‬

durchbohren



Hier., Vulgata perforatur

LXX Hauptüberlieferung

συγκέκαυται

verbrennen

‫בער‬



LXX Nebenüberlieferung 1

συγκέχυται

durcheinanderwerfen/ vernichten

‫עכר‬



LXX Nebenüberlieferung 2

συνέθλασαν

‫ׁשבר‬

(Aktiv!)

zusammen­ quetschen/ zerschmettern

cf. Hier., Versio pr. O.1 + S. T. B. confracta sunt (Passiv!)

Hieronymus Versio pr. O.1 + S. T. B.

confracta sunt

zerschmettern

‫ׁשבר‬



Hieronymus Versio pr. O.2 = Glosse (Bu.)

contracta sunt

verkürzen

‫קַ צר‬

Hieronymus Vulgata

perforatur

durchbohren

‫נִ ַ ּ֣קר‬

συνθλάω –

(= M)



Angesichts dieser Überlieferungsverhältnisse neige ich dazu, die Lesart contracta der Glosse als Doppelübersetzung auf Hieronymus’ Erstfassung O. zurückzuführen. Augustins Auslegung (575, 23) firmitatem, quam habuit, dixit sibi ereptam ist vielleicht bewusst so neutral formuliert, dass sie auf beide Formulierungen in O. bezogen werden kann.

82 Vgl. Anm. 79.

216

Reste von O. außerhalb von Hieronymus’ und Augustins Werken 

Iob 31, 31ab 83 84 85 86 87 88 Hiob Kap./ Vers

Glosse steht in

Wortlaut Glosse

Wortlaut adn. = O. (579, 13–14. 14–15)

31, 31ab

To.

quod et

quod si

sepe dixerunt ancille mee quis det nobis ut carnibus eius satjemur

saepe dixerunt83 ancillae meae saepe84 dixerunt ancillae85 meae quis det nobis ut carquis quid87 A FH86 + cett. codd. + nibus eius satiemur?

ω1-Linie

Maur. Zy.

Wortlaut HieronymusCodices S. T. B.

ω2-Linie S. quod si et

T. B. quod si

edd.

det nobis ut carnibus eius satiemur?

M88: ‫ם־ל ֹא ָ֭א ְמרּו ְמ ֵת֣י אָ ֳה ִל֑י ִ ֽמי־יִ ֵ ּ֥תן ִ֝מ ְּבׂשָ ֹ֗רו ֣ל ֹא נִ ְׂש ָ ּֽבע‬ ֣ ‫ִא‬

LXX: εἰ δὲ καὶ πολλάκις εἶπον αἱ θεράπαιναί μου· Tίς ἂν δῴη ἡμῖν τῶν σαρκῶν αὐτοῦ πλησθῆναι;

Vulgata: si non dixerunt viri tabernaculi mei quis det de carnibus eius ut saturemur

In den Adnotationes hat hier im Licht der Urtexte nur die ω1-Linie mit quis das Richtige bewahrt, während die ω2-Linie quid liest, dessen -d durch falsche Angleichung an das folgende det erklärbar ist. Interessanter sind die Abweichungen in der Einleitung. Die Formel quod si et geht eindeutig auf das εἰ δὲ καὶ der LXX zurück. Diese Formulierung hat Hieronymus aber erst in S. gewählt. In der Vorlage O. der Adnotationes und wieder in T. B. stützt er sich mit dem einfachen quod si vermutlich auf das schlichte ‫„( ִאם‬wenn“) von M (dessen Text dann freilich mit einer Verneinung anders weitergeht). Dagegen fehlt in der Glosse des Toletanus das in beiden ursprachlichen Vorlagen enthaltene „wenn“. Ich halte diesen Ausfall für eine missglückte Kürzung durch den Glossator, der die Syntax seines Zitates vereinfachen wollte. Wenn das stimmt, hätte die Glosse wie S. gelautet; das wiederum würde darauf schließen lassen, dass die Glosse nicht aus T., sondern aus O. stammt; damit wäre wiederum gegeben, dass auch die Lesart von S., die die LXX wiedergibt, schon als Doppelübersetzung in O. neben dem einfachen quod si nach dem Hebräischen stand. Die einzelnen Schritte der Textentwicklung würden einem häufigen Schema folgen: Doppelübersetzung in O., Reduktion auf die griechische Vorlage in S. und Rückkehr zum Hebräischen in der Endfassung T. 83 R WX dixerint. 84 S. sepe. 85 S. ancille. 86 Die Codices H und F sind hier aus der ω1-Linie kontaminiert. 87 Lovv. 2 qui. 88 Dt.: Wenn nicht sprachen die Leute meines Zeltes: Wäre doch einer , der von seinem Fleisch nicht gesättigt wäre!

217

Grenzen für die Rekonstruktion von O. anhand der Glossen  

Iob 31, 34a 89 90 Hiob Kap./ Vers

Glosse steht in

Wortlaut Glosse

31, 34a

To.

nec erubui multitudinem populi nec confiterer ­ coram eis

Wortlaut adn. = O. ω1-Linie

ω2-Linie

übersprungen

M90: ‫ּובּוז־מ ְׁשּפָ חֹ֥ ות יְ ִח ֵּת֑נִ י‬ ִ ‫ה מֹ֤ ון ַר ָּ֗בה‬ ֘ ָ ‫ע ֹ֨רוץ׀‬ ֱ ‫ּכי ֶ ֽא‬ ִ֤

Wortlaut HieronymusCodices S. T. B. nec enim erubui89 multitudinem populi, ne confiterer coram eis

LXX: οὐ γὰρ διετράπην πολυοχλίαν πλήθους τοῦ μὴ ἐξαγορεῦσαι ἐνώπιον αὐτῶν

Vulgata: si expavi ad multitudinem nimiam et despectio propinquorum terruit me

Im Licht der Urtexte ist das zweite nec der Glosse falsch – wie in S. T. B. muss es ne heißen. Der Ausfall des enim hinter dem ersten nec hat ebenfalls keinen Anhalt in der LXX (das Hebräische enthält dort gar keine Negation); es kann sich aber um eine lässliche Kürzung des Glossators handeln, die keinen Schluss auf seine Vorlage zulässt. Iob 34, 9b In diesem Lemma bieten beide Hyparchetypoi der Adnotationes denselben Wortlaut. Dieser unterscheidet sich von T., wurde also nicht erst von den Fratres aus T. importiert, sondern stand schon in der Erstfassung O.: 91 92 93 Hiob Kap./ Vers

Glosse steht in

Wortlaut Glosse

34, 9b91

Bu.

ambulaverit cum eo

Wortlaut adn. = O. (582, 17–18) ω1-Linie = ω2-Linie

Wortlaut HieronymusCodices S. T. B.

dixit enim: non uisitabitur qui ambulauerit cum deo92

dixit enim: non uisitabitur uir qui * S. ambulat

T. B. ambulauerit

cum deo M93: ‫ֹלהים‬ ִֽ ‫א‬ ֱ ‫צ ֹ֗ת ו ִעם־‬ ֹ ‫ל ֹא יִ ְסּכָ ן־ּגָ ֑בֶ ר ִ֝בּ ְר‬ ֣ ‫ִ ּֽכי־ ָ֭אמַ ר‬

LXX: μὴ γὰρ εἴπῃς ὅτι Oὐκ ἔσται ἐπισκοπὴ ἀνδρός· καὶ ἐπισκοπὴ αὐτῷ παρὰ κυρίου. Hexapla (Üs des Theodotion): ὅτι εἶπεν, οὐ κινδυνεύσει ἀνὴρ ἐν τῷ εὐδοκῆσαι αὐτὸν μετὰ θεοῦ

Vulgata: dixit enim non placebit vir Deo etiam si cucurrerit cum eo

89 S. erupui. 90 Dt.: Wenn ich fürchte eine große Menge und Verachtung von Sippen mich schreckt. 91 Vattioni (1996) 28 gibt irrtümlich 34, 8c an. 92 M deo [domino]. Die Varia lectio domino ist kaum sichtbar expungiert. 93 Dt.: Denn er sagte: Nicht wird Nutzen haben ein Mann durch seinen freudigen Umgang mit Gott.

218

Reste von O. außerhalb von Hieronymus’ und Augustins Werken 

Das abschließende cum eo der Glosse geht nicht auf einen Urtext zurück und stellt damit keine Doppelübersetzung zu der Wortgruppe cum deo in den anderen Fassungen der Versio prior dar. Vielmehr erklärt sich cum eo als Echo des VulgataVerses, dem die Glosse zugeordnet ist. Dem Glossator kam es nur auf ambulauerit an; deshalb übernahm er cum eo, das zur Einordnung des ambulauerit notwendig war, einfach aus dem zu glossierenden Text94. Trotzdem ist diese Stelle einen Kommentar wert, der im Übrigen tatsächlich auch noch auf eine unvermutete Doppelfassung führt. Zunächst einmal ist die Passage ein Paradebeispiel für Hieronymus’ Technik, seine Übersetzungen in der Versio prior durch die Konflation von Details aus verschiedenen Vorlagen zu erarbeiten. Alle Fassungen der Versio prior spiegeln hier die syntaktische Struktur der hebräischen Vorlage wider; insofern ist Hieronymus vielleicht von Theodotion beeinflusst. Jedoch setzt Theodotion mit seinem κινδυνεύσει nur graphisch dieselbe Wurzel ‫ סכן‬voraus, die auch M bietet. M nämlich meint die Wurzel ‫סכן‬1 mit der Bedeutung „Nutzen haben“95; Theodotion dagegen denkt an die Wurzel ‫סכן‬2 mit der Bedeutung (im Nif ’al) „sich in Gefahr begeben“96. In diesen Rahmen fügt Hieronymus jedoch ein charakteristisches Detail der LXX ein: In der Kernaussage non uisitabitur uir sind nur non und uir vom Hebräischen gedeckt; im Ganzen liegt dort eine freie Wiedergabe der Wortgruppe Oὐκ ἔσται ἐπισκοπὴ ἀνδρός der LXX vor. In S. hat der Übersetzer mit ambulat (statt ambulauerit) eine andere mögliche Tempusfunktion der hebräischen Infinitivkonstruktion „durch sein freudiges Umgehen mit Gott“ erprobt; wie so oft hat er in T. die Erstfassung O. wieder eingesetzt. Die unvermutete Doppelübersetzung in O. betrifft den Ausdruck cum deo am Versende. Er beruht auf dem hebräischen ‫ֱֹלהים‬ ֽ ִ ‫ ִעם־א‬und ist durch beide Hyparchetypoi der Adnotationes für O. und überdies in S. T. B. überliefert. In seiner Auslegung nimmt Augustin den Vers aber plötzlich mit der Wendung (582, 19–20) non putat uisitari eum qui ambulauerit cum domino wieder auf97. Weil Augustin auch an anderen Stellen eine Paraphrase dazu benutzt, auch noch eine zweite Fassung aus seiner Vorlage O. in seinen Text einfließen zu lassen98, und die LXX hier παρὰ κυρίου liest, halte ich für wahrscheinlich, dass Hieronymus in O. neben der Übersetzung cum deo nach dem Hebräischen zur Integration der LXX auch noch die Variante cum domino bot. 94 In der Vulgata ist cum eo das Ergebnis einer freien Übersetzung: Nach M müsste es cum Deo heißen. Weil Hieronymus jedoch das Stichwort Deo dort schon weiter vorn gebraucht hatte, blieb für den Versschluss nur noch der pronominale Rückverweis cum eo übrig. 95 Gesenius-Donner (2013) 887 links. 96 Gesenius-Donner (2013) 887 links. 97 Nur der Codex N liest dort deo – vermutlich aufgrund einer bewussten Angleichung an das vorangehende Lemma. 98 Vgl. Kap. 12, S. 285–286 zu Iob 37, 23b; Kap. 15, S. 371–373 zu Iob 7, 20a; Kap. 17, S. 419– 422 zu Iob 38, 25a und Kap. 21, S. 513 zu Iob 42, 6b.

Grenzen für die Rekonstruktion von O. anhand der Glossen  

219

Iob 36, 12a Hier möchte man angesichts der vielen Formen des Prädikats im Hauptsatz – belegt sind faciat, faciet und facit – zunächst die Diagnose stellen, Hieronymus probiere dort verschiedene Nuancen eines hebräischen Imperfekts aus: 99 100 101 Hiob Kap./ Vers

Glosse steht in

36, 12a

T.

Wortlaut Glosse T.

impios vero non faciat salvos et quod noluerunt scire dominum

Wortlaut adn. = O. (589, 16–18) ω1-Linie (Frgm. A) und Teil der ω2-Linie

Rest der ω2-Linie

Wortlaut Hieronymus-­ Codices S. T. B.

impios uero non faciet99 saluos eo quod

S. * impius100 uero non faciet ­ saluos

noluerint A+ H F KP T OQR CU

noluerunt NVM WXYZ und alle edd.

eo quod noluerint scire

dominum cett. codd. et edd.

S. dominum

T. B. impios uero non facit saluos

scire deum Am. Er. Lovv. M101: ‫י־דעַ ת‬ ֽ ָ ‫ברּו ְו ֝יִ גְ וְ ֗ע ּו ִּכ ְב ִל‬ ֹ֑ ‫ע‬ ֲ ‫ם־ל ֹא ִי ֭ ְׁש ְמעּו ְּב ֶׁש֣לַ ח ַי‬ ֣ ‫וְ ִא‬

T. B. deum

LXX: ἀσεβεἳς δὲ οὐ διασῴζει παρὰ τὸ μὴ βούλεσθαι εἰδέναι αὐτοὺς τὸν κύριον

Vulgata: si autem non audierint transibunt per gladium et consumentur in stultitia

Bei näherem Hinsehen findet man jedoch, dass man die verschiedenen Fassungen der Versio prior nur auf der Grundlage der LXX erklären kann, weil das Hebräische hier gar nicht vergleichbar ist. Das Futur faciet der Adnotationes, das auch noch in S. steht, beruht auf einer Nebenüberlieferung der LXX102; in T. wechselt Hieronymus mit dem Präsens facit zur griechischen Hauptüberlieferung103. Dagegen gibt es für den Konjunktiv faciat der Glosse keine griechische Vorlage. Man könnte erwägen, ob vielleicht wieder eine jener Varianten vorliegt, in denen Hieronymus in einer Doppelfassung auch noch

99 H* facit. 100 impius statt impios ist ein offensichtlicher Kopierfehler. Zur häufigen Verwechslung von o und u im Sangallensis vgl. Caspari (1893) 25. 101 Dt.: Aber wenn sie nicht hören, werden sie durch ein Geschoss hinfahren und werden umkommen unvermutet. 102 Vgl. Ziegler (1982) 373 im 1. Apparat. 103 Vgl. Ziegler (1982) 373 im 1. Apparat.

220

Reste von O. außerhalb von Hieronymus’ und Augustins Werken 

das modale Imperfekt einer hebräischen Vorlage mit berücksichtigen wollte; weil aber in der Glosse mit et quod statt eo quod noch ein anderer Kopierfehler vorliegt, dürfte auch faciat eher ein Schreiberversehen sein. Wie die gespaltene Text-Überlieferung der Adnotationes beweist, enthielt die Erstfassung O. zumindest eine Doppelübersetzung – nämlich die Alternative noluerunt und noluerint im eo quod-Satz104. Diese Varia lectio ist ein Indiz dafür, dass der ω2-Frater beide Lesarten in seiner Vorlage O. vorfand und deshalb in seinen Hyp­ archetypos übernahm; wenn er noluerint aus T. übernommen hätte, hätte er nicht noluerunt daneben stehen lassen. Die Variation des Modus noluerint/noluerunt beruht nicht auf den griechischen Vorlagen, sondern ist der Unsicherheit geschuldet, ob der eo quod-Satz, den Hieronymus zur Wiedergabe der griechischen Infinitivkonstruktion bildete, besser mit Indikativ oder Konjunktiv stehen sollte. Aus Augustins Kommentar geht nicht hervor, welchen Modus des Lemmas er bevorzugte. Hieronymus jedenfalls ließ in S. nur noch den Konjunktiv stehen, den er in eo quod-Sätzen regelmäßig mit nur seltenen Ausnahmen verwandte105. Schwierig ist der Wechsel von dominum zu deum, den Hieronymus in T. vollzieht. Zwar kommt θεὸν in einer randständigen griechischen Überlieferung vor106; aber da Hieronymus solche Vorlagen in seiner Endfassung T. gemieden hat, scheint mir wahrscheinlicher, dass er in diesem Detail eine uns verlorene hebräische Fassung berücksichtigt. Falls die Lesart deum bei Amerbach tatsächlich auf eine Handschrift der Adnotationes zurückgeht und keine der häufigen Konjekturen Amerbachs darstellt, könnte deum sogar neben dominum als Doppelübersetzung schon in O. gestanden haben. Zur Bestätigung dieser Vermutung kann man darauf verweisen, dass auch Fulgentius von Ruspe das Lemma mit deum zitiert107: Impios uero non facit saluos eo quod noluerunt scire Deum. Lt. noluerunt zitiert Fulgentius die Erstfassung O. Weil er zugleich facit schreibt, ist zu folgern, dass auch facit schon neben faciet in O. stand. Facit wurde also von Hieronymus in T. nicht neu entwickelt, sondern nur im Rückgriff auf O. dem Futur faciet, das er in S. bevorzugt hatte, vorgezogen – vermutlich, weil es auf der griechischen Hauptüberlieferung beruhte. So zeigt dieses Lemma, wie stark die Rekonstruktion von O. von den Zufällen der Überlieferung abhängt.

104 Dies wird bei Zycha nicht deutlich: Er notiert das noluerint in CPT nicht; dem Benutzer wird also suggeriert, Zychas noluerunt basiere auf der gesamten Überlieferung, während er es in Wirklichkeit aus den Editionen Amerbachs und der Mauriner übernommen hat. 105 Kaulen (1904) 249–250; 297; Plater/White (1926) 133–134. 106 Vgl. Ziegler (1982) 373 im 1. Apparat. 107 Fulgentius, rem. pecc. 26, 1 (Bd. 2, 674, 941–942 Fraipont). Zu Zitaten aus der Versio prior bei Fulgentius vgl. Bogaert (2012) 81.

221

Grenzen für die Rekonstruktion von O. anhand der Glossen  

Iob 37, 22a 108 109 110 Hiob Kap./ Vers

37, 22a

Glosse steht in

To.

Wortlaut Glosse

nubis (?) coloris (?) aurei108

Wortlaut adn. = O. (599, 4)

Wortlaut HieronymusCodices

ω1-Linie Fragm. A

ω2-Linie cett. codd. + edd.

S.

T.

B.

ab aquilone nubes coloris auri

ab aquilone109 nubes coloris aurei

* ab aquilone nubis coloris aurei

ab aquilone nubes coloris aurei

LXX: ἀπὸ βορρᾶ νέφη χρυσαυγοῦντα

M110: ‫מּצָ פוֹן ז ָָה֣ב יֶ ֽ ֱא ֶת֑ה‬ ִ֭ Vulgata: ab aquilone aurum venit

Wie sich im Licht der LXX, die hier die einzige Vorlage ist, erweist, ist die Überlieferung dieses Lemmas mehrfach durch Kopierfehler gestört. Zunächst zu nennen ist die Variante auri der ω1-Linie (statt des richtigen aurei der ω2-Linie)111. Fehlerhaft ist ferner der Genetiv Singular nubis der Glosse im Toletanus anstelle des richtigen Nominativs Plural nubes. Derselbe Fehler begegnet in S., wo die Verwechslung von -e- und -i- besonders häufig ist112. Der diesen beiden Texten gemeinsame Fehler reicht aber angesichts der im Verlauf dieser letzten beiden Kapitel gesammelten – mit * S. markierten – Trennfehler nicht aus, um als Bindefehler eine Abhängigkeit der Glosse von dem Hieronymus-Codex S. zu begründen. Iob 40, 31b 113 114 Hiob Kap./ Vers

Glosse steht in

Wortlaut Glosse

Wortlaut adn. = O.

40, 31b

To.

et in manibus (navibus?)113 piscatorum caput eius

fehlt

M114: ‫ֹאׁשו‬ ֹֽ ‫צ ל ָּד ִג ֣ים ר‬ ֖ ַ ‫ּוב ִצ ְל‬ ְ

Wortlaut HieronymusCodices S. T. B. S.

T.

fehlt

et in nauibus ­ piscatorum caput eius

B.

Hexapla sub *: καὶ ἐν πλοίοις ἁλιέων κεφαλὴν αὐτοῦ

Vulgata 40, 26: et gurgustium piscium capite illius

108 So die Kollation Vattionis (1996) 26. 109 M aquile. 110 Dt.: Von Norden kommt/wird kommen Gold. 111 Vgl. Trenkler (2017) 150 mit Anm. 19. 112 Vgl. Caspari (1893) 24–25. 113 So Vattionis Publikation (1996) 26. 114 Dt.: und mit/in einer Harpune (?) von Fischen sein Kopf.

222

Reste von O. außerhalb von Hieronymus’ und Augustins Werken 

Auch hier hat Hieronymus den hebräischen Text offensichtlich nicht berücksichtigt. Die Übersetzung in T. (B.) in nauibus entspricht der LXX. Deren Lesart ἐν πλοίοις setzt statt der Wurzel ‫צלצל‬, die ein nicht genauer bekanntes Fischereiwerkzeug bezeichnet115, die graphisch noch einigermaßen ähnliche Wurzel ‫צי‬1 („Boot“116) voraus. Demgegenüber hat Hieronymus in der Vulgata mit gurgustium („elende Hütte/ Kneipe“) übersetzt, sich also dort von den überlieferten hebräischen Texten ganz entfernt und frei vermutlich die Wurzel ‫ סְך‬bzw. ‫„( שְך‬Hütte“117) konjiziert. Vor diesem Hintergrund ist die Lesart in manibus der Glosse im Toletanus nicht leicht zu beurteilen. Vom Sinn her ist die Variante akzeptabel. Ich kann jedoch keine hebräischen oder griechischen Vokabeln mit der Bedeutung „Hand“ oder „Faust“ finden, die irgendeine Ähnlichkeit mit den überlieferten ursprachlichen Begriffen für „Harpune (?)“ oder „Boot“ aufweisen. Die Vulgata zeigt aber, dass Hieronymus keine Hemmungen verspürte, an dieser Stelle auch frei zu konjizieren. Deshalb ist nicht auszuschließen, dass er – vielleicht vom nächsten Vers angeregt, in dem es heißt (LXX) ἐπιθήσεις αὐτῷ χεῖρα – hier einen der hebräischen Begriffe für „Hand“ – also ‫ יד‬118 oder ‫ כף‬119 – eingesetzt hat. Andererseits lässt sich manibus auch als Kopierfehler für nauibus erklären. In der karolingischen Minuskel sind u und n ohnehin leicht verwechselbar. In einer sehr frühen Schriftform ähnelt aber auch N dem M120. So muss m. E. auch hier offen bleiben, ob die Erstfassung O. in nauibus oder in manibus las.

9.4 Glossen mit Besonderheiten Zwei Glossen kamen deshalb bisher nicht zur Sprache, weil sie keine alternative Übersetzung bieten, sondern Sacherklärungen enthalten: 121 Hiob Kap./ Vers

Glosse steht in

Wortlaut Glosse

Seite/ Zeile Zy.

Wortlaut adn. = O.

Wortlaut Hieronymus-Codices S. T. B.

8, 11a

Le.

de scirpo biblos

525, 18–19

numquid viret scirpus sine aqua?

numquid viret scirpus sine aqua?

15, 27a

Le. Bu.

sive pinguedo

541, 12–13

quia operuit faciem eius in adipe suo

quia operuit faciem eius121 in adipe suo

Alle übrigen Glossen beziehen sich auf den Wortlaut der Übersetzung. 115 Gesenius-Donner (2013) 1121 rechts. 116 Gesenius-Donner (2013) 1114 links. 117 Gesenius-Donner (2013) 884 rechts – 885 links. 118 Gesenius-Donner (2013) 436 rechts – 438 rechts. 119 Gesenius-Donner (2013) 564 links – 565 links. 120 Lindsay (1922) 35, Nr. 73. 121 Caspari druckt für S. irrtümlich faciem suam.

Grenzen für die Rekonstruktion von O. anhand der Glossen  

223

Eine unleserliche Glosse steht im Codex von Burgos zwischen den Versen 35, 14 und 36, 12. Vattioni122 gibt nicht an, welchem Vers der Vulgata sie zugeordnet ist. Zwei Glossen wiederholen lediglich den Wortlaut der Vulgata. Im ersten Fall ist die Randnote im Legionensis fehlerhaft verkürzt: 123 Hiob Kap./ Vers

Wortlaut Vulgata

Wortlaut Glosse Le.

Wortlaut Glosse Bu.

Wortlaut adn. = O.

Wortlaut HieronymusCodices S. T. B.

7, 10b

neque cogno­ cognosce scet eum amplius locus eius

cognoscet

fehlt

neque cogno­ scet123 illum ultra locus suus

Im zweiten Fall hat sich ein anderer Irrtum eingeschlichen: Im Codex Legionensis wird das Vulgata-Lemma Iob 12, 12a durch das Vulgata-Lemma 12, 12b glossiert statt durch das passende Zitat aus Iob 12, 12a aus der Versio prior: 124 Hiob Kap./ Vers

Wortlaut Vulgata

Wortlaut Glosse Le.

Wortlaut adn. = O. ω2-Linie (535, 21–22)

Wortlaut Hieronymus-Codices S. T. B.

12, 12a

in antiquis est sapientia

et in multo tempore prudentja

in multo tempore sapientia est

S. T. in multo tempore

12, 12b

et in multo tempore prudentia

(keine)

fehlt

B. in tempore multo124

sapientia est et in longa uita est scientia

Dass Augustin in seiner Vorlage O. zu Iob 12, 12a die Lesart sapientia, nicht prudentia vorfand, wird dadurch bewiesen, dass er in seinem Kommentar (535, 22–23) apud dominum, a quo petenda est auf Iac 1, 5 anspielt, wo es heißt125: si quis autem uestrum indiget sapientia, postulet a deo. Übrigens ist beachtenswert, dass B. wieder einmal für O. eine zweite, von Hieronymus frei gewählte Wortstellung bezeugt: Während der von Augustin zitierte Ausdruck in multo tempore den Ausdruck ἐν πολλῷ χρόνῳ der LXX abbildet, führt Hieronymus durch die Umstellung zu in tempore multo einen Cursus planus ein.

122 Vattioni (1996) 28. 123 S. cognocet. 124 Die Wortstellung von B. unterscheidet sich hier von T. und lässt daher auf O. zurückschließen. Vgl. für freie Wortstellung in O. den Fall von Iob 31, 21b in Kap. 4, Beleg 44. 125 Für Augustins Wortlaut von Iac 1, 5 vgl. etwa ep. 214, 7 und s. Dolbeau 30, 14.

224

Reste von O. außerhalb von Hieronymus’ und Augustins Werken 

Im selben Zusammenhang fällt eine stark gestörte Glosse im Toletanus auf. Sie gehört zum Lemma Iob 12, 12b: 126 Hiob Kap./ Vers

Wortlaut Vulgata

Wortlaut Glosse To.

Wortlaut adn. = O. ω2-Linie

Wortlaut Hieronymus-Codices S. T. B.

12, 12b

et in multo tempore prudentia

et in longinquo vitam (?)126

fehlt

et in longa uita est scientia

Neben den Glossen aus der Versio prior enthält der Codex Legionensis auch noch eine Glosse aus anderer Quelle. Das Lemma Iob 20, 24b lautet in der Versio prior nach der übereinstimmenden Überlieferung bei Augustin (552, 9–10) und bei Hieronymus uulneret eum sagitta aerea. Dagegen liest die Vulgata et inruet in arcum aereum. Die Glosse im Legionensis dazu lautet: alibi aeneum. Offenbar soll das im Lateinischen missverständliche Adjektiv aereus (das hier lt. Vorlagen und Kontext von aes abgeleitet werden und „ehern“ heißen muss, aber in anderen Zusammenhängen auch – als Nebenform zu aerius – von aer abgeleitet werden und „luftig“ heißen kann127) durch den an anderer Stelle belegten eindeutigen Begriff aeneus erläutert werden. Da die Zitationsformel alibi in diesen Glossen sonst nicht mehr vorkommt und nichts darauf hindeutet, dass Hieronymus in der Versio prior von einer sagitta­ aenea gesprochen hat, liegt hier m. E. kein Zitat aus der Versio prior, sondern ein Verweis auf eine abweichende Vulgata-Lesart vor. Tatsächlich zitiert die Römische Vulgata zur Stelle Iob 20, 24b einige Vulgata-Handschriften mit der Lesart in arcum aeneum128.

9.5 Mängelliste der Glossen Zum Abschluss stelle ich noch eine Mängelliste der Glossen zusammen, die der Versio prior entnommen sind. Die Übersicht zeigt, dass man die Glossen, so wertvoll sie auch sind, nicht unkritisch überschätzen darf:

126 So die Kollation Vattionis (1996) 25. 127 Vgl. Georges (1913) Bd. 1, 198 Mitte bzw. 198–199. 128 Römische Vulgata, Libri Hester et Iob (Rom 1951) 146: aeneum steht in DGK*ΓA.

225

Grenzen für die Rekonstruktion von O. anhand der Glossen   129

Hiob Kap./ Vers

fehlerhafte Glosse

richtiger Wortlaut

Glosse steht in

fehlerhafter Wortlaut Glosse

ggfs. parallele Glosse

11, 2b

Le. Bu. To.

12, 12b

adn. = O.

Wortlaut Hieronymus-Codices S. T. B.

loquens

eloquens

eloquens

To.

et in longinquo vitam (?)

fehlt

et in longa uita est scientia

12, 19b

To.

ter terre

fehlt

terrae

14, 4

Le.

unus

Bu. nec unus To. ne unus

fehlt

S. ne unus

18, 4b

To.

mortus

Le. Bu. mortuus

fehlt

mortuus

19, 6a

Bu

turuabit

To. conturbabit

fehlt

S. turbabit

19, 25

To.

qui resoluturus est

Le. qui me resoluturus est

qui me resoluturus est

20, 2b

To.

intelligens

Le. Bu. intelligis

O. S. intellegitis

20, 7a

To.

qui putabant iam se stabilem

20, 15a

To.

divitje congregate

20, 17a

Le.

tjulta (multa?) pecorum

20, 18a

Le.

inanum

Bu. in vanum

in uanum

20, 25a

Le.

iacula

To. iaculum

iaculum

21, 5b

Le.

peniee […] sab mento

Bu. To. ponite […] sub mento

ponite […] sub mento

21, 7b

Le. Bu.

Le. sennuerunt Bu. sennerunt (?)

Le. Bu. divitje inique congregate

129 B. iniquae; Lagarde druckt inique.

T. B. nec unus

T. B. turbauit

T. intelligis

B. fehlerhaft intelligas

fehlt

cum putauerit se iam stabilem esse

diuitiae inique con­ gregatae

S. fehlerhaft: diuitia con­ gregate inique

T. B. diuitiae inique129 con­ gregatae

mulcram pecorum

S. fehlerhaft: mul pecorum

T. B. mulcturam pecorum

fehlt

senuerunt

226

Reste von O. außerhalb von Hieronymus’ und Augustins Werken 

Hiob Kap./ Vers

fehlerhafte Glosse

richtiger Wortlaut

Glosse steht in

fehlerhafter Wortlaut Glosse

ggfs. parallele Glosse

adn. = O.

Wortlaut Hieronymus-Codices S. T. B.

21, 33a

To.

fuerunt et

Bu. ­fuerunt ei

fuerunt ei

S. fehlerhaft ­ fuerunt et

T. B. ­fuerunt ei

22, 20a

To.

demulita

Bu. demolita

fehlt

S. fehlerhaft temulita

T. B. demolita

22, 23a

To.

et humiliaberis130 te

fehlt

et humiliaueris te

22, 24ab To.

(illus?)

illud

24, 8a

Bu.

stillicidiis

de stillicidiis

24, 8b

Bu.

quia […] non haberent

fehlt

26, 12a

To.

sedabit

26, 13a

Bu.

metunt

26, 13b

Bu. To.

Bu. premit To. peremi

29, 11a

Bu.

clico (vielleicht beato) mihi dixerunt

29, 22b

Bu.

gavisi sunt ut loquerer

gauisi sunt cum loquerer

31, 31a

To.

quod et

quod si

S. quod si et

31, 34a

To.

nec […] nec

fehlt

nec enim […] ne

34, 11b

Bu.

iusta

fehlt

iuxta

36, 12a

To.

faciat […] et quod

faciet […] eo quod

eo quod

qui cum […] non haberent

sedauit To. metuunt

metuunt peremit

To. felicem me dixerunt

fehlt

36, 28d

Bu.

oculis (?) ordinem

cubilis ordinem

37, 22a

To.

nubis (?)

nubes

38, 14a

Bu.

et tumens

40, 31b

To.

in manibus

To. et tu ­ sumens

S. B. felicem me dixerunt

S. faciet

T. me felicem dixerunt

T. B. quod si

T. B. facit

S. fehlerhaft ­ nubis

T. B. nubes

S. fehlt

T. B. in nauibus

et tu sumens fehlt

130

130 Das Passiv humiliaberis kann nicht zusammen mit dem Akkusativobjekt te konstruiert werden. In humiliaberis liegt also ein typisch spanischer Hörfehler statt humiliaueris vor.

Grenzen für die Rekonstruktion von O. anhand der Glossen  

227

In der Summe ergibt sich folgende Bilanz: 131 Codex mit Hiob-Glossen

datiert ca.131

Anzahl der HiobGlossen im Codex

davon fehlerhaft absolute Anzahl

Prozentsatz

Le.: Legionensis

920

33

7

21, 21 %

Bu.: Bibel von Burgos

1. Hälfte 10. Jh.

48

12

25, 00 %

To.: Toletanus

10. Jh.

73

19

26, 03 %

Es besteht eine klare Proportion: Je jünger der Codex, desto zahlreicher sind die Glossen. Ihre Anzahl wächst etwa im Verhältnis 2 : 3 : 5. Die relative Fehlerhäufigkeit steigert sich jedoch nicht im gleichen Maße, sondern nur etwa im Verhältnis 4,2 : 5, 0 : 5,2.

131 Vgl. Kap. 8, S. 156, Anm. 4–6.

E. Der Hiob-Kommentar des Philippus Presbyter: Kapitel 10–12 Vorbemerkungen zu den Kapiteln 10–12 Der Hiob-Kommentar des Philippus Presbyter bezieht sich zwar grundsätzlich auf den Hiob-Text der Vulgata, zitiert aber häufig auch eine andere lateinische Version, die auf den griechischen Quellen beruht. Man hat schon vielfach darauf hingewiesen, dass es sich dabei um die Hiob-Versio prior des Hieronymus handelt1. Ich versuche im Folgenden zu zeigen, dass Philippus’ Zitate – genauer genommen – aus Hieronymus’ Erstfassung O. stammen. Ein wesentliches Argument meiner Beweisführung sind die auch in Philippus’ Zitaten nachweisbaren, für O. typischen Doppelübersetzungen. Was die Zitate aus O. bei dem Hieronymus-Schüler Philippus besonders interessant macht, ist neben ihrer schieren Menge ihre chronologische Nähe zu Hieronymus und Augustin. Allerdings sind auch Philipps Zitate nicht immer einfach oder eindeutig auszuwerten. Hinzu kommt, dass bisher nur drei Versionen seines Kommentars, der handschriftlich in mehreren gekürzten Fassungen überliefert ist, gedruckt sind, und auch das nur unzureichend in Editionen der Humanisten Erasmus und Sichardus bzw. bei Migne. Insofern stehen die folgenden Untersuchungen und Ergebnisse von vornherein unter dem Vorbehalt, nur vorläufig und ergänzungsbedürftig zu sein.

1 Vgl. Vaccari (1958) 107, Ziegler (1982) 29. 31, Ciccarese (1992) 487–488 und (1997) 264 sowie Bogaert (2012) 77.

E. Der Hiob-Kommentar des Philippus Presbyter: Kapitel 10–12 Kapitel 10: Philippus Presbyter als Zeuge für die Erstfassung O. 10.1 Die Aufgabe Das Wenige, was man von Philippus Presbyter weiß1, steht in der vor 468 verfassten2 Notiz des Gennadius, De viris illustribus 62 (p. 82 Bernoulli): Philippus presbyter optimus auditor Hieronymi conmentatus in Iob edidit sermone simplici librum. Legi eius et familiares epistolas et ualde salsas et maxime ad paupertatis et dolorum tolerantiam exhortatorias. Moritur Marciano et Auito regnantibus. Philippus starb also im Jahre 455/4563. Sein Kommentar zum Buch Hiob (Commentarii in librum Iob4), der nach Ciccarese sehr bald nach Erscheinen der Hiob-Vulgata – also nach 391/393 – geschrieben wurde5 und nach Frede vielleicht schon Julian von Aeclanum um 418 bekannt war6, ist möglicherweise von den verlorenen Hiob-Homilien des Origenes beeinflusst7. Dagegen bestehen keine Beziehungen zu Augustins Adnotationes in Iob8. Philipps Kommentar ist nicht im Original9, sondern nur in zwei Bearbeitungen er 1 Sein Werk enthält keinerlei Anspielungen auf seine Person oder irgendwelche Zeitumstände: Vgl. Ciccarese (1997) 251. 253. 2 Frede (1995) 494. 3 Dekkers, Clavis (1995) 227; Frede (1995) 681. 4 Dekkers, Clavis (1995) 227, Nr. 643. Die Charakteristika des Werkes als einer Auslegung der erst jüngst geschaffenen Vulgata-Übersetzung skizziert Ciccarese (1992) passim und (1997) 265–268; zu den zahlreichen Verweisen auf abweichende Lesarten aus der Versio prior und deren Interpretation vgl. bes. (1992) 487–488. 5 Ciccarese (1995) 139–140 und ausführlicher (1997) 254–257. Sie sieht den Patriarchen Nectarius von Konstantinopel als Adressaten des Werkes an; dessen Todesjahr 397 wäre dann der terminus ante quem. Demgegenüber vertreten Gorman und Bogaert eine Spätdatierung: Vgl. unten Anm. 9. 6 Frede (1995) 681. Zum Hintergrund dieses Urteils vgl. unten Kap. 13, Anm. 5. 7 Vgl. Ciccarese (1992) 489–492, (1995) 141. 147. 149–151. 154–159 und (1997) 267–268. Kurz auch Frede (1995) 682, Lössl (1998) 504 und Gorman (2006) 194. 8 In dem Artikel von Trenkler/Warns (2013) 156 wird der Kommentar des Philippus deshalb nicht erwähnt. 9 Frede (1995) 682. Von der originalen Fassung sind nur die Capitula der drei Bücher, das Widmungsschreiben an einen bisher nicht identifizierten Bischof Nectarius sowie Anfang und Ende des ersten Buches erhalten. Diese Reste wurden zuerst von Wilmart (1933) veröffentlicht, sind aber jetzt am leichtesten zugänglich im PLS 3 (1963) 323–328.– Die Frage der Identität des Bischofs Nectarius ist umstritten, aber für die Datierung des Kommentars entscheidend. Ciccarese (1992) 485–486 und (1997) 256–257 plädiert für den Patriarchen Nectarius von Konstantinopel. Da dieser 397 starb, müsste der Kommentar schon sehr früh  – zwischen 391/393 und 397 – entstanden sein. Dagegen identifizieren Gorman (2006) 195–196 und Bogaert (2012) 88 mit

230

Reste von O. außerhalb von Hieronymus’ und Augustins Werken 

halten, die vermutlich nicht von seiner Hand stammen10 – einer Lang- und einer Kurzfassung11. Beide Rezensionen liegen nur in älteren Ausgaben vor. Die kürzere Version steht unter dem Titel Expositio interlinearis libri Iob12 bei Migne (PL 23)13. Die längere, die für die vorliegende Arbeit maßgebend ist, trägt den Titel Commentarii in librum Iob14; sie wurde zuerst von Erasmus 1516 nach einer Handschrift aus St. Gallen15 und dann in einer vollständigeren Version16 von J. Sichardus 1527 nach einer inzwischen verlorenen Handschrift aus Fulda ediert17. Am leichtesten zugänglich ist der Nachdruck der Ausgabe des Erasmus bei Migne (PL 26)18. Deshalb dient er in der vorliegenden Arbeit wie schon bei Ziegler als Referenztext. Allerdings irrte sich Ziegler mit der Einschätzung, die Vorlage des Erasmus gebe die Zitate aus der Versio prior vollständiger wieder als der Codex des Sichardus19: Vattioni führt aus den von ihm kollationierten Quellen, der Sichardus-Edition und dem Codex Reginensis latinus 111 im Vatikan20, viele Stellen auf, die bei Ziegler nicht nachgewiesen sind21. Einige Nachträge haben sich auch mir noch ergeben. Alle genannten Editionen sind mangelhaft, weil sie nur Auszüge des Kommentars bieten22. Damit können die hier folgenden Untersuchungen und Ergebnisse zu Philippus nur sehr vorläufige Gültigkeit beanspruchen und müssen überprüft Anm. 132 samt Nachtrag 99, Anm. *155 Nectarius eher mit dem gleichnamigen Bischof von Avignon, der von 439 bis ca. 455 amtierte. Diese Spätdatierung ist aber schwer damit zu vereinbaren, dass Julian von Aeclanum den Kommentar des Philippus kannte: Vgl. dazu unten Kap. 13, Anm. 5. 10 Gorman (2006) 194. 11 Frede (1995) 681–682. Die Klärung der Beziehungen zwischen den verschiedenen Handschriften und Drucken gelang Franses (1920). 12 Dekkers, Clavis (1995) 258, Nr. 757. 13 Dieser Band existiert in zwei Auflagen mit differierender Spaltenzählung. Ziegler (1982) zitiert die zweite Auflage (1883, Sp.  1475–1538), während ich die erste Auflage benutze (1845, Sp. 1407–1470).– In diesem Fall druckt Migne die Ausgabe von Martianay (1693) nach. Vgl. dazu Gorman (2006) 212. 14 Dekkers, Clavis (1995) 227, Nr. 643. 15 Gorman (2006) 209. 16 Ciccarese (1997) 250–251. 17 Die Angaben nach Fransen (1949) 1. Die Ausgabe des Sichardus ist zugänglich als Digitalisat unter http://hardenberg.jalb.de/display_dokument.php?elementId=13234. Zu der heute verschollenen Fuldaer Handschrift: Franses (1920) 379, Ziegler (1982) 28, Ciccarese (1992) 483 und Gorman (2006) 193. 206. Auch dieses Ms. gehörte aber nach Ciccarese (1997) 258 und Gorman (2006) 200 zu einer schlechten Rezension. Die von Gorman, S. 199–206 angeführten, z. T. besseren Handschriften sind sämtlich noch unpubliziert. Durch Gorman sind jetzt die früheren Listen von Handschriften überholt. (Vgl. dazu nach der Dissertation von Fransen (1949) noch die Nachträge bei Dekkers (1995) 227, Nr. 643 und die Liste bei Vattioni (1996) 14–15.) 18 Auch dieser Band existiert in zwei Auflagen, die sich in der Zählung der Spalten unterscheiden. Während Ziegler (1982) die Auflage von 1884 (Spalten 655–850) zitiert, benutze ich die Erstauflage von 1845 (Spalten 619–802). 19 Vgl. Ziegler (1982) 30. 20 Vattioni (1996) 14–15. 21 Vattioni (1996) publiziert die von ihm gefundenen Zitate (leider ohne Verweise auf die Fundorte und die jeweilige Herkunft der zuweilen angegebenen Varianten) auf S. 30–32. 22 Gorman (2006) 194.

Philippus Presbyter als Zeuge für die Erstfassung O.  

231

und ergänzt werden, wenn einmal eine Ausgabe vorliegt, die alles vorhandene Material berücksichtigt23. Angesichts dieser Forschungslage beschränke ich mich darauf, in den hier vorgelegten drei Kapiteln zu Philippus Presbyter nur die von Ziegler nachgewiesenen Stellen samt meinen Nachträgen zu analysieren. Eine Untersuchung der von Vattioni gesammelten Passagen hat keine weiterführenden Ergebnisse erbracht. Die in dieser Arbeit aus Zieglers Stellen abgeleiteten Resultate können daher m. E. als exemplarisch gelten. Philippus legt seinem Kommentar den Vulgata-Text des Hiob-Buches zugrunde24. Auf seine besondere Nähe zu Hieronymus weist er selbst in seinem Widmungsbrief an Bischof Nectarius dadurch hin, dass er ausdrücklich und ausführlich Hieronymus’ Charakteristik des schwierigen Hiob-Buches aus dessen Vorrede zum Vulgata-Hiob zitiert25. Daneben führt er jedoch, ohne Hieronymus je beim Namen zu nennen, häufig dessen erste Hiob-Übersetzung an mit vielfach variierten Wendungen vom Typ „siue ut alii dixerunt“26, um durch den Kontrast und Vergleich der Versionen seine Auslegung zu bereichern27. Das macht den Kommentar des Philippus zu einer Fundgrube für Lesarten der Versio prior28, die aber für eine künftige Edition erst noch ausgewertet werden müssen29. Für die vorliegende Arbeit zur Erstfassung O. der Versio prior ist der PhilippusKommentar jedoch vor allem deshalb von Interesse, weil sich m. E. zeigen lässt, dass Philippus ebenso wie Augustin speziell die Erstfassung O. des Hieronymus mit ihren Doppelübersetzungen benutzte. Weil sich die Hiob-Zitate bei Augustin und bei Philippus teils überschneiden, teils ergänzen, kann man erwarten, aus dem Vergleich und Kontrast beider Texte neue Aufschlüsse zur Rekonstruktion verlorener Lesarten von O. zu gewinnen. Bereits Ziegler hat die beiden von Sichardus und Migne veranstalteten Drucke der Langversion des Kommentars verglichen und gelegentliche Abweichungen no 23 Ciccarese merkte (1995) 140, Anm. 15 an, dass sie im Auftrag des Corpus Christianorum an einer Ausgabe arbeite. Auf der Homepage des Verlags Brepols (Turnhout) erschien im September 2015 der Band Philippus Presbyter, Commentarii in Iob noch in der Liste der Volumes in preparation ohne Hinweis auf Bearbeiter oder Erscheinungstermin. Im Februar 2017 fehlt dieser Eintrag. 24 Ciccarese (1997) 257–263 weist darauf hin, dass die Lemmata bei Philippus diejenigen Zeugen für den Vulgata-Text des Buches Hiob darstellen, die dessen Erstveröffentlichung zeitlich am nächsten stehen. Sie sind deshalb für die Textgeschichte der Vulgata von besonderem Wert. 25 Wilmart (1933) 321, Z. 6–11 = PLS 3, Sp. 327. 26 Vaccari (1958) 107 und Ciccarese (1997) 264; vgl. Ziegler (1982) 29. Wie Ciccarese a. a. O. in Anm. 71 erklärt, bezieht sich der Plural alii auf die griechischen Übersetzer, die die LXX schufen. Philippus sah also die Versio prior des Hieronymus als lateinisches Äquivalent der LXX an – ebenso wie der Kompilator der in den vorigen Kapiteln besprochenen Glossen in spanischen Bibeln. Auch Julian von Aeclanum zitiert die Versio prior mit der Formel „in graeco“ – vgl. unten Kap. 13. 27 Vgl. Ciccarese (1997) 263–268. 28 Ziegler (1982) 29–30 und Vattioni (1996) 30–32 geben Listen der einschlägigen Zitate. 29 Vgl. die Bemerkungen bei Vaccari (1958) 107, Ziegler (1982) 31, Ciccarese (1992) 487–488 und (1997) 264 sowie Bogaert (2012) 77.

232

Reste von O. außerhalb von Hieronymus’ und Augustins Werken 

tiert, die die Zitate aus Hieronymus’ Versio prior betreffen30. Ebenso hat er auch die wenigen Zitate aus der Versio prior gesammelt, die in der Kurzversion des Kommentars stehen geblieben sind31. Diese Vorarbeiten liegen der folgenden Untersuchung zugrunde. Im vorliegenden ersten Kapitel zu Philippus geht es um drei Punkte. Zunächst wird die Beobachtung Zieglers, dass Philippus neben der Vulgata nur die Versio prior des Hieronymus zitiert, noch einmal durch Belege bestätigt32. Dieser Beweis ist nötig, weil Gorman noch kürzlich irrtümlich und ohne Belege behauptet hat: „Philippus drew upon older translations as well as Jerome’s for lemmata“33. Anschließend gehe ich der Frage nach, wie zuverlässig die Hiob-Zitate bei Philippus zitiert werden. Wenn auch die verfügbaren Editionen nur Auszüge des Werkes wiedergeben und insofern mangelhaft sind34, so erweist sich doch grundsätzliche Skepsis über die Verlässlichkeit der Lemmata als unnötig. Ciccarese hat bereits gezeigt, dass die Vulgata-Lemmata bei Philippus sehr getreu überliefert sind35. Meine Untersuchungen der Zitate aus der Versio prior führen zum selben Ergebnis: Die Vergleiche mit der sonstigen Überlieferung zeigen, dass die Zitate aus der Versio prior in den vorliegenden Editionen im Ganzen verlässlich tradiert sind. Weil die direkte Überlieferung der Versio prior in den Hieronymus-Codices S., T. und B. mit der Erstveröffentlichung von T. durch Martianay im Jahre 169336 erst mehr als 150 Jahre nach den Erstdrucken des Erasmus (1516) und Sichardus (1527) bekannt wurde37, kann man ausschließen, dass diese Editoren die Lemmata der Versio prior, die sie in ihren Philippus-Codices vorfanden, stillschweigend an die direkte Überlieferung angepasst haben. An dritter Stelle steht der im Rahmen dieser Arbeit wichtigste Punkt – ein erster Beweisgang für meine These, dass Philippus speziell die Erstfassung O. der Versio prior zitiert und deshalb für deren Rekonstruktion ein wichtiger Zeuge ist. Im anschließenden Kapitel analysiere ich diejenigen Hiob-Lemmata bei Philippus, die m. E. die These belegen, dass seine Vorlage O. Doppelübersetzungen enthielt. Im dritten Kapitel werden dann im Licht der so gewonnenen Einsichten die vielen Stellen ausgewertet, die keine schnellen oder eindeutigen Schlüsse gestatten.

30 Ziegler (1982) 30. 31 Ziegler (1982) 28. 32 Ziegler (1982) 29. 33 Gorman (2006) 193. 34 Siehe oben S. 230 mit Anm. 22. 35 Ciccarese (1997) 257–263. 36 Vgl. Trenkler (2017) 32. 37 Siehe oben S. 230 mit Anm. 16–17.

Philippus Presbyter als Zeuge für die Erstfassung O.  

233

10.2 Philippus zitiert die Versio prior des Hieronymus Der Beweis für diese These wird durch eine Reihe von Hiob-Zitaten erbracht, die bei Philippus, bei Augustin und in den drei Handschriften der Versio prior übereinstimmen. Wie die folgenden Überblickstabellen zeigen, reichen diese Zitate von kompletten Halbversen über kürzere Ausdrücke bis hin zu einzelnen Wörtern. Die erste Tabelle sammelt die Beispiele für komplette Halbverse: 38 39 40 41 42 43 44 4546 47 48 49 50 51

Hiob Kapitel u. Vers

Stelle Philippus PL 26 (1845)

Stelle Aug. adn. Sei./ Zei. Zy

Zitierformel bei Philippus

identischer Wortlaut bei ­ Philippus, Augustin und in Hss. S. T. B.

3, 17a38

626 A

512, 5–6

Et sicut Septuaginta transtulerunt

ibi39 impii deposuerunt40 furorem suum

3, 17b41

626 A

512, 7

Sicut alia habet translatio

ibi requieuerunt42 fatigati43 ­ corpore

6, 7b44

632 A

519, 2–3

45Secundum antiquos interpretes ita dictum est

46Foetidas video escas meas

534, 8–9



ipse enim nouit opera50 (Aug. + hominum51) iniquorum

11, 11a48 643 C49

sicut est47 odor leonis

38 Hinweis bei Ziegler (1982) 29. 39 Bei Migne nicht durch Kursivdruck als Zitat gekennzeichnet. 40 S. posuerunt. Lt. TLL s. v. furor kommt die Verbindung furorem ponere etwas häufiger vor (6.1. 1637.34–35) als die Junktur furorem deponere (nur drei Stellen lt. 6.1.1637.24). Beide Ausdrücke klingen poetisch. An dieser Stelle hat Hieronymus in S. offenbar experimentiert. Das Simplex steht der griechischen Vorlage ἔπαυσαν (Ziegler (1982) 225 im 1. Apparat) näher. 41 Hinweis bei Ziegler (1982) 29.  42 Y ~ requieuerunt ibi. 43 M fatigato. 44 Hinweis bei Ziegler (1982) 29. Auf S. 30 verweist Ziegler auf die vorangehende Teilparaphrase der Versio prior bei Migne und zitiert den Text des Sichardus (sc. p. 20 D init. Sichardus = S. 48 des Digitalisats), der sowohl die bei Migne fehlende Zitateinleitung als auch das gesamte Lemma bringt. Bei Sichardus fehlt aber die Kopula est. 45 Diese Zitateinleitung steht nur bei Sichardus (vgl. die vorige Anm.). 46 Diese erste Zeile steht als Zitat nur bei Sichardus; im Text bei Migne wird sie paraphrasiert (vgl. unten S. 246–249 zu dieser und vergleichbaren Paraphrasen). 47 Bei Sichardus fehlt est. 48 Hinweise bei Ziegler (1982) 29 und 30. 49 Bei Migne nicht durch Kursivdruck als Zitat gekennzeichnet, wohl weil hier keine Zitierformel vorausgeht. 50 M nouit omnia opera. 51 Diesen erklärenden Zusatz des ω2-Fraters, der keinen Anhalt in den Urtexten hat, bieten alle Codices der ω2-Überlieferung (Q fehlerhaft homini). Die ω1-Tradtion fehlt hier. Die Stelle ist auffällig: Trenkler (2017) Kap. 15 hat kein Beispiel für solch einen freien Zusatz des ω2-Fraters in einem Hiob-Lemma und auch kaum Vergleichbares in den Bearbeitungen, die der ω2-Frater an den Kommentartexten vorgenommen hat: Vgl. Trenkler (2017) Kap. 17.

234

Reste von O. außerhalb von Hieronymus’ und Augustins Werken 

52 53 54 55 56 57 58 59 60 61 62 63 64 65 66 67 68 69 70 71 72 73 74 75 76

Hiob Kapitel u. Vers

Stelle Philippus PL 26 (1845)

Stelle Aug. adn. Sei./ Zei. Zy

Zitierformel bei Philippus

identischer Wortlaut bei ­ Philippus, Augustin und in Hss. S. T. B.

14, 7a52

649 C53

538, 22–23

54De hac arbore similiter est enim56 arbori57 spes dixerunt et55 alii translatores

36, 18b LXX58

736 B

590, 15–16

alii dixerunt

propter impietatem munerum59, quae accipiebant60

37, 12a61

742 A–B

596, 6–7. 7–8

Alii vero interpretes dixerunt

et ipsa62 per circuitum63 ­ uertitur in gubernaculis64 ad operanda65 omnia66 quae mandauerat67 eis

37, 21 ac68

744 C

598, 14–15

Alii dixerunt

omnibus autem non est uisibile69 lumen, quod fulget in nubibus

37, 22a70

745 A

599, 4

Alii dixerunt

ab aquilone71 nubes72 coloris aurei73

37, 22b74

745 A

599, 11

37, 24a76

745 B

599, 25

in his est magna gloria75 et ­ honor omnipotentis Alii dixerunt

propterea timebunt eum ­ homines

52 Hinweise bei Ziegler (1982) 29 und 30. 53 Bei Migne nicht durch Kursivdruck als Zitat gekennzeichnet. 54 Diese Zitierformel steht nur in der Edition des Sichardus (zitiert von Ziegler (1982) 30): sc. p. 51 B (S. 79 des Digitalisats). 55 Ziegler (1982) 30 lässt et aus. 56 Lovv. etenim. 57 Z arbor; T. arboris: Das Genetiv -s ist durch Dittographie vor spes zu erklären, da alle ursprachlichen Vorlagen ebenso wie die vorhandenen Parallelen den Dativ arbori bieten. Deshalb drucken auch Vallarsi und Migne hier in T. stillschweigend den Dativ arbori. 58 Hinweis bei Ziegler (1982) 29. 59 WXY Maur. numerum. (Zycha notiert die Abweichung der Mauriner nicht.) 60 Der Relativsatz ist bei Migne nicht als Teil  des Zitates erkannt und deshalb nicht kursiv gedruckt. 61 Hinweis bei Ziegler (1982) 29. 62 K*T*NX ipsam. 63 Philippus und B. circumitum; S. circuitu. 64 S. cubernaculis. 65 Augustin: nur Fragmentcodex A ad operanda; cett. codd. et edd. ad operandum. 66 CU ea; M omnia ea. 67 S. T. B. und UVZ mandauerit. Zycha vermerkt Amerbachs mandaverat nicht. 68 Hinweise bei Ziegler (1982) 29 und 30. (Nicht bei Vattioni (1996) 31.) 69 WX inuisibile. 70 Hinweis bei Ziegler (1982) 29. 71 M aquile. 72 S. nubis. 73 A auri, aber (599, 10 Zy) aurei. 74 Hinweis bei Ziegler (1982) 29. 75 S. gloria est. 76 Hinweise bei Ziegler (1982) 29 und 30.

Philippus Presbyter als Zeuge für die Erstfassung O.   77 78 79 80 81

235

Hiob Kapitel u. Vers

Stelle Philippus PL 26 (1845)

Stelle Aug. adn. Sei./ Zei. Zy

Zitierformel bei Philippus

identischer Wortlaut bei ­ Philippus, Augustin und in Hss. S. T. B.

38, 4a77

746 A fin.

601, 6

Sive, ut alii dixerunt

ubi eras cum fundarem78 ­terram?

38, 9b79

748 D

603, 5–6

sive, ut alii dixerunt

et nebula80 obuolui81 illud

Ebenso sind die folgenden Fälle zu beurteilen, wo der Hieronymus-Codex S. nicht mehr erhalten ist: 82 83 84 Hiob Kapitel u. Vers

Stelle Philippus PL 26 (1845)

Stelle Aug. adn. Sei./ Zei. Zy

Zitierformel bei Philippus

identischer Wortlaut bei Philippus, Augustin und in Hss. T. B.

38, 17b82

753 D– 754 A

605, 14

alii interpretes locum ipsum manifestius transtulerunt, ita dicentes

aut ianitores inferni uidentes te timuerunt?

38, 36ab83

762 D. s. fin.

613, 19–20 Hoc in loco aliorum mul(vgl. die to aliter interpretatio habet, Paraphrase qui ita dixerunt 613, 25–26)

quis dedit mulieribus texturae sapientiam et uarietatum84 scientiam?

Die folgenden Stellen hat Augustin in den Adnotationes übergangen. Trotzdem beweist die Übereinstimmung zwischen den Zitaten bei Philipp mit der direkten Überlieferung in den Hieronymus-Codices S., T. und B., dass Philipp die Versio prior zitiert: 85 86 87 88 Hiob Kapitel u. Vers

Stelle Philippus PL 26 (1845)

20, 24a85 670 D86 21, 20b87

Zitierformel bei Philippus –

nicht bei ­Migne; bei Alii dixerunt Sichardus p. 86 C s. fin.88

identischer Wortlaut bei Philippus und in Hss. S. T. B. et non liberabitur de manu gladii et a domino non salvetur

77 Hinweis bei Ziegler (1982) 29. 78 CUV fraudarem. 79 Hinweise bei Ziegler (1982) 29 und 30. 80 N obliuioni. 81 S. obuului. 82 Hinweis bei Ziegler (1982) 29. 83 Hinweis bei Ziegler (1982) 29. 84 Z uarietatem. 85 Hinweise bei Ziegler (1982) 29 und 30. (Kein Hinweis bei Vattioni (1996) 30.) 86 Bei Migne wird dieses Zitat  – vermutlich wieder aufgrund der fehlenden Zitierformel  – nicht durch Kursivdruck kenntlich gemacht. 87 Hinweis bei Ziegler (1982) 30. 88 Digitalisat S. 114.

236 89 90 91 92 93 94

Reste von O. außerhalb von Hieronymus’ und Augustins Werken 

Hiob Kapitel u. Vers

Stelle Philippus PL 26 (1845)

Zitierformel bei Philippus

identischer Wortlaut bei Philippus und in Hss. S. T. B.

24, 15c89

683 C

Sive ut alii dixerunt

et latibulum faciei posuit

24, 22a90

686 C

Alii dixerunt

Et91 in ira92 euertit infirmos

27, 23b93

696 A

Alii dixerunt

et trahet eum94 de loco suo

Derselbe Schluss ergibt sich endlich aus den Übereinstimmungen zwischen den Zitaten des Philippus mit den Hieronymus-Codices T. und B. in jenen Passagen in den Schlusskapiteln 40–42 des Hiob-Buches, für die weder der Hieronymus-Codex S. noch Augustins Adnotationes erhalten sind; 95 96 97 98 99 Hiob Kapitel u. Vers

Stelle Philippus PL 26 (1845)

Zitierformel bei Philippus

identischer Wortlaut bei Philippus und in Hss. T. B.

40, 21 LXX = 40, 16 Vulg.95

785 B s. fin.

Alii dixerunt

Sub omnimodis arboribus dormit secus iuncum, et calamum, et caricem.

40, 26b LXX = 40, 21b Vulg.96

788 B

sive, ut alii dixerunt

forcipe pertundes labrum97 eius?

40, 29b LXX = 40, 24b Vulg.98

789 A

Alii dixerunt

aut99 alligabis eum sicut passerem infantulo?

89 Hinweise bei Ziegler (1982) 29 und 30. 90 Hinweise bei Ziegler (1982) 29 und 30. 91 T. om. et gegen M und LXX δὲ. 92 S. in ira a (Dittographie). 93 Hinweis bei Ziegler (1982) 29. Ziegler weist S. 28 darauf hin, dass dieser Vers samt Zitierformel genauso auch in der Expositio interlinearis zitiert wird (sc. PL 23 (1845) 1443 D). 94 S. om. eum: Überlieferungsfehler in S., da ohne Anhalt in M oder LXX. 95 Kein Nachweis bei Ziegler (1982) 29. 96 Hinweis bei Ziegler (1982) 29. 97 T. labium. In der Vulgata benutzt Hieronymus nur labium. Bei Augustin stehen lt. CAG vier Belege für labrum mehr als 200 Belegen für labium gegenüber. Die Lesart in T. dürfte also eine der typischen stilistischen Korrekturen an der Erstfassung O. darstellen. 98 Kein Nachweis bei Ziegler (1982) 29. 99 Philippus lässt aut aus. Zu solchen kleinen Ungenauigkeiten in seinen Zitaten vgl. unten S. 244–246.

Philippus Presbyter als Zeuge für die Erstfassung O.   100

237

Hiob Kapitel u. Vers

Stelle Philippus PL 26 (1845)

Zitierformel bei Philippus

identischer Wortlaut bei Philippus und in Hss. T. B.

41, 18a LXX = 41, 17a Vulg.100

794 A

Alii vero manifestius transtulerunt dicentes:

Si occurrerint ei lanceae, nihil facient ei.

Die folgenden Tabellen enthalten die kürzeren Ausdrücke, die Philippus aus der Versio prior zitiert: 101 102 103 104 105 Hiob Kapitel u. Vers

Stelle Philippus PL 26 (1845)

Stelle Aug. adn. Sei./Zei. Zy

Zitierformel bei Philippus

identischer Wortlaut bei Philippus, Augustin und in Hss. S. T. B.

35, 12b101

733 C fin.

586, 6

sive ut alii dixerunt

ab iniuriis malorum

37, 1a102

739 A

593, 26

Sive [folgt das einge­ schobene Zitat] ut alii dixerunt

obstupuit103 cor meum

37, 4a104

739 D

594, 9

Sive ut alii dixerunt

fremet uox105

Vergleichbar ist die folgende Stelle, an der der Codex S.  nicht mehr vorhanden ist: 106 107 Hiob Kapitel u. Vers

Stelle Philippus PL 26 (1845)

Stelle Aug. adn. Sei./Zei. Zy

Zitierformel bei Philippus

identischer Wortlaut bei Philippus, Augustin und in Hss. T. B.

38, 34a106

761 D s. fin.

613, 4

Alii dixerunt

uocabis nubem uoce107

Die folgende Stelle hat Augustin in den Adnotationes übergangen. Trotzdem beweist die Übereinstimmung zwischen dem Zitat bei Philipp mit der direkten Über 100 Kein Nachweis bei Ziegler (1982) 29. Auf S. 28 weist Ziegler darauf hin, dass dieser Vers samt Einleitung so auch in der Expositio interlinearis zitiert werde (sc. PL 23 (1845) 1466 CD). Dies ist nicht ganz richtig: Die Interlinearversion verkürzt die Zitierformel zu Alii manifestius dixerunt und bietet im Hiob-Zitat einen anderen Modus und eine andere Wortstellung: si occurrerunt ei lanceae, nihil ei facient. Da beide Details keine von LXX abweichende Übersetzung von M darstellen, liegt hier keine Doppelübersetzung in O. vor, sondern nur ein ungenaues Zitat in der Glosse. 101 Hinweis bei Ziegler (1982) 29. 102 Hinweis bei Ziegler (1982) 29. 103 S. und A C M obstipuit. 104 Hinweis bei Ziegler (1982) 29. 105 Y nox. 106 Hinweis bei Ziegler (1982) 29. 107 N ~ uoce nubem.

238

Reste von O. außerhalb von Hieronymus’ und Augustins Werken 

lieferung in den Hieronymus-Codices S., T. und B., dass Philipp die Versio prior vor Augen hat: 108 Hiob Kapitel u. Vers

Stelle Philippus PL 26 (1845)

Zitierformel bei Philippus

identischer Wortlaut bei Philippus und in Hss. S. T. B.

27, 22b108

695 D fin.

sive ut alii dixerunt

fuga fugiet

Derselbe Schluss ergibt sich endlich aus der Übereinstimmung zwischen einem Zitat des Philippus mit den Hieronymus-Codices T. und B. in den Schlusskapiteln 40–42 des Hiob-Buches, für die weder der Hieronymus-Codex S. noch Augustins Adnotationes erhalten sind: 109 Hiob Kapitel u. Vers

Stelle Philippus PL 26 (1845)

Zitierformel bei Philippus

identischer Wortlaut bei Philippus und in Hss. T. B.

41, 24a LXX = 41, 22b Vulg.109

795 C fin.

Alii dixerunt

et tartarum abyssi sicut captivum

Eine dritte Gruppe von Belegen wird gebildet von solchen Stellen, an denen Philippus nur einzelne Stichworte der Versio prior zitiert: 110 111 112 113 Hiob Kapitel u. Vers

Stelle ­ Philippus PL 26 (1845)

Stelle Aug. adn. Sei./ Zei. Zy

Zitierformel bei Philippus

identischer Wortlaut bei Philippus, Augustin und in Hss. S. T. B.

4, 11a110

628 A

513, 17

In alia editione pro tigri

myrmicoleon

21, 24a111

673 C

554, 4

Viscera, sive intestina eius ut alii dixerunt

intestina eius

28, 8b112

699 D

567, 21–22

leaena. Sive leo, ut alii dixerunt

leo

30, 5b113

713 C–D

573, 19

quod alii translatores dixerunt

fures

108 Hinweis bei Ziegler (1982) 29. 109 Kein Hinweis bei Ziegler (1982) 29. 110 Hinweis bei Ziegler (1982) 30. – Zur Interpretation des Myrmicoleon bei Philippus Presbyter (vermutlich im Gefolge des Origenes) vgl. Ciccarese (1994) 564–565. 111 Hinweis bei Ziegler (1982) 29. 112 Hinweis bei Ziegler (1982) 29. 113 Diese Stelle fehlt bei Ziegler (1982) 29 und Vattioni (1996) 31.

Philippus Presbyter als Zeuge für die Erstfassung O.  

239

Bei den nächsten Beispielen fehlt im ersten Fall T. und das andere Mal S.: 114 115 116 117 Hiob Kapitel u. Vers

Stelle Philippus PL 26 (1845)

Stelle Aug. adn. Sei./ Zei. Zy

Zitierformel bei Philippus

identischer Wortlaut bei Philippus, Augustin und in Hss. S. T. B.

31, 13b114

719 C

577, 17–18

Sive ut alii dixerunt

apud me115

39, 9a116

770 D

618, 1–2

Sive, ut alii dixerunt

monoceros117

Derselbe Schluss ergibt sich endlich aus der Übereinstimmung zwischen dem Zitat des Philippus mit den Hieronymus-Codices T. und B. in einer Passage aus den Schlusskapiteln 40–42 des Buches Hiob, für die der Hieronymus-Codex S.  und Augustins Adnotationes nicht erhalten sind: 118 119 Hiob Kapitel u. Vers

Stelle Philippus PL 26 (1845)

Zitierformel bei Philippus

identischer Wortlaut bei Philippus und in Hss. T. B.

40, 25a LXX = 40, 20 Vulg.118

786 D

Unde et alii pro Leviathan draconem dixerunt.

draconem119

All diese Belege zeigen, dass Philippus Presbyter die Versio prior des Hieronymus zitiert. Es gibt in seinem Kommentar keinen Hinweis, dass er daneben noch eine andere Vetus Latina-Version herangezogen hätte. Er hat auch nicht etwa selbst eigene Übersetzungen aus der LXX angefertigt, wie es bei Julian von Aeclanum vielfach vorkommt.

10.3 Die Zuverlässigkeit der Zitate aus der Versio prior Bevor ich in den folgenden Kapiteln die teilweise schwierigen Stellen bei Philippus im Einzelnen analysiere, stelle ich zur Vorbereitung noch Material zusammen, das hilft, die Genauigkeit der bei Philippus überlieferten Zitate aus O. einzuschätzen.

114 Diese Stelle fehlt bei Ziegler (1982) 29. 115 Dieser Vers fehlt in T. 116 Hinweis bei Ziegler (1982) 29. 117 Hier fehlt der Schluss des Codex S. 118 Hinweis bei Ziegler (1982) 29. Ziegler zitiert nach der Vulgata-Zählung. (Kein Hinweis bei Vattioni (1996) 32.) 119 Der komplette Vers lautet in den Codices T. und B. übereinstimmend adduces autem draconem in hamo (B. amo)?

240

Reste von O. außerhalb von Hieronymus’ und Augustins Werken 

Hier sind zwei Fragen zu unterscheiden: 1. Von welcher Qualität war die Vorlage, der er seine Zitate der Erstfassung O. der Versio prior entnahm? 2. Mit welcher Genauigkeit gibt Philippus seine Vorlage wieder? Auf beide Fragen gibt es keine einfachen Antworten.

10.3.1 Die Qualität von Philipps Vorlagen Was die Frage nach der Qualität von Philipps Vorlage betrifft, so hat Ziegler darauf hingewiesen, dass Philippus an drei Stellen als einziger eine evident richtige Lesart zitiert, während Augustin und die drei Hieronymus-Codices S. T. B. jeweils fast ausnahmslos Fehler überliefern120. Als vierten Beleg kann man m. E. noch Iob 38, 34b hinzufügen: 121 122 123 124 125 126 127 128 Hiob Kap. u. Vers

Stelle ZitierforPhilipmel bei pus PL 26 Philippus (1845)

Wortlaut Philippus

Wortlaut Augustin (ω1+ω2Linie)

Wortlaut S. T. B.

Vorlage hebräisch

Vorlage griechisch

16, 10b121

658 C

Et sicut alii dixerunt

122acriter est (543, 11–12) percussus123 (ω1 fehlt) in genis acriter percussit me ingens124 deus125

acriter per- ‫בחֶ ְרּפָ ה‬ ּ֭ ְ cussit me ‫הּכ֣ ּו ְלחָ יָ ֑י‬ ִ 126 a) S. in genis b) T. B. ingens

ὀξεῖ ἔπαισέν με εἰς σιαγόνα

37, 17a127

743 A

Alii dixerunt

tua stola ca- (597, 10–11) lida est128 tua uero stola est ualida

tua uero nicht verstola est gleichbar a) S. candida b) T. B. ualida

σοῦ δὲ ἡ στολὴ θερμή

120 Ziegler (1982) 30–31. 121 Hinweise bei Ziegler (1982) 29 und 31. (Kein Hinweis bei Vattioni (1996) 30.) 122 Dieses Zitat wird bei Migne trotz der vorhandenen Zitierformel nicht durch Kursivdruck hervorgehoben. 123 Diese passivische Übersetzung beruht auf dem Hebräischen. Verglichen mit Augustin lässt sich also auf eine Doppelübersetzung in O. zurückschließen. Vgl. dazu genauer das folgende Kapitel 11, S. 259. 124 Die Mauriner drucken in genibus. 125 Deus ist nicht Teil des Lemmas, sondern Augustins lakonischer Kommentar zu dem Stichwort ingens seiner Vorlage O. (so richtig Ziegler (1982) 31 gegen Zycha). Im Codex F ist deus deshalb durch schwarze Schrift vom vorangehenden, in Rot ausgeführten Zitat abgesetzt. Am. Er. Lovv. drucken dominus, das in V überliefert ist. 126 Dt.: zum Hohn haben sie meine Wangen geschlagen. 127 Hinweise bei Ziegler (1982) 29 und 31. 128 Philippus‘ Zitat weicht durch das Weglassen des „aber“ und die Endstellung des est von der sonstigen Überlieferung ab. Da das Hebräische hier nicht als zweite Vorlage in Frage kommt, liegt

Philippus Presbyter als Zeuge für die Erstfassung O.   129 130 131 132 133 134 135

241

Hiob Kap. u. Vers

Stelle ZitierforPhilipmel bei pus PL 26 Philippus (1845)

Wortlaut Philippus

Wortlaut Augustin (ω1+ω2Linie)

Wortlaut S. T. B.

38, 34b129

761 D s. fin.

et in tremore aquae ualidae obediet130 tibi

(613, 6–7) et in tremore a) ω1131 aquae (b) ω2 atque) ualidae obedient tibi

S. fehlt nicht verT. B. et in gleichbar tremore aquae ualidae obediunt132 tibi

καὶ τρόμῳ ὕδατος λάβρῳ ὑπακούσεταί σου;

39, 21a133

774 D fin. Sive, ut alii dixerunt

fodiens in campo luxuriat

(620, 26) (ω1 fehlt) prodiens134 in campo luxuriat

S. fehlt T. B. prodiens in campo luxuriat

ἀνορύσσων ἐν πεδίῳ γαυριᾷ

Alii dixerunt

Vorlage Vorlage hebräisch griechisch

‫י ְַח ְּפ ֣רּו‬ ‫ָ֭בעֵ מֶ ק‬ ‫וְ י ִָׂש֣יׂש‬

135

Die genannten Stellen lassen erwarten, dass Philippus eine gute Textvorlage zur Verfügung hatte, die weniger Fehler enthielt als Augustins Exemplar. Möglicherweise hängt dies damit zusammen, dass Philippus ein Schüler des Hieronymus war. Leider ist nicht bekannt, ob er Zugang zu Hieronymus’ Manuskripten im Skriptorium in Bethlehem hatte. Auf der anderen Seite darf man diese guten Lesarten bei Philippus nicht überbewerten; denn es gibt auch Stellen, an denen Philippus eine fehlerhafte Lesart zitiert, während Augustin ebenso wie die Hieronymus-Codices S. T. B. das Richtige bieten. Dieser Befund deutet darauf hin, dass die Textüberlieferung der Versio prior schon von Anfang an mit Fehlern behaftet war.

vermutlich keine Doppelübersetzung in O. vor, sondern nur eine freie Umformung der Vorlage durch Philipp. Zu ähnlichen Fällen s. u. S. 246–249. 129 Hinweis bei Ziegler (1982) 29. Ziegler übergeht diese Stelle S. 31 jedoch in seiner Liste guter Lesarten bei Philippus. 130 Nur der Singular des Prädikats im Futur entspricht der LXX und dem Kontext (das Subjekt zu obediet ergibt sich aus dem Singular nubem Iob 38, 34a (auch im sonst nicht vergleichbaren hebräischen Text steht das Prädikat im Singular). Da nubem im Akkusativ vorangeht, liegt keine Verwechslung der Numeri des Nominativs nubes vor. 131 Codices A und FN; Maur. und Zy.- FN enthalten die richtige Lesart aquae durch Kontamination aus der ω1-Linie. 132 Vallarsi, Migne, Lagarde drucken obedient. 133 Hinweise bei Ziegler (1982) 29 und 31. 134 Augustin nimmt das Stichwort prodiens mit exiens (621, 1) wieder auf; sein Lemma stammt also aus O. und ist nicht erst aus T. überschrieben. 135 Dt.: Es (sc. das Schlachtross) wird scharren/scharrt in der Ebene und sich freuen/freut sich. (M bietet das Prädikat fälschlich mit Pluralendung: Fohrer (1986) 494, Anm. 21a.)

242

Reste von O. außerhalb von Hieronymus’ und Augustins Werken 

An der folgenden Stelle enthält der Text der Versio prior bei Philippus gleich zwei Fehler: 136 137 138 139 Hiob Kap. u. Vers

Stelle Philippus PL 26 (1845)

Stelle Aug. adn. ed. Zy. Seite/Zeile

Zitierformel bei Philippus

Wortlaut ­ Philippus

Wortlaut T. B. (S. fehlt)

41, 23b LXX = Vulg. 41, 22b136

795 C fin.

fehlt

Alii dixerunt

aestimat sicut delictum

aestimat mare sicut deletum

Sichardus p. 207 A s. fin.137

M138: ‫֗ ָי֝ם י ִ ָׂ֥שים ּכַ ּמֶ ְרקָ ָ ֽחה‬

aestimat abyssum sicut delictum LXX Hauptüberlieferung: ἥγηται δὲ τὴν θάλασσαν ὥσπερ ἐξάλειπτρον LXX Nebenüberlieferung139: ἥγηται δὲ τὴν θάλασσαν ὥσπερ ἐξαλειπτόν

Der erste Fehler in Philipps Zitat (nach der Ausgabe des Erasmus) ist die Auslassung von abyssus bzw. mare nach aestimat. Im Licht der Urtexte liegt ein Kopierfehler vor. Der zweite Fehler ist die missglückte Emendation delictum für das eigentlich gemeinte, aber schwer verständliche delitum. Die Stufen der Textentwicklung lassen sich vermutlich wie folgt rekonstruieren: Die Hauptüberlieferung der LXX liest ἐξάλειπτρον („Salbentopf “), entsprechend dem hebräischen Urtext. Eine Nebenüberlieferung der LXX hat diese sinnvolle Lesart jedoch zum Verbaladjektiv ἐξαλειπτόν verballhornt. Letztere Variante hat Hieronymus der Versio prior zugrunde gelegt. Da nun das Verbum ἐξαλείφω nicht nur wörtlich „bestreichen/beschmieren/tünchen“ (entsprechend dem lateinischen delinere) heißt, sondern auch „die Schrift einer Wachstafel ausstreichen/ tilgen“ (entsprechend dem lateinischen delere)140, kamen die beiden Varianten delitum (zu erschließen aus der verfehlten Konjektur delictum bei Philippus) bzw. deletum (in T. B.) zustande. Dabei stand delitum, wie noch der Fehler bei Philippus zeigt, in O.; weil jedoch delitum als PPP sowohl zu delino (3) als auch zu deleo dient141, ist der Wechsel zu deletum in T. möglicherweise ein Beispiel für Hieronymus’ Tendenz, in der Endfassung klassische Formen einzusetzen.

136 Kein Hinweis bei Ziegler (1982) 29. 137 Digitalisat S. 235. 138 Dt.: Meer wird er ansehen/sieht er an wie das Salbgefäß. 139 Ziegler (1982) 407 im 1. Apparat: Hss. 534, 542 und 740*. 140 Vgl. Liddell-Scott-Jones (1940) 583 s. v. ἐξαλείφω. 141 Vgl. Lewis-Short (1879) 539 s. v. delitus, a, um.

243

Philippus Presbyter als Zeuge für die Erstfassung O.  

Bei alledem dürfte der Sinn der Versio prior sein: Das Ungeheuer „sieht das Meer wie eine glattgestrichene Fläche an.“ Ein zweiter gravierender Fehler liegt in Philipps Zitat von Iob 38, 33b vor: 142 143 144 145 146

Hiob Kap./ Vers

38, 33b

Zitier­ formel bei Philippus

Hunc locum alii ita vertunt

Wortlaut Philippus PL 26 (1845) 761 BC

Wortlaut adn. = O. (612, 27–613, 1)

Ut omnia quae sub caelo sunt, pariter fiant.

aut144 omnia

ω1-Linie Codex A + FN + Maur. Zy142 quae sub caelo pariter fiunt

M146: ‫ִאם־ּתָ ִ ׂ֖שים ִמ ְׁשטָ ֹ֣רו בָ ָ ֽא ֶרץ‬

Wortlaut HieronymusCodices T. B. (S. fehlt)

ω2-Linie143 cett. codd. + edd. aut quae sub cae- T. omnilo sunt um145

B. omnia

quae sub caelo sunt ­ pariter fiunt

LXX: ἢ τὰ ὑπ’ οὐρανὸν ὁμοθυμαδὸν γινόμενα;

Die Fassung mit dem vollen Relativsatz quae sub caelo sunt, die nicht nur zweimal in Augustins ω2-Tradition überliefert ist147, sondern auch in B. sowie bei Philippus steht, stammt nach der Konvergenz dieser Zeugen aus der Erstfassung O., die hier auf der LXX beruht; M ist nicht vergleichbar. Der Relativsatz ohne sunt, wie ihn die ω1-Tradition der Adnotationes bietet und über verschlungene Wege an Zycha vermittelt hat (zunächst Kontamination in F, dann von den Maurinern aus F als deren ältestem und vermeintlich bestem Manuskript übernommen), ist zwar sprachlich nicht unmöglich, stellt aber vermutlich einen Kopierfehler dar; denn wie Trenkler gezeigt hat, neigt der ω1-Frater zu erklärenden Zusätzen148, aber nicht zu einer Kürzung von Lemmata, wie sie hier vorliegen müsste. Der Vergleich mit der LXX und den andern lateinischen Zeugen zeigt, dass der Fragesatz mit aut – fiunt richtig ist, während Philipps Lesart mit ut und dem bereits an ut angepassten Konjunktiv fiant keine Basis in den Urtexten hat und daher als Überlieferungsfehler gelten muss. Die Stelle lehrt, dass Philipps Vorlage O. durchaus nicht immer einen besseren Text als Augustins Vorlage O. bietet. Philip-

142 FN sind hier wie oft aus der ω1-Überlieferung kontaminiert. Die Mauriner folgen F und Zycha wiederum den Maurinern. Zycha notiert die anderslautende Überlieferung in C T nicht. 143 V fehlt zum ganzen Vers durch Augensprung. 144 Z ut. 145 Omnium ist ein Kopierfehler. Vallarsi und Migne drucken deshalb omnia. 146 Dt.: oder stellst du fest/wirst du feststellen seine Herrschaft auf Erden? 147 Außer im Zitat des Lemmas auch noch in der anschließenden Auslegung (613, 2 Zy). 148 Trenkler (2017) Kap. 16.

244

Reste von O. außerhalb von Hieronymus’ und Augustins Werken 

pus dürfte also wohl nicht in Bethlehem das Original der Erstfassung O., also den Archetypos ψ149, benutzt haben. Eine stark korrupte Stelle in der Überlieferung des Philippus-Kommentars liegt im Lemma Iob 39, 13 vor: 150 151 152 153 154 155 156 Hiob Kap. u. Vers

Stelle Philippus PL 26 (1845)

Zitierformel Philippus

Wortlaut ­ Philippus

Wortlaut Augustin ω2-Tradition

Wortlaut T. B. (S. fehlt)

39, 13150

772 D

sicut et alii dixerunt

Struthio mixta, et151 alis herodionis et accipitris

(619, 3–4) penna struthionum152 mixta est alis153 herodionis et accipitris154

penna strutionum155 mixta est alis herodionis et accipitris156

Der Text des Philippus ist am Anfang verstümmelt (die Begriffe penna und mixta fehlen; struthio steht im Nominativ Singular statt im Genetiv Plural; bei Erasmus erscheint zusätzlich et statt est). Da solch ein teilweise sinnloser Text Philippus nicht zuzutrauen ist, dürfte ein Fehler der späteren Überlieferung vorliegen.

10.3.2 Die Genauigkeit von Philipps Zitierpraxis Wenn man die Frage untersucht, wie zuverlässig Philippus die Zitate aus O. wiedergibt, findet man zunächst, dass er sich nur gelegentlich kleine Kürzungen oder Änderungen gestattet, die den textkritischen Wert seiner Zitate nicht wesentlich mindern. 10.3.2.1 Lässliche Veränderungen Erste Beispiele fanden sich schon in den obigen Tabellen in den Lemmata Iob 37, 17a157 und Iob 40, 29b LXX = 40, 24b Vulg.158.

149 Vgl. Trenkler (2017) 107–111. 150 Hinweis bei Ziegler (1982) 29. 151 et (Migne lt. Erasmus) hat keinen Anhalt im hebräischen oder griechischen Grundtext; zu lesen ist mit den anderen Zeugen est, das auch bei Sichardus steht (p. 189 A = S. 217 des Digitalisats). 152 KT WXY strutionum; P R strucionum; HF N OQ CUV M structionum; Z structationum. 153 M alijs. 154 C ancipitris (fehlt bei Zy); F accipiris. 155 B. structionum. 156 B. ancipitris. 157 S. 240 mit Anm. 128. 158 S. 236 mit Anm. 99.

245

Philippus Presbyter als Zeuge für die Erstfassung O.  

In einer ersten Tabelle sammle ich die Stellen, an denen auch Augustins Text vorhanden ist: 159 160 161 162 163 164 165 166 167 168 169 170 171 Hiob Kap. u. Vers

Stelle Philippus PL 26 (1845)

Zitierformel bei Philippus

Wortlaut Philippus

Wortlaut Wortlaut Augustin S. T. B. (ω2-Tradition159)

15, 27a

655 A

Alia editio

160Operuit faciem ejus ­ tamquam161 in adipe suo

(541, 12–13) quia162 operuit163 faciem eius in adipe suo

Alii dixerunt

166super quo (602, 12–13) circuli eius fixi167 aut super quo sunt circuli168 eius fixi169 sunt

38, 6a165 746 D

quia operuit faciem eius164 in adipe suo (S. B. wie ­ Augustin) T: aut super quod170 circuli eius fusi171 sunt

Die folgenden Stellen werden zwar von Augustin nicht zitiert; eine Gegenkontrolle ist aber anhand der Hieronymus-Codices und der Urtexte möglich: 172 173 174 175 Hiob Kapitel u. Vers

Stelle Philippus PL 26 (1845)

Zitationsformel bei Philippus

Wortlaut bei Philippus

Wortlaut S. T. B. bzw. nur T. B.

Vorlage hebräisch

Vorlage griechisch

33, 22a172

726 A

Sive ut alii dixerunt

Accessit usque173 ad mortem

accessitque ad mortem174

‫ַו ִּת ְק ַר֣ב‬

ἤγγισεν δὲ εἰς θάνατον

‫לַ ַּׁש֣חַ ת‬175

159 Die ω1-Überlieferung ist an beiden folgenden Stellen verloren. 160 Philippus hat das einleitende quia ausgelassen. 161 Philippus hat tamquam, das keinen Anhalt in einem Urtext hat, frei hinzugesetzt. Der Kursivdruck bei Migne ist ein Irrtum. 162 WXYZ qui. 163 WX operit; Z operunt. 164 Caspari druckt für S. fälschlich suam. 165 Nachweis bei Ziegler (1982) 29. 166 Das einleitende aut hat Philippus ausgelassen. 167 fixi sunt beruht auf dem griechischen πεπήγασιν. 168 V occuli. 169 Vgl. Anm. 167. 170 Vallarsi und Migne drucken fälschlich quo. 171 Die erst in T. neu eingeführte Lesart fusi sunt beruht auf dem Hof ’al der Wurzel ‫( טבע‬Gesenius-Donner (2013) 416 links). Dt.: „Sie sind eingetaucht worden.“ Die Stelle ist ein Beleg dafür, dass Hieronymus nach der bewussten Abkehr vom Hebräischen in S. sich in T. hier und da wieder vorsichtig an das Hebräische herangetastet hat. 172 Hinweise bei Ziegler (1982) 29 und 30. 173 Philippus verändert -que ad zu usque ad ohne Anhalt in den Urtexten. 174 S. ad morte. 175 Dt.: und näherte sich dem Grab.

246 176 177 178

Reste von O. außerhalb von Hieronymus’ und Augustins Werken 

Hiob Kapitel u. Vers

Stelle Philippus PL 26 (1845)

Zitationsformel bei Philippus

Wortlaut bei Philippus

Wortlaut S. T. B. bzw. nur T. B.

Vorlage hebräisch

Vorlage griechisch

40, 29b LXX = 40, 24b Vulg.176

789 A

Alii dixerunt

177alligabis eum sicut passerem infantulo?

(S. fehlt) aut alligabis eum sicut passerem infantulo?

ְ‫ו‬

ὥσπερ

41, 23a LXX = 22a Vulg.178

795 C fin.

Alii dixerunt

fervescere facit abyssum ut vas aeneum

(S. fehlt) T. B. ferue­ scere facit abissum sicut uas ­ aeneum

‫ְּכ‬

ὥσπερ

Die genannten Eingriffe in die Texte sind eher als lässlich einzustufen. Daneben finden sich aber bei Philippus zuweilen auch frei formulierte Paraphrasen, in denen er nur noch Stichworte des Hiob-Textes nennt. Solche Passagen sind nur noch mit Vorsicht zur Rekonstruktion von O. zu benutzen. 10.3.2.2 Paraphrasen Als ersten Schritt in dieser Richtung lässt sich eine Stelle verstehen, an der Philippus wieder ein einleitendes uero weglässt, aber zusätzlich die Wortstellung ohne erkennbaren Anhalt in einer Vorlage ändert: 179 180 Hiob Kap. u. Vers

Stelle Zitier­ Wortlaut Philippus formel bei Philippus PL 26 (1845) Philippus

37, 17a179

743 A

Alii dixerunt

Wortlaut Augustin (ω1+ω2Tradition)

tua stola (597, 10–11) calida est180 tua uero stola est ualida

Wortlaut S. T. B.

Vorlage Vorlage hebräisch griechisch

tua uero nicht verstola est gleichbar a) S. candida b) T. B. ualida

σοῦ δὲ ἡ στολὴ θερμή

176 Kein Nachweis bei Ziegler (1982) 29. 177 Philippus lässt wieder das einleitende aut aus. 178 Kein Hinweis bei Ziegler (1982) 29. 179 Hinweise bei Ziegler (1982) 29 und 31. 180 Philippus’ Zitat weicht durch das Weglassen des „aber“ und die Endstellung des est von der sonstigen Überlieferung ab. Da das Hebräische hier nicht als zweite Vorlage in Frage kommt, liegt vermutlich keine Doppelübersetzung in O. vor, sondern nur eine freie Umformung der Vorlage durch Philipp.

247

Philippus Presbyter als Zeuge für die Erstfassung O.  

Die folgenden Stellen sind in der Ausgabe des Erasmus (Nachdruck Migne) alle als Paraphrasen erkennbar: 181 182 183 184 185 186 187 188 189 190 191 192 193 194 Hiob Kapitel u. Vers

Stelle Philippus PL 26 (1845)

Zitier­ formel Philippus

Wortlaut Philippus

Wortlaut Augustin ω2-Tradition

Wortlaut S. T. B.

6, 7b181

632 A



ut etiam cibi ei fetidi viderentur

(519, 2–3) foeti- foetidas enim ­ das enim uideo uideo escas escas meas meas

Sichardus Secundum p. 20 D init.182 antiquos interpretes ita dictum est

Foetidas183 video escas meas sicut odor leonis.

656 A

Secundum antiquam ergo ­ editionem

(30b) in stirpe sive fronde185 originem ­ vitae impii significari existimo, quam Spiritus Dei […] ut incubans ventus percutit, ut velut arbor arefactus impius ilico moriatur

(541, 21–22) sed stirpem187 sed stirpem eius eius arefaciet arefaciet186 uen- uentus tus

17, 15b– 662 C 16a188

Alii ­ dixerunt

omnia189 bona mea

(546, 17) (15b) aut bona mea uidebo? (16a) übersprungen

(15b) aut bona mea uidebo? (16a) aut mecum ad inferos descendent190?

33, 19b191

Sive ut alii dixerunt

et omnia eius marcescere facit

(ω1- + ω2-Linie) (581, 23) et multitudo192 ossium193 eius emarcuit

et multitudo ossuum eius emarcuit194

15, 30b184

726 A

181 Vgl. die Verweise bei Ziegler (1982) 29 und 30. 182 Digitalisat S. 48. 183 Philippus lässt das verbindende enim aus. 184 Hinweis bei Ziegler (1982) 29. 185 Auf frons gibt es in den Urtexten keinen Hinweis – dies ist also ein freier Alternativ-Vorschlag des Philippus. 186 Während die Vokabel arefacere sowohl dem hebräischen als auch dem griechischen Urtext entspricht, geht das Futur arefaciet auf das hebräische Imperfekt zurück. 187 S. styrpe. 188 Hinweis bei Ziegler (1982) 29, aber irrtümlich als Iob 16, 12b zitiert. 189 omnia hat keinen Anhalt in den Urtexten. 190 S. discendent dürfte ein Kopierfehler sein (zur häufigen Verwechslung von e und i im Codex S. vgl. Caspari (1893) 24–25). Das hebräische ‫ ירד‬und das griechische καταβαίνω bedeuten beide „hinabsteigen“, nicht „fortgehen“. 191 Kein Hinweis bei Ziegler (1982) und Vattioni (1996) 31. 192 R multudo. 193 A ossum. 194 S. emarguit.

248

Reste von O. außerhalb von Hieronymus’ und Augustins Werken 

Zum Schluss seien noch ähnliche Paraphrasen aus den Schlusskapiteln angeführt, in denen weder Augustins Adnotationes noch der Codex S. erhalten sind: 195 196 197 198

Hiob Kapitel u. Vers

Stelle Philippus PL 26 (1845)

Zitierformel bei Philippus

Wortlaut Philippus

Wortlaut T. B. (Augustin und S. nicht erhalten)

40, 22b LXX = 40, 17b Vulg.195

785 C. s. fin.

ut alii dixerunt (nachgestellt)

Sive stirpes et virgultum

cum stirpitibus196 et uirgultis torrentis

41, 7b LXX = 41, 6b Vulg.197

791 D init.

Diabolum uetus editio smaragdi lapidi ­ assimilavit.

colligatio eius sicut zirimitis198 lapis

Auch in der Expositio interlinearis kommt eine Paraphrase vor. Sie ist daran zu erkennen, dass der Nebensatz vereinfacht ist und der frei zugefügte Begriff umbraculum keine Vorlage in M oder LXX hat. Bei Sichardus steht eine andere Version, deren Hauptverb adoperiant (statt adoperiuntur) fehlerhaft ist. Die ursprüngliche Version ist bei Erasmus (jetzt Migne) gedruckt: 199 200 201 202 Hiob Kapitel u. Vers

Stellen Philippus

Zitierformel Philippus

Zitat Philippus

Lesart S. T. B.

24, 8b199

PL 23 (1845) 1440 B



Qui tegmen non habent, petrarum umbraculis adoperiuntur.

Qui cum tegumen200 non haberent petra adoperti sunt

Sichardus p. 99 A201

Manifestius alij dixerunt

Qui cum tegmen non habeant, petra adoperiant.

PL 26 (1845) 681 C

Manifestius alii dixerunt

Qui cum tegmen non habeant petra adoperiuntur202

195 Kein Hinweis bei Ziegler (1982). 196 B. stirpibus. 197 Kein Hinweis bei Ziegler (1982) und Vattioni (1996) 32. 198 B. zymirites (Lagarde druckt zmiritis). 199 Hinweise bei Ziegler (1982) 29 und S. 28 auf die Expositio interlinearis. 200 S. tecumen; B. tegmen. Durch tegmen (statt tecumen) erweist sich B. hier als Konflation von T. mit O. Das ist insofern ein bekanntes Phänomen, als B. auf O. und T. zurückgreift; aber ein neuer Aspekt liegt darin, dass der Kompilator von B. hier nicht mehr sauber zwischen Lesarten aus O. und solchen aus T. unterscheidet, sondern Elemente aus beiden zu einer neuen Einheit kombiniert. 201 Digitalisat S. 123. 202 Zu den Tempora adoperiuntur/adoperti sunt (von denen die Konjunktive habeant bzw. haberent nach den Regeln der Consecutio temporum abhängen) vgl. genauer unten S.  251 mit Anm. 229 und 231.

Philippus Presbyter als Zeuge für die Erstfassung O.  

249

Die Stelle zeigt exemplarisch, mit welchen Unsicherheiten man in der Textüberlieferung des Philippus-Kommentars rechnen muss.

10.4 Philippus’ Zitate entstammen der Erstfassung O. Für die vorliegende Arbeit, die das Verständnis und die Rekonstruktion der Erstfassung O. der Versio prior fördern soll, sind die Zitate bei Philippus Presbyter deshalb von besonderem Interesse, weil sich m. E. zeigen lässt, dass sie sämtlich der Erstfassung O. und nicht einer oder mehreren der revidierten Versionen S. oder T. bzw. der Kompilation in B. entstammen. Dass Philippus die Erstfassung O. zitiert, zeigt sich am deutlichsten daran, dass sich in seinen Zitaten Doppelübersetzungen nachweisen lassen; denn Doppelübersetzungen waren – wie früher gezeigt – nur in der Erstfassung O. enthalten und wurden von Hieronymus schon bei der ersten Revision in S. ausgeschieden. Auf diese Mehrfachübersetzungen gehe ich wegen ihrer großen Anzahl und besonderen Bedeutung erst im folgenden Kapitel ein. Im gegenwärtigen Zusammenhang stelle ich zunächst andere Argumente zusammen, die von den Doppelübersetzungen noch absehen und einerseits für O. und andererseits gegen S. und T. bzw. B. als Vorlagen sprechen. Hier kommen drei verschiedene Argumente ins Spiel.

10.4.1 Keine Sonderlesart geteilt mit S. oder T. Der erste Beweis liegt in der Beobachtung, dass es unter den Zitaten des Philippus Presbyter keines gibt, für das er von einer Sonderlesart eines der revidierten Codices S. oder T. abhängig wäre.

10.4.2 Sonderlesarten gegenüber der Gruppe S. T. B. Der zweite Beweis besteht aus jenen Stellen, an denen sich die Lesart des Philippus von den Lesarten unterscheidet, die alle drei Codices S. T. B. gemeinsam haben. Am stärksten ist dieses Argument dort, wo die Lesart des Philippus auch von Augustin zitiert wird, weil dieser seine Adnotationes ebenfalls aufgrund der Vorlage O. erarbeitet hat:

250

Reste von O. außerhalb von Hieronymus’ und Augustins Werken 

203 204 205 206 207 208 209 210 211 212 213 214 215 216 217 218 219

Hiob Kapitel u. Vers

Stelle Philippus PL 26 (1845)

Stelle Aug. adn. Sei./ Zei. Zy

Zitier­ formel bei Philippus

identischer Wortlaut bei Philippus und Augustin (ω1- bzw. ω2-Linie)

abweichender Wortlaut in den revidierten Codices S. T. B.

21, 17a

fehlt bei Migne; nur ed. Sichardus203 p. 85 B s. fin.204

553, 10–11

Apertius dixerunt antiqui interpretes

ω2-Linie: Immo vero impiorum lucerna extinguetur (in ω1-Linie durch T. ersetzt205)

Immo vero lucerna impiorum extinguetur

22, 30206

678 C

556, 8–9

Antiqui ita dixerunt

ω2-Linie: erue innocentem207 et saluaberis208 munditia209 manuum tuarum (ω1-Linie: fehlt)

erue innocentem et saluaberis in munditia210 manuum211 tuarum

37, 12ac212

742 A–B

596, 6–7. 7–8

Alii vero interpretes dixerunt

ω1-Linie: et ipsa213 per circuitum214 uertitur in gubernaculis ad operanda (ω2-Linie: ad operandum215) omnia216 quae mandauerat217 eis

et ipsa per circuitum218 uertitur in gubernaculis219 ad operanda omnia quae mandauerit eis

S. extinguitur

T. B. extinguetur

Im letztgenannten Beispiel beruht die Konstruktion omnia quae mandauerit eis in S. T. B. mit dem Konjunktiv Perfekt auf dem Vorbild der LXX πάντα, ὅσα ἂν ἐντείληται αὐτοῖς. Dagegen geht der Indikativ Plusquamperfekt mandauerat bei Augustin und Philippus vermutlich auf den Text von M zurück: ‫( ֖ ֹּכל א ֲֶׁש֥ר יְ צַ ֵּו֓ם‬wörtlich: 203 Hinweis bei Ziegler (1982) 30. 204 S. 113 des Digitalisats. 205 Nachgewiesen von Trenkler (2017) Kap. 14, Beleg 18. 206 Hinweise bei Ziegler (1982) 29 und 30. 207 WX innocentes. 208 Q salueberis. 209 Q und Textausgabe im CAG in munditia; Zy munditia. 210 S. munditiam (Dittographie -m vor manum). 211 S. manum. 212 Hinweis bei Ziegler (1982) 29. 213 K*T*NX ipsam. 214 Philippus circumitum; S. circuitu. 215 Nur die ω1-Linie im Fragment-Codex A liest ad operanda; die gesamte ω2-Linie mit allen Editionen hat ad operandum. Hier liegt in O. eine Doppelübersetzung vor. Siehe für den Nachweis unten Kap. 16, S. 397–398 zum Lemma Iob 37, 12bc. 216 CU ea; M omnia ea. 217 UVZ mandauerit. Zycha vermerkt Amerbach mandaverat nicht. 218 S. circuitu; B. circumitum. 219 S. cubernaculis.

Philippus Presbyter als Zeuge für die Erstfassung O.  

251

„alles, was er ihnen befehlen wird/befiehlt“). Wieder einmal hat Hieronymus dort offenbar ein hebräisches Imperfekt als Vergangenheitstempus interpretiert. Der Vers illustriert zugleich den Einfluss der LXX auf die Vulgata: Dort schrieb Hieronymus ad omne quod praeceperit illis. Ähnlich zu interpretieren sind die Stellen, wo S. fehlt, aber wieder Philippus und Augustin dieselbe Lesart teilen, während T. und B. anders lauten: 220 221 222 223 224 Hiob Kapitel u. Vers

Stelle ­ Philippus PL 26 (1845)

Stelle Aug. adn. Sei./ Zei. Zy

Zitierformel bei Philippus

identischer Wortlaut bei Philippus und Augustin

abweichender Wortlaut in den revidierten Codices T. B. (S. fehlt)

39, 23a220

776 A

621, 9

In his locis de quibus diximus, alii transtulerunt

Super ipsum enim gaudet arcus221 et gladius,

super ipsum ­autem gaudet arcus et ­ gladius

et iracundia euertit223 terram

et iracundia uertit224 terram

39, 24a222

621, 28

In derselben Weise sind dann auch solche Stellen zu deuten, die Augustin nicht zitiert, an denen sich aber Philippus ebenfalls wieder von S. T. B. unterscheidet: 225 226 227 228 229 230 231

Hiob Kapitel u. Vers

Stelle Philippus PL 26 (1845)

Zitierformel Philippus

Zitat Philippus

Lesart S. T. B.

15, 30a225

655 D

Alii dixerunt

non226 effugiet tenebras

nec227 effugiet tenebras

24, 8b228

681 C

Manifestius alii ­ dixerunt

Qui cum tegmen non habeant petra adoperiuntur229

qui cum tegumen230 non haberent petra adoperti sunt231

220 Hinweis bei Ziegler (1982) 29. 221 Z arthus. 222 Hinweis bei Ziegler (1982) 29. 223 Die Lesart der Adnotationes wird durch die Paraphrase (621, 29) ad euertendas gesichert. 224 Vallarsi und Migne drucken fälschlich euertit. 225 Hinweis bei Ziegler (1982) 30. 226 non beruht auf dem ‫ ֽל ֹא‬der hebräischen Vorlage. 227 nec gibt das οὐδὲ der LXX wieder. 228 Vergleiche zu diesem Lemma schon oben S. 248–249. Hinweise bei Ziegler (1982) 28 (Expositio interlinearis) und 29. 229 Aus dem Präsens lässt sich schließen, dass Hieronymus hier in seinem hebräischen Text nicht das Perfekt ‫ ִח ְּבקּו‬von M, sondern die graphisch nur durch das Präformativ Jod unterschiedene Imperfektform ‫ יחבקו‬vorfand. Auch in der Vulgata nämlich übersetzt er wieder im Präsens: non habentes uelamen amplexantur lapides. 230 S. tecumen; B. tegmen. 231 Das lateinische Perfekt spiegelt den griechischen Aorist; das Tempus haberent im cum-Satz ergibt sich aus den Regeln der Consecutio temporum.

252

Reste von O. außerhalb von Hieronymus’ und Augustins Werken 

10.4.3 Rückschlüsse aus Sonderlesarten von B. Der dritte Beweis für Philipps Abhängigkeit von der Erstfassung O. ist etwas umständlicher. Er geht davon aus, dass B. – wie in Kapitel 6 nachgewiesen wurde – eine Kompilation aus den Lesarten der Erstfassung O. und der Endfassung T. darstellt. Überall da, wo ein Zitat des Philippus mit B. bzw. S. B. gegen T. bzw. S. T. übereinstimmt, lässt sich demnach schließen, dass Philippus und B. beide aus der Erstfassung O. zitieren. Entscheidend ist dabei immer der Unterschied zwischen B. und T., während das Verhältnis von B. zu S. hier nicht von Belang ist: Wenn nämlich O. S. B. gegen T. stehen, ist das ein Beweis, dass Hieronymus seine Erstfassung erst auf der zweiten Revisionsstufe, also in T. selbst, geändert hat; wenn dagegen O. und B. gegen S. T. stehen, hat die Revision schon auf der ersten Stufe in S. stattgefunden. (Es gibt – wie oben schon erwähnt – unter allen Zitaten des Philippus keinen Beleg dafür, dass er eine Sonderlesart aus S. übernommen hätte, die weder in O. noch in T. stand.) Mit besonderer Sicherheit lässt sich dieser Schluss auf O. als die Quelle des Philippus auf dem Umweg über die Differenz zwischen B. und T. aus jenen Stellen in früheren Kapiteln ziehen, an denen zu den gleichlautenden Lesarten bei Philippus und in B. (sowie ggfs. in S. ) auch noch die Belege bei Augustin, der sich ebenfalls auf die Vorlage O. stützte, hinzutreten232: 233 234 235 236 237 238 Hiob Kapitel u. Vers

Stelle Philippus PL 26 (1845)

Stelle Aug. adn. Sei./ Zei. Zy

Zitier­formel bei Philippus

identischer Wortlaut bei Philippus und Augustin und B. (+ S.)

abweichender Wortlaut nur in dem revidierten Codex T.

38, 6a233

746 D

602, 12–13

Alii dixerunt

aut234 super quo circuli235 eius fixi236 sunt

aut super quod237 circuli eius fusi238 sunt

232 Die im Folgenden gesammelten Stellen, an denen B. von O. abhängt, bestätigen die Beobachtung aus Kap. 6, S. 118–119, dass B. sich häufiger auf O. stützt, als aus den oben in den Kapiteln 2–5 besprochenen Stellen hervorgeht. 233 Nachweis bei Ziegler (1982) 29. 234 aut von Philippus ausgelassen. 235 V occuli. 236 fixi sunt beruht auf dem griechischen πεπήγασιν. 237 Vallarsi und Migne drucken fälschlich quo. 238 fusi sunt beruht auf dem Hof ’al der Wurzel ‫„( טבע‬sie sind eingetaucht worden“: GeseniusDonner (2013) 416 links). Die Stelle ist ein Beleg dafür, dass sich Hieronymus nach der Abkehr vom Hebräischen in S. hin und wieder in T. vorsichtig an das Hebräische herangetastet hat.

253

Philippus Presbyter als Zeuge für die Erstfassung O.   239 240 241 242 243

Hiob Kapitel u. Vers

Stelle Philippus PL 26 (1845)

Stelle Aug. adn. Sei./ Zei. Zy

Zitier­formel bei Philippus

identischer Wortlaut bei Philippus und Augustin und B. (+ S.)

abweichender Wortlaut nur in dem revidierten Codex T.

38, 37ab239

764 B fin.

614, 6–7

Antiqui interpretes ita dixerunt

Quis […] caeli organa240/organa caeli241 in terram declinavit242?

quis […] organa caeli in terram ­ declinet243?

Derselbe Schluss ergibt sich aber auch aus einer Stelle, die Augustin übersprungen hat: 244 245 246 247 Hiob Kapitel u. Vers

Stelle Philippus PL 26 (1845)

Stelle Aug. adn. Sei./ Zei. Zy

Zitierformel bei Philippus

identischer Wortlaut bei Philippus sowie B. (+ S.)

abweichender Wortlaut nur in dem revidierten Codex T.

11, 11b244

643 C245

fehlt



et uidens iniusta non negligit246

et uidens iniusta non negliget247

Schließlich gilt der Schluss, dass Zitate bei Philippus, die mit B. gegen T. übereinstimmen, aus O. stammen, auch für die letzten drei Kapitel des Hiob-Buches, für die weder der Codex S. noch Augustins Adnotationes erhalten sind. An der ersten Belegstelle wird deutlich, dass Philippus das hebräische Wort Behemoth als Plural identifizieren konnte. Man darf daraus allerdings keine Schlüsse auf seine eventuellen Hebräisch-Kenntnisse ziehen, für die es sonst keinen Anhalt gibt; denn Philip-

239 Nachweis bei Ziegler (1982) 29. 240 caeli organa: so Philippus. Diese geschmäcklerische Wortstellung hat keinen Anhalt im Hebräischen oder in der LXX, geht also entweder auf Philippus zurück oder ist bereits ein ­Beispiel für eine Doppelübersetzung des Hieronymus in O. Für dessen Experimentieren mit verschiedenen Wortstellungen in O. vgl. oben Kap. 4, Beleg 44 zu Iob 31, 21b sowie Kap. 9, S. 223 (­ Tabelle) mit Anm. 124 zu Iob 12, 12a. 241 organa caeli (so Augustin und S. B.) ist die normale Wortstellung auch lt. den hebräischen und griechischen Vorlagen. 242 Der Indikativ Perfekt entspricht dem Aorist ἔκλινεν. Lagarde druckt für B. fälschlich declinet. 243 Der dubitative Konjunktiv beruht auf dem hebräischen Imperfekt. Hier hat Hieronymus also in T. erneut auf das Hebräische zurückgegriffen. Vallarsi und Migne drucken für T. fälschlich declinauit. 244 Nachweise bei Ziegler (1982) 29 und 30. 245 Bei Migne nicht durch Kursivdruck als Zitat hervorgehoben. 246 Caspari druckt für S. fälschlich negligat.- Das Präsens beruht auf dem hebräischen Imperfekt, das hier als präsentische Verlaufsform gedeutet wird. 247 Das Futur in T. entspricht der LXX. Dass Hieronymus ein in O. S. nach dem Hebräischen übersetztes Tempus erst in T. an die LXX anpasst, war mehrfach zu beobachten: Vgl. Kap. 3, Belege 22, 23, 26, 28 und 29 (zu Iob 20, 12b; 31, 1b; 36, 7a; 37, 5a und 37, 11ab).

254

Reste von O. außerhalb von Hieronymus’ und Augustins Werken 

pus beruft sich für diese Information in den Zeilen zuvor auf doctores Ecclesiae, qui Hebraeas litteras contigerunt248: 249 250 251 252 253 254 255 256 Hiob Kapitel u. Vers

Stelle ­ Philippus PL 26 (1845)

Aug. adn. ed. Zy. und S. fehlen

Zitierformel bei Philippus

identischer Wort- abweichender laut bei Philippus Wortlaut nur in und B. dem revidierten Codex T.

40, 15a LXX = 40, 10a Vulg.249

782 C



Quem (sc. locum) propter pluralitatem nominis ipsius (sc. Behemoth), antiqui ita interpretati sunt

Sed ecce bestiae quas feci apud te250/apud te feci251 fenum sicut bos edunt.

sed ecce bestia, quam feci apud te, faenum sicut boves edit

41, 24b LXX = 41, 23b Vulg.252

796 A s. fin.



Sive, ut alii dixerunt

computauit abyssum 253 quasi deambulacrum

computauit abyssum quasi in254 deambulacrum

42, 6ab255

797 BC



Quem locum alii dixerunt

Ideo despexi memetipsum, et distabui, et aestimaui me terram et cinerem.

Ideo despexi memetipsum, et distabui, et aestimaui256 terram et cinerem.

Expositio interlinearis PL 23 (1845) 1167 C



Sive ut alii dixerunt

Ideo despexi memetipsum et aestimavi me terram et cinerem.

Bestätigt werden die bisherigen Analysen schließlich durch eine Stelle, an der die Lesart des Philippus mit dem Lemma von Augustins Adnotationes und dem Wort 248 PL 26 (1845) 782 C Mitte. 249 Ziegler (1982) 29 und 30 verweist fälschlich auf Iob 40, 7a. 250 Diese Wortstellung bei Philippus entspricht M und der Überlieferung in der Syro-Hexapla nach Aquila (vgl. Ziegler (1982) 398 im 2. Apparat). 251 Diese Wortstellung in B. entspricht lt. Ziegler a. a. O. der im Codex 252, mit dessen Lesarten Hieronymus vielfach Verwandtschaft zeigt – vgl. Kap. 4, S. 82, Anm. 59 und Kap. 11, S. 273, Anm. 85. Möglicherweise spiegelt sich hier bereits eine Doppelübersetzung in der Erstfassung O. Unten wird deutlich werden, dass Hieronymus auch auf solche Kleinigkeiten der Wortstellung achtet. 252 Hinweis bei Ziegler (1982) 29. 253 Die einleitenden Worte computauit abyssum fehlen bei Philippus; sie sind für den hier interessierenden Vergleich aber entbehrlich. 254 Der Zusatz von in ist kein Kopierfehler (etwa Dittographie nach -si), sondern der Versuch, den Wortlaut der Hexapla ἐλογίσατο ἄβυσσον εἰς περίπατον mit ihrem εἰς genauer nachzuahmen. In der Vulgata benutzt Hieronymus zweimal den Ausdruck computari in nihilum: Sap 3, 17; 9, 6.  255 Hinweis bei Ziegler (1982) 28 auf die Expositio interlinearis. 256 T. lässt me gegen das ἐμαυτὸν der LXX aus. Es dürfte sich um einen Kopierfehler handeln. Wenn das zutrifft, steht T. hier nur vordergründig gegen O. und B. Dann belegt die Stelle nur die Herkunft aus der Versio prior, aber nicht die Herkunft aus O.

Philippus Presbyter als Zeuge für die Erstfassung O.  

255

laut des Codex S. gegen T. und B. übereinstimmt. Dort hängt der Kompilator von B. von T. ab; Philippus, Augustin und der Codex S. bewahren dagegen die Lesart der Erstfassung O.: 257 258 259 Hiob Kapitel u. Vers

Stelle Philippus PL 26 (1845)

Stelle Aug. adn. ed. Zy. Seite/ Zeile

Zitierformel bei Philippus

identischer Wortlaut bei Philippus und Augustin sowie S.

abweichender Wortlaut in dem revidierten Codex T. (+B.)

38, 14b257

752 A

604, 15–16

Alii interpretes ita dixerunt:

et famosum eum posuisti258 super terram

et famosum eum fecisti259 super terram

Soweit die Stellen, die in einem ersten Durchgang die These stützen, dass Philippus genau wie Augustin die Erstfassung O. der ersten Hiob-Übersetzung des Hieronymus zitiert. Damit entpuppt sich Philippus als wichtige Quelle für die Rekonstruktion der Textvorlage von Augustins Adnotationes in Iob. Das folgende Kapitel ist den Doppelübersetzungen gewidmet, die sich aus Philipps Zitaten für O. erschließen lassen. Jeder gelungene Nachweis ist zugleich ein Hinweis auf die Quelle O., weil nur sie Mehrfachübersetzungen enthielt.

257 Nachweis bei Ziegler (1982) 29. 258 posuisti entspricht wörtlich dem ἔθου der LXX. 259 fecisti ist demgegenüber eine innerlateinische Glättung.

E. Der Hiob-Kommentar des Philippus Presbyter: Kapitel 10–12 Kapitel 11: Doppelübersetzungen in O. bei Philippus Presbyter 11.1 Die Aufgabe Im vorliegenden Kapitel bespreche ich diejenigen Stellen, an denen sich m. E. durch den Vergleich zwischen dem Kommentar des Philippus Presbyter, Augustins Adnotationes in Iob sowie den Codices S. T. B. der Versio prior des Hieronymus nachweisen lässt, dass Philippus in dem ihm vorliegenden Exemplar der Versio prior Doppelübersetzungen einzelner Verse vorfand. Da – wie früher gezeigt – Doppelübersetzungen nur in der Erstfassung O. der Versio prior standen und von Hieronymus schon bei der ersten Revision in S. beseitigt wurden, ist jeder Nachweis einer Doppelübersetzung in der Vorlage des Philippus zugleich eine weitere Bestätigung der im vorigen Kapitel vertretenen These, dass er die Hiob-Lemmata, die er als Alternativen zur Vulgata zitiert, der Erstfassung O. des Hieronymus entnahm. Bereits Trenkler hat eine Reihe von schlagenden Belegen aus Augustins Adnotationes dafür beigebracht, dass Augustins Vorlage O. Doppelübersetzungen enthielt1. Ciccarese hat überdies nachgewiesen, dass Philippus auch in seinem Exemplar der Hiob-Vulgata solche Doppelfassungen vorfand und teils als Lemmata zitierte, teils in seine Kommentare verwob2. Sie deutet das Phänomen so, dass Philippus aufgrund seiner Nähe zu Hieronymus eine besonders frühe Fassung der Hiob-Vulgata benutzte, in der der Übersetzer sich noch nicht endgültig zwischen bestimmten Lesarten entschieden hatte3. Philippus war also offenbar an den Umgang mit Frühfassungen gewöhnt, die Autorenvarianten – bzw. genauer: Übersetzervarianten – des Hieronymus enthielten. Doppelübersetzungen in O. sind also nicht grundsätzlich problematisch; überraschend ist nur ihre große Anzahl. Die folgenden Belege für Doppelübersetzungen in O., die sich aus Philipps Zitaten erschließen lassen, sind so angeordnet, dass deutlich wird, auf welchen Textvorlagen sie beruhen und wie Hieronymus bei seiner ersten Revision in S. mit ihnen verfuhr. Im Wesentlichen bestätigen die Ergebnisse die Analysen des Verhältnisses zwischen der Erstfassung O. und den revidierten Fassungen S. bzw. T. der Versio prior, die in den Kapiteln 2 bis 5 der vorliegenden Arbeit enthalten sind. Daneben



1 Trenkler (2017) 125–135. 2 Ciccarese (1997) 261–263. 3 Ciccarese (1997) 262–263.

Doppelübersetzungen in O. bei Philippus Presbyter  

257

zeigt sich aber auch, dass manche Übersetzungsstrategien des Hieronymus nicht so selten waren, wie es die dort verfügbaren Beispiele suggerierten. Insofern werden hier frühere Eindrücke auch zurechtgerückt.

11.2 Vorlagen hebräisch – griechisch Die am einfachsten nachweisbare Gruppe von Doppelübersetzungen besteht aus Fällen, in denen die hebräischen und griechischen Textvorlagen des Hieronymus deutlich divergieren und wo der Kirchenvater in seiner Erstfassung O. zunächst einmal Übersetzungen der beiden verschiedenen Quellen nebeneinander gestellt hat. Nach den Befunden des zweiten und dritten Kapitels dieser Arbeit ist zu erwarten, dass Hieronymus bei der ersten Revision in S. die Version nach dem Hebräischen ausschied und nur die Übersetzung nach dem Griechischen entweder stehen ließ oder weiter überarbeitete. Tatsächlich trifft diese Voraussage in den meisten Fällen zu. Ausnahmen gibt es nur in besonders schwierigen Passagen, in denen Hieronymus offenbar auch noch in S.  keine eindeutigen Entscheidungen treffen wollte und deshalb zu Konflationen mehrerer Vorlagen Zuflucht nahm. Dagegen begegnet im vorliegenden Kapitel kein einziger Fall, in dem er in S. eine Erstübersetzung nach dem Griechischen zugunsten der Übersetzung nach dem Hebräischen völlig fallen ließ. Unerwartet ist jedoch der auffällige Befund, dass Augustin und Philippus Presbyter fast ausnahmslos eine je verschiedene Auswahl aus diesen Doppelübersetzungen in ihrer gemeinsamen Vorlage O. treffen: Während Augustin die Übersetzung nach dem Griechischen wählt, zitiert Philippus jeweils die Version nach dem Hebräischen. Ich kann dieses Phänomen bisher nur konstatieren, aber nicht erklären. Eine Unterscheidung der Lesarten nach griechischer bzw. hebräischer Vorlage kann der Codex von O. nämlich nicht enthalten haben, da Augustin  – wie sein Briefwechsel mit Hieronymus zeigt – die gesamte Fassung O. für eine Übersetzung rein nach dem Griechischen hielt4. Auch die Glossatoren der Bibeln von León und Burgos5 sowie Julian von Aeclanum6 zitieren die Versio prior mit den Einleitungsformeln in LXX bzw. in graeco, betrachten sie also als reine Wiedergabe der LXX. Während man nun vermuten könnte, dass Philippus als Schüler des Hieronymus über Informationen verfügte, die ihm die Unterscheidung zwischen den Übersetzungen aus dem Hebräischen und Griechischen in der Versio prior ermöglich-

4 Ep. 71, 3–4. 6; 82, 34–35. Vgl. Trenkler (2017) 24. 5 Vgl. die Zitierformeln bei Vattioni (1996) 29 (im Legionensis) und 27–28 (im Codex von Burgos). 6 Vgl. die unten in Kap. 13 bei den einzelnen Lemmata dokumentierten Zitierformeln.

258

Reste von O. außerhalb von Hieronymus’ und Augustins Werken 

ten, trifft das für Augustin nicht zu. Aus den Adnotationes geht klar hervor, dass er in diesem Werk den griechischen Urtext selbst dann nicht konsultiert hat, wenn ein einfaches textkritisches Problem zu lösen war7. Es bleibt also offen, auf welche Weise er mit großer Sicherheit diejenigen Varianten wählte, die auf der LXX und nicht dem hebräischen Urtext beruhten. Möglicherweise spielten hier die Anklänge an altlateinische Hiob-Versionen eine Rolle, die einerseits Hieronymus’ Emendation aus dem Griechischen zugrunde lagen und andererseits auch Augustin bekannt gewesen sein können.

11.2.1 Basis: Zwei Hauptüberlieferungen 11.2.1.1 Bei der ersten Revision in S. scheidet Hieronymus die hebräische Variante aus Iob 15, 29b 8 9 10 11 12 13 Lemma: Iob 15, 29b Philippus Presbyter8

Augustin, adn. = O.

Hieronymus, Versio prior

fehlt bei Migne; ed. Sichardus9 p. 62 C10

Sei./Zei. Zy. 541, 20–21

S. T. B.

Zitierformel: Alii ­dixerunt

Hyparchetypos: ω2

Text: non habebit super terram umbram

Text: non immittet11 super ­ terram umbram

M13: ‫וְ ֽל ֹא־יִ ֶ ּ֖טה לָ ָא ֶ֣רץ ִמנְ ָ ֽלם‬

LXX: οὐ μὴ βάλῃ ἐπὶ τὴν γῆν σκιὰν

Text: non mittet super12 terram umbram

Vulgata lt. Philippus: Nec emittet in terram ­ radicem suam.

Das Prädikat immittet bei Augustin beruht auf dem griechischen βάλῃ; bei der Revision in S. zu mittet hat Hieronymus seine Übersetzung an das griechische Simplex angepasst. Das habebit bei Philippus basiert dagegen auf dem Hebräischen; allerdings las Hieronymus nicht das Prädikat ‫ יִ ֶּט֖ה‬von M („er wird neigen / sich nei-

7 Augustin war im Zweifel, ob im Lemma Iob 36, 32a (593, 3) in manibus oder das substantivierte Adjektiv inmanibus zu lesen sei. Ein Blick auf das griechische ἐπὶ χειρῶν hätte jeden Zweifel behoben: So schon Marrou (1958) 438, Anm. 7 zu dieser Stelle, die er auch S. 426, Anm. 3 zitiert. 8 Hinweis bei Ziegler (1982) 30. 9 Hinweis bei Ziegler (1982) 30. 10 S. 90 des Digitalisats. 11 W immutet; Z inmictet; C M non te immittet (C bei Zycha nicht notiert). 12 S. supe. 13 Dt.: und nicht 1. wird er neigen / neigt er zur Erde ihren Besitz // bzw. 2. und nicht wird sich senken / senkt sich zur Erde ihr Besitz.

259

Doppelübersetzungen in O. bei Philippus Presbyter  

gen“), sondern dieselbe Form (Imperfekt Qal) vermutlich von der Wurzel ‫„( נחל‬er wird besitzen“14). Diese Lesart könnte davon beeinflusst sein, dass M am Versende das Substantiv ‫„( ִמנְ ָ ֽלם‬ihr Besitz“) bietet, während Hieronymus dort wie die LXX das Wort ‫„( צֵ ל‬Schatten“) las und statt als Subjekt als Objekt konstruierte: Durch habebit konnte er die Idee des Besitzes in seine Übersetzung integrieren. Iob 16, 10b 15 16 17 18 19 20 Lemma: Iob 16, 10b Philippus Presbyter15

Augustin, adn. = O.

Hieronymus, Versio prior S.

Migne PL 26 (1845) 658 C

Sei./Zei. Zy. 543, 11–12

Zitierformel: Et sicut alii ­ dixerunt

Hyparchetypos: ω1+ ω2

Text:16 acriter est percussus in genis

acriter percussit me ingens17. deus18

M20: ‫בחֶ ְרּפָ ה ִהּכ֣ ּו ְלחָ יָ ֑י‬ ּ֭ ְ

LXX: ὀξεῖ ἔπαισέν με εἰς σιαγόνα

T. B.

acriter percussit me in genis

ingens19

Vulgata lt. Philippus: et exprobrantes percusserunt maxillam meam

Die von Philippus zitierte Übersetzung im Passiv beruht auf dem Hebräischen. Dort fasste Hieronymus das Prädikat als Hof ’al auf, während die LXX-Übersetzer es wie M als Hif ’il, also als Aktiv, konstruierten. Die Hof ’al-Form ist im AT häufig belegt21. Im Licht beider Urtexte ist nur die Lesart in genis („auf den Wangen“) richtig, die bei Philippus und in S. erhalten ist22; weil ingens aber schon von

14 Gesenius-Donner (2013) 801. 15 Hinweise bei Ziegler (1982) 29 und 31.  (Kein Hinweis auf diesen Teilvers bei Vattioni (1996) 30.) 16 Dieses Zitat wird bei Migne trotz der vorhandenen Zitierformel nicht durch Kursivdruck hervorgehoben. 17 Die Mauriner drucken ihre im Kollationsbuch vorgeschlagene Konjektur in genibus „an den Knien“, die dann Vallarsi, Sabatier und Migne auch statt des überlieferten ingens in ihre Drucke von T. übernommen haben. Vgl. Anm. 19. 18 deus ist nicht Teil des Lemmas, sondern Augustins lakonischer Kommentar zu dem Stichwort ingens seiner Vorlage O. (richtig Ziegler (1982) 31 gegen Zycha). Im Codex F ist deus deshalb durch schwarze Schrift vom vorangehenden, in Rot ausgeführten Zitat abgesetzt. Am. Er. Lovv. drucken dominus, das in V überliefert ist. 19 Sic! Erst Vallarsi, Sabatier und Migne drucken – offenbar unter dem Einfluss der Maurinerausgabe der Adnotationes – in genibus („an den Knien“), das Zycha zur Stelle „Hier“ (= T.) zuschreibt. Vallarsi schlägt im Apparat in genas („auf die Wangen“) vor. 20 Dt.: zum Hohn haben sie meine Wangen geschlagen. 21 Gesenius-Donner (2013) 817. 22 Vgl. Ziegler (1982) 31.

260

Reste von O. außerhalb von Hieronymus’ und Augustins Werken 

Augustin kommentiert wurde und auch in den Hieronymus-Codices T. B. steht, muss der Fehler sehr alt sein. Iob 22, 19a 23 24 Lemma: Iob 22, 19a Philippus Presbyter23

Augustin, adn. = O.

Hieronymus, Versio prior

PL 26 (1845) 677 A

Sei./Zei. Zy. 555, 23

S. T. B.

Zitierformel: Sive ut alii ­ dixerunt

Hyparchetypos: ω2

Text: ridebunt

Text: uidentes iustiores erunt

M24: ‫יקים וְ יִ ְׂש ָמ֑חּו‬ ֣ ִ ‫יִ ְרא֣ ּו צַ ִּד‬

LXX: ἰδόντες δίκαιοι ἐγέλασαν

Text: uidentes iusti riserunt

Vulgata lt. Philippus: Videbunt justi, et ­ laetabuntur.

Das Futur bei Philipp beruht auf dem hebräischen Imperfekt25, das Perfekt in S. T. B. hingegen auf dem Aorist der LXX. Der in der ω2-Tradition der Adnotationes überlieferte Text uidentes iustiores erunt ist ein alter Kopierfehler. Da die ω1-Überlieferung hier fehlt, bleibt offen, ob das Versehen schon in Augustins Archetypos vorlag oder dem Hyparchetypos ω2 zuzuschreiben ist. Erst die Mauriner haben in ihrem Kollationsbuch den Fehler bemerkt und die richtige Lesart konjiziert26, aber noch nicht in den Text gesetzt. Zycha hat dann richtig riserunt gedruckt, aber seine Quellen – die Hieronymus-Codices S. und T. – in seinem negativen Apparat nicht genannt. Das erunt des fehlerhaften Textes lässt aber noch erkennen, dass Augustin in seiner Vorlage das Perfekt riserunt vorfand. Damit liegt wieder die übliche Verteilung vor: In O. stellte Hieronymus die beiden Übersetzungen nach dem Hebräischen und nach dem Griechischen nebeneinander; Philippus zog die Version nach dem Hebräischen vor, Augustin die nach dem Griechischen; auch Hieronymus behielt ab der Revision in S. nur noch die Variante bei, die auf der LXX basierte. Dasselbe Muster begegnet auch an der nächsten Stelle:

23 Hinweis bei Ziegler (1982) 30. 24 Dt.: es werden sehen / es sehen Gerechte und werden sich freuen / und freuen sich. 25 Ziegler (1982) 30 will das Futur durch Angleichung an das laetabuntur der Vulgata erklären. Beide Übersetzungen des Hieronymus gehen hier aber auf das hebräische reine Imperfekt mit seiner futurischen Tempusfunktion zurück. 26 Sie kannten die Hieronymus-Codices S., T. und B. noch nicht: Vgl. Trenkler (2017) 32.

261

Doppelübersetzungen in O. bei Philippus Presbyter  

Iob 38, 16a 27 28 29 30 Lemma: Iob 38, 16a Philippus Presbyter27

Augustin, adn. = O.

Hieronymus, Versio prior S. T. B.

PL 26 (1845) 752 C

Sei./Zei. Zy. 604, 24

Zitierformel: Ubi alii dixerunt

Hyparchetypoi: ω1 und ω2

Text: Numquid ingressus es fontem maris?

Text: aut uenisti28 ad fontem maris?

ֲ֭ M30: ‫הבָ אתָ עַ ד־נִ ְבכֵ י־יָ ֑ם‬

LXX: ἦλθες δὲ ἐπὶ πηγὴν θαλάσσης;

Text: aut uenisti ad fontem29 maris?

Vulgata lt. Philippus: Numquid ingressus es ­ profundum maris?

Da Augustin in seiner Auslegung (604, 24) das Stichwort uenire wieder aufnimmt, ist die Fassung, die Augustin mit den Hieronymus-Codices S. T. B. teilt, auch für Augustins Vorlage O. gesichert. Sie geht auf die LXX zurück. Philippus dagegen zitiert aus O. die andere Version; dass diese auf dem Hebräischen basiert, wird auch dadurch bestätigt, dass Hieronymus in der Vulgata wieder ingressus es schreibt. In allen bisher genannten Fällen wählte Philippus von den Doppelübersetzungen in O. die Variante nach dem Hebräischen, entschied sich also eindeutig für eine der von Hieronymus vorgelegten Möglichkeiten. Augustins Fratres dagegen kombinierten zuweilen, wie Trenkler nachgewiesen hat, in den Adnotationes Elemente der beiden Vorschläge zu einer eigenen Mischform31. In einem Fall hat ausnahmsweise auch Philippus seine eigene Kombination aus den beiden Varianten in O. gebildet: Iob 20, 29b 32 Lemma: Iob 20, 29b Philippus Presbyter32

Augustin, adn. = O.

Hieronymus, Versio prior

PL 26 (1845) 671 C–D

Sei./Zei. Zy. 552, 17–18

S.

Zitierformel: Alii ita verterunt

Hyparchetypoi: ω1 und ω2

T. B.

27 Hinweis bei Ziegler (1982) 29. 28 Y uetusti. 29 Der Codex S. bricht hier nach aut uenisti ad fon am Ende der Recto-Seite 397 ab. Auf der folgenden Verso-Seite 398 geht es mit dem Vulgata-Text weiter; dabei setzt der Schreiber noch einmal neu mit dem Anfang von Iob 38, 16 ein (vgl. Caspari (1893) 8–9). 30 Dt.: „Bist du zu Tiefen Meeres gekommen?“ Das Prädikat ָ‫ ֲ ֭הבָ את‬kann aber für sich genommen ebenso gut heißen: „Bist du eingetreten?“ (Zu „eintreten“ als Grundbedeutung der Wurzel vgl. Gesenius-Donner (2013) 128 rechts – 129 rechts.) 31 Vgl. Trenkler (2017) 130–135. 32 Hinweise bei Ziegler (1982) 29 und 30.

262

Reste von O. außerhalb von Hieronymus’ und Augustins Werken 

33 34 35 36 37

Philippus Presbyter

Augustin, adn. = O.

Hieronymus, Versio prior

Text: Et haereditas verborum ejus ab episcopo.

Text: et33 possessio bonorum eius34 ab35 episcopo

S. Text: et ­ possessio ­ bonorum36 ab episcopo

M37: ‫וְ ַנ ֲח ַ ֖לת ִא ְמ ֹ֣רו מֵ ֵ ֽאל‬

LXX: καὶ κτῆμα ὑπαρχόντων αὐτῷ παρὰ τοῦ ἐπισκόπου

T. B. Text: et possessio bonorum eius ab episcopo

Vulgata lt. Philippus: Et haereditas verborum ejus a Domino.

Der Version, die Philippus zitiert, liegt der hebräische Text zugrunde; das zeigt sich auch daran, dass diese Fassung bereits fast mit der Vulgata identisch ist. Dagegen beruht die Übersetzung, die Augustin in den Adnotationes zitiert und die dann allein in den revidierten Codices S. T. B. übrig geblieben ist, auf der LXX. Das ist die gewohnte Verteilung. Es ist sicher, dass diese Version schon Augustin vorlag und nicht etwa erst von den Fratres aus T. übernommen wurde. Das ergibt sich aus Augustins Kommentar (552, 18): haec illi largietur deus kann sich sinnvollerweise nur auf possessio bonorum, nicht auf haereditas uerborum beziehen. Damit hat auch Augustins Vorlage neben der des Philippus in O. gestanden. Weil es Philippus offensichtlich nur auf die Differenz zwischen a domino (lt. dem Hebräischen) und ab episcopo (nach der LXX) am Versende ankam und der erste Teil der Version nach dem Hebräischen in O. schon mit seinem Vulgata-Text identisch war, hat er hier in seinem Zitat der alii einmal Elemente beider Übersetzungsvarianten aus O. vermischt. 11.2.1.2 Bei der ersten Revision in S. kombiniert Hieronymus Details der Doppelübersetzungen in O. zu einer neuen Einheit An zwei Stellen wendet Hieronymus seine in S. neu entwickelte Form von Konflation an: Dort beruht seine Übersetzung grundsätzlich auf der LXX, integriert aber auch ein Detail des hebräischen Urtextes.

33 M et haec est. 34 M eius adeptio. 35 M ad. 36 S. om. eius (vermutlich nur Kopierfehler, da ohne Anhalt in den Urtexten). 37 Dt.: und das Erbteil seines Redens von Gott her.

Doppelübersetzungen in O. bei Philippus Presbyter  

263

Iob 39, 24b 38 39 40 41 Lemma: Iob 39, 24b Philippus Presbyter38

Augustin, adn. = O.

Hieronymus, Versio prior

PL 26 (1845) 776 A

Sei./Zei. Zy. 622, 8

(S. fehlt) T. B.

Zitierformel: In his locis de quibus diximus, alii transtulerunt

Hyparchetypoi: ω1 und ω2

Text: nec credit, donec clanguerit buccina

nec credet39, donec ω140 clanguerit

ω2 clamauerit

nec credet, donec clanguerit tuba

tuba M41: ‫ׁשוֹפר‬ ָֽ ‫א ִ֗מין ִּכ י־קֹ֥ ול‬ ֲ ֝‫וְ ֽל ֹא־ ַי‬

LXX: καὶ οὐ μὴ πιστεύσῃ, ἕως ἂν σημάνῃ σάλπιγξ

Vulgata lt. Philippus (775 D fin.): Nec reputat tubae sonare clangorem.

Die in dieser Tabelle dokumentierte Überlieferung lässt sich wie folgt entwirren: Hieronymus hat in O. zwei Übersetzungen vorgeschlagen. Die Übersetzung nach der LXX ist in der ω2-Überlieferung der Adnotationes erhalten: nec credet, donec clamauerit tuba. Ihre griechische Vorlage ist an der syntaktischen Gesamtstruktur des Futuralis zu erkennen. Die Übersetzung nach dem Hebräischen liegt wieder bei Philippus vor: nec credit, donec clanguerit buccina. Die hebräische Vorlage erweist sich an dem Präsens credit, das sich nur als Reflex des hebräischen Imperfekts verstehen lässt. Darüber hinaus hat Hieronymus hier statt des blassen clamauerit, das mit dem σημάνῃ der LXX korrespondiert, das lautmalerische clanguerit eingesetzt, das er auch später in der Vulgata noch mehrfach mit buccina kombiniert hat42. Bei der Revision in T. (die von B. übernommen wurde) kombiniert Hieronymus dann Elemente beider Erstübersetzungen zu einer neuen Konflation. Zwar zieht er insgesamt klar die Version nach der LXX mit ihrer futurischen Konstruktion vor, setzt aber zugleich aus der Übersetzung nach dem Hebräischen das onomatopoetische clanguerit ein. Dass ihm dieses Wort besonders wichtig war, zeigt sich auch an 38 Hinweis bei Ziegler (1982) 29. 39 V Am. Er. Lovv. credit. 40 Lt. der Kontamination im Codex F. 41 Dt.: und er (sc. der Hengst) wird nicht glauben (im Sinn von „stillhalten“), wenn Stimme eines Horns . In der Vulgata konstruiert Hieronymus das ‫ ִּכי‬als Einleitung eines abhängigen Aussagesatzes (also als „dass“ statt als „wenn“) und kommt – mit geänderter Interpretation von Tempusfunktion und Bedeutung der Verbform ‫ ַי֝ ֲא ִ֗מין‬ – zu der Übersetzung: „und er hält es für nichts, dass der Klang des Horns ertönt“. 42 Für die Kombination von buccina und Formen von clangere/clangor in der Vulgata vgl. z. B. Ex 19, 13. 16; Iud 6, 34; Ier 6, 1; 51, 27. Für Weiteres siehe die Konkordanz (1897) s. v. buccina 196 links.

264

Reste von O. außerhalb von Hieronymus’ und Augustins Werken 

der Vulgata-Fassung des vorliegenden Verses Iob 39, 24b, Nec reputat tubae sonare clangorem, und an der Paraphrase in seinem Amos-Kommentar43: In libro Iob uox equi clangori tubae comparatur. Für die Adnotationes ergibt sich aus dieser Analyse der Überlieferung Folgendes: Während der ω2-Frater mit clamauerit die Version nach dem Griechischen tradiert, setzte der ω1-Frater entweder aus der alternativen Fassung in O. oder aus der Endfassung T. das klangvollere clanguerit ein. Der Kontext der Adnotationes enthält keine weiteren Indizien, anhand derer man entscheiden könnte, welche Lesart von O. Augustin selbst an dieser Stelle wählte44. Instinktiv dürfte er allerdings wohl clanguerit für angemessener gehalten haben; das lässt sich aus einer Liste von onomatopoetischen Ausdrücken in seinem Frühwerk De dialectica schließen, in der er auch den Ausdruck tubarum clangorem aufführt45. Eine ähnliche Textentwicklung liegt auch im folgenden Beispiel vor: Iob 37, 23a 46 47 48 49 Lemma: Iob 37, 23a Philippus Presbyter46

Augustin, adn. = O.

Hieronymus, Versio prior

PL 26 (1845) 745 A

Sei./Zei. Zy. 599, 13–14

S.

Zitierformel: Alii dixerunt

Hyparchetypoi: ω1 und ω2

Text: non inuenimus similitudinem virtutis ejus.

et non ω1 inueniemus

et non inuenimus47 alium ­ similem ω2 (1. Variante) inueniemus

ω248 (2. Variante) inuenimus

alium similem uirtuti eius M49: ַ‫מצָ אנֻהּו ׂשַ ּגִ יא־ ֑ ֹכח‬ ֭ ְ ‫ׁשַ ַּד֣י ֽל ֹא־‬

T. B.

S. uirtutis

T. B. uirtuti

eius

LXX:     καὶ οὐχ

43 in Am. 3, 6, 7/11 (p. 307, l. 303 Adriaen). Der Kommentar stammt lt. Frede (1995) 511 aus dem Jahr 406. Aus der unspezifischen Formulierung geht nicht hervor, ob sich Hieronymus auf die Endfassung T. der Versio prior oder auf die Vulgata bezieht. Es kann sich auch um eine Spon­ tanparallele handeln, wie sie für Hieronymus typisch ist: Vgl. dazu Anhang C. 44 Die Hiob-Stelle kommt bei Augustin sonst nicht mehr vor. 45 Aug., dial. 6.  Er nennt dort aeris tinnitum, equorum hinnitum, ouium balatum, tubarum clangorem, stridorem catenarum und kommentiert: perspicis enim haec uerba ita sonare ut ipsae res quae his uerbis significantur. 46 Hinweis bei Ziegler (1982) 29. 47 Caspari druckt für S. fälschlich inueniemus (vgl. Trenkler (2017) 200 mit Anm. 20), was Ziegler (1982) in seinen 1. Apparat übernimmt. 48 FN R WXYZ Maur. Zy. 49 Dt.: „Schaddaj – haben wir ihn nicht gefunden erhaben an Kraft?“

Doppelübersetzungen in O. bei Philippus Presbyter  

265

Lemma: Iob 37, 23a LXX

LXX

Nebenüberlieferung: εὑρήσομεν

Hauptüberlieferung: εὑρίσκομεν

ἄλλον ὅμοιον τῇ ἰσχύι αὐτοῦ. Vulgata lt. Philippus: Digne eum invenire non possumus. Magnus fortitudine

Bereits Trenkler50 hatte aus den Variae lectiones in der ω2-Tradition geschlossen, dass Augustins Codex O. hier eine Doppelübersetzung des Prädikats enthalten habe – einmal das Futur inueniemus und zum andern die doppeldeutige Form inuenimus. In Kapitel 2 (Beleg 6) habe ich darauf hingewiesen, dass das Futur auf einer Nebenversion der LXX beruht, die Hieronymus bei der Revision in S. zugunsten des Präsens inuenimus, das auf der griechischen Hauptversion basiert, ausschied. Das Zitat bei Philippus erlaubt nun, diese früheren Analysen über die Formen des Prädikats hinaus auf den ganzen Satz auszudehnen. Es wird deutlich, dass Hieronymus in O. nicht nur zwischen zwei griechischen Tempora geschwankt hat, sondern wieder einmal zwei vollständige Varianten vorschlug  – die eine auf hebräischer, die andere auf griechischer Basis. Auf den ersten Blick erschließt sich, dass die Alternativen, die der Redaktor des ω2-Hyparchetypos von Augustins Adnotationes aus O. entnahm, der Nebenbzw. der Hauptüberlieferung der LXX entsprechen. Dagegen zeigen mehrere Details, dass die von Philippus zitierte Fassung auf dem Hebräischen beruht: das fehlende „und“ am Satzanfang, das hier als Perfekt zu deutende inuenimus, das fehlende alium sowie die Genetiv-Konstruktion similitudinem uirtutis, die die hebräische Constructus-Verbindung, die in ַ‫„( ֑ ֹכח‬Kraft“) endet, imitiert. Die einzige Abweichung von M bei Hieronymus, die einen anderen hebräischen Text voraussetzt, manifestiert sich in dem Substantiv similitudinem. In M steht dort das Adjektiv ‫ׂשַ ּגִ יא‬, „erhaben“. Schon der LXX-Übersetzer hat stattdessen als Vorlage für seine Übersetzung ἄλλον ὅμοιον dort vermutlich das Partizip ‫ ׁשֹוֶ ֖ה‬, „einen, der ähnlich ist“, gelesen51. Da es von dieser Wurzel kein Abstractum gibt, das als direkte Vorlage für Hieronymus’ similitudinem in Frage käme, vermute ich, dass er hier frei übersetzt hat, um mit dem von similitudinem abhängigen Genetiv uirtutis die typische Struktur der hebräischen Constructus-Verbindung auch im Lateinischen nachahmen zu können. Dass ihm an der Konstruktion mit dem Genetiv uirtutis lag, wird daran deutlich, dass er diesen Kasus als einziges Relikt der Übersetzung aus dem Hebräischen auch noch bei seiner ersten Revision in S. beibehielt und in eine Übersetzung einbaute52, 50 Trenkler (2017) 200. 51 Dhorme (1926) 522 ging davon aus, dass die Vorlage der LXX ‫ ׁשֵ נִ י‬, „einen zweiten“, war. 52 Zu der Möglichkeit, similis sowohl mit dem Genetiv als auch mit dem Dativ zu verbinden, vgl. Kühner-Stegmann (1962) 1, 449–450.

266

Reste von O. außerhalb von Hieronymus’ und Augustins Werken 

die im Übrigen auf der LXX beruhte. Für den Leser wird der hebräische Klang an dieser Stelle allerdings dadurch gemildert, dass similis auch im klassischen Latein dann mit dem Genetiv verbunden wird, wenn es um eine besonders stark ausgeprägte Ähnlichkeit geht53. In T. dagegen schwenkte Hieronymus mit dem Dativ uirtuti ganz auf die Übersetzung aus dem Griechischen ein, die er bereits in O. als Variante vorgeschlagen hatte; gleichzeitig passte er die Konstruktion an den nachklassischen lateinischen Sprachgebrauch an, in dem similis üblicherweise mit dem Dativ konstruiert wurde54. Iob 38, 28b Diese Stelle enthält zwei Besonderheiten. Dort bildet auch einmal Philippus Presbyter seine eigene Konflation aus den beiden in O. vorliegenden Übersetzungen nach dem Hebräischen und Griechischen. Hieronymus legt dort seiner Endfassung T. den hebräischen, nicht wie üblich den griechischen Urtext zugrunde und fügt nur ein Detail aus der LXX in diesen Rahmen ein: 55 56 Lemma: Iob 38, 28b Philippus Presbyter55

Augustin, adn. = O.

Hieronymus, Versio prior

PL 26 (1845) 758 B

Sei./Zei. Zy. 609, 25–26

(S. fehlt) T. B.

Zitierformel: Alii dixerunt

Hyparchetypoi: ω1 und ω2

Text: vel quis genuit glebas roris et quis est qui peperit glebas roris?

M56 ‫י־טל׃‬ ֽ ָ ֵ‫וֹליד אֶ גְ ל‬ ִ֗ ‫י־ה‬ ֝ ‫אֹ֥ ו ִמ‬

T. uel quis est qui genuit stillas roris?

B. et quis est qui genuit stellas (sic) roris?

LXX: τίς δέ ἐστιν ὁ τετοκὼς βώλους δρόσου;

Vulgata lt. Philippus (758 A): vel quis genuit stillas roris?

Augustins Text ist hier nicht von T. überschrieben und überdies in beiden Hyparchetypoi gleichlautend überliefert. Also hat ihn Augustin in O. vorgefunden. Es handelt sich, wie die Bezüge zwischen et ~ δὲ, qui peperit ~ ὁ τετοκὼς und glebas ~ βώλους zeigen, typischerweise um die Übersetzung der LXX. Die genaue Übersetzung der hebräischen Vorlage liegt dagegen in der Vulgata ִ֗ ‫י־ה‬ ֝ ‫ ~ ִמ‬quis genuit und vor; das zeigen die Korrespondenzen zwischen ‫ ~ אֹ֥ ו‬uel, ‫וֹליד‬ ‫ ~ אֶ גְ לֵ י‬stillas. Da Philippus einen anderen Text als Augustin zitiert, ist damit eine Doppelübersetzung in O. grundsätzlich nachgewiesen. Wie hat sie aber im Detail gelautet? Man 53 Kühner-Stegmann (1962) 1, 449. Durch den Genetiv wird also in dem hier verneinten Kontext betont, dass Gott hinsichtlich seiner Macht nicht seinesgleichen hat. 54 Kühner-Stegmann (1962) 1, 450. 55 Hinweis bei Ziegler (1982) 29. 56 Dt.: „Oder wer zeugt Tropfen Taus?“

267

Doppelübersetzungen in O. bei Philippus Presbyter  

würde bei Philippus eine Übersetzung nach dem Hebräischen erwarten; diese liegt hier jedoch nur partiell vor. Philipp nämlich zitiert nicht die stillas des Hebräischen, sondern die glebas der LXX; im Übrigen stimmt sein Zitat genau mit M überein. Dieser Befund ist m. E. so zu deuten, dass Philippus hier in seinem Exemplar von O. die beiden Übersetzungen aus dem Hebräischen (in der Form, die später in die Vulgata übernommen wurde) und aus dem Griechischen (in der Form, die Augustin kommentierte) jeweils in Reinform vorfand, aber beim Zitieren der Versio prior seine eigene Konflation der beiden Fassungen schuf. Da S. für das vorliegende Lemma nicht erhalten ist, bleibt offen, auf welcher Revisionsstufe Hieronymus seine Endfassung der Versio prior formuliert hat. T. zeigt jedoch, dass Hieronymus sich hier nicht eindeutig für eine Textvorlage entschieden hat, sondern verschiedene Elemente kombiniert hat. Der Hauptanteil uel quis […] genuit stillas roris? stammt hier aus dem Hebräischen, während nur die Hervorhebung der Frage durch est, qui aus der früheren Übersetzung nach der LXX übernommen ist. Damit liegt hier ein weiteres Beispiel dafür vor, dass sich Hieronymus in T. zuweilen in einer Art Pendelschlag weg von der in S. bevorzugten LXX erneut dem Hebräischen zuwandte. Auch der Autor von B. hat hier seine eigene Konflation aus den beiden Übersetzungen in O. gebildet: Er allerdings legt die Syntax der Übersetzung nach dem Griechischen zugrunde und ersetzt nur die griechischen glebas durch die hebräischen stillas. Dies ist ein seltenes Beispiel dafür, dass B. einmal eine Doppelübersetzung in O. widerspiegelt57.

11.2.2 Basis: Nebenüberlieferung – Hauptüberlieferung Hier scheidet Hieronymus die hebräische Variante jeweils bei der ersten Revision in S. aus. Damit bestätigt sich die Tendenz, die bereits oben in Kapiteln 2 und 3 zu beobachten war. Iob 27, 23a 58 Lemma: Iob 27, 23a Philippus Presbyter58

Augustin, adn. = O.

Hieronymus, Versio prior

PL 26 (1845) 696 A

Sei./Zei. Zy. 566, 11

S. T. B.

Zitierformel: Alii dixerunt

Hyparchetypoi: ω1 und ω2

S. T.

B.

57 Vgl. die anderen Fälle von Konflation in B: In Iob 24, 8b (Kap. 10, S. 248 mit Anm. 200) wurden nicht zwei Varianten aus O., sondern die Fassungen in O. und T. kombiniert. Zu dem Fall von Iob 27, 23a vgl. hier gleich anschließend S. 268–269. Dort wird nicht klar, ob der Bearbeiter von B. zwei Übersetzungen in O. oder die Versionen von O. und T. vermischte. 58 Hinweis bei Ziegler (1982) 30.

268

Reste von O. außerhalb von Hieronymus’ und Augustins Werken 

59 60 61 62

Lemma: Iob 27, 23a Philippus Presbyter

Augustin, adn. = O.

Hieronymus, Versio prior

PL 26 (1845) 696 A

Sei./Zei. Zy. 566, 11

S. T. B.

Zitierformel: Alii dixerunt

Hyparchetypoi: ω1 und ω2

S. T.

B.

Text: Planget super eum manibus suis.

plaudet

plaudet super eos manibus suis

plaudet super eum manibus suis

ω1 super eos

ω2 super

manibus suis M60: ֹ‫יִ ְׂש ֣ ֹּפק עָ ֵל ֣ימוֹ כַ ֵּפ֑ימו‬

LXX sub *: κροτήσει ἐπ’ αὐτοὺς61 χεῖρας αὐτοῦ62

Vulgata lt. Philippus: Stringet super eum manus suas.

Augustins Zitat mit plaudet beruht auf dem κροτήσει der LXX. Das planget bei Philippus geht dagegen wie üblich auf einen hebräischen Text zurück, der hier allerdings von M abwich: Er bot statt der in M vorliegenden Wurzel ֹ‫ ספק‬/ ‫ׂשפק‬ („klatschen“63) die Wurzel ‫„( ספד‬Totenklage halten“64). In O. lag also wieder eine Doppelübersetzung vor, die durch die verschiedenen Lesarten der beiden Ursprachen bedingt war. Diese Analyse erklärt auch die anderen Details beider Versionen. Lt. plaudet hat Augustin wieder die auf dem griechischen Urtext beruhende Variante gewählt. Diese Beobachtung lässt erwarten, dass Augustin mit der LXX den Plural eos las. Dies wird auch tatsächlich durch den Kontext bestätigt, in dem Augustin die Sünder, denen der Beifall gilt, zweimal im Plural nennt (566, 12 eorum und 13 inpio 59 Dagegen schreibt Zycha eum (om. codd. et edd.). 60 Dt.: „Man (wörtlich: er) wird über sie (bzw. ihn) seine Hände klatschen.“– Normalerweise wird das hier zweimal belegte Suffix ֹ‫מו‬- für die 3. Person Plural Maskulinum gebraucht (vgl. Gesenius, Grammatik (1909) 312, Anm. 2 und 315). Diese Deutung passt im vorliegenden Zusammenhang aber nicht zu den Händen (zu diesem Suffix am Dual vgl. wieder Gesenius, S. 268, 3), weil lt. Prädikat nur von einer Person, die in ihre Hände klatscht, die Rede ist. Hier muss man das Suffix deshalb auf die 3. Person Singular Maskulinum beziehen und sinngemäß „seine Hände“ statt „ihre Hände“ übersetzen (vgl. nochmals Gesenius, S. 312, Anm. 2). Bei der vorangehenden Präposition ‫„ על‬über“ ist aber weniger eindeutig, was dort der Sinn erfordert. Von der Formenbildung her liegt die Übersetzung „über sie“ näher (vgl. Gesenius, Tabelle S. 315); die Analogie zum folgenden Ausdruck „seine Hände“ spricht dagegen eher für die Auffassung „über ihn“. So hat deshalb Hieronymus nach dem Hebräischen übersetzt. Die Mehrdeutigkeit des Hebräischen spiegelt sich in der griechischen Überlieferung: Vgl. die beiden folgenden Anmerkungen. 61 Viele Handschriften bieten hier  – in verschiedenen Kasus  – den Singular: Vgl. Ziegler (1982) 330. 62 Den Singular αὐτοῦ bieten die meisten Handschriften; andere haben den Plural αὐτῶν: Vgl. Ziegler (1982) 330. 63 Gesenius-Donner (2013) 1296 rechts bzw. 898. 64 Gesenius-Donner (2013) 896.

269

Doppelübersetzungen in O. bei Philippus Presbyter  

rum). Der von Zycha ergänzte Singular eum gehört dagegen bei Hieronymus zu der von Philippus zitierten Variante nach dem Hebräischen65 und ist in den Adnotationes auch deshalb fehl am Platz, weil er nicht in T. steht und deshalb nicht von dem ω2-Frater von dort in seinen Hyparchetypos übernommen worden sein kann. Auch Hieronymus hat in S. T. typischerweise wieder für die Lesart optiert, die der LXX nähersteht. Der Kompilator von B. hat dagegen mit plaudet und eum erneut seine eigene Kombination geschaffen. Er kann dazu seine beiden Quellen O. und T. oder auch allein die beiden Textvorschläge in O. kombiniert haben.

11.2.3 Basis: Zwei Nebenüberlieferungen Auch in all diesen Fällen bestätigt sich, dass Hieronymus bei der ersten Revision in S. diejenige Variante ausschied, die auf der hebräischen Vorlage beruhte. Iob 38, 14a 66 67 68 Lemma: Iob 38, 14a Philippus Presbyter66

Augustin, adn. = O.

Hieronymus, Versio prior

PL 26 (1845) 752 A

Sei./Zei. Zy. 604, 9–10

S.

Zitierformel: Alii interpretes ita dixerunt

Hyparchetypoi: ω1 und ω2

Text: Et tu sumens terrae ­ lutum, figurasti hominem

et tu sumens terrae lutum ­ figurasti animal

et tu sumens terrae lutum ­ figurasti animal

M67: ‫חוֹת֑ם‬ ָ ‫חמֶ ר‬ ֹ ֣ ‫ת ְתהַ ּפֵ ְך ְּכ‬ ּ֭ ִ

T. B.

animae

LXX Nebenüberlieferung: καὶ σὺ λαβὼν γῆς πηλὸν ἔπλασας ζῷον;68

Vulgata lt. Philippus (751 B fin.): Restituetur ut lutum signaculum

Am einfachsten ist die Übersetzung der griechischen Nebenüberlieferung (die sich hier durch καὶ und γῆς von den Lesarten ἦ und γῆν der Hauptüberlieferung unterscheidet) zu identifizieren: Sie steht in beiden Überlieferungssträngen der Adnotationes und auch noch im Codex S. des Hieronymus. Typischerweise hat sich also Hieronymus auf der ersten Revisionsstufe für die Übersetzung entschieden, die 65 Vgl. Anm. 59–62. 66 Hinweis bei Ziegler (1982) 29. 67 Dt.: „Sie (sc. die Erde) wird sich verwandeln wie Ton eines Siegels (bzw. wie Ton, ein Siegel).“ 68 Für die Rekonstruktion des hebräischen Textes, der als Vorlage der LXX diente, vgl. Wutz (1933) 202. 252. 284. Besonders überzeugend ist seine Erklärung des ἔπλασας. Wutz geht allerdings durchweg davon aus, dass die LXX statt der Präposition ‫„( כ‬wie“) die Präposition ‫מ‬ („aus / von“) vorfand. Mir scheint dagegen die typisch griechische Konstruktion mit λαβὼν eher die Präposition ‫„( ב‬mit / mit Hilfe von“) vorauszusetzen.

270

Reste von O. außerhalb von Hieronymus’ und Augustins Werken 

auf der LXX beruhte. Diese Fassung wurde anschließend im Codex T. in der späten Schicht T. II durch den sinnlosen Fehler animae statt animal verfälscht. Dass B. diesen Fehler aus T. übernommen hat, bestätigt die oben in Kapitel 6 formulierte These, dass B. von der Schicht T. II statt von T. abhängt und deshalb erst nach der Rezensionsarbeit der Fratres an den Adnotationes zu datieren ist69. Obwohl die Fassung von S. und T. mit animal in allen Codices der Adnotationes steht, ist sie nicht der Text, den Augustin kommentiert hat. Vielmehr zeigt die Formulierung in Augustins Kommentar (604, 10–12) siue ipsum Adam commemoret siue quod nunc […] homo factus est, dass er den von Philippus zitierten Text nach dem Hebräischen kommentierte, in dem statt animal das Stichwort hominem stand: Et tu sumens terrae lutum figurasti hominem. Hier ist also aus Kurzsichtigkeit statt Augustins Lesart hominem die falsche Variante animal aus O. in den Text der Adnotationes geraten. Der Fehler kann bei der Umschrift des Stenogramms in Reinschrift, bei der der Schreiber die Lemmata aus O. einzusetzen hatte, eingetreten sein; vielleicht haben aber in diesem Fall auch einmal beide Fratres bei ihrer Arbeit aus Kurzsichtigkeit statt Augustins Lesart hominem die falsche Variante animal aus O. in den Text gesetzt – möglicherweise deshalb, weil Hieronymus nur diese in der revidierten Handschrift T. hatte stehen lassen. Die Lesart hominem bei Philippus lässt sich darauf zurückführen, dass Hieronymus in seinem hebräischen Text statt ‫„( חַ ּיָתָ ם‬ihr Leben“), das vielleicht als Vorlage für das ζῷον („Lebewesen“) der LXX zu erschließen ist70, jedenfalls das graphisch ähnliche ‫„( הָ אָ ָדם‬den Menschen“) las. In seinem eben zitierten Kommentar (604, 10–12) macht Augustin darauf aufmerksam, dass das Nomen hominem hier mehrdeutig ist: Es kann den erstgeschaffenen Menschen Adam als Person oder auch den Menschen schlechthin bezeichnen. Typisch ist an dieser Stelle wieder, dass Philippus die Übersetzung zitiert, die auf dem Hebräischen beruhte, und dass Hieronymus bei der Revision in S. diese Variante fallen ließ. Untypisch ist jedoch, dass hier auch Augustin die hebräische Variante in O. wählte. Falls die Fratres (und nicht schon der Schreiber des Archetypos) für die Wahl der falschen Variante animal verantwortlich waren, wäre auch das ein seltener Fall von parallelem Vorgehen.

11.3 Vorlagen hebräisch – hebräisch Iob 29, 13a Diese Stelle ist zunächst sehr unübersichtlich, weil Philippus dort eine andere Zitiertechnik als sonst anwendet. Er behandelt das ganze Hiob-Kapitel 29 in zwei Durchgängen (zuerst in den Spalten 703 bis 708 D und dann nochmals unter besonderem Bezug auf Christus in den Spalten 708 D bis 712 C). Dabei zitiert er das 69 Vgl. Kap. 6, S. 113–114. 70 So Wutz (1933) 202. 252. 284.

271

Doppelübersetzungen in O. bei Philippus Presbyter  

Lemma Iob 29, 13a in der Vulgata-Fassung Benedictio perituri super me ueniebat nur im Zug des ersten Durchgangs (704 D). Auf die Versio prior des Hieronymus geht er erst im zweiten Durchgang (710 C) ein. Seine dortige Formulierung ist ungewöhnlich anspielungsreich und lässt sich erst im Licht der in den HieronymusCodices S. T. B. überlieferten Lesarten und einer zusätzlichen Notiz in den Capitula zum Philippus-Kommentar entschlüsseln. Erschwerend kommt hinzu, dass Augustin das Lemma in den Adnotationes übersprungen und auch sonst nie zitiert hat. Umgekehrt besteht eine selten vorkommende Bereicherung darin, dass der kurze Auszug aus dem Kommentar des Philippus Presbyter in der Expositio interlineraris libri Iob an dieser Stelle als Glosse noch eine weitere Lesart mit der für die Verweise auf die Versio prior des Hieronymus typischen Zitierformel anführt. Die folgende Tabelle fasst die Überlieferung zusammen: 71 72 73 74 Lemma: Iob 29, 13a Philippus Presbyter71

Augustin, adn. = O.

Hieronymus, Versio prior

PL 26 (1845) 710 C

Sei./Zei. Zy.

S. B. = O.

T.

Text und Zitierformel: Benedictio pueri, sive ut alii dixerunt, perituri, super me veniebat. […] puer, propter reciprocatam innocentiam nuncupatus est. Perditus vero idem appellatus est, quia sanguine Domini acquisitus est.

Hyparchetypoi: ω1 und ω2 benedictio perditi super me ueniebat

benedictio perituri super me ueniebat

ferner Glosse zur VulgataFassung in PL 23 (1845) 1446 A72

Sive ut alii ­ dixerunt, pauperes.

ferner Capitula de libro II, VIIII73:

In adsumpto itaque homine Iesu Christo: Benedictio perditi super me veniebat.

(kein Zitat / Lemma über­ sprungen)

M74: ‫ִּב ְר ַּכ ֣ת ֹא֭בֵ ד עָ ַל ֣י ּתָ ֑ב ֹא‬

Hexapla sub * (lt. Aquila und Theodotion): εὐλογία ἀπολλυμένου ἐπ’ ἐμὲ ἔλθοι

Vulgata lt. Philippus (704 D): Benedictio perituri super me veniebat

71 Hinweis bei Ziegler (1982) 29, der aber fälschlich Iob 29, 25b angibt. 72 Nachweis in der Vetus Latina Datenbank, Beleg 36/38; jedoch nicht erwähnt bei Ziegler (1982) 28. 73 PLS 3 (1963) 326 = ed. Wilmaert (1933) 320, Z. 129–130. (Nachweis in der Vetus LatinaDatenbank, Beleg 35/38). 74 Dt.: „ Segen eines, der zugrunde geht (bzw. zugrunde gehen wird/ zugrunde gegangen ist) kommt (bzw. wird kommen / möge kommen) über / auf mich.“

272

Reste von O. außerhalb von Hieronymus’ und Augustins Werken 

Aus der hier zusammengefassten Überlieferung ergibt sich, dass die Erstfassung O. der Versio prior im Lemma Iob 29, 13a nicht weniger als vier verschiedene Varianten enthielt. Alle Lesarten teilen denselben syntaktischen Grundbestand, also die Worte Benedictio […] super me ueniebat. Der von benedictio abhängige Genetiv tritt dagegen in vier Varianten auf: perditi, perituri, pueri und pauperis. Keine dieser vier Varianten basiert auf der LXX: Weder das gleichzeitige Partizip Präsens ἀπολλυμένου noch der Optativ ἔλθοι werden von Hieronymus berücksichtigt. Dagegen sind alle vier Varianten leicht auf hebräische Vorlagen zurückzuführen. Die Deutung des hebräischen Imperfekts ‫ ּתָ ֑ב ֹא‬als Vergangenheitstempus (hier ueniebat) kommt in Hieronymus’ Versio prior häufiger vor75. Die beiden Lesarten perditi und perituri gehen beide auf den Text von M ( ‫ ) אֹ֭בֵ ד‬zurück, weil ein hebräisches Partizip jedes beliebige Zeitverhältnis ausdrücken kann. Die Varianten pueri und pauperis zeigen, dass Hieronymus hier auch noch abweichende, wenn auch lautlich oder graphisch ähnliche hebräische Begriffe für möglich hielt. Pueri übersetzt ‫ ֶ ע֥בֶ ד‬76; pauperis geht auf ‫ אֶ ְביוֹן‬zurück77. Damit wird hier noch einmal die schon mehrfach beobachtete Tendenz des Hieronymus sichtbar, in seiner Erstfassung O. auch randständige Lesarten des Hebräischen und möglichst viele Varianten mit einzubeziehen. Bei seinen Revisionen hat Hieronymus in S. zunächst perditi gewählt, also eine der auf der Hauptüberlieferung M basierenden Varianten, die auch der Autor von B. aus O. übernahm. Diese Variante passte besonders gut zur christologischen Deutung der Passage: Der verlorene Sünder dankt seinem Erlöser. In T. zog Hieronymus jedoch die alternative Deutung perituri derselben hebräischen Wurzel vor. Dass er diese dann unverändert auch in die Vulgata übernahm, dürfte sich daraus erklären, dass die benedictio perituri die Sterbeszene Jakobs aus den Erzvätergeschichten evozierte, in denen der Todgeweihte seinen Söhnen den Abschiedssegen erteilte78. Die Fülle der möglichen Varianten, die sich im Lemma Iob 29, 13a aus dem hebräischen Text ableiten ließen, dürfte erklären, warum Hieronymus an dieser Stelle auffallender Weise auf die übliche Übersetzung nach der LXX verzichtete. Vielleicht hat aber auch noch ein anderes Motiv mitgespielt. Der Vers Iob 29, 13a war nämlich in seiner Form als Wunschsatz benedictio perituri in me veniat79, der auf dem Optativ der LXX beruht, ein ausgesprochenes Lieblingszitat des Ambrosius80.

75 Vgl. Kap. 3, Beleg 22 mit Anm. 16. 76 Gesenius-Donner (2013) 909 rechts – 910 rechts. 77 Gesenius-Donner (2013) 6 links. 78 Gn 49. 79 Ambrosius off. 1, 148: Benedictio perituri in me ueniat (Bd. 1, 167 Testard); Nachweis in der Vetus Latina-Datenbank, Beleg 10/38. 80 Weitere Zitate werden in der Vetus Latina-Datenbank, Belege 5–9/38 nachgewiesen, darunter vier Fälle in bon. mort. 36–37 (pp. 126. 128 Wiesner). Sie alle weisen kleine Variationen auf,

Doppelübersetzungen in O. bei Philippus Presbyter  

273

Weil Hieronymus diesen als Rivalen betrachtete und totzuschweigen suchte81, hat er möglicherweise eine Formulierung vermieden, die leicht an seinen Konkurrenten erinnern konnte.

11.4 Vorlagen griechisch – griechisch Iob 16, 9c 82 83 84 85 Lemma lt. LXX82: Iob 16, 9c Philippus Presbyter83

Augustin, adn. = O.

Hieronymus, Versio prior

PL 26 (1845) 658 A

Sei./Zei. Zy. 543, 3–4

S. T. B.

Zitierformel: alia editio

Hyparchetypos: ω2

Text: Sagittae piratarum super me ceciderunt.

Text: sagittae piratarum eius su- Text: sagittae piratarum eius super me deciderunt per me deciderunt84

LXX Nebenüberlieferung lt. Ms. 249: βέλη πειρατῶν ἐπ’ ἐμοὶ ἔπεσεν

LXX Hauptüberlieferung (hier wohl Ms. 25285): βέλη πειρατῶν αὐτοῦ ἐπ’ ἐμοὶ ἐπέπεσον

Vulgata lt. Philippus: Et comminans mihi infremuit contra me dentibus suis.

Hier lässt sich aus dem Kontext der Adnotationes beweisen, dass Augustin den dort im Hyparchetypos ω2 überlieferten Text schon selbst in O. vorfand, so dass dieser nicht erst von einem Frater aus T. eingetragen wurde: Augustins Auslegung (543, 4) aeriae potestates, quibus utitur deus setzt das Vorhandensein des Possessivpronomens eius voraus. Damit ist bewiesen, dass O. sowohl die Lesart des Philippus wie die Augustins enthielt. Typisch ist, dass Hieronymus in S. den volleren Text mit dem Präfix de- vorzog, der auf der von ihm als Hauptversion angesehenen Vorlage beruhte.

enthalten aber sämtlich das Partizip im Futur (perituri bzw. morituri) und als Prädikat fast ausnahmslos den Cupitiv ueniat. 81 Vgl. Fürst (2003) 153–154 und schon Bardenhewer (1905) 16–17. 82 Abweichende Vulgata-Zählung: Iob 16, 10c. 83 Hinweis bei Ziegler (1982) 29. 84 B. deciderint. Der Konjunktiv deciderint stellt vermutlich nur einen Schreibfehler dar; ein anderes Motiv ist nicht erkennbar. Lagarde druckt deshalb den Indikativ. 85 Die Überlieferung, die in Ms. 252 vorliegt, hat Hieronymus offenbar als Hauptüberlieferung angesehen. Vgl. oben Kap. 4, S. 82, Anm. 59 und Kap. 10, S. 254, Anm. 251.

274

Reste von O. außerhalb von Hieronymus’ und Augustins Werken 

11.5 Vorlagen mit Konflation verschiedener Urtexte Schwieriger zu verstehen sind Fälle, wo eine der Textvorlagen von Hieronymus’ Doppelübersetzungen nicht ohne weiteres mit einem der überlieferten Urtexte identisch ist. Hier macht sich die in den Anfangskapiteln dieser Arbeit nachgewiesene Neigung des Hieronymus bemerkbar, in seiner Erstfassung O. mehrere Textvorlagen miteinander zu kombinieren. Iob 39, 30b 86 87 88 89 Lemma: Iob 39, 30b Philippus Presbyter86

Augustin, adn. = O.

Hieronymus, Versio prior

PL 26 (1845) 780 D

Sei./Zei. Zy. 626, 2–3

T. B. (S. fehlt)

Zitierformel: alii dixerunt

Hyparchetypos: ω2

T.

B.

ubicumque fuerint ­cadauera, Text: et ubi fuerit cadaver, ­ statim reperiuntur

Text: ubicumque87 fuerint88 cadauera, confestim reperiuntur

statim reperiuntur

confestim repperiuntur

M89: ‫ּובַ ֲא ֶ ׁ֥שר ֝ ֲחלָ ִ֗לים ָׁש֣ם ֽהּוא‬

LXX: οὖ δ’ ἂν ὦσιν τεθνεῶτες, παραχρῆμα εὑρίσκονται

Vulgata lt. Philippus: et ubicumque cadaver ­ fuerit, statim adest

Der im ω2-Hyparchetypos der Adnotationes überlieferte Text ist nicht von T. überschrieben, wie der Unterschied zwischen confestim bei Augustin und statim in T. zeigt, sondern hat schon in O. gestanden; von dort hat ihn auch der Kompilator von B. übernommen. Beide Texte  – sowohl der hier für O. erschlossene als auch T. – sind jedoch nur Übersetzungs-Varianten derselben griechischen Vorlage: Das zeigen die Pluralformen fuerint cadauera und rep(p)eriuntur. Der Wechsel von confestim in der Erstfassung O. zu statim in der Endfassung T. entspricht einer allgemeinen Tendenz bei Hieronymus: In der Vulgata kommt confestim nur noch selten und im Buch Hiob gar nicht mehr vor90; dagegen ist statim in der Vulgata sehr häufig91 und mehrfach auch im Buch Hiob belegt92. Wieder hat Hieronymus bei

86 Hinweis bei Ziegler (1982) 29. 87 M ubique. 88 Z fuerit. 89 Dt.: und wo Erschlagene , dort er. 90 Vulgata-Konkordanz (1897) zu confestim: nur S. 250 a Mitte bis unten. 91 Vulgata-Konkordanz (1897) zu statim dagegen: S. 1073 b Mitte bis 1074 a oben. 92 Hiob: Iob 3, 11; 5, 3; 8, 6; 13, 11 und 39, 30; davon aber nur in 5, 3 ausdrücklich im Hebräischen vorhanden.

Doppelübersetzungen in O. bei Philippus Presbyter  

275

seiner Revision die griechische Vorlage bevorzugt, die auch schon Augustin der von Philippus aus O. zitierten Alternative ubicumque fuerit cadauer, statim reperiuntur vorgezogen hatte. Das Zitat bei Philippus, das als Zweitübersetzung in O. gestanden haben muss, beruht auf der Konflation einer griechischen und einer hebräischen Vorlage. Das Prädikat reperiuntur stammt – wie bei der anderen Übersetzung in O. – aus der LXX. Dagegen steht hinter dem ersten Teil des Lemmas eine hebräische Vorlage, die nicht mit M identisch ist. Der Singular cadauer hat nämlich ebenso wenig Anhalt in M wie die in allen griechischen und lateinischen Fassungen auftauchenden Zeitaduerbien παραχρῆμα, confestim bzw. statim. Beide Abweichungen lassen sich mit derselben Hypothese erklären: Statt der Plural-Endung ‫ים‬- bei den „Erschlagenen“ und des Ortsadverbs ‫„( ָׁש֣ם‬dort“) stand in der hebräischen Vorlage, auf die sich sowohl die LXX als auch Hieronymus bezogen, das ebenfalls vier Radikale umfassende Wort für „sofort / plötzlich / unverzüglich“ ‫  ִפ ְת ֹֽאם‬93. Dieses hat Hieronymus in der Vulgata auch im Vers Iob 5, 3b mit statim übersetzt. Die von Philipp zitierte Variante stellt also den Versuch des Hieronymus dar, den ersten Teil  des Verses nach dem Hebräischen zu übersetzen. Dafür spricht auch, dass er seine Übersetzung dieses Halbverses, der im Hebräischen im Singular steht94, dann mit ubicumque cadaver fuerit in die Vulgata übernommen hat, ebenso wie die Vokabel statim, die er offenbar mit dem Hebräischen assoziierte. Somit liegt hier einmal ein Fall vor, in dem die beiden Übersetzungen in O. nicht einfach auf eine hebräische bzw. eine griechische Vorlage zurückzuführen sind, sondern wo nur die eine Variante eindeutig auf einen reinen Text (hier die LXX) zurückgeht, während die Alternative auf einer Konflation aus einer hebräischen und einer griechischen Vorlage beruht. An der folgenden Stelle spielt Konflation sowohl in der Erstfassung O. als auch bei der folgenden Revision eine Rolle. Iob 36, 24ab Im Lemma Iob 36, 24 hat Hieronymus den quia-Satz Iob 36, 24a im Grundsatz nach der LXX übersetzt, dagegen den anschließenden Relativsatz Iob 36, 24b in erster Linie nach dem Hebräischen. Die Doppelübersetzung ergibt sich daraus, dass er zu jedem Teilsatz auch eine Variante formuliert hat, in der auch die andere Ursprache berücksichtigt wurde:

93 Gesenius-Donner (2013) 1089. 94 Die LXX hat diesen Singular kollektiv aufgefasst und übersetzt deshalb im Plural.

276

Reste von O. außerhalb von Hieronymus’ und Augustins Werken 

95 96 97 98 99

Lemma: Iob 36, 24ab Philippus Presbyter95

Augustin, adn. = O.

Hieronymus, Versio prior

PL 26 (1845) 737 B

Sei./Zei. Zy. 591, 17–18

S. T. B.

Zitierformel: Alii dixerunt

Hyparchetypoi: ω1 und ω2

Text: Memento, quia magna sint ejus opera, quae laudaverunt viri.

memento, quia magna sunt ­opera eius, ω1 quae

ω2 quae

ω297 quem

memento, quia magna sunt opera eius, quae96 laudauerunt uiri.

laudauerunt uiri. M98: ‫ְז ֭ ֹכר ִ ּֽכי־תַ ְׂש ִּג ֣יא פָ ֳעלֹ֑ ו ֲא ֶ ׁ֖שר ֹׁש ְר ֣רּו ֲאנ ִ ָֽׁשים׃‬

LXX99: μνήσθητι ὅτι μεγάλα ἐστὶν αὐτοῦ τὰ ἔργα, * ὧν ἦρξαν ἄνδρες.

Vulgata lt. Philippus: Memento quod ignores opus ejus, de quo cecinerunt viri.

Der quia-Satz in der von Philippus zitierten Fassung geht lt. der Voranstellung des eius und lt. dem Plural opera auf die LXX zurück. Der Konjunktiv sint ist von Hieronymus frei eingeführt, um die Abhängigkeit der Aussage zu unterstreichen. (Diese Modusfunktion ist im Griechischen oder Hebräischen unbekannt.) Der quia-Satz in der von Augustin zitierten Form, die Hieronymus anschließend in die revidierten Fassungen S. und T. übernahm, zeigt ebenfalls die Grundstruktur der LXX (quia magna […] opera), ist aber im Licht des Hebräischen leicht umformuliert: Das Possessivpronomen eius steht jetzt wie das hebräische Suffix hinter seinem Beziehungswort, und der Indikativ sunt spiegelt das Fehlen eines Unterschieds zwischen direkter und indirekter Rede im Hebräischen. Hier hat Hieronymus wieder einmal innerhalb eines Teilverses Elemente verschiedener Vorlagen kombiniert, wahrt aber den Vorrang der LXX. Bei den beiden Fassungen des anschließenden Relativsatzes, den er in O. einmal mit quae (bezogen auf opera) und einmal mit quem (bezogen auf Gott) einleitet, stützt sich Hieronymus dagegen primär auf das Hebräische. Nur dessen indeklinable Relativpartikel ‫ א ֲֶׁש֖ר‬erklärt, warum der Übersetzer beide Konstruktionen und Bezüge für möglich hielt. Außerdem basiert laudauerunt, das in all seinen Fassungen steht, rein auf dem Hebräischen: Das griechische ἦρξαν („sie herrschten“) beruht auf einer Verwechslung der hebräischen Verbwurzeln ‫„( שיר‬besingen“100) und 95 Hinweise bei Ziegler (1982) 29 und 30. 96 Martianay und Sabatier drucken für T. fälschlich quem; ebenso Lagarde für B. 97 Diese starke Nebenüberlieferung liegt vor in: HPT R CUV WXYZ Am. Er. Lovv. Sie lässt auf Varia lectio im Hyparchetypos ω2 zurückschließen. 98 Dt.: „Denke daran, dass du groß machst sein Werk, das (bzw. den) besungen haben Männer“. 99 Dt. lt. Septuaginta Deutsch (2009) 1048: „Erinnere dich, dass seine Werke groß sind, *über die (doch) Männer geherrscht haben.“ 100 Gesenius-Donner (2013) 1348.

Doppelübersetzungen in O. bei Philippus Presbyter  

277

(„herrschen“101). In den revidierten Codices S. und T. hat Hieronymus dann quae vorgezogen. Hier macht sich wieder die dort vielfach beobachtete Präferenz für die griechische Überlieferung bemerkbar; denn nur die Neutrum Plural-Form quae korrespondiert mit dem griechischen Relativpronomen ὧν. In laudauerunt dagegen bleibt die hebräische Vorlage weiter präsent. So stellt auch die revidierte Fassung in S. T. B. wieder eine Konflation aus zwei ursprachlichen Quellen dar, die jedoch typischerweise primär auf dem Griechischen beruht. Aus Augustins Auslegung (591, 18–19) ist hier nicht zu ersehen, ob er den Relativsatz mit quem oder mit quae kommentierte. Deshalb schwankte auch der ω2-Frater, welche Fassung des ihm vorliegenden Codex O. er in seinen Hyparchetypos übernehmen sollte, und setzte – wie die geteilte Überlieferung zeigt, die sowohl Codices aus der Gruppe der Vetustiores als auch aus der Gruppe der Recentiores betrifft – beide Lesarten als Variae lectiones in seinen Text. Hier liegt also ein starker Beleg für Trenklers Vermutung vor, dass die Variae lectiones in der ω2-Tradition angeregt sind von den Doppelübersetzungen in Augustins Textvorlage O., also der Erstfassung der Versio prior des Hieronymus102. ‫שרר‬

Iob 15, 2b Im Lemma Iob 15, 2b sind bei Philippus Presbyter und im ω2-Hyparchetypos der Adnotationes zwei verschiedene Erstübersetzungen aus O. überliefert. Beide Fassungen beruhen auf Konflationen der hebräischen und der griechischen Vorlage. Auch die revidierte Fassung in den Codices S. T. B. ist das Ergebnis einer nochmals veränderten Konflation: 103 104 Lemma: Iob 15, 2b Philippus Presbyter103

Augustin, adn. = O.

Hieronymus, Versio prior

PL 26 (1845) 651 D

Sei./Zei. Zy. 540, 9–10

S. T. B.

Zitierformel: Alia interpretatio ita habet

Hyparchetypos: ω2

Text: Et implebit dolore ventrem suum.

Text: et inpleuit dolore uentrem

M104: ‫ִ ֽוימַ ֵ ּ֖לא קָ ִ ֣דים ִּב ְטנֹֽ ו‬

Text: et inplebit dolore uentrem

LXX: καὶ ἐνέπλησεν πόνον γαστρός

Vulgata lt. Philippus: Et implebit ardore stomachum suum.

Die von Philippus zitierte Variante Et implebit dolore ventrem suum beruht typischerweise hauptsächlich auf dem hebräischen Urtext. Das zeigt neben dem Futur implebit und dem Possessivsuffix suum vor allem die Syntax: Das Substantiv ‫ קָ ִ ֣דים‬ist 101 Gesenius-Donner (2013) 1303. 102 Trenkler (2017) 273–274. 103 Hinweis bei Ziegler (1982) 29. 104 Dt.: „und er wird füllen Gluthauch seinen Bauch.“ Zum glutheißen, drückenden Ostwind aus der Wüste vgl. Gesenius-Donner (2013) 1147 rechts.

278

Reste von O. außerhalb von Hieronymus’ und Augustins Werken 

hier adverbial gebraucht, was Hieronymus mit dem Ablativ dolore korrekt wiedergibt. Dagegen hat die LXX ‫ קָ ִ ֣דים‬als Akkusativobjekt πόνον konstruiert, das eigentliche Objekt uentrem suum als Genetivattribut γαστρός aufgefasst und das Possessivsuffix suum gestrichen. Außerdem hat die LXX das einfache Imperfekt mit ‫ ו‬in M, das Futurbedeutung hat, als Narrativ aufgefasst und mit dem Aorist καὶ ἐνέπλησεν übersetzt. Das Fehlen des Possessivsuffixes und das Perfekt beweisen, dass die in Augustins Adnotationes überlieferte Version et inpleuit dolore uentrem vor allem auf der LXX mit ihrem Aorist ἐνέπλησεν beruht. Trotzdem lassen sich die bei Philippus und bei Augustin belegten beiden Übersetzungen aus O. nicht wie in früheren Fällen einfach der hebräischen bzw. griechischen Vorlage zuordnen, sondern erweisen sich beide als Wiedergaben von Textkombinationen, die erst Hieronymus selbst geschaffen hat. Der bei Philippus überlieferte Text zeigt insofern den Einfluss der LXX, als die Deutung von ‫( קָ ִ ֣דים‬wörtlich „durch glühend heißen Ostwind“) durch dolore von der ähnlich übertragenen Auffassung im griechischen πόνον vorgeprägt ist. Umgekehrt folgt die Übersetzung nach der LXX, die bei Augustin vorliegt, in der syntaktischen Zuordnung von dolore uentrem dem Hebräischen. Schließlich erweist sich auch noch die revidierte Fassung, die Hieronymus in S. vorgeschlagen hat, als nochmals veränderte Konflation: et inplebit dolore uentrem folgt in Tempus und Syntax dem Hebräischen, lässt aber mit der LXX das Possessivpronomen aus. Dieses hat Hieronymus erst in der Vulgata wieder eingesetzt – ein klarer Hinweis, dass er das Pronomen bewusst mit der hebräischen Vorlage assoziierte. Es ist auffällig, dass er in S. an dieser Stelle dem Hebräischen den Vorzug vor dem Griechischen gab105. Umgekehrt macht sich auch noch in der Vulgata in der Wortwahl von ardore für ‫ קָ ִ ֣דים‬die metaphorische Auffassung bemerkbar, die auf den Begriff πόνον der LXX zurückgeht. Iob 39, 23b-24a Hier liegt ein besonders schwieriger Fall vor. Wieder war Hieronymus in O. darauf bedacht, beim Auseinanderfallen seiner hebräischen und griechischen Textvorlagen für jede Sprache einen eigenen Vorschlag zu erarbeiten. Jedoch zeigt sich bei genauerem Hinsehen, dass er auch hier beiden Varianten jeweils einen aus hebräischen und griechischen Details zusammengesetzten Text zugrunde gelegt hat. Vorausgeschickt sei, dass Philippus das vorangehende Teil-Lemma Iob 39, 23ab1 aus der Versio prior nach demselben Wortlaut zitiert, der auch in beiden Hyparchetypoi der Adnotationes106 sowie in den beiden Codices T. und B. der Versio prior107 überliefert ist: super ipsum enim gaudet arcus et gladius. Diese Fassung beruht auf der LXX: ἐπ’ αὐτῷ γαυριᾷ τόξον καὶ μάχαιρα. Die LXX wiederum entspricht weit 105 Vgl. für weitere Parallelen unten Kap. 20, S. 479–484 mit mehreren Beispielen aus Iob 9: vv. 2a, 2b, 3a, 3b und 19b. 106 adn. Iob (621, 9 Zy). 107 S. fehlt hier.

279

Doppelübersetzungen in O. bei Philippus Presbyter  

gehend dem masoretischen Text ‫( ָ֭עלָ יו ִּת ְרנֶ ֣ה אַ ְׁש ָּפ֑ה ַל֖הַ ב‬dt. wörtlich: „Auf / Über ihm klirrt108 Köcher 109 Flamme“), wenn man berücksichtigt, dass das griechische τόξον „Bogen“ zwar nicht „Köcher“ heißt (das wäre φαρέτρα), aber mit dem Köcher immerhin sachlich eng assoziiert ist, und dass das hebräische ‫„( ַל֖הַ ב‬Flamme“) auch für die Klinge des Kurzschwertes gebraucht wird110. Der deutlichste Unterschied zwischen LXX und M zeigt sich im Prädikat: Die Verbform in M gehört zur Wurzel ‫„( רנה‬klingen / klirren“111), während die LXX von der graphisch ähnlichen Wurzel ‫„( רנן‬vor Freude jubeln“112) ausgeht. In der Versio prior folgt Hieronymus mit gaudet von O. bis T. der LXX; erst in der Vulgata wechselt er mit sonabit zum Wortlaut von M. (Sowohl das Präsens γαυριᾷ / gaudet als auch das Futur sonabit sind mögliche Bedeutungen des hebräischen Imperfekts; der Singular statt des eigentlich erforderlichen Plurals entspricht der hebräischen Vorlage113.) Im Kontrast zu dieser einfachen Sachlage ist die Überlieferung des anschließenden Teil-Lemmas sehr unübersichtlich: 114 115 Lemma: Iob 39, 23b-24a Philippus Presbyter114

Augustin, adn. = O.

Hieronymus, Versio prior

PL 26 (1845) 776 A

Sei./Zei. Zy. 621, 15–16 und 16–17

(S. fehlt) T. B.

Zitierformel: In his locis de quibus diximus, alii transtulerunt

Hyparchetypoi

T.

B.

ω1

ω2

Text: lancea, hasta, et tremore

(15–16) lanceaeque hastaeque ­ tremore

(beide Male)

lanceae ­ hastaeque ­ tremore

lanceae ­ hastaeque cum tremore

(16–17) lanceae hastaeque tremore M115 ‫ ( ֲח ִנ ֣ית וְ ִכ ֹֽידון׃‬23b2) ‫( ְּב ַר֣עַ ׁש‬24a1)

lanceae ­ hastaeque ­ tremore

Hexapla: (ἐν) σεισμῷ λόγχης καὶ ἁσπίδος



Vulgata lt. Philippus (775 C) zu Vers 23ab: Super ipsum sonabit pharetra, vibrabit hasta, et clypeus.

108 Im Hebräischen kann bei Aufzählungen mehrerer Subjekte das zugehörige Prädikat in Spitzenstellung im Singular stehen. Diese Eigentümlichkeit haben hier LXX und Hieronymus unverändert übernommen, statt den im Griechischen und Lateinischen eigentlich erforderlichen Plural einzusetzen. 109 Das „und“ ist hier nach dem Vorbild der LXX eingefügt, um zu verdeutlichen, dass es sich bei „Köcher“ und „Flamme“ um die ersten Glieder einer Aufzählung handelt. 110 Gesenius-Donner (2013) 597 rechts. 111 Gesenius-Donner (2013) 1249 links. 112 Gesenius (2013) 1249 rechts. 113 Siehe Anm. 108. 114 Hinweis bei Ziegler (1982) 29. 115 Dt.: (23b2) Lanze und Speer. (24a1) Mit Beben.

280

Reste von O. außerhalb von Hieronymus’ und Augustins Werken 

Der Text der ω2-Überlieferung der Adnotationes (der zweimal wiederholt wird) ist identisch mit T., aber nicht von T. überformt, sondern – wie die lange, gewundene Auslegung der Adnotationes zeigt – die originale Vorlage Augustins. Diese hat also in der Erstfassung O. gestanden. Diese Fassung entspricht in ihrer syntaktischen Grundstruktur der griechischen Hexapla. Deren Lesart (ἐν) σεισμῷ kam so zustande, dass man die erste Wortgruppe ‫ ְּב ַר֣עַ ׁש‬des folgenden hebräischen Verses 24a fälschlich an das Ende von Vers 23b zog116 und anschließend die vorangehenden hebräischen Nominative „Lanze und Speer“ zu abhängigen Genetiven umdeutete. Die Nominative „Lanze und Speer“ setzen eigentlich die in Vers 23a begonnene Aufzählung klirrender Waffen – „Auf / Über ihm klirrt Köcher, Flamme (im Sinne von Schwert)“ – mit zwei weiteren Gliedern „Lanze und Speer“ fort. Die Umdeutung von „Lanze und Speer“ zu Genetiven verstößt gegen die elementaren Regeln der hebräischen Constructus-Verbindung und zeigt ebenso wie die Fehlübersetzung von ‫„( ִכ ֹֽידון‬Speer“) durch ἀσπίς („Schild“), dass der griechische Übersetzer hier mehr oder weniger blind geraten hat. Hieronymus hat in der Versio prior diese fehlerhafte griechische Fassung an zwei Punkten an den hebräischen Urtext angepasst: Er hat die Verwechslung von „Speer“ mit „Schild“ korrigiert und den Ausdruck „mit Beben“ (tremore) wieder ans Ende gerückt. Dagegen hat er den auffälligsten Fehler der Hexapla – die Konstruktion von „Lanze und Speer“ als Genetive – nicht nur in die Erstfassung O. übernommen, sondern auch noch in seiner Endfassung T. stehen lassen, die damit in diesem auffälligen Detail tatsächlich eine Übersetzung der griechischen Überlieferung blieb. Die Vetus Latina-Datenbank enthält keinen Beleg einer möglicherweise früheren Vetus Latina-Fassung dieser Stelle; trotzdem liegt die Vermutung nahe, dass Hieronymus hier von einer bereits eingebürgerten altlateinischen Version nicht abweichen wollte. Insgesamt geht die Versio prior jedenfalls auf eine erst von Hieronymus geschaffene Konflation griechischer und hebräischer Elemente zurück, wie sie gerade für seine Erstfassung O. typisch ist. Das von Philipp aus O. zitierte Textfragment lancea, hasta, et tremore stellt demgegenüber die korrekte wörtliche Übersetzung des hebräischen Textes der beiden Verse 23b2 und 24a1 dar: Lancea und hasta sind hier Nominative, von denen der Ablativ tremore durch den klärenden Zusatz von et abgesetzt wird. (Die instrumentale Präposition ‫„( ב‬durch“) kann in gutem Latein entfallen117.) Allerdings folgt Hieronymus auch hier der Hexapla in der Abteilung der Verse, indem er den Anfang von Vers 24a als Ende von Vers 23b behandelt. Insofern liegt auch dieser Zweitübersetzung wieder eine Konflation der beiden ursprachlichen Vorlagen zugrunde. Jedenfalls zeigt Hieronymus mit dieser zweiten Version in O., dass er sich der hauptsächlichen Problematik der griechischen Vorlage bewusst war.

116 Diese Analyse findet sich bei Beer (Studien 1898) 279. 117 Vgl. die von Trenkler (2017) 215–216 dargestellte Tilgung des hebräischen instrumentalen in durch den ω2-Frater in Augustins Adnotationes.

Doppelübersetzungen in O. bei Philippus Presbyter  

281

Wieder zitiert Philipp die auf dem Hebräischen beruhende Übersetzung aus O., während Augustin die auf dem Griechischen basierende Fassung wählt, die Hieronymus – wie es typisch ist – nach dem Zeugnis von T. bei der Revision allein stehen ließ. Es bleiben zwei Details zu klären: Die ω1-Fassung bei Augustin mit dem doppelten -que…-que hat keinen Anhalt in den Urtexten; überdies kommt sie nur beim ersten der beiden Zitate in den Adnotationes vor. Sie ist deshalb als rein innerlateinische stilistische Verbesserung des ω1-Fraters zu werten, wie sie Trenkler auch anderen Ortes nachgewiesen hat118. Wie kommt der Kompilator des Hieronymus-Codex B. zu seiner Formulierung cum tremore? Weil die Vulgata ganz anders lautet, handelt es sich nicht um eine Kontamination von B. aus der Vulgata. Ferner gab es bisher zwar Beispiele dafür, dass der Verfasser von B. Elemente seiner Vorlagen, also von O. und T. bzw. von den Doppelübersetzungen in O., zu einem neuen Text kombinierte119, aber noch keinen Beleg für eine von ihm frei eingeführte eigene Konjektur. Deshalb halte ich für wahrscheinlich, dass die Lesart cum tremore einen anderen Hintergrund hat. Wie sich schon oft erwies, hat B. einen Teil seiner Lesarten aus O. entnommen. Der Ausdruck cum tremore kann also m. E. ebenfalls in O. gestanden haben – als eine von Hieronymus selbst zum bloßen Ablativ tremore entwickelte Variante zur Übersetzung von ‫ ְּב ַר֣עַ ׁש‬, also des hebräischen Anfangs von V. 24a. Der bloße Ablativ tremore verbindet sich über das zugesetzte et nur notdürftig mit den vorangehenden Nominativen lancea und hasta und hängt bedenklich in der Luft. Deshalb mag die freie Übersetzung mit cum tremore in Hieronymus’ Augen die Kohärenz der Stelle verbessert haben. Dass Hieronymus in O. nicht nur Doppel-, sondern Mehrfachübersetzungen vorgeschlagen hat, lässt sich auch an anderen Stellen nachweisen oder wahrscheinlich machen. Vielleicht geht diese Überlegung und freie Übersetzung aber auch erst auf einen späteren Bearbeiter des Codex T., also die Schicht T. II zurück, die – wie oben gezeigt – Konjekturen enthielt und aus der B. auch an anderer Stelle geschöpft hat120.

11.6 Doppelübersetzungen einer einzigen Textvorlage Alle bisher besprochenen Doppel- oder Mehrfachübersetzungen in O., die aus den Zitaten bei Philippus Presbyter zu erschließen waren, beruhten auf verschiedenen ursprachlichen Vorlagen. Ich habe von dieser Regel nur zwei Ausnahmen gefunden.

118 Trenkler (2017) 231–234 mit mehreren Belegen für frei zugesetztes -que bzw. et. 119 Vgl. die wenigen Stellen oben S. 267, Anm. 57. 120 Vgl. Kap. 6, S. 112–114.

282

Reste von O. außerhalb von Hieronymus’ und Augustins Werken 

Iob 37, 21b Die erste steht im Lemma Iob 37, 21b. Dort stützt sich Hieronymus allein auf die griechische Hauptüberlieferung: Denn während die Aussage in M, „leuchtend er in den Wolken“, im Maskulinum steht und sich auf Gott bezieht, folgt Hieronymus mit seiner verdeutlichenden Übersetzung lumen, quod der griechischen Konstruktion τηλαυγές ἐστιν, die im Neutrum steht: 121 122 123 Lemma: Iob 37, 21b Philippus Presbyter121

Augustin, adn. = O.

Hieronymus, Versio prior

PL 26 (1845) 744 C

Sei./Zei. Zy. 598, 15

S.

Zitierformel: Alii dixerunt

Hyparchetypoi: ω1 und ω2

Text: lumen, quod fulget in ­ nubibus

Text: lumen, quod refulget in nubibus

T.

B.

Text: lumen, quod refulgit122

refulget

fulget

in ­nubibus M123: ‫ּבָ ִ ֣היר הּ֭וא ּבַ ְּׁשחָ ִ ֑קים‬

Hexapla sub *: τηλαυγές ἐστιν ἐν τοῖς παλαιώμασιν

Vulgata lt. Philippus (744 B–C): Subito aer cogetur in nubes

Die Doppelübersetzung in O. wird hier von Philippus (fulget) und Augustin (refulget) bezeugt. Augustins ganze Auslegung beruht auf refulget, wie die Wiederaufnahme des Kompositums in Zy 598, 17 und 20 beweist. Dadurch ist die Lesart refulget neben dem fulget bei Philipp schon für O. gesichert. Dass Augustin seinerseits fulget neben refulget in seiner Vorlage O. vorfand, erklärt, warum er in Zeilen 19–23 fulget aus inhaltlichen Gründen ausführlich zurückweist124. Auch Hieronymus hat sich in S. und T. für das Kompositum refulget entschieden, während der Kompilator von B. die andere Variante aus O. vorzog. Hieronymus’ Doppelübersetzung in O. mit fulget und refulget erklärt sich in diesem Fall also nicht durch verschiedene Textvorlagen, sondern aus seiner Unschlüssigkeit, wie der griechische Text am besten zu verstehen sei.

121 Hinweise bei Ziegler (1982) 29 und 30. Kein Verweis bei Vattioni (1996) 31. 122 Zu altlateinischen Formen von fulgere nach der 3. statt wie klassisch nach der 2. Konjugation vgl. Rönsch (1875) 284 und TLL 6.1.1507.48–78 s. v. fulgeo / fulgo. 123 Dt.: „leuchtend er in den Wolken“. 124 In diesem Zusammenhang fällt auf, dass Augustin bei seiner Exegese bereits die nächsten Hiob-Verse mit im Blick hat: Das Zitat von Rm 1, 22, mit dem er seine Zurückweisung von fulget beschließt (590, 22–23), liest sich wie eine Paraphrase von Iob 37, 24, also dem Schlussvers des­ Kapitels. Tatsächlich spielt Augustin dann am Ende seines Kommentars zu Kapitel 37 auf diesen Teilvers 24 mit einem erneuten Hinweis auf Rm 1, 22 (599, 28–600, 1) nur noch an.

Doppelübersetzungen in O. bei Philippus Presbyter  

283

Iob 38, 25a In einem weiteren Beispiel dieser Art (Iob 38, 25a) geht es nicht einmal um eine Differenz im Sinn, sondern nur um die optimale Wortstellung. Dort stehen die Varianten Quis praeparauit pluuiae ualidae flumen? und Quis praeparauit flumen ualidae pluuiae? nebeneinander. Weil dieser Fall jedoch nur durch eine detaillierte Analyse der langen Auslegung der Adnotationes verständlich zu machen ist, behandle ich ihn erst am Ende von Kapitel 17125, in dem weitere Belege für Doppelübersetzungen aus den Adnotationes zur Sprache kommen.

125 Kap. 17, S. 419–422.

E. Der Hiob-Kommentar des Philippus Presbyter: Kapitel 10–12 Kapitel 12: Schwierige Philippus-Zitate aus der Erstfassung O. 12.1 Die Aufgabe In den beiden vorangehenden Kapiteln wurde zunächst gezeigt, dass die Hiob-Zitate, die von Philippus Presbyter als Alternativen zum Vulgata-Text angeführt werden, der Erstfassung O. der Versio prior des Hieronymus entnommen sind. Sodann erwies es sich als möglich, durch den Vergleich zwischen den Zitaten bei Philippus, bei Augustin und bei Hieronymus unter Berücksichtigung der hebräischen und griechischen Textvorlagen in dieser Erstfassung O. eine Reihe von bisher unvermuteten Doppel- oder sogar Mehrfach-Übersetzungen nachzuweisen. In den bisherigen Ausführungen zu Philippus Presbyter habe ich mich im Interesse einer stringenten Beweisführung auf solche Hiob-Zitate konzentriert, die m. E. sicher überliefert sind und deshalb problemlos zu den Zitaten bei Hieronymus und Augustin sowie zu den Urtexten in Beziehung gesetzt werden konnten. Im vorliegenden letzten Kapitel zu den Spuren der Versio prior bei Philippus bespreche ich jetzt solche Hiob-Zitate, die schwieriger einzuschätzen sind und teilweise erst im Licht der bisher erzielten Ergebnisse verständlich werden. Ich beginne die folgenden Erörterungen mit solchen Stellen, die zwar Schwierigkeiten bereiten, aber m. E. schließlich doch zufriedenstellend erklärt und für die Rekonstruktion von O. ausgewertet werden können. Im weiteren Verlauf der Analyse geht es dann zunächst um Stellen, an denen die Überlieferungslage eine eindeutige Klärung der Verhältnisse in der Regel nicht mehr zulässt. Ich schließe mit der Diskussion einiger besonders intrikater Einzelstellen. Insgesamt führt dieses Kapitel zu dem Ergebnis, dass zwar einige schwierige Stellen befriedigend erklärbar sind, dass aber die Zitate bei Philippus – ebenso wie die spanischen Glossen  – durchaus nicht ausnahmslos zu einer eindeutigen Rekonstruktion der Erstfassung O. herangezogen werden können.

12.2 Doppelübersetzung im Vergleich Philippus – Augustin An vier Stellen ist es möglich, durch den Vergleich zwischen den bei Philippus und Augustin verschieden überlieferten Lesarten eine bisher unbekannte Doppelübersetzung in ihrer gemeinsamen Vorlage O. zu erschließen. Der Faktor, der die Analyse erschwert, liegt in allen Fällen darin, dass jeweils einer der beiden Kommentatoren in seinem Lemma eine zweifelhafte oder sogar eindeutig falsche Lesart bietet.

Schwierige Philippus-Zitate aus der Erstfassung O.  

285

Iob 37, 23b Im Lemma Iob 37, 23b könnte man zunächst meinen, es liege sowohl bei Philippus als auch bei Augustin ein Überlieferungsfehler vor: 1 2 Lemma: Iob 37, 23b Philippus Presbyter1

Augustin, adn. = O.

Hieronymus, Versio prior

PL 26 (1845) 745 B

Sei./Zei. Zy. 599, 17–18

S. T. B.

Zitierformel: Alii dixerunt

Hyparchetypoi: ω1-Linie ω2-Linie

Text: Qui iuste iudicat, non putas audire eum?

Text: qui iuste iudicat, non potest

non ­putas

Text: Qui iuste iudicat, non ­ putas exaudire eum?

exaudire eum? M2: ‫ב־צ ָד ָ֗קה‬ ְ֝ ‫ר‬ ֹ ְ‫ּפט ו‬ ֥ ָ ‫ּומ ְׁש‬ ִ ַ‫כח‬ ֹ ֑ ‫ׂשַ ּגִ יא־‬

LXX: ὁ τὰ δίκαια κρίνων, οὐκ οἴει ἐπακούειν αὐτόν;

‫ל ֹא יְ עַ ּנֶ ֽה‬ ֣

Vulgata lt. Philippus (745 A): Magnus fortitudine et judicio et justitia, et enarrari non potest.

In diesem Lemma gibt es zwei schwierige Details: Erstens zitiert Philippus das Simplex audire, während alle anderen Zeugen das Kompositum exaudire bieten. Zweitens überliefert die ω1-Tradition der Adnotationes die Form potest, wo alle anderen Zeugen putas lesen. Damit ändern sich auch die Syntax und der Bezug des eum: Von non putas hängt ein AcI ab mit der Bedeutung „glaubst du nicht, dass er (= Gott) erhört?“, von potest dagegen hängt ein Infinitiv mit Akkusativobjekt ab mit der Bedeutung „kann er (=Gott) ihn (=den Menschen) nicht erhören?“ Auf den ersten Blick liegt es nahe, sowohl das audire des Philippus als auch das potest der ω1-Tradition für bloße Kopierfehler der Überlieferung zu halten. Dafür könnte man die völlige Übereinstimmung ins Feld führen, die zwischen dem LXXText, der ω2-Überlieferung der Adnotationes und den revidierten Hieronymus-Codices S. T. B. besteht. Da Augustin in seiner Auslegung (599, 21) den Begriff exaudiat wiederaufnimmt, hat auch er schon dieses Kompositum in seiner Vorlage O. gelesen; diese Version ist also nicht etwa erst nachträglich von dem ω2-Frater aus T. in Augustins Text eingeschleust worden. Damit dürfte bewiesen sein, dass die ω2-Version, die exakt die LXX wiedergibt, schon in Hieronymus’ Erstfassung O. enthalten war und nicht erst in der Revision in S. entwickelt wurde. Auf den zweiten Blick lässt sich aber argumentieren, dass die beiden abweichenden Lesarten (Philipps audire sowie das potest der ω1-Überlieferung) keine Kopier 1 Hinweise bei Ziegler (1982) 29 und 30. 2 Dt.: groß an Kraft und Recht, und Reichtum an Gerechtigkeit wird er nicht beugen/ beugt er nicht.

286

Reste von O. außerhalb von Hieronymus’ und Augustins Werken 

versehen sind, sondern darauf zurückschließen lassen, dass Hieronymus in O. wie so oft auch hier noch eine zweite Übersetzung vorschlug, in der das Hebräische stärker berücksichtigt war, die er aber – wie üblich – bei der Revision in S. wieder fallen ließ. Für audire als Hebraismus (statt des exaudire als Übersetzung des griechischen ἐπακούειν) kann man auf die anderen Stellen verweisen, an denen ein Simplex in der Übersetzung aus dem Hebräischen einem Kompositum in der Übersetzung aus dem Griechischen gegenüberstand3. Für potest als bewussten Hebraismus spricht, dass Hieronymus auch in der Vulgata das hebräische Imperfekt an dieser Stelle mit potest umschreibt: et enarrari non potest. (Auch sonst kommt diese Deutung eines hebräischen Imperfekts in seiner Hiob-Übersetzung vor4.) Der Unterschied zur Vulgata besteht darin, dass Hieronymus hier bei non potest exaudire eum die Verbform als Qal vokalisiert und vermutlich genau wie die Vorlage der LXX – über M hinaus – noch das Suffix für eum vorgefunden hat, während er in der Vulgata das Prädikat als Nif ’al vokalisiert, das als Passivform kein Suffix annehmen kann und also denselben Konsonantenbestand aufweist wie die Qal-Form in M. Wenn diese Überlegungen zutreffen, hätte Hieronymus in O. auch noch die alternative Übersetzung Qui iuste iudicat, non potest audire eum? zur Wahl gestellt. Eine gewisse Bestätigung für die Vermutung, dass Augustin auch diese Fassung in O. vor Augen hatte und ebenfalls in seinem Text anklingen lassen wollte, kann man in der Formulierung seines Kommentars finden, wonach der Sünder (599, 20–21) certus est de iustitia dei, sub qua non potest esse inpunitus. Bei den nächsten drei Beispielen ist die Überlieferung der Versio prior-Zitate bei Philippus teilweise fehlerhaft. Fehlerhafte Stellen wurden auch schon in Kapitel 10 besprochen. Das Besondere an den folgenden Beispielen ist aber, dass man bei ihrer Analyse auf die Spur von Doppelübersetzungen in der Erstfassung O. stößt. Iob 37, 5a Ein Fehler der Überlieferung liegt im Migne-Text des Lemmas Iob 37, 5a vor. Das Zitat bei Migne unterscheidet sich dort nämlich nicht von der Vulgata: In beiden Fällen heißt es in dem überlieferten Text: tonabit Deus. Der richtige Wortlaut to­ nabit fortis steht bei Sichardus: 5 6 Lemma: Iob 37, 5a Philippus Presbyter5

Augustin, adn. = O.

Hieronymus, Versio prior

Migne: PL 26 (1845) 740 A Sichardus: p. 163 A s. init.6

Sei./Zei. Zy. 594, 18–19

S. T. B.

3 Vgl. Kap. 2, Beleg 14; Kap. 4, Beleg 41; Kap. 5, Beleg 60; Kap. 6, Tabelle 24; Kap. 8, S. 173 u. ö. 4 Vgl. Kap. 14, S. 349 mit Anm. 56 und Kap. 20, S. 480. In dieser Deutung war ihm die LXX vorangegangen; vgl. dazu Kap. 3, Beleg 24 mit Anm. 22. 5 Hinweis bei Ziegler (1982) 29. 6 Digitalisat S. 191.

287

Schwierige Philippus-Zitate aus der Erstfassung O.   7 8 9 10

Philippus Presbyter

Augustin, adn. = O.

Hieronymus, Versio prior

Zitierformel: Alii dixerunt

Hyparchetypoi: ω1 und ω2

S. T.

B.

Texte: Migne: tonabit Deus Sichardus: Tonabit fortis7

ω1 tonauit8

tonabit

tonauit9

M10: ‫י ְַר ֵע ֤ם ֵא֣ל‬

ω2 tonabit fortis

fortis

LXX: βροντήσει ὁ ἰσχυρός

Vulgata lt. Philippus: Tonabit Deus in voce sua mirabiliter, qui fecit magna et inscrutabilia

Wie das Zitat bei Sichardus zeigt, interessierte sich Philippus für den Unterschied der Übersetzungen zwischen Deus und der Umschreibung der Gottesbezeichnung durch fortis. Diese ist jedoch für alle Revisionsschichten der Versio prior bereits durch Augustin und die drei Hieronymus-Codices S. T. B. nachgewiesen. Für die Rekonstruktion der Erstfassung O. ist deshalb interessanter, dass sowohl Migne als auch Sichardus bezeugen, dass Philippus in seinem Exemplar der Versio prior, also einer Abschrift von O., das Futur tonabit vorfand. Trenkler nämlich hat das Perfekt tonauit der ω1-Überlieferung der Adnotationes aus dem Kontext von Augustins Kommentar als Lesart der Erstfassung O. er­ wiesen11. Tonauit geht also nicht auf einen Überlieferungsfehler zurück, sondern erklärt sich aus Hieronymus’ Neigung, das hebräische Imperfekt als Vergangenheitstempus zu deuten12. Da nun Migne und Sichardus bezeugen, dass Philippus in O. das Futur tonabit vorfand, sichern sie für O. die Doppelübersetzung von tonabit und tonauit. Ohne den Beleg bei Philippus müsste man schließen, dass der ω2-Frater das Futur tonabit aus T. in die ω2-Tradition der Adnotationes eingeführt hätte13. So kann man jetzt zutreffender urteilen, dass der Frater – gegen Augustins Intention – das in O. vorliegende alternative Futur tonabit vermutlich deshalb wählte, weil es auch Hieronymus in T. vorgezogen hatte. 7 Das Zitat aus der alternativen Übersetzung geht bei Sichardus noch weiter mit den Worten in uoce sua mirabiliter, qui fecit magna et inscrutabilia. Dies ist nur halb richtig. Man muss unterscheiden: Die Wendung in uoce sua mirabiliter steht sowohl in der Versio prior als auch in der Vulgata. Der Relativsatz qui fecit magna et inscrutabilia gehört dagegen nur zur Vulgata. Die Versio prior liest dort lt. der einhelligen Überlieferung bei Augustin (594, 22–23) und in den Codices S. T. B. fecit enim magna, quae nesciebamus. 8 Lt. Fragment-Codex A. 9 Lagarde dokumentiert in der Anmerkung richtig das Perfekt tonauit im Codex B., druckt aber im Text das Futur tonabit von T. 10 Dt.: „Gott wird donnern lassen“; bei Auffassung des Imperfekts als Vergangenheitstempus: „Gott ließ donnern“. 11 Trenkler (2017) Kap. 15, Beleg 3. 12 Vgl. Kap. 3, Beleg 22 mit Anm. 16. 13 Trenkler (2017) Kap. 15, Beleg 3.

288

Reste von O. außerhalb von Hieronymus’ und Augustins Werken 

Damit liegt aber im Grunde wieder ein einfacher Fall vor: Hieronymus hat in O. wieder sowohl den hebräischen als auch den griechischen Urtext nebeneinander übersetzt: Der hebräische Text führte zu tonauit Deus, die griechische Vorlage (in der das Wort „Gott“ durch ὁ ἰσχυρός umschrieben wurde) zu tonabit fortis. Hieronymus’ Vorgehen bei den Revisionen entspricht genau den Erwartungen, die sich aus den Beobachtungen in den obigen Kapiteln 2 bis 5 ergeben: In S. beschränkt er sich auf die Übersetzung der griechischen Vorlage, die er in T. festhält, aber in der Vulgata aufgrund der hebräischen Vorlage ändert: Dort gibt deus das Hebräische ‫ ֵא֣ל‬wieder. Bei der Interpretation des hebräischen Tempus dagegen orientierte sich Hieronymus in der Vulgata wieder einmal an der LXX14: Er gab jetzt seine frühere Deutung des hebräischen Imperfekts als Vergangenheitstempus auf und übernahm aus der LXX die übliche Deutung als Futur. Augustin hat mit tonauit fortis in diesem Fall aus den beiden Vorschlägen in O. seine eigene eklektische Mischung geschaffen. Dass er die Lesart fortis kommentierte, wird aus seinem Hinweis auf die fortitudo Christi im Kontrast zur menschlichen infirmitas (594, 19–22) deutlich. Ebenso eklektisch wie Augustin ist auch der Kompilator von B. verfahren. Iob 38, 17a Das Lemma Iob 38, 17a ist sogar in beiden vorliegenden Philippus-Editionen nur fehlerhaft überliefert. Wieder führt die Analyse des Problems auf eine Doppelübersetzung in O. Der Fehler bei Migne besteht erneut darin, dass das Zitat der Versio prior mit dem Wortlaut der Vulgata übereinstimmt: Es fehlt bei Migne das entscheidende Stichwort metu, das die Versio prior von der Vulgata unterscheidet. Bei Sichardus ist metu richtig überliefert; in seiner Edition liegt stattdessen mit aperti (statt richtig apertae) ein Verstoß gegen die Kongruenz der Genera vor: 15 16 Lemma: Iob 38, 17a Philippus Presbyter15

Augustin, adn. = O.

Hieronymus, Versio prior

Migne (PL 26, 1845) 753 C s. fin. Sichardus p. 173 B s. fin.16

Sei./Zei. Zy 605, 10–11

T. B. (S. fehlt)

Zitierformel: Migne: antiqui interpretes ita dixerunt; Sichardus: antiqui interpretes dixerunt ita

Hyparchetypoi: ω1 und ω2

14 Vgl. Kap. 3, Belege 22–29. 15 Ziegler (1982) 29–30 gibt auf diese Stelle keinen Hinweis. 16 Digitalisat S. 201.

Schwierige Philippus-Zitate aus der Erstfassung O.   17 18 19

289

Philippus Presbyter

Augustin, adn. = O.

Hieronymus, Versio prior (S. fehlt)

Text: Migne: Numquid apertae sunt tibi portae mortis? Sichardus: Nunquid aperti (!) sunt tibi metu (!) portae mortis?

Text: aut tibi aperiuntur17 metu portae mortis?

aut tibi aperiuntur18 metu portae mortis?

LXX: ἀνοίγονται δέ σοι φόβῳ πύλαι θανάτου;

ָ ‫ע ֵר‬ ֲ ַ‫הנִ גְ ל֣ ּו ְלָ֭ך ׁש‬ ֲ M19: ‫י־מ֑ ֶות‬

Vulgata lt. Philippus: Numquid apertae sunt tibi portae mortis?

Der Begriff metu geht auf die LXX zurück, wo φόβῳ als erklärender Zusatz ohne Anhalt im Hebräischen in den Satz eingefügt wurde. Dass Philippus auch in der Fassung von Migne auf den für die Versio prior charakteristischen Zusatz von metu hinaus will, ergibt sich aus seiner folgenden Interpretation, wo er von portae, quae utique metuuntur spricht20. Die Zitate bei Migne und Sichardus stimmen im Tempus apertae/aperti sunt überein. Sie unterscheiden sich aber in diesem Punkt von der Überlieferung bei Augustin und in den Hieronymus-Codices T. B., die alle das Präsens aperiuntur bieten. Das Präsens in den Adnotationes ist aber nicht erst von den Fratres aus T. eingetragen, sondern hat schon in Augustins Vorlage O. gestanden. Das wird dadurch bewiesen, dass der Bischof in seinem Kommentar (605, 11–13) das Stichwort aperiuntur gleich zweimal im Präsens wieder aufnimmt. Es lag also wieder eine typische Doppelübersetzung in O. vor: Das Perfekt Passiv apertae sunt entspricht dem hebräischen Perfekt Nif ’al ‫נִ גְ ל֣ ּו‬, das Präsens aperiuntur gibt das griechische ἀνοίγονται wieder. Philippus zitiert wie üblich die Übersetzung nach dem Hebräischen, während Augustin die Version nach dem Griechischen bevorzugt. Iob 39, 20b Wie die folgende Übersicht zeigt, ist dieses Lemma stark verderbt: 21 22 Lemma: Iob 39, 20b Philippus Presbyter21

Augustin, adn. = O.

Hieronymus, Versio prior

Migne PL 26 (1845) 774 D22

Sei./Zei. Zy. 620, 22–23

T. B. (S. fehlt)

17 FKN aperiunt; WX aperiantur. 18 T. apperiuntur. 19 Dt.: Wurden etwa für dich geöffnet die Tore des Todes? 20 PL 26 (1845) 753 C fin. 21 Hinweis bei Ziegler (1982) 29.  22 Derselbe Text auch bei Sichardus, p. 190 D (Digitalisat S. 218).

290

Reste von O. außerhalb von Hieronymus’ und Augustins Werken 

23 24 25 26 27 28 29 30

Hieronymus, Versio prior (S. fehlt)

Philippus Presbyter

Augustin, adn. = O.

Zitierformel: Sive ut alii dixerunt

Hyparchetypos: ω2

Text: Gloria pectora eius audacia.

Text: et gloriae pectoris23 eius audacia

M27: ‫התַ ְר ִעיׁשֶ ּנּו ּכָ אַ ְר ֶּב֑ה הֹ֖ וד‬ ְֽ֭

LXX Hauptüberlieferung: περιέθηκας δὲ αὐτῷ πανοπλίαν, δόξαν δὲ στηθέων αὐτοῦ τόλμη;28 LXX Nebenüberlieferungen29: Bieten statt δόξαν sowohl den Nom. δόξα als auch den Dativ δόξῃ sowie statt τόλμη auch den Nom. τόλμα und den Akk. τόλμαν / τόλμην.

‫ימה‬ ֽ ָ ֵ‫נ ְַח ֹ֣ר ו א‬

T. et gloria24 pectoris eius audacia

B. et gloriae25 pectoris eius audaciam26

Vulgata lt. Philippus30: Gloria narium ejus terror.

Zunächst ein Blick auf die urtextlichen Vorlagen: Der masoretische Text liegt der Vulgata zugrunde, scheidet aber als Vorlage für die Versio prior zunächst einmal aus. Für die Versio prior kommen also primär nur griechische Varianten in Frage. Der Akkusativ δόξαν der Hauptüberlieferung kommt jedoch in keinem lateinischen Text vor; hier wechseln sich nur der Nominativ gloria und der Dativ gloriae ab. Am Kolonende stehen drei Kasus zur Wahl: der Nominativ audacia, der Akkusativ audaciam und der Ablativ audacia. Von diesen fünf Formen entspricht nur die letzte – der Ablativ audacia als Äquivalent des griechischen instrumentalen Dativs τόλμῃ – der griechischen Hauptüberlieferung. Im vorliegenden Lemma Iob 39, 20b hat sich also Hieronymus offensichtlich auf ein Sammelsurium griechischer Nebenüberlieferungen gestützt. Worin besteht die Schwierigkeit des bei Philippus überlieferten Zitats? Die einzige Wortgruppe, die im Griechischen ohne Varianten überliefert ist, ist δὲ στηθέων αὐτοῦ. Ausgerechnet sie ist nun aber in der Notiz des Philipp verändert: Es fehlt das einleitende et als Äquivalent des δὲ31, und statt des Genetivs pectoris bietet Philippus die Form pectora. Während die Auslassung von et als lässliche Frei-

23 Z pecctoris, M peccatoris. 24 Vallarsi und Migne drucken fälschlich gloriae. Der Fehler wurde von Ziegler (1982) 394 im 1. Apparat übernommen. 25 Lagarde falsch: gloria. 26 Lagarde falsch: audacia. 27 Dt.: Wirst du es (sc. das Schlachtroß) tatsächlich springen lassen wie die Heuschrecke? Die Pracht seines Schnaubens Schrecken. 28 Dt. lt. der Übersetzung in der Septuaginta Deutsch ((2009) 1052: „Und hast du ihm die volle Rüstung umgelegt und den Glanz seiner Brust mit Mut?“ 29 Vgl. Ziegler (1982) 394. 30 Dt.: Der Ruhm seiner Nüstern Schrecken. 31 Vgl. dazu Gailey (1945) 144–153 sowie Ziegler (1982) 75–77 und 122–123.

Schwierige Philippus-Zitate aus der Erstfassung O.  

291

heit wenig zu besagen hat32, muss pectora ein Fehler sein, weil es im Kontext nicht zu konstruieren ist. Vermutlich liegt eine falsche Anpassung an gloria und audacia vor. Welche der in der Versio prior überlieferten Texte ergeben denn aber überhaupt einen Sinn? Wenn man bei Philippus den Fehler pectora im Licht des griechischen στηθέων zum Genetiv pectoris verbessert, dann bietet der Presbyter denselben Text wie T.: et gloria pectoris eius audacia. Diese Fassung ist ein Nominalsatz mit dem guten Sinn „und der Ruhm seiner Brust ist die Kühnheit.“ Allerdings wird bei dieser Konstruktion der griechische Fragesatz in einen Aussagesatz verwandelt. Der aber weist genau die syntaktische Struktur von M auf. Ich halte es deshalb für wahrscheinlich, dass die Lesart von T. schon in Philipps Vorlage O. gestanden hat und als Konflation der hebräischen Syntax mit den Begriffen der LXX zu erklären ist. Mit diesen Überlegungen sind die in Augustins Adnotationes und in B. überlieferten Fassungen noch nicht erklärt. Davon ist nur der Text von B. ohne Änderung konstruierbar und ergibt auch guten Sinn als Fortsetzung des vorangehenden Fragesatzes in Iob 39, 20a: Die Frage „und hast du ihm die volle Rüstung umgelegt?“ wird fortgesetzt mit „und die Kühnheit für den Ruhm seiner Brust?“ Hier wird deutlich, dass die Fassung von B. syntaktisch aus Elementen der griechischen Nebenüberlieferungen kombiniert ist. Nun wurde bisher schon immer wieder deutlich, dass B. entweder auf O. oder auf T. zurückgeht. Weil B. an der vorliegenden Stelle von T. abweicht und sich zugleich als sinnvolle Wiedergabe von LXX-Elementen erweist, dürfte seine Lesart auch hier wieder auf O. zurückgehen. Damit ist für O. wieder eine Doppelübersetzung nachgewiesen: Die (emendierte) Version des Philippus und die direkt überlieferte Fassung von B. sind beide in ihrer Art Konflationen, wie sie für O. typisch sind. Augustins Text et gloriae pectoris33 eius audacia ist so, wie er überliefert ist und in allen Editionen steht, nicht sinnvoll konstruierbar. Er ist aber leicht an jede der beiden Fassungen, die hier für O. erschlossen wurden, anzupassen: Wenn man gloriae in gloria ändert, erhält man die in T. erhaltene und für Philipp erschlossene Variante; wenn man audacia in audaciam ändert, erhält man die Fassung von B., die ebenfalls auf O. zurückgeführt werden kann. Die These, dass O. auch hier wieder eine Doppelübersetzung enthielt, kann überdies erklären, wie die fehlerhafte Lesart in Augustins Archetypos ω hineingeriet: Der Kopist, der das im Stenogramm nur angedeutete Lemma aus dem HiobCodex O. vervollständigen wollte, hat Elemente beider Fassungen vermischt, weil er sich den Sinn der Stelle nicht klar machte. Zuletzt bleibt zu klären, welcher Text denn Augustins Auslegung zugrunde liegt.

32 Vgl. die Beispiele oben in Kap. 10, S. 244–246. 33 Z pecctoris, M peccatoris.

292

Reste von O. außerhalb von Hieronymus’ und Augustins Werken 

Seine Formulierung (620, 24–25) gloria uero pectoris est conscientia opus hominis probans zeigt, dass er den „Ruhm der Brust“ in der Gewissenserforschung des Märtyrers sieht, der hier durch das Schlachtross symbolisiert wird. Daraus folgt, dass Augustin aus seiner Vorlage O. den von B. vertretenen Text für seine Auslegung ausgewählt hat: et gloriae pectoris eius audaciam? und ihn als Frage verstanden hat: „und hast du zu seiner Gewissenserforschung den Mut verliehen?“ Damit bietet sich noch eine einfachere Erklärung für den Überlieferungsfehler in den Augustin-Codices an: Vielleicht war im Archetypos ω bei audaciam die­ Nasaltilde so schwach ausgeprägt, dass der Frater audacia las. Allerdings kann er sich nicht die Mühe gemacht haben, diese Lesart auch gedanklich nachzuvollziehen.

12.3 Doppelübersetzung in O. fraglich Die schwierige Überlieferungslage lässt in manchen Fällen zwar – genau wie bei den spanischen Glossen – die Rekonstruktion einer Lesart in O. zu, macht aber eine Entscheidung über Doppelübersetzungen in O. unmöglich.

12.3.1 Adnotationes zum Vergleich vorhanden An den entsprechenden Stellen kommen jeweils vier Aspekte zusammen: – Obwohl Philippus und Augustin nach den bisher dargelegten Befunden beide die Erstfassung O. der Versio prior zitieren, ist das betreffende Lemma bei ihnen trotzdem in verschiedener Fassung überliefert. – Die Lesart der Adnotationes ist einhellig überliefert. Wo auch die Fragmente des Hyparchetypos ω1 erhalten sind, stimmt ihr Wortlaut mit dem ω2-Hyparchetypos überein. – Zugleich steht die Lesart der Adnotationes auch in der Endfassung T. der Versio prior. – Aus Augustins Kommentar lässt sich nicht rückschließen, welchen Wortlaut er in seiner Vorlage O. vorfand. Wenn diese vier Bedingungen erfüllt sind, lässt sich die Überlieferungslage im Licht der bisher von Trenkler und in der vorliegenden Arbeit erzielten Ergebnisse in zwei verschiedenen Weisen erklären. Entweder lag eine Doppelübersetzung in O. vor. Philippus und Augustin trafen daraus eine verschiedene Wahl. Hieronymus entschied sich bei der Revision (sei es schon in S. oder erst in T.) für die bereits von Augustin bevorzugte Variante. Oder die Erstfassung O. enthielt nur die bei Philippus überlieferte Lesart. Hieronymus entschied sich bei der Revision (sei es schon in S. oder erst in T.) für eine andere Variante. Dann müsste auch Augustin ursprünglich die Lesart des Philippus kommentiert haben. Jedoch wurde sein Zitat aus O. anschließend von jedem

Schwierige Philippus-Zitate aus der Erstfassung O.  

293

der beiden Fratres, dessen Hyparchetypos an der Stelle erhalten ist, durch die revidierte Lesart aus T. überschrieben. Die Fratres hätten ohne Schwierigkeiten deshalb so verfahren können, weil Augustins Kommentare an diesen Stellen nicht so spezifisch auf die Lesarten von O. zugeschnitten waren, dass sie nicht auch mit den Fassungen aus T. vereinbar gewesen wären. Wenn die zweite Möglichkeit zuträfe, würde sich die von Trenkler festgestellte überraschend kleine Zahl von Stellen, an denen beide Fratres denselben Tausch zwischen Lesarten von O. und von T. vollzogen haben34, um zwei Belege erhöhen35. Obwohl eine Entscheidung zwischen diesen Alternativen für eine eindeutige Rekonstruktion sowohl der Erstfassung O. der Versio prior als auch des Archetypos ω der Adnotationes notwendig wäre, erweist sie sich m. E. doch als unmöglich. Unbestritten bleibt in beiden Fällen nur, dass die bei Philippus überlieferte Lesart aus O. stammt. Im Folgenden teile ich die Fälle danach ein, ob in den Adnotationes nur der ω2Hyparchetypos erhalten ist oder beide Hyparchetypoi tradiert sind. Beide Gruppen umfassen je zwei Beispiele. An den folgenden beiden Stellen ist lediglich der ω2- Hyparchetypos überliefert: Iob 15, 27b 36 37 38 Lemma: Iob 15, 27b Philippus Presbyter36

Augustin, adn. = O.

Hieronymus, Versio prior

PL 26 (1845) 655 B

Sei./Zei. Zy. 541, 14–15

S. T. B.

Zitierformel: Alia editio

Hyparchetypos: ω2

Text: Fecit capitapulum super femora.

Text: et fecit capistrum37 ­super femora

ֽ ָ ֵ‫על‬ ֲ ‫ימ֣ה‬ ָ ‫ַו ּיַ ֖עַ ׂש ִּפ‬ M38: ‫י־כסֶ ל‬

Hexapla sub *: καὶ ἐποίησεν περιστόμιον ἐπὶ τῶν μηρίων

Text: et fecit capistrum super femora

Vulgata lt. Philippus: Et de lateribus ejus arvina dependet.

Capistrum „Kopfstück/Halfter/Zaum“ ist ein auch bei Vergil und Ovid belegtes, also hochsprachliches Fachwort, für das der TLL s. v. auch diese Hiob-Stelle bei Hieronymus und Augustin anführt39. Den Begriff capitapulum kennen dagegen weder der TLL noch Blaise noch Sleumer. Vielleicht handelt es sich um ein volkssprachliches Wort aus einer altlateinischen Hiob-Version, an dem Hieronymus in O. noch festgehalten hatte, bevor er es in S. zugunsten des gewählteren capistrum aufgab. 34 Vgl. Trenkler (2017) 177. 35 Siehe unten S. 295–296 zu Iob 28, 10a und Iob 34, 22b. 36 Hinweis bei Ziegler (1982) 29.  37 WX capisterium. Lt. CAG kommt capistrum bei Augustin nur hier vor. 38 Dt.: und er machte Fett auf Lende. 39 3.0.343.35 ff., hier Z. 59–61.

294

Reste von O. außerhalb von Hieronymus’ und Augustins Werken 

Iob 39, 2b 40 41 42 43 Lemma: 39, 2b Philippus Presbyter40

Augustin, adn. = O.

Hieronymus, Versio prior T. B. (S. fehlt)

PL 26 (1845) 767 C

Sei./Zei. Zy. 617, 1

Zitierformel: alii dixerunt

Hyparchetypos: ω2

Text: et dolores eorum soluisti

Text: et dolores earum soluisti41

M42: ‫ְו ֝י ַ ָ֗ד ְעּתָ ֵע ֣ת ִל ְד ָ ּֽתנָה‬

Text: et dolores earum soluisti

LXX: ὠδῖνας δὲ αὐτῶν ἔλυσας;

Vulgata lt. Philippus: et scisti tempus partus eorum43

Weil es um die Geburtswehen von Hindinnen geht, scheint die bei Philippus überlieferte maskuline Variante eorum auf den ersten Blick falsch zu sein. Sie ist aber ebenso auch noch in anderen Schriften überliefert: so als Vetus Latina-Lesart bei Ambrosius, Iob 4, 444, partus autem eorum soluisti?, und als Spontanparallele bei Hieronymus, in Is 10, 1545, et partus eorum emittes? Der Grund für die Unsicherheit im Genus dürfte sein, dass das αὐτῶν der LXX kein Genus erkennen lässt, während im Hebräischen das Suffix „ihre“ eindeutig im Femininum steht. Ich vermute überdies, ohne es beweisen zu können, dass auch Augustin eorum las (so dass also erst der ω2-Frater seinen Text mit dem näherliegenden Femininum earum aus einer Doppelübersetzung in O. oder aus T. überschrieben hat): Denn in seiner Auslegung (617, 1–5) bezieht Augustin die dolores auf die seelischen Schmerzen männlicher Missionare und assoziiert Gal 4, 19 (filii mei, quos iterum parturio), wo sich Paulus als Gebärender darstellt. Das Problem, ob eine Lesart in den Adnotationes, die von dem Zitat bei Philippus abweicht, eine Doppelübersetzung in O. repräsentiert oder erst nachträglich aus T. eingetragen wurde, taucht auch noch an zwei weiteren Stellen auf. Dort sind jeweils beide Hyparchetypoi der Adnotationes mit derselben Lesart überliefert. Wenn also die Lesart der Adnotationes aus T. stammen sollte, dann müssten beide Fratres dort unabhängig voneinander im selben Sinn tätig geworden sein.

40 Hinweis bei Ziegler (1982) 29.  41 Lovv. 2 soluistis. 42 Dt.: und kennst du die Zeit für ihr (Fem. Plur.) Gebären? 43 Die Stuttgarter Vulgata (2007) 763 schreibt ohne Variante im Apparat earum gemäß dem hebräischen Suffix. Das Maskulinum bei Philippus dürfte also auf eine Doppelfassung in der von ihm benutzten frühen Vulgata-Handschrift hindeuten. Vgl. zu diesem Phänomen Ciccarese (1997) 261–263. 44 Ambrosius, Iob 4, 4 (270, 6–7 Schenkl). 45 Hieronymus, in Is 10, 15 (Bd. 3, 1164, 92 Gryson).

295

Schwierige Philippus-Zitate aus der Erstfassung O.  

Iob 28, 10a 46 47 48 49 Lemma: 28, 10a Philippus Presbyter46

Augustin, adn. = O.

Hieronymus, Versio prior

PL 26 (1845) 700 B

Sei./Zei. Zy. 567, 24–25

S. T. B.

Zitierformel: Alii dixerunt

Hyparchetypoi ω1+ ω2

Text: Ripas fluminum disrupit.

Text: et ripas fluminum ­ dirupit47

֭ ַּ M49: ַ‫בּצּורוֹת יְ ֹא ִ ֣רים ִּב ֵ ּ֑קע‬

LXX: θῖνας δὲ ποταμῶν ἔρρηξεν

Text: et ripas fluminum ­ disrupit48

Vulgata lt. Philippus: In petris vivos excidit.

Hier unterscheiden sich die beiden Fassungen nur durch die Präsenz bzw. das Fehlen der einleitenden Konjunktion „und“. Man könnte unter Verweis auf oben zitierte Stellen zunächst meinen, Philippus habe auch hier das et einfach weggelassen, um sein Zitat auf das Wesentliche zu fokussieren50. Bei genauerem Hinsehen zeigt sich aber, dass Philippus wieder einmal die Übersetzung nach dem Hebräischen zitiert, das hier kein einleitendes „und“ hat; dagegen beruht das et in den Adnotationes und in den drei Hieronymus-Codices auf dem griechischen δὲ51. Iob 34, 22b 52 53 54 55 Lemma: 34, 22b Philippus Presbyter52

Augustin, adn. = O.

Hieronymus, Versio prior S. T. B.

PL 26 (1845) 729 C. s. fin. 53

Sei./Zei. Zy. 583, 11–12

Zitierformel: Sive ut alii dixerunt in fine huius versiculi

Hyparchetypoi ω1+ ω2

Text: ut latitent qui faciunt iniquitatem

Text: ut latitent qui faciunt iniqua54

M55: ‫ְל ִה ָ ּ֥סתֶ ר ֝ ֗ ָׁשם ֣ ֹּפ ֲעלֵ י ָ ֽא ֶון‬

LXX: τοῦ κρυβῆναι τοὺς ποιοῦντας τὰ ἄνομα

Text: ut latitent qui faciunt S. inique

T. B. iniqua

Vulgata lt. Philippus: ut abscondantur ibi qui operantur iniquitatem

46 Hinweis bei Ziegler (1982) 29.  47 disrupit A2 F C Zy; dirrupit R. 48 B. schreibt wie Augustin dirupit. 49 Dt.: In den Felsformationen hat er/man Gänge gespalten. 50 Vgl. oben S. 291 mit Anm. 32. 51 Vgl. zur Übersetzung des verbindenden δὲ durch et oben S. 290, Anm. 31. 52 Hinweis bei Ziegler (1982) 29 (er verweist versehentlich auf Iob 34, 27b). Kein Hinweis bei Vattioni (1996) 31. 53 In der Ausgabe des Sichardus fehlt dieser Passus: p. 153 B s. init., Digitalisat S. 181. 54 Q om. qui faciunt iniqua. 55 Dt.: (wörtlich) zum Sich-Verstecken dort Täter von Sünde.

296

Reste von O. außerhalb von Hieronymus’ und Augustins Werken 

Wenn Philippus in seiner Zitateinleitung sagt, es komme ihm nur auf das Ende des Verses an, so ist das missverständlich: Gerade das letzte Wort seines Zitats aus der Versio prior (iniquitatem) ist ja mit dem Schluss der Vulgata-Fassung identisch. Wie aus dem Kontext bei Philippus hervorgeht, will er in Wirklichkeit darauf hinaus, dass der ganze zweite Teil des Verses Iob 34, 22 zwar eine andere sprachliche Form hat, aber im Sinn genau dasselbe sagt: Die Versio prior-Fassung ut latitent qui faciunt iniquitatem meint nichts anderes als die Vulgata-Version ut abscondantur ibi qui operantur iniquitatem. Die Vulgata gibt hier – wie ibi und das Abstractum im Singular iniquitatem zeigen – den Text von M wieder. Dagegen beruht die Versio prior, wie sie bei Augustin und in T. B. überliefert ist, auf der LXX. Dort fehlt das Ortsadverb „da“; statt des Singulars „Sünde“ steht der substantivierte Plural des Adjektivs τὰ ἄνομα ~ iniqua. Vor diesem Hintergrund erweist sich die von Philippus aus seiner Vorlage O. zitierte Versio prior-Version als eine typische Konflation: Die Grundstruktur beruht auf der LXX, wie das Fehlen des Ortsadverbs und die Wortwahl τοὺς ποιοῦντας ~ qui faciunt zeigt; in diesen Rahmen hat Hieronymus jedoch aus M den Singular iniquitatem ~ ‫ ָ ֽאוֶן‬eingefügt. Das Zitat bei Philippus beweist, dass seine Version in der Erstfassung O. stand. Es bleibt jedoch offen, ob die bei Augustin belegte Fassung auf eine Doppelübersetzung in O. zurückgeht oder von beiden Fratres erst aus T. übernommen wurde. Der Kontext bei Augustin lässt nicht erkennen, welche Variante er las und kommentierte. Die Lesart in S., faciunt inique, hat keinen Anhalt in den Urtexten, sondern stellt vermutlich ein stilistisches Experiment des Hieronymus dar. Dafür spricht der Befund bei Augustin. In dessen Werken findet sich facere iniqua fast nur in Bibelzitaten56 und begegnet in freien Formulierungen nur ausnahmsweise im Rahmen eines Wortspiels57. Dagegen ist umgekehrt facere inique hochsprachliches Latein, das nur selten in Bibelzitaten vorkommt58, aber typisch ist für Augustins freie Formulierungen59.

56 facere iniqua ist typisches Übersetzungslatein. Vgl. folgende von Augustin zitierte Bibelstellen: Ps 25, 4 cum iniqua gerentibus non introibo, zitiert von Augustin en. Ps. 25, 1, 4 und 25, 2, 9; breu. 3, 18 und c. Don. 7; s. 99, 8; Mal. 3, 13–15 omnes, qui faciunt iniqua, zitiert ciu. 18, 35; Ps 9, 24 qui iniqua gerit, benedicitur, zit. en. Ps. 9, 21 und 49, 25 sowie s. 153, 6 und 359, 2 u. ö.; Ps 10a qui iniqua gerit, zit. ench. 80. 57 Vgl. das Wortspiel en Ps. 56, 14 iniqua patientis – iniqua facientis. 58 conf. 7, 21, 27 mit Zitat von 3 Reg 8, 47. 59 doctr. christ. 1, 36, 40; c. Faust. 22, 71 fin.; c. litt. Pet. 1, 20; 2, 24; ciu. 2, 17. Mehrfach belegt ist auch der Ausdruck inique agere, der nach seinem Vorkommen in ciu. (20, 1) der gehobenen Sprache angehört.

Schwierige Philippus-Zitate aus der Erstfassung O.  

297

12.3.2 Adnotationes fehlen zum Vergleich (Kap. 40–42) Die drei Schlusskapitel 40–42 des Hiob-Buches sind weder in Augustins Adnotationes noch im Hieronymus-Codex S. erhalten. Dagegen führt Philippus Presbyter aus diesen Kapiteln noch eine ganze Reihe von Stellen an. Weil Philippus die Erstfassung O. des Hieronymus zitiert, können diese Lemmata sämtlich ohne weiteres als indirekte Überlieferung für O. in Anspruch genommen werden. Nicht so einfach ist jedoch wieder die Frage, wieweit sich auch in den Schlusskapiteln bei Philippus noch Hinweise auf ursprüngliche Doppelübersetzungen in O. finden lassen. Besonders häufig begegnet der Fall, dass die Lesarten der revidierten Hieronymus-Codices T. und B. miteinander übereinstimmen, sich aber von der bei Philippus überlieferten Lesart aus O. unterscheiden. Um in solchen Fällen die Erstfassung O. vollständig zu rekonstruieren, müsste man entscheiden können, ob Hieronymus hier die in T. und B. überlieferte Version erst bei der Revision in S. oder T. entwickelt hat oder ob die schließlich in T. tradierte Fassung bereits als alternative Übersetzung neben der von Philippus zitierten Version in O. stand. Dieses Problem bestand bereits bei den vier zuletzt besprochenen Stellen; noch viel häufiger aber stellt es sich in den Kapiteln 40–42, weil dort die Adnotationes Augustins und der Hieronymus-Codex S. nicht mehr zum Vergleich zur Verfügung stehen. 12.3.2.1 Ein sicherer Fall von Mehrfachübersetzung in O. Iob 41, 16b Dieses Lemma ist insofern eine Ausnahme, als es bei Philippus dreimal in verschiedenen Wendungen zitiert wird. Daraus lässt sich schließen, dass Hieronymus in O. drei verschiedene Varianten vorschlug, von denen er nur die erste in die Endfassung T. übernahm: 60 Hiob Kapitel u. Vers

Stelle Philippus PL 26 (1845)

Stelle Aug. adn. ed. Zy. Seite/Zeile

Zitier­ formel bei Philippus

Wortlaut bei Philippus (Augustin und S. fehlen)

abweichender Wortlaut in dem ­ revidierten Codex T. (+B.)

41, 16b LXX und M = 41, 15 Vulg.60

793 B init.

fehlt

Sive, ut alii dixerunt

et stat sicut incus infatigabilis

et stat sicut hencudo infatigabilis

793 B

fehlt

sive

stat sicut incus, quae non producitur

794 D

fehlt



sicut incus indomabilis: quae numquam […] producitur.

60 Kein Hinweis bei Ziegler (1982) 29.

298 61

Hiob Kapitel u. Vers

Reste von O. außerhalb von Hieronymus’ und Augustins Werken  Stelle Philippus PL 26 (1845)

Stelle Aug. adn. ed. Zy. Seite/Zeile

M61: ‫מוֹ־א֑בֶ ן ְו ֝י ָ֗צּוק ְּכ ֶפ֣לַ ח‬ ָ ‫ִלּ֭בוֹ יָצ֣ ּוק ְּכ‬ ‫ּתַ ְח ִ ּֽתית‬

Zitier­ formel bei Philippus

Wortlaut bei Philippus (Augustin und S. fehlen)

abweichender Wortlaut in dem revidierten Codex T. (+B.)

LXX: ἡ καρδία αὐτοῦ πέπηγεν ὡς λίθος, ἕστηκεν δὲ ὥσπερ ἄκμων 1. ἀνήλατος / 2. ἀνάλωτος.

Vulgata lt. Philippus: Cor ejus indurabitur tamquam lapis, et stringetur quasi malleatoris incus.

Alle drei Varianten der Versio prior beruhen auf der LXX: Daher stammt die Aussage, dass das Herz des Ungeheuers „wie ein Amboss steht“. Auch die verschiedenen adjektivischen Attribute des Ambosses spiegeln Lesarten der LXX62. Die Variante infatigabilis in T. ist die Übersetzung der griechischen Nebenüberlieferung ἀνάλωτος (zu ἀναλίσκω) „uneinnehmbar/unüberwindbar“63. Es ist auffällig, dass sich Hieronymus in seiner Endfassung einmal auf eine griechische Nebenüberlieferung stützt. Dieselbe Übersetzung zitiert er aber etwa im Jahre 393 auch noch in seiner Schrift gegen Jovinian64. Die beiden Varianten indomabilis bzw. quae non producitur hatte Hieronymus bereits früher – etwa im Jahre 378/379 in Antiochia – bei seiner Übersetzung der Jeremia-Homilien des Origenes entwickelt65. Sie basieren auf der Hauptüberlieferung der LXX. Das Adjektiv ἀνήλατος (zu ἐλάω, bei LSJ s. v. ἐλαύνω) deckt verschiedene Nuancen ab: „1. nicht wegzuschaffen/unverrückbar; 2. nicht mit einer Schlagwaffe zu verwunden / nicht mit einem Hammer zu schmieden“66. Ebenso auffällig wie die Bevorzugung der griechischen Nebenüberlieferung in der Endfassung T., die sich im Begriff infatigabilis zeigt, ist der Wechsel von der klassischen Form incus in O., für die es seltene Belege auch in der Vulgata67 und bei Augustin68 gibt, zu der unklassischen Form hencudo in T. Die Lexika von LewisShort, Sleumer und Blaise kennen kein Substantiv incudo/(h)encudo69; nur Georges70 zitiert aus der Spätantike die Nebenformen incudo und encudo. Möglicher­weise liegt hier in T. also ein Kopierfehler vor, der erst im Lauf der Überlieferung eintrat. 61 Dt.: Sein Herz bedrückt (falls von Wurzel ‫צוק‬1 , vgl. Gesenius-Donner (2013) 1110 rechts) bzw. gegossen (falls von Wurzel ‫יצק‬, vgl. Gesenius-Donner (2013) 485 links) wie ein Stein; und es wird bedrückt sein / wird bedrückt wie ein unterer Mühlstein. 62 Ziegler (1982) 405, 1. Apparat. 63 Vgl. LSJ (1940) 112. 64 Lt. Vetus Latina-Datenbank 7/21: Hieronymus adv. Iovin. 2, 4 stat incus (al. incudo) infatigabilis (PL 23 (1845) 289 C). Die Datierung nach Fürst (2003) 187. 65 Lt. Vetus Latina-Datenbank 8/21: Hieronymus hom. Orig. in Ier. 3, 1 draco, qui est quasi incus indomabilis / incus improducibilis (PL 25 (1845) 607 B). Die Datierung nach Frede (1995) 522. 66 Vgl. die Bedeutungen von ἐλαύνω / ἐλάω bei LSJ (1940) 529 rechts. 67 Außer an der vorliegenden Hiob-Stelle nur noch Sir 38, 29. 68 Im Zitat von Ier 10, 3–4 s. Dolbeau 24, 10; in freier Formulierung en. Ps. 148, 12. 69 Nichts dazu auch bei Rönsch, Goelzer, Keulen und Kühner/Holzweissig. 70 Georges (1913) Bd. 2, 184 s. v. incus.

299

Schwierige Philippus-Zitate aus der Erstfassung O.  

Leider erlaubt nur dieses eine Zitat von allen, die Philippus Presbyter aus den Schlusskapiteln Hiob 40–42 anführt, einen so eindeutigen Rückschluss auf eine Mehrfachübersetzung in O. Drei andere Konstellationen führen zu keinen klaren Ergebnissen. 12.3.2.2 Die Erstfassung O. bei Philippus basiert auf M, T. dagegen auf der LXX In manchen Fällen kann man die von Philippus zitierte Version eindeutig auf das Hebräische, die Version in T. dagegen auf das Griechische zurückführen. Diese Kombination gestattet als solche keine Entscheidung, ob beide schon als Doppelübersetzungen in O. nebeneinander standen. Gegen diese Annahme sprechen jene in den Kapiteln 2 und 3 dieser Arbeit analysierten Stellen, an denen Hieronymus in O. nur aus dem Hebräischen übersetzt hatte und erst in S. zu griechischen Vorlagen überging. Umgekehrt sprechen für eine solche Annahme Stellen, die bereits in den Kapiteln 8 und 11 (also zu den Hinweisen auf Doppelübersetzungen in den spanischen Glossen und bei Philippus Presbyter selbst) analysiert wurden. Auch Stellen aus Augustins Adnotationes, die erst unten in den Kapiteln 15–18 zur Sprache kommen werden, lassen theoretisch solche Vermutungen zu. Es bleibt aber bei dem Hinweis auf Möglichkeiten – Sicherheit ist in keinem Fall zu erzielen. Diese Einschätzung gilt für folgende Lemmata: 71 72 73 74 75 76 77 Hiob Kapitel u. Vers

Stelle Philippus PL 26 (1845)

Stelle Aug. adn. ed. Zy. Seite/Zeile

Zitier­ formel bei Philippus

Wortlaut bei ­ Philippus (Augustin und S. fehlen)

abweichender Wortlaut in dem revidierten Codex T. (+B.)

40, 18b LXX = 40, 13b Vulg.71

783 C

fehlt

alii dixerunt

Spinae72 ejus ferrum est fusile.

et spina73 eius ferrum est fusile

40, 19a LXX = 40, 14a Vulg.

784 A–B

fehlt

Alii dixerunt

Ipse74 est initium figmenti Domini.

Hoc75 est inicium figmenti domini.

40, 22a LXX = 40, 17a Vulg.76

785 C

fehlt

Alii ita dixerunt

inumbrantur in eo arbores magnae

et77 obumbrantur in eo arbores magnae

71 Nachweis bei Ziegler (1982) 29. 72 Die fehlende Satzeinleitung und der Plural spinae entsprechen M. 73 Das einleitende et und der Singular spina entsprechen der LXX. 74 ipse entspricht dem hebräischen ‫הּוא‬. 75 hoc entspricht dem griechischen τοῦτο. 76 Hinweis bei Ziegler (1982) 29. 77 Die Konjunktion et entspricht dem δὲ der LXX (M hier wieder asyndetisch).

300 78 79

Reste von O. außerhalb von Hieronymus’ und Augustins Werken 

Hiob Kapitel u. Vers

Stelle Philippus PL 26 (1845)

Stelle Aug. adn. ed. Zy. Seite/Zeile

Zitier­ formel bei Philippus

Wortlaut bei ­ Philippus (Augustin und S. fehlen)

abweichender Wortlaut in dem revidierten Codex T. (+B.)

40, 25b LXX = 40, 21a Vulg.78

788 B

fehlt

Sive captapulum, ut alii dixerunt

captapulum79

Pones capistrum circa nares eius?

12.3.2.3 Die Erstfassung O. bei Philippus basiert auf der LXX, T. dagegen auf M Auch diese Kombination ermöglicht keine sicheren Schlüsse, ob die Fassung von T. schon als Doppelübersetzung in O. stand. Zwar hat Hieronymus in den meisten Fällen, in denen T. auf M beruht, diese Übersetzung aus O. übernommen; es gab aber auch Fälle, in denen er sich erst in T. auf hebräische Vorlagen besann. In den Schlusskapiteln Iob 40–42 begegnet ein einziges Beispiel. Es bestätigt, dass dieser Pendelschlag zum Hebräischen in T. nicht sehr häufig ist: 80 81 82 Hiob Kapitel u. Vers

Stelle Philippus PL 26 (1845)

Stelle Aug. adn. ed. Zy. Seite/Zeile

Zitier­ formel bei Philippus

Wortlaut bei ­ Philippus (Augustin und S. fehlen)

abweichender Wortlaut in dem revidierten Codex T. (+B.)

41, 13b LXX = 41, 12b Vulg.80 = 41, 11a M

792 C

fehlt

Sive ut alii dixerunt

Flamma vero de ore ejus globatur81

et flamma de ore eius procedet82

78 Hinweis bei Ziegler (1982) 29. 79 Der TLL 3.363.61–63 erwähnt captapulum nur als Nebenform s.v. captabulum (neben catapulum und catabulum), alle als Ableitungen zu capistrum/capistellum. 80 Kein Hinweis bei Ziegler (1982) 29. 81 Die Einleitung mit uero und das Präsens des Prädikats verweisen auf die LXX als Vorlage. Die Vokabel globatur geht vermutlich auf eine von Ziegler nicht notierte griechische Lesart σφαιροῦται (statt ἐκπορεύεται) im Sinn von „ballt sich zusammen“ bzw. „formt einen Feuerball“ zurück, die ihrerseits wahrscheinlich auf eine Verwechslung der hebräischen Wurzeln ‫„ הלְך‬gehen“ (Gesenius-Donner (2013) 275–278) und ‫„ הפְך‬drehen“ (Gesenius-Donner (2013) 283) zurückzuführen ist. 82 Die Kombination von et mit dem Futur procedet zeigt, dass diese Übersetzung auf dem Hebräischen beruht. Damit ist hier die übliche Verteilung, wonach Philippus die Übersetzung nach dem Hebräischen bevorzugt, während T. die griechische Vorlage wählt, einmal umgekehrt.

301

Schwierige Philippus-Zitate aus der Erstfassung O.  

Auch zwei weitere Kombinationen lassen die Frage offen, welches Verhältnis zwischen O. und T. bestand: wenn beide Fassungen auf griechischen Vorlagen basieren, oder wenn eine der Übersetzungen auf Konflation beruht. 12.3.2.4 Die Erstfassung O. bei Philippus basiert wie T. auf der LXX Auch hier gibt es aus den Schlusskapiteln nur einen einzigen Beleg: 83 84 Hiob Kapitel u. Vers

Stelle Philippus PL 26 (1845)

Stelle Aug. adn. ed. Zy. Seite/Zeile

Zitier­ formel bei Philippus

Wortlaut bei Philippus (Augustin und S. fehlen)

abweichender Wortlaut in dem revidierten Codex T. (+B.)

40, 20ab LXX = 40, 15 ab Vulg.83

784 D (zweimal) und 785 A

fehlt

Alii de hoc loco dixerunt

Ascenderunt in montem praeruptum: fecit gaudium quadrupedibus in tartaro

ascendens ­autem84 in montem praeruptum: fecit gaudium quadrupedibus in tartaro

12.3.2.5 Mindestens eine der Übersetzungen beruht auf Konflation Die verhältnismäßig große Anzahl dieser Fälle in den Schlusskapiteln 40–42 bestätigt die Bedeutung dieser Übersetzungstechnik für die Versio prior des Hieronymus: 85 86 87 Hiob Kapitel u. Vers

Stelle Philippus PL 26 (1845)

Stelle Aug. adn. ed. Zy. Seite/Zeile

Zitier­ formel bei Philippus

Wortlaut bei Philippus (Augustin und S. fehlen)

abweichender Wortlaut in dem revidierten Codex T. (+B.)

40, 17a LXX = 40, 12a Vulg.85

783, A–B

fehlt

antiqui dixerunt interpretes

erexit caudam suam ut cypressum86

et erexit caudam sicut cypressus87

83 Nachweis bei Ziegler (1982) 29. 84 Der Anfang mit Partizip und autem folgt genauer als die Fassung bei Philippus der LXX. (Der hebräische Text ist hier nicht vergleichbar.) 85 Kein Hinweis bei Ziegler (1982) 29. 86 Hier liegt eine Konflation der hebräischen und der griechischen Vorlagen vor: Die fehlende Satzeinleitung entspricht M, der Akkusativ cypressum stammt aus LXX (in M kann die Form dieser Vokabel als Nominativ oder als Akkusativ konstruiert werden), dagegen das Possessivpronomen suam wieder aus M. 87 Hier liegt eine andere Konflation der beiden ursprachlichen Vorlagen zugrunde. Das einleitende et und der Nominativ Singular cypressus stammen aus M, während die Auslassung des Possessivpronomens suam der LXX entspricht.

302 88 89 90 91 92 93 94 95 96 97 98 99 100 101 102 103

Reste von O. außerhalb von Hieronymus’ und Augustins Werken 

Hiob Kapitel u. Vers

Stelle Philippus PL 26 (1845)

Stelle Aug. adn. ed. Zy. Seite/Zeile

Zitier­ formel bei Philippus

Wortlaut bei Philippus (Augustin und S. fehlen)

abweichender Wortlaut in dem revidierten Codex T. (+B.)

40, 27b LXX = 40, 22b Vulg.88

788 B–C

fehlt

Sive ut alii dixerunt:

Aut loquetur tibi blande?89

loquetur90 autem tibi preces et obsecrationes blande?91

41, 10ab LXX = 41, 9ab Vulg.92

791 D

fehlt

Sive, ut alii dixerunt

In sternutamento93 ejus illuscescit sol, et oculi ejus ut species Luciferi

In sternutamentis94 eius illuscescit lux, et oculi eius species Luciferi

41, 11 LXX = 41, 10 Vulg.95

792 A–B

fehlt

sive, ut alii dixerunt

faculae ardentes96 procedunt

de ore eius lam­ padae97 ardentes exibunt98

41, 20b LXX = 41, 19b Vulg.99

794 C fin.

fehlt

Quod alii eodem sensu dixerunt:

Aestimat lapides funda jactatos ut fenum100

ducit balistam tamquam101 ­ faenum

41, 21b LXX = 41, 20b Vulg.102

794 D

fehlt

Sive, ut alii dixerunt:

trementem sermonem

et deridet trementem hastam103

88 Hinweis bei Ziegler (1982) 29. 89 Philippus paraphrasiert hier m. E. den längeren Text nur gekürzt.– Das Futur entspricht dem hebräischen Imperfekt und dem Futur der LXX. Im Übrigen liegt eine Konflation vor: Aut kommt aus M, das Adverb blande aus der LXX. 90 B. hat hier das Präsens loquitur. Es handelt sich m. E. um einen Kopierfehler; denn beide Urtexte haben das Futur (im Hebräischen reines Imperfekt, das Hieronymus auch in der Vulgata wieder als Futur loquetur übersetzt). Auch Lagarde druckt loquetur. 91 Bis auf preces und obsecrationes, die im Griechischen asyndetisch je im Dativ Singular stehen, folgt diese Übersetzung rein der LXX. Hieronymus hat hier in T. also die Konflation in O. bereinigt. 92 Kein Hinweis bei Ziegler (1982) 29. 93 Der Singular lt. LXX, sol (statt lux lt. M) ist von LXX φέγγος angeregt, der Rest Konflation mit dem Hebräischen. 94 Dieser Plural beruht auf M; alle weiteren Details – wie die Auslassung von ut – basieren auf der LXX. Hieronymus hat hier also die Konflation in O. nicht ganz, aber doch weitgehend bereinigt. 95 Hinweis bei Ziegler (1982) 29. 96 Der Zusatz ardentes stammt in beiden Textfassungen aus der LXX, ebenso das Präsens procedunt. 97 Migne druckt zu T. lampades. Lampades steht hier als Fremdwort im Hebräischen. 98 Das Futur exibunt beruht auf dem hebräischen Imperfekt. Es liegt also in T. B. wieder eine Konflation von zwei ursprachlichen Vorlagen vor. 99 Kein Hinweis bei Ziegler (1982) 29. 100 Hier liegt in O. eine Konflation vor: Aus dem Hebräischen stammen lapides und funda; der Rest des Verses folgt der LXX. 101 tamquam ist ein freier Zusatz; im Übrigen beruht diese Version auf der LXX. 102 Hinweis bei Ziegler (1982) 29. 103 T. astam.– Die Fassung in T. B. ist eine freie Konflation aus dem hebräischen Text (die Lanze aus v. 21) und der LXX (daher der Anfang καταγελᾷ δὲ und die Idee des Bebens/Zitterns aus

Schwierige Philippus-Zitate aus der Erstfassung O.  

303

12.3.2.6 Unterschiedliche Lesarten in T. und B. in den Schlusskapiteln Alle bisher aus den letzten drei Hiob-Kapiteln 40–42 zitierten Stellen stimmten darin überein, dass der Kompilator von B. seinen Text aus T. geschöpft hat. Dagegen gibt es nur wenige Stellen in den Schlusskapiteln, an denen B. von T. abweicht. Wie sich aus früheren Analysen in dieser Arbeit ergab, hat B. bald T. und bald O. exzerpiert. Wo B. sich also von T. unterscheidet, bezeugt der Codex B. – falls kein Überlieferungsfehler vorliegt – eine Lesart von O.104 Wenn nun B. in einem solchen Fall zugleich auch von dem Zitat bei Philippus abweicht, der sich ebenfalls auf O. bezieht, müsste sich schließen lassen, dass O. eine Doppelübersetzung des Hieronymus enthielt. Bei näherem Hinsehen gibt es jedoch für einen solchen Fall keinen sicheren Beleg. Die beiden Lemmata, die man hier anführen könnte, lassen sich auch als Kopierfehler deuten. In beiden Fällen geht es um eine abweichende Tempusform. Die erste Stelle wurde bereits oben in anderem Zusammenhang besprochen105, sei aber hier nochmals angeführt. B. überliefert das Präsens loquitur anstatt des Futurs loquetur: 106 107 108 Hiob Kapitel u. Vers

Stelle Philippus PL 26 (1845)

Zitier­ formel bei Philippus

Wortlaut bei Philippus als Zitat von O.

Wortlaut Augustin bzw. S.

abweichender Wortlaut in T.

abweichender Wortlaut in B. als Zitat von O.?

40, 27b LXX = 40, 22b Vulg.106

788 B–C

Sive ut alii dixerunt:

Aut loquetur tibi ­ blande?107

fehlt

loquetur autem tibi preces et obsecrationes blande?

loquitur108 autem tibi preces et obsecrationes blande?

Etwas größer ist die Wahrscheinlichkeit, dass man aus B. auf eine Doppelübersetzung in O. zurückschließen kann, an der folgenden Stelle:

σεισμοῦ). Das auffällige Schwanken des Hieronymus zwischen den Lesarten hastam (T. B.) und sermonem (O. lt. Philippus) setzt vielleicht die griechischen Varianten λόγχιον und λόγιον voraus, die jedoch lt. Zieglers Dokumention zur Stelle (Ziegler (1982) 406) nirgends überliefert sind. Eine Erklärung aus dem Hebräischen habe ich nicht finden können. 104 Vgl. Kapitel 6. 105 Vgl. oben S. 302 (Tabelle) mit Anm. 90. 106 Hinweis bei Ziegler (1982) 29. 107 Philippus paraphrasiert hier m. E. den längeren Text nur gekürzt.– Das Futur entspricht dem hebräischen Imperfekt und dem Futur der LXX. 108 Für die Erklärung von loquitur als Kopierfehler s. o. S. 302, Anm. 90. Es kann sich aber auch um eine bewusste Interpretation des reinen hebräischen Imperfekts handeln.

304 109

Reste von O. außerhalb von Hieronymus’ und Augustins Werken 

Hiob Kapitel u. Vers

Stelle Philippus PL 26 (1845)

Zitier­ formel bei Philippus

Wortlaut bei Philippus als Zitat von O.

41, 20a LXX = 41, 19a Vulg.109

794 B fin.

Alii vero ita Non uulnerat dixerunt: eum sagitta aerea.

Wortlaut Augustin bzw. S.

abweichender Wortlaut in T.

abweichender Wortlaut in B. als Zitat von O.?

fehlt

Non uulnerabit eum sagitta ­ aerea.

Non uulne­ rauit eum sagitta ­ aerea.

Hier beruht Hieronymus’ Übersetzung in O. und T. grundsätzlich auf der LXX. Daher stammt auch das Futur in T. Jedoch geht das Präsens uulnerat bei Philippus auf das reine Imperfekt von M zurück. Insofern liegt hier in O. eine Konflation der griechischen Vorlage mit einem Detail der hebräischen Quelle vor. Da Hieronymus dazu neigt, das reine hebräische Imperfekt auch als Vergangenheitstempus zu deuten, hat er möglicherweise in O. neben dem Präsens uulnerat (das Philippus überliefert) auch das Perfekt uulnerauit (das sich in B. findet) zur Wahl gestellt. Freilich kann man gegen diese Vermutung einwenden, das Perfekt uulnerauit in B. sei nur ein weiteres Beispiel für die typische Verwechslung von -bit und -uit durch Hörfehler. Deshalb ist auch an dieser Stelle keine Sicherheit zu gewinnen.

12.4 Intrikate Einzelstellen Zum Schluss dieses Kapitels arbeite ich noch die verbleibenden schwierigen Zitate auf, die Philippus Presbyter aus der Versio prior anführt. Sie alle entziehen sich m. E. einer eindeutigen Analyse. Es geht mir aber darum, jeweils auszuloten, welche Rückschlüsse auf die Erstfassung O. im Einzelfall doch noch möglich sind. Die meisten Fälle haben gemeinsam, dass Philippus die Versio prior eher lose paraphrasiert als wörtlich zitiert. Nur in dem ersten Beleg kann es sich ggfs. auch um einen Überlieferungsfehler in seinem Text handeln: 110 Iob 39, 26b Lemma: 39, 26b Philippus Presbyter110

Augustin, adn. = O.

Hieronymus, Versio prior

PL 26 (1845) 779 D

Sei./Zei. Zy. 624, 3–4

(S. fehlt) T. B.

Zitierformel: alii dixerunt

Hyparchetypos ω2

109 Kein Hinweis bei Ziegler (1982) 29. 110 Hinweis bei Ziegler (1982) 29. 

Schwierige Philippus-Zitate aus der Erstfassung O.   111 112 113

305

Philippus Presbyter

Augustin, adn. = O.

Hieronymus, Versio prior

Text: expansis pennis immo­ bilis, et respiciens Austrum

Text: expansis pennis immobilis et111 respiciens ad austrum

Text: expansis112 pennis immobilis et respiciens ad austrum

M113: ‫ימן‬ ֽ ָ ֵ‫רׂש ְּכ נָפוֹ ְלת‬ ֹ ֖ ‫יִ ְפ‬

LXX: ἀναπετάσας τὰς πτέρυγας ἀκίνητος καθορῶν τὰ πρὸς νότον;

Vulgata lt. Philippus (779 B s. fin.): expandens alas suas ad austrum

Hieronymus übersetzt hier frei auf der Grundlage der LXX (im Hebräischen fehlen die Ausdrücke für immobilis und respiciens). Die Konstruktion respiciens ad austrum geht nach der Überlieferungslage eindeutig auf Hieronymus zurück; sein ad berücksichtigt gleichermaßen das griechische πρὸς wie das Hebräische ‫ל‬.ְ Die Frage ist nun, ob die Konstruktion ohne ad bei Philippus als Paraphrase oder als Auslassungsfehler aufzufassen ist. Beide Erklärungen sind deshalb möglich, weil respicere mit bloßem Akkusativobjekt ebenso häufig vorkommt wie respicere mit ad: so der Befund bei Hieronymus lt. der Vulgata-Konkordanz114. Bei genauerem Hinsehen zeigt sich aber in der Vulgata eine auffällige Sprachregelung: Wenn bei respicere wie im vorliegenden Fall Himmelsgegenden angegeben werden, setzt Hieronymus ausnahmslos ad115; wenn es dagegen um andere Ortsangaben geht, benutzt er bei respicere regelmäßig den bloßen Akkusativ116 und setzt das ad nur ausnahmsweise dazu117. Das spricht eher dafür, dass im vorliegenden Fall die Variante ohne ad auf einen Kopierfehler zurückgeht. Es kann aber auch eine Paraphrase des Philippus vorliegen, wofür es in Kapitel 10 mehrere Beispiele gab118. Iob 15, 33b 119 Lemma: Iob 15, 33b Philippus Presbyter119

Augustin, adn. = O.

Hieronymus, Versio prior

PL 26 (1845) 656 A

Sei./Zei. Zy. 541, 23

S. T. B.

111 et steht in allen Hss. (Zycha vergisst P), fehlt aber in allen Editionen. 112 T. expassis. 113 Dt.: wird er ausbreiten seinen Flügel nach Süden? 114 Vgl. Concordantiarum Thesaurus (1897) 968. Zur Gleichwertigkeit beider Konstruktionen vgl. auch die Belege bei Augustin lt. CAG s. v. 115 So z. B. Ex 27, 12–13; 36, 25; 38, 12; Ios 15, 5; I Par 5, 10; besonders oft bei Ez, z. B. 8, 3; 9, 26; 11,1; 40, 44 u. ö. 116 So z. B. beim Meer: Ex 36, 27; bei Städten: Idc 16, 3 (Hebron); Is 33, 20 (Zion); ebenso bei der Wüste: Num 23, 28; II Par 20, 24. 117 Beide Belege beziehen sich auf die Wüste: Ex 16, 10 und II Rg 15, 23. 118 Vgl. Kap. 10, S. 246–249. 119 Kein Hinweis bei Ziegler (1982) oder Vattioni (1996) 30.

306

Reste von O. außerhalb von Hieronymus’ und Augustins Werken 

120 121

Philippus Presbyter

Augustin, adn. = O.

Zitierformel: Secundum antiquam ergo editionem

Hyparchetypos ω2

Text: in stirpe sive fronde, originem vitae impii significari existimo […]: ut velut arbor arefactus impius ilico moriatur, et ita omnis flos honoris ejus et gloria defluat.

Text: decidat tamquam flos oliuae

M120: ‫וְ י ְַׁש ֵלְ֥ך ֝ ַּכ ֗ ַּזיִ ת נִ ּצָ ֹֽתו‬

LXX: ἐκπέσοι δὲ ὡς ἄνθος ἐλαίας

Hieronymus, Versio prior

Text S.: decedat

Text T. B.: decidat

tamquam flos oliuae

Vulgata lt. Philippus: fehlt bei Migne; lt. Sichardus p. 62 D s. init.121: et quasi oliva proijciens florem suum

Hier ist deutlich, dass Philippus die Lesart der Versio prior nur paraphrasiert. Deshalb analysiere ich zunächst die wörtlich überlieferten Lesarten bei Augustin und in den drei Hieronymus-Codices S. T. B. Die im ω2-Archetypos der Adnotationes und in den Codices T. B. überlieferte Fassung decidat tamquam flos oliuae entspricht genau der LXX. Es ist aber nicht die Lesart, die Augustin in seiner Vorlage O. vorfand und kommentierte. Vielmehr zeigt sein Kommentar, dass er die Variante decedat vor Augen hatte, die auch in S. tradiert ist. Diese These lässt sich wie folgt beweisen. Augustin bietet eine doppelte Auslegung. An zweiter Stelle formuliert er (541, 24–25): uel quia meliora hoc122 sequuntur, quemadmodum florem fructus. Diese Auslegung ist nicht mit der Fassung decidat tamquam flos oliuae („er möge wie die Blüte eines Olivenbaums abfallen“) kompatibel, sondern setzt die Fassung von S. voraus: decedat tamquam flos oliuae. In dieser wird oliuae nicht als Genetiv, sondern als Dativ aufgefasst. Der Satz heißt also: „Möge er Platz machen, wie die Blüte der Olivenfrucht weicht“. Nur so erklärt sich Augustins zweite Auslegung, in der er formuliert: „Oder auch, weil Besseres darauf folgt, wie auf die Blüte die Frucht folgt.“ Dass Augustin seiner Vorlage O. die Lesart decedat entnahm, heißt aber in diesem Fall nicht, dass sein Exemplar von O. daneben noch die Variante decidat als Zweitübersetzung enthalten hätte. Dagegen spricht, dass decedat in keinem der Urtexte einen Anhalt hat. Die Lesart decedat bei Augustin und im Codex S. war also ein sehr früher Kopierfehler, den Hieronymus erst in T. verbessert hat. 120 Dt.: und er soll abwerfen wie der Ölbaum seine Blüte. 121 Digitalisat S. 90. 122 hoc ist in Codices OQ überliefert. Die Lesart hos der übrigen Handschriften und aller Editionen erweist sich dadurch als falsch, dass sie im Kontext keinerlei Bezugswort hat – auch nicht in den von Augustin übersprungenen Versen der Versio prior.

307

Schwierige Philippus-Zitate aus der Erstfassung O.  

In die Adnotationes wurde decidat also erst von dem ω2-Frater aus der Endfassung T. eingeführt. Er hat in diesem Fall auch noch die direkt anschließende Wendung in Augustins Kommentar (541, 24) decidat a pace, die urspünglich decedat a pace gelautet haben muss123, entsprechend angepasst. Er hat also offensichtlich nicht bemerkt, dass Augustin in der ganzen Passage – wie oben dargelegt – von der Lesart decedat ausging. Dagegen kann man aus der Paraphrase bei Philippus schließen, dass in seinem Exemplar von O. die richtige Lesart decidat stand. Philippus umschreibt nämlich den Sinn der Stelle mit der Wendung: ut […] ita omnis flos honoris ejus et gloria defluat. Da das Abfallen von Blättern oder Blüten im Lateinischen sowohl mit decidere124 als auch mit defluere125 beschrieben werden kann, lag die Paraphrase des originalen decidat durch defluat nahe. Weil Philipps gesamter Text hier kein genaues Zitat, sondern eine lose Paraphrase darstellt, kann man m. E. aber nicht schließen, dass Hieronymus in O. im Lemma Iob 15, 33b eine Doppelübersetzung von decidat und defluat geboten hat. Iob 37, 7b Hier liegt vermutlich eine weitere Paraphrase des Philippus vor: 126 127 128 Lemma: Iob 37, 7b Philippus Presbyter126

Augustin, adn. = O.

Hieronymus, Versio prior

PL 26 (1845) 740 C

Sei./Zei. Zy. 595, 8127

S. T. B.

Zitierformel: sive ut alii dixerunt

Hyparchetypoi ω1+ω2

Text: ut […] infirmitatem suam noverit

Text: ut sciat ­omnis homo infirmitatem suam

M128: ‫֝ ָל ַ ֗דעַ ת ּכָ ל־אַ נְ ֵ ׁ֥שי‬

LXX: ἵνα γνῷ πᾶς ἄνθρωπος τὴν ἑαυτοῦ ἀσθένειαν

ut sciat omnis homo S. fir­ mitatem

T. B. infirmitatem

suam ‫ׂש הּו‬ ֵֽ ‫ע‬ ֲ ַ‫מ‬

Vulgata lt. Philippus: ut noverint singuli o ­ pera sua

123 Vgl. die Parallele ciu. 19, 12 terrenum corpus […] exanime ac sine ullo sensu a pace tamen naturali sui ordinis non recedit. 124 Bei flos ist decidere fester Sprachgebrauch: Vgl. Iob 14, 2, zitiert von Augustin pecc. mer. 2, 14 und 15 sowie nupt. et conc. 2, 51; c. Iul. 6, 78; c. Iul imp. 1, 63 u. ö. Ähnlich auch Is 40, 6 = 1 Pt 1, 24, zitiert von Augustin cat. rud. 24; ep. 205, 5 u. ö. Frei im gehobenen Stil begegnet die Wendung ciu. 7, 25. 125 Hieronymus gebraucht defluere in der Vulgata mehrfach vom Abfallen von Blättern: Is 1, 30; 34, 4; Ier 8, 13 (im Hebräischen Formen der Wurzel ‫ ;) נבל‬Ez 47, 12; Ps 1, 3 (Formen der Wurzel ‫) נפל‬. 126 Hinweis bei Ziegler (1982) 29.  127 Das Zitat ist bei Zycha irrtümlich nicht gesperrt gedruckt. 128 Dt.: (frei) damit wissen alle Männer seines Schaffens.

308

Reste von O. außerhalb von Hieronymus’ und Augustins Werken 

Folgende Details sprechen für eine Paraphrase: Der Ausdruck omnis homo fehlt; noverit ist vermutlich ein Echo der Vulgata. Deshalb kann man auch aus der veränderten Wortstellung keine Schlüsse auf eine etwa von Augustins Zitat abweichende Zweitübersetzung in O. ziehen. Allerdings bestätigt Philippus, dass O. die Lesart infirmitatem enthielt, die auch in beiden Rezensionen der Adnotationes vorliegt. Da Augustin die Stelle mit einem Zitat von Rm 7, 24 infelix ego homo, quis me liberabit de corpore mortis huius? kommentiert (595, 9–10), ist sicher, dass infirmitatem auch in seinem Exemplar von O. stand und nicht erst von den Fratres aus T. eingeführt wurde. Unklar ist in diesem Lemma vor allem, wie die Lesart firmitatem in S. (statt infirmitatem O. T. B.) zu beurteilen ist. Sie hat auf den ersten Blick keinen Anhalt in einem Urtext. Es kann sich also um einen bloßen Schreibfehler oder eine bewusste Neuinterpretation der Stelle handeln. Für die zweite Möglichkeit könnte man auf den Fall von Iob 36, 27a verweisen: Auch dort hatte Hieronymus die Aussage der Urtexte ei autem numerabiles stillae pluuiae bei der ersten Revision in S. in ihr logisches Gegenteil verkehrt und geschrieben: ei autem innumerabiles stillae pluuuiae129. Wenn jedoch Schleusner Recht hat, dass die LXX für ihre Lesart ἀσθένειαν keinen anderen hebräischen Text als M voraussetzt, sondern M nur sinngemäß übersetzt130, könnte man ebenso gut auch die Fassung von S. als freie Wiedergabe des masoretischen Textes ansehen, der hier keine Negation enthält. Denn als Erklärung des vorangehenden Halbverses in manu omnis hominis signat wäre die Aussage „damit jeder Mensch seine (= Gottes) Tat/sein Wirken = seine Stärke erkennt“ sowohl nach der hebräischen Syntax, die nicht zwischen suam und eius unterscheidet, als auch nach dem Sinn ebenso möglich wie die Interpretation der LXX, dass der Mensch seine eigene Schwäche erkennen solle. Falls also die Lesart von S.  kein Fehler sein sollte, dann hätte Hieronymus in S. wieder einmal experimentiert, wäre aber in der Endfassung T. wieder zur Lesart der LXX zurückgekehrt. Iob 37, 24b 131 Lemma: Iob 37, 24b Philippus Presbyter131

Augustin, adn. = O.

Hieronymus, Versio prior S. T. B.

PL 26 (1845) 745 B

Sei./Zei. Zy. 599, 27–28

Zitierformel: Alii dixerunt

Hyparchetypoi ω1+ω2

Text: timebunt quoque et ­ sapientes

Text: timebunt quoque eum et sapientes corde

Text: timebunt quoque eum et sapientes corde

129 Vgl. Kap. 4, Beleg 39. Vgl. auch den ähnlichen Wechsel zwischen iniustitia und iustitia im Lemma Iob 35, 13b-14 oben Kap. 8, S. 179–180. 130 Schleusner (1820) 465 s. v. ἀσθένεια. 131 Hinweise bei Ziegler (1982) 29 und 30.

309

Schwierige Philippus-Zitate aus der Erstfassung O.   132

Philippus Presbyter

Augustin, adn. = O.

Hieronymus, Versio prior

M132: ‫י־לב‬ ֵֽ ֵ‫ֽל ֹא־ ִ֝י ְר ֶ֗אה ּכָ ל־חַ ְכמ‬

LXX: φοβηθήσονται δὲ αὐτὸν καὶ οἱ σοφοὶ καρδίᾳ

Vulgata lt. Philippus (745 A): et non audebunt contemplari omnes qui sibi videntur esse ­ sapientes

Die Texte in beiden Rezensionen der Adnotationes sowie in den drei HieronymusCodices sind identisch und entsprechen genau der LXX. Die Fassung bei Philippus könnte dagegen auf M zurückgehen, weil er wie der hebräische Text das eum nicht bietet. Allerdings spricht die Auslassung des auslautenden corde (das sowohl in M als auch in der LXX fest verankert ist und für Augustins Vorlage O. auch durch die Wiederaufnahme des Begriffs in der Auslegung 600, 3 gesichert wird133) eher für eine freie Paraphrase. Iob 38, 7b An dieser Stelle unterscheiden sich die Zitate aus O. bei Philippus und Augustin durch die Wortstellung. Augustins Text entspricht der Hauptüberlieferung der LXX und den drei Hieronymus-Codices. Als mögliche Vorlage für Philippus’ Wortstellung gibt es nur eine sehr schwache griechische Nebenüberlieferung134. Deshalb ist m. E. nicht zu entscheiden, ob Philippus hier eine Zweitübersetzung aus O. zitiert, die Hieronymus in S. wieder ausgeschieden hat, oder wieder nur frei paraphrasiert: 135 136 Lemma: Iob 38, 7b Philippus Presbyter135

Augustin, adn. = O.

Hieronymus, Versio prior

PL 26 (1845) 747 D init.

Sei./Zei. Zy. 602, 19–20

S. T. B.

Zitierformel: sicut ­ supradictum est

Hyparchetypoi ω1 ω2 Codd. A F* codd. cett. + edd.

Text: voce magna laudaverunt me omnes angeli mei

Text: laudauerunt me uoce magna Text: laudauerunt me uoce magna –136 angeli mei

omnes

S. om (!)

T. B. omnes

angeli mei

132 Dt.: Nicht (!) werden/sollen fürchten alle, die weise sind im Herzen. 133 In der weit ausgreifenden Paraphrase, die Hieronymus in der Vulgata bietet, verbirgt sich der Hinweis auf das „Herz“ in dem Ausdruck sibi uidentur. 134 Lt. Ziegler (1982) 384 im 1. Apparat: nur Ms. 257. 135 Hinweise bei Ziegler (1982) 29 und 30. 136 Die Auslassung von omnes in der ω1-Linie hat keinen Anhalt in den Urtexten und ist daher als Überlieferungsfehler anzusehen: Vgl. Trenkler (2017) 150 mit Anm. 20. Derselbe Fehler ist im Ansatz auch im Codex S. zu beobachten, wo von omnes nur noch die Silbe om erhalten ist.

310 137

Reste von O. außerhalb von Hieronymus’ und Augustins Werken 

Philippus Presbyter

Augustin, adn. = O.

Hieronymus, Versio prior

M137: ‫ֹלהים‬ ִֽ ‫א‬ ֱ ‫ל־ּבנֵ ֥י‬ ְ ָ‫ַ֝ו ָּי ִ ֗ר יעּו ּכ‬

LXX: Hauptüberlieferung: ᾔνεσάν με φωνῇ μεγάλῃ πάντες ἄγγελοί μου Nebenüberlieferung: φωνῇ μεγάλη ᾔνεσάν με πάντες ἄγγελοί μου

Vulgata lt. Philippus (747 B–C): et jubilarent omnes filii Dei.

Falls Philippus hier nicht nur frei paraphrasiert, sondern wörtlich zitiert hat und damit eine Doppelübersetzung in O. bezeugt, würde die Stelle Hieronymus’ Interesse an Varianten der Wortstellung bestätigen, das schon an anderen Stellen feststellbar war138. Bemerkenswert ist im vorliegenden Fall, dass er auf keiner Stufe seiner Revisionen die typisch lateinische Voranstellung von magna eingeführt hat, sondern strikt bei der von der LXX-Lesart φωνῇ μεγάλῃ vorgegebenen Wortfolge uoce magna blieb.

12.5 Fazit zu Kapitel 12 In den meisten Fällen führt die Analyse der schwierigen Zitate, die Philippus Presbyter aus der Erstfassung O. der Versio prior anführt, auf die Frage, ob es sich um Zeugnisse für weitere Doppelfassungen handelt. An manchen Stellen ist die Frage zu bejahen. Häufiger dagegen ist aufgrund der Überlieferungslage keine eindeutige Antwort möglich. Damit stößt das Bemühen um eine möglichst vollständige Rekonstruktion sowohl der Erstfassung O. des Hieronymus als auch des Archetypos ω von Augustins Adnotationes in Iob immer wieder an Grenzen. Ursache ist die Interdependenz beider Probleme: Die ggfs. mehrfachen Varianten der in keiner Handschrift direkt tradierten Erstfassung O. können nur dann vollständig erschlossen werden, wenn eine hinreichend aussagekräftige indirekte Überlieferung vorliegt. Wenn also Lemmata in Augustins Adnotationes übersprungen sind oder gar ganze Schlusskapitel fehlen, reichen auch Zitate in den spanischen Glossen oder bei Philippus Presbyter vielfach nicht aus, um den Text von O. vollständig wiederherzustellen. Umgekehrt verhindern die so verbleibenden Zweifel über das Verhältnis zwischen der Erstfassung O. und der Endfassung T. der Versio prior häufig eine Rekonstruktion des Archetypos ω von Augustins Adnotationes: Es lässt sich oft nicht mehr klären, ob eine in den beiden Rezensionen der Adnotationes überlieferte Lesart schon auf Augustin und seine Vorlage O. zurückgeht oder erst von den Bearbeitern der beiden Hyparchetypoi zum Zweck des aggiornamento des Bibeltextes aus T. übernommen wurde.

137 Dt.: und es jauchzten alle Söhne Gottes. 138 Vgl. Kap. 4, Beleg 44, Kap. 11, S. 283 sowie Kap. 17, S. 419–422.

F. Die Hiob-Kommentare von Julian von Aeclanum und Papst Gregor I.: Kapitel 13–14 Vorbemerkungen zu den Kapiteln 13–14 Wie in den Kapiteln 8–12 gezeigt, erweisen sich die Zitate in den von Vattioni publizierten Glossen in spanischen Vulgata-Bibeln und im Hiob-Kommentar des Philippus Presbyter als besonders ergiebige Quellen für die Erstfassung O. der HiobVersio prior des Hieronymus. Aber auch bei anderen Kirchenvätern lassen sich zumindest noch Spuren dieser frühen Hiob-Übersetzung finden. Freilich hat schon Bogaert nachgewiesen, dass mehrere Autoren verschiedene Übersetzungen nebeneinander verwandten, die häufig nicht sicher voneinander abzugrenzen sind1. Dieselben Probleme habe ich auch noch bei meinen Sondagen in anderen Texten vorgefunden2. In all diesen Fällen verhält sich der analytische Aufwand umgekehrt proportional zur Ausbeute von Stellen, die mit Sicherheit für O. erschließbar sind. Weil die Aufarbeitung des gesamten Materials den Rahmen der vorliegenden Arbeit noch weiter sprengen würde, beschränke ich mich in den folgenden Kapiteln 13 und 14 darauf, nur noch beispielshalber den Hiob-Kommentar des Julian von Aeclanum und die Moralia in Iob Papst Gregors des Großen auszuwerten. Beide Autoren kommentieren den Vulgata-Text des Buches Hiob. Daneben zitieren sie aber auch – wie ich im Folgenden nachzuweisen suche – die Erstfassung O. der Versio prior, die sie offensichtlich als Standardübersetzung der LXX ins Lateinische ansahen. Solche Zitate sind bei Julian viel häufiger als bei Gregor. Allerdings sind die Bezüge auf die Versio prior bei Gregor dadurch eindeutiger als bei Julian, dass sich Gregor anders als Julian nur auf lateinische Vorlagen bezieht; Julian dagegen übersetzt nicht selten auch selbst direkt aus dem Griechischen. Die Unterscheidung zwischen seinen eigenen Übersetzungen aus der LXX und den Zitaten aus der Versio prior wird dadurch erschwert, dass er in beiden Fällen dieselbe Zitierformel in graeco verwendet. Eine sichere Identifikation von bisher unbekannten Lesarten der Versio prior bei Julian ist jedoch dann gegeben, wenn er ein Zitat, das in Wirklichkeit auf dem Hebräischen beruht, gutgläubig, aber irrtümlich als Übersetzung nach dem Griechischen anführt.

1 Bogaert (2012) 80–81. 88 nennt Orosius, Johannes Cassianus, Eucherius von Lyon, Fulgentius von Ruspe und Quodvultdeus. Vgl. schon oben die Einleitung S. 21–22 mit Anm. 52. 2 So bei Gaudentius von Brescia, Rufinus von Aquileia, Petrus Chrysologus sowie im Antiphonarium Mozarabicum.

F. Die Hiob-Kommentare von Julian von Aeclanum und Papst Gregor I.: Kapitel 13–14 Kapitel 13: Spuren von O. im Hiob-Kommentar des Julian von Aeclanum 13.1 Die Aufgabe In der Generation des Philippus Presbyter hat im lateinischsprachigen Westen auch Julian von Aeclanum1 einen Hiob-Kommentar verfasst2. Die beiden Autoren waren etwa gleichaltrig3. Über die Anlässe und die genauere Datierung ihrer Kommentare ist nichts bekannt4. Jedoch hat man aus ihrer verschiedenen Auslegung von Iob 18, 15 geschlossen, dass Julian den Kommentar des Philippus kannte5. Julians Hiob-Kommentar weist eine klare pelagianische Tendenz auf6. De Coninck hält das Werk für Julians vielleicht erstes pelagianisches Werk7; Lössl setzt es erst in den Exilsjahren an8. Der Kommentar ist nur in einer einzigen Handschrift in Monte Cassino überliefert, der einige Blätter fehlen9. Darüber hinaus handelt es sich um eine gekürzte Fassung10. 1 Vgl. zur ersten Orientierung über Julian De Coninck (1977), Introduction VII–XII, Geerlings (1998) 360–362 und Lamberigts (2008) 836–847. Eine vertiefte Behandlung vieler Aspekte mit reicher Literatur bietet Lössl (2001). 2 Dekkers, Clavis (1995) 264, Nr. 777; ed. Lucas de Coninck (CCL 88), Turnhout 1977, 1–109. 3 Zu Philippus Presbyter s. o. Kap. 10. Julians Geburt fällt ungefähr ins letzte Viertel des 4. Jh. (Bruckner (1897) 13; De Coninck (1977) VII). Lössl (2001) 19–22 grenzt sie auf den Zeitraum 380–383 ein. Philippus und Julian starben etwa zur gleichen Zeit: Vaccari (1915) 93, Anm. 1 verweist auf Gennadius, der den Tod Philipps zwischen 455 und 456 und den Tod Julians vor 455 datiert (die Stellen: Gennadius, De viris illustribus LXII. bzw. XLV. (S. 82 bzw. 77 Bernoulli)). 4 Frede (1995) 586 datiert den Kommentar „um 416/9“. Lössl (2001) 297 hält für möglich, dass der Hiob-Kommentar etwa zwischen 424–428 in Mopsuestia entstand, während Theodor von Mopsuestia ihm in seinem Exil (seit 419) Gastfreundschaft gewährte. (Schon Geerlings (1998) 361 nimmt aufgrund des starken Einflusses griechischer Quellen an, dass die exegetischen Arbeiten im Exil entstanden.) Lamberights (2008) 837, Anm. 16 betont dagegen, dass immer noch unklar ist, wann Julians Kommentare entstanden. 5 Die These Vaccaris (1915) 91–93, dass Julian bei der Auslegung von Iob 18, 15 – ohne Namensnennung – gegen Philippus polemisiert, wird zustimmend referiert von De Coninck (1977) XVI, Lössl (2001) 10, Gorman (2006) 213–214 und Bogaert (2012) 87–88. 6 Vaccari (1915) 12–19. 7 De Coninck (1977) VII. 8 Vgl. Anm. 4. 9 Codex Casinensis 371, datiert um 1100; in Incipit und Explicit fälschlich Philippus Presbyter zugeschrieben: De Coninck (1977) XII–XIV. Der Nachdruck im PLS 1 (1958) 1573 reproduziert die falsche Zuschreibung an Philippus Presbyter. 10 De Coninck (1977) XIV–XV.

Spuren von O. im Hiob-Kommentar des Julian von Aeclanum  

313

Mein Interesse an Julian ergibt sich aus dem Thema der vorliegenden Arbeit: Nachdem die vorangehenden Kapitel der Identifizierung von Resten der Erstfassung O. der Versio prior in den spanischen Glossen und bei Philippus Presbyter gewidmet waren, suche ich jetzt auch bei Julian nach entsprechenden Spuren.

13.2 Der Forschungsstand Die Ausgangslage für diese Untersuchung ist bei Julian anders als bei Philippus. Zwar kommentiert Julian, obgleich ein theologischer Gegner des Hieronymus11, wie der Hieronymus-Schüler Philippus die Hiob-Übersetzung des Hieronymus aus dem Hebräischen12 – also die später sogenannte Vulgata –, und wirft wie Philippus auch häufige Seitenblicke auf abweichende Lesarten der griechischen Hiob-Überlieferung. Aber während unbestritten ist, dass Philippus den „griechischen“ Hiob nicht direkt, sondern immer nur im Medium der ersten Hiob-Übersetzung des Hieronymus – also der Versio prior – zitiert, liegt der Fall bei Julian komplizierter. Vaccari hat die These vertreten, Julian habe alle Stellen, an denen er neben der Vulgata auf den Wortlaut der griechischen Überlieferung hinwies, selbst aus dem Griechischen übertragen13. Seine Vorlage sei die Lukianische Rezension gewesen, wie sie vom Codex Alexandrinus repräsentiert wird14. An Julians Kompetenz im Griechischen kann schon angesichts seiner gehobenen Herkunft und der damit einhergehenden Bildung kaum ein Zweifel sein15. Hinzu kommen seine engen Verbindungen zum griechischsprachigen Orient, seine Übersetzung des Psalmenkommentars des Theodor von Mopsuestia16 und die Benutzung griechischer Vorlagen in seinen Bibelkommentaren – so des Hiob-Kommentars des Polychronios17. Trotzdem ging Vaccaris These zu weit. Ziegler nämlich stimmt Vaccari zwar grundsätzlich zu18, weist aber mit einigen Stellenangaben nach, dass Julian gelegentlich auch die erste Hiob-Übersetzung des 11 Theologische Gegnerschaft und intensive Benutzung schließen sich bei Julian nicht aus. Bouman (1958) 130 formuliert zum Umgang Julians mit Hieronymus in seinem Prophetenkommentar: „Öfters rügt er Hieronymus sehr scharf, um ihn dann gleich wieder, natürlich ohne ihn zu erwähnen, abzuschreiben.“ 12 Vaccari (1915) 84–86. De Coninck (1977) XVI und Gribomont (1986) 471 zeigen, dass Julians Vulgata-Text bereits nicht mehr der reinste war; De Coninck XVII mit Anm. 81 weist zugleich darauf hin, dass sich Julian bei Vulgata-Zitaten manche Freiheit nahm. Auch Julians Prophetenkommentar beruht auf der Vulgata. Vgl. seinen ausdrücklichen Hinweis in der Vorrede (116, 32– 33 De Coninck) und dazu Bouwman (1958) 61. 13 Vaccari (1915) 198–202. 14 Vaccari (1915) 188–197. 15 Zum geistigen Profil Julians vgl. detailiert Lössl (2001) 74–164; zu seiner Kompetenz im Griechischen gleich anfangs 74–75, Anm. 8. 16 Lössl (2001) 11–12. 298. 17 Zu Polychronios’ Hiob-Kommentar als Quelle für Julian s. unten. Zu Julians Benutzung griechischer Kommentare vgl. auch Bouwman (1958) 129. 18 Ziegler (1982) 24

314

Reste von O. außerhalb von Hieronymus’ und Augustins Werken 

Hieronymus zitiert hat19. Das hatte Vaccari noch nicht bemerkt, weil er die Versio prior des Hieronymus nur am Rande in seine Überlegungen einbezog und dabei einzig auf Unterschiede achtete20. Aber auch nach Zieglers Hinweisen auf einige Lesarten aus Hieronymus’ erster Hiob-Übersetzung bei Julian sind noch drei Probleme ungeklärt. Zum einen geht Ziegler offenbar davon aus, dass Julian nicht nur die Versio prior des Hieronymus zitiert, sondern daneben – und zwar häufiger – auch noch eine andere Vetus Latina-Übersetzung benutzt. Jedenfalls formuliert er, noch bevor er auf Hieronymus zu sprechen kommt, zu Julians Schriftgebrauch: „Häufig zitiert er auch die Vetus Latina, den lateinischen Text der griech. Übersetzung (der LXX)“, und fügt dazu eine lange Reihe von Stellen an21. Eine offene Frage ist also, ob Julian neben Hieronymus noch ältere Vetus Latina-Texte benutzte. Bogaert hat diese These Zieglers stillschweigend fallen lassen22. Er hat damit m. E. Recht, weil ich bei der Überprüfung von Zieglers Belegen bei Julian nur Zitate aus der Versio prior, aber keine Zitate aus einer Vetus Latina-Übersetzung habe nachweisen können. Bogaerts eigenes Resümee wirft jedoch eine weitere offene Frage auf – die nach dem Umfang, in dem Julian die Versio prior des Hieronymus zitiert hat. Bogaert nämlich formuliert überaus zurückhaltend, eine punktuelle Benutzung der Versio prior durch Julian sei nicht ausgeschlossen23; Übereinstimmung in kurzen Phrasen sei nicht beweiskräftig, sondern erkläre sich durch die gemeinsame griechische Vorlage24. Bogaert vertritt also die Ansicht, Julians Hinweise auf Lesarten „in graeco“ stellten mit wenigen Ausnahmen dessen eigene Übersetzungen aus dem Griechischen dar. Diese Einschätzung kann ich aufgrund meiner Befunde nicht bestätigen, sondern komme zu dem Ergebnis, dass Julian die Versio prior des Hieronymus häufiger zitiert, als Bogaert meint. Drittens stellt sich jetzt, nachdem Trenkler erstmals zwischen der Erstfassung O. und der Endfassung T. der Versio prior unterschieden hat25 und daraufhin in der vorliegenden Arbeit auch die Fassungen von S. und B. in die Textgeschichte eingeordnet werden konnten26, die weitergehende Frage, aus welcher dieser verschiedenen Fassungen Julian eigentlich geschöpft hat. 19 Ziegler (1982) 24–25. 20 Vaccari (1915) 198–202. Vaccari S. 185 bezieht sich nur auf Lagardes Druck des Bodleianus (1887), der in Fußnoten die abweichenden Lesarten des Turonensis angibt. Er hat keine Kenntnis des Sangallensis, den Caspari 1893 ediert hatte, und erwähnt auch die Hiob-Lemmata in Augustins Adnotationes in Iob kein einziges Mal. 21 Ziegler (1982) 24. 22 Bogaert (2012) 87. 23 Bogaert (2012) 87: „Il n’est pas exclu cependant que Julien ait connu et ponctuellement utilisè JO“. (JO ist Bogaerts Abkürzung für Hieronymus’ erste Hiob-Übersetzung nach Origenes’ Hexapla.) 24 Bogaert (2012) 87: „sur de brefs passages, les ressemblances, fondées sur le grec, ne peuvent rien prouver.“ 25 Trenkler (2017) passim. 26 Vgl. oben die Kapitel 6 und 7.

Spuren von O. im Hiob-Kommentar des Julian von Aeclanum  

315

13.3 Thesen Als Ergebnis der Untersuchung dieser Fragen vertrete ich in diesem Kapitel folgende Thesen: a. Julian zitiert die Versio prior des Hieronymus in größerem Ausmaß, als Ziegler gegen Vaccari gezeigt hat und als Bogaert gelten lässt. Neben den Zitaten aus der Versio prior gibt es keine Zitate aus einer Vetus Latina-Übersetzung. b. Julian zitiert – genau wie Philippus Presbyter – die Versio prior nach der Erstfassung O. statt nach einer der revidierten Fassungen S. T. B. c. Auch aus Zitaten Julians lässt sich auf Doppelübersetzungen in der Erstfassung O. zurückschließen – besonders dann, wenn Julian Übersetzungen, die in Wirklichkeit auf dem Hebräischen beruhen, einer griechischen Quelle zuschreibt. (Jedoch bleibt an einigen Stellen offen, ob eine Lesart, die Julian nach dem Griechischen zitiert, aus der Versio prior stammt oder seine eigene Übersetzung aus dem Griechischen darstellt.)

13.4 Beweis der Benutzung der Erstfassung O. 13.4.1 Vorbemerkungen Erschwert wird die Aufgabe, zwischen Julians eigenen und den ihm schon vorgegebenen lateinischen Übersetzungen aus dem Griechischen zu unterscheiden, durch Julians irritierende Gewohnheit, die Zitierformel „in graeco“ bzw. deren Varianten27 unterschiedslos für beide Übersetzungstypen zu verwenden. Die betreffenden Stellen finden sich als unkommentierter Katalog bei Vattioni28. Ich gehe im Folgenden so vor, dass ich alle Zitate Julians bespreche, die m. E. sicher oder auch nur möglicherweise aus der Versio prior stammen. Alle anderen, mit „in graeco“ o. ä. eingeleiteten Übersetzungsvarianten, die Vattioni in seiner Übersicht aufführt, gehen m. E. auf Julian selbst zurück und werden deshalb hier nicht weiter behandelt.

27 Vgl. Ziegler (1982) 24. 28 Vattioni (1996) 17–18.

316

Reste von O. außerhalb von Hieronymus’ und Augustins Werken 

13.4.2 Julian zitiert die Versio prior Der Beweis für diese These wird durch die folgenden Zitate erbracht, die bei Julian, bei Augustin und in den drei Handschriften der Versio prior übereinstimmen. Sie reichen von einzelnen Begriffen bis zu kompletten Halbversen: 29 30 31 32 33 34 35 36 37 Hiob Kapitel u. Vers

Stelle Jul. ed. De Coninck Seite/ Zeile

Stelle Aug. adn. ed. Zy. Seite/ Zeile

Zitierformel bei Julian

identischer Wortlaut: Julian, Augustin, Hieronymus S. T. B.

Wortlaut Vulgata bei Julian

4, 11a

14, 61–62

513, 17

In graeco,

myrmicoleon

tigris

10, 15b

32, 65

532, 11

ohne Einleitung

Etsi29 iustus30 fuero non possum respirare31:

et si iustus, non leuabo caput

10, 15c

32, 65–66

532, 13

plenus enim sum obprobrio,

saturatus ­ afflictione.

10, 16a

32, 66

532, 13–14

et capior sicut leo ad32 ­occisionem33

Et propter superbiam quasi leaenam capies me.

37, 22a

98, 56–57

599, 4

Ab aquilone34 nubes35 coloris ­ aurei36,

Ab aquilone ­ aurum ueniet.

37, 22b

98, 57

599, 11

LXX:

in his est magna gloria et37 honor omnipotentis

Die bisher angeführten Stellen zeigen zunächst einmal, dass Julian manche Stellen, auf die er mit der Einleitung „in graeco“ oder „LXX“ verweist, nicht selbst aus einem griechischen Urtext übersetzte, sondern stattdessen die Versio prior des Hieronymus kopierte. Er hat sie offenbar – trotz seiner sonstigen Gegnerschaft zu Hieronymus – als Standard-Übersetzung nach der LXX angesehen38. Darauf weisen auch die eben genannten Fälle hin, in denen er die Versio prior-Fassung ohne ausdrückliche Einleitung einfach als Alternative hinter das Vulgata-Lemma stellt. 29 Augustin: si om. FGN, d. h. die oft aus der ω1-Tradition kontaminierten Hss. 30 Hieronymus: S. iniustus – ein offensichtlicher Kopierfehler durch Dittographie des -i von -si als î- = in vor iustus. 31 Augustin: Q repitare. 32 Hieronymus: S. leo e ad. 33 Augustin: Q occasionem. 34 Augustin: M aquile. 35 Hieronymus: S. nubis. 36 Augustin: A auri. 37 Hieronymus: S. est et. 38 Vaccari (1915) 84–86.

Spuren von O. im Hiob-Kommentar des Julian von Aeclanum  

317

13.4.3 Julian zitiert die Erstfassung O., nicht S. T. B. Für das Ziel der vorliegenden Arbeit, speziell den Resten von Hieronymus’ Erstfassung O. nachzuspüren, die Augustin in den Adnotationes kommentierte, ist es jedoch entscheidend, dass sich m. E. nachweisen lässt, dass Julian nicht eine der revidierten Fassungen S. bzw. T. oder die Kompilation in B. benutzte, sondern sich ebenso wie auch Philippus Presbyter auf die Erstfassung O. bezog. Erste Hinweise auf diesen Umstand ergeben sich bereits daraus, dass die eben angeführten Zitate sämtlich auch in den Adnotationes stehen. Die These lässt sich aber durch weitere Argumente untermauern. Im späteren Verlauf dieses Kapitels werden sich Hinweise darauf ergeben, dass auch Julian  – ebenso wie Philippus Presbyter  – Doppelübersetzungen in seinem Codex der Versio prior des Hieronymus vorfand. Wenn sich diese Indizien als tragfähig erweisen, wird damit endgültig bewiesen sein, dass Julian die Erstfassung O. benutzte, weil nur sie überhaupt solche Doppelübersetzungen enthielt. Aber auch abgesehen von Doppelübersetzungen gibt es unter den Zitaten, die Julian aus der Versio prior anführt, mehrere Belege für die These, dass Julian die Erstfassung O. und nicht einen Text aus S., T. oder B. zitiert. Im Lemma Iob 7, 20a findet sich die einzige Parallele zu dem von Julian zitierten Text in den Adnotationes Augustins, der ebenfalls nur O. vor Augen hatte. Dagegen weicht S. durch die Wortstellung ab, während T. und B. sogar eine andere Syntax aufweisen, die auf die Vulgata vorausweist: 39 Hiob Kap./ Vers

Stelle Jul. ed. De Con. Seite/Z.

Stelle Aug. adn. ed. Zy. Seite/Z.

Zitier­ formel bei Julian

gleicher Wortlaut bei Julian u. Augustin

anderer Wortlaut in den revidierten ­ Codices S.

T. B.

7, 20a

23, 85–86

524, 16

In graeco:

si ego peccaui, quid39 possum tibi facere?

Si ego peccaui, quid tibi possum ­ facere?

ego peccaui, quid possum tibi ­facere?

Vulgata bei Jul.

Peccaui, quid faciam tibi?

Hier wird deutlich, dass Julian weder den Text von S. noch den Text von T. B. benutzte. Diese Folgerung wird durch weitere Belege gestützt. Dass Julian sich nicht S. zur Vorlage nahm, wird durch das Zitat von Iob 17, 1b bestätigt40. Dort weist S. mehrere auffällige Fehler auf:

39 Augustin: Q quod. 40 Eine andere Abweichung von S. zeigte sich schon oben im Zitat von Iob 10, 15b (Tabelle S. 316 mit Anm. 30), wo S. fälschlich iniustus statt richtig iustus hat.

318 41

Reste von O. außerhalb von Hieronymus’ und Augustins Werken 

Hiob Kapitel u. Vers

Stelle Jul. ed. De Coninck Seite/ Zeile

Stelle Aug. adn. ed. Zy. Seite/ Zeile

Zitier­ formel bei Julian

gleicher Wort- anderer Wortlaut bei Julian, laut im Codex Augustin und S. T. B.

Vulgata bei ­ Julian

17, 1b

47, 4

544, 22–23

ohne Einleitung

oro, ut sepeliar, et41 non contingit mihi

et solum mihi superest sepulcrum.

oro ut sepiliar, at contingit mihi

Dass Julian seine Zitate auch nicht dem revidierten Codex T. oder dem kompilierten Codex B. entnahm, ergibt sich aus mehreren Stellen. Zunächst sind seine Verweise auf die beiden Teil-Lemmata von Iob 38, 14a und b zu nennen. Dort haben T. B. im ersten Halbvers den Fehler animae statt animal. (Die Wiederaufnahme des Fehlers in B. zeigt, dass das Versehen vermutlich der späteren Stufe T. II angehört.42) Im zweiten Halbvers hat Hieronymus bei der Schlussredaktion aus famosum eum posuisti, das den Ausdruck λαλητὸν αὐτὸν ἔθου der LXX genau wiedergab, das elegantere famosum eum fecisti gemacht: Hiob Kapitel u. Vers

Stelle Jul. ed. De Coninck Seite/ Zeile

Stelle Aug. adn. ed. Zy. Seite/ Zeile

38, 14a

100, 74–75 604, 9–10

38, 14b

100, 75–76 604, ­15–16

Zitier­ formel bei Julian

gleicher Wortlaut bei ­Julian, Augustin und S.

anderer Wortlaut in den Codices T. B.

Vulgata bei ­ Julian

LXX:

Et tu sumens terrae lutum figurasti animal

et tu sumens terrae lutum figurasti animae

Restituetur ut lutum signaculum.

et famosum eum posuisti super terram?

et famosum eum fecisti super terram?

Strukturell sehr ähnlich ist auch die folgende Stelle (wo B. mit attere statt patere wieder einen Hör-Fehler aus T. übernimmt, der vermutlich der Stufe T. II angehört). Das richtige Verständnis der Passage wird zunächst dadurch erschwert, dass der ω2-Frater an dieser Stelle der Adnotationes wieder einmal das Lemma nach eigenem Gutdünken umformuliert43 und das originale ut der Versio prior durch donec ersetzt hat. Deshalb scheint es auf den ersten Blick so, als hinge Julian hier von S. ab. In Wirklichkeit reflektiert aber S. – wie so oft – noch die Lesart von O.:

41 Augustin: W om. et. 42 Vgl. Kap. 6, S. 112–114. 43 Zu solchen freien Eingriffen des ω2-Fraters vgl. Trenkler (2017), Kap. 15.

Spuren von O. im Hiob-Kommentar des Julian von Aeclanum   44 45

319

Hiob Kap./ Vers

Stelle Jul. ed. De Con. Seite/Z.

Stelle Aug. adn. ed. Zy. Seite/Z.

Zitier­ formel bei Julian

gleicher Wortlaut bei Julian u. Codex S.

Augusanderer Vulgata tin adn. Wortbei Jul. (ω2-Linie)  laut in Codd.T. B.

10, 20b

32, 83–84

533, 5

keine

Patere me ut requie­ scam pusillum.

patere44 me, donec45 requiescam pusillum

attere me ut requie­ scam pusillum

Dimitte ergo me ut plangam.

Der Beweis, dass donec nicht auf Augustin, sondern auf einen kurzsichtigen Eingriff des Fraters zurückgeht, liegt darin, dass Augustin im anschließenden Kommentar wieder das ut aufnimmt (533, 8): patere ergo me, ut requiescam. Das Motiv für die Änderung zu patere, donec dürfte darin liegen, dass Augustin sowohl das Verbum pati als auch das Adverb patienter gern mit donec-Sätzen verbindet46, so dass der Frater diese Konstruktion für typisch augustinisch halten konnte. Der Hörfehler attere statt patere in T. und die unkritische Übernahme durch B. könnten dadurch begünstigt worden sein, dass atterere in der Vulgata häufig vorkommt47 (davon allein vier Mal im Buch Hiob48). Weil es schließlich keine einzige Stelle bei Julian gibt, an der er mit einer eindeutigen Sonderlesart der Codices S., T. oder B. übereinstimmt, bleibt als gemeinsame Quelle aller seiner Zitate aus der Versio prior nur die Erstfassung O. übrig.

13.5 Erste Spuren verlorener Lesarten von O. bei Julian Der Nachweis, dass Julians Zitate aus der Versio prior auf die Erstfassung O. zurückgehen, ermöglicht es, aus seinem Kommentar einige Teil-Lemmata von O. zu rekonstruieren, die Augustin in den Adnotationes übersprungen hat und die deshalb bisher als verloren gelten mussten. Es lässt sich jetzt zeigen, dass fünf Stellen, die nur bei Julian und in den Hieronymus-Codices S. T. B. überliefert sind, in dieser Form schon in der Erstfassung O. gestanden haben und nicht erst bei der Revision in S. oder T. eingeführt wurden. 44 Augustin: WX patre. 45 Zycha notiert irrtümlich, C lese ut. 46 Beispiele sind: en Ps. 32, 2, 1, 10 patiens est super peccatores, donec conuertantur; en. Ps. 51, 1 patienter ergo sustinete nos, donec illum enodemus; en. Ps. 61, 8 difficile aliquid promisisse uideor. patientes estote, donec demonstretur exemplis. en. Ps. 93, 2 qui ergo talis est, securus est; et patienter fert omnes felicitates malorum, et labores bonorum patienter fert, tolerat, donec finiatur hoc saeculum, donec transeat iniquitas. s. 117, 7 non potes capere, paruulus es: patienter tolerandum, donec pennas nutrias; s. Dolbeau 21, 9 suffer ergo quod pateris, donec transeat mortalitas tua. 47 Vgl. die Vulgata-Konkordanz (1897) 165, rechts. 48 Hiob 14, 12; 18, 16; 19, 2; 20, 10.

320

Reste von O. außerhalb von Hieronymus’ und Augustins Werken 

Der erste Fall betrifft eine berühmte Passage. Aus der Verteilung der Lesarten wird deutlich, dass die bei Julian und in S. erhaltene Fassung auch schon in O. vorgelegen haben muss: 49 Hiob Kap./ Vers

Stelle Jul. ed. De Con. Seite/Z.

Stelle Zitier­ Aug. adn. formel ed. Zy. bei Julian

gleicher Wort- anderer laut bei Julian Wortlaut in u. im Codex S.  Codices T. B.

Vulgata bei Julian

14, 4–5a

40, 21–23

übersprungen

Quis enim erit mundus a sorde49? Ne unus quidem, etiamsi unius diei fuerit uita eius super terram.

Quis ­potest ­ facere mun­ dum de immundo ­ conceptum ­ semine? Nonne tu qui solus es?

Secundum Septuaginta:

Quis enim erit mundus absque sorde? Nec unus quidem, etiam si unius diei fuerit uita eius ­ super terram.

In der Endfassung T. hat Hieronymus gegenüber O. und S.  zwei Ausdrücke zugespitzt: Das einfache a verstärkte er dort zu absque und schrieb statt ne… quidem jetzt nec…quidem. In den nächsten beiden Fällen handelt es sich nur um kurze Ausdrücke, in denen sich die Versio prior des Hieronymus (als Übersetzung aus dem Griechischen) von seiner Vulgata (als Übersetzung aus dem Hebräischen) unterscheidet. An der ersten Stelle geht es darum, dass die Vulgata von „Starken“, dagegen die LXX von „Schwachen“ spricht. Dass das Stichwort infirmos hier auf die Versio prior zurückgeht, wird dadurch bestätigt, dass auch Philippus Presbyter diese Fassung mit seinem typischen „alii dixerunt“ zitiert50, während die von Ziegler edierten spanischen Glossen inualidos lesen51: Hiob Kapitel u. Vers

Stelle Jul. ed. De Coninck Seite/ Zeile

Stelle Zitier­formel bei Aug. adn. Julian ed. Zy.

identischer Wortlaut: Julian und Hieronymus S. T. B. und Philippus Presbyter

Vulgata bei Julian

24, 22a

69, 121

übersprungen

infirmos

Fortes in fortitu­ dine sua.

In graeco:

An der zweiten Stelle zitiert Julian die Versio prior nicht wörtlich in der Form et ponet in nihilum uerba mea?, die sie lt. dem griechischen Urtext (καὶ θήσει εἰς οὐδὲν τὰ ῥήματά μου;) in den Codices S. T. B. hat, sondern passt die Syntax mit dem Infinitiv ponere an die Frage quis potest? an, mit der das Lemma Iob 24, 25a in der zu-

49 Hieronymus: S. liest sorte (ein klarer Hörfehler eines späteren Kopisten). 50 Vgl. die zahlreichen Belege in Kap. 10 (Tabellen). 51 Dort lautet Iob 24, 22a: furore everterunt invalidos (ed. Ziegler (1980) 20).

Spuren von O. im Hiob-Kommentar des Julian von Aeclanum  

321

vor von ihm zitierten Vulgata beginnt52. Er kann so verfahren, weil es ihm nur auf den Gegensatz zwischen ponere in nihilum und ponere ante Deum ankommt: Hiob Kapitel u. Vers

Stelle Jul. ed. De ­ Coninck Seite/ Zeile

Stelle Aug. adn. ed. Zy.

Zitier­ formel bei Julian

identischer Wortlaut: Julian und Hieronymus S. T. B.

Vulgata bei Julian

24, 25b

69, 145–146

übersprungen

In graeco:

Et ponere in nihilum uerba mea.

Et ponere ante Deum uerba mea.

Zwei weitere Stellen finden sich in jenen Passagen der Schlusskapitel 40–42 des Hiobbuches, für die weder der Hieronymus-Codex S. noch Augustins Adnotationes erhalten sind: 53 Hiob Kapitel u. Vers

Stelle Jul. ed. De Coninck Seite/ Zeile

40, 8bc lt. LXX (= 40, 3 bc Vulg.) 42, 3a

Stelle Aug. adn. ed. Zy. sowie Hieronymus S. 

Zitierformel bei Julian

identischer Wortlaut: Julian und Hieronymus T. B.

Vulgata bei Julian

104, 13–14 verloren

LXX:

Aut putas me aliter tibi locutum fuisse, quam ut appareres iustus?

Numquid irritum facies iudicium meum, et condemnabis me ut tu iustificeris?

108, 7–8

LXX:

Quis est enim53 qui abscondat a te consilium?

Quis est iste qui celat consilium?

verloren

13.6 Weitere Spuren: Übersetzungen aus dem Hebräischen Julians Hiob-Kommentar ist für die vorliegende Arbeit deshalb von Interesse, weil dort neben der Vulgata auch andere Übersetzungen zitiert werden. Bisher war nur von zwei solchen Alternativen die Rede – von der lateinischen Versio prior des Hieronymus sowie der Lukianischen Version der LXX, die Julian selbst aus dem Griechischen übertrug. Gelegentlich beruhen die von Julian angeführten alternativen Übersetzungen jedoch auch auf hebräischen Vorlagen. Darauf hat zuerst Vaccari aufmerksam gemacht54. Weil diese Spur m. E. zu weiteren Stellen führt, an denen Julian bisher nicht erkannte Fragmente aus der Erstfassung O. der Versio prior über 52 Zieglers Notiz im 1. Apparat zur Stelle (1982) 322 „ponere IulE = Vulg“ beruht insofern auf einem Missverständnis. 53 Hieronymus: B. quis enim est. 54 Vaccari (1915) 202–205.

322

Reste von O. außerhalb von Hieronymus’ und Augustins Werken 

liefert, muss ich mich vor weiteren Überlegungen zunächst etwas ausführlicher mit Vaccari auseinandersetzen.

13.6.1 Vaccari zu Julians „hebraisierenden“55 Varianten Vaccari hat gesehen, dass Julian an drei Stellen Übersetzungen, die auf einer hebräischen Vorlage beruhen, mit der Formel alibi manifestius bzw. manifestius alibi einleitet (Iob 18, 14, Iob 18, 15 und Iob 35, 3)56. Diese Formel, die ihre Vorlage in griechischen Scholien zum Buch Hiob hat57, benutzt Julian nur in diesen drei Fällen. Darüber hinaus ist es Vaccari gelungen, mit Hilfe von inhaltlichen Parallelen in griechischen Hiob-Katenen die ersten beiden dieser Zitate Julians auf den Hiob-Kommentar des Polychronios zurückzuführen58. Polychronios, der etwa 430 gestorbene Bischof von Apameia59 und Autor mehrerer Kommentare zum AT60, war der Bruder des berühmten Exegeten Theodor von Mopsuestia, bei dem Julian einige Jahre (421–428) seines Exils verbrachte61. Wie die Katenen-Überlieferung zeigt, zitierte Polychronios besonders häufig die Übersetzung eines so genannten Ἑβραῖος62. Er war also in besonderem Maße an den hebräischen Hintergründen der LXX interessiert. Es bleibt offen, ob er auch selbst etwas Hebräisch konnte und etwa gelegentlich selbstständig aus dem hebräischen Urtext übersetzt hat63. Jedenfalls gehen die Angaben Julians an den ersten beiden Stellen mit Sicherheit auf Polychronios zurück, auf den Julian mit einem gelegentlichen dicit anspielt64. 55 Vaccari (1915) 204 spricht von „lezioni ebraizzanti“. 56 Vgl. Vaccari (1915) 152–154, Nr. 32; 154–155, Nr. 33; 174–175, Nr. 55. 57 Vaccari (1915) 152–153. 58 Über Polychronios orientieren kurz Bruns (1998) 511 und Hagedorn/Hagedorn Bd.  1 (1994) 104–107 sowie ausführlich die Monographie von Bardenhewer (1879). Zu Polychronios’ Rolle als Quelle für Julian von Aeclanum vgl. Hagedorn/Hagedorn Bd. 1 (1994) 105–106. Eine Liste der Polychronios-Fragmente zu Hiob-Lemmata findet sich bei Hagedorn/Hagedorn Bd. 4 (2004) 108–109; eine vollständige Übersetzung seiner Texte zum Buch Hiob geben die Autoren Bd. 4 (2004) 35–95. Die von Julian von Aeclanum zitierten Texte stehen bei Hagedorn/Hagedorn an folgenden Stellen: zu Iob 18, 14 und 15: Bd. 2 (1997) 269, Nr. 38 und 270, Nr. 40. Zu Iob 35, 3 ist jedoch bei Hagedorn/Hagedorn Bd. 3 (2000) 197–198 keine Polychronios-Stelle aus den Katenen zitiert. Hier beruht also Vaccaris Argument (174–175) auf einem Analogieschluss. 59 Bardenhewer (1879) 8–9. 60 Bardenhewer (1879) 26–33. 61 Lössl (2001) 292–298. 62 Dieser Umstand dient Hagedorn/Hagedorn Bd. 4 (2004) 108 als ein Kriterium, um Texte des Polychronios zu identifizieren. 63 Bardenhewer (1879) 42 schreibt: „Daß Polychronius einige Kenntnisse des Hebräischen hatte, lässt sich nicht bezweifeln.“ Hagedorn/Hagedorn Bd. 1 (1994) 105 formulieren vorsichtiger: „Ein weiteres Kennzeichen der Autorschaft von Polychronios ist, daß allein er häufiger zum Zwecke der Interpretation auf das hebräische Original des Bibeltexts rekurriert, welches er in einer eigenen oder von Freunden angefertigten Übersetzung unter der Bezeichnung ὁ Ἑβραῖος zitiert.“ 64 Iulian, in Iob 18, 14 (50, 56–57 De Coninck) quod quidem dicit se alibi manifestius inuenisse (zitiert von Vaccari (1915) 152, Nr. 32).

Spuren von O. im Hiob-Kommentar des Julian von Aeclanum  

323

An einer vierten Stelle zitiert Julian abweichende Formen zweier Völkernamen (Iob 6, 19)65: Während die Vulgata dort Theman und Saba hat, las Julians alternative Quelle mit dem masoretischen Text Thema und Seba66. Auch diese Angabe wollte Vaccari auf Polychronios zurückführen67. Bei Julian taucht hier zwar die Formel alibi manifestius vermutlich deshalb nicht auf, weil sie bei den verschiedenen Völkernamen sachlich nicht passte; aber Julian spielt mit der Formulierung Thema adicit se inuenisse, non Theman68 wieder auf seinen ungenannten Gewährsmann für das Hebräische an, den Vaccari mit Hilfe der Katenenüberlieferung als Polychronios identifiziert hat. Diese Nachweise Vaccaris sind überzeugend. An anderen Stellen hat er jedoch m. E. das Richtige noch nicht gesehen.

13.6.2 Auseinandersetzung mit Vaccari 13.6.2.1 Ein weiterer Beleg Zunächst einmal lässt sich seine Liste von vier Verweisen auf eine alternative hebräische Vorlage, die Julian dem Polychronios und dessen Quelle, dem Ἑβραῖος, verdankt, noch um einen weiteren Beleg erweitern. Julian zitiert zum VulgataLemma Iob 24, 16b sicut in die condixerant sibi (das er zu Anfang des Abschnitts zitiert hatte69) die folgende Alternative: Alibi: In die signauerunt se ipsos: 70 71 Hiob Kap.u. Vers

Stelle Jul. ed. De Coninck Seite/Zei.

Zitier­ formel bei Julian

Wortlauf Julian

Stelle Aug. adn. ed. Zy. Seite/Z.

O. lt. Aug., adn. (ω2-Linie) sowie S. T. B.

24, 16b

68, 87

Alibi:

In die signauerunt se ipsos.

553, 19–20

per diem70 obsignauerunt semet ipsos

M71: ֹ‫מּו־למו‬ ָ֗ ‫יוֹמם ִח ְּת‬ ָ֥

Hexapla sub *: ἡμέρας ἐσφράγισαν ἑαυτούς.

Vulgata bei Julian: sicut in die condixerant sibi.

65 Vgl. dazu Vaccari (1915) 169–170, Nr. 51. 66 Thema und Theman bezeichnen verschiedene Orts- bzw. Volksnamen, die Hieronymus verwechselt hat: Vgl. Gesenius-Donner (2013) 1436 rechts–1437 links. Dagegen sind Scheba/Saba nur verschiedene Vokalisierungen: Vgl. ebendort 1311 links–rechts. 67 Allerdings gibt es dafür bei Hagedorn/Hagedorn, Bd. 1 (1994) 399–400 keinen Originalbeleg aus den Katenen. 68 Iulian, in Iob 6, 19 (20, 80 De Coninck). 69 Iulian, in Iob 24, 16 (68, 81 De Coninck). 70 Augustin: Q per diem ob diem. 71 Dt.: bei Tage verschlossen sie für sich.

324

Reste von O. außerhalb von Hieronymus’ und Augustins Werken 

Vaccari ist sich sicher, dass die von Julian zitierte alternative Lesart auf eine griechische Textvorlage zurückgeht, die aber durch einen Fehler der Überlieferung nicht klar bezeichnet wird72. Er weist auf die „perfetta corrispondenza“ zwischen Julians Variante und der Hexapla hin73. Vaccaris Argumentation hat jedoch zwei Schwächen. Er zieht nicht in Betracht, dass ja auch die Hexapla eine (hier von M abweichende) hebräische Vorlage voraussetzt. (Zwar beruhen hier Hexapla und M auf demselben Konsonantentext, jedoch vokalisiert die Hexapla das Prädikat als Qal im Sinne von „sie versiegelten“, während der masoretische Text die Form als Pi’el im Sinne von „sie verschlossen“ auffasst74.) Ferner beachtet Vaccari nicht, dass Julian die Einleitung mit alibi sonst nur benutzt, um Lesarten auf hebräischer Basis zu zitieren, die er bei Polychronios gefunden hat. Dass Vaccari hier nicht auf Polychronios als Quelle zurückschließt, ist umso erstaunlicher, als Vaccari selbst auch im vorliegenden Fall wieder zu Julians anschließender Auslegung zu dieser alternativen Lesart eine „spiegazione quasi identica“ in einer Glosse aus Polychronios nachweist, die allerdings in anderen Katenen Olympiodor zugewiesen wird75. Anders als Vaccari halte ich es deshalb für wahrscheinlich, dass Julian auch hier wieder ein Fragment des Ἑβραῖος, das er Polychronius verdankt, ins Lateinische übersetzt hat. 13.6.2.2 „Hebraisierende“ Lesarten stammen aus O. Umgekehrt scheint mir Vaccari an anderen Stellen zu Unrecht anzunehmen, dass Julian seine „hebraisierenden“ Lesarten dem Kommentar des Polychronios bzw. dem Ἑβραῖος verdankt. Vaccari hat zu Recht im Anhang seiner Schrift unter den Übersetzungs-Varianten, die Julian zur Vulgata anführt, noch zwei weitere Fälle identifiziert, die auf dem Hebräischen beruhen: die Lemmata Iob 18, 13b und 41, 24 (Zählung lt. M und Vulg.; in der LXX 41, 25)76. Diese werden jedoch nicht mit der bei Julian in solchen Fällen üblichen Verweisformel alibi oder alibi manifestius eingeleitet, sondern mit der Formel in graeco. Trotzdem will Vaccari auch diese Stellen – in Analogie zu den oben genannten vier Fällen – auf Polychronios zurückführen77 und meint, der Ausdruck in graeco beziehe sich hier auf die griechische Fassung des Ἑβραῖος78.

72 Vaccari (1915) 163, Nr. 45. 73 Vaccari (1915) 163, Nr. 45. 74 Vgl. für diese verschiedenen Nuancen Gesenius-Donner (2013) 411 links–rechts. 75 Vaccari (1915) 163, Nr. 45. Hagedorn/Hagedorn Bd. 3 (2000) 21, Nr. 61 sehen Olympiodor als Autor an. 76 Vaccari (1915) 202–205. 77 Nur an der ersten Stelle kommentiert Julian diesen von der Vulgata abweichenden Wortlaut. Jedoch stimmen die von Hagedorn/Hagedorn Bd. 2 (1997) 268, Nr. 34–35 zitierten Exzerpte aus Polychronius zu Iob 18, 13 inhaltlich nicht mit Julians Kommentar überein. 78 Vaccari (1915) 202–204.

Spuren von O. im Hiob-Kommentar des Julian von Aeclanum  

325

Auch hier liegt m. E. ein Irrtum vor. Vaccari hat übersehen, dass die beiden Stellen, an denen Julian eine alternative Übersetzung, die in Wirklichkeit auf dem Hebräischen beruht, mit der Formel in graeco einleitet, nicht allein stehen, sondern in Julians Kommentar noch eine ganze Reihe von Parallelen finden. Bevor ich diese Beobachtung jedoch entfalten kann, ist zuvor noch ein Blick auf Julians Gebrauch der Formel in graeco notwendig. Vaccari hat nicht bedacht, dass die Formel in graeco von Julian nicht konsistent gebraucht wird, sondern je nach Kontext unterschiedlichen Sinn hat. Vaccari sieht nur, dass Julian die Formel in graeco benutzt, wenn er selbst eine Stelle der LXX aus dem griechischen Text übersetzt, den er nach Vaccaris Meinung ausnahmslos dem Kommentar des Polychronios entnommen hat79. Wir haben jedoch schon in den obigen Tabellen gesehen, dass Julian die Formel auch dazu benutzt, um auf die Erstfassung O. von Hieronymus’ Versio prior hinzuweisen, die er offensichtlich als reine Übersetzung aus dem Griechischen bzw. der LXX ansah. So hatte ja Hieronymus die Versio prior in der Vorrede zu seiner zweiten Hiob-Übersetzung und in seinem Briefwechsel definiert und damit schon bei Augustin Glauben gefunden80. Auch sonst wird in der patristischen Überlieferung auf Lesarten aus der Versio prior des Hieronymus mit der Formel in graeco hingewiesen81. Dessen war sich Vaccari, der in seinem Buch die Versio prior des Hieronymus nur am Rande erwähnt, vielleicht nicht bewusst. Wenn also Julian, bei dem nichts auf eigene Hebräisch-Kenntnisse hinweist, immer wieder Lesarten, die in Wirklichkeit auf einer hebräischen Vorlage beruhen, mit der Formel in graeco auf eine griechische Quelle zurückführt, dürfte er in gutem Glauben gehandelt haben. Bevor man nun alle diese Stellen mit Vaccari pauschal ebenfalls dem durch Polychronios vermittelten Ἑβραῖος zuschreibt82, sollte man erwägen, ob nicht die folgende Erklärung näher liegt: Da Julian mit der Quellenangabe in graeco wiederholt auf die Erstfassung O. der ersten Hiob-Übersetzung des Hieronymus verweist, da gerade diese Erstfassung viele Übersetzungen aus dem Hebräischen enthält und da schließlich dieser Umstand den Lesern nicht bewusst war, weil ihn Hieronymus in seinen programmatischen Äußerungen kaschierte, hat m. E. Julian diese „hebraisierenden“ Lesarten in der Erstfassung O. der Versio prior vorgefunden, aber tatsächlich für Übersetzungen aus dem Griechischen gehalten.

79 Vaccari (1915) 187. 202. 80 Vgl. die Zitate zu diesem Komplex bei Trenkler (2017) 24. 81 Die Glossen in den Bibeln von León und Burgos verweisen auf die Lesarten von Hieronymus’ Versio prior ebenfalls durchweg mit der Formel „in graeco“: Vgl. Vattioni (1996) 29. 27–28. Ein Fall begegnet auch in den von Ziegler edierten Glossen (1980) 12 (zu Iob 5, 24). 82 Vaccari (1915) 205 zeigte sich überzeugt, dass spätere Forschungen die von ihm erzielten Resultate bestätigen würden.

326

Reste von O. außerhalb von Hieronymus’ und Augustins Werken 

13.6.3 Weitere „hebraisierende“ Zitate aus O. bei Julian Im Folgenden bespreche ich die Belege für die These, dass Julian über die beiden von Vaccari im Anhang seiner Schrift schon gefundenen Stellen Iob 18, 13b und 41, 25 LXX hinaus noch weitere alternative Lesarten zitiert, die auf einer hebräischen Textvorlage beruhen. Darüber hinaus glaube ich plausibel machen zu können, dass Julian diese Passagen aus der Erstfassung O. von Hieronymus’ Versio prior geschöpft hat. Hier wird besonders darauf zu achten sein, wieweit in den lateinischen Übersetzungen aus dem Hebräischen Züge sichtbar werden, die für Hieronymus typisch sind. 13.6.3.1 Auch in den Adnotationes zitierte Lemmata Um mich auf eine möglichst breite Basis zu stützen, beginne ich mit denjenigen vier Lemmata, die auch in Augustins Adnotationes zitiert werden. Für diese Belege ergibt sich m. E. aus der Überlieferungslage dann von selbst, dass Augustins und Julians gemeinsame Quelle O. an den entsprechenden Stellen Doppelübersetzungen enthielt. Iob 3, 8ab Das Lemma Iob 3, 8ab hat eine besonders schwierige Textgeschichte; dabei hat der erste Teilvers (8a) den Übersetzern erkennbar mehr Schwierigkeiten bereitet als die zweite Hälfte (Vers 8b): 83 84 Hiob Kap.u. Vers

Stelle Jul. ed. De Coninck Seite/Zei.

Zitier­ formel bei Julian

Wortlaut Julian

Stelle Aug. adn. ed. Zy. Sei./Z.

O. lt. Aug., adn. (ω2Linie) 

S. T. B.

3, 8ab

11, 30–31

In graeco,

8a: Maledicat ei qui maledicturus est diei illi

511, 10

sed maledicat illam maledicens illi diei83

sed maledicat illi maledicens84diei S. T. illi

B. ille

83 Zycha führt eine andere Wortstellung ein: maledicens diei illi (seine Angaben im Apparat dazu sind irreführend). Die überlieferte Wortstellung in den Adnotationes (ω2-Linie) geht ggfs. auf einen Eingriff des ω2-Fraters zurück. 84 S. irrtümlich maledicent.

327

Spuren von O. im Hiob-Kommentar des Julian von Aeclanum   85 86 87

Hiob Kap.u. Vers

Stelle Jul. ed. De Coninck Seite/Zei.

Zitier­ formel bei Julian

Wortlaut Julian

Stelle Aug. adn. ed. Zy. Sei./Z.

8b: qui magnum ­cetum capturus est

M87: ‫ידים עֹ ֵ ֥רר ִלוְ י ָ ָֽתן‬ ֗ ִ ‫ע ִת‬ ֲ ‫בהּו ֹא ְר ֵר י־ ֹ֑י ום ֝ ָה‬ ֥ ֻ ‫יִ ְּק‬

O. lt. Aug., adn. (ω2Linie) 

S. T. B.

über­ sprungen

qui ­ magnum cetum85 capturus86 est

LXX: 8a: ἀλλὰ καταράσαιτο αὐτὴν ὁ καταρώμενος τὴν ἡμέραν ἐκείνην 8b: ὁ μέλλων τὸ μέγα κῆτος χειρώσασθαι

Vulgata bei Julian: Maledicant illi qui maledicunt diei, qui parati sunt suscitare Leuiathan

Dass die von Julian zitierte Übersetzung von 8a auf dem hebräischen Text beruht, zeigt sich am Fehlen des einleitenden „aber“ und an der futurischen Übersetzung qui maledicturus est, die in den griechischen Vorlagen keinen Anhalt hat, aber als Wiedergabe eines hebräischen Partizips leicht zu erklären ist. Gleichzeitig zeigt dieses qui maledicturus est, dass die Vorlage des Übersetzers hier nicht M, sondern ein anderer hebräischer Text war, der das auslautende Jod von ‫ א ְֹר ֵרי‬durch Haplographie vor ‫ ֹ֑יום‬ausließ und so aus dem Plural „Leute, die verfluchen“ den Singular machte. Dieselbe singularische Lesart liegt auch allen griechischen Versionen und den verschiedenen Fassungen der Versio prior zugrunde; erst in der Vulgata ist Hieronymus zum Plural von M übergegangen, so dass seine dortige Übersetzung genau dem masoretischen Text entspricht. Dagegen geht die von Julian zitierte Übersetzung des Verses 8b auf die LXX zurück und ist identisch mit den revidierten Fassungen S. T. B. der Versio prior (Augustin hat diesen Teilvers übersprungen). Da nichts darauf hindeutet, dass Julian die „hebraisierende“ Übersetzung des Teilverses 8a aus einer anderen Quelle geschöpft hat als den aus dem Griechischen übertragenen Teilvers 8b, können wir schließen, dass Julians Vorlage hier die Erstfassung O. des Hieronymus war, für die der unvermittelte Wechsel zwischen verschiedenen ursprachlichen Vorlagen typisch ist. 85 S. coetum; B. caetum. 86 Caspari (1893) S. 53, Anm. 23 zweifelt, ob in S. captus que oder captur que zu lesen sei. Im Text druckt er captus que. Die elektronische Internetkopie des Codex (Codices electronici Sangallenses) zeigt aber, dass captur que dasteht. Das Element captur ist also richtig, während das folgende que vermutlich auf einer Fehldeutung der doppeldeutigen Abkürzung in Form eines Semikolons beruht, das sowohl die Endung -us wie das enklitische -que bezeichnen kann: Vgl. Cappelli (1979) XXXI. Die Zerlegung eines lateinischen Wortes in mehrere Silben kommt im Codex Sangallensis 11 häufig vor. 87 Dt.: Es werden/mögen ihn verwünschen Tagesverflucher, die befähigt sind, Leviathan aufzustören.

328

Reste von O. außerhalb von Hieronymus’ und Augustins Werken 

Wie die abweichende Fassung von Vers 8a bei Augustin zeigt, stand in O. neben der von Julian angeführten Übersetzung nach dem Hebräischen auch noch eine Übersetzung nach der LXX: Denn das einleitende sed und der Akkusativ Singular Femininum illam beruhen auf dem griechischen ἀλλὰ und auf dem griechischen ἐκείνην. Der Akkusativ bei maledicere wird durch die Wiederaufnahme durch maledicet […] amantes in Augustins folgender Auslegung (511, 11 Zy) für seine Textvorlage O. gesichert. Dieses letzte Detail hat Hieronymus dann in seinen revidierten Fassungen S. und T. zugunsten des Dativs illi geändert, der bei maledicere eleganteres Latein ist88 und den er schon bei seiner Übersetzung aus dem Hebräischen in O. eingeführt hatte. Insofern stellen die revidierten Fassungen wieder einmal eine Konflation aus den Erstübersetzungen nach dem Hebräischen bzw. Griechischen dar. Offen bleibt die Erklärung der Lesart ille in B. (statt illi in O. S. T.). Der Nominativ hat keine Vorlage in den Urtexten und kann somit ein Kopierfehler sein. Weil ille jedoch als Überleitung zum folgenden Relativsatz sehr sinnvoll ist und das Stichwort „jenen“ an dieser Stelle ohnehin erst von der LXX als Erklärung des Stichwortes „Tag“ zugesetzt wurde, könnte es sich auch um eine weitere echte Variante des Hieronymus handeln, die er in O. ausprobiert und anschließend in S. zugunsten eines engeren Anschlusses an das Griechische wieder verworfen hat. Auch solch eine Mehrfachübersetzung wäre für O. nicht ungewöhnlich. Einfacher ist der nächste Fall: Iob 3, 26a2 89 90 Hiob Kap.u. Vers

Stelle Jul. ed. De Coninck Seite/Zei.

Zitier­ formel bei Julian

Wortlaut Julian

Stelle Aug. adn. ed. Zy. Sei./Z.

O. lt. Aug., adn. (ω2Linie) 

S. T. B.

3, 26a2

12, 85

In graeco habet,

Non silui

513, 3

neque89 in ­ silentio

neque in ­ silentio

M90: ‫וְ ֖ל ֹא ׁשָ ַ ֥ק ְט ִּתי‬

LXX: οὔτε ἡσύχασα

Vulgata bei Julian: Nonne silui?

Da der griechische Text von Iob 3, 26a insgesamt drei Mal οὔτε = neque hat, dürfte der von Julian zitierte Text non silui mit seinem einfachen non die Übersetzung der hebräischen Vorlage sein, die Julian in der Erstfassung O. der Versio prior vorfand. Da Hieronymus in der Vulgata diesen Vers mit dreifachem nonne als Frage

88 Vgl. die Beispiele bei Kühner-Stegmann (1962) Bd. 1, S. 309 und Menge (1965) 37, § 49. 89 Y nec. 90 Dt.: und ich hatte keine Ruhe.

Spuren von O. im Hiob-Kommentar des Julian von Aeclanum  

329

deutet, hat er den Satz vielleicht schon hier als rhetorische Frage aufgefasst, was im Hebräischen möglich ist, während ihn Julian als Aussagesatz verstand. Die sonstige Überlieferung zeigt, dass Hieronymus in O. auch schon eine Übersetzung der LXX anbot, und zwar die freie Fassung neque in silentio, die er dann in S. und T. allein stehen ließ. Iob 17, 8a Im Lemma Iob 17, 8a zeigt das Futur in der von Julian zitierten Übersetzung, dass diese Version trotz der Einleitung mit In graeco in Wirklichkeit auf dem hebräischen Text beruht. Er muss sie also als Doppelübersetzung in O. vorgefunden haben neben der schon in den Adnotationes und anschließend (um das Schluss-Wort ueraces verstümmelt) in S. T. B. tradierten Version, die  – analog zum Aorist der LXX – im Perfekt steht: 91 92 93 94 95 Hiob Kap.u. Vers

Stelle Jul. ed. De Coninck Seite/Zei.

Zitier­ formel bei Julian

Wortlaut Julian

17, 8a

48, 38–39

In graeco,

Admiratio 545, 26 habebit ueraces super hoc.

M95: ‫ָי ֣ ֹׁשּמּו יְ ׁשָ ִ ֣רים עַ ל־ז ֹ֑את‬

Stelle Aug. adn. ed. Zy. Sei./Z.

O. lt. Aug., adn. (ω2-Linie) 

S. T. B.

et mirati91 sunt super hoc92 ­ueraces

et mirati sunt super hoc93 94

LXX: θαῦμα ἔσχεν ἀληθινοὺς ἐπὶ τούτῳ

Vulgata bei Julian: Stupebunt iusti super hoc.

Das Tempus ist hier das einzige Unterscheidungsmerkmal zwischen den beiden Fassungen, die im Übrigen recht freie Konflationen aus Elementen beider Urtexte darstellen, wie sie vielfach typisch für die Versio prior sind. An der letzten Stelle, an der auch noch das entsprechende Zitat bei Augustin zum Vergleich überliefert ist, wird besonders deutlich, dass der von Julian mit In graeco angeführte Wortlaut in Wirklichkeit auf dem Hebräischen beruht:

91 Am. Er. numerate. 92 R Z (vielleicht auch Y) haec. 93 Im Nachdruck von T. schreibt Migne fälschlich haec. 94 Der Ausfall von ueraces am Schluss des Lemmas dürfte bei der Revision in S. eingetreten sein. Die Stelle ist ein Beleg dafür, dass T. (und in seinem Gefolge wiederum B.) von S. abhängen und nicht an jeder Stelle erneut mit den Urtexten verglichen wurden. 95 Dt.: Es werden starr vor Entsetzen sein Gerechten über dies .

330

Reste von O. außerhalb von Hieronymus’ und Augustins Werken 

Iob 21, 33a 96 97 98 99 100 Hiob Kap.u. Vers

Stelle Jul. ed. De Coninck Seite/Zei.

Zitier­ formel bei Julian

Wortlaut Julian

Stelle Aug. adn. ed. Zy. Sei./Z.

O. lt. Aug., adn. (ω2Linie) 

S.

T. B.

21, 33a

60, ­133–134

In graeco:

Dulcis fuit lapidibus torrentis

554, 21–22

dulces fuerunt96 ei lapides97 torrentis98

dulcis fuerunt et labilli torrentes

Dulces fuerunt ei99 ­ lapilli torrentis

M100: ‫קּו־לו ִרגְ ֵ֫בי נָ ֥חַ ל‬ ֹ֗ ‫ָ ֽמ ְת‬

Hexapla sub *: ἐγλυκύνθησαν αὐτῷ χάλικες χειμάρρου.

Vulgata bei Julian: Dulcis fuit glareis ­ Cocyti.

In diesem Lemma gibt die Hexapla den Text von M genau wieder. Auch alle Varianten der Versio prior, die bei Augustin und in S. T. B. überliefert sind, gehen auf diese beiden Vorlagen zurück. In die Überlieferung von S.  sind hier drei Fehler eingedrungen (dulcis statt dulces, et statt ei, torrentes statt torrentis). Dagegen bezeugt der Austausch von lapides (bei Augustin für O. verbürgt) gegen das Deminutivum lapilli in S. eine Revision des Hieronymus, der seine Wortwahl offenbar genauer an den Sinn der griechischen Vorlage χάλικες („Kiesel“) anpassen wollte. Im selben Sinn ist die Wahl der Vokabel glarea („Kiesel“) in der Vulgata zu verstehen. Dass die Lesart lapillis auch in einigen alten Codices der Adnotationes auftaucht (in HI und F), lässt sich in zweierlei Weise erklären: Lapillis kann schon als Doppelübersetzung in O. gestanden haben, so dass die Fratres über die Wortwahl im Zweifel waren. Es kann aber auch so gewesen sein, dass erst der ω1-Frater die Lesart lapillis aus dem revidierten Codex T. in seinen Hyparchetypos eingeführt hat, aus dem diese Variante anschließend durch Kontamination auch in einige Codices der ω2-Linie eindrang. Wenn man nun den von Julian als In graeco zitierten Text mit der bis hierher dargestellten sonstigen Überlieferung des Lemmas Iob 21, 33a vergleicht, wird deutlich, dass Julians Zitat nicht nur keine Vorlage in einer der bisher genannten Textfassungen hat, sondern deren Sinn sogar ins Gegenteil verkehrt. Als Hintergrund seines Zitates kommt keiner der von Ziegler zur Stelle angeführten griechischen Texte101 in Frage, sondern nur ein von M abweichender hebräischer Wortlaut, in 96 Q fuerit. 97 HI F lapilli. 98 R torrentes. 99 Für T. drucken Vallarsi, Sabatier und Migne fälschlich ei fuerunt. 100 Dt.: Süß waren ihm Erdschollen Baches/Wadis. 101 Ziegler (1982) 309 im 1. Apparat.

Spuren von O. im Hiob-Kommentar des Julian von Aeclanum  

331

dem verglichen mit M zwei Mal ein jeweils auslautendes ‫ ו‬ausgefallen war: Erstens die Plural-Endung des Prädikats ‫„( ָ ֽמ ְתקּו‬es waren süß“) und sodann das Suffix an der Präposition ‫„( ל‬für“). Damit rückte die Präposition ‫„( ל‬für“) an den Begriff ‫ִרגְ ֵ֫בי‬ („Kiesel“), der so vom Subjekt zum Dativ-Objekt mutierte. Julian führt hier also aus einer „griechischen“ Vorlage eine Übersetzung an, die in Wirklichkeit auf einer hebräischen Nebenüberlieferung beruht und sich inhaltlich von den anderen Fassungen der Versio prior unterscheidet. Allein daraus kann man schließen, dass er eine Doppelübersetzung aus der Erstfassung O. des Hieronymus zitiert. Im vorliegenden Fall wird jedoch die Rückführung auf Hieronymus dadurch besonders plausibel, dass der Kirchenvater dieselbe hebräische Nebenüberlieferung später auch seiner Vulgata-Übersetzung zugrunde gelegt hat. Offenbar hat er den dort ausgedrückten Sinn am Ende doch der in M und Hexapla vorliegenden Tradition vorgezogen, die er zuvor auf den revidierten Stufen der Versio prior allein hatte gelten lassen, wie es seiner üblichen Hinwendung in S. zu den besser verbürgten Hauptüberlieferungen und zum Griechischen entsprach. In allen hier zitierten Beispielen sind in den revidierten Codices S. T. B. nur noch Übersetzungen stehen geblieben, die auf griechischen Textvorlagen beruhen. Deshalb müssen die von Julian zitierten „hebraisierenden“ Lesarten aus der Erstfassung O. stammen. Dass es sich dabei um Doppelübersetzungen gehandelt hat, wird in all diesen Fällen dadurch bewiesen, dass die Lemmata nach der griechischen Übersetzung nicht erst in S. T. B., sondern auch schon in Augustins Adnotationes zitiert werden: Deren Lemmata stammen aus O., sofern sie nicht von den beiden Fratres, die Augustins Anmerkungen für die Publikation überarbeiteten, durch revidierte Lesarten aus der Endfassung T. ersetzt wurden. Dafür gibt es aber in keinem der hier angeführten Hiob-Verse einen Anhalt. 13.6.3.2 In den Adnotationes übersprungene Lemmata Dagegen ist in einer anderen Gruppe von ebenfalls vier Belegen das Lemma in den Adnotationes nicht überliefert. Deshalb ergibt sich in diesen Fällen zwar der Schluss, dass die von Julian zitierte Lesart auf hebräischer Basis in der Erstfassung O. gestanden hat; es lässt sich aber nicht sagen, ob O. daneben auch schon die Übersetzung nach dem Griechischen enthielt, für die sich Hieronymus anschließend in den revidierten Codices S. und T. entschied. Ich beginne mit den beiden schon oben erwähnten Stellen102, die Vaccari trotz der Einleitung in graeco ebenfalls noch auf Polychronios als Quelle zurückführen wollte, die m. E. aber als Zitate aus der Versio prior zu erklären sind.

102 Vgl. S. 324–325.

332

Reste von O. außerhalb von Hieronymus’ und Augustins Werken 

Iob 18, 13b Das Lemma Iob 18, 13b hat Vaccari zu Recht anhand der Wortgruppe adhuc uiuente illo als Übersetzung nach einem anderen hebräischen Text als M erkannt, will sie aber in – m. E. verfehlter – Analogie zu den oben genannten Stellen ebenfalls auf Polychronios und dessen Quelle, den ἑβραῖος, zurückführen103: 104 105 Hiob Kap.u. Vers

Stelle Jul. ed. De Coninck Seite/Zei.

Zitier­ formel bei Julian

Wortlaut Julian

Aug., adn.

Fassung in S. T. B.

18, 13b

50, 45–46

In graeco:

Comedet adhuc uiuente illo primogenitum eius mors.

übersprungen

et deuoret decora eius matura104 mors

M105: ‫ֹאכ֥ל ֝ ַּב ָ ּ֗דיו ְּבכֹ֣ ור ָ ֽמ ֶות‬ ַ ‫י‬

Hexapla (Üss. Symmachos und Theodotion): κατέδεται δὲ τὰ ὡραῖα αὐτοῦ πρώιμος θάνατος

Vulgata bei Julian: deuoret pulchritudinem cutis eius et consumat brachia illius primogenita mors.

Für Hieronymus spricht nicht nur die Einleitung des Zitats mit in graeco, sondern auch die typische Technik, sich auf einen von M abweichenden hebräischen Text zu stützen. Dies Verfahren wird an drei Details deutlich. Die Übersetzung adhuc vivente illo setzt – wie Vaccari rekonstruiert hat106 – statt ‫„( ֝ ַּב ָ ּ֗דיו‬seine Glieder“) die Lesart ‫„( בחיו‬bei seinem Leben“) voraus; die Version primogenitum eius zeigt, dass Hieronymus am Ende des Wortes ‫„( ְּבכֹ֣ ור‬Erstgeborener“) noch ein ‫ ו‬als Possessivsuffix der 3. Person Singular Maskulinum las. Damit geht eine starke Umdeutung der Syntax einher: Aus den beiden Gliedern der Constructus-Verbindung ‫„( ְּבכֹ֣ ור ָ ֽמוֶת‬Erstgeborener Todes“) werden Akkusativobjekt und Subjekt des Satzes. Noch ein weiteres Indiz spricht für Hieronymus: Der lateinische Übersetzer hatte hier von Anfang an den griechischen und den hebräischen Text nebeneinander vor Augen. In der von Julian zitierten Übersetzung, die primär auf dem Hebräischen beruht, ist die Deutung des endgestellten Wortes „Tod“ als Satz-Subjekt von der LXX angeregt. Umgekehrt stammt die modale Interpretation der Verbform als Cupitiv deuoret in der Übersetzung nach dem Griechischen, die in S. T. B. vorliegt, aus dem hebräischen Imperfekt ‫ֹאכ֥ל‬ ַ ‫י‬. Das wird dadurch bestätigt, dass derselbe Cupitiv auch wieder im consumat der Vulgata erscheint. Dort wiederum ist die Fü-

103 Vgl. S. 324. 104 S. verdoppelt irrtümlich die Wortgruppe eius matura. 105 Dt.: verschlingen wird seine Glieder Erstgeborene Todes. 106 Vaccari (1915 ) 203.

333

Spuren von O. im Hiob-Kommentar des Julian von Aeclanum  

gung primogenita mors keine grammatisch korrekte Übersetzung aus dem Hebräischen, sondern wird nur als freie Konflation der hebräischen Vokabeln nach griechischer Syntax verständlich. Somit begegnet hier auf allen Revisionsstufen die typische Technik des Hieronymus, an schwierigen Stellen Zuflucht zur Konflation ursprünglich disparater Elemente zu nehmen. Iob 41, 25ab LXX (= 41, 24 M und Vulg.) Auch an dieser Stelle hat Vaccari die hebräische Basis der von Julian zitierten Übersetzung richtig erkannt107: 108 Hiob Kap. u. Vers

Stelle Jul. ed. De Coninck Seite/Zei.

Zitierformel bei Julian

41, 25ab LXX (= 41, 24 M und Vulg.)

108, 59–60 Aliter. Graece:

Wortlaut Julian

Aug., adn.

Non est super terram ­ potestas eius, qui factus est ut ab angelis illuderetur ei.

fehlt

Fassung in T. B. ( S. fehlt) T.

M108 (41, 24): ‫ֵ ֽאין־עַ ל־עָ ָפ֥ר מָ ְׁשלֹ֑ ו ֝ ֶהעָ ׂ֗שּו‬ ‫י־חת׃‬ ֽ ָ ‫ִל ְב ִל‬

B.

non est quicquam super terram simile eius

factum ad illudendum ab angelis meis

eius

LXX: 25a οὐκ ἔστιν οὐδὲν ἐπὶ τῆς γῆς ὅμοιον αὐτῷ bzw. Hexapla (Üs. des Symmachos): οὐκ ἔστιν ἐπὶ ξοὸς ἐξουσία αὐτοῦ 25b Hexapla sub *: πεποιημένον ἐγκαταπαίζεσθαι ὑπὸ τῶν ἀγγέλων μου

Vulgata bei Julian: Non est potestas super terram quae comparetur ei, qui factus est ut nullum timeret.

Vaccari weist schlagend nach, dass im Teilvers 25a die auf den ersten Blick so verschiedenen Übersetzungen (potestas eius bei Julian statt ὅμοιον αὐτῷ (LXX) bzw. simile eius in T. B.) beide als Wiedergaben des doppeldeutigen hebräischen ‫ מָ ְׁשלֹ֑ ו‬zu verstehen sind109. Er weist auch richtig darauf hin, dass Hieronymus in der Vulgata mit der Formulierung potestas […] quae comparetur ei diese beiden Nuancen des Hebräischen miteinander kombiniert hat110.

107 Vaccari (1915) 203–204. 108 Dt.: Nicht existiert auf Staub 1.  a)  seine Herrschaft/1. b)  die Herrschaft über ihn / 2. seinesgleichen, der gemacht zu ohne Furcht. 109 Vaccari (1915) 204. 110 Vaccari (1915) 204.

334

Reste von O. außerhalb von Hieronymus’ und Augustins Werken 

Vaccari hat jedoch nicht bedacht, dass Julian hier nicht nur Vers 25a nach einer hebräischen Vorlage zitiert, sondern bruchlos zu Vers 25b übergeht, dessen Fassung qui factus est ut ab angelis illuderetur ei eindeutig rein auf der H ­ exapla beruht. Julian hat hier also nicht zwei verschiedene Quellen ineinandergearbeitet – wie Vaccari voraussetzen müsste –, sondern hat beide Teilverse als Einheit in graeco vorgefunden. Das kann wieder nur die Erstfassung O. der Versio prior gewesen sein, für die solch ein flexibler Wechsel zwischen verschiedenen ursprachlichen Vorlagen auf engem Raum charakteristisch ist. Dass Hieronymus in der Vulgata die beiden hebräischen Bedeutungen „Macht“ und „Ähnlichkeit“ in seiner typischen Konflationstechnik kombiniert, erleichtert die Vermutung, er habe auch schon bei der Arbeit an der Versio prior beide Möglichkeiten gesehen und berücksichtigt. Strukturell vergleichbar mit diesen beiden schon von Vaccari notierten Stellen sind nun noch zwei weitere Zitate, die Julian in graeco gefunden hat: Iob 1, 17b111 Hiob Kap.u. Vers

Stelle Jul. ed. De Coninck Seite/Zei.

Zitierformel bei Julian

Wortlaut Julian

Aug., adn.

Fassung in S. T. B.

1, 17b

6, 106

In graeco:

Equites fecerunt tres turmas.

übersprungen

equites fecerunt nobis tres ordines

M111: ‫אׁשים‬ ִ֗ ‫ֹלׁש֣ה ָר‬ ָ ‫ּכַ ְׂש ִ ּ֞ד ים ָׂש֣מּו׀ ְׁש‬

LXX: οἱ ἱππεῖς ἐποίησαν ἡμῖν κεφαλὰς τρεῖς

Vulgata bei Julian: Chaldaei fecerunt tres turmas

Dass Julians Version auf dem Hebräischen, die Fassung in S. T. B. dagegen auf der LXX beruht, zeigt sich an dem Stichwort „uns“: Während es bei Julian wie in M fehlt, hat die LXX ἡμῖν und S. T. B. entsprechend nobis. Iob 5, 24b Auch im Lemma 5, 24b spiegelt die revidierte Version in S. T. B. die LXX wieder; allerdings hat Hieronymus dort das Genetiv-Attribut vor das Subjekt gestellt. Dagegen beruht die von Julian zitierte Fassung auf der hebräischen Vorlage der LXX, die hier von M abweicht:

111 Dt.: die Chaldäer machten drei Abteilungen.

Spuren von O. im Hiob-Kommentar des Julian von Aeclanum   112

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Hiob Kap.u. Vers

Stelle Jul. ed. De Coninck Seite/Zei.

Zitierformel bei Julian

Wortlaut Julian

Aug., adn.

Fassung in S. T. B.

5, 24b

18, 91–92

In graeco:

et uisitatio pulchritudinis tuae non peccabit

übersprungen

et tabernaculi tui con­ uersatio non peccabit

M112: ‫ּוֽ פָ קַ ְד ָ ּ֥ת נָ֝וְ ָך וְ ֣ל ֹא תֶ ֱח ָ ֽטא‬

LXX: ἡ δὲ δίαιτα τῆς σκηνῆς σου οὐ μὴ ἁμάρτῃ

Vulgata bei Julian: Et uisitans speciem tuam non peccabis.

Die hebräische Vorlage der LXX vokalisiert das erste Wort nicht wie M als Verbform ‫„( ּוֽ פָ קַ ְד ָ ּ֥ת‬und du wirst mustern“), sondern als Status constructus im Femininum („und die Heimsuchung“) und lässt das „und“ vor ‫„( וְ ֣ל ֹא‬und nicht“) weg. Daraus ergibt sich die Umdeutung der Verbform ‫ תֶ ח ָ ֱֽטא‬am Ende: Sie wird nicht mehr als 2. Person Singular Maskulinum („du wirst sündigen“), sondern als 3. Person Singular Femininum („sie (sc. die Heimsuchung) wird verfehlen“) aufgefasst. In der von Julian zitierten Version wird jedoch die charakteristische Handschrift des Hieronymus daran deutlich, dass er in dieser hebräischen Nebenversion, deren Syntax er unverändert übernahm, die Lesart ‫„( נָ֝וְ ָך‬deine Wohnung“), die in M und in dem Ausdruck τῆς σκηνῆς σου der LXX vorliegt, durch die sonst nicht belegte Lesart „deine Schönheit“ ersetzt hat. (Die Vokabel „Schönheit“ steht auch schon bei Aquila, ist dort aber in andere Syntax eingebettet113.) Dabei hat Hieronymus offenbar unter dem Einfluss des Aquila aus einer der Wurzeln ‫ נאוה‬bzw. ‫נוה‬, die in M sonst nur als Adjektive in der Bedeutung „schön“ belegt sind114, ein Substantiv „Schönheit“ herausgesponnen. Dass hier Hieronymus am Werk war, wird schließlich dadurch bestätigt, dass er an dieser Deutung auch noch in der Vulgata mit der Formulierung et uisitans speciem tuam non peccabis festhielt. Dort hat er sich auch noch in der Syntax an Aquilas Version orientiert. Die Stelle ist mithin geradezu ein Paradebeispiel dafür, wie Hieronymus in Auseinandersetzung mit dem Material der Hexapla und dem hebräischen Urtext seine Vulgata-Fassung stufenweise aus den verschiedenen Fassungen der Versio prior entwickelt hat.

112 Dt.: und du wirst mustern deine Wohnstatt und wirst 1.  nicht sündigen / 2.  nicht vermissen. 113 Aquila übersetzt (lt. Ziegler (1982) 234 im 2. Apparat): καὶ ἐπισκέψῃ ὡραιότητά σου, καὶ οὐ ἁμαρτήσεις. 114 Vgl. Gesenius-Donner (2013): zu ‫נאוה‬768 rechts, zu ‫* נוה‬2 792 links.

336

Reste von O. außerhalb von Hieronymus’ und Augustins Werken 

13.7 Zwischenbilanz zur Rekonstruktion von O. bei Julian Aus den bis hierher besprochenen Stellen von Julians Hiob-Kommentar lassen sich m. E. sichere Schlüsse zur Rekonstruktion bisher verlorener Lemmata der nur fragmentarisch überlieferten Erstfassung O. der Versio prior ziehen. Sicher sind diese Schlüsse allerdings nur in dem Sinn, dass damit bisher unerkannte Lesarten von O. wiedergewonnen sind. Offen bleibt dagegen vielfach die Frage, wieweit es sich um Doppelübersetzungen in O. gehandelt hat. Wenn nämlich ein „hebraisierendes“ Lemma in den Adnotationes nicht zitiert wird, besteht immer die Möglichkeit, dass die von Julian angeführte Version allein in O. stand, weil Hieronymus erst in S. von einer hebräischen zu einer griechischen Textvorlage überging.

13.8 Weitere Nachweise aufgrund der Überlieferungslage Bevor ich zum Abschluss dieses Kapitels auf Stellen bei Julian eingehe, an denen man ein Zitat aus Hieronymus’ Erstfassung O. zwar mit guten Gründen vermuten, aber nicht schlüssig beweisen kann, muss ich noch auf drei andere alternative Lemmata bei Julian hinweisen, die m. E. ebenfalls aus O. stammen. Es handelt sich um die Verse Iob 7, 20 b und d sowie Iob 9, 29. Allerdings gelingt an diesen Stellen der Rückschluss auf O. nur deshalb, weil glückliche Zufälle der Überlieferung zu Hilfe kommen. Man würde nämlich die genannten drei Stellen auf den ersten Blick für eigene Übersetzungen Julians aus dem Griechischen halten; erst beim Vergleich mit den Belegen desselben Lemmas, die bei anderen Autoren erhalten sind, wird man darauf aufmerksam, dass auch sie vermutlich aus der Versio prior des Hieronymus stammen, wo sie Julian als Doppelübersetzungen vorfand. Da diese drei Fälle nur im Zusammenhang mit den Parallelen richtig einzuschätzen sind, gehe ich erst in späteren Kapiteln im Zusammenhang mit der Erörterung der entsprechenden Lemmata auf sie ein115. Soweit also zu den Lemmata aus Julians Hiob-Kommentar, die man m. E. mit Sicherheit oder doch hoher Wahrscheinlichkeit zur Rekonstruktion der Erstfassung O. der ersten Hiob-Übersetzung des Hieronymus heranziehen kann.

115 Für Iob 7, 20b und  d vgl. Kap.  15, S.  373–376 und 378–379; für Iob 9, 29 vgl. Kap.  20, S. 487–488.

Spuren von O. im Hiob-Kommentar des Julian von Aeclanum  

337

13.9 Nicht sicher nachweisbare Fälle Es ist jedoch nicht immer eindeutig zu entscheiden, ob eine Lesart, die Julian mit in graeco einführt, seine eigene Übersetzung nach dem Griechischen darstellt oder aus der Versio prior des Hieronymus übernommen ist. Im letzten Teil dieses Kapitels nehme ich deshalb in dieser Grauzone noch einige Sondagen vor. Die Unsicherheit betrifft solche Fälle, in denen Hieronymus nach Ausweis aller direkt überlieferten Belege nur nach dem Hebräischen übersetzt, während Julian eine Übersetzung nach dem Griechischen anführt. Deshalb stammt die griechische Übersetzung möglicherweise erst von Julian. Weil es aber nach den bisherigen Befunden der vorliegenden Arbeit eher selten vorkommt, dass Hieronymus in der Versio prior für ein Lemma gar keine Version nach dem Griechischen angeboten hat, dürfte es wahrscheinlicher sein, auch die Übersetzung Julians auf die Erstfassung O. der Versio prior zurückzuführen und anzunehmen, dass sie dort als Alternative neben der Übersetzung aus dem Hebräischen stand. Strikt beweisbar ist dies aber nicht, denn man kann auch umgekehrt argumentieren, es sei nicht weniger ungewöhnlich, dass Hieronymus in S.  und T. konsequent nur eine Übersetzung auf hebräischer Basis beibehalten habe: Wenn er dort allein die hebraisierende Version für richtig gehalten habe, könne dies ja auch schon in der Erstfassung O. der Fall gewesen sein. Dieses Problem stellt sich nur bei zwei von Julian zitierten Lesarten. In beiden Fällen wird das Lemma auch in den Adnotationes zitiert, so dass die Überlieferung gut dokumentiert ist. Iob 9, 35b 116 Hiob Kap.u. Vers

Stelle Jul. ed. De Coninck Seite/Zei.

Zitierformel bei Julian

Wortlaut Julian

Stelle Aug. adn. ed. Zy. Sei./Z.

O. lt. Aug., adn. (ω2-Linie) 

S. T. B.

9, 35b

30, 162–163

In graeco,

Neque enim conscius mihi sum iniquitatis.

531, 4

non enim sum mecum

non enim nunc sum mecum

M116: ‫ֹא־כ֥ן ָ֝א ֹנ ִ֗כי ִעּמָ ִ ֽדי‬ ֵ ‫ִ ּ֥כי ל‬

LXX (Lukianische Rezension) οὐ γὰρ συνεπίσταμαι ἐμαυτῷ ἄδικον

Vulgata (bei Julian übersprungen): neque enim possum metuens respondere

116 Dt. (lt. Gesenius-Donner (2013) 553 rechts): Denn so bin ich nicht mir selbst gegenüber.

338

Reste von O. außerhalb von Hieronymus’ und Augustins Werken 

Hier hat Hieronymus bei der Revision in S. durch den Zusatz von nunc versucht, in seine Übersetzung eine Entsprechung zu dem deiktischen ‫„( ֵכ֥ן‬so“) der hebräischen Vorlage zu integrieren. Die von Julian zitierte Übersetzung beruht dagegen auf der Lukianischen Rezension. Da Julians Vorliebe für gerade diese Textvorlage gut dokumentiert ist117, könnte man den Schluss ziehen, dass diese Version von Iob 9, 35b seine eigene Arbeit sei. Jedoch rät der Umstand zur Vorsicht, dass an der folgenden Stelle, die strukturell vergleichbar ist, die Lukianische Tradition keine Rolle spielt: Iob 19, 17b 118 119 120 Hiob Kap.u. Vers

Stelle Jul. ed. De Coninck Seite/Zei.

Zitierformel bei Julian

Wortlaut Julian

Stelle Aug. adn. ed. Zy. Sei./Z.

O. lt. Aug., adn. (ω2-Linie) 

S. T. B.

19, 17b

53, 56

In graeco:

filios concubinarum

549, 5

inuocabam ­ blandiens118 filios119 uteri mei

inuocabam ­ blandiens filios uteri mei

M120: ‫ְו ֝חַ ֹּנ ִ֗תי ִל ְבנֵ ֥י ִב ְט ִ ֽני‬

LXX: προσεκαλούμην δὲ κολακεύων υἱοὺς παλλακίδων μου

Vulgata bei Julian: Et orabam filios ­uteri mei.

In diesem Fall gibt es noch ein zusätzliches Argument, das für die Möglichkeit spricht, dass die von Julian hier auszugsweise zitierte Fassung nicht erst von ihm selbst stammt, sondern schon als Doppelübersetzung in Hieronymus’ Erstfassung O. gestanden hat. Im Anhang B werde ich argumentieren, dass in den von Ziegler edierten Glossen in spanischen Vulgata-Bibeln eine Vetus Latina-Fassung des Buches Hiob fassbar wird, die zu den Quellen der Versio prior des Hieronymus gehörte. Dort ist auch die Version zum vorliegenden Lemma Iob 19, 17 erhalten121. Sie lautet: Et advocabam blandiens filios concubinarum mearum. Diese Übersetzung nach der LXX nimmt zugleich – bis auf den Unterschied zwischen concubinarum und uteri mei – fast wörtlich die Übersetzung des hebräischen Textes in Hierony 117 Vaccari (1915) 188–197. 118 GN om. blandiens. 119 F* filios meos. 120 Dt.: und ich werde stinken den Söhnen meines Mutterleibes (so lt. Gesenius-Donner (2013) 373 rechts im Sinne von „meinen leiblichen Brüdern“). Wie die Konstruktion mit der Präposition ‫ ל‬zeigt, geht M von der Wurzel ‫חנן‬2 („stinken“) aus. Die LXX und ihr folgend Hieronymus leiten die Verbform dagegen von ‫חנן‬1 („gnädig sein“) ab. Dieses Verbum wird aber im Hebräischen nur mit Akkusativobjekt verbunden: Vgl. zu den beiden Wurzeln und ihrer verschiedenen Konstruktion Gesenius-Donner (2013) 373 links und rechts. 121 Ziegler (1980) 17.

Spuren von O. im Hiob-Kommentar des Julian von Aeclanum  

339

mus’ Versio prior vorweg. Da der Text der spanischen Glossen gerade die Erstfassung O. der Versio prior beeinflusst hat122, scheint mir die Vermutung naheliegend, dass Hieronymus in O. wieder einmal die Lesarten filios concubinarum nach der LXX und filios uteri mei nach M zur Wahl stellte und somit die Quelle für Julians alternative Fassung schuf. Damit sind alle Stellen aus dem Hiob-Kommentar des Julian von Aeclanum besprochen, aus denen sich m. E. sichere oder mögliche Rückschlüsse auf die Erstfassung O. von Hieronymus’ erster Hiob-Übersetzung ziehen lassen.

122 Vgl. den Anhang B.

F. Die Hiob-Kommentare von Julian von Aeclanum und Papst Gregor I.: Kapitel 13–14 Kapitel 14: Splitter von O. in den Moralia in Iob Gregors des Großen 14.1 Die Aufgabe Zu den Textvorlagen seiner Moralia in Iob1 sagt Gregor der Große selbst am Ende seines Widmungsschreibens, der Epistula ad Leandrum2, er kommentiere den Hiob-Text der „neuen Übersetzung“. Wie die von ihm zitierten Lemmata zeigen, handelt es sich dabei um die Vulgata. Daneben berücksichtige er jedoch auch die „alte Übersetzung“, da beim Apostolischen Stuhl beide nebeneinander in Gebrauch seien3: Nouam uero translationem dissero; sed cum probationis causa me exigit, nunc nouam nunc ueterem per testimonia adsumo, ut, quia sedes apostolica cui Deo auctore praesideo utraque utitur, mei quoque labor studii ex utraque fulciatur4. Gregor definiert nicht genauer, welche Vetus Latina-Version er mit seinem Ausdruck „alte Übersetzung“ meint5. Da sich jedoch sein Ausdruck „neue Übersetzung“ auf Hieronymus’ Neuübersetzung des Buches Hiob aus dem Hebräischen bezieht, liegt es nahe, die „alte Übersetzung“ mit der ersten Hiob-Übersetzung des Hieronymus nach Origenes’ Hexapla zu identifizieren. Dafür spricht auch, dass im Apparat der Römischen Vulgata zahlreiche Übereinstimmungen zwischen Gregors Hiob-Lemmata mit Lesarten der Versio prior nachgewiesen werden6. Salmon dagegen spricht mehrfach von früheren Hiob-Versionen im Plural und deutet damit an, dass seines Erachtens in Rom sogar mehrere alte Hiob-Übersetzungen gelesen wurden und Spuren in den Moralia hinterließen7. Gribomont warnt überdies vor 1 Vgl. Dekkers, Clavis (1995) 553, Nr. 1708; ed. Marc Adriaen, 3 Bd. (CCL 143, 143A und 143B), Turnhout 1979 und 1985 (verkleinerter ND in zwei Bänden als Scholars Version, Turnhout 2005).– Zur ersten Orientierung vgl. Fiedrowicz (1998), zur Vertiefung den Kongressband von 1986 (Hrsg. J. Fontaine u. a.) und die Monographie von Greschat (2005). 2 Abgedruckt als Vorspann zur Ausgabe der Moralia: CCL 143 (1979) 1–7. 3 Gribomont (1986) 467 verweist auf die Unschärfe der Formulierung sedes apostolica […] utraque utitur: Handelt es sich nur um den liturgischen Gebrauch? Vgl. auch die kurze Diskussion über diesen Punkt (Protokoll S. 474). 4 Zitiert nach CCL 143 (1979) 7, Z. 225–229. 5 Ziegler (1982) 31 identifiziert Gregors vetus translatio einfach mit „Vetus Latina“. 6 In der Römischen Vulgata (1951), deren Angaben zu möglichen Quellen nicht vollständig sind, werden mehr als 40 wörtliche Bezüge aufgeführt, die in allen Moralia-Handschriften. überliefert sind; weitere 15 übereinstimmende Lesarten begegnen jeweils in einem Teil der Gregor-Tradition. 7 Salmon (1951) 188. 191–194. Er lässt sich aber auf Details nicht ein und versucht keine genaueren Identifikationen. Tatsächlich lässt sich aus dem 2. Apparat der Römischen Vulgata ersehen, wie verwirrend vielfältig punktuelle Übereinstimmungen zwischen Hiob-Texten von Gregors Moralia und verschiedenen Vetus Latina-Fassungen sind.

Splitter von O. in den Moralia in Iob Gregors des Großen 

341

der Vorstellung, Gregor habe alle seine Lesarten nur einem einzigen Bibelexemplar entnommen, und rechnet mit der Benutzung verschiedener Texte8. In jedem Fall weckt Gregors Hinweis die Erwartung, man könne in seinen Moralia Vetus LatinaLesarten des Buches Hiob auffinden. Die Forschung hat jedoch gezeigt, dass sich Gregors Verweise auf Vetus LatinaLesarten in Wirklichkeit auf einige wenige Stellen beschränken9. Außerdem betreffen diese Vetus Latina-Bezüge meist nur einzelne Stichwörter oder kurze Ausdrücke, umfassen aber nur selten vollständige Lemmata. Somit versprechen die Vetus Latina-Lesarten bei Gregor deutlich weniger Ertrag für die Rekonstruktion der Vetus Latina als die Zitate in den Glossen spanischer Vulgata-Bibeln, bei Philippus Presbyter und bei Julian von Aeclanum. Von den Vetus Latina-Lesarten, auf die Gregor ausdrücklich aufmerksam macht, sind weitere altlateinische Kontaminationen seines Hiob-Textes zu unterscheiden, die er dem Leser gegenüber nicht als solche identifiziert. Dabei lässt sich nicht entscheiden, wie Gribomont gezeigt hat10, ob Gregor diese Stellen schon in seinen Vulgata-Exemplaren vorfand, so dass ihm ihr Vetus Latina-Charakter möglicherweise gar nicht bewusst war11, oder ob er vielleicht erst selbst altlateinische Lesarten in die Vulgata eintrug, weil sie sich für seine spirituelle Auslegung besonders eigneten12. Wie dieser Überblick zeigt, ist sich die Forschung zwar einig, dass der Text von Gregors Moralia altlateinische Lesarten enthält, hat aber noch nie unternommen, seine Vorlage oder Vorlagen genauer einzugrenzen. Im Rahmen der vorliegenden Arbeit habe ich deshalb überprüft, wieweit die bisher in den Moralia nachgewiesenen Vetus Latina-Varianten vielleicht aus der ersten Hiob-Übersetzung des Hieronymus, der Versio prior, und im Besonderen aus deren Erstfassung O. stammen. Dabei hat sich gezeigt, dass man zwischen den Stellen, an denen Gregors Hiob-Text stillschweigend mit Vetus Latina-Lesarten kontaminiert ist, und seinen ausdrücklichen Verweisen auf alternative Lesarten unterscheiden muss. Die beiden Kategorien lassen nicht dieselben Schlüsse zu. Deshalb zeige ich in einem ersten Teil an Stichproben, dass einige auffällige kontaminierte Stellen m. E. immerhin mit einer gewissen Wahrscheinlichkeit, aber keineswegs sicher auf die Revisionsschicht O. der Versio prior des Hieronymus zurückgeführt werden können. Zu einer Rekonstruktion von O. tragen diese Stellen jedoch nichts Neues bei und sind deshalb für die vorliegende Arbeit nur von begrenztem Interesse. 8 Gribomont (1986) 467. 468. 471. 9 Auf die geringe Anzahl von Stellen weisen alle Autoren hin, die sich mit der Frage beschäftigt haben: De Bruyne (1938) [181] No. 656; Salmon (1951) 193; Adriaen (1979) VII mit Anm. 9; Ziegler (1982) 32; Gribomont (1986) 467; Vattioni (1996) 12, Anm. 67.– In der Monographie von Katharina Greschat (2005) wird die Frage von Gregors Textvorlagen nicht erwähnt. 10 Gribomont (1986) 472; vgl. schon 467. 11 Vgl. Ziegler (1982) 32. 12 Zur Kontamination in Gregors Moralia vgl. auch das kommentierende Referat der Arbeiten von Ziegler (1982) und Gribomont (1986) bei Bogaert (2012) 89–90.

342

Reste von O. außerhalb von Hieronymus’ und Augustins Werken 

In einem zweiten Teil vertrete ich demgegenüber die These, dass sich Gregors ausdrückliche Hinweise auf Lesarten einer anderen Übersetzung tatsächlich auf die Erstfassung O. der Versio prior beziehen und sogar einige neue Details zu deren Bild beisteuern. Falls sich diese Überlegungen bewähren, wäre damit nicht nur die vorliegende Arbeit gefördert, sondern auch die „alte“ Hiob-Übersetzung identifiziert, die nach Gregors vagem Hinweis unter seinem Pontifikat (590–604) am Apostolischen Stuhl neben der Vulgata in Gebrauch war13.

14.2 Vetus Latina-Kontaminationen in Gregors Vulgatatext Eine Überprüfung der bei Salmon14, Adriaen15, Ziegler16 und Gribomont17 genannten Belege ergibt, dass diese Vetus Latina-Einsprengsel zwar teilweise auf die Versio prior des Hieronymus zurückgehen können, dass dies aber auch dort, wo eine mögliche Verbindung besteht, oft nicht beweisbar ist, weil auch andere Quellen nicht auszuschließen sind. So dürfte Salmon Recht haben: Es scheint nicht unwahrscheinlich, dass die kirchlichen Kopisten in Rom mit einer Mehrzahl von altlateinischen Hiob-Übersetzungen in Kontakt kamen, so dass sie beim Abschreiben der Vulgata leicht durch Reminiszenzen an andere Textfassungen beeinflusst werden konnten. Ich beschränke mich im Folgenden auf die Diskussion einiger typischer Fälle, in denen eine Herleitung aus der Versio prior am Ehesten in Frage kommt18. 13 Siehe oben S. 340. 14 Salmon (1951) 189. 15 Adriaen (1979) VII, Anm. 9. 16 Ziegler (1982) 32. 17 Gribomont (1986) 471. 18 Die übrigen von Gribomont (1986) 471 angeführten Vetus Latina-Lesarten in Gregors und Julians Vulgata-Text lassen sich im Vergleich mit der Stuttgarter Vulgata wie folgt klassifizieren: Hiob Kap./ Vers

Stuttgarter Vulgata 5 2007

Vulgata-Text Gregors

mögliche Herkunft der Lesart Gregors aus Versio prior O. lt. adn. S. T. B.

1, 16b

e caelo

de caelo

fehlt

de caelo

1, 21



2, 9

permanes tu obsecro te … perierit… sint multiplex esset

+ sicut domino pla- fehlt cuit ita factum est permanes fehlt

(statt ita: sic) –

obsecro… periit…sunt

fehlt



multiplex sit



4, 7

11, 6b

×

andere Quelle

(om. ita) × ×

×

343

Splitter von O. in den Moralia in Iob Gregors des Großen 

Iob 1, 20a Im Lemma Iob 1, 20a liest die Vulgata scidit tunicam suam; Gregors Text lautet dagegen scidit uestimenta sua19. Während das Simplex scidit als typischer Hebraismus der Vulgata entstammt, erinnert die Wortgruppe uestimenta sua an Hieronymus’ Versio prior, für die in T. B. conscidit uestimenta sua überliefert ist20. Diese Formulierung wird auch von Augustin an anderer Stelle zitiert21. Die Versio prior ist aber nicht die einzig mögliche Vorlage für Gregors Text; denn dieselbe Formulierung conscidit uestimenta sua findet sich auch in dem Hiob-Text, den der anonyme Arianer in seinem Kommentar benutzt22. Iob 2, 10b Im Lemma Iob 2, 10b liest die Vulgata suscepimus und übernimmt damit die Übersetzung, die Hieronymus erst in der Endfassung T. der Versio prior gewählt hatte23. 15, 4b

coram Deo

coram Domino

fehlt

22, 4b

in iudicium

ad iudicium

in iudicium

×

30, 19b

adsimilatus

assimilatus sum



×

30, 20a

clamo… e×audis et si secutum est oculos meos cor meum pereuntem

clamabo… e×audies si secutus est oculus meus cor meum



×

praetereuntem

pereuntem

31, 7b

31, 19a 32, 22

(identisch!)

fehlt

cf. ante conspectum domini

et si secutum est oculum meum × cor meum

praeter­ euntem



34, 1

itaque

quoque



×

34, 29b

vultum

vultum suum



×

35, 6b

(identisch!)

38, 38

(identisch!)

38, 39b

et animam

– – aut animam

cf. aut animas

19 Da Gregor das Buch Hiob unter mehreren Gesichtspunkten auslegt, zitiert er die meisten Lemmata mehrfach. Die Belege zu Iob 1, 20a stehen moral. II, XVI, 28 (77, 1–2); II, XXXIV, 55 (93, 1–2); II, LI, 81 (108, 1). 20 Die Lesart concidit des Codex S. ist ein offensichtliches Kopierversehen. Die Lesart von O. ist nicht direkt bezeugt, weil Augustin die Stelle in den Adnotationes übergeht. 21 s. 22 A, 2 = s. Mai 15, 2 lt. Vetus Latina-Datenbank 31/48 und CAG. 22 Vgl. zu diesem Hiob-Kommentar Steinhauser in der Introduction zu seiner Ausgabe im CSEL 96 (2006), 9–84; zum Hiob-Text dort 25–29. Der Anonymus ergeht sich in immer neuen Wiederholungen der Hiob-Zitate. Ich zitiere deshalb nur die ersten drei Belege von Iob 1, 20a (ed. Steinhauser): I, 86 (221, 3–4. 9–10. 18–19). 23 Auch B. übernimmt suscepimus aus T.– Der Wechsel zu suscepimus in T. soll vermutlich den Bezug zu dem folgenden sustineamus verdeutlichen. Vgl. dazu Anhang A, Seite 534, Anm. 33.

344

Reste von O. außerhalb von Hieronymus’ und Augustins Werken 

Für Gregors Text ist dagegen – mit einer Ausnahme24 – die Lesart accepimus charakteristisch25. Accepimus kann aus dem Codex S. der Versio prior stammen (der möglicherweise auch die Lesart von O. repräsentiert, die jedoch nicht überliefert ist26). Die Lesart kann aber auch auf Werke des Ambrosius oder auch Hieronymus zurückgehen, die das Lemma Iob 2, 10b mit accepimus zitieren27. Iob 2, 10c Im gleich anschließenden Lemma Iob 2, 10c liest die Vulgata quare mala non suscipiamus? Dagegen lautet die in Gregors Vulgata vorliegende Formulierung mala quare non sustineamus?28 Sie findet sich bei Hieronymus nur in der Endfassung T. Dagegen bietet die Handschrift S. mala cur non sustineamus?, während der Codex B. (der in diesem Fall vermutlich die Lesart von O. bewahrt) ganz auf ein Fragewort verzichtet: mala non sustineamus? Trotzdem kann man nicht völlig sicher sein, dass Gregors Vulgata hier von Hieronymus’ Endfassung T. kontaminiert ist, weil dieselbe Fassung gelegentlich auch von Augustin zitiert wird, an dessen Text sich der Bearbeiter oder Schreiber von Gregors Vulgata ebenfalls erinnert haben kann29. Nur in zwei Fällen stammt eine Lesart in Gregors Vulgata-Text eindeutig aus der Versio prior des Hieronymus. Die betreffende Fassung steht jeweils in allen drei Codices S. T. B., so dass nicht erkennbar wird, welche Revisionsschicht der Vulgata als Vorlage gedient hat. Iob 2, 3c Die erste Stelle Iob 2, 3c stammt wieder aus den Anfangskapiteln. Gregors Text lautet mit den Codices S. T. B. der Versio prior30 […] super terram, homo […]31, während die Vulgata […] in terra, vir […] liest.

24 In moral. III, XXI, 39 (140, 2) schreibt auch Gregor einmal suscepimus. 25 accepimus steht moral. III, IX, 15 (123, 2; 124, 14), III, IX, 16 (124, 45; 125, 61–62); III, XXI, 41 (141, 59); III, XXXIII, 64 (155, 2. 11). 26 Augustin hat den Vers in den Adnotationes übergangen. 27 Ambrosius, Iob 3, 3 (CSEL 32, 2, ed. Schenkl (1897) 249, 19) lt. Vetus Latina-Datenbank 8/106 und Frede (1995) 104 sowie apol. Dav. 30 (ed. Hadot (1977) 112, 18) lt. Vetus Latina-Datenbank 5/106 und Frede (1995) 98; Hieronymus, in Gal. 6, 6 (PL 26, 430 A) lt. Röm. Vulgata (1951) und Frede (1995) 518. 28 Die Belege bei Gregor: moral. III, IX, 15 (123, 2–3; 124, 14–15); III, IX, 16 (124–125, 45– 46. 62–63); III, XXI, 39 (140, 2–3); III, XXI, 41 (141, 59–60 (mit 2 Druckfehlern)); III, XXXIII, 64 (155, 2–3. 11–12). 29 Augustin en. Ps. 34, 1, 7 lt. Vetus Latina-Datenbank 41/106 und CAG. 30 Ebenso noch Hieronymus tract. in Is. 2 (Anecdota Maredsolana III, 3 (1903) 118, Z. 32). Dieser Text des Theophilus von Alexandrien wurde lt. Frede (1995) 523 wohl im Jahre 402 von Hieronymus übersetzt. Die Erstfassung O. ist auch bei Augustin nicht überliefert. 31 moral. III, I, 1 (115, 15).

Splitter von O. in den Moralia in Iob Gregors des Großen 

345

Iob 15, 29a In dem späteren Lemma Iob 15, 29a findet Gregor in seiner Vulgata die Lesart habitabitur, zitiert aber ditabitur als Variante anderer Handschriften – wohlgemerkt der Vulgata, nicht der Vetus Latina32. Die Römische und die Stuttgarter Vulgata setzen dagegen ditabitur in den Text und verweisen habitabitur in den Apparat33. Die Lesart ditabitur stammt aus der Versio prior (Codices O.34 S. T. B.). Es handelt sich also nicht um einen Fall von Kontamination der Vulgata aus der Versio prior, sondern um einen Beleg für das auch von Erbes beobachtete Phänomen, dass Hieronymus immer wieder gelungene Formulierungen der Versio prior anschließend auch in die Vulgata übernommen hat35. Der bisherige Überblick zeigt, dass einige wenige der Vetus Latina-Lesarten, die die Forschung in Gregors Vulgata-Text identifiziert hat, zwar möglicherweise der Versio prior des Hieronymus entnommen sind, dass aber vielfach auch in diesen Fällen andere Quellen nicht ausgeschlossen werden können. Dabei bleibt ein offenes Problem, aus welcher Revisionsschicht der Versio prior die Entlehnungen stammen. Denn die Lesart Iob 2, 10b accepimus steht nur in S. (und damit ggfs. auch schon in O.), während die direkt folgende Passage Iob 2, 10c mala quare non sustineamus? erst der Endfassung T. angehört. (Auch der Zusatz sicut domino placuit ita factum est zu Iob 1, 21 in der obigen Tabelle36 steht in dieser Formulierung nur in T.) Für dieses Phänomen gibt es m. E. zwei mögliche Erklärungen. Entweder hat der Bearbeiter der Vulgata-Handschrift diese Lesarten – vielleicht aus der Erinnerung – aus zwei verschiedenen Fassungen der Versio prior kombiniert. Dann läge hier eine Parallele zu der in Kapitel 937 besprochenen Glosse zu Iob 14, 4 in den drei spanischen Vulgata-Bibeln vor. Oder der Kopist hat beide Lesarten doch derselben Handschrift entnommen; dann müsste es sich um einen Codex der Erstfassung O. gehandelt haben, der neben der später verworfenen Lesart mala non sustineamus? (belegt in B.) bzw. mala cur non sustineamus? (belegt in S.) auch schon die später in T. überlieferte Endfassung mala quare non sustineamus? enthielt. Angesichts dieser Unwägbarkeiten kann man nicht hoffen, in Gregors VulgataText bisher unbekannte Splitter der Erstfassung O. der Versio prior mit hinreichender Sicherheit nachweisen zu können, wie es dem Hauptinteresse der vorliegenden Arbeit entspricht. Anders steht es dagegen m. E. mit den – freilich seltenen – Stel 32 moral. XII, XLVII, 53 (660, 1–4). 33 Gribomont (1986) 467 zeigt, dass habitabitur keine ernsthafte Alternative, sondern eine fehlerhafte Lesart ist. 34 Lt. Augustins Zitat in den Adnotationes (541, 19). Ditabitur ist fast einstimmig überliefert (nur Z hat dabitur). 35 Vgl. Erbes (1950) 11, 15 und 176. Er hebt in seiner Edition solche Fälle durch schwarze Unterstreichungen hervor. An der vorliegenden Stelle Iob 15, 29a schreibt Erbes (S. 54) et non ditabitur nec permanebit substantia eius. – Zur Frage des Einflusses der Versio prior auf die Vulgata vgl. auch noch unten die Einleitung zu Anhang A, S. 529–531. 36 S. 342, Anm. 18. 37 S. 205–206.

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Reste von O. außerhalb von Hieronymus’ und Augustins Werken 

len, an denen Gregor ausdrücklich Lesarten der Vulgata mit anderen Übersetzungen konfrontiert.

14.3 Gregors Zitate aus der Versio prior38 14.3.1 Thesen In der folgenden Untersuchung komme ich zu dem Ergebnis, dass Gregor sich an allen Stellen, an denen er eine andere Übersetzung als die Vulgata zitiert, auf die Versio prior des Hieronymus bezieht. In einigen Fällen stehen seine Zitate unverändert sowohl in der Erstfassung O. als auch in der Endfassung T. des Hieronymus, so dass keine Entscheidung möglich ist, welche Revisionsstufe der Versio prior der Papst benutzt hat. An mehreren anderen Stellen jedoch glaube ich nachweisen zu können, dass er speziell die Erstfassung O. von Hieronymus’ Versio prior zitiert. Deshalb scheint mir der Schluss plausibel, dass auch diejenigen seiner Zitate, die er ebenso gut in den revidierten Fassungen der Versio prior S. T. (B.) hätte finden können, ebenfalls auf die Erstfassung O. zurückgehen.

14.3.2 Zitate aus der Versio prior generell Eine erste Gruppe von Zitaten bei Gregor lässt sich nur generell auf die Versio prior, aber nicht auf eine spezielle Revisionsstufe zurückführen. Iob 4, 11a Ein eindeutiger Bezug auf die Versio prior liegt im Lemma Iob 4, 11a vor. Dort liest Gregor entsprechend der Vulgata39: tigris periit eo quod non haberet praedam. Später merkt Gregor an40: Translatione autem septuaginta interpretum nequaquam dicitur tigris, sed Myrmicoleon periit, eo quod non haberet praedam. Hier wird der Bezug auf die Versio prior dadurch gesichert, dass Gregor sich ausdrücklich auf eine Übersetzung der LXX bezieht und das Stichwort myrmicoleon („Ameisenlöwe“) nur in der ersten Hiob-Übertragung des Hieronymus belegt ist41. 38 Siehe die Listen bei Ziegler (1982) 32 und bei Gribomont (1986) 470. Gribomonts Hinweise auf Iob 15, 14 und 38, 18 ließen sich nicht verifizieren. 39 moral. V, XX, 39 (245, 1). 40 moral. V, XX, 40 (246, 35–37); vgl. V, XXII, 43 (248, 10–12. 28). 41 Zu Gregors Auslegung des myrmicoleon vgl. Ciccarese (1994) 558–560.– Auch Philippus Presbyter hat mit seinem Hinweis, in alia editione stehe myrmicoleon statt tigris, die Versio prior im Blick: Vgl. oben Kap. 10, S. 238 (Tabelle). Lt. der Vetus Latina-Datenbank, Beleg 9/17 und Frede (1995) 525 begegnet das Zitat Myrmicoleon periit eo quod non haberet escam bei Hieronymus auch noch in der Epistula IV. Pachomii (Pachomiana Latina ed. Boon (1932) p. 88, 13–14). Lt. der Beuroner Datenbank, Beleg 17/17 und Frede (1995) 684 steht auch im lateinischen Physiologus, Rezension Y 33, 1 (ed. Carmody (1941), p. 127) noch ein Zitat: In Iob Elefas Temaneorum rex dixit de mirmicoleon: Periit eo quod non habeat escam. Carmody, der die von ihm edierte Version auf das 4. oder 5. Jh. datiert (S. 98), bemerkt (ebenda) zu den Bibelzitaten: „There

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Gregors Hinweis auf die translatio septuaginta interpretum führt aber für sich allein genommen noch nicht sehr weit. Erstens taucht das Stichwort myrmicoleon auf allen Revisionsstufen der Versio prior auf. Augustin fand es in O. vor42, und es steht unverändert in allen drei Hieronymus-Codices S. T. B. Damit kann man aus diesem Beleg noch nicht schließen, welche Fassung der Versio prior Gregor vor Augen hatte. Zweitens beschränkt sich das Vetus Latina-Zitat bei Gregor bei näherem Hinsehen auf den Begriff myrmicoleon. Dagegen sind die folgenden Worte Gregors periit, eo quod non haberet praedam wieder der Vulgata entnommen43. Das geht aus dem abschließenden Stichwort praedam hervor, das Hieronymus erst in der Vulgata aufgrund des hebräischen Textes einführt hat. Auf allen Stufen der Versio prior schrieb er dagegen escam entsprechend dem βορὰν der Hauptüberlieferung der LXX. Die Lesart escam wird für O. durch Augustins Kommentar eindeutig bestätigt44. Iob 7, 1 Ebenfalls der Versio prior entnommen ist die alternative Übersetzung von Iob 7, 145. Gregor zitiert zunächst die Vulgata46: Militia est uita hominis super terram. Anschließend verweist er darauf, dass die translatio uetus statt militia die Lesart temptatio biete47: Hoc in loco translatione ueteri nequaquam militia uita hominis, sed temptatio uocatur. Wieder ist Gregor nur an dem Unterschied der Begriffe militia und temptatio interessiert, ohne auf die sonstigen beträchtlichen Unterschiede der Formulierung einzugehen, die zwischen der Vulgata und der Fassung der Versio prior bestehen. Letztere hat als auffälligstes Merkmal die Form einer negierten Frage: Numquid non tentatio est uita humana super terram?48 Gregor jedoch tauscht auch an den beiden folgenden Stellen, an denen er nochmals auf die alte Übersetzung zurückgreift, nur den Begriff militia gegen den Begriff temptatio aus, ohne are at least forty-five verses from the Bible which contain one or more readings from the Old Latin, as confirmed in the works of St. Ambrose and his contemporaries (all such readings are here given in italics).“ Das vorliegende Hiob-Zitat druckt Carmody jedoch nicht kursiv, führt es also nicht auf Ambrosius oder seine Zeitgenossen zurück. Carmody gibt keinen Verweis auf die erste Hiob-Übersetzung des Hieronymus. 42 adn. Iob (513, 17). 43 Adriaen, moral. V, XX, 40 (246, 36–37) druckt die Worte kursiv, so dass sie noch als Teil des Vetus Latina-Zitats missverstanden werden können. 44 Augustin nimmt den Begriff esca mit (513, 19) comedat sowie mit (513, 25–26) escas […] quibus non pasceretur wieder auf.– Es gibt in den Adnotationes auch keinen versteckten Hinweis darauf, dass Augustin etwa praedam schon in O. als Doppelübersetzung neben escam vorgefunden hätte. 45 Die Vetus Latina-Datenbank bietet für Iob 7, 1 135 Belege. 46 moral. VIII, VI, 8 (385, 1). 47 moral. VIII, VI, 8 (385, 1–3). 48 Die Versio prior hat außerdem uita humana, die Vulgata dagegen uita hominis. Beide Versionen des Hieronymus lesen super terram.– Die Formulierung mit Numquid non verdankte Hieronymus möglicherweise der Vetus Latina-Vorlage des Ambrosius, der zur Osterzeit 386 in De bono mortis 3, 12 (ed. Wiesner (1970) p. 100, 13) schreibt: numquid non temptatio est vita hominis in terra? (vgl. Vetus Latina-Datenbank zu Iob 7, 1, Beleg 9/135 und Frede (1995) 105).

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den Aussagesatz der Vulgata zu verändern, wenn er schreibt: Temptatio est uita hominis super terram49. Weil die Fassung der Versio prior unverändert sowohl in Augustins Adnotationes50 als auch in den Hieronymus-Codices S. T. B. überliefert ist, kann man auch an dieser Stelle noch nicht erkennen, welche der verschiedenen Revisionsschichten des Hieronymus Gregor vor Augen hatte. Die bisher besprochenen Stellen zeigen beide, dass Gregors alternative Lesarten aus der Versio prior des Hieronymus stammen, lassen sich aber keiner einzelnen Revisionsstufe zuordnen.

14.3.3 Zitate aus der Erstfassung O. Die nächste Gruppe von drei Zitaten erlaubt jedoch m. E. den Nachweis, dass Gregor die Erstfassung O. benutzte. Iob 11, 10b Der erste Beleg liegt in seinem Zitat von Iob 11, 10b vor. Gregor zitiert zweimal die Vulgata: si subuerterit omnia uel in unum coartauerit, quis contradicet ei? 51 Beide Male setzt er mit einem einleitenden uel52 eine alternative Übersetzung des Schlusses hinzu: Vel: quis dicere ei potest: Cur ita facis? Die Vulgata bleibt hier mit quis contradicet ei? eng am hebräischen Text ‫יבּנּו‬ ֽ ֶ ‫ּומ֣י יְ ִׁש‬ ִ („wer wird ihm antworten?“53); dagegen spiegelt die von Gregor zitierte Variante eher die LXX: ἐὰν δὲ καταστρέψῃ τὰ πάντα, τίς ἐρεῖ αὐτῷ· Tί ἐποίησας; 49 moral. VIII, VI, 10 (388, 80 und 104–105). Der durchgehende Kursivdruck des Zitats an beiden Stellen lässt Gregors Vorgehen nicht klar hervortreten. Die Vetus Latina-Datenbank kennt keine weitere Parallele zu dieser Formulierung Gregors; diese gibt also nicht etwa den Text der ihm vorliegenden „alten Übersetzung“ wieder.– Ähnliche Formulierungen, die nur auf den Kontrast zwischen temptatio und militia zugespitzt sind, finden sich schon bei Hieronymus selbst: ep. 130, 7, 4 temptatio – siue, ut melius habetur in Hebraeo, militia – est uita hominis super terram; ähnlich in Ion. 2, 4b: Temptatio est uita hominum super terram, siue, ut in hebraeo habetur, militia (ed. Duval (1985) 234, 150–152); vgl. dazu die Vetus Latina-Datenbank (93–94/135). 50 adn. Iob (521, 17–18). Etwa zeitgleich mit den Adnotationes sind das Zitat in conf. 10, 28, 39 und die Anspielung in c. Faust. 22, 78. Die benutzerfreundlichste Übersicht über die weiteren Belege bei Augustin, die bis in sein Todesjahr 430 reichen, findet sich bei La Bonnardière (1960) 134–135; daneben gibt es die Indizes im CAG und die Belegsammlung in der Vetus Latina-Datenbank (zu Augustin dort die Nummern 21–71/135). Augustins Vollzitate entsprechen stets der Versio prior des Hieronymus: numquid non temptatio est uita homana super terram? Auch seine Anspielungen gehen lt. den beiden typischen Formulierungen uita humana und super terram auf dieselbe Quelle zurück. Nur ausnahmsweise heißt es einmal mit der Vulgata: uita hominis super terram (c. Gaud. 1, 24). 51 moral. X, X, 16 (549, 1–2) und X, X, 19 (551, 63–64). 52 moral. X, X, 16 (549, 2–3) und X, X, 19 (551, 64–65). 53 Zu dieser Bedeutung des Hif ’ils vgl. Gesenius-Donner (2013) 1330 rechts, Punkt 7; die neueren Exegeten ziehen hier jedoch die Deutung vor: „Wer will ihm wehren?“ (vgl. GeseniusDonner (2013) 1330 links, Punkt 3).– (Das ‫ ּו‬vor ‫ ִ ֣מי‬ist als Waw apodosis zu konstruieren, fällt also im Deutschen fort.)

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Der Beweis, dass sich Gregor hier auf die Erstfassung O. bezieht, liegt darin, dass sein Zitat in zwei charakteristischen Details von dem Text abweicht, den Augustin in Übereinstimmung mit den Hieronymus-Codices S. T. (B.) bietet. Deren Lesart lautet (adn. 534, 6 Zy): quis dicet54 illi: quid fecisti? Dieser Wortlaut entspricht der LXX ganz genau. (Das Präsens dicit im Sangallensis erklärt sich vermutlich als eines der dort häufigen Kopierversehen durch Verwechslung von e und i55.) Gregors Zitat dicere […] potest: Cur ita facis? dagegen umschreibt in einer für Hieronymus typischen Weise das Futur mit posse56, bietet mit cur eine alternative Interpretation der Frageeinleitung τί57 und bezieht durch das in facis präsentisch aufgefasste Perfekt πεποίηκας eine schwache griechische Nebenüberlieferung mit ein58. In all diesen Punkten zeigt sich die Handschrift des Hieronymus. Da diese Fassung jedoch weder in den Adnotationes noch in S. T. B. belegt ist, muss sie aus der Erstfassung O. stammen. Dabei ist nicht zu klären, ob hier in O. eine Doppelversion anzunehmen ist, in der die Fassungen Gregors und Augustins nebeneinander standen, oder ob das Zitat in den Adnotationes erst vom ω2-Frater aus T. eingetragen wurde – Augustins Kommentar (534, 6–8: et hoc enim recte erit factum, si deus fecerit, quia facere aliquid ille nisi recte non potest) lässt keine Entscheidung zu59. Im zweiten Fall wäre die Fassung von O. überhaupt erst mit Gregors Zitat wiedergewonnen. Iob 3, 8ab Der Nachweis von O. im Lemma Iob 3, 8ab gestaltet sich etwas komplizierter. Gregor zitiert es zunächst nach der Vulgata60: Maledicant ei qui maledicunt diei, qui parati sunt suscitare Leuiathan. Er fährt dann fort61: In translatione ueteri ita non dicitur sed: Maledicat eam qui maledixit diem, qui capturus est grandem cetum. Es ist deutlich, dass Gregor dieses ausführliche Zitat wörtlich einer Vorlage entnommen hat. Diese Quelle ist jedoch nicht erhalten – die Vetus Latina-Datenbank enthält keine wortgetreue Parallele. Bei der Suche nach Gregors Vorlage setzt man am besten bei dem auffälligen Umstand an, dass maledicere hier gleich zweimal mit dem Akkusativ verbunden wird (eam und diem). Diese Konstruktion62 ist sonst nur noch in den von Zieg-

54 S. dicit. 55 Vgl. Caspari (1893) 24–25. 56 Vgl. Kap. 12, S. 286 mit Anm. 4 und Kap. 20, S. 480 mit Anm. 25 sowie die Vulgata im Lemma Iob 9, 12 quis dicere potest: cur facis?, wo dicere potest ein griechisches Futur bzw. hebrä­ isches Imperfekt wiedergibt. 57 Auch im soeben zitierten Lemma Iob 9, 12 beruht cur auf griechischem τί bzw. hebräischem ‫„( מָ ה‬was / warum?“). 58 Vgl. Ziegler (1982) 259. 59 Lt. La Bonnardière (1960) 141 und CAG hat Augustin das Lemma nur hier zitiert. 60 moral. IV, IX, 14 (172, 1–2). 61 moral. IV, IX, 14 (172, 2–4). 62 Im TLL s. v. maledico wird ein Akkusativobjekt bei maledicere nachgewiesen bei Petron und Irenäus (8.0.164, Zeilen 61 und 64 sowie 8.0.165, Zeile 11; vgl. dort noch Zeilen 15–16). Die vor-

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ler edierten Glossen zu spanischen Vulgata-Bibeln und bei Rufinus von Aquileia belegt. Jedoch stimmt keine dieser Parallelstellen völlig mit Gregors Zitat überein. In den Glossen zur Stelle heißt es63: sed maledicat eam qui maledicit diem illum, qui incipit magnum cetum perimere. Die beiden anderen Belege finden sich in Origenes-Übersetzungen des Rufin. Auch er zitiert das Lemma mit dem doppelten Akkusativ; er hat wie Gregor das Perfekt maledixit statt des Präsens maledicit der Glosse, teilt aber mit der Glosse den Ausdruck magnum (statt grandem) cetum. Besonders typisch für Rufin ist die Variation des abschließenden futurischen Partizips64. Die beiden Vollzitate des Lemmas Iob 3, 8 lauten bei ihm: 65 66 67 68 Stelle bei Rufin

Hauptteil

Variation des Partizips

Orig. in Lev. 16 65

sed maledicat eam, qui maledixit illum diem, in quo magnum cetum

interempturus est66.

Orig. in Rom. 5, 10 67

Sed maledicat illam, qui maledixit illam diem, ille, qui magnum cetum

peremturus est68.

Zumindest ein Echo der auffälligen Akkusative bei maledicere findet sich schließlich noch in der Erstfassung O. des Hieronymus. Dort hat dieser den einen der beiden Akkusative bereits durch einen Dativ ersetzt. Augustin zitiert Iob 3, 8a in den Adnotationes wie folgt (511, 10): sed maledicat illam maledicens diei illi. Der verbliebene Akkusativ illam wird durch das Echo (511, 11) qui maledicet amantes im anschließenden Kommentar bestätigt. Dagegen hat Hieronymus in seinen revidierten Versionen auch diesen letzten Akkusativ noch zugunsten des eleganteren Dativs ausgemerzt. In S. T. B. heißt es nämlich mit jeweils leichten Variationen bzw.

liegende Stelle wird nicht erwähnt. Zu gelegentlichen Verbindungen von maledicere mit Akkusativobjekt bei Kirchenschriftstellern vgl. Rönsch (1875) 440–441. Belege bei Hieronymus sammelt Goelzer (1884) 302, Stellen in der Vulgata Kaulen (1904) 268. Alle drei Autoren verweisen wie der TLL auf Petron. Plater/White (1926) 36 sehen hier griechischen Einfluss. 63 Ziegler (1980) 11. 64 Statt der Lesarten magnum cetum interempturus bzw. magnum cetum perempturus der beiden folgenden Vollzitate begegnet in zwei Anspielungen bei Rufinus auch noch die Variante be­ luam ingentem consumpturus: so apol. Orig. 5 (PG 17, 578 B) lt. Vetus Latina-Datenbank 21/23 und Frede (1995) 738–739. Ebenso auch Orig. princ. 4, 1, 5 (ed. Koetschau (1913) 300, 26) lt. Vetus Latina-Datenbank 22/23 und Frede (1995) 739. 65 ed. Baehrens (1920) 397, 23–25 lt. Vetus Latina-Datenbank 19/23 und Frede (1995) 738. 66 Im anschließenden Rückverweis auf das Zitat (398, 1) schreibt Rufin interfecturus. 67 Jetzt ed. Heither (1993) 176, 23–24 lt. Vetus Latina-Datenbank 23/23 (dort Verweis auf PG 14, 1051A) und Frede (1995) 740–741. 68 perempturus auch noch in der Anspielung bei Rufin, hist. mon. 8, 16 (ed. Schulz-Flügel (1990) 310, 65): Christus filius dei, qui perempturus est cetum magnum lt. Vetus Latina-Datenbank 20/23 und Frede (1995) 738. (Schulz-Flügel verweist zur Stelle irrtümlich nicht auf Iob 3, 8, sondern auf Is 27, 1.)

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Fehlern, die von den Schwierigkeiten zeugen, die die Stelle sowohl Hieronymus als auch den Kopisten bereitet hat: 69 70 71 Iob 3, 8ab

Codex S.

Codex T.

Codex B.

sed maledicat illi maledicent (sic)69 diei illi qui magnum coetum captur70 que est.

sed maledicat illi maledicens diei illi qui magnum cetum capturus est

sed maledicat illi maledicens diei ille (sic)71 qui magnum caetum capturus est

Ein weiteres auffälliges Detail in Gregors Zitat ist die Vokabel capturus. Diese nämlich kommt sonst nur in den bereits erwähnten Formulierungen der Versio prior des Hieronymus vor72 und hat zudem keinen Anhalt in LXX oder M, sondern geht auf einen anderen hebräischen Text zurück73. Wie die oben angeführten Belege zeigen, bieten die Glosse und Rufin auf der Grundlage des χειρώσασθαι der LXX verschiedene Ausdrücke für „töten“, während Hieronymus in der Vulgata auf der Basis von M suscitare schreibt. Während also Gregors genaue Vorlage in einer „alten Übersetzung“ verschollen ist, finden sich die ähnlichsten Formulierungen in den von Ziegler edierten spanischen Glossen, bei Rufin und in Hieronymus’ Versio prior – und zwar in deren Erstfassung O. Angesichts dieser Überlieferungslage scheint mir die Hypothese plausibel, dass Gregor hier eine – später ausgeschiedene und schon von Augustin nicht berücksichtigte – Zweitübersetzung aus Hieronymus’ Erstfassung O. zitiert, die Hieronymus wie viele andere auf der Basis jener frühen lateinischen Hiob-Übersetzung entwickelt hatte, die auch in Zieglers spanischen Glossen vorliegt74. Für das Vorliegen einer Doppelübersetzung in O. an dieser Stelle spricht auch der auffällige Nominativ ille im Codex B. Man möchte ihn zunächst für einen Kopierfehler statt des illi der Handschriften S.  und T. halten. Jedoch entspricht ille zwar nicht dem Wortlaut von LXX oder M, ist aber sinnvoll als verdeutlichender Zusatz vor dem folgenden Relativsatz qui […] capturus est, der die mit Artikel sub-

69 Im Licht der Parallelen liegt hier ein offensichtlicher Kopierfehler vor: Zu lesen ist maledicens. 70 S. durch falsche Auflösung der – ursprünglich durch ein Semikolon – abgekürzten Endung -us: captur que. Vgl. für die Details oben Kap. 13, S. 327, Anm. 86. 71 Zu diesem ille vgl. die folgende Analyse. 72 Eine Parallele mit Qui magnum cetum capturus est findet sich auch noch im Jesaja-Kommentar des Hieronymus: in Is. 8, 30 (ed. Gryson, Bd. 3 (1996) 993, 22–23) lt. Vetus Latina-Datenbank 13/23 und Frede (1995) 522. 73 Hieronymus las offenbar statt des Polels zur Wurzel ‫„ רוע‬aufstören“ (vgl. Gesenius (2013) 939 links) das Polel zu der graphisch ähnlichen Wurze ‫„ דוצ‬erjagen“ (vgl. Gesenius (2013) 1107 links). 74 Für die Zusammenhänge zwischen den von Ziegler edierten spanischen Glossen und Hieronymus’ Versio prior vgl. den Anhang B.

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stantivierten Partizipien der griechischen und hebräischen Textvorlagen wiedergibt. Der entscheidende Grund für die Annahme, dass das ille von B. hier kein Kopierfehler ist, sondern eine von Hieronymus nicht nach S. und T. übernommene Zweitfassung aus O. darstellt, ist jedoch der Umstand, dass dieselbe Formulierung mit ille, qui im Zitat von Iob 3, 8b sowohl bei Hieronymus als auch bei Rufin wiederkehrt. Im Jona-Kommentar des Hieronymus heißt es in einem großen Teil der Handschriften75: Maledicat ei qui maledixit diei, ille qui magnum cetum capturus est. (Allerdings druckt Duval dort diei illi.) Der Beleg für das ille, qui bei Rufin (Orig. in Rom. 5, 10) wurde bereits in der obigen Tabelle zitiert. Iob 28, 8a Auch der letzte Hinweis Gregors auf eine von seinem Vulgata-Text abweichende Übersetzung bezieht sich m. E. auf eine Doppelübersetzung im Codex O. von Hieronymus’ Versio prior. Hier muss ich sogar noch etwas weiter ausholen als zuvor. Das Teil-Lemma Iob 28, 8a lautet in der Vulgata: non calcauerunt eam (sc. semitam) filii institorum76 („nicht haben ihn (sc. den Weg) betreten die Söhne von Handelsvertretern“). Diese Übersetzung beruht auffälligerweise nicht auf dem Text von M. M liest stattdessen: ‫ֵי־ׁש֑חַ ץ‬ ָ ‫יכ֥הּו ְבנ‬ ֻ ‫א־ה ְד ִר‬ ִ ֹ ‫„( ֽל‬nicht haben ihn (sc. den Weg) betreten Söhne des Stolzes“). Die Fassung von M liegt auch dem Text des Origenes zugrunde, der sub asterisco bietet: οὐκ ἐπάτησαν αὐτὴν υἱοὶ ἀλαζόνων („nicht haben ihn (sc. den Weg) betreten die Söhne von Prahlern“). Der hebräische Ausdruck ‫ֵי־ׁש֑חַ ץ‬ ָ ‫„ ְבנ‬Söhne des Stolzes“ begegnet nochmals in dem späteren Lemma Iob 41, 26b. Dort übersetzt ihn dann auch Hieronymus in der Vulgata korrekt mit filios superbiae. Warum hat er dann aber im Lemma Iob 28, 8a in der Vulgata filii institorum geschrieben? Die Übertragung durch filii institorum beruht offenbar auf der griechischen Übersetzung des Aquila, der nicht υἱοὶ ἀλαζόνων, sondern υἱοὶ βαναυσίας schrieb77. Aquila übersetzte keinen anderen hebräischen Text als M, sondern benutzte nur ungewöhnlicherweise zur Wiedergabe des Begriffes „Stolz“ die Vokabel βαναυσία,

75 in Ion. 2, 11 (ed. Duval (1985) 258, 392–393) lt. Vetus Latina-Datenbank 12/23 und Frede (1995) 521. 76 Viele Codices lesen institutorum (Römische Vulgata (1951) 163 und Stuttgarter Vulgata (2007) 753, je im App.) – lt. Gribomont (1986) 471 ein klarer Fehler. Während aber die Römische Vulgata die Lesart institorum zu Unrecht zwischen Cruces setzt, weist Ciccarese (1997) 259–260 nach, dass die Lesart institorum auch durch ein dreifaches Zitat bei Philippus Presbyter gesichert wird. (Ihr Nachweis S. 260, Anm. 58 „Sich. p. 115“ enthält einen Druckfehler: Richtig ist „p. 117 AB Sichardus“ (bzw. Seite 145 des Digitalisats)). 77 Vgl. Ziegler (1982) 331, 2. Apparat.

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die diese Nuance erst in der hellenistischen Dichtung angenommen hatte78. Poetische griechische Wortwahl hat man auch sonst bei Aquila beobachtet79; die vorliegende Stelle deutet darauf hin, dass sich Aquilas Belesenheit nicht auf Homer beschränkte. Hieronymus dagegen fasste βαναυσία hier80 – wie in der klassischen Literatur üblich – als pejorative Bezeichnung einer gedrückten, innerlich unfreien Lebensform auf81. Üblicherweise denken Xenophon, Platon und Aristoteles bei einem βάναυσος an einen Handwerker und unterscheiden ihn etwa von Bauern einerseits und Händlern andererseits82. Es gibt aber auch Stellen, an denen der Begriff βάναυσος sowohl für Handwerker als auch für Händler gebraucht wird83. Hier konnte Hieronymus anknüpfen. Dass er an der vorliegenden Stelle nicht an Handwerker, sondern an Handelsvertreter dachte, dürfte sich aus dem Kontext erklären. Das Lemma Iob 28, 8a hebt hervor, dass die υἱοὶ βαναυσίας den seit Iob 28, 6–7 beschriebenen kostbaren Ort und Pfad nicht begangen haben. Die βάναυσοι erscheinen hier also als Reisende von zweifelhaftem Charakter, deren Passage den Weg sozusagen entweiht hätte84. Die Assoziation von Reisenden führte Hieronymus auf die Händler, denn bei der βαναυσία der Handwerker dachte die Antike typischerweise an sitzende Tätigkeiten85. Die Implikation der Hiob-Stelle, dass diese Kaufleute von zweifelhaftem Charakter waren, erklärt dann m. E. die Wahl des Be-

78 Liddell-Scott-Jones zitieren zum verwandten Adjektiv βάναυσος zwei Gedichte der Anthologia Graeca, in denen vermutlich die Bedeutung „stolz“ vorliegt. In beiden Fällen wird der spröde Geliebte angeredet. Anth. Pal. 11, 326 (Bd. 3, S. 702 Beckby) heißt es zunächst: Mὴ πάντα βαρὺς θέλε μηδὲ βάναυσος / εἷναι; kurz darauf folgt die Anrede ὑπερήφανε. Die Wendung im Gedicht 12, 237 (Bd. 4, S. 134 Beckby) lautet: Χαῖρε σύ, μισοπόνηρε πεπλασμένε, χαῖρε, βάναυσε. 79 Zu homerischen Vokabeln bei Aquila vgl. Field (1875) Prolegomena XXIII–XXIV (= Norton (2005) 49–50) und Ziegler (1985) 110–112. 80 Wie oben dargelegt, folgt Hieronymus im Lemma Iob 41, 26b mit seiner Übersetzung filios superbiae dem hebräischen Urtext, obwohl Aquila auch dort wieder υἱοὺς βαναυσίας schrieb. 81 Vgl. zum Gebrauch und den Nuancen von βάναυσος Rößler (1981) 203–204, 216–218, 226–231 und 241–242. Listen der Belege für βαναυσία, βαναυσικός und βάναυσος von Homer bis Aristoteles finden sich im 1985 publizierten Band 1 desselben Sammelwerkes in Spalten 293–295. Sie streben nach den Vormerkungen Rößlers (dort S. XIX) nach möglichster Vollständigkeit. Die nachklassische Entwicklung der Begriffe in Richtung „Stolz / stolz“ erwähnt Rössler aufgrund der Fragestellung der Publikation nicht. 82 Rößler (1981) 227. 83 Rößler (1981) 227. 84 Zu dieser biblischen Vorstellung vgl. neben Ioel 3, 17 und Apc 21, 27 vor allem Is 35, 8 und 52, 1. Hieronymus geht aber in seinen Auslegungen der drei Prophetenstellen nicht auf das Motiv falschen Hochmuts ein: Vgl. in Ioel 3, 16–17 (CC 76, 205–206), in Is. 10, 17 (Gryson Bd. 3, 1171– 1172) und in Is. 14, 52, 1 (CC 73A, 574–575). 85 Vgl. Rößler (1981) 197 mit Anm. 29 zum Typos des Ofenhockers auf Vasenbildern; ferner 229 sowie 242 mit Anm. 236 und 244 mit Anm. 253. Der locus classicus ist Aristoteles, Eth. Eud. 1215a 29–30: λέγω δὲ […] βαναύσους […] τὰς ἑδραίας .

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griffes institores: Diese verkörpern bei Horaz neben den nautae einen Menschenschlag, der so mobil wie sittenlos war86. Wenn also Hieronymus auch noch in der Vulgata an den filii institorum festhielt, obwohl diese Übersetzung im Hebräischen keine und im Griechischen nur eine schwache Rechtfertigung fand, dann vermutlich deshalb, weil er an dieser Stelle der Verlockung einer klassischen Anspielung nicht widerstehen konnte. Doch nun zu Gregor. Er zitiert zunächst das Lemma Iob 28, 887: Non calcauerunt eam filii institorum, nec pertransiuit per eam leaena. Dann schreibt er88: In cunctis latinis codicibus institutores positos repperimus, in graecis uero negotiatores inuenimus. Anschließend erklärt er die Lesart institutores korrekt als Schreiberirrtum anstelle von institores89, das er als Synonym von negotiatores auffasst90. Gregors Hinweis, in allen lateinischen Handschriften stehe institutores, bezieht sich auf die Vulgata. Rätselhaft ist dagegen seine Bemerkung, in den griechischen Codices habe er negotiatores gefunden91. Problematisch ist dabei nicht so sehr die Behauptung, er habe griechische Handschriften eingesehen. Zwar wird üblicherweise die Meinung vertreten, Gregor habe trotz der Jahre, die er als Gesandter in Konstantinopel verbrachte, kein Griechisch verstanden92 – eine an sich kaum wahrscheinliche Ansicht, die sich freilich auf mehrere Selbstzeugnisse Gregors berufen kann93. Jedoch gibt es gute Gründe, diese Selbstaussagen als Bescheidenheitstopos zu interpretieren94. Aus den gelegentlichen Hinweisen auf griechische Vokabeln und Etymologien in Gregors Werken kann man schließen, dass er doch ein wenig Griechisch verstand95. Deshalb sollte man eine Aussage wie hier, er habe den griechischen Bibeltext eingesehen, nicht von vornherein als unglaubwürdig abtun96.

86 Horaz carm. 3, 6, 29–30: Die Ehebrecherin zeigt sich willig seu uocat institor / seu nauis Hispanae magister; epod. 17, 20 über Canidia: amata nautis multum et institoribus. 87 moral. XVIII, XXXV, 55 (922, 1–2). 88 moral. XVIII, XXXV, 55 (922, 2–4). 89 Vgl. zur verbreiteten Lesart institutorum den Apparat der Stuttgarter Vulgata zur Stelle (S. 753). 90 moral. XVIII, XXXV, 55 (922, 4–7). 91 Ziegler (1982) 32 stuft dies ohne weitere Erläuterung als „Mißverständnis“ ein. 92 Vgl. etwa Courcelle (1943) 391, Richards (1980) 27 und (1989) 1663 sowie Evans (1986) 29–30. 93 Im Wortlaut zitiert von Courcelle (1943) 391, Anm. 1, Petersen (1976) 124–125 sowie am ausführlichsten von Petersmann (1991) 140. 94 So Petersen (1976) 127 und Petersmann (1991) 141. Petersmann folgt Petersens Argumentation und erweitert die Ergebnisse der Autorin um die These (141–147), Gregor habe zwar etwas Griechisch gekonnt, die Sprache aber bewusst nicht benutzt, um durch die Konzentration auf das Lateinische die Einheit von Reich und Kirche zu festigen. 95 So argumentiert mit konkreten Belegen Petersen (1976) 125–126 und 127–133. 96 Ein Hinweis auf Gregors Benutzung griechischer Handschriften findet sich bei Godding (2004) 97.

Splitter von O. in den Moralia in Iob Gregors des Großen 

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Dazu waren schließlich  – wie Augustins Beispiel lehrt  – nur geringe Kenntnisse erforderlich97. Das eigentliche Problem der vorliegenden Stelle liegt deshalb in Gregors Aussage, er habe in allen griechischen Manuskripten die Lesart negotiatores gefunden: Denn wie oben dargelegt, weisen sämtliche Handschriften der LXX in Wirklichkeit die Lesart ἀλαζόνων („von Prahlern“) auf98. Wenn seine Bemerkung wörtlich gemeint wäre, müsste Gregor hier also unter Ausschluss der LXX einzig die Übersetzung des Aquila verglichen haben, die υἱοὶ βαναυσίας bot. Darüber hinaus müsste er bei seiner Übersetzung dieser Wendung des Aquila einen ähnlichen Gedankensprung von der Grundbedeutung „Handwerker“ zur weiteren Bedeutung „Kaufleute“ vollzogen haben wie Hieronymus. Das ist angesichts des Kontextes nicht unmöglich, aber doch wenig wahrscheinlich. Für näherliegend halte ich daher die Annahme, dass Gregor auch an dieser Stelle wieder die Versio prior des Hieronymus vor Augen hat. Meines Erachtens meint Gregor also mit dem Hinweis auf „griechische Codices“ nicht Hiob-Codices in griechischer Sprache, sondern lateinische Hiob-Übersetzungen, die – im Unterschied zur Vulgata – ausdrücklich aus dem Griechischen erarbeitet worden waren. Das wäre ein erster Hinweis auf die Versio prior des Hieronymus. In der Vorrede zum Vulgata-Hiob99 und in seinem Briefwechsel mit Augustin100 hatte Hieronymus ja ausdrücklich darauf hingewiesen, dass die Versio prior eine Übersetzung aus dem Griechischen sei, während die Vulgata auf dem hebräischen Urtext beruhe101. Auch die spanischen Glossen und Julian von Aeclanum verweisen auf die Versio prior wiederholt nicht als lateinische Übersetzung aus dem Griechischen, sondern verkürzt als griechische Version oder sogar als LXX102.

97 Symptomatisch für die fortdauernde Debatte um Gregors Griechischkenntnisse sind die unterschiedlichen Einschätzungen im kürzlich erschienenen Companion to Gregory the Great (2013). Die Herausgeber Neil und Dal Santo schreiben im Editors’ Preface (S. XXII): „It can readily be imagined that Gregory could communicate a point in contemporary ecclesiastical Greek“. Ähnlich nochmals Neil (ebenda, S. 11): „Most scholars now concur that he knew at least enough to function as an emissary to the Greek-speaking capital.“ Dal Santo (ebenda, S. 65) macht zwar die Einschränkung „it is unlikely that he was fully bilingual“, sammelt im Übrigen aber Belege für Gregors Kompetenz im Griechischen. Dagegen bilanziert Booth (ebenda, S. 110): „There is some indication of a limited aptitude in Gregory’s reading; little, however, in writing or speaking“ und nochmals (S. 130): „Gregory’s abilities in the Greek language were limited at best“. Moorhead (ebenda, S. 252) formuliert noch schärfer: „His knowledge of Greek seems to have been scanty“. 98 Gribomont (1986) 471–472 geht auf dieses Problem nicht ein. 99 Prologus sancti Hieronymi in libro Iob (Stuttgarter Vulgata (2007) 732, Z. 51–52): Utraque editio, et Septuaginta iuxta Graecos et mea iuxta Hebraeos, in latinum meo labore translata est. 100 Hieronymus, ep. 112, 19 (= Augustin, ep. 75, 19): ibi graeca transtulimus, hic de ipso hebraico, quod intellegebamus, expressimus. 101 Vgl. dazu Trenkler (2017) 24–25. 102 Vgl. dazu die Zitierformeln in den Tabellen der obigen Kapitel 8–9 und 13. Die Sprachregelung, auf Vetus Latina-Lesarten mit dem Stichwort „LXX“ zu verweisen, setzt sich im Mittelalter fort: Vgl. Dahan (1999), 194–195.

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Reste von O. außerhalb von Hieronymus’ und Augustins Werken 

Ein noch stärkerer Hinweis darauf, dass Gregor hier tatsächlich die Versio prior im Blick hat, ergibt sich aus einer Parallele bei Philippus Presbyter (Augustin hat dieses Teil-Lemma übersprungen). Wie Gregor stellt auch Philippus (in der längeren Rezension, PL 26) die Begriffe institores und negotiatores nebeneinander, unterscheidet sie aber nicht als Lesarten der Handschriften in lateinischer bzw. griechischer Sprache, sondern stellt sie mit sive als gleichberechtigte Varianten nebeneinander. An der ersten Stelle zitiert Philippus zunächst zweimal den Vulgata-Text des Lemmas103: Non calcaverunt eam filii institorum. Nach dem zweiten Zitat fährt er fort: Institores sive negotiatores praedicti intelliguntur. Nam negotiatores sunt mali et superbi. Etwas später kommt Philippus noch einmal auf denselben Punkt zurück104: Non calcaverunt eam filii institorum. Hi institores sive negotiatores reprobi sunt, et laude indigni, qui peccata peccatis, velut divitias sibi congregant. […] Hi igitur negotiatores circa divitias peccatorum, non calcabunt Ecclesiam, id est, non habitabunt in ea: quia sanctam eam, et immaculatam Dominus possidebit. Weil Philippus – wie oben dargelegt105 – immer die Erstfassung O. des Hieronymus zitiert und Doppelfassungen wie negotiatores sive institores in der Versio prior nur in O. vorkommen, lässt sich folgern, dass auch Gregor hier die Erstfassung der Versio prior vor Augen hat. Sein Hinweis ist dann so zu verstehen, dass er in der Vulgata nur die Übersetzung filii institorum las, aber in der Versio prior zusätzlich noch die alternative Übersetzung filii negotiatorum vorfand, die Hieronymus bei der Revision in S. wieder strich – vermutlich deshalb, weil sie ihm zu flau war. Gregor dagegen mag auf die Alternative negotiatores gerade deshalb hingewiesen haben, weil sie ihm half, den von Horaz her negativ besetzten Begriff institores positiv zu interpretieren. Jedenfalls ignoriert Gregor bei seiner Erklärung des Begriffs institores dessen negative Konnotationen, deutet ihn als Synonym zu negotiatores und hebt durch den Verweis auf die etymologische Verwandtschaft mit insistere den positiven Aspekt eines besonderen beruflichen Engagements hervor106. Gerade umgekehrt verfährt Philippus Presbyter: Wie die beiden eben zitierten Stellen zeigen, überträgt er die negative Bewertung der institores auch auf die negotiatores. Soweit zu den Folgerungen, die man m. E. aus Gregors Bemerkungen zum Lemma Iob 28, 8a ziehen kann, indem man die Äußerungen des Philippus Presbyter zur Ergänzung heranzieht. Ein weiteres Detail zu diesem Lemma lässt sich noch erschließen, indem man die Kontexte dieser Stelle bei Philippus und bei Augustin miteinander korreliert. Es fällt auf, dass beide Autoren dort den Kontrast zwischen superbia und humilitas 103 Philippus Presbyter, PL 26, 698 C fin. und D. 104 Philippus Presbyter, PL 26, 699 B fin.-C. 105 Vgl. die Kapitel 10–12. 106 moral. XVIII, XXXV, 55 (922, 6–7): Institores enim negotiatores dicimus, pro eo quod exercendo operi insistunt.

Splitter von O. in den Moralia in Iob Gregors des Großen 

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thematisieren. (Zur leichteren Unterscheidung zwischen Lemmata und Kommentaren sind in den folgenden Passagen die Lemmata unterstrichen.) Bei Augustin lautet der Text (567, 20–22): semitam quam non cognouit auis (Iob 28, 7a): humilitatem domini. nec uidit eam oculus uulturis (Iob 28, 7b): diaboli. non transiit super eam leo (Iob 28, 8b): per fortitudinem superbiens. Bei Philippus lautet die Passage in der Edition des Erasmus (PL 26, 698 D): Institores sive negotiatores (cf. Iob 28, 8a)  praedicti intelliguntur. Nam negotiatores sunt mali et superbi: quod etiam ad ipsum diabolum pertinet: qui superbiam delictum maximum adinvenit. Et negotiator propter multitudinem peccatorum appellatus est, quae sive ad se ipsum, sive ad perdendum hominem exquisivit. Isti igitur promissionis terram quae mansuetis, et corde humilibus reservatur, ut in ea habitent (cf. Ps 36, 11), calcare non poterunt (cf. Iob 28, 8a). Da diese Formulierungen beider Autoren auf dem Stichwort superbia beruhen, liegt die Vermutung nahe, dass ihre Textvorlage in O. nicht nur die Doppelübersetzung institorum / negotiatorum von Aquilas βαναυσίας enthielt, sondern auch schon das Stichwort superborum als eine Wiedergabe der hebräischen Lesart ‫„( ָׁש֑חַ ץ‬Stolz“) bzw. als Übersetzung der sinnentsprechenden LXX-Lesart ἀλαζόνων („von Prahlern“). Die Übersetzung superborum steht schon in den spanischen Glossen, die mehrfach eine Vetus Latina-Vorlage des Hieronymus widerspiegeln107. Entsprechend könnte man vermuten, dass die Lesart adrogantium der drei Hieronymus-Codices S. T. B. erst auf die Revision in S. zurückging. An dieser Stelle wird jedoch eine plausible Hypothese wieder einmal durch einen Glücksfall der Überlieferung zwar nicht widerlegt, aber doch zurechtgerückt. Verglichen mit Erasmus’ Text in PL 26 exzerpiert die bei Sichardus gedruckte Version108 andere Schwerpunkte einer ursprünglich offensichtlich besonders variantenreichen Auslegung. Entscheidend ist für unsere Zwecke das Ende der Passage bei Sichardus, das bei Erasmus fehlt. Es lautet: Alii dixerunt: non calcauerunt eam filii arrogantum (Iob 28, 8a), id est superborum, quoniam humilis ad nos deus ueniens, humilem sibi et mansuetam per obedientiam fidei congregauit ecclesiam. Quod autem arrogantum filios dixit,­ posteritatem imitatricem parentum uel etiam priorum suorum, tamquam patrum malae conuersationis uestigia sectantem, uoluit indicare. Sichardus’ Text bestätigt die Vermutung, dass die Erstfassung O. als dritte Variante auch schon den Begriff „von Hochmütigen“ enthielt. Sie widerlegt jedoch den Schluss, diese Variante habe superborum gelautet. Vielmehr hat diese Lesart schon in O. – wie anschließend in S. T. B. – adrogant(i)um gelautet. Das Stichwort superborum in der von Erasmus gedruckten Rezension und bei Augustin entstammt also nicht dem Lemma der Versio prior, sondern stellt schon dessen Auslegung durch einen theologisch geläufigeren Begriff dar.

107 Non calcaverunt eam filii superborum (ed. Ziegler) (1980) 21. Zu den Glossen vgl. Anhang B. 108 Ed. Sichardus (1526) 117 B (Digitalisat S. 145).

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Reste von O. außerhalb von Hieronymus’ und Augustins Werken 

So lässt sich m. E. aus der Kombination der Angaben bei Gregor dem Großen, bei Philippus Presbyter und bei Augustin wahrscheinlich machen, dass das Teil-Lemma Iob 28, 8a in der Erstfassung O. der Versio prior am Ende sogar drei Übersetzungsvorschläge des Hieronymus enthielt: institorum, negotiatorum und adrogantum.

Zweiter Teil (Kapitel 8–14): Reste von O. außerhalb von Hieronymus’ und Augustins Werken Zusammenfassung In den Kapiteln 8–12 wurde gezeigt, dass sowohl die von Vattioni publizierten Glossen in drei spanischen Vulgata-Bibeln als auch die Zitate, die der HieronymusSchüler Philippus Presbyter als Alternativen zur Vulgata anführt, aus der Erstfassung O. von Hieronymus’ Versio prior stammen. Aus beiden Quellen ließen sich besonders viele bisher unerkannte Lesarten von O. zurückgewinnen. In beiden Fällen ergaben sich auch zahlreiche neue Hinweise auf die für O. charakteristischen Doppel- oder Mehrfachübersetzungen. Trotzdem erwies sich, dass beide Quellen nicht ohne Probleme zu benutzen sind. Die Glossen sind recht fehlerhaft überliefert; außerdem blieb häufiger offen, ob der Glossator nur die Erstfassung O. benutzte oder daneben auch noch die Endfassung T. auswertete. Der Kommentar des Philippus Presbyter liegt bisher nur in drei stark divergierenden Fassungen gedruckt vor; weitere in Handschriften verstreute Versionen sind noch nicht ediert. Insofern können die in den Kapiteln 10–12 zu Philippus Presbyter erzielten Ergebnisse nur vorläufige Geltung beanspruchen. Auffällig und bisher noch unerklärt ist der Befund, dass bei Doppelübersetzungen Philippus Presbyter fast immer die auf der hebräischen Textvorlage beruhende Variante zitiert, während Augustin die Alternative nach dem Griechischen kommentiert. In den Kapiteln 13–14 wurden stellvertretend für „kleinere“ patristische Texte die Hiob-Kommentare ausgewertet, die von Julian von Aeclanum und Papst Gregor dem Großen überliefert sind. Das dort vorhandene Material konnte mit der Hoffnung auf Vollständigkeit aufgearbeitet werden, weil die Erstfassung O. der Versio prior von Julian nicht sehr häufig und von Gregor sogar nur sehr selten zitiert wird. Die Auseinandersetzung mit Julians Zitaten erlaubte nicht nur, weitere bisher unerkannte Lesarten und Doppelübersetzungen aus O. zu identifizieren, sondern erwies sich auch methodisch als aufschlussreich. Es zeigte sich, dass man Lesarten, die bisher nur aus S. oder T. bekannt waren, gelegentlich schon auf O. zurückführen und so Lücken in O. füllen kann. Julian führt manche lateinische Varianten gutgläubig auf griechische Vorlagen zurück, obwohl sie in Wirklichkeit auf hebräischen Texten beruhen. Er hat also die Sprachregelung des Hieronymus über die Versio prior für bare Münze genommen. Weitere Stellen bei Julian sind nur deshalb für die Rekonstruktion von O. auszuwerten, weil durch günstige Zufälle der Überlieferung auch noch bei anderen Autoren Vergleichsmaterial zur Verfügung steht. Häufiger bleibt unsicher, ob ein auf dem Hebräischen beruhender Vers bei Julian, der von Augustin übergangen wurde, noch eine griechische Doppelüber-

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Reste von O. außerhalb von Hieronymus’ und Augustins Werken 

setzung in O. neben sich hatte. Nicht zuletzt lässt sich nicht immer entscheiden, ob ein Zitat nach der LXX aus O. stammt oder von Julian selbst direkt aus dem Griechischen übersetzt wurde, zumal Julian in beiden Fällen dieselbe Zitierformel in graeco benutzt. In Papst Gregors Moralia in Iob waren gelegentliche Kontaminationen seines Vulgata-Textes mit Versio prior-Formulierungen zu unterscheiden von expliziten Verweisen auf eine „alte“ Fassung des lateinischen Hiob, die zu seiner Zeit beim Heiligen Stuhl neben der Vulgata in Gebrauch war. Die Kontaminationen trugen für die Rekonstruktion von O. nichts bei, weil sie nicht einmal eindeutig auf die Versio prior zurückgingen, sondern auch aus anderen altlateinischen Hiob-Versionen stammen konnten. Dagegen erwiesen sich die wenigen Zitate, die eindeutig auf O. zurückgeführt werden konnten, als interessant und wertvoll. Sie führten nicht nur auf weitere Mehrfachübersetzungen in O., sondern identifizierten O. auch als die „alte“ HiobÜbersetzung, die zu Gregors Zeiten neben der Vulgata, die er als neue Übersetzung bezeichnet, in Rom benutzt wurde. Insgesamt exemplifizieren die einzelnen Kapitel im zweiten Teil der vorliegenden Arbeit, wieviel Mühe das Schürfen nach Lesarten von O. in patristischen Texten noch erfordern wird. Sie verdeutlichen zugleich, dass – anders als von Hieronymus intendiert – der Erstfassung O. seiner Versio prior trotz ihrer Mängel eine stärkere Nachwirkung beschieden war als der in mehreren Revisionsgängen so mühsam erarbeiteten Endform T.

Dritter Teil: Spuren von Doppelübersetzungen in O. bei Augustin

G. Stellen in den Adnotationes in Iob: Kapitel 15–18 Vorbemerkungen zu den Kapiteln 15–18 Im dritten Teil meiner Arbeit kehre ich auf der Suche nach bisher unerkannten Lesarten von O. zu Augustin zurück. Dabei geht es insbesondere um den Nachweis von weiteren, für die Erstfassung O. charakteristischen Doppelübersetzungen. In ihrer Dissertation hat Trenkler gezeigt, dass Hieronymus in seiner Erstfassung O. der Versio prior mehrfach doppelte Übersetzungen seiner Vorlage oder Vorlagen nebeneinander stehen ließ, zwischen denen er sich erst bei einer nachfolgenden Revision endgültig entschied1. Augustin hat in den Adnotationes manchmal beide Doppelfassungen zitiert und kommentiert2, sich aber zum Teil auch nur auf eine Version beschränkt3. Im letzteren Fall ließ sich die Existenz der jeweils andern Fassung in O. daraus folgern, dass sie in den Hyparchetypoi der Fratres Spuren hinterlassen hat4. Wie sich aus Trenklers Analysen ergibt, folgte jedoch keiner der Fratres in dieser Hinsicht einer klaren Linie. Zwei Punkte sind auffällig: Jeder der beiden hat an einer Stelle, an der Augustin eine Doppelfassung des Hieronymus ignoriert hatte, erfolglos versucht, auch noch die übergangene Variante, die er im Codex O. vorfand, in die Adnotationes zu integrieren5. Davon abgesehen zeigt der ω2-Frater die sicherere Hand: Dort, wo Augustin beide Varianten des Hieronymus kommentiert, übernimmt er auch beide in seinen Hyparchetypos6. In den Fällen, in denen der Bischof nur eine Variante berücksichtigt hat, wählt er aus O. jeweils auch die richtige Version des Lemmas aus7. Dagegen reduziert der ω1-Frater in einem Fall die von Augustin kommentierte Doppelversion auf nur eine Fassung8 und setzt an anderer Stelle die falsche Vorlage aus O. in seinen Text9.



1 Trenkler (2017), Kap. 10, 126–134 mit Belegen 12–16 und Kap. 15, 200 mit Beleg 10. 2 Trenkler (2017) Kap. 10, Belege 12–13. 3 Trenkler (2017) Kap. 10, Belege 14–16 und Kap. 15, 200 mit Beleg 10. 4 Trenkler (2017) Kap. 10, Belege 14–16 und Kap. 15, 200 mit Beleg 10. 5 Der ω1-Frater in Beleg 14, der ω2-Frater in Beleg 15. 6 Trenkler (2017) Kap. 10, Belege 12–13. 7 Trenkler (2017) Kap. 10, Belege 14–16. 8 Beleg 13. 9 Beleg 16.

362

Spuren von Doppelübersetzungen in O. bei Augustin 

Wie Trenklers Befunde zeigen, lassen sich aus solchen Stellen Rückschlüsse auf Lesarten der verlorenen Handschrift O. der ersten Hiob-Übersetzung des Hieronymus ziehen. Vor diesem Hintergrund lassen sich mit Hilfe der Adnotationes nun noch weitere Doppelübersetzungen von Hiob-Versen in O. nachweisen. Ihnen gehe ich in den folgenden vier Kapiteln 15–18 nach. Ich komme zu dem Ergebnis, dass Augustins Werk deutlich mehr Hinweise auf dieses Phänomen enthält, als man bisher wahrgenommen hat. Aus den Analysen ergeben sich in einigen Fällen auch Lösungsvorschläge für textkritische Probleme. Das Material ist nach pragmatischen Gesichtspunkten in vier Kapitel gegliedert: In Kapitel 15 wird das Ende von adn. 7 analysiert, wo Augustin eine längere Passage, die offenbar besonders viele Doppelfassungen enthielt, in zwei parallelen Durchgängen kommentiert. In Kapitel 16 folgen diejenigen Stellen, die in beiden Rezensionen (ω1 und ω2) überliefert sind. In Kapitel 17 werden die Verse nachgetragen, die nur noch in der ω2-Rezension erhalten sind, wo aber Variae lectiones der Überlieferung darauf hindeuten, dass der ω2-Frater im Archetypos eine Doppelfassung des Hiob-Lemmas vorfand und in sein Exemplar übernahm. In Kapitel 18 wird eine einzige besonders korrupt überlieferte Passage diskutiert, die sich m. E. durch die Hypothese von Doppelübersetzungen in der Versio prior klären und emendieren lässt und zugleich noch einmal interessante Einblicke in Hieronymus’ Umgang mit seinen ursprachlichen Vorlagen vermittelt.

G. Stellen in den Adnotationes in Iob: Kapitel 15–18 Kapitel 15: Das Ende von Kapitel 7 der Adnotationes  15.1 Die parallelen Auslegungen Das Ende von Kapitel 7 der Adnotationes, das nur in einem Teil der ω2-Tradition erhalten ist, weil hier die Handschriften PK und FGN eine große Lücke aufweisen, enthält eine doppelte Auslegung der Passage Iob 7, 17a-21c. Zur Verdeutlichung stelle ich Augustins parallele Ausführungen (nach der Textfassung Zychas, die jedoch im Verlauf der hier vorgelegten Analyse in mehreren Details zu korrigieren sein wird) in zwei Spalten nebeneinander. In der Mitte drucke ich zum leichteren Vergleich die von Augustin kommentierten Verse der Versio prior des Hieronymus in dem Wortlaut ab, wie er in den Codices S. T. B. mit wenigen Varianten überliefert ist. Jedem Halbvers und seiner Auslegung ist eine Zeile der Tabelle zugeordnet. Darin sind die dem Hiob-Text entnommenen wörtlichen Elemente, die Zycha noch nicht alle wahrgenommen oder gekennzeichnet hat, durch kursiven Fettdruck hervorgehoben: 1 2 3 4

Seite/ Zeile Zycha

524, 8

Augustins 1. Auslegung (524, 8–524, 23)

Hiob 7, 17 ff. lt. Versio prior (Codd. S. T. B.)

Seite/ Zeile Zycha

Augustins 2. Auslegung (524, 23–525, 8)

(hier von Augustin übersprungen)

17a: quid est enim1 homo, quod exalta­ sti eum?

524, 23

quid est enim homo, quod exaltasti eum? et cetera2. quae non intellegentes amici eius putauerunt ab eo deum reprehendi.

aut quia sensu tuo in­ tendisti in eum? propter quod rationalis est. unde illud: nos autem sensum domini habemus (1 Cor 2, 16). rationis uero munus dicit extensionem intellectus.

17b: aut quia sensu tuo intendisti3 ad eum?

(hier von Augustin übersprungen)

(von Augustin übersprungen)

18a: ut4 uisitationem eius facies in mane?

(von Augustin über­ sprungen)

1 S. quid enim est. Zu dieser Lesart s. u. 2 Zy lässt dieses in allen Mss. bezeugte et cetera aus. Vgl. dazu unten. 3 S. aut qui ex sensu tuo intendisti. Die Lesart qui ex statt quia hat keinen Anhalt in den Urtexten und ist vermutlich die Konjektur eines Lesers. 4 Caspari für S. und Lagarde für B. drucken beide uel, da die Hauptüberlieferung der LXX ἢ hat.

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Spuren von Doppelübersetzungen in O. bei Augustin 

Seite/ Zeile Zycha

Augustins 1. Auslegung (524, 8–524, 23)

Hiob 7, 17 ff. lt. Versio prior (Codd. S. T. B.)

524, 11

et in requie iudicabis eum? dignum requie.

18b: et in requie iudicabis eum?

524, 12

usquequo me non di­ mittis? uinctum tribulationibus.

19a: usquequo me non5 dimittis,

524, 13

neque deseris, donec de­ glutiam saliuam meam? in dolore ac flagellis contineam et absorbeam uoluptatum fluxus per tribulationes admonitus.

19b: neque deseris6, donec glutiam7 sali­ uam meam in dolore?

524, 16

si ego peccaui, quid pos­ sum tibi facere? sensus hic est: si peccaui, nihil possum tibi facere.

524, 17

Seite/ Zeile Zycha

Augustins 2. Auslegung (524, 23–525, 8) (hier von Augustin übersprungen)

524, 25

si enim non propterea facis mihi tentationes, ut cohibeam fluxos motus meos, ut mihi ita consulas, quae alia causa est, ut corripias hominem?

20a: Si8 ego peccaui, quid possum tibi9 ­ facere?

524, 27

non enim nocere tibi potest quia peccat;

an forte loquendo molesti tibi sunt ­ homines? tu ergo qui scis ­sensum10,

20b: tu qui11 scis ­ sensum humanum.

525, 1

aut sentis quasi aduersi­ tatem loquelae eius, cum scias sensum humanum,

524, 18

quare constituisti hominem, ut loqueretur adu­ ersus te,

20c: quare posuisti me12, ut loquar aduersum te,

525, 2

et utique posses quod tibi aduersarium est non constituere.

524, 19

ut esset tibi oneri?

20d: et sum13 tibi ­ oneri14?

524, 20

si autem peccatum ­ hominis nec facto nec dicto tibi nocet, qua­ re non obliuisceris pecca­ tum eius,

21a: et quare non es oblitus iniquitatis meae,

(hier von Augustin übersprungen) 525, 3

et quare non es oblitus ini­ quitatis meae? si non ea causa ut mihi prodessent tentationes istae, ut bonitatis tuae sit totum, et quod me corripis?

5 S. non me. Zu dieser Lesart s. u. 6 S. deferes. Zu dieser Lesart s. u. 7 S. deglutiam. Zu dieser Lesart s. u. 8 T. B. om. si. Zu dieser Lesart s. u. 9 S. tibi possum. Zu dieser Lesart s. u. 10 Hier fehlt in allen Mss. und Drucken das Adjektiv humanum. Dazu vgl. unten. 11 S. quis. Lt. Caspari (1893) 60, Anm. 46: Fehler wegen des folgenden scis. 12 S. posuisti in me. Diese Lesart hat keinen Anhalt in den Urtexten und ist wohl ebenfalls als Konjektur eines Lesers anzusehen. 13 B. sim. Zu dieser Lesart s. u. 14 S. honer.

Das Ende von Kapitel 7 der Adnotationes  

365

Seite/ Zeile Zycha

Augustins 1. Auslegung (524, 8–524, 23)

Hiob 7, 17 ff. lt. Versio prior (Codd. S. T. B.)

Seite/ Zeile Zycha

Augustins 2. Auslegung (524, 23–525, 8)

524, 21

sed purgas illud potius, nisi quia illa quae supra dicta sunt ad bonitatem tuam referuntur?

21b: et purgasti peccatum meum?

525, 6

(hier von Augustin übersprungen)

21c: nunc autem in terram ibo.

nunc autem in terram ibo: cum enim purges pec­ catum meum, restat mihi tamen adhuc in terram ire per mortem corporalem.

Zunächst einmal macht die Tabelle sichtbar, dass hier zwei parallele Interpretationen vorliegen. Nach dem ersten Durchgang durch die Verse Iob 7, 17b – 21b (Zy 524, 8–23) zeigt Augustin mit dem ausdrücklichen Zitat von Iob 7, 17a (524, 23) quid est enim homo, quod exaltasti eum? an, dass er nun zu einer zweiten Auslegung dieser Perikope ansetzt. Die Markierung dieses Rücksprungs ist die eigentliche Funktion des Zitats, das keine Auslegung erfährt. Deshalb sind auch die folgenden Worte et cetera unverzichtbar, die in allen erhaltenen Handschriften und allen alten Drucken15 stehen, aber von Zycha zu Unrecht aus dem Text gestrichen wurden: Sie verweisen darauf, dass die folgende Auslegung nochmals die ganze an Iob 7, 17a anschließende, schon einmal kommentierte Versfolge betreffen wird. Dementsprechend bezieht sich auch der folgende Relativsatz (524, 24–5) quae non intellegentes amici eius putauerunt ab eo deum reprehendi inhaltlich auf den gesamten Textzusammenhang 7, 17a-21: Nach Augustins Auffassung missverstehen Hiobs Freunde all seine Äußerungen in diesen Versen als Kritik an Gott. Beim näheren Vergleich der beiden parallelen Auslegungen fallen zwei Aspekte besonders ins Auge. Wie die verwendeten Stichworte und Bilder zeigen, sind beide Exegesen inhaltlich weitgehend identisch. Sie sind ferner auch formal dadurch eng verwandt, dass Augustin die Hiob-Lemmata hier nur in Auswahl direkt zitiert und andere Details – in größerem Ausmaß als sonst – nur paraphrasierend in seinen Kommentar verwebt. Es zeigen sich aber auch Unterschiede. Im ersten Durchgang überspringt Augustin die Anfangs- und Schlussverse der Hiob-Passage (also die Lemmata Iob 7, 17a und 21c), die er erst im zweiten Durchgang berücksichtigt. Umgekehrt kommentiert er im Mittelteil seiner Exegese im ersten Durchgang die einzelnen Halbverse von Iob 7, 17b bis 7, 21b kleinteilig Schritt für Schritt, während er im zweiten Durchgang dreimal je zwei Halbverse zu einer Sinneinheit zusammenfasst: so bei Iob 7, 19a-b, 21a-b sowie – mit einer Umkehrung der Reihenfolge, die sich tabellarisch nicht darstellen lässt – auch noch am Schluss bei 21c–b.

15 Zycha übergeht im Apparat die Maurinerausgabe.

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Spuren von Doppelübersetzungen in O. bei Augustin 

15.2 These Was hat Augustin zu diesen beiden parallelen Interpretationen bewogen? Inhaltlich lässt sich kein Punkt finden, an dem die zweite Auslegung etwa die vorangehende in signifikanter Weise ergänzte oder überböte. Man könnte deshalb meinen, man habe hier die Stenogramme zweier verschiedener Sitzungen vor sich, zwischen denen vielleicht einige Zeit vergangen war; Augustin habe inzwischen vergessen, dass er die Stelle schon erläutert hatte, und habe sich deshalb im Wesentlichen wiederholt; bei der Herausgabe seien dann beide Versionen einfach hintereinander gesetzt worden, statt sich für eine Fassung zu entscheiden. Ich möchte demgegenüber die These vertreten, dass Augustins doppelte Interpretation darauf zurückgeht, dass er in seiner Textvorlage O. der Versio prior in dieser Passage ungewöhnlich viele Doppelübersetzungen des Hieronymus vorfand, die er zumindest teilweise berücksichtigen wollte. Da sie sich aber in diesem Fall inhaltlich kaum unterschieden, gingen auch Augustins Interpretationen jeweils in sehr ähnliche Richtung.

15.3 Analyse der einzelnen Lemmata Zur Unterstützung meiner These erörtere ich im Folgenden die fraglichen Stellen in der Reihenfolge des Hiob-Textes. Wenngleich mein Hauptinteresse im vorliegenden Zusammenhang dem Nachweis von Doppelübersetzungen in O. gilt, ergeben sich daneben auch weitere Einblicke in die Textentwicklung der Versio prior von O. über S. zu T. Auch einige bisher nicht entdeckte Überlieferungsfehler der ω2-Linie der Adnotationes kommen bei der Untersuchung ans Licht.

15.3.1 Die Lemmata Iob 7, 17a–19b Iob 7, 17a Der Text lautet nach Zycha (524, 23): quid est enim homo, quod exaltasti eum? Die Wortstellung quid est enim ist – mit der einzigen Ausnahme von M16 – in allen hier erhaltenen Codices der Adnotationes sowie in den Hieronymus-Handschriften T. und B. überliefert. Sie ist aber vermutlich erst vom ω2-Frater in seinen Hyparchetypos eingeführt worden. Der Codex S. nämlich bietet – in genauer Entsprechung zur LXX τί γάρ ἐστιν ἄνθρωπος – die Wortstellung quid enim est homo. Da das Hebräische hier kein dem γάρ bzw. enim vergleichbares Element enthält und also als konkurrierende Vorlage ausfällt, kann man davon ausgehen, dass die Lesart von S. schon in O. und damit auch in Augustins Archetypos ω stand.

16 Zum Codex M (Matritensis, 14. Jh.) vgl. Trenkler (2017) 44.

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Hieronymus dürfte die Wortstellung quid est enim homo deshalb in T. an die Stelle der früheren Formulierung quid enim est homo gesetzt haben, weil die revidierte Lesart offenbar gängigeres Latein war. Jedenfalls sind Wendungen von der Art quid est enim bei Augustin lt. CAG etwa dreimal so oft belegt17 wie die – allerdings ebenfalls nicht seltene – Variante quid enim est18. Es gibt mehrere Möglichkeiten, um zu erklären, wie die objektiv richtige Lesart quid enim est homo in den jungen Codex M der Adnotationes geriet. Es kann sich um eine Kontamination aus der ω1-Linie, um ein Schreiberversehen oder um eine Gelehrtenkonjektur aufgrund der LXX handeln. Iob 7, 17b Der Text lautet nach Zycha (524, 8–11; das Lemma ist zur Unterscheidung unterstrichen): aut quia sensu tuo intendisti in eum? (Iob 7, 17b) propter quod rationalis est. unde illud: nos autem sensum domini habemus (1 Cor 2, 16). rationis uero munus dicit extensionem intellectus. Zwei Beobachtungen weisen darauf hin, dass der Wortlaut des Lemmas Iob 7, 17b an dieser Stelle nicht ursprünglich ist. Erstens stimmt er nicht völlig mit der sonstigen Überlieferung in den Hieronymus-Codices S. T. B. überein, die statt der hier vorliegenden Präposition in die Präposition ad bieten. Zweitens passt das Lemma in seiner vorliegenden Fassung (dt: „oder weil du in deinem Sinn auf ihn (sc. den Menschen) geachtet hast?“) nicht zu Augustins folgender Auslegung. Dort geht es vielmehr um die Begabung des Menschen mit ratio, die als Geschenk Gottes begriffen und hier sogar durch das (bei Augustin sehr seltene) Zitat von 1 Cor 2, 16 mit dem Geist Christi gleichgesetzt wird19. Für Augustins abschließende Formulierung rationis uero munus dicit extensionem intellectus (dt: „das Geschenk des Verstandes nennt er (sc. Hiob) eine Ausdehnung der Vernunft“20) gibt es lt. CAG keine Parallele in Augustins Werken; sie muss also von 17 Vgl. etwa aus den Confessiones: 4, 2, 3 quid est enim aliud uentos pascere [Os 12,1]; 10, 3, 3 quid est enim a te audire de se nisi cognoscere se? und vor allem die berühmte Frage conf. 11, 14, 17 quid est enim tempus? und aus den Adnotationes Kap. 38 (606, 11–12) quid est enim, ubi non sit sapientia dei? 18 Vgl. nur aus den Confessiones: 1, 6, 7 quid enim est quod uolo dicere?; 11, 5, 7 quid enim est, nisi quia tu es? sowie aus den Adnotationes: die Zitate von Iob 15, 14 (540, 21–22) quid enim est homo, ut sit sine crimine? und Iob 36, 22 (591, 13–14) quis enim est sicut ille potens? Vgl. noch c. Max. 2, 16, 1 quis enim est humilitatis fructus?; ep. 138, 10 quid enim est res publica nisi res populi?; en. Ps. 52, 8 quid enim est inuocare, nisi uocare in se?; s. 183, 3 quis enim est Christus? 19 Die einzige entfernt vergleichbare Parallele mit 1 Cor 2, 16 findet sich gest. Pel. 6: propter hoc optaui, et datus est mihi sensus, et inuocaui, et uenit in me spiritus sapientiae (Sap 7, 7). nonne luce clarius apparet, quemadmodum iste considerata miseria fragilitatis humanae non est ausus se regendum sibi committere, sed optauit, et datus est ei sensus, de quo dicit apostolus: nos autem sensum domini habemus (1 Cor 2,16), et inuocauit, et uenit in eum spiritus sapientiae? 20 Augustins Formulierung ist raffiniert mehrdeutig: Neben der obigen Übersetzung, die aufgrund des Kontextes Priorität hat, kann man auch übersetzen: „Die Aufgabe des Verstandes nennt

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dem Augustin vorliegenden Hiob-Lemma angeregt worden sein. Somit lässt sich schließen, dass der Bischof in O. das Lemma in folgender Form vorgefunden hat: aut quia sensum tuum extendisti in eum? (dt.: „oder weil du deinen Geist auf ihn ausgedehnt hast?“). Diese – bis hierher nur aus den Augustin-Texten abgeleitete – Rekonstruktion wird auch durch die hebräischen und griechischen Textvorlagen gestützt. Der Akkusativ sensum tuum entspricht dem griechischen τὸν νοῦν. Vor allem aber ist das hier für O. erschlossene Lemma aut quia sensum tuum extendisti in eum? in Gänze eine viel näherliegende wörtliche Übersetzung des hebräischen Urtextes als die Fassung in S. T. B. aut quia sensu tuo intendisti ad eum? Das Hebräische lautet hier: ‫ׁשית אֵ ָל ֣יו ִל ֶ ּֽבָך‬ ֖ ִ ָ‫( וְ ִכי־ת‬dt.: „und weil du auf ihn dein Herz setzt?“). Die (auch in der LXX vorliegende) Übersetzung des hebräischen Ausdrucks ‫„( ִל ֶ ּֽבָך‬dein Herz“) als Akkusativ-Objekt τὸν νοῦν/ sensum tuum ist viel ungezwungener als die adverbiale Auffassung, die Hieronymus mit seinem Ablativ sensu tuo in T. B. vertritt (aber bezeichnenderweise in der Vulgata wieder aufgegeben hat21). Hinzu kommt, dass das Verbum ‫( ִׁשית‬hier = „ausstrecken“ bzw. „richten auf “22) ebenso gut mit extendere wie mit intendere übersetzt werden kann. Auch für Hieronymus’ Neigung in der Versio prior, hebräische Imperfekte mit Perfekt wiederzugeben, gibt es mehrere Parallelen23. Es liegt hier also ein weiterer Fall vor, dass der ω2-Frater Augustins ursprünglichen Hiob-Text durch die revidierte Fassung aus T. ersetzt hat24, ohne zu beachten, dass diese nicht zu Augustins Auslegung passte. Die Formulierung der Auslegung wiederum erlaubt den Rückschluss auf O. Iob 7, 18b Der Text dieses Teil-Lemmas ist sowohl in den drei Hieronymus-Codices S. T. B. als auch in allen hier erhaltenen Handschriften der Adnotationes in der Form et in requie iudicabis eum? überliefert. Das heißt aber nicht, dass Augustin ihn so auch in seiner Vorlage O. vorgefunden hat: Vielmehr dürfte er statt in requie eher in requiem gelesen haben. Dafür spricht zum einen seine Auslegung dignum requie, wonach Gott nicht in Ruhe sein Urteil über Hiob fällt, sondern Hiob als würdig beurteilt, er (sc. Hiob) das Sich-Ausstrecken der Vernunft“ – nämlich im Sinne des mystischen Aufstiegs des Geistes zu Gott. Für diesen bei Augustin vielfach belegten, an Phil 3, 13 anknüpfenden Gebrauch des Verbums extendi genügt hier der Verweis auf die Ostia-Vision in conf. 9, 10, 23. 25. Der Frater wiederum konnte sich in seiner Gleichsetzung von extensio und intentio durch conf. 11, 29, 39 bestätigt fühlen, wo extentus esse und intentio synonym gebraucht und der falschen distentio gegenübergestellt werden. 21 Dort schreibt er: aut quia ponis erga eum cor tuum. Alle von ihm gebrauchten Präpositio­ nen – in (O. S.), ad (T. B.) und erga (Vulg.) – gehen auf das hebräische ‫ אל‬zurück. 22 Gesenius-Donner (2013) 1350 links. 23 Vgl. dazu Kap. 3, Belege 22, 23 und 25 und Kap. 5, Belege 50, 54 und 56. In der Vulgata übersetzt Hieronymus Iob 7, 17 dann richtiger mit den Präsensformen magnificas und ponis. 24 Die Präposition in aus O. behielt er in diesem Fall statt des ad aus T. (= B.) jedoch bei, weil sie so gut zu dem von ihm eingesetzten Kompositum intendisti passte.

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in die Ruhe des ewigen Lebens einzugehen. Zum andern lässt auch die LXX erwarten, dass Hieronymus’ Erstübersetzung et in requiem iudicabis eum? lautete; sie liest in genauer Entsprechung καὶ εἰς ἀνάπαυσιν αὐτὸν κρινεῖς; (Hinter dem griechischen εἰς mit Akkusativ steht hier ein hebräischer Ausdruck mit der Präposition ‫ל‬, deren an dieser Stelle temporal-distributive Bedeutung der griechische Übersetzer jedoch missverstanden hat : ‫ ִ֝ל ְרג ִָ֗עים‬heißt eigentlich „alle Augenblicke“25.) Wenn diese Überlegungen zutreffen, liegt hier ein Fall vor, wo zwar Hieronymus’ Erstübersetzung O. das Richtige hatte, sich aber anschließend in S. ein Kopierfehler einschlich, der auch in die Codices T. und B. übernommen wurde. In die Überlieferung der Adnotationes geriet der Fehler dann erst durch den ω2-Frater, der dem revidierten Codex T. zu unkritisch gegenüberstand und auch sonst noch Ausdrücke mit in und Ablativ an die Stelle von in mit dem Akkusativ setzte26. Iob 7, 19a Der Text lautet nach Zycha (524, 12–13): usquequo me non dimittis? (Iob 7, 19a) Dieses Teil-Lemma birgt zwei Probleme. a. Die Wortstellung usquequo me non dimittis? findet sich auch in den revidierten Hieronymus-Codices T. und B. wieder. Wie jedoch Zycha selbst im Apparat notiert, bietet der Hieronymus-Codex S. hier die Wortstellung non me dimittis. Diese spiegelt sowohl die griechische als auch die hebräische Textvorlage wider: In beiden folgt die Negation direkt auf das Fragewort. (Mit der Endstellung des Prädikats dimittis führt Hieronymus aber schon in O. ein typisch lateinisches Element ein.) Deshalb scheint mir sehr wahrscheinlich, dass die Wortstellung von S. auch schon in O. stand27 und somit für Augustins Archetypos ω zu erschließen ist. Vermutlich hat wieder der ω2-Frater die Neufassung von T., in der Hieronymus die Negation – wie im guten lateinischem Stil üblich – nach hinten zum Prädikat gerückt hatte, in seinen Hyparchetypos übertragen. b. Das einleitende Fragewort usquequo („wie lange?“) entspricht genau dem he­ bräischen ‫ ַּכּ֭מָ ה‬und dem griechischen ἕως τί und hat deshalb sicher in O. gestanden. Es fällt aber auf, dass Augustin bei seiner zweiten Exegese von Iob 7, 19a indirekt deutlich macht, dass die Frage in seinem Text jetzt nicht mehr wie beim ersten Durchgang mit „wie lange“, sondern mit „warum“ eingeleitet zu denken ist: Nur so erklärt sich seine Argumentation mit si enim non propterea (524, 25) und seine anschließende Frage (524, 26–27) quae alia causa est, ut? Daraus ergibt sich m. E. der Schluss, dass Augustin hier in seiner Vorlage O. erneut eine Doppelübersetzung vorgefunden hat – also neben dem Fragewort usquequo auch eine Variante wie qua re. 25 Gesenius-Donner (2013) 1220 rechts. 26 Vgl. die von Trenkler (2017) in Kap. 15, Belege 19–20 und 36 nachgewiesenen Parallelfälle. 27 Vgl. oben Kap. 6, Tabellen 3–5 für ähnliche Fälle, wo S. gegenüber T. B. die ursprüngliche Lesart von O. überliefert.

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Für ein qua re o. ä. gibt es in den griechischen Vorlagen keinen Anhalt28. Die Erklärung ist also im hebräischen Text zu suchen. Dort sind zwei folgende Lemmata als „Warum-Fragen“ formuliert, aber mit Variation des Fragewortes: Iob 7, 20c beginnt mit ‫ ָל֤מָ ה‬,l7,21a dagegen mit ‫ ֶמ֤ה‬. Da die Einleitung ‫ ַּכּ֭מָ ה‬unseres Verses Iob 7, 19a von diesen drei Fragewörtern am seltensten vorkommt, war Hieronymus anfänglich vielleicht im Zweifel, ob die LXX ‫ ַּכּ֭מָ ה‬richtig mit ἕως τί gedeutet hatte, und meinte, das seltenere Wort eher im Licht der beiden häufigeren Vokabeln im Kontext deuten zu sollen. Denkbar ist ebenfalls, dass er – oder sein Vorleser – die graphisch ähnlichen Formen ‫ ַּכּ֭מָ ה‬und ‫ ָל֤מָ ה‬einfach verwechselt hat. In jedem Fall scheint mir wahrscheinlich, dass er an dieser Stelle seiner Erstfassung O. erneut eine Doppelübersetzung vorlegte, die auch Augustin für exegetisch relevant hielt. Bei der Revision von S. schied Hieronymus diese Variante dann wie üblich aus. Iob 7, 19b1 Der Text nach Zycha (524, 13) lautet: neque deseris. Der Hieronymus-Codex S. hat hier deferes. Da f und s in karolingischer Minuskel leicht zu verwechseln sind, ist dies wohl nur ein Schreibfehler statt deseres (auch Zycha notiert deseres für S. im Apparat). Aber auch dieses Futur dürfte hier nur ein Versehen statt des Präsens deseris sein. (Caspari weist auf die häufige Verwechslung von i und e in S. hin29). Denn ein Futur wäre zwar grammatisch eine ebenso mögliche Wiedergabe der hier vorliegenden hebräischen Imperfektform ‫ ֝ ַת ְר ֗ ֵּפנִ י‬, ist aber kaum gemeint, da das vorangehende parallele Prädikat ‫ ִת ְׁש ֶע ֣ה‬in der LXX und in allen lateinischen Handschriften nur als Präsens (ἐᾷς / dimittis) überliefert ist. Insofern ist hier keine Lesart des verlorenen Codex O. zu erschließen; auch liegt kein Fall vor, in dem S. eine eigene Revisionsschicht zwischen O. und T. repräsentiert. Iob 7, 19b2 Der Text lautet nach Zycha (524, 13–14): donec deglutiam saliuam meam? in dolore ac flagellis contineam […] Auch S. liest deglutiam, während T. gluttiam (B. glutiam30) bietet. Es liegt wieder das vertraute Muster vor, wonach S. die Lesart von O. bewahrt, die als Kompositum auf dem καταπίω der LXX beruht. Das Simplex glut(t)iam in T. B. zeigt an, dass sich Hieronymus bei seiner Endrevision auf den hebräischen Text gestützt hat, der keine Komposita kennt. Die Wortgruppe in dolore gehört in der Hexapla noch zum Hiob-Lemma, steht dort aber sub obelo31, weil sie keine Vorlage im Hebräischen hat. Der vorliegende 28 Vgl. Ziegler (1982) 244. 29 Caspari (1893) 24–25. 30 Lagarde druckt fälschlich gluttiam wie T. 31 Ziegler (1982) 244 im 1. Apparat: Der Obelos vor ἐν ὀδύνῃ ist nur in der Syrohexapla überliefert; in den Hieronymus-Handschriften T. und B. fehlt er. Martianay in seiner Ausgabe von T. druckt vor in dolore sogar fälschlich einen Asterisk.

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Satzbau zeigt nun, dass Augustin in dolore nicht mehr als Lemma behandelt, sondern damit seine Auslegung eröffnet. Vielleicht liegt hier also ein Fall vor, in dem der Bischof ausnahmsweise von einem Obelos in seiner Vorlage O. Notiz genommen hat. Indem er das Hiob-Lemma mit saliuam meam beendete, aber mit der obelisierten Wortgruppe in dolore seine Auslegung begann, konnte er andeuten, dass in dolore nicht zum Lemma gehörte, und trotzdem den vollen Textbestand der Vorlage in seiner Auslegung berücksichtigen.

15.3.2 Die Lemmata Iob 20a–21b Iob 7, 20a a. Zum Lemma: Nach Zycha (524, 16) lautet der Text: si ego peccaui, quid possum tibi facere? Dieser Wortlaut mit dem einleitenden si und der Wortstellung possum tibi ist in allen hier erhaltenen Handschriften der Adnotationes überliefert (es fehlen B/A sowie durch die große Lücke PK und FGN). Dass Augustin diese Fassung in seiner Vorlage O. vorfand, wird dadurch gesichert, dass er denselben Teilvers sehr viel später in Kapitel 35 noch dreimal unverändert zitiert (Zy 584, 22–23; 585, 2; 585, ­13–14). Alle drei Zitate sind dort Teil der Auslegung, so dass sie der Stenograph nicht – wie Lemmata – nur mit den Anfangsworten, sondern jeweils in vollem Umfang nach Augustins Vortrag mitgeschrieben haben muss. Auch in diesen drei Parallelen zeigt die Überlieferung so gut wie keine Abweichung32; aufschlussreich ist vor allem, dass dort auch die Codices B/A sowie KP und FN erhalten sind und die sonstige Überlieferung bestätigen. Dieser Wortlaut geht also auf Augustins Archetypos ω und damit auf dessen Vorlage O. zurück33. Dieser Schluss wird dadurch bestätigt, dass alle genannten Zitate mit si beginnen. Dieses einleitende si (das für Augustins Textvorlage O. auch noch durch die folgende Wiederaufnahme 524, 17 si peccaui gesichert ist) steht auch noch in S., aber nicht mehr in T. B. Deshalb kann der vorliegende Wortlaut des Zitats nicht darauf beruhen, dass hier ein Frater die revidierte Fassung aus T. eingeführt hat. Der Wegfall des si in T. B. erklärt sich daraus, dass die Wendung si ego nur im εἰ ἐγὼ der LXX eine Vorlage hat. Dagegen steht sie in der Catenen-Hauptgruppe C sub obelo34, weil die Worte im Hebräischen fehlen. Für die Genese der Versio prior bedeutet dies, dass Hieronymus’ Erstfassung O. S. an dieser Stelle auf der LXX beruhte, während seine Endfassung T. auf dem Hebräischen basiert.

32 Die einzige Ausnahme: Der jüngste Codex Z bietet in Kapitel 35 (585, 14) die Wortstellung quid possum facere tibi. Dies ist angesichts der Überlieferungslage als isolierter Kopierfehler einzustufen. 33 Dieselbe Fassung wird auch von Julian von Aeclanum mit dem Verweis „In graeco“ zitiert (23, 85–86 De Coninck). 34 Ziegler (1982) 244 im 2.  Apparat. Die Hieronymus-Codices T. und B. haben hier keine Obelen; damit bleibt offen, ob Augustin in O. einen Obelos vorfand, aber ignorierte.

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b. Zur Auslegung: Die Auslegung des Zitates Iob 7, 20a, in der Augustin das Teil-Lemma noch einmal paraphrasierend aufnimmt, enthält noch ein kleines textkritisches Problem. Zychas Text lautet (524, 17): si peccaui, nihil possum tibi facere. Problematisch ist hier nicht die leichte syntaktische Variation von dem originalen Fragesatz mit quid zu einem Aussagesatz mit nihil, sondern lediglich die nicht einheitlich überlieferte Wortstellung, die überdies den Sinn nicht verändert. Während Zycha mit der Mehrzahl der Handschriften possum tibi facere druckt, also die Wortstellung des vorangehenden Lemmas wiederholt, bieten die verlässlichsten Zeugen für den ω2-Hyparchetypos – nämlich die alten Codices HI und T – die abweichende Wortstellung tibi possum­ facere. Dieselbe Wortfolge ist auch im Hieronymus-Codex S. überliefert35. Wie ist diese Überlieferungslage zu erklären? Ich sehe mehrere Möglichkeiten. Dabei gehe ich aufgrund meiner Ergebnisse in Kapitel 6 davon aus, dass die Textüberlieferung der Adnotationes nicht von S. beeinflusst ist36. Die einfachste Lösung bestünde in der Annahme, dass die Lesarten von HI T und von S. unabhängig voneinander entstanden sind. Zum Beispiel könnte die in O. vorgegebene Wortstellung sowohl von Hieronymus in S. als auch von Augustin bei seiner Paraphrase des Lemmas aus stilistischen Gründen variiert worden sein (wobei allerdings das Streben nach einem Cursus im vorliegenden Fall keine Rolle gespielt hätte). Noch einfacher wäre die Erklärung, in beiden Fällen seien unachtsame Kopisten am Werk gewesen. Jedoch lässt sich zumindest im Fall von S.  argumentieren, die Wortstellung tibi possum facere stelle weder einen Kopierfehler noch eine stilistische Variatio dar. Das zeigt ein Blick auf die griechischen Vorlagen des Teil-Lemmas Iob 7, 20a37. Dort findet sich die Wortfolge von S. in der Catenen-Untergruppe c sowie den Kommentaren des Arianers Julian und des Olympiodor, während die anderen Handschriften die Wortstellung von T. B. possum tibi facere aufweisen38. Möglicherweise liegt also hier wieder einer der Fälle vor, wo S. eine eigene Revisionsstufe zwischen O. und T. darstellt, die auf einer anderen griechischen Textvorlage beruht. Da die Codices HI T besonders alte und verlässliche Zeugen für die ω2-Überlieferung sind, wird man auch ihre Lesart nicht vorschnell beiseiteschieben. Mir scheint deshalb die Hypothese erwägenswert, dass auch an der vorliegenden Stelle

35 Zycha notiert die Wortfolge tibi possum korrekt für S. zu 524, 16, schreibt sie aber zu 584, 22 fälschlich „Hier“, also dem Codex T., zu. 36 Schon Trenkler (2017) 178 hat keinen Einfluss von S. oder auch von B. auf den Archetypos oder die Hyparchetypoi der Adnotationes feststellen können. 37 Ein Einfluss des Hebräischen kann hier ausgeschlossen werden, da dort die Entsprechung zu tibi am Ende des Teilsatzes steht. Im Lateinischen ergäbe sich also quid possum facere tibi, wie in dem in Anm. 32 zitierten Codex Z im Hiob-Kapitel 35. 38 Ziegler (1982) 244 im 1. Apparat.

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Hieronymus’ Erstfassung O. beide Varianten (also quid possum tibi facere und quid tibi possum facere) zur Wahl stellte, weil er in seinen Textvorlagen beide vorfand. Dann lässt sich der weitere Ablauf wie folgt rekonstruieren: Hieronymus verwarf wie üblich in S. die eine Variante aus O., nahm sie in diesem Fall aber in seiner Endfassung T. wieder auf. Augustin benutzte in seinen insgesamt vier wörtlichen Zitaten von Iob 7, 20a39 immer nur jene Wortstellung aus O., auf die Hieronymus später in T. zurückkam, integrierte aber auch die zweite Variante (die Hieronymus zwischenzeitlich in S. bevorzugte) in Form einer kommentierenden Paraphrase des Zitates in seinen Text. Nach dieser Hypothese bewahren hier die Codices HI und T mit der Wortfolge tibi possum facere den Text von Augustins Archetypos ω. Alle anderen erhaltenen Handschriften zur Stelle gehören ebenfalls zur ω2-Linie, weisen aber in der Paraphrase dieselbe Wortstellung possum tibi facere wie im Zitat auf. Ihr Text lässt sich unschwer als naheliegende Anpassung an das direkt vorangehende Lemma durch einen aufmerksamen Leser erklären. Weil jedoch für die vorliegende Stelle kein Zeuge der ω1-Überlieferung erhalten ist, muss offen bleiben, ob diese Anpassung nur in der ω2-Tradition erfolgte oder vielleicht durch Kontamination aus der ω1-Linie übernommen wurde, wo sie möglicherweise schon auf den ω1-Frater zurückging. Iob 7, 20b Dieses Teil-Lemma liegt in vier verschiedenen lateinischen Variationen vor: 40 41 42 Hiob Kap. u. Vers

7, 20b

Wortlaut bei Augustin

Wortlaut bei Julian v. Aecl.

adn. = O. Variante 1 (524, 18)

adn. = O. Variante 2 (525, 1–2)

(23, 88–89 De ­ Coninck)

tu ergo40 qui scis sensum

cum scias sensum humanum

In graeco […]: qui nosti sensum hominum

M42: ‫ֹנ ֵצ֪ר הָ ָ֫א ָ ֥דם‬

Fassung in S. T. B.

tu qui41 scis sensum humanum

LXX: ὁ ἐπιστάμενος τὸν νοῦν τῶν ἀνθρώπων

Vulgata: o custos hominum

39 Lt. CAG und Vetus Latina-Datenbank hat Augustin Iob 7, 20a außerhalb der Adnotationes in seinen Werken nie zitiert. 40 H tu uero ergo. 41 S. quis (von Caspari (1893) 60 in Anm. 46 richtig als Schreibfehler (Dittographie vor dem folgenden scis) erklärt. 42 Hier liegen zwei mögliche Konstruktionen vor. Wenn man eine Constructus-Verbindung annimmt, heißt der Ausdruck: „der Hüter / Beobachter des Menschen“. Wenn man dagegen ‫הָ ָ֫א ָ ֥דם‬ als Akkusativ-Objekt zum Partizip ‫ ֹנ ֵצ֪ר‬auffasst, ergibt sich die Übersetzung „weil / obwohl den Menschen hütest / beobachtest“.

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Spuren von Doppelübersetzungen in O. bei Augustin 

Die Tabelle zeigt, dass im lateinischen Teil-Lemma Iob 7, 20b drei Probleme vorliegen: – das Nebeneinander zweier Nebensatztypen bei Augustin: des Relativsatzes qui scis und des Konzessivsatzes cum scias – die dreifache Variation von sensum – sensum humanum – sensum hominum – der Hintergrund der Synonyme scis (Hieronymus und Augustin) und nosti (Julian) Da Julian den direkt vorangehenden Halbvers Iob 7, 20a nach der Versio prior des Hieronymus anführt43 und im folgenden Teil-Lemma Iob 7, 20d wahrscheinlich nochmals die Versio prior zitiert44, liegt die Vermutung nahe, dass er auch hier die Versio prior zur Kenntnis nahm und zumindest anklingen lässt. Aus dem Kontrast zwischen Julians Zitat und der abweichenden Fassung in den revidierten Hieronymus-Codices S. T. B. ergibt sich dann, dass Julians Version aus Hieronymus’ Erstfassung O. stammen muss. a. Augustin zitiert das Lemma Iob 7, 20b im ersten Durchgang als Relativsatz: tu […] qui scis sensum, dagegen im zweiten Durchgang als Konzessivsatz: cum scias sensum. Die Fassung als Relativsatz entspricht der revidierten Übersetzung des Hieronymus in S. T. B., die ihrerseits auf dem substantivierten Partizip der LXX ὁ ἐπιστάμενος beruht. Auch das Akkusativobjekt sensum zu scis ist eindeutig eine Wiedergabe des griechischen Ausdrucks τὸν νοῦν. Der Konzessivsatz in Augustins zweitem Durchgang kann dagegen nur auf einer alternativen Übersetzung des hebräischen Partizips ‫ נֹצֵ ר‬beruhen. Weil dieses keinen Artikel hat, kann es im vorliegenden Zusammenhang entweder attributiv oder prädikativ konstruiert werden. Der Relativsatz der LXX fasst das hebräische Partizip attributiv, der Konzessivsatz im zweiten Durchgang Augustins dagegen prädikativ auf. Wie diese beiden Varianten in den Adnotationes zeigen, hat Hieronymus in seiner Erstfassung O. offensichtlich die beiden Konstruktionen nach dem Hebräischen und nach dem Griechischen zur Wahl gestellt, und Augustin ist in seiner Auslegung auch auf beide eingegangen. b. Nachdem so geklärt ist, dass O. eine Doppelfassung gemäß den beiden Urtexten enthalten hat, zeichnet sich auch ab, wie das Verhältnis zwischen den Formulierungen sensum humanum (in Augustins zweitem Durchgang und in den revidierten Hieronymus-Codices S. T. B.) und sensum hominum (bei Julian von Aeclanum) zu verstehen ist. Julians Zitat sensum hominum – mit dem Verweis auf in graeco – gibt tatsächlich die griechische Konstruktion τὸν νοῦν τῶν ἀνθρώπων wieder. Dagegen handelt es sich bei der Formulierung sensum humanum um eine freie Um 43 Vgl. Kap. 13, S. 317. 44 Siehe dazu unten zu Iob 7, 20d.

Das Ende von Kapitel 7 der Adnotationes  

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schreibung des hebräischen Stichworts ‫הָ ָ֫א ָ ֥דם‬, an der Hieronymus – ungewöhnlich für eine Übersetzung aus dem Hebräischen – auch noch in den revidierten Versionen S. und T. der Versio prior festhielt. Sein Motiv könnte gewesen sein, dass der Ausdruck sensus humanus beim Leser Assoziationen sowohl an Ciceros philosophische Schriften45 als auch an Hilarius’ De Trinitate wecken konnte46. Dagegen muss es sich bei dem in Augustins erstem Durchgang tradierten Text (524, 18) tu ergo qui scis sensum, in dem sensum kein erklärendes Attribut bei sich hat, um einen Überlieferungsfehler handeln; denn der Ausdruck scire sensum allein ist sinnlos. (Auch das CAG liefert keine Parallele.) Durch das Fehlen der ω1-Überlieferung an dieser Stelle ist jedoch nicht zu entscheiden, ob der Ausfall des Attributs schon im Archetypos ω oder erst im Hyparchetypos ω2 erfolgte. Zwei Erwägungen sprechen dafür, dass hier nicht das adjektivische Attribut humanum, sondern das Genetivattribut hominum ausgefallen ist. Da Augustin im zweiten Durchgang die adjektivische Variante sensum humanum wählte, legt sein im Kontext mehrfach erkennbares Bestreben, bei Doppelübersetzungen in seiner Vorlage O. beide Lesarten zu berücksichtigen, die Vermutung nahe, dass er hier beim ersten Durchgang die alternative Fassung sensum hominum bot, wie sie auch bei Julian überliefert ist. Zweitens lässt sich im vorliegenden Kontext der Ausfall von hominum leichter erklären als der Wegfall von humanum, weil direkt vor und hinter der hier diagnostizierten Lücke zwei andere Formen derselben Vokabel stehen (524, 18 homines und 524, 19 hominem), durch die ein früher Schreiber abgelenkt worden sein mag. c. Da Augustin in beiden Durchgängen nur Formen von scire benutzt (qui scis bzw. cum scias), dürfte Hieronymus bereits in O. – wie anschließend in S. und T. – auch nur dieses Verbum geboten haben. Julian schreibt dagegen qui nosti. In diesem Detail hat er sich vermutlich bewusst von der Versio prior abgesetzt. Ein vergleichbarer Austausch von scire gegen nouisse begegnet im Lemma Iob 9, 28: Während Hieronymus dort in S. T. B. scio enim quia inpunitum me non dimittis schrieb47, änderte Julian den Wortlaut in seinem Verweis auf in graeco zu noui enim quod non innocentem derelinques me48. Zusammenfassend ergibt sich, dass Hieronymus das Lemma Iob 7, 20b in seiner Erstübersetzung O. doppelt übersetzt hatte: einmal auf der Grundlage der LXX in 45 Laut dem TLL s. v. humanus geht der Ausdruck auf Cicero zurück. Der TLL zitiert nur eine kleine Auswahl (6.3.3084.61–62: Tusc. 1, 65; 5, 38; Tim. 46); weitere Stellen bei Merguet, Bd. 2 (1892) 189 links. Lt. TLL kommt der Ausdruck später nur noch bei Seneca und Plinius dem Älteren vor: 6.3.3088, 46–47. 46 Möglicherweise verdankt Hieronymus den hier negativ konnotierten Ausdruck sensus humanus Hilarius von Poitiers: Corry (2002) 20, Anm. 3 zitiert Hilarius, trin. 3, 2 (74, 7 Smulders); 3, 25 (99, 40 Smulders); 8, 14 (326, 1 Smulders). Die Schrift De trinitate ist 356–359 datiert: Frede (1995) 544. 47 Augustin hat diesen Teilvers in den Adnotationes übersprungen. 48 Iulianus Aeclan., in Iob 9, 28 (29, 143–144 De Coninck).

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Spuren von Doppelübersetzungen in O. bei Augustin 

der Form qui scis sensum hominum (in leicht überarbeiteter Form qui nosti sensum hominum bei Julian überliefert) sowie ein zweites Mal nach dem Hebräischen in der Fassung cum scias sensum humanum (so von Augustin im zweiten Durchgang angeführt). Augustin hat die beiden Alternativen säuberlich getrennt zitiert. Dagegen hat Hieronymus bei seiner Überarbeitung der Versio prior in S. Details beider Varianten zu seiner Endfassung tu qui scis sensum humanum kombiniert – ein weiteres Beispiel für sein eklektisches Verfahren auf engstem Raum, das er aber bei seinen Revisionen nur noch selten anwandte. Iob 7, 20c Für diesen Teilvers der Versio prior gibt es leider kein Zitat bei Julian von Aeclanum. Die folgende Tabelle fasst die Überlieferung zusammen: 49 50 Hiob Kap. u. Vers

7, 20c

Wortlaut bei Augustin

Fassung in S. T. B.

adn. = O. Variante 1

adn. = O. Variante 2

(524, 18–19)

(525, 2–3)

quare constituisti hominem, ut loqueretur aduersus te

et utique posses quod tibi aduersarium est non constituere

M50: ‫ָל֤מָ ה ׂשַ ְמ ַּת֣נִ י ְל ִמ ְפּגָ ֣ע ָל ְ֑ך‬

S. quare posuisti in49 me, ut loquar aduersum te

T. B. quare posuisti me, ut loquar aduersum te

LXX: διὰ τί ἔθου με κατεντευκτήν σου Hexapla (Üs. des Symmachos): διὰ τί ἔθου με ἐναντιοῦσθαί σοι

Vulgata: quare posuisti me contrarium tibi

Ein Vergleich der Formulierungen in den beiden Durchgängen bei Augustin mit den Urtexten lässt erkennen, dass der Bischof in seiner Vorlage O. erneut zwei verschiedene Übersetzungen vorfand, die sich in der zweiten Vershälfte syntaktisch unterscheiden. Augustins Formulierung im ersten Durchgang quare constituisti hominem, ut loqueretur aduersus te? weist am Schluss einen Konsekutivsatz bzw. Finalsatz auf. Dieser ist auch in den Hieronymus-Handschriften S. T. B. überliefert. Er beruht auf der Infinitivkonstruktion der griechischen Übersetzung des Symmachos. Beim zweiten Durchgang setzt Augustins Paraphrase et utique posses quod tibi aduersarium est non constituere dagegen eine alternative Fassung voraus, die auf den nominalen Konstruktionen des hebräischen Urtextes und der LXX beruht. Im Licht der Urtexte ermöglicht die Paraphrase, die Textvorlage Augustins an dieser Stelle folgendermaßen zu rekonstruieren: quare constituisti me aduersarium tibi? 49 Die Präposition in hat keinen Anhalt in den Urtexten. Sie dürfte also nicht von Hieronymus stammen. Es handelt sich m. E. um eine Dittographie (î nach -i). 50 Dt.: Warum hast du mich gemacht zum Angriffsziel / zur Zielscheibe für dich?

Das Ende von Kapitel 7 der Adnotationes  

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Wieder hat sich also Hieronymus in O. noch nicht zwischen dem hebräischen Urtext und den griechischen Versionen entscheiden wollen, sondern hat die Übersetzungen beider Vorlagen nebeneinander gestellt. Seine Endfassung in S. T. B. folgt dann Symmachos, entscheidet sich also typischerweise für eine griechische Basis. Dagegen hat Hieronymus in der Vulgata – ebenso typisch – wieder auf die Konstruktion des Hebräischen zurückgegriffen und die andere Variante aus O. in der nur leicht veränderten Form quare me posuisti contrarium tibi? wieder eingesetzt. Obwohl also auch für das Teil-Lemma Iob 7, 20c eine Doppelübersetzung im Codex O. nachweisbar ist, bleibt aufgrund der Überlieferungslage ein Detail im Dunkeln. Aus beiden Durchgängen in den Adnotationes wird deutlich, dass Augustin in O. das Verb constituere vorfand. In seinen revidierten Texten benutzt aber Hieronymus konsequent das (im Lateinischen hier eher ungelenke) Verb ponere, also die im Licht beider Urtexte wörtlichere Übersetzung. Es ist daher naheliegend, aber nicht beweisbar, dass Hieronymus auch schon in O. neben constituisti in einer seiner beiden Versionen posuisti schrieb. Weil die Hieronymus-Codices S. T. B. die Präposition in der Form aduersum bieten, kann die in allen erhaltenen Handschriften der Adnotationes überlieferte Form aduersus mit Sicherheit der Erstfassung O. zugeschrieben werden. Warum Hieronymus anschließend in S.  von aduersus zu aduersum wechselte, ist mir nicht ersichtlich51. Die Änderung entspricht aber in ihrer Tendenz dem Befund der Vulgata-Konkordanz. Zwar kommen in der Vulgata beide Formen der Präposition oft und etwa gleich häufig vor52. Jedoch besteht gerade in der Verbindung mit dem Pronomen te ein auffälliger Unterschied: Aduersus te kommt nur zwei Mal (und zwar in einem einzigen Kapitel der Apokalypse) vor53, während der Ausdruck aduersum te in der gesamten Vulgata mehr als 20-mal belegt ist54. Anders Augustin: Wie an der vorliegenden Stelle gebraucht er aduersus te mehrfach in Formulierungen wie „gegen dich sprechen“55. Er dürfte also an der Fassung aduersus te des ihm in O. vorliegenden Hiob-Lemmas 7, 20c stilistisch keinen Anstoß genommen haben. Aber auch er benutzt gelegentlich an anderen, inhaltlich ähnlichen Stellen den Ausdruck aduersum te56.

51 Rönsch (1875), Goelzer (1884) und Kaulen (1904) übergehen das Problem von aduersus / aduersum sämtlich mit Schweigen. 52 Vulgata-Konkordanz (1897) zu aduersum: S. 97c-98c; zu aduersus: S. 98c-99b. 53 aduersus te: in der Vulgata nur Apc 2, 14. 20. 54 aduersum te: in der Vulgata z. B. Dt 28, 7; Idc 9, 31 und 33; Is 41, 12; Ier 1, 19 und 6, 23; Mt 5, 23 und 26, 62. 55 So ord. 1, 20: disputabo aduersus te; conf. 3, 8, 16: quae aduersus te facinora? Etwas später: uerbis saeuientes aduersus te; en. Ps. 85, 16 oblatrat aduersus te. 56 So conf. 4, 16, 31: latrare aduersum te; qu. 5, 21: exclamabit aduersum te ad dominum.

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Spuren von Doppelübersetzungen in O. bei Augustin 

Iob 7, 20d Dieses Teil-Lemma ist wie folgt überliefert: 57 58 Hiob Kap. u. Vers

7, 20d

Wortlaut bei Augustin

Wortlaut bei Julian v. Aecl.

Fassung in S. T. B.

adn. = O. Variante 1

adn. = O. Variante 2

(24, 90 De ­ Coninck)

S. T.

B.

(524, 17–18)

(524, 19–20)

an forte [ …] molesti tibi sunt homines?

ut esset tibi (h)oneri

et sum tibi onerosus

et sum tibi ­ oneri57

et sim tibi oneri

M58: ‫ָואֶ ְהיֶ ֖ה עָ ַל ֣י ְלמַ ָ ּֽׂשא‬

LXX Hauptüberlieferung: εἰμὶ δὲ ἐπὶ σοὶ φορτίον LXX Nebenüberlieferung: εἰμὶ δὲ ἐπὶ σοὶ φορτικός

Vulgata: et factus sum mihimet ipsi gravis

Aus der vorstehenden Übersicht lässt sich ableiten, dass Augustin in seiner Textvorlage O. auch hier wieder eine Doppelübersetzung des Hieronymus aus dem Hebräischen bzw. Griechischen vorfand. Der hebräische Urtext mit seinem modalen Imperfekt zum Verbum „sein“ in Verbindung mit dem Dativ ‫„( ְלמַ ָ ּֽׂשא‬zu einer Last“) spiegelt sich wörtlich im Text des Hieronymus-Codex B.: et sim tibi oneri. Dieser Text liegt Augustins Paraphrase (524, 19–20) ut esset tibi oneri zugrunde. Damit ergibt sich, dass hier einer jener Fälle vorliegt, in denen B. die Lesart von O. bewahrt59. Augustin fand also den Konjunktiv in O. bereits vor und brauchte nur noch das Tempus an den neuen Kontext anzupassen. Daneben enthält die Tradition auch noch die Spuren einer griechischen Nebenüberlieferung. Diese teilt mit der LXX den Indikativ εἰμὶ = sum, den Hieronymus in den revidierten Codices S. T. bietet. Weil dieser Indikativ aber auch bei Julian von Eclanum überliefert ist, der – wie sich schon mehrfach bestätigte – die Erstfassung O. des Hieronymus zitiert, scheint mir wahrscheinlich, dass auch der Rest des Julian-Zitates mit seinem adjektivischen Prädikatsnomen onerosus in O. gestanden hat. Für O. als Quelle dieser Übersetzung spricht m. E. auch, dass φορτικός, die griechische Vorlage für onerosus, nicht aus der Lukianischen Rezension stammt60, auf die sich Julian bei seinen eigenen Übersetzungen mit Vorliebe stützt61. O. enthielt also neben der Übersetzung aus dem Hebräischen et sim tibi oneri sehr wahrscheinlich auch noch die Übersetzung et sum tibi onerosus der griechischen Nebenüberlieferung. 57 S. honer (statt oneri). 58 Dt.: und ich bin / werde auf mir zu einer Last. 59 Vgl. Kap. 6, S. 110. 115. 117–119. 60 Ziegler (1982) 244 weist φορτικός im 2. Apparat für 248, 252 und die Catenen-Überlieferung nach. 61 Für Julians Vorliebe für die Lukianische Rezension vgl. Kap. 13, S. 313, 321.

Das Ende von Kapitel 7 der Adnotationes  

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Erst hier wird deutlich, dass Augustin bereits kurz zuvor eine allerdings versteckte Anspielung auf diese zweite Übersetzung seiner Vorlage O. in seinen eigenen Text verwoben hatte, indem er formulierte (524, 17–18): an forte […] molesti tibi sunt homines? Die Anspielung setzt voraus, dass Augustin die Begriffe onerosus und molestus als Synonyme empfand; tatsächlich gibt es dafür in seinen Werken mehrere Belege62. Die revidierte Fassung et sum tibi (h)oneri, die Hieronymus in S. eingeführt hat, stellt wieder eine eklektische Kombination der beiden Erstübersetzungen aus O. dar: Der Indikativ sum stammt aus der Übersetzung nach dem Griechischen, der Dativ oneri aus der Version nach dem Hebräischen. Iob 7, 21ab An dieser Stelle, die von Julian von Aeclanum nicht zitiert wird, besteht der Unterschied zwischen den beiden Fassungen, die für O. zu erschließen sind, lediglich in den Tempora: 63 Hiob Kap. u. Vers

7, 21ab

Wortlaut bei Augustin

Fassung in S. T. B.

adn. = O. Variante 1

adn. = O. Variante 2

(524, 21–22)

(525, 3–4. 6–7)

quare non obliuisceris ­ peccatum eius, sed purgas illud potius?

et quare non es oblitus ­ iniquitatis meae? […] cum enim purges peccatum meum

M63: ֮ ‫ֹא־ת ָּׂש֣א ִפ ְׁש ִעי‬ ִ ‫ּומ֤ה׀ ל‬ ֶ ‫עֹו ִ֫נ֥י‬ ֲ ‫ביר אֶ ת־‬ ִ֪‫ע‬ ֲ ַ‫וְ ת‬

et quare non es oblitus iniquitatis meae, et purgasti peccatum meum? LXX: καὶ διὰ τί οὐκ ἐποιήσω τῆς ἀνομίας μου λήθην καὶ καθαρισμὸν τῆς ἁμαρτίας μου;

Vulgata: cur non tolles peccatum meum et quare non auferes iniquitatem meam

Beim ersten Durchgang benutzt Augustin hier das Präsens (obliuisceris und purgas), beim zweiten Durchgang zitiert er den Anfang des Lemmas dagegen im Perfekt (es oblitus), wie es auch die Hieronymus-Codices S. T. B. aufweisen. Diese Differenz ist kein Zufall, sondern entspricht der Divergenz der Urtexte: Hinter den Präsensformen stehen die beiden Imperfektformen des Hebräischen, die präsenti 62 Zur Koppelung von onerosus und molestus bei Augustin vgl. uirg. 16: ut aliquantulum  a nuptiis etiam deterreret, modeste sane, non tamquam a re mala et inlicita, sed tamquam ab onerosa ac molesta; Cresc. 1, 8: multi et ipsam correptionem, quae modeste fit, […] onerose ac moleste ferunt; en Ps. 60, 1: quantum adiuuerit ipse qui nos iubet loqui, sic ero uolentibus officiosus, ut non sim tardis molestus, nec paucis multus, nec occupatis onerosus. 63 Dt.: Und warum wirst du nicht wegnehmen meine Verfehlung und verschwinden lassen meine Sünde?

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Spuren von Doppelübersetzungen in O. bei Augustin 

sche (oder futurische) Bedeutung haben können, während das lateinische Perfekt den Aorist der LXX wiedergibt. Beide Varianten kann Augustin nur seiner Textvorlage O. entnommen haben. Damit liegt auch hier noch einmal ein typischer Fall vor: Hieronymus schlug in O. zwei alternative Übersetzungen nach dem Hebräischen und dem Griechischen vor. Erst bei der Revision der Versio prior hatte die LXX für ihn Priorität. In der Vulgata dagegen stützte er sich mit den beiden Futurformen tolles und auferes wieder eindeutig auf die Imperfektformen des hebräischen Urtextes.

G. Stellen in den Adnotationes in Iob: Kapitel 15–18 Kapitel 16: In beiden Rezensionen der Adnotationes überlieferte Belege 16.1 Die Aufgabe In den nächsten drei Kapiteln bespreche ich Einzelstellen der Adnotationes in Iob, die darauf schließen lassen, dass Augustin in seiner Textvorlage, der Erstfassung O. der Versio prior des Hieronymus, dort eine Doppel- oder sogar Mehrfachübersetzung des Hiob-Textes vorfand. Ziel der Untersuchungen ist, nicht direkt überlieferte Stellen der Erstfassung O. zu rekonstruieren. Um von einer möglichst breiten Basis auszugehen, beginne ich im vorliegenden Kapitel mit denjenigen Stellen, die in beiden Rezensionen der Adnotationes überliefert sind1. Mehrere Belege solcher Art hat schon Trenkler aufgefunden und analysiert2. Auch in der vorliegenden Arbeit kamen bereits weitere Stellen zur Sprache3. Im vorliegenden Kapitel werden diese Ergebnisse vorausgesetzt. Da es mir nur um Stellen geht, an denen m. E. tatsächlich Doppelübersetzungen in O. vorliegen, lasse ich im Folgenden alle unsicheren Fälle beiseite, in denen sich eine Lesart bei genauerem Hinsehen eher als Überlieferungsfehler erweist4. Die Verse sind in der Reihenfolge des Hiob-Textes angeordnet.

1 Beide Rezensionen sind nur für zwei Passagen überliefert: Kapitel 19 Mitte bis Kapitel 21 Mitte sowie Kapitel 27 Anfang bis Kapitel 38, 1. Drittel. Für die Details vgl. Trenkler (2017) 62–63. 2 Trenkler (2017), Kap. 10, 126–134 mit den Belegen 12–16 und Kap. 15, 200 mit Beleg 10. 3 Vgl. nur Kap.  8, S.  171–191; Kap.  9, S.  219–220 zu Iob 36, 12a; Kap.  11 pass.; Kap.  12, S. 284–292 usw. 4 Gleich zwei Beispiele für solche Korruptelen begegnen in der Überlieferung des Lemmas Iob 38, 2 in den Adnotationes (600, 16–18). Dort wird die mit Blick auf die Urtexte einzig richtige Fassung nur vom Fragment-Codex A tradiert: quis est qui celat me consilium, continens sermones in corde, et me putat latere? Die ω2-Überlieferung bietet statt continens und latere fälschlich contemnens und dare. Die richtige Lesart continens steht allerdings auch schon in den alten Editionen – entweder durch Emendation oder weil sie durch Kontamination auch in ω2-Codices (hier: FN) übergegangen war. Das richtige latere hat dagegen erst Zycha unter Verweis auf die Hieronymus-Codices S. und T. (bei ihm „Hier“) in den Text gesetzt. Seine gelungene Emendation wird jetzt durch den erstmals von Trenkler (2017) erschlossenen Codex A bestätigt.

382

Spuren von Doppelübersetzungen in O. bei Augustin 

16.2 Analyse einzelner Lemmata 16.2.1 Stellen aus der ersten vollständig erhaltenen Passage (Iob 19–21) Aus dieser in beiden Hyparchetypoi erhaltenen Passage liegt zwar kein einziger Beleg vor; man kann aber an dieser Stelle das Lemma Iob 18, 14b besprechen. Denn weil dort die Codices FGN aus der ω1-Tradition kontaminiert sind, sind die unterschiedlichen Lesarten der beiden Hyparchetypoi bekannt. Die Variante der ω1-Tradition liegt auch im Hieronymus-Codex S. vor: Iob 18, 14b 5 Hiob Kap. u. Vers

18, 14b

Wortlaut bei Augustin

Fassung in S. T. B.

adn. = O. Variante 1 FGN

adn. = O. Variante 2 codd. cett. + edd.

(547, 11–12)

(547, 11–12)

et teneat eum necessitas causa (!) regalis

et teneat eum necessitas causae regalis

M5: ‫ְו ֝תַ ְצ ִע ֵ ֗דהּו ְל ֶמ֣לֶ ְך ּבַ ּלָ ֹֽהות‬

S.

T. B.

et teneat eum necessitas causa (!) ­regalis

et teneat eum necessitas causae regalis

LXX: σχοίη δὲ αὐτὸν ἀνάγκη αἰτίᾳ βασιλικῇ

Vulgata: et calcet super eum quasi rex interitus

In diesem Teil-Lemma Iob 18, 14b hat sich Hieronymus auf allen Stufen der Versio prior nur auf die LXX gestützt; auf den hebräischen Text hat er erst in der Vulgata zurückgegriffen. Ein genauerer Vergleich mit der LXX zeigt aber, dass Hieronymus zwei verschiedene Varianten entwickelt hat, die beide die griechische Vorlage nicht wörtlich wiedergeben, sondern nur versuchen, der Stelle einen Sinn abzugewinnen. Kepper/Witte übersetzen den Text der LXX6: „und Not möge ihn packen mit einer königlichen Anklage.“ Hieronymus hat dagegen den Begriff αἰτία mit causa anders aufgefasst. Er versteht den Vers offenbar so, dass der hier verwünschte Sünder in eine Zwangslage geraten soll, die sich aus einem Anliegen seines Königs ergibt. Um dem lateinischen Leser seine Deutung der Stelle nahe zu bringen, hat sich Hieronymus zudem über die griechische Vorlage hinweggesetzt : Anstelle des instrumentalen griechischen Dativs αἰτίᾳ βασιλικῇ hat er zwei verschiedene freie Wiedergaben vorgeschlagen,



5 Dt.: und wird ihn schreiten lassen zum König der Schrecken. 6 Kepper/Witte (2009) 1028.

In beiden Rezensionen der Adnotationes überlieferte Belege 

383

die freilich vom Sinn her in dieselbe Richtung gehen. In S. (et teneat eum necessitas causa (!) regalis) setzt er die causa regalis als Apposition zu necessitas; in T. dagegen (et teneat eum necessitas causae regalis) lässt er auf necessitas den Genetivus explicativus causae regalis folgen. Im vorliegenden Fall beruht der Nachweis, dass die beiden Übersetzungen nicht erst sukzessive in S. bzw. T. entwickelt wurden, sondern schon beide nebeneinander in O. standen, auf zwei Beobachtungen. Erstens beweist Augustins einstimmig überlieferte Auslegung, dass er die Fassung erklären wollte, die den Genetivus explicativus enthält (547, 15–16): necessitas causae regalis cruciet conscientiam eius, adpetitio tyrannidis. Diese stand also schon in O. und wurde nicht etwa erst von dem ω2-Frater aus T. in die Adnotationes importiert. Zweitens beweisen die kontaminierten Codices FGN, dass der ω1-Frater aus mangelnder Übersicht die andere Lesart mit der Apposition causa regalis in seinen Hyparchetypos übernahm. Diese Lesart konnte er nur in O. finden. Dass Hieronymus zunächst in S.  die Apposition wählte, aber in T. zum Genetivus explicativus überging, zeigt, dass ihm die Entscheidung zwischen den beiden Vorschlägen von O. schwer fiel. Mit der Wahl des Genetivs in der Endfassung T. kam er schließlich zu demselben Ergebnis wie schon Augustin in den Adnotationes.

16.2.2 Stellen aus der zweiten vollständig erhaltenen Passage (Iob 27–38) Die übrigen acht Stellen stammen alle aus der zweiten, in beiden Hyparchetypoi überlieferten Passage. Iob 30, 3a Die Überlieferung der Auslegung von Iob 30, 3a in den Adnotationes ist besonders kompliziert. Sie lässt sich auf Variae lectiones innerhalb der ω2-Tradition zurückführen, die ihrerseits auf eine Doppelübersetzung des Hieronymus in seiner Erstfassung O. zurückgehen7. Zycha druckt den Text wie folgt: (572, 21–22) egestate et fame instabiles (Iob 30, 3a):  a uariis desideriis insatiabiles. Das Teil-Lemma Iob 30, 3a ist in beiden Traditionslinien der Adnotationes ohne Varianten überliefert. Dagegen ist die Tradition der Auslegung vierfach gespalten. Die folgende Tabelle fasst die Überlieferung zusammen:

7 Die Stelle geht der bereits von Trenkler (2017) Kap. 10, S. 128–130 (Beleg 13) ausführlich analysierten Doppelübersetzung und -auslegung des Lemmas Iob 30, 3b qui fugiebant/fugientes in desertum heri unmittelbar voraus.

384 8 9 10

Spuren von Doppelübersetzungen in O. bei Augustin 

Hiob Kap. u. Vers

Varianten des Kommentartextes in den Adnotationes (572, 21–22) Lesart lt. ω1 (cod. A)

1. Lesart lt. ω2 (codd. H KP T + Am.8 Er. Lovv. Zy.)

2. Lesart lt. ω2 (codd. FN + Maur.9)

3. Lesart lt. ω2 (alle codd. recc.10)

30, 3a

uariis desideriis instabilibus

a uariis desideriis insatiabiles

a uariis desideriis insatiabilibus

auari desideriis insatiabiles

Schon ein erster Blick zeigt, dass in dieser Passage keine Kontamination zwischen den beiden Rezensionen stattgefunden hat, sondern dass die ω1-Linie für sich steht. Ferner ist deutlich, dass der Bearbeiter des Quellcodex aller Recentiores hier keine Variae lectiones anbot, sondern sich für eine einzige Fassung entschied, die er offensichtlich für die allein richtige hielt. Dieses Urteil hat keiner der nachfolgenden Bearbeiter der Recentiores in Zweifel gezogen, so dass dieser Wortlaut in alle Recentiores überging (sc. die 3. Lesart lt. ω2). Dagegen weisen die Vetustiores zwei verschiedene Fassungen auf, die auf Variae lectiones im ω2-Hyparchetypos schließen lassen. Dabei tradieren die „konservativen“ Codices H, KP und T die plausiblere Variante, während die „risikofreudigen“ Bearbeiter von F und N die abweichende Variante bevorzugen. Es bleibt die Frage, wie so viele verschiedene Varianten von Augustins Kommentar haben entstehen können. Die Antwort ist m. E. in dem Umstand zu suchen, dass Augustin in seinem Hiob-Codex O. zwei alternative Übersetzungen des Lemmas Iob 30, 3a vorfand und auch beide kommentierte, aber von dem Schreiber des Archetypos so gründlich missverstanden wurde, dass schon die beiden Fratres anschließend vor einer fast unlösbaren Aufgabe standen – um von den späteren Schreibern ganz zu schweigen. Welche beiden Übersetzungen des Hieronymus lassen sich für das Lemma Iob 30, 3b erschließen, und welche Kommentare hat Augustin dazu geliefert? Die in allen Handschriften und Editionen der Adnotationes für das Lemma Iob 30, 3b überlieferte Fassung lautet egestate et fame instabiles. Dieser Wortlaut muss auf die Erstfassung O. zurückgehen, weil Hieronymus in den revidierten Codices S. T. B. der Versio prior – in engerem Anschluss an die Urtexte – noch ein in hinzufügt und schreibt in egestate et fame instabiles. Schon die Übersetzung instabiles ist aber erklärungsbedürftig, weil sie weder der griechischen Hauptüberlieferung noch dem hebräischen Urtext entspricht. Der Text der Hexapla lautet: * ἐν ἐνδείᾳ καὶ λιμῷ ἄγονος11, d. h. „in Mangel und Hun-

8 Amerbach druckt fälschlich desiderii (vgl. die Codd. VZ, unten Anm. 10). 9 Das Kollationsbuch der Mauriner hat zu diesem Lemma keinen Eintrag. 10 VZ desiderii. 11 So Ziegler (1982) 340.

In beiden Rezensionen der Adnotationes überlieferte Belege 

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ger kinderlos“. Dies entspricht sinngemäß dem Wortlaut von M: ‫ּובכָ ֗ ָפן ַּג ְ֫למ֥ ּוד‬ ְ ‫ּב ֶח֥סֶ ר‬, ְ d. h. „in/durch Mangel und in Hunger unfruchtbar“. Demgegenüber beruht Hieronymus’ Übersetzung instabiles (deren Plural impliziert, dass der Übersetzer den Singular der Urtexte kollektiv auffasste) auf einer Nebenüberlieferung des Griechischen, die statt ἄγονος vielmehr ἄγωνος, d. h. „winkellos“ im Sinne von „instabil“12, bietet13. Augustins Kommentar zu dieser ersten Übersetzung mit instabiles ist der in den Recentiores überlieferte Text auari, desideriis insatiabiles. Hierbei handelt es sich um eine Anspielung auf Sallusts Coniuratio Catilinae 11, 3, bei der Augustin sogar die typische Asyndese beibehalten hat14. Sallusts Original lautet15: auaritia pecuniae studium habet […]; ea […] semper infinita, insatiabilis est16. Die Vokabel insatiabilis bezogen auf Menschen und verbunden mit einem Ablativus limitationis begegnet auch in Augustins en. Ps. 100, 9 dicebant enim, cum uiderent eum pendentem in cruce, insultantes, quia insatiabiles corde (cf. Ps 100, 5) erant – dicebant ergo: Si filius dei est, descendat de cruce (Mt 27, 40). Der Nachweis, dass der in den Recentiores überlieferte Text, der keine Parallele in den Vetustiores hat, auf Augustin zurückgeht und keine freie Konjektur eines Bearbeiters darstellt, scheint mir wichtig für eine künftige Edition. Der verlorene Quellcodex aller Recentiores und der Codex vetustior T sind Geschwister. Da T die andere Fassung a uariis desideriis insatiabiles bietet, kann man schließen, dass der gemeinsame Muttercodex, auf den T und die Recentiores zurückgehen, diese beiden Fassungen als Variae lectiones enthielt. Angesichts der Qualität der hier vorliegenden Lesart der Recentiores kann aber die Quelle dieser Variae lectiones nur der Hyparchetypos ω2 gewesen sein. Damit kommt den Recentiores für eine künftige Edition erhöhte Bedeutung zu: Man darf damit rechnen, im Quellcodex der Recentiores zumindest teilweise echtes altes Gut der ω2-Tradition zu entdecken, das man in den Vetustiores vergeblich sucht. Aus den drei anderen Formulierungen von Augustins Kommentar, die im Fragment-Codex A bzw. in den Vetustiores überliefert sind, kann man m. E. schließen, dass Augustin in O. noch eine zweite Übersetzung des Lemmas Iob 30, 3a vorfand, die Hieronymus anschließend in der revidierten Fassung von S. verwarf. Sie lautete vermutlich egestate et fame ducti. Auf diesen Wortlaut führen mehrere konvergierende Überlegungen.

12 Wenn der λίθος ἀγωνιαῖος, d. h. der Eckstein, Festigkeit verleiht, lässt sich das Fehlen einer Ecke als Instabilität deuten. 13 Ziegler (1982) 340 zu Iob 30, 3a im 1. Apparat leitet das lateinische instabiles offenbar versehentlich vom griechischen ἄγονοι ab. 14 Kurfess beseitigt die Asyndese durch ein eingeschaltetes (S. 11, 5): semper infinita insatiabilis est. 15 S. 11, 2–6 Kurfess. 16 Augustin zitiert die Sallust-Passage nochmals s. 177, 6: insatiabilis est quidem auaritia.

386

Spuren von Doppelübersetzungen in O. bei Augustin 

Erstens teilen alle drei Varianten die Wortgruppe (a)  uariis desideriis. Dies scheint mir eine klare Anspielung auf 2 Tim 3, 6 zu sein. Augustin und die meisten Vulgata-Handschriften zitieren den Teilvers – wie es dem griechischen Urtext entspricht – ohne die Präposition a: quae ducuntur uariis desideriis17; der VulgataCodex G jedoch und das Speculum bieten die Präposition a: quae ducuntur a uariis desideriis18. Erst wenn man annimmt, dass Hieronymus’ Übersetzung von Iob 30, 3a das ducti enthielt, wird Augustins Assoziation zwischen Iob 30, 3a und 2 Tim 3, 6 mit seinem ducuntur ganz verständlich. Für die Anspielung auf 2 Tim 3, 6 spricht auch der jeweilige Kontext: Sowohl in den vorangehenden Zeilen der Adnotationes (Zy 572, 19–21) als auch in 2 Tim 3, 7–9 ist von Leuten die Rede, die bis zum Ende nicht zur Wahrheit durchdringen19. Darüber hinaus findet die Vermutung, Hieronymus habe Iob 30, 3a zunächst versuchsweise mit egestate et fame ducti übersetzt, auch in den Urtexten Anhalt. Statt der oben zitierten griechischen Lesart ἄγωνος findet sich nämlich in einem Codex auch die Variante ἀγόμενος20. Diese wiederum lässt sich vielleicht auf eine hebräische Lesart zurückführen, die von dem masoretischen ‫„( ַּג ְ֫למ֥ ּוד‬unfruchtbar“) abweicht, ihm aber graphisch sehr ähnlich ist – nämlich auf ‫„( נִ ְּלמָ ד‬angeleitet“), verstanden als Partizip Nif ’al zur Wurzel ‫ למד‬21. Als Zwischenergebnis dieser Überlegungen ergibt sich folgende Rekonstruktion von Augustins ursprünglicher doppelter Auslegung des Teil-Lemmas Iob 30, 3a, die der doppelten Übersetzung des Hieronymus entspricht: 1. egestate et fame ducti (Iob 30, 3a): uariis desideriis (cf. 2 Tim 3, 6). 2. egestate et fame instabiles (Iob 30, 3a): auari, desideriis insatiabiles (cf. Sall., Cat. 11, 3). Schon für Augustins Stenographen war diese Doppelung vermutlich schwer nachvollziehbar. Bei der Reinschrift (dem Archetypos ω) hat der notarius dann aus O. nur die zweite Übersetzung des Lemmas (mit instabiles) kopiert. Er hat sodann Augustins beide Kommentare zu einer einzigen Formulierung zusammengezogen, wobei er aber aus Unsicherheit über das, was Augustin eigentlich sagen wollte, zwei Variae lectiones einführte: erstens die Varianten uariis/auari und zweitens die Alternative insatiabilibus/insatiabiles22. Der Text des Archetypos ω, den die beiden Fratres vorfanden, lautete also vermutlich uariis/auari desideriis insatiabilibus/ insatiabiles.

17 en. Ps. 67, 39; s. 8, 18 (zweimal). 18 spec. 40. Für G vgl. die Stuttgarter Vulgata (2007) 1838 im Apparat. 19 Vgl. besonders Augustins ausführliche Darlegungen in s. 8, 18. 20 Ms. 732 lt. Ziegler (1982) 340 zu Iob 30, 3a im 1. Apparat. 21 Vgl. Gesenius-Donner (2013) 610–611. M kennt allerdings kein Nif ’al. 22 Vermutlich hatte der Stenograph die Endung -es abgekürzt; so wusste der Schreiber der Reinschrift nicht, ob sich das Adjektiv auf die auari oder auf desideriis beziehen sollte.

In beiden Rezensionen der Adnotationes überlieferte Belege 

387

Konfrontiert mit diesem Text reagierten die Fratres verschieden. Der ω2-Frater behielt die komplizierte Überlieferung des Archetypos mit der doppelten Varia lectio in seinem Hyparchetypos bei, fügte aber vermutlich aufgrund seiner Neigung zu Vulgata-Lesarten23 die Präposition a in die Anspielung auf 2 Tim 3, 6 ein. Diese verwirrende Vorlage wurde erst anschließend von den Bearbeitern der aus dem ω2-Hyparchetypos abgeleiteten Codices in verschiedener Weise vereinfacht. Der Schreiber des Muttercodex zu T und zu den Recentiores ließ nur noch eine Varia lectio stehen: a uariis/auari desideriis insatiabiles. Vermutlich erschien ihm der Nominativ insatiabiles als einzig passende Glosse zu dem Nominativ instabiles des Lemmas. Bei der endgültigen Entscheidung hat dann der Bearbeiter des Quellcodex der Recentiores mit dem Text auari, desideriis insatiabiles die bessere Wahl getroffen als der Schreiber von T mit  a uariis desideriis insatiabiles  – allein schon deshalb, weil insatiabilis nicht mit  a + Ablativ zu konstruieren ist. Diese Passage zeigt also, dass man den Lesarten des Codex vetustior T durchaus nicht immer trauen kann, während die Lesarten der Recentiores zuweilen das Richtige bewahren. Der Schreiber des Quellcodex zu KP und FGN ließ ebenfalls nur eine Varia lectio übrig, wählte aber eine andere: a uariis desideriis insatiabiles/insatiabilibus. Beide Varianten sind grammatisch falsch – dass insatiabiles nicht mit a + Ablativ verbunden werden kann, wurde schon gesagt; Gleiches gilt aber auch für instabiles, was bei der Variante a uariis desideriis insatiabilibus vorausgesetzt wird. Hier zeigen sich also Grenzen im Urteilsvermögen nicht nur des Schreibers des Quellcodex zu FGN, sondern auch des Bearbeiters des Quellcodex zu KP, der sonst meist verlässlich ist. Da der Codex I hier schon verloren ist, lässt sich nicht sagen, ob der Quellcodex zu HI noch Variae lectiones enthielt oder nur noch die falsche Fassung a uariis desideriis insatiabiles bot. Während der ω2-Frater also auf der Grundlage des verwirrenden Archetypos eine ganze Serie von Variae lectiones überlieferte, hat der ω1-Frater seine Vorlage radikal vereinfacht und verändert. Er strich die Variae lectiones auari und insatiabiles und ersetzte die Vokabel insatiabilibus durch instabilibus. Damit ist zwar die Grammatik gewahrt, aber Augustins Text bis zur Unkenntlichkeit verfremdet. Ähnlich unglückliche Eingriffe hat auch schon Trenkler bei diesem Frater nachgewiesen24. Seine Version dieser Stelle blieb ohne Einfluss auf die ω2-Überlieferung; es fand keine Kontamination statt. Iob 30, 26a Das Lemma Iob 30, 26a wird von Augustin an zwei weit auseinanderliegenden Stellen der Adnotationes zitiert: in Kap. 30 (Zy 576, 11) und in Kap 34 (Zy 582, 15).

23 Vgl. dazu Trenkler (2017) Kap. 15 und 17. 24 Vgl. dazu Trenkler (2017) Kap. 14.

388

Spuren von Doppelübersetzungen in O. bei Augustin 

Im Kapitel 30 (576, 11) führt Augustin – wie die Überlieferung beider Hyparchetypoi bezeugt – den Vers in der Fassung ego bona praestolabar an, also so, wie ihn Hieronymus nach dem Vorbild mehrerer griechischer Übersetzungen in den revidierten Codices S. und T. bietet: 25 26 27 28 29 Hiob Kap. u. Vers

30, 26a

Wortlaut bei Augustin

Fassung in S. T. B.

adn. = O. Variante 1 ω1- und ω2-Linie (576, 11)

adn. = O. Variante 2 (582, 15) ω1-Linie (cod. A)

ω2-Linie

ego bona praestolabar25 (NM praestolabor)

ergo bona praestolabor

ego bona praestolabor26 (praestolabar H + Maur. Zy.)

M27: ‫יתי‬ ִ ִ‫ּכי טֹ֣ וב ִקּ֭ו‬ ִ֤

ego bona praestolabar

Hexapla (Üs. des Symmachos): ἐγὼ28 δὲ ἀγαθὰ προσεδεχόμην LXX Nebenüberlieferung: ἐγω29 δὲ ἐπεῖχον ἀγαθοῖς

Vulgata: expectabam bona

Dagegen weicht das Zitat bei der späteren Wiederaufnahme in zwei Details von diesem Wortlaut ab: Statt ego steht dort im Codex A, der auf den Hyparchetypos ω1 zurückgeht, die Konjunktion ergo. Ferner bieten dort fast alle Codices  – also die Traditionen beider Hyparchetypoi – statt des Imperfekts praestolabar das Futur praestolabor (was in Zychas Apparat allerdings nicht deutlich wird30). Nun könnte man mit Blick auf die Hieronymus-Codices S. T. B. und die griechischen Vorlagen meinen, beide Varianten der späteren Stelle – sowohl ergo als auch praestolabor – seien bloße Schreibversehen der Überlieferung. Mir scheint aber, dass hier wieder eine Doppelübersetzung in Hieronymus’ Erstfassung O. im Hintergrund steht: Während die Fassung ego bona praestolabar die griechischen Textvorlagen wiedergibt, liegt in der Version ergo bona praestolabor die Übersetzung des hebräischen Urtextes vor: Ergo entspricht dem hebräischen ‫ ; ִּכי‬das Futur 25 WXYZ pr(a)estabar. 26 WX om. praestolabor. 27 Dt.: Wahrlich/Denn ich habe Gutes erhofft. 28 Die Wiedergabe des hebräischen ‫ ִּכי‬durch ein betontes griechisches Personalpronomen wie ἐγὼ steht im Buch Hiob allein. Sie lässt sich aber anhand der Grundbedeutung des ‫ ִּכי‬nachvollziehen. Diese besteht darin, mit Emphase auf die anschließende Aussage hinzuweisen (vgl. Schneider (1985) 253–254); denn auch das griechische ἐγὼ leistet hier dasselbe, wenn auch mit einem anderen sprachlichen Mittel. 29 Vgl. Anm. 28. 30 Zycha versäumt darauf hinzuweisen, dass in allen von ihm benutzten Codices (hier CPT) das Futur praestolabor überliefert ist. Sein Imperfekt praestolabar wurde erst von den Maurinern konjiziert (ohne Vermerk im Kollationsbuch).

In beiden Rezensionen der Adnotationes überlieferte Belege 

389

praestolabor erklärt sich vermutlich so, dass Hieronymus das Perfekt ‫יתי‬ ִ ִ‫„( ִקּ֭ו‬ich habe erhofft“) hier als prophetisches Perfekt interpretiert hat. Zur Begründung dieser These im Einzelnen: Gegen die Vermutung, ergo sei ein Schreibversehen für ego, sprechen zunächst zwei paläographische Erwägungen. Cappelli kennt für ego und ergo keine verwechselbaren Abkürzungen. Zudem sind beide Begriffe dadurch gesichert, dass es sich bei ihnen jeweils um das erste Wort des Teil-Lemmas handelt. Deshalb müssen beide Stichwörter zur Identifizierung des gemeinten Verses nach Augustins Diktat schon in der stenographischen Vorlage des Archetypos gestanden haben31. Aber auch inhaltlich lassen sich sowohl ergo als auch das Futur praestolabor aus ihrem Kontext in den Adnotationes als ursprünglich erweisen. Die griechischen Übersetzungen von Iob 30, 26a finden in dem hebräischen Perfekt des Verses die naheliegende Aussage, Hiobs frühere Hoffnungen auf Gutes seien enttäuscht worden. Dagegen interpretiert Hieronymus mit seiner Deutung desselben Tempus als prophetisches Perfekt das Lemma Iob 30, 26a als zukunftsgewisse Glaubensaussage Hiobs: Gerade weil in Anbetracht der Nächstenliebe Hiobs, die im vorangehenden Vers 25 geschildert wird, Hiobs göttliche Verwerfung so wenig nachvollziehbar ist, kann Hiob seiner festen Erwartung Ausdruck verleihen, dass er künftig doch noch Gutes erleben wird. Genau in diesem Sinn assoziiert nun Augustin das Lemma Iob 30, 26a zur Entschärfung der blasphemischen Aussage Hiobs in Iob 34, 6a, Gott habe beim Urteil über ihn gelogen (Zy 582, 14–15: et in iudicio meo mentitus est): Weil Hiob so sicher ist, dass das über ihn ergangene Urteil nicht der Wirklichkeit entspricht, und demgemäß seine feste Hoffnung auf künftiges Gutes aus Gottes Hand setzt, kann er sich in Augustins Augen die grenzwertige Aussage erlauben, Gott habe gelogen. So ist m. E. Augustins kryptischer Kommentar ideo praeter spem quod est, mentitus est (Zy 582, 15–16) zu verstehen (dessen einleitendes ideo das ergo des Zitats Iob 30, 26a aufnimmt und damit bestätigt32): Gottes „Lüge“ manifestiert sich in dem, was Hiob entgegen seiner Hoffnung erleidet; aber Hiobs Glaubenshoffnung auf Gottes künftige Güte wird dadurch nicht erschüttert. So liegt hier wieder ein typischer Fall vor. Hieronymus hat in seiner Erstfassung O. die Übersetzung sowohl des hebräischen als auch eines griechischen Textes nebeneinandergestellt, sich aber bei der Revision allein für die Version auf griechischer Basis entschieden. Augustin fand in seinem Exemplar von O. beide Übersetzungen vor und zitierte sie unabhängig voneinander jeweils so, wie es ihm die unterschiedlichen Kontexte nahelegten. Diese Erklärung passt auch zum Profil der beiden Fratres, wie es Trenkler herausgearbeitet hat: Der vorsichtigere ω1-Frater, der zuerst ego bona praestolabar und später ergo bona praestolabor schreibt, hat sich an beiden Stellen für eine Lesart entschieden und dabei jeweils Augustins Originaltext bewahrt. Der ω2-Frater 31 Vgl. für die verschiedene Behandlung der Lemmata in Stenogramm und Reinschrift Trenkler (2017) Kap. 10. 32 Für ideo in der Bedeutung von ergo vgl. TLL s. v. ideo, 7.1.212.29–30.

390

Spuren von Doppelübersetzungen in O. bei Augustin 

dagegen, der an der zweiten Stelle das ego aus T. einsetzte, hat stärker in den Text eingegriffen: Er hat nicht beachtet, dass ergo vom Kontext geschützt war. Überdies nahm er offenbar an beiden Stellen beide Verbformen (praestolabar und praestolabor) als Variae lectiones in seinen Hyparchetypos auf. Darauf deutet der Umstand hin, dass an beiden Stellen in einigen wenigen Codices auch jeweils das alternative Tempus begegnet. Dagegen geht das Imperfekt praestolabar an der späteren Stelle bei den Maurinern und Zycha (die den Codex H nicht kannten) auf eine falsche Analogie zur ersten Stelle zurück. Iob 34, 18a Zycha druckt das Lemma 34, 18a in der Form (582, 23) inpius est qui dicit regi:­ iniuste agis. Auch in diesem Zitat sind wieder zwei Details – nämlich die Verbform dicit und das Adverb iniuste – so verschieden überliefert, dass sich die Frage stellt, ob die Varianten auf alternative Übersetzungen des Hieronymus in seiner Erstfassung O. oder auf Kopierfehler zurückgehen. Ich beginne in der Reihenfolge des Textes mit der Verbform. Hier überliefert der Fragment-Codex A das Futur dicet, während die ω2-Tradition das Präsens dicit bietet: 33 34 Hiob Kap. u. Vers

34, 18a

Wortlaut bei Augustin

Fassung in S. T. B.

adn. = O. Variante 1 ω1-Linie (cod. A) (582, 23)

adn. = O. Variante 2 ω2-Linie (582, 23)

qui dicet

qui dicit

qui dicit

(C M dixit33) M34: ‫הַ ֲא ֹמר‬

LXX: ὁ λέγων

Vulgata: qui dicit

Aus dem Kontext wird deutlich, dass Augustin in seiner Vorlage O. das Präsens d ­ icit vorgefunden hat, das sowohl auf das hebräische wie das griechische Partizip zurückgehen kann. Er sagt nämlich in der folgenden Auslegung ausdrücklich bene „qui dicit“, non „qui dixerit“ (582, 24–25). Also hat hier die ω2-Linie seinen Text bewahrt. Für das Futur der ω1-Tradition sehe ich zwei mögliche Erklärungen. Entweder ist das Futur dicet im Codex A wieder ein simpler Flüchtigkeitsfehler mit der häufigen Verwechslung von i und e35. Oder aber Hieronymus hat in seiner Erstfassung O. geschwankt, ob er das (hier substantivierte) hebräische Partizip ‫הַ ֲאמֹר‬, das theore 33 Dieses Perfekt ist erkennbar sekundär und kann hier außer Betracht bleiben. 34 Dt.: der, der sagt/sagen wird/gesagt hat. 35 Caspari (1893) 24–25.

In beiden Rezensionen der Adnotationes überlieferte Belege 

391

tisch jedes Zeitverhältnis ausdrücken kann, im Sinn der Gleichzeitigkeit als qui dicit oder im Sinn der Nachzeitigkeit als qui dicet übersetzen sollte, und hat beide Möglichkeiten nebeneinander stehen lassen. Dann hätte Augustin seiner Vorlage O. die eine Alternative entnommen, während der ω1-Frater aus derselben Quelle die andere Variante gewählt hätte, die Augustin beiseitegelassen hatte. Für eine inhaltlich begründete Entscheidung zwischen den beiden Erklärungen sehe ich kein Kriterium. Stünde die Stelle allein, würde man aus methodischen Gründen vermutlich die einfachere Deutung vorziehen und das Futur dicet auf einen Kopierfehler zurückführen. Weil aber dieses Lemma mit dem Adverb iniuste noch ein zweites, ähnliches Problem aufwirft, ist vor einer endgültigen Entscheidung zu prüfen, ob vielleicht das zweite Detail zu einer Lösung beitragen kann. Die ω1-Tradition überliefert hier inique agis (und stimmt damit mit den anderen Zeugen S. T. B. der Versio prior überein); dagegen schreibt die ω2-Überlieferung iniuste agis: 36 Hiob Kap. u. Vers

34, 18a

Wortlaut bei Augustin

Fassung in S. T. B.

adn. = O. Variante 1 ω1-Linie (cod. A) (582, 23)

adn. = O. Variante 2 ω2-Linie (582, 23)

inique agis

iniuste agis

M36: ‫ְּב ִל ָּיעַ ל‬

inique agis LXX: παρανομεῖς

Vulgata: apostata

Beide Varianten sind Übersetzungen der verbalen Formulierung der LXX παρανομεῖς „du handelst gesetzwidrig“, nicht des hebräischen Nomens ‫ ְּב ִלּיָעַ ל‬, das hier als Vokativ „du Verbrecher“ aufzufassen ist. Die Antwort auf die Frage, welche dieser beiden Lesarten Augustin seiner Vorlage O. entnahm, ergibt sich in der vorliegenden Passage aus der Beobachtung, dass er auf das Hiob-Zitat mit einer vorangestellten Paraphrase hinführt. Die entscheidenden Worte lauten: (Zy 582,21–23) ut […] inpie et iniuste agat. Darauf folgt als Schriftbeweis das Hiob-Zitat 34, 18a: inpius est qui dicit (A dicet) regi: iniuste (A inique) agis. Die Paraphrase mit der Kombination der Begriffe inpie et iniuste deutet m. E. darauf hin, dass Augustin auch im Lemma Iob 34, 18a dieselben Schlagworte las. Daraus ergibt sich, dass hier der ω2-Frater mit iniuste Augustins Text richtig überliefert hat, den dieser seiner Vorlage O. entnommen haben muss. Es ist dagegen nicht sicher zu entscheiden, aus welcher Quelle der ω1-Frater die Variante inique geschöpft hat. Das inique kann von Hieronymus erst in seiner ersten Revision in S. anstelle des iniuste von O. neu eingeführt worden sein; dann 36 Dt.: du Verbrecher!.

392

Spuren von Doppelübersetzungen in O. bei Augustin 

hätte es der ω1-Frater aus dem revidierten Codex T. übernommen. Es könnte sich aber ebenso gut wieder um eine Alternative handeln, die Hieronymus neben iniuste schon in O. zur Wahl gestellt hatte und dann als einzige Übersetzung in seinen Revisionen in S. T. B. beibehielt. In diesem Fall hätte der ω1-Frater ebenso wie bei dicet die von Augustin nicht berücksichtigte Alternative aus O. in seinen Hyparchetypos aufgenommen. Somit ist auch in diesem Detail, wenn man es isoliert betrachtet, eine Doppelfassung in O. zwar möglich, aber nicht beweisbar. Wenn man allerdings die beiden Problemfälle, die in diesem Lemma vorliegen, zusammennimmt, dann gewinnt die These, dass beide auf eine Doppelfassung in O. rückschließen lassen, eine höhere Plausibilität. Dann wären nämlich beide Fratres jeweils konsistent verfahren: In beiden Fällen hätte der ω2-Frater die Variante beibehalten, die Augustin kommentierte, während der ω1-Frater aus mangelnder Beachtung des Kontextes der Adnotationes jeweils die Variante vorzog, die der Bischof beiseitegelassen hatte. Wenn man die Phänomene dagegen anders erklärt, ergibt sich für den ω1-Hyparchetypos ein disparates Bild: Sein dicet wäre ein Kopierfehler und sein inique aus dem revidierten Codex T. entlehnt. Iob 36, 6a Die Überlieferung des Lemmas Iob 36, 6a ist verworren: 37 38 39 Hiob Kap. u. Vers

36, 6a

Wortlaut bei Augustin

Fassung in S. T. B.

adn. = O. Variante 1 ω1-Linie (cod. A) (587, 23)

adn. = O. Variante 2 ω2-Linie (587, 23)

S.

T.

B.

uiuificauit

uiuificat

uiuificauit37

uiuificabit

uiuificauit38

M39: ‫יְ חַ ֶּיה‬

Hexapla sub *: ζωοποιήσει

Vulgata: salvat

Die Auslegung dieses Lemmas (587, 24–27) spricht mit zwei weiteren, in allen Codices überlieferten Futurformen – inueniet und flectet (587, 26) – vom künftigen Endgericht. Das beweist, dass Augustin in seiner Vorlage O. das Futur uiuificabit las, das dem hebräischen Imperfekt und dem ζωοποιήσει der Hexapla ebenso entspricht wie der Überlieferung im Hieronymus-Codex T. Deshalb gibt auch die in den anderen Handschriften – also in dem auf den Hyparchetypos ω2 zurückgehenden Überlieferungszweig – in dieser Auslegung überlieferte Form uiuificabit (587, 24–25) Augustins Text richtig wieder. 37 Caspari mit Anm. 10 druckt fälschlich uiuificabit. 38 Lagarde druckt fälschlich uiuificabit  – wieder eine Anpassung an das Futur des griechischen Textes. 39 Dt.: er wird lebendig machen/macht lebendig.

In beiden Rezensionen der Adnotationes überlieferte Belege 

393

Auffällig ist demgegenüber das Perfekt uiuificauit, das im Codex A sowohl im Lemma als auch in der darauffolgenden Auslegung überliefert ist. Dies kann deshalb nicht einfach als ein Schreibfehler (also als weiteres Beispiel für die mehrfach belegte Verwechslung der Endungen -bit und -uit40) abgetan werden, weil es auch in den Hieronymus-Codices S. und B. steht, während das Futur dort allein in T. belegt ist. Das oben in Kapitel 6 beschriebene Überlieferungs-Muster, wonach die Lesart von T. mehrfach allein gegen den Wortlaut von O. S. B. steht41, spricht vielmehr dafür, dass das Perfekt von S. und B. auch schon in O. vorlag. Weil andererseits – wie eben ausgeführt – Augustin in O. das Futur vorfand, scheint mir sehr wahrscheinlich, dass in diesem Falle Hieronymus in O. das Futur und das Perfekt nebeneinander zur Wahl stellte. Die Erklärung für seine Unentschlossenheit liegt vermutlich darin, dass das hebräische Imperfekt (hier ‫ )יְ חַ ּיֶה‬zwar meist als Futur zu deuten ist (wie es auch die Hexapla mit ihrem ζωοποιήσει getan hat), dass aber Hieronymus auch an anderen Stellen dazu neigt, hebräisches Imperfekt mit dem lateinischen Perfekt zu übersetzen42. Wie hartnäckig er an dieser Tendenz festhielt, zeigt im vorliegenden Fall der Codex S.: Zum Futur hat sich Hieronymus an dieser Stelle erst in T. durchgerungen. Das Perfekt uiuificauit wird im Codex A auch in der folgenden Auslegung (587, 24–25) wieder aufgenommen. Diese konsequente Fortführung bestätigt, dass der ω1-Frater das Perfekt bewusst aus dem Codex O. übernommen hat, weil er übersah, dass sich Augustin – wie die nachfolgenden Futurformen inueniet und flectet (587, 26) zeigen – für die andere Variante entschieden hatte. Was schließlich das im Licht von Kontext und Überlieferung verfehlte Präsens uiuificat betrifft, das hier im Lemma (587, 23) in allen Handschriften der ω2-Linie überliefert ist, so muss es schon auf den Hyparchetypos ω2 zurückgehen. Wahrscheinlich beruht es auf einem eigenmächtigen Eingriff des ω2-Fraters, wie ihn Trenkler häufiger nachgewiesen hat43. Im vorliegenden Fall hat dieser Bearbeiter vermutlich den Hiob-Text qui uiuificabit impium an ein anderes, von Augustin vielfach gebrauchtes Bibelzitat anpassen wollen – nämlich an Rm 4, 5 (= Prv 17, 15) qui iustificat impium44. Iob 36, 22a Das Lemma Iob 36, 22a ist im Fragment-Codex A im selben Wortlaut roborabitur in fortitudine sua überliefert wie in den drei Hieronymus-Codices S. T. B. der Versio prior. In der ω2-Überlieferung gehen ihm aber noch die Worte consolabitur uel voraus: 40 Vgl. die Beispiele bei Trenkler (2017) Kap. 14, Belege 9. 23. 27. 36 und Kap. 15, Belege 3. 27 sowie oben Kap. 8, S. 173–174 zu Iob 19, 6a2. 41 Vgl. Kap. 6, Tabellen 6. 7. 22–24. 42 Vgl. Kap. 3, Beleg 22 mit Anm. 16. 43 Trenkler (2017) Kap. 15 und 17. 44 Das CAG führt für Rm 4, 5 nicht weniger als 39 Treffer an. Ein weiterer Beleg für Rm 4, 5 begegnet in adn. 27 (564, 16–18).

394 45

Hiob Kap. u. Vers

36, 22a

Spuren von Doppelübersetzungen in O. bei Augustin  Wortlaut bei Augustin

Fassung in S. T. B.

adn. = O. Variante 1 ω1-Linie (cod. A) (591, 11–12)

adn. = O. Variante 2 ω2-Linie (591, 11–12)

roborabitur in ­fortitudine sua

consolabitur uel roborabitur in fortitudine sua

M45: ‫י ְַׂש ִּג ֣יב ְּב ֹכחֹ֑ ו‬

roborabitur in ­fortitudine sua LXX: κραταιώσει ἐν ἰσχύι αὐτοῦ

Vulgata: ecce Deus excelsus in fortitudine sua

Auf den ersten Blick könnte man meinen, dass es sich bei den Worten consolabitur uel in der ω2-Linie um eine typische Glosse zu roborabitur handele, die später in den Text hineingeraten sei. Umgekehrt ließe sich das Fehlen von consolabitur uel in der ω1-Überlieferung auch als Kopierfehler durch Augensprung erklären. Bei genauerem Hinsehen befriedigen diese Erklärungen aber deshalb nicht, weil sich schon das Wort roborabitur, das in allen Codices der Versio prior steht, als Problem erweist. Dieses roborabitur lässt sich nämlich weder von der Wortbedeutung her noch als Passiv-Form auf das masoretische ‫„( י ְַׂש ִּג ֣יב‬er wird erhaben handeln“) oder auf das griechische κραταιώσει zurückführen. Wenn aber sicher scheint, dass Hieronymus seiner Versio prior an dieser Stelle einen anderen Text zugrunde gelegt hat, als ihn M bzw. LXX bieten, dann liegt auch die weitergehende Vermutung nahe, dass er für diesen singulären Text in der Erstfassung O. zunächst eine Doppelübersetzung mit den Nuancen consolari (das hier nicht als Deponens, sondern als Passiv aufzufassen ist46) und roborari zur Wahl stellte. Für den Umgang der beiden Fratres mit dieser Doppelfassung in O. ergäbe sich dann an dieser Stelle wieder ein vertrautes Muster: Der ω2-Frater behielt sie bei, während sie vom ω1-Frater nach der Vorlage von T. auf roborabitur reduziert wurde47. Wie könnte die Textvorlage für Hieronymus’ Erstübersetzung mit consolabitur uel roborabitur gelautet haben? Ich vermute, dass er hier davon ausging, im Text stehe die Form ‫יִ ְתּגַּבֵ ר‬, also ein Imperfekt Hitpa’el zur Wurzel ‫גבר‬. Denn fast dieselbe Form (nur im Plural ‫ יִ ְתּג ָ ַּֽברּו‬statt wie hier im Singular) hatte der Kirchenvater einige 45 Dt.: Er wird erhaben handeln in seiner Kraft. 46 Für passive Bedeutung von consolari vgl. Rönsch (1875) 388. Für Hieronymus: Goelzer (1884) 352 und z. B. Vulgata Ps 125, 1; Ier 31, 15 ~ Mt 2, 18; Lc 16, 25; 2 Cor 7, 7. Auch bei Augustin ist passives consolari belegt: z. B. doctr. chr. 1, 15, 14; Cresc. 2, 1; ciu. 3, 21. In Bibelzitaten: Mt 5, 5 (s. dom. m. 1, 5. 12 u. ö.; s. Morin 11, 8) und 1 Th 3, 7 (doctr. chr. 3, 4, 8). Zu Dt 32, 36 legt sich­ Augustin nicht fest (loc. 5, 75; die ganze Stelle wird unten in Anm. 49 zitiert). Beide Autoren benutzen auch consolari als Deponens und als Passiv direkt nebeneinander: Hieronymus (Vulgata) Is 66, 13; Augustin conf. 6, 1, 1. 47 Vgl. Trenkler (2017) Kap. 10, Beleg 13 zum Lemma von Iob 30, 3b; Kap. 15, Beleg 10 zum Lemma von Iob 37, 23a und Kap. 16, S. 234–235 zur Auslegung von Iob 37, 22a.

In beiden Rezensionen der Adnotationes überlieferte Belege 

395

Verse zuvor im selben Kapitel (im Lemma Iob 36, 9b) vorgefunden und auch dort mit dem Passiv von roborare übersetzt48. Um zu erklären, warum Hieronymus hier zunächst auch noch die alternative Wiedergabe mit consolabitur erwog49, kann man darauf verweisen, dass er die für die vorliegende Stelle erschlossene Verbform ‫ יִ ְתּגַּבֵ ר‬später in der Vulgata einmal mit confortabitur übersetzte50. Dieses spätantike Verb51 heißt zwar bei Hieronymus meist noch wörtlich „stärken/kräftigen“52, geht aber gelegentlich schon in die Bedeutung „seelisch stärken/trösten“ über, in der es in mehreren modernen Sprachen geläufig ist53, und kommt damit dem Sinn von consolari nahe. Für Hieronymus lässt sich 2 Par 32, 8c zitieren: confortatusque est populus huiuscemodi verbis Ezechiae regis Iuda. Auch Augustin fragt in einer Psalmenpredigt: o domine, quomodo consolaris, quomodo confortas?54 Im Licht dieser Stellen lässt sich die hier in Iob 36, 22a vorliegende Alternative consolari/roborari auch noch mit dem Parallelismus zwischen confortare und corroborare in der Vulgata-Fassung von Dt 3, 28 vergleichen: praecipe Iosue et corrobora eum atque conforta. Wenn man abschließend fragt, wie sich die hier erschlossene Textvorlage des Hieronymus ‫ יִ ְתּגַּבֵ ר‬zu dem ‫ י ְַׂש ִּג ֣יב‬des masoretischen Textes verhält, so scheint mir nicht einmal sicher, ob dem Kirchenvater tatsächlich ein von M abweichender hebräischer Konsonantentext vorgelegen hat. Zunächst fällt auf, dass mit Gimel und Beth zwei Radikale der Formen identisch sind. Die Verwechslung der silbenschließenden Konsonanten der Präformativ-Silben (also des Sin der Hif ’il-Form in M mit dem aspirierten Taw55 des hier erschlossenen Hitpa’els) lässt vermuten, dass sich Hieronymus den hebräischen Text vorlesen ließ. Dabei kann sich der Sekretär verlesen oder Hieronymus verhört haben – beide in Erinnerung an die ähnliche Form in Iob 36, 9b. Wenn man annimmt, der Vorleser habe die Endsilben ver-

48 Iob 36, 9b lt. Versio prior (S. T. B.): cum fuerint roborati (so auch Augustin in adn.: Zy 588, 26–27). 49 Der zunächst befremdende Ausdruck „Gott wird getröstet werden/sich trösten/sich trösten lassen“ wird in anderem Zusammenhang von Augustin wie folgt gedeutet (loc. 5, 75): quoniam iudicabit dominus populum suum et in seruis suis consolabitur (Dt 32, 36): pro seruos suos consolabitur; nisi forte ipsum consolari dicit translato uerbo uelut ab indignatione et offensione, qua eum offendunt mali. sic autem eius consolatio accipienda est, non ex more hominum: sicut nec ira et zelus et cetera talia. 50 Is 42, 13. 51 Rönsch (1875) 185–186; Goelzer (1884) 181. 52 Vgl. die Vulgata-Konkordanz (1897) 252, Sp. 1–2. 53 Vgl. to comfort, confortare, confortar. 54 en. Ps. 99, 8. 55 Siegfried (1884) 64–66 zeigt, dass Hieronymus Taw regelmäßig (also auch am Wortanfang) mit -th- (nicht -t-) umschrieben hat. Er lässt aber offen, was seine folgende Feststellung für die mündliche Aussprache besagen soll (S. 65): „Ein Unterschied zwischen ‫ ּת‬und ‫ ת‬wird also überhaupt nicht gemacht“. Dagegen zeigt Bergsträsser (1918) 38–40, dass seit Origenes und damit auch bei Hieronymus die Begadkefat-Laute immer nur spirantisch ausgesprochen wurden. Vgl. noch Gesenius-Kautzsch (1909) 36: „Die neueren Juden sprechen […] Taw wie s […]“.

396

Spuren von Doppelübersetzungen in O. bei Augustin 

nuschelt, konnte Hieronymus wohl auch meinen, am Wortende noch das Resch gehört zu haben56, das hier zur Komplettierung der als Hitpa’el zu ‫ גבר‬aufgefassten Verbform erforderlich ist. Iob 36, 30a Besonders variantenreich ist die Überlieferung im Lemma Iob 36, 30a: 57 58 Hiob Kap. u. Vers

36, 30a

Wortlaut bei Augustin

Fassung in S. T. B.

adn. = O. Variante 1 ω1-Linie (cod. A) (592, 19)

adn. = O. Variante 2 ω2-Linie (592, 19)

S.

T.

B.

effudit

fundit

diffundit

effundit57

effundit

(Zy fundit) M58: ‫ּפָ ַרׂש‬

Hexapla sub *: ἐκτείνει Hexapla (Üs. des Aquila): ἐκπετάζει

Vulgata: et fulgurare lumine suo desuper

Im Gegensatz zu dieser sehr heterogenen Überlieferung des Lemmas ist in der folgenden Auslegung Augustins (592, 21) das Präsens effundit sowohl im Fragment A als auch in allen anderen Codices der Adnotationes eindeutig überliefert. Deshalb scheint es zunächst, als habe der Bischof diese Form, die als Kompositum im Präsens dem ἐκτείνει bzw. ἐκπετάζει der Hexapla entspricht und auch bei Hieronymus in den revidierten Codices T. B. überliefert ist, schon in seiner Vorlage O. vorgefunden. Gegen diese Auffassung spricht jedoch, dass dann die Varianten des Lemmas, die in den beiden Hyparchetypoi überliefert sind – also sowohl das Perfekt effudit der ω1-Linie als auch das Simplex fundit der ω2-Tradition – unerklärt bleiben. Freilich könnte man beide Formen zu Kopierfehlern erklären. Das fiele bei effudit tatsächlich leicht, weil dort gegenüber dem Präsens effundit nur eine Nasaltilde ausgefallen sein müsste. Dagegen wäre der Ausfall des Präfixes ef- vor fundit (den Zycha bei seiner Emendation des fundit zu fundit voraussetzt) schwieriger zu verstehen, weil der Kontext keinen Anhalt bietet, etwa eine Haplographie anzunehmen.

56 Für Quieszieren von auslautendem hebräischem -r in der Aussprache gibt es keinen Beleg. Sowohl in der 2. Spalte der Hexapla als auch in den Werken des Hieronymus wird End -r (jedenfalls in dem vorliegenden Material) immer korrekt mit -ρ bzw. -r wiedergegeben. Vgl. für die Hexapla: Flint (1998) 129 (Table 2); für Hieronymus: Siegfried (1884) passim. 57 Zycha im Apparat behauptet zu Unrecht, auch T. (bei ihm „Hier“) habe diffundit (wie S.). 58 Dt.: Er hat ausgebreitet.

In beiden Rezensionen der Adnotationes überlieferte Belege 

397

Hinzu kommt aber vor allem, dass man jede dieser beiden Lesarten der Hyparchetypoi, statt sie als Fehler zu deklarieren, viel wahrscheinlicher auf den hebrä­ ischen Urtext zurückführen kann – effudit (ω1) als Perfekt auf das Perfekt ‫ּפָ ַרׂש‬ von M, das Präsens fundit (ω2) als Simplex dagegen auf die nahe liegende alternative Vokalisierung als Partizip ‫ einer, der ausbreitet“). Dann hätte man anzunehmen, dass Hieronymus in seiner Erstfassung O. wieder einmal zwei Varianten nebeneinanderstellte, weil er sich zwischen zwei hebräischen Formen (dem Perfekt und dem Partizip) nicht entscheiden mochte und überdies zwischen dem typischen Simplex des Hebräischen und dem ebenso typischen Kompositum des Griechischen schwankte. Weil der Stenograph nur das Anfangswort „ecce“ des Teil-Lemmas Iob 36, 30a notierte, mussten die Fratres den restlichen Versteil aus den Hieronymus-Codices O. bzw. T. ergänzen. Dabei hätte hier jeder eine andere der in O. gebotenen alternativen Lesarten gewählt. Beide hätten übersehen, dass die Lesart effundit aus dem von ihnen sonst so bevorzugten Codex T. besser zu Augustins folgender Paraphrase des Lemmas mit effundit (592, 21) gepasst hätte. Dass Augustin das Lemma anschließend mit effundit (592, 21) paraphrasierte, wäre dann so zu erklären, dass er im Bemühen, beide Varianten des Hieronymus zu berücksichtigen, aus fundit und effudit seine eigene Synthese effundit gebildet hätte. Damit hätte er bereits die Lösung vorweggenommen, zu der auch Hieronymus später in T. B. gelangte, nachdem er zwischenzeitlich in S. noch die Variante diffundit erwogen hatte. (Dass S. in dieser Passage mit der Lesart diffundit alleinsteht59, stützt meine Einschätzung, dass S. eine eigenständige Revisionsstufe zwischen O. und T. repräsentiert60.) Iob 37, 12bc Auch an dieser Stelle lässt sich aus der Überlieferung der Adnotationes eine Doppelübersetzung in O. rekonstruieren. Die Doppelung geht darauf zurück, dass Hieronymus in O. zwei verschiedene Übersetzungen aus der Hexapla – die des Aquila und die des Symmachos61 – in lateinischer Fassung nebeneinander zur Wahl stellte. Dabei hat er – in Abweichung von beiden hexaplarischen Versionen ebenso wie von deren Vorlage M – das erste Wort des Teilverses 12c (πάντα / ‫ = ֖ ֹּכל‬omnia) noch nach vorn zum Ende von Vers 12b gezogen:

59 Zycha behauptet fälschlich im Apparat, diffundit stehe nicht nur in S., sondern auch in „Hier“ (= T.). 60 Vgl. dazu Kap. 6, S. 107–108. 61 Vgl. Ziegler (1982) 380 im 2. Apparat.

398 62 63

Hiob Kap. u. Vers

37, 12bc

Spuren von Doppelübersetzungen in O. bei Augustin  Wortlaut bei Augustin

Fassung in S. T. B.

adn. = O. Variante 1 ω1-Linie (cod. A) (596, 8)

adn. = O. Variante 2 ω2-Linie (596, 8)

ad operanda omnia

ad operandum omnia62

M63: ‫ְלפָ ֳע ָל ֑ם ֖ ֹּכל‬

ad operanda omnia Hexapla sub * (Üs. des Aquila): εἰς ἔργα αὐτῶν· πάντα Hexapla sub * (Üs. des Symmachos): εἰς τὸ ἐργάζεσθαι αὐτά· πάντα

Vulgata: quocumque eas voluntas gubernantis duxerit ad omne quod praeceperit illis

In der Erstübersetzung O. des Hieronymus entspricht die freie Wiedergabe mit ad operanda omnia dem εἰς ἔργα αὐτῶν πάντα des Aquila, während sich die InfinitivKonstruktion des Symmachos εἰς τὸ ἐργάζεσθαι αὐτὰ πάντα in der Wendung ad operandum omnia widerspiegelt. Bei seiner Revision in S. schied Hieronymus dann die stilistisch weniger elegante Gerundium-Konstruktion aus. Auch Augustin griff – wie sein Kommentar (596, 10) zeigt – nur die glattere Gerundiv-Konstruktion auf. (Ebenso verfuhr auch Philippus Presbyter.64) Weil das Stenogramm das Lemma nicht vollständig enthielt, kopierte der Schreiber des Archetypos ω beide Varianten aus O. Infolgedessen mussten sich die Fratres für eine der beiden Lesarten entscheiden. Der ω1-Frater wählte im Sinne Augustins richtig das Gerundivum und konnte sich dabei von T. bestätigt finden. Dagegen zog der ω2-Frater – wieder einmal blind für den Kontext – die von Augustin verworfene Version vor (die er in diesem Fall nur in O., nicht in T. vorfand). Sein Motiv ist nicht eindeutig zu rekonstruieren. Vielleicht hat er die Gerundium-Konstruktion als Lectio difficilior empfunden und gerade deshalb gewählt. Vielleicht hat er aber auch in dem guten Glauben gehandelt, einen typischen Sprachgebrauch Augustins wiederzugeben. Das Verhältnis beider Konstruktionen ist nämlich in Augustins Werken nahezu ausgewogen: Für die Gerundiv-Konstruktion gibt es vier weitere Belege65, für das Gerundium mit Akkusativ-Objekt sogar deren fünf 66. 62 C U ea; M alias omnia ea (sic!). In M ist eine Varia lectio in den Text eingedrungen. Es wird aber nicht klar, ob ursprünglich omnia die Alternative zu ea oder umgekehrt ea die Alternative zu omnia sein sollte. 63 Dt.: zu ihrem Tun alles. 64 Vgl. oben Kap. 10, S. 250–251 zum Lemma Iob 37, 12ac. 65 adn. Iob 20 (551, 18–19): haec de his operanda, quae […]; c. Iul. imp. 2, 220: ad operanda, quae sancta, quae iusta, quae bona sunt; en. Ps. 80, 5: ad operanda terrena; s. Dolbeau 29, 4: ad ope­ randa necessaria. 66 exp. Gal. 48: deinde incipit opera carnis enumerare, ut intellegant se, si ad operandum ista desideriis carnalibus consenserint, tunc duci carne, non spiritu; exp. prop. Rm. 60: ut bona operando etiam aeternam uitam consequeretur (zitiert und kritisiert retr. 1, 23, 2 sowie nochmals praed.

399

In beiden Rezensionen der Adnotationes überlieferte Belege 

Iob 37, 21c Im Teil-Lemma Iob 37, 21c hat Hieronymus m. E. in seiner Erstfassung O. sogar drei Varianten nebeneinander gestellt: 67 68 69 70 Hiob Kap. u. Vers

37, 21c

Wortlaut bei Augustin

Wortlaut bei Philippus Presbyter

adn. = O. ω1-Linie (cod. A) (598, 23)

adn. = O. ω2-Linie

PL 26 (1845) 744 C

et mundauit eas67

et mundabit eas

Fassung in S. T. B.

(598, 23)

M69: ‫ַו ְּתטַ ֲה ֵרם‬

et fugabit eas

et mundabit eas

emundabit68 eas

et mundabit eas

Hexapla (Üs. des Aquila): καὶ ἐκαθάρισεν αὐτάς70

Vulgata: et ventus transiens fugabit eas

Das Perfekt mundauit entspricht dem Narrativ von M und dem Aorist der Hexapla, ist aber nur in der ω1-Tradition der Adnotationes überliefert. Da die revidierten Hieronymus-Codices S. T. B. sämtlich das Futur aufweisen, kann der ω1-Frater das Perfekt nur dem Codex O. entnommen haben. Gleichzeitig muss der Codex O. aber auch schon das Futur mundabit enthalten haben, das in der ω2-Linie der Adnotationes überliefert ist; denn in seiner Auslegung spricht Augustin nicht von einer vergangenen Reinigung vom Hochmut, sondern von einer Erleuchtung und Reinigung, die erst noch herbeigewünscht wird (599, 1–3): ut illius lumine (cf. Iob 37, 21a) inlustrari uelint […] atque […] mundentur (cf. Iob 37, 21c).

sanct. 7); c. Iul. imp. 2, 11: (Aug.) quomodo leuat deus ruinas malarum uoluntatum, per quas utique tempora uituperantur, quando recte uituperantur, nisi bonas uoluntates operando in cordibus hominum?; Io. eu. tr. 17, 14: non enim defecerat deus operando creaturam; s. 37, 5 (zu Prv 31, 12): hinc est quod spoliat ista mulier gentes, operando uiro suo bona et non mala. 67 Erst im Codex A selbst wurde eas zu Unrecht in eos geändert. Das in der übrigen Tradition überlieferte eas ist richtig, weil sich das Pronomen auf die nubes von Iob 37, 21b quod refulget in nubibus (598, 15) bezieht. Der Urheber des eos will das Pronomen stattdessen mit illi (598, 22) verbinden. 68 Vermutlich ist emundabit statt et mundabit ein späterer Schreibfehler. Wenn man dagegen emundabit für einen Fall hält, in dem Hieronymus das Simplex durch ein Kompositum ersetzt hat, muss man hier den Ausfall des vorangehenden et durch Haplographie vor emundabit erklären. 69 Dt.: und er reinigte sie. 70 Zu Zieglers Eintrag (1982) 382 zu Iob 37, 21c im 2. Apparat kommt jetzt die Bezeugung dieser Lesart durch den Fragment-Codex A, den Ziegler noch nicht kannte, hinzu. Auch auf die futu­ rische Lesart (e)mundabit in S. T. B. und in der ω2-Linie der Adnotationes geht Ziegler nicht ein.

400

Spuren von Doppelübersetzungen in O. bei Augustin 

Bei der Redaktion seines Hyparchetypos hat also an dieser Stelle der ω1-Frater die falsche Variante aus O. gewählt, während der ω2-Frater – vermutlich wieder unter dem Einfluss von T.71 – die glücklichere Hand bewies. Hieronymus’ futurische Übersetzung ist auffällig, weil sie von den in M und Hexapla vorliegenden Vergangenheitstempora abweicht. Seine Vorlage kann hier nur der hebräische Konsonantentext gewesen sein, den er jedoch nicht als Narrativ (wie in M), sondern als normales Imperfekt mit Waw copulativum vokalisierte72. Der Grund für diese Umdeutung des Urtextes, die Hieronymus auch anschließend in seinen revidierten Fassungen allein gelten ließ, dürfte die Rücksicht auf den Kontext gewesen sein: Ebenso wie Augustin hat er hier den Hinweis auf eine bereits vergangene Reinigung offensichtlich als verfehlt empfunden. Außer den beiden Varianten mundauit und mundabit hat Hieronymus – nach dem Zeugnis des Philippus Presbyter – in seiner Erstfassung O. mit fugabit sogar noch eine dritte Lesart zur Auswahl gestellt73. Es handelt sich  – bezeichnenderweise wieder im Futur  – um den Vorschlag eines eleganteren lateinischen Synonyms. Das Pronomen eas, das die Prädikate mundauit/mundabit hier als Akkusativobjekt regieren, bezieht sich auf die nubes des vorangehenden Teil-Lemmas Iob 37, 21b lumen quod refulget in nubibus. Im Thesaurus wird die Wendung fugare nubes als gängiger lateinischer Ausdruck nachgewiesen74, während mundare nubes nach hölzernem Übersetzungslatein klingt. Demnach hat Hieronymus hier einmal schon in seiner Erstfassung O. auf der Grundlage des hebräischen Konsonantentextes dieselbe gut lateinische Übersetzung entwickelt, die er später unverändert in die Vulgata übernahm: Auch dort endet der Vers Iob 37, 21c mit fugabit eas (sc. nubes), emanzipiert sich also in Tempus und Wortwahl von M. So illustriert diese Passage, wie reich an alternativen Lesarten die Erstfassung O. der Versio prior war; sie zeigt, dass Hieronymus mit Blick auf den Kontext die Möglichkeiten, den hebräischen Urtext in verschiedener Weise zu konstruieren, flexibel auszunutzen wusste; sie veranschaulicht Hieronymus’ Streben nach idiomatischem Latein, und wirft nicht zuletzt ein Schlaglicht auf den mehrstufigen Prozess, der von den Anfängen der Versio prior schließlich zur Vulgata führte.

71 Vgl. Trenkler (2017) Kap. 15, Beleg 27. 72 Auch Erbes (1950) 134 zu Iob 37, 21 hält das Futur aufgrund des Hebräischen (das er aber nicht vokalisiert) für richtig. Entsprechend druckt er in seiner Edition (S. 107) et mundabit. 73 Möglicherweise hat die Lesart fugabit im Codex O. dazu beigetragen, dass Augustin im unmittelbaren Kontext der Adnotationes (598, 25) Ps 138, 7 ab spiritu tuo quo fugiam? assoziierte. 74 TLL 6.1.1501.8–15.

G. Stellen in den Adnotationes in Iob: Kapitel 15–18 Kapitel 17: Nur in der ω2-Rezension überlieferte Belege 17.1 Die Aufgabe Im vorliegenden Kapitel bespreche ich die Belege für Doppel- oder Mehrfachübersetzungen in Augustins Textvorlage O., die sich an Stellen finden, die nur in den Codices der ω2-Rezension erhalten geblieben sind. Es handelt sich hauptsächlich um Beispiele aus dem Anfang und der Mitte der Adnotationes. Mein Eindruck, dass die Anzahl von Doppelübersetzungen gegen Ende der Erstfassung O. der Versio prior abnahm, müsste jedoch durch eine genauere Analyse des letzten Viertels der Adnotationes und der Zitate aus O. bei anderen Kirchenvätern noch überprüft werden.

17.2 Variae lectiones als Hinweise auf Doppelfassungen Doppelübersetzungen in O. lassen sich zum Teil an auffälligen Variae lectiones im Hyparchetypos ω2 erkennen. Freilich kann man auf Doppelübersetzungen nur dann zurückschließen, wenn die differierenden Lesarten auf unterschiedliche ursprachliche Vorlagen oder aber auf typische Tendenzen des Übersetzers zurückgehen. Folgende Fälle können das exemplarisch belegen: Iob 6, 8a 1 Hiob Kap. u. Vers

6, 8a

Wortlaut bei Augustin

Fassung in S. T. B.

adn. = O. ω2-Linie Variante 1

adn. = O. ω2-Linie Variante 2

(519, 6–7)

(519, 6–7)

quod si det et

quis det ut

FGN KP + Maur. Zy.

HI T + QR CV M WXYZ + Am. Er. Lovv.

quod si det et ueniat postulatio mea

ueniat postulatio mea M1: ‫י־י ּ֭תֵ ן ּתָ בֹ֣ וא ֶ ֽׁש ֱאלָ ִ ֑תי‬ ִ ‫ִ ֽמ‬ Vulgata: quis det ut veniat petitio mea



1 Dt.: Wenn doch einträte meine Bitte!

LXX: εἰ γὰρ δῴη, καὶ ἔλθοι μου ἡ αἴτησις

402

Spuren von Doppelübersetzungen in O. bei Augustin 

Die Lesart quod si det et in einem Teil der Vetustiores entspricht der LXX; diese Variante steht deshalb auch in den revidierten Codices S. T. (B.). Dagegen beruht die Alternative quis det ut, die in den anderen Vetustiores, in den meisten Recentiores sowie in der Vulgata vorliegt, auf dem hebräischen ‫י־י ּ֭תֵ ן‬ ִ ‫ ִ ֽמ‬mit folgendem Imperfekt (wörtlich: „Wer wird geben?“). Hieronymus hat diesen Ausdruck wörtlich übersetzt, weil er offenbar nicht wusste, dass die hebräische Wendung einen unerfüllbar gedachten Wunschsatz einleitet2. Der ω2-Frater hat beide Varianten aus O. als Variae lectiones in seinen Hyparchetypos übernommen. Beide müssen auch noch im Quellcodex der Recentiores gestanden haben; das wird bewiesen durch die sinnlosen Kombinationen aus beiden Varianten, die den Schreibern von O und U unterlaufen sind: O schreibt quodsi det ut, U hat quis det et. Iob 15, 25a Zu diesem Lemma deutet Augustin selbst an, dass seine Vorlage O. zwei Varianten enthielt. In den Adnotationes heißt es (541, 9–10): qui eleuauit manus contra deum; an: quia eleuauit? 3 Hiob Kap. u. Vers

15, 25a

Wortlaut bei Augustin

Fassung in S. T. B.

adn. = O. Variante 1

adn. = O. Variante 2

(541, 9)

(541, 9)

qui I* Emendation Zy. (qua GN + Maur.)

quia I2 cett. codd. + edd.

S.

T. B.

quia eleuauit manum suam contra dominum

qui eleuauit manum contra dominum

eleuauit (HI leuauit) manus contra deum. (541, 9–10) an: quia eleuauit? M3: ‫ל־א֣ל י ָֹ֑דו‬ ֵ ֶ‫ִ ּֽכי־נ ָָט ֣ה א‬

LXX: ὅτι ἦρκεν χεῖρας ἐναντίον τοῦ κυρίου

Vulgata: tetendit enim adversus Deum manum suam

Hier ist nur die zweite Variante (541, 9–10) „an: quia eleuauit ?“ in allen Handschriften und Drucken einstimmig überliefert und damit für Augustins Vorlage O. gesichert. Es handelt sich um eine Konflation aus dem hebräischen Urtext (dorther kommt der Ausdruck contra deum) mit der LXX (sie ist die Quelle des Plurals manus ohne Possessivpronomen). Die Einleitung quia entspricht beiden Vorlagen. Bei den Revisionen in S. und T. hat Hieronymus weiter mit Konflationen experimentiert: Der Singular manum (in S. genauer: manum suam) stammt aus M, aber der abschließende Ausdruck contra dominum aus der LXX.

2 Vgl. Grether (1967) 233, l. 3 Dt.: Denn/Dass er hat ausgestreckt gegen Gott seine Hand.

Nur in der ω2-Rezension überlieferte Belege  

403

Die Frage, woher Hieronymus in T. das satzeinleitende qui bezogen hat, führt zurück zur Frage der vermutlichen Doppelübersetzung in O. Wenn Augustin nicht ausdrücklich gesagt hätte, dass das quia in seiner Vorlage O. nur die Variante zu einer anderen Lesart sei, würde man annehmen, dass Hieronymus in T. das quia von O. und S. durch das besser passende qui ersetzte, weil er die Urtexte nicht noch einmal nachschlug. Erst die Notwendigkeit, die erste von Augustin zitierte Alternative zu rekonstruieren, die in fast allen Handschriften der Adnotationes fälschlich ebenfalls als quia überliefert ist, lässt das qui von T. in anderem Licht erscheinen. Die Schreiber von GN, denen die Mauriner folgen, haben hier aus quia auf qua zurückgeschlossen. Weil sich dadurch aber kein guter Sinn ergibt, möchte man im Licht von T. eher annehmen, dass Zycha mit seiner Emendation qui Recht hat. (Für qui spricht auch die erste Hand von I., die offenbar qui eleuauit schrieb; diese Lesart wurde anschließend mit anderer Tinte zu quia leuauit verändert.) Bei seinen Revisionen hätte Hieronymus dann in S. die eine und in T. die andere Variante aus O. gewählt. Weil aber weder qua noch qui einen Anhalt in den Urtexten haben, liegt hier ein Fall vor, in dem Hieronymus schon in O. neben der wörtlichen Übersetzung quia noch eine alternative Fassung rein nach dem Sinn vorgeschlagen hat. Iob 15, 26a 4 5 6 Hiob Kap. u. Vers

15, 26a

Wortlaut bei Augustin

Fassung in S. T. B.

adn. = O. Variante 1

adn. = O. Variante 2

(541, 10–11)

(541, 10–11)

et cucurrit

et4 currit

FGN + Maur. Zy

cett. codd. et edd.

et cucurrit contra eum contumeliose5

contra eum contumeliose M6: ‫י ָ֣רּוץ אֵ ָל ֣יו ְּבצַ ּוָ ֑אר‬

LXX: ἔδραμεν δὲ ἐναντίον αὐτοῦ ὕβρει

Vulgata: cucurrit adversus eum erecto collo

Die verschiedenen Vorlagen lassen sich hier an den Tempora eindeutig unterscheiden: Das Perfekt cucurrit entspricht dem Aorist ἔδραμεν der LXX, während das Präsens currit auf dem hebräischen Imperfekt basiert. Das et vor currit hat aber keinen Anhalt in M, sondern gibt das griechische δὲ wieder. Insofern liegt hier eine Konflation vor.

4 Q om. et. 5 S. contumiliose. 6 Dt.: Er wird laufen/läuft gegen ihn an mit Nacken.

404

Spuren von Doppelübersetzungen in O. bei Augustin 

Dass et cucurrit nur in den Codices FGN überliefert ist, die vielfach aus der ω1-Linie kontaminiert sind, lässt den Schluss zu, dass der ω1-Frater diese Variante in seinen Hyparchetypos übernommen hatte. Der ω2-Hyparchetypos enthielt also an dieser Stelle keine Varia lectio, sondern nur die Lesart et currit.

17.3 Nachweis von Doppelfassungen im Licht von B. Eine zweite Gruppe von Belegen lässt sich identifizieren, indem man den Wortlaut der Hiob-Lemmata bei Augustin mit den Lesarten im Hieronymus-Codex B. vergleicht. Der größeren Klarheit halber bespreche ich diese Belege nicht in der Reihenfolge des biblischen Textes, sondern nach systematischen Gesichtspunkten. An den betreffenden Stellen zitiert Augustin ein Lemma aus O., dessen Wortlaut von B. abweicht. Weil jedoch B. dort nicht mit T. identisch ist, liegt die Vermutung nahe, dass auch die Lesart von B. aus O. stammt. Iob 22, 29b In einem ersten Beispiel handelt es sich bei den Lesarten der Adnotationes und der Handschrift B. um Versuche, die passenden Synonyme für freie Übersetzungen zu finden, die eine Konflation der Hexapla mit dem hebräischen Text darstellen: 7 8 Hiob Kap. u. Vers 22, 29b

Wortlaut bei Augustin

Fassung in S. T. B.

adn. = O. nur ω2-Linie (556, 7)

S.

T.

B.

elatus es7 in superbiam

elatus es in superbiam

eleuatus es ­ superbia

eleuatus es in ­ superbia

M8: ‫ּגֵוָ ֑ה‬

Hexapla sub *: ὑπερηφανεύσατο

Vulgata: erit in gloria

Der Akkusativ in dem Ausdruck in superbiam in den Adnotationes wird durch Augustins anschließenden Kommentar (556, 8) aduersus superbos gesichert. Dieselbe Übersetzung elatus es in superbiam steht auch noch in S. In B. dagegen liegt mit in superbia eine Variante vor. Da sie nicht aus T. stammt, muss sie aus O. entnommen sein. Dass es sich bei dem Text von B. nicht um einen Kopierfehler, sondern um eine Variante aus O. handelt, wird vor allem auch durch den Unterschied zwischen elatus (so die Adnotationes) und eleuatus (so B.) bewiesen. Erst in T. ließ

7 Nur I, Maur. und Zycha haben est. Die 3. Person Singular beruht auf der Hexapla, an die die Mauriner den Text ohne Vermerk im Kollationsbuch angepasst haben. Zycha ist ihnen gefolgt. 8 Dt.: Stolz/Hochmut.

405

Nur in der ω2-Rezension überlieferte Belege  

Hieronymus schließlich das für das Hebräische typische instrumentale in zugunsten des reinen Ablativs weg9. In der Hauptsache folgt Hieronymus hier der Hexapla; jedoch zeigt die 2. Person Singular, die in allen Fassungen des Hieronymus vorliegt, aber keine griechische Vorlage hat10, dass sich der Übersetzer in diesem Detail auf den hebräischen Text stützt: Nur dieser kann zur Not als Vokativ „du personifizierter Hochmut“ konstruiert werden. Die eben erörterte Stelle zeigt, dass es dort zwischen elatus in superbiam und eleuatus in superbia kaum eine inhaltliche Differenz gibt. Der Eindruck, dass Hieronymus in O. gelegentlich bloße Synonyme, die auf denselben Urtexten beruhten, zur Auswahl gestellt hat, wird durch einen weiteren Beleg bestätigt: Iob 22, 16b 11 12 Hiob Kap. u. Vers 22, 16b

Wortlaut bei Augustin

Fassung in S. T. B.

adn. = O. nur ω2-Linie (556, 5–611)

S.

T.

B.

flumen decurrens fundamenta eorum

lumen decurrens fundamenta eorum

fluminis decurrentis fundamenta ­ eorum

fluuius decurrens fundamenta eorum

M12: ‫סוֹדם‬ ֽ ָ ְ‫יּוצק י‬ ֥ ַ ‫ָהר‬ ָ ֗ ֝‫נ‬

Hexapla sub *: ποταμὸς ἐπιρρέων οἱ θεμέλιοι αὐτῶν

Vulgata: et fluvius subvertit fundamentum eorum

Die gemeinsame Vorlage beider Versionen in den Adnotationes (mit flumen) und B. (mit fluvius) ist lt. dem Kompositum decurrens und dem Plural fundamenta die LXX mit ποταμὸς ἐπιρρέων οἱ θεμέλιοι. S. lumen ist ein bloßer Kopierfehler statt des richtigen flumen. Es fällt auf, wie frei sich Hieronymus in T. über die Syntax der Urtexte hinwegsetzt, um den Sinn der Stelle zu verdeutlichen: „Ihre Fundamente liegen im Bereich eines reißenden Stromes“. Iob 23, 7b Während Hieronymus’ Doppelübersetzungen im vorigen Beispiel auf einer griechischen Vorlage beruhten, basieren sie im folgenden Fall beide auf einer hebräischen Nebenüberlieferung: 9 Trenkler (2017) Kapitel 15, Belege 37–38 (cf. auch 39) hat dies Verfahren bei dem ω2-Frater beobachtet. 10 Vgl. Ziegler (1982) 314. 11 Augustin hat dieses Teil-Lemma in seiner laufenden Auslegung zunächst übersprungen, holt es aber an der vorliegenden Stelle nach. 12 Dt.: ein hingegossener Strom ihr Fundament.

406 13

Hiob Kap. u. Vers 23, 7b

Spuren von Doppelübersetzungen in O. bei Augustin  Wortlaut bei Augustin

Fassung in S. T. B.

adn. = O. nur ω2-Linie (557, 2)

S.

T.

B.

educit

et educet

educet

et ducet

M13: ‫ַו ֲאפַ ְּל ָ ֥טה ֝ ָל ֗ ֶנצַ ח ִמ ֹּׁש ְפ ִ ֽטי‬

LXX: ἐξαγάγοι δὲ εἰς τέλος τὸ κρίμα μου

Vulgata: et perveniat ad victoriam iudicium meum

Dass Hieronymus hier nicht die LXX, sondern ein hebräisches Imperfekt im Blick hat, zeigt sich daran, dass er noch nicht (wie später mit dem perueniat der Vulgata) den Optativ der LXX nachahmt, sondern mit dem Präsens educit und dem Futur (e) ducet zwei mögliche Funktionen des hebräischen Tempus zur Wahl stellt. Allerdings stützt sich Hieronymus hier nicht auf M als Vorlage. Denn seine Varianten bieten alle – wie die LXX und später sogar noch die Vulgata – das Verb in der 3. Person, während M eine 1. Person Singular bietet. Aus Hieronymus’ Schwanken, ob er dem Prädikat ein „und“ voranstellen solle, lässt sich schließen, dass seine hebräische Vorlage hier schwer lesbar war. (M hat das ‫ ;ו‬auch die LXX liest δὲ, was Hieronymus in der Regel mit et wiedergibt14.) Rückblickend zeigt sich, dass Hieronymus hier auf allen Revisionsstufen geändert hat: Er hat zunächst in O. zwei Auswahlangebote vorgeschlagen, diese anschließend in S. zu einer neuen Einheit kombiniert und in der Endfassung T. nochmals eine Anpassung vorgenommen. Iob 23, 7a In diesem Lemma enthielt O. offenbar sogar ein Dreifachangebot 15 Hiob Kap. u. Vers 23, 7a2

Wortlaut bei Augustin

Fassung in S. T. B.

adn. = O. nur ω2-Linie (557, 1)

S. T.

B.

increpatio ab eo est

increpatio ab eo

increpatio ab eo est (codd. vett. + Zy.)

increpatio est ab eo (codd. recc. + Am. Er. Lovv. Maur.)

M15: ‫נוֹכ ֣ח ִעּמֹ֑ ו‬ ָ ‫ׁשם יָׁ֭שָ ר‬ ָ֗

LXX: ἔλεγχος παρ’ αὐτοῦ

Vulgata: proponat aequitatem contra me

13 Dt.: und ich möchte doch loskommen auf immer von meinem Richter. 14 Vgl. Gailey (1945) 144–155 und Ziegler (1982) 75–76. 122–123. 15 Dt.: Dann im Rechtsstreit begriffen ein Rechtschaffener mit ihm.

407

Nur in der ω2-Rezension überlieferte Belege  

Als Hauptvorlage kommt hier nur die LXX in Frage. Allerdings ist auch der hebräische Text ein Nominalsatz. Da diese im Griechischen und Lateinischen eher seltene syntaktische Struktur auch in B. vorliegt, scheint mir sicher, dass die Lesart von B. aus der Erstfassung O. stammt. Der Zusatz von est in den anderen Textzeugen stellt eine Glättung der lateinischen Syntax dar. Ferner enthielt O. auch noch die Varianten ab eo est und est ab eo. Das zeigt sich an der gespaltenen Überlieferung der ω2-Linie. Wenn nämlich der ω2-Frater die Lesart ab eo est erst aus T. importiert hätte, hätte er keine andere Variante daneben stehen lassen.

17.4 Variae lectiones und Väterzitate als kombinierte Indizien Eine dritte, größere Gruppe von Doppelübersetzungen in Augustins Vorlage O. lässt sich aus solchen Stellen erschließen, an denen der Hyparchetypos der ω2Rezension Variae lectiones enthielt, die überdies durch Kirchenväterparallelen gestützt werden, die von den Adnotationes unabhängig sind. In diesem Abschnitt sind die Belege wieder in der Reihenfolge des Hiob-Textes angeordnet. Iob 2, 6b 16 17 Hiob Kap. u. Vers

2, 6b

Wortlaut bei Augustin adn. = O. ω2-Linie Variante 1

adn. = O. ω2-Linie Variante 2

(510, 13–14)

(510, 13–14)

tamen

tantum

KPT R16 CUV M WXYZ

HI FGN + alle edd.

animam eius

Wortlaut bei

Fassung in S. T. B.

Orosius

Cassian

apol. 20, 6 (636, 5)

conl. 7, 12, 3 (192, 12–13)

S.

tantum animam ipsius cu­ stodi

tantum animam eius custodi

tantum animam

ipsius

T.

B.

eius

GN illius

custodi M17: ‫ַ ֖אְך אֶ ת־נ ְַפׁשֹ֥ ו ְׁש ֹֽמר‬

custodi LXX: μόνον τὴν ψυχὴν αὐτοῦ διαφύλαξον

Vulgata: verumtamen animam illius serva

16 Die abgekürzte Lesart der mit R verwandten Codices OQ ist nicht eindeutig zu entziffern. 17 Dt.: 1. trotzdem / 2. nur bewahre seine Seele!

408

Spuren von Doppelübersetzungen in O. bei Augustin 

Wie der Blick auf die Urtexte lehrt, handelt es sich bei tamen und tantum nicht um Kopierfehler aufgrund leicht verwechselbarer Abkürzungen18, sondern um echte Variae lectiones in O. Sie beruhen auf der Mehrdeutigkeit des hebräischen ‫אְ֖ך‬,ַ das sowohl „nur“ als auch „trotzdem“ heißen kann19. Das verumtamen der Vulgata zeigt, dass Hieronymus ‫ ַאְ֖ך‬eher im Sinn von „trotzdem“ verstand; dass sich Hieronymus in S. für tantum („nur“) entschied, ist also wieder Ausdruck seiner Hinwendung zur LXX bei der ersten Revision. Das μόνον der LXX ist auch der Grund, warum alle Benutzer und Editoren, die die Versio prior als eine reine Übersetzung aus der LXX ansahen, tantum gewählt haben. Die Überlieferungslage legt außerdem nahe, dass O. auch noch eine zweite Doppelfassung enthielt – nämlich eius (so die Mehrzahl der Handschriften der Adnotationes mit Cassian) und ipsius (so Orosius, der ebenfalls O. benutzt, mit dem Hieronymus-Codex S., der nicht selten die Lesarten von O. tradiert20). Dagegen stammt das illius der Codices GN vermutlich aus der Vulgata21. Iob 3, 23b 22 Hiob Kap. u. Vers

3, 23b

Wortlaut bei Augustin

Wortlaut bei Cassian

Fassung in S. T. B.

adn. = O. ω2-Linie Variante 1

adn. = O. ω2-Linie Variante 2

conl. 6, 6, 4 (160, 9)

S.

(512, 21)

(512, 21)

cuius uia abscondita est

cuius uita abscondita est

cuius uia abscondita est

cuius uia abscondita est

IF

T.

B.

cuius uita abscon­ dita est

cett. codd. + edd.

M22: ‫ר־ּד ְרּכֹ֣ ו נִ ְס ָּת ָ֑רה‬ ַ ֶ‫א ׁש‬ ֲ

Hexapla (Üs. des Theodotion): οὗ ἡ ὁδὸς ἀπεκρύβη ἀπ’ αὐτοῦ

Vulgata: cuius abscondita est via

Hier bieten beide Urtexte die Vokabel für „Weg“. Auch durch das Zitat bei Cassian, der ebenfalls O. zitiert, ist diese Übersetzung für die Erstfassung O. gesichert. Aber auch die Lesart uita hat schon in O. gestanden. Sie ist nicht aus T. übernommen (dort steht uia) und wird auch durch B. bezeugt. Sie beruht auf einer Interpreta 18 Vgl. Cappelli (1979) 371 rechts, 376 rechts.– Nur in den Handschriften PT und R WYZ der Adnotationes ist tamen ausgeschrieben. 19 Vgl. Gesenius-Donner (2013) 52. 20 Vgl. Kap. 6, Tabellen 3–5. 21 Zwar sind die Codices FGN häufig aus der ω1-Tradition kontaminiert; aber Trenkler (2017) hat in Kap. 14 keinen Beleg dafür gefunden, dass der ω1-Frater Hiob-Zitate nach der Vulgata geändert hätte. 22 Dt.: von dem gilt: sein Weg verborgen.

409

Nur in der ω2-Rezension überlieferte Belege  

tion des hebräischen Urtextes durch Hieronymus: Im Hebräischen wird das Bild des „Weges“ häufig für das menschliche Leben bzw. eine bestimmte Lebensweise gebraucht23. Die Umformulierung lag im Lemma Iob 3, 23b besonders nahe, weil das Stichwort des vorangehenden Teil-Lemmas mors lautet. Bei seiner Revision in S. hat sich Hieronymus dann doch für die wörtliche Übersetzung mit uia entschieden. Im Detail ist nicht mehr zu klären, wie die Textgeschichte der Adnotationes an dieser Stelle genau verlaufen ist. Entweder hat der ω2-Frater die beiden Übersetzungen, die er in O. vorfand, wieder einmal als Varia lectio in seinen Hyparchetypos übernommen, von wo uia aber nur in die Codices I und F überging. Oder der ω1-Frater hat in seinen – hier nicht erhaltenen – Hyparchetypos ω1 (ggfs. im Blick auf T.) die Lesart uia eingesetzt, die anschließend durch Kontamination auch nach I und F übertragen wurde. Aufgrund der schmalen Bezeugung nur in I und F, also Codices, die sich auch sonst als kontaminiert erweisen, scheint mir die zweite Möglichkeit wahrscheinlicher. Augustins Glosse (512, 21–22) uel quia coram deo uel quia paucis nota ist hier so schwebend formuliert, dass sie sowohl zu uia als auch zu uita passt. Iob 4, 1124 25 26 27 Hiob Kap. u. Vers

4, 11

Wortlaut bei Augustin

adn. = O. ω2-Linie Variante 1

adn. = O. ω2-Linie Variante 2

(513, 17–18)

(513, 17–18)

myrmicoleon periit

perit

P26 N M + Maur.

cett. codd. + edd.

Wortlaut bei

Fassung in S. T. B.

Philippus Presbyter25

Julian v. ­ Aeclanum

PL 26 (1845) 628 A

in Iob 4, 11 (14, 61–62 De Coninck)

S.

In alia ­ editione:

In graeco:

myrmicoleon

myrmicoleon

myrmicoleon

perit

T.

B.

periit

eo quod non

eo quod non

1. GN OQ habeat 2. F R C Z habet 3. UV M WXY habent 4. cett. vett. + edd. haberet

haberet

escam

escam

habet (sic!)27

haberet

23 Vgl. zum Begriff „Weg“ im Judentum den Artikel ὁδός von Michaelis im Theologischen Wörterbuch zum NT, Bd. 5, Stuttgart 1954, 42–101, dort 47–65. 24 Zur Auslegung des Myrmicoleon bei Augustin vgl. Ciccarese (1994) 556–558. 25 Hinweis bei Ziegler (1982) 30. 26 Diese Lesart von P fehlt bei Zycha. 27 Vallarsi und dessen Nachdruck bei Migne bieten fälschlich haberet; deshalb notiert auch Zycha das habet von T. nicht.

410 28

Hiob Kap. u. Vers

Spuren von Doppelübersetzungen in O. bei Augustin  Wortlaut bei Augustin

adn. = O. ω2-Linie Variante 1

adn. = O. ω2-Linie Variante 2

(513, 17–18)

(513, 17–18)

Wortlaut bei

Fassung in S. T. B.

Philippus Presbyter

Julian v. ­ Aeclanum

PL 26 (1845) 628 A

in Iob 4, 11 (14, 61–62 De Coninck)

M28: ‫י־ט ֶ֑רף‬ ָ ‫ליִ ׁש ֹא ֵב֣ד ִמ ְּב ִל‬ ַ֭

S.

T.

B.

LXX: μυρμικολέων ὤλετο παρὰ τὸ μὴ ἔχειν βοράν Hexapla (Üs. des Aquila) λῖς ὤλετο παρὰ τὸ μὴ ἔχειν θήραν Hexapla (Üs. des Symmachos) ἀνυπόστατος λέων ἀπόλλυται

Vulgata: tigris periit, eo quod non haberet praedam

Wie die handschriftliche Überlieferung der Adnotationes zeigt, enthielt der ω2-­ Hyparchetypos in jedem Fall das Präsens perit. Für das Präsens hatte Hieronymus zwei Vorlagen – zum einen M, wo die Verbform als Partizip vokalisiert ist, zum andern das ἀπόλλυται des Symmachos. Diese Lesart muss der ω2-Frater in O. vorgefunden haben, denn in der Endfassung T. steht das Perfekt periit. Dieses beruht auf dem ὤλετο, das sowohl in der Hauptversion der LXX als auch bei Aquila überliefert ist und die ebenfalls mögliche Vokalisation des hebräischen Prädikats als Perfekt voraussetzt. Da Hieronymus auch in der Vulgata das Perfekt periit bietet, muss er dieses Tempus als die besser verbürgte Lesart des Hebräischen angesehen haben. Dagegen ist die Herkunft des Perfekts periit in einigen Codices der ω2-Tradition (P und N M) zumindest auf den ersten Blick nicht eindeutig zu klären. Es kann sich von vornherein um eine Doppelübersetzung in O. gehandelt haben. Ciccarese jedenfalls setzt voraus, dass Augustin das Perfekt periit in O. vorfand, wenn sie seine Interpretation des Lemmas als Vorhersage der künftigen Niederlage des Teufels (513, 18–19. 26) als typisches Beispiel für ein Perfekt propheticum erklärt29. Es könnte aber auch so gewesen sein, dass zunächst der ω1-Frater das periit aus T. in seinen (heute an dieser Stelle verlorenen) Hyparchetypos importiert hat und dass diese Lesart anschließend durch Kontamination in die ω2-Codices P sowie N und M eindrang. Die Deutung auf den absehbaren Fall des Teufels kann A ­ ugustin auch aus dem Präsens perit entwickelt haben, das er in Z. 21–25 auslegt. Zur weiteren Klärung verhilft ein Blick auf das Prädikat im folgenden eo quodSatz, das in der ω2-Linie der Adnotationes in verwirrender Vielfalt überliefert ist. 28 Dt.: Ein Löwe ist einer, der zugrunde geht ohne Beute. 29 Ciccarese (1994) 557 mit Anm. 43. Die Autorin äußert sich nicht zu dem Umstand, dass­ periit nur in wenigen Codices der Adnotationes überliefert ist und dass auch alle Editionen das Präsens perit bieten.

Nur in der ω2-Rezension überlieferte Belege  

411

Dagegen ist die Tradition bei Hieronymus übersichtlicher: Die Codices S. und B. ebenso wie die Vulgata bieten den Konjunktiv Imperfekt haberet, während T. allein den Indikativ Präsens habet hat. Weil jedoch der eo quod-Satz des Hieronymus eine freie lateinische Übersetzung der in beiden Ursprachen vorliegenden Infinitivkonstruktionen darstellt, lassen sich die Unterschiede in den Tempora und Modi der lateinischen Fassung durch einen Rekurs auf die Vorlagen nicht weiter erklären. Man muss also versuchen, die lateinische Überlieferung allein aus sich heraus zu verstehen. Tatsächlich zeichnen sich in der zunächst unübersichtlichen Fülle der Varianten einige aussagekräftige Strukturen ab. 1. Die meisten Vetustiores (denen alle Editoren folgen) lesen haberet. Nur F hat­ habet und GN habeat. 2. Das Imperfekt haberet ist jedoch auf Vetustiores beschränkt. Alle Recentiores bieten nur Formen im Präsens. 3. Alle Recentiores fanden in ihren Vorlagen Variae lectiones vor. Das zeigt sich daran, dass hier alle Gruppen gespalten sind: Gruppe OQR: OQ habeat, aber R habet; Gruppe CUV: UV habent, aber C habet; Gruppe WXYZ: WXY habent, aber Z habet. Insgesamt sind also in den Recentiores drei verschiedene Lesarten überliefert. In den Quellcodices aller drei Gruppen hat die Lesart habet gestanden. Im Quellcodex von OQR stand daneben der Konjunktiv habeat; im Quellcodex der Gruppen CUV und WXYZ samt M stand als zweite Form habent. Auf dieser Basis lassen sich jetzt weitere Schlüsse ziehen. Der Plural habent ist syntaktisch unmöglich, kann aber leicht als Kopierfehler anstelle des in den Vetustiores überlieferten haberet erklärt werden: Der Schreiber des gemeinsamen Quellcodex von CUV, WXYZ und M hat die Tilde, mit der die Binnensilbe -er- abgekürzt werden kann, mit der Nasaltilde verwechselt, die zur Abkürzung des -n- dient. Damit ergibt sich für die Recentiores folgende Überlieferung: In dem Codex, von dem sie alle abhängen (d. h. einem Schwestercodex des Codex uetustior T), standen drei Lesarten zur Auswahl: habet, habeat und haberet. Am besten bezeugt ist habet, das in alle abhängigen Quellcodices übernommen wurde; habeat und­ haberet sind gleichmäßig stark bezeugt, weil die Quellcodices für OQR einerseits und CUV WXYZ sowie M andererseits im Stemma auf gleicher Höhe stehen. Die meisten Vetustiores lesen haberet: sc. HI, KP und T. Dabei handelt es sich um diejenigen Codices der ω2-Linie, die am wenigsten aus der ω1-Überlieferung kontaminiert sind. Dagegen bilden die drei Codices FGN, die typischerweise am stärksten von dieser Kontamination betroffen sind, hier eine eigene, und zwar gespaltene, Gruppe: F liest habet, GN lesen habeat. Dies erklärt sich am einfachsten so, dass auch der Quellcodex von FGN hier noch dieselbe Doppelübersetzung von

412

Spuren von Doppelübersetzungen in O. bei Augustin 

habet und habeat aus dem ω2-Hyparchetypos enthielt, die oben auch für die gemeinsame Vorlage der Recentiores zu erschließen war30. Dass die dritte Lesart ­haberet sowohl in den meisten Vetustiores als auch (wenn auch zu habent verfälscht) in den meisten Recentiores steht, beweist darüber hinaus, dass der ω2-­Hyp­ archetypos alle drei Lesarten haberet, habet und habeat umfasst haben muss. Das lässt aber noch die Frage offen, wieweit hier der ω2-Hyparchetypos auch den Textumfang von Augustins Vorlage O. repräsentiert. Da die Lesart habet bei Hieronymus erstmals und einzig in seiner Endfassung T. überliefert ist und die Konjunktion eo quod bei Hieronymus einerseits sehr häufig vorkommt, aber andererseits nur sehr selten mit dem Indikativ steht31, könnte man zunächst meinen, dass die Variante habet noch nicht in O. stand, sondern erst aus T. in den Hyparchetypos ω2 (und vielleicht auch in den Hyparchetypos ω1) übernommen wurde. Aus Augustins Kommentar (513, 18–26) kann man jedenfalls nicht entnehmen, welchen Modus der eo quod-Satz in seiner Vorlage O. hatte. Weil jedoch – wie oben gezeigt – im Quellcodex der Recentiores alle drei Varianten standen, weil alle drei auf den Hyparchetypos ω2 zurückgehen und weil der ω2-Frater nach den bisherigen Befunden immer dann, wenn er Lesarten von O. durch Lesarten von T. ersetzte, keine Variae lectiones mehr stehen ließ, sondern sich allein für die Variante aus T. entschied, lässt sich schließen, dass auch habet schon als dritte Möglichkeit in O. gestanden hat. Einfacher zu beweisen ist m. E., dass O. die beiden Konjunktiv-Formen habeat und haberet enthielt. Für die parallele Präsenz von habeat und haberet in O. spricht der Umstand, dass diese beiden Tempora im eo quod-Satz nach den Regeln der Consecutio temporum mit den Tempora perit und periit korrespondieren, die Hieronymus – wie oben nachgewiesen – in O. für das Hauptverb des Lemmas Iob 4, 11 zur Wahl gestellt hatte, weil auch die hebräischen und griechischen Vorlagen beide Tempora enthielten. Somit lässt sich hier für O. die folgende Mehrfachübersetzung des Lemmas Iob 4, 11 erschließen: 1. myrmicoleon perit, eo quod non habeat/habet escam; 2. myrmicoleon periit, eo quod non haberet escam. Obwohl diese Varianten den ursprachlichen Vorlagen entsprechen, tauchen sie doch in der Überlieferung auffällig selten in ihrer Reinform auf. Die erste Variante mit ihren beiden Präsensformen perit und habeat wird so nur in G und in OQ zitiert. Die zweite Variante mit dem Perfekt periit und dem Konjunktiv Imperfekt haberet steht nur im Augustin-Codex P und bei Hieronymus im Codex B. der Versio prior, der hier O. reflektiert. Auch die Mauriner haben diese Version gedruckt; ein Vermerk im Kollationsbuch lässt vermuten, dass sie im Licht

30 Möglicherweise geht aber entweder F habet oder GN habeat auch auf Kontamination aus der ω1-Linie zurück, die keine Variae lectiones enthielt. Allerdings lässt sich nicht entscheiden, welche dieser beiden Varianten ggfs. statt haberet im ω1-Hyparchetypos stand. 31 Vgl. Kaulen (1904) 249–250. 297; Plater/White (1926) 133–134.

Nur in der ω2-Rezension überlieferte Belege  

413

des folgenden haberet durch die Wahl des in ihren Vorlagen schwächer bezeugten Perfekts periit die Consecutio temporum herstellen wollten. In allen anderen Fällen bieten sowohl Hieronymus selbst als auch die Schreiber der Adnotationes andere Kombinationen der Varianten, die ihnen vom Sinn her möglich schienen. Hieronymus verbindet bei seiner Revision in S. das Präsens perit mit dem Imperfekt haberet. Genauso verfuhren die Schreiber der älteren Augustin-Codices HI K T, denen auch die frühen Editoren Amerbach, Erasmus und Lovanienes sowie Zycha folgen. Sie alle erklärten sich also den Tod des Ameisenlöwen nicht durch einen akuten, sondern durch einen schon länger zurückreichenden Nahrungsmangel. Da vermutlich auch schon die Form habet in O. stand, war auch die Kombination von perit mit habet möglich, wie sie tatsächlich in F vorliegt und später in R, C und Z auftaucht. Trotzdem ist deutlich, dass viele Schreiber mit einer sinnvollen Wahl zwischen den zahlreichen Varianten überfordert waren. Dafür sprechen die vielen sinnwidrigen Kombinationen bzw. Lesarten. Grammatisch unmöglich ist – wie schon gezeigt  – die in den Recentiores verbreitete Lesart habent (in UV M WXY). Sinn­ widrig ist auch die auf Konflation beruhende Kombination von periit mit habeat in N. Am auffälligsten ist schließlich, dass auch die Endfassung T. der Versio prior mit periit und habet keine sinnvolle Kombination ergibt: Wenn man zu periit (statt perit) nicht annehmen will, dass hier Hieronymus selbst einmal den Überblick verloren hat, liegt doch jedenfalls ein Irrtum seines Schreibers vor, der sich vermutlich an die periit-Formen in O. und S. erinnerte. Iob 6, 16ab Im Lemma Iob 6, 16ab ist der Text in der Glosse des Toletanus und in den Hieronymus-Codices S. T. B. in genauer Korrespondenz zur LXX überliefert: Das Imperfekt metuebant entspricht διευλαβοῦντο, während das Perfekt inruerunt das Perfekt ἐπιπεπτώκασίν wiedergibt. Es ist deshalb sehr auffällig, dass in der Überlieferung der Adnotationes das Perfekt inruerunt nur in einem einzigen Codex recentior – nämlich O32 – steht, während die übrigen Codices drei andere Lesarten bieten: Hiob Kap. u. Vers

Glosse im ­ Toletanus

Fassung in O. lt. Aug., adn. ( ω2-Linie)

Fassung in S. T. B.

6, 16a

(p. 25 Vattioni) qui me metuebant, nunc inruerunt super me.

(520, 8–9) qui me metuebant, nunc 1. inruerunt nur O + alle edd. 2. irruunt HI T QR M WXYZ 3. irruebant FGN KP 4. ierunt CUV super me.

qui me metuebant, nunc inruerunt ­ super me.

32 Oxford, Merton College 14, 14. Jh. Vgl. Trenkler (2017) 44.

414 33

Hiob Kap. u. Vers

Spuren von Doppelübersetzungen in O. bei Augustin  Glosse im ­ Toletanus

Fassung in O. lt. Aug., adn. ( ω2-Linie)

M33: ‫ם־ׁשלֶ ג‬ ָֽ ֶ‫ל ימוֹ יִ ְתעַ ּל‬ ֵ ֗ ‫י־ק ַרח ֝ ָע‬ ֑ ָ ִ‫ּק ְד ִ ֥רים ִמ ּנ‬ ֹ ַ‫ה‬

Fassung in S. T. B.

LXX: οἵτινές με διευλαβοῦντο, νῦν ἐπιπεπτώκασίν μοι ὥσπερ χιὼν ἤ κρύσταλλος πεπηγώς

Vulgata: qui timent pruinam inruet super eos nix

Zur Klärung der Frage, welche dieser Lesarten auf Augustins Textvorlage O. zurückgehen, kann die Entscheidung aller Editoren, das Perfekt inruerunt zu drucken, nichts beitragen: Sie alle kannten weder die isolierte Lesart im Codex O (Merton College) noch die Glosse im Toletanus; ihre Entscheidung für inruerunt stellt also eine Emendation dar, die auf dem Vergleich mit der LXX beruht. Auch die Glosse im Toletanus hilft nicht weiter: Da sie mit der Fassung in S. T. B. übereinstimmt, kann sie ggfs. auch aus T. stammen34. Sie ist kein unbezweifelbarer Beleg dafür, dass die Lesart inruerunt schon in Augustins Vorlage O. stand. Nun ist in der vorliegenden Arbeit schon häufig deutlich geworden, dass die Erstfassung O. der Versio prior vielfach von den revidierten Fassungen in S. T. B. abwich. Auch im Lemma Iob 6, 16a liegt der Schlüssel zum Verständnis der Überlieferung m. E. in der Beobachtung, dass sich Hieronymus erst bei der Revision in S. auf eine rein auf der LXX beruhende Übersetzung festgelegt hat, während er in O. eine Konflation aus griechischen und hebräischen Vorlagen schuf, die mehrere Varianten zuließ. Bei der Übersetzung des ersten Teil-Lemmas qui me metuebant, nunc hatte sich Hieronymus schon in O. ganz auf die LXX gestützt, die hier ihrerseits einen anderen hebräischen Text als M voraussetzt. Die Übersetzung des zweiten Teil-Lemmas jedoch stellt seine selbständige Übersetzung der – ebenfalls von M verschiedenen – hebräischen Vorlage der LXX dar. Hier ist die Erklärung für die meisten Varianten der ω2-Tradition der Adnotationes zu suchen. Wie unterschied sich die hebräische Vorlage der LXX, die auch Hieronymus hier zugrundelegte, von M? Sie las statt des Ausdrucks „über ihnen“ mit der LXX „über mich“. Das dadurch am Ende von ֹ‫ ֝ ָע ֗ ֵלימו‬überflüssig gewordene Element ‫ מו‬wurde mit der folgenden Verbform zusammengezogen, die dadurch aus einem Imperfekt Hitpa’el zu einem Partizip Hitpa’el wurde. Die Wurzel dieses Partizips lautete in der Vorlage der LXX und des Hieronymus nicht mehr ‫ עלם‬wie in M, sondern ‫נפל‬. So wurde aus dem Hitpa’el zu ‫ עלם‬mit der Bedeutung „sich verstecken“35 das Hitpa’el der Wurzel ‫ נפל‬mit der Bedeutung „sich stürzen auf/überfallen“36. Der dritte Radikal ‫ ם‬der Wurzel ‫ עלם‬von M wird nun als Pluralendung des neugewonnenen Parti 33 Dt.: Die, die trübe sind von Eis – über sie wird sich verbergen Schnee. 34 Vgl. die vielen vergleichbaren Zweifelsfälle in Kap. 9, S. 169–199. 35 Vgl. Gesenius-Donner (2013) 973 links. 36 Vgl. Gesenius-Donner (2013) 833 links.

Nur in der ω2-Rezension überlieferte Belege  

415

zips interpretiert. Das letzte Wort von M ‫„( ָ ֽׁשלֶ ג‬Schnee“) zog Hieronymus zum folgenden Lemma Iob 6, 17, das er auch in S. T. B. mit den Worten sicut nix aut glacies eröffnete. Der entscheidende syntaktische Unterschied des so rekonstruierten Textes zu M liegt darin, dass M einen Verbalsatz mit finitem Prädikat bietet, während die Vorlage des Hieronymus einen Nominalsatz bildet, dessen Prädikatsnomen aus einem Partizip besteht. Da ein hebräisches Partizip jedes beliebige Zeitverhältnis aus­ drücken kann, konnte Hieronymus das Tempus seiner Übersetzung an dieser Stelle frei wählen. Das erklärt, warum er in O. bei der Übersetzung des Partizips mit der Grundbedeutung „Leute, die sich stürzen auf “ mehrere Tempora zur Wahl stellte, wie an der Überlieferung der ω2-Linie der Adnotationes ablesbar ist. Die obige Tabelle zeigt, dass die Überlieferung der Adnotationes vier Varianten enthält. Davon gehen aber m. E. nur die zwei am häufigsten belegten Lesarten auf Hieronymus’ Erstfassung O. zurück: das Imperfekt irruebant in den Vetustiores FGN KP und das Präsens irruunt in HIT QR M WXYZ, also in der Mehrzahl der verbleibenden Codices. Durch das Imperfekt irruebant wird die Stelle so interpretiert, dass die Handlung des Partizips gleichzeitig mit dem vorangehenden Prädikat stattfand, das Hieronymus nach dem Vorbild der LXX im Imperfekt übersetzt hatte. Das Präsens irruunt fasst das hebräische Partizip dagegen als absolutes Tempus auf. Weil das Präsens angesichts des vorangehenden nunc noch besser in den Kontext passt als das Imperfekt, wurde es von den Schreibern auch häufiger gewählt. Die Lesart ierunt ist dagegen auf die auch sonst zusammengehörende Untergruppe CUV der Recentiores beschränkt, hat keinen Anhalt in den Ursprachen und ist leicht erklärbar als Kopierfehler anstelle des Präsens irruunt, das fast alle anderen Recentiores bieten. Dagegen habe ich noch keine Erklärung dafür, wie die von allen Editoren im Licht der revidierten Hieronymus-Codices S. T. B. und der LXX gedruckte Lesart inruerunt in den einen Codex recentior O gelangt ist, der bisher noch für keine Edition ausgewertet wurde. Vermutlich handelt es sich dort ebenso um die Emendation eines Lesers wie bei allen Editoren. Die hier vorgelegte Analyse der Textgeschichte der Passage zeigt aber, dass die Lesart inruerunt zwar sachlich attraktiv ist, aber weder in der Erstfassung O. des Hieronymus noch im Hyparchetypos ω2 der Adnotationes gestanden hat. Sie gehört deshalb nicht in den Adnotationes-Text. Es ist aber nicht klar, welche Lesart stattdessen dort gestanden hat. Aus Augustins kurzer Glosse zu der Stelle, in der der Teufel und seine Engel als Subjekt benannt werden (Zy 520, 9 diabolus cum angelis suis), geht nämlich nicht hervor, ob der Bischof das Imperfekt irruebant oder das Präsens irruunt vorzog. Das nunc im Kontext spricht m. E. eher für das Präsens.

416

Spuren von Doppelübersetzungen in O. bei Augustin 

Iob 8, 21a Auch im Lemma Iob 8, 21a ist das Prädikat in der ω2-Überlieferung der Adnotationes in mehrfacher Form tradiert: 37 38 39 40 Hiob Kap. u. Vers

Iulian v. ­ Aeclanum

Fassung in O. lt. Aug., adn. ( ω2-Linie)

Fassung in S. T. B.

8, 21a

in Iob 8, 21 (26, 82–83 De Coninck)

(526, 22–23)

S.

Septuaginta: Ueracium ­autem os ­ replebitur risu

ueracium ­autem37 os 1. implebit Maur. Zy. 2. implebitur G38N 3. impleuit F PKT + alle Recc. + Am. Er. Lovv. 4. repleuit HI risu

ueracium autem os

M40: ‫רּועה‬ ֽ ָ ‫תיָך ְת‬ ֥ ֶ ָ‫ּוׂש פ‬ ְ ‫ּפיָך‬ ֑ ִ ‫עַ ד־יְ מַ ֵּל ֣ה ְׂשחֹ֣ וק‬

replevitur

T.

replebit39

B.

replevit

risu

LXX: ἀληθινῶν δὲ στόμα ἐμπλήσει γέλωτος

Vulgata: donec impleatur risu os tuum.

Auch hier beschränkt sich Augustins Kommentar auf die lakonische Glosse (526, 23) confitentium zum Stichwort ueracium41, bietet also keinen Hinweis, um den Wortlaut oder auch nur das Tempus oder das Genus Verbi der Verbform seiner Vorlage zu bestimmen. Aus dem Vergleich der vorliegenden Varianten lassen sich zunächst einige sichere Schlüsse ziehen. Syntaktisch beruhen alle lateinischen Varianten auf der LXX, die das einleitende ‫ עַ ד‬der hebräischen Vorlage (das entweder als Präposition „bis zu“ oder als Konjunktion „bis/während“ dienen kann42) nur indirekt in ihrer Übersetzung berücksichtigt. Die Lesart implebit haben erst die Mauriner (ohne Vermerk im Kollationsbuch) im Hinblick auf das Futur Aktiv ἐμπλήσει der LXX konjiziert. Zycha hat diese Lesart deshalb zu Unrecht von den Maurinern übernommen. Sie gehört trotz ihrer vordergründigen Plausibilität nicht in den Text. 37 autem om. GN. 38 Diese Lesart von G hat Zycha nicht notiert. 39 Sabatier druckt für T. fälschlich implebit. 40 Dt.: bis er füllen wird mit Lachen deinen Mund und deine Lippen mit Jubel. 41 Vgl. für die Assoziation dieser Begriffe z. B. nat. et gr. 73 über Hiob: id quod Iob confitetur, quia uerax dei cultor est, procul dubio ueraciter confitetur und s. Guelf. 28, 1 über Cyprian: ille ipse ueridicus et uerax martyr, seruus dei, uerax munere dei, confitetur in scripturis suis, qualis antea fuisset: non obliuiscitur qualis fuerit, ne ingratus sit ei, per quem talis esse cessauit. 42 Vgl. Gesenius-Donner (2013) 922–923 links.

Nur in der ω2-Rezension überlieferte Belege  

417

Die drei anderen Lesarten – implebitur, impleuit und repleuit –, die in der Überlieferung der Adnotationes auftauchen, haben dagegen alle in Augustins Vorlage O. gestanden. Diese enthielt also mindestens drei Varianten. Alle drei Formen beruhen auf einer hebräischen Vorlage, die von M abwich. Da die syntaktische Struktur die LXX imitiert, liegt in allen Fällen eine der typischen Konflationen des Hieronymus vor. Zu den einzelnen Varianten, die mit Sicherheit auf O. zurückgeführt werden können, ergibt sich im Detail Folgendes. (Ich bespreche die Lesarten in umgekehrter Reihenfolge.) Die Präsenz der Lesart repleuit in O. ergibt sich aus dem übereinstimmenden Zeugnis der besonders alten Handschriften HI und des Hieronymus-Codex B. Diese Zeugen stützen sich wechselseitig. B. weicht hier von T. ab, spiegelt also O. Das Perfekt repleuit beruht auf einer von M abweichenden Vokalisierung des hebräischen Textes. M und ebenso die LXX fassen das ‫ עַ ד‬als Präposition „bis“ auf und vokalisieren die folgende Verbform deshalb als Infinitivus constructus Pi’el. Die LXX übersetzt – vermutlich im Rückblick auf die spätestens mit Iob 8, 13 beginnenden futurischen Aussagen im Kontext – auch hier mit Futur. Diese Auffassung übernahm Hieronymus dagegen erst später in seiner Endfassung T., wo er sich auch sonst vielfach endgültig an der LXX orientierte. In O. vokalisierte er die Verbform noch als Perfekt Pi’el und übersetzte sie auch als Perfekt, weil er die Aussage darin fand, Gott habe erfahrungsgemäß schon immer den Mund der Aufrechten mit Lachen gefüllt. Die Überlieferung in HI und B. zeigt, dass Hieronymus das von ihm in den revidierten Versionen S. und T. bevorzugte Kompositum re-plere nicht erst in S. eingeführt hat, sondern auch schon in O. neben im-plere zur Wahl stellte. Wie die meisten Augustin-Codices zeigen, stand in O. neben dem Perfekt repleuit auch noch das synonyme impleuit. Während Hieronymus später lt. S. T. und Vulgata das Kompositum replere wählte43, ließ der ω2-Frater in seinem Hyparchetypos repleuit und impleuit als Variae lectiones nebeneinander stehen, wie er es in O. vorfand. Erst die meisten Schreiber votierten dann für impleuit. Für die Einschätzung der Passiv-Form implebitur ist entscheidend, dass sie erstens auch in S. belegt ist (wenn auch mit anderer Vorsilbe und durch den typischen Hörfehler zu replevitur verfremdet) und zweitens in den Adnotationes nur in den Codices G und N überliefert ist. G und N sind (neben F) diejenigen Codices der ω2-Linie, die am häufigsten durch Lesarten aus der ω1-Linie kontaminiert wurden. Der ω1-Hyparchetypos kann deshalb auch hier als ihre Quelle erschlossen werden. Weil jedoch die Lesart implebitur nicht aus T. stammt, kann sie der ω1-Frater nur in O. vorgefunden haben. Dass Hieronymus bereits dort auch das Synonym replebitur danebengestellt hatte, ergibt sich aus dem Zitat bei Julian von Aeclanum Veracium

43 Ich habe keine Erklärung für diese Änderung ab S. Lt. der Vulgata-Konkordanz (1897) ist in der Vulgata implere im Verhältnis 3:2 häufiger als replere.

418

Spuren von Doppelübersetzungen in O. bei Augustin 

autem os replebitur risu44. (In Kapitel 10 wurde nachgewiesen, dass Julian seine Zitate der Versio prior aus der Erstfassung O. entnimmt.) Auf welcher ursprachlichen Vorlage beruht diese Form? Im Griechischen ist die entsprechende Form ἐμπλησθήσεται erst viel später bei Antiochos Monachos und Iohannes Damascenus belegt45. Hieronymus dürfte hier also eher auf dem hebräischen Text fußen. Um von der hebräischen Vorlage der LXX, die oben erläutert wurde und in der LXX mit dem Futur Aktiv ἐμπλήσει übersetzt wurde, zu einer Aussage im Futur Passiv zu kommen, brauchte Hieronymus nur den Infinitiv constructus Pi’el von M als Pu’al zu vokalisieren. Ob nun Hieronymus diese Passiv-Konstruktion schon in einer Vetus Latina-Version vorfand, von einem jüdischen Berater übernahm oder selbst entwickelte – in jedem Fall lag sie hier als ehrfürchtige Aussage über Gott im Passivum divinum nahe. Dass diese Fassung Hieronymus besonders wichtig war, zeigt sich an ihrer Übernahme in den revidierten Codex S.  sowie an einem früheren Zitat in seiner Prediger-Auslegung von 38846. Dass sie auch die Zeitgenossen überzeugte, erweist sich an dem oben angeführten Zitat bei Julian und einem Beleg in Rufins Übersetzung der Basilius-Regel47. Insgesamt wurden damit für die Erstfassung O. des Lemmas Iob 8, 21a sogar vier Lesarten nachgewiesen: die Perfektformen impleuit und repleuit sowie die Futur Passiv-Formen implebitur und replebitur. Es bestätigt sich, dass Hieronymus in O. stellenweise nicht nur inhaltlich verschiedene Übersetzungen vorgeschlagen, sondern auch reine Synonyma nebeneinander gestellt hat. Aus der vorstehenden Analyse wird aber ebenfalls deutlich, dass man zwar rekonstruieren kann, welche dieser Lesarten die Fratres in ihre Hyparchetypoi der Adnotationes übernahmen, aber nicht mehr klären kann, welche Variante Augustin selbst gewählt hat. Er kommt auf dieses Zitat in seinen Werken nicht mehr zurück.

44 in Iob 8, 21 (26, 82–83 De Coninck). 45 Vgl. Ziegler (1982) 248 im 1. Apparat. 46 Hieronymus, in eccles. 3, 12–13 (278, 207 Adriaen) Verorum os implebitur gaudio. (Varia lectio dort: ueracium os replebitur gaudio.) Die Datierung nach Frede (1995) 513. 47 Rufin, Basil. reg. 8, 34 Os autem veracium replebitur risu. (pp. 45–46 Zelzer. Dort ist veracium irrtümlich nicht durch Kursivdruck als Teil des Zitats ausgewiesen.) Frede (1995) 739 datiert die Übersetzung auf 397.

Nur in der ω2-Rezension überlieferte Belege  

419

17.5 Spannung zwischen Lemma und Auslegung als Indiz Im letzten Beispiel dieses Kapitels beruht der Nachweis einer Doppelübersetzung in Augustins Textvorlage O. auf der Beobachtung, dass zwischen dem Lemma und seiner Auslegung im ω2-Hyparchetypos eine Spannung besteht. Es geht um einen Versuch des Hieronymus, die optimale Wortstellung zu finden: 48 49 50 51 52 53 Hiob Kap. u. Vers

Philippus ­ Presbyter

Fassung in O. lt. Aug., adn. ( ω2-Linie)

Fassung in S. T. B.

38, 25a

PL 26 (1845) 757 C s. fin.

(608, 12–13, 609, 1–2, 609, 13–14)

S.

T. B. sowie Philippus Presbyter ed. Sichardus p. 177 A s. init.48

Alii dixerunt: praeparauit flumen ­omnium ­populorum

608, 12–13: quis praeparauit flumen49 ualidae pluuiae50? 608, 17: pluuiam commemora­ uit et flumen 608, 18: pluuia ergo tentatur 608, 26: flumine autem

fehlt

Quis praeparauit pluuiae ualidae flumen?

609, 1–2:

609, 1–2:

H + alle edd.: quis praeparauit ualidae pluuiae51 flumen?

codd. cett.: quis praeparauit pluuiae ualidae52 flumen?

609, 13–14: ualidae autem pluuiae M53: ‫י־פ ַּל ֣ג לַ ֶּׁש֣טֶ ף ְּתעָ ָל ֑ה‬ ִ ‫ִ ֽמ‬

LXX: τίς δὲ ἡτοίμασεν ὑετῷ λάβρῳ ῥύσιν;

Vulgata: quis dedit vehementissimo imbri cursum?

Beide Urtexte stellen den Begriff für Rinne oder Fluss ans Ende des Satzes; beide konstruieren den Starkregen als Dativ. Während das Hebräische für den Platzregen nur ein Wort braucht, setzt die LXX zur Verdeutlichung noch ein nachgestelltes adjektivisches Attribut hinzu. 48 Digitalisat S. 205.– Vgl. Ziegler (1982) 30 zum Verhältnis der Überlieferung der Stelle bei Sichardus im Unterschied zur verstümmelten Form bei Migne (sc. PL 26 (1845) 757 C s. fin.). 49 Q lumen. 50 UV pliturae. 51 Zy vergisst den Nachweis, dass auch seine Codices C und P wie der Codex T die andere Wortstellung pluuiae ualidae bieten. 52 Z ualde; M ualidae et. 53 Dt.: Wer hat ausgehöhlt dem Platzregen eine Rinne?

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Spuren von Doppelübersetzungen in O. bei Augustin 

Die wörtliche Übersetzung der LXX ist in den Hieronymus-Codices T. B. und in der Sichardus-Edition des Philippus Presbyter54 überliefert: Quis praeparauit pluuiae ualidae flumen? Aber auch Augustin hat in seiner Vorlage O. schon diese Wortstellung vorgefunden. Nach ihrem Vorbild nämlich ist seine lange Auslegung der Passage (608, ­13–609, 15) strukturiert. Augustin gliedert klar nach den Stichworten pluuia und flumen: 608, 17 pluuiam commemorauit et flumen; ferner 608, 18 pluuia ergo tentatur und 608, 26 flumine autem. Augustin hat also in seiner Vorlage O. das Stichwort pluuiae vor dem Stichwort flumen gelesen. Gleichzeitig muss aber in der ihm vorliegenden Erstfassung O. auch schon die alternative Fassung gestanden haben, in der flumen nach vorn hinter das Prädikat praeparauit gezogen wird. Das zeigt sich daran, dass der Schreiber des Archetypos ω, der die Hiob-Lemmata aus der Handschrift O. vervollständigte, offenbar aus Mangel an Überblick über die anschließende Auslegung beim Erstzitat (608, 12–13) die andere Wortstellung quis praeparauit flumen ualidae pluuiae? kopierte, die Augustins folgender Gliederung widerspricht. Auch die kurze Notiz bei Philippus Presbyter (in der Ausgabe des Erasmus) praeparauit flumen omnium populorum (wo omnium populorum nicht zum Lemma gehört, sondern als Auslegung von pluuiae zu verstehen ist) zeigt, dass in seinem Exemplar von O. flumen vor pluuiae stand (das er – offensichtlich ohne Blick auf den Urtext – als Genetiv auffasste, wie seine Interpretation durch omnium populorum zeigt). Damit ist m. E. gesichert, dass Hieronymus für das Lemma Iob 38, 25a in seiner Erstfassung O. zwei verschiedene Wortstellungen anbot. Davon beruhte nur die eine mit endgestelltem flumen auf den ursprachlichen Vorlagen; die andere hat Hieronymus selbst frei formuliert. Da die Wortfolgen pluuiae flumen bzw. ualidae flumen beide einen Cursus planus darstellen, dagegen die alternativen Stellungen ualidae pluuiae bzw. pluuiae ualidae am Schluss des Kolons einen Cursus tardus ergeben, kann man vielleicht schließen, dass Hieronymus nicht einfach mit einem Cursus als solchem zufrieden war, sondern eher den Cursus tardus bevorzugte. Vielleicht hat er aber auch nach einer Wortstellung gesucht, die dem lateinischen Leser suggerierte, pluuiae sei im Sinn der Urtexte als Dativ, nicht als Genetiv aufzufassen. Offen ist noch, wie Hieronymus mit der Wortstellung des Attributs ualidae im Verhältnis zu seinem Beziehungswort pluuiae verfuhr. Hier ist nicht jede Einzelheit zu klären. Zunächst lässt sich zeigen, dass die Voranstellung des Attributs ualidae vor pluuiae aus der freien Variante des Hieronymus stammt, in der er sich auch durch

54 In der von Migne nachgedruckten Erasmus-Ausgabe ist dieses Lemma samt Auslegung durch Augensprung verkürzt (Pl 26 (1845) 757 C s. fin.; vgl. Ziegler (1982) 30) und trägt hier nichts zur Klärung bei.

Nur in der ω2-Rezension überlieferte Belege  

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die Voranstellung von flumen von den Urtexten emanzipierte: Diese Wortstellung kopierte der Schreiber des Archetypos ω beim Erstzitat aus Augustins Vorlage O. (608, 12–13). Die üblichere Wortstellung mit nachgestelltem ualidae entspricht der LXX und taucht auch wieder in den Codices T. B. und in der Sichardus-Edition des Philippus Presbyter auf. Oben wurde gezeigt, dass Augustin in seinem Erstzitat und bei der Gliederung seiner Auslegung dieser konservativen Variante des Hieronymus nach der LXX folgte. Damit lässt sich für O. folgende Doppelfassung des Lemmas Iob 38, 25a rekonstruieren: 1. lt. M und LXX: quis praeparauit pluuiae ualidae flumen? 2. freie Alternative des Hieronymus: quis praeparauit flumen ualidae pluuiae? Damit sind aber zwei Passagen in den Adnotationes noch nicht geklärt. Gut zu erklären ist die Anspielung am Schluss der langen Auslegung (609, 13–14) ualidae autem pluuiae, wo ualidae vor pluuiae steht: Dort hat der Bischof auch noch die Variante, die er in O. vor Augen hatte, ins Spiel gebracht. Für diese Technik Augustins gibt es weitere Belege55. Wie ist aber die Überlieferung in der Mitte der lang ausgesponnenen Auslegung, wo Augustin das Lemma nochmals vollständig zitiert (609, 1–2), zu beurteilen? Dort stehen sich zwei Varianten gegenüber: 1. H bietet als einziger Codex die Lesart, die alle Editoren drucken: quis praeparauit ualidae pluuiae56 flumen? 2. alle anderen Handschriften lesen: quis praeparauit pluuiae ualidae57 flumen? Dort ist die von Augustin durchweg angenommene Endstellung von flumen in allen Handschriften der ω2-Tradition richtig überliefert (die ω1-Tradition fehlt); bis auf H bieten auch alle Handschriften mit der LXX dort die Wortfolge pluuiae ualidae. Damit liegt der Schluss nahe, dass Augustin dort – wie bei seinem Erstzitat – die Übersetzung nach der LXX zitierte und dass jedenfalls der ω2-Frater zu Recht an dieser Lesart festhielt. Dass hingegen der Codex H und alle Editoren dort die Wortstellung ualidae pluuiae bieten, lässt sich leicht als Anpassung an das schon vom Schreiber des Archetypos ω falsch kopierte Erstzitat und an die von Augustin zum Schluss noch bewusst eingeführte Variante erklären, wo es jedesmal ualidae pluuiae heißt. Da H zu-

55 Vgl. Kap. 9, S. 218 zu Iob 34, 9b; Kap. 12, S. 285–286 zu Iob 37, 23b; Kap. 15, S. 372–373 zu Iob 7, 20a und Kap. 21, S. 513 zu Iob 42, 6b. 56 Vgl. nochmals Anm. 51. 57 Z ualde; M ualidae et.

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Spuren von Doppelübersetzungen in O. bei Augustin 

weilen aus der ω1-Tradition kontaminiert ist, hat möglicherweise an dieser Stelle auch schon der ω1-Frater diese Anpassung vollzogen. H wiederum ist als Kartäuser-Codex eng mit der Vorlage des Amerbachschen Erstdrucks verwandt, von dem an dieser Stelle alle folgenden Editionen abhängig sind58.

58 Der Nachweis, dass Hieronymus in O. gelegentlich mit verschiedenen Wortstellungen experimentiert hat, erhöht m. E. im Rückblick die Wahrscheinlichkeit, dass auch die oben im Kapitel 4, Beleg 44 dokumentierte abweichende Wortstellung, die der Codex B. im Lemma Iob 31, 21b aufweist, auf solch eine Doppelfassung in O. zurückgeht.

G. Stellen in den Adnotationes in Iob: Kapitel 15–18 Kapitel 18: Ein locus desperatus in den Adnotationes: Iob 27, 18 18.1 Die Aufgabe In Augustins Adnotationes in Iob werfen Lemma und Auslegung von Iob 27, 18 so zahlreiche Text- und Verständnisprobleme auf, dass zu ihrer Klärung ein eigenes Kapitel erforderlich ist. In der Analyse dieser Passage bündeln sich noch einmal die Fragestellungen und Lösungsstrategien aus früheren Kapiteln; und wieder steht der Nachweis einer Doppelübersetzung in Augustins Textvorlage, dem Codex O. der ersten Hiob-Übersetzung des Hieronymus, im Zentrum der Beweisführung. Das vorliegende Kapitel hat zwei Schwerpunkte. Zunächst versuche ich durch einen Vergleich zwischen den verschiedenen Texttraditionen bei Augustin und Hieronymus zu klären, welchen Wortlaut Augustins Archetypos ω bzw. die beiden Hyparchetypoi ω1 und ω2 in dieser Passage aufwiesen und wie diese Formulierungen zu verstehen sind. Anschließend gehe ich auf die nicht weniger schwierigen Fragen zum Verhältnis zwischen den verschiedenen Revisionsschichten der Versio prior des Hieronymus und ihren möglichen griechischen und hebräischen Vorlagen ein, um den bisher gewonnenen Eindrücken von Hieronymus’ Arbeitsweise einen weiteren Mosaikstein hinzuzufügen.

18.2 Die Textprobleme der Adnotationes 18.2.1 Die Varianten des Lemmas 18.2.1.1 Zychas Text Zycha (565, 19–566, 1) druckt den Text in folgender Fassung (hier sind die nicht einstimmig überlieferten bzw. textkritisch umstrittenen Wörter unterstrichen): erunt enim eorum domus sicut tinea et aranea, quam seruauit (Iob 27, 18): cor uel conscientiam. aut domus (Iob 27, 18) dixit munimenta quibus se protegunt,­ uerum astuta et latebrosa, sed inualidissima, sicut tineae folliculus quo se abscondit et araneae cauerna, in quam se recipiendo cooperit et claudit eam. quam seruauit (Iob 27,18) autem intellegitur se ipsam in illa cauerna, quia non omnes araneae hoc faciunt: propter spontaneam et interiorem corruptionem iniquae cogitationis et propter inutilia opera (cf. Is 59, 61), quae quasi diligenter in domo seruauit (Iob 27, 18) sibi inpius. 1 In Is 59, 5–6 werden die Sünder Israels geschildert. Die Vulgata-Fassung lautet im Auszug: v. 5: ova aspidum ruperunt et telas araneae texuerunt […]; v. 6: […] opera eorum opera inutilia […]. Augustin hat auf die Jesajastelle, in der auch Spinnweben als opera inutilia bezeichnet werden, in

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Spuren von Doppelübersetzungen in O. bei Augustin 

Wie sich im Folgenden zeigen wird, ist Zychas Textgestaltung mehrfach unbefriedigend und seine Dokumentation der Varianten im Apparat wiederholt fehlerhaft. Deshalb muss die Diskussion mit einer Übersicht darüber beginnen, welche Lesarten in der Überlieferung dieses Lemmas in den Adnotationes und in der Versio prior tatsächlich vorliegen. 18.2.1.2 Die Überlieferung bei Augustin und Hieronymus Eine vollständige Auswertung aller erhaltenen Codices lässt erkennen, dass Augustin in seiner Textvorlage O. wieder einmal alternative Erstfassungen des Hieronymus vorfand, die er beide nebeneinander zitierte und auslegte. Weil alle bisherigen Editoren die Möglichkeit solcher Mehrstimmigkeit nicht in Betracht zogen, haben sie sich sämtlich bemüht, den Text durch Konjekturen zu normalisieren. 18.2.1.2.1 Die Varianten im Relativsatz Die Varianten betreffen den Relativsatz, mit dem das Lemma Iob 27, 18 endet. Dieser wird in dem überlieferten Text dreimal zitiert, und zwar in jeder der beiden Traditionslinien ω1 und ω2 in je drei verschiedenen Fassungen: 2 3 4 5 Seite/ Zeile Zycha

Adnotationes lt. Fragm. B = ω1-Tradition

Adnotationes lt. codd. cett. = ω2-Tradition

565, 20

quae seruauit

quae seruabit

565, 24

quam seruauit

565, 27– 566, 1

quam5 […] seruabit

Amerbach

Erasmus

Lovani­ enses 1+2

Mauriner

Zycha

quam seruabat2

quae ­ seruauit

quam3 seruauit

quam4 ­ seruauit

quam seruauit

quae ­ seruauit

quam ­ seruauit

quae […] seruauit

quae […] seruauit

quae […] seruauit

quae […] seruauit

Es ist nach der Überlieferungslage deutlich, dass hier die Fratres in Augustins Text eingegriffen haben; das Wo und Wie gibt jedoch zunächst Rätsel auf. all seinen Werken offenbar nur hier und zuvor im 8. Kapitel der Adnotationes in der Auslegung von Iob 8, 14, wo ebenfalls von Spinnennetzen die Rede ist (Zy 525, 23–526, 1), angespielt. Vgl. unten Anm. 10. 2 Zycha zitiert Amerbach fälschlich für seruabit. Alle alten Drucke haben das Imperfekt ser­ uabat, das handschriftlich nicht bezeugt und vor dem Hintergrund der Überlieferung als Druckfehler oder als eine der häufigen Konjekturen der Editio princeps zu beurteilen ist, die von Erasmus, den Lovanienses und den Maurinern übernommen wurde. (Die Mauriner dokumentieren das Problem immerhin im Kollationsbuch.) 3 Für seine Konjektur quam beruft sich Zycha auf Amerbach. 4 So auch T (Zycha falsch: quae T). 5 Durch Kontamination aus der ω1-Linie steht quam auch in F und N (G fehlt).

425

Ein locus desperatus in den Adnotationes: Iob 27, 18

18.2.1.2.2. Die Varianten im Hauptsatz Weitere Dimensionen des Problems werden sichtbar, wenn man sich vor Augen führt, dass auch der Hauptsatz des Hiob-Zitates 27, 18, von dem der oben genannte Relativsatz abhängt, in den beiden Hyparchetypoi der Adnotationes nicht einheitlich überliefert ist und überdies die Fassungen des Zitats in den erhaltenen Hieronymus-Codices S. T. B. auch noch weitere Varianten aufweisen. Insgesamt liegt das Lemma Iob 27, 18 bei Hieronymus und Augustin nach dem Zeugnis der Handschriften in nicht weniger als neun verschiedenen Versionen vor: 6 Iob 27, 18

Hauptsatz

Hieronymus, Versio prior

Fassung Relativsatz (Seite/ Zeile Zycha)

Augustin, Adnotationes

S.

T. (+ B.)

lt. Fragm. B = ω1-Linie

lt. codd. cett. = ω2-Linie

erunt enim eorum domus sicut tineae et araneae

erunt enim eorum domus sicut tinea et aranea

erunt enim ­ eorum domus sicut tineae et araneae

erunt enim ­ eorum domus6 sicut tinea et araneae

, quae seruauit.

, quae seruabit.

Relativsatz

Relativsatz, 1. Fassung (565, 20) , quae seruauit.

Relativsatz, 2. Fassung (565, 24)

, quam seruauit.

Relativsatz, , quam […] ­ 3. Fassung seruabit (565, 27–566, 1)

, quae […] ­ seruauit

18.2.2 Der archimedische Punkt Dieser Strudel von Varianten wirkt auf den ersten Blick entmutigend. Bei näherem Hinsehen zeigt sich jedoch ein sozusagen archimedischer Punkt, der als sichere Basis für die weitere Analyse dienen kann. Die Versionen der beiden Hyparchetypoi stimmen nämlich an einem einzigen Punkt überein: Beide zitieren den Relativsatz an der zweiten Stelle (565, 24) mit dem Wortlaut quam seruauit. Der Kontext der Adnotationes zeigt, dass hier ein wörtliches Zitat vorliegt; überdies wird das Relativpronomen quam durch die folgende Auslegung (565, 25) se ipsa(m)7 als richtig erwiesen. Ich gehe deshalb von 6 Fast alle erhaltenen Codices der ω2-Tradition haben  – wie Hieronymus in S. T. B.  – die Wortstellung eorum domus. Ziegler (1982) 329 im 1.  Apparat zu Iob 27, 18 schreibt fälschlich LaA domus eorum. In Wirklichkeit haben nur der eine Codex V sowie die frühen Ausgaben (von Amerbach bis einschließlich zu den Maurinern) die normalisierte Wortstellung domus eorum. 7 Der Akkusativ Singular Femininum quam wird schon durch die Fortsetzung mit se ipsa gesichert. Zur Variante ipsa/ipsam s. u.

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Spuren von Doppelübersetzungen in O. bei Augustin 

der Voraussetzung aus, dass beide Fratres den Text quam seruauit an dieser Stelle in Augustins Archetypos ω vorgefunden und unverändert übernommen haben. Auf dieser Grundlage analysiere ich im Folgenden zunächst die weiteren Belege für den Relativsatz.

18.2.3 Die Probleme des Relativsatzes 18.2.3.1 Die Relativpronomina Ich habe einleitend die These aufgestellt, dass Augustin in seiner Textvorlage O. auch hier wieder zwei verschiedene Übersetzungen des Hieronymus vorfand, zwischen denen sich dieser in seiner Erstfassung noch nicht entschieden hatte. Diese These wird nun in einem ersten Teilschritt dadurch bewiesen, dass Augustin in den beiden anderen Zitaten desselben Relativsatzes das Relativpronomen in der alternativen Form quae gebraucht hat. An der ersten Stelle (565, 20) ist dieses quae in beiden Traditionssträngen einstimmig überliefert. (Amerbach hat hier die verfehlte Konjektur quam gedruckt, die von allen Herausgebern einschließlich Zycha übernommen wurde.8) An der anderen Stelle (565, 27–566, 1) ist zwar die Überlieferung nicht einheitlich, aber vom Kontext her klar, dass nur quae richtig sein kann. Das lässt sich im Folgenden zeigen. Weil jedoch Augustin in dieser späteren Passage den Relativsatz so in seine Exegese einflicht, dass er zunächst nicht deutlich als Zitat hervortritt, stelle ich der besseren Übersicht halber zuvor die Fassungen beider Hyparchetypoi einander gegenüber: 9 Seite/Zeile Zycha

lt. Fragm. B = ω1-Linie

lt. codd. cett. = ω2-Linie

565, 27– 566, 1

propter inutilia opera (cf. Is 59, 6), quam9 quasi diligenter in domo seruabit sibi impius.

propter inutilia opera (cf. Is 59, 6), quae quasi diligenter in domo seruauit sibi impius.

Das hier in der ω1-Linie überlieferte Relativpronomen quam (das durch Kontamination auch in F und N der ω2-Tradition eingedrungen ist) kann grammatisch auf keinen Fall richtig sein, weil es im Kontext kein Beziehungswort hat. Als Beziehungswort kommen nur die inutilia opera in Frage, so dass hier die Lesart quae der ω2-Linie evident richtig ist. Darin stimmen auch alle Editoren überein. Damit ist gesichert, dass die Lesart quae, die Hieronymus in seinen revidierten Codices S. und T. allein stehen ließ, als Alternative zu quam auch schon Augustin in der Erstfassung O. vorgelegen haben muss.



8 Eine detaillierte Erörterung folgt unten in einem anderen Argumentationszusammenhang. 9 Vgl. nochmals Anm. 5.

Ein locus desperatus in den Adnotationes: Iob 27, 18

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Weil quam an dieser dritten Stelle so offensichtlich falsch ist, kann man allerdings zweifeln, ob diese Änderung dem Editor des Hyparchetypos ω1 selbst zuzutrauen ist. Es dürfte sich eher um ein Abschreibeversehen im weiteren Verlauf der ω1-Überlieferung handeln, das leicht durch die Verwechslung einer Abkürzung zustande kommen konnte. Spätere Leser oder Kopisten werden sich im Zweifel mit der Auskunft beruhigt haben, Augustin greife noch einmal auf das vorangehende Zitat mit quam seruauit (Zy 565, 24) zurück. Die Übernahme des falschen quam auch nach F und N zeigt, welch hohe Autorität die ω1-Tradition bei den Schreibern genoss, die Codices der ω2-Linie mit Lesarten der ω1-Überlieferung kontaminierten. 18.2.3.2 Die Tempora des Relativsatzes Nachdem bewiesen ist, dass Augustin in Hieronymus’ Erstfassung O. die Einleitung des Relativsatzes in den Varianten quam und quae vorfand und beide Möglichkeiten auslegte, muss im nächsten Teilschritt der Analyse geklärt werden, was es mit den konkurrierenden Tempora seruabit und seruauit auf sich hat, in denen das Prädikat des Relativsatzes nach den obigen Übersichtstabellen überliefert ist. Auch diese Frage lässt sich anhand des eben betrachteten dritten Zitates des Relativsatzes in den Adnotationes beantworten. Dort bietet die ω1-Tradition das Futur seruabit, während die ω2-Linie das Perfekt seruauit hat. Das Futur in der ω1-Überlieferung ist auffällig. Denn wenn – wie eben ausgeführt – die Einführung des falschen quam an unserer Stelle nur als Reminiszenz an das vorangegangene Zitat quam seruauit (565, 24) zu erklären ist, wäre eigentlich zu erwarten, dass die ω1-Linie aus der früheren Parallele auch das Perfekt seruauit übernommen hätte. Wie ist also das Futur seruabit zu erklären? Aus drei Gründen führe ich das Futur an dieser Stelle nicht auf einen Fehler des ω1-Fraters oder eine Verwechslung der Endungen -uit und -bit zurück, sondern halte es für den Originaltext Augustins. Für das Futur seruabit spricht erstens die unmittelbare Fortsetzung in Augustins Gedankengang, der auch im nächsten Hiob-Lemma mit dem Futur fortfährt (Zy 566, 1): diues dormiet et non adiciet (Iob 27, 19a). Zweitens wird das Futur auch durch eine enge Parallele in Kapitel 8 der Adnotationes gestützt, wo in vergleichbarer Weise die Spinne in einem futurischen Satz als Sinnbild von künftigen inutilia opera erscheint: atque araneis complebitur tabernaculum eius (Iob 8, 14b): opera inutilia10 (Zy 525, 23–526, 1). Drittens wird der Relativsatz in der futurischen Fassung quae seruabit auch noch unabhängig von der ω1-Linie von dem ω2-Frater zitiert – nämlich gleich eingangs beim ersten Zitat des Lemmas (565, 20). Somit passt der futurische Relativsatz quae seruabit bruchlos in Augustins Gedankenführung und ist überdies keine isolierte Formulierung des ω1-Fraters. Da 10 Da im Kontext wieder von Spinnen die Rede ist, wird auch hier der Ausdruck opera inutilia schon als Anspielung auf Is 59, (5-) 6 zu verstehen sein. Vgl. oben Anm. 1.

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Spuren von Doppelübersetzungen in O. bei Augustin 

ferner die Fratres das Futur seruabit, das sie unabhängig voneinander an unterschiedlichen Stellen ihrer Hyparchetypoi zitieren, keinem der revidierten Hieronymus-Codices S. T. B. entnehmen konnten, weil der Kirchenvater dort nur noch das Perfekt seruauit stehen ließ, ist es m. E. sicher, dass Augustin und seine Fratres im Codex O. den Relativsatz nicht nur in der Fassung quam seruauit (die von beiden Fratres für Augustins zweites Zitat (565, 24) bezeugt wird), sondern auch in der alternativen Form quae seruabit vorgefunden haben. Die revidierte Fassung des Hieronymus in S. T. B., die quae seruauit lautet, stellt also eine für Hieronymus typische Konflation aus den beiden früheren Entwürfen quae seruabit und quam seruauit dar. (Zum Bezug auf die Urtexte vgl. unten Punkt 18.4.) Während demnach der Archetypos ω bei dem dritten Zitat die Lesart quae […] seruabit bot, hat der ω2-Frater dort – wie so oft – mit der Formulierung quae […] seruauit die revidierte Fassung des Hieronymus aus T. eingeführt, die weniger genau zu Augustins Auslegung passt. Genau umgekehrt liegt der Fall dann bei dem ersten Zitat (565, 20), bei dem der Kontext von Augustins Auslegung noch keinen Hinweis enthält, an welches Tempus der Kirchenvater dachte: Dort bietet der ω2-Frater den futurischen Wortlaut quae […] seruabit aus O., während der ω1-Frater nun seinerseits die revidierte Fassung des Hieronymus quae […] seruauit aus T. eingesetzt hat. Beide Fälle erklären sich also durch die Neigung der Fratres, Augustins Fassungen, die er aus O. entnommen hatte, jeder für sich durch den revidierten Wortlaut von T. zu ersetzen11, ohne dabei konsistent zu verfahren. 18.2.3.3 Die Zahl der Zitate des Relativsatzes bei Augustin Der bisherigen Argumentation habe ich das Zeugnis der gesamten handschriftlichen Überlieferung zugrunde gelegt, wonach Augustin den Relativsatz dreimal zitiert hat – erst in der Fassung quae seruabit, dann in der alternativen Übersetzung quam seruauit und schließlich nochmals in der ersten Form quae seruabit. Gegen die These, Augustin selbst zitiere den Relativsatz in der Form quae seruabit gleich doppelt, ist jedoch ein gewichtiger Einwand möglich. Es fällt nämlich auf, dass der Bischof nach dem Erstzitat des Lemmas Iob 27, 18 (Zy 565, 1­ 9–20) den abschließenden Relativsatz quae seruabit zunächst gar nicht kommentiert, sondern sich nur mit den verschiedenen Möglichkeiten beschäftigt, wie das Stichwort domus verstanden werden kann (Zy 565, 20–24). Eine Auslegung des Relativsatzes erfolgt dagegen erst, nachdem er ihn anschließend erneut, aber jetzt in der alternativen Form quam seruauit (565, 24) zitiert hat. Ich vermute daher, dass der Bischof selbst beim Diktat des Archetypos zunächst nur den ersten Teil des Lemmas (bis einschließlich aranea/araneae12) ohne den angehängten Relativsatz zitiert und kommentiert hat, um sich erst anschließend dem problematischen Anhängsel zu 11 Vgl. die detaillierten Nachweise bei Trenkler (2017), Kapitel 14 und 15. 12 Zu dieser Vario lectio s. u.

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zuwenden. Diese Überlegung lässt sich noch durch die Beobachtung stützen, dass der angehängte Relativsatz in der Hexapla und deshalb auch in O. sub asterisco stand13 und so vom Hauptsatz abgehoben wurde. Nach dieser Hypothese geht also das Erstzitat des Relativsatzes im vorangestellten Lemma (Zy 565, 20) nicht auf den Bischof, sondern auf den Schreiber des Archetypos zurück. Dieser musste  – wie von Trenkler nachgewiesen  – bei der Reinschrift des Stenogramms das dort nur mit dem Anfangswort bezeichnete Lemma aus dem Hieronymus-Codex O. komplettieren14, könnte hier also leicht über das von Augustin beabsichtigte Ende hin­ ausgeschossen sein. Dass der Relativsatz jedenfalls schon im Archetypos ω stand, zeigt sich daran, dass ihn beide Fratres in ihre Hyparchetypoi übernommen haben. Der Zweifel aber, ob er an dieser Stelle auch schon auf Augustin zurückgeht, wird dadurch bestärkt, dass Augustins Kurzkommentar „Herz oder Gewissen“ (565, 20: cor uel conscientia(m)) zum Begriff domus (565, 19), der direkt auf den Relativsatz folgt, ohne ihn in die Auslegung einzubeziehen, in den Hyparchetypoi verschieden überliefert ist. Die ω1-Überlieferung hat hier die Nominative cor uel conscientia, die ω2-Tradition dagegen die Akkusative cor uel conscientiam15. Die beiden Nominative greifen in typischer Glossenform den Nominativ Plural domus auf; die Assoziation von domus mit cor/conscientia ist auch sonst in Augustins Werken belegt16. Dagegen macht der ω2-Frater durch den Akkusativ die beiden Ausdrücke abhängig von dem seruabit des vorangehenden Relativsatzes quae seruabit (565, 20). Wie diese Konstruktion jedoch inhaltlich zu deuten sein soll, bleibt unklar. Dieser Textbefund erklärt sich m. E. am einfachsten so, dass der Relativsatz an dieser Stelle nicht auf Augustin, sondern den Schreiber des Archetypos zurückgeht, der hier durch die mechanische Einführung des quae seruabit Augustins Gedankengang unterbrochen und gestört hat. Augustin also glossierte ursprünglich das Stichwort domus nur mit den Nominativen cor uel conscientia. Seine Auslegung wurde von dem ω1-Frater zu Recht nicht angetastet. Der Akkusativ cor uel conscientiam des ω2-Fraters dürfte dagegen eine verfehlte Konjektur zur Integration des auch von ihm schon vorgefundenen störenden Relativsatzes sein. Die vorstehenden Überlegungen ändern nichts an der Tatsache, dass Augustin im Verlauf seiner ausführlichen Auslegung von Iob 27, 18 (Zy 565, 19–566, 1) 13 Ziegler (1982) 329 in beiden Apparaten. 14 Vgl. Trenkler (2017) Kap. 10. 15 Nur H hat den Nominativ conscientia – vielleicht aus Kontamination mit ω1, vielleicht auch nur durch Wegfall der Nasaltilde. 16 Vgl. schon adn. Iob 11 (534, 17–18): et iniquitas in domo tua non maneat (Iob 11,14): hoc dixit cor; ähnlich 19 (548, 16): et circumdederunt tabernaculum meum (Iob 19,12): cor et conscientiam. Ferner: conf. 1, 5, 6: angusta est domus animae meae, quo uenias ad eam: dilatetur abs te; 8, 8, 19: tum in illa grandi rixa interioris domus meae, quam fortiter excitaueram cum anima mea in cubiculo nostro, corde meo, tam uultu quam mente turbatus inuado Alypium; doctr. chr. 4, 6, 10: quasi sapientiam de domo sua, id est pectore sapientis, intellegas procedere; qu. eu. 2, 20: quod Martha excepit illum in domum suam, significat ecclesiam quae nunc est, excipientem dominum in cor suum.

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beide Varianten des Relativsatzes, die Hieronymus in O. zur Wahl gestellt hatte, zitiert und kommentiert. Denn auch wenn der Bischof den Relativsatz in der Form quae seruabit nicht gleich vorn im Erstzitat (565, 20) genannt haben sollte, so verwebt er ihn doch – wie gezeigt – gegen Ende in seinen Text: propter inutilia opera (cf. Is 59, 6), quae […] seruabit sibi inpius (565, 27–566, 1). Da ferner auch der Schreiber des Archetypos ω das Futur seruabit im Lemma von Iob 27, 18 an der ersten Stelle (565, 20) nur aus dem Codex O. entnehmen konnte, weil Hieronymus in S. T. B. allein das Perfekt seruauit übrig ließ, bleibt der Schluss gültig, dass Augustin auch diese Form in seinem Hiob-Text gelesen haben muss. Deshalb kann die Entscheidung aller bisherigen Herausgeber, an sämtlichen drei Stellen ausschließlich Vergangenheitstempora zu drucken, nicht richtig sein.

18.2.4 Die Probleme des Hauptsatzes 18.2.4.1 Die Überlieferung Wie in der obigen Tabelle dargestellt, zitieren die beiden Fratres Augustins den einleitenden Hauptsatz des Lemmas Iob 27, 18 in unterschiedlichem Wortlaut: Augustin, Adnotationes

lt. Fragm. B = ω1-Linie

lt. codd. cett. = ω2-Linie

Iob 27, 18 (Zy 565, 19–20)

erunt enim eorum domus sicut tineae et araneae

erunt enim eorum domus sicut tinea et araneae

Zum Vergleich stelle ich noch einmal die ebenfalls verschiedenen beiden Fassungen daneben, die in den Hieronymus-Codices S. und T. B. der Versio prior vorliegen: Hieronymus, Versio prior

Codex S.

Codices T. B.

Iob 27, 18

erunt enim eorum domus sicut ­ tineae et araneae

erunt enim eorum domus sicut tinea et aranea

Der Vergleich zeigt, dass in den Adnotationes die ω1-Tradition dieselbe Fassung­ tineae et araneae aufweist wie der Hieronymus-Codex S. Dagegen bietet die ω2-Linie dort die auffällige Lesart tinea et araneae, die in der direkten HieronymusÜberlieferung kein Vorbild hat. 18.2.4.2 Die Probleme Die Variante tinea et araneae im Hauptsatz der ω2-Überlieferung lässt sich m. E. sicher auf einen Kopierfehler zurückführen. Da nämlich der direkt folgende Relativsatz (565, 20), dessen Prädikat in beiden Hyparchetypoi zwar in verschiedenem Tempus, aber übereinstimmend im Singular als quae seruauit bzw. quae seruabit

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überliefert ist, ein Subjekt im Singular voraussetzt, kann die Kombination tinea et araneae, bei der araneae als Nominativ Plural und als Beziehungswort für den Relativsatz aufgefasst werden muss, nicht richtig sein. Damit stellen sich drei Fragen: 1. Wie hat das Hiob-Lemma ursprünglich gelautet, das Augustin hier seiner Vorlage O. entnommen hat? 2. Welchen Wortlaut des Lemmas hatte der vom ω2-Frater erarbeitete Hyparchetypos an dieser Stelle? Wich der Text – wie so oft – von Augustins Wortlaut ab oder blieb er mit ihm identisch? 3. Lag der Hauptsatz des Lemmas im Codex O. nur in der Fassung vor, die der Bischof zitiert, oder hatte Hieronymus dort auch für den Hauptsatz – wie es für den abschließenden Relativsatz bereits nachgewiesen wurde – eine Alternative formuliert? 18.2.4.3 Lösungsversuche 18.2.4.3.1 Der Ausgangspunkt Ausgangspunkt der folgenden Analyse ist der Befund, dass in der vorliegenden Passage der Adnotationes zwei Details von der Überlieferung fest vorgegeben sind: Erstens die Kombination von „Motte und Spinne“ und zweitens der Singular des Prädikats des Relativsatzes quae seruauit/seruabit. Folglich müssen „Motte und Spinne“ als Hendiadyoin aufgefasst werden. Damit bleibt noch die Frage offen, welche der beiden Varianten, die die direkte Überlieferung der Versio prior in S. bzw. T. bietet, Augustin in O. las: Sowohl die Genetive im Singular tineae et araneae (so S.) als auch die Nominative im Singular tinea et aranea (so T.) erfüllen die syntaktischen Anforderungen. Es können theoretisch aber auch schon beide Fassungen als Doppelübersetzung in O. gestanden haben, auch wenn Augustin nur eine zitierte. Die erste Frage, welchen Text Augustin seiner Vorlage entnahm, ist also nicht identisch mit der Frage, welche Texte die Vorlage enthielt. 18.2.4.3.2 Antwort auf Frage 1 Die erste Frage, welche Fassung von Iob 27, 18 Augustin seiner Vorlage O. entnahm, kann nun m. E. mit hoher Wahrscheinlichkeit so beantwortet werden, dass der Text wie folgt lautete: erunt enim eorum domus sicut tineae et araneae. Für diese These sprechen zwei Argumente, die sich aus den Adnotationes ergeben: Zunächst einmal ist die Lesart tineae et araneae im Fragment-Codex B, also in der ω1-Linie, tatsächlich überliefert (und nicht etwa nur erschlossen), kann also ohne weiteres Augustins unverfälschter Text sein. Dass dies zutrifft, lässt sich sodann aus der nachfolgenden Auslegung des Bischofs folgern. Dort wird nämlich der doppelte Genetiv Singular tineae et araneae wieder aufgenommen. Augustin bietet für den Begriff domus mehrere Interpretationen an. In der längeren, mit aut (565, 21) eingeführten Variante heißt es: aut domus dixit munimenta, quibus se

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protegunt […]; […] inualidissima, sicut tineae folliculus […] et araneae cauerna. Die Genetive in der Formulierung sicut tineae […] et araneae sind offensichtlich ein Echo der Genetive des vorangehenden Lemmas. 18.2.4.3.3 Antwort auf Frage 2 Auch die zweite Frage – wie also der Hauptsatz des Lemmas Iob 27, 18 im ω2-Hyparchetypos ursprünglich gelautet hat, bevor sich der Kopierfehler tinea et araneae einschlich – lässt sich m. E. mit ziemlicher Sicherheit beantworten: Der ω2-Frater hat hier einmal an Augustins Originaltext mit dem doppelten Genetiv tineae et araneae ebenso festgehalten, wie es auch der ω1-Frater tat. Hierfür spricht, dass der Ausfall des Endungs-e von tineae vor dem folgenden et leicht als Haplographie zu erklären ist; dagegen wäre die bewusste Umwandlung eines ursprünglichen Singulars aranea in den Plural araneae angesichts der flankierenden Singularformen tinea und seruabit schwerer vorstellbar. Damit erweist sich auch die falsche Lesart tinea et araneae der ω2-Tradition noch als Reflex des originalen Textes, der jedoch für die Adnotationes nur im Fragment-Codex B unverändert überliefert ist. 18.2.4.3.4 Das Problem von Frage 3 Das dritte Problem ist m. E. nicht sicher zu lösen – also die Frage, ob Hieronymus in seiner Erstfassung O. neben den Genetiven tineae et araneae als mögliche Zweit­ übersetzung auch schon die Nominative tinea et aranea notiert hatte, für die er sich später in T. entschied. Wenn dies der Fall war, dann hätte Hieronymus sich bei seiner ersten Revision in S. zunächst für die eine Variante (also die Genetive) entschieden, anschließend bei seiner Schlussrevision in T. aber doch die andere Fassung (also die Nominative) bevorzugt. Diese Schrittfolge von O. über S. zu T. (mit Rückkehr zu O.) ist zwar in seinen Revisionen nicht häufig, kommt aber doch vor17 und ist also nicht auszuschließen. Viel häufiger ist allerdings eine andere Schrittfolge, die an der hier diskutierten Stelle ebenfalls vorliegen kann. Demnach formulierte Hieronymus in O. nur eine einzige Erstfassung, die er auch noch in S. beibehielt und erst in T. revidierte18. Die Überlieferungslage bei Hieronymus reicht also nicht aus, um diese Frage zu entscheiden. Aber auch aus dem Befund, dass Augustin die Lesart im Nominativ, die möglicherweise in O. gestanden hat, nicht aufgegriffen hat, ist kein sicherer Schluss zu ziehen; denn es sind ähnliche Fälle nachgewiesen, in denen der Bischof nur eine von zwei in O. nachweisbaren Varianten zitierte und kommentierte und die andere mit Schweigen überging19.

17 Vgl. Kap. 4, Beleg 49 fin. (= Kap. 6, Tabelle 6) und Kap. 19, S. 454 zu Iob 14, 1b. 18 Vgl. Kap. 6, Tabellen 3, 5, 9, 10 und 23. 19 Vgl. nur Trenkler (2017) Kap. 10, Belege 14–16.

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Selbst wenn also Hieronymus in O. neben den Genetiven tineae et araneae bereits die alternativen Nominative tinea et aranea erwogen haben sollte (die in der Überlieferung jedoch erst in T. fassbar werden), so hat doch im vorliegenden Fall Augustin diese Alternative nicht besprochen. Auch seine Fratres haben sie nicht nachträglich aus T. in die Adnotationes eingeführt.

18.2.5 Eingriffe der Fratres in Augustins Kommentartext Wie auch sonst in den Adnotationes nachweisbar, haben die beiden Fratres nicht nur in den Text des Hiob-Lemmas eingegriffen, sondern auch den Wortlaut von Augustins Kommentaren hier und da überarbeitet20. 18.2.5.1 Drei Eingriffe des ω2-Fraters 18.2.5.1.1 Eine erste verfehlte Konjektur dieses Bearbeiters habe ich bereits oben diagnostiziert: Der Frater versuchte m. E., durch die Änderung des ursprünglichen Nominativs von Augustins Glosse (565, 20) cor uel conscientia zum Akkusativ cor uel conscientiam den vermutlich von Augustin bewusst übersprungenen, aber vom Schreiber des Archetypos irrtümlich mitkopierten Relativsatz (565, 20) quae seruabit in den Kontext zu integrieren21. 18.2.5.1.2 Auch in Augustins zweiter Auslegung des Begriffes domus ist ein Eingriff des ω2-Fraters feststellbar. Augustin deutet dort die domus als Symbole der munimenta, mit denen sich die durch Motten und Spinnen symbolisierten Sünder schützen, und weist anschließend in zwei Reihen von Eigenschaften auf die Schwäche dieser Schutzvor­ richtungen hin (565, 21–23). Der Unterschied zwischen beiden Hyparchetypoi besteht darin, welches Wort diese beiden Beschreibungen sozusagen als Scharnier verbindet: 22

These der Auslegung: ­ 1. Beschreibung domus = munimenta der munimenta

„Scharnier“

2. Beschreibung der munimenta

aut domus (Iob 27,18) dixit munimenta quibus se protegunt,

; sunt (ω1)22 , sed (ω2)

inualidissima, sicut ­ tineae folliculus […] et araneae cauerna

uerum astuta et ­ latebrosa

Obwohl die Lesart sed von ω2 auf den ersten Blick plausibel erscheint, weil sie den Begriff inualidissima als Fortsetzung der Begriffsreihe astuta et latebrosa ver 20 Vgl. Trenkler (2017) Kapitel 16 und 17. 21 Vgl. oben S. 429. 22 sunt steht durch Kontamination auch in den Codices F und N der ω2-Tradition (G fehlt in diesem Kapitel schon).

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Spuren von Doppelübersetzungen in O. bei Augustin 

steht, liegt bei genauerem Hinsehen eben hierin die Schwäche dieser Konstruktion.­ Astuta et latebrosa stehen nämlich als Teil der Konstruktion domus dixit munimenta im Akkusativ, während die Form inualidissima im Licht der folgenden Vergleiche mit folliculus und cauerna als Nominativ konstruiert werden muss. Diese Verschiedenheit der Kasus trotz gleich klingender Formen wird nur deutlich, wenn man hier nicht mit dem sed der ω2-Linie den vorangehenden Satz fortsetzt, sondern mit dem sunt des ω1-Hyparchetypos einen neuen Satz beginnt. Wieder hat der ω2-Frater also zu Unrecht Augustins Text geändert. 18.2.5.1.3 Auf einen ähnlichen Eingriff des ω2-Fraters führe ich auch das verbindende et zurück, mit dem die beiden langen, jeweils mit propter eingeleiteten Glieder gegen Ende der Auslegung in der ω2-Überlieferung parallelisiert werden. Diese lautet: propter spontaneam et interiorem corruptionem iniquae cogitationis et propter inutilia opera, quae [ …] seruauit sibi inpius (565, 26–566, 1). Auf den ersten Blick wirkt diese Verbindung durch et natürlich; sie fehlt aber in der ω1-Überlieferung (Codices B sowie F23), ohne dass ein Grund für einen Ausfall ersichtlich ist. Bei genauerem Hinsehen verliert et auch seine inhaltliche Plausibilität. Der erste mit propter eingeleitete Ausdruck (propter – cogitationis) bietet nämlich die Interpretation des zuvor zitierten Relativsatzes in der Fassung quam seruauit (565, 24); dagegen enthält die zweite mit propter eingeleitete Passage die Deutung des Relativsatzes in der folgenden alternativen Fassung quae seruabit (565, 27–566, 1). In Augustins Gedankengang liegt also gerade dort, wo die ω2-Überlieferung das et liest, die Fuge zwischen den beiden Versionen. Da Trenkler gezeigt hat, dass beide Fratres dazu neigten, Augustins Texte durch Einfügung verbindender Wörter lesbarer zu gestalten24, scheint mir auch im vorliegenden Fall der Zusatz von et (hier durch den ω2-Frater) wahrscheinlicher als ein Ausfall durch ein Kopierversehen in der ω1-Tradition. Augustin hat also m. E. bewusst auf ein verbindendes et verzichtet, um die gedankliche Fuge zwischen den Erläuterungen der verschiedenen Fassungen des Relativsatzes am Ende von Iob 27, 18 durch die asyndetische Anapher des doppelten propter deutlicher hervorzuheben. 18.2.5.2 Ein Eingriff des ω1-Fraters Vielleicht lässt sich in der Auslegung der zweiten Version des Relativsatzes auch noch ein Eingriff des ω1-Fraters fassen. Auf den ersten Blick scheint gar keine Überarbeitung vorzuliegen, denn sowohl der Fragment-Codex B – also der Zeuge 23 Die Handschrift F ist hier wie oft aus der ω1-Linie kontaminiert. Der Text des Codex N (der häufig dieselben Kontaminationen wie F aufweist) fehlt leider auf der mir vorliegenden Photo­ graphie. Eine Nachkollation der sehr fragilen Handschrift war mir nicht gestattet. Der ebenfalls vielfach aus der ω1-Tradition kontaminierte Codex G ist an der vorliegenden Stelle schon nicht mehr erhalten. 24 Trenkler (2017) 231–234 und 253–254.

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für die ω1-Linie – als auch die Mehrheit der Handschriften der ω2-Tradition überliefern den Text wie folgt: quam seruauit (Iob 27,18) autem intellegitur se ipsam in illa cauerna (565, 24–25). Jedoch haben hier die Codices F und N der ω2-Linie statt des Akkusativs ipsam den Nominativ ipsa. Da sich schon mehrfach gezeigt hat, dass diese Codices dort, wo sie von den andern Handschriften der ω2-Linie abweichen, aus der ω1-Tradition kontaminiert sind, liegt auch hier die Vermutung nahe, dass der Nominativ ipsa die ursprüngliche Lesart der ω1-Linie repräsentiert. Der Akkusativ ipsam, den ich für Augustins Originaltext halte, wäre dann erst im weiteren Verlauf der Überlieferung wieder in den Fragment-Codex B gelangt. Drei Erwägungen sprechen m. E. dafür, dass der Akkusativ ipsam Augustins Originaltext ist, während die Variante ipsa vermutlich den gut gemeinten Versuch des ω1-Fraters darstellt, den Ausdruck an die klassische Latinität anzupassen. Diese nämlich gebraucht ipse – gerade in Verbindung mit se – vorzugsweise im Nominativ25. An der vorliegenden Stelle ist jedoch der Akkusativ ipsam die bessere Lesart. Zum einen nimmt ipsam den Akkusativ quam des Relativpronomens auf, den Augustin hier erklären will. Zum andern hebt der Akkusativ ipsam – gerade auch im Sinn der klassischen Syntax26 – Augustins Kerngedanken hervor, wonach die Spinne in dieser Fassung des Relativsatzes vor allem als Objekt und nicht so sehr als Subjekt der Rettung erscheinen soll. Der Frater hat hier nicht bedacht, dass sein Nominativ ipsa umgekehrt die Spinne in ihrer Rolle als Subjekt betont. Schließlich entspricht die Formulierung se ipsam auch dem sonstigen Sprachgebrauch der Adnotationes: Es heißt fast immer nur se ipsum27; die einzigen beiden Belege für ipse se(se) begegnen erwartungsgemäß dort, wo betont wird, dass das Subjekt selbst tätig werden muss28. Alle drei Argumente zeigen auch, wie leicht der Akkusativ ipsam von einem Kopisten der Adnotationes, der mit Augustins Sprachgebrauch vertraut war, wieder in die ω1-Überlieferung eingeschleust werden konnte.

25 Vgl. Kühner-Stegmann (1962) Bd, 1, S. 246, 4 und Menge (1965) § 253, 9. So erklärt sich vermutlich, dass auch die Mauriner hier ohne Erörterung im Kollationsbuch ipsa drucken. 26 Vgl. Menge (1965) § 253, 9. 27 1. In Hiob-Zitaten (also in der Sprache des Hieronymus): Iob 5, 27 (518, 5): tu uero scito temet ipsum; 7, 13 (523, 20–21): et referam ad me ipsum consolationem; 22, 29 (556, 6–7): quia humiliauit semet ipsum; 30, 24 (576, 8–9): atque utinam possem me ipsum interficere. 2. In anderen Bibelzitaten: 1 Cor 4, 3 (528, 11): sed neque me ipsum iudico; Gal 6, 1 (550, 4–5): intendens te ipsum; Rm 2, 21 (583, 26): te ipsum non doces? 3. In Augustins eigenen Kommentaren: (537, 1–2) ut arguat se ipsum; (566, 4) non inueniet se ipsum diuitem; (614, 17) se ipsum illis dans cibum; (621, 28) apud semet ipsum irascens; (627, 18) cum per me ipsum utique nihil sim. 28 Von Christus heißt es zu Iob 8, 18 (Zy 526, 16): opus est ergo, ut ipse sese indicet. In der Auslegung von Iob 26, 2 heißt es von Hiob mit einem Polyptoton (Zy 561, 22): sibi ipse loquens se ipsum reuocat.

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Von den vier genannten Eingriffen in Augustins Kommentartext gehen drei auf den ω2-Frater zurück. Dies entspricht den Ergebnissen von Trenklers Arbeit, wonach der ω2-Frater den Archetypos ω stärker bearbeitet hat als sein Mitbruder29.

18.2.6 Zwischenbilanz: Die drei Fassungen in adn. Als Zusammenfassung der vorstehenden Analysen stelle ich die Auslegung von Iob 27, 18 (Zy 565, 19- 566, 1) in den drei Fassungen nebeneinander, wie sie sich – von den Fehlern der Überlieferung bereinigt – für Augustin selbst sowie für jeden der beiden Fratres rekonstruieren ließen. Zur Erleichterung des Vergleichs steht Augustins Originaltext in der Mitte zwischen den Fassungen der Hyparchetypoi ω1 und ω2. Die diskutierten Stellen sind wieder unterstrichen. Was Augustin betrifft, so halte ich es wie gesagt für wahrscheinlich, dass der sub asterisco stehende Relativsatz quae seruabit beim ersten Vorlesen und Kommentieren des Lemmas vom Bischof zunächst ausgelassen und erst vom Schreiber des Archetypos in den Text hineinkopiert wurde; ich setze ihn daher zwischen eckige Klammern: rekonstruierte Fassung des Hyparchetypos ω1

rekonstruierte Original­ fassung Augustins lt. Archetypos ω

rekonstruierte Fassung des Hyparchetypos ω2

erunt enim eorum domus sicut tineae et araneae, quae serua­uit (Iob 27, 18): cor uel conscientia. aut domus dixit munimenta quibus se protegunt, uerum astuta et latebrosa. sunt inualidissima, sicut tineae folliculus quo se abscondit et araneae cauerna, in quam se recipiendo cooperit et claudit eam. quam seruauit (Iob 27, 18) autem intellegitur se ipsa in illa cauerna, quia non omnes araneae hoc faciunt: propter spontaneam et interiorem corruptionem iniquae cogitationis; propter inutilia opera (cf. Is 59, 6), quae quasi diligenter in domo seruabit sibi inpius.

erunt enim eorum domus sicut tineae et araneae, [* quae seruabit] (Iob 27, 18): cor uel con­ scientia. aut domus dixit munimenta quibus se protegunt, uerum astuta et latebrosa. sunt inualidissima, sicut tineae folliculus quo se abscondit et araneae cauerna, in quam se recipiendo cooperit et claudit eam. quam seruauit (Iob 27, 18) autem intellegitur se ipsam in illa cauerna, quia non omnes araneae hoc faciunt: propter spontaneam et interiorem corruptionem iniquae cogitationis; propter inutilia opera (cf. Is 59, 6), quae quasi diligenter in domo seruabit sibi inpius.

erunt enim eorum domus sicut tineae et araneae, quae seruabit (Iob 27, 18): cor uel conscientiam. aut domus dixit munimenta quibus se protegunt, uerum astuta et latebrosa, sed inualidissima, sicut tineae folliculus quo se abscondit et araneae cauerna, in quam se recipiendo cooperit et claudit eam. quam seruauit (Iob 27, 18) autem intellegitur se ipsam in illa cauerna, quia non omnes araneae hoc faciunt: propter spontaneam et interiorem corruptionem iniquae cogitationis et propter inutilia opera (cf. Is 59, 6), quae quasi diligenter in domo ser­ uauit sibi inpius.

29 Trenkler (2017) 171–172. 177. 288.

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18.3 Augustins Interpretationen des Lemmas Iob 27, 18 In den vorstehenden Analysen wurde bisher nur in kleinen Schritten geklärt, welche Texte Augustin in seinem Codex O. der Versio prior des Hieronymus vorfand. Zum inhaltlichen Verständnis seiner Auslegung ist damit noch nichts beigetragen. Am Schluss dieses ersten langen Gedankengangs ist deshalb zu fragen, wie denn eigentlich Augustin den Hiob-Vers im Ganzen verstanden hat.

18.3.1 Augustins Interpretation des Hauptsatzes Aus den obigen Analysen ging hervor, dass Augustin den Hauptsatz des Lemmas nur in der Fassung erunt enim eorum domus sicut tineae et araneae zitiert und kommentiert, dagegen den anschließenden Relativsatz in doppelter Übersetzung berücksichtigt – zum einen in der Form quam seruauit und zum andern (ggfs. sogar zweimal) in der Form quae seruabit. Was den Hauptsatz betrifft, so konstruiert Augustin die Formen tineae et araneae – wie ebenfalls bereits oben gezeigt – als Genetive im Singular. Wenn er auch die griechische Überlieferung vor Augen gehabt hätte, so hätte er tineae et araneae als Nominative im Plural deuten müssen30. Damit wird hier erneut der Eindruck bestätigt, dass sich der Bischof bei der Abfassung der Adnotationes nur auf die lateinische Fassung des Hieronymus gestützt, aber keinen griechischen Text herangezogen hat31. (Von einem Gebrauch hebräischer Texte kann bei Augustin ohnehin keine Rede sein.) Augustin versteht den Hauptsatz von Iob 27, 18 also wie folgt: „Es werden nämlich ihre Häuser wie die einer Motte und einer Spinne sein.“ Wie so oft findet er auch in dieser Formulierung einen doppelten Schriftsinn. Die „Häuser“ der Gottlosen können einmal deren Herz oder Gewissen (565, 20: cor et conscientia) symbolisieren, die gleichsam von Motten zerfressen oder von Spinnweben verhangen, also verwüstet und unrein sind. Alternativ können die „Häuser“ der Gottlosen aber auch die Verteidigungswerke bedeuten, mit denen sie sich zu schützen suchen, die aber trotz aller List und Heimlichkeit so schwach und wirkungslos sind wie der­ Kokon einer Motte oder das Loch einer Spinne (565, 21–24): aut domus dixit munimenta quibus se protegunt, uerum astuta et latebrosa; sunt inualidissima, sicut tineae folliculus quo se abscondit et araneae cauerna, in quam se recipiendo cooperit et claudit eam.

30 Zu den möglichen griechischen Textvorlagen siehe gleich ausführlich S. 439–440. 31 Trenkler (2017) 108–109.

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Spuren von Doppelübersetzungen in O. bei Augustin 

18.3.2 Augustins Interpretationen der Relativsätze Bei den beiden Relativsätzen, die Augustin mit Sicherheit zitiert und interpretiert hat, fällt auf, dass es ihm an keinem Punkt gelingt, sie organisch mit dem Hauptsatz zu verbinden. Weil er – anders als Hieronymus – die Urtexte nicht vor Augen hatte, kam er für beide Varianten zu unnatürlichen Deutungen, die Hieronymus kaum beabsichtigt haben kann. 18.3.2.1 Die Variante quam seruauit (565, 24) deutet er folgendermaßen: (565, 24–27) quam seruauit autem intellegitur se ipsam in illa cauerna, quia non omnes araneae hoc faciunt: propter spontaneam et interiorem corruptionem iniquae cogitationis. Er bringt also das Kunststück fertig, die Spinne gleichzeitig als AkkusativObjekt (quam) und als Subjekt (im Prädikat seruauit enthalten) zu konstruieren und die Stelle so zu verstehen, dass sich die besondere Spinne, an die hier gedacht ist (also dem Kontext nach ein Gottloser) selbst in ihr zuvor geschildertes Loch in Sicherheit gebracht und die Öffnung hinter sich verschlossen hat. Augustin hat bei diesen Bildern möglicherweise an eine Räuberhöhle gedacht32. 18.3.2.2 Bei der Variante quae seruabit (565, 27–566, 1) interpretiert er das Relativpronomen als Akkusativ Plural Neutrum, während er als Subjekt des seruabit den gottlosen Geizhals des Hiob-Kontextes einsetzt: propter inutilia opera (cf. Is 59, 6), quae quasi diligenter in domo seruabit sibi inpius. So findet er hier dieselbe Aussage wieder, die er schon an der Parallelstelle in Kapitel 833 angedeutet hatte – dass die durch die Spinnweben symbolisierten Werke der unreinen Spinne nutzlos sind, so dass ihre Akkumulation dem Gottlosen keinen Vorteil bringen wird.

18.4 Das Lemma Iob 27, 18 in der Versio prior und den Vorlagen Im Folgenden untersuche ich die Schritte, in denen Hieronymus in Auseinandersetzung mit mehreren ursprachlichen Textvorlagen seine verschiedenen Interpretationen und Übersetzungen des Lemmas Iob 27, 18 in der Versio prior entwickelt hat.

32 Vgl. en. Ps. 90, 2, 7 (in einer Auslegung von Mt 8, 20 uulpes foueas habent): ut et uulpes­ cauernas habent dolosas, ita omnes insidiatores. 33 (525, 23–526, 1 Zy).

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18.4.1 Das Problem griechischer Vorlagen 18.4.1.1 Das Problem der Hauptüberlieferung Wie die folgende Gegenüberstellung zeigt, kann die griechische Hauptüberlieferung der LXX bzw. die Hexapla in der vorliegenden Passage zumindest nicht die einzige und auch nicht die primäre Textvorlage des Hieronymus gewesen sein: griechische Vorlagen

Hieronymus O.

Hieronymus S. Hieronymus T. (+ B.)

LXX Hauptüberlieferung

ἀπέβη δὲ ὁ οἶκος αὐτοῦ ὥσπερ σῆτες καὶ ὥσπερ ἀράχνη

erunt enim ­ eorum domus sicut tineae et araneae

erunt enim ­ eorum domus sicut tineae et araneae

erunt enim ­ eorum domus sicut tinea et aranea

Iob 27, Hexapla sub * 18 Rela- (Üs. des Symtivsatz machos)

* ἃ συνετήρησεν

1. quae seruabit 2. quam serua­ uit

quae

quae

seruauit

seruauit

Iob 27, 18 Hauptsatz

Die einzige enge Übereinstimmung, die auf den ersten Blick vorzuliegen scheint, betrifft den Relativsatz in der revidierten Fassung von S. T. (B.): Es sieht zunächst so aus, als solle die Endfassung des Nebensatzes in der Form quae seruauit die Übersetzung des Symmachos ἃ συνετήρησεν wiedergeben. Dagegen überwiegen die beträchtlichen Unterschiede: Der griechische Text steht im Aorist (ἀπέβη; συνετήρησεν), während Hieronymus im Hauptsatz durchweg und außerdem in der einen Erstfassung des Relativsatzes das Futur bietet (erunt; seruabit). Ferner stehen im Griechischen am Anfang des Lemmas Prädikat, Subjekt und Possessivpronomen im Singular (ἀπέβη […] ὁ οἶκος αὐτοῦ), während Hieronymus dort überall den Plural hat (erunt […] eorum domus). Schließlich werden die Tiernamen sehr verschieden behandelt: Im Griechischen stehen sie im Nominativ, aber in verschiedenen Numeri (σῆτες καὶ […] ἀράχνη); Hieronymus dagegen übersetzt zunächst in O. S. mit einer Form, die im syntaktischen Kontext ebenso gut Genetiv Singular wie Nominativ Plural sein kann (tineae et araneae), bevor er sich in T. für den doppelten Nominativ Singular (tinea et aranea) entscheidet. Bei Hieronymus stehen also beide Tiere immer parallel im jeweils selben Numerus.

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Spuren von Doppelübersetzungen in O. bei Augustin 

18.4.1.2 Die Nebenüberlieferungen Aber auch die zahlreichen Varianten in den griechischen Nebenlinien, die Ziegler für den Hauptsatz dokumentiert34, helfen auf der Suche nach der Textvorlage des Hieronymus nicht weiter. Sie enthalten nämlich zwar durchaus Details, die sich punktuell bei Hieronymus wiederfinden, aber nur als verstreute Splitter. Das gilt für den Plural οἱ οἶκοι αὐτῶν35 und den Genetiv Singular σητὸς36 (die beide nicht einmal grammatisch in ihrem jeweiligen Kontext integriert sind)  ebenso wie für den Nominativ Singular σὴς37 sowie schließlich für den Nominativ Plural ἀράχναι38. Es gibt keine Nebenlinie, die alle wesentlichen Punkte vereint, an denen Hieronymus in einer seiner Fassungen von der griechischen Hauptüberlieferung abweicht. Vor allem gibt es lt. Ziegler für die Futurformen, die für Hieronymus so charakteristisch sind, und für den Plural des Prädikats erunt keine einzige griechische Parallele. Die Textvorlage der Versio prior im Lemma Iob 27, 18 muss also wieder einmal nicht in der griechischen Überlieferung, sondern im hebräischen Urtext gesucht werden.

18.4.2 Rekonstruktion der hebräischen Textvorlagen 18.4.2.1 Der masoretische Text Der masoretische Text des Lemmas Iob 27, 18 bietet für Hauptsatz und Relativsatz folgenden Wortlaut: ‫( ּבָ נָ ֣ה כָ ָע ׁ֣ש ּבֵ יתֹ֑ ו ו ֝ ְּכסֻ ֗ ָּכה עָ ָׂש֥ה נ ֵ ֹֽצר׃‬dt.: „Er hat wie die Motte gebaut sein Haus und wie eine Laubhütte, gemacht hat ein Wächter.“)39 Nach der obigen Untersuchung zu den griechischen Übersetzungen und zu Hieronymus’ Versio prior ist unmittelbar deutlich, dass sie sämtlich nicht auf diesem masoretischen Text basieren. Mir geht es hier primär darum, die Textvorlage des Hieronymus zu rekonstruieren; es erweist sich aber als hilfreicher Zwischenschritt, zunächst einmal den hebräischen Text zu erschließen, den die griechischen Übersetzungen wiedergeben.

34 Ziegler (1982) 329. 35 Belegt in den Minuskelhandschriften 296 und 797. 36 Belegt in A, d. h. im Codex Alexandrinus. 37 Belegt vor allem in O, d. h. in Origenes’ Hexapla. 38 Belegt vor allem in S, d. h. im Codex Sinaiticus. 39 Dieser Text ist die Grundlage der späteren Übersetzung des Hieronymus in der Vulgata: aedificavit sicut tinea domum suam et sicut custos fecit umbraculum. Allerdings ist auch diese Vulgata-Fassung keine präzise Wiedergabe des Hebräischen; richtig müsste es im zweiten Teil vielmehr heißen …et sicut umbraculum quod fecit custos. Hier hat Hieronymus die Wortstellung nicht beachtet, wonach das „wie“ zu „Laubhütte“ gehört und ‫ עָ ָ ׂ֥שה ֹנ ֵ ֽצר‬unter Ergänzung der Relativpartikel als Relativsatz zu konstruieren ist.

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18.4.2.2 Die hebräische Vorlage der griechischen Übersetzungen a. Die hebräische Vorlage der griechischen Versionen weist folgende Abweichungen von M auf: 1. Die Satzeinleitung ἀπέβη δὲ setzt (wie viele Parallelen im Buch Hiob zeigen) den hebräischen Narrativ ‫ וַּיְ ִהי‬voraus40. Die griechische Übersetzung fasst den hebräischen Wortlaut hier als persönliche Konstruktion auf, wobei „sein Haus“ die Funktion des Subjekts zum Prädikat ‫ וַּיְ ִהי‬hat: „Es wurde aber41 sein Haus wie …“42. 2. Die auffälligste Abweichung von M weist die hebräische Vorlage der griechischen Übersetzungen in der Mitte des Lemmas auf. Dort ist nämlich durch andere Vokabeln die Grenze zwischen Hauptsatz und Relativsatz um ein ganzes Wort verschoben. M liest, wie oben angegeben: ‫ו ֝ ְּכסֻ ֗ ָּכה עָ ָׂש֥ה נ ֵ ֹֽצר‬. Die wörtliche Übersetzung lautet: „und wie eine Laubhütte, gemacht hat ein Wächter.“ Hier ist das Relativpronomen, das im Hebräischen problemlos ausgelassen werden kann, also vor dem Prädikat ‫( עָ ׂשָ ה‬dt.: „er hat gemacht“) zu ergänzen. Die LXX bzw. Symmachos übersetzen dagegen: καὶ ὥσπερ ἀράχνη, * ἃ συνετήρησεν. Statt des Ausdrucks ‫( ו ֝ ְּכסֻ ֗ ָּכה עָ ָׂש֥ה נ ֵ ֹֽצר‬dt. „ und wie eine Laubhütte, gemacht hat ein Wächter“) lasen die griechischen Übersetzer also ‫( ְּוכעַ ּכָ ִביׁש נָצַ ר‬dt. „und wie eine Spinne gewacht hat.“). Bei diesem Wortlaut ist das Prädikat des Relativsatzes ‫( עָ ׂשָ ה‬dt.: „er hat gemacht“) durch die Schlusssilbe ‫ ִביׁש‬ – der Vokabel ‫עַ ּכָ ִביׁש‬ („Spinne“) ersetzt worden. Demzufolge besteht jetzt der abschließende Relativsatz nur noch aus dem einen Wort mit den Konsonanten ‫נצר‬. Dass Symmachos und Origenes hier jedoch weiter davon ausgingen, dass im Hebräischen ein Relativpronomen zu ergänzen sei, zeigen sowohl die Übersetzung ἃ συνετήρησεν als auch der Umstand, dass Origenes das ἃ mit einem Asterisk bezeichnete, also dem Hinweis, dass dieses Wort im Hebräischen vorhanden sei. 3. Aus dem Umstand jedoch, dass der Relativsatz jetzt nur noch aus dem einen Wort ‫ נצר‬bestand, ergab sich die letzte Änderung des Textes: Der Begriff ‫נצר‬ 40 Im Buch Hiob begegnen lt. der LXX-Konkordanz von Hatch-Redpath (1897) Bd.  1, 125 Mitte–rechts folgende Belege: 13, 5; 17, 6; 30, 31. Darüber hinaus hat der griechische Hiob-Übersetzer ἀποβαίνειν noch an vielen anderen Stellen verwendet, an denen kein klares hebräisches Äquivalent vorliegt: Vgl. dort die zahlreichen mit einem Obelos markierten Belege. 41 Für griechisches δὲ als Übersetzung des hebräischen ‫ ו‬und Hieronymus’ umgekehrte Tendenz, griechisches δὲ mit et wiederzugeben, vgl. die ausführlichen Sammlungen bei Gailey (1945) 144–155 sowie Ziegler (1982) 75–76. 42 Es wäre auch möglich, ‫ ַוּיְ ִהי‬als unpersönlichen Ausdruck aufzufassen und das Folgende als asyndetischen Nominalsatz anzuschließen: „Es geschah aber – sein Haus wie ….“.

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konnte nicht mehr als Subjekt („ein Wächter“), also als substantiviertes Partizip ‫ נֹצֵ ר‬aufgefasst, sondern musste als Prädikat verstanden werden. Wie die griechische Übersetzung συνετήρησεν zeigt, hat man das Wort deshalb als finite Perfektform ‫ נָצַ ר‬vokalisiert. (Man hätte auch das Partizip ‫ נֹצֵ ר‬stehen lassen und als Prädikatsnomen eines Nominalsatzes auffassen können. Diese Möglichkeit kommt unten noch einmal ins Spiel.) b. Obwohl die griechische Wiedergabe ἃ συνετήρησεν dem verkürzten hebräischen Relativsatz ‫ נָצַ ר‬auf den ersten Blick genau zu entsprechen scheint, ist dies bei näherer Prüfung nicht der Fall. Da dieser Punkt später für das Verständnis der lateinischen Versionen von Bedeutung ist, muss ich kurz darauf eingehen. 1. Die Einleitung hebräischer Relativsätze (ob nun ausgesprochen oder nur stillschweigend zu ergänzen) besteht nicht aus deklinablen Pronomina, sondern einer unveränderlichen Relativpartikel (meist ‫)אֲׁשֶ ר‬, die weder Kasus noch Numeri noch Genera kennt. Der Bezug und die Konstruktion von Relativsätzen müssen also jeweils aus dem Zusammenhang erschlossen werden. Auch der vorliegende Fall ist nicht eindeutig: Die zu ergänzende Relativpartikel kann entweder als Subjekt oder als Objekt zum Prädikat ‫נצר‬/συνετήρησεν konstruiert werden. 2. Die griechischen Übersetzer haben sich mit ihrem ἃ für das Objekt entschieden. Dies entpuppt sich jedoch bei genauerem Hinsehen als Fehlgriff, weil es im Kontext kein Beziehungswort für den Akkusativ Plural Neutrum gibt. Damit hängt der Relativsatz in den griechischen Übersetzungen sinnlos in der Luft. Um den Relativsatz syntaktisch zu integrieren, müsste man ihn als Subjekt zu ἀπέβη auffassen und übersetzen: „Die Dinge, die er (sc. der geldgierige Gottlose des Kontextes) erspart hat, wurden zu seinem Haus wie Motte(n) und Spinne(n)“. Ich zögere aber, dem Übersetzer Symmachos diese Hilfskonstruktion zuzuschreiben. Plausibler scheint mir, dass er hier vor den Schwierigkeiten des Hiob-Textes kapitulierte und sich mit einer in seinen Augen wörtlichen, wenn auch sinnfreien Übersetzung begnügte43. (Die LXX hat auf den Relativsatz vermutlich aus diesem Grunde ganz verzichtet.) 3. Die griechischen Übersetzer haben bei ihrer Fehldeutung übersehen, dass sie ihrer hebräischen Vorlage einen etwas besseren Sinn hätten abringen können, indem sie die zu ergänzende Relativpartikel als Subjekt des Nebensatzes konstruierten. Der Relativsatz würde sich auf die Spinne als das nächst stehende Maskulinum im Singular beziehen; als Übersetzung ergäbe sich: „…wie die Spinne, die bewacht/belagert (hat)“. Es ginge also in der hebräischen Vorlage der griechischen Versionen ursprünglich um die typische Eigenart der Spinne, am

43 Mülke (2008) 162, Anm. 496 spricht analog davon, „daß die altlateinischen Bibelübersetzer der Vorlage oft gerade dort eng folgten, wo es ihnen am rechten Verständnis des Textes mangelte“.

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Netz auf Beute zu lauern. Ich komme auf diese Möglichkeit später im Zusammenhang mit den verschiedenen Übersetzungen des Hieronymus noch einmal zurück. 18.4.2.3 Einfluss mehrdeutiger hebräischer Strukturen Zuvor muss aber noch erklärt werden, dass andere Details, in denen sich die griechischen Übersetzungen von M unterscheiden, vermutlich nicht auf einen abweichenden hebräischen Urtext, sondern auf die Mehrdeutigkeit gewisser hebräischer Strukturen zurückzuführen sind. a. Im Hebräischen ist es vielfach üblich, gerade auch Tiernamen im kollektiven Singular zu gebrauchen44. Ein Übersetzer wird in solchen Fällen eher den Plural wählen. Diese Besonderheit kann erklären, warum statt der hebräischen Singularformen „Motte“ und „Spinne“ in mehreren griechischen Versionen auch die Pluralformen „Motten“ bzw. „Spinnen“ erscheinen. b. Mehrdeutig ist auch die hebräische Konstruktion bei der Vergleichspartikel ‫ְּכ‬ („wie“). Das auf ‫ ְּכ‬folgende Wort kann nämlich entweder als Nominativ (bzw. Akkusativ) oder als Genetiv aufgefasst werden. Deshalb lässt der hebräische Wortlaut ‫ וַּיְ ִהי כָ עָ ׁש ּבֵ יתֹו‬zwei Übersetzungen zu: 1. „Und es wurde sein Haus wie die Motte“; 2. „Und es wurde sein Haus wie der Motte“45. Entsprechend kann auch der parallele Ausdruck ‫ ְּוכעַ ּכָ ִביׁש‬entweder „und wie eine Spinne“ oder „und wie einer Spinne“ heißen. Das erklärt, warum in den griechischen Übersetzungen zwar die Nominative der Tiernamen überwiegen, aber im Codex­ Alexandrinus der vereinzelte Genetiv σητὸς steht46. 18.4.2.4 Die hebräische Vorlage für die Versio prior des Hieronymus Die vorstehenden Überlegungen, wie die hebräische Textvorlage der griechischen Übersetzungen im Unterschied zu M gelautet hat, sollten die Voraussetzungen dafür schaffen, um nun im nächsten Schritt zu klären, wie die hebräische Textvorlage der Versio prior des Hieronymus an dieser Stelle aussah. Dabei ist wie immer in solchen Fällen nicht vorauszusetzen, dass die gesuchte Textfassung dem Kirchenvater tatsächlich in einer Bibelhandschrift vorlag; vielmehr ist mit der Möglichkeit zu rechnen, dass er sich erst selbst einen ihm einleuchtenden Wortlaut zurechtlegte. 44 Vgl. Joüon (1923) S. 412–414. 45 Zu dieser als „prägnant“ bezeichneten Konstruktion vgl. Joüon (1923) S. 408, § 133 h am Ende. Joüon zitiert dort mit Ps 18, 34 („der meine Füße macht wie die Hindinnen“) eine perfekte Parallele zu unserer Hiob-Stelle. 46 Bemerkenswerterweise kommt jedoch ein korrespondierender Genetiv ἀράχνης unter den Varianten nicht vor.

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Fraglich ist, wie die Vorlage der ersten Wortgruppe erunt enim domus eorum gelautet hat. Jedoch führt die Prüfung der Details zu keinem eindeutigen Ergebnis. a. Einerseits scheint mir die These vertretbar, dass die Vorlage des Hieronymus mit der Vorlage der griechischen Übersetzer identisch war. Dann müsste der Kirchenvater allerdings den Ausdruck ‫„( ּבֵ יתֹו‬sein Haus“) als kollektiven Singular im Sinne von „ihre Häuser“ aufgefasst haben. Gegen diese Erklärung spricht, dass solch eine Bedeutung von ‫ ּבֵ יתֹו‬im Alten Testament nicht belegt ist und es angesichts der Häufigkeit der Vokabel seltsam wäre, wenn Hieronymus das nicht gewusst hätte. Jedoch könnte man umgekehrt auch argumentieren, dass der vorliegende Fall geradezu ein Paradebeispiel dafür sei, wie begrenzt die Hebräisch-Kenntnisse des Kirchenvaters gewesen seien. b. Die Analyse der Variante führt ebenfalls zu keinem schlüssigen Ergebnis. Das wörtliche hebräische Äquivalent für Hieronymus’ Plural domus eorum würde ‫„( ּבָ ּתֵ יהֶ ם‬ihre Häuser“) lauten. Hier könnte man einwenden, dieses Schriftbild sei paläographisch zu weit von ‫ ּבֵ יתֹו‬entfernt, um glaubhaft zu sein. Jedoch wird dieses Argument dadurch entkräftet, dass im zweiten Teil dieses selben Lemmas mit der Diskrepanz zwischen der Lesart von M, nämlich ‫ו ֝ ְּכסֻ ֗ ָּכה עָ ָׂש֥ה‬, und der Vorlage der griechischen Übersetzungen ‫ ְּוכעַ ּכָ ִביׁש‬eine noch viel stärkere Verschiebung vorliegt, die sich nicht paläographisch erklären lässt. c. Auch mit Hilfe des zugehörigen Prädikats ‫ וַּיְ ִהי‬lässt sich keine Sicherheit darüber gewinnen, wie die hebräische Vorlage für Hieronymus’ freie Übersetzung erunt enim domus eorum lautete. Indem Hieronymus die Form nicht als Narrativ, sondern als normales Imperfekt mit ‫ ו‬vokalisierte, konnte er aus einem Vergangenheitstempus leicht eine präsentische oder futurische Aussage machen. Ferner braucht das hebräische Prädikat auch bei einem Subjekt im Plural wie ‫ּבָ ּתֵ יהֶ ם‬ („ihre Häuser“) anders als das lateinische erunt nicht ebenfalls im Plural zu stehen, sondern könnte auch als unpersönlicher Ausdruck mit folgendem asyndetischem Nominalsatz konstruiert werden. Eine wörtliche deutsche Übersetzung dieser Konstruktion würde lauten: „Und es wird geschehen: Ihre Häuser wie die Spinne/wie der Spinne“. Der Schritt von dieser Fassung zu Hieronymus’ freierer, aber sinngetreuer Wiedergabe als erunt enim domus eorum sicut tineae ist klein und leicht aus dem Streben nach einer gut lateinischen Ausdrucksweise zu erklären. Andererseits liegen mehrere mögliche Varianten so nahe, dass man auch sie nicht einfach ausschließen kann. Wenn man annimmt, Hieronymus habe den Singular ‫ ּבֵ יתֹו‬gelesen, könnte er statt des Narrativs ‫ וַּיְ ִהי‬etwa das Perfekt consecutivum ‫„( וְ הָ יָה‬und es wird sein“) gelesen haben. Dann wäre (bei Wahrung der unpersönlichen Konstruktion im Urtext) noch leichter zu erklären, wie der Kirchenvater zu seiner futurischen Übersetzung kam. Wenn man dagegen den Plural ‫ ּבָ ּתֵ יהֶ ם‬für seine Vorlage hält, könnte man Hieronymus’ persönliche Konstruktion im Futur „erunt […] domus eorum“ ebenso gut auch auf ein Perfekt consecutivum im Plu-

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ral ‫„( וְ הָ יּו‬und sie werden sein“) oder ein normales Futur ‫„( וְ יִ ְהיּו‬und sie werden sein“) zurückführen. Angesichts dieser Fülle von Möglichkeiten lässt sich die Vorlage der Wortgruppe erunt enim domus eorum in Hieronymus’ Version nicht mehr mit Sicherheit rekonstruieren.

18.4.3 Die Übersetzungen des Hieronymus 18.4.3.1 Der Hauptsatz Im Licht der bisherigen Überlegungen zeigt sich, warum Hieronymus zuerst den Genetiv tineae et araneae (so in O. S.) und anschließend den Nominativ tinea et aranea (so in T. (B.) und ggfs. auch schon als Alternative in O.) wählen konnte: Beides sind mögliche Auffassungen derselben „prägnanten“ hebräischen Konstruktion. Dass der Kirchenvater in seiner Endredaktion T. den Nominativ vorzog, den er in der Hauptüberlieferung von LXX und Hexapla vorfand, ist auffällig. Inhaltlich nämlich ist der Genetiv in diesem Zusammenhang, wo die „Häuser“ der Gottlosen genau genommen nicht mit der Motte und Spinne, sondern mit den Häusern der Motte und der Spinne verglichen werden sollen, die sachlich bessere Lesart. Die Bevorzugung des weniger überzeugenden Nominativs stimmt jedoch mit dem in den ersten Kapiteln der vorliegenden Arbeit schon vielfach beobachteten Muster überein, dass Hie­ ronymus in O. oft vom Hebräischen ausging, sich aber bei seiner Revision um einen engeren Anschluss an das Griechische bemühte. Dass freilich der hebräische Text der Stelle auch noch in T. letztlich den Vorrang genoss, zeigt sich nicht nur daran, dass Hieronymus an den Futurformen festhielt, die nur aus dem Hebräischen erklärbar sind, sondern auch an dem Singular tinea et aranea: In Analogie zu den griechischen σῆτες (und den in der Nebenlinie vorkommenden ἀράχναι) hätte er ja in T. ebenso gut auch die Formen tineae et araneae – jetzt im Sinne des Nominativs Plural – beibehalten können, die er in O. S. offensichtlich als Genetive im Singular auffasste. Jedoch könnte man aufgrund des Umstandes, dass Augustin die Formen tineae et araneae nach Ausweis seiner Auslegung missverstand und ausschließlich als Genetive im Singular interpretierte, vermuten, dass Hieronymus in T. unbedingt eindeutige Nominativformen wählen wollte und tineae et arachnae aus diesem Grunde fallen ließ. 18.4.3.2 Der Relativsatz Das größte Problem für Hieronymus lag jedoch in dem abschließenden Relativsatz. Wir haben oben gesehen, dass die griechische Fassung ἃ ἐτήρησεν, die das Relativpronomen als Akkusativ-Objekt behandelt, ohne jede Anbindung an den Hauptsatz in der Luft hängt und vermutlich eine Verlegenheitslösung des auf Vollständigkeit bedachten Übersetzers Symmachos darstellt. Dagegen ergab die hebräische Vorlage einen nachvollziehbaren Sinn, wenn man die – im Hebräischen zu ergänzende  – Relativpartikel als Subjekt des Nebensatzes konstruierte. Dann hieß die Stelle: „ und wie der Spinne, die belauert (hat).“

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a. Was nun die Übersetzung des Hieronymus betrifft, so könnte es scheinen, als ob seine revidierte Endfassung in S. T. (B.) quae seruauit das griechische ἃ ἐτήρησεν wiedergeben solle. Dann hätte sich der Kirchenvater jedoch einfach der Verlegenheitslösung des Symmachos angeschlossen. Deshalb halte ich es für wahrscheinlicher, dass Hieronymus das Relativpronomen quae als Nominativ Singular Femininum auffassen und so die immerhin mögliche Aussage der hebräischen Vorlage über das arttypische Verhalten der Spinne, „die auf der Lauer lag“, wiedergeben wollte47. b. Es dürfte seine Entscheidung maßgeblich befördert haben, dass seine lateinische Formulierung zugleich auch als treue Wiedergabe des allseits hochgeschätzten griechischen Textes gelesen werden konnte. Dieser Bezug auf das griechische ἐτήρησεν kann auch erklären, warum Hieronymus am Ende das Perfekt seruauit gewählt hat, obwohl das Präsens vom Hebräischen her ebenso möglich gewesen wäre (wenn man nämlich die Form als Partizip ‫ נֹצֵ ר‬statt als Perfekt ‫ נָצַ ר‬vokalisiert hätte) und als zoologische Verhaltensbeschreibung sogar einen noch besseren Sinn ergeben hätte. c. Wenn so auch nachvollziehbar wird, warum Hieronymus in seiner Schlussredaktion die Formulierung quae seruauit wählte, ist damit doch noch die Frage offen, warum er in seiner Erstfasssung O. die Alternativen quae seruabit und quam seruauit zur Wahl stellte. 1. Das Schwanken zwischen den Tempora führt wieder auf das Hebräische als Vorlage. Indem Hieronymus den Konsonantentext ‫ נצר‬als Perfekt ‫ נָצַ ר‬vokalisierte, schuf er die Vorlage für das Perfekt seruauit. Wenn er dagegen die Vokalisierung als Partizip ‫ נֹצֵ ר‬erwog, führte ihn das auf das Futur seruabit. Weil nämlich ein hebräisches Partizip zwar auf kein Zeitverhältnis festgelegt ist, aber doch meist die Gleichzeitigkeit ausdrückt, konnte Hieronymus, der als Hauptverb des Lemmas die Futurform erunt bietet, das Partizip ‫נֹצֵ ר‬ ohne Schwierigkeit in eine korrespondierende finite Futurform auflösen und­ seruabit schreiben. 2. Was das Schwanken zwischen den Relativpronomina quae und quam betrifft, so halte ich es im Licht der obigen Erwägungen für wahrscheinlich, dass Hieronymus das quae nicht erst in S. T. (B.), sondern schon in O. als Nominativ Singular Femininum (statt im Blick auf das griechische ἃ als Nominativ Plural Neutrum) aufgefasst und somit die Spinne zum Subjekt des Relativsatzes gemacht hat. Damit war die Interpretation angebahnt, auf die er sich dann in S. T. (B.) festlegte. Schwieriger ist die Frage, wie der Kirchenvater zu seiner anfänglichen AlternativÜbersetzung (quam) der hebräischen Relativpartikel kam. Das Motiv des Kirchenvaters, sie überhaupt in Erwägung zu ziehen, dürfte die Schwierigkeit gewesen sein, 47 Für absoluten Gebrauch von seruare im Sinne von „aufpassen“ vgl. Georges (1913) Bd. 2, 2634 unten.

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den Vers Iob 27, 18 inhaltlich zu verstehen: Hieronymus hat m. E. in O. zunächst die verschiedenen Optionen gesammelt, die der Text ihm anbot. Welchen Sinn hat er aber in der Formulierung quam seruauit gefunden? In der Erstfassung O. ist quam mit den Formen tineae et araneae gekoppelt. Weil für das feminine Relativpronomen quam nur ein Singular als Beziehungswort in Betracht kommt, liegt hier ein weiterer Beweis für die obige Vermutung vor, dass der Kirchenvater in O. die Formen tineae et araneae als Genetive im Singular aufgefasst hat. Dies widerspricht eindeutig den Nominativen der LXX, beweist also aufs Neue, dass der Kirchenvater in O. vom Hebräischen ausging. Da bei der Lesart quam die Spinne als Akkusativ-Objekt des Relativsatzes erscheint, stellt sich die Frage nach dem Subjekt des Prädikats seruauit. Weil der Begriff domus als Subjekt des erunt bei Hieronymus im Plural steht, kann nicht der sonst naheliegende Ausdruck „servare domum“ im Sinne von „das Haus hüten“ im Hintergrund stehen. So bleiben nur zwei Möglichkeiten: Subjekt zu seruauit kann entweder die tinea des Lemmas 27, 18 oder der sündige Geizhals des weiteren Hiob-Kontextes sein. Im ersten Fall hieße der Vers: „Denn ihre Häuser werden wie die der Motte und der Spinne sein, welche (sc. die Spinne) sie (sc. die Motte) belauert hat.“ Diese Interpretation ist syntaktisch gezwungen und inhaltlich unbefriedigend. Die andere Möglichkeit, die den Geizhals des Kontextes als Subjekt versteht, lautet: „Denn ihre Häuser werden wie die der Motte und der Spinne sein, welche (sc. die Spinne) er (sc. der Geizhals) belauert/beobachtet hat.“ Diese Auffassung eröffnet zwei mögliche Interpretationen: Der Geizhals bzw. inpius behielt die Spinne im Auge, um sie entweder daran zu hindern, ihr störendes Netz zu spinnen, oder um sich bei seinen Ränken an ihrem feingesponnenen Netz ein Beispiel zu nehmen. Dass diese letzte Interpretation des Lemmas für Hieronymus tatsächlich eine Rolle gespielt haben könnte, wird dadurch nahe gelegt, dass auch Augustin am Ende seiner Auslegung – vermutlich unter dem Einfluss von Jesaja 59, 5–6 – den ähnlichen Gedanken verfolgt, dass sich der inpius an der Spinne mit ihren inutilia opera ein Beispiel nehmen wird (565, 27–566, 1). Damit entpuppt sich die Erstübersetzung quam seruauit des Hieronymus in O. als ernsthafte Alternative zu der konkurrierenden Fassung quae seruabit. Zur Wahl der mehrdeutigen Endfassung quae seruauit in S. T. (B.) dürfte Hieronymus also nicht so sehr durch die Überzeugung von ihrer inhaltlichen Überlegenheit bewogen worden sein als vielmehr durch die oben skizzierte Möglichkeit, sie Kritikern gegenüber zugleich als eine getreue Wiedergabe des ἃ ἐτήρησεν des Symmachos auszugeben.

H. Stellen in De peccatorum meritis: Kapitel 19–21 Vorbemerkungen zu den Kapiteln 19–21 De Bruyne hat seinerzeit darauf hingewiesen, dass Augustin in seiner ersten antipelagianischen Schrift De peccatorum meritis (datiert 411/412)1 mehrere längere Passagen des Buches Hiob in Fassungen anführt, die sich stellenweise deutlich von seinen sonstigen Zitaten derselben Bibelstellen unterscheiden2. Überdies wird aus zahlreichen wortgetreuen Wiederholungen deutlich, dass Augustin in dieser polemischen Schrift nicht frei aus dem Gedächtnis, sondern sorgfältig „nach dem offenen Buch“3 zitiert. Das steigert noch das Interesse an der Frage, woher diese sonst weder bei Augustin noch einem anderen Kirchenvater belegten Hiob-Lesarten stammen. Diesem Problem sind die drei Schlusskapitel dieser Arbeit gewidmet. Ich stelle die Hypothese auf, dass es sích bei diesen Zitaten möglicherweise ebenfalls um bisher nicht wahrgenommene Zweitübersetzungen aus der Erstfassung O. von Hieronymus’ Hiob-Versio prior handelt. In den drei Kapiteln wird diese These anschließend Halbvers für Halbvers in Auseinandersetzung mit den von De Bruyne und Bogaert vertretenen Erklärungsversuchen überprüft. Dabei ergeben sich keine Gesichtspunkte, die gegen die neue Hypothese sprächen. Im Ergebnis wird eine ganze Reihe von Lesarten aus O. wiedergewonnen, die in eine künftige Edition übernommen werden können.

1 Zu dieser Schrift samt Datierung vgl. Drecoll (2007) sowie zuletzt Lamberigts (2013) und Delaroche (2014). 2 De Bruyne (1931) 591–594. 3 Diesen sprechenden Ausdruck verdanke ich Bogaert (2012) 79.

H. Stellen in De peccatorum meritis: Kapitel 19–21 Kapitel 19: Die Passage Iob 14, 1–5a in De peccatorum meritis    19.1 Der Forschungsstand 19.1.1 De Bruyne De Bruyne hat die These vertreten, die Hiob-Zitate in pecc. mer. seien Teil einer weit ausgreifenden Bibelrevision Augustins1. Im Buch Hiob habe Augustin das Ziel verfolgt, die erste Hiob-Übersetzung des Hieronymus genauer an den griechischen Urtext anzupassen2. Es ist unstrittig, dass Augustin häufiger lateinische Bibeltexte durch Vergleiche mit griechischen Handschriften emendiert hat3. De Bruynes These von systematischen Revisionen hat sich in der Forschung aber nicht durchsetzen können4. Was konkret den Hiob-Text in pecc. mer. betrifft, so zeigt De Bruynes Darstellung mehrere Schwächen, die zumindest zu einer Überprüfung seiner These nötigen. Er erwähnt die erste Hiob-Übersetzung des Hieronymus nur summarisch als Vorlage für Augustin, ohne sich bewusst zu sein, dass die Versio prior in mehreren verschiedenen Revisionsschichten überliefert ist, und ohne zu fragen, welche dieser Fassungen Augustin denn überarbeiten wollte; er zitiert meist nur einzelne Wörter, die Augustin im Licht des Griechischen verändert haben soll, ohne deutlich zu machen, dass die Unterschiede meist ganze Teil-Lemmata betreffen; er verliert kein Wort darüber, dass Hieronymus in seiner Versio prior neben einer griechischen Vorlage oft auch schon das Hebräische heranzog5, und übergeht all jene Stellen mit Stillschweigen, an denen die Hiob-Übersetzung in pecc. mer. eher an das Hebräische als an das Griechische angepasst wird. Kurz, er konzentriert sich nur auf Details, die für seine These sprechen, ohne andere Phänomene wahrzunehmen, die für eine abgewogene Einschätzung ebenfalls berücksichtigt werden müssen.

1 In seiner umfänglichen Abhandlung (1931) wollte De Bruyne Revisionen Augustins nicht nur im Buch Hiob, sondern vor allem auch in den Paulusbriefen, den Psalmen, den Weisheitsbüchern, dem Heptateuch und den Evangelien nachweisen. 2 De Bruyne (1931) 592. 3 Vgl. zuletzt Schirner (2015) 108–119 mit reicher Literatur. 4 Vgl. Schulz-Flügel (2007) 237, Bogaert (2008) 26–28 und vor allem die Literaturübersicht Schirners (2015), die 108, Anm. 74 zahlreiche zustimmende und ablehnende Stimmen referiert. Die von De Bruyne postulierten Revisionen des Hiob-Textes werden jedoch nicht erwähnt. Überhaupt kommen Augustins Adnotationes in Iob in Schirners Buch nicht vor. 5 Dieser Aspekt war bereits von Caspari (1893) und vor allem Beer (Studien 1895–1897) nachgewiesen worden.

450

Spuren von Doppelübersetzungen in O. bei Augustin 

19.1.2 Bogaert Eine Auseinandersetzung mit De Bruynes Thesen zu Augustins Hiob-Texten in pecc. mer. findet sich nur bei Bogaert6. Nicht einmal La Bonnardière hatte seinerzeit das Problem erwähnt, obwohl sie ausdrücklich darauf verwies, dass A ­ ugustin manche Hiob-Stellen in unterschiedlichen Versionen anführte7. Bogaert bezieht sich auf De Bruyne an verschiedenen Stellen seines Aufsatzes. Zunächst zieht er De Bruynes These mit der Feststellung in Zweifel, dessen Argumente seien nicht trennscharf genug8. Selbst begnügt er sich zunächst mit zwei negativen Feststellungen: Erstens entsprechen die Zitate in pecc. mer. nicht der Hiob-Übersetzung, die Caelestius, der aktivste Vertreter der pelagianischen Partei9, lt. Augustins Schrift De perfectione iustitiae hominis (datiert ca. 41510) anführte11. (Diese treffende Beobachtung kann der Leser dadurch leicht nachvollziehen, dass Bogaert im zweiten Teil seines Aufsatzes in Appendice 5;12 die entsprechenden Texte aus pecc. mer. und in Appendice 713 die Zitate aus perf. iust. vollständig abdruckt. Die in beiden Schriften zitierten Lemmata Iob 1, 8; 14, 4 und 14, 16–17 haben je verschiedenen Wortlaut. Also stammen die Zitate in pecc. mer. nicht aus der von dem Pelagianer­ Caelestius benutzten Version.) Zweitens stellt Bogaert fest, dass die Hiob-Zitate in pecc. mer. nicht mit denen der Adnotationes übereinstimmen, und schließt daraus, Augustin habe in pecc. mer. nicht die Versio prior des Hieronymus zitiert14. Während Bogaert an späterer Stelle seines Aufsatzes unter Verweis auf nachgelassene Papiere Germain Morins die von Augustin aufgegriffenen Zitate des Caelestius auf eine pelagianische Revision oder Neuübersetzung des Buches Hiob zurückführt, die die Versio prior des Hieronymus an Eleganz und Genauigkeit übertreffen sollte15, stellt er keine entsprechenden Erwägungen zur Herkunft der Zitate in pecc. mer. an. Sein Kommentar zur Verschie-

6 Bogaert (2012) 65–66; 75; 78–79.– Lamberigts (2013), Delaroche (2014) und Schirner (2015) übergehen das Problem mit Schweigen. 7 La Bonnardière (1960) 110–111. Bogaert zeigt (2012) 64–66, dass Augustin das Buch Hiob auch nach den diversen von seinen Adressaten zitierten Fassungen anführt. 8 Bogaert (2012) 65 schreibt: „Contrairement à D. De Bruyne, je ne crois pas non plus que cette traduction soit plus littérale que JO; il y a des arguments favorables et d’autres en sens inverse; rien de décisif.“ (Mit dem Kürzel JO verweist auf Bogaert auf die Versio prior des Hieronymus, die wesentlich auf Origenes’ Hexapla beruht; vgl. seine Erklärungen S. 48, Anm. 1, und 50.) 9 Zu Caelestius vgl. Bonner (1994) und Honnay (1994). 10 Datierung nach der jüngsten Behandlung dieser Schrift bei Lamberigts (2013) 373. 11 Bogaert (2012) 65. 66. 12 Bogaert (2012) 387–389. 13 Bogaert (2012) 390–391. 14 Bogaert (2012) 65. 15 Bogaert (2012) 72–74. 74–75. Morin und Bogaert vertreten zugleich die These, dass der Prolog mit dem Incipit Peritorum mos est, der als Einleitung zu dem Hiob-Kommentar des anonymen Arianers (ed. Steinhauser 2006; dort 85–87) überliefert ist, ursprünglich zu dieser verlorenen pelagianischen Übersetzung gehörte: Bogaert (2012) 71–74.

Die Passage Iob 14, 1–5a in De peccatorum meritis   

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denheit der Texttypen in pecc. mer. und perf. iust. lautet knapp: „On ne peut que constater le fait.“16 Angesichts dieser eindeutigen Feststellung, die von seiner eigenen Dokumentation in den erwähnten Anhängen 5 und 7 überzeugend gestützt wird, berührt es seltsam, dass Bogaert anschließend so argumentiert, als gebe es keinen Unterschied zwischen den Zitattypen von pecc. mer. und perf. iust. und als wolle er auch die Zitate von pecc. mer., die De Bruyne durch eine Revision Augustins erklären wollte, auf dieselbe pelagianische Hiob-Übersetzung zurückführen, die Caelestius gebrauchte: „Les citations de Job selon Caelestius, pélagien notoire, chez Augustin attestent l’existence d’une traduction distincte de JO. Dom Donatien De Bruyne croyait qu’elle était une révision de JO par Augustin, mais il est beaucoup plus vraisemblable qu’Augustin cite son contradicteur.“17 In einer detaillierteren Auseinandersetzung mit De Bruyne, in der er auch auf Einzelverse eingeht18, spricht Bogaert später erneut von der Möglichkeit, die Zitate in pecc. mer. könnten auf den Text des Pelagianers Caelestius zurückgehen19. Er vertritt die Ansicht – wie vor ihm De Bruyne –, die Zitate in pecc. mer. stellten eine Übersetzung aus dem Griechischen dar, und schließt aus seiner früheren Feststellung, dass sich dieser Hiob-Text von der Versio prior unterscheidet, „il s’agit d’une traduction (ou révision) systematique différente de celle de Jérôme (JO).“20 Soweit der Forschungsstand.

19.2 Neue Hypothese: Auch diese Hiob-Fassung entstammt O. Im Licht meiner bisherigen Ergebnisse liegt hier die Frage nahe, ob die auf den ersten Blick so singulären Hiob-Zitate in pecc. mer. nicht eher auf bisher unentdeckte Lesarten in Augustins gewohntem Hiob-Text, also der Erstfassung O. der Versio prior, zurückzuführen sind. Dieser ist ja in weiten Teilen noch unbekannt – zum einen, weil Augustin in den Adnotationes viele Lemmata übersprungen hat; zum andern, weil erst allmählich deutlich wird, dass O. in großem Umfang auch Doppel- oder sogar Mehrfachübersetzungen enthielt. Die Vermutung, dass die Lösung des Problems, woher die singuläre Hiob-­ Fassung in pecc. mer. stammt, in dieser Richtung zu suchen sein könnte, wird noch durch eine andere Beobachtung bestärkt. Weder De Bruyne noch Bogaert erwähnen, dass Augustin die gesamte Passage Iob 14, 1–5a, die in seiner Auseinandersetzung mit dem Pelagianismus zentrale Bedeutung hat, nicht nur in pecc. mer., sondern in ähnlichem Wortlaut auch noch in drei späteren antipelagianischen Schriften jeweils sorgfältig im Zusammenhang 16 Bogaert (2012) 65. 17 Bogaert (2012) 75. 18 Bogaert (2012) 78. 19 Bogaert (2012) 79; ähnlich wieder 391. 20 Bogaert (2012) 79.

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Spuren von Doppelübersetzungen in O. bei Augustin 

anführt  – in De nuptiis et concupiscentia21, in Contra Iulianum22 und in Contra Iulia­num opus imperfectum23. Dabei sind nur die Zitate in nupt. et con. und c. Iul. so genau identisch, dass man bei c. Iul. von einem Versatzstück sprechen könnte, das möglicherweise aus nupt. et conc. herauskopiert wurde. Dagegen zitiert Augustin in nupt. et conc. und in c. Iul. imp. jeweils „nach dem offenen Buch“, wie sich gerade an einigen abweichenden Details erweist, die keine Kopierversehen sind. Für die vorliegende Fragestellung sind diese Stellen also nicht nur deshalb relevant, weil es sich um enge Parallelen zu der in pecc. mer. vorliegenden Hiob-Fassung handelt, sondern vor allem auch deshalb, weil sie gerade nicht in jedem Detail untereinander oder mit dem Wortlaut von pecc. mer. übereinstimmen. Die Passagen lassen damit vermuten, dass Augustin in seinen antipelagianischen Werken einen Hiob-Text zitiert, der stellenweise alternative Lesarten enthielt. Auch von daher liegt die Hypothese nahe, dass die Quelle dieser Hiob-Zitate die Erstfassung O. der Versio prior mit ihren Mehrfachübersetzungen war. Die folgenden drei Kapitel sind nun nicht so zu verstehen, dass hier eine gewagte These aufgestellt und durchgefochten werden soll. Es geht mir vielmehr darum, die genannte Hypothese auf jeden Halbvers anzuwenden und so im Detail auf ihre Tragfähigkeit zu überprüfen. In dieser Weise möchte ich zum Schluss dieser Arbeit ausloten, wieweit die bisher erzielten Ergebnisse auch zur Lösung eines so schwierigen Problems wie das der sonst nicht belegten Hiob-Zitate in pecc. mer. sowie ihrer Seitenstücke in nupt. et conc., c. Iul. und c. Iul. imp. beitragen können. Der Übersichtlichkeit halber teile ich die in pecc. mer. vorliegenden Zitate in ­drei Gruppen ein. In einem ersten Durchgang analysiere ich die Herkunft der Hiob-Zitate 14, 1–5a, weil diese längste Einzelpassage durch die genannten Parallelstellen bei Augustin besonders aufschlussreich zu sein verspricht. Zudem kann ich mich hier teilweise auf eine große Abhandlung von Ziegler24 beziehen. Mit den verbleibenden Zitaten setze ich mich in den Schlusskapiteln 20 und 21 auseinander.

21 Datiert 418–420. Vgl. zu diesem Werk Lössl (2012) und (2013). 22 Datiert vermutlich 422. Vgl. zu diesem Werk Zelzer (2008) und (2013). 23 Verfasst ab 427. Vgl. zu diesem Werk Zelzer (2008) und (2013). 24 Ziegler (19852).

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Die Passage Iob 14, 1–5a in De peccatorum meritis   

19.3 Überprüfung der Herkunft der einzelnen Teil-Lemmata 19.3.1 Analyse der Teil-Lemmata Iob 14, 1–3 Iob 14, 1a 25 26 27 28 29 30 Hiob Kap. u. Vers

14, 1a

Wortlaut bei Augustin

Fassung in S. T. B.

pecc. mer. 2, 10, 14 (85, 20)25; cf. 2, 10, 15 (86, 26–87, 1)

nupt. et conc. 2, 50 (307, 12)26 = c. Iul. 6, 7827 (44, 869)

c. Iul. imp. 1, 63 (59, 16–17)28

adn.29 = O. (538, 13)

S.

T.

B.

homo enim natus ex muliere

homo enim natus ex muliere

homo natus ex muliere

homo enim natus ex muliere

homo enim ­ natus ex muliere

homo ­ natus de muliere

homo ­ natus ex muliere

M30: ‫ָ֭א ָדם יְ ל֣ ּוד ִא ָּׁש֑ה‬

LXX: βροτὸς γὰρ γεννητὸς γυναικὸς

Vulgata: homo natus de muliere

Die Anknüpfung mit enim in O. und S., die auch in pecc. mer. sowie nupt. et conc. und c. Iul. vorliegt, beruht auf dem γὰρ der LXX. M hat keine Konjunktion; diese Asyndese spiegelt sich in den Fassungen von c. Iul. imp. und T. B. Da davon auszugehen ist, dass Augustin zumindest bei seinen selbst gewählten Zitaten in nupt. et conc., c. Iul. und c. Iul imp. jeweils dieselbe Textvorlage aufgeschlagen hat, lässt sich folgern, dass diese die beiden Zitatanfänge nach dem Griechischen und nach dem Hebräischen als Alternativen enthielt. Damit ist zumindest wahrscheinlich, dass auch der Text von pecc. mer. aus O. stammt. Die Textgeschichte der Versio prior bietet hier folgendes Bild: Aus der Doppelübersetzung in O. wählte Hieronymus in S. die griechische, in T. dagegen die hebraisierende Variante; außerdem änderte er in der Endfassung T. noch die Präposition von ex zu de. B. folgt hier der hebraisierenden Variante in O., die durch das Zitat in c. Iul. imp. bezeugt wird. 25 Bei der Schrift pecc. mer. beziehen sich die Verweise auf die Seiten und Zeilen der Ausgabe von Urba und Zycha im CSEL 60 (1913). 26 Bei der Schrift nupt. et conc. beziehen sich die Verweise auf die Seiten und Zeilen der Ausgabe von Urba und Zycha im CSEL 42 (1902). 27 Bei der Schrift c. Iul. beziehen sich die Verweise auf PL 44 (1863) samt Spalte. 28 Bei der Schrift c. Iul. imp. beziehen sich die Verweise auf die Seiten und Zeilen der Ausgabe von Zelzer im CSEL 85/1 (1974). 29 Bei der Schrift adn. Iob beziehen sich die Verweise (Seiten und Zeilen) wie üblich auf die Ausgabe von Zycha im CSEL 28/2 (1895). 30 Dt.: Ein Mensch, geboren von einer Frau (im Hebräischen wie in der LXX eine GenetivVerbindung, kein präpositionaler Ausdruck).

454

Spuren von Doppelübersetzungen in O. bei Augustin 

Für die Rolle der Erstfassung O. in Augustins Werken ist aufschlussreich, dass er das vorliegende Lemma Iob 14, 1a auch später noch mehrfach zitiert, aber immer in der Form mit der Präposition ex wie in den Adnotationes, also in der Form von O.31, dagegen nie mit der Präposition de wie in der Endfassung T. des Hieronymus. Er hat diese Version der Versio prior also zwar in seiner Bibliothek besessen, aber – soweit sich bisher feststellen ließ – im Unterschied zu seinen Fratres nicht benutzt. Iob 14, 1b Im anschließenden Teil-Lemma 14, 1b weist der Text von pecc. mer. zumindest zu Anfang eine ganz andere Lesart als die verschiedenen Fassungen der Versio prior auf: 32 33 34 Hiob Kap. u. Vers

14, 1b

Wortlaut bei Augustin

Fassung in S. T. B.

pecc. mer. 2, 10, 14–15 (85, 20 = 87, 5–6; cf. 87, 1)

nupt. et conc. 2, 50 (307, 2) = c. Iul. 6, 78 (44, 869)

c. Iul. imp. 1, 63 (59, 17)

adn. = O. (538, 14)

parui est temporis

breuis uitae

brevis vitae

breuis uitae32 breuis uitae

breuis uitae

et plenus iracundia

et plenus iracundiae

et plenus irae

et plenus iracundiae33

et plenus ­ iracundiae

M34: ‫ְק ַ ֥צר י֝ ִָ֗מים ּוֽ ְׂש ַ ֽבע־ ֽ ֹרגֶז‬

S.

et plenus ­ iracundia

T. B.

LXX: ὀλιγόβιος καὶ πλήρης ὀργῆς

Vulgata: brevi vivens tempore repletus multis miseriis

Der Ausdruck breuis uitae in O. S. T. B., der auch in nupt. et conc., c. Iul. und c. Iul imp. zitiert wird, geht auf die LXX (ὀλιγόβιος) zurück. In der Vulgata formuliert Hieronymus breui uiuens tempore. Demnach steht hinter dem Ausdruck parui temporis in pecc. mer. die hebräische Textvorlage. Man kann hier also die Abweichung des Textes in pecc. mer. von O. S. T. B. nicht mit De Bruyne so erklären, dass Augustin die Übersetzung des Hieronymus enger an das Griechische anpassen wollte. In der zweiten Hälfte des Lemmas Iob 14, 1b entspricht der Genetiv iracundiae (nach plenus) in O. und T. B. sowie in nupt. et conc. und c. Iul. beiden ursprachlichen Vorlagen: Die LXX liest πλήρης ὀργῆς; M hat die Constructus-Verbindung ‫רגֶז‬ ֹ ֽ ‫ ְׂש ַ ֽבע־‬. Der Ablativ iracundia in S. und pecc. mer. ist aber nach plenus gutes Latein. Hieronymus hat also in S. zunächst den Stil latinisiert, ist aber in T. wieder zu der Konstruktion der Ursprachen zurückgekehrt. 31 In der Vetus Latina-Datenbank und bei La Bonnardière (1960) 142 finden sich folgende Stellen: ench. 10, 33; in Io. tr. 124, 5, 26; ep. 190, 3, 10; 193, 2, 3. 32 V und Am. Er. Lovv. breui uiuens (lt. Vulgata breui uiuens tempore). 33 Y iratum die. 34 Dt.: kurz an Tagen und satt von Unruhe.

455

Die Passage Iob 14, 1–5a in De peccatorum meritis   

Die in der Tabelle dokumentierten, zunächst disparat erscheinenden Überlieferungsverhältnisse lassen sich mit der Annahme entwirren, dass O. in beiden TeilLemmata eine Doppelübersetzung enthielt: im ersten Teil je eine Übersetzung der hebräischen Vorlage (parvi est temporis) und der LXX (breuis uitae), im zweiten Teil  eine wörtliche Übersetzung beider Ursprachen mit dem Genetiv iracundiae und eine betont lateinische Version mit dem Ablativ iracundia. Augustin hätte dann für den Zitatanfang in adn., nupt. et conc., c. Iul. und c. Iul. imp. die eine und in pecc. mer. die andere Variante der in O. vorliegenden Alternative zitiert. Ähnlich hätte Hieronymus im zweiten Teil bei der Revision in S. die eine und in T. wieder die andere – nämlich den Ursprachen nähere – Möglichkeit vorgezogen. Auch der Umstand, dass Augustin in späten Briefen einmal die Version plenus iracundiae35 und dann wieder die Version plenus iracundia36 zitiert, spricht für die Diagnose einer Doppelfassung in seinem Hiob-Text. Dass er insgesamt den Genetiv iracundiae bevorzugt, hängt vermutlich damit zusammen, dass sich die Formulierung mit dem Genetiv schon bei Ambrosius findet37, also bereits im kirchlichen Sprachgebrauch verankert war. Ähnliche Bezüge auf Ambrosius werden im Folgenden noch häufiger begegnen. Während Augustin in nupt. et conc. und c. Iul. den Ausdruck plenus iracundiae benutzt, zitiert er an der Parallelstelle in c. Iul. imp. die Variante plenus irae. Weil sich diese Formulierung auch noch an anderen Stellen findet, an denen der Bischof die Hiob-Passage etwas ausführlicher und deshalb vermutlich nicht nach dem Gedächtnis heranzieht38, halte ich die Lesart nicht für eine Spontanvariante, sondern für eine dritte Fassung in der Erstfassung O., wie sie gelegentlich vorkommt. Für diese Deutung spricht m. E. auch, dass später Fulgentius von Ruspe die Stelle ebenfalls so zitiert39. Iob 14, 2a 40 Hiob Kap. u. Vers

14, 2a

Wortlaut bei Augustin

Fassung in S. T. B.

pecc. mer. 2, 10, 14–15 (85, 21 = 87, 6–7)

nupt. et conc. 2, 50 (307, 2–3) = c. Iul. 6, 78 (44, 869)

c. Iul. imp. 1, 63 (59, 17)

adn. = O.

S.

T. B.

et sicut flos, cum floruit, et decidit

sicut flos feni decidit

et sicut flos faeni decidit

fehlt

et sicut flos cum fluerit, decidet

et sicut flos cum floruerit, decidet

M40: ‫ְּכ ִ ֣ציץ יָ֭צָ א ַוּיִ ָּמ֑ל‬

LXX: ἢ ὥσπερ ἄνθος ἀνθῆσαν ἐξέπεσεν

Vulgata: quasi flos egreditur et conteritur

35 ep. 190, 10. 36 ep. 193, 3. 37 Ambrosius, Iob 1, 22 (225, 11 Schenkl) breuis uitae est et plenus iracundiae. 38 ench. 33; in Io. tr. 124, 5, 26. 39 Fulgentius epist. 17, 26 (583, 731–732 Fraipont). 40 Dt.: wie eine Blume ist er hervorgekommen und ist verwelkt.

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Spuren von Doppelübersetzungen in O. bei Augustin 

Die in pecc. mer. vorliegende Übersetzung beruht ebenso wie die Versionen in S. T. B. syntaktisch auf der LXX: Der cum-Satz gibt das vorzeitige Partizip ἀνθῆσαν wieder41. Im Detail bestehen aber Unterschiede. In pecc. mer. entspricht das Perfekt decidit dem Aorist ἐξέπεσεν und zugleich dem hebräischen Narrativ ‫וַּיִ ָּמ֑ל‬. Frei formuliert sind dagegen das einleitende et (statt LXX ἢ) und der verdeutlichende Zusatz des et vor decidit. Der Indikativ des cum-Satzes ist bei Hieronymus auffällig, kommt aber bei Augustin häufig vor42; insofern könnte man diese Stelle tatsächlich für De Bruynes These heranziehen, dass eine Überarbeitung durch Augustin vorliegt. Allerdings erwähnt De Bruyne selbst dieses Detail nicht. Bei der Revision in S. (wo die Überlieferung durch den Fehler fluerit statt floruerit gestört ist43, während T. B. das Richtige haben) hat Hieronymus zwar die Grundstruktur der Übersetzung nach der LXX beibehalten, aber eine Reihe von Anpassungen vorgenommen: Durch die Tilgung des verdeutlichenden et rückt er die Übersetzung näher an die Vorlage; durch den Konjunktiv im cum-Satz verbessert er das Latein. Dagegen hat er in der neuen Fassung jetzt eindeutig auch das Hebräische mit im Blick: Das Futur decidet beruht auf einer anderen Vokalisation des hebräischen Verbums – nicht mehr als Narrativ (also als Vergangenheitstempus), sondern als reines Imperfekt mit ‫„( ו‬und“). Da es nach den bisherigen Befunden ungewöhnlich wäre, wenn Hieronymus in S. erstmals das Hebräische herangezogen hätte, kann man davon ausgehen, dass er dessen Text auch schon in O. vor Augen hatte und hier in S. keine neue Konflation einführt, sondern nur eine frühere überarbeitet. Dass Hieronymus sich an dieser Stelle besonders mit der hebräischen Tempusfunktion auseinandersetzt, wird auch an der Vulgata deutlich: Dort interpretiert er mit quasi flos egreditur et conteritur das Perfekt und den Narrativ der beiden hebräischen Hauptverben als gnomische Aussagen mit präsentischem Sinn. Trotz dieses Details behält das Griechische in diesen Variationen den Vorrang. Dies zeigt sich daran, dass Hieronymus durchweg an dem Verb florere festhält, das die griechische Vorlage ἀνθῆσαν wiedergibt. Diese setzt einen anderen hebräischen Konsonantentext voraus als M: Während M die Wurzel ‫„( יצא‬hervorgehen“44) hat, las die LXX die Wurzel ‫„( נצץ‬blühen“45). Neben diesen Varianten, die hauptsächlich auf der LXX beruhen, hat Hieronymus aber auch noch eine Übersetzung rein nach dem Hebräischen vorgeschlagen: sicut flos faeni decidit. Augustin hat sie in nupt. et conc. und c. Iul. zitiert, wo er auch die hebräische Asyndese einhält. Er kann solch eine Version nach dem 41 M hat keine Hypotaxe, sondern setzt zwei Hauptverben hintereinander. 42 Zum Indikativ in cum-Sätzen bei Augustin vgl. Trenkler (2017) 163, Anm. 102. 43 Hier liegt – mit Blick auf die Urtexte und den Sinnzusammenhang geurteilt – ein Kopierfehler statt floruerit vor, nicht statt defluerit; denn defluerit wäre nur eine Vorwegnahme des folgenden decidit. (Defluere im Sinn des Abfallens von Blättern oder Früchten ist mehrfach in der Vulgata belegt: außer in Ps 1, 3 noch Is 1, 30; 34, 4; Ier. 8, 13; Ez 47, 12.) Hier geht es dagegen um die Abfolge von Blühen und Vergehen. 44 Vgl. Gesenius-Donner (2013) 480 rechts – 483 links. 45 Vgl. Gesenius-Donner (2013) 841 links.

Die Passage Iob 14, 1–5a in De peccatorum meritis   

457

Hebräischen nur aus der Erstfassung O. der Versio prior bezogen haben, wo sie also als Doppelübersetzung gestanden haben muss. (In c. Iul. imp. hat Augustin seine eigene Konflation aus den beiden Vorlagen in O. gebildet: Die hebraisierende Version mit flos faeni wird mit dem einleitenden et kombiniert, das ein Reflex des griechischen ἢ ist.) Der Grund für Hieronymus, die Lesart flos faeni in S. fallen zu lassen, war nicht nur ihr hebräischer Hintergrund, sondern auch der Umstand, dass die Übersetzung nicht auf einer Hauptversion, sondern einer Nebenüberlieferung beruhte: Der Genetiv faeni zeigt, dass Hieronymus dort keine Verbform der Wurzel ‫„( יצא‬hervorgehen“) wie in M las, sondern eine Constructus-Verbindung mit dem graphisch ähnlichen Nomen ‫„( חציר‬Gras“46) annahm. Dass Augustin hingegen diese Lesart aus O. in das antipelagianische Dossier seiner Spätschriften aufnahm, bestätigt, dass er bis zuletzt seiner Vorliebe für O. treu blieb und die Endfassung T. nicht benutzte. Iob 14, 2b 47 Hiob Kap. u. Vers

14, 2b

Wortlaut bei Augustin

Fassung in S. T. B.

pecc. mer. 2, 10, 14–15 (85, 21–22 = 87, 7)

nupt. et conc. 2, 50 (307, 3–4) = c. Iul. 6, 78 (44, 869) = c. Iul. imp. (59, 17–18)

adn. = O.

discessit, sicut umbra non manet

fugit autem sicut umbra et non stabit

fehlt

M47: ‫ַוּיִ ְב ַ ֥רח ֝ ַּכ ֗ ֵּצל וְ ֣ל ֹא ַי ֲע ֹֽמוד‬

fugitque ut umbra et non permanet LXX: ἀπέδρα δὲ ὥσπερ σκιὰ καὶ οὐ μὴ στῇ

Vulgata: et fugit velut umbra et numquam in eodem statu permanet

Wie die doppelte Asyndese zeigt, beruht die Übersetzung in pecc. mer. nicht auf der LXX und entspricht nicht der üblichen Konstruktion von M. Das manet am Schluss geht aber auf den Konsonantentext von M zurück, den Hieronymus hier jedoch nicht als Narrativ (d. h. als Vergangenheitstempus), sondern als reines Imperfekt vokalisiert und als präsentische Verlaufsform deutet. Wenn man fragt, welchen hebräischen Text Hieronymus im Rest dieses Verses voraussetzt, bieten sich zwei Möglichkeiten. Zum einen könnte er einen Text benutzt haben, in dem die beiden ‫ו‬ „und“ fehlten. Zum andern könnte er aber auch den unveränderten Konsonantentext von M vor sich gehabt haben, aber den gesamten Vers 2a–b anders konstruiert haben: Das erste Teil-Lemma Iob 14, 2a hätte er als Vergleichssatz mit dem Subjekt sicut flos „wie eine Blüte“ und zwei Prädikaten floruit et decidit auf­gefasst; das 46 Vgl. Gesenius-Donner (2013) 385 rechts. 47 Dt.: Und er ist entflohen wie der Schatten und bleibt nicht bestehen.

458

Spuren von Doppelübersetzungen in O. bei Augustin 

zweite Teil-Lemma Iob 14, 2b hätte er als den darauf folgenden Hauptsatz interpretiert, der ebenfalls zwei Prädikate – also discessit und manet – enthielt und dessen Subjekt der homo aus Iob 14, 1a war. In diesem Fall kann der Hieronymus vorliegende Konsonantentext von Iob 14, 2b das doppelte ‫ ו‬enthalten haben, weil Hieronymus es jeweils als Waw apodosis deutete, das zu Beginn von Hauptsätzen im Griechischen und Lateinischen keine Parallele hat und deshalb in der Übersetzung wegfällt48. Wie man sich die Umstände auch zurechtlegt – es handelt sich in jedem Fall um eine randständige Übersetzung auf hebräischer Basis. Damit widerspricht auch diese Stelle der These De Bruynes, Augustin habe in pecc. mer. die Versio prior genauer an das Griechische anpassen wollen. In Wirklichkeit liegt eine für Hieronymus’ Erstfassung O. typische Übersetzung auf der Basis einer hebräischen Nebenüberlieferung vor, die der Kirchenvater schon bei seiner ersten Revision in S. wieder ausgeschieden hat. Die revidierte Fassung in S. T. B. beruht auf der hebräischen Hauptüberlieferung, wie sie in M vorliegt. Zwar können die syntaktische Gesamtstruktur dieses Verses und das erste Teil-Lemma dieser Version ebenso gut auf die LXX wie auf M zurückgehen. Dagegen stehen hinter dem et non permanet eindeutig nicht die futurische Aussage und die Vokabel der LXX (καὶ οὐ μὴ στῇ), sondern derselbe hebräische Konsonantentext wie in M, den Hieronymus hier aber als reines Imperfekt vokalisiert und als präsentische Verlaufsform deutet. Das Qal von ‫ עמד‬deckt das ganze Bedeutungsspektrum ab von „sich hinstellen, dastehen, stehen bleiben“ bis hin zu „bleiben“49. In der revidierten Fassung ab S. beruht also die Versio prior primär auf der hebräischen Hauptüberlieferung: Hieronymus hat die Variante, die auf der hebräischen Nebenüberlieferung beruhte, ausgeschieden. Wie im Fall des vorangehenden Halbverses 14, 2a zitiert Augustin in seinen Spätwerken nupt. et conc., c. Iul. und c. Iul. imp. noch eine dritte Version: fugit autem sicut umbra et non stabit50. Dies ist die wörtliche Übersetzung der LXX. Man könnte also fragen, ob diese Version nicht aus der pelagianischen Übersetzung stammt, die Bogaert in perf. iust. identifiziert hat51. Dagegen sprechen jedoch zwei Erwägungen. Zum einen haben wir gerade festgestellt, dass die Übersetzung des vorangehenden Teil-Lemmas Iob 14, 2a in denselben drei antipelagianischen Spätwerken auf einer hebräischen Nebenüberlieferung beruht, die keinem Pelagianer, sondern nur Hieronymus zugänglich gewesen sein kann. Zum andern ist zu bedenken, dass die im vorliegenden Lemma Iob 14, 2b in pecc. mer. und in S. T. B. belegten Varianten beide auf hebräischen Texten beruhen. Da nun vielfach zu beobachten ist, dass Hieronymus in O. Übersetzungen des hebräischen und des griechischen Textes nebeneinander stellte, vermute ich, dass auch die erst in Augustins Spät 48 Zum Waw apodosis vgl. Gesenius-Kautzsch (1909) S. 480, d und besonders Joüon (1923) 529–532. 49 Gesenius-Donner (2013) 978–979. 50 nupt. et conc. 2, 50; c. Iul. 6, 78; c. Iul. imp. 1, 63. 51 Bogaert (2012) 390–391. Seine Tabelle zeigt, dass der hier vorliegende Teilvers Iob 14, 2b von Caelestius nicht zitiert wurde.

Die Passage Iob 14, 1–5a in De peccatorum meritis   

459

werk belegten Varianten nach der LXX schon in O. standen. Die Befunde der beiden Teilverse von Iob 14, 2 bestätigen sich also gegenseitig: Während Augustin im Fall von Iob 14, 2a die Übersetzung nach dem Hebräischen in sein antipelagianisches Dossier übernahm, wählte er im Fall von Iob 14, 2b umgekehrt die Version nach dem Griechischen. Dies eklektische Verfahren setzt voraus, dass Augustin beide Texte in derselben Quelle nebeneinander vorfand. Das kann nach den Befunden der vorliegenden Arbeit nur die Erstfassung O. mit ihren Doppelübersetzungen gewesen sein. Iob 14, 3a In den beiden folgenden Teil-Lemmata Iob 14, 3ab ist Augustins Zitat in pecc. mer. kein geeigneter Ausgangspunkt, weil der Kirchenvater die Versmitte dort aufgrund eines Augensprungs nur verkürzt zitiert52. Auch in den Adnotationes zitiert er nur den zweiten Teilvers. Deshalb stelle ich in den beiden folgenden Tabellen zu den Teil-Lemmata 3a und 3b jene vollständigen Zitate voran, die sich in den drei anderen antipelagianischen Spätwerken finden. In diesem Lemma nämlich weisen sie alle – abgesehen von einem unwesentlichen Kopierversehen in c. Iul imp. – denselben Text auf: 53 Hiob Kap. u. Vers

14, 3a

Wortlaut bei Augustin

Fassung in S. T. B.

nupt. et conc. 2, 50 (307, 4) = c. Iul. 6, 78 (44, 869–870) = c. Iul. imp. 1, 63 (58, 18)

pecc. mer. 2, 10, 14–15 (85, 22–23 = 87, 8)

adn. = O.

nonne et huius curam fecisti

nonne et huius curam fecisti

fehlt

M53: ‫אַ ף־עַ ל־זֶ֭ה ּפָ ַ ֣ק ְחּתָ עֵ ינֶ �ָ֑ך‬

nonne etiam huius curam habuisti LXX: οὐχὶ καὶ τούτου λόγον ἐποιήσω

Vulgata: et dignum ducis super huiuscemodi aperire oculos tuos

In diesem Lemma 14, 3a steht die Variante curam fecisti der Spätschriften, die wörtlich die LXX wiedergibt, neben der Lesart curam habuisti in den revidierten Codices S. T. B. Letztere beruht nicht auf M, das „sogar über diesen hast du dein Auge geöffnet“ liest, sondern ist eine stilistische Verbesserung der wörtlichen Übersetzung der LXX: Zum einen ist der Ausdruck curam habere eleganteres Latein als curam facere54; 52 Urba und Zycha weisen in ihrer Ausgabe darauf nicht hin. Bogaert (2012) 388 mit Anm. 37 hat den Fehler identifiziert und emendiert. 53 Dt.: Sogar über diesen hast du dein Auge geöffnet. 54 Für die Ausdrücke curam facere bzw. curam habere zitiert der TLL jeweils nur wenige Stellen: 4.0.1472.70–71 bzw. 4.0.1472.74–76. Hieronymus dagegen benutzt die Wendung curam­ habere häufig in der Vulgata, z. B. Gn 46, 32; Sir 32, 2; 41, 15; Lc 10, 35; 1 Tim 5, 8; Tit 2, 5.

460

Spuren von Doppelübersetzungen in O. bei Augustin 

zum andern wird durch die Einführung des habuisti die irritierende Doppelung des fecisti in der Erstfassung beseitigt. Außerdem hat Hieronymus spätestens in S. das einfache et der Erstversion zu etiam verdeutlicht. Weil Augustin dieses erste Teil-Lemma Iob 14, 3a in den Adnotationes übersprungen hat, lässt sich allerdings nicht sagen, ob die rein stilistisch überarbeitete Übersetzung erst bei der Revision in S. neu entwickelt wurde oder schon als zweiter Vorschlag in O. stand. Die in den antipelagianischen Spätschriften zitierte Form gibt die LXX wörtlicher wieder als die Fassung in den revidierten Hieronymus-Codices S. T. B. De Bruyne55 zitiert diese Stelle als Beleg, dass Augustin hier die Übersetzung des Hieronymus überarbeitet habe, um den Text genauer an die LXX anzupassen. Aus den Analysen der vorliegenden Arbeit ergibt sich dagegen eine andere Deutung: Danach hat Hieronymus in O. – also der Erstfassung, die Augustin Zeit seines Lebens bevorzugte – zunächst wörtlich übersetzt, seine Erstfassung aber anschließend in S. stilistisch überarbeitet. Von den revidierten Fassungen S. bzw. T. hatte – bzw. nahm – jedoch Augustin keine Kenntnis. Iob 14, 3b Im zweiten Teil-Lemma liegen die Dinge komplizierter. Dort zitiert Augustin in seinen Werken wieder drei verschiedene Fassungen: 56 57 Hiob Kap. u. Vers

14, 3b

Wortlaut bei Augustin

Fassung in S. T. B.

nupt. et conc. 2, 50 (307, 4–5) = c. Iul. 6, 78 (44, 870) = c. Iul. imp. 1, 63 (59, 18–19)

pecc. mer. 2, 10, adn. = O. 14 -15 (85, 22–23 (538, 14–15) = 87, 8–9)

S. B. = O.

T.

et hunc fecisti intrare in conspectu tuo56 in iudicium?

uenire in iudicium tuum?

et hunc feci­ sti uenire in iudicium coram te?

et hunc uenire fecisti in iudicium coram te?

M57 ‫וְ ֹ֘א ִ ֤תי תָ ִ ֖ביא ְב ִמ ְׁש ָּפ֣ט ִע ָ ּֽמְך‬

et hunc fecisti uenire in iudicium coram te?

LXX: καὶ τοῦτον ἐποίησας εἰσελθεῖν ἐν κρίματι ἐνώπιόν σου;

Vulgata: et adducere eum tecum in iudicium

In den Adnotationes zitiert Augustin die Version et hunc fecisti uenire in iudicium coram te? nach der Hauptversion der LXX, die Hieronymus bei der Revision in 55 De Bruyne (1931) 593. 56 In der Überlieferung von c. Iul imp. 1, 63 fehlt tuo. Das ist ein offensichtlicher Kopierfehler ohne Anhalt in den Urtexten. 57 Dt.: und mich lässt du eintreten ins Gericht bei dir.

Die Passage Iob 14, 1–5a in De peccatorum meritis   

461

S. allein stehen ließ. Dass diese Vorlage tatsächlich in O. stand und nicht erst vom ω2-Frater aus T. übertragen wurde, wird daran deutlich, dass T. eine nochmals veränderte Wortstellung (statt fecisti uenire dort uenire fecisti) aufweist. In nupt. et conc. und an den beiden anderen Parallelstellen aus der antipelagianischen Polemik zitiert Augustin die Fassung et hunc fecisti intrare in conspectu tuo in iudicium? Als Vorlage für diese Version hat Ziegler aufgrund der charakteristischen Wortstellung eine Nebenüberlieferung der LXX nachgewiesen58. Damit liegt wieder einmal ein Fall vor, in dem Hieronymus in O. zwei verschiedene griechische Versionen übersetzte, aber bei der Revision diejenige fallen ließ, die auf der Nebenüberlieferung beruhte. Die Differenz zwischen intrare in dieser Fassung und uenire in den anderen Varianten hat keinen Anhalt in den Urtexten, da sowohl das hebräische ‫ בוא‬59 als auch das griechische εἰσελθεῖν beide Übersetzungen zulassen. Vielmehr erklärt sich intrare vermutlich als Echo einer Hieronymus vorliegenden Vetus Latina-Fassung; denn bei Ambrosius lautet dieses Teil-Lemma et hunc fecisti intrare in iudicium sub conspectu tuo?60 Hinzu kommt nun als dritte Übersetzung die Version uenire in iudicium tuum?, die aus dem Zitat in pecc. mer. rekonstruierbar ist. Dieses ist zwar durch einen Augensprung von der ersten Form fecisti im vorangehenden TeilLemma Iob 14, 3a nonne et huius curam fecisti zur folgenden Form fecisti in Iob 14, 3b etwas verunklart, aber doch sicher rekonstruierbar61. Da derselbe Fehler in pecc. mer. zweimal vorliegt, dürfte er nicht auf einen Spontanfehler Augustins beim Diktat zurückgehen, sondern schon in seiner Vorlage gestanden haben. Weil der Kirchenvater in den späteren antipelagianischen Schriften die Stelle korrekt ohne diese Lücke vermutlich aus seinem Hiob-Codex O. zitiert, unterstützt der vorliegende Fehler Bogaerts Vermutung, dass Augustin die HiobZitate in pecc. mer. einem Dokument der Pelagianer entnahm, auf das er direkt replizierte62. Das spricht aber nicht gegen die hier untersuchte Hypothese, dass Augustins Gegner ihrerseits ihre Hiob-Zitate aus Hieronymus’ Erstfassung O. bezogen hatten, die auch Augustin besaß. Der Hiob-Kommentar des Julian von Aeclanum zeigt, dass die Erstauflage der Versio prior auch von Pelagianern herangezogen wurde63. Da Augustin im weiteren Verlauf seiner Argumentation die ihm vorgegebene Hiob-Fassung wiederholt durch andere Varianten ergänzt64, muss er im Übrigen doch eine Hiob-Ausgabe mit Mehrfachübersetzungen konsultiert haben. 58 Ziegler (1982) 271 im 1. Apparat.. 59 Vgl. Gesenius-Donner (2013) 128 rechts – 131 rechts. 60 Ambrosius, Iob 1, 22 (225, 14–15 Schenkl). 61 Emendiert von Bogaert (2012) 388 mit Anm. 37. 62 Vgl. Bogaert (2012) 65. 75. Zu dieser einleuchtenden Theorie vgl. unten Kap. 21, S. 518. 520. 63 Vgl. oben Kap. 13. 64 Vgl. unten in diesem Kapitel zu etsi und etiam si in Iob 14, 5a und besonders in Kap. 20, S. 475–478 zu Iob 1, 8d und 1, 8e.

462

Spuren von Doppelübersetzungen in O. bei Augustin 

Der ursprachliche Hintergrund des Ausdrucks in iudicium tuum ist nicht sofort offensichtlich. Die oben zitierten griechischen Haupt- und Nebenüberlieferungen lesen „im Gericht vor dir“ und scheiden damit als Vorlagen aus. (Damit kann auch hier De Bruynes These wieder nicht zutreffen.) M hat „im Gericht bei dir“. Dass in Augustins Zitat auch keine Spontanversion vorliegt, wird bewiesen durch die folgende doppelte Wiederaufnahme in pecc. mer. 2, 10, 15 (87, 10–11) hoc utique dicit: curam hominis breuis uitae (cf. Iob 14, 1a) fecisti uenire in iudicium tuum sowie (87, 13–14) et ideo iustissime in iudicium tuum ueniet. Ich vermute daher, dass die Variante in iudicium tuum auf eine von M abweichende hebräische Vorlage zurückgeht; diese unterschied sich von dem Konsonantentext von M nur dadurch, dass am Ende nicht die Präposition ‫„( עם‬mit“) mit dem Suffix für te stand, sondern dass die Präposition fehlte und somit das Suffix direkt an dem vorangehenden präpositionalen Ausdruck „im Gericht“ stand. Als Übersetzung einer hebräischen Nebenüberlieferung trägt die Version in pecc. mer. wieder die typische Handschrift des Hieronymus. Bei der Revision in S. hat Hieronymus wie üblich auf diese randständige Fassung verzichtet und sich auf die Übersetzung nach der Hauptversion der LXX konzentriert. Eine vierte Variante hat Hieronymus noch zum Schluss erst in seiner Endfassung T. eingeführt: Dort hat er die Wortstellung der LXX ἐποίησας εἰσελθεῖν, die er bis dahin in allen drei anderen Fassungen mit fecisti intrare bzw. uenire übernommen hatte, zu uenire fecisti umgekehrt und so das Hauptverb wie im Lateinischen üblich ans Satzende gestellt. Diese Wortstellung hat bei Augustin keine Spur hinterlassen; er hat also auch hier T. nicht benutzt.

19.3.2 Zwischenbilanz zu den Lemmata Iob 14, 1–3 Wie die vorstehenden Analysen der in Augustins Schrift De peccatorum meritis zitierten Lemmata Iob 14, 1–3 gezeigt haben, tragen diese Übersetzungen die Handschrift des Hieronymus. Dies wird besonders daran deutlich, dass sie mehrfach auf hebräischen Nebenüberlieferungen beruhen, die keine Spuren in griechischen Hiob-Versionen hinterlassen haben. Damit kann die nur in pecc. mer. bezeugte Version dieser Verse keine Revision allein nach dem Griechischen sein. Sie kann also weder einer Revision Augustins (De Bruyne) noch einer pelagianischen Revision oder Neuübersetzung (Bogaert) zugeschrieben werden. Als Erklärung bietet sich stattdessen an, hier sonst nicht belegte Doppelübersetzungen aus Hieronymus’ Erstfassung O. der Versio prior anzunehmen. Diese Überlegung wird durch zwei weitere Indizien unterstützt. Zum einen finden sich teils parallele, teils weitere sonst nicht bezeugte Textvarianten von Iob 14, 1–3 in drei anderen antipelagianischen Spätschriften Augustins (in De nuptiis et concupiscentia, in Contra Iulianum und Contra Iulianum opus imperfectum). Auch diese ließen sich auf Doppel- oder Mehrfachübersetzungen in der Erstfassung O. zurückführen. Zum anderen passen sich alle bisher analysierten Varianten bruchlos in die schrittweise Entwicklung der Versio prior von O. über S.  zu

463

Die Passage Iob 14, 1–5a in De peccatorum meritis   

T. ein, wie sie im Verlauf der vorliegenden Arbeit mit vielen Beispielen illustriert wurde. Durch den bisherigen Gang der Untersuchung wurde also die Hypothese, dass die Hiob-Zitate in pecc. mer. und ihre Pendants in weiteren antipelagianischen Schriften aus der Erstfassung O. mit ihren Doppel- und Mehrfachübersetzungen stammen, nicht falsifiziert. Es muss nun geprüft werden, wieweit sich diese Erklärung auch bei den vielen restlichen Hiob-Zitaten in pecc. mer. bewährt. Ich fahre zunächst mit der Analyse der Passage Iob 14, 1 ff. fort.

19.3.3 Analyse der Teil-Lemmata Iob 14, 4–5a65 Iob 14, 466 67 68 69 70 Hiob Kap. u. Vers

14, 4

Wortlaut bei Augustin

Fassung in S. T. B.

nupt. et conc. 2, 50 (307, 5–6) = c. Iul. 6, 78 (44, 870) = c. Iul. imp. 1, 63 (59, 19–20)

pecc. mer. 2, 10, 14–15 (85, 23–24 = 87, 9–10)

adn. = O.

S.

T. B.

quis enim erit mundus a sordibus? ne unus quidem

quis enim erit mundus a sordibus? Nemo67

fehlt

quis enim erit mundus a sorte (sic)68? ne unus quidem

quis enim erit mundus absque sorde? nec unus quidem

M69: ‫ִ ֽמי־יִ ֵּת֣ן ָ֭טהוֹר ִמּטָ ֗ ֵמא ֣ל ֹא אֶ ָ ֽחד‬

LXX: τίς γὰρ καθαρὸς ἔσται ἀπὸ ῥύπου; ἀλλ’ οὐθείς.

Vulgata: quis potest facere70 mundum de inmundo conceptum semine? nonne tu qui solus es?

65 Zu diesen Versen vgl. die umfängliche Spezialstudie von Ziegler (19852).– Der Aufsatz von Marialuisa Annecchino Manni (1992), in der die Arbeit von Ziegler nicht berücksichtigt ist, gibt einen Überblick über die Interpretation von Iob 14, 4–5a bei den griechischen und lateinischen Kirchenvätern, geht aber auf die hier zu erörternden Fragen nach den sprachlichen Details nicht ein. 66 Das Lemma Iob 14, 4 besteht nur aus einem einzigen Stichos. 67 Vgl. die nachfolgende Paraphrase in pecc mer. 2, 10, 15 (87, 12–13): mundus a sordibus esse non posset. 68 Im Licht der Parallelen und der Urtexte erweist sich sorte als Hörfehler statt des richtigen sorde. 69 Dt.: Wenn doch ein Reiner von einem Unreinen ! Nicht ein einziger. 70 Mit dieser wörtlichen Übersetzung des hebräischen ‫ ִ ֽמי־יִ ֵּת֣ן‬verfehlt Hieronymus dessen idiomatischen Sinn als Einleitung eines unerfüllbar gedachten Wunschsatzes. Vgl. GeseniusKautzsch (1909) S. 499–500, a–b.

464

Spuren von Doppelübersetzungen in O. bei Augustin 

Zunächst ist deutlich, dass alle in dieser Tabelle aufgeführten Übersetzungen auf griechische Vorlagen zurückgehen. M lautet anders. Wie Hieronymus das Hebräische verstand, geht aus seiner freien Wiedergabe in der Vulgata hervor. Im Folgenden analysiere ich zunächst die Varianten der Versio prior, die in den Hieronymus-Codices S. T. B. überliefert sind, und gehe anschließend auf die Zitate bei Augustin ein. In allen Fasssungen der Versio prior gibt Hieronymus die LXX getreu als Fragesatz (quis enim ~ τίς γὰρ) wieder. Das ist deshalb signifikant, weil die lateinischen Väter den Fragesatz bei ihren Zitaten meist in einen Aussagesatz umgewandelt haben71. Die zweite Konstante ist das Futur erit, das dem ἔσται der Hauptüberlieferung der LXX entspricht. Weil es nur in der Versio prior und deren wenigen Zitaten bei Hieronymus selbst, bei Augustin sowie bei Julian von Aeclanum72 vorkommt, ist es sozusagen ein Fingerabdruck des Übersetzers Hieronymus. Das Futur zeigt, dass Hieronymus hier eine getreue Übersetzung der LXX bieten wollte. Wie jedoch aus der Wortstellung erit mundus zu entnehmen ist, stützt sich Hieronymus nicht allein auf die Hauptüberlieferung der LXX, sondern berücksichtigt auch noch eine starke Nebenüberlieferung73. Insofern beruhen alle Varianten der Versio prior in diesem Lemma auf einer Konflation griechischer Vorlagen. Der LXX am nächsten steht die Fassung von S. In seiner Endrevision in T. (die auch vom Kompilator von B. übernommen wurde)  hat Hieronymus mit absque sorde (statt a sorde) und nec …quidem (statt ne …quidem) die vorangehende Übersetzung von S. an zwei Punkten stilistisch zugespitzt. Es entspricht den Erwartungen aufgrund der früheren Befunde dieser Arbeit, dass sich bei Augustin keine Spuren dieser beiden für T. und B. charakteristischen Varianten finden. Jetzt zu Augustins Zitaten. Sie stimmen in der Gruppe nupt. et conc., c. Iul. und c. Iul. imp. genau überein. Dass auch diese aus der Erstfassung O. der Versio prior stammen, zeigt sich daran, dass sie deren zwei charakteristische Details teilen – die Frageform und das Futur erit. Hinzu kommt die Übereinstimmung mit S. in der Lesart ne unus quidem. Die Abweichung a sordibus (statt a sorde in S. T. B.) deutet dann wieder auf eine Doppelfassung in O. hin. Der Plural a sordibus erklärt sich durch eine weitere für den Übersetzer Hieronymus typische Konflation: Er hat die LXX als Hauptvorlage mit einer Vetus Latina-Lesart kombiniert. Der Plural a sordibus (statt des Singulars ἀπὸ ῥύπου) stammt aus den Testimonien des Cyprian. Dort heißt es: quis enim mundus a sordibus?74 Diese Herleitung scheint mir dadurch gesichert, dass Hieronymus das Testimonium des Cyprian mit ausdrücklicher Namensnennung und sogar Quellenangabe später noch einmal mit der minimalen Auslassung von unus, 71 Ziegler (19852) 15; Bogaert (2012) 391. 72 Julian, in Iob 14, 4 (40, 21–22 de Coninck): Secundum Septuaginta: Quis enim erit mundus a sorde? 73 Ziegler (1982) 271 im 1.  Apparat. Es handelt sich um einen Zweig der Lukianischen Rezension. 74 Cyprian, testim. 3, 54 (141, 2 Weber).

Die Passage Iob 14, 1–5a in De peccatorum meritis   

465

etiam wörtlich zitiert75. Er schreibt adv. Pelag. 1, 3376: Quis enim mundus a sordibus? nec si unius etiam diei sit uita eius in terra. Bei Cyprian erklärt sich der Plural sordibus vermutlich daraus, dass sordes im Lateinischen normalerweise als Pluralwort gebraucht wird77. Wenn man nun nach der möglichen Herkunft des Zitates in pecc. mer. fragt, wird deutlich, dass es in mehrfacher Hinsicht die Handschrift des Hieronymus aufweist. Hier ist nicht nur erneut auf die Frageform und das Futur erit zu verweisen, sondern auch wieder auf eine strukturell vergleichbare Konflation von Vorlagen. Während der erste Teil des Zitats denselben Wortlaut hat wie das eben besprochene Zitat in nupt. et conc. mit seinen Parallelen, erinnert das lakonische nemo der Antwort (statt der volleren griechischen Varianten ἀλλ’ οὐθείς bzw. οὐδὲ εἶς) an die von Ambrosius angeführte Version. Dieser schreibt in Iob 1, 2278: quis autem mundus est a sorde? sed nemo. All das spricht dafür, auch dieses Zitat als eine von mehreren Varianten in der Erstfassung O. der Versio prior zu identifizieren. Offenbar hat Hieronymus an dieser berühmten Hiob-Stelle zunächst mit mehreren Möglichkeiten experimentiert, die auch schon vorliegende Vetus Latina-Fassungen integrieren sollten. In S. hat er dann diese Bezüge zugunsten einer Übersetzung geopfert, die rein auf der LXX beruhte. Es bleibt die Frage, ob Hieronymus die Fassung in S. erst nachträglich als Revision der verschiedenen Fassungen von O. entwickelt hat oder ob auch schon diese Variante als Mehrfachübersetzung in O. stand. Weil Augustin diesen Vers in den Adnotationes übersprungen hat, kann sein Kommentar nichts zur Klärung dieser Frage beitragen. Auch der Umstand, dass das einzige Zitat von Iob 14, 4–5 nach der Versio prior, das sich in den Werken des Hieronymus findet, die Fassung von S. aufweist79, hilft hier nicht weiter. Entscheidend ist, dass auch Julian von Aeclanum, der – wie in Kapitel 13 gezeigt – seine Zitate der Versio prior ebenfalls aus der Erstfassung O. schöpft, die gesamte Passage Iob 14, 4–5a ebenfalls in der Form zitiert, die sonst nur noch in S. überliefert ist: Quis enim erit mundus a sorde? Ne unus quidem, (v. 5) etiamsi unius diei fuerit uita eius super terram.80 Julians Zitat bestätigt, dass diese Fassung auch schon in O. gestanden hat. Von da wurde sie also unverändert nach S. übernommen. 75 Er spricht den Pelagianern das Recht ab, sich auf die Testimonia Cyprians zu berufen: Hieronymus, adv. Pelag. 1, 33 (40, 3–8 Moreschini). Die Stelle impliziert aber, dass die Pelagianer sich nicht auf Iob 14, 4–5 beriefen. 76 Hieronymus, adv. Pelag. 1, 33 (40, 8–9 Moreschini). 77 Georges (1969) Bd. 2, 2733–2734. 78 Ambrosius, Iob 1, 22 (225, 16–17 Schenkl). 79 Hieronymus, adu. Pelag. 2, 4 (58, 53–55 Moreschini) Quis enim erit mundus a sorde? Ne unus quidem, etiamsi unius diei fuerit uita eius super terram.– Die Schrift Dialogus adversus Pelagianos wird auf 415/416 datiert (Frede (1995) 526). In der genannten Passage 2, 4 (58, 35- 59, 71 Moreschini) zitiert Hieronymus eine ganze Serie von Hiob-Versen. Für einen Vergleich der dort belegten Lesarten mit denen der Versio prior und der Vulgata vgl. den Anhang C. 80 Iulianus Aecl., in Iob 14, 4 (40, 21–23 De Coninck). Er leitet das Zitat ein mit den Worten Secundum Septuaginta.

466

Spuren von Doppelübersetzungen in O. bei Augustin 

Iob 14, 5a Eine Besonderheit dieses Zitats in pecc. mer. besteht darin, dass der Beginn des TeilLemmas in zwei Varianten zitiert wird. Allein dieser Umstand ist ein starkes Argument für die Vermutung, die Zitate entstammten der Erstfassung O. der Versio prior; denn nur in ihr hat es solche Doppelfassungen gegeben: 81 82 83 84 Hiob Kap. u. Vers

14, 5a

Wortlaut bei Augustin pecc. mer., Variante 1 2, 10, 14–15 (85, 24 = 87, 10)81

pecc. mer., Variante 2 2, 10, 15 (87, 12)82

nec si unietiamsi unius diei fuerit us diei esset uita eius

Fassung in S. T. B. nupt. et conc. 2, 50 (307, 6–7)83 = c. Iul. 6, 78 (44, 870)

c. Iul. imp. 1, 63 (20–21)

adn. = O.

etiamsi unius diei fuerit uita eius super terram

etiamsi unius fuerit diei uita eius super terram

fehlt

M84: ‫רּוצים׀ י ֗ ָָמיו ִ ֽמ ְסּפַ ר־ ֳח ָד ָ ׁ֥שיו ִא ָּתְ֑ך‬ ִ֨ ‫ח‬ ֲ ‫ִ ֥אם‬

etiamsi unius diei fuerit uita eius super terram

LXX: ἐὰν καὶ μία ἡμέρα ὁ βίος αὐτοῦ ἐπὶ τῆς γῆς, ἀριθμητοὶ δὲ μῆνες αὐτοῦ παρ’ αὐτοῦ

Vulgata: breves dies hominis sunt numerus mensuum eius apud te est

Hier beweist zunächst die Übereinstimmung des Wortlauts zwischen nupt. et conc. und c. Iul. einerseits und den Hieronymus-Codices S. T. B. andererseits die Herkunft dieser antipelagianischen Zitate aus der Versio prior. (Die andere Wortstellung unius fuerit diei in c. Iul. imp. statt des üblichen unius diei fuerit halte ich eher für eine stilistisch motivierte spontane Änderung Augustins als für eine Doppelfassung des Hieronymus in O.). Was nun die Zitate in pecc. mer. anbelangt, so ist zunächst festzuhalten, dass die Variante 1 keine Kurzform der Fassung der revidierten Codices S. T. B., sondern eine echte Alternative darstellt. Dies wird klar, wenn man sich die unterschiedlichen Hintergründe der beiden Formulierungen verdeutlicht. Beide erweisen sich als komplexe Konflationen von Details, die jeweils aus mehreren Quellen stammen. In einem Detail liegt eine klare Trennung nach den ursprachlichen Vorlagen vor: Der Ausdruck super terram in S. T. B. beruht auf dem ἐπὶ τῆς γῆς der LXX; das Fehlen dieser Wendung in pecc. mer. entspricht dagegen M. (Dieser Umstand spricht 81 Dieses Zitat hatte Augustin auch schon in pecc. mer. 1, 24, 34 (34, 10–11) angeführt. 82 Wie der fehlende Sperrdruck in der Edition zeigt, haben die Herausgeber übersehen, dass hier eine alternative Fassung des Zitatanfangs vorliegt (etiamsi statt nec si). Es handelt sich also nicht um eine bloße Paraphrase. 83 Bei der Schrift nupt. et conc. beziehen sich die Verweise auf Seiten und Zeilen auf die Ausgabe von Urba und Zycha im CSEL 42 (1902). 84 Dt.: Wenn bestimmt seine Tage, die Zahl seiner Monate bei dir.

Die Passage Iob 14, 1–5a in De peccatorum meritis   

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wieder gegen De Bruyne und gegen Bogaert, die beide von der Prämisse ausgehen, die Hiob-Zitate in pecc. mer. beruhten rein auf griechischen Vorlagen.) Beide Versionen teilen dagegen den Genetiv unius diei. Dieser geht nicht auf die Hauptüberlieferung der LXX, die hier den Nominativ μία ἡμέρα hat, sondern auf eine Nebenüberlieferung zurück85. Die restlichen Differenzen der beiden Fassungen erklären sich daraus, dass sich Hieronymus in beiden Fällen an schon vorgeprägten Vetus Latina-Übersetzungen orientiert hat. Die Variante 1 aus pecc. mer. ist wörtlich aus der lateinischen Übersetzung des 1. Clemensbriefes übernommen86. Nur dort kommen die Einleitung mit nec si und der charakteristische Konjunktiv Perfekt fuerit vor, durch den sich die in der obigen Tabelle gesammelten Fassungen bei Hieronymus und Augustin von allen anderen Belegen in der Vetus Latina-Datenbank unterscheiden87. Außerdem lassen Clemens und die Variante 1 in pecc. mer. den Ausdruck super terram aus. Auch der Wortlaut der revidierten Codices S. T. B. geht mit den beiden Aus­ drücken etiam si und super terram auf eine bereits vorgeprägte Vorlage zurück. Ambrosius zitiert an der Kernstelle Iob 1, 22 das Lemma Iob 14, 5a in der Form etiam si unius diei sit uita eius super terram88. In diesem Fall wird der bewusste Bezug des Hieronymus auf Ambrosius dadurch gestützt, dass außer Hieronymus in der Versio prior (die von Augustin89 und von Julian von Aeclanum zitiert wird90) nur noch die Version des Ambrosius (samt den teilweise mit ihr verwandten Glossen, die Ziegler ediert hat91) den Ausdruck ἐπὶ τῆς γῆς mit super terram übersetzt92: Alle anderen Lateiner schreiben nach den Belegen der Vetus Latina-Datenbank in terra93. Das einzige Detail, in dem Hieronymus lt. S. T. B. den Text des Ambrosius verändert hat, ist der Austausch des sit bei Ambrosius durch das charakteristische fuerit des 1. Clemensbriefes94. Damit ist aber deutlich, dass der Übersetzung nach 85 Ziegler (1982) 271 im 1. Apparat: Es handelt sich wieder um einen Zweig der Lukianischen Rezension. 86 Clemens Romanus, ad Cor. 17, 4 (S. 24 Schaefer = S. 106 Schneider): Nemo est mundus a sorde, nec si unius diei fuerit vita eius. Ich verdanke das Zitat Ziegler (19852) 6. Die Datierung dieser Übersetzung ist umstritten: Ziegler a. a. O. sowie Schneider (1994) 58 vermuten das 2. Jahrhundert, Frede dagegen (1995) 384 aufgrund der Jesaja-Zitate erst das 4. Jahrhundert. 87 Die anderen Vetus Latina-Fassungen lesen sit oder fiet oder lassen die Kopula mit der Hauptüberlieferung der LXX aus. 88 Ambrosius, Iob 1, 22 (225, 16–17 Schenkl). 89 So z. B. gleich in Augustins erstem Verweis auf diese Stelle in der im Übrigen sehr freien Paraphrase conf. 1, 7, 11 (6, 5 Verh.); später noch oft, z. B. en. Ps. 103, 4, 6; c. Iul imp. 2, 77; 3, 110; uirg. 48. 90 Iulianus Aecl., in Iob 14, 4 (40, 22–23 De Coninck). 91 Ziegler (19852) 16: nec si unius diei fiet vita eius super terram. Zu den Bezügen zwischen den Glossen und Ambrosius vgl. Ziegler (19852) 41, wo aber das Detail super terram nicht erwähnt wird. 92 Zu super terram als Ausdruck christlichen Lateins vgl. Lössl (2001) 91, Anm. 63. 93 So etwa Cyprian, testim. 3, 54 (141, 2–3 Weber) Quis enim mundus a sordibus? Nec unus, etiam si unius diei sit uita eius in terra. 94 Vgl. Anm. 86.

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Spuren von Doppelübersetzungen in O. bei Augustin 

dem 1. Clemensbrief, die in Variante 1 in pecc. mer. vorliegt, bei Hieronymus die Priorität gegenüber der Übersetzung nach Ambrosius zukommt, die in den revidierten Codices S. T. B. steht. Damit erweist sich diese Fassung aus pecc. mer. als zumindest eine Lesart der Erstfassung O. Da Augustin das Lemma in den Adnotationes übersprungen hat, war bisher keine Lesart von O. bekannt. Damit bleibt die Frage, ob die in S. T. B. überlieferte, stark von Ambrosius abhängige Fassung von Hieronymus erst bei der Revision in S. eingeführt wurde oder ebenfalls schon in O. als Doppelübersetzung neben der Version nach dem 1. Clemensbrief stand. Die Frage klärt sich durch den Hinweis auf die Zitate in den drei anderen antipelagianischen Schriften. Sie sind einerseits – wie oben gezeigt – mit der Fassung in S. T. B. so gut wie identisch; andererseits hat sie Augustin nach unseren bisherigen Ergebnissen aus seiner ständigen Hiob-Textvorlage O. entnommen. Es handelt sich also tatsächlich um eine Doppelfassung in O. Noch ein Wort zu der Einleitung etiam si, die die meisten Varianten von Iob 14, 5a bei Hieronymus und Augustin teilen. Sie ist keine belanglose Variation zum nec si des 1. Clemensbriefes, sondern ist ihrerseits in der Vetus Latina-Tradition nicht nur bei Ambrosius95, sondern schon bei Cyprian96 fest verankert. Das etiam si der 2. Variante in pecc. mer. scheint mir zu bestätigen, dass Augustin bei der Abfassung dieser Schrift längst mit dieser Lesart vertraut war und deshalb versuchte, auch sie zumindest in seiner Paraphrase des Lemmas97 anklingen zu lassen98.

19.3.4 Zwischenbilanz zu den Teil-Lemmata Iob 14, 4–5a Die vorstehenden Analysen der Lemmata Iob 14, 4–5a, die Augustin in seiner Schrift De peccatorum meritis und in nochmals verschiedener Form in drei weiteren antipelagianischen Werken zitiert, haben m. E. Folgendes ergeben: Anders als von De Bruyne und Bogaert diagnostiziert, handelt es sich bei diesen Hiob-Versionen nicht um Revisionen oder Neuübersetzungen nach griechischen Vorlagen, die Augustin oder pelagianischen Kreisen zuzuschreiben sind. Dagegen spricht zunächst wieder der Einfluss des hebräischen Urtextes. Für die Erklärung, dass diese Hiob-Lesarten aus der Erstfassung O. der Versio prior stammen, sprechen sodann drei für diese Hiob-Version des Hieronymus charakteristische Züge, die an dieser berühmten Stelle des Hiob-Buches in besonderer Dichte zu beobachten sind: Zum

95 Vgl. den Text aus Iob 1, 22, oben S. 467. 96 Vgl. den Text in Anm. 93. 97 Das esset der Passage zeigt, dass Augustin von der Wiederaufnahme des Zitats zur Paraphrase übergeht. 98 Eine vergleichbare Paraphrase mit Anpassung des Tempus des Konjunktivs an den Kontext findet sich bei Augustin c. Iul. imp. 4, 8 (Bd. 2, 12, 10–11 Zelzer): etiamsi unius diei sit vita eius super terram. Die Tempusanpassung führt zu einer Fassung, die wörtlich mit dem Zitat bei Ambrosius Iob 1, 22 übereinstimmt (s. o. S. 467 mit Anm. 88).

Die Passage Iob 14, 1–5a in De peccatorum meritis   

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einen das Bemühen, angestammte Formulierungen verschiedener Vetus LatinaTraditionen zu bewahren99; zum andern das Verfahren, verschiedene Vorlagen durch Konflation miteinander zu kombinieren; schließlich die Praxis, dem Leser zwei oder sogar mehrere gleichwertige Übersetzungen nebeneinander zur Auswahl anzubieten. Falls diese Überlegungen überzeugen, gehören auch die Hiob-Zitate aus Augustins pecc. mer. in eine künftige Ausgabe der Versio prior. Sie wären dann teilweise sogar die einzigen erhaltenen Belege für Lesarten der sonst in größeren Teilen verlorenen Erstfassung O.

19.4 Der begrenzte Einfluss der Versio prior bei Hieronymus Bei der Erörterung des Lemmas Iob 14, 4 habe ich erwähnt, dass es lt. der Vetus Latina-Datenbank in den Werken des Hieronymus nur eine einzige Stelle gibt, an der der Kirchenvater seine eigene Übersetzung dieses Verses im Wortlaut der Versio prior nochmals aufgreift100. Damit wurde erstmals ein Umstand angesprochen, der in der vorliegenden Arbeit bisher nur am Rande erwähnt wurde: Hieronymus hat seine erste Hiob-Übersetzung nicht als verbindlich angesehen, sondern sich die Freiheit genommen, jederzeit neue Spontanübersetzungen zu formulieren und zu zitieren101. Ebenso wenig hat sich auch Augustin immer an den Wortlaut der Versio prior gehalten102. Das hat Konsequenzen für den Versuch, in den Werken beider Väter verlorene Lesarten der Versio prior aufzuspüren. Da das Lemma Iob 14, 4–5a ein besonders gutes Beispiel dafür darstellt, dass die beiden Kirchenväter dem Einfluss der Versio prior in ihren Werken auch Grenzen gezogen haben, werfe ich hier beispielshalber einen kurzen Seitenblick auf die bei beiden belegten anderen Textformen dieser Passage und frage nach deren abweichendem Hintergrund. In seiner großen Untersuchung zu Iob 14, 4–5a bei den lateinischen Kirchen­ vätern hat Ziegler 1985 auf der Grundlage des Beuroner Materials103 sehr sorgfältig die vielen verschiedenen Variationen präsentiert, in denen diese anderthalb Verse meist in altlateinischen Fassungen, aber zuweilen auch nach der Vulgata zitiert werden. Er hat sich aber auf eine statische Präsentation des Materials beschränkt, 99 Es ist bemerkenswert, dass dies auch für die Formulierungen gilt, die der von Hieronymus sonst so wenig geschätzte Ambrosius tradiert. Zu Hieronymus’ schwierigem Verhältnis gegenüber Ambrosius vgl. außer Bardenhewer (1905) 16–17 (Zitate)  vor allem Kelly (1975) 143–144 und Fürst (2003) 154 (Lit.). 100 Vgl. oben S. 465 mit Anm. 79: Hieronymus, adu. Pelag. 2, 4 (58, 53–55 Moreschini). Hieronymus zitiert dort im Kontext eine ganze Reihe von Hiob-Stellen als Belege gegen die Pelagianer. Zu den Details vgl. Anhang C. 101 Vgl. dazu oben Kapitel 7, S. 130–131 mit Anm. 22–26. 102 Vgl. La Bonnardière (1960) 110–111. 103 Ziegler (19852) 6.

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Spuren von Doppelübersetzungen in O. bei Augustin 

ohne zu fragen, ob sich Abhängigkeiten späterer von früheren Kirchenschriftstellern abzeichnen. Er hat deshalb auch nicht genauer zwischen verschiedenen altlateinischen Fassungen unterschieden (etwa zwischen den Zitaten bei Cyprian, bei Ambrosius und in den von ihm edierten spanischen Glossen), sondern spricht nur allgemein von der Vetus Latina im Gegenüber zur Vulgata104. Vor allem hat Ziegler auch nicht zwischen der Versio prior des Hieronymus und den eigentlichen älteren Vetus Latina-Fassungen differenziert. Damit wird bei ihm nicht deutlich, dass das Lemma Iob 14, 4–5a sowohl vom Übersetzer Hieronymus selbst als auch von Augustin nur ausnahmsweise nach der Versio prior zitiert wird: In der Regel benutzen beide andere Versionen105. Dabei fällt ein Unterschied zwischen Iob 14, 4 und Iob 14, 5a auf: Vers 14, 4 führen beide Autoren in zahlreichen freien Variationen an106. Für Iob 14, 5a hat sich dagegen jeder von beiden seine eigene, feste Formel zurechtgelegt. Für Augustin typisch ist sein Zitat in ciu. 20, 26: nec infans, cuius est unius diei uita super terram107. Diese Formulierung hat Augustin schon gleich beim ersten Mal geprägt, bei dem er Iob 14, 4–5a in seinen Werken anführt: conf. 1, 7, 11 (6, 4–5 Verh.). Die stereotype Formel nec infans zeigt, dass sich Augustin an Ambrosius orientierte108. Die Lesart neque infans taucht in fast allen Zitaten109 bzw. Paraphrasen110 des Lemmas Iob 14, 4 bei Ambrosius auf111. Der Bischof von Mailand setzt dabei vermutlich einen sonst nicht überlieferten griechischen Bibeltext voraus, der nicht οὐδὲ εἷς, sondern οὐδὲ παῖς las112. Da Ambrosius mehrfach ausdrücklich sagt, dass dieser Text in der Bi-

104 Ziegler (19852) 13–15 u. ö. 105 Auf den unterschiedlichen Wortlaut der Zitate in den Schriften des Hieronymus und in seinen Übersetzungen weist in allgemeiner Form auch Bogaert (2012) 391 hin. 106 Vgl. die Fülle der Varianten bei Ziegler (19852) 7–13. 107 Vgl. uirg. 48; en. Ps. 50, 10; 103, 4, 6; gr. et pecc. or. 2, 37; Io eu. tr. 41, 9; c. Iul imp. 2, 77; 4, 90; ep. 193, 3; s. 293, 11. Augustin erlaubt sich allerdings in der Mitte leichte Variationen der Wortstellung. Häufig ist die Variante est diei unius zur stärkeren Betonung von unius: c. litt. Pet. 2, 232; ep. 166, 6; perf. iust. 28; c. Iul imp. 3, 110; 6, 17; c. ep. Pel, 4, 4. Selten kommen Verschiebungen der Kopula est vor: So unius diei est s. 246, 5 bzw. est uita diei unius: s. 181, 1; cf. c. ep. Pel. 4, 27. 108 Auf die Einführung des Ausdrucks nec infans durch Ambrosius weisen Ziegler (19852) 9 und Bogaert (2012) 391 hin. 109 paenit. 1, 4 (54, 28–30 Gryson) cum Scriptura dicat quia ‚nemo mundus a peccato nec unius diei infans‘; ähnlich paenit, 1, 38 (86, 56–58 Gryson) Et tu dicis: ‚mundus sum‘, cum mundus non sit, ut scriptum est, ‚nec unius diei infans‘? apol. Dav. I, 15 (92, 16–17 Hadot) nec unius diei infans mundus esse scripturae testimonio declaratur. 110 bon. mort. 11, 49 (142, 27–29 Wiesner) quis enim iustificatur in conspectu dei, cum unius quoque diei infans mundus a peccato esse non possit? Vgl. apol. Dav. I, 56 (150, 20–21 Hadot) si nec unius diei infans sine peccato. 111 Die einzigen Ausnahmen ohne infans sind Iob 1, 22 (225, 15–17 Schenkl): quis autem mundus est a sorde? sed nemo, etiam si unius diei sit uita eius super terram. Ferner (von Bogaert (2012) 392 genannt) in Luc. 1, 17 (14, 264–265 Adriaen): nemo mundus a sorde nec si una die uita eius est. 112 Bogaert (2012) 392 erklärt die Einfügung von infans dagegen als habituell gewordene Erklärung nach einer Bemerkung des Hilarius. Ziegler (19852) 9 äußerst sich zur Quelle des Zusatzes nicht.

Die Passage Iob 14, 1–5a in De peccatorum meritis   

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bel stehe113, ist er vermutlich einem Missverständnis erlegen. Augustin übernahm diese irrtümliche Behauptung von der Schriftgemäßheit des Zitats114 – offensichtlich ohne Nachprüfung an griechischen Handschriften, obgleich dieser Text für ihn von großer dogmatischer Bedeutung war115 – als wichtiges Argument für seine Überzeugung, dass schon die Neugeborenen der Erbsünde unterworfen sind. Allerdings weist er an den oben analysierten Stellen in pecc. mer., nupt. et conc. samt Parallelen, an denen er die Versio prior zitiert, die den Zusatz nec infans nicht enthält, auf das Fehlen dieses für ihn entscheidenden Ausdrucks mit keinem Wort hin. Dies lässt m. E. auf ein gewisses Problembewusstsein schließen. Hieronymus dagegen vermeidet geflissentlich jeden Hinweis auf die Formulierung mit nec infans: Als Bibelphilologe wusste er, dass es dafür in den biblischen Urtexten keine Grundlage gab116. Für diese Differenz zwischen den beiden Kirchenvätern gibt es einen aufschlussreichen Beleg. Augustin lobt in der an Hieronymus adressierten ep. 166117 seinen Briefpartner dafür, in der Schrift gegen Iovinian das Zitat Iob 14, 4–5a im dogmatisch korrekten Sinn angeführt zu haben. Augustin formuliert (ep. 166, 6118): Iouiniani uaniloquia redarguens adhibuisti testimonium ex libro Iob: nemo mundus in conspectu tuo nec infans, cuius est diei unius uita super terram. Wenn man die Stelle bei Hieronymus nachschlägt, findet man jedoch einen anderen Wortlaut. Zudem hat Hieronymus die Hiob-Stelle ohne Herkunftsangabe nur relativ unbetont an ein ausdrückliches Zitat aus dem Jakobusbrief angehängt, also nicht besonders hervorgehoben. Die Passage lautet bei Hieronymus119: Nos autem iuxta epistulam Iacobi „multa peccamus omnes“ (Iac 3, 2), et nemo mundus a peccatis, nec si unius quidem diei fuerit uita eius (Iob 14, 4–5a120). In ep. 166, 6 ist also Augustin so weit gegangen, Hieronymus die von diesem stets vermiedene Formulierung des Hiob-Zitats mit nec infans in einer Situation unterzuschieben, in der sich dieser gegen eine solche Zumutung nur schlecht wehren konnte. Augustins Chuzpe überrascht umso mehr, als er die gesamte Passage aus der Invektive gegen Jovinian schon zuvor in pecc. mer. 3, 7, 13 vollständig zitiert hatte121, ohne jedoch dort Hieronymus’ Hiob-Zitat zu verändern122.

113 Vgl. alle drei Zitate in Anm. 109. 114 c. litt. Pet. 2, 232; en. Ps. 103, 4, 6; ciu. 20, 26; s. 351, 2; cf. uirg. 48. 115 Der Fall mahnt zur Vorsicht vor einer Überschätzung von Augustins Arbeit mit griechischen Handschriften. Schirner (2015) geht auf das Problem von Iob 14, 4–5a nicht ein. 116 Vgl. Ziegler (19852) 9 und Bogaert (2012) 391. 117 Dieser Brieftraktat datiert von 415: Fürst (2002), Bd. 1, 15. 118 Vgl. diese Stelle bei Fürst (2002), Bd. 2, 356. 119 Hieronymus, adv. Iovin. 2, 2 (PL 23, 284 B). 120 Der Nachweis des Hiob-Zitats fehlt bei Migne, der die Edition Vallarsis nachdruckt. 121 pecc. mer. 3, 7, 13 (140, 7–25). 122 Iob 14, 4–5 wird dort S. 140, 19–20 zitiert.– Dass sich Augustin der typischen Formulierung des Hieronymus, die an dem eingefügten quidem zu erkennen ist, bewusst war, zeigt sich auch daran, dass er sie bereits kurz zuvor im originalen Wortlaut angeführt hatte: pecc. mer. 3, 6, 12 (138, 19–20).

472

Spuren von Doppelübersetzungen in O. bei Augustin 

Das eben aus der Schrift gegen Iovinian angeführte Zitat von Iob 14, 4–5b zeigt die für Hieronymus typische Formulierung nec si unius quidem diei fuerit uita eius. Sie taucht erstmals in seinem Qohelet-Kommentar von 388/389 auf123. Sie unterscheidet sich nur durch die Zufügung des quidem, das bei Hieronymus schon zuvor in Zitaten nach einer etwas anders lautenden Vetus Latina-Fassung belegt ist124, von der Übersetzung von Iob 14, 5a, die in der altlateinischen Übersetzung des 1. Clemensbriefes steht125: Nemo est mundus a sorde, nec si unius diei fuerit vita eius. Wie sich oben zeigte, hat Hieronymus diese Vetus Latina-Fassung in seine Erstfassung O. der Versio prior übernommen. In ihren Zitaten von Iob 14, 5a stützen sich also beide Kirchenväter nur selten auf die Versio prior des Buches Hiob, sondern lehnen sich an bereits vorgeprägte Vetus Latina-Fassungen an. Beide wollten sich so vermutlich gegen den Vorwurf theologischer Neuerungen schützen126. Mir scheint charakteristisch, dass Augustin hier blind dem verehrten Ambrosius folgt, während Hieronymus mit dem 1. Clemensbrief eine römische Tradition übernimmt. Für die Aufgabe, verlorene Lesarten der Erstfassung O. der Versio prior zu rekonstruieren, bedeuten diese Beobachtungen, dass man nicht jedes Parallelzitat in den Werken der beiden Väter unbesehen für die Versio prior oder gar O. in Anspruch nehmen darf 127. Vor allem muss man sich hüten, jede kleinere oder größere Abweichung vorschnell auf eine Doppelübersetzung in O. zurückzuführen. Doppelfassungen sind nur glaubhaft zu machen, wenn sie Anhalt in ursprachlichen Vorlagen bzw. in Vetus Latina-Überlieferungen finden.

123 in eccles. 7, 17 (307, 254–257 Adriaen): cum […] nullus sit absque peccato, nec si unius quidem diei fuerit vita eius. Zur Datierung: Fürst (2003) 118. 300. Birnbaum (2014) 345 geht in ihrem Kommentar zur Stelle auf das Hiob-Zitat nicht weiter ein. 124 In den Commentarioli in Psalmos (von Fürst (2003) 118. 301 datiert vor 393) heißt es zu Ps 1, 1 (179, 15–16 Morin): quia nullus absque peccato, ne si unius quidem horae fuerit uita eius; zu Ps 9, 26 (192, 20–21 Morin): Nullus absque peccato, ne si unius quidem diei sit uita eius. 125 Clemens Romanus, ad Cor. 17, 4 (S. 24 Schaefer = S. 106 Schneider). 126 Vgl. La Bonnardière (1960) 121. 127 Vgl. im selben Sinn auch Anhang C.

H. Stellen in De peccatorum meritis: Kapitel 19–21 Kapitel 20: Die Zitate aus Iob 1–13 in De peccatorum meritis 20.1 Die Aufgabe Im vorigen Kapitel habe ich mit dem Versuch begonnen, die umstrittene Herkunft der Hiob-Zitate zu klären, die in Augustins Schrift De peccatorum meritis nach einer sonst nicht belegten Fassung zitiert werden. Der erste Durchgang galt der längsten und zugleich meistzitierten Passage Iob 14, 1–5a. Im Ergebnis fanden sich m. E. keine Argumente, die gegen die Hypothese sprachen, dass alle Teil-Lemmata dieser Hiob-Passage, die nicht nur in pecc. mer., sondern auch noch in anderen antipelagianischen Schriften zitiert werden, auf Doppel- oder Mehrfachübersetzungen in der Erstfassung O. der Versio prior des Hieronymus zurückgehen. Für diese Hypothese sprach hingegen, dass die Übersetzung eines jeden Halbverses in demselben Verhältnis sowohl zu den hebräischen und griechischen Vorlagen als auch zu den revidierten Fassungen S. und T. (B.) stand, das sich in den vorangehenden Kapiteln dieser Arbeit als typisch für Hieronymus’ Erstfassung O. herausgestellt hatte. In den verbleibenden beiden Kapiteln weite ich die Untersuchung auf die restlichen Hiob-Zitate in pecc. mer. aus. Im vorliegenden Kapitel hole ich die Untersuchung der Belege aus den Hiob-Kapiteln 1 bis 13 nach. Die Zitate, die bei diesem zweiten Durchgang zur Sprache kommen, weichen teilweise stark von den Lesarten ab, die in Augustins Adnotationes bzw. in den Hieronymus-Codices S. T. B. für die entsprechenden Lemmata der Versio prior bezeugt sind. In solchen Fällen tut sich ein Dilemma auf. Einerseits scheint die These, Hieronymus habe solch deutlich divergierende Lesarten als Doppelübersetzungen in seiner Erstfassung O. nebeneinander gestellt, wenig plausibel zu sein. Andererseits kann die Diagnose von Doppelübersetzungen zumindest theoretisch auch große Differenzen, für die keine anderen Begründungen zu finden sind, auf einfache Weise erklären. Zudem sind einige Beispiele für stark divergierende Doppelübersetzungen in O. auch schon früher in dieser Arbeit begegnet1. Das geschilderte Dilemma ist mit theoretischen Überlegungen nicht aufzulösen. Man muss vielmehr für jeden Einzelvers überprüfen, wieweit die verschiedenen ursprachlichen Vorlagen, die angewandten Übersetzungstechniken und das Verhältnis zu den revidierten Fassungen S. T. B. zu den typischen Zügen der Erstfassung O. der Versio prior passen, die im Verlauf der vorliegenden Arbeit sichtbar geworden sind. Insofern kann die folgende Untersuchung mit Aussicht auf Erfolg auch erst am Ende der vorliegenden Arbeit unternommen werden.



1 Vgl. Kap. 8, S. 176–177 zu Iob 29, 11a sowie S. 187–189 zu Iob 10, 20b-21a.

474

Spuren von Doppelübersetzungen in O. bei Augustin 

Augustin zitiert in pecc. mer. 2, 10, 14–2, 12, 17 zunächst vier zusammenhängende Textpassagen aus dem Buch Hiob in folgender Reihenfolge: Iob 9, 2–3. 19– 20. 28–31; Iob 13, 26–28; Iob 14, 1–5a; Iob 14, 16–17. Dann wird diese kohärente Serie unterbrochen: Auf zwei Einzelverse (Iob 1, 22 und 39, 34) folgt nochmals eine etwas längere Passage (Iob 42, 5–6), bevor Vers Iob 1, 8 den Abschluss bildet. Hinzuzunehmen sind noch zwei Passagen aus De anima et eius origine (Iob 32, 8–9 und Iob 33, 3–4), die De Bruyne ebenfalls für seine These anführt2. Weil es mir hier nicht um Augustins Gedankengang in pecc. mer. bzw. an. et or., sondern um die Hiob-Zitate als mögliche Zeugen für die Versio prior des Hieronymus geht, bespreche ich im Folgenden die Texte in der Reihenfolge des Hiob-­ Buches. (Die Analysen zu Iob 14, 1–5a wurden schon in Kapitel 19 vorweg­ genommen.)

20.2 Überprüfung der Herkunft der einzelnen Teil-Lemmata 20.2.1 Analyse der Verse aus Iob 1 Iob 1, 8b 3 Hiob Kap. u. Vers 1, 8b

Wortlaut bei Augustin

Fassung in S. T. B.

pecc. mer. 2, 12, 17 (89, 9–10)

adn. = O.

S. T.

B.

animo aduertisti in puerum meum Iob?

fehlt

animaduertisti in puerum meum Iob?

animaduertisti ­ puerum meum Iob?

M3: ‫ֲה ַ ׂ֥ש ְמּתָ ִל ְּבָך֖ עַ ל־עַ ְב ִ ּ֣די ִא ֹּ֑יוב‬

LXX: Προσέσχες τῇ διανοίᾳ σου κατὰ τοῦ παιδός μου  Ἰώβ;

Vulgata: numquid considerasti servum meum Iob?

Der Text von pecc. mer. spiegelt in seiner Struktur die LXX wider: animo aduertisti in entspricht προσέσχες τῇ διανοίᾳ κατὰ. Ich halte ihn für eine Doppelübersetzung aus O., weil für O. gleichzeitig auch eine Übersetzung nach dem Hebräischen erhalten ist – und zwar in dem Wortlaut des Bodleianus (B.). An einer früheren Stelle dieser Arbeit habe ich nachgewiesen, dass man in Fällen, in denen Augustin ein Lemma übersprungen hat, eine Lesart von O. doch noch rekonstruieren kann, wenn B. mit einer sinnvollen und nicht aus der Vulgata kontaminierten Lesart von T. abweicht4. Das ist hier der Fall: Weil B. in seiner Struktur, in der das Prädikat keinen präpositionalen Ausdruck, sondern ein Akkusativobjekt regiert, der Vulgata

2 De Bruyne (1931) 593. 3 Dt.: Hast du dein Herz gesetzt auf meinen Knecht Hiob? 4 Vgl. Kap. 6, S. 115–119.

Die Zitate aus Iob 1–13 in De peccatorum meritis   

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entspricht5, kann man schließen, dass Hieronymus diese Fassung als adäquate Wiedergabe des idiomatischen Ausdrucks „sein Herz setzen auf “ in der hebräischen Vorlage angesehen hat. (Vielleicht hat zur Wahl dieser Version in B. und zum Erhalt ihrer syntaktischen Struktur in der Vulgata beigetragen, dass sie schon bei Cyprian belegt ist.6) In S. hat Hieronymus diese hebraisierende Lesart wie üblich gestrichen und die Übersetzung nach der LXX durch Umwandlung von animo aduertisti zu animaduertisti stilistisch verschlankt. Iob 1, 8c 7 Hiob Kap. u. Vers 1, 8c

Wortlaut bei Augustin

Fassung in S. T. B.

pecc. mer. 2, 12, 17 (89, 10–11)

adn. = O.

non enim est illi homo similis super terram

fehlt

M7: ‫ִ ּ֣כי ֵא֤ין ּכָ ֹ֨מהּו ֙ ּבָ ָ֔א ֶרץ‬

quia non est quisquam similis illi super terram LXX: ὅτι οὐκ ἔστιν κατ’ αὐτὸν τῶν ἐπὶ τῆς γῆς

Vulgata: quod non sit ei similis in terra

Die Version in pecc. mer. beruht auf einer Nebenversion des Hebräischen: Hieronymus hat hier das Wort ‫„( ִא֣יׁש‬Mann“), das M ebenso wie die LXX und Hieronymus selbst später in S. T. und in der Vulgata als erstes Wort des folgenden Kolons auffassen, noch in den vorangehenden Teilsatz integriert. Als hebraisierende Version, die noch dazu durch ihre ungewöhnliche Texteinteilung hervorsticht, widerspricht der Fall den Erklärungen von De Bruyne und Bogaert, trägt aber Züge, die für die Erstfassung des Hieronymus typisch sind. Die Fassung von S. T. B. erklärt sich demgegenüber als freie Übersetzung nach der LXX. Damit ist wahrscheinlich, dass beide Versionen in O. nebeneinander standen. Aber auch wenn O. noch keine Doppelübersetzung enthalten haben sollte, kann jedenfalls die Version von pecc. mer. aufgrund ihres hebräischen Hintergrundes mit Sicherheit auf O. zurückgeführt werden. Iob 1, 8d Besonders zutreffend erscheint die Hypothese, dass die Hiob-Texte in pecc. mer. auf Doppelübersetzungen in O. zurückgehen, an Stellen, an denen Augustin in pecc. mer. selbst zwei verschiedene Fassungen nebeneinander zitiert. So im Lemma Iob 1, 8d, das er in den Adnotationes übersprungen hatte:



5 Die strukturelle Entsprechung stellt keine Kontamination dar. 6 Cyprian, mortal. 10 (21, 149–150 Simonetti) animaduertisti puerum meum Iob? 7 Dt.: Denn nicht ist wie er auf der Erde.

476 8

Hiob Kapitel u. Vers 1, 8d

Spuren von Doppelübersetzungen in O. bei Augustin  Wortlaut bei Augustin in pecc. mer. 2, 12, 17 1. hinführende Paraphrase (89, 7–8)

2. wörtl. Zitat (89, 11–12)

3. Wiederauf­ nahme (89, 16. 17. 18)

iam iustus et ­ uerax dei cultor

sine querella, ­ iustus, dei cultor

sine querella; ­ iustus; uerus dei cultor

M8: ‫ֹלהים‬ ִ֖ ‫א‬ ֱ ‫רא‬ ֥ ֵ ְ‫איׁש ָּת֧ם וְ י ָָׁש֛ר י‬ ִ֣

adn. = O.

Fassung in S. T. B.

fehlt

homo sine crimine, uerax dei cultor

LXX: ἄνθρωπος ἄμεμπτος, ἀληθινός, θεοσεβής

Vulgata: homo simplex et rectus et timens Deum

Diese Tabelle enthält zwei wörtliche Übersetzungen. Die Version in S. T. B. gibt mit dem einleitenden Stichwort homo und dem Schlüsselwort uerax (für ἀληθινός) die LXX wieder. Das Zitat in pecc. mer. dagegen ist die genaue Übersetzung der hebräischen Vorlage, wie sie sich Hieronymus schon im vorigen Teil-Lemma zurechtgelegt hatte: Dort hatte er das Wort ‫„( ִא֣יׁש‬Mann“), das in M den Teilvers 1, 8d eröffnet, noch zum vorangehenden Teilvers 1, 8c gezogen. Darüber hinaus beruht iustus (statt uerax) auf dem hebräischen ‫„( י ָָׁש֛ר‬gerecht“). Allein der Umstand, dass das Hauptzitat in pecc. mer. eine Übersetzung aus dem Hebräischen darstellt, spricht wieder gegen die Erklärungen von De Bruyne und Bogaert. Darüber hinaus zeigen aber die Formulierungen, die Augustin zur Hinleitung auf das Hauptzitat und bei der anschließenden Wiederaufnahme der Schlüsselbegriffe benutzt, dass er in dem Text, den er in pecc. mer. durchweg „nach dem offenen Buch“ zitiert9, die genannten Fassungen nach beiden Urtexten schon nebeneinander vorfand. Beide Paraphrasen nämlich stellen Konflationen beider Übersetzungen dar: Sie kombinieren jeweils die Eigenschaften iustus (lt. M) und uerax/uerus (lt. LXX), die in den Urtexten nur getrennt erscheinen10. Es ist wieder typisch, dass Hieronymus in S. und T. nur die Version nach der LXX stehen ließ. Iob 1, 8e Mit dem folgenden Teilvers Iob 1, 8e geht Augustin ganz ähnlich um. Wieder bildet er durch eine Hinführung und einen Rückblick einen Rahmen um das eigentliche Zitat im Zentrum, wobei verschiedene Übersetzungen ins Spiel kommen:

8 Dt.: ein Mann rechtschaffen und gerecht, der Gott fürchtet (im Hbr. partizipial). 9 So der Ausdruck Bogaerts; vgl. oben die Vorbemerkungen zu den Kapiteln 19–21, S. 448, Anm. 3. 10 Auch in anderen Schriften zitiert Augustin eine eigene Konflation beider Übersetzungen, indem er grundsätzlich mit uerax/uerus dei cultor der Version nach dem Griechischen folgt, aber statt sine crimine die Variante sine quere(l)la benutzt, die bei Hieronymus zu der Version aus dem Hebräischen gehört: so symb. cat. 10 homo sine querela, uerus dei cultor; ebenso en. Ps. 100, 12 und perf. iust. 37. Mit uerax: en. Ps. 103, 4, 8 homo sine querela, uerax dei cultor. Diese Zitierpraxis Augustins bestätigt, dass in seiner Vorlage O. beide Versionen nebeneinander standen.

477

Die Zitate aus Iob 1–13 in De peccatorum meritis    11

Hiob Kapitel u. Vers 1, 8e

Wortlaut bei Augustin in pecc. mer. 2, 12, 17 1. hinführende ­ Paraphrase (89, 8)

2. wörtl. Zitat (89, 12)

3. Wiederaufnahme (89, 19–20)

et ab omni malo opere se abstinens

abstinens ab omni opere malo

abstinens se ab omni opere malo

M11: ‫וְ ָ ֥סר מֵ ָ ֽרע‬

adn. = O.

Fassung in S. T. B.

fehlt

abstinens se ab omni malo

LXX: ἀπεχόμενος ἀπὸ παντὸς πονηροῦ πράγματος

Vulgata: ac recedens a malo

Die von Augustin in pecc. mer. zitierte Version beruht auf der LXX, wie der Begriff opere ~ πράγματος beweist, der im Hebräischen fehlt. Die in den HieronymusCodices S. T. B. vorliegende Fassung enthält den Zusatz opere nicht und spiegelt insoweit den hebräischen Urtext. Es handelt sich bei dieser Fassung aber nicht um eine reine Übersetzung aus dem Hebräischen, sondern um eine Konflation aus der hebräischen und der griechischen Vorlage; denn die fehlende Einleitung durch „und“ sowie der Zusatz von omni entsprechen der LXX. Dass Hieronymus in S. und T. diese auf Konflation beruhende Übersetzung stehen ließ, dürfte dadurch begründet sein, dass es sich um eine im kirchlichen Gebrauch bereits fest verankerte Vetus Latina-Fassung handelt, wie ein Beleg in Cyprians Testimonia zeigt12. Diese Stelle hätte also De Bruyne als Beleg für seine Theorie anführen können: Das Zitat in pecc. mer. gibt tatsächlich die LXX genauer wieder als der Wortlaut in den Hieronymus-Codices S. T. B. Einer Deutung der Stelle nach De Bruyne oder Bogaert steht aber entgegen, dass Augustin hier – genau wie im vorangehenden Teil-Lemma – aus einem Codex zitiert, der zwei verschiedene Übersetzungen der Stelle enthielt. Das kann nur die Erstfassung O. des Hieronymus mit ihren Doppelübersetzungen gewesen sein. Das Vorliegen einer zweiten Version wird durch zwei Details bewiesen. Erstens wird im Hauptzitat in pecc. mer. das Verbum abstinere ohne se konstruiert13, während Augustin in der Hinleitung und in der Wiederaufnahme des Zitates abstinere jeweils mit se verbindet, wie es der Version der Hieronymus-Codices S. T. B. entspricht14. Zweitens variiert die Reihenfolge in der Wortgruppe malo opere. Die Wortstellung der LXX mit vorangestelltem Attribut findet sich nur in der hinführenden Paraphrase; im Hauptzitat und in der Wiederaufnahme heißt es dagegen opere malo. Die Endstellung von malo entspricht nicht nur der üblichen lateini 11 Dt.: und sich fernhält von Bösem (im Hbr. wieder partizipial). 12 Cyprian, testim. 3, 14 (105, 9 Weber) abstinens se ab omni malo. 13 Zu intransitivem abstinere (ab)  aliqua re (ohne se)  vgl. die reichen Belege im TLL 1.0.195.41 ff. (mit reinem Ablativ) und 1.0.196.73 ff. (mit ab). In der Vulgata findet sich die intransitive Konstruktion bei insgesamt 15 Belegen für abstinere nur Num 6, 3 und 1 Tim 4, 3. 14 In der Vulgata ist abstinere mit se die übliche Konstruktion: Vgl. die vorige Anmerkung.

478

Spuren von Doppelübersetzungen in O. bei Augustin 

schen Praxis, sondern lässt sich hier zugleich als Reflex des Hebräischen verstehen, in dem der Begriff „Böses“ ebenfalls am Versschluss steht. Augustin hatte also einen Codex vor sich, der mehrere Varianten enthielt, und hat diese wie im vorangehenden Teil-Lemma bewusst in seine Argumentation eingebaut. In beiden Fällen verfuhr er nach derselben Technik: Er führte die eine Lesart als Hauptzitat an (also vermutlich die, auf die sich die Pelagianer beriefen) und benutzte die andere zur Formulierung einer Hinführung und einer Wiederaufnahme des Zitats. Iob 1, 22ab Diesen Vers führt Augustin nur in einer Paraphrase an: 15 Hiob Kap. u. Vers 1, 22a–b

Wortlaut bei Augustin

Fassung in S. T. B.

pecc. mer. 2, 10, 16 (87, 20–88, 1)

adn. = O.

cum etiam scriptura […] dixerit in omnibus, quae contigerunt ei, non eum peccasse labiis suis ante dominum

fehlt

M15: ‫אֹלהים‬ ִֽ ֵ‫לה ל‬ ֖ ָ ‫ָתן ִּת ְפ‬ ֥ ַ ‫ל־ז את ל ֹא־חָ ָט ֣א ִא ֹּ֑יוב וְ ל ֹא־נ‬ ֹ֖ ָ‫ְּבכ‬

in omnibus his quae contigerunt ei non peccauit Iob coram domino

LXX: Ἐν τούτοις πᾶσιν τοῖς συμβεβηκόσιν αὐτῷ οὐδὲν ἥμαρτεν Ἰὼβ ἐναντίον τοῦ κυρίου καὶ οὐκ ἔδωκεν ἀφροσύνην τῷ θεῷ

Vulgata: in omnibus his non peccavit Iob neque stultum quid contra Deum locutus est

Die freie Paraphrase zeigt sich am Ausfall des his vor dem Relativsatz, das Vorlagen in beiden Urtexten hat. Umgekehrt weist die Paraphrase mit labiis suis einen Überschuss über die Fassung in S. T. B. auf. Dieser beruht auf einer griechischen Nebenüberlieferung; deshalb findet er sich nicht in den revidierten Fassungen des Hieronymus. Der Schluss, dass Augustin diesen Zusatz aus einer Doppelfassung in O. zitierte und nicht etwa einer pelagianischen Neuübersetzung entnahm, wird dadurch unterstützt, dass sich die beiden anderen Zitate des Verses, die sich in seinen Werken finden, im Wortlaut unterscheiden. Die erste Stelle lautet16: quod non peccaverit labiis suis ante dominum; dagegen hat die zweite17 den leicht abweichenden

15 Dt.: In all diesem sündigte Hiob nicht und gab Gott keinen Anstoß (wörtlicher: und gab = machte nichts Albernes für Gott). 16 c. Prisc. 12 (datiert 415; vgl. Petri (2013) 158). 17 c. Iul. 2, 4 (datiert 422; vgl. M. Zelzer (2013) 206).

Die Zitate aus Iob 1–13 in De peccatorum meritis   

479

Wortlaut non peccauit in labiis suis. Augustins Hiob-Text enthielt also mit in labiis und bloßem labiis zwei Varianten. Beide beruhen auf griechischen Nebenüberlieferungen18. All diese Details passen genau zum Profil von Hieronymus’ Erstfassung O.

20.2.2 Analyse der Verse aus Iob 9 Iob 9, 2a 19 Hiob Kap. u. Vers

9, 2a

Wortlaut bei Augustin

Fassung in S. T. B.

pecc. mer. 2, 10, 14 (85, 6–7; paraphrasiert 86, 4. 5. 10)

adn. = O. (526, 25)

in ueritate scio, quia ita est

uere scio quia ita est

M19: ‫י־כ ֑ן‬ ֵ ‫ָ֭א ְמנָם י ַָד ְ֣ע ִּת י ִכ‬

uere scio quia ita est LXX: Ἐπ’ ἀληθείας οἶδα ὅτι οὔτως ἐστίν

Vulgata: vere scio quod ita sit

De Bruyne hat Recht mit der Beobachtung, dass die Lesart in ueritate in pecc. mer. wörtlich dem ἐπ’ ἀληθείᾳ der LXX entspricht20. Das Adverb uere der anderen Zeugen gibt dagegen das hebräische Adverb ‫ ָ֭א ְמנָם‬wieder und steht deshalb auch in der Vulgata. Das Zitat mit uere in den Adnotationes ist nicht erst vom ω2-Frater aus T. eingeführt, weil uere als erstes Wort des Lemmas auf Augustins Diktat zurückgehen muss. Das eigentliche Rätsel der Stelle liegt in der Frage, warum Hieronymus ungewöhnlicher Weise an der Übersetzung auf hebräischer Basis auch in S. und T. festgehalten hat. Vielleicht nahm er auf eine bekannte Vetus Latina-Übersetzung Rücksicht21. Weil es aber höchst ungewöhnlich wäre, wenn er auf allen Revisionsstufen seiner Versio prior neben der Version nach dem Hebräischen nicht auch eine Übersetzung nach dem Griechischen geboten hätte, kommt man auch hier zu dem Ergebnis, dass die Formulierungen in ueritate (bezeugt von pecc. mer.) und uere (bezeugt von adn.) in O. nebeneinander standen.

18 Vgl. Ziegler (1982) 215 zu Iob 1, 22b im 1. Apparat. 19 Dt.: Wahrhaftig, ich weiß, dass so . 20 De Bruyne (1931) 593. 21 Überliefert ist lt. Vetus Latina-Datenbank für Vers Iob 9, 2a allerdings nur die altlateinische Version bei Ambrosius: Iob 1, 11 (216, 22 Schenkl) in ueritate noui quia ita est.

480

Spuren von Doppelübersetzungen in O. bei Augustin 

Iob 9, 2b 22 23 24 Hiob Kap. u. Vers

9, 2b

Wortlaut bei Augustin

Fassung in S. T. B.

pecc. mer. 2, 10, 14 (85, 7–8 = 86, 10–11; paraphrasiert 86, 4–5)

adn. = O.

S.

T.

B.

quemadmodum enim iustus erit ante dominum?

(nur sinngemäße Umschreibung) nemo est in conspectu eius iustus22

quomodo enim pote­ rit iustus esse homo23 apud deum

quomodo enim poterit quis iu­stus esse ante dominum

quomodo enim poterit iustus esse apud dominum

(527, 1)

M24: ‫ם־אל‬ ֵֽ ‫א ֹ֣נ וׁש ִע‬ ֱ ‫ּד ק‬ ֖ ַ ‫ּומַ ה־ּיִ ְצ‬

LXX: πῶς γὰρ ἔσται δίκαιος βροτὸς παρὰ κυρίῳ;

Vulgata: et quod non iustificetur homo conpositus Deo

Ein eindeutiger Fixpunkt in dieser Fülle von Varianten ist der Text von S. Drei Details zeigen, dass es sich dort um die Übersetzung der hebräischen Vorlage handelt: Neben dem typischen Gebrauch von posse zur Umschreibung eines hebräischen Imperfekts25 entsprechen sich homo und das hebräische ‫ ֱא ֹ֣נוׁש‬sowie deum und das hebräische ‫ ֵ ֽאל‬. De Bruyne hat wieder Recht mit dem Hinweis, dass die Fassung von pecc. mer. lt. dem Futur erit und der Vokabel dominum auf dem Griechischen beruht. Was er aber nicht bedacht hat, ist der auffallende Umstand, dass diese Übersetzung das Subjekt „Mensch“ nicht ausdrückt, obwohl βροτός in allen griechischen Codices steht. Dieselbe Lücke klafft auch im Codex B. Daraus ergibt sich m. E., dass die Fassungen von pecc. mer. und B. auf eine gemeinsame Quelle zurückgehen, die diesen Fehler aufwies. Das kann wieder nur die Erstfassung O. gewesen sein. In S. nämlich steht das Subjekt homo und in T. das Subjekt quis, das sich als sinngemäß treffende, aber elegantere Formulierung verstehen lässt. Somit ergeben sich folgende Schritte der Textgeschichte dieses Teil-Lemmas: In O. stand eine fehlerhafte Übersetzung der LXX (repräsentiert von der Fassung in pecc. mer.). In S. ließ Hieronymus diese fallen und ersetzte sie durch eine Über­ setzung nach M. Diese ungewöhnliche Bevorzugung einer hebraisierenden Übersetzung in S. war auch schon im vorangehenden Teil-Lemma Iob 9, 2a zu beobachten und ist bisher nicht erklärt. S.  wiederum war nur eine Zwischenstufe. In T. 22 Vgl. die ähnliche Formulierung adn. 13 (537, 10). Vermutlich liegt ein Zitat zugrunde, dessen Nachweis mir aber auch mit Hilfe des CAG nicht gelungen ist. 23 Caspari (1893) 62 verschiebt homo nach vorn hinter poterit (ohne erklärende Anmerkung). 24 Dt.: und wie wird ein Mensch Recht behalten bei Gott? 25 Vgl. dazu Kap. 12, S. 286 mit Anm. 4 und Kap. 14, S. 349 mit Anm. 56.

Die Zitate aus Iob 1–13 in De peccatorum meritis   

481

nämlich ersetzte Hieronymus nicht nur homo durch quis, sondern kombinierte auch die hebraisierende Konstruktion poterit esse mit der Formel ante dominum, die auf der LXX beruht. Die Stelle zeigt, dass Hieronymus bei dem Schritt von S. zu T. noch mehrere Änderungen vorgenommen hat, und bestätigt so die Einschätzung von S. als einer eigenständigen Revisionsstufe. Auch der Kompilator von B. hat hier nicht einfach O. oder T. kopiert, sondern aus beiden Vorlagen seine eigene Mischung gebildet: poterit esse und dominum stammen aus T.; die Auslassung des Subjekts entspricht O. Auch das apud in B. muss aus O. stammen; da pecc. mer. als einziger direkter Zeuge für O. ante hat, folgt, dass Hieronymus in O. ante und apud als Doppelübersetzungen zur Wahl stellte. Das lag nahe, weil sowohl die hebräische Präposition ‫ ִ עם‬26 als auch das griechische παρὰ + Dativ mit ante oder apud übersetzt werden können. Weil pecc. mer. hier für O. eine Fassung auf griechischer Basis bezeugt, bleibt offen, ob daneben auch schon die hebraisierende Übersetzung von S. in O. stand oder erst in S. – aus noch ungeklärten Gründen – neu eingeführt wurde. Iob 9, 3ab 27 Hiob Kap. u. Vers

9, 3ab

Wortlaut bei Augustin pecc. mer. 2, 10, 14 (85, 8–9 = 86, 11–12)

adn. = O.

si enim ­uelit contendere cum eo, non poterit oboe­ dire ei

fehlt

M27: ‫ִאם־י ֭ ְַח ֹּפץ לָ ִ ֣ריב ִעּמֹ֑ ו ֽל ֹא־ ַי֝ ֲע ֗ ֶנּנּו אַ ַ ֥חת‬ ‫י־אלֶ ף‬ ֽ ָ ִ‫ִמּנ‬

Fassung in S. T. B.

si enim uelit iudicio contendere cum eo, et respondens unus de mille

non respon­ debit ei unum de mille

non respon­ debit ei unus de mille

LXX/Hexapla: ἐὰν γὰρ βούληται κριθῆναι αὐτῷ, * οὐ μὴ ὑπακούσῃ αὐτῷ, ἵνα μὴ ἀντείπῃ πρὸς ἕνα λόγον αὐτοῦ ἐκ χιλίων

Vulgata: si voluerit contendere cum eo non poterit ei respondere unum pro mille

De Bruyne führt diesen Vers in der Fassung von pecc. mer. als eine genaue Übersetzung des Griechischen an28. Ein Blick auf M und die Vulgata zeigt aber, dass diese Einschätzung nur für den zweiten Versteil non poterit oboedire ei gilt. Der erste Teilvers kann genauso gut als Übersetzung von M aufgefasst werden und steht deshalb auch kaum verändert in der Vulgata: Das einfache contendere ohne den erklären 26 Vgl. Gesenius-Donner (2013) 976 rechts – 978 links. 27 Dt.: Wenn er wünschen wird, mit ihm zu rechten, wird er ihm gewiß nicht eines von tausend erwidern. 28 De Bruyne (1931) 593.

482

Spuren von Doppelübersetzungen in O. bei Augustin 

den Zusatz des iudicio entspricht beiden Urtexten. Allerdings weist De Bruyne für seine These, dass die Fassung von pecc. mer. nicht aus der Versio prior stammt, darauf hin, dass in S. T. B. für die Versio prior nur die verdeutlichende Lesart si enim uelit iudicio contendere cum eo überliefert ist. Vermutlich hat Hieronymus auch noch in S. T. deshalb an ihr festgehalten, weil sie ganz ähnlich schon in der Vetus Latina-Fassung des Ambrosius stand.29 Gerade weil aber die interpretierende Übersetzung mit dem Zusatz von iudicio offensichtlich eine vertraute altlateinische Version war, spricht im Licht unserer bisherigen Ergebnisse viel für die Vermutung, dass Hieronymus die textnähere Fassung ohne iudicio als eigene Doppelübersetzung in O. danebenstellte, so dass das Zitat in pecc. mer. aus dieser Quelle floss30. Für die richtige Einschätzung der Stelle ist nun von Bedeutung, dass Hieronymus sich in S. und T. im zweiten Teilvers um eine Übersetzung des Hebräischen bemüht. (Bei De Bruyne liegt hier ein Missverständnis vor; er behauptet, dieser Teilvers sei in S. T. B. ausgelassen31.) Eine korrekte Übersetzung von M hat Hieronymus jedoch erst in der Endfassung T. vorgelegt. Die Fassung der vorangehenden Revisionsstufe S. scheint dagegen auf den ersten Blick sinnlos in der Luft zu hängen. Ich vermute aber, dass dort die wörtliche Übersetzung eines anderen hebräischen Textes vorliegt. Diese teilweise verstümmelte Nebenüberlieferung lässt sich wie folgt rekonstruieren: Ihr fehlte die einleitende Negation; die Verbform begann nicht mit dem Jod der 3. Person Singular Maskulinum Imperfekt, sondern mit einem graphisch ähnlichen Waw; die Verbform wurde nicht als Imperfekt, sondern als Partizip Aktiv Qal vokalisiert; am Ende fehlte ihr durch Haplographie das Suffix der 3. Person Singular Maskulinum und damit auch das Nun energicum. Das Zahlwort „eins/einzig“ endete nicht mit der femininen Endung -th, die auch für das Neutrum steht, sondern mit der Endung -h des Maskulinum Singular. Im Hebräischen ergäbe der Vers durchaus guten Sinn: „Wenn er mit ihm rechten wollte, dann würde er Antwort geben als einziger von tausend“. Das Partizip würde als Prädikatsnomen eines Nominalsatzes dienen; das Waw würde als Waw apodosis den Hauptsatz ein-

29 Ambrosius, Iob 1, 11 (216, 23–24 Schenkl) si enim uoluerit iudicio contendere cum eo. 30 Die Formulierung non iudicio contendo tecum steht auch schon in conf. 1, 5, 6 (3, 18–19 und nochmals 20 Verh.). Verheijen gibt als Quellen sowohl Ier 2, 29 als auch Iob 9, 3 an. Jedoch hat Folliet (2003) m. E. überzeugend nachgewiesen, dass Augustin dort nicht auf Iob 9, 3, sondern auf Ier 2, 29 anspielt. Entscheidend scheint mir Folliets Hinweis (145–146) auf die typische Kombination von Ier 2, 29 mit Ps 129, 3 zu sein, die auch in conf. vorliegt. Damit kann man die Confessiones-Stelle nicht als Argument dafür anführen, dass die Fassung von S. T. (mit iudicio) schon in O. stand. Ich kann Folliet aber nicht folgen, wenn er argumentiert (141. 145), De Bruyne habe anhand unserer Stelle in pecc. mer. bewiesen, dass Augustin Iob 9, 3 nur ohne iudicio zitieren wollte, so dass ein Zitat von Iob 9, 3 mit iudicio in conf. ohnehin nicht in Frage komme. Folliet zieht typischerweise nicht in Betracht, dass Augustins Hiob-Text, die Erstfassung O. der Versio prior des Hieronymus, Mehrfachübersetzungen enthalten haben könnte, geschweige denn dass Augustin solche Varianten nebeneinander nicht nur gelten ließ, sondern auch selbst zitierte. 31 De Bruyne (1931) 593; ebenso Bogaert (2012) 389.

Die Zitate aus Iob 1–13 in De peccatorum meritis   

483

leiten und im Lateinischen wegfallen. Hieronymus’ Fehler hätten darin bestanden, diese beiden typisch hebräischen Konstruktionen zu verkennen. So würde sich das Partizip Präsens Aktiv respondens und ebenso das einleitende et der in S. vorliegenden Version erklären. Der Umstand, dass Hieronymus in S. und T. im Teil-Lemma Iob 9, 3a um eine Übersetzung aus dem Hebräischen ringt, lässt nun den entsprechenden Versteil in pecc. mer. in einem anderen Licht erscheinen als bei De Bruyne. Wenn De Bruyne bzw. Bogaert Recht hätten, die Übersetzung nach dem Griechischen in pecc. mer. nicht Hieronymus, sondern erst Augustin bzw. einem Pelagianer zuzuschreiben, hätte die Erstfassung O. gar keine Übersetzung nach dem Griechischen enthalten. Das ist aber kaum glaubhaft, zumal die Ambrosius-Fassung, die in der ersten Vers­ hälfte zitiert wird, bruchlos mit einer ungelenken Version der LXX weitergeht32: non audiet illum, ut non ad unum uerbum eius mille sermonibus contradicat. Dieser Text rief geradezu nach Überarbeitung. Der Überlieferungsbefund ist also m. E. so zu deuten, dass Hieronymus in O. für jeden Teilvers von Iob 9, 3 eine doppelte Übersetzung vorschlug. Für Vers 9, 3a ergänzte er die Version des Ambrosius durch seine eigene Fassung (si enim uelit contendere cum eo), die sowohl LXX als auch M wörtlich wiedergab. Für Vers 9, 3b stellte er neben seine neue, glattere Übersetzung der LXX (non poterit oboedire ei), die in pecc. mer. überliefert ist33, eine Übersetzung nach dem Hebräischen, deren Details aus der vorstehenden Analyse aber noch nicht vollständig hervorgehen. Um die Rekonstruktion der hebräischen Variante in O. abzurunden, muss man nämlich noch einen Blick auf die Fassung in B. werfen. Sie ist keine simple Kopie von T., sondern bietet statt des Neutrums unum das Maskulinum unus, das auch in S. vorliegt. Daraus lässt sich schließen, dass die missglückte Fassung S. schon in O. gestanden hat, das ja neben T. die andere Quelle für den Kompilator von B. war. Dieser hat also den Rahmen von T. kopiert, ihn aber mit einem Detail aus O. (eben dem Maskulinum unus) kombiniert. Ungelöst bleibt die Frage, warum Hieronymus in der gesamten Passage Iob 9, 2–3 anders als sonst in der revidierten Fassung S. an den Übersetzungen nach dem Hebräischen festhielt, statt sich dort wie üblich auf die Version nach dem Griechischen zu beschränken. Auch das Festhalten an der problematischen hebräischen Nebenüberlieferung von Iob 9, 3b in S. steht bisher allein. Iob 9, 19b Ein weiteres, wenn auch weniger auffälliges Beispiel dafür, dass Hieronymus in S. und T. der hebräischen Vorlage Einfluss auf Kosten der Übersetzung nach der LXX einräumte, liegt in Iob 9, 19b vor:

32 Ambrosius, Iob 1, 11 (216, 24–26 Schenkl). 33 Dies gegen De Bruyne (1931) 593 und Bogaert (2012) 389; vgl. oben Anm. 31.

484 34 35 36

Hiob Kap. u. Vers

9, 19b

Spuren von Doppelübersetzungen in O. bei Augustin  Wortlaut bei Augustin

Fassung in S. T. B.

pecc. mer. 2, 10, 14 (85, 9–10 = 86, 19)

adn. = O.

quis enim34 iudicio eius aduer­ sabitur?

fehlt

nam iudicio eius quis35 aduer­ sabitur? LXX: τίς οὖν κρίματι αὐτοῦ ἀντιστήσεται;

M36: ‫ידנִ י‬ ֽ ֵ ‫יוֹע‬ ִ ‫מי‬ ֣ ִ ‫ם־ל ִמ ְׁש ֗ ָּפ ט‬ ְ֝ ‫וְ ִא‬ Vulgata: si aequitas iudicii nemo pro me audet testimonium ­ dicere

Wie die Wortstellung zeigt, beruht nur die Übersetzung in pecc. mer. rein auf dem Griechischen, während die revidierte Fassung in S. T. B. das Fragepronomen wie in M nach hinten vor das Prädikat verschiebt. Damit liegt in S. T. B. eine Konflation zwischen LXX und M vor. Das ist aber gerade kein Argument für De Bruyne (der die Stelle denn auch nicht anführt) oder für Bogaert, sondern ein Hinweis darauf, dass in pecc. mer. die sonst fehlende Übersetzung des Hieronymus nach der LXX zitiert wird, die für O. vorauszusetzen ist. Iob 9, 20a1 Ein besonders gut dokumentiertes Beispiel für die Verwicklungen, mit denen stellenweise zu rechnen ist, bietet das Lemma Iob 9, 20a1. Hier stehen in der Überlieferung der Adnotationes zwei Varianten nebeneinander, von denen nur die eine aus Augustins Vorlage O. stammt, während die andere von dem ω2-Frater aus T. eingetragen wurde: 37 38 39 Hiob Kap. u. Vers

9, 20a1

Wortlaut bei Augustin

Fassung in S. T. B.

pecc. mer. 2, 10, 14 (85, 10 = 86, 20)

adn. Variante 137 = O. (528, ­28–529, 1)

adn. Variante 238 = T. (528, ­28–529, 1)

S.

T.

B.

quodsi fuero iustus

quod si et fuero iustus

quod et si fuero iustus

quodsi fuero iustus

quod et si fuero iustus

quod si et fuero iustus

M39: ‫ִאם־ ֶ֭א ְצ ָּדק‬

LXX: ἐὰν γὰρ ὦ δίκαιος

Vulgata: si iustificare me voluero

34 Beim ersten Zitat (85, 9) ist enim durch die eingeschobene Zitateinleitung inquit verdrängt worden. Bei der Wiederaufnahme (86, 19) wird enim mitzitiert. 35 S. qui. Diese Lesart halte ich für einen Kopierfehler. 36 Dt.: und wenn zum Gericht – wer wird mich als Zeuge vorladen? 37 Text lt. vett. cett. + Zy. 38 Text lt. T + recc.+ Am. Er. Lovv. Maur. 39 Dt.: wenn ich im Recht sein werde.

Die Zitate aus Iob 1–13 in De peccatorum meritis   

485

Da quodsi dem griechischen ἐὰν γὰρ entspricht40, beruhen hier alle Lesarten auf der LXX41 (M hat bloßes „wenn“). Die in den Vetustiores der Adnotationes mit Ausnahme von T zitierte Version mit quod si et entspricht einer verbreiteten Nebenüberlieferung der LXX, die noch ein τε hinzufügt42. Dass dieser Text in O. stand und somit Augustin vorlag, wird durch die gleichlautende Fassung in B. bewiesen, die nur aus O. stammen kann. Daneben stand aber als Zweitübersetzung in O. auch die Wortfolge quod et si. Mit ihr versuchte Hieronymus vielleicht die enklitische Mittelstellung des griechischen τε in ἐάν τε γὰρ nachzuahmen. Für diese Variante entschied er sich auch in seiner Endfassung T. Für die Rekonstruktion der Textgeschichte der Versio prior ist entscheidend, dass die Überlieferung der ω2-Linie der Adnotationes hier zwischen den beiden Varianten quod si et und quod et si gespalten ist: Die Lesart quod et si ist in dem alten Augustin-Codex T und in allen Recentiores43 überliefert. Daraus geht klar hervor, dass der ω2-Frater beide Lesarten schon in O. bzw. im Archetypos ω vorfand und deshalb als Variae lectiones in seinen Hyparchetypos ω2 übernahm. Hätte er nur die Lesart quod si et in O. gelesen und die Lesart quod et si erst aus T. importiert, hätte er mit ihr die Lesart von O. ersatzlos überschrieben. Was nun das Zitat in pecc. mer. betrifft, so liegt dort die Übersetzung der griechischen Hauptüberlieferung vor. Ich sehe aber keinen Anlass, sie mit De Bruyne und Bogaert Hieronymus abzusprechen. Vielmehr passt die Lesart wieder genau zum Profil der Erstfassung O. Zum einen kann sie aus der Vetus Latina-Version übernommen sein, die in den von Ziegler edierten spanischen Glossen vorliegt und aus der Hieronymus auch sonst in O. geschöpft hat44. Vor allem aber liegt sie auch im Hieronymus-Codex S. vor. Daraus lässt sich schließen, dass Hieronymus in O. die Übersetzungen der griechischen Haupt- und Nebenüberlieferungen nebeneinander zur Wahl stellte und bei seiner ersten Revision in S. wie üblich der Version nach der Hauptüberlieferung den Vorzug gab. In T. liegt dann wieder ein Pendelschlag zurück zu einer Variante der Erstfassung vor. Iob 9, 20a2 Bei diesem Lemma sind mehrere Einzelheiten der Überlieferung nicht eindeutig zu klären. Es besteht aber wieder kein Grund, die in pecc. mer. zitierte Fassung Hieronymus abzusprechen; vielmehr lässt sich beweisen, dass diese Fassung in O. stand:

40 Vgl. dazu den Anfang des Lemmas Iob 9, 30a unten S. 489. 41 Zieglers Angabe (1982) 251 im 1. Apparat, das Zitat in pecc. mer. lasse γὰρ aus, ist deshalb ein Missverständnis. Seine Notiz müsste im Übrigen auch für S. gelten. Dasselbe Missverständnis begegnet auch an der Parallelstelle Iob 9, 30a: Ziegler (1982) 253 im 1. Apparat. 42 Ziegler (1982) 251 im 1. Apparat. 43 Dieser Befund bestätigt, dass der Quellcodex, von dem alle Recentiores abstammen, ein Schwestercodex zum Codex vetustior T war. 44 Die Glossen lesen lt. Ziegler (1980) 14 zu Iob 9, 20a Quodsi fuero iustus. Zu den Glossen als einer Vorlage der Erstfassung O. des Hieronymus vgl. den Anhang B.

486 45

Hiob Kap. u. Vers 9, 20a2

Spuren von Doppelübersetzungen in O. bei Augustin  Wortlaut bei Augustin

Fassung in S. T. B.

pecc. mer. 2, 10, 14 (85, 10–11 = 86, 20)

adn. = O.

os meum impie ­ loquetur

os meum impia ­ loquetur

S.

T.

B.

os meum impia loquitur

os meum impia loquetur

(529, 1)

M45: ‫יע ֑נִ י‬ ֵ ‫ּפי י ְַר ִׁש‬ ִ֣

LXX: τὸ στόμα μου ἀσεβήσει

Vulgata: os meum condemnabit me

Der wesentliche Unterschied zwischen den verschiedenen Fassungen ist die Variante impie vs. impia46. Beide sind freie Übersetzungen und können auf beide Urtexte zurückgehen47. Weil Augustin in den Adnotationes in seiner Auslegung (529, 2–3) auf dieses Lemma mit impie egi zurückweist, hat er vermutlich die Lesart impie loquetur in seiner Vorlage O. vorgefunden. (Dass diese dort stand, wird durch die Parallele in den eben schon herangezogenen spanischen Glossen noch wahrscheinlicher48.) Dann wäre die jetzt in der ω2-Tradtion überlieferte Lesart impia loquetur erst vom ω2-Frater aus Codex T. in die Überlieferung der Adnotationes eingeführt worden. Vielleicht liegt aber auch ein Fall vor, wo O. bereits die Doppelübersetzung enthielt und Augustin auf diese Weise beide Vorlagen in seine Adnotationes integrieren wollte. In jedem Fall ergibt sich, dass das Adverb impie in Augustins Vorlage O. gestanden hat. Also kann es Augustin auch in pecc. mer. aus diesem Text zitiert haben. Das Präsens loquitur in S. ist schwer zu beurteilen. Caspari nimmt einen Kopierfehler an, weil die Verwechslung von i und e im Sangallensis häufig vorkommt49. Es kann sich aber auch um eine Übersetzung des hebräischen Imperfekts handeln, also um eine bewusste Variante zum Futur, das auf der LXX basiert. Bei dieser Deutung bliebe wieder offen, auf welcher Stufe Hieronymus diese einführte – schon in O. als Doppelfassung aufgrund der beiden ursprachlichen Vorlagen oder erst bei der Revision in S., indem er – wie gerade bei den Lemmata von Iob 9 schon mehrfach auffiel50– den hebräischen Text dort besonders ins Zentrum rückte.

45 Dt.: mein Mund wird mich schuldig sprechen (wörtl. zum Schuft machen). 46 Das Präsens loquitur in S. ist möglicherweise ein Experiment zur Deutung des hebräischen Imperfekts. Aber auch ein Kopierfehler ist nicht ausgeschlossen. De Bruyne (1931) 593 schreibt das Futur loquetur fälschlich auch dem Sangallensis zu. 47 Vgl. die Varianten inique agere und iniqua agere im Lemma Iob 34, 22b, das oben in Kap. 12 („Schwierige Philippus-Zitate“), S. 295–296 behandelt wird. 48 Lt. Ziegler (1980) 14 lesen die Glossen os meum impie aget. 49 Caspari (1893) 23, Anm. 1. 50 Vgl. die vorstehenden Analysen zu den Lemmata Iob 9, 2a und b, 3a und b und 19b.

487

Die Zitate aus Iob 1–13 in De peccatorum meritis   

Iob 9, 28b Hier beginnt das Zitat einer längeren Passage, die bis Iob 9, 31 reicht: 51 52 53 Hiob Kap. u. Vers 9, 28b

Wortlaut bei Augustin

Fassung in S. T. B.

pecc. mer. 2, 10, 14 (85, 11–12)

adn. = O.

scio […}51 quia inpunitum me non dimittit

fehlt

scio enim quia inpunitum me non ­ dimittis52 LXX: οἶδα γὰρ ὅτι οὐκ ἀθῷόν με ἐάσεις

M53: ‫י־ל ֹא ְתנ ֵ ַּֽקנִ י‬ ֥ ‫ָד ְע ִּתי ִּכ‬ ֗ ַ ֝‫י‬ Vulgata: sciens quod non parceres delinquenti

Die 2.  Person Singular dimittis, die in S. T. B. vorliegt, basiert sowohl auf M als auch auf der griechischen Hauptüberlieferung. Die 3. Person Singular dimittit, die in pecc. mer. zitiert wird, entstammt dagegen einer schwachen griechischen Nebenüberlieferung. Da nach den bisherigen Ergebnissen dieser Arbeit nur Hieronymus Interesse an solch randständigen Varianten hatte, liegt auch hier vermutlich das mittlerweile vertraute Muster vor, dass er in O. die Lesarten dimittit und dimittis zur Wahl stellte und bei der Revision in S. die auf der Nebenüberlieferung beruhende Variante aussonderte. Iob 9, 29ab 54 55 56 57 Hiob Kap. u. Vers

Wortlaut bei Augustin

Fassung in S. T. B.

pecc. mer. 2, 10, 14 (85, 12)

adn. = O.

9, 29a

quia sum impius

et54 quia sum impius

et quia sum impius

9, 29b

quare non sum mortuus?

quare non sum mortuus55 et laboro56?

quare non sum

S.

T.

B.

(530, 12))

mortus57, et

mortuus, sed

laboro?

51 Das fehlende enim wurde hier durch die eingeschobene Zitateinleitung inquit verdrängt: Ähnlich schon bei Iob 9, 19b (oben S. 484 mit Anm. 34). 52 S. timittis 53 Dt.: Ich weiß, dass du mich nicht ungestraft lassen wirst. 54 M om. et. 55 R* mortus. 56 I* laboro, I2 labore. 57 sic!

488 58

Hiob Kap. u. Vers

Spuren von Doppelübersetzungen in O. bei Augustin  Wortlaut bei Augustin

Fassung in S. T. B.

pecc. mer. 2, 10, 14 (85, 11–12)

S.

adn. = O.

T.

B.

(530, 12))

M58: ‫אָ ֹנ ִ ֥כי אֶ ְר ָׁש֑ע לָ ּמָ ה־ ֗ ֶּז֝ה ֶה֣בֶ ל ִאיגָ ֽע‬

LXX: ἐπειδὴ δέ εἰμι ἀσεβής, – LXX: διὰ τί οὐκ ἀπέθανον; – Hexapla (Üs. des Aquila): εἰς τί τοῦτο μάτην κοπιῶ;

Vulgata: si autem et sic impius sum quare frustra ­ laboraui?

Der erste Teil des Zitats bis mortuus ist eine Übersetzung der LXX; der Anhang et/ sed laboro geht dagegen auf Aquila zurück59. Alle Varianten, die mit et/sed laboro enden, stellen also Konflationen zweier griechischer Vorlagen dar. Einzig das Zitat in pecc. mer. hat diesen Zusatz nicht, sondern ist eine reine Version der LXX. Deshalb zitiert es De Bruyne für seine These, die Hiob-Zitate stellten eine Revision Augustins nach dem Griechischen dar60. Die Erklärung ist aber m. E. eine andere. Dass Augustin schon in seiner Vorlage O. tatsächlich den Zusatz et laboro las und akzeptierte, wird durch das Echo in seinem Kommentar (530, 13) dicit se laborare gesichert. In pecc. mer. steht der im Griechischen fehlende Teilsatz vermutlich deshalb nicht, weil ihn schon Augustins Gegner weggelassen hatten, da er in O. sub obelo stand und deshalb in der Polemik kein schlagendes Argument abgab. Interessanterweise steht die in pecc. mer. zitierte Version fast wörtlich auch bei Julian von Aeclanum61: In graeco: quoniam sum impius, quare non sum mortuus? Auch dort stellt sich die Frage nach der Herkunft dieser Übersetzung, weil Julian die Einleitungsformel in graeco teils für Zitate aus der Versio prior des Hieronymus, teils für eigene Übersetzungen aus dem Griechischen verwendet62. Julian leitet das Zitat mit quoniam ein, während in pecc. mer. das quia der Adnotationes und der Hieronymus-Handschriften S. T. B. steht. Dieser Umstand ist ein zusätzliches Argument dafür, das Zitat in pecc. mer. auf O. zurückzuführen. Gleichzeitig widerspricht er aber nicht der Vermutung, dass auch Julian aus O. zitiert, weil dieser sich zuweilen kleine Abweichungen von O. erlaubt63 und überdies eine Abneigung gerade gegen quia erkennen lässt64. 58 Dt.: Ich werde schuldig sein; warum denn soll ich mich vergeblich abmühen? 59 Bogaert (2012) 78. 60 De Bruyne (1931) 593. 61 Iulianus Aecl., in Iob 9, 29 (28, 146–147 de Coninck). 62 Vgl. Kap. 13, S. 315. 325. 63 Vgl. Kap. 13, S. 320–321. 64 Julian ersetzte mehrfach ein quia des Hieronymus durch andere Begriffe: durch quoniam im Lemma Iob 17, 4; durch quod in den Lemmata Iob 9, 28b und 19, 25.  Aber in Iob 6, 17 setzt Julian für griechisches ὅτι selber quia. Hieronymus liest dort ὅπερ und übersetzt mit quid als indirektem Fragepronomen.

Die Zitate aus Iob 1–13 in De peccatorum meritis   

489

Iob 9, 30ab Im Lemma Iob 9, 30ab stimmt der zweite Teilvers 30b in pecc. mer., den Adnotationes und in den Hieronymus-Codices S. T. B. wörtlich überein. Schon dies legt den Schluss nahe, dass auch der vorangehende, in pecc. mer. deutlich von der Fassung in S. T. B. abweichende Wortlaut aus der Erstfassung O. des Hieronymus stammt: 65 Hiob Kap. u. Vers

Wortlaut bei Augustin

Fassung in S. T. B.

pecc. mer. 2, 10, 14 (85, 13–14)

adn. = O.

9, 30a

quodsi purifi­catus niue

fehlt

quodsi purificatus fuero in niue

9, 30b

et mundatus fuero mundis ­ manibus

et mundatus fuero mundis manibus

et mundatus fuero mundis ­ manibus

(530, 14)

M65: ‫ותי ְּב ֣ ֹבר ּכַ ָ ּֽפי‬ ִ ‫הזִ ֹּ֗כ‬ ֲ ‫ח ְצ ִּתי ְב מוֹ ָׁש֑לֶ ג ַ֝ו‬ ֥ ַ ‫ם־ה ְת ָר‬ ִ ‫ִא‬

LXX: ἐὰν γὰρ ἀπολούσωμαι χιόνι καὶ ἀποκαθάρωμαι χερσὶν καθαραῖς

Vulgata: si lotus fuero quasi aquis nivis et fulserint velut mundissimae manus meae

Das gesamte Lemma ist grundsätzlich eine Übersetzung der LXX. In S. T. B. liegt jedoch in der instrumentalen Konstruktion in niue eine Konflation mit dem Hebräischen vor. Nur das Partizip purificatus im ersten Teilvers 9, 30a in pecc. mer. weicht von den ursprachlichen Vorlagen ab: Beide Ursprachen haben hier kein Partizip, sondern finite Formen. Zwei Parallelen in Hieronymus’ anderen Werken klären das Problem. In adv. Iovin. schreibt Hieronymus66: Et si purificatus in niue et lotus mundis manibus In adv. Pelag. heißt es67: et si purificatus niue et lotus mundis manibus. Diese Parallelen zeigen, dass in pecc. mer. kein fehlerhafter Ausfall des fuero vorliegt, sondern dass der Leser das erste Partizip purificatus in enger Parallele zum folgenden et mundatus konstruieren soll. Das fuero im zweiten Teilvers soll also auch für den ersten Teilvers gelten. Der Vergleich der beiden Parallelen zeigt überdies, dass Hieronymus im einen Fall die hebraisierende Konstruktion in niue zitiert, im andern Fall dagegen den reinen Ablativ niue als Übersetzung des griechischen χιόνι benutzt. Damit ist die auffällige Konstruktion in pecc. mer. nicht nur auf Hieronymus zurückgeführt, sondern genauer auf die Erstfassung O. seiner Versio prior, die sich häufiger von S. T. B. unterscheidet und vor allem durch Doppelübersetzungen charakterisiert wird.

65 Dt.: Wenn ich mich auch wüsche mit Schnee und reinigte mit Lauge meine Hände. 66 adv. Iovin. 2, 2 (PL 23, 284 B). 67 adv. Pelag. 1, 12 (14, 25 Moreschini).

490

Spuren von Doppelübersetzungen in O. bei Augustin 

Iob 9, 31a Im folgenden Lemma Iob 9, 31a beruht die Übersetzung in pecc. mer. auf einer Konflation. Schon dies spricht gegen die Thesen von De Bruyne und Bogaert, die HiobZitate in pecc. mer. gingen auf eine rein griechische Vorlage zurück: 68 69 70 Hiob Kap. u. Vers 9, 31a

Wortlaut bei Augustin

Fassung in S. T. B.

pecc. mer. 2, 10, 14 (85, 14)

adn. = O.

sufficienter in sordibus me tinxisti

satis in sorde68 me tinxisti69

S.

T.

B.

satis in sorte (sic) me tinxi

satis in sorde me tinxisti

satis in sorde me tinxi

(530, 16)

M70: ‫ָ֭אז ּבַ ַּׁש֣חַ ת ִּת ְט ְּב ֵל ֑נִ י‬

LXX: ἱκανῶς ἐν ῥύπῳ με ἔβαψας

Vulgata: tamen sordibus intingues me

Die Konflation in pecc. mer. ist deutlich: Das einleitende Adverb sufficienter basiert auf dem ἱκανῶς der LXX; dagegen stammt der Plural in sordibus aus einer hebräischen Nebenüberlieferung71. Der Ausdruck me tinxisti entspricht beiden Urtexten. Erst in T. hat Hieronymus eine reine Übersetzung nach der LXX vorgelegt. Dagegen zeigt das tinxi in S., dass sich zwischenzeitlich ein Fehler in seine Übersetzung eingeschlichen hatte. Dieser ist nur durch eine Verwechslung im Griechischen zu erklären (die entsprechenden hebräischen Formen wären für solch einen Fehler zu verschieden): Hieronymus las oder hörte statt der 2. Person Singular ἔβαψας die 1. Person ἔβαψα und übersetzte statt des richtigen tinxisti falsch mit tinxi. Dass dieser charakteristische Fehler nicht erst in S. eintrat, sondern schon in O. stand und von dort nach S. übernommen wurde, wird dadurch bewiesen, dass die falsche Lesart auch in B. steht. Damit sind für die Erstfassung O. zwei Varianten zurückgewonnen – die Version aus pecc. mer., also sufficienter in sordibus me tinxisti, und die Version aus S. B., also satis in sorde me tinxi. Wie ist dann aber zu erklären, dass Augustin in den Adnotationes die Fassung satis in sorde me tinxisti zitiert und erklärt, die doch erst in T. bezeugt ist? Die Lösung liegt in diesem Fall nicht darin, dass der in den Adnotationes vorliegende Text erst vom ω2-Frater aus T. übernommen worden wäre. Dagegen spricht Augustins Auslegung, die (530, 16–17) mit dem Akkusativ perductum die Lesart me tinxisti bereits voraussetzt. (Die im Licht von S. und B. für O. eigentlich zu erwartende Lesart me tinxi müsste durch perductus erläutert werden, das aber in keinem Codex

68 Alle Recentiores lesen corde. 69 Q cinxisti; WX traxisti. 70 Dt.: dann würdest du mich in die Grube tauchen. 71 Vgl. den Apparat der BHS (1983).

491

Die Zitate aus Iob 1–13 in De peccatorum meritis   

überliefert ist.) Erklären lässt sich das Phänomen vielmehr mit dem Umstand, dass Augustins Vorlage O. die oben erschlossene Doppelfassung enthielt: Augustin hat gesehen, dass die 1. Person Singular tinxi nach dem Kontext nicht richtig sein konnte. Deshalb hat er seine eigene Konflation der beiden Vorlagen gebildet72, indem er das falsche tinxi der einen Variante durch das korrekte tinxisti der anderen ersetzte. Auf diesem Wege kam er bereits zu demselben Ergebnis wie später Hieronymus in seiner Endfassung T.

20.2.3 Analyse der Verse aus Iob 13 Iob 13, 26–28 Als zusammenhängende Passage wird in pecc. mer. auch das Ende von Kapitel 13 zitiert (die Verse 13, 26–28). Iob 13, 26a Der erste Halbvers 13, 26a lautet in pecc. mer. genau wie in S., aber etwas anders als in T. B. Da Hieronymus in S. oft noch an der Erstfassung von O. festgehalten hat, ist daher zu vermuten, dass Augustin die Formulierung von pecc. mer. aus O. entnommen hat: 73 Hiob Kap. u. Vers 13, 26a

Wortlaut bei Augustin

Fassung in S. T. B.

pecc. mer. 2, 10, 14 (85, 15–16)

adn. = O.

S.

T. B.

quia conscripsisti aduersus me mala

fehlt

quia conscripsisti aduersus me mala

quia conscripsisti aduersum me mala

M73: ‫י־ת ְכ ֣ ֹּתב עָ ַל ֣י ְמ ֹר ֹ֑רות‬ ִ ‫ִ ּֽכ‬

LXX: ὅτι κατέγραψας κατ’ ἐμοῦ κακά

Vulgata: scribis enim contra me amaritudines

Wie schon im Lemma Iob 7, 20c hat Hieronymus in seiner Erstfassung aduersus, aber in der Endfassung aduersum geschrieben74. In beiden Fällen steht die Präposition vor einem Personalpronomen (dort te, hier me). Im vorliegenden Fall hielt er noch in S. an aduersus fest, während er in Iob 7, 20c schon in S. zu aduersum gewechselt war. Eine Erklärung sehe ich bisher nicht. Iob 13, 26b In diesem Lemma unterscheidet sich die Lesart in pecc. mer. deutlich von dem Wortlaut in den Adnotationes und den Codices S. T. B. Da De Bruyne die Fassung 72 Vgl. Kap. 16, S. 397 zu Iob 36, 30a. 73 Dt.: dass du Bitterkeiten gegen mich schreibst. 74 Vgl. die Diskussion des Problems in Kap. 15, S. 377 (zu Iob 7, 20c) mit den dort angeführten Belegen.

492

Spuren von Doppelübersetzungen in O. bei Augustin 

aus pecc. mer. zudem für eine genaue Übersetzung der LXX hält, zitiert er diese Stelle als Beleg für seine Theorie, Augustin habe hier revidierend eingegriffen: 75 76 Hiob Kap. u. Vers 13, 26b

Wortlaut bei Augustin

Fassung in S. T. B.

pecc. mer. 2, 10, 14 (85, 16)

adn. = O. (538, 5–6)

et induisti me iuuen­ tutis meae peccata

et inposuisti mihi peccata iuuentutis

M76: ‫עּורי‬ ֽ ָ ְ‫עֹו ֹ֥נ ות נ‬ ֲ ‫יׁשנִ י‬ ֵ ֗ ‫תוֹר‬ ִ ֝ ‫ְו‬

et inposuisti75 mihi peccata iuuentutis LXX: περιέθηκας δέ μοι νεότητος ἁμαρτίας

Vulgata: et consumere me vis peccatis adulescentiae meae

Bei genauerem Hinsehen zeigt sich, dass De Bruyne die Lesart von pecc. mer. falsch beurteilt hat. Denn wenn auch die Syntax, die Wortstellung und der Begriff induere die LXX wiedergeben, so stammt doch das Possessivpronomen meae zu iuuentutis eindeutig aus M. Es handelt sich hier also nicht um eine reine Übersetzung der LXX, sondern um eine der für Hieronymus’ Übersetzungen so typischen Konflationen aus beiden ursprachlichen Vorlagen. Da sich hier der Text von pecc. mer. von dem in Adnotationes und S. T. B. überlieferten Text unterscheidet, muss er aus O. stammen. Aber auch der Wortlaut der Hieronymus-Codices S. T. B. stellt eine Konflation dar, und zwar das genaue Spiegelbild zum vorigen Fall: Syntax, Wortstellung und der Begriff inponere stammen aus dem Hebräischen, während die Auslassung des Possessivpromens bei iuuentutis der LXX entspricht. Imponere geht jedoch nicht auf M zurück. M bietet das Hif ’il der Wurzel ‫ירׁש‬ („du lässt mich erben“)77. Hinter imponere dürfte dagegen das Hif ’il der Wurzel ‫„ קׁשה‬beschweren“)78 stehen. Diese Vermutung wird dadurch gestützt, dass das περιτίθημι („bekleiden“) der LXX auf das Pi’el der sehr ähnlich klingenden Wurzel ‫„( כסה‬bedecken“)79 zurückgeführt werden kann. (Die Verwechslung deutet darauf hin, dass sich die Übersetzer den hebräischen Text nicht über das Auge, sondern über das Ohr erschlossen haben.) Die Stelle illustriert also erneut Hieronymus’ Interesse an hebräischen Nebenüberlieferungen. Zudem fällt wieder auf, dass er hier in den revidierten Fassungen der Übersetzung nach dem Hebräischen den Vorzug gibt. Im vorliegenden

75 WXYZ imposuistis. 76 Dt.: und mich erben lässt die Sünden meiner Jugend. 77 Gesenius-Donner (2013) 501 rechts. 78 Gesenius-Donner (2013) 1198 rechts. 79 Gesenius-Donner (2013) 559–560 links.

493

Die Zitate aus Iob 1–13 in De peccatorum meritis   

Fall könnte auch eine Rolle gespielt haben, dass die von Ambrosius zitierte Vetus­ Latina-Fassung80 (et adposuisti mihi adulescentiae peccata?) eine gewisse Ähnlichkeit aufweist. Die Fassung von S. T. B. ist auch in den Adnotationes überliefert; man könnte aber fragen, ob sie nicht erst von dem ω2-Frater aus T. dort eingetragen wurde. Dagegen spricht jedoch, dass das Lemma mit et inposuisti beginnt, so dass Augustin diese Worte mitdiktiert haben muss. Da also auch diese Version durch das Zitat in den Adnotationes für O. gesichert ist, haben beide Fassungen als Doppelübersetzungen in O. gestanden. Damit ist dieses Teil-Lemma ein schönes Beispiel für den Umstand, dass man in O. mit Doppelübersetzungen rechnen muss, die sich aufgrund der unterschiedlichen ursprachlichen Vorlagen im Wortlaut stark unterscheiden. Weitere Beispiele sind auch in den nächsten Teil-Lemmata dieser Passage enthalten. Iob 13, 27a 81 82 Hiob Kap. u. Vers 13, 27a

Wortlaut bei Augustin

Fassung in S. T. B.

pecc. mer. 2, 10, 14 (85, 16–17)

adn. = O. (538, 7–8)

S.

T. B.

et posuisti pedem meum in prohibitione

et posuisti in compede81 pedem meum

et posuisti in compede pedem meum

et inposuisti in conpedes pedem meum

M82: ‫וְ ָ ֘ת ֵׂש֤ם ּבַ ַּ֨סד׀ ַרגְ ֗ ַלי‬

LXX: ἔθου δέ μου τὸν πόδα ἐν κωλύματι

Vulgata: posuisti in nervo pedem meum

Für dieses Lemma sind drei Fassungen überliefert. Das Zitat in den Adnotationes, das auch in S. steht, stammt mit Sicherheit aus O. Die Endstellung von pedem meum zeigt, dass diese Übersetzung auf dem Hebräischen beruht. Allerdings hat Hieronymus den hebräischen Konsonantentext nicht wie M als Dual („meine Füße“), sondern mit der LXX als Singular („mein Fuß“) vokalisiert. Damit handelt es sich hier um eine Konflation. Gegenüber der Fassung von O. S. repräsentiert die Fassung in pecc. mer. die reine Übersetzung der LXX. Wieder ist die Wortstellung das entscheidende Indiz; hinzu kommt in diesem Fall die Nachahmung des griechischen ἐν + Dativ durch die lateinische Konstruktion in prohibitione.

80 Ambrosius, Iob 1, 21 (224, 19 Schenkl). 81 HZ compedem. 82 Dt.: Und du wirst legen in den Block meine Füße.

494

Spuren von Doppelübersetzungen in O. bei Augustin 

Wenn De Bruyne Recht hätte, dass diese Übersetzung erst von Augustin stammt83, dann hätte die Versio prior hier keine Übersetzung nach dem Griechischen enthalten. Das wäre kaum glaublich. Zudem zeigt mittlerweile die Publikation der spanischen Glossen durch Ziegler, dass diese Fassung mit Ausnahme der einleitenden Konjunktion wörtlich aus der Vorlage dieser Glossen übernommen ist, die Hieronymus auch sonst in O. benutzt hat. Dort heißt es84: Posuisti autem pedem meum in prohibitione. Ähnliche Echos der Vorlage der spanischen Glossen in der Erstfassung O. der Versio prior konnten bereits mehrfach nachgewiesen werden85. O. enthielt also wieder zwei stark divergierende Übersetzungen. Wie an früheren Stellen fällt auf, dass Hieronymus hier in S. nicht die Übersetzung nach dem Hebräischen, sondern die nach dem Griechischen geopfert hat. In T. dagegen (was B. übernimmt) bietet er wieder eine Konflation an: Der große Rahmen folgt weiter dem Hebräischen; aber zwei Details dieser Übersetzung sind jetzt vom Griechischen beeinflusst: Ein Kompositum (hier inposuisti) ist bei Hieronymus ein typischer Hinweis, dass er sozusagen griechisch denkt86. Ferner geht der Plural in compedes vermutlich auf einen Hörfehler im Griechischen zurück – Hieronymus ging statt vom Singulars ἐν κωλύματι vom Plural ἐν κωλύμασι aus. 87 Iob 13, 27b Hiob Kap. u. Vers 13, 27b

Wortlaut bei Augustin

Fassung in S. T. B.

pecc. mer. 2, 10, 14 (85, 17)

adn. = O.

seruasti omnia ­opera mea

fehlt

M87: ‫חוֹת֑י‬ ָ ‫וְ ִת ְׁשמֹ֥ ור ּכָ ל־אָ ְר‬

obseruasti omnia opera mea LXX: ἐφύλαξας δέ μου πάντα τὰ ἔργα

Vulgata: et observasti omnes semitas meas

Hier will De Bruyne im Text von pecc. mer. wieder eine genauere Anpassung an das Griechische sehen. Jedoch kann diese Fassung ebenso gut als getreue Übersetzung von M verstanden werden. Das Verhältnis zwischen dem Simplex seruasti in pecc. mer. und dem Kompositum obseruasti in den revidierten Codices S. T. B. ist nach den bisher in dieser Arbeit analysierten Belegen eher umgekehrt zu verstehen wie von De Bruyne vorgeschlagen: Die Tendenz geht bei Hieronymus in der Versio prior

83 So seine These (1931) 593. 84 Ziegler (1980) 16. 85 Vgl. den Anhang B. 86 Vgl. oben Kap. 2, S. 53 und Kap. 3, S. 67–68; vgl. Trenkler (2017) Kap. 15, Belege 14 und 15. 87 Dt.: und du wirst beobachten all meine Wege/Verhaltensweisen.

495

Die Zitate aus Iob 1–13 in De peccatorum meritis   

vom Simplex zum Kompositum, weil Simplicia typisch für das Hebräische, Komposita typisch für das Griechische sind88. Auch dieses Entwicklungsmuster spricht dafür, dass das Zitat in pecc. mer. aus O. stammt und damit Hieronymus’ Erstfassung darstellt, nicht deren Revision. 89 90 91 92 93 Iob 13, 27c Hiob Kap. u. Vers 13, 27c

Wortlaut bei Augustin

Fassung in S. T. B.

pecc. mer. 2, 10, 14 (85, 18)

adn. = O.

et in radices pedum meorum inspexisti

et radices pedum meorum89 contemplatus90 es91

S.

T. B.

et radices pedum meorum contemplatus es92

radices pedum meorum contemplatus es

(538, 9)

M93: ‫עַ ל־ׁשָ ְר ֵ ׁ֥שי ַ֝רגְ ֗ ַלי ִּת ְתחַ ֶ ּֽקה‬

LXX: εἰς δὲ ῥίζας τῶν ποδῶν μου ἀφίκου; Hexapla (ὁ Ἑβραῖος): τὰ δὲ ἴχνη τῶν ποδῶν μου περιχαράττεις

Vulgata: et vestigia pedum meorum considerasti

Die unterschiedliche Konstruktion von radices basiert auf verschiedenen Vorlagen: Der präpositionale Ausdruck in radices in pecc. mer. beruht – soweit hat De Bruyne Recht – auf der LXX. Die in den anderen Zeugen O. S. T. B. vorliegende Konstruktion als Akkusativobjekt hat Hieronymus dagegen  – wie die Vulgata zeigt  – als adaequate Übersetzung des Hebräischen empfunden. Die in den Adnotationes überlieferte Lesart ist nicht erst aus T. eingeführt, sondern stammt aus O.; Augustin nämlich glossiert (538, 9–10) radices pedum meorum mit cupiditates meas. Bei dieser Übersetzung handelt es sich jedoch um eine Konflation, weil das einleitende et aus der LXX stammt: Die Asyndese von M hat Hieronymus erst in T. eingeführt. S. hielt hier an O. fest, während B. die Endfassung T. kopierte. Die Wahl der verschiedenen, aber synonymen Prädikate inspexisti (in pecc. mer.) und contemplatus es (in O. S. T. B.)94 erklärt sich aus den verschiedenen Konstruktionen: Der Ausdruck in radices führte zu inspexisti, während das Akkusativobjekt einen Ausdruck wie contemplatus es erforderte.

88 Vgl. nochmals die Verweise in Anm. 86. 89 Q meum. 90 N complantatus. 91 IFZ* est. 92 S.* liest est; das -t ist durch Oberpunkt getilgt. 93 Dt.: Auf den Wurzeln meiner Füße wirst du eine Gravur einritzen. 94 Zur inhaltlichen Gleichwertigkeit der beiden lateinischen Prädikate vgl. Bogaert (2012) 78.

496

Spuren von Doppelübersetzungen in O. bei Augustin 

Im vorliegenden Fall scheitert De Bruynes These daran, dass das Prädikat inspexisti des Zitates in pecc. mer. ebenso wenig wie das contemplatus es von O. S. T. B. und das considerasti der Vulgata auf eine griechische Vorlage zurückgeht95. Vielmehr hat in allen diesen Fällen ein Übersetzer versucht, einem schwierigen hebräischen Text, an dem sich schon der Übersetzer der LXX und der Ἑβραῖος der Hexapla abgemüht hatten, einen Sinn zu entlocken. Dabei musste dieser Übersetzer aus dem Hebräischen – der nur Hieronymus gewesen sein kann96 – vermutlich sogar konjizieren. M nämlich bietet das Hitpa’el der Wurzel ‫„( חקה‬einen Graben ziehen“)97. Diese Vorlage hat nur der Ἑβραῖος mit seinem περιχαράττεις („du gräbst ringsum einen Graben“) wiedergegeben. Die LXX geht dagegen mit ihrem ἀφίκου offenbar von der Wurzel ‫„( קרב‬nahekommen“)98 aus. Hieronymus hinwiederum war durchweg, wie noch die Vulgata zeigt, davon überzeugt, es müsse „du hast betrachtet“ heißen. Er hat seinen Übersetzungen also vermutlich die Wurzel ‫בקר‬ („prüfend betrachten“)99 zugrunde gelegt, die sich von der Vorlage der LXX nur durch eine andere Reihenfolge der Radikale unterscheidet (die Buchstabenfolge ‫קר‬ ist sogar identisch). Hieronymus war also offenbar der Meinung, die LXX beruhe auf einem missverstandenen hebräischen Text. Bemerkenswerterweise hat er aber die Lösung nicht etwa in M gesucht, sondern sich von der mutmaßlichen Vorlage der LXX zu seiner Konjektur anregen lassen. Aus diesen Überlegungen folgt, dass das Zitat aus pecc. mer. neben der in den Adnotationes überlieferten Fassung als Doppelübersetzung in O. gestanden haben muss. Beide Versionen sind Konflationen aus griechischen und hebräischen Elementen; jedoch überwiegt bei dem Zitat in pecc. mer. die griechische Komponente, während in Augustins Text der hebräische Anteil im Vordergrund steht. Wieder fällt auf, dass Hieronymus in S. und T. die hebraisierende Variante bevorzugt bzw. noch starker auf die hebräische Vorlage hin zuspitzt, während in den früher analysierten100 späteren Kapiteln der Adnotationes bei der Revision in S. und T. eher die umgekehrte Bevorzugung der griechischen Vorlage zu beobachten war. Iob 13, 28a An dieser Stelle kommt als Komplikation hinzu, dass das von Augustin zitierte Hiob-Lemma in den Adnotationes in zwei Varianten überliefert ist:

95 Auch Bogaert (2012) 78 versucht eine Lösung über die griechische Vorlage. Er zieht einen selbständigen Rückgriff des Hieronymus auf das Hebräische an dieser Stelle ebenso wenig in Betracht wie in seinem ganzen Aufsatz. 96 Die von Ziegler edierte spanische Glosse zur Stelle (1980) 16 bietet eine Übersetzung nach der LXX: In radices autem pedum meorum pervenis. 97 Gesenius-Donner (2013) 389 links. 98 Gesenius-Donner (2013) 1187 rechts – 1188 rechts. 99 Gesenius-Donner (2013) 169 rechts – 170 links. 100 Vgl. oben die Kapitel 2 und 3. 

497

Die Zitate aus Iob 1–13 in De peccatorum meritis    101 102 103 104

Hiob Kap. u. Vers

13, 28a

Wortlaut bei Augustin

Fassung in S. T. B.

pecc. mer. 2, 10, 14 (85, 18–19)

adn. Lesart 1101 = O. (538, 10)

adn. Lesart 2102 = T. (538, 10)

S.

T.

B.

qui ueterescunt sicut uter

qui ueteresco sicut uter

qui ueterasco sicut uter

qui uete­ risco103 sicut uter

qui ueterasco sicut uter

qui ueteresco sicut uter

M104: ‫ְו ֭הּוא ְּכ ָר ָ ֣קב יִ ְב ֶל ֑ה‬

LXX: ὃ παλαιοῦται ἴσα ἀσκῷ

Vulgata: qui quasi putredo consumendus sum

Der Text des Zitats in pecc. mer. entspricht der LXX in der Lukianischen Rezension. Dagegen haben alle Varianten, die mit Sicherheit auf Hieronymus zurückgehen, keinen Anhalt in einer griechischen Vorlage. Auf den ersten Blick unterscheiden sie sich auch von M, der hier die dritte Person Singular Maskulinum bietet. Da aber Hieronymus auch noch in der Vulgata an der 1. Person Singular festhält, hat er diese Version offensichtlich als korrekte Übersetzung aus dem Hebräischen betrachtet. Ich vermute, dass er hier den Wortlaut von M in Analogie zu solchen­ Caesar-Texten interpretiert hat, in denen der Autor von sich selbst in der 3. Person redet. In jedem Fall liegt hier eine Übersetzung auf hebräischer Basis vor, die nach dem Zeugnis der Adnotationes auch schon in O. gestanden hat. In Analogie zu den bisher besprochenen Stellen liegt also die Vermutung nahe, das wir in dem Zitat in pecc. mer. Hieronymus’ Erstübersetzung aus dem Griechischen und in den Adnotationes seine Erstfassung nach dem Hebräischen vor uns haben. Das Zitat in pecc. mer. lässt sich noch aus anderen Gründen auf Hieronymus’ Erstfassung O. zurückführen. Es hat einen Vorläufer in den von Ziegler edierten spanischen Glossen, deren Quelle sehr wahrscheinlich eine der Vetus Latina-Vorlagen des Hieronymus war105. Dort heißt es106: qui veterescunt similiter utri. Diese Vorlage (die ihrerseits auf der LXX beruht) scheint mir zu erklären, warum Hieronymus in der Versio prior die hebräische Wurzel ‫ רקב‬durchweg als ‫„( רֹקֶ ב‬Schlauch“) vokalisierte und erst in der Vulgata zu der Deutung als ‫„( ָרקָ ב‬Fäulnis“) überging, die in M vorliegt. Angesichts der dreifachen – auch von Ziegler notierten107 – Variation, in der das Verb bei Hieronymus auftaucht – als ueteresco, ueterisco und ueterasco – scheint mir außerdem bemerkenswert, dass ueteresco nur in den spa-

101 Text lt. I F und dem Hieronymus-Codex B. 102 Text lt. codd. cett. + edd. und dem Hieronymus-Codex T. 103 De Bruyne notiert für S. fälschlich ueteresco. 104 Dt.: und/aber er – wie Fäulnis zerfällt er. 105 Vgl. den Anhang B. 106 Ziegler (1980) 16. 107 Ziegler (1982) 270 im 1. Apparat.

498

Spuren von Doppelübersetzungen in O. bei Augustin 

nischen Glossen und in den Zitaten, die hier für O. erschlossen wurden, auftaucht – also in pecc. mer. und in der von B. und den aus der ω1-Linie kontaminierten Codices I F für O. gesicherten Version. Dagegen hat Hieronymus in S. ggfs. mit ueterisco experimentiert108 und schließlich in T. die klassische Form ueterasco109 eingesetzt, die dann der ω2-Frater seinerseits in seinen Hyparchetypos der Adnotationes übertragen hat110. Wie schon in den vorangehenden Lemmata fällt auf, dass sich Hieronymus hier in S. und T. nur noch auf die hebräische Vorlage stützt und dafür die Übersetzung nach dem Griechischen fallen lässt. Iob 13, 28b Dieselbe Struktur zeigt sich auch im letzten Teil-Lemma dieser zusammenhängenden Passage. Wieder lässt sich schließen, dass die Fassung in pecc. mer., die auf der LXX basiert, als Doppelübersetzung in O. neben der auf dem Hebräischen beruhenden Version gestanden hat, die Augustin in den Adnotationes zitiert: 111 112 113 Hiob Kap. u. Vers 13, 28b

Wortlaut bei Augustin

Fassung in S. T. B.

pecc. mer. 2, 10, 14 (85, 19)

adn. = O.

S.

T.

B.

uel sicut uestimentum a tinea comestum

uelut uestimentum quod a tineis111 com­ estum112 est

uel sicut uestimentum quod a tineis com­ estum est

uelut uestimentum quod a tineis com­ estum est

uel uestimentum quod a tineis com­ estum est

(538, 11–12)

M113: ‫ְ֝כּ ֶ֗בגֶד ֲא ָכ ֣לוֹ ָ ֽעׁש‬

LXX: ἢ ὥσπερ ἱμάτιον σητόβροτον

Vulgata: et quasi vestimentum quod comeditur a tinea

Wieder beruht die Fassung von pecc. mer. auf der LXX: Die LXX-Vorlage verrät sich in der Einleitung uel sicut und dem Partizip comestum. Dagegen geht der abschließende Relativsatz quod comestum est, der allen anderen Varianten gemeinsam ist, mit seinem Perfekt auf M zurück114. Der Plural  a tineis enthält eine richtige 108 Freilich ist nicht ausgeschlossen, dass es sich im Codex S., in dem e und i häufig verwechselt werden (vgl. Caspari (1893) 22), um einen Kopierfehler handelt. 109 Zu ueterasco und der Nebenform ueteresco vgl. Georges (1913) Bd. 2, 3457 s. vv. 110 Da ueterasco erst vom ω2-Frater in die Adnotationes eingeführt wurde, ist Zieglers Angabe (1982) 270 im 1. Apparat in diesem Punkt zu korrigieren. Augustin las ueteresco.– Das CAG kennt nur das Lemma ueterasco; unter den 34 Belegen zeigen aber mehr als die Hälfte eine Form von ueteresco. Eine Form von ueterisco ist im CAG nicht belegt. 111 Am. Er. Lovv. tinea. 112 M WXZ commestum. 113 Dt.: wie ein Kleid, Eine Motte hat es gefressen. 114 Dort liegt ein verkürzter Relativsatz ohne einleitende Relativpartikel vor.

Die Zitate aus Iob 1–13 in De peccatorum meritis   

499

Interpretation des kollektiven Singulars, der im Hebräischen bei Tiernamen üblich ist115. Auch die Asyndese, bei der der Satz sofort mit dem vergleichenden „wie“ einsetzt, spiegelt M wider. Man könnte fragen, ob der Wortlaut der Adnotationes tatsächlich auf O. zurückgeht oder erst aus T. eingetragen wurde. Der Kontext enthält kein Kriterium, weil Augustin das Kapitel mit dem Zitat dieses Lemmas schließt und keine Auslegung folgen lässt. Da aber Augustin den Anfang des Lemmas diktiert haben muss, ist das charakteristische uelut als erstes Wort gesichert. Auch die Fassung von T. hat also schon in O. gestanden. S. ist dann als Zwischenstufe zu verstehen, auf der Hieronymus mit der Einleitung uel sicut eine charakteristische Formulierung seiner Übersetzung nach der LXX, die in pecc. mer. bezeugt ist, in die hebraisierende Alternative einschleust hat. Am Anfang von B. dagegen ist das unverzichtbare Vergleichswort ut („wie“), das sowohl in O. als auch in T., also in beiden möglichen Vorlagen von B., überliefert ist, vermutlich durch Haplographie ausgefallen.

20.3 Zwischenbilanz zum Hiob-Text in De peccatorum meritis 20.3.1 Die Schwächen der Theorie von De Bruyne Im Rückblick auf die bisher besprochenen Hiob-Zitate in pecc. mer. zeigt sich, dass De Bruynes These, Augustin habe dort die Übersetzung des Hieronymus auf der Grundlage eines griechischen Textes revidiert, an zwei Klippen scheitert. De Bruyne ist erstens dann widerlegt, wenn die Übersetzung in pecc. mer. gar nicht auf dem Griechischen, sondern dem Hebräischen beruht oder zumindest eine Konflation mit charakteristischen Elementen aus dem Hebräischen darstellt. In solchen Fällen ist bereits De Bruynes Voraussetzung nicht erfüllt. Alle Stellen, an denen das Hebräische eine Rolle spielt, sprechen als solche dafür, dass die Übersetzung von Hieronymus stammt. In jenen Fällen, in denen die Fassung in pecc. mer. tatsächlich eine reine Version nach der LXX ist, wird De Bruynes These durch zwei andere Argumente widerlegt. Zunächst einmal finden sich in manchen Zitaten Züge, die gerade nicht für Augustin, sondern für Hieronymus charakteristisch sind – Echos von Vetus Latina-Vorlagen, die er auch sonst benutzt, bzw. Parallelen zu schwierigen Stellen, die sich nur in Werken des Hieronymus finden. Zum andern aber kommt im Rückblick auf die Gesamtheit der betreffenden Stellen eine Reductio ad absurdum ins Spiel: Wenn De Bruyne Recht hätte, dass die genaue Anpassung der Übersetzung an die LXX erst durch Augustin erfolgte, müsste man schließen, dass die Versio prior des Hieronymus auf allen Revisionsstufen kaum eine Übersetzung nach dem Griechischen enthielt, sondern nur Versionen, die entweder rein auf dem Hebräischen basierten

115 Vgl. die Beispiele bei Joüon (1923) S. 413, b.

500

Spuren von Doppelübersetzungen in O. bei Augustin 

oder Konflationen griechischer und hebräischer Details darstellten. Angesichts der Häufung solcher Fälle wäre diese Annahme aber bei einer Übersetzung, die Hieronymus selber im Rückblick als Version aus dem Griechischen definierte, ohne dabei den Widerspruch seiner griechischkundigen Leser wie des Julian von Aeclanum zu provozieren, nicht überzeugend. Dagegen scheint mir die Annahme, dass die Zitate in pecc. mer. der Erstfassung O. von Hieronymus’ Versio prior entstammen und dort vielfach als Übersetzung nach dem Griechischen neben einer Übersetzung nach dem Hebräischen bzw. Versionen, die auf Konflationen beruhten, zur Wahl standen, alle bisherigen Beobachtungen widerspruchslos erklären zu können. Falls diese Überlegungen zutreffen, füllen die Hiob-Zitate in pecc. mer. manche Lücken unserer bisherigen Kenntnis von Hieronymus’ Erstfassung O. und tragen somit dazu bei, eine künftige Edition dieser Übersetzung zu vervollständigen.

20.3.2 Ein neues Problem – hebräischer Einfluss in S.  Die vorstehenden Einzelanalysen von Hiob-Zitaten in Augustins Schrift De peccatorum meritis haben noch ein unerwartetes Nebenergebnis erbracht. In den Kapiteln 2 und 3 der vorliegenden Arbeit habe ich anhand der von Trenkler analysierten Hiob-Zitate, die in den Kapiteln 19–21 und 27–38 der Adnotationes in beiden Hyparchetypoi überliefert sind, gezeigt, dass Hieronymus dort die deutliche Tendenz erkennen lässt, bei den Revisionen in S. und T. den Anteil von Versionen, die auf dem Hebräischen beruhen, zugunsten von Übersetzungen nach der LXX zurückzudrängen. Ich habe daraus in Kapitel 7 gefolgert, dass die Revision in S. auf den Entschluss des Hieronymus zurückgeht, seine Versio prior zu einer dezidierten Übersetzung nach dem Griechischen umzuarbeiten, um ein Gegengewicht zu der geplanten – und vielleicht sogar schon begonnenen – Übersetzung aus dem Hebräischen (also der künftigen Vulgata) zu schaffen. Die vorstehenden Analysen von Hiob-Zitaten in pecc. mer. haben nun gezeigt, dass eine ganze Reihe von Lemmata der Hiob-Kapitel 9116 und 13117 diese Tendenz zur LXX noch nicht zeigen, sondern dass Hieronymus dort umgekehrt die LXX nur in seiner Erstversion O. in vollem Maße berücksichtigt, während er in S. und T. den hebräischen Vorlagen den Vorrang einräumt. Im Rahmen der vorliegenden Arbeit kann ich dieses Problem nicht mehr lösen. Vor weiteren Schlüssen müssen noch die Lemmata der bisher übersprungenen Kapitel der Adnotationes ausgewertet werden. Es ist zu prüfen, ob vielleicht der Entschluss, die Versio prior bewusst zu einer Versio iuxta LXX im Gegenüber zur Versio iuxta Hebraeos zu machen, nicht – wie bisher von mir angenommen – schon zu Beginn der Revision in S., sondern erst in deren Verlauf getroffen wurde. Der

116 Hiob-Kapitel 9, 2a und b. 3b und 19b. 117 Hiob-Kapitel 13, 26b. 27a. 27c. 28a und b.

Die Zitate aus Iob 1–13 in De peccatorum meritis   

501

Wendepunkt müsste nach den bisherigen Beobachtungen zwischen dem Ende von Kapitel 13 und der Mitte von Kapitel 19 liegen, wo die Überlieferung der ω1-Linie einsetzt. Zu prüfen ist aber auch, wie weit Hieronymus überhaupt konsistent verfuhr118. Nur wenn diese Voraussetzung erfüllt wäre, könnte man sein Vorgehen auf einfache Formeln bringen.

118 Ein weiterer Beleg für den Vorrang des Hebräischen in S. liegt im Lemma Iob 32, 8b vor, also tief in der zweiten Hälfte des Buches; vgl. dazu unten Kap. 21, S. 516.

H. Stellen in De peccatorum meritis: Kapitel 19–21 Kapitel 21: Die restlichen Hiob-Zitate in De peccatorum meritis (Iob 14, 16aff.) 21.1 Die Aufgabe In den letzten beiden Kapiteln habe ich die von De Bruyne bzw. Bogaert vertretenen Thesen überprüft, Augustin habe die Hiob-Zitate in pecc. mer. nicht aus seiner üblichen Quelle, also der Erstfassung O. von Hieronymus’ Versio prior, geschöpft, sondern entweder selbst nach der LXX revidiert (so De Bruyne)  oder aber von seinen pelagianischen Gegnern übernommen, die eine eigene neue Übersetzung nach dem Griechischen zitierten (so Bogaert). Diese Gegenprobe hat m. E. ergeben, dass Augustin in Wirklichkeit doch die Erstfassung O. der Versio prior zitiert. Nachdem in den beiden vorigen Kapiteln die Auseinandersetzung mit De Bruyne und Bogaert im Mittelpunkt stand, geht es mir im vorliegenden Schlusskapitel vor allem darum, auch noch die restlichen Hiob-Zitate aus pecc. mer. für die Rekonstruktion von O. auszuwerten, damit dieses Teilproblem der Arbeit zu einem Abschluss kommt.

21.2 Analyse der restlichen Verse aus Iob 14 Iob 14, 16a 1 Hiob Kap. u. Vers

14, 16a

Wortlaut bei Augustin

Fassung in S. T. B.

pecc. mer. 2, 10, 14 (86, 26– 87, 1); erweitert 2, 10, 15 (87, 14–15)

adn. = O.

dinumerasti necessitudines meas + erweitert: dinumerasti omnes necessitudines meas

fehlt

M1: ‫ִ ּֽכי־ ַ֭עּתָ ה ְצעָ ַד֣י ִּת ְסּפֹ֑ ור‬ Vulgata: tu quidem gressus meos dinumerasti



1 Dt.: Denn jetzt zählst du meine Schritte.

cogitationes meas dinumerasti

LXX: ἠρίθμησας δέ μου τὰ ἐπιτηδεύματα

Die restlichen Hiob-Zitate in De peccatorum meritis (Iob 14, 16aff.)  

503

Die in S. T. B. überlieferte Übersetzung ist eine Konflation aus den griechischen und hebräischen Vorlagen: Der Begriff cogitationes gibt das griechische ἐπιτηδεύματα wieder; auch die Wahl des Kompositums dinumerare (statt des wörtlicheren numerare der entsprechenden Ambrosius-Stelle2) ist eine vertraute Technik des Hieronymus, um auf eine griechische Quelle aufmerksam zu machen3. Auf das Hebräische geht dagegen die Endstellung des Prädikats zurück. Im Übrigen liegt das Hebräische hier ferner: M liest „Schritte“ und beginnt mit einem emphatischen „denn nun“. Die Vulgata liest: tu quidem gressus meos dinumerasti; dort hat Hieronymus also aufgrund eines Hörfehlers das hebräische Zeitadverb ‫„( עַ תָ ּה‬nun“4) mit dem maskulinen Personalpronomen der 2. Singular ‫„( אַ תָ ּה‬du“5) verwechselt. Zugleich zeigt die Vulgata, dass Hieronymus’ hebräische Vorlage das „denn“ vor „nun“ nicht enthielt. Auch die Asyndese ist hier also noch ein Reflex des Hebräischen6. Dieselbe hebraisierende Asyndese liegt auch in dem Zitat in pecc. mer. vor, das im Übrigen auf der LXX beruht. Auch dieses Zitat ist also eine Konflation. Das zeigen die Voranstellung von dinumerasti und die Vokabel necessitudines, mit der Hieronymus den griechischen Begriff ἐπιτηδεύματα7 im Sinn von τὰ ἐπιτήδεια8 interpretiert9. Bei der Wiederaufnahme setzt Augustin noch ein omnes hinzu, für das Ziegler eine griechische Nebenüberlieferung als Vorlage anführt10. Da Augustin in pecc. mer. „nach dem offenen Buch“ zitiert, waren beide auf dem Griechischen basierenden Varianten in Augustins Vorlage enthalten, die damit als O. mit seinen Doppelübersetzungen identifiziert ist. Iob 14, 16b Hiob Kap. u. Vers

14, 16b

Wortlaut bei Augustin pecc. mer. 2, 10, 14 (86, 1–2) = 2, 10, 15 (87, 15)

adn. = O.

et nihil te latuit de peccatis meis.

fehlt

Fassung in S. T. B.

et nihil te latuit peccatorum meorum

2 Ambrosius, Iob 1, 26 (228, 3 Schenkl) numerasti autem meas adinuentiones. 3 Vgl. Kap. 2, Beleg 14. 4 Gesenius-Donner (2013) 1030. 5 Gesenius-Donner (2013) 116 links. 6 Ziegler (1982) 273 im 1. Apparat sieht hier einen Ausfall des griechischen δὲ. 7 Lt. Liddell-Scott-Jones (1940) 666 links Mitte heißt die Vokabel eigentlich nur „Beruf “ oder „übliches Verhalten“. 8 Zu τὰ ἐπιτήδεια im Sinne von „Dinge, die zum Leben notwendig sind“ vgl. Liddell-Scott-­ Jones (1940) 666 links oben, Punkt II. 1. 9 Dies ist ein seltener Beleg für eine gewisse Unsicherheit des Hieronymus im Griechischen. 10 Ziegler (1982) 273 im 1. Apparat.

504 11 12

Hiob Kap. u. Vers

Spuren von Doppelübersetzungen in O. bei Augustin  Wortlaut bei Augustin pecc. mer. 2, 10, 14 (86, 1–2) = 2, 10, 15 (87, 15)

Fassung in S. T. B.

adn. = O.

M11: ‫אתי‬ ֽ ִ ָ‫א־ת ְׁש ֹ֗מור עַ ל־חַ ּט‬ ִ֝ ֹ ‫ֽל‬

LXX: καὶ οὐ μὴ παρέλθῃ σε οὐδὲν τῶν ἁμαρτιῶν μου

Vulgata: sed parces peccatis meis12

Hier beruht das Zitat in pecc. mer. rein auf dem Hebräischen. Hieronymus setzt aber einen anderen Konsonantentext und eine andere Deutung der Verbform voraus: Statt der Wurzel ‫ ׁשמר‬im Qal mit der Präposition ‫„( על‬achten auf “13) las er offenbar die Wurzel ‫ סתר‬im Nif ’al mit der Präposition ‫„( מן‬verborgen sein vor“14). (Beide Wurzeln beginnen mit einem der zahlreichen hebräischen s-Laute und enden auf -r. Die Verwechslung deutet also wieder auf einen Hörfehler hin.) Hieronymus hat die Verbform ferner nicht – wie später lt. M in der Vulgata – als 2. Person Singular Maskulinum, sondern als 3. Person Singular Femininum, also als unpersönlichen Ausdruck konstruiert; beide Formen lauten im Hebräischen gleich. Ein letzter Unterschied betrifft das Tempus latuit. Die LXX hat eine futurwertige Konstruktion15; auch die Vulgata bietet das Futur; das Perfekt latuit dagegen erklärt sich durch Hieronymus’ schon oft beobachtete Neigung, in der Versio prior ein reines hebräisches Imperfekt als Vergangenheitstempus aufzufassen16. Auch der präpositionale Ausdruck de peccatis ahmt die präpositionale Struktur von M nach. Als Übersetzung aus dem Hebräischen – zumal einer Vorlage, die von M abweicht – muss das Zitat aus O. stammen. Die Fassung in S. T. B. dagegen imitiert mit dem Genetivus partitivus peccatorum die LXX. Bei der Revision in S. hat Hieronymus also das Gewicht stärker zum Griechischen hin verschoben. Gleichzeitig hat er die hebraisierende Konstruktion nihil te latuit beibehalten; so bleibt die Fassung in S. T. B. eine Konflation.

11 Dt.: Nicht wirst/sollst du achten auf meine Sünden. 12 Auf diese Vulgata-Fassung spielt Augustin in conf. 11, 3, 5 (197, 14–15 Verh.) an: parce peccatis meis. Zu diesem frühen Zitat aus dem Vulgata-Hiob vgl. Trenkler (2017) 36, Anm. 10. 13 Gesenius-Donner (2013) 1387 links. 14 Gesenius-Donner (2013) 905 links. 15 Deshalb hat das Zitat bei Ambrosius, Iob 1, 26 (228, 3–4 Schenkl) die Form nec praeteribit te quicquam ex peccatis meis. 16 Vgl. Kap. 3, Beleg 22.

Die restlichen Hiob-Zitate in De peccatorum meritis (Iob 14, 16aff.)  

505

14, 17a 17 18 19 Hiob Kap. u. Vers

14, 17a

Wortlaut bei Augustin pecc. mer. 2, 10, 14 (86, 2–3) = 2, 10, 15 (87, 15–16)

adn. = O.

signasti peccata mea in folliculo

signasti in sacculo iniquitates meas

Fassung in S. T. B.

(539, 15–16)

M19: ‫חָ ֻת֣ם ִּב ְצ ֹ֣רור ִּפ ְׁש ִע֑י‬

signasti in sacculo17 iniquitates18 meas LXX: ἐσφράγισας δέ μου τὰς ἀνομίας ἐν βαλλαντίῳ

Vulgata: signasti quasi in sacculo delicta mea

Der Text der Adnotationes ist hier nur in der ω2-Linie tradiert. Da beide Varianten des Zitats mit signasti beginnen und auch Augustins knapper Kommentar (539, 16) ut redderes mihi kein Kriterium enthält, welche Übersetzung er vor Augen hatte, ist aufgrund der Überlieferungslage nicht zu entscheiden, ob die dort vorliegende Fassung aus Augustins Vorlage O. stammt oder erst vom ω2-Frater aus T. eingeführt wurde. Der verschiedene ursprachliche Hintergrund der beiden Varianten spiegelt sich jeweils in der zweiten Vershälfte. Demgemäß beruht hier das Zitat in pecc. mer. auf der LXX, während die Fassung in S. T. B. auf M basiert. Interessanterweise hat Hieronymus dort die bei Ambrosius belegte Vetus Latina-Version20 signasti autem iniquitates meas in sacculo in der Wortstellung an das Hebräische angepasst. Er hat also bei der Revision wieder einmal den Schwerpunkt zum Hebräischen hin verschoben. Mit der Übernahme der Kernbegriffe in sacculo und iniquitates von Ambrosius verstärkte Hieronymus in S. gleichzeitig wieder den Bezug auf die tradierte Vetus Latina. Dafür opferte er sogar das klassische Stichwort folliculus21, das er in der Fassung nach der LXX eingeführt hatte. Der Beweis, dass sowohl die Fassung von pecc. mer. als auch die Fassung von S. T. B. nebeneinander in O. standen, liegt darin, dass Augustin in seinem Spätwerk 17 H Q saculo; S. seculo. 18 S. iniquitaes. 19 Dt.: Versiegelt in einem Beutel meine Sünde. 20 Ambrosius, Iob 1, 26 (228, 4–5 Schenkl). Die ambrosianische Fassung übernahmen später auch die Pelagianer in ihre Übersetzung; sie lasen lt. Augustin, perf. iust. 28 signasti iniquitates meas in sacculo: Vgl. Bogaert (2012) 390. 21 Den Begriff folliculus (der lt. dem Beuroner Material in den sonstigen Belegen dieses HiobZitats nicht mehr vorkommt, aber bei Hieronymus lt. TLL 6.1.1015.54–58 mehrfach belegt ist) hat Hieronymus vermutlich Cicero und seinen Zeitgenossen abgelauscht: Goelzer (1884) 126. Zu­ sacculus gibt es bei Goelzer, Roensch, Kaulen und Stotz keinen Kommentar; das Wort ist aber im Gegensatz zu folliculus mehrfach in der Vulgata belegt: Vgl. die Konkordanz (1897) 989 Mitte.

506

Spuren von Doppelübersetzungen in O. bei Augustin 

eine eigene Konflation aus diesen beiden Vorlagen gebildet hat. In c. Iul. imp. zitiert er Iob 14, 16b vier Mal wie folgt: signasti peccata mea in sacculo22. In dieser Formulierung stammt peccata mea aus der Fassung nach der LXX (belegt in pecc. mer.), aber in sacculo aus der Fassung nach M bzw. Ambrosius (belegt in adn. S. T. B.). Iob 14, 17b 23 24 25 Hiob Kap. u. Vers

14, 17b

Wortlaut bei Augustin

Fassung in S. T. B.

pecc. mer. 2, 10, 14 (86, 3) = 2, 10, 15 (87, 21–22)

adn. = O. (539, 16)

et adnotasti si quid inuitus commisi

adnotasti si quid inuitus erraui23

M25: ‫ַ֝ו ִּת ְט ֹּ֗פל עַ ל־ ֲע ִ ֹֽוני‬

S. adnotasti si quid24 T. B. adnotasti si erraui quid inuitus erraui LXX: ἐπεσημήνω δέ, εἴ τι ἄκων παρέβην

Vulgata: sed curasti iniquitatem meam

Die in den Adnotationes überlieferte Lesart hat so in O. gestanden und wurde nicht erst aus T. eingeführt; das geht aus Augustins Kommentar hervor (539, 17): inuitum autem errare peccati poena est. Ferner ist deutlich, dass beide Fassungen grundsätzlich auf die LXX zurückgehen; denn nur das Griechische bietet den Wenn-Satz, während M den präpositionalen Ausdruck „wegen meiner Sünde“ hat. Zu diesem bewussten Bezug auf das Griechische passt auch, dass Hieronymus wieder das Kompositum adnotasti eingeführt hat, während sowohl im Vetus Latina-Text des Ambrosius als auch in der Vorlage der spanischen Glossen, die Hieronymus kannte26, das Simplex notasti stand27. Die beiden Fassungen unterscheiden sich in zwei Punkten: Das Zitat in pecc. mer. wird mit et eingeleitet und liest commisi, die Alternative in O. S. T. B. weist dagegen Asyndese auf und bietet erraui. Diese Differenzen lassen sich nicht durch einen Einfluss des Hebräischen erklären. Vor allem die konsequente Asyndese der Fassung in O. S. T. B. bleibt unerklärt; denn alle von Ziegler zitierten griechischen Vorlagen haben ein anknüpfendes δὲ oder καὶ; und auch im Hebräischen ist das

22 c. Iul. imp.1, 105; 3, 122; 4, 91; 6, 17. 23 M eraui. 24 S. om. inuitus. 25 Dt.: und hast Tünche gestrichen auf meine Schuld. 26 Vgl. dazu Anhang B. 27 Ambrosius, Iob 1, 26 (228, 5–6 Schenkl) et notasti, si quid inscius praeteriui. Die von Ziegler edierten spanischen Glossen (1980) 16 lesen entsprechend et notasti, si quid inscius praeterii. Auf diesen Bezug zwischen Ambrosius und den Glossen machte Ziegler (1980) 41 aufmerksam.

Die restlichen Hiob-Zitate in De peccatorum meritis (Iob 14, 16aff.)  

507

„und“ durch die Narrativform fest in das Prädikat integriert. Nach Analogie der sonstigen Revisionen der Versio prior nehme ich an, dass Hieronymus aus ungeklärten Gründen der Meinung war, die Asyndese sei von der besten griechischen Überlieferung gefordert. Ein – allerdings nur vorübergehender – Einfluss des Hebräischen liegt einzig auf der Zwischenstufe in S. vor; dort hat Hieronymus inuitus weggelassen, weil das korrespondierende griechische ἄκων nicht auf dem Hebräischen beruht, sondern ein erklärender Zusatz ist. Es wurde oben bewiesen, dass die in den Adnotationes überlieferte Fassung tatsächlich aus O. stammt. Aber auch die in pecc. mer. zitierte Fassung mit et […] commisi muss nach allem, was sich bisher zu den Zitaten in pecc. mer. ergeben hat, in dieser Erstfassung gestanden haben. Einen zusätzlichen Hinweis finde ich darin, dass Augustin in seiner Spätschrift c. Iul imp. nicht die Fassung der Adnotationes zitiert, sondern die Fassung von pecc. mer. wieder aufnimmt – allerdings nur einmal wörtlich28 und anschließend noch dreimal in der leicht variierten Form et annotasti, si quid inuitus ammisi29. (Diese Version stammt weder von den Pelagianern, die dort vielmehr et annotasti, si quid inuitus transgressus sum lasen30 und damit die Lesart praeteri(u)i der oben zitierten Vetus Latina-Versionen anklingen ließen31, noch auch von Julian selbst, der in seinem Kommentar zur Stelle notiert32 In graeco: Et notasti si quid nolens peccaui.) Während Augustin in pecc. mer. „nach dem offenen Buch“ zitiert, zitiert er an den meisten späteren Stellen vermutlich aus dem Gedächtnis; das setzt aber voraus, dass ihm diese Stelle aus seinem Hiob-Studium so geläufig war, dass er es nicht für nötig hielt, sie noch einmal nachzuschlagen. Das scheint mir für eine frühe Prägung zu sprechen. Es ist aber auch möglich, dass admisi von Anfang an in O. als Alternative neben commisi stand, so dass Augustin beide Varianten verinnerlicht hatte.

28 c. Iul. imp. 1, 105 et annotasti, si quid inuitus commisi. 29 c. Iul. imp. 3, 122; 4, 19; 6, 17.  30 perf. iust. 28, vgl. Bogaert (2012) 390. 31 Vgl. oben Anm. 27. 32 Iulianus Aecl., in Iob 14, 17 (41, 68–69 De Coninck).

508

Spuren von Doppelübersetzungen in O. bei Augustin 

21.3 Analyse der Verse aus Iob 40 Iob 40, 4a1 LXX33 (= 39, 34a1 Vulg.34) 35 Hiob Kap. u. Vers 40, 4a1 LXX

Wortlaut bei Augustin

Fassung in S. T. B.

pecc. mer. 2, 10, 16 (88, 3)

adn. = O. (627, 13–14)

S.

T. B.

quid adhuc ego iudicor monitus

quid ergo iudicer commonitus

fehlt

quid ergo iudicor commonitus

M35: ָ‫יבּ֑ך‬ ֶ ‫א ִׁש‬ ֲ ‫ֹּלתי ָמ֣ה‬ ִ ֭‫ֵה֣ן ַק‬

LXX: Tί ἔτι ἐγὼ κρίνομαι νουθετούμενος;

Vulgata: qui leviter locutus sum respondere quid ­ possum

Hier sind drei verschiedene Übersetzungen überliefert. Alle beruhen auf griechischen Vorlagen; M ist kaum, die Vulgata gar nicht vergleichbar. De Bruyne hat insofern Recht, als das Zitat in pecc. mer. der Hauptüberlieferung der LXX entspricht: Quid adhuc ego gibt Tί ἔτι ἐγὼ wieder; das Prädikat steht jeweils im Indikativ. Weil De Bruynes Theorie einer Revision Augustins aber nicht überzeugt, haben wir hier eine erste Übersetzung aus O. vor uns. Da sich die Fassung in den Adnotationes von T. unterscheidet, ist sie nicht nachträglich aus T. eingeführt, sondern stellt die von Augustin kommentierte Lesart aus O. dar. Damit liegt wieder ein Fall von Doppelübersetzung in O. vor. Augustins Textvorlage teilt mit Hieronymus’ Endfassung T. die Einleitung quid ergo. Diese beiden Fassungen gehen also auf dieselbe starke griechische Nebenüberlieferung zurück, die kein ἔτι ~ adhuc enthielt36. Das ergo hat Hieronymus offenbar frei hinzugefügt, um die Frageeinleitung quid idiomatischer zu gestalten. Derselbe Zusatz findet sich auch mehrfach im Vulgata-Hiob37. Diese Nähe zwischen der von Augustin kommentierten Fassung und den revidierten Textformen in T. und in der Vulgata hilft verstehen, warum Hieronymus die in pecc. mer. zitierte frühe Alternative der Erstfassung O. später ausgeschieden hat. Trotzdem bleibt auffällig, dass seine Endfassung auf einer griechischen Nebenüberlieferung 33 Die heute übliche Zählung der LXX ist aus den Ausgaben von M übernommen: Vgl. Bogaert (2012) 392–393, der in Appendice 9 die Geschichte der verschiedenen Zählungen nachzeichnet. 34 De Bruyne und Urba/Zycha in pecc. mer., Zycha in adn. und die Vetus Latina-Datenbank zählen nach der Vulgata. La Bonnardière (1960) 171 führt dagegen den vorliegenden Vers als Iob 39, 33. 35 Dt.: Siehe, zu gering bin ich; was soll ich dir erwidern? 36 Ziegler (1982) 396 im 1. Apparat.– Bogaert (2012) 78 rechnet nicht mit verschiedenen Textvorlagen, sondern nennt die Fassung mit quid adhuc ego nur „rendu […] plus exactement“. 37 Vgl. dort folgende mit ergo eingeleitete Fragen: Iob 9, 14 quantus ergo; 9, 24 quis ergo; 17, 15 ubi est ergo; 21, 7 quare ergo; 28, 20 unde ergo.

Die restlichen Hiob-Zitate in De peccatorum meritis (Iob 14, 16aff.)  

509

beruht. Hier schließt sich aber ggfs. ein Kreis zu einer Frage, die sich gleich zu Beginn der vorliegenden Arbeit stellte38  – ob nicht Hieronymus vielleicht hier und da eine andere griechische Textüberlieferung als Haupttradition angesehen hat als Rahlfs, Ziegler und Hanhart in ihren modernen Editionen. Der dubitative Konjunktiv iudicer, den die Adnotationes für Augustins Vorlage in O. bezeugen, lässt sich in doppelter Weise erklären. Er beruht entweder auf einer Konjektur des Hieronymus, der in O. κρίνωμαι für eine naheliegende und inhaltlich attraktive Alternative zu κρίνομαι hielt und sich vielleicht nur nicht sicher war, welcher griechische Modus gemeint sei. Die andere Möglichkeit ist, dass Hieronymus durch die dubitative Frage anklingen lassen wollte, dass dies eine mögliche Deutung des Imperfekts sei, das an dieser Stelle im Hebräischen vorliegt. Dann läge wieder eine Konflation vor. Iob 40, 4a2 LXX (= 39, 34 Vulg.) 39 40 Hiob Kap. u. Vers 40, 4a2 LXX

Wortlaut bei Augustin

Fassung in S. T. B.

pecc. mer. 2, 10, 16 (88, 3–4)

adn. = O.

et increpationes domini audiens?

et increpatus a domino39 audiens40 talia?

S.

T. B.

fehlt

et increpatus a ­ domino, audiens talia?

(538, 14–15)

M: enthält kein entsprechendes Satzglied

LXX: καὶ ἐλέγχων κύριον ἀκούων τοιαῦτα οὐθὲν ὤν;

Vulgata: enthält kein entsprechendes Satzglied

In diesem späten Teil-Lemma sind lediglich noch zwei Übersetzungsvarianten erhalten. Sie beruhen wieder nur auf griechischen Vorbildern; jedoch hat Hieronymus hier plötzlich seine Textvorlagen gewechselt – ein besonders deutlicher Beleg für seinen Eklektizismus auf engstem Raum. Die in pecc. mer. zitierte Version hat De Bruyne erläutert41: Der Übersetzer hat ἑλέγχων nicht als Partizip Aktiv parallel zum folgenden ἀκούων aufgefasst, sondern als Genetivobjekt von dem nach vorn gezogenen ἀκούων abhängig gemacht; er hat ferner statt κύριον den Genetiv κυρίου angenommen. Diese Konstruktion hat kein Vorbild in der ursprachlichen Überlieferung. Vielmehr trägt sie m. E. ganz die Handschrift des Hieronymus, der sich in der Erstfassung O. gelegentlich an Konjekturen versuchte, die wie hier mit einer Verschiebung der Grenzen zwischen den überlieferten Stichen einhergingen42. 38 Vgl. Kap. 2, Beleg 2 (Iob 21, 17a). 39 M* deo. Der erste Schreiber hat deo sofort expungiert und das richtige domino angefügt. 40 Amerbach audies (von Zy nicht notiert). 41 De Bruyne (1931) 593; in Kurzform wiedergegeben von Ziegler (1982) 396 im 1. Apparat. 42 Vgl. Kap. 4, Beleg 48.

510

Spuren von Doppelübersetzungen in O. bei Augustin 

Die Version, die Augustin in den Adnotationes zitiert und die Hieronymus in T. beibehielt43, beruht auf der Lukianischen Rezension, in der statt des aktiven Partizips ἑλέγχων die passive Form ἐλεγχόμενος die anderen syntaktischen Details bestimmt.

21.4 Analyse der Verse aus Iob 42 Iob 42, 5a Bei dem Lemma Iob 42, 5 handelt es sich um eine Kernstelle des Hiob-Buches. Die Analyse zeigt, dass sich Hieronymus hier besondere Mühe mit seiner Übersetzung gegeben hat. Im Lemma Iob 42, 5a spricht Hiob zu Gott. Die Überlieferung der Versio prior bietet drei verschiedene Varianten: 44 45 Hiob Kap. u. Vers 42, 5a

Wortlaut bei Augustin

Fassung in S. T. B.

pecc. mer. 2, 11, 16 (88, 15–16)

adn. = O.

ciu. 22, 2944

S.

T. B.

auris auditu audiebam te prius

fehlt

in obauditu ­ auris audiebam te prius

fehlt

auditu quidem auris audiebam te prius

M45: ‫ְל ֵ ֽׁשמַ ע־ ֥ ֹאזֶן ְׁשמַ ְע ִ ּ֑תיָך‬

LXX: ἀκοὴν μὲν ὠτὸς ἤκουόν σου τὸ πρότερον

Vulgata: auditu auris audivi te

Die in ciu. überlieferte Fassung stellt eine Konflation aus M und der LXX dar: Der präpositionale Ausdruck in obauditu stammt aus M46 (den Text dort hat Hieronymus offenbar als Infinitivus constructus zur Wurzel ‫„( ׁשמע‬hören“) mit ‫ ל‬temporis47 im Sinne von „beim gehorsamen Hören“ vokalisiert). Dagegen basiert das prius am Schluss auf der LXX. Es handelt sich also wieder um eine typische Übersetzung des Hieronymus, die Augustin aus seiner üblichen Vorlage O. bezogen haben muss. Wie das abschließende prius zeigt, beruhen die etwas verschiedenen Zitate in pecc. mer. und in den Hieronymus-Codices T. B. beide auf dem Griechischen, jedoch lt. auditu ~ ἀκοῇ auf einer starken Nebenversion (die Hauptversion hat 43 Augustins Zitat ist nicht erst nachträglich aus T. eingetragen; das beweist die Wiederaufnahme der charakteristischen Phrase audiens talia im anschließenden Kommentar (627, 16–17 Zy). 44 Nachweis dieser Parallele bei La Bonnardière (1960) 172 und Ziegler (1982) 408 im 1. Apparat. 45 Dt.: Gemäß dem Hören des Ohrs hatte ich dich gehört. 46 Ziegler (1982) 408 im 1. Apparat hat diesen Hintergrund verkannt und unterscheidet die Fassung von ciu. nicht von dem Wortlaut in pecc. mer. 47 Vgl. Grether (1967) 222.

Die restlichen Hiob-Zitate in De peccatorum meritis (Iob 14, 16aff.)  

511

ἀκοὴν)48. Die Fassung in pecc. mer., die ebenfalls in O. gestanden haben muss, ist freier als die Endfassung in T. Die auffällige Wortstellung auris auditu audiebam hat keine ursprachlichen Vorbilder; Hieronymus dürfte hier die Figura etymologica nach dem Gesetz der wachsenden Glieder strukturiert haben. In T. dagegen kehrt Hieronymus zur vorgegebenen Wortstellung zurück und nähert seine Endfassung durch Einfügen von quidem fast pedantisch an das μὲν der griechischen Vorlage an. Diese Entwicklung der Textfassungen spricht gegen De Bruynes Analyse: Es war Hieronymus, der hier seine Erstfassung umgearbeitet und dabei genauer an den griechischen Urtext angepasst hat. Iob 42, 5b Der folgende Halbvers bestätigt den soeben gewonnenen Eindruck: 49 50 Hiob Kap. u. Vers 42, 5b

Wortlaut bei Augustin

Fassung in S. T. B.

pecc. mer. 2, 11, 16 (88, 16–17)

adn. = O.

ciu. 22, 2949

S.

T. B.

et nunc ecce oculus meus ­ uidet te

fehlt

nunc autem oculus meus ­ uidet te

fehlt

nunc autem oculus meus u­idet te

M50: ‫ְו ֝עַ ֗ ָּתה עֵ ִינ֥י ָר ָ ֽא ְתָך‬

LXX: νυνὶ δὲ ὁ ὀφθαλμός μου ἑόρακέν σε

Vulgata: nunc autem oculus meus videt te

Hier beruht die Fassung von pecc. mer. lt. dem einleitenden et nunc eindeutig auf dem typisch Hebräischen ‫„( ְו ֝עַ ֗ ָּתה‬und/aber jetzt“)(was wieder die Autorschaft des Hieronymus beweist), während die anderen Belege mit nunc autem das griechische νυνὶ δὲ wiedergeben. Dass auch hier die Fassung von pecc. mer. freier ist als die Endfassung in T., zeigt sich an der Einfügung des emphatischen ecce, das keine Vorlage hat. Auf allen Revisionsstufen fällt das Präsens uidet auf. M und LXX bieten beide das Perfekt. Weil Hieronymus am Präsens auch noch in der Vulgata festhält, liegt hier vermutlich wieder ein Fall vor, wo er den hebräischen Text als Partizip vokalisiert hat. Dann stellt die zweite Übersetzung von O., die nur noch in ciu. bezeugt ist und die Hieronymus nach T. übernommen hat, keine reine Übersetzung nach dem Griechischen, sondern eine Konflation dar. Freilich läge eine reine Übersetzung der LXX vor, wenn man zeigen könnte, dass sich Hieronymus der präsentischen Bedeutung eines klassischen griechischen Perfekts bewusst war. Dafür habe ich aber bisher nur einen schwachen Beleg51. 48 Vgl. Ziegler (1982) 408. 49 Nachweis dieser Parallele bei La Bonnardière (1960) 172 und Ziegler (1982) 408 im 1. Apparat. 50 Dt.: Aber jetzt hat mein Auge dich geschaut. 51 Vgl. Kap. 14, S. 349 zu Iob 11, 10b, wo Hieronymus πεποίηκας mit facis übersetzt.

512

Spuren von Doppelübersetzungen in O. bei Augustin 

Iob 42, 6a In den anschließenden beiden Halbversen Iob 42, 6a und  b ermöglicht ein Vergleich mit den Befunden bei Philippus Presbyter den Nachweis einer Doppelübersetzung in O. Auch Philippus nämlich entnahm – wie in Kapiteln 10–12 gezeigt – seine Zitate der Erstfassung O. der Versio prior: 52 53 Hiob Kap. u. Vers

42, 6a

Wortlaut bei Augustin

Wortlaut bei ­ Philippus Presbyter

Fassung in S. T. B.

pecc. mer. 2, 11, 16 (88, 17)

adn. = O.

PL 26, 797 B–C

S.

T. B.

ideo uituperaui me ipsum et distabui52

fehlt

ideo despexi memet ipsum, et distabui

fehlt

ideo despexi memetipsum et distabui

M53: ‫עַ ל־ ֵּכ֭ן אֶ ְמ ַא֣ס‬

LXX: Hauptüberlieferung: διὸ ἐφαύλισα ἐμαυτὸν καὶ ἐτάκην Hexapla (Üs. des Symmachos): διὰ τοῦτο κατέγνων ἐμαυτοῦ

Vulgata: idcirco ipse me reprehendo

Beide Übersetzungen von Vers 42, 6a LXX beruhen auf griechischen Vorlagen. Das wird zunächst an dem abschließenden et distabui deutlich, das keinen Anhalt im Hebräischen hat. Ferner gehen die beiden anderen Prädikate uituperaui bzw.­ despexi bei Hieronymus nicht auf das hebräische ‫„( אֶ ְמ ַא֣ס‬ich verwerfe“, ohne folgendes „mich selbst“) zurück, sondern auf zwei griechische Verben. Die in pecc. mer. zitierte Version beruht lt. uituperaui me ipsum auf der Übersetzung des Symmachos, der κατέγνων ἐμαυτοῦ schrieb. Diese Erstfassung hat Hieronymus jedoch in T. wie üblich fallen lassen zugunsten der Version despexi memetipsum, die auf der griechischen Hauptübersetzung ἐφαύλισα ἐμαυτὸν basiert. Diese Version hat Augustin auch sonst zitiert oder paraphrasiert – erstmals bereits in conf. 10 ego uero quamuis prae tuo conspectu me despiciam54, dann in Gn. litt. 10 semet ipsos despiciunt, sicut Iob dicit, et distabescunt55, und schließlich in ciu. 22, 29 propterea despexi memet ipsum et distabui. Obwohl diese Version auf den ersten Blick der Endfassung T. zu entstammen scheint, zeigen die Belege bei Philippus Presbyter, dass sie in Wirklichkeit bereits auf die Erstfassung O. zurückgeht.

52 Vgl. die spätere Paraphrase pecc. mer. 2, 11, 16 (88, 22) se uituperauit atque distabuit. 53 Dt.: Deshalb verwerfe ich. 54 conf. 10, 5, 7 (158, 4–5 Verh.). 55 Gn. litt. 10, 8, 14.

513

Die restlichen Hiob-Zitate in De peccatorum meritis (Iob 14, 16aff.)  

Iob 42, 6b 56 57 Hiob Kap. u. Vers

42, 6b

Wortlaut bei Augustin

Wortlaut bei Philip- Fassung in S. T. B. pus Presbyter

pecc. mer. 2, 11, 16 (88, 17–18)

adn. = O.

PL 26, 797 C

S.

T.

B.

et aestimaui me ipsum terram et cinerem56

fehlt

et aestimavi me ­ terram et cinerem

fehlt

et aestimaui terram et ­ cinerem

et aestimaui me terram et cinerem

M57: ‫נִ ַח ְ֑מ ִּתי עַ ל־עָ ָ ֥פר ָו ֵ ֽאפֶ ר‬

LXX: ἥγημαι δὲ ἐμαυτὸν γῆν καὶ σποδόν

Vulgata: et ago paenitentiam in favilla et cinere

Auch der zweite Halbvers dieses Lemmas beruht auf dem Griechischen. (Das Hebräische liest „und ich empfinde Reue auf Staub und Asche“, was die Vulgata mit et ago paenitentiam in favilla et cinere wiedergibt). Hier verlangen drei Details nach Erklärung. Da Augustin in pecc. mer. so sorgfältig zitiert, halte ich den Zusatz von ipsum zu me im Zitat wieder für eine kleine Doppelübersetzung in O. Dass dieses ipsum in der folgenden Paraphrase aestimauitque se terram et cinerem58 nicht mehr erscheint, ist m. E. wieder ein Beleg für Augustins mehrfach beobachtete Technik, abweichende Fassungen in der Wiederaufnahme von Zitaten anklingen zu lassen59. Die Auslassung des me im Codex T. muss im Licht der Vorlage und der Syntax ein Kopierfehler sein. Schließlich scheint mir auch die Variante existimaui (statt des üblichen aestimaui60) in Augustins Zitat in ciu. 22, 29 et existimaui me terram et cinerem auf eine Doppelfassung in O. zurückzugehen. Zwar könnte man existimaui auch als ungenaues Zitat nach dem Gedächtnis erklären; aber weil Augustin in ciu. die ganze Hiob-Passage ausführlich zitiert und vor allem mit der Lesart in obauditu dort eine weitere, auf dem Hebräischen beruhende und damit für Hieronymus typische Doppelfassung aus O. anführt61, hat er m. E. auch in ciu. die Erstversion O. nach dem offenen Buch zitiert und existimaui darin vorgefunden.

56 Vgl. die spätere Paraphrase pecc. mer. 2, 11, 16 (88, 23) aestimauitque se terram et cinerem. 57 Dt.: und empfinde Reue auf Staub und Asche (Tempusfunktion hier: performatives Perfekt). 58 Vgl. Anm. 56. 59 Vgl. Kap. 9, S. 218 zu Iob 34, 9b; Kap. 12, S. 285–286 zu Iob 37, 23b; Kap. 15, S. 371–373 zu Iob 7, 20a und Kapitel 17, S. 419–422 zu Iob 38, 25a. 60 Paraphrasen mit aestimaui finden sich conf. 10, 5, 7 (158, 5–6 Verh.) et aestimem me terram et cinerem sowie Gn. litt. 10, 8, 14 et aestimant se terram et cinerem. 61 Vgl. oben S. 510 zu Iob 42, 5a LXX.

514

Spuren von Doppelübersetzungen in O. bei Augustin 

21.5 Exkurs: Zwei Hiob-Passagen aus orig. an. Zum Schluss seien noch zwei Hiob-Passagen aus De anima et eius origine62 untersucht, die De Bruyne ebenfalls als Belege für seine Theorie angeführt hat63. Ich zitiere wieder nach der Ausgabe von Urba und Zycha (CSEL 60), Wien 1913. Iob 32, 8a Das erste von Augustin angeführte Hiob-Lemma64 zeigt, dass er wie üblich aus der Versio prior zitiert. Da sich im Folgenden zeigen wird, dass er wieder die Erstfassung O. benutzt, füllt die Stelle eine Lücke, da das Zitat in den Adnotationes fehlt: 65 Hiob Kap. u. Vers 32, 8a

Wortlaut bei Augustin

Fassung in S. T. B.

an. et or. 1, 14, 19 (320, 5–6 = 8–9)

adn. = O.

sed spiritus est in hominibus

fehlt

M65: ‫־היא בֶ ֱא ֹ֑נוׁש‬ ֣ ִ ַ‫ָ֭א כֵ ן ֽרּוח‬

sed spiritus est in hominibus LXX: ἀλλὰ πνεῦμά ἐστιν ἐν βροτοῖς

Vulgata: sed ut video spiritus est in hominibus

Die Übersetzung gibt wörtlich die LXX wieder, deckt aber sinngemäß auch M mit ab, das als Nominalsatz mit Casus pendens konstruiert ist und vom „Menschen“ im kollektiven Singular spricht. Iob 32, 8b In diesem Teil-Lemma sind nicht weniger als vier verschiedene Fassungen der Versio prior überliefert:

62 Vgl. zu diesem Werk (datiert 419/420) Van Fleteren (2013) 235–237. 63 De Bruyne (1931) 593. 64 Urba und Zycha drucken die vorangehenden Formulierung (320, 5) quia non ex numero annorum zu Unrecht schon gesperrt als Zitat. Es handelt sich jedoch um eine Zusammenfassung des Verses Iob 32, 7ab in Augustins eigenen Worten. 65 Dt.: Dennoch Geist – er im Menschen.

Die restlichen Hiob-Zitate in De peccatorum meritis (Iob 14, 16aff.)   66

Hiob Kap. u. Vers

32, 8b

Wortlaut bei Augustin

515

Fassung in S. T. B.

an. et or. 1, 14, 19 (319, 26 = 320, 11)

an. et or. 1, 14, 19 (320, 6–7)

adn. = O.

aspiratio ­ autem omnipotentis est, quae docet

aspiratio ­ autem omnipotentis, quae docet

fehlt

M66: ‫וְ נִ ְׁש ַ ֖מת ׁשַ ַּד֣י ְּת ִבינֵ ֽם‬

et inspiratio omnipotentis S. quae

T. B. qui

docet eos LXX: πνοὴ δὲ παντοκράτορός ἐστιν ἡ διδάσκουσα

Vulgata: et inspiratio Omnipotentis dat intellegentiam

Am einfachsten sind die Fassungen in S. und in T. B. zu erklären. S. stellt die wörtliche Übersetzung von M dar. Das Akkusativobjekt eos hat nur in M einen Anhalt. Hieronymus hat in S. die hebräische Syntax so aufgefasst, dass vorn ein Nominalsatz steht („ die Eingebung des Allmächtigen“), von dem ein Relativsatz zum femininen Bezugswort ‫ =( נִ ְׁש ַמ֖ת‬inspiratio) abhängt. Die Verbform ‫ =( ְּת ִבינֵ ֽם‬docet eos) fungiert als Prädikat des Relativsatzes, der – wie oft im Hebräischen – ohne einleitende Relativpartikel steht. (Später in der Vulgata konstruiert Hieronymus dieses Lemma als einfachen Hauptsatz: et inspiratio Omnipotentis dat intellegentiam. Syntaktisch ist vom Hebräischen her beides möglich. Dass Hieronymus in der Vulgata das Element eos weglässt, ist dem Einfluss der LXX bzw. des anderen hebräischen Textes geschuldet, der der LXX als Vorlage diente.) Demgegenüber hat Hieronymus den Bezug des Relativsatzes in T. geändert67 – mit qui bezieht er diesen nun auf den omnipotens statt auf die inspiratio. Diese Konstruktion widerspricht beiden Urtexten. An dieser Stelle hat Hieronymus also bei seiner Schlussredaktion der Versio prior ohne Blick auf die ursprachlichen Vorlagen rein innerlateinisch weitergearbeitet68; dabei hat ihn sein Sinnverständnis in die Irre geführt. Der Kompilator von B. hat jedoch diese Lesart gutgläubig übernommen, ohne die Lesart an einem Urtext zu überprüfen. In der Schrift an. et or. führt Augustin das Zitat in zwei leicht verschiedenen Versionen an – einmal mit und einmal ohne est. Die Form mit est gibt wörtlich die LXX wieder. Außer est spricht dafür auch der absolute Gebrauch von docet, das in der LXX ebenfalls kein Objekt bei sich hat. Die Fassung ohne est ist dagegen eine typische Konflation: Das Fehlen des est im Nominalsatz entspricht der Konstruktion nach dem Hebräischen, die in S. T. B. vorliegt; die Wortwahl aspiratio (statt 66 Dt.: Hier sind zwei Konstruktionen möglich: 1. und der Hauch des Allmächtigen sie lehrt; 2. und der Hauch des Allmächtigen lehrt sie. 67 De Bruyne (1931) 593 erweckt den irrtümlichen Eindruck, als seien die Texte von S. T. B. identisch. 68 Parallele Fälle begegneten in Kap. 4, Belege 38 und 48.

516

Spuren von Doppelübersetzungen in O. bei Augustin 

inspiratio) dagegen sowie das Fehlen des eos bei docet beruhen wieder auf der Übersetzung aus der LXX. Die literarische Technik, mit der Augustin beide Varianten in seinem Text unterbringt, ist uns bereits zwei Mal in seiner Schrift pecc. mer. begegnet: Er setzt die eine Variante ins Zentrum und platziert die andere als Rahmen davor und dahinter69. Diese Doppelübersetzung in an. et or. kann nur aus Hieronymus’ Erstfassung O. stammen. Damit füllt sich eine weitere Lücke, die Augustin in den Adnotationes gelassen hatte. Zur Herkunft des Zitats in an. et or. aus O. passt auch, dass der Begriff aspiratio ein typischer Vetus Latina-Begriff ist, der in der Vulgata nicht mehr vorkommt70. Der vorliegende Fall zeigt, dass Hieronymus den Begriff aspiratio schon bei der ersten Revision in S. ausschied. Dagegen erklärt ihn Augustin nicht nur als Synonym für inspiratio, flatus und spiritus, die sämtlich dem griechischen Begriff der πνοή entsprechen71, sondern gebraucht ihn gelegentlich auch aktiv, um die Wirkung des Heiligen Geistes zu beschreiben72. Leider lässt sich die Frage nicht klären, ob auch schon die Übersetzung rein nach dem Hebräischen, die in S. vorliegt, als dritte Übersetzung in O. stand. In jedem Fall liegt hier ein weiteres Beispiel dafür vor, dass Hieronymus in S. die Übersetzung nach dem Griechischen zugunsten der Version nach dem Hebräischen aufgab73. Nach meinen bisherigen Beobachtungen ist solch ein Fall tief in der zweiten Hälfte des Werkes – hier in Kap. 32 – ungewöhnlich. Iob 33, 3b 74 75 Hiob Kap. u. Vers 33, 3b

Wortlaut bei Augustin an. et or. 1, 14, 1974 (320, 12–13)

adn. = O.

intellectus labiorum meorum pura ­ intellegit

fehlt

M75: ‫וְ ַ ֥דעַ ת ֝ ְׂשפָ ֗ ַתי ּבָ ֥רּור ִמ ֵ ּֽללּו‬

Fassung in S. T. B.

et sensus labiorum meorum pura intellegit

LXX: σύνεσις δὲ χειλέων μου καθαρὰ νοήσει

Vulgata: et sententiam labia mea puram loquentur

69 Vgl. Kap. 20, S. 476–478 zu den Lemmata von Iob 1, 8d und 1, 8e. 70 Vgl. die Konkordanz (1897) und Goelzer (1884) 250. 71 Vgl. neben der vorliegenden Stelle an. et or. 1, 14, 19 (320, 5 ff.) auch ciu. 13, 24. 72 qu. 3, 36, 2 bei der Erklärung von Lv 10, 19: credendum est Aaron sacerdotem hoc diuina aspiratione dixisse. 73 Vgl. die in Kap. 20, S. 500, in Anmerkungen 116 und 117 gesammelten Stellen. 74 La Bonnardière (1960) 161 schreibt irrtümlich 1, 4, 19. 75 Dt.: Hier gibt es zwei Möglichkeiten. 1. und das Wissen meiner Lippen reden sie (sc. die Lippen) unverfälscht, 2. und Wissen – meine Lippen reden unverfälscht.

Die restlichen Hiob-Zitate in De peccatorum meritis (Iob 14, 16aff.)  

517

Bei beiden Übersetzungen handelt es sich um Konflationen, wie sie für Hieronymus typisch sind. Das Präsens intellegit stammt in beiden Fällen aus M; denn alle griechischen Versionen interpretieren das hebräische Imperfekt hier entweder futurisch oder modal76. Der Plural pura und die Konstruktion pura intellegit entsprechen dagegen der LXX. Da Hieronymus auch an zwei anderen Hiob-Stellen den griechischen Begriff σύνεσις mit sensus wiedergibt77, beruht hier die revidierte Fassung S. T. B. vermutlich auf der LXX. Entsprechend wird Hieronymus die in an. et or. zitierte Version mit intellectus als Übersetzung nach dem Hebräischen angesehen haben. Da sich das Zitat in an. et or. von der revidierten Fassung in S. T. B. unterscheidet, stammt es aus O. Ob dort auch schon die andere Fassung gestanden hat, ist nicht zu entscheiden. Jedenfalls liegt hier wieder die „normale“ Entwicklung vor, dass Hieronymus in S. T. B. die Übersetzung vorgezogen hat, die sich stärker am Griechischen orientierte. Iob 33, 4a Dieses Lemma lautet in allen Belegen gleich. Es bestätigt also erneut, dass Augustin auch in an. et or. die Versio prior zitiert: 78 Hiob Kap. u. Vers 33, 4a

Wortlaut bei Augustin

Fassung in S. T. B.

an. et or. 1, 14, 19 (320, 13–14)

adn. = O.

spiritus diuinus qui fecit me

spiritus diuinus qui fecit me

M78: ‫־אל עָ ָׂש ְ֑תנִ י‬ ֥ ֵ ַ‫ֽרּוח‬

(581, 10) spiritus diuinus qui fecit me LXX: πνεῦμα θεῖον τὸ ποιῆσάν με

Vulgata: spiritus Dei fecit me

Augustins zutreffender Kommentar lautet (581, 10–11): subaudis „est“, ut sit: spiri­ tus diuinus est qui fecit me. Er hat also die Konstruktion des Nominalsatzes richtig verstanden. Iob 33, 4b In diesem Teil-Lemma unterscheidet sich das Zitat in an. et or. wieder von der Fassung in S. T. B. Da Augustin die Stelle in den Adnotationes übersprungen hat, bezeugt hier sein spätes Zitat eine Lesart aus O. Wieder bleibt aber offen, ob auch die revidierte Fassung schon als Doppelübersetzung in O. stand: 76 Vgl. Ziegler (1982) 358 im 1. Apparat. 77 In Iob 21, 22 und 22, 2 übersetzt Hieronymus in S. T. B. den Ausdruck σύνεσιν καὶ ἐπιστήμην mit sensum et scientiam. Auch Augustin zitiert die Stelle Iob 22, 2 mit diesem Wortlaut (adn. 555, 5). 78 Dt.: Der Geist Gottes hat mich gemacht.

518 79 80

Hiob Kap. u. Vers 33, 4b

Spuren von Doppelübersetzungen in O. bei Augustin  Wortlaut bei Augustin

Fassung in S. T. B.

an. et or. 1, 14, 19 (320, 14–15)

adn. = O.

inspiratio autem omnipotentis quae docet me

fehlt

et inspiratio omnipotentis quae docet79 me

LXX: πνοὴ δὲ παντοκράτορος ἡ διδάσκουσά με

M80: ‫וְ נִ ְׁש ַ ֖מת ׁשַ ַּד֣י ְּתחַ ּיֵ �ֽנִ י‬ Vulgata: et spiraculum Omnipotentis vivificavit me

Hier kann man die beiden Versionen aufgrund der satzverbindenden Konjunktionen ihren ursprachlichen Vorlagen zuordnen: Die Fassung mit autem, die sich sicher auf O. zurückführen lässt, beruht auf dem δὲ der LXX; das et der revidierten Codices S. T. B. spiegelt dagegen das hebräische ‫„( ו‬und“). In den Lemmata Iob 33, 3b und 4b ist Hieronymus also bei seiner Revision verschieden verfahren: Im ersten Fall zog er die Version nach dem Griechischen vor, im zweiten Fall wählte er dagegen die Fassung nach dem Hebräischen. Der Fall illustriert noch einmal die große Flexibilität, die für Hieronymus charakteristisch ist. Man kann ihn kaum auf eine eindeutige Linie festlegen.

21.6 Gesamtbilanz zu den Hiob-Zitaten in pecc. mer. 21.6.1 Die Plausibilität der neuen Hypothese Auf den ersten Blick scheint es wenig plausibel zu sein, dass die Hiob-Zitate in Augustins Schrift De peccatorum meritis, die von den Zitaten in den Adnotationes bzw. den Hieronymus-Codices S. T. B. abweichen, auf sonst nicht belegte Übersetzungen bzw. Doppelfassungen in der Erstfassung O. der Versio prior des Hieronymus zurückgehen sollen. Deshalb hat De Bruyne die These verfochten, diese HiobZitate gingen auf eine von Augustin nach griechischen Texten angefertigte Revision der Übersetzung des Hieronymus zurück81. Bogaert dagegen meinte, diese Zitate seien einer pelagianischen Hiob-Übersetzung nach dem Griechischen entnommen; Augustin habe sich bewusst auf den Text seiner Gegner eingelassen82. Bei genauerer Betrachtung gewinnt jedoch m. E. die Ableitung der Hiob-Zitate in pecc. mer. aus Doppelübersetzungen in O. an Plausibilität. Zunächst einmal erweisen sich De Bruynes und Bogaerts Thesen bei detaillierter Analyse zumindest 79 S. schreibt docit (mit der in diesem Codex häufigen Verwechslung von e und i); Caspari (1893) 99 jedoch druckt ohne Anmerkung docuit. 80 Dt.: und der Hauch des Allmächtigen belebt mich/wird mich beleben. 81 De Bruyne (1931) 591–594. 82 Bogaert (2012) 65–66; 75; 78–79.

Die restlichen Hiob-Zitate in De peccatorum meritis (Iob 14, 16aff.)  

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als ungenau: Sie haben nicht beachtet, wie häufig die betreffenden Zitate auf hebräischen, nicht auf griechischen Vorlagen beruhen. Dagegen lässt sich für die hier vorgeschlagene Hypothese anführen, dass sich ganz abgesehen von den Hiob-Zitaten in pecc. mer. und an. et or. bereits in früheren Kapiteln Doppelübersetzungen in O. immer wieder nicht als vereinzeltes, sondern als weit verbreitetes Phänomen erwiesen haben. Offenbar wollte Hieronymus in seiner Erstfassung in Nachahmung und Überbietung von Origenes’ Hexapla zunächst einmal alle Möglichkeiten des Textverständnisses ausloten. Hieraus erklärt sich auch die zuweilen große Verschiedenheit zwischen seinen Mehrfachvorschlägen: Sie geht darauf zurück, dass seine ursprachlichen Vorlagen stellenweise stark divergierten. Die Differenzen der lateinischen Fassungen sprechen also nicht – wie man zunächst meinen könnte – gegen eine gemeinsame Herkunft der Varianten aus O., sondern ergeben sich mit innerer Logik aus dem Verfahren, das Hieronymus so nur in O. praktiziert hat. Auf eine einzige Lösung festgelegt hat sich Hieronymus erst bei seinen Revisionen, die durch die Codices S. und T. repräsentiert werden. Das stärkste Argument für die in den letzten drei Kapiteln diskutierte Hypothese dürfte aber der Nachweis sein, dass die Hiob-Zitate in pecc. mer. und an. et or. genau die charakteristischen Eigenschaften von Hieronymus’ Erstfassung O. widerspiegeln, die sich zuvor im Verlauf der vorliegenden Arbeit herauskristallisiert hatten: Also die Bezugnahme nicht nur auf eine einzige griechische Überlieferung, sondern auf mehrere, häufig auch randständige Traditionen sowohl im Griechischen als auch im Hebräischen, die je nach Zusammenhang in zweierlei Weise zum Ausdruck kommt: Entweder so, dass die hebräische und die griechische Vorlage im Lateinischen als Doppelübersetzungen nebeneinandergestellt werden; oder so, dass Hieronymus Elemente mehrerer Textvorlagen durch Konflation zu einer neuen Einheit verbindet, die ihrerseits wieder als Doppelübersetzung und Auswahlangebot neben eine andere Fassung treten kann. Vor allem der durchgehende Bezug auf hebräische Vorlagen widerlegt die These, die Hiob-Version von pecc. mer. gehe auf eine Revision auf der Basis griechischer Texte zurück. Angesichts dieser Züge scheint mir der Rückschluss auf die Erstfassung O. gut begründet. Zumindest hat sich m. E. bei der detaillierten Überprüfung der Einzelstellen kein Indiz ergeben, das mit dieser Hypothese nicht vereinbar wäre, geschweige denn sie falsifizieren würde.

21.6.2 Der Ertrag der neuen Hypothese für die Rekonstruktion von O. Da die Hiob-Zitate in pecc. mer., wie Bogaert zu Recht betont, „nach dem offenen Buch“ erfolgten83, können sie als besonders genau gelten und bereichern deshalb in willkommener Weise unsere Kenntnis von O. Diese war bisher – und bleibt trotz allem auch weiterhin – in manchen Passagen sehr lückenhaft, weil Augustin in den Adnotationes viele Lemmata übersprungen hat. 83 Bogaert (2012) 79.

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Spuren von Doppelübersetzungen in O. bei Augustin 

21.6.3 Zur These einer pelagianischen Hiob-Version (Bogaert) Im Rückblick auf die letzten drei Kapitel erhebt sich schließlich die Frage, warum Augustin in pecc. mer. das Buch Hiob in Fassungen der Versio prior anführte, die er sonst nicht zu zitieren pflegte. Hier hat m. E. Bogaert die Antwort gefunden: Der Gebrauch ungewöhnlicher Hiob-Texte ging von Augustins Gegnern aus84. Wenn der Kirchenvater feststellte, dass seine Kontrahenten das Buch Hiob in einer ihm ungewohnten Fassung zitierten, griff er seinerseits dieselben Textvarianten auf, um die Gegner mit ihren selbstgewählten Waffen zu schlagen85. Allerdings muss man m. E. im Fall von pecc. mer. ein Stück über Bogaert hinaus gehen. Wie oben gezeigt86, kann nach Bogaerts eigenem Dossier seine Vermutung nicht richtig sein, sowohl die Zitate in pecc. mer. als auch die Zitate in perf. iust. stammten beide aus der von ihm postulierten pelagianischen Revision oder Neuübersetzung des Buches Hiob, von der sonst nur noch das Vorwort in einem ganz anderen Kontext erhalten ist. Nachdem sich nun herausgestellt hat, dass die HiobZitate in pecc. mer. vermutlich aus der Erstfassung O. der Versio prior stammen, ist damit aber Bogaerts These von der Herkunft der ebenfalls singulären Zitate in perf. iust. keineswegs widerlegt, sondern bleibt plausibel. Deshalb kann man jetzt Bogaerts Vorschlag m. E. in neuer Form weiterentwickeln. Ich stelle mir die Zusammenhänge folgendermaßen vor: Die Pelagianer zitierten das Buch Hiob zunächst nach der weit verbreiteten und weithin akzeptierten Erstfassung O. des Hieronymus. Dabei wählten sie – ebenso wie vor allem Philippus Presbyter – bei Doppelübersetzungen andere Alternativen als Augustin, ohne jedoch den Bischof von Hippo schon im Visier zu haben. Augustin griff in seiner ersten Schrift pecc. mer. gegen die neue Häresie deren Hiob-Zitate ohne Zögern auf und wies nach, dass sie als Argumente der Gegenseite ungeeignet seien. Erst dies zeigte der pelagianischen Partei, dass die Versio prior des Hieronymus nicht die Basis bot, um mit einem Gegner wie Augustin erfolgreich zu streiten. Aufgrund dieser Erfahrung entschloss man sich dann, eine neue Hiob-Version zu schaffen, die der eigenen Theologie gemäßer sein sollte. Diese wird – wie Bogaert zu Recht meint – in den Zitaten des Caesarius in perf. iust. fassbar. Zwischen der Publikation von pecc. mer. im Jahre 411/412 und der Abfassung von perf. iust. im Jahr 415 blieb für solch ein Projekt hinreichend Zeit. Wenn diese Skizze zutrifft, hätten Augustins Adnotationes in diesem Zusammenhang noch keine Rolle gespielt. Trenklers Überlegungen zufolge wurde die zuerst publizierte ω2-Fassung der Adnotationes von Leporius zur Zeit seines Diakonats erarbeitet. Deren Erstpublikation fiele damit etwa in die Jahre 418–42087, während die Schrift perf. iust. schon 415 erschien. 84 Bogaert (2012) 65. 75. 85 Dies Verfahren lässt sich gelegentlich auch in Augustins Diskussionen mit den Donatisten beobachten: Vgl. La Bonnardière (1960) 111. 86 Kap. 19, S. 450–451. 87 Trenkler (2017) 286. 290.

Dritter Teil (Kapitel 15–21): Spuren von Doppelübersetzungen in O. bei Augustin Zusammenfassung In den Kapiteln 15–18 wurden in Augustins Adnotationes in Iob eine ganze Reihe bisher noch nicht wahrgenommener Doppel- oder Mehrfachübersetzungen nachgewiesen, die aus der Erstfassung O. von Hieronymus’ Hiob-Übersetzung iuxta Graecos stammen. Die neugefundenen Varianten tragen zur Rekonstruktion von O. bei, dessen Wortlaut in den Lemmata der Adnotationes nur teilweise überliefert ist. Als Nebeneffekt der Analysen ergaben sich Vorschläge zur Lösung einer Reihe textkritischer Probleme der Adnotationes. In den Kapiteln 19–21 erfolgte eine detaillierte Überprüfung der neuen Hypothese, dass es sich bei den bisher unerklärten Hiob-Zitaten in De peccatorum meritis und anderen antipelagianischen Werken Augustins ebenfalls um Doppel- oder Mehrfachfassungen aus O. handelt, die der Bischof deshalb aufgriff, weil sie von den Pelagianern zitiert worden waren. Es ergaben sich keine Gesichtspunkte, durch die die Hypothese falsifiziert würde. Vielmehr zeigten sich auch in diesen Zitaten immer wieder dieselben Übersetzungstechniken, die laut den vorangehenden Kapiteln der vorliegenden Arbeit für die Erstfassung O. von Hieronymus’ Versio prior charakteristisch sind. Vor allem wurde deutlich, dass diese Zitate vielfach nicht auf griechischen, sondern hebräischen Vorlagen beruhen. Dieser Befund sprach am deutlichsten gegen die von De Bruyne bzw. von Bogaert entwickelten Erklärungsversuche. Damit können in einer künftigen Edition auch die Hiob-Zitate aus De peccatorum meritis und verwandten Schriften für die Rekonstruktion sonst verlorener Passagen von O. verwendet werden. Zugleich jedoch haben die Analysen der Hiob-Zitate aus pecc. mer. und an. et or. in den letzten drei Kapiteln ein Nebenergebnis erbracht, das anderen Beobachtungen der vorliegenden Arbeit widerspricht. Während sich im ersten Teil dieser Arbeit aufgrund zahlreicher Einzelstellen der Eindruck ergab, dass Hieronymus bei seinen Revisionen der Versio prior den in der Erstfassung O. besonders starken Einfluss hebräischer Vorlage wieder reduzierte, fanden sich jetzt – zumindest in den frühen Kapiteln Iob 9 und 13 – mehrere Beispiele für die gegenteilige Tendenz. Diese Belege beschränkten sich auch nicht auf die Endfassung T., in der sich auch früher schon hier und da ein gewisser Rückschwung des Pendels zurück zum Hebräischen bemerkbar machte, sondern betrafen bereits die erste Revisionsstufe in S. Um diese einander widersprechenden Beobachtungen in ein Gesamtbild einordnen zu können, fehlt jedoch bisher die Voraussetzung – die vollständige Aufarbeitung des Materials, die in dieser Arbeit noch nicht geleistet werden konnte. Der gegenwärtige Stand der Forschung vermittelt den Eindruck, dass Hieronymus nicht konsistent verfuhr. Insgesamt betrachtet gehören der zweite und der dritte Teil der vorliegenden Arbeit eng zusammen und bilden gegenüber dem ersten Teil eine eigene Einheit.

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Spuren von Doppelübersetzungen in O. bei Augustin 

Wenn die hier vertretene These, Hieronymus’ Erstfassung O. habe einen hohen Anteil von Doppelfassungen enthalten, auf den ersten Blick vielleicht auch überspitzt erscheinen mag, so findet sie doch m. E. vielfältige Bestätigung in den gleichlautenden Befunden beider Teile. Auch methodisch gehen der zweite und dritte Teil  parallel. In beiden Teilen wurde der Nachweis von Doppelübersetzungen durch systematische Vergleiche zwischen den Hiob-Zitaten bei Augustin mit mehreren anderen Texten ermöglicht – mit Augustins Kommentaren, mit abweichenden Varianten in der Augustin-Überlieferung, mit den revidierten Hieronymus-Fassungen S. und T., mit der kontaminierten Fassung B., mit den verschiedenen hebräischen, griechischen und lateinischen Vorlagen des Hieronymus, mit seiner Vulgata und nicht zuletzt mit den bei anderen Kirchenvätern überlieferten Varianten.

Ausblick: Offene Probleme Die hier vorgelegten Untersuchungen zur Textvorlage von Augustins Adnotationes in Iob kreisen um die Erstfassung O. der ersten Hiob-Übersetzung des Hieronymus. Zunächst wurde versucht, die charakteristischen Eigenarten dieser Erstfassung O. gegenüber den revidierten Fassungen S. und T. sowie gegenüber der in B. vorliegenden Kompilation aus O. und T. herauszuarbeiten. Anschließend ging es um die Frage, wieweit Spuren von O. auch außerhalb von Augustins Adnotationes in Iob im patristischen Schrifttum auffindbar sind. Am Schluss konzentrierte sich dieselbe Fragestellung wieder auf Augustins eigene Werke. Diese Untersuchungen führten immer wieder auf das Phänomen, dass die Erstfassung O. in unvermutet großem Umfang Doppel- oder sogar Mehrfachübersetzungen aufwies. Dabei ließ sich das Vorgehen des Hieronymus in der Regel nachvollziehen. Das galt erstens für die Kriterien, nach denen er bei seinen Revisionen in S. und T. Umarbeitungen an O. vornahm oder aus den Varianten von O. seine Auswahl traf, und zweitens für die ursprachlichen Textvorlagen, aufgrund deren er in O. seine zahlreichen Doppelübersetzungen entwickelte. Trotzdem bleiben am Ende dieser Arbeit noch viele Fragen offen. Sie lassen sich unter sechs übergreifenden Gesichtspunkten bündeln.

1 Exemplarische vs. vollständige Bearbeitung des Materials Nur in einigen Fällen habe ich eine vollständige Analyse und Präsentation des Materials angestrebt – bei der Analyse der Hiob-Zitate in den von Vattioni publizierten Glossen der drei spanischen Vulgata-Bibeln, bei Julian von Aeclanum und bei Gregor dem Großen sowie am Schluss bei der Untersuchung der Hiob-Zitate in De peccatorum meritis. Im Fall von Philippus Presbyter habe ich exempli gratia nur die von Ziegler gesammelten Stellen untersucht. Eine entsprechende Analyse der Edition des Johannes Sichardus und des von Vattioni publizierten Materials steht noch aus. Die Lesarten der meisten Handschriften des Philippus-Kommentars werden erst in der angekündigten Edition im Corpus Christianorum veröffentlicht werden. Die Spuren der Versio prior bei den von Bogaert genannten „kleineren“ Kirchen­ vätern1 habe ich zwar sämtlich überprüft und dabei weitere Reste der Erstfassung O. identifiziert, aber die Ergebnisse nicht mehr in die vorliegende Arbeit einarbeiten können. Das gilt auch für Funde bei Autoren, die Bogaert noch übergangen 1 Bogaert (2012) 80–81. 88: Orosius, Cassian, Eucherius von Lyon, Fulgentius von Ruspe und Quodvultdeus von Karthago.

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Ausblick: Offene Probleme

hat – Gaudentius von Brescia, Rufinus von Aquileia und Petrus Chrysologus von Ravenna. Die 20 Handschriften und fünf Editionen von Augustins Adnotationes sowie die drei Codices der Versio prior des Hieronymus wurden jeweils vollständig kollationiert, aber bisher nur exemplarisch ausgewertet. Insgesamt deckt die Arbeit knapp die Hälfte der Hiob-Lemmata ab, die Augustin in den Adnotationes kommentiert. Auch der für Augustin von La Bonnardière und im CAG sowie zu allen Kirchenvätern in der Beuroner Datenbank gesammelte Zitatenschatz konnte bisher nur in Auswahl bearbeitet werden. Es sind also weitere Entdeckungen zu erwarten.

2 Identifikation der Textvorlagen Wie schon in der Einleitung betont, versteht sich die vorliegende Arbeit nicht als Beitrag zur Septuaginta-Forschung. Aus den vielen Einzelbeobachtungen zum Umgang des Hieronymus mit der LXX hat sich mir bisher kein kohärentes Bild über die griechischen Vorlagen des Übersetzers ergeben. Ihre Anzahl war offenbar beträchtlich, muss letztlich aber doch überschaubar gewesen sein. Hier Klarheit zu schaffen ist eine noch ungelöste Aufgabe für LXX-Spezialisten. Gleiches gilt mutatis mutandis für die mittelbaren hebräischen Vorlagen der Versio prior. Wo Hieronymus’ Übersetzung auf einem griechischen Text beruhte, dessen hebräische Vorlage sich deutlich von M unterschied, habe ich mich oft damit begnügen müssen, die Versio prior aus dem Griechischen zu erklären. Ich verfüge über keine Sammlung der zu solchen Stellen vorliegenden Rekonstruktionen der hebräischen Vorlagen. Im Lauf der Arbeit ergaben sich Hinweise darauf, dass Hieronymus bei seiner Emendation des Buches Hiob nicht nur eine einzige Vetus Latina-Version vor Augen hatte, sondern deren mehrere benutzte  – nicht nur Kernzitate im 1.  Clemensbrief und bei Cyprian, sondern auch die verschiedenen Übersetzungen, die von Ambrosius, dem anonymen Arianer und in den von Ziegler edierten Glossen zitiert werden. Eine Systematisierung dieser Beobachtungen steht ebenfalls aus.

3 Identifikation und Profil der Revisionsstufen Die Arbeit an den von Vattioni publizierten spanischen Glossen zeigt, dass es vielfach an Kriterien fehlt, um Lesarten von O. sicher von Lesarten aus T. zu sondern. Bei Julian von Aeclanum bleibt zuweilen unklar, ob Zitate aus der Erstfassung O. des Hieronymus oder aus seinen eigenen Übersetzungen der LXX stammen. Bei der ersten Revisionsstufe S. ist offen, an welchem Punkt sich Hieronymus dazu entschied, eine stark auf die hebräischen Vorlagen fixierte Übersetzung in eine vorwiegend auf der LXX beruhende Version umzuarbeiten. Offen ist auch, wieweit er solch einen Entschluss konsequent in die Tat umsetzte.

Ausblick: Offene Probleme

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Während deutlich wurde, dass S. im Revisionsprozeß von O. zu T. einen großen Schritt bedeutete, ist bisher weniger klar, welche spezifische Bedeutung der Schlussrevision in T. zukam. Die Hintergründe und Besonderheiten der Fassung B. (Ort, Zeit, Autor und Fehlerträchtigkeit) konnten bisher nicht geklärt werden. Vor allem bleibt zu untersuchen, nach welchen Kriterien und in welchem genauen Verhältnis der Kompilator von B. seine Wahl zwischen den verschiedenen Lesarten von O. und T. getroffen und zuweilen seine eigene Konflation aus beiden gebildet hat. Offen ist nicht zuletzt, was den Autor überhaupt zu seiner zwischen O. und T. vermittelnden Arbeit veranlasst hat. Meine Vermutung, B. sei ein erster Versuch, die Versio prior zu edieren, ist bisher eine bloße Hypothese.

4 Hieronymus’ Entwicklung als Textkritiker und Hebraist Soweit mir bekannt ist, hat man die Frage nach Hieronymus’ Kompetenzen als Hebraist und als Textkritiker bisher immer nur statisch abgehandelt2. Zwar hat man immer wieder einmal davon gesprochen, dass Hieronymus im Laufe seines langen Gelehrtenlebens Lernfortschritte im Hebräischen gemacht haben müsse3. All diese Hinweise blieben aber allgemein4 oder konnten sogar nicht bestätigt werden5. In der vorliegenden Arbeit nun wurde an vielen Beispielen aus Hieronymus’ Übersetzungen des Buches Hiob deutlich, dass sich der Kirchenvater tatsächlich weiterentwickelt hat. Auf dem Gebiet der Textkritik fiel auf, dass er anfänglich von randständigen Textformen im Griechischen und Hebräischen fasziniert war, sich aber anschließend konsequenter auf die etablierten Hauptüberlieferungen stützte. Im Hebräischen deutete sich eine Entwicklung in seinem Verständnis der Tempusfunktionen an, das bisher kaum erforscht zu sein scheint6 – auch dort in 2 Vgl. m. W. zuletzt (je mit älterer Literatur) Michael Graves, Jerome’s Hebrew Philology (2007) und Martin Meiser, Hieronymus als Textkritiker (2010). 3 Kedar-Kopfstein (1968) 51 schreibt: „Throughout his correspondence and his commentaries on the Biblical books, we witness Jerome’s evergrowing proficiency in the Hebrew language.“ D. Brown (1992) 82 erinnert daran, dass Hieronymus schon in Rom Paula und Eustochium im Hebräischen unterrichtete, und fährt fort: „[…] the fact that he began to teach others may imply that he also continued to study with a Hebrew teacher in order to deepen his own knowledge of the language.“ Der jüngste Hinweis stammt von Hillel I. Newman (2009) 140. Der Autor spricht S. 136 und 138 von Hieronymus’ „learning curve“. 4 Vgl. die Formulierungen bei Bartelink (1994) 150. 151. 162–163. 5 Wissemann (1992) 158 hat innerhalb der Vulgata-Übersetzung des Alten Testamentes keine chronologische Entwicklung der Sprachkompetenz feststellen können. Diese Frage ist nicht zu verwechseln mit dem anderen Problem, ob sich die Übersetzungstechnik des Hieronymus im Lauf der Arbeit an der Vulgata geändert hat (verfochten von Kedar-Kopfstein (1968) 53–70; bestritten von B. Fischer (1972) 15). 6 Barr (1966–67) 296 weist darauf hin, dass sich Hieronymus selbst fast ausschließlich zu lexikographischen Fragen des Hebräischen äußert, und fährt fort (296–297): „One might have ex-

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Ausblick: Offene Probleme

Richtung der Deutungstradition, die ihm in den griechischen Übersetzungen vorlag. Solche konkreten Beobachtungen zu Entwicklungen bei Hieronymus sind nur ein Anfang; sie zeigen jedoch, dass die von Newman gestellte Frage nach Hieronymus’ „Lernkurve“7 fruchtbar ist und weiter verfolgt werden sollte.

5 Die verschiedene Nachwirkung von O. und S. T. B. Die Arbeit zeigt, dass die Erstfassung O. der Versio prior eine deutlich stärkere Nachwirkung ausgeübt hat als die von Hieronymus mit so viel Revisionsaufwand ausgearbeitete Endfassung T. Die meisten Benutzer der Versio prior (vor allem Augustin selbst, der Kompilator der spanischen Glossen, Philippus Presbyter und Julian von Aeclanum) stützen sich allein auf die Erstfassung O. und ignorieren die Endfassung T. – Augustin sogar, obwohl ein Exemplar von T. in seiner Bibliothek vorhanden war. Sicher nachgewiesen ist ein Nachwirken der Endfassung T. bisher nur bei drei Benutzern. Es handelt sich um die beiden Fratres, die je eine eigene Rezension von Augustins Adnotationes publizierten, sowie um den Kompilator von B. Alle drei haben zwar der Fassung T. den Vorzug gegeben, sie aber nicht allein, sondern immer nur in Verbindung mit O. herangezogen. Isolierte Splitter aus T. begegneten nur in den spanischen Glossen und bei Gregor dem Großen. Sie reichen nicht aus, um eine wirkliche Benutzung der Fassung T. nachzuweisen. Aus diesen Befunden ergeben sich folgende offene Fragen: Wie erklärt sich die Bevorzugung der Erstfassung O. gegenüber der revidierten Fassung T. bei den meisten Kirchenvätern? Warum liegen ausgerechnet die viel weniger einflussreichen revidierten Fassungen S. und T. sowie die Kompilation B. in direkter handschriftlicher Überlieferung vor, während die vielgebrauchte Erstfassung O. nur indirekt und bruchstückhaft erhalten ist?

pected that obvious features of biblical Hebrew, such as the construct state or the „waw consecutive“, or indeed the tense system generally, might have received some treatment; but I have found practically nothing.“ Allerdings betont er selbst (S. 300), die Bibelübersetzungen des Hieronymus kaum ausgewertet zu haben. Kedar-Kopfstein (1968) 188–190 zeigt nur das Naheliegende – Hieronymus übersetzt hebräisches Perfekt als Vergangenheitstempus und fasst das Imperfekt häufig modal auf –, geht aber auf die schwierigeren Fragen nach den Tempora consecutiva und dem sogenannten poetischen Aorist nicht ein. 7 Vgl. das Ende von Anm. 3.

Ausblick: Offene Probleme

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6 Die Doppelübersetzungen in O. Die Doppel- oder Mehrfachübersetzungen in O. werfen mehrere Probleme auf, die in der vorliegenden Arbeit nicht gelöst werden konnten. Doppelübersetzungen in O. sind oft nicht sicher nachweisbar. Die bisherigen Befunde erlauben noch keine Aussage darüber, in welchem Ausmaß O. Doppelübersetzungen enthielt. Da es auch Doppelfassungen auf der Basis verschiedener griechischer bzw. hebräischer Vorlagen und auch viele Konflationen hebräischer und griechischer Quellen gibt, kann man nicht einfach annehmen, Hieronymus habe möglichst oft oder gar immer versucht, nebeneinander je eine Übersetzung nach dem Hebräischen und eine zweite nach dem Griechischen zu bieten. Offen ist ferner die Frage, warum keiner der zahlreichen spätantiken Benutzer die Tatsache erwähnt, dass die Erstfassung O. so viele Doppelübersetzungen enthielt. Die Übersetzung bot ihnen viele Verständnishilfen und legte sie nicht auf bestimmte Formulierungen fest, stellte sie aber zugleich vor die Qual der Wahl. Das hätte eigentlich den einen oder anderen Kommentar erwarten lassen. Wie hat man sich schließlich die Anordnung der Doppel- bzw. Mehrfachübersetzungen im Codex O. praktisch vorzustellen? Der Haupttext dürfte aus einer Übersetzung nach derjenigen griechischen oder hebräischen Vorlage bestanden haben, der Hieronymus an der jeweiligen Stelle gerade den Vorzug gab. Die Varianten aufgrund anderer Quellen können die Form von Randglossen oder von Interlinearversionen gehabt haben. Die Glossenform kann man an den spanischen Vulgata-Bibeln studieren; Beispiele für Interlinearversionen liegen in der Kurzfassung des Kommentars des Philippus Presbyter vor. Nach welchen Kriterien haben die Kirchenväter ihre Auswahl zwischen den Doppelübersetzungen in O. getroffen? Wie kam es, dass sich Augustin in den Adnotationes fast ausschließlich auf die Übersetzungen des Hieronymus aus dem Griechischen konzentrierte, während Philippus Presbyter ebenso konsequent die Fassungen bevorzugte, die auf dem Hebräischen beruhen?

Anhang A Kontamination der Versio prior aus der Vulgata?

1 Das Problem Gailey (1945) 46–471 listet Stellen auf, an denen sich dieselben Lesarten sowohl in der Vulgata als auch in einzelnen oder mehreren der drei Handschriften der Versio prior des Buches Hiob (d. h. in S., T. und B.) finden. Er erklärt diese Übereinstimmungen mit der These, die Codices der Versio prior seien von der Vulgata beeinflusst2. Auch Erbes (1950) 17–124 weist im Text seiner Edition der Versio prior durch schwarze Unterstreichungen solche Übereinstimmungen mit der Vulgata nach, und zwar in noch erheblich größerem Umfang. Im Unterschied zu Gailey, dessen Arbeit er nicht kennt, sieht er hier jedoch keinen Einfluss der Vulgata auf die Versio prior, sondern umgekehrt der Versio prior auf die Vulgata3. Dies entspricht seiner These, die Versio prior sei letztlich nur eine Vorarbeit für die Vulgata4. Die Frage nach der Priorität zweier ähnlicher oder identischer Formulierungen ist methodisch nicht zu entscheiden, wenn es außer der Übereinstimmung selbst keine weiteren Argumente gibt, um das gegenseitige Verhältnis genauer zu bestimmen5. Im vorliegenden Fall gibt es jedoch m. E. in vielen Fällen solch ein Kriterium, das freilich weder Gailey noch Erbes bewusst war – nämlich den Umstand, dass die Hiob-Texte der Versio prior, die in den Handschriften S., T. und B. und den Lemmata in Augustins Adnotationes in Iob erhalten sind, dem Text der Vulgata nicht als einheitlicher Block gegenüberstehen, sondern drei verschiedene Revisionsschichten repräsentieren. Wenn man einmal gesehen hat, dass Hieronymus die Versio prior mehrfach überarbeitet und dabei an vielen Stellen auch seine Textbasis gewechselt hat, kann man die Frage, welchen Einfluss die Versio prior und die Vulgata aufeinander ausgeübt haben, neu und differenzierter angehen, als es Gailey und Erbes möglich war. Alle von Erbes angegebenen Stellen zu behandeln, ginge über den Rahmen dieser Arbeit weit hinaus. Ich beschränke mich deshalb auf eine exemplarische Überprüfung der von Gailey beigebrachten Belege. Die Prüfung ergibt beiläufig, dass 1 In der 1977 veröffentlichten Xerokopie seiner Arbeit fehlt S. 48, die vermutlich weitere Belege aus den Hiob-Kapiteln 19–26 enthielt. Der letzte Beleg auf S. 47 betrifft Iob 18, 21. 2 Gailey (1945) 45. 3 Erbes (1950) 15 und 176. 4 Erbes (1950) 141. 143. 154. 156. 5 Zum Verhältnis von Vulgata und Vetus Latina formuliert Gribomont (1985) 62: „Il est parfois difficile de décider si l’on a affaire à un texte „vieux latin corrigé“ sous la Vulgate, ou l’inverse“.

530

Anhang A

Gailey einige Stellen irrtümlich in die Debatte einbezogen hat. Sie bleiben im Folgenden beiseite6. In der Hauptsache stellt sich heraus, dass beide Autoren Richtiges gesehen, jedoch ihre Befunde unzulässig verallgemeinert haben – freilich in sehr unterschiedlichem Umfang. Im Wesentlichen behält Erbes Recht; aber auch Gailey hat hier und da zutreffende Beobachtungen beigetragen, die zur Weiterarbeit anregen. Der Klarheit halber sei noch auf einen wesentlichen Unterschied zwischen Gailey und Erbes hingewiesen. Wenn Gailey vom Einfluss der Vulgata auf die Handschriften der Versio prior spricht, setzt er voraus, dass diese Codices von späteren Kopisten aus der Vulgata kontaminiert wurden. Wenn jedoch Erbes vom Einfluss der Versio prior auf die Vulgata spricht, will er damit sagen, dass Hieronymus selbst die betreffenden Formulierungen aus der früheren in die spätere Übersetzung übernommen hat. Beide Autoren können für ihre Thesen von vornherein eine gewisse Plausibilität beanspruchen. Erbes erinnert daran, dass die Versio prior mit all ihren Unvollkommenheiten der Vulgata voranging, und folgert daraus, dass sie deshalb von Hieronymus als Vorübung für den größeren Wurf angesehen wurde7. Er schließt8: „Somit können die in R9 und Vg10 gleichlautenden Stellen nicht aus Vg nach R, sondern nur umgekehrt aus R nach Vg eingedrungen sein.“ Auch die Benutzung weithin derselben hebräischen und griechischen Textvorlagen in beiden Übersetzungen11 legt die Übernahme gelungener Formulierungen aus den früheren Versionen in die Vulgata nahe. Aber auch Gaileys These, die Handschriften der Versio prior seien aus der Vulgata kontaminiert, scheint zunächst plausibel. Es ist sonst keine Vetus Latina-Handschrift bekannt, die nicht mit Vulgata-Lesarten kontaminiert wäre12. Zudem lieferte auch die Arbeit Trenklers bereits Analogien. Trenkler zeigt in Kapitel 15, dass der ω2-Frater gelegentlich die ursprünglichen Fassungen von Hiob-Zitaten durch die entsprechenden Vulgata-Versionen ersetzt hat13. In den Kapiteln 16 und 17 verzeichnet Trenkler mehrere Fälle, wo die Fratres andere Bibelzitate Augustins ebenfalls unter Vulgata-Einfluss umformuliert haben14. Entsprechend liegt Gaileys Vermutung nahe, dass Vulgata-Lesarten auch in die Überlieferung der Versio prior eingedrungen sind. 6 In Iob 8, 3 sind die Handschriften der Versio prior nicht betroffen. In Iob 9, 11b ist die Auslassung von me in B. und Vulgata syntaktisch nicht vergleichbar (sie ergibt sich in der Vulgata aus dem Wechsel zum intransitiven Prädikat abierit). In Iob 10, 20b fügt Augustin kein ergo ein. Gailey folgt dort einer irrtümlichen Angabe Casparis (1893) 65, Anm. 29. 7 Erbes (1950) 176. 8 Erbes (1950) 176. 9 Mit R = Revision (sc. der Vetus Latina) bezeichnet Erbes die Versio prior. 10 D. h. die Vulgata. 11 Vgl. Trenkler (2017) 25–29. 12 Vgl. Fürst (2003) 101. 13 Trenkler (2017) Kap. 15, S. 206–207, Belege 28 a und b. Vulgata-Einfluss liegt vielleicht auch im Beleg 37 vor (S. 215). 14 Trenkler (2017) 228–229 und 247–251.

Anhang A

531

Die folgende Auseinandersetzung mit Gailey basiert auf der genetischen Analyse des Verhältnisses zwischen den verschiedenen Handschriften der Versio prior, die ich in dieser Arbeit entwickelt habe. Ich sehe Augustins Vorlage O., die uns in dessen Adnotationes fragmentarisch greifbar ist, als Erstfassung an. In S. finde ich eine erste Revisisionsstufe und in T. schließlich die Endfassung des Hieronymus. Dagegen ist m. E. der Codex B. erst eine spätere eklektische Konflation der Erstfassung O. mit der Endfassung T. An einigen Stellen hat B. auch Sonderfehler. Also kommt B. in allen Fällen, wo auch O. oder T. als Vorlage für die Vulgata gedient haben können, nicht als eigenständige Quelle in Betracht. Deshalb sind die Lesarten von B. in den folgenden Tabellen nur zum Vergleich am Außenrand notiert, um das genetische Verhältnis der Handschriften der Versio prior möglichst vollständig zu dokumentieren.

2 Das Verhältnis zwischen T. und der Vulgata Die Entscheidung, wieweit die Theorien von Gailey und von Erbes jeweils gültig sind, hängt vor allem davon ab, wie man das Verhältnis zwischen der Vulgata und T. beurteilt. Wenn nämlich Hieronymus, wie Erbes meint, zahlreiche Formulierungen aus der Versio prior in die Vulgata übernommen hat, dann sind besonders viele Übereinstimmungen zwischen der Vulgata und T. zu erwarten, weil T. die Endfassung der Versio prior darstellt15. Die Frage, ob Hieronymus die Arbeit an der Vulgata erst aufnahm, nachdem er T. vollendet hatte, oder vielleicht gleichzeitig an T. und an der Vulgata arbeitete16, ist daneben ohne erheblichen Belang. Was nun die von Gailey zu T. gesammelten Stellen betrifft, so komme ich zu dem Ergebnis, dass die meisten (nämlich 21 von 22 Belegen) nicht für seine These sprechen, sondern vielmehr Erbes’ Einschätzung stützen, dass Hieronymus viele Formulierungen der Vulgata teils in der Versio prior angebahnt, teils direkt aus der Versio prior übernommen hat.

2.1 Einfluss der Vulgata auf T. unwahrscheinlich Besonders deutlich sprechen gegen Gailey jene Stellen, an denen er zwar kleine Detail-Parallelen zwischen den Texten von T. und der Vulgata nachweist, zugleich aber nicht beachtet, dass im selben Kontext viel gewichtigere Abweichungen darauf hinweisen, dass der Schreiber von T. gar nicht beabsichtigte, den Wortlaut der Vulgata zu übernehmen. Diese Passagen sind m. E. vielmehr so zu deuten, dass T. nur erst eine Zwischenstufe auf dem Weg zur Vulgata-Fassung darstellt. Damit zeigen diese Stellen nicht nur im Sinne von Erbes, dass die Versio prior eine Vorstufe zur Vulgata darstellt, 15 Vgl. Kap. 6 und 7. 16 Vgl. dazu Kap. 7, S. 129 mit Anm. 20 und S. 134.

532

Anhang A

sondern präzisieren zugleich – über Erbes hinaus –, dass die Vorlage der Vulgata in erster Linie jene Fassung der Versio prior war, die uns im Codex T. vorliegt. Da die schrittweise Entwicklung auf die Vulgata hin dort am deutlichsten wird, wo auch noch die Lesarten von O. erhalten sind (also in Augustins Adnotationes), beginne ich mit einer Liste dieser Belege. Anschließend folgt eine analoge Übersicht über diejenigen Stellen, zu denen die Belege für O. fehlen.

2.1.1 Belege, für die auch O. überliefert ist 17 18 19 20 21 22 23 24 25 26

Seite Kap./ Gailey Vers Hiob

Urtexte

O. lt. Augustin

S.

T.

Vulgata

B.

hebr.

griech.

Seite/Zei. Text Zy.

‫ד־ּב ְל ִ ֥עי‬ ִ ַ‫ע‬17

ἕως ἂν καταπίω

524, ­13–14

donec donec de- donec ut ­ deglutiam glutiam gluttiam18 gluttiam

=T. 19 = T.

46

7, 19b

47

10, 17a ‫ ְּתחַ ֵ ּ֬דש‬20

ἐπανα­ καινίζων

532, 22

instaurans

instaurans

restauras

47

11, 8a

‫בהָ ה‬ ֹ ְ‫ּג‬

ὑψηλὸς ὁ οὐρανός

534, 3–4

sublime est caelum

sublime est caelum

sublimior excelsior est caelo caelo est

47

16, 2b

‫מ י עָ ָמ֣ל‬ ֵ֖ ‫ח‬ ֲ ‫ ְמ ַנ‬22

παρακλήτορες κακῶν

542, 6

consola­ consola­ consola­ tores ma- tores ma- tores lorum lorum mali

consolatores onerosi

= O. S.

47

16, 723 ‫הֶ ְל ָא֑נִ י‬24

lassauit me

16, 826 oppressit me dolor

= O.S.

‫ ִמּׁשָ מַ יִ ם‬21

κατάκοπόν 542, 19 με πεποίηκεν

lassauit me

lassauit me dolor25

instauras

= O. S.

17 Dt.: „bis zu meinem Herunterschlucken“. 18 Der Wechsel vom Kompositum zum Simplex beruht auf dem Wechsel der Textvorlage: Während das Griechische reich an nuancierten Komposita ist, bildet das Hebräische nur Simplicia. 19 B. schreibt jedoch glutiam. 20 Dt.: „du erneuerst“. 21 Dt.: „höher als der Himmel“. So wird die hebräische Vorlage von T. und Vulgata im Apparat der BHS (1983) 1238 rekonstruiert. Ebenso schon Dhorme (1926) 145. 22 Dt. wörtlich: „Tröster (Pl.) von Übel (Sg.)“. Die Constructus-Verbindung des Hebräischen wird in LXX, O. und S. wörtlich als Genetiv-Konstruktion wiedergegeben. Der „Genetiv“ wird aber im Hebräischen, das verhältnismäßig wenige Adjektive bildet, vielfach anstelle eines adjektivischen Attributs verwendet. Somit hat Hieronymus hier erst in T. und dann in der Vulgata den Sinn der Stelle getroffen. 23 Diese Verszählung nach BHS, LXX, Gailey (auch Dhorme und Mangan). 24 Dt.: „er (sc. Gott) hat mich müde gemacht“. 25 Das Subjekt zu lassauit ist in beiden Ursprachen Gott. Während LXX und Targum (Mangan (1991) 48) an dieser Aussage festhielten, fügte Hieronymus in T. dolor als neues Subjekt ein, das er aus dem vorangehenden Vers Iob 16, 6a (= Stuttgarter Vulgata 16, 7a)  herüber nahm: Dhorme (1926) 210. Vermutlich wollte Hieronymus Gott gegen den Vorwurf böswilligen Handelns schützen. 26 Diese Verszählung nach der Stuttgarter Vulgata.

533

Anhang A 27 28

Seite Kap./ Gailey Vers Hiob

hebr.

griech.

Seite/Zei. Text Zy.

47

‫בעָ ְר ִּפי‬ ּ ֭ ְ 27

τῆς κόμης

543, 16

16, 12b

Urtexte

O. lt. Augustin

comam meam28

S.

T.

Vulgata

B.

comam

comammeam

ceruicem = T. meam

Die letzte Stelle dieser Liste spricht besonders deutlich gegen Gaileys These. Gailey geht es hier lediglich um das Possessivpronomen meam, das nur in M steht, während es im Griechischen fehlt. Er schweigt zu der ungeklärten Frage, wie die griechischen Übersetzer bei dem im Hebräischen häufigen Wort ‫„( עֹ ֶרף‬Nacken“29) auf die falsche Bedeutung „Haar“ verfielen, die auch noch Hieronymus in T. beibehielt. Wenn er Recht hätte, dass T. aus der Vulgata kontaminiert wurde, wäre schwer verständlich, dass nur das Possessivpronomen meam eingefügt wurde, aber das falsche comam nicht durch das richtige ceruicem ersetzt wurde. Umgekehrt dagegen ergibt sich eine stimmige Entwicklung: Beim Rückgriff auf M trug Hieronymus in T. zunächst das fehlende Pronomen nach, war sich aber entweder der Bedeutung von ‫ עֹ ֶרף‬angesichts der einstimmigen Deutung als „Haar“ in den griechischen Übersetzungen noch nicht sicher oder wollte vielleicht auch bewusst noch nicht so eindeutig von der etablierten Überlieferung abweichen. Jedoch tat er dann in der Vulgata auch noch den letzten Schritt – vielleicht unter dem Einfluss des Targums, das ebenfalls vom „Nacken“ spricht30.

27 Dt.: „an meinem Nacken“. 28 Das Possessivpronomen meam in der ω2-Überlieferung der Adnotationes geht vielleicht darauf zurück, dass der Frater auch hier  – wie sonst oft  – die Fassung von O. durch die Fassung von T. ersetzte (vgl. Trenkler (2017) Kap. 14). Die Stelle kann aber auch als Beleg dafür gedeutet werden, dass S. eine eigene Revisionsstufe zwischen O. und T. darstellt: Vgl. oben Kap. 6, S. 107–108. 29 Gesenius-Donner (2013) 1016 rechts – 1017 links. 30 Vgl. Mangan (1991) 48.

534

Anhang A

2.1.2 Belege, für die O. nicht überliefert ist Auch bei den folgenden Fällen zeigt der Kontext, dass nicht die Vulgata-Fassung von einem Schreiber nach T. übertragen wurde, sondern dass in T. erst eine Vorstufe für die später in der Vulgata gefundene Endfassung vorliegt: 31 32 33 34 35 Seite Kap./ Urtexte Gailey Vers Hiob hebr.

46

2, 3g

46

2, 10c ‫נְ קַ ּבֵ ל‬

‫לבַ ְּלעֹ֥ ו‬ ְ 31

[…]

‫נְ קַ ֵּב֑ל‬32

46

2, 13c ‫ִ ּ֣כי ָרא֔ ּו‬ ‫ָדל‬ ֥ ַ ‫ִ ּֽכי־ג‬ ‫הַ ְּכ ֵ ֖אב‬

‫מ ֹֽאד‬ ְ 34

O. lt. Augustin fehlt

S.

T.

Vulgata

B.

griech.

Seite/ Zei. Zy.

Text

τὰ ὑπάρχοντα αὐτοῦ […] ἀπ­ ολέσαι





perdere ut subsubstanti- stantiam am eius eius […] perderem

ut adflige- = T. rem illum

ἐδεξάμεθα – […] ὑποίσομεν



accepimus […] sustineamus

suscepimus33 […] sustineamus

suscepimus […] suscipiamus

ἑώρων – γὰρ τὴν πληγὴν δεινὴν οὖσαν καὶ μεγάλην35 σφόδρα



uidebant enim uulnus eius atrox et magnum ualde

uidebant enim uulnera eius atrocia et magnum dolorem ualde

= T. uidebant enim ­ dolorem esse uehementem

= T.

Wenn man an den bisher aufgeführten Stellen den Kontext gebührend beachtet, sprechen sie m. E. sämtlich gegen Gaileys These, T. sei mit Lesarten aus der Vulgata kontaminiert worden. Vielmehr erweist sich T. dort überall als bloße Vorstufe zur Vulgata.

31 Dt.: „um ihn zu verschlingen/verderben“. 32 Das reine Imperfekt hat hier erst präsentischen, dann dubitativen Sinn: „Das Gute nehmen wir entgegen [….]; aber das Schlechte sollen wir nicht entgegennehmen?“ 33 Der Wechsel von S. accepimus zu T. suscepimus erklärt sich als Angleichung an die Vorsilbe sus- des in allen Codices folgenden korrespondierenden Prädikats sustineamus bzw. suscipiamus. In M steht an beiden Stellen sogar dasselbe Wort. Eine vergleichbare Korrespondenz hat Hieronymus erst in der Vulgata mit den beiden Formen von suscipere erreicht. 34 Dt. wörtlich: „denn sie sahen, dass groß war der Schmerz sehr.“ 35 Beer (Studien 1896) 306 weist darauf hin, dass der Ausdruck δεινὴν καὶ μεγάλην entweder eine Doppelübersetzung des Hebräischen ‫ ג ַ ָ֥דל‬darstellt oder aus zwei Übersetzungen kombiniert ist.

535

Anhang A

2.2 Einfluss der Vulgata auf T. nicht beweisbar Die folgenden Tabellen enthalten die Stellen aus Gaileys Material, an denen T. und die Vulgata wörtlich übereinstimmen. Gailey interpretiert diese Fälle, die den größten Teil seiner Belege ausmachen36, im Sinne seiner These, dass T. aus der Vulgata kontaminiert wurde. Im Licht der bisher aufgeführten Stellen neige ich jedoch zu der umgekehrten Einschätzung. Die Stellen spiegeln nämlich m. E. immer dieselbe Entwicklung wider: Hieronymus experimentierte in der Versio prior mit verschiedenen Übersetzungen, fand jetzt aber bereits in T. die endgültige Formulierung, die er anschließend nur noch in die Vulgata zu übernehmen brauchte. Im Übrigen bestätigen die folgenden Belege die in Kapitel 6 dieser Arbeit zusammengefasste Auffassung über den Texttyp der Codices S. und B. Sie zeigen, dass S. teilweise noch die Lesarten von O. aufweist, teilweise aber auch schon die revidierten Lesarten bietet, die Hieronymus in der Folge sowohl nach T. als auch in die Vulgata übernahm. B. folgt bald dem Codex O., bald den Codices O. S. und besonders häufig dem Codex T.; an einigen Stellen hat B. auch Sonderfehler. Also kommt B. in allen Fällen, in denen auch T. als Vorlage für die Vulgata gedient haben kann, nicht als eigenständige Quelle in Betracht. Deshalb sind die Lesarten von B. wieder nur zum Vergleich am Außenrand notiert. Wie im ersten Teil meiner Argumentation stelle ich zunächst jene Belege zusammen, für die die Lesarten von O. bei Augustin erhalten sind, und anschließend die Stellen, für die nur noch S., T. und B. vorliegen. 37 38 39

2.2.1 Belege, für die auch O. überliefert ist Seite Kap./ Gailey Vers Hiob

Urtexte hebr.

griech.

O. lt. Augustin Seite/ Text Zei. Zy.

S.

T.

46

3, 3b

‫א ֗ ַמר‬ ָ֝ 37

εἶπαν

510, 17

46

7, 4c

‫ב ְע ִּת י‬ ֖ ַ ָ‫וְ ׂש‬38

πλήρης δὲ γίνομαι

522, 9–10

Vulgata

dixerunt

dixerunt

dictum est dictum est = T.

repleor39 autem

repleor autem

replebor autem

replebor autem

B.

= T.

36 Gailey bringt 22 diskussionswürdige Belege zu T., fünf zu B. und zehn zu S. Von den 22 Stellen zu T. weisen zwölf einen mit der Vulgata identischen Text auf. 37 Dt. wörtlich: „er hat gesagt.“ Die hebräische Konstruktion ist in diesem Kontext, in dem das Relativpronomen ausgespart ist, mehrdeutig. Die LXX und Hieronymus finden in ‫ ָ֝א ֗ ַמר‬das allgemeine Subjekt „man/jemand“. Dagegen fasst Dhorme (1926) 23 die (im Hebräischen maskuline) Nacht als Subjekt auf. 38 Dt.: „und ich werde gesättigt“. Das Perfekt consecutivum hat hier den Sinn eines Iterativs der Gegenwart (Heiligstedt (1889) 19, Anm. 3). So übersetzen richtig LXX und Hieronymus in O. und S. In T. und Vulgata interpretiert Hieronymus das Perfekt consecutivum dagegen als Äquivalent des Futurs. Dies ist die häufigere Bedeutung. 39 M replebor (vermutlich aus der Vulgata kontaminiert).

536 40 41 42 43 44 45 46 47 48 49 50 51

Anhang A

Seite Kap./ Gailey Vers Hiob

Urtexte

46

7, 12

‫ ָ֭אנִ י‬40

εἰμὶ

523, 16

sum ego41 sum

sum ego

sum ego

= T.

46

7, 13a

‫עַ ְר ִׂש֑י‬42

ἡ κλίνη μου

523, 20

lectus43 meus

lectus meus

lectulus44 meus

lectulus meus

= O. S.

47

11, 6c

ַ‫א֝ ֱ ֹ֗ל וה‬45

ἀπὸ κυρίου

534, 1

a domino

a domino

a deo

a deo46

= O. S.

47

12, 17a ‫יוֹ ֲע ִ ֣צים‬47

βουλευτὰς

536, 2–3

consultores48

consultores49

consiliarios50

consiliarios

consiliatores51

hebr.

O. lt. Augustin griech.

S.

T.

Vulgata

B.

Seite/ Text Zei. Zy.

40 Dt.: „ich bin“. Das Pronomen ‫„( ָ֭אנִ י‬ich“) ist hier das Subjekt eines Nominalsatzes, dessen Prädikat „bin“ im Hebräischen nicht ausgesprochen wird. 41 Das Personalpronomen ego in der ω2-Überlieferung der Adnotationes geht vielleicht darauf zurück, dass der Frater auch hier – wie sonst oft – die ursprüngliche Fassung von O. ohne ego durch die Fassung von T. mit ego ersetzte. Die Stelle kann aber auch als Beleg dafür gedeutet werden, dass S. eine eigene Revisionsstufe zwischen O. und T. darstellt. 42 Dt.: „mein Bett“. Die hebräische Wurzel hat keine deminutive Bedeutung. 43 H lectulus (Kontamination aus der Vulgata). 44 Hieronymus entwickelt eine Vorliebe für die Deminutiv-Form lectulus: Lt. Vulgata-Konkordanz (1897) 667 rechts – 668 links ist diese Form genauso häufig belegt wie die Normalform lectus (ebendort 668 links). Der TLL 7.2.1094.27–29 bemerkt zu lectulus: „apud recentiores v­ elut Celsum, Val. Maximum, Apuleium, Vulgatam vis deminutiva non perspicua est.“ Es handelt sich also in T. um eine rein stilistische Veränderung.– Zu den bei Hieronymus  – wie im Spätlatein generell  – sehr häufigen Deminutiva, die sich in der Bedeutung vielfach nicht mehr von ihren Stammwörtern unterscheiden, vgl. Goelzer (1884) 121–130, der aber lectulus nicht zitiert. Auch in der Sammlung von Deminutiva bei Rönsch (1875) 93–100 wird lectulus nicht genannt. Offensichtlich hielten beide Autoren lectulus für so gewöhnlich, dass ihnen das Wort keine Erwähnung wert war. 45 Dt.: „Gott“ als Subjekt des Satzes. Im Hebräischen steht der Satz im Aktiv. 46 So jetzt die Stuttgarter Vulgata (2007). Gailey las mit SΦc ab eo. Diese Lesart ist aber in der Versio prior auf keiner Revisionsstufe belegt. 47 Dt.: „Ratgeber“. 48 FGN (durch Kontamination aus der ω1-Tradition) consolatores; I consulatores (dies Lemma nicht im TLL oder CAG).– Consultor ist lt. CAG bei Augustin mehrfach, dagegen bei Hieronymus lt. TLL 4.0.594.9–71 und Vulgata-Konkordanz nicht belegt. Dies erklärt vermutlich, warum Hieronymus das Wort in T. durch consiliarius ersetzte. 49 Dieser Beleg für Hieronymus fehlt im TLL 4.0.594. 9–71. 50 Consiliarius bezeichnet u. a. den Beisitzer eines römischen Richters (so conf. 6, 10, 16; weitere Belege TLL 4.0.439.4–14). Das Wort ist bei Augustin lt. CAG ebenso geläufig wie in der Vulgata. Bei Hieronymus verzeichnet der TLL (4.0.438.53–54) außerhalb der Vulgata nur noch eine weitere Stelle (in Matth. 27, 57/58: ed. Bonnard, Bd.  2 (1979) 394, Z. 438). Auch dort gebraucht Hieronymus – wie hier in Iob 12, 17 – consiliarius als Übersetzung für das griechische βουλευτής. 51 Das Wort ist nachklassisch und spätantik und mehrfach bei Hieronymus belegt. (Der TLL 4.0.439.53–74 kennt aber unsere Stelle nicht). Bei Augustin kommen consiliator/consiliatrix lt. CAG nicht vor.

537

Anhang A 52 53 54 55 56 57

Seite Kap./ Gailey Vers Hiob

Urtexte hebr.

griech.

Seite/ Text Zei. Zy.

47

‫ֵיהם‬ ֽ ֶ ‫ּבמָ ְתנ‬ ְ 52

LXX: ὀσφύας αὐτῶν53

536, 7

lumbos eorum

538, 13

natus natus ex ex muliere muliere

12, 18b

O. lt. Augustin

S.

T.

Vulgata

B.

lumbos eorum

renes55 eorum

renes eorum

= O. S.

Theodotion: κατὰ λαγόνων54 47

14, 1a

‫יְ ל֣ ּוד ִא ָּׁש֑ה‬56

γεννητὸς γυναικός

natus de57 natus de muliere muliere

= O. S.

52 Dt.: „an ihren Lenden“. 53 Dt.: „ihre Lenden“ (Akkusativ). 54 Dt.: „an Flanken“. 55 Der Wechsel von lumbos („Lenden“) zu renes („Nieren“) erfolgte bei Hieronymus vermutlich aus Gründen der Dezenz, obwohl auch das Targum zu Iob 12, 18 an der Bedeutung „Lenden“ festhält (Mangan (1991) 42). Dhorme (1926) 160 postuliert in Übersetzung und Anmerkung die Bedeutung „Nieren“ statt „Lenden“ mit dem Hinweis, diese seien die für die Umgürtung geforderten Körperteile. Dieselbe schamhafte Umschreibung der hebräischen „Lenden“ durch renes findet sich in der Vulgata in 4 Reg 1, 8. Die Königsbücher hat Hieronymus im Rahmen des Vulgata-Projektes jedenfalls vor dem Buch Hiob übersetzt (zur umstrittenen relativen Abfolge der Übersetzung der Königs- und der Prophetenbücher vgl. Jay 1982). Schon in 4 Reg 1, 8 griff Hieronymus also die Lösung von T. wieder auf. An all diesen Stellen werden die renes nach ihrer wörtlichen Bedeutung als Körperteil aufgefasst. Die sonst bei Hieronymus vielfach belegte Auffassung der renes als Sitz der tiefsten Gedanken bzw. der unreinen Leidenschaften (vgl. dazu Meershoek (1966) 177–181) spielt hier nicht hinein. 56 Dt. wörtlich: „Ausgeburt einer Frau“. 57 Zu de als Lieblingspräposition des Hieronymus vgl. Goelzer (1884) 338–339; spez. zu nasci de 340. Die Tendenz, de an die Stelle von e/ex zu setzen, beschreibt auch Rönsch (1875) 365–366. Der TLL (9.1.84.56–71) definiert keinen Bedeutungsunterschied zwischen seinen Belegen zu nasci de und nasci e/ex. Die Hiob-Stelle wird dort nicht zitiert. Auch ein Vergleich der Vulgata-Belege (Konkordanz (1897) 762 Mitte bis 763 links) ergibt kein klares Bild: Nasci wird mit beiden Präpositionen gleich häufig verbunden.

538

Anhang A

2.2.2 Belege, für die O. nicht überliefert ist Auch in den folgenden Fällen spricht m. E. die Abfolge der Revisionsstufen dafür, dass nicht die Vulgata-Fassung von einem Schreiber nach T. übertragen wurde, sondern dass Hieronymus bereits in T. die Endfassung formulierte, die er anschließend in die Vulgata übernahm: 58 59 60 61 62 63 64 Seite Gailey

Kap./ Vers Hiob

Urtexte

O. lt. Augustin fehlt

S.

T.

Vulgata

B.

hebr.

griech.

Seite/ Zei. Zy.

Text

46

1, 16c

‫להַ ִ ּ֥גיד‬ ְ 58

τοῦ ἀπαγγεῖλαι





adnuntiare

ut nuntiarem

ut nuntiarem

= T.

46

5, 17b

‫ּו‬59

δὲ





autem

ergo60

ergo

= S.

47

13, 19a

‫מי־הּ֭וא‬ ִ 61

τίς γάρ62 ἐστιν





quis enim est63

quis est

quis est

= S.

47

18, 21b

‫אל‬ ֽ ֵ 64

τὸν κύριον





dominum

deum

deum

= T.

Gailey will die in den vorstehenden beiden Tabellen gesammelten Belege so interpretieren, dass der Codex T. der Versio prior aus der Vulgata kontaminiert worden sei. Mir dagegen scheint auf Grund der jeweils dokumentierten Revisionsschritte innerhalb der Versio prior wahrscheinlicher, dass Hieronymus hier jeweils schon in T. die aus seiner Sicht endgültige Fassung gefunden hatte, die er anschließend in die Vulgata übernahm. Hier sehe ich also Erbes im Recht. Meine Deutung beruht auf einem Analogieschluss aus den Argumenten, die ich im ersten Abschnitt dieses Exkurses entwickelt habe. Jedoch ist auf diesem Wege nur eine relative Wahrscheinlichkeit zu erreichen. Denn auch dann, wenn diese 58 Dt.: „zum Ankündigen“. 59 Dt. wörtlich: „und/aber“. Diese hebräische Universalpartikel ist je nach Zusammenhang verschieden zu interpretieren. 60 Für ergo als ebenso mögliche Übersetzung des griechischen δὲ wie autem oder uero vgl. Fischer (1986) 268. 61 Wörtlich ein nominaler Fragesatz: „Wer der ?“. 62 Der Zusatz von γάρ zum Fragepronomen ist im Griechischen idiomatisch (Kühner-Gerth (1904) Bd. 2, 335–336), besonders in rhetorischen Fragen wie hier (Denniston (1950) 76–77). 63 Hieronymus unterscheidet bei solchen rhetorischen Fragen mit quis zwei mögliche Deutungen: Sie suggerieren entweder, dass es niemanden gibt, nach dem so gefragt wird, oder dass er nur selten zu finden ist (vgl. Meershoek (1966) 234–240, der aber die vorliegende Stelle nicht zitiert.) Hier trifft lt. Kontext die erste Möglichkeit zu: Hiob leugnet, dass es jemand im Rechtsstreit mit ihm aufnehmen könne. 64 Dt.: „Gott“.

539

Anhang A

Überlegungen grundsätzlich einleuchten, begründen sie nur die plausible Vermutung, dass sie zumindest für die Mehrzahl der hier angeführten Stellen zutreffen. An Einzelstellen jedoch ist Gailey prinzipiell nicht zu widerlegen.

2.3 Zwischenbilanz Somit ergibt sich als Zwischenergebnis für die zahlreichen Stellen, an denen die Vulgata und T. dieselben Formulierungen aufweisen, dass Gailey seine grundsätzliche These von der Kontamination von T. aus der Vulgata nicht beweisen kann, dass umgekehrt aber auch nicht beweisbar ist, dass seine Diagnose in allen Einzelfällen falsch ist.

2.4 Eine Ausnahme: Eindeutiger Einfluss der Vulgata auf T. An einer Stelle jedenfalls hat Gailey eindeutig Recht: Er weist darauf hin, dass in T.  – allerdings erst im Codex Turonensis selbst und noch nicht in einer Vorlage – mit uel über der Zeile ein Verweis auf die anders lautende Vulgata-Lesart angebracht wurde: 65 66 Seite Gailey

47

Kap./ Vers Hiob

Urtexte

O. lt. Augustin fehlt

hebr.

griech.

Seite/ Zei. Zy.

Text

18, 16a

‫יִ ָבׁ֑שּו‬65

ξηραν­ θήσονται





S.

T.

Vulgata

B.

siccabuntur

im Text: siccabuntur; über der Zeile: uel ce66

siccentur

= S. T.

Da vergleichbare Verweise auf die Vulgata theoretisch auch schon früher in die Überlieferung des Codex T. eingedrungen sein können, muss man bei einer künftigen Edition der Versio prior mit dieser Möglichkeit rechnen.

65 Dt.: „sie werden verdorren“. Das reine Imperfekt des Hebräischen lässt verschiedene Deutungen zu: LXX und Hieronymus in der Versio prior fassen es als Futur auf; Hieronymus in der Vulgata versteht es modal; Dhorme (1926) 242 übersetzt es als präsentische Verlaufsform. 66 Mit dieser kryptischen Notiz dürfte die Vulgata-Lesart siccentur gemeint sein.

540

Anhang A

3 Das Verhältnis zwischen B. und der Vulgata Gailey nennt fünf Stellen, an denen seiner Meinung nach der Codex B. von der Vulgata beeinflusst ist.

3.1 Eindeutiger Einfluss der Vulgata auf B. An zwei Stellen hat Gailey m. E. mit dieser Diagnose Recht. Im ersten Fall wird ein typischer Vulgata-Begriff (multiplex67) an die Stelle eines seltenen Wortes (multiloquax68) gesetzt. Im zweiten, komplizierteren Fall scheint mir wahrscheinlich, dass der Ersatz der richtigen Lesart noctis (S. T.) durch mortis in B. durch das Stichwort mortis veranlasst ist, das in der Vulgata in den beiden umgebenden Kola Iob 10, 21b und 22b auftaucht, aber im Kontext der Versio prior fehlt: 69 Seite Gailey

46

Kap./ Vers Hiob

Urtexte

O. lt. Augustin fehlt

hebr.

griech.

Seite/ Zei. Zy.

Text

8, 2b

‫ ֥רּוחַ ֝ ַּכ ִּב יר‬69

πνεῦμα πολὑῤ­ ρῆμον





S.

T.

spiritus spiritus multi- multiloquax loquax

Vulgata B.

spiritus spiritus multi- multiplex plex

67 In der Vulgata benutzt Hieronymus multiplex noch in Iob 5, 25 und 11, 6 sowie an sechs weiteren Bibelstellen: Vgl. die Konkordanz (1897) 751 links. In der Versio prior kommt multiplex lt. Erbes’ Wortindex nicht vor. (Es gehört aber lt. CAG mit deutlich mehr als 100 Belegen zu Augustins aktivem Wortschatz.) 68 Multiloquax kommt weder in der Vulgata noch bei Augustin vor. Der TLL 8.0.1587.72– 79 kennt außer unserer Stelle nur wenige andere Belege. Bei Hieronymus steht das Wort noch in seiner frühen Übersetzung von Orig. in Is. 8, 2 (ed. Baehrens (1925) 287, Z. 11). Der anonyme Arianer zitiert Iob 8, 2 in der Form Quousque loqueris spiritus multiloquax ore tuo? (ed. Steinhauser (2006) 354, Z. 12–13; im TLL (Z. 74) Nachweis der alten Ausgabe Ps. Orig. in Iob [PL 17] p. 499A). Diese Parallele legt nahe, dass Hieronymus multiloquax in der altlateinischen HiobÜbersetzung vorfand, die er bei seiner Emendation in der Versio prior zunächst nur möglichst wenig ändern wollte. Vgl. dazu seine Erklärung ep. 106, 12: veterum interpretum consuetudinem mutare noluimus, ne nimia novitate lectoris studium terreremus (siehe D. Brown (1992) 116–117 mit Anm. 119; dort versehentlich Hinweis auf ep. 106, 2 statt 106, 12). Auch Fürst (2003) 112 weist darauf hin, dass Hieronymus eine „konservative“ Redaktion des Bibeltextes vornahm. 69 Dt.: „ein gewaltiger Wind“ (‫ ר ַּוח‬hier Maskulinum, was zuweilen vorkommt: Vgl. GeseniusDonner (2013) 1225 links).

541

Anhang A 70

Seite Gailey

47

Kap./ Vers Hiob

Urtexte hebr.

griech.

Seite/ Zei. Zy.

Text

10, 22a

‫יפתָ ה‬ ָ ֨ ֵ‫ֶא ֶ֤רץ ע‬

εἰς γῆν σκότους αἰωνίου





‫ְּכמֹ֥ ו ֹ֗א פֶ ל‬

‫ ַ֭צ ְלמָ ֶו ת‬70

O. lt. Augustin fehlt

S.

T.

Vulgata B.

in terra (sic) noctis aeternae

in terram noctis ­ aeternae

(cf. 10, 21b mortis caligine und 10, 22b umbra mortis)

in terram mortis aeternae

3.2 Fraglicher Einfluss der Vulgata auf B. Dagegen muss das Fehlen des betonten tu an der folgenden Stelle, das dem Hebräischen entspricht, nicht auf Vulgata-Einfluss zurückgehen. Denn tu kann ebenso gut schon in der Erstfassung O. gefehlt haben (die ja vielfach auf dem Hebräischen fußt und B. wiederholt als Vorlage gedient hat71) oder auch in der Überlieferung von B. als Spontanparallele zur Vulgata ausgefallen sein: 72 Seite Gailey

46

Kap./ Vers Hiob

Urtexte

O. lt. Augustin fehlt

hebr.

griech.

Seite/ Zei. Zy.

Text

4, 3a

(kein pronominales du) ָ‫יִ ַּס ְ֣רּת‬72

σὺ ἐνουθέτησας





S.

T.

Vulgata B.

tu monuisti

tu monuisti

(om. tu) docuisti

(om. tu) monuisti

70 Dt. wörtlich: „ Land von Finsternis wie Dunkel, finstere/ finsteren Totenreich“. 71 Vgl. Kap. 6, S. 110 und 115. 117–119. 72 Dt.: „du hast zurechtgewiesen“.

542

Anhang A

3.3 Einfluss der Vulgata auf B. unwahrscheinlich An zwei weiteren von Gailey angeführten Stellen liegt m. E. kein Vulgata-Einfluss auf Codex B. vor. An der ersten Stelle lauten die Texte so verschieden, dass das gemeinsame autem keine Abhängigkeit begründen kann73: 74 Seite Kap./ Gailey Vers Hiob 46

1, 6ab

Urtexte

O. lt. Augustin

hebr.

griech.

Seite/ Zei. Zy.

Text

‫הי הַ ּיֹ֔ ום‬ ֣ ִ ְ‫ַו י‬

καὶ ὡς ἐγένετο ἡ ἡμέρα αὕτη, καὶ ἰδοὺ ἦλθον

509, 13

et ecce uenerunt

֙ ‫ ַו ָּי ֹ֨ב א ּו‬74

S.

T.

Vulgata B.

(das erste Kolon fehlt; es folgt:) et ecce uenerunt

factum est in his diebus: et ecce uenerunt

quadam autem die, cum uenissent

factum est ­ autem illis diebus: et ecce uenerunt

An der zweiten Stelle ist ein Einfluss der Vulgata auf B. gar nicht mehr nachzu­ vollziehen. Gailey argumentiert, in der Vulgata und in B. fehle wie in M der Begriff matris: 75 76 77 Seite Kap./ Gailey Vers Hiob

Urtexte hebr.

griech.

Seite/ Zei. Zy.

Text

46

‫ַּד ְל ֵת֣י‬

πύλας γαστρὸς μητρός76 μου

511, 14–15

portas uentris matris meae77

3, 10a

‫ב ְט ִנ ֑י‬ ִ 75

O. lt. Augustin

S.

T.

Vulgata B.

portas uentris matris

portas uentris matris

ostia portas uentris, uentris qui por- meae tauit me

Gailey ist jedoch entgangen, dass die Fügung uentris meae in B. fehlerhaft ist: Da uenter ein Maskulinum ist, müsste es uentris mei heißen, wenn B. die Übersetzung von M sein soll. In B. ist also zwischen uentris und meae das bei Augustin sowie 73 B. geht hier vermutlich auf O. zurück (dessen erstes Kolon von Augustin nicht zitiert wird). Das autem in O. B. entspricht dem καὶ der LXX, das autem der Vulgata dagegen dem ‫ ַו‬von M. 74 Dt. wörtlich: „und es geschah eines Tages, dass kamen“ (so Dhorme (1926) 4–5 mit Parallelen). 75 Dt.: „die Tore meines Bauches“. 76 Dhorme (1926) 28–29 deutet μητρός als erklärenden Zusatz. Dieser geht nicht auf das Targum zurück: Dhorme (1926) 28–29 und Mangan (1991) 28. 77 CUV uentris meae matris.

Anhang A

543

in S. und T. überlieferte matris durch Augensprung von/nach -tris ausgefallen. Die Vorlage für B. war hier demnach nicht die Vulgata – wie Gailey meinte –, sondern der Codex O.

3.4 Zwischenbilanz Insgesamt jedoch hat Gailey zu Recht darauf aufmerksam gemacht, dass B. hier und da mit Vulgata-Lesarten kontaminiert wurde. Diesen Einfluss genauer zu bestimmen muss einer künftigen Edition der Versio prior überlassen bleiben. Gleichzeitig ist festzuhalten, dass sich aus den hier diskutierten Belegstellen kein Hinweis darauf ergeben hat, dass umgekehrt der Text des Codex B. die Vulgata beeinflusst hat.

4 Das Verhältnis zwischen S. und der Vulgata Theoretisch spricht nichts dagegen, dass – ähnlich wie B. – auch der Codex S. mit Vulgata-Lesarten kontaminiert wurde. Während Caspari, der Herausgeber von S., das Problem des Verhältnisses von S. zur Vulgata in seiner Vorrede gar nicht erwähnt, konstatiert Gailey den Einfluss der Vulgata auf S. an zehn Stellen. Ich bespreche zunächst wieder die vier Belege, für die auch die Lesart von O. in den Adnotationes erhalten ist, und anschließend die sechs Stellen, für die O. nicht überliefert ist. In all diesen Fällen gehen T. und B. parallel. Ich zitiere ihre Lesarten am rechten Rand, um die Entwicklung der verschiedenen Fassungen möglichst vollständig zu dokumentieren.

4.1 Einfluss der Vulgata auf S. unwahrscheinlich Die ersten beiden Stellen, in denen es um den Beinamen des Sophar geht, beweisen m. E. keinen Einfluss der Vulgata auf S., sondern sind umgekehrt so zu verstehen, dass Hieronymus in der Vulgata bei seiner Übersetzung aus dem Hebräischen auf Formulierungen zurückgriff, die er bereits in O. und S. auf der Basis des hebräischen Textes angebahnt, jedoch zwischenzeitlich in T. geändert hatte im Zuge seiner Bestrebungen, seine Endversion der Versio prior genauer an die griechischen Textvorlagen anzupassen78. Der Beiname des Sophar bereitete Hieronymus große Schwierigkeiten. Erst in der Vulgata entschied er sich für die Form Sophar Naamathites. Dagegen zeigen die drei Revisionsstufen der Versio prior, wie weit der Weg bis zu dieser Endversion war. Wie die komplizierte Überlieferung der Adnotationes beweist, stellte Hieronymus in O. an der ersten Stelle zwei Varianten nebeneinander, die den Beinamen im 78 Für diese Tendenz in T. vgl. Kap. 7, S. 132. 134.

544

Anhang A

Genetiv (also als Vatersnamen) bieten: das Griechische variierend die Form Sophar Minaei, das Hebräische variierend die Form Sophar Naamatis. In der Endfassung T. (davon abhängig B.) hielt er sich genau an die LXX und übersetzte Sophar Minaeus. Dagegen gehen die beiden Varianten der ersten Revision, die in S. vorliegt, auf einen hebräischen Text zurück, den Hieronymus weder hinsichtlich der Konsonanten noch der Vokale sicher zu deuten wusste. Diese Fehler wären nicht entstanden, wenn die Stellen in S. – wie Gailey meint – aus der Vulgata kontaminiert wären. In der Vulgata nämlich hatte sich Hieronymus mittlerweile auf eine weitere Variante festgelegt, die die hebräische Herkunftsbezeichnung ‫„( ַ ֽה ַּנעֲמָ ִ֗תי‬der aus Na’ama“) mit der griechischen Nominativ-Endung -της kombiniert: 79 80 81 82 83 Seite Kap./ Urtexte Gailey Vers Hiob hebr.

O. lt. Augustin79 griech.

Seite/ Text Zei. Zy.

S.

Vulgata

T.

B.

= T.

47

11, 1

‫פר‬ ַ֥ ‫צ‬ ֹ

Σωφὰρ ὁ Mιναῖος

533, 18

1. Sophar soffar Minaei nimati2. OQ tes Sophar Naamatis81

SopharNaamathites

Sophar Minaeus

47

20, 1

‫פר‬ ַ֥ ‫צ‬ ֹ

Σωφὰρ ὁ Μιναῖος

550, 10

Sophar Minaei83

SopharNaamathites

(om. T. – Sophar Freiraum Mi­ naeus vom Rubrikator nicht ausgefüllt)

‫עמָ ִ֗תי‬ ֲ ‫ה ַּנ‬ ֽ ַ 80

‫עמָ ִ֗תי‬ ֲ ֽ ַ‫הַ ּנ‬82

sofar nimanites

Diese Stellen bestätigen die in Kapitel 6 entfaltete These, dass der Codex S.  eine eigenständige Revisionsstufe zwischen der Erstfassung O. und der Endfassung T. darstellt84. Auch an einer dritten Stelle unterscheidet sich die Vulgata so stark von S., dass der beiden Versionen gemeinsame Begriff deus (statt dominus) kein Beweis für Gaileys These ist, S. sei aus der Vulgata kontaminiert; er zeigt nur an, dass Hieronymus beide Male den hebräischen Text zugrunde legte:

79 Gailey lässt die Belege bei Augustin unerwähnt. 80 Dt.: „Sophar, der aus Na’ama“. 81 Weitere Varianten: R nur Sophar; beide Namen fehlen in V WXYZ. 82 Vgl. Anm. 80. 83 Weitere Varianten: O nur Sophar; beide Namen fehlen in QR V WXYZ. 84 Vgl. Kap. 6, S. 107–108.

545

Anhang A 85

Seite Kap./ Urtexte Gailey Vers Hiob hebr.

47

9, 2b

‫א ֹ֣נוׁש‬ ֱ

‫ם־אל‬ ֵֽ ‫ע‬ ִ 85

O. lt. Augustin fehlt griech.

Seite/ Zei. Zy.

Text

βροτὸς παρὰ κυρίῳ





S.

Vulgata

T.

B.

homo apud deum

homo conpo­ situs deo

quis […] apud dominum

= T., aber om. quis

4.2 Vulgata vermutlich von S. beeinflusst Auch an zwei weiteren Stellen, die lt. Gailey den Einfluss der Vulgata auf S. beweisen sollen, ist ein Wechsel der Textbasis involviert. Dieser Umstand spricht m. E. eher für die Erklärung, dass Hieronymus in der Vulgata auf eine Übersetzung aus dem Hebräischen zurückkam, die er bereits in S. einmal erprobt, aber zwischenzeitlich in T. zugunsten einer Übersetzung aus dem Griechischen wieder verworfen hatte. Für den ersten dieser Belege ist auch noch die Erstfassung O. bei Augustin überliefert: 86 87 88 Seite Kap./ Gailey Vers Hiob

47

Urtexte

O. lt. Augustin86

hebr.

griech.

Seite/ Zei. Zy.

Text

15, 25a ‫י ָֹ֑דו‬87

χεῖρας

541, 9

manus

S.

Vulgata

T.

B.

manum suam

manum suam

manus88

= T.

Auch der nächste Beleg, für den O. nicht erhalten ist, bestätigt, dass Hieronymus schon in S. zuweilen das Hebräische zugrunde legte, das dann in der Vulgata seine Hauptvorlage war; denn das Neutrum quod in S. und in der Vulgata kann nur auf die hebräische Form des Relativpronomens zurückgehen:

85 Dt.: „ein Mensch bei Gott“. 86 Gailey lässt den Beleg bei Augustin unerwähnt. 87 Dt.: „seine Hand“. 88 Alternativ ließe sich der Wechsel in T. vom Singular manum zum Plural manus (also der Rückgriff auf O. gegen das Experiment in S.) auch mit der innerlateinischen Vorliebe für den Plural manus erklären: Vgl. Fischer (1986) 269. Das erscheint mir hier aber mit Blick auf die Urtexte weniger naheliegend.

546 89

Anhang A

Seite Kap./ Gailey Vers Hiob

46

3, 25b (!)

Urtexte

O. lt. Augustin fehlt

hebr.

griech.

‫ׁשר‬ ֶ֥ ‫א‬ ֲ ‫ַו‬

καὶ ὃν – ἐδεδοίκειν

‫ ָי֝ ֹ֗ג ְר ִּתי‬89

Seite/ Zei. Zy.

S.

Vulgata

T.

B.

et quod timebam

et quod uerebar

et quem timebam

= T.

Text



Somit sind auch diese Stellen keine belastbaren Belege für Gaileys These, sondern sprechen eher für Erbes’ Auffassung.

4.3 Unklare Abhängigkeiten Die restlichen vier Stellen, an denen S.  und Vulgata sich durch denselben Wortlaut von T. B. unterscheiden, betreffen nur kleine Variationen im Ausdruck, die nicht auf einen Wechsel der Textbasis zurückschließen lassen. Insofern muss offen bleiben, ob hier – mit Gailey – Kontaminationen von S. aus der Vulgata vor­ liegen oder – mit Erbes – die Formulierungen der Vulgata auf die Vorarbeit in S. zurückgehen: 90 91 92 93 Seite Gailey

Kap./ Vers Hiob

Urtexte

O. lt. Augustin fehlt

hebr.

griech.

Seite/ Zei. Zy.

Text

46

2, 2b

‫ ַו ֨ ַּי עַ ן‬90

τότε εἶπεν



46

2, 4a

‫ֹאמ֑ר‬ ַ ‫ ַוּי‬91

εἶπεν

46

2, 4c

‫א ֶׁש֣ר‬ ֲ ֙ ‫כל‬ ֹ ְ‫ו‬92 Hauptversion: ὅσα;

starke Nebenversion: καὶ πάντα ὅσα93

S.

Vulgata

T.

B.



et respondens

qui respondens

et respondit

= T.





ait

ait

dixit

= T.





et cuncta, quae

et cuncta, quae

et cuncta, quaecumque

= T.

89 Dt.: „und wen/was ich gefürchtet habe/hatte“. Die hebräische Relativ-Partikel ‫ ֲא ֶ ׁ֥שר‬ist in­ deklinabel und gilt für alle Genera. Sie kann deshalb ebenso gut als Neutrum wie als Maskulinum übersetzt werden. Nur sie kann die Vorlage für das quod in S. und in der Vulgata gewesen sein. 90 Dt.: „und er antwortete“. 91 Dt.: „und er sprach“. 92 Dt.: „und alles, was“. 93 Vgl. Dhorme (1926) 15 und Ziegler (1982) 216–217 in beiden Apparaten.

547

Anhang A 94

Seite Gailey

47

Kap./ Vers Hiob

Urtexte

O. lt. Augustin fehlt

hebr.

griech.

Seite/ Zei. Zy.

Text

10, 10b

‫כַ ּגְ ִב ֗ ָּנה‬94

ἴσα τυρῷ





S.

Vulgata

T.

B.

sicut caseum

sicut caseum

ut ­ caseum

= T.

5 Ergebnis Insgesamt ergibt sich m. E. aus der Prüfung der von Gailey angeführten Belege, dass die einzelnen Codices der Versio prior hier und da tatsächlich mit Vulgata-Lesarten kontaminiert sind oder zumindest kontaminiert sein können. Dagegen hält die große Mehrheit von Gaileys Beispielen einer Prüfung nicht stand. Deshalb scheint mir seine These, die Handschriften der Versio prior seien in größerem Umfang aus der Vulgata kontaminiert worden, nicht haltbar zu sein.

94 Dt.: „wie den Käse“.

Anhang B Das Verhältnis von O. zu den von Ziegler edierten Glossen 1 Die Aufgabe Ziegler hat 1980 als Vorarbeit zu seiner großen Edition der Hiob-Septuaginta von 1982 aus drei spanischen Vulgata-Bibeln, die altlateinische Glossen zu einer Reihe von alt- und neutestamentlichen Büchern von der Genesis bis zur Johannes-Apokalypse aufweisen, die Randnoten zum Buch Hiob ediert1. Die älteste dieser Handschriften, der Codex Gothicus Legionensis, ist 960 geschrieben; die Glossen stammen vom selben Schreiber wie der Text2. Die beiden anderen Vulgata-Bibeln sind noch deutlich jünger: Der Codex Madrid 2–3, Academia de la Historia gehört ins 12.  Jh.3, während die Glossen in der Vulgata-Inkunabel El Escorial 54. V. 35 sogar erst 1561 aus der inzwischen verschollenen Valvanera-Bibel, die vermutlich ins 10.  Jh. gehört, kopiert wurden4. Die altlateinischen Glossen der drei Vulgata-Bibeln gehen auf einen gemeinsamen Archetypos in Minuskelschrift zurück, den Fischer auf „kaum viel früher als auf das 10.  Jh.“ ansetzt5. Die ursprüngliche Kompilation der Glossen datiert Fischer jedoch ins 7. Jh. und lokalisiert sie aufgrund einiger charakteristischer Vokabeln in Südspanien vor der mohammedanischen Eroberung6. Der Glossator arbeitete also mehrere hundert Jahre nach Hieronymus. Damit stellt sich die Frage, ob die von Ziegler publizierten Randnoten vielleicht auch Spuren der ersten Hiob-Übersetzung des Hieronymus enthalten, die üblicherweise zu den altlateinischen Versionen gezählt wird7. Der vorliegende Anhang soll klären, wieweit die von Ziegler edierten Glossen in spanischen Vulgata-Bibeln zur Rekonstruktion von Hieronymus’ Erstfassung O. beitragen können, die Augustin seinen Adnotationes in Iob zugrunde gelegt hat.

1 Joseph Ziegler, Randnoten aus der Vetus Latina des Buches Iob in spanischen Vulgatabibeln (Bayerische Akademie der Wissenschaften, Philosophisch-historische Klasse, Sitzungsberichte 1980, 2), München 1980. Eine Übersicht der glossierten Bibelbücher findet sich bei B. Fischer (1951) 20* und aufgeschlüsselt für die einzelnen Handschriften bei Gryson (1999) an den unten in Anmerkungen 2–4 genannten Stellen. 2 Fischer (1951) 1*; Ziegler (1980) 7–8 und Gryson (1999) 147, No. 91. 3 Fischer (1951) 4*-5*; Ziegler (1980) 8 und Gryson (1999) 152, No. 95. 4 Fischer (1951) 2*-4*; Ziegler (1980) 8 und Gryson (1999) 150–151, No. 94. 5 Fischer (1951) 20*; dieselbe Datierung in Grysons Darstellung der Textgeschichte dieser Codices (1999) 153–155, hier 153. 6 Fischer (1951) 20*. 7 Vgl. Trenkler (2017) 23.

550

Anhang B

Bisher ist die Frage des Verhältnisses zwischen den Glossen und den Versiones priores des Hieronymus offen. Der Glossator hat für die verschiedenen Bücher der Bibel diverse Quellen ausgewertet, wie seine Siglen und das von ihm gebotene Textmaterial zeigen8. Fischer wies zwar darauf hin, ihm sei die Identifikation der Vorlagen im Ganzen nicht gelungen9, skizzierte aber für einzelne Bibelbücher doch schon den Forschungsstand. Für die Frage, wieweit der Glossator auch die Versiones priores des Hieronymus benutzt hat, sind Fischers Ergebnisse zum Jesaja und zum zweiten Chronikbuch von Belang. Zum Jesaja schreibt er: „Die Glossen zu Is stimmen so mit der Übersetzung der LXX im Isaias-Kommentar des Hieronymus überein, daß sie wohl nur von dort genommen sind.“10 Dagegen hält er für „unmöglich, daß den Glossen zu Par die hexaplarische Revision des Hieronymus zugrunde liegt“11. Lt. Fischer benutzte der Glossator also zwar Übersetzungen des Hieronymus aus der LXX, zog sie aber keineswegs in allen Büchern heran, zu denen sie existierten. Angesichts dieses Zwiespaltes hat sich Fischer zum Hintergrund der Hiob-Glossen nicht geäußert. Gryson dagegen gibt detaillierte Hinweise auf die verschiedenen möglichen Quellen der Glossen zu den einzelnen Bibelbüchern12. Für die Hiob-Glossen allerdings begnügt er sich mit dem Hinweis auf Ziegler: „in Jb stellt Ziegler Beziehungen zu Ambrosius und in geringerem Maß zu Augustinus fest; die Glossen überliefern als einzige lateinische Zeugen die lukianische Rezension“13. Somit haben sowohl Ziegler als auch Gryson vermieden, das Problem anzusprechen, in welchem Verhältnis die von Ziegler publizierten Randnotizen zu Hieronymus’ erster Hiob-Übersetzung stehen. Dies ist umso auffälliger, als sich die Frage gleich in mehrfacher Hinsicht aufdrängt.

8 Fischer (1951) 20*-21*. Von „verschiedenen Schichten“ spricht Gryson (1999) 154. 9 Fischer (1951) 20*. 10 Fischer (1951) 21*.– Fischer lässt nicht erkennen, ob er diese Jesaja-Lemmata bei Hieronymus auf eine zuvor angefertigte Versio prior zurückführt oder von Spontanübersetzungen erst im Rahmen des Kommentars ausgeht. Auch Gryson (1994) 511–515 kommt in einer längeren Diskussion zu keinem eindeutigen Ergebnis. 11 Fischer (1951) 21*. 12 Gryson (1999) 154–155. 13 Gryson (1999) 154; sein Referat bezieht sich auf Zieglers Kapitel VI. und V.: Ziegler (1980) 41–42 bzw. 35–40.

Anhang B

551

2 Offensichtliche Bezüge zwischen Zieglers Glossen und der Versio prior

2.1 Der Forschungsstand Zum einen hat bereits Berger, der als erster auch auf diese Glossen hinwies und eine Auswahl publizierte14, die These vertreten, es handele sich bei deren Text um die bis dahin unbekannte altlateinische Vorlage des Hieronymus15. Er war sich dabei seiner Sache so sicher, dass er auf einen Nachweis mit den Worten verzichtete: „Je n’ai pas besoin de démontrer que le texte dont nous avons retrouvé des fragments est à la base de la revision de saint Jérôme.“16 Zum anderen ergibt sich die Frage aus den Glossentexten selbst. Nachdem der Glossator zum Lemma Iob 6, 6b-7ab eine altlateinische Fassung zitiert hat, setzt er zu Vers 6, 7b hinzu: „Al. fetidas video escas meas.“17 Dies ist der charakteristische Wortlaut der Versio prior des Hieronymus18: Sowohl Augustin (519, 2–3 Zy) als auch die drei Hieronymus-Handschriften S. T. B. zitieren diesen Vers in der Fassung fetidas enim uideo escas meas19 sicut est odor leonis. Der Glossator kann diesen Wortlaut jeder der genannten Quellen entnommen haben. Entscheidend für meine gegenwärtige Argumentation ist der Umstand, dass das einleitende Siglum Al. (das als alibi oder aliter aufgelöst werden kann20) unter den 150 Glossen zum Buch Hiob21 nur an dieser einzigen Stelle erscheint. Das legt den Schluss nahe, dass der Glossator nur hier einmal ausnahmsweise – direkt oder aus zweiter Hand – die Versio prior des Hieronymus zitiert hat, während er seine sonstigen Varianten aus anderer Quelle bezog.

14 Berger (1895) 134–137. 15 Berger (1895) 134. 137. 16 Berger (1895) 136.– Bogaert (2012) 48 mit Anm. 2 spricht von diesen Glossen vorsichtiger als zwar nicht direkten, aber sehr wertvollen Zeugen der vorangehenden Vetus Latina-Version, die von den Übersetzungen des Hieronymus verdrängt wurde. Er geht S. 69 nicht so weit, den Text der Glossen mit einer der Vorlagen des Hieronymus zu identifizieren, sondern sagt nur, sie entstammten einer von der Versio prior unabhängigen lateinischen Übersetzung. Er rechnet diese allerdings zu den Quellen des Ambrosius (S. 70). Zu den Bezügen zwischen den Glossen und Ambrosius vgl. genauer Ziegler (1980) 41. 17 Ziegler (1980) 9 und 13. 18 Vgl. Vattioni (1996) 11, Anm. 59. 19 Die Augustin-Handschriften CUV M und die Editionen außer Zycha bieten escas meas uideo. 20 Ziegler (1980) 9. 21 Zur Anzahl der Hiob-Glossen vgl. Ziegler (1980) 9 und Gryson (1999) 154.

552

Anhang B

Umgekehrt gibt es aber auch zahlreiche Hinweise auf eine enge Verwandtschaft zwischen der Versio prior des Hieronymus und den von Ziegler edierten Glossen zum Buch Hiob. Auf mehrere Stellen hat schon Ziegler selbst hingewiesen, ohne aber das damit gegebene Problem zu thematisieren. Zunächst einmal hat er wiederholt fehlerhafte Lesarten in den Glossen mit Hilfe der Versio prior des Hieronymus verbessert. (Er verweist auf die Quelle solcher Emendationen mit dem Kürzel La.22) An anderen Stellen weist er selbst auf Detail-Parallelen zwischen einzelnen Lesarten der Glossen und La. hin23.

2.2 Neue Beobachtungen Was Ziegler jedoch an keiner Stelle anspricht, ist der Umstand, dass es vollständige Lemmata gibt, in denen die Glossen und die Versio prior des Hieronymus wörtlich übereinstimmen. Die folgende Tabelle zeigt eine erste Auswahl. Interessanterweise stehen fast alle diese Formulierungen jeweils unverändert in den drei HieronymusCodices S., T. und B. und ebenso – nach dem Zeugnis der Adnotationes – bereits in der Erstfassung O.: 24 25 26 27 28 Hiob Kap./ Vers

Seite Ziegler

Text Glosse

Text Hieronymus O. (lt. Aug. adn.) S. T. B.

5, 17a

12

Beatus autem vir, quem arguit dominus super terram24.

beatus autem uir, quem arguit25 dominus.26

7, 1a

13

Numquid non tentatio est vita humana super terram?

numquid non tentatio est uita humana super terram?27

15, 34a

17

Testimonium enim impii mors.

testimonium enim impii mors.28

22 Vgl. z. B. Ziegler (1980) 16 zu Iob 13, 5b; 17 zu Iob 18, 13; 19 zu Iob 21, 13b. 23 Vgl. z. B. Ziegler (1980) 12 zu Iob 5, 24; 13 zu Iob 6, 18b; 18 zu Iob 20, 8b. Weiteres hat er im Kapitel VII. „Seltene Lesearten und Sonderlesearten“ (S. 43–44) zusammengestellt. 24 Super terram ist ein Zusatz der lukianischen Rezension, den Hieronymus weglässt: Vgl. Ziegler (1982) 233. 25 S. arguat: Hieronymus experimentiert dort mit dem idiomatischen lateinischen Konjunktiv im konsekutiven Relativsatz. 26 O. lt. Adnotationes (517, 6). 27 O. lt. Adnotationes (521, 17–18). 28 O. lt. Adnotationes (541, 25).

553

Anhang B

Lediglich durch die Wortstellung unterscheidet sich der folgende Vers: 29 30 Hiob Kap./ Vers

Seite Ziegler

Text Glosse

Text Hieronymus O. S. T. B.

37, 7b

25

Ut sciat omnis homo suam infirmitatem.

ut sciat omnis homo infirmitatem29 suam.30

Angesichts dieser längeren wörtlichen Parallelen, zu denen noch die bereits von Ziegler hier und da notierten punktuellen Bezüge hinzutreten31, ist zumindest eine gewisse Verwandtschaft zwischen den Glossen in spanischen Vulgata-Bibeln und der ersten Hiob-Übersetzung des Hieronymus m. E. offensichtlich.

3 Das Problem des Abhängigkeitsverhältnisses Ungeklärt ist dagegen die Frage nach der Abhängigkeit: Hat der späte Glossator die Versio prior ausgewertet (und wenn ja, welche ihrer Revisionsschichten?), oder hat umgekehrt Hieronymus eine frühe Vetus Latina-Version des Buches Hiob benutzt, der Jahrhunderte später auch die Glossen entnommen wurden? Diese letzte These hat Berger vertreten, der sogar so weit geht, den Text dieser Glossen als „die“ altlateinische Vorlage des Hieronymus zu identifizieren32. Auch Bogaert unterstreicht, dass es Hieronymus in erster Linie wichtig war, die Lücken der ihm vorliegenden Vetus Latina-Übersetzung auszufüllen, während er es nicht in jedem Fall darauf anlegte, sich im Wortlaut von seiner Vorlage zu unterscheiden33.

3.1 Erörterung möglicher Kriterien Alle bisher angeführten wörtlich gleichlautenden Lemmata stehen in den Glossen jeweils ohne Kontext. Sie beweisen deshalb zwar, dass zwischen den Randnoten und Hieronymus’ Versio prior teilweise enge Beziehungen bestehen, können jedoch ebenso gut auf eine Benutzung der Versio prior durch den Glossator wie umgekehrt auf eine Übernahme der Vorlage der Glossen durch Hieronymus zurückgehen. Zu einer Klärung der Abhängigkeitsverhältnisse tragen sie deshalb nichts bei. Aussagekräftiger sind demgegenüber solche Teil-Lemmata der Glossen, die zwar wörtliche Übereinstimmungen mit der Versio prior zeigen, zugleich aber in längere oder kürzere Kontexte eingebettet sind, deren Formulierungen sich von den Texten 29 S. firmitatem. 30 O. lt. Adnotationes (595, 8); dort irrtümlich nicht durch Sperrdruck als Zitat gekennzeichnet. 31 Vgl. oben Anm. 23. 32 Vgl. oben Anm. 15 und 16. 33 Bogaert (2012) 50.

554

Anhang B

der Versio prior unterscheiden. An solchen Stellen lässt sich eher ein Gefälle zwischen den Texten beobachten, das Hinweise auf das Abhängigkeitsverhältnis geben kann. Freilich sind auch hier nicht alle Unterschiede beweiskräftig. Ziegler hat gezeigt, dass die Glossen einer lateinischen Hiob-Übersetzung entstammen, die auf der lukianischen Rezension der LXX beruht34. Als Charakteristika des Übersetzers hat er ferner die Nachahmung der freien griechischen Wortstellung und verschiedentliche Gräzismen herausgearbeitet35. Für die Erstfassung O. der Versio prior des Hieronymus erwies sich dagegen als charakteristisch, dass sie auf einer ganzen Reihe von griechischen und hebräischen Textvorlagen beruhte36. Ebenso hat Hieronymus in O. offensichtlich eine Mehrzahl von altlateinischen Hiob-Versionen berücksichtigt. Wenn Hieronymus in seinen Vorreden erklärt, es gehe ihm um die Revision des altlateinischen Hiob, dem es an Vollständigkeit, Korrektheit und stilistischem Schliff mangele37, kann man ihn zwar so verstehen, als habe er nur eine einzige alte Übersetzung vor Augen38. Jedoch lässt sich aus den Parallelen aus der Übersetzung des 1. Clemensbriefes sowie aus Cyprian und Ambrosius, die in den Kapiteln 19–21 der vorliegenden Arbeit gelegentlich angeführt wurden, schließen, dass Hieronymus auch die von diesen Autoren benutzten, in Italien bzw. in Afrika gebräuchlichen altlateinischen Hiob-Versionen kannte und heranzog. Für die Feststellung, welches Abhängigkeitsverhältnis zwischen den Glossen und der Versio prior des Hieronymus besteht, hilft es deshalb nicht weiter, zu zeigen, welche anderen ursprachlichen Vorlagen Hieronymus gegenüber der lukianischen Grundlage der Glossen benutzt hat. Man kann ja anhand solcher Textabweichungen ebenso gut argumentieren, Hieronymus habe die Übersetzung, der die Glossen entstammen, durch Zuziehen weiterer Vorlagen anreichern wollen, wie auch die These vertreten, der Urheber der Glossen habe seine Übersetzung bewusst auf eine Wiedergabe der Version des Lukian reduzieren wollen. Gleiches gilt auch für die Abweichungen von der Wortstellung, die bei den Glossen dem lukianischen Text folgt. Damit bleiben nur noch zwei Kriterien übrig, um das Abhängigkeitsverhältnis zu bestimmen. Beide sind in sich genommen relativ weich und daher in Einzelfällen leicht angreifbar, entfalten aber Überzeugungskraft durch ihre Kumulation. Das 34 Ziegler (1980) 35–40. 35 Ziegler (1980) 21–34. 36 Vgl. die Kapitel 2–5 der vorliegenden Arbeit. 37 Trenkler (2017) 21, Anm. 24 zitiert aus der Vorrede zur ersten Hiob-Version (Römische Vulgata, Libri Hester et Iob (1951) 75, 8–10): Iob, qui adhuc apud Latinos […] vermibus scatebat errorum; S. 75, 17–76, 1: Necnon et illa quae habere videbamur et ita corrupta erant, ut sensum legentibus tollerent, […] magno labore correxi. Sie verweist auch auf die Praefatio zur Hiob-Vulgata (Stuttgarter Vulgata (2007) 732). Dort heißt es ähnlich (732, Z. 37–39): Audiant quapropter canes mei idcirco me in hoc volumine laborasse, non ut interpretationem antiquam reprehenderem, sed ut ea quae in illa aut obscura sunt aut omissa aut certe scriptorum vitio depravata, manifestiora nostra interpretatione fierent. 38 Trenkler (2017) 21–22.

Anhang B

555

eine Kriterium ist der stilistische Vergleich von Wortschatz und Syntax. Das andere ist das Verhältnis der Glossen zu den drei verschiedenen Revisionsschichten O. S. T. bzw. – wenn man B. hinzunimmt – zu den sogar vier verschiedenen Versionen, in denen die Versio prior überliefert ist.

3.2 These Im Licht dieser beiden Kriterien zeichnet sich m. E. allerdings ein klares Ergebnis ab: Die Quelle der Glossen hat auch als eine der Vorlagen für die Versio prior des Hieronymus gedient und nicht umgekehrt die Versio prior als partielle Quelle für die Glossen. Insofern behält Berger mit seiner – wenn auch in ihrer Ausschließlichkeit überspitzten – These Recht.

4 Argumente für die These 4.1 Allgemeine Erwägungen Der Stil der Glossen erweist sich immer wieder als hölzern und gelegentlich kaum mehr verständlich, während Hieronymus regelmäßig glatt und gut lateinisch formuliert. Überdies zeigt der Vergleich der Glossen mit den vier Versionen der Versio prior, dass keine dieser verschiedenen Fassungen als alleinige Quelle der Glossen in Frage kommt. Diese beiden Befunde lassen sich unschwer so erklären, dass Hieronymus neben seinen anderen Vorlagen auch die Vetus Latina-Fassung benutzt hat, der die Glossen entnommen sind, sie aber stilistisch in mehreren Stufen überarbeitet hat. Die wörtlichen Übereinstimmungen sind dann so zu deuten, dass Hieronymus dort an dieser Vetus Latina-Fassung nichts mehr zu verbessern fand und die bereits geglückten Formulierungen deshalb in seine emendierte Fassung übernahm. Auf diese Weise konnte er einer bei seinen Lesern bereits eingeführten Vetus LatinaÜbersetzung seine Reverenz erweisen und seiner Behauptung, er erhebe keinen Anspruch auf Originalität, Glaubwürdigkeit verleihen39. Die gegenteilige Hypothese müsste dem Verfasser der Übersetzung, der die Glossen entnommen sind, ein in doppelter Weise unwahrscheinliches Vorgehen unterstellen. Er müsste sich nicht nur eine Revisionsschicht der Versio prior, sondern gleich mehrere nebeneinander zur Vorlage genommen haben. Außerdem müsste er diese verschiedenen Fassungen nicht nur zu einer Übersetzung der lukianischen Version umgeformt, sondern absichtlich auch weniger lesbar gestaltet ha 39 Vgl. dazu seine Erklärung ep. 106, 12 veterum interpretum consuetudinem mutare noluimus, ne nimia novitate lectoris studium terreremus. Zum konservativen Vorgehen des Hieronymus vgl. die Analysen bei D. Brown (1992) 116–117 und Fürst (2003) 112.

556

Anhang B

ben. Man könnte vielleicht meinen, solch ein literarisches Verfahren habe bewusst die notorische Schwerverständlichkeit des Buches Hiob auch in der lateinischen Übersetzung widerspiegeln sollen. Dagegen spricht aber, dass sich in den Glossen keine wiederkehrenden Techniken nachweisen lassen, die auf eine bewusste literarische Stilisierung hinweisen könnten. In Wirklichkeit handelt es sich bei den Glossen offenbar nur um das Bemühen, einen stellenweise schwer verständlichen griechischen Text im Lateinischen möglichst wortgetreu nachzubuchstabieren.

4.2 Exemplarische Belege Mit den folgenden Beispielen, die nur eine Auswahl des verfügbaren Materials bieten, hoffe ich die vorstehenden Thesen hinreichend belegen zu können. Das eigentliche Interesse liegt in jedem Fall nicht so sehr auf den entlehnten Texten (die hier durch Kursivdruck hervorgehoben werden) als vielmehr auf dem stilistischen Kontrast zwischen dem Kontext der übernommenen Formulierungen in den Glossen und bei Hieronymus. Dieser Kontrast erweist m. E. Hieronymus als den Bearbeiter der Glossen-Texte. Im Übrigen präsentiere ich die Belege wieder so, dass deutlich wird, wie Hieronymus seine Versio prior des Hiob-Buches in mehreren Revisionen immer weiter überarbeitet hat. Der Vergleich der vier verschiedenen Fassungen der Versio prior (O. S. T. B.) mit den Glossen belegt m. E. die These, dass keine dieser Versionen eine Quelle für die Glossen gewesen ist, sondern dass umgekehrt Hieronymus seine Übersetzung in mehreren Schritten aus Vorstufen entwickelt hat, zu denen auch die Vorlage der Glossen gehörte. Der Klarheit halber führe ich wieder nur Stellen an, die in größerem Umfang wörtliche Entlehnungen enthalten. In einer ersten Passage fand Hieronymus schon zu Beginn in O. die für ihn gültige Formulierung, die er anschließend nicht mehr geändert hat: 40 Hiob Kap./ Vers

Seite Ziegler

28, 11ab

21

Text Glosse

Et profunda aeterna effodit, ostendit autem suam virtutem in lumine.

40 O. zu Iob 28, 11 lt. Adnotationes (568, 3 und 5–6).

Texte Hieronymus O. (lt. Aug. adn.) S. T. B. O.40 S. T. B. altitudines fluminum reuelauit ostenditque uirtutem suam in lumine.

557

Anhang B

Am Ende einer längeren Passage hat Hieronymus in O. mehrere Änderungen eingeführt, jedoch eine davon anschließend in T. wieder zurückgenommen: 41 42 43 44

Hiob Kap./ Vers

Seite Ziegler

Text Glosse

Texte Hieronymus

5, 6–7

12

Non enim prodiet de terra labor, nec de montibus germinabit dolor, sed homo in labore nascitur, pulli autem vulturum42 alta volant43.

O. (lt. Aug. adn.)41 S.

T. B.

Non enim prodiet de terra labor, nec de montibus germinabit dolor, sed homo in labore nascitur, pulli autem uulturis44 altissime uolitant.

Non enim prodiet de terra labor, nec de montibus germinabit dolor, sed homo in labore nascitur, pulli autem uulturis ­ altissime uolant.

Vier weitere Belege bezeugen ebenfalls eine Schlussredaktion erst für T.: 45 46 47 48 49 50 51 52 Hiob Kap./ Vers

Seite Ziegler

3, 18ab

11

Text Glosse

17

O. lt. Aug. adn.45

S.

non audierunt uocem exactoris.

S. und B. = O. simulque in ­ aeternum abundauerunt; non47 audierunt uocem exactoris.

Conspiratique aeternales non audierunt vocem exactoris tributi46.

18, 13ab

Texte Hieronymus

Comedantur illius rami pedum, devoret autem eius humera mors.

O.49 comedantur50 rami pedum eius,

S. und B. = O. comedantur rami pedum eius, et deuoret decora eius matura51 mors.

T. simulque in ­ aeternum abundauerunt; nec48 audierunt uocem exactoris. comedantur rami pedum eius, et deuoret decora eius immatura52 mors.

41 O. zu Iob 5, 6a und 7 lt. Adnotationes (516, 6–8. 10); Iob 5, 6b von Augustin übersprungen. 42 Der Genetiv Plural lt. Lukian: Vgl. Ziegler (1982) 232. 43 alta volant ~ τὰ ὑψηλὰ πέτονται. 44 Der Genetiv Singular lt. Hauptüberlieferung LXX: Vgl. Ziegler (1982) 232. 45 Iob 3, 18b lt. Adnotationes (512, 8–9). Iob 3, 18a von Augustin übersprungen. 46 tributi halte ich für eine Glosse zu exactoris, nicht für einen Teil der Übersetzung. 47 Der Kompilator von B. bleibt bei dem ursprünglichen non, hängt hier also von O. ab. 48 Erst in der Endfassung T. ändert Hieronymus ohne Vorlage in den Urtexten zu nec. 49 O. zu Iob 18, 13a lt. Adnotationes (547, 9–10); Iob 18, 13b von Augustin übersprungen. 50 Q comeduntur; H W comme(n)dantur. 51 S. verdoppelt die Wortgruppe eius matura. 52 (Sic!) T. immatura (Martianay, Vallarsi und Sabatier drucken fälschlich matura).

558 53 5455 56 57 58 59

Anhang B

Hiob Kap./ Vers

Seite Ziegler

31, 10–12

22

Text Glosse

Placeat utique et uxor mea alio, filii autem mei humilientur. furor enim irae incontinens polluere viri53 mulierem;

Texte Hieronymus O. lt. Aug. adn.

S.

T.

O.54 placeat55 quoque uxor mea alteri et filii56 mei humilientur57. furor enim animi58 est indomitus commaculare viri uxorem.

S. placeat quoque uxor mea alteri et fili mei humilientur. furor enim animi est indomitus commaculare viri uxorem. ignis ardens est in omnibus membris; quocumque intrauerit, radicitus perdit.

T. B. placeat quoque uxor mea alteri et filii mei humilientur. furor enim animi est indomitus commaculare viri uxorem. ignis ardens est in omnibus membris; quocumque intrauerit, radicitus perdet.

O.59 und B. quodsi et gauisus sum super ­ ruinam60 inimici mei et dixit cor meum: bene factum est, audiat auris61 mea62 maledictionem meam, opprobrio sim63 in meo populo64 diffamatus65. quodsi saepe dixerunt66 ancillae meae: quis67 det nobis ut carnibus eius satiemur68? cum satis bonus essem.

S.  quodsi et cauisus69 sum super uineam70 inimici mei et dixit cor meum: bene factum est, audiat aures71 mea maledictionem meam, opprobrio sim in meo populo diffamatus. quodsi saepe dixerunt ancillae meae: quis det nobis ut carnibus eius satiemur? cum satis bonus essem.

T. quodsi et gauisus sum super ruina inimici mei

ignis enim est ardens ex omnibus partibus, ubicumque introierit, radicitus disperdit. 31, 29–31

22

Si autem et gavisus fui in ruina inimici mei et si dixi in corde meo: euge euge, audiat auris mea maledictionem meam, tumultum patiar a plebe nocitus. si autem et saepius dixerunt ancillae meae: quis nam dabit nobis de carnibus eius satiari, cum nimis suavis essem.

et dixit cor meum: bene factum est, audiat auris mea maledictionem meam, opprobrio sim in meo ­ populo diffamatus. quodsi saepe dixerunt ancillae meae: quis det nobis ut carnibus eius satiemur? cum satis bonus essem.

53 viri: So Zieglers Emendation nach der Versio prior; LMV viris. 54 O. zu Iob 31, 10–11 lt. Adnotationes (577, 12–13. 14 und 15-16); Iob 31, 12 wurde von Augustin übersprungen. 55 CUV M Am. Er. placet. 56 S. fili. 57 H humilient. 58 So A; F animi mei; cett. codd. et edd. animae meae. 59 O. zu Iob 31, 29a und 30-31 lt. Adnotationes (579, 9-15); Iob 31, 29b wurde von Augustin übersprungen.

559

Anhang B 60 61 62 63 64 65 6667 68 69 70 71

Die folgende, letzte Liste von Belegen führt längere Passagen auf, in denen Hieronymus auf engem Raum viele Änderungen vorgenommen hat. Die Stellen zeigen m. E. nicht nur, wie intensiv dieser Übersetzer an seinen Texten gefeilt hat, sondern auch, dass die Entwicklung der Textfassungen von der Vorlage der Glossen zu den verschiedenen Revisionsstufen der Versio prior hin verlief statt in umgekehrter Richtung: 72 73 74 75 76 77 78 79

Hiob Kap./ Vers

Seite Ziegler

8, 6

14

10, 15 16a–17c

Text Glosse

Text Hieronymus O. (lt. Augustin adn.) S. T. B.

Si mundus et verax es, ­ precem tuam exaudiet,

S. T. si mundus et uerax es, precem exaudiet tuam72

B. = O.73 si mundus et verax es, precem tuam exaudiet,

restituet autem tuae dietae iustitiam.

S. et restituat74 tibi uitam iustitiae

T. B. = O.75 et restituet tibi ­ uitam iustitiae

Capior autem sicut leo ad occisionem, et iterum inmutans saeve me disperdes

O.76 S. T. B. et capior sicut leo ad 77 occisionem78 iterum autem commutatus79 saeuissime crucias me

60 A super ruinam wie B. (Lagarde druckt fälschlich super ruina); cett. codd. et edd. super ruina wie T. 61 C auus. 62 C meam (Zy fälschlich mea). 63 N* Q C (ohne Notiz bei Zy) WY*Z sum. 64 B. sowie CUV M Z und alle Editionen außer Zycha in populo meo. 65 A diffamatur. 66 R WX dixerint. 67 quis nur A FH und Zy; qui Lov. 2; quid cett. 68 Lovv. saturemur. 69 Sic S. cauisus. 70 Sic S. super uineam. 71 C auus; S. aures. 72 Die Wortstellung exaúdiet túam ergibt einen Cursus planus, die Vorlage túam exaúdiet stellt dagegen einen Cursus tardus dar. 73 Dieser Teilvers fehlt bei Augustin; hier lässt sich aber aus B., das von T. abweicht, auf O. zurückschließen. 74 Der Konjunktiv Präsens könnte zwar auf das Perfekt consecutivum des hebräischen Urtextes zurückgeführt werden, stellt aber eher einen Kopierfehler dar. 75 Die Lesart von O. wird hier durch die Adnotationes (525, 12–13) bestätigt. 76 O. lt. Adnotationes (532, 14. 16–17). 77 S. leo e ad. 78 Q occasionem. 79 FGN K cum mutatus.

560 80 81 82 83 84 85 86 87 88 89 90 91 92

Hiob Kap./ Vers

Anhang B Seite Ziegler

Text Glosse

Text Hieronymus O. (lt. Augustin adn.) S. T. B.

innovans in me interrogationem meam.

O.80 S. instaurans81 in me tormenta82 mea

ira autem magna mihi usus es et suscitasti super me ­ pirateria. 31, ­ 25–27a

22

Nunc autem et luxuriatus sum multas facultates ­ habens,

T. restauras in me tormenta mea

S.84 ira magna usus es me

B. restauras in me tormenta tua83

T. B. ira magna usus es in me

S. T. B. et importasti mihi temptationes. O.85 S. T. B. 25) si et laetatus sum cum esset mihi census86 multus,

et si innumerabilibus posui manum meam,

O. S.  si et87 in innumerabilibus88posui89animam meam.

T. B. si et in numerabilibus90 posui manum meam.

aut non video quidem solem lucentem et deficientem, lunam autem minui, non enim in ipsis est.

26) an non uidimus solem lucentem deficere et lunam minui91? non enim in ipsis est.

an non uidemus solem lucentem deficere et lunam minui? non enim in ipsis est.

et si suasum est in obscuro cor meum.

et deceptum92 est clam cor meum.

80 O. lt. Adnotationes (532, 22). 81 Y Am. Er. instauras. 82 S. dormenta. 83 Die Lesart tua entspricht einer starken Nebenüberlieferung der LXX: Vgl. Ziegler (1982) 257. Zieglers Angabe, auch Laμ (= T.) habe diese Variante, beruht auf einem Irrtum. B. muss hier also auf O. zurückgehen; damit ist an dieser Stelle eine weitere Doppelübersetzung in O. (sc. tormenta tua neben tormenta mea) zu erschließen. 84 Die Teil-Lemmata Iob 10, 17bc hat Augustin in den Adnotationes übersprungen. 85 O. zu Iob 31, 25 und 27a lt. Adnotationes (578,25–26; 579, 1–2. 4–6); Iob 31, 26 von Augustin übersprungen. 86 Q mihi sensus; M mihi uel sensus census. 87 M om. et. 88 A N sowie P R WXYZ numerabilibus. 89 S. om. innumerabilibus posui (von Zycha nicht notiert). 90 T. B. in numerabilibus (Vallarsi, Sabatier und Lagarde drucken fälschlich in innumerabilibus; von Zycha nicht notiert). 91 Sic S.– Caspari (1893) 96 druckt fälschlich comminui (er hat die Schlusssilbe -nam des vorangehenden Wortes lunam doppelt gelesen und beim zweiten Mal als com- gedeutet). 92 VY deceptus.

561

Anhang B 93 94 95 96 97 98 99 100

Hiob Kap./ Vers

Seite Ziegler

33, 5

23

Text Glosse

Si potes, da mihi responsum ad haec. subsiste et sta tu contra me et ego adversus te.

33, ­12b–14

23

Aeternus enim est qui super homines. dicis enim: quare causam meam non obaudit in omni verbo? in semel enim loquendo dominus, in secundo autem somnium.

Text Hieronymus O. (lt. Augustin adn.) S. T. B.

S. B. ( = O.93) T. Si potes, da mihi responsum ad haec. S. B. (= O.) sustine, sta

T. sustine ista

S. B. (= O.) T. contra me et ego contra te S. T. B. aeternus enim est qui est super homines. S. B. (= O.) dicis

T. dices

S. T. B. autem: quare iudicium S. meum

T. B. (om. meum)

S. T. B. non audiuit et omnem sermonem? O. S. T. B. (14a)94 semel enim loquitur dominus et in secundo non S. B. (= O.) considerauit95

T. considerabit96

S. T. B. illud. 37, ­20–21

25

Numquid librarius aut scriba mihi adstat, ut

O.97 S. T. B. numquid liber aut scriba adsistit98 mihi, ut

hominem stans

O. stans faciam99 hominem

S. stans hominem

taceam?

tacere?

omnibus enim non est visibile lumen,

omnibus autem non est uisibile100 lumen, quod

lucidum est

S. refulgit

in vetustissimis.

in nubibus.

O. T. refulget

T. hic stans faciam hominem

B. fulget

93 Der ganze Vers Iob 33, 5 wurde von Augustin übersprungen. 94 Iob 33, 14a ist der einzige Halbvers, den Augustin in diesem Kontext zitiert (581, 13). 95 Lagarde druckt fälschlich considerabit. 96 Sabatier druckt fälschlich considerauit. 97 O. lt. Adnotationes (598, 11–12. 14–15). Iob 37, 21b von Augustin übersprungen. 98 A FN (= ω1-Linie) assistit, cett. assistis (= ω2-Linie). 99 WX faciem. 100 WX non est inuisibile.

562

Anhang B

5 Fazit Die in den voranstehenden Tabellen einander gegenübergestellten Kontext-Passagen, in die die wörtlichen Entsprechungen eingebettet sind, sprechen m. E. für sich: Die Texte der Glossen sind in der Regel sperrig formuliert, während die Übersetzungen des Hieronymus in geschmeidigerem Latein gehalten sind. Damit erweist sich Hieronymus als der Bearbeiter des Glossentextes. Wo beide Versionen übereinstimmen, gehören die geglückten Prägungen Hieronymus’ Vorlage. Damit erlauben diese Glossen interessante Einblicke in eine Quelle von Hieronymus’ erster Hiob-Übersetzung und werfen Licht auf seinen Umgang mit lateinischen Vorlagen101, tragen aber nichts zur Rekonstruktion sonst verlorener Passagen der Erstfassung O. seiner Versio prior bei.

101 Vgl. Berger (1895) 136. 137.

Anhang C Antipelagianische Hiob-Zitate bei Hieronymus (adv. Pelag. 2, 41)

In seiner im Jahre 415 verfassten Schrift Dialogus adversus Pelagianos2 führt Hieronymus in Buch 2, Kapitel 4 eine ganze Reihe von Hiob-Stellen gegen seine Gegner ins Feld. In der folgenden Tabelle werden diese Zitate mit Hieronymus’ früheren Hiob-Übersetzungen verglichen. Bei der Versio prior werden jeweils bis zu vier Varianten unterschieden – zunächst die Erstfassung O. (vertreten durch die Lemmata in Augustins Adnotationes in Iob), sodann die beiden Revisionsstufen S. und T. und schließlich die Kompilation aus O. und T. in B. Am Schluss stehen die Lesarten der Vulgata. Zusammengestellt wurde diese kleine Synopse, um zu sondieren, auf welche seiner diversen Hiob-Fassungen Hieronymus in seinen späteren Werken zurückgriff. Das Ergebnis erweist sich als überraschend eindeutig: Mit Ausnahme der besonders berühmten Lemmata Iob 14, 4–5a, wo er die Versio prior-Lesarten von S. wiederaufnimmt, die aber schon auf O. zurückgehen3, hat Hieronymus in adv. Pelag. 2, 4 an keiner Stelle eine seiner früheren Übersetzungen zitiert, sondern hat in jedem Fall eine neue Fassung formuliert. Im Rahmen der vorliegenden Arbeit dient die folgende Tabelle dem Nachweis, dass die Hiob-Zitate in adv. Pelag. 2, 4 nicht zur Rekonstruktion der Erstfassung O. der Versio prior herangezogen werden können. Sie illustriert zugleich, wie wenig sich Hieronymus an seine bereits publizierten Bibelübersetzungen gebunden fühlte4. Sie enthält aber keine Aussagen zu der Frage, in welchem Ausmaß sich Hieronymus bei der pelagianischen Kontroverse auf lateinische, griechische bzw. hebräische Bibelversionen stützte.

1 Zitiert nach der Ausgabe von Claudio Moreschini (CCL 80), Turnhout 1990. 2 Vgl. Fürst (2003) 289. Fürst übersetzt den Prolog und die Kernstelle 3, 17–19 des Werkes als Textauszug 6 mit ausführlichem Kommentar auf S. 237–246. 3 Vgl. den Nachweis Kap. 19, S. 463–469. 4 Insofern bestätigen sich hier die oben in Kap. 7, S. 130–131, Anm. 22–26 referierten Beobachtungen der Forschungsliteratur.

564 56



Anhang C

Kap./ Vers Hiob

Wortlaut adv. Pelag. 2, 4 (58, 35 ff. Moreschini)

4, 17a

Versio prior

Vulgata

O. lt. Aug., adn. Iob (Seite/ Zeile Zycha)

S.

Numquid mundus erit homo coram Deo

(514, 11–12) numquid homo coram domino mundus erit?

wie O.

numquid homo Dei conparatione iustificabitur

4, 17b

aut in operibus suis irreprehensibilis uir?

fehlt

aut ab operibus suis sine macula uir?

aut factore suo purior erit vir

4, 18a

Si aduersus famulos suos non credit

(514, 17–18) si contra seruos suos non credit

wie O.

ecce qui serviunt ei non sunt ­ stabiles

4, 18b

et contra angelos prauum quid reperit

(514, 22–23) et aduersus angelos suos prauum quid reperit

wie O.5

et in angelis suis repperit pravitatem

4, 19a

quanto magis in his qui habitant domos luteas

(514, 25) habitantes autem domos luteas

wie O.6

quanto magis hii qui habitant domos luteas

7, 1a

Temptatio est uita hominis super terram

(521, 17) Numquid non tentatio est uita humana super terram?

wie O.

militia est vita hominis super terram

7, 20a

Si ego peccaui, quid possum facere?

(524, 16) si ego peccaui, quid possum tibi facere?

7, 21a

Quare oblitus es nec fecisti iniquitatis meae obli­ uionem

(525, 3–4) et quare non es oblitus iniquitatis meae?

wie O.

cur non tolles ­ peccatum meum

7, 21b

et emundationem peccati mei?

fehlt

et purgasti peccatum meum?

et quare non au­ feres iniquitatem meam?

5 B. schreibt paruum statt prauum. 6 S. schreibt domus loteas.

T.

B.

si ego peccaui, quid tibi possum facere?

possum tibi ­ facere?

(ed. 52007 ­ Weber/Gryson)

peccavi quid ­ faciam tibi

565

Anhang C 789

Versio prior

Kap./ Vers Hiob

Wortlaut adv. Pelag. 2, 4 (58, 35 ff. Moreschini)

9, 2b7

Quomodo enim potest iustus esse homo apud Deum?

fehlt

9, 15a

Si fuero iustus, non audiet me,

(528, 5–6) quodsi etiam iu­ stus fuero, non exaudiet me

wie O.

qui etiam si habuero quippiam iustum non re­ spondebo

9, 15b

sed iudicio eius indigebo

(528, 9–10) iudicium eius rogabo

wie O.

sed meum iudicem deprecabor

9, 29

Quia sum im­pius, cur frustra laboro?

(530, 12) et quia sum in­ pius, quare non sum mortuus et laboro?

wie O.

9, 30a

Si lotus fuero niue,

fehlt

quod si purificatus fuero in niue

si lotus fuero quasi aquis nivis

9, 30b

et mundus mundis manibus,

(530, 14) et mundatus fuero mundis manibus

wie O.

et fulserint velut mundissimae ­ manus meae,

9, 31a

satis me sorde tinxisti

(530, 16) satis in sorde me tinxisti

satis in sorde8 me

tamen sordibus intingues me

Si peccauero, cu­ stodies me.

(532, 9–10) quodsi et peccauero, custodies me

quod si et

10, 14a9

O. lt. Aug., adn. Iob (Seite/ Zeile Zycha)

Vulgata S.

B.

quomodo enim poterit iustus esse homo apud deum?

et laboro?

tinxisti

quis iustus esse ante dominum?

iustus esse apud dominum?

sed laboro?

tinxi

quod et si

peccauero cu­ stodias me



T.

custodies me

7 Diese Stellenangabe fehlt bei Moreschini zu S. 58, Z. 46–47. 8 S. sorte. 9 Diese Stellenangabe fehlt bei Moreschini zu S. 58, Z. 50–51.

(ed. 52007 ­ Weber/Gryson) et quod non iu­ stificetur homo conpositus Deo

si autem et sic impius sum quare frustra laboravi?

si peccavi et ad horam perperci­ sti mihi

566 10 11 12

Kap./ Vers Hiob

Anhang C Wortlaut adv. Pelag. 2, 4 (58, 35 ff. Moreschini)

10, 14b10 Ab iniquitate ­ autem me non facies innocentem.

Versio prior

Vulgata

O. lt. Aug., adn. Iob (Seite/ Zeile Zycha)

S.

fehlt

ab iniquitate non

T.

B.

autem non

impunitum11 fecisti me

(ed. 52007 ­Weber/ Gryson) cur ab iniquitate mea mundum me esse non pateris?

10, 15a

Si impie egero, uae fehlt mihi.

quod si et impie fecero, vae mihi

quod et si impius fuero et si vae mihi est im­pie egero, ue mihi

10, 15b

Si fuero iustus, non potero respirare.

(532, 11) et si iustus fuero, non possum respirare

et si

10, 15c

Plenus enim sum ignominiae.

(532, 13) plenus enim sum opprobrio

wie O.

saturatus adflic­ tione et miseria

14, 4

Quis enim erit mundus a sorde? ne unus quidem,

fehlt

quis enim erit mundus a sorte? absque sorde? ne unus nec unus quiquidem, dem,

quis potest facere mundum de inmundo semine? nonne tu qui ­ solus es?

14, 5a12

etiam si unius diei fuerit uita eius super terram

fehlt

etiam si unius diei fuerit uita eius super terram

breves dies hominis sunt

14, 5b

et numerabiles menses illius

(538, 17–18) dinu- wie O. merati enim sunt menses eius apud te

39, 34a Vulg. (= 40, 4c LXX)

Ego autem ad haec (627, 18–19) quid respondebo? quod responsum dabo?

iniustus iustus

et si iustus non levabo caput

fuero, non possum respirare

numerus mensuum eius apud te est

wie O.

qui leviter locutus sum respondere quid possum?

39, 34b Manum ponam (= 40, 4d super os meum; LXX)

(627, 20) manum ponam ad os meum

wie O.

manum meam ponam super os meum

39, 35 (= 40, 5 LXX)

(627, 21–22) semel locutus sum, iterum non adiciam

wie O.

unum locutus sum quod utinam non dixissem et alterum quibus ultra non addam

semel locutus sum, in secundo non addam.

10 Diese Stellenangabe fehlt bei Moreschini zu S. 58, Z. 51. 11 S. schreibt inponitum. 12 Statt der richtigen Angabe Iob 14, 4–5 steht bei Moreschini fälschlich Iob 15, 14.

Bibliographie A. Primärtexte Vollbibeln und einzelne Bibelbücher 1. hebräisch

Biblia Hebraica, ed. Rud. Kittel. Editionem tertiam denuo elaboratam ad finem perduxerunt A. Alt et O. Eissfeldt, Stuttgart 31937 (ND 1945). (Zitiert als BHK (1937). Das Buch Hiob wurde ediert von Georg Beer, 1932.) Biblia Hebraica Stuttgartensia. Editio funditus renovata, Editio secunda emendata ed. W. Rudolph/H. P. Rüger, Stuttgart 21983. (Zitiert als BHS (1983). Das Buch Hiob wurde ediert von Gillis Gerleman, 1974.) Online-Ausgabe der BHS: www.bibelwissenschaft.de/online-bibeln/biblia-hebraica-stuttgartensiabhs/lesen-im-bibeltext/

2. griechisch

Septuaginta. Id est Vetus testamentum graece iuxta LXX interpretes edidit Alfred Rahlfs. Editio altera quam recognovit et emendavit Robert Hanhart. Duo volumina in uno, Stuttgart 2006. Septuaginta. Vetus Testamentum Graecum, Auctoritate Academiae Scientiarum Gottingensis editum, vol. XI, 4: Iob, ed. Joseph Ziegler, Göttingen 1982. (Zitiert als Ziegler (1982).) Septuaginta Deutsch. Das griechische Alte Testament in deutscher Übersetzung, hrsg. von Wolfgang Kraus/Martin Karrer, Stuttgart 2009. Novum Testamentum Graece, ed. Nestle-Aland, Stuttgart 261979.

3. lateinisch

Vetus Latina Bibliorum Sacrorum Latinae Versiones Antiquae, seu Vetus Italica, opera et studio D. Petri Sabatier, Bde. 1–3, Remis (=Reims) 1743 (ND Turnhout 1976). Vetus Latina. Die Reste der altlateinischen Bibel. Nach Petrus Sabatier neu gesammelt und herausgegeben von der Erzabtei Beuron, Freiburg 1949 ff. Einzelbände: Genesis (Bd. 2), ed. Bonifatius Fischer, Freiburg 1951. Canticum Canticorum (Bd.  10/3), ed. Eva Schulz-Flügel, Einleitung, 1.  Lieferung, Freiburg 1992. (mehr nicht erschienen) Esaias (Bd. 12), ed. Roger Gryson, Fasz. 1, Introduction, Freiburg 1987, 10–33. Epistulae ad Thessalonicenses, Timotheum, Titum, Philemonem, Hebraeos (Bd.  25/2), ed. Hermann Josef Frede, Freiburg 1975–1991. (Titusbrief: 1983) Vetus Latina-Datenbank der FU Berlin, Digitalisat des Zettelkatalogs des Vetus Latina-Instituts Beuron. Joseph Ziegler, Randnoten aus der Vetus Latina des Buches Iob in spanischen Vulgatabibeln (Bayerische Akademie der Wissenschaften, Philosophisch-historische Klasse 1980, 2), München 1980.

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Bibliographie

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Sancti Aureli Augustini De peccatorum meritis et remissione et de baptismo parvulorum ad Marcellinum libri tres, recensuerunt Carolus F. Urba et Iosephus Zycha (CSEL 60), Wien-Leipzig 1913.

2. Hieronymus a. Gesamtausgabe Opera Omnia, ed. J.-P. Migne (Patrologiae Latinae Cursus Completus, Bde. 22–30), Paris 1845. (Nachdruck der Ausgabe von Vallarsi/Maffaei.) b. Übersetzungen von Teilen der LXX α. Hiob Fassung lt. Codex Sangallensis 11 Carl Paul Caspari, Das Buch Hiob (1, 1- 38, 16) in Hieronymus’s Uebersetzung aus der alexandrinischen Version nach einer St. Gallener Handschrift (Christiania Videnskabs-Selskabs Forhandlinger 1893. No. 4), Christiania 1893. (Digitalisat im Internet: http://www.e-codices.unifr.ch/de/list/one/csg/0011) Fassung lt. Codex Turonensis 18 ed. J. Martianay, in: Hieronymus, Opera Bd. 1, Paris 1693, 1187–1218. ed. Dominicus Vallarsi, in: Hieronymus, Opera Bd. 10, Verona 1740, 47–100. ed. Petrus Sabatier, Bibliorum Sacrorum Latinae Versiones Antiquae seu Vetus Italica, Reims 1743, Bd. 1, 825–886. ed. J.-P. Migne, in: Hieronymus, Opera Bd. 10 (PL 29), Paris 1846, 59–114. (Nachdruck der Ausgabe Vallarsis.) Fassung lt. Codex Bodleianus MS. Auct. E. infra 1 Paul de Lagarde, Des Hieronymus Uebertragung der griechischen Uebersetzung des Iob (Mittheilungen, Band 2), Göttingen 1887, 189–237. Zitate in den Glossen spanischer Vulgata-Bibeln Francesco Vattioni, Per il testo di Giobbe, Annali del Istituto Universitario Orientale, Supplemento 89, Neapel 1996, 25–29. β. Psalmen und Hoheslied Liber Psalmorum, Römische Vulgata (1953). Liber Psalmorum iuxta Septuaginta emendatus, Stuttgarter Vulgata (2007) 770–954. Cantici Canticorum Vetus Latina translatio  a s. Hieronymo ad Graecum textum Hexaplarem emendata, ed. Alberto Vaccari, Rom 1959. c. Übersetzungen des AT nach dem Hebräischen s. o. unter Vollbibeln – lateinisch – Vulgata d. Übersetzungen griechischer Kirchenväter Origenis in Ieremiam homiliae: PL 25 (1845) 583–692. Origenis in Isaiam homiliae: Origenes Werke 8, ed. Wilhelm Adolf Baehrens (Corpus Berolinense 33), Berlin 1925, 242–289. e. Bibelkommentare Commentarioli in Psalmos, S. Hieronymi Presbyteri Opera, Pars 1, Opera exegetica 1, ed. Germain Morin (CCL 72), Turnhout 1959. Hieronymus, Commentarioli in Psalmos. Anmerkungen zum Psalter, übersetzt und eingeleitet von Siegfried Risse (Fontes Christiani 79), Turnhout 2005.

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Verzeichnis der Hiob-Zitate 1,5 20 Anm. 38 1,6ab 542 1,8 450, 474 1,8b 474–475 1,8c 475 1,8d 461 Anm. 64, 475–476, 516 Anm. 69 1,8e 461 Anm. 64, 476–478, 516 Anm. 69 1,16b 342 Anm. 18 1,16c 538 1,17b 334 1,20a 343 1,21 342 Anm. 18, 345 1,22ab 474, 478–479 2,2b 546 2,3c 344 2,3d 166 2,3g 534 2,4a 546 2,4c 546 2,6b 407–408 2,9 342 Anm. 18 2,10b 343, 345 2,10c 344, 345, 534 2,11ce 159 2,13c 534 3,3b 535 3,8ab 326–328, 349–352 3,10a 542–543 3,11 274 Anm. 92 3,14b 113, 114 3,17a 132 Anm. 38, 233 3,17b 233 3,18ab 557 3,23b 408–409 3,25b 545–546 3,26a2 328–329 4,3a 541 4,7 342 Anm. 18 4,11a 157, 238, 316, 346–347, 409–413 4,17a 157, 564

4,17b 196, 564 4,18a 564 4,18b 564 4,19a 564 5,3 274 Anm. 92 5,4b 206 5,6–7 557 5,11a 206 5,11b 200 5,15 207 Anm. 54 5,17a 552 5,17b 538 5,22b 157 5,24 325 Anm. 81, 552 Anm. 23 5,24b 70 Anm. 20, 334–335 5,25 540 Anm. 67 5,27 435 Anm. 27 6,6a 202 Anm. 44 6,6b–7ab 551 6,7b 233, 247, 551 6,8a 401–402 6,14 95 Anm. 46 und 48, 96 Anm. 52 6,16a 157 6,16ab 413–415 6,17 415, 488 Anm. 64 6,18b 552 Anm. 23 6,19 323 6,21a 171–172 6,21b 158 7,1 347–348 7,1a 173, 552, 564 7,4c 535 7,10b 223 7,12 536 7,12a 158 7,13 435 Anm. 27 7,13a 536 7,17a–21c 363–365 7,17a 363, 365, 366–367 7,17b 363, 367–368 7,18 95 Anm. 46 7,18a 364

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Verzeichnis der Hiob-Zitate

7,18b 364, 368–369 7,19a 364, 369–370 7,19ab 366 7,19b 532 7,19b1 364, 370 7,19b2 364, 370–371 7,20a 202 Anm. 43, 218 Anm. 98, 317, 364, 371–373, 374, 421 Anm. 55, 513 Anm. 59, 564 7,20b 336, 364, 373–376 7,20c 364, 370, 376–377, 491 7,20d 336, 364, 374 Anm. 44, 378–379 7,21a 365, 370, 564 7,21ab 366, 379–380 7,21b 365, 564 7,21bc 366 7,21c 365 8,2 540 Anm. 68 8,2b 540 8,3 530 Anm. 6 8,3a 196 8,6 274 Anm. 92, 559 8,10 54, 55 8,11a 222 8,13 417 8,14 423 Anm. 1, 427 8,18 435 Anm. 28 8,20b 167 8,21a 49 Anm. 60, 416–418 8,22b 76 Anm. 20 9 9,2–3 9,2a

500, 521 474, 483 199 Anm. 31, 278 Anm. 105, 479, 480, 486 Anm. 50, 500 Anm. 116 9,2b 199 Anm. 31, 202 Anm. 44, 278 Anm. 105, 480–481, 486 Anm. 50, 500 Anm. 116, 545, 565 9,3a 278 Anm. 105, 483, 486 Anm. 50 9,3ab 278 Anm. 105, 481–483, 486 Anm. 50 9,3b 278 Anm. 105, 486 Anm. 50, 500 Anm. 116 9,4b 164 9,6a 158 9,8 20 Anm. 37

9,11b 530 Anm. 6 9,12 349 Anm. 56 und 57 9,14 508 Anm. 37 9,15a 565 9,15b 565 9,19–20 474 9,19b 278 Anm. 105, 483–484, 486 Anm. 50, 487 Anm. 51, 500 Anm. 116 9,20a1 484–485 9,20a2 485–486 9,24 508 Anm. 37 9,28 375 9,28–31 474, 487 9,28b 487, 488 Anm. 64 9,29 336, 565 9,29ab 487–488 9,30a 485 Anm. 40 und 41, 565 9,30ab 489 9,30b 565 9,31 20 Anm. 38 9,31a 490–491, 565 9,33ab 201–202 9,35b 337–338 10,1b 158 10,10b 547 10,12b 197 10,13a 160 10,14a 565 10,14b 566 10,15a 566 10,15b 202 Anm. 43, 316, 317 Anm. 40, 566 10,15c 316, 566 10,16a 316 10,16a–17c 559–560 10,17a 532 10,20 54, 55 10,20b 318–319, 530 Anm. 6 10,20b–21a 187–189, 473 Anm. 1 10,21b 540 10,22a 540–541 10,22b 540 11,1 543–544 11,2 54, 55 11,2b 157 Anm. 17, 190, 225 11,6 540 Anm. 67 11,6b 342 Anm. 18 11,6c 536 11,8a 532

Verzeichnis der Hiob-Zitate 11,10b 348–349, 511 Anm. 51 11,11a 233 11,11b 253 11,14 429 Anm. 16 12,6ac 203–204 12,12ab 223–224 12,12a 223, 253 Anm. 240 12,12b 165, 223, 224, 225 12,17a 536 12,18b 537 12,19b 197, 225 13 500, 501, 521 13,5 441 Anm. 40 13,5b 552 Anm. 22 13,6 20 Anm. 37 13,11 274 Anm. 92 13,12 20 Anm. 34 13,19a 538 13,23 20 Anm. 34 13,26–28 474, 491 13,26a 491 13,26b 491–493, 500 Anm. 117 13,27a 493–494, 500 Anm. 117 13,27b 494–495 13,27c 495–496, 500 Anm. 117 13,28a 496–498, 500 Anm. 117 13,28b 498–499, 500 Anm. 117 14,1–3 462–463 14,1–5a 451, 452, 473, 474 14,1a 453–454, 458, 462, 537 14,1b 432 Anm. 17, 454–455 14,2 307 Anm. 124 14,2a 455–457, 458, 459 14,2b 457–459 14,3a 459–460, 461 14,3b 460–462 14,4 205–206, 225, 345, 450, ­463–465, 469, 566 14,4–5a 320, 465, 468–472, 563 14,5 197 14,5a 461 Anm. 64, 466–468, 566 14,5b 566 14,7a 234 14,12 319 Anm. 48 14,16–17 450, 474 14,16a 502–503 14,16b 503–504 14,17a 505–506 14,17b 506–507

15,2b 15,3 15,4b 15,14

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199 Anm. 31, 277–278 94 Anm. 43 343 Anm. 18 346 Anm. 38, 367 Anm. 18, 566 Anm. 12 15,25a 402–403, 545 15,26a 403–404 15,27a 222, 245 15,27b 293 15,29a 345 15,29b 258–259 15,30a 251 15,30b 247 15,33b 106 Anm. 6, 133 Anm. 40, 305–307 15,34a 552 16,2b 532 16,6a 532 Anm. 25 16,7 532 16,9c LXX 273 16,10b 240, 259–260 16,10c 273 Anm. 82 16,12b 247 Anm. 188, 533 16,13 20 Anm. 34 und 37 16,16a 532 Anm. 25 16,18 20 Anm. 37 17,1b 317–318 17,4 488 Anm. 64 17,5 20 Anm. 38 17,6 441 Anm. 40 17,8a 329 17,11b 162 17,15 508 Anm. 37 17,15b–16a 247 18 70 Anm. 56 18,4b 197, 225 18,7a 206 18,10 20 Anm. 38 18,11a 88 18,13 552 Anm. 22 18,13ab 557 18,13b 324, 326, 332–333 18,14 322 18,14a 76 18,14b 382–383 18,15 312, 322, 323 Anm. 58 18,16 319 Anm. 48 18,16a 539 18,17 93 Anm. 40

586

Verzeichnis der Hiob-Zitate

18,20ab 206–207 18,21 529 Anm. 1 18,21b 538 19 501 19,2 319 Anm. 48 19,6a2 173–174, 225, 393 Anm. 40 19,6b 88–89 19,8b 158 19,12 93 Anm. 40, 429 Anm. 16 19,12a 197 19,13c 158 19,17b 338–339 19,25–27 50 Anm. 65 19,25 158, 225, 488 Anm. 64 19,27c 49–51, 102 19,29 93 Anm. 40 20 70 Anm. 56 20,1 544 20,2a 174 20,2b 72–73, 103, 193–194, 225 20,4a 54–55, 102 20,5a 197 20,7ab 207–208 20,7a 225 20,7b 213 20,8b 552 Anm. 23 20,10a 206, 319 Anm. 48 20,11b 160 20,12b 61, 106, 109, 134 Bsp. 22, 253 Anm. 247 20,15a 161, 225 20,16a 110, 113 20,17a 225 20,18a 209, 225 20,18b 74, 109, 133 Bsp. 38 20,19b 76 Anm. 20 20,20a 197 20,24a 235 20,24b 224 20,25a 225 20,25ac 210–211 20,25b 75–76, 103 20,29b 261–262 21,5b 175, 225 21,6b 158 21,7 508 Anm. 37 21,7b 197, 225 21,9b 197 21,11a 72, 103

21,13b 552 Anm. 22 21,17a 38–39, 102, 250, 509 Anm. 38 21,17c 197 21,19 20 Anm. 37, 93 Anm. 40 21,19a 69–70 , 133 Bsp. 33, 134 Bsp. 33 21,20b 235 21,21 93 Anm. 40 21,22 517 Anm. 77 21,22a 197 21,22b 163 21,24a 238 21,26a 197 21,30a 117 21,30b 117 21,31a 116 21,33a 161, 195, 226, 329–331 22,2 94 Anm. 43, 517 Anm. 77 22,3 93 Anm. 40 22,4a 117 22,4b 343 Anm. 18 22,12ab 197 22,14b 116 22,16b 405 22,17 197 22,17b 117 22,19a 260 22,19b 122 22,20 158, 198 22,20a 226 22,23a 226 22,23b 76 Anm. 20 22,24a 181–182 22,24ab 226 22,24b 163 22,26ab 165 22,26b 116 22,28a 167–168 22,29 435 Anm. 27 22,29b 404–405 22,29d 117 22,30 250 23,2a 116 23,4 198 23,4a 116 23,6b 116 23,7a 211–212, 406–407 23,7b 213–214, 405–406 23,8 20 Anm. 38 23,8b 116

Verzeichnis der Hiob-Zitate 23,9a 115 23,15 159 23,16b 118 23,17 198 24,1 159 24,2a 159 24,2b 116 24,4a 116 24,4b 116 24,5b 115 24,6 207 Anm. 54 24,6a 116 24,7a 161, 168 24,7b 118, 168–169 24,8a 191, 226 24,8b 118, 226, 248–249, 251, 267 Anm. 57 24,10a 161 Anm. 41, 168 Anm. 60 24,11ab 196 24,12a 116 24,15c 198, 236 24,16b 323–324 24,19a 198 24,19b 116 24,20a 116 24,20c 116 24,22 207 Anm. 54 24,22a 236, 320 24,23b 107 Anm. 7 24,24b 122 24,25a 320–321 24,25b 320–321 25,1 117 26,1 116 26,2 435 Anm. 28 26,3a 117 26,7 20 Anm. 38 26,8b 115, 117 26,10 20 Anm. 38 26,11b 117 26,12a 198, 214, 226 26,13a 159, 226 26,13b 117, 175–176, 226 26,14c 117 27,9b 77, 110 27,13b 77–78, 103 27,14b 39, 102 27,15a 88

587

27,15b 66–67, 103, 183–184 27,17b 198 27,18 41 Anm. 21, 423–447 27,19a 427 27,22a 161 27,22b 238 27,23a 267 Anm. 57, 267–269 27,23b 236 28,1a 40, 102, 133 Anm. 42 Bsp. 4 28,2b 59–60, 102 28,6 353 28,7 353 28,8a 352–358 28,8b 238 28,10a 293 Anm. 35, 295 28,11a 44–47, 102 28,11ab 556 28,15 93 Anm. 40 28,15a 67–68, 103 28,18a 88, 106, 109, 133 Anm. 41 Bsp. 52 28,20 508 Anm. 37 28,26b 80–81, 103 29,4 29,4b 29,5b 29,8b 29,10a 29,11a

95 Anm. 47 und 48 52, 102 88–89, 103 57–58, 102 177 Anm. 87 176–177, 189 Anm. 138, 226, 473 Anm. 1 29,11b 51, 109 29,12a 169 29,13a 270–273 29,19b 159 29,20 93 Anm. 40 29,22b 226 29,25b 271 Anm. 71 30,1b 30,2b

58, 106, 109, 133 Bsp. 18, 206 34, 91–92, 108, 133 Anm. 42 Bsp. 57 30,3a 383–387 30,3b 33, 383 Anm. 7, 394 Anm. 47 30,5b 238 30,8 93 Anm. 40 30,15c 37–38, 107, 109, 134 Bsp. 1 30,17a 214–215 30,17b 53–54, 102, 159 30,19b 343 Anm. 18 30,20a 343 Anm. 18

588

Verzeichnis der Hiob-Zitate

30,20b 34 30,21 198 30,21a 172 30,24 435 Anm. 27 30,24a 162 30,24b 184 30,25 389 30,26a 387–390 30,29a 198 30,31 441 Anm. 40 30,31a 106, 110 30,31b 198 31,1b

33, 36 Anm. 1, 62, 106, 109, 133 Bsp. 23, 253 Anm. 247 31,2 93 Anm. 40 31,7b 343 Anm. 18 31,7c 198 31,10–12 558 31,13a 59, 102 31,13b 239 31,14 95 Anm. 46 31,16 207 Anm. 54 31,19 34, 105, 110, 112 31,19a 343 Anm. 18 31,19b–20a 82–84, 103 31,20 207 Anm. 54 31,21b 78–79, 106, 111 Anm. 8 und 9, 112, 133 Bsp. 44, 223 Anm. 124, 253 Anm. 240, 422 Anm. 58 31,24a 71, 106, 109, 133 Bsp. 34 31,25–27a 560 31,29–31 558 31,29a 89–90, 108, 121, 133 Bsp. 54 31,31a 226 31,31ab 216 31,33 79 Anm. 43, 159 31,34 207 Anm. 54 31,34a 217, 226 31,34b 79, 103 31,36ab 34 32,7ab 514 Anm. 64 32,8–9 474 32,8a 514 32,8b 84 Anm. 65, 501 Anm. 118, 514–516 32,11 93 Anm. 40 32,13 93 Anm. 40 32,13b 86, 103, 121 32,22 343 Anm. 18

33,3–4 474 33,3b 516–517 33,4a 517 33,4b 517–518 33,5 561 33,12b 170 33,12b–14 561 33,19b 247 33,22a 245 33,24b 106, 110 33,26b 47–48, 106, 109, 134 Bsp. 9 34,1 106, 110, 113, 343 Anm. 18 34,6a 389 34,8c 162 Anm. 43, 217 Anm. 91 34,9ab 94–96, 99, 133 Bsp. 59 34,9a 95, 96 Anm. 52 34,9b 96 Anm. 52, 161, 217–218, 421 Anm. 55, 513 Anm. 59 34,11b 198, 226 34,18a 390–392 34,20 207 Anm. 54 34,21b 161, 198 34,22b 293 Anm. 35, 295–296, 486 Anm. 47 34,23 93 Anm. 40 34,25ab 87 34,25b1 87, 107, 110, 121, 133 Bsp. 51 34,25b2 90–91, 103, 133 Bsp. 55 34,26 93 Anm. 40 34,27b 295 Anm. 52 34,29a 202 Anm. 44 34,29b 343 Anm. 18 35,2ab 69 35,2b 60–61, 102 35,3 68–69, 94 Anm. 43, 109, 133 Bsp. 32, 134 Bsp. 32, 322 35,6b 62–63, 103, 202 Anm. 43, 343 Anm. 18 35,8a 106, 110 35,9 93 Anm. 40 35,11a 159 35,11b 178–179 35,12b 237 35,13b–14 179–180, 308 Anm. 129 35,14 223 35,16a 63, 103 36,5b–9 36,6a 36,7

48 Anm. 58 120 Anm. 25, 392–393 93 Anm. 40

Verzeichnis der Hiob-Zitate 36,7a

64, 106, 109, 133 Bsp. 26, 253 Anm. 247 36,7c 64–65, 108, 109, 133 Bsp. 27 36,9 93 Anm. 40 36,9a 48–49, 102 36,9b 395 36,11a 113 36,12 223 36,12a 219–220, 226, 381 Anm. 3 36,12b 159 36,13b 120, 121 36,15 207 Anm. 54 36,17 42–43, 106, 109, 133 Bsp. 7 36,18b 234 36,19ab 185, 207 Anm. 54 36,22 367 Anm. 18 36,22a 393–396 36,24ab 275–277 36,26b 75 36,27a 74–75, 103, 179 Anm. 98, 308 36,28 93 Anm. 40 36,28b 78, 106, 109 36,28d 226 36,29 93 Anm. 40 36,30a 396–397, 491 Anm. 72 36,32a 258 Anm. 7 36,33 93 Anm. 40 37,1a 91, 106, 109, 133 Bsp. 56, 232 37,2 93 Anm. 40 37,2a 84–85, 103, 107 37,2b 55–56, 106, 109, 133 Bsp. 16 37,4ab 85 37,4a 85, 237 37,4b 85 37,4c 202 Anm. 44 37,5a 65, 105, 110, 253 Anm. 247, 286–288 37,7b 162, 307–308, 553 37,9ab 186–187 37,11ab 65–66, 121, 133 Bsp. 29 (2×), 253 Anm. 247 37,12a 234 37,12ac 250, 398 Anm. 64 37,12bc 250 Anm. 215, 397–398 37,15b 159 37,17a 108, 240, 244, 246, 288–289 37,18b 81–82, 133 Bsp. 47, 134 Bsp. 47 37,20–21 561 37,20a 40–41, 102 37,21a 399

589

37,21ac 234 37,21b 282, 399 Anm. 67, 400 37,21c 120, 399–400 37,22a 221, 226, 234, 316, 394 Anm. 47 37,22b 162, 234, 316 37,23a 41–42, 102, 264–266, 394 Anm. 47 37,23b 218 Anm. 98, 285–286, 421 Anm. 55, 513 Anm. 59 37,24 282 Anm. 124 37,24a 234 37,24b 308–309 38,1 106, 110, 113 38,2 381 Anm. 4 38,4a 235 38,6a 245, 252 38,7b 309–310 38,8b 103 Anm. 1 38,9b 235 38,12a 54, 55 38,14 163 38,14a 226, 269–270, 318 38,14b 254–255, 318 38,16–17 97 38,16 105 Anm. 5, 123 38,16a 45–47, 261 38,17a 288–289 38,17b 92–93, 109, 133 Bsp. 58, 180, 235 38,18 346 Anm. 38 38,18a 97, 98 38,18b 41 Anm. 21, 96–99, 112, 134 Bsp. 60 38,19b 73, 109, 133 Bsp. 37 38,25a 111 Anm. 10, 218 Anm. 98, 283, 419–422, 513 Anm. 59 38,28b 266–267 38,33b 243–244 38,34a 237, 241 Anm. 130 38,34b 163, 240, 241 38,35a 110 38,36 187, 235 38,37 93 Anm. 40, 253 38,38 343 Anm. 18 38,38b 112, 113 38,39b 343 Anm. 18 39,2b 294 39,4 93 Anm. 40 39,6a 76

590

Verzeichnis der Hiob-Zitate

39,9a 239 39,13 93 Anm. 40, 244 39,15 93 Anm. 40 39,18 93 Anm. 40 39,20a 291 39,20b 289–292 39,21a 241 39,23 278–279 39,23a 251, 280 39,23b–24a 278–281 39,24a 251 39,24b 263–264 39,25a 159 39,26b 304–305 39,30 274 Anm. 92 39,30b 274–275 39,33 508 Anm. 34 39,34 474 39,34a 566 39,34b 566 39,35 566 40,4a1 LXX 40,4a2 LXX 40,4b LXX 40,4c LXX 40,4d LXX 40,5 LXX 40,7a 40,8bc LXX 40,14b LXX 40,15a LXX 40,17a LXX 40,18b LXX 40,19a LXX 40,20ab LXX

508–509 509–510 199 566 566 566 254 Anm. 249 321 202 Anm. 43 253–254 301 299 299 301

40,21 LXX 236 40,22a LXX 299 40,22b LXX 248 40,25a LXX 239 40,25b LXX 300 40,26b LXX 236 40,27b LXX 302, 303 40,29b LXX 236, 244, 246 40,31a 199 40,31b 221–222, 226 41,3 41,7b LXX 41,10ab LXX 41,11 LXX 41,13b LXX 41,16b LXX 41,18a LXX 41,20a LXX 41,20b LXX 41,21b LXX 41,23a LXX 41,23b LXX 41,24a LXX 41,24b LXX 41,25ab LXX 41,26b

98 Anm. 61 248 302 302 300 297–299 237 303–304 302 302 246 242 238 254 324, 326, 333–334 352, 353 Anm. 80

42,3a 170, 321 42,5–6 474 42,5a 510–511, 513 Anm. 61 42,5b 511 42,6 254, 512 42,6a 512 42,6b 218 Anm. 98, 421 Anm. 55, 513