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German Pages 682 [681] Year 2015
Heiner Wilharm DIE ORDNUNG DER INSZENIERUNG
Szenografie & Szenologie
Band 8
EDITORIAL Die Reihe Szenografie & Szenologie versammelt aktuelle Aufsätze und Monografien zum neuen Ausbildungs- und Berufsfeld Szenografie. Im Kontext neuer Medientechniken und -gestaltungen, Materialien und narrativer Strukturen präsentiert sie Inszenierungserfahrungen in öffentlichen Vor-, Aus- und Darstellungsräumen. Zugleich analysiert die Reihe an Beispielen und in theoretischer Auseinandersetzung eine Kultur der Ereignissetzung als transdisziplinäre Diskursivität zwischen Design, Kunst, Wissenschaft und Alltag. WISSENSCHAFTLICHER BEIRAT Prof. Dr. Martina Dobbe, Universität der Künste, Berlin Prof. Dr. Petra Maria Meyer, Muthesius Kunsthochschule, Kiel Prof. Dr. Hajo Schmidt, Fernuniversität Hagen DIE HERAUSGEBER Dr. Ralf Bohn ist Professor für Medienwissenschaften und arbeitet im Schnittpunkt von philosophischer, psychoanalytischer und technischer Medienanalyse. Dr. Heiner Wilharm ist Professor für Designtheorie und Gestaltungswissenschaften und arbeitet mit Schwerpunkt Zeichen, Kommunikation und Inszenierung. Die Herausgeber lehren am FB Design der FH Dortmund und begleiten den MasterStudiengang Szenografie und Kommunikation wissenschaftlich und konzeptionell.
Heiner Wilharm DIE ORDNUNG DER INSZENIERUNG
Bibliografische Information der Deutschen Nationalbibliothek Die Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliografie; detaillierte bibliografische Daten sind im Internet über http://dnb.d-nb.de abrufbar. © 2015 transcript Verlag, Bielefeld, Heiner Wilharm, Bonn Die Verwertung der Texte und Bilder ist ohne Zustimmung des Verlages urheberrechtswidrig und strafbar. Das gilt auch für Vervielfältigungen, Übersetzungen, Mikroverfilmungen und für die Verarbeitung mit elektronischen Systemen. Umschlaggestaltung: Heiner Wilharm © Titel-Foto Heiner Wilharm 2014 (Graffito, Girona, Esp., unbekannter Künstler) Korrektorat: Reiner Raffelt, Heiner Wilharm Redaktion, Lektorat & Satz: Heiner Wilharm Druck: Majuskel Medienproduktion GmbH, Wetzlar Print-ISBN 978-3-8376-2665-0 PDF-ISBN 978-3-8394-2665-4 Gedruckt auf alterungsbeständigem Papier mit chlorfreigebleichtem Zellstoff. Besuchen Sie uns im Internet: http://www.transcript-verlag.de Bitte fordern Sie unser Gesamtverzeichnis und andere Broschüren an unter: [email protected]
Für Ele & Bele
inhaltsverzeichnis
6
DIE ORDNUNG DER INSZENIERUNG
einführung
16
›Positivitäten‹: diskursiv, ereignisspezifisch. Diskurs & Ereignis, Disposition & Dispositiv. Inszenierungskunst, Medienkunst, medialisierte Verhältnisse. ›Szene‹, ›Szenografie. Schöner Schein, täuschender Schein: Ambivalenzen des Inszenierungsverständnisses. Szenografische Modellierung & Raumstrategie. ›Disegno‹, ›Design‹, Designwissenschaften. ›Erweiterte Szenografie‹ & ›Szenologie‹. Ordnung der Inszenierung, der Dinge, der Bedeutung. ›Strategische Positionen im Wissenschaftsdiskurs. Sinnhypothesen im Scheinhorizont. Aufrichtigkeit zwischen formalem Urteil & freimütiger Bekundung. Widerstand & Anstrengung. Szene & situatives Dasein. Szene & Verfahren, Zirkulations- & Produktionssphäre. Szene & Zeichen, Bedeutung & Bedeutenlassen. Der szenische Agon, das Politische & die Ökonomie
anmerkungen einführung
34
36
I
bühnen & protagonisten
38
I.1
begriffsszenen 1
38
Die Familie des Szenischen Szene & Chor. Opsis & Mythos. Szenografie & Choreografie Bühnenwerkstatt & Bühnentechnik.Scenografia, Ortografia, Ichnografia. Apelles bei Lukian. Ein Paragone der Renaissance
47
auftritt des volkes
I.2
Inszenierungswurzeln: Souveränitätsreflexe.
1
48
Inszenierung der Freiheit – Aufklärung, Verklärung, Zerfall Delegitimation & neues Recht. Leitrevolution & ›Longue durée‹. Souveränitätsspektakel & überkommenes Schauspiel. ›Theater‹ – ohne Zuschauer
2
59
Neue Wissensform, alte Erinnerungen Souveränitätskörper. Handlung, Subjekte & Dinge
61
auftritt & ordnung der dinge
I.3
Sich-Zeigendes, Gezeigtes. Ausgestelltes, ›Exposition‹ 61
1
Wunder der Natur, der Kunst & der Technik Zeigen, Sich offenbaren. Inszenieren, Ausstellen. Ein ökologisches Modell . Neupositionierung des Museums. ›Wunder‹ – Szenen & Räume der Dinge
7
2
71
Spiel der Ähnlichkeiten Systematik des Wissens. Wissenschaft, Sammlung, Museum . Gegen die ›Vorurteile der Bühne‹. Neues Organum (Bacon). Taxonomien & Funktionalitäten. Ordnung der Sichtbarkeit: Von den Wundern der Natur zu den Wundern der Kunst
3
83
Schauspiel der Dinge. Manifestatio der Künste Gottorfer Globus & Magdeburger Unterdruckversuch. Szenografische Demonstration. ›Den Löwen am Schwanz ziehen‹. Popularisierung & Publizität der Dingschau . Souveränität der Kabinette, der Wissenschaft, des Volkes. Zerstreuung, Institutionalisierung & Verwissenschaftlichung der Exposition . Regiment der Repräsentation. Bild, Diskurs, Magie (Alpers, Bailly)
4
97
Szenografie der Dinge im Wissenschaftsfokus Öffnung des Raums. Schauspiel & Widerstand der Dinge & des Wissens. Inszenierungs- & Dingkultur, ›von oben‹, ›von unten‹. Spezifik oder Generalisierung. Erwartungen an die Effekte
109 109
bühnenräume
I.4
1
Raumdimensionen & Diskurskehren Stadträume. Gestaltungsräume, Wissensräume. Raumbesetzung. ›Einräumung von Geräumigkeit‹. Spatial turns: Topographical, topological turn . Modellierungshinsicht & Semiotik
119
2
›Zeitalter des Raums‹ Raum oder Geschichte. Literatur, Geografie. Struktur, Geschichte (Foucault)
124
3
Situation & Szene ›Infraordinäres‹ (Perec). ›In freier Entwurfsumgebung‹. ›Lage‹Beurteilung, theoretisch, praktisch (Sartre/Debord). Freiheit der Wahl und ihre Grenzen. Dingrealität als Kontingenzfülle (Sartre)
130
4
Auftritt der Stadt Von der politischen Stadt zur Urbanisierung (Lefèbvre). Zirkulation, Markt, Produktivität (Arendt). Soziologie der Urbanisierung – traditionell, kritisch, postmodern (Weber, Lefèbvre, Kritische Sozialwissenschaft, Critical Political Studies, New Urban Sociology, Radical Geography, Radical Economy)
143
anmerkungen teil i
inhaltsverzeichnis
8
164
II
ästhetik & philosophie der künste
165
II.1
schauspiel, schauspieler & bühne. legitimationsprobleme der spätaufklärung Performanz & Projektion. Performanz & Repräsentation
1
167
Paradoxa der Schauspielkunst & der Schauspieler (Diderot) Bühnenspiel, Gesellschaftsspiel . Kriterium Performanz
2
173
Werkpräsenz & Repräsentation. Beispiel Malerei Manifestation der Invention. Las Meniñas (Velázquez)
3
174
Zivilisierung oder Kultur. Kunst- & Straßenszenen (Diderot) Licht & Schatten . ›Un modèle idéal‹. Wahl aus Freiheit & Erkenntnisanschluss
4
185
›Ehrbare Dinge, freier Menschen würdig‹ (Rousseau) ›Voluntaristische Kulturpolitik‹. ›Die Lanze des Achill‹ – Heilen mit Ähnlichem. ›Dass die Musik zum Herzen finde‹
5
190
›Etwas zu machen verstehen‹. Kants Kunstbegriff – Goethe & Schiller über Dilettantismus ›Genie‹. Über die Liebe zur Kunst & ihre Liebhaber. ›Vorschläge, Künstlern Arbeit zu verschaffen‹ (Goethe). Dichtkunst & Rhetorik. ›Verstandgeordnetes Sinnlichkeitsspiel, sinnlichkeitsbelebtes Verstandesgeschäft‹ (Kant)
196
pragmatismus der inszenierungskunst (kant)
II.2
Kants ›Anthropologie‹: Quelle moderner Inszenierungskonstellation avant la lettre 199
1
Spiel des Scheins. Täuschung zwischen Zauber & Hinterlist, Trug & Selbstbetrug ›Niemand will erkannt sein, wie er ist‹. Probleme der Beobachtung & Selbstbeobachtung (Kant)
202
2
Inszenierungsstrategien politisch... ökonomisch... juristisch... religiös, konfessionell... Kunst, in Dienst genommen. Zeuxis & Parhasios: Augentäuschung & Begehren
208
3
›Beherrschung‹: Vermögen & Kunst Absolutistisches Regiment & Aufklärungsschein in Preußen. Mächte des Beherrschungsvermögens: Ehre, Gewalt, Geld (Kant)
210
4
›Beherrschung des Untertänigen durch eigene Neigung‹ Kants Topologie mittelbarer Beherrschung. Nationalcharakter(e), deutsch. Politische Kunst. Kunst des Sozialen – Kants ›Symposium‹
9
218
phänomenologie & struktur. ästhetik & herrschaft
II.3
1
221
Verordnete Harmonie ›Zwiesprache‹ von Kunst & Nation. Hegels Kulturpolitik. Nationale Einstimmung. Inszeniert, uninszeniert. Nationalkunst. Nationalautoren (Schiller, Goethe & andere). Kritik religiös nationaler Kunst (Goethe/Meyer). Discours esthétique (Hirt, Goethe, Hegel)
2
234
Poesie & Dichtung im Wettstreit der Künste Sprechen, sehen, zeigen. Blick & Sprache der Kunst. ›Wie die Wirklichkeit auf kunstgemäße Weise zu gestalten sei‹. Optionen stofflicher Darstellung. Idylle, Bildungsideal, Souveränität
3
242
›Prosa des Lebens‹. ›Pragmatische Zusammenstimmungen‹ (Hegel) Harmoniestiftende Geschichte(n). Erste pragmatische Zusammenstimmung. Harmonie durch Genie? Soziale Harmonie als mittelbarer Herrschaftseffekt. Zweite pragmatische Zusammenstimmung
4
247
›Harmonie des innern Lebens‹. Dichtung, naiv, sentimentalisch (Schiller) Empfindungs- statt Medienorientierung. Inszenierung als Idylle
5
251
Harmonie versus Melodie – Musik, Kultur, Gesellschaft (Hegel) Metaphern der Musiktheorie. Welt des Empfindens. Welt des Subjekts. Musik, Harmonie, Melodie (Hegel)
6
256
›Der Herr ist der Knecht‹. (Kant, Hegel) Passiones ardentes & sensus communis. Gewaltschein, Inszenierungsschein (Kant). Arbeit & Opfer. Herrschaft & Knechtschaft, phänomenologisch (Hegel). Medien. Mediatisierung. Medialisierung. ›Am Schein genug tun‹: Anerkennung, Reichtum, Regiment. Die Phantasie als Selbstschöpferin (Kant). Anthropologisch demokratisches Szenario. ›Freiheitsneigung & Rechtsbegierde aus Selbstliebe‹
267 268
gescheiterte harmonie
II.4
1
Die Zersetzung der Kultur (Nietzsche, Heidegger) Nihilismus & Kulturkampf. Kultur & Kapital, Design & Wissenschaft. Die vier Mächte & ›die ihr Untertänigen‹ (Nietzsche). Medialisierung: ›Tanzmeister- & Tapezierer-Erfindsamkeit‹. ›Verhübschung‹ & ›das Hämmern der Telegraphen‹. ›Die Gleichnisse von der Börse abziehen‹. (Nietzsche) Werte, Wert, Wertbildung. Ästhetischer Schein & Tauschwert (Nietzsche). Wertakkumulation & Lebenssteigerung. Wertrelativität. Statt Metaphysik (Heidegger). Lebenssteigerung & Raumer-weiterung. Ästhetisierung der Kunst. Fortschritt der Medialisierung. Weltbild, Lebensanschauung, Erleben (Heidegger)
279
2
Mediatisierung, Informierung: Übertragungsverhältnisse (Nietzsche) Gesamtkunstwerk, ›dichtendes Volk‹ & ›dithyrambischer Dramatiker‹. Medium is message. Dämonische Übertragbarkeit & Selbstentäußerung
inhaltsverzeichnis
10
3
282
Chor & Szene. Das untergegangene Volk (Nietzsche) ›Eine Gemeinde unbewusster Schauspieler‹. Verzauberung & apollinische Verobjektivierung. Das Apollinische der Maske. Das Dionysische des Lebens. Schatten der Zivilisation & Licht der Kunst. ›Ein lügnerisches Schauspiel‹. Verrat an Melodie & Geist. Agenzien der Künste: ›ancillae dramaturgicae‹. Untergegangenes Volk & Lob der Konkurrenz. Die Werke der ›guten Eris‹ & der Agon mit den Göttern. ›Den Erschöpften die begehrten Stimulantia bieten‹
anmerkungen teil ii
293
314
III
raumstrategie & entwurfsdiagrammatik
316
III.1
diagrammatik
317
1
Topologie, Topografie, Diagrammatik Blick der Macht & teilnehmende Beobachtung. ›Dogmatiker reasoning‹. Diagrammatik, Design, Szenografie. Diagrammatische Typologie (Szenografische Modellierungsvarianten). Freiheit & Grenzen szenografischer Planung
336
2
Evidenz oder Interpretation. Analytisch-fiktionaler Paragone (Danto, Goodman) ›Klarheit‹, Ein Kriterium der Diagrammatik? Freiheit & Grenzen der Interpretation . Hermeneutik. Werkautonomie. ›Verklärung des Gewöhnlichen‹ (Danto). Bild, Diagramm, Metapher, Allegorie – ›Darstellung‹, ein Text-Paradigma? (Danto, Goodman)
346
3
Grafische Logik In Analogien sprechende Blätter. Ähnlichkeiten zwischen unähnlichen Dingen (Peirce). Einsehen & nachvollziehen . Rhematische Zeichenwirkung. Kritik ikonischer Evidenz (Peirce). ›Schematismus‹. Topologie & Chronologie (Kant, Peirce)
354
4
›Scheinschlüsse‹ Vom Nutzen der Simulation . Prämissen logischer Diagramme. ›Apodiktische‹ oder ›problematische‹ Szenografie
357
5
Bühnen der Wahrheit: Sophismus, Apophantik ›Wahres sagen‹, eristisch, apophantisch. Zwischen Politik & Ontologie (Aristoteles). Bühnenauftritt & Diskurs im Schatten (Aristoteles, Foucault)
361
6
Tatsachen- & Wirklichkeitsversicherung Realitätsgewissheit. ›Photomontage von Perzepten‹, Wahrnehmungsurteile & Quasi-Schlussfolgerungen (Peirce). Die Realität realer Relationen. Spiel der Analogien (Peirce). Perzept-Vertrauen, Wahrnehmungsurteil & mutmaßlich gerechtfertigtes Schlussfolgern (Peirce). Projektionsunschärfen analoger Schlussverfahren. ›Den Weg nach Larissa gehen‹. Unlösbares lösbar machen? Praktisches Analogisieren (sokratische Diagrammatik)
11
370
topologie, topografie & die ästhetik der inszenierung
III.2
1
370
Wahrnehmung. System der Sinnlichkeit Szenografie der Sinne. Szenografie des Geistes – Erweiterte Szenografie. Streben & Praktiken der Sinne. ›Sinn‹-Verstehen . Ästhetik der Sinne. Ästhetik des Schönen
2
376
Schein-Produktion: Ästhetische Raumbesetzung Bild, Spiegelung, Übertragung. Kaschierte Rahmung. Der ›selbsttätige programmierbare Rahmengenerator‹ (Kacunko). Erzeugen, empfangen, genießen (Heidegger). Opposition & Variation. Die Subjekt-Objekt-Projektion als szenografisches Muster. Zur Logik der Appropriation . ›Installation‹ – Einrichtung des Kunstwerks als Kunst der Einrichtung (Heidegger, Groys, Rebentisch). ›Wahrer Schein‹, Phantom- & Schattenbildung. Paradox & Mimesis. Nachahmung ohne Wiederholung. Szenifikation zwischen Inszenierung & szenischer Techne. Dichotomie des ›Gestells‹. Schein- & Schatten. Dopplung der Scheinopposition (Adorno, Foucault). ›Spiel‹ oder ›Messe‹. Nachahmung, Wiederholung, Ereignis & die Notwendigkeit des Scheins
3
396
Stimmungen & Leidenschaften, Wahn & Affekte. Pragmatische Anthropologie & Übertragung Gefühlsleitung als Bewusstseinsleitung. Zurückweisung von Privatszenischem & Privatgefühl . Opfermasse der Inszenierung. Gewissheit der Affekte. Wissen der Bedeutung (Kant, Peirce). Gewissheit der Furcht & ›Übertragung‹ (Lacan). ›Der erste Signifikant‹, interpretiert (Lacan). Zauber der Verführung: Das Begehren der Inszenierung (Kant, Peirce, Lacan)
4
408
Perspektiven & Perspektivwechsel ›Schirm‹-Projektion & ›Versetzung‹. ›Perspektive‹, gerichtet, verkehrt, verschoben, vermehrt. Blick, Macht & Heiliges (Holbein). Bilder & Projektionen: Gemälde, Fotografien, Zeichnungen, Diagramme
5
414
Klärung, Aufklärung, Abklärung – Große Erzählung, Kleine Geschichte(n) Szenen des Subjekts. Szenen der Objekte – Lücken & Zwischenräume. Land & Wasser. Wege & Strömungen: Aggregatwechsel. Wissensnot. Illusion der Formalisierung (Lacan)
420
421
raumstrategien & soziales beziehungsspiel
III.3
1
Theorieperspektive & pragmatische Beschränkung Soziale Indikation
424
2
Diskursives & Soziales ›Feld‹ (Bourdieu, Foucault) ›Legitime Hochstapelei‹? Feldvariablen & Diskursordnung. Scolastic view & common sense. ›Interesse‹, ›Leidenschaft‹, ›Verblendung‹. Inszenierung als Umkehrung von Feldgesetzen. ›Alles spielt sich ab, als ob‹? Spielen statt berechnen . Feldstruktur & Feldstrukturierung: Topologische & morphologische Prämissen, ›blinde Flecken‹.
inhaltsverzeichnis
12
Gesamtform & Zwischenraum – Wissen zwischen Erfahrung & Erkenntnis. ›Offizialisierungsstrategien‹ & Inszenierung. Realismus & Handlungsethik. ›Doxologische Illusion‹, soziologisch, historisch. Verzicht, Anerkennung, Konsekration – Ökonomie, Politik, Religion
3
443
Variable Schirmprojektionen Von der Programmierung zur dynamischen Feldwirkung. ›TuringTopologie‹ & ihre Grenzen . Kräftediagramm der Anerkennung. Korrespondenz homologer Strukturen. ›Fin de siècle‹: ›Kunst‹ & ›Geld‹ – Inszenierungsspiel (Modellierungsexempel Bourdieu). Integriertes Felddiagramm
4
454
Inszenierung & diskursive Formation: Positivität, Dispositiv, Strategie Begriffsformatierung ›Szene‹. Strategische Neutralität. Besetzung von Zwischenräumen
anmerkungen teil iii
459
482
IV
medien, politik, ökonomie
483
IV.1
politik & medialität
483
1
Inszenierungspolitik. Politikinszenierung ›Das Trugbild eines Anerbietens‹. ›Zivilisierung durch Kultur, vornehmlich der Umgangseigenschaften‹. Kunst, politisiert: Paradoxa
490
2
Medien Politik, medienaufbereitet. ›Medien-Vermittlung‹: Pleonasmus oder Oxymoron? Medienillusionierung, Selbstillusionierung. Medienskeptische Argumente & Schlüsse. Sinnes- und Sinn-Verstehen . Medienspezifik & Dingagieren. Technische Implikationen der (Re-) Präsentation: Inszenierungsmaschinen
501
3
Legitimation durch Verfahren Verfahren & Optionen medialer Überzeugung. Szenischer Vortrag & Lektüreerleben. Installation, Inszenierung, Ritual: ›Verfahren‹ (Luhmann). Performanzlegitimation durch Diskursanschluss
507
4
Diskursdispositionen & Repräsentation – Urteilen, Wahrsprechen, Rechtfertigen ›Diskursereignisse‹ (Foucault). Dinge & Dichtung. Lektüre, Beschreibung, Erklärung. Projektionsoberflächen der Humanwissenschaften – in ästhetisch kultureller Betrachtung (Foucault). Konsequenzen epistemischer Projektion für das praktische Wissen
13
514
bedeutenlassen, handeln, gestalten: inszenierungssequenzen
IV.2
Zeichenhandeln & Gewohnheiten (Kratylos). ›Das Leben der Zeichen‹ (Peirce)
1
520
›Anzeichen‹: Indizien-Verfolgung Szenische Verkettung: ›Szenarien‹. Kunst des Verfahrens: Kriterien. Positive & negative Abduktion
2
523
Inszenierungssequenzen: Wissenschaft & Künste – Medien & Kommerz Aufschließbare, verschobene & geschlossene Inszenierungen. Medium Wissenschaft. Bühnen & Hinterbühnen der Wissenschaft. Verdikt der Nachahmung. Auftritt ohne Bühne? Interferenzen von Privatszenischem & Standardsituation. Indikation ›Architektur im urbanen Raum‹. Relativierung indexikalischer Inszenierungsanzeige. Verschlossene Hinterbühnen & situativer Realitätsschein von Medien& Kommunikationspositivitäten.
3
538
Externe, interne, Fremd- & Selbstbeschreibung Indexikalität & Indizierung. Grenzen der Erscheinungsauskunft (Groys, Luhmann, Adorno). ›Positive Distanz‹. Differenz ohne Identität (Deleuze). Dyadisches Bewusstsein & Zweitheit. Die Wirklichkeit der Szene (Peirce, Deleuze). Anstrengung & Widerstand. Szenische Situativität und Ereignen. Denken ›von der Form der Information‹ (Peirce). Maß & Untermaß des schaffenden Entwurfs. Identitätsstiftende Bewahrung (Peirce, Heidegger). Informierte Objekte. Vorschein & Bewahrung der Wahrheit (Serres, Peirce, Bloch). Kultur, Kulturwissenschaft, Politik. ›Politik‹ als ›Kulturpolitik‹ (Nietzsche, Heidegger)
553 553
stratifikation der inszenierungskräfte
IV.3
1
Feldkomplexion & strategische Präferenzen Wahrheit & Gerechtigkeit: Legitimationsgrundlagen. Zwischen Volkssouveränität & Kapitalismus. Dynamisch agonistische Spielprogrammierung. Pragmatischer Diskursanschluss. Individuelle & kollektive Autor- & Rezipientenschaft. Anbieter & Kunde. Diskursindikationen . Fetischisierung des Schöpferischen – Herrschaft der ›Apparatur‹ (Moholy-Nagy, Benjamin, Brecht). Kunst, Künste & Ökonomie: Systemsteuerung. ›Szene‹, extern indiziert
569
2
›Prozessierender Widerspruch‹ Datentausch, Dingtausch – Tausch, Gabe, Geschenk, Opfer. User & provider demand – on line. Produktions- & Arbeitsraum Wissenschaft: Natur-, Kulturwissenschaften . ›Produktivkraft Kunst‹.Volkslegitimation, ›General Intellect & System-Individuierung: ›Prozessierender Widerspruch‹ (Marx,Marx-Rezeption, Neomarxismus)
inhaltsverzeichnis
14
3
585
Obszönität der Warenwirtschaft. ›Mangel des Sozialen‹ Dinge, Waren, Datendinge. Verlust der Illusion, Verlust der Szene. Die Szene & das Obszöne (Baudrillard). Mythos Datenökonomie. Expansion des Eroberungsprogramms. Die verlorene Transparenz. Politische Inszenierung von Markt & Konkurrenz. Künste der Technik. Technologie im Wettbewerb (Bourdie, Debord)
598 599
appropriation & performing agencies
IV.4
1
Symbolisches & ikonisches Kapital Das Elend der Akteure & die Herrschaft der performing agencies. Duchamp & die Folgen. Künstlerische Produktion im 21. Jahrhundert. Appropriation, Selbstbestimmung & Unternehmerschaft. Anerkennungskämpfe (Bochner, LeWitt, Bourriaud)
602
2
Lektüre- & Performanzpolitik De-Konzeptualisierung, Lektüre, Re-Lektüre. Prekäre Verhältnisse & ›ökonomische Leidenschaft‹. Inszenierung, Szenografie & Markt.
606
3
Circulating capital & Strategien der Prekariarität ›Performing art‹, ›performing scenography‹ 1. Ökonomische Verwertung & Theorie (Marx). ›Knowing who is the gatekeeper‹. ›Performing scenography‹ 2: Erwerbsarbeit & Widerstand. Krise des Tauschwerts, Vernichtung der Arbeit. Lektüre & Re-Lektüre: Konzeptualisierung als telematisch operationale Praxis
614
4
Exodus in die Nähe. Raumstrategie, Ethik des Exils, Ethik des Widerstands Kulturproduktion für Kulturproduzenten. Logik der relativen Mehrwertproduktion & Ethik des Prekariats. ›Bios alēthēs‹, Widerstand & Widerstandsgeschichte. ›Kunst als Lebensform‹. Wert- & Wahrheitsaspekte.
627
5
Postheroismus, Postdemokratie & die Frage des Politischen Helden ohne Heldentum – Souveränitätstransfer. Liberalismus, Neoliberalismus & die Abwertung der Legitimität (Beck, Giddens). ›Demokratie nach dem Demos‹ (Rancière). Dissimulation und Wiedereinsetzung des Politischen. Kosmopolitismus & Globalisierungsutopien. Norm-Orientierung & Pragmatismus des Widerstreits (C. Schmitt, Laclau, Mouffe)
634
anmerkungen teil iv
657
literaturverzeichnis
16
einführung
DIE ORDNUNG DER INSZENIERUNG
»So viel Inszenierung war nie«, schreiben die Herausgeber eines Sammelbandes zur Ästhetik der Inszenierung Anfang des neuen Jahrtausends.1 Sie meinen nicht die theaterwissenschaftliche Forschung, nicht Feuilleton oder Kritik. Seit den 1980er Jahren ist »Inszenierung« zu einer der wichtigsten Kategorien der »Kulturwissenschaften« schlechthin, zu einem ihrer »Leitbegriffe« avanciert. Zweifellos: Je nach Verständnis von »Kultur« wird man letztlich keine Wissenschaft finden, die sich nicht mit der Kultur beschäftigte. Selbst Natur- oder technische Wissenschaften bleiben nicht außen vor, ist Kultur doch weder zu trennen von der naturwissenschaftlichen Erkenntnis noch von den technischen Erfindungen. Indes scheint, dass, was der Befund der Wissenschaften artikuliert, eher eine gesamtgesellschaftliche Stimmung denn ein soziologisch exakt beschreibbares soziales Phänomen darstellt. Die Wissenschaft bestätigt nur, was ohnehin schon gesellschaftlicher Konsens ist: kein Bereich, in dem nicht inszeniert wird, in Kunst, Unterhaltung und Medien nicht weniger als in Politik, Gesellschaft, Alltag. Was aber unterscheidet dann die um die Jahrtausendwende diagnostizierte »Inszenierungsgesellschaft«2 von der »Gesellschaft des Spektakels« Debords, was das jedermann geläufige Inszenieren vom ›Theaterspielen‹, von dem Goffmans fünfundzwanzig Jahre zuvor schon wusste, dass »wir alle« es tun?3 Allerdings: Damals wollte man sich ausdrücklich sozialwissenschaftlich verstanden wissen. Auch in der jüngsten Debatte werden Antworten gegeben, neue Definitionen vorgelegt.4 Was offenbar aber niemand bezweifelt in dieser Diskussion, ist, dass sich all das, was unter »Inszenierung« zu verstehen ist, auf ein theatrales Paradigma bezieht. Es scheint »keinen ›Nullpunkt‹ und kein Jenseits von Theatralität«5 zu geben. Selbst Tendenzen zur »Enttheatralisierung« belegen nur eine Ambition im Rahmen des theatralen Inszenierungsdispositivs.6 Die Hoffnung des jungen Nietzsche hätte sich doch noch erfüllt. Das Theater hat das Volk erreicht. Der Diskurs aber lässt zweifeln. Denn eines ist klar: Die Unschuld eines bloßen »Spiels auf dem Theater« hat eine Inszenierung zweifellos verloren, sollte sie wirklich »die Welt« bedeuten. ›Positivitäten‹: diskursiv, ereignisspezifisch
Um zu ergründen, worum es sich handelt bei den Inszenierungsphänomenen, ist es sinnvoll, auf die Hinweise der Wissenschaften zu achten, auch wenn es nicht heißt, dies in den Grenzen der von ihnen definierten Genres tun zu müssen. Der »Diskurs«, der hier begegnet, versteht sich überwiegend als Diskurs im überkommenen Verständnis, als Text, »discours« in diesem Sinne. In Fragen der Inszenierung interessieren Texte, insofern sie sich auf tatsächliches Inszenierungshandeln, auf Szenifikationen beziehen, mithin unter gestalterischen und praktischen Aspekten. Das Gleiche gilt für die Beteiligung aller medialen, technischen und technologischen Agenzien, das Gesamt der Installation, ihr Ambiente, ihre Atmosphären. Schließlich gilt es sogar, wo es um relativ abstrakte Probleme des Raum- und Zeitmanagements im Interesse einer Inszenierung zu tun ist, um Fragen der Zeit- und Raumordnung und deren Operationalisierung. Auch dort interessiert die Anwendungsperspektive – beispielsweise der Diagrammatik konkreter szenografischer Entwurfsplanung. Die »Kulturwissenschaften« stehen, soweit sie sich hauptsächlich als Textwissenschaften verstehen, nicht im Fokus unserer Betrachtung. Doch kann dies nicht heißen, dass sie nicht
17
zu berücksichtigen wären. Denn auch ein »scholastischer Blick« (Austin7) wird sich einer Beurteilung nicht entziehen können, die sich weigert, ihm zuzugestehen, dass die Perspektiven, denen er sich verschreibt, bestimmte Darstellungs- und Selbstdarstellungsvorstellungen privilegieren, andere aber gänzlich abblenden. Vorhandene oder eben nicht vorhandene Beurteilungen womöglich unter der Hand lancierter ›politischer‹ Publikationszwecke wird man darum ungern zum Auswahlkriterium machen. Vielmehr muss auch der ›klassische‹ Textdiskurs von Wissenschaften und Philosophie prinzipiell zum Untersuchungsgegenstand gerechnet, als Inszenierungsrealität herangezogen werden, vor allem dann, wenn gerade in seinem Zusammenhang erhellende Einsichten zu erhoffen sind. Auf Schriften dieser Art stützt sich der zweite Teil der Arbeit: zur »Ästhetik und Philosophie der Künste«. Dabei geschieht es bewusst – und nicht nur an dieser Stelle – in den einschlägigen Metiers bewährte Hauptdarsteller des Jahrhunderts auf die Bühne zu holen und mit eigener Stimme zu Gehör zu bringen. Die Sondierungen, die wir im ersten Teil des Buchs vornehmen, werden im Unterschied dazu beglaubigt von Darstellungen und Quellen zur Entwurfs- und Gestaltungspraxis. Freilich: Auch sie liegen in Textform vor. Ursprünglich allerdings handelt es sich um Dokumente – Zeichnungen, Gemälde, Kompositionen, Architekturpläne, Fest- und Aufzugs-Choreografien, Ausstellungsentwürfe, Diagramme, Notationsideen, Designs, Raumskizzen, rhetorische Arrangements, Lexikaeinträge und Ähnliches mehr –, darunter auch, natürlich, ausdrücklich theatergeschichtliche Dokumente. Ebenso werden Kunstwerke, Artefakte aller Art und architekturale Monumente dokumentiert und beschrieben. Es handelt sich also um Quellen, die keinesfalls nur einen literarisch oder philosophisch interessierten Leser ansprechen.
Diskurs & Ereignis, Disposition & Dispositiv Die Inszenierungskompetenzen und -leistungen, die uns interessieren, demonstrieren ein Wissen, ein Können und ein tatsächliches Tun und Schaffen, eine epistēmē, eine technē und eine prāxis. Diese unterschiedlichen Dimensionen und ihre Verknüpfungen zu verstehen verlangt nach einem medial reichen Diskursbegriff. Um zu beschreiben, was den ›Inszenierungsdiskurs‹ ausmacht, was aus dem disparaten Bestand zur Konzeptualisierung taugen könnte, liegt Foucaults Diskursverständnis näher als das traditionelle Textparadigma. Das Gleiche gilt für die Weiterungen der dazugehörigen Epistemologie. Wir sondieren das ausgewählte Gelände und arbeiten mit Fundstücken, die offensichtlich oder mutmaßlich mit ›Inszenierung‹ zu tun haben. Wir werden den Spuren nachgehen und versuchen, zu haltbaren Schlussfolgerungen zu gelangen. Dennoch: Trotz vieler Anhaltspunkte und Hinweise wird es auch im Ergebnis bei einem »heterogenen Ensemble« von Gesagtem und Ungesagtem bleiben. Die Literatur, die wir einbinden, gehört nicht wie natürlich einem ›Inszenierungsdiskurs‹ an; er muss durch entsprechende Organisation profiliert und sichtbar werden. »Organisation« heißt, Elemente zu verbinden und Netze zu knüpfen, eine Arbeit, die, alternativen Such- und Sondierungsstrategien folgend, auch anderes, dasselbe anders verketten könnte. Foucault, umfassender noch Agamben, fasst solch organisierende Tätigkeit im Resultat als »Dispositiv«.8 Im Dispositiv tritt zutage, was oder worüber per ›Disposition‹ verfügt wird. Der Begriff ist im juristischen, politischen und ökonomischen, auch im militärischen Kontext verwendbar.9 Wir werden zeigen, dass sein Gebrauch ebenso in ästhetischer Hinsicht Sinn macht. Dispositions- oder dispositivbezogen zu beschreiben realisiert, dass hier keine Aussage über ein ›Sein‹ – oder einen
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Zustand – zu machen ist, sondern über ein Vorhaben geredet wird. Es handelt sich um die Beschreibung einer Präskription oder Prädiktion, um die Darstellung deontologischer, nicht ontologischer Qualitäten, selbst wenn es letztere sind, die sich als erstere geben und als solche nicht ohne Belang sind. Lässt der Diskurs sich ›positiv‹ darstellen, stellt er nach Auffassung Foucaults eine »Positivität« dar. Allerdings ist dies an die Erfüllung einer Reihe von Kriterien gebunden, die wir diskutieren werden. Genügt der Diskurs in seiner Positivität diesen Kriterien, lässt sich über die ›Positivität Diskurs‹ samt seiner »Diskursereignisse« im Kontext egal welcher »Disposition« verfügen. Der Diskurs kann dann als Bestandteil eines Dispositivs, das heißt, einer spezifischen Verfügung vorkommen.10 Zu disponieren oder zu verfügen kann (da von lat. dis-ponere stammend, in der Nähe von ›stellen‹: »hier- und dahin stellen, [...] verteilen«11) ein ökonomisches Besorgen und Vorsorgen meinen, daher ›vorsehend‹ und ›vorhersehend‹ sein, aber auch deutlich dirigistische Maßnahmen beinhalten. In allen Fällen aber handelt es sich bei der Darstellung der Dispositionsakte – beziehungsweise bei den reklamierten »Positivitäten«, »Diskursen« oder »Dispositiven« – um die Darstellung eines strategisch logistischen Managements und Reglements.12 Wenn wir einen Inszenierungsdiskurs unterstellen, um herauszufinden, worauf er zielen könnte, welche szenischen – und szenografischen – Dispositive mit seiner Hilfe zu erhellen wären, stehen nicht die epistemologischen Feinheiten im Vordergrund. Denn dass es Zweck und Ziel aller ›Kunst‹ des Inszenierens sein muss, wie immer sie aussehen mag, auf eine Szene zu zielen, liegt im Begriff der Inszenierung. Einen Diskurs anzunehmen versteht sich demnach bestens mit der funktionalen Qualität dessen, was man ›Inszenierungskünste‹ nennen könnte. Dieser Diskurs ist an seinen eigenen Dispositionen und Arrangements interessiert. Auch er ist strategisch aufgestellt, doch nur in den Varianten diverser Inszenierungsdispositive ist er Bestandteil inszenatorischer Disposition. Darüber hinaus wird er andere Ereignisse beinhalten. Es ist zu hoffen, dass die Informiertheit der Stücke, die wir herausgreifen, dem zu entwerfenden Tableau zugute kommt – auch angesichts einer vorübergehenden Ansammlung von Disparatem. Wie immer bilden sich erst mit der Entfaltung der Geschichte Muster heraus. In ihr koinzidieren Musterorganisation und Inszenierungstableau. Dabei stellen die informiert informierenden Fundstücke zunächst keine »Positivität« im Sinne eines im Foucault´schen Verständnis gefügten Diskurses dar. Vorerst bleiben sie kontingente, sozusagen ›einfache‹ Positivitäten. In Dienst genommen, allerdings, können sie ›positiv‹ wirken, zu Agenzien eines Projekts gedeihen. »Projekt« unterstellt Sinn gemäß Unternehmung. Die Archäologie aufgrund schon verteilter Signaturen von vornherein auf bestimmte Archive zu konzentrieren anstatt ausschließlich aufs Gelände setzt allerdings Kenntnisse und strategische Ausrichtung schon voraus. Doch handelt es sich dabei eher um ›Positivitäten der Erinnerung‹, keine schon am aktuellen Gegenstand überprüften Routinen. Die Erinnerungen nehmen den Charakter von Hypothesen an. Aufzuschließen sind sie durch Verknüpfung eines individuellen Gedächtnisses mit diversen extern materialisierten ›Archiven‹. Die resultierenden Informationen sollten Symptome von Inszenierung anzeigen und uns auf ihre Spur setzen.13
Inszenierungskunst, Medienkunst, medialisierte Verhältnisse Dass zu inszenieren gestalterisches und schöpferisches Handeln beinhaltet, namentlich auch solches, das auf die Künste der Bühne verweist, ist evident. Dies impliziert, dass alle Inszenierungskunst auch Medienkunst ist. Schon elementar erweist sich dies als Körper-, Bewegungs- und Positionierungskunst, als gestische Kunst, Wort- und Gesangs-, Sprach- und Klangkunst. Die Medientechniken liegen zuerst noch ganz
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bei den leiblich sinnlichen und artikulativen Vermögen, bevor sie sich verselbstständigen. Doch auch wenn die Stratifikation eines gestuften Medienmodells die medialen Verwicklungen der Inszenierungspraktiken bis hin ins ›Gesellschaftliche‹ sich ausdehnen sieht, sozioökonomische und politische Großstrukturen von »Inszenierung« zu vermuten sind, so ist die Inszenierung als Szenifikationskontext, als szenisch geprägtes Tun und Erleiden gleichwohl im Einzelnen einem vergleichsweise exklusiven und überschaubaren Feld personaler Äußerungen und Schauspiele entlehnt. Den gesellschaftlich relevanten Positivitäten nachzugehen, die von dort ausgehen, wird demnach heißen hinzugehen, wo der kleine Kreis theatral »theatrischer«14 Aufführungskünste ins Große, in die Menge wirkt, zur Nachahmung anregt, um Genuss und Gewinn – freilich auch die Opfer – zu teilen mit denen, die ohnehin daran teilhaben. Nicht zu den Ambitionen der Arbeit gehört, die Inszenierung des Ichs im persönlich individuellen Rahmen unter psychologisch psychoanalytischen und therapeutischen Gesichtspunkten zu thematisieren. Um es an naheliegenden Referenzen deutlich zu machen: Am Œuvre Freuds interessieren uns weniger die Studien über Hysterie oder die Neurosenlehre als Die Zukunft einer Illusion und Das Unbehagen in der Kultur, Massenpsychologie und Ich-Analyse und Der Mann Moses und die monotheistische Religion.15 Selbststilisierung und Selbstinszenierung, gleichviel ob aus Krankheits- oder Gesundheitsgründen, Verzweiflungs- oder Bemächtigungsmotiven, werden uns allein im Rahmen der zeitspezifisch medialen Verstärkung und ihrer Dispositive beschäftigen. »Übertragung« etwa soll immer auch als Kategorie der Medientheorie und der Kommunikationswissenschaften verstanden werden. Allgemein gilt ›das Szenische‹ als überschaubares Maß. Indes wirkt es genauso ins Große, stößt, verstärkt durch Technik und Medien, in transpersonale Dimensionen vor. Dass ein einzeln Ungeteiltes, ein »Individuum«, angesichts dessen danach strebt, dem gewachsen zu bleiben, sich darum gezwungen sieht, sich ebenfalls als Teil unter Teilen zu begreifen, um dergestalt zu größerer Einheit zu assoziieren, kann nicht erstaunen machen. Doch ob Begrenzung oder Entgrenzung am Anfang stand, als »das Volk« der Kunst sich bemächtigte – oder die Kunst usurpierte, was dem Volk zukam –, kann nicht zu den am Beginn unseres Unternehmens schon verknüpften Informationen gehören. Es wird sich ergeben, dass die Frage zur Sprache kommt. Aber es wird einleuchten, dass die Suche gegenwartsgeleitet in die Vergangenheit führen muss, um, von dort zurückkehrend, zukunftsorientiert und zukunftsinformiert agieren zu können. Denn dass »das Volk« nicht immer über das Recht verfügte, auch wenn es den Anspruch vielleicht zu stellen wagte, ist bekannt. Wie aber konnte es zur ausschließlichen Legitimationsinstanz aller Rechtfertigung seiner eigenen Verhältnisse werden und was bedeutet es heute, wenn diese Verhältnisse zu Recht als ›inszenierungsgesellschaftlich‹ apostrophiert werden? In Raum und Zeit zurückzugehen bedeutet, die Grenzen, Partikularitäten und Verschiebungen zu akzeptieren, die Berücksichtigung verlangen, wenn es sich um Dinge der Kultur handelt. Dies mag genauso gefordert sein angesichts der Verallgemeinerung naheliegender anthropologischer Statements wie angesichts ökonomischer Aussagen über den Trend zur Globalisierung des Marktes, die vergleichbar generalisieren. Denn trotz aller Evidenzen gewisser gattungsanalytischer oder makroökonomischer Charakterisierung zielt »Kultur« immer auch auf lokal und regional Begrenztes, auch national Besonderes, allemal, wenn es um Sprache und Sprachliches geht, ums Verstehen und Übersetzen von Wörtern und Begriffen in überschaubaren
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Umgebungen und konkreten Hinsichten leibhaftiger Akteure. Die Emanzipation der Kultur vom Lokalen und Nationalen wäre mithin, sollte es die Analyse fordern, als spezifischer Prozess nachzuvollziehen. Konkret heißt es, die technologische und soziale, auch politische Revolutionierung der Kultur zur Kenntnis zu nehmen, die sie in den Verwertungsprozess einer globalen Kulturindustrie hineingezogen hat. Sprach-, Begriffs- und Bedeutungsgeschichten, mit denen wir zu tun haben, wenn wir der Geschichte der Inszenierung auf die Spur kommen wollen, können diesen Prozess nicht ignorieren. Zu Beginn sondieren wir historisch in der Umgebung starker und konzentrierter Bedeutungen in vergleichsweise übersichtlichen Verwendungskontexten: im Rahmen sprachlich begrifflicher, sodann präsentational performativer Verwendungsweisen und Anwendungen von ›Inszenierung‹ – inklusive der Legitimationsdiskurse, die um die Verfügungsgewalt geführt werden –, im Kontext von Verwendungsarten und Usancen, die sich auf die Dinge beziehen, auf ihre Präsentation und Organisation – also auch auf Technik und Wissenschaften. Schließlich konzentrieren wir uns auf den Raum selbst, auf die Verwendung und Auszeichnung der Bühnen, die dort das theatrale Spiel, hier die kunstgemäße Installation der Dingwelt tragen. Um den Bühnenraum selbst in die Gegenwart und auf einen zeitgemäßen Begriff zu führen, lenken wir auf den Auftritt der Stadt, in der sich die beiden Tendenzen historisch wie sachlich materialisieren. Der medialisierte »urbane Raum« steht heute anstelle der »Bretter«, die einmal »die Welt« bedeuteten, und der »Wunder« der Dinge, die einst in den dafür errichteten »Kammern« bewahrt wurden. Von den Quellen werden wir hingelenkt zu Gewässern raumgreifender Bedeutung, weniger von hermeneutischem denn von medial universellem, funktionalem Tauschwert. Entsprechend entfalten sich die Transpositionen und Transformationen der Begriffe, wenn sie die Gegenwart erreicht haben: »Aufführung« wird performance, »Bühne« wird screen oder display und mythos wird message. ›Szene‹, ›Szenografie‹
»Inszenierung« dient stets der »Szene«, wenn der Ausdruck nicht gar selbst performativ gebraucht wird, »Inszenierung« anstelle von »Szene«. Eine wie auch immer geartete ›Ordnung‹ der Inszenierung steht mithin ebenfalls im Dienst der Szene, sei es sie in irgendeiner Weise gestaltend, sei es das Inszenierungsgeschehen darstellend, seine Realität, Inhalt und Form beschreibend. Wo im Entwurfszustand, als Bühnenmodellierung, Gestaltungs- und Auftrittsplanung material nicht greifbar, wird die ›Beschreibung‹ für diesen Teil, der zweifellos zur ›Ordnung‹ der Inszenierung gehört, rekonstruieren müssen. Es gehört zu unseren Gewohnheiten, in Szenen, in Geschichten, dazugehörigen Ambientes und Atmosphären vorzustellen und zu erinnern und in ebensolchen Szenen einzurichten. Die Theaterverwandtschaft des Begriffs hindert uns nicht, das Wort überall zu verwenden: »Szene« auch ohne Theater. Szenen des Privaten sind uns ebenso geläufig wie Szenen des Öffentlichen, Szenen der Praxis ebenso wie Szenen der Theorie. »Szenen« kennt man aus Kunst, Gestaltung, Medien; ebenso aber identifizieren wir Szenen der Politik, der Wirtschaft, des Rechts, Szenen des Profanen und Szenen des Heiligen. ›Szenisch‹ lassen sich die Räume der Wissenschaften erfassen, und auch uns selbst setzen wir in Szene, verorten und erkennen uns in den Bildern, die wir von solchen Ansichten mit uns tragen. Erstaunlich angesichts der schier unbegrenzten Möglichkeiten, unsere Existenz, unser Tun und Denken an Räume und Zeiten zu binden, die wir, ›szenisch‹ gestaltet und gefasst, gleichsam wie ein Stück in einer Kulisse auf einer Bühne vorstellen, ist demgegenüber die Unterbestimmung des Begriffs als theoretisches Werkzeug, sei es in der Philosophie, sei es
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in den harten oder weichen Wissenschaften. Eine Ausnahme machen vielleicht die Kunst-, Theater- und Literaturwissenschaften, doch gehört »die Szene« keineswegs zu ihren ›Leitbegriffen‹. Dabei liegt nahe, den Begriff theoretisch fruchtbar zu machen. Sein Allerweltsgebrauch wie seine allgemein transdisziplinäre Verwendung sprechen dafür, nicht weniger die nicht allein wissenschaftstheoretisch relevante Tatsache, dass die Obacht, die der Szene gilt, Handlungs-, Gestaltungs- und Wissenskultur in einem Raum beieinander weiß. Was hervorgebracht wird im privaten oder im gesellschaftlichen Raum, in Kunst oder Wissenschaft, präsentiert sich für Sinne und Empfinden, Intellekt und Verstehen zugleich. Poiesis, das schöpferische Tun, bringt opsis und mythos zusammen, die szenische Rahmung wie die Erzählungen und das Geschehen der Dichtung, wie Aristoteles in der Poetik erläutert. Oder, wie es die Künstler der Renaissance sehen – Alberti, Serlio, Vasari: In Szene zu setzen, braucht es scenografia, istoria und disegno, den szenografischen Entwurf, der für die Szene die Geschichte bereithält und die »zeichnende Hand«, die den Aufriss des Raums und der Ereigniszeit besorgt, in deren Rahmen Geschehen und Erleben sich spannen. Freilich impliziert dies eine konzeptionelle und theoretische Option angesichts der Anschlussmöglichkeiten, denen gegenübersteht, wer vorhat, einen zeitgenössisch vertretbaren Begriff von disegno als »Design« zu rechtfertigen. Die Allgegenwart der Szene erweist sich als problematisch. Es ist nicht leicht, sie mehr als formal zu bestimmen und inhaltlich zu qualifizieren – und vielleicht liegt hier einer der Gründe für ihren vergleichsweise defizitären theoretischen Status. Dass »Szenen« vor allem überall dort assoziiert werden, wo von Bühnen die Rede ist, gleichviel ob realen oder metaphorischen, Bühnen des Theaters oder Bühnen des Alltags, des Wissens oder des Ichs, birgt die Schwierigkeit, dass keineswegs in allen Fällen klar ist, was vom Schein der Bühne, in deren Licht die Szenen erhellen, zu halten ist. Im Allgemeinen gilt für die Bühnen des künstlerisch theatralen Aufzugs, dass, wie es erscheint und was sich ereignet, zwar samt und sonders »täuschender Schein« ist, aber doch »schöner Schein«, ein Spiel, das nur so lange währt, bis der Vorhang fällt. So jedenfalls besagen es die Konventionen des Theaters. Aber wie steht es um den Schein jenseits der Bühnen der Kunst? Auf ihrem Boden zu ›inszenieren‹ hielte kaum eine Pointe bereit, wenn jedermann, der sich auf die Vorstellung einlässt, schon darum wüsste. Wer aber produziert denjenigen Schein, in dem sich präsentiert und abspielt, was ansonsten in ›Szenen‹ wir vorstellen, miterleben, vollziehen auf ›Bühnen‹, die wir als solche in ›übertragenem‹ Sinne meinen, womöglich ohne genau zu wissen, an welchen Zeichen dies zu erkennen wäre, da kein Zeichen, kein ›Schein des Scheins‹ Auskunft darüber erteilt? Zu diesem Schein gehört offenbar, nicht zu erscheinen. Den weniger vordergründigen Antworten auf diese Fragen auf die Spur zu kommen, bietet sich ein Umweg an. Er führt über den »Entwurfsbereich« (Heidegger), von dem her ein Bühnenauftritt Gestalt und Sinn erhält, seien es Räume der theatralen Präsentation und ihrer Geschichten, seien es solche des theatrischen Schauspiels gleich welche Akteure und Agenzien. Die Idee ist, dass im Entwurfsbereich klarer zu erkennen ist, was als in den Verwicklungen des Geschehens untergeht. Auf jeden Fall sollte man im Entwurfsbereich auf den Aufriss der Szene treffen, auf Konzept, Buch, Design. Mit ihrer Hilfe, so die Hoffnung, wäre Licht ins ›Spiel‹ zu bringen, egal ob Vorstellung, Werk oder Artefakt. »Szeno-Grafie«, ›Szenen-Skript‹ wäre ein passender Begriff für dieses Dispositiv aus Perzept und Konzept, Entwurf und Plan szenischer Performanz, und in der Tat findet sich der Begriff schon früh in diesem
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Sinne, freilich mit der zu erwartenden Einschränkung, aufs Theater gemünzt zu sein. Entsprechend liegt hier der Haken: Kann man damit rechnen, auf der Suche nach einer ›Szenografie‹ im Bereich der »exekutierenden« Künste16 gewöhnlich auch fündig zu werden, gilt dies schon nicht mehr in vergleichbarer Weise für die bildende Kunst, weniger noch für die ›Künste‹ generell, wenn man von den Schönen Künsten absieht, kaum noch schließlich, wenn die Alltagsinszenierungen des privaten oder auch öffentlichen Raums mit in den Blick genommen werden sollen. Man wird also in Hinsicht der Szenografien zu Ermittlung und Konstruktion genötigt sein, teils ausgehend von den Performativen selbst, teils gestützt auf spezifisch ›szenografische Quellen‹, die als solche zu recherchieren und zu erhärten zu jedem konkreten Auftrag der Inszenierungsforschung gehört. In diesem Rahmen versteht sich die Aufgabenstellung der Arbeit: Gelegen ist ihr daran, ›bühnenspezifisch‹ unterscheidbare szenografische Strategien szenischer Orientierung und Bestimmung zu präparieren, Strategien zugleich formaler, ästhetischer wie materialer, narrativer Formatierung, wobei die Narrative die inhaltliche Diskurszugehörigkeit und damit den Einsatzort der strategischen Planung und Zielbestimmung anzeigen. »Bühnenspezifisch« impliziert die Unterschiedlichkeit von Protagonisten, Statisten und Agenzien, Drehbüchern und angeschlossenen Diskursen, künstlerisch gestalterischen Dimensionen und medialen Dialekten, installativem Aufwand und technischer Apparatur. Die Heterogenität der Performative ist, zugegeben, kaum überbietbar. Die ›klassische‹ theatrale Inszenierung im Rahmen der performativen Künste sieht Theater und Oper, Konzert und Tanz fürs Abonnentenpublikum neben Live-Events à la Woodstock, die eine Gegenkultur zu kodieren vermögen, während massenmedial vorgehaltene Unterhaltungskultur nach Art des Eurovision Song Contest (ESC) oder America´s, Germany´s oder Austria´s Next Topmodel den Mainstream kennzeichnen. Daneben präsentiert sich die ›politische‹ Inszenierung. Auch sie bietet ein weites Spektrum: von der rhetorisch literarischen Inszenierung in der Art der Perikles in den Mund gelegten Gefallenenrede des Thukydides oder des Kaiserhymnus des Archipoeten auf den Langobardenbezwinger und Reichserneuerer Barbarossa über die realen Staatsspektakel nach Geschmack der Entrées der Kaiser, Könige und Fürsten zu Zeiten des Absolutismus, über die Massenveranstaltungen der Französischen Revolution zur Feier der Volkssouveränität auf dem Marsfeld oder die »Heerschauen« der Reichsparteitage in Regie des »Chefdekorateurs« und »Festgestalters« Speer unter der Kuppel des Nürnberger Lichtdoms bis hin zu den von ›neuen‹ Medien gestützten Wahlkämpfen US-amerikanischer Präsidentschaftskandidaten.17 Daneben wiederum ahnt man die Zerstreuung der millionenfachen kleinen Schauspiele, der Lifestyle-Inszenierungen im persönlich privaten oder beruflichen Umfeld. Die historische Tiefe reicht weit zurück bis in die Antike. Für die Inszenierungsgeschichte gilt hier zwar auf den ersten Blick die besondere Indikation der Theatergeschichte, namentlich der dramatischen Kunst und ihres Schicksals. Vergleichbare Rechte aber dürften, wie zu sehen sein wird, durchaus auch die ›profanen‹ Hinweise des Mythos und der Historie einfordern, einschlägige ›Inszenierungsgeschichten‹, erzählt nicht nur von Sophokles, Aischylos oder Euripides, sondern von Homer oder Ovid, Herodot oder Plutarch. Die Zeit der ›Vorgeschichte der Inszenierung‹ – der Zeit, da die Sache im Rahmen des Theaterbetriebs so lebendig war wie außerhalb, dieser Begriff indes nicht existierte – endet mit der Epochenwende zum Jahrhundert der Industrialisierung, der explosionsartigen Entfaltung von Technik, Medien und Wissenschaften. Von nun an nimmt die Entwicklung der Inszenierungsgesellschaft Fahrt auf. Wir werden sie verfolgen bis in
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die Gegenwart, nicht zuletzt in den modernen Kategorien des disegno, Kategorien der Gestaltung unter anderem unter dem Namen »Design«. Man erkennt, dass bei aller Berücksichtigung der Strukturen die Geschichte zur Einschränkung mahnt, nicht zuletzt die Geschichte der Sprache und der Begriffe.
Schöner Schein, täuschender Schein: Ambivalenzen des Inszenierungsverständnisses Eingedenk der Bühnenaffinitäten des gesamten relevanten Begriffsfeldes von »Inszenierung«, eingedenk auch der historischen wie geografischen Relativierung dessen, was als Inszenierungsgeschehen gefasst werden darf, stellt das Buch das Gesamt szenisch fassbarer Handlungs-, Gestaltungs- und Wissensräume in eine zweifache Differenz des Begriffs »Inszenierung«. Von einer doppelten Differenz ist auszugehen, soweit unter »Inszenierung« zum einen sowohl das szenische Geschehen als auch die »szenografische« (narrative, dramaturgische, choreografische, mediale und technische) Konzeptualisierung, Planung und Erprobung desselben gefasst wird. »Inszenierung« kann in diesem Sinne demnach die künstlerische Regie und Dramaturgie eines temporären Bühnengeschehens meinen. Zum anderen wird der Ausdruck in der Moderne gebraucht, um das Künstliche eines womöglich mit Bedacht arrangierten und vortäuschenden Auftritts in einem beliebig indizierten Bühnen- oder Installationsraum zu charakterisieren. Freilich bleibt es dabei typischerweise meist bei der Behauptung, ohne sie im Zweifel verobjektivieren zu können. Daher fungiert »Inszenierung« hier im Gefüge einer alltäglichen, hinsichtlich bestimmter Inszenierungsqualitäten ganz unmarkierten Medienmechanerie. Nichtsdestotrotz: Problematischer Schein wird abgegrenzt vom schönen Schein, wenn auch offenbar eher aus Erfahrungs- denn aus Evidenzgründen. Vereinfachenderweise gehört es umgekehrt zum common sense, davon auszugehen, dass der Inszenierungsvorbehalt für die Räume von Kunst und Gestaltung einen Effekt protegiert, der allen anderen Räumen des sozialen Austauschs nicht ohne Weiteres zuzugestehen ist. Darum aber gilt als akzeptabel, wenn diese Räume generell und vorderhand als ›uninszeniert situativ‹ deklariert werden. Was Spiel ist im einen Raum, wird im anderen als echt unterstellt, keineswegs zwangsläufig vorgespielt oder ›mediatisiert‹. Die Imagination besagt, dass derart alle Szenen außerhalb der privilegierten künstlichen Räume im Sinne originaler Szenifikationsprozesse vorzustellen seien, Ereignisse eines mehr oder weniger spontan aus Situationen aller Art heraus entwickelten ›Szene-Machens‹. Sollten die Szenen, die sich in solch gewohnt gewöhnlicher Umgebung ergeben, allerdings nicht nur als beabsichtigt, sondern gegebenenfalls auch als formal wie inhaltlich geplant gelten, wären trotzdem, paradoxerweise, gerade hier szenografisch durchsichtige Entwurfskontexte anzunehmen, völlig in Einklang mit einer unproblematischen szenischen Performance. What you see is what you get. Da aber derart keine Differenz zwischen Intention, Plan, Entwurf auf der einen und Aufführung oder Vorstellung auf der anderen Seite anzunehmen wäre, verstünde sich von selbst, wenn die Existenz manifester Entwürfe im Allgemeinen nicht vorausgesetzt, ja generell auch für entbehrlich gehalten würde. Im Unterschied zum Zauber der theatralen Inszenierung, von dem jeder weiß und niemand sich bedroht fühlt, verlangt die ›uninszenierte Szene‹ eine Choreografie ganz ohne Inszenierungstrug und Spielschein, eine Szene ›ohne Theater‹. Die Ordnung der Inszenierung lässt dementgegen erkennen, dass solche Bannung aller Inszenierung hinter die Demarkationslinien von Erbauung, Unterhaltung, Werbung selbst ein Inszenierungseffekt ist, eine Kaschierung inszenierungsgesellschaftlicher Verhältnisse. Dienstbar den medialen Eingriffen einer ›unsichtbaren Hand‹, vermittelt die ›profane‹ Szenografie‹ verständlicherweise nur ungern mit der Botschaft auch die Inszenierungs-Expertise und was sie treibt. Im
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Gegenteil gehört es hier zu den Grundsätzen der Kommunikations- und Präsentationsplanung, die tatsächlichen Absichten der Intervention mit gestalterischen Mitteln zu überspielen und alle ›Inszeniertheit‹ verschwinden zu machen. Darin unterscheidet sich die profane szenografische Strategie von einer in den sakralisierten Bezirken von »Kunst«, »Gestaltung« oder »Medien«, dort wo das Publikum sich auf eine gute Inszenierung freut. Anders aber liegen die Erwartungen, wenn der öffentliche Diskurs mündiger Bürger betroffen ist. Wo es ernst wird, in wirtschaftlichen oder politischen Dingen, führt die aufgedeckte Inszenierung zu Vertrauensverlust, die nicht entdeckte Inszeniertheit zu Konsequenzen, welche kaum zu übersehen sind und Diskussionen und Beispiele dieser Arbeit im Detail beschäftigen werden. Insbesondere wird die Frage des cui bono gestellt: Wer profitiert? Dies, letztlich, ist eine Frage der Wertbestimmungen in allen Registern des Begriffs.« ›Disegno‹ & ›Design‹, Designwissenschaften
Dass der aktuelle Bezug der aufgenommenen Geschichte der Szene und des Szenemachens eine Auseinandersetzung im Rahmen der neueren Designwissenschaft und Designforschung bedeuten könnte, ist nicht selbsterklärend. Doch versteht sich das Aufeinandertreffen, wenn man sich darauf besinnt, dass die avancierteste methodische Option der Designtheorie design als scenographic design, Designtheorie selbst als Erweiterte Szenografie, augmented oder expanded scenography, konzeptualisiert. »Design« als gestalterische Intervention im szenischen Raum gesellschaftlicher Kommunikation und Interaktion realisiert in diesem Sinne seine szenografisch entwurfsspezifischen Implikationen. Dies geht allerdings nicht einher mit einer primär historischen Anknüpfung an die handwerkliche oder überhaupt praktische Gestaltungsarbeit, insbesondere ihre Produkte. In Neuzeit und Moderne wird solche Werkorientierung im Sinne einer Artefakt- oder Objektorientierung unter verschiedenen Begriffen gefasst. Unter anderen wurde sie assoziiert als »kreative Werktätigkeit«, überhaupt als »Kunsthandwerk«, schließlich dann auch im deutschen Sprachraum als »Design«. Unser Anschluss favorisiert dagegen die romanische Tradition des Designbegriffs und rekurriert auf die ›Vorgeschichte‹. Sowohl werden darin, wie im Französischen und Englischen noch heute hörbar, Konzeption und Entwurf der künstlerisch kreativen Unternehmung akzentuiert, als auch klingt wie im spanischen diseño heute das dem endgültigen ›Auftritt‹ des Werks vorausliegende Experimentieren und Erproben an. Nicht die Gegenstände stehen dem disegno Pate, wenn er als »Vater unserer [...] Künste« (Vasari) gefeiert wird, sondern die »Begeistung« (Kant18) der zeichnenden Hand, die Intentionen und Perzepte zu einem auch sinnlich erfahrbaren Entwurf umzuformen und zu konzentrieren weiß.
Szenografische Modellierung & Raumstrategie. ›Erweiterte Szenografie‹ & ›Szenologie‹. Ordnung der Inszenierung, der Dinge, der Bedeutung Die historische wie systematische Option, hinsichtlich der Entwurfsgestaltung beim disegno als wesentlichem Gesichtspunkt der scenografia anzuknüpfen, beinhaltet, die diagrammatische Darstellung als Wiederbelebung der grafisch gestalterischen Vermittlung vor dem Hintergrund einer Sichtung der Positivitäten der Inszenierungsgesellschaft zu würdigen und den Sinn topologisch topografischer und diagrammatischer Entwurfsgestaltung im Rahmen der Inszenierungspraktiken darzutun. Semiotisch betrachtet, heißt dies zugleich, eine kritische Würdigung der Ikonizität vor dem
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Hintergrund alternativer Bedeutungshinsichten der Objektpräsenz zu versuchen. Es geschieht eingedenk der Relevanz indexikalischer und symbolischer Signifikation; es ist notwendig, sie ins Verhältnis zur ikonischen zu setzen. (Vgl. dazu Teil IV.2.) Empirisch stellt sich heraus, dass form- und ausdrucksbedachte, empfindungs- wie intentional handlungsorientierte und theoriesensible Entwurfsperspektiven in den genannten visualisierenden Darstellungspraktiken miteinander verschmelzen, egal ob bezogen auf praktisch soziale oder darstellungsspezifisch ›geistige‹ Zirkulationsareale. Der Befund wird sich auf die im ersten und zweiten Teil sondierten, kommentierten und analysierten Resultate beziehen lassen: zunächst im Blick auf die Inszenierungsund Aufführungskulturen (im engeren Sinne theatraler und theatrischer Praktiken und Konzepte wie im weiteren Verständnis gesellschaftlich spezifischer Inszenierungskulturen), sodann hinsichtlich der ding- und dingweltspezifischen Produktion, Exposition und Analyse vergleichbarer Evidenzen. Die Stoßrichtung mag dabei von künstlerisch artifiziellen oder von technisch explorativen und von Innovationsinteressen gelenkt sein. Die Geschichte des Wissens, der Techniken und der Wissenschaften findet sich jedenfalls involviert, beteiligt als Triebkraft erfindender wie gestaltender Art, betrachtet indes unter den Aspekten der Modellierung und ihren Darstellungsweisen. Die Beschäftigung mit der gestalterischen Intervention unter dem Aspekt von Raum und Zeit, Räumen und Zeiten zeigt, wie sehr die Räume des Auftritts und der Ausstellung als Wissensräume in Anspruch genommen werden müssen, wie sehr mithin die Szenografie der ›Raumgestaltung‹, wie sie in Modellen und Konzepten existiert, von theoretischer Raumplanung durchdrungen ist. Dies gilt schließlich auch auf dem Niveau der Modellierung des für die Gegenwart exemplarischen sozialen ›Raums‹. Materialiter markieren wir diesen Raum schon im ersten Teil als einen »Raum der Stadt«, den Raum einer beschleunigten Urbanisierung im Weltmaßstab. Der dritte Teil zur Topologie, zur Diagrammatik und szenografischen Modellierung im Rahmen bestimmter Raumstrategien wird daran anschließen. Die den Sondierungsschritten und der ästhetisch-kunstphilosophischen Reflexion folgende modelltheoretische und diagrammatische Analyse der Entwurfsgestaltung bestätigt die Grundentscheidung der Untersuchung: Gestaltungs- und Wissensformatierung, Ansichten und Bedeutungen lassen sich nur dann komplexitätsangemessen darstellen, wenn ihre gegenseitige Abhängigkeit voneinander wie ihr funktionales und operatives Miteinander thematisiert und hinreichend berücksichtigt werden. Im Design eines Wett- oder Rangstreits von Gestaltung und Wissen, Bild und Sinn kann dies nicht gelingen. Niemand wird daran zweifeln, dass über diagrammatische Darstellungen, über die Theoriefähigkeit zeichnerisch grafischer (nicht nur geometrischer) Darstellung und Koordination unabhängig von jeder szenografischen Betrachtung nachgedacht werden kann. Ob die Frage nach der theoretischen Funktionalität einschlägiger Darstellungsformate und entsprechender Artefakte ebenfalls ohne Bezug auf die symbolische (oder die indexikalische) Bedeutungsproduktion, auf konventionalistische Usancen behandelt werden kann, ist allerdings fraglich. Die Fragestellung betrifft die Grundlagen der Designforschung und die Methodologie der Designtheorie. Wenn sich Die Ordnung der Inszenierung nachdrücklich mit der Frage nach den Möglichkeiten ›szenischer Auflösung‹ komplexen Gestaltungsdenkens und -schaffens unter den widersprüchlichen Bedingungen variabler Scheinproduktion unter dem Schlagwort »Inszenierung« beschäftigt, dann grundsätzlich in jeder semiotisch denkbaren Hinsicht. »Ordnung» in diesem Zusammenhang versteht sich wie in der Wendung
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»Die Ordnung der Dinge«. Bekanntlich ist der gleichlatende Foucault-Titel eine Übersetzung des französischen Titels »Les mots et le choses«. In der Tat: Die Ordnung der Dinge kann nur eine Ordnung der Wörter, der Begriffe und Bedeutungen sein und nur dergestalt eine Ordnung der Dinge. Für die Ordnung der Inszenierung gilt vergleichbares. Allerdings ist damit weit weniger entschieden als es scheinen mag. Denn alle Fragen verschieben sich jetzt auf die Bedeutung von »Bedeutung«, auf die Ordnung des Bedeutenlassens, des Bedeutens und der Bedeutung. »Szenische Auflösung« hingegen interessiert in diesem Zusammenhang nicht im Verständnis jeder beliebigen ästhetisch praktischen und intellektuellen Auflösung, sondern als eine für szenische Akteure und Agenzien akzeptable, wenn nicht befriedigende und unterstützenswerte Auflösung. Die »Auflösung« (um die Anleihe aufzuklären), welche die Kamera zu leisten hat, wenn sie sich mit Regie, Dramaturgie und Drehbuch auseinandersetzt, die der Schnitt noch verfolgt bis in die Feinheiten einer leitenden schöpferischen Idee, wird sich nicht damit zufriedengeben, überhaupt in Bilder und Szenen ›aufzulösen‹. Vielmehr ist es an ihnen, ein allseits mit Respekt bedachtes, wenn möglich Maßstäbe setzendes Ergebnis, ein Ereignis und ein ästhetisches Erlebnis zu kreieren. Umso eher wird dies das Ziel sein, wenn die Vorstellung wirklich Handelnden gilt und darum auf der Bühne »Handelnde handeln«, wie Aristoteles in der Poetik hervorhebt. Dass das Stück nicht allen gefallen wird, schon gar nicht allen Spielern, die tatsächlich auch dann ihre Rolle zu spielen haben, wenn es ernst wird, ihr Tun sich ganz auch als Erleiden erweist, scheint unausweichlich. Soweit solcher ›Schein‹ schon unter Bedingungen konkreter Gestaltungsintentionen wo auch immer angetroffen werden kann, wird man reklamieren seine Produktion und ›Bildung‹ unter einem weiten Begriff von »Szenografie« reklamieren dürfen. »Design« gehört in diesem Verständnis wesentlich solcher Szenografie für eine Szene zu: als Gestaltungsidee, als Gestaltungskonzeption und Gestaltungsentwurf, als herausgebildete Gestalt und charakteristischer Ausdruck am Ende im Gesamt szenischer Positivitäten oder Realitäten. Selbst wenn es wünschenswert wäre, folgt daraus keineswegs, dass der Reflexion gestalterischer Zusammenhänge durch ›Designtheorie‹ eine Reflexion von Szenografie mittels ›theoretischer Szenografie‹ oder ›Szenologie‹ zu entsprechen habe oder dies auch nur vermöchte. ›Theorie von Design‹ – oder ›Gestaltungstheorie‹ im Verständnis des dargelegten Disegno-Begriffs – kann vielmehr nicht mehr sein als ›angewandte‹ und damit ›mutmaßliche Szenologie‹ wie eine angewandte Logik der Bewusstseins-Phänomene, eine angewandte Logik der Bilder: Phänomenologie oder Ikonologie.19 Mit anderen Worten: Der Logos der Szene kann sich nur innerhalb des Schaffens- und Gestaltungsprozesses entfalten, auch wenn es sich um die Szene der Szenografie handelt. Damit wird jede ›Szenologie‹ als rein theoretische Domäne einschlägig szenischer Episteme und Techne obsolet. Solche ›Szenologie‹ verdiente den Namen nicht. Szenologie gehört weit eher der Szenografie selbst zugeschlagen, freilich, wenn man unter »Szenografie« allein den konkret begrenzten szenografischen Entwurf für einen bestimmten temporär wie lokal spezifischen Auftritt fassen möchte, einer erweiterten Szenografie, derselben Erweiterten Szenografie, die sich auf den geistigen Entwurf, die Idee im disegno beruft. Gerade weil aber auch jede konzeptuell, theoretisch und wissenschaftlich kreative Leistung wie selbstverständlich von anwendungsorientierter szenografischer Gestaltung inspiriert und animiert wird, gibt es keinen Standpunkt der Beobachtung, Beurteilung oder Kritik von außen. Design- oder Gestaltungstheorie ist gewissermaßen selbst expanded scenography:
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Gestaltungsentwurf, Entwurf für ein Gemischtes aus gestaltendem Wissen und wissendem Gestalten. Das zu den Design- oder Gestaltungswissenschaften, die zu den Kulturwissenschaften gezählt werden, Gesagte wäre hinsichtlich der notwendigen Beschäftigung mit dem Wissen und dem Können zu verallgemeinern, soweit diese Episteme und diese Künste bei den Wissenschaften aufgehoben sind. Sie können nicht außen vor bleiben. Auch hier sind demnach strategische Positionen abzustecken.
Strategische Positionen im Wissenschaftsdiskurs Zum Narrativ eines problematisierenden Hypothesenbündels gehört die Legitimation inszenatorischer Entgrenzungsstrategie im Rahmen einer stets aktuellen Anknüpfung an den Mythos der Ursprungsgeschichte. Zum Auftritt der Erzählungen in zeitgemäßem Gewand gehört das Regiment über ein möglichst globales mediales Dispositiv, zu dem die Mehrheit der historisch zur Verfügung stehenden avancierten Medien und Medientechniken zählt. Der Logik des Expansionsmodells der Inszenierungsgesellschaft entsprechend, wie auch empirisch nachweisbar, finden alternative Vorstellungen eines nicht theatralen Schauspiels sozialer und individueller Praxis kaum vergleichbaren Raum, sich auszudehnen, weder faktisch noch als akzeptabel propagierbares Konzept. Ein Grund wird sein, dass die Legitimation der Entgrenzungsstrategie keine rein philosophische oder ästhetische Angelegenheit ist, sondern ein soziales, ein politisches und vor allem ökonomisches Unternehmen darstellt. Es handelt sich mithin um ein Feld der sozialen Auseinandersetzung, ein Feld von Koalitionen und Vereinbarungen, Konflikten und Kämpfen. Erfolgreiches ›politisches‹ Einwirken im Sinne des Expansionspositivismus versteht sich dabei als geeignet und selbstermächtigt qua Zielsetzung, auf weitere Territorien vorzudringen und sie zu ›erobern‹. Geradezu programmatisch könnte ein Diktum aus Heideggers Zeitgeist- und Weltbild-Diagnose aus den 1930er Jahren als Überschrift dienen. »Der Grundvorgang der Neuzeit ist die Eroberung der Welt als Bild«.20 Auf keinen Fall zu überlesen ist dabei die mediale Auszeichnung des Eroberungszugs. Dies gilt unabhängig von der spezifischen Besetzung der benutzten Narrative und den Varianten des Auftritts. Doch gehört es nicht zwangsläufig zu den Eigenschaften im Handlungsfeld wirkender Kräfte, sich naturgewaltig expansiv verhalten zu müssen. Wie das Spiel der Anstrengungen von Angriff und Widerstand belegt, ist seine Wirkung, ganz wie sie als unterstützt von den Akteuren gedacht werden kann, auch gehemmt oder unterdrückt durch sie vorstellbar. Die Annahme eines für sich auch schon als konsistent zu beschreibenden Korpus wissenschaftlicher Beschäftigung mit der »Inszenierungsgesellschaft«, einer Art absteckbarer Inszenierungs-Soziologie, scheint übereilt. Der Begriff handelte von etwas anderem als dem, was er suggeriert. Die Inszenierungslandschaft ist heterogen, was nicht verwundern sollte, wenn die Partikularität der szenifikatorischen Praxis unabhängig von dominierenden Dispositiven wie denen des Theaters ins Spiel tritt. Selbst erreichbare Drehbücher und Entwürfe dürften da wenig hilfreich sein. Ihre separate Konsultation ergäbe vielleicht einen schönen Beitrag zur Text-, Medienoder Quellen-Hermeneutik im Zusammenhang einer auf die Muster des szenischen Spiels konzentrierten Untersuchung. Indes fehlte die konkrete Verlinkung zwischen einer derart fiktionalen oder nichtfiktionalen Erzählung und ihrer Zündung in der Praxis.21 Wo sich die Kräfte in der wirklichen Welt messen, wäre nichts gewonnen. Das Beispielhafte wenn auch keineswegs willkürlich Herausgegriffene und wieder
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Zusammengesetzte ist in der Ordnung der Szenen, der Inszenierung und Szenifikation kein, weil gezeichnet von Zufälligkeit und Ereignis, Minderwertiges, auch wenn es nicht gleich die Ordnung der Präsenz und damit das Ereignis repräsentiert im Unterschied zur Ordnung des Sinns. Entsprechend zu beurteilen sind die Strategien und Methoden, dies zu tun, für eine Weile Stabilität zu schaffen, um erneute Konstellationen, ›Szenen‹ zu ermöglichen und mit Leben zu erfüllen. Sollte mithin tatsächlich das eine mit dem anderen aufgezogene Szenario derart konvergieren, dass im Einzelnen Ähnlichkeiten erkennbar würden, die sich bis auf die Ordnung und die Strategien der Inszenierung erstrecken, unabhängig davon, in welcher medialen Umgebung solcher Vergleich erfolgte, wäre dies der einzige Weg, zu Verallgemeinerungen zu kommen, die auf der Ebene des Szenischen zu legitimieren wären. Das gilt auch für das wissenschaftstheoretische Instrumentarium, für Vorstellungen von Ähnlichkeit oder Analogie, Abbildung, Projektion, Spiegelung, all das, was geeignet ist, das eine mit dem anderen zu ›vermitteln‹, als Erstes also für den Begriff der »Ordnung« im Titel dieses Buches. Der Vorteil einer Methode, auch hier beispielhaft szenisch zu orientieren, hat den Vorteil, dass die Instrumente nicht überbeansprucht werden, nicht mehr leisten müssen, als sie können. Ihre Anwendung erfolgt lokal, auf überschaubarem Gebiet. Einen Auftrag anzunehmen heißt hier wie in den archäologisch oder ethnologisch engagierten Forschungsbereichen, sorgfältig ausgrabend, genau beobachtend zu verfahren. »Ordnung« ist die Idee, anwachsender Entropie vorübergehend etwas Unwahrscheinlicheres, Strukturierteres entgegenhalten zu können. Wir übertragen die Ambition aus dem Handlungsfeld und wollen sehen, wie viel ›Ordnung‹ in den Praktiken der Inszenierung überhaupt möglich und denkbar ist und was »Ordnung« unter diesen Umständen bedeutet.
Sinnhypothesen im Scheinhorizont. Aufrichtigkeit zwischen formalem Urteil & freimütiger Bekundung. Widerstand & Anstrengung Gestalten und erweitertes Gestalten ist außerhalb der theoretischen Arbeit (die sich gewöhnlich nicht szenografisch versteht) und außerhalb der professionellen Szenografie (die sich in der Regel nicht theoretisch versteht) kaum aus der Perspektive einer konkreten Szenografie heraus, schon gar nicht auf Grundlage eines manifesten diskutierbaren gestalterischen Entwurfs zu erörtern, der beide Dimensionen gleichermaßen berücksichtigt. Zwar gehört es zu einem modernen Kunstverständnis, auch die Konzeptualisierung oder Dokumentation künstlerischer Arbeit in die Performanz einer Kunst zu ziehen, doch ist auf ausdrücklich Szenografisches vielfach nur aus der Präsentation heraus zu schließen. Szenografien als selbstständige Entwurfsartefakte wiederum sind aufgrund ihres Halbzeugcharakters generell höchst selten als eigenständige Dokumente oder Monumente fassbar, müssen vielmehr erst sondiert, recherchiert und dingfest gemacht werden. Soweit unmittelbare Schlussfolgerungen aus der Werk- oder Präsentationsmanifestation auf den Entwurfsbereich nur selten zu ziehen sind und auch nur geringe Reichweite haben, wird man sich auf Hypothesen zum szenischen Programm verlegen, um sie in der Folge zu überprüfen. So erhellt die doppelseitige Abhängigkeit von Szene und Szenografie. Während die Probe auf die Unwägbarkeiten einer nicht expliziten Szenografie über die Abwägung möglicher szenischer Anschlüsse, Referenzen und Begründungen erfolgen muss, werden die Unwägbarkeiten szenischer Illusionierung im theatrischen und situativen Raum auf die szenografische Probe gestellt.
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Die Klärung des Verhältnisses von szenografischen Absichten und Zwecken und ihrer performativen Einlösung fordert eine Diskussion der Scheinformen szenischer Gestaltung. In der vorgelegten Untersuchung erfolgt sie im Rahmen ausgewählter Stücke des ästhetischen und kunstphilosophischen Diskurses (in Teil zwei) und erneut im Rahmen der Modellierungs- und Projektionsdiskussion (im dritten Teil). Dazu gehört, relativ zu den vorgestellten Darstellungs- und Aussageformen deren Transparenz- und Wahrheitskriterien zu erkunden. Dass dies auch unter Aspekten der Erkundung des sozialen, politischen und ökonomischen »Felds« (Bourdieu) von Bedeutung ist (wie im vierten Teil thematisiert), versteht sich. Dann aber wird aus der szenischen Gegenwart, den Spuren und Indizien, den ermittelten Quellen und Belegen nicht allein auf die artikulierten wie unterschwelligen Geltungsansprüche der Szene zu schließen sein, sondern ebenso auf die in ihrem Ambiente kursierenden Handlungszwecke, die Wünsche nach Überwältigung, Befriedung und Befriedigung. Wie sich zeigt, kommt dies unter anderem einer unausdrücklichen Aufarbeitung des weithin verfemten sophistischen Programms gleich, das bis in die Gegenwart des semiotischen Relativismus wie Realismus oder auch des Pragmati(zi)smus zu verfolgen ist. Vergleichbares könnte statt auf der sophistischen man auf der kynischen Tradition aufsetzen. Korrespondierend aber wird, Wittgenstein folgend, den Einwänden des notorischen Skeptikers zu begegnen sein. Insgesamt geht es um das unterschiedliche Spiel auf Schein- und Schattenbühne und die durch sie gesetzten Bedingungen des Wahrsagens, des Kräfteeinsatzes, der Gestalt- und Werkbildung im Inszenierungsbeziehungsweise Szenifikationskontext szenischer Gegenwartserfahrung. Freilich werden die Konditionen für die westlich demokratischen und kapitalistischen Gesellschaftsverhältnisse der jüngsten Zeit zu konkretisieren sein, für ein »postheroisches« Zeitalter, in dem alle Zirkulation auch zwischenmenschlicher Verhältnisse dem allgemeinen Waren- und Datenverkehr untergeordnet erscheint, mithin auch keinen moralischen Heroismus duldet (Teil IV). Was »Widerstand« als politische Tugend bedeutet haben mag, muss sich daher zufriedengeben damit, als immerhin bemerkenswerte »Anstrengung« (Peirce) zu gelten, zu verbuchen in der energetischen Bilanz bewusster Gewohnheitsveränderung. Ein Gewinn an Realitätssinn.
Szene & situatives Dasein. Szene & Verfahren, Zirkulations- & Produktionssphäre An den Grenzen der Szene wird ihr situatives Dasein oder ihr Dasein in situ zu erörtern sein. Die Frage, der wir nachgehen, lautet, ob »Situation« tatsächlich so etwas wie szenifikations- und inszenierungslose Bedeutungsverhältnisse beinhalten könnte. Die Intuition könnte sein, dass die Szene in der Situation ruht, somit alle Zeichen, die sie ausmachen, ebenfalls. Der Prozess der Semiose wäre vorübergehend stillgestellt. Situativ zeigte das ›Bild‹ der Szene deshalb keine indikativ repräsentativen Eigenschaften, von denen ein Appell ausgehen könnte, was ist, anders hin- oder darzustellen oder als anderes. Doch selbst wenn die Situation keinem Szenifikations- oder Inszenierungsauftrag folgen sollte, kann dies nicht heißen, dass sie szenisch nichtig wäre, Auch wenn nichts passiert, alles gleichsam für sich ist. Passender wäre vielleicht, die Situation für sich als szenisch neutral hinsichtlich der auszutragenden Schlachten zu kennzeichnen. Situationen bergen zweifellos szenisch Sedimentiertes und Gefestigtes – sofern sie so beschrieben sind oder Vergleichbares aktual geltend gemacht wird. Aber wenn Situationen ihren Sinn und ihre Bedeutung auch nicht von sich aus präsentational aktivieren oder aktualisieren, vielleicht stehen sie in einer formal negativen Wechselwirkung mit dem Szenischen, dessen Aura sie, so verstanden, nichtsdestotrotz im Sinne einer der energetischen Aktivität korrespondierenden Objekt- oder Subjektpassivität
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annehmen und verbreiten könnten. Solche Darstellung freilich, ob Bild, ob Beschreibung, greift selbst ein in die situative Gleichgültigkeit und Unentschiedenheit und fasst die Situation als gestaltetes, atmosphärisch spezifisches Ambiente – nicht allein für den Sehsinn. Es handelt sich, sozusagen, um die Szenografie eines Gemäldes, das der Maler mit anderen Absichten schuf, als es dem wechselnden Blick des Galeriepublikums zur Deutung anzubieten – wie die Bilder, die weit ab vom Blick der Gläubigen oder Besucher im Gewölbe eines Kirchenschiffs in sich selbst ruhen und in der ›Situation‹ des Kirchenraums den Zweck ihres Daseins vollständig erfüllen. Niemand muss sie ansehen, niemand greift ein. Blick und Eingriff nämlich bedeuteten erneute Szenifikation, Mobilisierung der Zeichen. Wie auch immer: Purer Opposition von Situation und Szene wird man das Wort nicht reden können, das Verhältnis ist verwickelter. Wir werden uns seiner Empirie und Phänomenologie mit Hilfe George Perecs und Jean-Paul Sartres im Rahmen der Raumreflexionen des dritten Teils versichern.
Szene & Verfahren An den Grenzen des Szenischen zum Situativen erhalten wir Einblick in eine weitere unterbestimmte Variante szenischen Daseins. Situationen betrachtet, erhellt, dass sie mit der Zirkulation der Szenifikationen, die sich von ihrem Boden aus in Bewegung setzen, in Wechselwirkung stehen. Insofern sind Situationen, obwohl vielleicht zeichenberuhigt aufgrund momentan gesättigter Bedeutung, dennoch dem Zirkulationsprozess – wie auch dem ihm zugrunde liegenden Produktionsprozess – einbeschrieben. Die Gestalt eines ›Quasi-Situativen‹ erhält Kontur, wenn Situationen zwar nicht in stillgestellter Bedeutung verharren und ruhen wie ein Bild ohne Betrachter, sondern, szenifikatorisch bewegt, trotz Bewegung aber dennoch stabil bei einem Selben zu bleiben scheinen, wie der Film, der sich im Video-Loop realisiert. Die Situation erweist sich als Ablauf oder Abwicklung; ihr Ergebnis wird immer wieder erneut hergestellt. Das entsprechende Szenario entwickelt sich auf den Bahnen schon kodifizierter, oft ritualisierter oder durch Gewohnheit bestärkter Bedeutungsentfaltung, um sich nach einer gewissen Dauer in einem angehaltenen Zeitbild zu vollenden, ein erneuerndes Bewegungsbild22 zu erzeugen und das Zeitbild auf diese Weise zu prozessieren. Zwar wird in diesem Prozess auf Szenifikation nicht verzichtet, doch erscheint sie oft genug wie degeneriert. Ihr Freiheitsgrad ist so gering, dass man vom Regiment einer direktiven Szenografie sprechen könnte, wäre nicht, was diese Szenografie zu konzeptualisieren hat, entwirft und in Regie nimmt, selbst schon in eine automatisierte oder quasi automatisierte Maschine verwandelt. Ihre Steuerungsfunktionen sorgen für reibungslose Abläufe selbstähnlicher Art. Zumindest der informatischen Maschinenrationalität und der Maschinensprache wären solche Abläufe und Verfahren transparent. Dass dies, auch nur auf die Assembler- oder Programmebene bezogen, für die szenisch situativ darin verwickelten Agenzien ebenso gelten könnte, erscheint fraglich, doch gibt es einflussreiche Entwürfe für die »Legitimation durch Verfahren« (Luhmann22). Auch diesem Problem werden wir uns im Zusammenhang raumstrategischer Ordnungsvorstellungen zuwenden und im Rahmen der politischen und medialen Aspekte der Dialektik von Inszenierungspolitik und Politikinszenierung diskutieren.24 Degeneriert wie die Szenifikationen sind ebenfalls die hier in Betracht kommenden Szenografien. Ihre Intentionen sind nicht auf Szenifikation oder Inszenierung angelegt, sondern auf Programmierung. Auf dem Weg der Programmierung verschmelzen sie mit dem technisch produktiven Prozess, auf den hin sie gewöhnlich ausgerichtet sind und ausrichten. Die Technik beziehungsweise das technische Artefakt inkorporiert die Entwurfsleistung und ›szenifiziert‹ sie in Prozessabläufen, wie sie
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beispielhaft die industrielle Produktion beherrschen. Von »Inszenierung« wird man nicht wirklich sprechen wollen, soweit die Systemrationalität qua mathematisch informationeller Kodierung als grundsätzlich transparent gelten muss. Das heißt nicht, dass es nicht genügend verschließende Inszenierungen geben mag, deren Aufgabe darin besteht, den Zugang zu dieser ›wissenschaftlich technischen Szene‹ zu erschweren oder zu verhindern und die Ablaufszenarien von Produktions-, Verwaltungs- und Organisationsprozessen zu überblenden. Da nicht dem Spiel gewidmet und entsprechend indizierten Bühnen, kann auf eine solche ›Quasi-Inszenierung‹ im Rahmen der technischen oder Produktionsszene nur geschlossen werden. Eine triftige Schlussfolgerung hätte die Scheinschlüssigkeit dieser Inszenierung zu erweisen: die sich selbst als solche dissimulierende Spiegelung gesellschaftlicher Verhältnisse darzutun. Da die wirkliche Dissimulation respektive Simulation auf dem Boden realer Produktionsverhältnisse aufsetzen muss, wenn sie mehr Sinn machen will als bloßes Zeichenspiel und bloße fiction, wird sie die szenisch situative Transparenz der Produktionsszene oder vielmehr -situation erhalten, insbesondere einen Zugang zu den festgehaltenen emotionalen und energetischen Bedeutungen, der longue durée ihrer Existenz. Die relative Einschränkung, die der zeitlichen und räumlichen Begrenzung des leiblich fühlenden und energetisch handelnden Verstehens korrespondiert, gilt im Übrigen nicht allein für die Produktionsszene. Soll die vordergründige Transparenz des Erlebens durch Szenen vermittelnde, schlussfolgernde Darstellung sowohl relativiert als auch bereichert werden, müssen die in den Prozessabläufen geronnenen, ursprünglich entwurfsbezogenen Wissens- und Gestaltungsbestände durch weitere theoretische Anschlüsse szenisch wie szenografisch rekonstruiert werden. Gelebt werden sie in der Figur eines ›Und-oder‹, in der der Bindestrich den Querstrich ersetzt.25 Die letzten Hinweise sollten verständlich machen, dass Szenen und Szenografien Produktionsressourcen nicht nur im Situativen oder im szenischen, ästhetischen und semantischen Sediment besitzen, gewissermaßen als Ressourcen der Erfahrung, der Mimesis und des Wissens, die, vorübergehend in unterschiedlichsten Formaten niedergelegt, dieses Potenzial bei Gelegenheit wieder zu aktivieren wissen. Dass dies für Szenen und Szenografien gilt, wird einleuchten: Auch Szenografien greifen auf den Bodensatz von Situationen zurück ebenso wie auf Diskurse und Diskursereignisse im Rahmen von anderen oder im Anschluss an andere Szenen und Szenarien. Man muss realisieren, dass »Ressource« nicht weit genug gefasst erscheint, wenn der Begriff die materialen, technologisch und technisch kontrollierten Produktionsprozesse und ihre Effekte unberücksichtigt lässt. Insbesondere für den Szenografiebegriff, der generell eine Szenifikations- oder Inszenierungsressource anzeigt (wobei die unterschiedlichen Signaturen die Differenz zwischen prinzipieller Offenheit oder Geschlossenheit andeuten), ist dies relevant. Nicht nur bezieht sich die Erweiterte Szenografie auf einen dem Gestaltungs- und Entwurfsraum verbundenen Medien-, Wissens- und Wissenschaftsraum. Szenografie braucht in jedem Fall ein energetisches Produktionsfundament. Sicher kennt die szenografische Arbeit eine ihr eigene produktive Grundlage. Doch darf »Arbeit« nicht ›kreativ‹ idealisiert und verkürzt werden. »Arbeit« zerfällt unter den bestimmenden Produktionsverhältnissen in Lohnarbeit und Unternehmertum wie die Betriebsamkeiten von Verwaltung, Bürokratie und Dienstleistung. Die hier jeweils zu zählenden ›Produktionsressourcen‹ respektive die szenisch situative Verfassung der entsprechenden Handlungs- und Gestaltungsräume beziehungsweise ihrer technischen, apparativen und maschinellen Formatierung müssen gebührend in Rechnung gestellt werden, wenn von Ressourcen der Szene die Rede sein soll. Wir
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bereiten diesen Strang der produktiven Grundlegung jeder positiven Ordnung der Inszenierung im zweiten und dritten Teil vor (mit Blick auf die Arbeits- und Wertanalysen Hegels, Nietzsches und Heideggers), um die régiments der Inszenierung und ihrer strategischen Optionen unter Bedingungen der entwickeltsten kapitalistischen Ökonomien in den Mittelpunkt des letzten Teils der Arbeit zu stellen (hier mit Blick auf die Marx´sche Analyse wie auch moderne wirtschaftstheoretische Literatur und gespiegelt durch eine ästhetisch-kunsttheoretische wie ›kreativwirtschaftliche‹ Debatte). Inszenierungspolitik, so scheint es, läuft auf eine homöostatische Regulation auf dem Niveau allgemeiner Medialisierung und Mediatisierung hinaus: eine Ordnung der Selbstregulation auf dem Niveau erfolgreicher »Eroberung der Welt als Bild«. Was ihre ökonomische Unterfütterung betrifft, heißt es, dass dies einerseits einer vergleichbar umfänglich erfolgreichen materiellen ›Eroberung‹ der Welt durch die Bildeigentümer und Bildmächtigen entsprechen dürfte, andererseits dahin tendiert, sich in Verhältnissen einer korrespondierend verbreiteten, mal positiv, mal negativ besetzten Prekariarität einzurichten.
Szene & Zeichen, Bedeutung & Bedeutenlassen. Der szenische Agon, das Politische & das Ökonomische Es wird einleuchten, dass das Gemischte von Szenografie und Szene eine passend flexible Bedeutungstheorie verlangt, unter welchen Umständen des Scheinens auch immer. Mit anderen Worten: Die Ordnung der Inszenierung beginnt bei der Verfügung über Zeichen und Bedeutung. Das Postulat ergibt sich aus der Mischung. Gewöhnlich gilt die Signifikation dem Signifikat als Begriff respektive der Zuordnung der wahrheitsfähigen Prädikate in einer entsprechenden Proposition des Bedeutenlassens. Die Mischung aus Gestaltung und Narration hingegen, die zu einer dynamischen Mixtur von Gestalten, Ausdrücken und Geschichten und derart von Spielen und Schlachten gerät, lässt zweierlei einsichtig werden: dass zu bedeuten nicht damit erledigt sein kann, etwas schlussfolgernd zu wissen, dass ein Wissen vielmehr ebenso handlungsspezifisch energetisch ausgewiesen werden kann und wird wie ästhetisch affektiv, den Sinnen, dem Fühlen, dem Begehren Rechnung tragend. Schließlich ergibt sich aus der notwendigen Differenzierung der Bedeutungsansprüche qua Gewohnheiten wie qua Gewohnheitsveränderungen der evolutive Charakter des Bedeutenlassens und der sich einstellenden, vorübergehend fixierbaren Bedeutungen. Aufgrund der Bestimmungen im Gemischten resultiert der Anspruch ihrer Geltung im Realen und in der ›Realität‹ (also auch derjenigen der Darstellungen). Trotz des objektiven Idealismus im Konstitutionsprozess der Zeichenproduktion handelt es sich um einen radikalen Realismus der Bedeutung als Prozess. Ihr evolutiver Charakter allein rechtfertigt ihre szenische Verfertigung und Inanspruchnahme in der Trichotomie der genannten »Interpretanten«. Die Kategorie macht offensichtlich, dass wir medienrespektive zeichentheoretisch der Semiotik Peircens verpflichtet sind. Verschiedene Hinsichten seiner Zeichen- und Bedeutungsphilosophie werden uns je nach Thematik der Bühnenkonstellation beschäftigen, schwergewichtig im dritten und vierten Teil des Buchs. Die These, die wir abziehen, lautet: Die Bedeutungsevolution selbst erfolgt praktisch szenisch.
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Aus der evolutiven Herausbildung qualitativ differenzierter Bedeutungsansprüche wie ihrer Einlösung im Kontext realer Szenifikation und Inszenierung ergibt sich ein Weiteres. Was überzeugen, als Tatsache gelten, handelnd sich durchsetzen oder durch Gestaltung und Gestalt sinnlich, ästhetisch befriedigen soll, muss ausgefochten werden – wobei Passivität (Zurückhaltung, Nichtstun) durchaus zu den Aktionsformen zu zählen ist. Zur Darstellung zu bringen reicht nicht, sollte nicht auch die Darstellung sich dem Streit anheimstellen. Dies relativiert die soziale Relevanz des offenen Inszenierungsspiels und seiner zivilisiert friedlichen und kultivierten Art, den Austrag beispielhaft vorzuführen oder vorzuzeigen. Der Wille zur Macht des souveränen Subjekts fördert dementgegen das intransparente Inszenierungsgemenge. Niemand mag sich freiwillig in die Karten sehen lassen. Bei solchem ›Spiel‹, das nie ohne wirkliche Opfer auskommt, stellt sich erst im Laufe der Partie heraus, welches Blatt die Szene beherrscht, welche ihrer Gestalten reüssiert und wie ihre Geschichte – vorläufig – ausgeht. Die szenisch szenografisch prozedierende Entwicklung leiblich sinnlicher, handlungsbezogener wie rationaler Bedeutung beinhaltet einen vergleichsweise niederschwelligen, dennoch kriterial definierten Begriff des Politischen. Entgegen der gebräuchlichen Territorialisierung gesellschaftlicher Domänen, darunter die Domäne der Politik, versteht die vorgelegte Arbeit das Politische als Austragungsmodus im Streit, im Kampf auch um die Szene vor allem abseits eines ideologisch als ›künstlerisch‹ oder als ›Kunst‹ zwangspazifizierten eingehegten gesellschaftlichen Feldes. Die verfochtenen Ansprüche versuchen die szenische Performanz ins Verhältnis zu setzen zu einer szenografischen Legitimation, einer Legitimation des Entwurfs, der immer auch ein sozialer Entwurf ist, der sich gegen andere behaupten will. Dies reflektiert einerseits einen möglichen Antagonismus in den »Produktionsverhältnissen«, wie man sagt, sofern es bei den grundlegenden Zugangsbedingungen und -regelungen für einen Wettstreit liegt, ob er überhaupt auf der Basis gleicher Voraussetzungen für alle ausgetragen werden kann. Anderseits besagt es, dass der Agon nicht aufgeschoben werden wird, bis solche Bedingungen der Chancengleichheit, sollten sie nicht gegeben sein, sich einstellen. Allemal würde es bedeuten, entsprechend drastische Krisen oder Katastrophen abwarten zu wollen. Als szenisch szenografisches Beziehungsfeld wirkt das Kräftespiel auch ohne explizite Legitimationsgrundlage, ohne Große Erzählung auf alle Sphären gesellschaftlicher Interaktion und Kommunikation. Die Einbeziehung auch konzeptueller und theoretischer Reflexion in den Designbereich intendierter Intervention im öffentlichen Raum macht lediglich die Ausdehnung des Konfliktfelds deutlich: Darstellungen jedweder Art sind von diesem Wettstreit nicht ausgenommen. Notgedrungen schließen sich hieran einige Richtigstellungen über das Verhältnis von Kunst, Wissenschaften und Gesellschaft und ihre Verwicklungen in den politischen Agon an. Die Evolution der Bedeutung erweist sich inszenierungsgesellschaftlich als durchaus darwinistisch. Freilich auf der Grundlage eines mimetischen Programms, das nicht wirklich dissimuliert werden kann.
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anmerkungen einführung 1
Ästhetik der Inszenierung, hgg. von Josef Früchtl und Jörg Zimmermann, Frankfurt am Main 2001; zit. als Früchtl/Zimmermann 2001: Ästhetik. Siehe auch Heiner Wilharm: Die Inszenierungsgesellschaft, in: Inszenierung und Ereignis. Beiträge zur Theorie und Praxis der Szenografie, Bielefeld 2009, hgg. von Ralf Bohn und Heiner Wilharm, Bielefeld 2009, »Einführung« II; zur LiteraturÜbersicht zum Thema »Inszenierung« siehe Früchtl/Zimmermann 2001: Ästhetik, S.9-47. Zur Würdigung siehe ebenfalls Bohn/Wilharm 2009: Inszenierung und Ereignis, Einführung.
2
Inszenierungsgesellschaft. Ein einführendes Handbuch. Opladen 1998, hgg. von Herbert Willems und Martin Jurga, Opladen 1998; zit. als Willems/Jurga 1998: Inszenierungsgesellschaft.
3
Guy Debord: Die Gesellschaft des Spektakels. Berlin 1996 (zuerst Paris 1967); zit. als Debord 1988/1996: Gesellschaft des Spektakels. Erving Goffman: Wir alle spielen Theater. Die Selbstdarstellung im Alltag, München 2002 (zuerst 1969); zit. als Goffman 1969/2002: Theater. Ders.: Interaktionsrituale. Über Verhalten in direkter Kommunikation, Frankfurt am Main 1986 (zuerst 1967); zit. als Goffman 1967/1986: Interaktionsrituale; ders.: Rahmenanalyse. Ein Versuch über die Organisation von Alltagserfahrungen, Frankfurt am Main 1989 (zuerst 1974); zit. als Goffman 1974/1989: Rahmenanalyse.
4
Erika Fischer-Lichte stellte die Diagnose schon ein paar Jahre früher als Früchtl/Zimmermann (siehe Erika Fischer-Lichte: Inszenierung und Theatralität, in: Willems/Jurga 1998: Inszenierungsgesellschaft, S.81-90, bes. S.88/89) und hat auch eine Definition parat: Es geht darum, »einzelne und gesellschaftliche Gruppen in der ›Kunst‹, sich selbst und ihre Lebenswelt wirkungsvoll in Szene zu setzen. Stadtplanung, Architektur und Design inszenieren unsere Umwelt als kulissenartige ›Environments‹, in denen mit wechselnden ›Outfits‹ kostümierte Individuen und Gruppen sich selbst und ihren eigenen ›Lifestyle‹ mit Effekt zur Schau stellen. [...] Eine schier endlose Abfolge von inszenierten Ereignissen« indiziert »eine ›Erlebnis-und Spektakelkultur‹ [...], die sich mit der Inszenierung von Ereignissen selbst hervorbringt und reproduziert.« (Zitat ebd.).
5
Willems 2009: Theatralität als Ansatz, a.a.O., S.18.
6
Teils nämlich handelt es sich lediglich um kompliziertere Bühnenverhältnisse als die gewöhnlich ins Auge fallenden, medial verstärkt spektakulären, könnte man sagen. Was zum Beispiel auch die Performanz-Orientierung des Theaters betrifft, die aber deshalb, weil sie sich von strengen ›szenografischen‹ Vorgaben löst, noch nicht außerhalb jeder Inszenierung zu stehen kommt. Teils handelt es sich um bloße Opposition (um »Abneigungen, Gegenbedürfnisse und Gegenverständnisse«), teils schlicht um Ideologie Willems 2009: Willems: Theatralität als Ansatz, ebd., S.23-29.
7
Austin spricht vom »scolastic view« in Sense and Sensibilia. Vgl. Anm. 1, Teil III. In der Einführung eingerückte Verweise werden in den folgenden Abteilungen des Buchs im Einzelnen nachgewiesen.
8
Vgl. Michel Foucault: Dispositive der Macht. Über Sexualität, Wissen und Wahrheit, Berlin 1978, S.119/120; zit. als Foucault 1978: Dispositive der Macht.
9
Siehe Giorgio Agamben: Was ist ein Dispositiv?, Zürich 2008; zit. als Agamben 2008: Dispositiv.
10
Vgl. Michel Foucault: Über die Archäologie der Wissenschaften, in: Michel Foucault: Dits et écrits. Schriften (1954-1969), Bd.I, hgg. von Daniel Defert und François Éwald, Frankfurt am Main 2001, S.887-931; zit. als Foucault 1968/2001: Archäologie der Wissenschaften. Die deutsche Ausgabe der Schriften wird zitiert als Foucault 2001-2005: Schriften, Bd.I-IV. Michel Foucault: Archäologie des Wissens, Frankfurt am Main 1973 (zuerst 1969): »Die Einheiten des Diskurses« (zit. als Foucault 1969/1973: Archäologie.), Kap. II, S.33-47. Vgl. ders.: Die Ordnung des Diskurses. Inauguralvorlesung am Collège des France, 2. Dezember 1970, München 1974; zit. als Foucault 1970/1974: Antrittsvorlesung. Siehe auch Michel Foucault: Das giftige Herz der Dinge. Gespräch mit Claude Bonnefoy. Interview 1968, hgg. von Philippe Artières, Zürich 2012, S.37 (zit. als: Foucault 1968/2012: Herz der Dinge): »Ein Diskurs existiert wie ein Monument, existiert wie eine Technik, existiert wie eine System sozialer Beziehungen usw«. Gerade in diesem Sinne, »dass die Diskurse schließlich existieren« – so Foucault –, sei ihnen »nie genügend Aufmerksamkeit entgegengebracht worden.« – Wir diskutieren die epistemologischen Implikationen der Diskursorientierung in Teil IV der Arbeit ausführlicher.
11
Siehe Ausführliches Lateinisch-deutsches Handwörterbuch, ausgearbeitet von Karl Ernst Georges, Hannover, (14. Aufl.) 1976, Erster Band, Artikel dis-pono; zit. als Georges 1976: Bd., Art.
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12
Im Lateinischen ist dispositio als Übersetzung des griechischen diathesis die »Ordnung (oder das Ordnen) von etwas, das Teile hat«, wie Aristoteles sagt. (Aristoteles: Metaphysik, 1022, b, 1); Thomas übernimmt diese Bestimmung. Für Platon ist die »Disposition« mit Blick auf die Stadt die Einrichtung der Verfassung (Platon: Gesetze, VI, 710, b).
13
Vgl. Bernard Stiegler: Denken bis an die Grenzen der Maschine, Gespräche mit Élli During, Zürich/ Berlin 2009, S.52, S.59; zit. als Stiegler 2009: Denken bis an die Grenzen.
14
Ein Ausdruck Pierre Klossowskis zur Distanzierung des Bühnenkontextes vom Theaterparadigma. Details siehe unten Teil I.
15
Wobei wir uns, was zu begründen sein wird, ohnehin mit der Freud´schen Perspektive in Gestalt ihrer Revision durch Lacan beschäftigen werden. Siehe dazu insbesondere Teil III,1, Kapitel 3. Die Werke Freuds in Siegmund Freud: Studienausgabe, 12 Bd., Frankfurt am Main 1982; zit. als Freud 1982: Studienausgabe, Bd. Die genannten, für uns wichtigeren Titel in: Freud 1982: Studienausgabe, Bd. IX.
16
Ein Ausdruck Hegels für die Aufführungskünste. Siehe Teil II,
17
Für die uns interessierende »Vorgeschichte« der heutigen Inszenierungsgesellschaft vgl. den ersten Teil, für die aktuellen medienvermittelten Inszenierungsvarianten, insbesondere im politischen und ökonomischen Kontext siehe Teil IV.
18
Ein Ausdruck Kants, der ganz der Intention der Renaissance-Künstler entspricht, die sich um die Charakterisierung des disegno bemühen: Ausdrücklich geht der Vater der Künste »aus dem Geist hervor«. Vgl. Anm. 27, Teil I.
19
Wir werden uns beispielhaft mit der Grafischen Logik Peircens auseianndersetzen. Vgl. Kapitel 3, Teil II,1. (Ich danke Ralf Bohn für den Hinweis auf die Phänomenologie.)
20
Martin Heidegger: Zeit des Weltbildes, in: Holzwege, hgg. von Friedrich-Wilhelm von Hermann, Frankfurt am Main, 5. Aufl. 1972; d.i. Martin Heidegger: Gesamtausgabe, Bd.5, Frankfurt am Main 1972, S.87; zit. als Heidegger 1938/1972: Zeit des Weltbildes, in: Heidegger: GA, Bd./Seite.
21
Vgl. Hans Ulrich Gumbrecht: Produktion von Präsenz, durchsetzt mit Absenz, in: Früchtl/Zimmermann 2001: Ästhetik S.63-76; kritischer: Martin Seel: Inszenieren als Erscheinenlassen, ebd., S.48-62.
22
Vgl. Gilles Deleuze: Kino 1. Das Bewegungs-Bild, Frankfurt am Main 1989; ders.: Kino 2. Das Zeit-Bild, Frankfurt am Main 1991; zit. als Deleuze 1989: Bewegungs-Bild beziehungsweise Deleuze 1991: Zeit-Bild.
23
Vgl. das letzte Kapitel Teil IV.2.
24
Vgl. Teil IV.1, Kapitel 1-3.
25
Vgl. die einschlägigen Kapitelüberschriften des vierten Teils und zum theoretischen Aspekt einer notwendigen Dekonstruktion dialektischer Verfahrensweisen das Deleuze-Kapitel: »Positive Distanz. Differenz ohne Identität« (Teil IV.2.3).
26
Vgl. hierzu die Reformulierung des »Begriffs des Politischen« (Carl Schmitt) in der neueren Politikwissenschaftlichen Debatte, wie sie mit den Namen Jacques Rancière, Alain Badiou, Ernesto Laclau oder Chantal Mouffe verbunden sind. Die Literatur-Referenzen siehe unten insbesondere in Teil IV.
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i bühnen & protagonisten
I
bühnen & protagonisten
i.1
begriffsszenen
Die Spannung der Begriffe entspricht der Spannung der Verhältnisse. Auch die Bühnenkunst konnte nicht bleiben, wie sie war, und mit ihr nicht das Verständnis dessen, was es heißt, etwas auf die Bühne zu bringen oder ein Schauspiel zu geben. Zu verstehen, warum der Inszenierungskategorie selbst widerstrebende Momente innewohnen, hat zu tun mit dem spannungsreichen sozialen Prozess, den die Historiker etwas holzschnittartig als »Epochenwende«, »Umbruch« in die Moderne charakterisieren. Man war in eine zunehmend dynamischer verlaufende Umwälzung aller Verhältnisse geraten, eine Revolution bis auf den Grund der gesellschaftlichen Reproduktion. Die Debatten der Künstler, Schriftsteller und Philosophen am Ausgang des vorausgehenden Jahrhunderts kreisen um dieses Thema: Wie wäre das Verhältnis von Theater, Bühne und sozialer Wirklichkeit zu bestimmen, möglicherweise umzugestalten, wenn Bühne und Spiel nicht mehr nur für die Unterhaltung weniger, fürs Staunen und Fürchten gemäß ständischer Abkunft und Zugehörigkeit aufzukommen, sondern die große Mehrheit des Volkes in den Blick zu nehmen hätten? Was wäre, wenn solches ›Volk‹, von den Fesseln der alten Abhängigkeiten befreit und zur Macht gekommen, nicht mehr nur als Parasit an der Kultur der Herrschenden zu gelten hätte, statt hier und da am Nektar der Kunst zu saugen, sie ganz in Anspruch nehmen und ganz für sie verantwortlich werden würde? Könnten die neuen Herrschaften oder ihre Diener so widersprüchliche Prinzipien dulden, das kulturelle Leben, wie es die offiziellen Künste feiern, nach anderen Maßstäben beurteilen als den Auftritt auf den wenig erhöhten Bühnen des Alltags und des ›wirklichen‹ Lebens? Man ahnt, dass es sich um die bürgerliche Wiederauflage einer alten theologischen Debatte gehandelt haben muss. Allerdings hatten hier Sitte und Moral der Bühne am Pranger gestanden, verständlicherweise, könnte man meinen. Denn ständisch ziviles und konfessionell religiöses, weltliches und kirchliches Schauspiel waren seit jeher nicht nur aufs Engste miteinander verzahnt. Genauso pflegte man den Wettbewerb, nicht nur in Dingen der Inszenierung. Doch galt der Schein immer schon mehr als das Sein, vor allen den Verantwortlichen für die Beleuchtung. Aber wie hätten die Theologen und Kirchenoberen den Wettbewerbsvorteil der Konkurrenz akzeptieren können, dem Theater der Stadt nicht nur die spektakulärsten, ja ›unsittlichsten‹ Vorstellungen gestatten, sondern auch die attraktiven Lügengeschichten zugeben sollen und zugleich die nicht eben unähnlichen Darbietungen des eigenen Theaters als Feier eines Geheimnisses wahren Glaubens hinstellen können? Auf dem Unterschied zu beharren, dem profanen Theater den Rang von ›Messe‹ und ›Andacht‹ zu verweigern und seinen ›Gläubigen‹ zivile Askese, Aufrichtigkeit und Zurückhaltung bei der Fabrikation von Phantasmen aller Art anzuempfehlen, dürfte dem Selbstverständnis wie dem Eigennutz der Religionswächter weit eher entsprochen haben – wie es sich gehört, konfessionell spezifiziert.1 Eigentlich – so jedenfalls hätte die radikale Empfehlung heißen müssen – sollte es überhaupt kein profanes Schauspiel mehr geben, dem erlaubt wäre, dem Publikum sein Spielgeld für bare Münze anzudienen.
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Denkt man an die zeitgenössische Gründungsakte bürgerlicher Herrschaftsrechte, wechselten damals nicht allein die zuständigen Ausschüsse für das Ganze der Nation, es verschoben sich auch die Perspektiven des sozialen Agons. Die Glaubenswahrheiten, die man dem Kirchenvolk vorgehalten hatte, hatten nun seine zivilen Sachwalter den eigenen Illusionsfabrikanten entgegenzuhalten, denn sie betrafen die Artikel der bürgerlichen Verfassung. »All the world ’s a stage«, hatte Shakespeare gedichtet. »And all the men and women merely players. (...) And one man in his time plays many parts«.2 Niemand hätte es leugnen wollen. Doch das war Shakespeare und eine geraume Zeit her. Jetzt sollte man den neuerdings kursierenden Geschichten gebührend Gehör leihen, nach denen man selbst entscheiden können sollte, wie man es gern hätte: »As you like« sollte sich auf seine modernen Adressaten einstellen. Was wäre die Alternative? Entweder man betrachtet die Welt als Bühne wie gewohnt, versteht dies indes keineswegs in ›übertragenem‹ Sinn, sondern gewärtigt jederzeit und überall, dass Theater gespielt wird, oder man definiert einen theatralen Raum erlaubter Illusionierung und Illusionen und legt um ihn herum einen cordon sanitaire bürgerlicher Tugend und Grundsätze an, der das echte und ernste abgrenzt vom ›schönen‹ Leben im vielleicht glänzenden, aber trügerischen Schein. Die Risiken solcher Alternative sind unverkennbar. Der ersten Option zu folgen bedeutet, auf Dauer alle Felder sozialer Interaktion als ›Kulturlandschaft‹ anlegen und bewirtschaften zu müssen. Sollte dies nach dem Muster des Theaters geschehen, müssten die einzelnen Bühnen kultureller Performance vergleichbar erkennbar gekennzeichnet werden, um sicher zu gehen, mit welchem ›Theater‹ man es zu tun hat. Die Aufführungs- und Illusionierungsrechte müssten gemäß gesellschaftlicher Übereinkunft vergeben, der Betrieb müsste staatlich geregelt und kontrolliert werden. Die Einwände lassen sich denken. Das ›allgemeine Volkstheater‹ würde schnell als unvereinbar mit einer freiheitlichen Grundordnung gelten. – Es sei denn, es geschähe ›aus Freiheit‹ der Einzelnen, in privater Unternehmerschaft. Es bliebe die liberale, risikoreiche Option. Ihr gemäß hieße »Inszenierung« Spiel, Lust, sich den Bildern anzuvertrauen, freilich kontrollierte Lust. Denn Inszenierungen gehörten einzig ins Theater. Ähnlich verhielte es sich hier mit den Inszenierungen wie mit den »Visionen«, von denen manch einer behauptet, dass sie besser als in der Öffentlichkeit in der Heilanstalt aufgehoben seien. So oder so: Die zweite Option macht geltend, dass draußen andere Regeln herrschen als drinnen, im Jetzt andere als in der Ewigkeit: vita brevis, ars aeterna. Offenbar gibt es zu dieser Maßgabe kaum eine Alternative, soll die Freiheit nicht geschädigt werden. Denn in diesem Modell muss nicht die Allgemeinheit als solche für das ›allgemeine Theater‹ aufkommen; es reicht, wenn einige ihrer betuchten Angehörigen die Aufgabe übernehmen. Die Konsequenzen sind zweischneidig. Es gibt eine gute und eine schlechte Nachricht. Jeder weiß nun, dass mit zweierlei »Inszenierung« zu rechnen ist: Inszenierung mit und ohne Theater. Was aber niemand weiß, ist, wann und wo mit Inszenierung dort zu rechnen ist, wo sie, ins Szene gesetzt als solche, gar nicht vorgesehen ist, wo es unpassend erscheint, das der Gemeinschaft als echt und ernsthaft am Herzen Liegende als etwas anderes, als bloßes Spiel und Spektakel hinzustellen. Dass auch diese Wahl nicht so reibungslos ausfallen kann, wie es vielleicht scheinen mag, liegt daran, dass die Prämissen, von denen sie ausgeht, keinen Eingang in die Schlussfolgerung finden. Denn wäre diese zweite Lösung überhaupt im Rahmen der Alternative in Erwägung zu ziehen, müsste für sie ein anderer Anspruch gelten
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als für einen bloßen coup de théâtre. Dann aber lenkte diese Option auf eine theaterbefreiten Inszenierung. Gerade von ihrer Art aber wüsste niemand, ob ihren Geschichten zu trauen wäre. Mithin stellt sich diese Variante der Alternative als haltbar und unhaltbar zugleich heraus, je nachdem, ob ihrer Unterstellungen dem wirklichen Leben standhalten oder haltbar nur in einem Stück auf dem Theater sind. Die Geschichte der alternativen Inszenierung selbst bezieht sich allerings nicht auf diesen oder jenen Plot, diesen oder jenen fiktiven Spielort, diese oder jene »Einheit der Zeit«. Sie ist grundsätzlicher, sie ist stiftender und legitimierender Art: Sie erzählt die Geschichte, dass das Volk eines Tages selbst über das ›ganze Theater‹ entscheiden könne – oder gar entschieden hätte –, also nicht nur über das Theater, sondern auch über die Dinge und Dingwelten, den Raum und die Zeit der Lebensverhältnisse. Zweifel sind angebracht; einiges spricht dafür, etliches dagegen. Denn was soll man halten von einem zweifellos theaterverliebten Volk, das sich zwar konstituiert, um sich selbst Gutes zu tun, sich aber kurze Zeit später schon einen Kaiser krönen lässt – was bekanntlich nicht nur bei den meisten Franzosen als freudiges Ereignis gefeiert wurde, sondern auch bei den zum ›Volk‹ vereinten Deutschen, als sie Ihren eigenen Kaiser wiederhatten. Dass es fast hundert Jahre später geschah und ohne dass sich dies Volk vorher selbst souverän gesetzt hätte, lässt den Akt vielleicht besser verstehen, ist deshalb aber nicht eben rühmlicher. Immerhin wusste man aber auch hier in eingeweihten Kreisen, worum es sich bei der Idee der Souveränität des Volkes handelte. Außerdem gab es die Ambitionen und Erfahrungen der 1830er und 1848er. Trotzdem wird man mehr darüber wissen müssen, wie es sich mit der sogenannten »Souveränität« verhält. Fazit ist, dass nichts anderes übrig bleiben wird, als den Spuren und Indizien nachzugehen, den Auftritten und den auf die Bühnen gezogenen Dingen und Akteuren, dem Raum, wo sie sich begegnen und der Zeit, in der sie sich treffen. Soviel aber darf man vermuten: Sie werden sich in den Zwischenräumen der Probleme und ihrer angeblichen Lösungen verborgen halten, beim Schauspiel nicht anders als bei den Einrichtungen, kaum nur im Bühnenlicht anzutreffen, sondern eher im Schatten, hinter und außerhalb der Bühnen. Was aber die Begriffe angeht, die wir im »fernen Spiegel« zu erkennen glauben, wird verständlich, dass mit »Schauspiel« oder »›Theater« hergebrachten Wörtern für das, was, auf die Bühne gebracht und in Szene gesetzt, aufgeführt wird, schlecht zu charakterisieren ist, was seine Wirkung gerade darin zum Ausdruck bringt, dass überhaupt nichts ›gespielt‹ erscheint. Mit der Kategorie der »Inszenierung« aber steht für diese allseits bekannte Tatsache endlich auch der Begriff bereit. 1
die familie des szenischen
Als Terminus technicus bürgert sich »Inszenierung« erst seit Mitte des 19. Jahrhunderts im Deutschen ein. Die in der Beschreibung des In-die-Szene-Setzens (mettre en scène, mis en scène) enthaltene Verwendung ist vorerst ganz zugeschnitten auf den Auftritt, die Vorstellung auf einer Theaterbühne. Die älteren lateinischen Konnotationen von scena (oder scaena), die sich auf das mit der Vorstellung von einer Szene verbundene Bild beziehen, treten demgegenüber in den Hintergrund, bleiben jedoch wirksam. Diese ›Szenen‹, welche die Erscheinungen spiegeln, brachten den Begriff aus dem Theatrum mundi der römischen Welt nach Europa. Nach römisch antikem
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Verständnis beruht selbst das Theater »auf einem für den modernen Menschen absurd buchstäblichen Glauben an Erscheinungen«, einem Glauben, für den auch im Theater die Grenze zwischen Illusion und Realität nicht eingehalten wird4, eine Verschiebung, die den ursprünglich kultischen Rahmen des Theaters in Erinnerung hält.5 Anders das moderne Theater. Es ist dezidiert eine Anstalt theatraler Inszenierung, alle wissen es, und die Illusionierung liegt in professioneller Hand. August Lewald berichtet Ende der 1830er in der Theater-Revue über die erste Begegnung mit dem Begriff im Deutschen. »In neuester Zeit ist der Ausdruck: ›In die Scene setzen‹ bei allen deutschen Theatern eingeführt worden; ich hörte ihn zum ersten Male im Herbste des Jahres 18 in Wien, und wusste damals nicht recht, was ich mir dabei denken sollte. Herr Karl Blum, der mir auf der Straße begegnete, sagte mir: er wolle noch so lange in Wien verweilen, bis er sein neuestes Ballett ›Aline‹ in die Scene gesetzt haben würde. Es klingt allerdings vornehmer als: geben lassen, und wir haben es uns offenbar von den Franzosen angeeignet. Diese sagen aber auch ›La mise en scène‹, ›Setzung in die Scene‹, was bei uns jetzt noch nicht gebräuchlich ist.«6
Mise en scène ist mithin das »Geschäft des Regisseurs«.7 Die Berechtigung, Inszenierungen durchzuführen, scheint hingegen jedem eingeräumt, zumindest auf den ersten Blick. Möglicherweise nämlich ist dieser Eindruck schon einem Schein des Spielraums geschuldet. In-Szene-Setzen jedenfalls, und sei es sich selbst, benötigt offensichtlich gewisse Ressourcen und Vorbereitungen. Die Grammatik weiß, dass etwas in Szene gesetzt wird – und für jemanden. »Etwas« bezieht sich auf die Rohstoffe der Produktion, die Energien der Medien, der Technik, der Gestaltung, die materiellen und die immateriellen. Als solche werden sie dem normalen Publikum in der Regel vorenthalten; eventuell vorweg ›Gesetztes‹ kommt nur in bereits arrangierter Form auf die Bühne, als Part im Ensemble des Spiels. Man bekommt das Gericht, nicht aber das Rezept und nicht die einzelnen Zutaten zu Gesicht. Alle handfesten Arrangements des Raums in der Zeit – Beleuchtung, Ausstattung, Requisiten, Effekte aller Art – stehen dabei im Dienst der Narrative, derjenigen Botschaft, die der Inszenierung erst zur vollständigen Bedeutung verhilft. Alle szenografischen Effekte erleben die Verwandlung in taugliche Mitakteure offensichtlich erst in Aktion. Logisch mag das Szene-Machen dem Szene-Setzen folgen, faktisch kann es in einen Akt der Szenifikation zusammenfallen. Für die narrativen Bedingungen der Inszenierung ergibt sich daraus eine gewisse Schwierigkeit. Was sich unter diesem Aspekt des mettre en scène findet, erweist sich als durchaus heterogenes Objekt. Vom ausgearbeiteten ›Werk‹, das immer nur relativ auf eine seiner möglichen Szenifikationen hin als ›Entwurf‹ in Anspruch zu nehmen wäre, bis hin zu flüchtigen Skizzen und Partituren, deren Umsetzung ganz der Improvisation der Akteure im Spiel selbst überlassen bleibt, bis hin, schließlich, zur Besetzung der leeren Stelle dieses ›Etwas‹ aus narrativen und gestalterischen Quellen, die keiner ausdrücklichen Beauftragung und Bearbeitung geschuldet sind, sondern sich dem Geschehen, Agieren und Erleben erst erschließen und an Ort und Stelle einfließen. Insofern ist zwar jede Geschichte Quelle einer sie verlebendigenden Performance, doch muss sie nicht unbedingt als Inszenierung im öffentlichen Raum stattfinden. Die Praktiken, damit umzugehen, können sehr privat und vergleichsweise ›uninszeniert‹ ausfallen, gewissermaßen eine ›Situation‹ begleiten. Wie dem auch sei: Was die Story beiträgt zur Inszenierung, gilt in der Inszenierung als Bühnengeschehen erst in Aktion. Freilich kann man sich auf dieses
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Geschehen und Erleben auch als auf ein Vergangenes beziehen und, dies im Sinn, abgeleitet von einer »Inszenierung« sprechen. Diese Perspektive muss gesondert untersucht werden. Die »Hinterbühne«, der Ort, an dem die Ressourcen der Produktion lagern und Platz ist für die Zurüstung des Auftritts, bleibt abgedunkelt für das, was im Licht der Vorderbühne passiert. Hinter den Kulissen sind vornehmlich die Spezialisten zu Hause, die sich mit der professionellen Vorbereitung der ›Szene‹ beschäftigen. Die Bezeichnung »Szenografie« für diesen komplexen Aspekt von ›Inszenierung‹ hat sich erst spät auch im Deutschen eingebürgert.8 Die Eindeutschung des Ausdrucks indiziert eine Unabhängigkeitserklärung der Szenografie als künstlerisches und gestalterisches Konzeptions- und Praxisfeld. Je nachdem geht damit wie in der Kunst eine Betonung von Autonomie und Einmaligkeit des Bühnengeschehens und der Performance der Akteure einher. Oder aber der Anspruch betont die Eigenständigkeit der Entwurfsgestaltung, wie es eher im professionellen szenografischen Design oder auch in der Architektur der Fall ist. So oder so wird der Szenografie dennoch eine gewisse Zuständigkeit für die Botschaften und Narrative, die von der Bühne herab verkündet werden, zugestanden. Insofern sich unter solch transdisziplinärem Anspruch von »Szenografie« ein Strauß kreativ gestalterischer Kompetenzen und Qualifikationen versammelt hat, verwundert nicht, dass die Semantik auch hier das Selbstverständnis der damit verbundenen territorialen Ansprüche artikuliert, sowohl in Richtung Auftritt oder Aufführung, Spiel oder Performance als auch in Richtung Skript oder Szenario, Narrativ oder Buch.9 Der Ausdruck »Szenografie« selbst ist alt und gehört von Beginn an zum Theater. Er bezeichnet einen Raum und eine Kunstfertigkeit; ursprünglich freilich nicht unbedingt in der Bedeutung, in welcher das Wort mit der Zeit – und schon in der Antike – verwendet wird. Die Fokussierung des Raums, der mit der Szenografie in den Blick gerät, scheint dauerhaft kaum scharf zu stellen. Mithin wird darum gestritten. Das Verständnis, das im 19. Jahrhundert mit dem Begriff ›Inszenierung‹ auch die mitgelieferte Kategorie ›Szene‹ festlegt, deutet unmissverständlich auf die Identifikation von »Szene« und »Auftritt« hin, eine Rationalisierung des lange schon im Theaterbetrieb geübten Verständnisses, allerdings mit den Modifikationen, die mit der Herausbildung eigenständiger Künstlerpersönlichkeiten auch auf dem Theater einhergehen. Doch was wird womit identifiziert? Die zitierten historischen Erklärungen lassen keinen Zweifel. Zwar bezieht die Szenografie ihr Selbstverständnis und alle Legitimation aus der intendierten Aufführung, doch lässt sie sich klar unterscheiden vom Auftritt selbst. Denn sie beansprucht das Regiment über die Bühne – auch und erst recht, wenn sie sich nicht auf Ausstattung, Bühnenbild, Gestaltung des szenischen Raums beschneiden lässt, sondern im Bunde ist mit der Botschaft, der Geschichte. Die Überzeugung ist, dass keine Szene auf dem Theater vorzustellen sei, die nicht zuvor durch eine vorbereitende Inszenierung von Form und Inhalt gefasst worden wäre. Mit der Inszenierung verhält es sich wie mit der Szenografie. Auch sie findet sich im Entwurf wie im Auftritt. Ist das Bühnengeschehen hinreichend fixiert, sind Improvisationen von Text und Handlung nicht zu erwarten, sind die Handreichungen des scenario der Commedia dell´arte für das Publikum im Sprechtheater entbehrlich. In der Oper dagegen mögen sie weiterhin hilfreich sein, da die Libretti eventuell nicht zu verstehen sind. Allemal ist das vollständigere »scenarium« nicht an die Besucher adressiert, wie das Theaterlexikon
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für Vorstände, Mitglieder und Freunde des deutschen Theaters von 1841 aufklärt. Im gleichnamigen Eintrag des Handbuchs wird darauf aufmerksam gemacht, dass es sich vor allem um ein Nachschlagewerk für den Inspicienten handelt, dem offensichtlich eine Reihe szenografischer Aufgaben zufallen. Hinsichtlich der Einrichtung der Szenen und der »Scenenveränderung«, allerdings, wird, wo diese eintritt, [...] nur soviel angegeben, als dem Insp[icienten] zur augenblicklichen Übersicht nöthig ist, und was mit seiner Scenenleitung in unmittelbarer Beziehung steht.«10 Der Rest liegt in der Hand des Regisseurs, so es seine besondere Funktion denn schon gibt.
Szene & Chor. Opsis & Mythos. Szenografie & Choreografie Gehen wir an die Wurzeln der Sprache, finden wir im Umkreis der attischen Tragödie das griechische skēnē, die Ahnin der Familie »Szene«. Tatsächlich steht der Begriff aber zuerst selbst nicht für die Bühne des Schauspiels, sondern als Bezeichnung für den gesonderten, zumindest eigens definierten Ort der Vorbereitung der Aufführung: Zelt, Hütte, Werkstatt. Was dort passiert, ist nicht für die Augen des Publikums gedacht, selbst wenn Planen und Proben am selben Platz wie die Aufführung stattgefunden haben sollten. Wenn am Beginn des Theaters nicht die Bühne der Szene den Platz der Aufführung definierten konnte, weil sie außerhalb lag, muss der Raum des Spiels anders gefasst worden sein. Und in der Tat kennt die ursprüngliche Tragödie die Bühnenexposition nicht, sondern allein den »Spielplatz« (griechisch: orchēstra), außer Spiel- auch »Tummel- und Kampfplatz«. Hier agiert und ›singt‹ der dionysische Chor. Die apollinischen Helden, um mit Nietzsche zu reden, warteten noch auf ihre Szene. Die Werkstatt findet zuerst außerhalb oder am Rand der orchēstra ihren Platz. Dass die skēnē nichtsdestotrotz in der Nähe des Geschehens aufgebaut bleibt, so nah, dass man noch in der Antike mit einem Wort das eine für das andere nimmt21 und die orchēstra des Chors aus der Handlung entfernt, als Ort der Musik abspaltet –, hat praktische, ästhetische und metaphysische Gründe. Sprachgeschichtlich erhellt, dass die frühe Trennung der Räume auf Vereinigung, zunächst mit erkennbar unterschiedlichen Funktionen, endlich durch Substitution hinausläuft. Schritt für Schritt rückt die ›Szene‹ auf den Spielplatz zu, um sich schließlich mit ihm zu verbinden.12 Die Planung der skēnē selbst geht auf die Bühne und setzt ihre Erkennbarkeit in die Differenz zur dunklen Sage des Chors. Hinter dieser Kongruenz, allerdings, verbirgt sich ein Konflikt zwischen Sichtbarkeit und Unsichtbarkeit, Wahrheit und Täuschung. Je weniger die Werkstatt von der Bühne, die Szenografie von der Szene nachvollziehbar zu unterscheiden ist, desto größer das mögliche Misstrauen gegenüber der ›Authentizität‹ des Geschehens und dem, was alles ›gemacht‹ sein mag. Allemal, wenn das Wissen des Chors nicht mehr zu Hilfe kommen kann. Die Lage ist alles andere als durchsichtig. Indes wird man »Szene« nur verstehen, wenn man »Orchestra« mitdenkt und was ausgetragen wird zwischen beiden Orten. Am Ende dieses Teils werden wir das Verhältnis von Bühne und Chorplatz dem von »Szene« und »Situation« vergleichen. Für die Terminologie hat dies eine Konsequenz: Szenografie und Choreografie rücken in ein ähnlich enges Verhältnis zueinander. Die klassische Referenz für den szenisch chorischen Auftritt stellt das griechische Theater, allem voran in der Einrichtung der attischen Komödie und Tragödie. Die aristotelische Poetik stiftet den klassischen medientheoretischen Referenztext, auch für das Verhältnis von Szene und Orchestra, Schauspielerspiel und Chorauftritt. Die Topologie des Theaterspiels spiegelt sich in der dramaturgischen Verteilung von mythos und opsis, Geschichte und Inszenierung. In der szenischen Auseinandersetzung
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mit dem mythos, dem figurierten und dramatisierten Inhalt der erzählten Geschichte, verdichten sich die wechselnden Zustände affektiver Beantwortung des sinnlich vermittelten Empfindens, Erlebens und Vorstellens zu ›Ursachen‹ weiterer, unter Umständen heilsamer psychischer Wirkungen im Laufe des Geschehens. Mythos in diesem Sinne ist nicht Mythos im modernen Verständnis. Vielmehr bezeichnet mythos, was mittels dessen eine Geschichte etabliert und Kontext stiftet. Mythos meint die sich selbst und das weiter fortdauernde, die beginnende und gründende Erzählung, in die ›einzutreten‹ das ursprünglich religiöse Spiel einlädt. Bei Aristoteles und den attischen Dramatikern bindet sich die Inszenierung über den mythos an das Reich und die Geschichte der Handlungen und ihre szenisch poetischen Rahmungen. Es handelt sich um poiesis, Dichtung, die auf praxis verweist, auch auf pragmata – vielerlei Taten und Geschehnisse. Aristoteles schreibt: »Die Nachahmung [die notgedrungen anschließende und deshalb mimetische Darstellung – mimesis – HW] von Handlung ist der mythos.«13 Typischerweise wird das aktiv nachempfindende, szenisch nachahmende, indes autonome Handeln angeregt durch das Miterleben von harmatia. Die Besucher, die zur Feier der Tragödie kommen, sind dabei, wenn die Menschen, deren Schicksal sie begleiten, fehlgehen oder einem Irrtum erliegen. Regungen und Empfindungen, welche die Schauspieler, ihrer Rolle verbunden, vermitteln, um darzutun, was es heißt, dem Schicksal die Stirn zu bieten, erleben sie am eigenen Leib. Die Dramatik projiziert sich nicht nur auf den Spielraum von Bühne und Chor, sondern insbesondere auf die Zeit, die bleibt, aber unerbittlich verrinnt, im Theater wie im wahren Leben. Das Spiel auf der Bühne zieht alle Anwesenden in den Sog eines zunehmend kollektiv erinnerbaren aufführbaren Geschehens. Denn Dichtung bedeutet nach Aristoteles ausdrücklich nicht, dass die dramatische Dichtung ins Spiel ›übersetzt‹ würde, sondern »dass Handelnde handeln«. Sieht man auf die von Aristoteles privilegierten Affekte, ist zu verfolgen, in welche Richtung die Wirkung der angebotenen Bedeutung drängen sollte. Gescheucht werden die Gefühle von phobos, Ängsten und Besorgnissen, die der »inwendige Sinn« (Kant) der zur Feier Gekommenen ebenso auslöst wie eleos, Gefühle und Stimmungen, die zum Jammern bringen und mitleiden lassen angesichts der in Szene gesetzten Tragik – mitleiden auch mit sich selbst. So zeigen die erregten Sentiments und Leidenschaften nicht nur, dass sie durchaus in der Lage sind, sich selbst in Stimmung zu bringen und in Szene zu setzen. Bewegt werden sie nicht zuletzt von einer selbst verordneten ästhetischen Formierung der eigenen Empfänglichkeit unter dem Eindruck der Geschehnisse und Schicksale. Dafür zuständig ist neben dem Spiel der Charaktere und der Stimme des Chors die opsis. Gewissermaßen existiert eine Verschränkung durchaus auch widerstreitender Kräfte und Einflussgrößen von Bühne (skēnē ), Schauspielern und Gestaltung des Geschehens für Auge und Ohr (opsis) auf der einen und Orchestra (orchēstra), Chor und Geschehen (mythos )auf der anderen Seite.
Bühnenwerkstatt & Bühnentechnik Kehren wir zurück zur Szene. Kaprizieren wir uns aufs »Zelt« und auf den Raum, wofür hier gearbeitet wird. Zumindest ab dem Zeitpunkt, zu dem die Bühne mit dem Spielplatz koexistiert, mag man der Übersetzung einiges abgewinnen: Zelt und Hütte lassen sich leicht abbauen und zusammenpacken, wegbewegen und an unterschiedlichen Orten erneut aufbauen, ermöglichen so, neue Räume aufzuschließen und neue Interaktionen ins Spiel zu bringen. Doch die Funktion ist wichtiger als die Platzierung. In der Werkstatt, bei den grapheis den Szenografen – reifen die Einfälle für die
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Aufführung, die Modelle und Entwürfe. Hier entstehen die Vorstellungen, die ins Spiel gebracht werden sollen. Imagination und Invention sind hier zu Hause. Das geht die Dinge an und die Technik, aber genauso die Ideen und die Geschichte, die auf dem Theater spielt, selbst noch dann, wenn sie, wie im postdramatischen Theater, in der Szene ad hoc erinnert oder improvisiert werden sollte. Die Disposition für das Spiel ist hier zu Hause, sie ist bühnenkonzentriert. Der Chor wird ihr nicht geheuer (gewesen) sein. Die Wissenschaftlich-literarische Enzyclopädie der Aesthetik Wilhelm Hebenstreits übersetzt »Scenographie« (oder »Skenographie«) 1843 in Einklang mit einer bis auf das antike Theater zurückreichenden Tradition und dem Zeitverständnis als »Scenenabbildung«, »Fernmalerei« oder »perspektivische[n] Entwurf«. Alle drei Aspekte demonstrieren das Projektionsverhältnis von Szenografie und Szene. Der Sinn dieses Verhältnisses wird besonders deutlich im Blick auf den Vitruv´schen Gebrauch des Begriffs im Verständnis von »Perspektive«. Hebenstreit rätselt gar, ob es im Buch des Vitruv nicht eigentlich sciagraphia heißen müsse statt scenografia. Es handelt sich um eine aus dem Entwurf heraus gedachte Betrachtung der kompletten Inszenierung, von Inhalt und Form, message und performance, inventio und manifestatio.14 Diese »Szenographie«, erinnert Hebenstreit in Übereinstimmung mit den alten Enzyklopädien, »erschien auf dem griechischen Theater seit Sophokles, und Aristarchos soll, einer der ersten, sich damit beschäftigt haben.«15 Gemeint mit diesem Heiligen der Szenografie ist Aristarchos von Samothrake, der Lehrer des Apollodor, kein Künstler, sondern ein berühmter Philologe und Textkritiker des Altertums. Das erinnert daran, dass die szenografische Gestaltung ursprünglich in der Hand der Autoren lag, später dann in die der Schauspieler überging und langsam erst in die Verantwortung professioneller Handwerker und Künstler. Jedenfalls ist es verständlich, wenn Benselers Wörterbuch skenographia als »Kulissenmalerei« wie auch als »Erzählung wie auf dem Theater«16 oder überhaupt wie bei Plutarch als »erdichtete tragödienartige Erzählung«17 übersetzt. Offenbar lässt diese Lesart zur Bezeichnung besonders aufführungsaffiner Narrative sogar eine gewisse Gattungsspezifik durchblicken, einen Typ Literatur: »Geschichten wie auf dem Theater«.
Scenografia, Ortografia, Ichnografia Unter dem Gesichtspunkt der Architektur – Henri Lefèbvre, der Theoretiker des Raums, macht immer wieder darauf aufmerksam – gilt als eines der wichtigsten Charakteristika eines Entwurfs oder Projekts, dass das konzipierte Unternehmen auf seine Realisierung im physischen Raum angelegt ist. Der Plan dringt auf die Ausführung. Was sich auf alle Elemente der Konstruktion bezieht, muss ebenso für alle Elemente ihrer Nutzung gelten. Die vergesellschafteten Praktiken der beteiligten Akteure und Agenzien18 gehen als historische und situative Bedingungen in die Objekt-, Ereignisund Handlungsstrukturen mit ein.19 Es stimmt, je nach Situation können passende Szenen in einer Szenifikation (respektive ›als Inszenierung‹) zusammengeschlossen werden. Doch sind nicht nur zwei Instanzen bei diesem Zusammenschluss beteiligt. Zunächst ist zu bedenken, dass es sich tatsächlich um je unterschiedliche Perspektiven oder ›Abbildungs-Vorstellungen‹ handelt, die, je nach Raum, sowohl koexistieren als auch sich ausschließen können. Wichtig zugleich ist, den Aspekt der Produktion und der Produktivität im Gedächtnis zu behalten. Die Orientierung auf den abgebildeten Raum steht ganz im Dienste einer produktiv kreativen Tätigkeit. Aus der Sicht des Architekten passiert im Raum seiner Planung und seiner Aktivitäten nichts einfach
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nur als Schauspiel, wie man vom ›Schauspiel der Natur‹ spricht. Derartige ›Bilder‹ sind dort nicht vorgesehen. »Bild« im szenografischen Sinne ist immer Bild eines Objekts (das natürlich ein Bild sein kann), gehört der Ordnung der Repräsentation an, im Unterschied zum szenischen Sinn bei der Verwendung von ›Bild‹ im schlichten Verständnis der lateinischen Bedeutung von scena.20 Offenbar geht es um die Projektion eines Projekts, eines Unternehmens handfester Realität. Aber bevor das ›Bild‹ noch projiziert werden kann – wiewohl es gewissermaßen auch aus einer Projektion, einer Projektion des Geistes entsteht – braucht es einen Aufriss, einen disegno. Dieses Design dann gilt es in die Tat umzusetzen. Sebastiano Serlio unterscheidet in seiner Architekturtheorie von 1545, anknüpfend an Vitruv, drei Methoden architektonischer Darstellung, ichnografia als Zeichnung des Grundrisses, ortografia als Ansicht der Fassaden und scenografia21 als komplexe Aufsicht und Ansicht, Rahmung des Raums eines Geschehens oder Erlebens. Dabei wählt Serlio diese Begrifflichkeit in der Diktion Vitruvs ausdrücklich mit Rücksicht auf die Praxis der Architekten, um Aufriss und Raum miteinander ins Gespräch zu bringen. Für Serlio ist es eine Definition des räumlichen Blicks, der neu konzipierten Perspektive.22 Die szenische Projektion in Handlungsabsicht besorgt noch einiges darüber hinaus. Sie verbindet den Blick auf den Raum mit einer Idee und einem Bündel von ihr geleiteter Bedeutungen. Dabei selektiert die gewählte Perspektive eine explizit vorliegende Szenografie. Nur wenige unter vielen Lösungen macht sie stark. Doch scheint dies erforderlich, um einen einzigen Entwurf auch tatsächlich zu verwirklichen. Zudem gehört der Blick von Ichnografie und Orthografie in die Perspektive selbst, die von daher beweglich erscheint. Die Kadrierung eines Bildes sagt nichts über seinen Inhalt, die scenografia wenig über die ästhetische Wirkung im Auftritt eines Gebäudes, welche Assoziationen die Fülle seines Volumens, die Vielfalt seiner Gliederung bei denen hervorrufen mögen, die ihm begegnen. Dafür braucht es über die Linien, Vektoren des Entwurfs und der Pläne hinaus (disegno) eine Vorstellung davon, wie sich, was mit dem Entwurf erzählt werden soll, entfaltet. Für die Architektur mag es ungewöhnlich sein, die fertige Gestalt des Gebäudes wie ein Bild zu behandeln, dessen Komposition und Erzählung beschreibbar sind wie die eines Gemäldes. Spricht indes der Architekt über die scenografia der Malerei, gibt er genau darüber Auskunft. Scenografia hier ist zuerst istoria. So bei Leon Battista Alberti noch in den Anfängen der Rückbesinnung auf die Antike ein Jahrhundert vor Serlio. Alberti beschreibt die verwickelten Affären der Künste am Beispiel eines Bildes des sagenhaften Apelles, das nicht von ungefähr ein Werk ist, das von der Verleumdung handelt. Allerdings ist es nur aus der Überlieferung eines anderen Kunstwerks bekannt, einer Dichtung Lukians, in der das Werk des Apelles beschrieben wird. Auf diese Beschreibung bezieht sich Alberti im Sinne eines szenografischen Perzepts23, der Komposition einer Geschichte, einer Szene, als Entwurf für ein anzufertigendes Gemälde. Diese istoria empfiehlt Alberti seinen Künstlerkollegen, nicht ein fertiges Bild. »Die istoria vermag die Herzen bereits zu fesseln, während sie nur in Worten dargeboten wird: angesichts dessen stelle man sich vor, wie viel Anmut und Liebreiz von ihnen ausgegangen sein müssen, als man das Gemälde [...] selbst betrachten konnte.«24 Die Relevanz der istoria zeigt die beschriebene Szene des Apelles-Gemäldes in Verbindung mit einer von Lukian dazu arrangierten Geschichte über Apelles´ Verhalten als Künstler. Sie illustriert, was der Maler selbst unternahm, um einer möglichen Verleumdung seiner Kunst nicht zum Opfer
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zu fallen und stattdessen dem Ziel wahrhafter Malerei näher zu kommen. – Einer Wahrheit, muss man ergänzen, die, wenn sie die Verleumdung besiegt hatte, selbst den ihr zukommenden Auftritt hätte haben müssen in einer Fortsetzung der gemalten Apelles-Geschichte. – Alberti empfiehlt der Kollegenschaft folglich, beiden Erzählsträngen Lukians hinsichtlich der istoria des Apelles zu folgen, der Komposition nach Vorbild einer beeindruckenden Geschichte, wie sie ein Dichter von Rang zu erzählen weiß, und der Wohlberatenheit, sich selbst in Hinsicht solcher Vorzüglichkeit frühzeitig und möglichst gut ›ins Bild zu setzen‹ – wie Apelles, der, versteckt hinter seinen Gemälden sitzend, sich angewöhnt hatte zu belauschen, was die Betrachter seiner Bilder darüber redeten, um sich sodann mit diesen Beurteilungen zu eigenem Nutzen auseinanderzusetzen. Alberti schlägt eine Art szenografisches Forschungsprogramm vor; denn dass der Zufall darüber entscheidet, wie istoria und scenografia optimal zu konfigurieren wären, kann der Schluss nicht sein. »In der Tat, niemand fühlt sich nicht dazu berufen, seine Meinung über die Meinung anderer Leute vorzubringen.« Also muss der Künstler, bevor er zu einem schlüssigen Entwurf kommt, »seine eigene Abwägung vorgenommen und Fehler beseitigt haben; und wenn er dann alle angehört hat, soll er denen folgen, die mehr von der Sache verstehen.«25 Scenografia und istoria gehören zur inventio. Hier, in der inventio, liegt die Kunst beschlossen, welcher die manifestatio zu einem bündigen Ausdruck verhelfen muss. Perspektive, Narrativ und Komposition gelten einer der Ordnung und den Gesetzen der Natur wie der Kunst gleicherweise folgenden Mimesis, umso erfolgreicher, je besser die Verhältnisse studiert sind. Ob diese Einbettung von scenografia und istoria, Begriffen der italienischen Kunst des 15. und 16. Jahrhunderts, ebenso charakteristisch für die moderne ›Inszenierung‹ und die auf sie Einfluss nehmende Szenografie ist, werden wir sehen. Die gemeinsame Perspektive von Architektur und Malerei bestimmen die Debatten der Renaissance um den paragone, den Rangstreit unter den Künsten26; die Bildhauerei ist, wie sollte es anders sein, ebenfalls mit im Spiel. Ob sich Alberti, Leonardo oder Dürer tatsächlich so eindeutig für die Malerei aussprachen, wie es den Anschein hat, ist im Lichte der theoretischen Debatten zur Frage kaum zu entscheiden. Jedenfalls fördert der Vergleich Gemeinsames zutage, das begrifflich weiterhilft und allgemeine Beziehungen zwischen Künstler, Entwurf und Werk erhellt. Die Charakterisierung der scenografia als Perspektive bringt es mit sich, dass der Blick auf die Projektion, die ihr folgt, gerichtet ist, auf die Korrelation von Entwurf und fertiggestelltem Auftritt des Werks. Selbstverständlich lässt sich die scenografia aber auch als solche qualifizieren und beurteilen, unabhängig von der Tatsache, ob sie realisiert ist oder nicht. Zweifellos hat man es hier unter Umständen ebenso mit einer Kunst zu tun, mit einer Kunst, die je nach Einzelkunst dem fertiggestellten Kunstwerk nicht nachstehen muss. Man könnte die Malerei selbst benennen, in der kaum in jedem Fall zu beurteilen sein wird, ob, was das Bild zeigt, vielleicht noch seinem Entwurfsstadium zuzurechnen sein könnte oder, notgedrungen, als das vollendete Werk betrachtet werden muss. Anders in den performativen Künsten, auch in der Architektur, deren scenografia und istoria dem Zweck unterstehen, in einem zeitlich begrenzten Format, dafür aber wiederholt zur Aufführung zu gelangen. Serlios Ausführungen über die Art der Kunst, die der scenografia im Unterschied zur Architektur zukommt – aber natürlich ihr einverleibt – sind deutlich. Es ist der disegno, der hier zum Zuge kommt, der grafische Aufriss als Zeichnung, der dem Entwurfscharakter entspricht. Die
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Konsequenzen liegen auf der Hand. Der Szenografie aus scenografia und istoria ist als das ihr eigentümliche Entwurfssystem und Darstellungsformat das ›Design‹ zuzuzählen, womit schon im 16. Jahrhundert offenbar eine Kunst und Reflexion integrierende kreative Tätigkeit beschrieben ist. Vasari argumentiert im Rangstreit von Architektur, Malerei und Skulptur mit einem Perspektivenwechsel, der die Perspektive Serlios gleichsam umdreht. Statt von der verschiedenen sinnlichen Anmutung des vollendeten Kunstwerks auszugehen und vergleichen zu wollen, was nicht vergleichbar ist, lenkt er den Blick auf die Eigenart des künstlerischen Gestaltungsentwurfs. Dessen semiotische Effektivität sieht Vasari bei allen ins Auge gefassten Künsten in ein und derselben Darstellungsweise gegründet, eben in der Art, ein Design anzufertigen. »Bei allen diesen Tätigkeiten und einfallsreichen Künsten erkennt man ihre Abstammung vom disegno, der die notwendige Voraussetzung für sie alle ist und ohne den nichts zustande kommen kann.« Disegno ist »der Vater unserer [...] Künste [...], der aus dem Geist hervorgeht und aus vielen Dingen ein Allgemeinurteil schöpft«.27 Wir werden sehen, dass der Begriff durch seine neuplatonische Adressierung28 keineswegs überlastet erscheinen muss und dass tatsächlich Grund besteht, Design als Szenografie und Designtheorie als Erweiterte Szenografie, expanded scenography zu denken. Zurück zu den Angehörigen der Skene-Familie. Für die gestalterisch praktische Arbeit an der Bühnengestaltung, für die das production design experimentiert, hat man Mitte des 19. Jahrhunderts, zur Zeit der Einführung von »Inszenierung« ins Deutsche, wie schon zuvor auch »Scenik« parat: »die Kunst die Bühne zu theatralischen Darstellungen einzurichten und zu verzieren«, mit unterschiedlich entwickelter Arbeitsteilung. Und auch der »Scenograph«, tatsächlich hier nicht (mehr) der Autor der Geschichte, sondern verantwortlich für ihre intermediale Präsenz als ›SchauSpiel‹, erinnert daran. Ebenso verweist darauf die technische Bedeutung desselben Ausdrucks, mit der das »die perspektivische Zeichnung erleichternde Instrument« gemeint ist, das von Albrecht Dürer und dann von Ludovico Cigoli im 16. Jahrhundert erfunden wurde29 und noch in Gebrauch ist, quasi eine Maschine zur Erfüllung der szenografisch diagrammatischen Aufgaben, den Plan auf den Entstehungsraum des Projekts zu projizieren. Es ist also richtig und nicht erstaunlich: Es gibt die Inszenierung nicht nur im Sinne der Szenografie. Vielmehr ist es berechtigt, zu behaupten, dass vor allem hier das In-die-Szene-Setzen seinen Platz findet, allerdings vorläufig und nur vorläufig, antizipativ, im Entwurf, zur Probe. Die Wahrheit der Inszenierung, das, um es mit einem Gedanken Adornos auszudrücken30, was an ihrem Schein durchzuscheinen vermag, muss sich im Auftritt, in immer wiederholten Auftritten bewähren. Das heißt aber auch, vor sich selbst, sofern sie vorhat, sich als Setzung verschwinden zu machen. Der Entwurf muss hinter dem Werk zurücktreten, um sich zu verwirklichen. Sprechen wir von der mehr oder weniger professionellen Szenografie im Rahmen, vor allem, eines institutionalisierten und professionalisierten ›Theaters‹ im öffentlichen Raum, rechnen wir, wie angedeutet, nicht nur alle Varianten künstlerisch gestalterischer Darbietung dazu, sondern ebenso die Auftritte, die sich einer merkantilen oder politischen Szenografie verdanken. Ebenso ist an die zeremoniellen und rituellen, liturgischen und kultischen, die unzähligen Varianten institutionalisierter Medien-Szenografien im Grenzbereich von Information, Unterhaltung und Kunst zu denken – und nicht zuletzt an die Szenografien der Wissenschaften. Trotzdem: dass die eigentliche Szenografie außer in ihrer szenisch performativen Präsenz als Werk,
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Artefakt, Schauspiel – im Auftritt – Darstellungsspuren hinterlassen muss, ist nicht zwingend. Trotz der Angewiesenheit auf szenografische Kompetenz, wenn es sich darum dreht, der »Gesellschaft des Spektakels« zu adäquaten Erlebnissen, zu events zu verhelfen, mag es sein, dass der Entwurf in seiner Realisierung verdunstet ist. Deshalb von der ›Inszenierung ohne Szenografie‹ anzunehmen, dass in der ›Szenifikation‹, einer sich realisierender Inszenierung weder Idee noch Vorstellung von der Art der szenischen Performance existierten, kann dies allerdings nicht heißen.
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auftritt des volkes
Die Beglaubigung des Inszenierungsdiskurses findet sich in den Inszenierungspraktiken, der Unzahl seiner unterschiedlichen Dispositive. Doch selbst soweit sie Gegenstand der Forschung sind, ergibt sich daraus, verständlicherweise, kein übersichtliches Tableau, kein einheitliches oder auch nur einigermaßen scharfes Bild. Doch lenken die Facetten des Bildes darauf, dass dieses Bild auch Spiegel ist. In ihm kommt Vergangenes, schemenhaft meist, als Erinnertes heran.
Inszenierungswurzeln. Souveränitätsreflexe Im Bild mag sich das weltumspannende mediale Spektakel als immer schon universal gelebte Kunst theatraler Aufführung geben. Im Spiegel indes färbt sich die ästhetische Oberfläche deutlich politisch. Im fernen Spiegel – dem distant mirror Barbara Tuchmans – erscheinen die Umrisse eines sozialen Wandels, der gleichwohl die Kunst nicht unberührt ließ. Der »Reflex« im Spiegel der Gegenwart zeitigt wohl beides: Spiegelung und Besinnung, wenn denn die Klarheit reicht. Denn die Bilder des Spiegels fordern für die heutige Zeit tatsächlich mediale Diversifikation, doch anders als in Form bloßer Partikularisierung eines zunehmend vereinheitlichten Unterhaltungsformats. Die Übertragung der frühen Bilder in die deutsche, europäische, ja globalisierte Gegenwart muss weite Räume öffnen und zeitgemäße Bilder und Szenarien finden für das, was unter dem Begriff »Kapitalismus« zu verstehen ist. Was mit der politischen Revolution nicht erst begann, beschleunigte sich im Laufe der Nationenwerdung und Industrialisierungsschübe des 19. Jahrhunderts, um nach Krisen und Kriegen in einem Prozess zunehmender Zersplitterung, Zerstreuung und Vermehrung seit dem Einstieg in die informationelle Revolution erneut gewaltig zuzulegen. Ein Ende ist nicht abzusehen. Dass so heterogene Konzepte wie das der »dramatologischen Soziologie« oder das der »Soziologie der Lebensstile« nicht unbewusst an ein schon in die Jahre gekommenes bürgerliches Theatermodell anknüpften, sondern sich zugleich seiner besonderen Legitimationsbasis erinnerten, ist keine Frage. Das Gleiche gilt für die (wenigen) politisch ambitionierten Bewegungen von der Art der Situationistischen Internationale, die sich in der Konsequenz von historischer und selbst gemachter Erfahrung ganz vom Spektakel verabschiedeten, was auch für einige wenige Strömungen der Kunst des 20. Jahrhunderts zutrifft. Ob die historische Besinnung, die im Spiegel der eigenen Bildproduktion durchaus Veranlassung finden kann, für die Breite der jüngeren Theatralitäts- und Inszenierungsforschung auch zu Konsequenzen sozial ökonomischer Reflexion und Positionierung führt, scheint weniger wahrscheinlich, wenn man ihren Einlassungen folgt. Der Attraktivität der These von der ›Inszenierungsgesellschaft‹ tun kritische Einwände, die sich auf ihre Gründungsgeschichte berufen, indes keinen Abbruch. Das galt schon für die Wissenschafts-Community, für
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die Habermas´ Öffentlichkeitskonzept keine Maßstäbe mehr setzte. Dafür leitete die ästhetisch kulturtheoretische Programmatik aller sozialen Beziehung frisches Wasser auf die Mühlen der Medien und eines breiten Publikums. Reichlich versorgt von der Intelligenzia mit den popularisierten Resultaten aus empirischen Untersuchungen zugehöriger Befindlichkeiten, haben weder Medien noch Publikum Probleme damit, sich selbst zum Sprachrohr solcher Gesellschaftstheorie zu machen. An Einfluss jedenfalls scheint dieser Entwurf gesellschaftlichen Selbstverständnisses konkurrierenden Konzepten weit überlegen. Freilich sieht dieser Schluss ab von den vielfach abstrakt formulierten und deshalb weniger eingängigen systemtheoretischen oder konstruktivistischen Strategien im ›sozialtechnologischen‹ Programm Luhmann´scher Provenienz. Zwar verträgt es sich im Einzelfall ganz gut mit der kulturwissenschaftlichen Soziologie und Hermeneutik. Im Unterschied dazu aber ist es tatsächlich ins Innere des gesellschaftlichen Organismus vorgedrungen, um seinen Metabolismus zu regeln; jenseits der Gelehrtenrepublik mitten im Gefüge der sozialen Mächte. Dort füttern die Systemlogarithmen die Produktionsmaschine eines Theaters, dessen Regisseuren und Szenografen die zugrunde liegenden Produktionsverhältnisse weiterhin schleierhaft bleiben.
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inszenierung der freiheit – aufklärung, verklärung, zerfall
Was im Bild der Vergangenheit erscheint, gilt es, in seinem Blick, von innen her auszuleuchten. Was von daher erhellt, zeigt, dass auch der Reflex mit Nationalcharakter und Nationalbewusstsein, mit nationalem Erbe und nationaler Projektion zu tun hat. Dazu gehört, dass die erinnerte Vergangenheit als ›deutsche‹ Geschichte im Großen und Ganzen als schmerzliche, teils tragische Erfahrung aufbewahrt wurde (vielleicht wird), als Erfahrung jedenfalls, die, verdrängt, neue Symptome auszubilden disponiert war. Sie wollten und wollen wiederum bearbeitet werden und wollen. Ihre Ursachen zu verstehen, den Schmerz zu überwinden, die Krankheit zu kurieren, wurde vielfach versucht. Doch die unternommenen Anstrengungen wurden selten als Erfolg, viel eher, je nach Standort, als gescheitert oder auch als nur mehr oder weniger gelungen beurteilt. Nicht die unbedeutendste dieser Mühen richtete ihre Energien auf ein Programm zur Ästhetisierung des Politischen und darin aufgehobener Gesellschaftsverhältnisse als notwendiger Bedingung eines eigenen heilsamen deutschen Wegs. Hier, so die Hoffnung, bestand die Chance auf Anknüpfung über Brüche und Verstörungen hinweg.
Delegitimation & neues Recht Die »Leitrevolution« kannte die ästhetische Überhöhung der eigenen Leistung und pflegte sie ergiebig, wie die großen und kleinen Inszenierungen der Volkssouveränität zeigen. Die Konservativen, Royalisten, Kriegsgewinnler kannten ihr Propagandageschäft ohnehin, waren sie doch bereit, mit überkommenem Bewährtem weiterzumachen und schöpferisch daran anzuknüpfen. Im Zuge der Restauration, aber auch der Fraktionierung der revolutionären und postrevolutionären politischen Strömungen musste sich die radikale Demokratie passenden oppositionellen Traditionsanschluss für die Zukunft erst noch konzeptualisieren. Trotzdem: die alten Mächte befanden sich nicht weniger im ›Widerstand‹. Sie hielten die jüngste Delegitimierung grundsätzlich für Usurpation, glaubten, dass Inszenierung gut aufgehoben sei im Theater. Das demokratische Fazit, trotz 1830 und 1848, ist bekannt. Kaum irgendwo in Europa
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ließ sich am Ende eine ungetrübte Traditionslinie radikaler demokratischer Politikausübung ausmachen, demnach auch keine Tradition ihres Auftritts im Stil der revolutionären Demokratie der 1790er Jahre in Frankreich. Das Problem stellte sich verschärft, soweit die »deutsche Misere«, wie man sagte, es noch bis zum Ende des 20. Jahrhunderts nicht als denkbar erscheinen ließ, derartige oder auch nur ähnliche Erfahrungen als geeinte Nation, als souveränes ›Volk‹ zu machen. Das Resümee des demokratischen Aufbruchs sah deshalb negativ aus. Die große deutsche Ausstellung zur Begehung des Bicentenaire der Revolution in Frankreich stellte die Geschichte zweihundert Jahre später bezeichnenderweise bündig dar als einen Prozess von »Aufklärung, Verklärung, Zerfall«. Im 19. Jahrhundert fanden sich die Deutschen wie andere Völker einesteils, wenn überhaupt nötig, in zügig restaurierten Untertanenverhältnissen befangen, gerieten andernteils, obwohl hier und da eine Weile ›befreit‹, unter den Einfluss der Kriegsgewinnler, voran Napoleons und seiner Entourage. Die Segnungen der Revolution erlebten selbst die Revolutionsfreunde, die allermeisten von ihnen bekanntlich in einer ›Gelehrtenrepublik‹ östlich des Rheins beheimatet, bald als Oktroi. Das galt auch dort, wo sich in deutschen Landen vereinzelt politisch aktive Demokraten gerührt hatten und vorübergehend zu Einfluss gekommen waren, einem Einfluss, der sich durchaus auch auf einen Streit um die Ordnung von Bühne und Inszenierung ausdehnen konnte, wie das Mainzer Beispiel zeigt, freilich in bescheidenem Ausmaß und ohne nachhaltigen Erfolg. Nicht geringe Bildwirkung zeitigt, was im Hintergrund des Spiegels eher abgedunkelt und nur schemenhaft erkennbar ist. Wollte man explizit machen, was mehr Ahnung als Bewusstsein des Herkommens ist, stieße man auf eine verschobene oder übertragene Souveränitätsidee, auszudrücken eher im Modus des Konjunktivs II als in den Versionen eines Indikativs. Ihr positiver Inhalt wäre in der historischen Überzeugung ausgedrückt, dass Würde und Erhabenheit dessen, was es bei den Franzosen zu feiern galt, offenbar eine Weile dem Volk nicht vorgespielt, nicht als Theater inszeniert werden musste und dass diese Tatsache als Ausdruck einer faktischen Souveränität dieses Volkes verstanden worden war.31 Einer der beiden Körper des Königs schien nicht geköpft worden zu sein.32 Die Souveränität hatte das alte Regime überlebt, allerdings eine Transformation durchgemacht. Die Souveränität, die legitimerweise sich selbst autorisiert, als eigentlicher Zweck ihres Theaters gefeiert zu werden, war ersetzt worden, ohne dass es den Anschein erwecken musste, dass es möglicherweise nicht der Schein des Königs war, dem das Schauspiel galt. Die Souveränität als solche nämlich war erhalten geblieben, war vom König auf das Volk übergegangen. So wollte es der Anspruch der »bürgerlichen« Revolution. Der Auftritt von Bürger- und Menschenrechten, Freiheit, Gleichheit und Brüderlichkeit musste sich demgemäß der Repräsentation nach Art des höfischen Theaters zu Zeiten Ludwigs XIV. und des Barock entgegenstellen, allemal der Inszenierung seiner schwächelnden Nachfolger und fürstlichen Imitatoren an den Höfen Europas, vor allem in den heroischen Zeiten bis zur Terreur, in verändertem Auftritt dann aber auch mit dem Beginn und mindestens bis zum Ende der napoleonischen Herrschaft. Die führenden Volksvertreter forderten neue Inszenierungsformen, um der Volkssouveränität ein eigenes, wahrhaft »öffentliches« Schauspiel zu bieten. Eindrücklichstes Merkmal dieser Aufführungen, die dennoch nur bedingt eine eigene Form von Machtinszenierung zu kreieren wussten, war, dass die revolutionäre Konstellation der Inszenierung die Details der Substitution
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des Souveräns tatsächlich vorübergehend vergessen machen konnte. Dies indes galt nur für wenige, ganz spezifische Szenifikationen, die, ironischerweise, am Ende der revolutionären Ära als Feier einer magnificentia ausfielen, die der königlich kaiserlichen Großartigkeit sehr nahe kam. – Da es zu dem, was im Hintergrund des Spiegels Bilder erinnert, gehört, nicht als Theorie- oder Ideologiegeschichte geltend gemacht zu werden, sondern als in der Gegenwart präsente, wenn auch überlagerte Vorstellung[en] zwischenmenschlichen Verkehrs, ist es hilfreich, einige Szenen in Erinnerung zu rufen.
Leitrevolution & ›Longue durée‹ Interesse und Anschluss der Revolutionäre, die auf der Suche waren nach einem öffentlichen Ausdruck souveräner Betätigung des Volkes, galten weniger dem Vorbild dessen, was in den stehenden Theatern für die neuerdings Begüterten gespielt wurde, oder gar dem, was die Höfe als Repertoire zurückgelassen hatten. Doch war es auch nicht das Volkstheater unter freiem Himmel, die Bühne der Schausteller und Gaukler, die der neuen Souveränität zum Vorbild für den eigenen Auftritt dienen sollte. Mehr motivierten die großen Feierlichkeiten der noch vor kurzem verbürgten Staatsgewalt, die »Freuden-Spiele« und »Ergetzlichkeiten, die der König für die Société de plaisir 33 hatte ausrichten lassen. Man erinnerte sich an die Hochzeit des Sonnenkönigs mit der spanischen Infantin Maria Theresia, die feierliche Entrée, die die Stadt Paris im Jahr 1660 erlebt hatte34, oder an die legendäre Kaiserhochzeit Leopolds I. mit der Prinzessin Margaretha Theresa von Spanien in Wien ein paar Jahre später.35 Aufzüge, Celebritäten und Plaisir, die damals schon, wie es das zeitgenössische Theatrum Europaeum verlauten ließ, weder im Streit mit Gott lagen noch mit »Publica und dem gemeinen Besten«.36 An solche Vorbilder der Inszenierung von Souveränität und Repräsentation gleicherweise werden David und Quincy gedacht haben, als sie, beauftragt vom Konvent, zu dem sie gehörten, die großen Feierlichkeiten der Revolution inszenieren sollten, das Fest von Châteauvieux zu Ehren der Befreiung meuternder Soldaten von den Galeeren 1790 in Brest oder das Fest des Simonneau, des Bürgermeisters von Étampes, der im Aufstand umgekommen war, in dem er das Nahrungsmittelgesetz hatte aufrecht erhalten wollen. Oder als es um die Festlichkeiten zum Jahrestag der Erstürmung der Tuilerien ging oder anlässlich der Verabschiedung der Verfassung, um das großartige »Fest der Einheit und Unteilbarkeit der französischen Republik«, das 1793 auf dem Marsfeld begangen werden sollte. Es kann nicht verwundern, dass die Inszenierung von Krönung und Hochzeit Napoleon Bonapartes rund zehn Jahre später, die ebenfalls von David als leitendem Regisseur und Szenografen verantwortet wurde, wieder in ähnlichem Ambiente stattfand. An der Strenge der Regie hatte sich nichts geändert. Schließlich wies nicht nur diese Festinstallation wie das gesamte revolutionäre Schauspiel der 1790er Jahre deutlich zurück auf die Souveränitätsspektakel der Könige.37 Was die Menge der neuen Bürger anging, war es doch immer schon eines der wichtigsten Ziele der Gouvernementalität gleich welcher Couleur, zu lenken und zu leiten. Das Gegenteil hätte verwundern müssen. Für die Feinheiten der Narrative hatten die wenigsten Verständnis, wenn sie sie denn aufgrund des Massenandrangs überhaupt mitbekommen konnten.38 Trotzdem scheint es, dass der radikale Bruch mit solcher Vergangenheit kurze Zeit wirklich spürbar war. Vielleicht empfanden ihn diejenigen, die bei den großen rhetorischen Inszenierungen, die im öffentlichen Raum von Kapitale und großen Städten stattfanden, dabei waren und die öffentlichen Debatten, Ansprachen, Reden, Proklamationen, Darlegungen auch inhaltlich persönlich verfolgt hatten. In Literatur,
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Journalismus und Briefverkehr findet sich derart immer wieder der Ballhausschwur vom Juni 1789 erinnert, eine der ersten großen Vorstellungen der versammelten Volksvertretung. Zur Inszenierung einer Idee avancierten diese Auftritte der Bürgerschaft erst mit den Feiern der Selbstermächtigung des Dritten Standes ab Juli 1790 in Paris.39 Mit großem Zeremoniell wurde hier, wie überall im Land, der Bürgereid bekräftigt. Vielleicht auch war der Bruch noch im Sommer 1794 für einige spürbar, kurz vor dem Untergang der jakobinischen Fraktion, beim Fest zu Ehren des »Höchsten Wesens«. Die Erfahrung eines völlig Neuen dürfte sich nun aber vor allem auf den in Szene gesetzten, noch frischen heidnischen Mythos bezogen haben, dessen kultische Messe unter freiem Himmel zu diesem Zeitpunkt schon lange niemand mehr gefeiert hatte.40 Zweifellos wurden die meisten offiziellen Aufzüge und Demonstrationen von Volkssouveränität von starker Hand in die passende Form gebracht. Vielleicht ist es nicht die alles entscheidende Frage, ob Inszenierungen Ausdruck eines streng konzipierten und anschaulich entworfenen Arrangements mit klarer Zielbestimmung sind – was in der Regel zutrifft, wenn sie mit szenografischem Aufwand betrieben werden wie bei Davids oder Quincys revolutionären Masseninszenierungen. Bedeutsamer noch aber scheint, wem die Ästhetisierung dient, welche Botschaften und Geschichten traktiert werden, an wen sie sich richten, wer zum Mittun eingeladen ist, wie weit insgesamt das Regime über die Performanz der Präsentation reicht. Die Qualität, die Nachhaltigkeit des Regiments der Szenografie hängt ab von der Botschaft, nicht nur von der medialen Aufbereitung. Indes kann die Botschaft den Auftritt thematisieren. Die gewählten Beispiele taugen deshalb nicht gut zum Anschauungsmaterial für eine ganz auf Präsenz orientierte, möglichst spontan zu eigenem Ausdruck findende Konzeption demokratischer Volkskultur. Im Gegenteil. Historisch betrachtet, wird sich die sogenannte Volkskultur ohnehin viel eher um die genannten Feste, die permanenten Agitationsevents herum im Alltag der Bevölkerung etabliert und ausgedrückt haben, in den Maskeraden und Umzügen am Beginn der Revolution, in denen die Straße die alte Herrschaft aufs Korn nahm, nicht den leeren Raum der Freiheit preisen wollte.41 Auch das theatrale Erbe des ›Volkes‹ war am Ende des Jahrhunderts schon längst nicht mehr ungebrochen. Das bürgerliche Drama, das sich seit Diderot und Mercier durchgesetzt hatte, teils mehr dem Widerstand des Privaten gegen die herrschenden Verhältnisse, der Familie und der Empfindsamkeit verbunden, darum aber nicht weniger gesellschaftskritisch – wie bei Diderot – teils durchaus auf größere Kreise aus – wie bei Mercier – war nichtsdestotrotz nicht das Theater des Volkes, sondern der Bürger und kleinen Adeligen.42 Hier wären die Belustigungen des Possenspiels oder das Fastnachtsspiel in Frage gekommen, die Traditionen der religiösen Schauspiele der verschiedensten Art.43 Wie auch immer. Aufzüge und ›Zusammenrottungen‹ der Straße wurden auch in revolutionären Zeiten bald verboten. – Trotzdem, bemerkenswert ist, wie sehr sich die großen Inszenierungen der Revolution an der herrschaftlichen Repräsentationskultur vergangener Jahre und Jahrhunderte ausrichteten. Zweifellos geschah dies nicht allein wegen der Eindrücklichkeit ihrer Schauspiele, die man nachzuahmen und zu übertreffen suchte, sondern wegen der Heiligkeit und Majestät der Souveränität, die es zu erhalten galt. Die konkret leitende Vorstellung der Revolutionäre ist ganz von dem Mythos fasziniert, der die Geschichte der Selbstermächtigung und damit erfolgten Einsetzung souveräner Machtbefugnis erzählt. Der Mythos selbst schreibt sich ein in die Mythologie der Rationalität. Die Geschichte will, dass die Erteilung der Befugnis
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darin beschlossen liegt, dass ein jedes Individuum von Natur aus mit bestimmten Eigenschaften ausgestattet ist, die zugleich eine hinreichende Begründung für ihre Gleichheit bieten. Ob die besondere Bezeichnung dieser Instanz »Vernunft« heißt oder andere Variationen dekliniert, ist vergleichsweise zweitrangig gegenüber ihrer Funktion. An ihr ist es, Legitimation zu erteilen, an erster Stelle sich selbst. Für die Form, die verschiedenen Gestaltungsregister, die in dieser Idee von Inszenierung Platz finden können, bedeutet der Vorrang dieses idealischen Motivs alle Freiheit. Denn das ist, was die Botschaft der Geschichte verbrieft: vollständige Freiheit hinsichtlich dessen, was durch diese Idee von Tun gedeckt ist, folglich auch hinsichtlich aller Fragen, die Form und Gestaltung unter einer besonderen Beschreibung und Szenifikation angehen. Man könnte sagen, dass die Legitimation selbst ästhetischer Natur ist, dass die ästhetische, die formgestalterische Seite der Legitimation ihren wesentlichen Inhalt ausmacht. Man beachte die Korrespondenz zwischen der proklamierten politischen Freiheit des Dritten Standes und seinen Bemühungen, freien Raum zu schaffen, nicht zuletzt im umgebenden Lebensraum der Stadt. Urbanisierung steht ganz am Anfang schon auf dem Programmzettel der neuen Freiheit. Überall wurden große freie Volumen geschaffen, die zu besetzen mit neuen Symbolen und Ereignissen ein wichtiges Anliegen der Volksvertreter war. Um es mit Kant zu sagen: Die sich selbst begründende Freiheit muss keine Einschränkung dulden außer der, die durch ihre Autorisierung selbst gesetzt ist. Der Imperativ lautet, dass die Aktivitäten, so vielfältig auch immer sie ausfallen mögen, sich niemals gegenseitig verunmöglichen dürfen. Der ästhetische Imperativ wäre mit dem moralischen deckungsgleich. Die umgekehrte Pointe schafft mehr Spielraum. Dass der von der Repräsentation ausgehende Inszenierungsvorschlag zur Verkörperung der Souveränität des Volkes Massenanklang fand und die Menschen ihn sich zu Eigen machten, als er sich herumgesprochen hatte und die existierenden Verhältnisse zudem so brüchig geworden waren, dass die Verwirklichung dieser Gestaltungsidee nicht gänzlich unmöglich erscheinen musste, wenn auch nicht ungefährlich, kann nicht verwundern. Wie weit der szenografische Entwurf dafür mit konkreten Erwartungen an seine Umsetzung in Übereinstimmung zu bringen war, wird von den Ansprüchen derjenigen bestimmt worden sein, die den Schauspielen dann beiwohnten, und von der Art, ob und wie die Ansprüche auf Partizipation faktisch erfüllt wurden. Auch alle Desillusionierung erfolgt schließlich für die meisten aus diesem Erleben heraus, weit später erst, wenn überhaupt, in Konfrontation mit der in Szene gesetzten Idee, schon gar, wenn es, wie hier, die Idee einer sehr speziellen Inszenierung ist. Wer keine Gelegenheit hat, das Stück mit eigenen Augen und Ohren wahrzunehmen, dem bleibt ohnehin nichts, als sich selbst etwas auszudenken oder dieser oder jener medialen Aufbereitung zu vertrauen. Auch vor zweihundertfünfzig Jahren erreichte diese schon ungleich größere Kreise als ein Publikum mit mutmaßlich privilegierter Entrée. Nichtsdestotrotz, über die Zwiegestalt von öffentlichem Schauspiel und Inszenierung nach Theaterart hatte die Zeit noch nicht entschieden.44 Zeiten der Übergänge sind Zeiten des »Sonnenuntergangs« für die einen (Burke45), Zeiten des »Sonnenaufgangs« für die anderen (Hegel46). Wenn der Enthusiasmus noch nicht oder nicht mehr im Licht der Ereignisse erstrahlt, gehört es zum gewöhnlichen Umgang mit der Feier – der Idee, der göttlichen oder weltlichen Allgewalt –, dass sie vom Erleben der damit verbundenen Rituale relativiert wird. Die Inszenierung von Ideen als solchen hat andere Halbwertzeiten als die ihrer Szenifikationen
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im Alltag. Bedingung, in die Verlegenheit zu kommen, dies beurteilen zu müssen, ist, nichtsdestotrotz, dass die Geschichte zu bröckeln beginnt, während sie aufgeführt wird. Dann erst stellt sich heraus, ob sie denen, für die sie ersonnen ist, noch passt oder nicht. Wenn nicht, werden die Adressaten sich nicht mehr angesprochen fühlen und Symptome des Vertrauensverlusts ausprägen. Zweifellos ließen sich schon im vorrevolutionären Prozess andere Stände und Schichten der Gesellschaft von der Idee der Souveränität überzeugen als noch hundert Jahre zuvor. Der Souveränitätsmythos, Berechtigung qua Vernunft von Natur, war mit neuen Protagonisten besetzt, neu theatralisiert und in neu illustrierten Szenen vorgestellt worden. Einerseits. Andererseits wohnen Vertrauen und Misstrauen in einem Raum. Die alte Geschichte wird mit der neuen vermischt, und wer sich warum von welcher Inszenierung gemeint betrachtete, wird sich erst mit der Zeit – oder gar nicht – herausgestellt haben. Jedenfalls war das proklamierte Volk nicht dasjenige, das davon profitierte, selbst nicht auf dem Höhepunkt der Verfassung von 1793, von der man sagt, dass sie nicht nur den Dritten, sondern auch den Vierten Stand habe repräsentieren wollen, das ganze Volk außer seinen definierten Feinden.47 Nimmt man den geschilderten Inszenierungen der Macht den Glanz ihrer Verheißung – bekanntlich sind nicht viele bereit, für eine Idee zu sterben, auch wenn die Losung des Tages »Freiheit oder Tod« lautet48, finden sich vor dem Vorhang kaum noch Heroen. Schon vor 1789 gerät vielmehr im Hintergrund der Bühne wie im Zuschauersaal ein mehr oder weniger anonymes Publikum in den Blick, das im Großen und Ganzen als bloßes publicum, schlicht als »Öffentlichkeit«49 adressiert wird, als die Menge derer, die medial erreichbar sind. Es gehört schon einiges dazu, diese abstrakte Tatsache als demokratische Qualität aufzutischen oder gar zu feiern. Schließlich war es doch eine Bühne oder Tribüne, ein erhöhter Platz jedenfalls, von dem herab die Volkstribune die Uminterpretation der Repräsentation verkündeten: dass es da eine andere und viel größere Menge von Menschen gebe, die aus dem Verborgenen zu holen wäre, eine ganz andere Gruppe als die vergleichsweise wenigen Standespersonen adeliger, klerikaler oder bürgerlicher Herkunft, die mit Namen bekannt waren. Was die tatsächlichen Bühnen der Volksvertreter betraf, war man vorsichtig. Sie waren nicht hoch, um nicht in Verdacht zu geraten, sich selbst zur Herrschaft aufschwingen zu wollen.50 Außerdem war es gut, wenn nicht allzu viele Vertretene genau beobachten konnten, was auf dieser Bühne passierte, weder auf der Place de la Grève noch in der Assemblée nationale.51
Theater – ohne Zuschauer Wenn die Illusionen verloren gehen, tun sie das im selben Licht des Tages und der Ereignisse. Später erst, wenn am Abend die Dämmerung einsetzt, mag es sein, dass man versucht zu begreifen.52 Den Souverän zu geben im Sinne der volonté générale war die adressierte Öffentlichkeit in den Übergangszeiten noch nicht bereit oder – später – nicht mehr in der Lage, bestand sie doch qualitativ gleicherweise aus Untertanen wie Privatpersonen, in jedem Fall von feudalen Verhältnissen geprägt, ökonomisch wie kulturell und intellektuell, mehr oder weniger. In den wenigen Jahren der revolutionären Euphorie war nicht vorgesehen, dass der Enthusiasmus Einbußen erfuhr, schon gar nicht im Festkalender der Revolution. Die vierte Wand galt als niedergerissen, nicht nur im Theater. Die Öffentlichkeit, als »Volk« tituliert, benahm sich wie »das Volk« und auch wie »die Nation«, jedenfalls nach der levée en masse. Und das Volk selbst, hieß es völlig ohne Scheu vor der Repräsentationsmechanerie, das Volk sei in allen Belangen der maßgebliche Akteur. Folglich musste jede Staatsfeier zur Selbstfeier des Volkes geraten. Zuschauer sind in dieser Anordnung nicht vorgesehen. Alles
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ist Bühne, Auftritt, Aufführung, ein perfektes Szenario für Performance-Theoretiker. Staatsbürger nämlich können sich eigentlich nicht gegenseitig zuschauen, wenn es um die Erledigung ihres staatsbürgerlichen Auftrags geht. Jedenfalls gehört diese Lesart zur Ideologie revolutionärer Inszenierungen und zu ihr die kategorische Ablehnung aller überkommenen Repräsentationskonzepte. Das erhoffte »Reich der Gleichheit« wie es sich in den Berichten über das große Föderationsfest vom Juli 1790 mit Leben zu erfüllen scheint, der Anbruch eines goldenen Zeitalters nach dem endgültigen Sieg über Feudalgewalten und Gegenrevolution, solche eschatologischen Traumbilder bleiben schon zeitgenössisch illusionär. Zumal sich als Gleichheit tarnte, was ab sofort zur für alle Gleichen Unterwerfung unter den Willen von Staat und Eigentümern bedeuten sollte. Derselbe Le Chapelier, der die historische Sitzung der Nationalversammlung vom August 1791 geleitet hatte, in der die Auflösung aller feudalen Gesellschaftsverhältnisse beschlossen wurde, brachte knapp zwei Jahre später die Gesetzesvorlage zum Verbot aller »intermediären Interessen« ein. Die Loi Chapelier untersagte alle Korporationen und Parteiungen politischer oder ökonomischer Art, die wie das Zunftwesen noch nicht vollständig liquidiert waren. Die Befreiung der Arbeit wurde unmittelbar an die Atomisierung der Arbeitskraft gebunden. Bei Strafe des Verlusts der Bürgerrechte und Geldbuße war jedem einzelnen Bürger verboten, sich anders denn als im Allgemeininteresse zusammenzuschließen. »Es gibt nur noch das Partikularinteresse und das Allgemeininteresse«, lautete das Prinzip. – Petitionen zum Beispiel dürfen nur Individuen stellen. – Intermediäre Interessen, so das Gesetz, sind staatsfeindlich. Marats L´Ami du Peuple verfolgt die Debatte und Verabschiedung des Gesetzes äußerst kritisch. Aber selbst die Radikalen vom ›Berg‹ kippen das Gesetz nicht, als sie die Macht dazu haben. Albert Soboul hält die Loi Chapelier für das »grundlegende Gesetz des Kapitalismus«. Marx hat eine ähnliche Einschätzung; aber die gesellschaftstheoretisch weitblickende Analyse gibt schon Hegel in seinen Vorlesungen zur Philosophie des Rechts.53 Auf der Grundlage des revolutionären Korporationsverbots bewegten sich die Streikverbote in Kaiserreich und Restaurationszeit bis 1864, das Gewerkschaftsverbot bis Mitte der 1880er Jahre. Im ersten Rausch aber war der Enthusiasmus für das abstrakt Allgemeine groß. Sollte die Vernichtung des Feindes auch Pause machen können: die Aufgabe, ihn zu unterwerfen, niemals. Keineswegs dachte die Revolutionsregierung auf den Terror zu verzichten, als sich die Möglichkeit einer faktischen Beendigung des Kriegszustandes erstmals andeutete. Allein die Herrschaft der Guillotine schien vielen nach siegreicher Eindämmung der Konterrevolution von außen verzichtbar zu werden. Der Einsatz von Wissenschaft und Technik hatte ein zukunftsweisendes Signal gesetzt.54 Die Rückkehr zur Normalität war dennoch nicht erst ausgemacht, als man, als schöne Konsequenz einer ersten bürgerlichen Ausbeute der Produktivkräfte Mensch und Wissenschaft, den Sieg über den äußeren Feind errungen hatte. Schon zuvor verlor die Koalition von Terror und Tugend ihre Legitimation. Sie hatte den Bogen überspannt. In dem Augenblick, da sie begann, das revolutionäre Pathos der großen Zahl, die vertu der Volksbewegung gegen deren Lebensforderungen auszuspielen, geriet sie zwischen zwei Fronten. Der Forderung nach gerechter Versorgung, nach dem Maximum, der Subversion, die sich jeder autoritären Bevormundung zu entziehen gedachte, war nicht mit Inszenierungen beizukommen. Genauso wenig dem Begehren, sich in den Sektionen frei zusammenzufinden, Feste und Feierlichkeiten der
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Straße ohne staatliche Lenkung zu begehen. Die Repräsentation traf auf Widerstand von unten und von oben, von gestern und von morgen, Armen und Reichen, jede Partei im Glauben, die andere könne die Waagschale zu ihren Gunsten beeinflussen. Die arme Bevölkerung jedenfalls wusste auch Bescheid. Außerdem verstand man sich auch selbst darauf, dies inszenatorisch zu bekunden, obwohl es nicht um Theater ging. In der Sektion Marat forderte man, die Menschenrechte zu verhüllen, bis der Lebensmittelmangel beseitigt und die Aufkäufer bestraft seien.55 Die Patrioten, die im Germinal des Jahres II den Konvent um Unterstützung für die »Sache des Volkes« bitten wollten, schlossen nicht aus, dass man auf sie schießen ließ.56 In der Regierung beschleunigt die volonté générale derweil ihre eigene Partikularisierung. Und das vor allem – nur scheinbar paradox –, solange sie sich allgemeiner Vernunft verschreibt. Es ist die Aporie der politischen Aufklärung, »die sich selbst überbieten will«, diagnostiziert Marx.57 Tugend«, Robespierres vertu, Machiavellis virtù, gilt als Synonym für persönliche Askese und Altruismus. Oder, wie Robespierre erläutert: Tugend heißt »Liebe zum Vaterland und zu seinen Gesetzen, die großherzige Ergebenheit, die alle persönlichen Interessen dem Gemeinwohl einordnet«, Tugend ist »Liebe zur Gleichheit«.58 Aus der Perspektive des Staates bedeutet Tugend Bündelung der Kräfte, Stärke des Gemeinwesens, ganz wie beim Autor des Principe. Robespierre probiert ein theoretisches Konzept, in dem der Wille zur unbedingten politischen Durchsetzung (terreur) mit individueller Selbstlosigkeit (vertu) zusammengeschweißt erscheint, und zwar mit dem Klebemittel der Selbstverpflichtung eines jeden Individuums auf die Grundsätze politischer Moral, welche die Gewalt begleitet. Vor allem probiert er es rhetorisch. Als Prinzip der Moral gilt Robespierre ihre »Nützlichkeit für das Allgemeine«: »Die einzige Grundlage der Gesellschaft ist die Moral. [...] Die Amoralität ist die Basis des Despotismus, wie die Tugend das Wesen der Republik ist. [...] In den Augen des Gesetzgebers ist alles, was den Menschen nützlich und in der Praxis gut ist, die Wahrheit«.59 Dabei schillert »nützlich«, ist durchaus ambivalent. Nützlichkeit wird einerseits dem Prinzip der Souveränität, der Nation, die das Volk ersetzt, untergeordnet. Nützlichkeit für die Menschen andererseits, im ökonomischen, im Verbrauchssinn, ist selbst Prinzip. Angesichts der Alternative von inhaltlichen Gerechtigkeits- und abstrakten Tugendpostulaten setzt die Regierung auf letztere, wählt, worin auf Dauer tatsächlich Allgemeinheit versprochen scheint: die Souveränität des Willens zur Macht. Die Gesellschaft wird aufgerufen, die Moral zu erfüllen. Konkrete soziale, wirtschaftliche und kulturelle Maßnahmen zur Durchsetzung gesellschaftlicher Gleichheit geraten zunehmend in den Hintergrund. Und außerdem ist die Souveränität des politischen Willens auf diesem Feld tatsächlich beschränkt. Hier zwingt die eigentümliche force de chose, zwingen nicht zuletzt die »Geldverhältnisse«, die schon Rousseau für die Ungleichheit von Arm und Reich dort, wo formell Gleichheit herrschen sollte, verantwortlich gemacht hatte60 Aber, wird den Bedürftigen entgegengehalten, der politischen Moral zu genügen entspreche zugleich dem »Willen der Natur«, der »Bestimmung der Menschheit« und dem »Versprechen der Philosophen«, kurz gesagt, der Vernunft, demjenigen Prinzip, das an die Stelle der Instanzen gerückt war, die sie in der alten Ordnung dominiert hatten. Glückseligkeit auf Erden wird konsequenterweise nicht versprochen. Man beschränkt sich darauf, Glück im sozialen Raum als »neue Idee« zu propagieren.61 Die Menschen sollen sich mit der Hoffnung begnügen, mit der Hoffnung, das Morgenrot allgemeiner Glückseligkeit unter Umständen doch noch aufscheinen zu sehen.
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Währenddessen grassieren dann doch die Theatertexte, die die Inszenierung der Idee und der daraus abgeleiteten Prinzipien, die hier abgewickelt werden, aufsagen lassen. Keiner der Akteure aber hätte damals zugegeben, dass Fiktionen im Spiel seien. Da es um die Konfrontation mit dem Feind geht, lassen sich die Neubesetzungen im Einzelnen nachvollziehen, darunter allerdings auch einige Irrtümer über die Inszenierungen des alten Regimes. Wie auch immer, es erscheint ein riesiges Repertoire an Ersetzungen, Kostümen für zukünftigen politischen Gebrauch. Egoismus werde gegen Moralität vertauscht, verkündet Robespierre, Ehre gegen Redlichkeit, Gebräuche gegen Grundsätze, Manieren gegen Pflichten, die Tyrannei der Mode gegen die Herrschaft der Vernunft, die Verachtung des Unglücks gegen die Verachtung des Lasters, die Liebe zum Geld gegen die Liebe zum Ruhm, die gute Gesellschaft gegen gute Menschen, Kabale gegen Verdienst, der Schein gegen die Wahrheit, der Überdruss der Wollust gegen den Reiz der Glückseligkeit, die Kleinheit der Großen gegen die Größe des Menschen.62 Und der König wird gegen das Volk getauscht. Dabei hatte Ludwig persönlich den Tausch schon vollzogen, war zum Bürgerkönig konvertiert. Doch der Körper des Königs musste verschwinden. Der Vorgang zeigt Inszenierungslogik. Zu den Feinden zählen vorübergehend selbst diejenigen, die die alte Ordnung allzu vorschnell beerben wollen. Auch ihnen muss man zeigen, was dies bedeutet. Der kaum zu Bewusstsein gekommene bourgeois sieht sich in der Klemme. Getauscht gegen den citoyen, hatte er doch noch nicht wirklich genügend Zeit, sich mit der Idee der neuen Verwendung bekannt zu machen oder gar anzufreunden. »Freiheit oder Tod« ist eine zwiespältige Losung. Die Guillotine mag auch den bourgeois nicht. Und vom citoyen wird gerade verlangt, dass er bereit sei, sich auf dem Altar des Vaterlandes zu opfern. Solange die Tauschprozedur anhält, bauen Staat und Republik tatsächlich auf »Wundern«, wie die Revolutionäre selbst erstaunt feststellen, auf der Magie der Inszenierung. Die vertu der Revolutionäre geht auf in der Forderung nach Selbstlosigkeit. Selbst ohne Selbst ist die Nation die Negation jedes Eigenen. Nichts bleibt als der Glaube daran, dass die Magie wirkt. Nur dies, das revolutionäre Selbstbewusstsein, wird noch eine Weile für die Repräsentation gut sein, materialiter nur für sehr wenige, versteht sich. Der philosophische Zeitgenosse seziert dieses Bewusstsein und versteht seinen Mechanismus: »Es ist seiner reinen Persönlichkeit und darin aller geistigen Realität bewußt, und alle Realität ist nur Geistiges; die Welt ist ihm schlechthin sein Willen, und dieser ist allgemeiner Willen«.63 Die kurz vor dem Ende des geschäftsführenden Ausschusses per Konventdekret verfügte Anerkennung der Existenz eines Höchsten Wesens und der Unsterblichkeit der Seele64 ist also keiner privaten weltanschaulichen Reminiszenz Robespierres geschuldet. Sie ist logische Folge der herrschenden politischen Theologie. Wofür soll sich das Blutopfer in Permanenz lohnen? Wer kann es verlangen? Die Göttin der Vernunft selbst65 verlangt nach Repräsentation. Ihr werden die Tempel errichtet. »Metaphysische Kommunion und Prairialgesetz auf Erden« und bürokratisch schematisierter Großer Schrecken bis zur Austilgung der [oder des?] Bösen« stimmen, entgegen der Vermutung des Historikers66, doch besser zusammen, als man glauben mag. Die Lyoner Radikalen beten öffentlich; im Evangelium der Freiheit liest man, was sie sich erhoffen: »Ich glaube, daß die Sansculotten, die für das Vaterland und die geheiligten Menschenrechte gestorben sind, sitzen zur Rechten des Vaters aller Wesen und segnen ihre Brüder, die sich an den Horden der Tyrannen rächen«.67 Soweit der revolutionäre Glaube ohne Inhalt ist, ist er, wie Hegel bemerkt, reines
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Sehnen«.68 In der Tat aber findet derartige Aufklärung ihre Befriedigung an der Herstellung der Selbstlosigkeit im Wortsinn bei Feind und Freund. Die politische Legitimation der dominierenden Ideologie, die sie beflügelnden Träume, sind allerdings echt, wenn man die verschiedenen, Staatsstreichen ähnlichen Momente in diesem Drama vorübergehend euphemistisch behandelt. Auch die Restauration kann sie nicht gänzlich aushebeln, und mit dem Ende des Zweiten Reichs wird die demokratische Konstitution schließlich selbst in Deutschland verbrieft, wenn auch bald darauf erst einmal wieder zu den Akten gelegt. In Deutschland gab es tatsächlich keine dem Nachbarland vergleichbare Revolution, keine revolutionär demokratischen Inszenierungserfahrungen einer ganzen Nation. Und wo der geeinte Volkskörper sich dann in Szene gesetzt fand, fehlten dem Auftritt die demokratischen Botschaften. Die Feiertage der antinapoleonischen Befreiungskriege, der Siegesfeiern und Gedenktage des deutschfranzösischen Krieges mochten das Zeug dazu gehabt haben, zu Feiern der Gemeinschaft zu geraten, nur galten sie nicht der Volkssouveränität, auch nicht in ihrer Gestaltung. Hier war gesellschaftlich überkommenes Theater angesagt, und erst der Widerstand, der Auftritt der oppositionellen Parteien von links und die Kunst vermochten auszuhelfen, nicht zuletzt individuelle Lebenskunst. Aber wer sagt, dass das »Denkmal der deutschen Einheit« nun endgültig auf der anderen Seite aufgestellt werden wird? Trotzdem: Erstaunlicherweise konnte auf dem sondierten Terrain eine alternative Idee von Inszenierung Raum greifen, eine, die die jakobinische Opposition und ihre Klientel nicht zu formulieren gewusst, aber vielleicht geahnt hatte. Es war die Revolution, die der Bourgeoisie zum Durchbruch verhalf. Doch waren es die Verhältnisse der Bourgeoise, die die Revolution beschleunigten und sie beendeten. Einmal freigesetzt, sein ökonomisches Potenzial zu entfalten, kam das Bürgertum auch in Deutschland gut, wenn nicht besser ohne Revolution aus, jedenfalls ohne politische Revolution. Von den Vorteilen eines gemeinsamen Willens der Volksgemeinschaft waren die Bürgerlichen dennoch überzeugt, wenn er denn zureichend und passend repräsentiert wurde. Auch wenn der ursprüngliche Impuls, dem die bürgerlichen Schichten in Deutschland gefolgt waren, soweit denkbar, ›politischer‹ Natur gewesen sein mochte – die Äußerungen der »Gelehrtenrepublik« zeugen davon –, die Reaktion auf den Großen Schrecken und Napoleon sucht Ruhe, Ruhe zur Erholung der Gemüter, zum Aufbau der Geschäfte. Sie sucht deshalb die trans- und überpolitische, die Zerrissenheit der Parteiungen überwindende Gemeinschaft. Nur ungern zeigt sich der aufgeklärte Bürger öffentlich in Hausschuhen, lieber trägt er Schulterstücke oder Ordensband – so lange zumindest, da von solcher Mode nichts zu befürchten steht. Als Staatsbürger kapriziert er sich nicht auf den Raum egoistisch individueller Bedürfnisse und damit verbundener Auftritte als Zuschauer oder Zaungast. Diese Haltung ist unabhängig davon, ob er sich als Gesinnungsgenosse einer eher radikalen oder eher gemäßigten Demokratie versteht oder als ihr konservativer Gegner. Zu repräsentieren gehört schließlich zur politischen wie zur geschäftlichen Existenz. Dem Souveränitätsbedürfnis der Akteure stehen so gesehen mehr als die Bühnen von Staat und Politik zur Verfügung. Hier geht die Gewalt ohnehin bald in die Hand bürokratischer und administrativer Expertise und ihrer Art von Repräsentation über. Und sollte dem Bürger in der Rolle von Politiker oder Staatsmann, Wirtschaftsweisem oder Konzernlenker, Wissenschaftler von Rang oder Ausnahmekünstler die staatsbürgerliche Anerkennung dieses fundamentale quid pro quo versagt bleiben, wird er wohl oder übel auf die realen Tendenzen der verheißenen Universalisierung, auf die globalen Aussichten
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des Geschäftes setzen müssen, ganz ohne seine Prinzipien zu verletzen. »Kein Zugang, es sei denn fürs business«. In seinem eigenen neuen Jahrhundert beginnt der freie Mann bald auf festen Füßen zu stehen in einer Welt zwischen Kapital und Arbeit. Obwohl, bestenfalls, nur eine »Stütze« der Gesellschaft, wird er den Erfolg seiner Arbeit, was immer er sei im Detail, zur Feier der eigentlichen Überparteilichkeit und Toleranz Seinesgleichen geraten lassen. Und selbst in den Niederungen solcher Tätigkeit wird es lernen, den Horizont seines Erlebens um den Bereich des ›gesellschaftlichen und politischen Lebens‹ zu erweitern, und sei es auf dem Weg, sich diese attraktive Öffentlichkeit durch allerlei mediale Vernetzung ins Haus zu holen. Ideologisch gilt immer noch die Selbstdefinition des Dritten Standes, schlechthin und global unterwegs zu sein, faktisch überall, wo er es für angebracht hält.69 Die Freiheit des modernen Individuums besteht bekanntlich darin, die Freiheit des Eigentums an sich selbst und dessen Ertrag auf dem Markt verkaufen zu dürfen, als Lohnabhängiger oder als Eigentümer. Die Freiheit dieses homo politicus, die ihrer Herkunft nach selbst nicht politisch ist, reicht dennoch weiter als die des Marktes und der Ökonomie. Sie trifft in ihrer Universalität auf alle seine Lebenslagen, alle seine Zustände zu, physisch oder psychisch. Wo auch immer es gilt, so lautet die Devise der neuzeitlichen Selbstermächtigung, öffentlichen Raum zu besetzen, ist das bürgerliche Individuum, das auch Subjekt seiner Selbsterkenntnis ist, grundsätzlich legitimiert, dies zu tun. Was die einzelne raumgreifende Initiative betrifft, freilich, gelten je nach Art der Praktiken, um die es geht, spezifische Regelungen und Einschränkungen für die Konkurrenz der Akteure. Da der Selbstermächtigung, so sie wirklich allgemein ist oder wird70, gezwungenermaßen eine ebenso allgemeine Opfermasse gegenübersteht, die sich der Bemächtigung ausgesetzt sieht, trifft es auch auf diejenigen zu, die aufgrund derselben Freiheit, deren Karriere skizziert wurde, mit dieser Rolle sich abfinden und sie leben oder aber sich gegen sie wenden und um des Eigenen willen Widerstand leisten. »Verwundung, Sieg oder Niederlage, Tod«, schreibt Foucault in Theatrum philosophicum, »ist stets Wirkung, ist stets Ergebnis des Zusammenstoßes, der Vermischung oder Trennung von Körpern; doch dieser Effekt ist selbst niemals etwas Körperliches, er ist eine ungreifbare, unzugängliche Schlacht, die unzählige Male um Fabricius tobt und über den verletzten Prinzen Andreas hinwegrast.«71 Der Philosoph beschreibt ein Drama, eine Szene in einem Bild, eine mediale Inszenierung. Und doch ist sie Zusammenstoß, Vermischung oder Trennung von Körpern. Die Schlacht fordert Mut und Einsatz, zuzeiten Verwundung und Tod. Doch auch solche Wirkung ist den Darstellungen und Bildern entnommen, in deren Szenen vorgestellt und vorstellbar wird, was überhaupt es bedeutet, eine Schlacht zu schlagen, die doch so oft nur Metapher ist. Aber das Wissen ist dem Tun eingeschrieben wie das Tun dem Wissen. In der wirklichen Schlacht stehen die Gefallenen nicht wieder auf. Hier liegt die Grenze. Es ist kein Theater, vor dessen Kulissen etwas aufgeführt wird, von dem alle Beteiligten wissen, dass es ein Spiel ist und die es in Szene setzen, angestellt Illusionen zu erzeugen. Wenn es so wäre, niemand könnte das Theater verlassen, um sich abseits dem Frieden zu widmen eine römische Idee. Die Geschichte des Abendlandes verlief anders. Erst nach gewonnenem Treffen werden feste Bühnen, stehende Theater errichtet, wo noch einmal erlebt werden kann und ohne Risiko, was vordem den Kopf hätte kosten können. Was wiederum zu Friedenszeiten den Kopf kostet, ohne dass ein Feind ausgemacht wäre, der es verdiente, bleibt besser im Dunkeln. Bürgerkrieg ist
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selten zu rechtfertigen; und überhaupt würde [er] sehr irritieren. Solches Tableau in Szene zu setzen, ist Inszenierung gut, ein angesagtes Spiel mit ungeahnten Folgen für die, die nur die gut beleuchteten Bühnendarbietungen zu Gesicht bekommen. Inszenierung nicht wie auf dem Theater, sondern ohne Theater. Wir fahnden nach dem Paradigma und der Differenz. 2 neue wissensform, alte erinnerungen
Mit der Epochenwende erscheint die ›Wissensform Bühne‹ im Einsatz der politischen Emanzipation des Bürgertums. Für sie selbst bedeutet dies einen Prozess der Delegitimierung und zugleich neuer Legitimation durch ein einiges Volk.
Souveränitätskörper Unglücklicherweise geht dieser Souveränitätstransfer mit einer tiefen Spaltung des sakrosankten Körpers des Herrschers einher. Das Volk, zur Nation geeint im Willen zur Macht, steht sich im Kräftespiel der Mächte selbst als Protagonist gegenüber. Viele wirkliche Körper und Seelen sehen sich konfrontiert mit dem Phantasma ihres Gemeinschaftskörpers. Der freilich kann nur bildhaft und besungen in Szene gesetzt erscheinen, beispielhaft und stellvertretend. Doch erfährt der Auftritt der Repräsentation auf den Bühnen der revolutionären und postrevolutionären Politik nicht nur die ästhetische Legitimation der Inszenierungskünste. Es ist nicht alles nur Theater. Denn die Repräsentation der Bühne erhält außer den Weihen der Kunst auch die legitimer Politik. Die Recht setzende Verfassung des politischen Gemeinschaftskörpers selbst ist es, welche die Stellvertreterschaft in Gestalt ausgewählter Körper der Volksgemeinschaft sanktioniert. Ihr Konsens ist der Konsens des Volkes. In den gewählten und deputierten Repräsentanten aller Angehörigen der Nation verleiht sich die Repräsentation, die mit Hilfe der medialen Installation sonst nur bekannt ist aus Bildern und Worten, selbst reale Gestalt und Ausdruck. Mithin ist die neue Gewalt dreigeteilt. Vereint erscheint sie im Bild eines gemeinsamen Körpers, alltäglich verbirgt sie sich in den vielen zerstreuten Körpern der Menschen, als Bild wie auch als Mitbürger erscheint sie schließlich in den Repräsentanten und ihrer Repräsentation. Die dringende Frage mithin ist: Worin und woran lässt sich der Charakter der Stellvertreterschaft festmachen? Es leuchtet ein, dass dies eine Frage an die Szenografie ist. Denn wir verstehen darunter diejenigen Ideen und Entwürfe, Inszenierungen und Choreographien, die sich den beispielhaft stellvertretenden Aufführungen widmen, auf alle Arten medialen Transfers und gestalterischen Könnens. Offenbar lässt sich die Aufgabe unter bestimmten gesellschaftlichen für Kunst und Künste bindenden Legitimationsbedingungen allein ästhetisch, rein fiktional nicht erfüllen. Also erhellt ein Zweites. Die Sichtung von Inszenierungsleistungen in einzelnen gesellschaftlichen Sphären wird kaum mehr als ein archivalisches Bedürfnis befriedigen können, wenn sie nicht auch nach den die Entwürfe leitenden Bildern und Szenen, den darin zum Ausdruck kommenden Vorstellungen fahndet und deren Potentialen, die Wirklichkeit zu gestalten. Mag sein, dass solche Recherche in vielen Fällen erfolgreich nur darin ist, dass sie den Entwurf in seiner Realisierung aufspürt, vielleicht nachreichen kann. Doch wird man auch auf die Entwürfe treffen und die Ideen und Konzepte, die ihnen zugrunde liegen. Einer darunter kommt mit der Idee der »Inszenierungsgesellschaft«.
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Was das zweite, das erste erweiternde, indes keineswegs klarere Bild im fernen Spiegel der neuen Legitimation glauben machen will, wird demnach zweifelhaft, wenn die Szenarien und Szenen des Herkommens erinnert bleiben. Es scheint Magie im Spiel. Aber vielleicht handelt es sich nur um die longue durée einmal konzipierter Aufführungsmodelle72, nicht der Aufführungen wohlgemerkt, sondern ihrer Evolution. Dann wird es die damit verbundene Homogenisierung des Raums und der Zeit sein im Sinne der Zirkulation der Wirkungen und der dafür angesetzten Dauer der einwirkenden Kräfte, welche die ›Magie‹ einer solchen Szenografie erzeugt. Zuerst macht die Inszenierung sich und ihre Adressaten blind und empfiehlt sich dann als friedfertige Unternehmung. Mit anderen Worten: Sie dissimuliert und simuliert sich zum Theater im gewöhnlichen Verständnis. Der Kreis ist geschlossen.
Handlung, Subjekte & Dinge Es heißt also, der Genealogie einer Idee nachzugehen, in der die Figur allseitiger Inszenierungsermächtigung nicht nur ebenfalls vorkommt, sondern sich allererst formiert. Dabei von einer existierenden Diskussion der Thematik ausgehen zu können, in der die Verallgemeinerung des Phänomens mit Blick auf das Theatralitätskonzept selbst ausgesprochen und heftig debattiert wird, ist vorteilhaft. Ansonsten müsste man suchen, wo diese Arbeit getan wäre. Die Verkettung mit dem Theatralitätsmodell und vergleichbaren rollen- oder stiltheoretisch soziologischen Vorstellungen markiert indes eine massive Schlagseite des Erkenntnisinteresses, das diese Verkettung sachlich voraussetzt. Symptomatisch dafür ist die ausschließliche Orientierung auf Handlungs-, Kommunikations- und Spielkontexte sowohl in Hinsicht der Formen als auch hinsichtlich der Inhalte, die den unterschiedlichen Willensbekundungen zu derartigem sozialen Austausch innewohnen und öffentlich ausagiert werden. Selbst die bewusste Artikulation der Ansprüche der Physis in Körperbezug und leibhaftiger Präsenz erscheint in dieser Fixierung als abgeleitete Größe. Verstanden wird sie als resultierend aus einem historisch datierbaren Selbstversicherungsunternehmen, das am Grunde einer jeden Handlung ein intentionales, handlungsdominierendes Selbst identifiziert. Körper und Leib treten derart als Subjekte auf die Bühne. Als solche können, ja müssen sie andere Körper und Leibhaftigkeiten notgedrungen ebenfalls als Objekte definieren – wobei »Objekt« hier in neuzeitlicher Verwendung gebraucht wird, im Verständnis eines Objektivität, Wirklichkeit versichernden ›Konstitutionsrestes‹. Mit dieser philosophischen Kehre wird ein Tausch vollzogen, der offensichtlich nicht rückgängig zu machen ist. Die Schwierigkeiten mit den Konsequenzen lassen sich identifizieren an den Bemühungen um eine Performanz- und Präsenz-, das ist eine Erlebniskultur. Von dieser Diagnose ausgehend, deren Berechtigung im Laufe der Arbeit zu erhärten sein wird, ist es nicht schwer, den missing link der Diskussion zu benennen. Wir fahnden nach Köpern, die nicht per se, naturwüchsig als »Objekte«, als »Dinge« im modernen Warenverständnis definiert sind. Mit anderen Worten, es geht nicht zuletzt um die Differenz der Dinge und die der »Erde«, wie Heidegger physis übersetzt, der sie gleicherweise verbunden sind wie der Welt. Dass damit die ›Kunst‹ und mit ihr die ›Technik‹ (techne) ins Blickfeld geraten muss, stellt keine Intervention dar. Doch was zeigt der Auftritt? Im gesamten Kontext der theatralen Inszenierung treten keine Dinge auf, die nicht etwas anderes wären als sie selbst. Die alte Repräsentation hatte allen Grund, ›Dinge‹, die derart Verwendung finden sollten, gegebenenfalls von vornherein als ›Bild‹ zu konzipieren. Die Geschichte des sprachlichen Ausdrucks für diesbezügliche Praktiken legt davon hinreichend Zeugnis
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ab. Im Dispositiv des bürgerlichen73 Theaters werden nicht nur Bilder zu Akteuren. Vielmehr wandeln sich auch alle Akteure zu lebenden Bildern, was vordem nur ausgesuchten Souveränitäten vorbehalten blieb. Nun stellen alle etwas anderes vor als das, was sie medialiter sind‹. »Medialiter zu sein« heißt, wie ein Zeichen fungieren und behandelt werden zu können in allen Funktionen der Semiose. Mit anderen Worten: Die Semantik leistet hier nicht das, was man gemeinhin von ihr erwartet, Identifikation, Bestimmung. Insofern sich solche Theaterlandschaft, in der »all the men and women merely players« sind, auf den gesamten Inszenierungsraum ausdehnt und nicht an den Türen des Theaters Halt macht, wird die Lage kompliziert. Wie Dinge medial überhaupt als solche zu identifizieren wären, wie ein Ding als Ding zu erkennen oder wie überhaupt zu haltbaren Bedeutungen zu gelangen wäre, ist nicht mehr bündig zu entscheiden. Aus Sicht der alten Repräsentation betrachtet, erscheint die neue als generell vervielfacht zu einer Repräsentation aller möglichen Gegenstände, Dinge undderen Medialitäten, die zu eigenen Objekten reifen.
i.3
auftritt der dinge
Sich-Zeigendes, Gezeigtes. Ausgestelltes, ›Exposition‹ Wir wollen dem folgen, aufspüren, wie und wo Dinge sich zeigen. Die Hypothese ist klar. Was sich zeigt, wird so sein, dass es Aufmerksamkeit erregt, einen Wert darstellt schon deshalb. Dass es zum Gezeigten wird und derart exponiert, ist mehr als wahrscheinlich. Und auch dass es am Ende dann doch auch in Szene gesetzt erscheint. Wir werden die Dingkarriere suchen, wo sie zu verfolgen ist, am Beispiel ihrer Beheimatung in den Kunst- und Wunderkammern der europäischen Höfe. Doch ist es weniger das spezielle historische Exempel, das uns interessiert, als die wissenschaftsgeschichtlich bedeutsame Entwicklung der Externalisierungstechniken der Naturforschung und ihrer Effekte für die Praktiken des Wahrsagens von Manifestation, Präsentation und Repräsentation. Der politische Aspekt tritt zurück, die politische Relevanz indes ist eingedenk der Dimensionen der Repräsentation offensichtlich. Sie erscheint perspektivisch, aus der Sicht eines sich befreienden Denkens und Projektierens, eines Prozesses, der bekanntlich nicht im 18. Jahrhundert begann. Von daher fällt ein Licht auch auf die Vergangenheit der Souveränität, ihrer Statthalter und Stellvertreter, und auf ihre Unterminierung im Laufe weniger Jahrhunderte. 1
wunder der natur, der kunst & der technik
Da es sich nicht nur um Wunder der Natur, sondern auch um solche der Kunst handelt, wären hier also neben der Naturgeschichte die Geistes-, Kultur- und Kunstgeschichte zuständig. Doch tritt sie zunächst auch nicht in Erscheinung, gewissermaßen aus denselben Gründen. Denn die Wissenschaft ist ihrem Selbstverständnis gemäß immer erst dann auf den Plan gerufen, wenn die Erscheinung der Dinge in ihrer Offensichtlichkeit nicht offenbart, was in ihnen steckt, was sie informiert und was sie können. Dies wiederum hat einen eigenen Sinn angesichts von Kunstwerken, deren ästhetische Präsenz in ihrer Gestalt und ihrer Inaugenscheinnahme besteht – Gemälde, Skulpturen, Schmuck. Hier bezieht sich der analytische Prozess größtenteils auf die Klärung von historischem Herkommen und Produktionsdetails in ästhetisch stilistischer wie handwerklicher, technischer und materialer Hinsicht,
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Fragen, die nur zum Teil unter experimentellen Bedingungen durch Befragung des Gegenstandes selbst beantwortet werden können. Folglich greift der Wissenschaftler zu Büchern, und zwar nicht als Artefakten des Kunsthandwerks, sondern als Werkzeugen, Aufbewahrungsorten von Zeichen, mit Hilfe derer die analytische Arbeit am Kunstwerk weiter vorangetrieben werden kann. Genau von dieser Art sind die Dinge – ebenfalls ›Kunstwerke‹ –, die auch in den Sammlungen der Fürsten zu finden sind. Warum man sie hier findet, ist wiederum in erster Linie nicht ihre Eigenschaft, dienlich zu sein als Quellen hermeneutischer Auslegekunst. Ganz ähnlich wie bei den verwandten Artefakten, deren Nutzen für die Wissenschaft darin besteht, mit ihnen im Forschungsprozess umzugehen, statt sie nur zu bestaunen, repräsentieren sie allererst ein hervorragendes Beispiel menschlicher Kunstfertigkeit. Sich selbst präsentieren sie als handwerklich künstlerisch brillante Arbeit: als Gold- und Silberschmiedekunst, Beinschnitzkunst, Juwelierkunst etc. oder als Kunst der Herstellung qualitätsvoller Pergamente und Papiere, die Künste der Skriptoren und Illustratoren an der Gestaltung der Seiten. Sie gehört durchaus auch zur ›Dichtkunst‹, denn man braucht die Buchgestalter, will man die famosen Geschichten erzählen, die keineswegs an nachkommende Wissenschaftler adressiert sind. Nicht zuletzt repräsentieren sie ob ihres Reichtums die Macht, die ihre Erscheinung als deren Stellvertretung möglich macht. Die Pointe, was die Zeichen betrifft, ist mithin nicht, dass es in den Kammern keine Zeichen gäbe, sondern nur quasi unmittelbar sich Mitteilendes. Es ist nur so, dass diese Zeichen nicht an die Wissenschaften adressiert sind, die sich ihrer in der Folge bemächtigten. Da die Naturgeschichte von der Philosophie, die Naturwissenschaften von den Geisteswissenschaften ohnehin nicht so weit entfernt gedacht wurden wie einige Jahrhunderte später, war es selbst dann, als die Wissenschaften sich für die Bewohner der Kammern zu interessieren begannen, keine besondere Botschaft, welche Fakultät sich nun genau mit welchen Objekten beschäftigte. Viel eher interessierten deren Praktiken. Auch deshalb wird von außen entschieden werden können, innerhalb welchen Wissenschaftsdiskurs-Genres die besondere Komplexion von Dingen in den Kammern korrekterweise thematisiert werden müsste, wenn man die am Ende eines historischen Prozesses definierten Objekt-Optionen der Forschung von vornherein auf die den Optionen korrespondierend differenzierten ›Gegenstände‹ angewandt hätte. Das System des Wissens, das unter diesen Prämissen ins Auge gefasst wird, erscheint unter bestimmten Gesichtspunkten zwar unter strenges Regiment gestellt. Insofern die damit verbundenen Einschränkungen aber erst mit der Zeit Gestalt annehmen, ist dieses System zunächst, wie zu zeigen sein wird, für eine Vielfalt des Wissens von den Dingen offen. »Mit der Zeit« soll keine Teleologie beinhalten, von einem Ursprung ausgehend zu einem Ziele hin unterwegs. Wie angesichts des Inszenierungsdispositivs, wenn nicht im Inszenierungsdispositiv unterwegs, heißt es eher, von gegebenen in der Hauptsache diskursiven Positivitäten ausgehend. Die Absicht öffentlicher Präsentation, ihre Überzeugung ist, dass es etwas zu zeigen gibt, auch über die engere Welt einer Gemeinschaft von Forschern und Gelehrten, die wissenschaftliche Bearbeitung und Sicherung von Monumenten und Dokumenten hinaus. Insofern geraten unter den erläuterten Voraussetzungen nicht allein kulturanthropologische Disziplinen in den Blick, Archäologie oder Ethnologie etwa oder auch Hilfswissenschaften wie die Bibliothekswissenschaften, objekt- und materialbezogene Abteilungen kunstwissenschaftlicher Forschung, Technik- und Wissenschaftsgeschichte mit special interests zu einzelnen Gegenständen von Natur- und Humanwissenschaften. Ebenso treten auch die Museologie oder Museumswissenschaft und
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ihre praktisch veranlagte Schwester, die Museografie, auf. Sie sind dezidierte Vorzeigekünste und Wissenschaften des Zeigens (soweit Wissenschaften überhaupt sich dazu verstehen, für ein Publikum zu präsentieren).
Zeigen, sich offenbaren. Inszenieren, ausstellen. Ein ökologisches Modell Gerade hier finden wir einen nicht konfliktfreien Diskurs um die Ding- und Objektrelevanz in der Spannung zwischen Herkunft und Bedeutung, Aneignung und Inszenierung. Dass es sich in der Perspektive des Ausstellens trotz der Präsentationsabsicht nicht unbedingt um eine Geschichte des Inszenierens handelt, mag für den Beginn die Grammatik unterstützen. Im Unterschied zur Grammatik von »inszenieren«, die sich am Ende immer als Grammatik einer intentionalen Proposition erweist, ist für die Verwendung von »ausstellen« der nichtintentionale Satz durchaus gebräuchlich: »x stellt y aus«, erweitert: »x stellt y für z aus«. Er akzentuiert positiv, wenn nicht positivistisch. Die Inszenierungsgrammatik hingegen fügt stets die Inszenierungspointe mit an: »x inszeniert y für z als a, b, c, … n«, was so viel bedeutet wie »x inszeniert y für z, sodass ...«, sodass offensichtlich wird, worum es der Inszenierung geht, der Inszenierung wohlgemerkt nicht im Sinne der Szenifikation oder des Szene-Machens, sondern der Inszenierung als szenografischem Plan und Entwurf, einen bestimmten praktischen Effekt zu zeitigen. Heißt es »in Szene setzen«, klingt schon hier die Unterscheidung an. Während die Inszenierung den turn der Manipulation oder Disposition offensichtlich macht, beginnt das In-Szene-Setzen mit dem Ergebnis. Vergleichbares passiert mit dem Ausstellen. Dass ein Streit darum entstehen kann, ob und wann die Grammatik der Intentionalität und des folgenden Beeinflussens auch im Ausstellungskontext angebracht ist, lässt sich nachvollziehen. Allerdings sagt die Intuition, dass »x stellt y für z als a, b, c, ... n aus« bei erstem Hören ungewöhnlich klingt. Dies scheint auf eine Verdeckung oder Verschiebung hinzudeuten oder auf einen anderen Sachverhalt. Im Gebrauch von »inszenieren« wiederum ist es völlig geläufig, das Verb als intentionalen Ausdruck einer entsprechend abhängigen Proposition zu verstehen, auch wenn der abhängige Satz, wie die Grammatik reflektiert, aufgrund der Multirelativität der Verhältnisse im Deutschen nicht unmittelbar folgt. Eine Vermutung für die folgende Geschichte könnte mithin sein, dass die Dinge, um die es geht, nicht gleich am Beginn dieser Expositionsgeschichte in dem Kostüm erscheinen, das ihnen eifrige Zeremonienmeister oder Kustoden umgehängt haben, dass im Gegenteil quasi Nichtinszeniertes den Anfang markiert. Die pure Existenz eines infraordinär Natürlichen gilt zugleich, insofern es nichts tut, als sich vollständig zu offenbaren, seit alters her und bevor noch die Zweifel an der Durchlässigkeit des Mediums aufziehen, als »echt« Realitätverbürgendes. Auch wenn die Frage hier nicht sein kann, wie diese Auffassung gerechtfertigt werden kann, wird zumindest festgestellt, dass die Frage nach dem Wahrheitsdiskurs diejenige nach der Substanz der Dinge von Anfang an begleitet. Trotz des Gesagten zum erst späten Eingreifen der Wissenschaften geht es von Beginn an auch um das, was es heißt, eine Tatsache als zutreffend zu behaupten, unabhängig von wissenschaftlich gerechtfertigten Verfahren. Ein Hinweis darauf, dass die Frage der Wahrheit womöglich nicht erst im Kontext der Wissenschaften auftaucht. Das mag stimmen, denn Sprache gehört nicht per se der Wissenschaft. Doch denkt man an die Sprache, scheint der Glaube an ein pures Herzeigen reiner Faktizität von Dinglichkeit naiv. Denn es hieße, zu allem zu schweigen, namentlich zum Auffindungs- und Beschaffungs-, quasi dem Herstellungsmodus bei Aufgefundenem. Man stellt ein Ding, das so oder so eine Reise hinter sich
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hat, nicht hin, wie wenn es schon am Ort wäre, sondern man bringt es und stellt es her. Imaginieren wir die Dingwelten in der Kammer als Sammlung von Merkwürdigkeiten und ›Nachrichten von fremden Sternen‹. Angenommen, ein aus dem ›Auffindungszusammenhang‹ eigentlich bekannter und genealogisch nicht irrelevanter Bedeutungskontext würde aus nahe liegenden Gründen nicht mitgeliefert. Dafür braucht man sich nur eine weniger friedliche Expedition vorzustellen, in deren Verlauf die Schätze den Eigentümer wechselten, Szenario einer normalen ›Entdeckungsreise‹. Die Verantwortlichen wären vielleicht nicht interessiert, jede Herkunft aufzudecken. Würde man dies inkriminieren, würde man ein modernes Normenbewusstsein voraussetzen, etwa ein Verbot völkerrechtswidriger Übergriffe. Für feudale Herrschafts- und Verkehrsverhältnisse dürfte ein derartiger Vorbehalt eher merkwürdig geklungen haben. Beispielhaft mag die Rechtfertigung stehen, die Christopher Columbus allein dafür anführt, dass er bei erstbester Gelegenheit alle möglichen von ihm neu entdeckten Dinge und Ereignisse mit einem eigenen Namen belegt. Auf den ersten Blick scheint die Benennung vielleicht eine zwanghafte, aber unblutige und insofern einigermaßen friedlich anmutende Taufe. Doch die damit vollzogene Bemächtigung, gewissermaßen eine Bekehrung, kennt keine Skrupel. Eine Relativierung der Geltungskraft dieses Rituals, das auf Repräsentation, bloßer Stellvertretung des (spanischen) Souveräns beruht, sucht man vergeblich.74 Folglich wird man schließen dürfen, dass unter autokratischen Herrschaftsverhältnissen auch andernorts kaum Bedenken existiert oder davon abgehalten haben, Geschichten möglicherweise gewaltsamer Aneignung etwa nicht zusammen mit der Zurschaustellung des Angeeigneten zu präsentieren. Was demnach so aussehen mag, als sei ein bestimmter erwarteter Darstellungskontext nicht mitgeliefert worden, weist deutlicher als auf die imaginierte Fehlstelle auf eine Konkurrenz der Narrative, die, wie in diesem Beispiel offensichtlich, anders ausfallen können als vermutet oder erwünscht. Eine Frage der Deutungshoheit, die in Anspruch zu nehmen gerne und generell als eine Angelegenheit der (eigenen Vorstellungen von) Zivilisation gilt.75 Der Sozialisierungskontext der Dinge entfaltet sich nicht nach dem Muster der Lektüre einer fertig geschriebenen Erzählung, sondern praktisch, im Streit der und um die Bedeutungen. In solchem Streit aber kann sich die Wahrheit der Dinge sehr gut gegen die Konkurrenz der Wahrheit einer Geschichte behaupten; vor allem dann, wenn es der ›Dingwahrheit‹ gelingt, in eben dieser Gestalt an einen ihr immanenten Mythos anzuknüpfen. Hier beginnt die Geschichte der Souveränität der Wissenschaften. Die Frage ist, ob mit der Exposition der Dinge völlig andere sinnliche und ästhetische Vorstellungen verbunden sein müssen als in Erwartung theatral dramatisierter Szenarien und Szenen. Vordergründig keineswegs. Die Beeindruckung durch ein Natürliches, Ding oder Ereignis, gehört zu den Alltagserfahrungen. In der Geschichte der Ästhetik ist sie fest verankert, widerspricht also alternativen Erwartungen. Allerdings könnte man eine Art ›Selbsttheatralisierung‹ der Dinge und Erscheinungen in der Natur unterstellen, die zum Ausdruck ihrer Erhabenheit beitragen wird. Der Szenograf solcher Wunder wäre die Natur selbst. Der Mensch, der davor steht, scheint kaum ein Eroberer, bloß ein Staunender. Dass es nicht dabei bleiben wird, dass der Staunende staunt und sich den Eingriff verbietet, erstaunt wiederum nicht. Doch scheint er in dieser Haltung dem »Schauspiel der Natur« nicht gleich mit selbst Erfundenem beikommen zu müssen, vielleicht bereit zu sein zu lernen, was in diesem Stück, in dem nicht er der Regisseur ist, gespielt wird. »[W]ir haben uns«, schreibt Goethe, »wenn wir einigermaßen zum lebendigen Anschauen der Natur gelangen wollen, selbst so beweglich und bildsam zu halten, nach dem Beispiele, mit welchem sie uns
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vorgeht.«76 Vielleicht wäre – mit Heidegger – eher hier als an theatralen Inszenierungspraktiken die »Kultur der Präsenz« anschließbar. Trotz der historischen Dimension, die auch dieses Paradigma öffnet, handelt es sich keineswegs um eine, weil erkenntnistheoretisch vermeintlich obsolete, darum völlig inaktuelle Position. Im Gegenteil ist sie symptomatisch für ein nicht-expansives ökologisches Programm, das nicht nur die materiellen Ressourcen der Natur zu schonen bestrebt ist, sondern ebenso die physischen und psychischen, informationellen und kommunikativen Humanressourcen. Gewissermaßen findet sich hier, im Unterschied zu den Erkundungen auf den Spuren der Inszenierungsgesellschaft, ein Verständnis von Erleben, das nicht per se mit einer hegemonistischen Überlebensstrategie gekoppelt antritt. Noch bevor die Erkundungen Ergebnisse gebracht haben, wäre damit eine Widerstandslinie im Streit um die Dinge identifiziert, die vielleicht auch in der Geschichte des Umgangs mit ihnen Symptome hinterlassen hat. In diesem Sinne und auf den Spuren Goethes schreibt der amerikanische Kulturökologe David Abraham in The Spell of the Sensuous: »Die Welt zu sehen heißt, meine eigene Sichtbarkeit zu erfahren und mich selbst gesehen zu fühlen. [...] Wir können Dinge nur deshalb erfahren, können sie berühren, hören und schmecken, weil wir als Körper selbst in das sinnlich erfahrbare Feld eingebunden sind, selbst eine eigene Oberfläche haben, eigene Laute hervorbringen und selbst nach etwas schmecken. Wir können Dinge nur wahrnehmen, weil wir selbst ganz und gar Teil der wahrnehmenden, sinnlichen Welt sind! Man könnte auch sagen, dass wir Organe dieser Welt sind, Fleisch von ihrem Fleisch, und dass die Welt sich selbst durch uns wahrnimmt.«77
Ohne Zweifel können für derartige Betrachtungsweisen auch andere Gewährsleute angeführt werden. Ich denke an Peirce, Whitehead oder Heidegger, die in je eigener Weise der Überzeugung von einer Gründung unserer Erkenntnismöglichkeiten in der Natur oder in der Erde Ausdruck verliehen haben. Für Whitehead liegen die Bedingungen, die zur Ablehnung jeder Externalisierung der Dinge führen müssen, klar: »Für die Naturphilosophie ist alles Wahrgenommene in der Natur. Wir können es uns nicht aussuchen. Für uns muß das rote Glühen des Sonnenuntergangs so sehr Teil der Natur sein wie die Moleküle und die elektrischen Wellen, mit deren Hilfe die Wissenschaft das Phänomen erklären würde«, schreibt er in Der Begriff der Natur.78 Der Gedanke ist einfach: Es gibt keinen Umgang mit der Natur, der ohne sie auskäme – mit entsprechenden Konsequenzen für Wissenschaften und Künste. Heidegger geht der Frage in Der Ursprung des Kunstwerks für die Dimension des Kunstwerks, des Künstlers und der Kunst nach. Dabei stößt er auf Dürers Diktum79, womit in den Büchern von menschlicher Proportion ein Hinweis gegeben wird, wie die Geschichte ausgehen könnte, ohne dass die Erdung kurzgeschlossen wird. Die Problematik erscheint unter dem Aspekt der mimesis, der Thematisierung eines Verhältnisses von Kunst und Natur, mit der die Voraussetzungen erhalten bleiben, über die Übertragung zwischen Nachahmung und Nachgeahmtem nachzudenken. Die Frage schließlich, die auch das Abraham-Zitat nahelegt, ist, wer bei der Nachahmung der Natur wen nachahmt. Oder weitergehend, ob diese Frage, als Alternative gestellt, überhaupt die einzig sinnvolle Fragestellung ist. Immerhin ist es angesichts solcher Öffnung möglich, über eine lange nicht gezogene relativistische Konsequenz des Mimesis-Topos nachzudenken. In dieser Richtung scheint Heidegger Dürers Regel für den Künstler im Umgang mit der Natur zu bedenken. Zwar betrachtet Dürer, ganz wie die Naturgeschichte seiner Zeit, den gesamten Austausch zwischen ›Natur‹ und ›Kunst‹ (worunter alle auf die Physis bezogene poiesis verstanden werden muss) unter Aspekten der Nützlichkeit. Doch gibt
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er auch an, wo er die Kunst ursprünglich am Werk sieht. »Denn wahrhaftig steckt die Kunst in der Natur«; allerdings: »[W]er sie heraus reißen kann, der hat sie«. Das hätte auch Bacon sagen können, wobei der sich allerdings schon nicht mehr aufs bloße Herausreißen hätte beschränken wollen. Goethe aber sieht die Dinge am Ende der alten Repräsentation immer noch ähnlich wie Dürer. Wenn Inszenierung im theatralen Modell definiert wird, gedacht mit einem Anspruch von Allgemeingültigkeit, als generelle Praktik, Unsichtbares sichtbar zu machen, dann wäre es vielleicht doch eine Kunst der Natur, wären es ihre Kunstwerke, die eine besondere ›Sichtbarkeit‹ verbürgten – auch wenn sie nicht darauf gewartet haben dürften, zum Gegenstand von Medienevents zu geraten. Freilich, wir kennen das bisherige Ergebnis, fiel es der Natur, die dem Menschen nach internalistischer Vorstellung durchaus ebenso eigen ist wie den Dingen, schwer, den Angriffen auf ihre Integrität auf Dauer zu widerstehen und nicht mehr zu offenbaren als das, was sie ohne Zwang zugestand. Nur wird man fürchten müssen, wenn der Natur die Geheimnisse entrissen werden, dass sich Geheimnis und Wunder verflüchtigen, wenn sie nicht bewahrt werden, wie die Dinge, an denen sie geschehen und die sich darin verbergen. Was die Dinge offenbaren, gilt nicht per se als ›Bild‹. Dafür braucht es Abstand, Reflexion, natürliche und geistige Spiegelung, die nicht Abbildung sein muss, aber Übertragung. Heutzutage erscheint es medial geboten, an Bilder von Dingen zu denken, bevor man an die Dinge selbst denkt, auch wenn es um sie geht. Dass die Medien und die von ihnen produzierten Bilder manipulieren, gilt mittlerweile als eine etwas altbackene Rechtfertigung ikonoklastischer Praktiken. Zweifel an wissenschaftlich gesicherten Bildtechnologien und -techniken dagegen sind trotz allabendlicher Wettervorhersage, mobiler Satellitennavigation in allen Lebenslagen und notorisch weltweit rechnergesteuerter Finanztransaktion an der Tagesordnung. Religiöse Bilderverbote holen den Bilderkrieg mit gewisser Regelmäßigkeit aus den Räsonnements ins politische und gesellschaftliche Leben, wie in neuerer Zeit drastisch die Zerstörung der Buddha-Statuen durch die Taliban anschaulich machte, die Plünderung von Museen oder Schändung von Kultstätten in den Kriegen und Bürgerkriegen des Nahen Ostens und Südens. Religion, Wissenschaft, Medien indessen, allen voran der Kultur- und Kunstbetrieb, sorgen für mehr als nur Nachschub, bemühen sich um den visuellen Overkill. Kaskaden von neuen Bildern garantierten Bilderstürmern auf Jahrhunderte Beschäftigung.80 Will heißen: Außerhalb des Theaters erscheint die Frage nach dem Verhältnis von Dingen, Bildern und Medien nicht so deutlich ausgemacht wie im Dispositiv der Inszenierungsgesellschaft.
Neupositionierung des Museums Dem Wissen und der Erinnerung verpflichtet wie der Sichtbarkeit und der Präsentation, versucht sich auf der Grenze zwischen den Instituten und Medien der Bildvermittlung das Museum seit dem Ende des 20. Jahrhunderts neu zu positionieren. Die Museumswissenschaft war gerade erst fünfzig Jahre alt. Es ging darum, ob und wie das Museum selbst auch zur Inszenierungsgesellschaft gehören sollte oder könnte. Im Bemühen, Referenzen für eine zeitgemäße Orientierung eigener Ansprüche aufzutun, geriet ein historisches Dispositiv im Schatten der Souveränität erneut in den Blick des Museums, einer historischen Figuration, aus der es selbst nach eigenem Bekunden hervorgegangen und von dem sich zu emanzipieren lange Zeit sein Ziel war. Darin agieren Galerien und Stanzen ehrwürdiger europäischer Fürstenhäuser, Observatorien und Laboratorien traditionsreicher wissenschaftlicher Einrichtungen,
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Raritäten- und Kuriositätenkabinette berühmter und reicher Einzelsammler vergangener Jahrhunderte, kurz gesagt, eine ganze Tradition von der Renaissance bis zum Beginn des 19. Jahrhunderts, auf die das Interesse moderner Kuratoren und, neuerdings, auch Szenografen stößt. Die Frage lautet, gibt es einen Anschluss an die »Kunstund Wunderkammern«81 der Vergangenheit und wie soll man umgehen mit diesem »Erbe«. Hier, so die Hoffnung, böte sich mit der Tradition ein Modell für die Allianz von Natur, Kunst und Wissen und all dies in schon früher hier und da bewundernswürdigem Auftritt. Das Modell, zudem, schien geeignet, moderne museumspädagogische und kunsthistorische Ambitionen mit dem Publikumswunsch nach synästhetisch beeindruckenden Begegnungen, nach unterhaltsamer multimedialer Inszenierung und zufriedenstellender Selbstinszenierung glücklich zu verbinden. Dennoch, Museografie und Museologie verstehen sich durchaus als Institutionen des Wissens, nicht der Unterhaltung, wenn Theater, dann Wissenstheater. Theatrum naturae et artis. Wunderkammern des Wissens lautete der Titel einer großen Ausstellung zu dieser Tradition im Gropiusbau in Berlin im Jahr 2000. Das Interesse richtete sich auf das Inventar der Sammlungen, aber auch auf deren Verzeichnisse, ebenso auf die Methoden zu sammeln und aufzuführen und zu hinterlassen. Darunter waren Methoden und Konzepte, an denen nicht allein Naturwissenschaftler von Rang schon in der Vergangenheit gearbeitet hatten, Buffon, Linné oder Lomonossow, sondern auch Philosophen wie Bacon, Leibniz oder d´Alembert. Was die in dieser Ausstellung zusammengetragene »Zusammenschau von Naturwissenschaft und Künsten« angeht, galt der »Anspruch aktueller denn je«.82 Man wollte die bewusste Beschäftigung mit der Vergangenheit, und zwar durchaus nach Kriterien wissenschaftlicher Standards der Verfahren. Man wollte die Archäologie von Schätzen des Wissens. Doch offenbarten sich alsbald auch hier die wirtschaftlichen Verwicklungen dieser Art inszenatorischer Intervention im öffentlichen Kulturraum der Gegenwart. Das Unternehmen war und ist nicht ohne Risiko. Denn ob und wie, wenn überhaupt, die Kunst- und Wunderkammern der Bourbonen, Habsburger oder Wittelsbacher tatsächlich helfen können, das Museum des 21. Jahrhunderts zu denken und zu gestalten, ist nicht einfach zu entscheiden. ›Wunder‹. Szenen & Räume der Dinge
Der Bischof wollte dem jungen Indio nicht glauben, der ihm von seiner Erscheinung berichtete. So trug die Madonna dem Jungen auf, am Gipfel des Berges Blumen zu pflücken, sie in seinem Mantel zu sammeln und dem Bischof zu bringen. Als die Blumen aus dem Umhang fielen, erschien plötzlich das Bild der Mutter Gottes auf dem Tuch. Das geschah im Dezember 1531 in Mexiko. Der Umhang ist erhalten geblieben und wird seither über dem Hauptaltar der Basílica de la Santíssima María de Guadalupe in einem kostbaren goldenen Rahmen ausgestellt. Jährlich kommen über 20 Millionen Pilger zu dem größten Marienheiligtum der Erde. Es sind Gläubige, die an die Wunderkraft der Jungfrau glauben. Nicht an den Mantel. Aber dafür musste man ihn bewahren als Zeichen des Glaubens und als Zeichen der Kette zwischen Himmlischem und Unterhimmlischem. Denn das Wunder des Glaubens hatte auch ein Wunder der Natur bewirkt. Das Unsichtbare war sichtbar geworden an einem so schnöden Ding wie dem schäbigen Mantel eines Indianerjungen. Die Agavefasern des Stoffs widersetzen sich seit einem halben Jahrtausend der Zerstörung, und seine Farben verschießen keinen Deut. Offenbar ein erstaunliches Kunstwerk, das aus Agavenblättern, Webkunst und himmlischem Zauber zustande gebracht wurde.
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Das Wenigste, was in den frühen Wunderkammern zum Staunen Anlass gab, war auf diese phantastische Weise dem Himmel verbunden. Derartige Manifestationen waren der religiösen Feier vorbehalten oder der Unterhaltung auf dem Jahrmarkt. Trotzdem, die das Privileg hatten, einen Blick zu werfen auf die Wunder in den Kammern, konnten auch nur glauben oder zweifeln. Den meisten musste klar sein, dass sie nie Gesehenes zu Gesicht bekamen. Wie, wenn es nichts anderes gab als ein Schauspiel der Dinge, sollten sie mehr sehen als das? Die Dinge, ursprünglich, waren gefunden, erobert, immer ausgewählt, vor allem bei Artefakten. Was des Aufhebens und Präsentierens für wert erachtet wurde, wurde zusammengetragen in Kabinetten. Stanza, casa, casino, guarderoba, studiolo, tribuna, galeria; die Wörter weisen den Weg, wo solche Räume zuerst eingerichtet wurden. Obwohl eingeschlossen, sollten sich die Wunder aus Natur und Kunst dem Blick öffnen; mehr oder weniger im Geheimen, wie im studiolo Francescos I. de´Medici, mehr oder weniger öffentlich, wie in den Cabinets du roi Ludwigs XIV. So oder so, die Wunder waren da, staunen zu machen. Es wird Sorge getragen, dass kein Bewohner ersticken muss wegen allzu großer Enge. Auch muss kein Ding fürchten, dass eine der vielen Unterkünfte vielleicht völlig verschlossen bliebe, sodass, wer hineingeriete, sein Geheimnis für immer mit ins Dunkle nehmen müsste. Zumindest einen Einlass gibt es immer, und sei es eine einzige Öffnung in der Wand für den Blick, für das Erlebnis des Wunders wie im Kabinett der Medici. Das Regiment indes führt das Arrangement im Innern der Kammer. Zuerst drückt es die Dinge nicht, verschafft ihnen unterschiedslos Unterkunft, achtet darauf, dass sich ein jedes von seiner besten Seite präsentieren kann. Es geht lustig zu, denn Dinge, die sich in der Natur oder da, wo sie herkommen, nie getroffen hätten, versammeln sich nun unter einem Dach. Viel zu tun miteinander haben sie naturgemäß nicht, doch sind sie zusammen. Curiosa, mirabilia, preciosa; Sägefischblätter und Nuggetbrocken, Panzer von Echsen und Meeresschildkröten, zweiköpfige Kälberembryos, Eskimoschlitten und Schamanenmasken, Arme von Riesenkraken, Mumien in Sarkophagen, Edelsteine, Pokale, antike Statuen und ein vollständiger Satz von Backenzähnen, die ein Fürst seinen Untertanen eigenhändig gezogen hat. Ein Schauspiel vielleicht, mehr aber einzelne Bilder des Daseins von Dingen, natürlichen und künstlichen. Wenig Inszenierung, viel Arrangement, hinstellen und zeigen, abgesehen von der Pracht der Gehäuse, die aber weniger zu Ehren der Wunderdinge gefertigt sind als zur Feier der Magnifizenz des Fürsten. Szenisches in den Falten des Kammerauftritts ist kaum zu erkennen. Andere Szenen, welche die Dinge kennen, sind an ihre Herkunft und die Reise an ihren Bestimmungsort gebunden. Von diesen Szenen wird nicht unbedingt berichtet. In der Kammer sind die Dinge zunächst ohne eigene Geschichten. Sie sind fremd, keine Akteure mehr und noch keine in einer anderen Welt. Im Laufe der Zeit wird das Regiment strenger. Aus einzelnen Kabinetten werden Häuser, ja ganze Städte mit Wohnvierteln, Straßen, Häusern, Wohnungen, Zimmern. Wie ein einzelnes Objekt seinen Aufenthalt gestaltet, wird weniger wichtig als das Regime über die Ordnung und der Betrieb, den es unterhält. Ob Kabinette oder Zimmer, Gärten oder Gehege, Galerien oder Menagerien, was den Typ ausmacht und das Aussehen des Kammertableaus bestimmt, folgt vom Größten bis zum Kleinsten der Idee eines umfriedeten, im Inneren geordneten Raums, der Dinge aufnehmen soll, die, wie man glauben könnte, überhaupt Einrichtung und Ordnung veranlassen. Doch das ist nur die halbe Wahrheit. Denn das Spiel der Einzelnen mit dem Blick, der auf sie fällt, ist bald vorbei. Die neue Parole heißt: Antreten in Reih und Glied, ein jedes, wohin es gehört. Eine ganze Ordnung der Einrichtung entsteht: Schränke und
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Kästen, Schubladen und Boxen, Schachteln und Dosen, Vitrinen und Gläser, Beete und Rabatten, Gehege und Käfige werden erfunden, gezimmert, gebaut, angelegt, um dem Durcheinander ein Ende zu setzen: Kammern und Kammern in Kammern entstehen, die, was darin ist, hegen und gruppieren, scheiden und vereinzeln, abschirmen gegen das, was draußen ist, und gegen die Nachbarn im selben Raum. Jederzeit kann es passieren, dass an- und ausgebaut werden muss. Alles, was zuvor gedrängt auf kleinem Platz zusammenwohnte, wird auseinandergezogen, die Kammer selbst liegt auf der Streckbank, auf die Bacon die Natur schnallen möchte, um ihr ihre Geheimnisse zu entreißen. Die einzelnen Zimmer erhalten nun alle Öffnungen – Klappen, Fenster, Türen, Löcher. Am Anfang bringen die Wunder selbst das Licht ins Innere, reflektieren den Glanz ihrer Abkunft wie die Sonnenflecken auf der Wand des Laboratoriums, die von der Camera obscura zum Vorschein gelockt werden. Der Eigenglanz lässt nach. Allemal sollen die Dinge glänzen als Abglanz des Fürsten. Sie werden weiterhin betrachtet, doch der Blick auf die Dinge ändert sich. Idealerweise könnte man alle Einlässe, alle Ansichts-Seiten der Gehäuse nach oben wenden und erhielte eine einsichtige Oberfläche. Man könnte ein riesiges Gewebe darüber legen und erhielte eine Karte, deckungsgleich mit dem Territorium darunter wie »jene ausgedehnte Karte«, von der Borges erzählt, »die genau die Größe des Reiches hatte und sich mit ihm in jedem Punkt deckte.«83 Aus dieser Perspektive entdeckt sich dem hinreichend fernen und scharfen Auge alles. Der Projektionsraum, der sich auftut, lässt alles Unsichtbare, in Falten Versteckte, sichtbar geordnet und abgewickelt, auf einer Ebene entfaltet zum Vorschein treten, ganz wie es in der Logik von Port Royal ober die Zeichen geschrieben steht. Die »Zeichen« sind so offensichtlich, dass, was zu sehen ist, »der Bedeutung nach und übertragenerweise [...] die Sache ist«.84 Ding- und Zeichenkörper sind derselbe. Diese Anordnung der Repräsentation »Inszenierung« zu nennen wäre bestenfalls am äußersten Rande der Verwendung des Ausdrucks verständlich. Vielleicht eine ›Inszenierung‹ der Logik und der Wissenschaft der Perspektive, die gerade erfunden wird. Die Wendung zur Karte ist ein erster Schritt wissenschaftlicher Geopolitik. Die Projektionsgeometrie dominiert die Analogien und Ähnlichkeiten und ihre Transformationen, die eine kompliziertere Mathematik der Relationen benötigen, gehören zur Versammlung der Dinge, deren Chaotik der fortschrittlichen Naturgeschichte derzeit als typisch für ein überkommenes magisches Denken gilt. Die Kartierung dominiert und koinzidiert mit den Entdeckungen der Eroberer wie der Künstler.85 Liste und System folgen mit den voranschreitenden Wissenschaften. Die Naturgeschichte des 18. Jahrhunderts wird das Bild völliger Offensichtlichkeit des Plans verfolgen. Doch auch das Labyrinth, in dem sich die Vielfältigkeit der Formen und Farben der Dinge in früheren Jahren verliert, lässt sich als Projektion begreifen, nicht in einer Perspektive freilich. Mit Schauen ist kaum Überblick zu gewinnen, die Erkundung verlangt eher ein Betreten des ungeheuer gestauchten Raums. Nichts ist da offensichtlich, alles müsste erst auseinandergezogen und entwirrt werden. Statt der Fläche des Tableaus finden wir die Falten eines vielfach eingeschlagenen Tuchs, eines mehrfach gefalteten Fächers, worin, was zu sehen sein könnte, verborgen liegt, bis jemand den Stoff, das Papier glatt zieht, was doch nur an einer Stelle geschehen kann. Tuch oder Fächer vollständig zu glätten, um dort womöglich eine einzige Form, ein einziges Muster erkennen zu können, einen lesbaren Text, ist kaum denkbar. Der Sinn der Wunder ist anders zu entschleiern. In den Falten aber ist Platz für unendlich viele Ähnlichkeiten. Größtmöglicher Inhalt auf kleinstem Raum. Geknautscht, eingefaltet, verschachtelt. Die Welt der Dinge ist nicht einfach, nicht in ihrer barocken Sicht.86
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Wenn alles, die Welt und der Kosmos, in solche Ordnung gebracht, in Schubladen verwahrt und auf der Karte verzeichnet ist, mag der Gedanke an Einsperrung, an Unfreiheit leicht verschwinden. Was erscheint, beweist eher die Vielfalt der Schöpfung und der Künste: die Kunst der Geometer, die die Territorien vermessen, Strecken, Flächen und Winkel berechnen, Einteilungen vornehmen, die Kunst der Baumeister, die Räume im Raum schaffen, umgrenzen und umzäunen, Wege ziehen und Durchlässe schaffen, die Kunst der Kartografen, die Orte und Dinge mit den Zeichen eines Plans verbinden, Trajektorien kalkulieren und Projektionen vornehmen, schließlich die Kunst zu lesen und zu erzählen, zu besinnen und Sinn zu machen. Insgesamt breitet sich eine Kunst der Raumordnung aus, freilich um der göttlichen und menschlichen Schöpfungen willen. Denn Raumordnung soll Dingordnung sein. So braucht es die Kunst, ein Jedes, was in die Kammern einziehen soll, auszuwählen und hinzustellen, wohin es gehört, sodass man seine Eigenart erkennt. Sollen die Räume passen, soll die Darstellung überzeugen, müssen sich Raum- und Baukunst mit derjenigen Kunst vertraut machen, die lehrt, wie man die Natur der Dinge gebührend fasst, mit der Kunst zu lesen im »Buch der Natur« oder zu berechnen qua Zahl, Gestalt, Proportion und Situation. Die Herrlichkeit des Schöpfers, des Fürsten in seinem Glanz und die Herrlichkeit der Dinge zu feiern, die nur Abglanz sind vom Glanz des Herrschers, wird nicht genug sein dafür. Die irdischen Baumeister sind dabei so wenig frei wie die Bewohner, für die sie planen. Sie müssen den Wunderdingen Angemessenes schaffen, was bedeutet, sich beweglich und bildsam zu halten, dem Beispiel der Dinge folgend, das sie geben, wie es Goethe noch zweihundert Jahre später empfiehlt.87 In jedem Fall muss man sich mit der »Naturkunst« vertraut machen. Das gelingt leichter, wo nicht in Zweifel steht, dass die Künste des Ordnens und Einteilens selbst von der Natur inspiriert sind. Die Naturkunde lehrt, wie man erkennt, indem man nach Merkmalen der Dinge sortiert. Und so trennen die Kammerherren hier nach Gattung oder Art, vereinen dort zur Klasse oder Familie. Es beginnt eine Völkerwanderung. Das Gelände wird neu verteilt, der Raum neu strukturiert. Familien sollen zusammen wohnen, Verwandte ebenfalls. Die einen brauchen mehr Platz, die anderen weniger. Niemand bleibt unberücksichtigt. Eines ist unvermeidlich, Zeichen und Dinge rücken auseinander. Einmal eingezogen, bezeugen die Bewohner der verschiedenen Räumlichkeiten die Rechtmäßigkeit ihres Wohnens mit Adresse und Namensschild, das Familien- und Eigennamen trägt. Die Offenkundigkeit ihrer Identität demonstriert die Gesamtheit der Ordnung, die die Souveränität der Objekte stellvertretend legitimiert. Denn sie sind, worum es sich dreht. »Die Pflanzen zu erkennen, heißt genau die Namen zu wissen, die man ihnen in Beziehung zur Struktur einiger ihrer Teile gegeben hat. [...] Die Vorstellung vom unterscheidenden Merkmal, das die Pflanzen entscheidend voneinander abhebt, muss unveränderlich mit dem Namen der Pflanze verbunden bleiben.88
Die Ordnung, die geschaffen wird, beweist ihre Wahrheit nicht zuletzt durch ihre Schönheit, an der sich der Kundige, der die Ordnung durchschaut, zu erfreuen weiß: Denn »in der Bemühung, gute Ordnungen zu machen, stecket nicht allein ein wahrer Nutzen, welcher die Erhaltung und Vermehrung des Cabinets angeht, sondern auch eine gewisse Ergötzlichkeit, welche [allerdings – HW] nur denjenigen bekandt ist, welche einen Theil ihrer müßigen Zeit damit zubringen, dass sie das Übereinstimmende der erschaffenen Welt betrachten. Der unzertrennliche Zu-
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sammenhang derer Geschöpfe ist, in denen Natur-Reichen, die Würckung des Schöpfers selbst, dessen weiseste Absichten man ohne große Bemühung sogleich ersehen muss, wenn man alle Geschlechter und Arten derer Cörper aus einem gewissen, obgleich kleinen, Theile der Natur-Lehre beysammen in der ihnen angeschaffenen Reihe siehet. Die Aehnlichkeit, oder Unaehnlichkeit derer Dinge, welche untereinander vermenget liegen, zeiget sofort, dass es nöthig sey, jedem Geschöpfe seinen gebührenden Nachbarn zuzueignen; und gleich mit gleich zu vergesellschaften, das unähnliche aber voneinander abzusondern.«89
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Methoden gibt es viele, und was für die Pflanzen taugt, mag für Animalisches oder Antiken nicht passen. Zudem, was Tournefort oder Hebenstreit (in diesem Fall Johann Ernst) Anfang, Mitte des 18. Jahrhunderts für eine aufgeklärte Methode erachten, die man dem Sammlungschaos vergangener Zeiten entgegenhalten solle, wäre möglicherweise zweihundert Jahre zuvor nicht nur Blasphemie gewesen, sondern auch völlig ungeeignet, das Spiel der Ähnlichkeiten im Buch der Natur nur annähernd zu erfassen. Was die Forscher indes verbindet, die mit den Kammern zu tun haben, ist der Wunsch nach universeller Verbindung von Natur, Kunst und Sinn trotz aller Zergliederung, die unverzichtbar scheint, wenn Zusammenhang erkennbar sein soll. Sie hoffen gar, dass am Schluss die Struktur der Objekte, die Namen im Gefüge der Taxonomien und die Topologie der Kammern und Territorien irgendwie verwandt sein mögen und die vorhandenen Glieder in der Kette der Repräsentation tatsächlich die ganze Ordnung widerspiegeln. Wahrheit und Schönheit der Schöpfung finden sich so in zwei Registern, in dem der Dinge und ihres Daseins und in dem ihrer Ordnung, die eine der anderen Spiegel. Noch die Kalligramme, von denen Linné träumt, erhellen diese Vorstellung. Er stellt sich vor, dass die Struktur der wissenschaftlichen Darstellung letztlich den Gestalten der beschriebenen Pflanzen selbst ähnlich werde, nicht den illustrativen Abbildungen, wie sie zu sehen sind in den Seba´schen Thesauri, sondern der textlichen Darstellung bis hin zu Typografie und Layout wohlgemerkt. Die systematische Gesamtdarstellung würde dem ganzen Reich der untersuchten Objekte entsprechen. Wo Identität war, soll zumindest strenge Ähnlichkeit herrschen. Doch diese Ähnlichkeit ist keine der Bilder, wie die, die eine Kopie dessen ist, was sie zeigt. Jetzt betrifft die Ähnlichkeit nicht die Gestalt der Exemplare, sondern die Topografie, bald die Topologie. Es geht um Ähnlichkeiten des Geländes, ohne dass die Ähnlichkeiten selbst als materiale Bezugsgrößen herangezogen werden müssten. Die Karte gibt ein Bild der Landschaft auch dann noch, wenn die verschiedenen Zeichen, die sie benutzt, um Einzelheiten darzustellen, dem, was sie darstellen, nicht oder nicht in allen Hinsichten gleichen. Doch maßgeblich ist die Landschaft wie die Ordnung der Kammer, die ihr Tableau aufdeckt, das aus einem Mixtum von Texten, Bildern, Diagrammen, Zeichen besteht. Ensemble, Exemplum und Beschreibung ähneln nichtsdestotrotz, obwohl ihre Bilder sich nicht ähnlich sind. Dass die Beschreibung, eine besondere Form zu repräsentieren, unmittelbar aus der »Natur der Dinge« resultiert, ist insbesondere dann leicht eingängig, wenn sie noch nicht auf ein Zweidimensionales, aufs Buch reduziert ist, die Karte in natura noch vorliegt. Sicher geht auch hier »die Sichtbarkeit des Tieres oder der Pflanze in dem Diskurs auf, der sie aufnimmt«, der aber ist angesichts der verbürgten physischen Präsenz der gesammelten Dinge kein nur sprachlich oder schriftlich repräsentativer »Text«, sondern erscheint zugleich
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unmittelbar vor Augen am Objekt. Der »diskursiven Praxis« bedarf es dennoch, um zu verstehen.90 Vom Ende her, historisch betrachtet, wird man sagen können, dass alle Repräsentationsweisen der Kammer in neue Dispositive eingezogen sind. Alles ist wiederauffindbar, was sich im Rahmen der feudalen und frühen bürgerlichen Institutionalisierung des Kammer- und Sammlungswesens manifestiert hatte. Zu einem Dispositiv, das den zu ihm gehörenden Handlungs- und Kommunikations- und Präsentationsraum integriert (der deswegen im Übrigen ganz anders dimensioniert ist als »Szenen«), gehört, dass auch alle medialen Repräsentationsformen präsent sind: die Beschreibungen und Analysen, die Bilder, die physischen Substanzen, die Gestaltung und die Architektur, die Topologie und die Topografie. Entsprechend entwickelte sich die Ausdifferenzierung, und sie ist noch nicht abgeschlossen.91 So würde man aus der Gegenwart heraus argumentieren wollen, um, möglicherweise, die Attraktivität des Modells zu beleuchten. Doch ist die behauptete Kontinuität zweifelhaft. Der ›Text‹ jedenfalls ist nicht allein erlebbar an dieser oder jener Geschichte der Kunst- und Wunderkammern, es braucht die Begegnung mit den transformierten Dingen, seien sie inszeniert neuerdings oder nicht. Die Schubladen müssen aufgezogen, der Blick von einem Fach zum anderen wandern, sodass der Zweck des Ganzen erkennbar wird. Einiges wird man nicht finden, weil es nie in Gehäusen blieb, die sich hätten institutionalisieren lassen. Auch danach wird man fahnden müssen und sehen, ob sich auch hierfür Begegnungsmöglichkeiten finden lassen. Wahrscheinlich wird es die flüchtigen, abtrünnigen und widerständigen Formen der Wunderdinge betreffen, auch auf dieser Spur. Die Repräsentation der Kammer beruht auf der Souveränität des Monarchen, so wie die Feste von Versailles und Wien es tun. Auch ihre Ordnung wird erst nach dem Untergang des alten Regimes neu verhandelt. Die Transformation der Repräsentation geschieht in denselben gesellschaftlichen Dimensionen wie im Fall der Theaterordnung. Die Kohärenz des sozialen Übereinkommens zerbricht auf vergleichbare Weise. In der alten Naturgeschichte gehören Gesehenes und Gelesenes, Beobachtetes und Berichtetes, les mots et les choses ungeschieden zusammen, wie die Geschichte zum Schauspiel gehört. »Zunächst handelt es sich um die Nichtunterscheidung zwischen dem Gelesenen und dem Gesehenen, zwischen dem Beobachteten und dem Berichteten, also um die Konstitution einer einigen und glatten Schicht, auf der der Blick und die Sprache sich unendlich kreuzten.« Noch Linnés Vorstellungen ruhen auf dieser Welt der Ähnlichkeiten und Analogien, die in den Symbolen stecken, auch wenn zu seiner Zeit vieles schon ausgesondert war und noch weiter ausgeschieden wurde, was nicht auf die Folie der scenografia Serlios oder die einer anderen Aufsichtsprojektion passte. Die Renaissance, der Barock dagegen ließen die Sprache in den Falten des Gewebes bei den Sachen und den Wundern sein, ließen sie »auf seiten der Welt zwischen den Pflanzen, den Gräsern, den Steinen und Tieren residieren.« Für Leibniz noch ist es schwer zu sagen, wo das Sinnliche endet und das Vernünftige anfängt.92 Kant erst wird die Zumutung, zwischen Dingen und Erscheinungen nicht unterscheiden zu wollen, energisch zurückweisen.
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Systematik des Wissens Zu unterschiedlichen Mengen von Ähnlichkeiten vereinigt, geordnet in übersichtlichen Feldern, präsentieren sich in den Kammern bald Natur- und Kunstdinge getrennt, naturalia und arteficialia. So auch die erste und wichtigste Gliederung: »Kunst zu Kunst, Natur zu Natur lociert«.93 Während die naturalia sich gewöhnlich und fürs Erste als die natürlichen Körper der Drei Reiche, der mineralischen, vegetabilen und animalischen Welt94 darbieten, haben Artefakte die Tendenz, sich zu vermehren. Nicht nur finden wir sie als Kunst und Künste im uns geläufigen Sinne in Antikensälen, Galerien, Schmuckkammern, in den Gewahrsamen für Statuen und Büsten, für Gemälde und Tapisserien, für Goldschmiedekunst und Fayencen oder an wieder eigenen Orten für die mit kunstfertiger Hand hergestellten Dinge des täglichen Lebens und die Preziosen der »Volkskunst«. Artefakte finden sich ebenso in den Sammlungen, die unentbehrliche Utensilien und bedeutsame Werkzeuge, Maschinen und Instrumente beherbergen, Artefakte definierter Herkunft, prädestiniert für den Einzug in ebenfalls eigene Gehäusewas Bischöfen und Päpsten diente, wertvolles Messgeschirr und prächtige Gewänder, goldene Rauchfässer und silberne Altarleuchter, in (kirchlichen) Schatzkammern und Paramentensammlungen. In Waffenund Rüstkammern Prunkschwerter und Glanzrüstungen aus dem Besitz von Grafen und Königen. In heimat- und völkerkundlichen Ausstellungen Erstaunliches und Kurioses aus dem Leben von Nationen und Stämmen: den hölzernen Pflug und die Zangen des Schmiedes, den Medizinbeutel des Schamanen und das Kajak des Jägers. In technik- und wissenschaftsgeschichtlichen Sammlungen, schließlich, Klammern und Haken, Sextanten und Fernrohre, Winkeleisen und Senkbleie, gläserne Kolben und verbeulte Malkästen, die Instrumente der Chirurgen und Schiffsführer, der Astronomen und Geografen, der Alchemisten und Botaniker. Hier, an diesem letzten Platz, vereint sich das Artefakt endlich mit derjenigen Kunst, die ihm den Rang im »Buch der Natur« allererst zuweist, mit der Wissenschaft und ihren Prozeduren. Mit der beobachtenden Wissenschaft vor allem, denn alle Kunst, um die es geht, versteht sich als Werkzeug eines genaueren Beobachtens. Dann der schreibenden Wissenschaft, der archivierenden, der erfindenden, der schlussfolgernden und manifestierenden. Die entsprechenden scientifica präsentieren sich in eigenen Wissensräumen – wie die Bücher und Karten in den Regalen und Schränken der Bibliotheken, die Armillarsphären und Globen in den Vitrinen und auf den Stellagen der Kabinette – oder aber sie vagabundieren als Künste und Kunststücke des Archivs, der Hypothesen, Theorien und Berechnungen, der Hermeneutik und Methode umher und bereichern das gesamte Tableau: überall präsent als Zeichen der Präsenz der Dinge, ihrer Interpretation und Zirkulation. Die Kammer wird zu einem System des Wissens, präsent in Beschreibungen und Listen, auf Hinweistafeln, Etiketten und Namensschildern, in bebilderten Mythen95, in Texten überkommener Spekulation und neuer Hypothesen, die man der gegenwärtigen Offensichtlichkeit entgegenstellen könnte – und wiederum in der Präsenz der ›aufgeschlagenen‹ Objekte selbst. Und die Ansichten der einen Gattung oder Art unterscheiden sich deutlich und sind weit genug entfernt von den Ansichten der anderen. Beide ›Karten‹, das ›geöffnete‹ Exemplar wie das System der Ähnlichkeiten, sollen gleichzeitig evident werden lassen, was sich dem Blick bietet, wobei zunächst das Beschreiben und Bestimmen nach Regeln kommt (auch »Diagnose« genannt96) und dann das Mit-Namen-Belegen. Obwohl die Grenzen undeutlich sind – künstlerisch gravierte nautiloidea und zu Schmuckornamenten arrangierte Weichtiergehäuse finden Aufnahme in den Naturalienthesaurus97und anatomische
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Präparate werden in der teratologischen Sammlung als Schauspiel aufgeführt oder Bühnenbild gezeigt98. Artefakte zu ordnen bedeutet, den Kriterien auf andere Art Geltung zu verschaffen als bei Naturdingen. Die Kunst der Kammer darf hier freier walten: Ähnlichkeiten qua Material, Größe, Gestalt oder Typ, qua Herkunft, Bedeutung, Funktion oder Gebrauch, qua narrativem Kontext schließlich sind hinreichend, Antiken zu gruppieren, Bilder zu hängen, Münzen zu ordnen, Waffen zu zeigen. Die überall verteilten Tafeln und Etiketten, man denke an die Namen nach binomischer Konvention im Naturreich, helfen dem Gedächtnis, sich im Gedränge zu orientieren99, zu klassifizieren, aber auch zu erinnern. Zuerst werden Sätze erzeugt, Geschichten erzählt, dann Etiketten verteilt. Bleiben sie beieinander, sind es memorabilia. Aber sie treten zunehmend an die Stelle des Dings oder seines Bildes und der ihm zugänglichen Ähnlichkeiten. Schließlich überantworten die Beschreibungen in den Büchern der modernen Wissenschaften das Konkrete und die visuelle Evidenz der »linearen Abwicklung der Sprache«, der Reflexion und den Texten, und die Erinnerungen an die Dinge schwinden. Aufstellungen, Analysen, Berechnungen, Tabellen, Listen im Kontext neuester Theoriebildung, insbesondere zu den Fragen und Geheimnissen des Lebens, der Ökonomie und der Sprache, wobei indes auch das geschriebene Wort noch oft genug Lust hat, sich als Karte zu kostümieren100, um am Ende auch nichts anderes zu tun, als auf seine Weise Bilder zu generieren und mit anderen Bildern zusammenzufügen.101 Das Wort folgt seinen eigenen szenischen Erinnerungen. So weit möchte eine Theorie der Kunstkammer und der mit ihrem Begriff verbundenen Wissensräume idealtypisch einhergehen mit dem Bemühen der Naturphilosophie der Nachrenaissance, aus den Verwicklungen der aristotelisch christlichen Spekulation herauszutreten, neuen Boden unter die Füße zu bekommen und auf diesem Fundament zu einer sachgerechteren Beurteilung der Bewohner der Drei Reiche zu gelangen. Im Gegenzug dürfte dies erwarten lassen, dass es in der Geschichte der Kunstkammern tatsächlich dazu kam, dass sich ihre Planer und Kustoden an einem der ›fortschrittlichen‹ Konzepte der Naturgeschichte orientierten, um ihre Sammlungen zu systematisieren, wie es etwa das Vorwort der deutschen Übersetzung von Linnés Systema Naturae aus dem Jahr 1740 empfahl. Zudem muss man vermuten, dass die Art des Systematisierens und Klassifizierens, die zunehmend entfernt von der Gegenwart der Objekte geschah und, da körperliche Präsentation und Ansicht immer weniger vonnöten erschienen, um Naturgeschichte zu betreiben, an Bildähnlichkeit102 immer weniger Interesse bestand, dass diese moderne wissenschaftliche Methode die Kunst- und Wunderkammern in einem späten Stadium ihrer Geschichte erreichte.
Wissenschaft, Sammlung, Museum Tatsächlich scheint die Übereinstimmung von theoretischer Systematik und Ordnung des Inventars trotz der Komplexität des Gegenstandes in entwickelt institutionalisierter Form in der zweiten Hälfte des Aufklärungsjahrhunderts vorgekommen zu sein. Nicht nur die ebenfalls für 1740 verbürgte Gründung des Museums Richterianum, des berühmten Mineralienkabinetts in Leipzig, soll sich auf die Linné´sche Systematik bezogen haben.103 Selbst in Paris, wie Rousseau vermerkt, sieht sich der Leiter der Botanischen Gärten der Hauptstadt, Antoine Laurent Jussieu, noch vor der Revolution gezwungen, die Nomenklatur Linnés für den Jardin einzuführen.104 Angenommen der Versuch, die Kunst- und Wunderkammern zu verstehen, zielte nicht nur auf die Formen der Einschließung und Bewahrung, des Gliederns und Darstellens, auf das Regiment der Repräsentation, sondern zugleich auf die besondere
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Art der Naturgeschichte, auf diesen Prozess Einfluss zu nehmen, dann könnte man meinen, mit der Klassifikation des 18. Jahrhunderts sei ein Äußerstes an Ordnung der Welt im geschlossenen Raum erreicht: ein Triumph auch der Wissenschaften und ihrer Repräsentation, wie er bündig in Diderots und d´Alemberts Encyclopédie dokumentiert ist. Leibniz hatte die Idee zur Integration von Künsten und Wissenschaften und Literatur, Manufakturen und Kommerzien unter Leitung einer europaweiten Sozietät oder Akademie im Verständnis einer universalistisch ganzheitlichen Unternehmung schon viel früher. »Kunst- und Raritäten, Schilderei-, auch Anatomiekammern« sollten, sanders als jetzt geschieht«, darin vorkommen, »bestellte Apotheken, hortos medicos completos«, Tiergärten und so »ein theatrum naturae et artis, um von allen Dingen lebendige Impression zu bekommen«.105 Doch eine solche Integrationsidee für die Präsentation des Wissens scheiterte schon zu Lebzeiten Leibniz´ nicht nur am emanzipativen Positivismus einzelner Wissenschaftszweige, sondern ebenso an den egoistischen Ambitionen der herrschenden Fürstenhäuser. Allerdings sollte in Erinnerung bleiben, dass der Raumtheoretiker Leibniz die angepeilte Zusammenführung von Wissensräumen durchaus konkret meinte, als körperlich-leibliche Manifestation im physikalisch dreidimensionalen Raum und nicht nur bezogen auf Texte oder andere symbolisch kodierte geistige Repräsentationen.106 Außerdem sperren sich die Kammern von innen heraus. Sie müssen viel aufgeben, und was sie genau gewinnen, ist nicht absehbar. Auch die Petersburger Kunstkammer kämpft um 1750 unter Lomonossow mit den Problemen der Systematisierung. Dabei war Lomonossow theoretisch der Linné´schen Welt einen Schritt voraus, hatte er doch schon klare entwicklungstheoretische Vorstellungen zur Erklärung der Geheimnisse der Drei Reiche. Aber hier wie an anderen Orten waren der Ausbau und die Entwicklung der Sammlungen nur bedingt an den Fortschritt der Kenntnisse und Wissenschaften gekoppelt. Nicht nur, konkret, weil die Petersburger Kunstkammer erst 1709 gegründet worden und zu fragen war, wie denn innerhalb eines halben Jahrhunderts Einrichtung, Konsolidierung und Kritik von Institution und Konzeption bewältigt werden sollten. Trotzdem beginnen die Bemühungen um die Systematik in Petersburg in der Zeit der ersten tätigen Akademie mit Schumacher als Bibliothekar und Sammlungsverantwortlichem schon vor der Jahrhundertmitte. Systematisierung bedeutet auch hier Befreiung von altem Ballast und eine ungewisse Zukunft. Der wissenschaftliche Begleiter des Weltumseglers James Cook, Georg Forster, der in seinen Ansichten vom Niederrhein von einem Besuch im Naturalienkabinett der Harlemer Societät der Wissenschaften im Jahr 1790 berichtet, hebt nicht nur hervor, dass er das Kabinett »in den Klassen der Säugethiere, der Vögel und der Zoophythen ziemlich vollständig« angetroffen habe – und mit besonders vielen seltenen Stücken besetzt –, sondern zollt auch Beifall, dass diese Qualität der Sammlung zweifellos auf »die genau befolgte Linnäische Methode« zurückzuführen sei.107 Die meisten Kabinette und Kammern, die Forster bei seiner Reise durch Europa besuchte, traf er aber weder in einer Linné´schen noch einer Buffon´schen noch sonst einer kanonischen Ordnung der neueren Wissenschaften an, er nicht und andere Reisende der Zeit ebenfalls nicht. Zudem fällt Forsters Visite in Harlem schon in die Periode des revolutionären Umbruchs, in der sich viele Kunstkammern in ihre Bestandteile aufzulösen beginnen, Abteilungen ausgliedern, andere zusammenlegen oder den Betrieb ganz einstellen müssen – in der Konsequenz nicht zuletzt der ihnen von der »Vernunft« nahegelegten Ordnungssysteme, denen sie nicht gewachsen waren, möchte man meinen. Die gesammelten Preziosen werden langsam, aber sicher
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freigegeben. Nicht die an den Sammlungen tatsächlich vorgenommene übermäßige Verwissenschaftlichung ist der Grund für die latente Zersetzung, die Drohung damit ist schon ausreichend. Die Integrationskraft der Kunst- und Wunderkammern war erschöpft. Die Kunstkammern konnten auf dem Hintergrund ihrer Geschichte nicht leisten, was ihnen jetzt nahegelegt wurde. Sie gehörten zu den Fürstenhäusern. Und sie konnten nicht beides tun: die Ordnung der Einschließung beibehalten und in die Freiheit gehen. Wenn der Druck der Akademien und Universitäten auf die Kunstkammern aufrecht erhalten wurde, mussten andere Formen des Demonstrierens und Lernens gefunden werden, als es das aristokratische Durchstreifen der Kabinette ermöglicht hatte. Für einige Abteilungen der Sammlungen mochte dort eine Zukunft liegen, doch kaum eine der Kunst. Andere blieben der oralen und visuellen Kultur, der sie entstammten, verbunden, verloren aber ihr Renommee als Medien des Wissenserwerbs. Skepsis gegenüber dem Glanz der Wunder gehörte zur Zeit der Revolution ohnehin zum normalen Setting der Wissenschaft wie des aufgeklärten Publikums, auch wenn die Männer, die die Verantwortung trugen, dem Ersten oder Zweiten Stand zugehörten. Besser als eine der zu dieser Zeit noch zahlreich existierenden Sammlungen ließe sich Diderots und d´Alemberts Encyclopédie für diesen Höhe- und Wendepunkt im Schicksal der Kunst- und Wunderkammern anführen; und weniger als Beispiel einer erschöpfenden Darbietung der bedeutendsten Realien und Artefakte in corpore, versteht sich, denn als Exempel zusammenfassender intellektueller und ästhetischer Beschreibung von Ansichten und Tätigkeiten, Kenntnissen und Praktiken am Ende des Ançien régime, in Wort und Bild, in der Topologie begrenzter Artikel und gerahmter Platten. D´Alembert trat dabei als Sachwalter der quantifizierenden Physik und der Mathematik auf, Diderot als Sympathisant einer visuellen polymathischen Bildung und Polyhistor mit Interesse an Brückenschlag und Synergie. Und beide demonstrieren die revolutionäre Sprengung feudaler Verhältnisse durch den entfalteten Ausblick auf die ökonomisch bedeutsame Rührigkeit unter Verzicht auf diejenigen ›bildenden‹ Künste, die sich auf diesem Feld nicht mehr nützlich machten. Immer noch ist der Kanon vorhanden: Mineralien, Pflanzen, Tiere; doch folgen den Mineralien jetzt die Minen und Hütten und die Techniken des Bergbaus und der Veredlung. Und der Anatomie der Tiere und Menschen folgen die medizinischen und chirurgischen Instrumente und die Praktiken, damit umzugehen. Bei den Künsten das Gleiche. Die Linné´sche Taxonomie und das Buffon´sche Entwicklungsdenken werden einige Jahrzehnte nach ihrer Publikation von einem neuen Verständnis der Naturgeschichte überholt. Bisher nicht gekannte Begriffe der Geschichte, des Lebens und des Lebendigen brechen mit den überkommenen Taxonomien des Natürlichen, wie Cuvier zeigen wird. Endgültig Darwin, der der Meinung ist, dass alle echte Klassifikation von genealogischer Art sei108, löst die Naturgeschichtssystematiker des 18. Jahrhunderts ab. Das Leben und die Geschichte werden im 19. Jahrhundert als Konzepte entdeckt. Anatomische und physiologische Vorstellungen vom funktionalen Kontext des Organismus sind mit der nominalistischen Ordnungswelt der Kammern nicht mehr kompatibel. Für die Zeiträume und Abstände, die der Evolutionstheorie und der modernen Physik vorschweben, gibt es nicht mehr zu sehen als vielleicht ein Bild pro Lichtjahr oder Galaxie, auch wenn das bedeutet, dass die Apparate Millionen Bilder am Tag liefern. Schon seit der zweiten Hälfte des Aufklärungsjahrhunderts bietet sich
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das Wissen nicht mehr umstandslos in Gegenständen und Bildern der realen Welt an. Eine Weile gibt es die Anstrengung, das rationale Denken und die visuelle Erfahrung beieinander zu halten. Dann gehen sie unterschiedliche Wege. Aber wohin sollte der Weg führen? Zu einer Inszenierung des Wissens anhand der Sammlungen? Mit oder ohne Anwesenheit der Dinge? Zu Schauspiel oder Theater, Unterhaltung oder Belehrung? Abgesehen davon, möchte man ganz allgemein weder die Idee einer konsequent aufwärtsstrebenden Naturwissenschaft hypostasieren – von der Renaissance über die Klassik ins 18. und 19. Jahrhundert bis in die Gegenwart noch deren geschichtsphilosophische Projektion auf die Geschichte der Kunstkammern gutheißen, schon gar nicht nach dem Durchgang durch die Postmoderne und dem Ende der Großen Erzählungen, in deren Konsequenz uns die Medialität des Barock heute oft näher zu stehen scheint als die enzyklopädischen Systematiken des 18. und 19 Jahrhunderts. Eine Kammertheorie, die allein durch ihre besondere Affinität zur Wissenschaftsgeschichte begründet würde, womöglich noch mit einem Begriff von Wissenschaft, der selbst der positivistischen Schule entstammte, kann als Passepartout zum Verständnis der Kunst- und Wunderkammern der Frühzeit nicht dienen. Denn es zeigt sich, dass, je strenger die Analogie zwischen wissenschaftlichem Systematisieren und physischem Demonstrieren erscheinen mag, desto lockerer darf die faktische Übereinstimmung von beidem sein. Was für die eine oder andere mineralogische, botanische oder anatomische Sammlung gelten mochte, galt keineswegs für all das über Jahrzehnte und Jahrhunderte Angesammelte und Zur-Schau-Gestellte, die Aura des Erhabenen, der Duft des Wunderbaren, das Geheimnis des Mysteriums, kurz alles, was sich nicht in ein modernes wissenschaftliches System pressen ließ, auf die gewohnte Repräsentation nicht verzichten konnte und aus der Sicht der fortschrittlichen Akademien längst aus den Hallen der Wissenschaft ausgesondert gehörte. Hier lockte ein ganz besonderes Vergnügen.
Gegen die ›Vorurteile der Bühne‹. ›Neues Organum‹ (Bacon) Kehren wir zurück und verfolgen wir die Entwicklung der Methoden zwischen Renaissance und Romantik. Das Natürliche war auch im 16. und 17. Jahrhundert im Raster der Physik geläufig. Und schon damals glaubten die Neuerer, dass von der Naturphilosophie so lange nicht viel zu erwarten sei, als nicht ihre Grundlage, die Naturgeschichte, »richtiger construiert« sei.109 Richtiger konstruiert« meinte wahrer, zutreffender, der Natur und den Dingen adäquater als gegenwärtig oder zuvor. Und doch betrieb man Naturgeschichte Mitte des 16. Jahrhunderts noch ganz im Stil einer Berichterstattung über viele wunderbare Dinge, Dinge der natürlichen Schöpfung wie der künstlichen. Beobachtungen mischen sich mit Fabeln und Erzählungen, mit zitierten Bemerkungen der Alten, heraldischen Notaten und überkommenen Spruchweisheiten, mythischen und magischen Geschichten, wie sich etwa in Ulisse Aldrovandis Schriften nachlesen lässt. Der Diskurs war anders strukturiert als derjenige, der Bacon oder Descartes vorschwebte oder den später Linné im Sinn hat, wenn er das »System der Natur« nach Name, Theorie, Gattung, Art, Eigenschaften und Gebrauch geordnet sehen will. Die überkommene, aristotelisch beglaubigte Form der Naturforschung protegiert ein wissenschaftliches Vorgehen, das auf Hypothesen beruht, in denen, wie die Kritiker abfällig äußern, »Anticipationen und Wortkram« das Wichtigste sind und es auf »Beifall, nicht auf die Sache selbst« abgesehen ist. Mit derartig uneffektiver Spekulation will das Neue Organum der Wissenschaften und rechten Methode schon im 17. Jahrhundert nichts mehr zu tun haben. Richtige
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Naturgeschichte, wie Bacon sie sieht, verläuft, methodisch gesichert, empirisch auf die Gegenstände zielend, versteht sich aber nichtsdestotrotz als »Interpretation« der Natur. Doch setzt sie auf diejenige Deutung, die ausschließlich durch Beobachtung der »mannigfachen und verschiedenen Tatsachen« zustande kommt. Dieses Beobachten indessen will nichts zu tun haben mit interesselosem Schauen und Bewundern. Es beinhaltet im Gegenteil kontrollierte Prozeduren, Experimente, Zurichtungen, um die Gegenstände in der passenden Weise vors immer öfter bewaffnete Auge zu bekommen. Abwegige Geschichten müssen ausgeschlossen werden. Nur so kann die neue Methode gewährleisten, dass die Menschen »auf die einfachsten Thatsachen in Reihe und Ordnung gestellt« und entsprechend angeleitet werden.110 Das scheint höchst nötig, ist das Publikum doch nicht nur nach Meinung des Lordkanzlers notorisch durch diverse »Vorurtheilsgötzen« gefährdet. Darunter führt Bacon nicht nur die unzureichende physische oder intellektuelle Ausstattung an oder Probleme, die mit einseitiger Prägung zu tun haben, gleichviel ob individueller oder gesellschaftlicher Art. Nein, bemerkenswerterweise scheinen für ihn die gewichtigsten Vorurteile, denen das Publikum in Fragen des Verständnisses von Natur und Kunst auf den Leim gehe, »Vorurtheile der Bühne«. Damit meint Bacon in erster Linie zwar »alle bisher erfundenen oder entlehnten philosophischen Systeme«, die für ihn samt und sonders »Fabeln und Spiele einer erdichteten Theaterwelt« sind. Doch zielt Bacon auch auf all diejenigen, die eine solche »Philosophie« befördern, die gegen das Programm des kontrollierten Beobachtens opponiert und es beim Bewundern und Staunen, dem Interesse am Einzelnen und seinem Sinnraum bewenden lassen möchte. Die ›Vorurteile der Bühne‹ führten sogar so weit, solche Haltung als Methode der Naturphilosophie zu empfehlen. Zu befürchten stünde, dass die Dinge aufgrund gänzlich irrationaler Ähnlichkeiten, Parallelen und Verbindungen zusammengereimt würden, was hinzunehmen die Avantgarde der Physiker kaum bereit sein könne. So sehen die Erneuerer der Naturphilosophie bei den Alten nur die Neigung zum Auffüllen von Lücken, zum Arrangement, die Vorliebe, Zusammenhänge zu stiften, wo keine sind. Sie kritisierten Haltung und Verfahren. Wo, so der Vorwurf, »in der Natur manches einzeln dasteht und untereinander verschieden ist« und es Kennerschaft braucht, die Repräsentation der Ordnung aufzubauen, da erblickten die Verfechter der alten Naturgeschichte wie das ihnen folgende Publikum lieber Gestalten und Geschichten, erdichteten sich »gern Parallelen und correspondierende Verhältnisse, die nicht vorhanden« seien. – Dabei ist Aldrovandi durchaus der Überzeugung, dass es die legendae der Natur selbst sind, die Ähnlichkeiten und übereinstimmende Zeichen nahelegen. Die Ordnung der Sympathien zieht die Wurzeln ins Wasser und dreht die Sonnenblumen zur Sonne hin. Goethe noch weiß von dieser Art Ähnlichkeit, die das Auge und die Sonne zusammenführt. Und wer die Natur kennt, sollte auch wissen, dass ein Stachelschwein die Stacheln aufrichtet, wenn ihm jemand zu nahe kommt, sie aber auch benutzen kann wie Pfeile, die man aus der Ferne schießt: »Von nah und von fern« heißt der Text zu solcher Emblematik. Man muss nur zu lesen wissen im Buch der Natur. Man bindet gemäß dem Ähnelnden, nicht gemäß dem Ähnlichen zusammen.111 Theoretiker der Kunstkammer ist eher Leibniz als Bacon, eher Goethe als Linné. Schon früh scheint ein latenter Widerspruch auf in der Allianz der Gepflogenheiten von wissenschaftlicher Bestimmung und souveräner Verortung von Natur- und Kunstdingen, ein Widerspruch zwischen Verharren und Bewegung, Erstarrung und Dynamik, Muße und Tätigkeit, Einsperrung und Freiheit. Durchaus will die Wissenschaft auch dreihundert Jahre vor Darwin, dass die Materie »in ihren Bildungen und
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Umbildungen«, in Zusammenhängen also, wenn möglich genetischen, Beachtung finde. Gerade deshalb muss man alle Wissenschaften auf die Naturphilosophie und diese auf Naturgeschichte zurückführen. Zwar müsse das auf der Basis einer Zergliederung in Bestandteile geschehen, an deren Ende aber, so die Hoffnung schon Bacons, sollte »der reine Lebensact und sein Gesetz, welches in der Bewegung besteht«, ans Licht treten. Nur in dieser »Quintessenz« offensichtlich beschreibt sie eine Kunstform und eine Reflexionsform – dürfe man tatsächlich glauben, eine »Lebensform« gefasst zu haben.112 Selbstredend übergreift diese Lebensform das Humane, das in seinem Wesen eben ein lebendiges und tätig produktives ist.
Taxonomien & Funktionalitäten Die Schätze in den Kammern sind dafür indes nur bedingt gerüstet. Alles liegt fest. Was hier zunächst allein bewegt, Einzelnes zum Ganzen verbindet, ist Lektüre. Hier die Edelsteine im kostbaren Schrein, dort im Fresco der Mythos, von Plinius überliefert: Prometheus – primo inventore delle pietre pretiose et degl´anelli – erhält aus der Hand der Natur den Quarzblock, auf dass die Menschen daraus Kunstwerke erschaffen.113 Wer hinschaut und liest, versteht die Ordnung der Schöpfung und die Ordnung der Kammer. Es bedarf nicht der Erfahrungen des Experiments, das Erkenntnis, Funktions- und Prozessabläufe vor Augen führt, um zu überzeugen. Sieht man auf die Verbindung von Naturgeschichte und Naturalienkammer, scheint die Allianz demnach vordergründig leichter zu gelingen, wo die Materie still hält und die Taxonomie offenkundiger Sichtbarkeit, der man sich in der Ablösung vom Alten als Erstes verschrieb, nicht in unnötige Schwierigkeiten gerät, im Fall von Steinen und Knochen etwa oder Schnecken und Muscheln (die man ähnlich betrachtete) oder angesichts der Welt der Pflanzen. Institutionell könnte dies korrespondieren mit der (vielerorts vergleichsweise frühen) Gründung von Mineralienkabinetten und Conchyliensammlungen, der Sicherung von Fossilienfunden und dem Aufbau von Herbarien, die dann nicht selten zum Frühbestand weiterer Sammlungstätigkeit gerieten. Viele Sammlungen besitzen ›Kerne‹ der genannten Art. Als die Sammlungen der »St. Petersburger Akademie der Wissenschaften, Bibliothek und Kunstkammer« 1714 in den Sommer-Palast einzogen und ein Leiter für die Sammlungen gesucht wurde, war es der Hofarzt Peters des Großen, der Schotte Robert Erskine (russ. Areskin), der seine botanischen Sammlungen, die er Zug um Zug erweitert hatte, mit einbrachte. Das erste von ihm signierte Herbarium stammt aus dem Jahr 1709. Zu dieser Zeit war das Gründungsdekret Peters schon fünf Jahre alt. Doch, von der Bibliothek abgesehen, waren mehr als einige wenige auf die Initiative des Zaren und seine eigenen Bemühungen zurückgehende Sammelerfolge (die »Studien des Zaren«) noch nicht zu verzeichnen. Peters eigene Sammlungen hatten an verschiedenen Orten Asyl gefunden, darunter seine (nicht die Ruysch´sche) anatomische Sammlung in Moskau in der Aptekarsi Prikaz, dem Vorläufer des Medizinalkollegs. 1714, als die Kabinette im Sommerpalast zusammengeführt wurden, gilt daher als eigentliches Gründungsdatum der Institution. Eine der ersten Erwerbungen war die mineralogische Sammlung, die der Zar 1716 selbst aus Deutschland mitbrachte. – Lomonossow noch bekundete besonderes Interesse für diesen Forschungszweig.114 Erst ein Jahr später begann die erste Bauphase an einem eigenen Gebäude für die Kunstkammer. Peter I., der 1725 starb, sollte die Fertigstellung nicht mehr erleben. Sie zog sich über Jahre hin und erst 1728 war das Haus an der Newa, jetzt für die Akademie der Wissenschaften, deren Gründung 1724 erfolgt war, fertiggestellt. Die Bibliothek
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und die unterschiedlichen Exponate konnten einziehen. 1747 zerstört ein Brand große Bestände der Kunstkammer, und erst in den 1760er Jahren sind die Sammlungen wieder geöffnet. Zur selben Zeit werden sie von einer neu konzeptionierten Kunstakademie inkorporiert. Der endgültige Differenzierungsprozess, die Entwicklung zu einzelnen Spezialsammlungen, fällt auch in St. Petersburg ins 19. Jahrhundert. Das Museum für Mineralogie, das Museum der Anatomie, das zoologische Museum, das botanische und das ethnographische Museum wurden geboren, und alle beerbten die Sammlungen und Ankäufe des 18. Jahrhunderts. Das Museum für Ethnographie, das 1837 selbstständig wurde – später das einzige russische Museum für die Disziplinen Anthropologie und Ethnographie –, übernahm die Sammlungen der Kunstkammer und blieb bis heute in dem Palais an der Newa.
Ordnung der Sichtbarkeit: Von den Wundern der Natur zu den Wundern der Kunst In der Ordnung der Sichtbarkeit der naturalia lassen sich mineralia, fossilia, vegetabilia aufs Erste ortstreu und unbeweglich zeigen, ohne unnatürlich zu wirken, und was die Forscher an den Objekten, die sie von Expeditionen und Reisen mitbringen, beobachten, mag in vielen Fällen mit deren Verhalten am Fundort übereinstimmen. Natürlich kann auch der Geologe im Gelände, konfrontiert mit Schichtung und Verwerfung, angehalten zum Vergleich unterschiedlichen Verhaltens gleicher Substanzen in unterschiedlicher Umgebung, große Evidenzen im Sinne einer historischen und genetischen Erklärung geltend machen. So versteht sich, dass man, immerhin für eine (möglichst) vollständige Darstellung der Verbreitung sorgen wollte, solange verlässliche geologische Altersbestimmungen nicht möglich waren und es in der Ausstellung in dieser Hinsicht nichts zu zeigen oder zu sehen gab. Gerade dies gehörte also neben der Vollständigkeit nach chemischer Ordnung zu den Kriterien systematischen Sammelns und Katalogisierens auf diesem Gebiet.115 Die Darstellung der Verbreitung führt zwar ein statistisches Kriterium für die Beurteilung der Dinge und Wesen ein – positiv oder ex negativo, entweder weil zweitausend aufgespießte Exemplare einer Art kennzeichnen müssen, worum es sich handelt, oder die eine Ausnahme, die einem wesentlichen Bestimmungsmerkmal nicht gerecht wird, dies besorgen muss. Aber darum muss man nicht auch schon mit den Gepflogenheiten statischer Präsentation, sprich mit der Kammer, brechen. Schließlich können auch Auge und Phantasie Bewegung erzeugen. Bewegung im Kabinett ist möglich, aber es ist nicht mehr als ein Verschieben von Gläsern und Regalen zu Reihen und ein Springen von Glied zu Glied in einer Kette. Eine sehr beeindruckende Präsentation dieser Art zeigt neuerdings die Sammlung des Naturhistorischen Museums in Berlin. Dabei wird die Wissenschaft zunehmend skeptischer gegenüber den allenthalben ausgestellten Belegen der repräsentativen Ordnung. Vielleicht könnten sie auch alternative Erklärungen vertragen und die überkommene Darstellung – auch ein politischer Nebeneffekt – sich ihnen gegenüber desavouieren. Spätestens am Ende des Aufklärungsjahrhunderts war man bereit, überall auf Entwicklung und Tätigkeit zu setzen und neue »Funktionalitäten« einzuräumen. »Biß jetzt wissen wir indeßen noch wenig oder nichts zuverlässiges von der Bildung unserer Erdrinde; denn wir haben von einer weit späteren Bildung, von der Bildung der Pflanzen und Thiere auf diesem Boden, nicht einmal einen Begriff!. »Wo wir Schichten regelmäßig übereinander liegen sehen, halten wir uns berechtigt, sie einem allmäligen Niederschlag aus dem Wasser zuzuschreiben. Allein, ob alle Kalklager unseres Planeten aus Gehäusen von Würmern entstanden, oder ob
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das Meer, welches einst die ganze Kugel umfloss, ein von den jetzigen Meeren sehr verschiedenes chaotisches Flüchtiges war, worin theils Kalk, theils Thon und Bittersalzerde, unausgeschieden, vielleicht als mögliche Bestandtheile schwammen - das ist und bleibt unausgemacht. Wir wissen zwar dass der uralte Granit, bei seiner seltsamen Mischung von Quarz, Feldspath und Glimmer, keine Spur von einer geschichteten Entstehung zeigt; aber darum ist noch nicht entschieden, ob auch diese Gebirgsart ein Präcipitat aus jenem elementarischen Meere, oder, wie der große dichterische Büffon will, ein Werk des Sonnenbrandes sei. Vielleicht ist er keines von beiden.«116
Nun ist es eines zu zeigen und ein anderes zu erklären. Immerhin ist einleuchtend, dass die Ambitionen, Demonstration und Erklärung in einem zu bieten, stark von den jeweils bevorzugten Hypothesen abhängen. Daran hat sich nichts geändert. Interessant auch die Überzeugung (z.B. Georg Forsters), dass in naturgeschichtlicher Perspektive die Aufklärung über die animalia möglicherweise vor der über die Erdgeschichte zu erwarten sei und erst von dieser eine Vorstellung von den Zeiträumen und Materialien des Kosmos. Entwicklung und Produktivität bringen, wie Darwin klarmacht, Natur und Geschichte eben nicht zusammen, wie man oberflächlich vermuten könnte.117 Der Optimismus gegenüber der Offenkundigkeit der Pflanzenstruktur war also verständlicherweise nicht weniger problematisch, ja, in Kenntnis des organischen Wachstums in Metaphern der Bewegungslosigkeit und entsprechend statischen Darstellungen kaum aufrechtzuerhalten. Hier greifen die Kustoden der Kabinette zu Formen der Präsentation, die dann auch in der Exposition des animalischen Reiches Schule machen. Solange morphologische Untersuchungen nicht Verwandtschaften über Millionen von Jahren und jenseits jeder äußerlich erkennbaren Ähnlichkeit feststellen können, gelten eine Reihe von Momentaufnahmen der biologischen Lebensgeschichte eines Individuums sowie das Arrangement von Verwandtschaften und Ähnlichkeiten in der Familie als dominanter »Bewegungskontext«. Der Kasten enthält den status nascendi und weitere herausgegriffene Entwicklungsstufen bis hin zur vollkommenen Ausbildung aller relevanten Merkmale. Vergleichbares enthält er in Varianten unterschiedlicher Ausprägung und unterschiedlichen Vorkommens, so sie verfügbar sind. Das alles indes atmet schon den Geist moderner Naturwissenschaft. Ganz anders bei den animalia, Tier oder Mensch (Pflanzen gehören nicht dazu): Bekanntermaßen erweisen sie sich in ihrem Lebensraum keineswegs so unbeweglich und untätig, wie es die ausgestopften Bälge in den Kabinetten suggerieren. Die in natura protokollierte »Mobilität« lässt eine Analyse der identifizierenden Merkmale per analogiam problematisch erscheinen, im Zweifelsfall schon früh Funktionalitäten eines »Organismus« vermuten, die an der Oberfläche, die die vorrevolutionäre Naturgeschichte gewohnt ist aufzubrechen oder aufzureißen, noch nicht zu sehen sind, aber vielleicht doch essentiell sein könnten. Von einem Stein oder einem Pilz glaubt man nicht unbedingt wissen zu müssen, wie er sich verhält, was er gemacht hat, um seine ›Natur‹ zu kennen. Es wird schwerfallen, ihn Theater spielen zu lassen. In der Umkehrung der Problematik wird die Rangordnung von Disziplinen erkennbar, an die unterschiedliche Ansprüche gestellt werden. Buffons Histoire naturelle kommt ohne Nomenklatur und Klassifikation nach Linné´scher Manier aus, weil sie sich auf Vögel und Säugetiere beschränkt, bei denen die Arten nicht nur begrenzt sind, sondern gemeinsame Namen tragen und mehr oder weniger als allgemein bekannt gelten. Hier galten also wirkliche Gewohnheiten als erhellend118, die von einer Art Verhaltenskunde privilegiert wurden und die zu demonstrieren das Naturalienkabinett vielleicht
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auch nicht der rechte Ort war. Einen Begriff von »Bewegung« über das Tableau der Mechanik hinaus, ein Verständnis des Lebendigen war damit aber nicht gegeben. Die Scheu vor dem ›wirklich‹ Lebendigen scheint zwar die Systematisierung der animalia von vornherein schwieriger gestaltet und der Präsentation in der Kammer größere Herausforderungen auferlegt zu haben. Doch Größe und Form spielen dabei eine Rolle, wie im Übrigen heute noch in der Wissenschaftsshow. Entsprechend rückt die Individualität in den Hinter- oder Vordergrund und die Präsentation der natürlichen Arten koinzidiert mit der Hängung von Kunstwerken in der Galerie. Bei Schwertwalen und Graurücken, Riesenwüchsigen oder »Hottentotten« liegen die Dinge anders als bei Basalten und Usambaraveilchen. Klassifikation qua Etikettierung und knappe Beschreibung der Strukturmerkmale sind zu wenig – und zu schnöde. Man wünscht sich Lebensraum und funktionalen Kontext. Zudem liegen die konstitutiven Bestandteile der Spezies tatsächlich nicht vergleichbar offen wie im Reich der Pflanzen. Soll die Demonstration, die mehr will als die ausgestopfte Trophäe, also gelingen, muss man weiter ausholen, tiefer schneiden und mehr zeigen. Das braucht Zeit. Und Wissenschaft. Und außerdem: Immer mehr auf das Wesentliche, aber nicht Sichtbare hin tendierend, hat dies seine Grenzen. Der Metabolismus zeigt sich nicht im Naturalienkabinett. So vereinzeln sich die ausgestellten Exempel ehemals lebendiger Organismen zuerst. Sie bedeuten, machen Sinn nicht mehr nur in ihrer Nachbarschaft, sondern werden Hauptdarsteller im Theater der Anatomie, im anthropologischen Museum, im zoologischen oder botanischen Garten, in der Klinik – zuletzt im Zirkus oder im Film.119 Sodann trägt die Kopie, das Bild, so gut wie nichts mehr zum Wissen bei, und die Körper landen als Ausstellungsstücke, sind nur mehr – oder endlich – »Kunst«. Sie finden, scheint es, den Weg zurück zum Anfang, freilich ist die Ordnung ihres Kosmos nicht mehr existent. Die »Kritik der Vorurteile«, die als Kritik der Bühne ausfällt, relativiert sich gewissermaßen von Beginn an selbst, scheint ›nur‹ eine andere Art der Aufführung, eine neue Art der Interpretation und der Theorie zu empfehlen.120 Man ist am Beginn des 19. Jahrhunderts nach Kant und mit Hegel und den führenden Naturforschern der Zeit ungefähr da, wo die ›fortschrittliche‹ Naturphilosophie des Barock die zeitgenössische aristotelische Spekulation wähnte: in der Freiheit, das über die Welt Zusammengedachte selbst verantworten zu müssen. Und von der Sache her verbinden sich die Verwicklungen des Lebens und des Lebendigen mit den Verästelungen der barocken Weltauslegung. Widerlegungen früherer Hypothesen gelten Bacon ausdrücklich als nicht angebracht, weil man sich, wie der Philosoph feststellt, schon nicht über das Instrumentarium des Proponierens und Demonstrierens, »weder über die Grundsätze noch Beweisarten einig miteinander« werden könnte. Er glaubt, dass letztlich nur tragen werde, was eine offensichtliche Verbesserung der Resultate im Einklang mit den neuen Arrangements bringt: ein Dispositiv der Nützlichkeit, wie es auch Dürer für die Kunst im Sinn hat. Auch wenn in Bacons Büchern »Fruchtbringendes« vorerst noch dahingestellt bleiben und »Lichtbringendes« Thema sein soll: Der Kanzler weiß, dass vieles, was die Wissenschaft bisher entdecken konnte, allem Bekannten, ja allem, was man überhaupt hätte phantasieren können, so weit entfernt lag, dass die Entdeckung reiner Zufall genannt werden muss; nichts davon, streng genommen, dürfe sich die Philosophie selbst zurechnen. Bacon plädiert dafür, Paradigmenwechsel einzukalkulieren. Ohne solche Veränderungen anzunehmen, könne man weder die Entdeckung der Seide noch des Zuckers, weder die der Wirkung von Geschützen noch die
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der von Magnetnadeln »Erfindung« nennen. Wenn man auch hoffen dürfe, »durch modificierte Anwendung schon bekannter Operationen« Entdeckungen zu machen – vermittels geordneter Erfahrungen –, so müsse man doch auch bedenken, dass viele außergewöhnliche Dinge »nach ganz unbekanntem Maßstabe« entdeckt oder erfunden wurden und werden. Beiden Zwecken dient die Konzentration auf »reelle Gegenstände«. Und die entsprechende »Sammlung von Erfahrungs- und Naturkenntnissen, wie wir meinen und wie sie sein soll, [wäre] ein großes, wahrhaft königliches Geschäft.«121 The proof of the pudding is in the eating, auch hier; die Weisheit wird zur selben Zeit salonfähig. Die Aufführung in den Kunst- und Wunderkammern gibt einen Begriff von den Verwicklungen ›richtiger Konstruktion‹. Mag die Natur auch Newtons und Descartes´ Gesetzen der Bewegung folgen, die Wunder in den Kammern folgen nur in Grenzen der Mechanik, der res extensa. Zwischen beiden steht »die Kunst«. Die Wissenschaft hält diese Kluft für manipulierbar – und begibt sich selbst auf die Bühne. Der »Übergang von den Wundern der Natur zu den Wundern der Kunst ist leicht; denn wenn einmal die Natur in ihren Verwandlungen begriffen ist, so wird es leicht, sie künstlich dahin zu bringen, wohin sie sich einmal zufällig verirrte; ja, man wird dieses weiter treiben können, indem eine Abweichung den Weg bahnte. (...) Es wird nötig sein, eine Sammlung und Naturgeschichte aller Monstrositäten und wunderbaren Naturentwicklungen zu entwerfen, ja von allem Neuen, Seltenen und Ungewohnten in der Natur. Dieses muss mit strenger Auswahl geschehen, damit kein Zweifel obwalte.«122
Man muss die Natur nur richtig antreffen, sie stellen, die rechte Auswahl treffen, dann steht es um die Privilegierung, welche die Natur unserer Darstellung von ihr erteilt, zum Besten. »Eine andere Bewandnis hat es mit einer Naturgeschichte, die um ihrer selbst willen geschrieben, eine andre mit einer, welche zur Erleuchtung des Geistes und zur Begründung einer Philosophie geordnet ist. Unter anderem weicht die erstere vorzugsweise darin von der zweiten ab, dass sie blos die mancherlei Arten von Naturproducten zusammenstellt, aber keine künstlichen Versuche damit anstellt. Wie aber im gemeinen Leben die Denkungsart und Gemüthsbeschaffenheit eines Menschen leichter sich verräth, wenn er in Leidenschaft gerathen ist, so enthüllen sich auch die Verborgenheiten der Natur besser unter den Eingriffen der Kunst, als wenn man sie in ihrem Gange ungestört läßt.«
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schauspiel der dinge. manifestatio der künste
Es stellt sich heraus, dass die Kunst der Wissenschaft so fremd nicht ist. Im Gegenteil, beide gehen Hand in Hand. Die Kunst der Wissenschaften und die Kunst der Geschichte sind sicher Künste des Eingriffs und des Arrangements, aber vor allem auch des Aufzeigens, Erzählens, Aufführens. Die Grenze ist schlecht zu ziehen. »Naturgeschichte« findet sich auch in der Perspektive der Kunst, wenn auch in anderem Verständnis als bei den strengen Systematikern und Klassifikatoren, die glauben, bei den Dingen selbst zu sein und bei ihrem System. Hier dagegen ist zweifelhaft, ob die Natur nicht springt. Die lange »Kette der Wesen« ist nicht von Bedeutung. Hier geht es um »Geschichten, die die Natur macht«, um ihre Sprünge und Kapriolen, um ihre erstaunlichen Eskapaden und Kunststücke, um die Komödien und Tragödien, die
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die Natur selbst »schreibt«, um die Anekdoten, welche die Leute sich davon erzählen und von denen manche zu Drehbüchern werden. Darf es verwundern, dass dann, wenn die Heilkur gegen die Vorurteile der Bühne durch Anwendung der richtigen Methode anschlägt, einer Methode, die in der »Zerlegung« der Natur besteht, eine neue Bühne öffnet? Man spielt einfach mit neuen Akteuren, mit dem Isolierten, Einmaligen und Seltenen, höchst Verehrten oder äußerst Abartigen, mit Raritäten und Monstrositäten. Sie werden zum Mittelpunkt neuer Darbietungen. In den Augen der Spezialisten geschieht das um der Gesetze der gewohnten Form willen.123 Aber die ›normalen‹ Leute nehmen es als Unterhaltung. Außerdem: Das Einordnen gelingt nur, solange beide Ansichten zugleich präsent sind. Es sind zwei Seiten ein und derselben Ordnung. Isoliert tendiert das real existierende Wunder zur Freiheit von Spekulation und Metaphysik. Ein Schauspiel der Natur als wirkliches Geschehen findet verständlicherweise umso größere Beachtung, als es Zuschauer statt Leser hat, womöglich Mitspieler. Insofern stellt sich die Frage der Szenografie als Frage nach dem getrennt zu denkenden und vorauszusetzenden Buch oder Werk nicht wie auf dem Theater. Viele Geschichten sind bekannt, andere stecken in den Dingen, können bei Gelegenheit an Ort und Stelle extemporiert oder aufgeführt werden. Es sind Effekte, die sich aus dem Schauspiel selbst ergeben. Demonstrationen und Vorführungen, szenische Arrangements sind notwendig, wenn man auf diese Weise der Natur die Kunst entreißen will, die Wahrheit der Dinge und der dafür bestimmenden Bilder, zusammengeführt in einem Drama. So beginnt selbst die Newton´sche Wissenschaft mit dem Spektakel, einen Lichtstrahl durch ein Prisma zu schicken, wie es im Allegorischen Denkmal für Isaac Newton von Giovanni Battista Pittoni, Domenico und Giuseppe Valeriani relativ spät, Anfang des 18. Jahrhunderts, in Szene gesetzt ist. Eine »phantasmagorische Lichtschau«, die immer wieder neue Aufführungen erlebte, führte dem geneigten Publikum den Witz der Story vor Augen und popularisierte so, was anderweitig dargestellt vielleicht nur schwer verständlich gewesen wäre.124 Zusammenhänge der Funktionalität und der Wirksamkeit am Objekt oder am Modell nachzuvollziehen gehörte immer schon zum Setting naturwissenschaftlicher Evidenzbelege. Mit der Renaissance und den großen, nicht zuletzt von Forscherneugier motivierten Entdeckungsreisen erlebte die öffentliche Demonstration und Manifestation einen enormen Aufschwung. »Öffentlich«, zur Erinnerung, ist dabei immer zu verstehen in den Dispositiven der ständischen Gesellschaft: Das »Publikum« besteht aus den bekannten Fachgelehrten und Kreativen und deren näherer Umgebung sowie ausgesuchten Honoratioren, seien es die maßgeblichen Autoritäten selbst oder die weltlich oder kirchlich herrschaftlichen Stifter, Mäzene, Gönner samt den zu ihnen gehörenden Standespersonen. Weit größere Aufmerksamkeit als die demonstratio, die im Zweifelsfall auch mündlich, auf einem Stück Papier oder an der Tafel erfolgen kann, erregt die manifestatio als Aufführung in Aktion.
Gottorfer Globus & Magdeburger Unterdruckversuch. Szenografische Demonstration So gelangte beispielsweise eine Inszenierung des Welt- und Himmelsgeschehens zu europäischer Berühmtheit125, nicht zuletzt, weil ein Fürst in Person, Herzog Friedrich III. von Gottorf, die Installation entworfen hatte als zentralen Blickfang und »Lusthaus« des Neuwerkgartens, erbaut nach »persianischem« Stil. Die Rede ist vom Gottorfer Globus. Die wissenschaftliche Leitung des Projekts war dem Hofgelehrten und Bibliothekar des Herzogs, Adam Olearius, Obertragen worden; als Cheftechniker
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wurde der Büchsenmacher Andreas Bösch gewonnen. Insgesamt war über Jahre hinweg eine auf alle anfallenden Gewerke spezialisierte Mannschaft von Handwerkern und Künstlern mit der Aufgabe beschäftigt. Das Architekturkonzept verrät die herrschaftliche Nutzung. In der obersten Etage des viergeschossigen Gebäudes mit zwei Geschossen unter dem eigentlichen Globusgebäude lag das fürstliche Kabinett mit zugehörigen Schlafgemächern, rundherum Fenster, Galerien, Terrassen, Treppen und Anbauten, ein Lustschloss im Park der Residenz. Der Globus selbst ist eine Weltkugel, die die Verteilung von Land- und Wassermassen auf der Erde zeigt, im Inneren führt ein Planetarium Sternenhimmel und Sonnenlauf vor, betrachtet aus irdischer Perspektive. Der Durchmesser des Globus von drei Metern erlaubte es, in das Planetarium einzutreten und sich das von einer komplizierten Mechanik angetriebene Schauspiel von Sonne, Mond und Sternen im Sitzen zu Gemüte zu führen. In eigener Regie entwickelte Bösch zwischen 1654 und 1657 eine Weiterentwicklung des Globus, bekannt unter dem Namen Sphaera Copernicana, die an Stelle des antiquierten auf den Gottorfer Globus projizierten ptolemäischen Weltbildes126 das des Kopernikus zeigt. Die Sphaera Copernicana wurde zunächst in der Gottorfer Kunstkammer aufgestellt, die um 1750 in die königlich schwedische aufgelöst wurde. 1824 sollte sie wie viele Kuriositäten vergangener Tage entsorgt werden, gelangte aber dann doch noch ins Nationalhistorische Museum auf Schloss Frederiksborg in Hillerød. Den Originalglobus ließ Zar Peter I. im Zuge des Nordischen Krieges 1713 in seine neue St. Petersburger Kunstkammer schaffen, wo der Gottorfer Globus mit der Sammlung zusammen ein Opfer des großen Brandes von 1743 wurde. Nach der Restaurierung unter Regie von Lomonossow blieb er in St. Petersburg, um heutzutage dann tatsächlich von einem interessierten Massenpublikum wahrgenommen zu werden. Die spannendsten und lehrreichsten Demonstrationen sind die tatsächlich für ein bestimmtes Ereignis dramaturgisch bearbeiteten Spektakel. Als eines der bekanntesten Beispiele gelten die zur selben Zeit veranstalteten Auftritte des Jesuitenpaters und Mathematikprofessors Caspar Schott127, eines Schülers und engen Vertrauten seines Confraters Athanasius Kircher, der in Rom seine eigene Wissenschafts- und Kuriositätensammlung betrieb128, und des Juristen, Architekten und Bürgermeisters von Magdeburg, Otto von Guericke. Eine der berühmtesten Vorführungen der Magdeburger Unterdruckversuche fand vor dem Reichstag zu Regensburg im Jahre 1654 in Anwesenheit Kaiser Ferdinands III. statt. Als Teilnehmer an diesem Schauspiel konnte man miterleben, wie der Streit zwischen »Plenisten« und »Vacuisten« ausgehen musste, sozusagen die frühe Inszenierung einer wissenschaftlichen Demonstration. Die Plenisten waren, in der aristotelischen Tradition stehend, der Überzeugung, dass die Leere von der Materie verdrängt werde, und lehnten wie Descartes die Hypothese eines leeren Raums ab. Die Vacuisten oder »Antiplenisten« wiesen die Lehre der Plenisten in Berufung auf die jüngst erfolgten Experimente und Hypothesen von Blaise Pascal zurück. Wie sich herausstellte, waren auch ganze Pferdegespanne nicht mehr in der Lage, zwei offensichtlich nur aufeinandergedrückte Metallkugeln auseinanderzureißen, wenn die Luft aus ihnen herausgepumpt war. Doch ein Kind vermochte das Ventil zu öffnen, um die entzogene Luft erneut einströmen und die Halbkugeln wieder auseinanderfallen zu lassen. Später ließ Guericke den Versuch mit noch größeren Halbkugeln und 24 statt 16 Pferden wiederholen.129 Allerdings gab es auch weniger überzeugende Experimente im ›Programm Vakuum‹. Beispielsweise ließ man bei den Versuchen Vögel ersticken und Fische im Wasser platzen, was wiederum nicht nur zum Beleg der Hypothese getaugt, sondern auch zur Belustigung der
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Zuschauer geführt haben dürfte. Die Magdeburger Kugeln im Übrigen kaufte nach dem Auftritt beim Regensburger Reichstag der Kurfürst von Mainz – eine Form der Forschung, die sich unmittelbar bezahlt macht. Heute zieren die Schalen das Foyer der Universitätsbibliothek der TU Braunschweig, wohin sie nach der Auflösung des Kuriositätenkabinetts, das dem 1811 verstorbenen Gottfried Christoph Beireis, Professor für Physik, Chemie und Medizin in Helmstedt, gehört hatte, auf Befehl des Herzogs geschafft wurden. Die scientifica Guerickes bildeten den Grundstock der Physiksammlung des Collegium Carolinum, der Vorläuferinstitution der Technischen Universität. 36 Stücke davon gehörten zu seinen Apparaten, nur die Kugeln sind geblieben.130 Nicht nur Hypothese, Theorie und Experiment, sondern auch wissenschaftliche Demonstration und Spektakel finden zusammen. Das ist mehr als Betrachten und Beobachten, selbst mit Hilfe optischer Verstärkung. Außerdem lassen sich bestimmte Phänomene, sofern sie Effekte darstellen, die nur unter bestimmten Bedingungen eintreten, gar nicht beobachten. Indem der Experimentator Arrangements ersinnt, die derartige Wirkungen zeitigen, veranlasst er die Dinge, sich seiner Gewalt zu fügen; er drückt der Natur den Stempel seiner Tätigkeit auf. Er schafft neue Erscheinungen in der Dingwelt und neue Kontexte des Beobachtens, eines Beobachtens der zweiten Art sozusagen. Die Tradition der öffentlichen Zurschaustellung natürlicher Phänomene und Wirkungen reicht noch weit bis ins 19. Jahrhundert, um von der Entdeckung von »Wundern der Natur« Mitteilung zu machen, das Unsichtbare, das sich darin versteckt, zum Vorschein zu bringen, und um am Ende auch davon zu profitieren. Die ersten Weltausstellungen etwa, die mit dem Industrialisierungsschub seit Mitte des 19. Jahrhunderts organisiert wurden, beeindruckten ihr Publikum regelmäßig mit phänomenalen technologischen und technischen Inszenierungen und theatralen Auftritten.131 Es war die erste Weltausstellung 1851, die in London zur Gründung des mittlerweile größten Museums für Art and Design führte, das damals für die Exponate der Messe im Hyde Park gegründet wurde.132 ›Den Löwen am Schwanz ziehen‹. Popularisierung & Publizität der Dingschau
Schon der rechte Baconianer sollte »den Löwen am Schwanz ziehen«.133 Der theoretisch quantifizierenden Betrachtung der Welt durch die Naturphilosophie zur Seite stand die tätige Überprüfung und Demonstration im Experiment und das Schauspiel der Effekte als Manifestation zu Belehrung, Kurzweil – und zur Überwältigung. Die in den Kabinetten gezeigten arteficialia, astronomische Instrumente, mechanische Automaten, hydraulische Apparaturen, elektrische Installationen, bewiesen sich zuletzt auch als nützlich in der Repräsentation der Macht, da durchaus auch als beängstigend empfunden ob der von ihnen ausgehenden Gewaltaura. Im Übrigen war das Spiel mit dem Geschäft verbunden, in großem Stil allerdings erst, als der bürgerliche Unternehmergeist die Wissenschaften beflügelte und die Kameralpolitik der Kabinette Vergangenheit geworden war. Was außerhalb der Sammlungen, Observatorien, Laboratorien geschah, lag durchaus auch in der Konsequenz der Forderungen der Naturphilosophen. Der notgedrungen mit der Naturwissenschaft einhergehende Wahrheitsanspruch, zunächst im schlichten Gewand des Tatsachenzeugnisses auftretend, hängt durchaus auch ab von der Anerkennung entsprechender Evidenzen durch die maßgebliche ›Öffentlichkeit‹. Idealerweise entspricht die Offensichtlichkeit der ›Fakten‹ der ungehinderten Akzeptanz derselben durch alle, die damit konfrontiert werden. Sie »liegt auf der Hand«. Insofern kommt dem Wahrheitsbezug der Wissenschaft eine besondere Stellung im Spiel der gesellschaftlichen Mächte zu.
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Im Laufe des 18. Jahrhunderts sollte sich dies als wirksames Instrument in der Hand der Wissenschaften erweisen, die keineswegs nur Domäne einer hungrigen Bürgerschicht waren. Denkt man indes an die bourgeoisen Nachfahren, verringert sich der Abstand zwischen Laboratorium und freier Bühne, wahrheitsverpflichteter Forschung, Werbeveranstaltung und Geschäft. Zu denken ist hier an die Londoner Freiluftakademie für Elektrizität, Hydrostatik und Luftlehre134, mit der Desaguliers schon in der ersten Hälfte des 18. Jahrhunderts die Newton´sche Physik popularisierte. Später gehen die gutes Geld abwerfenden Pariser Cabinets – privilégié du Roi – und Kurse Rabiqueaus ins Rennen, der sich der Elektrik verschrieben hatte und dessen Spectacle du feu élémentaire ou Cours d ’électricité expérimentale als öffentliche Veranstaltung in Paris nicht weniger berühmt war denn als Buch. Schließlich wäre auch an Priestleys Ambitionen in der Öffentlichkeit zu erinnern und an die seines Schülers Walker.135 Doch ist keine Theaterbühne im Spiel, auch wenn Auftritt und Verkleidung hier und da geborgt erscheinen. Eher liegt Provisorisches in der Luft: Zirkus, Rummel, Schaubude, Varieté, Freiluftvergnügen. Die privaten oder halbberuflichen Ambitionen, es den oberen Ständen nachzutun, sind, was die Sammlungen betrifft und den Sammlerehrgeiz, zuerst bescheidener. Wenn man nicht selbst Besitzer eines eigenen kleinen Cabinets, eines »Wunderschranks«136 sein kann, dann wenigstens gibt man sich als interessierter Connaisseur, als Besucher von Naturaliensammlungen, auch der Gärten, als Besucher von Ausstellungen, Zuschauer bei unterhaltsamen Darbietungen wie, schon früher beliebt, der »Unterhaltungsmathematik«. Auch untere Schichten geben sich zum ausgiebigen Zeitvertreib mit den verschiedensten curiosa, magica, mirabilia ab, die sie bei »wissenschaftlichen Demonstrationen«, artistischen Aufführungen, Monstrositäten- und Kuriositätenschauen auf Plätzen und Jahrmärkten, in Schaubuden und Theatern live erleben in einem »enzyklopädischen Sammelsurium von Zaubertricks, atemberaubenden Kunststücken (…), ›Experimenten‹ mit chemischen und optischen Apparaten, mathematischen Puzzles und ›raffinierten‹ hydrostatischen und mechanischen Aufgabenstellungen«. Alles meist auch erreichbar in leicht verständlichen Unterweisungen, deren Inhalte sich rasch verbreiten. Ein öffentliches Pendant der scenaria der frühen Opern und Theater. Insgesamt handelt es sich um eine »unsystematische Anhäufung von ungewöhnlichen Gegenständen und außergewöhnlichen Rezepten«137, ein ambulantes Raritätenkabinett, nicht zuletzt mit Büchern und Broschüren präsent, das zusammen mit den allenthalben gegebenen Veranstaltungen durchaus den Darbietungen der Raritätenkabinette und Kunstkammern, in denen das Verehrungswürdige, Wertvolle, Kuriose, Exzentrische und Monströse nicht mehr den ersten Platz in den Vitrinen behaupten konnte, nicht unbedingt nachstand, jedenfalls soweit es weniger das Geordnete als das Spektakuläre, Exzeptionelle betraf. Darin dann liegt ein wesentlicher Unterschied. Wo der Konnex und zugleich latente Konflikt zwischen visuell überwältigenden Wundern, Raritäten, Künsten auf der einen, intellektuell beeindruckenden Taxonomien, Reihen, Serien, zwischen Spekulation, Wissenschaft und Repräsentation ausgetragen wurde, war der Schauplatz von der Ordnung der Kammern definiert, weil es sein eigener war, kein öffentlicher Raum, sondern ein Raum unter hierarchisch strukturiertem Regiment. Das Unterhaltsame der Wissensvermittlung, der Spaß am Schauen, auch der Schauer, den das Geheimnis der Natur wie die Macht erzeugt, die sich solche Wunder untertan machen kann, all das gerät zwar drinnen wie draußen in Konflikt mit einem zunehmend dominierenden Anspruch auf Aufklärung und Intellektualisierung des Wissens und Tuns. Drinnen indes ist der Konflikt institutionell programmiert und darum zwingender.
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Je heterogener die Sammlungen durch Akkumulation von Raritäten und Kuriosem, desto lauter die Stimmen, die diese Art der undifferenzierten Zurschaustellung kritisieren.138 Hier musste bereinigt werden um des Regiments willen, des alten oder des neuen, je nachdem. Draußen kann sich, was so freigesetzt wird als das gegen Vereinnahmung Widerständige, das mehr dem Vergnügen als der Ratio huldigt, besser, wenn auch für eine ganze Weile chaotisch entfalten, selbst unter polizeilicher Überwachung. Für eine entwickelte Medienindustrie fehlt es an der Befreiung der Produktivkräfte. – Doch auch im Innern der Sammlungen ist das Heterogene nicht nur zweihundert Jahre nach Bacon noch präsent, sondern heute noch, wenn auch eher als zweifelhafte Reminiszenz an alte Tage, von der manche meinen, es handele sich um eine Freak Show.139 »Dies ist das Holz, das Peter der Große schneiden ließ, um an dieser Stelle der Naturgeschichte ein Haus zu bauen«, wird der Besucher der Kunstkamera belehrt, und dass der Zar ausgerufen haben soll: »Was für ein Monstrum von Baum«, als er die ungewöhnlich gewachsene Pinie sah. Die Sage weiß wie immer mehr: dass der Baum eben dort stand, wo die neue Kunstkammer des Herrschers ihren Platz haben sollte. Den Baum, der einen Trieb ausgelegt und ihn ein paar Jahre später als dicken Ast wieder vereinnahmt hatte, kostete diese »Schrulle der Natur« dann das Leben. Das Holz wurde eingesammelt und wird heute noch gezeigt. Es geht nicht um den Baum, sondern um das, was er erlebt hat, damit es andere miterleben können: Geschichten von den Großen meist und solchen, denen man übel mitgespielt hat. »Und das sind die Zähne, die der Zar denen selbsthändig aus dem Mund brach, denen er von den Vorzügen eines unvergifteten Körpers, der Zahnheilkunde und den Fortschritten der Wissenschaft Mitteilung machen wollte«, erzählt ein anderes Exponat. Wobei auch hier der antizipierte Darstellungsraum des »Naturalienkabinetts« den Auffindungskontext schon ganz schnell großzügig überdeckte. Die unglücklich Operierten, die die Prozedur des demokratisch verkleideten Herrschers nicht überlebten, dienten im Übrigen aufs Schönste einer anatomischen Behandlung durch den Fürsten. Und wenn ihre körperlichen Besonderheiten ausreichten, fanden nicht nur die Zähne, sondern der ganze Körper einen festen Platz in der Sammlung.140 In der Form hätten sie auch gut einer der allegorischen Naturamorta- oder Vanitas-Inszenierungen Ruyschs dienen können und sich, je nachdem, von den Worten Demokrits oder Heraklits beeindrucken lassen.141 Nur die Etikettierung des Gehäuses wollte hier wie dort noch nicht so recht passen, vergleichbar heutzutage hoffentlich nur noch dem Schicksal, in Gunther von Hagens Plastinarium in Guben aufgenommen zu werden. Leibniz noch spricht optimistisch vom »Wissenstheater«, von Freude und Lust beim Wissenserwerb. Doch ist die Aufführung deshalb nicht weniger bedrohlich. Der Wissbegierige zu Zeiten des Ançien régime, nicht oder noch nicht frei genug, um sich müßig schauend zu delektieren, muss immer auch gefasst sein, nicht nur mitspielen zu müssen, wie nach dem Tod des Königs obligatorisch, sondern schnell auch unter die gerade benötigte Ausstattung des Wissenstheaters zu geraten. Kunst und Wissenschaft sind in der Kammer eine Weile beieinander, bevor sich die Künstler vom Handwerker und Techniker, Philosophen und Wissenschaftler verabschieden. Und bevor die Naturphilosophie, die Wissenschaft vom Physischen, Organischen wie Anorganischen, aufgesplittert wird in Dutzende von Spezialdisziplinen. Noch Lomonossow will in seinen Vorschlägen zur Neuorganisation der Akademie der Wissenschaften zu St. Petersburg 1758/59 für die Physikalische Klasse
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mit einem Physiker, einem Chemiker und einem Mediziner auskommen. Die Historische Klasse (gemeint ist die naturhistorische Klasse) hält er mit einem Anatomen, einem Metallurgen und einem Botaniker für gut ausgestattet, wenn an der Philosophischen Fakultät der Universität zusätzlich eine Professur für Philosophie der Physik besetzt würde.142 Am Lexikon der Geowissenschaften, erschienen 2002143, sind Spezialisten aus zweiundzwanzig Fachgebieten beteiligt, die für rund 20.000 Einträge verantwortlich zeichnen, darunter hundertfünfzig Übersichtsartikel. – Die Biologie im eigentlichen Sinne war auch zu Lomonossows Zeiten noch unbekannt. In den Kategorien der Naturgeschichte existierte das Leben selbst noch nicht.144 Obwohl der Terminus »Biologie« schon früher vereinzelt auftaucht, lässt er sich in moderner begrifflicher Verwendung erst seit Anfang des 19. Jahrhunderts bei Lamarck und Treviranus nachweisen. Goethes exemplarischer Einblick in die Weimarer Fakultäten fördert ebenfalls kein entsprechendes Fachgebiet ans Licht. Für die einen gehörte die Biologie zur terrestrischen Physik, die den Einwirkungen der Fluida auf die Körper nachgeht und Erklärungen sucht; für die anderen handelt es sich um eine allgemeine Lebenswissenschaft, die überall den Bedingungen, Gesetzen und Ursachen des Lebens nachspüren sollte.145
Souveränität der Kabinette, der Wissenschaft, des Volkes Am Beginn der Kammer schon stoßen wir auf die Monarchen, die sie einrichten lassen zur größeren Ehre Gottes und der ihren. Es liegt im Wesen der Souveränität, zu erscheinen; es ist das Bild des Königs, das die Untertanen von der Legitimität der Herrschaft überzeugt. Dass es so sein müsse, läge, so eine Erzählung, nicht allein an der Stellvertretung des Schöpfers, auf die die Souveränität übergeht, sondern auch an der seiner Schöpfung, freilich nicht an aller Schöpfung, sondern nur der repräsentativen. Die Naturgeschichte aber schließt die politische Begründung kurz und erhebt die gesamte Schöpfung. Sie teilt diese Begründung mit dem Naturrecht, das, auch wenn so gehandhabt, ebenfalls nicht repräsentativ gedacht wird. Das königliche Geschäft freilich betreibt die Natur nicht. Die Natur der Dinge nämlich zeigt sich, so Bacon, nur, wenn die Künste eingreifen; sich zu offenbaren liege nicht in der Freiheit der Dinge.146 Die Kunst, die Natur der Dinge zu definieren, ist offensichtlich Ausfluss souveräner Mächte. Alles, was fleucht und kreucht, alles, was es zu bestaunen gibt, folgt somit doch der Ordnung der Repräsentation. Die Ordnung der feudalen und absolutistischen Herrschaft repräsentiert die Ordnung der gesamten Natur, des Toten und des Lebendigen. Die dramatischen Genres folgen dem Kanon ihrer Inszenierungen. Die Auftritte sind vielgestaltig, bleiben indes den Dingen und Sinnen verbunden und werden vielfach auf sie hin fokussiert veranstaltet. Die es erleben, sind auch in diesem Kontext erst gegen Ende der feudalen Ordnung ein Publikum im modernen Sinn. Über dreihundert Jahre lang entstehen und leben die großen Sammlungen wie die Theater im Schatten der Monarchen: ob Francescos I. de´Medici Studiolo im Palazzo Vecchio in Florenz oder die Kunst- und Wunderkammer Herzog Albrechts V. von Bayern147 oder Erzherzog Ferdinands II. von Tirol Kunstcamer in Ambras oder die Prager Kunstkammer Kaiser Rudolfs II. in Prag148, ob die aus der Schatzkammer der Wettiner Fürsten hervorgegangene Wunderkammer des Grünen Gewölbes in Dresden, das unter August dem Starken zu europäischer Berühmtheit gelangt, oder die Kunstkammeret Frederiks III. in Kopenhagen, die im Schutz des brandenburgischen Kurfürsten Friedrich III. errichtete Kunst- und Naturalienkammer der Franckeschen Stiftungen in Halle oder die Kunstkamera des Zaren Peter I.149 Die königlichen Akademien unterhielten Kunstkammern, so die Londoner Royal Society
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und die Académie Royale des Sciences in Paris; und viele Adelige taten es den Fürsten nach. Ihnen dann folgen in den Städten Bruderschaften und begüterte Bürgerliche, viele aus professioneller Affinität, sei es dass sie handwerklich oder wissenschaftlich interessiert waren, viele aus Liebhaberei und weil auch der Dilettant und Amateur sich spiegeln möchte.150 Die internen Konflikte um das angemessene Gesicht der Repräsentation verlaufen zwischen den Vorstellungen der polymathischen Sammler und den radikalen Kritikern des Sammelsuriums. Den einen sind die barocken Faltungen der Kammern, Kabinette, Galerien und die Ästhetik ihrer Möblierung und Ausstattung genug und angemessen für die Gliederung des Pittoresken, eine Position à la Quiccheberg.151 Die anderen, wie mit Linné´schen Ambitionen Lignac152 im 18. oder Grew153 schon im 17. Jahrhundert, wollen exotica und Raritäten aus den Sammlungen entfernen lassen, weil sie die Schemata sprengen. Vermittelnde Positionen nehmen Buffon und Daubenton ein, wenn sie die sinnvolle Einrichtung des Cabinet d´histoire naturelle im Rahmen des Jardin du Roi in Paris beschreiben.154 Aber wie auch immer das Tableau im Einzelnen besetzt wird, ob es mit poetischen Arrangements unterhalten und beeindrucken oder mit systematischer Klassifikation belehren und provozieren will, immer ist die Regierungskunst bestimmend. Es ist die Kunst, das Regiment zu führen, das zu ihm Gehörende auf eigenem Territorium zu verteilen, die Zuschauer staunen zu machen und die Untertanen in ihrer freiwilligen Unterwerfung zu bestärken. Denn wenn die Dinge nicht mehr von ihren eigenen Wundern erzählen und mit dem Einzelnen geheime Verabredungen treffen dürfen, bleibt ihnen nichts, als immerfort von ihrem Regiment zu reden, zu dessen Ehre sie erscheinen. Sie bekräftigen die Rechtmäßigkeit und Vernünftigkeit der Unterwerfung der physischen und artifiziellen Welt unter den Fürsten. Die »Physik einer beziehungsreichen und vielfältigen Macht, die ihre größte Intensität nicht in der Person des Königs hat, sondern in den Körpern, die durch eben diese Beziehungen individualisiert werden«, wird so sichtbar und erlebbar für alle Geschöpfe. Ein großes Theater, das kein richtiges Theater mehr ist am Ende des Aufklärungsjahrhunderts, beginnt sich in viele Institutionen und Disziplinen zu zerstreuen. Es wird mit anderen Bühnen, Rängen, Zuschauern ausgestattet sein, von Beginn nur mit »desinstitutionalisierten« freien Angestellten rechnen.155 Nichts daran ist natürlich, alles künstlich. Wie Zar Peter mit seinen Untertanen verfuhr, zeigte nur die Gewohnheit, die gewünschte Ordnung in souveräner Manier zu möblieren. Die andere Seite zeigt den friedlichen Fürsten, der für den Ausgleich der gesellschaftlichen Kräfte nicht zuletzt damit Sorge trägt, dass er die Künste fördert und den Untertanen Gelegenheiten gibt, sich zu ergötzen. Der öffentliche Auftritt bei einer Entrée solennelle oder anderen Festlichkeiten steht in enger Verbindung zum Auftritt in Theater, Oper, Galerie, Kammer oder Garten. Ob eine »Ästhetisierung von Herrschaft« dieser Art tatsächlich als Indiz einer »Selbstbindung und Selbstbeschränkung« des Monarchen zu beurteilen ist, sodass »für den Fürsten Handlungen, die er als offener Gewaltherrscher vornehmen konnte, von nun an ausgeschlossen waren, wollte er sein Herrschaftstheater nicht zerstören«, ist mehr als fraglich. Gerade Ludwig XIV., dessen Verhalten diese Beurteilung rechtfertigen soll156, demonstrierte oft genug das Gegenteil. Als Souverän war er souverän genug, dieses und jenes zu tun, wie es ihm gefiel. An der Bruchkante zwischen Souveränität und Mikromächten greift die Unterwerfung der Natur und der Dinge mit Hilfe der sich formierenden Wissenschaft aus den Kammern heraus und verallgemeinert die Vorstellung von Konzentration im
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Raum und Bedeutungsoktroy in einem Modell allseitiger Kontrolle. Alles im Kasten, nur dieses Mal rundum. Auge und Blick der Souveränität sind nicht mehr entrückt und imitieren das Auge Gottes oder das seines Stellvertreters auf Erden, das von oben her wacht über die Seinen. Die Stellvertretung bleibt, doch wie schon in anderem Zusammenhang beschrieben, kehrt die Repräsentation vom Himmel zurück und platziert sich mitten unter die Repräsentierten, gewissermaßen als ihr geschäftsführender Ausschuss. Die wissenschaftliche Hilfestellung leistet die gerade erst den Kinderschuhen entwachsene soziale Physik und Ökonomie. Unter dem Mikroskop liegt jetzt das lebende Individuum, und untersucht werden die Effekte seiner Lebensart, um ihm einen geeigneten Raum zuzuweisen. Jeremy Benthams Entwurf für eine geeignete Architektur zu Beobachtung und Kontrolle der neu entstehenden »Bevölkerung« setzt das Modell in Szene. Die geplante Organisationsstruktur, weniger für das Leben als für dessen Bewirtschaftung gedacht, soll überall einsetzbar sein, wo es gilt, die Arbeit und ihre Reproduktion im Blick zu halten, vorzüglich im urbanen Raum mithin. Geeignet ist die Architektur für Gehäuse aller Art und Funktion: für Fabriken, Kliniken, Kasernen, Schulen, Wohnblocks ... Die Idee dafür – hier kommt sie an der richtigen Stelle ins Spiel – entnimmt man der Überschrift der Briefe Benthams von 1782, in denen er das Modell erläutert: Panopticon. Or the Inspection House, containing an Idea of a new Principle of Construction [...] with a plan of Management.157 Der Esquire könnte sie dem Plan Le Vaux´ für die Menagerie im Versailles Ludwigs XIV. entlehnt haben, abgesehen von den Umbesetzungen bei den Insassen der Gebäude und dem Management, versteht sich. Jedenfalls hatte Louis Le Vaux eine vergleichbare Anordnung schon für den Tierpark des Königs ins Spiel gebracht, in konsequenter Entwicklung der Kammerarchitektur. Der Baumeister hatte den alten Entwurf der Ménagerie überarbeitet und einen achteckigen Pavillon mit aufgesetztem Salon für den König in der Mitte vorgeschlagen. Um das Zentrum herum öffneten sich an den Seiten sieben große bis nahe an den Boden reichende Fenster, die in ummauerte Gehege schauen ließen. Sie beherbergten die Tiere des ehemaligen zoologischen Gartens.158 Später beschäftigte sich Le Vaux mit dem Hôpital de la Salpêtrière. Sind Metaphern verzichtbar? Zusammenstellung und Demonstration der Dinge und Körper in den Kammern dienten der Repräsentation, waren Bühne, Bild und Spiegel der Macht zu »Splendor, Ruhm und Ansehen«159, aber darum nicht weniger von feudaler Ausbeutung und Unterwerfung geprägt, der Natur und der Menschen. Ahnengalerien, Rüstkammern und Münzkabinette weisen auf den unmittelbaren Kontext der Herrschaft, die angehäuften Kostbarkeiten auf die Weiterungen durch Krieg und Raubzüge. Der frühe Kammerplan Quicchebergs spricht für sich. Die von den Herrscherhäusern und königlichen Akademien in Auftrag gegebenen und finanzierten Expeditionen besaßen klare Direktiven, die ökonomische Nutzung der Flora und Fauna, der mineralischen Vorkommen und gewiss auch der Humanressourcen zu ventilieren. Wichtiger als Prestige und Erkenntnisfortschritt »war die Bedeutung, die man den Forschungsergebnissen im Blick auf Wirtschaft, Handel, Strategie und Außenpolitik beimaß«, lautet das Urteil über die Politik der Petersburger Akademie und des Hofes.160 Dass die Reisenden exzeptionelle und beispielhafte Trouvaillen dann nicht ohne Mühen doch ins Museum brachten, war nichts als der Tribut an den Herrscher, der sich hier selbst exemplarisch ins Bild setzen konnte. Ansonsten mussten sie tun, was ihnen befohlen war. Die Anwesenheit der Werkzeuge, Apparaturen, Maschinen und Automaten in den Kunstkammern, die nur verständig betrachtet werden können, wenn sie zeigen dürfen, was in ihnen steckt, indiziert, wie
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dem alten Bild der Souveränität, der Sonne, um die die Planeten und Sterne kreisen, das der neuen bürgerlichen Souveränität, die frei sein sollte in ihrem Denken und in ihrem Schaffen wie das Schiff auf dem Meer, schleichend adaptiert wurde. Der bourgeois braucht keine Kunst- und Wunderkammern mehr, jedenfalls nicht als Spiegel seiner Herrschaft. Ihre Ordnung bezeugte ihre Wahrheit nicht zuletzt durch ihre Schönheit, die als Effekt ihrer Herkunft an ihr haftete. Fürs Erste und bis die Kunst sich ihrer annimmt, findet sich die Schönheit nicht mehr auf der Waagschale. Der neue Souverän soll flotieren – und arbeiten, nicht schauen und staunen. »Tiefgreifende Umwälzungen? Oder eine tiefere, stabile Dauer?«161
Zerstreuung, Institutionalisierung & Verwissenschaftlichung der Exposition Vom vorläufigen Ende der alten Kammern und Sammlungen her betrachtet, die errichtet waren, um die Wunder der Erde zum Zeugnis für die Wunder göttlicher und fürstlicher Herrschaft in der Welt zu nötigen, wird man sagen können, dass fast alle ihre unterschiedlichen Repräsentationsweisen im Laufe des 19. Jahrhunderts neue Institutionalisierungen fanden, in neue Dispositive einzogen. Die meisten davon gehören mittlerweile zu den Einrichtungen der Inszenierungsgesellschaft. Sie wechselten in die Institutionen und Institute der Wissenschaft, der Information und Pädagogik, der Unterhaltung, in Institutionen und Institute der Kunst und der Künste und in die der Medien. Sie warten auf mit je spezifischen Typen von Sammlungen, Museen und Bibliotheken, Magazinen und Archiven, mit charakteristischen Ausstellungen und vielen anderen performativen Präsentationsformen, gestützt auf unbewegte und bewegte, analoge und digitale Bilder-, Text- und Datenwelten. Im Blick auf das Theater und die von ihm bestimmte Inszenierungskunst, die sich niederschlägt in den Expositionspraktiken, ist zu beobachten, dass die Arbeit mancher der genannten Institutionen zu neuem Selbstbild und Selbstverständnis führt. So werden neue Praxis- und Reflexionsfelder erschlossen, die teils nahe an der vertrauten Tätigkeit liegen, teils weiter davon entfernt. Seit der Ausdifferenzierung der Wissenschaften finden sie, was den Komplex Museum betrifft, in eigenständigen Abteilungen für Museologie162 (oder Museumswissenschaft), auch Museografie163 (oder Ausstellungsgestaltung, Museumskunde) statt, aber auch in der Denkmalpflege, bestimmten historischen, kulturwissenschaftlichen und transdisziplinären Einrichtungen. Die dort angebotenen Ausbildungsgänge führen zu akademischen Qualifikationen und Zertifikaten. Dass mit der skizzierten Tradition der Sammlungen ein im Grunde auf besondere Weise gerade nicht ursprünglich theatrales, dem Theater und seinem Inszenierungsverständnis erst sehr spät einverleibtes Dispositiv der ›Präsenz der Dinge‹ zutage tritt, wird anschaulich daran, dass die gegenstandsbezogene, großenteils historiographische Literatur im Kontext der kulturwissenschaftlichen und soziologischen Inszenierungsforschung quantitativ keinen bemerkenswerten Auftritt hat. Das betrifft auch die museologische Forschung zu einzelnen Clustern der aktuellen, auf Museografie und Szenografie bezogenen Diskussion, die sich durchaus auch um Fragen der Inszenierung im Rahmen des demokratischen Mainstreamverständnisses dreht – die Binnendifferenzierung zwischen wissenschaftlicher Formierung auf der einen, volkskulturellen und literarisch künstlerischen Tendenzen auf der anderen Seite außen vor gelassen. Dagegen mutet die selbstverordnete Wissenschaftstradition der Museologie etwa unentschlossen an, wenn sie mit Louis-Sébastien Mercier, der am Vorabend der Revolution die Maßstäbe für die Ordnung der Museen Frankreichs in fiktionalem Kontext vorstellt, auf einen Autor der literarischen Utopie setzt164, und mit Johann Daniel Major165 oder dem erwähnten Quiccheberg, weiter zurückschauend ins 17.
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und 16. Jahrhundert, auf kaum bekannte Systematiker der Kunst- und Wunderkammer. Als eigentlicher Gründer der Disziplin gilt dann erst der Kulturphilosoph Zbynek Stransky166, was klarstellt, dass die institutionalisierte Museologie ein Kind der zweiten Hälfte des 20. Jahrhunderts ist. Die Tradition der Museografie wiederum ist eine gestaltungspraktische von Inneneinrichtung und Ausstattung, Architektur und Design, die auf Werkkunst, Kunsthandwerk, auch Baukunst zurückgeht und ihre nachhandwerkliche und postmanufakturielle Institutionalisierung erst als Reaktion auf die Industrialisierung zum Ende des 19., Anfang des 20. Jahrhunderts erlebt.167 Einige der alten Sammlungen und Exponate überdauerten in ihrer ursprünglichen Gestalt, wurden als Denkmal, Monument oder Original restauriert, wobei die Wiederherstellung meist der Architektur und Innenarchitektur der Gebäude galt168 und den Exponaten am ehesten, soweit es sich um Unikate handelt, abgesehen von dezidiert bewahrenswerten Sammlungen von Scientifica. Soll die Präsentation Publikum anziehen und erfolgreich sein, lassen sich solche Unikate derzeit am besten unter der Bezeichnung »Kunst« verkaufen. Bei diesen Ausstellungsstücken, die gezeigt werden, handelt es sich gemeinhin um extraordinäre kunsthandwerkliche oder künstlerische Artefakte, naturalia treten in diesem Kontext ebenfalls nur als Unikate von großer Seltenheit oder großem Wert auf, meist haben sie aber lediglich wertvollen Materialcharakter für das künstlerische Werk. Besonders typisch und von Medienbeifall begleitet, wie die Neueröffnung der Wiener Kunstkammer im Jahr 2013 zeigt, sind entsprechend Hybridformen, in denen der Künstler dem Fürsten »aus kostbarsten Materialien die größten Überraschungen zaubert[e]«: »aus Gold, Silber, Juwelen, Alabaster, Marmor und Elfenbein, aus Rhinozeroshorn, Haifischzähnen, Straußeneiern, Muscheln, Schildpatt oder Seyschellennüssen« – einen Tischaufsatz, einen Pokal oder ein feuilletonweit gefeiertes Salzfass.169 Mischformen sind auch in institutioneller Hinsicht an der Tagesordnung. Institutionelle, bauliche und das Inventar betreffende ›Kontinuitäten‹ existieren, sie als solche historistisch zu feiern, erscheint problematisch. Selbst wenn die Artefakte im alten Gemäuer, in alten Gehäusen und Futteralen daherkämen, zufällig in einem nie restaurierten oder konzeptionell überarbeiteten medizinhistorischen oder naturkundlichen Museum aufträten (wie es sie auch noch gibt), selbst hier wäre man nicht sicher, ob es sich nicht in Wirklichkeit um Zitate alter Zeit von besonders raffinierten Ausstellungsgestaltern handelte. Die alte Repräsentation nachzuahmen ist möglich, doch nur bedingt sinnvoll; die Show endet am Eingang des Museums, und zweckdienlich ist es auch nicht. Die Menschen heutzutage sind frei von der Ordnung der Dinge in den Systematiken der Kammern. Sie interessieren sich für ihre Bewohner von gestern, aber in der Regel nur für die strahlendsten Gestalten. Sie wollen sich nicht in die Genealogien sinistrer Herrscherhäuser versenken, wenn sie für Tizians Karl V. oder Velázquez´ Las Meninas in den Prado reisen. Und im paläontologischen oder naturhistorischen Museum erwarten sie, dass sich die Knochen der Urgeschichte zusammenfinden wie in Jurassic Park. Die Mineralogie findet ihre Zuschauer, wenn das Bernsteinzimmer kommt, und die Alchimie ihre Bewunderer, wenn das Gold der Skythen auf Tournee geht. Und sollten die Schätze aus den Sarkophagen der Pharaonen auf Tournee gehen, wäre es angebracht, die aktuelle Mumien-Produktion im Beiprogramm parat zu halten. Belehrung innerhalb der Kammern war gratis, brauchte keine separate Szenografie, weil sie auf Wiederholung beruhte. Die gewöhnliche Repräsentation wiederholt
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und verstärkt das Original. Man versichert sich der Wahrheit, die man kennt, kennengelernt hat – und reichert sie an mit immer wieder neuen Variationen derselben. Es interessiert, was wir für exemplarisch halten oder was auf die geschätzten Autoritäten referiert. In den kulturellen Angeboten, die heutigentags favorisiert werden, privilegiert die angewandte Mathematik erneut die Bilder. Über fast zweihundert Jahre beförderte sie eine gegenteilige Entwicklung. Der neueste turn in dieser Richtung geht zurück auf ein ausschließlich mathematisch definiertes Dispositiv der Technologie, die Erfindung des Computers und seine Verbreitung in den reichen Ländern. Für die Notwendigkeiten der Medienverteilung und -dominanz spielt dies insofern eine Rolle, als die analogen Medien damit ein digitales, also virtuelles und geradezu unwiderrufliches Leitmedium gefunden haben. Dies wiederum aber bedeutet keineswegs, dass Bilder prinzipiell zu bevorzugen seien, jedenfalls soweit es sich nicht um die massenmediale Kulturvermittlung über entsprechend konzipierte Endschnittstellen mit screens und displays aller Art handelt. Dabei gilt die Einschränkung, dass die Netztechnologien geeignet sind, alle analog separaten Medien zu synthetisieren, ein Vermögen, das hinsichtlich der Physis wie die Ästhetik der Kommunikation allerdings zu wünschen übrig lässt. In der analogen Welt der Sammlungen galt: keine Kunstkammer ohne Bibliothek, ohne Aufzeichnungen, worin die präsentierte physische und Bildwelt der Dinge nicht zugleich dokumentiert und bedacht worden wäre. Austausch und Kommunikation zwischen Körpern und Dingen, Individuen und Welt geschieht nach wie vor in sinnlich praktischer Präsenz – ›autonom‹, wenn man so will. Ob face to face oder interface to interface ist dabei nicht vorweg entschieden, auch wenn das eine und das andere Erleben ganz unterschiedliche Implikationen bergen. Der Wechsel des Souveräns, die Ablösung der alten Repräsentation durch das Volk hat daran geändert, dass es jetzt alle wissen müssten und ihre Zustimmung geben oder verweigern können (genauer gesagt, geben können sollten). Visuelle oder Bildpräsenz mag die Eindrücklichkeit von Erfahrungen verstärken; von den anderen Sinnen hört man ohnehin wenig. Als solche und auf sich gestellt, lehrt der Sinneseindruck aber bekanntlich so wenig wie bloß sensuelles Erleben überhaupt. Dass die Hypermedien jeder Art der Repräsentation zum Auftritt verhelfen können, steht außer Frage. Auf die verhandelten Institute bezogen, ist dies, allen voran, in Architektur, Ausstellung und Museum zu beobachten. Die Wissenschaften allerdings holen auf, auch wenn ihre Inszenierungen nicht vergleichbar im Licht der Öffentlichkeit stehen. Die Frage ist, ob es dessen überhaupt bedarf, wenn die Performance der Volkssouveränität, gewandelt in die der Massenkultur, ohnehin dem Medienbetrieb und dem Geschäft verbunden ist. Zumindest die bürgerliche Repräsentation auch noch simulieren zu wollen – eine Spezialübung insbesondere des Theaters –, müsste sich eigentlich erübrigen, stellt sie doch die legitime Realform der demokratischen Assoziations- und Vertretungskultur dar. Ihre Vervielfachung in der Mediengesellschaft durch zusätzlich aufgesetzte Inszenierung bedarf mithin genauerer Durchleuchtung. Vielleicht ist es aber auch so, dass die Differenz selbst nicht mehr erscheint. Die alte Welt zu zitieren jedenfalls bedeutet nicht, die vollzogene Integration in die Inszenierungsgesellschaft auch schon aus der besonderen Genealogie von Jahrmarkt und Schauspiel, Theater und Sammlung, Museum und Ausstellung, Wissenschaft und Medien verstanden zu haben. Dabei sind damit nur die institutionalisierten Ausflüsse der Tradition herausgegriffen. Die abseits dessen anzutreffenden Formen von Assoziation zu Betätigung und Verständigung, Unterhaltung und Spiel im freien, aber szenisch durchaus ebenfalls geordneten Raum nicht institutionell definierter Begegnung und Kommunikation sind dabei noch gar
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nicht gesondert im Blick. Offenbar scheint selbst die Verbreitung des Präsentationsformats ›Begreifen‹ an diesem Resultat kaum etwas zu ändern, auch wenn es wie in den allabendlichen History-, Kultur- und Wissenschafts-Shows zur Obligatorik des Medienkonsums gehört.
Regiment der Repräsentation. Bild, Diskurs, Magie (Alpers, Bailly) In der Malerei von Spätrenaissance, Barock vor allem, wird immer wieder die Repräsentation ins Bild gesetzt. Wir finden hierin ein anderes Verständnis von Wert und Werten, obwohl es sich um Bilder handelt, deren Trug allgegenwärtig ist. Doch ist es ein Trug, der die Geltung betrifft, keineswegs die Realität. Die Spiegelungen sind vielfältig. Oft genug, offenbar weil es für unnötig empfunden wird, findet sich die Repräsentation ohne jede Präsenz einer zweiten Referenz des Repräsentierten, dann wiederum begegnet sie in der Doppelrepräsentanz von repräsentierten Dingen und zusätzlicher Darstellung des Regiments der Repräsentation. Die holländischen Maler des 17. Jahrhunderts zweifeln nicht an dem überkommenen handwerklichen Selbstverständnis. Vielmehr werten sie es auf und verleihen ihm neue Kraft, indem sie sich auf die Erkenntnisse der Wissenschaft berufen und im Speziellen ausdrücklich auf die Naturgeschichte, wie sie Bacons Programm bereit hält, aber auch das Huygens, Saenredams oder Comenius´. Verpflichtend darin ist ein einheitliches Studium der Natur und der Künste des Menschen, oder in damaligen Ausdrücken: der mechanischen und der experimentellen Geschichte. Kenntnisse und Fertigkeiten der Künstler ragen als solche in das Feld der Wissenschaften und der Theorie hinein. Damit emanzipieren sich die Künstler aus den Grenzen ihrer Bindung an Stände und Zünfte, bleiben aber deren Produktivität verpflichtet. Die Unterschiede einer mehr mathematisch-theoretisch orientierten Malerei, wie sie in Italien zu finden ist, gegenüber einer mehr experimentell und empirisch interessierten Malerei, für die eher die niederländische Malerei der Zeit stehen kann, sind sicher bedeutsam. Doch der Programmwechsel von hier nach dort, von dort nach hier, ändert nichts daran, dass das interne Verhältnis zwischen Künstler und Wissenschaft in jedem Fall von einer intimen Beziehung der Produzenten zum maßgebenden Wissen um das System der Dinge gekennzeichnet ist. Es gilt, dass die Künstler auf jeden Fall für den Blick ihrer Bilder zuständig sind – wenn nicht im Einzelfall sogar für den Blick der Wissenschaft. Hier ist es so, dass der Blick die Methode und die Art und Weise, die Gegenstände zu fassen, realisiert, zeigt, dass der Blick immer auch der eines anderen ist: »Ein junger Künstler, durch den Malstock in seiner Hand als solcher gekennzeichnet, sitzt an einem Tisch, auf dem sich eine größere Anzahl von Gegenständen befindet, eine Sammlung von Naturmaterialien, die von menschlicher Hand bearbeitet wurden: Holz, Papier, Glas, Metalle, Stein, Gips, Ton, Knochen, Leder, Töpferwaren, Perlen, Blumenblätter, Wasser, Rauch und Farbe. Darüber hinaus aber sind diese Materialien bearbeitet, um ihre Natur zu enthüllen oder, wie Bacon sagt, zu verraten: Holz ist geschnitzt, Papier gewellt, Stein geschnitten, Perlen sind poliert und aufgezogen, Tuch ist drapiert, Leder (als Pergament) wird zum geschmeidigen Bucheinband. Einige Materialien weisen auf ihre vielfältige Natur: Glas ist fest und geschnitten [...], kann aber Flüssigkeit oder Sand enthalten und reflektiert Licht sogar durch seine durchsichtige Oberfläche hindurch; Metall ist in Münzen geschlagen, als Kettenglieder gearbeitet, geschärft als Messerklinge, als Kerzenständer gedrechselt oder in Form gegossen als Putto«.170
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Wer naiverweise angesichts dieser detailreichen Beschreibung fragen wollte, was denn der Gegenstand des Bildes sei, hat die Antwort schon gelesen. Die Pointe ist, dass Alpers, die hier David Baillys Stilleben von 1651 (heute Stedelijk Museum De Lakenhal, Leiden171) beschreibt, es gerade mitgeteilt hat. Zum einen ist interessant daran, dass dies mit Blick auf Baillys Gemälde demonstriert, wie sich künstlerische und ›theoretische‹ Ambitionen des Künstlers aufs Schönste zusammenfinden. Dabei aber bezieht es sich ›theoretisch‹ auf die Formierung der Repräsentation der Repräsentation. Die aber markiert zugleich ein Dispositiv des Regimes, in diesem Fall die souveräne Verfügungsgewalt des selbstbewussten Malers über seinen Bildraum. Im Blick auf die Beschreibung dieses Beziehungsgefüges ist zum anderen bemerkenswert, dass sich die beiden Repräsentationen in der symbolischen Codierung des Textes nicht voneinander unterscheiden lassen. Die Bildbeschreibung erfährt genau dieselbe Codierung wie dieselbe Szene ohne Rahmung. Das heißt, die Unterscheidung liegt allein darin, einen Index oder ein Inkrement der Rahmung zu verteilen, was seinerseits die Unterscheidung eines Regimes indiziert. Unterschieden werden diejenigen Mächte, die zur Indizierung der Rahmung autorisiert sind oder sich faktisch damit durchsetzen, von denen, die dazu nicht in der Lage sind oder nicht legitimiert. Die Kunst des ›Künstlers‹ muss offenbar immer zur Stelle sein, um einen Gegenstand als das, war er ist, zu identifizieren. Im Beispiel finden sich drei Varianten: die Identifikation von Objekten und Dingwelten, die Identifikation von repräsentierten Dingwelten und die Identifikation der Repräsentation von repräsentierten Dingwelten.172 Es scheint so, dass der schaffende Künstler die ›Wissenschaft‹ stets als sinnlich empfindender und zu kreativem Ausdruck neigender, wenn nicht gezwungener Mensch betreibt. So kann es nicht verwundern, dass er seine Schwierigkeiten mit dem Wissen der Wissenschaften, der Technologien und Techniken bekommt, wenn sie sich nicht mehr an die Dinge halten, sondern an Wirkungen der Dinge, die sich den Formen sinnlichen Ausdrucks und sinnlicher Wahrnehmung entziehen. Historisch ist es spätestens mit der Wendung zur Mathematisierung des Wissens im 19. Jahrhundert so weit, dass der Weg logisch erscheint, eine selbstreferentielle Beziehung zum Werk zu favorisieren, die die Dinge des Malers (zum Beispiel) auf das Wesentliche reduziert. Sie liegen nicht mehr im Raum um ihn herum, sondern von vornherein im Bildraum. Wie man sehen kann, ist dies prinzipiell keine Besonderheit der abstrakten Malerei. Die Notwendigkeit einer Bindung des Tuns an das Wissen (wie immer und wo immer es erreichbar ist) ergibt zusammen mit der Intimität dieser Bindung im Fall künstlerischer Tätigkeit eine besondere Mischung. Man könnte die Präsenz der Legierung im Werk geradezu als Kriterium gelungener künstlerischer Produktion betrachten. Allein gilt dies, soweit im Werk kein utilitaristisches Abgreifen bestimmter Effekte zum Ausdruck kommt – durch technische Implementierung oder Übercodierung zum Beispiel –, das Werk vielmehr mit dem Diskurs und der Realität relativ stabiler ›Wahrheiten‹ verbunden erscheint. Allein in dieser Art von ›Überzeitlichkeit‹ mag man dann ein Argument finden, berechtigt von der »Freiheit« wirklicher Kunst zu sprechen. Es ist dieser Zusammenhang, in den Heidegger die Begriffe und Beziehungen von Ding, Erde (physis), Kunst und Wissen (d.i. techne: eine Affäre von Kunst und Wissen), Werk und Wahrheit stellt. Magische Wirkung wird sich dann einstellen, wenn die Kette der Repräsentationen nicht mehr weiterverfolgt werden kann, ihre Wirkungsbahnen und ihre Zirkulation undurchsichtig werden, abreißen oder gar nicht erkennbar sind. In einer
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weiteren Version werden absichtlich Verschleierungen vorgenommen, um Letzteres zu erreichen. Was damit gewonnen ist, ist, dass die Bedeutungen an der zuletzt erreichten Stelle ihrer Zirkulation eingefroren bleiben. Allerdings sollte man sich keine falschen Vorstellungen von der Projektion auf die Zeit machen (›vorher – nachher‹). Wie erläutert, ist ›die Kette‹ jederzeit weiter verlängerbar, weil prinzipiell imaginär. Es gibt keine Kette. Es handelt sich um eine Bild, das Zusammenhang vorstellen lässt. Der Zusammenhang ist faktisch imaginär, insofern das Fortgehen von einem zum nächsten Glied, in der Repräsentation von einem zum nächsten Spiegel, die Illusion einschlösse, dass die Projektionen nicht nur schrittweise von einer Projektion zur anderen erfolgten, sondern auch zu immer komplexeren Ansichten führten. Die Identität des begleitenden Bewusstseins ist nun aber höchst fraglich. Viel eher wird es akzeptieren müssen, in Ereignisse und Lücken auseinanderzufallen. Die Kette mithin wäre nicht nur interessant an den Verbindungspunkten ihrer Glieder, sondern ebenso an den Stellen ihrer Löcher. Markanter vielleicht ist das Bild der Stepppunkte (Lacan) oder der Knöpfstellen, an denen separate Gewebestücke zusammengehalten werden. Hinsichtlich der Repräsentationsfolgen ließe sich immer noch einwenden, dass die Imagination befriedigt würde, zuungunsten der Ereignisse auf die Fülle der Bedeutungen zu setzen. Der Konflikt wäre szenisch zu lösen. Die Szenifikation wählt sich einen szenischen Rahmen, doch den kann sie wechseln und neue Szenen bestimmen. Eine Rose ist eine Rose, ist eine Rose ... Selbst die metaphysische Hypothese eines vermeintlich isolierten, repräsentationsfreien Dingstatus – verklärt womöglich mit dem Eigenglanz der Dinge – hat offensichtlich zu tun mit einer propositionalen oder szenifikatorischen Bemächtigung. Hier beinhaltet sie die Dissimulation jeder Repräsentation außer derjenigen der Selbstdarstellung. Solcher Darstellungseffekt wurde für die Kammerbewohner en détail beschrieben. Was aber auch einleuchten mag, ist, dass das Spiel der Repräsentation keine wirklich absolutistische Besetzung des Regimes duldet. Die Gewichte der Einfluss nehmenden Kräfte können so ungleich verteilt sein, wie nur denkbar, die ›Alleinherrschaft‹ kann so weit führen, dass ausschließlich jeder physische Körper ihrer Gewalt gehorchen muss, trotzdem: In der Identifikation qua Darstellung kann die ästhetische Bestimmung immer Anteil nehmen an der Prozedur, bedeuten zu lassen. Doch scheiden sich hier die Geister. Für die Eingriffsidee muss es wenigstens irgendeinen Darstellungsraum geben, in dem die Differenz von Signifikant und Signifikat zum Auftritt gelangt. Die Idee dürfte ausgereizt sein, wenn dem Begriff der Bedeutung selbst der Boden unter den Füßen entzogen wurde, wie es beim Überschreiten der Grenze zur Privatsprache geschieht. Niemand kann etwas nur für sich allein bedeuten lassen.173 Die reale Gewalt über die Bedeutung spiegelt sich in dem Vermögen, das so Bedeutete in Handlung und Geschehen in Bewegung zu setzen und in Bewegung zu halten. 4
szenografie der dinge im wissenschaftsfokus
Der Zugriff auf die Dinge erfolgt nie an einem wie auch immer gearteten Ursprung, an dem sie in reiner Form auftreten. Immer schon ist ihr Erscheinen nicht unabhängig von ihrer Vergesellschaftung zu denken und den ›Künsten‹, denen obliegt, dies zu besorgen, selbst wenn es sich um die rudimentärsten naturalia handelt. Darauf exakt verweist der Zusammenhang, den die Autoren der Encyclopédie für die Zeitenwende um 1800 herstellen, wenn sie Gold, Silber, Gestein, Erze und Mineralien im Kontext von Bergbau, Fördertechnik und Hüttenwesen in Szene setzen. Vergleichbares gilt für
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die mirabilia und curiosa, die Preziosen aus fernen Ländern, die zumindest begleitet werden von den Berichten über die Verhältnisse dort, wo man sie angetroffen hat, Vergleichbares für alle anderen Arten von Dingen, die zu Objekten und ›Artefakten‹, Kunstwerken der Natur oder der Menschen werden. Dass die Dinge nichtsdestotrotz auch ganz losgelöst von solchen Familien- und Herkunftsgeschichten auf die Bühne gelangen können, mag einmal an ihrer ungewöhnlichen Erscheinung liegen. Tatsächlich bieten manche von ihnen schon für sich genommen ein Schauspiel, regen die Phantasie an, wirklich Wunderbares zu vermuten und daran weiter zu hecken, möglicherweise weit über den profanen Rahmen von Herkunft und Umgang hinaus. Im feudalen Gefüge sozialer Bindung hat dies durchaus Vorteile, liegen die Eigentumsverhältnisse, was die mobilen wie die immobilen Dinge von Wert betrifft, doch klar auf der Hand, sie haben indexikalischen Charakter. Wie die Blumen im Mantel auf die Madonna verweisen, so das Geschirr auf seinen Herrn. Diese Geschichte drängt sich immer auf. Was das im engeren Sinne wissenschaftliche Interesse für die Besonderheiten der inszenierenden Praktiken mit Blick auf die Dinge, ihre Effekte und deren Integration im Unterschied zu dem an der theatralen Inszenierung angeht, liegen die Varianten klar. Auf der Seite der Wissenschaften fänden sich hier, parallel zu den ausdifferenzierten Kunstwissenschaften, die wissenschaftlichen Bemühungen um alle noch fehlenden unter dem Aspekt der arteficialia differenzierten Gegenstandsbereiche. Text- und Literaturwissenschaften kommen dafür auf, Geschichte, Archäologie, Ethnografie beispielsweise und die spezialisierte Wissenschaftsgeschichte. Zum anderen treffen wir auf die Erben der Naturgeschichte qua Differenzierungsgeschichte der naturalia und ihrer Effekte. Die leichten Verschiebungen, die sich im Vergleich mit den im allgemeinen Inszenierungsdispositiv zunächst ins Auge fallenden Forschungsinteressen ergeben, sind der Territorialisierung der Gegenstände geschuldet. Fokussiert man stattdessen die sozialen Praktiken des Umgangs, insbesondere, in diesem Fall, wie die die Dinge ins Szene gesetzt werden, zeigt sich das Regiment der Inszenierungsdispositionen in seiner Breite. Keine soziale Aktivität liegt außerhalb ihrer positiven Regelungen. Der Anspruch gilt, wie man der politischen oder juristischen Positionierung entnehmen kann, auch für noch nicht dem maßgeblichen Souveränitätsregime unterworfene Residuen. In der Konzentration auf die Dinge und ihre Genealogie haben wir es mit einem ›subjektiven‹ Interesse zu tun und, je nachdem, mit einem speziellen (zum Beispiel technischen) Ermächtigungs- und (zum Beispiel ökologischen) Widerstandsmotiv. Dies entspricht der Fehlstelle im inszenierungstheoretischen Reflex der theaterfixierten Kunst- und Kulturwissenschaften wie der spektakelzentrierten Sozialwissenschaften. Konzentriert man die Frage nach dem wissenschaftlichen Interesse auf einen besonderen Auftritt der Dinge, geraten die genannten Bereiche der besonderen Kunstwissenschaft ins Visier, die Museologie wie die je nach Sujet Pate stehenden betreuenden Wissenschaften, die meist aber keinen eigenen museografischen oder szenografischen Beitrag zur Präsentation von Artefakten oder Exponaten leisten. Das gilt unabhängig von der Sortierung als Natur- oder Kunstding. Bei den ›Naturdingen‹ delegieren die kuratierenden Wissenschaften die Präsentation so wie in der Regel bei Werken der Kunst. Beispielsweise mag sich ein philologisches, kunst- oder theaterwissenschaftliches Untersuchungsinteresse auf ein ›Werk‹ konzentrieren, das als Narrativ einer durchaus schon theatral eingerichteten Dichtung leicht als Textgrundlage für eine Dramatisierung auf der Bühne herangezogen werden könnte. Wenn sich die Beschäftigung mit dem Werk aber andere Ziele gesetzt hat, als
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die Qualitäten des Textes als Plot eines Stücks im Rahmen eines szenischen Auftritts zu würdigen, wäre es wahrscheinlich nicht unbedingt der Beitrag zum Inszenierungsverständnis, der in diesem Fall zu bewerten wäre. Eine solche Herangehensweise wäre jedenfalls als Auseinandersetzung mit Inhalt und Form einer Dichtung denkbar – gleichviel welches literarische Format im Detail vorliegt –, auch wenn der Text, falls medien- und aufführungsgerecht bearbeitet, das Zeug für die ›Bühne‹ hätte oder gar erprobterweise hat.174 Vergleichbares könnte vorliegen bei einem malerischen oder plastischen Werk eines Künstlers oder bei einem musiktheoretischen Opus, das nicht der musikalischen Aufführung der verhandelten Kompositionen gewidmet ist. Nicht alle Wagner-Literatur, die sich mit Wagners Schriften und seinen Dichtungen beschäftigt, ist notwendig an der Aufführung interessiert. Für diese Möglichkeit spricht nicht nur die Fülle derartiger Arbeiten in den Regalen der Bibliotheken und Buchhandlungen. Auch hier sind der Zugriff und die Wendung, die die Autoren ihrem Thema geben, selektiv und subjektiv motiviert. Das heißt, es gibt die Ausnahme, in der die relevanten szenografischen Passagen zur Inszenierung in einem wissenschaftlichen Werk zu finden sind, das zu einer der gerade genannten Gattungen gehört. Würde ein solches Werk in der Ordnung der Sammlungen geführt, was in Bibliotheken bekanntlich keineswegs nur unter museologischen oder bibliophilen Aspekten der Fall ist, würde es möglicherweise unter der Etikettierung »Theaterwissenschaften«, »Aufführungskünste« oder »Szenografie« zu finden sein. Die Literatur zur Phänomenologie und Exposition von Dingen aus den Welten der Einrichtung oder den Warenwelten findet sich in der Regel unter der Rubrik »Kulturwissenschaften«, »Soziologie des Alltags« , auch »Kulturanthropologie«. Die Einschränkung betrifft wiederum den Umstand, dass bestimmte Fragen der Musealisierung oder Ausstellung entsprechend spezialisiert behandelt auftreten, selbst wenn sie so nahe an der Dingproduktion sind wie die Adidas Performance Stage, das BMW-Museum, das Staatliche Textil- und Industriemuseum Augsburg 175 oder das x-beliebige Museum einer Firma für Mineralwasser. Da es sich mit dem Blick auf die Wissenschaften und die Künste gewöhnlich um die Differenz von Texten verschiedener Gattungen und Sorten und Auftritte verschiedener Gattungen und Sorten handelt, unterschiedlicher Manifestationsformen, gibt es einen fundamentalen Streit um die originale Manifestation oder Repräsentation, einen Streit, wie er anschaulich zwischen Kuratoren und Ausstellungsmachern ausgetragen wird. Tatsächlich ist es ein Streit um die Autorschaft, der zugleich eine Kraftprobe um das Regiment darstellt.176 Die Auseinandersetzung mit der Frage, was eigentlich – cum grano salis – der Text oder ›die Dichtung‹ zu leisten habe und was folglich dem Autor des Werks zusteht, was ferner der ›Aufführung‹ und deshalb den Performern und allen an der Performance beteiligten agencies zuzurechnen ist, diese Auseinandersetzung findet sich auf der Seite der Autoren-Produzenten ein weiteres Mal gespiegelt. Das Ringen um das Regiment über die Präsenz des Szenischen im gemeinsamen Raum von Akteuren auf und vor der ›Bühne‹ und darum, wie die Performanz des symbolisch Kodierten im Speziellen zu interpretieren ist, wird unter Gesichtspunkten auktorialer Produktion, sofern die Aufführung niemals ein monomediales Unternehmen darstellt, als Streit um die dominierenden medialen, damit narrativen Einflüsse ausgetragen. In diesem Streit geht es gewissermaßen immer um den ›Ursprung des Kunstwerks‹. Der Ursprungszustand nämlich scheint, ganz unabhängig von der Stelle, an der er vermutet wird, der einzig legitime Präsentationsmodus des
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Werks. Jedenfalls ist es kaum denkbar, dass die Dinge selbst eine ihrer Darstellungsoder Inszenierungsformen von sich aus besonders privilegieren. Diese Ideologie gehört im Gegenteil mit zur Inszenierungsverschleierung, zu einer Strategie der Externalisierung. Die Manifestationen von Naturwissenschaften und Technologie, die, wenn sie sich nicht mittels Demonstration von Effekten und Anwendungsbeispielen für derartige Effekte auf Messen, Ausstellungen oder Kongressen präsentieren lassen, erweisen es. In der Regel werden dafür gesonderte Szenarien und Narrative entworfen, völlig selbstständige ›Ursprungsmanifestationen‹ zu einzelnen wissenschaftlichen Entdeckungen und Entwicklungen publiziert. Sie sind ebenfalls literarischer Art und nicht zu vergleichen mit den Dokumentationstypen aus teils Jahrzehnte oder Jahrhunderte währender Inventionsgeschichte. Wie die Unsichtbarkeit der experimentellen Settings, der Instrumentierung oder der Versuchsanordnungen in Laboren und Werkstätten, der Features von Datenerhebung, -verarbeitung und -interpretation, überhaupt des Forschungsdesigns im Einzelnen verrät, zirkulieren die hier anfallenden Daten und Dokumente, Monumente und Medien so gut wie nirgends anders als in der wissenschaftlichen community, aber auch dort nur sehr selektiv und weitgehend virtuell, ist doch die Zirkulation solchen Materials, soweit digital zu handhaben, ins weltweite Netz gewandert. Die mediale, inhaltliche und ästhetische Heterogenität des Stoffs macht jeden Versuch, ihn zu bändigen und zu synthetisieren, um ihn in einem konsistenten szenischen Rahmen zur Gesamtdarstellung zu bringen, so gut wie aussichtslos. Was anderes könnte also übrig bleiben nach solcher »epistemologischen Umschmelze« (Bachelard) als ein geläutertes Produkt, eine gut inszenierte Geschichte mit einem attraktiven Plot? Das hindert nicht nur nicht, dass in der Beschreibung der literarischen Bearbeitung der Überzeugung Ausdruck verliehen wird, dass in diesem Werk der ›Logik der Sache‹ folgend erzählt wird, sondern unterstreicht den Tatbestand. Denn es gilt als Evidenzbeleg, wenn Sachverhalte und Tatsachen in ihrer simplen Schönheit dargestellt erscheinen.177 Schaut man auf den möglicherweise gravierenden Unterschied zwischen Inventions- und Manifestationsgeschichte und seine szenifikatorischen Konsequenzen, mag es vorkommen, dass intensiver Wissenschaftsforschung der Zugang zu einer Entdeckung oder Erfindung gelingt, der auch die Manifestationsgeschichte erhellen könnte, dass deren ›szenografische Quellen‹ aber nicht als separate Dokumente oder Medien verfügbar sind. Soweit eine Quelle ihre Manifestation selbst in literarischer Form beinhaltet, hätte sie zugleich in den Status eines ›Kunstwerks‹ gewechselt. Hier wäre es angebracht, nun die Materialien zu dessen Auftritt zu eruieren, falls Interesse an der auch hier zu unterstellenden Differenz zwischen szenografischer und autorenbeglaubigter Version besteht. Jedenfalls muss unterstellt werden, dass die Narrative nicht eins zu eins übereinstimmen. Wenn es nicht darum geht, ein Buch zu präsentieren, das gewöhnlich einen Inhalt hat, mit dem es auftritt und an dem seine Inszenierung gemessen werden könnte, wenn es sich also nicht um eine ›literarische Szenifikation‹ handelt, könnten für mehr oder weniger alternative Formate, Auftritte und ›Sendungen‹, dramaturgische, choreografische, insgesamt aufführungsspezifische Entwürfe und Planungen mehr oder weniger informeller Natur isolierbar sein. Zwar müssten sie nicht in gebräuchlichen Quellenformaten vorliegen, könnten aber dennoch im Medienbetrieb von Kunst und Wissenschaften weit eher verbreitet sein, beispielsweise Notizen über Gespräche oder Interviews, Berichte, Protokolle, Pläne, Statistiken, Listen, Arbeitsanweisungen, Organisationsvorgaben u.a.m. Ein kundigerer Zugang zur Manifestation im Auftritt wäre folglich auch aus dem performativen
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Kontext heraus möglich, allerdings mit Möglichkeiten, auf die Hinterbühne zuzugreifen. Immerhin dürfte dies im Zweifelsfall die leichtere Übung darstellen im Vergleich mit der Rekonstruktion einer Inventionsgeschichte allein aus ihren verschiedenen Manifestationen. Die Erhebung zu versuchen und eine Diagnose zur Inszenierung zu stellen, auch wenn es eine Negativdiagnose ist, bedeutete immerhin, die Unterscheidung überhaupt ins Auge zu fassen und die unterschiedlichen Inszenierungsformen in ihre je eigene Differenz zu setzen, eine Differenz, die als Szene mit oder ohne Theater ausfällt. So lassen sich schließlich tatsächlich an der Inszenierung qua Auftritt und auftrittsspezifischer Szenografie interessierte Berichte, Beschreibungen, Analysen finden, und dies auch außerhalb des theatralen Raums und seiner Paradigmatik. Nehmen wir die Künste, die Gestaltung und die Medien, hat ›Inszenierung‹ gemeinhin nicht den haut goût unerlaubten Übergriffs, weil bewussten Vorspiegelns nicht existierender Sachverhalte. Angesichts sozialer Praktiken, wie sie Kunst und Unterhaltung darstellen, ist in deren Umfeld zu inszenieren nicht a priori mit einem Tabu belegt. Und bei ihnen gilt es auch nicht als Geheimnis, dass Inszenierung zum Geschäft gehört. Mithin könnte man annehmen, dass der Blick hinter die Kulissen dort leichter möglich sei als etwa in den Domänen der institutionalisierten, administrativen, merkantilen oder politischen Szenografie und Inszenierung. Doch ist es fraglich, ob die Annahme zutrifft. Vielleicht fördert die vermeintliche Transparenz sogar eine doppelte Täuschung. Denn die Magie, die das Tabu beglaubigt, wird kaum freiwillig ihre Geheimnisse offenbaren, selbst wenn sich an ihrem Grund nur Techniken und Tricks fänden. Warum denn sollten gerade die anerkanntesten Inszenierungskünstler ihre Karten auf den Tisch legen? Nur weil jeder weiß, dass es ihr Geschäft ist, Dinge aus dem Hut zu zaubern? Jeder weißtauch, dass sie ihr Publikum dennoch glauben machen können, dass das Unglaubliche passiert, dass sie zu verführen und verzaubern wissen.178 Die Konsequenz ist, dass die Erklärungsversuche, die der Szenografie gelten, meist unmittelbar auf die Performance, auf Bühne und Auftritt umgelenkt werden, die Beziehungen zwischen Manifestationsentwurf und Manifestation vertauscht erscheinen. Von den Effekten her werden die Schlüsse auf die Absichten, Gründe und Ursachen gezogen. Es geschieht auch dort, wo das Inszenieren nicht als anstößig gilt, und wenn es so gut wie sicher ist, dass sich hinter der Präsentation im Einzelfall tatsächlich szenografisch ausgefeilteste Ideen, Dramaturgien und Zwecke verbergen. Den Szenografien widmet sich nichtsdestotrotz eine in einzelnen Metiers vorkommende Literaturgattung (teils, ähnlich dem Theaterbereich, schon seit dem 19. Jahrhundert), wenn auch vergleichsweise spezialistisch und auch in der Zunft bisher eher vereinzelt. Dazu gehören museologisch-museografische Einzelstudien zu Planungen, Entwürfen und auf ihnen fußenden Ausstellungen und Performances, vergleichbare Arbeiten in der Denkmal- und Landschaftspflege, die dem Auftritt von Kulturdenkmalen, Gärten, Landschaften gelten, Arbeiten im Kontext von Städtebau und Stadtplanung, die, angebunden an den szenografisch relevanten architekturtheoretischen und -praktischen Diskurs, Beiträge zur Gestaltung des öffentlichen, vorzüglich urbanen Raums liefern. Soweit Themen der Gestaltung außerhalb der museums- und ausstellungsbezogenen Fragestellung aufgerufen sind, wird deutlich, dass die Debatte um die Inszenierungsgesellschaft mit den Diskussionen im Anschluss an den spatial turn koinzidiert. Die Problematisierung des theatralen Dispositivs der
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Inszenierung verbindet sich mit der Problematisierung des Raums, zuvörderst der notwendigen strategischen Raumdifferenzierung. Verständlicherweise drängt sie sich im Blick auf die Dingrepräsentation und ihre Genealogie ebenso auf wie im Blick auf die damit verbundene Episteme und deren Raumkonzeptualisierungen. Seit Jüngstem findet sich nun vor allem im deutschen Sprachraum ein Interesse, Ambitionen wie die genannten, quergelesen mit den theatralen Inszenierungsideen, unter dem Dach einer spezifisch szenografischen Quellenforschung und Manifestationsanalyse zu bündeln. Autorinnen und Autoren sind vielfach Insider, die sowohl am professionellen Diskurs der ›Szenografen‹, an den Kreativpraktiken in oben genannten Berufsfeldern interessiert sind als auch an Analyse und Theorie der kreativen Entwurfsarbeit für sich genommen. Am deutlichsten konturiert erscheint der Prozess im engeren Umkreis gestalterischer Intervention in Kunst, Design, Gestaltung, denen sich Architektur, aber ebenso Film, Musik, Unterhaltung und etliche weitere Medienformate zugesellen. Als Insider – Ausstellungsmacher, Kuratoren, Regisseure, Dramaturgen, Choreografen zum Beispiel – haben die Forschungsambitionierten unter ihnen oft Kenntnis und Zugang zu Quellen, die unveröffentlicht sind oder nur Produktionsbeteiligten zugänglich. Dies macht es möglich, einschlägiges Material nicht nur in die Hand zu bekommen und zu sichten, sondern vielfach auch erstmals zu sichern und für eine weitere wissenschaftliche Aufarbeitung zu dokumentieren und zu archivieren. Hiermit ist ein Zweig editorischer Tätigkeit eröffnet, der für sich genommen schon wissenschaftlich verdienstvoll ist. Diese Arbeit ist es dann auch, die auf Dauer tatsächlich möglich machen dürfte, dass sich die Szenografie-Forschung auf die vielfältigen Entwurfsformate temporärer Inszenierung im öffentlichen Raum ausdehnt und zu eigenständigen und exemplarischen Analysen von Inszenierungskonzepten vordringt.179
Öffnung des Raums. Schauspiel & Widerstand der Dinge & des Wissens In der Konsequenz dieses Paradigmas sehen wir ganz folgerichtig, wenn auch erst spät, eine Traditionssuche, die sich auf einen im Unterschied etwa zur naturwissenschaftlichen und technischen Behandlung auf einen freien, kreativen und ästhetischen Umgang mit den Dingen konzentrierte. Gefahndet wurde nach Praktiken, die ihr Augenmerk nicht per se auf die Regierung lenkten, vielmehr Möglichkeiten der Entfaltung zum Zuge kommen lassen, die das Zur-Schau-Stellen und In-Szene-Setzen in freier Assoziation tolerieren und vielfältige Praktiken fördern, dies zu tun. Vielleicht ließ sich so ein alternativer Umgang zur wissenschaftlichen Okkupation und den damit verbundenen Disziplinierungs-, Reglementierungs- und Institutionalisierungsmaßnahmen reklamieren. Freie Künste, die sich nicht dem Museum verpflichtet fühlten, lieber unter freiem Himmel waren, trafen bei ihrer Suche auf vor Zeiten ausgestoßene und ausgewanderte Bastarde der im natur- und kulturwissenschaftlichen Diskurs adoptierten arteficialia. Dasselbe konnte auch darstellenden Ausstellungskünsten passieren, die sich eher für temporären Auftritt und begrenzte Vorstellungen interessierten als für Dauerexposition und -archivierung und wenig für die wissenschaftliche Zergliederung ihrer Dingakteure. Die neue Fokussierung ließ andere Räume hervortreten als diejenigen, auf die gewohnterweise stößt, wer wie die akademisierte Kunst der Kammern aufs Erbe abonniert ist und die kanonische Ordnung für maßgeblich erachtet. Schließlich gehört es zum Prozess der Ausdifferenzierung der Künste, dass selbst dezidierte Einrichtungen der Kunst, »Kunstkabinette«, weiter in medienspezifische Einzelsammlungen gegliedert wurden: Pinakotheken, Skulpturensammlungen,
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Glyptotheken, Antikensammlungen etc., jeweils unter sachkundiger kuratorischer und wissenschaftlicher Leitung. Entsprechend arrangieren sich die gleichzeitig antretenden »Kunstwissenschaften« bis weit ins 20. Jahrhundert hinein bezeichnenderweise unter dem programmatischen Titel »Kunstgeschichte«.180 Im Reflex des Inszenierungsdispositivs fanden sich in den Falten der Ordnung Ansätze von eigenständigen Fest- und Feierformen der Volkskultur im Schatten des alten wie des neuen Regimes, das das Volk selbst ausüben sollte. Diese Formen sind nahe bei den Schauspielen, die Naturding, Artefakt und Gebrauchsding oder technisches Wunder präsentieren. Sie folgen nicht im ständisch oder bürgerlich institutionellen Sinne theatralen, wenn auch durchaus theatrischen181 Formen des Auftritts, freilich in den Niederungen der am Rande der Gesellschaft lebenden oft ›Unterständischen‹. Aus der zählenden Gesellschaft sind sie ausgesondert wie die Dinge in ihrer Obhut: Gaukler, Magier, Zauberkünstler, Komödianten, Possenreißer, Bänkelsänger und Musikanten, Bader und Scherer, Händler, Propheten aller Art, fahrendes Volk, die für die Performance aufkommen, einfache Leute, die zuschauen, zuhören, mitmachen. Jederzeit laufen die einen wie die anderen Gefahr, von den herrschenden oder beauftragten Inszenierungen des allgemeinen Willens überformt zu werden, vor allem wenn sie zu sehr aus der Reihe tanzen. Dies gilt unabhängig davon, ob altes oder neues Regime das Sagen hat. Der öffentliche Raum, der erst auf dem Weg ist, als solcher deklariert zu werden, ist der Raum unter freiem Himmel. Er dient auch den Institutionen für ihre Auftritte und Rituale. Feudale Feste und Spektakel, bei denen auch das niedere Volk zumindest als Zaungast geduldet ist, kirchliche und religiöse Bräuche und Zeremonien, auch die höchst selten für das gemeine Volk zugänglichen Auftritte wissenschaftlicher Autoritäten, die hier stattfinden, zeigen, dass dieser Raum durchmischt ist von Inszenierungen der unterschiedlichsten Art. Wenn sich Künstler und politisch engagierte Menschen im 19. Jahrhundert im Kampf um generelle Alternativen des Regiments über den öffentlichen Raum auf solche Traditionen freier Äußerung beziehen sollten, wird dies im Allgemeinen bestimmten ästhetischen und organisatorischen Formen des Auftritts und der Assoziation gelten können, nicht aber einer besonderen politischen Qualität der Inhalte.
Inszenierungs- & Dingkultur: ›von oben‹, ›von unten‹ Nur bedingt treffen wir auf eine Koinzidenz der Vergangenheiten von Inszenierungskultur und Dingkultur. Die Verhältnisse fallen asymmetrisch aus. Die herrschende Kultur stellt sich homogener dar, da sie auf die Homogenisierung der Botschaften ebenso Einfluss nehmen kann wie auf die Ästhetisierung ihrer medialen Wirksamkeit. Das Theater an der Höfen gehört ebenso zu den Kammern wie die Kabinette und Sammlungen. Das Reglement der theatralen Ordnung entspricht dem der Kammern der Wunder und der Wissenschaften wie denen der staatlich kameralistischen Lenkung. Alle Ästhetiken gehen mit dem bürgerlichen Zeitalter in die Inszenierungsgesellschaft über, auch wenn sie sich noch weiter ausgestalten. Die Ästhetik der Kunst tut es unter dem Paradigma des Theaters und der Bühne. Die Ästhetik der Wissenschaften erscheint unter dem Paradigma der Wahrheit und der Atomisierung der Dinge und Ereignisse. Die Ästhetisierung der Politik vollzieht sich unter dem Paradigma der Repräsentation des Volkes und seiner Rechtsansprüche. Die Ästhetik der Ökonomie findet sich in der Fetischisierung des Werts der kapitalistischen Akkumulation und des Eigentums als Vertrag von Kapital und Arbeit. Die Alternativen sind in beiden Vergangenheiten heterogen. Politisch wirksam werden sie nur im Widerstand,
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wobei man für die Ästhetik der Aufführung auf historische Konfigurationen zurückgreifen müsste, die revolutionären Situationen nahekommen oder Oppositions- und Reformationsbewegungen innerhalb gesellschaftlicher Institutionen betreffen, zumindest identifizierbare Konflikte, in deren Rahmen die Effekte des Auftretens den Zielen des Engagements unterworfen sind. Zu denken wäre an ständische Konflikte und Schlachten, an Reformationsbestrebungen in staatlichen, ständischen oder kirchlichen Gliederungen, an Religionskriege und religiöse Wirren, Hungersnöte und Epidemien, ökonomische Krisen und Naturkatastrophen, manifeste außenpolitische, innerstaatliche oder international umwälzende Konflikte. In allen Zusammenhängen treten ähnliche Präsentationsformen kollektiven, gruppen- und assoziationsspezifischen wie individuellen Widerstands zu Tage: Versammlungen, Debatten und Bekundungen, Reden und Proteste, Demonstrationen und Aufzüge, Manifestationen und Proklamationen, Schauspiele, Theater und Tanz, musikalische Darbietungen und gemeinsamer Gesang, Satiren, Polemiken, profane wie religiöse Feierlichkeiten und Feste, Märkte, Messen und Tafeln, Gottesdienste und Predigten, Pilgerfahrten, Prozessionen und privatere Ausdrucks- und Äußerungsformen in nicht privater Umgebung. Dies alles erscheint ausgestattet mit den nötigen Accessoires, Techniken und Medien für die richtige Atmosphäre. Die Bedeutung der Inszenierungsformen korrespondiert mit der Bedeutung der Ereignisse. Unabhängig von spezifisch Bedeutung verleihenden Inhalten tendiert das gemeinsame Tun zum Geschehen, zum Alltag des Infraordinären, der keiner besonderen Szenifikation bedarf, sondern sich der sedimentierten, mimetisch aktualisierbaren Formen der Wiederholung bedienen kann. Sie sind vergleichbar den Wiederholungen der Arbeit, wobei der geregelte Tagesablauf der Lohnarbeit und Lohnarbeiter sich auch erst mit der Industrialisierung durchsetzt. Wenn der Widerstand Raum sucht, entfaltet er sich oft genug an einer imaginären Grenzlinie zwischen unterschiedlichen Arten von Räumen, wird ausgefochten auch um konkrete Räume gemeinsamen Agierens und Lebens. Man denke beispielhaft an die Schlachten der Pariser Commune, überhaupt die Konflikte, die sich im urbanen Raum der Metropolen ereignen. Zumindest ungewisse Herrschaftsverhältnisse bergen solche Räume, beleuchtete und weniger oder gar nicht beleuchtete Zonen, zirkulationsreiche und zirkulationsarme Quartiere. So bieten sich Chancen trotz strengen Regiments, durchgehender Kontrolle und juristischer Definition. Doch sollten die zweifellos berechtigten geopolitischen Implikationen des Kräftemessens nicht dazu führen, »Räume« schlechthin im Bild kartierter Projektion des Geländes zu belassen. Die territoriale Betrachtung selbst erweist sich als ein Erbe der Kammerordnung und der mit ihr verbundenen Methode der Departementalisierung. Dass Szenen und Auftritte im Gefüge der Institutionen zügiger ins Inszenierungsdispositiv geraten können als unter freiem Himmel, ist nicht von der Hand zu weisen. Allerdings trifft dies eher auf die Hochkultur zu. Ihre Bastarde zählen dazu per definitionem nicht, jedenfalls so lange nicht, wie sie als legitime Erben nicht anerkannt sind. Da die Selektion zwischen kultureller Offizialform und Volkskultur, die Praktiken wie das Wissen betreffend, kollektiv oder individuell in Form gebracht, meistens182 nicht wirklich einen Übergriff auf fremdes Territorium darstellt, steht dem prinzipiell nichts entgegen. Spätestens unter volkssouveränen Vorzeichen gelten alle Räume, gilt der Raum schlechthin als generell öffentlicher Raum – soweit dies mit der Eigentumsordnung des Volkssouveräns vereinbar ist. Prinzipiell zu behaupten, dass sich, inhaltlich betrachtet, ein eigenständiger geografischer Raum den Institutionen gegenüber fände mit völlig unterschiedlichen Akteuren und Agenzien, ist ideologische
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Rede. Tatsächlich durchdringen sich die Praktiken im selben Raum. Wo man zusammenkommen mag zu gemeinsamem Feiern oder Gedenken, Spiel oder Vergnügen, zu Information und Belehrung, Behandlung und Besinnung, überhaupt zu gemeinschaftlichen Aktivitäten außerhalb des Arbeits- und Erwerbslebens – und schon zu Zeiten, als die »Freizeit« noch nicht erfunden war –, herrscht zugleich ein Regiment souveräner Herrschaft des Monarchen oder des Volkes, in jedem Fall der beauftragten Verwaltung und Bürokratie. Kommt es darauf an, dass das eine vom anderen auf Distanz gehalten werden soll, die Repräsentation vom tatsächlichen Regiment eines Kollektivs, begegnet ›die Kunst‹ den individuellen Aktivitäten des Gemeinschaftskörpers. Nicht anders verhält es sich beim Zusammentreffen mit ›der Wissenschaft‹. Auch hier befasst sich die Intervention mehr als mit dem anders strukturierten Raum mit seiner szenisch dramatisierten Präsenz und nur in diesem Ambiente von Botschaft und Medium auch mit alternativen Akteuren, Charakteren und Auftrittsformen. Der Eingriff von Politik oder Recht und der sie repräsentierenden Gewalten kann da ganz anders ausfallen. Es leuchtet ein, dass eine um Emanzipation von alten Gewohnheiten bemühte Kunst sich hingezogen fühlt zum Experimentellen und Transitorischen, Spielerischen und Anarchischen, auch wenn zu spielen bedeutet, Regeln zu folgen. Doch sind keineswegs alle Formen der Volkskultur, auch nicht im Widerstandsmodus, ästhetisch auch auf Transparenz, Mobilität, Transfer, Differenz aus. Die Anhänger der jakobinischen oder ihr folgenden radikaldemokratischen Avantgarde, nicht wenige ihrer Führer ebenfalls, waren in wirtschaftlichen Fragen durchaus in rückwärtsgewandten Vorstellungen von der Nationalökonomie befangen. Dass Interessen der Wissenschaft solcher Attraktion einer Ästhetik des Aufbruchs ebenfalls folgen können und sie sogar für ihre eigenen Belange und Umgebungen anpassen, liegt ebenfalls nahe. Das hat weniger zu tun mit der revolutionären Idee, dem Paradigmenwechsel, dem neuen Ansatz oder turn, sondern den Praktiken, die sich die neue Geschichte sucht, um als solche heranzuwachsen und sich zu präsentieren. Unterschiedliche Vorstellungen von dem, was der Natur oder ihrem Buch zu entreißen oder zu entnehmen ist, gibt es immer, entsprechende Interessenlagen und Ambitionen ebenfalls. Die Überwindung eines überkommenen historiografischen Paradigmas mag von der Schule der Annales oder der »Geschichte von unten« propagiert, die Ablösung der Neoklassik in der Nationalökonomie durch den Keynesianismus und die Neue politische Ökonomie in Aussicht gestellt und die Erfindung des Unbewussten für den Umgang mit den Symptomen des Subjekts behauptet werden. Und auf den ersten Blick mag es so aussehen, als ob die Folgen eines vorläufigen Endes gern gehörter »Großer Erzählungen« für die Machtkämpfe um Territorien und Zeichen relevanter wären als die Entdeckung der thermodynamischen Hauptsätze, der elektrischen Energie, der Phono- und Fotografie, des Films oder der Turing-Maschine. Wenn es tatsächlich so aussieht, handelt es sich offenbar um den Effekt einer Inszenierung im System des Wissens, auf den zu stoßen die eigentliche Pointe der Fahndung nach den Dingen darstellt. Wissenschaftliche Forschung als Widerstandspraktik und -potenzial zu detektieren, lässt ähnlich intrinsische Stoffwechselprozesse unter der Oberfläche vermuten wie im Fall der Kunst und der Künste, so ihnen zugestanden wird, aus sich heraus zu einer Wahrheit der Gestalt und der Gestaltung zu drängen. So die scientia, die sich mit den Dingen auseinandersetzt, die sich mit ihr befassen. Doch scheinen dies eher metaphysische Überlegungen, zumindest der longue durée evolutiver Prozesse anheimgestellt. Weder sind es faktisch die aus den Kammern und ihrer Vermessung entlassenen institutionalisierten
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Wissenschaften, deren Interesse unbedingt auf die Attraktion des von ihnen selbst vordem Ausgesonderten reagiert oder die den Paradigmenwechsel im Gepäck hätten, noch sind es im Besonderen die Naturwissenschaften, die aus ihrem commitment gegenüber dem Wahrheitsdiskurs eine Kultur der Transparenz und des Wahrsagens hätten wachsen lassen. Hier aber liegt die Widerstandslinie, die im Blick auf die Dinge und das System des Wissens gegen die Positivitäten der Inszenierung zu behaupten wäre. Man könnte schlicht fragen, wo denn im institutionalisierten Wissenschaftsbetrieb und in welchen Formen, abgesehen vom Auftritt in Bibliotheken, Archiven, Museen, Ausstellungen, Massenmedien etc., der ›Dingpräsenz‹ tatsächlich öffentlich Ausdruck verliehen wird. Was sich sehen lässt, zeigt sich, ästhetisch betrachtet, in den Gegenstands-, Objekt-, Ereignis- und Erlebnisderivaten, wie sie uns anverwandelt werden im Alltag der Lebens- und Konsumwelt oder in den Massenmedien. Der Wahrheitsdiskurs für die unterschiedlichen Gattungen und Exemplare, Anwendungen und Gebräuche ist ›outgesourct‹ an ebenfalls spezialisierte Medien. Was in der Regel bleibt, ist, staunend in Anschauung und Erleben vor respektive angesichts der neuerdings angebotenen Projektionsformate in der eigenen Wunderkammer zu verharren wie die ersten Gäste des Studiolo. Nur sind wir nicht mehr in der Lage, die Wunder zu erkennen, obwohl es genügend gäbe. Visuelle, repräsentative Präsenz technischer Derivate ersetzt den Wahrheitsdiskurs. Soweit die Wissenschaft an derartigen Auftrittsformen interessiert ist, führt sie sie an den eigenen Ursprung zurück, setzt auf die Simulation einer Evidenz des Sich-Zeigens der Dinge, die längst keine mehr sind oder vielmehr ›seltsame Dinge‹. Das hat insofern Methode, als jede weitergehende Aufdeckung ein Moment des Stoffwechselprozesses zwischen Wissenschaft und Physis beträfe, dem Aufmerksamkeit zustünde. Nicht nur wäre es um eine Demonstration der energetischen, möglicherweise auch emotionalen, ästhetischen und geistigen Potenzen der Dinge tun, sofern sie im Austausch dazu gebracht wurden, derartige Kräfte wirksam werden zu lassen. Genauso wäre nicht verschweigbar, an welchen Eigenschaften der Akteure auf der einen wie der anderen Seite sich die Behandlung und ›Beforschung‹ entzündeten, wie die Arrangements zu Hypothesenbildung, zu weiterer Befragung und Manipulation, zur Fixierung der Ergebnisse und zur Formulierung von Schlussfolgerungen aussahen. Ob ›Sichtbarmachung eines Unsichtbaren‹ chdie Parole der theatralen Inszenierung, nicht deren Dekonstruktion – zum Motiv solcher ›Wahrheitsorientierung‹ der Wissenschaft werden könnte, ist vergleichsweise irrelevant. Zu fragen, ob ›Sichtbarkeit‹ in Verfolg eines Forschungsprozesses ein Dingeffekt oder ein Einrichtungseffekt ist, kann nur für solche Wissenschaft eine Frage sein, die ihre Gegenstände generell schon als Forschungsgegenstände externalisiert hat. Die Vorführung Schotts und Guerickes auf dem Regensburger Reichstag war vielleicht ein live event und als solches sicher schon die Ausnahme. Aber mit einer Aufdeckung der Inventionsgeschichte und der Zirkulation der Wirkungen, die vom Verhalten auf beiden Seiten der »Mangel« ausgegangen waren, hatte das Schauspiel nichts zu tun, ganz abgesehen davon, dass es nur den Autoritäten und Geldgebern geboten wurde. Es ging um einen Effekt szenografischer Regie. Der Designer richtet es so ein, dass sich »sämtliche gestalterischen Ebenen eines Projekts seinem narrativen Konstrukt unter[ordnen]«.183 Dass die Aufführung zwangsläufig dazu hätte führen müssen, sowohl auf das Vakuum als auch auf die den unterschiedlichen Druckverhältnissen geschuldete Kraftentfaltung wie die zugrunde liegenden Kräfte zu schließen,
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ist nicht der Demonstration geschuldet, wie jeder gute Magier beweist, sondern dem anders gelagerten Vertrauen gegenüber der Seriosität und Glaubwürdigkeit des Wissenschaftlers. Dem Szenografen im theatralen Modell bringt man es eben nicht entgegen, will er ja alles dafür tun, die Illusion als echt zu verkaufen. Deshalb ist die offenkundig theatrale Inszenierung für den wahren Szenografen wenig anschlussfähig, wohl aber die wissenschaftlich verdeckte der geschilderten Art.184 Man muss also mutmaßen, dass die Evidenzerzeugung, die der wissenschaftliche Umgang mit den Dingen dissimuliert und die darin besteht, die black box, in der die beiderseitige Anverwandlung vonstattengeht, wegzuspiegeln, die die eigentliche inszenatorische Leistung in diesem Dispositiv der szenischen Artikulation ausmacht. Die Evidenz gilt der Darstellung der Effekte als Tatsache. Wir wären somit auf eine Inszenierungsform gestoßen, deren Verbergung vor den Augen der Inszenierungsgesellschaft nicht erstaunen muss. Allein die Tatsache, dass sie hinsichtlich der Präsenz der Dinge eher Fehlanzeigen produziert, lässt statt eines nicht existierenden einen verschwinden gemachten Zusammenhang ahnen. Die Frage ist, wie sich diese Inszenierungsform in die politische Logik der Inszenierungsgesellschaft eingliedern lässt, da sie ja offensichtlich wenig theatral auftritt.
Spezifik oder Generalisierung. Erwartungen an die Effekte In der Simulations- und Dissimulationsmaschine einschlägiger Medienformate sieht es anders aus. Die Warenanwandlung, die den meisten gewöhnlichen ›Gebrauchsdingen‹ seit langem widerfährt, die technisch schon längst den Herkünften ihrer Machbarkeit entrückt sind, spielt dabei keine eigenständige, sondern eine dienende Rolle. Im Unterschied zur Warenform, die die Zirkulation bestimmt. Hinter der Vermehrung der Dinge verbergen sich etliche Freiheitsgrade, die der Kultur des öffentlichen Raums unter bestimmten Bedingungen durchaus guttun könnten. Die Warenform und die in ihr gründende Inszenierung indes ist allgemeiner Natur, auf das gesamte Regime volkssouveräner Repräsentation und deren Öffentlichkeit verteilt. Es gibt keinen exklusiven Ding-, Technik- oder Medieneinsatz nur auf Seiten eines politisch widerständigen oder öffentlich freien Lebens der Kunst oder des Künstlers, der sich solcher Freiheit und ihrer Maßgabe erinnert. Technologie und Technik stehen im Dienst der Wissenschaften und der Institutionen ihrer Inszenierung. Doch stehen sie auch, nicht zuletzt vermittels der Wissenschaften und ihrer Inszenierungskunst im Dienst der Künste oder der Kunst, ohne dass dies notwendig implizieren müsste, dass es damit ein Ende hätte oder haben müsste, würden sie sich Zwecke en aparté setzen. Was also in den Blick einer bestimmten Kunst gerät, um – vielleicht – als Erinnerungsstütze zu dienen, ist eher zufällig und nicht schon aufgrund seiner eigenen formalen und ästhetischen Qualitäten als Mittel zur Unterhaltung, zur Förderung von Überzeugungen, zur Beeindruckung zu nutzen oder gar von sich aus als wirksam zu hypostasieren. Sollte eines der Potentiale vorhanden sein, wird es sich nirgend sonst als in seiner Zündung erweisen. Die Erwartungen an die Effekte werden indessen auf die aktuelle Szenografie und Szenifikation kalkuliert, zum Beispiel in der Prognostik von Einschaltzahlen. Die Selektion der Rezeption kommt bei allen Künsten inklusive der modernen Medienkünste der trivialen Art erst dann zum Tragen, wenn die kreativen Kräfte das Material, die Quellen oder memorabilia, je nachdem, in diesem Sinne transformieren und zu einem Eigenen machen. Mit der Abgrenzung unterschiedlicher Inszenierungsräume (beschränken wir uns auf die allzu grobe Unterscheidung von Kunst und Wissenschaften) kann deshalb zwar die Existenz, die Abbildung zweier
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›Politiken‹ der Inszenierung darauf einhergehen, deren Differenz der der Räume zu entsprechen scheint. Doch da diese topografische Raummetapher selbst dem Stoffwechselprozess der physischen Geografie mit ihrem ›Objekt‹, der Erde, unterworfen ist und es sich offensichtlich bei beiden Auftritten um denselben Boden handelt, kann es zwar unterschiedliche Strategien der Inszenierung geben, aber im Blick auf die Inszenierungsgesellschaft nur die ihr einwohnende Politik. Das heißt, wer von der Wissenschaft erwartet, dass sie sich im Widerstand einfindet, müsste fordern, dass sie sich vom Dispositiv der Inszenierungsgesellschaft und vom Ermächtigungsprinzip distanzierte. Doch hat an seiner Erfindung und Stiftung die Wissenschaft großen Anteil, auch wenn sie allein seiner gesellschaftlichen Effektivität nicht hätte zum Durchbruch verhelfen können. Jedenfalls ist nicht zu verkennen, dass sich Widerstand sehr wohl sogar auf Seiten der institutionalisierten Wissenschaft und ihrer Präsentationsmedien finden lässt. Denn Wahrheitsorientierung bedeutet nicht, dass das Denken nicht auch mit anderen als Wahrheitszielen zur Handlung führt und führen kann. Umgekehrt kann sich der reibungslose Transfer überkommener Beschäftigungs- und Unterhaltungsformate der Alltagskultur in die Multiple-Media-Gesellschaft nicht reibungslos nostalgisch mit der einstmals vielleicht mit diesen Formen verbundenen Protestkultur schmücken, nach der Gleichung Woodstock gleich Studenten-, gleich Antimilitarismusbewegung. Was deutlich wird, ist, dass die Inszenierungsforschung mikrosoziologische und mikromedienwissenschaftliche Expertise braucht. Denn wieso sollten die medialen Präsentationsformen der einen oder der anderen Botschaft nicht koinzidieren. Da ist Urteilskraft gefragt. Die Traditionsversicherung, von der hier die Rede ist, läuft, was die Inhalte betrifft, auf divergierenden Spuren, denen des Systems des Wissens und denen des von diesem System im Laufe seiner Entwicklung Ausgesonderten beziehungsweise erst gar nicht Angefassten. Für beide Seiten interessieren sich die Wissenschaften und die Künste oder die Kunst der Gegenwart. Doch sind es nur bestimmte Konzepte von Wissenschaft beziehungsweise Wissenschaftsforschung, die sich für die Genealogie und Struktur des ›Systems Wissenschaften‹ interessieren. Nicht selten gilt das Interesse gewissermaßen auch dort einem mit der Zeit Ausgesonderten. So sind es auch nur bestimmte Konzepte von Kunst, die auf diesen Spuren des kulturellen ›Abfalls‹ und seines Reichtums unterwegs sind und die Quellen auszugraben suchen. (Im Übrigen gibt es die Koalition beider Ambitionen.185) Das darf nicht unterschlagen lassen, dass eine relevantere Anknüpfung an das Ordinäre und Infraordinäre naturgemäß auf den Wegen außerdisziplinärer Überlieferung, Erinnerung und Mimesis geschehen kann. Auch die erfolgt wie bei den Wissenschaften, dem Museum, der Kunst selektiv. Wenn sie mit der Tradition einem bestimmten Paradigma oder zumindest bestimmten Vorlieben folgt, filtert sie zugleich die diachrone Entfaltung, die ohnehin nur als Einzeldarstellung präsent ist oder im Pluriversum der Medien. Beispielsweise, wenn sie der Zersetzungsgeschichte nicht unbedingt zu folgen bereit ist und an Relikten, Raritäten oder Mutationen festhält. Die Grenzen bewusster Mimesis sind gemeinhin erreicht, wenn die Möglichkeiten produktiver Anknüpfung ausgeschöpft sind. Die Behauptung beinhaltet die Möglichkeiten unbewusster Nachahmung. Sie heckt, ohne zu wissen. Vorzudringen in die freizeit- und unterhaltungsindustrielle Bewirtschaftung eines freien Assoziations- und Beschäftigungsfeldes, wie es zum Alltag des 20. Jahrhundert gehört, möglicherweise weiter noch bis zur Implosion des gesamten Paradigmas, zählt, wenn auch in selteneren Fällen, durchaus zum Selbstverständnis
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bestimmter Künste und wissenschaftlicher Reflexion. Für die Usancen des kulturellen Herkommens allerdings ist es normal, dass sich die Inszenierung der Dinge wie das System des Wissens ins allgemeine Inszenierungsdispositiv einfügt. Das Parlament der Dinge mag vielleicht für eine Wiedereinsetzung auf die »experimentelle Metaphysik« hoffen, die, auf die Tagesordnung zu setzen, der Beitrag aus der Gelehrtenrepublik oder der Künstlerkolonie allerdings nicht ausreichen wird. Vorerst wird dieses »Parlament« vollständig und legitim im geltenden Souveränitätsparadigma mitrepräsentiert. Was ihm bleibt, ist bestenfalls eine Art ideeller Exilregierung.186 Dass die Dinge, die Naturkräfte außen vor gelassen, auch in ihrer medialen Hyperkomplexität das Potential zum Widerstand allemal besitzen, ist nicht die Frage. Vielmehr wäre interessant zu wissen, was passieren würde, wenn sie derart widerständig gegen sich selbst in ihrer zeitgemäßen Gestalt vorgingen. Die Frage ist, ob die nichtmenschlichen Akteure und agencies die Fragen der experimentellen Metaphysik der Natur nicht vielleicht auch unter Maschinen ausmachen könnten. Die Dinggenealogie jedenfalls reicht nicht nur in der kanonisierten Entwicklungslinie der Technik bis hin in die Warengesellschaft und ihre Inszenierung in der Gegenwart, sondern ebenso in die davon provozierten Widerstandsformen. Dazu sollte im Gedächtnis bleiben, dass Widerstand nicht per se an der Vermehrung von Freiheitsgraden interessiert ist. Genauso kann er dazu motiviert sein, das existierende Regime effektiver zu gestalten. Um zu erkennen, woran man ist, erscheint es sinnvoll, die Praktiken des Fürwahrhaltens und des Rechtfertigens von Fürwahrgehaltenem ins Spiel zu lassen, aber nicht als Alternative zu anderen Handlungsgründen zu behandeln. Betrachtet man die Haltung von Künsten und Wissenschaften unter Bedingungen ihrer Eingliederung in die Inszenierungsgesellschaft, lösen sich beide von ihrer je spezifischen Wahrheitsorientierung und reagieren gleichsam auf den Mainstream der hypermedialen Integration aller Urteile und Sachverhalte. Doch wieder ist es unzulässig, die Differenzierung von institutionalisierten und nicht oder weniger institutionalisierten Räumen eins zu eins abzubilden auf entsprechend unterschiedliche Prioritäten in Fragen des Fürwahrhaltens (Wahrheitsferne des Alltags, potentielle Wahrheitsnähe von Wissenschaft und Kunst). In den Praktiken der Wissenschaften und der Kunst mögen Unterströmungen existieren, die, wie Foucault in Der Mut zur Wahrheit erwägt, nicht nur gegen den etablierten Betrieb aufbegehren, sondern damit im Zweifelsfall auch von innen heraus gegen die eigene Sichbarkeit intervenieren könnten – eine Dekonstruktion der Performanz sozusagen. So aber könnte es auch in den Anstrengunegn und Widerständen des Alltags die Anwandlungen eines »wahren Lebens« geben. Von seiner Versagung jedenfalls wissen wir, dass sie mit dem Auftreten pathischer187 Reaktionen und begleitender Symptomatik beantwortet wird.
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bühnenräume
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raumdimensionen & diskurskehren
Die Raumorientierung des Theaters und der Theaterwissenschaften ist evident. Beide beziehen ihre Daseinsberechtigung aus der Existenz realer Bühnenräume, geschlossenen oder offenen, gleichviel. In vergleichbarer Weise besetzen die Bühnen außerhalb der Einfriedung signierter Kunstorte den Raum, meist, wie die Kunst auch,
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öffentlichen Raum. Soweit die Raumordnungs- und gestaltungsvorstellungen der Entwurfs- und Begriffsarbeit sich nicht auf sich selbst beziehen (einen separaten Raum der Szenografie), beschäftigen sich Denker und Entwerfer mit Räumen, für die sie Ideen produzieren und Designvorschläge erarbeiten. Dabei agieren sie gewissermaßen aus der Distanz. Ob es sich um eine Ballettaufführung handelt oder eine Kunstausstellung, einen Expo-Pavillon oder ein Sportevent, die Gestaltung eines Verkaufsraums oder eines Adventures im virtuellen Raum, immer sind Raum- und Zeit-Strategien gefragt.188 Nicht anders ist es bei der Planung des öffentlichen und privaten Raums, wenn er denn Raum sozialer Ereignisse und Auftritte ist, welcher Art auch immer. »Art« bezieht sich auf die Art der Medialisierung und die von ihr abhängigen, nicht zuletzt technischen Entscheidungen.
Stadträume. Gestaltungsräume, Wissensräume Die Sondierung des Herkommens der Inszenierungspraktiken und Inszenierungsdispositiven in Kunst und Leben, bühnen- wie dingbezogen, führt uns in den Stadtraum. Der realraumbezogene Fokus dieses Kapitels wird deshalb die beiden vorausgehenden Sondierungen um den Blick auf die Stadt und ihre Auflösung im Prozess expansiver Urbanisierung erweitern. In der Stadt koinzidieren gleichsam die beiden Entwicklungstendenzen der durch neue Legitimation befreiten Kunst wie der durch dieselbe neue Legitimation befreiten Dinge. Produktion und Zirkulation sowohl im industriellen wie im wissenschaftlichen Verständnis und Maßstab verbinden sie mit dem Stoffwechsel des sozialen Verkehrs und Auftritts, wie immer er sich gestaltet. Soweit sich solches Theater, das wir alle spielen, mittlerweile medial auf verschiedenste Weise dingähnlich installiert und im Warenverkehr nach den Gesetzen derselben Produktionsverhältnisse aufgeführt sieht, findet es auch im selben Raum statt. Aufgrund der bestimmenden Produktionsverhältnisse aber erleben immer mehr Menschen den Lebensraum Stadt als Raum ausgreifender Urbanisierung. Den Entwicklungsprozess dorthin wollen wir am Ende dieses Teils ebenfalls sondieren, wiederum mit Hilfe von Quellen aus zweiter Hand. Bezugsräume bleiben die schon besuchten Produktions-, Sozial- und Wissensräume. Das strategische Interesse gilt nach wie vor der szenischen Gestaltung von Umgang und Auseinandersetzung in Gesellschaft, »szenisch« im weiten Sinne. Da wir im Folgenden auch Raumhinsichten und Raumkonstruktionen diskutieren (weitergeführt wird es im dritten Teil des Buches), bietet sich Gelegenheit, im Blick auf Szene und Szenarien die Abgrenzung zwischen »Szene« und »Situation« zu erörtern. Denn unter »Situationen« verstehen wir gewöhnlich ganz reale Lagen, Plätze und Orte, geordneten, eingerichteten Raum, deutlicher noch vielleicht als in der Verwendung von »Szene«. In der Konzentration ihrer Bemühungen um ›den Raum‹ koinzidieren Bühnen-, Ding-, (Technik-) und Ereignisorientierung im Inszenierungsdispositiv. Was »Raum« dabei jeweils bedeutet, mag evident sein, doch die verschiedenen Anwärter darauf, Räume zu definieren, zeigen an, dass es viele Räume geben wird und viele verschiedene Arten, darüber zu sprechen. Wir werden auch hier zunächst einfachen, kontingenten Positivitäten nachgehen. Wieder wenden wir uns an den Spiegel kulturwissenschaftlicher Thematisierung, jetzt des Raums, finden wir dort doch auch denjenigen Reflex, der den Raum mit der Inszenierung in Zusammenhang bringt und sei es als Raum von Text und Lektüre. Real- oder Texttraum, wir treffen wieder auf Diskursstücke zur theatralen und theatrischen Performanz, weniger auf die Behandlung von vergleichbaren Entwurfs- und Handlungsräumen, in denen
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es um Dingpräsenz und Dingrepräsentanz geht und die Exposition der Dinge im Raum. Kenntnisse der Produktionssphäre von Artefakten und Dingwelten öffnen ganz zwangsläufig eine weitere Raumdimension, das Feld der Produktion, Kunst-, Werk- und Arbeitsräume im ökonomischen Verständnis unter Bedingungen fortgeschrittener Arbeitsteilung. In entsprechender Weise dürften sich diejenigen Darstellungsräume gliedern, die primär nicht als Handlungs- und Präsenzräume, sondern als Wissensräume gelten, des Erwerbs und der Erweiterung von Wissen. Dabei geht es um den Raum und seine Strukturierung, nur unter dieser Voraussetzung um die konstituierenden Elemente. Zu unterscheiden sind diejenigen Darstellungskünste, die unmittelbar zu den Praktiken des Bühnenauftritts oder der Dingexposition gehören – ein Stell- oder Ausstellungsplan, eine Choreografieskizze, ein Lichtentwurf etc. –, von denen, die sich mit den genannten Aspekten vornehmlich sprachlich beschäftigen und mit Inhalten vermitteln, sei es literarisch fiktional, sei es wissenschaftlich. Insgesamt lassen sich drei verschiedene, hierarchisch geordnete Formate assoziierter Wissensräume unterscheiden. Praxisnah Bühnen-, Auftritts- oder Szenendiagramme, auf solchen konkreten Entwurf bezogen konzeptionelle szenografische Tableaus oder Topografien, schließlich Raummodellierungen logischen und ontologischen, ästhetischen wie intentional praktischen Entwurfsdenkens. Die Karten der gestaltungsbezogenen Szenografie stehen in der Mitte, schauen aufs Gelände wie auf den Entwurf der Legende und die Regeln der Formierung. Mittels strukturierender Darstellung regulieren Konventionen die Einführung der logischen Form189 wie der ›Ontologien‹. Logische wie ontologische Entscheidungen werden in unterschiedlichen Darstellungsformaten gefasst. Bestimmte Schemata, von denen ausgehend sich die Wege des Bedeutenlassens und Folgerns verzweigen, werden gesetzt. Diktiert wird die Grammatik der Notation, wie regelgerecht gesprochen oder geschrieben wird, welche Akteure im Spiel erlaubt sind, welche Regeln gelten und welche Spielzüge regelkonform sind. Hier entfaltet sich eine Episteme konzeptueller Präskription. Da die vorliegende Sichtung des Inszenierungsregiments im Umgang mit allen diesen Räumen auf konventionalisierte Territorialisierungen nicht vertraut, versteht sich die Raumentfaltung in diesem Abschnitt der Arbeit als weitere Sondierung. Was wir erwarten, ist kein homogener Raum, einfache res extensa. Die bisherigen Ansichten lassen eher vielfältig strukturierte, geschichtete, gefaltete, gewickelte Räume annehmen, zugleich Anschauungs-, Wahrnehmungs- und Realräume, Räume der Präsenz wie ausgreifender Perspektive und Handlung. Ebenso sind vielfältige Darstellungs- und Repräsentationsräume zu erwarten, imaginative, fiktionale, virtuelle Räume.190 Wie die Zeit gehört der Raum zu den Konzeptualisierungsformen des Fühlens und Empfindens, des Wahrnehmens und Denkens, Handelns und Gestaltens. Räume bergen und eröffnen unterschiedliche Distanzen, unterschiedliche Formen der Anwesen- oder Abwesenheit, von Nähe oder Ferne. Sie bergen und eröffnen die verschiedensten Weisen, Entfernungen zu überbrücken oder Tiefen zu durchdringen – in persona, per media, per tempora. Auch werden Räume Distanzen ganz schwinden machen können, um sich, statt differenziert, identisch zu zeigen. Räume können sich folglich in Zeiten ausdrücken wie Zeiten in Räumen. Soweit Ideen und Perzepte, Entwürfe und Gestaltung im Streit liegen, sind sie im Streit um das Regiment über Räume und Zeiten, Distanzen, Differenzen und Identitäten.191
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Raumbesetzung. ›Einräumung von Geräumigkeit‹ (Heidegger) Wie in der Inszenierung der Souveränität im theatralen Spiel nicht weniger ersichtlich als in der Verwaltung von Kammern und Kammerordnung oder im durchmischten Raum des Zusammenlebens in Gesellschaft, ist der Raum, den zu besetzen, zu überbrücken oder verschwinden zu machen das Vorhaben beinhaltet, niemals Terra incognita. Offensichtlich gehört es nicht zu den Eigenschaften des Raums, unbekannt zu sein.Man stelle sich vor, Christóbal Colón landet bei seiner ersten Entdeckungsreise auf einer Insel der Bahamas. Die Insel ist schon da, längst ist sie gesichtet, ehe man sie betritt – vielleicht ist es Guanahani, wie die Eingeborenen sagen. Colón nimmt lediglich seine Soldaten mit von Bord und seine Kapläne und pflanzt auf der Insel das Banner der spanischen Könige auf. Ohne Zweifel: Er besetzt ein existierendes Territorium. Aber ›tatsächlich‹ weiß Columbus nichts von Guanahani, als er Anfang Oktober 1792 in die Karibik einläuft. Ende Oktober glaubt er sich südlich von Cipango in Japan. Nach Spanien schreibt er, er habe sich »entschlossen, das Festland und die Stadt Qui(n)say aufzusuchen.« Dort will er »dem großen Khan die Briefe Eurer Majestät überreichen, um eine Antwort ersuchen und damit zurückzukehren.«[!]192 Das Tagebuch Colóns demonstriert beispielhaft, was es heißt, Räume samt ihren Einrichtungen und Bedeutungen mitzuführen. Quinsay jedenfalls hat der Entdecker so wenig besucht wie Guanahani. Er befindet sich auf San Salvador, eine dem Heiligen Retter geweihte Insel in Japan oder in der Nähe von Shanghai. Dass es kaum Sinn macht, zu behaupten, ›in Wirklichkeit‹ habe sich Columbus auf Guanahani befunden, leuchtet ein, wenn man weiß, dass es niemand weiß. Vielleicht war es, anderen Quellen (zum Beispiel National Geographic) zufolge, die Insel Sama Cay. Das aber wird nach neuesten computergestützten Berechnungen der Position verworfen. Danach befand sich die Mannschaft nicht, wie sie später angibt, auf San Salvador, sondern 25 Kilometer weiter südlich, mitten im Atlantik. Zu bemerken, dass man den Raum mit sich tragen kann193, heißt zugleich zu bemerken, dass er in Bewegung ist und sich in der Zeit, träge oder beschleunigt, sogar rückwärts gewendet darstellt. Dass leiblich körperliche Anwesenheit in solchen portablen Zeiträumen deshalb halluziniert oder die Berichte davon nichts wären als fiction, bedeutet es nicht. »In Szene zu setzen« verseht sich nicht zuletzt deshalb, weil es ein Gebot des Unterwegsseins ist, wissen zu wollen, woran man ist, auch ohne schon zu wissen, wohin die Reise geht. Heidegger reflektiert, was es heißt, den Raum wie Columbus zu nehmen, der den Boden fremder Kontinente betritt und seinen Abdruck darauf hinterlässt. »Ein Bauwerk, ein griechischer Tempel bildet nichts ab«, heißt es in den Vorträgen zum Ursprung des Kunstwerkes. Es ist nicht die Gestaltung eines Raums, die die Gestalt, die er zeigt, abgebildet hätte. Vielmehr ist es der Tempel, der sich seinen Raum schafft. Von ihm wird der Tempel getragen, von einem heiligen, dem Gott geweihten Raum. Dieser Raum »umschließt die Gestalt des Gottes«, der hier seine Verehrung entgegennimmt. Auch ohne Weihe und Pathos lässt sich verstehen: »Indem ein Werk Werk ist, räumt es jene Geräumigkeit ein«. Wohlgemerkt, es räumt seine Geräumigkeit ein. »Einräumen« dabei bedeutet das Gegenteil dessen, was gemäß Containermodell des Raums zu vermuten stünde; es bedeutet »freigeben das Freie des Offenen und einrichten dieses Freie in seinem Gezüge.« Die Kausalität hier ist nicht causa efficiens. Es gibt kein Einrichten, das der Errichtung eines Gehäuses folgt.
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»Der Tempel gibt in seinem Dastehen den Dingen erst ihr Gesicht und den Menschen erst die Aussicht auf sich selbst.«194 »Das Tempelwerk eröffnet dastehend eine Welt und stellt diese zugleich zurück auf die Erde, die dergestalt selbst erst als der heimatliche Grund herauskommt. Niemals aber sind die Menschen und die Tiere, die Pflanzen und die Dinge als unveränderliche Gegenstände vorhanden und bekannt, um dann beiläufig für den Tempel, der eines Tages auch noch zu dem Anwesenden hinzukommt[,] die passende Umgebung darzustellen. Wir kommen dem, was ist, eher nahe, wenn wir alles umgekehrt denken, gesetzt freilich, das[s] wir im Voraus den Blick dafür haben, wie alles sich anders uns zukehrt. Das bloße Umkehren, für sich vollzogen, ergibt nichts.«195
Das bloße Umkehren ist das der konstruierenden Dialektik, das die Differenz am Ende in der Identität aufgehen lässt. Die von Heidegger gemeinte Umkehrung ist dagegen existenzieller und praktischer Natur. Distanz zu überbrücken, um neuen Raum zu betreten, ist damit nicht allein als Vorhaben oder als Reflexion vorstellbar, gleichsam subjektabhängig. Vielmehr ist es die Ereignisform der Zeit, die uns auf diese Weise Raum einräumt. Dafür, allerdings, bedarf es weniger bestimmter Extensionen als bestimmter Intensitäten. Die Frage des Raums ist nicht abzulösen von der nach den Dingen. Im Umgang mit ihnen freilich werden sie gewöhnlich externalisiert wie die physis, deren Anzeichen sie sind. Heideggers Beispiel dagegen zeigt auf die Vergesellschaftung aller Agenzien, die nicht nach Natur und Kunst, Ding und Lebewesen, Stoff und Form auseinanderzustellen sind. Wie mit den Menschen, der Landschaft und dem Tempel »[s]o steht es auch mit dem Bildwerk. [...] Dasselbe gilt vom Sprachwerk.« Allerdings gilt die, für alle Arten von poiesis, nicht in jeder Umgebung. Es kann eintreten, was Platon als Deplatzierung der Sichtbarkeit empfindet und der Stadt schadet. Gemeint ist die Umkehrung einer Perspektive, wie sie Baudrillard beschreibt, der die Überbelichtung der Szene imaginiert, eine Transparenz strahlender Durchsichtigkeit. Für die Einräumung von Geräumigkeit gibt es dann zu wenig Platz. Die Sichtbarkeit ist dem Raum, er sich selbst abhanden gekommen. Heidegger bemerkt, dass dies schon geschehen kann, wenn ein Werk in einer Sammlung »untergebracht« oder in einer Ausstellung »angebracht« wird und man sagt, es sei dort »aufgestellt«. Das Werk muss eine Verletzung seiner Aura ertragen. Ein Hinweis darauf, dass nicht allein künstlerisch schöpferische Werktätigkeit am Grund der Produktion‹ zu finden ist.
Spatial turns: Topographical, topological turn Bevor wir damit fortfahren, die eigesammelten Stücke zur Fortsetzung der Erzählung zusammenzufügen, werden wir auch in diesem Abschnitt die Fundstellen markieren und in den Spiegel schauen, den uns der Inszenierungsdiskurs selbst an die Hand gibt. Den Zusammenhang von szenischer Platzierung, Dingpräsenz und Darstellung als selbst mobiles Szenario vorausgesetzt, kann es nicht verwundern, dass sich die Diskussion um den als ›Raumkehre‹, spatial turn, charakterisierten Kulminationspunkt auf wichtige Aspekte der Inszenierung erstreckt. Involviert sind wieder die Kulturwissenschaften; mit Verzug folgen sozialwissenschaftliche und soziologische Beiträge, am Ende auch Beiträge der physischen Geografie. Auf den ersten Blick geschieht dies außerhalb, näherhin durchaus im Rahmen des theatralen Dispositivs. Die Aufklärung der Inszenierungsgesellschaft über sich selbst wird hiermit weiter vorangetrieben, ebenso ihr Programm erweitert. Es erstreckt sich nicht mehr nur auf alle Arten von
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Inszenierung im engeren Sinne, die besondere Form, einen Bühnenraum zu besetzen. Vielmehr wird die theatrale Herkunft selbst, auch der theatrische Zuschnitt zur Disposition gestellt. Die Gefahr liegt auf der Hand. Wird der freie Zugriff auf jede Art von Raum im Programm der »Eroberung der Welt als Bild« nicht dadurch gemildert, dass sich statt des Theaters wenigstens ein ›Bild‹ als Dispositiv imaginären Vorbehalts ausweisen ließe – was Heidegger ausschließt –, kann es passieren, dass der mittels Raumbesetzung dekonstruierten Inszenierung die Friedlichkeit abhanden kommt. Dass alles nur Zeichen- und Sprachwerk wäre und Kommunikation, dürfte als Entschuldigung ebenso wenig überzeugen wie die kategorische Erklärung von Theatralität im theatralen Ermächtigungskontext. Die Fronten, die an dieser Frage aufbrechen, erhalten Kontur in den ›Drehungen um den Raum‹, den die Inszenierungsdebatte der Wissenschaften vollführt. Dass hier wie bei anderen Gelegenheiten ein turn zitiert wird, ist kein Zufall oder bloß modischer Neologismus. Das Moment des turn bezeichnet in professionellen Magierkreisen den eigentlichen Effekt der Aufführung. Damit ist diejenige Wendung in ihrem Zentrum gemeint, die dazu führt, dass das im ersten Akt Vorgezeigte und dem Publikum derart als Erinnerbares in aller Offensichtlichkeit Verpfändete – das Moment des pledge – verschwindet. Erst im folgenden, letzten Akt der dreiteiligen magischen Handlung lässt der Magier das Vorgezeigte als ein anderes, das doch dasselbe scheinen muss, wieder auftauchen, an selber Stelle verändert oder an anderer Stelle unverändert. Dieser letzte Teil des Auftritts gilt als der prestigio, als der Gewinn der Veranstaltung, wenn die Inszenierung denn glückt.196 Eben dieser Dreiakter lässt sich auch bei jedem neuen turn bewundern, den die inszenierende beziehungsweise inszenierten Wissenschaftsveranstaltungen mit solch einer Wendung versuchen nachzuvollziehen.197 Um einen Zugang zu den in einem spatial turn198 involvierten Auftritten und den in seinem Diskurs thematisierten Raumverständnissen zu gewinnen, sodass erhellt, warum ein Blick darauf die bisherigen Einsichten erneut zu beleuchten und zu bestätigen vermag, folgen wir exemplarischen Ausschnitten der Sondierung, worin die kulturwissenschaftliche Raumdiskussion versucht, einen sie selbst betreffenden Überblick zu gewinnen. Berichte zur Raumkonzeptualisierung zu Beginn der 2000er Jahre199 machen deutlich, dass physikalische, geografische oder auch sozio-geografische Qualifikationen von ›Raum‹ im Rahmen der ersten kulturwissenschaftlichen Sichtungen nicht im Fokus des Interesses standen. Die längst bekannten Affären von Räumen und Dingen, Räumen und Körpern, von Raum und Boden oder Erde werden zunächst abgeblendet. Selbst die früher auch geografisch akzeptierte, zwar ästhetisch und kunstwissenschaftlich überhöhte, dennoch aber als natürlich oder zumindest real vorgestellte »Landschaft«, die noch bis zur Mitte des 20. Jahrhunderts als fundamentale Raumperspektive auch in den Kulturwissenschaften galt, war kein Thema mehr. Dagegen machte der spatial turn deutlich, dass er einem topografischen Interesse folgte. Nur folgerichtig erschien, dass er alsbald einer weiteren Drehung Anstoß gab, einem topographical turn. Zuvor Thematisiertes tauchte mit dieser neuerlichen Wendung ab, Neues auf. Insbesondere galt diese Bewegung Texträumen und Räumen vermittelter Kommunikation. So findet sich beides, eine Topo-Grafie im Realraumverständnis der thematisierten Topoi wie eine Topo-Grafie im Darstellungsraumverständnis der benutzten Topoi, wobei sich die ›Orte‹ auf die literarischen, grammatischen, syntaktischen etc. Texttopoi beziehen.200
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Gewissermaßen handelt es sich um eine Wiederaufnahme der Neuorientierung des scenographical turn201 oder turn of staging, der Bewegung, die kurze Zeit zuvor einen Leitstern kultur- und sozialwissenschaftlicher Beschäftigung mit dem Thema Inszenierung am Horizont aufziehen sah. Festgehalten in der Blickverlagerung wird der Raum von Bühne und Auftritt. Dies beinhaltet eigene Raumperspektiven und interessiert im Kontext einer Bestandsaufnahme des Inszenierungsregiments. Zunächst gibt sich die Thematik begrenzt. Auch lockt sie weit weniger Diskussionsteilnehmer. Die Effekte der Raumkehren allerdings sind beteiligt an der Expansion. Exemplarisch erhellt der Zusammenhang in der direkten Verknüpfung heterogener medialer Instrumente der Darstellung im Rahmen gegenwärtiger Kulturpraktiken. Die Rezeptionstätigkeit eines heterogenen Publikums erscheint homogenisierbar, austauschbar, wie die Praktiken der ›Inszenierung‹ in der szenografischen Entwurfsarbeit und Produktion. Dass sich ein Selbstverständnis entwickelt, das sich ausdrücklich als »Bildwissenschaft« positioniert, ist nachvollziehbar. Film als Medium kann jetzt unmittelbar an das Medium Architektur anschließen. Der Grund dafür sind Raumanalogien. Im Beispiel werden strukturelle Analogien von Montage und Baukonstruktion geltend gemacht. Der Kinogänger kann so als Verwandter von Bahnreisenden oder Stadtstreicher aufgerufen werden oder als zeitgemäßer Flaneur.202 Auch die nochmalige Wendung vom Erbauen zum Erleben lässt sich derart leicht plausibel machen. Liegt die Analogie zunächst darin beschlossen, tatsächliche Entwurfs- und Produktionstechniken (›Konstruktionen‹) der Raumerzeugung zu vergleichen (»Montage«203), mithin im Vergleich von Planung, Entwurf und Regie, wechselt die Argumentation unter der Hand die Perspektive, schwenkt zum Betrachter- und Nutzerstandpunkt und sieht den Kinobesucher an der Seite des Stadtläufers. Das alles geschieht nicht angesichts wirklicher Kinos und wirklicher Städte, sondern aufgrund eines nur ähnlichen Geschehens in der Stadt auf der Leinwand. Die Erlebnisse werden ähnlich. In nächster Konsequenz wird folgerichtig auf die Ähnlichkeiten subjektiven Erlebens bei Flaneur und Cineast abgehoben. Nicht nur die Architektur will ›gelesen‹ werden, ganz so will es auch der Film. Hier wie dort »mentale und emotionale Landkarten«.204 Mit der Wendung zur Topografie wird auf Probleme gezielt, welche die Raumrepräsentation in unterschiedlichen Darstellungsformaten oder medialen Präsenzen betreffen. Semiotisch betrachtet, könnte man meinen, es ginge um Fragen der Beziehung zwischen Signifikanten und Signifikaten. Obwohl dies zutrifft, ist aber zu berücksichtigen, dass die Repräsentation, schon gar auf diese beiden Glieder verkürzt, »vieles vermengt« und dies zudem in den Formen der Gleichzeitigkeit präsentiert.205 Auf Räume bezogen, sind jedoch nicht ›Gleichräumlichkeit‹ und Ähnlichkeiten zu ermitteln. Zu denken sind vielmehr multiple Media-Präsenzen, die keineswegs bloß fiktiven oder virtuellen Charakter haben. Der topographical turn206 hat Spuren im Inszenierungsdiskurs hinterlassen. »Raum« erscheint im Zuge dieser Kehre als »lesbarer Text« konzeptualisiert. Solcher Text hängt in der Regel mit keiner Erfindung oder Entdeckung zusammen, sondern wird erinnert, wiedergewonnen und, strategisch betrachtet, vorwärtsverteidigt. Was in Text und Gestaltung zu lesen ist, ist gewissermaßen kritikimmun, sofern dort zu verbleiben bedeutet, keinerlei Realitätsverpflichtung eingehen zu müssen. Trotzdem: Das ›Buch der Kultur‹ so wenig wie das ›Buch der Natur‹ sind Erfindungen einer neuen, womöglich beabsichtigten Wendung wissenschaftlicher Debatte.
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Die Diskussion über den Raum war Anfang des neuen Jahrtausends seit rund fünfzig Jahren im Schwange.207 Der turn, um in der Logik der Magier-Performance zu reden, realisiert immer nur eine bestimmte Wirkung auf längst Vorgezeigtes und Verpfändetes. In diesem Sinne wird ein weites, generell nicht begrenzbares Medienspektrum der Lektüre ausgerufen und die Bearbeitung seiner diversen Register vor allem dem Forschernachwuchs anheimgestellt. Parallele Entwicklungen finden sich in der Kunst, in conceptualism art und zeitgenössischen Varianten etwa, worauf wir zu sprechen kommen. Das topografische Modell gilt als eines der »kontextuellen Semantik«. Verständlich, dass man hier den »Zusammenhang von Räumlichkeit und Kontextualität wieder[findet]«. Räumliche Begrifflichkeit versteht sich dabei als aus Texten und Kontexten gewonnene Begrifflichkeit und, auf diesem Wege offenbar, auch durch »nicht-beliebige Orientierungen aus kontingenten Hinweisen«. »Anders gesagt, es handelt sich um eine Semantik, die den Beobachter nicht ausschließt, sondern sich implizit in jeder Bezeichnung auf ihn bezieht: eine Semantik der Einschließung.«208 Da dies keine Überraschung darstellt, ist zu vermuten, dass der ›Semantik der Einschließung‹ die Selbsteinschließung zum Problem werden könnte, eine Einschließung im Raum des Bedeutenlassens und Interpretierens von Texten und Kontexten mit der Schwierigkeit, aus dem Raum der Hermeneutik heraus andere als Texträume erreichen zu können. Wieso, stellt sich umgekehrt die Frage, sollte es Räume geben, die nicht als ›Lektüreräume‹ auszuweisen wären, Topik ohne Rhetorik? Interessanter aber ist die Frage, die sich anschließt. Was wäre zu finden in diesen Räumen, was nicht in Text- und Lektüreräumen zu finden ist, dem Charakter von Diskursereignissen oder Dispositiven entspräche, für unser Interesse von Inszenierungsdispositiven?
Modellierungshinsicht & Semiotik Der angeführte Forschungsüberblick zur Raumtheorie ist nicht ausdrücklich dem spatial turn gewidmet. Nichtsdestotrotz realisiert die Umschau die aktuelle Raumkehre. Überraschend vielleicht, wartet sie mit einem eigenen semiotischen Modellvorschlag auf, offenbar um sich recht heterogener Ansätze der Raumkonzeptualisierung auf einer methodologisch geeigneten Basis zu versichern. Der Vorschlag allerdings bricht die intertextuell topografische Rahmung des thematischen Felds auf, insofern er einen Einblick in die topologischen Voraussetzungen der in Angriff genommenen Kartierung gewährt. Zumindest implizit öffnen sich die methodologisch wie zeichen- und medienspezifisch in der Tat zu differenzierenden Perspektiven auf Räume, Topografien und Topologien.209 Zwar wird ein semiotisches Modell an das Material herangetragen – intern jedenfalls erscheint der Morris´sche Ansatz, um den es sich handelt, nicht unter den diskussionswürdigen topologischen Strategien, deren Darstellung erläutern könnte, wie die Raumdrehungen zu bewältigen wären. Nichtsdestotrotz wird das Modell untersuchungsleitend positioniert, was die Mächtigkeit des Instruments unterstellt. Dass die Wahl eines semiologischen Modells nicht aus der Problematisierung einer der diskutierten Topologien erfolgen kann, versteht sich, sofern die Differenzierung von Raum, Topografie und Topologie im Kontext der intendierten Beitragsverortung keine wirkliche Rolle spielt. Spätere Sondierungen des wissenschaftlichen Terrains werden deshalb ganz darauf verzichten, eigene Raumkoordinaten zu fixieren und mitzuteilen. Es erübrigt sich. Neuere zusammenfassende Darstellungen zur Lage der Raumorientierung210 beschränken sich darauf, bestimmte Markierungen auf einer schon bekannten Karte der Wissenschafts- und Forschungslandschaft vorzunehmen. Die rote Linie, die zwischen den an den Raum-Drehungen
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Beteiligten und den (noch) nicht Beteiligten gezogen gehörte, fehlt allerdings auf der Karte wie in der Legende. Spielanleitungen mitzuteilen ist verständnisfördernd. Die Entscheidung für ein semiotisches Modell ist darüber hinaus besonders dann überzeugend, wenn einleuchtend gemacht werden kann, dass nur ein zeichentheoretischer Ansatz geeignet ist, die unterschiedlichen Formen und Prozeduren der Bedeutungsproduktion der Raum-Turns zu verstehen, geeignet, die Dimensionen realer, fiktionaler und logischer oder kategorialer Räume aufeinander zu beziehen und in ihrer Differenz zu würdigen. Zudem führt die Erörterung der Raummodellierung unmittelbar zur Thematisierung der Darstellungsformen bei der Modellbildung – und hier insbesondere zur diagrammatischen Modellierung. Sie berühren das Thema der szenografischen Formierung offenkundig unmittelbar wie mittelbar. Der Frage nach dem Zusammenhalt von scenografia und istoria, scenografia und ortografia, opsis und mythos, gegebenenfalls, was sie auseinandertreibt und trennt, wird uns als Frage nach der Beziehung von sinnlicher Wahrnehmung von Wahrnehmbarem und rationalem Verständnis von Verstehbarem auch im Folgenden begegnen und die Problematisierung des Modellraums auch vorliegender Entfaltung der Inszenierungsordnung mit sich bringen. Dass sich die Anleihe bei der Morris´schen Semiotik und die damit erfolgte methodische und heuristische Option bei der Erkundung der Forschungslage zur Raumtheorie211 tatsächlich bewährt, ist fraglich. Bekanntlich baut Morris´ Zeichenmodell auf einer dreidimensionalen Raumkonstruktion. Im entsprechenden Grafismus figurieren Bedeutungshinsicht (Semantik), Strukturhinsicht (Syntaktik) und Handlungs- beziehungsweise Gestaltungshinsicht (Pragmatik) der Zeichenwirkung auf jeweils einer der drei Raumachsen. Die Applikation dieser Struktur auf die raumtheoretischen Denkansätze überrascht nicht wirklich. Ist es doch naheliegend, sie selbst den ›Räumen‹ zuzuordnen, die die Diagrammatisierung der Morris´schen Begriffstriade vorschlägt. Jede der drei Dimensionen des Diagramms wird dann zu einem eigenen ›Raum‹. Es leuchtet ein, dass es sich damit bei der weiteren Verwendung des Ausdrucks um Homonymie handelt. Den ›Räumen‹ der Applikation ist ein anderes Verständnis von »Raum« unterlegt als dem Raum und den Dimensionen dieses Raums im Zeichenmodell von Morris. In der Einrichtung unterschieden werden technische Räume von semiotischen und kulturpragmatischen Räumen. Welchem dieser Räume welche Achse im Morris-Diagramm zugeordnet ist, kann nur erschlossen werden. Der Text operiert mit einem konkurrierenden Modell der Schichtung in den Lagen von Pragmatik, Semantik und Syntaktik. Das bemühte Modell figuriert in dieser Darstellung offenbar nicht als semiotisch diagrammatisches Raum- und Handlungsmodell, mit Hilfe dessen Räume unterschiedlich planbar sind, sondern wird genutzt zur Repräsentation schon gedachter Räume. Räume werden anhand der Modellbildung nicht erst erzeugt, sondern sind semiotisch begrifflich schon existent. Insofern ist die Perspektive nicht unmittelbar szenografisch diskutierbar. Technische und semiotische Räume sollen ihrerseits als in ein wiederum »räumlich strukturiertes« kulturelles, synchron wie diachron variables Umfeld kultureller Pragmatik ›eingebettet‹ verstanden werden. Was die Ausdehnung solcher Räume betrifft, werden zwei verschiedene Varianten dargestellt: Die Distanzen der einen sind so bemessen, dass Akteure sie ohne technische Hilfsmittel überwinden können, die der anderen sind so groß, dass ihre Überbrückung nur mittels geeigneter Techniken oder Medien möglich ist.212 Die methodische Exposition der
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Orientierungsskizze zur Raumkonzeptualisierung verbleibt im semiotischen Raum, auch wenn der Medienraum selbst nicht im Modellraum abgebildet wird, sondern als seine gewissermaßen ›natürliche‹ Basis gilt. Auch dies indiziert ein architektonisches Problem der Inkompatibilität zweier Raumdiagramme und entsprechender topologischer Prämissen. Betrachtet man die gewählte topografische Verteilung und deren unausdrückliche Topologie aus der Distanz eines ebenfalls dreirelationalen semiotischen Modells, dem eine alternative Diagrammatik (oder Topologie) zugrunde liegt – ich spreche von einem Modell gemäß Peirce´scher Topologie –, erkennt man die Probleme der Architektur. Allerdings fallen sie dann auch auf die Morris´sche Anordnung selbst zurück. In der Ordnung der Peirce´schen Semiotik erschienen alle drei genannten Raum-Instanzen der Theorieskizze als Medien- oder Zeicheninstanzen eines momentanen wie andauernden Semioseprozesses, von der Bestimmung eines materialen Substrats der Zeichenkörper über die semiotische Objektidentifikation bis hin zu den entscheidenden Interpretantenbedingungen.213 Was die Bedeutungserzeugung hinsichtlich des Raums betrifft, stünden die Raumhinsichten in dieser Anordnung zur Disposition, jedenfalls nicht als definierte Objekte fest. Wir kommen im dritten Teil des Buches ausführlich darauf zurück. Der topological turn, der im Überblick zur Raumtheorie Anfang der 2000er Jahre gewissermaßen nur als Leerstelle anwesend ist, wird bald darauf tatsächlich explizit artikuliert. Thematisiert mit dieser Wende werden nun ausdrücklich die unterschiedlichen Relationalitäten in der Raummodellierung, nicht die Leistungen der Projektionen oder der Übersetzung, sondern das Struktur- und Funktionsgefüge, zum Beispiel auch das diagrammatischer Relate. Die topologische Betrachtung zeigt die Grenzen der topografischen.214 Insofern es um die Beziehungen von Strukturalität und Phänomenalität zu tun ist oder um den Funktionalismus der Semiose, ist es einleuchtend, dass mit dieser Drehung nun auch dezidiert die Medienwissenschaften angesprochen sind.215 Die Rationalität der Adressierung liegt darin, dass die Medienwissenschaften nicht in erster Linie als wissenschaftliche Beschäftigung mit dem Programm- und Formatausstoß eines mehr oder weniger institutionalisierten Medienbetriebes aufgerufen werden, sondern als zuständig für die Analytik der medialen, das heißt zeichenspezifischen Herstellung von Raumopportunitäten und den ebenso spezifischen Effekten entsprechender Modellbildung oder Konstruktion. Dass dieser Dreh der spatial turns, der zur topologischen Wendung der Debatte führt, keine – insbesondere dem topografischen Turn – vergleichbare Resonanz gefunden hat, ist vielleicht verständlich. Denn hier sind eher Anschlüsse an logische, mathematische, wissenschaftstheoretische oder wissenschaftsphilosophische gefragt als an kulturwissenschaftliche Kontexte und eben in diesem Verständnis medientheoretische Diskursbeiträge. Dies ändert sich erst mit einer Wiederaufnahme der Debatte unter dem Aspekt der Diagrammatik, wie sie mit Beginn der 10er Jahre zu beobachten ist. Relationenlogische Verknüpfungen jedenfalls nehmen keinerlei Rücksicht auf die Heterogenität der Dinge und Ereignisse, auch nicht die Inhalte der Figuren, die sich in der Projektion oder im Transfer als struktural ähnlich oder analog erweisen. Das zeigt, dass hier nicht unbedingt empirisch verwertbare Daten zu erwarten sind, Positivitäten hinsichtlich der Raumausstattung des ›öffentlichen‹ oder ›privaten‹ Raums etwa. Wohl aber treten Methoden hervor, wie Modellräume mit Realräumen in Beziehung stehend gedacht und verstanden werden können. Fragen solcher Beziehungen betreffen weniger die Eigenheiten oder die Ausstattung dieses oder jenes Raums. Und wenn gewisse isolierte oder modellierte Strukturen von Räumen in bestimmten
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singulären Akten der Projektion, Substitution, Transportation, Translation etc. auf Grund gewisser Logiken des Bedeutenlassens als in eben dieser oder jener Verbindung zusammengedacht werden können, ist offenkundig auch danach zu fragen, welcher Logik das Denken solcher Entitäten und Prozeduren angehört. Gebrauchsorientiert grammatisch oder auch diagrammatisch praktisch gefragt, will man wissen, welcher Verwendung solcher Relationierungsausdrücke das Denken selbst dabei folgt und im Raum welchen topologischen Zuschnitts solche Verwendung nachvollziehbar ist. Die vorgestellte Definition des »sozialen« Kulturpragmatismus ist unscharf. Auf dieser letzten Ebene der Raumkonstitution besteht sogar das Risiko, dass das semiotische Modell, mit dem sie antritt, gesprengt wird. So lässt sich kaum entscheiden, wie genau die Realitätsbindung an den Raum mit der Zeichen- beziehungsweise Bedeutungsproduktion in topografischer und topologischer Darstellung zu tun hat. Die semiotische Operation wird hier sozusagen am offenen Herzen der eigenen Wissensproduktion und Wahrsprechenskultur vorgenommen. Gegenstandsbezogen vergleichbar indiziert nicht nur die fokussierte Stellungnahme sehr heterogene wissenschaftstheoretische wie ontologische Positionen. Sie zu synthetisieren dürfte ausgeschlossen sein. Die Antizipation einer Integration in das topografische Lektüre- und Inszenierungsmodell scheint wichtiger als die Auslotung von Differenzen und deren Problematisierung. 2
›zeitalter
des raums ‹
Gestoßen auf den öffentlichen, den gemischten Raum der Stadt, auf die Orte des Austauschs und der unklaren Herrschaftsbeziehungen, wurden wir nicht von ungefähr in der Differenzierung der Dingwelten. Dem Sammel-, Ausstellungs- und Demonstrationswürdigen par excellence gegenüber treffen wir hier auch auf die ordinären Dinge des Alltags und ihren Auftritt. Die Teilung betrifft mithin genauso wie die Dinge die Aufführungen, bei denen die alltäglichen Darbietungen ebenso von den exklusiven geschieden werden. Deutlich wurde schon zuvor, dass die Strategie der geografischen Territorialisierung – dort die Kammern und das Theater (und überhaupt die geschlossenen Räume), hier der freie Raum des Marktes, des öffentlichen Zurschaustellens und des Miteinanderumgehens – kaum haltbar ist. Anders steht es um die geopolitische Territorialisierung. Der urbane Raum macht diesen Umstand bestens anschaulich. In der Stadt findet sich nicht nur beides, geschlossene und offene Räume, sondern auch Gemischtes. Nicht allein disparate Räume und Heterotopien stiften solch Gemischtes, sondern ebenso disparate Zeiten und Heterochronien. Kaum verläuft deshalb eine von separierten Räumen und Territorien abgeleitete Trennung entlang der Grenzen von geschlossenen und offenen Architekturen. Auch sie gleichen Organismen und kennen Lebensalter. Was zählt, ist das Regiment über die Räume, die sich über die Zeit erstrecken. Dies gilt auch, was die normalen Dinge, ihre Gegenwart und Eigenart angeht. Soweit sich keine Vermutung über ein hidden natural daran schloss, wurde die Vielfalt des Normalen lange aus den Positivitäten der Wissenschaften, den erforschungswürdigen Entitäten der Naturwissenschaften insbesondere ausgesondert. Das Desinteresse versteht sich, soweit Wissenschaft sich daran entzündet, Geheimnisse zu lüften, Unbekanntes bekannt und Unerklärtes erklärbar zu machen. Von daher gehört das uninszeniert Normale der Kultur des Alltags und des Lebens in Gemeinschaft zu den Geschichten, die darüber in Umlauf, aber kaum des Aufhebens wert sind. Doch
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lässt sich das normal Situative jederzeit szenisch fokussieren. Anteil daran nimmt nicht zuletzt seit alters her die Dichtung, die sich mit dem Gewöhnlichen abgibt, sich seiner annimmt, zu Geschichten verpackt und an ihnen weitererzählt. Uninszeniert normal bleibt das Normale auch so nicht. Es gerät in Pickerings »Mangel«.216 Schließlich mischen sich die Wissenschaften von der Kultur und den Texten und nobilitieren das schon thematisierte Alltägliche auf neue Weise. Eine vergleichsweise hypertrophierte Art der Dichtung.
Raum oder Geschichte Schon ein grober Überblick zur Debatte über den Raum, der im spatial turn in Augenschein genommen wird, zeigt, dass der inszenierungsgesellschaftliche Diskurs der Humanities in diesem Sinne nicht zuletzt und nicht zufällig den Blick auf die Bedeutung der Stadt und des Stadtraums lenkt. Denn auch die kulturorientierte Raumforschung findet hier in der in Literatur und Dichtung aufgehobenen Erfahrung vergleichsweise ›konkrete‹ Gegenstände. Entsprechend bündeln sich die Interessen. Es sind Interessen spezifischer Art am Kultur- und Lebensraum Stadt, an besonderen Phänomenen ihrer Vergangenheiten, Gegenwarten und Zukünfte etc. Sie lassen sich wiederum nur in der Differenzierung einzelner Diskurse, Methoden und Vorhaben gemäß der jeweils dominierenden Territorialisierung der wissenschaftlichen Einflusssphären ausmachen. Den einen geht’s um den Flaneur bei Victor Hugo im Paris des Fin de siècle217, den anderen um die Drogen- und Kriminalitätsszene der Großstadt in den Tatort-Krimis, den nächsten um die Probleme von Licht und Schatten, womöglich aber nicht nur als poetische Metapher, sondern in der Realität des Stadtraums218, wieder anderen um die Probleme der Gentrifizierung in Ballungszentren219 oder die Entwicklungstrends der Megacities. ›Die Stadt‹ zersplittert in unzählige Räume der Darstellung.220 Doch kennt sie auch selbst viele disparate Orte tatsächlicher Vergesellschaftung. So lässt sich im Nachvollzug der kulturwissenschaftlichen Vielfalt in der Beschäftigung mit dem Raum, auch und gerade in der Auseinandersetzung mit dem urbanen Raum, die schon bemerkte Reaktion inszenierungsgesellschaftlichen Bewusstseins oder Unterbewusstseins auf Vergangenes ausmachen. Dieses Mal erscheint die Reaktion in Gestalt eines Widerstandsreflexes gegenüber existierenden Hemmungen auf dem Weg weiter vorpreschender Ermächtigung in den Gestalten der Inszenierungsdispositive. »Hemmungen« versteht sich im Sinne von Effekten als störend empfundener alternativer Verpflichtungen auf gewisse ökonomische und soziale Tatsachen und den Anspruch diesbezüglich aufrichtig wahrer Rede. Wie gesagt, gilt der Impuls, die Blockade zu lösen – so die Vermutung –, nicht den Urteilen der Rede selbst, sondern lediglich dem Status ihrer Konstituierung, insgesamt der eigenen Verpflichtung zur Aufrechterhaltung der Virtualität und weiterer Virtualisierung der Souveränität und Universalität inszenatorischer Praxis. Im Fall der Stadt findet sich der Reflex sowohl im Expertendiskurs über Stadt und urbanen Raum als auch in den dem Gegenstand eigenen Ungleichzeitigkeiten und Heterotopien. Wie überhaupt eine ganze Reihe von ›Räumen‹ ist auch ›die Stadt‹ selbst widerständig. Der urbane Raum nämlich erscheint keineswegs einseitig virtuell. Oder umgekehrt: Keineswegs gelten die Manipulationen des Virtuellen einseitig dem wirklichen Raum der Stadt. Die Debatten einzelner Wissenschaften zeigen sich dessen wohl bewusst.221 Es geht um denselben Frontverlauf, der in der Abgrenzung beziehungsweise Eingemeindung der Wissenschaftsforschung eine Rolle spielt. Vom Standpunkt der Inszenierungsermächtigung müsste die Grenze gegen alle nicht ›postmodernen‹ wissenschaftstheoretischen
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Positionen gezogen werden, jedenfalls soweit deren Wahrsagens- oder Wahrheitsanspruch aufrechterhalten und gegen überflüssige Vermehrung verteidigt würde und soweit sie aus der Archäologie und Genealogie ihres Gegenstandes her wie aus seinen Räumen begründet erschiene. Insgesamt sind es die Diskussionen um die space turns, die ein Revival der Thematik mit sich bringen, Diskussionen, in die einzugreifen am Ende nicht nur die humangeografischen Sozialwissenschaften aufgerufen waren, um sich zu erklären, sondern auch die ›Raumkünste‹. Allen voran zu nennen ist hier die Architektur, betreibt sie doch noch ein anderes Gestaltungsgeschäft als die Literaturoder Filmbranche. Letztlich galt und gilt die Herausforderung aber ebenso der Soziologie und den Sozialwissenschaften, weniger den Politikwissenschaften. Nicht weil sie etwa erklärterweise zu den tatsachenorientierten Wissenschaften gehörten, sondern weil sie sich, im Gegenteil, den Aktivitäten der Inszenierungsgesellschaft ohnehin schon seit ihrer Gründung verschrieben haben, wird Opposition von dort aus kaum zu erwarten sein. Vergleichbares gilt für die Ökonomie, soweit sie sich als politische Ökonomie versteht und nicht mehr nur als Spieltheorie, Mathematik und Informatik, Wissensräumen zugehörig, die sich ohnehin zunehmend im virtuellen Raum einrichten. Mit dem ›Raum‹ wird in Wahrheit das Territorium, werden nicht andere Räume anstelle von Herkunft und Entwicklung zum Thema erhoben. Die Rechtfertigung des spatial turn hier besteht kurioserweise in der schlichten Behauptung, dass sich die Notwendigkeit des Wechsels historisch, soll heißen quasi naturwüchsig durchgesetzt habe, als notwendige Ablösung eines »Zeitalters der Geschichte« durch ein »Zeitalter des Raums«. Die Teleologie wird erklärlich, wenn inhaltlich nachvollzogen wird, was gemeint ist: eine zum Programm deklarierte Erinnerung an vergangene Schlachten. Insofern koinzidiert der bemerkenswerte Abwehrreflex durchaus mit dem der theatralen Inszenierungsgesellschaft, die sich im fernen Spiegel ebenfalls an Zeiten des Kampfes um eigene Freiheit und Souveränität erinnert. Die Überlegung ist simpel: Mögen den Kämpfen der Vergangenheit auch Zeiten der Befriedung, der Konsolidierung und relativer Ruhe gefolgt sein, des Verständnisses von Zusammenhängen und Entwicklungen auch; dies aber, so das jetzt erinnerte Menetekel, sollte nicht verdecken, dass die Frage der Eroberung nicht ausgestanden ist. Die Empfehlung daraus lautet, diese Ahnung wachzuhalten, tunlichst zu aktualisieren und fruchtbar zu machen. Der Reflex bezieht sich nicht zufällig immer wieder auch auf wesentliche theoretische Erörterungen aus einer Zeit, in der die politischen und sozialen Implikationen im Umgang mit dem Wissen und seiner Artikulation in den Fokus öffentlicher Auseinandersetzung gerieten, nicht zuletzt um die Frage der Materialität von Demokratie und Wirtschaftsordnung in und seit den 60er Jahren des letzten Jahrhunderts. Die Referenz Henri Lefèbvres beispielsweise ist einschlägig. Ebenso einschlägig ist, Michel Foucault für die Legitimation des spatial turn einzuspannen. Seine vermeintliche Epochencharakteristik des 20. Jahrhunderts fehlt nie unter den kanonischen Texten des Raumdrehs, beispielsweise in den Formulierungen aus Des Espaces autres / Über andere Räume, einem Vortrag aus der Mitte der 60er Jahre, den der Autor allerdings erst 1984 zur Veröffentlichung freigab. »Die große Obsession des 19. Jahrhunderts ist bekanntlich die Geschichte: Themen wie Entwicklung und Stillstand, Krise und Zyklus, die Akkumulation des Vergangenen, die gewaltige Zahl der Toten, die bedrohliche Abkühlung des Erdballs. Das wichtigste Reservoir, aus dem das 19. Jahrhundert seine Mythen schöpfte, war der
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Zweite Hauptsatz der Thermodynamik. Unsere Zeit ließe sich eher als Zeitalter des Raumes begreifen.«222
Literatur, Geografie. Struktur, Geschichte (Foucault) Würde man den Foucault-Text zu Rate ziehen, würde immerhin aufstoßen, dass der Autor von einer »Obsession des 19. Jahrhunderts« spricht, mithin die entgegengestellte Charakteristik des 20. Jahrhunderts eine vergleichbare Obsession nahelegt. Betrachtet man die Indienstnahme solcher Formulierungen im Spatial Turn, wären es allerdings gerade nicht Foucaults Bemerkungen zu ›anderen Räumen‹ und ›anderen Zeiten‹, Heterotopien und Heterochronien223, die Aufschluss geben könnten über den Sinn der Aneignung. Foucaults Werk verweigert sich zweifellos dem inszenierungsgesellschaftlichen Konsens, den es nichtsdestotrotz selektiv zur Rechtfertigung heranzieht. Effektiver allerdings, als auf die Erörterung von Gegenräumen hinzuweisen, wäre, wenn es darum geht herauszuarbeiten, was die Pointe der Wendungen zum Raum ausmacht, Foucaults Stellung zur Geografie zu beleuchten. Denn weit weniger als um die Differenz von Zeit (Geschichte) und Raum (Struktur) geht es hier um die Relevanz von Begriffen als Werkzeugen in der Hand der Wissenschaften: ›Zeitlichkeit‹ und ›Geschichtlichkeit‹ in der Hand der Historiografie, ›Spatialität‹ und ›Topografik‹ beziehungsweise ›Topologik‹ in der Hand von Geografie und Soziologie – oder Kultur-, Politikwissenschaften und Ökonomie. Und um die Möglichkeiten, auf diese Verteilung von Instrumenten und Medien in der Verfügung der Wissenschaften Einfluss zu nehmen, die Verteilung selbst dabei aber als dem eigenständigen Spiel von Expansion und Territorialisierung zugehörig darzustellen. Foucault war das auch in den 60er Jahren durchaus bewusst: »Vielleicht könnte man sagen, daß manche ideologischen Konflikte in den heutigen Polemiken sich zwischen den anhänglichen Nachfahren der Zeit und den hartnäckigen Bewohnern des Raumes abspielen.«224 Allerdings wäre zwischen wissenschaftlich alternativen Strategien und ideologischer Funktionalisierung wohl zu unterscheiden. Die ›strukturalistische‹ Gegenprobe zur Historisierung – denn darum handelt es sich in der Akzentuierung des Raumes, wie sie in Foucaults Nachdenken Erwähnung findet225 – ist nach eigenem Bekunden Foucaults nur der »Versuch, zwischen den Elementen, die in der Zeit verteilt worden sein mögen, ein Ensemble von Relationen zu etablieren, das sie als nebeneinandergestellte, einander entgegengesetzte, ineinander enthaltene erscheinen läßt: also als eine Art Konfiguration; dabei geht es überhaupt nicht darum, die Zeit zu leugnen«. Vielmehr »handelt [es] sich um eine bestimmte Weise, das zu behandeln, was man die Zeit und was man die Geschichte nennt.« Folglich ist ebenso einleuchtend, daß der Raum, der heute [oder wann auch immer – HW] am Horizont unserer Sorgen, unserer Theorie, unserer Systeme auftaucht, keine Neuigkeit ist«, sondern nach wie vor in der Perspektive unterschiedlicher Interessen und Absichten präsent erscheint. Raumorientiert markiert solches Interesse Positionen der Zeitgenossenschaft, geschichtsorientiert will es mit Herkunft und Wandel überzeugen. Die Entscheidung darüber, welches Interesse die Szenifikation dominiert, variiert gemäß Strategie und Taktik. Mithin versteht sich, dass hier nicht die Positivitäten der Geschichte oder der Räume im Vordergrund stehen und deren Dialektik, sondern die Strategien und Taktiken, diese oder jene zu handhaben, Strategien und Taktiken nicht zuletzt der Wissenschaften und der Diskurse, die sich mit ihnen verbinden. Wie es demnach aus einer bestimmten ›Konfiguration‹, aus einer ›Szene‹ heraus möglich wird, ja notwendig ist, Relationen zwischen Elementen herzustellen, die diachron verteilbar sind und sich zerstreuen, so
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müssen sich Konfigurationen, die einen Raum zu gestalten in der Lage sind, in ihre Herkünfte und Zukünfte hinein verfolgen lassen, um Struktur und Geschichte besser zu verstehen und die Kämpfe darum. Die Territorialisierung der Wissenschaften selbst zur Debatte zwischen den Wissenschaften zu deklarieren – effektvollerweise die Möglichkeiten, u-topische oder hetero-topische, virtuelle oder fiktive Positionen zu reklamieren, nicht ausgeschlossen226 – heißt, die entsprechenden Gesichtspunkte statt auf die Gegenstände auf die Besetzung der Wissensräume und das Ringen darum zu verlagern. Verfolgt man die Topografie und die sie leitende Topologie der kulturwissenschaftlichen Modellbildung zur Orientierung im Raum und zur Raumerschließung hin zu dem Ort, wo sie in ihren Ordnungs- und Regelungskompetenzen entsprechend handlungsrelevant zum Einsatz kommen, erklärt sich die Rationalität der Unterordnung von Zeichen und Medien unter die Kulturpragmatik. Und tatsächlich findet sich hier auch der ›Aufstieg zum Konkreten‹. Offensichtlich werden hier Schlachten geschlagen, nicht im Theater. Ein Licht auf den Prozess, in dem Foucault die Geografie als Wissenschaft von den Raumstrategien und damit verbundener Gouvernementalität verstehen lernt, wirft ein Gespräch, das er in den 70er Jahren mit der Zeitschrift Hérodote führt.227 Es geht dem Gesprächspartner von der Zeitschrift für Geographie und Geopolitik um den Status der Foucault´schen Raumbegrifflichkeit. Er insistiert, um herauszufinden, wie viel Metaphorisches in »diesen räumlichen Obsessionen« (Foucault über sich selbst) sich auf politisch und ökonomisch relevante Raumordnungsprozesse bezieht. Foucault räumt ein, dass Raummetaphern, die zunächst durchaus nicht dem wissenschaftlichen Diskurs entstammen, erlauben, »die Punkte genau zu erfassen, durch die die Diskurse sich in, mittels und ausgehend von Machtbeziehungen transformieren.« Im Unterschied dazu steht die Transformation mittels temporaler und historischer Metaphern, die zur Verwendung eines Modells individuellen Bewusstseins und einer ihm eigenen Temporalität führen. Doch hat dies zur Konsequenz, dass an solcher »Identität als Effekt« die »Gegebenheit [...], an der die Macht sich ausübt und in der sie sich niederschlägt«, schwieriger festgemacht werden kann als an den Strukturen der Figuration und Konfiguration im Gefecht. Dagegen läuft die »verräumlichende Beschreibung diskursiver Tatsachen [...] auf die Analyse der ihnen verbundenen Machtwirkungen hinaus.« Unter anderem bezieht sich diese Aussage auf die sich überlagernden »Netze der Herrschaft und die Kreisläufe der Ausbeutung«.228 Dass mit einer derartigen Machtanalyse »Komplexität und Feinheit« der verwickelten Verhältnisse gegenseitiger ›territorialer Verdrängung‹ notgedrungen schematisiert werden müssen, steht angesichts der Äußerungen Foucaults zu dieser Zeit kaum zu befürchten. Mit Blick auf Althusser, der sich zur selben Zeit ähnliche Fragen zur räumlichen Metaphorik stellt, ist es zu tun um das »Symptom eines ›strategischen‹, ›im Kampf befindlichen‹ Denkens«, wie der Interviewpartner feststellt. »Macht« erscheint dabei vergleichsweise selten zentralisiert, geht vielmehr »in ihrer Ausübung viel weiter, geht [...] durch viel feinere Kanäle hindurch, ist [...] viel zwiespältiger, weil schließlich jeder im Grunde Vertreter einer bestimmten Macht ist und insofern Macht befördert.« Ein Plädoyer für eine szenische Betrachtung und mikrosoziologische Methoden. Nicht zuletzt die Geografie ist, wie im Kontext ebenso deutlich wird, zusammen mit der Historiografie verantwortlich für das, was man einen »nationalen Diskurs« nennen kann. Dies ändert sich nicht grundsätzlich, wenn alternative territorial und geopolitisch relevante Perspektiven die nationalen Blickwinkel
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erweitern, beispielsweise europäische oder auch globale Perspektiven. Allerdings finden Verschiebungen und Ersetzungen statt, und die Vermittlungsleistung hat komplexere Inhalte zu bewältigen. Zusammen mit der Geschichtswissenschaft gehört die Geografie deshalb zu den wichtigen Kombattanten der Inszenierungsgesellschaft, um deren Politik zu betreiben.229 Das erst macht sie auch zu interessanten Gesprächspartnern in den Debatten um die Wendungen zum Raum. Die theoretische Physik beispielsweise ist hier so gut wie nicht gefragt. Geschichte und Geografie allerdings schwanken in ihrer Auffassung des Politischen, sofern dieses topisch oder atopisch gefasst werden kann. »Während das Politische eine grundlegende Entortung und einen riskanten Augenblick des staatlichen Wesens bedeutet« – weswegen sich Foucault mit den Hetero-Topien befasst –, »stellt die Politik als Topik und Topologie den politischen Körper wiederum her: durch Gliederung, Verortung und Platzanweisung«230, durch Regiment und Gouvernement. Dennoch – oder in diesem Sinne: wie die Geschichte ist nicht zuletzt die Geografie geeignet, als Wissenschaft Auskunft zu geben über den Stand eines an Territorialgewinnen interessierten Expansionsunternehmens, das sich freilich als solches, und soweit es auf einen leeren Raum verweist, zum Verschwinden bringt. Insofern sind die Diskurse dieser Wissenschaften nicht Politik, aber politisch! Gerade weil und solange Politik aber, in einer Überschneidung von Natur- und Humanwissenschaften, »Untersuchung, Messung und Prüfung systematisch verwendet«231 und auf diese Weise dem Fürwahrhalten und Wahrsprechen im Ethos der Wissenschaften verpflichtet ist, erfahren wir von ihr wie von Geschichte oder Soziologie mehr als nur Geschichten über Text- und Medienräume. Schließlich dreht es sich um die Stadt. Sie sollte unser Beispiel dafür sein, dass hier eine Welt voller Einrichtungen und Anschlüsse zumindest (und in vielen Fällen nicht nur) vordergründig handfester Natur existiert, voller zirkulierender Dinge, Ereignisse, Akteure und Aktivitäten, gebunden zuweilen in vielen einfachen Situationen. 3
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›Infraordinäres‹ (Perec)
Wir finden die Realität an den Grenzen eines nicht inszenierten, latent indes stets ›in Inszenierung‹ begriffenen Ordinären. Wie das Schauspiel, das die Stadt bieten kann, kein ›Theater‹ ist, nicht fiction, auch wenn man sie ›lesen‹ kann, wohl aber oft genug Fiktion, weil es auf zukünftig sich Ereignendes weist, reicht es den Akteuren und Agenzien in situ, zu sein, indes von ihrem Vermögen zu wissen. Die Situation ist eine Ansicht, gewissermaßen die Dingansicht der Szene. Es gibt einfach »viele Dinge [...], zum Beispiel: ein Rathaus, ein Finanzamt, ein Polizeikommissariat, drei Cafés, darunter eines, das auch Tabakladen ist, ein Kino, eine Kirche, [...], einen Verlag, ein Bestattungsunternehmen, ein Reisebüro, eine Bushaltestelle, eine Schneiderei, ein Hotel, einen Brunnen, der von den Statuen der vier großen christlichen Kanzelredner [...] geschmückt wird, einen Zeitungskiosk, einen Devotionalienhändler, eine Tiefgarage, ein Schönheitsinstitut und noch viele weitere Dinge.«232
Dass solche Situationen gleichsam ruhiggestellt erscheinen, ohne derzeitige Aussicht auf Ausstellung oder Inszenierung in bemerkenswertem Stil, ist nicht flächendeckender Dornröscheneffekt. Zum einen sind ein »Großteil, wenn nicht die meisten dieser Dinge [...] beschrieben, inventarisiert, fotografiert, erzählt oder zahlenmäßig erfasst worden«. Und zum anderen kann der beobachtende oder ambitionierte
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Teilnehmer auch weiterhin bei seiner Rolle bleiben. In »Situation« und »Szene« auseinanderzufallen, ist kein Effekt des Erlebens, sofern das Erleben im Erleben das eine vom anderen gewöhnlich begrifflich nicht trennt. ›Unter einer Perspektive‹ zu erscheinen indes ist gerade nicht das, was ›bedeutet‹, insofern es einfach da ist, wie die einfachen Dinge, die nur sich zeigen, »das, was man im Allgemeinen nicht notiert, das, was nicht bemerkt wird, was keine Bedeutung hat, was passiert, wenn nichts passiert außer Zeit, Menschen, Autos, Wolken«.233 Dass all dem die Bedeutung deswegen abhanden gekommen oder sie deshalb nicht gegenwärtig wäre, wird man nicht sagen können, wenn »Bedeutung« meinen kann, was das Bedeutenlassen im bloßen ›Lassen‹, in der vermeintlichen Passivität des sinnlich körperlichen Aufnehmens schafft. George Perec, dem viele Beschreibungen dieser Art zu verdanken sind und der sicher einer der originellsten Chronisten städtischer Situationen und Szenen genannt werden darf234, interessiert sich für die unbedeutenden, »infra-ordinären« Dinge und für das, was mit ihnen ist. Perec bringt zur Sprache, wie sie sind, wenn sie nicht (oder noch nicht) etwas anderes sein sollen als sie selbst: die verschiedenen Abfahrten einer Buslinie, ohne dass es interessiert, wohin sie fährt, die mehr oder weniger gemessenen Abstände, welche die Zeit der Großstadt anhand solcher Ereignisse takten, ohne dass sie in Relation zur Geschwindigkeit gesetzt werden, aus der Weg und Ort zu ermitteln wären. Die Ampelphasen an einer Kreuzung, die Bewegungen des fließenden, die Verzögerungen des ruhenden Verkehrs, und was geschieht, wenn sie aufeinandertreffen. Wer kommt, wer geht – alles, wie es ist, ohne seine Folgen zu bilanzieren. Zeichen und Symbole, die auf sich weisen: Wetter, Licht und Schatten auf einer Fassade ... Allerdings werden Erinnerungen befördert; so meldet sich die Differenz. Dass solche Dinge dem einzelnen ›Nicht-Beobachter‹, schaute er hin, durchaus persönliche Ansichten und Gelegenheiten zum Mittun anböten, spart die Listung aus. In der Liste paradiert die einfache Präsenz von Dingen aller Art. Identifikation ist schwierig. Aus dem, was Perec über den Platz mitten in Paris berichtet, wird man kaum schließen können, dass es sich um eine bestimmte Stadt des 20. Jahrhunderts handle. Sollte es Anhaltspunkte geben, erscheinen sie wie aus genormten behördlichen Aufstellungen und Inventarisierungen, nicht als literarische Dramatisierungen konkreter Orte, Zeiten und Schicksale. Zu Schlussfolgerungen schwingen sich solche Tabellen nicht auf. ›Inszenierungsabsichten‹ könnten allenfalls vermutet werden aufgrund gewisser, mit der Vermessung verbundener Vorstellungen: Es zu belassen, wie es ist, oder wieder so zu machen.235 Auch das aber wäre noch so gut wie infraordinär, nichtsdestotrotz nicht zu übersehen. Vielleicht gehört zu inszenieren zur Eigenart des Verwaltungshandelns. Jedenfalls kennt man vergleichbare Willensäußerungen aus dem politisch bürokratischen und administrativen Diskurs und seinen Diskursereignissen. Es gibt offenbar andere Einstellungen zur Vielfalt der alltäglichen Dinge als ihre literarische oder kulturwissenschaftliche Nobilitierung unter dem Regiment einer Autorschaft. Dazu gehört nicht zuletzt das Regiment der Ordnungsmächte und der Administration, das der Produktion von Waren und Tauschwerten. ›In freier Entwurfsumgebung‹ (Sartre)
Zu sehen, was passiert, wenn nichts passiert, ist eine Wendung, die der Beschreibung des Situativen angemessen ist. Zustand und Lage verstehen sich auch hier beschreibungsrelativ. Die Darstellung entscheidet sich, statt was sein soll oder könnte, das, was ist, in den Blick zu nehmen. Reflexiv vermerkt der Kommentar das »›In-Situation-sein‹« der eigenen Lage. Wer spricht, findet sich zugleich, existentiell, unter
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den Dingen, die da sind, im Zustand des »Für-sich«.236 Indes sind die Zustände des Seins und des Werdens korrelativ aufeinander bezogen. Das sich die Dinge wie deren Erkenntnis, mithin die Subjekte, in die Zeit erstrecken, ist die Voraussetzung dafür, jeden Wandel aus der Gegenwart in die Zukunft von einem ›Noch-nicht‹ aus zu deuten. Dies vorausgesetzt, versteht sich, warum der Veränderung von Zuständen und Lagen Interesse entgegengebracht wird. Die Zeit bringt Absichten, Ziele und Zwecke erst ins Spiel. ›Dispositionen‹ setzen Differenz voraus, ein ›Jetzt-hier‹ und ein ›Späterdort‹, wobei die Zerlegungen der Dialektik gerade hier infrage stehen. Der Wechsel der Orientierung bestimmt die Art der Einflussnahme, praktisch wie theoretisch. Die situative, rein ästhetische Einstellung mag sich der Veränderung gewiss sein, kann sich von daher auch der realiter strategischen Positionierung der Gegenwart im Feld intentionalen Handelns ›leibhaft bewusst‹ sein. Trotzdem muss sie nicht darum zu einer tätig qualifizierten Disposition wechseln. Statt auf den indikativischen Modus der Situation besorgend oder vorsorgend, ordnend oder verfügend, vorschreibend oder zwingend zu reagieren, könnte die Reaktion darin bestehen, mit der Tätigkeit einzuhalten. Heideggers Kunstwerkauffassung fasst dieses Muster ins Auge. Ästhetisches Genießen, das sich die Einflussnahme durch eigenes Tun versagt, wäre eine Art, situatives Einlassen aus Subjektsicht vorzustellen. Keineswegs aber wäre hier die Trennung in Passivität und Aktivität sinnvoll, viel eher die »Passivitäts-Kompetenz« (Brock/Sloterdijk) ins Auge zu fassen.
Lagebeurteilung: theoretisch, praktisch (Sartre/Debord) Die theoretische Lagebeurteilung ergibt sich aus der praktischen. Das Gefühl, gerade einem pausierenden, wenn auch grundsätzlich zu vollziehenden Spiel beizuwohnen, resultiert aus einer selbst zur Unterbrechung bereiten, ›pausierenden Beurteilung‹. Insofern erweist sich die Ontologie als Effekt ihrer Beschreibung. Diese Art empirischer Ontologie hätte mithin die Chance, die Werdens- beziehungsweise So-oderso-Sollens-Ansicht der situativen Zustandsbetrachtung selbst als ontologische Modalität zu formatieren. Im Ergebnis entspräche der Ontologie des Seins oder So-Seins eine Ontologie des Werdens oder So-Werdens. Offensichtlich lässt sich Letztere als ›Deontologie‹ verstehen, wenn Deontologie keine Pflichtenethik beinhalten muss. Der ›Normativität‹ wäre schlicht nur formal Rechnung getragen, aus Evidenzgründen freiwilliger Anerkennung des Werdens oder beständigen Zustandswechsels. Dem Imperativ wäre Genüge getan, wenn er in etwa einer Formulierung entspräche wie der, dass jedermann sich der Zukunft gewiss sein solle. Es erhellt, dass daraus keine zwingende Verpflichtung auf die Eroberung solcher Zukunft als Bild hervorgeht, bestenfalls einige pragmatische Überlegungen aus Klugheit und qua Urteilskraft resultieren, diese oder jene. Sie haben nichts damit zu tun haben, dass die Ankündigung der Zukunft als gewiss eine Pointe wäre. Hinsichtlich der Differenz zwischen Szene und Situation wird deutlich, dass es keine Frage reifizierender Versicherung sein kann, Szene oder Situation zu konstatieren. Vielmehr bestimmt sich der Unterschied gemäß unterschiedlicher Kombination und Konstellation im Vollzug des Bedeutenlassens und Handelns. Das überhaupt ist der Grund, wenn, was nicht selten geschieht, die Aspekte der situativen oder szenischen Phänomenalität im jeweils korrespondierenden Begriffskontext entfaltet werden. Die gilt nicht nur für die Ontologie oder Phänomenologie (etwas bei Sartre oder Hermann Schmitz), sondern ebenso für die ›situationistische‹ respektive ›szenisch praktische‹, ›politische› Praxis – wenn denn »politisch« für alternative gleichwohl miteinander konkurrierende Handlungs- und Instituierungsentwürfe und -entscheidungen steht. »Was ist die Situation? Sie ist die Verwirklichung
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eines höheren Spiels oder genauer gesagt die Aufforderung zum Spiel der menschlichen Anwesenheit«. Schon der Gründungstext der mit Sartres Situations-Analyse sympathisierenden Situationisten, Der Rapport über die Konstruktion von Situationen (1957) hatte die Definition des Manifests von 1960 in den Kontext von politischem Handeln, ästhetischer Gestaltung und Leben gestellt: »Die Situation beginnt jenseits des modernen Zusammenbruchs des Spektakels. [...] So ist die Situation dazu bestimmt, von ihren Konstrukteuren erlebt zu werden. So soll die Rolle des [...] ›Publikums‹ ständig kleiner werden, während der Anteil derer zunehmen wird, die zwar nicht Schauspieler, sondern in einem neuen Sinn des Wortes ›Lebe-Männer‹ genannt werden können.«
Die ›normale‹ Disposition unterstellt die mehr oder weniger automatische Verbindung gewohnheitsmäßig habitueller Einstellung von Einsicht, Empfindung plus Affekt und energetisch motorischer Bereitschaft. »Einsicht« steht dabei nicht für eine Einsicht als Schlussfolgerung aus komplexer Be-Sinnung, sondern für eine intellektuelle Gemütsverfassung gemäß Gewohnheit. Sie verbindet sich mit passenden, jedenfalls nicht widersprechenden Gefühlen, mit eingeübten Erwartungshaltungen und einer ihnen korrespondierenden Handlungsdisposition. Über die Beschreibung intentionaler Zustände und davon abhängiger Propositionen lässt sie sich abfragen und realisieren. Als Handlungsmodalität ließe sie sich auf Grundlage längerfristiger Situationsbeobachtung empirisch beschreiben – wobei allerdings, wie am Beispiel der Kant´schen Pragmatik zu diskutieren sein wird, einige methodische und methodologische Schwierigkeiten beobachtender Beschreibung auftauchen. Dem gewohnheitsmäßigen Gleichtakt der Interpretantenwirkung, um mit Peirce zu sprechen, konkurriert das Bedeutenlassen auf der Grundlage von Gewohnheitsveränderungen.237 Betrachtung wie Beschreibung situativer Zustände (desgleichen anderer ›logischer‹ Zustände) wären in diesem Fall herausgefordert, die Möglichkeiten der Gegenwart, einer ohnehin immer schon vergangenen Zeit, unter dem Aspekt eines grundsätzlich offenen Sein-Könnens zu fassen. (Pragmatisch gesehen, selbstredend unter der Einschränkung aller sich zwingend erweisender Kontingenzen.) Die empirisch ontologische Option bliebe offen. Weder müsste sich die sinnliche und Gefühlseinstimmung den gewohnten wie den automatisch inkorporierten Normativitäten unterwerfen, noch müsste die energetisch motorische Reaktion dem Willen Bereitschaft zu entsprechender Einflussnahme signalisieren. Es könnte, mit anderen Worten, bei einer ›situationistischen‹ Einstimmung238 der Gemüts- und Willenslage bleiben. Oder aber die Gewohnheitsveränderung lancierte ein rational wie emotional und praktisch energetisch handlungs- und gestaltungsorientiertes Bedeutenlassen mit entsprechenden Konsequenzen für die Bereitschaft zu szenifikatorischer Reaktion. Die Situation stünde wieder im Fokus des Szene-Machens. Man wird Sartre recht geben, dass die »Wahl des Zwecks [...] Wahl eines Noch-nicht-Existierenden« ist, aber eines auch ›Immer-schon-existieren-Könnenden‹. Hierwurzel die Realität der Fiktion oder des Entwurfs. – Wir werden gegen Ende des zweiten Teils das Verhältnis von Situation und Szene dem von dionysischer und apollinischer Dichtung bei Nietzsche an die Seite stellen. Als Lagebezeichnungen finden wir dort die Situation in der Orchestra des Chors als notwendiger Ergänzung der ›Helden-‹ und Handlungsbühne der Szenifiaktionen.239 Für die Sartre´sche Dialektik und ihre Kritik ist die Situation gerade dadurch, dass sie als Noch-nicht der Zwecksetzung (oder Wunscherfüllung) erscheint, als
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»Nichtung« gesetzt. Ihre Existenz »in der Korrelation mit der Überschreitung des Gegebenen auf einen Zweck hin« führt dazu, »das Gegebene, das ich bin, und das Gegebene, das ich nicht bin«, einem »Für-sich« überantwortet zu sehen, »das ich nach dem Modus bin, es-nicht-zu-sein«. Das ist Hegel´sche Organisation und Wortwahl, freilich auf dem Weg sich zu emanzipieren. »Wer Situation sagt«, heißt es in Sartres phänomenologischer Ontologie, »sagt also ›durch das Für-sich, das in Situation ist, erfaßte Position‹«. Das ist nicht der Umschlag, sondern die Anwesenheit. Die Position wäre mit einer freien Disposition zu verbinden oder mit Dispositionsfreiheit, was beides beinhaltet: Freiheit zur und von der Disposition. Damit unterstreicht Sartre, dass die Beschreibung einer Situation als Situation »von draußen« unmöglich ist. Wenn jemand Debords »Lebe-Männer« geben kann, dann ist es ›das Publikum‹. »Situation« zur Disposition ›gesetzt‹ und auf diese Weise bestimmt, »erstarrt zu Form an sich.«240 Alle realistische »Situation« geht demnach einher mit andauernder Aufforderung zur Bewegung, zur Entscheidung. Auf diese Weise verbindet sich die Situation ständig mit der dem Wechsel des Kräftespiels ausgesetzten Szene. Von hier aus »integriert sich die Situation in die Vergangenheit«, die Situation samt ihrer Platzierung. Die Perspektive macht, dass beide ›Zustände‹ – platziert und situiert zu sein – den Anschein quasi physischer Erdung und Substantialität erzeugen, einen Anschein, der, abgelöst von der Perspektive, wie Heidegger zeigt, durchaus zu erhärten wäre. Jedenfalls hat »das Für-sich durch seine Wahl der Zukunft seiner vergangenen Faktizität einen Wert, eine hierarchische Ordnung und eine Aktualität [verliehen], von denen aus sie [die Wahl – HW] seine [des Für-sich – HW] Handlungen und Verhaltensweisen motiviert« erscheinen lassen.241 Man könnte von einer Inszenierung sprechen.
Die Freiheit der Wahl & ihre Grenzen. Dingrealität als Kontingenzfülle Die Dingansicht der Situation wird aus der Perspektive des Handelns und Schaffens zur Entwurfsumgebung für die darin projektierte szenische Belebung, die szenische Schlacht. Die Umgebung der Dinge, »meine ›Umwelt‹ [...] lässt sich nur in den Grenzen eines freien Entwurfs entdecken«. Was das Individuum betrifft, könnte es heißen: in den Grenzen »der Wahl der Zwecke, die ich bin«. Doch ist dies »zu einfach«, wenn man es dabei bewenden ließe. Denn die Gegenstände einer enthüllten Situation sind nichtsdestotrotz nicht die Situation als »Summe dieser Gegenstände für sich«.242 Die Dinge, im Gegenteil, sind selbst agencies. Sie »können zu einer radikalen Verwandlung der Situation beitragen«. So erhellt243, dass die Freiheit der Disposition Grenzen hat. Dies berücksichtigt der Widerstreit der Dinge. Man darf nicht »Freiheit zu wählen« mit »Freiheit, etwas zu erreichen,« verwechseln. Die Freiheit – inklusive der, auf das Handeln »zu verzichten« oder sich selbst oder anderen etwas vorzumachen – liegt beim Entwurf, »einer freien Projektion«. Hierin erscheint »das Gegebene« auftauchender oder verschwindender Dinge »genichtet«, der Entwurf auf diese Weise nicht gefährdet, sondern berechtigt, sich als selbstständig zu bezeichnen. Die Dingvoraussetzung als »unabhängige Existenz des Gegebenen« ist nämlich »Beweis einer noch größeren Tragweite [...], etwas machen [zu] können«, sofern dies bedeutet, unabhängig machen zu können, »frei-sein-um-zu-verändern«, eine Sicht, die in der Welt des künstlerischen Schaffens beherrschend zu sein scheint. Allerdings muss der Grund verstanden sein. Das Subjekt als Ding unter Dingen ist dingunabhängig. »Die interne Negation enthüllt das An-sich als unabhängig, und diese Unabhängigkeit konstituiert dem An-sich seinen Dingcharakter.« Diese Verobjektivierung wiederum ist die Bedingung dafür, im szenischen Kontext immer auch die Situation präsent zu halten. Herausgefordert dazu sind die Akteure beispielsweise dann, wenn es gilt, Szenen anschlussfähig
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zu gestalten und zu diesem Zweck ein ›Szenario‹, eine Situation von Angeschlossenheit in der Art vorzustellen, wie wenn die Dinge sich veränderten. Was »die Freiheit [...] setzt, ist jetzt aber, dass sie ist, als mit etwas anderem als sich selbst zu tun habend«. Der »Entwurf meiner Freiheit fügt auf diese Weise den Dingen nichts hinzu; er macht, daß es Dinge gibt, das heißt eben Realitäten, die mit einem Widrigkeits- oder Verwendbarkeitskoeffizienten versehen sind; er macht, daß sich diese Dinge in der Erfahrung offenbaren«244 und auf diese Weise ›zur Disposition‹ stehen. Die Dingrealität als »Kontingenzfülle« ist Bedingung dafür, »Wahl und Organisation von Dingen als Situation« zu realisieren. Situationen lassen sich mithin nicht in den Grenzen von Szenen territorialisieren, Szenen nicht in den Grenzen von Situationen. Wenn »es nicht gut geht«, ist es nicht unbedingt der Gesundheitszustand, über den sich Menschen austauschen. Denn vielleicht ist »es [...] die Situation unserer Stadt oder unseres Landes«. Man wusste es schon: »Situation« ist diejenige Bedeutung, die der »Freiheit« des Für-sich beigelegt wird, soweit sie in Relation, bedingt erfasst wird. Die »Existenz von Bedeutungen, die nicht aus dem Für-sich hervorgehen, [kann] keine äußere Grenze seiner Freiheit konstituieren«. Dies unter anderem belegen die Bedeutungen, die wir der politischen Inszenierungskunst der radikalen Demokratie entnehmen konnten und angesichts der ›explodierenden Stadt‹ für angebracht halten. Freilich unter den genannten Bedingungen. Das »persönliche Selbst« des Für-sich muss als verantwortlich für eine sozial identifizierbare »Existenz einer Spezies Mensch« betrachtet werden. Das meint: spezifisch orientiert wie verantwortlich und dabei doch »in Anwesenheit von vielerlei Sinn«. Nichtsdestotrotz, wenn auch das Wissen jede Szene transzendieren mag, macht das bedingt bestimmte Für-sich, das sich als ein Für-andere erweist, dass die »Techniken auftauchen. Denn es greift Situationen praktisch handelnd und umbildend auf«. Technik taucht auf als Effekt des Selbst, ein anderer zu sein, in diesem Sinn »als Verhalten des anderen«. Dass Sartre dies als »transzendierte Transzendenz« begreift, sollte man materialistisch verstehen, als Überschreitung der Transzendenz der Freiheit in Richtung ihrer ökonomischen Bestimmtheit, Arbeit und Tausch zu implizieren. Denn nicht die anthropologischen Konsequenzen, dass nun »Menschen« das Podium betreten, ist die Pointe der jetzt zwingenden Auflösung, sondern viel eher, dass sie als »Bürger und Arbeiter, Franzosen und Deutsche« sich zeigen.245 Dass sich »die Verhaltensweisen des andern in der Welt als Techniken erweisen«, wird derart erst konkret. Durchaus kann es unter diesen Umständen als inszenierungstheoretische Konzeptualisierung gelesen werden, wenn es heißt, dass, was vom andern [des Selbst – HW] als freier Entwurf erlebt wird, draußen als Technik existiert, eben indem es sich zu dem macht, durch den ein Draußen zum andern kommt«.246 Die Situation mithin kann nicht subjektiv sein und nicht objektiv (»rein Gegebenes«). Sie konstituiert keine Erkenntnis. »Sie ist die Dinge, die dem Subjekt sein Bild zurückgeben. Sie ist die totale Faktizität, die absolute Kontingenz der Welt«.247 In-Situation-Sein definiert die menschliche Realität, »indem es zugleich über deren Da-Sein und deren Darüber-hinaus-Sein Auskunft gibt. Da es sich beim Darüberhinaus-sein-Wollen um Zwecke handelt, die aus dem Dasein der Dinge heraus entworfen werden, bietet sich die Situation als »eminent konkret« dar. Woanders als in der Situation sollte der Entwurf auftauchen, der sich szenisch zu entwerfen gedenkt? Das Für-sich des Plans »taucht nicht mit einem ganz gegebenen Zweck auf«, sondern, indem es die Situation ›macht‹, ›macht es sich‹«. Es muss aus der Situation heraustreten und sie überschreiten. Deshalb auch muss es zu einem »fortwährenden Erneuern« des Engagements, der Anstrengung kommen. Was die Räume und die Orte betrifft,
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bestätigt der Entwurf die »Permanenz des An-sich« der Realität. Zurückgegeben als »unser Bild«, stützen die Realitäten uns derart »mit ihrem Weiterbestehen«. Die Blendung mag darin bestehen, dass wir die darin erscheinende Permanenz – des Ortes, der Zeit – für unsere eigene halten. Sartre nennt dies ein »vermindertes Bild unseres Beharrens«, eines Beharrens, das wir mit Peirce auch schlichter als »Gewohnheit« übersetzen. Es leuchtet ein, was daran blockiert. Veränderung als unrealisierbar zu behaupten, impliziert die Behauptung, dass Veränderungen gegen das Sein des Gegebenen anträten, mithin, sie wirklich zu erreichen, schwerlich denkbar sei. Dass solcher Wandel außerhalb der Bilder auf unsere Zustimmung nicht wartet, wie am eigenen Leib zu erfahren, das Beharren also keinen wirklichen Grund angeben kann, auf sich selbst zu beharren, schmälert der Situation die Existenz nicht. Freilich, vergleichsweise ›einfach‹, wahrgenommen als diese Situation, sind »wiederkehrende neue Komplikationen« geeignet, »eine komplizierte Situation zu bieten«.248 Es wird einfache und komplizierte Entwürfe geben. Wir werden die voranstehende Analyse im vierten Teil der Arbeit wieder aufnehmen und sie im Zusammenhang der politischen und ökonomischen Problematik der Inszenierung diskutieren. 4
auftritt der stadt
Man hat den Eindruck, dass es ein Ordinäres der Stadt geben könnte, das von der Place Saint-Sulpice aus nicht notiert werden kann. Trotz der dort versammelten Dingund Warenansammlung, all dem, was Perec in seinen Aufzeichnungen Revue passieren lässt. Was im Situativen nicht von selbst sich aufdrängt, ist alles ›gelegen‹ Erscheinende. Teils betrifft es Vergangenes, teils Zukünftiges, teils ist es ein Dahinter-, teils ein Zugrundliegendes. Auch dazu gehört, was sein soll, dies aber nicht preisgibt, indem es sich bloß zeigt. Es gehört dazu mithin die Geschichte, die, soweit gegenwärtig, ein Wissen darstellt. Dazu gehört, was in der Zirkulation, ›auf dem Markt‹ geschieht, soweit es die Wünsche und Ambitionen von Käufern und Verkäufern betrifft. Gleichfalls verborgen bleibt gewöhnlich die Arbeit.249 Schließlich, wie gesagt, bleibt das Planen und Besorgen des Zukünftigen so verborgen wie im Gegenwärtigen die vergangene Disposition. Historisches bedeuten zu lassen, kann natürlich nicht heißen, Strukturelles zu vernachlässigen; im Gegenteil. Gewährsmann für Geschichte wie Struktur des Raums, konkret auch des Stadtraums, ist uns Henri Lefèbvre. Seine Analyse des Urbanisierungsprozesses stammt aus derselben Zeit wie Foucaults Kritik der Territorialisierung. Dabei verfolgt Lefèbvre eine Methode des ›Aufstiegs vom analytisch Abstrakten zum synthetisch Konkreten‹. Er setzt damit auf Sartres »regressiv progressive Methode« in dynamischer Variante. Auch dort finden wir ein ›Rückgehen in den Grund‹, dessen Topografie250 wir mit Blick auf die Darstellung zur Urbanitätsgenese wie auf die raumtheoretische Debatte der Kultur- und Sozialwissenschaften um die Millenniumswende thematisieren. Der Sondierungsabsicht in diesem Teil entsprechend, schauen wir auch hier zuerst auf die Fakten, die sich anhand der schon archivierten Sichtung arrangieren lassen. Es geht um den empirischen Raum, in dem sich der Auftritt von Volk – oder Publikum – und Dingen – oder Artefakten – vollzieht. Hierbei sind nicht die Bühnenräume selbst gemeint, sondern der soziale Raum, in dem sie sich eingerichtet haben. Wir werden ihn ausweisen als einen Raum der Stadt und der Verstädterung. Der wissenschaftlichen Beurteilung der ›Raumkonstruktion Stadt‹ widmen wir uns im Anschluss. Nicht zuletzt ist es vorteilhaft, dass auch Henri Lefèbvre von der einschlägigen community
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of sciences als Spezialist, in diesem Fall als einer der maßgeblichen Theoretiker von Stadtentwicklung und Urbanisierung, wie als Raumsoziologe anerkannt ist. Zumindest seine Argumente sollten darum Beachtung finden.
Von der politischen Stadt zur Urbanisierung Raumtheorie und Stadtforschung scheinen zunächst weit auseinander zu liegen; in der Humangeografie und Soziologie freilich weniger weit, als man denken könnte. Dennoch, kein »›wirkliches‹ soziologisches Objekt« mehr entspreche der ›Stadt‹, resümiert Lefèbvre Anfang der 70er Jahre die Lage. Jedenfalls keines, wie es in den Debatten von Architektur, Städtebau und Stadtplanung, in den Konzepten von Politik oder auch Soziologie noch auftauchte. Anstelle dessen habe man es mit »Bildern« zu tun.251 Zweifellos, Lefèbvre räumt dies ein, gilt dasselbe für jede Art der Historisierung der Stadtentwicklung, auch die, die er selbst an verschiedenen Stellen seines Werks vornimmt. Die Zerlegung der Stadt in Typen und historische Exemplare scheint die Virtualität, die ›Seltsamkeit‹ eines Objekts252 selben Namens nicht Lügen strafen zu können. Was nicht heißt, dass deshalb der urbane Raum im Imaginären verschwinden müsste. – Eine wiederkehrende Argumentationsfigur, die zu erhärten immer wieder auch Aufgabe dieser Arbeit ist. – Umgekehrt entsteht die wirkliche Stadt aus konkreten planerischen Vorstellungen und Vorgaben, zugleich aber auch aus Bildern, die dem Plan zugrunde liegen oder ihn variieren, aus szenischem Sediment und neuen Vorstellungen, bei denen sich Architekten wie Bürger gleicherweise bedienen. Die Konstrukte der Darstellung sind vielfältig. In der Geschichte finden Forscher wie Leser »die historische Stadt«, die Stadt im Bild eines Körpers, der altert und sich auflöst. Da dieser Körper kein isolierter Einzelkörper ist, sondern ein sozialer Organismus, bedeutet seine Auflösung nicht sein Ende, sondern seine Transformation. Das ›Bild‹ findet zum ›Metabolismus‹. Die Verwandlung führt zu immer komplexerer Vernetzung, ausgeweiteter Zirkulation bei zunehmender Verdichtung der Strukturen in einem sich beschleunigenden, letztlich globalen Prozess der Urbanisierung. Der Begriff »Urbanisierung« setzt nicht voraus, was Rem Koolhaas als nicht mehr garantiert betrachtet, sodass er den Begriff als ungeeignet für die jüngsten Entwicklungen erklärt. Dass »nur sehr wenige Prozesse und Operationen, die heute stattfinden, in der Form eines Plans, des klassischen Produkts von Urbanisten, stattfinden können«, wird man einräumen, ohne Phänomene wie die scheinbar unkontrollierte Explosion von Megacities und urbanen Konglomerationen des ausgehenden 20. und beginnenden 21. Jahrhunderts nicht mehr in die Konsequenz der Urbanisierungsdynamik zu stellen.253 Lefèbvres Darstellung der Genese der historischen Stadt verfährt linear entlang einer Raum-Zeit-Achse. Zugleich sind diskrete Abschnitte markiert. An jedem Halt finden sich unterschiedliche Gestalten, so am Beginn der Entwicklung städtischer Konzentration die »politische Stadt«. Der Typus gilt nicht nur politisch als maßgeblich. Ebenso ist er es in wirtschaftlicher und rechtlicher Hinsicht und vielfach in Fragen des Kultus. Gemeint sind die antiken Städte, die von ihren Eroberern geprägt werden. Es sind privilegierte Zentren der Machtausübung, die dem umgebenden Land ihr Siegel aufdrücken und deshalb meist in Konflikt mit den Peripherien liegen. Aufgrund der Zentralisierung von Planung und Entscheidung, Erinnerung und Voraussicht entwickelt sich, so Lefèbvre, mit der Teilung von Stadt und Land zugleich die Trennung von Hand und Hirn. Die Stadt wird Geburtsort und Heimstatt des Logos. Ökonomisch betrachtet, akkumuliert die Stadt Reichtümer und Werte, Wissen und Künste. Der Überfluss lässt Handel, Austausch und Verkehr florieren.
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Doch hat die politische Stadt mit den Anfeindungen des Marktes zu kämpfen. Der Markt liegt zuerst außerhalb der Mauern. Die Einbeziehung des beweglichen Eigentums von Markt und Güterverkehr und der dazugehörigen Gewalten in die Stadt geschieht »im europäischen Abendland [erst] gegen Ende des Mittelalters«.254 Für Lefèbvre ist an dieser Stelle ungefähr die Mitte der imaginären Raum-ZeitAchse der Urbanisierung erreicht, die sein historiografisches Diagramm beherrscht. Topologisch betrachtet, wird man Zeuge eines »Kippvorgangs«, der in den Mauern der frühen Handelsstädte seinen Anfang nimmt. Die Stadt definiert die Vergesellschaftung des anliegenden Territoriums nun auf ihre Weise. Stadtluft, ab jetzt, macht frei. »Das Land? Es ist nun nicht – oder nichts – mehr als die ›Umgebung‹ der Stadt, ihr Horizont, ihre Grenze.« Nach eigener Entscheidung hört der Dorfbewohner auf, für den Grundherren zu arbeiten. Stattdessen produziert er für die Stadt und den städtischen Markt. Dort, »auf dem Markt findet er den Weg in die Freiheit«. Die Freiheit der Stadt – man denke an Venedig, Paris, Amsterdam – begünstigt die Freiheit des Gedankens, der beginnt, sich die Stadt selbst zum Gegenstand seiner Spekulation zu machen, philosophisch, künstlerisch, politisch. In einer Mischung von Wahrnehmung und Vorstellung, Erkenntnis und Kreativität wird die Stadt in die Perspektive gerückt, zugleich in der Malerei und in der geometrischen Darstellung nach Vorbild der Perspektive, in Etappen und nationenspezifischer255 Ausprägung vom 13. bis zum Beginn des 19. Jahrhunderts. In einem Schub von der frühen Renaissance bis in die Zeit der Klassik, dann über die politischen Umwälzungen hinweg in die Zeit der industriellen Revolution. Zunehmend verrutscht und verschiebt sich dabei die geradlinig ideale Perspektive, die herauszuarbeiten gedauert hatte. Zuerst begegnen Metamorphose, Anamorphose und Spiegelung, später dann Vervielfältigung, Zersplitterung und Eintrübung. In Turners Ansichten der thermodynamischen Revolution ist nur noch zu ahnen, was die holländischen Meister des 17. Jahrhunderts in ihren Stadtveduten in aller Klarheit noch ausbreiteten.256 Lefèbvre ist überzeugt, dass sich mit dem Aufbruch von Wissenschaft und Kunstfertigkeit der Standpunkt der Betrachtung grundsätzlich verändert habe, erstmals ein Überblick über die Stadt als Ganzes ermöglicht worden sei. (Was zu bestätigen wäre aus dem Umgang mit den Dingen, die in den Kunst- und Wunderkammern vorgehalten werden.) Es ist ein Blick, der auch hier nur von oben denkbar ist, zugleich »Blick des Geistes« und »Blick der Macht«, ein Blick, der sich »auf die Vertikale« richtet.257 Ein erster Kippvorgang ist vollzogen. Auch hier bestätigen sich scenografia und ortografia der Architekten. Sie blicken auf die Stadt wie die Gelehrten, die als erste systematisch ordnende Gewalt in den kreativen Metiers der Künste wie der Wissenschaften auftreten, auf die Kammern und Kästen. Scenografia und ortografia zeigen Überblick und Anspruch der schaffenden Hand wie der Geistesarbeit an. Zugleich markieren sie ihren Teil an der fortschreitenden Ermächtigung der Subjektivität, selbst wenn es bedeutet, für geraume Zeit noch im Schatten der Majestäten verharren zu müssen. Als zentrales Dispositiv der Orientierung wäre die Kartografie zu nennen. Ihre Konzeptualisierung, Gestaltung und handwerkliche Herstellung reüssiert mit dem Aufbruch zu großen Entdeckungen und gelangt im Laufe des 16. und 17. Jahrhunderts zu hohem Ansehen. Geschuldet ist dies keineswegs allein der literarischen Fiktion. Auch hier sind die Niederlande führend.258 Der Übergang von der handwerklichen zur industriellen Produktion stürzt die Stadt in die Krise. Erneut geht es um die Frage von Integrations- und Absorptionsfähigkeit. Denn die Industrie ist
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dem konkreten Ort ihres Funktionierens nach eigenen Gesetzen verpflichtet, nach Maßgabe unterschiedlicher Distanzen zu Energiequellen und Rohstoffen, zu den Ressourcen von Kapital und Arbeitskraft, zur Überbrückung der Entfernungen auf Verkehrs- und Transportwegen. Die Arbeitskraft veranlasst die Industrie, in die Nähe der Städte zu rücken, ebenso die dort angesiedelte Konzentration von Markt, Tausch und Kapital. In dieser Art verbindet sich die Industrie mit der Stadt und transformiert sie erneut. Sie greift auf die Städte über oder schafft einen neuen Typus, schafft die »Industriestadt«. Die historische Stadt beginnt sich nun aufzulösen. Die Industriestadt nämlich kündigt eine weitere kritische Phase, einen weiteren historischen ›Kippvorgang‹ an, nun auf Zeit und Raum bezogen, mal diese, mal jene fokussierend auf dem Weg in die Urbanisierung im Weltmaßstab. In der Folge erobern »Nicht-Stadt« und »Anti-Stadt« die historischen Vorläufer, »durchdringen sie und führen, indem sie die Stadt sprengen und ins Maßlose aufblähen, letztlich zur vollständigen Urbanisierung der Gesellschaft, wobei das Stadtgewebe die Reste der vor der Industrie bestehenden Stadt überdeckt«.259 Soweit die historische Skizze. In ihrem Tableau lassen sich Grenzen und Differenzen des ›Marktes‹, der Bedeutung des Austauschs im Verhältnis zur doppelten Produktivität der Werktätigkeit fokussieren, lässt sich einsichtig machen, dass die Bedeutungsspezifik zu unterschlagen auch hier falsche Vorstellungen von ›Inszenierung‹ lancieren mag.
Zirkulation, Markt, Produktivität (Arendt) In der »Handelsstadt« ist ›Markt‹ nicht agora, politisches Zentrum der Bürgerschaft, sondern forum, Zentrum von Gewerbe und Handel. Der Markt ist der Ort, an dem das bunte Schauspiel der Zirkulation und des Tauschs von Dingen und Meinungen, Offerten und Inszenierungen begegnet, noch bis ins 19. und 20. Jahrhundert hinein, wenn man die Ungleichzeitigkeiten historischer Entwicklung des urbanen Raums allein in Europa veranschlagt. Vieles von dem, was sich unter fürstlichem oder geistlichem Regiment unter freiem Himmel abspielt, ohne dass eine ›Öffentlichkeit‹ in modernem Verständnis existiert, findet seine Bühne auf diesem Markt. Markt und Messe (in profaner Bedeutung des Ausdrucks) sind Orte, an denen die Spiele des Ordinären sich abspielen. »Markt« ist freier als »Messe«, auch in der räumlichen Ausdehnung. Er erstreckt sich durch die Straßen und bis in die Innenhöfe der Quartiere. Hier geraten auch die Armen in den Verkehr, alles unter Umständen in direkter Nähe und doch unendlichem Abstand zur herrschenden Nobilität. »Messe« im Unterschied zu »Markt« hingegen verweist auf eine vergleichsweise geordnete, von Stadt oder Kirche garantierte Form von Zusammenkunft. Im Verständnis der Gemeinschaft der Gläubigen wiederum bezeichnet »Messe« in sakralem Sinn, ähnlich wie jedes andere Format religiöser Kultausübung, am ehesten ein ›nicht privates öffentliches‹ Leben. Es organisiert sich herum um das gemeinschaftliche Erleben in Kirche und Gemeinde. Seine Katholizität ist nicht politisch, sondern korporations- und sozietätsgebunden. In eben dieser Weise verstehen sich auch die Schauspiele und Zeremonien des Glaubens und der Frömmigkeit, denen im profanen Bereich die vielen Äußerungsformen häuslicher Bräuche und Rituale entsprechen. Sie haben ihre Auftritte nicht nur zu den mit Andacht verbundenen Festen und Feiertagen des Kirchenjahrs in definierten sakralen Räumen, sondern ebenso in Pfarre, Sprengel und Stadt, auf dem Markt und in den Straßen, individuell oder gemeinschaftlich organisiert und gestaltet von den verschiedensten Körperschaften: Zünften und Gilden, Kapiteln und Universitäten,
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Bruderschaften und Vereinen. Der Markt ist Mittelpunkt der Handelsstadt. Deshalb gehört zu Aufführung und Ausstellung hier, dass sich die künstlerische und kunsthandwerkliche Schaffenskraft präsentiert, die Werktätigkeit ihr Können vorführt. Eine Begegnung von Schauspiel und Dingexposition im Namen der Kreativität. »›Zur Schau gestellte Produktion‹ [...] ist in der Tat so charakteristisch für eine Produzenten Gesellschaft wie ›zur Schau gestellter Konsum‹ für eine Gesellschaft von Konsumenten beziehungsweise eine Arbeitsgesellschaft. [...] Der Tauschmarkt ist der öffentliche Raum von Homo faber, der ihm ermöglicht, das Werk seiner Hände Arbeit zur Schau zu stellen und die ihm gebührende Achtung und Hochschätzung zu erwerben. Diese Neigung, was man gemacht hat, vorzuzeigen und was man kann, auch direkt vorzumachen, ist vermutlich dem Menschen nicht weniger ursprünglich zu eigen, als der Trieb, ein Ding gegen ein anderes einzutauschen und einzuhandeln, der nach Adam Smith den Menschen vom Tier unterscheidet.«260
Hannah Arendt, die diese geradezu anthropologische Charakteristik des homo faber dem homo laborans der nachrevolutionär bürgerlichen Welt entgegenstellt, macht auf die positiven Effekte des Tauschs auf dem Markt aufmerksam, der der noch isolierten Organisation der Werktätigkeit die Möglichkeit bietet, in Gesellschaft zu kommen. Ist Arbeit schlechthin zu Lohnarbeit vergesellschaftet, ist die Ware nicht dazu in der Lage, Vergleichbares zu leisten, es sei denn in den Simulationen ihrer multiplen medialen Inszenierung und im massenweisen Konsum, zu Zeiten, da die Arbeit selbst rapide schmilzt. Die Isoliertheit der Produktion und ihres Charakters als werkorientierte Tätigkeit und Gestaltung kann indes nur im Rahmen der Privatheit ihrer Milieus gedeihen – was den energischen Widerstand erklärt, den die kleinen Produzenten in den Zeiten der ›Befreiung der Arbeit‹ entsprechenden Regelungen und Aussichten der neuen Ordnung entgegensetzten. Die Geschichtsteleologie von Aufklärung, bürgerlicher Revolution und späten Verteidigern kritisiert derartiges Verharrenwollen als wahlweise borniert, fortschrittsfeindlich oder reaktionär.261 Arendt dreht den Spieß um und rehabilitiert in gewissem Sinne die in den Augen des Dritten Standes und seiner bürgerlichen Erben restaurativ beschränkte Haltung auch der untersten werktätigen Schichten des Volkes.262 In Arendts Sicht ist es jedenfalls nicht eine vorbürgerliche ›Öffentlichkeit‹, auf die bestimmte Partizipationsansprüche der Revolution und der nachrevolutionären Ära zu pochen hätten, sondern die Artikulation der Verbindung von wertschaffender und kreativ produktiver Arbeit und ihrer Anerkennung durch die kleinen Handwerker, Händler und Kaufleute und ihre Kunden. Die maßgeblichen Vorstellungen, zu welchen Konditionen die Teilhabe, die ihnen im Blick auf die Vergangenheit auch für die neue Zeit vorschwebte, zu haben sein würde, gingen bekanntlich nicht von ihnen aus. Insofern konnte selbst die Unterstützung, die den radikalen, vorzüglich die Gleichheit propagierenden Kräften der demokratischen Umwälzung aus diesem Lager zuteil wurde, nicht geeignet sein, den am Ende revolutionierten Produktionsverhältnissen anders denn als bloße Arbeitskraft zur Verfügung zu stehen. Werktätigkeit im qualifizierten Sinne eines Verhältnisses von Meister und Schüler verschwindet im selben Prozess in einer gesellschaftlichen Sparte namens ›Kunst‹, um sich in der Folge zum einen als deren ökonomische Besonderung zu empfehlen, zum anderen als universelle Instanz ästhetischer Repräsentation und Repräsentanz eines Werks. Der Totalisierung dieser Bewegung entspricht der Wunsch, dies möglichst in einem ›Gesamtkunstwerk‹ auch zum Ausdruck zu bringen.
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Für den Markt gilt mithin dieselbe Umkehrung wie für die Produktion, den Tausch und die Produkte der Arbeit. Was im Übrigen, insbesondere im Kontext des Raums, nicht vergessen lassen darf, dass Erde oder Boden mitbetroffen sind. Der Widerstand in Ansehung der freien Inszenierungstätigkeit des demokratischen Souveräns findet im Versuch eines individuell wahren Lebens in der Sorge für sich und die anderen eine Begründung. Vergleichbar ist der Widerstand in Ansehung der Dingwelten, darunter die Arbeit selbst, dort zu suchen, wo er gegen die Herstellung und Herstellungsweise dieser Dinge in den abgeschotteten Bereichen der Warenproduktion noch fernab ihrer öffentlichen Inszenierung aufbegehrt. Der Markt zeigt den prestigio, den ein turn verantwortet, der die Verpflichtung auf die tatsächliche Produktionsressource der Veranstaltung, die er vorgibt, wenn auch verändert wieder herzuzeigen, nur vorspiegelt. Dass die magische Performance, die hier aufgeführt wird, quasi kultischen Charakter hat, ist unvermeidlich, denn dies ist ihre Abkunft. Die »Heiligsprechung des Fortschritts durch Arbeit« (Max Weber263) bildet das ökonomische Äquivalent wie auch das Fundament der politischen Heiligsprechung des Fortschritts durch Demokratie und Volksouveränität, beiderseits notwendige Bedingungen der Inszenierungsgesellschaft westlichen Zuschnitts. Die Revenuen, prestigio oder Gewinn der Unternehmung, weisen auf den Fetischismus: »die Mystifikation der kapitalistischen Produktionsweise«. Ihre Verdinglichung indiziert das Ende einer Integrationsbewegung, die auch Lefèbvre für den urbanen Raum anzeigt. Sie ist bestimmt durch »das unmittelbare Zusammenwachsen der stofflichen Produktionsverhältnisse mit ihrer geschichtlich-sozialen Bestimmtheit«, das mit einem bestimmten Effekt verbunden ist, der ansonsten nur aus der Optik bekannt ist. Denn dass die Dinge in der visuellen Wahrnehmung zunächst auf dem Kopf stehen, um dann erst von unserem Gehirn in die Ordnung der Realität zurückgerufen zu werden, ist selbst kein wahrnehmbarer Prozess. Ähnlich verhält es sich mit der Wahrnehmung einer »verzauberte[n], verkehrte[n] und auf den Kopf gestellte[n] Welt, wo Monsieur le Capital und Madame la Terre als soziale Charaktere und zugleich unmittelbar als bloße Dinge ihren Spuk treiben.«264 Entzaubert erscheint die Inszenierung ordinär, weder auf dem Kopf stehend noch verzaubernd. Für Marx ist dies eine Einsicht schon der politischen Ökonomie des 18. und beginnenden 19. Jahrhunderts seiner Gewährsleute Smith und Ricardo.265 Denken wir an die Dinge des ausgreifenden Stadtraums, des Marktes des 20. und 21. Jahrhunderts. Von den in der Welt verbleibenden Kunstdingen (die es schon gab, als ›Kunst‹ und ›Künstler‹ im emphatisch exklusiven Verständnis noch geboren werden mussten) mit ihren für Artefakte vergleichsweise langen Halbwertzeiten über die typischerweise hierhin gehörigen, zuweilen ebenfalls sehr stabilen Gebrauchsdinge bis hin zu den rapide anwachsenden kurzlebigen Verbrauchsdingen, die verzehrt oder nach Benutzung ›entsorgt‹ werden: Alle überblickt, sind oder waren nur die wenigsten dieser Dinge einem andauernden Prozess des In-Szene-Setzens ausgeliefert. Je länger sie Bestand haben, was ihren Wert als stabile Dinge ›von Nutzen im Gebrauch‹ anzeigt, umso eher. ›Gebrauch‹ dabei sollte nicht ökonomisch verkürzt verstanden werden, wäre vielmehr über das gesamte Feld des Sinns, über alle Szenen hinweg, auch die ästhetischen, auszubreiten. Dagegen der Inszenierung ausgesetzt, verlieren sich die Unterschiede der Dinge. Unterschiedslos und daher in ganz anderem Ausmaß erscheinen und verschwinden die Dinge nun in ihrem Bühnenauftritt, geradezu notorisch, wenn Drehbuch und Formate in der Hand geeigneter Szenografen nicht daran gebunden sind, ihr Verhältnis zum Wert zu respektieren. Dies geschieht, obwohl die
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Inszenierungen von extraordinären Werken der Kunst zur selben Zeit noch glauben machen könnten, dass es zum Auftrag einer jeden Inszenierung gehörte, die Dinge zu respektieren. Doch scheint es nur so, ein vordergründiges Spiel. Denn wie sollte sonst zu verstehen sein, dass sich die Szenografie für die Präsentation hochwertiger Kunstwerke derselben Techniken, Medien und Strategien bedient, die ansonsten geeignet sind, den Müll der Wegwerfgesellschaft in Szene zu setzen und mit Narrativen zu versehen, die eine Aura zu simulieren suchen, als handelte es sich bei Designstücken aus industrieller Fertigung um Originale überkommener Werktätigkeit und Künste. Die Veränderungen in diesem Prozess nachzuvollziehen, ist die historische Unterfütterung der Lefèbvre´schen Matrix hilfreich. Denn zur Stadt gehören nicht allein ihre stofflichen Aggregate, sondern ebenso die Artefakte, was die Künste zu schaffen verstehen als Verwirklichung von Gestaltungsideen und -entwürfen aller denkbaren Art und Mobilisierung der notwendigen Ressourcen (das heißt inklusive der konzeptualisierenden wie der produzierenden Arbeit als ihrer Grundlage). Da ist Architektur nur unter anderen Künsten vertreten. Schauen wir in diesem Sinne auf die Inszenierungen der ›Stadt‹ – pars pro toto für den Lebensraum der urbanisierten Gesellschaft –, so findet sich die mythische Genealogie des urbanen Raums, wie sie in der Historisierung verschiedener Stadien und Typen ihrer Entwicklung als Stadt zum Ausdruck kommt, in jeder Art der Dramatisierung ihres Schicksals, in Haus oder Garten, Bild oder Statue, Licht oder Schatten, Flaneur oder Angestelltem. Nicht zufällig schließlich erlaubt das Herantreten an den Zeitpfeil, Datierungen an eben jenen Stellen der linearen Betrachtung der Stadt vorzunehmen. Einmal taucht dort die Geschichte ihrer Perspektiven, ein anderes Mal die Nervosität ihrer kritischen Agglomeration, die Zeit ihrer Krise auf. Wieder ein anderes Mal werden ihr vorläufiges Ende und ihre Wandlung zu neuer Gestalt markiert. Die Übertragung einer entsprechenden Topografie gehört zu den beliebten Mitteln der Ausstellungsszenografie, die es mit zeitlich wie räumlich Heterogenem zu tun hat. Der Wechsel vom Abstand der Erzählungen des Historikers und seinen abstrakten Projektionen des Zeitpfeils zur Nähe eines beliebigen Ortes findet in dieser Nähe allemal die Ansichten von KünstlerSzenografen. Umgekehrt wollen uns ferne Bilder glauben machen, dass die ereignislose Leere, die die Imagination der Zeit mit sich bringt, welche die Bilder einfordern, wenn wir genügend auf Abstand gehen, dass solche Leere ihrerseits nur Schein sein kann. So kommen Bilder über Bilder. Aus günstiger Distanz erkennbar, vermögen sie dem horror vacui Einhalt zu gebieten – wie die Illustrationen auf den ersten Karten die Stellen ohne Land und Weg erträglich machen. Wer allzu nahe kommt, gerät ins Geschehen, wird verwickelt, ohne Chance, noch viel zu erkennen. Die Ideale Stadt des toskanischen Meisters berührt die stadtneurotischen Wachträume eines Filmemachers in New York, Vermeers Ansichten von Delft werden überblendet von GalienLaloues Szenen der Pariser Boulevards, Turners Regen, Dampf, Geschwindigkeit teilt sich den Raum mit Zaha Hadids Dancing Towers von Dubai und Fritz Langs geschichtete Mutterstadt verfließt mit den Skylines der Informierten Stadt der Zukunft Ridley Scotts. Je dichter die Bebilderung, desto weniger plausibel jede Kartierung. Und doch scheint sich die Stadt in ihren Bildern ihrer mythischen Wurzeln, ihrer Produktion auch aus solchem Material paradoxerweise bewusst, unter-bewusst.266 Denn wie auch immer verschoben, verrückt, verzerrt, findet sich darin das Unsichtbare, finden sich Bruchstücke der Geschichte, wie die Szenen der Stadt zu Gestalt und Ausdruck kommen, Szenen, die ausmachen, was die Bilder erzählen. Sie werden keine bloß erfundenen Geschichten bieten, sondern solche, die dem Leben selbst erwachsen sind,
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ganz analog der Diagrammatik der Modellierung und der Handhabung des Modells, das in Bewegung bleiben muss wie sein Gegenstand.267
Soziologie der Urbanisierung – traditionell, kritisch, postmodern Die Stadt als Lebensraum der modernen Gesellschaften ist Domäne der Sozialwissenschaften, Spielfeld der Kulturwissenschaft im engeren Sinne ihrer Herkunft aus Kunst- und Literaturwissenschaften nur in den Medien von Texten und Lektüre. Sozialwissenschaften und Soziologie sind selbst aus den politischen, den Staats- und Kameralwissenschaften entstanden. Von daher liegt nahe, dass die Stadtforschung den Bewegungen der Paradigmen in den Wissenschaften vom Politischen und Sozialen folgt.268 Und nachvollziehbar ist, dass sich der Fokus der historischen Konfiguration, so Lefèbvre, mit der Industrialisierung und der Ausdehnung des Marktes in die Industrie auch soziologisch auf den Auflösungsprozess der Stadt und seine Konsequenzen verlagert.269 Die kritische Masse urbaner Agglomeration führt demnach bei Überschreitung zur rapiden Sprengung urbaner Territorien bei gleichzeitiger Überformung und Zerstörung aller Reste der historischen Stadt. Seither stellt sich die Frage der »städtischen Form« grundsätzlich nur noch in einem Prozess der Urbanisierung aller Welt. Dass dem Begriff »Stadt« kein gesellschaftliches Objekt mehr entspricht, rationalisiert diesen Tatbestand. Adressiert war die Feststellung Lefèbvres nicht zuletzt an die Raum- und Stadtforschung. Soziologisch betrachtet, handele es sich um einen »Pseudobegriff«, pointiert Die Revolution der Städte. »In anderen Worten: Das ›wirkliche‹ soziologische Objekt ist in diesem Fall Bild und – vor allem – Ideologie!«270 Nicht mehr nur Bild, was wie vordem in Ordnung geht, sondern falsches Bild, täuschendes Bild. Ein Bild, aus dessen übergroßem Wirkungskreis zurückzutreten schwierig werden kann. Die Verhältnisse als mehr oder weniger ›reifiziert‹ zu betrachten im Lichte ihrer relevanten Objekte stand im Zentrum der traditionellen, auch soziologischen Stadtdefinitionen; legitimiert von der Sache her wie durch eine kongeniale Methodik. Sie geht einher mit der Generalisierung des Typs und/oder der Auszeichnung des exemplarischen Falls. Max Weber gehört zu den vielen, die eine Definition geben. Wie in etlichen ähnlichen Definitionen gilt auch bei Weber eine Siedlung als »Stadt«, wenn ihr Typus bestimmte Kriterien erfüllt. Für den im soziologischen, in Wahrheit eher geistes- und kulturgeschichtlichen Diskurs brauchbaren Typ seiner Zeit, Anfang des 20. Jahrhunderts, heißt es, dass für eine »Stadt« Gewerbe und Handel vorhanden sein müssen, Befestigungen, Markt und Gericht, autonome Verwaltungsstrukturen und ein Mindestmaß an Partizipation der Bürgerschaft.271 Der Blick ist zweifellos auf die Vergangenheit gerichtet, denn aus ihr stammen die summierten Bestimmungen. Doch scheinen sie normativ noch in der Gegenwart dienlich. In der Beurteilung von Historikern und Soziologen des 19. und beginnenden 20. Jahrhunderts hält die Definition ein Bild der Stadt bereit, das ein Wiedererkennen vom Ende des Mittelalters zumindest bis zum Vorabend der Industrialisierung zulässt, ein Bild der Stadt in der für die europäische Geschichte bedeutsamsten Form für rund tausend Jahre. Der Generalisierung steht die Exemplifizierung gegenüber – wie umgekehrt dem Beispiel die Verallgemeinerung. Deduktiv oder induktiv werden beide verknüpft. Als verallgemeinerten Fall kennt die zeitgenössische Analyse beispielsweise die Stadt mit den Charakteristika erster kapitalistischer Vergesellschaftung, indiziert als »Industriestadt«. Der Einzelfall dagegen taugt eher zur Dramatisierung der Beschreibung, ist eher als im Diskurs der Geschichte oder Soziologie im politischen oder literarischen
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Kontext zu finden.272 Engels´ Schilderungen der Metropole Manchester 273 illustrieren das Gemeinte oder auch Melvilles Schilderungen der europäischen Hafenstadt Liverpool zu Zeiten der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts, wie sie seinen Abenteuergeschichten zu entnehmen sind. Hier wie andernorts zeigt sich, dass das Beispiel auf den vermeintlichen Typ durchschlägt, der so doch nur schwer zu verallgemeinern wäre. Was im einen Fall hinzugedacht, im anderen Fall unbedingt ausgeschlossen gehört, macht die Individualität der Stadt. Dass es sich bei bestimmten Dingkonstellationen wie selbstverständlich um ›gesellschaftliche Verhältnisse‹ handelt, ist eine Erfahrungstatsache, als Befund trivial. Dass der verallgemeinernd oder exemplifizierend typisierende Zugriff ebenso selbstverständlich unzulässig typisiert, wenn er sich ›das Soziale‹, die diversen Dispositive und Praktiken des Urbanen, historisierend anzueignen sucht, ist es nicht weniger.274 Lefèbvres Analyse wäre auch ohne expliziten Bezug auf eine seiner Arbeiten weiterzutreiben. Man macht sich ein Bild, aber was es zeigt, das wollen wir sehen, was es erzählt, hören. In diesem Sinne wären nicht nur die Hypothesen der kontinentalen Kulturphilosophie à la Simmel zu relativieren. Das Gleiche gilt für die Theoriederivate ihrer Sympathisanten und Exegeten jenseits des Atlantiks, allen voran der Chicago School of Sociology und ihrer Ableger, für Sozialökologie und symbolischen Interaktionismus.275 Selbst ein sympathischer Slogan wie der von der »Stadt als Lebensweise«, propagiert von Louis Wirth schon Ende der 30er Jahre276, wäre kritisch zu befragen. Die vorderhand empirisch quantitativen Kriterien zur Identifikation des Städtischen sind meist kaum geeignet, über einen bestimmten mit der Theoriebildung eng verbundenen Vorstellungsraum hinaus zu überzeugen. Beispielsweise wäre es angesichts von Kriterien wie Größe, Dichte, Heterogenität von Interesse, zu wissen, mit welchen Assoziationen sich »Größe«, »Dichte« und »Heterogenität« heutigentags unter Bedingungen von 35 Millionen erhobenen Einwohnern auf einem Territorium wie dem von Mexico City etwa alternativ verbinden könnten. Die Reichweite der Theorie mit zu berücksichtigen, wenn sie sich erklärt, gehört keineswegs zum Standard soziologischer Forschung. Jedenfalls erscheint fraglich, ob angesichts eines vermeintlich identischen Gegenstandes, eines mit Eigennamen versehenen Objekts, Daten aus aktuellen Erhebungen mit Schlussfolgerungen aus den 30er Jahren des letzten Jahrhunderts zu synthetisieren sind. Oder vice versa. Ob aus der vielmehr zu erwartenden Differenz die Konsequenz zu ziehen ist, der ›Stadt‹ die Dignität einer sich anreichernden, über eine historische Klammer hinausweisenden Bedeutung generell zu bestreiten, dürfte ebenso fraglich sein. Insofern ist es auch nicht möglich, die Probleme des Raums von der Analyse spezifisch gesellschaftlicher Prozesse zu trennen und in diesem Sinne eine ›nicht-räumliche Stadtsoziologie‹ zu fordern.277 Der ›Mythos der Gesellschaft‹ ist nicht weniger hell oder dunkel als der ›Mythos der Stadt‹. Es kann nicht verwundern, dass die kritische Sozialwissenschaft auch eine kritische Stadtforschung hervorbrachte und mit ihr eine multi- und transdisziplinäre Beleuchtung des Gegenstandes im Sinne der Kritik. Critical Political Studies, New Urban Sociology, Radical Geography und Radical Economy markieren diverse Positionen in diesem Feld moderner sozialwissenschaftlicher Stadtforschung, die sich in Reaktion auf die in den 60er und 70er Jahren diagnostizierte »Krise der Stadt« formierte. Bemerkenswert ist, dass die Geografie sich unter die beteiligten Partner mischt und damit den Raum als bedeutsame theoretische Größe quasi autorisiert in den Horizont der Urbanisierungsdebatte rückt. Die theoretische Initiative ist auf zwei stadtspezifisch
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ökonomische Strukturen konzentriert, die Ökonomie der kollektiven Konsumation im städtischen Ensemble (anknüpfend an die Tradition der strukturalistischen französischen Soziologie und Kulturanthropologie und ihren Nachhall im angelsächsischen Sprachraum) und die politische Ökonomie des Urbanen mit den Schwerpunkten Städtebau und Stadtplanung (anknüpfend an die architekturpraktische und architekturtheoretische Avantgarde). Die beiden maßgeblichen Protagonisten entsprechender Couleur moderner Stadtanalyse, Manuel Castells278 und David Harvey279, reagieren dabei auf das theoretische Engagement, das die Stadt mit den Arbeiten Henri Lefèbvres gerade erst erfahren hatte.280 Seine Schriften fokussieren die Debatte, indizieren sie doch den neuen Aufbruch, die »Perspektive, die Stadt als räumliche Konfiguration und den Raum aus der Perspektive der Urbanisierung heraus zu begreifen.«281 Der spatial turn, insbesondere in der Spielart des topografical turn, reflektiert indes – wir kehren zurück an den Anfang unserer Überlegungen zum Raum –, dass die gesellschaftlichen Szenarien der Stadt und des städtischen Raums nicht nur von den Geschichten der Soziologie, der Sozialwissenschaften und der politischen Ökonomie geschrieben waren, die sich mit den wirklichen Räumen des Lebens und Sterbens befassen. (Wobei die politische Ökonomie sich wie zuvor schwergewichtig auf die Zirkulation konzentrierte.) So bewegt sich der turn, vordergründig auch auf den Spuren Lefèbvres, gewissermaßen Heideggers Weltbilddiagnose bestätigend, entlang einer Parabel der ›Stadt als Bild‹. An diesem Bild war tatsächlich ja nicht nur bei den Soziologen probiert worden, sondern ebenso an den Schreibtischen der Kultur- und Kunstwissenschaftler, der Architekten und Designer, von den Künstlern selbst zu schweigen. Unter den Labeln Postmoderne und Poststrukturalismus wurden (und werden) entsprechende Strömungen kurzgeschlossen, auch solche, die auf ihre Weise ›den Raum‹ thematisieren und damit in besonderer Weise den urbanen Raum und die Stadt des ausgehenden 20. und beginnenden 21. Jahrhunderts meinen. Die Differenz in Lefèbvres ›Bildgründung‹ steht nicht im Zentrum des Interesses. Als frühe programmatische Dokumente solcher Art postmarxistisch antipositivistischen, im Wesentlichen medientheoretischen Verständnisses aus Kunst, Medien und Architektur, Epistemologie und Philosophie werden im Rahmen der spatial turns nichtsdestotrotz die einschlägig bekannten Autoren und Titel gelesen, auch solche, die zuvor als alternative Erblasser gegolten haben mochten. Allerdings: Der Bedeutung der Medien und der sich mit Urbanisierung und Globalisierung ausdehnenden und beschleunigenden Medialisierung wird nun besonderes Gewicht beigemessen.282 Epistemologischen und wissenschaftsphilosophischen Erwägungen ebenso. Michel Foucaults Erörterungen über die »Sprache des Raums«283 nehmen einen ähnlichen Platz ein wie Lefèbvres Arbeiten derselben Zeit zur Urbanisierung, bieten sie doch Tiefgang und Reflexion, gegebenenfalls argumentatives Widerstandspotenzial. Immer wieder, mal mehr, mal weniger plausibel, werden diese Arbeiten als Indiz der Relevanz der Raumproblematik für das ausgehende 20. und beginnende 21. Jahrhundert zitiert und, nicht nur auf den Theoriehorizont bezogen, als Referenz angeführt. Einflussreiche architekturtheoretische, geografische und auch soziologische Positionen folgten der Orientierung, in der es nicht mehr den Großen Geschichten und Gesetzmäßigkeiten nachzuforschen hieß, sondern alle Aufmerksamkeit der »Besonderheit und Kontingenz des Einzelfalls« (Schmid) gelten sollte. In das Gesichtsfeld der Stadtforschung rückten so ganz folgerichtig ab Mitte der 80er Jahre auch Begrifflichkeit und empirische Aspekte der »Region« und der »Regionalisierung« (Fragen der
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regionalen Ökonomien und regionalen Kulturen etc.), allerdings nur vorübergehend. Unter dem Einfluss der einsetzenden Globalisierungsdebatte wurde der »Mythos des Regionalen« als zu einseitig kritisiert. Zu leisten sei vielmehr, hieß es bald, eine Vermittlung zwischen regionalen Produktionkomplexen und transnationaler globaler Vernetzung. Auch diese Position wurde als zu schematisch zurückgewiesen, als nicht vereinbar mit dem situativ instantanen Ereignischarakter konkreter Kommunikations- und Verkehrsverhältnisse und ihrer administrativen Fixierungen im urbanen Raum, dessen jeweilig unterschiedliche Voraussetzungen auch die regionalökonomische Perspektive nicht übersehen dürfe. Der Soziologe und Soziogeograf Christian Schmid bemerkt in seinem Überblick über die Theoriegeschichte, dass die Kritik durchaus auch methodisch und wissenschaftstheoretisch zu verstehen gewesen sei. Demnach handelte es sich nicht nur darum, sich von einer »bipolaren Sichtweise« zu verabschieden, sondern auch von einer »Fixierung auf ontologisch gegebene und apriori definierte reifizierte geographische Konfigurationen«. Stattdessen, so Schmid, hätte man sich damals – sinnvollerweise – auf den Restrukturierungsprozess der sozial-räumlichen Morphologien des Städtischen unter spezifischen Bedingungen einlassen sollen, etwa nach Maßgabe der Scale Question, von Fragen des räumlichen Maßstabes im städtischen Raum also, einer eminent wichtigen Frage im Übrigen im Kontext der Inszenierung der Stadt. Das neue antiessentialistische Forschungsprogramm wurde in der Folge anhand der Beobachtung symptomatischer Entwicklungen in den Metropolen (oder Global Cities) in Angriff genommen, beispielhaft der Probleme der Gentrification und – im Gegenzug – der Suburbs, Fragen mithin der Organisation und Reorganisation von Zentralität zwischen Metropolis und Exopolis. »Nach der Explosion der Metropole erfolgte nun die Explosion der Zentralität«.284 Theoretische Schlussfolgerungen für eine einheitliche WeltstadtTheorie285 waren und sind insofern nicht zu erwarten. Mit der Entwicklung polyzentrischer Metropolitanregionen kann kaum noch von einheitlichen Zentralitätsformen die Rede sein. Vielmehr überlagern sich ganz unterschiedliche Figuren der territorialen Verteilung von Zentrum, Zentren und Peripherien, welche die historisch gewohnten Gebilde der Stadt nicht gekannt haben. Die Frage Global City- oder World City-Theorie wird demnach müßig sein. Die Apostrophierung folgt eher zwei unterschiedlichen Forschungsinteressen und entsprechenden strategisch politischen Standpunkten. Die ›Weltstadt‹-Perspektive konzentriert sich dabei unter dem Stichwort »Zitadelle und Ghetto« auf die Vernetzung eines hierarchischen Systems der führenden Kapitalzentren der Welt, die aufgrund dessen eine große Anzahl von Migranten unterschiedlichster Qualifikation anziehen. Die ›Globalstadt-Theorie‹ wiederum nimmt diese ökonomische Definition unter Bedingungen der Globalisierung zur Voraussetzung, um die besonderen Produktionsbedingungen und -komplexe dieser Städte, die entsprechend arbeitsteiligen Spezialisierungen in diesen »umkämpften Terrains« zu untersuchen.286 Dass es sich bei derartigen Forschungen zum Innenleben des globalen Kapitals nach wie vor um »theoretische wie ideologische Kampffeld[er]« handelt, war zu erwarten.287 Der verschwundenen Arbeit nachzuspüren wird immer schwieriger. Jedenfalls wird man sie nicht mehr finden, wo man sie sucht, denkt man etwa an die mit den Altlasten und der Konversion beschäftigten Montan- und Industrieregionen Europas oder Nordamerikas. Die Arbeit, die getan werden muss, um der Inszenierung eine ökonomische Basis zu garantieren, und nicht nur in Verwaltung, Dienstleistung oder Medienbetrieb bestehen kann, wird möglicherweise Tausende von Meilen von den Bühnen entfernt geleistet. Noch unwahrscheinlicher, dass personale Kreativität und Autorschaft hierfür alleine aufkommen könnten.
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Nimmt der spatial turn die unterschiedlichen Akteure unter den Wissenschaften zur Kenntnis, die sich mit dem Raum befassen, kommen zugleich die unterschiedlichen Ansprüche auf den Realitätscharakter der von ihnen verhandelten Sachverhalte, Ereignisse und Charaktere zur Sprache mit entsprechenden Konsequenzen für die Analyse eines für die einen vermeintlichen, die anderen offensichtlichen corpus wie den der ›Stadt‹. Nicht nur musste der Raum nach den verschiedenen Wendungen in neuer Beleuchtung erscheinen, nun endgültig nach anderen Maßstäben als bloß denen der Newton´schen Physik gemessen werden. Die Stadt zu verstehen, selbst als eine spezifische topografische (und topologische) Projektion auf den Raum, konnte jedenfalls kaum noch mit einer Behältertheorie gerechtfertigt werden. Die Explosion und Implosion der Städte führt so nicht nur zur Zerstreuung der gewohnten Stadträume. Unter Beachtung der vielgestaltigen Körper, die das ›Leben der Stadt‹ insgesamt ermöglichen, tritt zugleich die Mannigfaltigkeit des Räumlichen hervor. Als ›Körper‹ gelten dabei nicht nur materielle Artefakte. »Der menschliche Körper deckt ein ganzes Kaleidoskop von Lebensaltern, Geschlechtern und Rassen ab, und alle diese Körper besitzen einen eigenen, besonderen Raum in den Städten der Vergangenheit und der Gegenwart«.288 Zugleich mit der wiederentdeckten ›Metaphorik des Raums‹ erhebt sich aber die Frage, welche Art Wirklichkeit den Bildern oder dem ›Text‹289 der Stadt entspricht oder ob es weniger eine Frage des Textes als der Sprache ist, um die es geht. Und aus den Bildräumen des Raumes heraus fragt sich, wie es um die Dimensionalitäten, die Materialitäten und die Monumente, die ›Architektur‹ und die ›Mathematik‹ steht, von denen die Stadtdinge beherrscht werden wie die Dinge und ihre Auftritte in anderen Räumen. Verlieren sie sich in den Bildern und Texten, in den Konstrukten, in denen sie montiert werden?290 Ist alles nur Inszenierung? Man sieht, die Entwicklung hier verläuft nicht vom Abstrakten zum Konkreten. Welchen Ertrag bringt der Blick auf den Erfahrungsraum Stadt? Zweifellos ist eine historiografische Modellierung wie die der vorgestellten Art eine Möglichkeit, das ›Konzept Stadt‹ zu verflüssigen, ›die Stadt‹ in Szene zu setzen, in unterschiedliche Einstellungen und Auftritte zu gliedern und ein entsprechend farbiges und vielgestaltiges Panorama vor Augen zu führen und unterschiedliche Architekturen der Modellierung zu bedenken zu geben. Es war Roland Barthes, der 1972 in einem Aufsatz über Semiologie und Stadtplanung auf das Wechselverhältnis zwischen nicht territorial gebundener Semantizität und territorial gebundener Stadtfunktion hingewiesen hat. Diese Verhältnisbestimmung ist so alt wie Städte selbst und gilt für alle Orte, die zwischen Selbstabschließung und Öffnung wählen können, zwischen Repräsentation und Funktion schwanken.291 Normativen Vorstellungen davon, was und wie eine Stadt sein sollte, kommt diese Art begrifflicher und operativer Relativierung des Umgangs mit der Stadt nicht unbedingt entgegen. Nicht nur Politiker halten sich deshalb lieber an eine pragmatische Bestimmung ihres Gegenstands, an ein Bild für alle, wie die einschlägige Stadtwerbung zu zeigen vermag. Dass diese Strategie selbst wiederum oft genug damit einhergeht, sich mit ›historiografischen‹ Mitteln, mit Anleihen bei der Geschichte Legitimation zu verschaffen, unterstreicht die Herkunft der Stadt aus den Erzählungen über sie, ihre mythografische Genealogie. Insofern wird man hier immer auch auf die maßgeblichen oder passenden Szenografien und Narrative stoßen. Die zeitgemäße Aktualisierung des jeweiligen Mythos als Erzählung über die vernetzten medialen Apparate und Institute informierter Assoziation und
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Sozietät gehört zu den gewöhnlichen Ereignissen urbaner Wirklichkeit, auch wenn die Realität weiter sein sollte als Planung und Entwurf und zunächst die Literatur aushelfen muss.292 Entsprechend vielgestaltig fallen die Effekte aus, die als Vorstellungen ›zweiter Hand‹ das Erleben der Stadt prägen und die verschiedensten Entwürfe für ihre Zukunft beeinflussen. Doch werden wir den Kreis der empirischen Sondierung mit der des Stadtraums schließen. Historisch erhellt, auf welche Weise die Inszenierung die theatralen Künste adressiert. Politisch findet sich die Legitimation einer jeden Kunst mit dem revolutionären Umbruch aller gesellschaftlichen Verhältnisse an das Volk und seine Repräsentation verwiesen. Doch die Inszenierung des Volkes beerbt die Inszenierung der alten Souveränität. Ähnlich geschieht es im Auftritt der Dinge. Die Vergemeinschaftung hier zeigt sich als Kollektivierung des Wissens, Entwicklung von Wissenschaft und Technik auf der einen, Vermehrung des Reichtums und der Macht auf der anderen Seite. Die Reichtümer der Natur und der Kunst verbinden sich mit denen der Technik, der Technologie und der Wissenschaften in einem Prozess beschleunigter Akkumulation. Die Befreiung aller produktiven Kräfte tut das Ihrige. Der Raum, in dem die genannten Entwicklungen koinzidieren, verfestigt sich zunächst als nationales Territorium. Als Ort der Herrschaft, Ort des Marktes, Ort der Industrie herangewachsen, sind es vorzüglich die Städte, in denen sich Theater und Volk, Dinge und Waren begegnen. Zuletzt wird der Stadtraum mutieren zur weltumspannenden Installation allseits wuchernder realer und virtueller urbanisierter Lebensverhältnisse. Doch bevor wir uns der Modellierung dieses Raums zuwenden, der Topologie und der Diagrammatik, den Raumstrategien der Szenografie und den Entwürfen konkreter Inszenierungsprojekte, widmen wir der fokussierten Vergangenheit eine zweite tour de force. Den Diskurs, den wir mittels der Auftritte, die wir ermitteln konnten, nun zumindest in elementaren Stücken zu adressieren wissen, wollen wir entlang dieser Informationen und der daraus gezogenen Schlüsse ein weiteres Mal zum Sprechen bringen. Nun ausdrücklich anhand einiger ausgesuchter theoretischer Schriften, von denen wir hoffen, dass sie im Licht der Inszenierungsdispositive mit Gewinn reklamiert werden.
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anmerkungen teil i 1
Shakespeare: As you like it, Act II, Scene VII.
2
Beispielsweise nachlesbar bei Rouseau für Genfer Verhältnisse in der zweiten Hälfte des 18. Jahrhunderts. Vgl. Kapitel II.1.4.
3
Eine Anleihe bei Barbara Tuchman: A distant Mirror. The Calamitous 14th Century, New York 1878, dt: Der Ferne Spiegel. Das dramatische 14. Jahrhundert, München 2010 und früher.
4
Richard Sennet: Fleisch und Stein. Der Körper und die Stadt in der westlichen Zivilisation, Berlin 1995, S.126; zit. als Sennet 1995: Fleisch und Stein. Als Elemente des theatrum mundi werden aufgeführt: »eine von Autorität geprägte Kulisse; ein Schauspieler, der die Trennlinie zwischen Illusion und Wirklichkeit überschreitet; eine Schauspielkunst, die auf der stummen Körpersprache der Pantomime beruht (ebd., S.129). Sennet bezieht sich auf Norman Bryson: Vision and Painting, New Haven 1983, und Carlile Barton: The Sorrows of the Ancient Romans: The Gladiator and the Monster, Princeton 1993.
5
Vgl. das letzte Kapitel des zweiten Teils zu Nietzsches Tragödienrezeption.
6
August Lewald: In die Scene setzen, in: Allgemeine Theater-Revue, Dritter Jahrgang für 1838, Tübingen und Stuttgart 1837, S.249-306. Im Vorwort (S.VII) schreibt Lewald: »Meine Bemerkungen über die Mise en scène haben eine rein praktische Tendenz. Ich weiß wohl, dass einiges darin Gerügte bei Bühnen ersten Ranges nicht mehr stattfindet, allein ich dachte mir weder diese noch jene Bühne, sondern ich suchte alle mir hie und da aufgestoßene Mängel mit einem Blick zusammenzufassen.« Mit der Inszenierung in diesem Verständnis ist auch der dafür verantwortliche Regisseur erfunden. Die auf Theaterzetteln verbreitete Formulierung »neu in die Scene gesetzt von Regisseur*« zeigt Lewald zudem, »dass die Kunst ›in die Scene zu setzen‹ älter sey als der Ausdruck dafür«. Eine übliche Praxis offenbar zu Zeiten, da weder der Ausdruck verwendet wurde »noch die Regisseure daran dachten, sich auf solche Weise verewigen zu lassen.« (Lewald 1837/38: In die Scene setzen, S.251. – Etliche der in der Literatur angegebenen bibliographischen Notizen zu Lewalds Aufsatz von 1837 sind leider fehlerhaft).
7
Lewald 1837/38: In die Scene setzen, S.253; und seine Aufgaben werden ausführlich beschrieben in: ebd., S.258-306.
8
Zur Wortfamilie, die im Deutschen heimisch geworden ist, gehören die Ableitungen Szenario (eigentlich das gedruckte Szenenverzeichnis mit Inhaltsangabe der Commedia dell´arte, deren Schauspieler den Dialog meist interpretierten, im selben Sinne die latinisierte Form Szenarium), Szenerie, Szenik, szenisch, Szenograf. Alle Ausdrücke, bis dahin, wahlweise mit c (oder vereinzelt auch mit k) statt z geschrieben, abgeleitet aus dem griechischen Stammwort skēnē ; lat scaena oder scena. Siehe Wilhelm Hebenstreit: Wissenschaftlich-literarische Encyclopädie der Aesthetik, Wien 1843; Reprint Hildesheim/New York 1978 (zitiert als Hebenstreit 1843/1978: Aesthetik). Außer der bei Hebenstreit noch nicht aufgeführten Neubildung Inszenierung verwende ich die Neologismen Szenifikation (›Szene-Machen‹), seltener den Ausdruck Szenologie (Adjektiv szenologisch) als Kurzform reflexiven Bezugs auf das relationale Gefüge der mit vorstehenden Ausdrücken bezeichneten theoretischen und praktischen Beziehungen. Was den Terminus Inszenierung betrifft, dürfte er ursprünglich als szenografische Arbeit des »Arrangirenden« (!) oder »Regisseurs« (Theater-Lexikon, Art. »Inscenesetzen«; siehe unten) im Rahmen des Theaters verstanden worden sein. Seit den 20er Jahren des 19. Jahrhunderts wird er in diesem Sinne aus dem französischen Theatervokabular (mettre qc. en scène) ins Deutsche eingeführt; später erst tritt er auch in übertragenen Kontexten auf. Zur selben Zeit wie Hebenstreits Aesthetik erscheint in Altenburg und Leipzig 1839-46 das Allgemeine Theater-Lexikon oder Enzyklopädie alles Wissenswerthen für Bühnenkünstler, Dilettanten und Theaterfreunde, herausgegeben von Robert Blum, Karl Herloßsohn und Hermann Marggraff in sieben Bänden, , Altenburg und Leipzig 1841; zit. als Theater-Lexikon 1841: Bd., Seite. Hier findet sich die Eindeutschung des mettre en scène unter dem Lemma »Inscenesetzen«. Vor allem aber findet sich in diesem Artikel eine inhaltliche Definition, welche die »Inszenierung« als Vorgang des »Inszenesetzens« unmissverständlich mit der szenografischen Praxis verbindet (Theater-Lexikon 1841: Bd.4, S.284-287). Die wiederum steht ganz im Dienst der Bühne. Die Verbindung ist so eng, dass das auf die Praxis zugeschnittene Theaterlexikon den Eintrag »Szenografie« für entbehrlich hält und die durchaus ausführliche Beschreibung dieses Geschäfts unter »Inscenesetzen« abhandelt. Kurz und bündig steht eine im Wesentlichen gleiche Beschreibung in der Hebenstreit’schen Encyclopädie, der es im Unterschied zum Lexikon weit weniger um die Praktiken der Künste als
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um die Ästhetik schlechthin zu tun ist, unter dem Eintrag »Scenographie«. – Ab Mitte der 1870er Jahre ist der Begriff auch außerhalb des Bühnenvokabulars anzutreffen, zum Beispiel bei Nietzsche (in: Menschliches, Allzumenschliches II, Der Wanderer) oder bei Fontane (in: Wanderungen durch die Mark Brandenburg I, über Wilhelm Gentz; Online-Texte Nietzsche /Fontane, Quelle: textlog.de).. 9
Entsprechend sehen wir auch hier die Alternativen, mit denen in anderen Sprachen fokussiert wird mit der Verwendung von scenography oder scénographie (Bühnenbildgestaltung, Dekor/Bühnenmalerei, perspektivischer Darstellung), scenographer oder scénographe (Bühnenbildner, Bühnengestalter/Dekorationsmaler, Szenograph). Im Gegenzug allerdings muss dann, was so nicht gefasst ist, mit anderen Ausdrücken belegt werden. So wiederum kommt dann die Bühnenzentrierung deutlicher zum Ausdruck (performance design, stage design, drama, design for narrative environments/ spaces etc.). Da es sich indes auch um Bezeichnungen für Fachgebiete akademischer oder beruflicher Ausbildung handelt, zeigt sich, dass dieses Metier ein durchaus anderes ist als die Performance selbst (auch beim drama).
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Art. Scenarium, in: Theaterlexikon. Theoretisch-praktisches Handbuch für Vorstände, Mitglieder und Freunde des deutschen Theaters, hgg. von Ph. J. Düringer (Regisseur) und H. Barthels (Inspector), Leipzig 1841, Zit. Sp.961. Auch dieses Handbuch verzichtet auf einen Artikel Szenografie. »Ein Stück in die Scene setzen« ist bekannt im Artikel Scene (ebd., Sp.965) und wird wie bei Hebenstreit und in anderen zeitgenössischen Handbüchern beschrieben. Scenario im Englischen bezeichnet, wiederum auf der Seite des Entwurfs, das Drehbuch.
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Hebenstreit führt aus, dass skēnē, das »Zelt oder die »Laube«, worin »die ersten Schauspiele aufgeführt wurden«, auch zeitgenössisch Ausdruck ist für den »Ort, wo die Handlung vorgeht[,] und der Platz, wo die Schauspieler stehen.« Von daher erläutert er im Artikel »Scene«, was andernorts unter einem eigenen Schlagwort aufgeführt ist: »daher die Ausdrücke, ›ein Stück in die Scene setzen, [...] es zur theatralischen Aufführung einrichten, und die Scene veränern, d.i. den Ort der Handlung (durch Dekorationen) verändern‹. Auch ist im Schauspiel der Ausdruck Scene gleichbedeutend mit Auftritt«, Hebenstreit 1843/1978: Aesthetik, S.662f. Die Quelle des Zitats gibt die Enzyklopädie nicht an.
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»Szenografie« als Bühnendekoration beinhaltet unter anderem die Gestaltung des in späterer Zeit sich durchsetzenden Bühnenhauses, das gegenüber der orchēstra, dem Raum des Chors, abgegrenzt blieb durch Zugänge von außen (parodoi) und das zunächst ebenfalls als skēnē (also als Bühne) bezeichnet wurde. (Vgl. den Artikel: Szenographie, in: Metzler Lexikon Theatertheorie, hgg. von Erika Fischer-Lichte, Doris Kolesch und Matthias Warstat, Stuttgart/Weimar 2005, S.322-325; zit. als Fischer-Lichte 2005: Theatertheorie. Zu Details der antiken griechischen Theatertradition siehe das Nietzsche-Kapitel in Teil II der Arbeit. Zum modernen Szenografie-Verständnis vgl. Pamela Howard: What is Scenography?, London/New York 2002; zit. als Howard 2002: Scenography.
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Aristoteles: Poetik, 1450a, 4; das folgende Zitat ebd., Zeile 15.
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Manifestatio oder »Manifestation« werden wir weniger im heute geläufigen Sinne von Manifest oder Statement, sondern im lateinischen Wortsinn verwenden: als An-den-Tag-Legung und Offenbarung von Sachverhalten oder Ereignisses, die beispielsweise auch durch Demonstration ›bewiesen‹ werden könnten, aber Zug um Zug präsentiert werden und deshalb eine gewisse dramatische Charakteristik aufweisen. Es manifestiert sich darin, was die Ereignishaftigkeit der inventio nicht festzuhalten vermag.
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Hebenstreit 1843/1978: Aesthetik, S.663.
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Benselers Griechisch-deutsches Schulwörterbuch, hgg. von Adolf Kaegi, Leipzig/Berlin 1904 u.ö., Art. skēnographia, S.810; zit. als Benseler 1904: Griech.-dt. Wörterbuch. (Griechische Typografie geben wir in deutscher Umschrift wieder, nur ausnahmsweise, wo hilfreich, mit Längenzeichen).
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Wilhelm Pape: Griechisch-deutsches Handwörterbuch in drei Bänden, Bd.2, Braunschweig (2.Aufl.) 1888, S.895 ; zit. als Pape 1888: Griech.-dt. Handwörterbuch.
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Oder auch mit dem englischen Ausdruck »agencies« adressiert. Wir benutzen »Agenzien« oder agencies zur Charakterisierung von ›Spielern‹, die nicht zur Gattung der menschlichen oder lebendigen Akteure gehören. Die Berücksichtigung nichtmenschlicher Akteure in den Dispositiven der Wissenschaften und des gesellschaftlichen Handelns findet mittlerweile eine breitere Anerkennung als noch zu Zeiten der ersten diesbezüglichen Serres-Veröffentlichungen zur Wissenschaftsgeschichte siehe Michel Serres: Hermes II: Interferenz, Berlin 1992; zit. als Serres 1992: Interferenz. Vergleiche die Diskussion bei Bruno Latour: Die Hoffnung der Pandora, Frankfurt am Main 2000, z.B. Kapitel 5 und 6; zit. als Latour 2000: Hoffnung der Pandora. Zum Kontext siehe die Aufsätze in: Andrew
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Pickering: Kybernetik und Neue Ontologien, Berlin 2007; zit. als Pickering 2007: Kybernetik und Ontologie, insbesondere den in diesem Band auf Deutsch vorliegenden Aufsatz: Agency and Emergency in the Sociology of Science aus dem Jahr 1993 bzw. 1999: Die Mangel der Praxis, ebd., S.17-61; zit. als Pickering 2007: Mangel der Praxis. Weiterführend siehe Science as Practice and Culture, hgg. von Andrew Pickering, Chicago 1992, und Andrew Pickering: The Mangle of Practice: Time, Agency and Practice, Chicago 1995; zit. als Pickering 1992: Mangle of Practice. 19
Siehe Henri Lefèbvre: La production de l´espace, Paris 1974; engl. Oxford 1991: The Production of Space. Ich zitiere nach der engl. Ausgabe: ebd., S.360-363; zit. als Lefèbvre 1991: Production of Space. Eine deutsche Fassung in Erstübersetzung findet sich seit einiger Zeit in: Raumtheorie. Grundlagentexte aus Philosophie und Kulturwissenschaften, hgg. von Jörg Dünne und Stephan Günzel, Frankfurt am Main 2006 ; zit. als Dünne/Günzel 2006: Raumtheorie..
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Siehe zum Beispiel Georges Bd.2, Art. scena. Diese Bedeutung ist im Deutschen durchaus auch vorhanden im nicht medienspezifischen Verständnis. Vgl. auch Jakob Heinrich Kaltschmidt 1834: Kurzgefaßtes vollständiges stamm- und sinnverwandtschaftliches Gesammt-Wörterbuch der Deutschen Sprache aus allen ihren Mundarten und mit allen Fremdwörtern, Leipzig 1834, Art. die Scene: »das Zelt, die Hütte, Bühne, der Schauplatz, Auftritt, der Vorfall, das Bild, Gemälde«, ebd., S.792, zit. als Kaltschmidt 1834: Wörterbuch Deutsche Sprache.
21
Die italienische und moderne deutsche Schreibweise statt der lateinischen mit f statt mit ph.
22
»Die planperspektivische Ansicht vereint Baukunst und Bildkunst, die sie beide einem räumlichen Blick unterwirft. Die Frage nach dem perspektivischen Blick lässt sich in der Architektur nur stellen, wenn man den Bildbegriff erweitert und ihn auf den Raum ausdehnt. Hier ist der Raum als Bild, was in der Malerei der Raum im Bild ist.« Hans Belting: Florenz und Bagdad. Eine westöstliche Geschichte des Blicks, München 2008, S.191f.
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Ich verwende den Ausdruck im Peirce´schen Sinne als collagiertes Vorstellungsbild mit Entwurfscharakter für ein entsprechendes Konzept oder auch Projekt.
24
Leon Battista Alberti: De pictura libri tres. Della Pittura, 3,53; in: Opere volgari, hgg. von Cecil Grayson, Bd.3, Bari 1973, S.92f (enthält den lateinischen Text von 1435 und Albertis eigene italienische Fassung von 1436 im Paralleldruck); dt. Leon Battista Alberti: Della Pittura / Über die Malkunst, hgg. von Oskar Bätschmann und Sandra Gianfreda, Darmstadt 2002, S.296f.
25
Alberti 1435/1973: De Pictura 3,62, S.106f; Alberti 1435/2002: Über die Malkunst, S.312f.
26
Siehe Benedetto Varchi: Paragone. Rangstreit der Künste, hgg., eingel., übers. und komment. von Oskar Bätschmann und Tristan Weddigen, Darmstadt 2013; zuerst 1550; zit. als Varchi 1550/2013: Rangstreit der Künste.
27
Georgio Vasari: Einführung in die Künste der Architektur, Bildhauerei und Malerei. Die künstlerischen Techniken der Renaissance als Medien des disegno, übers. von Victoria Lorini, hgg. von Matteo Burioni, Berlin 2006 (zuerst 1568), S.24, S.98; zit. als Vasari 1568/2006: Einführung in die Künste. Zu den Details anhand einzelner Künstlerbiografien siehe Georgio Vasari: Kunstgeschichte und Kunsttheorie. Eine Einführung in die Lebensbeschreibungen berühmter Künstler anhand der Proemien, hgg. von Victoria Lorini, Berlin 2004 (zuerst 1568; zit. als Vasari 1568/2004: Lebensbeschreibungen berühmter Künstler).
28
Der zuletzt zitierte Satz endet in einer zeitgemäß neuplatonischen Assoziation: »gleich einer Idee oder Form aller Dinge der Natur, die in ihrem Maße einzigartig ist.« Vasari 1568/2006: Einführung in die Künste, S.98.
29
Hebenstreit 1843/1978: Aesthetik, S.663.
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Dem Adorno in Bürgerliche Oper (1955) und der Einleitung in die Musiksoziologie (1962) nachgeht. Siehe Theodor W. Adorno: Dissonanzen. Einleitung in die Musiksoziologie, in: Theodor W. Adorno: Gesammelte Schriften in 20 Bänden, hgg. von Rolf Tiedemann unter Mitwirkung von Gretel Adorno, Susan Buck-Mors und Klaus Schulz, Bd.14, Frankfurt am Main 1997 (zit. als Adorno: Gesammelte Schriften, Bd., Titelabkürzung).
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Liest man etwa die Theoretiker des Liberalismus am Beginn des 19. Jahrhunderts, müssen sie sich alle mit dieser ihnen ganz nahen Wahrheit auseinandersetzen. Es fällt ihnen allerdings leichter angesichts des weiteren Werdegangs der französischen Verhältnisse, die im Ergebnis keinerlei Rechtfertigung dafür beibringen konnten, in Deutschland auf den Import der Revolution zu setzen. Im Gegenteil sind sie Grund genug, einen eigenen Weg zur Nation zu finden. Siehe beispielhaft
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Paul Achatius Pfizer: Gedanken über das Ziel und die Aufgabe des deutschen Liberalismus, Tübingen 1832, in: Liberalismus im 19. Jahrhundert. Texte zu seiner Entwicklung, hgg. von Lothar Gall und Rainer Koch, Dritter Band, Frankfurt am Main/Berlin/Wien 1981, S.67-94, zur These vgl. S.7175. Zur Verklärungs-Zerfalls-Logik bei der Deutung des Revolutionsgeschehens siehe den Katalog zur Ausstellung: Europa 1789. Aufklärung, Verklärung, Zerfall, hgg. von Werner Hoffmann, Köln 1989. Die Ausstellung zum Bicentenaire fand statt in der Hamburger Kunsthalle 1989. 32
Ernst Kantorowicz: Die zwei Körper des Königs. Eine Studie zur politischen Theologie des Mittealters, Stuttgart 1992; engl. Princeton [N.J.]1957; zit. als Kantorowicz 1992: Zwei Körper.
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Als die der König als Gönner gewisse Teile seiner Untertanen offenbar gerne sehen wollte.
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Szenografie Charles Le Brun (inklusive Rossballett), organisiert von der Stadt Paris unter Aufsicht des Hofes. Siehe Karl Möseneder: Zeremoniell und monumentale Poesie. Die ›Entrée Solennelle‹ Ludwig XIV. 1660 in Paris, Berlin 1983; Anne Spagnolo-Stiff: Festarchitektur im französischen Königtum (1700-1750), Weimar 1996. Siehe auch Richard Alewyn/Karl Sälzle: Das Große Welttheater. Die Epoche der höfischen Feste in Dokument und Deutung, München 1959; zit. als Alewyn/Sälzle 1959: Welttheater. Exemplarische Fallstudien im 2. Teil, Würdigung und Kommentar in Teil I.
35
1667. Siehe Peter Burke: Die Inszenierung des Sonnenkönigs, Berlin 1993, S.57-62; zit. als Burke 1993: Inszenierung; siehe auch Das Fest. Eine Kulturgeschichte von der Antike bis zur Gegenwart, hgg. von Uwe Schulz, München 1988; Karl Möseneder: Artikel Fest, in: Handbuch der politischen Ikonografie, Bd.I, hgg. von Uwe Fleckner, Martin Warnke und Hendrik Ziegler, München 2011, S.316-323; zit. als Fleckner 2011: Handbuch politische Ikonografie; siehe auch Alewyn/Sälzle 1959: Welttheater.
36
Theatrum Europaeum, Vol. X, Frankfurt am Main 1677, S.514; zit. bei Möseneder 2011: Fest.
37
Mit der Auflage, dass der Hof Bonapartes »dem Ancien Régime möglichst wenig gleichen sollte«. Antoine Schnapper: David und seine Zeit, Würzburg 1981, S.213; zum Kontext siehe ebd., S.201226; in den dann folgenden Passagen dort auch über die ähnlich opulente ›republikanische‹ Inszenierung der öffentlichen Verteilung der kaiserlichen Fahnen auf dem Marsfeld (1806), ebenfalls für mehrere szenische Episoden dramatisiert wie die Krönungsfeier.
38
Siehe Mona Ozouf: Festivals of the French Revolution, Cambridge (MA) 1988/1992 (frz. Paris 1976), S.61-106; zit. als Ozouf 1988/1992: Festivals.
39
Mit fünfzigtausend Mann unter Waffen und insgesamt über dreihunderttausend Teilnehmern und Besuchern.
40
Ein »Höchstes Wesen« war im Rahmen der revolutionären Inszenierung lediglich aus dem Text der Bürger- und Menschenrechts-Deklaration bekannt. Jetzt wurde diese Inkarnation der Aufklärung von den führenden Jakobinern in den Mittelpunkt eines neuen, naturverbundenen Kultus gestellt, der die bisherige Religionsausübung ablösen sollte. Die medial besonders opulent ausgestattete Szenografie besorgte auch hier David. Diese Geschichte aus dem Fundus des ›Projekts Vernunft‹, die als solche schon etliche Zeit in Umlauf war, fand in der szenisch multimedialen Präsentation Davids auf dem Höhepunkt des Großen Schreckens statt. Es ist bezeichnend, dass sie dem Pariser Publikum, das dort öfter als nur an einem Tag zu Zigtausenden dem Schauspiel der Guillotine beiwohnen und zugleich Kulisse machen durfte, eher als anstößig galt. In der Provinzbevölkerung des Westens und Südostens dagegen fand der Kult mehr Anhänger, was nicht zuletzt mit der Ferne zur Hauptstadt und den dort möglichen Wahrnehmungen und Aneignungen zu tun gehabt haben dürfte. Étienne-Louis Boulée entwarf die Architektur für ein Monument destiné aux hommages dus à l‘Être Suprême (erstaunlicherweise zurückreichend auf Entwürfe der frühen 1780er Jahre für das Newton-Mausoleum), das aber nicht in die Tat umgesetzt werden konnte, da der Konvent den Kult des Höchsten Wesens nach dem 9. Thermidor abschaffte und die Trennung von Staat und Religion in allen gesellschaftlichen Bereichen beschloss. Zur Szenografie siehe Schnapper 1981: David, S.142f. Zu Boulées Projekten siehe Revolutionsarchitektur. Boulée, Ledoux, Lequeu, hgg. von Günter Metken und Klaus Gallwitz, Baden-Baden 1971.
41
Siehe Sennet 1995: Fleisch und Stein, Kap. 9,3, S.378-384.
42
Vgl. Peter Szondi: Die Theorie des bürgerlichen Trauerspiels im 18. Jahrhundert. Vorlesungen Bd.1, Frankfurt am Main 1973, Kap. II und III; zit. als Szondi 1973: Theorie Trauerspiel.
43
Vgl. für Spätrenaissance und Barock bis Romantik Walter Benjamin: Ursprung des deutschen Trauerspiels, Frankfurt am Main 1972, S.116f/; zit. als Benjamin 1972: Trauerspiel.
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44
Was etwa die Enzyklopädien des späten 18. Jahrhundert wissen lassen. Über »Szenen« findet man nichts, was mit dem mettre en scène, dem In-Szene-Setzen der Theater-Inszenierungen der folgenden Jahre vergleichbar ist. Das meiste steht in den einschlägigen Artikeln über das Schauspiel. Vgl. etwa den Artikel »Schau-Spiel, ludus scenicus«, in: Johann Heinrich Zedlers Grosses vollständiges Universallexicon aller Wissenschaften und Künste, Halle und Leipzig 1732-1751, Bd.XXXIV, Sp.10341042. […] »sonderlich zu Athen, aus politischen Gründen eingeführt, und mit gewissen Regeln, Gesetzen und Ordnungen versehen« [… ] (Zitat ebd., Sp.1034).
45
Burke 1993: Inszenierung, VIII. Kapitel.
46
Und mit ihm viele andere. Siehe Georg Wilhelm Friedrich Hegel: Vorlesungen über die Philosophie des Rechts (1822-1831), hgg. von Eva Moldenhauer und Karl Markus Michel; d.i. G.W.F. Hegel: Werke in zwanzig Bänden, Bd.7, Frankfurt am Main 1970/1983, 4.Teil, 3. Abschn., 3. Kapitel; zit. als Hegel 1970: Rechtsphilosophie.
47
Auch wenn Frauen, Juden, fahrendes Volk, Dienstboten, Sklaven usw. gehofft hatten, dass sie dazu zählten. Was ja tatsächlich auch von Fall zu Fall passierte, aber durchaus nach politischem Kalkül, wie die Überlassung der Bürgerrechte an die Juden belegt, die im Süden, wo es wenige gab, zugelassen wurde, in den judenreichen Regionen der Nation aber nicht. Außerdem wurden die Ausweitungen, die die 1793er Konstitution einführte, von den Eigentümerverfassungen der Folgezeit wieder zurückgenommen oder eingeschränkt.
48
Wie die Kerndevise der Revolution schon 1789 hieß und von Jean-Baptiste Regnault später besonders eindrucksvoll in Szene gesetzt wurde.
49
The Public, nicht The Populace. Siehe Warren Roberts: Jacques Louis David and Jean-Louis Prieur. Revolutionary Artists. The Public, the Populace, and Images of the French Revolution, New York 2000.
50
Siehe Philip Manow: Im Schatten des Königs. Die politische Anatomie demokratischer Repräsentation, Frankfurt am Main 2008; zit. als Manow 2008: Schatten des Königs.
51
Siehe als Ozouf 1988/1992: Festivals; vgl. besonders das Kapitel »The Festival and the Space,« S.126-157.
52
Georg Wilhelm Friedrich Hegel: Grundlinien der Philosophie des Rechts, 1821, Vorrede; bei Hegel bekanntlich eine »Dämmerung« am Abend, wenn alle Kühe grau sind, eine Dämmerung, die Nietzsche seinerseits wiederum als Heraufkunft der »Morgenröte« verstanden haben wollte. Zum Hintergrund vgl. Jens Petersen: Die Eule der Minerva in Hegels Rechtsphilosophie, Berlin/New York 2010.
53
Vgl. §290, Zusatz, in Hegel 1970: Rechtsphilosophie, S.460. »Dagegen entbehrt Frankreich der Korporationen und Kommunen, […] der Kreise, wo die besonderen und allgemeinen Interessen zusammenkommen.« Trotz historischer Berechtigung zur Beseitigung von Hemmnissen der Produktionsverhältnisse »darf man doch sagen, daß in den Gemeinden die eigentliche Stärke der Staaten liegt. Hier trifft die Regierung auf berechtigte Interessen, die von ihr respektiert werden müssen, und insofern die Administration solchen Interessen nur beförderlich sein kann, sie aber auch beaufsichtigen muß, findet das Individuum den Schutz für die Ausübung seiner Rechte, und so knüpft sich sein partikulares Interesse an die Erhaltung des Ganzen. Man hat seit einiger Zeit immer von oben her organisiert, und dies Organisieren ist die Hauptbemühung gewesen, aber das Untere, das Massenhafte des Ganzen ist leicht mehr oder weniger unorganisch gelassen; und doch ist es höchst wichtig, daß es organisch werde, denn nur so ist es Macht, ist es Gewalt, sonst ist es nur ein Haufen, eine Menge von zersplitterten Atomen. Die berechtigte Gewalt ist nur im organischen Zustande der besonderen Sphären vorhanden.«
54
Über den Einsatz von Wissenschaft und Technologie als militärisches Potential in den Schlachten der Revolution nach der Massenaushebung vergleiche Ausstellung und Dokumentation: Die Wissenschaftler und die Revolution, Paris 1989.
55
Vgl. Albert Soboul: Die Sansculotten von Paris im Jahre II, Berlin 1962, S.319,
56
Vgl. ebd., S.325f.
57
Karl Marx: Die Heilige Familie, in: Marx, Engels, Werke (MEW ), Bd.2, Berlin 1957 u.ö., S.129.
58
Maximilien Robespierre: Über die Prinzipien der politischen Moral. Konventrede vom 5. Februar 1794, in: Reden der Französischen Revolution, hgg. von Peter Fischer, München 1974, S.341ff.
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59
Konventrede vom 7. Mai 1794, zit. in: Walter Markov: Revolution im Zeugenstand. Frankreich 1789-1799, Bd.1, Aussagen und Analysen, Leipzig 1982, S.431.
60
Vgl. Jean-Jacques Rousseau: Der Gesellschaftsvertrag, Frankfurt am Main 1978, S.168, Anm. 5 zu Kapitel 9 des ersten Buches: »Unter schlechten Regierungen ist diese Gleichheit nur scheinbar und trügerisch; sie dient nur dazu, den Armen in seinem Elend und den Reichen in seinem widerrechtlich erlangten Besitz zu erhalten. In Wahrheit sind die Gesetze immer nur für diejenigen wohltätig, die etwas besitzen, und den Besitzlosen schädlich, woraus folgt, daß den Menschen der gesellschaftliche Zustand nur so lange vorteilhaft ist, als jeder etwas und keiner zuviel hat.«
61
Zit. in: Markov 1982,1: Revolution im Zeugenstand, S.402.
62
Robespierre: Über die Prinzipien der politischen Moral, in: Fischer: Reden, S.343.
63
Georg Wilhelm Friedrich Hegel: Phänomenologie des Geistes, hgg. von Eva Moldenhauer und Karl Markus Michel (d.i. G.W.F. Hegel: Werke in zwanzig Bänden, Bd.6), Frankfurt am Main 1970/1983; zit. als Hegel 1970: Phänomenologie.
64
Dokument in: Markov 1982,1: Revolution im Zeugenstand, S.431.
65
Das »Höchste Wesen«.
66
In: Markov 1982,1: Revolution im Zeugenstand, S.453.
67
Jean Massin: Almanach du Premier Empire (1794-1807), Paris 1966, S.296, zit. in: Markov 1982,1: Revolution im Zeugenstand, S.434.
68
Hegel 1970: Phänomenologie, S.321.
69
Siehe Josef Emmanuel Sieyes: Was ist der dritte Stand? Flugschrift, Paris 1789. Sieyes: »Der Plan dieser Schrift ist ganz einfach. Wir haben uns drei Fragen vorzulegen. 1. Was ist der dritte Stand ? Alles. 2. Was ist er bis jetzt in der staatlichen Ordnung gewesen? Nichts. 3. Was verlangt er? Etwas darin zu werden.« Text in: Gall/Koch 1981: Liberalismus, Bd.3, S.15.
70
Siehe Heidegger 1938/1972: Zeit des Weltbildes.
71
Michel Foucault: Theatrum philosophicum, in: Foucault 2002: Schriften, Bd.II (1970-1975), S.100f; zit. als Foucault 1970/2002: Theatrum philosophicum.
72
Zur Kategorie der longue durée siehe Marc Bloch, Fernand Braudel, Lucien Febvre: Schrift und Materie der Geschichte. Vorschläge zu einer systematischen Aneignung historischer Prozesse, hgg. von Claudia Honegger, Frankfurt am Main 1977.
73
Womit keine moralische oder sonstige Bewertung ausgedrückt ist, sondern lediglich eine Zeitspanne seiner Geltung.
74
Vgl. Tzevetan Todorov: Die Eroberung Amerikas. Das Problem des Anderen, Frankfurt am Main 1982; zit. als Todorov: Eroberung Amerikas. Zu einem anderen Beispielkreis, kurz vor der Französischen Revolution, siehe Philippe Despoix: Benennung und Tausch. Zur Semantisierung des Unbekannten in Reiseberichten der 1770er Jahre, in: Das Laokoon-Paradigma – Zeichenregime im 18. Jahrhundert, hgg. von Inge Baxmann, Michael Franz und Wolfgang Schäffner, Berlin 2000, S.155169; zit. als Baxmann u.a. 2000: Das Laokoon-Paradigma; zit. als Despoix 2000: Benennung und Tausch.
75
Siehe Despoix 2000: Benennung und Tausch, a.a.O.
76
Johann Wolfgang von Goethe: Morphologie. Allgemein. Die Absicht eingeleitet, in: Goethes Werke in zwölf Bänden, hgg. von den nationalen Forschungs- und Gedenkstätten der klassischen deutschen Literatur, Weimar, Berlin 1968, Bd.12, Schriften zur Philosophie, Politik und Naturwissenschaft, S.198; zit. als Goethe 1832/1968: Werke, Bd.12.
77
David Abraham: The Spell of the Sensuous. Perception and Language in a More-Than-Human World. New York 1996; jetzt deutsch u.d.T.: Im Bann der sinnlichen Natur - die Kunst der Wahrnehmung und die mehr-als-menschliche Welt, Klein Jasedow 2012 (Verlagsankündigung). Vgl. auch Gregory Bateson: Geist und Natur. Eine notwendige Einheit, Frankfurt am Main 1982; ders.: Ökologie des Geistes. Anthropologische, psychologische, biologische und epistemologische Perspektiven, Frankfurt am Main 1981.
78
Alfred North Whitehead: Der Begriff der Natur, Weinheim 1990, S.25; zit. als Whitehead 1990: Begriff der Natur.
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79
Heidegger 1935/1972: Der Ursprung des Kunstwerks, S.58.
80
Vgl. die Ausstellung im ZKM: Iconoclash. Jenseits der Bilderkriege in Wissenschaft, Religion und Kunst, Zentrum für Kunst und Medientechnologie Karlsruhe, 4.5.-4.7. 2002. Lit.: Iconoclash. Beyond the Image Wars in Science, Religion and Art, hgg. von Bruno Latour und Peter Weibel, Cambridge (Mass.) 2002; dann aber genauso wichtig die folgende Ausstellung in Sorge um die Dinge: Making Things Public. Atmospheres of Democracy, hgg. von Bruno Latour und Peter Weibel, Cambridge (Mass.) 2005.
81
Siehe Art. Kunstkammer, in: Oxford Dictionary of Art, Oxford 1997.
82
So mit Blick auf Leibniz die Einführung zu den Intentionen der Berliner Ausstellung im Jahr 2000.
83
Jorge Luis Borges: Von der Strenge der Wissenschaft, in: ders.: Sämtliche Erzählungen, München 1970, S.346.
84
Antoine Arnauld: Die Logik oder die Kunst des Denkens, Darmstadt 1972, S.149; zit. als Arnauld 1972: Logik. Zum Kontext siehe Christine Buci-Glucksmann: Der kartographische Blick der Kunst, Berlin 1997, S.24-29; zit. als Buci-Glucksmann 1997: Kartographischer Blick.
85
Vgl. Jörg Dünne: Die Karte als Operations- und Imaginationsmatrix, in: Spatial Turn. Das Raumparadigma in den Kultur- und Sozialwissenschaften, hgg. von Jörg Döring und Tristan Thielmann, Bielefeld 2008, zit. als Döring/Thielmann 2008: Spatial Turn., S.49-70; siehe auch Buci-Glucksmann 1997: Der kartographische Blick.
86
Siehe dazu Gilles Deleuze: Die Falte. Leibniz und der Barock, Frankfurt am Main 1995; zit. als Deleuze 1995: Die Falte.
87
So Carl von Linné in: La Philosophie botanique, §299; zit. in Michel Foucault: Die Ordnung der Dinge, Frankfurt am Main 1971, S.176 – dort auch zum Kontext der Naturgeschichte im Zeitalter der Klassik; zit. als Foucault 1971: Ordnung der Dinge.
88
Joseph P. Tournefort: Institutiones rei herbarii, Paris 1719; frz. Übers. von G. Becker u.d.T.: Introduction à la botanique, Paris 1957, S.1; zit. in Foucault 1971: Ordnung der Dinge, S.181. »Eine in allen Theilen der Gelehrsamkeit übliche Gleichheit der Gedanken, eine Ordnung aller menschlichen Verrichtungen [...], das Ähnliche der Mahlerey, der Zusammenhang aller Dinge in der BauKunst, sind eben das, was in den Sammlungen Methode heißt«.
89
Johann Ernst Hebenstreit: Abhandlung von denen Eintheilungen ausgegrabener Cörper, in: ders.: Museum Richterianum. Continens Fossilia, Animalia, Vegetabilia Mar. [...]. Mit einem Anhang: De Geminis scalptis, Leipzig 1743, S.18. Vgl. Horst Bredekamp: Antikensehnsucht und Maschinenglauben. Die Geschichte der Kunstkammer und die Zukunft der Kunstgeschichte, Berlin 2000, S.84.
90
Vgl. Foucault 1969/1973: Archäologie, S.169-171.
91
»Foucault 1971: Ordnung der Dinge, S.179; die folgenden Zitate ebd., S.71, S.166.
92
Gottfried Wilhelm Leibniz: Philosophische Schriften, Frankfurt am Main 1985-1992, II,2, Neue Abhandlungen, IV, Kap.16 § 12, S.531. Vgl. Deleuze 1995: Die Falte, S.110.
93
Siehe Verfügung des Herzogs Eberhard III. von Württemberg zur »Construction und Ordnung« der herzoglichen Kunst- und Wunderkammern von 1669, zit. in: Werner Fleischhauer: Kunstkammer und Kronjuwelen, Stuttgart 1977, S.15.
94
Und eine ebensolche Systematik zur »Separation und Aufräumung« in der Kammer. Siehe Fleischhauer 1977: Kunstkammer, ebd.
95
Und separaten Bildatlanten. Tiere und Pflanzen der Vitrinen erscheinen darin aufgeklappt, wie in Sebas Thesauri (siehe die übernächste Anm.) oder in Linnés Systema Natura abgebildet.
96
Vgl. als Beispiel einer Linné´schen Diagnose: Jean-Marc Drouin: Von Linné zu Darwin. Die Forschungsreisen der Naturhistoriker, in: Elemente einer Geschichte der Wissenschaften, hgg. von Michel Serres, Frankfurt am Main 1994, S.581.; zit. als Serres 1994: Wissenschaftsgeschichte.
97
Zum Beispiel in: Albertus Seba: Locupletissimi rerum naturalium Thesauri, Den Haag 1734-1765; dt. Albert Seba: Das Naturalienkabinett, Köln 2001, S.347-35, S.399 (Reprint des Exemplars der Niederländischen Königlichen Bibliothek DenHaag).
98
Vgl. Frederik Ruysch: Museum anatomicum Ruyschianum, sive catalogus rariorum quae in Authoris aedibus asservantur. Amsterdam, 1691 (2.Aufl. 1721; 3.Aufl. 1737; englische Ausgabe: London 1751); Catalogus Musaei Ruyschia-ni...Praeparatorum Anatomicorum, variorum
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Animalium, Plantarum, aliarumque Rerum Naturalium …, Amsterdam: Janssonio-Waesbergios [1731], Amsterdam 1710. Sieben Arrangements zu sehen auf: www.zymoglyphic.org/ exhibits/ ruysch.html. 99
Und »wenn denn diese Merkmale, so wie sie mehr oder weniger Ähnlichkeiten und Unähnlichkeit haben, insgesamt miteinander verglichen werden, so stellen sie das Ebenbild der Natur dem Verstande vor, und drücken selbiges dem Gedächtnisse ein«. Georges-Louis Buffon: Allgemeine Historie der Natur nach allen ihren Teilen abgehandelt, nebst einer Beschreibung der Naturalienkammer Sr. Majestät des Königs von Frankreich mit einer Vorrede Herrn Doctor Albrechts von Haller, Hamburg/ Leipzig 1752, Bd.II, S.4f.
100
Foucault 1971: Ordnung der Dinge, S.178. Die Repräsentation »vermengt vieles« und präsentiert sich »in der Form der Gleichzeitigkeit«, heißt es in Die Ordnung der Dinge. Die »Struktur«, die demgegenüber die Naturgeschichte findet, die damit verbundene »Anordnung der Elemente in einer linearen Folge, zerschneidet die Repräsentation in evidenter und allgemeiner Weise.« Vgl. Foucault 1971: Ordnung der Dinge, ebd.
101
Representation in Scientific Practice, hgg. von Michael Lynch und S. Woolgar, Cambridge (Mass.) 1990.
102
Im Zweifelsfall nach dem Motto: Was aussieht wie ein Hund, ist ein Hund. Genügend Beispiele für dieses von den Späteren »unwissenschaftlich« genannte Zeigen und Erzählen noch in den Illustrationen der Thesauri Sebas, deren systematisierende Leistungen im Unterschied zum System Linnés schon Anfang des 19. Jahrhunderts kaum noch große wissenschaftliche Bedeutung hatten. Vgl. Seba 1734-1765: Thesauri.
103
Vgl. Bredekamp 2000: Antikensehnsucht, a.a.O., S.83f.
104
Später stellt man hier wie auch in anderen Botanischen Gärten auf die »natürliche Methode« Lamarcks um. Vgl. Drouin: Von Linné zu Darwin, S.580/585.
105
Gottfried Wilhelm Leibniz: Zwei Pläne zu Sozietäten (1671), in: ders., Politische Schriften II, hgg. von Hans Heinz Holz, Frankfurt am Main/Wien 1967, Teil B, S.42-47; Zitat S.44.
106
Hubertus Busche: Wissensräume bei Gottfried Wilhelm Leibniz, in: Räume des Wissens. Grundpositionen in der Geschichte der Philosophie, hgg. von Karen Joisten, Bielefeld 2010, S.115-128 (zit. als Joisten 2010: Räume des Wissens). Zum Projekt einer Universalexposition des Wissens gemäß Leibniz´ Überlegungen in Drôle des Pensée, also vom Autor selbst schon als Gedankenscherz apostrophiert, siehe die Beschreibung ebd., S.124; siehe auch Horst Bredekamp: Leibniz´ Theater der Natur und Kunst. Essays, in: Theater der Natur und Kunst: Wunderkammern des Wissens, hgg. von Horst Bredekamp und Jochen Brüning, Berlin 2000, S.12-19; Horst Bredekamp: Das Fenster der Monade. Gottfried Wilhelm Leibniz´ Theater der Natur und Kunst, Berlin 2004.
107
Georg Forster: Ansichten vom Niederrhein, von Brabant, Flandern, Holland, England und Frankreich, im April, Mai und Junius 1790, in: Georg Forsters Werke. Sämtliche Schriften, Tagebücher, Briefe, Neunter Band, Berlin 1958, S.326; zit. als Forster 1790/1958: Ansichten vom Niederrhein.
108
Drouin: Von Linné zu Darwin, S.594.
109
Francis Bacon: Instauratio Magna. Novum Organum, sive Indicia vera de interpretatione naturae. London 1622; dt. Neues Organum der Wissenschaften I. Buch, 98, übersetzt und hgg. von Anton Theobald Brück, Darmstadt 1962, S.77; zit. als Bacon 1622/1962: Novum Organum.
110
Bacon 1622/1962: Novum Organum, I, S.26-36, S.30f. Zum Folgenden vgl. im Anschluss: Buch I, 39-62, S.34-42; Zitate ebd.
111
»Dass das Perzipierte der Materie ähnelt, macht, dass die Materie notwendigerweise diesem Verhältnis entsprechend hervorgebracht wird, und nicht, dass dieses Verhältnis einem präexistenten Modell entspricht. Oder vielmehr ist es das Ähnlichkeitsverhältnis, ist es das Ähnelnde, was selbst Modell wird und was der Materie auferlegt, das zu sein, dem es ähnelt.« Deleuze: Die Falte, S.157.
112
Bacon 1622/1962: Novum Organum, Buch I, S.107, S.51.
113
Im Deckengemälde des Studiolo in Florenz.
114
Vgl. Michail W. Lomonossow: Ausgewählte Schriften in zwei Bänden, Bd.I, Naturwissenschaften, Berlin 1961.
115
Erhellend Forsters Beschreibung der Probleme und Kontroversen um den Vulkanismus anlässlich
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seiner Rheinreise entlang des Siebengebirges und seine Einschätzung des Bonner Naturalienkabinetts. In: Forster 1790/1958: Ansichten vom Niederrhein, S.12-23. 116
Forster 1790/1958: Ansichten vom Niederrhein, S.19.
117
Vgl. Hans Blumenberg: Die Legitimität der Neuzeit, Frankfurt am Main, 1966, S.196f; zit. als Blumenberg 1966: Legitimität der Neuzeit.
118
Vgl. Drouin: Von Linné zu Darwin, S.582/S.583.
119
Die sogenannten Völkerschauen, deren Blütezeit zwischen 1870 und den Zweiten Weltkrieg fällt, schließen unmittelbar an die Grenzen bei der Demonstration des Animalischen im Museumsdispositiv an. In den »anthropologisch-zoologischen Ausstellungen« kamen ganze Scharen von Menschen, arrangiert und kostümiert in ihrer vermeintlich ursprünglichen Umgebung und Kleidung zum Auftritt. Siehe Anne Dreesbach: Kolonialausstellungen, Völkerschauen und die Zurschaustellung des ›Fremden‹, in: Europäische Geschichte Online, hrsg. vom Institut für Europäische Geschichte (Mainz), 2012, Zugriff 2_2013; dies.: Gezähmte Wilde: Die Zurschaustellung ›exotischer‹ Menschen in Deutschland 1870-1940, Frankfurt am Main 2005. Insgesamt trafen die Vorführungen auf große Resonanz bei einem Millionenpublikum in Europa und den USA. Sie fanden auch abseits der Großstädte in mittelgroßen und kleinen Städten statt.« Utz Anhalt: Tiere und Menschen als Exoten: exotisierende Sichtweisen auf das ›Andere‹ in der Gründungs- und Entwicklungsphase der Zoos, (Diss.) Hannover 2007, (Elektronische Ressource siehe http://d-nb.info/ 983804672/ about/ html; Zugriff 12_2010); Manuel Armbruster: »Völkerschauen um 1900 in Freiburg i. Br. – Kolonialer Exotismus im historischen Kontext, Freiburg 2011, (Elektronische Ressource siehe http://www.freiburg-postkolonial.de/ pdf/ Armbruster-Voelkerschauen-in-Freiburg.pdf; Zugriff 3_2012). Als Zwischenglieder fungieren entsprechende Shows in der Art des King-Kong-Dramas, in dem sich Literatur und Realinszenierung die Hand reichen. Ein anderer Ableger sind die Tierschauen im Kontext von landwirtschaftlichen Messen u. Ä.: »ein Höhepunkt jeder Veranstaltung«, wie Landwirt.com berichtet: »Wie die ausgestellten Rinder und Schafe wurden auch die Ziegen gerichtet und rangiert und am letzten Tag die Abteilungssiegerinnen präsentiert«.
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»Die Vorurtheile der Bühne oder der Theorien«, Bacon 1622/1962: Novum Organum, I, S.62.
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Bacon 1622/1962: Novum Organum I, S.109, S.101, S.111.
122
Bacon 1622/1962: Novum Organum II, S.30; das folgende Zitat ebd., S.77.
123
Siehe auch Buch II, S.29 des Novum Organum über die »abweichenden Instanzen«, die »sogenannten Naturverirrungen und Monstra, wobei die Natur die gewohnte Straße verläßt. [...] Sie haben darin gleichen Nutzen [scil. wie die »Eigentümlichkeiten und Unregelmäßigkeiten«, siehe ebd., II, S.28 – HW], dass sie allgemeine Formen aufdecken und die Aufmerksamkeit auf das Gewohnte schärfen; denn nie soll man ruhen, ehe man den Grund einer solchen Abweichung gefunden.« (Novum Organum II, S.151).
124
Barbara Maria Stafford: Aufklärung, Unterhaltung und der Niedergang der visuellen Bildung, Amsterdam, Dresden 1998 S.248f; zit. als Stafford 1998: Kunstvolle Wissenschaft; siehe auch Ulrich Müller: Kunst und Wissenschaft: Zeitdarstellungen aus dem Geist der Physik, in: Online-Ressource/PDF des Collegium Budapest, Institute for Advanced Study, 2011 auf: http://www.colbud.hu/ apc-aa/ img_upload/ 24ada9f1733ff 0ecfd08ca67 4875c 5b1/ muller.pdf; Zugriff 12_2012: »Pittoni nahm Raphaels ›Schule von Athen‹ zum Ausgangspunkt [...]. An die Stelle des zentralperspektivisch gestalteten Raums tritt ein Bildraum, der den Regeln der Scena per angolo gehorcht. An die Stelle historisch überlieferten Buchwissens der versammelten antiken Philosophen tritt das Experiment, dem Pittoni durch die Auffächerung des Lichtstrahls in seine Spektralfarben quasi-religiöse Dramatik verleiht.« – Gemeint ist die scena oder veduta per oder di angolo, die von dem Theaterarchitekten und Szenographen Fernandino Galli Bibiena erfundene und 1711 in seiner L´Architettura civile (Parma 1711, Reprint New York 1971) vorgestellte Winkelbühne. Erst Ende des Jahrhunderts wurde diese Inszenierungsform der »Quadraturmalerei« oder -architektur von Marcantonio Chiarini aus Bologna perfektioniert, vor allem zu bewundern in diversen Wiener Barock-Palais. – Die Anknüpfung an bestimmte Darstellungstraditionen und deren Narrative, wie sie etwa bei Pittoni auffallen, entwickelt neben der Dingrealität und ihrer Funktionalität eine eigene Genealogie. So finden wir, um bei der Würdigung Newtons zu bleiben, siebzig Jahre später den Entwurf des schon erwähnten Revolutionsfreunds Boulée, der 1784 für Newton einen Kenotaph entwirft. Auch er zitiert verschiedene architektonische Vorbilder, das Pantheon in Rom, das römische Augustusgrab und Palladios berühmte Villa Rotonda in Vicenza – gewissermaßen aber auch die Pyramiden als Inbegriff der Materialisierung mathematisch perfekter Körper. Er konstruiert einen dem Himmelsgewölbe ähnlichen riesigen
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Baukörper als Grabstätte des Gelehrten. Da sich die Massen des Entwurfs statisch nicht bewältigen ließen, blieb es bei dem Entwurf und das Projekt konnte nicht weiter verfolgt werden. Auch hier finden wir neben dem memorialen Akt, mit dem eine ganze Kette an weiteren Erinnerungen aufgerufen wird – die Ehrung des großen Mathematikers sollte später von der Revolution fortgeführt werden –, die Demonstration naturwissenschaftlicher Erkenntnisse für die Augen des Volkes. Im Zentrum der Kugelarchitektur sollte eine Armillarsphäre ihren Platz finden, die die Kräfte des Sonnensystems erleben ließ. Die Sonne im Mittelpunkt sollte das Innere des Monuments ausleuchten, was freilich nur zur Nachtzeit und mit künstlicher Beleuchtung möglich gewesen wäre. Unterhalb des Modells war der eigentliche Kenotaph für Newton in den Grundrissen der Villa Rotonda vorgesehen, eine Kombination von Naturschauspiel und öffentlicher Gedächtnisfeier für die Trias von Natur, Wissenschaft und großem Gelehrten oder von Natur, Künsten und Künstler. Vgl. für einen historischen Überblick: Hanno Walter Kruft: Geschichte der Architekturtheorie, München 1985. 125
Auch hier sind die Artefakte als Exponate in Museum und Ausstellung gewandert. Vgl. Felix Lühning: Der Gottorfer Globus und das Globushaus im ›Newen Werck‹. Katalogband IV der Sonderausstellung »Gottorf im Glanz des Barock«, Schleswig 1997; zum Globus: Ernst Schlee: Der Gottorfer Globus Herzog Friedrichs III. Heide 2002; ausgezeichnet in diesem Fall der Artikel auf Wikipedia. org zum »Gottorfer Riesenglobus«.
126
Die Eingangstüren zum Gottorfer Planetarium, allerdings, waren mit Portraits von Kopernikus und Tycho Brahe bebildert. Der Künstler war mit der Zeit gegangen.
127
Zahlreiche Werke Schotts, die in vielen Zusammenhängen auf die Forschungsgemeinschaft mit seinem Lehrer Athanasius Kircher zurückzuführen sind, sind als Online-Ressourcen einsehbar in der Herzog August-Bibliothek in Wolfenbüttel. Schott stellte die Luftpumpenexperimente zum atmosphärischen Druck und zum Vakuum im Anhang seiner Veröffentlichung der Kircher´schen Beiträge zur Forschung, der Mechanica hydraulico-pneumatica von 1657 u.d.T. Experimentum Novum Magdeburgicum vor. Mit Guericke zusammen veröffentlichte er die Technica curiosa. In der Vorrede heißt es: »Ich trage kein Bedenken, es aufrichtig und getrost zu gestehen, dass ich etwas Bewundernswerteres in dieser Art weder je gesehen noch gehört, noch gelesen, noch mir vorgestellt und gedacht habe, und ich glaube, dass unter der Sonne noch nie ähnliche – geschweige denn wundervollere Dinge vom Anfang der Welt an gesehen worden sind. Dies ist auch das Urteil der großen Fürsten und der gelehrtesten Männer, welche ich damit bekannt gemacht habe.« (Ralf Kern: Wissenschaftliche Instrumente in ihrer Zeit. 2 Bde., Köln 2010, Bd.2, S.268.) Schott soll für den Neologismus »Technica« verantwortlich sein, in Analogie zur Bildung von »Physica«, was aber wohl nicht zugleich eine Eindeutschung des Begriffs beinhaltet. Das Etymologische Wörterbuch von Kluge hält »Technik« für eine Bildung des 18. Jahrhunderts, aus dem Französischen von technique übernommen. In Kaltschmidts Wörterbuch der deutschen Sprache von 1834 sind »Technik« wie einige eingedeutschte Ableitungen geläufig; Technik ist »Kunstregellehre«, »Kunstmäßigkeit«, »Kunstsprache«, »Kunstwörterlehre« und »Handgriff. (Siehe Kaltschmidt 1834: Gesammt-Wörterbuch :: Hans Heinrich Kaltschmidt 1834: Kurzgefaßtes stamm- und sinnverwandtschaftliches Gesammt-Wörterbuch der Deutschen Sprache aus allen ihren Mundarten und mit allen Fremdwörtern, Leipzig 1834, S.963; zit. als Kaltschmidt 1834: Gesammt-Wörterbuch).
128
Er war Treuhänder und Kurator des später nach ihm benannten Museum Kircherianum im Collegium Romanum der Jesuiten in Rom, eingerichtet 1651. Siehe Angela Mayer-Deutsch: Das Museum Kircherianum. Kontemplative Momente, historische Rekonstruktion, Bildrhetorik, Zürich 2011. Kircher war schriftstellerisch wie praktisch ebenfalls außerordentlich breitenwirksam tätig. Er hinterließ über vierzig gedruckte Werke zu Mathematik, Wissenschaften und Künsten. »Die Encyclopædia Britannica nennt Kircher eine »Ein-Mann-Clearingstelle für intellektuelle Themen«. (Übersicht und Zitat auf: http://de.wikipedia.org/ wiki/ Athanasius Kircher. Zugriff 01_2013.) Große Ausstellungen gab es zuletzt in Rom: Athanasius Kircher: Il Museo del Mondo. Exponate des ehemaligen Museum Kircherianum im Palazzo Venezia, Rom 2002, und auch in Deutschland zum 400. Todestag des Gelehrten: Athanasius Kircher und Herzog August der Jüngere von BraunschweigLüneburg, Ausstellung aus Anlass des 400. Geburtstages Kirchers, Wolfenbüttel 2002.
129
Seine eigenen Darstellungen zum leeren Raum erschienen erst später: Experimenta Nova (ut vocantur) Magdeburgica de Vacuo Spatio, Waesberge, Amsterdam 1762. Dt. Übersetzung: Otto von Guerickes Neue (sogenannte) Magdeburger Versuche über den leeren Raum, hgg. von Fritz Krafft, Düsseldorf 1996.
130
Siehe »Internetportal Geschichte in Braunschweig«: http://www.gibs.info/ index.php?id=99; Zugriff 11_2012.
153
131
Vgl. Sandra Schramke: Kybernetische Szenografie. Charles und Ray Eames – Ausstellungsarchitektur 1959 bis 1965, d.i. Szenografie & Szenologie, Bd.3, hgg. von Ralf Bohn und Heiner Wilharm, Bielefeld 2010; vgl. auch die Online-Ressourcen der Heidelberger Universitätsbibliothek, Stichwort »Weltausstellungen«.
132
Das Victoria and Albert Museum of Art and Design (Online erreichbar unter: http://www.vam. ac.uk).
133
Zum Kontext siehe Stafford 1998: Kunstvolle Wissenschaft, Kapitel 3.
134
John Theophilus Desaguliers (1683-1744), Lecturer, dann Kurator bei der Royal Society, bekannt mit Newton, popularisierte dessen Werk, später Professor für Physik in Oxford und praktizierender Unternehmer.
135
Charles Rabiqueau (1753-1783), einer der freien Geister zwischen Showgeschäft und Wissenschaft in der Nachfolge des Cardanus, wie Leibniz sie schätzt. Vgl. Georg Wilhelm Leibniz: Bedenken von Aufrichtung einer Akademie oder Sozietät in Deutschland zu Aufnehmen der Künste und Wissenschaften, §§20-24. Leibniz 1967: Politische Schriften II, S.56-59. Zu Rabiqueau vgl. auch 1998: Kunstvolle Wissenschaft, S.194-213.
136
Wie dargestellt bei Salomon Kleiner: Christophori de Pauli Pharmacopoeia Camera Materialium ad Vivum Delineata, 1751; Abb. in: Stafford 1998: Kunstvolle Wissenschaft.
137
Stafford 1998: Kunstvolle Wissenschaft, S.23; zum Kontext siehe ebd. das erste Kapitel.
138
Zu den religiösen beziehungsweise religionspolitischen Gründen der Verwerfungen und Trennungen von Bild- und Textkultur siehe Stafford 1998: Kunstvolle Wissenschaft. Dort auch weitere Literatur.
139
Kunstkamera: a Museum or a Freak Show? A Site of Student Research and Digital Media Production. William and Peter in St. Petersburg. Auf: petersburg.blogs.wmu.edu; Zugriff 2_2013.
140
Vgl. http:// www.kunstkamera.ru /english /panorama/ encyclopaedia/ index.htm; Zugriff 2_2013.
141
Der sich allerdings meist darauf beschränkte, Installationen anatomischer Präparate zu künstlerischem Ausdruck zu verhelfen. Die Frederik Ruysch´sche Sammlung gehört zum Grundstock der Sammlung Peters I.; er kaufte sie dem Niederländer 1718 für die stolze Summe von 30-Tsd. Gulden ab. Der Brand von 1747 zerstörte auch hiervon große Teile, besonders die zoologischen Präparate.
142»Astronom«
und »Mechaniker« waren nebst einem »Mathematiker« in der Mathematischen Klasse ansässig. Lomonossow: Schriften, Bd.II: Denkschrift über die Notwendigkeit einer Reform der Akademie der Wissenschaften (1758-1759), Dritter Teil, S.116f; man vergleiche die Aufstellung Goethes für die Fakultäten der Universität Jena und Weimar »unter der besonderen Obhut des Herzogs«, die er etwas später notiert. In: Goethe 1806/1968: Werke, Bd.12, S.103f und Anm. S.431f.
143
6 Bde., Heidelberg 2002.
144
Foucault 19971: Ordnung der Dinge, S.171, S.168.
145
Vgl. Peter McLaughlin: Naming Biology, in: Journal of History of Biology, Bd.35/2002.
146
Francis Bacon: Distributio Operis, in: The Works, hgg. von James Spedding, Robert L. Ellis und Douglas D. Heath, Bd.I, London 1857, S.141.
147
Beide Mitte des 16. Jahrhunderts.
148
Ende 16., zu Beginn des 17. Jahrhunderts. Die beiden letzten, wiedervereinigt von Kaiser Franz Joseph I. Ende 1875 im Wiener Kunsthistorischen Museum und bezeichnenderweise zunächst als »Sammlung für Plastik und Kunstgewerbe« geführt und erst 1990 wieder unter »Kunstkammer« firmierende, wurden nach zehnjähriger Schließung und Restauration gerade wieder (2013) für das Publikum geöffnet.
149
Mitte des 17., Ende des 17. und Anfang des 18. Jahrhunderts.
150
Insgesamt siehe Gabriele Beßler: Wunderkammern. Weltmodelle von der Renaissance bis zur Kunst der Gegenwart, Reimer, Berlin (2.Aufl.) 2012; Christoph Becker: Vom Raritäten-Kabinett zur Sammlung als Institution. Sammeln und Ordnen in der Zeit der Aufklärung, Dt. Hochschulschriften 1103, Engelsbach 1996. Als Beispiel der Sammlungstätigkeit für den definierten Ausschnitt eines feudal verfassten Stadtstaates vgl. Venezia. Kunst aus venezianischen Palästen. Sammlungsgeschichte Venedigs vom 13. bis 19. Jahrhundert, Katalog zur gleichnamigen Ausstellung 2002/2003
154
i bühnen & protagonisten
in Bonn, hgg. von der Kunst- und Ausstellungshalle der Bundesrepublik Deutschland, Bonn 2002 – allerdings mit der Einschränkung, die der Untertitel indiziert: für die Ausstellung wurde »Kunst« im modernen Verständnis ausgewählt, die polymathische Sammlung, hinter der die Individualität des Werkes zurücktritt, ist in der Ausstellung als Gegenstand allein in den schriftlichen Bilanzen dieser Gesamttätigkeit gegenwärtig, die freilich auch als Kunstwerke präsentiert werden. Weitere wichtige Ausstellungen: Theater der Natur und Kunst: Wunderkammern des Wissens; eine Ausstellung der Humboldt-Universität zu Berlin, 10. Dezember 2000 bis 4. März 2001, Martin-GropiusBau, Berlin 2000 (Katalog Horst Bredekamp); Kunst- und Ausstellungshalle der Bundesrepublik Deutschland: Wunderkammer des Abendlands. Museum und Sammlung im Spiegel der Zeit, Bonn 1995. 151
Samuel Quiccheberg: Inscriptiones vel tituli theatri amplissimi [...], München 1565. Die Münchner Sammlung Herzog Albrechts V. von Bayern folgte dem darin beschriebenen Plan wie andere Kammern auch.
152
Joseph Adrien Le Large de Lignac war im 18. Jahrhundert ein Kritiker der Einteilungsvorstellungen Buffons und Daubentons. Joseph Adrien Le Large de Lignac: Lettres à un ameriquain sur l´ histoire naturelle de Mr. De Buffon, et sur les observations microscopiques de Mr. Needham, Hamburg 1751.
153
Nehemiah Grew, seit 1677 Sekretär der Royal Society. Seine Sammlungsgrundsätze in: Nehemiah Grew: Musaeum Regalis Societatis. Or a Catalogue and Description of the Natural and Artificial Rearities Belonging to the Royal Society and Preserved at Gresham College. Whereunto Is subjoyned the Comparative Anatomy of Stomachs and Guts, London 1681.
154
Louis Jean-Marie Daubenton in den ersten drei Bänden der Histoire naturelle (1749-1767). Siehe zum Kontext Stafford 1998: Kunstvolle Wissenschaft, S.274ff, S.277ff.
155
Vgl. Michel Foucault: Überwachen und Strafen. Die Geburt des Gefängnisses, Frankfurt am Main 1976, S.268, S.278f, S.271.
156
Herfried Münkler: Theatralisierung der Politik, in: Früchtl/Zimmermann 2001: Ästhetik, S.152; zit. als Münkler 2001: Theatralisierung.
157
Panopticon. Or The Inspection-House: containing the Idea of a new Principle of Construction applicable to any Sort of Establishment, in which persons of any description are to be kept under Inspection; and in Particular to Penitentiary-houses, Prisons, Houses of industry, Work-houses, Poor-houses, Lazarettos, Manufacturies, Hospitals, Mad-Houses, and schools, with: a Plan of Management adapted to the Principle: In a Series of Letters, written in the year 1787, from Crecheff in White Russia to a friend in England, in: The Panopticon Writings, hgg. von Miran Božovič, London/New York 1995, S.31-95; Dt. Übersetzung: Das Panoptikum, hgg. von Christian Welzbacher, Berlin 2013. Siehe auch Wilhelm Hofmann: Politik des aufgeklärten Glücks. Jeremy Benthams philosophisch-politisches Denken, Berlin 2002. Vgl. die Weiterungen, die Zygmunt Baumann diskutiert, in: Zygmunt Bauman: Flüchtige Moderne, Frankfurt am Main 2003.
158
Siehe Gustave Loisel: Histoire des ménageries de l´antiquité à nos jours, Paris 1912, Bd.II; zit. bei Foucault 1976: Überwachen, S.261.
159
Fleischhauer 1977: Kunstkammer, S.14 (»nach Exempel anderer hoher Herrschaften«).
160
Folkwart Wendland: Das Russische Reich am Vorabend der großen nordischen Expedition, der sogenannten zweiten Kamtschatka-Expedition, in: Die große Nordische Expedition von 1733 bis 1743. Aus Berichten der Forschungsreisenden Johann Georg Gmelin und Georg Wilhelm Steller, Leipzig und Weimar 1990, S.371.
161
Michel Serres 1994: Paris 1800, S.59, S.629.
162
Das ist »im echten Sinne eine Wissenschaft, die sich mit dem Phänomen der Musealität beschäftigt«(Wikipedia.org).
163
Das ist »Museale Inszenierungskunst [...], Umsetzung der Szenographie« (Wikipedia.org).
164
Im Kontext seiner Utopie von 1771: L´An 2440, rêve s‘ il en fut jamais systematisiert. Faktisch wurde die Aufgabe erst parallel zum Aufbau der École polytechnique unter Napoleon zügig angepackt. Insbesondere der Ägyptenfeldzug musste angemessen ›kulturell nachbereitet‹ werden.
165
Ein Polyhistor, der interessanterweise nicht als Kurator fürstlicher Wunder- oder Kunstkammern tätig war, sondern ein Multiwissenschaftler mit Demonstrationsambition. Zu diesem Zweck gründete er 1688 auch in Kiel das öffentliche Museum Cimbricum.
155
166
Siehe Friedrich Waidacher: Handbuch der allgemeinen Museologie, Weimar/Wien 1999; vgl. auch die online zu erreichende Dissertation von Peter van Mensch: Towards a methodology of museology, Zagreb 1992, die einen guten Überblick gibt. Zur Einführung siehe Anke te Heesen: Theorien des Museums zur Einführung, Hamburg 2012. In Anwendungshinsicht, szenografisch von Interesse, siehe die Beiträge in: Museumsanalyse. Methoden und Konturen eines neuen Forschungsfeldes, hgg. von Joachim Baur, Bielefeld 2010.
167
Vgl. die Zielsetzung des Deutschen Werkbundes in der Gründungserklärung zur »Veredelung der gewerblichen Arbeit im Zusammenwirken von Kunst, Industrie und Handwerk, durch Erziehung, Propaganda und geschlossene Stellungnahme zu einschlägigen Fragen« in: Die Veredelung der gewerblichen Arbeit im Zusammenwirken von Kunst, Industrie und Handwerk, Verhandlungen des Deutschen Werkbundes zu München [...] 1908, Leipzig 1908. Anregungen unter anderem hatte der Turner-Freund John Ruskin gegeben, der sich im 19. Jahrhundert in Theorie und Praxis energisch für die Denkmalpflege engagiert hatte. John Ruskin: Wie wir arbeiten und wirthschaften müssen, Straßburg 1896; ders.: Die Steine von Venedig. Straßburg 1900; ders.: Was wir lieben und pflegen müssen, Straßburg 1900; alle Titel als elektronische Quellen verfügbar im Historischen Buch- und Zeitschriftenbestand der Weimarer Kunst- und Bauhochschulen auf: http://goobipr2.uni-weimar. de/viewer/index.xhtml: Zugriff 10_2012.
168
Siehe beispielsweise die Arbeiten auf der Museumsinsel in Berlin oder auch die Restaurationsarbeiten an den Museen Wiens.
169
Das in diesem Fall aber auch aus der Hand Benvenuto Cellinis für Franz I. von Frankreich stammt. Besonders wichtig: dass ein derartiges Wunder »um ein vielfaches wertvoller galt als die Gemälde von Tizian«. Julia Voss: Besser als Tizian. Die Kunstkammer Wien besitzt eine der bedeutendsten Sammlungen weltweit, in: FAZ vom 02.03.2013.
170
Svetlana Alpers: : Kunst als Beschreibung. Holländische Malerei des 17. Jahrhunderts, Ostfildern 1995 (1998), S.195; zit. als Alpers 1995/1998: Kunst als Beschreibung.
171
Auch u.d.T. »Selbstportrait mit Vanitassymbolen«.
172
Es lassen sich aber jederzeit auch andere Spiegelungen geltend machen. Insofern ist auch die Figur desjenigen, der stellvertretend im Bild das Regiment über die Repräsentation führt, immer austauschbar, wie es beispielhaft auch an Velázquez´ Las Meniñas studiert werden kann: Am Ende wird die Repräsentation an den ideellen Gesamtbetrachter in der erweiterten Szene überwiesen. Deshalb bin ich nicht sicher, ob die Repräsentation hier wie eine Landkarte gelesen werden sollte. Zur Diskussion siehe Wolfgang Schäffner: Operationale Topographie – Repräsentationsräume in den Niederlanden um 1600, in: Räume des Wissens – Repräsentation, Codierung, Spur, hgg. von HansJörg Rheinberger, Michael Hagner, Bettina Wahrig(-Schmidt), Berlin 1997, S.63-90; zit. als Rheinberger 1997: Räume des Wissens; ders. Topographie der Zeichen – Alexander von Humboldts Datenverarbeitung, in: Baxmann 2000: Laokoon-Paradigma, S.359-386.
173
Wittgenstein: PU, §82; §§ 327-381.
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Wobei ›Bühne‹ als Joker für alle Varianten performativer Präsentation im öffentlichen Raum benutzt wird, gleichviel ob Theater, Ausstellung, Museum, Oper oder Kino usw.
175
Um Beispiele des Ateliers Brückner zu nennen. (Brand Environment, Herzogenaurach 2005; Architecture, permanent Exhibition, München 2008; Permanent Exhibition, Augsburg 2010. – Alle drei szenografischen Auftritte beschrieben in: Scenography – Szenografie. Making Spaces talk – Narrative Räume. Projects – Projekte 2002-2010, hgg. von Atelier Brückner, Ludwigsburg 2010; zit. als Brückner 2010: Scenography).
176
Es kann also nicht verwundern, wenn der Szenograf selbstbewusst darauf beharrt, dass »die Übersetzung inhaltlich-ideeller (oder dinglicher) Vorgaben und Potentiale einer Gestaltungsaufgabe in die Dreidimensionalität eines Narrationsraums [...] den Szenografen nicht nur als Gestalter, sondern als Analytiker, als Autor und Erzähler [fordert].« Folglich ist einsichtig, wenn sich alle gestalterischen Ebenen eines Projekts dem narrativen Konstrukt des Szenografen unterwerfen. »Der Szenograf ist insofern Gestalter und Autor.« (Brückner 2010: Scenography, S.355). Die Struktur ist offensichtlich: »x inszeniert y für z als a, b, c, ... n«, was so viel bedeutet wie »x inszeniert y für z, sodass ... «. Bescheidener formuliert Frank den Oudsten den Anspruch: »Scenography is an intelligent filter, which by intervention allows for a more articulate message to be recieved«. Den Oudsten weist auch darauf hin, dass die traditionelle Vorgabe dem Szenografen eine Position »in the middle of the axis that connects, or separates, curating and design« zugewiesen hatte. Frank den Oudsten:
156
i bühnen & protagonisten
Space, Time, Narrativ. The Exhibition as post-spectacular Stage, Farnham (UK)/Burlington (US) 2011, S.18, S.14; zit als den Oudsten 2011: Space, Time, Narrativ. 177
Vor der »epistemologischen Umschmelze« ist selbst die Mathematik nicht gefeit. Vgl. Bettina Heintz: Die Innenwelt der Mathematik. Zur Kultur und Praxis einer beweisenden Mathematik, Wien 2000; zit. als Heintz: Innenwelt der Mathematik.
178
Vgl. Jean-François Lyotard: Essays zu einer affirmativen Ästhetik, Berlin 1977: »Verstecken-Zeigen, das ist Theatralität.« (Ebd., S.11).
179
Beispielhaft für die Museums- und Ausstellungsszene sind die in verschiedenen Bänden zusammengefassten Konferenzbeiträge der DASA (Deutsche Arbeits-Schutz-Ausstellung, Dortmund) zu ihren Kolloquien zur Szenografie: Szenografie in Ausstellungen und Museen I: Beiträge zum Kolloquium im November 2000; II: Wissensräume: Kunst und Raum – Raum durch Kunst; III: Raum-Zeit / Zeit-Raum; IV: Raum und Körper – Körperraum. Kreativität und Raumschöpfung; V: Raum und Wahrnehmung. Bewegte Räume, hgg. von Gerhard Kilger und Wolfgang Müller-Kuhlmann, Essen 2004-2011. Zur Ausstellung siehe die von edi, Exhibition Design Institut, Düsseldorf herausgegebenen Kataloge zur Ausstellungs-Szenografie: Neue Ausstellungsgestaltung 01/02 – New Exhibition Design 01/02, hgg. von Uwe Reinhardt und Philipp Teufel, Ludwigsburg 2007 und 2010. Dokumentation plus Interviews und Analyse zum postspektakulären Ausstellungswesen findet sich bei den Oudsten 2011: Space, Time, Narrativ. Zu nennen sind auch die verschiedenen Bände der von Ralf Bohn und mir herausgegebenen Reihe Szenografie & Szenologie. (Siehe http://www.transcriptverlag.de/ reihen/ kulturwissenschaften/ architektur-und-design/ szenografie-und-szenologie; Zugriff 6_2014), in der bis 2015 zehn Bände erschienen sind.
180
Mit einer ersten Professur in Göttingen im Jahr 1799.
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Den Ausdruck Klossowskis konnte ich nicht bei ihm selbst nachweisen, doch ist er gut geeignet, gewisse szenische Aufführungselemente quasi in Analogie zu charakterisieren, ohne sie unmittelbar ans Theater zu binden. Für die Provenienz steht Mario Perniola, der den Ausdruck zitiert, die Quelle bei Klossowski aber nicht nachweist. Identifiziert wird die Wortbildung in einer Anmerkung des Perionola-Übersetzers. Siehe Mario Perniola: Über das Fühlen, Berlin 2009, S.143, Anm. 28; zit. als Perniola 2009: Fühlen.
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Damit allerdings durchaus einhergehen kann, wie zum Beispiel religiöse Konflikte belegen, die aufs Territorium projiziert wurden, oder Stammes- und Clanauseinandersetzungen über territoriale Grenzbefestigungen hinweg.
183
Brückner 2010: Scenography, S.355; Hervorh. – HW.
184
Siehe den Oudsten: Space, Time, Narrativ, S.18-20. Den Oudsten geht auf die Regensburger Performance ein, deren Abbildung in einem zeitgenössischen Stich als emblematische Illustration der Programmatik des ersten Scenographers’ Symposium, Dortmund 2007, diente. Das Thema, auf dessen Diskussion sich Frank den Oudstens Ausführungen im Kontext der Schott-Guericke-Performance beziehen »[t]o understand the principle of Scenography« lautete: Theatralität, Intermedialität, Erweiterter Raum. Die Erträge der Diskussion und weiterführende Aufsätze (u.a. zur hier erörterten Problematik) wurden veröffentlicht in: Bohn/Wilharm 2009: Inszenierung und Ereignis.
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High in the Sky hieß, beispielsweise, die Pilotphase der 2008 begonnenen Stipendiaten-Förderung und Graduiertenschule an der UDK, Berlin. Zusammengebracht zu gemeinsamen Projekten werden Absolventen naturwissenschaftlicher und künstlerisch gestalterischer Ausbildungsgänge. Siehe http://gs.udk-berlin.de; Zugriff 6_2013.
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Was Latour natürlich gerade bestreitet und erst herbeiführen möchte, weil er den Anspruch derzeit für usurpiert hält. Nimmt man die Globalisierungsansprüche von Menschen-, Bürgerrechten und Demokratie allerdings ernst, wäre es überflüssig, den »feierlichen Einzug des Souveräns vorzustellen, der die beste aller möglichen Welten herbeiführen kann«, nicht vielleicht wegen des in solcher Utopie möglicherweise auffindbaren Widerstandspotenzials, sondern eher wegen des Modells. Warum soll es unbedingt ein politisches Repräsentationsmodell sein? Warum soll wieder nur »am Ende stehen [...], die Realität hat wirklich ihre Repräsentanten«? Siehe Bruno Latour: Das Parlament der Dinge. Für eine politische Ökologie, hgg. von Ulrich Beck, Frankfurt am Main 2001, Zitate S.210, S.228; Hervorh. – HW; zur »experimentellen Metaphysik« siehe ebd., S.172 und Glossar S.287; zit. als Latour 2001: Parlament der Dinge.
187
Siehe Michel Foucault: Sexualität und Wahrheit, I. Band: Der Wille zum Wissen, Frankfurt am Main 1977; zit. als Foucault 1977: Wille zum Wissen; Michel Foucault: Der Mut zur Wahrheit. Die
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Regierung des Selbst und der anderen, Band II. Vorlesungen am Collège de France 1983/84, Berlin 2010; zit. als Foucault 1983/84/2010: Mut zur Wahrheit; Michel Foucault: Über den Willen zum Wissen, Vorlesungen am Collège de France 1970-1971, Frankfurt am Main 2012; zit. als Foucault 1971/71/2012: Wille zum Wissen, Vorlesungen; Hervorhebung – HW. 188
Die Szenografie in diesem Sinne als »Raumstrategie« zu verstehen macht Sinn. Vgl. den Szenografie-Studiengang an der Muthesius-Kunsthochschule in Kiel, der unter der Überschrift »Raumstrategien« angeboten wird. Dazu siehe Ludwig Fromm: Die Kunst der Verräumlichung, Kiel 2009.
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»Logik« hier im erweiterten Verständnis von Semiotik (im Sinne Peircens) und Grammatik (im Sinne Wittgensteins). Zur Karten-Territorium-Relativität vgl. Charles S. Peirce: Dritte Vorlesung über den Pragmatismus. Die Verteidigung der Kategorien (MS 308; 1903), in: Peirce 1986: Semiotische Schriften 1, hgg. von Christian Kloesel und Helmut Pape, Frankfurt am Main 1986 (Bde. 2 und 3 ebd. 1990 und 1993), S.433/434; zit. als: Peirce 1903/1986: Verteidigung der Kategorien; siehe auch Buci-Glucksmann 1997: Der kartographische Blick.
190
Beispielhaft siehe Félix Guattari, Gilles Deleuze: Kapitalismus und Schizophrenie. Tausend Plateaus, Berlin 1992; zit. als Guattari/Deleuze 1992: Kapitalismus und Schizophrenie.
191
Vgl. Deleuze 1993: Logik des Sinns; Guattari/Deleuze992: Kapitalismus und Schizophrenie.
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Logbuch der ersten Reise Christóbal Colóns / Diario de a bordo del primer viaje de Cristóbal Colón, Eintrag 21. Oktober 1792. Vollständiger Text als Online-Ressource erreichbar auf: http://es.wikisource. org/ wiki/ Diario_de_a_bordo_ del_primer_viaje_de_Cristóbal_Colón:_ texto_completo; Zugriff 2_2013.
193
Vgl. Todorov: Entdeckung Amerikas, Kap. »Entdeckung«, S.11-22.
194
Heidegger 1935/1972: Ursprung des Kunstwerkes, S.30/31/34.
195
Heidegger 1935/1972: Ursprung des Kunstwerkes, S.32; die folgenden Zitate ebd.
196
Siehe Heiner Wilharm: Magische Effekte oder Vom Verschwinden der Endlichkeit. Zur Ökonomie und Logik von Inszenierung und Szenifikation, in: Bohn/Wilharm 2013: Effekte, S.347-409; zit. als Wilharm 2013: Magische Effekte. Die Trichotomie von pledge, turn und prestigio bezieht sich auf den Film The Prestige von Christopher Nolan nach dem Roman von Christopher Priest: The Prestige (1995), dt. u.d.T.: Das Kabinett des Zauberers, 1997, und: Prestige. Die Meister der Magie, München 2007. Der Film wurde 2006 bei Touchstone Pictures und Warner Brothers produziert. Gleich zu Beginn wird der Mechanismus der magischen Effektbildung in der entsprechenden Performance erläutert: »Every great magic trick consists of three acts«, erläutert Cutter (Michael Cane als Ingenieur und Trainer professioneller Magier) allen Adepten die Choreografie der großen Tricks. »The first act is called The Pledge: The magician shows you something ordinary, a deck of cards or a bird [...] or a man. He shows you this object, and pledges to you its utter normality [...] Perhaps he asks you to inspect it [...] to see that it is indeed real [...] unaltered [...] normal. But of course it probably isn’t. [...] The second act is called The Turn: The magician takes the ordinary something and makes it do something extraordinary. Now you’re looking for the secret. But you won’t find it [...] because of course, you don’t really look [...]; you don’t really want to know [...]; you want to be fooled. That’s why every magic trick has a third act. The hardest part [...], the part we called The Prestige.« »The Prestige?«, fragt der Staatsanwalt. (Es wird eine Einstellung übergeblendet, der zu entnehmen ist, dass der Vorspann teils einer Gerichtsszene entstammt, in der der Cutter, der Ingenieur der Magier, vor Gericht als Zeuge vernommen – einer der Protagonisten ist zu Tode gekommen –, erklärt, wie die Dramaturgie eines Zaubertricks funktioniert.) »This is the part with the twists and turns, where lives hang in balance, and you see something shocking you’ve never seen before.« (Zitiert in: Wilharm 2013: Magische Effekte, S.351).
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Siehe Cultural Turns. Neuorientierungen in den Kulturwissenschaften, hgg. Doris BachmannMedick: Reinbek b. Hamburg 2006 (3. Aufl. 2009), zit. als Bachmann-Medick 2006: Cultural Turns.
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Doris Bachmann-Medick: Spatial Turn, in: Bachmann-Medick 2006: Cultural Turns, S.284-328. Döring/Thielmann 2008: Spatial Turn. Sodann: The Spatial Turn: Interdisciplinary Perspectives, hgg. von Barney Warf, Santa Arias, London 2008.
199
Jörg Dünne: Forschungsüberblick »Raumtheorie«, Nov. 2004 (Online-Ressource erreichbar auf: http://www.raumtheorie.lmu.de/ Forschungsbericht4.pdf; Zugriff 3_2013). Der Text ist die erweiterte Fassung des Vorworts zum Sammelband: Von Pilgerwegen, Schriftspuren und Blickpunkten.
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Raumpraktiken in medienhistorischer Perspektive, hgg. Jörg Dünne, Hermann Doetsch und Roger Lüdeke, Würzburg 2004; zit. als Dünne 2004: Raumtheorie. 200
Als Referenz der Feststellung eines entsprechenden turn gilt allgemein der Aufsatz von Sigrid Weigel: Zum ›Topographical Turn‹. Kartographie, Topographie und Raumkonzepte in den Kulturwissenschaften, in: Kultur-Poetik, Jg. 2, Heft 2, 2002, S.151-165.
201
Wenn man denn auch die allgemeine Wendung zur Inszenierungsgesellschaft als Turn reklamieren möchte. Auf die in der Tat relevanten Differenzierungen des spatial turn gehen wir in der Folge ein. Vgl. auch Doris Bachmann-Medick 2006: Spatial Turn.
202
Giuliana Bruno: Bildwissenschaft. Spatial Turns in vier Einstellungen, in: Döring/Thielmann 2008: Spatial Turn, S.72.
203
Mit Bezug auf Eisensteins Montage und Architektur.
204
Die lediglich als ›zu lesende‹ zu verstehen ja auch nicht unproblematisch ist. – Siehe Bruno 2008: Bildwissenschaft, S.73/74. Zu Lektüre und Re-Lektüre vgl. Teil IV.
205
Siehe Foucault 1971: Ordnung der Dinge, S.178.
206
Siehe Döring/Thielmann 2008: Was lesen wir im Raume?, Kap.5, explizit S.17. Die Spezifik beleuchtet auch Stephan Günzel in: Spatial Turn - Topographical Turn - Topological Turn. Über die Unterschiede zwischen Raumparadigmen, in: Döring/Thielmann 2008: Spatial Turn, S.222-226.
207
Vgl. Rudolf Maresch, Niels Werber: Permanenzen des Raums, in: Raum. Wissen. Macht, hgg. von Rudolf Maresch und Niels Werber, Frankfurt am Main 2001, S.7; zit. als Maresch/Werber 2001: Raum.
208
Elena Esposito: Virtualisierung und Divination. Formen der Räumlichkeit der Kommunikation, in: Maresch/Werber 2001: Raum, S.38.
209
Das ist der Grund, warum wir uns mit den Thesen des Textes im Folgenden exemplarisch beschäftigen.
210
Zum Beispiel: Döring/Thielmann 2008: Spatial Turn.
211
Das Modell »eignet sich sowohl für die Analyse von Raumkonstitution in verschiedenen Medien als auch für die Einordnung von bisherigen raumtheoretischen Ansätzen im Hinblick auf das in ihnen vorherrschende Forschungsinteresse.« Dünne 2004: Raumtheorie, ebd.
212
In diesem Fall wird nochmals unterschieden zwischen analogen und digitalen Verfahren der Überbrückung. Siehe Dünne 2004: Raumtheorie, ebd.
213
»Interpretant« fungiert in Peircens Semiotik als reformulierter Bedeutungsbegriff. Zeichen wirken auf Objekte und Interpretanten. Der Interpretant ist »das, was das Zeichen in einem QuasiGeist, das heißt dem Interpreten, dadurch hervorruft, daß es den letzteren zu einem Gefühl, einer Anstrengung oder einem Zeichen bestimmt, wobei das Bestimmte der Interpretant ist.« Entweder wird die Bestimmung in ihrer Unmittelbarkeit fokussiert (was gewöhnlich »Bedeutung des Zeichens« genannt wird) oder in ihrer tatsächlichen Wirkung oder in der Art, »wie das Zeichen sich selbst tendenziell darstellt in seiner Beziehung auf das Objekt«. Charles S. Peirce: Prolegomena zu einer Apologie des Pragmatizismus (P 1128; 1906), in: Peirce 1993: Semiotische Schriften 3, S.132192; Zitat S.145; zit. als Peirce 1906/1993: Prolegomena.
214
Vgl. Günzel 2008: Spatial Turn, S.230.
215
So gut wie alle Autoritäten, die zu den Referenzen zählen, sind verständlicherweise bekannte, die schon in die Wirbel bisheriger ›Drehungen‹ geraten waren, außer Foucault, Lévi-Strauss, Althusser, Agamben, Badiou, Bourdieu und anderen.
216
Siehe Pickering 2007: Kybernetik und Ontologie; Pickering 2007: Mangel der Praxis; Pickering 1992: Mangle of Practice.
217
Zur geschichtsliterarischen Inszenierung von Urbanität vgl. mit gleichlautendem Untertitel Ralf Bohn: Paris, Ruhr, in: Urbanität und Ereignis. Inszenierung der Stadt, hgg. von Ralf Bohn und Heiner Wilharm, Bielefeld 2012, S.289-344; zit. als Bohn/Wilharm 2012: Urbanität. Vgl. Walter Benjamin: Das Paris des Second Empire bei Baudelaire, in: ders.: Abhandlungen 2, Frankfurt am Main 1991 (Walter Benjamin: Gesammelte Schriften, hgg. von Rolf Tiedemann und Hermann Schweppenhäuser, 7 Bde. in 14 Teilen, Frankfurt am Main 1991; I/2), S.509-604. Siehe auch
159
Brigitte Marschall: Öffentlicher Raum als theatraler Raum. Praktiken des Gehens und Strategien der Stadtnutzung, in: Bohn/Wilharm 2009: Inszenierung und Ereignis, S.171-188. Erläuternd: Klaus Ronneberger, u.a.: Die Stadt als Beute, Bonn 1999. 218
Vgl. Dennis Köhler, Manfred Walz: Viel Licht und starker Schatten. Zur Gestaltung von Stadt und Region nach Einbruch der Dunkelheit, in: Bohn/Wilharm 2012: Urbanität, S.99-128.
219
Andrej Holm: Wir Bleiben Alle! Gentrifizierung – Städtische Konflikte um Aufwertung und Verdrängung, Münster 2010; Andrej Holm: Die Restrukturierung des Raumes. Stadterneuerung der 90er Jahre in Ostberlin: Interessen und Machtverhältnisse, Bielefeld 2006; Überblick am Ende des letzten Jahrhunderts: Gentrification: Theorie und Forschungsergebnisse, hgg. von Jürgen Friedrichs und Robert Kecskes, Opladen 1996.
220
Vgl. die Beiträge in: Bohn/Wilharm 2012: Urbanität.
221
Siehe Markus Schroer: Räume, Orte, Grenzen, Frankfurt am Main 2006 (zit. als Schroer 2006: Räume, Orte, Grenzen), in dessen Kontext einer Soziologie des Raums selbstverständlich der urbane Raum und der Prozess der Urbanisierung thematisiert werden. (Kapitel 2 ebd., S.227-251).
222
Vgl. Michel Foucault: Des espaces autres (Vortrag bei der Conférence au Cercle d´études architecturales, 14. März 1967), in: Architecture, Mouvement, Continuité, n°5, octobre 1984, S.46-49; dass. auch in: Michel Foucault: Dits et écrits IV (1980-1988), Paris 1994, S.752-762, dt. u.d.T. Von anderen Räumen, in: Michel Foucault 2005: Schriften IV, Stück 360, S.931-942; zit. als Foucault 1967/2005: Andere Räume. Zitat. S.932. Vgl. auch: Michel Foucault: Le Langage de l´espace, in: ders.: Dits et écrits I, Paris 1994, n°24, - original 1964, dt. Michel Foucault: Die Sprache des Raumes, in: Foucault 2001: Schriften I, Stück 24. S.533-538; zit. als Foucault 1964/2001: Sprache des Raumes. Die Überlegungen zur Heterotopie zuerst 1966 in zwei Radiovorträgen. – Was es genau heißt, dass Foucault konsequent bei der Auszeichnung des Raums als Bild beziehungsweise Metapher, zum Beispiel als »Feld«, geblieben ist, wie zuletzt Petra Gehring unterstrich (in dies.: Foucaults Verfahren, Nachwort zu: Michel Foucault. Geometrie des Verfahrens. Schriften zur Methode, Frankfurt am Main 2009, S.385/386 und Anm. 29, ebd.), scheint offenbar weiterhin strittig hinsichtlich der Ontologie des Dispositivs beziehungsweise der Diskurse und ihrer Ereignisse, obwohl sich Foucault dazu an vielen Orten so eindeutig wie möglich geäußert hat. (Vgl. auch dazu Gehring 2009: Foucaults Verfahren).
223
»Vierter Grundsatz. Heterotopien stehen meist in Verbindung mit zeitlichen Brüchen, das heißt, sie haben Bezug zu Heterochronien«. (Foucault 1967/2005: Andere Räume, S.939).
224
Foucault 1967/2005: Andere Räume, S.932.
225
»[O]der, was man unter dieser recht allgemeinen Bezeichnung [Strukturalismus – HW] zusammenfasst«. (Ebd., S.931). Foucault sieht sich grosso modo zu dieser Zeit dem Unternehmen verbunden. Die beiden folgenden Zitate siehe Foucault 1967/2005: Andere Räume, ebd.
226
Diesem Pfad folgt Martin Zenck: Passagen zwischen Wissensformen und Wissensräumen. Überlegungen zu den »Orten« in der Topik, Heterotopie und Utopie bei Michel Foucault, in: Joisten 2010: Räume des Wissens, S.177-210.
227
Fragen an Michel Foucault zur Geographie, in: Foucault 2003: Schriften III, Stück 169, S.38-54; zit. als Foucault 1976/2003: Zur Geographie. Dem Interview wird der letzte Satz Foucaults daraus als Motto vorangestellt. »Die Geographie muss wirklich im Zentrum dessen stehen, womit ich mich befasse.« (S.54). Bemerkenswerterweise wird diese Einlassung Foucaults im Kontext der Debatten um die Raumkehren höchst selten herangezogen.
228
Foucault 1976/2003: Zur Geographie, S.45/50/47/48 (in der Reihenfolge der Zitate). Die beiden folgenden Zitate ebd., S.46/S.48.
229
Vgl. Foucault 1976/2003: Zur Geographie, S.52.
230
Joseph Vogl: Asyl des Politischen. Zur Struktur politischer Antinomien, in: Maresch/Werber 2001: Raum, S.164.
231
Vgl. Foucault 1976/2003: Zur Geographie, S.51.
232
Georges Perec: Versuch, einen Platz in Paris zu erfassen, Konstanz 2010, S.9 (frz. 1975, in: Cause Commune, hgg. von Jean Duvignaud und Paul Virilio – veränderte Übersetzung HW).
233
Perec 2010: Versuch, ebd.
160
i bühnen & protagonisten
234
Dass Perec posthum mittlerweile im Dispositiv der Inszenierungsgesellschaft auch zur Referenz fürs Wohnen und Einrichten taugen muss, steht der Auffassung, hier einen Denker des Infraordinären ausgemacht zu haben, ganz entgegen. Siehe Georges Perec: Leben. Gebrauchsanweisung, Frankfurt am Main 1982. Der Held ist ein Pariser Mietshaus, das Dingen der Naturgeschichte gleichkommt.
235
Vgl. z.B. Bernadette Fülscher: Kunststadt. Über die Inszeniertheit von Städten mit künstlerischen Mitteln, ebd., in: Bohn/Wilharm 2012: Urbanität, S.145–162; dies.: monografisch: Die Kunst im öffentlichen Raum der Stadt Zürich. 1300 Werke – eine Bestandsaufnahme, Zürich 2011.
236
Siehe Jean-Paul Sartre: Das Sein und das Nichts. Versuch einer phänomenologischen Ontologie (Gesammelte Werke in Einzelausgaben, Philosophische Schriften, Band 3), hgg. von Traugott König, Reinbek bei Hamburg 1993, S.943; zit. als Sartre 1943/1993: Sein und Nichts. Zur Situation im Rahmen der Dialektik-Kritik siehe Jean-Paul Sartre: Kritik der dialektischen Vernunft, Reinbek bei Hamburg 1967; zit. als Sartre 1960/1967: KdV; phänomenologisch empirisch, in literarischer Darstellung zur Sache siehe: Jean-Paul Sartre: Situationen. Essays, Reinbek bei Hamburg 1965 und JeanPaul Sartre: Der Idiot der Familie. Gustave Flaubert, 1821-1857. Deutsch von Traugott König. 5 Bde., Reinbek bei Hamburg 1977-1980.
237
Zur Differenzlogik der Peirce´schen Semiotik in semantischer Hinsicht siehe Teil III.
238
Wobei, eingeräumt, das ›Situationistische‹ eine ganz gegenteilige Tendenz befördern kann als die in der Programmatik des Situationismus politisch vorgesehene. Dazu siehe den zitierten Rapport: Guy Debord: Rapport über die Konstruktion von Situationen und die Organisations- und Aktionsbedingungen der Internationalen Situationistischen Tendenz, Paris 1957: in: Situationistische Internationale. Der Beginn einer Epoche. Texte der Situationisten, übers. und hgg. von Roberto Ohrt, Hanna Mittelstädt und Pierre Gallissaires, Hamburg (2.Aufl.) 2008 (Erstaufl. 1995), S.48); zit. als Debord 1957/2008: Rapport. Das Manifest in: Texte der Situationistischen Internationale, Heft I: Frühe Schriften, hgg. von den Freundinnen und Freunden der klassenlosen gesellschaft, o.O. 2005, S.49 (zuerst in: Die Situationistischen Internationale, Nr. 4, Juni 1960).
239
Vgl. Teil II, Kap. »Chor & Szene. »Volk & Kunst (Nietzsche)«.
240
Sartre 1943/1993: Sein und Nichts, ebd. (Hervorhebungen – JPS).
241
Zitat Sartre 1943/1993: Sein und Nichts, S.870 (Hervorhebungen – JPS).
242
Sartre 1943/1993: Sein und Nichts, S.871/872; die folgenden Zitate S.872-874 (Hervorhebungen – JPS).
243
Im Zusammenhang dieses Buches werden wir uns mit den ›Szenen des Subjekts‹ ausführlicher in Teil II unter den Voraussetzungen der Phänomenologie des Bewusstseins bei Hegel und später bei Freud und Lacan beschäftigen.
244
Sartre 1943/1993: Sein und Nichts, S.878 (Hervorhebungen – JPS).
245
Genügend historischen Stoff und Argumente für diese Interpretation bietet Sartre im Anschluss (S.899/900) selbst.
246
Sartre 1943/1993: Sein und Nichts, S.895-897 (Hervorhebungen – JPS).
247
Sartre 1943/1993: Sein und Nichts, S.943; die folgenden Zitate ebd. S.943-949 (Hervorhebungen – JPS).
248
Sartre 1943/1993: Sein und Nichts, S.943/S.949.
249
Zur den ökonomischen Produktionsgrundlagen siehe das letzte Kapitel Teil IV.
250
Eine methodische Topografie mithin, die zur angewandten Topologie gerät.
251
Henri Lefèbvre: Die Revolution der Städte, München 1972, S.29; zit. als: Lefèbvre 1972: Revolution der Städte.
252
Von »seltsamen Objekten« spricht Jacques Monod im Zusammenhang der Genetik. Siehe Jacques Monod: Zufall und Notwendigkeit. Philosophische Fragen der modernen Biologie, München 1971.
253
Vgl. »Die großen Erzählungen – Leben nach Bilbao«, in: Markus Miessen: Albtraum Partizipation, Berlin 2012, Zitat ebd., S.51; zit. als Miessen 2012: Partizipation.
254
Lefèbvre 1972: Revolution der Städte, ebd.
161
255
»Nation« und »national« im vorbürgerlichen Sinne verstanden, auf Volkgruppe, Volksstamm oder Landsmannschaft und ihre Konstitution im feudalen Regiment bezogen.
256
Siehe Vermeers Ansicht von Delft, ca. 1660/61 (Mauritshuis Den Haag) oder zuvor, detaillierter, die Straße in Delft von 1657/58 (Rijksmuseum Amsterdam) mit ihrer klaren scenografia.
257
Lefèbvre 1972: Revolution der Städte, S.15-19.
258
Die Werkstatt des Kartographen. Materialien und Praktiken visueller Welterzeugung, hgg. von Steffen Siegel und Petra Weigel, München 2011. Siehe Renate Schneider: Die Macht der Karten. Eine Geschichte der Kartographie vom Mittelalter bis heute, Darmstadt 2004; Walter A. Goffart: Historical Atlases: The First Three Hundred Years, 1570-1870. Chicago 2003; Günter Hake, Dietmar Grünreich, Liqiu Meng: Kartographie. Visualisierung raum-zeitlicher Informationen, Berlin (8. neu bearb. Aufl.) 2002.
259
Lefèbvre 1972: Revolution der Städte, S.20.
260
Hannah Arendt: Vita activa oder Vom tätigen Leben, München 1967 (11. Aufl. 2011), S.190/191; zit. als Arendt 1967/2011: Vita activa.
261
Vgl. Heiner Wilharm: Politik und Geschichte. 2 Bde. Frankfurt am Main/New York, 1981; zit. als Wilharm 1981: Politik und Geschichte.
262
Was die umstandslose, indes nicht unproblematische Identifikation des Bodensatzes des Volkes als »Werktätige« nicht rechtfertigen wird.
263
Siehe Max Weber: Die protestantische Ethik und der Geist des Kapitalismus, Tübingen 1934; zit. als Weber 1934: Protestantische Ethik.
264
Karl Marx: Das Kapital, 3. Buch. Der Gesamtprozess der kapitalistischen Produktion (d.i. Karl Marx, Friedrich Engels: Werke [MEW ], Bd.25), Berlin 1983, S.838; zit. als Marx 1894/1983: Das Kapital, Bd.3.
265
»Es ist das große Verdienst der klassischen Ökonomie, diesen falschen Schein und Trug [...], diese Religion des Alltagslebens aufgelöst zu haben«. (Marx 1894/1983: Das Kapital, Bd.3, ebd.).
266
Exemplarisch: Karlheinz Stierle: Der Mythos von Paris. Zeichen und Bewusstsein der Stadt, München/Wien 1993. Die drei Teile des Buches sind überschrieben: »Der Text der Stadt«, »Die Stadt und das Imaginäre« und »Ein Leser in der Stadt«, wobei es um Baudelaire geht.
267
In diesem Verständnis zu Fritz Langs Metropolis von 1927 im Vergleich mit den Konstruktionsgrundsätzen Lefèbvres: Heiner Wilharm: Metropolis, in: Bohn/Wilharm 2012: Urbanität, S.9-23. Siehe auch Heiner Wilharm: Urbanität und Ereignis. Über die Inszenierung von Urbanität und Stadtraum, in: Bohn/Wilharm 2012: Urbanität, S.229-288. Auf Passagen der Einführung und des Essays wurde für das Stadt-Kapitel in: Bohn/Wilharm 2012: Urbanität zurückgefriffen.
268
Wobei die »Politikwissenschaften« im spezifischen Verständnis Demokratiewissenschaften sind und in Deutschland erst nach Ende des Zweiten Weltkriegs mit Unterstützung der Westmächte als solche auftreten. (Vgl. die Gründung des Otto-Suhr-Instituts an der Freien Universität Berlin.) Die Soziologie wiederum ist ein Kind des ausgehenden 19. Jahrhunderts.
269
Lefèbvre ist sich, wie gesagt, darüber im Klaren, dass die historische Darstellung der Stadtentwicklung selbst eine Inszenierung beinhaltet. Zwar sieht es so aus, als ob Entstehung, Veränderung und Wandel der Stadt beschrieben und analysiert worden seien, bemerkt Lefèbvre. »In Wirklichkeit haben wir aber nur ein virtuelles Objekt aufgezeigt; es hat uns die Möglichkeit zur Darstellung der Raum-Zeit-Achse gegeben. Die Zukunft hat ein Licht auf die Vergangenheit geworfen«. (Lefèbvre 1972: Revolution der Städte, S.29).
270
Lefèbvre 1972: Revolution der Städte, S.65.
271
Wenn »es sich um Siedlungen mindestens relativ stark gewerblichen händlerischen Charakters handelte, auf welche folgende Merkmale zutrafen: 1. die Befestigung – 2. der Markt – 3. eigenes Gericht und zumindest teilweise eigenes Recht – 4. Verbandscharakter und damit verbunden 5. mindestens teilweise Autonomie und Autokephalie, also auch Verwaltung durch Behörden, an deren Bestellung die Bürger als solche irgendwie beteiligt waren«. Max Weber: Die Stadt, in ders.: Grundriss der Sozialökonomik, III. Abteilung.: »Wirtschaft und Gesellschaft«, Tübingen (2. erw. Aufl.) 1925, S.514-601; Zitat S.523.
272
Vgl. Bohn 2012: Paris – Ruhr, S.289-344.
162
i bühnen & protagonisten
273
Friedrich Engels: Die Lage der arbeitenden Klasse in England, Leipzig 1846; Herman Melville: siehe die Geschichten in Typee aus demselben Jahr, auch Omoo (1847) oder aus dem Jahr 1849 die beiden Abenteuerbände Redburn und White-Jacket or The World in a Man-of-War.
274
Vgl. Georg Simmel: Die Großstädte und das Geistesleben, in: Aufsätze und Abhandlungen 1901– 1908, Frankfurt am Main 2002, S.116-131 zit. als Simmel 1901/1908/2002: Großstädte.
275
Siehe Andrew Abbott: Department and Discipline: Chicago Sociology at One Hundred, Chicago 1999; Martin Bulmer: The Chicago School of Sociology, London 1984.
276
Louis Wirth: Urbanism as a Way of Live, in: The American Journal of Sociology, Jg. 1938, 44/1, S.1–25.
277
Siehe Peter Saunders: Soziologie der Stadt, Frankfurt am Main 1987 (engl. Social Theory and the Urban Question,1981); vgl. dazu die Beurteilung Christian Schmids (Christian Schmid: Stadt, Raum, Gesellschaft. Henri Lefèbvre und die Theorie des Raumes, München 2005, S.160: ... der »wohl einflussreichsten stadtsoziologischen Abhandlung der letzten zwei Jahrzehnte«.
278
Manuel Castells: La question urbaine, Paris 1972, (2. Aufl. 1975) mit einem theoriegeschichtlich wichtigen Nachwort (dt. 1977 bei VSA).
279
David Harvey: Social Justice and the City, London1973.
280
Mit Lefèbvres schon erwähntem: La révolution urbaine, Paris 1970. Etwas später dann mit: La production de l´espace, Paris 1974 (engl. London/Oxford 1991). Ich zitiere nach der engl. Ausgabe. (dt. in Erstübersetzung in: Dünne/Günzel 2006: Raumtheorie, S.330-340).
281
Siehe Schmid 2005: Stadt, Raum, Gesellschaft. S.31/32.
282
Deshalb immer wieder die Erwähnung von Marshall McLuhan: Understanding Media: The Extensions of Man, New York 1964 (dt. Die magischen Kanäle – Understanding Media), aber auch immer wieder: Marshall McLuhan/Quentin Fiore/Jerome Agel: The Medium is the Message: An Inventory of Effects, New York 1967 (dt. Das Medium ist die Message: ein Inventar medialer Effekte). Robert Venturi/Denise Scott Brown/Steven Izenour: Learning from Las Vegas. The Forgotten Symbolism of Architectural Form, Cambridge (Mass.) 1972 (dt. Lernen von Las Vegas. Zur Ikonographie und Architektursymbolik der Geschäftsstadt, Basel 2001). Jean-François Lyotard: La Condition postmoderne. Rapport sur le Savoir, Paris 1979 (dt. Das Postmoderne Wissen, Wien 1999; zit. als Lyotard 1999: Postmodernes Wissen).
283
Siehe Foucault 1964/2001: Sprache des Raumes.
284
Exopolis verwendet Edward W. Soja (Inside Exopolis: Scenes from Orange County, in: Michael Sorkin: Variations on a theme park, New York 1992 S.94-122) zur Charakterisierung eines »amorphen metropolitanen Gebiets« bei Los Angeles. Die Rede ist von jener Anordnung von Zentralität, die die Metropole »gleichzeitig nach innen und nach außen stülpt, in der das Gravitationszentrum leer ist wie bei einem doughnut, in der also jeder Ort außerhalb des Zentrums liegt, hart am Rand, aber immer inmitten der Dinge, wo die Zentralität virtuell gegenwärtig ist und die Vertrautheit des Städtischen verdampft«. (Siehe auch Schmid 2005: Stadt, Raum, Gesellschaft).
285
Übrigens ein in dieser Formulierung schon von Lefèbvre eingeführter Begriff. (Siehe Lefèbvre 1972: Revolution der Städte, S.23, S.28, S.179f., S.223f.).
286
Siehe den Überblick von John Friedmann: Ein Jahrzehnt der World City-Forschung, in: Capitales Fatales: Urbanisierung und Politik in den Finanzmetropolen Frankfurt und Zürich, hgg. von Hansruedi Hitz, Roger Keil, Ute Lehrer, Klaus Ronneberger, Christian Schmid, Richard Wolff, Zürich 1995, S.22-44. Zur Global City-Theorie siehe Saskia Sassen: Metropolen des Weltmarktes. Die neue Rolle der Global Cities, Frankfurt am Main 1996; Zitat Lefèbvre: Revolution der Städte, a.a.O., S.165.
287
Zum Kontext siehe Schmid 2005: Stadt, Raum und Gesellschaft, S.52/53; S.55-57 – Zitate ebd.
288
Sennet 1995: Fleisch und Stein, S.32. Eine Auffassung, die in der Theoretisierung der Stadt und des urbanen Raums auch Henri Lefèbvre teilt. Siehe Lefèbvre: Production of Space, S.405-407.
289
Siehe Henri Lefèbvre: Le droit à la ville. Espace et politique, 2.Aufl. Paris 1974, S.62-72. Vgl. dazu Schmid 2005: Stadt, Raum, Gesellschaft, S.166-168, »Stadt als Text«, und S.223-224, »Vom Lesen und Schreiben des Raumes«. Siehe auch Stierle 1993: Mythos Paris.
290
»Dass auch innerhalb der Wissenschaftsforschung das Thema Materialität keineswegs ausgestanden
163
ist«, diskutiert mit den einschlägigen Verweisen auf die Literatur u.a. Bernward Joerges in: ders.: Technik - Körper der Gesellschaft. Arbeiten zur Techniksoziologie, Frankfurt am Main 1996, S.275. Siehe auch Lorraine Daston/Peter Galison: Objektivität, Frankfurt am Main 2007; zit. als Daston/ Galison 2007: Objektivität. 291
Roland Barthes: Das semiologische Abenteuer, Frankfurt am Main 1988; zit. als Barthes 1972/1988: Semiologisches Abenteuer. Barthes argumentiert in dieselbe Richtung wie Lefèbvre zur selben Zeit. Roland Barthes jedenfalls begreift Stadt nicht als funktionalistischen Mythos, wie er etwa von den 30er bis 60er Jahren vorherrschte, sondern als szenischen Diskurs. »Die Stadt ist eine Sprache.« Folglich wird über die Urbanisierung diskursiv entschieden und nicht funktionslogisch (wie im Fall ›Stuttgart 21‹): »Das Problem besteht allerdings darin, einen Ausdruck wie ›Sprache der Stadt‹ aus dem rein metaphorischen Stadium herauszuführen« (ebd., S.202f.). Die Pointe der Überlegungen von Barthes liegt darin, dass es das Fehlen einer »Technik des Symbolischen«, der simulativen Selbstrepräsentation ist, die einer Stadt ihre urban-suchende Unruhe verleiht. Dazu kommt es, weil die urbane Bewegung jedes mediale Außenbild abwehrt, das sie als Randerscheinung (vgl. die banlieue der Metropole Paris) dann binnensystemisch selbst erzeugen muss. Urbanität besteht im Wesentlichen im Wechselspiel von Privatheit und Öffentlichkeit, im Fall von Paris von Schlafstadt und Funktionsstadt. Die Stadt kann diesen Gegensatz nicht topografisch lösen und greift auf den Literaturbetrieb, den Filmbetrieb, die Inszenierung zurück, d.h. sie löst den Konflikt semantisch präsentativ. Folglich kommt es zu einer Semantisierung der Stadt, unter der die Bewohner ihre jeweilige ›Lesart‹ verorten können. Zuletzt warnt Barthes wie Lefèbvre davor, ein Signifikat ›Stadt‹ erzwingen zu wollen, denn die Verhältnisbestimmung von Signifikat und Signifikant kanalisiere die Lebendigkeit des Austauschs von Öffentlichkeit und Privatheit zunehmend und institutionalisiere sie. Es wäre, sozusagen, ein Diktat der (aktuellen) Lektüre (Stichwort Stadtwerbung). Die deiktischen Signalorgien müssen sich als Lesbarkeitsspielräume entfalten können. Etwa in der Art Jacques Lacans, der meinte, man solle die Ampeln auf den Pariser Straßen nur als Empfehlungen verstehen. Wer sich den Verkehr an der Place d´Étoile ansieht, weiß, dass es funktionieret. In Rom gilt Augenkontakt als oberstes semantisches Gebot im Straßenverkehr.
292
Vgl. den Katalog der Ausstellung New Urbanity. Die europäische Stadt im 21. Jahrhundert, hgg. von Annette Becker, Karen Jung und Peter Cachola Schmal, Frankfurt am Main/Salzburg 2008. In der FAZ hieß es über die Perspektiven: »Geglückte Urbanisierung im einundzwanzigsten Jahrhundert heißt überwiegend Rückkehr zu Prinzipien des neunzehnten Jahrhunderts und sogar zu deren Vorgängern. [Was] [...] nichts mit Konservatismus zu tun haben muss«. (Dieter Bartetzko: Die europäische Stadt im 21. Jahrhundert. Wie Urbanisierung in Zukunft aussieht, in: FAZ vom 12.03.2009.
164
ii ästhetik & philosophie der künste
II
ästhetik & philosophie der künste
Die Sondierung historischer Inszenierungsfakten tritt im Folgenden zurück. Wir verlassen die Vorgeschichte der Inszenierung und begleiten sie in ihr eigentliches, modernes Stadium. Allerdings richten wir unser Augenmerk zunächst auf ausgesuchte Beiträge zu Hintergrund und begrifflicher Klärung der aufgezeigten Praktiken und Dramaturgien. Die künstlerisch gestalterische Produktion, die Praktiken der Inszenierung und Selbstinszenierung sind nur vermittelt über ihre Reflexion anwesend, auch wenn die herangezogenen Schriften darüber möglicherweise mehr zu sagen wissen, als die Künste vordergründig zeigen. Wenn wir auf den ästhetischen und philosophischen Diskurs lenken, wobei der Anspruch von »Philosophie« zunächst noch weitgehend der des ausgehenden Aufklärungsjahrhundert ist, interessiert uns, bestimmte empirische Phänomene theoretisch untermauert zu sehen. Zweifellos ist der sogenannte scolastic view durchaus in der Lage, dazu beizutragen, wenn auch vielfach eher indirekt oder subtextuell. Im Mittelpunkt stehen ausgewählte Texte zur Bedeutung von Kunst und Ästhetik im Zusammenhang von Darstellung, Manifestation und Auftritt im theatralen wie im theatrisch sozialen, politisch ökonomischen wie psychologischen Verständnis, dargestellt von Zeitgenossen der historisch fokussierten Kernzeit des frühen inszenierungsgesellschaftlichen Konsolidierungsprozesses. Zwar wurden verschiedene Tendenzen der Ding- und Raumentfaltung wie auch deren wissenschaftliche Bewertung schon im ersten Teil bis ins 20. Jahrhundert verfolgt. Doch für die Geschichte der ästhetischen Bewertung und die Bewertung der Ästhetik, soweit sie eine im Sinne eines erweiterten Kunstbegriffs relevante Konzeptualisierung anbieten, bedraf es genauerer Erörterung, vor allem über die Emanzipation der Inszenierung im Laufe des 19. Jahrhunderts. Die Autoren, die wir auswählen, sind Künstler und Philosophen. Die Künstler finden wir auf verschiedenen Podien; sie arbeiten in unterschiedlichen Metiers und Genres, äußern sich freilich literarisch und wissenschaftlich zu ihrer und der Kunst anderer. Die Philosophen wiederum, die wir auftreten lassen, zumindest einige von ihnen, neigen dazu, die Philosophie selbst in die Nähe der Kunst, genauer der Dichtung zu rücken oder diese in die Nähe zur Philosophie. Insgesamt gehören sie zur Avantgarde ihres Standes. Umso lieber werden wir ihnen Gelegenheit geben, in ihren eigenen Worten zu sprechen. Für Bühne, Schauspiel und Schauspielkunst konsultieren wir Diderot und Rousseau, sodann Goethe und Schiller und etliche Größen in ihrer Umgebung. Unter den Philosophen wird Kant erläutern und präzisieren, was im Gegenzug zur Generalisierung der »Kunst« unter den Auspizien der »Schönen Künste« unter einem tatsächlich weiten Begriff der »Künste« zu verstehen wäre. Wichtiger noch ist, dass der Königsberger Bescheid geben kann über die Rolle der Künste und der Urteilskraft in pragmatischer Hinsicht, über die alltägliche Inszenierung im ›privat‹ gesellschaftlichen Umgang und die Bedeutung der Inszenierung als einer besonderen Art, Einfluss zu nehmen und ein Regiment auszuüben. Hegel werden wir für die Geschichte und den Begriff der Ästhetik zwischen Kunst und Religion reklamieren sowie zur phänomenologischen Relevanz des Scheins befragen. Die betrifft nicht allein die Dinge der Kunst und der Ästhetik, sondern ebenso Dinge der Herrschaft, des Reichtums und der Arbeit. Auch Hegel fahndet nach »pragmatischen Zusammenstimmungen«, nach einer womöglich der Kunst abgeschauten gesellschaftlichen »Harmonie«. Mit
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der politischen Sakralisierung eines neuen Souveräns, dessen Existenz zugleich den Freiheiten des Marktes wie den Ambitionen in ihren Handlungen unbeschränkter Wirtschaftsakteure ausgesetzt ist, wächst die Bewerkstelligung harmonisch sozialer Zusammenstimmung zu einem ernsthaften Problem heran. Hegels Werk befindet dabei zugleich in Opposition wie in der Nähe zur Kant´schen Kritik. Vergleichbar steht es um Hegels Haltung gegenüber der romantischen Kunstauffassung und ihren Protagonisten: Gegensätze und Gemeinsamkeiten, die wir an Ort und Stelle erörtern. Für die Vermittlung der Spannung zwischen den Strömungen konsultieren wir nicht zuletzt erneut Goethe, der auch für Hegel als erste Autorität in Sachen Kunst galt. Zwar werden wir uns der politischen Ökonomie erst im vierten Teil der Arbeit ausführlich zuwenden. Indes wird auch angesichts der theoretischen Besinnungen des 19. Jahrhunderts, im Rahmen von Ästhetik und Philosophie niemand daran vorbeigehen können. Das Nachdenken über Wert und Werte steht ganz oben auf der Agenda der Reflexion – nicht nur der philosophischen, sondern ebenso der literarischen. Für die Zeit der ersten Blüte der deutschen industriellen Revolution wollen wir uns deshalb auf die Wertanalyse Nietzsches konzentrieren. Sie ist bestens geeignet, auf das Zusammenspiel von Staat und Bürokratie, Kapital und Medien (Kunst, Design, Unterhaltung) zu lenken und die Inszenierung auf einem ihrer ersten Höhepunkte zu charakterisieren wie zu zu kritisieren: im Wagner´schen Kulturformat. Die philosophie- und kunsthistorischen Reminiszenzen werden wie im ersten Teil ergänzt um für unser Thema relevante inszenierungspraktische Erwägungen und Schlussfolgerungen. Für die Heraufkunft des Nihilismus und die Umwertung aller Werte durch Nietzsche werden wir schließlich die Rezeption Heideggers heranziehen, die uns ins 20. Jahrhundert weiter begleiten wird. Wir werden dem »dichtenden Volk« und seinen »Dithyramben«, seinen Verwicklungen in das Schicksal der Dinge, der Technik und der Medien, der Inszenierungsrealität in einem modernen Gewand begegnen. Bezogen auf Vorstehendes, verstehen sich die folgenden Seiten gewissermaßen als systematisches Gegenstück zu denjenigen Abschnitten des ersten Teils, in denen wir den Auftritt des Volks und der Dinge sondierten. Das Pendant zum letzten Abschnitt des ersten Teils schließt sich zu Beginn des dritten Teils der Arbeit an. Anknüpfend an die Sondierung des Raums und insbesondere des urbanen Raums werden wir uns dort mit repräsentativen systematischen Ansätzen zur Raumstrategie beschäftigen.
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schauspiel, schauspieler & bühne. legitimationsprobleme der spätaufklärung
Denkt man an die Marionettenbühne, bei der der Schauspieler der gewöhnlichen Bühne gleichsam in zwei Figuren zerlegt wird, die handelnden Charaktere und eine lenkende Kraft, scheint die Frage, wer das Sagen auf der Bühne hat, entschieden – offenbar wer die Fäden zieht. Das ist einsichtig, wenn man an das Marionettentheater denkt. Davon abgesehen, handelt es sich bei der Verwendung des Ausdrucks »Marionettentheater« um ein Bild. Mit ihm lässt sich die Informiertheit der Szene durch die Szenografie veranschaulichen. Schaut man allerdings genauer hin, ist zu erkennen, dass die Metapher nicht weit genug greift. Denn der Bühnenauftritt des professionellen Schauspielers soll jedes Anzeichen von Lenkung vermissen lassen. Selbst wenn die Fäden, an denen die Figuren bewegt werden, für jedermann sichtbar sind, gilt diese Maxime.
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Performanz & Projektion. Performanz & Repräsentation Was der Schauspieler zur Darstellung bringt, ist nichts, was nicht tatsächlich auf die Szene gebracht würde. Einerseits. Andererseits weiß jeder Zuschauer, dass jeder Schauspieler gewöhnlich gewissen Vorgaben folgt, die umzusetzen seine Aufgabe ist. Doch scheint es eine geheime Absprache zwischen Bühne und Publikum zu geben, diesen Umstand zu ignorieren. Um des Genusses willen und der Illusion werden Instruktion und Disposition, wird jede Szenografie der Hinterbühne dissimuliert. Alle Darstellung soll in der Präsentation erscheinen. Offensichtlich oszilliert der Begriff »Darstellung« hier zwischen Performanz und Projektion einerseits, Performanz und Repräsentation andererseits. Der Bruch scheint auf den ersten Blick kaum heilbar. ›Performanz der Repräsentation‹ jedenfalls böte argumentativ kaum eine akzeptable Entfaltung von ›Darstellung‹. Wäre nicht zu Recht eine contradictio in adjecto zu vermuten? Es fragt sich, ob die Vorstellung einer gedoppelten Perspektivität helfen könnte, das Paradox aufzulösen, oder ob diese Figur lediglich eine Variation des Paradoxes beinhaltet. Die Frage wäre auch, aus welcher Richtung betrachtet die Relation vorteilhafterweise untersucht werden sollte. Denn das Bühnenspiel für sich genommen müsste schließlich niemandem paradox erscheinen. Einiges spricht dafür, die Perspektive der Darstellung als szenografische Sicht der Konzeptualisierung und des szenischen Entwurfs in Anschlag zu bringen. Anderes spricht für die Kraft der Bühnenhandlung und die Suggestion der Ereignisse. Die Doppelbödigkeit der Szenografie bestünde nicht zuletzt darin, abseits der Intentionen, die damit verbunden sind, als Aufführung oder Vorstellung wie als Repräsentation fungieren zu können. Als Repräsentation wiederum könnte sie die Vorstellung repräsentieren oder aber deren Darstellung. Das Konstrukt ›Szenografie‹ beinhaltete offensichtlich beides, eine projektive Darstellung für die Bühne und eine repräsentative Darstellung hinsichtlich ihrer stellvertretenden Formatierung. Dies ist unabhängig davon, ob die Szenografie als Projekt oder selbstständige Kunstform materialisiert erscheint. Beide Varianten könnten in manifester Gestalt vorliegen. Beide wiesen sicher ein eigenes mediales Format aus. Auf welche Weise die Szenografie diese zunächst widersprüchlich anmutenden Momente vermitteln – oder vielleicht nicht vermitteln, sondern nur realisieren – könnte, wird genauer zu eruieren sein.1 Ein nicht bühnenorientiertes Darstellungsformat jedenfalls fordert gewöhnlich, dass aus den arrangierten Zeichen gewisse Schlüsse auf das, was sie bezeichnen, gezogen werden. Was bezeichnet, ist nicht das Gleiche wie das Bezeichnete. Angelegt für die Bühne indes sieht es so aus, als wären die Zeichen der Darstellung hauptsächlich dafür gut, vorgezeigt zu werden. Wir ziehen dazu die Überlegungen Diderots heran, der sich intensiv mit dem Problem beschäftigt hat. Das Problem hat zu tun mit der Unterscheidung von Bühnen- und Gesellschaftsspiel. Denn die Frage ist, wo sollte, wenn wir alle Theater spielen, die dispositive Instanz sich einfinden – fürs Buch, fürs Kostüm, für das ganze Spiel. Und wenn die Legitimität der Moderne auch fürs Theater gilt, auf welche Weise legitimiert sich in diesem Dispositiv der einzelne Spieler, Profi oder Liebhaber?
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paradoxa der schauspielkunst & der schauspieler (diderot)
In seinem erst 1830 veröffentlichten, aber schon Mitte der 1770er Jahre verfassten Traktat Paradoxe sur le comédien entfaltet Denis Diderot die Maximen für eine vertrauenswürdige Bühnenszenifikation.2 Trotz der noch nicht vorhandenen Begrifflichkeit zur Darlegung der Inszenierungsparameter im Verständnis des kommenden Jahrhunderts und der grundsätzlich aufklärerisch positiven Beurteilung der Leistungsfähigkeit der Bühnen der Kunst analysiert Diderot in dieser Schrift die Probleme eines Anspruchs auf ein Spiel, das dennoch nicht als bloßes Spiel erscheint, selbst auf dem Theater, selbst in der Komödie nicht. Dennoch, bemerkenswert ist, dass die paradoxe Figur ihre Pointe gerade nicht darin findet, dass sie als paradigmatisch ausschließlich für Theater oder Kunst gilt – jedenfalls nicht am Ende des 18. Jahrhunderts. Die Pointe besteht vielmehr darin, dass die Bedeutung eines Programms uninszenierter Inszenierung – einer Inszenierung wie einer Szenifikation aus Freiheit – erst im Rahmen eines gesellschaftlichen und politischen Programms hervortritt. Ja man muss sagen, dass Diderots Argumentation erst in diesem Rahmen überhaupt ihren Sinn aufschließt. Denn nur in einem Zusammenhang, in dem die Rahmenbedingungen der Bühneninstallation nicht wie in der theatralen Kunst zu einem gegliederten Einrichtungsdispositiv gehören, erscheint ein solches Programm nicht trivial. Es oszilliert hier die Differenz von professioneller Inszenierungskompetenz und einer, wie nicht nur Kant glaubt, geradezu anthropologischen Ausstattung der Spezies mit vergleichbarem mimetischen Vermögen. Obwohl die Differenz schwerlich auf die sprachliche Unterscheidung von metaphorischer und nichtmetaphorischer Rede reduzierbar ist, wird das Paradigma an der institutionalisierten »Bühne« entwickelt.
Bühnenspiel, Gesellschaftsspiel Diderot expliziert die Verhältnisse an der »Szene« des Berufsschauspielers. Wenn der Schauspieler Gefühlen Ausdruck verleiht, ist er nicht emotional bewegt. Wenn er Leidenschaften zeigt, darf er nicht auch so empfinden. Weder ist davon auszugehen, dass der Schauspieler furchtsam ist, wenn die Charaktere, die er gibt, vor Furcht zittern, noch hoffnungsfroh, wenn die Rolle fordert, es zu behaupten. Im Gegenteil. Schauspieler sollen spielen »beinahe wie Automaten«. Ihre Darstellung funktioniert wie ein technischer Effekt.3 Moralisch ist diese Feststellung neutral; es geht nicht darum, dass jemand der Unmenschlichkeit bezichtigt würde. Was interessiert, ist eine Analyse des Funktionskontextes ›Darstellung‹ unter theatralen Bedingungen. Im Blick auf ein textliches Repräsentationsgefüge oder ein ikonisch, zum Beispiel diagrammatisch darstellendes Medium4 würde es nicht in Erstaunen setzen, wenn die technisch gestalterische Seite ihrer Effekte in den Fokus geriete. Ebenso würde nicht verwundern, dass solche Schein oder Vorstellung produzierenden Maschinen, was sie ausstoßen, zu neuen Gestalten oder Bildern verdichteten. Dass derartige ›Bedeutungen‹ mit dem Mechanismus der Maschine oder des Artefakts, der dafür sorgt, dass die benötigten Zeichen zur Erscheinung gebracht werden, nicht zu verwechseln sind, liegt auf der Hand. Die Produktivkräfte der Darstellung müssen nicht unter dem Aspekt ihres Vermögens, (begriffliche oder konzeptuelle) Bedeutungszuweisungen zu ermöglichen, bemessen werden, jedenfalls solange der Funktionalismus sich nicht auf die Basis einer theoretischen Maschine bezieht, deren Programmierung zulässt, auch zukünftige Transformationen virtuell präsentisch zu
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›repräsentieren‹ und dies, maschinensprachlich notiert, auch zeigen könnte. Dass aber auch auf der Bühne tatsächlich agierende Charaktere trotz aller Rollenverwicklung funktional zu identifizieren sind, ist nicht schwer vorzustellen. Sie würde schlicht als Produktionsinstrument mit bestimmtem Funktionsumfang betrachtet. In vergleichbarer Weise wären beispielsweise Text- oder Diagramm-Maschinen beschreibbar. Text, Entwurf oder Modellierung würden indes, hier sozusagen in potentia, dort in actu betrachtet, jeweils in einem gesonderten Format erscheinen. Im Unterschied zur Betrachtung sind sie performativ agierend, jedoch nicht als eben dieses eine sich Ereignende. Genau in dieser Art gehört der professionelle Schauspieler für Diderot zur agierenden Szenifikation wie zur entwerfenden Szenografie, ins Konzept wie ins Spiel. Die Einlassungen des Schriftstellers und Dramatikers relativieren die gewöhnliche Perspektive der Darstellung und erhellen das szenografische Verständnis des homme de lettres. Er spricht von szenografischen Leistungen unter Bedingungen der feudalen Theaterbühne. In dieser Perspektive zeigt sich Szenografie allein als Aufführung eines Stücks. Es werden nicht auch noch Zeichen für Zeichen angeboten, quasi konzeptualistisches Theater.5 Schon gar dem Publikum geht es nicht um das Allgemeine eines Sinngehalts, sondern einen bestimmten Augenblick, die Darstellung nicht anderes bedeuten zu lassen, als wie sie sich gibt, ohne diese Bedeutung zugleich auch zu relativieren. Der Schluss auf die Verneinung solcher Inszenierungskunst ist klar. Diejenige Darstellung, die den Schein oder die Beleuchtung ihrer Bedeutung nicht auf diese Weise erfährt, die Darstellung vielmehr als das Ganze ihrer Funktion, repräsentativ darzustellen, in Stellung zu bringen trachtet, wird die Performanz konkreten Bedeutenlassens verfehlen, sie bestenfalls simulieren. Die Simulation einer Simulation. ›Inszenierung‹ versteht sich hier demnach nicht im Sinne eines offenen szenischen Spiels, sondern (wovon wir hören werden) in der Art, wie der Sophist andere auf die Fährte seines Scheinschlusses bringt. Er folgt anderen Zwecken als denen, die er in Szene setzt. Solche Inszenierung legt gleichsam einen Schatten über den Schein der Szene. Die Darstellung gäbe nicht frei, was sie im Augenblick beabsichtigt, sondern zeigte nur, wie, als welche Art Artefakt oder Maschine sie arbeitet. Sie demonstrierte ihr Vermögen, jederzeit Macht auszuüben, nicht ihr Sollen, lebendigen Sinn und Austausch zu erzeugen. So wie wenn ein Schauspieler immer nur darauf aus wäre, zu zeigen, was alles er kraft seiner Schauspielkunst vermöchte, ganz unabhängig von Anlass und Stück. Als Künstler wäre er kaum zu gebrauchen. Man könnte sagen, dass die Darstellung um Vermittlung bemüht ist. Genauer indes steht ›der Schauspieler‹ für den turn der Vermittlung hin zu ihrer eigenen Vermitteltheit, zu ihrer Auflösung als wissende Darstellung. Da es sich um diejenige Drehung handelt, in der sich der Schauspieler tatsächlich seelisch wie körperlich von der wissenden Szenografie auf die lebendige Szene umstellt, fällt die Auflösung nicht aus als Identitätsschluss nach dialektischer Art. Der Schauspieler leistet, was ein Medium oder Zeichen leistet, ohne schon oder noch auf dem Stand einer begrifflichen Schlussfolgerung zu agieren. Auf diese Weise findet die Botschaft zu ihrer Präsentation ›hin‹ oder ›zurück‹. Darum fordert Diderot »kalte Verstellung« vom Schauspieler, kalte Verstellung gegenüber den Versuchungen, mehr zu wissen, sich von der exekutiven Bedeutung der Szene zu den Vielfältigkeiten des Bedeutenkönnens, von denen er weiß, hinreißen zu lassen. Den Weg dorthin muss er sich verstellen, nicht weil er sich für die Lüge entscheidet, sondern weil er sich umstellt, eine Wendung vollzieht, handelt. Um dies fertigzubringen, behauptet Diderot, könne man keineswegs einfach auf Spontaneität setzen, dem Bauchgefühl folgen. Im Gegenteil, heißt es, brauche es,
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quasi als Disposition, einen »kühle[n] und ruhige[n] Beobachter«, durchdringenden »Scharfblick, aber keine Empfindsamkeit«, die »Kunst, alles nachzuahmen oder – was auf dasselbe hinausläuft – eine gleiche Befähigung für alle möglichen Charaktere und Rollen«, für jede Gelegenheit. Um am Ende zu einem »erhabenen Schauspieler« zu werden, sei es sogar sehr dienlich, überhaupt nicht empfindsam veranlagt zu sein. Egal ob Empfindungen zu haben angeboren oder künstlich erworben ist, »Empfindsamkeit ist in keiner Rolle am Platz.«6 Warum? Damit möglichst alle Gefühlsäußerungen in gleicher Weise überzeugend und glaubwürdig zum Ausdruck gebracht werden können, wenn sie angebracht erscheinen. Um der Empfindsamkeit willen, die beim Zuschauer in allen Registern gefragt ist. Diderots Forderungen an den guten Schauspieler sind überzeugend. Auch wenn die Liste der Tugenden, die zwischen den Gesprächspartnern des Paradoxe in Rede stehen, angesichts einer schließlich nur berufsbezogenen Kompetenz ambitioniert erscheinen mag. Aus der Szene will Diderot alles unmittelbar subjektive Fühlen und Agieren heraushalten. Wer auf der Bühne spielt, handelt mit Bedacht. Zugunsten von Authentizität und Überzeugungskraft der Vorstellung muss der Profi sich deshalb über Handlung und handelnde Charaktere Gedanken machen. Die Forderungen des Philosophen scheinen zunächst ausschließlich an Akteure adressiert zu sein. Umgekehrt kann nur als professioneller Schauspieler gelten, wer den Forderungen nachkommt. Das Programm ist aufklärerisch, sofern es mit der Hoffnung auf Kompetenz- und Orientierungsgewinn auf beiden Seiten verbunden ist, bei Veranstaltern und Publikum. Denn da nichts der Spontaneität überlassen bleibt, kommt der gesamte Input reflektierter Szenografie dem Zuschauer zugute, ohne dass er den Eindruck hat, es wäre anders vermittelt als über die Rolle. Verallgemeinert für alle Bühnenagenzien hieße das, dass die Inszenierung jedes auf der Bühne erscheinende Zeichen situationsgerecht für Auftritt und Szene als offenkundig relevanten Index zum Leben erweckt hätte. Das aber impliziert in der Tat die performative Präsentation eines reflektierten Entwurfs. Diderots Bühne stellt sich mit ihren Schauspielern auf den Kopf. Die Unterscheidung und Integration von reflexiver und energetischer Haltung ist nicht unerheblich, auch wenn man die Unterscheidung als frei wählbaren ›Gesichtspunkt‹ relativieren möchte. Dies aber würde die Bindung der Emotionen, nicht der Affekte, an den einen oder anderen Pol suggerieren. Dem widerspricht Diderot, indem er die Empfindungen analytisch als Effekte der Vermittlung darstellt. Für die Aufführung bedeutet dies, das auf diese Weise praktisch Vermittelte als Unmittelbarkeit szenischen Erlebens, Mitfreuens und Mitleidens anzubieten. Mit dem Tausch von Mittelbarkeit und Unmittelbarkeit, Reflexion und Sentiment propagiert Diderot die notwendige Verkehrung des Handlungs- und Haltungsmodus. In der bloßen Konsequenz einer Reflexion liefe die szenische Präsenz Gefahr unterzugehen. Man brauchte sie gar nicht, weil sie, grau zwar wie alle Theorie, aber doch schon ›aufgehoben‹ wäre. Der Künstler dagegen ist Praktiker, technites, wie Aristoteles sagt, jemand, der die techne beherrscht, die nicht »Technik«, sondern »Kunst« ist und als solche auch Wissen, praktisches Wissen beinhaltet. Der Künstler muss nicht zum Intellektuellen oder Wissenschaftler mutieren, wenn er »aus der Überlegung (réflexion) heraus aufgrund des Studiums der menschlichen Natur [...], aus der Einbildungskraft und aus dem Gedächtnis« heraus agieren soll. Worum es zu tun ist, ist szenische Synthesis. Zu ihrem Gelingen soll alles, was zur Aufführung gebracht wird, möglichst wie »aus einem Guß (un)«, wie Eines erscheinen. Und wer auftritt, muss in dieser Beziehung »in allen Vorstellungen ein und derselbe und immer gleich vollkommen« erscheinen, Message wie Medium. Darum
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müssen Studium und Reflexion in Dienst einer verständig auf Handlung setzenden Vorstellung genommen werden. Die dem entsprechende Haltung der Akteure würdigt damit die Nichtwillkürlichkeit des Bedeutens der Dinge. Doch setzt die Szene hier Grenzen. Dass sich, wer mit im Spiel ist, auf die Handlungen konzentriert und dass damit insbesondere Leidenschaften und Affekte angesprochen werden, kann Zwecken, deren Seriosität nicht in Frage steht, nur zugute kommen. Das Ziel schließlich heißt nicht, Theaterbesucher zum Schauspielerberuf zu bewegen, sondern dem Publikum handelnde und leidende Charaktere so vorzuführen – empfinden zu lassen –, als ob es die eigene Empfindung wäre. Möglichst ohne auch nur den geringsten Unterschied zwischen Bühnenschein und alltäglicher Anmutung. »Worin besteht also das wahre Talent? Darin, die äußeren Symptome der erborgten Seele gut zu kennen; sich an die Empfindung derer zu wenden, die uns hören und sehen, und sie durch die Nachahmung jener Symptome zu täuschen – eine Nachahmung, die alles in ihren Köpfen vergrößert und zur Richtschnur ihres Urteils wird. Auf andere Weise lässt sich das, was im Innern der Menschen vor sich geht, gewiß nicht ausschöpfen. Und was liegt nun wirklich daran, was sie empfinden oder nicht empfinden – vorausgesetzt, daß wir das letztere nicht merken? Wer also die äußeren Anzeichen kennt, und sie nach dem besten ideellen Modell (modèle idéal le mieux conçu) am vollendetsten wiedergibt, ist der größte Schauspieler.«7
Was auf der wirklichen Szene vor sich geht, sei immer Bewirktes, Aufeinandertreffen, Vermischung und Entmischung von Körpern, heißt es bei Foucault. Die Effekte dagegen seinen nichts Körperliches, vielmehr die Geschichte einer ungreifbaren, nur vorgestellten Schlacht, die unzählige Male erzählt wird.8 Erfolg und Blessur gehören der Szene; die Schlachten der Geschichte. Diderot unterstreicht die Kompetenzen des Schauspielers, idealerweise als szenografische Instanz des eigenen Auftritts wie seiner Effekte zu agieren, »schwankend zwischen der Natur und dem eigenen Entwurf«. Die tatsächlich maßgebliche Szenografie (die der wirkliche Schauspieler auch in Diderots Theater nicht selbst verantwortet, selbst wenn er sich verhalten soll, als ob es so wäre) ist umso bemerkenswerter einzuschätzen, je besser es ihr gelingt, den Emotionen der Spieler jeden selbstständigen, das heißt möglicherweise unbegründeten Entfaltungsraum zu nehmen.9 Stattdessen braucht der Künstler »sehr viel Urteilskraft«, um im szenischen Spiel etwas zu zeigen, das nichts bloß Subjektives ist, sondern einer begründeten, legitimationsbereiten Darstellung angehört. Sie gilt es zu individuieren und damit faktisch zu rechtfertigen. »Und warum sollte sich darin der Darsteller vom Dichter, vom Maler, vom Redner, vom Musiker unterscheiden?«10 Er tut es nicht – eine bemerkenswerte Erweiterung, die Diderot vornimmt. Sie legt nahe, dass die Divergenzen des Handlungsscheins der Bühne nicht nur die Kunst des Theaters betreffen. Nun ist die Problematisierung des Bühnenscheins in Diderots Theaterschrift auf den ersten Blick gar nicht an der Bühne als Rauminstallation interessiert, sondern allein am Auftritt, der Szene der Spieler und dem Schein, den sie zu erzeugen vermögen. Der Scheinraum entfaltet sich wesentlich zwischen Skript (gemäß modèle ideal) und Szenifikation. Was so erhellt, ist, wie es erscheint. Die Täuschung, die dem Zuschauer widerfahren könnte, läge daher durchaus bei ihm, käme einer Selbsttäuschung gleich. Denn worüber allein sich der Zuschauer, Besucher, Rezipient täuschen könnte, wäre, dass, was als Theaterkunst präsentiert wird, nicht Theater ist, die Szenifikation nicht geprobt und die Leidenschaft nicht ›nachgeahmt‹. Folglich ist Bühnenschein in diesem Fall Szenifikations- wie Inszenierungsschein. Die Szenifikation folgt der Inszenierung, macht sie sichtbar und durchsichtig; entsprechend legitimiert,
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darf sich ihr Schein verbreiten. Es ist gewissermaßen schon die Legitimation durch das Publikum, auf die solche Inszenierung setzt. Je bereitwilliger das Publikum die Überblendung seines Wissens um die institutionelle Rahmung akzeptiert, ohne sie vergessen zu machen, desto schlüssiger gelingt es, das Wissen der Szenografie, woran der ernsthafte Spieler Anteil hat, nicht nur an die ephemere Kunst des Bühnenauftritts zu überweisen, sondern auch dem Publikum zu vermitteln. Freilich hat dies Konsequenzen für die Geschichten. Es leuchtet ein, dass sich diese Form positiv theatraler Inszenierung schon vom Versuch einer Täuschung des Publikums nichts erhoffen kann. Denn dies hieße, zu unterstellen, dass das Publikum nicht wüsste, dass die Protagonisten der Dramen und Komödien vor seinen Augen professionelle Rollenspieler sind. Und sollte sich doch jemand finden, der sich zu sehr in Geschehen und Erleben der Aufführung verloren hätte, ein einziger Blick auf die Bühne als gemeinsamem Installationsraum von Spielern und Zuschauern reichte aus, um in den Alltag zurückzufinden. Spätestens wenn der Vorhang fällt und das Saallicht aufleuchtet, erhellt die Disposition. Eine Täuschung über das Verhältnis von Werk und Auftritt kann es mithin in diesem Raum nicht geben. Vergleichbares gilt für den theatrischen Raum, soweit er auf dieselbe Weise strukturiert ist – schwieriger vorstellbar vielleicht, aber durchaus Praxis im öffentlichen Betrieb von Kultur. Unberührt davon bleibt, dass die Interpretation der zur Vorstellung gebrachten techne– im vollen Sinn des Begriffs–jederzeit in Frage gestellt werden kann. Die Kunst der mimesis, die Spieler oder Künstler nach Diderots Meinung beherrschen müssen, wird ausdrücklich nicht als Nachahmung natürlicher Ausdrucksformen verstanden, sondern als Nachahmung komplexer erfahrungsgeleiteter, szenisch geprägter Gewohnheiten und der sich von dort her empfehlenden Bedeutungen, eine Vorstellung, die bei Goethe dreißig Jahre später den Geschmack von engagiertem Dilettantismus aufkommen lässt. Diderot sieht anstelle dessen noch die Vorzüge der Selbstaufklärung. Verständnis qua Nachahmung ist deshalb nicht bloß konventionell und privilegiert die Manier. Darüber gibt es auch bei Goethe keinen Zweifel. Auch Begabung von Natur braucht Studium, um zu reifen. Für Diderot beinhaltet dies legitimationsbereite Interpretation. Die Belehrung entstammt dem informierten, auch professionellen Diskurs und wird im Auftritt, öffentlich performiert, an ihn zurücküberantwortet. Das Ziel bleibt das Werk und das Werkerleben, die sich für Dramatiker, Schauspieler wie ähnlich exekutierende Künste und ihr Publikum als Performance darstellen. Wenn es aber nur in der Präsenz szenischer Begegnung für einen Augenblick ein Ereignen geben kann, in dem die Kunst außer sich selbst nichts braucht, ist die Frage, warum nicht alle Kunst von dieser Gegenwart der Begegnung leben sollte. Solange alles, einem idealen Modell entsprechend, nicht nur so ist, wie es ist, sondern offensichtlich auch so erscheint, wie es sein sollte, braucht es den Auftritt der Vermittlung nicht.
Kriterium Performanz Tatsächlich verallgemeinert Diderot seine Forderungen an die Schauspielkunst für alle Künste. Der Schauspieler könnte wie natürlich als Instanz der Vermittlung adressiert erscheinen, was die Forderung an alle Künste angeht, ist er doch in der Lage, das szenische Bild in aller Wahrhaftigkeit vor Augen zu führen. Doch wird der Schauspieler nicht wegen der Vermittlung, deren Werkzeug er ist, gefeiert, sondern ihrer szenischen Auflösung, der charakteristischen Gestalt und der individuellen Ausdruck annehmenden Bedeutungsstiftung wegen. Trotz Diderots Einverständnis mit der aristotelischen Tradition, die am Ende dem mythos den Vorzug vor der opsis gibt, dem bleibenden Werk vor dem Spiel, steht beim Theater die Würdigung des aufgeführten
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Werks und die daran gebundene Aufführungskunst naturgemäß im Zentrum. Vergleichbares gilt für Musik, Tanz und andere aufführende Künste, auch die von Diderot und Kant durchaus noch geschätzte Kunst der Rhetorik. (Auch dies bekanntlich ein aristotelisches Erbe.) Die Überblendung von Handwerk und Technik und ihren Effekten im Auftritt ist nicht gleichzusetzen damit, dass unter gewissen Voraussetzungen verhindert wird, dass die Tatsache der Inszeniertheit überhaupt selbst ans Licht dringt. In diesem Fall wäre gar kein Inszenierungsschein, gewissermaßen also gar keine Kunst zu erwarten. Selbst wenn der Schauspieler von Diderot als eine Figur der Vermittlung oder der Medialität exponiert wird, zeigt dies nur an, was es heißt, den Ausdruck »Schauspieler« korrekt zu verwenden. Grammatisch gehört der Begriff zur Szenografie. Hier wird die Schau als Spiel, das Spiel als Schau konzipiert. Situationsgerecht indes ist die Szene, die der Schauspieler hinlegt, nur, wenn es keine Schau-Spieler gibt, wenn die Hinweise nicht in die Vergangenheit des Projekts führen. Die Wunder und Abgründe der Saga und ihrer Helden müssen unmittelbar mitzuerleben sein, ganz unvermittelt. Diese Perspektive fokussiert die Gegenwart des gemeinsam und in Gemeinschaft Erlebten, weil nur von hier aus die Zukunft in den Blick gerät, auch wenn es nur um die Empfindungen und ihre Wahrheit geht. Ähnlich wie anstelle des Theaters die Schauspieler, ließen sich anstelle der Musik die Musiker, anstatt des Tanzes die Tänzer, anstatt des Films die Filmschauspieler auszeichnen, um ihre Funktion in vergleichbarer Weise zu dekonstruieren, nicht als Vermittler unterschiedlicher Inszenierungsentwürfe, sondern als Instrumente einer lebendigen Kunst, die sich ihrer bedient, um sich als präsent darzustellen. Beim Spielen und im Spiel vollzieht sich der turn der Darstellung selbst. Von der szenografischen Darstellung her betrachtet, bestimmen Werk oder Artefakt sich dazu, genregerecht zu repräsentieren. So wird verwiesen auf die Möglichkeit szenifikatorischer Auflösung im Raum temporären Bedeutenlassens durch spezifische interpretative Entscheidungen, gleichviel ob in einer noch so flüchtigen Notation eines musikalischen Werks, in den Codes einer Choreografie, in der Celluloid- oder Digitalfassung von Filmbildern, im Manuskript einer Rede. Die Freiheitsgrade der Performanz gegenüber den Fixierungen im Entwurf unterscheiden sich im Einzelnen sehr, doch gibt es sie in allen Spielen der Kunst. Selbst wenn die Freiheit nur darin bestünde, die Verhältnisse von Repräsentation und Werk zu vertauschen, Darstellung erscheint, als habe sie ihr Repräsentationsvermögen aufgegeben, um sich in nur einer einzigen ihrer möglichen Gestalten und Bedeutungen als Kunst-Ding zu verwirklichen, bricht sie sich Bahn als ein sich emanzipierendes Für-sich. Dass solche Kunst wiederum als Quelle andersartig repräsentierender oder präsentierender Darstellung des künstlerischen Auftritts genutzt werden kann, auch zu Kritik oder wissenschaftlichem Räsonnement, ist offensichtlich. Diderots Traktat über die Schauspielkunst gehört größtenteils selbst zu dieser Gattung von Darstellung als discours. Zwar repräsentiert die Aufführung nicht, steht nicht für etwas anderes als sich selbst. Doch offeriert sie, die Fixierung auf ihre Ereignisse wieder zu lösen, erneut als Verkörperung von Zeichen, die Weiteres und Neues bedeuten können, in den Kreislauf der Semiose aufgenommen zu werden. Dies, allerdings, sprengt den abgeschlossenen Kunstraum und öffnet ihn dem sozialen Raum von Kommunikation und Inszenierung.
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werkpräsenz & repräsentation. beispiel malerei
Schauen wir, bevor wir den Faden beim Thema Öffnung der Kunstraums wieder aufnehmen, zur Überprüfung der Verallgemeinerungsthese Diderots auf die Malerei und ein vieldiskutiertes Exempel.11 Lässt sich das ›Schauspielerparadox‹ auf die offensichtlich nicht zu den exekutierenden Künsten gehörige Kunst übertragen? Gibt es ein ›Malerparadox‹? Die Verwandtschaft der theatralen Performanz mit dem szenischen Gemälde lässt es vermuten.
Manifestation der Invention. Las Meniñas (Velázquez) Velázquez´ berühmtes Gemälde Las Meniñas gibt den Blick frei auf eine Szene am Hof Philipps II. Heute hängt das Werk im Prado. – Das fertige Bild hat alle seine Entwurfsphasen hinter sich gelassen. Auch der Maler selbst gehört zur Geschichte, die sein Bild zeigt. Zuletzt noch hatte der Künstler sich das ihm weit nach der Fertigstellung des Gemäldes verliehene Ehrenzeichen auf die porträtierte Brust gemalt. Velázquez ist offenbar dabei, eine ähnliche Ansicht in Szene zu setzen wie diejenige, die der Betrachter des Bildes sieht, einen Raum, eine Szene im Escorial. (Es sei denn, dass der Meister in einen Spiegel blickt und dieselbe Ansicht auf die Leinwand bringt wie die, die das Publikum in seinem Gemälde sieht.) Die Leinwand im Bild wendet dem Betrachter ihre Rückseite zu. Deshalb kann er nur indirekt auf das Modell des Künstlers schlussfolgern, mit dem dieser, Palette und Pinsel in der Hand, gerade arbeitet. Doch sehen wir bei genauerer Betrachtung des Palastzimmers, in das wir hineinblicken, an dessen hinterer Wand und ziemlich in der Mitte des Gemäldes ein Bild oder einen Spiegel hängen. Darin zeigen sich zwei Personen, ein Mann und eine Frau, älter als die Prinzessin und ihre Hoffräulein im Vordergrund, die dem Bild den Namen eintragen. Sollte es tatsächlich ein Spiegel sein (wofür etliches anzuführen wäre) und nicht ein Gemälde, ließe dies den Schluss zu, dass der Maler auf dem Bild nicht die Szene, die der Betrachter sieht, auf die Leinwand bringt. Vielmehr wäre es dann das Paar, dessen vergangene Silhouette sich nunmehr im festgehaltenen Spiegelbild im Hintergrund von Las Meniñas findet. Ähnlich wie in einer Fotografie aber wäre hier eine Spur von Vergangenem zu entdecken. Dann hätte damals, als das Bild gemalt wurde, ungefähr dort, wo heute die Museumsbesucher vor dem Gemälde stehen, das Modell gestanden, das das fast unsichtbare Sujet der ins Bild gesetzten Leinwand ist, von der wir nur die Rückseite sehen. Die Entwurfsgeschichte des Gemäldes wäre mithin, für einen Augenblick beleuchtet, mit in die Geschichte geraten, die inventio Bestandteil ihrer manifestatio im Werk. Nichtsdestotrotz lässt sich nur darauf schließen. Die Bildevidenzen sind so stark nicht. Lediglich das vermutete Spiegelbild an der Wand des Ateliers setzt die Spekulation in Gang. Der Bildraum erweitert sich, von ihr inspiriert, zum Darstellungsraum einer gedanklich zu entwerfenden Gesamtkonfiguration. Darin ist es nicht diejenige Darstellung, deren Zeichen zu verstehen bedeutet, sich dem Sichtbaren zu verpflichten. – Dies hieße, eine Episode aus dem Leben eines spanischen Hofmalers mitzuerleben, der, umgeben von einer Prinzessin, ihren Hofdamen und weiteren Bediensteten, seiner Arbeit nachgeht, die aller Wahrscheinlichkeit gerade darin besteht, zwei Herrschaften, vielleicht das Königspaar, auf die Leinwand zu bannen. – In der gedanklichen Konstruktion aber nimmt der Betrachter, was sichtbar ist, auf diese Art nur en passant als und in die Darstellung, als Zeichen einer Repräsentation, deren Stellvertretung noch
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zu entschlüsseln ist. Wie der Schauspieler in der Szene aufgeht in seinem Spiel, so das Gemälde im Bild, das sich immer wieder aufs Neue austauscht mit seinen Betrachtern. Wie der Schauspieler mit den Zuschauern das Spiel des Dichters spielt, so spielt das Gemälde denen, die es ansehen, das Spiel des Malers auf, kein vergangenes, sondern ein Spiel im Jetzt. Das Bild ist anwesendes Gegenüber, Werk, informiertes Ding wie sein Schöpfer. Und doch ist es »in diesem Augenblick ein Doppelwesen«.12 Jedenfalls kann es den Betrachter dazu bestimmen, sich von seinen Eindrücken und Empfindungen zu lösen und die vorübergehend ruhiggestellten Zeichen zu reaktivieren. Was ihm das Bild nun sagt, wird mehr von ihm veranlasst denn beherrscht. Freilich bleibt das Sichtbare der Probierstein, an dem sich zu bewähren hat, was als schlussfolgerndes Bedeutenlassen zu erneuten Erklärungen der Zeichen gerät, die das Bild selbst betreffen. Etwa könnte sich die Reflexion in der angedeuteten Richtung aufmachen, den Bildraum spekulativ um den Betrachterraum erweitern und, durch seine Perspektive veranlasst, eine Hypothese über Spiegel und Motiv des in Las Meniñas an seiner Leinwand stehenden Malers wagen. Weitere, inhaltliche Erwägungen ließen sich aufgrund der Stellung der Figuren zueinander in Bild- und Vorstellungsraum anschließen, vielleicht – einschlägige Interpretationen sind bekannt13 – zur Stellung der im Bild präsentierten Herrschaft zwischen Jung und Alt, Gegenwart und Zukunft, zur Position der Souveränität – gespiegelt in einem Bild im Bild – und zur Besetzung der »leeren Stelle« der Souveränität außerhalb der zeitgenössisch absolutistischen Szene. Wir fänden mithin Anlass zu einer Betrachtung auf der Grundlage einer Darstellung im Unterschied zu einer Vorstellung, beide Begriffe in nicht reflexiver Verwendung. Umso eher wird die Darstellung als solche einleuchten, als wir im Sinne Diderots von der Exposition der Sichtbarkeit zur Konstruktion eines modèle idéal wechseln. Implizit oder explizit geschieht dies selbst dann wiederum sinnvollerweise mit diagrammatischen Mitteln. Doch die Konstruktion oder ihre Darstellung wären nicht das Bild.14 Und sie gehörten auch nicht zu den Studien oder Vorzeichnungen des Gemäldes, soweit wir darunter in der Regel keine Raumdiagramme verstünden. In der Malerei, anders als etwa in der Schauspielkunst, sind Entwürfe wohl physisch vom eigentlichen Werk unterscheidbar und als separate Artefakte auffindbar. Doch sind sie quasi in den meisten Fällen von derselben Machart wie das fertige Bild, stellen es selbst in einem frühen Stadium der Fertigstellung dar und gehen materialiter in das Gemälde ein. Separate, quasi theoretische Entwurfsartefakte sind zwar in der Malerei nicht ausgeschlossen, allemal nicht in der Moderne, gehören aber nicht zum Arbeitsstil des spanischen Hofmalers des 17. Jahrhunderts. 3
zivilisierung oder kultur. kunst- & straßenszenen (diderot)
Diderot öffnet tatsächlich nicht nur einen Weg vom Theater zu den anderen Künsten; er findet auch den Weg von der Kunst in die Gesellschaft, nicht ähnlich vehement wie Mercier, sondern eher zurückhaltend wie Kant. Diderot ventiliert, hier an der Seite Rousseaus, durchaus die generelle Öffnung des Kunstraums, auch wenn er anmahnt, am Ende wieder auf ihn zurückzukommen. Denn hier findet die Demonstration dessen, was in der Gesellschaft empfehlenswert ist, einen geschützten Raum. Diderot hat persönlich keine guten Erfahrungen gemacht mit öffentlichem Engagement. Für ihn ist das Schauspiel, ein genre serieux in der Mitte zwischen überlieferter Tragödie und Komödie, oft genug als Gemälde, ganz wie bei Mercier, der sich in der Nachfolge der Diderot´schen Poetik sieht. Bei Diderot steht die Bühne im Dienst szenischer
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Entfaltung eines sittlich geläuterten Spiels schönster Empfindungen. Ihren Mittelpunkt finden sie im Privaten und dem familiären Kreis. Kants »Tischgesellschaft« erscheint im Vergleich ›vergesellschafteter‹ als die gesellschaftliche Widerständigkeit des Bürgers, die in Diderots Pere de famille oder Entretiens sur le Fils naturel 15 ihren Platz in der Familie und bei ihren Tugenden findet. Die Protagonisten sind nicht Bürger, sondern kleine Adelige, die andere Gepflogenheiten kultivieren, als in der Haushaltung des vermögenden Adels üblich ist. An der neuen Intimität kann sich das Publikum von gleicher und bürgerlicher Herkunft orientieren. Es geht um ein wahres Bild, das dem Zuschauer die solchem Habitus entsprechenden Gefühle nahebringen soll. So interpretiert Diderot die Affekte der aristotelischen Poetik. »Tableau und verité sind zwei Schlüsselwörter der Diderot´schen Ästhetik«, das »szenische Gemälde« und ihre Wahrheit. Dem dort Ausgebreiteten gilt alles Mitleiden.16 Dennoch geht es nicht um die Charaktere, sondern um die conditions, die sozialen, mithin ständischen Bindungen. Doch von Bedeutung für das bürgerliche Trauerspiel sind sie nur in den Grenzen der natürlichen Umgebung familiärer Beziehungen. Sie sollen im Drama gezeigt werden. Diderot, schreibt Szondi, sei »der Verkünder einer neuen [...] präromantischen Kunstkonzeption.« »Worin denn die vielgerühmte Magie der Kunst bestehe«17, fragt einer der beiden Gesprächspartner des Paradoxe. Die Antwort überrascht, zieht sie doch die sinnliche Befriedigung und Schönheit der Ästhetik nicht ab von der schönen, sondern von der politischen Kunst. Darin bestehe die Kunst, dass alles so »wohlgeplant und in sich geschlossen« vor sich gehe wie in einer »wohlgeordneten Gesellschaft, in der jeder etwas von seinen Rechten zum Wohle der Gemeinschaft (ensemble) und des Ganzen (tout) opfert. Wer kann das Maß dieses Opfers am besten würdigen?« Der Schauspieler oder der rationale Künstler ist es in der Kunst. Aber »in der Gesellschaft ist es der gerechte Mensch«, der somit Vorbild des Künstlers ist. Unter dem Begriff des ›gerechten Menschen‹ finden sich all diejenigen Darsteller subsumiert, die ›kühlen Kopf‹ genug besitzen, die Dinge zu bedenken, abzuwägen und überlegt zu agieren, jedenfalls soweit sich die (theoretische) Projektion des Schauspielers auf den Zuschauer berechtigt fände und nicht seine Konditionierung durchs anrührende Spiel. Dies nämlich erregt die Empfindsamkeit, um für die Tugend zu gewinnen. Tugend freilich ist für den Bürger Opfer. Das aber ist sie für Robespierre auch, aber Opfer am Altar des Vaterlands. Für Diderot ist es Opfer, weil der Bürger ausreichend damit zu tun hat, sich der Bosheit der anderen zu erwehren. In der Komödie müssten die Menschen die Rolle der Götter in den Tragödien spielen, schreibt Diderot in De la Poésie dramatique, dem Schicksal nämlich entsprächen hier die menschlichen Bosheiten.18 Eine Beurteilung, die wir in Kants Anthropologie wiederfinden. Dass der zum Gerechten und Tugendsamen beförderte Mimetiker, ob Schauspieler aus Profession oder im Privaten, sich moralisch über die Niederungen der gesellschaftlichen Verwicklungen, denen er entstammt, erheben dürfte, wird zurückgewiesen. In Wirklichkeit, so der Einwand, gehe es doch auch auf der Bühne zu wie in ganz normalen »Straßenszenen«. Eine Katastrophe beispielsweise, die eine Gesellschaft heimsuche, argumentiert der moralkritische Part Diderots im Paradoxe, sei doch hinreichendes Exempel dafür, dass jeder Mensch unter bestimmten Bedingungen seinen natürlichen Empfindungen folge. – Die Berichte über das Erdbeben von Lissabon sind dem Schriftsteller noch sehr präsent. – Aber jetzt erst folgt die Pointe der Intervention. Gerade in solchen Situationen, in der Not, käme doch immer
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wieder ein »wundervolles Schauspiel« zustande, »mit tausend wertvollen Modellen für Bildhauerei, Malerei, Kunst und Poesie«, gleichsam ohne jede Verstellung und durchaus nicht kalten Herzens. Es zeigten sich Wahrhaftigkeit und Tugend von Natur. Auch hier findet sich eine Argumentationsfigur, wie sie bei Rousseau begegnet. Tatsächlich aber zieht der Einwand nicht, wie man erkennt. Denn der Vertreter des Paradoxes ist ja ganz einverstanden mit seinem Gesprächspartner, wenn er geltend machen wollte, dass die Modellbildung, die der Künstler vornimmt, sich echter, nicht gespielter Geschehnisse und Charaktere versichern müsse. Kunstintern mag es zwar so erscheinen, dass Diderot den Bedenken Rechnung trägt, dass das Regiment des Schauspieler-Szenografen möglicherweise doch zu sehr an der Idealität der Bühne gemessen sei, seine emotionale Beteiligung deshalb im Vergleich allzu rigide zurückgeregelt erscheinen könnte. Doch steht dem entgegen, dass alles Studium und alles Bedenken des ernsthaften Künstlers schließlich auf die Wiedergabe authentischer, wahrhafter Erfahrungen und Empfindungen zielen soll. Das Studierfeld des Künstlers ist das Leben selbst und durchaus nicht nur Familien, sondern auch Straßenszenen. Was Goethe kritisiert an der Nachahmung des Dilettanten, betrifft die Nachahmung am falschen Gegenstand, die talentlose Nachahmung der Kunst, um ein Werk zu schaffen. Das Studium des Lebens hält er für unverzichtbar wie Diderot. Die Auflösung des Widerspruchs zwischen Kunst und Natur, einer Natur, die sich deutlich als Gesellschaft bemerkbar macht, birgt deshalb keine Überraschungen. Der Unterschied, der zählt, betrifft den zwischen verschiedenen Modalitäten gesellschaftlicher Einrichtung, möglichen Versionen des Politischen, naturwüchsig wilden oder zu rechtfertigenden zivilisierten, die der wahren Natur entsprechen. Wenn sich normale Straßenszenen, wie der Verteidiger der Inszenierungskünste repliziert, zur Theaterszene verhalten »wie eine Horde Wilder zu einer Versammlung zivilisierter Menschen«19, dann benötigt die Straße die Kunst der Einhegung und Zivilisierung der Formen. Mit dieser Kompetenz erst wächst die Kunst heran, offenbar noch ungetrennt in die Künste der Einrichtung des Gesellschaftlichen und die Schönen Künste, die ihren eigenen Zwecken folgen. Die Frage nach dem Primat von Kunst oder Gesellschaft ist damit entschieden. Zuerst sind die gesellschaftlichen Verhältnisse, auch wenn es die conditions der Familie sind, dann kommen die Künste, sie einzurichten. Was oberflächlich aussieht wie eine Analogie zwischen Kunst und ›Gesellschaft‹, offenbart tieferliegend ein kausales Wirkungsverhältnis. Noch ehe die Kunst als künstlerisches Werk oder Artefakt auftritt, übt sie sich darin, die wirklichen Verhältnisse zur Kenntnis zu nehmen, zu untersuchen, zu verstehen und sich zu erklären. Daraus erwirbt sie, was sie braucht als Kunst – außer Talent. Der Widerspruch, dem Diderot hier auf die Spur kommt, ist also nicht aufzuheben und nicht zu verbergen, auch wenn der Philosoph ihn unter irreführendem Namen thematisiert. Warum noch einmal spielen, was allenthalben auf der Straße zu finden und zu erleben ist? Eben nicht, um es auf dieselbe Weise zu wiederholen. Die Kunst ahmt nicht nach. Sie schafft original, doch bedient sie sich der Wirklichkeit, um sie gereinigt, begriffen und in einer einsichtig machenden Form zu präsentieren. Das wirkliche Leben ist zu Hause und auf der Straße zu finden, doch offenbart sein Studium, dass zumindest das auf der Straße zivilisiert werden muss. Zuvörderst betrifft dies die Transparenz des Sinns. Niemand wüsste angesichts der Zufälligkeiten des alltäglichen Geschehens und Erlebens abschließend zu entscheiden, ob, was sich abspielt, so ist, wie es erscheint, oder vorgetäuscht sein könnte, worauf man sich einlassen soll. Solcher ›Wildheit‹ mit Vertrauen zu begegnen erschiene
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gänzlich unangebracht. Deshalb heißt das Gebot, in den zivilisierten Sphären einer Kunst zu inszenieren, um wahrhaftig aufzuführen, was wirklich passiert, ohne auch nur den Anschein eines anderen Interesses zu erwecken, als die Wahrheit zu zeigen, ein ideales Szenario reiner Effekte der Kunst, die allererst eine Kunst unter dem Regiment des Wahrsagens über das Wirkliche ist. Diderot nennt die Dinge durchaus beim Namen, auch wenn es so scheint, als ginge es im Paradoxe sur le comédien allein um die Schauspielkunst. Die Divergenzen betreffen in der Tat die Alternativen von Wildheit und Zivilisiertheit. Denn zweifellos ist es eine Kunst, den Sieg der Wildheit zu verhindern und allen Streit um die Geltung und die Legitimität des Wollens zivilisiert zu bestehen. Projektionsfläche dafür ist das Szenische – ohne Theater. Gerade, wenn es so konkret ist wie in den Beziehungen der Familie, passt das Schauspiel der tragédie domestique et bourgeoise.
Licht & Schatten Schauen wir auf den Punkt des Verschwindenmachens der Inszeniertheit. Den turn der künstlerischen Inszenierung markiert er ebenso wie den der Inszenierung im Rahmen nichtkünstlerischer Diskurs- und Konfliktfelder, doch auf gravierend unterschiedliche Weise. Beim Bühnenauftritt, gleichviel zunächst, ob im dezidiert künstlerischen oder profanen Ambiente, fällt die gegebenenfalls für solche Performance erarbeitete Szenografie in großen Teilen, wenn nicht vollständig, mit der Inszenierung im Sinne des intendierten Scheins des Spiels zusammen. Dies gilt am Ende nicht nur für diejenigen Akteure, die dem bestbekannten idealen Modell im Einzelfall zu folgen trachten, sondern ebenso für alle sonstigen agencies, gewissermaßen auch die Agenzien der Bühne. »Szenografie«, insofern, ist ein Kollektivbegriff, nicht allein was die Autorschaft betrifft. Kein Ding ist hier nur, was es ist; alles ist auch, soweit es dazu bestimmt werden kann, was es sein soll. Dasselbe gilt für das »Doppelwesen« der gesamten Inszenierung. Seine eine planende und kalkulierende Gestalt soll zum Nutzen des Vorhabens nur in seiner anderen, der bündigen Gestalt eines ereignishaften Auftritts oder Geschehens – Tuns, Machens, Lebens – erscheinen. Die Szenifikation wird die Inszeniertheit ›überspielen‹ müssen wie der Schauspieler die Tatsachen der ›kalten Verstellung‹. Denn nur so wird der Schein der erfolgreich erzeugten Illusion die Wirkung des Gemeinten tatsächlich ins Licht bringen können. Auf den Bühnen der Kunst, allerdings, geschieht die Illusionierung mit dem Einverständnis des Publikums. Es willigt ein, sich für eine Weile dem Schauspiel hinzugeben, weil und soweit es sich gewiss ist, dass es der Inszenierung in den Grenzen des gewählten Medienformats vertrauen darf. Zudem sind geeignete Sicherungsmaßnahmen für den Fall vorgesehen, dass sich jemand in der Illusion zu verlieren, der Illusionierung zu vertrauen droht. Von solchem Einverständnis indes kann außerhalb des Medien-, Kunst- und Gestaltungsraums und seinen einschlägigen Formaten nicht ausgegangen werden, schon gar nicht von der sachlichen Prämisse, dass die Veranstaltung qua medialer und institutioneller Einrichtung der a priori der Illusionserzeugung gelten könnte. Allerdings werden die Implikationen des Begriffs »Medienraum« zu diskutieren sein, um die Stabilität der Hypothese zu überprüfen. Doch stellt sich die Frage der Einwilligung oder Ablehnung gewöhnlich so lange nicht, wie nicht eine identifizierbare Bühneninstallation die mögliche Differenz zwischen situativer Szenifikation und szenografischer Planung und Inszenierung anzeigt. In der Kunst ist es der Fall, auf vielen ›Bühnen‹ außerhalb der Kunst ebenfalls. Das Problem machen die ›Schattenbühnen‹. Man versteht, warum Foucault den Schatten der ›Schattenbühne‹ auf sie selbst fallen lässt.20 Es geht um den Effekt, der Bühne und Spiel, die Differenz zwischen Schein und Illusion, nicht
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mehr als solche unterschieden, erkennbar werden lässt. Erste Bedingung dafür ist, die Bühnenindikation zu unterschlagen oder zu verhindern. Sollten sich Inszenierungseffekte in die Szene schleichen, um die Szenifikation zu beeinflussen und eventuell zu überformen, wäre dies zumindest an diesen Zeichen nicht mehr abzulesen. Wie auf den realen Bühnen der Kunst handelt es sich um Dissimulation. Doch während das Spiel dort seinen simulativen Charakter schon qua Institution offenlegt, mithin die Dissimulation der Inszeniertheit in der simulierten Szenik der theatralen beziehungsweise künstlerischen Aufführung wie in einem reenactment als durchschaut bestätigt wird, verhält es sich mit der Dissimulation der Inszenierung außerhalb von Kunst und vergleichbaren Medienformaten anders. Im Spiel treten Medea, der verletzte Andreas oder der Holländer auf. Es passiert im städtischen Schauspiel, Vergleichbares in Opernhaus oder Museum. Der Raum ist eindeutig als Kunst-, als Spielraum indiziert. Auf den ›Bühnen‹ des ungeschützten öffentlichen Lebens werden zwar auch Stücke gegeben und Rollen gespielt. Doch gilt als legitime Szenografie dort nur eine solche, deren Entwurf transparent gemacht ist, sodass das Angebot zum Mitspielen Interaktion in Aussicht stellt. Die Szenografie setzt von vornherein nicht auf die theatral überwältigende Präsentation einer inszenierten Veranstaltung. Vielmehr ist die Szenografie niederschwellig, formuliert Regeln zur Erreichung der Zwecke im Rahmen des Angebots für die, die sich darauf einlassen wollen (oder müssen). Spielen müssen sie selbst. Geboten wird in der Regel das technische, administrative und Ausstattungsszenario, gegebenenfalls das zur Abwicklung notwendige Service- und Verwaltungspersonal, wenn hinreichende Kompetenz der temporären Akteure und Agenzien dies nicht selbst gewährleisten kann. Anders verhält es sich mit der ›Schattenbühne‹, deren Identität erst konstatiert werden kann, wenn ihr Schattenspiel entdeckt ist. Hier ist der Erfolg garantiert, solange die feste Überzeugung herrscht, dass die gesellschaftliche Territorialisierung mit der dezidierten Platzierung einer inszenierungsintensiven Erbauungs-, Spiel- und Unterhaltungskultur die Areale erlaubter Illusionierung abgesteckt habe. Dann nämlich dürften alle anderen öffentlichen Bereiche als weitgehend authentische Scheinräume und in diesem Sinne inszenierungsfreie Handlungsfelder reklamiert werden. Solche Überzeugung dürfte sich auf die für sie relevanten Indikatoren stützen und sie als Evidenzen ins Feld führen. Insbesondere die Nichtverfügbarkeit von erkennbar abwegigen Rollenspielen – auf deren Angebot ja in jedem Fall außerhalb des Kunst- und einschlägigen Medienraums, der für Fiction und Entertainment zuständig ist, Verzicht geleistet wird. Da nicht getan wird, als ob, bedarf es nicht der Bestreitung durch ein So-Tun-als-ob-nicht. Da also nichts dergleichen indiziert ist, ist an Dissimulation nicht zu denken. ›Un modèle ideal‹
Diderot argumentiert in dieser Richtung. Das Paradox des theatralen Modells, wie es der Theatertheoretiker ausbreitet, könnte helfen, einsichtig zu machen, warum für die mit der Ausweisung von Räumen der Kunst verbundenen Annahme grundsätzlich inszenierungsfreier Gesellschafts- und Diskursräume kaum vernünftige Gründe beizubringen sind. Die Unterscheidung zwischen Inszeniertheit und Nichtinszeniertheit gehört als Paradox einer ›nichtinszenierten Inszenierung‹ zur Beurteilung des Medienraums. Das Spiel mag sich im künstlerischen Auftritt vielleicht selbst als solches decouvrieren. Doch alle agencies beziehen sich auch im künstlerischen Bühnenspiel mimetisch auf Situationen des tatsachenverbundenen Lebens, ausdrücklich oder
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unausdrücklich. Dass Fiktionen gesponnen werden und Fiktionales vorkommt, steht dazu nicht in Widerspruch. Aufgrund des professionell szenografischen Hintergrunds der ›Nachahmungsstudien‹ kann man sogar davon ausgehen (die Disparität der Sujets vorübergehend außen vor), dass die nachahmende Aufführung – wie auch die Exposition ›echter‹ Artefakte – den Auftritt insgesamt ›echter als echt‹ geraten lassen könnte. Dies geschieht vor allem im Übergang von der Kunst zur Wissenschaft oder ihr verbundener Informations- und Dokumentationsformate. Es ist bekannt, dass dies ein besonderes Merkmal der künstlerischen Moderne ist, insbesondere im Zuge der Einschleusung darstellungsbezogener ›Realkontexte‹ in die Kunst. Kunstareale lassen sich im Wesentlichen nur noch anhand topografischer Indizes ermitteln, Zeichen, die einen Kunst-Ort anzeigen: Opernhaus-, Konzerthaus-, Museumsarchitektur – street art, urban intervention art, social grafic arts ... Im Medienbereich fungieren entsprechende Formatindizes auf ähnliche Weise. Auch sie zeigen an, ob es ernst werden kann oder nicht. Allerorten nach topografischen Indizes zu fahnden, mit deren Hilfe gewissermaßen ›Kunstorte‹ auszuweisen, und mit passenden Hypothesen den damit angezeigten Inszenierungskontext zu qualifizieren, wäre möglicherweise die Strategie der Wahl, unlauteren Illusionierungsabsichten entgegenzutreten. Angesichts eines unfreiwilligen, aber jederzeit drohenden und nicht auszuschließenden Auftritts auf einer Schattenbühne könnte sich der skeptische Zeitgenosse, der nicht zu den Anbietern, sondern nur zu den (statistischen) Konsumenten solcher Künste gehört, vielleicht auf diese Weise behaupten. Der gegenteilige Effekt allerdings könnte sein, dass allenthalben, wo situative Szenifikation angebracht und an szenografische Direktive kein Gedanke verschwendet werden muss, Inszenierungsabsichten und Inszeniertheit entdeckt werden. Tatsächlich mag die zur Indikation vermeintlich passende Aufführung oft daran zweifeln lassen, ob die Anzeichen zurecht als solche und sachlich zutreffend gedeutet wurden. Im Fall fehlender, schlecht zu identifizierender oder möglicherweise irrelevanter Indizes muss deshalb situationsspezifisch ermittelt werden. Das besagt, dass als Basis der Ermittlung nur faktisch überschaubare, auf Tatsachen – inklusive der Tatsachen des Wollens und der Tatsachen der Fiktion – bezogene Parameter in Anschlag gebracht werden. In welche Richtung zu ermitteln wäre, wenn denn überhaupt Anlass bestünde, darüber kann der Mechanismus der szenografisch gelenkten Inszenierung Aufschluss geben. Denn umgekehrt wie ein hilfloser Rezipient, der die eventuell dissimulierten Implikationen einer verborgenen Direktive indexikalisch zu detektieren sucht, um im Spiel der Kräfte nicht in ein ungleiches Spiel verwickelt zu werden, muss die Inszenierung der Schattenbühne gewisse Hypothesen über das Spiel, das sie aufführen lassen möchte, bilden. Die Vermittlungstätigkeit, der sich auch solcher Entwurf verschreibt, ist daher genötigt, ein unvermittelt Erscheinendes schon zu antizipieren, eine szenische Realisierung des Intendierten sozusagen. Soweit die Vermittlung eben darin ihr Ziel sieht, wird ihr Projekt in zwei Teile zerbrochen werden müssen, nicht mehr als Ganzes auftreten können. Die Arbeit erscheint vom Produkt getrennt. Die disparaten Versatzstücke der vermittelnden Denk- und Entwurfsarbeit sollen den Authentizitäts- und Identitätsschein des Inszenierungsresultats nicht irritieren. Umgekehrt proportional werden sich die affektiven Dispositionen auf der Seite der Inszenierung und der Seite der Inszenierungsadressierten einstellen. Mutmaßlich Betroffene müssen ihre Aufmerksamkeit unter diesen Bedingungen sehr viel kritischer als im Fall weithin bemerkbarer, bekannter oder gar anerkannter indexikalischer Markierungen auf die Anzeichen der medialen Operationen der Vermittlung hinlenken, insbesondere auf die Techniken, die Ästhetik der
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Gestaltungsarbeit und die instrumentalisierten Produktionsressourcen, die gewöhnlich weder zu sehen sind noch zur Sprache kommen. Schließlich kann die Schattenbühne nicht damit aufwarten, den geplanten Auftritt einer gelungenen Inszenierung anzukündigen. Sie braucht vielmehr ein Arrangement, womit es ihr gelingt, sich in dem als inszenierungsfrei geltenden Raum der Szenifikationen als Mitakteur zu etablieren. Dieses Unternehmen wird spezifische Spuren hinterlassen. Klar ist aber auch: Die in der Inszenierung Ambitionierten werden sich, mehr noch als in den Probeläufen gewöhnlicher Entwurfsarbeit für die offene Inszenierung und bei den damit verbundenen mimetischen Übungen üblich, auf die Handhabung spontaner Eventgestaltung konzentrieren. Im Streit der klar Redenden und wahr Sprechenden mit der sophistischen Partei, die sich auf der Bühne ins Gehege kommen könnten, spielen unterschiedliche arts, genres oder metiers nicht die entscheidende Rolle. Viel eher geht es um den Unterschied von Tun und Erleiden, zwei Grundstellungen, die Leib, Körper und Geist jedes einzelnen Subjekt-Objekts unter den Agenzien bestimmen. Es geht, gewissermaßen, um den Anspruch auf gesellschaftliche Gleichheit, um die gleichen Chancen auf Nichtinstrumentalisierung für jeden. Macht sich in dieser Beziehung im szenischen Spiel ein Gefälle ungut bemerkbar, was keinesfalls in den meisten Situationen, nicht einmal in den Szenen des alltäglichen Lebens der Fall sein dürfte, wird das dringendste Bedürfnis der unangenehm Betroffenen darin bestehen, die verborgenen Zwecke des Inszenierungsaufwands, mit dem sie sich konfrontiert sehen, quasi als Überwältigung erleben, aufzudecken. Die sich von solcher Entdeckung nichts für ihre Ziele erhoffen, werden daran festhalten, ihr ›szenografisches‹ Engagement zu dissimulieren beziehungsweise alle Inszenierungsabsichten in Abrede zu stellen und auf die Positivitäten der dominierenden medialen Formate zu verweisen. Denn einem nur temporär bespielten szenischen Handlungsraum anwesender und miteinander interagierender Akteure wird der Inszenierungsraum, dem hier möglichweise auf die Spur zu kommen ist, entwachsen sein, ohnehin schon bei der ersten Initiative, sich seiner zu versichern. Der Inszenierungsraum transzendiert den Raum der körperlichen Präsenz szenisch Handelnder, erweist sich als Darstellungsraum repräsentativer oder postrepräsentativer medialer Art, der unter anderem immer auch verschiedene Versionen performativer ›Lesarten‹ anbietet. Es liegt nicht bei den Betroffenen, auf Inszenierungsverbergung automatisch widerständig zu reagieren. Ausgehend von der Diderot´schen Fokussierung von Schauspieler oder schaffendem Künstler, könnte man vielleicht meinen, dass allemal nur das Publikum oder die Rezipienten eines Kunstwerks Grund hätten, mehr über die Hintergründe der Inszenierung erfahren zu wollen, als sich im Auftritt offenbart. Die Reaktionen indes haben viel eher zu tun mit der Konsequenz aus Akzeptanz oder Ablehnung des Bewahrungsamtes, von dem Heidegger in seinen Kunstwerkvorträgen spricht. Kunstwerke bedürfen der Bewahrung, für die jemand aufkommen muss.21 Da Bewahrung für das Werk oder Artefakt identitätsstiftend ist, indes nicht durch dialektische Aufhebung, sondern durch ereignisstiftende Anwesenheit, beinhaltet Bewahrung der Inszenierung qua Entwurf immer wieder Möglichkeiten zur Präsentation, die Möglichkeiten in Szene zu setzen gewährleisten. Handlungstheoretisch gesprochen, könnte man hier von der Wertsetzung der Szenifikation sprechen. Das bedeutet, dass das Bewahrungsamt keineswegs auf die Kuratorenschaft in den Schönen Künsten beschränkt ist, heißt aber auch, dass die Initiative zur Bewahrung
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nicht aus den szenografischen Ressourcen erwächst. Im Gegenteil, leuchtet doch ein, dass deren Interessen auf Umsatz programmiert sind. Hier zählen – die Inseln reiner Kunst und echten Gemeinsinns außen vor – Diversifikation und Markterweiterung. Dabei gilt das der Bereitschaft zur Bewahrung einwohnende Wahrhaftigkeitsinteresse keineswegs der Ruhigstellung der Bedeutung. Die gegensätzlichen Bewegungen sollen durchaus bestehen bleiben. Doch sollten sie zivilisiert werden. Deshalb ist der Rekurs auf Perzept und Plan sinnvoll, indes aus der sozialen Praxis heraus als deren Bedürfnis und nicht veranlasst von der Intendanz. Hierin liegt durchaus auch eine latente Kunstkritik, derjenigen Künste jedenfalls, die sich zu sehr einer direktiven Szenografie verschreiben – und sei es ihre eigene. Dass es zudem eine Kritik der institutionellen Direktive auch im gesellschaftlichen Auftrittsraum bedeutet, leuchtet ein. Die Einhegung der Wildheiten ist zivile Kommunikations- und Verhandlungssache, nicht polizeiliche oder staatliche Aufgabe. Hierin liegt die Bedeutung des Diderot´schen Paradigmas künstlerischen Umgangs mit den Weiterungen aller Katastrophik der ›Straßenszenen‹.22 Den Streit von Anstrengung und Widerstand im Erleben und Fühlen wird es weiterhin geben, doch keine ›Vermittlung‹ durch Theaterspielen. Das angepeilte Maß beurteilt den Wert vom informierten Ding aus, nicht vom Standpunkt eines Subjekts oder Objekts. Hierin bestünde die Territorialisierungen sprengende Kraft einer die Schönen Künste transzendierenden Kunst, welche die heteronome Bestimmung des ›Objekts‹ zurückweist und deshalb am dafür verantwortlichen ›Subjekt‹ nicht festhalten kann. Sie weiß, dass sie zwangsläufig zu solchem Objekt degeneriert, wenn sie nicht opponiert. Wenn dem so ist, dass Inszenierungstatsachen zu den »Tatsachen des Wollens« gehören, wie Peirce sagt, werden sie überall auftreten, wo gewollt wird. Soweit dies bedeutet, Vermittlungsarbeit in den Kategorien der Drittheit zu leisten, liegt der Schluss auf die Implikationen der Vermittlung auf der Hand. Vermittlung kann logisch semiotisch in die Elemente von Disjunktion (Andersheit) und Unmittelbarkeit zerlegt werden, Zweitheit und Erstheit. Handelt es sich hierbei tatsächlich, wie mit Peirce anzunehmen, um absolut notwendige Kategorien, wird dieser Umstand kaum als bloß theoretische Bedingung zu Bedeutungen zu gelangen gelten können. Vielmehr wird er seinerseits die theoretischen Postulate tatsächlich motivieren müssen und motiviert haben. Kor-Relationen entfalten sich auf dem Boden realer Relationen. Mithin ist es sinnvoll, wie Peirce von der Realität der Tatsachen des Wollens auszugehen. Damit aber löst sich der Schein a priori inszenierungsfreier Bezirke des Realen auf. Überall muss man auf die Effekte einer sich verselbstständigenden Vermittlung gefasst sein. Sie kommt in allen denkbaren Formaten des medialen Auftritts daher, um die transportierten Botschaften, ästhetisch angepasst, an Gefühle und Affekte zu adressieren und auf diese Weise an den Instanzen möglicher rationaler Beurteilung vorbeizulancieren. Darf man in den deklarierten Sphären kreativer Produktion – Kunst, Gestaltung, Technik, Wissenschaft vor allem – vielleicht darauf hoffen, tatsächlich auf Plan, Konzept und Entwurf zu stoßen, kann diese Forderung für die gewöhnlichen Bezirke des Sozialen nicht verallgemeinert werden. In weitaus den meisten Fällen dürfte man mit unausdrücklichen oder schon ritualisierten Szenografien konfrontiert werden, mit Szenifizierung und szenischem Anschluss aus nicht ernsthaft gehandhabter und kontrollierter Nachahmung. (Umso mehr wird die Begabung eine Rolle spielen, auf welcher Seite der Einfluss nehmenden Kräfte auch immer jemand steht.) Nachahmung, so Diderot, muss eskortiert werden von Urteilsvermögen sowie den
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maßgeblichen Instanzen, die dieses Vermögen elastisch halten und zu relevanten Schlussfolgerungen drängen. Wenn eine große Menge disparater Gefühle und Energien, Bilder und Vorstellungen, Erinnerungen und Schlussfolgerungen aufdämmert und Assoziationen bereitstellt, werden sie sich auf dem Weg der Gewohnheit an die longue durée von sedimentiert Szenischem anschließen. Die Entscheidung über das Gelingen einer aktuellen Szenifikation ist daher zunächst davon abhängig, wie die Balance zwischen den unmittelbar Einfluss nehmenden Kräften und den imaginären, aus Erinnerung und Geschichten herangetragenen Einflussgrößen gelingt. Mimesis ist in jedem Fall im Spiel, sei es dass die Szenifikation eher konventionell ausfällt und im Sinne bekannter Inszenierungsformate Anschluss an entsprechende Paradigmen und Ikonizitäten findet, sei es dass szenisch Abgelagertes, szenografisch Intendiertes und situationsspezifisch kreativ Szenifiziertes sich mischen zu einer neuartigen Melange, der Bewusstseins- und Gewohnheitsveränderungen zuzutrauen sind: als weitere Ausgestaltung von Szenen und Szenarien oder als Begründung neuer. Die Bilder und Geschichten, Gebräuche und Rituale in der Bibliothek der Szenen werden nicht unbedingt als private Erfahrung geltend zu machen sein, weder im Sinne individuellen Widerstands noch individueller Angebote. Diderots Hinweis darauf, dass das ideale Modell, das zu Rate zu ziehen sei, mieux conçu sein soll, akzentuiert, dass es um Vergemeinschaftetes geht. Szenisches dieser Art ist wie alles gemischt Semiotische vom ontologischen Zuschnitt der gesprochenen Sprache, wenn auch phänomenal reicher. ›Privatszenisches‹ wird man zurückweisen wie Wittgenstein das Privatsprachliche. Die Gefühlsmodulation eines beabsichtigten Spiels muss sich darauf einstellen, dass man im Spiel auch auf Empfindung und Gemütsbewegung nicht ausdrücklich engagiert Beteiligter treffen wird. Dennoch wird es vorteilhaft sein, auch ihr Wohlwollen zu erringen – wenn es denn beabsichtigt ist, dass es einen Zusammenklang auch unterschiedlich motivierter Agenzien geben soll. Nur unter diesen Umständen jedenfalls wird sich das Deutungsangebot des herangeführten Repertoires mit Sprache und Melodie der aktuellen Szenifikation befriedigend in Einklang bringen lassen. Umgekehrt wird es in der eigentlichen Intention einer Szenifikation nach Art der offenen Inszenierung liegen, zu einer gut geerdeten, deshalb sowohl friedlichen als auch wahrhaftigen Exposition beizutragen. Nur so besteht die Chance, an einer ›szenisch‹, das heißt sozial überzeugenden wahren Geschichte beteiligt zu sein. Was heißt »wahr zu sein« im Zusammenhang solcher Darstellung? Diderot ist entschieden: »Die Dinge zu zeigen, wie sie in der Natur sind? Keineswegs. Das Wahre in diesem Sinne wäre nur das Gewöhnliche.« Das Wahre auf der Bühne hingegen »ist die Übereinstimmung der Handlung, der Reden, der Gestalt, der Stimme, der Gebärden, mit einem vom Dichter erdachten ideellen Modell«, das nichtsdestotrotz der Realität entstammt, weil es, wie Aristoteles für den Theaterstoff wünscht, etwas Wahrscheinliches zeigt. Dies geschieht in Übereinstimmung mit einer Natur, wie sie, erst vorgestellt, noch nicht existiert, aber aufgrund von techne im Bund mit episteme, Kunst und Wissen, existieren könnte. Deshalb ist die Kunst weiter als die Gesellschaft. Diderots Distanzierung von der Natur ist dem Lob des idealen Modells als dichtungserdacht geschuldet. Aber vermittelt über die Aneignung der Dinge und eine vernünftige Geschichte, wird man die Erfindungen der Kunst nicht im leeren Raum lassen wollen, vielmehr annehmen, dass das gedichtet Wahrscheinliche in der ›Natur‹ in unendlicher Variation auch tatsächlich existiert, ganz ohne dass sie abhängig wäre
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davon, dargestellt zu werden. Was aber einen möglichen Vorlauf von Mythos und Dichtung vor dem Auftritt der Akteure betrifft, so ist Diderot wiederum unmissverständlich den Vorzügen performativer Verhältnisse verpflichtet. Vergleicht man die Modelle, den »Menschen der Natur« mit dem »Menschen des Dichters« mit dem »Menschen des Schauspielers«, ist dem Modell des Dichters wohl der Vorzug vor dem der Natur zu geben, doch nicht vor dem Modell des Schauspielers. Sein Modell allein nämlich verspricht Autonomie, eher allerdings noch als für den professionellen Schauspieler für den Spieler außerhalb der Bühnen der Kunst. Warum? Weil er in diesem Modell seine eigene Marionette ist, folglich auch seine eigenen Texte sprechen darf und verantwortlich ist. Als Schriftsteller drückt es Diderot selbst aus. der Dichter »stellt sich auf die Schultern seines Vorgängers und hüllt sich in eine große, aus Weidenrute geflochtene Marionette, deren Seele er ist.« Anders als auf dem Theater wird ihm in Gesellschaft zufallen, »auch noch [das] Reden zu erfinden, [er] hat also zwei Aufgaben zu erfüllen – die des Dichters und die des Schauspielers.«23 Das aber bedeutet keineswegs, dass, wer auf die Bühne tritt, sich nicht darauf einlassen könnte, fremden Text zu sprechen. Im Gegenteil. Es kommt nur darauf an, dass die Täuschung ehrenhaft ist24, dass es vernünftig erscheint um der Zwecke willen, mit einem ›fremden‹ Text zu sprechen. Das rehabilitiert gewissermaßen den Sophismus. Oder mit anderen Worten, es ist nicht besonders sinnvoll, zwischen der sokratischen und der sophistischen Redeweise einen tiefen Graben auszuheben. Die Fremdheit einzuführen ist ehrenhaft, wenn es sich darum handelt, auf diese Weise den Zuhörern (es geht hier nicht um eine unterschiedslose Öffentlichkeit, von daher auch nicht umstandslos um ›das Volk‹) vor Augen zu führen, dass das Zueigenmachen des Fremden zu gemeinsam Angeeignetem der sich damit konsolidierenden Gemeinschaft von Gleichen förderlich ist. Ein ähnliches Modell wird uns Kants »Tischgesellschaft« präsentieren. Wir betrachten das offensive Modell der Eroberung der Bühnen der Kunst noch vor seiner Aufsprengung aller sozialen Indikationen. Noch, scheint es, kann die ästhetische Welt einen Raum bieten, Lebensformen zu üben, die außerhalb geschützter ›künstlicher‹ oder ›Kunsträume‹ kaum möglich sind.25 Die Praxis, die im Spiel vor Augen geführt wird, obwohl ganz zugeschnitten auf den kleinen Kreis engster Beziehungen, wird einem repräsentativeren Kreis, dem »Publikum«, zur Nachahmung anempfohlen. Sich mit seiner Rolle abzufinden, so die Kalkulation, schlägt dem Schicksal, das es möglicherweise nicht gut gemeint hat, ein Schnippchen. Oder man fordert das Schicksal sogar heraus und zeigt sich ihm überlegen. Im Theater kann man es sich ansehen und zu Herzen nehmen. »Der Rat ›guter Schauspieler‹ zu sein, heißt in einer Zeit, in der sich das Theater wesentlich durch seine Macht der Illusion definiert, den entschiedenen Rückgriff auf die Täuschung zu empfehlen.« Es handelt sich um das genannte Modell ›positiv theatraler‹ Inszenierung. Sie vollzieht das Spiel nicht auf dem Weg der Eigenliebe, dem zu folgen ein egoistisches Motiv der Täuschung anzeigt. Wird aber der »heimliche Vorbehalt der Fiktion geteilt, schließt er die Gefahr des Betrugs aus; jedermann ist eingeweiht und niemand wird betrogen.« 26
Wahl aus Freiheit & Erkenntnisanschluss Wahl aus Freiheit ist demnach die Alternative in der Frage nach den Möglichkeiten des Umgangs mit dem erkennbar Inszenierten. Denn in diesem Fall werden die zu Mitakteuren Aufgerufenen die Symptome der Verschiebungen und Verdeckungen zu analysieren suchen. Sie werden sich der magischen Wirkung der Performance nicht ausliefern, im Gegenteil das Verschwundene wieder hervorholen und sich mit den Techniken des Inszenierens vertraut machen wollen, seien es die der neuesten
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Szenifikationen und Szenografien, seien es die der gut gereiften Rituale und Zeremonielle. Den Trost des Glaubens freilich müssen sie dann eventuell aus dem Zutrauen zur eigenen Kraft beziehen. Denn die Freiheit der Wahl gründet sich auf die Autonomie des Subjekts, die bekanntlich eine Erfindung der Neuzeit ist. Die Zuwendung zur Technik der Effekte, die am Horizont der Installation erkennbar wird, wiedereröffnet allerdings auch einen Zugang zu ihrer Herkunft aus der Physis, der Erde, und dem mimetischen Geschäft der damit verbundenen Artefaktproduktion, »daß das Eingedenken durch die Kunst der Natur unmittelbar sich zuwende.«27 Adorno diskutiert im Umkreis dieses Zitats aus seiner Ästhetischen Theorie die Frage nach der magischen Wirkung der Kunst und der Künste. Er unterstreicht, dass der Widerruf vorgenommener Trennung und Verdeckung seinerseits keineswegs blind sein sollte gegenüber der magischen Gründung, der Weite der Möglichkeiten, zu erkennen und zu verstehen. Das rationale Moment nämlich, dem das Subjekt sich verschreiben möchte, gilt es seinerseits zu entsühnen. Zwar ist die »Rede vom Zauber der Kunst [...] Phrase, weil Kunst allergisch ist gegen den Rückfall inMagie.« Doch liegt es in der eigenen Ideologie der Kunst, die die Technik, die sie bedroht, ihr aber selbst einwohnt, verketzert, dass das »magische Erbe in all ihren Verwandlungen zäh sich erhalten hat.« »Die Sentimentalität und Schwächlichkeit«, schreibt Adorno, »fast der gesamten Tradition ästhetischer Besinnung rührt daher, daß sie die der Kunst immanente Dialektik von Rationalität und Mimesis unterschlagen hat. Das setzt sich fort in dem Staunen über das technische Kunstwerk als wäre es vom Himmel gefallen: beide Ansichten sind eigentlich komplementär. Gleichwohl erinnert noch die Phrase vom Zauber der Kunst an ein Wahres.«
Denn es ist die »fortlebende Mimesis«, die mit anderen als mit begrifflichen Mitteln zwischen Artefakt und Physis vermittelt und »Kunst« gerade auf diese Weise als »Erkenntnis«, als ein Verstehen, bestimmen kann. Säkularisierte Magie lässt dies nicht zu, denn in solchen Inszenierungen von Erleben und Spektakel, selbst an der Grenze zum Kult, wird das »magische Wesen inmitten von Säkularisierung zum mythologischen Restbestand, zum Aberglauben herabsinken.« Folglich gibt es keinen anderen Weg, als dass die Kunst, auf die Gefahr hin, jeder Art erwarteter Eindeutigkeit eine Absage erteilen zu müssen, die Erkenntnis »um das von ihr Ausgeschlossene« komplettiert. Die »Kunst«, von der hier die Rede ist, ist die Kunst des In-Szene-Setzens. Stellt man ab auf die Unterscheidung von Produzenten- und Rezipientenschaft hinsichtlich eventuell tatsächlich vorliegender szenografischer Perzepte, leuchtet ein, dass sich die szenifikatorischen Beiträge des Publikums nicht ohne Weiteres auf der Höhe einer von der Regie favorisierten Inszenierung einstellen. Doch braucht es Zustimmung und Unterstützung, wenn sich Rezipienten zu Mitproduzenten und Mitakteuren des szenischen Auftritts verstehen, die Vermittlung mitbesorgen sollen. Offenbar wird es unter bestimmten situativen Voraussetzungen – getrennte Räume, Zeitverschiebungen, Informationsdefizite, divergierende Zwecke – , kaum gelingen. Blockiert hingegen keine dogmatische Szenografie die Vermischung, vermögen individuelle Ansprache und Zuwendung aufseiten der Planer, Erfahrung, Erinnerungskünste und Engagement aufseiten engagierter Adressaten, schließlich gegenseitige Agitation und Inspiration der aufeinandertreffenden Gruppen das szenografisch-szenifikatorische Gefälle einzuebnen und zu einem gemeinsamen szenischen Plateau zu formen. Folglich darf man annehmen, dass die im Rahmen einer aktuellen Szenifikation angebotenen Bedeutungen für die damit Konfrontierten nicht
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im luftleeren Raum einer gerade entdeckten ›Bühne‹ aufflackern und ihr Schicksal finden, selbst wenn diese ›Bühne‹ ihr Setting auf diese Prämisse stützen sollte. Dass die entfaltete szenische Performance und die von ihr ausgehenden Befindlichkeits-, Stimmungs- und Deutungsangebote ohne Wirkung blieben, ist jedenfalls kaum wahrscheinlich. Selbst wenn es gelänge, dass das Publikum seine eigene Anwesenheit vorübergehend vergäße28, stünde es nicht zu erwarten. Szenifikationen der geschilderten Art schließen, insbesondere was die Sache betrifft, um die es sich dreht, offensichtlich nicht nur an eine eventuell vorhandene aktuelle Szenografie an, sondern – mit Diderots Worten – an das bestbekannte ideale Modell. Dieses Modell ist nicht identisch mit einem manifesten szenografischen Artefakt aus scenografia, istoria, disegno, auch wenn ›die Szenografie diesen Modellcharakter vielleicht gerne für sich in Anspruch nehmen würde. Doch ist das ideale Modell nicht deshalb, weil es nicht unmittelbar adressiert werden kann, lediglich eine ferne Idee, ein theoretisches Konstrukt, wie wenn der Diskurs, dem die Szenografie entstammt, gleichsam als Produktionsbedingung einer jeden einzelnen Szenifikation als Modellierungsumstand stets mitgedacht werden müsste. Viel eher handelt es sich um das erfahrungsgesättigte Wissen der an der Szenifikation Beteiligten um die eigenen und die kollektiven Bilder vergangener Szenifikationen oder von zu Szenen Vermitteltem, auch und nicht zuletzt in den Kontinuitäten des Sinns. Auf die beteiligten Individuen bezogen, sind es Szenen der Vorstellung und Erfahrung unterschiedlicher Herkunft, formeller wie inhaltlicher Natur. Doch wenn eine Situation der Szenifikation unterworfen wird im Augenblick des Zusammenschlusses aller Agenzien, die sich für die Szenifikation entscheiden (was, wie gesagt, nicht mit Zustimmung verwechselt werden darf), wird sich die Heterogenität der Herkünfte einem gemeinsamen Interesse an der Szenifikation assimilieren. Denn dies ist das Kriterium dafür, in die Szene zu gelangen und zu ihr zu gehören. Im Artefakt scheint dies offensichtlich zu sein, in der Handlungsperformanz nicht unbedingt. Doch unter der szenischen Beschreibung wird deutlich, dass dies auch im Werk oder Artefakt keineswegs so offensichtlich ist, wie es scheint. Wie anhand des Velázquez-Gemäldes beispielhaft ersichtlich, ist die Szene eines Gemäldes keineswegs mit dem sichtbaren Raum der Malfläche identisch.29 Entsprechend dehnt sich der szenische Raum nach eigenem Gesetz auch in allen anderen Konfigurationen von Hervorgebrachtem. Es erhellt, dass aus diesem Umstand gerade dann ein Korrektiv gegenüber Szenifikation oder Inszenierung erwachsen kann, wenn es sich nicht um Bühnen von Kunst und Spiel und die Offensichtlichkeit ihrer Einrichtung handelt. Wo der Blick auf das Unsichtbare erlaubt ist, um vom Erleben zu pausieren und sich der Fabrikation des Sinns genauer zuzuwenden – wenn auch auf eigene Initiative und eigene Kosten –, wird es zu den kulturellen Praktiken gehören, ihn auch zu wagen. Wo pure Sichtbarkeit darüber hinwegtäuscht, dass es überhaupt szenisch relevant Unsichtbares zu entdecken gäbe, liegen die Dinge anders. Warum sollte der gewöhnliche Medienauftritt im Infotainment-Format seine Konsumenten dazu nötigen, nach den unsichtbaren Elementen der ›Szene‹ zu fahnden? 4
› ehrbare
dinge, freier menschen würdig ‹ (rousseau)
Weiterreichende politische oder ›staatsbürgerliche‹ Implikationen der Übertragung des Bühnenmodells auf die Gesellschaft deuten sich in Diderots Paradoxe nur an,
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werden nicht weiter ausgeführt. Die Realität der Bühne stimmt damit zweifellos nicht überein, auch was die Fragen der Öffnung des Theaters oder überhaupt seiner zeitgenössisch institutionalisierten Form betrifft. ›Voluntaristische Kulturpolitik‹
Wie Rousseau ist Diderot eher der Überzeugung, dass von solchen Operationen ohnehin nicht viel zu erwarten sei für die Befreiung der Bühne. Rousseau sieht die Entwicklung, ähnlich wie andere Zeitgenossen – auch Diderot, später dann Kant oder Hölderlin – als sich am Ende selbst überbietend, auflösend und damit heilend. »Die gleichen Ursachen, welche die Völker verdorben haben, vermögen manchmal einer noch weiteren Verderbnis vorzugreifen; [...] so braucht man auch die Künste und Wissenschaften, nachdem sie einmal das Laster ausgebrütet haben, um zu verhindern, daß Verbrechen aus ihnen werden; sie bedecken sie zumindest mit einem Firnis, der das Gift nicht frei ausdünsten lässt. [...] Meiner Ansicht nach soll man deshalb Akademien, Hochschulen, Universitäten, Bibliotheken, Theater und all die anderen Vergnügungen, die der Schlechtigkeit der Menschen eine Ablenkung verschaffen, bestehen lassen und sogar unterstützen.«30
Auf diesen Prozess ist die Rede von der »großen Revolution« gemünzt. Nur ist diese Revolution ähnlich zu fürchten wie die Übel selbst. Doch obwohl »zu fürchten wie das Übel, das sie heilen könnte«, würde die Revolution die »ursprüngliche Gleichheit« wiederherstellen – »zu ersehnen tadelnswert [...] vorauszusehen unmöglich«.31 In Zeiten der größten Gefahr werden sich Natur, Geschichte und Volk selbst zu helfen wissen. Dessen gewiss, argumentiert Rousseau hinsichtlich der Werte und der Berechtigung des Theaters und der Schauspielkunst in derselben Richtung. Bei fortgeschrittenem Sittenverfall ist das Theater der Städte à la longue dennoch nützlich für die Moral, schafft es doch Unterbrechung des Alltags und gibt Gelegenheit nicht nur zu Entspannung, sondern auch zu Nachdenken und praktischer Schlussfolgerung. »Augenscheinlich bedient sich Rousseau hier einer voluntaristischen und ›dirigistischen‹ Vorstellung von dem, was wir heute Kulturpolitik nennen würden.«32 Die Konsequenzen beleuchtet die Einlassung Diderots aus Autorsicht. »Ich sehe nur ein Heilmittel gegen soviel Unzuträglichkeiten: um uns der Stücke unseres Theaters zu bemächtigen, schreiben wir sie selber und haben Autoren, ehe wir Schauspieler haben.« Das Programm des modèle idéal lässt sich mit den existierenden Schauspielern offenbar gar nicht realisieren. Der Schauspieler nämlich muss zuerst dem Werk und seiner Botschaft verpflichtet sein, dann erst seiner Kunst als Mime. »Denn es wäre nicht gut, uns Nachahmungen aller Art zu zeigen, sondern nur von ehrbaren Dingen, die freier Menschen würdig sind.« Das gilt in Genf gleichermaßen für Arm und Reich. Das moderne Theater, an dem nur teilnehmen kann, wer die Mittel besitzt, sich sonst ruiniert, wird deshalb nur »überall die Ungleichheit der Vermögen [...] begünstigen und verstärken«. In Paris, in den Städten oder im großen Maßstab wird dies weniger auffallen. Die Unterhaltungskultur ist ohnehin so weit fortgeschritten, dass sittliche Erwägungen wenig Platz darin haben. In kleineren, überschaubaren Gemeinschaften, in Genf zum Beispiel, liegen die Dinge anders. Zwar zeichnen sich hier auch die Vorteile der Ungleichheit deutlicher ab. Doch, auch dies eingeräumt, muss es »seine Grenzen haben [...], besonders in einer kleinen Stadt und besonders in einer Republik.« Es ist eine Frage des Gleichgewichts, das sich so oder so aber herstellen wird, bewusst disponiert oder zwangsläufig und naturgemäß. »In einer Demokratie [...] wo die Untertanen und der Souverän dieselben Menschen sind, nur in verschiedenen
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Verhältnissen betrachtet, muß der Staat untergehen oder die Form ändern, sobald die kleinere Zahl die größere an Reichtum übersteigt.«33 Die Konsequenzen für die Künste liegen nahe. Das Theater der Reichen ist weder aufgrund seines Repertoires noch aufgrund seiner ästhetischen Darbietungsformen geeignet, zum Vorbild einer Bühne für alle zu dienen. Die Revolutionäre, die vierzig Jahre später ernst mit Rousseau machen, werden sich daran erinnern. Zumindest öffentlich feiert sich die volontée générale nicht im höfischen Theater. So schon Rousseau: Mittun aller ist Verpflichtung, die gesamte Bevölkerung muss beteiligt werden. Schauspiele sollen sich zu Volksfesten unter freiem Himmel ausdehnen; im Winter sollte der Tanz zumindest in großen Ballsälen stattfinden. Übel werden bei der Wurzel gefasst, indem sie verallgemeinert, auf alle ausgedehnt und verteilt werden. Gewöhnlich ist dies ohnehin der Lauf der Dinge. Die Thermodynamik kann sich nur wohltuend auf das Gleichgewicht der ästhetischen Gestaltung und Form auswirken. Die geschilderten Konstitutionsfeste der 1790er Jahre veranschaulichen, wovon Rousseau spricht, obwohl die offiziellen Revolutionsfeiern nicht wirklich die Verankerung in der Bevölkerung hatten, die von den Initiatoren behauptet wurde: »Jeder ist Schauspieler und Zuschauer.« Für Rousseau aber ist das Fest noch »die zur Schaustellung gewordene Version jener von der Gesamtheit der Vertragsschließenden im Gesellschaftsvertrag vollzogenen Geste der freiwilligen Entäußerung: Gehorsam und Unterwerfung, die partiell von Übel sind, werden zur Grundlage der Legitimität.«34 Die Frage der Täuschung im Theater ist mithin eine Frage der Gleichschaltung der Bewusstseine. Dass dieser Dimension bei der Bewirtschaftung der Bevölkerung35 für die Inszenierungskultur der Gegenwart entscheidende Bedeutung zuzumessen ist, kann nur unterstrichen werden. Der »Schein [wird] zur Wohltat, wenn er von der umfassenden Gegenseitigkeit der Blicke begleitet wird.«36 Vergleichbares gilt für den Egoismus. »Dehnen wir die Eigenliebe auf die anderen Wesen aus und wir verwandeln sie in eine Tugend, und es gibt kein Menschenherz, worin diese Tugend nicht ihre Wurzeln hätte.« Das gilt selbst, ja besonders für die Vergnügungen: »Wollt ihr an euren Vergnügungen keinen Verdruß haben, so nehmt ihnen die Exklusivität. Je mehr ihr sie mit anderen teilt, desto mehr genießt ihr sie«.37 Nur die äußersten Übel, meint Rousseau, machten auch tatsächlich »gewaltsame Heilmittel« notwendig. Aber auch die müsse man »um jeden Preis zu heilen versuchen«. Der Krise die gewaltsame Lösung zu vereiteln, bedeutet deshalb, ihre Konzentration zu verhindern durch eine Dehnung von Raum und Zeit, um den latent konfligierenden Elementen mehr Platz und Abstand voneinander zu verschaffen. Qualitativ entspricht dem die Freiheit, sich selbst ohne Einschränkung bewegen zu können und damit auch die Befriedung des Eigensinns zu befördern. Nichts besser ist dazu geeignet als die Kunst, wobei es, allerdings, der gekonnten Handhabung passender Künste bedarf. Wird die Zuspitzung der Krise durch stetige Zivilisierung, die hier offenbar, zielgenauer, als eine ambivalente Kultur den Frieden befördert, nicht verhindert, ist »[j]eder freie Staat [...] in höchster Gefahr.«38 ›Die Lanze des Achill‹. Heilen mit ›Ähnlichem‹
Die Figur, die Rousseau bemüht, ist eine der Zeit vertraute, noch in der Revolution gern benutzte Denkfigur, die auf den griechischen Mythos zurückgeht und von den römischen wie den Dichtern der Renaissance wiedererzählt wird. Geschichte wie Figur sind bekannt unter dem Namen Die Lanze des Achill. Der Titel gibt zu verstehen, dass der Bearbeitung durch Aischylos und Euripides die homerische Dichtung der Ilias zugrunde liegt. Dennoch ist es auch die große Erzählung über die Selbstheilungskräfte der Natur bei heftiger Gefahr für Leib und Seele eines Einzelnen oder der
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Stadt, die hier erzählt wird. Es ist wie mit hohem Fieber bei heftiger Krankheit. Dem Tode nah, ist es dem Kranken doch Zeichen einer Krisis, Zeichen einer Chance auf Heilung. Wer sich der Gefahr bewusst ist, wird zur Abwehr nur solche Strategien ins Kalkül ziehen, die geeignet sind, die Kräfte der Natur zu unterstützen, sei es durch Vorbeugung, sei es durch Wiederherstellung eines naturgemäßen Gleichgewichts. Starobinski hat die Quellen bei Ovid, Horaz und Properz zusammengestellt.39 Auch weist er die Bekanntschaft der Revolutionspresse mit der ›Lanze des Achill‹ nach, etwa bei Camille Desmoulins Vieux Cordelier: »Das große Heilmittel für die Dreistigkeit der Presse ist die Freiheit der Presse«, schreibt der Cordelier 1793, »das ist die Lanze des Achill, die die Wunden heilt, die sie schlägt«. Eine Wahrheit, die bald schon, zu Zeiten der Neuordnung Europas 1815, heftig in Frage gestellt wird. Benjamin Constant besteht darauf, dass die Gewalt nicht sei wie die Lanze des Achill, »sie heilt nicht die Übel, die sie bewirkt hat.«40 Zeitgenössisch konnte man sich davon überzeugen, hätte dies allerdings 60 Jahre zuvor auch gekonnt. Offenbar gehört zur Überzeugung der nahen Rettung in höchster Gefahr, wie Kant und Hölderlin bezeugen werden, die Bereitschaft, trotz aller Evidenzen für das Gegenteil an der Hoffnung festzuhalten, zumindest für die Gattung. Ausgerechnet aus dem Rost seiner Lanze sollte Achill dem Herrn über Mysien, Telephos, den er beim Überfall auf sein Land, dass die Griechen bei ihrer Expedition vorschnell für Troja hielten, mit dem Speer verletzt hatte, ein Pflaster machen, woran der Sohn des Herakles dann tatsächlich von der Wunde genas. Man ahnt, wie immer bei den Alten hatte ein Gott die Hand im Spiel. Trotzdem entband dies nicht, auf menschliche Weise vorzusorgen. Gerade darauf hatte das Orakel bestanden. Achill hätte von Agamemnon zur heilenden Tat gezwungen werden müssen, denn man braucht den Telephos, um Troja zu finden. Ihn bringt das Orakel in Aulis wieder ins Spiel. Um die Heilung durch die Lanze zu erreichen, nimmt Telephos den Sohn des Agamemnon als Geisel. So jedenfalls bei Homer. Andere Quellen erzählen, es sei Klytemenestra gewesen, die man entführt habe, und nicht Orest. Odysseus, nicht Achill sorgt schließlich dafür, dass dem Orakel Genüge getan wird, will man doch Troja vernichten. Doch schien die Behandlung vielleicht nicht allein deshalb geboten. Vielleicht stimmt es, dass Achill als Krieger nur die Gewalt und kein Mitleid kannte. Als Mann des Krieges indes wird er gewusst haben, dass die angeordnete Prozedur ohne göttlichen Beistand tödlich enden musste. Tatsächlich handelt es sich offensichtlich um eine Geschichte des Pharmakons, der Heilung des Ähnlichen durch Ähnliches, wie wir ihr in der Naturgeschichte des 16. und 17. Jahrhunderts begegnen. Denn Rost an der Lanze zeigt an, dass die Waffe selbst vom Übel befallen ist. Darum ist sie in der Lage, Übles mit Üblem, Gleiches mit Gleichem zu behandeln, getreu den Gesetzen des Hippokrates. »Similia similibus curentur«, übersetzt Hahnemann die isopathia für seine Homöopathie. ›Dass die Musik zum Herzen finde‹
Was die Vergesellschaftung betrifft, ist das Paradigma der Hybridkunst Theater immer geeignet, das schönste Beispiel zu geben, wenn denn die Szenen der Bühne schon der Form nach dem Leben nahe sind, wenn »Handelnde handeln«, wie Aristoteles sagt und so wie es die Zuschauer aus eigener Erfahrung kennen. Hier ist der Tausch leicht herbeizuführen, vorausgesetzt die Ernsthaftigkeit des Schauspielers bewegt auch den Zuschauer. Diderot macht deutlich, dass nicht das Leben schlechthin zum Vorbild taugt, sondern nur das bedachte Leben, wie es das Studium des Bühnenkünstlers mit
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sich bringen sollte. Doch gilt dies nicht weniger für alle anderen Künste. Auch hier sehen wir Rousseau an der Seite Diderots. Ebenfalls ist für beide ausgemacht, dass die Erweiterung der Exklusivität die künstlerische Spezialisierung und Verfeinerung in Frage stellt und nach dem Herkommen der Künste dort fragen lässt, wo sie noch als ›Jedermanns-Kunst‹ in Umlauf sind. Ihr nachzugehen, lässt kaum auf das organisierte Theater stoßen, sondern eher auf in der Gemeinschaft verbreiteten Kult, auf ›Messe‹ statt Performance. Hier geht das gemeinsame, den Frieden bestärkende oder stiftende Spiel als Fest und Feier vonstatten mit Tanz, Musik und Gesang, gesungenem Wort. Rousseau findet dieses Spiel in der Abhandlung über die Ungleichheit, auf die sich Kants Pragmatik bezieht, im fiktiven Naturzustand. Zwar zeigt die Vergesellschaftung schon früh auch im Fest die Gefahr der Eitelkeiten persönlicher Performance, der Leidenschaften und des Egoismus.41 Doch für sich gesehen, betrachtet aus der Perspektive der natürlichen Verhältnisse, die sich am Ende so oder so durchsetzen werden, lässt sich die Gemäßheit solchen Austauschs als menschengerechter Umgang davon nicht anfechten.42 Der Vorteil der Fiktion ist, dass der Zustand sozusagen als ›prä-harmonisch‹ vorgestellt werden kann. Harmonie sieht Rousseau eher dispositiv veranlasst, ein Problem, mit dem sich Hegel noch intensiv beschäftigen sollte. Schon die »Sprachen haben nichts von Methode und Überlegung; sie sind lebendig und bildhaft. Man möchte uns die Sprache der ersten Menschen als eine Sprache von Mathematikern hinstellen, wir aber sehen, dass es eine Sprache von Dichtern war.«43 Mithin: die Sprache war Gesang und gehörte zum Fest. »Hier ist die Verschmelzung wiedergefunden, die das primitive Fest, den Tausch der Blicke, die Aufwallung der Liebe verwirklichen, wobei Vergnügen und Begierde sich in einer unschuldigen Schwebe frei entfalteten. [...] Dazu musste die Arbeit der Kunst hinzukommen«, kommentiert Starobinski.44 Nietzsche kann den »einfachen Melodien« des Volkes aus Rousseaus ›Bekenntnissen‹ viel abgewinnen für seine Vorstellungen ursprünglicher ›Volksmusik‹. Kant aber zeigt die Doppelbödigkeit der Zuneigung in solcher Gemeinschaft der Ergriffenheit auf, angefangen bei dem Geschlechterverhältnis. Was den wahren Gang menschlicher Entwicklung angeht, ist Rousseau nicht so naiv, an die Kraft der Kunst zu glauben, wie er sie darstellt, von Natur gegeben, von menschlichem Zutun nicht verschandelt. Hat die Vergesellschaftung »ihre letzte Form angenommen«, worin »der Tausch [...] nur noch mit Kanonen [geschieht] und mit Talern«, und hat »man dem Volk nicht mehr zu sagen [...] als gebt Geld«, ist es vorbei auch mit Melodie und Gesang. Es fand sich »schließlich die Musik auf einem rein physischen Feld des Zusammentreffens von Vibrationen beschränkt, der sittlichen Wirkungen beraubt, die sie hervorgebracht hatte, als sie auf doppelte Weise die Stimme der Natur war«, durch Sprache und Gesang.45 Das geht das Theater an. In der Oper versucht es Ersatz zu schaffen für die ursprüngliche Einheit. Eine ähnliche Beurteilung finden wir bei Nietzsche in seiner nach Wagner´schem Vorbild gehaltenen Kritik der überkommenen Oper.46 Eigentlich, schreibt Rousseau, sollte die Oper Dichtung, Musik und Malerei (Bühnenkunst) miteinander versöhnen, doch sind die Kompositionen gekünstelt. Was wäre zu wünschen? Dass die Musik allein den Weg zum Herzen finden könnte. Die Überfüllung der Inszenierung mit Effekten, Balletten und Zwischenspielen, die Überfüllung mit »Festen«, das alles bringt nur »Sprünge ohne Verbindung« und »Tänze ohne Gegenstand«.47
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› etwas
zu machen verstehen ‹: kants kunstbegriff, goethe & schiller über dilettantismus
Es ist eine Botschaft der Kant´schen Pragmatik, in der Perspektive szenischer Praktiken als einen ›Künstler‹ zu betrachten, wer versteht, in angemessener Weise Mittel und Zweck eines Projekts zu meistern, sei es aus der Nähe der ausgeübten Kunst selbst, sei es noch – oder schon – aus der Ferne eines vorausliegenden Entwurfs- oder Produktionsprozesses, auch wenn die »Kunst« als solche zu bezeichnen akzeptierter erschiene als den Praktiker in diesem weiten Umfeld als »Künstler«. Auch für Kant ist der Inbegriff künstlerischer Kompetenz das Genie. Indes stellt dies eher klar, dass eine Kunst auszuüben nicht Einzigartigkeit fordert, sondern sich daran zu orientieren.48 ›Genie‹
»Genie« impliziert für Kant »Originalität des Erkenntnisvermögens«, insbesondere der Einbildungskraft und somit ausdrücklich bezogen auf das schöpferisch gestaltende Tun. Insofern beinhaltet »Genie« auch »das Talent zum Erfinden«. Etwas zu wissen und dies in die Tat umzusetzen verstehen treten zusammen. Weil vergangene und vorbildliche Herstellungsprozesse immer wieder verlangen, selbstangeeignet und transformiert zu werden und nicht ein für allemal auf sich beruhen können, will die Darstellung der künstlerischen poiesis, ähnlich wie bei Diderot, darauf verzichten, sich als »Nachahmung«, als mimesis aufzufassen. Vielmehr, so Kant, schaffe sie »ursprünglich«. Die gewöhnliche Probe aufs Exempel demonstriere zumindest, dass die Leistung »musterhaft« sei. Das wiederum bedeutet, dass sie es »verdien[e,] als Beispiel [...] nachgeahmt [zu] werden.« – Der Schluss ist, dass das Genie eines Menschen »›die musterhafte Originalität seines Talents‹ (in Ansehung dieser oder jener Art von Kunstproducten)« ist.49 Schöpferische Einbildungskraft ist fraglos ein Talent, das auch der Inszenierung zugute kommen wird, auf der Seite des Entwurfs nicht weniger als auf der Seite des Spiels. Die kreative Einbildungskraft ist es, die »weniger als andere Vermögen unter dem Zwang der Regeln steht, dadurch aber der Originalität desto fähiger ist.« Originalität wiederum heißt nicht, dass der Willkür des Genies gehuldigt werden dürfte. Hier resultierte bestenfalls »originale Tollheit«. Aber »jede Kunst bedarf [...] gewisser mechanischer Grundregeln, nämlich der Angemessenheit des Products zur unterlegten Idee, d.i. Wahrheit in der Darstellung des Gegenstandes, der gedacht wird.« Das wiederum muss »mit Schulstrenge gelernt« werden, kann mithin ohne Nachahmung nicht auskommen. Insofern ein praktisch gestalterisches Unternehmen mit Genie zu planen und zu realisieren50 heißt, ihm Leben einzuhauchen, übersetzt Kant das französische génie mit dem deutschen Ausdruck »Geist«. Wiewohl »Geist« das »belebende Princip im Menschen« ist, umgibt seine Bedeutung eine eigentümlich mystische Aura, zumindest was die Selbstbeobachtung des originalen Talents angeht. Es lässt sich nicht begreiflich machen oder etwa darstellen, wie es sich ausbilden konnte, wie es »zu einer Kunst« hat kommen können, ohne sie zu erlernen. Die Belebung erfolgt eher durch Eingebung als auf der Bahn ersichtlicher Ursache-WirkungsVerhältnisse. Die notwendige Kompetenz, dem zu entsprechen, ist ästhetischer Natur: »Die Gemütskräfte [...] müssen hierbei vermittelst der Einbildungskraft harmonisch bewegt werden, weil sie sonst nicht beleben, sondern sich einander stören würden, und das muss durch die Natur des Subjects geschehen; weshalb man Ge-
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nie auch das Talent nennen kann‚ durch welches die Natur der Kunst die Regel giebt.«
Die Frage der Begabung von Natur oder durch Schule und Enthusiasmus ist für die Beurteilung des Künstlers und des Werks so wichtig wie für die künstlerischen Fähigkeiten außerhalb der schönen Künste, wie sie in den Inszenierungspraktiken exekutiver und expositiver Art Gestalt annehmen. Goethe setzt sich mit der Unterscheidung anhand des Künstlers aus Liebhaberschaft und Zuneigung zur Kunst auseinander. Der Liebhaber ist ein ›Künstler‹, der gerade deshalb von Interesse ist für die Inszenierung, weil er gewöhnlich auf die Seite des Publikums geschlagen wird. Ist er aber selbst als Künstler identifiziert, vermag er offensichtlich eine Vermittlerposition einzunehmen, deren Janusgestalt im Inszenierungsgeschäft äußerst vorteilhaft sein könnte. Die Rede ist vom »Dilettanten«. Die Konnotationen des Begriffs haben sich indes seit der Goethezeit gewandelt. Die Bezeichnung dahingestellt, handelt es sich bei diesem Kunstbeflissenen aus Neigung, wie auch immer wir ihn heute benennen mögen, um jemanden, dessen Mittlerstellung nicht auf diskursiver oder theoretischer Vermittlung beruht, sondern der sich als selbst tätig und ›kreativ‹ versteht. Der Blick auf den Dilettantismus erhellt einige kunsttheoretisch aufschlussreiche Aspekte aus dem Alltag des Kunstbetriebs, an die wir im vierten Teil der Arbeit anknüpfen werden. Im Rahmen einer an den Praktiken interessierten Betrachtung ästhetisch schöpferischer Organisation zwischenmenschlicher Beziehungen findet sich hier Anschauungsmaterial, das die pragmatischen Erörterungen Kants, auch die Hegels, die wir herausarbeiten, zu ergänzen vermögen. Zugleich finden Realismus oder Idealismus der philosophischen Ästhetik in dieser Praxis ihren Spiegel. Eine der wichtigsten Fragen, die sich für die Ordnung der Inszenierung stellt, ist schließlich, ob und wie Kunst und Publikum, Inszenierung und Rezipientenszenifikation zusammenkommen, das Publikum womöglich zum Künstler wird, der Künstler zum Bürger. Das in diesem Zusammenhang der Blick auf den Dilettanten fällt, hat somit zu tun mit den Arrondierungen der Kunst im gesellschaftlichen Feld. Hans-Rudolf Vaget begründet das Auftauchen des Dilettanten als Reaktion auf einen Autonomieanspruch der Kunst.51 Das Erscheinen des Dilettanten im Fin des siècle steht freilich unter anderen Vorzeichen als hundert Jahre zuvor. Wir werfen einen Blick auf Goethes und Schillers Bemerkungen zur Sache am Beispiel der Mediengestalt des »Dilettanten«. Die Notizen stammen aus der Zeit zwischen 1799 und 1817.
Über die Liebe zur Kunst & ihre Liebhaber Für Goethe und Schiller ist ausgemacht, dass, was »Kunst« bedeutet, nur aus einer glücklichen Verbindung der Welten des Schaffens und des Genusses bestehen kann, freilich, was die echte Kunst betrifft, unter idealisierten Bedingungen. »Alle Künste fangen mit dem Notwendigen an«; doch Notwendiges anzueignen bedeutet notgedrungen52, ihm auch eine angenehme Seite abzugewinnen und ihr Gestalt zu geben. Dem dient das »natürliche Gefühl des Gehörigen und [darum – HW] Schicklichen«, »nahe mit dem Gefühl des Notwendigen [und darum – HW] Tunlichen verknüpft«, mit Gefühlen, die eine jede Kunst erst entstehen lassen und doch auch dem Meister nicht abgehen dürfen. Sie sind »die Base von jeder Kunst«.53 Die kreative Werktätigkeit der Künste wird ausdrücklich nicht, zumindest nicht eindimensional unter dem Begriff der Arbeit geführt, schon gar nicht gilt sie als Lohnarbeit. Trotzdem sehen wir in Goethe, mehr noch als in Schiller einen Zeitgenossen der Befreiung der Arbeit: Mitte des Jahrhunderts hat sie auch die Künste erreicht und findet in Goethe
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einen aufmerksamen Beobachter. Die Gefahr für die Künste und ihr nahendes ›Ende‹, wenn der industrielle Produktionsprozess den Takt für das künstlerische Schaffen übernähme, war (um 1800) schon bald nicht mehr zu übersehen. Die Biografien der Künstler der Zeit belegen es. Für den echten Künstler gilt ein allzu libidinöses Verhältnis zum eigenen Schaffen als zwielichtig. Egoistische Zwecksetzungen verbieten sich dem von Natur Begnadeten, durch Studium Gereiften, der für seine Kunst gleichsam nur Instrument ist, auf dem die Kunst zu spielen gedenkt. Die Kunst folgt ihren eigenen Zwecken, so Goethe in Übereinstimmung mit den Geistern der Zeit, der Künstler ist Medium für die Kunst auf ihrem Weg zu denen, für die sie gemacht ist. Die Verbindung zwischen Künstler und Kunst ist eine Verbindung auf Spannung, die jederzeit zu zerreißen droht. Den problematischen, seinen Neigungen und Empfindungen im Zweifelsfall zu sehr zugetanen Künstler präsentieren Goethe und Schiller in der eher feudalen Figur des »Dilettante«, wie man ihn kennt als Herr über große Sammlungen, die er aufgrund seines Vermögens zusammentragen konnte. Er ist weder ganz Repräsentant des Publikums noch ganz Vertreter wahrer Künstlerschaft. Doch fühlt sich der dilettante vom Genuss zur Produktion hingezogen. Er ist ein »Liebhaber der Künste, der nicht allein betrachten und genießen, sondern auch an ihrer Ausübung teilnehmen will.«54 Dabei hat er ein starkes Bedürfnis, Regie zu führen, er besitzt einen Hang zur Disposition, zur Szenografie. Denn zur Ausübung, die er anstrebt, gehört, dass er »anordnen« möchte. Da grundsätzlich ohne Talent von Natur, zeichnet es den Dilettanten aus, dass er sich zu dieser wie jener Kunst hingezogen fühlt, deshalb überall nur »Nachahmer« sein kann. Als solcher ist er bestimmt von seinen Leidenschaften. Dass sie aufs Spiel versessen machen, entschärft die Triebhaftigkeit. Die Kunst ist dem Dilettanten nur »Kinderzweck, [b]loßes Spiel«. Die Entschärfung des dilettantischen Begehrens begründet sich in der scheinbaren Irrelevanz des für Goethe indes ernst zu nehmenden Tuns nachahmender Kunst. Sie als in Wahrheit für ohne wirkliche Bedeutung zu erachten konnte sich nur eine geschlossene Welt der Kunst und der Kunstkritik leisten, jedenfalls zu Zeiten noch vor der technischen Reproduzierbarkeit des Kunstwerks. Zu dieser Welt gehörig zählt sich Goethe nicht. Er sieht im Dilettanten die Zukunft, wenn nicht das Ende der Kunst im Hegel´schen Verständnis. Relevanz und Beurteilung sind indes zwei verschiedene Dinge. Und die Beurteilung ist unmissverständlich, auch wenn es nicht die Leidenschaft des Liebhabers ist, die Kritik herausfordert. Aber der Trieb des Dilettanten führt ihn überall hin, wo er seine Leidenschaften befriedigt sieht. Entsprechend entzündet sich sein Schaffensdrang. Solch wenig gebündelte Kraft aber »deutet gar nicht auf angeborenes Genie.« »Der Dilettantism wird abgeleitet. Der Künstler wird geboren.«55 Die Bestimmungen des dilettante werden von Goethe nicht gänzlich verworfen, sofern die tätige Sinnlichkeit als Wert nicht einseitig einer Produktästhetik des Werkes geopfert werden kann.56 Doch scheint dies zu drohen. Die Blockade zwischen Kunst und Wissenschaft verträgt es nicht, das eine als das andere zu verstehen, sondern nur wie das andere – Kunst wie Wissenschaft, oder in Goethes Worten, die »Ausübung der Kunst nach Wissenschaft« und folglich auch die »Annahme einer objektiven Kunst«. Deshalb aber trägt die Blockade verständlicherweise zu dieser Verschiebung bei.57 Goethe unterstützt diese Tendenz, gewissermaßen gegen besseres Wissen. Denn er artikuliert durchaus ein Verständnis für die Dialektik der Aufklärung. Hat das 18. Jahrhundert auch »in dem Intellektuellen manches aufgeklärt«, so war es doch
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»am wenigsten geschickt [...], reine Sinnlichkeit mit Intellektualität zu verbinden, wodurch ganz allein das wahre Kunstwerk hervorgebracht wird.«58 Das Talent von Natur vorausgesetzt, führt der nächste Schritt über das »Studium« nicht zur gefeierten Künstlerpersönlichkeit, sondern zu »Beruf und Profession«. Deren Ausgestaltung indes unterliegt nicht den Gesetzen der Kunst. Daran wird auch die Romantik nichts ändern können. Obwohl in allen Künsten Objektives und Subjektives zusammen existieren, liegt der Wert des Dilettantismus nur im Subjektiven, opponiert so gegen die Objektivität der Kunst, sodass, »je nachdem, das eine oder das andere darin [in der Kunst – HW] die hervorstehende Seite ist, [...] der Dilettantism Wert oder Unwert [hat].« Am ehesten kann sich die Leidenschaft des Dilettanten deshalb dort in den Künsten positiv ausleben, wo das Subjektive »für sich allein schon viel bedeutet«. Hier vermag sich der Liebhaber dem Künstler zu »nähern«. Beispiele finden sich vor allem in den eher ausführenden Künsten, bei denen sich die Grenze zwischen schaffenden und genießenden Akteuren oft kaum mehr erkennen lässt: »schöne Sprachen, lyrische Poesie, Musik, Tanz«. Gegenüber stehen ihnen die durchs Werk deutlicher verobjektivierten Künste, »Architektur, Zeichenkunst, epische[.] und dramatische[.] Dichtung«.59 ›Vorschläge, Künstlern Arbeit zu verschaffen‹ (Goethe)
Goethe muss zugeben, dass sich die ganze Kontroverse zwischen Liebhaberschaft auf der einen, Künstler- und Kennerschaft auf der anderen Seite nicht zuletzt einer ökonomischen Krisenproblematik verdankt. Denn dass die Kunst nicht nur sich selbst Gesetze gibt, sondern auch der Zeit gebietet, wie Goethe mit Hegel grundsätzlich überzeugt ist, muss problematisch werden, wenn die Künstler nicht über die notwendige Souveränität verfügen, dies zu bewerkstelligen. Hegel artikuliert das Problem, wenn er den nicht existenten deutschen Nationalautor unterstellt. Gesellschaftliche Anerkennung und Achtung, die jemand damit schon erwerben kann, dass er »ausgebreiteten Lebensgenuss« demonstriert, sind der großen Zahl der zeitgenössischen Künstler fremd. Jedenfalls sind sich Maler oder Poet, Musiker oder Schauspieler des Applauses zu dem, was sie leisten, keinesfalls gewiss, und in der Regel sind sie arm, wenn auch nach Zugehörigkeit mehr oder weniger. Die Ärmsten sind die performer, deren Kunst und Beifall am Moment des Auftritts hängen. »Rhapsoden, Schauspieler, Musizi, Künstler [dieser Art – HW] leben außer einigen seltenen Fällen in einer Art von freiwilliger Armut.« Demgegenüber, behauptet Goethe, »leuchtete es zu allen Zeiten ein, dass der Zustand, in dem sich der bildende Künstler befindet, wünschenswert und beneidenswert sei.« Offenbar ist die Einschätzung mit Blick auf den grassierenden Dilettantismus nicht unproblematisch. Sein Aufkommen hängt schließlich gerade damit zusammen, dass die »verbreitete Hochachtung der Künste« mit den Umwälzungen der Epochenwende nicht nur eine »Vermischung mit der bürgerlichen Existenz« hinnehmen muss, sondern diese Vermischung von Kunst und bürgerlicher Existenz damit auch überhaupt »eine Art der Legitimation« oder eben eine neue Legitimation braucht, als eine neue Form des Künstlerdaseins auf gesellschaftliche Anerkennung hofft. Dass die Anerkennung von »Sicherheitsmaximen«, die sich gewöhnlich auf die materiale Existenzsicherung beziehen, ersatzweise »in die Moral« hinein verlegt werden könnte, scheint Goethe zweifelhaft, wie seine Anmerkungen zu Kunst und Handwerk60 andeuten. Hier nämlich beurteilt der Dichter, Schriftsteller und herzogliche Beamte die Verhältnisse durchaus realistisch. Kunst und Kunstwerk nach alter Art wie auch »das wahr erzeugte Kunstgefühl« werden vom »mechanischen Arbeiter« oder »mechanischen Künstler«, vom »verfeinerte[n] Handwerk und Fabrikwesen der
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Kunst« heftig bedroht, von ihren »mechanischen Operationen« um die Subsistenz gebracht. Hannah Arendts »kreative Werktätigkeit« schickt sich an, der Lohnarbeit zu weichen, zum Beispiel in der »große[n] Gemäldefabrik«. Dem Künstler wird diese Entwicklung, in der »das Ganze mit unaufhaltsamer Gewalt forteilt«, in Zukunft »manche Unterstützung und manche Gelegenheit sich emporzubringen, rauben«.61 Die Vorschläge, den Künstlern Arbeit zu verschaffen, deren Ausfertigung Goethe Jahre später nach der Neuordnung Europas in restaurativem Geist skizziert62, scheinen demgegenüber Hoffnungen zu setzen auf die retardierenden Momente noch dauernder oder wieder eingesetzter Fürsten- und Untertanenschaft. Ein Zeitgewinn. Aber selbst auf die Höfe scheint nicht mehr Verlass. Als Bürger zweier Welten sieht Goethe hier ein persönliches Interventionsfeld. Die Gliederungsskizze für seine Vorschläge sieht, was die Zukunft der Künstler betrifft, verschiedene einschlägige Kapitel vor: »Wer sie nehmen und bezahlen soll. Könige, Fürsten, Alleinherrscher. Wie viel schon von ihnen geschieht. Wie jedoch, wenn sie persönlich keine Neigung zu den Künsten haben, manches auf ein Menschenalter stocken kann. Die Neigung, das Bedürfnis ist daher weiter auszubreiten.« Es folgt die Auflistung möglicher Arbeitgeber. Darunter nicht nur Staatenlenker, sondern auch Privatpersonen und Militärs63, Kirchen, »Gemeinheiten«, Bibliotheken und verschiedene andere Adressen.64
Dichtkunst & Rhetorik – ›Verstandgeordnetes Sinnlichkeitsspiel, sinnlichkeitsbelebtes Verstandesgeschäft‹ (Kant) Goethes ökonomische Betrachtung lässt sich in den Rahmen einer allgemein pragmatischen Kunstauffassung einordnen. Wie die Darstellung des »Kunstgeschmacks« zeigt, ist sie anhand der Praktiken der Schönen Künste zu erhärten. Die Frage aber ist, woher die normativen Paradigmen stammen, aus der schon alleingestellten Kunst oder der Pragmatik schöpferisch gestaltenden Schaffens im weiteren Verständnis. Zunächst ist unzweifelhaft, dass auf dem Feld der exklusiven Künste nicht irgendwelche Beispiele angeführt werden, sondern die maßgebliche Formation erscheint. Doch ist sie auch in sich selbst gegründet? Klar ist, dass die auf innere Harmonie zielende ästhetische Formierung ein einheitliches regulatives Beurteilungsvermögen braucht. Zu vermuten ist deshalb, dass sich die Allgemeinheit der davon ausgehenden Urteilskraft nicht allein auf die Ästhetik der Schönen Künste einschränken lassen wird. Mithin muss der Prozess der schöpferischen Produktion entsprechend allgemein gelten, von der Idee über den Entwurf bis hin zur Projektierung von Gestaltung und Ausdruck. So stellt es Kant in der Deduction der ästhetischen Urtheile dar. Bringt der Geist die Ideen hervor, die in den Entwurf münden, sorgt die ästhetische Formkompetenz via Geschmack dafür, dass die Ideen, umgesetzt in Gestaltung, sich auf die »den Gesetzen der productiven Einbildungskraft angemessene Form [...] beschränken«, Maß halten. Erreicht wird dadurch, dass die Einbildungskraft aus sich heraus »ursprünglich« schafft, »bildet« und die Nachahmung in den Hintergrund gerät. Der Dilettant hätte allein das Problem übermäßiger Affektion, das ihn die vielen Beispiele, die sich ihm aufdrängen, nicht vergessen machen lassen. Ein dagegen durch Geist und Geschmack ursprünglich hervorgebrachtes Werk gilt zwar vorzüglich als eines der Schönen Kunst. Aber selbst so territorialisiert, erweist sich das Werk als Kunst von hohem Allgemeinheitsgrad. Deshalb ist diese Kunst in gebührender Relativierung auf viele Künste übertragbar. Als Kunst, die, wie beschrieben, zu ihrer Produktion erst findet, ist diese Kunst auch für Kant wesentlich gedichtet, deshalb paradigmatisch »Poesie« oder »Dichtkunst« – »sie mag Maler-, Garten-, Baukunst oder Ton- und Versmacherkunst (poetica in sensu strictu) sein«.65
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Kant erläutert die Verschiebung, die sich im Wechsel der künstlerisch gestalterischen Anwendung – und so auch im Wechsel der Inszenierungskünste – ergeben kann, im Vergleich von Dichtung und Rhetorik. Für ihn sind die jeweiligen Praktiken »nur der wechselseitigen Unterordnung des Verstandes und der Sinnlichkeit nach unterschieden.« Vergleichbar beurteilt Goethe die Dilettanten-Kunst in zwei Wertregistern. Gewisserweise handelt es sich um konkurrierende Vorstellungen von den Grenzen der Kunst. Beiden aber kann je nach Wertbezug der Status einer ›Kunst‹ zuerkannt werden. Bei den Schönen Künsten handelt es sich für Kant um »ein Spiel der Sinnlichkeit, durch den Verstand geordnet«. In der angewandten, hier beispielhaft der rhetorischen Kunst ist es »ein Geschäfte des Verstandes, durch Sinnlichkeit belebt«, »so daß [...] beide aber, der Redner sowohl als der Poet (im weiten Sinn)« – und mutatis mutandis – »Dichter sind und neue Gestalten (Zusammenstellungen des Sinnlichen) in ihrer Einbildungskraft hervorbringen.«66 Man kann sich vorstellen, wie schwierig es sein kann, im Zweifelsfall ohne verlässliche Indikatoren mit wenig Hintergrundwissen herauszufinden, ob man sich in Spiel oder Geschäft oder einer Gemengelage von beidem befindet. So mag verständlich sein, wenn die Theorie darauf so reagiert, dass sie der Rhetorik die Kunst abspricht. Immerhin dürfen wir die Unterscheidung in die Matrix der Inszenierungsstrategien einziehen. Auch hier zeigt sich, was alle Erfahrung bekräftigt: Ohne dass es ein verlässliches Anzeichen in der Erscheinung gäbe, kann die szenische Entfaltung des Gestaltungsprojekts zu Spiel oder Kalkulation tendieren, je nachdem ob, was zur Aufführung gelangt, verstandgeordnetes Sinnlichkeitsspiel oder sinnlichkeitsbelebtes Verstandesgeschäft wird. Da und soweit es sich um eine Differenz des Bedeutens unter einem Schein handelt, kann die Unterscheidung für Kant nicht konkreter ausfallen, als sie zu benennen. Es liegt nahe, anzunehmen, dass Kant hier einen Grund sieht, die Dichtkunst unter den Künsten auszuzeichnen. Im Rahmen der Schönen Künste vermag sie zu integrieren67, hinsichtlich der szenischen Präsenz kann sie sich sogar explizit als Bühnenkunst exponieren und das weit über die Poesie hinaus.68 Das Wichtigste aber ist ihr Vermögen, sich selbst nicht nur in Darstellung zu verwandeln, sondern sich als solche auch selbst zu verstehen. Dichtung besitzt Reflexionskompetenz und opponiert darin dem Schein. Die Forderung an den Dichter kommt dem nach. »Die Neuigkeit der Darstellung eines Begriffs ist eine Hauptforderung der schönen Kunst an den Dichter, wenn gleich der Begriff selbst auch nicht neu sein sollte.« – Hegel wird dieses Postulat detailliert entfalten. – Von hier aus, sofern es mit Hilfe der Dichtkunst etwas zu »entdecken« oder zu »erfinden«, »ausfindig [zu] machen« oder zu »ersinnen und aus[zu]denken« gibt, erreicht die sprachliche Darstellung leicht die Domänen von Wissenschaft und Technik. Auf ureigenstem Gebiet schließlich ist sie unterwegs im »Erdichten«. Hier endlich nun zeigen die unterschiedlichen Verwicklungen von Sinnlichkeitsspiel und Verstandesgeschäft, worauf die unterschiedlichen Strategien der Inszenierungspolitik zielen und worin die unterschiedlichen Zwecke zu fassen sind. Insofern die Inszenierung ›Erdichtung‹ ist, fördert ihre Reflexion stets das »Bewußtsein« zutage, »das Unwahre als wahr vorstellig zu machen wie in Romanen, wenn es nur zur Unterhaltung geschieht.« Doch klar ist auch: »Eine für wahr ausgegebene Erdichtung aber ist Lüge.«69 Das, allerdings, wäre zu beweisen – wenn denn geklärt werden könnte, was unter ›für wahr ausgegeben‹ zu verstehen ist –; ein Unterfangen indes, das allein als Spiel kaum vorstellbar ist. Wie Foucault sagt, geurteilt wird hier gar nicht, sofern zu urteilen an die Gewohnheiten in der Abfolge von Gewohnheiten und Gewohnheitsveränderungen anschließt und die Wahrheit sich in die Zeit erstreckt.
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Vorerst ist das Spiel offen. Die Dichtergabe ist Geschick für eine Schöne Kunst, »die zum Theil auf (obzwar süße, oft auch indirect heilsame) Täuschung ausgeht«, sodass es nicht fehlen kann, »daß von ihr nicht großer (oft genug nachtheiliger) Gebrauch im Leben gemacht werde.«
ii.2 pragmatismus der inszenierungskunst (kant) Man könnte die besonderen Leitvorstellungen der Handlungs- und Projektorientierung der Inszenierung als ihre Politik adressieren – oder auch als Politik der Szenografie. Die begriffliche Klarheit fordert, diese Verwendung von ›Politik‹ zu unterscheiden von der Bezeichnung bestimmter medialer Formate von Politik, die sich ebenfalls der Inszenierungskunst bedienen. Die Hypothese werden wir im folgenden Kapitel im Spiegel der Kant´schen Pragmatik auszuloten suchen, genauer gesagt, mit Blick auf Kants Anthropologie in pragmatischer Hinsicht aus dem Jahr 1798. Dies hat Vorteile von historischem wie systematischem Belang. Zumindest drei Gesichtspunkte rechtfertigen, den Text heranzuziehen: die pragmatische Orientierung, sodann die Exponierung der Künste als Praktiken der alltäglichen szenischen Gestaltung und Erzählung, schließlich die Darstellung dieses szenischen Geschehens in der Mitte der Gesellschaft als Spiel. Im Ergebnis werden wir, ähnlich wie zum Ende des ersten Kapitels, mit zwei relevanten und konkurrierenden Inszenierungsmodellen im Gepäck weitersehen können.
Kants ›Anthropologie‹: Quelle der modernen Inszenierungskonstellation avant la lettre Die zeitliche Distanz erlaubt auch hier, gewisse Evidenzen historischer Differenz als genealogisch ins Gewicht fallende Argumente bei der Beleuchtung der zu verhandelnden Begriffsgeschichte von »Inszenierung« zu nutzen. Doch bezieht sich dies auch auf Begriffe in der Nähe des Terms. Da ist das szenische Spiel selbst, da sind die Formate der Vergesellschaftung, in denen dieses Spiel in pragmatischer Betrachtung stattfindet. Die enge, rein kunst- oder theaterbezogene Verwendung des Inszenierungsbegriffs kann dem nicht gerecht werden. Zum einen, weil sie die »Künste« auf die »schönen« begrenzt, zum anderen, weil sie oft genug die Aufmerksamkeit auf die Szenografien lenkt, die Strategien, Konzepte und Entwürfe der Macher. »Inszenierung« verstünde sich hauptsächlich aus dieser Perspektive – Diderots Traktat illustriert die Beobachtungen aus dem Blickwinkel der ausführenden Künste wie deren mise en scène. Dies aber ist nicht die zentrale Perspektive der Kant´schen Pragmatik, selbst wenn er, wie in der Kritik der Urteilskraft, die Schönen Künste in Augenschein nimmt und in dieser Perspektive auch den Künstler, die Produzentenseite. Wichtiger erscheint, dass Kants Anthropologie Konzepte und Praktiken dessen aufzeigt, was im heutigen Sprachgebrauch unter »Inszenierung« (im weiten Sinne) zu verstehen ist. Das Wort stand dem Alten aus Königsberg nicht zur Verfügung, aber er gibt Auskunft über den Tatbestand avant la lettre, besonders im Umkreis des alltäglichen Lebens des Stadtmenschen. Die Macherperspektive hier ist die der politischen Szenografie, deren Formatierungen indes anders zuzuschneiden sind als die der Auftritte und Sprachspiele des Alltags.
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Für die Inszenierung im Raum des Politischen sind Ausdruck und Sache vorhanden am Ende des 18. Jahrhunderts. Doch was »Inszenierung« abseits der Schauspiele der feudalen und halbfeudalen Fest- und Repräsentationskultur in der Politik heißen könnte, insbesondere im heutigen Verständnis medialisierter Politikkultur, zeichnet sich gerade erst ab in den fortgeschrittensten Demokratien der Zeit. »Politik« ist ein geläufiger Begriff, wenn auch nicht bedeutungsstabil und mit anderen Konnotationen als in der Gegenwart. Voltaire schon verweist darauf, dass es eigentlich die Tugenden des Polisbürgers, die Tugenden des citoyen sein sollten, die rechtfertigten, jemanden als »Politiker« anzusprechen. Die allgemeine Auffassung aber ginge leider dahin, dass man es mit zwielichtigen Gestalten zu tun zu habe. So ist die Politikperspektive Kants in pragmatischer Hinsicht, anders als die Hegels, noch ganz dem 18. Jahrhundert verbunden. Zudem schaut er aus deutschen Landen auf Staat und Nation. Die Anthropologie wäre mithin nicht die erste Referenzadresse, sich diesbezüglich umzutun, denn immerhin äußert sich Kant zur Politik ja durchaus, wenn auch nicht in derselben Weise wie über Tischsitten und Nationalcharaktere. »Politik« als Begriff taucht in der Anthropologie kaum auf. Und wo der Ausdruck fällt, bedeutet er ganz zeitgenössisch »Staatsgewalt« oder »Staatskunst«, auch dies explizit nur am Rande ein Thema des ausgewählten Textes. Das heißt nicht, dass Kants anthropologisch pragmatischen Blick nichts Politisches interessiert hätte, politische Verhältnisse des Landes in der Schrift außen vor blieben. Doch wo sie Thema sind, geschieht es ›von unten‹ – was dem Interesse an kleinen Geschichten entgegenkommt. Die Großen Erzählungen finden wir hingegen an anderer Stelle beurteilt: in der Schrift über Aufklärung oder den Streit der Fakultäten. Pragmatisch treffen wir auf Politik, wo es um Gemeinschaftliches und Meinungsbekundung im überschaubaren Kreis zu tun ist, wo man sich »mit den Menschen, in den persönlichen Beziehungen, befaßt und mit den in den politischen Versammlungen vereinigten Menschen«.70 So ist Kant´sche Anthropologie in pragmatischer Hinsicht mit der Normalität des städtischen Lebens befasst, mit seiner »Kultur« und ihren Praktiken, obwohl auch dieser Begriff im Text kaum verwendet wird.71 Doch schauen wir aus den Verwicklungen der Kultur auf die Politik, die jene garantiert. Geht es um die Frage von Schein oder Sein in bürgerlicher Verfassung, finden sich die Beispiele selten auf der Seite des politischen Regiments und seiner Zeremonienmeister. Eher findet man sie bei denen, die von ihren Einfällen betroffen sind oder aber verschont bleiben. Obwohl dieser Bezugspunkt des Kulturellen, der ›Kulturpolitik‹, im Unterschied zum Streit der Fakultäten nicht aus dem Auge gerät, stammen die aufschlussreichen Beispiele für die Ambivalenzen des Anscheins aus den Gewöhnlichkeiten des alltäglichen szenischen Spiels, wie es an vielen Orten ausgetragen wird und wo, wer bestimmen will, was gespielt wird, mit dabei ist, wenn darüber entschieden wird. Der Einzelne wird hier nicht als Glied einer politischen Nation reklamiert, wohl aber durchaus als Charakter eines Volkes. Kunst und Wissenschaften gelten als vornehmste Gestaltungszweige der Kultur. Doch lässt Kant keinen Zweifel, dass es ihm weder auf ausgesuchte Professionen noch ihre Stars ankommt, denen die Ehre zuteil wird. Nicht in pragmatischer Hinsicht – die wie selbstverständlich greifende soziale Indikation des Professors aus Königsberg außen vor. Es interessieren die Formen und Inhalte »des Zeitvertreibes sowohl als des Fleißes«. Denn erst so geerdet, findet man »einige Anstalt zur bürgerlichen Verfassung und öffentlichen Gerechtigkeit«, wie Kant mit Bezug auf Rousseau bemerkt.72 Als ›politisch‹ werden sich diese Szenen des Alltäglichen in Deutschland anders als in Frankreich erst noch erweisen, wenn auch hier »die »Bevölkerung
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entdeckt und ihr Leben in allen seinen Facetten in den Blick der Politik gerät, um administriert und bewirtschaftet zu werden. Inszenierungspolitisch ist das beschriebene Tableau der Anthropologie erhellend. Das gilt durchaus auch methodisch, im Sinne der Stratifikationen unserer Darstellung. Denn im Spiegel der philosophischen Reflexionen des 19. und 20. Jahrhunderts werden wir in den folgenden Kapiteln den Fliehkräften der großen Erzählungen und der kleinen Geschichten folgen. Für die szenisch-szenografische Exposition ist dies mit der Erkundung von Geschichte und Geschichten, der Erkundung der Narrative und ihrer Funktion auf der einen Seite, von Gestaltungs-, Gestalt- und Ausdrucksformierung, von Form und Struktur auf der anderen Seite verbunden. Kant steht mit seiner pragmatischen Anthropologie für eine relevante Berücksichtigung der Kraft der Narrative, wie sie Nietzsche wieder propagieren wird und in der modernen und zeitgenössischen französischen Literatur erneut begegnet. Interesse an der Besonderheit inszenierungspolitischer Intervention besteht nun nicht nur methodisch, sondern ebenso hinsichtlich der sachlichen Erkundung ihrer Spielarten. Für die ›staatspolitische‹ Betrachtung der Kant´schen Anthropologie reichen die Hinweise auf die zeitgenössischen Optionen republikanischer respektive demokratischer Gesellschaftsverfassung und die opportunen Formen eines direkten herrscherlichen Regiments. Indes verstecken sich genügend Fingerzeige auf Formen indirekter, auf Zustimmung setzender Einflussnahme und Lenkung durch die Staatsgewalt. Zwar gilt der Inszenierungspolitik die Inszenierung von Politik auf den ersten Blick vielleicht nur als besonderer Anwendungsfall. Doch auf den zweiten Blick, in dem Politik als medial gestaltete Vorstellung sich präsentiert, dürfte die Politik der Gestaltung so viel Interesse beanspruchen wie die Gestaltung von Politik. Für die Innenansicht der Beziehungen der in beiden Perspektiven gemeinten Adressaten erscheint das ausdrücklich politische Verhältnis, das Kant kennt, nicht irrelevant, aber relativiert und, überdies, abgeleitet. »Abgeleitet« heißt, bekannt durchaus aus Begebenheiten wie der Französischen Revolution. Doch sind solche Ereignisse weniger von Bedeutung aufgrund dessen, wie sie sich zeigen oder im Einzelnen ausfallen, als wegen ihrer Symptomatik. Kant benutzt »Begebenheit« als Ausdruck eines ›Sich-Ergebens‹ und in diesem Sinne eines »Ereignisses«73, das hinweisenden, aber nicht beweisenden Charakter hat. Dafür ist das »Geschichtszeichen« zu unbestimmt in der Zeit. Es handelt sich also bei der Begebenheit bestenfalls um ein Indiz, das in einem Beweis heranzuziehen wäre. Nur in diesem Sinne kann von kausaler Wirkung, gewisserweise einer unterbestimmten Verursachung gesprochen werden. Als »Geschichtszeichen« ist die Begebenheit ein Zeichen, das erinnert, zeigt und vorhersagt.74 Was die Revolution vorhersagt, zeigt, erinnern wird, ist die Geschichte der Legitimation der Geschichte(n) durch das Volk. Diese erinnernde Vorhersage begleitet die Kant´sche Pragmatik jederzeit und sie wird in Erinnerung gerufen. Überhaupt wird dieses Geschichtszeichen und woran es erinnert nicht verschwinden, bis das ›Ding‹, worauf es verweist, sich vollständig gezeigt hat. Noch Nietzsche und Heidegger werden es reklamieren. Mit der »prosaischen Verwirklichung« (Marx) der Revolutionsforderungen wird es nicht getan sein, solange »eine Teilnehmung dem Wunsche nach« auf der Agenda bleibt. Man wird sich fragen, ob es heute mehr ist, als gewünscht zu werden. Noch vor Auseinandertreten von ›Privatheit‹ und ›Öffentlichkeit‹ betrifft es trotz nationaler Irregularitäten nur Ausschnitte des Umgangs, der Kommunikation und der Existenz der großen Zahl der Menschen in Europa. Was so im unausdrücklich zivilgesellschaftlich Politischen
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der Zeit auf die Regisseure und Dramaturgen der ›Weltenlenkung‹ hindeutet und an den Varianten der Staatskunst und ihren Szenografien deutlich zu werden vermag, zeigt schärfer noch in den Praktiken und Künsten des Alltags, dessen Spiele auch dann gespielt werden, wenn sie nicht von Experten in Szene gesetzt sind, die Ambivalenzen von Schauspiel und Inszenierung. Die damit in Aussicht stehenden, zur Epochenwende um 1800 erst in statu nascendi zu beobachtenden Strategien der Inszenierung sollten alle denkbaren Existenzformen annehmen, egal ob im staatsbürgerlichen oder ökonomischen, kulturellen oder ästhetischen ›Zustand‹. In welcher Rolle und in welchem Stück die Inszenierung dann tatsächlich besetzen und welcher Strategie sie im Einzelnen folgen würde, deutet sich im Kant´schen Spiegel erst an, offenbarte sich vollends erst in den Konzepten und Realisierungen des 19. und 20. Jahrhunderts. 1
spiel des scheins. täuschung zwischen zauber & hinterlist, trug & selbstbetrug
Mittelbar, aber nicht unmittelbar bewusste75, deshalb unklare oder »dunkle« Vorstellungen gibt es im Vergleich zu den wenigen illuminierten Stellen auf der Karte des Gemüts wie Sand am Meer. Sie resultieren aus einem Spiel, das dem »Interesse« folgt, »beliebte oder unbeliebte Gegenstände vor der Einbildungskraft in Schatten zu stellen«. Sei es, dass, wer das Spiel lanciert – »studirte Dunkelheit« –, dieses Interesse hat, sei es, dass ganz allgemein die Spieler es sind, die dazu beitragen. Eine Warnung vor allzu leichtfertigen agententheoretischen Scheinschlüssen! Denn »öfter [...] noch sind wir selbst ein Spiel dunkeler [!] Vorstellungen, und unser Verstand vermag sich nicht wider die Ungereimtheiten zu retten, in die ihn der Einfluß derselben versetzt, ob er sie gleich als Täuschung erkennt«, was Regisseure wie Spieler gleicherweise trifft. So begegnen sich das »Skotison (machs dunkler!)« – die beabsichtigt »gekünstelte« Verfinsterung von Szene und Botschaft – wie die Erwartungen derer, die, angelockt von attraktivem Schein, die Vorspiegelung von »Tiefsinn und Gründlichkeit« für echt halten.76 »Das künstliche Spiel mit dem Sinnenschein« kennt auch bei Kant verschiedene Strategien, zu blenden und sich blenden zu lassen. »Blendwerk« (die Inszenierung) befördert Illusionen, Täuschungen und Selbsttäuschungen. Wer zu blenden versteht, kann unterschiedliche Absichten verfolgen, bezaubern oder betrügen wollen; sich zu täuschen kann folglich heißen, der Selbsttätigkeit darin zu folgen und ihr zu vertrauen oder ›sich getäuscht‹, betrogen zu sehen – und zu bereuen, der Täuschung aufgesessen zu sein. Illusionen sind so oder so Effekte von Inszenierung. Sie wirken, »ob man gleich weiß, daß der vermeinte Gegenstand nicht wirklich ist«, ein »Spiel des Gemüths mit dem Sinnenschein [...,] sehr angenehm und unterhaltend«, solange man glaubt, seine Zustimmung geben zu können und sich der »Bezauberung« ungefährdet anvertrauen zu können, etwa ob der Kunst, die sich offenbart.77 So bleiben Inszenierung und Selbstinszenierung im pragmatischen Feld moralisch ambivalent. Denn »die Menschen sind insgesammt [!], je civilisirter, desto mehr Schauspieler.« Dient das Spiel des Scheins nicht einem mit Hinterlist78 geplanten Betrug, hält der optimistische Philosoph die Einübung im szenischen So-Tun-als-ob sogar für zumindest à la longue moralisch nützlich. »Denn dadurch, daß die Menschen diese Rolle spielen, werden zuletzt die Tugenden, deren Schein sie eine geraume Zeit hindurch nur gekünstelt haben, nach und nach wohl wirklich erweckt und gehen in die Gesinnung über.«
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Als sei mit dieser Anekdote ›inszenierungspolitisch‹ das Wichtigste gesagt, zitiert Kant eine Metapher Swifts. Da gegen »die Sinnlichkeit in den Neigungen« mit Gewalt nichts auszurichten sei, müsse man sie überlisten: dem Walfisch die Tonne zum Spiel vorwerfen, um das Schiff zu retten.79 Ein vordergründig nobles Szenario; doch ist solches Spiel, wie bekannt, in der Regel ganz anderen Zwecken dienlich. Denn gewiss ist, dass das Schiff, dem derart Rettung winkt, unterwegs ist, um dem Wal den Garaus zu machen. Kant aber möchte an dieser Stelle keinerlei Gründe für die Dekonstruktion der ›Inszenierung‹ – Verzauberung oder Betrug – ventilieren. Also wird man an Machiavelli denken, der es, wie viele andere Theoretiker der Herrschaft, durchaus für selbstverständlich hält, dass auf den Spielplan der Politik Klartext gesetzt gehört. Unter pragmatischen Bedingungen zeichnet die Anthropologie Wahrnehmungen in »Anwesenheit des Gegenstands« aus. Abgesehen davon, dass Kant begrifflich auf »Gegenstände« orientiert ist – Objekte mithin in der neuzeitlichen Welt, die deshalb existieren, weil es darin Subjekte gibt, denen sie sich als solche verdanken80 – , scheint Anwesenheit der Dinge realitätsverbürgend. Das macht nicht nur szenisch praktischen Sinn, körper- und sinnennah, sondern ebenso übertragen, theoretisch intellektuell, die Nahszene über Diskursereignisse in den Diskurs, die Wahrnehmung von Szenarien überschreitend. Es bedeutet, dass der Gegenstandsbegriff nicht substanzspezifisch eingeengt wird. Die Materie des gesuchten Objekts ist nicht per se der alte Stoff, der dem Geistigen gegenübersteht und aus dem die Dinge bestehen, nicht materia ex qua. Objectum ist vielmehr die Sache, um die es geht oder ›sich dreht‹, materia circa quam.81 Man wusste es von Aristoteles bis zur Scholastik und man erinnerte sich spätestens, als hinter dem Medium das Ding als Substrat von Information wiedererschien.82 In dieser Verwendungshinsicht lässt die fehlende transzendentalphilosophische Impfung des Subjekts die der Konstitution korrespondierende Gegenstandsabhängigkeit zweitrangig erscheinen. Notwendig dafür, dem, worum es sich dreht, auf die Schliche zu kommen, sind, wie die Geschichte des disegno beitragen kann, List und Erfindungsgabe. Und es braucht, was seinerseits mit List und Hinterlist, mit Technik zu tun hat, die Mechanik und den Mechaniker. Mechos ist eine Vorrichtung zum Überlisten, Verzaubern und Betrügen. So erscheint im Ding die Technik der Maschine, tauchen Artefakte auf, die im Zweifel von sich aus ermöglichen, mit ihrer Informiertheit in Kontakt zu treten. Man sollte sich von der »Anwesenheit des Gegenstands« keine falschen Vorstellungen machen. Seine Medialität wird man schwerlich los, schon gar nicht in der einseitigen Vermittlung von Argumenten und Schlussfolgerungen, durch rationales Bedeutenlassen. Kants Anthropologie steht durchaus nicht quer zur Kritik, weder der Kritik der theoretischen noch der der praktischen Vernunft; im Gegenteil.83 Doch blendet die Anthropologie den Dauerbezug auf die transzendentale Konstruktion zugunsten der Untersuchung des empirisch geschichtlichen und szenischen Feldes menschlicher Praktiken und Werke ab. Derart erhellt eine entsprechende Verschiebung von Subjekt und Objekt, Konstitution und Gegenstand. Erklärungen, die nicht pragmatisch sind, zeichnen sich dadurch aus, dass man sie »zu keiner Kunstausübung brauchen [kann]« – womit pragmatische Erklärungen definiert wären.84 Pragmatische Erklärungen sind solche, welche die Ausübung einer Kunst unter die Lupe nehmen und erläutern, worum es dabei im Einzelnen geht. Denn »es muss immer ein Thema sein« in der Kommunikation, sodass sich auch inhaltlich aufklären lässt, was Sache ist. Worauf
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es ankommt, danach fragt und darauf antwortet bekanntlich die Urteilskraft. In der Perspektive der Praxis, der Gestaltung und der Künste, geht es nun aber nicht nur darum, dass jemand »vieles kennt und weiß«, sondern vor allem darum, dass jemand »etwas zu machen versteht«. Deshalb ist das relevante Objekt, das, worum es sich dreht, ein Projekt.85 Vergleichbar der Abblendung der Subjekt-Objekt-Dialektik steht es um die Medialität der Vermittlung in der Praxis. Sie wirkt in ihrer Präsenz; zumindest ist es möglich, sogar wahrscheinlich, dass sie es tut. Wie jeder aus eigener Erfahrung weiß, lässt sich aus der Anwesenheit eines informierten Objekts mit medialen Qualitäten kein Gegenargument gewinnen. Es wirkt schlicht wie ein Mitakteur. Seine Leistungen könnten reflektiert werden, doch nicht im gleichen Augenblick, in dem die »Triebfedern« aktiv sind. Zweifellos ist das objectum, von dem die Anthropologie »zu kennen sucht, was aus ihm zu machen ist«, der Mensch. Dass Kant das praktische Projekt auf den Menschen zuschneidet, muss dennoch nicht unnötig als anthropozentristisch missverstanden werden, nicht im Kontext einer pragmatischen Anthropologie.86 Kant hat durchaus einen konkret handelnden, historisch, ökonomisch und politisch definierten Menschen im Blick. Sollte es zutreffen, dass sich dieses ›informierte Objekt‹ schwertut damit, mit anderen gegebenenfalls nichtmenschlichen informierten Objekten in Austausch zu treten, so ist dies für Kant klarerweise als Schwäche in der Ausrüstung der Spezies zu werten.87 Trotzdem: Menschenkenntnis ist Weltkenntnis.88 Soweit es um die Moralität der Projekte zu tun ist, wäre ohnehin (vorerst) nicht abzusehen, wie sie nach alternativen Kriterien als gattungsspezifisch menschliche zu qualifizieren wäre. Mithin ist die Frage nach der Machbarkeit des Projekts am Ende auch gegenwärtig immer noch auf eine Untersuchung dessen auszudehnen, was denn im Begehren, im Willen der Spezies und ihrer Exemplare überhaupt eine moralische Anlage anzeigte, »was er [denn, scil. der Mensch – HW] aus sich selbst zu machen bereit ist«.89 ›Niemand will erkannt sein, wie er ist‹. Probleme von Beobachtung & Selbstbeobachtung (Kant)
Praktisch betrachten wir die Versuche, auf die Triebfedern der Beteiligten zu wirken, im Spiel erst oder schon zur Zeit der Planung und Vorbereitung durch einige wenigeOb haltbar oder brüchig, in jedem Fall prüft solche Inszenierung oder Szenifikation in actu die Vertrauenslage, misst Vertrauenswürdigkeit an Verlässlichkeit. Um Adorno zu paraphrasieren: Die Verlässlichkeit der Dinge indiziert, dass sie wahr zu uns herblicken. Nur ist es so, dass sich die Akteure im Spiel in einem »Zustand im Affekt«90 befinden. Dies bedacht, wäre die Wette auf die erhofften Wirkungen einer Inszenierung durchaus kalkulierbar, wenn man sich auch fragen muss, für wen. Affekt jedenfalls ist »Überraschung durch Empfindung, wodurch die Fassung des Gemüts [...] aufgehoben wird. Er [der Affekt – HW] ist also übereilt, d.i. er wächst geschwinde zu einem Grade des Gefühls, der die Überlegung unmöglich macht«. Der Zustand im Affekt, der, im Gegensatz zu einem Zustand der Leidenschaft, gewöhnlich nicht einmal Verstellung möglich werden lässt, sondern unbedingt gewiss ist, wenn man seiner gewahr wird, bringt, wen es trifft, in eine »kritische Lage«. Entweder nämlich geschieht es, »daß, wenn die Triebfedern in Action sind, er sich nicht beobachtet«, oder »wenn er sich beobachtet, die Triebfedern ruhen.« Die Spielanalyse des involvierten Mitspielers oder, je nachdem, Zuschauers hat unter diesen Voraussetzungen keine guten Chancen. Keine geringeren Schwierigkeiten hat die empirische Analyse aufgrund externer Beobachtung. Denn auch
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die Aussichten, durch kontrollierte Erhebung zu belastbaren Aussagen zu kommen, beurteilt Kant als schlecht. Die szenische Rahmung im Zusammenspiel von Medium, Inszenierung/Szenifikation und affektiver Reaktion bekommt Risse, jedenfalls wenn die Akteure erfahren, dass sie beobachtet werden oder beobachtet werden könnten, sei es spielintern, sei es von außen. Niemand »will erkannt sein, wie er ist«. Was darauf aufmerksam macht, dass, dies als Grundsatz vorausgesetzt, ohnehin Verstellung gemutmaßt werden muss. Auch ergeben sich in der ungestörten Praxis des szenischen Spiels, so »Ort- und Zeitumstände [...] anhaltend sind, die, wie man sagt[,] eine andere Natur sind«, Gewohnheitseffekte. Selbst wenn es also in der Absicht einiger läge, zu einem angemessenen Urteil über sich selbst oder die Mitspieler zu gelangen, würde dies aufgrund von Gewohnheiten zunehmend schwieriger. Anderweitig als aus eigener Anschauung oder Erfahrung gesichertes Material heranzuführen bringt weitere Probleme, gilt wegen seiner Herkunft jedenfalls nicht als unbedingt wissenschaftsfördernd. Aufgrund der Melange von Spiel und Ernst, Bühne und Leben, Fiktion und verbürgter Tatsache im Handlungs- und Gestaltungskontext des wirklichen Lebens, das die Pragmatik der Anthropologie in den Fokus nimmt, liegt es indes nahe, dass zu seiner Aufhellung und Exemplifizierung auch Quellen und Hilfsmittel in Anschlag gebracht werden, denen »eigentlich nicht Erfahrung und Wahrheit, sondern nur Erdichtung unterlegt« ist. Man findet Historisches und Biografisches und auch »Schauspiele und Romane«. Die Kunst gerät ins Leben, um es sich zu erklären, das Leben in die Kunst, um sich über sich selbst zu täuschen. Kant bedenkt mit diesen Bemerkungen in der Vorrede der Anthropologie die Ausgangslage in der Selbst- oder Fremdbeurteilung von Sachverhalten, Ereignissen und Erlebnissen, die dem »freien Verhalten« anheimgestellt sind. Freies Verhalten ist ein solches, das sich die Mittel für seine Zwecke von dem vorgeben lässt, was im Handlungsrahmen kontingent zur Verfügung steht, mit anderen Worten »zur Kunstausübung brauchbar« ist. Und dazu gehören selbstredend ›weiche‹ Quellen, ›Gedichtetes‹. Darauf zurückzugreifen ist vermeidbar.91 Abgesehen von der unmittelbar gefühlsmäßig handlungsspezifischen Reaktion im Kontext des Eigenerlebens, scheint nichts als praktische Urteilskraft in der Lage zu sein, die Realitäts- und Wahrheitsbehauptungen des szenischen Scheins zu würdigen. Zweckdienliche Strategien und Taktiken auszudenken, ihn zu erzeugen, zu propagieren und zu gewährleisten, mag die Inszenierung qua Szenografie bemüht sein oder auch nicht. Bezeichnet man die einschlägigen Konzepte und Entwürfe, dies in die Wege zu leiten, als Inszenierungskunst (für welche Bühne auch immer), ist dies nicht tautologisch, da es den Entwurf und nicht das intendierte Spiel ins Licht stellt, die Produktion der Kunst und nicht ihre Exposition oder Exekution. Was der Inszenierung die ›»Inszenierung‹« bedeutet, ihr Selbstverständnis – nicht intellektuelles, sondern operatives Selbstverständnis – , steht im Mittelpunkt des Interesses: Strategie, Spielplan, taktisches Konzept, Agenzien, Medien, Ausstattungs- und Ressourcensystem etc. 2
inszenierungsstrategien
Soweit für die gegenwärtigen Verhältnisse demokratisch partizipativer Verfassung Gewaltanwendung im öffentlichen Bereich grundsätzlich ausgeschlossen ist beziehungsweise de jure allein dem souveränen Spieler als Option zukommt, der volonté
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générale respektive ihren Repräsentanten in hoheitlicher Aktion, ist die Pointe einer Intervention durch Inszenierung, dass sie vordergründig friedlich abläuft. »Inszenierung« als kritischer Begriff wird demnach vorteilhafterweise auch da aufgespannt, wo es ausdrücklich nicht um ein Spiel, sondern um den Kampf um Zwecke und Ziele im gesellschaftlichen, kollektiven oder privaten Handlungsfeld zu tun ist und um geeignete Regeln und Konventionen, Rituale und Narrative, diesen Streit mit wenigstens friedlich scheinenden Mitteln zu handhaben.
politisch ... Aus strategischer Sicht darf es keinen bemerkbaren Unterschied geben zwischen einer Vorstellung in Beeindruckungs- und Betrugsabsicht. Denn es kann keine Inszenierungsstrategie sein, die diesen Namen verdient, wenn sie neben dem Aussehen vertrauenswürdig überzeugender Vereinnahmung noch den falschen Schein hinterlistiger Überwältigung erkennen ließe. Die Performanz der Inszenierung kennt nur das eine, ihr eigenes Spiel, egal wie die Zwecke der Regisseure expressis verbis aussehen mögen. Inszenierungsstrategisch vorzugehen empfiehlt sich grundsätzlich angesichts aller möglichen Gegenstände und Vermittlungsinteressen, wenn es um das Erreichen von Handlungszielen durch medial szenische Gestaltung zu tun ist. Insbesondere dort dürfte sie nützlich sein, wo elementare Gegensätze von Handlungszielen und Interessen einzelner Gesellschaftsmitglieder aus Gründen des rechtlich verfassten sozialen Verkehrs ohne Gewaltanwendung ausgetragen werden sollen. Sollte es nun so sein, dass, wie Marx sagt, zwischen gleichen Rechten die Gewalt entscheidet92, wäre eine Darstellung hilfreich, die nicht nur interpretatorisch deutend, sondern in wirklicher Aufführung den Austrag des Widerstreits mit friedlichen Mitteln in geeigneten Formaten demonstrierte und dieses Spiel verstetigen könnte. Auf den Feldern politischer Auseinandersetzung steht dies auf der Agenda, seit und wo sich demokratische Konstitutionen der allgemeinen Teilnahme an der politischen Willensausübung verschrieben haben. Damit eröffnen sich explizit politische Handlungsräume, indes nur für diejenigen Spieler, die sich aus quasi privaten Interessen politisch assoziieren, um auf diesem Weg die Repräsentanz der Mehrheit übertragen zu bekommen. Die hier sich entfaltenden Aktivitäten sind sowohl unter den Bedingungen ihrer Ausübung wie unter denen der Betroffenheit durch damit verbundene Maßnahmen von pragmatischem Interesse, zeigt sich doch ein wichtiger Unterschied zwischen Ermächtigten und Ermächtigenden. Soweit die Ermächtigten nicht zur Inszenierungspolitik gezwungen sind, wenn sie die Gewalt, deren Monopol beim Souverän liegt, stellvertretend gegen ihn selbst ausüben, darf sie auch szenisch, zum Beispiel auf der Straße, erscheinen. Die Inszenierung kann sich zurückziehen auf die Rhetorik ihrer Szenografie. Da hierin ohnehin nichts anderes als die Absichten, etwas ins Werk zu setzen, zu erkennen sind, wird sich die Differenz zur Realisierung notorisch als zwangsläufiger Unterschied zwischen politischer Programmatik und realpolitischer Umsetzung darstellen und den Diskurs beeinflussen. Insbesondere in der Frage der Bezahlung der Arbeit beziehungsweise der Aneignung unbezahlter Arbeit, wie sie seit ihrer Verschärfung im 19. Jahrhundert in der politischen Formatierung und Darstellung erscheint, finden sich hinreichende Beispiele für den Sachverhalt. Hegels Konditionierung der Kulturnation durch Eigentümer wird von Marx bekräftigt, wenn er darauf hinweist, dass der »Eigentumslose [...] mehr geneigt [sei – HW], Vagabund und Räuber und Bettler als Arbeiter zu werden.«93 Mit dem Eigentümer der Produktionsmittel müsste mithin ausgehandelt werden, ob dieses oder jenes sich besser rechnet oder lohnender erscheint, nicht in vergleichbarer Weise mit der exekutierenden Fraktion des Souveräns
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selbst, der dafür sozialstaatliche Einrichtungen und Verfahren entwickelt und durchsetzt. Sie konkurrieren mit anderen Spielen der Reproduktion – wie man zunehmend hört auch auf Seiten der Eigentümer. Diese Politik »hebt diese Widersprüche nicht auf, schafft aber die Form, worin sie sich bewegen können.«94
ökonomisch ... Die Relativierung des politischen Felds inszenatorischer Strategien zur Intervention im Fall widerstreitender Interessen und Handlungen betrifft mithin die Unterscheidung von souveränem Staatshandeln und Handeln des Souveräns als Bürger in den verschiedenen Gestalten seiner Privatheit. Schon Kant bemerkt, dass auf dem Gebiet der sozialen Pragmatik zwar kein eigentlich politisches Verhältnis existierte, die Umgangsformen dort aber ihren Niederschlag im staatsbürgerlichen Verstehen und Bedeutenlassen der vergesellschafteten Individuen fänden. Die Geeignetheit der Inszenierungspolitik wäre mithin besser noch als in der Politik auf dem Feld der politischen Ökonomie und ihrer Gegenstände zu überprüfen. Die politische Handhabung konfligierender wirtschaftlicher Interessen, deren Ausgleich auf Basis grundgesetzlicher Bestimmungen des Gemeinwesens wie auf dem Boden der Rechtspositivitäten des öffentlichen und des ›allgemeineren‹ Privatrechts geregelt ist, ließe sich hier tatsächlich als vorteilhafterweise einem Typ von Inszenierungspolitik verpflichtet darstellen. Konzeptuell wie praktisch gestaltend zu inszenieren wäre die Kultivierung von Konflikten durch Etablierung adäquat partizipativer Konsultations- und Entscheidungsgremien, um auszutragen, was auszutragen ist. Das Gewerkschaftsmodell demonstriert den friedlichen Integrationsversuch. Dass die Aufführung gegebenenfalls auch dessen medienspezifisch effektvolle Simulation bedeutet, sodass – nicht offensichtlich aber doch im schließlichen Ergebnis – Entscheidungen, ohne großes Aufsehen zu erregen, auch zu Gunsten oder Ungunsten im Detail szenisch involvierter Akteure ausfallen könnten, bestätigt die Inszenierungstatsache. Tatsächlich wäre wichtig zu realisieren, dass die Inszenierung hier nicht einseitig deklariert werden kann wie eine Vorstellung von der Theater- oder Konzertdirektion, gleichsam als propagiertes Inszenierungsabkommen, adressiert an ein interessiertes Publikum, ihm freundlicherweise beizutreten. Im staatspolitischen Handeln liegen die Hürden weniger hoch. Sollte es faktisch so aussehen, dass hier ein Zuviel des Theaterspiels die Glaubwürdigkeit erschütterte (ganz unberührt die reale Enttäuschung aufgrund längerer Erfahrungen mit dem Stück), wären der politische Diskurs und seine Ereignisse immer noch in der Lage, die Verhältnisse realitätsgerecht ›geradezurücken‹, in politischen Willen und tatsächlich gestalterisch Machbares auseinanderzustellen. – Man erinnert sich, wie die »neuen deutschen Länder« als »blühende Landschaften« in Szene gesetzt wurden, in denen nach Lust zu leben, eine herzlichen Einladung erging. –
juristisch ... Ist offenes Theater strategisch obsolet, bleibt allemal nur die Zustimmung zur gegenseitigen Illusionierung auf dem Boden des je eigenen Begehrens. Die Faktizität der Ressourcenverteilung, um dieses Spiel zu spielen, sollte nicht darüber hinwegtäuschen, dass hier alle Beteiligten bereit sind, in Verkleidung aufzutreten. Doch ist auch klar, dass die Chancen nicht gleich verteilt sind. Als Beispiel kann die Sozialgesetzgebung gelten, die im Einklang mit einschlägigen Spielern im ökonomischen Sektor und Unterstützung aus der Rechtsprechung, die es nach hundert Jahren Verhandlungen über die Alterssicherung von Arbeitnehmern in nur wenigen Jahren geschafft
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hat, einen Großteil der hier angefallenen Reproduktionskosten der Arbeit in nur wenigen Jahren an die Arbeitskraft zurückzudelegieren. Die Umverteilung führte zu entsprechenden Ent- und Belastungen, indes ohne ernstzunehmenden Widerstand oder Protest. Die Verwicklungen und Konflikte zwischen politisch souveränem und parteipolitischem, privatkapitalistischem und Handeln der assoziierten sogenannten ›Sozialpartner‹ über komplizierte Rechts- und Verwaltungs-, Zuständigkeits- und Kompetenzkonstruktionen konnten nämlich hinreichend dissimuliert werden. Insbesondere hilft hierbei, dass sich bei derart weitreichenden, unzählige Spieler zählenden Interessens- und Gestaltungskonflikten, die sich über lange Zeiten dehnen, einzelne Szenen der Auseinandersetzung, wenn nicht vergessen werden, schnell relativieren, da immer nur vergleichsweise wenige und unterschiedliche Kombattanten an einzelnen Gefechten teilnehmen und szenischer Anschluss weder ohne Weiteres möglich noch von allen Seiten gleicherweise gewünscht ist. Im Übrigen hat nur ein Bruchteil von Betroffenen anderen Zugang zu den Verhandlungen als über die Darstellung in den Massenmedien, die der Ästhetisierung der realen Begegnungen, ihrer Konfliktpotentiale und des Umgangs damit noch eine eigene Handschrift verleihen und die Ereignisse auf jeden Fall ein weiteres Mal medien- und formatgerecht kondensieren. Man sieht sofort, dass Anwendungsfälle in rechtlicher Hinsicht im Rahmen ökonomischer und politischer Praktiken zu finden sind und in vielen Fällen ihre Aufgabe gerade darin besteht, zwischen Ansprüchen dieser und jener Sphäre zu vermitteln. Im Recht wird das Spiel ebenfalls unter Bedingungen der konstitutiven Verpflichtung zur Friedlichkeit gespielt, in Szene gesetzt sodann in Ansehung des jeweiligen Falls in der Perspektive des zuständigen positiven Rechts. Dies koinzidiert mit einem rechtlichen Ausgleich widerstreitender Ansprüche schon im Grundsatz. Außerhalb des souveränen Rechtshandelns kann sich die Rechtsprechung deshalb auch auf die Einübung Erfolg versprechender szenischer Austragsformen und -formate verlegen, um zu Entscheidungen angesichts kontroverser Positionen und Ansprüche zu gelangen. Der performative Austrag konkurriert dabei sowohl mit der Entscheidung qua Auslegung einschlägiger Darstellungen (in Gesetzbüchern, Kommentaren etc.), als auch sucht er bei Bedarf den Anschluss an diesen Diskurs. Dies ist kein rechtstheoretisch gleich besetztes Spiel mit denselben Freiheitsgraden auf beiden Seiten, da die Grenzen der Legalität des Rechtshandelns in situ ebenfalls nach Bedarf konkretisiert und bekräftigt werden müssen. Beispiele für die Flexibilität zwischen performativer und repräsentativ diskursiver juristischer Praxis finden sich etwa in der Diskussion und Handhabung von Fragen der Anwendung von Gewalt im Fall von Verfehlung oder Bestrafung. Plakativ könnte man die Inszenierungsdiskussion um die juristische Performanzlegitimation durch szenischen Austrag und Diskursanschluss unter der Überschrift ›Aushandeln oder Urteilen‹ führen, wobei einzuräumen ist, dass es sich praktisch eben um keine strikte Disjunktion handelt. Auch hier steht im Übrigen die szenische Beteiligung der involvierten Parteien im Vergleich zur medialen Bildproduktion, die davon Kenntnis gibt, und dem Konsum der Bilder, der ihre Beurteilung veranlasst, in ausgesprochen unausgewogenem Verhältnis. Die Legitimitätsansprüche beziehungsweise -behauptungen mit Rechtsreferenz oder auch deren Zurückweisung mit alternativem Legitimationsverweis, der gesamte Diskurs solcher Behauptungen und Ansprüche zeichnen sich unter diesen Umständen großenteils durch Praxisferne und, davon abhängig, hauptsächlich ›analoges‹ Darstellen aus, in Analogie zur Medienpräsentation, die ihren Auftritt ihrerseits in Analogie zur Berichterstattung über die sachlich relevanten Ereignisse, Verfahrensverläufe und Entscheidungen der daran
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Beteiligten plant und inszeniert. Dass Entscheidungen, Usancen und Medienvermittlung für alle Beteiligten und Betroffenen dennoch handlungsrelevant sind, auch für die, deren Ansprüche zurückgewiesen wurden, wird hiervon weniger relativiert als bekräftigt.
religiös, konfessionell … In ganz eigenen Dispositiven erscheint das szenische Spiel um religiöse Gesinnung und Einstimmung. Eingebunden ist es in die institutionellen Verwicklungen, juristischen und wirtschaftlichen Verhältnisse von Kirchen und Konfessionen. Die Friedenspflicht auf dem Boden des Grundgesetzes ist hierfür, abgesehen davon, dass die Verfassung die freie Bekenntniswahl wie auch die freie Ausübung des dazugehörigen Kultus garantiert, kein ausdrücklicher Bezugspunkt. Die Frage nach möglichen Inszenierungsstrategien würde mithin das staatsbürgerlich begrifflich wie konzeptuell angebotene commitment zunächst als akzeptiert unterstellen – obwohl sich im Einzelfall gerade auch hiermit inszenierungsaffine Praktiken verbinden. Erst auf der Ebene der Kultausübung würde nach möglichen strategischen Varianten für die Inszenierungspraxis zu fahnden sein. Möglicherweise würden so bestimmte Ausprägungen und Umgebungen religiösen Verhaltens und Tuns auf divergierende Strategeme hinter der Religionsausübung und der damit einhergehenden Präsentation der Glaubensbotschaft hindeuten können. In der identifizierten Richtung ließen sich dann Vorstellungen und Szenografien isolieren und befragen. Insgesamt aber finden wir die Problematisierung der Inszenierung vergleichbar eingebettet in die Praktiken wie auf dem Gebiet der Schönen Künste. Wird die Begrifflichkeit für religiöse Belange angepasst, dürfte die Behauptung der ›Inszenierung‹ des Kultus durch Liturgie, Ritus, Zeremoniell weder im szenografischen noch im szenifikatorischen Verständnis in Abrede gestellt werden. Auf staatsbürgerlichem und privatrechtlichem Boden fallen die Inszenierungsambitionen der Religionen und Konfessionen in ziviler wie religiöser Weise unter das Täuschungsverbot und gehören deshalb als solche anders gespiegelt. Religionsspezifisch dagegen macht die Inszenierungsvorhaltung keinen Effekt, weil man glaubt, mit den einschlägigen Praktiken in vertrautem, widerspruchsfreiem Umgang zu stehen, dienst- und kultusbezogene Prozeduren und Verrichtungen wie auch ihre Zwecke nicht in Zweifel ziehen zu müssen. Dem religiösen Leben entsprechend treten dem Gläubigen »Gegenwart und Wirksamkeit des Absoluten nicht mehr in positiver Einigung mit den Charakteren und Zwecken des realen Daseins hervor«, wie bis zuletzt, bis zur »Selbstzerstörung« dem Liebhaber die Kunst. Vielmehr hebt sich hier alles diesem Dasein nicht Entsprechende auf, »und nur die Subjektivität als solche [zeigt] sich zugleich in dieser Auflösung als ihrer selbst gewiß und in sich gesichert.«95 Die Referenzen der Bedeutung werden sich mithin, eher als im Feld bezeichneter Einigung im bürgerlichen Leben, in dieser Subjektivität respektive ihrem Auftritt und ihrer Darstellung finden lassen.
Kunst, in Dienst genommen. Augentäuschung & Begehren Es kann praktisch gerechtfertigt erscheinen, die Dinge in die Verallgemeinerung des Politischen, die Brauchbarkeit für die Wohlfahrt des gesellschaftlichen Ensembles zu nehmen. Von ebenso praktischer Relevanz ist es, wenn sie unter dem Aspekt des verständig und mit Talent Hergestellten aus der Perspektive der Kunst betrachtet werden. Im Rahmen der ausgesucht schönen Künste sind gewisse Ambitionen, die Inszenierung zu würdigen, von alters her bekannt, exklusiv in der Version des Aristoteles. Keineswegs muss man deshalb der Behauptung, dass die gemeinten Bühnenpraktiken
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allein anhand der szenografischen Maxime, Menschen zu ›verzaubern‹, zu beurteilen wären, zustimmen.96 Schon ganz am Beginn der Inszenierungstradition begegnet hier die Skepsis Platons. Er hält die Platzierung der Sichtbarkeit durch die Künste für unangebracht, weil der Schein, der sie voraussetzt, zu täuschen vermag, anders noch als Augentäuschung. Der natürlichen Täuschung kann man aus kontingenten Gründen erliegen wegen schlechter Lichtverhältnisse, Unschärfe der Objektgrenzen, täuschenden Ähnlichkeiten. Die tatsächliche Täuschung des Auges indes trifft die Ablenkung des Blicks nicht zugunsten der Relativierung, sondern zugunsten des Mehr-sehen-Wollens und darin sich äußernden Begehrens. Das ist die wahre Pointe der Konkurrenz zwischen Zeuxis und Parrhasios. Die Echtheit des Objekts zu prüfen, die gewöhnliche Täuschung zu diskriminieren, ist nicht mehr genug. Verschiebt der Betrachter vor dem Bild seinen Blickpunkt und verändert sich, was das Bild zu sehen gibt, nicht, ist die Augentäuschung entlarvt. Die Differenz von Bild und Bildschein bietet keine Pointe. Aber das Bild bleibt Bild und als solches das, was den Schein verwirklicht. Hierauf, auf etwas künstlich Hergestelltes, nichtsdestoweniger Reales, so Platon, richte sich die Begierde der Betrachter und lenke damit ab von dem, worauf das Begehren sich richten müsste, die Ideen selbst, die Originale. Der Künstler usurpiert die Stelle des Philosophen. In der Differenz von Auge und Blick wäre nicht dem Auge hinter den vermeintlichen Vorhang, sondern dem Blick in seinen Verschiebungen zu folgen, den das Bild zähmt.97 Plinius´ Geschichte des Wettstreits der beiden griechischen Maler aus ionischer Schule, Zeuxis aus Herakleia und Parrhasios von Ephesos, lässt den Unterschied erahnen, der hier Nachahmung und mimesis trennt. Zeuxis, heißt es, konnte die Augen der Vögel täuschen, die auf seine gemalten Trauben flogen, um sie vom Bild zu picken. Parrhasios hingegen habe vermocht, Zeuxis selbst zu täuschen. Er habe ein Bild gemalt, das zu betrachten Zeuxis offenbar dermaßen begierig war, dass er den Vorhang, der das Bild verdeckte, unverzüglich beiseite ziehen wollte, nachdem ihn Parrhasios vor das Bild geführt hatte. Doch war, was Zeuxis zu sehen hinderte, mit dem Pinsel Gemaltes. Am ›Ende der Kunst‹98 obsiegt die aristotelische Option, und die Kunst wendet sich schon hier einer Kompromisslösung zu, favorisiert als entscheidende Quelle praktischen Wissens den Wechselbalg des logos, der den Sinn an das Wort der Darstellung und diese mit der Dichtung und ihrem mythos bindet – auch wenn die Poetik in Gegenführung zum mythos der opsis ihr eigenes Recht einräumt. So, eher wieder als noch, geriet die Dichtung99 als Drama, idealiter als Tragödie, in den Fokus der europäischen, speziell deutschen Altertumswissenschaften und Philosophie des 18. und 19. Jahrhunderts und der Testamentsvollstrecker der romantischen Kunstauffassung bis hin zur Nietzsche´schen Umwertung und dem modifizierten Revival bei Heidegger.100 Ähnlich der Kant´schen Kondensation der Schönen Künste in der Quintessenz der Dichtung hebt Hegel die Dimensionalitäten aller anderen Künste in der ›Nulldimensionalität‹ der Dichtung auf101; Architektur, Plastik, Malerei, ja selbst die Musik werden den Kontingenzen des Gefühls- und Handlungsuniversums überantwortet und ›aufgehoben‹. Was bleibt, ist Dichtung. In den nichtszenischen Darstellungen, allerdings, zu denen die Dichtung privilegierten Zugang hat, um sich, der Reflexion nicht verschlossen, mit diesem Universum und seinen Schicksalen zu beschäftigen, überschreitet die Kunst die Endlichkeit ihrer Handlungsfigurationen in den Dimensionen der Raumzeit und löst sie auf in den unendlichen Variationen wiederkehrender
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Zeichendeutung.102 Sie beginnt eine intensive Affäre mit Wissenschaft und Philosophie; diese, glaubt Hegel, werde gar der Poesie immer ähnlicher. »Dichtung« wiederum, die sich als Kunst performativer Klang- und Sinnpräsentation versteht, um sich auf diese Weise der dramatischen Aufführung eines poetischen Narrativs anzunehmen, heißt für die Szene, in der sie sich ausdrückt und Gestalt gewinnt, ausdrücklich nicht, dass ein Text in ein Spiel übersetzt oder hineinvermittelt würde, sondern, worauf Aristoteles in der Poetik ausdrücklich hinweist, »dass Handelnde handeln«103, ob dieses Handeln sich nun auch die Autorschaft für das Drehbuch zuschreibt und das Regiment über seine Vorlagen oder nicht. 3
›beherrschung ‹:
vermögen & Kunst
Die pragmatische Anthropologie Kants hat keine ausdrücklich politischen Ziele im Auge. Der Philosoph optiert zeitgemäß für eine republikanische, indes nicht partizipativ demokratische, sondern autokratische Verfassung. Die Sorge für die Wohlfahrt des Staates und seiner Bürger, das Regieren ist dem je nachdem beauftragten Staatenlenker, das heißt dem Fürsten überlassen.104 Jedenfalls ist das die Offizialverlautbarung Kants unter preußischen Verhältnissen – auch wenn Königsberg weit weg liegt von Berlin. Die Zeiten unter russischem Protektorat zwischen 1758 und 1762 scheinen weniger gefährlich als die unter dem Regiment des so genannten Großen Königs oder des ihm folgenden Soldatenkönigs. So ist Kants Verfassungstableau einleuchtend. Angesichts der »Nothwendigkeit, ein Glied irgendeiner bürgerlichen Gesellschaft zu sein«, bringt das Zusammenspiel von Gesetz, Freiheit und Gewalt in der Trias »Gesetz und Freiheit ohne Gewalt« allein Anarchie hervor, denn Gewalt ist als Individualgewalt nicht zu rechtfertigen. Da diese gesellschaftliche Verfassungsform in Naturrechtsperspektive ebenso inakzeptabel erscheint wie Despotismus (»Gesetz und Gewalt ohne Freiheit«) oder Barbarei (»Gewalt ohne Gesetz und Freiheit«), bleibt vernünftigerweise einzig die republikanische Verfassung. Die Ingredienzien finden sich hier in einer akzeptablen Bindung: »Gewalt mit Freiheit und Gesetz«.
Absolutistisches Regiment & Aufklärungsschein in Preußen Der historische Zuschnitt des Inszenierungsdispositivs als theatertranszendierende Veranstaltungsform öffentlicher Angelegenheiten wird in dieser Relativierung besonders deutlich, in staatlicher wie gesellschaftlicher Hinsicht. Ist die offizielle Verfassungslage republikanisch im Kant´schen Sinne, braucht es regulärerweise keine Inszenierung von Politik im gesamtgesellschaftlichen Maßstab. Die Inszenierung muss auch nicht weggekürzt, weil irrelevant erscheinen. Denn es besteht kein Grund, Herrschaftsverhältnisse verschleiern zu müssen, selbst wenn auf deren Kultivierung Einfluss zu nehmen im Sinne der Mächtigen sein sollte und es dem Monarchen beliebt. Die Selbstinszenierung des preußischen Herrschers Friedrichs II. als philosophe und Aufklärer ist höchstens für die Eingeweihten am Hof und die Mitglieder der königlichen »Tafelrunde«105 überzeugend, vielleicht noch für einige Wohlmeinende oder Gesinnungstäter, die sich von Theater, Oper und Flötenspiel, Autorschaft und Kirchenbann täuschen oder blenden lassen. Inszenierung der Macht im Kostüm findet sich, wenn, eher in absolutistischer Gestalt, Repräsentation und Prachtentfaltung, in Architektur und Zeremoniell und dem, was von der elitären Pflege von Wissenschaft und Kunst als Kulturschein der Menge überhaupt imponieren kann, sofern sie davon erfährt. Mit zunehmender Kriegserfahrung, Verarmung und Not weiß auch die
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Bevölkerung Preußens, was sich in Europa schon seit Ende der 1750er Jahre herumspricht. Die einprägsamsten Bilder werden erst Goyas desastros de la guerra liefern, doch auch Adolf Menzels Einstellungen preußischer Todesszenarien ließen sich als Vorarbeiten zu diesen Studien lesen. »Preußen [...] ist definitiv ein europäisches Enttäuschungsszenario«106, lautet das Fazit. Die huldvolle Überlassung von symbolischem Kapital in Gestalt von Titeln, Orden und Ehrenzeichen für die anwachsende Zahl von Militärs und Beamten kann darüber nicht hinwegtäuschen. Eher ins Gewicht fällt da die Protektion der (protestantischen) Religion und ihrer kirchlichen Autorität per Gesetz, Administration und Propaganda durch einen Herrscher, der sich intellektuell als Atheist und Freigeist brüstet. Ansonsten aber demonstrieren die Militarisierung des zivilen Lebens, mehr noch die Kriege selbst, nach deren letztem das Land ausgeblutet ist, dass Hegung der Gewalt als Prinzip, herrscherliche Gewalt auszuüben, nicht zu den Grundsätzen des ›aufgeklärten‹ Monarchen gehört. ›Aufgeklärt‹ handelt der Preußenkönig noch am ehesten, wenn er zum Auftakt des letzten der drei schlesischen Aggressionskriege dem Volk befiehlt, Kartoffeln anzubauen, um im Krieg nicht zu verhungern. Der Friedrichbewunderer Mirabeau deckt die offensichtlich auch in wirtschaftlicher Hinsicht wenig camouflierten Gewaltzustände auf, wenn er Mitte der 1780er Jahre zu Protokoll gibt, dass rund 80 Prozent der preußischen Wirtschaft als Kriegswirtschaft zu rechnen seien.107
Mächte des Beherrschungsvermögens: Ehre, Gewalt, Geld (Kant) ›Gewalt mit Freiheit und Gesetz‹ nimmt, schon mit diesen wenigen Strichen skizziert, konkretere Züge an. Kant aber argumentiert wohlweißlich nur zwischen den Zeilen im Blick auf die preußische Wirklichkeit. So spricht er nicht ausdrücklich über die Affektlage der Untertanen Friedrichs, wenn er in der Anthropologie die Herrschsucht behandelt. Freilich wird sich die anthropologische Generalisierung stets befragen lassen müssen, wem welche Ressourcen denn zur Verfügung gestanden hätten, um dem als allgemein verbreitet beschriebenen Verhalten tatsächlich zum Ausdruck zu verhelfen. Doch macht Kant mit Recht darauf aufmerksam, dass Macht- und Gewaltbedürfnisse nicht exklusiv bei Despoten, ihrer Entourage und ihren Apologeten zu finden sind. Der Philosoph zeigt die Wirkungen des »Vermögen[s], Einfluss überhaupt auf andere Menschen zu haben«, insbesondere der Neigung, wenn nicht Leidenschaft zu herrschen im alltäglichen Leben. Es ist ein Thema von Gattung und Spezies Mensch, der Menge all derer also auch, die dafür kein anderes Terrain beanspruchen kann als das ihres Erwerbslebens, ihrer Familie und Gemeinde. Es sind diejenigen, die ihrem Handeln gewöhnlich keine strategischen Planungen zugrunde legen, auch wenn sie bestimmten Konzepten folgen.108 Die maßgebliche Vernunft in Handlungsdingen ist zweifellos »im Volk« nicht weniger verbreitet als bei seinen ersten Repräsentanten. Das Vermögen, Einfluss zu nehmen, »nähert sich am meisten der technischpraktischen Vernunft«. Wenn es um die Mittelwahl zur Erreichung gesetzter Ziele geht, auch die, anderen den eigenen Willen aufzunötigen, richtet es sich folglich nach der »Klugheitsmaxime«. Das Beherrschungsvermögen indes »enthält gleichsam dreifache Macht in sich: Ehre, Gewalt und Geld«.109 Womit sich die Spreu wohl schon vom Weizen trennt. Entsprechend finden sich die unterschiedlichen Kapitalien und Affekte in drei Registern. Die Herrschsucht, auf die wir uns konzentrieren, gehört ins Register der Gewalt. An sich ist sie ungerecht. Doch überrascht Kants Relativierung dieser Gewalt. Offene Gewaltanwendung bringt alles wider sich auf, keine Frage. Aber ist der Affekt auch verständlich? Ja, weil er durch nichts verursacht vorstellbar ist als durch die Furcht, von anderen beherrscht zu werden. Damit aber gehört er
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ins individuelle Machtkalkül eines jeden Einzelnen. Die Kritik daran verfängt nicht, jedenfalls nicht als Kritik an souveräner staatlicher Gewaltausübung. Die gegebene Begründung würde sie als Vorsorge oder Notwehr zur Abwehr von Gefahren für Leib und Leben deklarieren. Oder aber die Individualität derartiger Abwehrstimmungen und -reflexe ist nicht geeignet, das hoheitliche Gewaltmonopol in Zweifel zu ziehen. Selbst wenn sein Agieren im Einzelfall berechtigterweise als »unklug« getadelt werden darf. Kant ist auch 1798 noch vorsichtig in seiner Wortwahl. 4
›beherrschung neigung ‹
des untertänigen durch eigene
Was die »mittelbare Beherrschungskunst« betrifft, die unauffällige Art zu beherrschen, findet sich ihre Analyse konsequenterweise nicht im Fürstenspiegel, sondern im Rahmen der Untersuchung des menschlichen Begehrungsvermögens. Immerhin besticht die Beschreibung des Mechanismus der mittelbaren Beherrschungskunst als Inszenierung. Zum Beispiel taugt, zum wiederholten Mal, das Geschlechterverhältnis, das gewissermaßen eine paradigmatische Funktion für eine gelingende quasi intuitive Inszenierungspraxis übernimmt. Es geht um eine bestimmte Strategie der »Einflößung«, um die davon Betroffenen »zu seinen Absichten zu gebrauchen«. Die Kunst ist für denjenigen, der Einfluss nehmen möchte, damit verbunden, heftige positive Affekte zu provozieren, »Liebe gegen sich«. Für Kant liegt die Verfügung über dieses Register klarerweise beim weiblichen Geschlecht, das die Männer zu beherrschen sich vorgenommen habe. Mithin führt weibliche Beherrschungskunst, wenn sie zu etwas zu gebrauchen ist, »keine Gewalt bei sich [...], sondern [weiß] den Unterthänigen durch seine eigene Neigung zu beherrschen und zu fesseln«. Wer das Begehren des andern zu wecken und zu leiten weiß, wird ihn mit seiner eigenen Begierde beherrschen können. Der »Reiz« selbst enthält dabei die »Neigung des andern Theils, beherrscht zu werden, in sich.« So vermittelt, ohne Gewalt, stattdessen durch ›Inszenierung‹ zu regieren und einen »Unterthänigen« zu beherrschen, bedeutet, das Begehren der ins Herz Geschlossenen durch Schönheit so zu reizen, dass sie Zuneigung empfinden, das Bild, das sie sich machen, lieben und sich davon fesseln lassen. Frei nach Alkibiades. Mittelbare Beherrschungskunst anzuwenden ist dabei für die Frauen eine Frage von Opportunität und Effektivität, weniger der Gesinnung, aber doch der Kräfte. Gesinnung spielt keine Rolle, weil der Verstand der Frauen schöner Verstand, ihre Tugend schöne Tugend ist. Will man ihre Moralität beurteilen, wird man sie hier finden: in »dem, was in der Gestalt und dem Ausdrucke des Gesichts moralisch ist«.110 Mithin: »tugendhafte Handlungen bedeuten bei ihnen [den Frauen] solche, die sittlich schön sind«. Die Konsequenzen sind offensichtlich. Da die Frauen aus eigenem Antrieb nicht in der Lage sind, sich nach sittlicher Maxime zu richten (»schwerlich [...] der Grundsätze fähig« sind), vielmehr etwas »nur darum [thun], weil es ihnen beliebt«, besteht »die Kunst [...] darin, zu machen, daß ihnen nur das beliebe, was gut ist.«111 Jemanden nicht machen zu lassen, sondern, wie in diesem Fall die Frauen, machen zu machen, entspricht der ökonomischen und rechtlichen Verfassung der Ehe- und Hausgemeinschaft wie den zugrunde liegenden physischen, nicht psychischen Bedingungen, die das Kräftespiel bestimmen, wie Kant unter anderem in der Anthropologie darlegt. Von Natur sind die Frauen keineswegs frei von der Neigung, herrschen zu wollen – »gerade das Gegentheil [ist] wahr«. Doch können sie sich nicht derselben Mittel wie die Männer bedienen. Ihnen fehlt »der Vorzug der Stärke (als welche hier
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unter dem Worte herrschen gemeint ist)«. Deshalb nehmen sie Zuflucht zu einer Strategie der Schwäche. Die Stärkeren bestimmen sie durch ästhetischen Reiz, sich diesem zu unterwerfen, sich der Lust, dem eigenen Begehren zu überlassen und den eigenen Bildern nachzugeben.112
Kants Topologie mittelbarer Beherrschung Kant entwirft am Beispiel der Geschlechterbeziehung ein dialektisches Modell gleichzeitiger Beherrschung und Selbstunterwerfung. Das Modell steht in Konkurrenz zum Schematismus eines autoritativen Regiments auf der einen, den Freiheiten idealer Assoziation von Gleichgesinnten auf der anderen Seite. Inszenierungskünste als Künste, vermittelt oder per medium zu beherrschen, leitet Kant her aus den elementarsten zwischenmenschlichen Beziehungen. Da abhängig gemacht davon, auch in einer kräftemäßig unterlegenen Position dem anderen das eigene Wollen als das seinige einzupflanzen, wird die Kunst geschlechterspezifisch als typisch weiblich verteilt. Doch handelt es sich um eine Genderproblematik. Inszenierungskünste eignen sich unterhalb einer Schwelle durch »Herrschaft« geregelter Gewaltverhältnisse besonders für die Schwachen, ihre Ziele statt gewaltsam mit Klugheit durchzusetzen. Dies zu erreichen, müssen sie Verführung und Begehren kennen, die Liebe und ihre Effekte. Die Topologie der darin erscheinenden Bildbeziehungen scheint äußerst aufschlussreich für die Konfigurationen der ›Inszenierung‹, die hier nicht einfach das In-Szene-Setzen eines Schauspiels meint. Zunächst erhellt der Selbstbezug des weiblich konnotierten Gestaltungshandelns. Etwas gut zu machen, verstehen die Frauen sehr wohl. Es ist sogar das Charakteristikum ihrer Kunst, fällt nicht unter eine Tätigkeit, zu der sie erst gedrängt werden müssten. Zu allererst verstehen sie, aus sich etwas zu machen. Ihr Werk bringen sie mit sich selbst zur Erscheinung – ohne dass damit die von Schiller monierte Toiletten-Schönheit gemeint sein muss, deren Vorspiegelung auf Augentäuschung hinausläuft. Ihr allein wäre schließlich schon dadurch zu entgehen, dass man ihre Herstellung erlebte.113 Das erzeugte Bild für den anderen ist offenbar der Kunst geschuldet, Blick und Blicke, die das Weibliche sich selbst widmet, zum Scheinen zu bringen, materialiter et medialiter. Im Effekt ist die Attraktivität des Kunstwerks, die »Objektweiblichkeit«, wie Baudrillard sagt114, so mächtig, dass der Blick des andern, des männlichen Auges, davon nicht lassen kann. Die Frage möglicher Augentäuschung stellt sich nicht, da der andere keine andere als die sich ihm anbietende Perspektive für passend und wünschenswert erachtet. Die Relativierung des Bildes, gegründet auf eine eigene Standortverlagerung, wodurch das Bild sich anders zeigte als in dieser Perspektive und unterschiedliche Blicke markierte, die es auch anders erscheinend zustande bringen konnten, diese Relativierung zieht das Begehren nicht ins Kalkül. Es zeichnet sich geradezu dadurch aus, dem eigenen Auge und seinem Bild zu folgen, um sich glücklich mit ihm zu vereinigen, davon »fesseln« zu lassen, sollte es getroffen werden, wo es seinen Schein verbreitet. Unterstellen und verallgemeinern wir die Bedeutung der Stärke, ließe sich schlussfolgern, dass zur Inszenierung zu greifen, um zu beeinflussen, als Indiz offensichtlicher Einflussnahme aus einer Position der Schwäche heraus gewertet werden könnte, jedenfalls dort, wo nicht eindeutig als interesseloses Schauspiel ersichtlich. Die diagnostizierte ›Schwäche‹ bei den Kunstfertigen, allerdings, brächte den Betroffenen keinen Vorteil. Denn sie erwiese sich in der Begegnung nicht in der Unterlegenheit einem Stärkeren gegenüber, der deshalb seinen Willen durchzusetzen vermöchte. Vielmehr zeigte sie die Kraft des Phantasmas zu verführen und die Stärke der davon ausgehenden Excitation. Gewalt, wenn auch grundsätzlich gehegt durch Gesetz, dürfen die Starken, die Regierenden, im Spiegel
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der Kant´schen Anthropologie durchaus offen ausüben. Es bedarf lediglich der gesetzeskonformen staatlichen Organisation der nationalen Affären wie der (eher schwierigen) Kontrolle herrscherlicher Fürsorge für die ›Wohlfahrt‹ des Volkes. Das Volk, sonst, muss gehorchen, darf sich räsonnierend allerdings einbilden – eine sehr elementare Selbstinszenierung sozusagen – , dass es am Ende doch sich selbst gehorche und somit alles eher eine Frage der ›Selbstbeherrschung‹ sei. »[C]ollektiv genommen« ist die »nach und neben einander existirende [!] Menge von Personen [...], die das friedliche Zusammensein nicht entbehren und dabei dennoch nicht einander beständig widerwärtig zu sein nicht vermeiden können«, genötigt wie geneigt, »durch wechselseitigen Zwang unter von ihnen selbst ausgehenden Gesetzen zu einer beständig mit Entzweiung bedrohten, aber allgemein fortschreitenden Coalition in einer weltbürgerlichen Gesellschaft (cosmopolitismus) sich von der Natur bestimmt [zu] fühlen«. Doch handelt es sich bei dieser Mischung aus Einsicht und Absicht, wie bekannt, um eine »an sich unerreichbare Idee aber kein constitutives Princip«. Wenn demnach die »Erwartung eines mitten in der lebhaftesten Wirkung und Gegenwirkung der Menschen bestehenden Friedens« nichts anderes meint als der »gegründeten Vermuthung einer natürlichen Tendenz zu derselben fleißig nachzugehen«, wird man die Effektivität dieses »regulativen Princip[s]« in Frage stellen. Wem wird es unter pragmatischen Gesichtspunkten gelingen, den Grundsatz mittels Einsicht auszumessen, anzuerkennen und mit Erfolg danach zu handeln? Wer soll zu einer angemessenen Beurteilung seiner eigenen Lage oder der seiner Mitbürger in einem weiterreichenden als ›kommunalem‹ Maßstab gelangen können?115 Was läge also näher in einer solch prekären Verfassungslage, als durch geeignete Reizung zur Selbstliebe den »Unterthänigen« zu einer gesellschaftsweiten Bühne zu verhelfen, auf der sie der philosophisch gegründeten Vermutung und Erwartung beständigen Friedens durch eigene Beteiligung und Gestaltungskraft dauernden und nachhaltigen Ausdruck verleihen könnten? Womöglich aber hätte dies Töne erfordert, die sich Kant verkneift, würden sie doch allzu deutlich den »Wunsch nach Teilnehmung« anklingen lassen. Die Alternativen traten ohnehin zutage. Deutsche Stimmen aber sollten sich eher auf Räsonnement und Plädoyer verlegen, zunächst, um die Mächtigen zu Einsicht und Umkehr zu bekehren, am Ende, um nolens volens doch in den stählernen Missklang einzustimmen.
Nationalcharakter(e), deutsch Kants Anthropologie ist eine aufs Deutsche konzentrierte Darstellung, Fremdes bietet nur eine Folie des Kontrasts. Wesentlich ist schon die Auszeichnung des Sprachlichen, der Dichtung, nicht nur in der Kunst. Dasselbe gilt für die Spezifika des Nationalcharakters in all ihrer Ambiguität. Auch hier dominiert der sprachliche Austausch. Und da Kant, anders als Hume, Gestalt und Ausdruck der Nation aus den Gestalten und Ausdrücken, die ihre Bewohner erschaffen, hervorgehen sieht, gilt dies für das Gemeinwesen und selbst für die Weltbürgerschaft, der sich zuzugesellen Kant plädiert.116 Der Königsberger Professor hat Ahnung vom deutschen Nationalcharakter, den er in Dingen des Geschmacks bei »einem Gefühl fürs Prächtige« fasst. Er hält es dennoch nicht für original, sondern nur an der Oberfläche interessiert, vom »Schimmernd-Erhabenen« angepackt zu sein. Dafür sucht sich der deutsche Nationalcharakter die passenden Beispiele, »deren Antrieb [er] vonnöthen hat«. Er wird sich hüten, aus sich herauszugehen, wie bekannt von Gliedern anderer Nationen, wird versuchen, ihre Fehler »glücklich« zu vermeiden.117 Der Deutsche kann sich gut im
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Zwischen einrichten. Hinsichtlich dessen etwa, was an der »Gemüthscharaktere [...] moralisch ist« bei den Landsleuten, ist es »eine glückliche Mischung in dem Gefühle sowohl des Schönen und [sic!] Erhabenen«. Im einen kann er es den Engländern, im anderen den Franzosen nicht gleichtun, übertrifft sie dadurch aber beide, »in so fern er sie verbindet«, sich dazwischen einrichtet. Der Effekt ist, dass dem deutschen Charakter die Dinge in Ordnung zu gehen scheinen, wenn sie gut aussähen, vor allem andere meinen, dass sie gut aussehen, und man sich deshalb leicht an solchem Urteil orientieren kann. Dabei ist der Landsmann methodisch und kalt, wenn er das Schöne mit dem Edlen verbindet, »um seinen Kopf mit den Überlegungen des Anstands, der Pracht und des Aussehens zu beschäftigen.« Denn Verstand hat er, und wo er sich nicht entscheiden kann, wird es seine Bescheidenheit sein, die dafür verantwortlich ist. Wichtig ist ihm die Oberfläche auch in Sachen »Familie, Titel und Rang [... ,] sowohl im bürgerlichen Verhältnisse als auch in der Liebe von großer Bedeutung«. Die bedeutendste Schwäche ist die, sich nichts selbst zuzutrauen und nicht »original« zu sein, »obgleich er das Talent zu hat«, stattdessen weit mehr als irgend ein Angehöriger einer anderen Nation danach fragt, »was die Leute von ihm urtheilen möchten.« Soweit er damit in der Regel vermeiden kann, sich in Gefahr zu begeben, neigt er statt zu Bescheidenheit zu »Hoffahrt«, gemischt mit Stolz und Eitelkeit. Als Betragen im Umgang regiert dabei die »Ceremonie«, eine Neigung zur Inszenierung seiner selbst und seiner Umgebung. Kurz, zu erwarten ist nach Kants Urteil schon Mitte der 1760er Jahre von der Nation, die Charaktere ihrer Menschen betrachtet, nicht allzu viel. Jedenfalls, was ihre ›unterhimmlischen‹ Züge angeht, die nicht das darstellen, worauf sich die Hoffnungen auf Perfektibilität in Dingen von Sittlichkeit und Vernunft in the long run gründen ließen. Schon zu dieser Zeit scheint sich der Philosoph mit guten Wünschen verabschieden zu wollen: »daß der falsche Schimmer, der so leicht täuscht, uns nicht von der edlen Einfalt entferne«, die Deutschen noch mehr als andere Völker »sowohl in den Künsten und Wissenschaften als in Ansehung des Sittlichen«.118 Alles in allem stellt die Nation für Kant keine Alternative zur Assoziation in privaterem und kommunalem Kreis dar. Denn seine Mitglieder können sich nichtdestotrotz über seine Beschränktheit erheben zu kosmopolitischen Ideen, um derentwillen jeder »Nationalwahn auszurotten« ist.119 Institutionalisiert in der ›Gelehrtenrepublik‹ der Universität, allerdings, scheint dies schon kritischer auszusehen. Kant führt, was man sich unter einer Nation und ihrer Eigenart – bei aller Abstraktion – vorstellen kann, zurück auf die Eigenart der einzelnen Glieder der Nation, die darin durch »gemeinsame Abstammung [...] vereinigt zu einem bürgerlichen Ganzen« zusammenleben. – Ausdrücklich widerspricht Kant der gegenteiligen Auffassung Humes, der glaubt, dies anzuerkennen bedeute, der Nation als solcher keinen gar eigenen Charakter zuzubilligen. Anders Kant, der die »Affectation eines Charakters« für den »allgemeinen Charakter eines Volkes, zu dem er selbst gehört«, nehmen möchte, freilich darin, vermeintlich begründet, auch die »Verachtung aller Auswärtigen« findet. Dies »besonders darum [,] weil er sich allein einer ächten, staatsbürgerlichen Freiheit im Innern mit Macht gegen Außen verbindenden Verfassung rühmen zu können glaubt.« Allerdings ist dies nur öffentliche Meinung, von individuellem Spiel unterstützt, an sich nur »stolze Grobheit«, aber verantwortlich für die »beständige Fehde« der »civilisirtesten Völker auf Erden«, England und Frankreich. Kant relativiert und gibt zu, dass solche Beurteilung am Ende Sache der empirischen Wissenschaft sei, Gegenstand eher für den Sozialgeographen als den Philosophen, sofern die unterstellten Verhaltensregeln der einzelnen Nationalcharaktere
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ohnehin nur »aufgepfropften Maximen« entsprächen.120 Immerhin bestätigt der Überblick – »in schwarzer Kunst, doch nach dem Leben gezeichnet« –, was sich als Kants Beurteilung schon Mitte des Jahrhunderts abgezeichnet hatte. Am Ende desselben lassen sich deutlich Distanzen dort erkennen, wo, was die vermeintlich gleichbedeutenden Begriffe Aufklärung, Les lumières oder enlightenment programmatisch verkündeten, vor geraumer Zeit noch gegenseitige Nähe und Sympathie beinhaltete, zumindest in der Gelehrtenrepublik, für die, die solcher Erleuchtung zugetan waren. Jetzt treten deutsche, französische und englische Geschichte(n), Ereignisse und Charaktere auch in dieser Hinsicht auseinander. Deutsche Aufklärung setzt andere Akzente als französische oder englische Lichtkunst – auch bei Kant. Die Revolution der Nachbarn beruhe auf »nicht genugsam [sic!] durch überlegte Grundsätze gezügelte[r] Lebhaftigkeit und bei hellsehender Vernunft [...] Leichtsinn.« Kein Wunder, wenn »ein ansteckender Freiheitsgeist, der auch wohl die Vernunft selbst ins Spiel zieht und in Beziehung des Volks auf den Staat einen alles erschütternden Enthusiasm bewirkt, der noch über das Äußerste hinausgeht«, dann doch in allem ein Zuviel des Guten darstellt.121 Die Deutschen insgesamt dann zeigen die Symptome, die schon aus den Betrachtungen bekannt sind. Der Deutschen Fleiß dominiert ihr Genie – »welches letztere auch bei weitem nicht von der Nützlichkeit ist, als der mit gesundem Verstandestalent verbundene Fleiß der Deutschen.« Als typischerweise deutsch gilt der »Großhändler in der Gelehrsamkeit«, auf Invention gebucht in den Wissenschaften. Allerdings: »er hat keinen Nationalstolz, hängt gleich als Kosmopolit auch nicht an seiner Heimath.« Das sollte sich bald ändern. Ansonsten finden sich weitere konventionelle Versatzstücke. Der Deutsche protegiert Sittsamkeit und Strenge in familiärem und nachbarschaftlichem Umgang wie in der Erziehung der Kinder. Im Ganzen kultiviert er einen Hang zu »Ordnung und Regel gemäß [derer er] sich eher despotisiren als sich auf Neuerungen (zumal eigenmächtige Reformen in der Regierung) einlassen wird.« Das alles sind die guten Seiten. Die unvorteilhaften werden im Anschluss resümiert. Auch hier koinzidieren die Einschätzungen mit denen der Betrachtungen. Deutsch ist besonders der Hang zur Nachahmung wie mangelnde Originalität, gipfelnd in einer inszenierungspolitisch bemerkenswerten »Methodensucht«, die hier vollständig zitiert sein soll. Sie zeigt sich darin, »sich mit den übrigen Staatsbürgern nicht etwa nach einem Princip der Annäherung zur Gleichheit, sondern nach Stufen des Vorzugs und einer Rangordnung peinlich classificiren zu lassen und in diesem Schema des Ranges, in Erfindung der Titel [...] unerschöpflich und so aus bloßer Pedanterei knechtisch zu sein; welches [...] selber aus dem Geiste der Nation und dem natürlichen Hange des Deutschen hervorgehe: zwischen dem, der herrschen, bis zu dem, der gehorchen soll, eine Leiter anzulegen, woran jede Sprosse mit dem Grade des Ansehens bezeichnet wird, der ihr gebührt, und der, welcher kein Gewerbe, dabei aber auch keinen Titel hat, wie es heißt, Nichts ist; welches denn dem Staate, der diesen ertheilt, freilich was einbringt, aber auch, ohne hierauf zu sehen, bei Unterthanen Ansprüche, anderer Wichtigkeit in der Meinung zu begrenzen, erregt, welches andern Völkern lächerlich vorkommen muß und in der That als Peinlichkeit und Bedürfniß der methodischen Eintheilung, um ein Ganzes unter einen Begriff zu fassen, die Beschränkung des angebornen Talents verräth.«
Politische Kunst. Kunst des Sozialen – Kants ›Symposium‹ Die wenigen dezidiert politischen Akzente der Kant´schen Anthropologie, die es gibt, erscheinen ganz so gesetzt wie in der zur selben Zeit in Arbeit befindlichen Schrift Der Streit der Fakultäten. Kant ist realistisch, wenn er am Ende des Jahrhunderts
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die Chancen auf friedliche Assoziation im nationalen und internationalen Maßstab ventiliert. Vielleicht ziert es den Philosophen, nobel von den Zwecken der Gattung zu denken. Was praktisch empirisch von der gesellschaftlichen Verfassung zu halten ist, ist mit dem Stoff, der gut ist für Theaterstücke, die den Mythos des Gattungszwecks zur Aufführung bringen möchten, nicht vergleichbar. Und auch das verschweigt Kant nicht. In der »Geschichte des Tages« sieht man eher »Torheit, mit einem Lineamente von Bosheit verbunden.« Wer klug ist, sucht seine wahren Gedanken zu verheimlichen. Er wird »auf der Hut« sein, sich auf keinen Fall »ganz erblicken lassen«. Was Wunder, dass deshalb »so allmählig von Verstellung bis zur vorsätzlichen Täuschung, bis endlich zur Lüge fortzuschreiten nicht ermangelt«, ja geraten erscheint. Was fehlt, ist die gesellschaftliche Institutionalisierung der Differenz durch eine geeignete Verfassung, ein Thema, über das Kant an dieser Stelle nicht reden mag. Stattdessen spekuliert der Philosoph über den quasi evolutiven Effekt der Gattungsgeschichte, den eher zu bezweifeln denn anzuerkennen seine Darstellung allerdings guten Grund bietet. Hölderlin wird ihn gültig auf einen Nenner bringen. »Wo aber Gefahr ist, wächst das Rettende auch!«122 Ein Motto der Art: »es ist nichts zu hoffen, hoffen wir das Beste«, ist dennoch keines, das Kants Zustimmung gefunden hätte. Dies trifft eher auf Rousseau zu, dessen Neigung zur Verallgemeinerung des Wollens und der einzelnen Willen in Sachen Kultur und Gesellschaft gerade aus der Erfahrung rührt, dass von der Besorgung des dort Notwendigen wie Wünschenswerten durch eine Klasse von Gebildeten und Privilegierten nichts zu erwarten steht. Die üblen Wirkungen von Bühne und Theater schafft man ab durch Theater für alle. Auf anderen Gebieten verfährt man am besten mutatis mutandis.123 Kants Anthropologie kennt und erinnert die gefährliche Infektion, die von solchem mit Leichtsinn gepaarten Denken ausgegangen ist.124 Dabei ist der Philosoph aus Königsberg noch zu Zeiten ihrer Ausbreitung engagiert, ihrem Herd vielleicht noch zu nah125, um schon behaupten zu wollen, eine politiktheoretisch oder auch nur in philosophisch pragmatischer Hinsicht überzeugende Arznei zur Behandlung der Krankheit zu kennen. Nur einmal, abgesehen von den resümierenden Bemerkungen zur gebotenen Verfassungsform und deren zwiespältigen Aussichten der Eindämmung des Egoismus am Ende der Niederschrift der Anthropologie-Vorlesungen, wechselt Kant in dieser Arbeit in die Perspektive der politischen Szenografie, auf die Seite der Macher. Ausdrücklich spricht er dort von den Unternehmungen des »politischen Künstlers«, der die Inszenierungskunst eben so gut zu beherrschen wüßte »wie ein ästhetischer«. Zwar hat der Denker hier die parlamentarisch republikanische Konstitution nach englischem Vorbild im Blick, speziell auch das zukunftsträchtige revolutionäre Modell der Demokratie, worin die Freiheit – »wie im französischen Konvent« – verbunden wird mit der Würdigung des Rangs und der Gleichheit des Volkes nach Muster der jüngsten französischen Verfassungen.126 Doch was er zur Inszenierung von Politik sagt, ohne dass es ausdrücklich an deutsche Obrigkeiten adressiert wäre, gilt immer und überall, wo politisches Handeln und Gestalten zum Bühnenauftritt verkommt. Der politische Künstler, heißt es, vermöchte wie im Theater vorzuspiegeln, was mit Einbildung viel, mit der Wirklichkeit wenig zu tun habe. Dennoch gelänge es ihm, allein aus Gründen der Form, durch Gestaltung und Ausdruck – Rhetorik, Auftritt, Szene – die Welt zu leiten und zu regieren. Der politische Künstler kann so handeln, aber er muss es nicht.127 Nur die Hoffnung bleibt, dass es anders kommen könnte. Doch Kant weiß sehr wohl, dass die reklamierten wie die antizipierten, die ersehnten wie die befürchteten Ereignisse nicht selten zugleich eintreten.
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Was die Menschen hinsichtlich der »Fortschritte in der Cultur, wodurch der Mensch seine Schule macht«, fertiggebracht haben, welche Fortschritte sie hinsichtlich der resümierbaren »Kenntnisse und Geschicklichkeiten zum Gebrauch für die Welt« anführen können, fällt für Kant trotz der naheliegenden, zuletzt geschilderten Perspektive auch in der Anthropologie nicht ausdrücklich als politisch relevante Bilanz aus. Das Staatspolitische ist einfach nicht die Dimension, die hier im Fokus steht. Die Beispiele, die der Königsberger anführt – und die zu vermehren nach Bedarf er ausdrücklich dem Leser überlässt –, sind zwar nicht zufällig, betreffen indes nach modernem Verständnis eher die privaten Kreise der Bürger und ihrer freien und institutionalisierten Assoziation im kommunalen, vorzüglich urbanen Rahmen. Freilich lässt sich die Aneignung solcher Stätten staatlicher Institution und Disposition auch nicht verbergen. Erst unter Bedingungen der Bewirtschaftung der Bevölkerung seit der Mitte des 19. Jahrhunderts indes entfalten sich die politischen Implikationen zu spezialisierten Politikfeldern. Gegenstand der Anthropologie wie historischer Abstand erklären, dass Kant bei der Beurteilung der Handlungsfelder, auf welche die sozial und kulturell relevanten Inszenierungskünste ihr Können später anwenden sollten, im Wesentlichen die Betroffenen im Fokus hat und selbst aus der Perspektive eines Mitbetroffenen spricht. Betroffen, dies leuchtet ein, sind am Ende schließlich auch alle Planer und Macher. Trotzdem, die Spekulation auf die Szenografien hält sich in Grenzen, entfalten sich die Szenen des Bürgerlichen doch eher in den Konventionen und Ritualen des Gewohnten und Hergebrachten. Die Auszeichnung der bürgerlich kommunikativen Sphäre zwischen Familie und Staat spricht für die Erwartungen an die vertrauenswürdigen Räume überschaubarer Nähe. Als Exempel hierfür gilt dem Gelehrten die nicht zu kleine, nicht zu große Tischgesellschaft. Sie taugt zum Modell der freien Zusammenkunft in Ambiente und Atmosphäre kultiviert ästhetischen Verständnisses, ohne dass dem Schönen oder der Sinnentätigkeit für Entwurf oder Realität des Ereignens und Erlebens in diesem Szenario Exklusivrechte eingeräumt würden; »Geistesgenuß« ist unverzichtbar, aber auch Essen, Trinken, Rauchen, Lachen und feiner Witz. Kant bemerkt den Öffentlichkeitscharakter seines Symposium-Modells, spricht von einer »sogenannten öffentlichen Gesellschaft«, schränkt aber selbst gleich ein: Die Tischgesellschaft ist eigentlich eine »Privatgesellschaft«. Und »nur die staatsbürgerliche überhaupt in der Idee ist öffentlich« im politischen Verständnis. Tatsächlich gründet die Vertrauenswürdigkeit der Tafel »aus lauter Männern von Geschmack (ästhetisch vereinigt)« in der Geselligkeit und dem freundschaftlichen Verkehr als eigenem Zweck. Dazu gehören die sinnlichen Vergnügungen128, die Konversation, vor allem aber der freie Gedankenaustausch um »Grundsätze, die dem offenen Verkehr der Menschen mit ihren Gedanken im Umgange zur eingeschränkten Bedingung ihrer Freiheit dienen sollen.« Auch dieses Statement gilt der vorgestellten Lebensform. Es sind die Herren der Gesellschaft selbst, die »einander selbst zu genießen die Absicht haben.« Und natürlich denkt man nicht an Friedrichs höfische Tafelrunde, wo sich in Szene zu setzen als Verpflichtung galt, der Monarch aber das letzte Wort hatte. Kants Tischgesellschaften, die, bei denen er selbst gern gesehener Gast war, an die im eigenen Königsberger Haus, zu denen Freidenker und Anonymi-Autoren vom Typ Scheffler, Hamann und Hippel regelmäßig als Gäste gebeten waren, verstanden sich anders. »Hier ist etwas Analogisches im Vertrauen zwischen Menschen, die mit einander an einem Tische essen«, etwas von großer kulturanthropologischer Allgemeinheit. Nicht zuletzt um täuschende Inszenierung fernzuhalten, versteht sich das
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»Zusammenspeisen [...] als Förmlichkeit eines [...] Vertrags der Sicherheit.« Basis des Sicherheitsabkommens ist die gegenseitige Anerkennung aller Beteiligten als Gleiche unter Gleichen, wenn auch nicht gemäß abstrakter Naturrechtsansprüche oder abgeleiteter ›politischer‹, nämlich demokratisch gefasster Bürgerrechte, sondern »nach gefallenden Maximen und Manieren«, miteinander Umgang zu pflegen. Vertraulichkeit ist Ehrensache. Der Rechtstitel ist nicht an politische Rechte gebunden, sondern gewissermaßen privatrechtlich. Es zählen an Kants Tisch vielleicht nicht Rang und Name, doch des Philosophen eigene Symposiumgäste besitzen Rang und Namen – und können sich eben deshalb auch der Obrigkeit gegenüber gewisse Freiheiten erlauben, wenn auch in Grenzen.129 Rang und Name wiederum sind verbunden mit Besitz und Herkommen, zumindest mit hinreichendem Auskommen. Die Einzelnen sind, abgesehen von den ständischen und korporativen Bindungen, unabhängig, also auch nicht abhängig voneinander. Der Nukleus dafür liegt in oikos und oikonomia, worüber die Herren verfügen.130 Auch in dieser Hinsicht verbürgen sich die (Tisch-) Gesellschaftsglieder, füreinander einzustehen und aufzukommen. Ganz wie der Bürge singt bei Schiller: »Des rühme der blutge Tyrann sich nicht,/ Daß der Freund dem Freunde gebrochen die Pflicht«.131 Sicherheit bedeutet Verpflichtung auf Gegenseitigkeit und Bürgschaft. Mit der Tischgesellschaft skizziert Kant ein Modell, das dem der direkten oder indirekten Beherrschungskunst als Ideal eines ungekünstelt herrschaftsfreien Umgangs einander Gleichgestellter entgegengestellt ist. Wir sollen uns ein offenes szenisches Geschehen und Erleben vorstellen, in dem Gleiche unter Gleichen in einer Atmosphäre des Vertrauens sich austauschen und ›spielen‹132 ohne Hinterlist. Dass sich das Geschlechterverhältnis in diesem wie in allen Assoziationen des Humanen und nicht nur dem engeren Kreis der Familie entfalten wird, versteht sich von selbst. Kants Schilderung hält sich dagegen diesbezüglich zurück, forderte mit dem ›Weiblichen‹ und der ›Sexualität‹ doch ein in vieler Hinsicht komplizierendes ›Element‹ Berücksichtigung. Dies beginnt mit der Rechtsstellung der Frauen als dem Hausherren unterworfen und endet nicht mit der den Schwächeren auferlegten Inszenierungsstrategie, den Stärkeren etwas abzuringen, selbst wenn sich der Verkehr im Geschlechterverhältnis nicht explizit auf Dinge der Liebe und der Reproduktion bezieht. Ob die Topologie der beiden Spiele in einem Modell zu synthetisieren ist, wird sich zeigen. Das Modell des runden Tischs behauptet jedenfalls, ohne Bilder und Projektionen auszukommen. Überzeugender ist da die Darstellung der ›mittelbaren Beherrschungs- und Liebeskunst‹ hinsichtlich der Techniken und Effekte des tatsächlichen damit gepflegten Austauschs wie in der Beurteilung des Begehrens zwischen Auge und Blick des einen und des anderen. Daher scheint dieses Modell für die Inszenierungsgesellschaft zukunftsträchtiger, trotz der schönen Beschreibung des freien Männerbunds. Offenbar liegen nicht dort die einzigen Alternativen zur Ausübung von Gewalt und Einforderung des Rechts der Stärkeren. Zudem ist die Erzählung näher an den wirklichen Geschichten als an den Großen Erzählungen. Sieht man ab von der personnage der Tischgesellschaft Kants, zu der zwar auch professores, indes ebenso eine Reihe durchaus wenig untertantreuer Charaktere gehörte, erkennt man die Geschichte von der Gesellschaft der freien und gleichen Männer leicht auch als die der »Gelehrtenrepublik«. Deren reale Existenz aber bindet sich zu Kants Zeiten zunehmend an eine Universität, die sich im Staat nicht mehr als selbstständige Korporation behaupten kann, sondern unter sein Regiment gerät. Nicht erst hundert Jahre später – wie bei Nietzsche nachzulesen – ergeben sich daraus die Restriktionen für die dort tätigen ›freien Männer‹. Schon Kant konnte ihnen nicht entgehen.
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Die Tischgesellschaft der Freien und Gleichen ansonsten verweist konzeptionell auf das ideologische Original, dem solcher Ersatz im Kleinen – der keiner ist – die Herkunft verdankt, auf die Idee der freiwilligen Vergesellschaftung von Gleichen im nationalen und kosmopolitischen Rahmen. Hegel wird den Gedanken auf den Begriff bringen und hoffen, dass sich die Wirklichkeit danach richtet. Aber vorerst gebricht es zumindest den Deutschen am Volk für solche Veranstaltung. Es bleibt alles auf dieses oder jenes Territorium bezogen und die Bedeutung verleihende Sprache. Nachdem das Licht der lumières schließlich keine wirkliche Erleuchtung durch die Sonne der Aufklärung gebracht hatte, versuchte man es alsbald mit den »Tiefen der Erde«. Selbst die Tischgesellschaft sollte der Romantik als zu ›sozial‹ erscheinen. »Deutschland [...] hatte die Gabe, das heimatliche Territorium [...] als ›Einsiedelei‹ wahrzunehmen, wie groß die Bevölkerungsdichte auch immer sein mochte«. In solchem Selbstverständnis sah sich das Volk als eine »Emanation der Erde und stand für Einen Einzigen. Das Territorium öffnete sich dem Freund oder der Liebsten, aber die Liebste war bereits tot und der Freund war unstet und unheimlich.«133 Auch Kleist und selbst Hölderlin werden nicht in der Hegel -Goethe´schen Genealogie der achtbaren Nationaldichtung auftauchen. Was Schillers Bürge zu verbürgen mit seinem Leben bereit ist und der Freund, ihm abzuverlangen, keine Scheu, weil unbedingtes Vertrauen hat, wird sich, wer Eichendorffs »Freund« kennenlernt, zweimal überlegen. »Hast Du einen Freund hienieden, / Trau’ ihm nicht zu dieser Stunde, / Freundlich wohl mit Aug’ und Munde / Sinnt er Krieg im tück’schen Frieden.« Die anderen drei Strophen des Gedichts sind auch nicht erfreulicher, selbst nicht der »Entschluß zur Munterkeit« in der letzten Strophe, den Adorno – erstaunlicherweise? – als solchen lobt.134 Es wird wohl so sein wie mit Hölderlins Trost für den Zeitpunkt höchster Gefahr.135
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phänomenologie & struktur. Ästhetik & Herrschaft
Hegels Vorlesungen über Ästhetik sind philosophische Ästhetik. Kunst und Kunstwerke entspringen der geistigen Tätigkeit und sind selbst geistiger Natur, wozu »ihre Darstellung den Schein der Sinnlichkeit in sich aufnimmt und das Sinnliche mit Geist durchdringt«. Das ist unzweideutig. Als solche idealisch verstanden, nimmt die Kunst »jenseits der Unmittelbarkeit des Empfindens und der äußerlichen Gegenstände« den Schein des Sinnlichen fort und gibt den Erscheinungen eine »höhere, geistgeborene Wirklichkeit« – ganz im Sinne der juristischen Bewertung noch heute, wenn es etwa darum geht, zu entscheiden, was Kunst, was pure Sinnlichkeit, Pornografie ist.136 Für Hegel jedenfalls ist die Kunst aufgrund ihrer geistigen Durchdringung nicht bloßer Schein, verbürgt vielmehr »höhere Realität« und »wahrhaftiges Dasein«. Der Grund liegt auf der Hand: »Die harte Rinde der Natur und gewöhnlichen Welt machen es dem Geiste saurer, zur Idee durchzudringen, als die Werke der Kunst«, die es vermögen sollen. Doch sind die goldenen Zeiten der Kunstentfaltung (in griechischer Antike und Spätmittelalter) längst dahin. Die »Gegenwart [ist] ihrem allgemeinsten Zustande nach der Kunst nicht günstig«.Was neuerdings als gewünschter Effekt des Kunstwerks gilt, ist außer der Erregung zu unmittelbarem Genuss »zugleich unser Urteil, indem wir den Inhalt, die Darstellungsmittel des Kunstwerks und die Angemessenheit und Unangemessenheit beider unserer denkenden Betrachtung unterwerfen.« »Denkenden
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Betrachtung« ist Philosophie, die sich zugleich als Wissenschaft versteht, herausgefordert dazu durch die Künste selbst, denn sie sind nicht mehr selbstverständlich. »Die Wissenschaft der Kunst ist darum in unserer Zeit noch vielmehr Bedürfnis als zu den Zeiten, in welchen die Kunst für sich als Kunst schon volle Befriedigung gewährte. Die Kunst lädt uns zur denkenden Betrachtung ein, und zwar nicht zu dem Zwecke, Kunst wieder hervorzurufen, sondern, was die Kunst sei, wissenschaftlich zu erkennen«.137 Kunst-Wissenschaft ist für Hegel Kunst-Philosophie, die wiederum – auch institutionell – für philosophische Kunst- und Geistes-Wissenschaften sorgt. Die Einladung Goethes an den Dilettanten wird gewissermaßen von der Kunst, derer sich die Philosophie als Wissenschaft annimmt, selbst ausgesprochen. Die Kunst bittet um Entlastung, da ihr die Aufgabe, das idealische Programm zu erfüllen, einfach über den Kopf wächst – was freilich schon seit Kant und Diderot abzusehen war. Die Überforderung der Künste hat durchaus zu tun mit den ihnen abverlangten Inszenierungsleistungen. Das Genie von Natur sollte leisten, was wenig später allein die Philosophie qua Wissenschaft sich noch zutraute, die freilich dann auch Anspruch auf die Kunst machte. Allerdings am Ende des Aufklärungsjahrhunderts schien noch entschieden, was unter Wissenschaft, der Philosophie gegenüber, zu verstehen sei: erklärendes Bedeutenlassen. So wäre denn, bemerkt Kant in der ersten Auflage der Kritik der Urteilskraft von 1790, »das Urteil über Schönheit [...], wenn es zur Wissenschaft gehörte, kein Geschmacksurteil« und der Ausdruck »schöne Wissenschaften« selbst »ein Unding«. Denn anstatt erklärender Gründe und Beweise, wie sie die Wissenschaft vorzulegen habe, dürfe man von einer ›schönen‹ Wissenschaft nicht mehr erwarten als »geschmackvolle Aussprüche (Bonmots)«.138 So kann der Kunst nur Genie beistehen, die idealen Ansprüche zu erfüllen. Doch das lässt sich nicht abwickeln ohne Inszenierung. Denn für das Genie von Natur (natürliche Begabung, sagt Goethe) erfolgt mit gesetzmäßiger Notwendigkeit, was als Werk nur aus Spontaneität und Freiheit entstanden Wert hat. Reflektiert wiederum ist es das schöpferische Genie, das dem Stoff die Regeln seines Formwillens aufzwingt. Es selbst, ohne Zutun mit reichen Gaben von Natur gesegnet, muss davon nichts wissen. Kant ist klar. Doch der Kunst wird es nicht nützen, wenn sie nicht mehr wie bei Dürer, an dessen Kampf mit der Erde Heidegger erinnern wird, der Natur entrissen und nurmehr technikähnlich gelten soll. Der Naturwissenschaftler Kant weiß, dass »die Beurteilung der Kunstschönheit [...] als bloße Folgerung aus denselben Prinzipien« betrachtet werden muss, »welche dem Urteile über Naturschönheit zum Grunde liegen.«139 Die Genealogie der mimesis indes bleibt widersprüchlich. Die Freiheit der Kunst und der Kunst die Freiheit zu erhalten, bedarf es jedenfalls einer entsprechenden Inszenierung des Genies und durch das Genie. Hegel möchte darauf verzichten. Auf physis gegründet, entbehrt die Kunst nicht der Zweckmäßigkeit langer Bewährung – Grund genug, sie nachzuahmen, möchte man meinen. Kant könnte dem zustimmen, wenn man denn nicht auf Natur statt Kunst schließen würde. »Also muß die Zweckmäßigkeit der Natur im Producte der Schönen Kunst, ob sie zwar absichtlich ist, doch nicht absichtlich scheinen; d.i. die Schöne Kunst muß als Natur anzusehen sein, ob man sich ihrer zwar als Kunst bewußt ist.« Als ein Phänomen von Natur gilt das Kunstwerk dabei, wenn »alle Pünktlichkeit in der Übereinkunft mit Regeln, nach denen allein das Produkt das werden kann, was es sein soll, angetroffen wird; aber ohne Peinlichkeit«. Dieses Erscheinen140, dieser Auftritt des Werks soll deshalb ausfallen, »ohne eine Spur zu zeigen, daß die Regel dem Künstler vor Augen geschwebt und seinen Gemüthskräften
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Fesseln angelegt habe.«141 ›Genie‹ ist der Name des Rezepts, das empfiehlt, mimesis zwar auf physis bezogen, aber nicht in ihr gegründet erscheinen zu lassen, als Geistnatur oder Naturgeist, ein Medium, »durch welche[s] die Natur der Kunst die Regel gibt.« Dass die entsprechende Aufführung notwendig unglaubhaft geraten muss, ist damit nicht gesagt. Vertrauen in sie zu setzen, indes, setzt voraus, dass die bekannten Verwandtschaften und Herkünfte, soweit verfolgbar, offenliegen, nicht verschlossen und die Spuren getilgt erscheinen. Deshalb ist es leicht, der Argumentation Kants zu folgen. Er markiert die Schauplätze seiner Inszenierung. In Anbetracht der Kunst, sagt er, empfiehlt es sich, zu tun, als ob aus individueller Absicht geschähe und in der Freiheit solcher Willkür, was, wenn es so beschaffen wäre, dass es seinem eigenen Zweck zu folgen entspräche, ganz ohne Zweifel nach Grundsätzen natürlicher Zweckmäßigkeit geschähe. Ein transzendentales fait accompli; die transzendentale Hypothese als Konsequenz aus problematisch sinnlicher Erkenntnis, insbesondere des Gesichtssinns. Offenbar sind Kant die zu seiner Zeit bestens bekannten Gesetze der Optik und visueller Wahrnehmung nicht völlig geheuer, um die ästhetische Urteilskraft zu definieren. An die Stelle der wissenschaftlichen Sicht ›realer‹ Perspektiven auf ›reale‹ Objekte ist die Einsicht getreten, die sich der inneren Anschauung einer entsprechenden Darstellung bietet und sich darauf verlassen möchte, aber auch nur darauf verlassen kann, wenn sie zu Schlussfolgerungen gelangt mittels »Einbildungskraft, Verstand, Geist und Geschmack«. Letzteren schätzt Kant nach französischer Art für besonders wertvoll und als »Vereinigung« der drei ersten. Hume dagegen würde sich anheischig machen zu belegen, dass all die »Beweisthümer« von Einbildungskraft, Verstand, Geist bei den Engländern bestens aufgehoben seien. Interessanterweise findet sich an der zitierten Stelle kein Plädoyer für die Natur, die der Kunst die Regel vorgibt. Würde sich die Kunst auf die Hervorbringung eines (bloßen) Objekts verlegen, wäre die Intention, insbesondere wenn erfolgreich, sozusagen auf intellektuell technische Weise wirkend zu verstehen. Das gemeinte Objekt würde »nur durch Begriffe gefallen«, die Kunst, mithin, die solches bewerkstelligt, wäre nur mechanische, aber nicht Schöne Kunst. Das ist die Peinlichkeit. Deshalb die Verkleidung der Natur zum »Subjecte«, die Inszenierung des Genies. Durch Natur original, muss die so verwandelte Natur dann zwar nicht im Genie als nachahmend wirkend gelten, indes als exemplarisch für andere, als Richtmaß oder Regel der Beurteilung. Das Genie selbst gibt davon keine wissenschaftliche Darstellung, die Auskunft über ihre episteme geben müsste. Es weiß nicht, in welcher Weise es als Medium fungiert und nach welchem Gesetz. Der Entwurf und seine Willkür liegen nicht bei ihm, sondern bei der in ihm wirkenden physis, gepaart mit techne (Kunst /ars). Das Genie selbst ist nicht einmal befähigt, »solche Vorschriften mitzutheilen«, Vorschriften der Natur für die Kunst wohlgemerkt, nicht für die Wissenschaften, aber schon für das Studium des Künstlers. Mechanische Künste sind lehr- und lernbar, schöne auch, in Grenzen. Denn »etwas Schulgerechtes [macht] die wesentliche Bedingung der Kunst aus«.142 Und deshalb müssen auch für das Genie praktische Konzessionen eingeräumt werden, wie auch Schiller oder Goethe zum Ausdruck bringen. Das Genie trägt zum Kunstwerk den »reichen Stoff« bei – die Welt bei Heidegger. Für die Gestaltung indes, »Verarbeitung und Form«, braucht es durch die Schule gebildetes Talent, dessen Gebrauch vor der Urteilskraft bestehen kann. Urteilskraft ist notwendig, um zwischen begründetem143 Inszenierungsschein und bloßem »Dunst«, der die Inszenierung selbst verschwinden lassen kann, zu unterscheiden.
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Auch für maßgebliche Abteilungen der heutigen Kunst klingt Hegels Beschreibung durchaus plausibel, allerdings ohne dass ihr der Zweck bestritten werden könnte, »Kunst wieder hervorzurufen«. Die Wissenschaft der Kunst ist der Kunst selbst Bedürfnis. Hegel selbst scheint sich dann auch nicht ganz sicher, dass es nicht auch bestimmte Tendenzen der Kunst selbst sein könnten, die auf diese Weise schon in der ersten Hälfte des 19. Jahrhunderts mit der Kunst zu verfahren gedenken. Jedenfalls gehört es zur Hegel´schen Zeitdiagnose, dass sich nicht nur bei allen Völkern die »Bildung der Reflexion, die Kritik und bei uns Deutschen die Freiheit des Gedankens auch der Künstler bemächtigt« habe, sondern dass damit auch ein neues Kapitel der Kunst aufgeschlagen und, was Stoff und Gestaltung angeht, »tabula rasa« gemacht sei. Für Hegel ein Kapitel, in dem es mit der Kunst als solcher zu Ende geht144, obwohl sie sich weiterhin zunehmend mit sich selbst beschäftigt. Die Schöne Kunst jedenfalls hat ausgedient, wenn sie sich nicht mehr der Idee des Schönen und als solcher der Wahrheit verpflichtet sieht. Obwohl sie im Begriff des Schönen nur dem Scheinen der Idee zum Dasein verhilft, ist sie doch zumindest Reflexion, während »das Sinnliche etwas ganz anderes als der Begriff, das Objektive etwas ganz anderes als das Subjektive sei und solche Gegensätze nicht vereinigt werden dürfen«.145 Jedenfalls nicht vom echten Künstler. Anders steht es mit den Philosophen und Wissenschaftlern. Heidegger folgt mithin Hegel, wenn er in seinem Sinne darauf verweist, dass die Kunst, wo sie im Zuge des subjektiven Eroberungsprogramms per Bildproduktion über sich selbst hinausgehe, dies aber – in Hegels Worten – »ein Zurückgehen des Menschen in sich selbst, ein Hinabsteigen in seine eigene Brust« bedeute, womit sie »zu ihrem neuen Heiligen den Humanus mach[e]«.146 1
verordnete harmonie
Hegels Ästhetik ist idealisch, doch zielt sie auf die Wirklichkeit des ästhetischen Geistes. Deshalb auch fahndet sie durchaus nach pragmatischen Gesichtspunkten der »Zusammenstimmung« und wird fündig. Doch werden wir die von Kant, wenn nicht reklamierte, so doch vorgestellte Dialektik der Beherrschung nicht finden, nicht jedenfalls in der Begegnung von Kunst und Publikum in den Vorlesungen über die Philosophie der Kunst. Deshalb müssen wir diese Figur dort ventilieren, wo sie Hegel tatsächlich beispielhaft und maßgeblich entfaltet: neben der Enzyklopädie in der Phänomenologie. Doch sollte man in Erinnerung behalten, dass wir uns damit der Sphäre des Bewusstseins zuwenden, von Strukturen als Figuren des Geistes erfahren. Wir werden sehen, dass die Bedeutung des Narrativen, der Performanz von Narrativität, von Hegel reglementiert wird und trotz der vielen Beispiele in der Ästhetik in den Hintergrund rückt. Dabei obsiegen im Hegelschen paragone Dichtung und Poesie, freilich als Philosophie. Die Idee der Kunst fordert das Ideal. »[I]n sich bewegt«, muss es handelnd »in die äußerliche Welt hinaus«, um sich dort damit zu befassen, »wie die konkrete[.] Wirklichkeit auf kunstgemäße Weise zu gestalten sei. Denn das Ideal ist die mit der Realität identifizierte Idee.«147 Wirklichkeit auf kunstgemäße Weise zu gestalten impliziert dabei offenbar wie bei Kant, dass es sich bei Werken der Kunst nicht per se um solche der Schönen Künste handeln muss. Auch wenn sie es sind, die beispielhaft in den Mittelpunkt der Ästhetik geraten, sofern es ihr Zweck ist, das Schöne als Zweck der Kunst auszuweisen. In der Wirklichkeit trifft die Reflexion auf die »menschliche Individualität und deren Charakter«. Damit gegeben ist ein »konkretes äußeres Dasein, aus welchem heraus er [der Mensch – HW] sich zwar in sich als Subjekt zusammenschließt,
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doch in dieser subjektiven Einheit mit sich ebenso sehr auf die Äußerlichkeit bezogen bleibt«, eine »umgebende Welt«. Sie gehört zum »wirklichen Dasein des Menschen wie zur Bildsäule des Gottes ein Tempel«. Das Ideal greift so »unmittelbar in die gewöhnliche äußerliche Realität, in das Alltägliche der Wirklichkeit und damit in die gemeine Prosa des Lebens ein«, zu der eine »fast unübersichtliche Breite der Verhältnisse und Verwicklungen in Äußerliches und Relatives hinein« gehört. »Lokalität, Zeit, Klima« zählen dazu, die durch die Natur gesetzten Bedingungen, sodann alles Wichtige »in Erfindung und Ausstattung der Geräte und Wohnung, der Waffen, Sessel, Wagen, die Art der Bereitung der Speisen und des Essens, das [!] ganze weite Bereich der Lebensbequemlichkeit und des Luxus«, schließlich die »konkrete[.] Wirklichkeit geistiger Verhältnisse«. Hier fallen Hegel zuerst die »unterschiedlichen Weisen des Befehlens und Gehorchens« ein, dann aber auch die anderen Figuren des Geistes in Gesellschaft. Zu ihnen zählen die »der Familie, Verwandtschaft[,] des Besitzes, Landlebens, Stadtlebens, religiösen Kultus, der Kriegsführung, der bürgerlichen und politischen Zustände, der Geselligkeit, überhaupt die volle Mannigfaltigkeit der Sitten und Gebräuche in allen Situationen und Handlungen«.148 Doch wäre es ein Irrtum, zu glauben, so Hegel, dass der Eingriff des »Idealischen« in die Prosa des Lebens, wie es gemäß »nebulose[r] Vorstellung vom Idealischen neuerer Zeit« erscheinen könnte, der »Kunst allen Zusammenhalt mit dieser Welt des Relativen abschneiden«, die Kunst es deshalb verschmähen müsste, sich auf Normales und Konventionelles, von Gewohnheiten Geprägtes und Zufälliges einzulassen, um auch dies »in sich aufzunehmen«. Nur »ein Schein der Idealität«, tatsächlich »eine Abstraktion moderner Subjektivität« komme in dieser Auffassung zum Tragen. Teils bekundet diese Haltung mangelnden Mut, sich mit der Realität auseinanderzusetzen, teils eine hypertrophe Vorstellung von den Möglichkeiten subjektiver Willkür. In der Verkennung der Wirklichkeit, in der es ansonsten »Geburt, Stand[,] und Situation« veranlassen, sich derart zu überheben, tut sie sich selbst Gewalt an und kompensiert den Verlust durch den Rückzug in die innere Welt der Gefühle, der Phantasie und der Religiosität. »Das echte Ideal aber bleibt nicht beim Unbestimmten und bloß Innerlichen stehen, sondern muß in seiner Totalität auch bis zur bestimmten Anschaulichkeit des Äußeren nach allen Seiten hin herausgehen. Denn der Mensch, dieser volle Mittelpunkt des Ideals, lebt, er ist wesentlich jetzt und hier, Gegenwart, individuelle Unendlichkeit, und zum Leben gehört der Gegensatz einer umgebenden äußeren Natur überhaupt und damit ein Zusammenhang mit ihr und eine Tätigkeit in ihr. Indem nun diese Tätigkeit nicht nur als solche, sondern in ihrer bestimmten Erscheinung durch die Kunst soll aufgefaßt werden, hat sie an und in solchem Material ins Dasein zu treten.«
Mit dieser Kritik und Richtigstellung der Vorstellung, dass sich idealisch Geistiges und kontingent Weltliches in Wirklichkeit nicht miteinander einlassen könnten, stellt sich auch für Hegel die von uns oben formulierte Frage, wie man feststellt, ob, was (sich) als Kunst dar- und ausstellt, Kunst ist. Freilich formuliert Hegel die Frage als Frage danach, wie die Philosophie der Kunst die Spekulation, die Gegenwart des Idealischen im Kunstwerk darstellen kann: »in welcher Form und Gestalt das äußerliche innerhalb solcher Totalität durch die Kunst könne auf ideale Weise dargestellt werden.« Entsprechend bemüht sich der Philosoph, die relevanten Aspekte im Auftritt des Kunstwerks herauszuarbeiten: zunächst – ganz parallel der Diagnose der weltlichen Äußerlichkeiten – in den Bestimmungen »abstrakte[r] Äußerlichkeit als solche[r], Räumlichkeit, Gestalt, Zeit, Farbe, welche für sich einer kunstgemäßen Form bedarf«.
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Sodann eröffnet sich die Perspektive, die unsere einleitende Fragestellung bestimmte. Es ist dies der Blick, der in der Begegnung mit der Kunst »im Kunstwerk ein Zusammenstimmen mit der Subjektivität des in solche Umgebung hineingestellten menschlichen Inneren« erwartet. Schließlich wäre in der Konkretion der Totalität im und durch das Werk, in seiner und durch seine Gegenwart die glückende Begegnung selbst als Teilhabe und »Einklang« zu charakterisieren. Zu Wort (Prosa), Bild (Gemälde) tritt so auch der Ton (Klang, Musik) zum Zeichen geglückter Vermittlung. Denn »das Kunstwerk [ist] für den Genuß der Anschauung, für ein Publikum, das in dem Kunstobjekt sich selbst seinem wahrhaften Glauben, Empfinden, Vorstellen nach wiederzufinden und mit den dargestellten Gegenständen in Einklang kommen zu können den Anspruch hat«. Die gespaltene Darstellung qua kunstphilosophischer Betrachtung (Ideal) und Auftritt des Kunstwerks (Dichtung) diremiert die Realität der Künste in »eine gedoppelte Weise der Wirklichkeit«. Das Kunstwerk transformiert den idealischen Gehalt in konkrete Gestalten, wie sie der Wirklichkeit entstiegen sind, indem es »besondere Situationen, [...] Charakter, Begebenheit, Handlung« präzisiert. Sodann »versetzt die Kunst diese an sich schon totale Erscheinung in ein bestimmtes sinnliches Material und schafft dadurch eine neue, auch dem Auge und Ohr sichtbare und vernehmbare Welt der Kunst«. Die Realität des Werks verzweigt sich in Entwurf und lebendig ausdruckhaftes Spiel. »Nach beiden Seiten hin kehrt sie sich bis gegen die letzten Enden der Äußerlichkeit hinaus, in welche die in sich totale Einheit des Ideals nicht mehr ihrer konkreten Geistigkeit nach hineinzuscheinen befähigt ist.« Wir sehen mithin eine in Darstellung und Auftritt »gedoppelte Außenseite, welche eine Äußerlichkeit als solche bleibt und somit in Rücksicht auf ihre Gestaltung auch nur eine äußerliche Einheit aufnehmen kann.«149 Die Darstellung zeigt die Spuren ihres mimetischen Handwerks, indem sie die Zeichen verwischt und neuen Ausdruck anstrebt. Die Bestimmungen des Naturschönen indes kehren (verständlicherweise) wieder, denn sie rühren aus Betrachtung und schlussfolgernder Bestimmung. Nun finden sie sich »noch einmal, und zwar an dieser Stelle von Seiten der Kunst her«, die aber die Technik nicht entbehren kann – wie zu ergänzen wäre. »Die Gestaltungsweise des Äußerlichen nämlich ist einerseits die der Regelmäßigkeit, Symmetrie und Gesetzmäßigkeit, andererseits die Einheit als Einfachheit und Reinheit des sinnlichen Materials, welches die Kunst als äußeres Element für das Dasein ihrer Gebilde ergreift.« »Nun ist zwar das Substantielle, Göttliche und in sich Notwendige dieser Verhältnisse seinem Begriff nach nur ein und dasselbe, in der Objektivität aber nimmt es eine mannigfach verschiedenartige Gestalt an, welche auch in die Zufälligkeit des Partikulären, Konventionellen und bloß für bestimmte Zeiten und Völker Geltenden eingeht. In dieser Form werden alle Interessen des geistigen Lebens auch zu einer äußeren Wirklichkeit, die das Individuum als Sitte, Gewohnheit und Gebrauch vor sich findet und als in sich abgeschlossenes Subjekt zugleich, wie mit der äußeren Natur, so auch mit dieser ihm näher noch verwandten und angehörenden Totalität in Zusammenhang tritt.«
Die Kunst als Darstellung des Ideals muss dasselbe »in allen den bisher genannten Beziehungen zur äußeren Wirklichkeit in sich aufnehmen und die innere Subjektivität des Charakters mit dem Äußeren zusammenschließen.« Die geistige wie ästhetische, gestalterische wie technische Vollkommenheit des Kunstwerks könnte der Beschreibung als einer »Totalität« in Wirklichkeit nicht genügen, wenn sie sich nicht zur Vervollständigung in den Szenen realer Begegnung konkretisierte; ein für Hegel
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zwar notwendiger Durchgang durch die Kontingenz, doch auch ein Zustand, der erneut »aufgehoben« gehört in die Verobjektivierung des Geistes als Geschichte und Schicksal der Kunst. Doch das Wirkliche muss erscheinen, konkret der Schein des Kunstwerks seinen Adressaten. »Wie sehr es nun aber auch eine in sich übereinstimmende und abgerundete Welt bilden mag, so ist das Kunstwerk selbst doch als wirkliches, vereinzeltes Objekt nicht für sich, sondern für uns, für ein Publikum, welches das Kunstwerk anschaut und es genießt«. Das Kunstwerk selbst wiederum schaut das Publikum nicht nur an, sondern spricht mit ihm, wenn auch nicht zu ihm. Dass es dies tut, gehört zu seinem Dasein als Kunstwerk. Es ist die Verobjektivierung eines Gesprächs, das dem entspricht, welchen Ausdruck das Werk findet, sich auszudrücken. Und »so ist jedes Kunstwerk ein Zwiegespräch mit jedem, welcher davorsteht.« Das ›Gesprächsein‹ entspricht dem Sich-Ausdrücken. Nicht notwendig muss es das Wort zum Zeichenstoff nehmen. Um zum Ausdruck zu finden, kann dieser, wie die einzelnen Künste lehren, je eigene und andere Dimensionen und Materien wählen. In der Begegnung mit dem Kunstwerk wiederum eröffnet sich nach gewöhnlicher Vorstellung die Möglichkeit, dass die Präsentation von Gehalt und Gestalt des Werks mit den Empfindungen der um es Versammelten derart zusammenfindet, dass ein befriedigendes Kunsterleben resultiert. Dies setzt voraus, dass das Allgemeine, welches das Werk repräsentiert, in der Besonderheit eines Charakteristischen des Ausdrucks aufzutreten weiß, trotz eventueller »Eigentümlichkeiten« des Herkommens und trotz der kontingenten Umstände im Raum der Begegnung. Man könnte meinen, dass in einer als vollkommen empfundenen Begegnung die Empfindungen selbst zur Objektivität des künstlerischen Ausdrucks zu zählen seien, sodass der Betrachter des Werks, hineingezogen in den Blick des Kunstwerks, für die Zeit des Kunstereignisses zu ihm gehörte. Es wäre eine Adorno oder auch Heidegger nahe Interpretation der Hegel´schen Auffassung vom Zusammentreffen von Kunstwerk und Publikum. Hier konkurriert die pragmatisch empirische Betrachtung des Zusammenfindens mit der perzeptiv idealischen Vorstellung von Werkentwurf und Werkwirkung. Hegels Forderungen aber richten sich zuerst an Künstler und Werk, erst dann an den Rezipienten, der ihm als Erstes nur Publikum ist, interessierte, entsprechend ausgesuchte und vorgebildete bürgerliche Öffentlichkeit. Das Werk soll sich jederzeit mit ihm zusammentun können. Am Ende, so der gewünschte Effekt, soll insbesondere auf Seiten des Publikums alle Partikularität überwunden sein und »die wahre Objektivität in der Darstellung und Aneignung [auch – HW] fremder, der Zeit und Nationalität nach entlegener Stoffe« erscheinen können, trotz aller denkbaren »Kollisionen«. Der Künstler selbst ist an der universellen wie an der lokalen Wirkung wahrer Kunst zwar beteiligt, sofern sein Schaffen im »allgemeinen Pathos des Menschlichen und Göttlichen ganz zu Hause ist.« Darum ist er auch dann nicht gänzlich verschwunden, wenn er vor dem eigenen Werk zurückgetreten ist. In der Realität aber verhält es sich mit der Präsenz des Künstlers je nach Künsten sehr verschieden. Die ausübenden Künste brauchen Leib und Seele der Artisten, der Schauspieler, Tänzer, Musiker, Solisten und Choristen auf der Bühne. Und doch soll sich diese körperliche Realpräsenz ganz in der Illusion des Spiels und des von ihm geforderten Ausdrucks verlieren. Dennoch, die Zwiesprache des Kunstwerks in einer glückenden Zusammenkunft ist nicht als unerklärliche Selbstoffenbarung des Werks vorzustellen – obwohl das Publikum fordern darf, dass es zumindest die Kunst seiner Zeit »versteht« (beziehungsweise den »Dichter«, wie Hegel bezeichnenderweise sagt) und in der Kunst »heimisch« wird. Zum »durchgängigen Verständnis für fremde Völker und
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Jahrhunderte«, allerdings, gehört »ein breiter Apparat geographischer, historischer, ja selbst philosophischer Notizen, Kenntnisse und Erkenntnisse«.150 Zwar kann die gerechte Beurteilung der Qualität eines Kunstwerks nun nicht von solcher Bildung abhängig erscheinen, im Zweifelsfall, indes, wird es vorteilhaft für die Möglichkeiten der Kunst sein, zu erreichen, auf wen sie trifft, wenn er weiß, worauf er zu hören und zu schauen hat. Jedenfalls sollte das Publikum, das, als solches angesprochen, schon eine soziale und politische Indikation darstellt, selbst gewissen Ansprüchen genügen, um mit dem Werk, objektpräsent oder aufgeführt, auf der Höhe seiner Objektivität zusammentreffen zu können.151 Einerseits. Idealisch, andererseits, angesichts der Allgemeinheit der Kunst ihrem Begriff entsprechend, kann die Forderung nicht als Bedingung aufrecht erhalten werden. So oszilliert die Begrifflichkeit für diejenigen, die als Adressaten des Kunstwerks gelten, zwischen den einzelnen und den vielen, vergleichbar der Kunst, die sich selbst, zwar charakteristisch und in individuellem Ausdruck, doch immer zur Allgemeinheit erheben muss. Es ist eine Allgemeinheit unterschiedlicher Horizonte, denn einmal wird er begrenzt von der Nationalkunst, ein anderes Mal von der Universalkunst. Entweder müssen die Zwecke, wie es für die dramatische Kunst heißt, »ein allgemeinmenschliches Interesse oder doch ein Pathos zur Grundlage haben, welches bei dem Volke, für das der Dichter produziert, ein gültiges, substantielles Pathos ist.« Und beide, das »Allgemeinmenschliche und das spezifisch Nationale [können – HW] in betreff auf das Substantielle der Kollisionen«, um die es in der Darstellung zu tun ist, »sehr weit auseinanderliegen.«152 Beide Perspektiven bieten Vorteile, die sich je mit Botschaft, Gestaltung und Ausdruck verbinden und dem Zweck entsprechend poetisch gefasst werden müssen. »Im allgemeinen« aber lässt sich sagen, »dass ein dramatisches Werk, je mehr es[,] statt substantiell-menschliche Interessen zu behandeln, sich ganz spezifische Charaktere und Leidenschaften, wie sie nur durch bestimmte nationale Zeitrichtungen bedingt sind, zum Inhalt erwählt, bei aller sonstigen Vortrefflichkeit um desto vergänglicher sein werde.« Zur Weisheit vom »kurzen Leben« im Angesicht der »ewigen Kunst« passt dies weniger, trägt indes der Tatsache Rechnung, dass hiermit den individuellen Ambivalenzen im Empfindungshaushalt des Publikums möglicherweise angepasster Rechnung getragen werden kann als in einer nur allgemeinen Menschheitsperspektive, insbesondere, was Ängste und Befürchtungen betrifft. Wie auch immer: vom Mehrwert der »Schule«153 für die Begegnung mit der Kunst profitieren würde nur ein ausgesuchter Kreis von Gebildeten. Gemeint sind Gelehrte und Kunstkenner, auch Dilettanten, insgesamt der »Mittelstand«, den Goethe »im besten Sinne des Wortes« als Adressaten der Kunstproduktion ausgemacht hatte.154 Der Treue und Wahrhaftigkeit gegenüber den privaten, gesellschaftlichen und politischen Umständen künstlerischer Gestaltung, die Hegels Darstellung der Selbstverwirklichung der Kunst abverlangt, kann dies indes nicht genug sein. Selbst wenn die Begegnung mit den Werken der Kunst im Einzelfall durch Bildung günstig beeinflusst werden sollte, darf das Kunstwerk deshalb grundsätzlich, so Hegel, auf keinen Fall nur wenigen Privilegierten zugute kommen, sondern allen Gemeinten je nach Ansprache durch das einzelne Werk: möglichst »ohne Umweg [...] unmittelbar durch sich selber verständlich und genießbar«. Das ist weder eine Frage der Moral noch der Politik, vielmehr fordert es die Ästhetik des Kunstwerks. Die Bedingungen dafür hat der Künstler zu schaffen.155 qua Voraussetzung allerdings sind seine Vorstellungsmöglichkeiten an eine ihm überschaubare Zeit und darin ihm vorstellbare
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Rezipienten gebunden, ganz wie umgekehrt diese spontan nur das verstehen, was den Bereich ihrer Vorstellungsmöglichkeiten nicht übersteigt. Hierfür wiederum ist nicht nur »lebendiger Sinn, der [...] beim Publikum nicht fehlen darf«156, günstig, sondern hilfreich eben auch ein gewisser Grad an Vorbildung. Mit ihr lässt sich verhindern, jedenfalls ist das die Hoffnung, dass sich die Bilder in einem allzu fernen Spiegel nicht mehr identifizieren lassen, keine hilfreichen Wirkungen mehr zeitigen. Ein Konflikt offenbar, der pragmatisch anders gelöst erscheinen mag als auf dem Weg des Ideals. ›Zwiesprache‹ von Kunst & Nation. Hegels Kulturpolitik
Ganz offensichtlich ist Hegel ähnlich wie Goethe kulturpolitisch nicht unengagiert. Tatsächlich ist ja die Frage, wer die Adressaten der Künste sein sollen, wenn sie sich nicht auf den »kleinen abgeschlossenen Kreis weniger vorzugsweiser Gebildeter« kaprizieren sollen, durchaus von kulturpolitischer Brisanz. Korrespondierend der Totalität legitimer Ansprüche einer totalen Kunst, würde man erwarten, dass mit den vielen, wenn nicht »die Menschheit«, dann doch »das Volk«157 als wirklich »Allgemeines« gemeint sein müsste. Doch haben wir schon gehört, dass zu Beginn des 19. Jahrhunderts selbst das französische Vorbild kaum mehr anders zu interpretieren war als der deutsche Begriff. Das betrifft indes kontingente Umstände und wirft die Frage der Politik erst indirekt auf, selbst wenn die Verfasstheit des französischen »Volkes« als »Nation« auch nach Napoleon in deutschen Landen noch anderes beinhaltet als bei den Nachbarn im Westen. Kunstphilosophisch jedoch ließe sich die Subjektivität, wie Hegel mit seinem Verweis auf die »allgemeinmenschlichen Zwecke und Handlungen« der künstlerischen Poiesis bestätigt, durchaus auch hin zur Objektivität der Menschheitsgattung auflösen, um so dem Allgemeingültigen des Kunstwerks ein adäquates Gegenüber auf Adressatenseite zu liefern. Jedenfalls bestünde keine Schwierigkeit, diese Lesart als immanent nachvollziehbar im Hegel´schen System zu rechtfertigen, ähnlich wie bei Rousseau oder auch Kant, bei denen sich freilich die Allgemeinheit des Allgemeinmenschlichen aus der Gattungszugehörigkeit ergibt. Aber nimmt die Kunst nicht auch in Hegels Ästhetik den Weg über die Natur und das Naturschöne und entfaltet sich gleichsam aus der Natur heraus?158 Doch sollte bei solcher Anlage die mimetische Gründung der Kunst durchsichtig sein, erkennbar bleiben, dass künstlerische und technische Fertigkeiten und daher rührende Artefakte den Kräften der Natur und den Produkten der Physis abgeschaut sind. Diese ursprüngliche Nachahmung wird indes schon bei den Theoretikern des 18. Jahrhunderts zunehmend dekonstruiert, umgedeutet in Neuaneignung und schöpferisch ingeniöse Transformation in das Originale eines künstlerischen Werks. Bei Hegel nun wird die mimetische Naturbeziehung von der Räummaschine der Dialektik Bahn um Bahn beseitigt und am Ende ganz zum Verschwinden gebracht. – Der Hegelleser Heidegger, der ansonsten vieles, den Spuren des Berliner Professors folgend, anpackt, wird sich gerade mit diesem Aspekt gründlicher und anders auseinandersetzen. – Hegel selbst hingegen betrachtet Menschheit und Volk zwar unter kunstkritischen, nichtsdestoweniger aber auch pragmatisch kulturellen Gesichtspunkten, als »Publikum« und dieses als »Nation«. Denn dass die Kunst für alle da ist, bedeutet ihm, dass sie da ist für »die Nation im großen und ganzen«. Angesichts der Erwartungen an die Künstler, die Versorgung der Nation mit Kunst sicherzustellen, lautet die nur scheinbar erstaunliche Ermahnung Hegels über die Jahre seiner Vorlesungen in Heidelberg und Berlin, dass wahre Kunst sich der Nation zu verstehen und zu genießen geben müsse, unmittelbar.159
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Fairerweise sollte man betonen, dass dies zuzeiten durchaus auch Hoffnungen ausgedrückt, nicht immer der Bestätigung des nationalen status quo oder gar dessen Überbietung in politischer Hinsicht gegolten haben. Die in der Ästhetik wenige Seiten später aufgestellte Forderung, dass die einzelnen Individuen ihre falschen Ansprüche an die Künste aufgeben und darauf verzichten müssten, immer nur sich selbst und ihre »bloß subjektiven Partikularitäten und Eigenheiten vor sich haben zu wollen«160, muss zwar im Lichte dieses ersten ›nationalen Postulats‹ an die Kunst gelesen werden. Dieses aber sollte, da es sich um zwei Seiten ein und derselben Medaille handelt, nicht einseitig und nur politisch interpretiert werden. Man könnte sagen, dass die Forderung an das Publikum entweder widersprüchlich ist oder durchaus rational und inszenierungspolitisch relevant. Widersprüchlich könnte der Appell erscheinen, soweit schwer vorzustellen ist, dass die große Menge der Kunstkonsumenten irgendeine künstlerische Manifestation unmittelbar verständlicher und eingängiger fände als die, sich selbst »vor sich haben zu wollen«. Eher wird man zu Recht annehmen, dass das Publikum genau diesen Spiegel vorgehalten bekommen möchte. Wenn das zu verlangen aber zu den »falschen Ansprüchen« gehört, wie Hegel moniert, erhellt, was den Anspruch falsch macht. Falsch ist offenbar weniger die Idee, sich mit sich selbst beschäftigen zu wollen. Dass Hegel die Künstler aufruft, in ihrem Schaffen für jeden verständlich zu sein, bestätigt dies. Falsch kann demnach nur die Selbstidentifikation des Publikums sein. Vergäße dieses Publikum seine individuell oder gruppenspezifisch egoistischen Erwartungen an die Kunst, bestimmte es sich stattdessen kollektiv unter dem Aspekt eines nationalen Gemeinwesens, dann, so die Logik, wären auch die Erwartungen an die Kunst folgerichtig. Sie hätte zu gewährleisten, dass es überall dort, wo sie in Erscheinung tritt, zu einer Transfusion von Nationalem kommt. Mit Hilfe der Kunst könnte die Nation gewissermaßen mit sich selbst über sich selbst Zwiesprache zu halten, über nationale Kunst und nationale Existenz. Freilich geschähe es, eingedenk des oben Gesagten zur Zwiesprache, zwar in Harmonie, indes in einer geteilten Harmonie, einer Harmonie der Darstellung und einer Harmonie des Verstehens. So verstanden zeigt sich, dass Hegels Forderung an das kunstinteressierte Publikum, individuelle Vorstellungen vom Kunsterleben aufzugeben, tatsächlich kulturpolitische Zwecke zu transportieren vermag, im Rücken, sozusagen, der reklamierten künstlerischen Ideale. Doch um jene zu verfolgen, müssen diese inszeniert werden. Damit testiert Hegels Ästhetik dem ins Auge gefassten notwendigen Schein des Kunstwerks, sich selbst in einer Streuung selbstbezüglicher Aussagen mehr als ›eineindeutig‹161 zu bestimmen und bestimmen zu lassen. Entweder also ist die vermeintliche Reinheit des Scheins mitsamt der ebenso vermeintlichen Unverfälschtheit seiner Wahrnehmung in Zweifel zu ziehen, oder aber der Selbstzweck der Kunst ist auszudehnen auf eine Fülle von Bedeutungen, die ihm zu Recht beigelegt werden dürfen. – Oder die Wahrheit liegt dazwischen.
Nationale Einstimmung. Inszeniert, uninszeniert Bringt die aufgeführte Geschichte tatsächlich nichts als das Schicksal des künstlerischen Ideals auf die Bühne? Oder transportieren istoria und disegno mehr und anderes? Sind die Zwecke, die damit verfolgt werden, vor Publikum zu rechtfertigen und ihre Artikulation somit vielleicht nicht im Erlebniskontext einer Aufführung oder eines Werks, aber doch tendenziell und an anderer Stelle öffentlich zugänglich und erörterbar? In der philosophischen Darstellung, die über künstlerische Inszenierung spricht,
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sind die Fragen einsichtigerweise nicht beantwortbar. Doch auch das Problem politischer Effekte kunstgerechten Schaffens und seiner Resultate, das Hegels Ableitungen, wie gesehen, durchaus anreißen, wird dem Leser, zumindest in der Ästhetik, vorenthalten. Zwar kann es kaum Zweifel geben, dass »Nation« im Kontext der Vorlesungen tatsächlich als politischer oder kulturpolitischer Begriff verwendet wird und es die »Nation« ist, die, komplementär zur Kunst, der »Objektivität« auf Seiten des »Publikums« Genüge täte, wenn diese Öffentlichkeit angesichts möglicher Begegnungen mit dem Kunstwerk nur alle partikularen Erwartungen beiseite ließe und sich zum nationalen Angebot bekennte. Doch vorerst ist dies ein Wissen des Philosophen, seiner Hörer und Leser, doch darf Hegels Diskurs zeitgenössisch durchaus auch als verbreiteter Tenor von Kulturpolitik gelten. Empirisch wird nachvollziehbar sein, ob die deutsche Gegenwartskunst nach 1806 und 1813 mit diesem Programm dem Geschmack ihres Publikums entgegenkommen konnte, es selbst nach solcher Kunst verlangte, und was dies im Einzelnen bedeutet. Bei Hegel liest es sich deutlich so, dass das Idealische der Kunst selbst auf das Idealische der Nation referieren müsse, am Ende auf den Staat mithin – was bekanntlich im Horizont der Hegel´schen Philosophie insgesamt keine Neuigkeit darstellt. Die Künste der Zeit selbst sind voller Evidenzen, dass sie es ähnlich sehen, wenn dies auch weder eine Auskunft über die Qualität der Kunst bedeutet noch über die Art und Weise, wie die Hohlform mit Namen ›Nation‹ darin gefüllt erscheint – oder gar in der wirklichen Welt. Dennoch: der Auftritt der Künste qua theoretischer Einlassung der Philosophie der Kunst sollte, wie immer wieder unterstrichen, als keiner Fremdbestimmung unterworfen gelten, vielmehr erleben lassen, wie auch die lebendigen Gestalten der Künste durch die Geschichte des Geistes ziehen, an der, auch wer mit der Kunst sich verbindet – und nicht nur der Wissenschaft – , Anteil haben kann. Treten die Künste nun tatsächlich mit einer Geschichte hervor, in der das auf Vollkommenheit bedachte Werk, das auf ein befriedigendes Werkerleben zielt, als harmonischer Einklang von Nationaldichtung und Nationalgefühl propagiert erscheint, werden diese Künste beteiligt an einer Inszenierung, die mehr ist als das, was als spezifischer Schein von Vorstellung oder Exposition zu erwarten steht. Denn Hegel selbst bekundet, dass das Allgemeine der Kunst weit mehr ist als das Nationale. Es ist die Bildung selbst, die sich entfaltet im Gesamt der Spekulation über die Figuren des Geistes und ihr Schicksal, ein Wissen, wie es die Enzyklopädie als dieses Ganze festhält. Wären die Künste hingegen bereit, der Nation mehr oder weniger offensichtlich oder verdeckt zu geben, was sie als ihr Eigen versteht und, künstlerisch professionell in Szene gesetzt, besonders goutiert, sähe es allerdings allemal anders aus als im umgekehrten Fall, in dem von den Künsten noch zu erwarten steht, was die Nation als solche formt. Dass, so oder so, die Nation, in welchem Zustand auch immer angetroffen, darüber zerstritten sein mag, was als Nationales der Feier wert ist, kann nicht davon ablenken, dass hier Politik im Spiel ist und worum es ihr geht. Es wird eine Zerreißprobe. Wendet sich der Geist an die Freiheit, wird man nach der Realität der Freiheit fragen, wie dort nach der Wirklichkeit des Geistes. Die Zeiten des Idealismus sind eigentlich schon vorbei. Doch wie gestalten sich die Abhängigkeiten? Ist es denkbar, dass die Politik der Kunst oder die Kunst der Politik unterworfen wird? Die idealische Präsenz wahrer Kunst wird philosophisch angekündigt. Aber, wie Hegel gegen Ende seiner Vorlesungen bemerkt, heißt dies so viel wie dichtungsähnlich – so wie die Dichtung philosophieähnlich werden soll, wofür Hegel das große Beispiel des Goethe´schen Faust
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vor Augen hat.162 Die prosaisch reklamierte Totalität des Kunstwerks braucht für ihren Auftritt in der Wirklichkeit die Vollkommenheit der künstlerischen Gestaltung ihrer Botschaft in einem möglichst universell gültigen, objektiven Ausdruck, in dem auch die Nationalkünste untereinander (unterstellen wir ihnen keine chauvinistischen Motive) sich als Künste gegenseitig anerkennen können müssen. Zweifellos vermögen das nicht alle Künste zu leisten, und die es können, vermögen es nicht auf gleichem Niveau. Das Allgemeine ebenso wie das Besondere soll das Kunstwerk treffen und seinem Publikum das Charakteristische und Originale bieten, vergleichbar einnehmend wie beeindruckend, Achtung gebietend – und vielleicht begeisternd. Die Angesprochenen wiederum fänden so Gelegenheit, der Kunst auf Augenhöhe zu begegnen und sich, da sie doch alle ihre Erwartungen an solches Zusammentreffen erfüllt sähen, dem Kunstwerk in aller Unmittelbarkeit des Erlebens sowohl genießend als auch verstehend zu überlassen, ebenfalls, allerdings, jenseits aller Partikularitäten. Dies zwingt, oberflächlich, zu Allgemeinheitsformen realitätsgerechter Organisation, die dem Geist nicht entgehen sollten, trotzdem aber an das Gemüt adressiert sind, da der ›innere Sinn‹ sich allererst von einem Begehrenswerten, dem ›Schönen‹, angesprochen fühlen und führen lassen sollte. Zu inszenieren setzte mithin auf Ästhetisierung und Emotionalisierung des Begehrens im gesamten Feld attraktiver Angebote, auch wenn es bedeutete, Verschiebungen nicht der Perspektive, sondern des Blicks zuzulassen. So betrachtet, korrespondiert das Bedürfnis nach Nationalem in Mythos und Geschichte eher einer Leere gemeinschaftlichen Empfindens angesichts äußerer oder innerer Bedrohung als entwickeltem Nationalbewusstsein. Der Appell an die Künste, sich des Nationalen anzunehmen, ist trotz 1813 oder 1830, 1818 oder 1848, trotz demokratisch fortschrittlicher oder restaurativer Tendenzen zu unterschiedlichen Zeiten insgesamt sicher relativierend zu beurteilen hinsichtlich dessen, was Hegels Leser darunter verstanden. Doch werden die Ausschläge in beide Richtungen vom Gefühl des Verlusts und des Mangels einerseits, eines Gefühls notwendiger Alternativen zu den kürzlich erlebten Erschütterungen und Excitationen andererseits ausgegangen sein, auch wenn sie erst noch ins Werk zu setzen waren. – Auf die psychologische Seite der Inszenierungsrealitäten wird zurückzukommen sein.
Nationalkunst. Nationalautoren (Schiller, Goethe & andere) Was das Nationale betrifft, klingt bei den Deutschen um Hegel durchaus ein Rousseau´sches Echo nach, hört man nicht nur die Stimmen Burkes, Görres´ oder Arndts, sondern ebenso die Einlassungen Herders oder Kants, Schillers vor allem – und des eigenen frühen mit Schelling entworfenen Systemprogramms oder der Phänomenologie des Geistes. Es ist nicht das zur Mitte des 18. Jahrhunderts noch utopische »souveräne Volk« oder die noch abstraktere »volontée général«, denen die Erfüllung der Ansprüche auf allgemeine Teilhabe an den Segnungen von Kultur und Kunst zugutekommen sollen. Auch nicht das agitierte Volk der Revolutionskriege, drüben oder hüben, sondern das Volk, les peuples, einer politikfrustrierten Zeit, das jetzt als Nation aufgerufen wird. Zwar gilt »Nation« mittlerweile als modernes Konstrukt, wird politisch konnotiert mit rechtsstaatlich verfasstem Zusammenleben nach bürgerlichen Prinzipien und – trotz, aber auch mit Napoleon – ursprünglich durchaus revolutionärem Vorbild, sie durchzusetzen. Für deutsche, auch preußische Ohren ist die Berufung auf die Nation, abgesehen von den Zeiten manifester Konfrontation und einschlägigen Kampagnen, dennoch nicht unbedingt ein politisches Votum, weder den erreichten status quo einzufrieren noch zum status quo ante zurückzukehren. Auch nicht nach dem Wiener Kongress. Bekanntlich sollte es ein dreiviertel Jahrhundert
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dauern bis zu einer ›politischen Lösung‹ der nationalen Frage. Allemal gilt die Politisierung nicht für die von Hegel aufgerufenen Schriftsteller, Künstler und Intellektuellen. Trotz aller Revolutionsenttäuschung, trotz der erfolgreichen Erhebung über Napoleon und trotz der europäischen Neuordnung schauen nicht wenige von ihnen durchaus skeptisch auf die deutsche Nationalkultur und -kunst, auf die vergangene wie die künftige, allen voran die ›Dichterfürsten‹, deren einer allerdings zu Hegels Empfehlungen schon keine Stellungnahme mehr abgeben konnte.163 Goethes Standpunkt zum Thema Nation und Nationalkultur sollte sich zeit seines Lebens nicht grundlegend verändern.164 Schon die zweifelhaften Reaktionen auf die Lehrjahre, ein Werk, das für seinen Autor eine Art von »unsichtbare[r] Schule« darstellen sollte, veranlassten Goethe mit Schiller zusammen, eine Art »Ersatzöffentlichkeit« zu schaffen165, wenn auch das mit mäßigem Erfolg, allemal nach Schillers Tod. Was in der Ankündigung der Schiller´schen Horen noch wie ein erreichbares Ziel geklungen hatte, »die politisch geteilte Welt unter der Fahne von Wahrheit und Schönheit wieder zu vereinigen«, schien Zug um Zug zurückgenommen werden zu müssen.166 Die Xenien167 ließen die Widersprüche der Nationalkultur nur noch deutlicher hervortreten. Goethes Appell zu einem Austausch der Ideen in weltbürgerlicher Absicht abseits der Kabale aller Politik, wie es in der Einleitung zu den Propyläen168 steht, verhallte ebenfalls. Staatspolitisch empfiehlt der beamtete Goethe ohnehin beständig, wie dezidiert gegen 1815, »daß die Bürger der deutschen Staaten jegliche auf eine nationale Vereinigung hinzielenden Schritte den ›Großen, Mächtigen und Staatsweisen‹ überlassen sollen«.169 Goethe selbst versteht sich keineswegs als Nationalautor. Kleinstaaterei, überkommene Nationalitätsvorstellungen und nationaler Mystizismus, auch in Kunst und Literatur, Untertanengeist und restaurative Staatskonzepte sind auch am Ende der 1820er Jahre verbreitet, selbst wenn das Feuer der freiheitlichen Geister immer wieder von außen Nahrung erhält.170 So gilt Hegels Forderung an die Kunst und die Künste faktisch zuerst der Ansprache der Gelehrtenrepublik, einer vergleichsweise kleinen gebildeten Gemeinde tatsächlich oder vermeintlich Gleichgesinnter.171 Freilich wird sie sich zunehmend vermehren um Beamtenschaft und Staatsdiener der verschiedensten Couleur und Machtfülle. Am ›Programm Nationalkultur‹ jedenfalls mussten die aufgerufenen Nationaldichter, zu denen manche sich ideeller Weise durchaus zählen mochten, noch fleißig arbeiten. Dass sie dabei keineswegs an einem Strang zogen, wurde von Hegel oft genug beklagt.172
Kritik religiös nationaler Kunst (Goethe/Meyer) Der für Hegels Kunstphilosophie äußerst bedeutende Goethe gehört zu den Kritikern einer rückwärtsgewandten Versicherung deutscher Traditionen und Mythen. Seine Einlassungen sind unmissverständlich. In Fragen der Staatsräson ist Goethe zurückhaltender mit Bekenntnissen als Schiller, auch als Schelling, Hölderlin oder der junge Hegel, die grosso modo mit der demokratischen Auslegung der Staatsverfassung in der Version Kants173 sympathisieren. Goethe teilt indes die romantischen Vorstellungen von einer neuen nationalen Volksgemeinschaft nicht, die sich deutlich antirevolutionär – und reichlich nebulös – auf nationales Herkommen, auf Brauch, Sitte, Religion und entsprechende Werte der Innerlichkeit stützen. Die verstärkte Zuwendung zu Religion und Innerlichkeit sieht der Weimarer schon zu Anfang des Jahrhunderts in deutschen Landen, bemerkt, wie sich »unter den höheren und niederen Klassen die Vorliebe für alles Altnationale oder als solches Angesehene erhielt, sich erweiterte«, um in Zeiten »feindlichen Drucks und Kränkungen nur desto höher« zu steigen.174
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In Goethes ästhetischer Beurteilung derjenigen Künstler und Künste, die einer derartigen gesellschaftspolitischen Option der Zeit nahestehen, erscheinen Distanz oder Ablehnung nichtsdestotrotz gut dosiert. Mit der Stimme seines Johann Heinrich Meyer kritisiert die Autorität in Sachen Kunst die rückwärtsgewandte Inspiration von Architektur und Malerei. Die Bildhauerei, so Goethe, mache eine Ausnahme, da sie sich dem Winkelmann- und Mengs´schen Vorbild nicht entfremdet habe. Für die zeitgenössische Kunst muss allerdings eingeräumt werden, dass auf Grund der Kriegsunruhen der letzten Jahre »[a]lle deutsche[n] Länder zu sehr [...] bewegt [wurden], als daß überhaupt ausübende Kunst hätte gedeihen können.« Doch sei »einer Sage zufolge [...] die Neigung zum Religiösen und Deutschaltertümelnden vornehmlich unter den jungen studierenden Künstlern« sehr verbreitet. Der künstlerischen Darstellung des »Christlich-Mystische[n] oder auch des Vaterländische[n]« vermag der Text indes durchaus im Einzelfall einiges abzugewinnen, namentlich in Gestalt der Werke Runges, Overbecks oder Cornelius´ – weniger was die Kunst Caspar David Friedrichs angeht. Es bleibt nicht verschwiegen, dass sein Talent sich gewinnbringender vielleicht an anderen Sujets hätte versuchen sollen.175 Meyer beziehungsweise Goethe halten die zweifelhafte Traditionsversessenheit für eine Manier, die zu vergleichen sei mit den Vorlieben für das Ägyptische, später Griechische und Römische, bei einem »benachbarten kultivierten Volk«, wie es heißt, womit immerhin implizit darauf hingewiesen wird, dass die historische Kostümierung durchaus mit den Inszenierungs- und Selbstinszenierungszwecken eines Volkes zu tun haben könnte. Der Autor selbst gibt zu Protokoll, dass es »in bezug auf die Kunst am sichersten und Vernünftigsten ist, sich ausschließlich mit dem Studium der alten griechischen Kunst und was in der neueren Zeit an dieselbe sich anschloß, zu befassen; hingegen immer gefährlich und vom rechten Weg ableitend, andere Muster zu suchen.«176 Schaut man auf das Territorium, das die Kunstkritik im Sinn hat, wenn die deutsche Nationalkultur der jüngeren Geschichte und Gegenwart aufgerufen wird, findet man diese Kunst ohnehin nicht allein auf Gebieten deutscher Sprache. Deutsche Künstler vielmehr wirken außer in Weimar, Dresden, Jena und Leipzig, München, Frankfurt und Köln, in Wien, Bern und Prag ganz massiert und vorzüglich in Rom – zumindest bis zur Besetzung durch die Franzosen – und ab 1798, abgewandert, in Florenz. Geografisch betrachtet, scheint es, hat die deutsche Kunst gar kein Vaterland. Insgesamt indes vermögen Meyer und Goethe der Begeisterung fürs Nationale in der Kunst doch einiges abzugewinnen. Altertums- und Vaterlandsliebe hätten zumindest dafür gesorgt, dass es nach den großen Zerstörungen der Revolutions- und Befreiungskriege gelungen sei, bedeutende »Denkmale unserer nationalen Kunst« der Ignoranz und dem Vergessen zu entreißen, zu pflegen, wiederherzustellen und zu sammeln, sowohl öffentlich wie privat. Offenbar war dies die Würdigung, dass auch auf diesem Feld nicht zuletzt der professionellen wissenschaftlichen Beschäftigung mit dem Erbe eine gute Grundlage gelegt worden war.177 Den nationalen Aufschwung zu befeuern, ist Meyers Bestandsaufnahme zur Patriotischen Kunst eindeutig nicht angetreten. Dass sie dennoch ein Verständnis demonstrierendes Statement enthält, erscheint eher dem guten politischen Ton geschuldet.178 Zugleich wird darin, ganz im Tenor wiederholter Einlassungen Goethes, die Hoffnung ausgesprochen, dass »jener Nationalenthusiasmus nach erreichtem großen Zweck den leidenschaftlichen Charakter, nachdem er so stark und tatkräftig geworden, ohne Zweifel wieder ablegen und in die Grenzen einer anständigen würdigen Selbstschätzung zurücktreten wird«. »Ein Gleiches gilt für die Religiosität.«179
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Nationalen Aufbruch anzumahnen sollte auch um 1830 nicht reflexhaft als ideologisch beurteilt werden, ideologisch reaktionär oder fortschrittlich. Abgesehen von den nationalstaatlichen Implikationen preußischer Politik oder konkurrierender Ambitionen auf den Territorien des alten Reichs, ist die Aufforderung nicht zuletzt institutioneller kultur- und bildungspolitischer Ambition geschuldet, wie man nachlesen kann, wenn man beispielsweise die Universitätsgeschichte der Zeit studiert. An den Hochschulen der deutschen Staaten hieß es, wichtige Bastionen der deutschen Altertumswissenschaften und Nationaldichtung aufzubauen und zu besetzen, Fakultäten und Lehrstühle einzurichten oder umzusteuern, um, was Dichtung und Poesie hervorgebracht hatten und hervorbrachten, dem wissenschaftlichen und Bildungsdiskurs zu überantworten. Die Erträge waren der Forschung zuzuführen, aber auch einem Prozess der Reproduktion von Stoff, Autorschaft und Karrieren, die auf dem Weg über das Gymnasium und die gymnasiale Bildung, das Ausbildungs- wie das Beamtensystem, für Nachwuchs in der Professorenschaft sorgen konnte.180 Hegels Stellung bleibt ambivalent wie die Goethes. Nach der Juli-Revolution von 1830 erhalten die Reformer und Revolutionäre Aufwind, das Junge Deutschland lässt gemäßigte Haltungen nicht gelten. Auch Hegel selbst erfährt noch zu Lebzeiten Kritik von links wie rechts, ganz wie Goethe, der seiner liberalen Haltung wegen schon in den zwischen 1821–1828 erscheinenden, sogenannten Falschen Wanderjahren Pustekuchens181 heftig aus dem Biedermeierlager kritisiert worden war. Bei den kritischeren Geistern indes setzt sich nach Goethes Tod eine Beurteilung durch, die einer dauerhaft abgewogeneren Einschätzung Platz schafft. Heine ist einer der ersten, die dafür sorgen und für diese Haltung stehen.182 Nietzsche ist hin- und hergerissen. Er achtet und zitiert die altersweisem Besinnungen und Einsichten des Weimarers, und doch verachtet er seine Staatstreue, zeiht ihn der »edlen Weichlichkeit«.183
Discours esthétique (Hirt, Goethe, Hegel) Für seine Bestimmungen des wahren Kunstwerks bedient sich Hegel bei den Definitionen des Schönen als Ideal der Kunst bei der Kunstgeschichte und Kunstexpertise des 18. Jahrhunderts, die er im Unterschied zur älteren Kunsttheorie184 durchaus schätzt. Namentlich bezieht sich Hegel auf Hirt und eben Goethe, dessen Definition mit derjenigen Hirts, wie Hegel zeigt, im Effekt zusammenfällt und klassisch genannt werden darf.185 – Bevor wir zu den Gründen für die Auszeichnung der »redenden Kunst« in Hegels Ästhetik kommen, schauen wir auf die Qualifikationsmerkmale des Kunstwerks zwischen universeller Geltung und performativ szenischer Wirkmächtigkeit, wie sie in Deutschland zu Beginn des 19. Jahrhunderts diskutiert werden. Der Kunsthistoriker Aloys Hirt verweist zur Definition von Kunstschönem und Geschmacksbildung auf Erscheinungen des Charakteristischen, für das Kunstschöne speziell auf das Vollkommene im Charakteristischen und das Charakteristische im Vollkommenen. Das Vollkommene selbst wird weiter präzisiert hinsichtlich des Schönen überhaupt (auch des Naturschönen also) und identifiziert als das »›Zweckentsprechende, was die Natur oder Kunst bei der Bildung des Gegenstandes – in seiner Gattung und Art – sich vorsetzte‹«. Dies, kommentiert Hegel, lenke richtigerweise darauf, die »individuellen Merkmale, welche ein Wesen konstituieren«, den Charakter des Kunstwerkes angemessen zu beurteilen, als Allgemeines wie als »Individualität«. Die Hirt´sche Bestimmung – »bezeichnender als sonstige Definitionen« – realisiere sowohl die Entfaltung des Gehalts – »als z.B. bestimmte Empfindung, Situation, Begebenheit, Handlung, Individuum« – als auch den der Geschichte verliehenen
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Ausdruck durch eine Darstellung, auf die sich »das Kunstgesetz des Charakteristischen« bezieht. Obwohl man den Eindruck gewinnt, dass die meisten Merkmale des Kunstwerks am ehesten auf die Dichtung zutreffen, soll Hegels »ganz populär[e]« Erläuterung ausdrücklich für die Dramatik und die Malerei gelten, also auch eine das Sehen ›ansprechende‹ Kunst. Im Sinne der Hegel´schen Interpretation deckt die »sehr wichtige Bestimmung« Hirts demnach die Kehrseite der oben angeführten Fehlanzeige zur Identifizierung eines Kunstwerks in der Begegnung mit ihm auf. Wo nichts fehlt und nichts zu wünschen übrig bleibt, existiert auch nichts Überflüssiges. Darum geht es in der Bestimmung, Charakteristisches zu treffen: Es soll »nur dasjenige mit in das Kunstwerk eintreten, was zur Erscheinung und wesentlich zum Ausdruck gerade nur dieses Inhalts gehört; denn nichts soll sich als müßig und überflüssig zeigen.«186 Alles, was es wesentlich zu zeigen gäbe, muss sich auch zeigen. Goethe wird von Hegel mit einem Ausspruch zur Beurteilung des Kunstwerks durch die Alten zitiert. Nach deren Auffassung habe man sich grundsätzlich auf das hinter der äußerlichen Erscheinung Liegende zu konzentrieren, auf das »Innere, eine Bedeutung [...], durch welche die Außenerscheinung begeistet wird«. Form und Ausdruck sind demnach Zeichen geistigen Bedeutens: »Auf diese seine Seele deutet das Äußerliche hin.« War die »Behandlung« nach dem Grundsatz der Alten »glücklich«, trat als »höchstes Resultat« der »Bedeutung« der Begriff des Schönen hervor. Hegel findet demnach bei Goethe eine Bestätigung, dass der Schein des Kunstdings zum Zeichen genommen werden muss. In der Dichtung kommt er in Worten und Sätze, allemal wenn sie Gespräch ist. Doch nicht nur sie stehen für mehr als nur sich selbst. Auch »das menschliche Auge, das Gesicht, Fleisch, Haut, die ganze Gestalt läßt Geist, Seele durch sich hindurchscheinen, und immer ist hier die Bedeutung noch etwas Weiteres als das, was sich hinter der unmittelbaren Erscheinung zeigt«..Schiller findet die ganze Mimesis im Mimen, im lebendigen Körper, seiner Sinnlichkeit und Geschmeidigkeit.187 Der Gestus wiederum findet sich am Ende der malenden Hand und bleibt im Bild. Es bestätigt sich: es ist nicht gleich Sprache, schon etwas bedeuten, heißt, sprechen zu können. Und es bestätigt sich ein Weiteres: Worum es geht, findet sich weder in der Materialität des Werks noch in seiner Topografie – einer natürlichen Objektmarkierung oder zufälligen Figürlichkeit, »in Linien, Krümmungen, Flächen, Aushöhlungen, Vertiefungen des Gesteins, in diesen Farben, Tönen, Wortklängen«188 –, sondern in der Informiertheit des Dings, in der Fülle seiner inneren Bedeutung. Schiller nennt »[s]prechend« auch »jede Erscheinung am Körper, die einen Gemütszustand begleitet oder ausdrückt [...], alle sympathetischen Bewegungen«.189 Hiermit, schließt Hegel die Bemerkung zur Einlassung Goethes zur Definition des Schönen ab, sei nun aber nicht mehr und nichts anderes gesagt, als mit dem »Hirtschen Prinzip des Charakteristischen«.190 Auf vollkommene Weise Charakteristisches ausdrücken zu können ist die Kunst, dem Artefakt in aller Eindeutigkeit des Ausdrucks die Fülle seiner Bedeutungen mitzugeben. Freilich zieht Hegel hier keine Heidegger´schen oder Serres´schen Konsequenzen. Die Informiertheit der Dinge verbleibt in einem Raum abgezogener Bedeutungen, in einem spekulativen Raum des erscheinenden Werks und einem realen Raum ideeller Darstellung respektive derjenigen Zeichen, derer die Darstellung sich bemächtigt. Dies jedenfalls ist das Schicksal eines Kunstdings, dessen gesamtes Wesen doch umgekehrt, sollte es erscheinen müssen, vollständig in seinem Schein sich zu sehen gäbe, ohne damit doch auf die Idee zu verweisen und mit der Philosophie in Wettstreit zu treten.191
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poesie & dichtung im wettstreit der künste
Im letzten Teil seiner Vorlesungen zur Philosophie der Kunst gibt Hegel Auskunft über das »begriffsmäßige[.] Verhältnis der Poesie zu den übrigen Künsten«.192 Für was alles in Material oder Form darf die Dichtung sich zuständig erklären? Hegels Antwort überrascht nicht: »Für das an und für sich Wahrhafte der geistigen Interessen überhaupt, doch nicht nur für das Substantielle derselben in ihrer Allgemeinheit symbolischer Andeutung oder klassischen Besonderung, sondern ebenso für alles Spezielle auch und Partikuläre, was in diesem Substantiellen liegt, und damit für alles fast, was den Geist auf irgendeine Weise interessiert und beschäftigt. Die redende Kunst hat deswegen in Ansehung ihres Inhalts sowohl als auch der Weise, denselben zu exponieren, ein unermeßliches und weiteres Feld als die übrigen Künste. Jeder Inhalt, alle geistigen und natürlichen Dinge, Begebenheiten, Geschichten, Taten, Handlungen, innere und äußere Zustände lassen sich in die Poesie hineinziehen und von ihr gestalten.«
Nicht die Vorstellung überhaupt ist es freilich, die, ganz wie bei Kant, allen Inhalt in Poesie zu verwandeln vermag, sondern nur die produktiv kreative Einbildungskraft hat solches Vermögen. Bedingung dafür ist, dass »die künstlerische Phantasie [...] denselben [Gehalt – HW] so ergreift, daß er sich, statt als architektonische, skulpturmäßig-plastische und malerische Gestalt dazustehen oder als musikalische Töne zu verklingen, in der Rede, in Worten und deren sprachlich Schöner Zusammenfügung mitteilen läßt.« Formal gestalterisch wie in Hinsicht des Ausdrucks sind damit ebenfalls klare Auflagen verbunden. Weder darf die Dichtung in »Verhältnissen des verständigen oder spekulativen Denkens noch in der Form wortloser Empfindung oder bloß äußerlich sinnlicher Deutlichkeit und Genauigkeit aufgefaßt« sein. Zur anderen Seite darf nichts lediglich in der »Zufälligkeit, Zersplitterung und Relativität der endlichen Wirklichkeit« vorgestellt und ausgedrückt werden. Alles vielmehr muss die Mitte halten »zwischen der abstrakten Allgemeinheit des Denkens und der sinnlichkonkreten Leiblichkeit«. Was für alle Schönen Künste gilt, gilt auch hier, indes mit weiterreichenden Konsequenzen. Die poetische Phantasie muss wie alle Kunst »in ihrem Inhalte Zweck für sich selbst sein«; für die kreative Einbildungskraft bedeutet dies, dass sie »alles, was sie ergreifen mag, in rein theoretischem Interesse als eine in sich selbständige, in sich geschlossene Welt ausbilden« muss! Praktisch, so der Schluss, auch hier folgt Hegel Kant, ist die Kunst darum, wo sie erscheint in den Szenen des Lebens, interesselos. Das ist der Sinn ihrer Formierung in einem abgeschlossenen theoretischen Darstellungsraum. »Denn nur in diesem Falle ist, wie die Kunst es verlangt, der Inhalt durch die Art seiner Darstellung ein organisches Ganzes, das in seinen Teilen den Anschein eines engen Zusammenhangs und Zusammenhalts gibt und der Welt relativer Abhängigkeiten gegenüber frei für sich nur um seiner selbst willen dasteht.« Vorgestellt mithin wird eine kolossale Scheinfabrik. Doch was, wird man fragen, passiert, wenn jemand die Dichtung für bare Münze nimmt, um sich in der Praxis daran zu orientieren und entsprechend zu verhalten?193 In den material und dimensional sich fülliger exponierenden Künsten liegen die Dinge offensichtlich auch anders und je verschieden. Sie machen »vollständig Ernst mit dem sinnlichen Element [...], insofern sie dem Inhalt nur eine Gestalt geben«, dorthin, logischerweise, auch ihr Interesse lenken. Das macht sie für die Spekulation wenn nicht ungeeignet, so doch sperrig. In der Dichtung hingegen ändert sich »das ganze Verhältnis«! Allgemein
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korrespondieren nämlich die »spezifische[.] Bestimmtheit dieses Materials« mit dem »begrenzte[n] Kreis von Darstellungen«, die, auf jenes bauend, zu Gestalt und Ansehen geformt werden. Entsprechend kommt es zu ausdrucksspezifischen Leistungen von Baukunst, Skulptur, Malerei, auch Musik, deren einzelne aber trotz vielfältiger gegenseitiger Integrationsversuche nicht von einer der je anderen Künste ersetzt werden kann. Konsequent auf die Leistungsfähigkeiten der Dichtkunst orientiert, sieht Hegel wie vor ihm andere in der angegebenen Reihenfolge eine Abstufung möglichen Gestaltungsreichtums. Vom »ärmsten [...] Ausdrucke ihres Inhalts«, bei der Architektur angefangen, bis hin zu Poesie, die sich ganz vom Material gelöst hat und in der »Bestimmtheit ihrer sinnlichen Äußerungsart keinen Grund mehr für die Beschränkung auf einen spezifischen Inhalt und abgegrenzten Kreis der Auffassung und Darstellung abgeben kann.« So wird die redende »die allgemeine Kunst, welche jeden Inhalt, der nur überhaupt in die Phantasie einzugehen im Stande ist, in jeder Form gestalten und aussprechen kann«, auch im Sprechen über alle anderen Künste. Ihr eigentliches Material aber bleibt »die Phantasie selber«, deren Materialisierung sich hier vergleichsweise auf Null zurückzieht. Die Rangfolge liegt folglich begründet in einer Matrix »der steigenden Idealität«, die der einzelnen Kunst, je nach Verbundenheit mit der Erde und den Sinnen, einen höher- oder minderwertigeren Platz im paragone einräumt. Vernichtung von Sinnlichkeit ist offenbar die große – nicht unproblematische – Kompetenz der Dichtung, die dadurch zur »allgemeine[n] Grundlage aller anderen Kunstformen und einzelnen Künste« reüssiert. Von jeder spezifischen Darstellungsweise hat sie sich emanzipiert zur allgemeinen Darstellungsform, die »über dem Kreise dieser Totalität von Besonderheiten« thront. Kurz, die »Poesie [...] wird die allgemeine Kunst«.194 Die Rede vom »Ende der Kunst« begründet sich an dieser Stelle. Die Kunst im Sinne der Praxis und Praktiken der Künste hat sich idealerweise selbst aufgehoben. Hegel beschreibt dies als einen Prozess der Befreiung. Gerade weil es sich hierbei um eine Idealisierung, um ein »Herausgehen aus der realen Sinnlichkeit und Herabsetzen derselben« handelt und ein »Produzieren [...], das in die Verleiblichung und Bewegung im Äußerlichen noch nicht einzugehen wagt«, korrespondiert diese Befreiung vom Stoff der ökonomischen und politischen Befreiung der Zeit. Denn das »Noch nicht« von »Verleiblichung und Bewegung im Äußerlichen« gilt nur, soweit und solange diese handfeste mediale Verallgemeinerung ideal gefasst, Kunst bleibt, was, wie gesehen, Hegel nur für den Darstellungsmodus behaupten will. Vom Dargestellten indes wird sehr wohl beansprucht, dass es wirklich sei und deshalb ein anderes noch als in einer Kunst, deren Wesen als Schein sich äußert. Es ist mithin der »Gang der Betrachtung«, welcher der Poesie als besonderer Kunst testiert, eine letzte Entwicklungsstufe der Kunst überhaupt erreicht zu haben, eine Stufe, »an welcher zugleich die Kunst sich selbst aufzulösen beginnt«. Tatsächlich finden wir eine Transformation, die »das philosophische Erkennen« beobachtet, das seine Geschichte inspiziert. Festgehalten wird daher nur ein »Übergangspunkt«. Auf ihn konzentriert, gelingt es zu erkennen, wie sich die Kunst, die sich redend zur allgemeinen Form von Darstellung emanzipiert hat, verwandelt, um »zur religiösen Vorstellung als solcher sowie zur Prosa des wissenschaftlichen Denkens« weiterzugehen und sich zu verzweigen. Die »Grenzgebiete« der Kunst insgesamt sind eingetragen in ein platonisch christliches Diagramm, ein Kreuz der unterhimmlischhimmlischen wie endlich-unendlichen Gesamtschau, das den Blick zum einen auf die Senkrechte lenkt, eine Mitte, ein Oben und Unten. Aus der Mitte der Künste vollzieht die Dichtung den Aufstieg zu »höheren Sphären« der Idealität, »zu einem
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sinnlichkeitsloseren Erfassen des Absoluten«. In entgegengesetzter Richtung, nach unten, grenzt »die Welt des Schönen« an die Gebiete »der Prosa der Endlichkeit und des gewöhnlichen Bewußtseins, aus der die Kunst sich zur Wahrheit herausringt«. Zum anderen lädt das Diagramm dazu ein, sich der Horizontalen zu versichern und in den Zeiten zu lesen. So betrachtet, entfaltet sich die Geschichte als Geschichte des Geistes eine Weile in den Gestalten der Kunst und des Schönen, um auch darüber hinwegzuziehen und zum Absoluten fortzuschreiten.
Sprechen, sehen, zeigen. Blick & Sprache der Kunst Hegel räumt ein, dass gerade die universelle Verwendbarkeit des Mediums Sprache, die es erlaubt, die Totalität kunstgemäßer Darstellung geistig zu reproduzieren, ihr größter Mangel ist.195 Dies gilt zunächst nur im Vergleich zum Vermögen der anderen Künste, den Stoff zu binden und Ausdruck zu schaffen. Doch hat der sprachliche Ausdruck aufgrund gemeiner Herkunft und Verwendung die Eigenschaft, sich genauso gut ganz unpoetisch und prosaisch entfalten zu können. Wir sehen die Sprache an der Kreuzung von Repräsentation, Diskurs und Kunst. Die Dichtung wird diese Herausforderung annehmen. Gilt als der Inbegriff von Ausdruck der »Sprachcharakter der Kunst«, dann ist er »grundverschieden von Sprache als ihrem Medium«. Zumindest darüber spekulieren sollte man, meint Adorno, ob nicht beide Sprachverständnisse letzten Endes miteinander unvereinbar seien. So nämlich verstünde sich, dass die Dichtkunst – wie in der modernen Prosa seit Joyce – am Ende daran arbeite, »die diskursive Sprache außer Aktion zu setzen oder wenigstens den Formkategorien bis zur Unkenntlichkeit der Konstruktion unterzuordnen«.196 Semiotisch betrachtet, bedeutet universelle Darstellungsmöglichkeit die absolute Freiheit, bedeuten zu lassen – freilich nicht weiterreichend, als an einer gewonnenen Bedeutung wiederum mit den Zeichen fortzufahren, ohne dem Ausdruck dauernden Stand zu bescheren. Doch kann dies das Ziel der Kunst nicht sein, selbst dann nicht, wenn sich ihre ›Sprache‹ ausdrücklich der formenden Gestaltung durch das Wort überantwortet, das Wort aber im Medialen, im Vermittelnden gefangen bleibt, ohne zu einer charakteristischen Ausdrucksweise zu finden. Denn selbst dann muss gelten, was für alle Kunst gilt, dass der geformte Ausdruck sich zeigt und nicht als Gedanke nur sich mitteilt. Auge und Ohr sind dabei. Zu sprechen heißt, auf sich selbst zu zeigen, sich sehen zu lassen. Der Lebendigkeit des beseelten Dings angemessen ist, dass es auf diese Weise selbst zu sprechen und zu blicken vermag. »Ausdruck ist der Blick der Kunstwerke«, heißt es in Adornos Ästhetischer Theorie. Ähnlich äußert sich Lacan.197 Ihr Gesicht zeigen sie »dem, der ihren Blick erwidert«.198 Es scheint Kommunikation, was die Begegnung mit der Kunst ausmacht, wenn von ›Dialog‹ oder ›Zwiesprache‹ die ›Rede‹ ist wie bei Hegel. Doch entspricht es nicht der Wirklichkeit des erscheinenden Kunstwerks, über sein Scheinen hinaus auch noch zu kommunizieren. »Der Vorrang des Objekts in der Kunst und die Erkenntnis ihrer Gebilde von innen her sind zwei Aspekte des gleichen Sachverhalts.« Architektur, Skulptur oder auch Malerei zeigen in ihren Gestalten auf ihre Gründung in der Physis, indizieren so – in einem »andeutenden Symbol« – den Gehalt ihrer Dinglichkeit als das, was sie sind. Das tut das sprachliche Kunstwerk auch, vor allem im Gestus. Die Dichtung verfügt material, physisch über Ton und Ausdruck der Stimme in Wort und Gesang, über die Gesten, die Bewegungen des Körpers. Sicher kommt es auf den Ausdruck an, ob er den Ansprüchen an eine charakteristische wie allgemeingültige Erscheinung genügt, um, was die Gestaltung zustande gebracht hat oder bringt, Kunst zu nennen. Vergleichbares gilt für die geschriebene Sprache. Gestus und Ausdruck stecken im Geschriebenen. Doch leuchtet ein, dass die
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Sprachkünste, ganz wie die anderen Materien verpflichteten artes, als Künste auch da sich zu zeigen vermögen, wo die konventionellen Erwartungen an die gewöhnlichen künstlerischen Ausdrucksformen nur schwerlich in der Lage wären, einen neuen Typ kunstreicher Gestaltung zu identifizieren. An wissenschaftsspezifische Gestaltungsformen wäre zu denken oder an alltagspraktische Künste aller Art, die freilich als l´art pour l´art nicht oder nur auf ihre Weise gelten wollten. Die Herausforderung an die Ästhetik der Formgebung besteht indes immer und in vielerlei Hinsicht, die gewöhnlich nicht thematisiert wird. In der »negativen Behandlung [seines] sinnlichen Elements« ist dem sprachlichen Ausdruck als solchem keine ähnlich deutlich markierende Wirksamkeit mitgegeben wie den anderen Künsten, wenn sie kraft ihres Materialausdrucks verweisen. Doch kann dieser Vergleich nicht auf den Stoff bezogen bleiben. Sonst wäre gesprochenes oder gesungenes Wort zwar nicht Stein oder Erde, Kreide oder Farbe, aber doch Ton wie in der Musik. Niemand würde einen Ausdruck verdächtigen, weil geformt aus solchem Material, notwendig auch schon dieser oder jener Kunst angehören zu müssen. Einiges schließt sich aus, vieles mehr ist möglich. Ähnlich aber steht es um die vollständige Abstraktion von der Materie. Auch solche Sublimation ist keine Spezialität der Wort- oder Textzeichen. Nur scheint es hier viel leichter, sich wie des Stoffs entledigt einzustimmen. Die besondere Gabe dieser Zeichen, mittels ihres Körpers auch physisch an ihrer Wirksamkeit teilzuhaben, wäre, allerdings, für vernachlässigenswert zu erachten. Offenbar fällt es im Sprachlichen ungleich leichter als bei Architektur oder Skulptur. Bei den Wörtern passiert es am ehesten, dass das Material nicht einmal mehr brauchbar erscheint, um es »zu einem andeutenden Symbol zu gestalten«, einem Index. Den gefügten Steinen eines Tempels oder dem farbigen Auftrag auf der Leinwand diese Funktion abzusprechen dürfte weit schwieriger sein, obwohl doch jedes Verstehen mit einem Bedeutenlassen beginnt. Und trotzdem geschieht es, dass die Poesie ihre sinnlichen Elemente »zu einem bedeutungslosen Zeichen herabbringt« und »die Verschmelzung der geistigen Innerlichkeit und des äußeren Daseins [sich] in einem Grade auf[löst], welcher dem ursprünglichen Begriffe der Kunst nicht mehr zu entsprechen anfängt«. Die Dichtkunst läuft so Gefahr, »sich überhaupt aus der Region des Sinnlichen ganz in das Geistige hineinzuverlieren«, im Zeichenraum, im Raum reiner Information zu kondensieren.199 Das ist der Preis der Ideen, der Philosophie und des Systems. Vorstehende Diagnose vorausgesetzt, verstehen sich die gestaffelten Ansprüche an die Wirkung des Scheins jeder Inszenierung in kunstgerechtem Aufzug, die sich von der Bühne der Sinnlichkeit nicht verabschieden, im Gegenteil dorthin wollen, ohne auf die Qualitäten sprachlicher Deutung und Bedeutung zu verzichten. Deshalb bevorzugt der Schein die Hybridformen künstlerischer Exposition und Exekution. Die Rede ist von den »ausführenden Künsten«, die sich mischen und vielfältig sinnliches Material gestalten, Schauspiel, Oper, Ballett und andere ausdrücklich performative Künste, trans- und intermediale Kunstformen und ihre Szenografien.200 Hier hat man es in der Tat »mit Gesinnungen, Charakteren und Handlungen zu tun [...], welche in ihrer lebendigen Wirklichkeit an uns herantreten sollen.«201 Ein Gleiches gilt in unserem Kontext für die der Hegel´schen Bezeichnung nachempfundenen ›expositiven‹ Künste, die, ausgestellt und sich sehen lassend, nicht weniger an uns herantreten.
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›Wie die Wirklichkeit auf kunstgemäße Weise zu gestalten sei‹
Wir hatten den Aufzug der Dinge verlassen, um an der Vergegenwärtigung von Kunstdingen zu überprüfen, ob die Frage nach der ›Legitimation durch Verfahren‹ überzeugender beantwortet werden könnte, wenn man bei der Suche nach rechtfertigenden Hinweisen auf die Seriosität der Inszenierung die ›Kunst des Verfahrens‹ herausarbeitet, statt bloß die technisch einwandfreie, ökonomische Abwicklung qualifizieren zu wollen. Zu diesem Zweck sollte beispielhaft die Kunst der Schönen Künste befragt werden. Auch Hegel erläutert, was es heißt, kunstgemäß zu verfahren, sowohl für die Seite der Kunstproduzenten als auch, wenngleich zurückhaltender, für die Seite derer, die sich ihren Werken aussetzen. Künstler und Publikum im Blick, versteht sich, warum einem Verfahren der Bedeutungsermittlung zu überprüfen aufgetragen scheint, ob vorzeigenswerten Inhalten in tatsächlich kunstgerechten Prozeduren zu Auftritt und Effekt verholfen wird, ohne dass Ausdruck und Botschaft in Ausstellung oder Aufführung untergehen, oder die Gestaltung glattgeschliffen hat, was daran Widerstreit indiziert und nur noch gefällig daherkommt. Der semiotisch medialen Deutung dieses Zusammenhangs, könnte man argumentieren, wäre die Beurteilung dessen, wie verfahren wird, tatsächlich nicht eine Beurteilung von »Außendingen«, sondern, entwurfs- oder intentionsbezogen, von »geistigen Verhältnissen«.202 Fraglich wird die Alternative sein. Denn geistige Verhältnisse ergeben sich weder allein in Absicht oder Plan noch in einem Zwischenraum, zwischen Ding und Geist, sondern in und aus der inneren Heterogenität des Werkes heraus, aus seiner Beseelung, wenn es spricht und sich zeigt, sich aufführt. Denn »im Innern alles dessen, was mit Fug harmonisch kann genannt werden, überlebt das Desparate und Widersprechende«.203 Mithin reden wir von verschiedenerlei Bedeutungshinsicht, von »Bedeutung« in medialer oder zeichentheoretischer oder in sach- und ausdrucksbezogener Beziehung. Dass der pragmatische Gesichtspunkt seinen eigenen Sinn und Wert besitzt, leuchtet ein, geht es ihm ja um die praktische Frage, wie sich der Geist als er selbst, als Geist unter Geistern in der Wirklichkeit erkennt. Dies erhellt bei Hegel beispielhaft am Übergang innerhalb der äußerlichen Bestimmungen des Ideals. Denn hier dreht es sich darum, »wie diese [...] konkrete[.] Wirklichkeit auf kunstgemäße Weise zu gestalten sei«. Und es geht um das schon eingeführte »Zusammenstimmen [im Kunstwerk] mit der Subjektivität des in solche Umgebung hineingestellten menschlichen Inneren«.204 Zwei vielleicht nicht sich, aber offensichtlich der Wissenschaft unbekannte Größen treffen aufeinander. Beide scheinen schlecht auszuloten zu sein, weil beide von subjektiven Beweggründen beherrscht werden könnten, die produktiv darstellende oder gestaltende Seite wie die Seite, die sich mit der gestalteten Darstellung befasst. Beiden Seiten wäre beizukommen, wenn alle subjektiven Zwecke hintangestellt erschienen und sich der Objektivität dessen, worauf sich ihrer beider Interessen richten, tatsächlich verschrieben – sagt Hegel. Dies ohnehin ist die Bedingung dafür, dass einem Dritten nicht verwehrt wäre, ebenfalls teilzuhaben. Würden Ding an sich und Dingerscheinung nach herkömmlicher Auffassung unterschieden, fänden Kunstwerke ihren Platz auf der Seite der Erscheinung und nicht der eines An-sich des Wesens. Anders beim Kunstwerk, bei dem die Erscheinung selbst auf die Seite des Wesens gehört, Wesen und Erscheinung nicht gleichgültig gegeneinander sind. Das »wahrhaft charakterisiert die These, in der bei Hegel Realismus und Nominalismus sich vermitteln.« Wesen und Erscheinen des Kunstwerks sind »keines für ein Anderes, sondern ihre immanente Bestimmung.« Also ist »keines, gleichgültig wie der Hervorbringende darüber denkt, auf einen Betrachter, nicht einmal auf ein transzendental
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apperzipierendes Subjekt hin angelegt«! Daraus folgt, wenn »Betrachter« Kommunikationsabsichten beinhaltet, dass »kein Kunstwerk [...] in Kategorien der Kommunikation zu beschreiben und zu erklären« ist.205 Die doppelte immanente Bestimmung deshalb als Identität zu reklamieren ließe die Daseinsgeschichte des Kunstwerks unberücksichtigt, die es in ein existierendes Innen und Außen scheidet, das Außen seiner Erscheinung, der Schein seines Innen. Würde man diesen abstreifen und für sich sehen und auf vergleichbare Weise das Innen für sich imaginieren können, würde die Illusion eines Nicht-Heterogenen durchaus zwingend erscheinen. Zwei abstrakte Entitäten stünden sich gegenüber. Dass man sie wie getrennt auch ›harmonisch‹ wie Nussschale und Nusskern miteinander verbunden denken könnte, liegt nahe. Doch die strukturale oder diagrammatische Momentaufnahme, die solches Gleichgewicht der Dissoziation ins Bild setzte, täuschte, ohne praktisch – und deshalb auch theoretisch – weiter aufgelöst zu werden. »Der weiteren Bestimmung nach ist es aber die geistige konkrete Individualität des Ideals, welche in die Äußerlichkeit hineintritt, um in derselbigen sich darzustellen, so daß also das Äußerliche von dieser Innerlichkeit und Totalität, die sie auszudrücken den Beruf hat, durchdrungen werden muß, wofür die bloße Regelmäßigkeit, Symmetrie und Harmonie oder die einfache Bestimmtheit des sinnlichen Materials sich nicht als zureichend erweisen.«206
Dies muss im Gedächtnis bleiben, wenn Hegel von der »Harmonie«, wie hier von der Harmonie des Zusammenstimmens spricht. – Denn er spricht nicht von der Harmonie von Kunstwerk und Publikum, sondern von der Harmonie zweier Harmonien. Hegel führt uns mit dieser Klärung zu einer von Innerlichkeit und Totalität durchdrungenen Äußerlichkeit der Darstellung, welche aber als Äußerlichkeit, als Positivität nichts anderes ist, als was zur Realität gehört. So gelangen wir, in Hegels Worten, zur »zweiten Seite der äußerlichen Bestimmtheit des Ideals«, überschrieben »Das Zusammenstimmen des konkreten Inhalts mit seiner äußerlichen Realität«. Hier nun aber hat das Ideal, wenn und insofern es erscheint im »äußeren Dasein«, mit »menschlichen Tätigkeiten« zu tun, namentlich solchen, die selbst ein werkschaffendes, gestaltendes Tun beinhalten.207 Worüber wir sprechen, geht mithin nicht mehr nur die Subjektivität eines Publikums an, sondern auch die des werkschaffenden Künstlers und Gestalters selbst. Beide Seiten werden vom Idealischen der Kunst und des Kunstwerks in seinem Objektivitätsstreben herausgefordert. Doch wird niemand behaupten wollen, dass als »menschliche Tätigkeiten« allein solche zu veranschlagen sind, deren kunstgerecht schaffendes Tun und Gestalten allein um der Schönen Künste willen sich müht. Die Wirklichkeit, mit der es die Subjekte »zu tun« haben, ist reicher und weiter.
Optionen stofflicher Darstellung. Idylle, Bildungsideal, Souveränität Noch reicher und weiter als die Wirklichkeit selbst entfaltet sich das Feld ihrer Darstellung, die nicht von der Art ist, womit sie sich beschäftigt. Damit stellt sich die Frage, welche ›Weise‹ von Darstellung für welche ›Tätigkeiten‹ – Praxis-, Handlungs- und Ereignisfelder – die kunstgerechte, will heißen objektiv sachgerechte und im Begriff mit dem Ideal übereinstimmende sein kann. Inhaltlich geht es ausdrücklich um die »Prosa des Lebens« und die Frage, »inwieweit auch dieser Kreis den Forderungen der Kunst gemäß könne dargestellt werden«. Verschiedene Vorbilder und Typen bieten sich an. – Unter anderem entgegnet Hegel hier einem bei Schiller strukturell wie inhaltlich entwickelten Gedanken unterschiedlicher Darstellungsoptionen, die freilich auf drei »Dichtungsarten« im Sinne eines »dreifache[n] Empfindungszustand[es]«
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abzielen.208 – Nahe liegt, um dem Ideal zu entsprechen, die Vorstellung vom Goldenen Zeitalter oder eines idyllischen Zustandes. Würde so erzählt, entspräche dem Ideal im Werk zumindest ein »idealer Anstrich«. Als anderes Extrem böte sich eine Darstellung, die dem Ideal wenigstens formell zu entsprechen versuchte. Wohl trüge sie der Wirklichkeit Rechnung, überließe indes die gesamte Überwindung der Kluft geeigneten Inszenierungen solcher Anstrengung. Idealbezogen in Szene zu setzen, wie durch Herbeiführung eines Zustandes allgemeiner Bildung die Herausforderungen der Wirklichkeit angenommen und ihre Widrigkeiten überwunden werden könnten, so lautete hier die Aufgabe für den Dichter. – Man ist versucht, an entsprechende Stücke politischer und kulturpolitischer Prosa nicht nur in der Vergangenheit zu denken. – Die Abhängigkeiten der Arbeit, die Hegel sehr konkret und realistisch »statt in individuell lebendiger Weise mehr und mehr nur maschinenmäßig nach allgemeinen Normen vor sich« gehen sieht und die am ehesten eine allseitige »industrielle Bildung« indizieren, erscheinen in dieser Perspektive überwindbar durch allgemeine Bildung, politische Steuerung der Bedürfnisse der großen Zahl. Die künstlerische weil idealische Darstellung aber muss die Dinge notgedrungen auf den Kopf stellen. Sie muss die Arbeitenden und selbst die Armen reich erscheinen lassen. Denn nur wenn sie als Menschen erscheinen, die zur Arbeit nicht mehr verurteilt sind, wird man bereit sein, sich vorzustellen, dass sie sich stattdessen tatsächlich »höheren Interessen hingeben«. Der Nachteil ist offensichtlich, die Darstellung gerät utopisch, unglaubwürdig als Beschreibung der Wirklichkeit, soweit die ökonomische Grundlage der materiellen und geistigen Reproduktion nicht mehr ins Erzählfeld rückt. Es kommt zur Abstraktion. Selbst die nächste Umgebung der Charaktere kann nicht mehr als ihr »heimisch« vorgestellt werden, findet sie dort doch kein »eigenes Werk« mehr vor, was indessen, um dem Ideal auf eine ihm angemessene Weise zu begegnen, gefordert werden müsste. Anders die Kunst, die dieser Utopie folgt. Was der Mensch ihrer Darstellung zufolge »hier um sich her stellt, ist nicht durch ihn hervorgebracht, sondern aus dem Vorrat des sonst schon Vorhandenen genommen«. Alles erscheint »durch andere, und zwar in meist mechanischer und dadurch formeller Weise produziert und an ihn [den Menschen – HW] erst durch eine lange Kette fremder Anstrengungen und Bedürfnisse gelangt.«209 Auch die Variante ›Bildung für alle‹ kann offenbar nicht überzeugen. Die beiden Extreme verweisen auf das, was gebraucht würde. Eigentlich bedürfte es einer Darstellung, die in der Lage wäre, der Mediatisierung210 nicht nur fiktional, sondern auch auf der Ebene der Mediatisierung der wirklichen Verhältnisse, der Darstellung selbst als produktiver Tätigkeit, gerecht zu werden. Doch ist dies freilich nicht Thema der Kunstphilosophie an dieser Stelle. Immerhin besetzt die zweite Perspektive eine Position, wie sie die Linkshegelianer, mehr oder weniger an der Kritik der politischen Ökonomie interessiert, für sich in Anspruch nehmen, wenn sie den Blick lenken auf einen Zustand »vollkommen ausgebildeter allseitiger Vermittlungen der bürgerlichen Gesellschaft«. Gemeint ist ein Zustand, in dem die Produktionsverhältnisse für die Beziehungen zwischen Produzent und Produkt neuerdings nichts als Enteignung und Entfremdung vorsehen. Für Hegel stellt auch diese Darstellungsweise nur eine Art dem Ideal unangemessener Bewältigungsversuche mit künstlerischen Mitteln dar. Doch weiß man nicht genau, wo die Kunst anfängt, Kritik und Diskurs beginnen. Die bessere, angemessene Darstellung des Ideals sieht Hegel in der Mitte zwischen Idylle und allgemeiner Bildung, bei den Alten nach dem Muster Homers, bei den Zeitgenossen, wieder einmal, nach dem Muster Goethes. Kunstgemäß im Sinne des Ideals der Kunst selbst ist eine Darstellung dann, wenn sie fiktional ist im
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Sinne realitätsgerechter, wenn auch nicht realitätsabbildender oder wirklichkeitsnachahmender Art. Wie Peirce sagt: Fiktionen sind Tatsachen, die das Zeug dazu haben, wirklich werden zu können – doch sind es Fiktionen.211 Hören wir Hegel: »In einem solchen Zustande hat der Mensch in allem, was er benutzt und womit er sich umgibt, das Gefühl, daß er es aus sich selber hervorgebracht und es dadurch in den äußeren Dingen mit dem Seinigen und nicht mit entfremdeten Gegenständen zu tun hat, die außer seiner eigenen Sphäre, in welcher er Herr ist, liegen. Allerdings muß dann die Tätigkeit für das Herbeischaffen und Formieren des Materials nicht als eine saure Mühe, sondern als eine leichte, befriedigende Arbeit erscheinen, der sich kein Hindernis und kein Mißlingen in den Weg stellt.«212
Ist es nicht die Beschwörung der Souveränität kreativer Werktätigkeit Hanna Arendts zu Zeiten durchorganisierter Industriearbeit? Doch hören wir hin: Der Mensch hat »das Gefühl«. Die Zustimmung zur Darstellung, hier spricht Hegel mit Schiller, erfolgt nicht vom Boden einer Kritik seiner Subjektivität, sondern aus dem Empfinden heraus. Hegels These ist, dass solche Dichtung (die, wie bemerkt, mit dem Rückgriff auf Homers Odyssee oder Ilias ebenso illustriert sein will wie mit Goethes Herrmann und Dorothea) geeignet wäre zu zeigen, dass Menschen höhere, geistige Ziele haben, mithin zur Kunst befähigt sind – trotz oder wegen ihres wesentlich gemütsgestützten Vertrauens in die Darstellungen. Die Konzession wird man relativieren, wenn man mit Schiller der kunstadäquaten Darstellung (um die es geht bei Hegel) unterstellt, ihren »eigenen Gesetzen«, das heißt, denen der Kunst beziehungsweise der Ästhetik zu folgen. Für Schiller bedeutet es, dass die Darstellung des Ideals seine Möglichkeiten nicht auf die Bedingungen der Wirklichkeit einschränken darf, »der Schein ästhetisch« nur dann heißen darf, wenn er »aufrichtig« und»selbständig« ist, sein Licht von anderswo kommt, als es scheint, somit »falsch ist und Realität heuchelt«. Gefällt die Darstellung »nicht mehr als selbständiger Schein« – generelles Kennzeichen des selbstständigen Inszenierungsscheins künstlerischer Art – , »gefällt sie nicht mehr dem reinen ästhetischen Gefühl, [denn – HW] diesem darf auch das Lebendige nur als Erscheinung, auch das Wirkliche nur als Idee gefallen«, aber eben erscheinend.213 Schillers Urteil zum Beschluss seiner Arbeit Über die ästhetische Erziehung des Menschen dürfte hinreichend dialektischen Tiefgang besessen haben, um von Hegel geteilt zu werden. Dasselbe wird für die Fortsetzung des Gedankens gelten. Denn, »freilich«, heißt es dort, »erfordert es noch einen ungleich höheren Grad der schönen Kultur, in dem Lebendigen selbst nur den reinen Schein zu empfinden, als Leben an dem Schein zu entbehren.«214 Dass große Schwierigkeiten und Gefahr drohen, wenn die favorisierte Darstellungsweise auf Gegenwartsstoffe angewendet werden soll, ist Hegel bewusst. Trotzdem verweist er am Exempel auf den positiven Effekt eines solch »schönen Gemäldes«. Der indes steht unter der gegebenen Beschreibung, was am Ende nichts anderes heißt, als dass die Beschreibung zutrifft unter den geschilderten Umständen. Was tatsächlich aufeinander referiert, sind Kunst und Geist, Geist und Kunst. Nur wenn diese zusammenfinden, werden sich die Szenen, die dem Perzept getreu zu Plan und Entwurf finden, als harmonische Szenifikationen einstellen, als Spiel, »über welche[s] jene Harmonie und Selbständigkeit sich verbreitet, die nur dadurch zum Vorschein kommt, daß alles und jedes menschlich hervorgebracht und benutzt, zugleich von dem Menschen selbst, der es braucht, bereitet und genossen wird.« Eine Idee der Pazifizierung durch Ideen, wenn denn »die Szene in den erweiternden Umfang eines gehaltreicheren Lebens hineinversetzt« wird. Zu dieser »Umgebung« zählen alle jene
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Gegenstände, die in pragmatischer Betrachtung dem Menschlich-Allzumenschlichen zugehören, beleuchtet in Geschichte(n) wie charakterespezifisch konkreten sozialen und politischen Szenarien und Auftritten. »Im ganzen können wir für diesen Kreis dieselbe lebendige Zusammenstimmung in Anspruch nehmen.«215 Doch wieso Harmonie? Die Betrachtung der Szenen aus Hegel´scher Perspektive ist selbstredend rein theoretisch, geschieht aus einer doppelt szenografischen oder einer spekulativ diskursiven plus einer hypothetisch szenografischen Perspektive, je nachdem welchen Stellenwert man der Theoriebildung einräumen möchte. Die Philosophie der Kunst jedenfalls schaut dem Dichter nur über die Schulter, wenn er sich an einer Darstellung versucht, deren mögliche Aufführung auf dem Theater der Inszenierung deshalb den Beifall des Publikums einzubringen vermöchte, weil sie als befriedigend realitätsgerecht empfunden wird, wenn nicht gar einer besseren Wirklichkeit verpflichtet. ›Theater‹! – mutatis mutandis, denn dies gilt auch im Fall, dass sich die Aneignung im stillen Raum der Lektüre vollziehen sollte. Es versteht sich, dass hier Empfehlungen guttun, auf welche Weise der Kunst solcher Wirklichkeitsbezug vielleicht umstandsloser testiert werden könnte, oder aber auch – im Gegenzug – , in welchem Register geistig gemütsmäßiger Einstimmung die Gefühle des Publikums zu finden sein sollten, bevor sie sich, zu Vergnügen oder Unterhaltung, Belehrung oder Besinnung, mit einer kunstgerechten Inszenierung wirklicher Verhältnisse konfrontieren ließen. 3
› prosa des lebens ‹. › pragmatische zusammenstimmungen ‹
(Hegel)
Hinsichtlich geeigneter Stoffe scheint es für Hegel nützlich, wenn die Objektivität möglicher Narrative nicht allein der Einbildungskunst und Selbstdisziplinierung eines Autors geschuldet werden muss, um das »Zusammenstimmen der subjektiven und objektiven Seite« zu erreichen. Die Voraussetzungen sind günstiger, wenn man auf den Objektivitätsstatus der Geschichte schon bauen kann. »[A]us der Phantasie«, den kreativen Gemütskräften, lässt sich nämlich die »Harmonie nur schwer [...] entnehmen«! Und doch soll sie das Publikum »durchgehend ahnen« und diese Ahnung gründen in Erdichtetem. Kollektive Ahnung aber wiegt schwerer als der Einfall eines Einzelnen. Darum ist es gut, wenn der Dichter die Zusammenstimmung von subjektiver und objektiver Seite durch glaubwürdige Geschichten, historisch bekannter Stoffe etwa, erleichtert. Allerdings kann auf diese Weise nicht, wie Hegel weiß, sichergestellt werden, dass der Darstellung auch schon zum Begriff verholfen würde. Objektivität nämlich wird die Dichtung wie alle Kunst »in den meisten Teilen eines Stoffs nicht begriffsmäßig entwickeln«. Doch ist das gut so, weil es dem Spiel der Ähnlichkeiten, dem Gleichklang der Vorstellungen in Inszenierung hier und Publikumserwartung dort entgegenkommt. Funktioniert dieses Spiel, darf man hoffen, dass das Werk seinen idealischen Auftrag zur Zufriedenheit erledigt. Während die »freie Produktion der Einbildungskraft« sich nicht dahin »auslassen [kann], das geforderte Zusammenstimmen so fest und bestimmt zu geben, als es in dem wirklichen Dasein bereits vorliegt«, kann es die an Dasein, Empirie oder Erinnerung gebundene Produktion der Einbildungskraft ganz gut. Am Ende nämlich reproduziert sie immer auch, wie schon bei Kant zu lesen, und zeigt sich so, als irgendwann und irgendwo gebunden an eine Erfahrung. Dies gilt, auch wenn es nicht die unmittelbare leiblich sinnliche Erfahrung
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wirklichen Lebens ist, sondern die einer großen Geschichte. Die sind der Erinnerung wert, Alltagsgeschichten nicht – sagt Hegel.
Harmoniestiftende Geschichte(n). Erste pragmatische Zusammenstimmung Eingedenk der Vorstellung objektiv geeigneter künstlerischer Gegenstände aus nationaler Kultur und objektiv geeigneter Rezeptionsverhältnisse, in denen die ideelle Nation das Publikum stellt, mögen sich aus solcher Indienstnahme der Kunst Effekte ergeben, die erst in soziokultureller Hinsicht deutlich werden. Dies ist der Fall, wenn die Kunst auf eine Wirklichkeit setzt, »wo die nationalen Züge aus dieser Harmonie schon hervorgehen«! Quelle der Harmonie von Dichtung und Nation ist nämlich ihre Darstellung. Für das, was »Harmonie« heißt, bedeutet es, dass es »erdichtet« ist und sich stets in Kostüm dem Erleben darbietet.216 Zweifellos ist dies nicht allein stoffspezifisch gemeint oder als Aufforderung, sich ausschließlich mit geschichtlichem Ereignen und Handeln zu befassen. Hegels Analyse ist viel eher medientheoretisch zu lesen. Wenn die Inszenierung unter anderem zu historischem Stoff aus deutscher Tradition greift, gilt die Identifikation des Nationalen als eines Gemeinsamen von Gesagtem und Gesungenem zugleich den dieser Dichtung verbundenen Quellen und Diskursen. Sie finden sich zwischen Altertumskunde und Philologie, zwischen Geschichte und Literatur, den Mythos wie die Kunst überhaupt in den Blick nehmend.217 Es ist gar keine Frage, dass »die Alten«, namentlich die griechischen, mit zu diesem nationalen Erbe zählen. Entsprechend zu verfolgen ist die Wahl der Beispiele im Beweisgang. So klingt die aufgespürte und gepriesene Harmonie selbst wie von weit her. Der Argumentationsgang lässt ihr Auftreten als immanente Notwendigkeit eines Darstellens als Inszenierung erscheinen. Anders gesagt und zurück zur Hegelstelle: geschichtlich national klingen zu lassen und zu klingen, führt notgedrungen auf die Spuren nationaler Harmonie. Dabei findet sich vielleicht, damals eher Hoffnung als schon bewiesen oder gar gesellschaftlicher Konsens, dass die Harmonie des Nationalen schon in der Kunst ist, bevor die sich noch, dessen bewusst, in der Nation hätte manifestieren können. Die Kunst musste sie folglich selbst erst noch aus sich hervortreiben, was, wie bekannt, noch ein halbes Jahrhundert dauern sollte und zudem nicht von ihr allein bewerkstelligt wurde. Hinsichtlich der oben aufgeworfenen Frage, ob die Kunst die Politik oder umgekehrt die Politik die Kunst provoziert, ist hier die Antwort: sowohl als auch. In jedem Fall findet sich die soziale Brechung in der Realität der Inszenierungen, im Auge eines Zirkels. Wie sieht das Feld aus, das hiervon umrissen wird? Ästhetische Bedürfnisse – in pragmatischer Absicht zu verstehen und bedeuten zu lassen – treffen zusammen mit den sich präsentierenden Werken. Inspiriert davon, der poetischen Ausdrucksweise wegen angetan und überzeugt von der Botschaft, wird aus Interesse Engagement. Denn wie sich herausstellt und die Empfindungen des Publikums bestätigen, entsprechen die auf die Bühne der Öffentlichkeit beförderten Inhalte und Bedeutungen exakt den Bedürfnissen der nach der Infusion der Kunst verlangenden ›Nation‹, zumindest deren Sachwaltern und Vordenkern. Nichts fehlt, als dass die Kulturnation sich auch bewusst werde, dass sie alle ihre Erwartungen an die Künste – an die Medien mithin – sinnvollerweise nur identifiziert mit diesem Gemeinwesen adressieren sollte. Was sich aus dem Aufeinandertreffen ergeben kann, ist eine Frage der Empirie, die sich nicht nur an den von Hegel angeführten zeitgenössischen Exempeln studieren lässt. Fest steht aber, dass man einige Jahrzehnte später das Problem der Verknotung von Mythos und Nation nicht mehr ›vermittelnd‹ angeht. Als Künstler wird, kurzerhand, das »dichtende Volk« selbst bemüht, das auch anders kann als zu dichten.218
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Harmonie durch Genie? Immerhin könnte man fragen, ob die Komposition eines harmonischen Zusammenklangs durch Werk und Erscheinen einer spezifischen Kunst unter den Künsten in besonderer Weise befördert werden könnte. Eingedenk der Zeit, über die wir reden, würde man vielleicht glauben, dass dies, wenn überhaupt, nur durch Genie passieren könnte. Freilich drohte Vereinzelung, wenn dem Genie kein Zugang zur Objektivität des Natur-Kunst-Zusammenschlusses gewährt wäre, »Genie« allein das ingeniöse Individuum meinen sollte. So hatte Kant das Genie an die Natur angeschlossen. Genie galt ihm als »das Talent [...]‚ durch welches die Natur der Kunst die Regel giebt.«219 Von Hegel wird das Genie nüchtern behandelt. Von Genie von Natur ist keine Rede (und auch hier tritt das Genie nicht nur in den Schönen Künsten hervor). Sicher braucht Genie schöpferisch produktive Einbildungskraft – ganz wie bei Kant; doch geht das Genie bei Hegel nicht gleich zu auf das, was es qua Begabung zu machen versteht, bedient sich vielmehr allererst seiner »Gabe und [sc. seines – HW] Sinn[s] für das Auffassen der Wirklichkeit und ihrer Gestalten«, nimmt deshalb allererst Bilder von Vorhandenem auf, von Erinnertem oder Vorgestelltem. Das erinnert an Diderot und Rousseau. Wesentlich übt sich das Genie darin, in Bekanntschaft zu kommen mit dem, was ist und war, und Kenntnisse davon zu erlangen, »wie das Innere des Geistes sich in der Realität ausdrückt und durch deren Äußerlichkeit hindurchscheint.« Schaffend muss sich das »Genie«, das sich dem Begriff des Künstlers nähert, konzentrieren auf die Formen des sich entäußernden Geistes. Allerdings: nur, was davon »in ihm lebt und gärt«, soll es zu einem künstlerischen, gleicherweise charakteristischen wie allgemein gültigen Ausdruck formen. Es ist dies die Arbeit der Kunst, die das Genie jetzt leistet, die »Ineinanderarbeitung [...] des vernünftigen Inhalts und der realen Gestalt«, zugleich zu betreiben mit »Besonnenheit des Verstandes« wie mit »Tiefe des Gemüts«.220 Die »Rhetorik der höheren Einsicht«, die Rousseau bemühte, um die Intuitionen des Genies zu beschreiben, die es in die Lage versetzen, unter den Gestimmtheiten des Publikums diejenigen herauszugreifen, die, aufgenommen von seiner Kunst, »Begeisterung«, »Taumel« und »Entzückung« zu erregen221, muss deutschen Genietugenden weichen. Mit der Zuschreibung von »Genie« verbindet Hegel so gut wie keine besondere Auszeichnung von Natur. Im Vergleich zu denjenigen Qualitäten, die dem Künstler generell abverlangt werden, wird bestenfalls eine besondere Klasse ausgezeichnet. Insbesondere wird sie »Genie« geheißen, wenn sie sich schon in jungen Jahren als »Aufbrausen des Genius« ankündigte, wie es von Schiller oder Goethe erzählt wird. ›Jugend‹ steht als einziger Fingerzeig auf eine Bevorzugung von Natur. Gemünzt ist es auf die Spontaneität affektiver Äußerung, vielleicht auch, denkt man an die Verschiebung des Begriffs hin zur »Virtuosität« einzelner Könner im Ensemble der ausführenden Künste, auf »Begabung«, gute Gesundheit und Kondition, Gewandtheit.222 Davon abhängig nämlich sind die Aussichten bei der Aneignung bestimmter technisch künstlerischer Fähigkeiten, wie sie in der Musik, in der Gesangs-, Sprech- und Schauspielkunst, im Tanz gefordert sind. Wie dem auch sei: erst das Alter, Hegels philosophische Kriterien fordern es, wird die »echte Reife des Kunstwerks zur Vollendung bringen« können223, wo auch immer, in den Künsten der »objektiv[en] Resultat[e]« oder denen der »selbst wirkliche[n] lebendige[n] Produktion«.224
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Angesichts der wenig enthusiastischen und wenig auf ein geniales Individuum bedachten Äußerungen Hegels wird man sich erinnern, dass Kant schon vorschlug, den Genius des »Genies« auf Deutsch als »Geist« zu reklamieren, als Prinzip der Belebung. Zweifellos führt auch bei Hegel der Geist das Regiment über das Genie, das Ideal über seine einzelschöpferische Inkarnation. Doch bei Kant dient die Übersetzung dazu, verstehen zu machen, wie dem ingeniösen Künstler ein belebendes Moment zuwächst, von dem er selbst nicht weiß, wie es an ihn kommt und ihn durchströmt. Dem Geist, den Hegel beschwört, ist es indes nicht genug, leiblich zu beseelen. Vor allem liegt ihm an seiner eigenen Beseelung. Dies überzeugt, wenn man daran denkt, dass es nicht zuletzt eine Sache auch intellektuellen Verstehens sein muss, wenn sich der Künstler mit dem Gehalt eines Stoffs vertraut macht, um ihn in kunstgemäßer Weise zum Ausdruck zu bilden. Doch keine Kunst könnte existieren, wenn sie nicht geistig sinnlichem Bedeutenlassen zu gestaltetem Dasein verhülfe, nur den Zeichen Gerechtigkeit widerfahren ließe. Am Webstück solch breiter Bedeutungshinsicht sich praktisch zu verausgaben, heißt für den Künstler indes immer, vor der Selbstständigkeit des Werks von allem Anspruch zurückzutreten.
Soziale Harmonie als mittelbarer Herrschaftseffekt. Zweite pragmatische Zusammenstimmung Kommen wir zurück auf die Frage, wie die Harmonie von Kunstwerk und Adressat möglich sein soll. Der letzte Gedanke ließ vermuten, dass gemeinsamer Stoff gemeinsame Effekte begünstigen könnte. Fragt man Hegel, braucht es dazu weniger Genie als Urteilskraft und Gemüt, um vernünftigen Inhalt und reale Gestalt zu einzigartigem Ausdruck zu verweben. Dabei soll der Stoff von Geschichte und Geschichten ins Dasein schon eingeschrieben sein, bevor noch ein Dichter zu ihm greift, um seine Kunst an ihm zu versuchen. Deshalb muss man annehmen, dass solche Botschaften den vielen subjektiven Geistern, die sich nicht auf Autoren-, sondern auf Leserseite, im Publikum und nicht auf dem Podium bewegen, kaum verborgen bleiben konnten. Darum findet sich hier der Ort für eine zweite pragmatische Zusammenstimmung, in welcher die Harmonie, von der das Werk Auskunft gibt, in erweitertem Kreis gefestigt werden soll. Nach Hegels Worten ist dieser Kreis »ausdrücklich durch die menschliche Tätigkeit und Geschicklichkeit hervorgebracht, indem der Mensch die Außendinge zu seinem Gebrauch verwendet und sich durch die hiermit erlangte Befriedigung seiner selbst mit ihnen in Harmonie setzt.« Befriedigung durch Gebrauch von »Außendingen«, um sich »mit ihnen in Harmonie« zusammenzufinden, wäre mithin eine Beschreibung wahren Kunstgenusses auf Adressatenseite? Bevor noch irgendeine empirische Antwort Aufklärung bringt, erklärt Hegel, was dieser Gedanke, weil normativ ausgeschlossen, nicht heißen kann. Da Vereinzelung und Veräußerung infolge bloß subjektiver Triebbefriedigung (zum Beispiel schon »durch den besonderen Gebrauch der Naturgegenstände«) kraft Reflexion, die sich dem Willen mitteilt, als grundsätzlich überwindbar gelten müssen, dürfe man davon ausgehen, dass dies durch »geistige Bestimmungen« auch tatsächlich geschehe. Was möglich ist, kann wirklich werden und tut es auch. Deshalb stehe zu erwarten, dass weder die ›vermenschlichten Gegenstände‹ noch die ›Umgebung‹, in die sie gehören, auf Dauer irgendeine »Macht der Selbständigkeit gegen ihn [den Menschen – HW] zu bewahren« hätten. Mit anderen Worten: gegen die Unterwerfung der Dinge ist kein Kraut gewachsen, Bezug muss der Mensch nirgends sonst als im Rahmen der Gattung suchen. Die Ausübung der Herrschaft »vermittels dieser [...] Tätigkeit«, die Dinge auf Abstand zu halten, sei
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geeignet, dass der Mensch »nicht mehr nur im allgemeinen, sondern auch im besonderen und einzelnen in seiner Umgebung für sich selber wirklich und zu Hause« sei.225 Harmonische Verhältnisse stellen sich ein, wenn rundum alles befriedet ist. Die neuerliche »Befreiung« aus der zweifellos aus egoistischen Motiven selbst herbeigeführten »Abhängigkeit« ist für Hegel nun aber die Voraussetzung dafür, dass der Dingbezwinger wirklich mit Kultur und Kunst in Berührung kommt (wenn nicht kommen muss), in das Konzert der vernehmbaren Harmonien dieses Universums des Schönen einstimmt und darin Frieden findet.226 Ist die Befreiung aus der Abhängigkeit von der Physis wie all den Dingen gelungen, wovon unabhängig zu werden bedeutet, »das nötige Selbstgenügen« durch »eigene Tätigkeit [zu] erarbeiten«227, wird der Mensch alles Äußere »zu einem Mittel« umgewandelt haben, »durch welches er sich allen seinen Zwecken nach auszuführen vermag«. Alle Mittel dienen nun allein einem Ziel, der Selbstverwirklichung des Menschen, der, als Individuum in die Schranken verwiesen, aufgerufen ist als Glied einer Gemeinschaft, Gattung oder Nation. Die Selbstverwirklichung aber ist zugleich eine des Geistes wie seiner Wirklichkeit in der Erscheinung, wofür die Artefakte der Kunst beispielhaft stehen. Deshalb liegt der Gedanke nahe, den Widerstreit durch Aneignung dieser Erscheinungsweise zu heilen. »[S]tatt der Härte und der Abhängigkeit des Kampfes« ist auf dem Feld des künstlerischen Schaffens nämlich »bereits die vollbrachte Harmonie durchweg in Erscheinung gekommen«.228 Wir finden hier die Logik einer ins Politische gewendeten Pragmatik, wie sie in Kants Analyse mittelbarer Herrschaftskunst durch ästhetischen Reiz und Verführung im Geschlechterverhältnis begegnet. Die Offenkundigkeit des Kampfes, die nicht zu verbergen ist, wenn die Unterwerfung durch tätige Kraftentfaltung den Stärkeren obsiegen lässt, hinterlässt trotz der Befriedigung über den Erfolg der Anstrengung den faden Nachgeschmack eines hoch bezahlten Preises. Der Herstellung von Harmonie durch Unterwerfung und Pazifizierung fehlt die ästhetische Stimmung und Färbung, um sich daran ungeschmälert erfreuen zu können. Darum braucht es die Sublimierung durch ein Vermittelndes zwischen Fabrik und Salon, von Medien, die naturgemäß auf beiden Seiten zu Hause sind wie die Künste. Denn wie man nicht nur aus Apocalypse now oder aus den Folterberichten von Amnesty international weiß, kann Oper auf dem Schlachtfeld oder im Polizeiverhör so nützlich sein wie im Konzertsaal, Fotografie, wie Under fire zeigt, für den Widerstandskämpfer so hilfreich wie für den Geheimdienst. Man versteht auch, warum es eine eigene, eine nationale Kultur sein muss, die man dafür in die Pflicht nehmen kann. Schließlich könnte man sich an den Vorabend der Revolution im Nachbarland erinnern, an den Geist der Aufklärung. Den Franzosen aber war es offenbar nicht gelungen, die durchaus blühende Nationalkultur zur »Verbesserung des Menschengeschlechts« zu nutzen. Obwohl viele es ihr zugetraut hatten und, als Menschen- und Bürgerrechte erstmals verkündet waren, die ganze Welt zu sehen glaubte, wie Die Große Nation sich von den Füßen auf den Kopf stellte. Nun schreibt Hegel, was mit ihm viele in den deutschen Staaten glauben. Von der Begegnung mit Kultur und Kunst stünden nach wie vor heilsame Wirkungen zu erwarten trotz aller schlechten Erfahrungen. Es müssten nur die richtigen Wurzeln, die richtigen Quellen, die richtigen Nationen sein, die die Dinge in die Hand nehmen. Vor allem müsste man es anders anstellen als die Franzosen, denen die Gewalt in Schach zu halten nicht gelungen war. Trotzdem wird man ein gegenläufiges Motiv auch Hegel
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nicht absprechen können. Die Nation erweist sich als sicheres Territorium für die Kunst erst, wenn sie nicht mehr nur – für die Gesellschaft letztlich doch unzureichend – als Republik von Gebildeten und Liebhabern gelten muss, sondern als eine Nation in einverständigem Umgang von Eigentümern und Werktätigen, schon existierenden oder noch kommenden. »Auf dem idealen Boden der Kunst muß die Not des Lebens schon beseitigt sein.« Am besten wäre es, »um ein heiteres freies Spiel zu betreiben«, wenn »Bedürftigkeit und Arbeit nicht nur für den Augenblick, sondern im ganzen verschwinden«. Im Augenblick, vielleicht, könnte diese Idee außerhalb des idealischen Gedankens noch utopisch erscheinen, »Besitz und Wohlstand« indes würden tatsächlich »garantieren« können, garantieren tatsächlich, wie sich herausstellt, was der Idee bisher nur eingefallen ist. Gesichert kultivierte bürgerliche Verhältnisse dieser Art, so Hegel, sind »daher nicht nur nichts Unästhetisches, sondern konkurrieren mit dem Ideal«.229 In pragmatischer Hinsicht empfiehlt Hegel der Kunst, der Poesie insbesondere, die »Prosa des Lebens« unbedingt in einer dem Geist der Zeit adäquaten Darstellungsweise zu fassen, nicht als Idylle, nicht als Bildungsutopie, sondern gemäß Vorstellung gut situierter bürgerlicher Verhältnisse. Als Befriedigung freier werkschaffender Selbsttätigkeit auf Künstlerseite wie auf Seiten des Publikums verstünde sich demnach der Zusammenklang einer hervorbringenden wie zugleich genießenden Kunst am besten auf einem gewissen Niveau von Wohlstand und Bildung der gesamten Bevölkerung. Dass die Idee freier Gestaltungstätigkeit in einem Gemeinwesen freier Entfaltung der Arbeit zunächst als Empfehlung an die Kunst, sodann über die Künstler auch an ihre Adressaten, allererst einen philosophischen Entwurf zur Emanzipation des ästhetischen Geistes protegiert, ist unbestreitbar. Vorgetragen als akademische Vorlesung, niedergelegt in philosophischer Prosa, verkörpert in verschiedenster gestaltungsbedacht medialer Werkform, geht dieser Entwurf über die ideelle Beschreibung und einen theoretisch szenografischen Entwurf indes hinaus, nutzt seinen Schein, glauben zu machen, was solcher Diskurs darüber verbreitet und anzieht. Nicht dass was gesagt ist, falsch wäre, aber der Geltungsanspruch der Geschichte ist überdimensioniert. Damit bricht sie zusammen, wird trivial. 4
› harmonie
des innern lebens ‹. dichtung, naiv, sentimentalisch (schiller)
Aufschlussreich ist, die Schiller´sche Darstellungstriade aus Über naive und sentimentalische Dichtung und die ihr zu entnehmende, der Empfehlung Hegels gewisserweise entsprechende Kunstform der Satire an dieser Stelle gegenzuführen. Interessant ist dies, weil Schillers Differenzierung unterschiedlicher »Dichtungsarten« sich nicht an den pragmatischen Kriterien eines breiten Lebens- und Gesellschaftsbezugs orientiert, stattdessen von den unterschiedlichen emotionalen und affektiven Reaktionen des Publikums auf unterschiedliche Angebote künstlerisch poetischer Ausdrucksbildung und Gestaltung ausgeht. Deren begriffliche Unterscheidung wird statt nach poetologisch-gattungstheoretischen Erwägungen qua Gefühlsreaktion gefasst und insofern für eine Dichtung, die insgesamt schon gegenüber der ›naiven‹ als ›sentimentalische‹ Dichtung ausgezeichnet ist.230 Nichtsdestotrotz erhellt, dass sich die beiden Analysen, Einschätzungen und Schlussfolgerungen, diejenige Schillers und die Hegels, bestens ergänzen. Sicher lässt sich, in gewissen Grenzen zumindest, derselbe Stoff in unterschiedlichen poetischen ›Spielarten‹ zum Ausdruck bringen. Hegels Auswahl, um mit
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Blick auf die »Prosa des Lebens« passende literarische Beispiele anzuführen, geschieht mit der Absicht, eine besonders augenfällige und typische Behandlung des Stoffs im Sinne einer adäquat »vernünftigen« Darstellungsweise vorzuführen. Das bedeutet, zum einen Texte zu zitieren, die sich in ihrer formalen Gestaltung gegenüber dem in Szene gesetzten Narrativ in dieser oder jener Richtung ans Utopische verlieren und nicht als vorbildlich gelten können. Zum anderen heißt es, in der Mitte zwischen den Extremen eine realitätssensible, von daher überzeugende Position philosophisch zu qualifizieren.
Empfindungs- statt Medienorientierung Die Mittelstellung einer sachgerechten ästhetischen Fassung hinsichtlich der Empfindungen beim Publikum weist Schiller den Wirkungen der Satire zu, der pathetischen wie der spottenden Satire. Wir befinden uns, obwohl im Reich der sentimentalischen Dichtung, ganz in der Nähe der beiden Facetten von Tragödie und Komödie.231 Als positive Beispiele unter anderen nennt Schiller Cervantes´ Don Quixote, Sterns Yorick232, dazu etliche Stücke Wielands, nicht aber bezeichnenderweise die Satiren des »vernünftelnden« Voltaire. Das Maß der Satire bestimmt sich als Mitte zwischen Ideal und Erfahrung, was formal durchaus der Hegel´schen Exposition für die Beurteilung der Darstellungsweisen entspricht, immer eingedenk, dass die Besinnungen des Philosophen insgesamt von einer idealischen Konstellation ausgehen. Denn im Sinne des Künstlers wird die naive Einstellung, sich mit Reflexionen nicht zu beschäftigen, nicht ins Kalkül gezogen. Bevorzugt vielmehr wird immer schon eine solche Dichtung, die ihr Tableau in Kenntnis der Differenz zwischen Ideal und Erfahrung zu entwerfen weiß, wie eben die sentimentalische Dichtung Schillers. Seine Einlassung von 1795 operiert nun hinsichtlich dieser auf Empfindungen und Temperamente sich konzentrierenden Einteilung mit einer Betrachtung, der gegenüber die Tatsachen einer darstellungstheoretischen Analyse möglicher Alternativen zur ins Auge gefassten literarischen Szenifikation zurücktreten. Sie treten in den Hintergrund, obwohl Schiller die Beurteilung des Ganzen der Dichtung sowohl der internen Dialektik der sentimentalischen Dichtung unterwirft als auch der Dialektik von sentimentalischer und naiver Poesie, sich mithin sehr wohl »auf Ideen bezieht und Ideen auf die Wirklichkeit anwendet«. Bei Hegel würde man diese Perspektive an Stellen der Beurteilung unterschiedlicher emotionaler Einstimmungen des Publikums in der Begegnung mit dem Kunstwerk suchen – ohne sie jedoch in entfalteter Weise vorzufinden. Werden nun die Empfindungen selbst zum Bezugspunkt genommen und zum Kriterium der Unterscheidung emotionaler Effekte verschiedener Dichtungsarten, leuchtet ein, dass sich die Mitte zwischen idyllischer Färbung ohne Echtheitswert und idealischer Überhöhung wahrscheinlich irgendwo »zwischen beiden« bestimmen lassen wird. Im ersten Fall, so Schiller, ließe sich das Gemüt beruhigen und der Geschmack befriedigen, wenn der energetischen, auch sensorischen Entladung Genüge getan sei. Im zweiten Fall passiere es, wenn die Sensorik die Motorik außer Kraft gesetzt habe und die Vorstellung einer Übereinstimmung mit dem Ideal beruhigen und »durch die Harmonie des innern Lebens« wirken kann. Folglich findet sich das Maß, wenn Widerstreit mit Einigung, Ruhe mit Bewegung wechseln, Bewegungs- und Affektenergien auf ein Empfindungsgleichgewicht hinsteuern.233 Innere Harmonie des Gemüts, wie sie Schiller indiziert im Fall einer gänzlichen Übereinstimmung mit dem Ideal per Darstellung und Empfinden davon, zeigt sich hier nun aber nicht als Resultat von Vermittlung, sondern als subjektives Einverständnis mit
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der Inszenierung eines ideellen Zustands, wie er auf Künstlerseite dem wirklichen Schaffensakt einwohnt. Der Gedanke ist nahe bei der Vorstellung Kants, der von der harmonischen Bewegung der Gemütskräfte spricht, die sonst nicht beleben könnten, und dieses Talent mit der künstlerischen Schöpferkraft zusammenbringt.234 Man wird ihn nicht mit einem Zustand ›objektiver‹ Harmonie gleichsetzen wollen, wie ihn Hegel für die Harmonie des Kunstwerksauftritts auszeichnet, auf Publikumsseite indes nicht recht zu platzieren weiß. In Schillers theoretischer Anordnung ist es diese Schlagseite, welche die sentimentalische Dichtung auf die Erdung durch die naive Dichtung angewiesen sein und ihn diese mit jener vermitteln lässt. Naiverweise »wendet man sich mit Leichtigkeit und Lust zu der lebendigen Gegenwart«, mit Bedacht aber zur Idee und den abgezogenen idealischen Vorstellungen.235 Für Hegel wäre der isolierte Status innerer Harmonie vielleicht als Zustand eines Gemütsgleichgewichts bestimmbar. Freilich könnte sich das Gemüt als Gefühl nicht durch sich selbst begründen, folglich nicht als ›harmonisch‹ identifizieren und bedürfte der wissenden Übereinstimmung mit einem sich ›informiert‹ zeigenden Kunstwerk – oder, ersatzweise, mit einem Diskurs. Ähnliches fordert die Konstellation bei Schiller im Ausgleich von naiver und sentimentalischer Dichtung, realistischer und idealistischer Denkungsart, die beiderseits, für Autoren wie Leser, von Bedeutung sind, da es dem rein idealischen Ausgleich logischerweise um »das Ideal schöner Menschlichkeit« schlechthin zu tun ist.236 Die einseitig empfindsame Übereinstimmung mit Ideen und Idealen fördert die Harmonie des inneren Lebens, kommt daher auch kaum in Verlegenheit, sich inszenierungsbewusst oder gar inszenierungskritisch positionieren zu müssen. Die Haltung entspricht also ganz dem Zweck des Kunstwerks und seiner Aufführung: »Der Zweck selbst ist überall nur der, den Menschen im Stand der Unschuld, das heißt in einem Zustand der Harmonie und des Friedens mit sich selbst und von außen darzustellen.« Das aber ist nun nicht die Position der Mitte, welche hinsichtlich der gemütsspezifischen Reaktionen die Satire einnimmt, sondern der idyllischen Vereinseitigung. Orte und Zeiten der Inszenierung spielen dabei keine wesentliche Rolle, auch wenn es so scheinen mag, dass die Perspektive der Idylle stets auf einen natürlichen oder anfänglichen Zustand von Kultur fokussierte. Tatsächlich ist die Perspektive idealverbunden, »eine schöne, eine erhebende Fiktion«. Teleologisch ist sie auf ein letztes ästhetisches, aber zugleich ein sehr profanes Ziel hin orientiert. Denn sie sich auch in »dem Gedränge des bürgerlichen Lebens« bewähren können.237
Inszenierung als Idylle Was die Harmonie betrifft, um die es zu tun ist in unserer Ermittlung möglicher Begegnungskonstellationen in der Präsenz eines kunstgemäß gestalteten Werks, verschiebt sich die Objektivität des Zusammenklangs, an der Hegel liegt, aus der Sicht der Schiller´schen Poetologie aus der vorläufigen Mitte eines tatsächlichen theoretischen wie praktischen Ausgleichs in Richtung einer idyllischen Inszenierung, die Hegel, wie gesehen, kritisieren wird. Wir haben es mit ›Harmonien‹ ganz unterschiedlicher Hinsichten zu tun. Die ideale objektive Harmonie findet Hegel im wahren Kunstwerk selbst begründet. Sodann stoßen wir auf Harmonie, weniger begründet als beschreibbar, im Fall der berechtigten Einstimmung einer passenden Gemeinde. Man kann von der Harmonie eines ›Einstimmens‹ in musikalischer Bedeutung des Wortes sprechen. Die Subjektivität indes gilt an einem Ort der Verbreitung ästhetischen Geistes ohnehin schon in einem konkret Allgemeinen ›kollektiven‹ Verstehens als ›aufgehoben‹. Dies ist Bewusstseinsphilosophie und unabhängig davon, ob der Harmoniebedürftigkeit und deren Befriedigung durch schöne Gefühle in der
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Begegnung geschmeichelt wird oder nicht. Hegel suggeriert eine Art Objektivitätsdruck auf Seiten der Subjekte. Allen gegenteiligen Tendenzen steuert die Darstellung mit dem Versuch der Verobjektivierung des Willens auf der Seite der Adressaten des Kunstwerks gegen. Freilich geht die Versöhnung, die hier erscheint, selbst noch aus den von Schiller schon zerlegten Momenten eines Ganzen der Entgegensetzung von Riss und Fügung, Streit und Befriedung hervor, eine Richtung, in die Hegel die Harmonie in den Bestimmungen der musikalischen Fachkunst schließlich auch hinleitet. Der Aufruf an die Nation, die (noch) keine ist, steht im Dienst der Heilung (auch) aller biedermeierlichen Vernebelung szenischer, szenografischer und theoretischer Objektivität. In Schillers Kategorien der Befindlichkeiten des Gemüts hieße dies, die Empfindungen für die Kritik sensibel zu machen. Den passenden Darstellungstyp bei den Künsten lieferten pathetische oder spottende Satire, in der Zusammenführung von naiver und sentimentalischer Dichtung die Tragödie und die Komödie, ganz wie zum Beschluss der Hegel´schen Philosophie der Kunst. Schränken wir den Idealismus hegelgerecht ein, liegt es nahe, den Realismus des Dialektikers zu238 betonen. Aus solcher Erfahrung heraus wäre das verstehende Bewusstsein unter bestimmten Voraussetzungen in der Lage, sich als befriedigt und in bestimmte Harmonien einstimmend zu rechtfertigen und zu begründen – beispielsweise. Genauso könnte das Bewusstsein aber auch Mangel oder Widerspruch zu Protokoll geben, um sich auf diese Weise genauso gut zu legitimieren – zunächst einmal in der Verweigerung des Vertrauens, keinesfalls schon angesichts weiterreichender Einsichten. Zu »wissen« wäre hier demnach soviel wie erfahren darin zu sein, dass Harmonie, Gleichklang, Zusammenstimmen und ähnliche Attribute zur Bewertung einer medialen Zusammen- und Engführung voraussetzen, sie als vergeben zur Beschreibung eines Moments in einer Bewegung zu verstehen. Es sind Attribute zur Beschreibung eines vorübergehenden, kritischen Gleichgewichts in einer Bewegung, die tatsächlich vollführt wird. Angehalten in den Registern entgegengesetzter Beschreibung, finden sich darin Disharmonie, Polyphonie und Einzelstimme, zusammen zwei herausgegriffene Zustände eines Prozesses des Ereignens und Erlebens in seiner Darstellung, sei es im szenografischen Format einer Inszenierungskunst, sei es in einer ihr gewidmeten Reflexion. Das befriedet befriedigte Da(bei)sein hingegen erlebt insgesamt wohl am ehesten den fortdauernden Wechsel unterschiedlicher Tonund Stimmführung und deren Effekte. Doch sind dies Überlegungen nach dem Ende der Legitimierung durch die großen Geschichten des Wissens oder der Emanzipation, postmoderne Geschichten, mit dem Versuch der Rechtfertigung kleiner pragmatischer Formate in beiderlei Hinsicht.239 Doch versuchen wir, der Figur des Stimmens, des Kon- und Dissonierens im Szenifikationsraum der Inszenierung unter dem Eindruck der musikalischen Terminologie noch einige Schritte im Rahmen der Hegel´schen Ästhetik zu folgen, und zwar in der Entfaltung der Musik als Einzelkunst. Es ergeben sich andere Blicke auf die Funktion des Harmonischen.
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harmonie vs melodie – musik, kultur, gesellschaft (hegel)
Die pragmatische Betrachtung der idealerweise harmonischen Wirkungen in der Begegnung von Kunstwerk und Adressat lässt darauf schließen, dass der Zusammenklang, der hier ertönen mag, für Hegel kaum von den Effekten affektiver Überwältigung oder Begeisterung des Publikums abhängt. Die kunstphilosophische Überzeugung, die hier zu erwarten stünde, wenn Publikum oder Nachgeborene das Werk erst durch ihr Zutun wahrhaft zu Wirklichkeit und Leben verhülfen, entspräche in der Moderne einer Position, wie wir sie bei Marcel Duchamp oder John Cage finden. In der Ästhetik Hegels hingegen definiert sich die Stellung des Publikums im günstigsten Fall dadurch, dass sie dem objektiven Sein eines Kunstwerks durch spontanes Empfinden, Erkennen und Verstehen entspricht. Sein Schein nämlich kann gar nicht täuschen, solange dies bedeutet, die Objektivität des Werks zu verletzen. Die einzelnen Zuschauer oder Zuhörer treten dem veranstalteten Konzert eher wie Sponsoren bei, als dass sie zu Orchester oder Chor gezählt würden. Wenn alles passt und die Götter beistehen, sollen, die dabei sind, unauffällig miteinstimmen. Doch niemand, abgesehen vielleicht von engagierten Kulturpolitikern, ruft sie auf, der Aufführung mit eigener Stimme zur schönen Szene zu verhelfen. Im Allgemeinen steht die Hegel´sche Betrachtung der exekutierenden Künste der Rolle eines wirklichen, tatsächlich heterogenen Publikums in individueller Zusammensetzung ziemlich hilflos gegenüber. Dies entspricht der Inanspruchnahme eines Volks als Nation, die doch aus einer endlichen Anzahl von einzigartigen Individuen besteht, deren Singularität aber, selbst als Partikularität betrachtet, keine Berücksichtigung findet.240 Obwohl alle Kunst dem Publikum gehören und mit ihm in Dialog treten soll, entwickelt die Analyse keineswegs in vergleichbarer Weise wie die künstlerischer Aktivität und das Wirken des Kunstwerks einen individuellen Beitrag durch den Rezipienten, der darin in körperlicher Gestalt, in Ausdruck und Geste zum Mitakteur der erscheinenden Kunst würde. Dagegen steht das Prinzip, dass alle Subjektivität aufgehoben gehört in der Politik nicht anders als in den Künsten – inklusive der Wissenschaft.
Metaphern der Musiktheorie Dass Hegel außer »Gleichklang«, »Einklang«, »Harmonie« eine weit reichere Begrifflichkeit hätte zur Verfügung stellen können, um den Nuancen des Zusammenstimmens, der einzelnen Stimme wie der Orchestrierung in den Varianten von Rhythmik und Tonalität gerecht zu werden, geht hervor aus seiner Analyse der Musik. Folgt man der musiktheoretischen Begrifflichkeit, die der Professor in der systematischen Betrachtung der Begegnung von Werk und Publikum trotz der unzweifelhaften Privilegierung der Poesie verwendet, scheint erstaunlich, dass es im diskutierten, nicht zuletzt soziale Weiterungen bedenkenden Kontext nicht dazu kommt. Gerade um die Rolle der in das Geschehen Hineingezogenen als eigenständige szenische Agenzien zu würdigen, hätte eine der ›Sprache der Musik‹ entliehene Metaphorik der systematischen Darstellung der subjektiven Bewegung sicher hilfreich sein können. Nietzsches Aufriss des Problems zeigt, was möglich ist. Indes geriete solche Ausweitung leicht mit den architektonischen und systematischen Bedingungen der Vorlesungen über die Philosophie der Kunst in Konflikt, die mit der Vollendung der Musik als Kunst bekanntlich längst noch nicht auf die Spitze getrieben dasteht. Im Systemaufbau der Kunstphilosophie ist die Musik Durchgangstadium zu Poesie und Dichtung, die selbst zur Religion sich erheben will. Wo aber Hegel über die einzelnen exekutierenden
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Künste spricht, verweist er durchaus auf eine ganze Reihe bemerkenswerter Phänomene im Agieren des Ausstellungs-, Theater-, Konzert- oder Opernpublikums. Doch da diese Regungen aufgrund ihrer Vereinzelung für den Gang der Betrachtung nicht als relevante Beiträge zur geforderten Verobjektivierung gelten können, werden diese Ausdrucks- und Äußerungsformen im Resultat als befangen und einseitig beurteilt. (Wobei im Detail nach einzelnen Ausdrucksmitteln zu unterscheiden wäre, je nachdem ob es sich um den Werkauftritt von Architektur, Skulptur oder Malerei oder die Vorstellung einer der performativen Künste handelte.) Die Regungen des Publikums werden beschrieben, als handelte es sich lediglich um mehr oder weniger kalkulierbare Reaktionen auf die von der Gegenwart des Kunstwerks ausgehende Reizung. Sind bestimmte professionelle Standards erfüllt, durchdringt eine Aura von Virtuosität und Perfektion die Atmosphäre der Aufführung, darf die dadurch herausgeforderte Einstimmungsbereitschaft als sicher, der Beifall als garantiert gelten. Die Kunst hätte ihre Schuldigkeit, ihren Schein in Szene zu setzen, getan. Auch hier liegt es fern, ›Inszeniertes‹ zu thematisieren. Weder hat derart künstlich Scheinendes Anstoß erregt noch wäre überhaupt etwas aufgestoßen, das über die Gegenwart des Schauspiels hinaus zu Nachfrage Anlass gäbe. Es handelt sich um die bei Diderot und Rousseau für das ideale Theater antizipierte, positiv sich selbst dissimulierende künstlerische Inszenierung, der die unbedingte, darum ganz unausdrückliche Zustimmung aller Beteiligten gewiss ist. So zu beschreiben, verdankt sich indes einer anderen Psychologie als der, die den Willen zeigte, gerade dem nachzuspüren, was mit ganz ›subjektivem‹, erst im Konzertraum (um bei den Bildern der Musik zu bleiben) sich bemerkbar machendem Begehren und Zutun verbunden ist, um sich von den anklingenden Harmonien gemeint zu fühlen und mit eigener Stimme und Melodie zum gemeinsamen Spiel beizutragen. Die Konsequenzen für das Modell eines harmonisch befriedigenden miteinander Umgehens in Gemeinschaft, bei dem Hegel am ehesten an die Nation denkt, lägen anders. So anders wie zum Beispiel in der Beurteilung dieser Phänomene noch bei Rousseau oder auch Kant oder – wieder anders, nach Hegel – wie in den Zwängen Wagners oder den Träumen Nietzsches.
Welt des Empfindens. Welt des Subjekt. Musik, Harmonie, Melodie Ein Blick auf Hegels Einzelanalyse der Musik, in der Begriffe wie Klang, Harmonie, Stimme, nicht metaphorisch, sondern technisch verwendet werden, in ihrer Bedeutung indes sehr wohl über die Beschreibung bestimmter mathematischer, physikalischer, physiologischer oder musiktheoretischer Implikationen hinausweisen, kann, ex negativo vor allem, verständlich machen, warum der im Abschnitt über die Bestimmung der musikalischen Ausdrucksmittel zentral platzierte Begriff der Harmonie zum dominierenden Kriterium der Zusammenstimmung von Kunstwerk und Publikum geeignet erscheint. Mit Mitteln aus dem Reich der Töne zu kunstgemäßem Ausdruck zu finden, fordert zunächst die Berücksichtigung der abstrakten Grundlagen, der Zeit, in die der Ton fällt, des Klingens in seiner Vielfalt und Differenz, zum einen qualitativ – was das sinnliche Material betrifft – , zum anderen quantitativ – »im Verhältnis zueinander und als Totalität«. Die in der allgemeinen Analyse bemühte »Totalität« ist offenbar ebenfalls hier in der Musiktheorie zu Hause, meint also auch verallgemeinert, was hieraus abzuziehen ist: erstens das in Ansehung der beitragenden Stimmen (Töne) zu beachtende Verhältnis, das die Stimmen (Töne) zueinander als einzelne unterhalten (die Stimme der Kunst, die Stimme ihrer Adressaten); zweitens ist darin
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einbeschrieben gemeinsames Zusammenklingen dieser Elemente, das relative Ganze eines Zusammenklangs einer bestimmten Ansammlung von Tönen (Harmonie); drittens schließlich meint Totalität das Ganze des »Einklangs«. Analytisch betrachtet, tritt nun aber erst unter Berücksichtigung eines weiteren Gesichtspunkts dasjenige Element hinzu, dem besondere Aufmerksamkeit dann gebührt, wenn das einzelne unverwechselbare Ereignis des Zusammenstimmens das individuelle Sich-Ausdrücken und Klingen nichtsdestotrotz nicht verleugnet, sondern im Gegenteil besonders nachhaltig hörbar macht. Bisher unbeachtet nämlich blieb »die Seele, welche die Töne belebt, sie zu einem freien Ganzen rundet und ihnen in ihrer zeitlichen Bewegung und ihrem realen Klingen einen geistigen Ausdruck gibt«241, die Melodie. Wir finden hier eine Betrachtung, die ganz einer professionellen Beurteilung der Verhältnisse von Harmonie und Melodik entspricht, wie man sie in Rousseaus Polemik mit Rameau antrifft, und die in den einschlägigen Artikeln des Dictionnaire de musique nachzulesen ist.242 So dringend, wie die beseelend belebenden die dynamischen Momente brauchen, braucht Hegel für die Gesamtentfaltung der Ästhetik die strukturierenden Elemente. Auf die Musiktheorie bezogen, handelt es sich dabei systematisch um die Untersuchung der Töne in ihrer dialektischen Organisation von »Zusammenstimmen [...], Entgegensetzung, Vermittlung« durch »die Lehre von der Harmonie«.243 Was der Umstand, dass es eine Lehre der Harmonie gibt, schon mitteilt, bedeutet konkret, dass sich Harmonie und Harmonien nicht willkürlich ergeben, sondern Gesetzen unterliegen, worin »alles wahrhaft Musikalische seine notwendige Grundlage hat«.244 Auf der Basis »physikalischer Qualität[en]«245, »quantitativen Unterschieden und Zahlenproportionen«, stellt sich das veränderliche Verhältnis gleichzeitig erklingender Töne zueinander darin als ein »objektives Verhältnis« dar, »wodurch sich das Tönen erst zu einem Kreise ebenso sehr in sich, als einzelner, fest bestimmter als auch wesentlicher Beziehung aufeinander bleibender Töne ausbreitet«. Dies aber ist das »eigentlich harmonische Element«.246 Was wird daraus in der sinnlich erfahrbaren Wirklichkeit? Dort zeigt sich, dass es gerade der enorme Unterschied zwischen gesetzlicher, mathematisch beschreibbarer Struktur und unmittelbarer Einwirkung auf Gefühl und Gemüt ist, welche den Begriff »Harmonie«, verstanden als ›harmonische Ordnung qua Gesetz‹, für Hegel geeignet erscheinen lässt, in die dialektische Entfaltung der sich in die Wirklichkeit hinein entäußernden Kunst übernommen zu werden. Hegel merkt die erstaunliche Kluft verschiedentlich selbst an. Auf der einen Seite kann aus der Totalität der Töne eine Abfolge unterschiedlichster Zusammenstimmungen zu »Dialog« oder »Zwiegespräch« führen.247 Auf der anderen Seite aber macht es die »eigentliche Tiefe des Tönens aus, dass es auch zu wesentlichen Gegensätzen fortgeht und die Schärfe und Zerrissenheit derselben nicht scheut. Denn der wahre Begriff ist zwar Einheit in sich; aber nicht nur unmittelbare, sondern wesentlich in sich zerschiedene, zu Gegensätzen zerfallene Einheit.« Ausdrücklich weist der Philosoph an dieser Stelle auf seine Logik hin, in der die »Subjektivität als ideelle durchsichtige Einheit [...] sich zu dem ihr Entgegengesetzten, zur Objektivität auf[hebt]«; ja »nur wahrhafte Subjektivität ist, wenn sie in diesen Gegensatz eingeht und ihn überwindet und auflöst.«248 Formal ist dies für die Kunst endgültig an derjenigen Übergangsposition erreicht, an der sie in ihrem Gang durch die Ästhetik an ihr Ende kommt, um sich in den höheren Sphären des Geistes, in Religion und Wissenschaft, erneut zu verobjektivieren. Würde die dialektische Szenografie
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als Entwurf zu einer formal universellen Inszenierungskunst verstanden, würde dies leicht auf deren Strategie auch in Sachen Religion und Wissenschaft schließen lassen. Um diese Dynamik aufrecht zu erhalten, wenn die weitere Entwicklung nicht mehr unter Begriffen der Kunst vorangetrieben werden kann, hat Hegel sich schließlich dazu entschieden, die Künste ins Gehege der schönen Künste zu sperren, um von Religion und Wissenschaft, Ökonomie, Recht und Politik nicht unter dem Begriff entsprechender Künste reden zu müssen. Oder eben nur in ›inszenierter‹ Form. Die Übernahme musikalischer Terminologie, insbesondere der Kategorie der Harmonie, heißt nicht, dass für die Kunst die Reise durch das Reich ihrer Gestalten schon beendet ist, wenn sie sich in den Ausdrucksmitteln der Musik versucht hat – inklusive einer Entfaltung auch des Melodieelements. Erst noch müssen die Gegenden poetischer Zusammenstimmung, Entgegensetzung und Vermittlung besucht, die Gesetze ihrer Rhythmen, Harmonien und Melodien erkundet werden. Die Kunst erschöpft sich zuletzt erst in der Überwindung der objektiven Ordnung der Dichtung durch die Komödie. Bis dahin fortzuschreiten und nicht etwa schon mit der Vollendung der Musik ihr Wesen offenbart zu sehen liegt in der Notwendigkeit der Entfaltung der Idee der Kunst. Denn alle innere Verobjektivierung der Musik geschieht doch noch in einem geschlossenen Reich des Subjektiven. Die Musik gehört zu den Künsten, die ihr objektives Material nicht zur räumlichen Gestalt ausbilden, »um darin standzuhalten« wie Tempel, Schuhe oder Krüge, ist vielmehr die Kunst, deren Material »in seinem Entstehen und Dasein selbst schon wieder verschwindet«. Das kommt einem »Tilgen, nicht nur der einen Raumdimension, sondern der totalen Räumlichkeit überhaupt« gleich, einem »völlige[n] Zurückziehen in die Subjektivität nach Seiten des Inneren wie der Äußerung«! Die Musik bildet deshalb »den eigentlichen Mittelpunkt derjenigen Darstellung, die sich das Subjektive als solches sowohl zum Inhalte als auch zur Form nimmt, indem sie als Kunst zwar das Innere zur Mitteilung bringt, aber in ihrer Objektivität selbst subjektiv bleibt«.249 Die Musik wirkt auf Gemüt und Herz; verständige Betrachtungen anzustellen oder das Selbstbewusstsein »zu vereinzelten Anschauungen« zu zerstreuen, ist bei ihr nicht der Ort. Musik hat für den Genuss des Subjekts nichts zu tun mit dem pythagoreischen Einklang von Natur, Wissenschaft, Zahlen- und Verhältniskunde. Dem Subjekt ist vielmehr aufgegeben, in »Innigkeit und unaufgeschlossener Tiefe der Empfindung« zu leben. Das aber ist die Sphäre des inneren Sinns und des abstrakten Sichselbstvernehmens«. Doch muss dies für Hegel auch in der Geschichte und in den Geschichten, im gemeinsamen Herkommen gegründet sein. Für das definierte Gebiet der Musik bedeutet es, den Gegensatz von Harmonie und Melodie aufzuheben, auch diesen zu einem »Einklang« zu führen, der aufgehoben, schließlich, was ihm fehlt an Inhalt, in der Poesie finden wird. Hierin verändert sich schließlich dann »das ganze Verhältnis« zwischen künstlerischer Gestaltung und Gestalten der Kunst.250 Der Appell an die Zusammenstimmung ›im Felde der Nation‹ mit Berufung auf die Harmonie(n) in den Gründungsgesängen nationalen Herkommens dürfte in einem denkbaren Appell an das freie Tönen der Seele, wie es ›im Felde der Musik‹ erst die Melodie fertigbringt, jedenfalls keine qua Gemeinsinn – ›politisch‹ – vergleichbar zu rechtfertigende Alternative in der Aufgabenbestimmung von Kunst und Kultur gesehen haben. Stattdessen wird ›Objektivität‹ reklamiert, die aber gerade erst aus dem Begehren heraus für sich zu entfalten gewesen wäre. Doch schon Rousseau, der in der konfliktreichen Opposition von Melodie und Harmonie zunächst die Partei der Melodie ergriff, riet endlich doch zur Versöhnung der beiden Elemente. Freilich war bei ihm der Konflikt
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nicht vergleichbar gravierend wie bei Hegel. Harmonie wie Melodie kommen aus dem Herzen des Individuums, die Harmonie ganz »aus der Empfindung« und wenig dauerhaft, die Melodie, die dauernde Aufmerksamkeit verlangt, »aus dem Gefühl« beim Vergnügen. Am Ende aber ist für Rousseau, anders als für Hegel, das Zusammenfinden von Harmonie und Melodie eine Eintracht der Melodie. Ist das Genie am Werk, in der Musik namentlich ein italienisches, ist »die Harmonie, die die Melodie ersticken sollte, belebt, verstärkt und bestimmt sie. Die verschiedenen Teile wirken, ohne sich zu verschmelzen, zu einem Effekt zusammen; und obwohl eine jede ihren eigenen Gesang zu haben scheint, hört man aus allen diesen verschiedenen Teilen nur einen und denselben Gesang. Das nenne ich die Einheit der Melodie.«251
Das Theater, von dem Rousseau schwärmt, ist darum gleichzeitig auch immer ein Theater der Musik. Es ist der Oper aufgegeben, Musik, Poesie und Malerei zu versöhnen.252 Der Comment der Betrachtung erfüllt sich gesellschaftlich am ehesten durch selbstbestimmte Konstitution und durchgängige staatliche Verfasstheit, durch Schein. Stellt sich die Realität in der Betrachtung eben nicht nur als Erzähltes und Gedichtetes dar, sondern auch als Geschehenes, Durchlebtes, zu Bewältigendes und insofern als Drama, ist tröstlich, dass die Darstellung am Ende immerhin sich selbst erkennt als das, was sie ist. Darin liegt, dass sie sich anschickt, wenn nicht alle Darstellung, so doch aber die Dichtung zu überschreiten. Indem diese am Ende noch den Grund ihres Verschwindens beleuchtet und lacht über die Tragik, soweit es an ihr, der Dichtkunst war, sie in Wort- und Schauspiel zum Leben zu erwecken, lacht sie über sich selbst, darüber, eine Tragödie nur inszeniert zu haben. Was die beschworene Harmonie angeht, die, je nachdem, Merkmal des wahren Kunstwerks, des Publikumsverlangens, daran teilzuhaben, oder, am Ende, des glücklichen Zusammenstimmens beider sein soll, bleibt durchaus auch mit Hegel festzuhalten, dass »[o]hne das Memento von Widerspruch und Nichtidentität [...] Harmonie ästhetisch irrelevant [wäre]. [...] Dissonanz ist die Wahrheit über Harmonie.« Dies liegt an der Spannung zwischen Ausdruck und Schein. Der Ausdruck bringt Dissonierendes ein; »das Konsonierende, Harmonische [will] ihn sänftigend beseitigen.« Das Charakteristische des Ausdrucks, das ein Kunstwerk auszeichnet, ist, wenn die Gestaltung nicht insgesamt nur glatt und gut konsumierbar für jedermann erscheinen soll, widerständig gegen den Schein.253Woran man sich also halten sollte im szenischen Spiel zur Vergewisserung dessen, was vom Anschein des zur Gestalt Geformten zu halten ist, wäre sein besonderer Ausdruck, der Ausdruck dessen, was das Werk zu sagen hat und wie es uns anblickt. Soweit zu Hegels Überlegungen zu Realität und Sinn der Kunst zu einer Zeit, da der Ausdruck »Inszenierung« sich anschickt, in die deutsche Sprache Eingang zu finden. Die Aufhebung der wirklichen Verhältnisse in die Philosophie des Geistes wiederum betrifft weitgehend die Philosophie selbst, die überschaubare Gemeinschaft philosophisch interessierter Künstler und Kunstkenner sowie die Kunst-, Literaturund Kulturwissenschaften, die sich anschicken, sich in diesen Diskursen einzurichten. Wir werden gleich zurückkehren zu Hegel, um in anderen als den Kontexten der Ästhetik zu sehen, dass Hegel durchaus eine genaue Analyse des subjektiven Begehrens liefert, dessen Berücksichtigung in der Gestalt des Kunstliebhabers wir vermissten. Dort aber redet er Klartext. Zur Vorbereitung auf die Sondierung der HerrschaftKnechtschaft-Dialektik der Phänomenologie aber schauen wir noch einmal auf das
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von Kant eingeführte Modell unmittelbarer Gewaltausübung, das zwar scheinbar in ein pragmatisch begrenztes Beziehungsgeflecht sozialer Interaktion eingebunden ist, nichtsdestotrotz der Sprengkraft der Selbstunterwerfung des Souveräns, wie sie Hegel analysiert, nicht nachsteht. 6
› der
herr ist der knecht‹. (kant, hegel)
Rekapitulieren wir die mittelbaren Beherrschungskünste, wie sie die Kant´sche Pragmatik vorstellt, muss als Erstes daran erinnert werden, dass Kant die List der Weiber, verliebt zu machen, keineswegs in den Rang eines Modells für das Zusammenleben in Gesellschaft versetzte. Dies dauerhaft zu ermöglichen und zu pflegen, lanciert der Königsberger viel eher den »Gemeinsinn«, wie er bei den Protagonisten der Tischgesellschaft zum Ausdruck kommt.
Passiones ardentes & sensus communis. Gewaltschein, Inszenierungsschein (Kant) Die »Idee eines gemeinschaftlichen Sinnes« ist definiert als reflektierende Rücksichtnahme »auf die Vorstellungsart eines jeden anderen in Gedanken (a priori), um gleichsam an die gesamte Menschenvernunft sein Urtheil zu halten und dadurch der Illusion zu entgehen, die aus subjektiven Privatbedingungen [...] auf das Urtheil nachteiligen Einfluß haben würde«. Der Grundsatz gilt analog für ästhetische Urteile beziehungsweise Geschmacksfragen.254 Die Empirie, allerdings, weiß vom sensus communis weniger als vom Egoismus. Das Vermögen, auf andere Einfluss zu nehmen, hieß es in der Anthropologie, bedeute, auf dreifache Art Macht auszuüben: auf den Wegen der Ehre, der Gewalt und des Geldes. Eine jede dieser Mächte stiftet spezifische interpersonale Beziehungen zwischen Subjekten, zwischen Objekten, zwischen Subjekten und Objekten. Die Handlungsmodalitäten, -freiheiten und -einschränkungen entsprechen der jeweiligen Rolle eines gerade aktiven oder passiven Spielers. Betroffenheit, mithin, suspendiert nicht vom Spiel. Als ob jemand, der beim Spiel auf die Verliererseite gerät, tatsächlich ›nicht mehr im Spiel‹ wäre, obwohl es doch gerade der Sinn des agon ist, zu gewinnen und verlieren zu machen. ›Aus dem Spiel‹ zu sein heißt, nicht mehr berücksichtigt zu werden, also auch nicht als jemand, der noch zu überwinden wäre. Mithin ist »sich in den Standpunkt anderer« versetzen zu können – was, allerdings, »aus einem allgemeinen Standpunkte« heraus geschehen muss255 – , nicht a priori eine Pointe des Gemeinsinns als Tugend. Denn sich in den anderen hineinzuversetzen ist, was der Rollenwechsel dem Einzelnen ohnehin abnötigt. Doch derart ›gemein‹ ist der Sinn nicht gemeint. Das »Gefühl im Geschmacksurtheile«, das auf diese Weise theoretisch konditioniert ist, muss sich praktisch in die Pflicht nehmen lassen. Zunächst, indem es sich mitteilbar macht. Anders könnte es nicht zu einem Urteil gelangen, sodann, indem sich das Gefühl unter sein eigenes Urteil stellt. So nämlich ist zu erreichen, dass dasselbe Gefühl zu haben in solchem Urteil »als Pflicht jedermann zugemuthet werde.« Die dreifache Macht von Ehre, Gewalt und Geld mithin dürfte kaum als Stärke in der Entfaltung des Gemeinsinns beurteilt werden, wenn sie auszuüben nicht »aus einem allgemeinen Standpunkt« heraus zu handeln bedeutete und damit positiv sanktioniert wäre. Einerseits. Andererseits steht nicht in Frage, dass alle drei Kapitalien Stärken beinhalten. »Stärke« aber, wir erinnern, fand sich definiert als »herrschen«. Auf solche Stärke mäßigend einzuwirken ist geradezu unabdingbar im Interesse des Gemeinsinns. Doch lässt sich, wie auf Stärke durch Stärke gewaltsam, so auf die Schwäche solcher Stärke Einfluss nehmen, gewaltlos, mittelbar. Diese Art der Regierungskunst
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stellt Kant unumwunden heraus, aber er verurteilt sie. Doch ändert das nichts an der Rationalität des Kalküls der Strategie. Die Schwächen der genannten Mächte zeigen sich für Kant in der Urteilsbildung, in Affektstörungen256 oder Schwächen darin, Interessen richtig zu lenken. Solcher Symptomatik mögen diese oder jene Motive zugrunde liegen. Sie zu verstärken – durchaus auch technisch verstanden – und die schwachgemachten Stärken auf diese Weise zu reglementieren heißt, die narzisstische Bildfixierung in ihren diversen Leidenschaften zu agitieren, selbst auf die Gefahr hin, dass das Subjekt an sich selbst kollabiert. Zum Vorschein kommt die Physiognomie der mittelbaren Beherrschungskunst in allen ihren Feinheiten. Da ›der Verstärker‹ im schwächelnden Akteur selbst zu finden ist (es handelt sich um ein Subjekt, das hier Objekt ist), ist die Kunst dieser Beherrschungskunst paradoxerweise darauf angelegt, was sie zu machen versteht, als ›Selbstbeherrschungskunst‹ zu lehren. Eine Kunst in diesem Fall, zugegeben, unter fragwürdigem Regiment. Denn die Wirkungsmaschine, die hier arbeitet, ist die einer verdeckten Inszenierungspolitik. »Leidenschaften« sind für Kant nicht identisch mit Affekten. So wären sie nur unabwendbare Reaktionen auf Überraschungen, »unglückliche Gemüthsstimmungen, die mit vielen Übeln schwanger gehen« können.257 Bis solche Übel ans Licht der Welt gezogen werden, bleiben die Affekte verborgen; man weiß nicht genau, was die Symptome bedeuten, was daraus wird. Der Affektgeleitete, beispielhaft bei der natürlichen oder angeborenen Freiheits- und Geschlechtsneigung, hat nicht die Möglichkeit, selbstbestimmt zu handeln. »Der Affekt thut einen augenblicklichen Abbruch an der Freiheit und der Herrschaft über sich selbst«. Die Beherrschung des Selbst wird übernommen von einer ihm zugehörigen, seine Stimmungen und Wünsche ausdrückenden und dennoch ihm nicht gehorchenden Instanz. Mit der ›Kunst‹ ist es nicht weit her. Die paradoxe Beherrschung des Selbst durch Leidenschaft indiziert die Herrschaft eines Fremden im Selbst. Allemal ist sie nicht ungefährlich, insbesondere in Zuständen der Freude oder der Hoffnung.258 Was der Affekt abbricht, gibt die Leidenschaft auf. Sie »findet ihre Lust und Befriedigung am Sklavensinn«. Die Ketten, die sich der von solchen passiones ardentes Ergriffene angelegt hat, sind »gleichsam schon mit seinen Gliedmaßen verwachsen«. Kants Freiheits- und Moralphilosophie hält solches Begehren selbst im Fall, dass es der Sache nach als gutartige Begierde und deshalb als Tugend charakterisiert werden könnte, »allein der Form nach« für »nicht bloß pragmatisch verderblich, sondern auch moralisch verwerflich«. Das moralische Verdikt dürfte nicht zuletzt der Inszenierung Vorschub und der Anerkennung der Positivitäten259 des Begehrens zum Nachteil gereichen.260 Die positiven, keineswegs natürlichen Begierden nach symbolischer Anerkennung, dem Regiment über andere und nach den ökonomischen Mitteln, dem eigenen Begehren niemals Einhalt gebieten zu müssen, fügen sich dem Passionierten zum ansprechenden Bild. In ihm findet er die Schönheiten des »Besitz[es] der Mittel« – ganz wie Holbeins berühmtes Gemälde Die Gesandten sie in Szene setzt.261 Nach diesen Mitteln zu streben tarnt sich als vernünftig, weil die Mittel für den, der sie in der Hand hat, »unmittelbar den Zweck betreffen«. Es ist aber nur ein »Anstrich«, nahegelegt vom Verstand, solche Operationen zu rationalisieren gemäß der »Idee eines mit der Freiheit verbundenen Vermögens«, mittels dessen »allein Zwecke überhaupt erreicht werden.« In Wahrheit kann der Besitz der Mittel zu beliebigen Absichten dienen, die sich ausdehnen entlang der Signifikantenkette in der wiederkehrenden Belegung des Begehrens mit Bedeutung. Deshalb lassen sich, so Kant, alle entsprechend leidenschaftlichen Neigungen letzten Endes als »Neigungen des Wahns« auffassen. Das heißt, Kant empfiehlt psychiatrische
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Behandlung. Dem wirklich Wahnsinnigen allerdings, wird ganz wie dem den Affekten Erlegenen kaum gelingen, längerfristig darüber hinwegzutäuschen. Die Neigung zum Wahn – offenbar noch kein manifester Wahnsinn – , glaubt Kant, liegt begründet, wo sich das Begehren des Subjekts auch dort als seine Freiheit feiern lässt, wo die »bloße Meinung Anderer vom Werthe der Dinge dem wirklichen Werthe gleich zu schätzen« ist.262 Offenbar kann der Wahngefährdete den Unterschied nicht hinreichend diskriminieren. Scheinwert hat sich als wahrer Wert getarnt, um sich an seine Stelle zu setzen. Man braucht nicht wahnsinnig zu sein, um keinen Unterschied zu sehen. Vielleicht handelt es sich auch um eine ökonomisch tiefgründigere Wertanalyse, als spontan zu erkennen. Der Andere, das erhellt auch hier, ist das Subjekt selbst. Allerdings folgt daraus nicht, seiner Realität Anerkennung zu zollen, wie Hegel es vorübergehend tut, zum Beispiel in der Wertsetzung, soweit sie als selbstständig erscheint. Wahn als Triebfeder des Begehrens ist für Kant eine »innere praktische Täuschung, das Subjective in der Bewegursache für objectiv zu halten«, was selbst wiederum die Neigung, der Magie des turn zu folgen, den »Hang zum Aberglauben« begünstigt. So erklärt sich, dass das Eigenbild gegenüber dem Anderen als Objekt geltend zu machen auch in ökonomischer Hinsicht bei Kant nicht als ein Verlangen nach äußerlichen Dingen, nach »Sachen« gilt. Denn sie treten selbst auf als in bestimmter Weise und in bestimmten Situationen vergegenständlichte und vergegenständlichende Subjekte, ganz wie in den Szenen nur formaler Anerkennung oder unmittelbarer Unterwerfung und Gewaltausübung. Das aber heißt einzuräumen, dass die Methode statt Stärke auszuagieren, Selbstbeherrschungskunst als Selbstunterwerfung zu lancieren am Ende nicht darauf verzichten kann, gewaltsam zu zwingen, obwohl sie dafür sorgt, die Beeinflussung nicht wie Gewaltausübung aussehen zu lassen. Der letzte Aspekt markiert die Effekte von Inszenierungstätigkeit. Sie muss nicht unbedingt zur Reproduktion ihrer eigenen Methode führen, sondern kann sich in allen Variationen ausbreiten, auf den Wegen der szenifikatorischen Dramatisierung oder über eine szenografische Umleitung auf neue Szenifikation oder Inszenierung. Entscheidend sind Vermögen und Verfügungsgewalt über die notwendigen Mittel, über Medien und Techniken, wie Kant betont. Renommee, Waffen, Kapital können mithin durchaus offen eingesetzt werden. Dafür, allerdings, muss die Zwangsmacht nicht nur legitimiert, sondern insgesamt auch potent genug erscheinen, um ohne Umwege nachhaltigen Erfolg zu garantieren. »Nachhaltig« heißt, dass der Erfolg auch längerfristig nicht aufgrund negativer Nachwirkungen in Frage gestellt wird. Dem narzisstischen Wahn wird es schwerfallen. Jedenfalls lassen entsprechende Experimente in komplexen Szenarien wirtschaftlichen und politischen Handelns dies leicht bis in die Gegenwart belegen. Reicht die Stärke nicht hin – man erinnert sich der Unterlegenheit des weiblichen Teils der Spieler in physischer Hinsicht – , wird man versuchen, dass man »den Narren handhaben kann«, seine Schwächen zu positivieren, auszunutzen, Macht auszuüben in allen notwendig erscheinenden Registern. Das Funktionsgefüge, das hier in Bewegung gerät, ist das an der Herrschsucht demonstrierte. Der Impuls geht aus von der Anfachung der Leidenschaften, die sich existentiell elementar an Leben und Tod orientieren. Wer nicht über symbolisches Kapital verfügt, nicht wirklich über Geld und nicht über die Macht, sich der Gewalt anderer erwehren zu können, der muss bei seinem Verlangen danach gepackt werden. Wer es hat, dessen Begierde ist ohnehin auf mehr aus. Die bei den Narren angefachte »Sucht« freilich ist allererst Augensucht, ein Verlangen, das sich schon mit dem Schein zufrieden gibt. Am Ende verstehen sich alle Varianten darauf, in dieser Weise auf die Furcht zu reagieren,
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in einem Akt der Selbstunterwerfung und des Opfers. Der Herr ist der Knecht. Der Knecht aber ist der Herr im Register der Anerkennung als Gleicher unter Gleichen in dem der souveränen, mittelbewehrten Gewalt, im Register des Anspruchs aus Besitz und Eigentum. Schauen wir auf den Schematismus des Herr-Knecht-Verhältnisses bei Hegel, um die Widersprüchlichkeit des subjektiven Beitrags zu Szenifikation und Inszenierung tiefer auszuloten.
Arbeit & Opfer. Herrschaft & Knechtschaft: phänomenologisch (Hegel) Die Hegel´sche Darstellung der hier diskutierten Verhältnisse in der Phänomenologie des Geistes263, die noch Lacans Topologie des psychoanalytischen settings unterfüttert, verbleibt hinsichtlich der Konzentration des Ichs auf ein Anderes zunächst bei den Restriktionen Kants. »Das Selbstbewußtsein erreicht seine Befriedigung nur in einem anderen Selbstbewußtsein.«264 Das Selbst in seinem Anderssein ist daher nicht einfach selbstständiger »Gegenstand«, »allgemeine Substanz, das flüssige sich selbstgleiche Wesen«. Denn indem »Selbstbewußtsein der Gegenstand ist, ist er ebensowohl Ich wie Gegenstand. Hiermit ist schon der Begriff des Geistes für uns vorhanden.« Geist, mithin, bedeutet Vergemeinschaftung, »Ich das Wir, und Wir, das Ich ist« und eine existierende Möglichkeit, die narzisstische Verengung aufzudehnen. Hegel konstatiert den »Wendungspunkt, auf dem es [das Selbstbewusstsein – HW] aus dem farbigen Scheine des sinnlichen Diesseits und aus der leeren Nacht des übersinnlichen Jenseits in den geistigen Tag der Gegenwart einschreitet.«265 Vorerst aber sieht das Selbst »sich selbst im Anderen«, aber »nicht das Andere im Wesen«. In der Perspektive des Begehrens wird das Selbst in dieser Dopplung tätig. Dies die Bedingung gegenseitiger Anerkennung des übertragenden und des übertragenen Subjekts.266 Die Folge ist, dass das Tun »nicht nur insofern doppelsinnig [ist], als es ein Tun ebensowohl gegen sich als gegen das Andere ist, sondern auch insofern, als es ungetrennt das Tun des Einen als des Anderen ist«, »ein Spiel der Kräfte«, aber fürs Erste im Bewusstsein. Zugleich ist dieses Spiel der Kräfte eines der Objekte »in der Weise gemeiner Gegenstände«, mit anderen Worten, »selbständige[r] Gestalten, in das Sein des Lebens – denn als Leben hat sich hier der selbständige Gegenstand bestimmt – versenkte[r] Bewußtsein[e]«. Zweifellos handelt es sich um eine kritische Lage, denn es fehlt an Gewißheit über die Objektivität der Selbst- oder Objektbilder. Wahrheit nämlich könnte es allein dann geben – Descartes´ Skepsis mahnt von Ferne –, wenn »der Gegenstand sich als diese reine Gewißheit seiner selbst dargestellt hätte«. Aufgrund der Handlungsverwicklungen des je nachdem subjekt- oder objektaktiven Selbst ist dies indes nicht möglich, da »jede[s] an sich selbst durch sein eigenes Tun und wieder durch das Tun des anderen« definiert ist in vollendeter Abstraktion.267 »Die Darstellung seiner selbst« in dieser Form, allerdings, verobjektiviert die Situation durchaus, wie sie ist in der ichzentrierten Konstellation des Begehrens. Es ist seine Art, »nicht an das Leben geknüpft zu sein« und deshalb nach ihm zu verlangen. »Insofern es Tun des Anderen ist, geht also jeder auf den Tod des Anderen. Darin ist aber auch das zweite, das Tun durch sich selbst, vorhanden; denn jenes schließt das Daransetzen des eigenen Lebens in sich.« Das Verhältnis der Subjekt- respektive Objektinstanzen zueinander ist also derart bestimmt, »daß sie sich selbst und einander durch den Kampf um Leben und Tod bewähren.« Dies gilt realiter für Individuen – vor allem »Personen«. Das Individuum als Person anzuerkennen ist faktisch zwar auch dann möglich, wenn es das Leben nicht gewagt hat. Doch wenn es die Beglaubigung des »selbständigen Selbstbewußtseins« nicht gibt für diese Anerkennung, existiert keine Instanz, die sie festhalten könnte. Dem selbstständigen Selbstbewusstsein gegenüber nun erscheint das Bewusstsein als »seiendes Bewußtsein«
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»in der Gestalt der Dingheit« – »jenes ist der Herr, dies ist der Knecht.« Trotzdem ist »die Wahrheit des selbständigen Bewußtseins [...] das knechtische Bewußtsein«. Der Grund ist einsichtig. Der Herr bezieht sich auf das Andere nur begehrend, sowohl in Objekthinsicht als Gegenstand seiner Begierde als auch in Subjekt-, Bewusstseinshinsicht, die Hinsicht eines Selbstbewusstseins ist. Ihm ist »die Dingheit das Wesentliche«. Nun erscheint das Verlangen des Herrn nach den Dingen aber in der Dopplung seines Begehrens »mittelbar durch den Knecht«, der es »bearbeiten«, aber »nicht bis zur Vernichtung mit ihm fertig werden« kann. So vermittelt endlich, kann das herrische Bewusstsein den Genuss für sich abschöpfen. Zwar gelingt dies nicht in der Dingpräsenz, die sich ihm sperrt und nur die Abarbeitung an seiner Selbstständigkeit zulässt, aber doch vermittels der Bildansicht der Dinge, die Herrnansicht, Kavaliersperspektive ist. Das aber bedeutet, dass der Herr sich in seiner Herrschaft nur imaginativ mit dem Ding zu verbünden vermag in einer der Gestalten seiner Unselbstständigkeit, die ihm des Souveränitätsscheins wegen angedichtet sind. Die Herrschaft mithin zeigt, dass »ihr Wesen das Verkehrte dessen ist, was sie sein will«. Zunächst schien alles anders, »für die Knechtschaft [war] der Herr das Wesen«. Doch wie sich erwies, ist diese Wahrheit an sich selbst nur ihre »reine Negativität und [...] Fürsichsein[.] in der Tat an sich selbst«. Es erweist sich, dass die ganze Herrschaft in Frage steht durch das, was sie bedroht. Das aber ist nicht die Knechtschaft, sondern die Erfahrung des Wesens der Negativität selbst. »Dies Bewußtsein hat nämlich nicht um dieses oder jenes, noch für diesen oder jenen Augenblick Angst gehabt, sondern um sein ganzes Wesen; denn es hat die Furcht des Todes, des absoluten Herrn empfunden. Es ist innerlich darin aufgelöst worden, hat durchaus ihn selbst erzittert, und alles Fixe hat in ihm gebebt.« Die Auflehnung gegen die Auflösung war schon in den herangezogenen Abschnitten der Ästhetik zu verfolgen. Die Phänomenologie entfaltet die Dynamik des Widerstands. Die Negativität, die dem Bewusstsein im Herrn Gegenstand ist, ist nicht überhaupt, »allgemeine Auflösung«, sondern tätige Auflösung durch Abarbeitung. »Wirklich« hebt das Subjekt (das Bewusstsein) »darin in allen einzelnen Momenten seine Anhänglichkeit an natürliches Dasein auf und arbeitet dasselbe hinweg.« Dies gilt auch für seine Machtgefühle. Es ist nämlich die Begierde, die sich in ihrer Negation des dynamischen Objekts ein »unvermischtes Selbstgefühl vorbehalten« hat. Kommt das Bewusstsein indes durch Arbeit zu sich selbst, zeigt sich die Befriedigung als Objektschwund durch das »Verschwinden« seines »Bestehens«. »Die Arbeit hingegen ist gehemmte Begierde, aufgehaltenes Verschwinden, oder sie bildet.« »Dem Arbeitenden hat der Gegenstand Selbstständigkeit«. Im »Bleiben« des Werks kommt das »arbeitende Bewußtsein [...] zur Anschauung des selbständigen Seins als seiner selbst.« Wir finden hier den missing link der Philosophie der Kunst, eine Verbindung, die sich im Zusammen des Kunstwerks mit seinen Rezipienten nur als harmonische Zusammenstimmung artikulierte, die von den Subjekten in Wahrheit nur Zustimmung verlangte. Doch stellt sich das arbeitende Bewusstsein nicht ausschließlich als das eines Künstlers als Produzent heraus. Es ist vielmehr das Bewusstsein aller, die das Bleiben bezeugen und bewahren. Die Figur ist theologisch bekannt. Die Gemeinschaft ist eine Gemeinschaft des Glaubens. Erst als solche ist sie tatsächlich Gemeinschaft.268 Hegel beschreibt diesen Prozess als »Formierung« des Gegenstands als »Bleibenden«. Zu formieren versteht sich darum nicht bloß als positive Gestaltung, sondern ebenso als »dienendes« Tun. So gerüstet, hofft das Bewusstsein, der
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Furcht entgegentreten zu können. Durch das »Bilden des Dings« wird ihm die eigene Negativität zwar auch zum Gegenstand, indes nur insofern, »daß es seine entgegengesetzte Form aufhebt«, das »fremde Negative« des Dings (wobei ich fremde unterstreiche), vor dem das Bewusstsein erzitterte. Die Reflexion dieser Rückübertragung, betont Hegel, braucht unbedingt diese »beiden Momente der Furcht und des Dienstes überhaupt sowie des Bildens [...], und zugleich beide auf eine allgemeine Weise.« Nur einige Ängste auszustehen, ist nicht die Sache. Die Furcht muss absolut, Todesfurcht sein, damit sie zur Bildung führt. Nur so ist die Furcht unabweislich gewiss, woran Freud und Lacan erinnern werden. Um der Panik zu entgehen, muss sie in »Zucht des Dienstes und Gehorsams« genommen werden. Sie wird gleichsam selbst umgebildet. Nicht absolut erlebt und nicht als Herausforderung akzeptiert, bliebe die Furcht bloß Attitüde, bliebe »beim Formellen stehen und verbreitet[e] sich nicht über die bewußte Wirklichkeit des Daseins«. Das aber muss sie, soll es zur Umbildung, zu Bildung von Bewusstheit kommen. Die Furcht muss reden und zum Ausdruck finden, darf nicht »stumm« bleiben. »Bewusstsein«, kein Zweifel, versteht Hegel in dieser phänomenologischen Analyse als Bewusstheit und Unbewusstheit in sich vereinigend. Die erreichte Freiheit nämlich ist eigener Sinn als »Eigensinn«, so aber auch »Freiheit, welche noch innerhalb der Knechtschaft stehenbleibt.« In der »Ausbreitung über das Einzelne betrachtet«, bedeutet solche Freiheit nicht »allgemeines Bilden, absoluter Begriff, sondern eine Geschicklichkeit, welche nur über einiges, nicht über die allgemeine Macht und das ganze gegenständliche Wesen mächtig ist«.269 Wir erinnern Hegels vergleichbare Relativierung angesichts der Idealisierung allgemeiner Bildung im Feld der Entäußerung künstlerisch dichtender Darstellung in der Ästhetik. Sicher treibt der Geist auch dort über das Einzelne zum absoluten Begriff, so wie er sich in der Phänomenologie als »wirklicher Geist [...] in der Kunstreligion das Bewußtsein seines Wesens« verschafft hat. Interessiert an der Szene, könnten wir das Bewusstsein hier, im Reich des Pragmatischen, wo Freiheit des Eigensinns, Geschicklichkeit und begrenzte Mächte zählen, »Vorgestellte[s], Gestaltete[s], Seiende[s], verlassen – im Reich eines »unglücklichen Bewusstseins« angesichts des Scheins rundum.270 Fühlend, die Begierden durch Arbeit kontrollierend, findet sich das »unglückliche Bewußtsein [...] nur als begehrend und arbeitend«. Wie die Gewissheit seiner selbst »gebrochen« ist, so die »Bewährung [...] durch Arbeit und Genuß«. Es ist eine »entzweigebrochene Wirklichkeit«. »[E]inerseits [ist sie] an sich nichtig, andererseits aber auch eine geheiligte Welt«271 – angesprochen von einem Versprechen des Jenseits, versteht sich. ›Aufhebung‹ im Leben lenkt auf anderen Sinn als Aufhebung im Jenseits. Doch wie man weiß, zeigt das Schicksal des Geistes auch in den Sphären der Theorie und des Glaubens in Hegels Darstellung die Physiognomie der Wirklichkeit. Deshalb ist der Ausblick auf das dritte, aufhebende Verhältnis nützlich, das auch das »Wollen und Vollbringen« des Bewusstseins, sich als selbstständiges zu erproben, einholt. Das wirkliche Bewusstsein hat »gewollt, getan und genossen«. Nur »zum Scheine« entsagte es dabei seinem Selbstgefühl. Denn tatsächlich erreicht es nur so, entäußert, »die wirkliche Befriedigung desselben«. Die Verzichtleistung mag dem Subjekt als Dankbarkeit angerechnet werden, als Dank für die Selbsterfahrung. Doch so weit geht die Aufopferung nicht, dass sich das Bewusstsein selbst aufgäbe. Am vorläufigen Ende der Vermittlung der Extreme kehrt das Bewusstsein zurück als eines, »welches sich als wirkliches und wirkendes Bewußtsein erfahren oder dem wahr ist, an und für sich zu sein. Darin
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nun aber ist der Feind in seiner eigensten Gestalt aufgefunden.«272 Verzichtleistung wird nun, in der mittelbaren Beziehung eines Schlusses, wie es ausdrücklich heißt, zu wirklicher »Aufopferung«. Das Ich macht sein eigenes Selbstbewusstsein zu einem Ding. So soll es den »Betrug« wettmachen, der sich als solcher nicht zeigt, solange es heißt, dem Gemüt zu folgen. Doch steuerte diese Bewegung in Wahrheit nur »ein musikalisches, abstraktes Moment« bei, bei dem Verzicht nur gespielt war. Wirkliches Bewusstsein aber weiß, erfahrungsgestählt, was es will: allererst sich von sich selbst distanzieren. Wahrhafte Wirklichkeit als »Rückkehr in sich selbst« weiß zwischen Nichtigkeit und Unwandelbarkeit, die darin »geschieht«, »das Dritte, den Vermittler, als Rat« in seine Rechte zu setzen. Jetzt geht es darum, sich moralisch zu befreien, die Schuld des Tuns abzuwerfen. Dies fordert, sich vom eigenen Wollen ebenso zu trennen wie von der Frucht der Arbeit und dem Genuss. Es heißt sogar, Verzicht zu tun auf äußerliches Eigentum, zumindest »etwas« abzulassen »von dem Besitze«. Wir nähern uns, man hat es geahnt, der Sphäre des Geistes als Sittlichkeit und Moralität. Doch auch dort wird die »Verstellung« begegnen. Dem Rechtszustand und der Bildung wird es nützen. Wirklich wirkendes Bewusstsein wird sich dem eigenen »Willen wohl zum allgemeinen und an sich seienden Willen« zur Verfügung stellen und sich dafür von der Vermittlung danken lassen. Immerhin, Hegel lobt den Tag nicht vor dem Abend. Für den Einzelnen nämlich bleibt »sein wirkliches Tun ein ärmliches und sein Genuß der Schmerz und das Aufgehobensein derselben in der positiven Bedeutung ein Jenseits«. Das ist nicht nur moral- und religionsmotivierende Schwarzmalerei, sondern hat viel Realistisches. Schopenhauer wird sich redlich daran abarbeiten. Die Überantwortung an den allgemeinen Willen jedenfalls sollte nicht mit Hoffnungen auf die Freiheit überfrachtet werden. Denn damit hat man schlechte Erfahrungen gemacht, allemal mit Blick auf Sittlichkeit und Moralität, Recht und Bildung. Die berühmte Passage aus dem Aufklärungs- und Revolutionskapitel der Phänomenologie bringt es auf den Punkt: »Kein positives Werk noch Tat kann [...] die allgemeine Freiheit hervorbringen; es bleibt ihr nur das negative Tun, sie ist nur die Furie des Verschwindens.« Wo diese Furie waltet, wartet plötzlicher Tod, ein Tod »ohne inneren Umfang und Erfüllung [...] ohne mehr Bedeutung als das Durchhauen eines Kohlhauptes oder eines Schluck Wassers.« 273 Da sollte doch von den Deutschen auch 1807 schon anderes zu erwarten gewesen sein als zuletzt von den Franzosen. Darüber wird sogar Nietzsche sich mit Hegel einig sein.
Medien. Mediatisierung. Medialisierung Hegels Überlegungen zur Beherrschungskunst durch Selbstunterwerfung und Knechtschaft erhellt die Topologie eines Modells, worin subjektive Bildproduktion und objektivierende Dinginformation beiderseits sich spiegelnd konstruiert erscheinen. Die ›Eigenübertragung‹ des Subjekts ist zweifellos geistiges Tun, sofern das Bewusstsein in Ich und Gegenstand scheidet. Damit aber auch ist die ›Übertragung‹ selbst vergemeinschaftet, ist kollektive, auch soziale Übertragung. Die Verdopplung der Positionen von Ich und Gegenstand, Subjekt und Objekt konturiert einen kollektiven Narzissmus, der medialisiert die Schirme füllt, sich freilich in einzelnen, nicht notwendig nur individuellen Begehrungsvermögen konkretisiert. Denn zu begreifen ist[,] das[s] »Ich[,] das Wir, und Wir, das Ich ist«, gleicherweise auf der Bewusstseinswie auf der Dingebene. Wenn das Begehren seine Bilder formt, sollte mithin kein solipsistisches Ego halluziniert werden, das sich scheuklappenbewehrt seinen Objektzwängen hingibt, für alle Inszenierung allein aufkommt, allemal noch für deren
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Reflexion, sollte es sie geben. Dies wäre nur das dem Modell der Inszenierung als Manipulation und Betrug Entgegengesetzte. Im asymmetrischen Gefüge einer hier subjekt- und bildorientierten, dort objekt- und dingzentrierten Perspektive vermag die Blickpunktverlagerung heraus aus der Geometrie der Perspektive die Augentäuschung Lügen zu strafen. So bietet sich die Chance, den einen Blick, den [einzig] wahrzunehmen allein das Objekt verantwortlich scheint, als eigenproduziert[es] Bild zu relativieren und in der Tiefe des sich öffnenden Raums auch anderes zu entziffern. Auch dies andere scheint nun aber für die asymmetrische Objektzentrierung alleiniges Werk der Dinge, und nur derart auch identifiziert mit dem ersten Objekt des Begehrens, das den Willen überhaupt zur Signifikation bestimmte. Die Wortwahl ist nicht metaphysisch misszuverstehen. »Erstes Objekt« ist nichts als das mehr oder weniger zufällig herausgegriffene medium oder sign, die Signifikation überhaupt: Wahl von Bedeutung eines freien Bedeutenlassens. Doch wird die einseitig objektzentrierte Eigenübertragung auf den Schirm Ersatzübertragungen von Subjekt- zu Subjektstelle vornehmen, wenn das Subjekt außer dem Objekt im Eigenbild nicht auch das Ich im Gegenstand anerkennt, gewissermaßen den »Fleck«, die Markierung am Ding, die Dingmarkierung eines Ich ist.274 Allein eine ›erste‹ Bewegung zu vollziehen kann darum nicht Sinn von Übertragung oder Rückübertragung sein. Wird die Kopplung von Objektbetrachtung und Begehrensoptik in der Ansicht eines ›allgemeinen‹, vulgo medialen Willens noch einmal gespiegelt, erhellt die Projektionsnotwendigkeit sowohl des Bedeutenlassens auf das Ding als auch die des medialen Scheins der Dinge auf das Ich. »Das Künstlerische« Wagners, so legt es uns die Darstellung Nietzsches, wie wir gleich sehen werden, nahe, überträgt die Herausforderungen der deutschen Kulturverhältnisse zu Zeiten der Reichsgründung, wie sie dem »dichtenden Volk« als kollektive Vorstellung innewohnen, und verlagert so die Intentionen, ›künstlerisch‹ zu agieren. Dies ist Eigenübertragung als Dingübertragung, Projektion von Dingverhältnissen. Woran Hegel noch konstruierte, sehen wir hier elegant gelöst. Es muss nicht mehr vermittelt werden, weil, was vermittelt werden sollte, schon ein Eines ist. Der mediale Schein ist ohnehin derselbe, ob er nun in den Gestalten dem Objekt zugehöriger Dingvarianz erscheint – den Manifestationen des »dichtenden Volks« – oder in den Bedeutungen des auf den screens und displays zeichenbuchstabierenden Bewusstseins, das sich gedrängt sieht, »nachgeben zu müssen«. ›Am Schein genug tun‹: Anerkennung, Reichtum, Regiment. Die Phantasie als Selbstschöpferin (Kant)
Neun Jahre bevor Hegel seine phänomenologischen Betrachtungen veröffentlicht, gibt Kant dem Verhältnis von Herr und Knecht in pragmatischer Distanz ein konkretes Gesicht. Er unterstreicht, dass es der gewöhnlichen Selbstinszenierung reicht, wenn das Subjekt »im Ruf steht«, wenn es erreicht, womit es »am Schein genug ist« – ganz unabhängig davon, dass diese Charakteristik auf deutsche Nationaltugenden besonders gemünzt ist. Es geht um dreierlei Hinsichten: die Sucht nach Anerkennung, um Herrschsucht und Habsucht. Um Anerkennung zu erfahren, so die Anthropologie, reiche schon das hochmütige Ansinnen an den anderen, sich »in Vergleichung mit uns selbst gering zu schätzen«. Dies freilich ist nicht die Äußerungsform des Ansinnens, sondern ihr Handlungszweck. Der Anspruch auf Anerkennung selbst kommt in der Kostümierung des Anerkannten in einer passenden Vorstellung. Man brauche, heißt es – und der Blick wendet sich auf die inszenierungspolitische Choreografie solchen Auftritts
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– , um diese Szenifikation in Gang zu setzen, dem Hochmut, den sie veranlasst und begleitet, nur zu schmeicheln, dann habe »man durch diese Leidenschaft des Thoren über ihn Gewalt.« Das Verlangen nach Anerkennung offenbart für Kant die Schwäche der Ehrsucht. Doch weiß der Menschenkenner, dass die Schwachheiten allein dadurch schon zu ›heilen‹ sind, dass ein von solcher Sucht befallenes Subjekt sich hinreichend motiviert sieht, sein Selbstbild aufzupolieren und dafür sich anzustrengen. Im Fall der Herrschsucht, des Wahns, über andere Gewalt ausüben, sie kontrollieren und ihnen den eigenen Willen oktroyieren zu müssen, läuft das Zusammenspiel von Inszenierung und Selbstinszenierung nach denselben Regeln. Der Reiz nutzt jetzt die Furcht des Subjekts, um es in der Abwehr seiner Todesangst, in der es sich als mutig und widerständig inszeniert, zu bestärken und ihm dafür mit medialer Verstärkung die Bühne zur Verfügung zu stellen. Die Schwäche schließlich, welche die Habsucht begründet, gibt sich als ein Interesse an der Gleichheit in Sachen Besitz. Auch hier erscheint die paradoxe Intervention der Inszenierung als Unterstützung zur Selbstinszenierung. Statt sich als Miteigentümer und Besitzender hervorzutun, setzt sich, wer solcher Inszenierung folgt, mit der gemeinschaftlichen Arbeit aller für alle in Szene und preist die eigene Aufopferungsbereitschaft. Um diese Lust am Schein auszunutzen und das Besitzstreben anzustacheln, braucht der Gierige nur bei der Darstellung seiner Interessen gepackt zu werden, die er als altruistisch ausgibt. Am Ende lässt er sich schon zufriedenstellen, wenn man ihm nur den öffentlichen Auftritt gestattet und dafür einen Rahmen zur Verfügung stellt. Denn sieht es auch nur so aus, als ob den Habsüchtigen »eine Macht erhält, von der man glaubt, daß sie den Mangel jeder anderen zu ersetzen hinreichend ist«, dem Schein ist damit Genüge getan. Der Effekt stellt sich ein, »zuletzt auch ohne Genuß in dem bloßen Besitze, selbst mit Verzichtthuung [...] auf allen Gebrauch« – ein Schicksal, selbstredend, das den wirklichen Eigentümern des Reichtums nicht droht. Wie lautet Kants Schluss angesichts solcher Selbstinszenierung? Dass in jeder Hinsicht »die Phantasie dabei Selbstschöpferin« ist und verantwortlich für Phantasmen und Augenlust der Animierten wie den Gewinn der medienunterstützten und -unterstützenden Inszenierung für beide Seiten.275 – Ein Gedanke, dem wir in Bourdieus soziologischer Handlungstheorie wieder begegnen werden. – Es erhellt, warum Kant sagt, dass der Schein immer nur auf ein Bewusstsein wirken kann, nicht jedenfalls vermag, einen Zeichenkörper unmittelbar zu materialisieren oder zu dematerialisieren. Dies, allerdings, gilt auch für Maschinen. Die Technik muss nur entsprechend informiert und medial konditioniert sein. Dem Begriff nach, den für einen Moment die Bedeutung okkupiert, können hundert Taler, die jemand besitzt oder nur zu besitzen scheint, dieselben hundert Taler sein. »Hundert Taler in meinem Besitz« indes bedeuten etwas ganz anderes als »hundert Taler, die jemandem anders gehören«. – Was sagt Hegel? Das »Denken oder Vorstellen, dem nur ein bestimmtes Sein, das Dasein, vorschwebt, ist zu dem [...] Anfange der Wissenschaft zurückzuweisen«.276 Folgen wir Kant, ist es offensichtlich so – Hegel bestreitet es nicht – , dass die Gegenseitigkeit der Subjekt-Objekt-Beziehung unter Bedingungen instabiler Beherrschungsverhältnisse das zivilgesellschaftliche Feld szenischer Begegnung und ihrer Formate definiert und darin die vermittelnden Strategien der Einflussnahme dominieren. Alles bleibt friedlich. Denn es gibt unter den Akteuren niemanden, dem die souveräne Ausübung von Gewalt in ökonomischen, rechtlichen oder politischen Belangen legitimerweise erlaubt wäre; kein Herr deshalb, der nicht als Knecht
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daherkäme und Verzicht täte, um unter den Herrn sich aufzuhalten und den Knechten gegenüber sich aufzuspielen, es sei denn in einer Inszenierung der Sittlichkeit und der Übereinstimmung des individuellen Willens mit dem allgemeinen der Staatsgewalt und des aus ihr entlassenen Reichtums für alle. Der allgemeine Wille vermag dies kraft seiner Entäußerung, nicht für sich, sondern für alle anderen zu sein. Die Alternative, oft indes mit der politischen Metaphysik verbunden, besteht in der Inszenierung religiöser Innerlichkeit.
Anthropologisch demokratisches Szenario Die Betrachtung ist wirklichkeitsnah. Allemal gilt sie für entfaltete demokratische Herrschaftsverhältnisse und deren mediengerechte Präsentation. Ein Unterschied zum Umfeld der Kant´schen und Hegel´schen Diagnose ist allerdings, dass die beiden Professoren die Repräsentationsgesten, die dem revolutionären und postrevolutionären Volkssouverän zugestanden waren, nicht aus eigener Erfahrung kannten, sondern höchstens aus Berichten ihrer Ersteinführung in blauweißroter Couleur. Kants Beurteilung des »politischen Künstlers« lässt ahnen, in welche Richtung seine Kritik sich gewendet hätte. Hegel setzt auf den Staat und weiß noch gar nicht, was dabei herauskommen wird, sollten sich seine Szenarien in der Wirklichkeit entfalten. Ziehen wir den Bereich staatsbürgerlich partizipativen Handelns ab. Auch ohne ausdrücklich demokratisch repräsentative Verfasstheit des Gemeinwesens zeigen sich in der zivilgesellschaftlichen Feldtiefe schon im Aufbruch zur Moderne für die meisten individuell nichtsouveränen Spieler nur Befindlichkeiten relativer Schwäche, die zu Stärken umzudekorieren sie große Anstrengungen unternehmen. Solche Schwäche auszunutzen und sich zugleich als am körperlichen und geistigen Wohl aller von ihnen Befallenen interessiert darzustellen, wird sich die Inszenierungsgesellschaft mühen, ob als Inszenierungspolitik oder Inszenierungsindustrie. Sie bereitet, begleitet und garantiert Auftritt wie Ausstellung der Stärke. Die Einflussnahme aufeinander wird den dargestellten Regeln gegenseitiger Einwirkung auf Gefühle und Leidenschaften folgen, den Wegen der Inszenierungskunst als Kunst indirekten Regierens durch Verzichttun und Opfer, Gemeinsinn und Solidarität, zumindest abgebildet auf die sozial und kulturell vergleichsweise homogenen Szenarien, in denen man unter Seinesgleichen agiert und in positiver wie negativer Hinsicht. In Rücksicht auf über die Dauer der Zeit nicht mit Sicherheit abzusehende Veränderungen wird Vorsicht umso eher und ständig geboten sein. Für szenografische Konzepte und Entwürfe im Rahmen solcher Strategie gilt dies gegebenenfalls auch in Rücksicht auf die Distanz der Direktive von Bühne oder Schirm, wohin projiziert oder gesendet wird. Am besten ist, alle Installation, Rahmen, Bühnen, Schirme bleiben im Spiel überhaupt unsichtbar. Für diejenigen Spieler wiederum, deren Machtpotenzial in verschiedenster Hinsicht geeignet wäre, in offener Konkurrenz zu oder in Kooperation mit der legitimen Gewalt in Erscheinung zu treten und dergestalt sich auch aufzuführen, wird es nicht tatsächliche Schwäche sein, sondern deren Simulation, die Dissimulation von Stärke, die ihnen unter pragmatischen Gesichtspunkten die Inszenierungsstrategie angeraten sein lässt. Vordergründig positiv scheinendes Begehren kann durchaus in den Sog der Augenlust geraten, wie Kant nicht nur an den einschlägigen entsprechenden ›Leidenschaften für das Gute‹ zeigt. Die Freiheitsneigung etwa, die sich bei Individuen und Völkern zum oft zitierten »Freiheitsdrang« auswachsen kann, steht naturgemäß unter negativen Vorzeichen. Der Grund liegt nicht allein bei der Todesfurcht der Einzelnen, die sich vom Überleben der Sittlichkeit
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im Staate nicht viel versprechen. Schlimmer ist, dass die Neigung selbst Zwangsverhältnissen erwächst. Man kann in ihnen schlicht »nicht vermeiden [...], mit anderen in wechselseitige Ansprüche zu gelangen«, muss sich aufgrund dessen mit den gebotenen Einschränkungen, die das Zusammenleben fordert, arrangieren. Sich dagegen zu wehren, hält Kant quasi für ein Postulat der menschlichen Natur, nicht politischer Szenografie geschuldet, auch wenn »der Freiheitsbegriff unter moralischen Gesetzen einen Affect, der Enthusiasm genannt wird«, hervorzubringen versteht. Der Enthusiasmus indes führt notgedrungen zur Inszenierung der Freiheit, von der wir im ersten Teil historische Beispiele gaben.
Freiheitsneigung & Rechtsbegierde aus Selbstliebe Die rein sinnliche Vorstellung äußerer Freiheit, der die Neigung korrespondiert und die sich bis zur Leidenschaft steigern kann, sieht sich hier von einer »Analogie mit dem Rechtsbegriffe« animiert. Doch ist die Analogie hier nicht weniger fragwürdig als das Analogon und das ihm Analoge.277 Am Beginn des Jahres 2014 denkt man dabei an die Ereignisse in der Ukraine und auf der Krim, in Afghanistan oder Syrien, in Ägypten oder Palästina, um nur einige aktuelle Szenarien anzuführen. Der Rechtsbegriff geht unmittelbar aus der äußeren Freiheit hervor und ist deshalb ein »weit wichtigerer und den Willen weit stärker bewegender Antrieb [...] als der des Wohlwollens«. Mithin ist auch hier die Positivität an die Positivierung der Einschränkung gebunden, zu der die Vergesellschaftung nötigt. »Rechtsbegierde« erweist sich mithin schnell als Bann drohenden Unrechts oder gar als »Hass« aus Gründen erlittenen Unrechts. Seiner positiven Seite korrespondierend, lässt sich der Gerechtigkeitsdrang in Form der »Rachbegierde« begutachten. Das Verlangen nach rechtlichen Zuständen ist indes für Kant durchaus erlaubt. Denn, darauf zu drängen, dass jedem sein Recht zuwächst, ist eigentlich ein Bestimmungsgrund der reinen praktischen Vernunft. Wenn sich diese Vernunft allerdings mit den Sinnen verbündet und den Gefühlen eines Subjekts, sodass es zur »Erregbarkeit« der Rechtsneigung »aus Gründen »bloße[r] Selbstliebe« kommt, muss der Gerechtigkeitssinn unter die zweifelhaften Begehrungen gerechnet werden. Die Selbst- und Fremdtäuschung besteht in diesem Fall darin, die Verteidigung rechtsgemäßer, auch subjektiv gerechter Zustände als Freiheitspfand »zum Behuf einer Gesetzgebung für jedermann« in Szene zu setzen, davon aber nur zum eigenen Vorteil profitieren zu wollen. Wer wollte hier an die Aufsehen erregenden Fälle Letztverantwortlicher in der ersten Liga der Medien- und Unterhaltungsbranche denken? Es bestätigt sich, was Hegel herausarbeitet und von der Diagnose Freuds oder Lacans bekräftigt wird: Was am Ende vertrauenswürdig bleibt, ist die Furcht, die Gewissheit, dass es unzweifelhaft um ein Spiel auf Leben und Tod zu tun ist. Mithin finden sich die Situationen und Szenarien der Schwäche in notwendiger Abhängigkeit von Ängsten und Befürchtungen. Auch wenn es so scheinen mag, beglaubigt von Ressourcen, Vermögen und Inszenierung, können sie nicht als irreal gelten. Dass all die Anfechtungen sich nicht sehen lassen wollen, aus Imagegründen weggespiegelt werden und stattdessen in der Maske der Souveränität auftreten, gehörte und gehört offenbar zu den einschlägigen Geschichten erfolgreicher Bildproduktion: performance on screen. Nichtsdestotrotz: die Wege der Dekonstruktion der Verwirrungen, der Selbsttäuschung und der Chancen, das Verschwinden des Subjekts mit seiner Aufnahme in die Reihe informierter Objekte zu verbinden sind dem dargestellten Modell gleichweise zu entnehmen. Inszenierung wird damit keineswegs generell obsolet. Es bleiben
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die Spiele, die nicht vergiftet sind. Ansonsten finden sich die Optionen des Odysseus: List und Täuschung als handlungsstrategische Alternative zur heldischen Souveränität des Achill und auch zu den zweifelhaften Machenschaften des von Achill gehassten Agamemnon.278 Ob aus tatsächlicher Schwäche oder Not, aus Berechnung oder Ökonomie, wie auch immer. Allerdings, im Gegensatz zum modernen Aberglauben, welcher, der inneren praktischen Täuschung folgend, das Subjektive als objektive Bewegursache hinstellen möchte, um sich zu trauen, war das Vertrauen des Vielgeprüften des homerischen Epos unberechtigt. Er durfte tatsächlich auf den Beistand der Göttin hoffen. Das moderne Subjekt muss sein Vertrauen dem Glauben an sich selbst abnötigen.
ii.4 gescheiterte harmonie Versichern wir uns des Zusammenhangs mit der ästhetischen Dimension der Inszenierungsdispositive. Die ästhetischen Formierungs- und Bildungsgesichtspunkte finden sich wieder in der Übertragung auf das politische Werk, auf den Staat und seinen ›Adressaten‹, auf das Volk, das auf den Namen »Nation« hört. Der Aufruf der Kunst erreicht sein Publikum im Wesentlichen in Gestalt eines von der Philosophie gedeuteten Sagens und Singens durch Dichtung und Poesie. Wenn Melodie und Mythos stimmig sind, können Dramaturgie und Inszenierung im Einzelnen den Künsten überlassen bleiben. Die Medienbotschaft ist, dass die Empfänger es sind, die sie versenden. Denn alle Subjektivität des Empfindens für Ausdruck, Form und Inhalt solcher Kunst wie für ihre Wirkungen muss in der Logik der Hegel´schen Darstellung beiseite treten, um der »Kunst« Platz zu machen für die Rolle, die sie spielt in der Großen Erzählung von der Verwirklichung des Geistes in der Realität aller seiner Gestalten. Vergleichbares gilt für die Ingeniosität und Virtuosität des Künstlers. Auch der Künstler muss dienen und arbeiten. Es ist folgerichtig anzunehmen, dass dieses Ziel tableaugemäß anzusteuern bedeutet, theoretisch zu agitieren und szenografisch zu intervenieren. Geist und Freiheit müssen im Partikularen erscheinen, wie wenn sie von jedem, der mit ihnen in eigenem Kreis damit zu tun hat, legitimerweise reklamiert werden dürften. Die idealische Überanstrengung einer der Seiten der Hegel´schen »Widersprüche« zu vorübergehend selbstständig erscheinenden Gegenentwürfen, romantischen oder revolutionären, ändert nichts an der Inszenierungsnotwendigkeit. Im Gegenteil: die Zerreißprobe verschärft sich. In Parkett und Rängen ist schlecht auszumachen, wie weit das Spiel geht, wo der Ernst beginnt. Man sollte denken, man müsste dafür das Schauspiel, die Inszenierung in actu befragen, die Vorstellung begutachten. Doch bewegt sich die Kritik im pragmatischen Diskurs auf ähnlichem Niveau wie in der Philosophie. Man dreht sich im Kreis. Die Szene zu beleben und zugleich zu beurteilen ist schwerlich möglich, wie Kant schon in der Vorrede zur Anthropologie feststellt. Urteile aufgrund externer Begutachtung zu fällen verbietet sich aus Gründen der Verunreinigung durch Beobachtereffekte. Aus Eigenerleben und Erfahrung lassen sich Verallgemeinerungen nicht rechtfertigen. Zwar wird, was »zur »Kunstausübung brauchbar« ist, aus der Praxis heraus beurteilt, indes nicht auch zugleich zu Sätzen, Argumenten und Urteilen geformt.279 Man bleibt angewiesen auf die Diskursereignisse von Modellbildung, Konzepten, Entwürfen – den Diskurs der Wissenschaften, der Medien, der Techniken – und die Plausibilität dessen, was sie mitteilen.
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die zersetzung der kultur (nietzsche, heidegger)
Die Inszenierungsgesellschaft, deren Vorausahnungen wir verfolgen, konsolidiert sich zunehmend im Klima des letzten Viertels des 19. Jahrhunderts. Erstmals formiert sie sich in Deutschland in nationalen Gestalten und Ausdrucksformen, wenn auch nicht in der Freiheit, die sie braucht, um sich vollends zu entfalten. Dafür müssen andere Hindernisse beseitigt werden. Dass es so weit noch nicht ist, schadet der Herausbildung einer auf gesellschaftliche ›Harmonie‹ setzenden Systemrationalität, obwohl die Theoretiker der aufstrebenden Soziologie sie fordern. Der Rückstand begünstigt die Aufrechterhaltung der Fundamentalopposition zwischen Staat und Staatsfeinden, die Grund haben, anzumahnen, dass das Volk, trotz Stimme in der »gesamtdeutschen Volksversammlung« seit März 1871 keineswegs souverän die Legitimation der Verhältnisse besorgen darf. Dies bietet genügend Stoff zu elementarem »Kulturkampf«. Durchaus nicht von allen darein Verwickelten vergleichbar bekämpft, schreitet derweil die wissenschaftliche, technologische und technische Revolution beschleunigt voran, trotz erster Krisen. Sie veranlassen die herrschenden Mächte, die autoritativen Strukturen zu kräftigen und eigene Einflüsse zu sichern. Doch hemmen die nationalen Egoismen den »Weltverkehr«; kein Vergleich also zu seiner heutigen globalen medialen und technischen Ausdehnung und Zerstreuung. Dennoch markieren die deutschen Verhältnisse am Ende des Jahrhunderts die Höhe der Zeit.
Nihilismus & Kulturkampf Als letzter Zeuge philosophischer Reflexion der deutschen Verhältnisse im Jahrhundert der ökonomischen und wissenschaftlichen Revolutionen soll Nietzsche aufgerufen werden. Er begleitet den Abgang der ›Großen Erzählungen‹ und bringt den Nihilismus auf seinen Begriff. »Nihilism: es fehlt das Ziel; es fehlt die Antwort auf das ›Warum?‹. Was bedeutet Nihilism? – daß die obersten Werthe sich entwerthen.«280 Teils ist dies Zeichen einer gesteigerten Macht des Geistes. Teils aber ist es auch Zeichen für das Gegenteil. Aktiver und passiver Nihilismus müssen unterschieden werden. Kulturgefährdend ist der negative Nihilismus, in dem »die Synthesis der Werthe und Ziele (auf der jede starke Cultur beruht) sich löst, so daß die einzelnen Werthe sich Krieg machen: Zersetzung daß Alles, was erquickt, heilt, beruhigt, betäubt, in den Vordergrund tritt, unter verschiedenen Verkleidungen, religiös oder moralisch oder politisch oder ästhetisch usw.«281 Nicht mehr Hegel ist mittlerweile der Menge als maßgeblicher Denker bekannt. Schopenhauer ist an seine Stelle getreten. Auch Wagner gilt als großer Philosoph. Hegels Vorstellungen von Staat, Reichtum und Arbeit lassen sich mittlerweile mit Abstand betrachten. Die Einwände, die der Staat in seiner vergleichsweise jugendlich preußischen Form noch am Beginn des Jahrhunderts gegen Kultur, Wissenschaft und Bildung hätte haben können, zu einer Zeit, da ihre philosophischen Organe noch glaubten, die Ausgestaltung des Gemeinwesens mitgestalten zu können, hatten sich mittlerweile erledigt. Vorbei waren Zeiten, in denen »noch die schöne grüne Hegelei auf allen Feldern aufwuchs«. Nach verhagelter Ernte konnte man die Philosophie der Verheißungen ad acta legen. Mithin verfährt Nietzsche mit Hegel zwar nicht so gnädig wie mit Goethe; doch am Ende wird er ihn selbst gegen Schopenhauer verteidigen. »Man hat jetzt die Macht», lautet das Resümee, »damals, zur Zeit Hegels, wollte man sie haben – das ist ein großer Unterschied. Der Staat braucht die Sanktion durch die Philosophie nicht mehr, dadurch ist sie für ihn überflüssig geworden«.282
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Wir lesen demnach die Aufzeichnungen eines Überflüssigen, der sich die derzeitige Aufteilung der Ressourcen und Kapitalien ansieht, wer und was die Überflüssigen sind, wer und was die Notwendigen und Zukunftsträchtigen. Die Großen Erzählungen haben sich schon jetzt überlebt. Weder hat sich das Emanzipationsprojekt der Aufklärung als freiheitsverwirklichend erwiesen noch das Wissensprojekt von Idealismus und Spekulation als skeptizismuszersetzend. Die Totalitasierungen sind gescheitert. Das Schicksal der Universität, mit der zusammen der Aufschwung seinen Anfang nahm, illustriert nun den Niedergang der Großprojekte. Mit Fichte, Schleiermacher, Wilhelm von Humboldt und der Modelleinrichtung in Berlin hatte man noch geglaubt, einer spezifisch deutschen Variante rationaler Geschichtsphilosophie auch soziale und kulturelle, schließlich politische Geltung verschaffen und dafür beispielhaft die alte Universität selbst entsprechend ummodellieren zu können.283 Doch hatte der Staat zur eigenen Formierung zuletzt doch nicht alles auf die Karte solcher Inszenierungspolitik setzen mögen. Er hatte auf den ihm angetragenen Dienst verzichtet und stattdessen Soldaten ausgehoben. Forschung und Bildung in einem Klima allgemeiner Freiheit auf dem Niveau eines universellen für jeden zugänglichen Wissens zu etablieren, diese Idee verwirklichen zu wollen hatte sich als den Verhältnissen inadäquate Projektion der Universität selbst erwiesen. Wie man weiß, wurde der ›Geist‹ dieser Utopie noch im 20. Jahrhundert für eine Weile neu beschworen.284 Nietzsches Blick auf die Bildungseinrichtung, die mittlerweile zur staatlich alimentierten und subventionierten Institution geworden ist, wirft beispielhaft auf den Schirm, dass sich Selbstdarstellung und Fremdblick unterscheiden wie Schauspiel und Inszenierung beziehungsweise deren Kritik.285 Alles existiert auf der öffentlichen Bühne und ein zweites Mal außerhalb derselben, im Widerstand gegen die Medien und Programme der Inszenierung und doch auch willens, eigene Vorstellungen mit vergleichbaren Mitteln durchzusetzen. Werte und Wertmaßstäbe hier und dort, das versteht sich, schließen sich gegenseitig aus. Auch wird die Prätention als Opfermasse der herrschenden Kulturpolitik zu Wirkungslosigkeit und Einsamkeit verdammt zu sein, ersetzt von der Imagination einer alternativen Gemeinschaft jenseits aller staatsbürgerlichen Zumutungen. Zumindest vorübergehend macht Nietzsche einen legitimen »Orden[.] der Philosophen, der Künstler und der Heiligen« aus. Seine Aufgabe ist die Erzeugung von Menschen gleichen Schlags, Menschen, die »das [...] Feindselige kennenlernen und aus dem Wege räumen«. Dabei, heißt es, verlören sie sich nicht an Ideale, schon gar nicht solche politisch oppositioneller Parteilichkeit. »Kultur« ist der Name und das Agens auch dieser Poiesis der freien Philosophen und Aufrechten »in uns und außer uns«. Die Alternativkultur arbeitet dergestalt »an der Vollendung der Natur«.286 Der Kulturkampf, dennoch, schreibt sich seinen mythologischen Narrativen ein, verteilt sich auf das Achill´sche und das Odysseus´sche Erbe, wenn nicht auf das des Agamemnons. Der offenen Art des heldischen Genius, der, bereit zum Opfer, an der Hervorbringung des neuen Menschen sich müht, steht entgegen die verschlagene Art des »›Kulturstaat[es]‹«, seiner Akteure und Agenten. Von ihnen wird die Kultur missbraucht und in Dienst genommen. Zugleich tarnt sich die Unterwerfung als engagierte Förderung aller Kultur. Der Staat spielt mit verdeckten Karten. Wer an dieser Politik sich beteiligt oder mit ihr über Amt oder Institution verflochten ist, kann sich keine »uneigennützige Gesinnung« leisten, muss vielmehr jederzeit den aktuell maßgeblichen »Nebengedanken« folgen.
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Kultur & Kapital, Design & Wissenschaft. Die vier Mächte & ›die ihr Untertänigen‹ Beteiligt an dieser Verschleierung sind vier Mächte. Als Erstes drängt sich die Verfilzung von Kapital und Kultur auf. Sodann beeindruckt die Inszenierung der Staatstätigkeit als generell verantwortungsvoller und kompetenter Kulturpolitik. Als dritte Macht wirkt das Selbstinszenierungsbedürfnis der Designsüchtigen, egal ob unter Künstlern oder ›Kreativen‹, Kunstliebhabern oder ›Ästheten‹. Schließlich verurteilt Nietzsche die Ambivalenz des sich ausbreitenden Positivismus und Szientismus in den Wissenschaften. Soweit hierunter erfindende und forschende Wissenschaft zu verstehen seien, gerieten ihre Zielsetzungen forschungs- wie wissenschaftsbezogen ohne eigene Ambition auf Legitimation auch außerhalb von Universitätsbetrieb und ministerieller Behörde zu Selbstzweck oder Ideologie. Soweit zu »Kultur« auch Förderung von Wissenschaft gehört, handelt es sich beim Produkt um eine Mogelpackung. Denn die Wissenschaften wirken nicht positiv auf die Kultur zurück, im Gegenteil. Insbesondere die leidende Menschheit ist keine Größe der Wissenschaftspolitik. Das Gros der Gelehrten – das Urteil trifft nun offenbar alle Wissenschaften – orientiert sich nicht an wirklich relevanten Forschungsproblemen. Vielmehr beschränkt sich die Menge der beamteten Wissenselite darauf, »gewisse ›Wahrheiten‹ zu finden«, die sich mit der »Unterthänigkeit gegen gewisse herrschende Personen, Kasten, Meinungen, Kirchen, Regierungen« nutzbringend verbinden lassen. Es grassiert der Opportunismus. Insgesamt steht die institutionalisierte Wissenschaft nicht nur im Staatsdienst, sondern verordnet sich solchen Dienst auch selbst. Im Besonderen gilt dies für die politische Haltung der Beamten, darüber hinaus für »alles zugleich, was der Staat zu seinem Wohle heischt: [...] eine bestimmte Art der Religion, der gesellschaftlichen Ordnung, der Heeresreform – allen solchen Dingen steht ein noli me tangere angeschrieben.« Der Staat finanziert im Gegenzug die Universitäten und Forschungseinrichtungen und alimentiert die Professoren- und Gelehrtenschaft. Als Gegenleistung wird erwartet dafür, dass aller Forschungs- und Bildungsertrag dem Staat auch wieder zugutekommt, »sei dies nun Wahrheit, Halbwahrheit oder Irrtum«. Die Kritik Nietzsches trifft ausnahmslos alle Wissenschaften und ihren Betrieb. In professioneller Hinsicht erscheint das Urteil nur im Blick auf die Naturwissenschaften und die Historie relativiert, im Blick auf die universitäre Philosophie dagegen verschärft. Von den Naturwissenschaften gehen immerhin Impulse aus.287 Vergleichbares gilt für die Geschichtswissenschaften. »Ohne Zweifel ist man jetzt auf der Seite der einzelnen Wissenschaften logischer, behutsamer, bescheidner, erfindungsreicher, kurz [...] philosophischer als bei den sogenannten Philosophen.« Die Philosophie gehört unter die kulturgeförderten Disziplinen nur noch, soweit sie sich als »Gegenphilosophie«, im Kampf gegen echte Philosophie, zu profilieren weiß. Sie muss sich staatslegitimierend bewähren, um sich selbst zu rechtfertigen. Die universitären Philosophen tituliert Nietzsche als »Denkwirte«, die mit der überkommenen »Traum- und Denkwirtschaft« an ein Ende gekommen sind, in Ermangelung philosophisch relevanter Besinnung und Artikulation höchstens in den Wissenschaften wildern, um sich damit aufzuspielen. Als andere Tendenz philosophischer und geisteswissenschaftlicher Selbstdarstellung erkennt Nietzsche eine zunehmende Nähe zum Medienauftritt. Der »Geist der Journalisten« hat die Universität erreicht. Die Lehre kommt »glatt[.] geschminkt[.]« daher, orientiert sich am Feuilleton und an der Literaturzeitschrift. Wie auch die Geisteswissenschaften hat die Philosophie die großpreußische, auf reichsdeutsch umgetaufte nationale Forschungs- und Bildungskultur ›wissenschaftlich‹ zu begleiten und gegenüber der Öffentlichkeit als im Interesse
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der Allgemeinheit zu propagieren. Fachspezifische Aspekte treten in dieser Kulturkritik des zur Mitte der 1870er Jahre selbst seit rund fünf Jahren ›freien‹ Philosophen Nietzsche zurück. Im Mittelpunkt steht die Opposition gegen den wilhelminisch Bismarck´schen Obrigkeitsstaat zu Zeiten, die von der Geschichtswissenschaft des 20. Jahrhunderts im Vergleich mit dem Staatsinterventionismus der späteren Jahre als »liberal« bezeichnet werden.288
Medialisierung – ›Tanzmeister- & Tapezierer-Erfindsamkeit‹. ›Verhübschung‹ & ›das Hämmern der Telegraphen‹ Schauen wir auf die vier Mächte, treffen wir unter ihnen auf den Einfluss spezifisch gestalterischer Inszenierungskünste.289 Ihnen setzen sich willentlich all diejenigen aus, die sich eines »häßlichen oder langweiligen Inhaltes bewußt« sind, sich indes durch die »sogenannte ›schöne Form‹ täuschen wollen«. Dazu gehört all das, was auch Kants pragmatische Anthropologie schon als typisch für seine Landsleute herausgestellt hatte. Zusammengefasst charakterisiert den Habitus, dass er Wert legt auf den Schein. »Mit dem Äußerlichen, mit Wort, Gebärde, Verzierung, Gepränge, Manierlichkeit soll der Beschauer zu einem falschen Schlusse über den Inhalt genötigt werden, in der Voraussetzung, daß man gewöhnlich das Innere nach der Außenseite beurteilt.« Es handelt sich um die Eigenart, »sich mit Hilfe aller Künste interessant zu machen«. Künstler und Kunsthandwerker sind genötigt, jeden Geschmack zu befriedigen, und tun es. Die Nachfrage gilt als Kulturförderung. Für den »modernen Menschen« im neuen Reich ist die Unterhaltungs- und Verschönerungskultur noch ganz neu. Sie selbst wie das Verlangen danach »in Betreff der deutschen Kultur« wurden, man staune, »mit heimgebracht« aus Feindesland, als kulturelle Beute des »letzte[n] Krieg[es]« – »[b]e sonders das Kunsthandwerk«. Man gibt sich designbewusst, die Kunst wird entsprechend eingefärbt. Das Theater, glaubt Nietzsche, habe schon lange auf französischen Geschmack und Eleganz geschielt. Nun will man auch in Deutschland als weltläufig gelten – was Nietzsche boshafterweise vergleicht mit dem Wunsch des Indianers, sich einen Ring durch die Nase ziehen und sich tätowieren zu lassen. Die Französelei, freilich, steht unter nationalen Vorzeichen, steht für ein modernes Deutschland. Was sich dem »Gesetze der Eleganz« nicht beugt oder fügen mag – wie alle echte »deutsche Musik, Tragödie und Philosophie«, tief und althergebracht – gilt jetzt als »undeutsch«. Für Nietzsche belegt die Zuwendung zur französischen Design- und Unterhaltungskultur die unbewusste Abwendung von der eigenen Vergangenheit. Die »alten Verpflichtungen« auf deutschen Geist und deutsche Art, »hart, herbe und voller Widerstand«, auf »Schwer- und Tiefsinn seiner Natur«, sind die Deutschen dabei zu verdrängen. Die neue Kultur stellt neue Werte in Aussicht: Verhübschung auf ganzer Linie, eingeschlossen die »Tanzmeister- und Tapezierer-Erfindsamkeit«. Selbstredend ist Nietzsche der Überzeugung, dass der Inszenierungs- und Selbstinszenierungsprozess, den die Nationalkultur erlebt, auf Dauer keinen Bestand haben kann und durchlässig werden muss für das Echte, an das er glaubt. Wie Hegel schon bemerkt und Nietzsche bestätigt, geht diese Kultur ohnehin nur diejenigen an, die sich durch Eigentum, Besitz oder auskömmliche Arbeit in die Lage versetzt sehen, für ästhetische Werte, für »Bildung« empfänglich zu sein, nur deshalb auch entsprechende Werturteile äußern können.290 Die industrielle und technologische Entwicklung und ihre medientechnischen Implikationen sind nicht unbeteiligt. Denn die Bereitschaft zur Umwertung hat auch zu tun mit der Zeit- und Raumstauchung durch Beschleunigungseffekte, welche Physis und Psyche der Menschen mittlerweile
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erreicht haben und nicht mehr nur bekannt sind aus kuriosen Erzählungen von Erfindern, Forschern und Schriftstellern. Verantwortlich für die wahrnehmbare »Hast«, für »atemloses Erfassen des Augenblicks, [...] Übereile, [...] Rennen und Jagen«, sind die zweifelhaften Segnungen der Industrialisierung. qua Voraussetzung aber sind die »geplagten Sklaven der drei M, des Moments, der Moden und der Meinungen«, Sklaven der staatlichen Kulturpolitik und ihrer Mächte. Heidegger ist es, der im Weltbild-Vortrag von 1938 erläutert, warum es zu den Grundzügen der Moderne gehört, Politik überhaupt und in allen ihren Zuständigkeiten als »Kulturpolitik« zu traktieren. Die Mächte, die daran beteiligt sind, sind dieselben geblieben: Kapital, Industrie und Handel, die Politik im Sinne eigentlicher Staatstätigkeit, die in den Diskursen und in der öffentlichen Kommunikation sich durchsetzende Medien- und Inszenierungspolitik, Technik und Technologie, Wissenschaft und Forschung. Was einzelne Mächte vermögen oder nicht, hängt immer zusammen mit Kraft und Einfluss der anderen. Die Beschleunigung erscheint zwiespältig. Einerseits steht sie der Beharrlichkeit und Echtheit des Herkommens und Bleibens entgegen. Andererseits ist die Geschichte nicht zurückzudrehen. Man muss mit den Positivitäten rechnen. Wieder, jetzt bei Nietzsche, treffen wir auf die Rousseau´sche Figur notgedrungener Umwertung der Verhältnisse dann, wenn der Kollaps unvermeidlich scheint und man den Gegebenheiten Rechnung tragen muss. Soweit die Zukunft der technischen und medialen Revolutionen aber nicht abzusehen ist, ist ihre derzeitige Formatierung teleologisch nicht wirklich zu beurteilen. »Wir hören wohl das Hämmern des Telegraphen, aber verstehen es nicht.« »Die Presse, die Maschine, die Eisenbahn, der Telegraph sind Prämissen, deren tausendjährige Conclusion noch Niemand zu ziehen gewagt hat.«291 Ein Grund findet sich in der verlorenen Zeit.292 Es zählt nur der Augenblick. Die Tugend, die man braucht, scheint es, heißt Geistesgegenwart. »[J]etzt ist nur Eine Art von Ernst in der modernen Seele übrig geblieben, er gilt den Nachrichten, welche die Zeitung oder der Telegraph bringt. Den Augenblick benutzen und, um von ihm Nutzen zu haben, ihn so schnell wie möglich beurtheilen! – man könnte glauben, es sei den gegenwärtigen Menschen auch nur Eine Tugend übrig geblieben, die der Geistesgegenwart.« Aber es ist nicht der Geist, der schneller geworden ist; dies ist Täuschung, wie alles in dieser Vermittlung.293 »Leider ist es in Wahrheit vielmehr die Allgegenwart einer schmutzigen unersättlichen Begehrlichkeit und einer überallhin spähenden Neugierde bei Jedermann.«294 Nicht Geist ist hier gegenwärtig, sondern Effekt. »Geistesgegenwart: das heißt die Fähigkeit sich seine Worte und Handlungen durch die Umstände diktiren [zu] lassen, – ist also eine Fähigkeit zu lügen und zu heucheln.«295 Einerseits findet sich ein Medieneffekt, andererseits ein Effekt des Individuums, das sich verhält, wie wenn jemand an einem Mausoleum baut, um damit der Zeit zuvorzukommen; ein Verlangen nach Unsterblichkeit, eitel, weil das Begehren nur auf sich selbst gerichtet ist: »Verlangen nach Unsterblichkeit: Reichthum und Macht, Klugheit, Geistesgegenwart, Beredsamkeit, ein blühendes Ansehen, ein gewichtiger Name – alles sind hier nur Mittel geworden, mit denen der unersättliche persönliche Lebenswille nach neuem Leben verlangt, mit denen er nach einer, zuletzt illusorischen Ewigkeit lechzt.«296 Nietzsche begegnet dem nicht mit einer idealischen Antithese. ›Die Gleichnisse von der Börse abziehen‹. Werte, Wert, Wertbildung
Die Gegenwärtigkeit der Szene ist an die Präsenzbezogenheit der Medien gekoppelt, die Geschwindigkeit an den Umschlag des Kapitals. Dies ist eine Tatsache, bei der man stehen bleiben muss, zumindest vorübergehend. Denn zum Versuch, die Wirkung zu beurteilen, gehört die Ambivalenz der Einschätzung zwischen positiver und
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skeptischer Bewertung, zwischen den Modifikationen des Bedeutenkönnens oder der Interpretation. Womöglich jedenfalls ist es die Ausweitung der kapitalistischen Zirkulation, ist es »der Handelsstand, welcher ein völliges Zurücksinken in die Barbarei verhindert (Telegraphie, Geographie, industr[ielle]) Erfindung«, notiert Nietzsche zur selben Zeit.297 Dass die Beschleunigung nicht mit der Telegrafie, sondern die Telegrafie mit der Modernisierungslust zu tun hat, fällt wohl auch jemandem ein, ist aber reine Rhetorik unausgeschlafener Philosophen. Sie suchen nach Metaphern, weil sie alte ersetzen müssen, um ihrem Sinn einen Anstrich von Modernität zu geben; deshalb das Bemühen, »von der Eisenbahn, dem Telegraphen, der Dampfmaschine, der Börse seine Gleichnisse abzuziehen«.298 Die erste Macht unter den maßgeblichen Mächten im Staat, welche im Interesse der »Selbstsucht des Staates« die Bildung fördert, um auch in ihrer Gestalt den Reichtum zu steigern, ist maßgeblich für die Wertbildung. Im Übrigen zeigt sich, dass Nietzsche sich über die bahnbrechenden Funktionen des großpreußisch deutschen Staates zur beschleunigten industriellen und Kapitalentwicklung durchaus im Klaren ist und keine selbsttätige ökonomische Dynamik unterstellt. Inszenierung ist hier der Scheinschluss einer »verführerische[n] Formel«. Erkenntnis und Bildung werden als kollektive, weil subjektiver Wertbildung adäquate Werte dargestellt und propagiert. Unter Ausnutzung des Egoismus wird so das Bedürfnis befeuert. Entsprechend steigt die Produktion sowohl von Bildungsangeboten als auch von Arbeit. Die Arbeit wird sowohl dorthin gelenkt als auch in der Appropriation aufgebracht. In Aussicht gestellt werden »daher möglichst viel Gewinn und Glück« nach zeitgemäßem Maßstab. »Bildung würde von den Anhängern derselben als die Einsicht definirt werden, mit der man, in Bedürfnissen und deren Befriedigung, durch und durch zeitgemäss wird, mit der man aber zugleich am besten über alle Mittel und Wege gebietet, um so leicht wie möglich Geld zu gewinnen.« »Wert« wird demnach im Geldausdruck gemessen. Bildung ist »courante Münze« und produziert wie diese auch »courante Menschen«. Nicht das letzte der Bildungsziele nämlich lautet, »sich selber genau taxiren können, um zu wissen, was er vom Leben zu fordern habe; und zuletzt wird behauptet, dass ein natürlicher und nothwendiger Bund von ›Intelligenz und Besitz‹, von ›Reichthum und Kultur‹ bestehe, noch mehr, dass dieser Bund eine sittliche Nothwendigkeit sei.« Denn auch diese Mächte wollen befriedigt sein. Jedes alternative Bildungsverständnis, das hinausreicht »über Geld und Erwerb«, insbesondere ein solches, das auf Zeit setzt – und einsam macht, wie Nietzsche in den Unzeitgemäßen Betrachtungen wiederholt bemerkt – , ist verhasst. Es gilt als Verirrung eines »›Feineren Egoismus‹« und »›unsittlichen Bildungsepikuräismus‹«. Man brauchte nicht auf die »Bologna-Verabredungen« zu warten, um »eine rasche Bildung« »und doch eine so gründliche Bildung« angepriesen zu bekommen, »um ein sehr viel Geld verdienendes Wesen werden zu können«. Der tatsächliche gesellschaftliche und politische Bewertungsmaßstab steht allerdings fest. Wert ist, was »im Interesse des allgemeinen Erwerbs und des Weltverkehrs ist«.299 Die mediale Fokussierung, die dem Subjekt den Blick einstellt, programmiert sein Begehren auf Konsum und Luxus, das »stärkste[.] Reizmittel auf Arme, Arbeit-Geplagte und Verheirathete«, um derentwillen das Streben nach Reichtum überhaupt Sinn machen soll. Angeheizt werden Neid und Unlust, damit aber die Konkurrenz und die Produktion. Wer sich dem ökonomischen Diktat verweigert, gilt als »Schädiger des National-Reichthums und der Arbeitskraft«.300
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Ästhetischer Schein & Tauschwert. Wertakkumulation & Lebenssteigerung Nietzsche nähert sich in seiner Wertanalyse der relativierenden Beurteilung durch die Kritik der politischen Ökonomie der Zeit. Wert hat, was im Tausch als Preis einer Sache realisiert werden kann, wobei »Sache« die Gleichverfügbarkeit als Tauschwert indiziert. »Der Gesichtspunkt des ›Werths‹ ist der Gesichtspunkt von ErhaltungsSteigerungs-Bedingungen in Hinsicht auf complexe Gebilde von relativer Dauer des Lebens innerhalb des Werdens«. Mithin gibt es keine substanziellen Werteinheiten, »keine dauerhaften letzten Einheiten, keine Atome, keine Monaden«. Soweit von ›Seiendem‹ die Rede sein kann, ist es Herrschaftseffekt (»›Herrschafts-Gebilde‹«), Resultat pragmatisch gerechtfertigter Handlungs- oder Behauptungs-, Beschreibungs- oder Deutungsgründe. Involviert in die Szenen der alltäglichen Verkehrs und Umgangs, wechselnder Absprachen und Auseinandersetzungen, ist kein Regime oder Regiment von Dauer, vielmehr »fortwährend wachsend oder periodisch abnehmend, zunehmend; [...] unter der Gunst und Ungunst der Umstände«. »›Werth‹ ist wesentlich der Gesichtspunkt für das Zunehmen oder Abnehmen dieser herrschaftlichen Centren (›Vielheiten‹ jedenfalls, aber die ›Einheit‹ ist in der Natur des Werdens gar nicht vorhanden) – , ein Quantum Macht, ein Werden, insofern nichts darin den Charakter des ›Seins‹ hat«. Was Nietzsche über die Relativierung und Relativität des Wertes sagt, möchte er zwar nicht bewertet wissen, aber doch als eigene Einsicht gewürdigt sehen. Er ist überzeugt, dass »die Geschichte der nächsten zwei Jahrhunderte« von dieser Umwertung aller Werte geprägt sein wird. Der Wertrelativismus lässt alle moralischen Beurteilungen obsolet erscheinen, Egoismus wie Selbstlosigkeit sind »Fiktion«. Wichtiger und aufschlussreicher, als die Winkel des Bewusstseins oder der Moralität zu studieren, scheint daher, die materiellen, physischen und physikalischen, körperlichen und sinnlichen Aspekte der gerade sich den Naturwissenschaften zuwendenden Psychologie zu studieren. Denn »[d]ie animalischen Funktionen sind [...] principiell millionenfach wichtiger als alle schönen Zustände und Bewußtseins-Höhen: letztere sind ein Überschuß, soweit sie nicht Werkzeuge sein müssen für jene animalischen Funktionen.« Diese dienen vor allem der Lebenssteigerung, womit auch die Wertakkumulation sich dem ökonomischen Modell angliedert, »Mehrwert«, umgekehrt, eine biologisch psychologische Dimension offenbart. Wenn es deshalb dennoch wünschbar sein sollte, »Zustände zu schaffen, in denen der ganze Vortheil auf Seiten der Rechtschaffenen ist«, dann liegt der Grund nicht bei moralischen Maximen oder ethischen Werten, sondern ist »im Grunde eine Frage des Geschmacks und der Aesthetik«. Überhaupt nicht wünschbar wäre jedenfalls, »daß die ›achtbarste‹ d.h. langweiligste Species Mensch übrig bliebe [...,] die Rechtwinkligen, die Tugendhaften, die Biedermänner, die Braven, die Geraden, die ›Hornochsen‹«. So Nietzsche 1887.301 Heideggers Zusätze zum Vortrag über Die Zeit des Weltbildes von 1938 Jahre weisen darauf hin, dass gleich wesentlich für die neuzeitliche Auslegung des Seienden wie die Entwicklung des Systemgedankens die Geschichte des Wertbegriffs ist.302 Er schlägt damit die Brücke zu seinen Nietzsche-Vorlesungen der 30er Jahre, zugleich aber auch zu den Kunstwerk-Vorträgen der Jahre 1934/35. Ähnlich der Verankerung des Systemcharakters eines fertigen Kunstwerks in der kreativen Kraft seines Entwurfs, dient Heidegger »Wert« als Versicherung eines Seienden im Sein. Was Wert ist, kompensiert dabei im Zweifelsfall für eine Welt qua Vorstellung und Deutung den Verlust oder die nicht mehr realisierbare Existenz der Bindung an ein beständiges
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Sein. Der Wert des Seienden im Sinne der Auslegung tritt damit an die Seite der in einem leiblich-sinnlichen Register sich äußernden Selbstoffenbarung und Vernehmbarkeit des Seins des Seienden – soweit solches Sich-Offenbaren überhaupt noch vernommen werden kann.303 Insofern der Auslegungs- und Bildproduktions-Prozess wie im künstlerischen Prozess auch Gegenstandsschöpfung und Vergegenständlichung bedeutet, erscheinen die Werte im Kontext des Kulturschaffens mit diesen Gegenstände verbunden und, für sich, als das eigentlich Objektive. Entäußert, allerdings, erweist es sich als bloßer Tauschwert. »Der Wert ist die Vergegenständlichung der Bedürfnisziele des vorstellenden Sicheinrichtens in der Welt als dem Bild. Der Wert scheint auszudrücken, dass man in der Bezugstellung zu ihm eben das Wertvollste selbst betreibt, und dennoch ist gerade der Wert die kraftlose und fadenscheinige Verhüllung der platt und hintergrundlos gewordenen Gegenständlichkeit des Seienden. Keiner stirbt für bloße Werte.«304
Wertrelativität. Statt Metaphysik (Heidegger) Bekanntlich gilt Nietzsches Metaphysik als eine Metaphysik der Werte und Heideggers Analyse als eine Auseinandersetzung mit Nietzsche. Heidegger sieht in der Konjunktur des »Wertes« und des »Werthaften« insbesondere in der nachhegelschen Philosophie und Weltanschauung einen »positivistischen Ersatz für das Metaphysische«. Hiermit zusammen hängt das Schicksal der Wertfreiheit. Die Wissenschaften, welche das Weltbild bedienen, geben sich und gelten zugleich als wertfrei, sodass die »Wertungen auf die Seite der Weltanschauung« geschlagen erscheinen.305 Von Bedeutung im Inszenierungskontext ist der in der Auseinandersetzung mit Nietzsche entwickelte Zusammenhang von Wert und Bild, der auch im Weltbild-Aufsatz angesprochen wird. Es leuchtet ein, dass die Beimessung von Wert, der in der systematischen Entfaltung eines Entwurfsprozesses gründet und zur komplexen Gestaltung eines der Vorstellung entsprechenden ›Seienden‹, eines Artefakts führt, der Abgrenzung im Prozess des Herausgreifens und Modellierens geschuldet ist. Die Besonderheit ist, dass der dem Artefakt oder Gegenstand beigemessene Wert auf einem ›Gesichtspunkt‹ beruht, der sich im Anblick eines ›Vor-sich-Hingestellten‹ als Realität darbieten mag, darin aber keinen Bestand hat. Denn es ist umgekehrt so, dass der Gesichtspunkt, der zum Bild führt, seinen Wert macht. Folglich liegt »das Wesen des Wertes [...] darin, Gesichtspunkt zu sein«. »Gesichtspunkt«, genauer, meint mithin den Augenpunkt einer Perspektive des Blicks, der schon immer eingebunden ist in einen Tauschprozess des Bedeutenlassens mit dem Bedeuten. Von ihm abhängig ist der Wert des Vorgestellten auch im Sinne eines Hingestellten oder Dastehenden, eines Artefakts, Objekts oder Gegenstands – ein Gedanke, den wir bei Hegel fanden und bei Lacan wieder aufnehmen. Der Gesichtspunkt wird mithin nicht unmittelbar vom Gegenstand beeinflusst, der den Blick affiziert und ihm auf diese Weise seinen Willen aufnötigt. Auch ist es nicht die Kraft der Sinne, die den Gegenstand allein durch ›Hinsicht‹ erzwingen könnte. Vielmehr handelt es sich um ein Ringen des Begehrens. Es ist hin und hergerissen zwischen fremdem Blick und fremder Bildproduktion, die Appetit machen auf das darin Vorgezeigte, und eigener Anstrengung, die darin das Andere des eigenen Blicks erkennen und sich der Perspektive selbst bemächtigen will. Der Prozess der »Hinsicht«, damit der Wertbestimmung, ist niemals stabil. Der Preis ist stets volatil, muss laufend neu fixiert werden. Die Bilderzeugung geht einher mit Schätzungen und Einschätzungen, die der Beurteilung des bisherigen Auswählens
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und Bedeutenlassens ebenso gelten wie den daraus abziehbaren Erwartungen. Der Wert selbst wird nicht gefunden oder ergriffen, sondern beigemessen. »Wert«, sagt Heidegger mit Hinweis auf Nietzsches Willen zur Macht, »steht im inneren Bezug zu einem Soviel, zu Quantum und Zahl«. Der Gesichtspunkt setzt den Wert, der als solcher so viel gilt, wie dagegen eintauschbar ist. Heidegger spricht, um die Frage der Angleichung der Werte auf den beiden Skalen der Vorstellung oder Darstellung und der Sache zu thematisieren, nicht von »Übereinstimmung«. Doch findet die griechische Herkunft des Zusammenhangs von Hinsicht und Gesichtskreis, Gesicht und Sehen Erwähnung, jedoch mit der Pointe einer zur lateinischen perceptio gewandelten Auffassung griechischer idea und eidos, von Idee und Entwurf.306 »Sehen ist solches Vorstellen, das seit Leibniz ausdrücklicher im Grundzug des Strebens (appetitus) gefaßt wird. Alles Seiende ist vorstellendes, insofern zum Sein des Seienden der nisus gehört, der Drang zum Auftreten, der etwas dem Aufkommen (Erscheinen) anbefiehlt und so sein Vorkommen bestimmt. Das dergestalt nisus-hafte Wesen alles Seienden nimmt sich so und setzt sich so für einen Augenpunkt. Der Augenpunkt ist der Wert«.307
Lebenssteigerung & Raumerweiterung Die analysierte Wertsetzung im Zusammenhang der vorstellenden Bildproduktion unterstützt ihrerseits das Gesagte in Die Zeit des Weltbildes sowohl was die Systemqualitäten, den Zuwachs an Komplexität betrifft als, in selber Richtung, die Charakterisierung des Grundvorgangs der Welteroberung durch Bildproduktion. Nietzsche folgend, weist Heidegger darauf hin, dass es, genau betrachtet, immer zwei Gesichtspunkte sind, die den Augenpunkt oder die Hinsicht der Wertstellung bestimmen. Es ist dies eine Konsequenz der formal quantitativen Bestimmung von »Wert« als Relation, Überein- bzw. Nichtübereinstimmung zwischen Werten in zwei getrennten Registern. Es geht um den Vergleich von »Erhaltungs- und Steigerungsbedingungen«.308 Heidegger allerdings macht weniger den Schematismus des Vergleichs und der Beurteilung einer Übereinstimmung von Vorgestelltem und Vorstellung verantwortlich für die Ausdehnungs- und Wachstumsideologie des neuzeitlichen Subjektivismus. Stattdessen weist er hin auf die lebensphilosophisch biologistische Betrachtung Nietzsches, von der nicht ganz klar wird, wie weit Heidegger sie teilt. Von Nietzsche als »komplexes Gebilde des Lebens« charakterisiert, ist das »vor-stellend-strebend Seiende« danach selbst seinem Wesen als Werden nach auf Wachstum angelegt. Bloße Erhaltung nämlich bedeutete schon Niedergang. »Raumerweiterung«309 in dieser Perspektive ist darum kein Selbstzweck, sondern dient der einzig das Überleben sichernden »Lebenssteigerung« vermittels um sich greifender Bildproduktion, die ihrerseits raumgestaltende Ambitionen hat.310 Verständlicherweise wird die Steigerung immer von einem Erhaltungsniveau aus gerechnet, das es zu überbieten gilt. Das Leitzitat unserer Darstellung – der »Grundvorgang der Neuzeit ist die Eroberung der Welt als Bild« – erhält so eine neue Wendung. Die überlebensnotwendige Lebenssteigerung fordert die Aneignung von Werten. Da sie sich aber nur bildrelativ in anhaltendem Tausch festgehalten werden können, führt der Versuch zur Sicherung stabiler Daseinsverhältnisse zu keinem dauerhaften Zustand. Der Zwangstausch der Bilder und der davon abhängige Schaffens- und Gestaltungsdrang zur vergegenständlichenden Objektivierung der Wunschvorstellungen führen somit zwangsläufig zu einer weiteren Drehung in der Eroberungsspirale von Wert- und Lebenssteigerung. Auch wenn es für die Individualkultur als lebensnotwendig propagiert wird, sich an diesem Wettlauf zu beteiligen,
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wird nicht jeder dem Imperativ folgen wollen. Sicher aber wird er Gesetz sein in den Zentren der Wertsetzung, die für Heidegger als »Herrschaftszentren« medialer Vermittlung ausgemacht sind: »Kunst, Staat, Wissenschaft, Religion, Gesellschaft«.311 Doch geschieht die Festsetzung des Preises nicht ohne Rücksicht auf die Produktivität der Tauschwerte und ihre gesellschaftlichen Grundlagen in der Arbeit, was Nietzsche, wie Hegel, nicht verschweigt. Für Heidegger indes scheint es ein Zirkulationsphänomen. Die Wertrealisation ist Sache bemessender Hinsicht. Demgegenüber findet sich eine klarere Positionierung der Arbeit, wo sie als Kunstschaffen unter ästhetischem Betracht steht. Hier findet sich nicht allein die Hinsicht, sondern auch die ›Hersicht‹ der Dinge, die keineswegs allesamt der Erde entstammen.
Ästhetisierung der Kunst. Fortschritt der Medialisierung – Weltbild, Lebensanschauung, Erleben (Heidegger) Zu den Kennzeichen neuzeitlicher Welteroberung qua Bildproduktion gehört für Heidegger, dass die Kunst in den Gesichtskreis der Ästhetik rückt. Dem wird im Vortrag von 1938 nicht im Einzelnen nachgegangen, da die Hauptthesen am Gang der Wissenschaften exemplifiziert werden. Doch nicht erst der Rekurs auf den KunstwerkAufsatz schafft hier Klarheit. Die Künste der Wissenschaften sind hinreichend, den Zusammenhang zu skizzieren. Was zum natürlich oder künstlich Seienden gehört, wird neuzeitlich durch die Wissenschaften definiert. Die methodisch organisierte Entwurfs- und Forschungs-, Gestaltungs- und Produktionstätigkeit der Wissenschaften gehört somit ins Zentrum der welterschließenden Bilderzeugung. Für die Fabrikation von Weltbildern, auch komplexen gesellschaftlichen Plastiken und ›Installationen ist sie zuständig und verantwortlich. Dies gilt, mehr noch als für die sich selbst als Bildwissenschaften identifizierenden Kulturwissenschaften, für die Welterzeugung der Natur- und technischen Wissenschaften. Dass es die Ästhetik ist, die an der Produktivkraft Wissenschaft die ›Kunst‹ diagnostiziert, ist die Pointe neuzeitlich moderner Entwicklung. Die Kunst rückt nicht nur in den Gesichtskreis der Ästhetik, sondern in ihren Herrschaftsraum. Die Kunst gehört zu den Eroberungen der aisthesis, zu den Eroberungen der wissenschaftlichen Weltanschauung. In anderer Richtung gelesen, heißt dies, dass die Wissenschaften unter das Regiment der Ästhetik geraten sind, wovon wir Beispiele gegeben haben. Heidegger verfolgt den modernen Wissenschaftsprozess bis hin zur medialen Verwertung und den damit intendierten Effekten. Ein für seine Zeit aktuelles Beispiel erhellt den Zusammenhang von Forschung und Weltbild. Im Mittelpunkt der Transformation steht der Medialisierungsprozess. Dabei handelt es sich um die mehr oder weniger virtuelle Materialisierung der Appropriation, die über einen bloß biologischen Stoffwechselprozess hinausgeht, aber auch ihn zu erreichen vermag. Die Verwandlung von Dingeigenschaften und Dingereignissen in Kommunikations- und Präsentationseigenschaften und -ereignisse könnte man durchaus als Verwandlung von Gebrauchswerten in Tauschwerte darstellen. Mittels Medien, für Heidegger Bücher und Schriften, wird die durch Forschung und Technologie erhellte »Welt ins Bild der Öffentlichkeit gebracht und in ihr verfestigt«. Die daran hängenden Bilder fremder Blicke gehören nun nicht mehr nur den Wissenschaften, sondern werden zu Bestandteilen der öffentlichen Kultur, ihrer medialen Präsenz und ihres Umschlags. In diesem Sinne verweist Heidegger, beispielhaft für die erste Hälfte des 20. Jahrhunderts, auf die Inszenierungstätigkeit der Verlage im Dienste der Wissenschaften. Das popularisierende Engagement ist nicht zuletzt den
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Wissenschaften selbst nützlich. – Nietzsche beschreibt den Aufschwung im Zweiten Reich. – Die Medienleute nämlich haben nicht nur »das bessere Ohr für die Bedürfnisse der Öffentlichkeit«, ein besseres jedenfalls als die Wissenschaftler selbst. Sie besitzen darüber hinaus die Expertise »eines planenden und sich einrichtenden Vorgehens«, mit dessen Hilfe die Forschungsergebnisse »nicht nur leichter und schneller bekannt und beachtet werden, sondern auch in einer breiteren Front sogleich zur gelenkten Wirkung kommen«.312 Im Zusammenhang der Darlegung bestimmter Begleiterscheinungen der neuzeitlichen Wendung der Metaphysik hat Die Zeit des Weltbildes eine weitere Erläuterung zur These der Vereinnahmung der Kunst durch die Ästhetik parat. Die metaphysische Kehre ist das Kernstück neuzeitlicher Entwicklung der Subjektivität. Sie liegt allen anderen Charakteristika des Prozesses zugrunde. Auch hierin findet sich die Diagnose Nietzsches bestätigt. »Das Kunstwerk«, heißt es lapidar in diesem Zusammenhang, »wird zum Gegenstand des Erlebens, und demzufolge gilt die Kunst als Ausdruck des Lebens des Menschen.« Verbunden mit der These zur Lebenssteigerung als Wertsteigerung, positiver Effekt des Willens zur Macht, erhellt so, wie die Ästhetisierung des Politischen respektive seiner sozio-ökonomischen Bedingungsverhältnisse bewerkstelligt wird. Der Ausdruck des Lebens der Menschen muss als ›Kunst‹ gelten. Die mit diesem Befund gekoppelte Begründung geht aus von den Objektivität verbürgenden Konstitutionsleistungen des nachdescartes´schen Subjekts. Da seine Selbstbestimmung zugleich den Ausgangspunkt der Weltschöpfung markiert – nicht nur eines Einen, sondern auch eines Vielen –, muss die Definition zunächst die Hegel´sche Frage beantworten, ob das mit der Konstitution ins Leben gerufene »Ich« als willkürlich und beliebig handelndes Einzelnes zu verstehen sei oder als ein »Wir, ein »Wir der Gesellschaft [...] als Gemeinschaft«. Sodann, wenn Letzteres zutreffen sollte (was Heidegger grundsätzlich bejaht), ist die Frage, ob »als Persönlichkeit in der Gemeinschaft oder als bloßes Gruppenglied in einer Körperschaft, [...] ob als Staat und Nation und als Volk oder als die allgemeine Menschheit des neuzeitlichen Menschen«. In welchen Facetten auch immer das »Wir« angesichts dieser Varianten im Einzelnen zu bestimmen wäre, jede Art der Ablehnung eines kollektiven Subjektbegriffs wird inkriminiert als »Individualismus«. »Individualismus« bedeutet »Ausgleiten in das Unwesen des Subjektivismus«.313 Umso mehr besteht Grund, dass sich die Beobachtung der Welt intensiver auf die Beobachtung und Untersuchung des »Subjekts« verlegt, um Klarheit zu schaffen. Im Prozess der Welterschließung richtet die Kultur ihr Interesse immer vordringlicher und unaufhaltsamer auf ihr eigenes kreatives und produktives Selbst – »je umfassender [...] und durchgreifender die Welt als eroberte Welt zur Verfügung steht, je objektiver das Objekt erscheint«. Das Weltbild wird nachdrücklich von einem Menschenbild her gedacht, jenes von diesem erschlossen. Eine entsprechende Konjunktur erlebt die Anthropologie.314 Sie ist nun überhaupt für die Weltanschauung zuständig, sofern damit »Lebensanschauung« gemeint ist und die darin ausgezeichnete Bildproduktion‹ erhellt.315 Wie Nietzsche schreibt: sie geht aus vom Leben und kehrt dorthin zurück. Der Philosophie bedarf sie eigentlich nicht, benutzt indes alle »Philosophiegelehrsamkeit«. Letztlich besorgt sie die Abschaffung der Philosophie, zumindest die der Metaphysik. Das wirklich Zählende am Seienden, das, was ihm als solches Geltung verschafft, tritt neuzeitlich hervor, »sofern es und so weit es in dieses Leben ein- und zurückbezogen« ist, nurmehr ist, was »er-lebt« und »Erlebnis« ist. »[N]otwendig und rechtmäßig [muss] dem neuzeitlichen Menschen alles zum Erlebnis werden«.316 – Eine Diagnose, welche die Kunstwerk-Vorträge
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genauer begründen.317 – Dass die Unterordnung der Kunst unter die Ästhetik mit der Auszeichnung des Lebens und des Erlebens verbunden ist, steht, wenn man dem Focus des Weltbild-Aufsatzes folgt und dem Exempel der Wissenschaftsentwicklung, offensichtlich im Zusammenhang von Betrieb, Geschäft und medialer Verbreitung. Noch ohne dass man diese Beurteilung an den einzelnen »gleichwesentlichen Erscheinungen« von Neuzeit und Moderne erhärtet hätte, lässt sich von hier aus, umgekehrt, eine Schlussfolgerung für die Bildproduktion ziehen. Die »Eroberung«, die Verwirklichung der Welt als Bild, ist abhängig von der Konzentration der Deutung auf das Erleben des Subjekts und der damit verbundenen »Gestaltung des Seienden«, die sich indes als solche keineswegs in der Erzeugung von ›Bildern« erschöpft. 2
mediatisierung, informierung: übertragungsverhältnisse (nietzsche)
Nietzsche glaubt, dass die »großartigsten Entwicklungen«, wie sie an Künstlern vom Schlage Goethes, Schillers – oder eines »Genius« wie Wagner – zu beobachten sind, nicht selten »aus inneren Hemmungen oder Lücken herzuleiten« seien. Der Prozess wird beschrieben als Prozess einer ›Versetzung‹. Goethe würde demnach eine Versetzung vom Malerberuf zum Dichter vorgenommen haben, Schiller von der (politischen) Rhetorik (»Volksberedsamkeit«) zur Dramatik. Dies zum Beispiel genommen, sei Wagner, so Nietzsche »in der Heranziehung aller Künste« die Umorientierung von der Musik als Einzelkunst auf das Programm Gesamtkunstwerk gelungen.318
Gesamtkunstwerk, ›dichtendes Volk‹ & ›dithyrambischer Dramatiker‹. Medium is message. Die Hemmung, zu der das schöpferische Individuum genötigt ist, wird keineswegs als von außen oktroyiert dargestellt. Vielmehr erfolgt sie in Nietzsches Ausführungen auf dem Weg einer Selbsthemmung. Seiner Begabung entsprechend von Natur auf Musik fixiert, wäre Wagner, dieser Anlage folgend, genötigt gewesen, »sich auf dem nächsten trivialsten Wege zu befriedigen«. Aber welcher »Auskunft« folgte er, als er dem Ruf einer nichttrivialen Herausforderung gehorchte? Nietzsche glaubt, einer noch tiefer liegenden Schicht von Anlagen, einer »schauspielerische[n] Urbegabung«, die mit seinem musikalischen Genius wetteiferte, auf die Spur gekommen zu sein. Statt sich für diesen oder jenen Weg zu entscheiden, habe sich Wagner entschlossen, Musik und Schauspielerei miteinander zu vereinigen. Zwar erfolgte dies nicht spontan, indes auch nicht als bewusste Entscheidung, sondern aufgrund einer Offenbarung, einer Art höheren Bewusstseins. Zweifellos eine Schlussfolgerung. Ob sie berechtigt war, bringt Nietzsche später selbst ins Grübeln.319 Doch Anfang der 1870er Jahre sieht Nietzsche Wagners Genius aus dieser Konstellation aufsteigen. Die Vision, die sich dem Gedanken, statt einer besonderen alle Künste heranzuziehen, auftat, war für Wagner eine »große[.] schauspielerische[.] Offenbarung«. Sie brachte ihm »Rettung«, da sie unmittelbar an seine Urbegabung rührte. »Hemmung« versteht Nietzsche zunächst als »Hemmung eines Impulses: wenn man den Instinkt hat, nachgeben zu müssen d.h. reagiren [sic!] zu müssen, dann thut man gut, den Gelegenheiten (›Verführungen‹) aus dem Wege zu gehen«.320 Das Ergebnis der Selbsthemmung koinzidiert dabei gewissermaßen mit den ›objektiv‹ zeit- und umgebungsgemäßen Anforderungen an die Kunst beziehungsweise das vom Künstler erwartete Kunstwerk. Denn solche Bedingtheit wird als externe Gegebenheit wie interne Disposition respektiert. Die Rückmeldung der Koinzidenz, die Korrespondenz indiziert, erfolgt spätestens mit der
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Benachrichtigung über den Erfolg der Übertragung. Es handelt sich um einen informationellen Prozess. Es werden Nachrichten aufgegeben, und Auskünfte kommen zurück. Sowohl von Goethe als auch von Wagner sei ausdrücklich nach solchen »Auskunftsmitteln« verlangt worden, schreibt Nietzsche. In beiden Fällen fließen die ›Informationen‹ nach erfolgreicher Kurskorrektur. Zudem hat man bei der Anwendung der Beispiele Goethe und Schiller auf Wagner den Eindruck, dass als Kriterium erfolgreicher Hemmung die Blockierung direkter Triebbefriedigung durch Triviales oder einfache Bilder vonstattengeht. Verbunden ist damit eine Umlenkung des Blicks auf komplexere Figuren, vom Bild auf den Schirm, wenn man so will. In allen Beispielen wird die Übertragung als Mediatisierung und Medialisierung beschrieben. Auf dem Tableau erscheinen komplexere Szenarien als in den Bildern, auf die ein »verführerischer Antrieb« hinsteuern lässt. Wagner entnimmt gewissen Szenarien auf dem Schirm, wenn Nietzsche Recht hat, dass »die Förderung der Musik durch die Deutschen« keine unproblematische Geschichte darstellt. Dieses Volk treibt nichts aus bloß »natürlich melodischer Stimmbegabung« zur Musik, wie es bei den Italienern zu sehen und zu hören ist. Doch auch hier kommt Hilfe, wenn die Gefahr am größten. Denn so gehemmt, ist das Volk genötigt, die Tonkunst, statt aus purem Spaß an der Freude zu singen und zu musizieren, »mit tiefgehendem Ernste aufzufassen« – »wie ihre Reformatoren das Christentum«, echt, aber zurückgeblieben.321 Die Analogie läuft daraus hinaus, dem Subjekt zu testieren, dass es sich durch gelungene Verschiebung »in ähnlicher Weise« dem Wesentlichen (das ist: dem »Natürlichen«) zugewendet habe und sich so mit gewissen Tendenzen des sich in der Geschichte durchsetzenden Geistes der Kunst in Einklang befinde.322 Für den Genius von Natur, der für Nietzsche diesen Geist repräsentiert, ist es Eigenhemmung durch Verschiebung und Übertragung, für die Volkseele ist es die Natur des Volkes selbst, die instinktiv weiß, was ihr zukommt und guttut. Die »gewaltigste Musiker-Natur« sieht sich derweil zum Neustart veranlasst. Statt der Begabung zum Komponisten oder Musiker zu folgen, nutzt Wagner sein Urtalent zur Schauspielkunst. Die »Verzweiflung, zu den Halb- und Nicht-Musikern reden zu müssen«, hält ihn nicht davon ab, zwar nicht als Nationaldichter aufzutreten, sich aber doch als Volks-»Schauspieler, Dichter, Musiker« in Szene zu setzen. So bringt er die Schauspielkunst im Verständnis eines Gesamtkunstwerks auf die Bühne. Im Kern ist diese Kunst dramatische Kunst, vorzüglich nach dem Vorbild der Tragödie. Nietzsche – eingedenk der ihm gewissen Genealogie – lässt den Gesamtkünstler darum als »dithyrambische[n] Dramatiker« auftreten. Bezeichnenderweise wird das Stück als Schlacht gegeben – auch von Nietzsche. Der Musiker »erbricht« sich »den Zugang zu den anderen Künsten gewaltsam«, um dem Volksempfinden in »hundertfacher Deutlichkeit sich mitzuteilen und sich Verständnis, volkstümliches Verständnis zu erzwingen«. Mit zur Diagnose gehört mithin, dass das Volk von seiner objektiven Berufung möglicherweise selbst nichts weiß, sondern sich hat verbilden lassen. »Zwang« wiederum scheint offenbar eher Selbstzwang eines Begeisterten als gewaltsame Einwirkung. Wagner zwingt sich so zu dichten, zu komponieren und zu inszenieren, dass dem Volk die eigene Volkstümlichkeit zu Bewusstsein kommt. Denn tatsächlich muss die Umlenkung und Übertragung zur Übereinstimmung mit den tatsächlichen Dispositionen des Volkes passen. Dass das Volk sich hinsichtlich seines natürlichen ästhetischen Empfindens im Einklang mit der wahren Bestimmung der Kunst befindet, ergibt sich aus einfachem Zirkelschluss. Es ist so, weil diese ›Kunst aller Künste‹ aus jenem Empfinden und Dichten
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des Volkes hervorgeht. Folglich sind der Blickwechsel und die ihm folgenden Handlungen geeignet, den ingeniösen Künstler selbst in die Funktion eines Mediums einzusetzen, eines Mediums des Gesamtkunstwerks mit Namen »Wagner«. Der ›erste‹ oder ›einzige‹ Dramatiker‹, der die Differenz der Künste allererst als Signifikant eröffnet, öffnet sie ein für alle Male »ohne jede Hemmung und Lücke« gerade so wie es die zu »Reife und Vollendung« gekommene dramatische Kunst am Ende aller Tage in aller Fülle selbst vorleben wird. Der enthusiasmierte Dramatiker darf solche Fülle folglich nicht einfach aus dem Begriff der Kunst erschließen und diesen selbst, wie Hegel, an die dialektische Vernunft zurücküberweisen. Vielmehr muss er schaffend, »in der Tat« demonstrieren, dass Bedeutung sich auf diese Weise verwirklicht. So wird er zum »Mittler und Versöhner zwischen scheinbar getrennten Sphären, [...] Widerhersteller [!] einer Ein- und Gesamtheit des künstlerischen Vermögens«. Dies entspricht einer »Reformation«. Freilich, in der kritischen Beurteilung ex post wäre sie nicht unbedingt wünschenswert gewesen.323
Dämonische Übertragbarkeit & Selbstentäußerung Nietzsche ist hegelgeschult genug, um die Bewegung des Künstlerbewusstseins der Phänomenologie einzuschreiben. So auch zu ihm ein interessiert »Betrachtende[r]«, ein genießendes oder begehrendes[?] Subjekt gehört, realisiert sich der beschriebene Prozess für das Volk seinerseits als Einsicht in die eigene Perspektivität. Allerdings äußert sie sich, wenn überhaupt, nur als das, was sie ist: als Naturtrieb. Das hypostasierte Subjekt ist deshalb nur betroffen, betroffen ob des Miterlebens der »Lebensäußerung« eines Anderen. Er ist der Einzige, die Urbegabung, die das Innere des Volksgenossen versteht. Soweit ihm, dem vermeintlichen Subjekt, ›Verständnis‹ nur anhand der Reaktionen anderer Gemeinschaftsglieder vor Augen tritt, reicht deren Lebensäußerung, um an ihnen die Berechtigung der selbst unterzeichneten Legitimation der Zusammenstimmung zu verifizieren. Die Äußerungen stehen in wechselseitig mimetischem Verhältnis zueinander. Was das Volk erblickt, gleicht dem eigenen Leben, in dem es »sich seinem Wesen entfremdet fühlt[e]«. Bisher. Denn jetzt, erlebnisgestärkt, kann sich das Gemeinschaftsglied so lange am Kraftquell eines anderen stärken, wie es dauert. Zur Zeit war es für Nietzsche die gewaltige Musiker-Natur Wagners und das, was sie zu schaffen versprach. Das Volk mochte profitieren von »jener dämonischen Übertragbarkeit und Selbstentäußerung seiner Natur, welche sich andern ebenso mitteilen kann, als sie andere [sic!] Wesen sich selbst mitteilt und im Hinnehmen und Annehmen ihre Größe hat«. Denn Wagner hatte »den einzigen bisherigen Künstler, das dichtende Volk« erkannt.324 Blickübertragung, dies sollte das Beispiel auf Nietzsches Wagnerbild Anfang der 1870er Jahre nahebringen, kann mit Zustimmung und auf der Grundlage ästhetischer Wahl geschehen. Moralische Beurteilungen derselben stehen nicht zu Debatte. Indes muss ergänzt werden, dass Nietzsche sein Verständnis der Selbsthemmung im Laufe der Jahre modifiziert. Er räumt ein, dass die Umlenkung durch Versetzung, Verschiebung oder Übertragung nicht ein für alle Mal geschieht. Es ist ein Prozess der Überwindung von Widerständen, der, gelingend, den Willen zur Macht stetig befeuert.325 Auch steht die dauernde Hemmung und Neuorientierung für Nietzsche keineswegs im Widerspruch zum Begehren, verstärkt im Gegenteil die Lust. Warum auch sollte die bewusste Entscheidung zur Übertragung des eigenen auf den Blick eines anderen (Mediums) nur dann zu rechtfertigen sein, wenn damit das eigene Begehren ausgegrenzt und verurteilt würde?
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chor & szene. das untergegangene volk (nietzsche)
Das »dichtende Volk« der Unzeitgemäßen Betrachtungen verwendet eine problematische Konstruktion, um eine problematische Konstruktion zu bewältigen. Die Paarung von Künstler und Publikum nimmt somit, zunächst und hypothetisch, Gestalt an in der Konfiguration von dithyrambischem Dramatiker (dem ›idealen gesamtkünstlerischen Genius‹) und einer repräsentativen Gruppe des ›dichtenden Volkes‹ auf einem vergleichbaren Niveau dithyrambischer Dichtung. Dies geschieht, um vergleichbar repräsentativ zu sein wie der einzelne Künstlergenius für seine Spezies. Es spiegelt sich hier die politische Operationalisierung der volonté générale im Ästhetischen. – Romantiker und Postromantiker würden die Projektion vielleicht andersherum lesen. – In den Registern der apollinischen beziehungsweise dionysischen Kunst gehört der Gesamtkünstler nach Wagner´schem Vorbild dem Dionysischen an, namentlich der dionysischen Tragödie. Die Besetzung des modernen Künstler-Ich mit dem dithyrambischen Dramatiker verweist die Gestalt, bevor sie in der Begegnung mit dem Apollinischen ihre eigene Verobjektivierung findet, an das Gemeinwesen eines »dichtenden Volkes«, wie es die attische Tragödie mit dem Chor aufs Theater zu bringen wusste. Vorausgesetzt die Analogien spielen nicht mit Ähnlichkeiten, die an der Überwindung bestimmter Räume und Distanzen scheitern, findet Nietzsche, nach Hölderlin und mit Schiller, hier den »›ideale[n]‹ Boden, auf dem [...] der griechische Satyrchor, der Chor der ursprünglichen Tragödie, zu wandeln pflegt[e]«. Die Hypothese weitergesponnen, leistete der Chor der frühen Tragödie für die Stadtwerdung der Hellenen der Zeit, was für Rousseau die Fiktion des Naturzustandes leistete. Wer unter denen, die dem Schauspiel beiwohnten, sich nicht einfach nur mit den Helden identifizierte, sondern mit der Rolle und dem Wissen des Chors vertraut machte, hätte somit verstanden, was es bedeutet, »sich selbst als Stadt zu gründen«, wie es in Platons Politeia heißt.326 Freilich, einzuwenden sofort wäre, dass solche Einsicht ganz antiplatonisch hätte ausfallen müssen. Denn die Stadt wäre eine fiktive Stadt, eine Stadt der Kunst und eine Stätte des Heiligen gewesen. So oder so: mit dem dionysischen Chor hatte sich die Tragödie eine Bühne geschaffen (ein »Schwebegerüst« gezimmert), mit Hilfe derer der ideale Ort, ob sakral oder profan, als »fingirte[r] Naturzustande[.] und der Zuschauer selbst, als Glied dieses fiktiven Gemeinwesens (als »fingirte[s] Naturwesen«) in Szene gesetzt, vor Augen treten konnten.327 ›Eine Gemeinde unbewusster Schauspieler‹. Verzauberung & apollinische Verobjektivierung
Die Spiegelung geschieht mehrfach. Der Chor ist »Vision der dionysischen Masse«. Chor der Tragödie ist aber auch selbst »Symbol« der »dionysisch erregten Masse«. Die Bühne insgesamt wiederum, das ganze Theater ist »eine Vision dieses Satyrchors«.328 Im Zustand als Gemeinwesen von Natur kann sich das Volk mithin nur selbst vorstellen. Die Figur entspricht der Selbstlegitimation des Souveräns. Dabei ist die Kraft der Vision »stark genug, um gegen den Eindruck der ›Realität‹, gegen die rings auf den Sitzreihen gelagerten Bildungsmenschen den Blick stumpf und unempfindlich zu machen«.329 Die Identifikation mit der eigenen Vision ist mithin eher Selbsttröstung angesichts des »furchtbare[n] Vernichtungstreiben[s] der sogenannten Weltgeschichte« als Ermannung zu Handlung und Intervention.330 Denn wichtig ist allein, in der Distanz der Kunst die Wirklichkeit lebendiger und wahrhaftiger noch zu gewinnen als in der unverlässlichen Realität tagtäglicher Erfahrung. Sie ist nicht verlässlich,
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bringt der Existenz nur »höchste Gefahr«. Rettung dagegen verspricht – »heilkundige Zauberin« – die Kunst. Sie vermag »jene Ekelgedanken über das Entsetzliche oder Absurde des Daseins in Vorstellungen umzubiegen, mit denen sich leben lässt«: Vorstellungen des Erhabenen – und des Komischen. Das eine zur »künstlerische[n] Bändigung des Entsetzlichen«, das andere »als die künstlerische Entladung vom Ekel des Absurden«. »Der Satyrchor des Dithyrambus ist die rettende That der griechischen Kunst«. Zuerst gilt dies für die theatrale Kunst der Griechen selbst und darin die Konkurrenz von Dionysischem und Apollinischem. Denn alle andere als die dionysische »Chorlyrik der Hellenen ist nur eine ungeheure Steigerung des apollinischen Einzelsängers«. Im »Dithyramb steht eine Gemeinde von unbewussten Schauspielern vor uns [...], die sich selbst als verwandelt ansehen. Die Verzauberung ist die Voraussetzung aller dramatischen Kunst.«331 Wir erhalten hier eine Antwort auf den im Paradox über den Schauspieler nicht diskutierten, nur theoretisch ableitbaren Fall der Verallgemeinerung des Schauspielerdaseins für das mitwirkende Publikum. Entgegen der aufklärerisch rationalen Variante einer durch Reflexion und Studium belehrten Zuschauer- und Zuhörerschaft, die ihrem eigenen Mittun im Spiel der Masken für eine bestimmte Zeit des Vergnügens ihre Zustimmung erteilt, dominiert bei Nietzsche das Gegenstück einer eigenen Bühnenerscheinung des Volks. Die Gemeinschaft der Mitspieler außerhalb von Bühne und Szene im technischen Sinne – im ›Chor‹ sozusagen – halluziniert sich als solche. Ihre Inszenierung und Selbstinszenierung indes – ihr Schauspielertum – ist ihr nicht bewusst. Chor und Bühne sehen sich gegenseitig verwandelt. Interessanterweise aber verbleibt der Einzelne nicht in diesem Zustand der Vergemeinschaftung. Als Gemeinschaftsglied ist er ganz Auge, versunken in die Betrachtung des Leidens und die Selbstverherrlichung seines Spiegels Dionysos, »und handelt deshalb selbst nicht«. Zugleich ist er Medium von »Orakel- und Weisheitssprüchen«. Als der »mitleidende ist er zugleich der weise, [...] die Wahrheit Verkündende«, der »›tumbe Mensch‹«, wahres Organ des Dithyramb, will heißen, »Verkünder von Weisheit und Kunst: Musiker, Dichter, Tänzer, Geisterseher in einer Person.«332 In der individuellen Projektion seiner Vision erlebt der Enthusiasmierte die Gemeinschaft als Verobjektivierung seines Selbst, erlebt sich als Protagonist und Held. Die Vision des »dionysischen Schwärmers« wird nun zum Bild, das er »außer sich« realisiert, »als apollinische Vollendung seines Zustandes. Jetzt erst versteht sich die zunächst widersprüchlich erscheinende Projektion des ingeniösen dithyrambischen Gesamtkünstlers, der als Heros von Bühne und Szene eher alle Eigenschaften des Apollinischen für sich reklamieren könnte als die Weisheit und die Kraft des Chors. Nun aber offenbart seine Herkunft aus dem Chor, dass er selbst einer der Ursprünglichen ist, der Dazugehörigen. Erst mit dieser neuen, kompletten Vision ist das griechische Drama vollständig« und nützlich für die Nachwelt von Wieland bis Heidegger.333 Sofern der Chor, räumlich betrachtet, in der »Orchestra vor der Szene« nicht den Ort der Szene belebt, sondern ihren Geist, den Geist der ›Situation‹ verkörpert, wenn man so will, erweist sich »die Szene« allererst als Mittelpunkt, als Wesentliches des Geschehens. In der apollinischen Verobjektivierung des Dionysischen »spricht jetzt, von der Szene aus, die Deutlichkeit und Festigkeit der epischen Gestaltung zu ihm [dem »Dionysusdiener – HW], jetzt redet Dionysos nicht mehr durch Kräfte, sondern als epischer Held, fast mit der Sprache des Homers« – gewissermaßen eines »politischen Künstlers«. Hier, in Sprache und Dialog der sophokleischen Helden, erscheint alle »Traumwelt« als »einfach, durchsichtig, schön«. Doch »die Szene selbst sammt der Action« tritt vor der »wichtigeren« beseelten Wirklichkeit
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des Chorgegebenen zurück, ist »im Grunde ursprünglich nur als Vision [griechisch aristotelisch mithin opsis im Unterschied zu mythos – HW] gedacht«. Deren »einzige ›Realität‹ eben [ist] der Chor, der die Vision aus sich erzeugt und von ihr mit der ganzen Symbolik des Tanzes, des Tones und des Wortes redet.« Die Anknüpfung nach echt deutscher Art an die ursprüngliche Tragödie der Hellenen, bewusst in Opposition gegen alle romanischen oder französischen Optionen, gestaltet sich wesentlich als Vision, die es zu inszenieren, in Bühne und Bilderweilt zu verwandeln gilt.
Das Apollinische der Maske. Das Dionysische des Lebens. Schatten der Zivilisation & Licht der Kunst Nietzsche liefert uns im Kontext das medientechnische Verbindungsstück zwischen Bild und Schirm als projiziertes, »auf eine dunkle Wand geworfene[s] Lichtbild«. Die technische Realisierung verbürgt uns eine Entität bloßer Erscheinung als wirklich. Mit ihrer Hilfe gelingt es, einzudringen »in den Mythus, der in diesen hellen Spiegelungen sich projiziert«.334 »Nach dieser Erkenntnis haben wir die griechische Tragödie als den dionysischen Chor zu verstehen, der sich immer von neuem wieder in einer apollinischen Bilderwelt entladet.« Die Analogien sind offensichtlich. Im dichtenden Volk der Deutschen aus Richard Wagner in Bayreuth begegnen wir den Zügen eines demos, der den Festspielen beiwohnt, um »sich selbst vor sich selbst verwandelt zu sehen«, »zu handeln [erfährt – HW], als ob man wirklich in einen anderen Leib, in einen anderen Charakter eingegangen wäre« – titanisch dionysisch handelnd oder leidend, sich selbst opfernd. Wir sehen die Projektion eines fiktiven Naturzustandes, die hinter die Maske der Zivilisation blicken lässt. Der »falsch verstandene Begriff der griechischen Heiterkeit‹«, der das »Apollinische der Maske« nicht begreift, indiziert für Nietzsche die elementare, aber unvermeidbare Täuschung, der sich das »Behagen auf allen Wegen und Stegen der Gegenwart« ausliefert. Der Mythos aber bringt ein Gemeinsames ans Licht, was als »ursprüngliches Eigenthum der gesammten arischen Völkergemeinde und ein Dokument für deren Begabung zum Tiefsinnig-Tragischen« zu verstehen wäre. (Der Griff zur Konstruktion einer arischen Völkergemeinde erlaubt Nietzsche, griechische mit ›orientalischen‹, semitischen, ägyptischen und persischen Einflüssen zusammenzupacken.) Sophokles´ Ödipus oder Antigone, Aischylos´ Prometheus sind nur Beispiele für die Anverwandlung des Göttlichen in den Visionen des unbewussten Choreuten. Nur phantasmagorisch gelingt ihm der Vorstoß in fremde Welten. Namentlich »ins Titanische sich steigernd, erkämpft [er] sich selbst seine Kultur und zwingt die Götter, sich mit ihm zu verbinden.« Freilich schwebt über beiden die Moira der Gerechtigkeit. Doch ist dies keine Drohung für das »herrliche ›Können‹ des großen Genies, das selbst mit ewigem Leide zu gering bestraft ist, der herbe Stolz des Künstlers«. Mit solcher »Glorie der Aktivität« verbindet sich die Glorie der Passivität, wie sie den Ödipus »umleuchtet«. Dem tatsächlichen Leiden entspricht die halluzinierte Herausforderung der Götter als einzige Rechtfertigung eines ansonsten unsinnigen Opfers, das vielleicht nicht als solches, durchaus in dem, was als Leiden mit ihm einhergeht, wirkliche Erfahrung ist. Ist es abwegig, die beiderseitigen Visionen von dionysischem Chor und dionysisch enthusiasmierter Festgemeinde dem Phantasma eines sich selbst legitimierenden Volks an die Seite zu stellen? Nietzsche opponiert entschieden der Dominanz vorschneller Szenifikation ohne Gründung in der ›Situation‹ des Chors. – Denn tatsächlich wird man den orchestralen Auftritt des Chors, Sartre folgend, als eine »durch das
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Für-sich, das in Situation ist, erfaßte Position« und Ermöglichung der Szene verstehen. – Darum weist Nietzsche jede Inanspruchnahme des Chors mit vordergründig politischen Argumenten zurück. Für »Kunstredensarten« hält er die Behauptung, dass im tragischen Chor der »idealische Zuschauer« zu fassen sei, wo er doch bestenfalls die Visionen teilend die Bühne in die Stadt bringen könnte. Dann aber handelte es sich um einen idealischen Verbündeten des Chors, keinen Zuschauer jedenfalls, der sich apollinisch maskiert in Szene zu setzen trachtete. Dass der Chor, kurzschlüssig gefolgert, »das Volk gegenüber der fürstlichen Region der Szene zu vertreten habe« und damit dem Zuschauer Grund geboten werde für eine Identifikation, hält Nietzsche für eine oberflächliche Erklärung, höchstens einen »manche[m] Politiker erhaben klingende[n] Erläuterungsgedanken«. Diesen weiter gesponnen, erhellt die philosophisch politische Überhöhung – vielleicht im Sinne der Politik Platons oder der Ethik des Aristoteles mit Kant´schem Akzent. Die Vorstellung wäre, »als ob das unwandelbare Sittengesetz von den demokratischen Athenern in dem Volkschore dargestellt sei, der über die leidenschaftlichen Ausschreitungen und Ausschweifungen der Könige hinaus immer Recht behalte«. Dies aber schließen die »rein religiösen Ursprünge der Tragödie« schlicht aus. Auch nur von der »Ahnung einer ›konstitutionellen Volksvertretung‹ zu reden«, hält Nietzsche angesichts der »klassischen Form« der Tragödie, wie sie bei Aischylos oder Sophokles zu finden ist, für »Blasphemie«.335 Außer der »politischen Erklärung« wird die einflussreiche Deutung des Chors durch Schelling als »roh und unwissenschaftlich« zurückgewiesen. Testiert, freilich, wird ihm eine tatsächlich »glänzende Behauptung«. Denn solche Behauptung zum Strahlen bringen zu können, liege allein begründet in der »echt germanische[n] Voreingenommenheit für alles, was ›idealisch‹ genannt wird«. Aus dem tragischen Chor aber etwas dem Theaterpublikum »Analoges herauszuidealisiren« hält Nietzsche für unhaltbar. Worum geht es? Es leuchtet ein, dass der »idealische Zuschauer« allererst die Idealität des Zuschauers verkörpern müsste. Zu fragen wäre demnach, welcher Zuschauer überhaupt gemeint ist, der historische Besucher der attischen Tragödie oder das Publikum der antiken Dramatik, wo und wann auch immer sie aufgeführt wird. Nietzsche weist darauf hin, dass der Vergleich hier schon nicht stimmig sein könne. Der religiös motivierte Festbesucher der antiken Vorstellung sei von »total verschiedener Natur« im Vergleich mit dem Theaterpublikum späterer Zeiten. Angesichts der religiösen Motivation der Menschen wie der religiösen Ursprünge der Feierlichkeiten müsste also überhaupt zweifelhaft erscheinen, dass »Zuschauer« die passende Wortwahl darstellt. Eher wäre an die Gläubigen eines Kults, die Mitglieder einer Gemeinde zu denken als an »Besucher«, »Zuschauer« oder »Publikum« einer kulturellen Veranstaltung modernen Zuschnitts. Entsprechend wäre die Definition des »Zuschauers« in historischer Perspektive zu relativieren. Eine allgemeine Bestimmung des Zuschauers im Theater hat Nietzsche aber dennoch parat. Wesentlich für die Bestimmung des »Zuschauers« ist demnach – »er sei wer er wolle« – , dass ihm bewusst ist, »ein Kunstwerk vor sich zu haben, und nicht eine empirische Realität«. Mithin kann »idealischer Zuschauer« weder den antiken Hellenen meinen, der sich bei den dionysischen Spielen einfindet, noch den dort auftretenden Theaterchor, schon gar nicht dessen Idealität, sondern nur den Zuschauer selbst. Für seine idealische Form, allerdings, muss etwas ihr Adäquates aufgeboten werden. Dem generalisiert partikularisierten Medienkonsumenten muss das generalisiert multiple Medienangebot gegenübergestellt werden,
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damit beide zueinander passen. Ähnlich verlangt es der idealische Zuschauer; nur nicht mit vergleichbaren Konsequenzen für die Bestimmung der ›Kunst«. Denn »was wäre das für eine Gattung, die aus dem Begriffe des Zuschauers herausgezogen wäre, als deren eigentliche Form der ›Zuschauer an sich‹ zu gelten hätte. Der Zuschauer ohne Schauspiel ist ein widersinniger Begriff.« Wenn demnach überhaupt etwas Analoges zwischen Publikum und theatraler Präsentation herauszuarbeiten wäre, so die Pointe Nietzsches, müsste etwas dem dionysischen Chor der frühen attischen Tragödie (Aischylos, Sophokles) funktional Vergleichbares dabei herauskommen. Die Erfüllungsbedingung indes lautet, dass in diesem Chor die dionysischen und apollinischen Momente der Dramatik, Orchestra und Szene, aufs Ganze miteinander vermittelt erschienen, mithin diese Synthesis auch in der Analogie Berücksichtigung fände. Die deutsch romantische Einfärbung der Idealisierung betreibt den Vergleich dementgegen von vornherein vom falschen Paradigma ausgehend.336 Für den Chor selbst, der die Szene aus der Orchestra (wörtlich: dem Tanzplatz) in Geltung bringt, wird klargestellt, dass er »genötigt« sei, in den Gestalten der Bühne (der Szene) die »leibhaften Existenzen zu erkennen«. Folglich darf, ja muss der Chor sich selbst als »ebenso real wie den Gott der Szene« betrachten. Sollte dies aber der Maßstab für den »idealischen Zuschauer« sein, muss man folgern, dass der idealische Zuschauer nicht zugleich auch ein »ästhetischer Zuschauer«, jemand, dem bewusst ist, dass er es mit Kunst zu tun hat, sein kann. Er wäre nicht im Stande, die »Kunst als Kunst, d.h. ästhetisch zu nehmen«, missverstünde sie »leibhaft empirisch«. Gegenüber der politischen Interpretation und der romantischen Schellings schließt sich Nietzsche deshalb Schiller an, der in der Vorrede zur Anthropologie seine Auffassung von der Stellung des Tragödienchors dargetan hatte. Nietzsche sieht Schiller an dieser Stelle einen Kampfbegriff schärfen, geeignet, den Idealismus der Dichtung antinaturalistisch zu qualifizieren. Der Çhor der Tragödie sei ihm dabei die »lebendige Mauer« gewesen, Kunst und Theater »von der wirklichen Welt rein abzuschließen und sich ihren idealen Boden und ihre poetische Freiheit zu sichern«.337 Schillers »Hauptwaffe« habe sich dabei »gegen den gemeinen Begriff des Natürlichen« gewendet und gegen die »gemeinhin geheischte Illusion« angesichts der dramatischen Poesie. Was nämlich vom Publikum erwartet wird, ist eine Art Aufteilung der Erwartungshaltung, um am Ende doch einem biederen Naturalismus zu huldigen. Die der Opsis, auch der Akustik – der Beleuchtung, der Architektur, der Artikulation etc. – zu dankenden Imaginationen werden hingenommen, sozusagen als Kontingenzen des Theaters und Kennzeichen seines künstlichen, symbolischen oder idealen Charakters. Doch dem Ganzen, der wahren Idealität dieser Dichtung gegenüber erliegt der gewöhnlich Zuschauer deshalb nicht weniger dem Irrtum. Die vermeintliche Aufgeklärtheit des Publikums will sich nämlich gerade darin beweisen, dass es die Inszenierungseffekte der technisch medialen Formatierung zurechnet, darin gönnerhaft einen »Pseudoidealismus‹ ausmacht, den man, selbstverständlich, naturalistisch zu überwinden sich angewöhnen müsse. Je naturalistischer, könnte man sagen, desto moderner wäre somit die Kulturparole der Nietzschezeit gewesen, auf Rezipientenseite nicht weniger als auf Seiten der Kreativproduktion. Die Haltung steht offensichtlich in voller Übereinstimmung mit dem Wertbewusstsein, alle Arten von Idealismus und Pseudoidealismus zu überwinden. Dagegen ruft Nietzsche, auf Schiller sich berufend, den antiken Chor zum Zeugen dafür an, dass Naturalismus und Kunst grundsätzlich nicht miteinander vereinbar seien. Die gesellschaftliche
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Inszenierungskritik, die sich hierin ausdrückt, ist offensichtlich. Naturalismus mithin darf nicht mit Realismus verwechselt werden. Der Realitätsbezug der Tragödie und namentlich des ursprünglichen Chors gründet tatsächlich auf einem »›ideale[n]‹ Boden«, »hoch emporgehoben über die Wandelbahn der Sterblichen«. Von hier aus aber öffnet sich der Blick auf das Leben in Gemeinschaft, der in den Verirrungen des Begehrens nur mit den eigenen Projektionen zu tun hat. Mit vordergründig politischer Inanspruchnahme hat darum nicht zu tun, wenn der Blick auch auf Gesellschaft und Staat fällt. Denn die Bilanz ist negativ. Zur Erläuterung stellt Nietzsche einen Vergleich an, den er auf einen Vergleich Wagners stützt. Demnach verhielte sich das fingierte Naturwesen des »Satyr« zum Kulturmenschen wie die dionysische Musik zur Zivilisation. Von dieser Zivilisation, so Nietzsche zustimmend, sage Wagner, dass sie durch Musik »aufgehoben werde wie der Lampenschein vom Tageslicht«. Hier dann erfolgt der Rücktausch der zunächst geltend gemachten Ersetzung gegenwärtiger Kultur gegen Zivilisation. Der »griechische Kulturmensch« nämlich ist nicht vergleichbar dem Kulturmenschen der Moderne. Jener nämlich fühlte sich in der Anwesenheit des Tageslichts, mit dem der Chor der Tragödie das Menschengeschehen erhellen konnte, aufgehoben wie jemand, der angesichts der modernen Zivilisation Zuflucht und Trost bei der Musik findet. Von hier aus erfolgt die Übertragung auf Staat und Gesellschaft, die »nächste der dionysischen Tragödie«. Ihren Sinn findet sie nicht in der politischen Tat, sondern darin, »daß der Staat und die Gesellschaft, überhaupt die Klüfte zwischen Mensch und Mensch einem übermächtigen Einheitsgefühl weichen, welches an das Herz der Natur zurückkehrt«. Letzten Endes ist es also um »metaphysischen Trost« zu tun, darum »daß das Leben im Grunde der Dinge, trotz allem Wechsel der Erscheinungen unzerstörbar mächtig und lustvoll sei«, die »Naturwesen [...] trotz allem Wechsel der Generationen und der Völkergeschichte ewig dieselben bleiben«. Das »dichtende Volk«, mithin, muss dichtendes Volk bleiben, will es seiner wahren Bestimmung gerecht werden. Nur darin könnte es letzten Endes Rechtfertigung finden und legitimierend wirken. Nietzsche selbst aber beschreibt wie Hegel, dass und warum das Volk dies nicht kann und warum es dazu nicht kommt, dass deshalb der dithyrambische Gesamtkünstler auf der Bühne erscheinen muss. ›Ein lügnerisches Schauspiel‹. Verrat an Melodie & Geist
Das Scheitern der Harmonie, das sich bei Hegel ankündigt, tritt deutlich und unabwendbar bei Nietzsche hervor. Insbesondere die Überantwortung der Künste an das Schauspiel, gedacht wie nach dem Modell der frühen Tragödie und in der Gestalt Wagners als dithyrambischem Dramatiker phantasiert, erweist sich als anachronistisch. Obwohl Nietzsche nach der enthusiastischen Begrüßung des Titanen schon Mitte der 1870er Jahre innerlich Abschied von Wagner zu nehmen beginnt, hat er sich erst Ende der 80er Jahre endgültig eines Besseren besonnen.338 Es erhellt, dass der Schauspieler, je besser desto unmerklicher, deshalb aber nicht ungefährlicher339 die Kunst usurpiert und, was von ihr zu erhoffen wäre, in den Sog der Lüge zieht. Die Musik und mit ihr die Melodie hätte die Aufführung bestimmen sollen. Denn sie kommt [o]hne die Lüge des großen Stils [...], nimmt den Zuhörer als intelligent, selbst als Musiker«. Alles, was solche Musik mit sich führt, wenn sie sich denn findet wie für Nietzsche Ende der 80er Jahre bei Bizet, ist ganz »Gegenstück zu Wagner«. Solche Musik vermag den Geist zu befreien.340 Wagners künstlerische décadence hingegen repräsentiert wie Schopenhauer als »Philosoph der décadence« aufs Beste die
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Zeitströmungen. Wagner »hat die Musik krank gemacht«, denn die Zeit kann nur mit »kranker Musik« umgehen und verlangt nach ihr.341 Als der »moderne Künstler par excellence« ist der Titan in der Lage, der Zeit zu geben, was sie braucht und wofür zu zahlen sie bereit ist. Die Theater leben von Wagner. In seiner Kunst, schreibt Nietzsche 1888, erscheint »auf die verführerischste Art gemischt, was heute alle Welt am nötigsten hat – die drei großen Stimulantia der Erschöpften, das Brutale, das Künstliche, das Unschuldige (Idiotische)«. Die Probleme, die Wagner auf die Bühne bringt, sind »Hysterikerprobleme«. Was der dithyrambische Dramatiker dazutut, ist das »Konvulsivische[s] seines Affekts, [...] überreizte Sensibilität, Geschmack [...,] nach immer schärferen Würzen verlangend, [...] Instabilität«. Alles zusammen zeigt die Symptome der Neurose. Dem korrespondieren Leidenschaften und heftige Affekte, Gefühlsbetontheit ohne Gedanke. Wofür Wagners Kunst steht, ist ein »Zustand vor dem Gedanken [...], das Versprechen zukünftiger Gedanken« allenfalls. Derzeit hingegen kreiert sie das Chaos, das nur ahnen macht, statt erkennen zu lassen: »Unendlichkeit, aber ohne Melodie«. Ihre »Verleumdung« (»Melodie ist unmoralisch«) erfolgt zu Gunsten der Aufblasung von Klängen und Harmonien, die im Dienst der Neurose stehen. »Schlamm der widrigsten Harmonien« überzieht alle Klarheit von Melodie und Geist.342 Vordem als Lösung des Problems, dem dichtenden Volk zu entsprechen, gepriesen, ist der Musiker, der seine Kunst an die Schauspielerei verkauft, angetreten, »sein Talent« zu versilbern. »Wenn irgend etwas interessant ist an Wagner, so ist es die Logik, mit der ein physiologischer Missstand als Praktik und Prozedur, als Neuerung in den Principien, als Krisis des Geschmacks Schluss für Schluss, Schritt für Schritt macht.«343
Agenzien der Künste: ›ancillae dramaturgicae‹ Die Klänge des Chaos verbinden sich dabei mit den Worten der literarischen décadence. Ihr läuft die Sprache aus dem Gleis, verselbstständigt sich und verdunkelt den Sinn, sodass kein Ganzes mehr erkennbar ist. Für Nietzsche ist dies ein »Gleichnis für jeden Stil der: jedesmal Anarchie der Atome, Disgregation des Willens, ›Freiheit des Individuums‹ moralisch geredet – zu einer politischen Theorie erweitert ›gleiche Rechte für alle‹. [...] Überall Lähmung Mühsal, Erstarrung oder Feindschaft und Chaos«. Die Berechnung des Tauschwerts dominiert die ideal(ist)ische Oberfläche Hegels und den moralischen Überzug Kants. »Das Ganze lebt überhaupt nicht mehr: es ist zusammengesetzt, gerechnet, künstlich, ein Artefakt.« Nietzsche ist zu der Überzeugung gekommen, dass Wagner ein großer Schauspieler, aber nie ein Musiker war. »[E]r ist der Victor Hugo der Musik als Sprache«. Als solche in Dienst genommen, ist die Musik »ancilla dramaturgica«. Und auch im »Entwerfen der Handlung ist Wagner vor allem Schauspieler«. Dies alles aber ist nur Symptom der Zeit. Zwar gehört Wagner nicht wirklich in die Geschichte der Musik, doch hinterlässt er dort seine Spuren. Sie indizieren »ein kapitales Ereignis, das zu denken, das vielleicht auch zu fürchten giebt.« Den Fall Wagner betrachtet Nietzsche keineswegs als isoliertes Ereignis der Kunstgeschichte. »Es ist voll tiefer Bedeutung, dass die Heraufkunft Wagner’s zeitlich mit der Heraufkunft des ›Reichs‹ zusammenfällt: beide Thatsachen beweisen Ein und Dasselbe – Gehorsam und lange Beine. – Nie ist besser gehorcht, nie besser befohlen worden«. Nietzsche ist überzeugt, dass seine Zeit von der Nachwelt einmal als »klassisches Zeitalter des Krieges« und Wagner als einer seiner großen Kommandanten und Instrukteure genannt werde. Dass der große Verführer damit auch »das grösste Beispiel der
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Selbstvergewaltigung abgiebt«, ist kein Widerspruch, sondern folgerichtig. Den Fall Wagner beendet Nietzsche mit einem Dreiklang aus Sorge und Forderung. »Dass das Theater nicht Herr über die Künste wird. Dass der Schauspieler nicht Verführer des Echten wird. Dass die Kunst nicht zu einer Kunst zu lügen wird.« Unter der Ägide theatraler Inszenierung ist der wirkliche Künstler nicht tragbar. Er muss mutieren zum Medienfortsatz. Seine Aufgabe lautet, jede Melodie des Echten zu übertönen und unkenntlich zumachen. Das »dichtende Volk«, das dem wahren Künstler den Grund seines Schaffens sichert, tritt auf dieselbe Weise auseinander. Der »Masse«, zu der das Volk als Medienpendant sich wandelt, entspricht, den Gedanken seiner eigenen Melodie nicht fassen zu wollen. »Wir kennen die Massen, wir kennen das Theater«. Dem Massenpublikum sind die Leidenschaften und Affekte des Begehrens näher als geistig Subtiles, sogar Tiefes. Wer dem Theater im Wortsinn überhaupt huldigt, tut es auch nicht eines Gedankens wegen; vielmehr »bedarf des Erhabenen, des Tiefen, des Überwältigenden«. Gemeint sind die »deutsche[n] Jünglinge, gehörnte Siegfriede und andere Wagnerianer«, die kulturelle Elite. Wer sonst noch Kultur abholt, »die Bildungs-Kretins, die kleinen Blasierten, die Ewig-Weiblichen, die Glücklich Verdauenden, kurz das Volk – bedarf ebenfalls des Erhabenen, des Tiefen, des Überwältigenden«, kurz eines zur Gestalt nur Aufgeblasenen. Die Logik der Erwartung entspricht trotzdem derjenigen gegenüber den politisch-ökonomischen Verhältnissen und der soldatischen Organisation des Sozialen im neuen Reich: »›Wer uns umwirft, der ist stark, wer uns erhebt, der ist göttlich; wer uns ahnen macht, der ist tief‹«. Das gilt für die Masse schlechthin, die das Gefühl der Gemeinschaft und des Einsseins mit dem Führer braucht. »[E]s ist das Jahrhundert der Masse«344; das dichtende Volk hat sich zu seinen eigenen Harmonien bekannt. Die vom dionysischen Chor Beeindruckten, die sich von der apollinischen Klarheit, der Maske des Apollinischen nicht haben dumm machen lassen, sind untergegangen oder haben sich abgewandt, angeekelt von den idealistischen Lügen. Die Abstiegsgeschichte beginnt für Nietzsche schon mit Euripides und dem Einfluss der platonisch-sokratischen Episteme auf die Dramatik. Für ihn war Sokrates immer schon ein »arger Sophist«, wie es im Symposion von Eros, dem Halbgott der Philosophen heißt. Der ›Realität‹ des Chors, die in seinen Visionen liegt und in der von ihnen genährten Bedeutung, in der »Symbolik des Tanzes, des Tones und des Wortes«, kann der unbewusste Zuschauer nichts abgewinnen, weder emotional, noch energetisch, noch intellektuell. Wo die »Widergeburt [!] der Tragödie« zumindest durch »gewaltige[n] Kunstzauber den echten Zuhörer entzücken sollte«, wenn der Schauder vor dem Neid, der Missgunst und der Stärke der Gottheit nicht mehr erschüttert und zugleich zu Weiterem anhält, hat der »Kultus der Tendenz« und des Räsonnements Einzug gehalten. Es sind kritische, politische, moralische Tendenzen und Räsonnements. Dabei kann man sich verschiedensten Regungen überlassen, »ähnlichen [...] wie in patriotischen oder kriegerischen Momenten, oder vor der Rednerbühne des Parlaments, oder bei der Verurteilung des Verbrechens und des Lasters«. Die Entfremdung, allerdings, führt zu »reissend schnelle[r] Depravation« auf der ganzen Linie von Kultur und Bildung. »Während der Kritiker in Theater und Konzert, der Journalist in der Schule, die Presse in der Gesellschaft zur Herrschaft gekommen [sind – HW], entartet[.] die Kunst zu einem Unterhaltungsobjekt der niedrigsten Art.«345
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Untergegangenes Volk & Lob der Konkurrenz. Die Werke der ›guten Eris‹ & der Agon mit den Göttern Die Erneuerung der Tragödie aus dem Geist der Musik ist gescheitert. Doch gerade dieses Scheitern vermag die Legitimierung durch das Volk und die darauf fußende Legitimität vom Kopf auf die Füße zu stellen. In ähnlicher Weise, wie die Kritik der politischen Ökonomie es demonstriert. Tatsächlich nämlich erweist sich die Idealität der aufgeklärten und idealistischen Philosophie eher als Unterminierung denn als Überhöhung durch Geist, Sitte und Moral. Das im Ideal gedachte Allgemeine ist zerstoben, zerstreut in die Partikularitäten seiner Bestandteile, in denen es gleichwohl als Gleiches unter Gleichen adressiert und kollektiv erreicht werden kann. Technisch ist es noch nicht wirklich auf der Höhe wirklicher, womöglich instantaner Erreichbarkeit eines jeden; begrifflich und ideologisch immerhin auf dem Niveau der »Masse« und der mit dem Begriff verbundenen Generalisierung von Medialität. Die Relativierung der Zeit mit Hilfe der Wahrheit des mythos, um derart die Kunst wie die Stadt »von der Last und der Gier des Augenblicks« befreien zu können, hat keine Chancen. Der Versuch ist beendet »in dem Augenblick, da ein Volk anfängt, historisch zu begreifen und die mythischen Bollwerke um sich herum abzureissen.« Solche ›Aufklärung‹ besagt indes nichts über den Realitätssinn des Verstehens und Bedeutenlassens. Das ihr innewohnende Bewusstsein bewahrheitet sich nicht, wenn der Tendenz der Geschichte Zugeschriebenes, beglaubigt von Erfahren und Erleben, sich nicht als haltbar erweist. Das Wissen des Diderot´schen Schauspielers bewahrt ihn nicht vor dem Betrug, den durchzuführen seine Kunst ihn besonders befähigt. Vielleicht sucht die Poetik des Aristoteles nur die ›positive Version‹ der sokratisch euripideischen Wende zur Aufklärung des fünften Jahrhunderts zu artikulieren, überzeugt, dass die Zukunft offen ist und sich nicht beeindrucken lässt, weder von Befürchtungen noch von Hoffnungen. Doch wird sich der gewöhnliche Hellene zu Aischylos´ Zeiten kaum viel vorgemacht haben über das Spiel mit den Göttern, das ihm der mythos anschaulich vor Augen führte. Die Gefahren des Schicksals, die sich dramatisch vor ihm ausbreiten, liegen der Erfahrung nicht fern. Zu verallgemeinern wird sein, zumindest für die alte Tragödie, was Christian Meyer mit Blick auf die Orestie und besonders den Agamemnon des Aischylos sagt: »[…] daß das Handeln und Leiden, das Ausgesetzt-Sein und die Ohnmacht selbst der Draußenstehenden, der Alten des Chors an durchaus lebendige Vorstellungen vieler Athener rührte.« Sie verstanden die Chorlieder, »da sie ihre eigenen Befürchtungen wiedergaben«.346 Der Wettkampf mit den Göttern – die Form, in der das Geschehen zwischen Bühne und Chorplatz seinen Gang nimmt – war den zu den Dionysos-Festen Gekommenen durchaus geläufig. Sie wussten, wie die Affären sich gemeinhin gestalteten347 und dass im Allgemeinen nichts zu erwarten stand von solchem agon. Selbst Aristoteles nimmt an Hesiods Geschichte von der »guten Eris« keinen Anstoß. Dass die »schwarze Eris«, die »schwerlastende«, wie Pausanias schreibt, Gewalt und Krieg, Hader und Not bringt, war bekannt und gewiss. Neben sie aber hatte Zeus noch eine andere Verkörperung des Streits und des Wettkamps unter die Menschen gestellt, »eine viel bessere« Eris als die schwarze. »Sie treibt auch den ungeschickten Mann zur Arbeit; und schaut einer, der der Besitzungen ermangelt, auf den anderen[,] der reich ist, so eilt er sich, in gleicher Weise zu säen und zu pflanzen und das Haus wohl zu bestellen; der Nachbar wetteifert mit dem Nachbarn, der zum Wohlstande hinstrebt. Gut ist diese Eris für
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den Menschen. Auch der Töpfer grollt dem Menschen und der Zimmermann dem Zimmermann, es neidet der Bettler den Bettler und der Sänger den Sängern«.348
Es ist nicht die Eris des Vernichtungskampfes, die hier den Überlebenstrieb und die Lebenssteigerung antreibt. Das letzte Gefecht droht erst als ultima ratio allen Wettkampfs, der nicht zu gewinnen ist, am Ende der Geschichte. Solange sie währt, aber ist es die »gute Eris«, die »als Eifersucht, Groll, Neid, die Menschen zur Tat reizt [...], zur Tat des Wettkampfes.« Weil er selbst neidisch ist, fühlt der Mensch »bei jedem Übermaaß [sic!] von Ehre, Reichthum, Glanz und Glück das neidische Auge eines Gottes auf sich ruhen, und er fürchtet diesen Neid«. Aus reiner Furcht »graut [ihm] vor seinem Glücke und das Beste davon opfernd beugt er sich vor dem göttlichen Neide«. Die »Wirkung ist, fast ohne Ausnahme, eine entsetzliche.«349 Die ›positive Version‹, die der Poetik des Aristoteles vielleicht zuzubilligen wäre, bezöge sich mithin auf eine optimistische Lesart der Aussage über die Akteure der Tragödie. Dass »Handelnde handeln«, ist zweifellos die Pointe. Auch dass erst das Wahrscheinliche, das die Kunst zu Gemüte führt, das Leben wirklich zeigt, so wie es ist, macht Sinn. Denn nur so lässt sich miterleben, wie es nach aller Erfahrung tatsächlich zugehen kann. Doch ehrlicherweise hätte der Stagirit seine Aussage um die ›negative Version‹ ergänzen, auch vom Scheitern des Handelns berichten müssen. Oder schon die aristotelische Poetik hätte sich für die Hölderlin´sche Langfassung entschieden. Wie hätte sie lauten können? Vielleicht so: Wohl sei zu erleben, dass Handelnde handeln, doch auch, dass die menschlichen Akteure den Wettkampf mit den Göttern selten siegreich bestehen können.350 Allerdings sei dies kein Grund, aufs Handeln und Schaffen zu verzichten. Es zeigten die Tragödien des Aischylos, des Sophokles doch, dass derjenige, der sich dem kosmisch natürlichen Plan des Ganzen nicht entgegenstellt, sich vielmehr dem natürlichen Lauf der Dinge anheimstellt, wie ihn das Orakel bestätigt, ein erträgliches Schicksal finden könne. Nicht ohne Leiden zwar sei dies zu erreichen, aber Trotz und Widerstand würden immerhin Früchte tragen.351 So läge Rettung näher als geglaubt, selbst in höchster Gefahr. Dies, allerdings, hieße, der Kunst der Tragödie zu folgen nach Art der Alten. Dafür müsse man es mit dem Chor halten, mit ihm zusammen für die Zähmung der Bühne sorgen, Beruhigung erwirken und in die Stadt bringen. Dies – könnte Aristoteles noch hinzugefügt haben – sei den Befürchtungen des Lehrers zum Trotz gesagt, der die Kunst habe heraushalten wollen. Und wohl auch den eigenen Ambitionen zuwider, die sich gerade auf die Optimierung der Verfahren zu konzentrieren gedächten. Zweifellos eine apokryphe Geschichte. ›Den Erschöpften die begehrten Stimulantia bieten‹
Die Kunst, auch die Regierungskunst mit dem Volk zu verknüpfen und auf seine Legitimation zu pochen, um die universelle Ermächtigung zur Inszenierung zu rechtfertigen, müsste mithin tatsächlich als ideologische Geschichte, als Große Erzählung zurückgewiesen werden.352 Das Volk ist entzaubert. Seine Legitimationsgeschichte ist hinfällig.353 Wer nach Nietzsches Dekonstruktion dennoch daran festhielt, wird gewusst haben, was er tut. Er wird bereit gewesen sein, der »Masse«, der großen Zahl der Bevölkerung ein Bild ihrer selbst vor Augen zu führen, das ihrem Selbstbild in allem ähnelt und dem kollektiven Narzissmus schmeichelt. In vielem gehört dazu, in Szene zu setzen, was man sich in den politischen Geschichten über das Volk erzählte. Hier sind es vor allem die Geschichten über die Gemeinschaft der Nation, vom Einssein der Volksseele mit denjenigen charismatischen ›Künstlern‹, die sie zum Klingen bringen, die bewegen. Wer sich hier nicht anschließen mochte, das Volk rollenspezifisch nach
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Gruppen zu differenzieren, wusste, auf dem Feld der Arbeit und des Austauschs, im Prozess der Wertschöpfung, musste ›sein‹ Volk neu legitimieren. Es war zwingend, wenn man von ihm seinerseits neue Rechtfertigung erfahren wollte. Dabei hätte man von der Analyse Nietzsches profitieren können. Denn sie steuert bei, was trotz der Aufdeckung des ökonomischen Wertfetischs kaum glaubhaft erscheinen will: dass die mediakratisch vorangetriebene und kontrollierte Beeinflussung des Massenbewusstseins die Identifikation mit dem genährten Eigenbild weit attraktiver macht als gedacht, attraktiver jedenfalls, als die eigene Lage wie die eigene Selbsteinschätzung in neuem Licht zu betrachten und zu neuem Selbstbewusstsein zu finden. Den Erschöpften die begehrten Stimulantia zu bieten, Freude und Genuss gemäß Verlangen zu gewährleisten, jouissance, wie Lacan sagt354, heißt das Rezept. Doch was es bedeuten sollte, wenn das »inkarnierte Genießen«355 zum Maßstab aller Objektbeziehungen würde, war nicht abzusehen. Zudem war die Aufmerksamkeit der meisten politisch Einsichtigen zu sehr auf die ökonomischen Folgen der gewandelten sozialen Verhältnisse konzentriert. Sich vorzustellen, dass ›das Volk‹ mit dem, was im Blick seines Begehrens lag, weit mehr und dauerhafter sympathisierten würde als mit den Schlussfolgerungen einer politökonomischen Klassenanalyse, lag kaum im Horizont der realen Erfahrungen und Vorstellungen von der Rolle und Stellung der »Masse« im Fin de sciècle. Dafür waren wohl eher die Ästheten und die aufstrebenden Seelenkundler sensibel.356 Dass dem Genuss trotz aller Härten des Lebens die symbolische Identifikation nicht abträglich sein muss, ihn vielmehr zu befördern vermag, wird sich später herausgestellt haben, nicht aber, bevor die angenommenen Gewohnheiten sich nicht darin gefallen konnten, tatsächlich für politisch relevant, die Legitimität des Gemeinwesens als Ganzes garantierend zu gelten: mit der »Legitimierung einer Demokratie nach dem Demos, einer Demokratie, die die Erscheinung, die Verrechnung und den Streit des Volkes liquidiert hat.«357 Vorübergehend, nach 1918, nach 1945, war die Zeit gekommen – nie indes, ohne zuerst noch die Opfer des Krieges mit den Opfern des Friedens zu besänftigen. Dass ›das Volk‹ in den Zwischenzeiten den Eindruck gehabt hätte, dass es anders sein könne, dürfte im Angesicht der genannten Voraussetzungen zweifelhaft sein. Was für die Rechtfertigung der Inszenierungskünste zutrifft, gilt nicht in gleicher Weise für die Rechtfertigung einer episteme der Inszenierungskunst. Denn solches Wissen, das offensichtlich nicht die Legitimation des Volkes hat, weiß die Beruhigung durch die Musik und den Geist der Melodien von der Geschäftigkeit der Inszenierung zu unterscheiden. Von daher ist dieses Wissen selbst als praktische Kunst in Anschlag zu bringen. Freilich hätte die Vertrautheit mit dem mythos derer, die sich entschließen, den Tönen nachzuspüren, Auswirkungen auf die Grenzen ihres Wirkungskreises. Nicht mehr wäre zu erwarten als vorsichtige Näherung und Bewahrung, freiwillige Askese, Verweigerung gegenüber jeder Eroberung der Welt – als Bild nicht zuletzt.
293
anmerkungen teil ii 1
Vgl. Kap. 2, Teil I.
2
Denis Diderot: Paradoxe sur le comédien. Dt.: Paradox über den Schauspieler (1773, erstpubliziert 1830). In: Ders.: Ästhetische Schriften, Zweiter Band, hgg. von Friedrich Bassenge, Frankfurt am Main 1968; zit. als Diderot 1830/1968: Paradox über den Schauspieler.
3
Diderot 1830/1968: Paradox über den Schauspieler, S.496.
4
»Diagrammatische Darstellung« zunächst als allgemeine Form ikonisch piktorialer Darstellung im Sinne des disegno, der »zeichnenden Hand«.
5
Allemal, da im Französischen scène durchaus auch allein den Auftritt, »die Szene des Schauspielers« bezeichnen kann.
6
Diderot 1830/1968: Paradox über den Schauspieler, S.484, S.487, S.510.
7
Diderot 1830/1968: Paradox über den Schauspieler, S.521; das vorhergehende Zitat ebd., S.485.
8
Siehe Foucault 1970/2002: Theatrum philosophicum, S.100f.
9
Diderot 1830/1968: Paradox über den Schauspieler, S.521; das folgende Zitat ebd., S.484.
10
Wobei als »Entwurf« ausdrücklich nicht ein erster Entwurf der Begeisterung reklamiert wird, sondern der reflektierte, durchdachte Entwurf gemeint ist. Diderot 1830/1968: Paradox über den Schauspieler, S.486.
11
Velázquez: Las Meniñas. Vergleichbares ließe sich aber genauso gut am diskutierten Gemälde Baileys oder an anderen Werken realisieren.
12
Wie Diderot vom spielenden Bühnenkünstler sagt: Diderot 1830/1968: Paradox über den Schauspieler, S.486.
13
Vgl. das berühmte erste Kapitel aus Foucault 1971: Ordnung der Dinge. Separat erschienen in der Bibliothek Suhrkamp: Michel Foucault: Die Hoffräulein, Frankfurt am Main 1996; zit. als Foucault 1996: Hoffräulein.
14
»Statt ohne Ende eine auf eine fatale Weise dem Sichtbaren unangemessene Sprache fortzusetzen, genügte es zu sagen, dass Velázquez ein Bild geschaffen hat, daß auf diesem Bild er sich selbst in seinem Atelier oder in einem Saal des Escorial [dargestellt*] hat, während er gerade zwei Personen malt, die die Infantin Margarete, von Hofdamen, Hoffräulein, Höflingen und Zwergen umgeben[,] betrachtet.« (Foucault 1996: Hoffräulein, S.25f ) *Ich übersetze bewusst nicht »repräsentiert« wie die ansonsten zitierte dt. Übersetzung von Foucault 1996: Hoffräulein.
15
Die beiden einzigen Dramen Diderots selbst aus den Jahren 1757/1758. Als Anhang des zweiten Stücks erschien die Theorieschrift De la Poésie dramatique, in der Diderot seine Auffassung von der Mittelstellung des bürgerlichen Dramas erläutert. Zum Kontext siehe Szondi 1973: Theorie des Trauerspiels.
16
Szondi 1973: Theorie des Trauerspiels, S.100f, S.114, das folgende Zitat ebd., S.131.
17
Diderot 1830/1968: Paradox über den Schauspieler, S.494.
18
Vgl. Szondi 1973: Theorie Trauerspiel, S.140; dazu passt Aristoteles: Poetik, 1448a 16. Vgl. Philippe Lacoue-Labarthe: Poetik der Geschichte, Berlin 2004, Teil 2: »Das vorausliegende Theater«, S.57ff; zit. als Lacoue-Labarthe 2004: Poetik der Geschichte.
19
Diderot 1830/1968: Paradox über den Schauspieler, S.494f.
20
Siehe Teil III zur sophistischen Scheinschlusstechnik auf Grundlage der Sophistischen Widerlegungen des Aristoteles.
21
»Die Bewahrenden treten neben und vor die Schaffenden«, denn die Bewahrenden sind diejenigen, die »der im Werk geschehenden Wahrheit entsprechen«. Heidegger 1936/1972: Ursprung des Kunstwerks, S.50f.
22
Dass es im Beispiel der Katastrophe, denkt man an das Erdbeben von Lissabon, die ›Natur‹ ist, der sich die Reaktionen verdanken, wird im Diderot´schen Mimesis-Konzept, wie gesagt,
294
ii ästhetik & philosophie der künste
zurechtgerückt. Insofern spielen die alltäglichen Katastrophen der Straßenszenen für die Nachahmung die viel bedeutendere Rolle. 23
Diderot 1830/1968: Paradox über den Schauspieler, S.534.
24
Zu Diderots Zeiten durchaus ein diskutiertes Thema, das aber schon im Jahrhundert zuvor zur Stellungnahme führte. Vgl. Torquato Accetto: Della dissimulatione honesta, hgg. von Salvatore S. Nigro mit einem Vorwort von Georgi Manganelli, Genua 1983/Turin 1991 (zuerst Neapel 1641). Dazu siehe: Jean Starobinski: Das Rettende in der Gefahr. Kunstgriffe der Aufklärung, Frankfurt am Main 1990, »Über die Schmeichelei«, S.65-101; zit. als Starobinski 1990: Das Rettende in der Gefahr.
25
Vgl. Szondi 1971: Theorie des Trauerspiels, S.141.
26
Starobinski 1990: Das Rettende in der Gefahr, S.73f.
27
Theodor W. Adorno: Ästhetische Theorie, d.i. ders.: Gesammelte Schriften, Bd.7, S.86; die folgenden Zitate ebd., S.86f.
28
Was unter Umständen, wenn nämlich die Bestimmung als Publikum vergessen würde, durchaus ein Szenario darstellen könnte, das vielleicht aber eine umso intensivere Gemeinschaft bei der Feier anzeigte.
29
Siehe Gotthold Ephraim Lessing: Laokoon oder über die Grenzen der Malerei und Poesie, Stuttgart 1964.
30
Jean Jacques Rousseau: Bemerkungen über die Antwort des Königs von Polen (Brief an Herrn Abbé Raynal), in: Jean Jacques Rousseau: Schriften, hgg. von Henning Ritter, 2 Bde., München/Wien 1981, Bd.1, S.76-92; zit. als Rousseau 1981: Schriften beziehungsweise Rousseau 1751/1981: Bemerkungen ); Zitat ebd., S.92. Siehe auch Jean Jacques Rousseau: Abhandlung über die Wissenschaften und die Künste; in: Rousseau 1981: Schriften, Bd.1, S.27-60; zit. als Rousseau 1750/1981: Abhandlungen.
31
Vgl. Rousseau 1750/1981: Abhandlungen.
32
Starobinski 1990: Das Rettende in der Gefahr, S.196.
33
Siehe Jean Jacques Rousseau: Brief an d´Alembert über das Schauspiel, in Schriften, Bd.1, S.333-474; zit. als Rousseau 1758/1981: Brief an d´Alembert), S.450, S.456, S.451f.
34
Starobinski 1990: Das Rettende in der Gefahr, S.199.
35
Deren Tragweite Foucaults Biomacht-Dispositive nach Auffassung Bernard Stieglers noch nicht überblickt hätten. Vgl. Stiegler 2009: Denken bis an die Grenzen.
36
Starobinski 1990: Das Rettende in der Gefahr, ebd.
37
Jean Jacques Rousseau: Èmile oder Über die Erziehung, Paderborn 1971, Buch IV; zit. als Rousseau 1971: Èmile, S.382.
38
Rousseau 1981/1751: Bemerkungen, S.91.
39
Vgl. Jean Starobinski: »Verhaßt ist mir jener [...] wie des Hades Pforten«, in: Starobinski 1999: Das Rettende in der Gefahr, S.362-380. Die Zusammenfassung der Ilias-Episode zum beispiel in August Heinrich Petiscu: Der Olymp. Mythologie der griechen und Römer, Dreden 1873, Reprint Leipzig o.J, S.298-300; zit als Petiscu 1873: Der Olymp.
40
Starobinski 1999: Das Rettende in der Gefahr, S.217, Anm. 56.
41
Siehe Jean Jacques Rousseau: Abhandlung über den Ursprung und die Grundlagen der Ungleichheit, in: Rousseau 1981: Schriften, Bd.1, S.165-302; zit. als Rousseau 1755/1981: Abhandlung über die Ungleichheit.
42
Dazu vgl. den Essay über den Ursprung der Sprachen, worin auch über Melodie und musikalische Nachahmung gesprochen wird, in: Jean Jacques Rousseau: Zweite Preisschrift, in: Preisschriften und Erziehungsplan, hgg. von Hermann Röhrs, Bad Heilbrunn 1993. Dass. siehe auch in: Jean Jacques Rousseau: Musik und Sprache, Leipzig 1989; zit. als Rousseau 1781/1989: Ursprung der Sprache. Vgl. die Herder-Schrift mit demselben Titel, Berlin 1776.
43
Rousseau 1989: Ursprung der Sprache, S.104.
44
Starobinski 1999: Das Rettende in der Gefahr, S.245.
295
45
Siehe Rousseau 1989: Ursprung der Sprache, Kap. XIX/XX.
46
Siehe Richard Wagner: Oper und Drama, Berlin 1898, zuerst 1851; zit. als Wagner 1898: Oper und Drama.
47
Rousseau: Dictionnaire de musique, Artikel »Opéra«; zit. in Starobinski 1999: Das Rettende in der Gefahr, S.250.
48
Immanuel Kant: Die Anthropologie in pragmatischer Hinsicht, in: Kants gesammelte Schriften, hgg. von der Königlich Preußischen Akademie der Wissenschaften zu Berlin, Bd.VII, S.224f; die folgenden Zitate ebd. Die Schriften werden zitiert als Kant: Schriften AA, Bd., in der Ausgabe des Nachdrucks: Kants Werke, Akademie Textausgabe (ATA), Bd.I-IX, Berlin 1968; zit.als Kant: Werke ATA, Bd.; die Anthropologie wird zitiert als Kant 1798/1968: Anthropologie.
49
Kant 1798/1968: Anthropologie, ebd.
50
»Interesse erregen und zwar durch Ideen«, sodann »die Einbildungskraft in Bewegung« setzen, die derart »für dergleichen Begriffe einen großen Spielraum vor sich sieht«. Kant 1798/1968: Anthropologie, S.225. Das folgende Zitat ebd 225f.
51
Hans Rudolf Vaget: Der Dilettant. Eine Skizze der Wort- und Bedeutungsgeschichte, in: Jahrbuch der Deutschen Schillergesellschaft 14 (1970), S.131-158, zur Aussage siehe S.131; siehe dazu Uwe Wirth: Der Dilettantismus-Begriff um 1800 im Spannungsfeld psychologischer und prozeduraler Argumentationen, in: Dilettantismus um 1800: Begriff und Theorie, hgg. von Andrea Heinz, Stefan Blechschmidt, Heidelberg 2007; zit. als Wirth: Dilettantismus.
52
Denn »es ist nicht leicht etwas Notwendiges in unseren Besitz oder zu unserem Gebrauch [...] an einen schicklichen Platz und mit anderen Dingen in ein Verhältnis setzen zu können.« Johann Wolfgang von Goethe: Kunst und Handwerk, in: Schriften zur Kunst I, hgg. von Wolfgang von Löhneysen, Stuttgart 1961; d.i. Johann Wolfgang von Goethe: Gesamtausgabe der Werke und Schriften in zweiundzwanzig Bänden, Zweite Abteilung, Schriften, Stuttgart 1959ff, Bd.16, S.447; zit. als Goethe 1797/1961: Kunst und Handwerk beziehungsweise Goethe 1961: Schriften zur Kunst I.
53
Goethe 1797/1961: Kunst und Handwerk, ebd.
54
Eine offensichtlich auch erst um die Wende zum 19. Jahrhundert in die italienische Sprache aufgenommene Bezeichnung, die den Künstler zwischen der kreativen Werktätigkeit des Kunsthandwerkers früherer Zeit und der noch nicht realisierten Zumutung des künstlerischen Schaffens als Lohnarbeit sieht. Folglich scheint der Künstler klassenmäßig einem Stand anzugehören, der aus herkömmlichen oder ganz aktuellen Gründen nicht für seinen Unterhalt arbeiten oder einen Beruf ausüben mus, gewissermaßen ein ›unmögliches Objekt‹. Wenn die Italiener einen Künstler sehen – und alle Künstler sind für die Italiener Maestro –, »der seine Kunst übt, ohne davon Profession zu machen, sagen sie Si diletta«. Johann Wolfgang von Goethe: Über den sogenannten Dilettantismus oder Die praktische Liebhaberei in den Künsten (1799), in: Goethe 1961: Schriften zur Kunst I, S.423. Die Schrift ist in der Frankfurter Ausgabe korrekt als gemeinsames Fragment von Goethe und Schiller aufgenommen als: Paralipomena: Über den sogenannten Dilettantismus oder Die praktische Liebhaberei in den Künsten , FA, I.18, S.739-785; ich zitiere als Goethe/Schiller 1799/1961: Dilettantismus nach den angegebenen Schriften zur Kunst I.
55
Goethe/Schiller 1799/1961: Dilettantismus, S.425f.
56
Die ja erstaunlicherweise nicht nur Rezeptionsästhetik gegenübergestellt wird, sondern der Sinnlichkeit selbst damit eine eigene Produktivität außerhalb des Produkts streitig macht, sie als solche auf Rezeptivität festlegen möchte.
57
Goethe/Schiller 1799/1961: Dilettantismus, S.428. So erstaunt die Forderung nicht, sondern scheint konsequent: »die Erscheinungen in Begriffe verwandeln.« (Ebd., Hervorhebung – HW).
58
Goethe 1797/1961: Kunst und Handwerk, S.447.
59
Goethe/Schiller 1799/1961: Dilettantismus, S.428; die folgende Zitate ebd. und S.429f.
60
Siehe Goethe 1797/1961: Kunst und Handwerk, S.446-450.
61
»Man hat gesehen, worauf in den letzten zwanzig Jahren der neu belebte Anteil des Publikums an bildender Kunst in Reden, Schreiben und Kaufen hinausgegangen ist. Kluge Fabrikanten und Entrepreneurs haben die Künstler in ihren Sold genommen und durch geschickte mechanische Nachbildungen die eher befriedigten als unterrichteten Liebhaber in Kontribution gesetzt, man
296
ii ästhetik & philosophie der künste
hat die aufkommende Neigung des Publikums durch eine scheinbare Befriedigung abgeleitet und zugrunde gerichtet.« Es fehlt nur noch »die große Gemäldefabrik«. Goethe 1797/1961: Kunst und Handwerk, S.449f. 62
In: Goethe 1961: Schriften zur Kunst I, S.541-546; zit. als Goethe 1817/1961: Vorschläge.
63
»Eine gute Gipsbüste ist jede Familie schon schuldig, von ihrem Stifter oder einem bedeutenden Mann in derselben zu haben.«
64
»Gemeinheiten [...] teils unabhängig, teils vom Konsens der Obern abhängig«, bei Städten und Kommunen also. Goethe 1817/1961: Vorschläge, siehe S.541f, S.544, S.546.
65
Kant 1798/1968: Anthropologie, S.246. Dieselbe Diskussion vergleiche in der Kritik der Urteilskraft die »Deduction der ästhetischen Urtheile«, vor allem die §§ 43-54; in: Immanuel Kant: Kritik der Urteilskraft in: Kants Werke. Akademie Textausgabe (Bd.I-IX, Berlin 1968), Bd.V, S.303-336; zit. als Kant 1790/1968: KdU, S.165-486.
66
Kant 1798/1968: Anthropologie, S.246f.
67
Im Detail siehe Kant 1798/1968: Anthropologie, S.247-249; Kant 1790/1968: KdU, §53, S.326ff.
68
Vgl. zu den Hybridformen der Künste; siehe Kant 1790/1968: KdU, §53, S.325f.
69
Kant 1798/1968: Anthropologie, S.247, Anmerkung; das folgende Zitat ebd.
70
Wie es bei Lacretelle heißt. Siehe Pierre Louis Lacretelle: De l établissement des connaissances humaines et de l´instruction publique dans la constitution française, Paris 1791; zit. in: Michel Foucault: Einführung in Kants »Anthropologie«. Berlin 2010, S.109; zit. als: Foucault 2010: Einführung »Anthropologie«.
71
Vgl. zur gegenseitigen Perspektivität von Kultur und Politik, Immanuel Kant: Idee zu einer allgemeinen Geschichte in weltbürgerlicher Absicht, in: Kant: Werke ATA, Bd.VIII, S.15-31: »Kultur, die eigentlich in dem gesellschaftlichen Wert des Menschen besteht« (S.21). Dieser Wert ist durchaus historisch zu bestimmen, verlangt deshalb eine zeitgemäße gesellschaftliche Einrichtung, denn »nur eine vollkommen bürgerliche Verfassung« kann »als äußerste[s| Ziel der Verfassung gelten.« (Vgl. Immanuel Kant: Muthmaßlicher Anfang der Menschengeschichte«, in: Kant: Werke ATA, Bd.VIII, S.107-124, siehe auch S.117f ebd. Diese bürgerliche Verfassung soll »in jedem Staat [...] republikanisch sein.« (So zum Beispiel gemäß der Vorstellungen Zum ewigen Frieden in: Kant: Werke ATA, Bd.VIII; Zitat S.349). Im Rahmen des sozialen Austauschs sind insbesondere die Verhältnisse, in denen sich kreative Praktiken artikulieren, angesprochen, allen voran Künste und Wissenschaften. »Wir sind in hohem Grade durch Kunst und Wissenschaft kultiviert.« Kant 1784/1968: Idee zu einer allgemeinen Geschichte, S.26. Die angenommene Verursachung solcher Einrichtung im bürgerlichen Leben entspricht der aller Vergesellschaftung: »Alle Cultur und Kunst, welche die Menschheit ziert, die schönste gesellschaftliche Ordnung sind Früchte der Ungeselligkeit, die durch sie selbst genöthigt wird sich zu discipliniren und so durch abgerungene Kunst die Keime der Natur vollständig zu entwickeln. [...] Dieses Problem ist zugleich das schwerste« (ebd., S.22f).
72
Kant 1786/1968: Mutmaßlicher Anfang, S.119.
73
Immanuel Kant: Krakauer Fragment zum Streit der Fakultäten, in: Kant. Politische Schriften, hgg. von Otto H. Gablentz , Köln/Opladen 1965, S.167-174.
74
Ein »signum rememorativum demonstrativum, prognostikon [...], die Tendenz des menschlichen Geschlechts im Ganzen, d.i. nicht nach den Individuen betrachtet (denn das würde eine nicht zu beendigende Aufzählung und Berechnung abgeben), sondern wie es in Völkerschaften und Staaten getheilt auf Erden angetroffen wird.« [...] »Die Revolution eines geistreichen Volks, die wir in unseren Tagen haben vor sich gehen sehen, mag gelingen oder scheitern; sie mag mit Elend und Greuelthaten dermaßen angefüllt sein, daß ein wohldenkender Mensch sie, wenn er sie zum zweitenmale unternehmend glücklich auszuführen hoffen könnte, doch das Experiment auf solche Kosten zu machen nie beschließen würde, – diese Revolution, sage ich, findet doch in den Gemüthern aller Zuschauer (die nicht selbst in diesem Spiele mit verwickelt sind) eine Theilnehmung dem Wunsche nach, die nahe an Enthusiasm grenzt, und deren Äußerung selbst mit Gefahr verbunden war, die also keine andere als eine moralische Anlage im Menschengeschlecht zur Ursache haben kann.« Immanuel Kant: Der Streit der Fakultäten, in: Kant: Werke ATA, BdVII; Abschn.: Streit der philosophischen Facultät mit der juristischen, §§5 und 6. Siehe auch Jean François Lyotard: Der Widerstreit, München 1989, S.272f: »Das Geschichtszeichen«, Kant IV.
297
74
Mittelbar bewusst, weil wir darauf schließen können. Kant 1798/1968: Anthropologie, S.134.
76
Kant 1798/1968: Anthropologie, S.135-137; Hervorhebung – HW.
77
Kant 1798/1968: Anthropologie, S.149f; »Augenverblendniß« = lat. »praestigiae« (S.149), die mit dem erwähnten prestigio insofern in Zusammenhang stehen, als der ›Erfolg‹ des prestigio in einer Selbsttäuschung bestehen kann, wie man bei Christopher Nolan lernen kann.
78
Von einer »hinterlistigen Kunst« spricht Kant ausdrücklich schon in der Kritik der Urteilskraft (Kant 1790/1968: KdU, S.327f, Anmerkung), beispielsweise im Vergleich der rhetorischen Inszenierung zur unambitionierten Poesie. Hinterlistige Kunst ist eine Kunst, »die Menschen als Maschinen in wichtigen Dingen zu einem Urteile zu bewegen versteht, das im ruhigen Nachdenken alles Gewicht bei ihnen verlieren muß«; es geht darum, »als Kunst sich der Schwächen der Menschen zu seinen Absichten zu bedienen (diese mögen immer so gut gemeint oder auch wirklich gut sein als sie wollen)«. Das heißt, die Absichten der ›Hinterlist‹ sind nicht per se auch schon betrügerisch.
79
Kant 1798/1968: Anthropologie, S.152.
80
Vgl. Heidegger 1938/1972: Zeit des Weltbildes.
81
Thomas v. Aquin: Summa Theologica, I, 77 (3).
82
Serres 1992: Interferenz, S.130.
83
Siehe Michel Foucault 2010: Einführung »Anthropologie«, S.96ff.
84
Kant 1798/1968: Anthropologie, S.176; die folgenden Kant-Zitate ebd., S.177, S.227, S.224.
85
Vgl. Immanuel Kant: Kritik der reinen Vernunft, in: Werke ATA (1. Aufl.), Bd.IV, 674f, S.429; zit: als: Kant 1787/1968: Werke, KrV, 1. Kant spricht von einer »projectirten Einheit«.
86
Kant 1798/1968: Anthropologie, S.246; vergleiche Heideggers Einlassungen zur notwendigen Anthropologisierung der Philosophie im Zuge der neuzeitlichen Wendung zum Subjekt, in: Die Zeit des Weltbildes, Heidegger 1938/1972: Weltbild, S.86; siehe auch Heiner Wilharm: Weltbild und Ursprung. Für eine Wiederbelebung der Künste des öffentlichen Raums. Zu Heideggers Bildauffassung der 30er Jahre, in: IMAGE, Ausg.18, 2013, S.99-137; zit. als Wilharm 2013: Weltbild und Ursprung.
87
»Es ist merkwürdig, daß wir uns für ein vernünftiges Wesen keine andre schickliche Gestalt als die eines Menschen denken können. Jede andere würde allenfalls ein Symbol von einer gewissen Eigenschaft des Menschen [...], aber nicht das vernünftige Wesen selbst vorstellig machen. So bevölkern wir alle anderen Weltkörper in unserer Einbildung mit Menschengestalten« ... , Kant 1798/1968: Anthropologie, S.172.
88
Kant 1798/1968: Anthropologie, Vorrede, S.119f.
89
Weshalb der 2. Teil der Anthropologie als »Charakteristik« ausfällt. Zitat: Kant 1798/1968: Anthropologie, S.224.
90
Kant 1798/1968: Anthropologie, S.121; die folgenden Zitate ebd., S.252, S.121f.
91
Siehe die Vorrede zur Anthropologie, worin Kant das ›Hin-und Her-Vernünfteln nach Cartesius‹ anspricht und auf den Unterschied abhebt, der mit den Ausdrücken »die Welt kennen« und »die Welt haben« verbunden ist,»indem der eine nur das Spiel versteht, dem er zugesehen hat, der andere aber mitgespielt hat.« Kant setzt darauf, dass die »Generalkenntniß [...] hierin immer vor der Localkenntniß voraus[geht], wenn jene durch Philosophie geordnet und geleitet werden soll: ohne welche alle erworbene Erkenntniß nichts als fragmentarisches Herumtappen und keine Wissenschaft abgeben kann« (ebd., S.120).
92
Marx 1867/1968: Das Kapital, Bd.1 (MEW ), S.249.
93
Zitat in: MEW 42, S.631. Siehe Gero Lenhardt/Claus Offe: Staatstheorie und Sozialpolitik. In: Soziologie und Sozialpolitik, hgg. von Christian von Ferber und Franz-Xaver Kaufmann, Opladen 1977.
94
Rechtsstaatliche Weiterung besagt, dass hierin Verhältnisse geschaffen sind, die als objektiver Ausgleich der Interessen Anspruch erheben, weil die Betroffenen darauf ein Recht haben. Marx 1867/1968: Das Kapital, Bd.1 (MEW ), S.118.
95
Georg Wilhelm Friedrich Hegel: Vorlesungen über die Ästhetik, Bd.3, hgg. von Eva Moldenhauer
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ii ästhetik & philosophie der künste
und Karl Markus Michel (d.i. G.W.F. Hegel: Werke in zwanzig Bänden, Bd.15), Frankfurt am Main 1970/1983, S.573; zit. als Hegel 1970: Ästhetik, Bd.3. 96
Vgl. Wilharm 2013: Magische Effekte, S.347-401.
97
Vgl. Blickzähmung und Augentäuschung. Zu Jacques Lacans Bildtheorie, hgg. von Claudia Blümle und Anne von der Heiden, Zürich/Berlin 2005.
98
Siehe oben und Georg Wilhelm Friedrich Hegel: Vorlesungen über die Ästhetik, Bd.2, hgg. von Eva Moldenhauer und Karl Markus Michel (d.i. G.W.F. Hegel: Werke in zwanzig Bänden, Bd.14), Frankfurt am Main 1970/1983, S.152; zit. als Hegel 1970: Ästhetik, Bd.2.
99
Die bekanntlich erst im 19. Jahrhundert zur »Literatur« mutiert.
100
Siehe Heidegger 1935/1972: Ursprung des Kunstwerks.
101
Eine Aussage, die gerade unter inszenierungstheoretisch performativen Gesichtspunkten natürlich nicht zu halten ist. Friedrich Kittler spricht vom »nulldimensionale[n] Signifikat«. Siehe Friedrich Kittler: Philosophie der Literatur. Berliner Vorlesungen 2002, Berlin 2013, S.173; zit. als Kittler 2002/2013: Berliner Vorlesungen.
102
Dass die Dichtung »kein Medium« (ebd., S.179) hat, meint indes »das Durchstreichen aller medialen Materialitäten« bei der Dichtung à la Hegel (S.181), was auch Kittler durchaus kritisch vermerkt. (Siehe ebd., S.179).102 Georg Wilhelm Friedrich Hegel: Vorlesungen über die Ästhetik, Bd.1, hgg. von Eva Moldenhauer und Karl Markus Michel (d.i. G.W.F. Hegel: Werke in zwanzig Bänden, Bd.13), Frankfurt am Main 1970/1983, S.22-33; zit. als Hegel 1970: Ästhetik, Bd.1.
103
Aristoteles: Poetik, 1450a, 15. Was aber nicht darüber hinwegtäuschen sollte, dass auf diese Weise die Wahrheit des mythos sich realisiert, nicht die Spontaneität der szenischen Begegnung. Es handelt sich um ein Szenario der Notwendigkeit.
104
Diese Option, allerdings, gehört nicht unter die praktisch oder politisch denkbaren Optionen in alternativen, etwa monarchisch beherrschten Untertanenverhältnissen, sondern gilt »wenigstens der Idee nach«. Die Idee bezieht sich auf den naturrechtlich legitimierten Anspruch zur »Zusammenstimmung der Mittel« in dieser Richtung bürgerlicher Verfassungsgebung – begrenzt durch Moralität. Findet sich auf friedlichem Weg keine Chance, darf sie folglich nicht gewaltsam herbeigeführt werden, »nicht durch Revolution, die jederzeit ungerecht ist, geschehen«. »Autokratisch herrschen und dabei doch republicanisch, d.h. im Geiste des Republicanismus und nach einer Analogie mit demselben regieren, ist das, was ein Volk mit seiner Verfassung zufrieden macht.« Immanuel Kant: Streit der Fakultäten, Abschn.: »Streit der philosophischen Facultät mit der juristischen«, S.86/S.86 Anm., S.87 Anm.
105
Wie die von Friedrich II. an den Hof geladenen Intellektuellen der europäischen haute volée mit Menzels Gemälde von 1850 apostrophiert wurden (Die Tafelrunde von Sanssouci; darauf u.a. La Mettrie, Algarotti, Voltaire).
106
Ursula Pia Jauch: Friedrichs Tafelrunde & Kants Tischgesellschaft. Ein Versuch über Preußen zwischen Eros, Philosophie und Propaganda, Berlin 2014, S.136; zit. als Jauch 2014: Tafelrunde.
107
Deutsche Ausgabe: Von der Preußischen Monarchie unter Friedrich dem Großen. Unter Leitung des Grafen Mirabeau abgefaßt und nun in einer sehr verbesserten deutschen Uebersetzung herausgegeben von J.[akob] Mauvillon, Braunschweig und Leipzig 1793 (zuerst London, d.i. Paris 1788); Onlineressource unter http:// books. google.de, Zugriff 3_2012;.vgl. Jauch 2014: Tafelrunde, S.194197; Jauch zufolge bestätigt die moderne Forschung die Zahlen. Vgl. Jauch 2014: Tafelrunde, S.338, Anm. 94.
108
Dass auch ein autokratisches Regime zu allen Zeiten je nach Opportunität und Kalkül auf der Klaviatur der indirekten Herrschaft spielt, dürfte durch die Kant´sche Positionierung mittelbarer Beherrschungskunst in der Anthropologie nicht berührt sein. Siehe die Verdeckungen der Ehre oder der Religion, die nicht schlecht konvergieren.
109
Kant 1798/1968: Anthropologie, S.271, S.273.
110
Im Unterschied zum tiefen Verstand und zur edlen Tugend des Mannes. Vgl. Immanuel Kant: Betrachtungen über das Gefühl des Schönen und Erhabenen, in: Kant: Werke ATA, Bd.II, Vorkritische Schriften II, 1757-1777, S.229-231; Zitat S.236. Das Urteil ist entsprechend ein »Urtheil über die feine Gestalt [, worin sich] dasjenige einmengt, was in den Zügen moralisch ist«.(Ebd., S.238).
299
111
Kant 1764/1968: Betrachtungen, S.231f, Hervorhebung – HW. Ob die List der Vernunft daraus zu schließen zulässt, dass Kant in noch jüngeren Jahren sich als Feminist verstand, scheint fraglich. Hier könnte die Lektüre doch arg Schiller´sch überdehnt erscheinen. (Vgl. Jauch 2014: Tafelrunde, S.224 zur zitierten Stelle: »Kürzer: Die Frauen handeln sittlich, die Männer sollten sittlich handeln.« Hervorhebung im Zitat).
112
Kant 1798/1968: Anthropologie, S.273.
113
Friedrich Schiller: Über Anmut und Würde, in Schiller 1962: Werke, II, S.534f; zit. als Schiller 1793/1962: Über Anmut und Würde.
114
Jean Baudrillard: Die fatalen Strategien, München 1991, S.68; zit. als Baudrillard 1991: Fatale Strategien.
115
Kant 1798/1968: Anthropologie, S.331.
116
Vgl. dazu Foucault 2010: Einführung »Anthropologie«, S.88-96.
117
Kant 1764/1968: Betrachtungen, S.244, Vierter Abschnitt: »Von den Nationalcharaktern«. Die Verlagerung des Schönen ins »Prächtige und dann in den falschen Schimmer« gilt auch als Beurteilungskriterium in der Kunstgeschichte. Der Wandel signalisiert einen Niedergang wie von der griechischen in die römische Kunst, deren Rhetorik, Dichtung und Sittengeschichte demonstrieren, was mit diesen Epitheta gemeint ist. (Vgl. ebd., S.255).
118
Kant 1764/1968: Betrachtungen, S.248f, S.256.
119
Vgl. Rudolf Eisler: Kant-Lexikon, Hildesheim 1964, S.376, Art. »Nationalität«; zit. als. Eisler 1964: Kant-Lexikon.
120
Kant 1798/1968: Anthropologie, S.311f.
121
Der entgegengesetzte Charakter der Engländer dann in der Folge. Siehe Kant 1798/1968: Anthropologie, S.313f; die folgenden Zitate ebd., S.318/f, S.332.
122
Friedrich Hölderlin: Patmos. Dem Landgrafen von Homburg, München 1993. Den entsprechenden Gedanken vgl. in: Kant 1798/1968: Anthropologie, S.333.
123
Vgl. Heidegger 1938/1972: Zeit des Weltbildes, S.103. Siehe auch Martin Heidegger: Erläuterungen zu Hölderlins Dichtung. 1936-68, hgg. von Friedrich-Wilhelm von Herrmann, Frankfurt am Main (3. Aufl.) 2012 (d.i. Martin Heidegger: Gesamtausgabe Bd.4, Frankfurt am Main 2012/2013; zit. als Heidegger 1963: Erläuterungen zu Hölderlin.
124
Die Infektionsmetapher, hier in pragmatisch anthropologischer Verallgemeinerung, ist zeitgenössisch einschlägig und verbreitet, entsprechend auch die medizinischen Metaphern der Symptomatik.
125
Gewisserweise, nimmt man die Jahre der Niederschrift der Druckfassung von 1798, zwar in Kilometern weit weg von Paris, aber doch mitten im sich ausbreitenden europäischen Revolutionsgeschehen, von dem es erst wenige Jahre zuvor geheißen hatte, dass sich mit ihm die Philosophie vom Kopf auf die Füße gestellt habe.
126
Die bekanntlich 1798 nun auch nicht mehr auf dem demokratischen Niveau der Konstitutionen von 1793 oder auch 1795 operierten. Doch handelt es sich um historisch zwar nicht allzu ferne, indes typologische Exempel.
127
»Übrigens kann ein politischer Künstler, eben so gut wie ein ästhetischer, durch Einbildung, die er statt der Wirklichkeit vorzuspiegeln versteht, z.B. von der Freiheit des Volks, die (wie die im Englischen Parlament), oder des Ranges und der Gleichheit (wie im französischen Konvent), in bloßen Formalien besteht, die Welt leiten und regieren [...]; aber es ist doch besser, auch nur den Schein von dem Besitz dieses die Menschheit veredelnden Guts für sich zu haben, als sich desselben handgreiflich beraubt zu fühlen.« Kant 1798/1968: Anthropologie, S.181; die folgenden Zitat ebd., S.119 (Vorrede), S.278f, S.157.
128
Zur »Rechtfertigung der Sinnlichkeit« siehe Kant 1798/1968: Anthropologie, S.140-161. Zur Sinnlichkeit an Kants eigener Tafel und möglichen Deutungen des zitierten ›Einander-selbst-Genießens‹ der dort Versammelten siehe Jauch 2014: Tafelrunde, S.233ff, S.242, S.246ff.
129
Zitat Kant 1798/1968: Anthropologie, S.282. Kant selbst wurde bekanntlich abgemahnt, sich nicht weiter mit Themen der Religion auseinanderzusetzen. In Hessen waren seine Schriften indiziert. Um die freigeistig, freizügigen anonymen Veröffentlichen, die aus dem Kreis der
300
ii ästhetik & philosophie der künste
Kant´schen Tischgesellschaft stammten, gab es nicht nur einen Skandal. Vgl. Jauch 2014: Tafelrunde. 131
Natürlich werden »Damen« von Kant keineswegs von der Tischgesellschaft ausgeschlossen. Doch gibt es Komplikationen, allein schon weil damit »die Freiheit der Chapeaus« eingeschränkt werde. Siehe Kant 1798/1968: Anthropologie, S.278, Anmerkung **.
131
Friedrich Schiller: Die Bürgschaft, in: Schillers Werke in zwei Bänden, München/Zürich, Bd.I, S.134; zit. als Schiller 1962: Werke.
132
Kant selbst galt als begabter Billardspieler.
133
Siehe Guattari/Deleuze 1992: Kapitalismus und Schizophrenie. S.464; Hervorhebung – FG/GD.
134
Joseph von Eichendorff: Zwielicht. Ursprünglich in dem 1815 erschienenen Roman Ahnung und Gegenwart; von Eichendorff dann in seine erste Gedichtsammlung erst 1837 übernommen. Siehe auch Theodor W. Adorno: Zum Gedächtnis Eichendorffs, in: ders.: Noten zur Literatur; Gesammelte Schriften, Bd.11, hgg. von Rolf Tiedemann, Frankfurt am Main 1981, S.72. Eichendorff hält es offenbar wie die Frauen mit den Männern bei Kant, der in die Klage Achills gegen Agamemnon einstimmen könnte angesichts solcher Wahrheiten.
135
Zur Sache siehe Friedrich Hölderlin: Über die Verfahrensweise des poetischen Geistes, in: Friedrich Hölderlin: Sämtliche Werke (Kleine Stuttgarter Ausgabe in sechs Bänden), Bd.4, hgg. v. F. Beißner (Werke) und A. Beck (Briefe), Stuttgart 1969; zit. als Hölderlin 1969: Über die Verfahrensweise.
136
Und sich zumindest für die Poetik und die Theorie des Begehrens anders darstellt als für die Rechtspflege. Siehe Deleuze 1993: Logik des Sinns, »Serie der Paradoxa« 28: »Von der Sexualität«, S.242249 und Anhang III: »Phantasma und moderne Literatur«, S.341-363.
137
Hegel 1970: Ästhetik, Bd.1, S.27, S.22, S.33/, S.25 in der Reihenfolge der Zitate.
138
Kant 1790/1968: Werke, KdU, ATA, Bd.V, S.305.
139
Immanuel Kant: Erste Fassung der Einleitung zur Kritik der Urteilskraft, in: Schriften AA, Band XX, Handschriftlicher Nachlass, 1942, S.193-251; zit. als: Kant 1790/1968: KdU, Einl., 1.Fassung.
140
Es heißt ausdrücklich: »Als Natur aber erscheint ein Produkt der schönen Kunst.« (Hervorhebung – HW).
141
Kant 1790/1968: Werke, KdU, S.306/307; Hervorhebungen – IK; die folgenden Zitate ebd., S.307, S.320.
142
Siehe §46 ebd., S.208, S210.
143
Wozu nicht zuletzt »die Beurteilung des Detail[s] (durch abgemessene Erklärungen und schulgerechte Prüfung der Grundsätze)« gehört. Kant 1790/1968: Werke, KdU, ATA Bd.V, S.310.
144
Hegel 1970: Ästhetik, Bd.2, S.152.
145
Hegel 1970: Ästhetik, Bd.2, S.235. »Das Gebundensein an einen besonderen Gehalt und eine nur für diesen Stoff passende Art der Darstellung ist für den heutigen Künstler etwas Vergangenes und die Kunst dadurch ein freies Instrument geworden, das er nach Maßgabe seiner subjektiven Geschicklichkeit in bezug auf jeden Inhalt, welcher Art er auch sei, gleichmäßig handhaben kann. Der Künstler steht damit über den bestimmten konsekrierten Formen und Gestaltungen und bewegt sich frei für sich, unabhängig von dem Gehalt und der Anschauungsweise, in welcher sonst dem Bewußtsein das Heilige und Ewige vor Augen war. [...] Deshalb verhält sich der Künstler zu seinem Inhalt im ganzen gleichsam als Dramatiker, der andere, fremde Personen aufstellt und exponiert. [...] In den meisten Künsten, besonders in den bildenden, kommt außerdem der Gegenstand dem Künstler von außen her; er arbeitet auf Bestellung [...]; seine große, freie Seele muß von Hause aus, ehe er ans Produzieren geht, wissen und haben, woran sie ist, und ihrer sicher und in sich zuversichtlich sein [...]. In dieser Weise steht dem Künstler, dessen Talent und Genie für sich von der früheren Beschränkung auf eine bestimmte Kunstform befreit ist, jetzt jede Form wie jeder Stoff zu Dienst und zu Gebot.« (Zit. ebd., S.235f; Hervorhebung – HW).
146
Hegel 1970: Ästhetik, Bd.2, S.237. Hervorhebung – GWFH. Und auch die weiteren Einlassungen Heideggers im Weltbild-Vortrag von 1938 folgen der Hegel´schen Ästhetik: »Hiermit erhält der Künstler seinen Inhalt an ihm selber und ist der wirklich sich selbst bestimmende, die Unendlichkeit seiner Gefühle und Situationen betrachtende, ersinnende und ausdrückende Menschengeist, dem nichts mehr fremd ist, was in der Menschenbrust lebendig werden kann. Es ist dies ein Gehalt, der nicht an
301
und für sich künstlerisch bestimmt bleibt, sondern die Bestimmtheit des Inhalts und des Ausgestaltens der willkürlichen Erfindung überläßt, doch kein Interesse ausschließt, da die Kunst nicht mehr das nur darzustellen braucht, was auf einer ihrer bestimmten Stufen absolut zu Hause ist, sondern alles, worin der Mensch überhaupt heimisch zu sein die Befähigung hat.« (Hegel 1970: Ästhetik, Bd.2, S.238). 147
Hegel 1970: Ästhetik, Bd.1, S.316; Hervorhebung – Edition Moldenhauer/Michel.
148
Hegel 1970: Ästhetik, Bd.1, S.316f; die folgenden vier Zitate ebd., S.318f. Hervorhebung Edition Moldenhauer/Michel.
149
Hegel 1970: Ästhetik, Bd.1, S.320; zur gedoppelten Außenseite in der Topologie Lacans siehe unten; die folgenden Zitate ebd.
150
»[D]as wahrhafte Ideal [ist] in den allgemeinen Interessen und Leidenschaften seiner Götter und Menschen für jeden verständlich; indem es seine Individuen jedoch innerhalb einer bestimmten äußerlichen Welt der Sitten, Gebräuche und sonstiger Partikularitäten zur Anschauung bringt, tritt dadurch die neue Forderung hervor, daß diese Äußerlichkeit nicht nur mit den dargestellten Charakteren, sondern ebensosehr auch mit uns in Übereinstimmung trete. Wie die Charaktere des Kunstwerks in ihrer Außenwelt zu Hause sind, verlangen auch wir für uns die gleiche Harmonie mit ihnen und ihrer Umgebung.« (Es fehlt allein die Erwähnung der Erde, um neben Welt, Göttern und Sterblichen alle Koordinaten des Heidegger´schen »Gevierts« beisammen zu haben.) Hegel 1970: Ästhetik, Bd.1, S.340-344. Alle Hervorhebungen – HW.
151
»Solcher Objektivität eines Kunstwerks gegenüber muß deshalb nun auch das Subjekt die falsche Forderung aufgeben, sich selbst mit seinen bloß subjektiven Partikularitäten und Eigenheiten vor sich haben zu wollen.« Wie die Schweizer, die in Weimar der Erstaufführung des Wilhelm Tell beiwohnten und sehr unzufrieden damit waren und die Darstellung für falsch hielten. Gerechterweise erwähnt Hegel aber auch den umgekehrten Fall, dass das Erlebnis frustriert, weil die Darstellung zum Maß eigener Empfindungen gerät, die man haben sollte, aber nicht hat. Da man aber die Vorstellung glaubt verstanden zu haben und so auch die dort zum Ausdruck gekommenen positiven Emotionen, sucht man so lange »in der Wirklichkeit«, bis vergleichbare Umstände und Gefühle eintreten. Hegel 1970: Ästhetik, Bd.1, S.361.
152
Hegel 1970: Ästhetik, Bd.3, S.497; das folgende Zitat ebd. S.499.
153
Die »allgemeine Bildung der Zeit«, Hegel 1970: Ästhetik, Bd.1, S.351.
154
Goethe: Deutsche Sprache, in: Goethe 1968: Werke, Bd.11, S.367f.
155
Hegel 1970: Ästhetik, Bd.1, S.353.
156
Hegel 1970: Ästhetik, Bd.3, S.499.
157
»Volk« im Sinne der modernen Konstitutionen und im Unterschied zum alten Verständnis der nationes – wie »Nation« bei Hegel sicher auch nicht im vorrevolutionären, sondern modernen Verständnis gebraucht verstanden werden muss.
158
Was kein wirklicher Einwand ist, weil es sich um den Weg der Idee handelt. Die Natur und ihre Gestalten interessieren nur als »Dasein der Idee«. Vgl. Hegel 1970: Ästhetik, Bd.1, S.157; siehe auch im Folgenden zu den Bestimmungen, die sowohl dem Kunst- als auch dem Naturschönen gelten.
159
Hegel 1970: Ästhetik, Bd.1, S.353
160
Siehe die gerade zitierte Stelle Hegel 1970: Ästhetik, Bd.1, S.361. Die Beispiele, die Hegel anführt, sind bezeichnenderweise ja auch keine Beispiele gelungener Objektivierung auf der Seite der Subjekte, wenn es nicht gerade um die antike Polis geht.
161
Während eineindeutige Bedeutungen die engste begriffliche Fassung des Signifizierten repräsentierten.
162
»Die absolut philosophische Tragödie«. Siehe Hegel 1970: Ästhetik, Bd.3, S.557. Und das, bevor noch der zweite Teil der Tragödie fertiggestellt war.
163
Während Schiller von Hegel ausdrücklich auch als systematischer Denker im Zusammenhang der Philosophie der Kunst gewürdigt wird. Siehe Hegel 1970: Ästhetik, Bd.1, Einleitung, Kap. III, S.8991. Doch nicht weniger erhält der Dichter Applaus: vgl. Hegel Ästhetik, Bd.3, S.494, S.498.
164
Johann Wolfgang von Goethe: Literarischer Sansculottismus, in: Die Horen, eine Monatsschrift, herausgegeben von Schiller. Erster Jahrgang. Fünftes Stück. Tübingen in der J. G. Cottaschen
302
ii ästhetik & philosophie der künste
Buchhandlung 1795, S.50-56; abgedr. in: Johann Wolfgang von Goethe: Kunsttheoretische Schriften und Übersetzungen [Berliner Ausgabe Band 17–22], Band 17, Berlin 1960ff. 165
Wilhelm Meisters Lehrjahre, erschienen 1795/96; vgl. Gille 2008: Nationalautor.
166
Friedrich Schiller: Ankündigung der Horen, in ders.: Über die ästhetische Erziehung des Menschen, München 1967, S.71, S74; zit. als Schiller 1793-1801/1967: Ästhetische Erziehung.
167
In Musenalmanach auf das Jahr 1797.
168
Erschienen 1798-1800.
169
Goethe in einem Brief an Franz Bernhard von Buchholz, einen Wiener Publizisten. (Zit. in Peter Boehler: »Sie mögen mich nicht. Ich mag sie auch nicht!« – Goethe über die Deutschen, in: Dichter und ihre Nation, hgg. von Helmut Scheuer, Frankfurt am Main 1993, S.144.
170
»Philhellenismus« und »Polenschwärmerei« sind zwei Stichworte für die auch deutsche Begeisterung am Freiheitskampf fremder Völker in den 20er und 30er Jahren – abgesehen von den näherliegenden Zentren des ›Fortschritts‹.
171
Wie gesagt, mit Goethe und Schiller als Galionsfiguren. Wobei man sich darüber im Klaren sein sollte, dass das ›Programm Goethe‹ – wie es in Hegels Phänomenologie oder Ästhetik erscheint, durchaus auch eine Projektion darstellt. Weniger gilt dies für die Beurteilung von Schiller.
172
Siehe Hegel 1970: Ästhetik, Bd.1, S.331.
173
Siehe oben das Kant-Kapitel.
174
Johann Heinrich Meyer: Neudeutsche religiös-patriotische Kunst, in: Schriften zur Kunst II, hgg. von Wolfgang von Löhneysen, Stuttgart 1962 (d.i. Johann Wolfgang von Goethe: Gesamtausgabe der Werke und Schriften in zweiundzwanzig Bänden, Zweite Abteilung, Schriften, Stuttgart 1959ff, Bd.17/1962, S.504; zit. als Meyer/Goethe 1817/1962: Patriotische Kunst. Der Text, von Goethe, seit ca. 1813 vorbereitet, fließt ein in den Beitrag seines Vertrauten und Kunstexperten Johann Heinrich Meyer und wird veröffentlicht in der Zeitschrift Über Kunst und Altertum. Siehe Johann Heinrich Meyer: Über Kunst und Altertum, Ersten Bandes zweites Heft, 1817: Zur deutschen Nationaldichtung. Vgl. auch Goethes zitierte frühere Einlassung in den Horen über Literarischen Sansculottismus. Die ›Doppelautorschaft‹ Meyer/Goethe bestätigen die Herausgeber der Weimarer Ausgabe. Vgl. Johann Wolfgang von Goethe: Schriften zur Kunst und Literatur, in: Goethes Werke in zwölf Bänden, Berlin und Weimar 1968, Bd.11, S.505f, Anmerkung.
175
Meyer/Goethe 1817/1962: Patriotische Kunst. Die Vorbehalte gegenüber Friedrich siehe ebd., S.509/510, die Ausführungen zur Bildhauerei S.510.
176
Meyer/Goethe 1817/1962: Patriotische Kunst, S.511.
177
In diesem Sinne würdigt Goethe etwa Friedrich Schlegels Forschungen zur altniederländischen Malerschule, obwohl er und sein Zentralorgan Europa ansonsten, wie Goethe bemerkt, ob der überschwänglichen Belobigung altdeutscher Kunst sicher nicht den Beifall des »kühlere[n] Kunstrichter[s]« verdient hätten. Meyer/Goethe 1817/1962: Patriotische Kunst.
178
»Erheben wir uns endlich auf den höchsten, noch übersehenden Standpunkt, so lässt sich die betrachtete patriotische Richtung des Kunstgeschmacks wohl billig als ein Teil oder auch als Folge der mächtigen Regung betrachten, von welcher die Gesamtheit aller zu Deutschland sich rechnenden Völker begeistert das Joch fremder Gewalt großmütig abwarf, die bekannten, ewig denkwürdigen Taten verrichtete und aus Besiegten sich zu Überwindern emporschwang.« Umso eher bedeutet dies, Milde gegen die traditionalistische Kunst und walten zu lassen, »denn sie fanden sich mit dem gewaltigen Strom herrschender Meinungen und Gesinnungen fortgezogen.« Meyer/Goethe 1817/1962: Patriotische Kunst.
179
Die Kunst könne sich nur dann wieder »verständig fassen«, glaubt Goethe 1817, und die beengende Nachahmung der »ältern Meister«, der deutschen vor allem (Dürer, Cranach, Holbein, Altdorfer, Schongauer werden genannt), aufgeben. Siehe Meyer/Goethe 1817/1962: Patriotische Kunst. Hervorhebung – HW.
180
Vgl. Friedrich Kittler: Eine Kulturgeschichte der Kulturwissenschaft, München 2000, S.93f, S.122; zit. als Kittler 2000: Kulturgeschichte. Siehe auch Wissenschaft und Nation. Zur Entstehungsgeschichte der deutschen Literaturwissenschaft, hgg. von Jürgen Fohrmann und Wilhelm Vosskamp, München 1991; Horst Althaus: Hegel und die heroischen Jahre der Philosophie. Eine Biographie, München 1992.
303
181
Gemeint ist Johann Friedrich Wilhelm Pustekuchen: Wilhelm Meisters Wanderjahre oder die Entsagenden, Leipzig ab 1821, (5. Teil 1828) oder z.B. Wilhelm Meisters Tagebuch. Vom Verfasser der Wanderjahre, Leipzig und Sorau 1824ff.
182
»Gemessen an dem bis dahin gediehenen Diskussionsstand gelingt es Heine, in einer kritisch ausgewogenen, wenn auch subjektiv geprägten Darstellung, das Fundament zu einem progressiven Bild Goethes und zugleich der deutschen Klassik zu legen [...]. Goethe erscheint als Prototyp einer ganzheitlichen Weltanschauung und als Überwinder der neuzeitlichen Zerrissenheit und wird sogar in mancher Hinsicht zum Vorbild einer modernen Literatur stilisiert. Gleichzeitig wird die mit Goethes Schaffen zeitlich gleichgesetzte und durch seine Ästhetik beherrschte Epoche durch den von Heine 1828 geprägten Begriff der ›Kunstperiode‹ in ihrer Gesamtheit gewürdigt und von der eigenen nachgoetheschen Zeit abgesetzt.« Günter Häntzschel: Das Ende der Kunstperiode? Heinrich Heine und Goethe. (15.12.2003). In: Goethezeitportal. Onlineressource auf: http://www. goethezeitportal.de /db/wiss/ epoche/haentzschel_kunstperiode.pdf; Zugriff 5_2013.
183
Vgl. Friedrich Nietzsche: Unzeitgemäße Betrachtungen, Drittes Stück: Schopenhauer als Erzieher, in: Nietzsche: Werke Bd.I, §4, S.320; zit. als Nietzsche 1874/1969: Schopenhauer als Erzieher; ausführlich und als dionysosähnlich gewürdigt in: Götzendämmerung. Oder wie man mit dem Hammer philosophiert, Leipzig 1889, §49; zit. als Nietzsche 1889/1969: Götzendämmerung. Ich zitiere den Printtext nach der fünfbändigen Schlechta-Ausgabe: Nietzsche 1969: Werke, Bd. (Schlechta-Ausgabe) :: Friedrich Nietzsche: Werke, hgg. von Karl Schlechta, V Bde., Frankfurt am Main/Berlin/ Wien 1976 u.ö., Reprint der Ausgabe: Friedrich Nietzsche: Werke, III Bde. Frankfurt am Main 1969 u.ö. (dem folgend die Seitenangaben der Einzeltitel im Literaturverzeichnis).
184
Jedenfalls sei die »frühere Manier des Theoretisierens wie jene[r?] praktischer Regeln [...] denn auch bereits in Deutschland gewaltsam auf die Seite geworfen worden – vornehmlich durch das Auftreten von wahrhaft lebendiger Poesie« seit Aufklärung und Sturm und Drang. Hegel 1970: Ästhetik, Bd.1, S.37. »Nur die Gelehrsamkeit der Kunstgeschichte hat ihren bleibenden Wert behalten und muß ihn um so mehr behalten, je mehr durch jene Fortschritte der geistigen Empfänglichkeit ihr Gesichtskreis nach allen Seiten hin sich erweitert hat.« Ebd., S.38.
185
Aloys Hirt 1759-1839. Seine Definition des Schönen (in: Die Horen, 1797, 7. Stück) geht über die Bestimmung Goethes ein in Johann Heinrich Meyers Geschichte der bildenden Künste bei den Griechen, 3. Bd., Dresden 1824-1836, der Hirt allerdings nicht nennt. Hegel 1970: Ästhetik, Bd.1, S.33, Zitat Hirt ebd.
186
Hegel 1970: Ästhetik, Bd.3, S.34f.
187
Schiller 1793/1962: Über Anmut und Würde, S.536.
188
Hegel 1970: Ästhetik, Bd.3, S.35f.
189
Schiller 1793/1962: Anmut und Würde, S.546.
190
Hegel 1970: Ästhetik, Bd.3, S.37.
191
Was bekanntlich Platon veranlasste, den Künstler in die Schranken zu verweisen. Vgl. dazu Jacque Lacan: Die vier Grundbegriffe der Psychoanalyse, Das Seminar Buch XI, Weinheim/Berlin 1987, 4.Aufl. 1996, S.119; zit. als Lacan 1973/1996: Grundbegriffe.
192
Hegel 1970: Ästhetik, Bd.3, S.236; die folgenden Zitate ebd., S.239, S.231.
193
Bekanntlich eine Frage, die zeitgenössisch zum Beispiel an der Werther-Wirkung diskutiert wird.
194
Hegel 1970: Ästhetik, Bd.3, S.232/233; 1. und 3. Hervorhebung – Edition Moldenhauer/Michel; 2. Hervorhebung – HW; das Folgende zitiert ebd., S.234f.
195
... es »noch einmal in geistiger Weise produziert«. Hegel 1970: Ästhetik, Bd.3, S.235.
196
Adorno 1969/1997: Ästhetische Theorie, S.171, »diskursiv« hier ›kommunikationsmedial‹ verstanden.
197
Lacan 1973/1996: Grundbegriffe, bes. Kap. VI-XI.
198
Adorno 1969/1997: Ästhetische Theorie, S.172, S.170; die folgenden Adornostellen siehe ebd., S.166f.
199
Hegel 1970: Ästhetik, Bd.3, S.235; Hervorhebung – HW.
200
Vgl. Birgit Wiens: Intermediale Szenografie. Raumästhetiken des Theaters am Beginn des 21. Jahrhunderts, München 2014; zit. als Wiens 2014: Intermediale Szenografie.
304
ii ästhetik & philosophie der künste
201
Hegel 1970: Ästhetik, Bd.3, S.495; Hervorhebung – HW.
202
Das sind Takt zwei und drei des Dreischritts, der im ersten Vorlesungsband der Ästhetik mit der Frage nach der Zusammenstimmung mit der äußeren Natur ansetzt. Hegel 1970: Ästhetik, Bd.1, S.328ff, S331ff, S340ff.
203
Adorno 1969/1997: Ästhetische Theorie, S.167.
204
Hegel 1970: Ästhetik, Bd.1, S.316/, .319.
205
Adorno 1969/1997: Ästhetische Theorie, S.167.
206
Hegel 1970: Ästhetik, Bd.1, S.327; 1./3. Hervorhebung – HW; 2. Hervorhebung – Edition Moldenhauer/Michel.
207
Insofern die Gestaltung eines individuellen Ausdrucks die Kunst, so zu formen, als geistige Leistung ausweist, gilt für das Ideal in dieser Entäußerung, dass »das Zusammenstimmen mit dem äußeren Dasein auch von der menschlichen Tätigkeit auszugehen und sich als durch dieselbe hervorgebracht kundzutun« hat. Hegel 1970: Ästhetik, Bd.1, S.327; Hervorhebung – Edition Moldenhauer/Michel.
208
Vgl. Schillers drei Spezies der sentimentalischen Dichtung, in: Friedrich Schiller: Über naive und sentimentalische Dichtung, i: Schiller 1962: Werke Bd.II; zit. als Schiller 1795/1962: Naive und sentimentalische Dichtung. Die sentimentalische Dichtung ist eben die, die sich im Unterschied zur naiven »auf Ideen bezieht und Ideen auf die Wirklichkeit anwendet«. Deshalb hat sie es mit zwei wiederstreitenden Objekten zu tun, »mit dem Ideal nämlich und mit der Erfahrung«. Zwischen beiden lassen sich »weder mehr noch weniger als gerade die drei [der] folgenden Verhältnisse denken [...]. Entweder ist es der Widerspruch des wirklichen Zustandes, oder es ist die Übereinstimmung desselben mit dem Ideal, welche vorzugsweise das Gemüt beschäftigt, oder dieses ist zwischen beiden geteilt. In dem ersten Fall wird es durch die Kraft des innern Streits, durch die energische Bewegung, in dem andern wird es durch die Harmonie des innern Lebens, durch die energische Ruhe, befriedigt, in dem dritten wechselt Streit mit Harmonie, wechselt Ruhe mit Bewegung. Dieser dreifache Empfindungszustand gibt drei verschiedenen Dichtungsarten die Entstehung.« Bekanntlich handelt es sich um Satire, Idylle und Elegie«, was das Gemüt sofort erkennt, »sobald man sich nur an die Stimmung erinnert, in welche die unter diesem Namen vorkommenden Gedichtarten das Gemüt versetzen, und von den Mitteln abstrahiert, wodurch sie dieselbe bewirken.« Schiller 1795/1962: Naive und sentimentalische Dichtung, S.682, Anm. Hegel schildert die objektive Seite der Darstellungsvarianten, die Darstellung der Tätigkeiten, nicht die Wirkungen im Empfinden, von denen ausgehend Schiller seine Begriffe vergibt. (Hervorhebung Zitat im Text – HW; Hervorhebung in den Anmerkungen – Edition Schiller).
209
Hegel 1970: Ästhetik, Bd.1, S.335-337.
210
»Mediatisierung« ist keineswegs synonym mit »Medialisierung«, kein technischer Prozess der Zerstreuung in mediale Genres, Darstellungstypen oder Kanäle. Mediatisierung ist vielmehr ursprünglich ein Rechtsbegriff und bezeichnet die »Mittelbarmachung« eines zunächst unmittelbaren direkten Verhältnisses. Insofern unterscheiden sich mediatisierte von nicht mediatisierten Verhältnissen, wie die Medialität der Sinnesausstattung im Verhältnis zur medialen Erweiterung durch Werkzeuge, Instrumente, Maschinen, institutionelle Komplexe auf deren Grundlagen, zu Dingen wie denen, die wir »Massenmedien« nennen.
211
Peirce 1905/1990: Grundlagen des Pragmatizismus, 3.2, S.313.
212
Hegel 1970: Ästhetik, Bd.1, S.338.
213
Schiller 1793-1801/1967: Ästhetische Erziehung, S.177.
214
Schiller 1793-1801/1967: Ästhetische Erziehung, ebd.
215
»Es sind dies die allgemeinen geistigen Verhältnisse des Religiösen, Rechtlichen, Sittlichen, die Art und Weise der Organisation des Staats, der Verfassung, Gerichte, Familie, des öffentlichen und privaten Lebens, der Geselligkeit usf. Denn der ideale Charakter hat nicht nur in der Befriedigung seiner physischen Bedürfnisse, sondern auch seiner geistigen Interessen zur Erscheinung zu kommen.« Hegel 1970: Ästhetik, Bd.1, S.340f.
216
Hegel 1970: Ästhetik, Bd.1, S.331; Hervorhebungen – HW.
217
Dies ist ein Befund, der (zum Beispiel) für jeden innenpolitischen Medienbeitrag gilt, der in gewisser Weise dasselbe tut, auch wenn er sich nicht ausschließlich der Vergangenheit zuwendet.
305
218
Friedrich Nietzsche: Unzeitgemäße Betrachtungen, Viertes Stück: Richard Wagner in Bayreuth, in: Nietzsche: Werke Bd.I, S.404; zit. als Nietzsche 1876/1969: Wagner in Bayreuth.
219
Kant 1798/1968: Anthropologie, S.225f; die folgende Anmerkung ebd. S.224.
220
Hegel 1970: Ästhetik, Bd.1, S.363f; 1./2. Hervorhebung – HW, 3./4. Hervorhebung – Edition Moldenhauer/Michel.
221
Starobinski 1990: Das Rettende in der Gefahr, S.255, zum Kontext des Genies bei Rousseau siehe ebd., S.252-257. Vgl. Rousseau: Dictionnaire de musique, Art. »Génie«; zit. ebd.
222
Hegel 1970: Ästhetik, Bd.3, S.517.
223
Hegel 1970: Ästhetik, Bd.1, S.363, S.365, S.366.
224
Wenn der Reifegedanke generell gelten soll, auch für die performativen Künste, wird natürlich die Verschiebung zwischen szenografischem Entwurf und Auftritt relevant, sodass die »eigentliche Beseelung« sehr wohl auch aus der Dichtung, der Komposition, der Choreografie »schöpft«. Hegel 1970: Ästhetik, Bd.1, S.218f.
227
Hegel 1970: Ästhetik, Bd.1, S.331f.
226
In etwa so verläuft die Rechtfertigungsgeschichte Albert Speers und Seinesgleichen.
227
Sich unabhängig machen also von der bloßen Sicherung der Subsistenz und einiges anderen mehr durch »in Besitz nehmen, zurechtmachen, formieren, alles Hinderliche durch selbst erworbene Geschicklichkeit abstreifen«. Hegel 1970: Ästhetik, Bd.1, S.332; Hervorhebung – HW.
228
Hegel 1970: Ästhetik, Bd.1, S.332; Hervorhebung – HW.
229
Hegel 1970: Ästhetik, Bd.1, S.333; Hervorhebung – HW. Auch das Verschwinden der Arbeit versteht sich als zunächst nur logische Hypothese. Soweit entfremdet arbeiten zu müssen in Widerspruch zu Besitz und Wohlstand schaffender Arbeit durch selbstbestimmte Werktätigkeit steht, muss solche Arbeit im bürgerlichen Staat, soll er zugleich als der ideale Boden der Kunst gelten, als abgeschafft vorgestellt werden. Man vergleiche die ganz ähnliche Argumentation in: Schiller 1795/1962: Naive und sentimentalische Dichtung, S.700: »Da es also weder dem arbeitenden Teil der Menschen überlassen werden darf, den Begriff der Erholung nach seinem Bedürfnis, noch dem kontemplativen Teile, den Begriff der Veredlung nach seinen Spekulationen zu bestimmen, wenn jener Begriff nicht zu physisch und der Poesie zu unwürdig, dieser nicht zu hyperphysisch und der Poesie zu überschwänglich ausfallen soll [...], so müssen wir uns, um sie auslegen zu lassen, nach einer Klasse von Menschen umsehen, welche, ohne zu arbeiten, tätig ist und idealisieren kann, ohne zu schwärmen, welche alle Realitäten des Lebens mit den wenigst-möglichen Schranken desselben in sich vereinigt und vom Strom der Begebenheiten getragen wird, ohne der Raub desselben zu werden. [...] In einer solchen Volksklasse (die ich aber hier bloß als Idee aufstelle und keineswegs als ein Faktum bezeichnet haben will) würde sich der naive Charakter mit dem sentimentalischen also vereinigen, dass jeder den andern vor seinem Extrem bewahrte, und indem der erste das Gemüt vor Überspannung schützte, der andere es vor Erschlaffung sicher stellte.«
230
Schiller sieht sich offenbar aufgefordert, möglichen Missverständnissen zuvorzukommen, indem er darauf hinweist, dass andere gattungstheoretische Unterscheidungen von »Gedichtarten«, (»Epopöe, Roman und Trauerspiel u.a.v.m.«) seiner nach »Empfindungsarten« unterteilenden Differenzierung gar nicht im Wege stünden. Schiller 1795/1962: Naive und sentimentalische Dichtung, S.682, Anm.
231
Schiller 1795/1962: Naive und sentimentalische Dichtung, S.666.
232
Gemeint ist Lawrence Stern: Yoricks empfindsame Reise durch Frankreich und Italien, London 1768.
232
Schiller 1795/1962: Naive und sentimentalische Dichtung, S.682, Anm.; vgl. auch ebd., S.669 Anm.; Hervorhebung – HW.
234
Kant 1798/1968: Anthropologie, S.225f.
235
Schiller 1795/1962: Naive und sentimentalische Dichtung, S.688. »Die sentimentalische Dichtung ist die Geburt der Abgezogenheit und Stille, und dazu ladet sie auch ein; die naive ist das Kind des Lebens, und in das Leben führt sie auch zurück.« ebd.
236
Schiller 1795/1962: Naive und sentimentalische Dichtung, S.701; Schiller erläutert die Aufhebung der poetologischen Opposition ebd., S.702: »Es bleibt alsdann von dem ersteren [dem naiven
306
ii ästhetik & philosophie der künste
Charakter – HW] nichts übrig, als in Rücksicht auf das Theoretische ein nüchterner Beobachtungsgeist und eine feste Anhänglichkeit an das gleichförmige Zeugnis der Sinne, in Rücksicht auf das Praktische eine resignierte Unterwerfung unter die Notwendigkeit (nicht aber unter die blinde Nötigung) der Natur: Eine Ergebung also in das, was ist und was sein muss. Es bleibt von dem sentimentalischen Charakter nichts übrig, als im Theoretischen ein unruhiger Spekulationsgeist, der auf das Unbedingte in allen Erkenntnissen dringt, im Praktischen ein moralischer Rigorism, der auf dem Unbedingten in Willenshandlungen besteht. Wer sich zu der ersten Klasse zählt, kann ein Realist, und wer zur andern, ein Idealist genannt werden, bei welchen Namen man sich aber weder an den guten noch schlimmen Sinn, den man in der Metaphysik damit verbindet, erinnern darf.« In der Anmerkung heißt es: »Ich bemerke, um jeder Missdeutung vorzubeugen, dass es bei dieser Einteilung ganz und gar nicht darauf abgesehen ist, eine Wahl zwischen beiden, folglich eine Begünstigung des einen mit Ausschließung des andern zu veranlassen. Gerade diese Ausschließung, welche sich in der Erfahrung findet, bekämpfe ich, und das Resultat der gegenwärtigen Betrachtung wird der Beweis sein, dass nur durch die vollkommen gleiche Einschließung beider dem Vernunftbegriff der Menschheit kann Genüge geleistet werden.« Ebd., S.702, Anmerkung. 237
Schiller 1795/1962: Naive und sentimentalische Dichtung, S.683f.
238
Vgl. Charles S. Peirce: Weitere selbständige Ideen und der Streit zwischen Nominalisten und Realisten (MS 439). In: Charles S. Peirce 1991: Naturordnung und Zeichenprozeß. Schriften über Semiotik und Naturphilosophie, hgg. von Helmut Pape, Frankfurt am Main 1991, S.387; zit. als: Peirce 1991: Semiotik und Naturphilosophie beziehungsweise Peirce 1898/1991: Nominalisten und Realisten.
239
Siehe: Lyotard 1986: Postmodernes Wissen.
240
Vgl. Stiegler 2009: Denken bis an die Grenzen, S.89-93.
241
Hegel 1970: Ästhetik, Bd.3, S.162; Hervorhebung – Edition Moldenhauer/Michel.
242
Hier besonders der Artikel: »Unité de mélodie«; vgl. Starobinski 1990: Das Rettende in der Gefahr, S.255.
243
»[Z]u einem geistig freien Ausdruck zusammenschließ[en]« kann sich das Ensemble der Töne aber erst auf Grundlage des »rhythmisch beseelten Taktes und der harmonischen Unterschiede und Bewegungen«, wenn »die Melodie« sich zur »konkreten Einigung mit dem geistigen Inhalt« dazugesellt. Hegel 1970: Ästhetik, Bd.3, S.162f; Hervorhebung – Edition Moldenhauer/Michel. Zusammengefasst dann noch einmal in: Hegel 1970: Ästhetik, Bd.3, S.185: »Die Harmonie nämlich befaßt nur die wesentlichen Verhältnisse, welche das Gesetz der Notwendigkeit für die Tonwelt ausmachen, doch nicht selber schon, ebensowenig wie Takt und Rhythmus, eigentliche Musik, sondern nur die substantielle Basis, der gesetzmäßige Grund und Boden sind, auf dem die freie Seele sich ergeht. Das Poetische der Musik, die Seelensprache, welche die innere Lust und den Schmerz des Gemüts in Töne ergießt und in diesem Erguß sich über die Naturgewalt der Empfindung mildernd erhebt, indem sie das präsente Ergriffensein des Inneren zu einem Vernehmen seiner, zu einem freien Verweilen bei sich selbst macht und dem Herzen eben dadurch die Befreiung von dem Druck der Freuden und Leiden gibt - das freie Tönen der Seele im Felde der Musik ist erst die Melodie.«
244
Hegel 1970: Ästhetik, Bd.3, S.172.
245
Natürliche Grundlagen mithin, die, wie erwähnt, durchaus auch in Hegels pragmatischer Beurteilung des Austauschs zwischen Dingen und Subjekten Berücksichtigung finden, wenn auch keine gewichtige.
246
Hegel 1970: Ästhetik, Bd.3, S.177; Hervorhebung – Edition Moldenhauer/Michel.
247
Musikinterner Zusammenstimmungen, versteht sich, »wo sich teils der Charakter der einen Art von Instrumenten [oder Stimmen – HW] sich bis zu dem Punkt fortführt, wo der Charakter der anderen indiziert und vorbereitet ist, teils eins dem anderen eine Erwiderung gibt oder das hinzubringt, was gemäß auszusprechen dem Klange des Vorhergehenden nicht vergönnt ist, so daß hierdurch in der anmutigsten Weise ein Zwiegespräch des Klingens und Widerklingens, des Beginnens, Fortführens und Ergänzens entsteht.« Hegel verweist beispielhaft auf Mozarts Symphonien. Hegel 1970: Ästhetik, Bd.3, S.176.
248
Hegel 1970: Ästhetik, Bd.3, S.183. »So sind es auch in der wirklichen Welt die höheren Naturen, welchen den Schmerz des Gegensatzes in sich zu ertragen und zu besiegen die Macht gegeben ist.«
307
Musik kann deshalb »sowohl die innere Bedeutung als auch die subjektive Empfindung des tiefsten Gehaltes, des religiösen z. B., und zwar des christlich-religiösen« deshalb insbesondere ausdrücken (ebd.). 249
Hegel 1970: Ästhetik, Bd.3, S.133; alle Hervorhebungen – Edition Moldenhauer/Michel, die zweite– HW; das folgende Zitat ebd., S.152.
250
»Einklang« dürfte an dieser Stelle indes schon wieder als Bild zu nehmen sein. Darin jedenfalls liegt für die Kunst der Musik nach Hegel das »Hauptgeheimnis der großen Kompositionen«, vergleichbar dem Geheimnis der großen Dichtung à la Goethe. Hegel 1970: Ästhetik, Bd.3, S.187, S.232.
251
Vgl. Starobinski 1990: Das Rettende in der Gefahr, S.254f, Zitat aus Dictionnaire de musique, Art. »Unité de mélodie«, ebd., S.255. Hervorhebung –JS; Hervorhebung Gesang – HW. Vgl. dagegen Wagner 1898: Oper und Drama. Zum Zusammenhang vgl. Theodor W. Adorno: Versuch über Wagner, in: Adorno: Gesammelte Schriften, Bd.13 (Die musikalischen Monographien), Frankfurt am Main 1997, S.7-148; zit. als Adorno 1997: Versuch über Wagner.
252
Vgl. Starobinski 1990: Das Rettende in der Gefahr, S.250f.
253
Adorno 1969/1997: Ästhetische Theorie, S.168-170.
254
Weswegen er in diesem Zusammenhang angeführt wird. Kant 1790/1969: KdU, §40, S.293; Hervorhebung – Edition ATA.
255
Kant 1790/1969: KdU, §40, S.295; das folgende Zitat ebd. S.296.
256
Wie gesagt, bei Kant ohnehin »überhaupt krankhafte Zufälle (Symptomen)« (ebd.).
257
Kant 1798/1969: Anthropologie, S.267; das folgende Zitat ebd.
258
Woran nach Kants Recherchen in den Sterbelisten offenbar mehr Menschen unerwartet versterben als an zehrendem Gram. Kant 1798/1969: Anthropologie, S.264f, S.255.
259
Was natürlich nicht moralisch gemeint ist.
260
Kant 1798/1969: Anthropologie, S.267; Hervorhebung – Edition ATA. »Leidenschaften sind Krebsschäden für die reine praktische Vernunft und mehrentheils unheilbar: weil der Kranke nicht will geheilt sein und sich der Herrschaft des Grundsatzes entzieht, durch den dieses allein geschehen könnte. Die Vernunft geht auch im Praktisch-Sinnlichen vom Allgemeinen zum Besonderen nach dem Grundsatze: nicht Einer [sic] Meinung zu gefallen die übrigen alle in Schatten oder in den Winkel zu stellen, sondern darauf zu sehen, daß jene mit der Summe aller Neigungen zusammen bestehen könne.« Kant 1798/1969: Anthropologie, S.266; Hervorhebung – Edition ATA .
261
Siehe Teil IV zur Relativierung von Perspektiven.
262
Kant 1798/1969: Anthropologie, S.270; Hervorhebung – HW; zum Folgenden siehe ebd., S.274f.
263
Erster Teil des »Systems der Wissenschaft«, dessen zweiter zunächst die »Logik« enthalten sollte, gefolgt von der »Wissenschaft der Natur und des Geistes«. Vgl. Hegel 1970: Phänomenologie, S.593, Selbstanzeige 1807.
264
Hegel 1970: Phänomenologie, S.144; Hervorhebung – Edition Moldenhauer/Michel, wobei ich meinerseits das zweite ›Selbstbewusstsein‹ unterstreiche. Alle weiteren Hervorhebungen in Hegelzitaten, wenn nicht anders ausgewiesen, Edition Moldenhauer/Michel.
265
Hegel 1970: Phänomenologie, S.145.
266
»Sie anerkennen sich als gegenseitig sich anerkennend«, in den Extremen der Bild- beziehungsweise Schirmproduktion »das eine nur Anerkanntes, das andere nur Anerkennendes«; Hegel 1970: Phänomenologie, S.147; Zitat S.146.
267
Hegel 1970: Phänomenologie, S.146f, die folgenden Zitate ebd. und S.146-153.
268
Siehe dazu die Untersuchung in Wilharm 2013: Magische Effekte.
269
Hegel 1970: Phänomenologie, S.153-155; die beiden letzten Hervorhebungen – HW; die beiden folgenden Zitate ebd., S.512, S.156.
270
Vgl. Peirce 1991: Semiotik und Naturphilosophie, S.473.
271
Hegel 1970: Phänomenologie, S.170f. Vgl. die Bestimmung der »Welt« bei Heidegger. »Welt als Ganzheit ›ist‹ kein Seiendes, sondern das, aus dem her das Dasein sich zu bedeuten gibt, zu welchem
308
ii ästhetik & philosophie der künste
Seienden und wie es sich dazu verhalten kann. Dasein gibt ›sich‹ aus ›seiner‹ Welt zu bedeuten, heißt dann: in diesem Auf-es-zukommen aus der Welt zeitigt sich das Dasein als ein Selbst, d.h. als ein Seiendes, das zu sein ihm anheimgegeben ist.« Martin Heidegger: Vom Wesen der Grundes, Frankfurt am Main 2004 (in: Heidegger 2004: Wegmarken, Gesamtausgabe Bd.8, 3. Aufl.), S.157; zit. nach der revidierten 3. Auflage des Aufsatzes aus dem Jahr 1949 als: Heidegger 1929/49/2004: Vom Wesen der Grundes; Hervorhebungen – Edition Gesamtausgabe Heidegger. 272
Hegel 1970: Phänomenologie, S.173; die folgenden Zitate ebd., S.174-177.
273
Hegel 1970: Phänomenologie, S.435f.
274
Zur Phänomenologie und Ästhetik des Flecks vgl. Friedrich Weltzien: Von Cozens bis Kerner. Der Fleck als Transformator ästhetischer Erfahrung, in: Ästhetische Erfahrung: Gegenstände, Konzepte, Geschichtlichkeit, Berlin 2006 (Sonderforschungsbereich 626); als Onlineressource erreichbar auf: http:// www.sfb626.de/ veroeffentlichungen /online / aesth_erfahrung / aufsaetze / weltzien.pdf. Die Gesamtpublikation auf: http://www. sfb626.de / veroeffentlichungen / online / aesth_erfahrung ; Zugriff 3_2014. Dort auch weitere Aufsätze zum Thema: Der Fleck als Paradigma von Transformation: Verfehlen zwischen ästhetischer Strategie und Autopoiesis. Ausgearbeitet in: Friedrich Weltzien: Fleck. Das Bild der Selbsttätigkeit, Göttingen 2011.
275
Kant 1798/1969: Anthropologie, S.272-276; Zitate in der Reihenfolge S.272, S.276, S.274f; letzte Hervorhebung – HW.
276
Georg Wilhelm Friedrich Hegel: Die Wissenschaft der Logik, hgg. von Eva Moldenhauer und Karl Markus Michel (d.i. G.W.F. Hegel: Werke in zwanzig Bänden, Bd.5), Frankfurt am Main 1970/1983, Bd.1, S.90; zit. als Hegel 1970: Logik, Bd.1; desgleichen siehe Hegel 1970: Phänomenologie, S.156.
277
Kant 1798/1969: Anthropologie, S.268f; die folgenden Zitate ebd., S.270f.
278
Siehe Starobinski 1990: »Verhasst ist mir jener...«, in: Das Rettende in der Gefahr.
279
Kant 1798/1968: Anthropologie, S.121f.
280
Vgl. Friedrich Nietzsche: Nachgelassene Fragmente 1887, 9, S.35, in: Friedrich Nietzsche: Werke. Kritische Gesamtausgabe, hgg. von Colli und Montinari, Berlin/New York 1967ff, und Nietzsche: Briefwechsel. Kritische Gesamtausgabe, Berlin/New York 1975ff in der Fassung der Digitalen Kritischen Gesamtausgabe Werke und Briefe (eKGWB), hgg. von Paolo D´Iorio auf: Nietzsche Source; d.i. http://www.nietzschesource.org; Zugriff 02_2012. (Die Ausgabe wird zitiert als Nietzsche 2009: eKGWB. Die nachgelassenen Fragmente daraus werden zitiert als: Nietzsche [Jahr]: NF, Gruppe, Stück oder Seite.)
281
Nietzsche 1887: NF, 9, ebd.
282
Nietzsche 1874/1969: Schopenhauer als Erzieher, S.361f.
283
Vgl. die Beiträge in: Fichte, Schleiermacher, Steffens über das Wesen der Universität. Mit einer Einleitung hgg. von Eduard Spranger, Leipzig 1910; zit. als Spranger 1910: Universität.
284
Zum Beispiel in dem gerade zitierten Sammelband (siehe das Vorwort Sprangers in: Spranger 1910: Universität) oder aber, mit »ontologischer Prätention« (Lyotard), von Heidegger in den 30er Jahren. Siehe Martin Heidegger: Die Selbstbehauptung der deutschen Universität (1933), in: Heidegger: GA, Bd.16: Reden und andere Zeugnisse eines Lebensweges 1910-1976, hgg. von Hermann Heidegger, Frankfurt am Main 2000, S.107-117; zit. als Heidegger 1934/2000: Universität. Vgl. auch Lyotard 1986: Postmodernes Wissen, Kapitel 9; siehe auch dort zu Delegitimierung und postmoderner Neurechtfertigung.
285
Der Begriff »Inszenierung« ist Nietzsche bekannt, gehört allerdings nicht zu seinem gewöhnlichen Wortschatz. Erstmals gebraucht wird die Vokabel 1879. Dabei bleibt es. Siehe Brief an Overbeck, 11.07.1779, in: eKGWB, BVN, 1879. Der zweite Nachweis in: Nietzsche 1886/1969: Menschliches II, §215. Der Ausdruck wird beide Male übertragen verwendet.
286
Nietzsche 1874/1969: Schopenhauer als Erzieher, S.326f; Hervorhebungen – Edition Schlechta.
287
So hat das »Klappern« der empirischen Psychologie bei den bei den Denkwirten, namentlich den Herbertianern, ein gewisses Echo gefunden, mit denen sich die Philosophen so tun können, »als ob sie sich wissenschaftlich beschäftigen«. Nietzsche 1874/1969: Schopenhauer als Erzieher, S.360.
288
Vgl. Nietzsche 1874/1969: Schopenhauer als Erzieher, S.330-342; S.358-363; Hervorhebung
309
– Edition Schlechta. Zur »Auslegung« vgl.: Nietzsche 1887: Genealogie der Moral, Vorrede §8; zur Problematik siehe Nietzsche 1886/87: NF, 7, (60): »Gegen den Positivismus, welcher bei dem Phänomen stehen bleibt ›es giebt nur Thatsachen‹, würde ich sagen: nein, gerade Thatsachen giebt es nicht, nur Interpretationen. Wir können kein Factum ›an sich‹ feststellen: vielleicht ist es ein Unsinn, so etwas zu wollen. ›Es ist alles subjektiv‹ sagt ihr: aber schon das ist Auslegung, das ›Subjekt‹ ist nichts Gegebenes, sondern etwas Hinzu-Erdichtetes, Dahinter-Gestecktes. – Ist es zuletzt nöthig, den Interpreten noch hinter die Interpretation zu setzen? Schon das ist Dichtung, Hypothese. Soweit überhaupt das Wort ›Erkenntniß‹ Sinn hat, ist die Welt erkennbar: aber sie ist anders deutbar, sie hat keinen Sinn hinter sich, sondern unzählige Sinne, ›Perspektivismus‹. Unsre Bedürfnisse sind es, die die Welt auslegen: unsre Triebe und deren Für und Wider. Jeder Trieb ist eine Art Herrschsucht, jeder hat seine Perspektive, welche er als Norm allen übrigen Trieben aufzwingen möchte.« (Hervorhebungen – Edition eKGWB). 289
Nietzsche 1874/1969: Schopenhauer als Erzieher, S.332-336.
290
Den genannten Schein nennt Nietzsche »ein feindseliges Gegenbild der deutschen Kultur [...], an die ich glaube.« Nietzsche 1874/1969: Schopenhauer als Erzieher, S.335.
291
Nietzsche 1877: NF, 22 (76); Nietzsche 1886/1969: Menschliches II, §278.
292
Peter Gallison: Einsteins Uhren, Poincarés Karten. Die Arbeit an der Ordnung der Zeit, Frankfurt am Main 2003; zit. als Gallison 2003: Einsteins Uhren; Werner Faulstich, Medienwandel im Industrie- und Massenzeitalter (1830-1900), Göttingen 2014; zit. als Faulstich 2014, Medienwandel; Volker Aschhoff: Geschichte der Nachrichtentechnik, Bd.2: Nachrichtentechnische Entwicklungen in der ersten Hälfte des 19. Jahrhunderts, Berlin u.a. 1987; zit. als Aschhoff: Nachrichtentechnik. Siehe auch Marcel Proust: Auf der Suche nach der verlorenen Zeit, Frankfurt am Main 2002. Zum Thema Geschwindigkeit in den Künsten vgl. zeitgenössisch: Walter Ruttman. Malerei mit Zeit, in: Walter Ruttmann. Eine Dokumentation, hgg. von Jean-Paul Goergen, Berlin 1989.
293
Interessanterweise stellt die Physiologie gerade das Gegenteil fest. Das Gehirn braucht mehr Zeit als gedacht, macht eine Pause und schafft Zwischenraum, bevor die elektrischen Impulse vom Geist an die Peripherie oder, umgekehrt, von der Peripherie an den Geist weitergeleitet werden. Vgl. Schmidgen 2009: Helmholtz-Kurven; siehe auch Jürgen E. Müller: Intermedialität als poetologisches und medientheoretisches Konzept. Einige Reflexionen zu dessen Geschichte, in: Intermedialität. Theorie und Praxis eines interdisziplinären Forschungsgebietes, hgg. von Jürgen Helbig, London 2009, S.31-40.
294
Nietzsche 1886/1996: Menschliches II. Der Wanderer, §278, in: Nietzsche 1969: Werke, Bd.1, S.983.
295
Nietzsche 1880: NF, 3 (166).
296
Friedrich Nietzsche: Über die Zukunft unserer Bildungsanstalten, Sechs öffentliche Vorträge, Vortrag IV, in: Nachgelassene Schriften 1872, eKGWB; zit. als: Nietzsche 1872: Bildungsanstalten.
297
Nietzsche 1876: NF, 19 (79).
298
Friedrich Nietzsche: David Strauss, der Bekenner und der Schriftsteller, in: Unzeitgemäße Betrachtungen. Erstes Stück, §6, Leipzig 1873, in: Nietzsche, Werke Bd.1, S.193; zit. als Nietzsche 1873/1969: David Strauss.
299
Nietzsche 1874/1969: Schopenhauer als Erzieher, §6.
300
Nietzsche 1881: NF, 11 (180); die folgenden Zitate NF, 11 (73)/(72)/(83).
30
Nietzsche 1887: NF, 11 (325).
302
Heidegger: Zeit des Weltbildes, Zusatz (6), S.95f. Zum Ertrag der Nietzsche-Vorlesungen siehe Martin Heidegger: Nietzsche. Erster Band, Pfullingen (3. Aufl.) 1961; zit. als Heidegger 1961: Nietzsche I. Zum Niederschlag der Vorlesungen in Vorträgen der frühen 1940er Jahre vgl. auch ders.: Nietzsches Wort ›Gott ist tot‹, in: Heidegger 1972: Holzwege; zit. als Heidegger 1943/1972: Nietzsches Wort.
303
Weshalb der »griechische Mensch« als »Vernehmer des Seienden« gelten darf und »im Griechentum die Welt nicht zum Bilde werden kann«. Zeit des Weltbildes, S.84.
304
Heidegger 1938/1972: Zeit des Weltbildes, Zusätze, S.94.
305
Heidegger 1943/1972: Nietzsches Wort, S.210.
310
ii ästhetik & philosophie der künste
306
Das ist, zur Erinnerung, »die von Platon begründete Auffassung des Seienden hinsichtlich seines Aussehens«. Siehe Heidegger 1961: Nietzsche I, S.95.
307
Heidegger 1943/1972: Nietzsches Wort, S.210f; Hervorhebung – HW.
308
Die von Heidegger an dieser Stelle (S.210) interpretierte Nietzsche-Stelle gilt den oben zitierten Aufzeichnungen zu Der Willen zur Macht von 1887/88 (zitiert in: Nietzsche: 1878/1879: NF). Dort heißt es: »›Der Gesichtspunkt‹ des ›Werts‹ ist der Gesichtspunkt von Erhaltungs-, Steigerungsbedingungen in Hinsicht auf komplexe Gebilde von relativer Dauer des Lebens innerhalb des Werdens‹«. (Hervorhebung im Zitat – Heidegger).
309
Heidegger: Nietzsches Wort, S.212.
310
»Die Sicherung des Lebensraums z.B. ist für das Lebendige niemals das Ziel, sondern nur ein Mittel zur Lebenssteigerung.«
311
In dieser Reihenfolge folgt Heidegger Nietzsche und zitiert aus den Anmerkungen zu Der Willen zur Macht: »›Wert‹ ist wesentlich der Gesichtspunkt für das Zunehmen oder Abnehmen dieser herrschaftlichen Zentren«, und etwas später ebenfalls aus Anmerkungen: »Die Werte und deren Veränderung stehen im Verhältnis zu dem Machtwachstum des Wertsetzenden.« Vgl. Heidegger 1943/1972: Nietzsches Wort, S.213 (Hervorhebung im Zitat).
312
Heidegger 1938/1972: Zeit des Weltbildes, S.S.91; das folgende Zitat ebd., S.69.
313
Heidegger 1938/1972: Zeit des Weltbildes, S.85. Politisch ist die Frage nach den konkreten Formen der »Grundstellungen der Subjektivität«, als Ich oder Wir, natürlich keineswegs irrelevant. Muss man dem Text der Vorträge wohl eine eher positive Gestimmtheit angesichts eines Kampfs gegen »das Unwesen des Subjektivismus« testieren, so finden sich in den späteren Zusätzen Formulierungen, die man durchaus als kritisch, zumindest aber problematisierend interpretieren könnte. Die Niederschlagung des subjektiven Egoismus und die »Einreihung des Ichhaften in das Wir« wird auch hier (Zusätze 9, S.102 ebd.) als Machtgewinn der Subjektivität insgesamt gewertet. Indes ließen sich die von Heidegger erinnerten Grundstellungen im Einzelnen durchaus als zunehmend problematisch begreifen. Je nachdem, ob sich dieses Wir bei seiner Einreihung »als Nation begreift, als Volk will, als Rasse sich züchtet [...,] schließlich zum Eroberer des Erdkreises sich ermächtigt.« Wie auch immer, für Heidegger ist dies eine der »neuzeitlichen Freiheit der Subjektivität [...] gemäße Objektivität«. Heidegger 1938/1972: Zeit des Weltbildes, S.103. vgl. Philippe Lacoue-Labarthe: Die Fiktion des Politischen, Stuttgart 1990/Basel 2009. zit. als Lacoue-Labarthe 1990/2009: Fiktion des Politischen.
314
... »jene philosophische Deutung des Menschen, die vom Menschen aus und auf den Menschen zu das Seiende im Ganzen erklärt und abschätzt«. Heidegger 1938/1972: Zeit des Weltbildes, S.86.
315
In historischer Wendung ist von hier aus ein alternatives Verständnis von Kultur(en) so gut wie ausgeschlossen. Als Beispiel nennt Heidegger die Spielart des Humanismus (»im engeren historischen Sinne«; Zitat ebd.), der es aufgrund der subjektzentrierten Weltsicht nicht möglich ist, eine außerhalb des Gesichtskreises des anthropologischen Zentrismus liegende Fragestellung zu entwickeln, insbesondere eine solche »nach dem Sinn, d.h. nach dem Entwurfsbereich und somit nach der Wahrheit des Seins, welche Frage sich zugleich als die Frage nach dem Sein der Wahrheit enthüllt.«(Zusätze (4), a.a.O. S.92.) Dies bedeutet u.a. ein Verdikt für alle humanistischen Auslegungen des »Griechentums«, will heißen: der griechischen Philosophie. Für Heidegger aber ist es undenkbar, dass die Griechen »Erlebnisse« hatten, wenn sie die olympischen Feste feierten. Vgl. Heidegger 1938/1972: Zeit des Weltbildes, S.86f.
316
Heidegger 1938/1972: Zeit des Weltbildes, S.92.
317
Vgl. Wilharm 2013: Weltbild und Ursprung.
318
Nietzsche 1876/1969: Wagner in Bayreuth, S.398.
329
Siehe Friedrich Nietzsche: Nietzsche contra Wagner. Eine Musik ohne Zukunft, in: Nietzsche 2009: eKGWB; zit. als: Nietzsche 1889/2009: Nietzsche contra Wagner.
320
So erläutert Ende der 1880er Jahre. Vgl. Nietzsche 1880: NF 14 (157).
321
Nietzsche 1876/1969: Wagner in Bayreuth, S.39. Ein durchaus zwiespältiger Vergleich, der mit der Zeit immer weniger positive Züge aufweist. Die Reformation ist die deutsche Antwort auf die Renaissance und zeigt, dass das Mittelalter in Deutschland nicht zu Ende ist. »Die Lutherische Reformation war in ihrer ganzen Breite die Entrüstung der Einfalt gegen etwas
311
›Vielfältiges‹, um vorsichtig zu reden, ein grobes biederes Missverständniss [!], an dem Viel zu verzeihen ist, – man begriff den Ausdruck einer siegreichen Kirche nicht und sah nur Corruption, man missverstand die vornehme Skepsis, jenen Luxus von Skepsis und Toleranz, welchen sich jede siegreiche selbstgewisse Macht gestattet… Man übersieht heute gut genug, wie Luther in allen kardinalen Fragen der Macht verhängnissvoll [!] kurz, oberflächlich, unvorsichtig angelegt war, vor Allem als Mann aus dem Volke, dem alle Erbschaft einer herrschenden Kaste, aller Instinkt für Macht abgieng: so dass sein Werk, sein Wille zur Wiederherstellung jenes RömerWerks, ohne dass er es wollte und wusste, nur der Anfang eines Zerstörungswerks wurde. [...] Die Verflachung des europäischen Geistes, namentlich im Norden, seine Vergutmüthigung, wenn man’s lieber mit einem moralischen Worte bezeichnet hört, that mit der Lutherischen Reformation einen tüchtigen Schritt vorwärts [...] und ebenso wuchs durch sie die Beweglichkeit und Unruhe des Geistes, sein Durst nach Unabhängigkeit, sein Glaube an ein Recht auf Freiheit, seine ›Natürlichkeit‹.« Friedrich Nietzsche: Die fröhliche Wissenschaft, 2.Aufl., §358; in: Nietzsche 2009: eKGW; zit. als Nietzsche 1887/2209: Fröhliche Wissenschaft. 1888 heißt es: »Die Reformation; Leibniz; Kant und die sogenannte deutsche Philosophie; die FreiheitsKriege; das Reich – jedes Mal ein Umsonst für Etwas, das bereits da war, für etwas Unwiederbringliches …« Friedrich Nietzsche: Der Antichrist. Fluch auf das Christentum, §61; in: Nietzsche 2009: eKGWB; zit. als Nietzsche: 1888/2009: Antichrist. 1889 dann schreibt Nietzsche: »Die Renaissance und die Reformation, Beide [!] zusammen machen erst ein Ganzes – die aesthetische Wiedergeburt und die sittliche Wiedergeburt.« Friedrich Nietzsche: Ecce Homo. Wie man wird, was man ist, §2; in: Nietzsche 2009: eKGWB; zit. als Nietzsche 1889/2209: Ecce Homo. 322
Für die Musik gilt die Reformationsanalogie versöhnlicher, selbst noch in der Wagnerkritik von 1889. Es ist dasselbe radikalere Denken, das auch für die Beurteilung Wagners gilt, nicht nur für die der Reformation. Beachtenswert die Zeitverschiebungen. »Erst in Händel’s Musik erklang das Beste aus Luther’s und seiner Verwandten Seele, der jüdisch-heroische Zug, welcher der Reformation einen Zug der Grösse gab – das alte Testament Musik geworden, nicht das neue. Erst Mozart gab dem Zeitalter Ludwig des Vierzehnten und der Kunst Racine’s und Claude Lorrain’s in klingendem Golde heraus; erst in Beethoven’s und Rossini’s Musik sang sich das achtzehnte Jahrhundert aus, das Jahrhundert der Schwärmerei, der zerbrochnen Ideale und des flüchtigen Glücks.« Nietzsche 1889/2009: Nietzsche contra Wagner 1, Eine Musik ohne Zukunft; Hervorhebungen – Nietzsche 2009: eKGWB.
323
Lacoue-Labarthe 1990: Fiktionen des Politischen.
324
Nietzsche 1876/1969: Wagner in Bayreuth, Zitate in der Reihenfolge S.398, S.397, S.404; Hervorhebungen – Edition Schlechta.
325
Vgl. Nietzsche 1888: NF, 14, (173): »Es scheint, eine kleine Hemmung, die überwunden wird und der sofort wieder eine kleine Hemmung folgt, die wieder überwunden wird — dieses Spiel von Widerstand und Sieg regt jenes Gesammtgefühl [!] von überschüssiger überflüssiger Macht am stärksten an, das das Wesen der Lust ausmacht.« Freud ist bekanntlich intensiver Nietzscheleser.
326
Platon: Politeia, IX,592b.
327
Friedrich Nietzsche: Die Geburt der Tragödie aus dem Geist der Musik, in Nietzsche 2009: eKGWB; zit. als Nietzsche 1887/2009: Geburt der Tragödie, §§; dasselbe in: Nietzsche 1969: Werke Bd.I, §7, S.19-134. In der Schlechta-Ausgabe: Nietzsche 1969: Werke Bd.I, S.44-49; zit. als Nietzsche 1872/1969: Geburt der Tragödie.
328
Es kann [sein, dass] »die Scene sammt [!] der Action im Grunde und ursprünglich nur als Vision gedacht wurde, dass die einzige ›Realität‹ eben der Chor ist, der die Vision aus sich erzeugt und von ihr mit der ganzen Symbolik des Tanzes, des Tones und des Wortes redet.« Nietzsche 1872/2009: Geburt der Tragödie, §8 (d.i. Nietzsche 1872/1969: Geburt der Tragödie, S.49-55).
329
Nietzsche 1872/2009: Geburt der Tragödie §7f.
330
Dieser »Trost erscheint in leibhafter Deutlichkeit als Satyrchor, als Chor von Naturwesen, die gleichsam hinter aller Civilisation unvertilgbar leben und trotz allem Wechsel der Generationen und der Völkergeschichte ewig dieselben bleiben. Mit diesem Chore tröstet sich der tiefsinnige und zum zartesten und schwersten Leiden einzig befähigte Hellene«. Nietzsche 1872/2009: Geburt der Tragödie, §7.
331
Nietzsche 1872/2009: Geburt der Tragödie, §7, §9.
312
ii ästhetik & philosophie der künste
332
Nietzsche 1872/2009: Geburt der Tragödie, §8; Hervorhebung – FN.
333
Nietzsche 1872/2009: Geburt der Tragödie, §7; Hervorhebung – HW; die folgenden Zitate ebd., §8f; §8; erste Hervorhebung – HW, die folgenden – FN.
334
Wie sie etwa in der Form von Direktpositivverfahren auch zeitgenössisch in aktuellen technischen Anwendungen Verbreitung fanden. Zitat: Nietzsche 1872/2009: Geburt der Tragödie, §9.
335
Nietzsche 1872/2009: Geburt der Tragödie, §7; alle weiteren Zitate der folgenden Absätze ebd., §7.
336
Vgl. Lacoue-Labarthe 2004: Poetik der Geschichte.
337
Nietzsche 1872/2009: Geburt der Tragödie, ebd.; Hervorhebung – HW.
338
Aus »Ekel vor der ganzen idealistischen Lügnerei«, wie er schreibt, und nicht zuletzt wegen Wagners Antisemitismus. Siehe Nietzsche 1888/2009: Nietzsche contra Wagner: »Wie ich von Wagner loskam«; Schlechta-Ausgabe, Nietzsche 1888/1969: Nietzsche contra Wagner, S.1054f.
339
Friedrich Nietzsche: Der Fall Wagner. Ein Musikantenproblem, in: eKGWB 2009, §11; zit. als Nietzsche 1888/2009: Der Fall Wagner, §§. Dasselbe in: Nietzsche 1969: Werke, Bd.III, S.905-938, Zitate §1, S.905f ebd.
340
Nietzsche 1888/2009: Der Fall Wagner, §1, ebd.; die folgenden Zitate §5, ebd. Schlechta-Ausgabe, Nietzsche 1888/1969: Der Fall Wagner, S.905f und S.912f; Hervorhebungen – Ausgabe Montinari.
341
Dieser Gedanke auch in: Nietzsche 1888/2009: Nietzsche contra Wagner: »Wo ich Einwände mache«. Schlechta-Ausgabe, Nietzsche 1888/1969: Nietzsche contra Wagner, S.1041f.
342
Nietzsche 1888/2009: Der Fall Wagner, §6, §4. Schlechta-Ausgabe S.914f, S.911. Schopenhauer ist nach Nietzsche 1888 gar verantwortlich für die Dekadenz Wagners, hat er doch dem »Künstler der décadence sich selbst« gegeben. Ebd., §4; Hervorhebungen – Ausgabe Montinari.
343
Nietzsche 1888/2009: Der Fall Wagner, §7; die folgenden Zitate ebd., §8f, §11, §7. Schlechta-Ausgabe S.916-918, S.914/915S.919, S.921, S.925-927, S.914.
344
Nietzsche 1888/2009: Nietzsche contra Wagner: »Wohin Wagner gehört«; Nietzsche 1888/1969: Nietzsche contra Wagner, S.1049f.
345
Siehe Nietzsche 1872/2009: Geburt der Tragödie, §22; Nietzsche 1872/1969: Geburt der Tragödie, S.120-124.
346
Christian Meyer: Die politische Kunst der griechischen Tragödie, München 1988, S.142; zit. als Meyer 1988: Kunst der Tragödie.
347
Vgl. Kapitel IV in: Meyer 1988: Kunst der Tragödie: »Tragödie Dionysos-Fest«.
348
Zitiert bei Friedrich Nietzsche: Homers Wettkampf, in: eKGWB 2009, CV,5, das ist: Fünf Vorreden zu fünf ungeschriebenen Büchern, Stück 5, Vorrede; zit. als Nietzsche 1872/2009: Homers Wettkampf. Dass. in: Nietzsche 1872/1969: Werke, Bd.III: Homers Wettkampf, Vorrede, S.293, S.294.
349
Siehe das Schicksal des Marathon-Siegers Miltiades. »Nach der Schlacht bei Marathon hat ihn der Neid der Himmlischen ergriffen.« Zitate: Nietzsche 1872/2009: Homers Wettkampf, S.294, S.298.
350
Ausnahmen bestätigen die Regel. Doch kommt es nicht von ungefähr, dass gerade Odysseus einen Wettlauf mit den Göttern gewinnen kann, wie Pausanias erzählt, der von der Brautwerbung des Helden um Penelope berichtet.
351
Was klarstellt, dass die ursprüngliche Tragödie nichts mit der Märtyrer- und Opfermentalität, ihrer moralischen Ausbeutung auch zu tun hat, die nach Benjamin – mit Nietzsche und Rosenzweig – schon Platons Sokrates-Portrait insbesondere in Apologie und Phaidon kennzeichnet. Von solchem »Märtyrerdrama« und »Heiligentragödie« aber sei die Tradition des Trauerspiels geprägt. Vgl. Benjamin 1972: Trauerspiel, S.116f. Benjamin zitiert hier Franz Rosenzweig: Der Stern der Erlösung, Frankfurt am Main 1911.
352
Vgl. Lacoue-Labarthe 1990/2009: Fiktion des Politischen.
353
Vgl. Jacques Rancière: Das Unvernehmen. Politik und Philosophie, Frankfurt am Main 2002; zit. als Rancière 2002: Unvernehmen.
354
Siehe unten in Teil IV das Lacan-Kapitel.
355
Slavoj Žižek: Tarrying with the Negative. Kant, Hegel, and the Critique of Ideology, Durham 1993,
313
S.201. Vgl. Chantal Mouffe: Über das Politische. Wider die kosmopolitische Illusion, Frankfurt am Main 2007, S.36-41; zit. als Mouffe 2007: Über das Politische. 356
Vgl. die beiden Schriften Freuds. Sigmund Freud: Das Unbehagen in der Kultur und Massenpsychologie und Ich-Analyse, in: ders.: Studienausgabe, Bd.IX, Frankfurt am Main 1974/1982.
357
Rancière 2002: Unvernehmen, S.111; vgl. Mouffe 2007: Über das Politische.
314
iii raumstrategie & entwurfsdiagrammatik
III raumstrategie & entwurfsdiagrammatik
Nicht nur die konkreten Räume des öffentlichen Schauspiels und der Inszenierungspraxis folgen einer Ordnung des Raums. Dasselbe gilt für ihre begriffliche Sondierung, sei es mit der Absicht, ihre Konzeptualisierung zur Geltung zu bringen und realiter umzusetzen, sei es im Sinne einer implizit oder explizit aktuellen Topologie. Immer handelt es sich um Bild- und Spiegelungs- und Projektionsprozesse, geprägt von konkreten Raum-Zeit-Anschauungen. Pure Situativität eines Für-sich zu imaginieren kann nicht genügen, wenn die Landschaft der Vorstellungsbilder reales Handlungs- und Schlachtfeld sein soll. Die ursprüngliche Veranlassung indes ist elementar, erinnert die in der Zeichenrepräsentation geltend gemachte Differenz von Signifikant und Signifikat, über die das Verstehen und Bedeutenlassen herrscht. Was geschieht zwischen Zeichenkörper (Repräsentamen), Objekt und Interpretant, Bedeuten und Bedeutung, prägt den Raum – und die Zeit. Soweit es dynamisch geschieht, wie die Semiotik Peircens es will, werden die Interpretanteneffekte dafür sorgen müssen. Da die generelle Repräsentationsqualität des Zeichens für jeden Operationsmodus der Zeichenwirkung in der semiotischen Ordnung gilt, lassen sich alle denkbaren Gestaltungs- und Ausdrucksformen anführen, gleichviel ob sie mit Blick auf ihre Gegenstände symbolisch, ikonisch oder indexikalisch synthetisieren. Dies vorausgesetzt, wäre auch in der topologischen Raummodellierung zu unterscheiden zwischen repräsentativer und strategischer Verwendung. Unabhängig davon steht, pragmatisch betrachtet, nichts im Wege, identifizierbare Topologien auch dann hinsichtlich ihrer raumstrategischen Brauchbarkeit zu analysieren, wenn sie selbst sich mit ihrem Interventionspotenzial nicht ausdrücklich befassen. Trotzdem kommt es zur Diskussion des Darstellungstyps – zur Klärung der Frage, welcher Mediengestalt die mutmaßlich zu praktischer Intervention geeignete Äußerungsform zu verdanken sein könnte. Nimmt man den mit der Moderne konventionell weitgehend vereinheitlichten Modus mathematischer Ausdrucksformen zum Beispiel, trifft man auf einen kombinierten Symbolismus aus Zahl und Operationszeichen. Vergleichbares, in gänzlich anderer Gewichtung freilich, findet sich bei Darstellungen der Allgemeinen Logik in der Kombination von operativer Symbolik, Aussagen- und Modalsymbolen. Textdarstellungen benutzen ihre eigenen symbolischen Codes. In der Welt der Bilder wiederum dominieren idealtypischerweise ikonische Darstellungen, deren Funktionalismus auf Ähnlichkeits- und analogischen Operationen beruht. Die den performativen Darstellungsweisen einbeschriebenen Zeichen oder Bezeichnungsfunktionen schließlich folgen bestimmten Aktionsmustern, die in ihrem Vollzug zum Ausdruck kommen. Auf diese Weise idealtypisch zu sondern bedeutet, Mischformen zu unterstellen, kombinierte Bild-, Schrift-, Symbolzeichen inklusive größere Zeichenmengen fassende ›Rahmung‹ (Layouts) bis hin zur ›negativen‹ Zeichenfixierung, in Bildserien, wie in Comic oder Film beispielsweise, durch Schnitt. Grundsätzlich ist jede Darstellung geeignet, den Logos bestimmter Raum- oder Zeitvorstellungen darzustellen, auch, versteht sich, die performativen Darstellungsformen, die an Organtätigkeit gebunden sind oder an technische Erweiterungen derselben. Ob ›originaltechnische‹ Zeichenrepräsentation außerhalb einer mitgedachten Verwendungsintention absichtsbegabter Akteure als »Darstellung« oder »Repräsentation« auszuweisen wäre, scheint zweifelhaft. Bestimmten Sequenzen von Lichtzeichen etwa wäre die signalisierende
315
Funktion für eine Raumordnung nicht abzusprechen, indes wäre die Funktion (auch heutzutage noch) kaum den Darstellungsoptionen der Technik zuzuschreiben. Nichtsdestotrotz, selbst in dieser Hinsicht könnte es darum zu tun sein, die Funktionstüchtigkeit solcher Signalgebung in strategischer Hinsicht zu ventilieren. Dies im Normalfall zu tun wird in der Regel einen Vergleich verschiedener Darstellungstypen und der von ihnen benutzten Operationsmodi nahelegen. Soweit die rein repräsentative Topologie über ihre eigenen Raum-Zeit-Anschauungen hinaus keine Modellwirkung beabsichtigt, müsste ihr der funktional operative Darstellungsvergleich nicht angetragen werden, entsprechend auch keine Diskussion über die nach Aufgabe oder Verwendung geeignete Gestaltungsform, die Modellierung zu diesem Zweck, geführt werden. Doch kann man sich auch anders entscheiden. Dass topo- und chronologische, das heißt theoretische Erörterungen zur RaumZeit-Formatierung im Verbund mit einer strategisch operierenden Topografie und Diagrammatik in praktischer Hinsicht unmittelbar mit dem »System der Sinnlichkeit«, mit der Wahrnehmungs- und Darstellungsästhetik zu tun haben werden, vor allem mit der visuellen aisthesis und deren Verarbeitung im Austausch mit der Ästhetik der Bildgestaltung, versteht sich. Ebenso fordern die emotionalen und affektiven wie auch die energetischen Reaktionen und Begleiterscheinungen der Sinnestätigkeit Berücksichtigung, wenn es um die Beurteilung möglicher strategischer Optionen bei der Entwurfsplanung für den gesellschaftlichen und privaten Auftritt von Individuen und Kollektiven geht. Der dritte Teil wird die genannten Aspekte diskutieren, wenn er einen Überblick darüber zu gewinnen sucht, welche subjektkonstitutiven, welche gemeinschaftsbildenden Kräfte in der szenografischen Entwurfsdiagrammatik figurieren oder unter Voraussetzung bestimmter Absichten figurieren müssen. Wir sprechen von der notwendigen Formatierung unserer Wahrnehmung und Sinnestätigkeit unter Bedingungen von Raum und Zeit. Freilich wird die Konzentration auf den Raum respektive auf die gestalterischen Entwürfe der Raumplanung in den Hintergrund treten lassen, dass es sich bei den uns interessierenden Fällen szenischer Gestaltung immer auch um Räume in der Zeit handelt, um chronologische Bestimmungen und historische Formatierungen. Die topologischen Erörterungen könnten dementgegen den Anschein erwecken, als rechtfertigten die Einsichten der Raummodellierung davon geleitete topografische oder diagrammatische Anwendungen ganz unabhängig vom historisch temporalen Kontext und Zuschnitt konkret intendierter Auftrittsplanung. Dies ist nicht der Fall. Entsprechend zu relativieren sind die systematischen Reflexionen, die wir heranziehen, die nicht aus Zeiten stammen – aus ›Kulturräumen‹ –, in denen die Legitimation strategischer Positionierung wo auch immer auf den Feldern sozialen Austauschs und sozialer Auseinandersetzung von einzelnen Spielern oder einzelnen gesellschaftlichen Gruppen besorgt wurde und keineswegs vom ›Volk‹. Der Ertrag der Raummodellierung hängt mithin davon ab, dass die damit verbundenen Handlungsszenarien in einen modernen demokratischen Legitimationskontext transformiert vorgestellt werden müssen, wenn die Demonstration Einsichten in die Ordnung inszenierungsgesellschaftlicher Usancen der Gegenwart erlauben soll. Der vierte Teil der Arbeit wird darüber hinaus noch einmal ausführlich darauf eingehen, dass die historische Relativierung ohnehin nicht nur politisch rechtliche Gesichtspunkte der Rechtfertigung betrifft, sondern, viel grundlegender, die Berücksichtigung der sozio-ökonomischen Einflussgrößen insgesamt unter Bedingungen der Zeit verlangt. Abgesehen davon betrifft die Legitimation durch ›das
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iii raumstrategie & entwurfsdiagrammatik
Volk‹ explizit zwar die Legitimation aller politisch gesellschaftlich relevanten, die ›Gemeinschaft‹ betreffenden Handlungsdispositionen. Sofern aber theatraler Auftritt und Inszenierungshandeln nicht minder bestimmend sind für Austausch und Verkehr von Individuen, darf man annehmen, dass die gesellschaftlichen Legitimitätsvoraussetzungen hier nur als Rahmenbedingungen gelten, keineswegs auch das Regiment über das einzelne szenische Spielgeschehen führen. Das »Recht des Stärkeren«, um ein Beispiel zu nennen, ist hier keineswegs tabu. Insofern versteht sich die Berechtigung, quasi anthropologische Verallgemeinerungen (man denke an die Beispiele Kants oder der Alten) auch in szenischen Details für aktuelle Verhältnisse engzuführen, eingedenk dessen, dass derartig ›artspezifische‹ Verhaltensweisen durchaus auf historischem Boden gewachsen sind. Vorstehender Einschränkung universalistischer Überdehnung von Raumperspektiven (einer topologischen Variante des »scholastischen Blicks«, sozusagen1) versuchen wir dadurch zu genügen, dass wir als reale Referenzräume aller Raummodellierung mit praktisch gestalterischen Ambitionen die Ambientes von Stadträumen und die Spektakel weltweiter Urbanisierungsprozesse vor Augen behalten.
iii.1 Diagrammatik An den Diskussionen der Kulturwissenschaften, die wir konsultierten, um zu Beginn des Raumabschnitts im ersten Teil der Arbeit die einschlägige Debatte um Topologie, Topografie und Diagrammatik zu sondieren, ließen sich, wenn man weitgehend absieht von reifizierend realistischen Varianten, so gut wie alle Formen der Raumkonzeptualisierung nachweisen. Auch fanden sich sowohl Konzepte, die Fragen zur Darstellungshierarchisierung oder metasprachlichen Fassung nicht thematisierten, als auch solche, die bewusst auf eine topografische Beschreibungs- oder eine topologische Modellierungsdarstellung zielten. Es leuchtet ein, dass topologische Fixierungen nicht ausbleiben können, ob ausdrücklich zur Debatte gestellt oder nur rekonstruierbar und ganz unabhängig davon, wie die Modelloptionen der Sache nach ausfallen. Soweit die Topologie aber identifizierbar ist, wird sie auch unter strategischen Gesichtspunkten ventilierbar sein. Dies vorausgesetzt, unterscheiden wir die epistemologische Fundierung der Raumanschauung durch Topologie und topologische Modellierung von den Anwendungsmodellierungen verschiedener Abstraktionsstufen durch Topografie – und Chronografie. Denn wir sagen dazu, dass die Topologie nicht zu trennen ist von der chronologischen Modellierung der Zeitdimensionen. Der ›Grafismus‹ der Darstellungsformate ist nicht generell als fixiert oder konventionalisiert vorzustellen. Einen solchen Anwendungsbezug aber nehmen wir an für den operativen Modus diagrammatischer Darstellung. Auch hierbei handelt es sich um idealtypische Festlegungen. Wir werden sehen, dass die Verwendung der Begriffe »Topologie«, »Topografie«, »Diagrammatik« lockerer geschieht und im Zweifelsfall auch die diagrammatische Darstellung (Zeichnung) als »Topologie« etikettiert wird, wenn sie im Konzeptualisierungs- oder Theoriemodus verbleibt. Exemplarisch treffen wir in diesem Zusammenhang auf Lacan, dessen Modellierung von Bewusstseinsräumen wir ebenso wie seine Diagrammatik der Blickfixierung in Bild- respektive Schirm-Projektionsräumen wir genauer untersuchen werden. Dass Konzepte und Pläne, Modelle und Entwürfe solche Topologie, Topografie und Diagrammatik in unterschiedlichen Formatierungen beinhalten, wurde hinreichend betont, veranlasst überhaupt die Beschäftigung mit der
317
Thematik. Mithin erscheint es konsequent, wenn der kulturwissenschaftliche Diskurs im Anschluss an die verschiedenen Drehungen zur Erörterung des Raums kultureller Projektion auch die Relevanz der Diagrammatik im Rahmen der Inszenierungsdispositionen und -dispositive prüfte.2 Dass der ›diagrammatic turn‹ der Kulturwissenschaften mit der Diagrammatik nicht von ungefähr auch die »Perspektiven eines neuen bildwissenschaftlichen Paradigmas« zu ventilieren forderte3, erstaunt ebensowenig.4 1
topologie, topografie, diagrammatik
Schließen wir an, wo der erste Teil endete, und inspizieren zur Einführung die topologischen Implikationen explizit raumdiagrammatischer Erörterungen im Anschluss an Lefèbvres Urbanisierungsgeschichte. Wir sehen darin eine Vorbereitung auf die Erörterung der Modellierung des Sozialen, die wir im Anschluss an Bourdieus Feldtheorie ans Ende des folgenden Teils stellen. Dass die inszenierungsgesellschaftliche Dimension der Inszenierungsordnung auf eine Betrachtung hinausläuft, die, wissenschaftlich gesehen, auf eine soziologisch sozialwissenschaftliche und politik-ökonomische Perspektive nicht verzichten kann, bedeutet nicht, in diesem Spektrum auf die philosophisch ästhetische, die kunst- und kulturwissenschaftliche, auf die medienwissenschaftliche Perspektive zu verzichten. Im Unterschied zum zweiten Teil, in dem wir Beiträge zum Inszenierungsdiskurs aus Philosophie und Kunst vorstellten, um uns mit der Formation des Szenischen vertraut zu machen, orientiert die Überschrift »Topologie und Raumstrategie« auf den Logos der Raum-Zeit-Konzeptualisierung, wiewohl in praktischer Absicht. Wir verlagern die Aufmerksamkeit damit auf die Formation der Szenografien. Vermittels ›logischer‹ Operationen dienen sie der Raumorientierung unter pragmatischen Vorzeichen. Dementsprechend gestaltet sich die Auswahl der Theorieansätze. Die Kunst – im sakralisierten Verständnis – wie die Künste – im profanen Sinne – erscheinen derart im Licht der Reflexion. Man könnte von einer Episteme der Inszenierung im Gewand einer Szenografie der Raumordnung sprechen. Hier liegt der Grund, warum man sich über den Alltag szenischen Handelns und szenifikatorischer Interaktion nicht nur bei den Wissenschaften des Sozialen erkundigen kann, sondern bei den Medienwissenschaften nachfragen muss. Dass wir es hier bei den sogenannten »Medienwissenschaften« mit einer Hybridkonstruktion wissenschaftlicher Theoriebildung zu tun haben, die sich im Einzelnen sehr unterschiedlichen Aufgabenstellungen widmet, sollte dabei nicht vergessen werden. Akzeptiert man aber die Verallgemeinerung, stehen generell formale Probleme des Verstehens, des Bedeutens und Bedeutenlassens zur Debatte, der Werkzeuge und des Werkzeugeinsatzes, der Strategien und Effekte. In diesem Sinne bleiben die Dinge nicht außen vor: Fragen der Informierung, der Aufbereitung und Verarbeitung von Information, Fragen der Übertragung, Formatierung und Präsentation, ganz allgemein des Vermittlungsgeschehens, wie es in den verschiedenen Dimensionen medialer Prozesse angesiedelt vorgestellt wird. Die Reflexionshinsichten werden im Folgenden vermehrt um die Dimension und die Modellierung der Logik selbst. Der Rationalität einer Ordnung der Inszenierung folgend, wird sie als ›in Szene gesetzte‹ Logik auftreten.
Blick der Macht & teilnehmende Beobachtung Erinnern wir die Konstruktion des Stadt-, Urbanisierungsraums. Lefèbvre legt seiner historischen Konstruktion, einer »Fiktion«, wie er sagt, ein simples Diagramm zugrunde. Eine waagerecht verlaufende Linie wird durch Teilung in gleiche Abstände,
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denen Prozentwerte von 0 bis 100 zugeordnet sind, zu einer Skala der Verdichtung des Urbanisierungsprozesses entlang einer Zeitachse vom Beginn der Stadtentwicklung bis zu ihrem vorläufigen Ende »gänzlicher Urbanisierung«. Die Linie »symbolisiert« ein Geschehen, das einem bestimmten Raum über eine bestimmte Zeit widerfährt. Raum und Zeit müssen dabei, wie es scheint, durch Symbolisierung gestiftet werden. Die Skala verläuft numerisch, wenn auch nicht grafisch ansteigend.5 Auch die erstaunliche Bemerkung Lefèbvres, dass es in der Konstruktion der Raum-Zeit aufgrund der Bewegung (»Kippbewegungen«) der Objekte und Ereignisse zu einer Umorganisation der Raumentwicklung im Geschehen kommt, führt in der Diagrammatik nicht zum Umbau. Allerdings muss solche ›Neigung‹ oder ›Verzerrung‹ dennoch mitgelesen werden, wie wenn man die diagrammatische Ansicht selbstständig gedreht hätte – was einiges aussagt über die praktische Handhabung topologischer Überlegungen zur Relationalität der in Beziehung gesetzten topoi und spatia. An Ort und Stelle (im Buch) bleibt eine entsprechende Operation aus, obwohl der grafische Nachvollzug des Umbaus, vielleicht auch eine simulierte ›Mobilisierung‹ der Einträge die Argumente des Soziologen durchaus zu unterstreichen vermocht hätten. Folgen wir Lefèbvres schriftlicher Erläuterung, ist die waagerechte Linie (die Zeit-/Wertachse) zunächst zur Raumachse aufzurichten und »als Senkrechte« zu betrachten. Es fehlt nun das Panorama eines perspektivischen Bildes. In der Kippbewegung geht es offenbar um ein Wechselspiel von Zeit und Raum. Was die Gestaltung, das Design betrifft, ist der Blick des Geistes und der Macht, von dem Lefèbvre spricht, offenbar ein streng szenografischer Blick, konzentrierter, aber eingegrenzter. Die scenografia entfernt sich von der istoria. Das Auge gehört ebenso offensichtlich nicht per se dem Historiker oder Philosophen, wohl aber der Wissenschaft und den Dispositiven. Macht und Geist bilden indes kein festes Paar. Der Geist etwa könnte sich im Widerstand befinden gegen die Macht, freilich nicht, indem er sich mit nichts als alternativen Absichten in gleicher Perspektive neben das Auge der Macht stellte. ›Lektüre durch Anschauung‹ vermittelt den wesentlichen Unterschied. Mit anderen Worten: die Differenz ist der Gegenstand dieses oder eines weiter transformierten Zeichenhybrids aus Text und Bild.6 Das historische Narrativ, dem wir eben noch gefolgt sind, hat damit nur indirekt zu tun. Die Differenz selbst ließe weder »Handelsstadt« noch »Industriestadt« auftauchen, böte allerdings die Möglichkeit, beide im Unterschied zu anderen zu konstruieren. Die Botschaft lautet: Erst aus der Differenz lässt sich ermessen, was die semiotische Figuration für den Gegenstand, hier »die Stadt«, bedeutet. Die Betrachtung der ›Vertikalen‹ im Vergleich mit der ›Waagerechten‹ (einer ichnografia) zeigt die Stadt nicht mehr als Geschehen, ›auf dem Weg‹, in Ansichten und Geschichten wechselnder oder vorbeiziehender Orte (Territorien), Zeiten und Räume (Agglomerationen von Mengen), sondern momentan, in der ortografia eines Aufrisses aus der Vogelperspektive. ›So zu blicken‹ bedeutet, den Plan zu verändern. Die Anweisung lautet, die Zentralperspektive einzunehmen und nicht zu verlassen. Mit der Linie verglichen, sind die vormaligen Geschehensorte darauf topografisch jetzt zu Nicht-Orten, zu einem »materiellen Punkt« geschrumpft, der als »physikalischer Punkt« zwar keine Ausdehnung, aber Masse besitzt und Energie. Es handelt sich um den Ausgangspunkt für das »Konzept der Trajektorie«.7 Umgekehrt ist der Schluss nicht weniger informativ. Der eingenommene Blick ist jetzt der einer theoretischen Physik oder Mathematik des Raums. Obwohl sich anschaulich szenische Räume und Zeiten hier verbergen, eröffnen sie sich in einer einzigen Konstruktion oder Berechnung, einer einzigen konzentrierten Zusammenschau oder im Lichtkegel
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eines einzigen szenografischen Entwurfs. Jedenfalls triff t dies zu, wenn man unterstellt, dass es nicht bei einem einmaligen Wahrnehmungsereignis bleibt, sondern, was so herausgegriffen ist, zur Darstellung, zu Ausdruck und Auftritt gebracht, also erneut einer ›Kippung‹, ›Neigung‹ oder ›Verzerrung‹ unterworfen wird. Dann werden die Ausbreitung oder ein »Feld« der Ausbreitung erkennbar. Auch hier reden wir mit einem Begriff der theoretischen Physik. Beschrieben wird eine eigenständige physikalische Realität, fern von Kategorien der Materialität. Abb. 1
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Ausbreitung und Wechselwirkung können ohne »instantane Wirkung auf große Distanz« vorgestellt werden. »Felder« dieser Art gehören in Hinsicht ihrer Quantität wie ihrer Spatialität zum Kontinuierlichen.8 Das ist beruhigend, denn Szenografie ohne Szene ist Metaphysik. Der topologische Blick, von dem wir reden, muss sich spätestens im Augenblick der Verlagerung der Achsen seiner Perspektivität bewusst und auf die entscheidende Differenz aufmerksam werden. Das ist ein praktischer Gewinn der Operation und stellt klar, dass die Diagrammatik statischer Figuration (entsprechend räumlich geometrischen Strukturierungen und Strukturen) nicht an ein Ende kommen kann, bestenfalls eine heuristisch strukturale und funktionale Momentaufnahme darstellt. ›Diagrammatic reasoning‹
Im Ergebnis der topologischen Überlegungen wird nicht nur deutlich, dass jede Szenografie auf ihre Performanz hin existiert, sondern dass es auch nicht mehr nur eine Szenografie und nur eine Szenifikation geben kann. Stattdessen sind mannigfaltige Szenifikationen zu denken, die sich von manifesten oder versunkenen Szenografien her ausbreiten. Ebenso erscheinen Szenografien, die sich aus den Energien ihrer verschiedenen Produktionsanteile speisen und zu Szenifikationen und Inszenierungen entfalten. Die Aussage, allerdings, wäre als Gesetz schwerlich zu beweisen. Sie verbleibt im Status einer im Einzelfall empirisch verifizierbaren vernünftigen Hypothese. Diagrammatic reasoning in der Anwendung auf empirisch Sinnliches meint eben das: ausgehend von keineswegs durch Übersicht gekennzeichneten Wahrnehmungserlebnissen versuchsweise, wenn auch gestützt durch Erfahrung und Phantasie, zu Hypothesen überzugehen. Dies sind Vorstellungen von der Angelegenheit, deren logisch relationale und visuelle Strukturierung, angewendet auf die Wahrnehmungen und verglichen mit ihnen, die Möglichkeit bietet, Relationen zu realisieren und Schlüsse daraus zu ziehen selbstverständlich über alle Register der Semiose hinweg und keineswegs auf ikonische Zeichenwirkungen beschränkt. Die Folgerungen lassen sich auf das Verhältnis von Gegenstand und Modell beziehen, um den Einsichts- und Urteilsbildungsprozess nicht veröden zu lassen, der jederzeit eine kreative Modulation des Wahrnehmungs- und Ereigniszusammenhangs und seiner Bestimmungen fordert.9 Dies entspricht in einem allgemeinen Verständnis dem applizierten Verhältnis von Szenografie und Szenifikation oder Inszenierung, wenn der Szenografie nicht einseitig diagrammatische im Verständnis einseitig ikonischer Qualitäten zugewiesen werden. Lefèbvre demonstriert dies am Beispiel Stadt. Bei der »historischen Stadt«, »der Handelsstadt«, »der Industriestadt«, handelt es sich um Begriffe eines konkret Allgemeinen, über die solche Hypothesen schon existieren, Bilder dieses Konkreten beinhalten. Doch gibt es zu wenig Überblick und Zusammenhang. Die Inhalte oder Informationen sind nicht vergleichbar. Die historischen ›Fotografien‹ tragen, verglichen mit den Bildern der topologischen Abstraktionen und ihrer Ikonizität und Indexikalität, eine andere Bedeutung. Mit ihrer Hilfe lässt sich eine Ordnung des Infragekommens und der Platzierung von Begriffen und Bildern gewinnen. Auch lässt sich die ontologische Umgebung bestimmen. Man kann versuchsweise Einsetzungen vornehmen, die zu rechtfertigen aufgrund gegenwärtiger Einsichten Anlass besteht. Solche Ontologie ist empirisch und praktisch. Im Exempel skizziert der Theoretiker die Topologie im Zuge seiner Darstellung in rudimentären Strichen selbst. Das erlaubt, Topologie, Topografie (oder Topografien), Diagramm und Raum (oder Räume) auseinanderzuhalten und ins Verhältnis zu setzen. Insofern finden sich im Zusammenhang des
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exemplarischen Gegenstandes »Stadt« unterschiedliche Abstraktions- und Konkretionsstufen abgebildet, auf welche die Raum-Turns der Wissenschaften abheben: ›Abbildungs-Räume‹ – Räume unmittelbarer oder auch technisch generiert mittelbarer ›Wahrnehmungen‹ derselben; sodann ›Vorstellungs-Räume‹ – Räume der auf diese Räume oder Raumbilder bezogenen Topografien qua Karten oder Diagramme inklusive aller selbstreferentiellen Varianten; schließlich ›Logik-Räume‹ – Darstellungsräume der Abstraktionen oder Schemata der Topologien mit ihren logischen, strukturellen und relationalen Raum- und Ordnungsanweisungen. Man wird kaum vernünftig begründen können, warum in Anwendungsperspektive nur ein Element der Raum-Turn-Spezifika wesentlich zum Verständnis beitragen können sollte. Es sei denn, man würde, wie im Fall spezifisch kartografischer Topografie gut nachweisbar, tatsächlich nicht nur eine Konkretions- oder Abstraktionsfigur, sondern womöglich auch nur eine der ihr verbundenen Gestaltungsmöglichkeiten privilegieren wollen. Wenn Lefèbvre immer wieder nachdrücklich darauf hinweist, dass sein Grafismus zusammen mit der symbolischen Beschreibung von Stadt und Urbanisierung tatsächlich einer Bewegung der Gegenstände selbst, einer Bewegung der wirklichen Stadt geschuldet sei, geht dies einher mit der Entfaltung einer relativistischen Beurteilung relativistischer Verhältnisse und einer Option auf den Internalismus. Das macht im Wesentlichen die Unterscheidung von Szenografie und Szenifikation aus und sinnvoll. Der ›szenografische‹ Blick als Blick ›von außen‹ beinhaltet ein Zweifaches: ein theoretisch szenografisches, epistemologisch technologisches wie ein praktisch szenografisches, technisch epistemisches Konzept. Die szenografische Perspektive insgesamt vereinigt idealiter den Blick der Szenografie in ihren beiden Souveränitäten, dem des werktätig kreativen und des theoretischen Souveräns. Beide Instanzen zusammen arbeiten an den Perzepten des Entwurfs. Das ist ihre Besonderheit und geht schon weit über die Besetzung gewöhnlicher Szenografie hinaus. Im besten – wie im gewöhnlichen – Fall werden Kunstfertigkeit und Gedanke von den Möglichkeiten, die Dinge ›von innen‹, am Ort von Geschehen und Handlung, selbst zu betrachten und mitzugestalten, angezogen. Der nichtsouveräne Dritte im Bund gilt in dieser Anordnung weder als Gestalter noch Akteur. Seiner Arbeit entspricht die Bezahlung und nicht das Werk. Die Szenifikation aber steckt zwischen den Sphären beim Stoff, zwischen dem ›Inwendigen‹ und dem ›Außenwendigen‹, wenn man an den Gottorfer Globus denken möchte. Deshalb liegt es nahe, anzunehmen, dass auch die nichtsouveräne Arbeit dort versteckt gehalten wird: in der ›Natur‹. Es handelt sich um ein hidden natural gesellschaftlichen Ausmaßes. Sich auf die Szene einzulassen bedeutet, quasi intern zu operieren, verbietet, die Dinge oder ihr Potenzial, welche die Szenifikation mit sich führt, zu externalisieren. Je nach Disposition zieht das Szene-Machen Geist und Plan einer aktuellen Gestaltungsidee dafür an – und ins Kalkül. So scheint es eine Möglichkeit zu geben, dass beide Körper der Szenografie in der Szenifikation zum Leben erwachen. Ist dies der Fall, wird der Realismus des Szenifizierens den dritten unsichtbaren ›Körper‹, der gewöhnlich außen vor bleibt, nicht unberücksichtigt lassen. Auch wenn die Produktionsverhältnisse es anders vorsehen, wird sich die Ökonomie der Anstrengung und des Widerstands seiner annehmen. Bessere Aussichten auf energetischen Ausgleich bestehen deshalb nicht. Im Gegenteil. Wir kommen darauf zurück. Überblick verschaffen kann sich das Szene-Machen nur aus der Situation heraus, in der memorialen und handlungsspezifisch präsenzbezogenen Aktivierung von Szenarien und Szenen. Dass die Betrachtung des Raums, der Stadt perspektivisch ist und die Perspektive auf eine Modellierung des Blicks und der Ansichten beruht,
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besagt mithin wenig. Man wird die Differenzen der Perspektiven, die Modelle und Strukturen, ihre ›Sprachen‹ und ihre Grammatik bestimmen müssen, um zu Sinn und Verstehen zu gelangen. Über den geeigneten Gesichtspunkt für die Orientierung kann, sollte »Orientierung« Handlungsorientierung meinen, notgedrungen nur im Feld selbst entschieden werden. Von dort aus muss auch die Rechtfertigung erfolgen. Unter Bedingungen vorausgesetzt abstrakter Externalisierung von Objekten oder Gegenständen (unter Bedingungen einer gesetzten Subjekt-Objekt-Differenz) ergibt sich solche Zwangsläufigkeit nicht. Hier reicht es, eben diese ›Orientierung‹, die Bewegung der Vergegenständlichung zu wiederholen. Mit anderen Worten: die externalisierende Perspektive bietet stabile Verhältnisse und Orientierung durch Wiederholung und Vervielfältigung der Objektrepräsentation im Möglichkeitsraum der ursprünglichen Setzung in Freiheit. Dies korrespondiert vollkommen dem inszenierungsgesellschaftlichen Pluralismus. Chancen auf kreative Variation in der Handlungspraxis werden indes auf diese Weise vertan. Dass vorgängig konzeptuelle Raum- und Zeitordnung schon szenebestimmend sein könnte, erscheint zweifelhaft. – Die konkrete Entwurfsplanung für gestalterisches Handeln wie auch deren Modellierung samt Topografie oder ›topografischer Szenografie‹ (wie man im Unterschied zur ›choreografischen Szenografie‹ sagen könnte) kann der Schematismus für Raum und Zeit nicht ersetzen. Ist der Bühnenauftritt faktisch gegeben, ohne möglichen Rekurs auf einen Entwurf, ließe sich ein ›nachgereichter Entwurf‹ denken. Er wäre fiktiv im Sinne einer konkreten szenischen Ereignis- und Handlungsbeschreibung, nichtsdestotrotz realitätsbezogen, sowohl auf ein neues Ereignis bezogen als auch auf die maßgebliche Szenifikation. Ihr Handlungskontext müsste freilich abgeschlossen sein oder als abgeschlossen gelten, bevor solche Nachreichung erfolgen könnte. Der ›scholastischen‹, zur Synthetisierung und Universalisierung neigenden Betrachtung der Raum- und Bühnenordnung mag zwar die Freiheit eines eigenen spekulativen Spiels entgegenkommen, auch mag sie ganz disparate Metaphern von Raumausstattung und Zeitplanung im Inszenierungsgeschäft beflügeln. Abgesehen vom Universalisierungsgewinn indes wird sie keine strategischen Positionen im Spiel der Kräfte szenischer Auseinandersetzung markieren und begründen können. Strategische Positionierung und Dispositionen setzten tatsächliche Szenifikationen, Machtspiele voraus, Ereignisse und Entscheidungen von Akteuren und Agenzien, denen Intentionen und Interessen, Zwecke und Zielvorstellungen zu unterstellen sind. Wenn wir also der Auffassung begegnen, dass die Eule der Minerva ruhig am Abend fliegen solle, wenn man nur am Morgen mit klugem Plan zur Hand gehen dürfe, wird man auch dieser Beurteilung folgen können. Es handelt sich schließlich lediglich darum, einen ›szenologischen Zirkel‹, wie man sagen könnte, geltend zu machen.
Diagrammatik, Design, Szenografie Die Diagrammatisierung topologischer und chronologischer Anschauungsschemata reklamiert die Sinnlichkeitsinstanzen für jede Art des Bedeutens und Bedeutenlassens. Daher wenden wir uns den Implikationen der körperlichen und Sinnenpräsenz im Ereignis- und Erlebnis-, Handlungs- und Gestaltungsraum zu und fragen nach der ›Anschaulichkeit‹ im Prozess des Verstehens und Verstehengebens. Von dort werden wir einigen grundlegenden Fragen möglicher Schematisierung und Diagrammatisierung dieses Prozesses nachzugehen. Der szenografisch gefasste Entwurf nimmt eine Mittelstellung zwischen der Konzeptualisierung auf Modellebene und der Exekution
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beziehungsweise Exposition auf Spielebene ein. Die ›bühnenbezogene‹ Frage, die interessiert, ist, in welcher Darstellungsform und in welchem Gestaltungsformat konzeptuelle Szenografien diagrammatische Darstellungen oder Diagramme beinhalten. Auch möchte man wissen, wie man Diagramme hinsichtlich ihrer zeichentheoretischen Verfassung und ihrer funktionalen Mächtigkeit beurteilen soll, schließlich, ob Diagramme die »zeichnende Hand« erkennen lassen müssen. Im Diagramm des Urbanisierungsprozesses bot der (wie auch immer im Details ausgeführte) Grafismus10 die Struktur- und Funktionsskizze einer analogen historisch strukturellen Entwicklung. Zu sagen, dass zwischen Diagramm und Ausgangstext beziehungsweise Entwurfsplan, als den wir den Text lesen, analoge Verhältnisse vorlägen, trifft die Sache nicht richtig. Die Behauptung wäre zu weit gefasst. Genauer betrachtet, betrifft die Analogiebildung die Bedeutung der Darstellung gewöhnlich von Texten oder Textteilen aus einem größeren Zusammenhang. Aber wie im Repräsentationsbeispiel Malerei/Gemälde belegt, ist die mediale Formatierung nicht auf Texte festgelegt. In schwächerer Form könnte man Vergleichbares schon für die bloße Erwägung oder Nahelegung bestimmter Korrespondenzen unterschiedlicher Zeichenwirkung annehmen. Bedeutung referiert auf Bedeutung. Die Diagrammatisierung oder die Formatierung nach Art einer Zeichnung – mit klassischen Ausdruck eines design, kann explizit oder implizit erfolgen. Mit dieser Verschiebung im Darstellungsbereich werden wir uns befassen. In jedem Fall dient sie der Verdeutlichung des Gemeinten durch ein erweitertes Feld der Konnotation11, wobei die hinzutretende Darstellung den Modus wechselt, um den Kontrast der Differenz zu verstärken. Zudem ist das Verhältnis der Explikation meist mit einem nicht ausdrücklichen Schluss gekoppelt. Angesichts der entwickelten Prämissen einer vorliegenden oder heranziehbaren Falldarstellung wird dasjenige Modell gesucht, das am besten geeignet ist, die unterschiedlichen Bedeutungen im Rahmen eines identischen Musters zu verstehen. Deshalb ist die Verwendung des Grammatik-Begriffs angemessen. Die Vorsilbe dia unterstreicht die Zeichen-, das heißt die Vermittlungsfunktion. Es wird ein Muster für die Lesart herausgehoben – weshalb mit diagramma im Griechischen auch eine Disposition verbunden ist, die Vorgabe einer »Skala«, einer »Tonart« oder die Verfügung sonst eines »Edikts«.12 Angesichts der designtheoretischen Problematisierung alternativer Theoriekulturen, die sich auf die hier diskutierten Unterschiede beziehen, geht es mithin nicht darum, im Sinne eines wiederbelebten paragone die Vor- und Nachteile zweier unterschiedlicher Theorie- und Methodenmodelle, hier einer symbolisch, dort einer grafisch ikonisch oder piktorial kodierenden Darstellung herauszuarbeiten und einem der beiden Modelle die Überlegenheit über das andere zu testieren. Diese Exposition verallgemeinert, ergibt sich erst das Ausmaß des vergleichenden Wettstreits. Die diagrammatisch gestaltende Darstellungsform stünde insgesamt für eine Tradition der Künste, genauer, einer entwerfenden und gestaltenden poiesis, die sich mit der episteme der Wissenschaften misst. Die ausgezeichnete Stellung im Konzert der artes verdankte der disegno insbesondere seinen Fähigkeiten, etwas den Sinnen eingängig vorzuzeigen und auf diese Art verständlich zu machen. Erst in der generalisierten Fassung eines Wettbewerbs von ›Kunst‹ – als verallgemeinerte Form der Gestaltungsweisen des disegno – und ›Wissenschaft‹ – als verallgemeinerte Form der Gestaltungsweisen der ratio aufgrund geistiger Vorstellungskraft und Urteilsfähigkeit – nimmt die Debatte auch in der Gegenwart wissenschaftstheoretisch Fahrt auf.13 Dabei geht es tatsächlich
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nicht um die Frage, wie es gelingen könnte, den Rangstreit begütigend zu entscheiden und zu einer kommunikativ befriedigenden Partnerschaft voranzuschreiten. Vielmehr lautet die Frage, wie die faktischen Gemeinsamkeiten des Bedeutenlassens von Künsten und Wissenschaften funktionieren. Vasari schon hatte klare Vorstellungen davon, warum dem disegno, der die Handschrift der Szenografie zeigt, mit Recht die Vaterschaft über die Künste angetragen werden konnte. Die Antwort war, dass kein Design ohne Urteilsvermögen und schlussfolgerndes Denken auskommen kann, weil der disegno wie jeder szenografische Entwurf stets »dem Urteilsvermögen die Erfindungen einer Sache abgerungen hat«, sich mit dem »Intellekt« dort zusammentut, wo er »geläuterte Konzepte voller Urteilskraft hervorbringt«. Die Frucht »vieler Jahre Studium und Übung« mag es dann sein, wenn der Entwurf tatsächlich »die Perfektion und Vortrefflichkeit der Künste und zugleich das Wissen des Künstlers offenbaren« kann.14 Die Entwicklung der hier vorgetragenen Argumentation entdeckt die diagrammatische Darstellung als Wiederbelebung der zeichnerisch gestalterischen Vermittlung auf dem Hintergrund einer Sichtung der Positivitäten der Inszenierungsgesellschaft. Dabei stellt sich heraus, dass ästhetisch gestaltende, sinnen- und empfindungssensible, intentional handlungsorientierte und theoriebedachte Entwurfsperspektiven empirisch miteinander vermittelt erscheinen, egal ob im Blick auf praktisch soziale oder darstellungsspezifisch geistige Produktionsfelder. Der Befund erhärtete sich zunächst bei der Sichtung der Inszenierungs- und Aufführungskulturen, im engeren Sinne der theatralen Praktiken und Konzepte wie in weiterem Verständnis gesellschaftlich spezifischer Inszenierungskultur. Im Folgenden kam es zu vergleichbaren Evidenzen bei der Untersuchung ding- und dingweltspezischer Produktion, Exposition und Analyse, sei die Stoßrichtung mehr künstlerisch artifizieller oder technisch explorativer und innovativer Art. Insbesondere hier fand sich die Geschichte des Wissens und der Wissenschaften involviert, beteiligt als Triebkraft erfindender wie gestaltender Art. Schließlich zeigte die Beschäftigung mit der gestalterischen Intervention unter dem Aspekt von Raum und Zeit, wie sehr die Räume des Auftritts und der Exposition als Wissensräume in Anspruch genommen werden müssen, wie sehr mithin die Szenografie der Raumgestaltung von Konzepten und Modellen theoretischer Raumplanung durchdrungen ist. Zuletzt wurde an den topografisch topologischen Dimensionen szenografischer Entwurfsplanung deutlich, was die Doppelnatur der sceno-grafia ausmacht: dass sie der zeichnenden Hand des disegno ebenso verbunden ist wie der intellektuellen szenischen Vor- und Darstellung. Aus diesem Grund gehört es zur Konzeption dieser Arbeit, die beiden Kulturen von vorherein in gegenseitiger Abhängigkeit voneinander wie auch in Kooperation miteinander zu thematisieren und nicht im Wettstreit, wie es die Diskussion um den Rang der Künste innerhalb des Reichs der Kunst und im Vergleich mit den Leistungen der wissenschaftlichen Tugenden bis in die Debatten um das Gesamtkunstwerk in der Gegenwart nahelegen möchte. Konzediert ist selbstverständlich, dass über diagrammatische Darstellungen, die Theoriefähigkeit zeichnerischer (nicht nur geometrischer) Darstellung und Koordination auch unabhängig von einer szenografischen Betrachtung nachgedacht werden kann. Ob die Frage nach der theoretischen Funktionalität einschlägiger Artefakte dagegen ohne Bezug auf symbolische (auch indexikalische) Bedeutungsproduktion behandelt werden kann, ist äußerst fraglich. Dies betrifft die Grundlagen der Designforschung und die Methodologie der Designtheorie. Die vorliegende Darstellung
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widmet sich schwergewichtig der Frage der szenischen Auflösung komplexen Gestaltungshandelns unter den widersprüchlichen Bedingungen variabler Scheinproduktion (›Inszenierung‹). Soweit sie unter Bedingungen konkreter Gestaltungsproduktion wo auch immer angetroffen werden kann, reklamieren wir sie unter dem Begriff »Szenografie«. Designtheorie wird also der erweiterten Szenografie substituiert.
Diagrammatische Typologie Wenn die elaborierte Fassung eines Textcodes in den Bereich einer ikonischen Repräsentation für die visuelle Wahrnehmung und der mit ihr erzielbaren Effekte ›übertragen‹ wird, soll ›das Bild‹, sei es Zeichnung, Diagramm, Schema oder Modell, ein Muster erkennen lassen, das in Darstellung oder Entwurf ebenfalls vorhanden ist, indes nicht in vergleichbarer Weise den Sinnen ›unmittelbar‹ eingängig erscheint. Der Text Lefèbvres hat das Ziel, in vernünftigen, nachvollziehbaren Behauptungen und Schlussfolgerungen darzustellen, in welchen quasi gesetzmäßigen Strukturen und Entwicklungen, welchem Muster folgend die Stadt »Stadt« wird und der Prozess der Urbanisierung ›sich darstellt‹. An einer bestimmten Stelle legt der Text darüber hinaus nahe, die ›Logik der Stadt und Stadtentwicklung‹ einer alternativen Darstellungsweise zu unterziehen, deren Repräsentation die Quintessenz der verschiedenen Schlüsse in einem einzigen Design zusammenfügt, um derart den Sinn des Gesagten zur Struktur des Urbanisierungsprozesses deutlicher noch hervortreten zu lassen. Die verwendeten Begriffe, die einem Diskurs über die Welt externer Tatsachen entstammen mögen, müssen nicht vorweg definiert sein. (Anders als die Zeichen eines logischen Kalküls etwa, deren Bedeutung aufgrund begrifflicher Festlegung auch dann konventionalistisch erzeugt wird, wenn sie aufgrund weiterer Darstellungen in Korrespondenz zu realen Kausalitäts- und Modalitätserfahrungen behauptet werden sollten.) Die Operatoren ansonsten dürfen alltagsprachlichen Begrifflichkeiten empirisch bekannter Tatsachenbeschreibungen entsprechen und in die Anordnung der Graphen mit hineingenommen werden. Historische Diagramme aus Architektur und Naturlehre, Seelenkunde, Medizin oder Philosophie illustrieren den Tatbestand. Die logische Notation hingegen bezieht sich in der Regel nicht auf eine ihr vorausgehende Darstellung, sondern notiert selbst den relevanten Kontext, auf den sich auch eine ikonisierte, diagrammatische Darstellung logischer Prozeduren bezöge. In der Umkehrung gilt für den empirisch interessierten Grafismus der Modellierung insgesamt, was gewöhnlich für die textliche oder alternative Darstellung gilt: Sie widmet sich dem strukturellen und funktionalen Gefüge ihres Gegenstandes, beispielsweise der Urbanisierung, nicht dem seiner Darstellung. Dies ist seiner Gestaltung zu entnehmen. Die Zeichen, die auf diese Weise vorübergehend zu Bedeutungen festgelegt erscheinen, werden weiterverwiesen an eine elaborierte oder überhaupt anders gefasste Darstellung; mit anderen Worten: an einen Diskurs der Interpretation, dem sie in der Regel auch entstammen, der nun aber angereichert auftreten könnte. Nur durch Weiter- und Rückverweis, durch Nachfrage bei der Interpretation wird die struktur- oder gestaltungspezifische Darstellung mit den Geschichten bekannt, für deren Form, Figuration und Bewegung sie aufkommen soll. Ein vorliegender Text gibt mittels impliziter oder expliziter Diagrammatisierung eine ›Lektüreempfehlung‹, in welchem Muster bestimmte Bedeutungen zu fassen wären, um auf anschauliche Weise gewisse Raumund Zeitordnungen an den Text und den zugehörigen Diskurs zu adressieren. Nur hier könnte mithin die Begründung für die Besonderheit einer szenischen Konfiguration zu finden sein.
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›Interne‹ Diagrammatisierungen nehmen eine aus einer schon vorliegenden Darstellung heraus entwickelte Mustergestaltung vor. Solche Darstellungen sind nicht als Entwurf zu verstehen. Denn als selbstständig existierendes ›Werk‹ repräsentieren sie, auch performativ, die Bühne, die als Referenz auch weiterer Diagrammatisierungen ihre Ansprüche stellt. Indem sich solche, gewöhnlich aus existierenden Texten abgezogene Mustergestaltungen selbst im Spiegel einer alternativen Darstellung relativieren, präsentieren sie einen Modus, wie sich Darstellungen reflexiv verhalten können, aber eben nur einen Modus. Einerseits handelt es sich also nicht um die einzige Variante möglicher Veranschaulichung oder Versinnlichung. Andererseits handelt es sich nicht um die allgemeine Normalform szenografischer Entwurfsformatierung, wenn man berücksichtigt, dass selbst Textformate wie der »Text« zum Theaterstück, das »Buch« zum Film oder auch die »Partitur« zur Sinfonie etc. der dramaturgischen und interpretativen Bearbeitung und Aufbereitung durch die Inszenierung bedürfen. Soweit die Prozeduren eines Diagramms den Anspruch erheben, ›sachanalog‹ zu demonstrieren, heißt die Aufgabe, dem Grafismus des Diagramms – des Schemas15, des Modells – folgend, funktionsanalog zu überprüfen, was bei Texten auf eine strukturale, semantisch syntaktische Analyse oder »Lektüre« hinausläuft.16 Sollte sich herausstellen, dass bestimmte Architekturen oder Funktionsweisen, die aus alternativen Wissenskontexten oder empirischem Studium bekannt sein könnten, mit Hilfe der Modellierung nicht erfasst werden, aber zum Darstellungsumfang des Diagramms gehören sollten, wären weitere Konstellationen und Optionen gefordert. Als allgemeine Bedingung gilt, dass sich jede Darstellung, die sich in ihrer Bedeutungsproduktion auf die eigene Zeichenwelt bezieht, mittels dessen auf externe Tatsachen oder Tatsachen der Semiose verweist. Erstellen wir eine Übersicht, um die Varianten diagrammatischer Konnotation zu typologisieren und um die szenografisch relevanten Varianten anhand distinkter, nicht spekulativer Kriterien leichter zu identifizieren. Die eingangs skizzierten topologischen Hinsichten unterschiedlicher (wissenschaftlich gespeicherter) Episteme sollen dabei berücksichtigt werden. Modell ›Wissenschaft‹ – intern selbstreferentiell, autorproduziert, hermeneutisch wissensraumorientiert (Typ a) Die einfachste Variante interner und selbstreferentieller Diagrammatisierung demonstriert das Lefèbvre-Beispiel. »Intern« und »selbstreferentiell« beziehen sich hier wie unter Typ (b) auf den Zweck der Modellierung anhand eines Diagramms. In diesem Sinne soll das Diagramm der Präzisierung der textlichen Darstellung dienen. Deshalb heißt »selbstreferentiell« nicht, dass sich das Diagramm auf sich selbst bezieht, sondern im Dienst bestimmter Aussagen, Argumente und Schlüsse der Darstellung steht. Der Autor einer Darstellung, gewöhnlich eines Textes, erläutert einen relevanten Gesichtspunkt seiner Darstellung mit Hilfe einer von ihm selbst zu diesem Zweck herangezogenen oder konstruierten Figur (eines Schemas, Diagramms u. Ä.). Die Strukturierung des Ganzen ist ›auf einen Blick‹ zu übersehen; auf eine lineare Gestaltung der Information (›Text‹) wird verzichtet. Von daher gelten als Prototypen solcher Darstellung Bild, Zeichnung oder Grafik im ursprünglichen Verständnis von disegno. Im Mittelpunkt der Diagrammaussage steht bei Typ (a) die ursprüngliche Darstellung beziehungsweise ein struktur- oder sachrelevanter ›Knoten‹, der die Diagrammatisierung veranlasst. Der Zweck der grafischen Demonstration liegt ganz bei der Aufklärung der herausgegriffenen, meist auf einen Aspekt konzentrierten Problematik des vorliegenden Werkkontextes. Die Rezipienten des Muttertextes sind
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eingeladen, diesen Bezug zu realisieren und zum besseren Verständnis des Textes zu nutzen. Vom Diagramm selbst veranlasste, weitergehende Interpretationen stehen gewöhnlich ebenfalls im Dienst der Texthermeneutik im Auffindungszusammenhang. Das strategische Feld der Auseinandersetzung, worauf das Diagramm zielt, ist die schon existierende Werkmanifestation, deren Positionen im Verlaufe der Diagrammatisierung und der von ihr angeregten Erörterung schärfer konturiert hervortreten (sollen). Es handelt sich um ein in den Wissenschaften geläufiges Verfahren, das, mehr noch als in kultur- und geisteswissenschaftlichen, in naturwissenschaftlichen Kontexten der Vermittlung zu finden ist. Modell ›Wissenschaft‹ – intern selbstreferentiell, hermeneutisch wissensraumorientiert (Typ b) Eine Variante des geschilderten Typs liegt vor, wenn eine existierende Darstellung mit Blick auf einen ihrer wesentlichen Aspekte eine Diagrammatisierungsempfehlung zur Einführung einer Figur ausspricht und begründet, deren Bauplan nicht aus eigener Hand stammt. Anhand der Folgedarstellung (Skizze, Diagramm, Modell) konzentriert sich das Interesse wiederum auf bestimmte interne Strukturen und/oder einem bestimmten Knoten entsprechende Begriffs- und Argumentationszusammenhänge. Die Interpolation von Ausgangstext und diagrammatischer Formalisierung, die der Empfehlung folgt, ermöglicht dann etwa, eine für das Verständnis der maßgeblichen Gesamtdarstellung relevante Hypothese geltend zu machen. Rezipienten oder Spieler, die der Darstellungssequenz aus ›Leit- und Folgeperspektive‹ nachgehen wollen, versuchen die strategische Aufstellung des Diagramms nachzuvollziehen, indem sie seine Struktur anhand der vorgenommenen Interpolationen überprüfen, ein eigenes Verständnis davon herantragen und mit Darstellung und weitergehenden Deutungen arbeiten. Ein Diagramm gemäß Typ (b) kann vom Autor der maßgeblichen Darstellung übernommen und instrumentalisiert sein. Möglich ist auch, dass das Diagramm gar nicht im Text realisiert ist, sondern textlich beschrieben der Konstruktion des Lesers überlassen bleibt. Die (piktoriale) Konstruktion oder Modellierung, die der Leser vollzieht beziehungsweise nachvollzieht, kann ohne Rücksicht auf den ursprünglichen Auffindungszusammenhang übernommen und dem neuen Kontext adaptiert worden sein. Als Beispiel dienen viele der in der zitierten Literatur zu den Positivitäten der Inszenierung reklamierten Diagrammatisierungsunternehmen. Immer wieder wird beispielsweise Foucaults Interpretation des Bentham´schen Panopticon aus Überwachen und Strafen aufgerufen. Die Untersuchung zur »Geburt des Gefängnisses« und den Dispositiven der Disziplinierung ist insofern maßgeblich für das Verständnis des Panopticon, als sie die Topologik entwickelt, im Rahmen derer die Topografie des Diagramms besonderes Verständnis produzieren soll. Der Diagrammatisierungsempfehlung des Autors zu folgen heißt hier im Übrigen, zur Erläuterung auf eine schon existierende Figur zurückzugreifen. (Dies dürfte die meistgeübte Diagrammatisierungstechnik im nichtperformativen Präsentations- und Manifestationskontext, vor allem in der Philosophie, den Kultur-, Geistes- und Humanwissenschaften sein.) Ursprünglich handelt es sich bei der von Foucault propagierten Figur um einen Architekturentwurf Claude-Nicolas Ledoux´ in durchaus heterogener Anwendungsorientierung. Man erkennt an diesem Beispiel, dass Geometrie, Diagrammatik oder Topologie der Raumanordnung (hier als Architektur) für sich genommen, so wie es der grafische Entwurf verobjektiviert, nicht zwangsläufig normative Vorgaben dafür machen,
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wie das Modell ›in der Stadt‹ zu gebrauchen wäre, ob, im Beispiel, zu Totalkontrolle oder schnellstmöglich hilfreicher Intervention oder eben intern, wie bei Foucault zum Beispiel, epistemologisch genutzt werden soll. Wenn im Panopticon als Entwurf selbst schon eine Gefahr drohen sollte, dann die aller technischen Potenziale, erst noch zu entfalten oder entfalten zu lassen, was der Entwurf für sich gesehen eben (noch) nicht vermag.17 Was das Modell für seine Realisierung mitbringt, liegt vornehmlich bei der Politik und Ökonomie, mit der das Arrangement im sozialen Raum behandelt wird.18 Hierauf sich zu beziehen wäre Sache der mit dem ursprünglichen Entwurf verbundenen diskursiven, literarischen und anders formatierten Diskursereignisse und der darin aufgemachten Frontlinien. Modell ›Wissenschaft‹ – intermediär, autorlanciert, entwurfsspezifisch wissensraumorientiert (Typ c) Mit Modell Typ (c) verlassen wir den internen, rückbezüglichen Referenzbezug zwischen existierender Darstellung (opus) und piktorial diagrammatischer Unterstützung noch nicht, wenden uns aber sowohl ›bühnenbezogenen‹ als auch diskursbeziehungsweise darstellungsbezogenen Entwurfsvarianten zu. Indes verbleiben wir zunächst bei der topologischen Orientierung auf Wissensräume. Zum Modell gehören idealtypisch alle Aufzeichnungen, Skizzen, Diagramme etc. zur Vorbereitung, Strukturierung und Konstruktion wissenschaftlicher Versuchsanordnungen und Experimente. Zwar stehen auch sie in der Regel einem diskursiven Forschungs- und Erfindungszusammenhang und seinen Ereignissen nahe, doch ist dieser in der Regel als zusammenhängend manifestierende Darstellung (textformatiert) nicht existent oder als solcher nicht bekannt. Abgesehen wird auch gewöhnlich von zusammenfassenden Darstellungen, die in Teilen oder vollends einen nicht mehr aktuell vertretbaren Forschungsstand wiedergeben. Dass die Ergebnisse solcher Literatur damit, zumindest implizit, zur Disposition gestellt sind (wenn auch gegebenenfalls nur in Details), ist offensichtlich. Die anhaltende Diskussion wie die neuerliche Aufnahme von Experimenten bestätigen dies. Der Typ (c) ist beispielhaft für naturwissenschaftliche Forschungsprozesse und die dort gebräuchlichen Experimental-Designs. Ein interner Referenzbezug existierender Diagrammatik ist in der Regel in der Form gegeben, dass die Ergebnisse der Experimente, die plan- und entwurfsgemäß aufgebaut und durchgeführt werden, aufbereitet und dem Forschungsdiskurs, am Ende meist auch einer Manifestation der Resultate wieder zur Verfügung gestellt werden.19 Als Varianten des Modells (c) ließen sich technische und Konstruktions-Skizzen beziehungsweise Diagramme verstehen, die keinen ausdrücklich experimentellen Aufbau planen, sondern auf die Realisierung eines technischen Artefakts zielen. Hier überschreitet die diagrammatische Repräsentation ihre Orientierung auf Wissensräume, um sich im Feld der Praktiken zurechtzufinden und zu navigieren, Kenntnisse und Kompetenzen auszutauschen und zu erwerben. Die Organisation des Entwurfs dehnt das Bedeutenlassen jetzt auf das, was Kant »etwas zu machen verstehen« nannte. Das Diagramm wird zur Handlungs-, Herstellungs- und Gestaltungsanleitung. Ob aus den Effekten oder dem ›Betrieb‹ technischer Entwurfsergebnisse diskursiv relevante Schlussfolgerungen zu ziehen sind oder ob sich die Leistungen gemäß Plan in der Realisierung erschöpfen, wird die weitere Differenzierung dieses Typs diagrammatisierter Entwürfe provozieren. Darunter werden sich etliche mit szenografischem Referenz-, das heißt ›Bühnen‹-Bezug befinden, zum Beispiel alle im weitesten Sine ›medientechnisch‹ relevanten Anleitungen.
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Modell ›Unterhaltung, Wissen, Künste‹ – intermediär, szenografielanciert, entwurfsspezifisch bühnenraum- & wissensraumorientiert (Typ d) Noch in der Nähe des Modells Typ (c) sehen wir den Forscher, der die wissenschaftlich experimentelle Demonstration popularisiert und ablöst vom internen Referenzbezug zwischen Design und Forschungs- beziehungsweise Wissenschaftsdiskurs.20 Die Demonstration gemäß experimenteller oder technisch konstruktiver Versuchsanordnung, zunächst mit Kopf und Hand entworfen, wird tatsächlich ›gebaut‹ und im Rahmen eines selbstständigen Auftritts in Szene gesetzt. ›Irgendwie‹ mag die Demonstration mit dem Erkenntnisinteresse am Gehalt der dargebotenen Vorstellung zu tun haben. Insofern hat sie Kontakt zu den Wissensräumen ihrer Herkunft und zielt in der Präsentation durchaus auch auf den kognitiven Mehrwert beim angesprochenen Publikum. Doch hat sich der Zweck der (oft temporären) Demonstration vom wissenschaftlichen Diskurs zumindest vorübergehend beurlaubt. Im Mittelpunkt steht jetzt die Kunst, die Dinge, bühnengerecht inszeniert, an ein in der Regel nicht eingeweihtes Publikum zu ›verkaufen‹. Entsprechend verschoben gegenüber den bisherigen Diagrammatisierungsvarianten zeigt sich das piktoriale oder ikonische Entwurfsszenario. Die Topologie steht jetzt im Dienst der Auff ührung. Beispielhaft die SchottGuericke-Inszenierung der Magdeburger Unterdruckversuche. Abb. 2
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iii raumstrategie & entwurfsdiagrammatik
Ob der topografische Aufriss selbst zu einem Artefakt gerät (Karte, Tableau, Grafik, Bild ...), das theatral in Szene gesetzt wird21, oder nochmalige ›Bühnenbearbeitung‹ die eigentliche Inszenierungsarbeit übernimmt: Die hier geübte Kunst dient der Popularisierung. Die Entwurfsproduzenten geben ihre Vorschläge in aufbereiteter Form an ein Publikum weiter, unmittelbar oder mittelbar. Von der Begegnung mit Manifestation, Demonstration, Vorführung etc. versprechen sich die Initiatoren Wirkungen, die der vorübergehenden Zwecksetzung zum Erfolg verhelfen. Niemand außer den Verantwortlichen ist ihnen vergleichbar mit den Details vertraut. Worin genau sie bestehen und welchen Einfluss sie auf Gestaltung und Durchführung der Demonstration genommen haben, bleibt ihr Geheimnis oder bedarf doch zumindest ausgiebiger Recherche außerhalb des Events. Verbunden mit einer passenden diagrammatisierten Entwurfsdarstellung bietet Typ (d) einen verbreiteten und offenbar attraktiven Typ szenografisch professioneller Planung insbesondere im profanen Bereich der Inszenierungskünste. Der Transfer der Zwecksetzung wie die temporäre, ereigniskonzentrierte Umlenkung der Intentionen der entwurfsverantwortlichen Instanzen indizieren die Überantwortung an ein komplexes mediales Gefüge, das sich einem Entwurfsauftrag auch in Eigenregie anzunehmen weiß. In welchem Ausmaß dies faktisch geschieht, illustriert die weltweite Industrialisierung solcher ›Inszenierungsdienstleistung‹. Für die szenografische Inszenierung insgesamt gerade diesen Typ zu adressieren beweist Realitätssinn und psychologisches Know-how. Im Unterschied nämlich zur konzentriert ästhetischen Gestaltungs-, Aufführungs- und Expositionsplanung, wie sie typisch ist für die sakralisierte künstlerische Inszenierung, kann die Medialisierung hier sowohl medienintegrativ als auch mediatisiert, medienentfremdet betreiben werden. Im ersten Fall würde die Aufführung oder Demonstration tatsächlich den Inszenierungsadressaten zugute kommen. (Ob auch oder ausschließlich im Unterschied zu den Initiatoren, wäre im Einzelfall zu prüfen.) In der zweiten Variante würde das Publikum instrumentalisiert und über die Inszenierung dem Vermittlungsgeschehen entfremdet. (In welchem Maße, wird wiederum genauer Analyse des Einzelfalls überlassen bleiben müssen.) Im Zweifel wüsste das Publikum nicht, was ihm geschieht, fühlte sich aber nichtsdestotrotz ganz wohl, soweit seiner Eitelkeit und Eigenliebe geschmeichelt wird. Besonders bemerkenswert an dieser Variante ist, dass ihr psychologisch auch dadurch zum Erfolg verholfen wird, dass die Verführung die ›Verführung zu wissen‹ nicht auslässt. Man mag es als eigentliches Geheimnis der Szenografie verstehen, emotionale, energetische und kognitive Verführungsreize zu setzen. Da eine solche integrative Szenografiekonzeption die Inszenierung durchaus zum seriösen Schauspiel bewegen kann22, beherrscht sie auch die seriösen Metiers, kann sich umso besser auch in der Kunst breit machen, um sie im Zweifel postspektakulär zu unterminieren. Die Rationalisierung des genannten Typs fordert die gesamte Palette der in den genannten Wissenschaften aufgehobenen Episteme, insbesondere das Wissen von Zeichen- und Mediengebrauch, Zeichen- und Medienwirkung. Modell ›Kunst‹ – intermediär, szenografielanciert, entwurfsspezifisch bühnenraumorientiert (Typ e) Da wir uns mit dem Modell Typ (e) auf dem Boden szenografischer Entwürfe im eigentlichen Sinn befinden und also unterstellen dürfen, dass Raum-Zeit-Entwürfe als Aufführungsdesigns vorliegen, werden wir den Bereich künstlerisch ästhetischer Spielplanung in diesem Rahmen typologisch noch einmal gesondert ausweisen, wohl
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wissend, dass er von Typ (d) jederzeit überformt werden kann. »Intermediär« bleibt als Auszeichnung erhalten, da die Performance durchaus wie bei Typ (d) daran interessiert ist, sich und ihre Botschaft im Gedächtnis zu behalten. Mithin lässt sich ein ›szenografischer Zirkel‹ beschreiben. Fokussiert, was die Diagrammatik des Exekutions- oder Expositionsentwurfs betrifft, wird der Idealfall, dass einem bereits formatierten oder performativ in Szene gesetzten Kunstwerk eine Entwurfsdarstellung zur Seite steht (oder geltend gemacht werden könnte), die im weitesten Sinne auch diagrammatisierte Materialien und Medien enthält. Die Formate umfassen diejenigen, die schon als eigenständige Produktionsleistungen szenografischer Arbeit vorgestellt wurden und entweder bei einzelnen ›Bühnenverantwortlichen‹ persönlich zu finden sind, bei den Institutionen, in deren Auftrag inszeniert wird, oder in einschlägigen Archiven. Das Modell ließe sich (willkürlich) ›personalisieren‹ oder (ebenso willkürlich) institutionenspezifisch mit Namen belegen. Man könnte Ton- oder Theaterkunst als Signatur benutzen, genauso gut Malerei oder Plastik, Bau- oder Gartenkunst, an Künstler jeder Art denken oder an paradigmatische Einrichtungen der Künste. Die passenden theoretischen Analysen dürften sich bei den einschlägig ›territorienbezogenen‹ Wissenschaften finden, aber natürlich auch in den Hybridwissenschaften, die sich exemplarisch auch mit der »Kunst« beschäftigen. Modell ›Wissenschaft‹ – intern oder extern, rekonstruiert (›nachgereicht‹), hermeneutisch oder empirisch analytisch, erklärend wissensraumorientiert (Typ F) Weniger als eigenen Typ diagrammatischer Planung (deshalb mit Großbuchstabe) denn als zeitliche Auffindungsvariable sollte man Typ (F) verstehen. Hiermit ist die Situation beschrieben, in der sich die topologisch topografische Strukturierung eines Werks der Raum-Zeit-Künste nicht als eigenes Dokument, Artefakt oder Modell auffinden lässt, aber von fremder Hand rekonstruiert wurde. Werk oder Darstellung wären mithin vorauszusetzen wie in Typ (a) oder (b). Die Diagrammatisierungsempfehlung ergäbe sich hingegen aus dem Diskurs, in den hinein sich die Beurteilung einer künstlerischen, wissenschaftlichen oder sonstig werk- oder bühnenreifen Leistung nach ihrer Vollendung verlagert hat. Hier handelt es sich meist um eine wissenschaftliche oder wissenschaftsähnliche Diskussion, in deren Mittelpunkt die Analyse eines abgeschlossenen Werks, einer beendeten Vorstellung oder Aufführung zu deren besserem Verständnis steht.23 Indes lassen sich auch kommerzielle Veranlassungen vorstellen, wenn man an rekonstruktive Analysen zur Planung eines Gemäldes, einer Statue, eines Bauwerks und an Ähnliches denkt, zum Beispiel, um eine bestimmte Zuschreibung zu erhärten. Insgesamt könnten wir hier von ›nachgereichten Entwürfen‹ sprechen, um sie dann anhand der Typologisierung von (a) bis (e) genauer zu spezifizieren. Dass solche ›nachgereichten Entwürfe‹ auch und in der Hauptsache als Typ (a) oder (b) zu vermuten wären, bedeutet, davon auszugehen, dass sie hypothetischer Natur sind, den Rahmen der Wissensraumerörterung auch in praktischer Anwendung (»extern«) gewöhnlich nicht verlassen und sich höchst selten (wie etwa, um ein kunstwissenschaftlich relevantes Beispiel zu nennen, im Fall der Laokoon-Gruppe) beweisen lassen wird, dass die Rekonstruktion einem tatsächlichen Entwurf entspricht. Es handelt sich um Erklärungsversuche und entsprechende Diskursbeiträge.
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iii raumstrategie & entwurfsdiagrammatik
Modell ›Wissen/Wissenschaft, Disponieren/Politik, Gestalten/Kunst‹ – intern/extern, rekonstruiert oder projektiv empirisch & analytisch, erklärend, ›politisch‹ (Typ G) Als besondere, statistisch bedeutsame Variante des Typs (F) wäre schließlich daran zu erinnern, dass die genannten ›nachgereichten Entwürfe‹ für jede Art performativ inszenatorischer oder überhaupt expositiv präsentativer Dar- und Ausstellung im privaten und öffentlichen Raum ›rekonstruierbar‹ sind: für die Auftritte auf den Bühnen des Alltags und die gewöhnlichen Szenen des Subjekts, die ihn ausgestalten. (Mit der erklärenden Diagrammatisierung werden wir uns unten am Beispiel Lacans für die Individualvariante, am Beispiel Bourdieus für die Kollektivvariante beschäftigen.) Die Arbeit ist in der Regel rekonstruktiv (oder regressiv progressiv im Sinne Sartres oder Lefèbvres), selbst wenn man zu diesem Zweck (zum Beispiel für Feste und Feierlichkeiten, Rituale und Zeremonien etc.) auf manifeste Choreografien (auch und nicht zuletzt visualisierter Art), auf Archäologie und Archiv zurückgreifen kann. Die hier anfallenden diagrammatischen Belege lassen sich beispielhaft in Soziologie und Sozialwissenschaften, Psychologie und Medizin, überhaupt in den Humanwissenschaften nachweisen. Ebenso trifft man darauf bei allen mit der Untersuchung und der Bewirtschaftung der Bevölkerungen und des Bewusstseins der Menschen befassten Institutionen, insbesondere in den dazugehörigen ›Diskursarchiven‹. Beispielhaft zu nennen wären grafische Auswertungen und diagrammatisch visualisierte statistische Dokumente. Als Zweck der ›Rekonstruktion‹ wird auch hier meist Verständnisförderung und Erklärung angegeben, gewöhnlich keine strategische oder politische Absicht eingeräumt, selbst wenn die Institution dazu autorisiert wäre. Parallel zur institutionellen Reihe (»Wissenschaft« / »Gestaltung« / »Disposition« oder »Politik«) ist folglich auch dieses Modell operativ (anhand der Reihe »Wissen« / »Gestalten« / »Disponieren«) vorzustellen. Dokumente dürften anfallen bei allen operativen Planungsabteilungen öffentlicher wie privatwirtschaftlicher Institutionen, bei Verkehrs- oder Städtebaubehörden zum Beispiel, bei Logistikunternehmen, Informations- und Nachrichtendiensten, bei Militär oder Polizei. Diese letzte Variante zu ›disponieren‹ gehört zu den Verfahrensweisen, deren einschlägige tabellarische, statistische oder grafische Quellen nicht unbedingt öffentlich verfügbar gemacht und meist erst nach ›Vollstreckung‹ entdeckt oder herausgegeben werden. (Man könnte die Erweiterung separat als »Modell Typ H« betrachten.)24 Modell ›Design-, Gestaltungswissen / -dispositionen‹, intern / extern, projektiv inszenierend, empirisch, ›sozial‹ (Typ I) Schließlich wäre das Modell einer nicht zwingend elaborierten, aber projektiven Entwurfsdiagrammatik denkbar, pragmatisch zu nutzen nach Geschmack und Bedürfnis in allen Lebenslagen. Das stilisierte Modell reklamiert Design- und Gestaltungswissen, aber auch einschlägige Dispositionen, mit Hilfe dieses Wissens zu Inszenierungsprojekten beizutragen. Im Unterschied zu Typ (H) fänden sich hier die profanen Welten der Einrichtung, auf Nutzer- beziehungsweise Konsumentenseite als Welten des Konsums und des Genusses, auf der institutionalisierten Seite als Warenproduktion und Kommerz. Alle Modelle der Typen (F) bis (H) lassen sich verbinden mit den Grundmodellen (a) bis (e), indes unter Voraussetzung einer Verlagerung der Anwendung in den Raum des privaten Verzehrs beziehungsweise seiner Befriedigung durch Deckung der Nachfrage. Als ›szenografische Medien im Privatbereich wären, soweit sie überhaupt
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nachweisbar sind, Einrichtungs- und Ausstattungskonzepte im weitesten Sinne, entsprechende Planungs-, Entwurfs- und Design-Unterlagen vorzustellen. Sofern sie nicht aus Verbraucherhand stammen, sind sie bei den professionellen Anbietern zu vermuten. Die Modellierung Typ (H), adaptiert an Typ (e) zum Beispiel, geschieht derart herum um einen internen und/oder einen externen ›Kreativnukleus‹: von der Verfertigung von Wohn- und Lebens-, Einrichtungs- und Ausstattungsplänen im engeren Sinne, dem Arrangement einschlägiger Ding-, Kunst- und Unterhaltungswelten über die Erstellung von Einkaufs- und Besorgungslisten, die Konzipierung von Rezeptvorschlägen und Bewirtungsideen, über niedergelegte Konzepte für persönliche performance und individuelles styling bis hin zum design und management für Ambientes und Atmosphären zu Anlässen aller Art. Als eine Art Schnittstelle zwischen Anbietern und Nutzern wäre der berufliche Auftritt zu berücksichtigen. Der Konsument wird auf inszenatorischem Gebiet allerdings unter Umständen selbst zum Anbieter, der Anbieter wiederum ist sicher auch Konsument sowohl im privaten als auch im sozialen Feld. Deshalb sind für die soziale Performance im Berufsalltag spezielle Vor- und Darstellungen inklusive aller möglicher Varianten von Selbstdarstellung anzunehmen. Die meisten Planungen und Entscheidungen verlaufen zweifellos in gewohnten Bahnen und auf gesichertem, deshalb nicht eigens zu inspizierendem oder projektierendem Boden. Dennoch wird die projektive Entwurfsdiagrammatik kein Phantom sein.
Freiheit & Grenzen szenografischer Planung Es ist evident, dass konkrete Entwürfe szenischer Gestaltung und szenifikatorischer Durchsetzung immer von verschiedenen Kräftefeldern beeinflusst werden und deshalb im Allgemeinen nicht ein Modell als hinreichende Diagrammatisierungsgrundlage angenommen werden sollte. Wir werden diese Einsicht von der Feldtheorie Bourdieus bestätigt finden. Die Diagrammatik des Entwurfs berücksichtigt den Rezipienten, der nicht unmittelbarer Adressat eines Entwurfs ist, nur ausnahmsweise, beispielsweise im professionellen Kontext von Auftragsvergabe und Auftragsannahme. So will es das klassisch ›soziale‹ szenografische Konzept. Für den kommerzialisierten Inszenierungsverkehr allerdings sollte man sich von dieser Vorstellung lösen. Hier sind alle Aufgaben, die eigens auszuweisen sind, auch mittels outsourcing zu erledigen. Die Inszenierung des Szenografen, um es auf eine Formel zu bringen, ist nicht die seine; er handelt im Auftrag. Trotzdem gibt es auch dann die Modellvorstellung vom Endabnehmer oder letztlich relevanten Adressaten. Für die Ordnung der Inszenierung allerdings ergibt sich aus dieser Zerstreuung keine geringe Schwierigkeit. Denn damit ist die Überzeugungskraft eines ›nachgereichten Entwurfs‹, der von der Hypothese einer direkten Beziehung zwischen Konzept, Planung und Entwurf und Realisierung ausgeht, in Frage gestellt. Es sind also keine Bedenken hermeneutisch interpretatorischer Art, die sich gegen den Entwurf richten, sondern praktische Gründe. Es sind Fragen des Vertrauens in die Inszenierungen des Alltags, denen keine Gebrauchsanweisungen beiliegen. Denn auch solche Inszenierungsvorstellungen können sich zur Befriedigung der mit ihnen einhergehenden Wünsche nur auf dem Markt bedienen. Die Vorstellung vom direkten Kontakt zwischen Szenografie und Szene könnte man die ›Künstlerhypothese‹ oder das Künstlermodell nennen. Darunter zu rechen wären allerdings nicht nur unmittelbare Beziehungsverhältnisse zwischen schöpferisch gestaltender Tätigkeit und ›Werk‹, wie man sie im Fall der »Kunst« im engeren Verständnis unterstellt.
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iii raumstrategie & entwurfsdiagrammatik
Der normale Rezipient oder Konsument wird die Perspektiven eines Angebots viel eher als nach ohnehin unbekannten oder undurchsichtigen Intentionen der Macher nach Kriterien beurteilen, welche die Auftritts- und Präsentationseffekte ins Licht eigener Vorstellungen und Bedürfnisse, Phantasien und Wünsche stellen. Diesbezügliche Abschätzungen vorzunehmen heißt für den Gestalter hingegen, wie in jeder szenografischen Entwurfs- und Planungsphase vorzugehen und die mutmaßliche Performance den nötigen Tests und Proben zu unterwerfen. Sich vorzustellen, wie ein fiktiver Rezipient auf eine szenografische Darstellung, mit der er konfrontiert ist, Einfluss nehmen könnte, ließe sich allerdings auch aus der Perspektive einer performativen ›Darstellung‹ schildern, ohne dass die dem hier sich einstellenden Bewusstsein dienenden Gestaltungseffekte in Widerspruch zur Geschichte treten müssten. Es könnte, mit anderen Worten, auf das Gleiche hinauslaufen, wenn die Abwicklung eines Entwurfs nicht im versetzten Zeitbild vorheriger Planung und nachheriger Einlösung, stattdessen im instantanen Bewegtbild eines einzigen Szenifikationszyklus vorgestellt würde. Die Piscator-Brecht-Bühne vermittelt ein klassisches Beispiel entsprechender Effekte. Idealerweise ist das aufgeführte Stück in diesem Modell für den Zuschauer zugleich mit der Darbietung in seinem Entwurfsstatus präsent und durchsichtig. So könnte ein wechselndes Publikum an der Realisierung des Werks tätigen Anteil nehmen, sich, gewissermaßen, im ›Chor‹ einfinden. Keine Aufführung verstünde sich als endgültige Inszenierung, sondern immer nur als transitorisch experimentell. Die dazugehörige Interaktionsform, allerdings, stößt an mediale und Formatgrenzen. Dennoch: die performative Praktik könnte grundsätzlich bei allen Auftritten Anwendung finden und experimentellerweise auch in Architektur, Plastik oder Malerei handhabbar sein. Wie wir sehen werden, ist dies nun aber keineswegs auf die Künste beschränkt, sondern gilt in ausgezeichnetem und statistisch weit relevanterem Maße auch für die kommerziellen Austauschverhältnisse. Längst heißt es hier nicht mehr, sich mit fremden Angeboten zufriedenzugeben. Die Szenifikationen erfolgen auch hier in einem zeitlich wie räumlich begrenzten Handlungsfeld, im Modus von Probe und Test, ähnlich bei zeitlich versetzten Entwurfsereignissen. Die Vorstellung von einem vermeintlich rollenfixierten Rezipienten wäre zu revidieren, muss einem Verständnis dynamisierter Verhältnisse Platz machen. Solche Verhältnisse gehören zu einem Handlungsszenario, das in komplexe Produktions- und Zirkulationsverhältnisse integriert ist. Projektive Entwurfsvorschläge als solche stehen nichtsdestotrotz in der Nähe freier überschaubarer, von daher tatsächlich ›künstlerischer‹ Gestaltungsvorhaben. Denn eine konventionelle Lösung spricht nicht per se dagegen, dass andere Lösungen möglich gewesen wären. Diese ästhetische Zwischenstellung ist bezeichnend für das, was wir »Design« nennen, anwendungsbezogen und durchaus zur Dienstleistung bereit und doch einer eigenen schöpferischen konzeptuellen und Entwurfsleistung verpflichtet. Insofern rekonstruktive Entwurfsvorschläge ebenfalls zu neuen Projekten Anlass geben können, wären sie auf dieselbe Weise nachvollziehbar ›projektiv‹ im Kant´schen Sinne zu nutzen. Betrachten wir unter diesem Aspekt noch einmal die ersten wissenschaftlich künstlerischen Modellierungsvorstellungen. Einem gewöhnlichen wissenschaftlichen Text aus nichtpiktorialen Elementen unter bestimmten Umständen ein Diagramm an die Seite zu stellen, das, ihn begleitend und stützend, eventuell besser als er selbst, zumindest aber ganzheitlicher und auf einen Blick dennoch detailreich vermitteln
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könnte, welche Bedeutungsfülle vor allem ästhetischer Art im Text wohnt, könnte Sinn machen. Und selbst wenn es nur darum zu tun wäre, eine einzige Ausdrucksnuance, die ohne eine derartige Fokussierung auf eine bestimmte Figur kaum Beachtung fände, herauszuarbeiten und ihr Kontur zu verleihen, würde dies den Aufwand rechtfertigen. Wo auch immer im Einzelnen die Begründung für Ergänzung oder Erweiterung, Verschiebung oder Substitution festgemacht würde, in jedem Fall könnte sie nur praktisch mit Erfolgen aufwarten. Es wäre zu belegen, dass bestimmte Schlussfolgerungen anhand des erläuternd erklärenden ›Bilds der Sache‹ tatsächlich anders ausfallen als ohne solchen Aufmerksamkeitszuwachs – wenn irgend möglich, positiv anders, zum Beispiel im Sinne größerer Transparenz des Geschehens. Insbesondere der Erfolg im interaktiven Nachvollzug des Schlussfolgerns und Konsequenzen eines praktischen Kompetenzgewinns wären als Kriterien der Rechtfertigung heranzuziehen.25 Dass die absolute oder relative, in jedem Fall situationsabhängige Privilegierung der opsis im Vergleich zur normalen ikonischen beziehungsweise diagrammatischen Unterbelichtung bei der Zeichenfunktion, Bedeutung zu generieren, generell angebracht und nützlich wäre, wird man indes nicht behaupten können. Denn selbst wenn die Abwehr von Täuschungen, die Verbesserung des Verständnisses dafür sprächen, könnte sich leicht auch ein umgekehrter Effekt einstellen. Gerade die ästhetische Gestaltung und Ausdrucksattraktivität könnte der Inszenierung zur Täuschung (»Blendung«, »Illusionierung«) dienen. Das Gegenmittel könnte nur in der Verpflichtung auf ständige Anwesenheit und jederzeitige Rechenschaftslegung der Entwurfsund Gestaltungverantwortlichen bestehen, auf kurzen Wegen der Nachfrage. Die Versicherung »what you see is what you get« ist jedenfalls nicht genug.26 Für die freie szenografische Konstruktion gibt es keine Beschränkung. Mithin spricht nichts dagegen, für einen bestimmten Objekt- und Ereigniskontext ganz nach Geschmack einen Modellrahmen, wenn hilfreich, auch in diagrammatischer Darstellung zu konstruieren. Auf welche Zeichen- und Bedeutungsbereiche bezogen, ist hier eher eine Frage an das Skript als an die topologisch topografische Modellierung oder die kategorialen Schemata. Die Konstruktion ist auf allen diesen architektonischen Ebenen frei. Gesetzt, die Inszenierungspolitik beziehungsweise ihre strategische Disposition steht dem nicht im Weg, könnte der Entwurf normative Transparenzvorgaben durchaus akzeptieren und sich zu Eigen machen. Mit der Modellbildung oder dem Plan würden die jeweils geltenden Konventionen für das Spiel offengelegt. Für die szenografische Behandlung eines entsprechenden diagrammatischen Feldes hieße die Folgerung vorzusehen, dass Akteure, Spiel und Regeln gegebenenfalls ›in progress‹, im Spielverlauf angepasst oder gar neu entworfen würden, ähnlich wie beim design eines neuen Spiels für den virtuellen Raum. Die Erläuterungen, einen Spielplan zu kreieren, einen schon gestalteten zu handhaben, müssten vielleicht mitgeliefert werden, rudimentäre Vorstellungen vom Geschehen in Form eines Narrativs sicher. Zumindest lautete so die Bedingung, wenn musterkonformes und regelgerechtes Verhalten der Akteure gewünscht wäre. Ansonsten könnte die Geschichte der Performanz der Akteure überantwortet bleiben. Neben der räumlichen Strukturierung wären die zeitliche Dimension des Geschehens, die Dauer des Spiels zu berücksichtigen und zu planen. Nicht nur müsste geklärt sein, über welche Räume hinweg die Regeln zu regeln autorisiert sind, sondern auch über welche Zeiten. Der Normalfall sähe vor, dass ein Tableau szenischer Übertragung oder Projektion als Performativ einer ereignis- und tatsachenschaffenden Inszenierung respektive Szenifikation genutzt würde, inklusive aller Varianten möglicher Konflikte und Konfliktbewältigung. Selbst auf dem Theater.
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iii raumstrategie & entwurfsdiagrammatik
Wollte der Aufriss dagegen dem Entwurf selbst auf die Spur kommen (in einer Art szenografischer Selbstbefragung und Reflexion), müsste die szenografische Selbstbesinnung den ›Szenen der Szenografie‹ gelten. Zu inszenieren im inszenierungsgesellschaftlichen Verständnis wäre hier kaum der rechte Platz, es sei denn unter obsessiv libidinösen Voraussetzungen. So oder so bedeutete solche Selbstbezüglichkeit von ›Szenografie‹ (auch für die sinnlicher Wahrnehmung eingängige Entwurfsformatierung – deshalb der Begriff »Perzept«) keineswegs zwangsläufig, der Selbstreferenz zum Opfer zu fallen, lost in translation. Denn gerade hier, in der epistemisch und ästhetisch technischen Produktionsansicht, beinhaltet Bedeutenlassen nicht einfach nur ›Wahrsprechen‹, ohne sich mit den Dingen beschäftigt zu haben. Vielmehr wird die Entscheidung darüber, in welchen Varianten die Szenifikation als Verwirklichung eines szenografischen Entwurfs auftritt – als Durchführung im Sinne eines schlussfolgernden Handelns sozusagen –, davon abhängen, in welchen Schritten, unter welchen Wertsetzungen solches Schließen seine Prämissen praktisch wahr macht.27 Wenn keine konkreten Darstellungsvorgaben artikuliert werden, bedeutet dies nicht, dass keine existieren und für diesen Fall eine Art creatio ex nihilo aufgegeben wäre. Man könnte sich eine Art ›Überschreibung‹ vorstellen, wobei die ursprüngliche Information nicht mehr deutlich erkennbar ist, wie bei einem Palimpsest. Gäbe es am Ende nicht mehr zu sehen als rudimentäre Kratzbilder im Fels, die Phantasie könnte sich bedienen, aber der Stoff, daraus neuerliche Szenen zu imaginieren, müsste anders noch als durch Deutung des Vorhandenen beigebracht werden. Szenische Teilhabe am Geschehen vergangener Tage wäre ohnehin kaum eine Option der unter diesen Umständen ins Auge gefassten Szenifikation. Wie auch immer der Übergang zur Szenografie eines manifesten Diagramms, das hier in Ansicht eines irgendwie Bedeutsamen erzeugt werden sollte, gedacht würde, der Spielbezug wäre auf jeden Fall projektiv. Alle Vergangenheit, alle Codierung vorgängiger Bedeutung würde herangetragen. Dies geschähe nicht willkürlich, sondern nach Maßgabe eines Passens, gemäß welchen Kriterien außerhalb des ästhetischen Raums auch immer, darunter indes die eines Wahrhaftigkeitsanspruchs. Selbst der Vergangenheit wäre nur durch solch gegenwärtigen Entwurf zukünftiger Szenifikation zu dienen, zum Beispiel in einer historischen Dar- oder Vorstellung, die sich an den verblassten Bildern entzündete und sich auf ihre Spur setzte.28 2
evidenz oder interpretation. analytischfiktionaler paragone (danto, goodman)
Ein Diskursbeispiel der Modellierung Typ (a) mit dem Schwerpunkt kunstphilosophisch ästhetischer Expertise finden wir in Arthur Dantos Œuvre. In Form einer in der analytischen Philosophie beliebten fiktionalen Beispielkonstruktion lässt Danto in seiner Philosophie der Kunst zwei Gemälde auftreten, die im Kontext seiner Argumente zur Erläuterung dienen, warum, was ein Kunstwerk ist, immer nur unter einer existierenden Beschreibung zu beurteilen ist.29 Die beiden fiktiven Arbeiten, die eingeführt werden, sind qua Publikation in der Philosophie der Kunst zweifellos reiner disegno, Zeichnungen oder Grafiken. Doch werden sie als Gemälde zweier unterschiedlicher Künstler behandelt, die zum Wettbewerb eingeladen wurden und diese Werke eingereicht haben. Als Zeichnungen wie gedruckt, sind sie nicht von Diagrammen unterscheidbar, sehr simplen Diagrammen. Der Schluss hieße, dass Kunstwerk und Diagramm im Exempel als dieselben erschienen: ein denknotwendiger, weil so
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offenbar realisierter, gleichwohl in Dantos Darstellung bestenfalls nachgelieferter Entwurf, der als Diagramm lesbar wäre, zugleich aber auch das ihm folgende verwirklichte Werk darstellte. Der Gegenstand der beiden offensichtlich abstrakten ›Gemälde‹ – ihr Realitätsbezug – soll wissenschaftlicher Natur sein, so die Fiction-Vorgabe. Die eingereichten Werke nämlich hatten der Aufgabenstellung einer Akademie Folge zu leisten: Eines der Bewegungsgesetze der Newton´schen Principia sollte künstlerisch thematisiert werde. Die Pointe nun ist, dass beide Einsendungen exakt dasselbe zeigen. Wären die Bilder zugleich Diagramme, gäbe es zwei identische Diagramme. Abb. 3
In einer szenografischen Konstellation, in der es darum zu tun wäre, den Entwurf nachzureichen, um den Gestaltungseingriff zu rechtfertigen, wären die Bedingungen der Bildidentifikation zu reformulieren. Die Randbedingung, dass zwei bildenden Künstlern eine bestimmte Aufgabe gestellt worden sei, müsste man streichen oder die Geschichte modifizieren. Man könnte etwa ersatzweise einen ›archäologischen‹ Zufallsfund konstruieren. Auf eine Aussage der Bilder, auch auf eine ihr eventuell zugrunde liegende Aufgabenstellung sowie daher rührende konzeptionelle Erwägungen wäre dann bestenfalls zu schließen. Oder die Geschichte wird weitergesponnen. Wie Danto es in der folgenden Diskussion auch tut, ließen sich die Randbedingungen der fiction verändern, um die gegebene Situation anzupassen. Man könnte zum Beispiel annehmen, dass die Jury anstelle der fertigen Werke irrtümlich, wie sich am Ende herausstellen würde, zwei wie Diagramme lesbare Entwürfe vorgelegt bekommen hätte. In diesem Fall könnte es wie bei Danto dabei bleiben, dass beide Künstler zu ihren Arbeiten ausführliche Erläuterungen mitlieferten. Allerdings ließe sich weder für die Archäologen noch für die von Danto eingeführte Jury kaum
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iii raumstrategie & entwurfsdiagrammatik
behaupten, dass es sich bei Fund oder Vorlage der beiden identischen Zeichnungen um zwei unterschiedliche Diagramme handeln würde, nicht jedenfalls mit Hinweis auf die (im Beispiel vorausgesetzte) Gestaltidentität. Selbst wenn die Experten aufgrund materialer Originalität der beiden Blätter zu dem Schluss kämen, dass sie zwei Originalgrafiken vor sich haben, die Zeichnungen als Diagramm gelesen, wäre ihnen bestenfalls möglich zu schließen, dass es sich um ein und dasselbe Diagramm in zwei identischen Ausführungen handelt – wie wenn es zwei Kopien wären. Die Erläuterungen, von denen die Geschichte aber im Gegenteil will, dass sie ganz unterschiedliche Entwurfsszenarien dramatisieren, wären damit, allerdings, nicht zu harmonisieren. Sie müssten unberücksichtigt bleiben oder Veranlassung geben, nach den beiden in Auftrag gegebenen, im Sinne der Kommentare offenbar unterschiedlichen Gemälden zu fahnden. Kämen Zeichnung oder Bild zur Thematik der Principia Newtons ohne Kenntnis weiterer Ausführungen als der als Entwurfsfassung gelesenen überhaupt in Betracht, lautete die Herausforderung, nach plausiblen Hypothesen zu suchen, die zuließen, die eine Figur des Entwurfs in irgendeiner vernünftigen Weise als Darstellung mit der Darstellung der Newton´schen Bewegungsgesetze in Verbindung zu bringen und diese Auffassung sachlich, nach Wahrheitskriterien zu begründen. Die ikonisch piktoriale Kodierung müsste einer symbolischen Kodierung (dem Text der Principia) adaptiert oder das Diagramm müsste selbst, symbolisch dekodiert, wie ein ›Text‹ gelesen werden. Würden sich außer den Zeichnungen selbst zufällig weitere Hinweise zur Deutung im Sinne eines wissenschaftlichen Diagramms finden (und würde damit die Beurteilung als künstlerische Zeichnung oder Gemälde hinfällig), würden sie wie alle anderen Beiträge zur Diskussion geprüft und in die Bewertung des Funds eingearbeitet. Alle Auffassungen indes, die von zwei unterschiedlichen Entwürfen sprächen, wären evidenterweise zurückzuweisen. Ein Entwurf ist, sozusagen, stets tiefer geistdurchtränkt als die in den Dimensionalitäten Hegels materialisierten Artefakte aus Einzelkünsten. Erst angeordnet auf der virtuellen Oberfläche der Sprache, hätten sich die vordem manifestierten Kunst- oder Medienformate aus ihrer bisherigen Raum-Zeit-Zuordnung befreit. Ein Diagramm muss etwas zu sagen haben, um als Entwurf zu lesen zu sein. Sollte es den Experten in den Sinn kommen, dass ihnen mit den bei Danto abgedruckten Blättern Entwürfe (diagrammatische Skizzen) vorgelegt worden seien, müsste man erwarten, dass die Fundstücke, selbst wenn ästhetisch vielleicht ›diagrammverdächtig‹, den Archäologen oder Jurymitgliedern als Modell oder Schema physikalischer Gesetzlichkeit (im Sinne der Principia) allzu unterbestimmt vorkommen und zu weiterer Hypothesenbildung kein Anlass besteht. Dass die beiden Zeichnungen dann dennoch, aus ganz anderen Gründen, als ›Kunst‹ reklamiert werden könnten, erforderte wiederum spezifische Expertise und Verteidigung. Dies unterstellt, ließe sich darüber spekulieren, ob mit Hilfe eines Verfahrens vergleichender Hypothesenbildung ein Kriterium zur Unterscheidung von »Diagrammen« im Diskurs der Wissenschaften im Unterschied zu einer Verwendung im Diskurs der Kunst festzumachen wäre. In den dedizierten Räumen der Kunst könnten dann tatsächlich zwei Kunstwerke ausgestellt werden, die womöglich zwei »Diagramme« darstellen, kreiert, obwohl völlig gleich aussehend, nichtsdestotrotz – und ganz beabsichtigt – von zwei verschiedenen Künstlern. Im Licht der modernen Kunst dürfte es damit keine Schwierigkeiten geben, der Hypothese (und damit auch Danto) zuzustimmen. Niemand allerdings würde solche Diagramme dann für Entwürfe halten.
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›Klarheit‹. Ein Kriterium der Diagrammatik? Freiheit & Grenzen der Interpretation
Abgesehen von den normalen grammatischen Konventionen, ist die Perspektive eines ›Sehens-, Hörens- oder Lesens-als‹ offensichtlich schwerlich streng normativ zu deuten. Jedenfalls lässt sich kaum vorstellen, dass jede Darstellung nach gusto unter der Beschreibung eines szenografischen Gestaltungsentwurfs gelesen werden müsste, als ob solche Modellierung sich den Darstellungsraum, auf den sie projizieren möchte, frei aussuchen könnte. Es handelt sich demnach nicht nach Wahl um Spielarten der freien Varianten des Modelltyps (e). (Denn für diese Anordnung [Modell ›Kunst‹ – intermediär, szenografielanciert, entwurfsspezifisch bühnenraumorientiert] unterstellten wir keine festgelegte Darstellung.) Die Kunst ist frei, heißt es. Die Beschränkung der Inszenierungsfreiheit liegt indes in der Realitätsbindung der Darstellung, für die die szenografische Einrichtung gelten soll. In der Modellbeschreibung hieße dies, die Installations-, die Bühnenraum-Bedingungen freizulegen. So gesehen wäre ein freies ›Lesen als‹ in der Regel ausgeschlossen. Denn immer existieren Kohärenz- und Konsistenzverpflichtungen. Die Antizipation der Verwendung (man könnte auch sagen die Intention) berücksichtigt dies. Allein wenn die Realitätsbindung der Darstellung zugunsten bloßer Deixis aufgehoben würde, änderten sich die Bedingungen, würden ›dem praktischen Kommunikationskontext‹ überantwortet. Man würde nicht ›rational‹ antizipieren wollen, sondern die Entscheidung zukünftiger Verhandlung überantworten. Doch tritt die Unterbestimmtheit von »Kommunikation« zutage. Zu »zeigen« im kommunikativen Handlungszusammenhang kann enorme szenische und szenifikatorische Effekte zeitigen – oder sich auf die ›Nulldimensionalität‹ sprachlich textlicher Explikation beschränken. Dann aber wäre die Verhandlung kein abzuwartendes Ereignis, sondern selbst schon gewissermaßen in die Antizipation zurückgeholt. Der Ersatz einer Objekt- durch Zeichenbindung könnte tatsächlich den Eindruck freier Gestaltungstätigkeit erwecken. Zwar handelte es sich um eine ›Bindung‹. Da so die Zeichen aber nur sich selbst verpflichtet erschienen, im Kreisen der Signifikanten verblieben und auch vorübergehende Fixierung nicht zuließen, würde solche Bindung besser als Befreiung vom Signifikat qualifiziert. Indes kommt genau dies einer Inszenierung gleich. Denn hier schafft sich die szenische Projektion der performance ihre Referenz wie aus freien Stücken. Wenn sie wollte, genügte ihr eine bloß semiotische Vorstellung. So jedenfalls könnte es erscheinen. Die Entwurfsgestaltung benötigt, auch nach diagrammatischer Vorstellung, eine besondere Ästhetik. Im Blick auf einen möglichen Transfer in einen neuen performativ szenischen Kontext braucht es eine Art Plan, eine Partitur, Choreografie oder eben eine Szenografie. In der Perspektive diagrammatischer wie szenografischer Kreativität und Intentionalität wiederum darf immer unterstellt werden, dass der Entwurf ›gebaut‹, ›umgesetzt‹ werden soll, nicht schon gebaut wurde und mittels szenografischer Rekonstruktion nur zu erklären wäre. Zu erinnern ist hier Kants Definition der Kunstzwecke. Zu ›bauen‹ bedeutet, »etwas zu machen verstehen«. Die Abhängigkeit der Machens-Proposition von einem intentionalen Ausdruck (»verstehen«), die in der Konstruktion anklingt (»ich verstehe, dass ›p‹ ... [wobei »dass ›p‹« beinhaltet, ... »dass etwas so oder so zu machen ist«]), fordert eine Qualifikation, deren Wahrheitsbedingungen nicht nur durch einen Satz gegeben, sondern praktisch bestätigt werden. (»Ich verstehe, dass dieses oder jenes so herzustellen, zu gestalten, zu konstruieren ist. Der Beweis ist: Ich tue es, mache es vor.«) Die Erläuterung Kants zu verschiedenen Aspekten und Gewichtungen der Künste ist also ebenfalls in Erinnerung zu rufen. Sie besagte, dass die Integration von episteme und techne über alle artes hinweg gilt: sei es
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als verstandgeordnetes Sinnlichkeitsspiel, sei es als sinnlichkeitsbelebtes Verstandesgeschäft. Beide Hinsichten sind für das klassische Modell der Szenografie zu postulieren. Szenografische Selbstreferenz, in der der Auftritt der Szenografie im Unterschied zur projektierten Performance in den Vordergrund einer Darstellung tritt, ist ein Sonderfall. Im Rahmen der Erweiterten Szenografie kommt er beispielsweise dann vor, wenn wissenschaftliche, dokumentarische oder archivarische Interessen im Vordergrund stehen. Durchaus können auch deren Bearbeitung und Gestaltung als ›Kunst‹, als installation, performing oder appropriation art auftreten. Hier würde weniger ›gebaut‹ (und wenn doch, dann eher zu Wiedererkennungszwecken und aus Vermarktungsgründen30) als sortiert, geordnet, beschrieben, dokumentiert, Übersicht geschaffen. Die Projektion auf eine mögliche Szenifikation beinhaltete trotz solcher Offenheit nichtsdestotrotz immer szenifikatorisch spezifische Handlungszwecke oder eine Art Werkorientierung, auch für ›Künstler ohne Werk‹. Für die Szenifikation der Selbstbeschreibung beziehungsweise deren Inszenierung als selbstreferentielle Performance gilt dies ebenso.31 Umgekehrt erscheint es gerechtfertigt, szenografischer Autorschaft gleichwohl solche Szenifikations- oder Inszenierungsziele und entsprechende Absichten zu unterstellen. Von den Rezipienten wissen wir, dass sie mit zu den agencies gehören, mithin in die ›Autorschaft‹ hineingezogen werden wie der Künstler in die Konsumentengemeinde.32 Beide verbinden sich in der Appropriation. Was aber darf als differentia specifica gelten, um derartige Ziele zu identifizieren? Ist eine bestimmte ästhetisch mediale Ansicht der ›Darstellung‹ hinreichend? Dass der Auftritt eines vorliegenden ›propositionalen Gefüges‹ (um den Inhalt verallgemeinernd unter eine Aussageform darüber zu bringen) in einer bestimmten Figürlichkeit und Kon-Figuration ausreichen können sollte, um den Sinn des Ganzen zu erfassen, scheint ausgeschlossen. Vor allem wenn man bedenkt, dass es bei solcher Opsis nicht um die präsentisch performative Anschauung der aristotelischen Poetik und ihres Theaters geht, sondern um eine diagrammatische oder, übertragen, eine szenografisch konzipierte Ansicht repräsentativen Charakters. Wenn dem so wäre, dass Diagrammatisierung grundsätzlich als Klarheit schaffende Formatierung betrachtet werden könnte, dürfte tendenziell jeder auf diese Weise zur ›Figuration‹ umkodierte ›Text‹ gemäß der disziplinär geordneten Landschaft des Wissens in je eigene »Gegenstandsfelder der Diagrammatik« zergliedert und seine (Re-)Komposition in dieser Art als ›modelliert‹ behauptet werden. Dies wäre nicht unabhängig davon, ob die Autoren der Darstellungen dazu selbst irgendeine Stellungnahme abgegeben oder eigene Vorschläge gemacht haben, aber sicher abhängig davon, dass eine von der communauté de connaisseurs bekräftigte Interpretation solche Stellungnahme, wo sie existiert, bestätigt oder zurückweist. Denn so oder so buchstabiert solche Legitimation, was es heißt, dass die ›Darstellungen‹, die im Zweifelsfall in nicht mehr zu überbietender diagrammatischer Reduktion auftreten können, qua Darstellung schließlich selbst als Interpolationen von Interpolationen aus Prozessen der Bedeutungsermittlung vorzustellen sind. Es zeigt sich, dass sie mit dieser oder jener Aussage, dieser oder jener Bedeutung – so oder anders – gewissermaßen aus sich heraus verstanden, interpretiert werden können.
Interpretation. Werkautonomie. ›Verklärung des Gewöhnlichen‹ Es ist der fiktive Rechtfertigungsdiskurs, der in Dantos Verklärung des Gewöhnlichen begründet, warum einem der beiden Künstler »J. und K.«, die dem Auftrag einer wissenschaftlichen Bibliothek nachgekommen waren, eine moderne malerische
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Umsetzung der Principia-Thematik zu versuchen, der ausgesetzte Preis zugesprochen wurde, obwohl – zur großen Überraschung von Spezialisten wie Publikum – beide Gemälde visuell bis ins kleinste Detail ununterscheidbar waren.33 – Die beiden »Gemälde« zeigen jeweils ein in der Mitte dominosteinartig geteiltes hochformatiges Rechteck, eine Grafik, die lediglich Umrisse und Mittellinie zeigt. – Die Begründung, die Danto über mehrere Seiten als Statement der Juroren literarisch entfaltet, lautet zusammengefasst: »Auf der Ebene der visuellen Unterscheidbarkeit lassen sie [die Werke – HW] sich [...] in keiner bedeutsamen Weise unterscheiden. Als verschiedene Werke werden sie durch Identifikation konstituiert, die ihrerseits durch eine Interpretation ihrer Sujets begründet werden.« Dass die Jury für ihre Interpretation in Dantos Geschichte ausdrücklich die Erklärungen der Künstler-Autoren, das heißt ihre sprachlichen Einlassungen berücksichtigt, ist allerdings bemerkenswert. Abb. 4
Es fällt, wie gesagt, leicht, die beiden ›Bilder‹ als Diagramme zu imaginieren oder in die Differenz von »Bild‹ und ›Diagramm‹ zu setzen – mit den diskutierten Konsequenzen.34 Die Frage ist, ob die Aussagen Dantos für die Diagrammvariante in Zweifel zu ziehen wären, ob in diesem Fall ein anderer Effekt die Ermittlung der Bedeutung leiten könnte als im Fall zweier unterschiedlicher, nichtsdestotrotz gleich aussehender Gemälde. Man könnte auch fragen, ob der Obersatz im Schluss über den Nutzen von Diagrammen, der lautet, dass, was sie darstellen, mit Hilfe vor allem ikonisch zu interpretierender Patterns aufgeschlossen werden könnte, tatsächlich zutriff t – selbst unter der Einschränkung, dass selbstverständlich Interesse daran vorauszusetzen
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ist, die verborgene, gewissermaßen eigentätige Demonstration im figurativen Spiel ihrer ›Anwendung‹ zu verstehen und nachzuvollziehen. Offenbar ist die Geltung der Prämisse abhängig vom Nachvollzug einer Übertragung oder Übersetzung. Eine der Konstellationen der gebundenen Variante muss in eine Version freier Ästhetisierung oder eine Version der ›Kunst‹ transformiert werden, um dort die Freiheit von ›interner‹, einer von der Sache ausgehenden Bedeutungsbindung zu gewinnen. In Dantos erster Geschichte ist dies ohne weiteren Kontext schwierig zu entscheiden. Scheinbar gibt es klare und gegeneinander abgrenzbare Bedeutungen selbst für den Fall visuell ästhetischer Unentscheidbarkeit – was widersprüchlich wäre. Die ›Übertragung‹ indes gilt spätestens seit Duchamps Ready-mades und den Transfers der Pop-art als symptomatische Ausgangslage moderner Kunstwerke und bestimmt ihren Werkstatus. Dem von Danto vorgestellten Fall zweier vollkommen gleich gestalteter Gemälde, deren Kunstwerkcharakteristik allein aus der bearbeiteten Thematik und Stellungnahmen dazu entnommen werden kann, steht der Fall gegenüber, der Dantos Kritik an Goodmans Unterscheidung von Diagramm und Kunstwerk veranlasst. Goodmans Fiktion ist auch anders gelagert als die von uns modifizierte Geschichte, die eine ›archäologische‹ Aufgabenstellung vorsieht. Jetzt lautete die Prämisse, dass zwei Exemplare desselben Artefakts ohne jeden Hinweis zum Erstellungskontext oder zur Gattung der Artefakte aufgefunden wurden und plausible Hypothesen zur Identität der Trouvaillen gefragt sind. Handelte es sich um Entwurfs-Darstellungen oder fertige Kunstwerke? In Goodmans Beispiel in Languages of Art 35 lautet die Frage zu den beiden aufgetauchten Blättern nun ausdrücklich, warum eines von beiden möglicherweise als »Diagramm«, das andere als »Kunstwerk« zu beurteilen sei. Man könnte meinen, dass die Fragestellung selbst schon absurd ist. Denn der hypothetische Diskurskontext, der von Goodman mitgeliefert wird, offenbart zu den beiden Artefakten zwei unterschiedliche Inventionsgeschichten, die hinreichend ihren Unterschied verdeutlichen. Die eine Zeichnung, so die Bedingungen, rühre aus der Hand eines Künstlers, die andere stamme aus einem technisch-apparativen Dokumentationskontext, der das Artefakt zweifelsfrei als technisch wissenschaftliche Darstellung erweise. Selbst die von Danto im Laufe der Diskussion vorgeschlagene Veränderung dieser Prämissen ändert nichts an der vorausgesetzten Differenz der Darstellungstypen. In Dantos Korrektur sollen beide Blätter nachweislich künstlerischer Produktion entstammen.36 Doch ergibt sich daraus kein wirklich durchschlagendes Argument für eine qualitative Unterscheidung, die mehr brächte als die Bestätigung von formaler Alterität angesichts zweier Artefakte. Insofern gibt schon die beiderseitige Adressierung als »Darstellung«, wie sie Danto vornimmt, zu Missverständnissen Anlass. Denn um eine Qualifikation dieser Art, indes gemäß unterschiedlicher Formatierung – hier als Repräsentation, dort, diese verweigernd, als informiertes Objekt – geht es in der Kontroverse. Die Bestimmung der Identität der Artefakte ist offenbar in keinem Fall allein aus der visuellen Erscheinung heraus zu erreichen. Selbst wenn Heideggers anwesendes Werksein unterstellt würde, gäbe es hier zu wenig Evidenz. Man wird demnach fragen, ob »Ikonizität« (allenthalben als Charakteristikum der diagrammatischen Zeichenpräsenz propagiert) überhaupt als ›Bild-Evidenz‹ gefasst werden darf. Mit Blick auf die Wissenschaftstheorie, in der Konsens darüber besteht, dass keine Beobachtung ohne Interpretation auskommt und alle Beobachtungstermini entsprechend theorieaufgeladen sind, würden, so Danto, »neutrale Beschreibungen« die Möglichkeit,
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Wissenschaft zu betreiben, torpedieren. Wenn denn, sollte man ergänzen, »neutral« heißt, nicht in jeder Situation, aber doch in the long run bedeutungsoffen zu bezeichnen. Danto glaubt, dass etwas »von der gleichen Art auch für die Kunst zutrifft. Eine neutrale Beschreibung anzustreben heißt, das Werk als ein Ding anzusehen und somit nicht als ein Kunstwerk: Der Begriff des Kunstwerks ist insofern analytisch, dass es auch für das Kunstwerk eine Interpretation geben muss.«37 Offenbar sollte man hier ergänzen: Im konkreten Fall eine neutrale Beschreibung anzustreben hätte genau diese Konsequenzen, die allerdings nicht aus Deduktion vorzustellen sind. Eine »neutrale Beschreibung« beinhaltet für Danto aber, wie es scheint, eine Ermittlungsstrategie eindimensionaler Objektdefinition ohne oder vor jeder Interpretation, das bloße Hinnehmen einer bleibenden Einprägung oder eines dauerhaften Eindrucks – »insofern analytisch«. Wenn, logisch betrachtet, zur Diskriminierung entsprechender Objekte allein Wahrnehmungskriterien zugelassen würden, hieße dies, dass die Wahrnehmung lediglich mit bestimmten Objekteigenschaften wechselwirken dürfte. Relational reichten solcher Beschreibung einstellige Prädikate. Tatsächlich, im Leben, braucht es mehrstellige Prädikate, »Drittheit«, wie Peirce sagt, oder Vermittlung. Nur so ist dem relationalen Gefüge der Darstellung beizukommen, die etwas für jemanden als etwas zeigt und sagt. Entsprechend wäre dann der Objekt- oder Ding-Begriff zu differenzieren. Das heißt nicht, dass ontologisch nicht über Erstheit und Zweitheit zu sprechen wäre.
Bild, Diagramm, Metapher, Allegorie – ›Darstellung‹, ein Text-Paradigma? Obwohl nun kaum daran zu zweifeln ist, dass alle Zeichenrepräsentanz auch ikonisch auslegbar ist, ist ein einliniger Schluss auf die Leistungen der ikonischen Darstellung, insbesondere im schlichten Sinne rein visueller Präsentation, nicht belastbar. Im Wesentlichen ist er es schon deshalb nicht, weil die Voraussetzungen nicht zutreffen. Der faktische Sinnbeitrag aller idexikalischen und symbolischen Kodierung wird bei solcher Engführung unterschlagen. Darauf zu verzichten heißt, Bedeutungskomplexität und -varianz zu riskieren. Eine vernünftige (Selbst-)Aufforderung zur Diagrammatisierung wird dies – je nach Modell variierend – berücksichtigen. Die Diagrammatisierung für sich birgt jedoch keinerlei neuartiges Paradigma, schon gar kein per se bildwissenschaftliches. Im Übrigen brächte es nur scheinbar eine Erweiterung des kunstwissenschaftlichen Aufgabenfeldes mit sich, stellte angesichts der zur Identifikation notwendigen Einbeziehung des Diskurses und der Reflexion über die Kunst in die Kunst eher eine Restriktion dar.38 Zudem wäre dies nicht die einzige ›Dimension Text‹, die zu berücksichtigen wäre. Denkt man an die Metaphorik, ist man eher geneigt, die Verbildlichung der Sprache bestätigt zu sehen. Denkt man an die für die szenografische Reflexion nicht wichtig genug zu nehmende Allegorie und ihre Geschichte, ist die Bildemblematik symboldurchsetzt, wie mit Text und mittels Text. Opitz glaubte, dass dies um der Allgemeinverständlichkeit willen so sei. Darstellungsbeurteilung von »Sinnbildern« – Bild oder Text, Bild mit Text, Text mit Bild – erfolgt gebrauchsorientiert. Benjamin zitiert Creuzer39: »Es ist daher auch der Unterschied beider Arten in das Momentane zu setzen, dessen die Allegorie ermangelt ... Dort (im Symbol) ist momentane Totalität; hier ist Fortschritt in einer Reihe von Momenten. Daher auch die Allegorie, nicht aber das Symbol, den Mythus unter sich begreift ..., dessen Wesen das fortschreitende Epos am vollkommensten ausspricht.‹«40
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Die szenografische Relevanz der Allegorie beispielhaft nachzuverfolgen, hilft das Studium berühmter Exempel. Man denke an die Ehrenpforte Kaiser Maximilians I., deren Nachbau zuletzt noch als Exponat in einer Frankfurter Ausstellung zu sehen war.41 Die Aufforderung zur Diagrammatisierung in den Varianten des Modells (a), (b), eventuell (c) entspricht eher einem gewöhnlichen ›Lese‹-Auftrag, am dargebotenen Geschehen in der Art seiner Gesamtpräsentation in Form und Inhalt und der von daher möglichen Bedeutungsermittlung Anteil zu nehmen. Dies zu gewährleisten, wird es in ausgesuchten Fällen nützlich sein, eine Erweiterung der Darstellung um eine zusätzliche Dimension von Gestaltung und Figürlichkeit, von Gestalten und Figuren herauszuziehen, anzubieten, vorzuschlagen oder zu Rate zu ziehen. Hinter solchen Versicherungen, Angeboten oder Vorschlägen stehen kommunikative Intentionen. Entweder sind sie im Diskurs schon festgelegt oder noch dabei, sich operativ zu behaupten. Der Interpretation mag, dies berücksichtigend, ein erweiterter Raum szenografischer Projektion zur Verfügung stehen. Welche Hinsichten des Verständnisses sind möglicherweise noch nicht ausgelotet? Hilft die Strukturierung mittels Modellbildung und diagrammatischer Darstellung von Architektur und Funktionalität? Sind Kompositions- und Szenografieaspekte herauszuarbeiten, die, mit den Narrativen verbunden, zu Einsichten führen, die anders kaum zu gewinnen wären? Wie bemerkt: dies alles gilt für den Fall existierender, erreichbarer, hinzuziehbarer Darstellung. Dass in dieser Hinsicht ›Text‹ in übertragenem Sinn verwendet werden sollte, liegt auf der Hand. Trotzdem sollte für eine ›Erweiterung‹ der Sinndimension mittels ikonischer Fassung zuerst die symbolische Formatierung in Frage kommen. Zu erinnern wäre nämlich, dass die Darstellungsdimensionen ins dreidimensional Dingliche ragen. Allegorisch emblematische Dokumente sind in vielen Fällen zugleich Monumente, vorzüglich in Renaissance, Barock und Romantik, die noch mit der Inszenierung der Ruine die Integration der Darstellungskünste demonstrieren. Es gab eine Vorstellung des Gesamtkunstwerks, die solche Synthese der Allegorie zuschrieb.42 Doch können auch elementare Ding- oder Werkpräsenzen zu Darstellungen instrumentalisiert werden. Mithin könnte es sich bei ihnen43 nicht nur um Texte handeln, sondern ebenso um Gemälde oder künstlerische Grafiken, um eine Plastik, ein Musik-, Tanzoder Theaterstück, um einen Film oder eine Multiple-Media-Kreation, genauso auch um ein Sportereignis oder eine politische Kundgebung.44 (Entsprechend verliefe die Modellöffnung im Sinne der aufgeführten Typen.) Die Darstellung, allerdings, muss dargestellt werden. Da dies in Texten gewöhnlich selbstverständlich erscheint, ist es anscheinend statthaft, textliche Darstellung zum Darstellungsparadigma zu erheben. Der Sinn einer jeden Diagrammatisierung ergibt sich indes aus der jeweiligen performativen Kommunikation und Interaktion zwischen der exponierten Darstellung, die zur Vorstellung gerät, und ihren Rezipienten, welcher Art auch immer, die daran teilhaben. Sollten solche ›Rezipienten‹ den Raum ›erlebter Darstellung‹ genauer vermessen haben wollen, genauer als es das bloße Erleben des Auftritts vermitteln konnte – ein Wunsch, den nicht unbedingt nur die analytisch oder wissenschaftlich Interessierten unter ihnen äußern könnten –, werden sie sich vielleicht an einer expliziten Darstellung und an der Visualisierung beziehungsweise Modellierung des Darstellungsraums versuchen. Das Motiv für letztere Konsequenz ist klar: womöglich auf einen Blick zu ermessen, was in der zeitlichen Abfolge des Geschehens seine Form verborgen hält, selbst in linear räumlich geordneten Strukturen.
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Damit aber wird eine weitere Bedingung deutlich, der die Szenifikationen, denen solche Formanalyse gelten soll, genügen müssen. (Abgesehen von der, dass erreichbares Material, das dienlich ist für die Vermessung, auch tatsächlich herangezogen wird.) Die Auftritte müssen wiederholt studierbar sein. Denn nur so ist eine Analyse möglich, die sich nicht auf dem Weg der Eingemeindung von Gebieten, zu denen bestimmte Darstellungen quasi a priori gerechnet werden, die Topologie erfindet, um sie in der Folge auf dem Weg einer Explikation der Topoi auf die Landschaften der Darstellungen anzuwenden. Es erhellt, warum ›Text‹ unter dem Postulat intensiver Auseinandersetzung mit der ›Darstellung‹ nicht zu deren formativem Paradigma taugt – wahrscheinlich auch nicht zum normativen Paradigma möglicher Modellierung. Nicht nur wäre der Einwand, dass ›geschlossene Darstellungsräume‹ – solche, deren Wiederbetreten unter ähnlichen Bedingungen keine Schwierigkeiten macht, da sich die exponierten Artefakte zwischenzeitlich nicht vom Fleck bewegt haben – nicht generell vorauszusetzen sind. Diesem Einwand wäre damit zu begegnen, dass also dafür gesorgt werden müsste, dass alle ›offenen‹, performativen Darstellungsräume (zum Beispiel die eines offenkundig theatralen Auftritts) mit Hilfe angepasster Archivierungstechnologien ›geschlossen‹, die Szenifikationen der Auftritte konserviert würden, um so die notwendigen Untersuchungen auch wiederholt zu gewährleisten. (Wie im Beispiel einer Schauspielschule.) Doch, wäre dies schon das Heilmittel, könnte man vergleichsweise berechtigt beim Textparadigma bleiben. Schließlich wäre unter diesen Umständen jederzeit eine ›Re-Lektüre‹ der Darstellung mit entsprechenden Konsequenzen für die Modellierung der Architektonik oder Komposition möglich. Ein gewichtigerer Einwand wäre indes nicht abgewiesen. Denn es könnte geltend gemacht werden, dass gerade mit der Konservierung zu Zwecken der Wiederholbarkeit Modellbildungen provoziert würden, die einen aus der Performanz gewonnenen Strukturplan nicht auf die Bühne zurückspiegelten, sondern, im Gegenteil, zu allgemeinen Modellen eines vorgeblich in Frage stehenden Darstellungstyps hypostasierten. Warum? Weil diese Modellierungsvorschläge zur Verobjektivierung ihres Modells gerade auf den ›subjektiven‹ Beitrag der Szenifikation, zu der die Interaktion zwischen Rezipienten und Darstellung notwendig gehört, gerne verzichten würden. Damit aber leisteten sie der Abstraktion »Gegenstandsfelder der Diagrammatik« erst Vorschub. Einzuwenden wäre, dass auch die Modellierung, genauso wie das Modellierte, als performative Szenifikation vorzustellen ist, dass gerade darin die Berechtigung begründet liegt, von einer szenografischen Modellierung zu sprechen – oder sie zu verlangen. Dies bedeutet, die Modellbildung selbst – wie die Szenografie – an die Aufführung zu überweisen und sich für ein ›Strukturdiagramm‹ zu bemühen, sozusagen um eine ›animierte‹, belebte Diagrammatik der einzelnen interaktiven Szenifikationen, nicht um ein statisches Diagramm, sondern um ein Bewegungs- und Zeitbild. Alles andere jedenfalls bliebe Inszenierung einer mehr oder weniger dogmatischen Szenografie. In relativistischer Perspektive gibt es keine Legitimation dafür, auf einem Standpunkt zu beharren. Unter Bedingungen der Darstellungsperformanz erscheint die szenografische Modellierung nicht nur unter dem Aspekt einer rekonstruierbaren vergangenen Entwurfsplanung, aus deren Perspektive her sie das ›gebaute‹, das realisierte Projekt verkörpert – das Buch, das Gemälde, die Oper. Sie erscheint ebenso als die Antwort auf die erfolgte Szenifikation, als Antwort auf die darin schlummernde Herausforderung zu erneuter Reflexion und Projektierung, um das Projekt nicht erstarren zu lassen. Insofern ist der Ort des Einstiegs in die Abfolgen
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von Szenifikation und Szenografie, Auftritt und Entwurf vergleichsweise nebensächlich. Folglich wäre das verflüssigte Modellierungsresultat, gewissermaßen ein ›Film‹ über den Raum gewisser Szenifikationen, leicht wieder selbst Ausgangspunkt weiterer topologisch chronologischer Anstrengung. Ganz abgesehen von denjenigen diagrammatischen Artefakten, die vielleicht nur sich selbst meinen und gerade deshalb eher künstlerische Variationen über das Thema sein könnten. Es geht also nicht um die Illustrationen für eine bisher unbebilderte Jules Verne-Ausgabe oder um die Neuauflage eines alten Kochbuchs, jetzt mit attraktiven Fotos der Gerichte. Hier handelt es sich nicht um Diagramme, sondern um Bebilderung. Anders könnte es sich verhalten bei den Architekturmodellen in den Carceri Piranesis oder den utopischen Entwürfen Ledoux´. Vielleicht weil solche ›Bilder‹, die mit der Bedeutungsrepräsentation eine psycho-physische Repräsentation nahelegen, durchaus als Karten zur Orientierung im Gelände taugen und nicht nur dazu, als Bilder angeschaut zu werden.45 3
grafische logik
Betrachtet man die diskutierten Fälle, ist der Unterschied zur Bestimmung diagrammatischer Funktionalität in einer ausdrücklich logischen Verwendung der DiagrammGrafismen offensichtlich. Insofern es der diagrammatischen Analyse im topologischen Verständnis darum zu tun ist, zu demonstrieren, was eine grafische Präsentation von Behauptungs- und Schlussprozessen zu leisten vermag, könnte man sie als ›selbstbeschreibend‹ bezeichnen, nicht bezogen auf die Bedeutung ihrer Aussagen, aber auf die Form ihrer Gestaltung. Die Darstellung befragte die Möglichkeiten ihrer Gestaltung, ihres Layouts, Aufgaben der Sinnvermittlung zu übernehmen. Gesucht wäre daher eine Art Diagramm der Diagrammatik, in welchem die Erklärungskraft ikonisch diagrammatischer Darstellung in eben dieser Richtung, sich selbst zu erklären, evident, ›sichtbar‹ würde, und zwar in der Repräsentation von Graphen und grafischer Konstellation. Das Diagramm sollte dann in der Lage sein vorzuführen, wie angeleitet schlussfolgerndes Hinsehen anhand diagrammatischer Zeichen vonstatten gehen kann. Insgesamt sollte diese diagrammatische Darstellung eine möglichst umfassende Zeichenfolge der Logik solchen Schlussfolgerns beinhalten, um sich zu erklären. Soweit diese Darstellung, mit welchen visuell rezipierbaren medialen Mitteln auch immer im Einzelnen ausgestattet, ihre eigene Funktionslogik präsentierte, repräsentierten die verwendeten Zeichen gewissermaßen eine diagrammatische Logik diagrammatischen Schlussfolgerns. Gesetzt, der Grafismus der Darstellung subsumierte alle möglichen Zeichen des Darstellungsuniversums unter dem Zeichentyp »Graph« – bestehend aus spots und lines etc. –, würde man zurecht von einer »graphischen Logik« sprechen können, wie sie Charles Peirce bekanntlich mit seiner Logik der Existentiellen Graphen vorgestellt hat.46 In Analogien sprechende Blätter. Ähnlichkeiten zwischen unähnli-
chen Dingen (Peirce) Nun wäre aber, nimmt man dieses Beispiel zur Hand und daraus beliebige exemplarische »Behauptungsblätter« (ausgeführte Diagramme also), jeder einzelne auf diesem Blatt eingetragene Graph oder seine Bedeutung nicht wie aus einem Bild unmittelbar aus dem Schema des auf dem Blatt anzutreffenden Gesamtdiagramms zu entnehmen, sondern nur aus bestimmten sinnvollen Propositionen. Mithin wäre zunächst nach den bestimmenden Konventionen zu fragen, die auf dem Blatt Behauptetes im Rahmen des in der vorgesehenen Notation Akzeptierten festlegten. Wie kann es, sozusagen darstellungstechnisch, zu Behauptungen, Sätzen etc. kommen? Was braucht es dazu?
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Im Einzelnen wäre etwa nach den Bildungsregeln für Existenzbehauptungen, für Subjekte und Prädikate, für die vorgesehenen Relate und Attributionen etc. zu fragen. Die grammatischen und syntaktischen Regeln zur sinnvollen Zusammenstellung von Zeichen (Graphen) zu Propositionen werden nämlich gewöhnlich vorausgesetzt, wenn ein interessierter Leser oder Betrachter das Angebot, Aussagen und Folgerungen auf dem Behauptungsblatt zu verstehen, nutzen will. (Ein Großteil der Peirce´schen Semiotik beschäftigt sich mit ihrer Erläuterung.) Es ist bemerkenswert, dass sich unter den von Peirce auf den Beispielblättern verwendeten Zeichen unter anderen auch solche Graphen befinden, deren ›ikonische‹ Qualitäten besonders eindrucksvoll wirken könnten. Jedenfalls sollte man meinen, dass eine auf Wahrnehmungsevidenz setzende Demonstration daran besonderes Gefallen fände. Es handelt sich um quasi sekundäre Qualitäten: Farben, Texturen (»Metalle«, »Pelzwerke«), physikalische Effekte. Doch werden sie alle verständlicherweise nur grafisch simuliert.47 Die unterschiedliche Oberflächengestaltung wird nötig, um das auf einem »Phemischen Blatt«48 Notierte im vollen Umfang des von einem »Quasi-Geist« Gedachten beziehungsweise Behaupteten in alle seine Modalitäten unterschieden darstellen zu können. Deshalb ist die Ästhetisierung der verschiedenen Aussage- bzw. Seinsweisen mit je besonderen grafischen Mitteln sinnvoll. Es bestätigt sich das Gesagte: Soll eine diagrammatische Operation nachvollziehbar sein, reicht die Übersichtlichkeit der Zeichnung allein nicht aus. Ebenso klar definiert sein müssen die Bedeutungen aller actors und agencies, ihr Aktionsraum und ihre Aktionsmöglichkeiten. Man muss die Bedeutung der verwendeten Graphen kennen, der mit ihnen möglichen Existenzzuweisungen (»Proposition Level«) und logischen Operationen.49 Erst wenn diese Bedeutungen und Funktionen vorliegen, wird ein logisches Diagramm aufgrund von ›ikonischer Ähnlichkeit‹ operieren können.50 »[A]lle Diagramme, ja alle Bilder hängen von Konventionen ab.«51 Die in Anschlag gebrachte Ähnlichkeit liegt selbstredend nicht in der Ähnlichkeit von Akteuren in Diagrammen und von ihnen gemeinten Projektionsräumen, von Graphen und dem, was sie jeweils repräsentieren sollen. (Hierzu verwendet ja auch die Phemische Logik typografisch symbolische Kodierungen der Normalsprache.) ›Ähnlichkeit‹ wird vielmehr für die Evidenz eines argumentativ folgernden Fortschritts in der Satzund Urteilsbildung postuliert. Die Ikonisierung führt auf ein falsches Gleis, ließe sie »Ähnlichkeit« als Gestaltähnlichkeit assoziieren. Peirce spricht im präzisen Sinn stets von »Analogien«. Analogie ist in der philosophischen Tradition der Ausdruck für eine »›Entsprechung‹, die Wahrscheinlichkeit begründet«.52 Kant bestimmt dieses Denken, Sich-Vorstellen-wie, als »eine vollkommene Ähnlichkeit zweier Verhältnisse zwischen ganz unähnlichen Dingen«53, wie die vollkommene Ähnlichkeit einer Verwandtschaftsbeziehung. Insofern handelt es sich um einen Mechanismus, der die Sprache, nicht das Objekt angeht54, aber doch die sprachbezeichneten Dinge, die im Allgemeinen zweifellos keine Halluzinationen sind. Denn dass Beziehungen zwischen sich ganz unbekannten, einander gänzlich unähnlichen Großmüttern zu ihren jeweiligen sich vollkommen unbekannten unähnlichen Enkelkindern ganz und gar ähnlich sind, mag eine Tatsache der Sprache sein. Die Beziehungen von Großmüttern zu ihren Enkelkindern sind es nicht. Vergleichbar verhält es sich mit der Ähnlichkeit der grafischen Demonstration und ihres verstehenden Vollzugs.
Einsehen & nachvollziehen Ohne die Konditionierung der Wahrnehmungsbereitschaft durch sprachlich begriffliche Bedeutungsformierung im Vorfeld einer diagrammatischen Notation ließe sich der Grafismus auf einem Notationsblatt der Phemischen Logik zwar gestaltungs- und
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gestaltspezifisch von allen möglichen alternativen (logischen) Notationen55 und einer normalsprachlich elaborierten Langform der Aussagen unterscheiden, nicht aber hinsichtlich seiner funktionalen Mächtigkeit, hinsichtlich der spezifischen Bedeutung der Graphen, ihrer Kombination oder sonstiger Zeichen. Sei es, dass keine Anweisungen vorlägen, sie zu überprüfen, sei es, dass die vorliegenden Anweisungen nicht verstanden werden könnten, sodass auch diese Karte einer Karte ohne Wege gliche. Wären die Bedeutungen in dieser Hinsicht aber geklärt, mag ein Schlussfolgern anhand solcher eben dieses Folgern veranschaulichenden Graphen nicht zuletzt aufgrund gewisser Gewohnheiten der visuellen Wahrnehmung besser gelingen als in weniger anschaulichen Verfahren, besser als in einem mathematischen Kalkül zum Beispiel. Die These ist, dass ein-gesehen und nachvollzogen werden kann, wie die Kolligationsschritte56 bei der Notierung der Schlussfolgerungen gesetzt werden, dass sie korrekt sind, und was die jeweiligen Konklusionen besagen. Die Option spricht gewissermaßen von den Vorteilen eines Bewegungs- und Zeitbilds, am besten eines Films, dessen Schauspiel sich selbst belichtet. Das aber stellt – so oder so und mindestens genauso offensichtlich – »die Notwendigkeit und Omnipotenz der beiden anderen Zeichenarten im Denkprozess [Indices und Symbole – HW] nicht infrage.«57 In Rücksicht auf die kommunikative Handhabbarkeit und Nachvollziehbarkeit des Prozesses kann die Devise deshalb nur lauten: so übersichtlich und offensichtlich wie möglich und nur darum, wenn dienlich, so »ikonisch wie möglich«.58 Die Ikonizität der Darstellung übernimmt hier also tatsächlich eine Aufgabe, ist keineswegs indifferent gegen die Interpretation, da sie ein Instrument zu ihrer Überprüfung an die Hand gibt und aus der Interpretation ein interaktiv kommunikatives szenisches Geschehen macht. Vergleichbares wäre an den Zeichnungen Dantos aufgrund ihrer Unterdeterminiertheit nur schwerlich zu realisieren. ›Szenografie‹ und ›Szene‹ sind im Beispiel der Notation von logischen Sätzen, Relationen und Schlüssen vergleichsweise elementar und stabil. Jedenfalls was die moderne Logik betrifft. Denn hinsichtlich der Transformation der Zeichen bieten solche Aufschreibsysteme, in denen das schrittweise In-Beziehung-Setzen sich für die Wahrnehmung nachvollziehbar vollzieht, in der Art ihrer grafisch figurativen Präsenz nicht nur eine Karte zur Orientierung, sondern zur Orientierung im Gelände, das freilich ihr eigenes ist. Die Karte ist Gelände. Verantwortlich für die Präzision der Geltungsübertragung sind die strenge begriffliche Fixierung der (Kor-)Relationen – deren Zeichenrepräsentanz überhaupt den einzigen Bereich des intendierten Transfers vom Geschriebenen hin zu seinem Nachvollzug darstellt – und die strenge Überprüfung der Beziehungsgefüge vermittels einer praktischen Demonstration. Die Erwartungen an die Übertragungstreue entsprechen den Ansprüchen an die Präzision der Notation.59 Die Regeln, die für die logische Diagrammatik gelten, dürfen unter dieser Prämisse verallgemeinert werden. Es gibt keine praktische Performanz außer der, in der geschieht, was der Geist – vom Perzept bis zum Begriff – gefasst hat; es gibt keine Darstellung, in der anderes dargestellt werden könnte, als was im Projektionsmodus (Abbildung, Übersetzung; Ähnlichkeit, Analogie etc.) formatierbar erscheint und was tatsächlich gemäß Vorschrift auf diese Weise nachweisbar vorzustellen, das heißt, darzustellen und zu präsentieren ist. Umgekehrt gilt der Schluss nicht, obwohl viele an einer solchen Umkehrung großes Interesse zeigen.
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Rhematische Zeichenwirkung. Kritik ikonischer Evidenz (Peirce) Nun besteht zwischen dem Gestaltungsbedürfnis szenografischer Projektion und dem Orientierungsbedürfnis szenifizierender Performanz kein notwendig implikatives Verhältnis. Wenn im Rahmen und mit Hilfe einer durch Fokussierung, Verschiebung oder Ersatz ›diagrammatisierten‹, deshalb mutmaßlich schwergewichtig über ›Strukturikonizität‹ oder ›bildmotivierte Analogie‹ Bedeutung produzierenden Darstellung schlussfolgerndes Verständnis herbeigeführt werden sollte, muss man annehmen, dass dies anhand anderer Repräsentamina geschieht als in einer Semiose, in deren Bewegung ›Objekte‹ hervortreten, deren Bedeutung sich nicht auf vergleichbare Zeichenkörper bezieht. Schlicht gesagt, handelt es sich (wie zu erwarten?) bei der Repräsentations- und Kommunikationsform mittels Bildern und Grafiken offenbar um eine andere als im Fall symbolischer oder indexikalischer Kodierung. Bedeutungsermittlung auf der Spur von Bildähnlichkeiten fruchtet hier nichts – oder man muss »Ähnlichkeiten« bestimmen wie bei Homer, Hippokrates oder Bacon, wobei auch bei ihnen die Grenzen zwischen Ähnlichkeiten und Analogien verschwimmen. Folglich wird man sich stets fragen, was mit der Verschiebung von einer Repräsentationsform zur anderen hinsichtlich des Gemeinten bezweckt werden soll oder bezweckt gewesen sein sollte. Peirce diskutiert die hier relevante Zeichendifferenz, deren objektspezifische Auszeichnung auf Ikonizität abhebt, ebenso hinsichtlich der notwendigen Unterscheidungen in der Zeichenrepräsentation. In dieser Repräsentanz entspricht dem Ikonischen das »Quali-Zeichen« (oder »Rhema«). Gemeint ist ein »Repräsentamen«, das den Interpreten hauptsächlich durch seine Qualität, wie ein Zeichen zu wirken, veranlasst, Bedeutung hervorzubringen. Ein Zeichen rhematisch einzuführen heißt, Bedeutung quasi als Denotation wirken zu lassen, experimentellerweise, könnte man sagen. Ausdruck dieser Unschärfe der Analogiebildung ist ein Effekt von Bildern. Denn Bedeutung zu hypostasieren heißt hier, Bedeutung in einem Wahrscheinlichkeitsbereich möglicher Gestalt- und Ausdrucksformierung anzunehmen. Dies gilt durchaus auch für die logische Notation. Denn die strengen symbolischen und indexikalischen Denotate beziehen sich ausschließlich auf die Ausdrücke der Relationierung. Welche der in einem Gesamtausdruck eingesetzten Subjekte oder Prädikate in der ›Übersetzung‹ eingesetzt werden, um die Darstellung über die Darstellung, die zur Demonstration gerät, hinaus überhaupt zu einer Anwendung kommen zu lassen, wird im Unterschied zum Verfolg der Operation nicht mit vergleichbarer Strenge geregelt. Insofern ist die Selbstbezüglichkeit der Referenz nicht auf alle Elemente der Darstellung ausweitbar, was ihren Nutzen tatsächlich merklich einschränkt. Denn am Ende geht es um die Objekte des Denkens, die nicht die Gedanken sind.60 Abgesehen davon wirkt die rhematische Zeichenqualität des Repräsentamens für sich genommen und abstrahiert auf eine Gestaltformierung qua Empfindung. Was die Darstellungsfassung selbst betrifft, erweist sie sich als entsprechend zurückgenommen oder überdehnt, je nachdem. Denn das Quali-Zeichen ist »Presentment oder Abstraktion«61, eine einfache Abstraktion sozusagen. Jedenfalls dehnt sich das Zeichen nicht aus wie Proposition oder Argument, verbleibt vielmehr bei »Term« oder »Rhema«.62 Term wie Rhema gehören ontologisch kategorial der »Erstheit« an, der Abstraktion eines Möglichseins noch ohne manifeste relationale Bezüge. Dies bedacht, ist schwerlich vorstellbar, dass propositionale Äußerungen und argumentatives Schlussfolgern insgesamt in praktischen Prozessen der Bewusstseinsveränderung
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als quasi reine Ikonizitäten aufgerufen werden könnten. »Ein reines Ikon ist von jedem Zweck unabhängig. [...] Die Beziehung zu seinem Objekt ist eine entartete Beziehung. Sie behauptet nichts.« Wenn mithin im logischen Diagramm Propositionen figurieren, ist es nicht deren Gestalt, die etwas behauptet. Wenn nämlich in der ›entarteten‹ Beziehung, die ein reines Ikon zu seinem Objekt unterhält, »Informationen übermittelt [werden], so nur in dem Sinn, in welchem von dem Objekt, zu dessen Darstellung es verwendet wird, gesagt werden kann, es vermittle Informationen. Ein Ikon kann nur Fragment eines vollständigeren Zeichens sein.«63 Es wäre also ein Irrtum, zu glauben, dass die Konzentration auf die Gestalt oder die Morphologie eines einzelnen Repräsentamens die strukturale Formation oder Bedeutung eines ähnlichen, aber davon unabhängigen Signifikats geradezu by evidence in den Vordergrund entsprechender Schlussfolgerungen treten lassen könnte. Es handelt sich vielmehr um je eigenständige Semiosebewegungen. Die eine im Unterschied zu einer anderen Darstellung mag in der Verteilung und Akzentuierung der Zeichentypen und ihrer Wirkungen anders gelagert sein – wenn sie denn also solche herausgegriffen werden. Stets aber unterliegt die Verteilung unter Zuhilfenahme passender Zeichenklassen spezifischen Bedingungen struktural räumlicher und ästhetischer wie genealogisch temporaler und narrativer, also inhaltlicher Formatierung. Ob sich die eine Explikation und Entfaltung im Vergleich zu einer anderen Explikation und Entfaltung eines Zeichenkontextes bewährt, könnte etwa gemessen werden am Kriterium eines reibungsloseren Nachvollzugs des Erklärungs- und Verstehensprozesses im Sinne fortschreitender akzeptabler Schlussfolgerungen. Als Zweck jeder Bedeutungsermittlung wird dies nicht unterstellt werden dürfen. Doch kann es sich nur erweisen, wenn und indem es situativ ausprobiert wird. Das Projekt ist der Probierstein, sagt Kant. Das bedeutet, dass es sich um Szenifikationen handelt, die unter je besonderen, nicht notwendig stets explizit szenografischen Formierungskonditionen antreten. Dass eine im Sinne einer rhematisch-ikonischen (Um-)Gestaltung qua Zeichenart durchaus generalisierte ästhetische Darstellungsfassung, die nichtsdestotrotz in spezifischer Medien- bzw. Zeichenpräsenz auftritt, per se Vorteile der Abwicklung zwischen Zeichen und Bedeutung mit sich brächte (Vorteile der ›Opsis‹, um eine plakative Etikettierung vorzunehmen), ist also zweifelhaft. Die Diagrammatisierung generell als eine Option auf Klarheit und Transparenz zu deklarieren scheint eine unangemessene Privilegierung dieser Gestaltungsart. Es hieße, den Identifikations- und Interpretationsauftrag des Bedeutenlassens stets so zu verstehen, als ginge es darum, in der Fülle der Zeichenpräsentation, in der sich die gewöhnlichen Signifikate abzeichnen, unbedingt Vexierbilder zu isolieren, um ihnen gerade aufgrund ihrer Uneindeutigkeit ein umso effektiveres Bedeutenkönnen abzugewinnen. Die sich abzeichnenden alternativen Figuren ließen in der Tat andere, weitere Bedeutungen zu. Doch diese vermöchten keineswegs immer zu bestätigten, dass dieser ›Gewinn‹ einer außergewöhnlichen Konzentration auf Figürlichkeit zu verdanken und die ganze Prozedur allein darum und geradezu a priori dazu bestimmt war, gedankenklärend und sinnproduzierend sein zu müssen. Außerdem können topologische Modelle vollkommen in die Irre führen. Diese Warnung im Hinterkopf, ist es indes sehr nützlich, sich der alternativen Möglichkeiten der Gestaltprojektion zu versichern, nicht um der Augentäuschung zu entgehen, sondern den Fixierungen des Begehrens. Sollte eine vermutete Differenz zwischen Auge und Blick dann eine sinnvolle Darstellung nur in ›Kippfiguren‹ erfahren, müssten sie separat zu Gestalt gebracht und auf ihre Verwendungstauglichkeit überprüft werden.
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Gleichviel, wer käme auf den Gedanken, den Satz, dass »›[d]ie Art und Weise, wie sich Texte zueinander verhalten, [...] der Art und Weise [entspricht], in der sich die Dinge, auf die die Worte verweisen, zueinander verhalten‹«64, anders denn als eine Aussage über das Verhältnis von Zeichen und Bedeutung des Bezeichneten zu verstehen. Es sind deshalb nicht die Gefahr eines ontologischen Fehlschusses oder die implizite Behauptung eines ungerechtfertigten »Isormorphismus« zwischen Darstellungen und Weltzuständen, denen hier entgegenzutreten wäre. Weit problematischer erscheint die Privilegierung besonderer, nämlich externalisierter Formen von Darstellung, die als naturähnliche Gegenstände oder Verobjektivierungen erscheinen, während solche Exponierung doch tatsächlich komplexe semiotische Operationen voraussetzt, eine funktionierende Semiose und Semantik. Nur unter dieser Voraussetzung wird diese besondere Form der Darstellung weitere Bedeutung generieren können. Die Lesbarkeitsvorschrift, bestimmte semiotische Artefakte diagrammatisch zu lesen, kann nicht unabhängig davon gemacht werden, wie die Darstellung in Form und Ausdruck zu ihrer eigenen Diagrammatisierbarkeit steht. Insofern kann es auch keine generalisierten Empfehlungen geben, auf diese Art mit Darstellungen zu verfahren. Die damit provozierte Externalisierung wäre mit Rücksicht auf einen existierenden Diskurs kaum zu rechtfertigen. Dies ist offensichtlich. Darum erscheint diese Verobjektivierung gewöhnlich als der Eingangsoperation einer gleichlautenden internen Entdeckung oder Lektüre geschuldet. Vorzugsweise wird sie als Entdeckung eines Modells »hinter« existierenden oder »für« mögliche Darstellungen behauptet. Offenbar ist die Idee, auf diese Weise dem ästhetischen ›Weltenmachen‹ behilflich zu sein. Letztlich sieht man hierin die Bemühung, womöglich sperrige Darstellungen doch als szenografisch strukturreflektiert und angeleitet darzutun. Dabei geht es gar nicht um eine faktisch raumintervenierende Szenifikation, sondern um ein selbstdarstellendes Szenemachen, eine szenische Selbstdarstellung, für deren ›Lektüre‹ dasselbe gilt. Eine ontologisch realistische Verpflichtung der Zeichen auf ihre Bedeutung wird auf diese Weise entbehrlich.65 Auch das allerdings ist eine Warnung. Denn umgekehrt kann die praktische Veranlassung maßgeblich sein, wenn das Modell – oder die »Fiktion«, wie Lacan mit Peirce sagen könnte – den Möglichkeitsraum untersucht. Hier hat die Topologie experimentellen Charakter und hilft, der empirischen Überprüfung anheimgestellt, komplexe und verwickelte Konstellationen, mit denen wir es bei den Übertragungen, Gegen- und Rückübertragungen im szenischen Raum zu tun haben, als Geflecht dynamischer Beziehungen und Verhältnisse darzustellen. ›Schematismus‹. Topologie & Chronologie (Kant, Peirce)
Peirce steht, indem er die Konsequenzen aus Kants Schematismus zieht, auf den Schultern des »Weisen aus Königsberg«. Die synthetischen Urteile liegen begründet im Zusammen von sinnlicher Anschauung und Sinn-, das heißt Begriffsproduktion. Eingebunden in die Semiose sind Schemata auf Ermöglichung aus, spannen sich also in die Zeit. »Kant holds that all the general metaphysical conceptions applicable to experience are capable of being represented as in a diagram, by means of the image of time. Such diagrams he calls ›schemata‹. The schema of the possible he makes to be the figure of anything at any instant. The schema of necessity is the figure of anything lasting through all time.«66
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Ventilieren wir, was der Begriff des Schemas beibringt. Spricht man vom Schema, wüsste man mit Kant, dass es sich bei dem erzeugten Diagramm nicht um ein Bild handelt, sondern um eine Veranschaulichung der Regelerzeugung, wie sie die Kategorientafeln präsentieren67 Bei Peirce ist Vergleichbares an den Logik-Diagrammen abzulesen, soweit man solche Übersichten exponiert, welche die Demonstration der Operationalisierung mit einer kategorialen Zuordnung verbinden, Logik mit OntoLogik. Insofern Peirce die Logik als »Philosophie der Darstellung« behandelt68, kann dies keine Überraschung sein. – Sich die Architektur der Kant´schen Kategorientafeln zu veranschaulichen69 heißt allgemein, sich ihrer Begriffe, genauer der verhandelten Kategorien zu versichern und entsprechende Vorstellungen zu lancieren. Wie bei jedem Grafismus besteht die Arbeit darin, mittels Platzierung im Raum (auf Tafeln oder in Listen) eine durch die semantische Unterscheidung und Qualifikation der Kategorien erläuterte Abfolge, mithin eine Sukzession in der Zeit unter bestimmten Hinsichten zu demonstrieren: Hinsichten zu schlussfolgern oder zu verknüpfen (Synthesis). Die so ermittelte Bedeutung des in der Darstellung zum Ausdruck kommenden Verhältnisses lässt die Übertragung des Kategorienschemas als maßgeblich für die sinnliche Wahrnehmung der Welt gerechtfertigt erscheinen. Denn nun steht die Anschauung unter der Regel dieser ›reinen‹, weil auf Einbildungskraft beruhenden Synthesis. Was aus der schematischen Übersicht herausgelesen wird, ist »an sich selbst jederzeit nur ein Produkt der Einbildungskraft; aber indem die Synthesis der letzteren keine einzelne Anschauung, sondern die Einheit in der Bestimmung der Sinnlichkeit allein zur Absicht hat, so ist das Schema doch vom Bilde zu unterscheiden. So, wenn ich fünf Punkte hintereinander setze ..., ist dieses ein Bild von der Zahl fünf. Dagegen, wenn ich eine Zahl überhaupt nur denke, die nun fünf oder hundert sein kann, so ist dieses Denken mehr die Vorstellung einer Methode, einem gewissen Begriffe gemäß eine Menge (z. E. Tausend) in einem Bilde vorzustellen, als dieses Bild selbst, welches ich im letztern Falle schwerlich würde übersehen und mit dem Begriff vergleichen können. Diese Vorstellung nun von einem allgemeinen Verfahren der Einbildungskraft, einem Begriff sein Bild zu verschaffen, nenne ich das Schema zu diesem Begriffe.«70
Wir finden hier die »transzendentale Doctrin der Urteilskraft«71, die in dieser oder jener Weise anzunehmen keiner Setzung von Darstellungsvoraussetzungen erspart bleiben wird. Verhaltensleitend zu verstehen wäre die kantische Schematisierung der reinen Verstandesbegriffe im Allgemeinen: als Übersicht über alle notwendig zu denkenden Funktionen des Verstandes, die es braucht, begrifflich zu arbeiten. In diesem Sinne wird das Verstandesvermögen kartiert.72 Der praktische Nutzen in der Selbstverständigung über die Urteilskraft liegt bei der Regulierung, auf Phänomene der Sinnlichkeit zu übertragen. Als Funktionsdiagramm, im Verständnis eines anschaulich zu machenden Nachvollzugs, geben die Tafeln oder Listen nicht so viel her wie der Nachvollzug einer konkreten Schlussfolgerung anhand einer Demonstration mithilfe von Graphen. Doch fördern sie das Verständnis des Lesers, der der Rezipient bei der vergleichsweise sparsamen Diagrammatisierung durch Kant auf jeden Fall bleibt. Verstanden wird aufgrund nachvollziehender Regelanwendung und Schlussfolgerung unter der Hypothese der transzendentalen Doktrin. Praktische Effekte hat dieses Nachvollziehen als Einsicht in den Mechanismus einer Allgemeinen Logik, die, »über einem Grundrisse erbauet, der ganz genau mit der Eintheilung der obersten Erkenntnisvermögen zusammentrifft« (also von »Verstand, Urtheilskraft und Vernunft«) und in der Analytik der Doktrin »von Begriffen, Urtheilen und Schlüssen [handelt]«. So erfolgt es also »gerade den Functionen und der Ordnung jener Gemüthskräfte gemäß, die man unter der
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weitläufigen Benennung des Verstandes überhaupt begreift.« Entsprechend ist der (eingeschränkte) Kompetenzgewinn. Für die Urteilskraft handelt es sich bei einer derartigen Demonstration, wie sie die Analytik der Grundsätze beisteuert, »lediglich [um] ein[en] Kanon [...], der sie lehrt, die Verstandesbegriffe, welche die Bedingung zu Regeln a priori enthalten, auf Erscheinungen anzuwenden.«73 Der formale Teil der Allgemeinen Logik befasst sich allein mit der Form der »diskursiven Erkenntnis«. Soweit hier auch Begriffe, Urteile und Schlussfolgerungen analysiert werden, ist der Kanon der Vernunft ebenfalls behandelbar. Die transzendentale Logik ist dazu nicht in der Lage, da sie inhaltlich auf Erkenntnisse a priori beschränkt ist. Weil transzendental, ist der Gebrauch dieser Vernunft für Kant nicht unmittelbar objektiv gültig. Insofern aber die »Logik der Wahrheit« mit der der Analytik – der formalen Logik der Begriffe, Urteile und Schlüsse – gleichgesetzt wird, gehört das Schließen unter transzendentalem Vorbehalt zu einer ›Logik-als-ob‹, einer Logik des Scheins, oder zur »transzendentalen Dialektik«. Das ist kein Verdikt über die keineswegs ungewöhnlichen transzendentalen Ideen. Denn Fehler sind immer nur Fehler der Urteilskraft im Gebrauch von Begriffen und Ideen. Deshalb werden auch »die transcendentalen Ideen allem Vermuthen nach ihren guten und folglich immanenten Gebrauch haben«. Trügerisch allerdings werden sie sein, wenn sie nicht »einheimisch« (immanent), sondern »überfliegend« (transcendent) gebraucht werden. Statt dass sie auf den »Verstandesgebrauch überhaupt in Ansehung der Gegenstände« angewandt werden, werden sie als »Begriffe von wirklichen Dingen« missbraucht. Es handelt sich um eine Verkennung der Bedeutung im Gebrauch.74 Zweifellos könnte man sagen, dass mit dem visuellen Schema der Kategorientafel ein Gegenstand exponiert sei, von dessen Erscheinungsoberfläche ausgehend sich in der Folge alle möglichen weiteren Verobjektivierungen ausbreiten ließen. Ihre Gegenstandsbezogenheit würde gewissermaßen durch das Schema selbst generell garantiert, sofern es qua Voraussetzung als visuelles Schema, als ein »Schema der Sinnlichkeit« Geltung beanspruchen dürfte. Doch Gegenstandsbezug kann nicht die Formatierung als Schema oder Diagramm selbst besorgen – etwa im Verständnis einer Analogisierung von geistiger und sinnlicher Bezugnahme. Unter dieser Beschreibung der Darstellungsform, die einhergeht mit der Beschreibung einer Regel der Vernunft, funktioniert die Übersetzung im Sinne »reine[r] Verstandesbegriffe, welche a priori auf Gegenstände der Anschauung gehen«, allerdings. Dies korrespondiert den »logischen Functionen, in allen möglichen Urtheilen«. Begründung aus einer der Gestalt der Darstellung korrespondierenden Sinnlichkeit heraus wird hingegen nicht in Anspruch genommen. Deshalb hat Kant Vorbehalte, von einer konstitutiven Leistung der Ideen zu reden, die mit der Verknüpfung des Einzelgewiss-Sinnlichen in hypothetischem Gebrauch der Vernunft zu tun hat. Da angesichts der problematischen Begriffe, in denen sich die Vernunft über Zeit und Raum hinweg artikuliert, vom Hypothetischen nicht loszukommen ist, ist der Gebrauch der Vernunft lediglich regulativ. Man kann nur hoffen, auf Dauer eine »Einheit in die besonderen Erkenntnisse zu bringen«, sodass sich die Regel der gestifteten Allgemeinheit annähert. Sie selbst bleibt eine »projectierte Einheit«, nichts Gegebenes, sondern ein »Prinzip«, das zugleich »Problem« ist. An ihm gilt es sich abzuarbeiten. Das Projekt ist der »Probierstein«.
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›scheinschlüsse ‹
Die gewöhnliche Diagrammatisierung bezieht sich nicht auf die Schematisierung rein intellektueller Prozeduren, sondern greift entweder ein Darstellungsartefakt heraus oder gestaltet sich ein vergleichbares Objekt, das schon tut, was es ermöglichen soll: Erscheinungen qua Anschauung, Erfahrung und Urteilsvermögen unter Kategorien und Begriffe zu fassen. Die Voraussetzungen beinhalten die gesicherten oder hypothetischen Prämissen der Modellierung. Ihr Anwendungsfall rekurriert auf Prämissen und gemeinsame Objekte eines schlussfolgernden Gestaltungskonzepts. Insofern ist die Darstellung, semiotisch betrachtet, immer komplex. Dies geht schon daraus hervor, dass sie voraussetzungslos nicht vorgestellt werden kann. Was eine panoptische Architektur ist, ist schon gedacht, wenn Foucault die Architektur Benthams als Diagramm heranzieht. Der Prozess der Urbanisierung ist schon vorausgesetzt, wenn Lefèbvre ihn in der Ansicht eines Entwicklungsdiagramms vorstellt. Was jeweils zu den Voraussetzungen, was zu den Schlussfolgerungen gehört, ist dem jeweiligen Diskurs, dem Dialog überantwortet und in seinem Rahmen zu rechtfertigen. Dass bestimmte Urteils- und Kategorienschemata stets zu den Voraussetzungen einer Darstellung gehören, besagt nicht, dass auf sie als solche auch ausdrücklich rekurriert werden müsste, sollte der Diskurs erweitert werden. Es könnte umgekehrt zu neuen Bedeutungen führen, wenn gerade diesbezügliche Hypothesen hinsichtlich anderer, zum Beispiel empirisch oder wissenschaftlich erhärteter Prämissen aufgestellt würden, etwa um ein neues Denkmodell zur Diskussion zu stellen und zu diesem Zweck neue ›Objekte‹ zu generieren. Zweifellos würden sie sich nicht selbst, den Positivitäten quasi schon zugehörig, voraussetzen können, um zu rechtfertigen, dass sie sich dergestalt lediglich noch zeigen müssten. Nein, die Fassung bliebe problematisch und würde sich im konkreten Projekt Zug um Zug ausweisen müssen.
Vom Nutzen der Simulation Zu einer alternativen Beurteilung könnte man nun allerdings gelangen, wenn es einer Darstellung, obwohl beispielsweise auf einer petito principii beruhend oder einer Homonymie, in ihren Konsequenzen gelänge, diese Voraussetzungen zu verschleiern. Auf einem nur scheinbaren, möglicherweise überhaupt verborgenen Schluss zu beruhen hieße, dem turn der Semiose im Modus eines bestimmten Objekt-, das heißt Zeichentyps zu vollziehen, dessen Objektspezifik, obwohl vorgeblich erst als Effekt und prestigio der Veranstaltung resultierend, tatsächlich schon zu den Prämissen des vermeintlichen Folgerns gehört. In der Tat könnte man von einer Inszenierung sprechen, die aus einer Handlungsanleitung, die anzunehmen berechtigt wäre, wenn der Prozess der Erkundung und Bedeutungsermittlung tatsächlich intern folgernd verliefe, eine Simulation der Handlungsanleitung macht. Man könnte auch von einem Scheinschluss sprechen, nicht im Sinne eines Schließens im hinreichenden Schein einer offen liegenden Hypothese, sondern im Sinne eines Dafürhaltens angesichts bestenfalls mutmaßlicher, äußerst unzureichend beleuchteter Prämissen. Eine solche Äußerung, die, erhellt, nur scheinbar einem Schluss gleichkäme, hat offenbar andere Absichten als die berechtigten Folgerns. Man könnte von einer Agitation sprechen, inszeniert zur Wiedererkennung mimetischer Wiederholungsprozesse und in dieser Form symptomatisch. Szenografisch betrachtet, hätte man einen Fall vor sich, in dem die szenografische Fassung der Szene ihren Zweck darin fände, genau diese Fassung als Szenifikation zu privilegieren und in Endlosschleife immer wieder als ihre eigene Performance aufzuführen. In der Tat könnte man an solchem Auftritt eine Gestaltformation besonders
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apodiktischer Szenografien abstrahieren. Wie wenn jemanden die Botschaft, dass die Karte nicht das Territorium sei, davon abhielte, das Medium zu nutzen, wofür es erfunden wurde, die Feststellung vielmehr als Empfehlung verstünde, von der Übersetzung Abstand zu nehmen, sich mit dem einen anstelle des anderen zu befassen und von diesen Unternehmungen zu berichten. Denn wem eine Karte keine Aufforderung mehr bedeutet, mit ihr tatsächlich auf Tour zu gehen, dem bleibt umso mehr Zeit, sich anhand derselben Karte mit der Entdeckung aller möglichen Ziele und Routen zu befassen: zum Nutzen – am Ende – unbegrenzter Orientierungskompetenz, zumindest in den Grenzen der Referenz. Zwar ist es nicht wahrscheinlich, dass jemand auf diese Weise je an ein wirkliches Ziel im Gelände gelangt, doch wird er sich auch kaum verlaufen können. Mit Hilfe solcher Simulationstechniken ließe sich jeder ›Text‹, auf den das Verfahren angewendet wird, tatsächlich so darstellen, als sei seine Bedeutungsermittlung als eine Operation im Rahmen diagrammatisierter Formate erfolgt, mit Hilfe derer die Korrespondenz von ikonischem Ausdruck (aus den Prämissen) und seiner Wirkung auf die Bedeutung sich als eine Gewohnheiten verändernde Inspiration verstehen ließe – mit entsprechenden Schlussfolgerungen. Sofern selbst ein hypothetischer Tatsachenbezug schon mit den Bedingungen der Darstellung ausgeschlossen wäre (in der Beziehung zum Objekt wird nichts behauptet), stünde er auch nicht zur Debatte. Folgerungen auf Dinge, Ereignisse und Handlungen, auch Perzepte wären mithin purer Schein, Theater. Denn als ein Begriffenes qua Bedeutungsgewinn im Projekt gemäß tatsächlicher Behauptungen werden sie sich unter Voraussetzungen eines Gegebenen, das nichts ist, nur inszenieren können. Der Scheinschluss, sofern die Inszenierung mit diesem Trick arbeitet, überdeckt diesen Umstand. Wir haben es indes nicht mit dem Schein der Ideen-Stratifikation in der transzendentalen Dialektik zu tun. Dabei handelt es sich um konstruktiv oder strukturell notwendigen und empirisch wahren Schein, eine besondere Art der Beleuchtung. Im Scheinschluss liegt ein dagegen täuschender Schein über der Szene; es ist die Beleuchtung für eine Inszenierung. Da es sich aber nicht um eine theatrische Inszenierung handelt, die keine Inszenierung auf dem Theater ist, scheinen alle Folgerungen der Analogisierung im Sinne einer wahrnehmungsorientierten, Objektivität schaffenden Bedeutungsfindung berechtigt. Ähnlich wie im naturwissenschaftlich kontrollierten, aber auch im alltäglichen Umgang mit den Dingen scheint die behauptete Bedeutung den Anspruch erheben zu dürfen, anhand ihrer vorgeblichen Objektidentifikation auch entsprechende Korrespondenzverhältnisse zwischen Darstellung und Welt behaupten zu können. Von hier aus erschiene es dann nicht weniger gerechtfertigt, sich handelnd unter dieser Beschreibung zu orientieren. Ist die Analogie legitim – als was sie gilt, solange der Schein eines vermeintlich zutreffenden Schlusses, einer Wahrheit die Szene bestimmt –, erweist sich, dass die Pointe der Simulation des Verfahrens nicht darin besteht, überhaupt vom Handeln abzuhalten. Der Clou liegt vielmehr darin, das Handeln auf ein Simulationsfeld zu verlagern, auf ein permanentes Agieren zwischen Schema und Skript, zwischen Topologie und Topografie, Darstellungsmodell und Darstellung zu fixieren. Vergleichbare Strategien verwendet der Externalismus im Rahmen wissenschaftlicher Darstellung. Die Leistung von Medien und Zeichen im geschilderten Schema liegt grundsätzlich darin beschlossen, tatsächliche Inszenierungen hervorbringen zu können. Dass dies bedeutet, deren Inszenierungscharakter, die tatsächlichen Techniken der medialen Vermittlung erfolgreich zum Verschwinden bringen zu können – als läge es völlig in der Freiheit von Medien oder Zeichen, so zu verfahren –, versteht sich. Entsprechend wäre die so zum Vorschein
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tretende Szene purer Schein medialer Inszenierung. Akzeptiert die Szene ihre Inszeniertheit in diesem Rahmen, könnte allein die theatrale Fassung von »Inszenierung« tatsächlich als die wahre gelten, als das, was ›gegeben‹ wird als Spiel von Simulation und Dissimulation. Doch die Produktion hinterlässt ihre Spuren.
Prämissen logischer Diagramme. ›Apodiktische‹ oder ›problematische‹ Szenografie Betrachten wir die Differenz der Prämissen in sophistischen und nicht sophistischen Schlüssen und in dieser Absicht die Diagrammatik der Existentiellen Graphen als Entwurf zu einer Logik-Karte – »Logik« im Sinne Peircens.75 Offensichtlich verkörperte diese Karte die mediale Gestaltung der geltenden Prämissen der Modellierung.76 Die Orientierungsfunktion der Karte für den Handlungskontext ›logisches Schlussfolgern‹ bestünde aufgrund der medialen Aufbereitung mit grafischen Mitteln zweifellos darin, dieser Aufgabe gerecht zu werden und nicht nur so zu tun. Denn die Kartenfunktion läge nicht darin, notorisch auf andere Gedanken zu bringen und zu Vorstellung und Nachvollzug grundsätzlich alternativer, immer wieder anderer Zusammenhänge anzuhalten. Die Hypothese der Diagrammatik lautet vielmehr, mit der in der Darstellung gegebenen Orientierung auch eine Orientierung im Raum, unter den Dingen zu ermöglichen. Das Orientierungsbedürfnis ist an den Veränderungen und den Möglichkeiten, auf die Beziehungen Einfluss zu nehmen, interessiert. Die Karte ist gut, um den täglichen Wechsel im Frontverlauf darauf zu markieren, »dies entspricht genau dem Vorteil eines Diagramms für den Verlauf einer Diskussion«, man kann »mit einheitlichen Diagrammen genaue Experimente anstellen«. Solche »Experimente mit Diagrammen« – »ob äußerlich oder vorgestellt« – betreffen Fragen der Struktur, »die der Natur der betreffenden Relationen gestellt sind«.77 Vergleichbares gilt für die Rechtfertigung jeder Hypothese wissenschaftlicher Natur; sie tritt auf mit dem Anspruch, Tatsachen zu erklären.78 – Entsprechend zu beurteilen wären mögliche ›Szenen des Schlussfolgerns‹ aufgrund einer nicht für eine Inszenierung, sondern für eine als nichtinszenierte Szenifikation angelegte Szenografie in Gestalt einer völlig offenkundigen Darstellung, wenn denn »Inszenierung« der theatrischen Version des Zur-Erscheinung-Bringens und gleichzeitigen Unsichtbarmachens im theatralen Dispositiv vorbehalten bleibt. Denn es gehört zur Definition des Notationsblattes und des Umgangs damit, dass alles, was in seinen Behauptungsraum gehört, alle seine ›Darstellungstatsachen‹ sozusagen, dort auch aufgeführt erscheinen, in welchen Quantitäten, Qualitäten, Relationen oder Modalitäten auch immer. Die Hypothese für das Projekt, das zu probieren wäre, ergibt sich von hier aus: Alle im Darstellungsraum behaupteten Beziehungen realisieren sich in ganz analogen Beziehungen zwischen Phänomenen (eingesetzten Subjekten und Prädikaten) in einem realen Projektionsraum. Die exemplarische Demonstration gibt eben davon eine Probe. Die diagrammatische Präsentation prognostiziert zudem einen intellektuellen und heuristischen Vorteil: dass derart auf logische Weise relationierte Ereignisse oder Wirkungen nicht nur überhaupt mittels visueller Demonstration Erklärung fänden, sondern dass dies besonders offenkundig, sofort ersichtlich sei. Denn darin besteht die Herausforderung an die Gestaltung: »ein solches System von Graphen [zu – HW] konstruieren [...], eine räumliche Relation [zu] finden, die es für das Auge offenkundig macht, ob es irgendetwas gibt, das in dieser Relation zu einem Ding steht, ohne in dieser Relation zu etwas anderem zu stehen.«79
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Dass sich eine »Handlung [...] auf der Szene der Beobachtung abspielt[e]«, ist mithin nur ein Teil der Wahrheit, denn gehandelt wird nicht nur für Zuschauer.80 Gehandelt wird ebenso situativ und infraordinär, unterhalb der Schwelle bewusster Szenifikationen und womöglich fernab jeder Inszenierung. Auch die Beobachtung solchen Tuns (ebenfalls eine »Szene der Beobachtung«), selbst medial unterstützt, muss weder zwangsläufig einer Inszenierung der Beobachtung dienen noch eine inszenierte Beobachtung darstellen. So erhellt, dass auch szenografisch angeleitetes Handeln nicht inszeniert sein muss, sondern die in Bezug stehenden gestaltenden Tätigkeiten sich ihrer szenischen Performanz in voller Tragweite bewusst sein können. Denn es gibt, wie erläutert, auch eine szenische Performanz der Szenografie mit den entsprechenden Konsequenzen für die Differenzierung nicht nur des praktischen Szene-Machens, sondern auch der szenografischen Praktiken. Wir fänden das Gegenteil einer apodiktischen: eine hypothetische oder problematische Szenografie. Denn sich der Tragweite szenischer Performanz bewusst zu sein heißt, im problematisch hypothetischen Zustand zu verharren und ins Projekt zu investieren. Entscheidend ist das Bewusstsein der Differenz, das hier keine Differenz des Bewusstseins ist. Denn alle Instanzen treten tatsächlich gedoppelt auf, in Differenz. Anders pointiert: die Differenz von Inszenierung und Szenifikation fordert entsprechend unterschiedliche Szenen. Szene ist nicht gleich Szene, Szenografie nicht gleich Szenografie, Inszenierung nicht gleich Inszenierung. 5
bühnen der wahrheit: sophismus, apophantik
Unter den Scheinschlüssen, die Aristoteles unter den Strategien der Sophisten ortet, stehen die aufgrund von »Homonymie«, »der Form des Ausdrucks« und der »Petitio principii« an prominenter Stelle.81 Das Aristoteles-Traktat Sophistische Widerlegungen zu titulieren beweist Sinn für die Sache, oszilliert der Titel doch in eben der Weise wie das, von dem er handelt. Es scheint, als wäre etwas Bestimmtes verpfändet, das unter der Hand zu einem gleichen Anderen getauscht wurde, einem gleichlautenden Wort. Derartige »Sophismen«, die sich als korrekte Schlussfolgerungen eines Syllogismus tarnen, haben in Wahrheit keine Ziele, die dem Behaupten und Schlussfolgern gelten. Deshalb kann man sie auch nicht widerlegen. Immer liegt das Problem bei einer vermeintlichen Gleichheit oder Ähnlichkeit, die Differenzen verwischt.82 ›Wahrsprechen‹, eristisch, apophantisch. Zwischen Politik & Ontologie (Aristoteles)
Die Sophistischen Widerlegungen des Aristoteles hat Michel Foucault schon früh in seinen Vorlesungen Über den Willen zum Wissen thematisiert.83 In ihrem Zusammenhang geht es um die Kultur des Wahrsagens und ihre Herausbildung in der Auseinandersetzung der platonischen und aristotelischen Philosophie mit den Zeitströmungen und der Tradition des Zeugnisgebens, Beweisens und Wahrsprechens (parrhesia). Platon wie Aristoteles artikulieren und propagieren ihre Position dabei in Gegnerschaft zu alternativen Auffassungen unter dem Sammelbegriff »Sophisten« (Platon) beziehungsweise »Sophismus« (Aristoteles). Foucaults Perspektive indes akzeptiert eine Lesart, in der die Gemengelage des 5. und 4. Jahrhunderts durchaus so verstanden werden kann, dass »Sophisten« und »Sophismus« eine alternative Wahrheitskultur indizieren. Im Kontext der Debatte erscheint, nachvollziehbar, die Herausbildung des Rechts relevant, werden doch dort die Verwerfungen, die im philosophisch gesellschaftlichen Wahrheitsdiskurs schließlich zum Zerwürfnis führen, zuerst
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virulent.84 Das sophistische Wahrheitsverständnis ist offenbar archaischer, steht den Postulaten auf Unparteilichkeit, unabhängige Zeugenschaft, Beurteilung qua Sachverhalt und Beweiskraft mittels Indizien skeptisch gegenüber, kennt andere als diesen Verfahren sich beugende Behauptungs-, Argument- und Schlussfolgerungspositionen. Das sophistische Sagen, Darstellen und Beweisen versteht sich viel eher parteilich und präsentiert, was es zu sagen, zu beschreiben und zu belegen gilt, auf nachdrücklich parteiliche Art. Wir begegnen hier einem agonistischen Verständnis davon, was es heißt, sich mit einem Wissen durchzusetzen, ganz wie es auch die alte Tragödie kennt, noch bevor die Gerechtigkeit sich das abgemessen unparteiische Urteilen zum Maßstab macht. Sophistische Positionen sind ursprünglicher als die sokratisch platonische Überformung der Wahrheitspositionen, sie rekurrieren auf die Ressourcen faktischer Durchsetzbarkeit einer Auffassung. Um die Bedeutung, die Schlüsse und die Wahrheit wird gekämpft.85 Der Sophismus entsteht nicht in einem semiotisch sensiblen Milieu, in dem Worte und Aussagen auch als Zeichen gewertet werden könnten, die nichts anderes zu tun hätten, als irgend etwas, ein Sein oder Nichtsein zu indizieren und deshalb schon Beachtung fordern dürften. Wie Aristoteles argumentiert, liegt das Problem darin, dass nicht genug Worte zur Verfügung stehen, alle Dinge zu bezeichnen, und deshalb keine eindeutigen Beziehungen zwischen Wort und Gegenstand hergestellt werden können. Folglich muss die Auseinandersetzung um die Differenz der Bedeutungen dazu zwingen – nicht allerdings die Strategie, mit deren Hilfe der Streit zu entscheiden sei. Der Sophist hält darauf, Worte in den Raum zu stellen und, mit der Positivität des dergestalt in den öffentlichen Raum Gestellten rechnend, zu handeln und zu arbeiten. Ob, was gesagt oder dargetan wird, der Behauptung oder Bestreitung, der Existenz oder Nichtexistenz von Tatsachen entspricht und welchen, ob die akzeptierten oder zurückgewiesenen Bedeutungen sich durchsetzen oder nicht durchsetzen können, ob die Verwendung und Verknüpfung von Begriffen zwingend gemäß einsichtiger und überprüfbarer Verfahren erscheinen oder nicht, alles dies ist dem Sophismus wichtig nur hinsichtlich des Erfolgs seiner Einlassungen. Er befolgt die Taktik, sich in der »Materialität des Diskurses« zu verschanzen und mit den »grenzenlosen Folgen« des bloß Gesagten zu spielen. »Der Sophismus«, kommentiert Foucault, »entfaltet sich als freie Taktik auf der Ebene der Worte, unabhängig von deren Bedeutung. [...] Der Sophismus erzeugt einen Siegeseffekt«. Zwar ist diese Interpretation offensichtlich auf der Folie der aristotelischen Gegnerschaft formuliert, macht indes die politische Abkunft der Wahrheitspositionierung kenntlich. Das einzig probate Mittel gegen den Sophismus bestünde folglich darin, so Foucault im Sinne Aristoteles´, auf der Differenz zu beharren: Allein durch »die Einführung des Unterschieds« lässt der Sophismus sich auflösen. Denn »[i]ndem man den Unterschied denkt, vermag man die Materialität des Diskurses zu neutralisieren (und all die Identitäten, Konfusionen, Wiederholungen, die ihren Ursprung letztlich in der Knappheit [der Worte – HW] haben).« Die Überlegungen sind offenkundig auf den (philosophischen) Diskurs bezogen und insofern theoretisch, als der Widerstand, seine energetische Leistungen, seine emotionale Überzeugungskraft durch Widerrede nicht verhindert werden können. Der »Materialität des Diskurses« steht offensichtlich die »Immaterialität des Sinns« gegenüber. Soweit dies impliziert, dass sich der Diskurs auf diese Materialität zurückzieht und so als Ding unter Dingen unmöglich mit anderen Dingen in Wechselwirkung treten kann, müsste die Unterscheidung jede einseitige Fixierung auf
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die Materialität einer Darstellung qua Gestaltung und Aufführung zurechtrücken. Denn, isoliert in der Erscheinung des Auftritts, existierte kein anderer Sinn als der des präsentierten Ausdrucks, der zwangsläufig für das Sein des Objekts genommen werden müsste. Auf diese Weise jedoch »kann man über den Diskurs [...] keinen Zugang zu den Dingen erlangen.« Worauf referieren die Worte in diesem Fall? Aristoteles antwortet radikal: »Auf nichts. Wenn man vom Seienden zu sprechen glaubt, spricht man über nichts«, zitiert Foucault – ohne dass er diverse Aufzeichnungen in der Vorbereitung der Vorlesung erwähnt, aus denen klar hervorgeht, dass er ›Sophismus‹ nicht für ein bloß philosophiehistorischess Phänomen hält, sondern eine auch gegenwärtig relevante Einstellung zu Wahrheitsbehauptungen und Geltungsansprüchen. Seine damalige Einschätzung lautete, das der »Sophismus [...] eine perverse Manipulation [sei – HW], die ein Herrschaftsverhältnis herzustellen sucht.« In dem gemeinten »grausamen Diskurs« geht es um die »Spiele des Begehrens und der Macht«. »Pervers« ist für Foucault keine Worthülse; er verwendet den Ausdruck bewusst. Das Verdrehte – die Zeichen, die Sprache und die Bedeutungen so zu verstehen, wie es der Sophismus tut – besteht darin, dass die »sprechenden Subjekte« in ihrem Sprechen »ein ungehöriges Verhältnis zum Körper, zur Materialität ihres Diskurses« kultivieren. Sie missbilligen »die Ordnung der Erwachsenenmoral«, die sich an die Bedeutungen und damit an die Ordnung der Dinge hält, im Zweifelsfall nachgewiesen sehen will, wie sich das Gesagte mit dieser Ordnung verbindet, wenn nicht darin einfügt. Die Auskünfte des Sophismus zum Zweck der alternativen Orientierung im Zeichengebrauch sind eindeutig. Dasselbe gilt jedoch nicht für die Strategie, welcher der Sophist gewissermaßen selbst verfällt. Der »Schein der Weisheit«, den der Sophismus zu erzeugen vermag, dient dem Geschäft. Er überwältigt mittels dieses Scheins, eines in Aussicht gestellten Ertrags, gewissermaßen, den die Sprache zu erzeugen vermag, nicht mit Gewalt, nicht einmal mit einer besonderen Täuschungsstrategie, sondern mit einfach einer anderen Art, mit der Wahrheit umzugehen.86 Immer wieder insistiert der Sophist auf der Positivität des Gesagten, indem der Diskurs selbst das Ereignis ist, bis der beteiligte Gesprächspartner verstummt, resigniert, widerwillig geschehen lässt, nicht mehr interveniert, möglicherweise gar auf unerwarteten Erfolg der Rede und realen Gewinn hofft. Eine musterhafte Modellierung der Wahrheitskultur der Inszenierungsgesellschaft.87 Die platonisch aristotelische Apophantik bezieht die Gegenposition zur eristischen Kultur des sophistischen Diskurses. In Hinsicht des schlussfolgernden Bedeutenlassens markiert der Syllogismus des Aristoteles die neue, theoretisch wissenschaftliche Wahrheitsorientierung. Die Prämissen des Syllogismus werden je nachdem als zutreffend oder nicht zutreffend angenommen und mit der Konklusion, der möglichst alle am Diskurs Beteiligten, alle, die sich auskennen, zu folgen in der Lage und bereit sind, als wahr akzeptiert. Der Zwang zur Konsequenz folgt der Einsicht des Begreifens der Begriffe. Die Ereignisse des apophantischen Diskurses beziehen sich auf das, was ausgesagt, von dem behauptet wird, sei es »Seiendes oder Nichtseiendes«.88 Sofern sich die Aussage aber auf die Behauptung oder Bestreitung eines Seienden oder Nichtseienden bezieht, gilt das Gesetz des ausgeschlossenen Widerspruchs. Denn logisch kann man nicht etwas in derselben Hinsicht zugleich behaupten und bestreiten. Der logos apophantikos ist immer ein propositional argumentierender und schließender Diskurs. Die szenisch orientierten Sprechformen (die etwa Austins Sprechakttheorie thematisiert und wiederbelebt) und deren Geltung von der Performance der entsprechend ritualisierten Kommunikations- und Handlungsformen abhängt89, bleiben außen vor.
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Oder sie müssen umgewandelt werden, soweit sie nicht wahrheitsrelational, sondern zweck- oder handlungsorientiert, ›politisch‹ begründet werden. Greift die sophistische Rede auf die Ereignismaterialität zurück, so die apophantische voraus auf die Idealität der Bedeutung am Ende aller Tage.90
Bühnenauftritt & Diskurs im Schatten Mit dem Begriff der »Schattenbühne«, die wir anlässlich der Überlegungen Diderots zur Figur des Schauspielers schon eingeführt haben, folgen wir einer Bemerkung Foucaults aus den Vorlesungen Über den Willen zum Wissen. Die Ungehörigkeit der sophistischen Manipulation des Darstellens fasst Foucault dort in das Bild des Schattens.91 Das Licht, das die Schattenbildung verursacht, beleuchtet die Szene, wie es scheint, aus der erhellten und erhellenden Praxis eines unverborgenen Tuns besonnener Arbeit. Zuvor, gegen Ende des Manuskripts zur 3. Sitzung seiner Vorlesung über den Willen zum Wissen, hat Foucault die Auseinandersetzung zwischen wahrheitsverpflichteter Apophantik und pragmatischem Sophismus in einem Bild der Bühne assoziiert. Es sind nur einige Sätze, worin der Gedanke über den »Schatten« und die Schattenwirkung auftaucht.92 »In der Sophistik ist der Schluss nur ein Schatten; aber nicht der Schattenrest, der Schatten, den man hinter sich lässt, sondern die Dunkelheit der Bühne; er ist der Doppelgänger und der Mime, hinter dem man sich versteckt.« Eine wichtige Frage ist demnach, ob sich der Schatten aus der Lichtführung und der Beleuchtung der Bühnenszene ergibt. Sind es zunächst die Äußerungen des Sophisten, die das Vorgetäuschte, ›Geschauspielte‹ verkörpern, so ist bald darauf der Sophist selbst als Schauspieler, der einen Schein auf die Bühne bringt, so tut, als ob er argumentiert, obwohl er nur Worte über die Lippen bringt. Im Weiteren tituliert Foucault das Spiel des Schließens selbst als »Bühne«. Die Übersetzung ist unglücklich. Sie lässt sich mit der französischen Verwendung von scène als »Bühne« erklären. Offenkundig wäre demnach »Inszenierung« der bessere Ausdruck. Sagen und Argumentieren inszenieren sich als korrektes, vertrauenswürdiges Schlussfolgern. Der überzeugende Schluss aber ist gerade der, »der im Verhältnis zur Materialität des Diskurses nur eine Komödie und ein Maskenspiel ist«. Wie aber ist diese Relation bestimmt? Das Gesagte tritt in Verkleidung und Kostüm auf, aber an seiner Materialität ist nicht zu zweifeln. Als Gesagtes ist es echt, als gemeinsam schließendes Bedeutenlassen sieht es nur so aus. Soll Licht die Szene erhellen, ist einsichtig, dass dies nur geschehen kann, wenn die Szene beleuchtet wird. Die Sichtbarkeit der sophistischen Szene kann nun aber nicht einer Beleuchtung geschuldet sein, die gleichsam versteckt, aus Kulisse und Hinterbühne heraus die Szene noch zusätzlich, aber doch auch verändert erhellte. Jedenfalls wäre die Dominanz oder der Einfluss des Sonderlichts auf die Beleuchtung nicht wahrheitsindizierend zu diskriminieren. An das Marionettentheater gedacht, könnte man sich eine Anordnung vorstellen. Gesetzt, eine zusätzliche Leuchtquelle auf der Hinterbühne ließe die Schatten der Puppenspieler auf die Szene fallen, wenn sie in den Lichtkegel gerieten. Die Szene würde sich verdunkeln. Das eigentliche Bühnenlicht reichte kaum mehr aus, das Tun der auf der Szene Agierenden erkennen zu lassen. Die Illusion, die zuvor die Bühne beherrscht haben mochte, müsste bald hinter dem Spiel der Schemen verfliegen, zumindest würde sie irritiert. Doch auch diese Anordnung könnte zur wahren Inszenierung gehören. Es ließe sich nicht erkennen, ob die Verhältnisse vielleicht anders hätten sein sollen. Denn das Offenkundige, dass offenbar mehr Akteure die Szene beherrschen als gedacht, vielleicht auch mehr als eine Geschichte erzählt
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wird, wäre aufs Erste nur an neuen Phantomen ablesbar. Aber vielleicht würde von hier aus eine Zersetzung Raum greifen, die bisherige Aufführung erreichen und eine Manipulation am Ende wenn nicht erkennbar, so doch auch nicht ausschließbar machen. Dies, ungefähr, scheint die Diagrammatik, die Foucault zur Erklärung des Verhältnisses von Apophantik und Sophistik anbietet, modelliert als eine virtuell sich überlagernde, so aber nicht konsistent aufführbare Theaterszene. Die Figur erklärt, warum Aristoteles »sehr wohl weiß, dass die Materialität des Diskurses nur ein Schatten ist, ein Residuum«93, und warum »der Sophist in der Kulisse hinter seinem Schattentheater aus lauter Scheinschlüssen stets nur einen Schattendiskurs führt«. Nicht die Inszenierung wird als Schatten analysiert. Vielmehr besteht die Inszenierung darin, Schein und Schatten eines Diskurses als beleuchtete Szene auszugeben. Dieser Szene ist aufgegeben, als Logik des »Begriffs und des Unterschieds« das Spiel auf dem Theater zu neutralisieren. »Die Schwelle dieser Logik ist das Individuelle und das Begriffliche«. Sie liegt zwischen den Zeichen und der Bedeutung. Dies aber bringt Klarheit, wo tatsächlich von Theater keine Rede sein kann. Die inszenierungsgesellschaftliche Empfehlung angesichts derartiger Subtilitäten ist eindeutig. Man möge am Ende nicht einem »doppelten Trugschluss« aufsitzen. Deshalb sollte man auf die »Reifikation« der medialen Inszenierung ebenso verzichten wie auf die »Irrealisierung der theatralen Künste«.94 6
tatsachen & wirklichkeitsversicherung
Es ist wichtig, Externalität und Internalität von Tatsachen nicht mit dem Externalismus oder Internalismus einer entsprechenden wissenschaftstheoretischen, medienphilosophischen oder ontologischen Strategie zu verwechseln. »Externe Tatsachen« beanspruchen dieselben zu bleiben, unabhängig davon, was jemand davon hält, darüber empfindet oder denkt, vergangen, gegenwärtig oder zukünftig. Die Nichtabhängigkeit von einem direkten Effekt persönlichen Erkennens betrifft dabei keineswegs alle Objektbestimmungen. Die ästhetische Erscheinung eines Objekts oder die poetische Kraft, wenn sie denn zu seinen Attributen zählen, gehören nicht oder nur teilweise zum irrelativen externen Tatsachencharakter. In Beziehung erweist sich die Externalität auch gegenüber bestimmten Hinsichtlichkeiten, was etwa im Blick auf die räumliche Verortung von Objekten relevant ist und für damit verbundene Zuschreibungen. Farbe zum Beispiel, eine im Unterschied zu einer anderen, ist extern hinsichtlich ihrer physikalischen Materialität, intern hinsichtlich der damit verbundenen ästhetischer Formatierung. Denn sie ist, wie sie ist, auch wenn sie von dieser oder jener sinnlichen Perzeption für eine andere gehalten werden mag.95 Die Grammatik von »Irrtum« hinsichtlich eines vermeintlich tatsächlichen Ereignisses oder realen Tatbestands beinhaltet ja ausdrücklich die Beharrlichkeit der Realitätscharakteristika, denen gegenüber sich ein Irrender irrt, unabhängig davon, ob und dass sie als solche testiert werden. Die Externalität einer externen Tatsache in diesem Sinn ist realitätsverbürgend. Tatsachen in diesem Sinn sind real, ganz wie entsprechende Dinge, Attribute, Substanzen. Was real ist, allerdings, ist dennoch nicht auch im selben Sinne wirklich.96
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Realitätsgewissheit. ›Photomontage von Perzepten‹, Wahrnehmungsurteile & QuasiSchlussfolgerungen (Peirce) Was verhandelt wird in der Problematisierung der Vorteile einer diagrammatisierten Syntax, ist allererst die Frage, was mit Hilfe eines Wahrnehmungsurteils hinsichtlich der Realität eines Wahrgenommenen erreicht werden kann und wie sich das Resultat von einer »vollständigen Erkenntnis« unterscheidet, die sich logisch in Propositionen, letztlich, soweit alle Modalitäten darstellbar sind, in einem überhaupt grammatisch korrekt geformten Satz ausgedrückt anbietet.97 Denkt man an die Verwendung des Begriffs »Perzept« in vorliegender Darstellung, wird der Begriff als geistig kreativer Entwurf hinsichtlich einer möglichen Szenifikation verstanden und meint eine mögliche, im Fall szenografischer Perzepte in der Regel auch gewollte, nicht nur ästhetische, sondern handlungs- und gestaltungsorientierte Anschauung und Perspektive. Propositionen, die mittelbar von derartigen Perzepten abstammen, nennt Peirce »Wahrnehmungsurteile«. »Perzepte« selbst sind für ihn zunächst einfache Wahrnehmungen, Sinnesdaten, zum Beispiel visuelle Eindrücke aktualer Art. Zusammengefasst zur Bedeutung eines Erscheinenden, bilden miteinander verbundene Einzelperzepte ein »verallgemeinertes Perzept, eine Quasi-Schlußfolgerung«. Dass in dieser Interpretation – in diesem ungefähren Bedeutenlassen – ein kreativer Akt in der Art eines Entwurfs mitschwingt, erhellt in dem Vergleich, den Peirce in seinen Überlegungen zur Logik der Zeichen 1909 anstellt. Vielleicht, heißt es dort, könne man von einer »Photomontage von Perzepten« sprechen98, woraus sich gleichsam ein Szenario von Zusammengesetztem ergäbe. Die Parallele zum szenografischen Perzept, das durchaus als »Montage« charakterisiert werden könnte, konzipiert im Sinne eines Entwurfs und Bauplans für die Struktur eines realen Objekts (Dings, Ereignisses etc.), scheint an der Stelle abzubrechen, an der die Zukünftigkeit der Einlösung verletzt wird. Doch relativieren die Modalitäten der Zeit und des Raums das Ereignis ihrer Aktualisierung: So wie sich Raum und Zeit objektiv zur Objektverfassung gehörig darstellen, sind sie der Aktualität eines wahrnehmenden und urteilenden Geistes unterworfen, der sie qua Bedeutung in die entsprechenden Modi zu zerlegen weiß, analogerweise, wenn es sich um Gefühl oder Urteil handelt, mimetischerweise, wenn es das energetische Tun betrifft. Wenn man bedenkt, dass es nur eine theatrale Konvention vergangener Tage ist, das szenografische Perzept in die Vergangenheit seiner Realisierung als Aufführung zu platzieren, kann die Imagination eines Davor und Danach nicht aufhalten, die situative Aktualität von Perzept und Performanz für deren begriffliche Fassung weiterzuverfolgen. Schon der Wechsel der Perspektive von der Bühne des Theaters auf die szenografisch aktuale Exposition der Dinge schreibt dem Objekt das Ereignis, dem Ereignis das Objekt ein. Die »Photomontage« ihrer verschiedenen Erscheinungsformen lässt ihre wahre Natur schon ›im Entwurf‹ Gestalt annehmen – freilich keineswegs in purer Externalität oder Objektivität.99 Doch selbst wenn es möglich ist, Exposition und Dasein wie ›von Natur‹ zu vereinigen, hier wäre es gar nicht immer erwünscht, denn es geht in der Projektion zwar nicht einzig um das Diktat eines ›Es-wird-sein‹100, aber durchaus um das, was sein kann oder konnte, und um das, was unter Umständen sein würde oder hätte sein können. Der simulative Perspektivwechsel im Übrigen indiziert, was in der theatralen oder theatrischen Projektion, wie wenig unterschieden auch immer von der Performance gedacht, oft vergessen wird: dass nicht nur die Realitäten des Szenografischen nicht erst ab ovo erfunden und erzeugt werden müssen, sondern dies, darin impliziert, ebenso für die Realitäten des Szenischen gilt. Hier wie dort trifft deshalb zu, dass im Perzept, in »diesem psychischen
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Produkt [...] ein Element enthalten [ist], das mir Widerstand leistet« und das niemand einfach verschwinden machen kann. Und »[w]enn ich daraufhin die Hypothese akzeptiere, daß es einen inneren Gegenstand meiner Gedanken gibt, dann gebe ich dem Bewußtsein des Widerständigen Raum« und erkenne das jeweilige Element als wirklich Widerständiges im Raum an, zumindest vorübergehend. Denn »[s]päter [...] kann ich dies in Frage stellen.«101 Hier liegt der Grund, warum der Schatten des Scheinschlusses nicht zugleich als das Licht seiner Auflösung oder Nichtexistenz erscheinen kann, wenn die Konstellation insgesamt als real seiend behauptet werden soll. Erst mit solchem Infragestellen wird ein ernsthafter Test auf Realität möglich. Denn er achtet auf die Zeichen, die besonders gut geeignet sind anzuzeigen, was ist oder nicht ist. Die Überprüfung läuft hinaus auf den Nachweis von Beharrlichkeit, Selbigkeit gegenüber unterschiedlichen Einzelperzeptbildungen und bestimmten physikalischen Reaktionen aufgrund bestimmter Symptome oder Indices. Aus den gesammelten Anzeichen dieser Art ist zu schlussfolgern, dass es sich in der entsprechenden Manifestation um »die Definition der Realität eines Perzepts« handelt. »Was die Zeichen nachweisen, und zwar so gründlich wie irgendeine aktuale Tatsache nur nachgewiesen werden kann, ist dies, dass wirkliche Perzepte, in ihrer Qualität und ihrer Veranlassung, Tatsachen repräsentieren, die sich auf Dinge beziehen, die unabhängig von den Wahrnehmungen sind«.102
Die Realität realer Relationen. Spiel der Analogien (Peirce) Insgesamt bestätigt sich auf diese Weise – durch Hinweis der Zeichen an den Perzepten – die materiale Erdung der Dinge oder die »Existenz der Materie«. Doch sind viele Dinge real, ohne dass sie auf diesem Weg auch zur Repräsentation finden könnten. Unter den Anzeichen für die externe Realität von Dingen und die Realität solcher Tatsachen repräsentierender Wahrnehmungen oder Gedanken werden keine Anzeichen für verbundene Tatsachen angeführt, die durchaus als »Reale Relationen zwischen Dingen bestehen«. Repräsentiert werden sie in der Grammatik durch bestimmte Satzfunktionen (in der Diagrammatik durch entsprechende Graphen). Dem, worüber der Satz spricht, dem ›Subjekt‹ können verschiedene Prädikate zugewiesen werden, insgesamt alle die Qualifikationen, die über das Subjekt ausgesagt werden sollen. Dies geschieht in einer irgendwie gearteten Form von Korrespondenz oder Parallelität von Satz und Tatsachen, die sich einer analogisierenden Schlussfolgerung verdankt. Das ist der Kern der Erörterung. Bezogen auf die Realität realer Relationen geschieht es »gerade parallel zu der Weise, wie eben die Tatsache, die im Satz selbst zum Ausdruck kommt, auf das Ding, das vom Subjekt Benannt (Named) ist, bezogen ist und auf die Qualität, die Handlung oder die Relation, die sie Bedeutet (Signifies), während die Kopula dasjenige im Satz zum Ausdruck bringt, was in ähnlicher Weise parallel zum lebendigen Sein der Tatsache ist. Dies ist die Hauptanalogie, und mit ihr verbunden besteht in jedem Fall eine Analogie in der Tatsache zu dem Kannsein, der Aktualität oder dem Würde-sein der Kopula. Die Subsistenz des Dinges, die Existenz des abstrakten Zustandes der Dinge und die Aktualität (vergangen oder zukünftig) der Tatsache sind analog und korrespondieren in dieser Reihenfolge mit der Istheit des Subjekts, des Prädikats und der Kopula. Die Mobilität einer physikalischen Masse ist analog zum Sein-können eines Prädikats. Ein geometrischer Punkt, eine Linie oder einer Oberfläche sind analog zum Sein-können eines Objekts. Eine dynamische Kraft ist analog zu einem Subjekt (im Modus) des Würde-
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seins und seine genaue unmittelbare Wirkung ist analog dem Prädikat. Diese Analogien drängen sich jedem, der nur nachdenken will, geradezu auf.«
Peirce expliziert hier die Genealogie seiner Kategorienlehre, aus der heraus erklärlich wird, warum er die Definition der Analogie (als Analogie zwischen einem Modus der Bedeutung und einem Modus des Seins103) zum Medium einer positiven Darstellung seiner Kategorienlehre wählen kann. Es heißt, dass die drei Seinsweisen, wie sie von den Propositionen in den drei Modalitäten gefordert werden, generell »in jeder soliden Erklärung sowohl des Makrokosmos als auch des Mikrokosmos berücksichtigt werden müssen«, wenn eine vollständige Rechtfertigung für ein vollständiges Schließen möglich sein soll.104 Der Anschluss erfolgt offensichtlich an Kant, genauer an die beiden Auflagen der Kritik der reinen Vernunft und die dazwischen liegenden Prolegomena. Soweit es um den Status der Objekte des experimentellen Denkens geht und diese als dessen Produkte genommen werden müssen, gelten die drei elementaren Zustandsbeschreibungen der Dinge: Möglichkeit, Wirklichkeit, Notwendigkeit. Der Anschluss hätte auch an Aristoteles´ Erste Analytik erfolgen können, Peirce weist ausdrücklich darauf hin105, auch wenn der Platonschüler die Kant´schen auf die Sinnlichkeit bezogenen Unterscheidungen und Einschränkungen nicht reklamierte, weder die Differenz von Sein und Erkanntsein noch die von Dingen und den sie bedeutenden Ausdrücken. Mithin, so Peirce, bezog Aristoteles dieselben drei Begriffe schlicht »aus der Sprache« und hielt sie, obwohl auf Worte und so auf Dinge bezogen, »fraglos für ›objektiv‹«. Hiermit wären dann die mit der Hauptanalogie verbundenen Analogien benannt, die sich jedem aufdrängen, der nachdenkt. Insgesamt führen sie Peirce zu den Einsichten seiner »Logischen Analyse«.106 Mit ihrer Hilfe weist er nach, dass es »genau drei – und nicht mehr – Elemente in jedem einzelnen Erkenntnisvorgang gibt«, die grundlegend sind, auch wenn zwei der elementaren Kategorien weiter unterteilt werden können.107 In den Prolegomena differenziert Peirce die drei Universen in das der Tatsächlichkeit (oder der aktualen Tatsachen), das Universum der Möglichkeiten (oder »der Umstände und Zustände, die an sich genommen möglich sind«) und das Universum der Intention oder Finalität (»das aus vorherbestimmten Ergebnissen besteht« oder aus irgendwelchen anderen Umständen oder Zuständen, »die nicht so verstanden werden können, daß sie entweder eine Möglichkeit oder eine Tatsächlichkeit leugnen oder behaupten«).108
Perzept-Vertrauen, Wahrnehmungsurteil & mutmaßlich gerechtfertigtes Schlussfolgern (Peirce) Dass reale Relationen zwischen Dingen bestehen, bedeutet nicht, dass eine relationale Tatsache als Prädikat auszusagen das Subjekt des Satzes per se in einen derart relationierten Subjekt-Verbund transformieren würde, in eine gemischte oder aus Teilen bestehende Vielheit. Umgekehrt aber denotieren relative Zeichen eine Menge von Einzelobjekten, während nicht-relative Zeichen ein einzelnes Objekt herausgreifen. Die Frage nun ist, ob mit der Tatsache der Qualität bestimmter Dinge und der Relation, welche diese Tatsache aktual ausmacht, auch die Tatsache in Beziehung stehender Dinge ausgesagt werden kann – und sei es, dass es sich schlicht um die Beziehung handelt, anders zu sein. Zu entscheiden ist, ob hier schließlich doch eine nominalistische oder konventionalistische Auffassung über die Ganzheit eines Objekts obsiegen muss. Denn es wird keinen Grund für die Annahme einer wirklichen Vielheit von Teilen geben können, wenn sich jede diesem Umstand entsprechen wollende Zerteilung oder Territorialisierung deshalb als künstlich oder willkürlich
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herausstellen muss, weil die Grenze, irgendwo anders gezogen, genauso ihre Rechtfertigung findet. Die Teilung würde mithin für alle Aufteilungen gelten und damit für keine außer der, die sich kraft des Willens des Subjekts durchsetzen kann. Im Konventionalismus der Inszenierungsgesellschaft ist dies die Figur, die notorisch positiv ausgelegt wird: Welche Territorialisierung beziehungsweise Deterritorialisierung auch immer vorgenommen werden sollte, setzt sie sich durch, wird ihr Erfolg sie rechtfertigen. Der Obersatz des Arguments lautet, dass nichts derart Uneindeutiges wie eine Vielheit oder eine Einheit ohne Grenzen als real zu bezeichnen sei. Teile ohne ortstreue Grenzen sind uneindeutig, so heißt hier die Prämisse. Folglich können Teile mit uneindeutigen Grenzen nur konventionell bestimmt sein. Foucault markierte hier die Schwelle zwischen Begriff und Subjekt. Weil der Obersatz offensichtlich metaphysischer Natur ist, hält Peirce diesen Schluss ebenfalls nicht für ausgemacht. Stattdessen, muss man folgern, lässt sich darüber nur einzelfall-, erfahrungs- und situationsbezogen urteilen. Denn kein Mensch kann wissen, ob alles Uneindeutige tatsächlich konventionell ist. Peirce lässt die Antwort in ersten Versuch zu Signific and Logic in der Schwebe. Hundert Jahre später weiß man es besser. Die Antwort lautet: »nein«.109 Die Aporie, auf welche die auf Einzelerfahrung lenkende Ad-hoc-Lösung abstellt, macht Peircens zweiter Versuch zum selben Thema explizit. Denn hier wird darauf hingewiesen, dass eine externe Tatsache als unabhängig zu behaupten durchaus gewissen Einschränkungen unterworfen werden sollte, »gleichgültig, welche denkbare Veränderung in dem eintreten sollte, was jedem menschlichen Geist zu Fühlen, Denken, Tun oder Erleiden möglich sein sollte«. Der Grund ist pragmatischer Natur: Peirce möchte verhindern, was leicht passieren könnte: dass »die meisten der bekannteren Formen des Idealismus« die Unabhängigkeit externer Tatsachen unter zu strikt ›realistisch‹ formulierten Bedingungen nicht mehr anerkennen würden. Ein Perzept stellt verständlicherweise keine vollständige Urteilsbildung und insofern auch keine entsprechende Proposition dar. Wenn es um die Vollständigkeit geht, könnte man sagen, dass wir uns gerade am Beginn des turns befinden: Was verpfändet werden soll, wird vorgezeigt. Aber, sagt Peirce, und das ist dann doch eine eindeutige Auskunft, »trotzdem ist es unmittelbar so, d.h. ohne irgendeinen weiteren Grund, daß dem Perzept zu vertrauen heißt, auf die Wahrheit einer Proposition oder von Propositionen zu vertrauen, welche die Aufmerksamkeit gegenüber dem Perzept mich gegenüber meinem anderen Selbst zu äußern veranlassen wird; und so entstandene Urteile nenne ich [›]Wahrnehmungsurteile[‹]«.110
In der situativen Wahrnehmung, mit anderen Worten, befinde ich mich eigentlich in einer Situation, in der es keinen wirklichen Grund gibt, meinen Eindrücken zu trauen. Da unabhängige Überprüfung aber nicht möglich ist, kann ich gar nicht umhin, die Eindrücke zu behandeln, wie wenn ich aus Argumenten heraus berechtigt wäre, ihnen entsprechend zu urteilen beziehungsweise zu schlussfolgern. Ein solcher Schluss erfolgt in Analogie zum Ergebnis einer Selbstbeobachtung. Würde ich sie auf einen Nenner bringen, zeigte sie mir mich als jemand anderen: als jemanden, der weiß, was er tut. Entsprechend verläuft die Beurteilung eines Perzepts (oder einer entsprechenden szenografischen Fassung) als mutmaßlich berechtigtes, deshalb vertrauenswürdiges Wissen um die Einlösung der Projektion in der Szenifikation dessen, worum es geht – vorausgesetzt, dem Prozess wird hinreichende Aufmerksamkeit gewidmet.
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Nun ist ein normales Wahrnehmungsurteil assertorisch, was für diese unter dem Konditional eines verobjektivierenden Als-ob der Selbstbeobachtung stehende Äußerung offenbar nicht zutrifft. Das Perzept beinhaltet nämlich keineswegs qua Kopula einer angenommenen Proposition die Behauptung einer Wahrnehmung im Sinne eines aktual bestehenden So-Seienden. – Deren Verneinung, im Übrigen, wäre unproblematisch, weil dem diskutierten Fall einbeschlossen, wenn lediglich ein anderer Fall desselben Typs vorläge. Denn da es sich um eine bedingte Erwägung handelt, muss das ›Urteil-als-ob‹ als entsprechend ›eingefärbt‹ gelten und deshalb als ein modales Genus, das nicht, was ist oder nicht ist, konstatiert, sondern was voraussetzbar ist oder nicht. In der Projektion hieße dies im Blick auf das Wahrnehmungsurteil: »[D]as Objekt könnte so oder so beschaffen sein«, was die einfache Negation beinhaltete: »wenn nicht so, dann so, anders«. Die eigentliche Verneinung müsste dagegen der Modalität selbst gelten: »[E]ntweder sehe und verfolge ich das richtig oder nicht«. Der Schluss an dieser Stelle lautete: »[D]iesem Subjekt kann nicht dieses Prädikat zugeschrieben werden«. Die echte Negation hat die Tendenz, die Behauptung umzukehren. Das heißt, dass eine aktuale Äußerung zu Wahrnehmung oder Eindruck sich gar nicht damit zufrieden geben kann, diesem oder jenem Eindruck zu vertrauen, sondern sich entscheiden muss. Ansonsten wäre das Instrument nicht in der Lage zu tun, was seine Aufgaben sind. Die realen Tatsachen des Falls betrachtet, bleiben allein »drei Aussageweisen anzunehmen: 1. die Behauptung eines Gesetzes wie ›S wird P sein‹ oder ›S würde P sein‹ [...111]; 2. die Behauptung von Freiheit oder ›S könnte P sein‹ oder ›S kann P sein‹, [...112]: und zwischen diesen beiden 3. die Behauptung einer Aktualen Tatsache wie ›S ist P‹.«113 Damit sind alle möglichen Rechtfertigungen des Schlussfolgerns benannt. Sie alle müssen bei der Erörterung der Parallelismen oder Analogien zwischen Proposition und Aussage (Prädikation) über ihren Gegenstand (Subjekt) als Realeigenschaft des damit gefassten Objekts berücksichtigt und diskriminiert werden. Es wird deutlich, wie die Externalisierungsstrategie argumentieren könnte. Erste Überlegung: die Differenzierung der Aussageweisen in Abhängigkeit der Selbstdifferenzierung ist Voraussetzung der Deutung, welche Schlussfolgerung und Urteilsbildung beinhaltet. Zweite Überlegung: Somit dürfte die Behauptung einer aktualen Tatsache in den meisten Fällen nicht möglich sein, weil ein Drittes nicht auszuschließen ist und man die Tatsache mit ihrer Negation fallen lassen müsste. Stützende Beobachtung: In der Diskussion von Räumen, Topografien und Topologien, unabhängig in welcher medialen Formatierung übermittelt, sind Äußerungen dieser Art lediglich in selbstreferentiellen Aussagen zu finden. Die Schlussfolgerungen lauteten: Da es generell um Darstellungsabhängigkeiten zu tun ist, sind je nach Kontext verständlicherweise die Aussagetypen 1 und 2 zu erwarten, gegebenenfalls ausdrücklich konditional erweitert. Sodann kommt die Behauptung eines Gesetzes nur für bestimmte Prämissen infrage, deren Effekte die entsprechenden Wahrheitsbedingungen einlösen können. (Naturwissenschaftliche oder psychologische Theorien zum Beispiel, die der Falsifikation durch experimentelle Überprüfung ausgesetzt werden.) Mithin dürfte die übliche Aussageform die der Behauptung von Freiheit sein. – Es ist dies eine Konsequenz, die zu rechtfertigen sein muss, soll die Offenheit der Semiose nicht gefährdet werden. Nichtsdestotrotz, vorderhand auf Externalisierung zu setzen ohne Prüfung der Variabilität des Modells und der Varianten in dieser Konsequenz ist schwerlich zu rechtfertigen. Denn der entscheidende Punkt scheint doch, dass die aktuale Tatsachenbehauptung im Aktionsfeld zwischen der strengen hypothetisch konditionalen
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Prognose und der weniger strengen Ventilierung möglicher Verläufe liegt und sich im Verfahren erst durchsetzen muss. Die Vorentscheidung für die zweite Aussageweise wiederum erscheint bewusst kurzschlüssig. Der Effekt allerdings ist offensichtlich: die Behauptung der Freiheit oder einer Vielfalt von Möglichkeiten, unterschiedlich und Unterschiedliches darzustellen, erfolgt mit der Behauptung dieses Umstands als Tatsache ineins.
Projektionsunschärfen analoger Schlussverfahren Es scheint, dass die Projektionen per analogiam gleich an zwei Stellen Unschärfen mit sich führen. Muss sich die Anwendung in Analogie nicht wie ein präsentisches Wahrnehmungsgeschehen ausnehmen und wären hier nicht wiederum allein Evidenzen des Erscheinens, Sich-Zeigens und Wahrnehmens geltend zu machen? Und folgte aus solcher Strukturvorgabe nicht, dass Anwendungen auf die Vergangenheit oder Zukunft, gleichviel, memoriale Vergewisserungen, genealogische Forschungen oder prognostische Aussagen etwa unmöglich wären, da ein adäquater, quasi ›authentischer‹ Zugang fehlte? Die Lage ist weniger problematisch, als es scheint. Denn soweit der Differenz der Modalitäten, allem voran in Zeit und Raum, grammatisch (darstellungsspezifisch) und auf diese Weise auch ontologisch Folge geleistet wird – Seinsund Existenzzustände also nicht verwechselt oder identifiziert werden –, muss die resultierende Bedeutungserschließung eines aktualen Geistes in Fällen von Vergangenem oder Zukünftigem, Möglichem oder Wahrscheinlichem nicht notwendig unzureichend oder inadäquat ausfallen. Dies zum einen. Zum anderen entscheidet dieses Verständnis nicht ipso facto über die situativen und szenischen Wirklichkeiten des Lebens. Mit einem durch Wahrnehmung gewonnenen Orientierungswissen ist zwar einiges, aber längst nicht alles getan, selbst wenn die ›szenografische‹ Raum-ZeitProjektion dies leisten könnte. Auch angesichts des Unterschiedes, dass die Projektion zunächst scheinbar als Repräsentation ausfiele (etwa in Gestalt eines Bildes oder Diagramms), sodann, in der Projektion solcher Repräsentation auf ›die Welt‹, als ›Realität Praxis‹ eines Diskurses sozusagen, wäre es nicht so. Als Bild, Diagramm oder Text lesbar, als einer ihrer ›Bereiche‹ wäre solche Realität freilich wieder im Spiel. Und alles Fühlen, Vorstellen, Urteilen drehte sich im Rahmen des gewählten Mediums. Doch lassen sich die Fälle derjenigen Realisierung (Verifikation, Falsifikation), die im Gelände aus den verschiedensten Gründen nicht möglich ist, von den Fällen, die eine Überprüfung gerade dort fordern, gut unterscheiden. Im ersten Fall wird man an wissenschaftliche Forschungen denken, bei denen »[s]olche Operationen [...] an die Stelle der Experimente mit wirklichen Dingen [treten]« – astronomische Experimente zum Beispiel oder Experimente der Hochenergiephysik114, in denen mathematisch simuliert wird –, oder auch an fiktionale Darstellungen in Literatur und Film, deren Szenifikationen ebenfalls im medialen Raum, im Raum der Zeichen verbleiben. Dem gerechneten Absturz einer Marsfähre muss so wenig wie dem Freitod Werthers ein Begräbnis folgen, und Nemos Matrix-Anschluss muss nicht desinfiziert werden. Anders die Fälle, in denen der Entwurf dem Verzehr durch das Leben selbst ausgesetzt ist, wo szenisches Agieren und szenische Betroffenheit wirklich zusammenfallen. Doch selbst diese Differenz vorausgesetzt, wären Fühlen – alles beginnt gewöhnlich mit dem Fühlen –, Wahrnehmen und selbst Agieren allein kaum in der Lage, die Realität zu diskriminieren. Man denke an das Gedankenexperiment Hilary Putnams zu den Chancen der »Gehirne im Tank«, sich Klarheit über ihre Lage zu verschaffen. Wenn alle zur Außenwahrnehmung notwendigen Rezeptoren
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und neuronalen Verbindungen vorhanden wären und entsprechende Sinneseindrücke vermittelten, wenn die Simulation des Außen perfekt funktionierte, woran wäre erkennbar, dass die Gehirne tatsächlich nur in einer Nährlösung schwimmen? Was den Gehirnen im Tank fehlte, wäre die lebendige Erfahrung – die Erfahrung der Lebendigkeit des eigenen Körpers im Umgang mit den anderen Körpern und dem wirklichen Leben. Im Tank vermischte sich nur Ähnliches mit Ähnlichem zu einem unendlichen Kosmos von Ähnlichkeiten, in dem jeder Versuch, praktische Gewohnheiten einzuüben oder zu verändern, im Sande verlaufen müsste. Wissen und Orientierung sind motiviert von einem Bedeutenlassen und Schlussfolgern im Sinne wirklicher Gewohnheitsveränderung.115 Das gilt, unabhängig von der Bezugsmatrix, gleichviel für im Medienraum verbleibende Darstellungen, sei es science, sei es fiction, wie für auf reale Situationen zielende Intentionen. Schlussfolgerungen beweisen sich daran, dass ihre Analogien das Leben betreffen, dorther stammen und wieder dorthin gehen. Darin ist die szenische Orientierung handlungsdynamisch. ›Den Weg nach Larissa gehen‹. Unlösbares lösbar machen. Praktisches Analogisieren (sokratische Diagrammatik)
Sokrates will mit Menon über ein respektables Leben in der Polis reden, wie es zu bewerkstelligen und ob dies lehrbar sei. Doch vermögen sich die Gesprächspartner dem Problem nicht direkt zu nähern. Worauf gezielt wird, was Tugend ist, weiß niemand, kann folglich nicht vorausgesetzt, sondern muss zunächst gefunden werden. Die Exposition des Platon´schen Menon schlägt eine zweifache Verschiebung vor. Wenn unmittelbar, das heißt, ohne Grund zu schlussfolgern nicht möglich oder dienlich erscheint, um Klarheit zu gewinnen, solle man generell in jedem Fall zuerst die Bedingungen klären. Wenn sich dabei herausstellt, dass auch die Problematisierung der Prämissen nicht unmittelbar am Gegenstand erfolgen kann, empfehle sich eine weitere Problemverschiebung auf einen Modell- oder Demonstrationsfall, an der die Methode der Problemlösung studierbar sei. Die Rückkehr zum relevanten Exempel gelinge dann über ein analoges Verfahren. Auf diese Weise eröffne sich eine Möglichkeit, auch in schwierigen Fällen zu begründeten Schlüssen zu gelangen. Nicht nur die Modellierung der Problemlösung übernimmt Sokrates dabei im Menon aus den Praktiken der Geometer. Dasselbe gilt für die vorhergehende Verlagerung unlösbarer Aufgaben auf lösbare. Wenn die Landvermesser gefragt werden, ob eine bestimmte Fläche einem Kreis als Dreieck einbeschrieben werden könne, antworten sie, dass sie es nicht wüssten. Allerdings bieten sie gewöhnlich an, die Frage »von einer Voraussetzung aus« (ex hypothéseōs) zu untersuchen. Wenn sie also die Frage beantworten müssten, so Sokrates, ob irgendein Dreieck irgendeinem Kreis einbeschrieben werden könnte, würden sie vorschlagen, den Fall zu testen. Sie ließen dann einen Kreis um die Grundlinie des Dreiecks schlagen. Bliebe im Ergebnis ein gleich großes Kreissegment wie das über der Grundlinie gezeichnete übrig, lägen die Dinge offenbar anders als bei einem Ergebnis, bei dem keine rechtwinkligen Dreiecke resultieren. »In Beziehung auf diese Voraussetzung nun« wäre dann auch die vorgelegte Frage beantwortbar, »ob sie [die »Einspannung«] unmöglich ist oder nicht«.116 Man weiß jetzt, da man die Alternativen oder die Differenz kennt, wie es weitergeht. Die Verschiebung der Erläuterung eines nicht offensichtlich zu klärenden Sachverhaltes auf die Demonstration einer lösbaren Aufgabe ist daher nicht nur grundsätzlich nützlich, sondern vor allem hinsichtlich des Perspektivwechsels bei der Herleitung aus belastbaren Prämissen.
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Etwas nachvollziehbar zu tun ist nützlicher als ›richtige‹ Vorstellungen (doxa orthē) zu artikulieren, die nur dann als Leitsterne genauso gut taugen wie wahre Vorstellungen (doxa alēthēs), wenn sie sich als zutreffend bewährt haben sollten, der Prozedur also unterworfen wurden. Dann erst steht, was als Vorstellung ganz richtig klingen mag, im Range einer Einsicht aus praktischer Urteilskraft (phronēsis). Dafür aber muss der Weg tatsächlich gegangen worden sein. Denn mit den Vorstellungen verhält es sich so wie mit den »Bildwerken des Dädalos«. »Weil auch diese, wenn sie nicht gebunden sind, davongehen und fliehen; sind sie aber gebunden, so bleiben sie.« Selbst richtige Vorstellungen »sind nicht viel wert, bis man sie bindet durch begründendes Denken.« Dann erst »bewirken sie alles Gute.«117 Methode, Didaktik und Demonstration betreffen mithin nur einen Teil der Geschichte.118 Der andere Teil geht die Unternehmung im Gelände an. Dass etwas wissen und einen Plan zu haben von Vorteil ist, muss sich beweisen. Im Vertrauen auf ein Wissen (begründendes Denken) einen Weg zu gehen, der ans Ziel führt, ist, wie wenn jemand, »der den Weg nach Larissa weiß, oder wohin du sonst willst, vorangeht und die andern führt«.119 Man wird von der Begründung zu ihrem Zweck zurückfinden müssen. Das Ziel ist in praktischen Angelegenheiten mit einer bloß erklärenden Begründung und deren medialer Aufbereitung nicht erreicht. Daher ist es wichtig, auf die Rahmung zu schauen, auf die »Bindung« der Bilder. Sie ist sozialer, kommunikativer und szenischer Art. Die bei sich bleibenden Vorstellungen mögen wahr sein oder nicht, entscheidend ist zu sehen, dass sie nur aus dem miteinander Umgehen erwachsen und sich in der Praxis dieses Umgangs bewähren müssen. Auch für Platon hat das Perzept der Erinnerung Entwurfscharakter. Der Prozess ist – wie auch immer im Detail – dynamisch vorzustellen, an energetischen Austausch gekoppelt. Nicht nur das szenische Agieren stellt die Frage der Energien. Die Szenifikation, um die es geht, braucht ebenfalls Energiezufuhr, da sie Mengen davon transformiert. Vergleichbar steht es bei der Szenografie, sofern sie strukturbildend vorausgesetzt wird. Immer wenn sich die Produktionsleistung nicht in einem rein intellektuellen oder technisch automatisierten Prozess erschöpft, ist die leibliche Präsenz nicht ohne energetischen Austausch vorstellbar. Das szenografische Entwerfen, das mit den Perzepten des Wahrnehmens beginnt, setzt Energien frei, braucht indes auch selbst Zufuhr von außen. Man könnte meinen, bloße Entwurfsszenografie, die auf die Evidenz der zu projizierenden opsis vertraut, brauche weniger Energien als komplexe intellektuelle und gestalterische Planung, der ebenso wie an den Formen an den Inhalten gelegen ist, an der Einheit von mythos und istoria. Dass das Geschehen seine Überraschungen bereithalten wird, eingedenk und mit Hilfe noch vieler weiterer Anleihen bei den Zeichen und bei den Dingen, ist unvermeidbar. Denn umgebaut wird auf der Reise. Nicht nur die Varianten der Szenifikation sind vielfältig, sondern ebenso ihr Austausch mit den Vorstellungen und Ideen, in die sie verwickelt sind. Die Bilanz wird unausgewogen bleiben, und die Szenifikationen werden sich erschöpfen müssen. Denn sie bedeuten tatsächlich das Leben. Verschwendung wird auf jeden Fall betrieben. Wie sehr, erhellt, wenn die nichtsouveräne Arbeit zu Buche schlägt. Es werden Opfer zu beklagen sein.
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iii.2 topologie, topografie & die ästhetik der inszenierung Im Kontext von Inszenierungsstrategien und Szenografien von gestalterischer »Intervention« zu sprechen ist nicht unberechtigt. Es beinhaltet, dass das Geschehen und Erleben im szenischen Raum von den verschiedensten Kräften der Einflussnahme auf Stimmungen und Gestimmtheiten, Handlungen und Überzeugungen bewegt wird. Doch sollte die Einflussnahme nicht als unmittelbares Einwirken auf Spiel und Spieler durch verantwortliche Dramaturgen oder Regisseure vorgestellt werden, abgesehen von einschlägigen Veranstaltungsformaten, die von strenger Direktive geprägt sind. Gewöhnlich aber sind Verstehen und Bedeutenlassen im Handlungsraum weder einem posthypnotischen Auftrag geschuldet, noch wird man sie als grundsätzlich hermeneutisch offenes Unternehmen für jedermann kennzeichnen wollen. Vielmehr stehen Intentionen und Handlungen unter pragmatischen Vorzeichen. Keineswegs sind damit die Fragen nach Moral und Sittlichkeit aus dem Spiel. Im Gegenteil, sie werden im Spiel verhandelt, nicht a priori. Durchaus wollen die Akteure an die Dinge, auf die sie sich verstehen, von denen sie wissen, was Sinn macht im Umgang mit ihnen und wie sie zu nutzen sind. Sei es, um mit den Dingen und um sie zu streiten – vielleicht, um sich mit ihnen zu versöhnen und dies im szenischen Spiel zu üben, sei es, um sich der Objekte als Gegenstände zu bemächtigen – was für die Subjekte, die darauf aus sind, schnell dazu führen kann, dass sie unter ihr Regiment geraten. Die Schlacht ist offen. 1
wahrnehmung. system der sinnlichkeit
Offensichtlich findet sich kein Standpunkt, von dem aus ›von außen‹ denkend auf Entwurf oder Entworfenes, Darstellung oder Dargestelltes ›zugegriffen‹ werden könnte. Die Positivitäten der Inszenierungsgesellschaft sind bestenfalls indexikalisch zu deuten, und das heißt, nicht selten unzureichend. Sie zeigen sich an, sich an sich selbst.
Szenografie der Sinne. Szenografie des Geistes – Erweiterte Szenografie Die Logik der Darstellung szenografischer oder szenischer Art, Szenografien oder Szenifikationen samt aller Inszenierung auf den Bühnen im Licht wie denen im Schatten, unter diesem Gesichtspunkt betrachtet, wird sich kein Entwurfs- oder Darstellungsraum finden lassen, der nicht der Logik, die mit seinem Entwurf konzipiert erscheint, schon unterworfen wäre. (»Logik« verstanden im Peirce´schen Verständnis als semiotische Darstellungsphilosophie: Entfaltung der Bedeutung von Dingen und Ereignissen im Prozess der Semiose.) Von daher birgt es keine Pointe, eine »Szenologie« zu privilegieren, die doch zugleich selbst »szenografisch« genannt werden müsste, wenn auch in einem weit gefassten Verständnis. Denn Ideenfindung und Ideenbindung der expanded scenography dienen nicht allein dem Gestaltungsentwurf und seinem Skript, sondern ebenso der Modellierung des szenografischen Denk- und Gestaltungsraums im Dienste intendierter Szenifikationen. Soweit nicht nur die theatralen und theatrischen Aufführungen, sondern auch deren heterogene Vorlagen ins Auge fallen, kann die Konsequenz nur lauten, dass alles, was in diesen Räumen geschieht, nicht verlangt, ›szenologisch‹ hyperrationalisiert und derart hypermedialisiert beantwortet120, sondern als symptomatisch verstanden zu werden, mithin praktische Behandlung verlangt. Vor allem wenn man bedenkt, dass sich unter den
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szenografischen Referenzen auch die literarische oder wissenschaftliche Darstellung und Kritik von Bühnen- und Inszenierungstatsachen finden, die nicht nur den Bühnen von Kunst und Kultur, Politik und Medien gewidmet sind, sondern ebenso denen des eigenen, des akademischen oder schriftstellerischen Auftritts. »Bedeutungsentfaltung« im gewöhnlichen Verständnis von »Bedeutung« mag als Beschreibung der modellbildenden und entwerfenden Tätigkeit von scenografia, istoria und disegno noch hingehen. Als Beschreibung der anvisierten szenischen Handlungseinrichtung und der dort zu schlagenden Schlachten scheint die Beschreibung indes allzu unterbestimmt. Die Verbindung von Zeichengebrauch, Bedeutenlassen und Schlussfolgern, insbesondere aber die Erweiterung des Schlussfolgernbegriffs über seine Zuständigkeiten auf dem Feld intellektueller Tätigkeit hinaus auf das praktischer Gewohnheiten und Gewohnheitsveränderungen weisen den Weg, diese Unterbestimmung wettzumachen. In der unübersichtlichen Gemengelage der Positivitäten und Dispositionen von Szenifikations- und Inszenierungsentwürfen bestimmen nur ausgesuchte Handlungsgründe das Sich-zurecht-Finden als alleinigen Zweck. Selbst diesen Zweck zu erreichen, kann es nicht dienlich sein, einen dogmatisch szenografischen, gewissermaßen ›politischen‹ Standpunkt einer passend erscheinenden Auftrittsdramaturgie zu wählen, ihr folgend fremde Territorien aufzuteilen und einzuverleiben wie die Conquistadores die eroberten Landstriche der Neuen Welt. Sie hatten sich vorgenommen, den Bewohnern der fremden Länder ein Stück nach eigenem Drehbuch vorzuschreiben. Zurückhaltung gilt allemal, wenn bei nüchterner Beurteilung der Sachlage – und, allerdings, Verzicht auf Gewaltsamkeiten – keinerlei Aussicht besteht, mit dieser Strategie auch dann durchzukommen, wenn es um mehr geht, als sich in Karten und Diagrammen, in Texten oder Bildern, in Medienräumen zurechtzufinden. Angezeigt im Ganzen, das heißt auch über den ›Rahmen der Orientierung‹ hinaus, wird jedenfalls ein Spiel, dem zu folgen oder nicht zu folgen Protagonisten und Kontrahenten, nicht lediglich Beobachter gefragt sind. Dieser Forderung zu entsprechen liegt offensichtlich aber nicht bei den Akteuren, sondern im Dispositiv selbst beschlossen. Denn es indiziert nicht nur die Techniken und Werkzeuge, Medien und medialen Strategien inklusive der intellektuellen Modellierungs-, Entwurfs- und Realitätsversicherungsstrategien, sondern ebenso die physische und psychische Basis des jeweiligen Produktions- und Zirkulationsprozesses im Rahmen herrschender Produktionsverhältnisse. Das betrifft die Positivitäten – wenn man so will, die Daten – der technischen und medialen Ressourcen wie der ›Humanressourcen‹.
Streben & Praktiken der Sinne. ›Sinn‹-Verstehen Über die Logik des Raums zu sprechen beginnt unter pragmatisch realitätsbezogenen Bedingungen vernünftigerweise mit der Modellierung des umgebenden Erfahrungsraums. Hinsichtlich der Bühnen der Inszenierung stößt man deshalb auf die Stadt und den Raum der Urbanisierung als Raum flottierender Kommunikation und Information. Es handelt sich, sozusagen, um die sozialen Rahmenbedingungen qua Lebensraum. Wissenschaftlich betrachtet, stoßen wir daher auf soziologische Analysen und Konzepte der Raumtheorie. Die ›Nutzer‹ oder ›Konsumenten‹, die hier in Frage kommen, werden als Kollektive konzeptualisiert. Unter künstlerischem Betracht zersetzen sich die Kollektive wie selbstverständlich; in mikrosoziologischer Fokussierung der Bevölkerungen ebenso, allemal dann, wenn das Bewusstsein der Individuen fokussiert wird. Die ästhetische Problematisierung macht deutlich, dass kollektiven Überzeugungen, kollektiven Willensbekundungen und Bewegungen, kollektiven Leidenschaften und Affekten individuelle Sinnen- und Sinnlichkeitsverhältnisse
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zugrunde liegen, die psychologisch und physiologisch zu verstehen nicht ein Kollektivkörper, sondern einzelne Leiblichkeiten in den Blick genommen werden müssen. Der physikalisch energetischen – technischen – Betrachtung entspricht die phänomenale Begutachtung der Intentionalität im System der Sinnlichkeit, einer Bewertung, die sich von der Urteilsqualität des ›Wahrnehmungsurteils‹ – einer enormen Abstraktion offenbar – nicht besonders beeindrucken lässt. Hier wird das intentionale Streben eines vorgeblich rationalen Plans als sinnen- und empfindungs-, körper- und leibverbunden und von daher begehrens- und lustgesteuert identifiziert. Sich auf die Spur einer diese Prämissen realisierenden Modellierung und Veranschaulichung zu begeben bedeutet, die Phantasie auf die Erfüllung der in solchen Entwurf gepflanzten Wunschvorstellungen und Affekte zu konditionieren. Die Diagrammatisierung logisch epistemologischer oder semiotischer Zusammenhänge greift aus ganz gegenteiligen Gründen zur visuell einprägsamen Darstellung. Zumindest erscheint die Lust im Vergleich zum rein sinnlich motivierten Appetitverhalten sublimiert.121 In weitaus den meisten Fällen, in denen es nicht auf die Wahrheit ankommt und darum nicht um Transparenz und abgestimmtes Einverständnis über den Weg dorthin zu tun ist, sondern um die Befriedigung der Lüste, steht die Wahrheitsverpflichtung der Darstellung, so sie denn überhaupt artikulierbar ist, in der ästhetischen Umgebung von Darstellung, Affizierung und Affektion auf einsamem Posten. Gerade für die sinnliche Stimulierung und Wirkung wird das Bild gesucht, das die Vorstellungskraft stärken soll wie den Willen, sich ihr entsprechend einzurichten und durchzusetzen. Es leuchtet ein, dass es sich bei diesem Bild nicht um ein entfaltetes Genregemälde handelt, dass sich vielmehr so gut wie jede Darstellung unter diesem ›Bild‹ einfinden kann und dass selbst Schemata und diagrammähnliche Aufrisse, Zeichnungen, wenige Striche vergleichbare Effekte zeitigen können. Dieses »Bild« mag eine Metapher sein, doch muss es, um dem Begehren zu entsprechen, ein szenisch situatives Bild, ein Szenario imaginieren. Außerdem darf der Umweg über die ›Darstellung‹ nicht zur Verzerrung der ästhetischen Perspektive führen. Denn die Darstellung wird möglicherweise einen Text und insofern sein ›Bild‹ privilegieren, das, was er repräsentiert. Die Bedeutung des Sehens und des Auges als Verstehensorgan für einen ›Text‹, der aus einer entwerfenden Hand stammt, wird so leicht unzulässig zurückgesetzt. Schon sinnerschließend zu lesen bedeutet, hinzuschauen und zugleich die erlesenen Laute (zumindest bei sich) zu formen. Allemal ist das gesprochene Wort an ein zuhörendes Ohr gerichtet, wenn auch das Verstehen hier über die körperliche Präsenz der Sprechenden mehr bekommt als nur Töne und Klänge.122 Schauen wir auf die Kreativabteilungen der Szenografie, erhellt umso mehr, dass die Performanz der Darstellung nicht dezidiert auf Urteil, Argument und logisches Schlussfolgern orientiert ist. Und auch die Wahrheitsverpflichtung, sollte sie denn zu den Prämissen des szenografischen Entwurfs gehören, muss ganz andere Gestalten hervorbringen können als lediglich in Propositionen oder Aussagen gekleidete Artefakte. Das gilt für Bilder, Klänge und Geschmäcke, Berührungs-, Bewegungs- und Lageempfindungen und auch für Gerüche, deren Komposition nur noch bei wenigen als Kunst gilt und nur noch von wenigen als solche ausgeübt wird. Dass nun aufgrund der Präsenz der Sinnlichkeiten als Instanzen von Wahrnehmung und Empfindung wie Motivation und Verhalten die Erzählung (mythos, istoria) zu kurz kommen müsste, ist ausgeschlossen. Im Gegenteil ist die Überführung der Wahrnehmungen an Vorstellungskraft und Phantasie und die Ansteckung der einen durch die anderen gerade dadurch gekennzeichnet, dass es sich um eine Überführung an
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anamnesis und mimesis handelt. Es findet gewissermaßen eine Kontamination mit den Narrativen des für Auge und Ohren, Gaumen und Nase Erzählten statt. Mit dem mythos findet man sich in eine opsis ein – wenn man denn mit Aristoteles den Sehsinn ästhetisch bevorzugt behandeln möchte. Erst damit wird das Ganze zu einem Spiel der unendlichen Variation ausdrucks-, gestalt- und gestaltungsgebundener Zeichen und Bedeutungen. Der mythos bestimmt die herrschenden Positivitäten.123 Da unter den Empfindungen Befriedigung oder Freude »das einzige vorstellbare Ergebnis ist, das mit sich selbst zufrieden ist«, und da uns gerade das als besonders erstrebenswert gilt, zu dem außer ihm nichts bewegen könnte, »ist demnach die Freude, die Wonne das einzige Objekt, das diese Bedingungen erfüllen kann«.124 Nur ist auf diese Weise kein einmal fixierbares Ergebnis, Objekt oder Ereignis zu gewinnen. Eine bestimmte Empfindungsqualität, wie sie uns etwas als schön Empfundenes auf »das Schöne« projizieren lässt, kann kaum dafür stehen, solange es nicht möglich erscheint, das eine nachweisbar an das andere zu binden, was nicht heißt, dass man es nicht glauben kann.125 Da sich der Beweis indes über die Realisierung der Befriedigung gerade nicht dauerhaft herstellen lässt, erklärt sich ein anhaltendes Totalisierungsbedürfnis. Es realisiert sich nicht allein in der Hinwendung auf die Fülle der Möglichkeiten einzelsinnlicher Excitation oder die Fülle ästhetischer Komplexion zur Erzeugung bestimmter Empfindungseffekte, die nur synästhetische Wirkungen herbeiführen können. Das Totalisierungsbedürfnis, das durchaus zwanghaft geraten kann, artikuliert sich vor allen in denjenigen Anstrengungen, die es angesichts der vor einer offenen Zukunft antizipierbaren Wiederholungsnotwendigkeit dennoch grundsätzlich als vernünftig erscheinen lassen sollen, solche Einlösung zu erhoffen. Doch ist sie aus doppeltem Grund nicht zu bekommen. Nicht nur übersteigt die Fülle die Möglichkeiten, ihrer individuell leibhaft sinnlich habhaft zu werden – deshalb kann die Aufgabe nur lauten, sich immer wieder einen möglichst großen Anteil zu sichern. Auch wäre die einzige adäquate Einlösung des hypothetischen Anspruchs ›auf alles‹ gezwungen, ihn mit den Bestimmungen eines ›Hier-und-jetzt‹ zu verbinden, eines ›Ein-letztes-für-alle-Mal‹. Faust ventiliert die Lösung auf romantisch poetische Art, kann sich indes bekanntlich nicht sehr dafür erwärmen. Auch hier ist die Konsequenz dieselbe: weitermachen und auf zufriedenstellende Anteile hoffen. Dass eine kritisch reflektierte Szenografie davon absieht, sich durch Einkauf in ein entsprechendes Serienformat medialen Zuschnitts selbst abzuschaffen, darf man wünschen. Dass die in dieser Richtung weniger sensible alltägliche Spektakelinszenierung ihre Abschaffung befürchten müsste, darf man hingegen vergessen. Für die mediengerechte Dauerinszenierung und Wiederholung muss das Format mit Erzählvarianten gefüttert werden, wie in TV-, Social Media- oder Werbe-Angeboten aller Art hinreichend evident. Die Erweiterte Szenografie (oder Angewandte Szenologie) hingegen muss sich stattdessen mit dem ebenfalls nicht ein für alle Mal zu bewältigenden Problem der Bestimmung des Maßes und des Wertes befassen. Die ästhetische Gestaltung auf die Kommunikation und den Auftritt zu projizieren impliziert Intentionen, deren Streben auf das Werk und seinen Auftritt gerichtet sind: Gestaltungs- und Darstellungsintentionen. Diejenige ›ästhetische Gestaltung‹, die der Sinnlichkeit der Wahrnehmung Form und Ausdruck verleiht, bleibt demgegenüber gewöhnlich unverdient im Schatten. »Wahrnehmung« als Gesamtausdruck für diese ästhetische Verfassung unterstreicht das Bild einer gegebenen natürlichen Ausstattung. Es sind Sinnesorgane, die
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mehr oder weniger bewusst ihren physisch physiologischen Funktionen nachgehen. Dass dem nicht so ist, zeigen die Aktivitäten der Sinne und der Sinnlichkeit, die offenbar genauso ein Streben indizieren, mithin eine Gestaltungskraft, die derart auch gewollt gerichtet werden kann. Offensichtlich muss sich dieses Streben nun aber nicht in einem Werk verobjektivieren. Allein die Verallgemeinerung des Gedankens, die Sinnlichkeit im Objekt, geschaffen oder von Natur, zu verobjektivieren, kann verantwortlich sein dafür, dass auch die ästhetische Gestalt nur hier in den Blick gerät. Die Gestaltung indes wird dann der (nicht einmal notwendig künstlerischen) Arbeit des Subjekts zugeschlagen, auch wenn sie als solche dafür nicht ästhetisch, formspezifisch geprägt erscheinen muss. Wird die individuell sensuelle und emotionale Intention allerdings von Werk und Objekt ab- und weitergelenkt auf diejenigen Handlungsgründe, die mit den Zwecken des Begehrens selbst zu tun haben, werden Darstellung und Werk zum Mittel der Durchsetzung des Begehrens. Sein einziger Zweck ist, sich zu erfüllen. Die Spur führt mithin über die Darstellung in Form ihrer sinnlich ästhetischen Artikulation über ein eventuell damit sich verobjektivierendes ›Werk‹ – das im Zweifelsfall indes dem unmittelbaren Verzehr im gemeinen Leben zum Opfer fällt wie das Meisterwerk der Kochkunst dem Gourmet – zurück zum begehrenden Subjekt. Es löst seine Handlungsgründe auf diese Weise ein und erlebt Freude und Befriedigung. Es leuchtet ein, dass die Differenzierung der Intentionen, dort auf gestaltende Darstellung und Werk gerichtet, hier auf Selbstdarstellung und Lustempfindungen, nicht darauf hinauslaufen kann, zwei Welten zu konstruieren: die Welt der Wahrnehmung, ihrer sinnlich ästhetischen Tätigkeit, ihrer Urteile und spezifischen ›Erfolge‹ in der Befriedigung der Sinne, und die Welt des Geistes, seiner intellektuellen und rationalen Tätigkeit, seiner Urteile und spezifischen ›Erfolge‹ in der Befriedigung des Geistes. Vor dieser Teilung steht die Kunst. So muss man annehmen, dass sich die Absichten verschränken. Denn das wäre doch die Botschaft einer begleitenden Ikonizität im begrifflichen Schematismus einer Darstellung wie eines wissenschaftlichen oder logischen Diagramms: dass die Beteiligung der Sinne und die Befriedigung der auf sie gerichteten Absichten den Prozess der Demonstration von Behauptungen, Argumenten und Schlussfolgerungen zu einer geradezu körperlich befriedigenden Interaktion gemeinsam fortschreitenden Verstehens und in diesem Sinne eines Umgewöhnens werden lassen. Solche Situationen werden nicht nur Arbeit und Arbeitserfolg in Szene setzen lassen, intellektuelle Anstrengung, Widerstände und Einsichten, sondern ebenfalls die leibhaft sinnliche Verausgabung und, wenn es gut ausgeht, Befriedigung und Freude der Protagonisten. Bei der Aufzählung der Strebungen des Wahrnehmens sollten Theorie- und Verstehenslust die Lust des Bedeutenlassens nicht unterschlagen oder dominieren. Umgekehrt liegen die Dinge ganz analog, was im Übrigen als common sense gelten dürfte. Denn dass die Zwecke des Begehrens schon bei der Bildung ihrer Perzepte Eindrücke und Empfindungen mit den Bildwelten des subjektiven und objektiven Geistes collagieren, um ihr Streben entsprechend zu konditionieren, hat sich herumgesprochen. Dies schließt die Kunst mit ein, die diesbezüglich, vergleichbar der Religion, geradezu zum Paradigma der Distanzierung von allem sinnlichen Begehren gerät. Es leuchtet ein, dass gerade die normativ kritische Einschränkung der Sinnentätigkeit auf ihre passiven und rezeptiven Eigenschaften als Empfinden und Fühlen der Partikularisierung und Exklusivierung eines besonderen gesellschaftlichen Feldes künstlerischer Schaffenskraft korrespondiert, das für sich selbst als ein Reich
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der Zwecke, der Zwecke des Schönen gelten soll. Alle produktive Sinnlichkeit, alles Begehren des künstlerischen Hervorbringens gilt unter diesen Bedingungen als im Kunstwerk sublimiert. Also solches ist das Kunstwerk seiner Ästhetik nicht im Verständnis seiner sinnlichen Wirkung verpflichtet (die gilt im Zweifel als geradezu obszön), sondern im Sinne seiner »Wahrheit«. Deshalb kann die Sinnlichkeit als ästhetisches Vermögen zwar urteilsbildend sein, muss sich aber selbst als Gefühl die Lust unterdrücken, sich absichts- und interesselos geben. Ästhetik ist hier nicht Sinnenlehre, kaum Wahrnehmungslehre, sondern Theorie der Einbildungs- und Urteilskraft in Fragen der Gestaltung und der Gestalt, eingedenk des Letzteren dann Lehre vom Schönen. Was die Reglementierung der Sinnentätigkeit und die Disziplinierung des Begehrens angeht – Einschränkungen, die nicht nur die von der Erscheinung Affizierten, sondern ebenso die schöpferisch Getriebenen betreffen –, kann man nicht sagen, dass etwa die Humboldt´sche Konzeption wirklich weit entfernt steht von der Kants zu selben Zeit. Nach Humboldts Auffassung ist die Sinnentätigkeit zwar Wahrnehmung – und insbesondere, was die Kunst betrifft, Anschauung der Natur. Das Ziel aber heißt, daraus per Einbildungskraft ein Bild zu formen, das der Kunst überhaupt erst Würde zu verleihen vermag, insofern sie darin die Natur transzendiert.126 Mit anderen Worten: die Einbildungskraft hält sich an die Vernunft. Das höchste der Gefühle, das ihr zusteht, konfrontiert mit dem Reiz der Sinne, so er vom Schönen ausgeht, ist interesseloses Wohlgefallen. Daran ändert sich für Humboldt auch nicht dadurch etwas, dass er Kunst und Sprache zusammenführt. Beide bleiben der Idee verpflichtet. Erst eine hinreichende Differenzierung der unter anderen sprachlichen Kräfte des Bedeutenlassens könnte hier zugunsten der Sinne und ihres Begehrens intervenieren. Es geht um die Frage des Regiments von Wissen, Wollen und Begehren und um den Streit darum. Aus der Konzeptualisierung des Geländes kann er nicht herausgehalten werden. Wir fanden die Konzeptualisierung dessen historisch erst bei Nietzsche.
Ästhetik der Sinne. Ästhetik des Schönen Die Kunst, wie wir sie kennen, und mit ihr die Technik kommen gewöhnlich, soweit es mit der ästhetischen Besinnung auf die Kunst zu tun hat, »auf dem Wege über das Schöne« ins Spiel. Peirce macht darauf aufmerksam, dass dies eine Verobjektivierung von Empfindungsqualitäten sei, die Identität von Schön-Empfundenem und Schönem indes durchaus in Frage stünde. Auch Heidegger weiß, dass es sich um ein »fühlendes Verhältnis« zwischen Schön-Empfinden und Schönem handelt.127 Entsprechend werden Blick und Bild privilegiert, wenn schön ist, was sich der Betrachtung als besonders einprägsam darbietet, als »das am meisten Herausscheinendste« (ekphanéstaton )128 dessen, was sich zeigt, hervorstrahlt und angenehme Wirkungen hinterlässt. Selbst wenn das Schöne eine auf der Oberfläche des Stoffs festsitzende, quasi sekundäre Materialisierung sein sollte, eine Art glänzenden Überzugs, wäre die positive Wertung einem Zustand des Fühlens geschuldet, einer Empfindung, die sich zusammen mit dem Bild beim Betrachter einstellt. Man könnte von einer Projektion des optischen Bildes in die Befindlichkeit des Leibes und der Sinne sprechen, eine Befindlichkeit, die sich analogisch artikuliert, wie wenn sie von außen ›beeindruckt‹ geformt würde. Dieses fühlende Verhältnis zum Schönen gemäß der Attraktion eines gewissen Scheins gilt als der vorzügliche Gegenstand der Ästhetik seit alters her – das Wort ist längst nicht da, die Sache schon. Es ist das Fragen nach der Besonderheit derartiger Wahrnehmung (aisthesis) unter Bedingungen der Privilegierung der Sicht, nicht zuletzt veranlasst von der platonischen und aristotelischen Lehre. Wie bekannt,
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redet sie damit keinesfalls der Autonomie der Sinnlichkeit qua (visueller) Wahrnehmung das Wort, sondern will hinaus auf das oberflächendurchdringende Schauen der Ideen. Neuzeitlich liegen die Dinge anders. Es angesichts des schönen Scheins beim aufnehmenden Genießen zu belassen oder eher aufs Erlebnis und die von ihm ausgehenden Reize zu setzen, um sich von der Dominanz der Natur ab- und der Kunst zuzuwenden, scheint nun die Alternative im Umgang mit dem Schönen – und des empfindenden Begehrens mit sich selbst. Das eine wird positiv, das andere negativ bewertet. Zwar sieht es so aus, als ob erst die Kunst, die ihr Gesicht dem Erleben zuwendet, erlaubt, dem Schönen mehr abzugewinnen als bloße Hinnahme, mehr als nur ruhigen Genuss. Denn erst der Appell an die Virilität, die Herausforderung zur Lebenssteigerung durch den Reiz des Erlebnisses ist offenbar in der Lage, angestachelt von den Sinnen, entsprechende Angebote in den Fokus des Interesses treten zu lassen. Heideggers Nietzsche-Vorlesungen der Jahre 1936/37 unterstreichen wie sein WeltbildVortrag ein Jahr später, dass eine derartige ästhetische Behandlung des Schönen und damit der Kunst, wie sie schon ›am Ursprung‹ aufzuspüren ist, zu den Grundzügen der neuzeitlichen Metaphysik und Metaphysikkritik gehört, gleichwohl aber an ein Ende kommen musste.129 Die Entdeckung des Selbstbewusstseins lenkt die Aufmerksamkeit mit der Zeit vollends auf das Ich und seine Zustände. Sie können demnach als das erste und eigentlich Seiende gelten und »der Geschmack« – eine weitere Quelle nicht nur einer einzigen sinnlichen Empfindung – zum Gerichtshof darüber reüssieren. Die Kunst, so Heideggers Analyse, habe in diesem Prozess zunehmend den Bezug zu ihrer »Grundaufgabe, das Absolute darzustellen«, verloren. Die große Kunst ist nach Heidegger zu Ende in dem Augenblick, da die philosophische Ästhetik auf ihrem Höhepunkt dieses Ende erkennt und festhält. Heidegger folgt damit den Einlassungen Hegels in den Vorlesungen über Ästhetik.130 Dass dieser Eindruck, auf Nietzsches Art gegengelesen, nur vorübergehend standhalten konnte, wurde evident. Was die Ästhetik betrifft, die in der nachhegelschen Zeit das Feld bestellt, sieht Heidegger nur »naturwissenschaftlich arbeitende Psychologie«. Die Kunst oder das, was daraus geworden ist, hat sich dem Menschen zugewandt, die Reflexion der Anthropologie verschrieben; eine Diagnose, die nicht zuletzt auf die physio-psychologischen, auf Wissenschaft bedachten Ambitionen, die Wirkungen des Schönen zu erklären, von Schopenhauer, Wagner und Nietzsche bis zu Scherer und Freud zutrifft.131 Hinsichtlich der Erforschung des sinnlichen Begehrens war damit indes eine Wende beschrieben, die am Rande der philosophischen Interessen Heideggers lag. Dass sich die Zuwendung der Analyse von Seelen- und Sinnentätigkeit von der medizinisch naturwissenschaftlichen Psychologie dann nicht allein der Kultur- und Massenpsychologie zuwandte, sondern in der Re-Lektüre Freuds insbesondere den Verwicklungen des Bedeutenlassens und den Phantasmen der Sinnproduktion, hätte die philosophischen Interessen dem hier entstandenen Diskurs zweifellos angenähert, wie die Relevanz Heideggers für Lacan und die französischen Philosophie der Nachkriegszeit in umgekehrter Perspektive nahelegt. 2
schein-produktion: ästhetische raumbesetzung
Die von Heidegger analysierte Eroberung der Welt als Bild mit ihren Konsequenzen für das Wissen und die Wahrheit, das Sein und die Existenz in der Moderne legt nahe,
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ein alternatives Paradigma zu ventilieren.132 Doch steht sie auch nicht an, die philosophischen Konstitutionsleistungen des Subjekts zu würdigen. Entsprechend versteht sich die Frage nach dem Sinn als Frage nach der Gestaltung schon im Feld szenografischer Vorstellungsproduktion. Lenkt man die Frage nach dem Sinn nämlich auf die Kunst und die Werke der Kunst, leuchtet ein, dass zu fragen wäre, ob der ›künstlerische‹ Entwurf im Wesentlichen nur sich selbst und als solcher dem werkschaffenden ›Künstler‹ gilt. Und zu fragen wäre auch, ob dies beinhaltete, dass der Entwurf in der Realisierung dann deshalb nur ästhetisch – via ›Bildgebung‹ qua mimesis sozusagen – reproduziert würde, oder ob Perzept und Urteilsbildung ermöglichten, auch anderes zum Sein gehörend Seiendes aus dem Entwurfsbereich heraus in die Welt zu bringen. Die Frage ist, welche Kraft hat die Projektion, in die Welt einzugreifen. Heideggers Antwort führt beispielhaft im Kreis und demonstriert die fundamentalhermeneutische Methode. Gilt die Kunst als Ausdruck des Lebens, gestaltet sich das Erleben ästhetisch als Bild. Derart ursprünglich welterschließend und Objektivität verbürgend, vermag das System humaner Lebendigkeit und Sinnlichkeit Leben und Vorstellungen zu erzeugen und dazu, diesen Zusammenhang legitimierend, Recht zu schaffen, Menschenrecht. Wenn aber das Weltbild vom Menschenbild her erfunden wird, ist, was den Entwurf der Welt ausmacht, der Mensch.132
Bild, Spiegelung, Übertragung. Kaschierte Rahmung Die Nachahmung, die in dieser Argumentation beschrieben wird, wird verständlich im Sinne einer Übertragung als Spiegelung – oder einer Spiegelung als Übertragung. Wohlgemerkt Übertragung, nicht Speicherung, was die unabdingbare, nichtsdestotrotz mediengerechte Auflösung in Betrieb und Geschäft, Kommunikation und Information verständlich macht. Sie sichert die Reproduktion wie die Reproduzierbarkeit der Übertragung. Die vorgenommene Spiegelung unterscheidet sich von der unmöglichen Spiegelung realitätsverbürgender Objekt- oder Dingweltlichkeit darin, dass sie ersatzweise spiegelt, worüber man verfügen, was in den Spiegel gesetzt werden kann, sofern es ein Eigenes ist. Freilich gerät die Formatierungsleistung angesichts der Erlebniseffekte der Übertragung in Vergessenheit. Der mehr oder weniger als hinreichend ausgezeichneten Eindrücklichkeit des Bildes – so oder so als »Welt« und derart durchaus auch als »Natur« in Anspruch genommen133 – steht die unsichtbare Opazität des ›Rahmens‹, die Nicht-Durchsichtigkeit der Formatierung gegenüber. Es leuchtet ein, dass die Frage nach dem Effekt der Metapher an die Beurteilung des gesamten Dispositivs gekoppelt ist. Es reicht nicht, die Bilder auszuwechseln, wenn die Konzeptualisierung durch die Rahmung beibehalten bleibt. Die Verkettung mit der Projektion gleich welcher Ebene muss erhalten bleiben, wenn der Zusammenhang von Entwurf und Spiel dem Spiel zugute kommen soll. Denn darin hat auch der Entwurf seine Realität. Die Rahmung indes erscheint gewöhnlich platonisch bis hegelsch – und für weite Kreise der Kunstwissenschaften auch heute offenbar in dieser Form noch weitgehend akzeptabel. Insbesondere angesichts der neurobiologischen Rätsel der Bildproduktion ließe sich sicher kein einheitlicher Bildbegriff finden, so wenig wie einer von Kunst, heißt es. Die Anleihe bei Hegel taugt dennoch als zutreffende Beschreibung. Denn Hegel hat die Kunst tatsächlich als »sinnliches, visuelles Scheinen von Idee« begriffen. Dass diese Konstruktion »im Sinne einer Kunst- als Bildwissenschaft für übertragbar« erachtet wird, scheint dagegen nicht unproblematisch.134 Heideggers Argumentation legt demgegenüber einen konzeptuellen Hiat nahe, der systematisch
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zu veranschaulichen ist.135 Denn die Hellenen der frühen Tragödie, so machen die Untersuchungen, die im ersten Kapitel des ersten Nietzsche-Bandes dem »Willen zur Macht als Kunst« gewidmet sind136, deutlich, »hatten zum Glück keine Erlebnisse, dagegen ein so ursprünglich gewachsenes helles Wissen und eine solche Leidenschaft zum Wissen, dass sie in der Helligkeit des Wissens keiner ›Ästhetik‹ bedurften.« Die große griechische Kunst, mithin, blieb, folgen wir Heidegger, nicht deshalb unberührt von einer ästhetischen Inanspruchnahme, weil sie sich einer alternativen »denkerischbegrifflichen Besinnung« ausgesetzt sah, sondern weil sie ohne sie auskam und trotzdem nicht zum puren Erlebnis verkam. Platonisch-aristotelisches Denken und sein Schulterschluss schon mit dem euripideischen Drama indizieren mithin eine ästhetische Erschütterung durch Selbstspiegelung. Die aristotelische Poetik wäre ein Dokument dieser Bewegung. Der nur vordergründig historische Befund macht die Aufgabe, eine begriffliche, kriterial abgesicherte Bestimmung von ›Kunst ohne Ästhetik‹ und damit außerhalb der Konstitution durch Bild und Mimesis zu finden, nicht leichter. Schließlich verbinden wir mit der Rede von der »Helligkeit des Wissens« gewöhnlich durchaus eine denkerisch-begriffliche Besinnung, die solches Wissen überhaupt leuchten lässt. Offenbar werden wir verwiesen an ein Wissen, das kein Licht ist.
Der ›selbsttätige programmierbare Rahmengenerator‹ (Kacunko) Kaum zu erwarten ist eine Differenzierung, welche die zu konstatierende Variabilität der Bilder – variabel aufgrund ihrer medial spezifischen Ansicht auf der Projektionsoberfläche – als paradigmatisch differente Repräsentationstypen ausweisen könnte137, gleichsam aus unterschiedlichen Entwurfsschulen stammend. Dies betrifft zunächst die schillernden und eher traditionellen medialen Paradigmen des Heidegger´schen Bildbegriffs (Gemälde, Plastik, Architektur), genauso aber die Variationen, die aus heutiger, medientechnisch avancierter Perspektive beizusteuern wären. Die Bildproduktion im Sinne ästhetischer Integration reißt nicht deshalb ab, weil das Bild auf der Oberfläche des Spiegels nicht als klassisch formatiertes Bild, als Gemälde (oder Fotografie), sondern als Plastik, Theater oder Performance erscheint oder als Installation. Dasselbe gilt für die echtzeitperformative Bildgegenwart digitaler Aufnahme-, Präsentations- und Präsenzmedien. Mögliche Verlagerungen betreffen vielmehr die Formatierung durch Rahmung, die keineswegs von alternativer Begriffs- oder Bewusstseinstätigkeit abhängen, sondern von alternativen wissenschaftlich technologischen Erfindungen, von technischen Artefakten und Medien und neuen auf deren Funktionalität gegründeten Metaphern und Supermetaphern. Heidegger hatte die relevanten technischen Mechanismen durchaus im Blick. Der Gründung des gewohnten Scheins auf die Spur zu kommen ist unter Bedingungen fortgeschrittenster Technologie noch schwieriger als vordem. Doch grundsätzlich gab es unter technisch weniger entwickelten Bedingungen keine medienspezifische Entsprechung: nicht zwischen dem medialen beziehungsweise materiell physischen und/oder technischen Exempel138 einer daran sich festbeißenden intellektuellen Anstrengung des Begriffs, welche die ursprüngliche Metaphernbildung zu besorgen gehabt hätte (die denkerisch begriffliche Besinnung), den davon inspirierten, wiewohl sich verselbstständigenden Metaphern139 und den diversen medialen, künstlerisch gestalterischen Repräsentationen und Artefakten, Werken und Kunstwerken.140 Selbst für solche Unterscheidungen sensible zeitgenössische Diagnosen können am Ende, wie die Heideggers, nichts als eine sich beschleunigende technische Integration der medialen Artefakte und ihrer Interaktionen konstatieren. Da die Detektierung von »Ähnlichkeiten«141 gar nicht mehr auf ihrem Programm steht, kann sie auch nicht scheitern. Der universellen Maschine sind
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Ähnlichkeiten egal. Die Dialekte der ursprünglich in Eigengestalt sich darbietenden (Ent-)Äußerungen verschleifen in der universalen Sprache der Weltanschauung und ihren medialen Reflexen, verrauschen im Betrieb des durch sie verstärkten und sie verstärkenden weltumgreifenden Spektakels und des damit verbundenen Kommerzes. Dass die Differenzproduktion qua Reflexion und Darstellung derart mittlerweile zu den leichteren Übungen des ›schaffenden Spiegels‹ gehört, versteht sich. Sie hat den »selbsttätigen elektronischen, auch programmierbaren Rahmengenerator« hervorgebracht, wenn offenbar auch keine »differentia specifica« zur Eroberung der Welt als Bild entdeckt. »Die konzeptuelle Einrahmung des gespeicherten Bildes erscheint mittlerweile immer schwieriger außerhalb des optisch-akustischen oder aber optisch-haptischen Erklärungsmusters. Das physisch oder psychisch eingefasste und formatierte Bild fungiert zunehmend entweder als erstarrte Performation oder als verstummte Synästhesie. Der Spiegel dagegen übernimmt den Status des medialen Dispositivs oder Metamediums der visuellen Übertragung, das nur in angebundenen analogen und digitalen Speichermedien seine medialen und performativen Einschränkungen erfahren kann.«142
Dass »das performative Programm ›Kunst‹ [...] nach wie vor auf dieser wie auch auf einer anderen Hard- bzw. Wetware« läuft, bestätigt nur die universellen Ansprüche der Ästhetik in der Moderne und mag für die, die von der so gepamperten Kunst leben oder leben müssen, durchaus beruhigend sein.143
Erzeugen, empfangen, genießen (Heidegger) Die Konzentration des ästhetischen Sinns auf Leben und Erleben nobilitiert das Gefühl und umgekehrt. Sofern der Gefühlszustand von den Resultaten künstlich künstlerischerKreativität provoziert erscheint – »dem Werk als Träger und Erreger des Schönen mit Bezug auf den Gefühlszustand« –, kann die emotionale Reaktion sowohl dem Erzeugensakt gelten als auch dem Effekt solcher Zeugung, der die Empfindungen auf das Empfangen der Eindrücke lenkt und ihren Genuss. Offenbar differenziert sich der ästhetische Sinn genau an dieser Stelle der Abgrenzung sinnlicher Anteilnahme. Dabei mag zunächst erstaunlich sein, dass vergleichbare Empfindungen, erregt durch Naturschönes, dennoch nur in diesem ästhetischen Kontext, quasi abgeleitet, Erklärung finden. In Ansicht eines Artefakts ist der Betrachter Rezipient. Produzent, Erzeuger eines Werks oder Produkts scheint er jedenfalls nicht, sofern er Eindrücke empfängt, sondern nur insofern er selbst formend und gestaltend eingreift. So die gewöhnliche Rollenverteilung. Doch ist das Arrangement konzeptueller Natur. Die Szenografie mag die Scheidung von Werk und Betrachter vorhersagen wollen – wie Phidias die Bittsteller imaginieren, die vor dem Bildnis seines Olympischen Zeus den Blick erheben, oder wie Apelles sich die Pilgernden vorstellen, die im Asklepiostempel zu Kos seiner Aphrodite die Reverenz erweisen. Ein anderer Arrangeur könnte sein Stück ganz anders planen – vielleicht vorsehen, wie sich die Zuschauer in einem Augenblick geplanter Provokation ihren Affekten ergäben und zu Mitspielern würden. So oder so, Angebote aus dem Entwurfsbereich heraus werden für künftige Deutungen und Interpretationen gemacht. Wie sich aber auf dem Boden welcher Situationen für wen welche Erfahrung, welche Gestaltung und welches Erleben in der Szenifikation konkret entfalten werden, kann die Szenografie wohl planen, kaum aber im Einzelnen prognostizieren und nicht wirklich reglementieren, es sei denn, sie ergriffe geeignete Maßnahmen, die Inszenierung zu diktieren, machte Anstalten, mit
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geeigneten Mitteln das Regiment auch über die Szenifikation zu übernehmen. Geht man der jüngst erst sich verbreitenden Hoffnung auf »Überwachungsdividenden« aus weltweiter »Informationalisierung«144 auf den Grund, erscheint dies auch in flächendeckendem Ausmaß nicht ausgeschlossen. In der konkreten Situation aber werden sich auch dann noch genügend Möglichkeiten des Tuns und Ertragens, dem Erleben des Anderen oder dem Erleben des Eigenen zugewandte szenische Möglichkeiten finden lassen, auch wenn sie zunehmend verschüttet werden. Es heißt, ein Gefühlszustand werde »erregt«. Erregung aber geschieht, wie bei Kant gehört, szenisch, im passiven nicht anders als im aktiven Modus. Die Zustände der Erregung – und Selbsterregung – lassen kaum Atmosphären bleierner Passivität assoziieren. Folglich wird auch das Hinnehmen oder Empfangen von Eindrücken Selbsttätigkeit anzeigen und mit Szenifikation einhergehen können – im Unterschied zur situativen Ruhe der Zeichenproduktion aber auch in Verbindung mit ihr. Das Szenemachen folgt unterschiedlichen Intentionen, reagiert nicht nur, worauf es situativ oder szenografisch gelenkt wird, sondern verlegt sich auch, worauf es sich qua Affizierung, Gemütslage und Begehren konzentriert, woran es Interesse fasst. Der betrachtende Akteur und tätige Betrachter mag sich für das Szenifizieren vom Objekt ab- und dem »Subjekt«, sich selbst als einem aufmerksamen Mitspieler zuwenden. Die »Szene« – Ambiente der anstachelnden Wirkungen von Werk oder Darstellung auf das Subjekt – mag so durch eine bewusste Wendung zur Ruhe kommen, sich wandeln zu einer Szene der Kontemplation und des Genießens, gar des Erleidens. Indes wird ein ›anscheinend Beteiligter‹ ohnehin in einer Stimmung sein, in der er, statt übermäßig zu agieren und zu reagieren, gar nichts tut, nur aufnimmt, was sich bietet, ohne seine Aufmerksamkeit richten oder sich einmischen zu wollen, ohne auch dieses Lassen überhaupt mit einer Absicht zu verbinden – mit Einverständnis oder auch notgedrungen. Er ist ein Beteiligter für sich, jemand, der zur Situation gehört, vielleicht auch ihre Präsenz verspürt. Ebenso möglich – und bis zu einem gewissen Grade ebenso gerechtfertigt – erscheint, wenn ein Akteur meht oder weniger bewusst dem Erleben den Vorzug geben möchte, deshalb aufs Mittun, ja aufs »Erzeugen« setzt. Lustgewinn ist unter diesen wie jenen Umständen ein möglicher, ausdrücklicher oder unausdrücklicher, vielleicht verschobener Zweck. Szenografische Wirkungsabsichten, die es aufs aktive Erleben und Machen abgesehen haben, werden darüber hinaus dann besonders leicht mit szenifikatorischen Ambitionen koinzidieren, wenn es die Inszenierung ohnehin darauf angelegt hat. Ein Projekt als »Erlebniserreger« zu katalysieren ist naheliegend. Doch könnte »Erlebnis‹« auch unspektakulär gemeint, die Performance eher von der Art stiller Betrachtung sein und trotzdem Freude aufkommen.
Opposition & Variation. Die Subjekt-Objekt-Projektion als szenografisches Muster . Zur Logik der Appropriation Eine Frage ist, ob eine erkenntnistheoretische Rahmung für das Bild der Erscheinungen unverzichtbar ist, sodass der Rahmen dem Bild, das Bild dem Rahmen passt. Die Frage so gestellt, fallen sogleich die quantitativen und qualitativen Disparitäten unterschiedlicher Beschreibungen auf. Das Bild der Variation und Variabilität von und zwischen Hervorbringen und Aufnehmen, Produzieren und Rezipieren zeigt vielgestaltig individuelle und phänomenale Affären zwischen diesem oder jenem Artefakt, Werk oder Kunstwerk und diesem oder jenem Individuum. Die vorzustellende Interaktion verläuft innerhalb der gesamten Bandbreite szenischer Möglichkeiten. Das Oppositionsschema hingegen braucht nur wenige Graphen, um die metaphysisch
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(bzw. ontologisch) oder erkenntnistheoretisch abstrakt gefasste Gegenüberstellung zu konstruieren. Was die Prämissen der Figuration betrifft, erscheint wahrscheinlich, dass »Subjekt« und »Objekt« als universalia ante rem gelten – obwohl es vergleichsweise gleichgültig sein kann, wenn sie stattdessen in re oder post rem konzipiert werden sollten. Das neuzeitlich bestimmende und geläufige Schema allerdings positioniert die Gegenüberstellung als universal post rem. In der Kant´schen Fassung impliziert dies, dass die Dinge auf beiden Seiten vorausgesetzt werden. Da sie an sich als unerkennbar gelten, müssen sie im Rahmen der (menschlichen) Möglichkeiten füreinander erkennbar gemacht werden. Im Ergebnis dieser Prozedur bekommt die erkennende Instanz den Namen »Subjekt«, die erkannte den Namen »Objekt«.145 In qualitativer Hinsicht unterscheiden sich die Modelle ganz parallel. In der Variationsansicht ergeben sich alle denkbaren Konstellationen von Formen und Gestalten, Relationen und Interaktionen im Handlungsfeld von Körpern und Zeichen. In der Oppositionsansicht dominiert die grundsätzliche Abhängigkeit der einen, der Objekt-Instanz, von der anderen, der Subjekt-Instanz. Der Entwurf dieser dürren Szenografie entspricht der Selbstgründung des Selbstdenkers als Subjekt in Konfrontation zu einem Objekt, das er nolens volens als künftigen Protagonisten seiner Darstellungen mit einführt. Was deutlich wird, wenn man die Subjekt-Objektbühne als szenografisches Pattern heranzieht, ist, dass hier nur Bühne ist, kein Spiel, nur Rahmen, kein Bild. Im Zusammenspiel bestünde demnach immer nur die Möglichkeit der Unterordnung unter dieses Schema. Rezeptivität und Produktivität würden dem Anschein phänomenologischer Beschreibung nach ebenso beieinander- und zum Austausch bereitgehalten und die Varianten der Artikulation aus Gefühlen, Wahrnehmungsperzepten oder Schlussfolgerungen und dem Austrag zwischen den beteiligten agencies der szenischen Bewältigung von Situationen anheimgestellt. Die gesamte ›Ontologie Szene‹ aber würde der Subjekt-Objekt-Strukturierung unterworfen. Das Maß – die Bestimmung der Aktionsamplitude im Rahmen der Einrichtung des Subjekt-Objekt-Raums – liegt hier allein in den Händen und in der Verantwortung eines Subjekts. »Objekt« zu sein bedeutete, ohne allen Unterschied, nach Maß eines Subjekts bemessen zu werden. Alle Variationsmöglichkeiten und alle Szenifikationen, die sich im Rahmen ihrer Freiheitsgrade ans Werk machten, müssten sich danach ausrichten, welchen der Agenzien im Spiel Subjekt- oder Objekt-Rollen zugesprochen würden. Tätigkeit wie Betroffenheit würden neu und nach ganz anderen Gesichtspunkten als bisher verteilt. Alle konstitutive und daraus hervorgehende theoretische Tätigkeit fiele in die Hoheit eines Subjekts, alle davon abgeleitete schöpferische Arbeit – konzeptuelle, entwerfende, planende, darstellende Tätigkeit – ebenfalls. In der Konsequenz derartig subjektbestimmter Handlungsautonomie fänden sich die Dingwelten zergliedert. Rezeptivität im Sinne damit assoziierter Verhaltens-, Gemüts- und Umgangsformen konkurrierte in dieser Logik nicht mehr mit Produktivität. Subjektkontrollierte Rezeptivität im Gegenteil müsste quasi a priori als produktiv schöpferisch gelten, auch wo sie selbst betroffen wäre. Dies genau erscheint heutigentags in der Logik der Appropriation eingelöst. Das geschilderte Szenario setzt voraus, dass die nach innen geholte Außenreferenz im Rahmen des theoretischen Inszenierungsraums (denn darum handelt es sich bei dieser Bühne) erneut verobjektiviert und als ein Außen, ein Selbstständiges bestätigt wird. Es folgte die Verobjektivierung des Scheins nach innen von daher als Überblendung des Rahmens, nach außen wirksam. Denn um zu entscheiden, ob es
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sich um ein tatsächlich gerahmtes Gemälde handelt, muss der Betrachter die Chance haben, die Rahmung zu erkennen. Selbst die Schreib-Lesefelder einer Turingmaschine brauchen die Einteilung in diskrete Abschnitte. Die Chance aber muss bestehen, soll die Repräsentationsinstanz zu ermitteln sein, wie in einem Kunstauktionskatalog, in dem die angebotenen Bilder mit Rahmen illustriert sind, um anzuzeigen, dass sie als Verkaufsobjekte rangieren und nicht zur bloßen Darstellung eines Bildinhaltes dienen. Das aber heißt, dass sich die Rahmung relativieren lässt, wenn sich hinter der äußeren Begrenzung des Rahmens ein weiterer Bildraum eröffnet, das Mustererkennen zu alternativen Schlussfolgerungen gelangt oder ganz ins Gleiten gerät. Die Verobjektivierung des Scheins ist demnach notwendig, um das Begrenzte als universell Reales zu verstehen – und zu erleben. Denn alles Grenzziehen macht nur Sinn, wenn die Arrondierung nicht nichts abgrenzt. Darum kommt es gerade darauf an, dass keine Grenzen erscheinen, wo die Verobjektivierung glaubhaft sein will. Würde man die verobjektivierten Scheininhalte etikettieren wollen, böte sich an, alle kreative Verobjektivierung insgesamt als ›Kunst‹ zu titulieren, einem unbegrenzt freien Raum oder dem Raum der Freiheit zugehörig. In den Darstellungen würde man entsprechend diskriminieren: auf Poesie, Literatur, Theater etc. und auf Wissenschaft verteilen, gebunden in ihren diversen, durchaus konkurrierenden Konstruktionen. So erschiene die ›Kunst‹ (samt ihrer Darstellungsalternative Wissenschaft, die kreativ als Kunst unter Künsten arrondiert wurde) verobjektivierter Subjektivierung geschuldet, während ihr in ihren Darstellungen die Werke (Kunstwerke) und Produkte subjektivierter Objektivität entgegenträten. Wenn man daran denkt, dass der Kunst nicht mehr aufgrund der Wahrheit ihrer Werke Referenz erwiesen wird, sondern die Form der Appropriation und die Art der damit verbundenen Selektion darüber entscheiden, was zur »Kunst« zählt, zur Kenntlichmachung unterschiedlicher Reiche also nicht mehr die Eigenart ihrer Bewohner taugt, wäre die Frage, was der besonderen Erscheinungsform subjektivierter Objektivität überhaupt vorbehalten bliebe. Was könnte als adäquate ›Darstellungstätigkeit‹ angeführt werden? Was sind oder woraus bestünden ›Werke‹ subjektivierter Objektivität? Zunächst wäre daran zu erinnern, dass die Überlegung zur Diagrammatisierung der Subjekt-Objekt-Konstruktion der Vorstellung einer überformenden Bühnenmodellierung entstammt. Eingedenk dieses Entwurfs wäre der Raum subjektivierter Objektivität nicht als scheinloser Raum zu beanspruchen. »Schein« schlechthin könnte in Erinnerung des konstruktiven Zuschnitts zum Abgrenzungskriterium dienen. Viel eher aber wären unterschiedliche Scheinformen zu ventilieren. Bezogen auf die mögliche Differenzierung voneinander verschiedener und von nichtdarstellenden Seinsweisen verschiedener Darstellungstätigkeiten, wird es sich im Raum subjektivierter Objektivität um den Schein der gesellschaftlichen Produktions- und Tauschverhältnisse handeln, genauer um den ihrer besonderen ›Darstellungsperformanzen und -produkte‹, um den Schein ihres Ausdrucks. »Darstellungsqualitäten« dieser Art betreffen nämlich Formung und Gestaltung, Form und Gestalt, Warenund Geldform, deren Zusammensetzung und Inszenierung. Wissenschaft und Kunst tendierten mithin je nachdem zu den ›Künsten‹, das heißt, zu dem Ausdruck verobjektivierter Subjektivierung oder zu den Phänomenen der Verobjektivierung gesellschaftlicher Verhältnisse. Beiderseits erscheinen sie im Licht des Subjekts respektive seiner verobjektivierten Verhältnisse – nach wie vor und ganz wie übrigens alle anderen Darstellungsgenres dieser Größenordnung, soweit sie nicht generell und unmittelbar
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einer schon etablierten ›Systemlogik‹ verpflichtet und entsprechend verteilt sind. Denn die Betrachtung der Bühne und ihrer Konstruktion ist, wie gesagt, aus Gründen der Stabilität gewonnener wie zu vermittelnder Ansichten im Subjekt-Objekt-Schematismus außerhalb seiner transzendental- oder, allgemeiner, konstitutionsphilosophischen Beschreibung und Einrichtung nicht vorgesehen. Die Externalisierung von so gewonnener ›Objektivität‹ ist folglich die Regel. Darum erlaubt schließlich auch nur eine erweiterte, sich selbst mitbeschreibende Szenografie ihre Projektion in die hypothetische Figur mehrerer übereinandergeblendeter Bühnenmodelle. Dass solch ein Experiment nicht zum Repertoire einer aufführungs- oder ausstellungsorientierten Szenografie gehört, die sich gewöhnlich an einem Entwurf und nicht an verschiedenen Entwürfen gleichzeitig abarbeitet, versteht sich, zumindest auf den ersten Blick. Von daher wäre zu bestätigen, dass reflektierte Szenografie die einzig performanzinteressierte Szenografie um die Dimension der Selbstdarstellung erweitert. Die freilich kann sich in diversen medialen Formaten zeigen, selbstständig auftreten, ihrerseits inszeniert oder bloß notiert erscheinen. ›Installation‹ – Einrichtung des Kunstwerks als Kunst der Einrichtung
Die aufgehobene Differenz im Sinne der ihr innewohnenden spekulativen Identität gehört nun nicht zu den positiven Erfahrungstatsachen des gewöhnlichen Erlebens, in dem sich die Bilder ohne Unterschied rahmenlos zeigen, bloß ihre gewöhnliche Ansicht zutage tritt. Die Darstellungsdynamik der Zeichen erscheint beruhigt, befindet sich im Gleichgewicht der Gegenstände. So treten die Dinge einfach nebeneinander, Kunst oder Wissenschaft in ihren Objekten: in Kunstwerken und artificialia aller Art, in Wissenschaftswerken, technischen Artefakten und scientifica aller Art. Dazwischen, je nachdem mehr zur künstlerisch performativen oder zur wissenschaftlichen Seite tendierend, changieren die eher gemischten Präsentations- und Darstellungsfelder von Religion, Politik, Recht, Medizin. Für das Erleben sind sie in Brauch und Gewohnheiten eingebunden, in Praktiken des Alltags, beinhalten kaum reflexive oder theoretische Betrachtungen. Sodann, obwohl darstellungslastig und normalerweise auch nur in ihren Effekten zur Kenntnis genommen, begegnen sie mit eigener Technologie und Technik, Kommunikation und Information. Für die Common senseBeurteilung gehören sie eindeutig zu den wirklichen Verhältnissen und gefährden deshalb in performativer Ansicht wie Verwendung kaum aufgrund ihrer Scheinproduktion. Dies indiziert die Potenz, die gerade Technologie und Technik, Medien und Kommunikation innewohnt, das Appropriationsprogramm des Subjekts samt Systematik zu sprengen. Der Grund liegt offensichtlich nicht in den Darstellungsqualitäten der Selbstbeschreibungen, sondern bei den Inszenierungsqualitäten der technischen und funktionalen Faktizität, mit der die Arrangements ihrer energetischen Kräfte ins Treffen gehen. Verständlich, dass sich solche Maßnahmen besonders dann zu entfalten wissen, wenn sie die Darstellungskonkurrenz der Repräsentation erfolgreich durchgestanden und hinter sich gelassen haben. Die Verteilung im Rahmen des geschilderten Schemas ist variabel, nicht schon mit einem System oder einer Systematisierung gesetzt. Der Rahmen fasst ganz und gar nur Positivitäten. Es zählt die Opportunität der Verteilung nach Gesichtspunkten der Verobjektivierung. Entsprechend werden Systematisierung und System angepasst, womit wir erneut bei den Darstellungsleistungen angelangt sind.
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Dennoch leuchtet ein, dass es keine Schwierigkeiten bereitet, die reflektierte Szenografie (die Szenografie in ihrer Selbstbeschreibung) selbst als Kunst zu bestimmen, wenn die Reflexion, zu entsprechenden Ausdrücken gebildet, Gestalt annimmt. Die notwendige diskursive Einrichtung des Kunst-Kontextes, die mittels solcher Gestaltung erreicht wird, wird mit »Installation« zutreffend beschrieben. Kein Grund jedenfalls, gerade der Installation den Status des Kunstwerks aberkennen zu wollen.146 Im Gegenteil dürfte die Installation eher eine allgemeine Form des gegenwärtigen Kunst- und Gesamtkunstwerks darstellen, wenn man die Zusammenführung konzeptualisierender Einrichtung und performativer Gestaltung mitdenkt. qua Präsentation ihrer diskursobjektiven, quasi dokumentarischen Oberflächen läuft die Installation nicht Gefahr, als immateriell missverstanden zu werden. »Ganz im Gegenteil: die Installation ist durchaus materiell, weil sie räumlich ist. Die Installation zeigt gerade die Materialität der Zivilisation, in der wir leben, denn sie installiert alles das, was in unserer Zivilisation sonst bloß zirkuliert.« Das heißt, das Installative der Szenografie entfaltet seine eigene Multiple Media-Performance, verobjektiviert in der besonderen medialen Erscheinungsweise, in der die heterogensten Bestandteile im patchwork zusammenfinden. Die so herausgegriffenen Formate der Selektion und Dokumentation – bestimmte Videos, Fotos, Tondokumente, Schriftstücke etc. – verhelfen der Szenografie als einer sich selbst beschreibenden Darstellung mithilfe dieser Transformation zur künstlerischen Erscheinungsform. Demgegenüber muss der klassische Auftritt in Form eines Inszenierungsevents, einer Aufführung von möglicherweise vielen weiteren geplanten, vergleichsweise antiquiert vorkommen. Erkennbar wird hier die Rationalität des Autonomieanspruchs des postdramatisch performativen Theaters. Was sich einem spontanen szenifikatorischen Ereignen verdankt, jedenfalls von jeder szenografischen Fremdbestimmung losgekommen anmuten soll, ist tatsächlich weit eher eine Ansicht der Installation. Die Szenografie wird tatsächlich nicht mehr als »Entwurfsbereich« in Differenz gesetzt. Doch nur weil der installing oder performing turn die Szene, wie szenografisch verpfändet, verschwinden macht und im Effekt die Installation als performance resultiert, kann solcher Schein die installierte Szene überstrahlen. Ein tatsächlich positiver prestigio, Substitut und Surplus. Boris Groys glaubt, damit würde die »zivilisatorische Hardware« demonstriert, »die sonst hinter der Oberfläche medialer Zirkulation unbemerkt« bliebe. Tatsächlich scheint es sich umgekehrt zu verhalten: als ob die zivilisatorische Software der medialen Zirkulation sich auf diese Weise materialisierte. Es »scheint« sich nur deshalb umgekehrt zu verhalten, weil es sich tatsächlich nicht so oder gegenteilig verhält, sondern die Differenzierung von Oberfläche und Tiefe hier keinen Sinn mehr macht. Denn es ist ja gerade die Reflexion, das theoretische Setting, das, hier mitgedacht und ausstaffiert, sich selbst zur Installation vergegenständlicht. Wie Groys sagt: weil die Installation räumlich ist, sich räumlich ausbreitet. Sie dehnt sich aus wie ein materialisiertes, in eine Ausstellung gebrachtes Phemisches Blatt. Von daher ließe sich, was sich zeigt, durchaus auch in den Ausdruck der »zivilisatorischen Hardware« kleiden. Nur dass gerade diese Hardware in der Installation eher nicht demonstriert würde. Denn wenn die Installation im selben Prozess »auch die künstlerische Souveränität am Werk« sähe, wie sie »ihre Selektionsstrategien definiert und praktiziert«, erhellt schließlich, was zumindest in solchen Überlegungen als künstlerische Souveränität reklamiert wird: »eine Möglichkeit, durch die explizite Einführung subjektiver Ordnungen und Relationen unter den Dingen diejenigen Ordnungen zumindest in Frage zu stellen, die in der Realität ›da draußen‹ vermutet werden.« Sollte man nicht vermuten, dass es sich
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dabei, bei den Ordnungen ›da draußen‹, um zivilisatorische Hardware handelt? Und dass sie sich von künstlerischer Souveränität nur dann in Frage stellen ließen, wenn der beschriebene Prozess insgesamt faktisch dekonstruiert erschiene, die Demonstration im Auftritt tatsächlich aus einem entsprechend qualifizierten Entwurfsbereich heraus erfolgte? Gewisserweise mit dem Objektivitätsanspruch der Alternative einer disjunktiven Synthesis?147 Allerdings ließen sich die vermuteten Dinge ›da draußen‹ womöglich nicht mehr unbedingt friedlich verhandeln. Oder der Kunstraum würde aufbrechen, wie es Installationen, die es darauf angelegt haben, tatsächlich erreichen können.148 Dass hinter der Oberfläche der medialen Zirkulation Friede herrschte, ist ohnehin nichts als eine Inszenierungstatsache. Dies einzusehen, allerdings, bedeutet, die Verschiebung aus der Sphäre verobjektivierter Subjektivierung in die subjektivierter Objektivität nicht lediglich als eine per Selektion von einem in einen anderen Scheinraum zu verstehen, sondern als die Eroberung der Welt als Bild, begleitet von durchaus realer Aneignung. Hier geben sich die Groys´schen Überlegungen ambivalent. Denn der Kritiker weiß sehr wohl, dass Erfolg nur erzielen kann, wer nicht nur »die Gabe des Medialen besitzt«, sondern wer »als Medium kollektiver Selektionsräume auftreten«, die Inszenierungsgesellschaft in ihren Formatierungen lenken kann.149 So kann man sehr wohl wissen, dass das Scheitern der Selektionsstrategie ganz wie ihr Gelingen a priori zur Inszenierung gehören. Es bedeutet lediglich, dass darum gekämpft wird. Dass die Strategien zur Bestimmung nicht nur des Kunstwerks das Installierte »konstitutiv bedeutungsoffen« halten, scheint in diesem Licht sehr fraglich. Dass es gewollt wird, macht vielmehr deutlich, dass »bedeutungsoffen« konstitutiv zu verstehen ist, subjektkonstituiert – was uns im hypothetischen Oppositionsschema als Voraussetzung galt, etwas der »Kunst« zuzuschlagen. Entsprechend gehören die deontologischen Einlassungen, es dabei auch zu belassen150, allein dem Konstitutionsgeschehen. Sie gehören einer entsprechenden Reflexion an. In den Positivitäten und Dispositiven des agierenden und mit Anstrengungen verbundenen Daseins ist die Reflexion auf die Konstitution nicht an der Tagesordnung. Viel eher herrscht das Regiment infraordinärer Bedeutung. Und sollte die Kunst auf Bedeutungsoffenheit reflektieren, wird sie dies im Widerstand der Bedeutungssetzung und besetzung tun müssen. Die Affinitäten von »Installation« und Heideggers »Gestell« liegen auf der Hand, die negativen wie die positiven. Doch wie die Einsicht in die Bedingungen der Totalüberantwortung der Dinge an die Technik darauf rekurrieren kann, dass es das Kunstwerk ist, das, bedeutend gesetzt oder, wie Heidegger sagt, gestellt, aus sich auf- und herstellt, mithin durchaus in der Lage sein kann, seine eigene Widerstandskraft zu demonstrieren, dürfte die Installation im Einzelfall durchaus in der Lage sein, ihr ›Gestell‹ von der Übernahme in den Bestand medialer Selbstinszenierung zu bewahren.151 Wie gesagt, die Installation selbst wäre dazu in der Lage. Ob die Installation der Installation, ihre inszenierende Rahmung dies könnte, ist hingegen eher zu bezweifeln. ›Wahrer Schein‹, Phantom- & Schattenbildung
Im Austrag nichtinszenierter Szenifikation kann es nicht der vorgängige Darstellungs- und Gestaltungswille sein, der für die Szene sorgt, selbst wenn man Darstellungsrepräsentanz und Gestaltungsentwurf in der Szenografie gut unterscheiden sollte. Wo sind hier die Entwurfsprojektionen? Unterstellen wir eine Umgebung des Gemeinsam- wie des Unterschieden- und Gegeneinander-Seins, in der sich nicht reklamierte und nicht empfohlene, nicht vorher geprüfte oder schon zuvor akzeptierte ›Szenen‹ entfalten, bewähren und durchsetzen müssen. Wie kann es dazu kommen?
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Um szenografisch diagrammatisch eine Vorstellung von der Differenz der Modelle von Szenografie und Szenik zu bekommen, wäre es hilfreich, die beiden Bühnenkonstruktionen, die Foucaults Problematisierung des sophistischen Dispositivs beinhaltet, in einer einzigen Darstellung explizit zu machen: die »Schattenbühne« als Konstrukt der normalen »Scheinbühne«. »Schein« auf der Scheinbühne besagt nicht mehr als notwendige, möglicherweise auch faktisch hinreichende Beleuchtung, dazu, implizit, ein hinreichend Beleuchtetes. Es sollte indes klar sein, dass »Licht« sowohl metaphorisch wie nichtmetaphorisch verstanden wird, die metaphorische Verwendungsweise aber die relevante Verwendung darstellt. Die technisch verstandene Beleuchtung bezieht sich auf die tatsächlichen Lichtinstallationen und das Kunstlicht der realen Bühnen. Dem entspricht das natürliche Licht – und Dunkel – außerhalb geschlossener Bühnenräume. Im übertragenen Sinn korrespondiert die Beleuchtungssituation dem jeweiligen Schein, der verantwortet, was wahrnehmbar und erkennbar ist. Das Kunstlicht der Bühne indiziert dabei ihr Vorhandensein. Da zu erkennen, was auf dem Podium geschieht, nicht von dieser Installation abhängig sein kann, sprechen wir metaphorisch vom »Schein der Szenifikation« oder dem »Schein der Szene«. Vom »Licht der Szene« darf jedoch auch dann gesprochen werden, wenn keine Hinweise auf eine Bühneninstallation vorliegen. Nimmt man die Wertung aus der Metapher der »Schattenbühne«, wird deutlicher, dass es sich beim Schein der »Scheinbühne« und beim Schatten der »Schattenbühne«‹ um konkurrierende Schein- und Bühnenmodelle handelt. Wechselseitig artikuliert sich die Skepsis gegenüber der Bewältigung des Beleuchtungsproblems auf der jeweils alternativen Bühne. Nicht erst Descartes´ »Cogito« oder die Metaphysikkritik der Transzendentalphilosophie ließen sich so verstehen; allemal die turns des Konstruktivismus oder der Postmoderne. Wittgensteins Zurückweisung des notorischen – philosophischen – Skeptizismus ist bekannt. Gewissermaßen bewegt auch sie sich auf den Spuren des Peirce´schen Pragmatizismus. In der Summe finden wir eine naturalistisch pragmatische Argumentation, wie sie später etwa im Werk Austins sprachpragmatisch expliziert oder von Putnam oder Davidson geistphilosophisch begründet wird.152 Dantos Fassung der Objektidentität als Figur des ›Unter-einer-BeschreibungStehens‹ (oder der Interpretation) hat hier ihre Wurzeln. Entscheidende Bedingung der Eindämmung des Skeptizismus ist die gegenseitige Bindung von Bedeutung und Handlung. Bedeutungen zu verwenden ist nicht unabhängig von szenisch szenifikatorischen Performanz-Kontexten, den dort geübten und demonstrierten Verhaltensweisen und Veränderungen. Das gilt auch für Inszenierungen. Wittgenstein zufolge ist die »Bedeutung eines Wortes [...] eine Art seiner Verwendung. Denn sie ist das, was wir erlernen, wenn das Wort zuerst unserer Sprache einverleibt wird«. Es hat Konsequenzen für die »Entsprechung zwischen den Begriffen ›Bedeutung‹ und ›Regel‹«.153 Was in der gedanklichen Konstruktion und entsprechenden Darstellungen vielleicht möglich ist – unterschiedliche Bühnen in ihre begriffliche und ästhetische Differenz zu zerlegen und doch diese Differenz zugleich auch wieder aufzuheben in die Identität einer einzigen Figur von Darstellung –, dem ist im praktischen Leben kein vergleichbarer Erfolg beschieden. Es verstößt gegen den Umgang mit Bedeutungen, gegen die Gewohnheit, regelmäßig mit verschiedenen, disparaten oder gar widersprüchlichen Bedeutungen zugleich anzutreten. Die Hoffnungen auf ›Aufhebung‹ positiver Disjunktionen in einer vermeintlich zumindest antizipierbaren Identität verlieren sich in den Distanzen des Raums
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und im Unterwegssein in der Zeit. Was der dialektischen Maschine gelingt, kommt hier viel eher einem vorübergehenden Stillstellen des Bedeutenlassens gleich. Dass die Verwendung unterschiedlicher Zeichensysteme zum Beispiel im Blick auf einen körperlich sinnlichen und sprachlichen Ausdruck sowohl präsentativ wie rezeptiv möglich ist, ist damit nicht bestritten. Nur wird solcher Gebrauch normalerweise der Disjunktion unterworfen: hier – jetzt dieses; dort – dann jenes. Instantan widersprüchliches Verhalten als Gewohnheit würde hingegen kaum Beifall finden im Raum infraordinärer Kommunikation. Im Einzelfall, wenn Muster nicht erkennbar oder uneindeutig sind, wird man danach fragen, welcher Bedeutung man weiter folgen soll. Und man wird daran interessiert sein, zu übereinstimmenden Urteilen über den Weg, nicht auf der Karte, sondern im Feld zu kommen. Im Fall gelingender oder scheinbar gelingender Verabredung und Orientierung dürfte dies überflüssig sein, weil es unausdrücklich vorausgesetzt wird. So weit finden wir die »Bedeutung« im Kontext des Pragmatismus. Und hier begegnen wir dem Skeptiker, der nicht aufgeben will, den Schein in jeder denkbaren Beleuchtungssituation in Frage zu stellen. Deshalb korrelationalistische Strategien des Pragmatismus zu verabsolutieren, kann allerdings nicht das Ziel sein. Es geht gerade nicht darum, den Schein immer wieder nur an einen anderen Schein zu verweisen, die Zeichen an die Zeichen. Deshalb die Erinnerung an die pragmatizistische Pointe, die die nominalistischen, (konstruktiv[istisch]en, korrelationistischen ...) Ambitionen unter die Bedingung einer starken Tatsachen- und Realitätsvermutung stellt. Entsprechend liegen die ontologischen Optionen dieses ›metaphysischen‹ Realismus. Nicht zuletzt deswegen berufen wir uns in bedeutungstheoretischer Hinsicht auf Peirce. Nicht weil eine ästhetische, intentional-praktische oder logische Perspektive einzunehmen defizitär erscheinen müsste, sondern weil es angebracht ist, diese Perspektiven in eine Perspektive zu setzen.154
Paradox & Mimesis. Nachahmung ohne Wiederholung. Szenifikation zwischen Inszenierung & szenischer Techne. Dichotomie des ›Gestells‹ Schaut man auf die Inszenierungsperformanz, scheinen Effekte, die leisten, was Instrumente und Werkzeuge, Maschinen und Techniken, Kniffe und Tricks zu leisten vermögen, eher tolerierbar, wenn sie narrativ eingebunden und von daher begründet erscheinen. Dabei liegt die Beurteilung, ob leichter, ob schwerer zu akzeptieren, im Auge des Betrachters und bei seinen Absichten. Doch allgemein dürfte gelten, dass technische Effekte als energetische Voraussetzungen zur Erzeugung des szenischen Scheins einer gut erzählten Geschichte hinnehmbar sind, zur bloßen Inszenierung eines vergleichbaren Scheins, der nur ästhetisch animiert, aber nicht. Entsprechend würden demnach die Wirkungen lanciert. Und entsprechend wären bestimmte Effekte gut oder weniger gut zu rechtfertigen. Die Binnendifferenzierungen von »Inszenierung« und »Szenifikation«, allemal die von »Szenifikation« und »Szenografie« (adressiert an die mediale Instrumentierung schon bei der technischen Effektwahl im Produktionsbereich) rekurrieren auf dieses Kriterium der Vermitteltheit oder der Mischung. Das hat zu tun mit der Offenheit oder Geschlossenheit der Szenifikation gegenüber der Erweiterten Szenografie, also gegenüber allen relevanten Konzepten und Entwürfen, nicht nur den aktuell engagierten. Um an Diderots Überlegungen anzuknüpfen: Der Berufsschauspieler ist in der Lage, die Gleichgültigkeit seiner professionellen Einstellung zu verbergen, performativ stets in der Maske der Effekte entsprechender Studien und Übungen auf die Szene zu treten. Er ist der »Mann ohne Eigenschaften«, dessen
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künstlerisches »Genie« darin liegt, allseits mimetisch zu sein.155 Der Abstand der scenografia, der Perspektive der Projektplanung, zur scena, zur Projekttätigkeit, ist in der Ausführung überwunden; die Szenografie ist nur noch als Inszenierung in actu anwesend. Vergleichbares gilt für die Perspektive der narratio oder istoria nicht. Zwar liegt es auch in der Perspektive der Botschaft, per Ausdruck zu Gestalt bringen zu wollen und »dergestalt« auf die Szene zu treten, doch gibt es keinen Grund, den entsprechenden Auftritt inhaltlich als spontan erfunden erscheinen zu lassen. Dies gilt insbesondere, wenn es zur emotionalen Wirkmächtigkeit einer Geschichte gehört, dass sie nicht nur gut erzählt, sondern dass eine gute Geschichte erzählt wird. Eine gute Geschichte aber ist eine bewährte Geschichte. Was es heißt, dass dazu zählt, dass die Geschichte glaubwürdig ist, hängt ab vom Diskurs, aus dem sie stammt oder von dem abstammend sie behandelt wird. (Hegel zum Beispiel erläuterte sein Programm historisch national.) Dass, um eine Story aufzumöbeln für den aktuellen Geschmack, zuweilen kosmetische Behandlungen gut tun, gehört zum Paradox des Spielens auf der Bühne. Es ist an der opsis, den mythos in kommunikativ gegenwartsadäquater Gestalt voranzubringen. Auch hierfür ist das Talent einer sich verbergenden oder überwundenen mimesis gefragt. Sie verbirgt sich nicht, weil die Inhalte dessen, was nachzuahmen Gegenstand sein könnte, verborgen werden müssten. Sie verbirgt sich vielmehr, weil sie sich überhaupt an keinen überkommen festgelegten Inhalt binden darf, um leisten zu können, was sie leisten soll: alle Inhalte an die Oberfläche ihrer energetischen Wirkung zu befördern. Denn die Vergangenheit ist nur ein Modus gegenwärtiger Erinnerung in die Zukunft. Mimesis ist projektive anamnesis, oder, mit Peirce ausgedrückt, die Gewohnheit, Gewohnheiten zu verändern. Was als Geschichte auftreten möchte, muss deshalb nicht als Herkunft und Vergangenheit zuvor dissimuliert werden, da es buchstäblich nichts zu dissimulieren gibt.156 Worum es geht, ist die Qualität des Nachahmens selbst. Es bedeutet so viel, wie die poiesis in die Evolution zu stellen. Der hervorbringende ›Nachvollzug‹ des Dargebotenen durch das eigene Bedeutenlassen realisiert sich als bewährtes Modell von Wiederholung und Variation. Man muss im Detail erkennen, dass Hinsichten von Bedeutung nicht aus funktionalen Beschreibungen herausgelöst werden können, wie wenn sie Tatsachen unmittelbar verkörpern könnten – in Texten, Bildern, Werken. Um es am Beispiel der Malerei zu sagen: Es macht keinen Sinn, der Darstellung der Souveränität, wie sie aus Velázquez´ Hoffräulein abstrahiert werden kann, den Anschluss an die Geschichten über das Leben der höfischen Gesellschaft zu Zeiten des Absolutismus, wie Velázquez´ Werk sie in Szene setzt, zugunsten einer ›zutreffenden‹ Beschreibung zu verwehren. Das Gemälde mag gut dazu sein, bestimmte Einsichten in die politiktheoretischen Verwicklungen von Herrschaft zu befördern; entsprechende diagrammatische ›Ansichten‹ lassen sich zweifellos im Gemälde realisieren. Ein so ermittelter von der Szene des Bildes, in und mit der er immer schon spielt, abgelöster ›Strukturtext‹ repräsentiert jedoch keine selbstständige Wahrheit. Denn dies zu behaupten machte keinen Sinn, da die Ablösung des einen vom anderen nicht möglich ist. In jeder seiner Gegenwarten sind die Vergangenheiten des Bildes im Bild anwesend, alle Geschichte und alle Geschichten. Jederzeit kann eine neue Deutung dessen, was das Bild auf diese Weise auszudrücken vermag, zu anderem Ausdruck, zu diesem oder jenem geformt werden. Mithin gilt für die Binnendifferenzierung zwischen Szenifikation und Szenografie, dass die Inszenierung von Gestaltgebung und Formensprache, deren Wirkung
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aber von der Geschlossenheit der ›Szenifikation‹ abhängig ist. Sie beinhaltet eine Echtzeitanwendung auf die Geschichte – im doppelten Sinn des Wortes. Dass dabei die Entwurfsideen und die darin zum Ausdruck gebrachte Mimesis vielleicht nicht geltend gemacht werden können, heißt lediglich, dass es sich in der szenografischen Gestaltungspraxis des Entwerfens, Planens und Experimentierens um andere Szenen handelt als in der Präsenz des Werkauftritts. Unbeschadet aber davon bleibt, dass die mimetische Kompetenz im Szenenwechsel stabil bleibt. Die trennenden Momente zwischen den Szenen werden dadurch überwunden, dass ›Nachahmung‹ gegenüber dem narrativen Entwurf ganz selbstverständlich toleriert wird, da es sonst gar keine Geschichte gäbe. Die Geschichte garantiert die ihrerseits paradoxe Figur ›authentischer Nachahmung‹. Es ist eine Nachahmung ohne Wiederholung. Stattdessen zeigt sie Schlussfolgerung. Nur die Nachahmung der Nachahmung wird nicht akzeptiert. Weder führt der Schauspieler, der Maler, der Künstler ... eine solche Nachahmung auf noch ahmen die Zuschauer, ahmt das Publikum nach. Szenisch entsteht ein Gemischtes. Von Seiten der theatralen oder theatrischen Präsentation beschränkt sich das Vermittlungsangebot auf die Darstellung eines darin spezifisch Gestalteten und zu Ausdruck Gebrachten und derart Vermittelten. Hinsichtlich eines gemeinsamen Spiels ist das Angebot nicht genug oder zu viel, wie man will. Wäre die Vermittlung vollständig, die Darstellung zur Identität gebracht, brauchte es kein Spiel, keine Begegnung mehr, sie zu Ende zu bringen. Anders steht es um das praktische Erleben dialektischer Vermitteltheit oder Vermittelbarkeit: Es wertet das dargeboten Vermittelte als ein Eines, dem durch ein Anderes handelnd, energetisch, in Auseinandersetzung zu begegnen ist. Das heißt, ist es ein Spiel, kann nur vom Ensemble der Anwesenden zu Ende gebracht werden, soweit es die jeweilig aktuellen Szenifikationen zulassen. Für die ursprünglich Adressierten bedeutet die Möglichkeit, so auf die Darstellung des Auftritts reagieren zu können, eine adäquate szenische, nicht repräsentative Art, sich mittuend, empfindend, verstehend, im Ganzen passend auf eine Geschichte einzulassen. Wenn es mit Blick auf die Performanz vielleicht so vorkommen mag, dass mit Exposition und Perzeption das meiste schon gewonnen sei, die volle Bedeutung der Szene erschließt sich dem bloßen Wahrnehmen höchst selten und schon gar nicht mit Notwendigkeit. Für eine erstmalige Auseinandersetzung mit den Zusammenhängen einer Geschichte scheinen die Chancen auf Verständnis weniger gut als bei gut Eingeführtem. Doch bedeutet »Zusammenhang«, Variation und Assoziation in Rechnung zu stellen, die Kompetenz der Mimesis. Ansonsten liegt das Problem einer ausdrücklichen Vermittlung von ›Neuem‹ eben auch bei Stoff und Gegenstand, nicht allein bei der Gestaltung und Dramaturgie der kommunikativen Szenarien. Verläuft die Interaktion asymmetrisch und zielt die Begegnung nicht auf ein partnerschaftliches Erschließen und Aneignen, sind davon kaum gegenteilige Erfolge zu erwarten. Dies gilt für jede einseitige Sender-Empfänger-Vermittlung. Statt Kommunikation finden wir Information, insbesondere die technisch aufbereitete und übermittelte. Sie suggeriert Erklärung außerhalb der Geschichte, allein in Gestell oder Installation. Was derart ›mythosfern‹ gerät, kann außerhalb der platonischen Ideenlehre schwerlich als mimetisch angeeignet und deshalb schon als ›anwesende Sage‹ betrachtet werden. Das gilt für die Nachricht über die neuesten Erfolge bei der Suche nach Erdgas auf Basis der Fracking-Technologie ebenso wie für die Konfrontation mit der auf die neuesten Forschungsergebnisse gestützten Erklärung des Alzheimer-Syndroms. Das Problem ist nicht, dass man eventuell noch nie etwas von der Sache gehört hat, sondern dass es
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keine kommunikativen Szenen der Verständigung darüber gibt. An ihrer Stelle finden sich, sozusagen, rein ›informelle Situationen‹. Entsprechend schlecht bestellt ist es um die Chancen der Urteilskraft. Ob es sich um seriöse oder völlig aus der Luft gegriffene Informationen handelt, ist kaum zu beurteilen. Die Information erscheint als vom informierten Objekt und der gegenseitigen Informierung der Objekte isoliert. Um Urteilskraft ins Spiel zu bringen, müssten stattdessen sachbezogene Szenifikationen in Gang kommen. Nur sie erlaubten, der Hilflosigkeit angesichts einer szenisch nicht aufzulösenden, nur scheinbaren Kommunikationssituation entgegenzutreten. Es kann nicht verwundern, dass die überwältigende Konfrontation mit dem unerhört Unbekannten in bestimmten Metiers geradezu zwingend daran zweifeln lässt, dass es sich überhaupt um eine glaubwürdige oder eine gute Geschichte handelt. Für das alltägliche Leben und seine Szenen gilt ohnehin, dass die Geschichten im Großen und Ganzen bekannt sind, zumindest worauf es mit ihnen hinaus soll. Ob diese Annahmen berechtigt sind, steht auf einem anderen Blatt. Jedenfalls äußert sich im Allgemeinen wenig Vorbehalt, angebotenen Narrativen zu folgen. Das unterstreicht, dass der Anschluss mehr den Transfer im Sinn hat als die intellektuelle Auseinandersetzung. Je selbstverständlicher die Übernahme, desto unauffälliger erscheint die Prozedur. Das kann auch bedeuten, je unverständlicher die Zumutung, desto reibungsloser ihre Einverleibung. Da es immer nur in engen Grenzen um episteme zu tun sein kann, steht energeia um so höher im Kurs. Es geht um die praktische Antwort auf die Frage, wie es weitergeht, nicht um ein theoretisches Wissen, um die Fülle aller möglichen Bedeutungen, ein Wissen, das ohnehin ebenso vorläufig bliebe. Also muss die angebotene und einverleibte Geschichte der gegenwärtigen Lebens- und Verständnissituation eingepasst werden. Dies gilt auch dann, wenn die Geschichte, wie sie daherkommt, ganz abgesehen von ihrem Inhalt, als neuartige, nie dagewesene Inszenesetzung begegnet. Was die Anstrengungen der Einpassung und Einverleibung dann zustande bringen, gehört zum prestigio. Da der ›Gewinn‹ bei der Sache indes immer auch mit Opfern verbunden ist, kann er negativ ausfallen. Dass die Botschaften, deren Inhalte besonders inventionsverbunden sind und ihren Entwurfscharakter in ihre Manifestation mit hineintragen, leicht sperrig bleiben können und dies gemeinhin auch ihre Gestaltung betrifft, versteht sich, ganz abgesehen davon, auf welche Weise diese Irritation aus der Welt geschafft wird und ob es überhaupt gelingen kann. Trotz der generell mehr oder weniger gut gelungenen Abschottung der szenografischen Hinterbühne, was den Prozess der Formgebung im Entwurfsbereich angeht (die Nachahmungskompetenz, wenn man so will), indiziert die (Wieder-)Erkennbarkeit des Narrativs auf dem Hintergrund einer langen Geschichte des Wiedererkennens die Chancen auf eine Öffnung des Inszenierten in Richtung seiner Inszenierung, vielleicht nicht in einer einzigen Szenifikation und im Rahmen eines einzigen szenischen Arrangements, wohl aber in the long run. Die Bedingungen sind erfüllt, wenn die Anverwandlung des dargebotenen Stoffs, veranlasst durch die Vergegenwärtigung der Installation, Unterstützung bekommt und weitere Anstrengungen gegen weiteren Widerstand mobilisieren kann. Sich der relevanten Installation oder Bühne zu versichern erlaubt günstigenfalls einen Schluss auf die paradoxe Situation der Aufführung, einen Blick hinter das Offenkundige. Gewissheit zu gewinnen bleibt indes ein praktisches Projekt eigener Art. Entsprechend relativiert erscheinen die möglichen Ergebnisse, sowohl was die Techniken der Inszenierung als Gestaltung betrifft als auch was mittels dessen im medialen Transfer auf der Strecke geblieben sein könnte. Der
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Adressat des Künstlers eignet sich dessen Tugenden an; er studiert das Nachahmen, um es zwischen Anstrengung und Widerstand zu vergessen. Derart realisiert er die Mimesis. Ohnehin ist die Erkennbarkeit der relevanten Installation eher gewährleistet als die Erkennbarkeit der Variationen und Hintergründe des Plots, zumindest, wo das theatrale oder theatrische Bühnenarrangement obligatorisch ist. Denn um auf die Indizes von Installation zu reagieren, reicht Wahrnehmung in der Regel aus. Ob es diejenigen Anzeichen sind, die für das relevante Objekt symptomatisch sind, ist so allerdings nicht zu entscheiden, stellt sich erst im Laufe weiterer Szenifikation heraus. So oder so: wenn die Effektkultur der Performanz geeignet ist, das aktuelle Verständnis der Botschaft zu bestätigen (mehr denn nur zu befördern), werden die Wirkungen medialer Verstärkung verträglicher sein als im Fall eines bloßen coup de théâtre, der zwar Affekte in Bewegung zu setzen, aber keinen Hinweis darauf zu geben weiß, in wessen Dienst sie genommen werden sollen, allemal, wenn die Gelegenheit genutzt wird, hinter die Bühne zu schauen. Steht sie ohne die Öffnung der Szenifikation in ein gemeinsames Feld von poiesis und pathos gar nicht zur Diskussion, ist unklar, ob die Einverleibung der Botschaft zugleich auch die einer wahrsagenden Geschichte beinhalten könnte, führt der Weg zu Entwurf und Genealogie der Szene sowohl ästhetisch als auch sachlich zur Befassung mit der Evolution gegenwärtiger Bedeutung. Die Mischung aus professioneller Inszenierung, die im Wesentlichen Nachahmungskompetenz verlangt, und Übermittlung einer Darstellung, welche das Vermögen im turn der Vorstellung verschwinden lässt, kann nur zustande kommen in der praktischen Vermittlungstätigkeit der szenisch Beteiligten. Erst darin verwirklicht sich die Doppelnatur von ›Inszenierung‹. Alle Mimesis richtet ihr Augenmerk auf diese Kompetenz. Freilich, dass eine szenografiebestimmte Inszenierung mit Zustimmung aller Beteiligten auf diese Weise aufgeschlossen werden kann, gehört zu den Charakteristika der theatral oder theatrisch verfassten Bühnen des Spiels. Wird gar nicht gespielt, wird Gewalt angewendet, und die Wildheit setzt sich durch.
Schein- & Schatten. Dopplung der Scheinopposition (Adorno, Foucault) Nun scheint der Konstruktion der »Schattenbühne« doch ein anderes Muster zugrunde zu liegen als der gewöhnlichen Bühne der theatralen und all der anderen Künste. Dabei ist es nicht das Muster der »Versachlichung«, von dem Adorno im Scheinkapitel seiner Ästhetischen Theorie spricht157, das hier den Unterschied provoziert. Obwohl die ›Bereinigung‹ der Künste in dieser Hinsicht vom Motiv geleitet war und ist, nichts als was ist und dazugehört erscheinen zu lassen, wurde die Kunst »der Hülle ihres Scheins nicht ledig«. Vergleichbares gilt für viele andere Varianten, die sich kunstintern darum bemühen, diesem Schein zu entkommen und gleichsam unmittelbar intentional realitätswirksam zu agieren. Der Widerstand geht gegen den »Schein als Illusion und das Illusionäre an ihr«. Die Hoffnung ist, »der ästhetische Schein könne am eigenen Schopf sich aus dem Sumpf ziehen.« Doch ist die Hoffnung trügerisch. Denn soweit es im Raum der Bühnen der Kunst immer um ein »Stück wie immer auch latenter Nachahmung des Wirklichen« zu tun ist, ist, was dort geschieht, »von Illusion [...] nicht zu befreien«. Allerdings betrifft dieser Trug allein die mögliche Illusion gegenüber der Differenz von Kunst und Nichtkunst: dass sie an der Kunst selbst überwunden oder aufgehoben werden könne und dies mit der mehr oder weniger notgedrungenen Mimesis zu tun habe. Nicht der Schein mithin trügt hier, im Gegenteil. »Wollten Kunstwerke um des eigenen Begriffs willen jene Rückbeziehung absolut
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tilgen, so tilgten sie ihre eigene Voraussetzung«. Es ist gerade das dem Kunstwerk eigene Scheinen, das es in den Unterschied und den Widerstand gegen die Realität bringt. Aber diese Stellung zur Wirklichkeit, gleichviel ob zu äußerer oder innerer Wirklichkeit158, ist es, die allein rechtfertigt, den Auftritt als »Kunst« zu verbuchen. Die anhaltende Opposition gegen die Verbindung von Werk und Schein hingegen, eine Verbindung, so eng wie bei manchen Tieren zwischen Kopf und Geweih, wie Adorno anschaulich bemerkt, lässt die Werke in leere Dinglichkeit eintauchen. Symptomatisch dafür ist die »kindisch ignorante Pseudomorphose an die Wissenschaft«. ›Wissenschaft‹ in diesem Zusammenhang indiziert den ihr innewohnenden Positivismus, der sich allein auf harte Tatsachen beziehen möchte und auf ihre materialen Substrate. Gerade das aber gehört zu den Verdinglichungsphänomenen der modernen Kunst, wenn sie in »barbarische[r] Buchstäblichkeit« auf die ästhetische Faktizität materialer und technologisch medialer Effekte rekurriert, um deren Schein dann bei Gelegenheit phantasmagorisch zu überhöhen. So wird die Kunst zu ihrem eigenen Feind und destruiert sich selbst. Ähnlich beschlagnahmte schon im späten 19. Jahrhundert das Spektakel- und Erlebnisgesicht der Kunst den Schein, den die Ironie der Romantik noch vor seiner Inszenierung als Gespensterstück hatte bewahren wollen. Nicht zuletzt für diesen Wandel verantwortlich ist, dass die Kunst ihre Produktionsspuren zu verwischen begann, um nicht Gefahr zu laufen, als Tatsache mit anderen Tatsachen verwechselt und deshalb abgestraft zu werden. Es trifft ganz auf die Wagner´sche Inszenierungswut zu, dass Positivismus, Technik und Phantasmagorie zueinanderfinden, das szenografische Handwerk indes verborgen werden sollte, damit nicht »die dichte Unmittelbarkeit als vermittelt sich decouvriert hätte. Dem gehorchten die Werke bis tief in die Moderne hinein.«159 Antiidealistisch hat Heidegger den Zusammenhang und Zusammenhalt zwischen Dingen und Kunst in ihrem Gefügtsein geltend gemacht. Ihr Anteil an den Dingen wird nicht von der Materialität eines Darstellungssubstrats kompensiert, sodass der Aufführung der Konnex zu den Dingen verloren ginge. Umgekehrt kann sich die Szenifikation ihrer Genese versichern; soweit die sich nicht in der Darstellung als zufällig erweist und von flüchtiger Art, trägt sie bei zur Verselbstständigung des Kunstwerks auch in seiner performativen Form.160 Die Form, mit der immanenten Dinghaftigkeit fertig zu werden, wird bestimmt vom Streit darum. Sein Ausgang ist nie gewiss. Tatsächlich stimmt ja, dass »das nicht Fixierte der Kunst« oft »näher am mimetischen Impuls« auftritt, zwischen Wissen und Technik, als Mimesis der Techne sozusagen. Doch dies geschieht »meist zum Schein« und »nicht über, sondern unter dem Fixierten, Restbestand überholter Praxis, vielfach regressiv.« Offenbar ist es eine Frage der Urteilskraft, dies zu unterscheiden. Jedenfalls erklärt sich so, dass der Widerstand gegen verdinglichende Fixierung der Werke statt zum befreienden Ereignis zu »Verdinglichungen älter Stufe« führen kann. Doch demonstriert das kritische Engagement im Interesse der Tatsachen nur die Tatsache des Leidens des Werks an der ihm innewohnenden Dinglichkeit – trotz aller Fügung der Risse. Dies weist hin auf den wirklichen Produktionsprozess. »Nur philiströs verstockter Artistenglaube könnte die Komplizität des künstlerischen Dingcharakters mit dem gesellschaftlichen verkennen und damit seine Unwahrheit, die Fetischisierung dessen, was an sich Prozeß, ein Verhältnis zwischen Momenten ist.« Womit die Schlussfolgerung nahe liegt, der Verobjektivierung im Werk, wie sie sich in der darstellenden Repräsentation des Werks findet, eben nicht zu trauen und der Repräsentation keinen Vorrang einzuräumen. Denn zwar ist die Objektivation »Bedingung ästhetischer Autonomie«, doch ebenso,
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als solche festgehalten, »Erstarrung«. »Je mehr die im Kunstwerk steckende gesellschaftliche Arbeit sich vergegenständlicht, durchorganisiert wird, desto vernehmlicher klappert es leer und sich selbst fremd.«161 Adorno versteht, was Foucault in der sophistischen Destruktion des Wahrsprechens am Werk sieht und Peirce als unvereinbar mit einem tatsächlichen Bedeutenlassen postuliert: dass die Zeichen nur noch selbstbezüglich ihre Zeichenhaftigkeit bedeuteten und in dieser ewig kreisenden Bewegung ihre Objekte festgelegt würden als Gegenstände derselben Art, als bloße Zeichen für Zeichen. Adornos Diagnose steuert bei, dass nicht zuletzt aufgrund übergroßer Nähe, wie sie mit der Dominanz des einflussnehmenden, beurteilenden Subjekts verbunden ist, das Eigensein des Kunstwerk-Corpus verletzt wird. »Dem Blick [...] aus nächster Nähe verwandeln die objektiviertesten Gebilde sich in Gewimmel, Texte in ihre Wörter« – Bedeutungen in ihre Zeichen. Doch unter solcher Zurichtung verflüchtigt sich der Sinn, »verdampft seine Konkretion«. Eine Szene des Erscheinens ist nirgends in Sicht. Zu konstatieren ist also die Dopplung der Scheinopposition. Dort, wo es wichtig wäre, den Schein als Schein eines Fiktiven zu verstehen, als Vorschein auf ein noch nicht Eingelöstes, nichtsdestotrotz ein nicht einfach Intendierenswertes, sondern schon Am-Werk-und-unterwegs-Seiendes, dort wird der Schein als Indiz eines Phantasmas des Übersinnlichen ersatzweise medial überstahlt oder sachlich bürokratisch weggespiegelt. Dort wo es wichtig wäre, fehlenden Schein der ersten Art anzumahnen und nicht fälschlicherweise zu verwechseln mit dem Phantome kreierenden Schein inszenierter Aufführung und Ausstellung, wird der Schein der Phantom- oder Schattenbildung als nichtexistent behauptet, technisch dissimuliert. ›Spiel‹ oder ›Messe‹. Nachahmung, Wiederholung, Ereignis – & die Notwendigkeit des Scheins
Erinnern wir die Foucault´sche Anordnung aus den Vorlesungen zu Der Wille zum Wissen. Zunächst wird das Vokabular, das die Bühne assoziieren lässt, metaphorisch benutzt. Denn die Sophisten spielen ihr Stück nicht auf dem Theater, sondern auf dem Markt. Wir haben schon darauf hingewiesen, dass die scène, die Foucault vorschwebt, weniger eine »Bühne« denn eine »Szene« meint, und zwar eine inszenierte Szene. Auch auf ihr muss beleuchtet sein, was gesehen werden will. Die Materialität des Diskurses ist dem Sophisten nur Residuum, ein Übriggebliebenes für die Nachahmung. Er hält sich daran nicht aus inhaltlichen Gründen, weil mimesis zu tun hätte mit der Informiertheit der Dinge, sondern wegen der Gestaltung der opsis, des Auftritts. Im Format des ›Sophismus‹ wird nicht auf der Bühne gespielt, sondern im Schatten der Kulisse. Wäre die Kulisse die Bühne, würde offenbar, dass nicht erkennbar ist, was gespielt wird. Der Schein einer Beleuchtung müsste das Dunkel erhellen, sodass die Fäden zwischen den Puppenspielern im Dunkeln und den Marionetten im Hellen sichtbar würden. Doch dies geschieht nicht, weil dieser Schein der Wahrheit erfolgreich unterdrückt ist. Was sich zeigt, scheint stattdessen scheinlos, quasi evident als das, was es ist: ein Spiel der Masken des Alltags, die niemand zu den Kostümen zählt. Denn das wird verlangt vom echten Auftritt im Unterschied zur theatralen Inszenierung, deren Schein am Ende wenigstens an der Aufhängung der Leuchtkörper erkennbar ist. Hier ist die Rahmung ›theatrisch‹. Es heißt, die Bühne szenisch simulierend oder dissimulierend zu inszenieren, je nach Opportunität und Geschmack. Bedenken wir die Metaphorik, meint »Schatten der Kulisse« nichts anderes als den abgedunkelten Raum der Produktion und der sie beherrschenden Verhältnisse. Folglich finden sich
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auch nirgends Puppenspieler, sondern nur die im Vordergrund wirkenden Agenzien. Einmal sehen wir sie in phantasmagorischer Aufmachung und spektakulärer Inszenierung ›Theater spielen‹, ein anderes Mal kommen sie in ›authentischem‹ Aufzug daher, als Abbild ihrer selbst, so gut wie ›dokumentarisch‹ auftretend, scheinbar nur den Dingen und den Tatsachen verpflichtet. Das eine gefällt, weil es bewegt, Emotionen und Affekte freisetzt und nur ein Spiel ist – wie wir an der Bühnensimulation zu erkennen glauben. Das andere gefällt nicht weniger, weil es in Szene gesetzt ist ›wie echt‹, uns dergestalt in die Realität verwickelt – und deutlich ohne die Krücken einer Installation auszukommen vorgibt. Es erhellt, dass es für die simulierend dissimulierenden Varianten des inszenierten Auftritts nicht darauf ankommt, ob die abgeschatteten Akteure und Aktionen ihrerseits tatsächlich in der Kulisse stehen oder selbst nur Schauspieler auf einer eigenen Bühnen sind, dort, wo das Spiel als Stück mit Rahmen gegeben wird, auftreten oder als das wirkliche Leben, als gäbe es nie eine Wiederholung. Vordergründig paradox scheinen Wiederholbarkeit und Wiederholung aus Gewohnheit nun aber tatsächlich als Kriterien nicht nur der Realität zu gelten, sondern auch der ›Wirklichkeit‹, soweit sie die leibliche Anwesenheit der Beteiligten betrifft. Mimesis bestimmt die Inszenierungsvarianten schließlich schon aus der Perspektive der szenografischen Produktion. Denn das Stück ist für die wiederholende Nachahmung seines Entwurfs geplant. Im Erleben der Aufführung, in dem die Rezipienten nicht Beobachter, sondern Mitakteure, eventuell sogar Hauptakteure sind, beweist sich die ›Authentizität‹ der Rezeption. So kann es zu einer Feier kommen, deren Erleben sich von dem der bloßen Inszenierung eines vergleichbaren Geschehens (zum Beispiel in einem theatralen Rahmen) durchaus unterscheidet. Im Erleben unterschiede sich die Feier aber auch schon gemäß szenografischer Intention und ihrer medialen Umsetzung. Die wahre Kunst läge hier schließlich darin, die ›inszenierende‹ Szenografie schon ideell und konzeptuell als ›Feier der Gemeinschaft‹, die wie eine ›Kirche‹ ist, als »Messe«, wie Mallarmé sagen würde, erscheinen zu lassen, mithin jede Inszeniertheit (nicht das Schauspiel) zu dissimulieren, gleichviel zunächst, ob theatral spektakulär oder theatrisch nüchtern choreografiert. Entsprechend stellte sich die Nachahmung ein. Es geht darum, die Existenz zu feiern, deren anhaltendes Bedürfnis, sich ihrer selbst leiblich sinnlich wieder und wieder zu versichern, zur notwendigen Wiederholung führen muss. Solches Ritual muss verbürgen, was ansonsten vielleicht ein Bewusstsein gemeinsamen Seins informierter Dinge psychisch und physisch zustande zu bringen vermöchte. Die wiederholende Versicherung dagegen ist unbedingt effektiver – wenn auch kaum stressmildernd. Tatsächlich liegt offenbar nur in der erfolgreichen Wiederholung die Garantie anhaltender Evidenz der Tatsache, am Leben zu sein. Der Wettlauf mit den Göttern dauert bis zum letzten Atemzug des Einzelnen. Und, in metaphysisch theologischer Betrachtung, darüber hinaus: »Tuet dies zu meinem Gedächtnis«, ist die Formel einer Aufforderung, das Ereignis der wiederholenden Nachahmung fortzusetzen bis zur Wiederkehr der Stiftung des Ereignisses selbst.162 Im Versprechen des Lebens dürfte das Insistieren begründet liegen, das die rituellen Wiederholungen des Medienkonsums wider besseres Wissen als Life-Erlebnisse halluziniert, die solche Garantie zu beinhalten scheinen. Geschaltet wird, was, je nachdem, momentan am ehesten geeignet erscheint, im Erleben Überleben und Wohlsein zu garantieren oder zumindest die berechtigte Hoffnungen darauf. Indem die Kreationen »die Momente des Scheins tilgen, die ihnen anhaften, verstärkt sich eher noch der, welcher von ihrem eigenen Dasein ausgeht, das durch seine Integration sich zu einem
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An sich verdichtet, das sie als Gesetztes nicht sind.« Da das Werksein nun aber nicht mehr auf seine ›Schließung‹, ein Zusammenfinden der membra disiecta im Übersinnlichen oder Jenseits setzen kann oder will, wurden »die künstlerischen Prozeduren dazu bewogen, hinter den Kulissen – der theatralische Ausdruck ist zuständig – alle Einzelmomente vorweg so zu präformieren, daß sie jenes Übergangs zum Ganzen fähig werden, den sonst die absolut genommene Kontingenz der Details nach der Liquidation des Vorgeordneten verweigerte. Dadurch bemächtigt sich der Schein seiner geschworenen Widersacher. Erweckt wird die Täuschung, es sei keine Täuschung; daß Diffuses, Ichfremdes hier und gesetzte Totalität a priori harmonierten, während die Harmonie selbst veranstaltet wird; dass der Prozeß rein von unten nach oben als geleistet präsentiert wird, während in ihm die alte Bestimmung von oben her fortwest, die kaum von der geistigen Bestimmtheit [...] fortgedacht werden kann.«163
Um Kunst wird es sich mithin nicht handeln, wenn selbst, was sich dafür hält, damit einhergeht, den eigenen Schein zu tilgen.164 Wahrnehmbarkeit und Wirkung des Scheins sind umgekehrt die Merkmale der künstlerischen Inszenierung, die der Abgrenzung wegen besser als »künstlerisches Schauspiel« oder »künstlerische Szenifikation« apostrophiert werden sollte. Die gleichsam ›scheinlose‹, weil geschlossene Inszenierung dagegen ist diejenige, der der negativ besetzte Inszenierungsbegriff zusteht. Sie ist die Täuschung, kein Täuschendes stehe zu befürchten; sie ist veranstaltete Harmonie. Insofern ist sie keineswegs »scheinlos«, verbreitet im Gegenteil eben die Aura, die am ehesten mit dem Begriff des Scheins verbunden wird. »Schein« in diesem Kontext meint täuschenden Schein, Trug. In der Tradition der Philosophie von Platon bis Hegel bestimmt sich der Schein vom Sinnlichen her, auf der Seite des Erkennens ebenso wie auf der Seite der Zeichen. Zu täuschen vermag der Schein, weil die Sinne zu täuschen vermögen. Das Nichttäuschende kann folglich nicht den Sinnen entstammen. Wo davon die Rede ist, artikuliert sich darin ein geistiger Anspruch: die Kraft der Ideen. Freilich müssen auch sie erscheinen, treten auf mit eigenem sinnlichen Schein. Nur auf diese Weise kann sich der Geist selbst mitteilen. Der »sinnliche Schein der Ideen« (Hegel) kann sich den Artefakten und den Zeichen nur als solcher mitteilen. Dies kompliziert die Verhältnisse. Abzugrenzen bleibt im Erscheinenden, in der wirklichen Welt. Dies auch ist für die orientierende Diagrammatik relevant. Es kommt gerade darauf an, dass der kunsteigene Schein der eines erscheinend seienden Geistes ist, nicht ›bloßer Schein‹, zu vernachlässigender oder zu durchdringender und zu zerstörender Schein einer an sich seienden fernen Welt. »Das, viel mehr als die Nachahmung der Sinnenwelt durch das ästhetisch Sinnliche, auf welche die Kunst verzichten lernte, nötigt sie zum Schein.«165 Es ist dieser Schein, mittels dessen die Kunst an der Wahrheit teilhat. Umgekehrt: die Dinge in diesem Schein erscheinen zu lassen ist sowohl wahre Kunst als auch Kunst der Wahrheit. Dieses Ziel anzugehen ist ein operatives Geschäft praktischer Dekonstruktion, sei es, dass vorgetäuschter Scheinlosigkeit gegenüber die ›theatrische‹ Inszenierung der Scheinlosigkeit nachgewiesen werden muss, in der Produktion wie in der Zirkulation, im Entwurf wie in der Aktion, sei es, dass vorgetäuschtem Schein der Anschein genommen wird, wahrhaftig, ›theatral‹ gestaltend nichts als den Schein der Ideen zum Scheinen zu bringen. Was übrig bleiben könnte, wäre ein Wahrheitsschein schlussfolgernden Handelns und handelnden Schlussfolgerns – ein für sich nichtsdestotrotz quasi ordinärer Schein. »Ordinär« ist er, sofern er nicht resultiert aus dem, was mit der dekonstruierenden Vermittlung als Sinn erst sich einstellt. Viel eher muss die darin sich manifestierende
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ontologische Situierung dem noch nicht in der Drittheit Vermittelten den Status eines unabhängigen Seins und Bewusstseins der Zweitheit belassen. Darin gehörte der Schein, mit Peirce, im Aktiven ipso facto zu den Einwirkungen eines Objekts auf die Vorstellung, in der Entgegensetzung des Reaktiven dagegen zu den Eigenschaften des Bewusstseins als Tatsache, als mögliche Form eines Objekts.166 Wäre es anders, würde dem situativ Infraordinären Scheinlosigkeit testiert, was, wo der szenische Schein der Situation zwar nicht gestiftet, doch wirklich geworden ist, kaum plausibel erscheinen will.
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stimmungen & leidenschaften, wahn & affekte. pragmatische anthropologie & übertragung
Der Verobjektivierung der Interventionen in die Szene (siehe Hegel) entspricht eine Affektlage bei den dort Angetroffenen, deren Widersprüchlichkeit beispielhaft Kants Anthropologie ans Licht bringt. Wir kommen zurück auf die pragmatischen Aspekte der Alltagsgeschichten und die Stimmungen, die mit ihnen einhergehen. Wir werden sie mit der Systemkonfiguration beziehungsweise den bisher ermittelten und weiter zu überprüfenden Strukturen konfrontieren, die unter strategischen Aspekten als unübersichtliches, aber alternativloses Gelände sich zu behaupten und durchzusetzen bieten. Die Modellierung qua Topografie und Topologie muss einen wesentlichen Gesichtspunkt der Orientierung im Feld verfehlen, wenn sie glaubt, auch die Offensichtlichkeit der Karte sei per Analogie aufs Gelände übertragbar. Umgekehrt kurzschlüssig zeigt sich die Annahme, dass Probleme der Beleuchtung, von Schatten und Schein auf ungenaue Kartierung zurückzuführen seien. Es wird mithin eine jede Szenografie daraufhin zu befragen sein, wie ihre Projektionen, abgesehen von dem Schein, auf den sie sich kaprizieren, dem Scheinen des Scheins, dem sie in vielfältigem Ausdruck im Spiel, im Feld begegnen werden, gerecht zu werden gedenken. »Projektionen« sind dabei indes keine rationalen, quasi technischen Übertragungsvorgänge. Vielmehr muss man annehmen, dass sie gefühlsgeleitet intuitiv vollzogen werden und großenteils im Bewusstsein dieses Gefühls. Entsprechend zu relativieren sind die Vorstellungen für die gewöhnliche pragmatische ›Entwurfslage‹.
Gefühlsleitung als Bewusstseinsleitung. Zurückweisung von Privatszenischem & Privatgefühl Die ›Schlüsse‹ auf die Effekte, zu denen die Gewohnheiten gehören, sind real und lebendig. Doch können sie sich nicht auch schon ohne Weiteres selbst verstehen. Gewohnheiten zu haben schließt gemeinhin aus, Schlüsse anders denn gewohnt zu ziehen, sie zu wiederholen. Es leuchtet ein, wenn Peirce betont, dass »Gewohnheiten für sich genommen gänzlich unbewusst sind, obgleich Gefühle als Symptome für sie auftreten können, und auch wenn das Bewusstsein allein – das heißt das Gefühl – das einzige unterscheidende Merkmal des Geistes ist«. Die Erläuterung dafür lautet, dass »nichts außer Gefühl« »ausschließlich geistig«, Bewusstsein ist! Vom Zeichen oder Medium her gesehen, ist mithin der »erste eigentliche bedeutsame Effekt eines Zeichens das Gefühl, das er hervorruft«, was so viel ist wie das Bewusstsein, das er provoziert. Das ist sogar »in manchen Fällen der einzige eigentliche bedeutsame Effekt, den das Zeichen hervorruft.«167 Das heißt nicht, dass Bewusstsein ein Epiphänomen wäre, sondern dass eine Wechselwirkung zwischen äußerer und innerer Welt existiert. Der Anschluss an die äußere Welt versteht sich
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als bewusstseinsgeleitet im Sinne von gefühlsgeleitet. Die Funktion des Bewusstsein, wohlverstanden als »Menge von Gefühlen«, liegt im Rahmen der Selbstkontrolle, Symptome für Gewohnheiten auszubilden, die, bearbeitet, »Vorgänge und Entschlüsse der inneren Welt« zu »Bestimmungen und Gewohnheiten in der äußeren Welt« zu überführen vermögen. Dies betrifft »keine Phantasien, sondern reale Kräfte«. Die Peirce´sche Erläuterung des geistigen Bemerkens als Bewusstsein macht deutlich, dass die Provokation von Bewusstsein qua Gefühl nicht paradox ist. Sofern sinnlich bewegt zu fühlen heißt, ein Gefühl zu diskriminieren, bedeute es, sich der Differenz bewusst zu werden, in die das Gefühl denjenigen versetzt, dem es zugeschrieben wird. Er empfindet Besorgnis oder Freude, Abscheu oder Zuneigung. Das Bewusstsein davon aber ist das eines Fühlenden von einem jeweilig Gefühlten, eines anderen von einem selben. Die Paradoxie, die Diderot schon beschreibt, besteht in der gleichzeitigen Anwesenheit von Drittheit, Zweitheit und Erstheit in einer Darstellung. Besorgnis oder Freude, Abscheu oder Zuneigung mögen sich äußern oder zeigen, doch um als solche – oder andere – zu gelten, müssen sie, als solche – oder andere – zur Kenntnis genommen, im Bewusstsein auftauchen. So bemerkt, lassen sich die Äußerungsformen des Empfindens theoretisch trennen vom Bewusstsein eines Gefühls als Qualität eines besonderen Sich-Anfühlens. Dergestalt vermag das Bewusstsein theoretisch auf sich selbst Einfluss zu nehmen, die unterschiedlichsten Gefühle ›vor Augen zu führen‹ oder zu ›inszenieren‹ und an sich selbst immer die gleiche Gültigkeit, Selbigkeit eines bewussten Gefühls zu bemerken. Praktisch indes wird es dem Bewusstsein so schwerfallen, beides gleichzeitig zu realisieren, wie dem Fühlen das andere Bewusstsein. Denn wäre das Bewusstsein des Gefühls identisch mit einem Gefühl gleicher Gültigkeit statt mit der gleichen Gültigkeit der Gefühle, müssten alle Gefühle Gleichgültigkeit empfinden lassen, was offensichtlich widersinnig ist. Die Paradoxie betrifft allein die Abstraktion der vermittelnden Vermittlung des Schauspieler-Dichters, Künstler-Szenografen, leidend handelnd Wissenden. Szenifikatorisch wird sich nur für den Mitspieler selbst entscheiden lassen, ob er die Gefühle, die er zeigt und äußert, tatsächlich hat oder nur vorspielt.168 Für jeden anderen hat er die, die er seriöserweise zeigt oder äußert. Wer nur sieht und hört, was sich zeigt und äußert, wird anhand dessen schließen, was sich zeigt und äußert. Schließt er hingegen, dass trotz der Symptome, die auf ein bestimmtes, vermeintlich verantwortliches Objekt hinzudeuten scheinen, gar kein mit den Symptomen verbundenes Objekt existiert oder dass das mit den herausgegriffenen Symptomen verbundene Zeichen nicht auf das relevante Objekt verweist, wird er sich hinsichtlich des Objekts, um das es sich dreht, irren. Denn das relevante Objekt ist szenisch zweifellos dasjenige, das wirklich die relevanten Symptome zeitigt und nicht nur scheinbar. Dasjenige Objekt dagegen, dem die Äußerungen vermeintlich zugeschrieben gehören, bei dem im szenischen Austausch indes keine derartigen Anzeichen zu konstatieren sind, kann nicht in derselben Hinsicht als relevantes Objekt in Anspruch genommen werden, selbst wenn ein beteiligtes Agens äußern würde, dass ihm die Symptome zuzuschreiben seien. Wie es kein Privatsprachliches gibt und kein Privatszenisches, so auch kein Privatgefühl – im Unterschied zum Privatgefühlten.
Opfermasse der Inszenierung Die Opfer mithin stellen sich eher ein, als dass sie ausdrücklich gebracht werden müssen, obwohl auch dies möglich und in der offen gestalteten Inszenierung sogar die Regel ist. Nur wird man von »Opfer« heutzutage ungern reden mögen im gewöhnlichen Kultur- und Unterhaltungsformat und lieber von freiwilliger Zustimmung
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sprechen. Allerdings erinnert die »Gabe«, die unverzichtbar bleibt, daran, dass auch hier ein Tauschverhältnis bestimmt. Ansonsten sind entweder fremde Opfer zu beklagen, die Opfermasse der doppelten Produktion. Das ist die Arbeit, deren Produktionsleistung sowohl die denkende wie die gestaltende Szenografie ermöglicht, die im ökonomischen Sinne in der Regel aber überhaupt getilgt erscheint. Oder aber die Opfer erhalten selbst eine Rolle und dürfen mitspielen. Dies ist die Form, die exemplarisch vom Drama der Tragödie ausgezeichnet wird, da die Tragödie respektive das Tragische die Unausweichlichkeit des Opfers festhalten, freilich mit unterschiedlichen Gefühlszuständen verbinden.169 Hier wird das Opfer tatsächlich repräsentiert: stellvertretend präsentiert. Vorausgesetzt, das Format ist oder wird bekannt, was bewusstes Nach- und Mitempfinden eröffnet, statt von Ereignis und Empfindung überrascht und beherrscht zu werden. Dafür aber sorgt die Integration der Orchestra in die Szene des Chors ins Schauspiel. Die emotionale und affektive Reaktion auf harmatia, Fehlgehen und Irren, das Auftreten von phobos, Ängsten und Besorgnissen, und eleos, Jammer und Mitgefühl, sind nicht ausgeschlossen, werden vielmehr ausdrücklich gewünscht. Die Opfer in der gewöhnlichen, geschlossen gehaltenen Inszenierung gehören zu dem, was verschwindet, was verdeckt bleiben soll, allerdings Symptome hinterlässt. Das Opfer, mit anderen Worten, akzeptiert seine Rolle und positiviert sie zur souveränen Tat. Wird dies aufgedeckt, zeigt sich, dass das Opfer das relevante Objekt ist.170 Soweit das Opfer, symptomatisch auffällig, auszumachen ist, scheint es demnach Chancen zu geben, Zugang zu den Verbindlichkeiten und Zwängen scheinbarer Bedeutung zu gewinnen. Es wird die betreffen, die ohnehin skeptisch sind gegenüber magischen, unerklärbaren Effekten und geneigt, eher an Vortäuschungen zu glauben als an Wunder, aber gewöhnlich kaum einen Anhaltspunkt für die Berechtigung ihrer Zweifel zu fassen bekommen. Fraglich aber bleibt, was Indizien taugen. Ist es ein Anhalt, dass von Entschädigungen für gebrachte Opfer besonders die Rede ist, wo »Opfer« nicht erwähnt werden und daher von »Opferentschädigung« keine Rede sein dürfte? Bei Fehlanzeige würde man folglich nach Gratifikationen für erzielte Erfolge fahnden, sei es bei den Inszenierenden, sei es bei den von der Inszenierung Beglückten. Bei den Bühnen des Spiels gilt im Zweifel die Empfehlung, die Installation nicht zu dissimulieren, sondern zu positivieren. Gewissermaßen indiziert dies immer schon auch die Akzeptanz der Opfer der Veranstaltung, zumindest aber die zur Kompensation vereinbarten Tarife.171 Die Überlegungen zum Verbleib der Opfermasse der Inszenierung erinnern indes auch die Dissimulation, die sich hinter der Verbergung der Inszeniertheit des Auftritts versteckt, an das Verschwinden der Arbeit. Entfremdet zu arbeiten besagt das Gegenteil dessen, was zu spielen bedeutet. Der szenografische Entwurf, der seinen Auftritt als Spiel konzipiert, tut es gerade, um sich selbst in die Differenz einer Poiesis zwischen Kunst und Produktion zu setzen. Die szenografische Ökonomie besetzt die Zeichenökonomie der Spuren, Verweise und Bedeutungen. Zudem manipuliert sie die medialen und technischen Effekte auf der Basis ihrer Planungen. Aber sie dissimuliert die eigene physikalisch energetische Bewirtschaftung, so sie mehr beinhaltet als nur die Wirkungen maschineller und informationeller Leistung: leibhaftige Arbeit unter spezifischen Produktionsverhältnissen. Dies schließt die ›Produktionsvarianten‹ Lohnarbeit, Unternehmertum, Verwaltung und Bürokratie, Kommunikation mit ein. Der Verschluss gegen die Aufdeckung der Nachahmungsprozesse gilt also zugleich der Abschließung gegen die darin verwickelte Nachahmung der Natur. Zwar gilt sie
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ideologisch dem ›ursprünglichen Austausch‹, doch gestaltet der sich in der Handhabung von Künsten und Techniken zunehmend als Arbeits-, Aneignungs- und Ausbeutungsprozess, als Eroberung der Welt nicht allein als Bild. Jede Art der Dissimulation bedeutet notgedrungen, dass Opfer zu beklagen sind. Dabei ist egal, ob Inszenierung oder Szenografie betroffen sind. Und Opfer gibt es auch im Installationsraum von Kunst, Spiel, Unterhaltung. Diderots Darsteller opfern den Erfolgen ihrer Kunst zwar nicht die Offensichtlichkeit ihrer Professionalität, aber doch den Einblick in deren intellektuelle, quasi wissenschaftliche Grundlegung in Person, Gemeinschaft und Diskurs. Der einzelne Schauspieler aber darf nicht zeigen, wie gleichgültig ihn das eigene Spiel selbst lassen muss, dass ihm die eine Rolle so gut sein muss wie die andere, er selbst sich aber ausdrücklich so gut wie nichts. Das verbindet das Spiel des professionellen Bühnenkünstlers mit dem der gewöhnlichen, von denen Shakespeare, Calderon oder Kant reden, verbindet es mit den unzähligen Formen spontan sich exponierender Vorstellung. Selbst die Bedingung, dass der Auftritt ästhetisch, praktisch und hermeneutisch wohl inspiriert, weder als Forum persönlicher noch theoretischer Demonstration gelten sollte, wird also gerade wegen der rollenspezifischen Szenifikation zu relativieren sein. Jede offen zutage tretende, exklusiv personale Strebung würde das interesselose Anteilnehmen unglaubhaft machen, eine individuelle Naturbindung der Nachahmung vermuten lassen und damit ein Ausgeliefertsein an die Szene. Solcher Eindruck aber ist tunlichst zu vermeiden. Mit den theoretischen Interessen und Bekundungen steht es ähnlich. Jede ausdrückliche Strebung in dieser Richtung setzte im Übrigen voraus, dass es etwas zu erklären gäbe, das der Erklärung im Kontext der Inszenierung bedürfte, um erklärend aufgedeckt zu werden. Soweit die Inszenierung für den Schauspieler nicht die eigene ist, würde es bedeuten, sich auf die vorgängige Informierung der Vorstellung beziehen zu müssen und einzuräumen, dass sich performativ nichts entdecken lässt. Auch das will niemand eingestehen. Stattdessen wird die Reflexion invertiert. Die Medialisierung des Bühnengeschehens insgesamt tritt an ihre Stelle. Man ist, sozusagen, aus der Schusslinie. Dies wiederum verbindet die professionelle mit der Laieninszenierung. Wie die Opfer zu beurteilen sind, hängt ab vom Einzelfall. Betrachten wir einige der heute anerkannten Inszenierungskünste. Der Szenograf einer ethnologischen Ausstellung, der allen Exponaten in ihrer Besonderheit, Vielschichtigkeit, historischen und kultisch magischen Tiefe zum Auftritt verholfen hat, lässt seine Arbeit (mehr oder weniger willentlich) abtauchen hinter der von ihm inszenierten Präsenz der Exponate und den belesenen Geschichten der Kuratoren. Die Drehbuchautoren, Regisseure, Bild-Direktoren eines erfolgreichen Films sind ihren Fans vielleicht bekannter als die Ausstellungsmacher dem Museumspublikum, doch teilen sie freiwillig dasselbe Schicksal. Auch sie machen sich unsichtbar, erscheinen nicht, wenn sie nicht Chaplin heißen oder Hitchcock – die in fremder Haut indes auch nichts anderes tun konnten, als die Verluste aus anderen Geschäften verkleidet zu kompensieren. Ähnlich steht es mit den Interpreten musikalischer Werke, seien es die Solisten, die Chor- oder Orchesterkünstler, Dirigenten oder Komponisten – letztere Akteure, die allemal im Hintergrund stehen, obwohl auch sie, und nicht zuletzt, an Interpretationsangeboten arbeiten, die es kaum gäbe, wenn sich die Künstler nicht auf existierende Werke und Deutungen beziehen könnten. Und an wie vielen Gebäuden, Plätzen, Gärten steht schon der Name der Architekten, die die Räume geplant und ihre Gestaltung entworfen haben? – Zu schweigen von denen, die die Arbeit tun und verschwinden.
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– Die Inszenierung wird gemeinhin dem freien Spiel der Nutzung im Rahmen der üblichen Installationen und Szenarios überlassen. Dazu gehören Umkodierung und Neuinterpretation. Die sogenannten Kreativen verschwinden hinter dem Werk, vielmehr den Effekten des Werks, das, derart souverän geworden, seinen Charakter als ›Hervorgebrachtes‹, allemal Nachgeahmtes geradezu selbst zu verleugnen scheint. Je imposanter das Werk, desto nachhaltiger scheint die Dissimulation zu geraten, neben den ›Hervorbringern‹ die technischen Medien des Hervorbringens verschwinden zu lassen. ›Ursachen‹ für das zu Bild und Ansicht, Klang und Gehör Gebrachte gibt es dann nur im Rückschluss auf das Gestell, wenn die Installation ein indexikalisches Repräsentamen hinterlässt und dies objektrelevant erscheint. Die Signatur indes ist die von Auftritt und Inszenierung, nicht die der Produktion. An Stelle einer Wirkung aufgrund solch ökonomischer Verursachung erlebt das Publikum stattdessen, wenn die Performance gelingt, unter tätiger Mithilfe eine Art Selbstzeugung aller Szenifikation: das Erscheinen von Bildern, Klängen, Figurationen, Empfindungen und Eindrücken verschiedenster Art, Geschichten, die sich wie von Geisterhand selbst in Szene setzen und sich dafür ihrerseits ausgesuchter Medien bedienen. »Medien« ist dabei zu verstehen im Doppelsinn der Bedeutung: als vermittelnde Zeicheninstanz und der jeweiligen Vermittlung genügendes Format, darunter alle Mitspiel- und Mitspielerformate, welche die Szenen brauchen, um ihren Zauber mit großer Eindrücklichkeit und starker Überzeugungskraft ausbreiten zu können. Aus der Perspektive solcher Szenifikation und ihres Drangs, Anschluss zu finden an die ideale Szenik, verkehrt sich der Charakter von Mittel und Zweck, verkehren sich die Funktionen, ein Mittel an die Hand zu bekommen, im Unterschied dazu, einen Zweck darzustellen. Für die Effekte selbst, ihre Stellung in der Zweitheit, gilt das Kriterium der Eineindeutigkeit bei der Zuordnung zu einem effizienten oder finalen Kausalitätstypus nicht. Angesichts der Prozesse, bedeuten zu lassen, zu verstehen zu geben oder Sinn zu machen, stellt dies keine Überraschung dar. Es heißt lediglich, dass die ins Auge gefasste Beziehung, szenisch begriffen, eine zweistellige Relation überschreiten und in ein dreiwertiges Verhältnis eintreten wird, in dem jedes Glied zugleich Zweck und Mittel, (vorübergehendes) End-, Mittel- und Vermittlungsglied ist, ein Zeichen eben. Sie wirken auf verschiedene Arten und lassen auf verschiedene Arten verstehen. Denn dass ein in der Physis wurzelnder Ding- oder Objektkörper zum Zeichen wird, heißt, dass ein Objekt einen möglichen Interpreten bestimmt, sich qua Repräsentamen Deutungshinweise verfügbar zu machen, die zu Signifikanten und Signifikaten zu formen ihm mehr oder weniger glücklich gelingt. In der Unmittelbarkeit der Wirkungen verlangt ein Eines aber stets nicht mehr als genau ein anderes Eines – und dabei »in allen Vorstellungen ein und d[as]selbe und immer gleich vollkommen« (Diderot), gleichsam automatenähnlich und ohne Erinnerung. Wir sehen eine Serie unverbunden reiner Effektivität und Positivität oder auch, paradoxerweise, reinen Bewusstseins oder reiner Empfindung. Immer wieder geht die Schlacht über Fabricius und den verletzten Andreas hinweg. Dem Effekt selbst würde allerdings, so beschrieben, das Muster seiner Effektivität nicht einwohnen können.172 Er indiziert vielmehr die Singularität des Ereignens. Vergleichbar monadisch verhält sich gewissermaßen die eine gegen die andere Szenifikation. Doch ihre Singularität ist nicht die des Ereignens, sondern die eines Geschehens in einem überschaubaren Kontinuum. Der gewünschten Szenifikation und ihres Bedeutens zuliebe, das die Chance birgt, Anschluss zu gewinnen, Prestige des Auftritts, erscheinen alle anderen Möglichkeiten, die vielleicht hätten herausgegriffen werden können, geopfert. Aber
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erst dieses Opfer erlaubt die Ordnung der internen Effekte.173 Ein schmerzhafter, oft unintentionaler, aber nicht unbewusster Prozess – zumindest für den Augenblick.
Gewissheit der Affekte. Wissen der Bedeutung (Kant, Peirce) Affektive Reaktionen vermögen nach Kant die »Fassung« des Gemüts zu erschüttern und aufzuheben – und sie heben sie tatsächlich auf. Nun wird man die »Überraschung der Empfindungen«, die dafür normalerweise verantwortlich ist, nicht in ihrer ganzen Intensität der medialen und kulturpolitischen Vermittlung einer dafür erfundenen kollektiven Charaktere zurechnen wollen, obwohl man solche Prägung nicht einfach in Abrede stellen sollte. Dass Gemütslage und Affektmodulation hingegen durch Ereignisse und Zeitläufte beeinflusst werden, ›gesellschaftliche‹ Kräfte auch, ist unbestritten. Im Großen und Ganzen bestimmen eher problematische und konfliktbeladene als rundum friedliche und zufriedenstellende Zustände die Welt wie das einzelne Schicksal. Alle Erwartung nimmt von hier aus ihren Ausgang. Auch das gilt als allgemeine Lebenserfahrung. Deshalb treffen die Diagnosen Kants zu – wie später ähnliche Schopenhauers, Nietzsches oder Freuds. Auf der einen Seite begegnen Vorstellung, Wille und Begehren, finden sich die Antriebe von Lust und Liebe, auf der anderen Seite die Hemmungen der Skepsis, die sich mit Zurückhaltung und Vorsicht verbinden. Fast ausnahmslos bedrängt Besorgnis, wenn nicht Beängstigung. Zugleich sieht man Widerstandsbereitschaft und hoffnungsvolle Erwartung, trotz aller Skepsis gegenüber Erfolg und Erfüllung. Dies gilt nicht nur im Blick auf den manifesten oder denkbaren Umgang mit dem ›Feind‹ draußen, sondern ebenso mit dem Kontrahenten im Inneren, dem anderen im eigenen Spiel, wer auch immer es sein mag, und auch bei optimistischem Ausblick auf die Zukunft. Dies empirisch zu belegen oder in Frage zu stellen ist Aufgabe der Wissenschaften. Doch genügt die Hypothese, um einige Weiterungen von psychologischem Interesse zu diskutieren. Vor ihrem Hintergrund lässt sich die Vorstellung eines im Wesentlichen in fremdbestimmte Szenen verwickelten Subjekts nicht halten. Es widerspricht dem »Subjekt«, fremden Gewalten ausgeliefert ein Schicksal hinzunehmen, das Glück oder Strafe ist und Spiel in der Hand der Götter. Dieses Szenario geriete doch sehr nach dem Muster der klassischen Tragödie, die uns indes auch den Trotz der Sterblichen überliefert hat. Wenn es allerdings so wäre, dass die Reaktionen mehr mit dem Status als mit dessen Trägern, mehr mit dem Subjekt als mit den Individuen zu tun hätten, könnte man vielleicht auch das Subjekt verschwinden lassen. Wie eingangs dieses Teils erläutert, hat dies durchaus mit Topologie, Navigation und Strategie zu tun. Denn, wie wir sahen, hat jede szenografische Diagrammatik die Rückkopplung von Entwurfs- und Aktionsraum zu berücksichtigen. Nach Hegels Bescheid lässt sich der double bind vielleicht empirisch auf unterschiedliche agencies verteilen. Phänomenologisch wie pragmatisch topologisch braucht er eine Operationalisierungsmatrix, die wie die Figur der Doppelhelix den Reflexionsund Projektionsbewegungen, den realen Spielgelungen und Verschiebungen, Simulationen und Dissimulationen gerecht wird. Um hier die Ordnung der Inszenierung nicht fahrlässig zu simplifizieren, wenden wir uns erneut dem Phänomen der Spiegelung zu, soweit es mit der Ästhetik als System der Sinnlichkeit zu tun hat. Im Anschluss versuchen wir die Einsichten mit Hilfe einschlägiger Auskünfte für eine Diagrammatik zu nutzen, die den detektierten Phänomenen gerecht wird. Ob Subjekt oder Individuum, die entscheidende Frage, die sich im Parkett stellt, lautet, wem, worauf ist zu vertrauen? Und wie steht es um die eigene
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Vertrauenswürdigkeit, anderen, sich selbst gegenüber? Es wäre voreilig, die Entwurfssouveränität als gefeit vor jedem Zweifel zu betrachten. Davor steht die Tatsache, dass die Szenen der Projektierung eben auch ihr Parkett, ihre Ränge und ihre Bühnen haben, dass vor allem, was beabsichtigt wird, sich gewöhnlich nicht in der Sicherheit eines separat Intentionalen einrichten kann, den Dingen, die da kommen sollen, vielmehr mit gemischten Gefühlen entgegensieht. Genereller Täuschungsverdacht ist bekanntlich das, was man einen cartesischen Zweifel nennt. Ihm wird mit der Gewissheitsprobe begegnet. Schaut man auf locus classicus, zeigt sich, dass die Täuschungsangst tatsächlich, eher noch als mit Hilfe eines direkten Schlusses aus dem cogito, mit der Gewissheit des eigenen Empfindens, den leiblich sinnlichen Eindrücken und ihren Erinnerungsspuren zu beruhigen ist – vorausgesetzt, Wahnsinn ist ausgeschlossen. Auch führt die angenommene Täuschung nicht zu Lähmung oder Verzweiflung, sondern gerade dazu, dem täuschenden Dämon Paroli bieten zu können »wie ein nicht minder listiger, stets wacher, beständig vernünftiger und gegenüber seiner Fiktion stets in der Position des Herren bleibender Gegenspieler.«174
Gewissheit der Furcht & ›Übertragung‹ (Lacan) Zu den Affekten, die nicht täuschen können, gehört die Angst. Wer sie aussteht, hat darüber Gewissheit. Ob sie vortäuschbar ist anderen gegenüber, ist fraglich. Kant zufolge wäre es nicht möglich. »Angst ist, was nicht täuscht«, wiederholt Lacan und kann sich dabei anthropologisch auf den Königsberger, phänomenologisch auf Hegel stützen. (Hegel, allerdings, spricht bewusst von der »Furcht«.) Die Diagnose provoziert eine Anschlussvermutung. Wird nicht die intuitive Gewissheit eigener Ängste – die immer auch Ängste vor der möglichen Nichtigkeit positiver Affekte einschließt – durch den Druck zur Verobjektivierung der Bedrohung und Ausbildung von Symptomen auf den Pfad einer kausalen Begründung genötigt und damit zu (noch) mehr Bewusstheit gelenkt? Vielleicht geschieht es durch Vorstellungs- und Einbildungskraft, vielleicht durch Herzeigen der Mittel, die Furcht zu überwinden, wahrscheinlich durch beides. Die Selbstgewissheit des Empfindens wird sich mithin ebenso spontan mit Handlungsgewissheit verbinden können, mit der Gewissheit, dass der am eigenen Selbst symptomatisch ›verobjektivierten‹ Bedrohung in vergleichbarer ›Objektivität‹ auch zu begegnen wäre, motiviert von denselben Lebens- und Gemütskräften. Vorauszusetzen, allerdings, wäre die Wahrheitsfähigkeit des Empfindens und seiner sensorischen und motorischen Aktivitäten wie die Ausbildung eines entsprechenden Rahmens des Urteilens, des Bedeutens und der Bedeutung, wie sie in Peircens Theorie der Bedeutung (der Interpretanten) entwickelt ist. Die Szene muss nicht generell als wissenschaftliche oder therapeutische Szene vorgestellt werden. Dennoch ist ›Übertragung‹ notwendig, wie alle bisher geprüften Szenarien und Diskursbeiträge zum Szenifikations- oder Inszenierungsfeld bestätigen. Leitende Darstellung und Intervention von außen können ausbleiben, unentwickelt ausfallen oder daran zu appellieren als vergebene Liebesmüh sich erweisen. Mithin muss das Übertragungsgeschäft als gewöhnliches Geschäft der Selbsttätigkeit gelten. ›Übertragung‹ apostrophiert zu gebrauchen soll signalisieren, dass nicht per se eine psychoanalytische Szene die Vorstellung beherrschen muss, wenn davon die Rede ist. Was anderes ist zu fühlen, zu hören und zu sehen, zu verstehen und bedeuten zu geben als ein mediales, ein Übertragungsgeschäft? Übertragung sei allein denkbar, wenn sie »vom Subjekt, das wissen soll, ausgeht«, heißt es in Lacans Seminar. Was aber dieses Subjekt wissen soll, »ist nichts anderes als die Bedeutung«. Für diese Bedeutung
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gilt Ähnliches wie für die Gewissheit in Hinsicht der Angst. Man kann sich ihr nicht verweigern. (Kant, wie wir sahen, dehnt den Befund aus auf alle Affekte.) Mithin steht vor dem Wissen das Wollen, das Begehren, sozusagen als leeres Wissen oder bloß wollendes Wissen. Von ihm aus ergeht der Auftrag. Es ist der »Ansatzpunkt, der sein Begehren selbst mit der Lösung dessen verbindet, was es zu enthüllen gilt.« Lacan sagt es selbst: Was dort geschieht, ist, »was man in der allgemeinsten Form eine Übertragungswirkung nennt.« Allgemein wirkt sie als erotischer Effekt. Auch hier haben wir die Kant´sche Referenz analysiert. Die Liebe ist »wie jede Liebe nur auf dem Feld des Narzißmus zu suchen [...], wie Freud zeigt. Lieben ist wesentlich geliebt werden zu wollen.«175 Mit anderen Worten: die Übertragungswirkung ist Medien- oder Zeicheneffekt desjenigen Mediums, das die narzisstische Vertauschung transportiert, mithin, wenn dies verallgemeinerbar ist, aller Subjekte im szenischen Raum und seinen Projektionsräumen, im Wechsel der Szenifikation. Dass die Liebe in ihrer Scheingestalt agiert, um ihrer Aufdeckung zu entgehen – Kant unterstreicht dies –, äußert sich in der Übertragung als Widerstand, der projiziert werden kann oder sich selbst trifft. Denn hier findet sich das Bedeutenlassen in so oder so ungewohnter Perspektive. In der Gewohnheit der Selbsttäuschung wird die ›Übertragung‹ das Selbst nicht als das eines Andern antreffen oder, vielmehr, als das gewohnte Bild- oder Spiegel-Ich. Die Distanzierung gegenüber der täuschenden Subjektperspektive wiederum findet das Selbst auch nur im Blick des Anderen, in der angebotenen Differenz, darin, etwas etwas bedeuten zu lassen. Wenn dem so sein sollte, gehört die Topologie der vermuteten Konstellation ebenso auf den Prüfstand wie die formierend beteiligte Diagrammatisierung. Die Modellierung der Szene muss sich dabei der bisherigen Notationsversuche erinnern, sie einem möglicherweise erweiterten Modell einpassen oder als unzureichend auf der Strecke lassen. Dies gilt insbesondere für die Überprüfung der verschiedentlich schon bemühten Drehung vom Vorgezeigten und Verpfändeten zu einer anderen Gestalt und dem Prestige des Verschwindenmachens. Doch die Figur scheint sich in eine Diagrammatik der Übertragung einpassen zu lassen.176 Kants Beispiel der SubjektObjektkonstellation in der Ausübung mittelbarer Beherrschungskunst liefert ein gutes Beispiel. Freilich ist es ein Spiel mit Rollenverteilung, das er verfolgt, während das Diagramm für die ›normale‹ Szene eine grundlegende Figur wechselseitiger Bezugnahme ohne strukturell vorausgesetzte Asymmetrien braucht. Von dieser Grundlage aus lassen sich asymmetrische Verhältnisse, abgeleitet in die Zeit, darstellen und handhabbar machen. Umgekehrt trifft dasselbe auf den Umgang mit asymmetrischen Figuren zu (auf Anordnungen, zu denen unter anderem das psychoanalytische Setting gehört). Dem topologischen Aufriss ist es zunächst nicht darum zu tun, kontingenten empirischen oder statistischen Verteilungen im szenischen Feld Rechnung zu tragen, es sei denn, man würde »Symmetrie« als Verpflichtung auf Gleichheit und Gegenseitigkeit, inhaltlich und historisch, lesen, das Modell insofern erfahrungsbezogen als angelegt auf die Darstellung grundlegender Konfigurationen der gegenwärtigen westlichen Inszenierungsgesellschaft. Heuristisch mag dies zur Verbindung unterschiedlicher Diskurse hilfreich sein. Doch wäre es viel zu abstrakt, um in der Praxis von Nutzen zu sein. Es ist wie mit der Harmonie. Auch die Symmetrie erweist sich als währende Gleichzeitigkeit ihrer Auflösung und Wiederherstellung. Die Positionen zu vereinseitigen hat seinen Reiz, wenn man an den Gegensatz denkt zwischen der Kant´schen Gender-Konstellation und der harmonisch symmetrischen Fassung einer Tischgesellschaft, deren Ideal noch in den in Wohngemeinschaften der sogenannten
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Achtundsechziger gepflegt wurde, bis die Ersten zu verstehen begannen, dass die Idee der flachen Hierarchien sich bestens auch als Geschäftsmodell eignete. ›Der erste Signifikant‹, interpretiert (Lacan)
Formal müssen wir mit Hegel und Lacan von einer Subjekt-Objektkonstellation ausgehen, die eine Subjekt-Subjekt- wie eine Objekt-Objektkonstellation beinhaltet. Obwohl es sich beim imaginär geschlossen Erscheinenden wie auch beim verschoben oder verzerrt und so relativiert Sich-Zeigenden um Bilder handelt, findet sich der Grund der Übertragung sicher nicht in einer abgetrennten Reflexion auf das Modell oder einer ihm verpflichten Szenografie (Topografie). Er liegt vielmehr im szenischen Jetzt, das gewissermaßen als Ambiente des Realitätstests fungiert.177 Immerhin wäre die Frage dann, welcher Szene Präsenz und Realexekution vorbehalten bliebe und ob es zureichenderweise auch Diskursereignisse sein könnten, in denen Übertragung sich herstellt. Weiter wäre nach der Privilegierung der oder des Signifikanten zu fragen. Der Signifikant ist das Zeichen oder Medium schlechthin. Er fixiert die transzendentale Bedingung von Sinn und Unsinn, qualifiziert sich als reine Differenz, in welche die Zeichen – Signifikanten für die verschiedenen Instanzen des Interpretanten – ›eintreten‹ können und das Bedeutenlassen eines Subjektes beleben. »Der Signifikant [...] repräsentiert ein Subjekt für einen anderen Signifikanten«, lautet der berühmte, in verschiedenen Fassungen bekannte Lehrsatz Lacans. Es macht Sinn, das Verschwinden des Subjekts damit zu verbinden.178 Dahinter verbindet sich indes kein exklusiver oder geheimnisvoller Zugang zur Semiose. Führen wir die Lacan´sche Semiologie mit der Peirce´schen Semiotik zusammen. Was offenbar wird, ist, eine Subjektposition, der vom allgemeinen Signifikanten die Differenz, die Struktur und damit die Möglichkeit des Bedeutens und Bedeutenlassens geöffnet werden. Wer aus dieser Position heraus versucht ist, die Instanz des »finalen Interpretanten« (Peirce) subjektiv, das heißt in die Zeitlichkeit des Subjekts geholt, zu substituieren, kann sich in Allmachtsphantasien verlieren. Dass dieses Subjekt indes verschwindet oder besser sich verschwinden macht, wenn konkreter Sinn, praktisch leitende Bedeutung an die Stelle des halluzinierenden Subjekts zu stehen kommt, erscheint einleuchtend – wenn es sich denn nicht in der Wiederholung der Zeichenphantasmatik, die es zu erzeugen vermag, weiter im Kreise dreht. Der Freiheit des Subjekts ist dies nicht verwehrt, aber es ist nicht normal. Es wird keine Frage der Alternative sein, sondern der Bewusstheitsverteilung. Der einfache Signifikant (Lacans significant unitaire) taucht immer auf dem Feld des Andern auf; so ist er definiert. Sonst könnte es zu Bedeutung nicht kommen. »Auftauchen« der Differenz und mittels dessen einen Interpretanten dazu bestimmen, als mögliches ›Subjekt‹ der Semiose zu fungieren (was so viel ist, wie »für einen anderen Signifikanten« das Subjekt zu repräsentieren), erfolgt im Akt des Bedeutenlassens stets gekoppelt. Erstheit entlässt Zweitheit. Semiotisch lässt sich das Zeichen isolieren, eine reine Abstraktion der Erstheit, die mit Peirce formal, als term oder rhema, ein bloß Gesagtes, als Name zu charakterisieren wäre. Je nachdem, ob typografisch verwendet, könnte man selbst an die Erstheit des logos denken.179 Als reines Ikon adressiert, verweist die Zeichenöffnung auf ein rein Gezeigtes, dessen Behauptung es nicht selber ausspricht, sondern lediglich die Möglichkeit einer Information (Informiertheit/Informierung) anzeigt.180 Daher ist der Term Index. Dieser Abstraktion gegenüber besteht die ›kommunikative Normalform‹ des Semiosehandelns darin, den »ersten« oder »ursprünglichen« Signifikanten von einem Objekt (»immediate object«) besetzt zu verwenden. Wirkliches Verstehen und
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Bedeutenlassen finden ihre Fortsetzung stets auf einer tabula inscripta.181 Zeichen sind für Zeichennutzer Bedeutungen, die Interpretationen sind. Dass die wirkliche Absicht des Begehrens »der andere« ist, versteht sich logisch wie praktisch; »sein Impliziertsein in der Szene« (Lacan) bedingt dieses Begehren, das sich an Zeichen und Bedeutung abarbeitet. Von welchem Ort aus sonst wird sich das Subjekt an das Subjekt, das wissen soll, wenden? »Immer dann, wenn diese Funktion für das Subjekt sich in irgend jemand [!], Analytiker oder nicht, verkörpert, folgt aus der Definition [...], daß auch bereits der Grund der Übertragung gelegt ist.«182 Lacan macht hier auf die Grenzen der psychoanalytischen Übertragungsszene aufmerksam. Er stellt klar, dass die analytische Szene nicht imstande wäre, die Übertragung zu »kreieren«, dass es dazu vielmehr »außerhalb der Situation vorhandene[r] Möglichkeiten bedarf, das Phänomen hervorzurufen«. Die analytische Theorie räumt ein, dass es zu Übertragungserscheinungen auch dort kommen kann, »wo kein Analytiker am Horizont auftaucht«, zu Erscheinungen, die »genau die gleiche Struktur haben wie das Spiel der Übertragung in der Analyse«.183 Die gleiche Struktur ist gemeint, doch noch ohne Berücksichtigung ihrer Verdopplung im Fall szenischer Gegenseitigkeiten.184 Wie auch immer, »experimentelles« und »natürliches« Modell185 unterscheiden sich nicht notwendig, auch wenn es einleuchtet, dass die Übertragung in der kontrollierten Analyse eine »strukturale Grundlegung« erfährt. Um mit dem Modell auf dem Feld einer ›natürlichen‹ Strukturierung erfinderisch zu experimentieren, »würde [es] dann genügen, die Schnur zu kappen, mit der sie dem Raum der [Psycho-]Analyse verbunden ist, und, entscheidender noch, den Strick der doxa, die daran hängt«.186
Zauber der Verführung: Das Begehren der Inszenierung (Kant, Peirce, Lacan) Beziehen wir den skizzierten Schematismus auf die Täuschungsproblematik des Inszenierungsdispositivs und apostrophieren das entsprechende Diagramm des natürlichen Modells als ›Bild-Schirm- oder ›Schirm-Bild-Modell‹. Die Kant´sche Figur der Beherrschungskunst, die, konkurrierend mit dem Modell der (Tisch-)Gesellschaft von Anerkannten unter Anerkannten187 die Realität des Begehrens in Geschlechterverhältnis und Sexualität in den Blick nimmt, hilft, die Inszenierungsfrage dem gerade erörterten Zusammenhang anzuschließen. Soweit die Dialektik von Herr und Knecht im Kant´schen Modelldenken unter pragmatisch praktischen Bedingungen nur partiell ventiliert und zu einer bündigen sozialen Konstellation gefasst erscheint, wäre einerseits die Einbeziehung der idealisch ausgewiesenen Männerszene in die von Hegel elaborierte Dialektik und eine entsprechende Darstellung geboten, andererseits diese mit der Geschlechterszene und ihrer Struktur zu konfrontieren. Die Kant´schen Positionen diagrammatisch zu verteilen verlangte, sie zu abstrahieren und transbiologisch zu generalisieren. Doch müssen sie abgebildet, auf die Szene gedacht bleiben, um sie zu beurteilen. Sie dürfen nicht in erster Linie auf sich selbst bezogen werden, auf den über Handlungsszenen entfalteten Diskurs und seine wissenschaftstheoretischen Perspektiven. (In diesem Fall käme man zu ganz anderen Karten oder Programmen.) Gleichwohl erschließt sich die Behandlung der szenischen Praktiken von hier aus, aus einer ›humanwissenschaftlich humanszenografischen‹ Betrachtung. Dasselbe gilt für die Kritik der Topologie und ihrer Ableitungen. Dabei ist es nützlich, zu vergegenwärtigen, dass direkte Schlussfolgerungen auf die Szene nicht sinnvoll sind, sondern zu Kurzschlüssen führen. »Die Szene« existiert nicht. Die Interpretation möglicherweise erhellender Beziehungen verbleibt auf der Ebene der Theorie. Wie schon im Lefèbvre-Kapitel erläutert, verlangt die pragmatisch orientierte Ausleuchtung eines erscheinenden Tableaus eine regressiv-progressive/progressiv-regressive Methode, um zu Schlussfolgerungen über einzelne szenische
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Konstellationen und Szenarien zu führen. Offensichtlich ist, dass dafür nicht von der Topologie auf die Szene geschlossen werden kann, sondern zwischen beiden eine topografisch szenografische Modellierung Gestalt annehmen muss. Mithin wird sich die Auswahl der ›Sprache‹ auf der Basis topologischer Bestimmungen zunächst auf den Darstellungstyp einer ins Auge gefassten ›Topografie‹ auswirken müssen. Dabei gelten einmal der ›Grafismus‹ oder die ›Notation‹ als notwendige Bedingungen von Gestaltbildung und Konfiguration. Zum anderen ist hierfür die Metaphernwahl im Zuge einer konkreten szenografischen Modellierung heranzuziehen. »Metapher« steht hier für ein konsistentes Bildszenario, das sich im Ausdruck der Gestaltung wiederfinden muss. Ob die von solcher Bild- und Szenenwahl abhängige, nichtdestotrotz zunächst relativ freie Notation – grafisch oder mathematisch, ikonisch oder symbolisch, wie auch immer188 – geeignet ist, szenografisch vorzustellen, was die Performance, auf die es angelegt ist, auf die Bühne bringt, hängt wesentlich ab von der Kongruenz von Metaphernwahl und szenografisch szenischer »Auflösung« (wie man im Film sagt), von der Ausdrucksbildung im Dienst des angesteuerten szenischen Narrativs, das als Gehalt der versammelten Szenifikation(en) ausgemacht ist. »Kongruenz« verweist darauf, dass, selbst diese empirische Annäherung unterstellt, ›Deckungsgleichheit‹ in unzähligen Varianten der Aufführung erfüllt werden kann. Setzen wir ein nach diesen Bemerkungen zur Relativierung der folgenden Überlegungen mit der Suche nach einer komplexen Figur der Übertragung mit einer zunächst an Kants Szenario einer Projektion aus Neigung anschließenden Begrifflichkeit. Mit ihr steuern wir auf einige Figuren der Diagrammatik Lacans zu, die mit der (nicht expliziten) Diagrammatik Hegels und Kants verbunden werden soll (hier des Geschlechterverhältnisses beziehungsweise der Tischgesellschaft, dort der HerrKnecht-Dialektik), um die Ordnung der Inszenierung durchsichtiger zu machen. Das Begehren erscheint gebunden an das Bild des Andern, das dieser, den eigenen Blick lancierend, anbietet, um den »Reiz des Geschlechts« beim Gegenüber auf eine Spur der »Verlängerung und sogar der Vermehrung durch die Einbildungskraft« zu setzen. Die Neigung kann auf diese Weise »inniglicher und dauerhafter« gemacht werden. Genealogisch war dabei »Weigerung [...] das Kunststück, um von bloß empfundenen zu idealischen Reizen [...] überzuführen«. »Weigerung« bezieht sich auf die Triebanerkennung (die Anerkennung »tierischer Begierde«). Sich der tierischen Begierde zu verweigern – für Kant ein Schritt hin zu Vernunft und Gemeinsinn – bedeutet, die Begierden in menschliche zu verwandeln. Es heißt »zur Liebe und mit dieser vom Gefühl des bloß Angenehmen zum Geschmack für die Schönheit anfänglich nur an Menschen, dann aber auch an der Natur überzuführen.«189 Die Dekonstruktion des Kant´schen Textes liest die ästhetische Bildverführung im Sinne unserer bisherigen Darstellung zusammen mit dem sexuellen Begehren als dessen Außenprojektion auf den vom Objekt, von der »Objektweiblichkeit« (Baudrillard) angebotenen Blickreiz. Als solcher wird der Reiz vom Begehren gecovert, erscheint, ohne dass es bewusst sein muss, als Eigenbild, als idealisch narzisstisch überhöhtes Phantasma. Hier kommt es zum turn, der wirkt wie Magie. Anhand der Schematisierung lässt sich die Wiederholung der Vergegenständlichung des Objekts im Bild nachvollziehen. Sofern dem Eigenanspruch nur durch Wiederholung zu genügen ist, kann das Bild selbst nicht zu einer ruhenden Bedeutung finden. Vielmehr wechselt es sein »unmittelbares Objekt« entlang der Signifikanten- oder Interpretantenkette und entfernt sich vom »dynamischen Objekt« wie
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das »Konsequens« vom »Antezedens«.190 Die Bedeutung aller unmittelbaren Objekte erscheint so auf Subjektseite generell relativiert. Das Begehren richtet sich am Ende allein auf seine eigene Wiederholung. Über die praktische Bedeutung legt sich die mediale Funktionalität der verfügbaren Zeichen. Denn das dynamische Objekt191, allein indexikalisch präsent, wird nicht erfahrungswirksam – nicht via »collateral experience« oder »collateral observation«, wie Peirce sagt – ins konkrete Bedeutenlassen hereingeholt.192 Das Subjekt »abenteuert« (Lacan) stattdessen von einem Signifikanten zum anderen, ist es doch selbstermächtigt zur Besetzung der Blicke und des Bildes gemäß dem, was sein Auge zu sehen wünscht, allererst sich selbst als Wunschobjekt. Zeuxis hat den Vorhang längst abgehängt. Was Hegel, wenn er in die Gegenwart eines Kunstdings und das auf dieses gerichtete Begehren unterscheidet, nichtdestotrotz in eine einzige Szene ästhetischer Wirkung und sinnlich geistiger Betrachtung des Kunstwerks und dergestalt in einen quasi objektiven Zusammenklang äußerlicher Harmonie packt, geschieht, vom ›Objekt‹ selbst her gesehen, in der Bewegung ›Momenten‹. Soweit diese Momente in einer Darstellung entfaltet werden, ist es Sache ihrer ›Abwicklung‹, die Bewegung zu vermitteln. So kommt es zu einem Zeitbild oder einem sich wandelnden Szenario (Tableau) und einem Angebot, sich mit dem dargestellten Geschehen zu befassen. Kontinuität und Diskontinuität der Zeit überlagern sich. In der szenischen Exposition oder Exekution des Objekts, im Moment der ›Inswerksetzung‹ hingegen vermittelt sich das geistige Zeitbild in die Wirklichkeit eines instantanen ›Gesamtkunstwerks‹ als Äußerung gemeinsamer Lebensformen. Szenisches Geschehen dieser Art ist nicht identisch mit dem Prozess, in dem ein ›Werk‹ im Takt eines Sprach- oder Textflusses bewusst wird. Indes könnte es mit einem »Vernehmen« (Heidegger) einhergehen. Bedingung dafür wäre, dass die Objektpräsenz nicht vom Subjektwillen abhängig gedacht würde, sondern als Gegenwart eines selbstständigen informierten Objekts, als Quasi-Tatsache, eine Tatsache des Lebens.193 Die Abspaltung der »Harmonie« betrifft, ganz wie im Fortgang der geistphilosophischen Entwicklung, die Hegel (auch) in der Ästhetik vornimmt194, nur das momentum einer szenischen Erfahrung. Es ist das Moment eines positiv verstärkenden Beistimmens. »Lebensform« hingegen bringt die Integration von Subjekt und Objekt unter Bedingungen der Gestalt- wie Bildproduktion und ihrer widerstreitenden Bewegungen im begehbaren Projektions- und Projektraum zum Ausdruck. Die Objektabspaltung vermag weder dem Seinscharakter des Dings noch der Subjektmodifikation des Objekts zu genügen. Der Produktionsaspekt auf Seiten der ›Kunst‹ wiederum vereinigt die ›künstlerischen‹ Anteile der hervorbringenden mit denen der empfangenden oder genießenden Subjektivität. Die eine Ausdrucksform zeichnet sich aus durch Technik- und Medieneinsatz, durch davon abhängige Formung, Bildung und Prägung. Gewöhnlich wird sie, obwohl heterogener Natur, als ›Künstlerindividualität‹ reklamiert. Sie ist heterogen, da der erscheinende Blick nicht per se der eines Naturgenies, sondern selbst medial vermittelt ist. Die andere Ausdrucksform, die sich auf die Ästhetik der Existenz richtet, erweist sich als ebenfalls heterogen. Einmal, wenn die Repräsentanz – oder die Repräsentantenstelle – des Bildes besetzt wird und das Subjekt dabei, allein der eigenen Bildversessenheit ergeben, alle möglichen seiner Ansichten produziert, neigt sie zur Vergegenständlichung. Ein anderes Mal mag es dem Subjekt gelingen, seine Gestaltungskraft auch auf die ›Kollateralen‹ auszudehnen und auf den Medienstrom. Der Begierde korrespondiert die Arbeit, wie Hegel weiß. In Dienst nehmen sie beide. Dies aber ist Bedingung dafür, was Heidegger »die Bewahrung eines Werks« nennt.
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perspektiven & perspektivwechsel
Erkennbar treten Gestaltung und Bild auf verschiedenen Raumoberflächen auseinander. Die Schwierigkeit liegt darin, die eine auf die andere Oberfläche abbildbar zu machen und dabei nicht nur den Raum, sondern auch die Zeit zu berücksichtigen. Nicht nur muss die Bildebene gewissermaßen als Raumkrümmung erfahrbar werden können, wobei der Grenzwert bei der unendlichen Oberfläche eines planen Bildes oder eines Punktes läge. Ebenso wäre die Krümmung der Ebenen im Raum als dynamischer Prozess eines sich ausdehnenden – oder schrumpfenden – Universums der Objekte und ihrer Bedeutung qua Bewusstsein zu modellieren. »Bild« meint hier also nicht »Gemälde«, obwohl das Bild sich im Einzelfall auch auf diese Weise darbieten mag. Zuerst aber, aus Subjektperspektive, versteht sich »Bild« als das von der Augenlust des Genussgeleiteten Anvisierte. Erst herausgerückt aus dieser Perspektive, werden die Projektionen eines dynamischen Objekts sichtbar: Eigen- und Fremdding zugleich. Die subjektive Bildproduktion wird mithin übertragen (oder gar rückübertragen). Das durch den Blick eines anderen medial scheinbar ›verobjektivierte‹ Bild eines Objekts wird als ins Auge gefasstes Objekt eines Subjekts zum Bild eines geliebten oder schönen Objekts.. Abb. 5
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Es »bietet sich« dem Subjekt, wenngleich das Subjekt es ist, welches das Bild imaginiert. Soweit die Gestaltung des Objekts, wie Kant sagt, als »Reiz des Geschlechts zu inniglicherer Neigung« die Begierde animiert, vermag das Bild die Schaulust des Subjekts zu befriedigen. Denn eine der Ansichten des medienvermittelten Szenarios wird sich als kongruent mit demjenigen Bild erweisen, das sich das Subjekt macht und ihm Veranlassung gibt, sein Wunschobjekt derart zu rahmen und in Szene zu setzen. Die erste Übertragung betriff t somit die Medienwirkung der Objektrepräsentanz in der Subjektrepräsentation
›Schirm‹-Projektion & ›Versetzung‹ Ebenso aber drängt sich auf, dass das hier entstandene Bild rück- oder vorwärts, je nachdem, verfolgbar sein müsste: hin zur Objektgestaltung qua Szenario oder Schirmprojektion, hin auf letztlich weiteren szenischen Anschluss. Der Ausdruck erschöpft sich im imago des Begehrenden schließlich nur für ihn. Es geschieht auf dem Weg der ›Erschöpfung‹ des isolierten Subjekts. Die Vielheit der Maß nehmenden Blicke, die Gestalt und Ausdruck suchen, hinterlässt hingegen die unterschiedlichsten Spuren und Ansichten in Raum und Zeit.195 Manche vermögen sich im Werk zu verobjektivieren und lassen die gestaltende Subjektivität dahinter zurücktreten. Viele bleiben Medien- oder Zeicheneffekt und verführen das Begehren zur Usurpation. Zwar können auch Beleuchtungen und Abschattungen, Verschiebungen und Verzerrungen des Bildes selbst vom Blickpunkt des begehrenden Subjekts aus zu Objektansichten führen. Aber so oder so vereinigen sie sich mit der Bildlust und der Kadrierung des Subjekts. Erscheint, was von der Leuchtquelle ausgeht, über die Zeit und derart über die Entfernung und den Raum in ganzer »Feldtiefe« (Lacan), verhindern die Scheuklappen eigensinniger Perspektive womöglich zu erkennen, was alles das dem Wunschbild zum Schein verhelfende Ding zur Erscheinung beiträgt oder beitragen könnte. Abb. 6
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Offenbar braucht es, dies zu realisieren, eine Veränderung der Lage, weg vom fixen Blickpunkt und der fixierten Bildfläche hin zu den ›Realitäten‹ der medienvermittelten Projektion, hinweg über die gesamte Feldtiefe »in ihrer ganzen Doppeldeutigkeit, Variabilität, Unbeherrschbarkeit«.196 Erst im Licht eines variabel ›programmierbaren‹ Bildschirms und seiner Szenarien werden Gestaltungs- und Ausdrucksnuancen von Objekten oder Dingen zu erleben sein. Vielleicht sind es Feinheiten, die in der Begehrensoptik sich nicht zeigen konnten, weggedrängt waren von der Bildoberfläche als irritierende Störung. Allerdings, die Wünsche werden nicht verschwinden. Vielmehr liegen sie »deponiert« unter den Objekten des Schirms, nicht zwanghaft gebunden an ein Subjekt. Sein Selbst kann sich hier nicht besonders hervortun. Es interessiert nur als Ko-Objekt, als Mitspieler.197 Dass es wenig Wirkung zeigt, allein subjektiven Blickpunkt und objektive Leuchtquelle zu vertauschen, versteht sich. Auch ›unter‹ dem Schirm‹ ist das Leben nämlich gehalten, sich unter die Dinge ›auf‹ dem Schirm zu mischen und mit ihnen sich auszutauschen. Nur aus solch praktischen Affären heraus wäre dem Unbewussten hier oder dort orientierende Bedeutung abzugewinnen. Wie Kant sagt: Nicht die Projektion, das Projekt ist der Probierstein.198 Andernfalls säße das Subjekt, statt bewaffnet mit seinem Perspektiv objektfern im Außen, im Innern des Gottorfer Globus und richtete sein Begehren von dort auf die heraufziehenden Bilder von fernen Sternen. Bekanntlich bestimmen dabei nur wenige der hellsten die Imaginationen der Wünsche. ›Perspektive‹, gerichtet, verkehrt, verschoben, vermehrt
Es wird kein Zufall sein, dass gerade die Maler zu Descartes´ Zeiten gegen das Programm der Zweifelbereinigung durch Icherkenntnis opponieren und die darin zum Ausdruck kommende vanitas anprangern. So lassen sie die gleicherweise als memento mori geltenden Gestalten des Todes und der Lust auftreten, beide freilich in frühbarockem Bildschein. Zwar kannte auch jemand wie Opitz ein Heilmittel gegen die »Blödigkeit der Augen«, das schon Ciceros Sehschwäche zu heilen vermocht haben sollte.199 Doch trat und tritt die Krankheit auch an gesunden Sehwerkzeugen auf. Anamorphotische Verzerrungen in Malerei oder objektillusionärer Darstellung demonstrieren die Effekte.200 Dass der Angriff auf die Blödigkeit offenbar zuallererst der Schaulust eines männlichen Blicks zu gelten hat, bringt anschaulich Albrecht Dürers Zeichner des liegenden Weibes von 1538 zum Ausdruck. Der Zeichner lehrt die perspectiva recta, welche die Erkrankung offenbar begünstigt. Dabei positioniert Dürer seinen Künstler so, dass er in rechter Perspektive leicht hätte zur Anschauung bringen können, was Courbin dann gut dreihundert Jahre später in seinem L´Origine du monde tatsächlich sehen lässt. Allerdings durften sich erst in Internetzeiten Millionen von Voyeuren daran erfreuen. Bis es so weit war, blieb das Bild nach Parrhasios-Manier dem öffentlichen Blick verborgen, freilich hinter einem echten panneaumasque. Die Verwandtschaftsbeziehungen zwischen Courbin, Duchamp und Lacan blieben bekanntlich nicht so lange im Dunkeln.201 Die Forderung der Blickpunktverlagerung fort von solchen Ansichten geht aus von einem Bild, dessen Schein der Künstler bewusst in unterschiedliche Richtungen lenkt – wessen Blick auch immer er damit in Szene setzt. Die anamorphotische Darstellung, die auch in Rembrandts Anatomieszene versteckt ist, gilt daher als Umkehrung der Perspektive. Auf diese Weise verweigert der Blick des Kunstwerks seine Vereinnahmung durch den Blick des Begehrens – wenn das Werk denn nicht ausdrücklich nur dafür gefertigt wurde. Holbeins bekanntes Gemälde Die Gesandten
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stellt die Objekte der Begierde selbst in die Offensichtlichkeit und zeigt sie als Nichtigkeiten sub specie aeternitatis.202
Blick, Macht & Heiliges (Holbein) Der erste Blick verführt mit den Verlockungen der Dinge, sich daran zu fesseln, der Macht, darüber zu verfügen. Der zweite Blick sieht die erscheinende Macht geheiligt von der Aura des Sakrosankten. Denn die Gestalten, die uns im Bild gegenübertreten, verkörpern auch ohne die Repräsentation, in welche der Maler sie als »Gesandte« ausdrücklich einsetzt, das Bild des Herrschers selbst. Der Blick, der diesem Bild gilt, muss sich senken, doch gewinnt er Teilhabe am Heiligen und seiner Wahrheit.203 Ein dritter Blick schließlich wird beunruhigt von einem Undurchschaubaren. Wäre dies Element zugleich erkennbar, erwiese die Augenlust sofort sich als zweifelhaft; die Verführung wäre in Frage gestellt. Doch fordert das Erkennen Gewohnheitsveränderung, im Raum wie in der Zeit des Bewusstseins. Gefragt ist ein Beiseitetreten, ein neuer Standort, aber auch das damit verbundene Umdenken, metanoia, auf welche die Erscheinung des Heiligen schon verweist. Mit der Veränderung verabschiedet sich die Evidenz der scheinbar stabilen Lage des an der Oberfläche Erscheinenden. Die Nötigung zur tendenziell multiperspektivischen Fokussierung möglicher Objekte lässt die Pluridimensionalität medialer Vervielfältigung in allen möglichen Lagen erahnen, relativiert mithin auch alle zukünftigen Evidenzen erscheinender oder herausgegriffener Objektmanifestation. Es geht weniger um Variation denn um die Variabilität von Variationen. Gegenüber der Ruhe und Stabilität der geometrischen Ordnung scheint vieles, was sich einem neuen Standpunkt zeigt, im Verhältnis zu ihr verrutscht, versetzt, verzogen, am falschen Platz. Dasselbe ergibt sich für die Umkehrung. Alle denkbaren Ansichten distanzieren sich von der mit einer einzigen Sicht verbundenen ›blöden‹ Vorstellung eines Bildes, das Raum zwar vorzutäuschen vermag, aber den darin schweifend verliebten Blick in der Täuschung gefangen hält. Bietet dies Bild seine Blicke nun in ungeglättet gemischten Ansichten, denen durch geometralperspektivische Betrachtung von festem Standort nicht beizukommen ist, erweist sich die Oberfläche als gekrümmtes Panorama, verzerrtes Bild für jeden faulen Beobachter.204 Der Sachverhalt ist beobachterabhängig. Genauso lässt sich denken, dass die Projektion die Ansichten wechselt, selbst die in ihren Informationen versteckten Muster und Dimensionen zeigt und sie am Betrachter vorbeiziehen lässt. Der Schirm indes bleibt »Schirm«, auch wenn er ein Medienschirm ist mit Programmplätzen und wechselnden Angeboten. Die Bildsuggestion auf die Projektionsmetapher übertragen, bleibt es indes beim Sehen, bei fernwirkender, visuell vorgestellter Vereinnahmung. Der Vereinnahmende befindet sich auf einem, das Vereinnahmte auf einem anderen Platz; das andere wird vom einen erreicht mittels »Übertragung«. »Projiziertes Bild« suggeriert »Schirm« als Stück einer Kugel- oder Ellipsoidhaut, gleichviel von innen oder außen betrachtet. Die Perspektiven indes sind nicht verschwunden, weder die, die sich auf eine an den Rändern entfernende Oberfläche richtet, noch die auf ein von dorther dem Auge sich Näherndes. Das Ganze zu erfassen fordert zudem je nach Ausdehnung Abstand. Die Ansicht kann dabei nicht für jeden Fleck scharf gestellt werden. Unterschieden nach Position, sind nur Ausschnitte zu fokussieren. Zu große Nähe reduziert die Bildfülle, zu großer Abstand schwächt die Sichtbarkeit, egal in welchen Ansichten. Passende Ausrichtung unterstellt, lässt »Identifikation« sich dennoch nur relational qualifizieren. Rahmung, Zusammenfassung zu Mustern, wenn nicht geliefert, sind Effekt von Abstand und Ausrichtung des Blicks. Auch der
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»Bildschirm« fordert Licht, beleuchtete Projektion. Was das Licht in diesem Szenario erhellt, muss ohne Lichtsetzung eines Subjekts auskommen. Wenn mehr als dasselbe erscheinen können soll, muss der Kegel greller Beleuchtung durch einzelne Augenlust abgedeckt oder abgelenkt sein. Das Subjekt muss vom Objekt erfasst werden.205 Denkt man Raumkrümmung nicht als ideale Körperkrümmung gemäß idealisierter geometrischer Körper in harmonischen Verläufen, ist sie als Wirkung resultierender Kräfte zu verstehen. »Perspektive« wäre erneut zu relativieren, vor allem die Vorstellung der Differenz von innen und außen eines begegnenden Körpers als Behälterobjekt. Eine astronomische – oder kosmologische – Raumbetrachtung, ähnlich eine subatomar physikalische, brächte zusätzlich die Relativität der Beleuchtung ins Spiel – je nach Krafteffekten. An der Stelle homogener Beleuchtung, abhängig von Abstand und Intensität, sähe man, abhängig von Massenwirkung und Raumkrümmung, »Zonenlicht«. Im Resultat gehörte »Sichtbarkeit« nicht mehr zu den Kriterien für Objektexistenz. Bleiben wir bei Holbeins Gesandten. Das Gemälde legt selbst nichts anderes, als was es zeigt, nahe, auch ohne seine erweiterten Topologien erörtern zu müssen. Wer allerdings zu den Ansichten der dynamisch sich verändernden Be- und Erleuchtung gemäß wirkender Kräfte, unterschiedlich sich dehnender und biegender Raumzonen eine Einstellung findet, wird mit einiger Sicherheit die Eitelkeiten wunschfixierter Fokussierung bemerken, ihrer Endlichkeit gewahr werden wie ihrer Verzerrungen im Blick begrenzter Begierden. Denn auch dies ist zeitgenössisch schon verbürgt, wie die Anamorphosen des Sterblichkeitsgedenkens in der Deplatzierung des erotischen Blicks zu Descartes´ Zeiten bezeugen.206 Ihre Ansichten freilich folgen dem memento mori christlicher Ermahnung207: Das Unendlichkeit ersehnende Subjekt möge sich eingliedern in die Kette der Schöpfung. Medientheoretisch pointiert klingt das Ergebnis profaner. Das Subjekt vor dem Schirm nimmt Platz auf ihm. Die vermeintliche Feldtiefe ist optischer Effekt, nur Oberfläche, das Subjekt selbst ein »Fleck«.208 Es ist Datum im Grauraum noch nicht formatierter Information, nur virtuell informiertes und mediatisiertes Objekt unter Objekten gleicher, auf jeden Fall »seltsamer« Art, mit Monod zu reden. Was in den Farben des Wunschbilds im Spiegel erhellte, tritt im Grau eines Gleichen aus Null und Eins nicht mehr hervor. – Wer will entscheiden, ob solche Aussichten nicht der Verdrängung wert sind? Es wird hier die Stelle sein, wo, wenn überhaupt, dass Rettendes wachsen muss ob der Gefahr. Gewohnheiten müssen sich verändern.
Bilder & Projektionen: Gemälde, Fotografien, Zeichnungen, Diagramme Dass die Schirmprojektion, was ihre Bilder betrifft, angereichert, aber diskret gefasst daherkommt, liegt nicht zuletzt an der Suggestion herangeführter Beispiele. Man kann die Bildbeispiele der Kunst auf fotografische Bilder ausdehnen, die sich analog zur Galerie im Album präsentieren oder wie diese in der Ausstellung. Man kann sie ausdehnen auch auf Skizzen und Illustrationen auf den Seiten eines Skripts oder Arbeitsbuchs, auf Diagramme eines theoretischen oder praktischen Projekt- oder Handlungsentwurfs. Bild- oder Blickregime beruhen indes nicht darauf, was ein einzelnes Foto, eine einzelne Zeichnung zeigt, sondern darauf, dass, was sich zeigt, eine Szene auftut, in der das Gezeigte eine Rolle spielt, Akteur ist oder Agens. Die Darstellung des Fotografiegebrauchs vermag das Gesagte zu konkretisieren wie das Beispiel der Malerei. Dass Fotografien im Diskurskontext »illustrieren« oder Argumente »nachvollziehen« lassen, wird sich nicht als Alternative halten lassen.209
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Denn dass Illustrationen erhellen, wie der Name sagt, liegt nicht bei ihnen, steht vielmehr im Dienst eines Zeigens und Sprechens, deren Formatierung nicht dem Selbstsprechen oder der Selbstpräsentation des Mediums entstammt – jedenfalls, soweit das Medium nicht eine dazu befähigte Hybridmaschine darstellt. In diesem Fall, bei in Echtzeit arbeitenden Detektions- oder Überwachungsmaschinen und ähnlichen Anwendungen, liegen die Dinge in der Tat anders als beim diskursiven Bildergebrauch. Das ›Argument‹ – das Argumentieren, besser gesagt – liegt hier tatsächlich ganz bei den ›Bildern‹. Man denke an Bildbeispiele aus der Überwachungspraxis, dem Aufklärungs- oder Zieleinsatz in automatisierten Waffensystemen. »Illustration« bedeutet hier vollstrecktes Argument, abgeschlossene Schlussfolgerung. Im Rahmen eines interessierten Diskurses, etwa zu bildgebenden Verfahren in der Datenüberwachung, könnten die aufgezeichneten Bilder als einige seiner Ereignisse angefügt werden und zum Beleg dienen. Aber auch dann wäre zwischen Bildfunktion und Argumentation keine Alternative erkennbar. Allgemein kann man sagen, dass beide Funktionen, Illustration wie Argument, demselben Gestus der Aneignung durch Kadrierung entstammen, einem theoretischen und einem praktischen. Beide Rahmungen können sich wechselseitig unterstützen, unabhängig von der Subjektqualität in dieser Aneignung. Das Argument verhilft dem Herausgegriffenen dazu, im Licht zu stehen, es ›illustriert‹. Helligkeit und Kontrast des Bildes lenken das Gesagte, praktisch oder theoretisch. Vergleichbares gilt für Zeichnung oder Skizze, Diagramm oder Tabelle, Bild oder Text, überhaupt fertig und gültig Formatiertes. Deshalb ist es eines, den fixen Blickpunkt der Perspektive als »scolastic view« zu kritisieren, sofern alle Subjekte, die ihn teilen, ihre Sicht auf diesen einen Blick einschwören und der Unterschied zwischen den erfassten Körpern beliebig und austauschbar, nichtig erscheint. Ein anderes ist es, dem scholastischen Universalismus das Projekt einer »reinen Ästhetik« entgegenhalten zu wollen, wie Bourdieu mit Panofskys Unterstützung glaubt, es in der Methode Flauberts oder Manets isolieren zu können. Beide, heißt es in Bourdieus Regeln der Kunst, gäben »die einheitliche Perspektive von einem festen und zentralen Standpunkt aus auf zugunsten dessen, was man mit Panofsky einen ›aggregativen Raum‹ nennen könnte, einen Raum, der aus nebeneinandergefügten Stücken besteht und dem jeder privilegierte Standort fehlt«.210 Vielleicht wird hier zu schnell geschlossen, denkt man an die Suggestion der Rahmung von geschnittenen Bildern, nebeneinanderstehenden »Stücken« oder »Szenen« in kunsthistorischer Betrachtung. Es scheinen schließlich tatsächlich Einzelwerke zu sein und die beispielhaft fokussierten Szenen tatsächlich einzelne Bilder. Die immer wieder fremdem Blick und einzelner Projektion geschuldete Formatierung oder Rahmung kann sich im topologischen Modell, das »Schirm« oder »Screen« bemüht, um die unendliche Fülle der Möglichkeiten solcher Transfers vorzustellen, logischerweise nicht zeigen. Noch weniger kann sie es im Entwurfsdiagramm für einzelne Aufführungen, sofern sich auch dessen Topografie von der Szene unterscheidet wie die Karte vom Territorium, die nicht dieses selbst ist. Sicher mag sich die Beurteilung des eigenen Blicks verändern, wenn er sich selbst als fremder unter fremden Blicken materialisiert begegnet, als »Stück« unter »nebeneinandergefügten Stücken«. Schon gar wird dies so sein, wenn die Blickproduktion keineswegs als ursprüngliche Produktion sich erweist, sondern hinter der Produktion und Übertragung von Blicken, hinter dem ihnen mitgegebenen Bedeutenlassen durch Sprechen und Sprache, die ursprünglich ökonomische Produktion als Ressource der Kunst Gestalt annimmt. Die Berechtigung, von einer selbsttätigen cadrage der zusammengefügten Stücke durch einen
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rezipierenden Akteur zu sprechen, kann noch bei jeder Betrachtung der Werke in einer Gemäldegalerie, bei jeder Lektüre der unterschiedlichen Sprachspiele im Œuvre eines Autors nachvollzogen werden. So zu konstruieren trifft – mutatis mutandis – für andere Varianten selektiver Mustererkennung ebenso zu. Das »Bild« von Gestaltung und Ausdruck gilt nur in solcher Vermittlung für den Inhalt fremder oder eigener Zusammenfassung zu solchen Bildprogrammen. Für die Produktionsverhältnisse am Grund der Bildproduktion liegen die Dinge wieder anders. Durch ein ›Bild‹, das man sich macht von ihnen, mögen sie sich zwar in the long run dieser Vorstellung anpassen (lassen), zur Zeit und im Raum der Blick- und Bildproduktion aber sind sie davon unabhängig, selbst wenn sie, was selten genug geschieht, in effigie gut getroffen wurden. Der »aggregative Raum« ist mithin nur, insofern er Medienraum ist, ein Produkt der Mustererkennung. Sie synthetisiert einzelne ›Aggregatzustände‹ informationell nach Gewohnheit, oder sie formatiert sie bewusst um mittels Neuorganisation und Neuprogrammierung. Die »Szene« dagegen ist im Handlungskontext aggregierte Endlichkeit, kein immerwährend fortlaufendes Band ohne privilegierte oder defizitäre Standorte. Abgesehen von solchen Orten, lassen sich die Muster nur erinnernd oder gedenkend vorstellen – wie »gegeben«, wie im Format einer Fotografie. Im Unterschied zum szenisch Gegebenen, dessen Aggregation oder Konstrukt jederzeit in Frage gestellt und durch eine neue Fassung ersetzt werden kann – und wo Übereinstimmung eine Frage der Parteilichkeit ist –, im Unterschied dazu kann sich solche ›Übereinstimmung‹ in Hinsicht der Bilder nur gedenkend einstellen. Die Vorstellung angesichts eines Bildes ist die anlässlich eines Gewesenen im Raum, angesichts alternativer Ansichten. Da auf diese Weise angeeignet, müssen sie als erinnert wiederholte gelten oder als Reformatierungen und Reformulierungen im Sinne aktueller produktiver Vorstellungstätigkeit. Im »aggregativen Raum« wird in Clustern oder Wahrscheinlichkeiten gedacht. Im Bildbestand finden sich, wenn überhaupt, Familienalben, keine Einzelportraits. Aus den Alben wären Portraits erst als solche zu gewinnen.211 Noch bevor der Mythos Klarheit gewonnen hatte über die einzelnen Namen der Musen, wusste er über ihre Herkunft Bescheid. Zeus hatte sich zu ihrer Zeugung mit Mnemosyne vereinigt.212 Aby Warburg erinnerte sich daran.213
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klärung, aufklärung, abklärung: grosse erzählung, kleine geschichte(n)
Das aus Kant, Hegel, Lacan synthetisierte Modell werden wir nicht als Modell szenischer Aufklärung propagieren, auch wenn es in psychoanalytisch professioneller Begutachtung oder politisch gouvernementaler Beurteilung so aussehen mag, als dass es eine unmittelbar aufklärende Rolle spielen könnte. Abgesehen davon, dass seine zentrale Metapher zwischen Systemaufriss, Tafelbild und Projektionswand changiert, fehlen der weiter interessierten diagrammatischen Realisierung alle Hinweise auf die Dimensionierung des ›Schirms‹. Entscheidet man sich für eine moderne Auslegung, weiß man, was die Sendungen betrifft, die über den Schirm laufen – Bilder, Worte und Texte –, weder von den Programmen noch den Sendeplätzen. Man weiß nicht, welche Produktion, welche Sendeanstalt und welche Redaktion dafür verantwortlich zeichnet. In der ursprünglich ungespiegelt ungedoppelten Ansicht des Schemas finden sich die Akteure auf Subjekt- und Objektpositionen verteilt. Die Akteure verstehen indes, dass Subjekte auf den Weg ihrer Selbstverobjektivierung gebracht und zu alternativer Perspektive und Einstellung eingeladen werden sollen. Denn das Schema ist dynamisch,
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präskriptiv zu lesen. Es geht um die gegenwärtigen, die alten und die neuen Szenen des Subjekts. Doch weiß diese Aufforderung oder Einladung, dass es keinen wirklichen Grund gibt, sie exklusiv zu verstehen, nicht in dieser Form. Als Modell spezifisch gemeinter Szenen der analytischen Therapie – oder vergleichbar konkreter staatsbürgerlicher Souveränitätsakte im demokratisch konstituierten Gemeinwesen – wird sich die Darstellung nicht ohne weitere Interpretation qualifizieren lassen. Tatsächlich wären unüberschaubar viele, verschieden gelagerte Szenen öffentlicher und privater Einlassung von Einzelnen denkbar in Verwicklung mit unabsehbar unterschiedlichen Akteuren und Agenzien, kurz gesagt, Bilder aller möglichen zukünftigen Normalität in individueller wie kollektiver Hinsicht.
Szenen des Subjekts. Szenen der Objekte – Lücken & Zwischenräume Dennoch müsste dieses wie jedes Projektdiagramm einen bestimmten Handlungsoder Lösungsweg auftun. Doch wer auch immer die Einladung ausspricht, sich auf den Weg zu machen: Aus welchen Gründen dies geschieht, bleibt, soweit es das Angebot betrifft, außen vor – zumindest wenn der engere Anwendungskontext überschritten ist. Tatsächlich wird das Bild-Schirm-Modell durch Spiegelung oder Dopplung nicht übersichtlicher. Aber vielleicht indiziert es zumindest einen Übergang von den Szenen des Subjekts zu den Szenen des Objekts und der Dingbeziehungen. Denn die Reziprozität der Akteurbeziehungen verlangt für jede szenische Konstellation Berücksichtigung, in der sich die Spieler der Produktionsbedingungen der Szenifikations- beziehungsweise Inszenierungsumgebung versichern möchten. Ebenso tut jedes szenografische Vorhaben hinsichtlich der Wirkungsmodalitäten seiner Gestaltungsentwürfe gut daran, die Wechselseitigkeit der Subjekt-Objekt-Relation, wie sie Hegels Spekulation abwickelt, performativ in Rechnung zu stellen. Insbesondere wenn der Inszenierung und Szenifikation daran liegt, die Abhängigkeiten der »Regierung des Selbst und der anderen« auch dann nicht im Dunkeln zu lassen. Will man der Spur der Ich-du-wir-Verschränkungen nachgehen, kann der angerissene Modellierungsdiskurs durchaus nützlich sein. Dass es unmöglich ist, die praktischen szenisch-szenografischen Beziehungen, die als solche aus den Praktiken heraus zur Identifizierung aufgegeben sein könnten, auf den Wegen allein einer topologischen oder auch einer topografisch diagrammatischen Darstellung einzufangen, ist keine überraschende Auskunft. Denn es zeigen sich darin in der Regel keine hinreichend konkreten Aufführungsund Expositionscharakteristika abgebildet. Selbst vollständige Dokumentation hieße Zugriff aufs Archiv. Dies vorausgesetzt, wäre immerhin am ehesten das Verlangte vorzuzeigen. Allerdings könnte dies naturgemäß erst post festum geschehen und auf diese Weise bestenfalls zur Erhellung mittels eines nachgereichten Entwurfs beitragen. Dass Orientierung zu finden nicht ausgeschlossen ist, wurde bemerkt. Doch muss es sich keineswegs entlang der Sehstrahlen einer bestimmten Perspektive realisieren, weder in einer scenografia im ursprünglichen Sinn des architekturalen Risses noch in der Perspektive einer anamorphē, der Perspektive einer »Umkehrung« und »neuerlichen Gestaltbildung« und »Einsicht« (perspectio) in den Entwurfsraum und seine Modellierungsvarianten. Nichtformatierung, Lücken und Zwischenräume, die Aussicht auf noch ausstehende Selbsttätigkeit unter Dingvoraussetzungen auch bei neuer Zusammenstellung des Programms aus bisher blockierten, nicht erkennbaren Wahlmöglichkeiten können je nach Umständen durchaus zum Vorteil ausfallen. Ob dieser Vorteil freien Spiels, wie er sich dem scholastischen Blick bieten mag, im Urteil einzelner praktisch Betroffener
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als wirkliche Alternative sich niederschlägt oder die vermeintliche Möglichkeit zu freier Entscheidung und Widerstand als Variante einer Täuschung sich herausstellt, ist, wie gesagt, auf der Ebene topologischer Modellierung schwerlich zu entscheiden. Überhaupt hängt dies zu beurteilen nicht von der Ideenprojektion ab. Viel eher müsste die Untersuchung auf Spekulation verzichten, als praktisch pragmatische Erhebung aufsteigen vom Exempel zum nachgereichten oder entfalteten Entwurf. (Denn wir betrachten an dieser Stelle keine manifeste, ausgearbeitete Szenografie in Vorbereitung einer Aufführung.) Wäre jedoch anzusetzen bei einem praktischen Wissen (das sich im Einzelfall selbstverständlich auch auf szenografische Praktiken erstrecken könnte), hieße dies, etwas über die treibenden Kräfte wissen zu können. Vielleicht hieße es, etwas vom Stachel wirklicher Umkehr aus den Verblendungen des Begehrens zu erfahren, einer Umkehr, die womöglich mehr bedeutet als ein dauerndes Hin-undher- oder Rundum-Übertragen. Vorerst, in der Freiheit »ernsthaften Spielens« (Platons spoudaios paizein214, worauf Bourdieu Bezug nimmt) und bei quasi künstlerischen Entwurfsüberlegungen muss sich das Navigieren auf dem Schirm als Orientierungserkundung im Nichtwissen offenbaren, zu schweigen von der Dunkelheit der Programmierung und der Übertragung der Botschaften. Dies mag unter Vernachlässigung strategischer Überlegungen gelten, die sich in praktischer Hinsicht gemäß Kriterien wie Vorsicht, Klugheit, Nützlichkeit so oder so für einen Plan, einen Entwurf, einen Weg entscheiden müssen, gilt aber ebenso im Bewusstsein des eigenen Wollens. Wer ohne ausreichende Navigationsunterstützung ist, wird unter konkreten Umständen zu Recherche und Analyse, konzeptueller Bewertung und Planung, Strategie und Taktik, zu notwendigen Bauarbeiten »in offenem Gelände« oder »auf hoher See« genötigt.215 Dies alles kann in unterschiedlicher Art ausfallen, gestaltet sich allerdings gewöhnlich als »Spielen eines anstrengenden Spiels« (pragmateiōdē paidian paizein216). Herausgefordert im wirklichen Leben, wird daraus keine scholastische Betrachtung. Dass es dabei jederzeit wieder passiert, bestimmten Attraktionen eigener ›Konstitution‹ und ›Synthesis‹ aufzusitzen, gilt für die spekulative, die Entwurfs- wie die eigentliche Spielszene in gleicher Weise. Einprägsam vorgestellt als äußerst gemischte Angelegenheit hinsichtlich dessen, was es zu wissen gibt, wird die alltägliche Szene im sokratisch-sophistischen Ambiente. Verantwortlich dafür meist findet man Menschen aus dem philosophischen Metier. »Sokrates« repräsentiert die Ambivalenzen des Wissens in seiner Person. Er gilt dabei nicht nur als große Liebhaber der Wahrheit, sondern ebenso als »großer Sophist«. Freilich findet der Philosoph eher, als dass er suchte. Zu verfügen über Gefundenes ist auch nicht unbedingt seine Sache. Darüber erzählen die Geschichten, mit denen Sokrates kommt und in die er verwickelt ist. Die Dinge werden hin und her gewendet, ganz wie die Zeit und der Raum, deren Strukturierung auch Sokrates kritisch erörtert. Aber was bedeutet, dass die Wege, die Sokrates mit seinen Gesprächspartnern zusammen geht, so oft als Holzwege sich erweisen? Es erhellt, dass nicht Aufklärung zu erwarten steht, wenn dem Reden nicht ein Ziel in der Polis vorgegeben ist. Wenn dem so ist, was oft genug die Ambition der Mitakteure vermuten lässt, auf die zu treffen Platon seinem Sokrates aufgibt, verausgabt sich selbst der Philosoph nicht in den Wiederholungsschleifen des Erkennenwollens, sondern äußert sich als Sophist – wenn auch nicht zwangsläufig ›sophistisch‹.
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Man klärt nicht auf, sondern klärt ab, welche Möglichkeiten den Handlungsraum zu eröffnen vernünftigem Wissen und praktischer Kunst nahelegt sein könnten. Dies geschieht faktisch vielleicht nach dem Muster der Belehrung des Sklaven, der sich der topologischen Implikationen geometrischer Figuren zu erinnern hat, um die ihm gestellte Aufgabe zu bewältigen. Geschichten und Bilder zum Sein des Mythos im Raum sind geeignet, die strategische Dimension solcher Rede und Szene philosophisch, literarisch, »scholastisch« zu verkleiden. Doch tun sie so, als ob ihnen nicht nur selbst an der Aufklärung gelegen sei. Sie behaupten auch, beitragen zu können zu solcher Aufklärung, da sie ihr Versprechen, besser und gründlicher zur Erkenntnis führen zu können als andere Bilder und Geschichten, auch einlösen. Man muss sie beim Wort nehmen.
Land & Wasser. Wege & Strömungen: Aggregatwechsel Das Leben auf der agora beschreibt eine Lieblingsatmosphäre, in der Platons Sokrates sich aufhält. Hier zählen zwar Blicke und vor allem Worte, doch mit ihnen allein wäre es nicht getan. Der Sophist ist ›zu Fuß‹ unterwegs, ›ergeht sich‹ in den verschiedensten Ansichten, Gebärden, Gesprächen darüber. Das geht auf Knochen und Gelenke. Vielleicht deshalb findet man den wandelnden Sokrates literarisch gerne auch beschrieben als jemanden, der »in der Menge schwimmt«. Schon solcher Bildwechsel könnte zweifelhaft erscheinen lassen, ob ein Modell der Perspektiven und Bilder, Blicke und Projektionen, Sendungen und Übertragungen hinreichend gerüstet wäre, auch nur zu beschreiben, was jemandem passiert, der vom Festen ins Flüssige wechselt. Was geschieht, wenn ein letzten Endes wirklichen Szenen geschuldetes Vorstellungsschema den Aggregatzustand und alle bisherigen Bezugsgrößen wechselt, das Land verlässt und den Akteuren aufs oder ins Wasser folgt. Nehmen wir an, die Konstruktion wäre ein Werk aus Architektenhand für festen Grund: Das »Gerüst« (vgl. Nietzsche) der topologischen Option begönne bald zu schwanken. Und doch gilt als Maxime strategischer Weisheit die Aufforderung, »die Tragbalken wegzunehmen und die Stützpfosten auszutauschen, ohne die Fassade zu beschädigen.«217 Wenn Perspektive – »Feldtiefe« – als »Abgrund« oder »Untiefe«, Handlungsraum – »Feld« oder »Markt« – als »Meer«, als flüssiges Medium sich erwiesen, wenn Erleben und Erfahren – »Wegen zu folgen« – hieße, »sich Strömungen auszusetzen« und Entscheidungen zu treffen – »Abzweigungen zu nehmen« –, »zu driften« in Wind und Wellen, dann erschienen die beschriebenen Welten und was in ihnen passiert unversehens völlig verändert.218 Wer eine Geschichte hört oder gar weiß, dass er, ganz ähnlich wie erzählt, auch selbst betroffen sein könnte, will wissen, auf welche Rollen er sich gefasst machen muss, wenn er als Verantwortlicher oder Passagier auf die Reise geht. Wer schließlich dabei ist, will noch Genaueres wissen, hängt doch sein Schicksal davon ab, auf Leben und Tod. Er wird wissen wollen, ob die Reise mit Schiff oder Floß erfolgt, ob man navigieren wird können oder der Strömung sich anvertrauen muss. Je nachdem ist andere Kunst gefragt, anderes, wovon einer etwas verstehen sollte, Steuermannskunst oder Strömungskunde. Navigationskenntnisse sind immer vorteilhaft, doch nur beim Steuern handlungs- und gestaltungsmächtig. Ist Richtung zu weisen, auf fremden Einfluss zu buchen, wäre Navigationskompetenz immerhin noch der Orientierung nützlich. Doch wie das Schicksal der Medusa lehrt, kann es sein, dass dies nicht auch Rettung bedeutet in der Not.219 Genauso wie Künste und Wissen, sich zu orientieren, zählen Mannschaft und Zurüstung, Ausrüstung und Proviant. Auch davon Kenntnis zu nehmen ist mithin dienlich, wenn nicht unverzichtbar. Am Ende aber gilt, dass, wer unterwegs ist, fortune braucht, gelangt er doch mit Planung und Vorbereitung allein
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kaum glücklich ans Ziel. Odysseus kann ein Lied davon singen. Auf dem Wasser hat er wenig von seinen Freunden unter den Göttern. Athena vermag Poseidons Rechte nicht zu bestreiten. Nicht zuletzt deshalb sieht Odysseus sich genötigt zur Inszenierung. Sokrates ist verwickelt in andere Affären. Doch zählt auch bei ihm die Frage nach dem Göttlichen, dem daimonion. Sokrates, heißt es, fährt auf der »hohen See des Schönen«, um zu finden, was Eros für einer sei. Denn Sokrates´ Philosophie ist eine erotische Kunst.220 Doch Eros ist kein Gott, sondern ein Bewohner der Zwischenwelt, ein daimon. Der Daimon des Dazwischen und der Zwischenräume – und darum der Philosophen – gebietet über die Säfte und Fluktuationen, den Austausch und die Übertragung. Sich damit auszukennen aber reicht Sokrates nicht. Dabei könnte er darauf vertrauen. Denn bescheinigt hat es ihm die Seherin Diotima, die wegen ihrer Weisheit »von Zeus Geehrte«. Aber Sokrates will auch dem eigenen daimonion vertrauen, dem Spruch der anderen sich auch aus eigener Überzeugung unterwerfen können. Vor allem in praktischen Angelegenheiten zählt dieser innere Sinn.221 Der beispielhafte Wechsel vom Festen zum Flüssigen hat Hinweise zur Hand. Kenntnisse wechselnder Aggregatzustände, des Austauschs, des Transfers und der Osmose sind hilfreich. Gut zu wissen auch, dass ›Messungen‹ hier ›nur‹ auf Wahrscheinliches gehen.222 Wenn Sokrates der »ohne Ort« und der »ohne Weg« genannt wird, atopos und aporos223, dann nicht, weil er sich nicht an Orte binden und stattdessen lieber umherirren wollte. Der Grund ist, dass topoi keinen festen Grund bieten und poroi keine gebahnten Wege weisen. Sie sind grundlos wie treibende Inseln im Meer. Ist man selbst unterwegs und will Halt einlegen, ist es auf hoher See zu tief, um im Grund zu ankern. Man wird vorlieb nehmen müssen mit dem, was an Bord ist, treiben, vielleicht driften.224 Im Übrigen kann man sich aussuchen, ob, was unter den Füßen ist, als »Land« zu werten ist oder Schiff und Planken »im Wasser schwimmen«; eine Frage der Perspektive, der Interpretation. So oder so erscheinen Passagen, begrenzt von Strömen und Flüssen. Nicht gerade ein Umherirrender ist Eros wie Odysseus, der heim will und dem dafür alles recht ist. Für ihn zählt die oikonomia, nicht allein der Kampfgeist des Achills. Eros dagegen bleibt unterwegs, ist ein Schweifender, ein Nomade der Meere oder der Wüsten. Er sei unstet nach Vaters und Mutters Natur, heißt es, »bald an demselben Tage blühend und gedeihend, wenn es ihm gut geht, bald auch hinsterbend, doch aber wieder auflebend«. Der Vater ist Poros, der personifizierte »Weg, der zum Ziel führt«. Die Mutter aber ist Penia, »Armut und Dürftigkeit« in Person. Zumindest die Mutter wird dafür sorgen, dass der Weg das Ziel des Sohnes bleibt. Eros, aufgehend, untergehend und wieder aufgehend auf der Bahn des Sonnenwagens, kreist. Das müsste Nietzsche eigentlich gefallen haben, trotz seiner Sokrates-Skepsis. Zweifellos ist das »seltsam« (atopos) wie die Objekte, die unterwegs begegnen. Wem Sokrates über den Weg läuft, scheint eher zufällig, nur zwangsläufig repräsentativ im Nachhinein. Sonst führt er, »wie der Zufall es will«, mit denen, auf die er trifft, eine interessante Unterhaltung. Oder ein kultiviertes Besäufnis kommt zustande. Aber wer weiß, was Platon sonst noch zu berichten gehabt hätte oder hat.
Wissensnot. Illusion der Formalisierung (Lacan) Für die Praktiken des szenischen Umgangs wird die Erklärung des Wissensvorbehalts einfach sein. Wohl ist es um Wahrhaftigkeit zu tun, doch nicht um ein Wissen im Sinne eines definitiven und beständigen Urteilens oder Urteils. Die Wahrheit, vielmehr, parteiisch, eine Frage von Strategie und Taktik, eine Frage der Klugheit und angemessener Reaktion: Sie ist gerichtet darauf, wie die Geschichte ankommt, von
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der die Rede ist, und wie sie in sozialer Hinsicht trägt. Hier zählt, etwas über die Kräfte zu wissen, die eigenen und die der anderen. Die analysierten Schemata erlauben vielleicht, Umkehrungen, Projektionen und Spiegelungen, auch Verschiebungen und Verzerrungen im Allgemeinen nicht nur einseitig zu verstehen, selbst wenn man die Orte und Wege vom Land aufs Wasser brächte oder andere Verwandlungen vornähme. Offenbar aber ist es damit nicht getan. Aus Metaphern formen sich nicht selbstständig operative Diagramme, und strategische Diagramme sind keine Metaphern. Nehmen wir die Körper, die, wenn überhaupt, in den bisherigen Bildern und Figuren vorkamen, betrachten wir, wie sie in diesen Räumen wahrnehmen, sich bewegen und handeln. In der Lacan´schen Ansicht der Bild-Schirm-Diagrammatik finden sich vom Leib ein Auge und sein Blick, vom corpus der Objekte nur ihre Blicke, die gewöhnlich nicht einmal ihre eigenen sind. In einer anderen Ansicht Lacans (dem Diagramm der »Innenacht«) erscheint das »versperrte Subjekt« in der Bewegung seiner Unbewusstheit. Abb. 7
Mit der Anerkennung seines Begehrens ist seine Abschaff ung geplant. Das erst macht die Anerkennung des Anderen und so der Übertragungsbewegung möglich: durch Sprechen. Ein blickendes Auge, ein sprechender Mund.225 Sollte »das Genießen des Anderen« auch anders als durch Blicken und Reden mit Auge und Mund zu bewerkstelligen sein? Offenbar wäre es »das Genießen, das nicht den Anderen des Signifikanten anginge, sondern den Anderen des Körpers, den Anderen vom anderen Geschlecht.«226 Doch verbirgt sich dahinter nicht, was man erwarten sollte. Es kommt »kein Genießen des Anderen, genitivus objectivus«, zustande. Im Gegenteil biegt sich der Akt gleichsam aufs Blicken und Sprechen zurück. »[W]ie sollte mir das gelingen, wenn ich auf Anhieb so genau zuschlage, daß der Sinn getroffen wird und dadurch
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das Genießen ins Mitschwingen gerät, das den verdammten Phallus ins Spiel bringt (= die Ex-sistenz selbst des Realen [...]), oder auch das, was die Philosophie zu zelebrieren erstrebt.«227 Genau darum aber geht es: auch anderes vorstellen zu können, selbst wenn die Raum-Zeit-Beschreibungen unsere Topologien es für die Möglichkeiten unserer Sinne nicht hergeben. Denn aus den Szenen eigenen Erlebens wissen wir, dass es da mehr gibt, als zu schauen und zu reden und in der Liebe sich selbst zu lieben. »Man kann die Semantik und die Syntax eines wissenschaftlichen Diskurses festlegen. Man muss sich allerdings vor dem hüten, was man die Illusion der Formalisierung nennen könnte: sich einzubilden, dass die Konstruktionsgesetze gleichzeitig und zu Recht die Existenzbedingungen sind«.228 Versucht ein Subjekt sich aus der Befangenheit zu befreien, werden die Einsichten in das Verhältnis von Herrschaft und Knechtschaft nicht zur Tilgung der Ungleichheit in Gewalt- und Beherrschungsverhältnissen führen. Vergleichbares indes gilt für die ›Symmetrien‹ der Befried(ig)ung und der gegenseitigen Anerkennung. Arbeit und Spiel der Szenifikationen sind mit diesen Kategorien und im Koordinatensystem eines mit der »grafischen Methode« umrissenen Territoriums zwar zu umreißen, aber weder hinreichend präzise beschreibbar noch annähernd zu erledigen. Die Linien allein der Küsten reichen ins Unendliche, zu schweigen vom disegno der Ströme, Wellen und Winde, des Wirkens der Kräfte. Eine Variante szenografischer Kunst, einen Typ von Inszenierungsentwurf vergleichbar zu skizzieren ist dagegen eher möglich. Tatsächlich passiert es auch – und, was ›die Philosophie‹ betrifft, immer als nachgereichter Entwurf.229 Verständlicherweise aber kommen die pragmatischen Argumente für das Verhalten der Menschen im sozialen und kulturellen Austausch stets zurück auf Naturhaftes und Nachahmung, mimesis ohne Geniekomplex. Stimmungen, Gefühle, Affekte und Leidenschaften scheinen empirisch wirkmächtiger als vernünftige Direktive und Vermittlung, Gewohnheiten nachhaltiger als deren Veränderung und Schlussfolgerungen hieraus. Darauf bezieht sich Kants Analyse, die mit der Leidenschaft, Macht auszuüben, zugleich eine Kunst verdeckter Beherrschung ans Licht bringt. Darauf beziehen sich schon die elementaren Neigungen des Begehrungsvermögens, Lebens- und Todestrieb (»Freiheitsneigung« und »Geschlechtsneigung« bei Kant), nicht weniger die vordergründig positiven Triebe, allen voran der Drang nach Gerechtigkeit. Alles – um mit Kants Anthropologie zu reden –, was sich auf diese oder jene Art auf der Herbeiführung von Angenehmem oder Unangenehmem richtet, Vergnügen oder Missvergnügen schafft und entsprechende Symptome zeitigt, ist hier eher zu finden als Ordnung aus Vernunft.230 Bei genauerer Betrachtung gilt dies nicht allein für das System der mittelbaren Beherrschungskunst oder die Dialektik von Herrschaft und Knechtschaft, sondern ebenso für die Ideale des Widerstands, zu der zweifellos Kants Modell des runden Tischs der Freien und Gleichen, einer Republik der Kosmopoliten ebenso gehört wie Nietzsches Vorstellungen einer Radikalkultur, ebenso wie die solche Vorstellungen fortschreibenden Entwürfe und Experimente kritisch selbstbestimmter Existenz bis in die 70er Jahre des 20. Jahrhundert.
iii.3 raumstrategien & soziales beziehungsspiel Das Beziehungsgeflecht szenischer Interaktion auf einer der beschriebenen RaumZeit-Koordinaten abzubilden impliziert, »Übertragung« mit Einflussnahme und Kommunikation, Gestaltungs- und Inszenierungshandeln koinzidieren zu lassen. Im
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erweiterten Bild-Schirm-Modell bedingt dies wiederum nicht nur, dass Handelnde handeln, sondern auch, dass die Rollenverteilung den Wechsel von Beeinflussen und Beeinflusstwerden vorsieht und dabei die ›Analytikerrolle‹, gleichviel von wem besetzt, berücksichtigt wird. Ein Weiteres ist die Berücksichtigung des »sozialen Felds«. Vom Subjekt herkommend, betrachten wir das Feld nicht aus der Perspektive kollektiver sozialer Dispositionen, wie vielleicht in der Soziologie der Stadt. Vom Einzelnen aus wird das Kollektiv erst angepeilt, gehört es zu den Wünschen. Die verschiedenen Fäden, die wir in die Hand haben, müssen verknotet werden. Nicht wirklich ist das Soziale eröffnet mit einem »Wir« des Bewusstseins, das sich aus der Entfaltung seiner selbst als »Subjekt« in den Widerspruch eines anderen gesetzt sieht und so als »Objekt« denken kann. Noch fehlt die Entäußerung als reale, die Öffnung auf die der Arbeit. Das Hegel´sche »Wir« des Bewusstseinskapitels der Phänomenologie ist erst noch auf dem Weg zu wirklicher Vergemeinschaftung. Begrifflich gedacht, findet sich der Egoismus bald »aufgehoben« in der »Arbeit am Allgemeinen«. Das ist zu wenig für eine szenisch pragmatisch interessierte Beleuchtung der Handlungs- und Gestaltungsfelder, umso eher, als uns Kant einen Zugang zu den Praktiken aufgezeigt und die entsprechenden Strategien der Inszenierung vorgeführt hat. Freilich stehen sie sich unverbunden gegenüber, verstehen sich selbst nicht als disponible Varianten, sondern Alternativen der Pragmatik: die empfohlene Strategie der Freiheit im Rahmen legitimierter Herrschaftsverhältnisse auf der einen Seite, die verdächtige Inszenierung von Freiheit, die in Wahrheit nur dissimulierte Beherrschungskunst ist, auf der anderen. Subjekt und kollektives Objekt, Individuum und Gruppe erscheinen auf zwei Modelle verteilt. Die der Idee nach für jedermann zugängliche Verbindung unter Gleichen demonstriert das Gemeinschaftsideal. Eigentlich sollte man ihm nachstreben. Das egoistische Beharren des Einzelnen auf seinen Wünschen, das sich mit Blendung und Verzauberung durchzusetzen weiß, verkörpert den entgegengesetzten Typ von Handlungsorientierung. Eigentlich ist er nicht wünschenswert. Doch in den Verhaltensmustern der meisten Menschen ist er gut geerdet. 1
theorieperspektive & pragmatische beschränkung
Das psychoanalytische Modell Lacans verpflichtet zu sehr auf die Perspektive des Subjekts, auch wenn es sich in genauerer Betrachtung als gebrochen und vervielfältigt, auf verschiedene Sichtweisen verteilt, die Blicke zerstreut darbietet. Zweifellos, worum es sich dreht, findet sich im Handlungsrahmen, unter einer Beschreibung des Geschehens aber erst nach getaner Tat. Dass es immer das andere und das Eigene betreffen wird und das Eigene als anderes, darf nicht außer Acht gelassen werden. Dass sich die Regelungen, die sich in solcher Gemengelage ergeben, auch tatsächlich, der Vernunft ihrer möglichen Diagrammatisierung entsprechend, als Ordnung von Territorien und Räumen, Wegen, die den Verkehr und die Navigation determinieren, herausstellen, eine solche Überzeugung indizierte eher die Vorliebe für eine zur Herrschaft bestimmte Szenografie und Inszenierungsstrategie. Für eine Illusion. Dies gilt am Ende auch für Kant, trotz seiner Redlichkeit gegenüber den Strömungsphänomenen. Es ist sinnvoll, die Metaphern der Aggregation wie der Zerstreuung zu unterscheiden, die Selbstinszenierungsaspekte allen theatrischen Gestaltungshandelns zu berücksichtigen und dem Allgemeinen – ontologisch, anthropologisch oder politisch – ein Konkretes entgegenzusetzen, dem theoretischen Aufriss im Bild eines
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Wissens eine lebendige Szene. Bedeutsam im szenischen Austrag aber ist nicht allein bloßes Mustererkennen und Regelfolgen, sondern ebenso das mit Anstrengungen verbundene strategische Handeln, das sich der Muster und Regeln zu bestimmten praktischen Zwecken bedient, sie nach Bedarf und Möglichkeit verändert, ablehnt, reorganisiert. Dies gilt für die beteiligten Akteure, unabhängig davon, ob sie damit eher einem vorgegebenen Konzept und Entwurf folgen oder eigenen, freilich vielfach medial vermittelten Absichten. Dass im Spielverlauf ohnehin keineswegs alles zweckund zielbestimmt verläuft, sondern sich mehr oder weniger zufällig ergibt, um vielleicht im Nachhinein einem Zweck oder Handlungsgrund unterstellt zu werden, steht auf einem anderen Blatt. So oder so: dies vorausgesetzt, relativiert sich die Bedeutung einer ›scholastischen‹ Sichtweise in der Vielfalt der Hin- und Hersichten in den Praktiken. Solange wir den vielen Blicken und Worten folgen und uns im Reich der Theoriekünstler umsehen, steht uns gleichsam die ganze Welt offen. Wie die Weltenmacher dürfen wir jegliche Form einer Topologie ausprobieren, können alle Arten von Topografien und Inszenierungsentwürfen erörtern, dieses oder jenes szenische Arrangement, Narrativ oder Gestaltungsdispositiv für gut befinden oder ablehnen. Doch Aristoteles´ Erinnerung daran, dass in der Tragödie Handelnde handeln, bezieht die Kraft eines Arguments nicht daher, dass die Spieler auf der Bühne der Handlung eines dramatischen Werkes folgen und dem Schicksal der auf diese Weise vom Dichter gelenkten Charaktere. Eher ist der Hinweis Ermahnung. Zu bedenken nämlich wäre für jeden, dass, was das Theater zeigt, auf dem Boden einer geschilderten Wirklichkeit erwächst. Das Szenario, in dem Ressourcen und Kräfteverhältnisse, Absichten und Ziele, Geschichten und Sprachspiele, Vorhaben und Entscheidungen vorbeiziehen, konfrontiert beispielhaft mit Situationen und Szenen des Lebens, mit faktischer Zwangsläufigkeit und Notwendigkeit im Wettlauf mit den anderen, seien es Götter oder Menschen. Nicht verschwiegen wird, das solches Schicksal in der Erde wurzelt, in den ökonomischen Grundlagen des zur Aufführung gebrachten Lebens verankert ist.
Soziale Indikation Allein unter der Voraussetzung wirklicher Verhältnisse, deren Realität in Tatsachen und Fiktionen zu trennen nicht erlaubt ist, wie schon Aristoteles begründet, kann sich die theoretische Diskussion der praktischen Welt gegenüber dieser Wirklichkeit legitimieren. Die kanonische Scheidung von Erklärungen aus Ursachen und Erklärungen aus Gründen wird hier kaum produktiv aufrechterhalten werden können. Die Beurteilung der im Spiel der »freien Künste‹« – Kunst, Kultur, Philosophie, Wissenschaften – ventilierten Geschichten, Gestaltungs- und Ausdrucksformen allein unter Beobachtung lediglich für sie geltender ›Produktionsverhältnisse‹ wird vor diesem Tribunal nicht genügen. Denn solche besonderen Bedingungen stellen eine soziale Indikation dar. Sie beruhen grosso modo auf institutionell sanktioniertem Engagement Einzelner oder bestimmter Gruppen für das Allgemeine oder ein Allgemeines – pars pro toto. Abgesichert erscheint dieser Einsatz durch Eigentum oder anders erworbene Revenuen. Dass Handelnde handeln, setzt voraus, dass sie die Freiheit zu handeln besitzen. Selbst die sie besitzen sollten, waren, gebunden im Kultus, lange dazu nicht fähig. Trotzdem waren sie nicht kollektives Opfer. Doch anders als die privilegierte Bürgerschaft des perikleischen Athens, dem das Theater des Euripides lieb war, müssen Zuschauer und Zuhörer, die sich nicht wenigstens selbst gehören, zwangsläufig und unter allen Umständen als Opfer aus der Geschichte hervorgehen. Die anderen bekommen die Chance, dem Spiel zu folgen und einzusehen, dass auch sie als Opfer eines tragischen Schicksals leicht auf dem Platz bleiben könnten. Vielleicht
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aber betrachten sie, um Sinn und Ernst um so glaubwürdiger dem wirklichen, dem eigenen Leben einbeschrieben zu sehen, das Spiel als Komödie, kein bisschen deshalb weniger wahrhaftig. Dem aber entspricht die Auffassung, im Ausdruck eines Kunstwerks der Vergegenwärtigung einer ewig geltenden Botschaft beigewohnt zu haben, sicher nicht. »Die meisten von Menschen hervorgebrachten Werke, die wir gewohnheitsmäßig als universell betrachten – Recht, Wissenschaft, Kunst, Moral, Religion usw. – sind unabtrennbar an die scholastische Sicht und die ökonomischen und sozialen Bedingungen gebunden, die sie möglich machen und die alles andere als universell sind. Sie entstehen in bestimmten, höchst besonderen sozialen Universen, den Feldern der kulturellen Produktion (dem juristischen, wissenschaftlichen, künstlerischen philosophischen usw. Feld), in denen Akteure engagiert sind, die das gemeinsame Privileg haben, um das Monopol auf das Allgemeine zu kämpfen und damit so oder so zum Fortschritt der Wahrheiten und Werte beitragen zu können, die zum jeweiligen Zeitpunkt als universell, ja ewig angesehen werden.«231
Daher stammt also die Faszination für das exemplarisch Herausgegriffene als maßgeblich für ein Allgemeines, des Schicksals weniger für das Schicksal aller, des Klangs weniger Akkorde für das Ganze der Harmonie, der Sicht eines einzelnen Blicks für ein riesiges Panorama der Vorstellung? Ohne strategisch pragmatizistische Besetzung des Darstellungsraums wird das Bedeutenlassen, könnte man meinen, nicht mehr sein als ein Tropfen auf den heißen Stein kultur- und humanwissenschaftlicher Hermeneutik. Die Alternative liegt auf der Hand, jedenfalls für denjenigen Teil der künstlerisch wissenschaftlichen und philosophischen Arbeit, die sich im weitesten Sinn als expanded scenography, strategisch positionierte, unter Umständen interventionsbereite praktische Kraft versteht. Doch scheinen ein dezidierter Wille, möglicherweise auch die Anstrengung zur Intervention, ja selbst dezidierter Widerstand gar nicht ausschlaggebend für praktische Wirkmächtigkeit. Wille und Anstrengung könnten die Kraft der habituellen Verfassung diskursverantwortlicher Produktion – auch in den Wissenschaften – unterschätzen. Denn wie wäre zu erklären, warum sich bewusst auf Gewohnheitsveränderung setzende Mühen gegenüber den gewöhnlichen Usancen nicht durchzusetzen vermögen? Es ist schließlich kein Geheimnis, dass die intrinsische Zirkulation eingeübten Verhaltens und interpretativer Umwälzung, allein mit sich selbst und ihren Szenen beschäftigt, bestens zurechtkommt und mit diesem Programm auch sich durchsetzen kann. Dass dies so ist, liegt nicht zuletzt am Profit, den die Investition in die ›scholastische Produktion‹ einfährt. Ihre Zirkulation ist nicht davon abhängig, ob die Produzenten bereit sind, die zugrunde liegende Ökonomie einzusehen oder auch nur zuzugeben. Umso eher haben sie keinen Grund dazu, als es mit den ›Feldregeln‹, mit den Usancen in den befriedeten Bezirken der Gelehrtenrepublik, der Beamtenschaft, des Bildungsbürgertums nicht zu vereinbaren ist, offenkundig auf Profit zu setzen, von Kosten oder Opfern zu sprechen oder allen persönlichen Einsatz zu einer Frage von Berechnung und Bilanzierung zu machen. Die Inszenierung wird also darin bestehen, Kosten wie Opfer zu dissimulieren, Gemeinwohl zu simulieren und bestenfalls zweimal zu verdienen. Das eine Mal winkt die soziale Platzierung aufgrund eines »Verallgemeinerungsprofits«. Allerdings ist der nicht mit Gewissheit auch einzustreichen. Denn dies ist außer von Themen, Gestaltung, Ausdruck und medialer Präsentation von den Verbündeten und den soziokulturellen ›Tendenzen‹ abhängig. Man kann es ablesen
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an der verkauften Auflage eines Werks, am Umsatz, den eine Investition in die scholastische Produktion einbringt, oder an den Einschaltquoten eines einschlägigen Programmbeitrags aus vergleichbaren Quellen. Das andere Mal winkt der Machtzuwachs über die private Akkumulation »symbolischen Kapitals« (Bourdieu). Das erwirbt sich, wer als rührig für das allgemeine Wohl gilt, als solcher anerkannt ist und, Bedingung solcher Anerkennung, andere in diesem Aufzug ebenfalls anerkennt.232
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diskursives & soziales ›feld‹ (bourdieu,foucault)
Hier positioniert sich die Einlassung Foucaults, die sich nicht nur auf die strategische Wirkung der von ihm untersuchten Diskurse konzentriert, sondern den eigenen Diskursbeitrag ebenfalls in die Schlacht wirft. Freilich ist solches Diskursverständnis nicht unähnlich der Art und Weise wie die stage agencies mit ihren Sprachspielen und den von ihnen funktionalisierten Diskursstücken in der Szene verfahren müssen. Bourdieu, dessen Feldtheorie wir im Folgenden daraufhin befragen wollen, ob sie zur raumstrategischen Positionierung des Bild-Schirm-Modells nach Lacan´scher Vorstellung konzeptuell und diagrammatisch beitragen könnte, um der Individualperspektive ein breiteres, soziales Spielfeld zu eröffnen, ist mit Foucaults Ordnung des Diskurses nicht einverstanden. Doch ist fraglich, ob Bourdieus auf Austin, Wittgenstein – und Eribon233 – gestützte Foucault-Kritik mit einer wirklichen Pointe aufwarten kann, die eine Engführung der strategischen Aufstellung der beiden Diskurskonzepte für unsere Überlegungen zum Problem werden lassen müsste. Dass auch die »krassesten Machtverhältnisse« im theoretischen Aufriss eine symbolische Kodierung erfahren, wird niemand bestreiten. Dasselbe gilt für die Behandlung der damit verbundenen »Konsekrationshandlungen«.234 Freilich besitzt diese Kodierung in der Diskursanalyse einen gänzlich anderen Stellenwert als im politischen oder ideologischen Geschäft. Es ist fraglich, ob die ›Weihe‹ der Kodierung mit der sozialen Sanktionierung unter einen Begriff geraten sollte. Was sonst sollte ein schreibender Epistemologe tun, als sich mittels Texten auszudrücken? Schaut man auf die Sache, ist offensichtlich, dass die Anerkennung solcher Weihe durch »Unterwerfungs- und Gehorsamsakte« im sozialen Alltag durchaus mit kognitiven Akten einhergeht, ist doch mit den Körpern das Bewusstsein der zu Regierenden adressiert. Also werden »kognitive[.] Strukturen, Wahrnehmungsformen und Wahrnehmungskategorien, Wahrnehmungs- und Gliederungsprinzipien« im politischen Spiel sein. Gerade deshalb aber werden sie der Untersuchung der Diskursereignisse genauso wenig gleichgültig sein können. Ist dies genug, einen Autor zu den »Scholastikern« zu zählen? Bezieht nicht jede vermeintlich rein theoretische, rein ›scholastische‹ Beschäftigung auch strategisch Position hinsichtlich ihrer ›Inszenierungstätigkeit‹? Ob sie es will oder nicht, ob sie sich dessen bewusst ist oder nicht, ist alles andere als irrelevant für das damit verbundene Machtspiel, die Schlachten des Denkens und die Manifestationen des Wissens. Für die Bilanzierung der Ausgangspositionen zu einem bestimmten Zeitpunkt aber kann der Machteffekt gar keine vergleichbare Rolle spielen, weil die Auseinandersetzungen ja erst noch zu führen sind oder sich einstellen. Nietzsche demonstriert, wie es zu einer solchen, unter Umständen ›impliziten‹ Aufstellung im ›Feld‹ auch der Wissenschaften kommt. Bourdieu beschäftigt sich ebenfalls damit, allerdings mit einer anderen Art von Distanz. Nicht dass er den Aufbau von Positionen und Dispositiven im Reich der Theorie kategorisch für illegitim erklärte, aber er betrachtet dieses »Universum« als soziologischen
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Gegenstand, vergleichsweise interesselos, und so auch die für sich durchaus »legitime Hochstapelei« (ebenfalls ein Ausdruck Austins, den sich Bourdieu zu Eigen macht) insbesondere der Wissenschaften. ›Legitime Hochstapelei‹?
Die Hochstapelei der Wissenschaften geht durch, weil der große Teil ihrer tatsächlichen Produktions- und Reproduktionsbedingungen, die Rituale ihrer Beauftragung und Absicherung im Dunkeln bleiben, jedenfalls kaum irgendwo zum Gegenstand einer Klärung der eigenen Verhältnisse und der daraus hervorgehenden Legitimation gemacht werden. Bourdieu verweist in diesem Zusammenhang (wie Nietzsche) durchaus auf Heiligung und Weihe (»Konsekration«, »Ordination«) durch staatliche und andere institutionalisierte Autoritäten, die sich über die Zeit durch Einverleibung des öffentlichen Rechts das Privileg aller offiziellen Ernennung und Zertifizierung erobert haben. Offenbar bezieht sich darauf die Austin´sche ›Legitimität‹, die derart eher Legalität als Legitimität indizierte. Mit der Besetzung der Jurisdiktion einher geht ein profanes »Ernennungsmonopol«. Es ermächtigt nicht nur, vergleichbar religiöser Heiligung und kirchlicher Weihe, mit bestimmten Ämtern bestimmte sakrale Handlungen ex officio publico zu vollziehen. Es autorisiert zugleich, in solchen Funktionen bestimmte Akte des Bedeutenlassens durchzuführen. Ihre Wirkungen zeitigen sie formgerecht im Rahmen von Regiment und Reglement, die mit der Ermächtigung ebenfalls sanktioniert sind.235 Die Warnung vor der scolastic fallacy236 gilt also nicht nur für die Behandlung der Gegenstände in der künstlerischen, wissenschaftlichen und philosophischen Darstellung, insofern deren Gegenstände in die gesellschaftlichen Auseinandersetzungen über die Kultur, in den Streit um die Aneignung realer Ding-, Informationsund Bedeutungswelten eingebunden sind, für welche die Freiheit der freien Künste nicht einmal im Sakralbezirk »Kunst« Bestand hat. Die Warnung wäre ebenso an die Darstellungstätigkeit dieser Wissenschaften selbst adressiert, sich ihrer verborgenen strategischen Optionen bewusst zu werden, sie aufzudecken, um mit der Hochstapelei Schluss machen zu können. Legitimität aber gilt in diesem Feld offenbar allein intern gegenüber den Gepflogenheiten der community of science. Wie in jeder weniger exklusiven Gemeinschaft müssen auch theoretisch generalisierende, wissenschaftlich verallgemeinernde Aussagen, Argumente und Schlussfolgerungen, sofern es sich um Äußerungen über Tatsachen realer Produktions-, Distributions- und Konsumptionsverhältnisse handelt, sich rechtfertigen, indem sie im sozialen und politischen Feld um die Geltung streiten. Dazu gehört, dass sie sich zur Durchsetzung geeigneter Medien und Inszenierungstechniken bedienen. Soweit die einschlägigen Wissenschaften und ihre »Diskurse« (womit die Manifestationen wissenschaftlicher Performanz und Resultate gemeint sind) kulturinterne und kulturabhängige Institutionen, Verständigungs- und Ausdrucksformen darstellen, trifft dies auch für sie zu, im Zweifel auch für die Orchideenzüchter. Doch gestalten die Wissenschaften die von ihnen geschaffenen Welten nach eigenen Konventionen und Regeln, Methoden und Moden, orientieren sich dabei an nur den in diesen Sphären üblichen Strategien und Rechtfertigungen. Auch hier gilt eine agonistische Logik. Die, allerdings, muss mit den Werten, Normen und Konventionen der Zunft in Übereinstimmung stehen und aufgrund dessen von der Forschergemeinschaft anerkannt sein. Das allgemeine staatliche Regiment freilich spiegelt sich darin nicht nur, sodass es mit dieser internen Gesetzgebung genug wäre; die hoheitlichen Rechte und Ansprüche gelten obendrein und parallel. In
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guten Zeiten, wenn man glaubt mit dem Pfund »Freiheit der Wissenschaft« wuchern zu können, wird das Doppelsystem als Autonomietheater aufgeführt nach Art des Auftritts mittelalterlicher Universitäten.237 Tatsächlich aber werden die strategischen Optionen zur Positionierung eines ›wissenschaftlichen Felds‹ im soziokulturellen und politischen Ensemble gegenwärtiger Gesellschaft niemals nur auf wissenschaftsinterne Usancen zurückgreifen können, um dort zu reüssieren, wo es um »Macht, Kapital, Kräfteverhältnisse, Kämpfe um Erhalt oder Veränderung dieser Kräfteverhältnisse, Erhaltungs- oder Subversionsstrategien, Interessen usw. geht«. Jeder unterrichtete Player weiß, dass für das spezielle Spiel von Bürokratie und Wissenschaft ganz eigene Regeln gelten, eine ganz spezielle Episteme zählt, um erfolgreich mitzuspielen. Auf den Ereignis- und Aktionskarten dieses Spiels stehen Überschriften wie »Zielvereinbarungen« (statt »Kommunikation«), »Leistungsbewertung« oder »Evaluation« (statt »Kontrolle« oder »Überprüfung«), »Bonussystem« (statt »Belohnung« oder »Erfolgsprämie«). Und geht es bei einem Spielzug um »Bildung«, nach Anleitungstext um die Reproduktion des Angebots- und Ausbildungssystems mithin, stehen auf der Karte Wörter wie »Kompetenzvermittlung« oder »Employability«, um nur einige wenige Spielimpulse mit Namen zu nennen.238
Feldvariablen & Diskursordnung. Scolastic view & common sense Es leuchtet ein, dass die Frage nach den Diskursereignissen, die aus Perspektive der Darstellungen eines Werks, einer bestimmten indexikalisch, symbolisch, ikonisch besetzten Landschaft von Bedeutung(en) zusammenhängt mit der im System seiner Sprach- und Bildspiele produzierten Differenz oder Streuung von Sinn, keineswegs nur an die ›kulturwissenschaftlichen‹ Darstellungen selbst gerichtet ist, an Dichtung und Literatur, Kunst, Wissenschaft und Philosophie. Auch diese Arbeit macht im Gegenteil geltend, dass die praktische szenische Erfahrung nur mit Diskursstücken und Diskursereignissen, sozusagen mit Verdinglichungen der diskursiv interessierenden Episteme, und nur in Grenzen und eher zufällig auch mit dezidiert kulturwissenschaftlichen Deutungen konfrontiert ist. Von daher kann die Beurteilung solcher Erfahrung als beteiligt im realen Existenzkampf der Diskurse zu ihrer ›Ordnung‹ beitragen. Das Erleben selbst, die Erfahrung, noch während sie dabei ist, sich zu einer solchen zu entwickeln, können es allerdings nicht. (Wenn man absieht von bestimmten ›Szenen der Wissenschaft‹, in denen konkrete wissenschaftliche Sprach- und Darstellungsspiele zur Verhandlung stehen und die Beteiligten deshalb im Rahmen ihrer tatsächlichen oder vermeintlichen Kompetenzen auch über die Präsenz eines spezifischen Diskurses respektive zu ihm zu zählende Diskursereignisse handeln und sie beurteilen könnten. Als Beispiele könnte man Szenarien der Ausbildung, von Bewerbungs- oder Berufungsverfahren nennen, an wissenschaftliche und künstlerische Vorträge und Präsentationen denken, an Debatten und Gespräche im Rahmen von Kolloquien und Tagungen, Kongressen und Ausstellungen, an Arbeitsbesprechungen, Programmplanungen, Propagierung von Forschungsvorhaben u.a.m.) Abgesehen von den professionalisierten Wissenschaftsveranstaltungen und ihren Sprachspielen, wird man nicht davon ausgehen können, dass die szenisch faktische Integration von Diskursanteilen und ausgesuchten Diskursereignissen den Akteuren – zum Beispiel im Kontext und in den Formaten einer Problematisierung durch Medienberichte zu Wirtschafts-, Kultur- oder Kunstereignissen – als solche bekannt und bewusst sein müssen. Auf der anderen Seite aber steht die Erfahrung mit der praktischen Bewährung im Streit der Meinungen, der Aufstellung in der Konkurrenz, dem Ertrag eines Geltendmachens oder Bestreitens solcher Diskursstücke in den Scharmützeln tagtäglicher Inszenierung.
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Sie spielen eine Rolle, wenn am Arbeitsplatz oder im Freundeskreis, in Schule, Lehre oder Universität die Versatzstücke eines auf Mediendiskurs Heruntergebrochenen aller möglichen Provenienz als Narrative der Selbstinszenierung oder einer ›sachlichen‹ Diskussion dienen. Die Beurteilung der praktischen Erfahrungen entstammt in diesem Kontext ausdrücklich einem Diskurskontext (nicht der Erkenntnis aus einem Stück Wissenschaft!), der sich auf strategisch pragmatische Prämissen von Handlungsentscheidungen und die Ergebnisse von Szenifikationsprozessen bezieht und dessen Qualifikation ihm deshalb nicht selbst anheimgestellt ist. Die ›scholastische‹ Betrachtung könnte, selbst wenn sie wollte, nichts ausrichten, da ihr die Filter fehlten, um hinreichend selektiv vorgehen zu können. Sollen die empirisch beispielhaften Ergebnisse wiederum selbst über den lokalen und temporalen Wirkungsrahmen der Szenifikationen hinaus Bedeutung erlangen, müssen sie Anschluss finden. Dazu ist es notwendig, dass sich ein ›Diskurs‹, ein Wissen und Wissenwollen, auf solche Ereignisse bezieht, sie als für den Diskurs selbst bedeutungsmächtig zur Kenntnis nimmt, herausgreift und sich damit auseinandersetzt. Bourdieus Kritik macht geltend, dass Foucaults Rede vom »strategischen Feld« in der Wendung des »semantischen Felds« einem »semiologischen« Gebrauch des Feldbegriffs nahe stünde – einer Verwendung wie bei Saussure und Nachfolgern. Abgesehen davon, wie eng die Verwandtschaft tatsächlich ist, die Bourdieu annimmt, passt sie ihm nicht. Deshalb hält er Foucault entgegen, dass »das Prinzip zur Erhellung des jeweils zum Feld gehörigen Diskurses irgendwo anders zu suchen [sei – HW] als in der Ordnung des Diskurses selbst.« Foucault indes halte fest an der »absoluten Autonomie dieses ›Felds der strategischen Möglichkeiten‹«. Die Kritikwürdigkeit der Foucault´schen Diskursfixierung fasst Bourdieu zusammen in der Auffassung, dass hier »Gegensätze und Antagonismen, die ihre Wurzeln in den Relationen zwischen den Produzenten und den Benutzern der betreffenden Werke haben, in den Ideenhimmel [verlegt]« seien. Es scheint, das Problem ist bei Bourdieus Unverständnis angesichts des Foucault´schen Diskursbegriffs zu suchen. Die Stratifikation des eigenen Feldbegriffs, die der Ausschließlichkeit der im letzten Zitat hervorgehobenen Passage oft genug dezidiert widerspricht, gibt keine Veranlassung.239 Denn offensichtlich benutzt auch Bourdieu »Feld« in metaphorischem, übertragenem Verständnis. Keineswegs promoviert er mit dem Ausdruck reifizierende Vorstellungen von territorialer Grenzziehung, Bereichs- und Gebietsstreitigkeiten, lanciert auch diese Ausdrücke ganz ähnlich wie Foucault nur als Bilder für ein Terrain von Auseinandersetzungen, Kämpfen und Schlachten, ein Gelände, auf dem, zumindest wie es aussieht, weder wirkliche Verletzte noch Tote zurückbleiben. Abgesehen von dieser Bildverwandtschaft erscheint der Feldbegriff für Bourdieu oft physikalisch konnotiert, versteht sich im Sinne von »Feldwirkungen« zum Beispiel im elektrodynamischen Verständnis als Skalarfeld oder in astronomischer Verwendung als Vektorfeld eines Gravitationsfelds zur Kennzeichnung der Anziehungskräfte großer Massen. Dies führt ab vom Weg des Metapherngebrauchs bei Foucault, wenn er vom Feld im Zusammenhang von Schlacht, Schlachtordnung und distinkten Strategien, eine Schlacht zu bestreiten, spricht.240 Anderseits findet sich bei Bourdieu neben dem ›Kraftfeld‹ aber auch ›das Feld der Kämpfe und Auseinandersetzungen‹. Und was die physikalischen Metaphern angeht, warnt Bourdieu ausdrücklich vor einer allzu enggeführten Übertragung der Bildvorstellungen, vor dem teilchenphysikalischen Mechanismus oder dem thermodynamischen Gleichnis zu mittleren Werten hin tendierender Wahrscheinlichkeiten.241
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›Interesse‹, ›Leidenschaft‹, ›Verblendung‹ – Inszenierung als Umkehrung von Feldgesetzen
In den spät zusammengetragenen und resümierenden Beiträgen Bourdieus Zur Theorie des Handelns findet sich die Grundlegung einer soziologischen Feldtheorie als gebunden an einen Prozess zunehmender Differenzierung und Zerstreuung »sozialer Universen«. Bourdieu schließt an Spencer, Durkheim und Weber an, wobei seine Analysen in manchen Passagen mit Luhmann´schen Auffassungen konvergieren. Bourdieu zufolge bilden die Gesellschaften im Laufe ihrer Entwicklung einzelne Universen – der Religion, Kunst, Wissenschaft etwa –, »die eigene Gesetze haben und autonom sind«. (Bourdieu verwendet »Feld« und »Felder« ausdrücklich synonym mit »Universum« und »Universen«.242) So definiert, indes, ist die Aussage viel zu apodiktisch, um produktiv mit den Kategorien arbeiten zu können. Die »Gesetze« unterschiedlicher Universen bestimmen ihr Geschäftsfeld nämlich in der Regel nur selbstbezüglich, machen eher Anspruch auf Autonomie, als dass solche Autonomie auch schon unabhängig als gerechtfertigt sich ausweisen könnte. Die Beobachtung ist entwicklungsgeschichtlicher Natur. Gemeint ist, dass »Polysemie« und »Multifunktionalität«, wie sie angesichts noch nicht ausdifferenzierter gesellschaftlicher Komplexion (eines Zustands von »Gesellschaft« schlechthin) nicht umgangen werden können, auf Dauer dadurch vermieden werden, dass einzelne »Felder« strukturell wie semantisch voneinander abgrenzbar werden. Der Autonomieanspruch eines jeden Feldes besagt dann, dass die Geltung eines Feldgesetzes, zum Beispiel für das Feld der Ökonomie, nicht erlaubt, dieses auf andere »nomoi« oder andere nomoi auf dieses zu reduzieren – unbeschadet der mit der Theorie verbundenen Genealogie von Universen oder Feldern aus einem einzigen Universum oder sozialen Feld. Im Herrschaftsgebiet einzelner Gesetze dominieren jeweils spezifische Interessen. So wird das künstlerische Feld, das sich im 19. Jahrhundert herausbildet, dominiert von einem Gesetz, das sich als »Umkehrung« des ökonomischen nomos versteht und seine spezifischen Interessen entsprechend etikettiert. Wirtschaftliche Interessen auf dem Feld der Kunst gehören deshalb nicht direkt ins Feld der Kunst, sondern in das der »ökonomischen Ökonomie«. Die Negation einer jeweils anderen Feldern spezifisch zugehörigen Feldwirkung lässt sich verstehen als diesbezüglich demonstrierte Interesselosigkeit auf eigenem Feld. Das bürokratische Feld des Dienstes an der Gesellschaft etwa verneint in der Negation des wirtschaftlichen oder politischen nomos jede private Aneignung oder Vorteilsnahme und gibt sich, wie wenn alle ihre Interessen nur dem Dienst an der Öffentlichkeit zugute kämen. Es präsentiert sich als ›öffentlicher Dienst‹. Die Interessen zeigen demnach Züge dessen, was Kant in den Leidenschaften indirekter Beherrschung findet.243 Wie Bourdieu selbst sagt, findet sich »Interesse« in unterschiedlichen Gestalten zu unterschiedlichen Gelegenheiten und Orten. Als Begehrensinteresse ist es als Leidenschaft (libido) bestimmt und als Appetit des Blicks als Verblendung (illusio). Man könnte sagen, dass Bourdieus Handlungstheorie eine Inszenierungstheorie für gewisse Praktiken in unterschiedlichen gesellschaftlichen Feldern oder Universen beinhaltet. Im Rahmen der dort nach Gesetzen wirkenden Kräfte zu handeln, Interessen zu zeigen und sich zu engagieren bedeutet zugleich, spezifischen Leidenschaften nachzugehen, um sich an den Selbstgenusseffekten der begleitenden Bildproduktion zu erfreuen. Für die anderen ›draußen‹, die gerade in Affären auf anderen Gesellschaftsfeldern verwickelt sind, muss, solchem Begehren zu folgen, wie Verblendung aussehen, eine offenkundige illusio, die den Enthusiasten als Selbsttäuschung angerechnet werden muss. Sie selbst allerdings können unbeschadet ihrer libido
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opfern. Die Fesselung von Leib und Sinn an die besonderen Werte des jeweiligen Feldes, die in der Leidenschaftlichkeit des Begehrens nach den jeweils dort gültigen Währungen oder Kapitalien ihren Ausdruck findet, bezeichnet Bourdieu ganz konsequent in ökonomischen Ausdrücken. Man könnte glauben, dass es die Autonomie eines Universums des nichtsymbolischen Wirtschaftens in Frage stellen könnte, wenn alle »symbolischen Kapitalien« nur metaphorisch gesprochen ein Kapital ausdrückten, »Kapital« mithin realiter auch nichtsymbolisch wie ein imago behandelt werden müsste. Aufgrund der Tauschbarkeit von symbolischem gegen Geld- oder Finanzkapital (gemäß »Wechselkurs«) ist das aber nicht der Fall. Auch diese Kapitalsorte existiert und wirkt bekanntlich als Fetisch. Der Fetisch verbreitet seine Macht symbolisch, ohne in Verdacht zu geraten, dass seine reale Wirkmächtigkeit deshalb wie eine Metapher rangierte. Gesprochen im Bild-Schirm-Modell, tauscht sich die libido mithin gegen das Bildversprechen, das dem Narzissmus gemacht wird, und verobjektiviert sich darin – zum Beispiel im Machtmodus –, über Reichtum zu verfügen. Im Modellrahmen Bourdieus wechselt das Subjekt damit das Feld, was nicht per se unkompatibel ist mit der Bild-Schirm-Diagrammatik. Der Genuss, der bei Bourdieu nun einen Namen trägt, wird ›bezahlt‹ mit personalem Komplettengagement. Aber so wenig wie die ›Ware‹ – das vergegenständlichte Blickobjekt – ausdrücklich genannt werden darf, kann feldintern hier von »Preis« oder »Bezahlung« die Rede sein. Nur soweit andere die Leidenschaft als »Illusion« einschätzten, verstünde sich, wenn das Tun der nach Inszenierungsgesetz Angetretenen zugleich nach Maßstäben beurteilt würde, die auf anderen Feldern gelten, Feldern, die als nach anderen Hinsichten geordnet betrachtet würden. Die Akteure im Feld, das sich bei Bourdieu ganz ähnlich erstreckt wie in der »Feldtiefe« zwischen Bild und Schirm in der Diagrammatik Lacans, sind gegenüber ihrer Interessegeleitetheit, was sie kostet und welchen Profit sie einbringt, blind. Sie dürfen auch nichts davon wissen lassen – bei Strafe, dass die Suggestionskraft der eigenen Verstrickung schlagartig der Ernüchterung weichen könnte, was auch keine guten Wirkungen auf andere zeitigte. Andere Spieler betrachten die Begierde solcher agencies nicht nur als Verblendung (eine Kategorie der Kant´schen Anthropologie), sondern ebenso als »Investition« oder »Eintrittsgeld«. In der Verblendung herrscht eine »Art Bann, in den die sozialen Spiele d[er] sozialisierten Akteure« geschlagen sind oder mit dem sie sich selbst belegt haben. Der Schein ist den Illusionierten aufgrund der dominierenden Feldwirkungen nicht bewusst.244 Hier liegt der Grund, dass man sagt, dass die Akteure, da sie keinem utilitaristischen Kalkül folgen, sondern »ganz bei der Sache« sind, »in der Gegenwart des Spiels« verharrten. Genauer gesagt, heißt, »in der Gegenwart des Spiels« zu sein (durchaus im Sinne des Peirce´schen Pragmatizismus), auch bei Bourdieu, in seiner Zukunft sich zu bewegen, freilich nicht mittels Kalkül, sondern durch leiblich sinnliche Intuition und Antizipation. Denn »die immanenten Tendenzen des Spiels [hat der gute Spieler – HW] im Körper [...], in inkorporiertem Zustand: Er ist Körper gewordenes Spiel.« ›Alles spielt sich ab, als ob‹? Spielen statt berechnen
Mithin versteht sich, dass jede Inszenierung, sei deren Strategie nun daraufhin angelegt, im Theater zu verbleiben oder nur so zu tun, Bühne und Theater selbst verschwinden und vergessen machen muss, um ihre Ziele zu erreichen. »Soziale Akteure, die den Sinn für das Spiel besitzen [...], brauchen die Ziele ihrer Praxis nicht als Zwecke zu setzen.« Die ausdrückliche Rede, die in der mittelbaren Beherrschungskunst gerade
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in Aussicht auf den Effekt ihrer Unterdrückung ausgeschlossen wird, wäre immer gehalten, eine Kalkulation des Einsatzes auf Leben und Tod anzumahnen, den ganzen Tauschprozess zu berechnen, alle Kosten zu veranschlagen, den Preis mit dem Wert der Ware zu vergleichen und gegen den Profit zu wägen. Mit der Berechnung wüsste man, woran man ist. Das aber wäre »auch der Ruin der gesamten Ökonomie des symbolischen Tauschs, der Ökonomie der Dinge, die keinen Preis haben«. Da diese Handlungsökonomie des Scheins indes nicht sinnvoll auf eine scheinlose Ökonomie, deren Geheimnis gesellschaftliches Tabu bleiben muss, reduziert werden kann, kommt Bourdieu zu einer konjunktivischen Anerkennung der Inszenierungsgesellschaft: »[I] m Grunde müsste man sagen, ›alles spielt sich so ab, als ob‹«. Der Fehler in solcher Behauptung wäre indes offensichtlich. Der Allsatz stellt gewissermaßen selbst eine Variante der scolastic fallacy dar. Keineswegs spielt sich alles so ab, als ob. Es handelt sich um bestimmte, ausgesuchte handlungsstrategische Optionen zu bestimmten Zeiten an bestimmten Orten. Bourdieu räumt es selbst ein: Für ihn sind es vornehmlich die Handlungsfelder, die sich mit künstlerisch kreativen und ästhetischen Genres und Sujets befassen, in denen gespielt wird. Die Ästhetik und der ästhetische Maßstab aber färben offenbar ab auf die dort vereinbarten Zwecksetzungen anderer Natur, die generell so wenig in Abrede gestellt wie als durchgehend bewusst behauptet werden können. Bourdieu akzeptiert die Einschränkung, ist aber geneigt, tatsächlich allen sozialen Akteuren zumindest einen gewissen Sinn für das Spiel der nicht bewussten Verstellung zuzubilligen, ja er sieht die sozialen Akteure hier durchgängig am Werk. Doch selbst wenn die gesellschaftlich Handelnden die Ziele ihrer Praxis nicht setzen müssen, wird nicht auszuschließen sein, dass sie es können. Auch in einem Feld, in dem sie gerade engagiert sind, könnten sie interesselos wirken und zugleich genau wissen, was sie wollen. Es gehört schließlich zu den berechtigten Annahmen gestalterischen Praktizierens, dass es mehr als einfache Praxis, bloße Handlung ist, wenn jemand, der etwas zu machen versteht, über eine techne verfügt, von der bekannt ist, dass sie eine episteme beinhaltet. Techne und episteme zielen hier auf die Dinge, die als Werke (pragmata) Geltung beanspruchen. Die aber fügen sich evidenterweise nicht einer Beschreibung, die, was »zu tun ist, was ihre [der Akteure – HW] Sache (griechisch pragma) ist«, als »ein unmittelbares Korrelat der Praxis (praxis)« darstellt. Was auch immer ein »unmittelbares Korrelat der Praxis« sein mag: dass es nur deshalb, weil es »angelegt ist in der Gegenwart des Spiels«, »keine gedankliche Setzung, kein planvoll ins Auge gefasstes Mögliches« beinhalten darf, ist ein Zuviel der Einschränkung. Es ist vielleicht bezeichnend, dass Bourdieu »Spiel« nicht unter den »Grundbegriffen« seiner Handlungstheorie aufführt, wohl aber »Habitus, Feld, Interesse oder illusio, symbolisches Kapital«. Die Frage, die sich stellt, ist nämlich die nach dem Ort des Spiels, der für den Soziologen ein Universum oder Feld ist. Da Situierung und Lokalisierung ähnlich der dimensionalen Differenz zwischen »Universum« und »Universen«, »Feld« und »Feldern« changieren, sieht es jedenfalls so aus. In Begriffen der Gewohnheit zu denken ist für den Soziologen gerade deshalb wichtig, weil er glaubt, damit zeigen zu können, dass habituelles Benehmen »tendenziell ›interessefreie[n]‹ Habitus produziert, anti-ökonomische[n] Habitus«. Diese Gewohnheit soll zwar auf einer »kollektiven Verdrängung des Interesses und, allgemeiner, der Wahrheit von Produktion und Zirkulation beruh[en]«. Begründet aber wird Interessefreiheit durch das Hineingeborensein in ein Feld. Hier besagt die »Handlungstheorie« Bourdieus, die »mit dem Begriff Habitus« ausdrücklich vorgeschlagen wird, dass nicht etwa
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Intentionen Handlungen bewegen oder als Handlungsgründe fungieren. Vielmehr seien es »erworbene Dispositionen«, die verantworten, dass Handelnde Handlungen gewöhnlich nicht im Handlungsvollzug auch noch – um mit Anscombes Intention zu sprechen – »unter eine Beschreibung« stellen, in der sie dem eigenen Tun testieren, zweckgerichtet zu sein. Dies ist nur interpretierenden Operationen zuzubilligen, »ohne deshalb von einer bewußten Zweckgerichtetheit als dem Prinzip dieses Handelns ausgehen zu können (hier ist das ›alles spielt sich so ab, als ob‹ besonders wichtig).« Bourdieus bestes Beispiel für diese Disposition ist »der Sinn für das Spiel«, der der Intuition zuzurechnen ist. Wie gesagt: eine unzulässige Verallgemeinerung. »Feld« in Richtung eines Ursprungs gedacht, den Raum in die Zeit gedehnt, versteht sich leicht als ein für einen jeden ›ursprünglicher Ort‹, sei es anthropologisch, sei es ontologisch. Mit solchem ›Ort‹ nämlich soll das ursprüngliche ›Spiel‹ an diesem Ort gegeben sein und ein damit einhergehender Habitus: Es »ist wichtig, das Feld als einen Ort zu denken, den man nicht produziert hat und in den man hineingeboren wird, und nicht als ein willkürlich eingeführtes Spiel«. Es ist erstaunlich, dass Bourdieu an dieser Stelle kein Wort verliert über das Feld als Kraftfeld und Kampfplatz, ebenso erstaunlich wie die Tatsache, dass der wissenschaftliche Feldproduzent das eigene ›Feld‹ als ›unproduzierten Ort‹ behandelt. Das Spiel indes erscheint bei Bourdieu ebenso interessebestimmt. Anders gesagt, es ist Interesse, was dem Spiel Sinn verleiht, nicht die Intuition – wenn Interesse denn nicht ›intuitives Interesse‹ sein soll. »Ein Interesse haben heißt, einem bestimmten sozialen Spiel zuzugestehen, daß das, was in ihm geschieht, einen Sinn hat, und daß das, was bei ihm auf dem Spiel steht, wichtig und erstrebenswert ist.«245 Die Frage ist, wie der Satz zu verstehen ist. Dass, was auf dem Spiel steht, »erstrebenswert« sei, ist offensichtlich nicht zwingend, kann doch ebenso etwas Wichtiges auf dem Spiel stehen, das gerade seiner Bedeutung wegen zurückgewiesen wird. Abgesehen davon aber vollzieht die hier sich artikulierende Bindung von Interesse und Spiel eben keinen Kurzschluss der Art, dass »Interesse äußern« »spielen« schon beinhaltete, quasi intuitiv, natürlich. Geltend gemacht wird vielmehr, dass Interesse gewöhnlich mit rationalem Verhalten koordiniert ist, einem Verhalten jedenfalls, von dem unterstellt wird, dass die interessierte Anteilnahme ökonomisch sich rechtfertigen lässt und nicht genauso gut völlig absichtslos, wie uninteressiert, hätte artikuliert werden können. Der Schluss kann demnach nur über den Schein der Spielform erfolgen. Sofern ein Interesse seine Bedeutung durchaus auch auf ein »Spiel« zu beziehen bereit ist, müssen sich »spielen« und »kalkulieren« ohne Widerspruch zusammendenken lassen. Nicht das Interesse ist interesselos, sondern das Spiel, dem das Interesse gilt, zeigt sich interesselos. Dies ist der Fall, wenn die Kunst zu spielen gerade darin besteht, die vor sich gehende Berechnung zu dissimulieren, darin, sich als Spiel zu präsentieren. Die Kunst mithin ist Inszenierungskunst.246
Feldstruktur & Feldstrukturierung : Topologische & morphologische Prämissen, ›blinde Flecken‹ In seinen dynamisch sich wandelnden Gestalten taucht das Feld unter anderem als »Körperschaft« auf, als »familiale Einheit« zum Beispiel. Die Feldfunktionalität des »familialen Felds« aber liegt unmissverständlich bei ihrer »Struktur«, die Struktur einer »Art ›Kollektivsubjekt‹« ist. Das Kollektivsubjekt soll die »Struktur der Kräfteverhältnisse zwischen den Mitgliedern [...], die in den Kämpfen innerhalb des familialen Felds ständig auf dem Spiel steht«, abbilden und verkörpern.247 Bourdieus Feldbegriff
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erweist sich somit sehr wohl als hergestellt, sowohl in sachlichem Verständnis der Produktion der Kraftfelder, eben durch die Beeinflussung durch feldinterne wie feldexterne Machteffekte, als auch im theoretisch wissenschaftlichen, soziologischen Verständnis. Die Akteure der symbolischen Ökonomie, die »Ökonomie der Opfergabe ist«, sind offenkundig »Täuschende – ihrer selbst – und Getäuschte zugleich«. »Feld« und »Felder«, mithin, gehören zu einem, discours sociologique, der den Stand der Formation der in bestimmter inhaltlicher Hinsicht qualifizierten Felder und damit ihre besondere Strukturierung selbst darstellt. Die Soziologie fußt auf topologischen und morphologischen Prämissen. Bei ›Interesselosigkeit‹ feldintern keine ziel- oder zweckbewussten Akteure und nur das unbewusste Antizipieren eines ›Sinns fürs Spiel‹ anzunehmen, ohne Chance, sich nach Situation und Szene zu überlegtem und schlussfolgerndem Bedeutenlassen und Gewohnheitsveränderung aufzuschwingen, ist wenig überzeugend. Doch bei Bourdieu ist von Habitus viel, von Habitusveränderung wenig die Rede, obwohl die Veränderung aus Topologie und Strukturdynamik des Bourdieu´schen Feldschemas selbst zu folgern ist. Wie sonst sollten sich in den Kämpfen innerhalb eines Feldes neue Strukturen ergeben? Immer nur wie zufällig, nur als Antizipation und Intuition? Außerdem ist auch aus Akteursperspektive niemand in nur einem Feld zu Hause oder engagiert (wie unten an einem Bourdieu´schen Beispiel zu demonstrieren sein wird). Immer wirken die Einflüsse und Angebote anderer Bereiche gleichsam als Umgebungsszenario, ganz wie von Bourdieu für die Modellierung zugegeben und gestaltet. Doch sind für den Soziologen Gewohnheiten »Habitus, die zur Interessenfreiheit prädisponiert sind«, die auf »Universen, in denen die Interessefreiheit belohnt wird«, stoßen und dort absorbiert scheinen. Solche begegnen in den Feldern der Familie wie in jeder symbolischen Ökonomie nach Art des familialen Tauschverkehrs, auf den »verschiedenen Feldern der kulturellen Produktion«, auf »literarischem, künstlerischem, wissenschaftlichem usw. Feld«, in den »Mikrokosmen, die sich auf der Basis einer Umkehrung des Grundgesetztes der ökonomischen Welt konstituieren«. Eine Auflösung der Bourdieu´schen Feldverwicklungen lässt sich allein in einem multidimensionalen dynamischen Universum vorstellen. Selbst dann ließen sich die wirkenden Kräfte nur schwerlich voneinander scheiden. Man denke beispielsweise an Kräfte, die zugleich aus realem familialem Tauschverkehr und kultureller Produktion in einem wissenschaftlichen, beispielsweise ethnologischen Feld resultierten (inventiver Forschungsarbeit), gegenüber denjenigen, die der Darstellung des Forschungsertrags (Textmanifestation der Forschungsresultate) erwachsen. An der Bedeutung des Gabentauschs in der Familienstruktur beteiligt sind zweifellos auch Erstere, wenn sie der bündelnden Darstellung zuarbeiten, die dann darüber, über den »Gabentausch«, erzählt. Es ist immer möglich, Bourdieus Einlassungen eine weite Strecke zu folgen, keine Frage. Der Lacan´sche »Fleck« in der Feldorientierung im Rahmen der Ökonomie des symbolischen Tauschs – Blick des Begehrens gegen Bild des Begehrten – ist ›blinder Fleck‹, doch keineswegs vollständig und jederzeit. Blind macht er immer nur im Maße der Abstoßung oder Neutralität gegenüber der im jeweilig privilegierten oder positiven Feld tabuisierten Ökonomie. Entsprechend schlagen die Interessen durch. In den Bildern eines Imaginären und Libidinösen treten sie an die Oberfläche. Deshalb dürfen sie nicht offen als Investition in einen erwarteten Profit aus Tauschhandel ausgesprochen werden. Doch warum kann das Begehren, das in der Feldtiefe seiner Leidenschaft »Interessefreiheit« behauptet und ins Spiel bringt,
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wenn es schon keine Selbstaufklärung über die eigene Ökonomie gibt, nicht wenigstens über die Struktur des eigenen (beschränkten) Feldes aufklären? Als ein Beispiel führt Bourdieu »die Kunst- oder Literatursoziologie« an. Ihr sei zu verdanken, dass »spezifische Interessen, die durch die Funktionsweise des Felds entstehen«, nachhaltig praktische Wirkung haben, Akteure im Feld dafür »zu sterben bereit« sind. So mag es nicht überraschen, »daß Breton einem Rivalen in einem Streit über Dichtung den Arm brechen konnte«. Wie aber könnte geschehen, dass solche Interessen »entschleiert (oder demaskiert) und analysiert« würden. Wir sehen ein Exempel für das markierte Defizit in der Vermittlung von topologischer Konstruktion, pragmatizistisch-pragmatischer Strukturanalyse (Diagrammatisierung/Konzeptualisierung – ›Szenografie‹) und szenischer Aufführung beziehungsweise Exposition. Angenommen, die kultursoziologische Analyse, die ›ihr Feld‹ zu demaskieren sucht, versteht darunter, in exemplarischen Analysen Licht in Dichtung und Literatur zu bringen, sowohl in die Darstellungen selbst als auch in die Produktionsverhältnisse im Dreieck von Werk, Autor und Publikum. Angenommen, dass damit ein Spiel im Feld der kulturellen Produktion mit der Signatur »Literatursoziologie« erhellt, die sich auf diese Weise in diesem Feld positioniert und ermächtigt. Wie soll eine solche Analyse eines von Journalisten und Schriftstellern, Lesern, Verlegern und Biografen, Historikern und Kulturwissenschaftlern aufgeführten Dramas, worin ein Dichter dem anderen den Arm bricht, anders denn als in einem Diskurs, in einem optionalen Wissensdispositiv äußerst heterogener Versatzstücke zur Vorstellung gebracht werden können? Der Kunst- oder Literatursoziologe jedenfalls, der vorhätte, sich selbst im Streit zwischen Breton und seinem Gegner einzumischen, käme, selbst wenn der Streit »über Dichtung« ginge und er der einen oder anderen Partei Schützenhilfe leisten möchte, zu spät in diese rabiate Szene. Die zweite Intervention muss der vermeintlichen »Demaskierung« des eigenen Felds gelten. Über das Feld der kultursoziologischen Inszenierung gibt die entschleiernde Analyse nämlich nichts preis. Denn es hieße, die spezifischen Interessen, die durch die Funktionsweise des Felds entstehen, statt ihre Verantwortlichkeit für Bretons Gewalttat und die gemeinsame Opfergabe der rivalisierenden Dichter an die Kunst aufzuklären, über sich selbst reden zu lassen. Es hieße, darüber zu berichten, wie man selbst als Autor im Feld von Kunst- oder Literatursoziologie mit Hilfe dieses oder jenes Themas und in ganz spezifischer Gestaltungsform und Ausdrucksweise versucht war, dem Konkurrenten ›den Arm zu brechen‹, wohl metaphorisch, aber ohne Rücksicht auf eigene Verluste. Dass es auf diesem Feld im Gegensatz zu den Schicksalen in Romanen und Filmen um Interessen geht, für die man im Zweifel »zu sterben bereit« ist, dürfte übertrieben sein. Andererseits sollte man an die enormen Risiken denken, die Wissenschaftler bereit sind einzugehen, wenn sie Forschungsergebnisse fälschen oder nur Plagiate in die Welt setzen. So jedenfalls gibt es keine Aufklärung über die Produktionssphäre, wie man erwartet hätte. Man wird also spekulieren müssen auf die »allgemeine Anerkennung der Anerkennung des Allgemeinen«, die im Allgemeinen als so ehrenrührig nicht gilt.
Gesamtform & Zwischenraum – Wissen zwischen Erfahrung & Erkenntnis Wie auch immer, die Foucault-Kritik Bourdieus verpufft bei genauerem Hinsehen. Sie geht ins Leere. Der Gegner, den er beschreibt, firmiert nicht unter diesem Namen. Auch Bourdieu lässt Diskursereignisse zu. Er behandelt sie aus der Perspektive der Wissenschaften (der Soziologie, der Ethnologie) und aus dem hypothetischen Blickwinkel
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unterschiedlicher Szenarien und Szenen. Der Begriff, »Szene«, allerdings, geht ihm nicht zur Hand. Ein Raum, der als »Feld« gilt, kann Szene sein oder Szenario von Diskursen, kann Szenarien meinen, die aus keiner Szene überschaubar sind und aus keinem »Diskurs«, schon gar keinem, der in lauter Lektüreszenen kondensiert. Auch kann das Spiel überall und so ziemlich zu jeder Zeit angesetzt werden. Das wäre nicht unbedingt erfreulich für eine soziologische Analyse gesellschaftlich realer, medial vergleichsweise präzise formatierter Spielräume, die anstelle einer »Gesamtform« nicht ausgerechnet mit Lücken oder Zwischenräumen aufwarten möchten. »Es stimmt, dass sich das meiste menschliche Verhalten innerhalb von Spiel-Räumen abspielt«, heißt es. Doch zeigen sich diese Spielräume im Allgemeinen nicht so zugeschnitten, dass ihre Begrenzung qua Spielbeschreibung für Spielfeld, Regelsystem, Utensilien, Mitspieler etc. vorstellbar macht, wie in diesem Rahmen ein richtiges Spiel sich abspielt. Sicher gibt es den vielleicht noch überschaubaren Raum bestimmter Körperschaften oder Gruppen, sogar viele Geschichten szenischer Art: Es gibt die Geschichte von dem »Arzt, der eine Diagnose stellt«, und die vom »Lehrer, der eine Prüfungsnote erteilt«, es gibt die Geschichte von den zwei Mönchen, die sich um den Priorstab streiten, oder die von den beiden Akademikern, die darum kämpfen, wer »von ihnen seine Theorie des Handelns durchsetzt«. Doch kommen solche ›Szenen der Nähe‹ – oder als Szenen der Nähe vorstellbare Auseinandersetzungen von »Akteure[n] in einem Feld« –, die ganz offensichtlich nur zerstreut und im Zweifel weit weg voneinander zu finden sind, nicht zu einem eigenen Begriff, obwohl er zum Anfassen nahezuliegen scheint. Alles, was zählt, indiziert gleichwohl ein Verhältnis der »Protention« im Husserl´schen, auch Heidegger´schen Verständnis, ausdrücklich im Unterschied zu »Projekt« und »Plan«, zu einer projektiv szenografischen Entwurfsperspektive.248 »Protention« meint ein »Verhältnis der Für-Sorge als der unmittelbaren Präsenz für ein in der Gegenwart angelegtes Kommendes«. Mithin zählt nicht das leere Dazwischen, die Lücke, sondern dort das Ereignis und hier die sich ankündigende Erkenntnis. Intuition und Antizipation qua Habitus ›vermitteln‹. Das ist nicht das von Peirce exponierte körperlich energetische und sinnliche Bewusstsein in der Bedeutung der entsprechenden Objektinterpretanten, ein Bedeutenlassen, das sich aus der Erstheit heraus zu einer Episteme emanzipiert. Doch die »Semiologie« Bourdieus wartet auf mit soziologischem Postulat und wissenschaftlicher Repräsentation. Wir sehen uns konfrontiert mit einem Feld voller Felder von Feldern, die freilich, wohltuend, nur exemplarisch behandelt werden können. Für Bourdieu beschreibt die »Topologie [der Felder – HW] einen bestimmten Stand der sozialen Positionen«. So formuliert, scheint dies tatsächlich wenig zu tun zu haben mit einer Feldmetaphorik, die sich auf ersichtliche, weil ins Wissen geholte Kämpfe bezieht. Sie bezieht sich weder unmittelbar auf Geschehen und Ereignen noch unmittelbar und einseitig auf die Wissenschaften davon, sondern, verständlicherweise, nur auf das, was wir davon wissen können, sofern jemand, was diese Dinge angeht – die soziale Ordnung, die wissenschaftliche Ordnung –, etwas damit anzufangen gewusst hat oder weiß und jemand darüber informiert werden kann. Die Ereignisse sind »Aussageereignisse«, ihre Fakten »diskursive Fakten«, zerstreute Tatsachen. Mithin ist der »Raum einer Streuung« alles andere als eine »Gesamtform«.249 Mal wird er als »Feld« vorgestellt, mal wird dem Feld ein »Netz« übergeworfen, ein Bild, bei dem sich die Einbildungskraft an den Knoten in Garn, Faden, Draht, an Maschen, Schlingen oder Löchern entzünden kann.250
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Die Vielfalt der Felder und ihrer Spielinhalte zeigt, dass die Struktur der Topologie, die hier zugrunde liegt, »nicht unwandelbar« ist, sondern Anpassungen mittels exemplarisch qualifizierender Feldbeschreibungen fordert. Man brauchte also, je nachdem, perzeptiv diskursive, ikonische und anderen Darstellungsformen zur genaueren Gestalt- und Funktions-, Handlungs- und Dramatisierungsstruktur der »Spiel-Räume«. In Bourdieus Worten gilt es, »eine dynamische Analyse von Erhalt und Veränderung der Distributionsstruktur der wirkenden Eigenschaften und damit des sozialen Raums auf[zu]bauen.« Das, heißt es, »ist gemeint, wenn ich den gesamten sozialen Raum als Feld beschreibe [...], als ein Kraftfeld, [...] ein Feld von Kämpfen [...] zu Erhalt oder Veränderung seiner Struktur«.251 Aber womit soll die Analyse beginnen, wenn nicht mit der Geschichte und den Geschichten, dem zerstreuten Wissen von dem, was da mit der ›Verteilung von Machteffekten‹, die den ›sozialen Raum‹ ausmachen, gemeint ist? Erst aus diesem Wissen heraus wird es vielleicht hilfreich sein, der Struktur, ihrer Modellierung, Gestaltung und ihrem Ausdruck im Sinne dessen, was sie strukturiert, zur eigenen Darstellung zu verhelfen. Nur im Verständnis einer inszenatorisch ›scholastischen‹ Annonce wäre ihr Ergebnis, weil scheinbar als objektive Erkenntnis deduktiv abgeleitet, beschreibbar. Tatsächlich fände sich hier im Rahmen der Zusammenstellung einer Episteme als Verfahren nicht mehr, aber auch nicht weniger als eine selbst interessierte Verlautbarung und Anzeige strategischer Interessen. »Zwischen der Wissenschaft und der Erfahrung gibt es das Wissen [...]; tatsächlich bestimmt das Wissen den Raum, in dem Wissenschaft und Erfahrung trennen und wechselseitig in Beziehung treten können«. Erkenntnis bedeutet erst die dauernde Existenz dieses wechselseitigen In-Beziehung-Tretens. Das direkte Zusteuern aber auf die »Erkenntnis« – bei Heidegger ist der Satz ähnlich verbürgt – »läuft auf eine Verneinung des Wissens hinaus.«252 Von hier aus relativiert sich jede Moralisierung oder Heroisierung der theoretischen oder wissenschaftlichen Entwurfsarbeit, auch der szeno-grafischen. ›Offizialisierungsstrategien‹ & Inszenierung. Realismus & Handlungsethik
Bourdieu kommt schließlich, überraschenderweise, zu einer ganz ähnlichen ›dialektischen‹ Beurteilung der Handlungsmoralität auch offensichtlich unlauterer Inszenierungsstrategien wie Kant, allerdings übernimmt er sie in der Version Rochefoucaulds:253 Die Betrachtung der gesellschaftlichen Doppelmoral ist zwar kaum geeignet, hoffnungsvoll in die Zukunft zu schauen. Aber gerade dies ist »alles andere als zum Verzweifeln. In der Verletzung von Maximen und Gesetzen zeigt sich deren Anerkennung. Auch die Heuchelei ist am Ende mit Rochefoucauld nur »die Huldigung, welche das Laster der Tugend darbringt.« Zunächst aber stellt Bourdieu solche »Existenz von Strategien zweiten Grades« als »metadiskursiv oder metapraktisch« hin. Sachlich handelt es sich um das, was er auch »die Form wahren« nennt – keine Frage, im Zweifelsfall die Beschönigung einer Gewalttat. Im Klartext ist diejenige Inszenierungspolitik gemeint, mit der die Akteure »den Anschein der (im Handeln oder als Absicht zum Ausdruck gebrachten) Konformität mit einer allgemeinen Regel zu erwecken« versuchen, »wenn ihre Praxis im Widerspruch zur Regel steht oder nicht die pure Regeltreue zum Prinzip hat«. Der Mechanismus des Arguments funktioniert dialektisch. In Widerspruch gesetzt, ließe Kant den Gesetzesverstoß kaum als maximengerechtes Handeln durchgehen. Bourdieu spricht also von ›Aufhebung‹. Sich zumindest den »Anschein der Tugend« zu geben ist geboten, um den Mehrwert einzufahren, der mit dem Befolgen der
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»Offizialisierungsstrategien, mit denen die Akteure dem offiziellen Glauben der Gruppe ihre Reverenz erweisen«, verbunden ist. Nur so ist die Anerkennung des Einzelnen durch die Gruppe zu sichern. Da Anerkennung auf Gegenseitigkeit angelegt ist, ist die Anerkennung der anderen, Gruppe oder Gemeinschaft, Bedingung der Anerkennung des Einzelnen durch die Gruppe. Auf Grund dieser Verallgemeinerung der Anerkennungsverhältnisse, behauptet Bourdieu, handle es sich um »niemanden täuschende[.] Täuschungsmanöver«. Im Gegenteil soll das Verhalten eine »unbezweifelbare Respektserklärung für die Regel der Gruppe enthalten«. Die »Profite[.] der Regeltreue« sind größer als eine möglicherweise zu erwartende Abstrafung wegen Vortäuschung von Konsens – oder etwa dadurch tatsächlich angerichteten Schaden. So wird der Schaden zu Lasten der Naivität derer gehen, die sich mit der »allgemeine[n] Legitimierungsstrategie« ungenügend auskennen und sich der Illusion hingeben, man könne sie auch in Frage stellen. Im Blick auf das gesellschaftliche Leben hält die Inszenierungspolitik bei Bourdieu keine unterschiedlichen Strategien parat. Sie offeriert keine Varianten öffentlichen Bekenntnisses zu Schauspiel und Bühnenauftritt, zu erquicklichem Spiel und Unterhaltung, zu Belehrung oder Besinnung. Dass die »Verallgemeinerung« als »Legitimierungsstrategie schlechthin« zur Verfügung scheint, zielt allein aufgrund dieser formalen Qualität schon auf allgemeine Zustimmung zur Inszenierungshaltung. Aufgrund auch allgemeiner Anerkennung ist sie zudem einkömmlich im Sinne der »Verallgemeinerungsprofite«.254 Aus demselben Grund aber ist sie auch allgemein verdächtig. Denn da keine altruistische volonté générale am Werk ist, sondern egoistische Individuen um Anerkennung ringen, muss ein jeder befürchten, dass jeder andere sich der Macht des Allgemeinen versichern will – was paradoxerweise nicht nur nachvollziehbar, sondern auch »richtig ist, und zwar sowohl im ethisch-praktischen Sinne [...] als auch im kognitiv-theoretischen Sinne.« Denn »nirgends trifft dies mehr zu als im eigentlichen politischen Kampf um das Monopol auf die symbolische Gewalt, um das Recht auf die Festlegung des Rechten, Wahren, Guten und aller sogenannten universellen Werte«. Die einseitige Strategie des inszenierungsgesellschaftlichen Habitus vereint nach Ansicht Bourdieus Mächtige und Schwache. Der »Moralismus«, der durch die soziologische Kritik des Interesses an der vorgetäuschten Interesselosigkeit herausgefordert sein könnte, scheitert an der Einsicht, »daß das Interesse am Allgemeinen und der Profit aus dem Allgemeinen unbestreitbar die verlässlichste Triebkraft des Fortschritts zum Allgemeinen sind«. Wie sich herausstellt, scheitert der Moralismus also nicht gänzlich, sondern auch nur im Allgemeinen. Hieraus folgt ganz materialistisch oder »realistischer«, dass »›die Huldigung des Lasters an die Tugend‹«, wie Bourdieu zitiert, tatsächlich die »Huldigung an die positive und allgemein anerkannte Tugend« darstellt. Die Konsequenzen werden ebenso realistisch beschrieben. Der citoyen ist ein bourgeois, der politisch und sozial legitimiert ist, sich für einen Bürger im Dienste des Gemeinwohls zu halten und so in Szene zu setzen. Die »Politik der Moral« braucht dem nur Rechnung zu tragen. Dafür tut sie am besten genau das, was Kants Anthropologie als Strategie beschreibt, um diejenigen der Legitimität und Angemessenheit ihres Denkens und Tuns zu versichern, denen es in ihrem Trachten nach Macht, Geld und Einfluss am Schein genug ist. Man muss sie in ihrem Streben ermuntern, sodass sie sich »in ihrem eigenen Spiel verfangen«. Damit verbunden – und wesentlicher für eine Politik der öffentlichen Moral – ist, dass »unablässig an einer Steigerung der Kosten
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für den Verschleierungsaufwand« »gearbeitet« wird. Die etwas unglückliche deutsche Übersetzung255 zwingt beide Aspekte der Verschleierungsakkumulation in einen Satz, aber der Gedanke ist klar: Einerseits muss »unablässig« dafür gearbeitet werden, die wachsende Diskrepanz zu »verdecken[,] zwischen dem, was sich vor, und dem, was sich hinter den Kulissen abspielt.« Andererseits steigen dadurch die Kosten für den Verschleierungsaufwand, sowohl was den materiellen, finanziellen und energetischen Aufwand betrifft als auch die psychischen und ästhetischen, medial informationellen, kommunikativen und präsentativen Kosten. Warum und wo unter diesen Voraussetzungen Platz und Motiv herkommen sollten, sich überhaupt der »Aufdeckungs-, Ernüchterungs-, Aufklärungsarbeit« zu widmen, ist ohne idealische Strebung bei denen, die sich trotz aller Vorbehalte dazu entscheiden, nicht erklärlich. Folglich kann nicht überraschen, dass sie es letzten Endes »nur im Namen eben jener Werte« tun. Es sind Werte, die »der Ursprung der kritischen Wirksamkeit der Aufdeckung einer Realität sind, welche zu den offiziell vertretenen Werten von Gleichheit und Brüderlichkeit und im besonderen Fall vor allem zu denen der Lauterkeit, der Interessenfreiheit, des Altruismus, kurz zu allem, was die Bürgertugend ausmacht, im Widerspruch steht.«
Aufgegeben ist diese Arbeit an der Aufdeckung einer offenbar sich verbergenden Realität insbesondere denen, deren Verallgemeinerungsprofit man unter inszenierungsgesellschaftlichen Realitätsbedingungen für besonders einkömmlich erachten sollte: »Journalisten mit einem Riecher für Skandale, Intellektuelle[n], die die Sache des Allgemeinen bereitwillig zu der ihren machen, Juristen, denen die Verteidigung und Mehrung der Achtung vor dem Recht ein Anliegen ist, Wissenschaftler[n], etwa Soziologen, die hartnäckig an der Aufdeckung des Verborgenen arbeiten – [...] in dem Maße [...], wie ihnen die Logik ihrer jeweiligen Felder die Profite aus dem Allgemeinen sichert, die der Ursprung ihrer libido virtutis sind.«256
Gelesen ein knappes Vierteljahrhundert später, scheinen die Überlegungen nicht ohne Ironie geäußert. Sie kommen einer Bourdieu´schen Version der Rede von naher Rettung in höchster Gefahr gleich. ›Doxologische Illusion‹, soziologisch, historisch
Foucaults Bemerkungen zu den Symptomen »doxologischer lllusion« stellen eine Beschreibung von »Meinungstatsachen« unter anderem soziologischer, statistischer oder interpretativer Art in den Mittelpunkt – »wenn man die Beschreibung als Analyse der Existenzbedingungen einer Wissenschaft gelten lässt«.257 Erster Bestandteil solcher Illusion ist zu glauben, die Fakten der Darstellung seien statt von einer strategischen Positionierung im Spiel des Bedeutenlassens direkt von den unterschiedlichen Interessen der handelnden Charaktere oder deren mentaler Einstellung abhängig. Neben diesem »Einbruch des Nicht-Wissenschaftlichen (des Psychologischen, des Politischen, des Sozialen, des Religiösen) in den spezifischen Bereich der Wissenschaften« fördert die Illusion zum Zweiten doxologischen Essentialismus. Er besteht darin, fälschlicherweise anzunehmen, die beschriebenen Tatsachen bildeten tatsächlich den Kern oder das Zentrum einer Gesamtheit wissenschaftlicher Aussagen, die Meinung »manifestiere die Instanz der grundlegenden (metaphysischen, religiösen, politischen) Entscheidungen«. Ansonsten fänden sie sich in oberflächlich positivistischer Form in der Zerstreuung einzelwissenschaftlicher Konzepte und ihrer Begrifflichkeit; doch sei
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dies nicht mehr als ein Auftritt in einer »sich selbst nicht durchschauende[n] Maske«. Soweit Foucault in der Archäologie. Die Kritik, die wir am Beispiel Bourdieus exemplarisch einbringen, ohne Bourdieus Darstellung als durchgängig doxologisch angesteckt zu behaupten, läuft im Sinne Foucaults darauf hinaus, dass die Doxologie das epistemische Feld eines Diskurses zwischen Erfahrung und Wissenschaften als »Ort und Gesetz der Formation theoretischer Optionen« wenn nicht eliminiert, so doch als solches nicht funktionsgerecht qualifiziert. Die Relativierung scheint dabei weniger mit der Methode des Forschers selbst zu tun zu haben als mit einem soziologischen Comment, in dem die Würdigung eines ›Dazwischen‹ des Sozialen nicht opportun erscheinen mag. Dies unterstützt den Eindruck durchgehender Formalisierung.258 Was die Praktiken der ›Inszenierungskünste‹ betrifft, die als solche zu formieren ebenfalls nur aus Stücken einer als ›Inszenierungswissen‹ zu charakterisierenden Episteme extrahiert werden kann, treten die Defizite, die daraus resultieren, solche Optionen zu übersehen, deutlich zutage. Die von Bourdieu analysierte Strategie, die Dinge nicht bei ihrem Namen zu nennen und die Form zu wahren, erscheint einerseits als strategisch hermetisch und alternativlos. Andererseits aber, soweit an den Vorrang der symbolischen Ökonomie, eines Austauschs symbolischen Kapitals gebunden, zeigt sich die Strategie historisch determiniert. Sie passt für Verhältnisse, in denen die Macht, die mit solchen Kapitalien ausgestattet ist, das Regiment führt. Dem gegenüber steht die Dominanz einer Ökonomie der »ökonomischen Ökonomie«, die »so viel ökonomischer« ist als die Ökonomie des symbolischen Tauschs. Die unökonomische Verausgabung »symbolische[r] Konstruktionsarbeit [...], die objektiv der Verschleierung der objektiven Wahrheit der Praxis dient«, kann sie ersparen. Sie gibt die Verhältnisse zu, wie sie sind, steht zur »Verallgemeinerung des Geldverkehrs und des Geistes der Berechnung«.259 Der historischen Relativierung der »ökonomischen Ökonomie« entspricht die historische Sicht auf die Hochzeiten der Symbolmächte. Die »Verklärung der ökonomischen Beziehungen und vor allem der Ausbeutungsbeziehungen« erscheint daher in dieser Perspektive als Charakteristikum einer vorindustriellen, vorkapitalistischen Gesellschaftsordnung. Sie soll mit der »Verneinung der Ökonomie« einhergegangen sein, da sie sich einseitig aus symbolischer Ökonomie speiste. Niemand, der Bourdieus Œuvre studiert, wird zu dem Schluss kommen, dass diese überspannte These darin letztlich bestätigt wird. Dabei sollte man meinen, dass der Ethnologe und Soziologie über die Unterscheidungswerkzeuge verfügt, mit denen die Varianten der Inszenierungsstrategien historisch wie damit verbunden gesellschaftsspezifisch zu differenzieren wären. Doch ist in dieser Beziehung ein gewisser Formalismus zu beobachten, der sich in einer allzu schnellen Generalisierung im Wesentlichen dreier soziokulturell ganz unterschiedlich gelagerter Usancen der Machtinszenierung niederschlägt. Dagegen wäre es geboten, zu unterscheiden: zunächst die Handhabung im Rahmen der mittelalterlichen und frühneuzeitlichen Feudalkultur von den Formen des Regiments, wie sie sich mit den Revolutionen des 18. und 19. Jahrhunderts in den Formen mittelbarer Herrschaftsausübung für die Moderne unter Konditionen repräsentativer Volkssouveränität herausbilden. Des Weiteren sollten beide Varianten wiederum nicht strategisch identifiziert werden mit der Verfügung über symbolische Kapitalien in den Tauschkulturen fremder Völker und den mit ihnen verbundenen materialen Ökonomien, Verhältnissen, worüber die Forschungen der Ethnologie und
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Kulturanthropologie Auskunft geben. Allen Unterschieden zum Trotz aber verklärt Bourdieu die Gemeinsamkeiten. Als allgemeines Kriterium gilt ihm dabei die Fixierung auf die symbolischen Güter. Wir erinnern: Bei Kant figuriert an dieser Stelle die Trias der Mächte, ähnlich bei Nietzsche. Anders bei Bourdieu. In individueller und in die Zeit zurückschauender Perspektive wird die Bedeutung der Ehre im sozialen Verkehr zum Kriterium. Kollektiv erkennt man sie vor allem an der absichtslosen und nichtkalkulierenden Praktizierung des Gabentauschs. Beide Indizien verweisen auf die Dominanz der »familialen Ökonomie«. Was Kant in die beiderseits gesellschaftlich gültigen Dispositive indirekter Beherrschungskunst und transparenter Assoziation gegeneinander autonomer Individuen auseinanderlegt, Dispositive, die selbst als Momente in einem schwerer wiegenden, zudem sich verändernden Kraftfeld ökonomisch und politisch agierender Mächte auftreten, erscheint bei Bourdieu zumindest in einer seiner Darstellungsdimensionen als geschichtliche Abfolge verdeckter beziehungsweise offensichtlicher Produktions-, Wirtschafts- und Machtverhältnisse. Was Hegels Dialektik als Auseinandertreten des individuellen Bewusstseins und Fügung des Zwiespalts in die freiwillige Unterwerfung unter eigene Herrschaft in der Form eines Allgemeinen identifiziert, teilt Bourdieu in unterschiedliche historische, ökonomische und soziologisch ethnologische Territorien und positiviert so die jeweils herrschenden Ökonomien als materialiter herrschende. Hegel dagegen erklärt, soweit die philosophische Diagnose die Gedanken der Zeit zum Ausdruck bringt, sowohl die zukünftige Freisetzung der Arbeit als auch deren Selbstunterwerfung unter die durch sie selbst legitimierte politische Ökonomie inklusive der notwendigen Form dieses Verhältnisses als Schein von Freiheit, Gleichheit und Gerechtigkeit. Im Feld der Kultur kann die ökonomische Ökonomie nur vermittelt zur Durchsetzung ihrer Ansprüche gelangen. Eine inszenierungspolitische Identifizierung der Strategien zugleich handelnder wie betroffener Akteure, die zudem keineswegs nur in Inszenierungsdispositiven dieser oder jener Art gefangen sind, kann gar nicht ins Auge gefasst werden. Denn der analysierte Habitus des So-Tuns-als-ob ist rundum positiv zu handhaben. Als solcher gilt er in solcher Darstellung immer nur positiviert. Gibt es Doppeltes, bleibt es »im Impliziten« unerkannt. Oder die Haltung tritt ›einfach‹ auf, in der alleinigen Form der Anerkennung und Zustimmung zu ihrer erscheinenden Oberfläche. Der Wissenschaftler identifiziert das Gesundreden (»Sprache der Verneinung« und der »Euphemismen«) und die Positivierung der symbolischen Ökonomie in szenischem Austausch und Sprachspielen (»doxische Unterwerfung unter die Befehle der Welt«, »mentale Strukturen [...] im Einklang mit den Strukturen« der befehlenden Welt). Aber der Soziologe ist es, der dieser Welt die symbolische Ökonomie verordnet.260 Dabei ist weder genau bestimmbar, welche ›Welt‹ in welchen Grenzen genau gemeint ist, noch in welcher Weise die »ökonomische Ökonomie‹ aus der symbolischen ausgeschlossen ist, wenn Ökonomie mehr als ein Name ist. Jedenfalls ist kaum haltbar, dass derselbe Inszenierungsdiskurs schon für Zeiten zu erhärten wäre, für die das Schauspiel derjenigen, denen die Mittel zur Verfügung standen, Souveränität, Reichtum und Macht in Szene zu setzen und die eigene Magnifizenz anerkennen zu lassen, bezeugt ist. Es war ein ständisches Schauspiel, in weiten Teilen von »Produzenten für Produzenten« in Szene gesetzt, von Fürsten für Fürsten, Adeligen für Adelige, nachahmend von Bürgern für Bürger, Zunftgenossen für Zunftgenossen, in eigenen Bahnen von Bauern für Bauern, auch »Unterständischen« für
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solche ohne Stand.261 Die höfische Präsentation und Repräsentation mit den Strukturen des Gabentauschs zu vergleichen, wie sie durch die Ethnologie fremder Kulturen bekannt wurde, ist ebenfalls riskant. Geltend gemacht wird eine Isomorphie der Strukturen, von der nicht die Rede sein kann, wenn »Struktur« nicht nur topologische, sondern auch chronologische Modellierung, historische Relativierung voraussetzt. Der methodische Gewinn teilnehmender Beobachtung in fremden kulturellen Ambientes wird unbestritten sein, wenn die Untersuchungen in vergleichbaren, empirisch zugänglichen Forschungssettings mit vergleichbarer Vorurteilslosigkeit einhergeht. Historische Entfernungen zu überbrücken braucht es zusätzliche Instrumente. Der Vergleich mit vorbürgerlichen Zeiten europäischer Geschichte ist problematisch, wenn die Dinge in der Feudalität so zu liegen kommen, dass auf der einen Seite unmittelbare Herrschaftsverhältnisse, auf der anderen Seite ebenso unmittelbare Verausgabungsverhältnisse dominieren.262 Die Asymmetrie wird deutlich: Hier ist es zu tun um einen Tausch, der als solcher aufgrund des zeitlichen Verzugs zwischen Investition und Erlös verschwindet, dort um einen Tausch, dessen Gegenseitigkeit von Geben und Nehmen verschwindet. Was heißt für solche Verhältnisse »kollektiv gepflegte Verkennung«? Was heißt – mutatis mutandis – für moderne Produktionsverhältnisse, dass im Spiel der Mächte die öffentliche Akzeptanz vordem geheim gehaltener Interessen sich durchgesetzt habe? »Am Ende des Prozesses bildet nun umgekehrt die familiale Ökonomie die Ausnahme«, die Akteure müssen sich nun eingestehen, »dass sie sich von Interessen leiten lassen und die kollektiv gepflegte Verkennung abschütteln«. Die bourgeois machen nicht nur Geschäfte, sondern geben auch zu, dass sie deshalb »da sind, um Geschäfte zu machen«, da sind, um sich »interessegeleitet zu verhalten, um zu berechnen, Profit zu machen, zu akkumulieren, auszubeuten«.263 Als ob es den citoyen nicht gäbe, er nicht gerade erst erfunden worden wäre als Inbegriff eines staatsbürgerlich gemeinsinnigen Altruismus. Jedenfalls anerkennen Staat und Recht die neuen Verhältnisse, beschleunigen ihre ungeschminkte Akzeptanz durch Freisetzung eigener »Sprengkraft«, um so die überkommenen, widersprüchlich gewordenen Verhaltensformen – allgemein die Widersprüche durch Überlagerung von symbolischer Ökonomie und neuerdings eingeführter »Ökonomie als Ökonomie« – schneller noch aufbrechen zu lassen. »Der Staat hat die Nachfolge der Einheit Familie [...] angetreten«, sowohl im Binnenverkehr als auch im Tauschverkehr zwischen den Generationen.
Verzicht, Anerkennung, Konsekration – Ökonomie, Politik, Religion Für die Kultur gilt Vergleichbares, indes mit umgekehrten Konsequenzen.264 Finden sich in der Kulturproduktion die »meisten Merkmale der vorkapitalistischen Ökonomie« und als »[E]rstes die Verneinung der Ökonomie«, werden die negativen Sanktionen nun zu positiven. Die Autonomie der Kunst geht verloren im »Maße [...], wie die Felder der kulturellen Produktion ihre Autonomie verlieren«. Als wirkliche Kunst, zeitgemäß, ist folglich eine scheiternde Kunst zu betrachten, eine, die erfolgreich ist, »ohne verkauft, gelesen oder gespielt zu werden usw.« Die Schlussfolgerungen Bourdieus verstehen sich aus der historischen wie genrespezifischen Strukturierung bestimmter Felder. Das kulturell künstlerische, literarische, philosophische, wissenschaftliche Feld, gut aufgehoben in der vorkapitalistischen Ökonomie, weil dort vermeintlich frei von Zwängen einer ökonomischen Ökonomie, gerät nun unter die Räder des Marktes und seiner Gesetze. Während es in anderen Feldern aufgrund der doxa von Feldaktiven opportun erscheinen soll, dass Anerkennung, Macht und Reichtum unmittelbar aufgrund von Stärke, Durchsetzungskraft und Leistung zu
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erwerben seien, bleibt es im Bereich von Kunst und Kultur bei der internen, symbolischen Anerkennung. Freilich ist die profitabel. Ein Maler muss von einem anderen Maler anerkannt sein, der als von anderen Malern anerkannt gilt. Somit ist er ein Akteur »der Welt der Kunst«. Das ist jemand, der die Macht hat »zu sagen, wer ein Maler ist«. Die Konsekration muss »im Museum vollzogen werden, das ihn [den zu Konsekrierenden – HW] als Maler anerkannte und die Macht hatte, seinen Akt als künstlerischen [!] Akt anzuerkennen«. Das »Kunstmilieu« schließlich »mußte zur Anerkennung dieser Art der Infragestellung seiner Anerkennung bereit sein.« Alle Interaktion in den so qualifizierten ›Feldern‹ geschieht nach diesem Muster. Es zeigt eine interne Magie und Konsekrierung, die auf einem »Glauben« beruht, »das heißt, den in diesem Feld gültigen Wahrnehmungs- und Bewertungskategorien«. Der Glauben geht auf diese Weise unmittelbar aus dem Feld der Wahrnehmung und Bewertung selbst in seine Darstellung, eine Geschichte des Glaubens über. Bleibt der Habitus im Feld einer herrschenden symbolischen Ökonomie eindimensional symbolisch aufgrund einseitiger Verschwendung, bleibt er unter Bedingungen einer ökonomischen Ökonomie eindimensional territorial für die Gebiete, deren Umgangsformen er bestimmt. Im Kulturellen bevorzugt er seiner Profite wegen die künstlerische Form, will kulturelle Anerkennung. Die ist in Wahrheit keine künstlerisch kulturelle Anerkennung, sondern staatlich institutioneller Art, die sich über diesen Umweg ökonomisch auszahlt. Man muss also vermuten, dass die ökonomische Ökonomie staatsmonopolistisch gesteuert ist und keine unmittelbar raumgreifende, medial technologisch und technisch weltweit operierende Wirtschaftsverfassung, die sich als einige ihrer Medien auch der staatlichen (politischen) und privaten (gesellschaftlichen) Institutionen und Einrichtungen bedient. In Widerspruch steht demnach die »reine Kunst« zur »kommerziellen Kunst« als Kunst dadurch, dass sie sich den »kollektiven Erwartungen« an ihre Unterwerfungsleistungen unter die Anerkennungsgepflogenheiten in demjenigen Sub-Universum, zu dem sie offenbar gehört, nicht beugt. Sie verweigert die Legitimation durch Verfahren. – Bourdieu nennt als Beispiel für das ausgehende 19. Jahrhundert die Arts incohérents, deren Programmatik dann in den 60er Jahren des 20. Jahrhunderts noch einmal von den Concept-Art-Künstlern aufgenommen worden sei, und verschweigt nicht, dass die Anerkennungsverweigerung sicher ihren Grund hatte, wenn die Protagonisten selbst ihren Beitrag am Ende als »Künstlerulk« verstanden – zweifellos ob dieses negativen Effekts.265 Tatsächlich sind die Unterscheidungskriterien zur Qualifikation künstlerisch literarischer oder philosophischer Werke, die angeboten werden, soziologischer Natur. Die Beschreibungsmerkmale gehen dabei aus der im (konstruierten) Feld gewonnenen Erfahrung selbst hervor. »Das Feld«, als Spiegel oder Schirm, worauf die darauf vollzogenen Spielzüge zu sehen sind, ist dasjenige Agens, das die Züge für den »Erfolg in der Welt« getrennt erscheinen lässt von den Erfolgen ihrer »spezifischen Konsekrierung«. Das Feld macht die Regeln deutlich, die für es gelten. Gewinnen kann nur, wer als Spieler die Weihen der einschlägigen Autoritäten nachweist. Ganz offensichtlich handelt es sich um ein religiöses Feld. Denn erst wer derart geheiligt hervortritt, kann als interessefrei Handelnder durchgehen, obwohl er es nicht ist. Erst mittels der Durchsetzung dieser Regeln »schafft das künstlerische (oder wissenschaftliche) Feld die Bedingung für die Setzung (oder Entstehung) eines echten Interesses am interessefreien Handeln (dem Äquivalent des Interesses an der Großmut in den auf der Ehre gegründeten Gesellschaften)«. Im Klartext: Die Maske, die interesselos erscheinen lässt, verhilft den darunter verborgenen egoistischen Bedürfnissen dazu, sich in der
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Gesellschaft durchzusetzen, wenn die Verkleidung anerkennungswürdig gerät und faktisch Anerkennung auch einbringt. Vielleicht mag das stimmen, wo Einsatz und Leistung sich tatsächlich allein darauf beziehen, dem Verfahren zu vertrauen, wie es sich gestaltet, welche Bekenntnisse und Glaubensleistungen es abverlangt, und den Gesten nachzukommen. Schon dann aber, wenn es gilt, den Glauben durch »gute Werke« glaubhaft zu machen und dies nicht in der Art erledigt werden kann, dass sie nur vorgespiegelt erscheinen, werden Hirte und Herde den Schäfchen, die glauben, auf diese Weise dazugehören zu können, genaueren Bescheid geben. Dass es in Kunst oder Wissenschaften genug wäre, als Leistung – ›Gabe‹ – lediglich gewissen Ritualen in gewissen Szenarien zu entsprechen, gewissen Zeremonien zu folgen und gewisse Weihen nachzuweisen, ansonsten aber keine produktiven Effekte beizusteuern, dass solche Gewohnheit deshalb genügte, »vernünftig« erschiene und »belohnt« würde, weil sich die genannten »Universen« gerne selbst als »verkehrte ökonomische Welt« in Szene setzen, ist rundum unwahrscheinlich. Das gilt auch, wenn Künstler, Wissenschaftler oder Gläubige dazu neigen sollten, »den Wert [ihrer] Arbeit und [ihrer] Zeit zumindest implizit in Geld zu veranschlagen«. Ein »verdrängter homo oeconomicus« wird von der Verdrängung nicht leben können, auch wenn die Gesellschaft sich dahin entwickelt hat, dass »mit der Verallgemeinerung des Geldverkehrs das Streben nach Profitmaximierung zum Prinzip der meisten Alltagspraktiken geworden ist«. Dies gilt auch, wenn er »zugleich dem ökonomischen Universum und einem der antiökonomischen Sub-Universen« angehört (Politik, Gewerkschaft usw.«). Dass das »ökonomische Universum« überhaupt als allgemeines Feld gedacht wird, ist für einen Soziologen überraschend, der auch produktive und reproduktive Mikrokosmen in Betracht zieht und eine dynamische Veränderungs- oder historische Entwicklungsstruktur annimmt. (Im Beispiel wirken das »Geld« wie auch die »Kunst« nicht als Feld, sondern als Kraft an einem »Pol« – magnetähnlich.) Dass jedenfalls eine derart ›antiökonomische‹ Haltung in Gestalt eines konkreten wirtschaftlichen Unternehmens unter Umständen gerade deshalb funktionieren sollte, »weil es nicht wirklich ein Unternehmen ist, weil es sich als Unternehmen verneint« – wie zum Beispiel in kirchlichen oder caritativen Unternehmen –, wird den dort Arbeitenden nur unter der Voraussetzung, dass sich der Antiökonomismus nichtsdestotrotz unternehmensund wirtschaftskonform verhält, Umsätze und Gewinne macht und Löhne zahlt, gefallen können. Denn die Arbeitskraft muss sich daran orientieren, was als Preis für die Ware gezahlt wird und ob sie die nachgefragte Ware anbieten kann. Ein symbolischer Mehrwert wird sich nur zusätzlich ergeben können, nicht ersatzweise. Auch wenn die Quellen dieses und jenes ›Lohns‹ nicht am selben Platz, bei derselben Unternehmung zu finden sind (was in der Arbeitssphären von Wissenschaft, Kultur und Fürsorge nicht selten vorkommen soll), wird man sich die symbolische Entlohnung leisten können müssen. Die Finanzbehörden, die auch an den Abgaben eines Unternehmens, das sich verneint, interessiert sind, werden sich nicht beeindruckt zeigen von der Selbstverneinung. Bestenfalls goutieren sie geregelte Tatsachen der Gemeinnützigkeit und berücksichtigen sie ausgleichend und steuermindernd. Ein in diesem Fall aussagekräftiges Indiz für eine unverschleierte »objektive Wahrheit der Praxis«.266 Am Beispiel eines künstlerischen Felds mit präzisier historischer Einordnung werden wir zeigen, dass der Bourdieu´sche Formalismus an der feldtopologischen Modellierung des Wissenschaftlers selbst kaum Halt findet.267 Um die aber geht es.
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variable schirmprojektionen
Die Erkundung im Universum Bourdieu war veranlasst von der Metaphorik, der wir in den ›Feldtiefen‹ der Lacan´schen Diagrammatik begegneten, um uns gewisser Gesichtspunkte und Aktionsradien für die ›Szenen des Subjekts‹ zu versichern. Unter dem Eindruck ausgewählter Lektürebezüge gab dies zudem Anlass, die Bewusstseinsdimension herauszulösen und im Spiegel der Vergesellschaftung‹ zu betrachten. Die gegenseitige Verschränkung objektiver Verwicklung und individueller wie kollektiver Anstrengung möglicher Befreiung daraus sollte auf diese Weise erhellen. Eingedenk der Warnungen Deleuzes und Guattaris vor einer allzu eilfertigen Bebilderung und Formatierung direktiver Raum- und Zeitzuschnitte, ihrer Erwägungen zu Rhizomatik, Nomadologie und Vagabundentum, angesichts Serres´ Reflexionen zur »Passage« sahen wir uns herausgefordert, zumindest eine Probe auf den Wechsel von Aggregatzuständen, Medien und Perspektiven einzustreuen. Wir schlossen daraus auf die tatsächliche Freiheit topologischer, diagrammatischer und szenografischer Modellierung der Denk- und Gestaltungswege, sahen darin aber nur eine Variante im Kontext wesentlich zeichen- und interpretationsfokussierender fiction oder, seriöser ausgedrückt, außerhalb des Konstruktions- und Erzählraums strategisch nicht weiter ambitionierter Literatur, Philosophie und Wissenschaft. Mit dieser Beurteilung ist weder die Behauptung verbunden, dass diese Produktionssphären und ihre Leistungen im Kräftespiel des Alltags, der Institutionen, der Ökonomien keine Rolle spielen, noch dass die Fiktionen nicht jederzeit in dienlich medialisierten Formaten zu Zwecken politischer Positionierung funktionalisiert werden könnten. Die vorliegende Darstellung sieht sich selbst in einem erweiterten szenografisch konzeptuellen Dispositiv engagiert, in dem es um Gestaltungs- und Handlungskompetenz in ganz gewöhnlichen Szenen, in ›Szenen ohne Theater‹ geht. Dieses Ziel im Blick, soll am möglichen praktischen Nutzen einer piktorial gefassten Metaphorik auf dieselbe Weise festgehalten werden wie an ihrer Auflösung in gewöhnlicher Textform etwa oder anderer symbolisch kodierter Darstellung. Als Kriterium gilt nach wie vor, dass sich die Bilder und davon inspirierte Vorstellungen einem operativen Diskurs einfügen, den wir als »Inszenierungsdiskurs« apostrophieren. Zu ihm durch die Zusammenstellung heterogener Versatzstücke aus seiner verstreuten Präsenz beitragen zu können gilt als Maß der strategischen Rechtfertigung auch in Hinsicht der Bilder und Metaphern, die hierfür nützlich erscheinen.
Von der Programmierung zur dynamischen Feldwirkung Die Bild-Schirm-Diagrammatik erwies sich als nützlich aufgrund der Funktionalisierbarkeit der Schirm- oder Screen-Metapher. Zwei Aspekte allerdings zeigten sich als unzureichend gelöst. Problematisch zeigte sich zum einen die Festlegung auf diskrete Zustände einzelner aggregierter Schirmsektoren in allen Ansichten vierdimensionaler Raum-Zeit. Doch lassen sich die diskreten Zustände als Formate der Objektproduktion beziehungsweise der Objektkonstanz in der Übertragung auf Subjekt- wie Objektseite rationalisieren, wenn man von gestalterisch wie inhaltlich qualifizierten Formaten absieht und lediglich den formellen oder informationellen Aspekt von Sendung und Botschaft abstrahiert. In diesem Fall vermisste die Vorstellung die grundsätzliche Berücksichtigung der Zeit und der Dynamik, wie sie von einer Prozessbeschreibung erwartet werden muss, an solchen Diagrammen nicht. Ein weiteres Problem stellte die Vermittlung von Sinnzusammenhängen allein mit Graphen dar. Hier wird die Aufgabe weder auf topologischem noch auf topografischem Niveau zu bewältigen sein,
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iii raumstrategie & entwurfsdiagrammatik
wenn nicht geklärt ist, um welches Spiel es sich bei der Darstellung handeln soll, ›real‹ oder ›fiktional‹, gleichviel. Es muss klar sein, in welchem Universum Aussagen, Argumente und Schlussfolgerung gelten sollen. Soweit das Resümee zur Leistungsfähigkeit der Bild-Schirm-Diagrammatik für inszenatorische Anwendungen expositiver und exekutierender Art auch auf dem Boden ganz alltäglicher Interaktion, Kommunikation und Auseinandersetzung. Anhand der diskutierten Figuren sollten Bedeutungen nicht aufgrund neuerlicher Intention und Adaption einfach ersetzt werden. Vielmehr bewegten wir uns in einem der oben skizzierten Modelle des Typs (e), in dem Diagrammvorschläge Lektüreüberarbeitungen erfahren, angepasst und, nicht ohne Rückwirkung auf den Auffindungszusammenhang, für neuerliche Entwurfsprozesse genutzt werden. Die Erweiterung des Screen-Modells im Sinne medienanalytischer Raumdiagrammatik lässt erklären, wie es durch Selektion, Rekombination und Konfiguration auf der Grundlage von Programmierung und Nutzerkompetenz zu Bedeutungen kommen kann, sodass Einsetzungen vorgenommen und Überprüfungen durchgeführt werden können. Das gespiegelte oder gedoppelte Subjekt-Objekt/Blick-SchirmModell (die gedoppelte Abb. 5 oben) müsste allerdings technisch entsprechend formalisiert beschrieben werden. ›Turing-Topologie‹ & ihre Grenzen
Eine Variante ergibt sich auf dem Bildpfad der Screen-Metapher. Screen würde, naheliegend, im Funktionszusammenhang einer digitalen Rechnerkonstellation interpretiert, indes nicht als Sicht- und Eingabeoberfläche an der Schnittstelle einer realen Maschine fungieren, sondern als Programmierband einer theoretischen Maschine – was zu Klärung der Ontologie auch einer piktorialen Darstellung beitragen sollte. Die Repräsentationen auf beiden Seiten der Projektionsoberflächen im Kugel- (oder Ellipsoid- bis Flächen-)Modell, in ihrem Design mehr oder weniger Leistungen darstellender Geometrie, verstünden sich demnach als abhängig von der Steuerung durch eine Turingmaschine. Die Maschine hätte die Aufgabe, die Repräsentation auf Basis von Algorithmen und Programmen zu steuern. Das Speicherband übernähme die Funktion, zu aggregierende Ausdrucksformate aufzunehmen. Ähnlich einer analogen Vorstellung, gehören Programmierbefehle oder anweisungen (Formatierungsentscheidungen) und ›Text‹ dabei gleicherweise zum ›Inhalt‹, allerdings in einheitlicher binär kodierter Sprache. ›Text‹ kann deshalb auch aus weiteren Programmen oder Unterprogrammen bestehen. Leere Felder gelten ebenfalls als programmiert und auslesebefohlen. Die Lese-Schreibfunktion würde, soweit schon programmiert (was für unsere Verwendungen generell anzunehmen ist), die kodierten Abschnitte zur Lektüre bereitstellen. Auszulesen erfordert Programmkenntnisse und Transferier- (Assembler-)Kompetenzen zur Übersetzung (Disassemblierung) der Maschinensprache in ›verständlichere‹, sogenannte »mnemonische Sprachen«. Programmiersprachen- und Programmierkundige können die Veränderung einsehbarer Information betreiben oder eigene Programme schreiben. (Fragen nach der Rechteverteilung, den Akteuren und Agenzien wie ihren Kenntnissen und Kompetenzen im Einzelnen bleiben, wie gesagt, unbeantwortet, allemal auf dieser Abstraktionsebene.) Aufgrund der binären Struktur der zugrunde liegenden Sprache eignet sich die Diagrammatik der Turing-Topologie besonders zur Visualisierung einer MenschMaschine-Kommunikation oder von informationellem Objekt-Austausch. Zwar ist die direkte sinnlich leibliche und emotionale Ansprache durch Objekt-, Bild-, Wort-,
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Ausdrucks- oder Zeichenbildung auf Diagrammebene noch kaum vorstellbar und entsprechend auch keine affektive Reaktion oder libidinöse Besetzung gegenüber der (beispielsweise) grafisch präsentierten Metapher einer theoretischen Maschine zu erwarten. Dafür aber wäre auf Basis dieses informatisch maschinellen Mediendispositivs eine relative Formatierungsfreiheit für alle Nutzer vorstellbar – mit entsprechenden Konsequenzen für die resultierenden Muster und Bedeutungen. Vorauszusetzen, allerdings, wären neben unbeschränktem Zugang hinreichende Kenntnisse und Fähigkeiten im Umgang mit den Daten. Die skizzierte Vorstellung ist nicht neu, sondern wurde im Zuge der technologischen und technischen Entwicklung der Turingmaschine vor allem seit der flächendeckenden Bereitstellung von Rechnern und der Vernetzungsmöglichkeit bis dahin stand-alone genutzter Geräte in den reichen Volkswirtschaften intensiv diskutiert, ganz unabhängig davon, ob das Funktionsschema zum Gebrauch diagrammatisiert wurde oder nicht. Die hypothetischen, sicher noch zu optimistischen Schlussfolgerungen finden sich zum Beispiel in Lyotards Postmoderne-Analysen, die skeptische Beurteilung begegnet in den Schriften Baudrillards. Die technische Vertiefung und Erweiterung der Turing-Diagrammatik zeigt, dass es sich um ein unrealistisches, von der wirklichen szenischen Interaktion weit entferntes Szenario handelt, auch und gerade angesichts entfaltet medialisierter und korrumpierter Bewusstseins- und Praxisumgebungen. Dass diese Umgebungen maschinengerecht eingerichtet erscheinen, besagt, dass ihre Modellierung erkenntnisspezifisch kaum geeignet sein kann, Verhältnisse zu illustrieren, die von der doppelten Anwesenheit eines Anwesenden und eines Nichtanwesenden gezeichnet sind, am Schein wenn nicht genug haben, doch davon zehren oder darunter leiden können.268 Die diskutierte Figur funktioniert nicht als Kippfigur, wie es wünschenswert wäre. Abgesehen davon, aber damit verbunden, fehlen der Darstellung alle Parameter, aus denen die Rechteverteilung zu entnehmen wäre. Dazu allerdings liegen hinreichende Informationen aus dem Inszenierungskontext selbst vor, sodass man sich über die Chancen, auf dieser Ebene zu einer realistischen Modellierung vorstoßen zu können, nichts vorzumachen braucht. Um mit dem Skeptiker zu reden: »Das Andere, das Objekt, verschwindet am Horizont der Wissenschaft [und Technologie – HW]. Das Ereignis und der Sinn verschwinden am Horizont der Medien.«269 Das Ergebnis ist unbefriedigend im projektiven Verständnis, indes nicht im Sinne der Abklärung, der Begutachtung geeigneter szenografischer Werkzeuge im realen, fiktiven oder hypothetischen Gebrauch. Die Defizite und Leerstellen der letzten Schematisierung sind gerade dort zu markieren, wo im Spielplan die Auseinandersetzung individueller und kollektiver players und agencies vorgesehen ist. Genau dort fordern auch die Gewichte ihres Einflusses aufgrund unterschiedlicher Kapitalien, über die sie verfügen, dass sie im Plan berücksichtigt werden. Doch Kollektive und Gruppen sind in der Diagrammatik noch gar nicht verankert. Dazu aber wandten wir uns überhaupt den soziologischen Erörterungen Bourdieus zu.
Kräftediagramm der Anerkennung. Korrespondenz homologer Strukturen Die Anleihen bei der Feldmetaphorik in Richtung dynamischer Feldbilder auszudehnen und ihre Leistungsfähigkeit zu prüfen, das Kräftespiel samt seiner Verlagerung in der Zeit darzustellen erscheint sinnvoll. Hierbei greifen wir auf ein Beispiel Bourdieu´scher Diagrammatik zurück, das vom Autor selbst hinsichtlich seiner Mächtigkeit gerade zur Darstellung von Kraftfeldern empfohlen wird.270 Ein weiterer Vorteil liegt darin, dass das Schema Figur aufgrund der exemplarisch feldspezifischen Wirkungen, die
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demonstriert werden, im Kontext der Inszenierungsfrage brauchbar ist. (Die Frage der Reichweite im soziologischen Kontext der Abhandlungen Bourdieus und ihre Rechtfertigung wird dagegen im Hintergrund bleiben.) Der Leser stößt auf besagtes Diagramm im Zusammenhang eines Plädoyers. »Für eine Wissenschaft von den kulturellen Werken«271 ist es überschrieben. In diesem Sinne geht es um die »Felder der kulturellen Produktion«, die, wenn man sich der Feldmetaphorik bedienen wollte, gewissermaßen das zentrale Feld sowohl inszenatorischer Performance als auch einer möglichen Inszenierungsplanung darstellen. Dies erlaubt, statt vom »Feld«, von einem »Diskurs« zu sprechen, nun aber in der Definition Foucaults! Hier nämlich sind Positivitäten, Ereignisse und Handlungen, Gestaltungen und Artefakte, eine Menge von heterogenem Material vorgesehen, die, territorialisiert und zugleich ›universalisiert‹ (als »Universum« ausgewiesen) in anderen Feldern oder Universen als dem der Kultur keinen vergleichbaren Zugang zu den Inszenierungsdispositiven fänden. Die Darstellung dient für Bourdieu der Illustration seiner Feldtheorie. Ausgeführt im thematischen Zusammenhang eines Vortrags, möchte der Gelehrte den feldtheoretischen Ansatz nutzen, um einer »derart kurzschlüssigen Rückführung entgegenzutreten«, wie sie nach seiner Vorstellung die strukturalistische Werkanalyse notorisch mit sich führen muss. »Reduktionistisch« heißt in diesem Zusammenhang, dass ein literarisches Werk auf seinen Text, von dort auf die Botschaft und von der Botschaft auf die Struktur der Botschaft zurückgeführt wird. Reduktionistische Konsequenz ist, wenn der Zweck einer kulturellen Hervorbringung sich darin erfüllt, dass gezeigt wird, wie alle Funktionen eines Werks mit der Strukturierung seiner Botschaft zusammenfallen. Der »Struktur als Sprache«, so Bourdieus Vorwurf, werde dabei keine Beachtung geschenkt, ebenso wenig erführe die Autorschaft die ihr zustehende Würdigung. »Priester, Juristen, Intellektuelle, Schriftsteller, Dichter, Künstler, Mathematiker usw.«, die maßgeblichen »Produzenten«, werden vergessen. Abb. 8
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Die Einführung des »Felds« soll die Kräfteverhältnisse ebenso darzustellen erlauben wie die Effekte der Kraftentfaltung im Einzelnen. Den Darstellungsraum »Feld« braucht es nicht zuletzt, damit die »Strategien der Produzenten, die Kunstform, die sie vertreten, die Bündnisse, die sie schließen, die Schulen, die sie begründen [...] mittels der von ihnen bestimmten spezifischen Interessen« ein Behauptungsblatt finden. Hierauf werden die Parameter eingetragen, Kräfteverhältnisse und Kräftespiel vor ihrem »Entstehungshorizont« abgebildet. Konturiert erscheint ein Feld, das den »Raum von objektiven Relationen zwischen Positionen« zu bestimmen möglich macht. »Externe Determinanten« – wie ökomische Krisen, technischer Wandel oder politische Revolutionen –, die auf den sozialen »Raum der Produzenten« einwirken, müssen mit Hilfe dieser »relationalen Denkweise« und »vermittelt über den aus ihnen resultierenden Strukturwandel des Felds eine Wirkung entfalten«. Gewissermaßen taucht hiermit schon ein gewisses Inszenierungspotenzial auf. Alle externe Wirkung muss in den Formen und Figuren (zum Beispiel Begriffen und Prädikaten), nicht den Ausdrücken der dominierenden Feldgestaltung auftreten, um dort ihren Einfluss geltend zu machen. Um diesem Einfluss gerecht werden zu können, zeigt das maßgebliche Feld gewisse optische Qualitäten, wie ein Prisma bewirkt es eine »Brechung«. Der Einfluss der externen Phänomene ist an den internen Feldspielern und ihren Spielzügen, die sie mit- oder gegeneinander in Szene setzen, festzustellen. In welchen Abbildungsverhältnissen, welchen Winkeln oder über welche Medien weitervermittelt die Brechung erfolgt – man erinnert sich an die Idee der anamorphotischen Verzerrung –, hängt ab von den Funktionsgesetzen der dominierenden wie der externen Felder. Bei einem definierten Feld hängt es in der Dimension der Blicksteuerung ab vom »›Brechungskoeffizienten‹«, das heißt, »seinem Grad der Autonomie«.272 Der Objektivismus der Feldproduktion soll uns hier nicht weiter kümmern, der Transfer »externer Determinanten« aus über- oder untergeordneten Feldern oder Universen ins aktuelle Spielfeld erfolgt jedenfalls stets nach demselben Muster. Zusätzlich verlangt der »Stand des Systems der historisch gerade gebotenen [...] Möglichkeiten« Beachtung. Davon nämlich hängt ab, »was in einem bestimmten Feld zu einem gegebenen Zeitpunkt zu tun und zu denken möglich ist«. »System« kann mithin nur bedingt als extern determinierend verstanden werden, scheint eher eine Suprastruktur. Interessant wäre mithin, etwas über ein historiografisches Feld zu erfahren. Schauen wir auf das Kräftediagramm, hat die Analyse kultureller Werke die »Korrespondenz zwischen [!] zwei homologen Strukturen zum Gegenstand«. Dabei handelt es sich zum einen um die »Struktur der Werke« (Gattungen, Formen, Stile, Themen), zum anderen um die »Struktur des literarischen (oder künstlerischen, wissenschaftlichen, juristischen usw.) Felds, das nun ausdrücklich als »Produktionsfeld« wie als »Kampffeld« apostrophiert wird. Sprechen wir über Felder der kulturellen Produktion und den Kulturkampf. »Kampf« ist hier, wenn man absieht von den handfesten Querelen der Kulturproduzenten, bei denen es zum Armbruch kommen kann, ein Bild. Die Metapher steht für die Beeinflussung der »Struktur des Felds der Formen, welche Mittel wie Gegenstand dieser Kämpfe sind.« Die Kämpfer sind Einzelakteure (Autoren, Künstler ...) und Institutionen (Verlage, Museen ...). Die Akteure beziehen »feldspezifisch[e]« und/oder »nicht-feldspezifisch[e]« strategische Positionen, die abhängig sind von der Stellung, die sich Autoren oder Institutionen »in der Struktur des Felds« erworben haben. Der Singular »Feld« ist so zu verstehen, dass es um die Stellung in Kunst, Literatur, Wissenschaft, Philosophie im Ganzen des Kulturfelds zu tun ist (»in der Distribution des spezifischen symbolischen Kapitals«).
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Sich hier Anerkennung zu verschaffen kann auch vermittels »externe[r] Berühmtheit« gelingen, aufgrund der Akzeptanz auf anderen Feldern, »politisch[en], ethisch[en] usw.« Der Erwerb von symbolischem Kapital erfolgt derart »in seiner institutionalisierten oder nicht-institutionalisierten Form«. Ruhm, prestigio, Erbe der Ehre in postheroischen Zeiten sozusagen, scheint das einzige Ziel, worauf die Handlungsstrategien der Kämpfer setzen, die um symbolische Werte streiten. Die strategischen Ziele haben formal entweder die Beibehaltung des status quo oder Veränderungen des Kräfteverhältnisses und damit der Feldstruktur eingeplant. Darauf als Handlungsgrund zu rekurrieren trägt allein allerdings keine hinreichende Rechtfertigung ein. Hinzu kommt deshalb die Kausalität der »Dispositione‹«. Man darf zurückgreifen auf die Wirkungen, die der ursprünglich erworbener Habitus verantwortet. Gewohnte Haltungen bestimmen die »Neigung« von Spielern, die wiederum ihren Willen dazu bestimmen, »die Spielregeln beizubehalten oder zu untergraben«. Auf diese Weise entscheidet sich, auf welche Art Autoren oder Institutionen ihre Existenz bestreiten. Die »feinen Unterschiede«, die verantwortlich sind für den Wert der Kapitalien, über welche die Akteure verfügen, könnte man als Positionierungs- und Positionseffekte bezeichnen. Denn Positionseffekte sind quasi objektive Wirkungen des Kraftfelds: durch »objektive[.] Relationen« »strukturierte[.] Zwänge«. Noch unabhängig von etwaigen Spielzügen im Feld, sind sie Spielern in dem Augenblick zuzuschreiben, in dem sie das Spielfeld betreten. Gezwungen allein dadurch, dass er sich positionieren muss, nimmt jeder Akteur schon Einfluss auf die Gesamtbalance der Feldkräfte. Als externe Faktoren zu berücksichtigen sind nicht allein die Anerkennungseffekte für einzelne players, die im Feld, in dem sie sich engagieren, mit all dem beschäftigen, »was zur Existenz drängt«. Immer sind »die Kräfteverhältnisse [...] in hohem Maße abhängig vom Stand der externen Kämpfe und von der Verstärkung, die die Parteien draußen jeweils finden können«.273 Feldautonomie ist relativ. Oder man würde sagen, die Metaphorik sei überanstrengt. Denn die Feldwirkungen miteinander wechselwirkender Felder in einem einzigen Bild- oder Modellzusammenhang konsistent vorzustellen scheint kaum möglich, diente kaum noch dem Zweck, Übersicht und ganzheitliche Einsicht zu schaffen. Was bliebe, wäre der Versuch, mit nachgereichten Entwürfen zu arbeiten, anhand soziologisch relevanter Darstellungen und Daten bestimmte Relationen herauszugreifen und beispielhaft zu analysieren. Das resultierende Bild wäre aufgrund dessen definitionsgemäß nicht realistisch im Abbildungsverständnis, sondern blickfixiert und strategisch interessiert, parteilich. Die Feldpositionierung dieses Blicks, Lacan erinnert, müsste dann aber selbst im Tableau erscheinen: als feldperspektivische Fokussierung von Feldperspektiven. Doch bleibt es im Kontext der vorgestellten Einlassungen bei einer feldspezifischen Perspektive, aus der heraus alle anderen Felder sich dem Blick als Umgebungsuniversum bieten. Feldgesetze sollen spezifisch gelten. Doch wenn sie ›extern‹ nicht gelten wie ›intern‹, fragt sich, welcher nomos für das Gesamtuniversum inklusive aller seiner Subuniversen gilt, ob überhaupt Gesetze mit solchem Geltungsanspruch formulierbar wären. Die Kräfteverhältnisse in einem einzelnen Feld aber sind nicht wirklich ohne Berücksichtigung aller anderen Einflussgrößen zu bilanzieren. Dasselbe gilt für die Berechnung möglicher Veränderungen in einem einzigen Kraftfeld. Ein Ding der Unmöglichkeit.
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›Fin de siècle‹: ›Kunst‹ & ›Geld‹ – Inszenierungsspiel, Modellierungsexempel
Es bleibt ein möglicher Gewinn fürs Exemplarische. Betrachten wir ein Beispiel, in dem das Kräftespiel sich mit dem von Nietzsche beschriebenen Inszenierungsspektakel der »vier Mächte« beschäftigt. Abstrakt und teleologisch wurde über das künstlerische Feld schon gesprochen, jetzt wird eine konkrete Anwendung geprüft. Der Blick fällt auf das Paris des Fin de siècle. Bourdieu teilt die Beurteilung, dass die Kulturverhältnisse, wie sie für das 20. Jahrhundert bestimmend werden sollten, sich in dieser Zeit der 1870er und 1880er Jahre strukturell festsetzen, hier allerdings unter französischen Bedingungen, die, wie Nietzsche sagt, den deutschen zumindest in puncto Geschmack, Kunst und Design weit voraus sind und als Vorbild gelten. Bourdieus Analyse erstreckt sich auf die sich überkreuzenden Beziehungen dreier Felder. Die wirkenden Kräfte korrespondieren den Mächten der Kulturkritik Nietzsches: Macht, Kapital, Kultur (Kunst und Design) und Wissenschaft. Insbesondere die beiden letzten Kräfte stoßen im Universum der Kultur zusammen. In der Verteilung Bourdieus figuriert das intern umgebende Einflussfeld der symbolischen und nichtsymbolischen Kapitalien als »Machtfeld«. Ausgehend von seinen Verwerfungen, zeigen sich Machteffekte im Kulturfeld, das hier als literarisch künstlerisches Feld der Epoche exemplifiziert wird.274 In der exemplarischen Anordnung bietet das Machtfeld (hier) externen politischen Kräften keine Bühne. Das Machtfeld erweist sich im Diagramm als rundum das Gebiet der Künste umgebendes Territorium. Die indizierten Machteffekte zeigen sich so schon in der Gestalt, wie sie wirken auf dem Feld der Kunst, sie wirken gleichsam intentional. Kunst- und Machtfeld sind ihrerseits im »sozialen Feld« situiert, gehören zu seinem spezifischen Universum. Wie die politischen Kräfte zeigen auch die ökonomischen Einflussgrößen sich nicht in der Gestalt, wie sie auf eigenem Feld Kämpfe auszutragen und sich zu bewähren hätten. Wie auch die power aus symbolischem Kapital treten die ökonomische Effekte der Realökonomie stattdessen als Strukturelement innerhalb des Machtfelds auf. (Alternativ, im Text, werden die Effekte auch als Feldwirkungen in zwei »Unterfeldern« beschrieben.) Die Kapitaleinflüsse beherrschen das konkret relevante Machtfeld, zeigen indes ihren spezifischen Auftritt darin, dass sie sich »homolog« im Kulturfeld »Literatur« ausbreiten. Allerdings tun sie es hier, im Kulturkontext, was die Kräftebilanz zwischen realökonomischer und symbolökonomischer Macht betrifft, aufgrund der »Umkehrung der Ökonomie« mit umgekehrten Vorzeichen. »Der Gegensatz von Kunst und Geld, der das Feld der Macht strukturiert, reproduziert sich innerhalb des literarischen Felds in Gestalt des Gegensatzes zwischen der symbolisch herrschenden, aber ökonomisch ›reinen‹ Kunst [...] und der kommerziellen Kunst in ihren beiden Formen, dem Boulevardtheater, das zu hohen Einkünften und bürgerlicher Konsekration ( Académie) verhilft, und der kunstgewerblichen Kunst, Vaudeville, Fortsetzungsroman, Journalismus, Kabarett.«275
Will man die bis hierhin beschriebene Morphologie diagrammatisieren, liegt die Figur eines Kreises (oder Quadrats), umgeben von zwei größeren Kreisen (Quadraten) mit gemeinsamem Mittelpunkt nahe. Dass die Territorien noch über Unterbezirke verfügen sollen, führte zu gewissen Darstellungsschwierigkeiten. Folgt man Bourdieus Vorschlag, soll die Binnenstrukturierung nämlich dynamisch angezeigt werden, grafisch in Form von Vektoren (Linien), Polen (Punkten), Knoten (Kreuzungen) oder Ähnlichem.276 Bourdieu fand demnach selbst zu einer kreativen Lösung. Das Problem
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der Darstellung eines gegenüber dem beschriebenen »Hauptgegensatz« »sekundäre[n]« Gegensatzes löst er durch Projektion einer »orthogonalen« Trennung. Die rechtwinklige Abweichung bezieht sich dabei auf die senkrechte Achse des Hauptgegensatzes. (Im Unterschied dazu steht die vorhergehende diagonale Anordnung: eine »Struktur mit Überkreuzungen«.277) Der Hauptgegensatz, das ist nachvollziehbar, durchzieht das Gesamt des sozialen Felds, seine Achse verläuft durch alle Felder, die sich im Einflussbereich der sozialen Verhältnisse, die (auch grafisch) umschließen, zeigen. Auch durchs Machtfeld verläuft diese Achse, auf welcher der Stand im Kampf um die Herrschaft, kapitalienbezogen zwischen den Polen »Kunst« und »Geld«, angegeben wird. Auf dem homologen Kulturfeld, exemplarisch von Literatur und Bühne, reproduziert sich der Gegensatz als Kampf zwischen autonomer Kunst und publikumsdominiertem Kunstgeschmack. Unter diesen Kategorien jeweils einzutragen sind die »Qualität der Werke« und die »Zusammensetzung des entsprechenden Publikums«. Auf die Pole des Machtfelds bezogen, figurieren kunstbezogen die Gegensätze von »reiner Kunst« und »kommerzieller Kunst«, geldbezogen die von »limitierte[r] Produktion, die sich selbst Markt genug ist«, und »Großproduktion«. Die Feldkräfte erweisen sich damit in ihrer dynamischen Betrachtung polar geordnet. Am Pol der größten Autonomie der Literatur finden sich die »Produzenten, die für Produzenten produzieren«, oder die »etablierte[.] Avantgarde«. Fürs Fin de siècle lässt Bourdieu hier die Parnassiens auftreten. Théophile Gautier, Paul Verlaine wären demnach in dieser Bewegung der L´art pour l´art zuzurechnen, auch Stéphane Mallarmé und Anatole France, in zweiter Linie vielleicht Symbolisten wie Gustave Moreau oder Odilon Redon. Auch Kräfte der kommenden Avantgarde geraten ins Blickfeld oder schon ältere, aber bisher nicht etablierte Autoren melden sich zurück. Am Pol geringster Autonomie ist für die Künste logischerweise größte Heteronomie anzunehmen, dafür aber auch der größte gemeinsame Nenner des Publikumsgeschmacks zu finden. – Medientheoretisch betrachtet, sammelt sich an diesem Pol der mediatisierte Durchschnitt durch Medialisierung, das, was Nietzsche und Zeitgenossen den »Massengeschmack« nennen. Bei Bourdieu wird das Massenpublikum hingegen differenzierter behandelt, abgebildet auf die unterschiedliche »soziale Zusammensetzung des jeweiligen Publikums«. Differenziert wird anhand des Medienangebots: »Boulevardtheater im Gegensatz zum Vaudeville und allen eher kunstgewerblichen Formen«, all dem auch, was als ›designorientiert‹ beschreibbar wäre.
Integriertes Felddiagramm Die ikonische Darstellung der exemplarischen soziologischen Studie zur Situation der Kunst im Fin de siècle – für welchen Zeitpunkt genau, ist nicht zu ermitteln – ist indexikalisch zu lesen. Sie markiert gewisse Tendenzen. Sollte Bourdieus Diagramm auf die beschriebene Konstellation in der Kunst gemünzt sein278, findet sich, wenden wir uns dem konkreten Diagramm zu, folgende Beurteilung. Da ein historisches Beispiel Veranlassung zur Diagrammatisierung gibt, wird man von der Struktur des exemplarischen Feldes, das heißt eines historischen Universums, ausgehen. Die Feldnummerierung folgt demgegenüber der Relevanz in soziologischer Betrachtung, beginnt deshalb mit dem umgebenden (äußeren) sozialen Feld (1). Da wir mit drei Sektoren arbeiten und uns zunächst dem relevanten inneren Feld widmen, beginnen wir bei Feld (3), das das Demonstrandum darstellt.
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›Feld (3)‹: Kunst- / Literaturfeld (demonstrandum) Die Fliehkräfte im Beispielfeld ›Literatur‹ selbst wirken in Bourdieus Diagrammatik auf der feldeigenen, vertikalen Machtachse nach oben in Richtung einer selbstbestimmten Kunst, nach unten in Richtung eines im Wesentlichen durch Publikumsgeschmack und Quote bestimmten Kunstbegriffs. Dies bildet die Machtverteilung im sozialen Feld ab, die sich vom Pol des Beherrschtwerdens (unten) bis zum Pol des Herrschens (oben) entlang einer senkrechten Achse erstreckt. Dominiert der Geschmack des großen Publikums, heißt die Aussage, wird die Kunst nach eigenem Dafürhalten fremdbeherrscht. Für die Positionierung auf der Herrschaftsachse aber können generell alle Kräfte sorgen, die den genannten Größen Gewicht zu verleihen vermögen, solche, die im Feld streiten, aber auch externe, freilich anverwandelte Kräfte. Intern zeigt sich das Feld (3) zwischen Selbstbestimmtheit der Kunst und Fremdbestimmtheit durch Publikumsgeschmack neutral. Intern darauf wirkende Kräfte werden jedenfalls, anders als im Text, im Diagramm nicht vorgestellt. (Sollte die Neutralität fürs Ganze des Kulturfelds der Zeit eine Diagnose beinhalten, würde sie von manchem wohl in Zweifel gezogen werden, sicher auch von Nietzsche.) Im Schwerefeld der horizontal wirkenden Kräfte zeigt das Literaturfeld die Tendenz, sich in gehöriger Distanz von der Macht des Geldes (das in seiner eigenen Währung in der Kunst »Großproduktion« impliziert) in Szene zu setzen als Kraft einer Produktion, »die sich selbst genug ist«. Der Grund ist plausibel: Es ist die Anziehung oder Kraftwirkung der Inszenierungs- oder Kunstmacht im Machtfeld, Feld (2). Der ›nichtinszenierten‹, freilich auch »ökonomisch beherrschten ›reinen Kunst‹«, die sich aber, wie beispielhaft die Lyrik, »schlecht verkauft«, steht die kommerzielle Seite der Kunst in Gestalt einschlägiger, gut verwertbarer Formate gegenüber. Eben weil die reine Kunst auch verkauft werden will, steht sie im Bann des Kraftfelds »Geld«. Da sie aber für das reale Kapital kaum einen Tauschwert besitzt, der es anziehend erscheinen ließe, wird sie nicht – wie die Kunst sich im eigenen Feld selbst vorkommt – mit einem positiven Inkrement (+) bewertet. Im eigenen Kräftefeld ist die reine Kunst nicht interessiert, sich ausgerechnet mit einem L´art pour l´art-Konzept dem Geldpol des Machtfelds anzudienen. Mit der Geldpolbeurteilung verhält es sich formal vergleichbar. Auf eigenem Territorium positiv indiziert (+), verdient dieser Pol für die reine Kunst eine negative Markierung (-). Der großen Distanz zwischen Beherrschungsindex im Machtfeld [(+) »Geld«] und seiner Entsprechung im Kunstfeld – in dem die sich selbst vollständig beherrschende, also autonome Kunst am Beispiel Lyrik diesen Index trägt [(+) ›L´art pour l´art‹] – entspricht die dominierende Stellung einer sich selbst fremden Kunst. Sie allerdings kann mit Massenproduktion im künstlerischen Feld aufwarten und gehört deshalb in die Nähe des Geldpols im Machtfeld. Das Literaturfeld selbst verzeichnet seine Hinorientierung auf die »Großproduktion« dagegen als negativ; entsprechend erfolgt die interne Indizierung (-). Zugleich aber findet sich in der Indikation der Eigenbewertung des Kunstfeldes die Positivierung und Heilung dieses Widerspruchs. In der Beurteilung der ökonomischen Wirkungen des Kunstfelds, betrachtet als Funktion (Bedeutung) der Machfeldinszenierung, ist positiv zu werten, was intern vielleicht negativ erscheinen könnte. Zwar werden die symbolischen Kapitalien der Kunst, Kapital ›in Kostüm‹ sozusagen, unter Machtgesichtspunkten negativ (-) bewertet, doch nur, um sich der kulturellen Produktion insgesamt als attraktiv, familienähnlich anzudienen (+). Im Produktionsfeld außerhalb des eigenen Kräftespiels kann »Kunst« zur Befriedigung des Massengeschmacks durchaus reüssieren. Ein Inszenierungserfolg.
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Das Bourdieu´sche Diagramm erweist sich als mächtig genug, die dargelegten inhaltlichen Positionen strukturanalog im Peirce´schen Sinne diagrammatisch darzustellen. Im interaktiven Nachvollzug lässt es sich tatsächlich so abwickeln, dass ein Prozess des Kampfes von Widersprüchen Kontur erhält und entsprechende Veränderungen sichtbar werden. Freilich gelingt dies nicht ohne Hilfestellung des Textes und auch keineswegs anwendungsfreundlicher als in Textform. Die notwendige Umetikettierung der Pol-Inkremente (der Vorzeichen + und -) im dynamischen Prozess der Kräfteentfaltung zwischen den Feldern ist ein deutliches Anzeichen für den Fortschritt der Lektüre. Denn tatsächlich drehen sich die Vorzeichen auf beiden Seiten sowohl des Macht- als auch des Kunstfelds (horizontal orthogonal betrachtet) im Inszenierungsschein der kulturellen Produktion mit der Zeit um und realisieren die »Überkreuzung«, von der Bourdieu spricht. Das aber lässt vermuten, dass diese Inszenierung nicht vortäuscht, was sie zeigt, sondern in ihrem Schein wirkliche Machtbeziehungsweise Kräfteverhältnisse auftauchen. Dazu aber braucht es die Ansichten der umgebenden Felder, Ansichten, die ich – im Unterschied zu Bourdieu – durchaus als Diskursanleihe verstehe. Indes ist vollkommen klar: Es handelt sich um eine Inszenierung ohne Theater. ›Feld (2)‹: Machtfeld Dem das Literaturfeld umschließenden Machtfeld fehlen die Inkremente der primären Herrschaftsachse. Sie erübrigen sich offenbar. Dies würde besagen, dass die Kriterien (herrschende oder beherrschte Position), im sozialen Feld dynamisiert, unter prozessualen Gesichtspunkten spezifischer Feldauseinandersetzung aber nicht in diesem Rahmen relevant werden und deshalb an Ort und Stelle fehlen dürfen. Folglich sind sie an der momentanen (wiedergegebenen) ›Lage‹ des Machtfelds abzulesen wie an der des von ihm umschlossenen Kunstfeldes. Die beiden Lagen begegnen sich hier wie ›Situation‹ und ›Szene‹. Die Dispositionen des für sich bleibenden, nicht im Fokus stehenden Machtfeldes betreffen das Aktionsfeld künstlerischer Szenifikationen und Auseinandersetzungen im Sinne potenzieller Verfügungen und Gewalteinflüsse. Freilich kann das Machtfeld selbst zum Schlachtfeld geraten. Was ins Schwerefeld der Macht gerät, wie im Beispiel die Literatur und Kunst des ausgehenden 19. Jahrhunderts in Frankreich, wird demnach von der ›Macht‹ auch wahrgenommen und beherrscht. »Macht« ist dabei selbst nur ein Indikator. Er zeigt das Kräftespiel zwischen Kapital und Inszenierung an. Die Verortung eines Exempels fordert immer die Positionierung entlang aller drei Achsen des Gesamtdiagramms. Die rechtwinkligen Achsen werden explizit gemacht, die (nicht ausgeführten) Diagonalen (oder auch als Raumachsen zu deutenden Linien) markieren den Prozess. Insgesamt scheint die Kunst demnach, ausbalanciert im sozialen wie im Machtfeld, in gesellschaftlich beherrschender Position. Im Ganzen betrachtet, sieht es aus, als könne sie, anerkannt als kulturelle Praxis, tatsächlich souverän agieren. Indes währt der Eindruck nur so lange (wir erinnern an die Szenografie der Halbwertzeiten des Magdeburger Unterdruckversuchs), wie sich die Kunst nicht verstrickt zeigt in die Kabalen ihres eigenen Kräftefeldes. (Was, um den Vergleich fortzuspinnen, in dem Augenblick mit den Unterdruckexperimenten geschieht, als sie sich im Physikdiskurs der Zeit zurückmelden und der Polemik der Gegner und Skeptiker ausgesetzt sind.) Intern wird die Kunst ständig in bestimmte Richtungen gedrängt. Bestätigt wird die allgemein dominante Stellung der Kunst von der Lage des Kunst-/Literaturfelds, wie es gerahmt erscheint von den Kunst-/Geldpolen des Machtfeldes. Mit symbolischem
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Kapital bestens ausgestattet, gerät die Kunst zwangsläufig ins Kraftfeld dieses Machtfeldpols, eines Pols korrumpierter Kunst sozusagen. Machtfeldintern ist dieser Pol nur Bezugspunkt mittelbarer Beherrschung (im Vergleich zum Geldpol) und wird deshalb negativ indiziert. Was hierhin tendiert, herrscht nicht wie die Werte der ökonomischen Ökonomie, sondern in der Art der ›Künste‹, in Form mittelbarer, ästhetischer Beherrschungskunst, durch Verzauberung oder Blendung mittels Inszenierung. Deshalb aber verdankt die Kunst, die Literatur des Fin de siècle allgemein, ihren Rang gerade nicht ihrer Autonomie, sondern dem Massengeschmack des Publikums. Das Publikum, so heterogen es sozial auch sein mag, ist insgesamt und tendenziell geneigt, sich auf die ebenfalls heterogene Kultur- und Medienoberfläche der herrschenden Unterhaltungsangebote einzulassen, sie zu konsumieren und zu genießen und hierin ganz allgemein der Kunst zu frönen. Dies wird angezeigt durch die Verschiebung des Kunst-/Literaturfeldes innerhalb des Machtfelds auf der vertikalen Achse in Richtung des negativen Pols des sozialen Felds. Es ist die eine Position, in der alles, was sich in diese Richtung bewegt, beherrscht wird.279 Demonstriert wird gleichsam die Dialektik von Herrschaft und Knechtschaft. Die scheinbare Souveränität erweist sich als indirekte Herrschaft einer anderen Macht, die als Herrschaft des Knechts indes als selbstbeherrschende, autonome Verfügungsgewalt über das Eigene gedeutet wird und sich am Ende nur dann, wenn sie sich selbst als andere gegenübertritt, als selbstständig im sozialen Gefüge verstehen kann. Abb. 9
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›Feld (1)‹: Soziales Feld Im rahmenden sozialen Feld betrachten wir den Einfluss der dominierenden Gewalt(en) im Aufwind, nicht weit von ihrer größtmöglichen Entfaltung. Das Machtfeld befindet sich in »beherrschende[r] Position, am »positive[n] Pol«, das heißt, dem aufrecht stehenden Rechteck des sozialen Feldes kongruent, ganz oben auf der Herrschaftsachse einbeschrieben. (Als Inkrement gilt auch hier das Pluszeichen (+), in der vertikalen Achse des sozialen Feldes am oberen Ende der Skala eingetragen.) Über den Kampf zwischen »Geld« oder »Kunst« im Machtfeld, über die Beurteilung der Relation zwischen direkter politik-ökonomischer Intervention durch Kapital und Arbeit (Produktionsverhältnisse) und inszenierungsstrategischer Intervention mit Hilfe ästhetisierter Aufführungsdispositive (Maskierung mittels Techniken, Medien, Gestaltung) hinsichtlich ihrer Effekte im gesamten sozialen Feld fehlen weitere Angaben. Doch ist dies auch nicht ausdrücklicher Gegenstand des Diagramms (weswegen ihm, wie gesagt, dort auch die korrespondierenden Inkremente fehlen.) Die Lagerelationen der Felder zueinander allein interpretiert, ließe sich aufgrund der Zentrierung des Machtfelds auf der Horizontalen des sozialen Felds schließen, dass Inszenierungsstrategie(n) und offene Gewaltanwendung insgesamt als gleich verteilt behauptet werden. Allerdings wird die Frage nicht gestellt, denn es ist eine Frage, in deren Zentrum das Machtfeld selbst befragt werden müsste. Gerade dieses Verhältnis würde politisch interessieren. Wie ist das Kräfteverhältnis zwischen inszenierungspolitischen und repressiv politischen, offensichtlichen Unterdrückungsstrategien und Interventionen einzuschätzen? Die Vermutung, dass als Indiz dafür im Beispieldiagramm der markierte Kapitaleinfluss des Realkapitals im Machtfeld heranzuziehen sei, wird relativiert von Bourdieus Andeutung – ganz im Sinne meiner eigenen Argumentation –, dass der »eigentliche[.] politische[.] Kampf um das Monopol auf die symbolische Gewalt, um das Recht auf die Festlegung des Rechten, Wahren, Guten und aller sogenannten universellen Werte« tobt.280 Der Begriff des Politischen bei Bourdieu zeigt demnach schon die Differenzierung, wie sie die Diskussion seit den 70er Jahren anpeilt. »Politik« beinhaltet mehr als unmittelbares und mittelbares Staatshandeln. Abgesehen von der Differenzierung der Agenzien und Akteure, wird damit die ästhetische wahrnehmungs- und bewusstseinsspezifische Dimension politischer Disposition in den Blick genommen. Inszenierungspolitische Anstrengungen im gesellschaftlichen Feld gleich welcher Provenienz gehören dazu. Schließlich werden die Kämpfe um Alternativen, Inszenierungspolitik oder offene Machtpolitik, als essentiell auch für den Streit um die Leitkonzepte politischer Direktive betrachtet. 4
inszenierung & diskursive formation: positivität, dispositiv, strategie
Auf dem Hintergrund der bisher ventilierten Hinsichten ist Bourdieus exemplarische Erläuterung der Kräfteverhältnisse im künstlerischen Umfeld des Fin de siècle für unsere Klärung der Inszenierungs- und Selbstinszenierungsperspektive durchaus hilfreich. Dabei geht es nicht darum, die anhand der herangezogenen Symptome diagnostizierten sozialen Verwicklungen im Detail zu bestätigen oder in Frage zu stellen. Die soziologischen Schlussfolgerungen Bourdieus liegen zum einen größtenteils außerhalb der szenischen Formate, auf die in Inszenierungsoptik gewöhnlich der Blick der
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Szenografen fällt. Den Inszenierungsdiskurs betreffen sie in den Grenzen einzelner soziologischer Erkenntnisse und der damit markierten Ereignisse und Handlungskontexte, was, vergleichbar für unseren Kontext der Arbeiten Lefèbvres, nicht wenig ist.
Begriffsformatierung ›Szene‹ Vom szenischen Feld ist auch in dieser Arbeit die Rede, zurückhaltend allerdings hinsichtlich der Konstruktion umgebender Universen sozialer Realitäten, obwohl wir von »Anschlüssen« sprechen, die Szenen suchen und finden müssen. Doch wird sich szenisch Synthetisierbares nicht einkreisen lassen wie Objekte in Diagrammen mit fixierbaren Linien. Die Erweiterte Szenografie spricht von »Szenen« im Verständnis konzeptueller Formate zur Beschreibung bedingter Handlungs-, Gestaltungs- und Denkwege, medial wechselnd zugeschnitten, mal als Angebote, mal als Notwendigkeiten, mal als Alternativen. Zu den Bedingungen der szenischen Formatierung – keineswegs zur szenifikatorischen Praxis – gehört die Berücksichtigung relevanter Parameter möglicher szenischer Rahmung durch Spieler und szenische Agenzien selbst. Dazu zählen, um nur einige aufzuführen: Voraussetzungen der intentionalen Einstellungen, der praktischen und theoretischen, literarischen, mythischen oder religiösen Prägung, der Überzeugungen und Orientierungen; Bedingungen, wie sie in pragmatischen Absichten, Plänen und Entwürfen zum Ausdruck kommen, strategische und taktische Überlegungen, ökonomische, physische und psychische Ausstattung, Zustände und Ressourcen, erworbene Fähigkeiten und Kenntnisse, auch angeborene Begabungen oder Schwächen; eingeübte Verhaltensgewohnheiten, sozialer Status, emotionale und soziale Bindungen und Beziehungen, kommunikative und informationelle Vernetzung. Fraglos sind Formierung und Formatierung von Szenen abhängig davon, für welche Szene, welche players und agencies in welcher Umgebung wie vorgestellt, konzeptualisiert oder szenografiert werden. Die vorgeblich selbstständige ›Gegenstandsseite‹ der Szene, ›wie sie ist‹, bietet nur eine Momentaufnahme der ›Handlungs- und Formatierungsseite‹ des selbst insgesamt neutralen – »epistemologisch neutralen« (Foucault) – Inszenierungsdiskurses. Für sich genommen ist die kurz belichtete Seite meist blind wie eine beschlagene Scheibe. Die Fenster der Erfahrung sind da, doch sieht man nicht viel von dem, was nicht artikuliert und ins Wissen gebracht ist. Man könnte meinen, dass es grundsätzlich nicht nur dem Betrachter eines szenischen Schauspiels aufgegeben sei, Variabilität, unterschiedliche Voraussetzungen für alle Zustände und bei allen Bedingungen anzunehmen, sondern vor allem allen Beteiligten. Doch wird man nicht nur wie Kant am Erfolg des Unternehmens zweifeln, selbst wenn man annähme, dass es der Wissenschaft zuträglich sei, wenn sie sich der Aufgabe, durch »beobachtende Teilnahme« zu belastbaren Ergebnissen zu gelangen, stellte. An der Rechtfertigung der Beauftragung – oder der Anstiftung anderer – ließe sich immer zweifeln. Der Auftrag selbst kann nur handlungsspezifisch, strategisch begründet werden, mit dem Willen, selbst im Spiel Position zu beziehen, Zweifel hin oder her. Wenn man bedenkt, dass strategisch Position zu beziehen noch wenig darüber besagt, ob und wie im Einzelnen, etwa taktisch, sich die Parteien auf die Schlacht einzulassen gedenken, ist dies nicht unbedingt voluntaristisch zu verstehen. Szenen des Alltags betrachtet, dürfte die Selbstversicherung in vertrauten, ritualisierten, auch direktiv szenografierten Szenen selten als notwendig erachtet werden. Auch gibt es keinen Grund, den Akteuren generell kontinuierliche Bewusstheits- oder Reflexionszustände zu unterstellen. Das heißt nicht, dass die Beurteilungen der Szene und der szenifikatorischen Optionen durch die Spieler selbst nicht je nach Einstellung
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iii raumstrategie & entwurfsdiagrammatik
und praktischem Verhalten gegenüber den umgebenden szenischen Agenzien variieren können, selbst wenn solche latenten »feinen Unterschiede« aus spielökonomischen Gründen nicht ausgelotet und grosso modo konventioneller Bestätigung der Lage geopfert werden. Völlig zu Recht, wird man sagen, wenn man die Zumutungen bilanziert, die auftauchen, wenn anderes gewünscht wäre. Denn Einstellung und Verhalten involvierter Spieler gegenüber der Szene, in der sie sich vermuten, wären für einen Akteur, der sich in der Szene zu orientieren genötigt sieht oder Lust darauf hat, ebenso mit all den genannten umgebenden oder vorauszusetzenden Bedingungen konfrontiert wie bei denjenigen ko-präsenten agencies, deren Variablen der Aufklärungsfreund alle zu berücksichtigen hätte. Das ist im Fluss der Ereignisse, Handlungen und Eindrücke, in den Zwischenräumen des Erlebens und Verstehens nicht gut vorstellbar, beschränkt sich vielleicht auf die wenigen der Reflexion einer Szene gewidmeten Szenen. Aber auch hier ist die Frage nicht nur kalkulatorischer Natur, betrifft nicht nur die große Menge der zu berücksichtigenden Einflussgrößen. Zu weit grundsätzlicheren Konsequenzen dürfte die Einsicht führen, dass sich hinter der großen Zahl der Bedingungen keine offenbaren Tatsachen oder Sachverhalte verbergen, sondern am Ende selbst szenische, szenisch medialisierte und mediatisierte Verhältnisse, in welcher Konkretion oder Abstraktion im Einzelnen auch immer. Einer vermeintlich einfacheren Ausgangssituation ist die Komplexion selbst ähnlich. (Und nicht umgekehrt, wie das Konzept der Komplexionsreduktion zu suggerieren versucht, wenn es annimmt, dass die Reduktion auf das Einfache eines komplexer gewordenen Zustands zurückzubewegen sei.281)
Strategische Neutralität. Besetzung von Zwischenräumen Dass der Inszenierungsdiskurs in operativer Perspektive im Unterschied zu einer seiner dispositivintegrierten Manifestationen insgesamt zunächst als einfache Positivität gelten muss und deshalb als strategisch neutral, liegt darin begründet, dass er als solcher positiv nicht gehandhabt werden kann. Seine Realität – und seine Legitimation – existieren allein bei der Selektion, Kombination und darstellungsgerechten Synthetisierung verstreuter und heterogener Stücke, Teile oder Elemente. Die Fügung zur Darstellung bedeutet, dass sie sich im Konzept einer Episteme als selbstständige Gestaltung und Intervention verständlich zu machen und zu rechtfertigen sucht. Dem Resultat dieser Auswahl und Zusammenstellung von Heterogenitäten in Form einer irgend mitteilbaren beziehungsweise sich mitteilenden Darstellung oder Informierung wird die Signatur des Diskurses, zu dem das ›Werk‹ Beitrag ist, mitgegeben. Wo ist dieses ›Werk‹ zu finden? Ebenfalls nur dort, wo es verwendet wird, gleichviel in welcher Form und in welcher Weise. Das ›Werk‹ oder, weniger prätentiös, der Diskursbeitrag können auftrittsbereit nicht mehr als neutral betrachtet werden. Im Gegenteil legen sie sich mit dieser Bereitschaft durch die von ihnen ausgehende, dann vorgenommene Auswahl und Konfiguration, Bildung und Ausdrucksformung für kommende performances fest. Freilich haben sie kein großes Publikum. In seinen eigenen Stücken teilt der Beitrag die Morphologie des Diskurses, dem er angehört, ähnlich einer fraktalen Figur, nicht aber Struktur, Gestalt, Funktion, soweit sie nur in einer spezifischen Ausdrucksbildung zu finden sind. (Was einiges über die Übertragbarkeit aufgrund struktureller Gleichheit besagt.) Ein Diskursereignis ähnelt weder strukturell noch gestaltspezifisch einem anderen. Ein Museum ist einem Text nicht ähnlich und auch nicht einem Exponat, auch nicht, wenn das Museum »römisch-germanisch« heißt, der Text aus den Gestae Romanorum stammt und das Ausstellungsstück eine römische Grabbeigabe ist. Trotzdem können die Elemente zusammen mit anderen unter einem
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Wissen zusammengeführt werden, die in der Morphologie des Diskurskörpers gleicherweise als ›Bestandteile‹ rangieren, auch wenn sie dann funktional oder operativ – und metaphern- oder gar allegorieaffin – die Rolle von »Organen«, »Gliedern« oder »Systemen« spielen. Zweifellos finden sich im Inszenierungsdiskurs Strategien der Inszenierung, aber eben nicht nur dort. Es gibt Überschneidungen, zum Beispiel mit dem Diskurs der Kriegsführung oder mit dem Diskurs sportlichen Wettbewerbs. Aus künstlerischer oder gestalterischer Inszenierung hervorgehende Auftritte und Präsentationen, Werke und Geschichten gehören ebenso zum Inszenierungsdiskurs wie solche, die sich als wissenschaftliche Manifestation oder Demonstration ins Spiel bringen oder als politische Artikulation zu verstehen geben. Ebenso können dingliche oder energetische, mediale oder technische Manipulationen und Anordnungen, Objekte und Apparaturen herausgegriffen und dazugezählt werden. Dasselbe gilt für eventuelle Dokumente oder Monumente aus Planungen und Entwürfen solcher Inszenierungen, vielleicht explizite Szenografien, dasselbe für alle Darstellungen, die sich mit diesem oder jenem cluster aus Heterogenitäten wie den angedeuteten beschäftigen. Die Bedingung lautet: soweit sie sich in ihrem eigenen Spiel als relevant im Diskurs, widerstandskräftig in seinen Kämpfen behaupten können. Allem voran handelt es sich um zunehmend größere Mengen von Aussagen und Argumenten, Schlussfolgerungen und ›Operationen‹, ist doch die symbolische Kodierung, ob Wort oder Zahl, im Vergleich zu allen anders dimensionierten Artefakten und Medien besonders geeignet, nicht nur über sich, sondern auch über die Botschaften Auskunft zu geben, die sie transportiert. Der Diskurs selbst ist nicht hermetisch. Weder ist er konsistent oder widerspruchsfrei noch homogen oder per se abgeschlossen. Allerdings dürfte es geschlossene Diskurse geben, insofern gegenwärtige Beiträge zu seiner aktuellen Veranlassung und dem Austrag dessen, worum es ging, nichts mehr beisteuern können, der Beitrag deswegen vielleicht einem ganz anderen, zumindest aber ›transformierten‹ Diskurs zuzurechnen wäre. Gewöhnlich dürfte der Diskurs als selbst szenisch unzusammenhängende Konfrontation von Elementen und Entitäten betrachtet werden, die ihn am Leben erhalten. Dabei gehört es zu seinen Existenzbedingungen, dass nicht nur die einfachen oder agglomerierten Diskursbestandteile den Charakter einer Geschichte aus disparaten Versatzstücken verantworten. Wie man von einem Eisberg weiß, dass ihn nicht allein das, was man hat von ihm, wenn man ihn zu sehen bekommt, als Eisberg ausmacht, sondern ebenso das, was unter der Wasseroberfläche schwimmt und worüber man bestenfalls Vermutungen anstellen kann, so weiß man vom Diskurs nur, was als wissbar gilt von ihm und verfügbar, ist in seinen sichtbaren Stücken. Selbst das aber wird nicht in einem großen Lied besungen. Was dem Wissen noch eingeräumt werden könnte in vielleicht noch ganz unbekannter Gestalt, Form oder Kraft, aber im Dunkeln liegen mag, kann man nur ahnen. Das Geheimnis ist deshalb nicht ohne Effekte. Es wirkt, soweit nicht ausgeschlossen werden kann, dass es sich lüftet, zufällig oder beforscht, dann aber, was es ausmacht, auf dem Platz in Erscheinung tritt, womöglich sich einmischt. Offenheit des Diskurses bedeutet nicht, dass keine Kriterien zu beachten wären, um zu einer diskursiven Formation beizutragen, welche in der Lage ist, den herausgegriffenen Diversitäten und Heterogenitäten nicht einfach nur irgendwie Ausdruck zu verleihen, sondern auch Gestalt zu geben, eine löchrige, fragile Gestalt. Folgt man Foucault, gelten als Kriterien die Formationsregeln für a) die Gegenstände,
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b) die syntaktischen Typen, c) die semantischen Elemente und d) für operative Eventualitäten. Die Kriterien sind miteinander »kompatibel« und sie »berufen sich [...] wechselseitig aufeinander«.282 Aufbauend auf einer angenommenen Positivität resultiert eine manifeste Positivität (eine »diskursive Formation«), die selbst im größeren Rahmen eines »Dispositivs« verortet werden könnte, wenn, den Formationsregeln genügend, ein Wissen sich abhebt, dessen Konsistenz sich begründet in dem, wofür es als gut sich erweist. Auch diese Episteme gesellt sich mithin den Positivitäten zu und könnte, ›dispositiv‹ adressiert, mit Verfügungsgewalt mehr oder weniger ausgestattet betrachtet werden.283 Die vorliegende Arbeit macht keinen Anspruch darauf, den Inszenierungsdiskurs der Gegenwart in eine einzige Darstellung zu fassen oder ihn auch nur in den Gegenständen, Strukturen, Bedeutungen und Gestalten, wie sie in einem vorwiegend deutschsprachigen Kontext von Aussagen zusammengetragen werden könnten, erschöpfend zu traktieren. Der Untersuchung geht es vielmehr um die strategischen Dispositive der Inszenierung hinsichtlich der Auswirkungen auf die Szenen, denen solche Inszenierung gilt, wenn sie sie denn erreicht. Sich dessen zu versichern, was man dazu braucht, bietet sich die diskurstheoretische Operationalisierung der ins Auge gefassten episteme deshalb an, weil weder der Empirie noch den Erkenntnissen vermeintlich zuständiger Wissenschaften allein entlehnt werden kann, was es methodisch braucht, das handlungs- und gestaltungsorientierte Strategie- und Ordnungskonstrukt, das wir genauer zu bestimmen suchen, zu formatieren. Ohnehin umfasst das ausgewählte Diskursmaterial nur einen Bruchteil des verfügbaren – und sich im Einzelnen, für diesen oder jenen Aspekt, den Formationsregeln nachzukommen, durchaus weit besser eignenden – Materials. Die Zusammenstellung eines künstlerisch theatralen Inszenierungsdiskurses brächte andere Inszenierungsaspekte zum Vorschein als die Sichtung, die sich mit den Welt- und Industrieausstellungen des 19. und 20. Jahrhundert befasst. Wer sich für die Szenen und Inszenierungen des Subjekts in Medizin oder Psychologie, Psychoanalyse oder Ethnologie am Ende des 19. Jahrhunderts oder die Wareninszenierung von multiple oder crossing over identities durch health, wellness und beauty industries des beginnenden 21. Jahrhunderts interessiert, wird jeweils andere Diskursereignisse privilegieren, andere Beiträge auswählen und sich zu jeweils anderen Korollarien entschließen. Außerdem kann man sich auf die Inszenierungen der unmittelbar anwendungsbezogenen Szenografien, einen in solchem Kontext begründeten Narrations- und Akteurs-, Medien- und Technikeinsatz verlegen oder auf solche Inszenierungen, die sich auf die Szenografie(n) selbst, ihre Modell-, Planungs- und Entwurfskonstrukte einlassen, ohne sich überhaupt um die Szenen, denen die Inszenierung gilt, zu kümmern. Oder aber man blendet die mehr oder weniger professionellen, meist institutionell abgesicherten Planungen ganz aus und widmet sich ausschließlich der Pragmatik des Alltags und den Inszenierungsund Szenifikationsleistungen dort. Überall eröffnen sich Alternativen, überall wartet Arbeit.
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anmerkungen teil iii 1
Zum »scolastic view« siehe John Langshaw Austin: Sense and Sensibilia, hgg. von Geoffrey. J. Warnock, Oxford 1962, dt. Sinn und Sinneserfahrung, Ditzingen 1984 (dt. zuerst 1975); zit. als Austin 1975: Sinneserfahrung.
2
Vgl. Matthias Bauer, Christoph Ernst: Diagrammatik. Einführung in ein kultur- und medienwissenschaftliches Forschungsfeld, Bielefeld 2010 (Bauer/Ernst 2010: Diagrammatik); Astrid Schmidt-Burkhardt: Die Kunst der Diagrammatik. Perspektiven eines neuen bildwissenschaftlichen Paradigmas, Bielefeld 2012; zit. als Schmidt-Burkhardt 2012: Kunst der Diagrammatik. Zur philosophischen Diagrammatik aktuell siehe André Reichert: Diagrammatik des Denkens. Descartes und Deleuze, Bielefeld 2013; zit. als Reichert 2013: Diagrammatik des Denkens.
3
Siehe den gleichlautenden Untertitel zu Schmidt-Burkhardt: Kunst der Diagrammatik. Hervorhebung – HW; zit. als Schmidt-Burkhardt 2012: Kunst der Diagrammatik.
4
Vgl. Bauer/Ernst: 2010 Diagrammatik. Teil 3: »Gegenstandsfelder der Diagrammatik« (S.109-262) – eine Betrachtung, wie wenn man auch von »Gegenstandsfeldern textlicher Darstellung« sprechen könnte. Die Gliederung (S.6) listet die Gebiete auf: »Sprachszenen: Linguistik und Literaturtheorie«, »Imaginäre Handlungsräume: (Rollen-)Spiel und Kulturtheorie« (hier geht es um »Pen & Paper-Rollenspiele), »Virtualisierung: Medientheorie und Computer als Medium«, »Denkbilder und mentale Relationen: Film«, »Anschauliches Denken: Bildwissenschaft und Kunstgeschichte«. Hier zu finden mithin eine Unzahl diagrammatischer »Anwendungsgebiete«, freilich mit Fehlanzeige außerhalb der aufgeführten, in der Hauptsache kultur-, weniger überhaupt medienwissenschaftlichen Bereiche (also auch im nicht explizit zeichentheoretischen Verständnis von »Medium«). Ausflüge in die Philosophie erfolgen im vierten Teil, freilich mit der Einschränkung, dass man hier auf »Grenzgänger der Diagrammatik« treffe. – Empirisch zu verweisen wäre beispielsweise auf die diagrammatische Logik Peircens. Ebenso zu denken wäre an die Bedeutung der Diagrammatik für die theoretische Physik beispielsweise oder die Grundlagentheorien anderer naturwissenschaftlicher und technologischer Wissenschaften, die ganz präzise Vorstellungen von der Funktionalität bestimmter Diagrammtypen und ihrer Topologien und Wissenschaftstheorien hinsichtlich der Darstellung bestimmter Objektrelationen haben. Darunter, durchaus, die »Seismografie«, die im Kontext Bauer/Ernst zusammen mit Kartografie und Szenografie zu einer »Trichotomie« erklärt wird, »die es bei allen künstlerischen Formen der Veranschaulichung oder Vergegenwärtigung von Sachverhalten oder Ereignisfolgen zu bedenken gilt«. Entsprechend muss diese Trichotomie »medien- und genrespezifisch ausbuchstabiert werden, wenn man sich mit kulturellen Artefakten, wie Romanen und Spielfilmen, Theaterstücken und Hörspielen, sowie mit ihren intertextuellen und intermedialen Beziehungen befasst.« Es leuchtet ein, dass hier keine Seismogramme erwartet werden, wie sie die Seismografie der Erdbebenforschung verwertet, verstanden als »the scientific measuring and recording of the shock and vibrations of earthquakes« (Definition Lexikon). Vergleichbares gilt für Kartografie und Szenografie. Kartografie, Szenografie und Seismografie in diesem Verständnis dienen ausschließlich als unterschiedliche Konfigurationstechniken sprachlich-textlicher Artefakte der »Konfiguration von Worten, Sätzen usw.«. Schließlich findet sich ihre diagrammatische »Figürlichkeit« im »gesamten syntaktisch-morphologischen Bau der Sprache«, »ja selbst im Lexikon finden sich diagrammatische Züge« – wenn man sie denn realisiert. Diese Gestaltung deutet – mit Iser (Wolfgang Iser: Akte des Fingierens oder Was ist das Fiktive im fiktionalen Text?, in: Funktionen des Fiktiven, hgg. von Dieter Henrich, Wolfgang Iser, München 1983) »auf die Welt hin«. (Bauer/Ernst 2010: Diagrammatik, S.133f.) Gewisserweise wird die Bedeutung an die Gestalt, ja ganz unterschiedliche Gestalten überwiesen. Es besteht die Gefahr, dass es zu viel des Guten wird, scheint es doch ein Kriterium zu geben, das hier keine Erwähnung findet, aber von Gewährsmann Korzybski exemplarisch für den Fall der Kartografie benannt wird: Es lautet »correctness«. (Siehe Alfred Korzybski: Science and Sanity, S.50, zit. in: Bauer/Ernst 2010: Diagrammatik, ebd., S.134). Ein irgendwie ›als Karte lesbares‹ Artefakt – eine grafische Gestaltung oder ein Bild –, mag sich »irgendwie« auf die Welt beziehen (lassen) und insofern auf einen Interpretanten stoßen, der eine der unzähligen Möglichkeiten, solcher Karte-Welt-Relation Ausdruck zu verschaffen, anstößt. Im Sinne einer Karte, deren Funktion darin besteht, aufgrund von Ähnlichkeiten im Vergleich zum Territorium, das sie repräsentiert, Orientierung im tatsächlichen Gelände zu bieten, muss die Karte, um dies zu garantieren, zutreffen. Darauf zu verzichten, kann sich die Kunst erlauben. Denn hier finden sich die Wahrheitsbedingungen für die Ähnlichkeiten der Artefakte inklusive der Sprache (dann, genauer gesagt, von »Sprachkunstwerken«) in der ästhetischen Gestaltung. Ähnlich kann unter
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dieser Prämisse mit der Seismografie verfahren werden bzw. mit konkreten Seismogrammen. In welcher Weise in dieser Trichotomie »Szenografie« verstanden wird, ergibt sich daraus. Matthias Bauer weist, wie schon in einer kurzen Magazinskizze zur Szenographie 2005, auf den Zusammenhang von Szenografie und Diagrammatik hin. (Matthias Bauer: Die »Szenographie«: ein Schlüsselbegriff der Kultur-, Kognitions- und Bildwissenschaft, in: Natur & Geist. Forschungsmagazin der Universität Mainz, Nr. 21, 1/2005, S.41-45.) Die Auszeichnung der Wissensgebiete im Titel indiziert auch hier die Platzierung der Kategorie. Von daher verständlich die Herkunft des Interesses aus dem Kontext von Literatur, Kunst und Theater; siehe Szenographien. Theatralität als Kategorie der Literaturwissenschaft, hgg. von Gerhard Neumann, Caroline Pross, Gerald Wildgruber, Freiburg 2000. 5
Deshalb »wollen wir eine Achse zeichnen, 0_________100, die von der nichtexistenten Urbanisierung [...] bis zur gänzlichen Vollendung des Prozesses gehen soll. Dieses Achse, die die Wirklichkeit des städtischen Geschehens symbolisiert, verläuft sowohl im Raum als auch in der Zeit.« Lefèbvre 1972: Revolution der Städte, S.13.
6
Martina Löw hat in ihrer Studie zur Soziologie der Städte (Frankfurt am Main 2010) darauf hingewiesen, dass Städte sich immer im Vergleich mit anderen Städten definieren.
7
Siehe Jean-Marc Lévy-Leblond: Von der Materie, Berlin 2011, S.23/24; zit. als Lévy-Leblond 2011: Von der Materie.
8
»Die instantane Wirkung auf große Distanz gibt es nicht mehr«. Lévy-Leblond 2011: Von der Materie, S.26, zum Zusammenhang vgl. ebd., S.26-30.
9
Um diese »Mangel« (siehe Pickering a.a.O.), dieses Hin-und-Her des Abwägens, Bewertens und Schlussfolgerns geht es bei Peircens Idee diagrammatischer Verständigung. »By diagrammatic reasoning, I mean reasoning which constructs a diagram according by a percept expressed in general terms, performs experiments upon this diagram, notes their results, assures itself that similar experiments performed upon any diagram constructed according to the same percept would have the same results, and expresses this in general terms.« Charles S. Peirce: The new Elements of Mathematics, hgg. von Carolyn Eisele, Atlantic Highlands (NJ) 1976, Bd.IV, Mathematical Philosophy, S.47/48; zit. als Peirce 1976: Mathematical Philosophy. Vergleichbares siehe Charles S. Peirce: Notizen und Skizzen zur Semiotik, (H) 1906, I. Aus dem Logischen Notizbuch, in: Semiotische Schriften, Bd.3, S.223/224. Zum Kontext siehe Frederik Stjernfelt: Diagrammatology: An Investigation on the Borderlines of Phenomenology, Ontology and Semiotics, Dordrecht 2007.
10
Die Schreibweise der Stammvokabel Graph behalten wir bei mit ph, um Verwechslungen zu vermeiden.
11
Wobei erinnert bleiben sollte, dass »Konnotation« in der Tradition der Bedeutungstheorie weitaus die längste Zeit die favorisierte Bezeichnungsfunktion darstellte. Die Engführung auf die objektzentrierte »Denotation« ist demgegenüber eine moderne Erscheinung.
12
Siehe Art. Diagramma, in: Benseler 1904: Griech.-dt. Wörterbuch, S.185.
13
Vgl. Claudia Mareis: Design als Wissenskultur. Interferenzen zwischen Design- und Wissensdiskursen seit 1960, Bielefeld 2011, Kap. 4b: »Skizze gegenwärtiger Untersuchungen zu Interdependenzen zwischen Kunst und Wissenschaften«, S.320ff und 4c: »Die Rede von Design als Forschung – ein neuer Paragone zwischen Design, Kunst und Wissenschaft?«, S.364ff; zit. als Mareis 2011: Design als Wissenskultur.
14
Vasari 1568/2006: Einführung in die Künste, S.99; Hervorh. – HW.
15
»Schema« zunächst im Sinne einer Veranschaulichung von Erzeugungsregeln zum Zweck einer übersichtlichen Anordnung. Vgl. Historisches Wörterbuch der Philosophie, hgg. von Henning Ritter u.a., Darmstadt 1971-2007; zit. als Ritter: HWPh, Bd.8, S.1251. Das heißt, wir gliedern Schemata als formale Gestaltungsbeispiele szenografischer Modellierung nicht aus, weil sie, wie etwa Kant in der Einleitung zur Kritik der Urteilskraft differenziert, nur als Mechanismus zu betrachten wären, insofern sie »die Regel« im Sinne des Regelnden darstellen, nicht aber, im Sinne des Geregelten, den objektspezifischen Funktionskontext und seine ›Technik‹. Vorerst bleiben Möglichkeiten aufeinander bezogen, sodass »Schema« dem »Diagramm«, »Diagramm« dem »Schema« nahesteht. Kant 1790/1968: KdU, S.171-198; d.i. die 1. Aufl., in: Werke, (ATA), Bd.V.
16
Siehe Roland Barthes: Die Körnung der Stimme. Interviews 1962-1980, Frankfurt am Main 2002; zit. als Barthes 2002: Interviews (dazu vgl. das Lektüre-Kapitel in Teil IV, das Bezug nimmt auf Barthes und Certeau).
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Jedenfalls nicht bei den eigenenergetischen Ressourcen des Entwurfs, soweit er nicht selbst ein technisch funktionstüchtiges Modell, einen Prototyp darstellt. Selbst die konkrete Architektur des Panopticon aber birgt keineswegs die Möglichkeiten zur allseitigen Kontrolle. Erst die technologische und technische Ermöglichung des vollautomatisierten Rundumblicks mit Informationsverarbeitung und Kommunikationsschnittstelle könnte mit der Architektur zusammen entsprechende Synergien entfalten. Genau dies wird dann mit der Diagrammatisierung, die Foucault vorschlägt, angesprochen. Eine Denkfigur »politischer Technologie« sei zu kreieren, heißt es, »die man von ihrer spezifischen Verwendung ablösen [...] muß«. Michel Foucault: Überwachen und Strafen. Die Geburt des Gefängnisses, Frankfurt am Main 1976, S.264; zit. als Foucault 1976: Überwachen. Es ist die jeweilige Denkfigur der Betroffenen wie der Kontrolleure. Gegenüber der historischen Figuration erfüllt die Denkfigur alle wichtigen Funktionen. Die notwendig als intelligent vorzustellenden ›Kameraaugen‹ moderner Überwachung an eine Bentham-Architektur zu binden hemmte geradezu die Produktivkräfte moderner technischer Intelligenz. Sie derart material zu binden, zu konzentrieren und territorial zu vereinzeln hieße, das ihnen innewohnende Potenzial nicht auszunutzen. In diesem Wechselspiel wird das Modell erweitert. Folglich finden wir heute in den Städten strategisch platzierte, bewegliche Kameras, die wie der Stadtläufer selbst herantreten und weggehen, hierhin und dorthin schauen können, wie es ihnen gefällt. Das technische Dispositiv deshalb aufgrund dieser Vielfalt seiner Möglichkeiten unmittelbar in den Rang eines Gottesauges des Geistes zu erheben erscheint zumindest unter Berücksichtigung der konkreten Genealogie des panoptischen Modells unangebracht. Ohne Weiteres wäre das Auge selbst automatisiert immer noch nicht per se zur Externalisierung fähig. Dazu bedarf es der weiteren ›Übertragung‹ der Bilder – an die Polizei oder die Feuerwehr –, sodass ›das Ganze‹ dann ›von außen‹ betrachtet werden könnte. Die einfachste Lösung schlägt Google vor. Jeder trägt eine Brille mit Schnittstelle, an der sich die interessierten Autoritäten nur noch einloggen müssen. Hier bedarf es eines neuen Diagrammvorschlags.
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Was beispielsweise weniger im königlichen Tiergehege als in einer Fabrikanlage zum Tragen kommt, auch die schon lange vor Bentham gebaut. Siehe den Bauplan der Königlichen Salinen in Arc-et-Senans, entworfen von Claude-Nicolas Ledoux, damals »Architecte du Roi«, errichtet 1774 (mehr als zehn Jahre vor Erscheinen der Bentham-Schrift) und in Betrieb bis 1895. Allerdings beschäftigt sich Ledoux dann 1786-90 in Aix tatsächlich mit einem Gefängnisprojekt, geplant als ein quadratisches Panopticon.
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Im vierten Teil der Arbeit verweisen wir beispielhaft für diesen Typ auf die Helmholtz´schen Experimente der 1850er Jahre, die sich die Aufgabe stellen, die Natur selbst ihre Geheimnisse preisgeben zu lassen. Wir finden in diesem Zusammenhang etliche Exemplare genannter Entwurfsdiagramme.
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Wir haben darüber im Kontext der Dingpräsentation im popularisierten Wissenschaftskontext im letzten Viertel des 19. Jahrhunderts in Teil I berichtet.
21
Was zum Beispiel bei wissenschaftlichen oder wissenschaftsähnlichen Demonstrationen nicht selten vorkommt. Helmholtz, worüber wir unten genauer berichten, hatte sich, nachdem erste grafische Beweise seiner Forschungsergebnisse keine angemessene Würdigung erfahren hatten, dazu entschieden, der Akademie der Wissenschaften in Paris und der von ihr repräsentierten communauté scientifique ›beschönigte‹ Kurven zu unterbreiten, um den Erfolg sichtbar zu machen, der ohne die optische Aufbereitung nicht zu vermitteln gewesen war. Vgl. Henning Schmidgen: Die Helmholtz-Kurven. Auf der Spur der verlorenen Zeit, Berlin 2009; zit. als Schmidgen 2009: Helmholtz-Kurven. Schott und Guericke dagegen hatten die Natur mit Hilfe theatraler Inszenierung zum Selber-Sprechen bewegen können.
22
Es ist demnach nachvollziehbar, dass sich reflektierte Szenografen dem provokant gemeinten Vorschlag, die Diagrammatik des Unterdruckversuchs von Schott und Guericke szenografisch programmatisch zu lesen, anschließen konnten. Vgl. Bohn/Wilharm 2009: Inszenierung und Ereignis. Einführung, S.9-43. Zweifellos lässt sich aus der Demonstration diskursiver und intellektueller Gewinn ziehen, insofern nicht ausgeschlossen ist – und nicht ausgeschlossen werden sollte –, dass die Versuchsinszenierung (beziehungsweise das von ihr überlieferte Bild) metaphorisch oder allegorisch gelesen und, sozusagen, dem metaphysischen Streit zwischen Plenisten und Vacuumisten rücküberantwortet wird, tatsächlich aber an die Wahl des Beispiels gebunden ist, dass die temporäre Demonstration etwas inszeniert, dessen Bestand de facto nicht garantiert werden kann. Denn nachhaltig beweist sich die Kraft des Vacuums nicht, bewährt sich nur, wie es für den Augenblick erscheint. Dass der prestigio den turn nicht benutzt hat, um dem pledge des Intros den Rücken zuzukehren, kann niemand belegen. Verführung und Schein der Performance trotzdem zum Paradigma szenografischer Vorstellung zu erheben zeigt die ästhetisierende Lesart künstlerischer
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Inszenierung, die auch die energetischen und intellektuellen Effekte der Affektmodulation adaptiert. Sie werden zu Funktionen von Geschmack und Wohlbefinden. Man muss nicht auf Hegels Phänomenologie rekurrieren, um die Gefahren zu erkennen. Unschädlich vielleicht in der Kreatividylle, zeigen schon Nolans oder Priests Prestige (Priest 2005: Prestige) – eine Fiktion, die in der Kunst- und Unterhaltungsszene spielt –, dass es sich um eine Angelegenheit auf Leben und Tod handelt. Diese Lesart für jede Art der Inszenierung angeeignet, ist man in der Lage, auf der Höhe mediakratischer Verhältnisse mitzuspielen, auch angesichts von Überlegungen, die es aufgrund eines Seriosität und Verantwortung vermittelnden Auftritts ermöglichten, die faktischen Folgen, die eine technologisch technische Installation im Gewand einer ästhetisierten Bühnenschau ausblendet, inszenierungsskeptisch mitzubedenken. Aber was hätte eine moralische oder auch nur praktisch sicherheitssensible Unterstellung der inszenierungsgesellschaftlichen Komplettmedialisierung und ihrer Attraktivität wirklich entgegenzusetzen? Dass auch die Wissenschaften, die Technik allemal, sich hier grundsätzlich nicht bitten lassen, gehört zu den Tatsachen oder, um mit Badiou zu reden, zu dem, was sich ereignet. Guericke und Schott präsentierten sich vor ihren Gönnern und Geldgebern – schon hier sieht man die Relevanz der gatekeeper und door opener und der auf sie zugeschnittenen Zwecke, die nichts mit der Beeindruckung durch Luftdruck oder Pneuma zu tun haben. (Vgl. die Analyse der Konzeptualisierungsvorstellungen der zeitgenössischen performing art in Teil IV.) Nicht nur der Guericke-Demonstration vermeintlich stabiler Effekte gegenüber wäre anzumerken, dass dem technischen Fortschritt jederzeit der Fortschritt des Unfalls zur Seite steht. 23
An Fälle wie das Velázquez-Gemälde, von dem wir sprachen, wäre zu denken. Wie im kunsthistorischen Diskurs zuhauf, wird man etliche Male mit einem rekonstruierten Entwurf zur Realisierung des Bildes konfrontiert, meist durchaus auch in diagrammatisierter Form. Nicht ›nachgereicht‹ entsprächen dem die Skizzen, Kartons und Diagramme, wie sie sich etwa im Nachlass vieler Maler finden. Nicht selten werden sie selbst zum Werk, zu einem »unvollendeten« Werk erklärt. Die Einstufung als eines »Nachgereichten« ist auf jeden Fall problematisch und eher programmatisch medienorientiert denn sachlich erklärend. Vgl. Friedrich Weltzien: Der »nachgereichte Entwurf«. Frühe Phototheorie und die Frage der Bildentstehung, in: Entwerfen und Entwurf. Praxis und Theorie des künstlerischen Schaffensprozesses, hgg. von Gundel Mattenklott und Friedrich Weltzien, Berlin 2003.
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Ich denke zum Beispiel an »Operationspläne« aller Art, angefangen bei der Medizin, aber auch an Baupläne für Internierungs- oder Konzentrationslager, Aufmarschpläne für Schlachten oder Belagerungen, Kundgebungen oder Demonstrationen. Schließlich gibt es auch Pläne für Heterotopien, deren Szenario sich nicht als szenische Entfaltung, sondern als verborgenes Spiel auf weitgehend unbekannten Schattenbühnen abspielt. Obwohl hierfür bestimmt, existieren nichtsdestotrotz Entwürfe, Pläne und Diagramme, Entsorgungs- und Einlagerungspläne für die unterschiedlichsten Lokationen: Grabstättendiagramme, Bunkerszenarien, Endlagerpläne etc. pp.
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In begrifflicher Hinsicht wäre dies ganz im Sinn der diagrammatischen Methode Peircens, einer »Methode, Diagramme oder Folgen von Buchstaben und Zeichen auf dem Papier als ein Hilfsmittel der logischen Analyse zu verwenden«, nie vergessend sowohl »dass jedes Verknüpfungszeichen, wie unbedeutend es auch sein mag, die Verkörperung eines Begriffs ist« (und zwar »nicht irgendein[es] Begriff[s], sondern ein[es] eindeutige[n] Begriff[s]«) als auch um „welchen eindeutigen Begriff« es sich handelt. Charles S. Peirce: Die Grundlagen des Pragmatizismus. Drei Entwürfe zu einem Aufsatz (MS 282-284; 1905), 3. Entwurf MS 284, S.367, Hervorhebungen – CSP; zit. als Peirce 1905/1990: Grundlagen des Pragmatizismus.
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Die Warnung vor entsprechenden Fehlschlüssen siehe Peirce 1905/1990: Grundlagen des Pragmatizismus, ebd.
27
Vgl. Michel Foucault: Die Regierung der Lebenden. Vorlesungen am Collège de Françe 1979-1980, Berlin 2014; zit. als Foucault 1979/80/2014: Regierung der Lebenden, insbesondere zum Begriff des »Wahrheitsregimes« im Anschluss an den Begriff des »Systems der Veridiktion« aus: Die Geburt der Biopolitik. Vgl. Michel Foucault: Die Geburt der Biopolitik. Geschichte der Gouvernementalität II, Frankfurt am Main 2006, S.60; zit. als Foucault 2006: Geburt der Biopolitik. Siehe dazu die Zusammenfassung der Vorlesungen 1979/80 durch Michel Senellart, in: Foucault 2014: Regierung der Lebenden, ebd., S.469-462. Foucault kommt am Ende zu ähnlichen Konsequenzen wie Peirce. Der Diskurs verbindet sich nicht unmittelbar mit den Praktiken. Tatsächlich rückt – in den Worten Senelarts – mit den Vorlesungen am Ende der 1970er Jahre »die spezifische Art von Pflichten« in den Fokus der Foucault´schen Gouvernementalitätsanalyse, »denen sich ein Individuum innerhalb
463
des Aktes unterwirft, durch den es sich zum Akteur einer Wahrheitsmanifestation macht«. Das aber sind, kurz und mit Peirce gesagt, Akte des Schlussfolgerns oder schlussfolgernden Bedeutenlassens aufgrund von (oft genug nahegelegten) Gewohnheiten oder Gewohnheitsveränderungen. Zitat ebd., S.461. 28
Beispiele literaturhistorischer, historiografischer und wissenschaftsgeschichtlicher Fallanalysen siehe in: Heiner Wilharm: Ereignis, Inszenierung, Effekt. Bausteine der Szenologik, in: Bohn/ Wilharm 2009: Inszenierung und Ereignis. S.207-267; zit. als Wilharm 2009: Ereignis, Inszenierung, Effekt.
29
Siehe Arthur C. Danto: Die Verklärung des Gewöhnlichen. Eine Philosophie der Kunst, Frankfurt am Main 1984, 5.Kap.: »Interpretation und Identifikation«, S.178-208; zit. als Danto 1984: Philosophie der Kunst; das Diagramm siehe ebd., S.186.
30
Siehe unten Teil IV.
31
Vgl. Umberto Eco zur »Dialektik von Kunstwerk und Offenheit«, in: ders.: Das offene Kunstwerk, Frankfurt am Main 1973, S.154-185; zit. als Eco 1973: Offenes Kunstwerk. Eco erinnert zurecht daran, dass bei aller Offenheit »das Fortbestehen des Kunstwerks die Garantie für die kommunikativen Möglichkeiten und zugleich für die Möglichkeiten zu ästhetischem Genuß« darstellt; Zitat S.185, ebd. Ich würde »kommunikative« durch »szenische« Möglichkeiten ersetzen und ›Kunstwerk‹ einfach apostrophieren, um anzuzeigen, dass es hierin um Handlungs-, Gestaltungs-, Aufführungs- oder Expositionszwecke überhaupt geht. Davon kann die Strategie der Bedeutungsoffenheit nicht absehen, wenn nicht die ›Werk‹-Qualität allein die »Funktion ausübt, die für andere das Meskalin hat«. Vgl. ebd., S.166-168; Zitat S.167.
32
Vgl. Boris Groys: Der Künstler als Konsument, in: Boris Groys: Topologie der Kunst, München 2003, S.47-58; zit. als Groys 2003: Künstler als Konsument bzw. Groys 2003: Topologie der Kunst.
33
»In ästhetischer Hinsicht herrscht weitgehende Übereinstimmung darüber, daß K.s Werk ein Erfolg ist, J.s Werk hingegen ein Fehlschlag«. Danto 1984: Philosophie der Kunst, S.188; das folgende Zitat ebd.
34
Vergleichbare Fälle entwickelt Arthur C. Danto, in: Danto 1984: Philosophie der Kunst in der Auseinandersetzung mit Goodman (S.215-217) und im Folgenden an einem Beispiel der Diagrammatisierung eines Porträts, das Cézanne von seiner Frau gemalt hatte, durch den Kritiker Erle Loran (1943). Dieses ›Diagramm‹ wiederum führte schließlich Roy Lichtenstein, sozusagen die Auffassungen Dantos beglaubigend, einige Jahre später als Gemälde aus – bekannt als Portrait of Madame Cézanne –, das nur in Material und Format von Lorans ›Diagramm‹ abweicht. Ein Entwurf, der nichtsdestotrotz ein fertiges Kunstwerk darstellt, zumindest im ersten Fall. Das Loran-Artefakt müsste man diskutieren. Siehe Danto 1984: Philosophie der Kunst, S.218-221.
35
Danto verweist auf Nelson Goodman: Languages of Art. An Approach to a Theory of Symbols, Oxford 1969; dt. Sprachen der Kunst. Entwurf einer Symboltheorie, Frankfurt am Main 1995, Kap.VI, I, S.212; zit. als Goodman1969/1995: Sprachen der Kunst.
36
Indem der Produktionskontext bei beiden Werken als kunstaffin ausgemacht ist, in einem Fall allerdings eine automatengestützte Produktionsweise, also reproduzierbare Kunst vorgestellt werden soll. Vgl. Danto 1984: Philosophie der Kunst, S.216-218.
37
Danto 1984: Philosophie der Kunst, S.191f; 1. Hervorhebung – ACD, 2. Hervorhebung – HW.
38
Siehe Groys 2003: Kunstwerk und Ware, S.27f.
39
Friedrich Creuzer: Symbolik und Mythologie der alten Völker, besonders der Griechen, Leipzig/Darmstadt 1819, S.70f.
40
Benjamin 1972: Trauerspiel, S.190; dort die Opitz-Referenz. Zitat Creuzer S.181, ebd. Weitere Belege des 17.-19. Jahrhunderts im selben Kapitel: »Allegorie und Trauerspiel«.
41
Die von Benjamin gerühmte Allegorie-Studie dazu aus der Hand von Karl Giehlow: Die Hieroglyphenkunde des Humanismus in der Allegorie der Renaissance, besonders der Ehrenpforte Maximilians I. Ein Versuch, Wien/Leipzig 1915 (zum Kontext vgl. Benjamin 1972: Trauerspiel, S.84-187).
42
Vgl. Benjamin 1972: Trauerspiel, S.201, Benjamin denkt an eine Konzeptualisierung, wie sie sich bei Harsdörffer findet.
43
Konkret in jeder Form von Komplexion inter- oder transmedialer Präsenz annehmbar.
464
iii raumstrategie & entwurfsdiagrammatik
44
Insgesamt handelt es sich selbstredend nicht um allein ›künstlerische‹ Produktionen und Darbietungen. Beispielsweise ist ›Text‹ selbstverständlich auch wissenschaftlicher Text über die gesamte Bandbreite der harten und der weichen Wissenschaften hinweg. Gerade im Feld der sciences ist die Modellbildung als topologisch morphologische, strukturale und funktionale ›Beschreibung‹ des Gegenstandsfelds mit Hilfe diagrammatischer Verfahren zu Hause.
45
Interessanterweise findet sich in Schmidt-Burkhardts Kunst der Diagrammatik kaum eine Diagrammabbildung, die in ihrer ästhetischen Formierung nur auf sich selbst, nicht irgendwie – als mind map, Karte, Modell – auf ein darüber hinaus Gemeintes verwiese – und sei es »die Kunst«. Am ehesten noch käme ein Beispiel aus Sternes Tristram Shandy infrage, in dem Sterne die wissenschaftliche Verobjektivierungsmanie per Grafismus seiner Zeit karikiert und eine ›Erzählflussgrafik‹ in seinen Text einbaut (in der Ausgabe von Laurence Sterne: Life and Opinions of Tristram Shandy, Gentleman, Bd.6, London 1761, S.152f, abgedr. in: Schmidt-Burkhardt 2012: Kunst der Diagrammatik, S.178.) Das ist insofern aufschlussreich, als es deutlich macht, dass es bei der Kunst der Diagrammatik nur am Rande um ›Kunst‹ im Verständnis eines definierbaren Bestands der Fine arts geht. (Siehe aber Gerhard Henschel: Die wirrsten Grafiken der Welt, Hamburg 2003.) – Anders allerdings ist der Status der Diagrammatik in der postmodernen Kunst der Gegenwart zu beurteilen.
46
In der relativ späten, in The Monist 1906 veröffentlichten Fassung zur Erläuterung des pragmatizistischen Programms, den Prolegomena zu einer Apologie des Pragmatizismus (P 1128, Peirce 1906/1993: Prolegomena, in: Peirce 1993: Semiotische Schriften 3: S.132-192). Was mittels der Existentiellen Graphen zur Darstellung gebracht wird, ist eine ikonische Darstellung der Schlussfolgerungsprozesse des Denkens, genauer der Aussagenlogik, der Prädikatenlogik erster Stufe mit Identität und der Modallogik. Es gilt, dass alle Zeichen, die in irgendeiner Weise eine Behauptung (später auch andere Modalitäten) über den Zustand des Diskursuniversums ausdrücken, als Graphen dargestellt erscheinen. Das Behauptungsblatt (»Assertion Sheet«), auf dem die Einträge erfolgen, ist mithin auch selbst als Graph zu verstehen. Vgl. neben den Einleitungen Helmut Papes in die einschlägigen von ihm erarbeiteten Übersetzungen und seinen diversen Arbeiten zur Peirce´schen Logik, Philosophie und Wissenschaft (Bibliografie auf https://portal.dnb.de/ opac. htm? query=Woe%3D130222720& method=simple Search; Zugriff 11_2012) als Standardeinführung: Don D. Roberts: The Existential Graphs of Charles S. Peirce, Den Haag 1973 (in: Approaches to Semiotics 27). Siehe auch Ralf Müller: Die dynamische Logik des Erkennens von Charles S. Peirce, Würzburg 1999. Die Primärquellen zur Logik der Existentiellen Graphen finden sich in: The Collected Papers of Charles S. Peirce, Bde.I-VI, hgg. von Charles Hartshorne und Paul Weiss, Bde.VI-VIII hgg. von Arthur Burks Cambridge (Mass.) 1931-35/1958, Bd.IV, S.320-470 und S.530-572 (d.i. Nachdruck von Band III und Band IV: Harvard University Press 1987). Alle Einzelbeiträge Peircens daraus zwischen 1870 und 1911 werden nachgewiesen auf: http://plato.stanford.edu/ entries/ peirce-logic/ #PriSou; Zugriff 12_2012. Dort auch weitere Quellen und Sekundärliteratur.
47
Also auch solche, die keineswegs nur auf den Sehsinn wirken würden, sondern etwa auf den Tastsinn, das Raumempfinden etc., sodass sie schon deshalb, weil simuliert, definiert in die diagrammatische Darstellung eingeführt werden müssen. Eine Übersicht zu den zwölf von Peirce verwendeten Tinkturen findet sich in: Peirce 1993/1906: Prolegomena, S.168, Fig. 1. Im engl. Online-Text (Peirce: Prolegomena to an Apology for Pragmaticism) in 5. »Tinctured Existential Graphs«, 533, Figure 197. Siehe dazu Helmut Pape in: Peirce 1993: Semiotische Schriften 3, Einleitung: »Die Modallogik des Diskursuniversums«, S.57-59; zit. als Pape 1993: Semiotische Schriften 3, Einleitung.
48
Vgl. Pape 1993: Semiotische Schriften 3, Einleitung, 3. Kapitel: »Die Existentiellen Graphen als Situationslogik«, S.37 zum »Phemischen Blatt« (»Phemic Sheet«) der grafischen Logik. Peirce verwendet diesen Ausdruck in den Prolegomena 1906 (Nachweis ebd.): Es handelt sich um eine Folie, die auch als »Quasi-Geist« eines Interpreten adressiert wird. Die Folie fasst damit alles Verzeichnete im Sinne eines Begriffs der »Wahrheit« – »im Sinne des weitesten Universums der Realität« – wie im Sinne von »Aussage« – Aussage »von allem, was zwischen Graphisten und Interpreten von Beginn der Diskussion an praktisch als gültig angenommen ist« (Zitat ebd., Anm. 41). Wir haben hier ein Beispiel für die Artikulation des Zusammenhangs von Wahrheitsbehauptung und praktisch relevanter Gültigkeitsbehauptung.
49
Konventionen und Regeln, die in Peircens Grafischer Logik diese Voraussetzung schaffen, finden sich zusammengefasst in Müller 1999: Dynamische Logik, S.149f; zur Reichweite siehe ebd., S.151ff.
50
Auch wenn gewisse Intuitionen, die aber eher Erinnerungen an schon konventionalisierte Zeichenfunktionen entsprächen, schon zuvor gewisse Evidenzen beanspruchen möchten, Implikations- oder
465
Folgerungszeichen vielleicht, Schnitt- oder Tilgungs-, (Radier-)Operationen etc. Im Resultat wiederum wird die Transformation den Symbolismus und die Indexikalität brauchen, insgesamt mithin die Interpretation. (Vgl. Umberto Eco: Semiotik. Entwurf einer Theorie der Zeichen, nach der englischen Ausgabe A Theory of Semiotics 1976, übersetzt von Günter Memmert, München 1987, S.263ff, worin Eco auf diesen Umstand hinweist.) Beispielsweise gelangt der Grafismus auch bei der Darstellung bestimmter Modalitätsdifferenzen an seine Grenzen, müsste jedenfalls medial transformiert werden, wenn unter bestimmten Bedingungen die Zeit ins Spiel gerät. (Siehe Peirce CP: 2.447.) Dabei ließe sich ein ›positiver Perspektivismus‹ im Durchgang durch unterschiedliche Modalitäten durchaus beibehalten. (In simpler Form ein entsprechender Formalismus angepasster Modalität und ein entsprechender Eintrag auf dem Behauptungs- oder Phemischen Blatt,(vgl. unten zu den Modalitäten). Problematischer hingegen könnte die Darstellung eines Irrealis des Vergangenheit geraten, der eine Täuschung oder einen Irrtum indizierte, auf dessen Grundlage mit Hilfe des Regelwerks nichtsdestotrotz zunächst korrekt erscheinende Schlussfolgerungen gezogen wurden, die aber aufgrund von Täuschung oder Irrtum post festum als fehlerhaft rückgängig gemacht gehörten: Fragen nicht eines Fehl-, sondern eines Scheinschlusses. Man könnte diese Figur auch einen ›inszenierten Schluss‹ nennen. Wenn deutlich gewesen wäre, dass die den gesamten Schlussfolgerungsvorgang tragende Prämisse im turn des weiteren Schließens derart kaschiert wurde, dass die Konklusion des prestigio zwar korrekt geschlussfolgert erscheinen musste – so als hätte es keine Täuschung durch Veränderung der Prämissen gegeben –, der Schluss in Wahrheit aber einer veränderten Prämisse galt – sodass, wäre dies bekannt gewesen, das fehlerhafte Folgern offenbar geworden wäre –, dann müsste der grammatisch mögliche und formulierbare, aber nicht verwirklichte Schluss als ein hypothetisches Schlussfolgern aufgrund beibehaltener und zutreffender Prämissen gelten. Verbunden wäre dies mit einem ebenfalls hypothetischen, notwendig gegenüber den Tatsachen alternativen Ereignen in Raum und Zeit einer derart virtuellen Parallelwelt. Siehe dazu unten die Diskussion der »Schattenbühne«. 51
Peirce 1906/1993: Prolegomena, S.134.
52
Ritter: HWPh, Bd.1, S.226.
53
Immanuel Kant: Prolegomena zu einer jeden künftigen Metaphysik, die als Wissenschaft wird auftreten können, in: Kant: Werke AA, Bd.IV, Prolegomena, §58, S.358; zit. als Kant 1783/1968: Werke, AA, Bd.IV, Prolegomena.
54
Kant 1783/1968: Werke, AA, Bd.IV, Prolegomena, §48.
55
Beispiele solcher Transformationen oder Alternativen siehe auf http:// logik.phl.univie.ac.at/ ~chris/ gateway/ peirce-examples.html; Zugriff 02_2013.
56
Als »Kolligation« bezeichnet wird das schrittweise nachvollziehbare Behaupten mittels Hinzufügung oder Löschung grafisch ikonischer Elemente oder mittels des Ersetzens von Kolligationen durch vereinfachende Abstraktionen. Insofern handelt es sich um eine dynamisch interaktive Grafik.
57
Peirce CP: 2.278 (zit. bei Müller 1999: Dynamische Logik, S.165).
58
Müller 1999: Dynamische Logik, S.171.
59
Die beispielsweise in einer vergleichsweise theatrischen Szenografie logischer Beziehungen der »topischen Logik« früherer Zeiten zuweilen sehr zu wünschen übrig lässt. Denn vergleichsweise viele Bildelemente haben mit der Demonstration der ›logischen Maschine‹ wenig zu tun. Beispiele bieten die frühneuzeitlichen oder barocken Wissenschafsttheorie- und Logikdiagramme. Siehe etwa den »Garten der Logik« von Martin Meurisse. (Martin Meurisse: Artificiosa. Tomus totius Logices Descriptio, Paris 1614, abgdr. in: Graphic Arts Collection Princeton University Library. Dass. auch in: Deutsche illustrierte Flugblätter des 16. und 17. Jahrhunderts, hgg. von Wolfgang Harms, Bd.I, Tübingen 1985, S.4/5.) Bei diesem »Garten der Logik« handelt es sich um eine Tafel, mit Hilfe derer die Logikstudierenden der Pariser Franziskanerminoriten Mitte des 17. Jahrhunderts arbeiteten und unterwiesen wurden. Siehe dazu Jörg F. Maas: Zur Rationalität des eigentlich Irrationalen. Einige Überlegungen zu Funktion und Geschichte des Diagramms in der Philosophie, in: Gehring u.a. 1992: Diagrammatik und Philosophie. Akten des 1. Interdisziplinären Kolloquiums der Forschungsgruppe Philosophische Diagrammatik, hgg. von Petra Gehring u.a., Amsterdam 1992, S.68-72; zit. als Gehring u.a. 1992: Diagrammatik und Philosophie. Des Weiteren zur Diagrammatik des 15.-18. Jahrhunderts siehe auch Stephen Ferguson: System and Schema. Tabulae of the Fifteenth to Eighteenth Centuries, in: Princeton University Library Cronicle, Vol. XLIX, No.1,198, S.9-30.
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iii raumstrategie & entwurfsdiagrammatik
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Im »Denken sind wir gänzlich auf ein jedes Objekt ausgerichtet, an das wir denken, und dieses Objekt ist niemals oder kann niemals genau der Gedanke sein, den wir gerade denken.« Denken hat »die Form eines Dialogs [...], ist überlegt und Überlegung schließt das Stellen von Fragen ein, [...] ein fortgesetztes Befragen und Leugnen und folglich könnte ein Gedanke, wenn er sich selbst zum Objekt haben könnte, seine eigene Wahrheit leugnen, und der Denkende in ein Insolubilium der schlimmsten Art geraten«. Charles S. Peirce: Essays über Bedeutung (H). Entwürfe zu einem Logikbuch der Jahre 1909-10; II: Zweites Vorwort (H) MS 637 (1909), in: Peirce 1993: Semiotische Schriften 3, S.372; zit. als Peirce 1909/1993: Essays über Bedeutung II, MS 637.
61
Peirce: 1906/1993: Semiotik, Logisches Notizbuch :: Charles S. Peirce: Notizen und Skizzen zur Semiotik, I. Aus dem Logischen Notizbuch (H), (MS 339; 1906), in: Peirce 1993: Semiotische Schriften 3, S.212-227
62
In der Peirce´schen Terminologie.
63
Charles S. Peirce: Wahrnehmen als unbewußtes Schlußfolgern (MS 830, 831; 1905), in: Charles S. Peirce: Naturordnung und Zeichenprozeß. Schriften über Semiotik und Naturphilosophie, hgg. von Helmut Pape, Frankfurt am Main 1991, S.348f; Hervorhebung Ch.S.P.; zit. als Peirce 1991: Semiotik und Naturphilosophie; Peirce 1905/1991: Wahrnehmen als Schlussfolgern.
64
Vgl. Jean-Gérard Lapacherie: Der Text als ein Gefüge aus Schrift, in: Bildlichkeit, hgg. von Volker Braun, Frankfurt am Main 1990, S.72: »Ein Gefüge aus sprachlichen Zeichen, so abstrakt diese auch sein mögen, kann stets eine Figürlichkeit hervorbringen«; zit. in: Bauer/Ernst 2010: Diagrammatik, S.109.
65
Vgl. Heiner Wilharm 1992: »Ein Bild sagt mehr als tausend Worte«. Über Begriff und Verwendung diagrammatischer Darstellungen in Philosophie und Wissenschaft, in: Gehring u.a. 1992: Diagrammatik, S.136f; zit. als Wilharm 1992: Diagrammatik.
66
Peirce 1931-35: CP, 2.385.
67
Vgl. die Diagrammatik der Kategorien seit der Antike. In MS 493 von 1898 schreibt Peirce bei Betrachtung der Trichotomie von Monade, Dyade und Triade, dass diese Trichotomie seine vollständige »Kategorienliste« beinhalte und dass das entsprechende »Graphensystem« darauf beruhe. »In Wirklichkeit waren es die Betrachtungen über die Kategorien, die mich lehrten, das Graphensystem zu konstruieren.« Peirce 1898/1991: Streit zwischen Nominalisten und Realisten, S.378. Bei Peirce steht das erwähnte Diagram of the IT als ein vergleichsweise frühes und piktoriales Beispiel (1859); ein spätes siehe in: The Ten Main Trichotomies of Signs (Dez.1908), in: The Essential Peirce. Selected Philosophical Writings, Vol.2 (1893-1913), ed. by The Peirce Edition Project, Bloomington/ Indianapolis 1998, S.488-491; zit. als Peirce-Edition Project 1998: The Essential Peirce, Vol.2. Eine Übersicht über die Entwicklung der Kategorien-Diagramme bei Peirce zeigt Helmut Pape in der Einleitung zu: Peirce 1990: Semiotische Schriften 2., S.15; zit. als Pape 1990: Semiotische Schriften 2, Einleitung.
68
Siehe Charles S. Peirce: Kategoriale Strukturen und graphische Logik (H), Logischer Traktat Nr.2 und zwei Teile der Dritten Lowell-Vorlesung (1903). In: Peirce 1990: Semiotische Schriften 2, S. 98-165; zit. als Peirce 1903/1990: Lowell-Lecture 3.2.1.
69
Die sich ebenfalls in Analogie auf die Urteilstafeln beziehen (Urteile der Quantifizierung, der Qualifikation, der Relationierung und der Modalitäten). Siehe Immanuel Kant: Kritik der reinen Vernunft, 2.Aufl., »Transcendentale Logik«, 1.Abt., 2.Buch, 1. Hauptst. »Von dem Schematismus der reinen Verstandesbegriffe«. In: Kant: Werke ATA, Bd.III, 182-187, S.137-139; zit. als Kant 1787/1968: Werke, KrV, 2).
70
Siehe Kant 1787/1968: Werke, KrV, 2, 179/180, S.135.
71
Kant 1787/1968: Werke, AA, KrV, 2 176, S.133.
72
Siehe Immanuel Kant: Kritik der reinen Vernunft. 1. Aufl., »Transcendentale Logik«, 1.Buch, 1.Hauptst., 3.Abschn.: »V. d. reinen Verstandesbegriffen od. Kategorien« (in: Kant: Werke ATA, Bd.IV, S.65. Die erwähnte analoge Urteilstafel, ebd., S.70, S.60; zit. als Kant 1787/1968: Werke, KrV, 1.).
73
Kant 1787/1968: Werke, KrV, 1, 169-171, S.130f.
74
Kant 1787/1968: Werke, KrV, 1, 670/671, S.426f (das folgende Zitat ebd., S.429).
75
Zu erinnern nämlich ist, dass Peirce unter »Logik« Semiotik (Diagrammatik), Argumentationstheorie
467
und Wissenschaftstheorie fasst, während etliche Bestandteile der heutigen »formalen Logik« zur Mathematik gezählt werden. 76
Siehe Peirce 1906/1993: Prolegomena. Des Weiteren aus demselben Jahr Charles S. Peirce: Über das System der Existentiellen Graphen als ein Werkzeug zur Erforschung der Logik betrachtet (MS 499 und 499s, 1906), in: Peirce 1990: Semiotische Schriften 2, S.392-413. In einer früheren Fassung siehe Peirce 1986: Semiotische Schriften 1, S.345-347: Existentielle Graphen. Ein System des logischen Ausdrucks (MS 339, Logisches Notizbuch, 11. Juni 1898). Des Weiteren S.352f, ebd.: Logisches Diagramm (oder Graph). Hier auch ein Verweis auf die populären Diagramme Eulers und die gerade von Venn vorgeschlagenen »Verbesserungen« (ebd.). Ansonsten siehe die vielen Beispiele von Diagrammen zur Zeicheninteraktion, wovon das sogenannte ›Semiotische Dreieck‹ oder ›Triadenmodell‹ und seine Abwicklungsvarianten nur eine prominente Sorte umfassen. Vergleichbares ließe sich an diagrammatischen Exempeln realisieren, wie sie Peirce im Rahmen seiner verschiedenen Ansätze zur kategorialen Systematik vorstellt. Die Arbeiten zit. als Peirce 1906/1990: Existentielle Graphen und Peirce 1898/1990: Existentielle Graphen
77
Peirce 1906/1993: Prolegomena, S.133.
78
Siehe ebd. und Charles S. Peirce: Fragen zur Realität (MS 931, 1868), in: Peirce 1986: Semiotische Schriften 1, S.160-347, Zitat S.173.
79
Peirce 1898/1986: Logisches Diagramm, S.352.
80
»Indem man etwas tut, stellt man sich und sein Tun mehr oder weniger spektakulär zur Schau«, »ein Aspekt des Handelns, der in vielen Fällen nur medienspezifisch realisiert werden kann. Selbst dann, wenn die Zurschaustellung nicht bewusst als eine Form der (Selbst-)Inszenierung vollzogen wird, [...] Fremdbeobachtung des eigenen Handelns weder intendiert noch reflektiert wird, muss man [!] den szenischen Charakter der Handlung bedenken«, ihre objektive Inszeniertheit sozusagen. Angesichts der nicht wegzudenkenden Allgegenwart von »Medien« ist nämlich deren Inszenierungswut nicht zu entkommen, ob man will oder nicht (Zitat in: Bauer/Ernst 2010: Diagrammatik, S.328). Wenn aber zwischen Inszenierung und Szenifikation nicht unterschieden werden kann, gehören alle Szenen, jeder szenische Charakter von Handlung, zur Inszenierung. Eine wahre Inszenierungsgesellschaft.
81
Aristoteles: Organon VI, Sophistische Widerlegungen, 164a-165a, in: Aristoteles: Schriften in sechs Bänden, Hamburg 1995, Bd.2, Organon VI (1. Kap. 164a,b, 165a: S.1-3; 4. Kap. 165b, 166a, 167a: S.4/, S.7, S.10). Als Beispiel für Homonymie bringt Aristoteles das griechische manthanein, dessen eine Bedeutung »von der Wissenschaft Gebrauch machen« ist, die andere »lernen«, »Wissen erwerben« (vgl. ebd., S.5). Was die Differenz zwischen Syllogismus und Sophismen angeht, heißt es in den Sophistischen Widerlegungen: »Und die einen sind wirklich schön, während die anderen nur den Schein der Schönheit besitzen, weil sie sich aufgeputzt haben. […] Auf gleiche Weise sind der eine Schluß und die eine Widerlegung wirklich solche, die anderen sind es nicht, müssen aber der Unerfahrenheit so erscheinen. Die Unerfahrenen sehen hier, gleichsam wie entfernt Stehende, nur von weitem. Der Schluß erfolgt aus bestimmten Voraussetzungen, so daß er mit Notwendigkeit etwas anderes als das Vorausgesetzte aufgrund des Vorausgesetzten ausspricht, und die Widerlegung ist ein Schluß mit Widerspruch gegen den Schlußsatz (des Gegners). Die scheinbaren Schlüsse und Widerlegungen aber leisten dieses nicht, scheinen es aber aus allerlei Gründen zu leisten, und hier ist eine Quelle, aus der der Schein entspringt, die natürlichste ungewöhnlichste: wir meinen die Verwendung der Worte. Man kann beim Diskutieren nicht die Dinge selbst hernehmen, sondern gebraucht statt ihrer, als ihre Zeichen, die Worte. Daher glaubt man dann, was für die Worte gilt, müsse auch für die Dinge gelten, wie wenn man rechnete und es mit Rechensteinen zu tun hätte. Aber hier fehlt die Gleichheit. Die Worte als ebenso viele Begriffe sind der Zahl nach begrenzt, die Zahl der Dinge aber ist unbegrenzt. Darum muß derselbe Begriff und ein und dasselbe Wort gleichzeitig eine Vielheit von Dingen bezeichnen. Wie darum in dem gedachten Beispiele diejenigen, die mit dem rechten Stein nicht umzugehen wissen, von den Kundigen betrogen werden, ebenso machen auch bei den Begründungen die der Wortbedeutungen Unkundigen Fehlschlüsse, mögen sie nun selbst diskutieren oder anderen dabei zuhören. Aus diesem und anderen, noch zu nennenden Gründen also gibt es Schlüsse und Widerlegungen, die solche scheinen, ohne es zu sein« (Zitat ebd., 164a,b, 165a, S.1f). – Arnaulds und Nicoles Logik von Port-Royal aus der zweiten Hälfte des 17. Jahrhunderts beinhaltet ebenfalls (in Kapitel XIX und XX des dritten Teils) eine umfängliche Diskussion der »schlechten Schlüsse« oder »Sophismen«. Die neun aufgezählten Varianten wären allesamt als Kandidaten bestimmter Inszenierungsstrategien heranzuziehen. (Antoine Arnauld, Pierre Nicole: Die Logik oder die Kunst des Denkens, Darmstadt 2.Aufl. 1994 (nach der
468
iii raumstrategie & entwurfsdiagrammatik
6. frz. Aufl., Amsterdam 1685, übersetzt und eingeleitet von Christos Axelos), S.232-281; zit. als Arnauld/Nicole 1685/1994: Logik. – Siehe auch Charles S. Peirce: Material Fallacy, in: Peirce’s Contributions to Baldwin’s Dictionary (Online-Ressource erreichbar unter: http:// www.jfsowa. com/ peirce/baldwin.htm; Zugriff 5_2013). Die Beiträge Peircens zu Baldwins Lexikon siehe in: The Dictionary of Philosophy and Psychology, hgg. von James Mark Baldwin, London 1901 (als OnlineRessource erreichbar unter: http:// psychclassics. yorku.ca/ Baldwin/Dictionary; Zugriff 5_2013); zit. als Peirce 1901: Baldwin Dictionary. 82
Aristoteles: Sophistische Widerlegungen, 168a, S.12f, S.169a, S.16f.
83
Am Collège de France 1970/71. Siehe Vorlesung 3 und 4 vom Januar 1971, in: Foucault 1970/71/2012: Wille zum Wissen, Vorlesungen, S.52-98. Die 5. Vorlesung leitet über zur Genealogie der Wahrheit aus den Gerichtsdiskursen.
84
Vgl. auch Foucault 1979/80/2014: Die Regierung der Lebenden. Am Ende der 70er Jahre steht die Wahrheitsfrage, damit die Frage der Vermittlung und der Medien ganz im Mittelpunkt des Foucault´schen Interesses an den Praktiken der Machtausübung. Schon in einem seiner Vorträge an der Katholischen Universität von Rio de Janeiro Mitte der siebziger Jahre hatte Foucault den Zusammenhang von Macht und Wahrheit als eines der wichtigsten Themen zukünftiger Forschung zu den Dispositiven der Politik bezeichnet. (Vgl. Michel Foucault: Die Wahrheit und die juristischen Formen, in: Foucault 2001: Schriften II, S.669-792; zit. als Foucault 1973/2001: Wahrheit und juristische Formen. Für unseren Kontext siehe besonders Kapitel I und II.) In seinen Analysen verfolgt er die Konstellation bis hin in die Zeit der griechischen Literatur und Philosophie. Im Ödipus der gleichnamigen Sophokles-Tragödie findet Foucault den vorplatonischen Typ der Verbindung »Wissen-und-Macht oder Macht-und-Wissen«. Foucault vergleicht das Übermaß von Macht und Wissen, das sich in der Person des Ödipus verkörpert – so sehr, dass er selbst schließlich überflüssig wird – mit der kurze Zeit später entstandenen platonischen Philosophie. Was letztlich zutiefst entwertet und disqualifiziert werde, sowohl in Sophokles´ Ödipus als auch in Platons Politeia, sei »das Thema oder eher noch die Figur oder Form eines privilegierten und zugleich exklusiven politischen Wissens.« Beide Diskurse, so Foucault, zielten historisch vordergründig auf die Figur des Sophisten, der berufsmäßig mit der politike techne, mit dem Wissen um das Politische zu tun hatte, und um die politische Machtausübung. »Doch hinter dem Sophisten zielen Sophokles und Platon letztlich auf eine andere Personengruppe, deren kleiner Repräsentant, Fortsetzung und historisches Ende der Sophist ist, auf die Person des Tyrannen«, eine Figur, die dem Denken des 5. Jahrhunderts in Griechenland sehr vertraut war und in der Gestalt des Ödipus exemplarisch Gestalt angenommen hatte. Was den Tyrannen auszeichnet, ist nicht seine unumschränkte Macht, sondern dass sie sich zusammentut mit einem überlegenen Wissen. Die Tyrannen sind in der Lage, eine daniederliegende Stadt wieder aufzurichten, wie Kypselos Korinth mit Hilfe einer neuen Wirtschaftsverfassung oder Solon Athen mittels einer neuen Gesetzgebung. Platon wäre also mit seiner Philosophie angetreten, die archaische Form des Machtwissens zu desavouieren, eines Wissens, dessen Eigenart wie in den bekannten »drei Funktionen« Dumézils« (siehe Georges Dumézil: Mythe et Épopée, Vol.I: L´Ideologie des trois fonctions dans lépopées des peuple indo-européens, Paris 1968) beschrieben, darauf beruhte, dass wie bei den Herrschern der assyrischen Großreiche metaphysisches und magisch-religiöses Wissen die Kunst des Regierens und der Politik mitbestimmte. Seit den Zeiten der griechischen Demokratie dann soll der Macht erstmals die Wahrheit entgegengehalten worden sein. »Mit Platon beginnt ein großer abendländischer Mythos, wonach es einen unüberbrückbaren Gegensatz zwischen Wissen und Macht gibt. [...] Diesen Mythos gilt es aufzulösen« (Foucault 1973/2001: Wahrheit und juristische Formen, S.704, S.703). Zweifellos ist der Zusammenhang schon in den Vorlesungen Foucaults zu Beginn der 70er Jahre präsent. Die Vorlesungen 1970/71 enden mit der Ödipus-Analyse. 1979/80 schließt Foucault hieran an. In den letzten Vorlesungen des Semesters 1983/1984 steht die Thematik der »Regierung des Selbst und der anderen« ausdrücklich unter dem Titel Der Mut zur Wahrheit.
85
Foucault 1970/71/2012: Wille zum Wissen, Vorlesungen, S.161f; die folgenden Zitate ebd., S.71-74, S.90, S.92, S.89.
86
Siehe Aristoteles: Sophistische Widerlegungen, 165a 21, 22, S.2; Vgl. Foucault 1970/71/2012: Wille zum Wissen, Vorlesungen, S.65f.
87
Denn in diesem Sinne interessieren wir uns für die Aufdeckung gewisser Schachzüge der Inszenierung durch die Widerlegungen des Aristoteles. Die Beurteilung des Sophismus als Phänomen der griechischen Geistes- und Sozialgeschichte steht auf einem anderen Blatt. Foucault selbst wird sein Urteil hier im Laufe der Jahre relativieren.
469
88
Als Referenz vgl. Aristoteles: Metaphysik, Buch III, 996b, 26-30.
89
Siehe John Louis Austin: How to Do Things with Words, Oxford 1962, 2. Aufl. 1972; dt. Zur Theorie der Sprechakte, Stuttgart 1972, 2. Aufl.1979; zit. als Austin 1962/1972: Sprechakte.
90
Insofern das Bedeutenlassen als Erinnerung an die Ideen vorgestellt wird, müsste man statt »voraus« »zurück« sagen. Ich denke eher an die Peirce´sche Bedeutungslehre, wie im Einzelnen erläutert. Foucault: »Die Apophantik erscheint als eine Operation der Verschiebung des Seins in Richtung der Idealität der Bedeutung. Und sie steht nicht mehr im Gegensatz zu anderen (nichtdeklarativen) Aussagetypen, sondern zu einer entgegengesetzten Operation, die darin besteht, das Verhältnis der Aussage zum Sein allein auf der Ebene des Aussageergebnisses zu halten. [...] Und im Vergleich zur sophistischen Materialität erscheint die Apophantik stets als Rückgriff auf die Idealität. Füreinander sind beide deshalb stets nur Schatten.« Dass sich von hier aus die Konzentration der klassischen Logik auf die behauptende Aussage ergibt, heißt nicht, dass hiermit auch schon der relevante Frontverlauf beschrieben wäre. Er ergibt sich erst aus der grundsätzlichen Bedeutung der Wahrheitsorientierung für Philosophie und Wissenschaften. Insofern handelt es sich nicht mehr um den Gegensatz »zwischen verschiedenen Aussagekategorien, sondern [...] zwischen verschiedenen Ebenen«: der der Realität der Darstellung und der der Inszenierung der Realität der Darstellung. Foucault 1970/71/2012: Wille zum Wissen, Vorlesungen, S.94f; Hervorhebung – HW.
91
4. Sitzung, ebd., S.95
92
Alle folgenden Zitate zu dieser Szene siehe Foucault 1970/71/2012: Wille zum Wissen, Vorlesungen, S.75.
93
Vgl. die vorhergehende Bemerkung, dass die »Region des Schattens« zugleich eine des »reflektierten Lichts« sei. Foucault 1970/71/2012: Wille zum Wissen, Vorlesungen, S.65; das folgende Zitat siehe ebd., S.76.
94
Vgl. Bauer/Ernst 2010: Diagrammatik, S.130.
95
Ich beziehe mich auf Überlegungen wie die des späten Peirce, in: Charles S. Peirce: Signifik und Logik, MS 642, 1909 (2. Version), in: Peirce 1993: Semiotische Schriften 3, S.415-417; zit. als Peirce 1909/1993: Signifik und Logik 2.
96
Vgl. Peirce 1909/1993: Essays über Bedeutung, II, Vorwort (MS 637), S.370f.
97
Die Erweiterung der Propositionen auf grammatisch korrekte Sätze seit 1906. Entsprechend verläuft die Verschiebung vom assertion sheet zum phemic sheet. »Extern gegenüber jedem Geist, der jetzt und jeder anderen Zeit Aktual [!*] ist«, heißt, dass Externalität in Peircens Verständnis »primär Tatsachen zukommt, da es bezogen ist auf die möglichen Wirkungen eines Aktualen Erkennens, und der Gehalt einer vollständigen Erkenntnis wird logisch als Proposition ausgedrückt.« Peirce 1909/1993: Signifik und Logik 2, S.417; Hervorhebung – HW. * Die Großschreibung von Adverbien, Adjektiven und Pronomen in Peirce-Zitaten weist darauf hin, dass Peirce diese Ausdrücke in einem eigenen Glossar definiert hat oder zu definieren gedachte. So auch wiederkehrend in anderen Zitaten.
98
Charles S. Peirce: Signifik und Logik, MS 641, 1909 (1. Version), in: Peirce 1993: Semiotische Schriften 3, S.394; zit. als Peirce 1909/1993: Signifik und Logik 1.
99
Wie sich beispielhaft im naturwissenschaftlichen Experiment zeigt, in dem die Exposition die Bedingungen des Ereignisses kreiert und somit das Ereignis des Objekts oder als Objekt zugleich das Ereignis seiner Beobachtung darstellt. Beide Instanzen indizieren sich gegenseitig, instantan.
100
Respektive aus der Performanz: eines »So-musste-es-Kommen«.
101
Peirce 1909/1993: Signifik und Logik 1, S.395.
102
Peirce 1909/1993: Signifik und Logik 1, S.403; Hervorhebung – CSP; das folgende Zitat ebd., Hervorhebung Mobilität – CSP, alle anderen Hervorhebungen – HW, Orthografie wie im zitierten Text.
103
Das Unternehmen, »die Analogie zu Definieren«. Peirce 1909/1993: Signifik und Logik 1, ebd., Hervorhebung – CSP.
104
Diese Erläuterungen im zweiten Anlauf von Signifik und Logik, in: Peirce 1909/1993: Signifik und Logik 2, S.419. In keinem der Entwürfe kommt es zur expliziten Definition beziehungsweise der Explikation der drei Seinsweisen. Ihre allgemeinste Fassung indiziert nicht mehr als die Anzahligkeit: »Erstheit«, »Zweitheit« und »Drittheit«.
470
iii raumstrategie & entwurfsdiagrammatik
105
Und geht dem ausführlich nach in MS 646 aus dem Jahr 1910: Charles S. Peirce: Definition. Vierter Entwurf, in: Peirce 1993: Semiotische Schriften 3, S.423-426.
106
Im Verständnis Peircens.
107
Peirce 1909/1993: Signifik und Logik 1, S.405. Nach jahrelangem Studium ist sich Peirce sicher, dass »diese Sache keine Täuschung, sondern eine abgesicherte und ausgesprochen dichte Approximation darstellt« (Zitat ebd.).
108
Peirce 1906: Prolegomena (MS 295, S.0044); zit. in: Pape 1993: Semiotische Schriften, Einleitung, S.57.
109
In ähnlicher Weise im Übrigen, wie diese Idealismen auch die Existenz interner Tatsachen im Lichte der Metaphysik leugneten. Siehe Peirce 1909/1993: Signifik und Logik 1, S.409-411. Die Dinge liegen dabei komplizierter als auf den ersten Blick vermutbar, insofern selbst im Blick auf das Uneindeutige die Antwort relativ ist und die Uneindeutigkeit des Uneindeutigen zu ventilieren wäre. Vgl. Lévy-Leblond 2010: Von der Materie. S.157ff.
110
Peirce 1909/1993: Signifik und Logik 2, S.416f.
111
»worüber man sagen kann, daß darüber das Prinzip des Ausgeschlossenen Dritten nicht anwendbar ist, was bedeutet, daß ›S wird oder würde P sein‹ und ›S wird P oder nicht-P sein‹ beide zugleich falsch sein können«.
112
»worüber man sagen kann, daß darauf das Prinzips des Widerspruchs nicht anwendbar ist, was bedeutet, daß ›S kann oder könnte P sein‹ und ›S kann oder könnte nicht-P sein‹ beide zugleich wahr sein können«.
113
»auf welche diese beiden Prinzipien [in den letzten beiden Anmerkungen – HW] anwendbar sind.« Die drei Ergänzungen insgesamt in Peirce 1909/1993: Signifik und Logik 2, S.418f.
114
»Was wir hier vor uns haben«, wir erinnern uns, »ist ein Apparat zur Erzeugung von Sätzen als Reaktion auf Sätze«, also eine Art Touring-Maschine. Siehe Hilary Putnam: Vernunft, Wahrheit, Geschichte, Frankfurt 1982, S.15-40, Zitat S.26, die Argumentation S.31ff; zit. als Putnam 1982: Vernunft, Wahrheit, Geschichte. Siehe auch Peirce 1906/1993: Prolegomena, S.133.
115
In diesem Sinne siehe Peirce zur Diagrammatik, in: Peirce 1906/1993: Semiotik, Logisches Notizbuch, S.223.
116
Platon: Menon, 86e, 87a, 87b. Vergleichbare Untersuchungen in Platons Theaitetos (147c-148d) und Politikos (266b). Aristoteles kommentiert Platons Diagrammatik im zweiten Buch der Ersten Analytik (25. Kap., 69a), was wiederum Peircens Idee des abduktiven Schließens inspirierte. Vgl. Wolfgang M. Ueding: Die Verhältnismäßigkeit der Mittel beziehungsweise die Mittelmäßigkeit der Verhältnisse. Das Diagramm als Thema und Methode der Philosophie am Beispiel Platons beziehungsweise einiger Beispiele Platons, in: Gehring u.a. 1992: Diagrammatik und Philosophie, S.13-49.
117
Platon: Menon, 97b-e, 98a.
118
Um dieses pädagogische und didaktische Programm bemühen sich etwa die Arbeiten Michael H. G. Hoffmanns. Zu den philosophisch semiotisch grundlegenden Überlegungen siehe Michael Hoffmann: Erkenntnisentwicklung: ein semiotisch-pragmatischer Ansatz, Frankfurt am Main 2005.
119
Platon: Menon, 97a.
120
Gewisserweise die Lösung des reinen Konstruktivismus und seines System-Turns.
121
Obwohl, wie bemerkt, Peirce in den letzten Bearbeitungsversionen des Phemischen Blatts durchaus Techniken gefunden hatte, auch Intentionen darzustellen, die ein Blatt der Zwecke (sheet of destination) zu erzeugen geeignet waren. Die Texturanweisung dafür lautet: »Zobel«, grafisch als Kreuzschraffur ausgezeichnet. Siehe Charles S. Peirce: Sicherheit durch Schließen. Deduktives Schließen (MS 670; 1911), in: Peirce 1993: Semiotische Schriften 3, S.450 zit. als Peirce 19911/1993: Schließen.
122
Im Übrigen ließe sich für die Klänge und ihre musikalische Fassung durchaus ein vergleichbarer diagrammatischer Rahmen zwischen strenger Mathematisierung und Assoziation aufziehen, wie für die geschilderten Fälle der in der Hauptsache soziologischen oder philosophischen Modellbildung und Inspirationsverstärkung. Bekanntlich war der Musikunterricht im System der Freien Künste der antiken Bildung nicht nur wie Arithmetik, Geometrie und Astronomie wahrheitsorientiert, sondern unmittelbar relevant für die sittliche Bildung, wie Boethius im 6. und vor ihm
471
Aristides Quintilianus im 3. und 4. nachchristlichen Jahrhundert in ihren Kommentaren zur Musikgeschichte des Altertums dartun. Siehe Antike Geisteswelt. Eine Sammlung klassischer Texte, ausgew. und eingel. von Walter Rüegg, Frankfurt am Main 1980, Kap.III. Für Peirce wiederum gilt das Schließen überhaupt nur »als eine spezielle Art, gemäß moralischer Selbstkontrolle zu handeln«. Siehe Charles S. Peirce: Notizen zu Teilen von Humes »Traktat über die menschliche Natur« (MS 939; 1905), in: Peirce 1990: Semiotische Schriften 2, S.258; zit. als Peirce 1905/1990: Humes »Traktat«. 123
Vgl. Grammatik des Sozialen, Tübingen 1987, hgg. von Theo Reuscher; zum Kontext vgl. auch Theo Reuscher: Das Glas hat einen Sprung, Darmstadt 1994.
124
Charles S. Peirce: Was macht die Verlässlichkeit des Schließens aus? Entwürfe zur Ersten LowellVorlesung. I. Entwurf (MS 449; 1905), in: Peirce 1990: Semiotische Schriften 2, S.85; zit. als Peirce 1903/1990: Erste Lowell-Vorlesung, I. Entwurf; Hervorhebung – HW.
125
Zur Diskussion der Problematik siehe Peirce 1903/1990: Erste Lowell-Vorlesung, I. Entwurf.
126
Wilhelm von Humboldt: Ästhetische Versuche. Erster Theil. Über Göthe´s Hermann und Dorothea, Braunschweig 1799, S.220-228; zit. als Humboldt 1799: Ästhetische Versuche (Online-Ressource (Pdf) auf: http://www.uni-due.de/ lyriktheorie/ scans/1799_ humboldt.pdf; Zugriff 5_2013).
127
Dass allein damit schon die Kunst unter eine »Ästhetik des Schönen« subsumiert wäre, wie es bei Heidegger heißt, ist also nicht gesagt. In eben der gleichen Weise könnte ›das Herausscheinendste‹ die Projektion ganz unschöner Gefühle mit sich bringen. Wenn man allerdings unter ›Schönem‹ nicht ausschließlich das schöne Kunstwerk, die schöne Gestalt versteht, scheint diese Differenzierung ohnehin in den Hintergrund zu treten. Wichtiger wäre das Gefühlte der Positivität des (Wieder-)Erscheinenden als etwas überhaupt, das Erleben des prestigio als image und Gewinn, nicht nur für den, der es zu erzeugen vermag, sondern auch für die, die daran Anteil haben. Der prestigio mag Trick sein und auf einem Scheinschluss beruhen – wer will entscheiden, warum der betörende Glanz des Hervorstahlenden nicht bloßer Beleuchtungseffekt ist –, die ›schönen Gefühle‹ sind echt. Ein Zauber.
128
Vgl. Platon: Phaidon.
129
Nachdem sie sich im 17. und besonders im 18. Jahrhundert als philosophische Ästhetik richtig entfalten konnte. »Das Ziel der Ästhetik ist die Vollkommenheit der sinnlichen Erkenntnis als solcher. Damit aber ist die Schönheit gemeint.« Alexander Gottlieb Baumgartner: Aesthetica, §14, in: Texte zur Grundlegung der Ästhetik. Lateinisch-deutsch (d.i. Philosophische Bibliothek, Band 351), hgg. von Hans Rudolf Schweizer, Hamburg 1983; zit. als Baumgartner 1983: Aesthetica.
130
Heidegger: Nietzsche I, S.99-101. Siehe oben Teil II. Das folgende Zitat ebd., S.107.
131
Vgl. Kittler 2002/2013: Berliner Vorlesungen.
132
Siehe den Vergleich der metaphysischen Grundpositionen Platons (gemäß Protagoras) und Descartes´, in Zusätze (8): Heidegger 1938/1972: Zeit des Weltbildes, S.97.
133
Und derart als Spiegel, wie Slavko Kacunko argumentieren würde, »als naturanaloges Medium der Lichtübertragung – und damit Metamedium des Sehens«, »bedeutend vor allem auch für die Bildkunst«. Vgl. Slavko Kacunko: Der Spiegel, der Rahmen und der Wille zur Macht der Bilder, in: Rahmen. Zwischen Innen und Außen: Beiträge zur Theorie und Geschichte, hgg. v. Hans Körner und Karl Möseneder, Berlin 2010, S.259-280, zit. als Kacunko 2010: Der Spiegel ; Zitat S.275. Siehe auch Slavko Kacunko: Spiegel - Medium - Kunst. Zur Geschichte des Spiegels im Zeitalter des Bildes, München 2010; zit. als Kycunco 2010: Spiegel - Medium - Kunst.
134
Hans Dieter Huber/Gottfried Kerscher: Kunstgeschichte im »Iconic Turn«. Ein Interview mit Horst Bredekamp, in: Kritische Berichte. Zeitschrift für Kunst- und Kulturwissenschaften, Sonderheft Netzkunst, Jg. 26, 1998, Heft 1, S.85-93; zit. als Huber/Kerscher 1998: Interview Bredekamp, ebd., Hervorhebung – HW; als Online-Ressource auf: http:// www.hgb-leipzig.de/ ARTNINE/ huber/ aufsaetze/ bredekamp. html; Zugriff HW 9_2012. Vgl. Kacunko 2010: Der Spiegel, Anm. 41, S.279. Siehe auch Groys 2003: Kunstwerk und Ware, S.27.
135
Womit je nach Grenzziehung die Antwort auf die Frage nach der Dominanz der Ästhetik variieren dürfte. »Die Ästhetik beginnt bei den Griechen erst in dem Augenblick, da die große Kunst, aber auch die große Philosophie zu ihrem Ende gehen [...], dem Zeitalter Platons und des Aristoteles«, in dem »im Zusammenhang der Ausgestaltung der Philosophie diejenigen Grundbegriffe geprägt [wurden – HW], die künftig alles Fragen nach der Kunst abstecken.« Heidegger: Nietzsche I, S.95.
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iii raumstrategie & entwurfsdiagrammatik
136
Heidegger: Nietzsche I, S.11-254.
137
Weil und insofern es sich beispielsweise um »eine synästhetische Erweiterung des katoptrischen Feldes« handelte. Vgl. Kacunko 2010: Der Spiegel, S.276.
138
»Schatten«, »Bild«, »Spiegel« – »Schattenbild«, »Spiegelung«, »Spiegelbild« etc.
139
»Bild«, »Blick«, »Ansicht«, »Spiegel«, »Schein«, »Darstellung« etc.
140
Der Kunst mithin in allen ihren Einzelsprachen und Dialekten.
141
Im Sinne semiotischer Objekt-Differenzierung à la Peirce.
142
Slavko Kacunko erläutert hier ausdrücklich die Auswirkungen auf die »Bildkunst«, die indes anders ausfallen, als man kurzschlüssig glauben könnte. Siehe Kacunko 2010: Der Spiegel, S.275/276. Im Folgenden heißt es: »Schon das analoge audiovisuelle Medium Video/Fernsehen als Mirror Machine demonstrierte mit seiner innewohnenden Eigenschaft, selbstgenerierende visuelle Rahmen rückkopplungstechnisch zu erzeugen, wie die nun oszillierenden und sich verschiebenden Variablen des traditionellen S(ubjekt/Künstler)-O(bjekt/Werk)-S(ubjekt/Betrachter)-Schemas in der künstlerischen und auch kunstwissenschaftlichen Praxis eine verstärkte Zuwendung zu den perzeptiven, emotionalen, mentalen und anderen Rezeptionsprozessen bewirken können. Vor diesem Hintergrund gewannen audiovisuelle Beobachtungs- und auch Selbstbeobachtungstechniken immer mehr an Bedeutung. Das Phänomen der gleichzeitigen Aufnahme und Wiedergabe von Bildern, Tönen und Bewegungsabläufen, wie es bereits dem Medium Video eigen war, stellte in dieser Hinsicht also eine synästhetische Erweiterung des katoptrischen Feldes dar. Die auf dieser Gleichzeitigkeit basierende Möglichkeit der Tele-Vision leitete sich medial und (kat)opt(r)isch von der Telepräsenz des im Spiegel reflektierten Körpers ab. Die genannte optische Verstärker-Funktion des Spiegels wird mit elektronischer Verstärkung des Signals ersetzt, so daß der Reichweite des aktuellen Bildes und Tons praktisch keine physischen Grenzen gesetzt werden können. Die intrusive Verstärker-Funktion des Mediums Video, die zugleich sein orbitales Potential darstellt, kann deshalb als seine differentia specifica innerhalb der audiovisuellen Medien angesehen werden. Videofeedback ist die technische Bezeichnung für diesen selbsttätigen elektronischen, auch programmierbaren Rahmengenerator.«
143
Kacunko 2010: Der Spiegel, ebd..
144
Auch hierzu siehe Teil IV. Vgl. dazu zum Beispiel die Analysen in den Arbeiten Evgeny Morozovs.
145
Der damit errichtete »Schein hat eine so konsistente Beschaffenheit, daß er in jeder Hinsicht die wirkliche Welt darstellt. Und diese scheinbar wirkliche Welt wird scheinbar vom Gesetz beherrscht, das in Wahrheit der einzige Zug an ihr ist, der sie als wirklich erscheinen lässt.« Charles Sanders Peirce: Art. Universale, in: Century Dictionary (1899); abgedr. in: Peirce 1991: Semiotik und Naturphilosophie, S.473; zit. als Peirce 1899/1991: Century Dictionary, Art.
146
Siehe Groys 2003: Kunstwerk und Ware, S.26; die folgenden Zitate ebd.
147
Zu diesem Ausdruck Deleuzes aus der Logik des Sinns siehe unten.
148
Ich denke zum Beispiel an Arbeiten wie die Christian Boltanskis oder die von Emilia und Ilya Kabakov. Instruktiv in diesem Zusammenhang die künstlerischen und theoretischen Beiträge im Katalog zur gleichnamigen Ausstellung: difference, what diffenence?, kuratiert von Hans-Jürgen Hafner (hgg. von Messe Berlin GmbH), Berlin 2008. Vgl. auch Juliane Rebentisch: Ästhetik der Installation, Frankfurt am Main 2003, S.275; zit. als Rebentisch 2003: Installation.
149
Groys 2003: Kunstwerk und Ware, S.27, S.29. Was hier »Gabe« heißen soll, werden wir unten (Teil IV) an den Einlassungen zum »Inter-esse« diskutieren, wie es Stefan Römer ganz im Sinne der Groys´schen Diagnose konzeptualisiert; in: Stefan Römer: Inter-esse, Berlin 2014; zit. als Römer 2014: Inter-esse.
150
»Konstitutiv bedeutungsoffen« ist für Juliane Rebentisch das Charakteristikum von »Kunstwerken« – entgegen etwa alternativ denotierter politischer Intervention. Siehe Rebentisch 2003: Installation, S.275. Wesentliches Merkmal ist »Komplexität« (ebd.). Das heißt, die gegebene Beschreibung der künstlerischen Selbstbezüglichkeit qua Diskurs, die Beschreibung der verschiedensten Wissensfelder sowie wissenschaftlicher, soziologischer und politischer ›Interessiertheit‹ findet Zustimmung, dito der damit verbundene Rekurs auf die Einbeziehung der »Informiertheit und Reflexionsfähigkeit [...] der Rezipienten«, ihre Bereitschaft, sich in die künstlerische Selbstdarstellung hineinzudenken. Dem korrespondiert die notorische Aufforderung, es bei der
473
Bedeutungsoffenheit des »Soziotops Kunstwelt« zu belassen. Siehe Rebentisch 2003: Installation, S.272-275. 151
Siehe im Unterschied die Darstellung der Technikperspektiven im Bremer Vortragszyklus des Jahres 1949 (Heidegger 1949/56/2005: GA, Bd.79) und in den Vorträgen der 50er Jahre. (Nur die Reflexionen zur Überwindung der Metaphysik gehen auf die 30er und 40er Jahre zurück. Siehe Martin Heidegger: Vorträge und Aufsätze [1936-1953], Heidegger GA, Bd.7, hgg. von F.-W. von Herrmann, Frankfurt am Main 2000, zit. als Heidegger 1936-53/2000: GA, Bd.7.) In Das Ge-Stell liegt der Fokus auf der kaum vorstellbar ausbleibenden Instrumentalisierung: »Wo der Bestand an die Macht kommt, zerfällt auch noch der Gegenstand als Charakter des Anwesenden. Der Bestand besteht. Er besteht, insofern er auf ein Bestellen gestellt ist. In das Bestellen gewendet, ist er in das Verwenden gestellt. Das Verwenden stellt jegliches im vorhinein so, dass das Gestellte dem folgt, was erfolgt. So gestellt ist alles in Folge von ... Die Folge aber wird zum voraus als Erfolg bestellt.« (Heidegger 1949/56/ 2005: GA, Bd.79, S.26; Hervorhebung – HW; Orthografie wie zitiert.) In Die Frage nach der Technik (1953) heißt es: »Das Ge-stell verstellt das Scheinen und Walten der Wahrheit. Das Geschick, das in das Bestellen schickt, ist somit die äußerste Gefahr. Das Gefährliche ist nicht die Technik. Es gibt keine Dämonie der Technik, wohl dagegen das Geheimnis ihres Wesens. Das Wesen der Technik ist als ein Geschick des Entbergens die Gefahr. Die gewandelte Bedeutung des Wortes ›Ge-stell‹ wird uns jetzt vielleicht schon um einiges vertrauter, wenn wir Ge-stell im Sinne von Geschick und Gefahr denken. Die Bedrohung des Menschen kommt nicht erst von den möglicherweise tödlich wirkenden Maschinen und Apparaturen der Technik. Die eigentliche Bedrohung hat den Menschen bereits in seinem Wesen angegangen. Die Herrschaft des Ge-stells droht mit der Möglichkeit, daß dem Menschen versagt sein könnte, in ein ursprünglicheres Entbergen einzukehren und so den Zuspruch einer anfänglicheren Wahrheit zu erfahren. So ist denn, wo das Ge-stell herrscht, im höchsten Sinne Ge-fahr. ›Wo aber Gefahr ist, wächst / Das Rettende auch‹. [...] Wenn das Wesen der Technik, das Ge-stell, die äußerste Gefahr ist und wenn zugleich Hölderlins Wort Wahres sagt, dann kann sich die Herrschaft des Ge-stells nicht darin erschöpfen, alles Leuchten jedes Entbergens, alles Scheinen der Wahrheit nur zu verstellen. Dann muß vielmehr gerade das Wesen der Technik das Wachstum des Rettenden in sich bergen.« Dieser Gedanke wird von Heidegger im Anschluss an diese Passage weiterentwickelt. (Heidegger 1936-53/2000: GA, Bd.7, S.29).
152
Für Peirce exemplarisch in: Peirce 1906/1993: Prolegomena. Zu Austin siehe Austin 1962/1972: Sprechakte. Zu Putnam siehe Putnam 1982: Vernunft, Wahrheit, Geschichte. Des Weiteren siehe ders.: Repräsentation und Realität, Frankfurt am Main 1991, zit. als Putnam 1991: Repräsentation und Realität. Zu Donald Davidson siehe ders.: Wahrheit und Interpretation, Frankfurt am Main 1986; zit. als Davidson 1986: Interpretation und Wahrheit.
153
Ludwig Wittgenstein: Über Gewißheit, in ders.: Werkausgabe in acht Bänden, Frankfurt am Main 1984ff, Bd.8, 1989, S.113-257; Zitat: S.132 (§61, §62); zit. als Wittgenstein 1933/1989: Über Gewissheit. »Was nenne ich ›die Regel, nach der er vorgeht?‹ – die Hypothese, die seinen Gebrauch der Worte, den wir beobachten, zufriedenstellend beschreibt; oder die Regel, die er beim Gebrauch der Zeichen nachschlägt; oder die er zur Antwort gibt, wenn wir ihn nach seiner Regel fragen? – Wie aber, wenn die Beobachtung keine Regel klar erkennen lässt, und die Frage keine zu Tage fördert? [...] Wie soll ich also die Regel bestimmen, nach der er spielt? Er weiß sie selbst nicht – Oder richtiger: Was soll der Ausdruck: ›Regel nach welcher er vorgeht‹ hier noch besagen?« (Wittgenstein: PU, §82.) Und ganz im Sinne der dargestellten Auffassung Peircens: »Zur Verständigung durch die Sprache gehört nicht nur eine Übereinstimmung in den Definitionen, sondern (so seltsam es klingen mag) eine Übereinstimmung in den Urteilen. Dies scheint die Logik aufzuheben, hebt sie aber nicht auf.« (Wittgenstein: PU §242).
154
Vgl. Peirce 1905/1990: Grundlagen des Pragmatizismus, 3.2, II: »Skizze der Cenoskopie«, S.318; siehe Peirce 1898/1991: Streit Nominalisten Realisten, S.395-399. Peirce spricht in MS 493 von einer »extreme[n] Form von Realismus«, die er vertrete (ebd., S.396). In der sechsten Lowell-Vorlesung 1903 spricht Peirce von der »Sonne« in Kants KdrV, um die herum alles andere sich in der Kritik drehe (allerdings erst in der 2. Aufl. deutlich hervortretend). Peirce meint damit die von Kant nicht ausdrücklich gezogene Schlussfolgerung aus der Erfahrungsbindung der Vorstellungen. Für Peirce ist klar, was dies bedeutet: dass wir »unmittelbare Erfahrung von Dingen an sich selbst« haben. »Nichts kann in höherem Maße falsch sein, als dass wir nur unsere eigenen Ideen erfahren können. Das ist nun ganz ohne Übertreibung der Gipfel aller Falschheit. Unser Wissen von den Dingen an sich selbst ist zwar gänzlich relativ; aber alle Erfahrung und alles Wissen ist Wissen von dem, was ist, unabhängig davon, ob es dargestellt wird.« Die Traditionslinie, die Peirce in
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iii raumstrategie & entwurfsdiagrammatik
diesem Zusammenhang reklamiert, nennt außer Kant Duns Scotus und Reid – obwohl Kant es verabsäumt habe, »alle Konsequenzen« aus dieser Einsicht zu ziehen. Charles S. Peirce: Vielfalt und Gleichförmigkeit, d.i. CP 6, S.67-85, in: Peirce 1991: Semiotik und Naturphilosophie, S.406f; Hervorhebung – CSP; zit. als Peirce 1903/1991: Sechste Lowell-Vorlesung, Vielfalt. 155
Vgl. Philippe Lacoue-Labarthe: Paradox und Mimesis, in: Die Nachahmung der Modernen, Basel/ Weil am Rhein 2003, S.25; zit. als Lacoue-Labarthe: Paradox und Mimesis.
156
Vgl. Lacoue-Labarthe 2003: Paradox und Mimesis, S.26f.
157
Ich meine die Seiten 154-168 der Ästhetischen Theorie. Die nächsten beiden Zitate ebd., S.164, S.158.
158
Worin die Rebellion gegen den Schein »der Abbildung von Auswendigem« opponierte und »nach der unverstellten Kundgabe realer seelischer Tatbestände« trachtete. Adorno 1969/1979: Ästhetische Theorie, S.157.
159
Siehe Adorno 1969/1979: Ästhetische Theorie, S.156f. Vgl. Theodor W. Adorno: Versuch über Wagner, in: Adorno 1997: Gesammelte Schriften, Bd.13. Den Versuch über Wagner schrieb Adorno etwa zur selben Zeit, in der Heidegger seine Kunstwerk-Aufsätze zu Papier brachte.
160
Adorno sieht in der Differenz zwischen szenografischer und szenifikatorischer Präsenz »zwei Dingbegriffe des Kunstwerks«, die, allerdings, »nicht unbedingt separiert« auftreten. Die Dopplung ist Indiz des »prekären Dingcharakters in der Kunst, ohne daß doch darum das Kunstwerk aus seiner Teilhabe an der Dingwelt entlassen wäre«. (Adorno 1969/1979: Ästhetische Theorie, S.153.) Dem ist zuzustimmen, kommt es für die Szenografie doch ebenso darauf an, der separierenden Vergegenständlichung zu entgehen, wie der Szenifikation, die sich vor ihrer Inszenierung hüten muss. Dass deshalb grundsätzlich der fixierten Darstellung – Partitur oder Buch oder anderes – »der Vorrang der Texte vor ihrer Wiedergabe« (ebd., S.153f) einzuräumen sei, erscheint indes nicht zwingend.
161
Adorno 1969/1979: Ästhetische Theorie, S.154; das nächste Zitat ebd., S.53.
162
Vgl. Wilharm 2013: Magische Effekte, S.382-387.
163
Adorno 1969/1979: Ästhetische Theorie, S.165.
164
»Kunst hat keine Gewalt über den Schein durch dessen Abschaffung.« Adorno 1969/1979: Ästhetische Theorie, S.166.
165
Siehe Adorno 1969/1979: Ästhetische Theorie, S.165.
166
Siehe oben zu Peirce 1903/1990: Lowel-Lecture 3.2.1.
167
Peirce 1907/1993: Kern des Pragmatismus, II.3, S.282f; das folgende Zitat ebd., S.268f.
168
Vgl. Ludwig Wittgenstein: Aufzeichnungen für Vorlesungen über »privates Erlebnis« und »Sinnesdaten« (1968). In: ders.: Vortrag über Ethik und andere kleine Schriften, Frankfurt am Main (3. Aufl.) 1995, S.47-100; zit. als Wittgenstein 1968/1975: Privaterlebnis und Sinnesdaten.
169
Zum Beispiel im Vergleich von ursprünglicher griechischer Tragödie, der neueren antiken Tragödientradition und der christlich bürgerlichen Tradition von Tragödie und Trauerspiel beziehungsweise Drama allein im Vergleich der deutschen mit der englischen, spanischen und französischen literarischen und theatralen Ausprägung.
170
Vgl. Giorgio Agamben: Homo sacer, Frankfurt am Main 2004.
171
Vgl. Christoph Weismüller: Inszenierungen des Unbewussten der Metropole, in: Bohn/Wilharm 2012: Inszenierung der Stadt, S.345-368. Weismüller problematisiert den zwingenden Zusammenhang zwischen Metropole und Ereignissen wie denen der Loveparade Duisburg im Rahmen der Veranstaltungen zum Kulturhauptstadtjahr Ruhr.2010; zit. als Weismüller 2012: Inzenierungen des Unbewussten.
172
Insbesondere, wenn die zugrunde liegenden Daten der Programmierung auf Grundlage statistischer Selektion externer Einzelinformationen zusammengetragen sind.
173
Vgl. oben die Anmerkung zu Modelltyp (d) der Inszenierungsdiagrammatik, zu Priest, der vermeintlichen Magie des Verschwindenlassens und, korrespondierend, den Weisen realen ›Verschwindens‹.
174
Michel Foucault: Mein Körper, dieses Papier, dieses Feuer, in: Foucault 2002: Schriften Bd.II, S.329. Es handelt sich um eine grundlegende Auseinandersetzung mit Derrida über den Charakter
475
diskursiver Praktiken und die – berechtigte – Kritik Foucaults daran, den Diskurs auf »textuelle Spuren« zu reduzieren, namentlich in der Descartes-Lektüre, die Thema dieses Aufsatzes ist (Zitat ebd., S.330). In der frz. Ausgabe der Histoire de la folie, Paris 1972, ist dies der Anhang II. S.583603. Derrida geht auf die zugrunde liegende These aus Wahnsinn und Gesellschaft ein, in: Die Schrift und die Differenz, Frankfurt am Main 1972, S.53-101. 175
Lacan 1973/1996: Grundbegriffe, S.266; Hervorhebung – Edition Seminar JL. Vgl. Zum Kontext auch Sigmund Freud: Das Unbehagen in der Kultur, Kap. VIII, in: Sigmud Freud: Studienausgabe, Frankfurt am Main 1974/1982, Bd. IX, S.260ff.; ders.: Hemmung, Symptom, Angst:, in: Freud: 19974/1982, Studienausgabe Bd.VI.
176
Abgesehen davon, dass für die Übersetzung topologischer Erwägungen in genau diesen Grafismus keinerlei Notwendigkeit besteht. A posteriori entscheidet allein die Frage, ob die pragmatisch heuristische Leistung der vorgestellten Konfiguration als hilfreich angesichts der Aufgabenstellung beurteilt werden kann. Die grafische Methode hat, wie oben erläutert, bestimmte Vorteile. Nichtsdestotrotz könnte es je nach Situation sachgerechter erscheinen, die Topologie konkretisierend in einem mathematisch informatischen Kalkül und entsprechend programmiert darzustellen etc.
177
Lacan bestätigt mit Freud, »daß man nichts in absentia, in effigie erreichen kann«, auch nicht in der Analyse«. (Lacan 1973/1996: Grundbegriffe, S.266f).
178
Der Satz hier in der Version aus dem Seminar 1963/64 (Lacan 1973/1996: Grundbegriffe, S.165). Die Erläuterung zur Aphanisis (ebd., S.229) bezieht sich auf diese »erste Signifikantenkoppelung ... ∫, die uns einen Begriff davon geben kann, wie das Subjekt zuerst im Andern auftaucht, sofern nämlich der erste Signifikant, der einzige ∫ le signifiant unaire, auf dem Feld des Andern auftaucht und das Subjekt für einen anderen Signifikanten repräsentiert, der wiederum die Aphanisis des Subjekts bewirkt.« (Wobei die Übersetzung ›einzig‹ problematisch erscheint, da der ursprüngliche oder erste nicht der einzige ist, sondern der eröffnende, mithin eher der einfache. – Die Zeichen (∫) in der Druckfassung der Seminare.
179
Wobei sich hier aber schon die theologische Hermeneutik ein Stelldichein gäbe, selbst wenn man vom »Wort« (griechisch logos) ausginge, aber dabei nicht bleiben könnte. Sinn machte diese Assoziation gegenüber dem ersten Signifikanten nichtsdestotrotz, was hier nicht Thema ist.
180
Siehe oben zur Erörterung der Ikonizität bei Peirce: »Rhematische Zeichenwirkung«.
181
So verstünde sich umstandslos, dass der einfache Signifikant (in Seminar XI z.B.) schlicht als »der Signifikant« tituliert wird: »Der Signifikant ist etwas ganz anders, er repräsentiert ein Subjekt für einen andern Signifikanten.« (Lacan 1973/1996: Grundbegriffe, S.165).
182
Lacan 1973/1996: Grundbegriffe, S.244f – Zeichenfehler werden berichtigt.
183
Lacan 1973/1996: Grundbegriffe, S.130f.
184
Vgl. Heiner Wilharm: »Hautnahe Begegnung der Dritten Art«. Szenen mit Arzt und Patient, in: Szenen des Erstkontakts zwischen Arzt und Patient, hgg. von Céline Kaiser und Walter Bruchhausen, Bonn 2013. Das Lacan´sche Diagramm, an der die Verdopplung am Ende ausgeführt werden müsste, um es zum ›natürlichen Modell‹ zu erweitern, findet sich in Lacan 1973/1996: Grundbegriffe, S.112.
185
Als experimentelles gilt das psychoanalytische setting, als natürliches das gewöhnlich nicht kontrollierte.
186
Lacan 1973/1996: Grundbegriffe, S.131.
187
Ein Modell, das im Unterschied zur Geschlechterliebe die Freundschaftsliebe in Szene setzt, wie die Metaphysischen Anfangsgründe der Tugendlehre in der Metaphysik der Sitten lehren. Immanuel Kant: Metaphysik der Sitten, in: Kants Werke ATA, Bd.VI, S.469f; zit. als Kant 1797/1968: Metaphysik der Sitten. Mit feiner Ironie gibt Kant auch einen Kommentar dazu, wo die Welt der Freundschaftsbeziehungen unter Gleichgesinnten zu finden ist: »Freundschaft in ihrer Reinigkeit oder Vollständigkeit gedacht ... ist das Steckenpferd der Romanschreiber« (ebd.).
188
Denn selbstverständlich führen alle Darstellungskonventionen eine Ansichtsoberfläche mit sich.
189
Immanuel Kant: Muthmaßlicher Anfang der Menschengeschichte, in Kant: Werke ATA, Bd. VIII, S.107-124; zit. als Kant 1786/1968: Anfang der Menschengeschichte.
190
»Das Objekt und der Interpretant sind also lediglich die zwei Korrelate des Zeichens; das eine
476
iii raumstrategie & entwurfsdiagrammatik
interpreter to find out by collateral experience. For instance, I point my finger to what I mean, but I can’t make my companion know what I mean, if he can´t see it, or if seeing it, it does not to his mind, separate itself from the surrounding objects in the field of vision. It is useless to attempt to discuss the genuineness and possession of a personality beneath the histrionic presentation of Theodore Roosevelt with a person who recently has come from Mars and never heard of Theodore before.« (Peirce 1909/1993: CP 8.314). 192
»There may be differences in Peirce’s usage of these terms; but as it seems to be at most a question of rather fine nuances«. Mats Bergman: C. S. Peirce on Interpretation and Collateral Experience, Helsinki 2002 (als Online-Ressource erreichbar unter http://www.helsinki.fi/science/ commens/ papers/ collateral.pdf; Zugriff 08_2012). Vgl. Helmut Pape: Why we mean (always) more and (sometimes) less than we say: Context-Dependence and Vagueness in Peirce’s Semiotics, in: The Peirce Seminar Papers: An Annual of Semiotic Analysis, hgg. von Michael Shapiro und Michael Haley, Bd.4 (S.589-621), New York 1999, S.609; zit. als Shapiro/Nyman 1999: Peirce Seminar Papers (Vol).
193
Vgl. Wittgenstein: »Das Hinzunehmende, Gegebene – könnte man sagen – seien Tatsachen des Lebens / seien Lebensformen«. Ludwig Wittgenstein: Bemerkungen über die Philosophie der Psychologie I, hgg. von Heikki Nyman, Georg Henrik von Wright, G. E. M. Anscombe (Werkausgabe Bd.7), Frankfurt am Main 1984, § 630; zit. als Wittgenstein 1984: Philosophie der Psychologie I.
194
Hegels Enzyklopädie zeigt die Ansicht der Gesamtarchitektur.
195
Man vergegenwärtige es sich an einem geeigneten Tableau, etwa Rembrandts Die Anatomie des Dr. Tulp (vgl. Rembrandt van Rijn: Die Anatomie des Dr. Tulp [1632]. Öl auf Leinwand, 169,5 cm × 216,5 cm, Mauritshuis, Den Haag).
196
Lacan 1973/1996: Grundbegriffe, S.102.
197
»Ich fiel aus dem Bild heraus ... ich machte mehr oder weniger einen Fleck im Bild. ... Ich bin im Tableau«. Lacan 1973/1996: Grundbegriffe, S.102. Man merkt dem Ausdruck an, dass er auf den Diskurs orientiert.
198
Es kommt also nicht von ungefähr, dass Lacan für die Abwicklung der Subjektdiagramms mittels der sogenannten »Innenacht« die dimensional aufgesetzte Abdeckung der ›Achterschlingen‹ als Möbiusband identifiziert, eine Oberfläche, worauf sich zu bewegen nicht erst jenseits des Scheinens Sinn macht, beeinflusst von der Vorstellung eines Innen oder Außen, Vorne oder Hinten. Die Fläche gilt mathematisch bezeichnenderweise als »nicht-orientierbar«, wird deshalb von Lacan als solche mit dem Unbewussten verbunden. Aber wer sagt, es gäbe keinen Sinn in der Orientierung beziehungsweise Nichtorientierung des Unbewussten? Zur bewussten Orientierung müsste man sich aus dem Prozess der semiotischen Wiederholung eine ›Scheibe abschneiden‹. Topologisch ginge diese Scheibe in der von uns nahegelegten Figur tatsächlich hervor aus einem Schnitt durch die Kugel, wie sie aus einem ›Schirmschnitt‹ resultiert (oder dem durch einen anderen Hohlkörper wie im Beispiel der Innenacht: einen Torus). Die konkaven beziehungsweise konvexen Schalen, die den Schirm verständlich machen – bleiben wir bei der vorgestellten Kugel – werden, weil beliebig verformbar, mathematisch als »Scheiben« definiert (vgl. Lacan 1973/1996: Grundbegriffe, S.163). – Ein kurzer informativer Überblick zur Innenacht-Topologie findet sich in Rolf Nemitzens LacanBlog: Lacan entziffern (Online-Ressource auf http://lacan-entziffern.de; Zugriff 12_2013). – Die Rückwirkungen auf Heideggers Überlegungen zur Topologie des Kruges, die Lacan ebenfalls zur Kenntnis genommen hat (siehe Jacques Lacan: Die Ethik der Psychoanalyse. Das Seminar, Buch VII, 1959-1960, übersetzt von Norbert Haas nach dem von Jacques-Alain Miller hergestellten französischen Text, Weinheim u.a. 1996, S.148-152), liegen auf der Hand. Der Henkel des Krugs gehört herein ins »Fassende« gezogen, sodass sich durch Verformung ein Torus ergibt. (Siehe Heidegger Martin Heidegger: Das Ding - Das Ge-stell - Die Gefahr, in: Martin Heidegger: GA, 79, 1. Einblick in das was ist. Bremer Vorträge (1949), hgg. von Petra Jager, Frankfurt am Main (2. Aufl.) 2005; zit. als 1950/2000: Das Ding und ders.: Martin Heidegger: Die Frage nach dem Ding. Zu Kants Lehre von den transzendentalen Grundsätzen (1935), in: Freiburger Vorlesungen 1928-1944, Heidegger: GA. II. Abtlng Bd. 41, Frankfurt am Main 1984; zit. als Heidegger 1935/1984: Frage nach dem Ding).
199
Nach einem Vers von Martin Opitz, in: Weltliche Poemata (1644), 1.Teil, hgg. von Erich Trunz, Tübingen 1975 (Faksimile). »Der schwartze Teich Avern: in gleichem Puteol, / Von dessen Wasser sich viel Kranckheit mindern soll. / Und wo sich Cicero hat pflegen zu verweilen, / Das Quell, so Blödigkeit der Augen weiß zu heylen«.
200
Den Begriff geprägt hat der szenografisch im ersten Teil schon hervorgetretene Caspar Schott, in: Magia universalis naturae et artis, Würzburg, 1657, Erster Band, Teil 1, Buch 3: »De Magia
477
anamorphotica«. Älter und schon mit der Konstruktion beschäftigt: Jean François Nicéron: Perspective curieuse, Paris 1638, und ders.: Thaumaturgus opticus seu admiranda optices, Paris 1646. 201
Siehe Kinda Hentschel: Pornotopische Techniken des Betrachtens. Raumwahrnehmung und Geschlechterordnung in visuellen Apparaten der Moderne, Marburg 2001.
202
Hans Holbein (der Jüngere): Jean de Dinteville und Georges de Selve. Die Gesandten, 1533, Öl auf Eichenholz, 207 x 209,5 cm (National Gallery, London).
203
In der Repräsentantenfunktion der Abgeordneten des souveränen Volks wirkt die Heiligkeit des Herrscherkörpers bis in die Gegenwart nach, wie etwa die den Repräsentanten zugebilligte, selbst vom Recht nicht ohne Weiteres angreifbare Stellung indiziert. – Eine Umkehrung der Holbein´schen Anordnung findet sich in Jacob des Gheyns: Vanitas, 1603, Öl auf Holz, 83 x 54 cm (Metropolitan Museum of Art, New York).
204
Die den Blick öffnende Oberfläche einer solchen Kugelprojektion, allerdings als Spiegel, zeigt schon Jan van Eyks Arnolfini-Portrait von 1434, Öl auf Holz 81,8 x 59,7cm (National Gallery, London).
205
Lacan spricht von einem »Skotom«, einer Verdunkelung oder auch einem Fleck, wie er erscheint, wenn ein kleinerer Planet im Durchgang seinen Schatten auf einen beleuchteten größeren wirft (Lacan 1973/1996: Grundbegriffe, S.89).
206
Der Dürerschüler Erhard Schön (1491-1592) fertigte im 16. Jahrhundert schon Holzschnitte, in denen er erotische Szenen durch Verzerrung kaschierte (vgl. Erhard Schön: Du alter Tor, 1525). Vgl. weiter, Ernest B. Gilman: The Curious Perspective. Literary and Pictorial Wit in the Seventeenth Century, New Haven 1978.
207
Vgl. Benjamins Erörterung der Wandlung der klassischen Tragödie zum Trauerspiel im Barock; in: Benjamin 1972: Trauerspiel.
208
Bei Lacan figuriert der »Fleck« als Inskription ins Tableau nach Vorbild der Mimikry. Das ist Nachahmung als Anpassung, eine Mimesis-Leistung. »Nachahmen heißt ganz gewiß ein Bild reproduzieren. Aber im Grunde heißt es, dass das Subjekt sich in eine Funktion einrückt, bei deren Ausübung es erfaßt wird.« Lacan 1973/1996: Grundbegriffe, S.105f, Zitat S.106.
209
Vgl. Roland Barthes: Von Geschmack zur Ekstase, in: Roland Barthes: Die Körnung der Stimme. Interviews 1962-1980, Frankfurt am Main, 2002, S.380f; siehe ebenfalls darin das Interview Über die Fotografie, S.382-389; zit. als Barthes 2002: Interviews; zum Hintergrund, Roland Barthes: Die helle Kammer. Bemerkungen zur Photographie, Frankfurt am Main 1989 (frz. 1980); zit. als Barthes 1980/89: Helle Kammer.
210
Pierre Bourdieu: Die Regeln der Kunst. Genese und Struktur des literarischen Feldes, Frankfurt am Main 1999, S.185. Zur Kritik der scholastischen Perspektive vgl. Pierre Bourdieu: Meditationen. Zur Kritik der scholastischen Vernunft, Frankfurt am Main 2001, S.33; zit. als Bourdieu 2001: Meditationen; Hervorhebung – HW.
211
Entsprechend sind die Algorithmen der Suchmaschinen nicht auf Identitäten, sondern auf Ähnlichkeiten aus. Das heißt, die angebotenen Individuen könnten auch in anderen Familien als Mitglied fungieren, eine Tochter oder Mutter hier wäre eine Schwägerin oder Schwiegertochter dort etc. Vgl. die Beispiele für Anwendungen von »Invarianten über Gruppenmittel« für Suchmaschinen (querry by example): SIMBA und MICHELSCOPE des Instituts für Informatik der Universität Freiburg, Professor Hans Burkhardt (Online-Ressource: Vorlesung »›Grundlagen der Bilderzeugung und Bildanalyse‹ [Mustererkennung]«, als Pdf erreichbar unter http:// lmb.informatik.uni-freiburg.de/ lectures/ mustererkennung/ Videoaufzeichnungen/ slides/ME-12-02.pdf; Zugriff 02_2014). Zu Mustern als Effekten des Sprechens und Indikatoren für Diskurse siehe Noah Bubenhofer: Sprache und Wissen. Sprachgebrauchsmuster. Korpuslinguistik als Methode der Diskurs- und Kulturanalyse, Berlin/New York 2009; zit. als Bubenhofer 2009: Sprache und Wissen. Vgl. die verstreute Diskussion zur Mustererkennung in: Wittgenstein: PU.
212
So will es jedenfalls Hesiods Theogonie.
213
Aby Warburg: Gesammelte Schriften (Studienausgabe). Berlin 1998-2009, hgg. von Horst Bredekamp, Michael Diers, Kurt W. Forster, Nicholas Mann, Salvatore Settis und Martin Warnke; Berlin seit 2010, hgg. von Ulrich Pfisterer und Horst Bredekamp, Michael Diers, Uwe Fleckner, Michael Thimann und Claudia Wedepohl; zit. als Warburg 2010: Schriften.
478
iii raumstrategie & entwurfsdiagrammatik
214
Vgl. Pierre Bourdieu: Praktische Vernunft. Zur Theorie des Handelns, Frankfurt am Main 1998 (frz. Paris 1994), Kap.7: »Scholastische Sicht«, S.201ff; zit. als Bourdieu 1998: Praktische Vernunft.
215
»Wie Schiffer sind wir, die ihre Schiffe auf offener See umbauen müssen, ohne es je auf einem Dock zerlegen und aus besten Bestandteilen neu errichten zu können.« Otto Neurath: Protokollsätze, in: Erkenntnis, hgg. von Rudolf Carnap und Hans Reichenbach, Bd.3, Leipzig 1932/33, S.206.
216
Nach Platons Parmenides (siehe Wörterbuch der antiken Philosophie, hgg. von Christoph Horn und Christof Rapp, München 2002; zit. als Horn/Rapp 2002: WBaPh). Die Lacan´sche Erinnerung an ein »Tableau« verdeckt nur, sofern sie System und Ordnung assoziieren lässt, dass die Natur ihr »System« nicht offenbart, also ein anderes Regiment die Gestaltungshoheit übernimmt. Insofern ist écran schwerlich als tableau blanc, als »Projektionswand« von Bildwerfern oder auch als tableau, als »System« zu lesen wie im 19. bzw. 18. Jahrhundert.
217
Die 36 Strategeme des chinesischen Generals Tan Daoji.
218
Vgl. Guattari/Deleuze 1992: Kapitalismus und Schizophrenie, Kap.11; Michel Serres: Die fünf Sinne. Eine Philosophie der Gemenge und Gemische, Frankfurt am Main 1995; ders.: Nordwestpassage, d.i. Hermes V, Berlin 1994.
219
Siehe die aussagekräftige Darstellung Théodore Géricauls: Das Floß der Medusa (Le Radeau de la Méduse, 1819), Öl auf Leinwand, 7,16 m × 4,91 m (Louvre, Paris).
220
Platon: Symposium, 210d.
221
Vgl. Platon: Apologie 31d; 41d, Xenophon: Memorabilien, 1,1,9; 1,3,4 und weitere. Das daimonion ist semeion, zeichengebend, was wiederum Sokrates in die Rolle eines Mediums für andere rückt (vgl. Platon: Apologie, 31a).
222
Was sicher keine neue Erkenntnis ist. Vgl. die Übersicht über die Wissens- und Wissenschaftsfelder des Wahrscheinlichen bei Karl Heinrich Frömmichen: Über die Lehre des Wahrscheinlichkeiten und den politischen Gebrauch derselben, wobei zugleich eine Theorie der Wahrscheinlichkeit angezeigt wird, Braunschweig und Hildesheim 1773, S.6-9.
223
Platon: Theaitetos, 149a
224
»Driften« ist interessanterweise eine verbreitete Metapher auch in der Wissenschaftsgeschichte geworden. Vgl. Schmidgen 2009: Helmholtz-Kurven.
225
Jacques Lacan: Funktion und Feld des Sprechens und der Sprache in der Psychoanalyse, in: Lacan: Schriften I, S.147f.; ders.: Freuds technische Schriften. Das Seminar, Buch I (1953-1954), S.235, S.249; zit. als. Lacan 1953/54: Seminar I.
226
Jacques Lacan: Das Seminar, Buch XXII (1972-1973), = Sitzung vom 17. Dezember 1974 (KleinerÜbersetzung nach der vorläufigen Miller-Ausgabe), S.14; zit. als Lacan 1974/75: Seminar XXII.
227
Lacan 1974/75: Seminar XXII, Vorbemerkung Lacans (Kleiner-Übersetzung nach der vorläufigen Miller-Ausgabe), S.9.
228
Foucault 1968/2001: Archäologie der Wissenschaften, S.927.
229
Die Modellierung unter dem Begriff der »Philosophie« zu führen, wie zum Beispiel Uwe Brückner es tut, ist also durchaus konsequent. Es handelt sich um die Topologie aus erprobter szenografischer Entwurfs- und Realisierungspraxis (vgl. die Figur unter: http://www.atelier-brueckner.com /atelier/philosophie.html; Menu: »Philosophie«; Zugriff 12_2012).
230
Vgl. Kant 1798/1969: Anthropologie, 3. Buch, »Vom Begehrungsvermögen«. (Zu den »Symptomen ... aus Stärke« bzw. »aus Schwäche« als Schema der »Affecten« siehe S.255, ebd.).
231
Bourdieu 1998: Praktische Vernunft, S.212.
232
Siehe Bourdieu 1998: Praktische Vernunft, S.154ff: »Die Verallgemeinerungsprofite«. Vgl. auch Pierre Bourdieu: Die feinen Unterschiede. Kritik der gesellschaftlichen Urteilskraft, Frankfurt am Main 1982/1987 (frz. Paris 1979), Nachschrift S.768ff: »Das verleugnete gesellschaftliche Verhältnis«; zit. als Bourdieu 1979/1982: Feine Unterschiede.
233
Vgl. Didier Eribon: Michel Foucault, Frankfurt am Main 1991; zit. als Eribon 1991: Foucault; ders.: Michel Foucault und seine Zeitgenossen, München 1998; zit. als Eribon 1998: Foucault und Zeitgenossen.
479
234
Bourdieu 1998: Praktische Vernunft, S.116, S.114; das folgende Zitat ebd., S.116
235
Bourdieu 1998: Praktische Vernunft, S.111-122; S.222-226.
236
Bourdieu 2001: Meditationen, Stichwort: »scholastischer Fehlschluss«.
237
Mit Werten wie Objektivität und Wahrheitsbezug, Innovation und Nützlichkeit (letztere hält Bourdieu für einen Insider-Mythos), Normen wie Universalismus, »geistiger Kommunismus« (Bourdieu), Interesselosigkeit, skeptische Einstellung.
238
Vgl. Bourdieu 1998: Praktische Vernunft, S.87f, S.85.
239
Bourdieu 1998: Praktische Vernunft, S.58; Hervorhebung – HW.
240
Es geht beispielhaft um Foucaults Behauptung derselben Diskurszugehörigkeit sowohl physiokratischer wie utilitaristischer Analyse aus Gründen der Abhängigkeit von ein und demselben strategischen Feld. Vgl. Foucault 1968/2001: Archäologie der Wissenschaften. In Bourdieus Feldmetaphorik lässt sich natürlich auch an eine moderne, quantenfeldtheoretische Modellierung und Auslegung denken.
241
Letzterer Vorwurf ist unter anderem an Heidegger adressiert. Vgl. Bourdieu 1998: Praktische Vernunft, S.41-43; siehe auch Pierre Bourdieu: Sozialer Sinn. Kritik der theoretischen Vernunft, Frankfurt am Main 1987 (frz. Paris 1980), Erstes Buch, Kap.5, »Logik der Praxis«, und Zweites Buch, Kap.3, »Der Dämon der Analogie«; zit. als Bourdieu 1980/1987: Sozialer Sinn.
242
Bourdieu 1998: Praktische Vernunft, S.148.
243
Was nicht ohne Ironie ist angesichts einer Funktionalisierung eigener Interessen im Sinne eines teilnehmenden Dazwischen-Seins wie Dazwischen-Gehens konzeptueller Kunst- oder Diskursbeiträge. Eine Vorstellung von solcher Inszenierung gibt Römer 2014: Inter-esse. Dazu siehe Teil IV.
244
Siehe Bourdieu 1998: Praktische Vernunft, S.140-151; die folgenden Zitate ebd., S.145, S.144, S.167f , S.152.
245
Pierre Bourdieu/Loïc J. D. Wacquant: Die Ziele der reflexiven Soziologie, Chicago-Seminar Winter 1987, S.148; zit. als Ziele der reflexiven Soziologie, in: Pierre Bourdieu/Loïc J. D. Wacquant: Reflexive Anthropologie, Frankfurt am Main 1997, S.95-250; zit. als Bourdieu/Wacquant 1997: Reflexive Anthropologie.
246
In der Konsequenz kann hier auch keine Verwirrung entstehen, die entstünde, wenn der Kurzschluss Geltung beanspruchen dürfte. Es besteht also kein Grund, zu unterstellen, dass es sich beispielsweise bei der Kunst, die genannte ›Kunst als Spiel‹ übt, deshalb nur um ein Spiel handelt. Es gibt auch keine entsprechende »Reduktion« bei Bourdieu (vgl. einen diesbezüglichen Vorwurf zum Beispiel in: Römer 2014: Inter-esse, S.41).
247
Bourdieu 1998: Praktische Vernunft, S.132f; die folgenden Zitate ebd., S.162f, S.143f, S.154, S.146.
248
Bourdieu 1998: Praktische Vernunft, S.146f; siehe auch den Theorieansatz in: Pierre Bourdieu: Entwurf einer Theorie der Gesellschaft. Auf der ethnologischen Grundlage der kabylischen Gesellschaft, Frankfurt am Main 1976; zit. als Bourdieu 1976: Entwurf einer Theorie.
249
Foucault 1969/1973: Archäologie, »Die Einheiten des Diskurses«, S.44f, S.20f; vgl. Gehring 2009: Foucaults Verfahren.
250
Foucault veranschaulicht die Arbeit der Diskurse zum Beispiel auch im Bild der »Kopiermaschinen« und stellt diese in seiner Antrittsvorlesung in Zusammenhang mit der Molekulargenetik François Jacobs, ihren Algorithmen und Programmcodes: Objekterzeugung ohne Sinn. Siehe Foucault 1970/1974: Antrittsvorlesung. Siehe auch Foucaults Besprechung von Jacobs Logik des Lebendigen. Von der Urzeugung zum genetischen Code (dt. Frankfurt 1972) in: Michel Foucault: Wachsen und Vermehren, in: Foucault 2002: Schriften, Bd.II, S.123-128.
251
Bourdieu 1998: Praktische Vernunft, S.49f.
252
Foucault 1968/2001: Archäologie der Wissenschaften, S.929f.
253
Bourdieu 1998: Praktische Vernunft, »Über eine paradoxe Grundlage der Moral«, S.221ff; die folgenden Zitate S.121-123.
254
Bourdieu 1998: Praktische Vernunft, S.154ff; Hervorhebung – HW; die folgenden Zitate ebd., S.223-225
480
iii raumstrategie & entwurfsdiagrammatik
255
Bourdieu 1998: Praktische Vernunft, S.225. Es handelt sich bei diesem Teil des Buches (»Über eine paradoxe Grundlage der Moral«) um die Transkription eines Beitrags Bourdieus auf dem Kolloquium From the Twilight of Probability im Mai 1991 in Locarno (in dem unter demselben Titel hgg. Band von William R. Shea und Antonio Spadafora, Canton [Mass.] 1992, S.146-151).
256
Bourdieu 1998: Praktische Vernunft, S.225f; Hervorhebung – HW.
257
Vgl. Foucault 1968/2001: Archäologie der Wissenschaften, S.926f.
258
Im Sinne der zitierten Stelle in: Foucault 1968/2001: Archäologie der Wissenschaften. S.927.
259
Bourdieu 1998: Praktische Vernunft, S.170, S.177f.
260
Bourdieu 1998: Praktische Vernunft, S.168, S.174.
261
Was weder bedeutet, dass es nicht übergreifend kollektive, insbesondere religiöse und herrschaftliche Inszenierungen gab, die auf der Basis geteilter Werte und Werthaltungen auch zu gemeinsamen, aber nicht gleichartigen Ereignissen und Erlebnissen werden konnten. Für die typische ständisch feudale Dopplung der Repräsentation der Renaissance und Barockzeit nach außen und innen siehe Alewyn/Sälzle 1959: Welttheater, Teil II. Dass dies auch schon zu Beginn des Mittelalters zu beobachten ist, vermittelt Bernhard Jussen in seinem Überblick über die Etablierung und Festigung der fränkischen Herrschaft und Kultur zwischen dem 6. und 10. Jahrhundert in Westeuropa. Das »Volk« spielte in den relevanten ›Inszenierungen‹ der Macht ebenfalls keine Rolle, wurde aber auch nicht zur Teilnahme eingeladen, soweit es sich nicht um die religiös politische Disziplinierung und ihre Rituale handelte. (Vgl. Bernhard Jussen: Die Franken. Geschichte, Gesellschaft, Kultur, München 2014.
262
Ohne dass damit auch schon vertraglich kodifizierte Lehns- oder Abhängigkeitsverhältnisse vorausgesetzt werden müssten.
263
Wobei sich Bourdieu auf die »Analyse des Prozesses« im Werk von Émile Benveniste bezieht. Bourdieu 1998: Praktische Vernunft, S.177 und Anmerkung 11 ebd.
264
Vgl. Bourdieu 1998: Praktische Vernunft, S.182-187; die folgenden Zitate ebd. (Es heißt tatsächlich »Einführung der Ökonomie der Ökonomie« S.176).
265
Vgl. unten das Beispiel des Fin de siècle.
266
Vgl. Bourdieus Einlassungen zu religiösen und kirchlichen Unternehmen, in: Bourdieu 1998: Praktische Vernunft, S.182-195; Hervorhebung – HW.
267
Siehe unten den Abschnitt »Kunst und Geld – Inszenierungsspiel«.
268
Die Ausnahme stellt die theoretisch denkbare Ableitung auf eine Art 1:1-Abbildung dar, die auf der Grundlage von text processing einen Text erzeugt, der eine detailgetreue Beschreibung des szenischen Ambientes und Geschehens liefert. Der Einfall führt am Ende zurück darauf, die gewünschte Karte durch das aufzuklärende Gelände zu ersetzen. Es leuchtet ein, dass hier nur mit Einschränkung ›Bilder‹ zu gebrauchen sind, eher schon wären dreidimensionale Modellierungen auf entsprechender Software-Grundlage sinnvoll. Indes braucht es keine Aufgabenstellung für die szenografischen Künste, wenn sich der Entwurf durch die Aufführung schon erledigt hat und nur mehr zu analytischer Sinnaufklärung dient.
269
Baudrillard 1991: Fatale Strategien. S.103; siehe auch ebd., S.99.
270
Und schon in Die feinen Unterschiede behauptet wird, aber nicht gilt für die meisten der zahllosen statistischen Diagramme dieser Arbeit, in der bestimmte quantifizierte Merkmale und Merkmalgruppen Regeln für definierte Objekte relationieren.
271
Bourdieu 1998: Praktische Vernunft, S.55-90. Es handelt sich um einen Vortrag im Rahmen des Christan Gauss-Seminars in Criticism an der Princeton University 1986; (Hervorhebungen des folgenden Absatzes – PB).
272
Bourdieu 1998: Praktische Vernunft, S.61f (erste Hervorhebung – HW; das folgende Zitat S.64; die Hinweise zu befremdlichen deutschen Übersetzungen, in Klammern [!] in Zitate eingerückt, gelten selbstverständlich nicht der Formulierung des Autors).
273
Bourdieu 1998: Praktische Vernunft, S.65f.
274
Siehe Pierre Bourdieu: Les règles de l´art. Genèse et structure du champ littéraire, Paris 1992.
481
275
Bourdieu 1998: Praktische Vernunft, S.66. Vaudeville, ein vergleichsweise seriöses Pariser Theatergenre (Chansons mit Instrumentalbegleitung), das schon Mitte des Jahrhunderts Konjunktur hatte.
276
Und deshalb nicht als Unterfelder in Bourdieus eigenem Diagramm erscheinen (ebd., S.68).
277
Das Diagramm im Text indiziert also auch die vertikalen Teilungen im Unterschied zu den orthogonalen. Die zeigen eine vertikale Achse (zwischen positivem Pol = herrschender Position und negativem Pol = beherrschter Position) beziehungsweise eine horizontale Achse zwischen »Geld« (= herrschender Position) und »Kunst« beziehungsweise Konkretionen in Unterfeldern (= beherrschter Position). Die Diagonale erscheint im Rechts-links-Wechsel der Inkremente (+/-).
278
Was aus dem Diagramm in: Bourdieu 1998: Praktische Vernunft, S.68, selbst nicht hervorgeht, da seine Legende darüber keine Angaben macht und dies nur die Positionierung der Felder anzeigen könnte. Der Text lässt es aber vermuten. Es heißt sogar: »Wie man sieht« ... (ebd.).
279
Legendeneintrag: »Diagramm des künstlerischen Feldes (3), mit seiner Position am beherrschten Pol des Feldes der Macht (2), das sich selber am herrschenden Pol des sozialen Raumes befindet (1).«
280
Bourdieu 1998: Praktische Vernunft, S.223; Hervorhebung – HW.
281
Vgl. unten zu Luhmanns Vorstellung der Komplexitätsreduktion durch Verfahrensoptimierung.
282
Vgl. Foucault 1968/2001: Archäologie der Wissenschaften, S.916.
283
Die »Positivität« als Resultat, nicht als Voraussetzung der Diskursmanifestation charakterisiert Foucault an derselben Stelle. »Für dieses Vier-Ebenen-System, das eine diskursive Formation regiert und das nicht von seinen gemeinsamen Elementen, sondern vom Spiel seiner Abstände, seiner Zwischenräume, seiner Distanzen – gewissermaßen eher von seinen Leerstellen, als von seinen erfüllten Oberflächen – Rechenschaft ablegen muss, schlage ich die Bezeichnung Positivität vor.« Foucault 1968/2001: Archäologie der Wissenschaften, ebd.; Hervorhebung – MF.
482
iv medien, politik, ökonomie
IV
medien, politik, ökonomie
Eingedenk der strategischen Entwurfstableaus für die Szenen des Subjekts und die Szenen des Sozialen, werden wir im letzten Teil der Untersuchung die Inszenierungspraktiken selbst genauer in den Blick nehmen. Dass die Entwürfe, die Szenografien für solche Praxis dabei nicht außen vor bleiben, ist selbstverständlich. Die Verknüpfung der Inszenierungsfelder lässt die ›politische‹ Dimension oder besser die Dimension des ›Politischen‹ hervortreten, wobei die Inszenierungen der ›Politik‹ im engeren Sinne nur einen Anwendungsfall von Inszenierungspolitik darstellen. Mit Abstand betrachtet, tritt »die Politik«, nicht anders als »die Kunst«, im Rahmen allseitig medialisierter sozialer Verhältnisse auf, die ihrerseits auf ökonomischen, »Produktionsverhältnissen« gründen. »Produktionsverhältnisse« aber beschränken sich so wenig auf die Produktivkräfte der Realwirtschaft wie die ›politische Produktion‹ auf ›die Politik‹ oder die Mediatisierungs- und Medialisierungsverhältnisse auf die Medienproduktion der ›Massenmedien‹. Politische und ökonomische Implikationen der gesellschaftlichen Verhältnisse zu erörtern entbindet nicht davon, die Perspektiven zu scheiden: die Perspektive und Lage derer, die machen und gestalten, von der Perspektive und Lage derjenigen, die von den Dispositionen und Dispositiven betroffen sind. Generell indes gilt, dass niemand auf nur einer Seite steht. Im Gegenteil ist die Frage der »Harmonie« oder die Frage des »Volkes«, des Hiats zwischen Gestalter, Gestaltung und Konsument, Künstler, Kunstwerk und Publikum, zwischen Repräsentanten, Gemeinwesen und Souverän, zwischen Warenproduzenten, Warengesellschaft und Verbrauchern mit Blick auf die Strategien und die Ordnung der Inszenierung weiter differenzierungswie entfaltungsbedürftig. »Die Dispositive, die unter verschiedenen Kräfteverhältnissen wirksam werden, führen nicht zu denselben Wirkungen. Daher ergibt sich die Notwendigkeit einer Differenzierung der ›Aktionen‹ (im militärischen Sinne des Wortes), die im Konsumbereich von den Konsumenten mit dem System der Produkte ausgeführt werden. Und daher müssen die Spielräume unterschieden werden, die die Konjunkturen den Verbrauchern lassen und in denen diese ihre ›Kunst‹ ausüben können. Das Verhältnis der Prozeduren zu dem Kräftefeld, in das sie eingreifen, muß also zu einer kriegswissenschaftlichen Analyse der Kultur führen. Wie das Recht (das ein Modell dafür ist) bringt die Kultur Konflikte hervor und legitimiert, verschiebt oder kontrolliert das Recht des Stärkeren. Sie entwickelt sich in einem oft gewaltsamen Spannungsfeld, in das sie symbolische Gleichgewichte, ausgleichende Verträge und mehr oder weniger dauerhafte Kompromisse einbringt. Die KonsumTaktiken – die Findigkeit der Schwachen, Nutzen aus dem Starken zu ziehen – führen somit zu einer Politisierung der Alltagspraktiken.«1
Die von Certeau genannten Gesichtspunkte und Aufgabenstellungen markieren sowohl relevante Gesichtspunkte als auch die Richtung, in der wir den letzten Teil des Buchs lenken wollen: Insbesondere auf die Bindungen der »vier Mächte« steuern wir zu, auf (beispielhafte) Szenarien der »Eroberung der Welt« in Verhältnissen der »Eroberung der Welt als Bild« und unter Bedingungen ihrer ökonomischen Aneignung nach Maßgabe westlich demokratischer Medien-, Sozial- und Eigentumsordnungen. Es ist durchaus nicht abwegig, Heideggers Diktum aus dem Weltbild-Vortrag am ende der 30er Jahre als kulturpolitische Ergänzung der Einlassungen Carl Schmitts zum Begriff des Politischen einige Jahre zuvor zu lesen. Schmitts spätere Erläuterungen entfalten
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die Szenarien für eine globalisierte Welt nach dem Ende der bipolaren Konfrontation. Statt eines wünschbaren, tatsächlich multipolaren Pluralismus, so Schmitt schon 1952, werde es weit eher zu einem hegemonial kontrollierten Pseudo-Universalismus kommen.2 Er sollte recht behalten.
iv.1 politik & medialität »Politik« mit »Inszenierung« zusammenzubringen heißt, die Vermittlung und Kommunikation von Politik, die dazu gehörigen Techniken und Institutionen, ihren Auftritt in konkreten »Medien« zu denken. Damit aber steht das Politische in der Differenz, ist praktisch selbst Indikator einer Kultur der Konflikte. Wem ist zu trauen, wem nicht? Welche Vorstellung, welche Aufführung, welche Nachricht ist vertretbar, welche nicht? Im ersten Abschnitt des vierten und letzten Teils der Arbeit befassen wir uns mit der Unterscheidung von Politikinszenierung und Inszenierungspolitik im Kontext global medialisierter, gleichwohl auch regionaler und lokaler Verhältnisse, deren Legitimation durch Verfahren. Im letzten Kapitel des Abschnitts kommen wir auf die anliegenden Diskursdispositionen zu sprechen, um hinzulenken auf das Folgende. Dabei geht es um die handlungs- und bedeutungstheoretischen Begründungsstrukturen und die Kriterien der Stratifizierung von Inszenierungsstrategien. 1
inszenierungspolitik. politikinszenierung
Das Übel, das Rousseau den Künsten und Wissenschaften zum Vorwurf macht, ist, dass sie die Wahrheit unterminieren und damit die Wahrhaftigkeit, das Wahrheitsbekenntnis für die zwischenmenschlichen Beziehungen zunichte machen: durch ein Regiment der Bilder. Das probate Mittel, nicht nur bei Rousseau, heißt, die »Lanze des Achills« zu nehmen, um sie heilsam zu nutzen. Abgesehen von Orakelspruch und Götterbeistand sind die Erfolge, »mit Gleichem Gleiches zu heilen« und Evidenzen walten zu lassen, durchaus erstaunlich, zumindest im Kleinen. Im Großen ist es eine Frage der Zeit und des Abwartens. Narziss ist ein selbstverliebter Herr, der heiraten möchte. Doch lässt seine Selbstinszenierungsmanie nichts Gutes ahnen für die Ehe, die er eingehen möchte. So beschließt seine Schwester, ihn zu kurieren. Sie heilt ihn mit der ›Lanze‹, ähnlich wie Odysseus den Telephos.3 Bei einem Maler gibt sie ein Portrait des Bruders in Auftrag: ein Gemälde, das ihn als Dame in vollem Putz vorstellt. Zunächst wird alles nur schlimmer. Narziss verliebt sich in das Bild des schönen Selbst und stellt die Heirat in Frage. Doch als er einsehen muss, dass er einem Phantasma aufgesessen ist – das Übel nicht mehr weiter auf die Spitze getrieben werden kann –, wird er »geheilt von einer Lächerlichkeit, die seiner Jugend Schande machte«.4 ›Das Trugbild eines Anerbietens‹
Achills Lanze, die den Sohn des Herkules verletzt, ist dieselbe, deren Rost den verwundeten Herrscher der Mysier heilt. Der Geschichte von der Rettung mit Hilfe der Zeit und der Natur, wenn die Waffen selbst zu Rost zerfallen sind, korrespondiert die nicht weit davon spielende Geschichte, in der Achills Waffen ruhen und es doch auch um Kämpfe und Verletzungen zu tun ist. Freilich sind sie kaum heilbar; doch verbergen sie sich nicht selten der Zeit und dem Raum. Allenfalls kann man ihnen vorbeugen. Den
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Widerpart gegen Täuschung und Selbsttäuschung übernimmt Achilleus, wenn auch herausgefordert, dieses Mal aus eigenem Antrieb, wenn auch unterstützt durch eine Gemeinschaft, die er an seiner Seite weiß. Nicht zuletzt ist es ein Kampf mit Worten, ein Kampf um die Bedeutung, wenn der Kampf mit den Waffen ausgesetzt ist und Bilanz gezogen wird. Odysseus ist wieder dabei, steht wieder zwischen den Parteien, ist wieder der Mittler, wieder zwischen Agamemnons Interessen und dem Ansinnen des Achill. Erfolg beschieden ist der Mission des Odysseus in dieser Geschichte nicht. Als er auf Geheiß des Orakels mit der Lanze des Achill den Herkulessohn zu retten wusste, täuschte sich, wer nicht der Kraft der Natur und des Göttliche vertrauen wollte. In dieser anderen Geschichte wird über ein Spiel berichtet, von dem sich viel im Verborgenen abspielt. Es handelt nicht von den Wundern der Natur unter dem Einfluss der Götter, sondern von sehr gewöhnlichen Eigenschaften der Menschen. Das hat zu tun mit den Motiven, die im Spiel sind. Was sich zuträgt, hat alle Wahrscheinlichkeit des wirklichen Lebens, ist mehr als bloßes Bühnenspiel, obwohl es um den Schein von Worten und Gesten geht. Wir befinden uns jetzt im Ersten Gesang der Ilias. In der Rousseau´schen Komödie darf Narziss auf Rettung hoffen. Die Bande der Natur sind stark. Darauf zu vertrauen, sagt der Dichter, macht Sinn, man brauche nur die Erfahrung zu befragen. Dass die Selbstheilungskräfte der Natur nicht gänzlich zerstört werden können, ist freilich die Voraussetzung dafür, dass von solchen Begebenheiten zu erzählen ist. Das Regiment verborgener Herrschaftskunst hingegen bekommt seine Chancen, wenn zu herrschen aus Prinzip, aus Stärke, sich selbst suspendiert, um auf die Überzeugungen zu wirken, die jemanden glauben lassen, zuerst an den eigenen Glauben. Nur die Stärke kann der Schwäche, einer vermeintlichen Schwäche, zugestehen, das Regiment zu übernehmen. Die Stärke der Schwäche hätte womöglich keine Chance gegen die Stärke der Stärke, es sei denn, sie schwächte sich selbst. Was Wunder, dass gerade, wo es nicht um Kunst zu tun ist – oder wenn, um die Kunst zu herrschen –, die beiden Strategien in Konkurrenz treten, gegeneinander abgewogen werden wollen. Zunächst scheinen alle Vorteile bei der Partei der Starken. Denn Stärke, Mut und Tapferkeit, offenes Visier und Ehrlichkeit sind auch sittlich anerkannte Werte, schon gar, wenn sie gegen Lüge, Täuschung und Hinterlist ins Treffen ziehen. Doch kommen auch diejenigen, die die mittelbare Herrschaftskunst verteidigen, mit einem Trumpf in der Hand. Nicht weniger lässt sich von ihrem Standpunkt aus moralische Überlegenheit propagieren. Zumindest für eine Weile scheinen sie aller Gewalt und Unterdrückung den Kampf anzusagen, werfen die Kultur der Beratung und der Übereinkunft auf der Grundlage von Überzeugungen in die Waagschale. Anzuführen für diesen Wettkampf sind wie oft, so auch hier »Zeugnisse eines fernen Denkens [...], das sich auf ein System einfacher und einleuchtender Bilder stützt«, Bilder der Dichtung Homers. Die Lehren interessieren.5 Hinter Freundlichkeit und Gerechtigkeit, den Versprechungen der Großen, von denen ihr Verhalten, vor allem ihre Worte geprägt sind, so Homers Epos über den Krieg der Griechen gegen die Troer, verbergen sich wohlüberlegte Kalkulation und Habgier. Die Ilias hebt an mit dem Streit zwischen Achill und Agamemnon, ist überhaupt ein Werk über diesen Streit. Nie mehr wieder will der Peleiade den Versprechungen des »Herrscher[s] des Volks« vertrauen. Agamemnons Verhalten hat seinen Zorn erregt, gar soweit geführt, dass die Götter nicht umhinkönnen, ihm beizustimmen. Apollo schickt die Pest ins Lager der Griechen; aller Kampf sieht die Troer als Sieger. Doch hat allein der Anführer
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des Griechenheers gegen Apoll gefrevelt, als er seinem Priester drohte, statt ihm zu geben, worum er bat: die erbeutete Tochter loskaufen zu dürfen, um sie in die Heimat zu bringen. Das griechische Heer samt Achill sieht Chryses´ Bitte als billig an, denn der Seher hat den Griechen nicht nur Lösegeld geboten, sondern auch die Vernichtung der Priamos-Stadt geweissagt. Agamemnon aber ist nicht bereit, auf die eigene Beute, auf seines »Bettes Genossin« und »Weberin« zu verzichten. Erst unter Zwang, weil die gesamte Expedition aufgrund seines Eigensinns zum Scheitern verurteilt ist, um Apoll zu besänftigen und der Epidemie zu entkommen, um das Heer zu beruhigen, lenkt der Heerführer am Ende ein, gibt Chryseis, die Tochter des Priesters heraus, sodass Odysseus sie dem Vater zurückbringen kann. Dass sich der Konflikt an Achill entzündet, liegt daran, dass er als Sprecher der Achaier auftritt, Kalchas, dem eigenen Priester verspricht, das ganze Heer zur Umkehr zu bewegen, dass selbst Agamemnon den »Götterwink« beherzigen und den Wunsch des Apollo-Priesters respektieren werde. Am Ende schlägt Achill gar vor, den »vorigen Irrweg« aufzugeben und »wieder nach Hause zurück« zu ziehen, um dem Tod zu entgehen, das »Volk errettet [zu] schaun«. Zwar begründet Agamemnon seinen Widerstand dagegen, die Sklavin loszugeben, damit, dass er jene Chryseis »höher wie Klytemnestra [...] achte«, weit mehr aber scheint ihm daran gelegen, dass ihm keines seiner »Ehrengeschenke« auskommt. Darauf erst reagiert Achill persönlich, zeiht den Griechenführer als »[H]abgierigsten aller«. Niemand wisse, wieviel und wo »er des Gemeinsamen vieles verwahre[.]«. Im übrigen, lenkt Achill ein, könne Agamemnon sich doch aus der Beute des eroberten Troja reichlich entschädigen. Der Fürst versteht die Rede des Thetis-Sohnes als Anmaßung, wirft Achilles seinerseits »Trug« vor, den Versuch ihn »schlau zu umgehen« und zu »bereden«. Stattdessen droht er, sich sofort bei den Ehrengeschenken seiner Heerführer zu bedienen. Nun erst erzürnt Achill heftig, prangert Ehr- und Eigensucht, die Feigheit des »volksverschlingende[n] Königs« an. Der Kampf mit Worten spitzt sich zu, bis Agamemnon sein Regiment in die Waagschale wirft: »damit du lernest, / Wie viel höher ich sei als du, und ein anderer zage, / Gleich sich mir zu wähnen, und so mir zu trotzen ins Antlitz!« Für die Tochter des Chryses holt er sich die Tochter des Brises, die Achill als »Geschenk« in seinem Zelt bewahrt. Ab jetzt können nur noch die Götter die Geschicke und Ereignisse zu lenken, Achill hindern, den Trojanischen Krieg durch Tötung des Achaier-Führers vorzeitig zu beenden.6 Achill aber »grollt«. Erst im Neunten Gesang sind die Griechen, ist Agamemnon soweit, dass sie nicht mehr auf den »mutigen Renner« verzichten können, wenn sie nicht untergehen wollen, dem Peleiden nun – wieder über Odysseus – von sich aus Kompensationsgeschenke anbieten, wenn er sich denn zu Kampf bereitfände.7 Achill lehnt ab. Was auch immer man ihm verspricht: Nie mehr wird er Agamemnon, dem Volksverschlinger vertrauen. »Denn mir verhaßt ist jener, so sehr wie des Aïdes Pforten, / Wer ein andres im Herzen verbirgt, und ein anderes redet.«8 Erst als Reaktion auf Patroklos´ von Apoll herbeigeführten Tod auf dem Schlachtfeld (Sechzehnter Gesang) greift Achill endlich ins Geschehen ein, um den Freund zu rächen und Hektor zu töten (Achtzehnter Gesang ff). Der Argwohn, der im augenblicklichen Verhalten dessen, gegen den er sich richtet, vielleicht keine Berechtigung findet, kann sich nichtsdestotrotz oft schon auf Kunde und eigenes Erleben stützen, auf schlechte Erfahrungen. So auch geht es Achill, als Odysseus kommt und ihm erneut Versprechungen auf reiche Beute macht im Namen des Agamemnon. Doch das Vertrauen des Helden, einmal erschüttert, will sich nicht wieder einstellen.
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»Einmal betrog er mich nun und frevelte; immer hinfort wohl / Täuscht sein tückisches Wort«.9 Wohl hat Achill erlebt, dass der Heerführer Beute verteilt, doch vergleichsweise weniges nur; am besten dabei hat er sich immer selbst bedacht. Doch was dafür vielleicht ein guter Grund hätte sein können, in vorderster Reihe im Kampf seinen Mann zu stehen, trifft nicht zu auf den »Herrscher des Volkes«, zumindest nicht jetzt und nicht hier: »[E]r ruhend indes bei den rüstigen Schiffen, / Nahm die Schätz´ und verteilt´ ein weniges, vieles behielt er.« Von Ehr-, Hab- und Gewinnsucht ist Agamemnon getrieben. Dies wird so bleiben. Sie zu befriedigen setzt er auf Verführung, Blendung und Täuschung, vordergründig wenn nötig hehre und freundliche Worte, die überzeugen und Vertrauen einflößen sollen. Nicht die berechtigten Erwartungen aber sind es, die es geraten erscheinen lassen, auf Gewalt als Mittel zu verzichten und sich vordergründig friedlich zu geben. Denn jeder Tapfere weiß, dass er Belohnung verdient hat, erkämpft er sie sich doch mit der Waffe in der Hand, Mann gegen Mann. Sich zu erschleichen, wofür zu kämpfen und einzustehen er nicht bereit ist, kommt dem Krieger, kommt Achill nicht in den Sinn: »[V]erhaßt ist [...] wie des Aïdes Pforten, [w]er ein andres im Herzen verbirgt und ein anderes redet.« Die Anklage kann schärfer nicht sein. Einem Sagen ausgesetzt zu sein, das zugleich ein Verbergen ist, ist so arg, wie vor den Toren des Hades zu stehen. Es ist gegen die Natur, gegen das Leben gerichtet, völlig paradox. Zu sagen nämlich heißt, aus dem Verborgenen des Nichtgesagten in die Offenheit des geäußerten Worts zu bringen und für die Bedeutung, ihre Wahrheit einzustehen. Durchaus setzt dies auf Inszenierung und Schauspiel, indes keines, das anderes als sich selbst vorzeigt. Der Tausch der Gaben, der wirklichen gegen die nur anscheinend gegebenen, in Wahrheit aber bei sich behaltenen, ist unakzeptabel. Das Verborgene als Verbergung sprechen zu lassen ist widernatürlich. Es widerspricht überhaupt der Artikulation, ähnelt dem Sprechen aus der Unterwelt. Absichten, indes, könnten so verstanden werden: als seien sie isoliert lebensfähig, als Entitäten eines inneren, verborgenen Zustandes. Dabei sind sie nur als gewollte Handlung existent. Dann ließe sich auf ihr Gewolltsein, auf den Willen einer Person, begründend hinweisen10, nicht aber wenn die Handlung selbst, im Wort verborgen, zurückgehalten ist. Dies ist eine grundsätzliche »Weigerung zu geben«, selbst hinsichtlich dessen, was schon gegeben wurde. »Die Worte bleiben das Trugbild eines Anerbietens: bitterer Hohn für den [Achill – HW], dem man die anmutige Briseis entrissen hat.« Gestalt und Ausdruck des Betrugs nehmen die Dinge an, deren Gegenwart vermeintlich garantiert ist. So sind es gar nicht die Dinge selbst, die hier mit dabei sein dürften, sondern nur ihr Schatten oder Schein. »Unter dem Blick des Argwohns verbirgt der Sprecher der beredten Versprechungen eine ›Tiefe‹, die nicht lediglich das ist, was sich verbirgt, die Weigerung, offen zu reden, sondern die Handlung des Betrügens selbst, die habsüchtige Gewalt, zu berauben und nicht jedem seinen rechtmäßigen Anteil zu geben.« Je gelungener die Täuschung, desto größer die Tücke. Das »Innen, das der anklagende Gedanke Achills denunziert, ist der Raum, der sich aus seinen möglichen Fehlschlägen zusammenfügt, aus seiner stets drohenden Enteignung und aus seiner Sterblichkeit – der Feind, der in dieser Welt des Jenseits herrscht, zielt darauf, seine Gewalt auszubeuten, ohne die geringste Gegenleistung an greifbarem Reichtum und Freuden. Was der Gegner in seinem Innern birgt, ist die Zerstörung meines eigenen Innern.«11
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›Zivilisierung durch Kultur, vornehmlich der Umgangseigenschaften‹
Nur in Grenzen, verständlicherweise, findet sich die Politik der Inszenierung als Inszenierung von Politik. Offenbar ist »Politik« in den beiden Ausdrücken, obwohl gleichlautend, nicht gleichbedeutend. Sich dieser Differenz bewusst zu werden kann nur vorteilhaft sein. Dass Politik – politisches Tun und Denken im Sinne kluger Einrichtung und Lenkung gesellschaftlicher wie zwischenmenschlicher Beziehungen im gegebenen Verfassungskontext – als Inszenierungsfeld gelten kann, zeigt zweierlei. Der Form nach ist damit angezeigt, dass, was Politik ausmacht, im Aufriss einer Raumordnung des Gesellschaftlichen erscheint, deren jeweilige Grenzziehungen strategischer Art sind. Inhaltlich dagegen erhellt, dass im Rahmen dessen, was als Feld politisch relevanten Agierens und Reagierens gilt, Gestaltungsmittel begegnen, die ihrer Natur nach aus Kunst und Ästhetik bekannt, medialer Natur sind. Wäre, dies vorausgesetzt, von einer Politik der Inszenierung die Rede, dürfte man mit einigem Recht folgern, dass analog der Übertragung aus den Räumen der Kunst in die Räume der Politik qua Inszenierung genauso gut eine Übertragung aus dem Politischen in die Räume der Kunst oder Künste qua ›Politik‹ stattfinden könnte. Der Übertragung der Methode und der Gestaltungsmaximen dort entspräche hier die Übertragung der Zwecke und der Aufgabenstellung. Die ›Kunst‹ könnte sich dabei durchaus selbst Zweck bleiben, allerdings nicht in der alleinigen Hinsicht der sakralisierten, der Schönen Künste. Mittels Inszenierung Politik zu betreiben setzt auf eine theatrische, den performativen Künsten respektive den Künsten in pragmatischem Verständnis verbundene Strategie. Die typische Inszenierungspolitik zeichnete sich dabei dadurch aus, dass sie stets eine friedliche Strategie auf die Bühne schickte, eine Strategie, die auch Gewalt nur mediatisiert und in Szene gesetzt erscheinen ließe. An der Engführung von Politik und Kunst lässt sich festhalten, wenn man beide als Inszenierungskünste reklamiert. Eine Politik der Inszenierung wäre nicht mehr nur im Rahmen einer Staatskunst gefragt. Ziele strategisch im Lichte szenografischer Gestaltung zu definieren, Handlungszwecke unter Berücksichtigung des Einsatzes entsprechender gestalterischer Mittel zu bestimmen und mit Hilfe geeignet erscheinender technisch medialer Taktiken zu operationalisieren wäre auch in der Politik möglich, aber ebenso auf vielen anderen Praxis- und Gestaltungsfeldern, auf denen gewöhnlich nicht moralische, sondern kluge und angepasste Handlungsmaximen gefragt sind und pragmatische Lösungen. Die Kunst selbst könnte also danach verlangen. Trotzdem stößt auf, was störend erscheint an dem Gedanken, dass Kunst inszeniert sei: Es stört das unterschwellig mitschwingende ›nur‹. Inszenierte Kunst sei nicht wirkliche Kunst, wäre der unterschwellige Einwand, die Kunst sei eben nur ›inszenierte‹, arrangierte, vorgetäuschte Kunst, selbst dann, wenn, dies ins Werk zu setzen, gestalterische Kreativität beinhaltete. Man hat es mit einer gleichsam metaphysischen Kunstauffassung zu tun. Es leuchtet ein, dass derartige ästhetische Orientierung nicht, weil ihr nur an der Einrichtung des Sinnenscheins gelegen wäre, zwangsläufig in die Irre führen muss, auch nicht unter pragmatischen Bedingungen des Auftritts. Ist die Szenografie »pragmatisch« im Verständnis Kants, folgt sie dem »Prinzip des Gebrauchs der Mittel zu einem bestimmten Zweck«, der an sich wie durchaus auch sachbezogen an der »allgemeinen Wohlfahrt« oder der »Vorsorge« dafür orientiert ist. Da unter pragmatischem Betracht insbesondere die »Gesetze des freien Verhaltens zur Erreichung der uns von den Sinnen empfohlenen Zwecke« zählen, um die Mittel zu bestimmen, deren Einsatz der Wohlfahrt dient12, dürfen die Vorstellungen davon als vorzüglich ›ästhetisch empfohlen‹ gelten. Gerade diese Empfehlung aber bestätigt die
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iv medien, politik, ökonomie
Berechtigung, die Inszenierungspraktiken und ihre Episteme allgemein den »Künsten der Cultur« zuzuschlagen und diesen noch vor jeder Differenzierung strategischer Ziele pragmatische Absichten zu unterstellen – mehr als diese in Frage zu stellen. Denn der »pragmatische[n] Anlage« zu entsprechen heißt nach Kant ausdrücklich, die »Civilisirung durch Cultur […] vornehmlich der Umgangseigenschaften«13 zu befördern. Dies privilegiert humane Akteure. Soweit das praktische und strategische Inszenierungswissen wissenschaftlich eingehegt erscheint, gilt daher für den pragmatischen Umgang im Rahmen der Zivilisierung durch Kultur allgemein eine humanwissenschaftliche Zuständigkeit.14 Mit anderen Worten: der Kunst ausgerechnet deshalb kein Vertrauen entgegenbringen zu wollen, weil sie ›inszeniert‹ sein könnte, wäre keine überzeugende Einlassung. Zwar lässt sich dem Einwand nicht dahingehend begegnen, dass man kategorisch ausschließt, dass Täuschung zur Inszenierung tritt. Wohl aber ließe sich positiv entgegenhalten, dass Täuschung, Illusionierung als Mittel der Inszenierung durchaus die ›Wohlfahrt der Kunst‹ besorgen könne (womit in dieser Formulierung der Zweck aller eingesetzten Mittel ausgedrückt wäre). Mithin stellt sich die Frage, ob Inszenierung als Szenografie auch ohne Täuschung auskommen könnte – oder was unter »Täuschung« sinnvollerweise zu verstehen ist. Hieße »täuschen« zunächst nicht mehr als »scheinen lassen« und »getäuscht werden« oder »sich täuschen« soviel wie »einem Schein ausgesetzt sein« oder »sich einem Schein aussetzen«, wäre inszenierte Kunst einerseits nicht notwendigerweise mit simulierter Kunst gleichzusetzen. Andererseits könnte »scheinen lassen« tatsächlich »vorspiegeln« beinhalten, »dem Schein ausgesetzt sein« beziehungsweise sich ihm »auszusetzen« dagegen »sich täuschen lassen« oder »getäuscht werden«. Die genannte Zwecksetzung liefe auf die logische Disjunktion hinaus, dass Zwecke zu verschleiern (das, was für ›die Künste‹ ihr Ziel ausmacht) zugleich beinhaltet, sie wahrnehmbar, das heißt, Einblick fördernd dem Schein zu überantworten, so, wie wenn sie zum Ausdruck gebracht würden. Dies lenkt den Blick von der Szenografie der Inszenierung auf den szenischen Prozess. »Sich täuschen zu lassen« bringt die aktive Seite der Subjekte ins Spiel, deren Sinn sich dem Phantasma anvertraut und die Täuschung beiseite schiebt, um dem eigenen Begehren, der eigenen Lust oder Einsicht zu folgen. Die einseitige Interpretation der »Inszenierung von Politik« ist ebenfalls kaum haltbar. Die Verschiebung, die die Kritiker der Figur wie selbstverständlich, aber voreilig vornehmen, dient nach ihrem eigenen Dafürhalten einer notwendigen Richtigstellung. Spräche man statt von »›Inszenierung von...‹« deutlicher von »›Inszenierung im Sinne der (oder einer) Politik‹«, würde offensichtlich, dass sich mit der Bühnenpräsenz solcher Politik geradezu notorisch ein trügerischer Schein verbreitet. Das szenische Ambiente der Präsenz politischen Auftretens sei für das Publikum, so die Einlassung, immer auch von der Aura einer verborgenen Inszenierungsabsicht umgeben. Einem Schein freilich, so muss man ergänzen, der für die Regisseure solcher Darbietung, die über Intentionen und Zwecksetzung Bescheid wüssten, nichts wäre als fabriziertes Blendwerk, produzierte Kulisse und Technik der Bühnenwirkung. Die weithin anerkannte Hypothese für die Politik lautet deshalb, dass in Anbetracht des Politischen, vorgestellt als einzelne Maßnahme oder komplexes Agieren, gleichviel, alle Kunst, die aufgewendet wird, Sachverhalte, Probleme oder Lösungswege vorzustellen und zu begründen, zugleich bestens geeignet sei, die wirklich das Gemeinwesen und seinen Metabolismus bestimmenden Verhältnisse unter der Decke zu halten. Alles, was zu bekommen ist, spielt sich tatsächlich ab, indes als Simulation
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eines Dissimulierten. So will es der Schein inszenierter Politik – vielleicht aber nicht unbedingt der der Kunst, die mit ihr verbunden ist oder sein könnte.
Kunst, politisiert: Paradoxa Es leuchtet ein, dass beiden Argumentationssträngen entgegenzuhalten ist, dass die unterstellten, empirisch durchaus gut belegten Bedingungen der Präsentation und Präsenz im öffentlichen Raum, des Künstlerischen dort, des Politischen hier, nicht in jedem denkbaren Fall als zwingend notwendig unterstellt werden dürfen. Zwischen der Inszenierung von Kunst und der Inszenierung von Politik zu unterscheiden fordert nicht, zugleich postulieren zu müssen, dass Kunst mit der Inszenierung trügenden Scheins generell unverträglich, Inszenierung von Politik hingegen durch diesen definiert sei. Vor allem dann zeigt sich die Folgerung als ungerechtfertigt, wenn die nominelle Differenz von »Inszenierung« und »In-Szene-Setzen« als Vervielfältigung möglicher Bedeutung des Scheinenden in den Inszenierungsbegriff selbst zurückgenommen wird. Dies wäre das Legitimationskriterium für die Verwendung im Begriff der Inszenierung, soweit darauf zur Qualifikation einer Politik der Inszenierung rekurriert wird. Künstlerisch zu inszenieren, ein Stück zur Aufführung zu bringen wird dagegen normalerweise nicht dem Verdacht ausgesetzt, zugleich noch anderen Zwecken folgen zu wollen. Die Inszenierung von Politik hingegen könnte theoretisch durchaus so ausfallen, dass, was jeweils politischer Gegenstand wäre, in dem ihm gewidmeten Auftritt tatsächlich beispielhaft, aber charakteristisch und insofern in seinem wesentlichen Inhalt vorgestellt erschiene und der Verdacht, Wichtiges zur Sache würde hinter den Kulissen politischen Kalküls zurückgehalten, gar nicht erst aufkeimte. Indes würde die Politik damit die ihr vertrauten medialen Register wechseln. – Christoph Schlingensief soll, angesprochen auf die gesellschaftspolitischen Implikationen seines künstlerischen Engagements und die Chancen, mit solchen Interventionen sozial relevante Veränderungen zu befördern, zurückgefragt haben, warum denn, wenn dies anzunehmen wäre, frustrierte Politiker nicht als Künstler arbeiteten. Man muss die Rückfrage richtig lesen, um zu sehen, welche vernünftigen Konsequenzen sie zeitigen könnte. Wenn es denn zu den Herausforderungen zivilgesellschaftlichen Engagements gehört, sich Interesselosigkeit und Wahrhaftigkeit, wie man sie in der Kunst kennenlernen kann, zu eigen zu machen, wäre eben dies ein wesentliches Kriterium, woran sich die Kunst der Politik orientieren könnte, ohne dass Politiker den Beruf wechseln müssten. Mit der Umkehrung der Kunstzwecke verhält es sich ähnlich: auch sie müssten das Inszenierungsregister wechseln. Nur konvergiert diese Bewegung mit dem sozioökonomischen Medialisierungs- und Mediatisierungsprozess. So inspiriert, böte sich dem Blick tatsächlich eine sichtbare Oberfläche des Politischen. Die eigentlichen Praktiken der politischen ›Kunst‹ hingegen zeigen höchst selten große Kunst, und wenn es so wäre, wird es nicht selten so sein, dass sie im Verborgenen wirkt, man erst im Nachhinein davon hört. Die Politik der Inszenierung indes könnte den allgemeinen Trend der Künste, als Spiel von Inszenierungskünsten aufzutreten, gerade in der Kunst unter Umständen ganz ›unkünstlerisch‹ bestimmen wollen. Das Spiel verdeckte dann, dass hier weniger die Kunst selbst anwesend wäre als das, was, statt ihr dienlich zu sein und zu ihrer Bewahrung gut, Betrieb und Geschäft im Sinn hat und als Kunst sich nur ausgibt. Trügerisches Anerbieten aber könnte solche Praxis nur genannt werden, wenn sie überhaupt in Differenz zu setzen wäre. Das indes scheint unmöglich, wenn die Offerte überall als echt akzeptiert und, was mit ihr angeboten wird, als »Kunst«
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anerkannt. Idealiter bestimmten vielleicht nur zwei Optionen die Politik des Inszenierens, die Option auf ein exemplarisch erhellendes Spiel hier, auf täuschende Maskerade dort. Doch sind die Optionen selbst fiktiv, artikulieren konkrete Wünsche oder Vorhaben, die wie alle Fiktion erst zukünftig zu den realen Tatsachen finden können. Bis dahin bestimmt der Gedanke das künftige Szenario. Darin aber ist der Inszenierung als szenografisch choreografischem Entwurf noch alle Freiheit unterstellt. In den profanen Künsten, Genres und Metiers hingegen gehört es zur Eigenart der Politik der Inszenierungspolitik, die zweifellos fälschliche, aber akzeptierte Behauptung der sakralisierten Kunst, sich keinem anderen als ihrem eigenen Spiel hinzugeben, samt ihren Formen zu adaptieren. Die Freiheit, darauf zu verzichten, alles bei sich zu behalten und dafür zu sorgen, dass es gelingt, hat sie nicht. Denn hätte sie sie, müsste sie alles anders machen, wäre sie vielleicht auf ein Schauspiel, aber nicht auf Inszenierung aus. 2
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Betrachtet man die Inszenierung von Politik im Sinne des öffentlichen Auftretens und Erscheinens der »politischen Klasse« und ihrer Aktivitäten, wird schnell klar, dass im Allgemeinen wie in der Regel kaum anzunehmen ist, dass die personifizierte Präsentation und Dramatisierung von Politik hilfreich sein könnte, wesentlich zur Sache gehörige Details der thematisierten politischen Positivitäten transparent zu machen oder gar Evidenzen ›politischer Zustände‹ hervortreten zu lassen. Dies liegt nicht zuletzt in der Natur der Sache. Denn Politik ist nicht zuerst ein Darstellungsgeschäft, sondern die Kunst im Zusammenleben vieler Machbares machbar zu machen, Regelungen, Entscheidungen, Maßnahmen zu treffen: zu disponieren. Als »Politikregime« betrachtet, handelt es sich »letztendlich um die Gesamtheit der Verfahren und Institutionen [...], an die sich die Individuen, mehr oder weniger nachdrücklich, gebunden fühlen und durch die sie sich gezwungen fühlen, Entscheidungen zu befolgen«, die von einer »Autorität, die das Souveränitätsrecht ausübt«, getroffen werden.15 Darstellungsnotwendigkeiten, der Zwang zur medialen Vermittlung, entstehen eher aus diesen Souveränitätsverhältnissen, in die politisches Handeln eingebunden ist. Handelt der Souverän selbst und für sich, müsste er sich nicht sich selbst gegenüber darstellen, was er getan hat oder zu tun gedenkt, um es zu rechtfertigen. Wird für ihn gehandelt, wird der Souverän verlangen, dass die Repräsentanten rechtfertigen, was sie in seinem Namen entscheiden. Legalitäts- und Legitimitätsverpflichtungen mithin begründen das Darstellungspostulat und das Angewiesensein der Politik auf mediale Unterstützung bei der Vermittlung. »Medium« versteht sich hier demnach als komplexer Begriff institutionell legitimierter Bereitstellung von Informations- und Kommunikationstechnik und ästhetisch sujetgerechten Auftritts- und Vermittlungsformaten. Sie sind notwendig, damit die ›politischen Zustände‹ als akzeptiert gelten können, akzeptiert von denen, in deren Namen und Auftrag sie als herbeigeführt, gesichert oder verändert behauptet werden. Darüber Bescheid zu geben, meint demnach die Präsentation und Artikulation wohlfahrtsfördernder Maßnahmen zur Regelung und Organisation der gesellschaftlichen Verhältnisse und Beziehungen auf dem Boden der geltenden politischen Verfassung auf der einen, im überschaubaren Raum medialer Arrangements für den Einzelnen begreifbarer Ereignisse auf der anderen Seite.
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Politik, medienaufbereitet Ob das Politikerlebnis der Adressaten von Politik, der Bevölkerung, die zur Mitwirkung eingeladen ist, auch ohne die Hilfe von Übertragungsmedien erfolgen könnte, was selten genug passieren dürfte, oder über Telepräsenz, ist eine vergleichsweise irrelevante Frage. Beide Vermittlungsformen versprechen authentisches Live-Geschehen; mehr denn je, seit die technischen Implantate jedem jederzeit Sender, Empfänger und Kommunikationskanäle bereitstellen, um global Anschluss und Verbindung zu garantieren. Freilich, die Bühnenshow der Politik unterscheidet sich gemäß Sprache, Nationalcharakter, Temperament und ideologischer Orientierung ganz im Kant´schen Verständnis, dazu je nach Einrichtung des Szenarios gemäß verschiedener ›lokaler‹ Formate. Die Sprache spielt eine bedeutende Rolle. Erhellt, dass zur Politik ihre Kommunikation gehört und zu ihr das Spektakel im öffentlichen Raum, wird ebenso deutlich, dass sich die ›Kuratoren‹ und die ›Designer‹, die für die Inhalte und die für deren Darstellung und Auftritte Zuständigen die politische Szenografie teilen. Zudem muss Politik das Allgemeine der Nation und ihrer Beziehungen im Blick behalten, die ganze Bevölkerung, den ganzen Staat, auch in Rücksicht auf den Blick der anderen. Darum braucht sie Medienkanäle, die mehr garantieren als Spartenkommunikation, mehr als spezielle Angebote auf spezielle Nachfrage. Bemerkenswert ist, dass dieses Geschehen, diese Vermittlung der Politik selbst immer (noch) als etwas anderes zu gelten scheint als das, wofür politisches Handeln und Gestalten wirklich verantwortlich sein sollten und tatsächlich auch sind. Für die mediale Begegnung mit Politik in den geordneten Verhältnissen westlicher Demokratien gilt für das Publikum gemeinhin, dass ihm nur mäßig spannende Erlebnisse in Aussicht gestellt sind. Vielleicht wird der Unterhaltungswert politischer Bühnenvorstellung in Rom, Athen oder Paris höher veranschlagt als in den gemäßigteren Zonen der Berliner oder Brüsseler Politszene. Politik insgesamt aber gehört nicht zu den Metiers, die sich durch persönliches Erleben der Bürger in bewegtem szenisch sozialem Ambiente auszeichneten – selbst unerwartete Begegnungen unterstellt, die indes nicht auf demokratiealternative politische Verhältnisse projiziert werden sollten. Medienkonsumenten erwarten mehr als soignierte Auftritte – Gesten, Kostüme, Ambientes –, in denen sie Politikerinnen und Politiker hierzulande gewöhnlich präsentiert bekommen, selbst wenn diese manchmal aus der Rolle fallen sollten. Die meisten Bilder zeigen sie, aus großen schwarzen Limousinen steigend, durch MinisterienFoyers und -Flure eilend, vor Mikrophonen stehend oder sitzend, Worte sprechend, die, wie unzählige Male analysiert, meist Stereotypen und Plattitüden bemühen. Dennoch: offensichtlich ist, dass die Unterhaltungserwartungen an Politik auch dann zufriedengestellt werden können, wenn, was als Politik traktiert wird, alles andere als politisch Relevantes in Umlauf bringt. Teils hängt dies zusammen mit den geringen Erwartungen an die Politik selbst – die meisten Menschen glauben beispielsweise nicht daran, dass sogenannte Wahlversprechen eingehalten werden, ja das Wort ist geradezu ein Synonym für die Kunst des Agamemnon: Versprechen zu geben und, was gegeben werden soll, zurückzuhalten. Teils ist es zurückzuführen auf den Erfolg der Inszenierung, die immer gewisse voyeuristische Bedürfnisse befriedigen kann. Politisch Relevantes heranzutragen könnte zudem die Kontraindikation beinhalten, dass sich Interessantes mit Verwickelt-Kompliziertem verbinden müsste, was nach allen Erkenntnissen ebenfalls die Einschaltquoten nicht beflügelt. So wird Politik besser als Erlebnis und Live-Event für alle traktiert. Der Mitgliederentscheid einer politischen Partei wird als »Fest der Demokratie« gefeiert.16 Dass selbst die nicht wirklich
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Grund haben zu feiern, deren Votum denen, die so dichten, zugute kommt17, spielt angesichts des propagierten Erlebniswerts keine Rolle. Dass der politische Mehrwert breiter demokratischer Beratung alternativ zur Selbstverständlichkeit entsprechender Verfassung des Gemeinwesens gehören könnte – eher denn als Effekt eines medienkonsumierbaren Events zur Selbstinszenierung politischer Parteien –, wird man bestenfalls im kritischen Feuilleton lesen. Im Medien-Erlebnis dominiert die verlässlich umsichtig oberflächliche und derart vertrauenswürdige Telepräsenz von Politik. Sie betreibt die Affektmodulation einer ungefährdeten, wenn möglich positiven Stimmungslage bei den Adressaten. Zu dieser Modulation gehört allerdings auch die reflexhafte Ermittlung von möglichen Gefährdungen oder Gefahren mit entsprechender Affektbesetzung. Man kann davon ausgehen, dass die durch die mediale Darbietung nahegelegten negativen Affekte stets auf ›externe‹ Ursachen zurückzuführen sind. »Extern« bedeutet, dem regulären, politisch gewünschten Geschehen oder Verhalten, das die Gemeinschaft unterstützt, nicht entsprechend zuzustimmen und es deshalb mit Skepsis oder Ablehnung zu betrachten. Die zunehmend perfektere Integration von Politikpräsenz in Angebote der Unterhaltungsindustrie könnte durchaus auch auf solche Erwartungen gegenüber den Medien distanzierend wirken, die sich inhaltlich nicht unbedingt auf dezidiert politische Botschaften beziehen. Die meisten Kanäle verbreiten, dass Politik etwas anderes sei, als was von dorther beglaubigt wird. Für sie wird es im Allgemeinen keinen Grund geben, die Ferne der Politik vom Alltag der Menschen anzukreiden. Außerdem: das politische Verhältnis, demokratisch verfasst, sieht selbst nur ein repräsentatives ›zwischenmenschliches‹ Verhältnis vor, kennt nur die Negativbeziehung gegenseitig eingeräumter Freiheit(en). Doch alle Ferne wird medial überbrückt – und dadurch auch der Abstand der Repräsentation. So scheint jeder Zuschauer, auch wenn er noch nicht CommunityMitglied ist, auch einzeln adressiert, und, was er bekommt, wie geliefert auf Nachfrage. Der Mensch »bringt die größten Entfernungen hinter sich und bringt so alles auf die kleinste Entfernung vor sich.«18 Die Inszenierung demokratischer Politik mag unter diesen Bedingungen, je nach Format durchaus auch als Begegnung mit Politik angesehen, kann gut aber auch unter anderen medienvermittelten Programmüberschriften konsumiert werden. Nähe scheint immer garantiert; tatsächlich herrscht »Abstandslosigkeit«, die mit Nähe nicht zu verwechseln ist. Wenn eine designierte Ministerin Auskunft darüber geben soll, ob sie sich tätowieren lässt und ob, wenn ja, möglicherweise mit dem Koalitionsvertrag, ergibt sich einerseits vielleicht die Nähe zu einer Politik zweifelhaften Inhalts, andererseits erhellt die Inszenierung von Politik.19 Für den Zuschauer wird es konsequent erscheinen, wenn er annimmt, dass er es allemal mit Politik und sogar einer spannenderen zu tun haben wird, wenn er einschlägigen Polit-Serien den Vorzug gibt, die auf diesem Niveau mehr Spannung und mehr Unterhaltung versprechen. Gemeinhin abgestellt zur Herstellung öffentlicher Bühnenpräsenz von Politik nichtfiktionaler Art wird auf ganz bestimmte mediale Inszenierungsformen und -formate: solche, die ein möglichst großes Segment des Wahlvolkes erreichen, solche auch, die, mehr oder weniger in Übereinstimmung mit dem transportierten Diskurs, der Übermittlung der Botschaft etwas Würze beimischen. Die Hoffnung ist, dass damit die Message dem Publikum, für das sie gedacht ist, einigermaßen bekömmlich, vielleicht sogar schmackhaft vorkommt. Entsprechend die Rezepturen. Rein informationelle Beiträge, in denen Politik als mit Bildern unterlegter Mediendiskurs offeriert
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wird, dürfte die verbreitetste Servierform darstellen. Szenisch hat sie wenig zu bieten. Entsprechend ist die Kreativität der Szenografien zu bewerten. Immerhin kann Politik im Informationsformat in einer Breite ihrer Erscheinungen auftreten, die sie, wohlweislich, im personalisierten Setting des Infotainments nicht aufweist, vielleicht auch schwieriger herzustellen ist. Nachrichtlich aber erfährt man auch von den Auswirkungen politischen Handelns und Entscheidens auf hoheitlicher Ebene, sei es im zwischenstaatlichen Umgang, sei es in der Auseinandersetzung zwischen politischen Systemen. Es kommt vor, dass Politik so als Gewalthandeln, verbunden mit kriegerischem oder anderem Zwangsgeschehen, auftaucht und in diesem Modus durchaus auch als Regierungs- oder Verwaltungshandeln im scheinbar vertrauten gesellschaftlichen System. Derart erscheint Politik als Regiment über die eigene Bevölkerung. Doch sind es gewohnte, ja vertraute Bilder in vertrauten Medienumgebungen. Auch hier wird also inszeniert, in der Hauptsache, verständlicherweise, der Realitäts- bzw. Tatsachenbezug wie die Authentizität der Dokumentation durch das Medium. Alles ist Bild und Schirm. Lässt man Politiker in Talkshows auftreten, soll Politik persönlich wirken, einigermaßen normal und zuschauernah oder vielmehr – schließlich geht es um die Inszenierung von Politik – bürger-, das heißt dem Souverän nah, demokratisch. Der Politiker wiederum kommt als Mitbürger und erst in zweiter Linie in der Rolle des Deputierten – jedenfalls soweit sich die Stellvertreterschaft auf die Repräsentation des Souveräns bezieht. Anders als um die Stellvertretung des Volkes steht es um die der Macht. Als Repräsentant einer der Parteien, die sich die Macht teilen, wird sich die Politikerpersönlichkeit stets zu erkennen geben. Unabhängig von solchen politiktheoretischen Reminiszenzen, die kaum als solche in den Kegel des Bühnenlichts geraten, erscheint der Politiker auf jeden Fall als Mensch, als Mensch wie du und ich und beweist damit, dass er die Lektionen der großen Medienkonzerne der Gegenwart gelernt hat. Und der Mensch, man weiß es, hat eben auch und meistens anderes im Sinn als Politik. Das Allgemeine der ›Verhältnisse‹ im Medienkontext besteht darin, dass die Präsentation von Politik eine Grenze überschreitet, wenn sie Spiel und Ernst mit umgekehrten Vorzeichen in Szene setzt. Die Mehrheit der Konsumenten weiß diese Grenze zwar durchaus zu identifizieren, freilich nur im Allgemeinen, was aktuelle Orientierung nicht garantiert. Indem sich die Medien die Trennung in Spiel und Ernst selbst angelegen sein lassen, freilich nicht mit der Konsequenz, dass, was als politisch ernst zu nehmender Gegenstand aufzufassen wäre, nicht mehr als bloßes Spiel in Erscheinung träte, ist solche Orientierung ad hoc meist verstellt. Bestenfalls ist sie indexikalisch abzuleiten, mit aller Vorsicht. Die Vermischung aber betrifft ausdrücklich die Szenografie oder die Inszenierungsqualitäten des Mediums. Faktisch resultiert eine wenig interessierte Zustimmung zur von Medium und Format gewohnten und erwarteten Illusionierung (Unterhaltung) und deren Techniken, sowohl was die spezifisch politischen Botschaften selbst betrifft als auch die Notwendigkeit, mehr erwarten zu müssen und zu sollen. Dabei wird die Selbstillusionierung hier wie dort vom Appetit geregelt und in den Grenzen der gewöhnlichen Vorstellungs- und Einbildungskraft, zuerst bei den Inszenierungsbetroffenen, unter die indes auch die Macher selbst zu rechnen wären. Die Leistungen der Einbildungskraft angesichts von Inszenierungen im nicht explizit künstlerischen Raum des Medialen können durchaus produktiv sein, um mit Kant zu reden, wenn auch nicht unbedingt kreativ.
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Kant qualifizierte solche Produktivität als »dichtend«, was allerdings auch bei ihm nicht bedeutet, dass sich die Imagination per se im Kunstraum der Poesie umtun müsste. Produktivität kann, ja muss sogar mit der Reproduktion von Eindrücken einhergehen, insbesondere wenn es unmittelbar nichts anderes als Bilder zu betrachten gibt, die nicht an eigene Erlebnisse anschließen. Der »innere Sinn« muss mithin Erinnerungen zurückrufen, um eventuell eine »vorher gehabte empirische Anschauung ins Gemüth zurück[zu]bring[en]«20, die sich mit den gesendeten Bildern synthetisieren ließe. Welche Art empirischer Anschauung zurückzurufen, könnte der TV-Zuschauer einer Politshow Veranlassung haben? Erlebnisse vielleicht, die eigene, ›realweltliche Nahbegegnungen‹ mit Politik betreffen: gewöhnlicher Art, wie das Ausfüllen von Wahlzetteln, oder eher außergewöhnliche, wie das Mitmachen bei einer Großdemonstration gegen Nachrüstungsentscheidungen, AKW-Standortbeschlüsse oder Umweltkatastrophen, »historische« Ereignisse womöglich wie die Errichtung oder Öffnung der Berliner Mauer. Soweit sich der Talkshow-Zuschauer veranlasst sieht, an solches Material »produktiv« anzuknüpfen, bleibt er auf empirisches Material bezogen – vor Zeiten wie aktuell vor dem Schirm. Angesichts der gebotenen Bilder, allerdings, kann er dies nur für die Empirie seiner Zuschauerszene behaupten, für die »Anwesenheit des Gegenstands« in den gebotenen Bildern so gut wie gar nicht. – Die produktiven Einbildungskräfte gelten insoweit als nicht kreativ, als sie wahrnehmungsbezogen bleiben, ob, was die Sinne zustande bringen, dem Wahrnehmungsvermögen vergleichsweise unvermittelt »abgelockt« wird oder medial provoziert erscheint. Immer drängt sich das Außen den Sinnen geradezu zwangsläufig auf, unmittelbar oder vermittelt. Es ist jedenfalls, obwohl zu synthetisieren von Urteilskraft und intellektueller Verarbeitung, nicht Resultat ungebundener Assoziations- und Phantasieproduktion wie im freien fiktionalen Vorstellungs- und Einbildungsmodus. Entsprechender Stoff, so Kant, sei deshalb, zumindest bei genauerem Nachsehen, auch in dem, was die bloß reproduktive Einbildungskraft ans Licht bringt, stets nachzuweisen. Im szenischen Ambiente des TV- oder Internet-Nutzers vor seinem Gerät – derjenigen Umgebung mithin, die die Begegnung mit Politik und Politikern heute in den meisten Fällen modulieren dürfte – wird insgesamt weniger die Einbildung denn die Vorstellung qua Anschauung zum Zuge kommen. Sie wird gebunden von den Bildern auf dem Schirm und den Tönen aus den Lautsprechern. Aber moderiert und selbstmoduliert wird sie durch den inneren Sinn respektive entsprechende »Affektionen des Gemüths«. Denn weil die Bilder und Töne ohne Anwesenheit der Gegenstände für den Zuschauer keine unmittelbar sinnenvermittelte szenische Kopräsenz mit der Sache eingehen können, reagiert das Gemüt auf die Informationen in der Hauptsache lust- oder unlustsensibel und lenkt das »Spiel der Vorstellungen des inneren Sinnes«, das, wie Kant nahelegt, statt »Erfahrungskenntniß« viel zutreffender »Dichtung« heißen sollte, nach diesen Kriterien. Dem frei fortschreitenden produktiven Einbilden, schon gar imprägniert mit der Erinnerung an eigenes Erleben ohne telemediale Informierung, dürfte in dieser Umgebung seltener Gelegenheit gegeben werden. Viel eher wird die Reproduktion, die mit Empirie verknüpft ist, mehr oder minder bewusst auf Erfahrungen rekurrieren, die sich ganz ähnlichen Szenen der Begegnung, ähnlichen Bildern und Botschaften verdanken, Medienerlebnissen derselben Art wie die aktuellen: auf frühere Talkshows mit Politikern, frühere Nachrichtensendungen, frühere Features und Hintergrundberichte von vergleichbarer Art. Nur bei vergleichsweise wenigen Rezipienten und wenig Gesendetem wird sich die erinnernde Einbildungskraft aktiv mit Erlebnissen verbinden, die weniger vom
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inneren Sinn via Vorstellungsbildung mobilisiert als durch Wahrnehmungen, durch Argumente oder Schlussfolgerungen in »Anwesenheit des Gegenstandes« provoziert erscheinen. Offenbar fordert solche Anwesenheit der Sache mehr, als was die TeleInszenierung in ihren quotenfreundlichen Formaten jedenfalls im TV-Medium zu leisten vermöchte. ›Medien-Vermittlung‹: Pleonasmus oder Oxymoron?
Ob dabei gewesen sein in der Wahlkabine, bei der Demonstration oder dem historischen Ereignis etwas grundlegend anderes bedeutet als Bilder und Szenen des Geschehens am TV-, Smartphone- oder Tablet-Screen gesehen und miterlebt zu haben, muss dennoch gefragt werden. Sind nicht auch ›politische Dinge‹ für diejenigen, die in unmittelbaren Kontakt mit ihnen kommen, irgendwie anders im Spiel als in der Vorführung eines solchen Spiels, in einer (Re-)Präsentation? Vielleicht muss man an weniger romantische Beispiele denken als die erwähnten, um die Evidenzen des Unterschieds hervortreten zu lassen: an politische Verpflichtungen: Steuer-, Melde-, Wehrpflicht. Hier reichen, je nach Anspruch auf verfügbare Körper oder Dinge, mediale Präsenz und Interaktion nicht aus. Zumindest auf den ersten Blick scheint durch Medien vermittelt zu szenischen Erlebnissen zu gelangen etwas anderes als durch leibliches Dabeisein und Miterleben im selben Raum. Das allerdings heißt, dass »Medium« eingeschränkt wird auf »Massenmedium«: Institutionen wie Buch, Presse und Radio, TV- und Netz-Kommunikation. Wenn aber ›Vermittlung‹, abgesehen vom institutionellen Medienbegriff, schon auf der Ebene von Zeichen und Bedeutung nicht zu umgehen ist, wird diese Abgrenzung und Unterscheidung kaum eine weiterreichende Pointe beinhalten. Im Zusammenhang der ins Feld geführten Kant´schen Begrifflichkeit jedenfalls wüssten wir nicht viel mehr, als dass es eines ist, sich etwas vorzustellen, ein anderes, sich etwas einzubilden; dass Vorstellungen aus Wahrnehmungs- oder Sinnentätigkeit wie aus intellektueller Arbeit rühren. Denn abgesehen vom kritisch oder pragmatisch betrachteten schlussfolgernden Denken, führen Wahrnehmungen in Gegenwart von Dingen, die Körper mit einbezogen, durchaus auch zu Vorstellungen und keineswegs (nur) zu physiologischen Reaktionen, zu ›Erschütterungen‹ sozusagen.21 Darin findet sich die Voraussetzung dafür, dass sich die Einbildung vom Gegenstand lösen, wie unabsichtlich spielen kann: insbesondere weil »die Einbildungskraft reicher und fruchtbarer an Vorstellungen [...] als der Sinn« ist und durch die Abwesenheit des Gegenstands deshalb weit mehr belebt wird als von seiner Anwesenheit, befreit sie sich sogar gerne von dieser Bindung. (Kant bringt das bekannte Beispiel von der besonders intensiven Wirkung des abwesenden Wunschobjekts.) Doch ist die Frage nicht, ob die Produktionen des inneren Sinns der Apperzeption bedürfen. Vielmehr lautet sie, ob nicht die Vermittlung, wenn sie eingedenk der Kritik unter pragmatischem Betracht – paradoxerweise – wie ausgesetzt gedacht werden kann (was offensichtlich eine Vermittlungsleistung darstellt), praktisch, unter Bedingungen des Willens, der die Selbstbeobachtung auf Eis legt, mögliche Schlüsse wirklich stillstellt und sich selbst tatsächlich auszusetzen vermag. Die unterschiedliche ›Konstruktion‹ zeitlicher und räumlicher Ausdehnung unter einerseits transzendentalen oder kritisch theoretischen, andererseits pragmatischen und praktischen Voraussetzungen spricht dafür wie die Erfahrung.22 Freilich wäre dies kaum nach externen, ein- oder ausgeschalteten Medienkanälen zu unterscheiden. Vermittlung in praktischer Hinsicht wäre dann eher als Erwartung eines zukünftig anderen in der Gegenwart des Erlebens eines jetzig selbigen und somit noch ganz ›unvermittelt‹ beschreibbar, als
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Sicht der Gegenwart als kommend Vergangenem.23 Die Pointe eines Verdikts gegen apriorische Territorialisierung wäre schließlich ebenfalls die eines praktischen Arguments gegen das Wissen am Ende des Tages. Immerhin ist es eher unwahrscheinlich, dass der Medienkonsument mit kreativer Einbildungskraft, wenn er denn einen Politkrimi à la Philipp Kerr oder Thomas Ross im Sinn hätte, ausgerechnet von der Übertragung eines Polit-Talk nachhaltiger herausgefordert sein wird als von der eigenen Phantasie oder seiner Lektüreerfahrung. Wie dem auch sei, der potentielle Autor und Selbstdenker wird von der Rezipientenauf die Produzentenseite wechseln, von der Seite adressierter szenischer Akteure (und sei es auch nur vor dem Bildschirm) auf die Seite potentieller Medienanbieter und derer, die ihnen Stoff liefern. Hier braucht es dichtende Einbildungskraft. Sie wird sich am Nichtoffensichtlichen entzünden müssen, an einer Idee; sie wird dem Nachdenken über das schweigende Anwesendsein im Medienauftritt Raum geben müssen wie in der Vermittlung der Diskurse. Für den Normalnutzer hingegen dürfte im Allgemeinen überhaupt kaum Anlass bestehen, die Position zu wechseln. Dass der Talk-Zuschauer von den Politikergästen zu heftigem Affektionswechsel, zum Wechsel »der Art, wie uns zumute ist«24, genötigt würde, ist kaum vorstellbar. Vor dem Schirm geschieht ohnehin alles nach Maßgabe von Ähnlichkeitsbeziehungen. Eigentlich sollte gerade dieser Umstand in Absehung von den Gegenständen den Phantasmen weiterer Einbildungsentfaltung Tür und Tor öffnen können. Soweit indes »draußen vor den Geräten« in der Regel keineswegs frustrierte Autoren ohne Ideen sitzen, die sich angesichts der Rundgespräche etwas zurechtspinnen, bleibt die Einbildung auf realistischer Vorstellungshöhe. Zwar gehört auch die Vorstellungstätigkeit eigentlich zu einem »Umgang mit uns selbst«. Doch obwohl sie »Erscheinungen des Inneren Sinnes« zeitigt, produziert sie die »nach einer Analogie mit äußeren« Erscheinungen, entsprechend bewiesenem Schein, wenn man möchte. Eine wunderbare Kant´sche Zirkulation25, die in ganz vergleichbarer Weise noch die semiotische Logik Peircens antreibt.26
Medienillusionierung, Selbstillusionierung. Medienskeptische Argumente & Schlüsse Die vorgetragenen Überlegungen sind kaum geeignet, den Skeptiker zu beruhigen, der bezweifelt, dass es vernünftig sei, der Inszenierung einer Polit-Talkshow den Kredit jeder Unterhaltungsshow zu geben. Doch so lautet die Einlassung der liberal demokratisch gewaschenen Macher: dass doch mittels oder trotz Unterhaltung auch Politik, politische Themen beleuchtet würden, selbst wenn es tatsächlich vornehmlich Politikercharaktere zu erleben gäbe und einen ihr in den Mund gelegten Text.27 Ein wenig Theater, sicher, aber doch sachlich in stabilem Kontakt mit den wirklichen Verhältnissen, beglaubigt durch anwesende, real existierende Volksvertreter, und deshalb – was die ›Illusionierung‹ des Zuschauers betrifft (wenig genug, möchte man hinzusetzen) – mit dessen berechtigter Zustimmung – wie im wirklichen Theater. Warum berechtigt? Berechtigt zunächst, wird der Skeptiker beruhigt, weil die für die Bühne zuständigen Inszenierungsinstanzen vom Programmdirektor bis zur Moderatorin (wie man erhoben habe) selbst auf diesem Zusammenhalt von Inszenierung und Sachlage bestünden. (Ein Argument, gegebenenfalls, infolge einer beteiligten Halluzination über das commitment der oder des Öffentlich-Rechtlichen.) Berechtigt, folglich, sei die Zustimmung, da die Show als solche transparent, als Inszenierung erkennbar sei. (Jeder wisse schließlich, wie es in TV-Studios aussehe und hergehe.) Am Ende berechtige zur Zustimmung, dass jeder Zuschauer immer die Möglichkeit habe, im
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Zweifelsfall vergleichbare Evidenzen aus eigener Erfahrung heranzutragen und, wenn nötig, kritisch einzubringen. Könnte letzteres Argument, das Vertrauen in die Inszenierung zu rechtfertigen, überzeugen, müssten sich gewisse Hoffnungen als realistisch erweisen: die Hoffnung, dass der skeptische Konsument tatsächlich eine Referenzadresse zur Überprüfung eventueller Bedenken in die Hand bekommen könnte, wie die Hoffnung, dass unmittelbar oder mittelbar Medienverantwortliche niemals ein Interesse daran haben könnten, Vorhaben, Dinge weiter zu hinterfragen und aufzuklären, Steine in den Weg zu legen. Solche Implikationen medienidealistischer Überzeugung anzuführen reicht gewöhnlich aus, sie der Naivität zu bezichtigen. Vielleicht ist es aber auch nur das Eingeständnis des Mediums selbst, sich nicht, wie vielfach geglaubt, zugunsten einer nicht eigenen Botschaft unsichtbar und schweigsam, rein vermittelnd zu verhalten. Vielleicht ist es eher umgekehrt das Bekenntnis, in Form und Materie nur Eigenes, die Inszenierung zu inszenieren, jedenfalls keinen privilegierten Zugang zu Sache oder Hintergründen zu besitzen. Die Befürchtungen des Inszenierungsskeptikers werden sich kaum beschwichtigen lassen. Er wird sich im Gegenteil in der Auffassung bestärkt sehen, dass das Vertrauen eines wohlmeinenden Publikums ohne überzeugende Selbstinszenierung nicht existieren kann. Alle Manipulationstheorie muss vor dieser Einsicht kapitulieren. Der Rezipient muss bereit sein, mögliche Konsequenzen seines Wissens oder Nichtwissens über die szenografisch medialen Bedingungen der Inszenierung (zu schweigen über die Hintergründe des Materials und der Produktion) und ihres Einflusses auf den angebotenen Sinn der Sache angesichts der Einheit des Scheins auf Eis zu legen. Auch könnte er habituell (im Bourdieu´schen Verständnis) konditioniert sein, sich keine Gedanken zu machen. Wenn er nicht zu vergessen bereit wäre, könnte er zumindest bereit sein, das Wissen über Gestaltungs- und/oder Produktionsbedingungen, divergierende Sachinformationen und weitergehende Absichten einzuklammern oder zurückzustellen, allemal, wenn zur Intervention keine Gelegenheit bereitstünde. Alternativ kann er sich generell skeptisch disponieren: als grundsätzlich in einer Lage, sich möglicherweise täuschen zu lassen oder selbst zu täuschen. In jedem Fall hätte der Konsument sich selbst für eine bestimmte Form der Teilnahme konditioniert. Vielfach geschieht dies auf der Basis eines »Angebots, das niemand ablehnen kann«. Denn gut gemacht, liegt der Reiz, einem versteckten Regiment zu erliegen, darin, dass sich zu unterwerfen der Selbstliebe schmeichelt und von daher nützlich erscheint. Oder die Selbstkonditionierung besteht auf den Zweifeln. Denn zu zweifeln beinhaltet keineswegs, Gründen für etwaige Befürchtungen nachgehen zu müssen. Unter Voraussetzung seiner Schlussfolgerungen wird der optimistische Skeptiker vielleicht ventilieren wollen, ob die Inszenierung von Politik – wie auch ähnlich seriösen Gegenständen – möglicherweise noch weiteren als den angesprochenen medialen wie sachlichen Verwicklungen gelten könnte. »Noch weiteren«, da der aufmerksame Zuschauer in der Polit-Show durchaus ein Stück Wahrheit demokratischer Politik finden wird: etwa über ihre ideologische Gründung in Konzepten von Öffentlichkeit und Transparenz, von Repräsentation und Legitimation. Allerdings bieten sich solche Wahrheiten gewöhnlich in einer Medienrahmung, die sich als ritualisiert verschließende Form quasi naturgesetzlich vorgegebener Strukturen gesellschaftlichen Verkehrs herausstellt. Immerhin könnte der Skeptiker auch an dieser Art Präsentation die Ferne der Gegenstände bemerken im Vergleich zu ihrem Präsenzschein in der Inszenierung für den Schirm. Wenn er glaubt, die Distanz verringern zu können,
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dürfte es sich um einen Optimisten handeln. Das Setting mit dezidiert »menschlichen« Politikern, die »menschliche« Geschichten (unter anderem auch über Politik) zum Besten geben, instantiiert den Schein einer abwesenden Politik, wie wenn sie gegenwärtig wäre, ein Quidproquo, das durch den Inszenierungsbeitrag des Zuschauers Beglaubigung erfährt. Er ist an diesem Gesamtgeschehen nicht nur beteiligt, sondern realisiert durch sein Verstehen die nahegelegte Mainstream-Auffassung. Ihr Licht ist im Zweifel das der Schattenbühne. Die Inszenierung des Volkes ist gleichsam Nebeneffekt jeder massenmedialen Politikinszenierung mit Politikerauftritt. Dem korrespondiert der Auftritt eines allgemeinen Skeptizismus. Auf der einen Seite scheint die Partizipation des Souveräns gegeben; was er tut, erscheint souverän, geschieht in Anwesenheit eines Repräsentanten gleichsam in der sakrosankten Konstellation der Stiftung des Souveränitätsverhältnisses. Das Geschehen aber ist Mediengeschehen und nur als dieses Mediengeschehen transsubstantiiert als politisches Geschehen. Die Differenz erscheint so – auf der anderen Seite – in der verbreiteten Skepsis gegenüber dem Politischen. Soweit politische Gegenstände und Ereignisse von Tatsachen betroffen sind, die außerhalb der Reichweite des Mediums liegen, sind Tatsachenbeurteilungen am Ort des Erlebens vor der Projektionsfläche oder dem Tableau so gut wie ausgeschlossen. Es gibt keinerlei ›diagrammatische‹ Hilfestellung oder Interaktion. Aber wie könnte überhaupt beabsichtigt sein, von politischen Dingen und Tatsachen Auskunft zu geben, wenn die Medienmacher keinen privilegierten Zugang zur »Politik« haben, unter dem Begriff aber mehr als ein Berufsstand und seine Bürokratie zu begreifen wäre? Zu versuchen ›hinter‹ die Medien zu gelangen wäre dasselbe, wie hinter die Sprache greifen zu wollen. Die in der Medienkritik zum Ausdruck gebrachte Differenz zwischen Mediensimulation und dissimulierter Politikrealität hat als solche im Auftritt des Formats normalerweise selbst keine Szene. An welche Szene aber sollte man sich wenden?28 Das diskutierte Problem besteht also gerade darin, dass der Schein, den die medienvermittelte Inszenierung von Politik wie aller anderen nicht interesselosen Bühnenvorhaben erzeugt, in jedem Fall Schein einer sich verbergenden Strategie ist. Denn der Wille zur Macht verausgabt sich nicht schon in seinen Absichten, wie wenn er darin sein Wollen schon handelnd herzeigen würde. Nicht schon in der Planung kann er die Körper, auf die er zielt, auch spüren lassen, was er will, und damit die Ansprüche seiner Präsenz unterstreichen. Auf der Bühne wiederum steht nicht die Strategie des Spiels zur Verhandlung, wenn es insgesamt mit fester Hand gelenkt wird und gerade das seine Unterstützung findet. Doch was auch immer der Puppenspieler mit seiner Inszenierung im Sinn haben mag: Im Parkett gibt es kein besonderes Inszenierungsangebot, sondern nur Schauspiel und Szenifikation. »Inszenierung« müsste erst gerufen werden wie »Feuer!«. Welche Absichten auch immer jetzt zum Austrag kommen, sie sind verhüllt. »Das Gegebene ist demnach niemals betrügerisch, nicht etwa, weil es richtig urteilt, sondern weil es überhaupt nicht urteilt und weil die Urteilsfindung sich in die Zeit einschaltet und die Wahrheit gerade nach dem Maß dieser Zeit bildet.«29 Man wird also wie Achill die Erfahrung und die Erinnerung befragen müssen, wenn man wissen will, ob Argwohn oder Vertrauen berechtigt ist.
Sinnes- und Sinn-Verstehen Es ist nicht zu umgehen, die apparative und institutionelle Beschränkung des Medienausdrucks auf technische Fernwirkungsmedien aufzuheben und jede Art von Medialität inklusive aller Echtzeitinszenierungen und -darstellungen zuzulassen
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und ins Auge zu fassen. Ausgehend vom physischen ›System der Sinnlichkeit‹ über Sinne und Organe erweiternde Hilfsmittel und Instrumente über Apparaturen und Maschinen zu ganzen Metiers und Institutionen der Vermittlung, findet der allgemeinste und grundlegendste Begriff von Medialität (eines »Mediums«) seinen elementaren Ausdruck im Begriff des Zeichens.30 In der reflektierenden Betrachtung mag die Uneindeutigkeit des Scheins selbst zur ›Erscheinung‹31 kommen, indem bedacht wird, was er bedeuten könnte. Erlebt als Gestalt der Wahrnehmung, macht der Ausdruck nicht auf dieselbe Art Sinn wie notiert, skizziert, umschrieben. Um ein Beispiel Schillers zu bemühen32: Wenn jemand davon berichtete oder in künstlerischer Bearbeitung zeigte, wie ein Wolkengebilde zur Göttergestalt sich wandelt, eine Göttergestalt zum Wolkenschleier, warum sollte, was hier, in die Dauer einer erzählten oder bildlich dargestellten Geschichte getaucht, seine Herausbildung erkennbar macht, nicht auch die Koexistenz zweier Bedeutungen in einer Gestalt beinhalten können? Ist dies nicht das Geheimnis der Kippfiguren? Selbst wenn die Geschichte erlebt würde, die Phantasie entsprechend angeregt erschiene, könnte es vielleicht den Grund dafür legen, verständig davon zu reden, wie eine bestimmte Figur des Erscheinens qua Objekt in Koexistenz mit dem Erscheinen eines anderen aufzutreten und zu existieren vermag, »Wolkengebild« und »himmlische Juno«. Warum sollten Einsichten in Begriff, Geist und Mechanismen – um nicht zu sagen Maschinen – der Inszenierungspolitik nicht vergleichbar in unterschiedlichen Darstellungsregistern erfolgen, in einem Register der ›Lektüre‹ oder der Repräsentation und in einem anderen Register, für das wir den Begriff der »Inszenierung« im strengen Sinne eines performativen Auftritts vorbehalten. Als Szenifikationen, auf die wir gewöhnlich im ersten Register träfen, fänden sich, seit gut zwei Jahrhunderten zumindest, Lektüreerlebnisse eines Leiselesens. Die Unterscheidung in Bühnenakteure und Publikum wäre hier angesichts von »Texten« in Anschlag zu bringen. Wenn, um zu verstehen, im ›Reflexionsregister‹ Notwendigkeit wie Möglichkeit zu »ruhigem Nachdenken« eingeräumt werden, wie es bei Kant heißt, wäre das ›performative Register‹ auf Chancen und Besonderheiten direkten Wahrnehmungsund Handlungsverstehens hin zu untersuchen. Offenbar ist es nicht ausgeschlossen, sondern eher wahrscheinlich, dass eine Dar- oder Vorstellung, die eine unmittelbar energetische, motorische und sensorisch affektive Entladung in der Gegenwart der szenischen Schlacht zeitigt, durchaus auch ein Ad-hoc-Verständnis des Gesehenen und Vernommenen, des Erlebten, provozieren kann. Vielleicht gibt sie gar Anlass für eine Reihe von Verstehensereignissen. Sie kämen ›unmittelbaren Erklärungen‹ gleich. Mit ihrer Hilfe sollte an Ort und Stelle entscheidbar sein, wie es weitergehen könnte. Über den ›Ausgang‹ des Verstehens im Feld solch praktischen Bedeutens und Bedeutenlassens indes wird keine Statistik eine zwingende Vorhersage machen können. Selbst dann nicht, wenn sich ein szenografisches Tableau zur Klärung anböte. Ihm wären bestenfalls Modelle, Planungen und Entwürfe, nicht aber ein Spielverlauf im Feld selbst zu entnehmen. Hier gibt es keinen ›Ausgang‹, bestenfalls eine Atempause. Der Schein, der hier resultiert, ›vermittelt‹ wie auch immer: »so ist, so äußert sich das Leben« – vielleicht ein »kulturelles Szenario«, ein »politisches Verhältnis«, wenn es denn so oder so heißen soll, wer weiß. Zu beachten wäre, dass die Existenz eines Performanz-Registers nicht garantiert, dass sich für jede Art von Aufführung ein passendes Repräsentations- beziehungsweise Szenografie-Register geltend machen lässt. Für ausdrückliche Szenografien wird der Nachweis im Gegenteil sogar selten sein. Wie selten wird man in die Gelegenheit kommen, etwas wie die radioverbreitete
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kaiserliche Kriegserklärung von 1914 als Dokument in die Hand zu bekommen, ein Dokument, aus dem hervorgeht, dass Proben und Zurüstung zur Mobilmachungsansprache des obersten Heerführers kurz vor Kriegsende 1918 entstanden? Ein tatsächlich szenografisches Tondokument. Umgekehrt aber wird man auch im Register der ›Lektüre‹ weder erwarten noch darüber nachdenken, dass und wie all die Leseerlebnisse dramaturgisch aufbereitet und für die Bühne inszeniert werden könnten. Die oben vorgeschlagenen diagrammatischen Entwurfstypen erlauben eine genaue Platzierung der jeweiligen Felddiagramme oder szenografischen Entwürfe.
Medienspezifik & Dingagieren. Technische Implikationen der (Re-)Präsentation: Inszenierungsmaschinen Schaut man zurück in die Technologie- und Technikgeschichte, erhellt häufig, wie gleicherweise sich exponierende Darstellungsweisen medienspezifisch unterscheiden. Buch und Film erhielten nicht von ungefähr paradigmatischen Status. Zwischen beiden verdeutlichen Audiotechniken, Radio oder Telefon, den Begriff der Mittlerschaft hinsichtlich von Wörtern und Tönen. Im gewöhnlichen Verständnis ihres jeweiligen Begriffs dominiert der Vermittlungscharakter der einzelnen Medien, trotz ihres Abstandes voneinander hinsichtlich der Wahrnehmungsperformanz und der von daher unterschiedlichen Effekte – jedenfalls in funktionaler Hinsicht. Materialiter dagegen rangieren Buch, Telefon oder auch Radio weit eher unter den Gegenständen als beispielsweise der Film (oder andere ›bilddurchlässige‹ Oberflächen). Trotzdem hat die Darstellungskompetenz der Medien in allen Fällen mit ihrer Informiertheit, mit ihrer Intelligenz, wenn man so will, zu tun. Die Physikalität der technischen Apparatur ist insofern relevant für die stoffliche Informierung von Gestalt und Ausdruck. Gesetzt, die Medialität selbst würde sich, unabhängig von ihrer Schnittstellenspezifik im Austausch mit menschlichen Akteuren, aus der Bestimmtheit durch ihre Gegenstandsdignität lösen und selbstständig werden können, um selbst in Raum und Zeit ›performativ‹ zu agieren. Es verflüchtigte sich ihr Werkzeugcharakter als »Zuhandenheit« humaner Darstellung oder Vorstellung. Gefragt wäre demnach eine Inszenierungsmaschine. Wo Buch und andere Darstellungen in stellvertretenden Zeichen repräsentieren, müsste ihre Technik Worte, Töne und Geräusche, komplexe Bilder und Szenen produzieren wie der Film, dies indes nicht mehr nur mittels zwei- oder dreidimensionaler Projektion mit Licht, sondern in Gestalt von ›lebendigen‹ Artefakten, die sich selbst und untereinander situations- wie umweltangemessen, verhaltenswie handlungsgerecht zu informieren wüssten. Entweder würden wir die von ihren Aktivitäten bestimmten Szenen und Szenarien als vollendete Simulation behaupten oder den Akteursbegriff für die uns bekannten Handlungs- und Gestaltungsräume erweitern. Eine dieser Konstruktionen haben wir in der Diagrammatik der Turingmaschine gefunden und einige Anwendungen diskutiert, die im Umgang mit der Maschine solche Proteus-Eigenschaften realisieren lassen. Darin erklärt sich, dass die Screen-Projektion intelligenter Maschinen nichts gemeinsam hat mit den geschnittenen Bildfolgen des Mediums Film. Denkt man an intelligente Maschinen und sieht man ab von den Vorurteilen gegenüber der Gestalt, wie sie Kant beschreibt, dürften die Chancen der Technik grundsätzlich auch bei denjenigen ›Artefakten‹ zu finden sein, die wir gewöhnlich als typisch repräsentationale Medien, also in Stellvertreteroder Zeichenfunktion der »symbolischen« Welt zuschlagen, vorzüglich auf »Sätzen«, Buchstaben und Zahlen basierend. Wo es auf technischem Weg gelingt, dass sie sich, formatiert in bestimmter Struktur und Form, in Anweisungen oder Programme übersetzen, die Kenntnisse und Kompetenzen hinsichtlich dessen beinhalten, was in der
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wirklichen Welt als verständiges Handeln und Gestalten gelten kann, werden sie als sich selbst vermittelnde intelligente agencies im szenischen Verkehr auftauchen und Beachtung einfordern. Und dies nicht nur auf den Feldern der Wissenschaften. Dass solche Artefakte sich eine Gestalt geben, die nicht im Widerspruch zu ihrer funktionalen Reichweite steht, dürfte sich von selbst verstehen. Ansonsten würden wir nicht von einer intelligenten Maschine sprechen. Doch leuchtet ein, dass sie ihrer eigenen Inszenierungspolitik und ihren eigenen Szenografien folgen könnten. Eine Art autonomer Systeminszenierung und Systemszenografie. Man sollte also nicht bei jeder überraschenden Performance reflexhaft nach den verantwortlichen Designern suchen. Es liegt auf der Hand, dass diese Sicht der Dinge enorme Konsequenzen für die Beurteilung der szenischen Differenz unterschiedlich medienvermittelter Präsenzen im Raum hätte. Deren Realität zu begreifen würde womöglich eher an der Informiertheit des Mediums Mensch scheitern als an der sogenannter »technischer Medien«. Jedenfalls wäre fraglich, ob die vorgestellte TV-Talk-Szene sich zutreffend dadurch beschreiben ließe, dass ihr Rahmen sich auf das heimische Wohnzimmer beschränkt, einen physikalischen Raum, zu dessen Ausstattung unter anderem ein Ding mit wahlweise wechselnder Oberfläche gehört, der die Anwesenden ihre Aufmerksamkeit widmen.33 Relativistisch beurteilt, verkehren sich die Perspektiven. Was die medientechnischen Artefakte zu erledigen verstehen – und jedes Artefakt ist auf seine Weise ›technisch‹ – zieht jeden Raum, den sie öffnen, um sich zu präsentieren, in den ihrer Aktivitäten hinein. Je reibungsloser ihre energetische Ausstattung, auch größte Distanzen in kürzester Zeit zu überbrücken, um ein Spielfeld zu eröffnen, desto weiter und direkter wirkt ihre Anziehungskraft. Ihre Ausstattung wie ihr technisches Vermögen unterscheiden sie darin ganz deutlich von Telefonierern und Radiohörern, Fernsehzuschauern oder Internetnutzern, die vielleicht noch glaubten, sich ›ihrer‹ Medien als Instrumente zu bedienen und versichert zu haben.
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Freilich haben die Illusionen des Subjekts Konsequenzen für die Behandlung der Medien – oder vielmehr der Medialität. Denn das Programm der Eroberung der Welt als Bild, im Verständnis: vermittels der Bilder, impliziert die Herrschaft über die Bilder oder die Medien.
Verfahren & Optionen medialer Überzeugung In der Logik repräsentativer Darstellung (qua diagrammatischem ›Modell Wissenschaft‹ Typ (a) oder (b) etwa) könnte der Skeptiker zu einer nachhaltigen Erklärung der Inszenierungsambivalenzen im Medienerlebnis nur beitragen, wenn die Erklärung Anschluss an den juristischen oder logischen Diskurs der Urteilsgewinnung gewönne, eher ihm als einer denkbaren Bühne zu Verfügung stünde. In der Logik der Intervention wiederum würde der Skeptiker, um sich zu erklären, selbst zum szenischen Akteur werden und auf die Bühne müssen. Im ersten Fall wäre zwar ein Kommentar zum medienvermittelten Erleben zu erwarten. Doch bliebe es dort eventuell bei einer gewissen Unverbindlichkeit der Interpretation, insofern sich das Erklärende der Erklärung im Spiegel alternativer Erklärungen, die das Deutungsfeld beherrschen, selbst relativierte. Vielleicht würde der Medienkreislauf nicht mehr verlassen. Die daraus zu ziehende Legitimation könnte indes umso nachhaltiger sein, stünde gar aufgrund ihrer Distanz in Konkurrenz zu möglichen Evidenzen eines exekutiven Auftritts in
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theatrischer Manier, zu dem sie fallbezogen herangezogen und auf diese Weise ebenfalls intervenierend beitragen könnte. Den Bühnenauftritt zu wagen birgt Risiken, doch auch die Chancen unmittelbarer Überzeugung durch und im Austrag. Soll aus der Erklärungsrhetorik heraus eine Art praktischer Verstehensaffekt resultieren, muss sichergestellt sein, dass gewisse Botschaften der Darbietung die Adressaten zu Schlussfolgerungen ermutigten, die, da situationsbezogen, zur direkten Einflussnahme der Angesprochenen auf die Szene führen können. Die Szene wäre somit als öffentliche Debatte vorzustellen. (Historisch betrachtet, diskutieren wir offensichtlich das Öffentlichkeitsmodell des sich emanzipierenden citoyen, der seiner Skepsis folgt und sich, statt es dabei zu belassen, zur Intervention aufgerufen sieht und sich darüber berät. Das Modell beim Namen zu nennen heißt indes auch schon, sein Schicksal zu kennen.) Trotz aller guten Argumente und beeindruckendem Auftritt: Am Ende wird sich Konsens nicht durch Verfahren »herbeiführen« lassen. Ginge die konkrete Auseinandersetzung um die hier verhandelte Sache selbst, das Phänomen möglicher Täuschung und Selbsttäuschung beim Medienkonsum, verlangte sie am Ende pragmatische Entscheidungen. Entsprechend käme es zwangsläufig zu »alternativen Stellungnahmen« zum »Problem«. Der Effekt ist offensichtlich. Der Prozess führt auf Dauer notgedrungen dazu, dass sich die Beteiligten von der szenisch szenifikatorisch begrenzten Bewertung und Entscheidung von Sachverhalten und dem Streit darum abwenden, um reichere Rechtfertigungsressourcen ins Spiel zu bringen. Im Zuge dessen verlagert sich der Austrag auf die gleicherweise mediengebundene wie medienorientierte Beurteilung der Bewertung und Entscheidung und des Streits darum auf den Streit um die Verfahren. Kein Wunder, dass man glaubt, aus Verfahren allein schon hinreichende Legitimation gewinnen zu können. Die »Legitimation durch Verfahren«34 kann sich performativ vielleicht nur selten in extenso auf rechtlich-hermeneutisch gesicherte Dar- und Herleitungen berufen, muss ihre Rechtfertigung so oder so aus dem Hergang und dem vorläufigen Urteil des angesetzten Dramas selbst beziehen. Auf den Verfahrensdiskurs angewendet, mag das dazu führen, dass sich die Legitimation deshalb auf Rituale verschiebt, beispielsweise Rituale der Auslegung, wenn die Rechtfertigung der Rechtmäßigkeit, die Legitimität der Legalität selbst zum Thema der Szenifikation werden. Im konstruierten Design fände sich der zugehörige Diskurs im Medium Buch oder anderen probaten Medien der Wissenschaft beziehungsweise der Wissenschaftsinszenierung. Er könnte sich aber auch in einer institutionellen Verkörperung seiner Diskursereignisse, sozusagen, in die Szenifikationen oder Inszenierungen einer Debatte hineinverlagern. Dass er sich dann möglicherweise im Format einer Wissenschaftsshow wiederfindet, ist leicht vorstellbar, obwohl – wir bewegen uns in den Domänen der Sozial- und Kulturwissenschaften – die wissenschaftlichen Argumente selbst hier nach aller Erfahrung eher im Hintergrund verbleiben – im Unterschied zur naturwissenschaftlichen science culture etwa, der in dieser Beziehung derzeit vielleicht mehr auch im massenmedialen Auftritt zugetraut wird. Nichtsdestotrotz, das zuständige TV-Format (das wir hier wiederum unterstellen) könnte die den Medien eigenen Praktiken der Rechtfertigung inszenierter Botschaften thematisieren und über die Vor- und Nachteile von Formaten zwischen Live-Debatte und ritualisierter Artikelkultur berichten und Experten darüber räsonieren lassen, was ja auch tatsächlich auf einigen wenigen Sendeplätzen (ich denke beispielsweise an das internationale Programm von ARTE) geschieht. Auch dies ist eine Variante der Legitimation durch Verfahren zwischen Szenifikation und Inszenierung.
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Szenischer Vortrag & Lektüreerleben Die funktionale Abgrenzung der ›Mächtigkeit‹ einzelner Künste im Modus eher repräsentativer oder eher performativer Darstellung, wie sie exemplarisch anhand der Ästhetik-Diskurse des 19. Jahrhunderts vorgestellt wurde, kann keine kategorische Trennung von Medientypen oder Künsten rechtfertigen, welche dieser Darstellungsvarianz an sich gleichkäme. Gelingt es der medieneigenen Performanz, dem, was sie ›auf die Bühne‹ zu stellen versteht, energetisch zum Durchbruch zu verhelfen, macht der Interventionseffekt eine sich vielleicht anbietende eigenständig nichtperformative Repräsentation wenn nicht zunichte, so doch vorübergehend schweigen. Wir kennen die Repräsentationsform als das ›nulldimensionale‹ Repräsentationsmedium »Text«, in der lyrischen Form eindringlicher vielleicht noch als in einer dramatischen oder epischen Variante. Freilich deutet sich hierin auch der mögliche Übergang an. Zudem ist daran zu erinnern, dass auch das Bild hier (auch das des Textes, sieht man auf die Strategien der Metaphern und mehr noch der Allegorie) affektive Unterstützung bietet, zudem Texte, Lyrik vorzüglicherweise, laut gelesen oder gesprochen oder gesungen werden können. Freilich ist hier Publikum zu unterstellen. Umgekehrt wird die Lektürepraxis Dinge im Raum als Zeichen, Zeichen als Repräsentationen verstehen können, auch angesichts manifester Gegenstände, an denen sich zu stoßen die Lesenden sogar physisch jederzeit Gelegenheit hätten und zuweilen gar nicht umhinkommen, dies auch zu tun. Die Entscheidung darüber, wann ruhiges Nachdenken, wann Aufführung oder Ausstellung die Mittel bestimmen sollten, ist selbst pragmatischer Natur. Sie protegiert das »freie Verhalten« zur Erreichung der von den Sinnen empfohlenen Zwecke, wie Kant es beschreibt. Unter Umständen sind die Zwecke moralisch praktisch gegründet, was indes, wenn die Begründung reflektiert sein sollte, die Möglichkeit zu vernünftiger Beleuchtung des Urteilsvermögens hinsichtlich der im Spiel befindlichen Zwecke und adäquaten Schlussfolgerungen voraussetzt, des Urteilsvermögen in seiner gesamten Weite. Die Beurteilung des Ertrags, Zwecke und Mittel auf diese oder jene Art, in dieser oder jener Hinsicht zu bestimmen, fällt, historisch betrachtet, durchaus gemischt aus. Die Antworten auf die Frage, warum zwischen Performanz und Repräsentanz zu wählen überhaupt vorteilhaft sein, vielleicht sogar Chancen bieten kann, erscheinen ebenso kontrovers wie die auf die Frage, mit welchem Gestaltungsmedium konkret diese Chancen am ehesten verbunden sein könnten. Historisch nach solcher Einschätzung zu fragen heißt, der Geschichtsschreibung darüber zu folgen, einem Medium und einer Kunst also, deren Funktionsweise bestens repräsentationsgeeignet ist. Deshalb ist es konsequent, wenn dem sprachlichen Ausdrucksvermögen der Vorzug gegeben wird, zumindest in der (Kultur-) Geschichtsschreibung und trotz aller disparaten Akzentuierung der verschiedenartigen Artikulation von »Dichtung«, wie diese Option, ob Epik, Lyrik oder Dramatik, Prosa oder Rhetorik, bis ins 20. Jahrhundert hinein apostrophiert wird. Zwischen Vico und Heidegger vermittelt die Privilegierung der Künste der Sprache und des Wortes fast ohne Ausnahme mit der einhergehenden philosophisch ästhetischen – und politischen – Wertsetzung. Wenn auch, dies darf nicht vergessen werden, die Sprache hier nicht bloßes Kommunikationsinstrument ist, sondern Ausdruck der Sage, ihres Klangs, ihrer Melodie. Einerseits gilt dies für den thematisierten ästhetischen Inhalt, die Vorstellungen von den Möglichkeiten des Ausdrucks, der Effekte und Wirkungen verschiedener Weisen zu dichten und zu sagen. Hier findet sich die jeweilige Begründung für die Wertsetzung wie die resultierende Rangfolge der Künste unter Führung der Sprachkunst. Andererseits
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aber, im Blick auf die Geschichte der Kultur, die mit Beginn dieses Zeitraums zum Gegenstand konkurrierender, durchweg philosophischer Betrachtung wurde35, gilt dies in Rückkopplung ebenso für das eigene bedenkende Wort, das sich damit als Leitmedium im Diskurs der Wissenschaften in Sachen Kultur als selbst solcher ›Dichtung‹ verbunden empfehlen wollte. Die Zeiten, dieser Empfehlung zu folgen, waren spätestens vorbei, als derartige Dichtung vom »Hämmern der Telegraphen« abgelöst wurde. Doch verstand man es noch nicht.36
Installation, Inszenierung, Ritual: Verfahren (Luhmann) Die Kultivierung von »Verfahren« beruht, soweit ihre Rechtfertigung nicht im szenischen Interaktionsfeld selbst ausgehandelt wird, auf der rückkopplungsgebundenen Verfeinerung von Verfahrensmethoden und Verfahrenstechniken. »Kultivierung« meint hierbei die Gestaltung von Funktionalitäten in einem bestimmten kulturellen Funktionsgefüge. Einhergeht eine medientechnische Aufrüstung, von der droht, dass jede Art Verfahren zu einem perpetuum mobile unentwegter Abwicklungssimulation gerät. Dass ausgerechnet die Entwicklung dorthin helfen sollte, der Explosion von Komplexität beizukommen, scheint nicht logisch.37 Denn wenn es in der Macht der Medien liegt, im Rahmen ihrer Wirkungsfelder eine relativ abgeschlossene Realitätssphäre zu simulieren, wie Luhmann in Die Realität der Massenmedien nahelegt, kann ihr Einfluss auf die Abwicklung von Darstellungs- und Vermittlungsprozessen als Beitrag zum Verständnis der wirklichen Welt außerhalb der Medienbannung und zur Behandlung der dort virulenten Probleme nur seinerseits ein Medieneffekt sein. Seine Rückwirkung indiziert Effektvermehrung. Seine Rückwirkung auf die Welt tatsächlicher Verfahrensregulation sollte deren Komplexität demnach eher steigern als verringern. Wenn man hört (um ein Beispiel Luhmanns zu aktualisieren), dass »die Bundeskanzlerin« eine Entscheidung getroffen hat, weiß niemand, wer die Entscheidung getroffen hat, wie viele »Angela Merkel« es geben mag, die an der Entscheidung, die in Rede steht, beteiligt waren, sind oder sein werden. Selbst wenn er weiß, dass »die Bundeskanzlerin« der Bundesrepublik Deutschland »Angela Merkel« heißt. Umso mehr erstaunt die allgemeine Anerkennung. Bourdieu zufolge ist sie nur auf der Basis radikaler Gegenseitigkeit denkbar. Was genau sie beinhaltet, ist indes nicht festgelegt, selbst nur Doxa.38 Entsprechend könnte es angesichts unklarer Verhältnisse im Erleben von Politik aus Sicht direktiver Instanzen angeraten erscheinen, die Präsenzformate zu verändern, Prozeduren und Prozesse zwischen Hinterbühne und Bühne ›durchsichtiger‹ zu strukturieren, um weiter als für den temporär begrenzten Auftritt geltende Identitäten besser kenntlich zu machen. Dies aber intensiviert die regulativen Eingriffe in narrativer, dramaturgischer wie organisatorischer Hinsicht, sodass die performativen Praktiken szenischer Selbstorganisation mehr und mehr zu ritualisiertem Abwicklungsverhalten gedrängt werden. Auch ohne Rekurs auf Luhmann wird einleuchten, dass konventionalisierte Verfahrens- und Umgangspraktiken, die das Spiel selbst gefährden, nicht geeignet sind, soziale und kommunikative Verhältnisse übersichtlicher zu gestalten oder Konflikte überzeugender zu bändigen. Der formalen Überregulation korrespondiert die inhaltliche Unterernährung und umgekehrt. Es dominieren die ratings. Zu erinnern ist dabei, dass die gewöhnliche Situation, Ruhezone potentieller Szenen aller Zeiten, gemeinhin als saturiert in dieser wie jener Richtung gilt. Ambiente, Gestaltung, Atmosphäre stehen in ausgewogenem Verhältnis mit den anwesenden, derzeit nur unter sich zirkulierenden Narrativen. Sie sind »für sich«. Der Szene wiederum schaden im Ganzen unausgewogene Verhältnisse. Ihre Eigendynamik sucht sie gewöhnlich zumindest im Resultat für alle Beteiligten
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akzeptabel zu gestalten. Akzeptabel nicht im Sinne eines befriedigenden Zustandes für jeden, indes als entschieden.39 Zu viel wie zu wenig guter Rat, zu viel wie zu wenig Auslegungskunst vermögen die Ritualisierung zu fördern. Beides verändert das Gleichgewicht, aus welchen Quellen auch immer herangetragen. Gibt es zu wenig Beistand, verkümmern die Geschichten, bleibt die Entfaltung des Inhalts auf der Strecke. Die formale Gestaltung des Geschehens und Erlebens erlangt ein Übergewicht und der Szene droht, im Gestell des Kostüms der Bewegungsfreiheit verlustig zu gehen: der klassische Vorwurf an die Opsis seit Platon und Aristoteles. Gibt es zu viel des Guten, vernebeln Explikationen und Interpretationen die Köpfe und den Boden, von dem aus zu entscheiden ist. Die Szene muss zerfallen; es sei denn, sie würde gehalten von ihrem »Schwebegerüst«.
Performanzlegitimation durch Diskursanschluss Nachfrage nach wie Zurückweisung von diskursiven Verfahren und Techniken (oder ›Künsten‹) drängen sich aus der Szenifikation selbst heraus auf – ganz wie die Nachfrage nach kreativ ästhetischem, gestalterischem Input, sollte er benötigt erscheinen. Dabei orientiert sich die Gestaltung der Szene am Bedarf der existierenden, zur Verhandlung stehenden Inhalte wie am Stand der Bühnenausstattung und -erscheinung. Selbstverständlich verfügt die Szene immer über ein eigenes Repertoire an Diskursivität, freilich zu pragmatischem Gebrauch und gleichsam operativ zur Verfügung gehalten. Zudem erscheinen die unterschiedlichsten Diskurselemente in begleitenden oder herangezogenen Narrativen, die freilich nicht selten unbewusst mitgeführt werden. Wird an einen ›externen‹ Diskurs appelliert, dann um der Szene und der Szenifikationen willen. Denn die Erwartung ist stets, dass der Beitrag dazu hilft, dass ›die Szene‹ zu sich selbst kommt. Engagiert oder zurückhaltend, so oder so, aber auf diese Praxis, auf die hierin vereinigten Akteure und Agenzien hin orientiert, geschieht es in Gestalt einer »diskursiven Praktik«. Auch hier sollten alle konsenstheoretischen Vorstellungen beiseitegeschoben bleiben. »Diskursive Praktiken« können Mord und Totschlag beinhalten. Aufgrund der ständigen Abgleichung, Vereinnahmung und Wiederabstoßung von Diskursereignissen und -elementen verschleifen sich die Grenzen zwischen sprechend-schreibender Hintergrundbetrachtung, performativen Schreib- und Sprechakten im Kontext komplexeren körperlich geistigen Gestaltungs- und Ausdruckshandelns und institutionellem beziehungsweise prozeduralem Niederschlag. Hinzugewonnenes Bedeutenlassen mag der Entropieentfaltung im bloßen szenischen Spiel vorübergehend Einhalt zu gebieten, kann indes die Entropie auch befördern durch Blähung der Szene. Trotz durchgehender Kontingenzerfahrung mögen sich die Chancen dadurch verbessern, dem Handeln, selbst dem Widerstreit eine gewisse Atmosphäre von Sicherheit und Verlässlichkeit zu verleihen. Auch divergente Positionen kämen möglicherweise dazu, sich zu legitimieren. Sicherheit trotz Streit rührt aus dem Zutrauen zur Anstrengung, die Widerstand notwendig beinhaltet; nicht dass es in Wahrheit ungefährlich wäre. Negative Effekte sind ebenso auszumachen. Deutungsüberfrachtung, Regelungsdichte und (selbst-)auferlegte Ausführungsbestimmungen können die szenisch benötigte Bewegungsfreiheit derart einengen, dass es zweckdienlich erscheinen könnte, die mit dem Szenario, der szenischen Verkettung verbundene Diskurspräsenz und -intervention zurückzuweisen. So ließe sich verhindern, einer drohenden, sich dauerhaft selbst reproduzierenden Verfahrensabwicklung wegen jede qualifizierte Projektperspektive frühzeitig liquidieren zu müssen. Relevante Inhalte hätten andernfalls kaum eine Chance, zu überleben oder gar bestimmend zu wirken, müssten auf neue Projekte vertagt werden.
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Geradezu unausweichlich erscheint die Bitte um Diskursunterstützung, wenn das szenische Spiel selbst von normenbezogenen und somit, zumindest zuweilen, nach weiterer Auslegung verlangenden Regeln beherrscht wird, szeneintern aber für die Präzisierung nicht genügend Zeit, Kompetenz oder Durchsetzungskraft zur Verfügung stehen. Ausdrücklich gesetzes- und regelbezogen scheint dies im Rahmen juristisch relevanter Inhalte der Fall. Da aber der Austrag der Szenifikationen für alle szenischen Agenzien generell damit zu tun hat, die Legitimität ihrer Einlassungen zumindest negativ dadurch zu bekunden, dass sie nicht gegen Rechtsförmigkeit und Friedfertigkeit des Spiels verstoßen, kann sich stets die Notwendigkeit ergeben, Legitimation von außen zuzuführen. Hierauf lassen sich die Strategien der Inszenierung anwenden, jetzt szenisch intern. Die antizipierte ›Rechtlichkeit‹ betrifft verständlicherweise nicht allein den juristischen Legitimationsdiskurs im engeren Sinne, sondern alle Diskurse, die Urteile und Bewertungen über die Berechtigung einzelner Behauptungen und Handlungen wie auch deren Behauptbarkeit beziehungsweise Akzeptanz überhaupt in einem speziellen Diskurskontext zur Verfügung stellen. Insbesondere gilt dies für die Wissenschaften und alle anderen szenesprengenden diskursiven Weiterungen, etwa den wissenschaftstheoretischen, philosophischen oder religiösen Glaubensdiskurs. Das Testat einer auf diese Weise geprüften und explizierten Rechtlichkeit oder Berechtigung vermag die Szenifikationen wie auch die Inszenierungen, die sich einer Auslegung versichert haben, zu stabilisieren und gegnerische Positionen zu schwächen. Es handelt sich um eine szenische Mikroansicht eines Bourdieu´schen Felddiagramms. Referenzen dieser Art stellen zwar szeneinterne Indikatoren für die Beurteilung der ›Sicherheitslage‹ dar, verweisen aber selbst schon auf die Notwendigkeit, von der formalen indexikalischen Funktionalität zur sachlichen Aufschließung beziehungsweise Bedeutung durch Verhandlung und Auseinandersetzung überzugehen. (Was die bloß nominelle Kennzeichnung einer Objektreferenz nicht oder in nur sehr rudimentärer Weise vermag. Man denke an das Problem der Interpretation der Inkremente in der Diagrammatik Bourdieus.) Medienvermittelter Austausch zwischen Auftritt und Diskurs unter szenischen Bedingungen bedarf mithin, um massenhaft zu gelingen, eines gesellschaftlich durchgesetzten wie akzeptierten Modells der Diskussion von Legitimationsverhältnissen und -alternativen. Ideellerweise wäre es vielleicht die räsonierende Öffentlichkeit selbst, die sich modellierte. Allerdings erscheint dieses Modell angesichts von Räumen szenischer Überschaubarkeit und sprachspielspezifischer Begrenzung zu abstrakt und deshalb in der Anwendung überdimensioniert, angesichts im globalen Maßstab mediatisierter Kommunikations- und Zirkulationsverhältnisse dagegen territorial und konstitutionell zu partikular und unterbestimmt.40 Hilfreicher gerät die inszenatorische Anpassung des Modells auf das Maß jeweils anstehender Bewirtschaftungsanforderungen des sozialen Austauschs, dort wo der Stoffwechsel tatsächlich stattfindet. Das heißt, die Frage der Dimension ist eine Frage der Anpassung. Ob der Anpassungsprozess dabei die Szene selbst zum Zerreißen bringen kann, steht auf einem anderen Blatt. Baudrillard zum Beispiel ist dieser Auffassung. Anpassung setzt jedenfalls Variabilität voraus. Szenische ›Formatierungen‹ und ›Formate‹ sind nach dem Modell mediengerechter Formatkonfektionierung nicht denkbar. Wie gesagt, wird keineswegs nur im expliziten Rechtsstreit die Frage nach der Notwendigkeit jederzeitiger Rückkopplung von Entscheidungen an eine fallgebundene Interpretation durch Experten – und daher an eine urteilsfähige Wissenskultur – diskutiert. In den Verfahren derjenigen Rechtsprechung, die auf juristisches Wissen referiert, ist der Austausch allerdings
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beispielhaft ausgeprägt. Offensichtlich gilt hier eine geprüfte Mischung als opportun, die sich – mit dem geregelten Ad-hoc-Austrag auf einer Bühne des Urteilens einerseits, der nach Bedarf versichernden Hinzuziehung kompetenter Kommentare und Auslegungen andererseits – der Pragmatik verschrieben hat und doch, insgesamt, als vertrauenswürdig beurteilt wird. Noch jüngst wurde ein Urteil des Bundesgerichtshofs zur nicht mehr hinnehmbaren Urteilsabsprache unter Prozessbeteiligten vor jeglicher Entfaltung und Prüfung der Sachlage bekannt. Man könnte annehmen, der juristische Diskurs hätte sich selbstständig in seine Ereignisse eingemischt. Tatsächlich handelte es sich um einen szenischen Appell: Prozessparteien hatten geklagt. Parteienstreit und Verletzungen von Spielregeln nachhaltig begegnen zu können braucht nachhaltige Verfahren. Unter den Bedingungen geregelter Rechtsverhältnisse und Rechtsprechung werden ausschließlich performativ selbstregelnde Prozeduren deshalb kaum Anerkennung finden, auch wenn sich vielleicht nachweisen ließe, dass sie die Hegung von Gewalt im Aufeinandertreffen konkurrierender Interessen und Ansprüche beherrschen. Was im Anknüpfen an den mythos beim Erzählen von Geschichten vielleicht hingehen kann oder in der Präsentation eines Kunstwerks (obwohl auch angesichts dieser Beispiele mancher Verleger oder Kurator schon Zweifel anmelden dürfte), wird in der Rechtspflege, bei wirtschaftlichen, politischen Entscheidungen, in Fragen des Kultus kaum akzeptiert werden, allemal nicht im Rechtfertigungsgeschäft der Wissenschaften, weder der harten noch der weichen. Alle ihre performativen Praktiken und Manifestationen fordern die diskursive Referenz und deren Rückwirkung als Expertise. 4
diskursdispositionen & repräsentation – urteilen, wahrsprechen, rechtfertigen
Auf den ersten Seiten des Buchs wurde sein Diskursverständnis erläutert und von dorther der Zusammenhang von »Diskurs« und »Dispositiv« für das Folgende. Das Diskursverständnis, das Foucault folgt, knüpft den Diskurs an bestimmte »Ereignisse«, die Handlungen und Gestaltungen beinhalten oder mit ihnen zu tun haben. Dies begründet, warum wir von »Diskursdispositionen«, Diskursverfügungen sprechen. Doch wollen wir uns kurz des Zusammenhangs bei Foucault versichern. ›Diskursereignisse‹ (Foucault)
Aus Diskursperspektive greift der Diskurs in Foucaults Verständnis aus auf Diskursereignisse. Deren ›Ereignishaftigkeit‹ weist selbst immer eine gewisse Streuung auf. Verbunden mit Diskursereignissen sind Unschärfen und Undefiniertheiten des Scheins. Sie artikulieren sich, wenn bestimmte Anschlüsse zu realisieren sind, semantische, physikalische, psychologische – motorische, sensorische, affektive. Doch ist nie die Szene oder eine ihrer Szenifikationen Ereignis eines Diskurses, das sich etwa aufgrund der Sinnbedürftigkeit der Szene einstellte. Obwohl es hier unter günstigen Umständen zu indizieren wäre, geht ein Diskursereignis auch im Diskurs selbst nicht auf. Ein Diskursereignis ist »kein Ereignis, das in einem Diskurs oder Text stattfände, sondern ein Ereignis, das zerstreut ist zwischen Institutionen, Gesetzen, politischen Siegen und Niederlagen, Forderungen, Verhaltensweisen, Revolten und Reaktionen«41, zerstreut folglich auch zwischen Szenen und Situationen, Bühne und Orchestra. Die »Mannigfaltigkeit« dieses Ereignens erfüllt sich vielfältig performativ wie in seiner Episteme.42 Die Szene kann aus diversen Diskursereignissen Impulse
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erfahren und sie in ihrem eigenen Ereignen verdichten oder kondensieren lassen. Die Dienlichkeit von Diskursereignissen für eine Szene liegt, optimistisch betrachtet, bei der so importierten Verpflichtung eines ›Urteilens‹, von der die Gerechtigkeit gewissermaßen körperlich weiß. So kann Ausgleich, auch Ausgewogenheit hergestellt werden beziehungsweise sich herstellen. Praktisch kann dies erklären und weiterhelfen, hat allerdings sehr kurze Halbwertzeiten. Längerfristige Geltung braucht Wiederholung, kann nicht im Rahmen einer einzigen Spielrunde sichergestellt werden. Schon bei der richterlichen Entscheidung, der die Gewalt zugestanden ist, Gerechtigkeit allein durchs Sprechen, durch einen Spruch herzustellen, verteilt sich die Rechtsprechung auf diverse Szenen – Szenifikationen oder Inszenierungen. »Mit dem krinein [krinein (scil. dem Urteilen – HW)] konstituiert sich im rechtlichen Diskurs und in der Rechtspraxis eine gänzlich neue Art von Wahrheitsbehauptung.«43 Der Vorstellung ihrer Erfinder nach soll sie resultieren aus der »Kommunikation zwischen dem Gerechtigkeitsdiskurs und dem politischen Diskurs, in dem Souveränität ausgeübt wird, und dem Wissensdiskurs, in dem die Ordnung der Welt zum Ausdruck gebracht wird«.44 Wieder sind weder Diskurs noch Diskursereignisse mit einer möglicherweise assoziierten Szene zu verwechseln. Deshalb wird nicht die Szene immer auch45 als Ort solcher Wahrheitsbehauptungen gelten. Die Szene wird sich ihrer bedienen, ohne ihre Rechtfertigung anders denn praktisch, szenifikatorisch auszuweisen. Teils geschieht dies im Rahmen eines »Regiments der Wahrheit«, teils durchaus in der Evidenz offensichtlicher Tatsächlichkeit, die kein Regiment braucht.46 Dasselbe gilt logischerweise für weitere Diskurse, an die anzuschließen eine Szenifikation Grund haben könnte, politische Diskurse oder Wissensdiskurse. Die Tradition, auf die Rechtfertigung im Sinne einer Rechtspraxis zu rekurrieren, ist alt. Die Kriterien für das, was eine akzeptable Rechtfertigung beizubringen hat, lassen sich den Studien Foucault zufolge schon im 7.–5. vorchristlichen Jahrhundert bei Solon und Empedokles in »höchster Ausformulierung« nachweisen. Eine tragfähige Legitimation, so Foucault, hat sich danach gleicherweise der Gerechtigkeit, den gesellschaftlichen Übereinkünften wie dem Wissen zu verpflichten. Nicht zuletzt die attische Tragödie tritt den Beweis an. Zur gleichen Zeit demonstriert der Sophismus, wie »diese Art von Wahrheitsbehauptung« unter das Regiment diverser Interessen und Selbstverpflichtungen der Überzeugung zu bringen ist: ein »Rausch der griechischen Wahrheit im Zustand der Zerstückelung«, sozusagen im Zustand ihrer Herkunft wie ihrer Zukunft, geteilt in ein Regiment der Wahrheit und ein Regime der Wahrheitsdemonstration, das außer ihr keine Verpflichtung kennt.47 Seither sind wir mit der Inszenierung von Wahrheit (›Wahrheit unter einem Wahrheitsregime‹) ebenso vertraut wie mit ihrer Delegation an die Hermeneutik oder die Experimentalwissenschaften (›Wahrheit im Zustand ihrer eigenen diskursiven Zerstreuung‹). Natürlich drängt sich die Frage auf, ob die Chancen erweiterter Performativität und Präsenzentscheidung ohne Anleihen bei der Explikation durch Text – Deutung, Kommentar, Exegese – in vergleichbarer Weise ›historisch‹ ausgelotet wurden wie die der Niederschrift und der Konzeption eines Werks – sei es in den »freien« oder in den weniger freien Künsten. Die Antwort wird lauten: wahrscheinlich; vermutlich sogar über längere Zeiträume als die reflektierte Beurteilung von Ideen und Vorstellungen, Handlungen und Ereignissen, inklusive, womöglich, ihrer Archivierung. Indes fehlt dem gewöhnlichen szenischen Ereignen und Erleben die Beglaubigung der Geschichtsschreibung oder auch nur der Dokumentation.48 Die sogenannte Quellenlage verrät also nichts oder nur sehr wenig darüber, Kant bemerkt es in der
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Vorrede der Anthropologie, ob die Differenzen nicht vielleicht doch sowohl vermessen als auch ausgetragen wurden. Ausnahmen bestätigten die Regel. Es mag zutreffen, dass sich unter den Künsten der Bühne und der Präsentation gerade diejenigen auszeichnen, deren Körper- und Sinnenverbundenheit sich unmittelbarer ausdrückt als auf dem Wege symbolischen Verstehens. Vielleicht ist dies aber im Licht vorstehender Erörterung auch zu kurz gegriffen. Jedenfalls unterstreicht der Gedanke, im Zeichen einer leitenden Sprech- und Sprachkunst zugleich die Integration und die Verbindung der Künste zu berücksichtigen, wenn nicht zu befördern, die Intention einer Erweiterung des Handlungs- und Gestaltungsfeldes über bloßes Wahrnehmen und Empfinden, motorisches Verhalten und energetisches Agieren hinaus. Dies ist in der Perspektive der Szenografie und des Entwurfs gesagt. Von Seiten der Dinge und Werke wiederum ist die Tatsache, dass sie sprechen, ein Hinweis auf den Charakter der Repräsentamen: dass der Stoff der Zeichen, um sprechend bedeuten zu lassen, nicht aus Worten bestehen muss, auch wenn das schon Gedeutete der Stoff ist, mit dem wir es zu tun haben. Aus der Sicht der Szene ist ohnehin verständlich, dass ihr Spiel wesentlich »Sprachspiel« ist.
Dinge & Dichtung. Lektüre, Beschreibung, Erklärung Dass alle Künste im Einsatz zwischen Bühne und Diskurs ihre Rolle vergleichbar gut wie in theatrischer auch in repräsentativer Funktion spielen könnten, wie oben behauptet und belegt, ist dagegen vielleicht weniger fraglich als immer wieder erklärungsbedürftig. Im Zusammenhang der Ästhetik Diderots haben wir den Test auf die Schauspielkunst und die Malerei gemacht und die Konditionen der Doppelgestalt erörtert. Vor allem aber für die ›dimensionalen‹ Künste, Architektur oder Bildhauerkunst, ist es scheinbar ausgeschlossen, sie von ihrer physischen Erscheinung und Materialität zu trennen, nur noch als Zeichen eines anderen als ihrer selbst in Raum und Zeit zu stehen. Tatsächlich aber ist die ›repräsentationale Funktionsweise‹ auch hier als ganz gewöhnlich zu betrachten, wenn man daran denkt, in welcher Weise zu Diskursereignissen gehörige Manifestationen, ›eingesaugt‹ in einen Diskurs, auftreten. »Objekte«, Artefakte und Künste aller Art können bekanntlich »gelesen« werden.49 Bedingung dafür, dass »Lektüre« nicht schlicht metaphorisch benutzt wird, ist, dass die Dinge als Zeichen gelten, insbesondere aber, dass ihre Repräsentamen nicht bloß unterschiedliche Objekte im Raum anzeigen, sondern dass auch diese Zeichenkörper schon symbolisch aufgeschlüsselt sind und weiter auf diese Weise aufgeschlüsselt werden können. Insofern »sprechen« sie, erscheinen in Worte gefasst, liegen vor als Gedeutetes oder Sinn. Die Verschiebung wird anschaulich, wenn man darauf achtet, wie es zu den relevanten Bedeutungen kommt. Nehmen wir die Kulturwissenschaften. Ihre Auslegungskunst bringt die in Frage kommenden Zeichen in der Kulturgeschichte unter, soweit die zugehörigen Dinge als solche der Bezugskultur in deren Diskurse eingehen sollen. Dabei glaubt die Kulturwissenschaft – zurecht –, dass, worum es geht, genau darum in diesen freilich sehr breiten Erzählstrom hineingehört, weil sie die Geschichten, die von den einschlägigen Protagonisten des Kulturellen handeln, selbst ge- oder erfunden hat.50 Dies indes kann nicht ohne den Kulturträger, ›das Volk‹, geschehen, das spricht, wenn auch in der Zerstreuung unendlich vieler Sprachspiele und ›Mythen‹, in handlungstypischen Ursprungsgeschichten. »Dichtung« ist hier keinesfalls nur Metapher, sondern realisiert die Koinzidenz von erzählender Kulturwissenschaft, kulturwissenschaftlich inspirierter (Erzähl-, zum Beispiel Roman-)Literatur und den kleinen Erzählungen des Alltags.
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Mit Blick auf die Kulturwissenschaften sehen wir diesen Prozess nicht zuletzt als Ausdifferenzierung der zuvor zuständigen Philosophie, die für sich beides beanspruchte: Wissenschaft wie Dichtung zu sein. Technik- und Wissenschaftsgeschichte der Naturwissenschaften wiederum besorgen die Verschiebung in diesem Prozess des 19. Jahrhunderts in die entgegengesetzte Richtung. Auch hier mögen die ›topologischen‹ Qualitäten zu Gegenständen gepresster ›Realobjekte‹ eine Weile überzeugt haben. Trotzdem bewahrheitete sich die Diagnose zweier grundsätzlich verschiedener Kulturen, des Natürlichen und des Geistigen im Sinne Dilthey´scher Teilung auf Dauer nicht. Denn es koinzidieren auch die Abweichungen. Die Kulturphilosophie nach Hegel ergießt sich nicht in das breite Bett eines einzigen Stroms von Kulturgeschichte, Historie und Literatur. Selbst in der Perspektive Nietzsches gibt es kein solches Szenario. Wie man weiß, versuchte sich die politik- und gesellschaftstheoretische Betrachtung der Kulturphänomene zu behaupten und betrieb deutliche Ideologiekritik an dieser Art erzählender Kulturanalyse. Wenn es um die Gesetze der gesellschaftlichen oder ökonomischen Entwicklung auf dem Boden neuer, sich durchsetzender Produktionsverhältnisse zu tun war und dessen, was dort »Wert« bedeutet, arbeitete sie positiv daran, sich als nachweisbar wissenschaftlich qualifiziert und engagiert im modernen Sinne zu positionieren. Sie suchte den Schulterschluss mit den technischen und Naturwissenschaften, die sich früher schon auf einen eigenen Weg der Emanzipation von der alten Naturphilosophie gemacht hatten.51 Vergleichbar abweichend wiederum ließen sich die kulturinteressierte Wissenschaft und Forschung nicht auf Dauer auf die Universalgeschichte verpflichten und den Blick auf die Strukturen verbieten. Andererseits sehen wir in der relevanten Philosophie (bei Nietzsche etwa) die Abwendung vom philosophischen System- und Strukturdenken Hegel´scher Provenienz und eine Hinwendung zur Geschichte oder vielmehr zu den vielen Geschichten, Ansichten und Interpretationen. Auch hier ist der Wandel zur gleichen Zeit zu beobachten. Dies betrifft nicht zuletzt die neuen Perspektiven für die Behandlung der Sprache selbst; denn nicht alles läuft auf Philologien und Literaturwissenschaften hinaus. Ebenso geht es um die Instanzen des Bewusstseins und des Subjekts wie der Gesellschaft, mithin die Strukturen der Grammatik, die Strukturen des Ichs, die Strukturen der Familie. Semiotik und Psychologie (respektive Medizin und Psychophysik) zeichnen sich ab, Ethnologie oder Kultur-Anthropologie und Psychoanalyse. Auf eigenen Wegen unterwegs ist auch hier die nomothetische und statistisch quantitative Kulturgeschichte, die den Boden, Ackerbau und Viehzucht, Produktion, Zirkulation und Konsum der unterschiedlichsten ›Lebensmittel‹ in den Blick nimmt und zu vermessen sucht.
Projektionsoberflächen der Humanwissenschaften – in ästhetisch kultureller Betrachtung (Foucault) Wie lautet das Fazit? Die alten Verbindlichkeiten zwischen Diskurs und Repräsentation zerstreuen sich. Man kann auch sagen, die Sprache, die Bedeutung zerstreuen sich. Jedenfalls besteht die Macht des Diskurses nicht darin, dass eine Version seiner Darstellungen die Fähigkeit besäße, mit dem, was seine Darstellung wäre, die Dinge zu repräsentieren. Die Effektkultur der Performanz ist ohnehin nicht, weil ästhetisch wirkend, einseitig auf Kunsterlebnis und Kunstkonsum geeicht. Schon die Anthropologie legt in pragmatischer Hinsicht die Zergliederung des Gesellschaftlich-Kulturellen unter den verschiedensten Gesichtspunkten nahe. Umso mehr Zerstreuung offenbart sich, wenn das Gemeinwesen unter Bewirtschaftungsaspekten der Bevölkerung in den Blick genommen wird. ›Von unten‹ erscheint die Partikularisierung
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weitaus gravierender noch als im Blick eines Regiments. Es sind zu viele unterschiedliche Aspekte, die gesonderte Beachtung verlangen. Was »Kultur« bedeutet, verschränkt sich faktisch mit den diversen Praxisfeldern ›humaner‹ Tätigkeit. Diese Tätigkeit aber ist zunehmend mehr damit beschäftigt, sich in der Konkurrenz mit der Natur zu behaupten, sie technisch zu kopieren und auszubeuten. Mimesis hätte es schwer als Konzeptualisierung des Ästhetischen. Das Schöne im Leben wird unter den Etiketten von »Kultur und Kunst« nur selbst partikularisiert. Solch heterogene gesellschaftliche Strategien spiegeln sich, wie Foucault gezeigt hat, in den Gliederungen der Humanwissenschaften. Hinsichtlich der Darstellungsrationalität verschränken sich im Wesentlichen drei »epistemologische Bereiche« mit den oben genannten Ausdifferenzierungen ab Mitte des 19. Jahrhunderts. Foucault destilliert eine biologisch physiologische, eine ökonomisch soziale wie eine sprachliche beziehungsweise semiotische Epistemologie. Entsprechend verlegen sich die Naturwissenschaften des Lebens, die Wirtschaftsund Bewirtschaftungswissenschaften des Lebens und die Bedeutungswissenschaften hinsichtlich des über das Leben Erzählten. Die Zuständigkeitskompetenz angesichts eines kontingenten Feldes situativer Positivitäten ergibt sich aus der gewählten topologisch chronologischen Modellierung und rechtfertigt sich über den Auftritt der wissenschaftlichen Resultate. Wie deutlich erkennbar etwa an der naturwissenschaftlichen Erkundung des Humanen, die zum Ende des 19. Jahrhunderts tatsächlich die biologischen Lebenswissenschaften zu einer Art Leitwissenschaften werden ließ, gilt die epistemologische Projektion immer nur unter historisch angepassten Bedingungen. Heute wäre dieser besonders technologie- und technikaffine Sektor vor allem auch durch eine informationstheoretische und telematische Episteme zu charakterisieren. Sie verbindet die Lebenswissenschaften untereinander, darüber hinaus aber auch die Humanwissenschaften insgesamt miteinander, soweit unter »Humanwissenschaft« die technologische Erkundung der Optimierung von Kommunikation und Information nicht als ausgeschlossen gilt. Vergleichbare Entwicklungen fänden sich im dritten Sektor in der Erweiterung der semiotischen zur medientheoretischen Analyse. Aus beiden Perspektiven ergeben sich Weiterungen ins Feld von Ökonomie, Recht und Politik. Wie auch immer, es treten synchron unterschiedliche wie diachron wechselnde Projektionsperspektiven hervor. Es zeigt sich, dass auf diese oder jene Weise gefasst zu werden nur insofern und insoweit bei den Dingen liegt, als sie sich daran beteiligen oder daran beteiligt sind. Es ist ersichtlich, dass die Ermächtigung zu Erklärung oder Interpretation nicht logisch damit verbunden ist, in welcher Objekt- oder Bereichshinsicht die Stellungnahme erfolgt oder ob sie struktur- und formorientiert oder an Herkommen und Werdegang, an den Narrativen interessiert ist. Wenn sich die Fragen nach den Subjekten und ihrem Selbst mit Biologie, Physiologie und Medizin assoziieren, Fragen des Zusammenlebens und der Konfliktbewältigung in Gesellschaft mit der politischen Ökonomie und Probleme der Bedeutung im Rahmen eines Systems der Zeichen mit Philologie oder Kulturwissenschaft, so ist dies ›szenografisch‹ pragmatisch hilfreich, insofern an diesem Tableau der jeweilige Modellentwurf beispielhaft erhellt. Man erkennt die Wahl der »Projektionsoberfläche«.52 Für Topologie und Diagrammatik hat dies Konsequenzen. Wir sahen die Diagrammatisierung verständlicherweise als interessiert an ihrer Anwendungsdimension. Beim Psychoanalytiker sieht man die Konzentration auf das Subjekt und seine Objekte, beim Soziologen die Konzentration auf die Felder des Sozialen. Foucaults Epistemologie erhellt, dass die Wissenschaft die Diagrammatik ihrer Modellierung mitliefert, unabhängig davon, ob sie sie
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ausführt. Die Frage ist, in welcher Weise sie qua Diskurspräsenz auszuführen wäre. Grundsätzlich böten sich Möglichkeiten von der fallbezogenen Konkretion bis zur mehr oder weniger abstrakten ›integrativen‹ Ikonisierung. Appliziert auf das feldtheoretische Diagrammatikmodell Bourdieus, wäre es beispielsweise eine Frage, wie viele Bezugsfelder als separate screens oder windows aufgezogen werden sollten. Jedenfalls ist offensichtlich, dass die Frage der Modellierungstransparenz keine rein theoretische Frage darstellt. Hinsichtlich des szenografischen Desiderats ›Entwurfstransparenz‹ ist sie von eminenter praktischer Bedeutung. Immer vorausgesetzt, dass überhaupt an ein entsprechendes Tableau heranzukommen ist, selbst wenn es sich zunächst einmal performativ darstellte. Die Wissenschaften (Modelltypen (a) bis (d), Teil III oben) liefern es gewissermaßen mit, auch ohne ausdrückliche Diagrammatisierung. Doch auch hier fragt sich, ob man sich darauf verlassen kann. Wissenschaftstheorie, Wissenschaftsgeschichte, Epistemologie zeigen, dass dies nicht der Fall ist, die erscheinende Oberfläche mit der Tiefensignatur nicht übereinstimmt. Sie zeigen damit aber auch die Chancen von Dekonstruktion und Rekonstruktion. Ist die Projektionsoberfläche etwa die Biologie (oder eine vergleichbare erklärende Natur- oder Technikwissenschaft), versteht sich die Projektion einer Diagrammatik des Funktionalen und seines Bezugsfeldes. Im Fall der Ökonomie zeichnet sich die Projektionsfläche von Anstrengung, Widerstand und Widerstreit, Befriedung und Ausgleich ab wie die von Bedeutung und Semiose im Fall von Sprache, Sätzen, Worten. (Offenbar auch eine Projektionsoberfläche der Logik.) Doch sind die Perspektiven der Projektion nicht derart fest mit den Dingen verbunden und den Praktiken, dass die nicht auch in anderer Hinsicht gebunden erscheinen könnten.53 Besser als die Rede von der »Hinsicht« wäre vielleicht die Vorstellung einer gleichzeitigen »Hersicht« geeignet, die Freiheiten der Überkreuzung zu illustrieren. Die vermeintlichen Sachnotwendigkeiten der Projektionen und ihrer Topografien wären in dieser Ansicht nicht zu ›sehen‹. »Hersicht« wäre Anblick, der sich bietet, aber keineswegs notwendig analog den Hinsichten. Die Szenen des Subjekts und des Ichs suchen sich Aufklärung im Text, der physiologischer oder mythologischer Diskurs sein kann, Erklärung oder Drehbuch, wie Nietzsche oder auch Freud unterstreichen. Die Arbeit will gemessen werden von Physik und Statistik, verstanden vom Roman, organisiert nach Maßstäben selbstbestimmt kultivierten Umgangs. Zu sprechen wiederum lässt hinter der Performanz die Sprache als Repräsentation der Signifikate oder als System von Interpretanteneffekten, Gewohnheiten und Gewohnheitsveränderungen erkennen. Oder sie lässt die Grammatik, die sich in den Funktionen von Sprechakten übt, nicht hinter dem, sondern im Auftritt als ihr »Subjekt« hervortreten. Die darüber hinaus ebenso bedeutsame Hersicht der Dinge – ihr Blick in eigener Sache sozusagen – wird dabei in der Humanperspektive ohnehin nur in ihren menschen- und menschheitsinteressierten Aspekten erwähnt. Auch hierin koinzidieren Ding-, Naturansprüche und Humaninteresse, trotz der vergleichsweise universellen Betrachtung. Dies gilt, soweit sich empirische Befunde zum Beleg struktureller oder genetischer Informiertheit von Objekten finden.54 Indes dürfte die Beobachtung von Dingaktivitäten außerhalb der verfahrenslegitimierten Projektionsgewohnheiten noch ganz andere ›Datensammlungen‹ ans Licht bringen und ganz anderen ›Datenaustausch‹ zwischen informierten Objekten möglich erscheinen lassen, als was Befund und Handhabung gemäß Selbstauskunft der gegenwärtig verbindlichen medialen Strategien und Technologien diesbezüglich zum Besten geben. Ihrer Vermittlung verdanken wir wenig. Für die meisten sind es Nachrichten von fremden Welten, wenn Wittgenstein in den Philosophischen
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Untersuchungen auf so neue Sprachen wie den »chemischen Symbolismus und die Infinitesimalrechnung« verweist oder Lyotard fünfunddreißig Jahre später in Das postmoderne Wissen die »Maschinen-Sprachen, die Matrizen der Spieltheorie, die neuen Notenschriften, die Notationen nicht-denotativer Logiken (Logiken der Zeit, deontische Logiken, Modallogiken), die Sprache des genetischen Codes, die Graphen der phonologischen Strukturen usw.« hinzufügt.55
Konsequenzen epistemischer Projektion für das praktische Wissen Hinsichtlich des Inszenierungswissens – oder Inszenierungsnichtwissens – und seiner strategischen Optionen bringt die epistemologische Differenzierung zwar keine vergleichbar naheliegenden Evidenzen wie die Operationalisierung des Wissens im Wissenschaftsdiskurs selbst. Indes lässt sich nach möglichen Affinitäten zwischen dieser Differenzierung und den Varianten möglicher szenografisch szenischer Einstimmung fragen. In veränderter Projektion des Modellrahmens wären solche Relationen eventuell wieder in Zweifel zu ziehen oder müssten sich anders belegen lassen. Man stelle sich vor, der Magdeburger Unterdruckversuch wäre hinsichtlich seines Wissenschaftsanschlusses verwechselt worden: Bei genauerer Forschung habe sich herausgestellt, dass die Demonstration tatsächlich so verlaufen sei, wie gezeigt, nur habe es sich um einen Versuch zur Stabilität von Haftflächen auf Grundlage chemischer Experimente zu Klebeverbindungen gehandelt. Mit anderen Worten: Wechseln wir von den Wissenschaftstypen (a) bis (e) in die Kunst- und Designtypen (e), existiert keine Zwangsbeziehung zwischen modellspezifisch unterschiedenen Wissens- und assoziierten Wissenschaftsgebieten und gewissen Typen von Entwurfswissen (Inszenierungswissen szenografischer Natur), weder des Theoriedesigns noch des stoff-, werkund auftrittsorientierten Gestaltungsdesigns. Hier liegen die epistemischen Entscheidungen naturgemäß offen, gehören sie doch mit zu den Steuerungsfunktionen der Konzeptualisierung von Gestaltungsvorhaben, mithin zum methodologischen und methodischen Know-how der Szenografie. Denn auch den Topologie- oder Modellbezug der Entwurfsdiagrammatik herzustellen dürfte bei entsprechend reflektierten Planungen und Entwürfen dazugehören. Insofern jedenfalls ist offensichtlich, dass Inszenierungsverantwortliche darüber Bescheid wissen, auf welchem Feld des Wissens, also auch des Wissens, wie etwas gemacht wird, sie zu intervenieren gedenken und auf welcher »Projektionsoberfläche« sie ihre Adressaten im Sinne des Projekts auftreten lassen möchten. Im situativen und szenischen Kontext selbst steht es um die Episteme anders. Zu behaupten, es handele sich überhaupt um kein epistemisches Feld, ist unangebracht. Im Gegenteil, wenn man einerseits an die Szenografien, andererseits an die Diskurse denkt, finden sich Wissen und Kompetenz hier verschmolzen. Aber auch faktisch ist die szenische Zirkulation wissensbeherrscht, wenn auch höchst selten in der Art ausschließlich theoretischer Exegese oder Projektierung.56 So oder so dominiert praktisches Wissen. In den Wissenschaften gilt der generelle Schein aller Repräsentation qua Darstellung und medial darstellungsaffinem Diskurs, unabhängig vom Grad der Zerstreuung im Besonderen der Manifestationen und Diskursereignisse. Doch bleibt der Schein dort weitgehend bei gewohnter Bedeutung und gewohnt Bedeutendem, nicht beim aktual Bedeuteten. Dies aber ist der Fall, wenn alles Wesentliche nur hergezeigt im besonderen Schein seines aktualen Ausgedrücktwerdens Bedeutung bekommt. Auf diese Art zeichnen sich die ›ästhetischen‹ Diskursereignisse aus. Sie begegnen als Vergegenwärtigung einer zu charakteristisch exemplarischem Ausdruck
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geformten Gestaltung. Ihre Manifestationen äußern sich in Werk und Auftritt gemäß den aktuell gehandelten Maximen des Maßes und des Passens sowie den jeweiligen Opportunitätsgesichtspunkten zur Beurteilung der gebotenen wie der ergriffenen Mittel. Der Zweck, idealerweise, heißt allseitige Zufriedenheit mit Geschehen und Erleben. Die Zerstreuung des Diskurses – schauen wir von dorther – verläuft hier in einem gemischten Feld von Repräsentativem, einer von den Zeichen sich befreienden Bedeutung, und performativer Szenifikation (oder Inszenierung gemäß Szenografie), worin »Bedeutung« sich ereignet oder »bedeuten« zu handeln heißt.
iv.2 bedeutenlassen, handeln, gestalten: inszenierungssequenzen Dass »Bedeutung« sich im Kontext von Handlungsintentionen, wie sie jedes Inszenierungsvorhaben impliziert, nicht auf einem abgeschlossenen Territorium fester Relationen von Signikanten und Signifikaten ansiedeln lässt, ist offensichtlich. Die ersten Einwände kämen von einer begrifflich im Raum der ›Drittheit‹ operierenden Bedeutungstheorie, die gleichsam jederzeit einen finalen Interpretanten im Sinn und auch zur Hand hätte. Von hier aus wäre eine ausschließlich strukturale ›Semantik‹ oder ›Grammatik‹ gewissermaßen als Endzeitperspektive des Semioseprozesses zu werten. Die Bewegungen der Semiose wären abgeschlossen, alle Bedeutung angereichert und an ein Ende gebracht. Platons ursprünglicher Namensgeber oder, wie Kratylos meint, die Physis sorgten schon zu Beginn aller Zeiten dafür, dass ein »jegliches Ding« mit der »von Natur ihm zukommende[n] richtige[n] Benennung« belegt wird. Auch verschiedene Sprachen müssen akzeptieren, dass es »eine natürliche Richtigkeit der Wörter, für Hellenen und Barbaren insgesamt die nämliche« gibt.57 Am Ende der Geschichte erschiene auch, dieser Idee folgend, das Programm eingelöst. Doch würde man annehmen können, die Natur wäre nicht gleich mit aller Bedeutung herausgerückt, sondern nach dem Grundsatz verfahren, »alles zu seiner Zeit«. Bedeutungen mithin wären für uns eine Frage der Gelegenheiten von Raum und Zeit, mit ihnen in Kontakt zu kommen. Dann aber wird es einerseits eine Frage der ›Ausstattung‹ sein – was bringen wir mit, uns der Bedeutungen zu versichern, sie in unser Leben zu rufen –, andererseits wird der Erfolg abhängen von unseren Anstrengungen, die wir diesem Unternehmen widmen.
Zeichenhandeln & Gewohnheiten (Kratylos) Platons Kratylos zufolge gehören »Reden und Benennen« selbst durchaus in den Seinsbereich der Handlungen und folgen seinen Regeln. Auch darum darf man sagen, »dass das Wort (onoma) von Natur eine gewisse Richtigkeit hat[…] und dass nicht jeder versteht, es irgendeinem Ding (pragmati) gehörig beizulegen«. Doch »von Natur« (physei) in diesem Zusammenhang heißt ›nach seiner Natur in der Zeit‹: für uns und im Rahmen der Handlungen des Redens und Benennens, im Rahmen des Gebrauchs der Wörter. Wie Sokrates darlegt, soll physei ausdrücklich nicht, einseitig, »durch Nachahmung« oder »durch Wiederholung« heißen. Fragt man nach dem »Wort« als Begriff oder danach, was »das Wort«, das hier regiert, für ein Wort sei, und, da es »etwas unternimmt«, nach der Unternehmung zu »sprechen« und »bezeichnen«, so gibt der Kratylos die Antwort, dass, was da erfragt werde, mit Orientierung, mit
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»Forschen und Suchen« zu tun habe. Die Absicht des Unternehmens ist, zu suchen und zu finden, »wonach geforscht wird«.58 »Etwas suchen«, sagt Wittgenstein, »ist gewiß ein Ausdruck der Erwartung. Das heißt, wie man sucht, drückt irgendwie aus, was man erwartet«.59 Was einer unternimmt, was er fühlt, sich vorstellt, wenn er spricht, wird verständlicherweise irgendwie ausdrücken und darstellen, was und mit welchen Worten er es tut, die Bedeutung der beteiligten ›Dinge‹ und die Form, wie sie sich repräsentieren, das Verständnis und die Zeichen. Was ein Wort ist, kurz gesagt, kann man lernen, wenn gesprochen wird. Es ist nicht anders, wie wenn jemand sonst etwas vorhat. Wäre onoma, der Name nur »Nachahmung« (mimēma) dessen, was er nachahmt«, drohten Missverständnisse. Die Hinsichten der Nachahmung wären ungeklärt: Geht es um »Ähnlichkeit« von Ausdrücken visueller Wahrnehmung oder von Bildern oder um »Ähnlichkeiten« der »Nachahmung« von gewissen sprachlichen Äußerungen und Klängen?60 Nachahmung aber (oder Ähnlichkeiten) gehen nicht per se auf die individuierende Gestalt wie manches Porträt, das der Person ähnelt, die dargestellt ist, oder auf den originalen Klang wie mancher Ton, wenn jemand mit der Stimme den Hähnen nachkräht oder den Schafen nachblökt. Kein Maler ist gesucht und kein Tonkünstler. Der passenden Mimesis der »benennenden Kunst« ist es vielmehr um den Wesensausdruck, den je wirklich passenden Namen zu tun. Auf dem Weg der Abbildung ist dies offenbar nicht zu erreichen. Denn lächerlich wäre, wenn alles zweimal existierte, ohne dass man unterscheiden könnte, was Objekt, was Zeichen ist.61 Was in den Domänen der Sinnenähnlichkeit Maler und Tonmeister tun, tut hier »der Benennende« mit Worten, die den Dingen nicht ähnlich sind. Die gut und schön gebildeten Worte, die passenden Darstellungen des Gegenstandes (to onoma dēloma tu pragmatos) sind die, die den Dingen gleichen (homoios tois pragmasin) – wobei homoios nicht ikonisch, sondern symbolisch, wie »passend« oder »praktisch angemessen« zu verstehen ist. Resümieren wir. Manche Dingverhältnisse basieren auf Handlungen, die eigenen Regeln folgen. Handlungsdinge – und alle Dinge sind gewissermaßen als Handlungsdinge fassbar – sind geformt nach Handlungsart. Ihre Namen (onomata) geben Auskunft über ihre Verhältnisse (pragmata), die praktische Verhältnisse sind (praxeis). Operativ verstanden sprechen die Dinge selbst von den Unternehmungen, der Geschichte, die notwendig war und ist, sie zu verstehen und zu bezeichnen. Worte bezeichnen Dinge und Dinggenealogien, im besten Fall ihr Wesen treffend (usia). Und »Worte machen« bedeutet ebenfalls, dass gehandelt wird. Doch scheint dieses Handeln nicht unmittelbar den Handlungen vergleichbar, die besondere Worte nahelegen – wie »Gerechtigkeit« etwa besagt, dass jemand gerecht ist in seinen Handlungen. Die Sprechhandlungen, die allgemein mit dem Wortemachen selbst verbunden sind, schieben sich zwischen den unmittelbaren Handlungs- und Verhaltensraum und das Reich der Ideen und überformen beide mit einem Zeichenraum. Zunächst nämlich erzeugen Worte, die dem Wesen der Sache (differenzierter, unter epistemischem Betracht, der Idee und dem Eidos) folgen, »Benennungen«. Dies sind besondere ›Pragmata‹ in der Handlungssphäre Sprache, die sich auf dem Weg inhaltlich differenzierter Bedeutungen wieder dem konkreten Spektrum des Handelns einordnen. »Gerechtigkeit« als Wort, Name, Begriff, Kategorie, gehört den »Benennungen« an, deren Praxis es ist, Kommunikation zu ermöglichen. Als Qualifikation eines Bündels von inhaltlich konkreten Verhaltensweisen und Anstrengungen mit der Bedeutung,
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stets das Beste für sich und die Stadt zu tun, gehört »Gerechtigkeit« in die Familie bestimmter ›politischer‹ Handlungen. Mit einer Codierung jenseits der Reproduktion oder der Gewohnheiten tauchen demnach Zeichen auf, die symbolisch operieren. Natürlich, gewohnheitsmäßig benutzt, kann man sie nutzen wie Muster, Bilder oder anderes Nachahmende (wie umgekehrt deshalb die ›nachahmenden‹ Bilder, Töne etc. auch nach ungewohnten Usancen operativ, gewissermaßen ›begrifflich‹ in die ›Forschung‹ mit einbezogen werden können, wie man an der Diagrammatik studieren kann). In einer topologischen Anordnung fänden wir den Zeichenraum der Sprache in der Mitte, zwischen Handlungs- und Ideenraum. Zeichen- oder Sprachhandeln und Handeln konkreter Art können deshalb nicht ontologisch neutral reklamiert werden. Denn dass bestimmte Dinge, wie es scheinen möchte, gewissermaßen an der Sprache vorbei unmittelbar auf den Handlungsprozess, dem sie ihre Erzeugung verdanken, bezogen werden können, ist undenkbar. Indes gibt es unterschiedliche Modalitäten des SichBeziehens oder ›Darauf-Zeigens‹. Freilich müssen diese Modi miteinander vermittelt werden, sonst gäbe es vielleicht etwas für unsere Sinne, was wir indes nicht verstünden. Also ist es nützlich, einen eigenen Kosmos der Vermittlung, der »Drittheit«, zu haben, worin Zeichen (zumindest eines Teils der Zeichen) Dinge (Objekte) sind und (Zeichen-)Handlungen, gespannt zwischen die Konzepte der Dingverhältnisse und die Spontaneität des Tuns. Der Zeichen wegen können oder müssen die Worte den Dingen nicht ähnlich sein. Zeichen stellen dar durch Differenz, Objekt und repräsentiertem Objekt.62 Soweit die Konzepte als Ideen63 nicht veränderbar sind, gilt der Unterschied, dass durch Gebrauch festgelegte Zeichen, die konzeptuellen und konventionellen Regelungen unterliegen, in gewissen Grenzen beeinflussbar sind. Ohnehin relativ frei ist der praktische Umgang mit den Sprachzeichen, wenn sie beim Sprechen benutzt und arrangiert werden. Über die Bindung zwischen Wort und Gegenstand bedarf es auf Verständigungs- und qua Voraussetzung auf Handlungsebene wie auch immer der »Verabredung« (syntēkē), der »Übereinkunft« (homologia) und der »Gewohnheit« (ethos).64 Das heißt, es bedarf einer Gewöhnung daran, verabredet zu sein und dieser Verabredung im und über den Zeichengebrauch vertrauen zu dürfen. Es gibt nicht nur, und es braucht nicht nur neue Projekte, neue Inszenierungen und Szenografien. Denn was im Sinn getroffener Vereinbarung wiederholt geübt und zur Gewohnheit geworden ist, ist zugleich eine Art verlässlicher Verabredung mit sich selbst. Sie gehört wie ihre Überprüfung und, wenn nötig, Veränderung mit zum Ethos. Auf dem Boden gelungener Kommunikation bin ich bereit, bei einer gelingenden Praxis, sie bestimmenden Situationen und Szenen zu bleiben. Diese Beständigkeit beinhaltet und zeigt nicht nur Vertrauen auf Fremdes, sondern auch auf Eigenes: Selbstgewissheit. Über die Zeit hinweg wird man besser wissen, was gemeint, was passende Hinsicht ist, was Unterschied sein soll. Denn die Gewohnheit wird etwas »beitragen zur Kundwerdung der Gedanken, indem wir sprechen«, sie hat selbst die Tendenz zur Gewohnheitsveränderung.65 Denn es »ist nicht richtig zu sagen, dass in der Gleichheit (homoiotēta) die Darstellung liege, sondern im Ethos, müßte man sagen«. Denn das Ethos »offenbart durch Gleiches (homoiō) wie durch Ungleiches (anomoiō)«. Als wiederholte Praxis schaffen Gewohnheiten Identität und Kontinuität, Grundlage jeder Verbindung, die Wort und Gegenstand eingehen. Nur so lassen sich die Wörter an die Welt binden. Nur so funktionieren Verständnis und Kommunikation überhaupt und auf Dauer. Nur so kann garantiert werden, dass es einen Zuwachs an Wissen und Sittlichkeit geben kann. Denn die wiederholte Praxis, in der immer wieder Überzeugungen in Verhaltensgewohnheiten eingehen,
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die sich, zu konkreten Handlungen geformt, an der Realität zu messen haben, führt notgedrungen zur Gewohnheit, neue Verhaltensgewohnheiten mit ins Spiel zu nehmen. Sokrates entwirft ein symmetrisches Feld der Bedeutung und des Miteinanders in Denken und Handeln, das er Ethos nennt. Dieser kommunikative Aspekt verweist auf jenen naturalistischen66, auf die »gewisse Richtigkeit« (orthotēs) der Wörter »von Natur aus«. Die Natur der Wörter ist es, sozial zu sein; dass er dies vergisst, macht Achill Agamemnon zum Vorwurf. Dass es nicht jeder versteht, einem Ding einen Namen beizulegen, liegt daran, dass nicht jeder den Kontext gewisser Richtigkeit durchschaut, auch nicht genügend Übung für sich in Anspruch nehmen kann. Nicht jeder kennt die Regeln, die den Gebrauch der Wörter leiten, hat die Kompetenz, Dinge und anderes Seiendes zu benennen. Wer die Regel kennt, ist nicht per se ein guter Spieler. Und von den Dingen aus gesehen, den Spielsteinen, den Umständen, ist, umgekehrt, nicht jeder mit ihrer Funktion im Spiel, ihrem Verweisungs- oder Zeichencharakter, mit der ihnen eingeschriebenen Information, die dem Regelwerk von »Übereinkunft und Verabredung« folgt, vertraut. Das muss man »einräumen« »bei Bestimmung der Richtigkeit der Wörter«. ›Das Leben der Zeichen‹ (Peirce)
Seit Platon ist »unter Logikern allgemein anerkannt, dass die Untersuchung der Theorie der Definition und die der Theorie der logischen Unterteilung [...] Hand in Hand gehen müssen«. Damit zusammen hängt, was man die »Syntax des Denkens« nennen könnte. Eine besondere Rolle hierbei spielt die »Logik der Relative«. Es geht um die Herstellung von Bedeutung mit Mitteln von Sätzen (propositions) und Aussagen (assertions), und da im Prozess des ›Redens und Benennens‹ nicht nur ›Dinguniversalien‹ eine Rolle spielen, geht es nicht nur um Operationen, »die man mit den Worten, ›die (der, das) ist‹, ausdrücken kann«, sondern um die in solchen Sätzen oder Ausdrücken gefassten Beziehungen. Wenn man, ein Standardbeispiel Peircens, »Liebhaber« sagt, spricht mit einen Relativterm, der besagt, dass es sich um einen »Liebhaber von jemandem oder etwas« handelt, irgendeines unspezifischen Einzeldings, »das die Tatsachen erfordern«. Neben der »generischen« Verknüpfung mit Einzeldingen bleibt das »Dictum de omni«, die Verknüpfung mit ›Alldingen‹ oder ›Vieldingen‹, bestehen. »Liebhaber, relativ zu allen, allem oder jedem«, kann nämlich nicht in Einzeldinge aufgelöst werden. Vergleichbar steht es um »Liebhaber, relativ zu manchem oder einigem«.67 – Der Fall ist nicht zuletzt von Interesse, da er die Relation der Ähnlichkeit miteinschließt, etwa in der Diktion:... »relativ zu manchem dieser Art«. Peirce realisiert seine Einsichten im Kontext der Entwürfe zum Logikbuch der Jahre 1909/1910 unter anderem an der aristotelischen Analytik. Längst vorher schon (wie er 1907 berichtet68) war er unter dem Eindruck einer jahrelangen intensiven Befassung mit der Kant´schen ersten Kritik und, von dorther inspiriert, durch das Studium Lockes, Berkeleys und Humes und auch mittelalterlicher Denker, vor allem des Duns Scotus und Ockhams, zu ähnlichen Schlussfolgerungen für die Semiotik oder die »Definition« der Zeichen gelangt.69 Es heißt, dass die Konsequenzen der Definitionen, die, wie schon Sokrates wusste, »mittels Induktion zu überprüfen sind«.70 Peircens Ableitung der Kategorien kommt bekanntlich zu dem wesentlichen Ergebnis, »dass es nur drei elementare Formen der Prädikation oder Bezeichnung (signification) gibt«. »[U]rsprünglich« waren sie als »bloße Qualitäten, [...] , Relationen und [...] Darstellungen« bezeichnet. Verständlich gemacht, erscheinen sie ergänzt
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zwischen 1907 und 1910 als »bloße Qualitäten, [des Gefühls,] [dyadische] Relationen und [Prädikationen von] Darstellungen«.71 Die drei elementaren Kategorien legen eine differenzierte Betrachtung des Bedeutungsbegriffs nahe, da er zu simpel erscheint. An seine Stelle treten unterschiedliche Formen von »Interpretanten«: Emotionale, Energetische und Logische Interpretanten. Im Kategorienbezug zu »Erstheit« (bloße Qualität), »Zweitheit« (dyadische Relation) und Drittheit (Darstellungsaussagen) bestehen sie aus Gefühlen, Anstrengungen oder Handlungen und Gewohnheitsveränderungen. Dass Allgemeinbegriffe wie Substantive oder Adjektive das ›Reden und Benennen‹ qua Zeichenhandlung in ›Signifikation‹ (Bedeutung) und Benennung (›Signifizierung‹) unterscheiden, ist seit der Scholastik bekannt. Was der Term »bedeutet«, ist das, »was er seinem Wesen nach bedeutet«, »während was zu benennen intendiert ist, nicht vom Term aus selbst festgestellt werden kann, sondern durch Bobachtung des Kontextes oder anderer damit verbundener Umstände der Äußerung«. Da alle Zeichen eine geistige Wirkung hervorbringen: Bedeutungen oder, differenziert, drei Typen von Interpretanten, könne diese Differenzierung, so Peirce, für alle Zeichen verallgemeinert werden. Das »Objekt« des Zeichens ist mit dieser geistigen Wirkung, die den Interpretanten so oder so bestimmt, indes noch nicht »konstituier[t]«. Denn damit »irgendein Ding ein wirkliches Zeichen sein kann, muß seine eigentliche bedeutungstragende geistige Wirkung durch ein anderes Objekt vermittelt werden, auf das hinzuwirken das Zeichen bestrebt ist und das durch diese Vermittlung die Finalursache (ultimate cause) der geistigen Wirkung ist.« Zwar sind derartige Dinge oder Ereignisse, die als causa efficiens wirken können, eigentlich nur aus Beobachtung bekannt, wir erinnern an Kant. Aber da diese Beobachtung nicht Teil der geistigen Wirkung sein kann, kann sie sie nur irgendwie »begleiten«. Allerdings kann das Zeichen eine angebrachte, objektgerechte Form der Beobachtung »beschreiben oder sogar anzeigen, wie das richtige Objekt erkannt werden kann«. Jedenfalls ist die »Bedeutung des Zeichens [...] nicht übermittelt, bis nicht nur der Interpretant, sondern auch dieses Objekt erkannt ist.« Vollständige »Realisierung« von der Bedeutung erfordert tatsächliche, direkte oder indirekte Beobachtung des Objekts, nahezu ein Ding der Unmöglichkeit. Eine »weitgehende Annäherung« ist indes möglich dadurch, daß man sich die Beobachtung vorstellt«, Vorstellungs- statt Beobachtungszeichen bildet. Ist das Zeichen »fiktiv« und kein Wahrnehmungszeichen, ist es »die bloße Erscheinung (semblance) eines Zeichens«. Ist das Zeichen dagegen nur in verschiedenen Hinsichten fiktiv, »finden die Bedingungen eines wirklichen Zeichens in abgemilderter Form Anwendung«.72 Das heißt, das Objekt verbleibt im Status seiner Interpretation durch Deutung von Zeichen durch weitere Zeichen (Interpretantenwirkungen). Dass sich die Objekthinsichten unterscheiden müssen, wird an der zitierten Stelle angedeutet. Schon in den Prolegomena wird deutlich, dass sich das »Unmittelbare Objekt, welches das Objekt ist, wie es das Zeichen selbst darstellt«, unterscheidet vom »Dynamischen Objekt«, »das die Realität ist, die Mittel und Wege findet, das Zeichen zu bestimmen, ihre Darstellung zu sein«, freilich nur vorläufig und deshalb nicht selbst anders als durch Bedeutenlassen und Bedeutungen erkennbar, das heißt durch Anzeichen.73 Das dynamische Objekt kann nur indiziert werden und den Erfahrungen und Kompetenzen (collateral experience) eines Zeichennutzers anheimstellen, wie weit die Indizierung trägt, was vom Unmittelbaren Objekt in Erfahrung zu bringen ist.74 Anstelle eines naturalistisch gedachten Objekts steht eine Objekthinsicht, die ihrerseits zur Disposition steht. Die objektbeschreibende Funktion des Zeichens ist die Bedingung für seine Wirkung
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als wirkliches Zeichen, als wirklich benennend und nicht nur ›an sich‹ (»eigentlich«) bedeutungstragend, wie es vielleicht ›geistig‹ im individuellen oder kollektiven Sinne beabsichtigt ist. Also entfalten sich die ›Zeichendinge‹ objektorientiert in drei verschiedenen Wirkungshinsichten. Das Zeichen arbeitet entweder ikonisch oder indexikalisch oder symbolisch »durch sein Objekt bestimmt [...], indem es [...] an den Eigenschaften des Objekts teilhat, [...] indem es wirklich und in seiner individuellen Existenz mit dem individuellen Objekt verbunden ist, [...] indem es mit größerer oder geringerer annähernden Gewißheit so interpretiert wird, daß es das Objekt in Folge einer Gewohnheit ([...] [was –HW] gewöhnliche Dispositionen mit einschließt) denotiert«.
›Objektbestimmt‹ heißt qua Voraussetzung ›zeichenbestimmt im Sinne fortlaufender Interpretantenwirkung‹. Ununterbrochen befeuert die Semiose sich selbst. Dies demonstriert, dass sie zum realen Raum-Zeit-Universum in den Grenzen unserer Anschauungen gehört. ›Zeichenbestimmt‹ die Zeichenkörper selbst betrachtet, zeigen sich die Zeichen in Kongruenz zu den kategorienorientierten Bedeutungs- oder Interpretantenhinsichten. Je nachdem, ob es sich um »eine bloße Qualität, ein aktual Existierendes oder ein allgemeines Gesetz« handelt, wird deshalb »Qualizeichen«, »Sinzeichen« und »Legizeichen in »tone«, »token« und »type« geschieden.75 Unmittelbarkeit und Dynamik sind verständlicherweise ebenso relevant als ›Zustände‹ der Interpretanten. Zwar ordnet Peirce Emotionalem, Energetischem und Logischem Interpretanten Gefühl, Handlung und Vermittlung (Gewohnheit und Gewohnheitsveränderungen) zu. Doch lassen sie sich unterscheiden qua Unmittelbarkeit Dynamik, letztlich Finalität. Entsprechend sind mögliche von aktiven Gefühlsqualitäten zu unterscheiden (Unmittelbare von Dynamischen Emotionalen Interpretanten), Vorstellungen von energetischer Wirkung beziehungsweise Anstrengung oder Handlungen von tatsächlichen Handlungen (Unmittelbare von Dynamischen Energetischen Interpretanten), schließlich Vorstellungen einer Zeichenbedeutung von arbeitendem Zeichen oder (und nur hier existiert auf der Achse von Unmittelbarkeit und Dynamik auch ein finaler Zustand) vorgestellt verallgemeinerbare von in der Zweitheit faktisch wirkenden, anderen und neuen Bedeutungen, von verstandenen und verallgemeinerbaren Zeichenbedeutungen aufgrund von Gewohnheitsveränderungen (Unmittelbare, von Dynamischen von Logischen Finalen Interpretanten; was impliziert, dass die ›Zustände‹ hier nur theoretisch, logisch zu differenzieren sind). »Bedeutung« ist nicht von Bedeutenlassen, Wirkungserzeugung und dem Umgang mit den Effekten zu trennen. Entsprechend unterscheiden sich, sozusagen, die Aggregatzustände unserer Gefühls-, (Bewusstseins-,) Handlungs- und Episteme-Universen. So können im »›Leben‹ der Zeichen« »[d]rei Zeichen sich auf dieselben anderweitig erfahrenen Objekte in derselben Relation zueinander befindlich beziehen und können doch von ihrem Interpreten so aufgefaßt werden, daß sie von ganz unterschiedlicher Wichtigkeit sind. Der Unterschied besteht darin, daß eines der drei (das ich Nominale Beschreibung nennen werde) lediglich ein bestimmtes Bild oder vielmehr dasselbe Schema im Geist des Interpreten hervorruft, während das zweite, ein ›Satz‹, eine Art von hypnotisierendem Kommando vollzieht, entweder etwas zu tun, indem man eine Anstrengung vollbringt, oder ansonsten eine Überzeugung zu akzeptieren, wobei es sich in jedem Fall weitaus deutlicher als die Nominale Beschreibung an einzelne Personen wendet. Das dritte Zeichen, das ich Schließen nenne, appelliert an jedes rationale Wesen, das fähig ist, die Situation zu erfassen, selbst zu denken und sich, jedes
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von ihnen für sich selbst, zu vergewissern, daß sie alle der Wahrheit der Zeichen beipflichten werden.«76
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› anzeichen ‹:
indizien-verfolgung
Oben wurde die Relevanz der ikonischen Wirkung im Kontext des Bedeutenlassens auf Grundlage diagrammatischer oder diagrammatisierbarer Entwürfe herausgestellt. In den Prolegomena zu einer Apologie des Pragmatizismus bekräftigt Peirce, dass »Ikone für das Schlußfolgern besonders erforderlich sind«. Der Grund ist, dass sich gerade diese Art, mittels Zeichen ein Objekt darzustellen, »hauptsächlich mit Formen beschäftigen [muss], welche die hauptsächlichen Formen des Erkennens sind«. Eine Schlussfolgerung hat nämlich ihre Konklusion »offensichtlich« zu machen. Wenn also »ein Diagramm [...] hauptsächlich ein Ikon« ist, dann ist ein Diagramm »ein Ikon intelligibler Relationen«. Vermag Diagrammatisierung ein Beziehungsgeflecht formal darzustellen, heißt dies, dass die Strukturen der Beziehungen transparent werden: Die »Form des Ikons, die auch sein Objekt ist«, gibt deshalb die »Sicherheit«, dass, »was sich dem Blick des Geistes darbietet, [...], logisch möglich sein muß«. Das ist eine Menge. Doch steht das Ikon überhaupt nicht wie der Index für »dieses oder jenes existierende Ding«. Dies allerdings betrifft gerade die Frage des Inszenierungszweiflers: Welche der qua Zeichenwirkung dargebotenen Dinge gehören zu den existierenden Dingen? Vom Ikon gilt, dass sein »Objekt [...]«, »was seine Existenz angeht, eine reine Fiktion sein« kann. Ein »Ding«, wie wir ihm »üblicherweise begegnen«, ist hier nicht präsent. Der insistierende Inszenierungsskeptiker aber möchte Gewissheit haben, was Fiktion, was Tatsache, was Darstellung, was ein Ding ist. Wenn dementgegen »Indizes unbedingte Sicherheit für die Nähe und Sicherheit ihrer Objekte« gewährleisten, sollten wir uns mit den Indizien beschäftigen. Die Interpretantenunterscheidung, allerdings, nicht anders die der Zeicheneffekte, lässt uns allerdings schon an dieser Stelle das Ergebnis ahnen, wie die Indikatorenprüfung ausgehen wird: dass selbst »mit dieser Sicherheit [...] keine Einsicht in die Natur der Objekte verbunden« ist. Das sollte nicht davon abhalten, sie zu versuchen. Die der Ikonizität war aufschlussreich. Ähnliches sollten wir erwarten von einer Untersuchung der Anzeichen. Was die wirklichen, die dynamischen Objekte angeht, haben wir ohnehin keine anderen Aussichten, als sie indiziert zu bekommen. Außerdem führt der Weg am Ende dieser Prüfung keineswegs in die Aporie. Denn, wie gehört, »[d]asselbe Wahrnehmbare kann [...] doppelt als ein Zeichen fungieren.«77
Szenische Verkettung und Diskursanschlüsse: ›Szenarien‹ Versuchen wir den Anschluss. Gewisse Anzeichen im Spielraum der Inszenierung könnten veranlassen, ein hier fokussiertes Ereignis anders denn avisiert oder gemeinhin konsumiert zu beurteilen. Was im Medienauftritt unter »Politik« verkauft wird, kann, naheliegend, auch unter »Medien« oder »Kunst und Unterhaltung« firmieren oder ventiliert werden, unter »Gesellschaft« oder »Wirtschaft« oder einer anderen Überschrift. Die Etikettierung könnte sich offensichtlichen oder auch versteckten Inhalten, Gestaltungs- oder Performancemerkmalen verdanken. So sehr sich Effekte erschöpfen: Die technische Leistung eines Medieneffekts lässt sich immer auch als seiner energetischen ›Ladung‹ oder seiner Produktivität geschuldet verstehen. Im Effekt, in der Konsequenz dessen, was praktisch geschafft und geschaffen wird, werden im Ablauf
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des Spiels demnach zwar ›Entladungen‹, sich wandelnde Formen von Aktion und Reaktion sichtbar. Doch verweist gerade diese Dynamik auf den ›geladenen‹ Zustand, die Produktivkraft am Grunde von Szenifikation und Inszenierung. Lassen sich hierhin oder dorthin verweisende Indizes mittels Recherche ausmachen und ist zu präzisieren, welchen ›Objekten‹, Dingzusammenhängen also sie gelten könnte, hat man womöglich Hinweise dafür in der Hand auf den nicht gegenwärtigen Kontext eines Diskursanschlusses, um der Beurteilung des Ganzen eine breitere Basis zu legen.78 Das damit sich einstellende Verständnis wiederum könnte zur praktischen Intervention führen, sie zu rechtfertigen. Unter Umständen würde das Verfahren die Herkunftsszene sprengen. Doch sind Szenen ohnehin keine stabilen Entitäten, sondern, abgesehen von ihrer Ereignishaftigkeit, wahrnehmungs- und beschreibungsrelativ. Die ganze Veranstaltung ist experimenteller Natur. Man kann Vermutungen anstellen und Versuche machen. Den Indizien nachzuspüren heißt, wie gesagt, neue Szenarien und Szenifikationsgelegenheiten aufzustoßen. Ein szenisches Projekt ist auf diese Weise immer auf Anschluss und Übergang, Wechsel angelegt, in Kontinuität oder Diskontinuität fortschreitend, sich mehr oder weniger konsistent oder inkonsistent erweisend. Dass ein solcher Anschluss dem Diskursanschluss höchstens zu vergleichen ist, unterstreicht, dass »Anschluss« nicht »Diskursanschluss« heißen muss. Zu fragen nach dem, was auf diese Weise »machbar« wäre, heißt, Auskunft zu verlangen darüber, was schwerlich erreichbar sein dürfte. »Transparenz durch Verfahren« etwa könnte dazugehören. Doch kann »Transparenz« dann nicht mehr versprechen, als dass Verfahrensregelung und Verfahrensbedingungen offensichtlich sind und einsehbar bleiben. In der gewöhnlichen Szenifikation, der die Aufmerksamkeit eines szenografischen Gestaltungsaufrisses nicht zuteil wird, ist dies gemeinhin der Fall. Oder es stört nicht, dass es nur angenommen und nicht problematisiert wird. Die Erfüllungsbedingungen lauten jedenfalls, dass niemand im Spiel sich anschickt, bewährte Regeln oder Ausführungsbestimmungen unter der Hand zu verändern. Sollten Änderungen gewünscht sein, wären diese nur, wenn allen vorgelegt und zugängig und von allen verstanden, verhandelbar. Tatsächlich vorgenommene Revisionen wiederum müssten allen Beteiligten bekannt gemacht werden. Die in den Regeln zum Ausdruck kommende Normierung ist konventionell und im Zweifel auf dieser Basis praktisch einklagbar. Ob mit Erfolg, steht auf einem anderen Blatt. Denn für eventuell vorgängige Inszenierungen gelten im Unterschied dazu die Bedingungen der Inszenierungspolitik je nach strategischer Option. Zumindest für die im Effekt nicht trügerische Inszenierung würden für Veränderungen daran im Spiel dieselben Kriterien gelten wie für die alltägliche vertrauenswürdige Szenifikation. Herrscht indes ein strenges Regiment szenografischer Direktive, dürften spontane Veränderungen aus dem Geschehen heraus, allemal Strategiewechsel, selten zu erleben sein. Ein Symphonieorchester ist keine Balint-Gruppe. Mithin fände sich in der Erfüllung oder Nichterfüllung der genannten Kriterien ein starker Indikator zur Beurteilung von Szenifikations- und Inszenierungszwecken durch beteiligte Akteure, Agenzien und Medien.79 Dass es, abgesehen davon, zu einer Wahrheitsbehauptung kommen könnte, die ihre Legitimation durch Berufung auf die Wahrheit der Szenografie betreibt (als Wahrheit, sozusagen, einer ›inszenatorischen Szenifikation‹), ist, wie gesagt, ausgeschlossen. Wovon die Rede wäre, handelte von etwas anderem, einem schon Gesagten. Es kann nur hypothetisch Verwendung finden. Indes werden die mit den Erfüllungsbedingungen verbundenen Phänomene des Umgangs, Austauschs und Streits mit Hilfe von
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Beurteilung nichtsdestotrotz erst mit der Zeit deutlicher hervortreten: positiv oder negativ, zumindest in ihrer voneinander abweichenden ästhetischen Qualität und hinsichtlich der Effektproduktivität mit dieser oder jener performance. Inhaltsbezogene Indizes deuteten auf ebenfalls zu erwartende Formcharakteristika hin. Werden die genannten Bedingungen dafür, was szenifikatorisch und inszenatorisch offene Performanzverhältnisse anzeigt, erfüllt, wird das Vermittlungsverfahren zum Indikator. Hinterlässt es einen positiven Eindruck, dürften auch die Botschaften nicht mehr außerhalb jeder Reichweite der aktuell Beteiligten und daher weniger abstrakt oder formelhaft erscheinen als im Fall einer hinterlistig ›inszenierten‹, am Ende vielleicht trügerischen Darbietung. Da medial weniger opak als durchscheinend, dürfte die wahrnehmbare Szene einer »wahrhaftigen Inszenierung« derart für Akteure wie Betrachter auch »wahrhaftiger« wirken, zumindest so lange sie dauert. – Wohlgemerkt beschreibt dies ein mögliches Szenario im Austausch von Auftritt und Diskurs eines insistierenden Szenenforschers, nicht die berechtigten Erwartungen an einzelne Szenifikationen oder Inszenierungen.80
Kunst des Verfahrens: Kriterien Die Rede von der »Legitimation durch Verfahren« artikuliert trotz allem das Dilemma, etwas über die Form der Präsentation der Dinge und Dingzusammenhänge, aber nicht über sie selbst aussagen zu können. Mit ihnen zu verfahren oder sie ›verfahren‹81 zu sehen hieße – unterstellt, es führte zu einem Beweis von Funktionalität und kreativer Interventionspotenz –, dies als »Kunst« zu verstehen. Aus »Legitimation durch Verfahren« würde »Legitimation durch die Kunst des Verfahrens«. Auf den ersten Blick könnte dies ›rechtfertigungskompatibler‹ erscheinen, insofern es eine bestimmte Qualität des Verfahrens erfordert, wenn es legitimieren können soll. Die Frage wäre indes auch hier, woran feststellen, ob die vorliegende Operation als Kunst zu werten ist? Hilfreich könnte sein, den Kriterien zu folgen, die nicht die Künste im Allgemeinen, sondern die Schönen Künste erfüllen, wenn sie als Kunst gelten. Bei ihnen wird die Einschränkung auf ästhetische Wirkung schließlich begrifflich vorausgesetzt. Das genannte Dilemma wäre zu bewältigen. Würde man hier dem Auftritt folgen, würde man jedenfalls nicht nur etwas über die Form der Vergegenwärtigung der Dinge gewahr, sondern auch über sie selbst, da sie doch als Kunstdinge ihre ›Substanz‹ in der Präsentation und der Präsenz von Ausdruck und Gestalt offenbaren. Denn was »die Kunst« betrifft, gilt schließlich die Auffassung keineswegs als abwegig, dass hier der Schein der Kunst zwar wirke, doch alle Inszenierung, wenn überhaupt vorhanden, gänzlich durchsichtig sei. Alle »Wahrheit des Werks«, präsentiert oder aufgeführt, wäre somit allein in seiner szenischen Performanz gegenwärtig. Nur hier könnte sie übermittelt und erfahren werden. Zwischen Illusionierung und Anwesenheit des Gegenstands, des Werks, passt, so die Ideologie, kein Blatt. Gewisserweise wird zum Kriterium erhoben, dass es sich dann um Kunst handelt, wenn, was an einem Werk sie anzeigt – die Indexikalität des Kunstwerks – mit seiner gesamten Existenz, mit seiner gesamten Präsenz im Raum identisch sei. Das müsste es auch. Denn erst dies hieße: in der Fülle ihrer Bedeutung. Mit ihrer Anzeige allein hätte sie sicher nicht genug.
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Positive & negative Abduktion Die Hypothese setzt zwei Varianten abduktiver Schlussfolgerung voraus, eine positive und eine negative. Positiv abduktiv wäre sicher der Schluss aus herausgegriffenem markanten Detail oder Charakteristikum (Index) und hypothetischem Ganzen eines Objekts (der antizipierten Objektbedeutung) auf das in Frage stehende Objekt als Kunstwerk. Wird das hypothetisch erwogene Objekt versuchsweise herangezogen und machen die indizierenden Details, darin eingepasst, Sinn wie fehlende Stücke im Gesamt eines teilweise schon zusammengesetzten, aber noch unvollständigen Puzzles (der ikonischen Präsenz), dann wäre der Index in zu rechtfertigender Weise interpretiert und ein akzeptables passendes Objekt ermittelt. Doch ließe sich der abduktive Schluss genauso gut aus der Sicht einer quasi negativen Operation bewerkstelligen. Angenommen, alles sich als Index Anbietende wäre schon, was einem darin sich Anzeigenden qua Vorstellung eines mit dem Zeichen Konfrontierten zukommen sollte, dann wäre der Schluss schon erfüllt, ohne dass mehr als das Vorhandene vorgestellt werden müsste, um den Schluss wahr zu machen. Im Blick der Präsenz wäre er damit überflüssig. Freilich beinhaltet dies eine theoretische Beschreibung evidenter Empfindungsleistungen und spontanen Begreifens, zudem in den szenischen Grenzen und Möglichkeiten des Mustererkennens. 2
inszenierungssequenzen: wissenschaft & künste – medien & kommerz
Von der Indexikalität der Inszenierung zu reden ist so notwendig wie von der Ikonizität der gestalterischen Wirkung. Denn Indizes helfen, sie zu identifizieren, und sei es anhand der Rahmung. Ein Objekt, um es von dorther zu sagen, vermag jemandem mittels Rahmung vom Gerahmten Mitteilung zu machen. Zu trennen wären indes offene von geschlossenen Darbietungen (Inszenierungen). Indexikalisch betrachtet, liefe der Unterschied darauf hinaus, dass die offene Anzeige bei fortschreitender Aufdeckung des Objekts Bestätigung und Sinnzuwachs erführe. Bei der geschlossenen Darbietung wäre, was womöglich sich indiziert zeigte, nicht weitergehend zur reiferen Bedeutung des mutmaßlich angezeigten Objekts zu vervollständigen, sei es aufgrund von Blockade, sei es aufgrund von Musterinterferenzen. Indes ist nicht zu garantieren, ja gar nicht zu erwarten, dass die Medialisierung selbst den fixierten Formatierungsprozeduren und fixen Formaten einschlägiger Genres folgt. Ihre Brennelemente liegen nicht bei diesen oder jene Wissenschaften, dieser oder jener Kunst, dieser oder jener Politik. Was sie anfeuert, muss vielmehr vom selben Stoff sein, reale Tauschwertqualitäten besitzen, alles in alles ›vermitteln‹, zum Auftritt bewegen können. Verschiebungs- oder Übertragungsgebiete sind demnach nicht in Anwendungsgenres, sondern nur in entsprechenden empirischen Medienuniversalien zu fassen: der Zeichen und des Geldes, der Daten und der Werte. Wird also nach der Qualität bestimmter Inszenierungen gefragt und entfernt man sich dabei vom realen szenischen Kontext in die Verallgemeinerung eines kulturellen Inszenierungstyps mit spezifischer Aufgabenstellung, muss man gewärtigen, dass sich Verschiebungen der ›medialen Charaktere‹ einstellen oder schon impliziert sind. Diesen Tauschwerteigenschaften der Mediengestalt gegenüber kann sich die typologische Fixierung nur mehr theoretisch einstellen mit den entsprechenden Konsequenzen ihres eigenen Tauschwerts. Eine Tatsache, die man professionellen Szenografen nicht sagen muss, damit sie sie beherzigen. Die Weiterungen dessen liegen allerdings auch auf der Hand. Kaum mehr wird man
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kriterial nach offenen, geschlossenen oder aufschließbaren Inszenierungen unterscheiden können, wird im Zweifel einsehen müssen, dass das Problem allein in der Praxis zu behandeln ist. Dies, ist zu befürchten, gilt auch für die Wissenschaften. Im Theoriekontext freilich lässt sich das Problem immerhin beschreiben.
Aufschließbare, verschobene & geschlossene Inszenierungen. Medium Wissenschaft Wie es notwendig ist, von der Ikonizität gestalterischer Wirkung zu reden, so notwendig ist es, von der Indexikalität ihrer Rahmung zu sprechen, insbesondere im Unterschied von tendenziell offener bzw. geschlossener Inszenierung. Der Asymmetrie der offen zu gestaltenden bzw. aufzuschließenden Inszenierung hat nichts mit den idealerweise symmetrisch vorzustellenden Verhältnissen einer von vornherein offenen Inszenierung zu tun. Tatsächlich handelt es sich bei der offenen Inszenierung um ein Idealbild der Übereinstimmung von Manifestation und Invention in der Präsentation, für beide Seiten der Beteiligten, Produzenten oder Anbieter, Konsumenten oder Publikum. Beide konstatieren die Übereinstimmung von Erwartung und Geschehen. Dabei muss man also nicht in erster Linie nur an wissenschaftliche Entwurfs- und Darstellungsprozesse denken. Das Prädikat »inszeniert« dürfte gemäß dem bisher entwickelten Verständnis des Begriffs nur positiv ästhetisch verwendet werden. Denn im Reich der offenen Inszenierung wäre der Selbstverpflichtung aller Beteiligten auf Wahrhaftigkeit und Transparenz der Verfahren, sich ihrer zu vergewissern, faktisch Geltung verschafft. Die korrespondierende Erwartung, die Überzeugung, dass aus in Frage stehendem Erfindungs-, Forschungs- und Entwurfskontext alles Wesentliche darstellungsgerecht und wahrheitsgetreu übermittelt werde, dass begründeten Interventionen eines Zweifels gegebenenfalls ebenso begründet begegnet werde, dass Handlungskonsequenzen berechtigterweise gezogen werden könnten, all dies dürfte mithin als berechtigt anzunehmen wie gegeben gelten. In der Idealität einer solchen Szene gäbe es keinerlei unaufgeklärte Differenz zwischen Form und Inhalt, Wesen und Erscheinung und keine Veranlassung, den Vermittlungsprozess anders denn in der Gestalt seiner Vermitteltheit im Präsentationsformat zu beurteilen, eine solche Szene zu beschreiben.82 Betrachtet man den öffentlichen Auftritt wissenschaftlicher Forschung weniger idealistisch denn praktisch, wird man die Beteiligung der community of investigators am Prozess des »Mangelns« (Pickering) bei der Herausarbeitung valider Forschungsergebnisse und ihrer Exponierung für den Normalfall halten. Aber selbst die teilnehmende Beobachtung eines realen Forschungsprogramms von Beginn an bis hin zu seinem Abschluss dürfte letztlich keinerlei Evidenzen dafür beibringen, dass Aufdeckungsund Darstellungszusammenhang einander überhaupt bündig und transparent einbeschrieben werden könnten.83 Insofern zählt der wissenschaftliche Inszenierungskontext objektiv – subjektiv bestenfalls – zu den noch zu öffnenden Inszenierungsformen. Die Öffnung der Ergebnisse hinein in ihre Entwurfsgeschichte kann dabei geringere bis erhebliche Schwierigkeiten mit sich bringen. »Subjektiv bestenfalls« unterstreicht, dass es sich bei zahlreichen Forschungspräsentationen um beabsichtigt geschlossene Inszenierungen handelt. (Unterstellt werden hier Varianten des Modells (d) in Kombination mit (F).) In diesem Fall wird die Inszenierungsform, werden Literarisierung und Popularisierung den Auftritt dominieren. Der Zugang zur Genealogie von Narrativen und ihrer Dramaturgie – zu Konzepten, Plänen, Protokollen, Daten und Designs – dagegen bleibt unter Verschluss, was dort sich zugetragen hat, geht, wenn überhaupt, ein in die Geschichte. So mag es am Ende sein, dass der Forschungsauftritt selbst gar
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nicht mehr erkennbar als wissenschaftliche Demonstration gerät, sondern im Gewand eines passender erscheinenden Medienformats auftritt, als Aufsehen erheischende Nachricht etwa, als Produktwerbung oder Imagekampagne. Die anwendungsorientierte Forschung erscheint jetzt nur noch im günstigen Licht ihrer Erfolge, wofür jetzt entsprechende News, ein Produkt oder Geschichten über seine Effekte stehen. Zweifellos wären solchen Vorstellungen spezielle Szenografien zu unterstellen. Mit der hypothetischen Szenografie der Forschung selbst, die öffentlich, in genuinem Auftritt zu präsentieren nicht vorgesehen ist, ist die medial verschobene Auftragspräsentation nicht zu verwechseln. Jedenfalls sollte man es meinen. Beispiele für eine derartige Schließung oder Verschiebung der Inszenierung, sodass Fragen nach ihrem Beitrag zu stellen nicht zu den Angeboten der üblichen Performance gehört, verdanken sich verständlicherweise nicht selten investigativen, exemplarisch journalistischen Unternehmungen. Auch sie aber dürften in der Regel nicht von der medienspezifischen Inszenierungsform ihren Ausgang nehmen, gleichsam dem darin nahegelegten Verdacht einer unterschlagenen Vermittlung folgend. Meist, und dem eigenen journalistischen Interesse angemessener, führt der Weg über eine dramatische Geschichte, in der, ganz in der Logik der aristotelischen Poetik, der harmatia eine wesentliche Rolle zufällt. Ein Skandal ist entdeckt, ein Unglück passiert; das Publikum erlebt das Drama der Verirrungen und Verwirrungen bedeutender Akteure, Betroffener wie Verantwortlicher, deren Verwicklung in einen »Fall« – ein erneut inszeniertes Geschehen – es anteilnehmend begleitet. Erst unter diesen Umständen, im Format einschlägiger »Themenabende« oder »Reports« zu ebenso einschlägigen Skandalen, wird es der szenischen »Dokumentation« (Ausschnitten angestellter Recherche) möglich, einen fallspezifischen Zusammenhang von vordergründigem Medienauftritt und hintergründigem Konzeptualisierungs- und Entwurfsgeschehen vorzustellen. Hier dann mögen forschungs- und wissenschaftsrelevante Tatsachen ans Licht treten, die zu anderen Tatsachenbehauptungen (journalistischer oder werblicher Information, Produkt- und Verwendungserläuterungen, Expertenauskünften...) in Widerspruch stehen. Betroffen, bekanntlich, sind alle Bereiche, in denen die Verzahnung industriell und finanziell wirtschaftlicher, militärischer oder informationeller Komplexe mit ihren methodischen, wissenschaftlich mathematischen, technologischen und technischen Voraussetzungen in die Differenz solcher bedingenden Einflussgrößen gerät: die Differenz materieller, intellektueller und kommunikativer Produktion, Zirkulation und deren öffentlicher medialer Inszenierung. Denken wir, beispielsweise, an die industrielle Energiewirtschaft, die globale Rohstoffgewinnung und -verarbeitung, die globale Finanzökononie, den militärisch industriellen Komplex, die globalisierte Daten- und Netzindustrie und -wirtschaft, die weltweite Chemie- und Pharmaindustrie, die ebenso weltweit agierende industrielle Landwirtschaft oder die globalisierte Lebensmittelökonomie. Entsprechend der Dimension des Unternehmens steht es um das Politikum des Widerspruchs. Schaut man auf die Medienberichte des seriösen »Enthüllungsjournalismus«, könnte man meinen, dass es tatsächlich hier und da gelingen könnte, die Inszenierung von Wissenschaft und Forschung, deren szenografische Seite als solche nicht mehr erscheint, auch gegen den Willen ihrer Betreiber zu ›öffnen‹. Wie wenn man doch noch einen Zugang zu den Forschungssettings Dr. Bests und seinen Zahnbürsten-TomatenTests finden könnte. Genaueres Hinsehen wird weniger optimistisch stimmen und sich damit begnügen, das Gestell, Betrieb und Geschäft indiziert zu sehen. Dies würde
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immerhin erlauben, die Inszenierungsvermutung von vornherein zu äußern, um dafür dann auch möglicherweise szenisch szenifikatorische Anschlüsse zu schaffen. Denn darum geht es im aktuellen Kontext: auch außerhalb von Kunst, Gestaltung, Medien (im engeren Sinne) nach installativen Indikatoren Ausschau zu halten, die entgegen dem Anschein nicht existierender Inszenierung dennoch auf sie hinweisen. Kritischer dagegen wäre zu beurteilen, wenn mit moralischem Impetus eine Politik der Demaskierung propagiert würde, als ob Inszenierung außerhalb der künstlerisch kreativen Metiers mit derselben Professionalität bewerkstelligt werden würde wie dort. Doch weniger in Dingen der Professionalität als hinsichtlich einer Übereinstimmung in der Haltung setzte dies voraus, was nicht vorauszusetzen ist. Gleichgültigkeit gegen die eigene Inszenierung, jedenfalls in der Art wie sie der Diderot´sche Schauspieler an den Tag legt, wird man dem ambitionierten Szenografen nicht testieren können. Dies hängt zusammen mit den sehr eingeschränkten mimetischen Bedingungen der gewöhnlich entfalteten szenografischen Pläne und Entwürfe. Was sie aufführen möchten, lebt nur sehr selten vom Studium vergangener und gegenwärtiger Menschheits-Begebenheiten und -Schicksale, von Taten, Gefühlen und Affekten und den Mythen, die sie mit Leben erfüllen. Folglich wird es nicht zu ihren Zwecken gehören, solche Dramen konzentriert, in exemplarisch szenischer Verdichtung zur Aufführung zu bringen, immer wieder anders, immer wieder dieselben. Die angepeilten Szenografien der applied sciences wird man sich vielmehr befangen vorstellen müssen im Prozess des »Herausreißens«, von dem Dürer spricht, wenn er darüber nachdenkt, wie der Natur ihre Geheimnisse zu entlocken seien, befangen in der Auseinandersetzung mit der Physis und der sie nachahmenden Techne.84 Die »Risse«, die sie in der Realisierung ihrer Entwürfe hinterlassen, sind frisch, resultieren aus den technisch geprägten Praktiken des Forschens, Auffindens und Erfindens nur vermittels des Fügens. Deshalb wäre es unlogisch, ausgerechnet von ihnen an erster Stelle eine Präsentation des Gefügten zu erwarten, eine Vorstellung, die, ohne übermäßig falschen Schein zu erzeugen, ja ebenso die ›Fügung‹ vorausgegangener Schlachten und dort erworbener Verletzungen auf die Bühne bringen könnte. Es erhellt, dass auch die latent offene theatrale oder theatrische Inszenierung, wie sie typisch erscheint für Kunst oder Wissenschaft, nicht ohne Dissimulation auskommt. Im Gegenteil gehört es zur Logik der Inszenierung, die Vermittlungsarbeit der Gestaltung in mimetische Gestaltungsarbeit und ›vermittelte‹, doch originale Gestalt zu teilen. Techniken wie produktiver Aufwand des Unternehmens werden dabei zugunsten seines Resultats und der Wirkungen seiner Präsenz kaschiert. Dies gilt auch dann, wenn sich die Präsentationsabsicht auf die Szenografie, das Inszenierungskonzept selbst richten sollte und der dort betriebene Aufwand zur vermittelnden Gestaltung, zu »Artefakt«, »Werk«, »Ereignis« gerät. Da auch solcher »Entwurfsbereich« (Heidegger) performativer Routinen, Interaktionen, Auseinandersetzungen, kurz der Szenifikation bedarf, wird deutlich, dass sich trotz Verschiebung der Perspektive grundsätzlich derselbe Prozess wiederholt. Auch hier würde ein bestimmter Aufwand demnach abgeblendet bleiben. Dass generell aber für Entwurfsszenen vergleichbar präsentische Situationen vorauszusetzen sind wie für die von den Entwürfen in diesem Fall angezielten Manifestationen, ist einsichtig. Mithin wird die Kunst von der Verschiebung der Perspektive auch keine nachhaltige Entlastung erwarten dürfen. Die Verschiebung wird selbst leicht zur Manier. Dies gilt in beide Richtungen. Vom Werk in Richtung Idee, Konzept, Entwurf wie von dort in Richtung auf Exposition und Exekution. Die Eingemeindung ihrer Entwurfsphasen in
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die Kunst – von Reflexion, Dokumentation, Kritik (›Wissenschaft‹) –, möglicherweise als Substitut, bringt keine Milderung der künstlerischen Herausforderung als solcher mit sich. Mit der umgekehrten Integrations- oder Substitutionsambition verhält es sich nicht anders. Theoretisch konzeptionelle Modellierungs- und Entwurfsanstrengungen lassen sich nicht kompensieren durch Überantwortung an ein gleicherweise erlebnisfixiertes wie kommerzinteressiertes Eventdesign und Eventmanagement und seine besonderen Inszenierungsvorstellungen. Dass jeweils das eine unter der Signatur des anderen womöglich erfolgreich auftreten kann, demonstriert den oben genannten Medien- oder Tauschwerteffekt. Es bestätigt, dass die Transfers nur inszenierungsstrategisch gut aufgestellt gelingen können. Die Illusionswerkstätten der Werbeindustrien machen es vor.
Bühnen & Hinterbühnen der Wissenschaft. Verdikt der Nachahmung Von der Auftragsforschung abgesehen, sollte für die ›harten‹ Wissenschaften gelten, dass sie sich, ähnlich wie die ›weichen‹, auf eine dem Kunstbetrieb vergleichbare Inszenierungstätigkeit einließen? Fasst man die Wissenschaften als institutionelle Ensembles ins Auge, gibt es genügend Indizien für solche »Bühnen der Wissenschaft«. Freilich wird es auch hier nicht ausreichen, markierte Territorien und damit verbundene Einrichtungen zu zitieren, um auch schon Genaueres über die Inszenierungen zu wissen. Hier wird man sich der arbeitenden Forschung und den genuin wissenschaftlichen Resultaten und den Medien der Ergebnisvermittlung zuwenden müssen.85 Immerhin finden sich die Positivitäten der fortgeschrittenen Dingweltverwaltung institutionalisiert, was zumindest auf der Verwaltungsebene entsprechende Präsentationsoberflächen anzeigt. »Oberfläche« versteht sich neuerdings sehr konkret, wenn man daran denkt, dass noch die kleinste Organisationseinheit mit eigener Internetpräsenz aufwartet: Hochschulen, Akademien und Stiftungen, Forschungs- und Sonderforschungsbereiche, Forschungsanlagen und -institute, Kliniken und Labore, botanische und zoologische Einrichtungen, Museen, Bibliotheken und Archive, alle zeigen sich im weltweiten Netz. Derartige Hinweise auf Bestand und Kommerz mögen dem eingeweihten Adressaten genug sein, um in Hinsicht realer Auftrittspräsenzen im Dispositiv Wissenschaft die Differenz von Betrieb und Präsentation zu unterstellen und ihr unter Umständen nachzugehen. Die Überprüfung kann sich hier nun aber nicht, anders als in der Konfrontation mit dem kreativ künstlerischen Auftritt, mit den Gestaltungs- und Sach-Positivitäten des szenografischen Entwurfs befassen. Denn es ist bekannt, dass ihre Darlegung aus Gründen der emotionalen und affektiven Wirkung des Auftritts von den Verantwortlichen zurückgehalten wird. Negative Auswirkungen werden offenbar nicht ausgeschlossen. Im Gegenteil wird sich die Recherche direkt den möglicherweise auffälligen Inszenierungseffekten der ›Präsenz‹ zuwenden. Schließlich sollten auch sie, dem idealen Anspruch des Wissenschaftsdiskurses genügend, nur inventionsvermittelte und narrationsgebundene, deshalb legitime Effekte aufweisen, kein bloßes Schauspiel bieten. Dass diese Einschätzung wenig mit der Realität zu tun hat, ist mittlerweile medienbekannt. Auch hat es nicht damit zu tun, dass Illegitimität auch schon Illegalität implizieren müsste. Aber provoziert nicht gerade das Idealbild die Inszenierung? Ein schlichtes, indes in letzter Zeit wiederholt aktuelles Beispiel: der Auftritt akademischer Qualifikation und Kompetenz – und folglich damit verbundener Ansprüche – in Form von Fachbeiträgen zum wissenschaftlichen Diskurs (Dissertationen oder andere Hochschulschriften), deren Inszenierung ihre Herkunft aus dem Diskurs und damit sich selbst zu verschleiern trachtet. Auch hier findet man den bemerkenswerten Konflikt, zum Diskurs beitragen
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zu wollen, die mimetischen Grundlagen aber verdrängen und offene Risse als Fügung verkaufen zu müssen. Dass Nachahmung verschwiegen gehört, jedenfalls nicht zur Idealfigur des genialen Wissenschaftlers passt, die offenbar auch heute noch nach Goethe´schem Künstlerbild gestaltet sein möchte und von Mimesis nicht angekränkelt ist, zählt schon zum Initiationsritus eines jeden Adepten der community of investigators. Am ehesten die Auskunft über die Beherrschung des Handwerks erscheint kommunikativ anschlussfähig und auch tendenziell konfliktfrei, sie zeugt, besser noch, von beglaubigter Hochbegabung, wenn nicht von Genie. Wen wundert es, dass verschwiegen wird statt auch noch belegt, wie wenig der Kampf auf inszenierungsgesellschaftlichem Terrain wissenschaftlicher Profilierung grosso modo zu irgendwelchem prestigio verhelfen kann, als wäre es mehr als eine Geste, so zu tun, oder als wäre dies im Dunst allgemeiner Nachahmung unbedingt im Einzelnen auch noch markierungsbedürftig. In den Fußnoten müssten doch eigentlich ganz andere Anmerkungen stehen, so oder so.
Auftritt ohne Bühne? Interferenzen von Privatszenischem & Standardsituation Die schmalste Basis unabhängiger Indikation durch Installation bietet die schlichte Präsenz eines Werk- oder Artefaktauftritts ohne institutionelle Referenzen, die geeignet wären, die inszenierungsgesellschaftliche Sakralisierung zumindest formal zu besorgen, insofern auf die Rahmung durch öffentlich wahrnehmbare Signatur hingewiesen wird. – Ähnlich den Sparten einer Fernseh-Zeitschrift, deren Layout schon nachvollziehen lässt, ob die angebotenen Ausstrahlungen von privat- oder öffentlichrechtlichen Medienunternehmen verantwortet werden und welche Sendeformate und Sendeplätze ihnen zuzuordnen sind, indiziert die Signatur den Inszenierungstyp, dem die Ausstrahlung zuzurechnen ist. Entsprechend moduliert, pendeln sich die Erwartungen der Rezipienten ein, was Formate und Gestaltungssprache betrifft. Grundlage im Vergleich dazu zwar nicht referenzloser, aber doch institutions- und installationsungebundener Erwartungen bleiben die situativen Szenifikationen in der Begegnung mit Werk, Artefakt, Auftritt, Präsentation – was auch immer begegnen mag. Dies betrifft insbesondere den gesamten individuellen Erfahrungs- und Entwurfshorizont gemeinsamer Präsenz, Darstellung und Selbstdarstellung im Privaten, in Familienund Beziehungsleben wie im Rahmen unorganisierter privater gesellschaftlicher Assoziation. Ebenso geschieht dies also in der Konfrontation mit dem öffentlichen Raum, soweit er nicht institutionell, apparativ oder technologisch gesondert und markiert erscheint. Standardsituationen hingegen, beispielsweise in Kindergärten, Schulen, beruflichen oder akademischen Ausbildungsstätten, im Betrieb von Polizei, Militär und vergleichbaren staatlichen Einrichtungen, im Ambiente von Sportvereinen, Chorgemeinschaften oder Kirchen, in Szenen konventionellen Medien- und Unterhaltungskonsums (Film, Funk, Fernsehen...) oder verbunden mit der Nutzung elektronischer Medien (vernetzter Rechner oder bei der mobilen Social Media-Nutzung), bei kodifizierten Transaktionen aller möglichen Art (»Kauf und Verkauf« / »Export-Import«), alle diese Situationen gehören nicht dazu. »Standardsituation« meint die tatsächlich tiefer »situativ« eingebetteten Verrichtungen, die unsere Vorstellungskraft quasi routinemäßig mit bestimmten Orten und Lagen verbindet. Solche Szenen, obwohl ritualisiert, beinhalten doch kommunikativen Austausch, und zwar nicht nur fiktiv, sondern real erlebt, Begegnungen face-to-face. Daher liegt deren Szenifikationsniveau selbst
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für Dritte meist deutlich unter der Schwelle eines Auftritts, Schauspiels oder einer ›Inszenierung‹. Denn das Drehbuch, sollte es erkennbar sein, wird aus dem Repertoire stammen, und das Spiel kann spontan erfolgen. Dennoch hat sich das Geschehen aus der Situation gelöst. Zumindest lassen sich viele Situationen vorstellen, aus denen heraus sich die Aufmerksamkeit gewisser Akteure auf bestimmte Handlungen oder Ereignisse richtet, auch wenn es kein größeres Publikum ist, das sich so einstellt. Kants »Tischgesellschaft« könnte hier, abseits jeder ideologischen Positionierung, durchaus als Beispiel taugen. Szenen des Privaten und Alltagsszenen etablieren sich gewöhnlich auf diese Weise. Sie vermögen zu illustrieren, was es bedeutet – mit einem weiteren Paradox –, vom »uninszeniert Inszenierten im Szenischen« zu sprechen. Die Unterbrechung, die den Tausch zwischen Handeln und Bedeutenlassen ermöglicht, steht immer dann unter einem Konditional, wenn auf dieser oder jener Seite Tauschbarkeit in das jeweils andere als Erfüllungsbedingung gefordert ist. Das szenische Handeln (die Komplexionen der Szenifikation) als Erfüllungsbedingung für die Idee, das szenische Denken oder Bedeutenlassen (die Komplexionen des Szenischen selbst) für den Willen.86 Die neue Szene erscheint indes erst mit dem ›Auftauchen‹ angepasster Bedeutung. Auftauchen aber kann die passende Bedeutung durchaus ›uninszeniert‹, ›aus der Situation heraus‹, aus dem Wissen, Gedenken oder Erinnern, aus der Fülle ruhender, gesicherter Bedeutung. Deren Mediatisierung kann sich schließlich ebenfalls allein in ›Situationen‹ beruhigen: an Orten der Dinge oder der Erde. Szenische Versicherungen dagegen bedürfen der Szenifikation und sind mit entsprechenden Festlegungen verbunden, praktisch energetischem Bedeutenlassen. Zwar bedarf es auch dort keiner szenografisch besorgten Inszenierung. Situative Versicherungen aber sind dem Gefühl gleichbedeutend mit Sicherheit. Trotzdem ist es irreführend, anzunehmen, dass die Freiheit, etwas aufzuführen, der szenischen Versicherung nicht bedürfe, wenn sie sich von der szenografischen Sicherheitsleine befreit glaubt oder sich tatsächlich losgemacht sieht. Auf Situationen sich zu beziehen, sollte man nicht verwechseln damit, auf Ideen und Vorhaben zu rekurrieren. Die kategorische Behauptung der Komplementarität von Inszenierung und Auftritt ist so wenig haltbar wie die darin enthaltene ebenso komplementär angelegte Bestimmung des Szenischen. Die unterstellte Beziehung ist ganz dem theatralen Modell des Marionettentheaters einbeschrieben. Hier wird offensichtlich, dass »Inszenierung« der Werkstatt und der Verfertigung, der Planung und der Choreografie bedarf und dies begrifflich impliziert. Das Hineinsetzen von vorbereiteten Figuren in präparierte Szenen, die auf einer hergerichteten Bühne auftreten, erinnert daran, wie Puppen, an Fäden befestigt und gelenkt, ihre Schritte setzen, anders als bei Diderot, ganz ohne eigene Kraft und Stimme, ohne eigene Eigenschaften, die es zu verbergen gelten könnte.87 Vergleichbares verlangt direktive Szenografie überall, wo sie das Sagen hat. Befreit davon, Auftritt und Inszenierung in diesem Modell vorzustellen, erhellt die Bedeutung der Urteilskraft der Protagonisten in der Szenifikation, beim Szenemachen. »Szenen« sind mithin keineswegs substanziell theatral zu fassen, sofern »theatral« die Installation beim Namen nennt. Stattdessen können sie sich emergent ergeben. Aus der Unterschiedslosigkeit gleicher Situiertheit finden sich Interessen und Zuständigkeiten zu einer »Szene« zusammen. Vom Hintergrund der Situation setzt die Szene sich ab, lässt einzelne Konturen, Figuren, Bewegungen erkennen. Als szenisch »typisch« werden sie beurteilt, soweit sie relativ dicht bei denjenigen szenischen Vorstellungen bleiben, die man im Allgemeinen mit einem Geschehen verbindet,
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das konventionell indiziert ist. Doch jederzeit kann es zu selbstständigen Zwecksetzungen handelnder Charaktere oder Agenzien kommen, die mit der institutionellen oder vergleichbar konventionell gefassten Rahmung an diesem Ort weder in unmittelbarem Zusammenhang noch in Übereinstimmung stehen, dergestalt, so gekennzeichnet, nur semiotisch, per ›Signatur‹ ›situiert‹ oder ›lokalisiert‹ erscheinen. Dass dies insbesondere all diejenigen Szenen betrifft, die aus zufälliger Begegnung oder Konstellation hervorgehen, ist sicher nicht zufällig. Denn es unterstreicht doch nur, dass die konventionelle Rahmung entweder ohne Einfluss auf die Konstellation bleibt oder die Rahmung nicht wirklich identifizierbar ist. In nicht gesondert markierten und hinsichtlich dessen begrifflich gefassten Räumen dominieren die Heterogenitäten trotz ähnlicher Situationen und Ambientes, Artefakt- und Objekttypen, Agenzien. Die Markierung muss realisiert werden, um an ihren Effekten teilzuhaben. Die Bestimmung durch Indexikalität veranlasst vielleicht, sich mit einem Stück des Objekts zufriedenzugeben. Denn man muss sich das Anzeichen vorstellen wie ein »vom Objekt abgetrenntes Fragment«, das zum Objekt gehört. Wenn aber mit »Objekt« das Signifikat der in Rede stehende Bedeutung gemeint ist88, die, vollständig entfaltet, auch species und ratio, Gestaltung und Begründung dessen, worum es sich dreht, vermittelt, wird es ein schwaches Objekt sein, dessen Zeichen keine größere Macht auszuüben wüssten als mit dem, womit nur ein leerer Hinweis zu erreichen war.
Indikation ›Architektur im urbanen Raum‹ Nehmen wir zum Indikationsexempel die Architektur und denken wir an den »BilbaoEffekt« der Stadt- beziehungsweise die Urbanisierungs-Sondierung im ersten Teil, aus der ersichtlich werden sollte, dass die urbanisierte Landschaft das Ambiente allen zukünftigen sozialen Verkehrs weltweit bestimmen wird. Architektur im Allgemeinen wird man nicht als szenifikatorisch identifizierende Situiertheit auffassen wollen, als seien Gebäude oder Gebautes bestimmter Form und Funktionalität schlechthin Installationsindikatoren für die Szenen und Szenografien, in welche die Architektur sie zwangsläufig verwickeln müsste. Als ob ein Kino im Spiel zu haben dafür stehen müsste, dass die adressierte Raum-Zeit der in Frage kommenden Filme auf jeden Fall dieselbe sei wie die Raum-Zeit des Filmerlebens während der Vorführung. Fraglos wird es in den meisten Fällen szenischer Situierung im realen privaten und öffentlichen Raum der urbanisierten Welt auch eine ›gebaute‹ Manifestation, eine entsprechende Einrichtungswelt geben (abgesehen vielleicht von ganz wenigen Flecken natürlicher Umgebung). Das Auftreten der zugehörigen Artefakte oder Objekte muss deswegen nicht auch schon indexikalische Aufschlüsse zur Identifikation der Verbindung zwischen Szenifikation, Szenografie und szenischen Sedimenten liefern. Nicht überraschend verhält es sich im Allgemeinen eher wie im Zeichenumgang der Kunst. Die Objekt-Repräsentamen fordern vor allem ikonische – aber gleichfalls symbolische – Operationen zur Interpretantenbestimmung, jedenfalls eher als selbstbezüglich indexikalische. Es ist nichts Außergewöhnliches für ein Filmset, dass eine Location, die im wirklichen Leben ein Wiener Caféhaus ist, aufgrund atmosphärischer Überlegungen vielleicht als Parlamentarierclub fungiert, in dem sich laut Skript zwei Abgeordnete des englischen Oberhauses zum Tee treffen. Indexikalisch anzuzeigen bedeutet nicht, dass Rauch Rauch anzeigt, sondern Feuer. Die gewöhnliche Szenifikation kann Architektur situationskonform übersehen oder unberücksichtigt lassen – der Installationsindex wird derweil an ganz anderen Objektivationen erscheinen
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– oder szenifikatorisch einbauen und szenisch anverwandeln, je nachdem. Schließlich kann die Objektorientierung eine bestimmte architekturale Indikation mehr oder weniger selbstverständlich, mehr oder weniger haupt- oder nebensächlich einschließen und dies meist in verschiedener Hinsicht gleichzeitig. Die wichtigsten Hinsichten betreffen die konventionellen Territorialisierungen: von Kunst oder Politik, von Institutionen und Verwaltung, von Wirtschaft und Werbung. Statistisch sicher nicht eben bedeutsam, kann Gebautes zugleich als künstlerisches Artefakt gelten. Beispiele geben historische Monumente wie Kathedralen oder Industriedenkmale, Kulturbauten berühmter Architekten, Architekturikonen unterschiedlicher Funktionalität. Die Kunst wird hier zugleich durch Eigennamen indiziert, die Einbeziehung eines Künstlers, den Architekten, der den Entwurf verantwortet. Die künstlerisch gestalterische Ikonizität kann aber genauso gut hinter der politischen zurücktreten oder letztere überhaupt die Zeichenwirkung bestimmen, was sich auf die Indexikalität auswirkt. Man denke an Parlaments- und Regierungssitze, historische Stätten politischer Begegnung oder Auseinandersetzung, Orte und Gebäude von Politikertreffen, die gerne als »historisch« apostrophiert werden, oder auch an »zeichensetzende« Architektur großer Präsidenten oder Staatenlenker: an Metternichs Palais am Ballhausplatz, in dem der Wiener Kongress tagte, der Liwadija-Palast, Ambiente der Konferenz von Jalta, das Hotel Petersberg bei Bonn, Tagungsstätte der Afghanistan-Konferenz, die Pyramide des Louvre oder die Bibliothèque national Mitterands in Paris. Ebenfalls von politischer Signalwirkung ist die szenische Rahmung durch Architektur bei Denkmalen und Gedächtnisstätten der unterschiedlichsten Art (wie das schon erwähnte dem »deutschen Volk« geweihte Denkmal des Büros Milla), von Gefallenen- oder Opfergedenkstätten, nicht zuletzt Friedhöfen. Weniger im Kurs vielleicht in der europäischen Kultur der Gegenwart, indes immer präsent, zumindest mit historischen Bezügen, sind Siegesdenkmale und Schlachtenerinnerungsstätten.89 Dass Architektur diejenigen Institutionen repräsentiert, die sie nutzen, und derart als Zeichen benutzt wird, gehört zum gewöhnlichen Umgang mit Gebautem im öffentlichen Raum. Über die ›Flaggschiffe‹, die im Kontext künstlerischer Inszenierung Erwähnung finden, bestimmt solche Architektur ganz selbstverständlich die Alltagsszenik unserer Vorstellungen, die Bilder von Schule oder Universität, Post oder Rathaus, Finanzamt oder Schwimmbad. Indikatoren wirtschaftlicher Prosperität können ebenfalls als architektonische Installationshinweise nützlich sein. Man denke an die Bildkraft von historisch beispielhaften Unternehmenssitzen, überhaupt hervorstechender Unternehmens- und Wirtschaftsarchitektur. Mit ihrer Erscheinungsweise vermischen sich die Bilder öffentlicher oder halbprivater Architekturkomplexe wie extraordinäre Kultur- und Sportstätten, von Flughäfen, Bahnhöfen, Brücken, denkwürdigen historischen Monumenten wie Alberthall, Eiffelturm oder Atomium. Der Übergang zur unmittelbaren Wirkung als Markensymbol ist fließend. So treten Allianz Arena, Signal Iduna Park, BayArena als architekturale Logo- oder Signetträger ebenso auf wie Flagship stores aller Art, deren semiotische Existenzberechtigung in der Hauptsache darin besteht, Markenpräsenz zu signalisieren.
Relativierung indexikalischer Inszenierungsanzeige Die Beispiele sollten deutlich gemacht haben, dass die indexikalische Hilfe zur Beurteilung eines möglichen Bühnen- oder Installationsraums, in dem sich eine zu beurteilende Inszenierungsvorbereitung hätte abspielen können, nicht auf die »Bühnen der Kunst« beschränkt ist. Viel eher verhält es sich umgekehrt: Ist eine Inszenierung
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denkbar, ist auch eine Bühne und eine Kunst vorzustellen, von der her Gestaltung und Auftritt konzipiert und angelegt erscheinen. Der Unterschied besteht allein darin, dass die Installationsmarker solcher »Künste« teils kulturkonventionell verteilt und bekannt sind, teils nicht. Dabei sind gewisse unscharfe Demarkationslinien zur Abgrenzung zwischen Kunst, Gestaltung/Design und Medien (im engeren Sinne) ebenso in Umlauf wie zur weiteren Aufteilung innerhalb so abgegrenzter Bezirke. Im Rahmen der »Kunst« weit verbreitet ist die Abgrenzung von bildenden und darstellenden Künsten, Literatur und musikalischen Gattungen. Innerhalb von »Gestaltung und Design« finden sich die hierhin verschobenen bildenden Künste des disegno – Zeichnung, Grafik, Illustration. Aus bühnenaffinen Künsten hervorgegangen sind Anwendungen und Interventionen des scenographic design, das wiederum auch die Architektur beerbt; diese hervorgegangen aus der »Baukunst«. Schließlich sind die verschiedensten kunsthandwerklich technischen und technologisch inspirierten Design-Metiers zu nennen, die sich voneinander abgrenzen. Von »Design und Technik« wiederum in die »Kunst« ein- und aus den »Medien«, zumindest in exklusiven Ausschnitten, ausgewandert, findet man »Film- und Fotokunst«, sodann diverse unter dem Namen performing and installation arts rubrizierte Gattungen. Bei den »Medien« gilt als gebräuchlich die Abgrenzung der »Massenmedien« von damit nicht aufgerufenen Echtzeit-»Unterhaltungsmedien«, Formaten der sogenannten »U-Musik« (Konzerten, Musiktheater etc.) oder Sportveranstaltungen. Desgleichen können Medienimplementierungen als »Medienkunst« auftreten, wobei die medientechnische Spezialisierung den Ausschlag für die Einordnung gibt. – Vergleichbare Demarkationen teilen, wie dargestellt, die zugehörigen Wissenschaften. Jenseits derartiger Grenzmarkierungen bewegt man sich auf freiem Feld. Auf welchem Territorium man sich befindet, hängt ab von den Begegnungen und der Art, wie sie sich gestalten. Ein Zusammentreffen dient immer auch der Ortsbestimmung, mit oder ohne Einsatz von Gewalt. Für alle genannten Sphären gilt die Asymmetrie paradoxer Inszenierungsverbergung. Die Genealogie der Inszenierung, aus der heraus die Orientierung auf den Ereignishorizont intendierter Handlung qua von Modellierung und Konzeptionierung, Entwurf und Plan für von Auftritt, Exposition oder Manifestation angeschlossen erschiene, bleibt instantan prinzipiell im Dunkel. Trotz allgemeiner Vertrauenswürdigkeit konventionell geregelter Interaktionsformen: Niemand kann sich in actu grundsätzlich darauf verlassen, nicht getäuscht zu werden oder sich zu täuschen. Denn die Protagonisten sind Konsumenten auf Gegenseitigkeit. Ein dauerndes Opfer, indes mit einer kleinen Chance auf Entsühnung. Denn die Inszenierungsverbergung nach Maßgabe des Paradoxes des Schauspiels ermöglicht durch Kenntlichmachung des Gestells nichtsdestotrotz die Aufschließung der szenografischen Vermittlungstätigkeit gemäß regressiv-progressiver Methode. Allerdings hatten wir es bei diesem Modell mit einem Tableau professioneller Kunstausübung sanktionierter Kunst zu tun. Empirisch ist auch darauf kein Verlass. Mithin bestünde nur idealiter, Raum und Zeit beiseite gelassen, die Möglichkeit, die Täuschung der Inszenierung zu kompensieren, vielleicht gar zu heilen und sich auf den Kenntnisstand des ›Schauspieler-Dichters‹ zu begeben. Die Erschließung der Szenografie stellte die Symmetrie zwischen Szenografie und Szene wieder her, doch erst am Abend, wenn das Treffen gelaufen ist, die Schlacht vorübergehend ruht und die Verletzten eingesammelt werden dürfen.
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Man sollte sich die Rollen im Spiel nicht grundsätzlich zweigeteilt denken, getrennt in einen schöpferisch aktiven und einen hinnehmend passiven Part. Opfer bringen müssen beide Seiten, »Seiten«, die nur zwei Ansichten, zwei Figuren derselben Gestaltung zeigen. Übertragen aus der Kunst in die raue Wirklichkeit, ist die Nachahmung unmittelbar aufführungsreif. So lautet das wichtige Argument des Kontrahenten des Paradox-Verteidigers. Freilich geschieht, was geschieht, auf Kosten von Beispielhaftigkeit und Verallgemeinerungsfähigkeit des Dargebotenen, auf Kosten der Reflexion, die erst eine erneute Repräsentation des Erlebten in die Geschichte bringen wird. Doch dafür ist die mimesis, die nichts von sich weiß, glaubhaft in der Unmittelbarkeit ihres Empfindens und ihrer Affekte im Auftritt. Wenn sie sich aufklären kann über das Schauspiel, was sie selbst gibt, wird, was sich abzeichnet, nicht das Schauspiel selbst sein. Dies entspricht ganz seiner Inversion in der Entwurfsszenerie. Der Schauspieler, der in das Gewand seiner Marionette geschlüpft ist, muss alle Nachahmungsstudien im Sinne des Bedenkens und Verallgemeinerns aufgeben, um ganz und gar der Gegenwart seines Auftritts leben zu können. Zustände der Zweitheit, sagt Peirce, sind nicht zugleich Zustände der Drittheit, auch wenn Zustände der Drittheit Zustände der Zweitheit vermitteln lassen. Der Rückgriff steht immer im Dienst eines nächsten Vorgriffs, wobei das Zurück- und Vorgreifen selbst szenisch verläuft und von seiner derzeitigen Vermittlung nichts hat außer der Anwesenheit der Nachahmung. Diese hier bewusste mimesis lässt darauf vertrauen, dass sie auch im noch ›unvermittelt Vermittelten‹ gleichsam auf der Basis der positiv existierenden Bedeutungen wirkt, selbst wenn sie es dort und dann nicht weiß. Die Reflexion invertiert, stellt sich die spiegelverkehrte Ansicht entsprechend dar. Die Positivitäten der Bedeutung werden gehandhabt wie anderes Werk- und Orientierungszeug im Gelände. Dazu gehört eine Übersicht. Sie verzeichnet den ehemaligen Vorgriff als zurückgreifende Einschreibung, sei es in Geist, Körper oder informiertes Objekt. Der Eintrag gehört zu den Positivitäten, ist keine Reflexion, sondern ein Vermögen. Mehr aus dem, dass das Vermögen im Gelände etwas vermag, als daraus, was es vermag, resultiert die Positivität der Divergenz, die bejahte Disjunktion. Sie nimmt szenifikatorisch in Anspruch zu gelten, nicht szenografisch oder begrifflich, ob siegend, ob unterliegend. Der prestigio ist immer auch ein Gewinn, der mit Opfern bezahlt ist, auch wenn es darum geht, auf die Verteilung Einfluss zu nehmen. Priests Darstellung ist hier so drastisch wie die antike Tragödie. Die Anwesenheit des Anderen wie des anderen geschieht durch die Szene, nicht vermittels ihrer. Das besagt »Zweitheit«. Die Bejahung der Negation, des Ausschlusses, wiederum indiziert ein Moment vormedialer Präsenz. Das andere kann in die Wahl fallen. Es muss als geschichten- und gestaltbildende Darstellung zu Wahl stehen, wenn einem Weiteren, weiterem anderen Sinn zukommen soll, der nicht allein aus dem situativen Bestand rührt. Die Bühne übt hinreichend Druck auf den Schauspieler-Autor aus, zu bemerken, wann für seine Szene der Vorhang fällt. Dann wird er sich für den nächsten Auftritt rüsten können durch Rückgriff oder Vorgriff. Es sei denn, der Zugang zur skēnē – im ursprünglichen Sinn von Hinterbühne und Werkstatt – würde ›gewaltsam‹ mit geeigneten effektiven Mitteln blockiert. Nur für extreme Arrangements scheint dies vollständig vorstellbar. Auf den oben genannten Gebieten gilt solche Verweigerung im Allgemeinen als gesellschaftlich nicht legitimierbar, jedenfalls soweit die Auffassung dominiert, dass die Szene das Wissen und den Aufriss der skēnē braucht. Für sich verbleiben sie das eine ›und-oder‹ andere.
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Verschlossene Hinterbühnen & situativer Realitätsschein von Medien- & Kommunikationspositivitäten Als wirksame Maßnahme dauerhafterer Verriegelung der Tür zwischen Szene und skēnē beziehungsweise der dort bewahrten oder erneuerbaren Szenografie findet sich weit regelmäßiger als die Sperrung des Zugangs zur nichtkaschierten Hinterbühne deren Wegspiegelung oder, je nachdem, wie es um die Macht der Ansprüche auf Einblick steht, ihr phantasmagorischer Ersatz. Nicht einmal, meist, um die immensen Ausmaße dunkler Energie zu verschleiern, sondern viel öfter, um die Dürftigkeit des Bedenkens und Planens im relevanten Entwurfsbereich nicht ruchbar werden zu lassen. Es kommt, wie immer, darauf an, worum es geht. Unzählige Exempel aus den verwickelten Affären von Politik und Ökonomie demonstrieren beides: dass es unter Umständen um große Ambitionen zu tun ist, dass damit aber keineswegs entsprechend professionelle Inszenierungs-Expertise verbunden sein muss. Zudem zeigen die Beispiele die Grenzen der Erschließbarkeit kausaler Beziehungen im Praktischen. Auch hier ein Beispiel, dessen Beweiskraft , allerdings, nach genanntem Prinzip, nie hinter den Vorhang der Medialisierung greifen zu können, sobald geäußert, selbst wieder zu relativieren wäre. Immerhin sind glaubwürdige Indizien mittlerweile dafür verfügbar, dass die Kriegsbegründung für den Irakkrieg 2003 mit der Existenz von Massenvernichtungswaffen schon im Vorfeld der Intervention nicht haltbar war. In der UN-Vollversammlung hatte Colin Powell versucht, die Existenz dieser Waffen medienwirksam in Szene zu setzten, überraschenderweise mit Hilfe einer Reihe von Papptafeln, auf denen die Lastwagen abgebildet waren, mit denen die Giftgaswaffen angeblich befördert worden seien. Auch später konnten weder Amerikaner noch Briten irgendeinen Nachweis dafür finden, trotz intensiver Nachforschungen, die insbesondere von englischen Militärs angestellt wurden. Bekannt wurde ebenfalls – Powells Präsentation in der UN-Versammlung ließ es ahnen –, dass es keine Inszenierung mit geschickter Simulation der Begründungs- und Planungsarchitektur des Unternehmens gegeben hatte. Zwar behauptete der damalige Verteidigungsminister Rumsfeld dies später, dementierte seine Aussagen bald darauf aber wieder. Darf man späteren Nachforschungen glauben, war es nur schlampige Arbeit der zuständigen Geheimdienste. Deren, wie behauptet, zur Entscheidung herangezogenen Dossiers, die wesentliche Erkenntnisse über Massenvernichtungsmittel auf Berichte vermeintlich unterrichteter Quellen gestützt haben sollen, waren demnach schlicht unzutreffend. Wie die Überprüfung nach Jahren ergab, stammten die Informationen aus zweiter oder dritter Hand oder waren nach Bekunden der vermeintlichen Informanten völlig frei erfunden. So jedenfalls der Kenntnisstand gemäß allgemein als seriös anerkannter Medienberichterstattung.90 Die Dissimulation konzeptionell theoretischer und planerischer Kontexte kann geradezu situationsähnliche Ansichten von Normalität zeitigen, wenn die Strategieperzepte ihrerseits zwar Spuren hinterlassen, dies aber nicht in einer Richtung, die besondere Aufschlüsse über Auftritt und Geschehen verspricht, deren Klärung in Rede steht. Überhaupt erscheint es sinnvoll, mit »Dissimulation« oder »Simulation« keine ›reinen‹ Aktivitäten oder Zustände zu verbinden. Viel eher dominiert die Mischung eines So-Tun-als-ob-nicht mit einem So-Tun-als-ob. So kann es sein, dass man dort, wo man aufschlussreiche Szenografien vermutet, die Auskunft geben über Absichten und Strategien, Gestaltungs- und Botschaftsentwürfe, lediglich auf Medien- und Kommunikationspositivitäten stößt, die mit den auslösenden Phänomenen kausal
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zu verknüpfen kaum Hoffnung besteht. Soweit es nämlich entsprechend ambitionierten Projektentwürfen gelingt, zumindest den nicht zu verdeckenden Planungsmaßnahmen ein Aussehen zu verleihen, das mit dem der Gegebenheiten wie dem des mutmaßlich erwartbaren Geschehens gut harmoniert, entspricht dies durchaus dem, was man sich unter einem nichtinszenierten situativen Szenario vorzustellen hat. Freilich liegt darin für eine an direktivem Eingriff unmittelbar interessierte Szenografie das Risiko, dass das Angebot zur Szenifikation als solches im aktuellen Kontext ganz übersehen wird. Wieder spielen Zeit und Raum eine wichtige Rolle. Aus der ›Anbieter-Perspektive‹ betrachtet, bestünde in the long run vielleicht die Chance, dass sich im Laufe der Zeit einige unter den vielen vordergründig ›spontanen‹ Szenifikationen, die sich jederzeit und überraschend aus einer Ruhephase der Zeichentätigkeit zu neuen Bedeutungen aufmachen, szenenbildend herausstellen, und das in einem durchaus wünschenswerten Format. Ließe sich die These für bestimmte szenografische Ambitionen, zum Beispiel im ökonomischen oder politischen Geschäft, erhärten, wäre eine solche auf Wirkungswahrscheinlichkeiten rekurrierende Planung als langfristig angelegte Strategie, bestimmte Zwecke zu erreichen, durchaus empfehlenswert. Widerstand gegen die Normalität situativer Ansichten ist die Ausnahme. Es ist zu wenig Anstrengung im Raum. Demgegenüber könnte man geltend machen, dass aus ›Adressaten-Perspektive‹ auch ohne genaue Kenntnis eventueller szenografischer Intentionen und Planungen auf die Existenz solcher Formate zu wetten sei. »Zu wetten«, da hypothetisch jeweils ein ganzes Set möglicher Entwurfsvarianten in Frage käme und zu berücksichtigen wäre. Denn nicht nur werden unzählige Auftritte als Performanzen eines einzigen szenografischen Entwurfs gewertet. Ebenso muss unterstellt werden, dass es für jede einzelne Szenifikation die unterschiedlichsten Absichtserklärungen, Planungen und Begründungen hätte geben können, ohne dass ausgeschlossen werden könnte, dass nicht sie statt der tatsächlichen Entwurfskonstellation der vorliegenden Szenifikationen tauglich gewesen wären. Demnach gehörte das spekulative Format schlicht zu den Entwurfsvarianten, mit deren Hilfe gut zu erklären wäre, wie es, wenn man der Szenografie bestimmte Ziele unterstellt, zu beobachteten Szenifikationen kommen konnte, die der Entwurf qua Voraussetzung im Sinn gehabt haben muss. (In der Modellierung wurde das Format als »nachgereichter Entwurf« apostrophiert.) Über die Güte der entsprechenden Schlüsse ist damit nichts gesagt. Sie bleiben der Beurteilung der entsprechenden Darstellung vorbehalten und der Beurteilung dessen, was davon Tatsachen betrifft. Dass wirkliche oder vermeintliche ›»Adressaten«, »Rezipienten«, »Konsumenten«, die nichts in der Hand haben, was ihnen erlaubte, sich hinsichtlich der Inszenierungs- oder gar der Tatsachenbindung gewisser Kalküle, in denen sie vorkommen, zu orientieren, die Chance nutzen, ihre eigenen, quasi-spontanen Szenifikationen als unter einer bestimmten Beschreibung oder Darstellung ›inszeniert‹ zu erleben, ist seinerseits eine Tatsache. Um an das vorhergehende Beispiel anzuschließen: Die Destabilisierung, die Iran zu Beginn der 50er Jahre erlebte, nachdem den Briten der Zugriff auf die persischen Ölquellen durch das iranische Parlament verwehrt wurde, ließ sich leicht als durch die bürgerkriegsähnlichen Zustände in der Hauptstadt verursacht erklären: Provoziert, so diese Lesart, habe dies die allzu demokratisch ambitionierte Politik des damaligen Ministerpräsidenten Mohammed Mossadegh. Dem englischen Kolonialismus Einhalt geboten habe der Präsident mit seiner Intervention allerdings nicht. Stattdessen aber habe er internationale Verträge gebrochen und schließlich mit der
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Verstaatlichung der Erdölindustrie und der Verjagung Mohammad Rezâ Šâh Pahlavis ins Ausland die Bevölkerung gegen die Regierung aufgebracht. Ganz anders lautet die Beurteilung der Verhältnisse, wenn sich die Hypothese bewahrheitete – was sie im Licht jahrzehntelanger Nachforschungen zu tun scheint –, dass die am Öl interessierten Briten, nachdem sie mit allen Interventionsversuchen gegen die Politik Mossadeghs und seine Person gescheitert waren, die Amerikaner dazu bewegen konnten, unter Leitung der CIA und unter Mithilfe des Schahs und bestochener Armeeangehöriger einen Staatsstreich herbeizuführen. Der Plan sah vor, Teheran ins Chaos zu stürzen und den gewählten Ministerpräsidenten gegen einen willfährigen General auszutauschen. Nachdem der Putsch im ersten Anlauf gescheitert war, gelang es der CIA im zweiten Anlauf tatsächlich, den Staatsstreich nicht nur erneut zu provozieren, sondern erfolgreich zu Ende zu führen. Zu diesem Zweck schürten die von den DullesBrüdern, einer davon Außenminister der USA, kontrollierten CIA-Einsatzkräfte der Amerikaner massiv die Kommunistenphobie und bestachen jeden, der für eine Opposition gegen Mossadegh in Frage kam. Darüber hinaus ließen sie den Mob mobilisieren und finanzierten Straßenbanden unterschiedlicher ideologischer Couleur, die alsbald plangerecht aufeinander losschlugen. Das Aufeinandertreffen sollte Teheran in eine Gewaltorgie hineinziehen. Zur Wiederherstellung von Sicherheit, Ruhe und Ordnung ließ sich der Staatstreich am Ende als notwendige Intervention bestens rechtfertigen.91 Die gegebenen Beispiele könnten den Eindruck vermitteln, als wäre der Effekt einer Inszenierungsklärung stets an die Voraussezung gebunden, dass das aufgeführte Spiel medieninduzierte Massentäuschung und dieselbe ebenso regelmäßig von Übel sei. Wie schon von Kant erörtert, ist diese Auffassung nicht geeignet, den Ambivalenzen der Inszenierungswirkungen gerecht zu werden. Statt »Täuschung« wird die passendere Kennzeichnung der Wirkungen im Einzelfall durchaus »Verführung« oder »Bezauberung«, »Begeisterung« oder »Zustimmung« heißen müssen. Auch dann aber wird sich die interessierte, etwa historische Recherche gegebenenfalls nach der Berechtigung der Beurteilung erkundigen wollen, stehen ja auch hinter einem positiv aufgenommenen Schauspiel oder Spektakel möglicherweise nicht erkennbare Interessen mit einschlägigem ›Inszenierungs‹-, will heißen Simulations- und Dissimulations-Knowhow, Interessen, die zu kennen zu nützlichen Einsichten führen könnte. Man denke an die vertrauensbildende und friedensstiftende Wirkung der »Kamingespräche« zwischen Gorbatschow und Reagan anlässlich des Gipfeltreffens 1985 in Genf. Zweifellos waren es vor allem die emotionalen, die affektmodulierenden Effekte der um die Welt gehenden Bilder, die den Fotos ganz anschaulich zu entnehmende »Annäherung« am Kaminfeuer«, wie die Agenturen titelten, die ihre Wirkung taten. In historischem Abstand wurden die Veränderungen zwischen Ost und West, wie sie in den folgenden Jahren eintraten oder herbeigeführt wurden, unmittelbar mit dem Eindruck, den die Szene der am Feuer beieinandersitzenden Politiker hinterlassen hatte, in Verbindung gebracht. Sie fand Eingang in die Schulbücher.92 Doch sollte man nicht vergessen, dass Reagan im Verein mit Mary Thatcher zur selben Zeit die neoliberale Wirtschaftspolitik nach Hayeck´-Friedman´scher Facon solonfähig machte, den Boden bereitete für die kommenden Finanzkrisen. Nicht von ungefähr spricht man von »reaganomics«. Gorbatschow wiederum durfte bei Strafe der nationalen Katastrophe nicht ruchbar werden lassen, dass die Sowjetunion unmittelbar vor dem wirtschaftlichen Ruin stand. Die Inszenierung schafft die Gewalt nicht ab, sie ›deplatziert‹ nur ihre Sichtbarkeit.
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Dass politische Konfrontationen zu den großen Beispielgebern inszenierungstheoretischer Hypothesen gehören, versteht sich von selbst. Allemal versteht es sich, wenn zu den Bedingungen der thematisierten politischen Intervention gehört, dass die Beteiligung wesentlicher Protagonisten im Geheimen passiert. Die vorliegende Gemengelage einer Mixtur von Dissimulation und Simulation gestalterisch wie inhaltlich relevanter Planungsvorgaben für ein in viele szenische Facetten zerfallendes Geschehen, dessen Erklärung auf diese Weise nicht recht vorankommt, lässt sich indes ebenso an weit trivialeren Exempeln festmachen. Womöglich gehört ein Szenario wie das geschilderte, letzten Endes kaum aufklärbare formal genauso zu den theoretischen Prämissen der Werbewirkungsforschung und ähnlichen Evaluationsunternehmen. Jedenfalls ließe sich so erklären, warum sie erfolgreich damit sein können, positive Effekte von Werbe- oder anderen auf ihre Wirkung zu überprüfenden Maßnahmen überhaupt nachzuweisen. Die Forschung brauchte die Erfolgsbehauptung lediglich für haltbar nur unter gewissen konzeptionellen und gestalterischen Prämissen zu stellen. In der Hauptsache reichte die Einschränkung, dass die Anwender einer bestimmten Strategie nur solange berechtigtes Vertrauen in diese Strategie setzen und dafür einen plausibel klingenden Grund annehmen dürften (nämlich den gelieferten), solange die Strategie sich, gemessen an den Verkaufszahlen oder vergleichbaren Erfolgsparametern, faktisch erfolgreich zeige. Dies vorausgesetzt, sei es plausibel, dass die Werbestrategie nicht nur zu validieren, sondern ihre Weiterverfolgung auch zu empfehlen sei. Würden alternative Begründung-Ziel-Verbindungen vermutet, die mit Hilfe der Beobachtung empirisch zugänglicher Szenarien jedoch (derzeit) nicht (mehr) zu belegen sind, wäre wiederum lediglich anhand einer Fallsammlung, einer Liste von Hypothesen und hypothetischen Schlussfolgerungen zu beurteilen, wie die Zusammenhänge zwischen Ursache und Wirkung, Veranlassung und Effekten liegen könnten. Wenn die im alternativen Setting angenommenen Voraussetzungen unter Umständen doch (noch) mit Befunden aus beobachtetem Verhalten abgeglichen werden könnten, dürfte auch dann aus solchen Resultaten auf passende Koinzidenzen und kausale Zusammenhänge geschlossen werden. – Die Konditionale der Randbedingungen unexplizit zu lassen gehört zur Strategie der sophistischen Scheinschlüsse. Bilden sich situativ Symptome aus, setzt deren Beurteilung irgendeine Form ›teilnehmender Beobachtung‹ voraus. Gewöhnlich wird darunter physische Anwesenheit im selben Raum verstanden; indes ließe sich »Raum« auf »Darstellungsraum« schlechthin erweitern, und »Symptome« wären etwa auch in Romanen zu »beobachten«. Bestimmte Phänomene, die sich im Nachhinein eines positiven Identifikationsprozesses als Objektfragmente und somit als »Indizien« beweisen, empfehlen sich der Aufmerksamkeit, und Pickerings »Mangel« kann beginnen zu arbeiten. Offensichtlich liegt die Schwierigkeit da, wo es gilt, herauszubekommen, ob es sich bei den indexikalisch hervortretenden Repräsentationen tatsächlich um Objektfragmente handelt und welcher Status dem zugehörigen Objekt hinsichtlich des Gesamt performativ szenischer Objektpräsenz einzuräumen ist. Es ist die Frage der Relevanz zu stellen. Denn eines ist gewiss: Jede Objektidentifikation im Prozess aufschließender Recherche zu einer mutmaßlich verborgenen Szenografie steht bedeutungstheoretisch vor derselben Aufgabe, wie sie die unmittelbare Objekt-, (Artefakt-, Werk-)Konfrontation mit sich bringt. Die Szenografie ist der ›Roman‹. Die Beispiele der Politikhistorie unterstreichen, was gemeint ist – insbesondere da es sich ausdrücklich um massenmedial vermittelte Wahrheiten handelt, die über den szenografischen Referenzboden der in Frage stehenden ›Inszenierung‹ aufklären sollen. Inszenierungseffektivität jedenfalls
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kann nicht von einem symmetrischen Idealniveau aus wirkend erwartet werden, vom Nullpunkt der Situativität aus sozusagen. Zumindest minimale Differenzen, der widerstreit eines Einen und eines anderen Einen müssen existieren, um eine Szene zu figurieren und zu beleben. Dem ›Nullpunkt der Situativität‹ entspräche ganz die Energiebilanz im idealen Gleichgewichtszustand allseitiger Offenheit. Von ihm ausgehend, würde sich ebenfalls nur schwerlich Bewegung entfalten. Man erinnert sich an die Ideale der naturphilosophischen Kammerherren. Platt wie eine Pekingente auf ein Brett gedrückt, sollten Inhalte und Karkassen der Kammern alles zeigen, was in ihnen steckte, das Innerste noch nach außen; ein Ideal der Vollendung des Wissens, mit dem jedes Geschäft wissenschaftlicher Forschung ebenso obsolet geworden wäre wie die Bemühungen um den Nachvollzug von Erklärungen, die solche Forschung vordem ans Licht gebracht haben mochte. Es korrespondieren den idealen Symmetrien mithin zwei möglicherweise handlungsspezifisch szenifikatorisch oder inszenatorisch zu kompensierende Asymmetrien. Was die Kompensation im Ergebnis bringt, ist dem Streit überlassen, dem Aufriss und den Versuchen der Fügung. Die Inszenierung setzt sich durch, wenn sie unterschwellig zum Erfolg gelangt und die Szene beherrscht, ihre Zwecke von anderen erreichen lässt. Die Szenifikation mag sich durchsetzen, wenn sie dem ›Apriori-Symptom‹ szenifikatorischer Entschlossenheit folgt, der erscheinenden Vermitteltheit szenischer Anschlüsse zukunftsorientiert schlussfolgernd in die Vergangenheit der Vermittlungstätigkeit nachgeht, bestenfalls zur ›Urszene‹. Indikationen können unterstützen, so sie sich auf diese ›Nachahmung‹ orientieren. Überhaupt empfiehlt sich die Option für den Fall, keine deutlichen Inszenierungsanhalte erkennen zu können, nichtsdestotrotz aber nicht länger in der Ruhe situationskonformer Untätigkeit verbleiben zu wollen, stattdessen in neue szenische Abenteuer einzutauchen. Es korrespondieren mithin ebenso die beiden nichtkompensierten Symmetrien des sokratischen respektive sophistischen Programms. Zu Szenifikation und Aufschluss bereite Inszenierungen werden zusammenkommen können in ihren szenischen Vorhaben, wenn sie das dekonstruktive Ziel beider Seiten anstreben oder zumindest nicht verhindern, dass daran gearbeitet wird. Auch wenn es mit einem Auftritt nicht getan ist. Verborgene Inszenierung und blinde Szenifikation wiederum werden sich durchsetzen, wenn ihre Szenen solcher Anstrengung abgeschworen haben und sich den automatisiert medienformatierten Ersatzszenen überlassen. Ihnen muss es mit einem immer wieder erneut gebotenen Event und zunehmend auf Überbietung drängenden Effekten solcher Erlebnisse genug sein. 3
externe, interne, fremd- & selbstbeschreibung
Wollte man die gesamten Positivitäten dieser oder jener Verteilung oder Verschiebung einfacherweise unter dem Begriff des »Systems« apostrophieren, beispielsweise in der Weise, wie in Begriffen des »Dispositivs« oder »Diskurses« darauf Bezug genommen wird, ist ein Mehrbühnenmodell hilfreich, wie es sich beispielsweise mit der Felddiagrammatik Bourdieus verbinden ließe. Die Idee ist, auf einer eigenen Bühne, auf einem eigenen Blatt den Bau alternativer Bühnen zu ventilieren, ihn szenografisch darstellend zu verräumlichen und zu verzeitlichen. Die Wahl wird auf ein ›plastisches‹ Modellierungskonzept fallen, das trotz der Abstraktheit der eigenen Konstruktion eine Unzahl faktischer Spiele in flottierender Besetzung auf wechselndem Grund zu simulieren zuließe. »Extern« wäre hier als Beschreibung des Verhältnisses zwischen Szenograf
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(Autor, Wissenschaftler, Künstler) und Szenografie (Darstellung) und alternativen Szenografien (Auftritten) keine Tatsachenbeschreibung, vielmehr eine Auskunft über die Relation der vorherrschenden Beobachter- beziehungsweise Beschreibungsperspektive. Da relativ verstanden, wäre der externe als quasi hypothetischer Standpunkt nicht mit der zwangsläufigen Externalisierung beziehungsweise Verobjektivierung im Subjekt-Objekt-Schema zu verwechseln. »Extern« qualifizierte lediglich eine Standortbeschreibung, die für sich selbst beschreibend festhält, dass sie ihren Gegenstand (gegebenenfalls vorübergehend) ›von außen‹ betrachtet. Die Pointe ist mäßig.93 Denn die Demarkation gehört zur Praxis Erweiterter Szenografie. Eine wissenschaftliche Darstellung als solche als »extern« zu kategorisieren dürfte kaum haltbar sein. Was anderes sollte etwa die Darstellung des Kunstsystems ›von außen‹ meinen, als dass »Kunst« gefasst, beschrieben und erklärt würde wie gefasst, beschrieben und erklärt? Dies aber beleuchtet das Problem von Indexikalität und Indizierung, selektierendem Bedeutenlassen.
Indexikalität & Indizierung. Grenzen der Erscheinungsauskunft (Groys, Luhmann, Adorno) Warum sollte ein Soziologe gesellschaftliche Phänomene nicht in künstlerischer Form zur Geltung bringen können? Vielleicht griffe er nicht unbedingt zu Gestaltungsmitteln der bildenden Kunst. Solche der Literatur oder der Poesie hingegen wären durchaus geeignet, wie viele Beispiele zeigen. Die entsprechende Darstellung müsste trotzdem nicht unter dem Stichwort »Kunst« verschlagwortet werden. Und selbst »die Kunst« könnte, sofern sie überhaupt beschreibt, eine mit statistischen, soziologischen oder anderen wissenschaftlichen Argumenten aufwartende Dokumentation vorlegen, ohne per se auf den Kunstanspruch verzichten zu müssen.94 Für bestimmte Kunstrichtungen erscheint es attraktiv, kann die Reflexion ihnen doch offenbar kaum noch Attraktiveres als die Abarbeitung an der eigenen Negation anbieten. Es geht es um die Herkunft der Modellierungsentwürfe, um die damit verbundene Methodik, Begrifflichkeit und Argumentation. Aber wie sollte man auf den Gedanken kommen, dass diese Hinsichten in einer Darstellung nicht variiert und gemischt auftreten könnten? Die vielfältigen Anlässe und Möglichkeiten zur Diagrammatisierung im Rahmen eines einzigen Erzählkontextes, die Produzenten wie Rezipienten zu Gebote stehen, illustrieren den Sachverhalt. Von dieser Warte aus operieren Beschreibungen stets ›intern‹, sind immer auch Selbstbeschreibungen, explizit oder implizit. Sinnvoller wird sich das Beschreiben – und Erklären – als ›Darstellung‹ gegenüber ›nicht darstellenden‹ – ostensiven oder demonstrativen, expositiven oder präsentativen – Lebensund Äußerungsformen abgrenzen, wenn dies als Kriterium zur Diskriminierung von »Kunst« noch taugen sollte. Die Künstler nämlich scheinen die Seiten zu wechseln.95 Die Durchdringung der Sinnen- und Gestaltungslust durch formendes Denken, die Vereinigung der sinnlichen mit der geistigen Welt aber war im wahren Werksein stets lebendig. Goethe beklagte die Konsequenzen als Nachahmung wider die Kunst, Hegel konstatierte es als Ende und Aufhebung der Kunst in Religion und Wissenschaft (als Philosophie), Heidegger bestand darauf, obwohl er es als dem Künstlertum eigentlich nicht zugehörig erachtete. Heute hat sich diese ›Durchdringung‹ von künstlerischem Schaffen und ›Konzeptualisierung‹ durchgesetzt. Allerdings wird diese Durchdringung auf verschiedene Art ausgelegt, konzeptuell, aber auch technisch und technologisch, in einer weiten Zerstreuung zwischen Reflexion am Stoff durch künstlerischen Ausdruck bis hin zu einem Verständnis von ›Kunst‹, deren Ausübung am ehesten einer distanzierten Verwaltungs- und Maklertätigkeit im Auftrag ihres Betriebs
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gleichkommt. Gerade »in der Kunstwelt« gibt es eine »starke Sehnsucht nach Subjektlosigkeit, Anonymität, Wissenschaftsähnlichkeit und Warenförmigkeit.« Künstler ziehen es deshalb vor, »sich als Wissenschaftler, sozialer Kritiker oder Dienstleister unterschiedlichster Art zu definieren«, diagnostizierte Boris Groys zur selben Zeit, zu der sich die Kulturwissenschaft den Raum-Turns zuwendet.96 Inwieweit sich in dieser Logik nun auch die Wissenschaft als Kunst etablieren könnte, hängt ab davon, wie sie die Grenzen ihrer Freiheit und Autonomie bestimmt. Es hängt ab davon, ob sie Selbstkritik anders denn als Reflexion der Differenz um ihrer Identität willen verstehen kann, sie stattdessen in die Praxis im Umgang mit den Dingen verlegen könnte bis hin zur eigenen Negation. Für die gemischten Repräsentations- und Performanzfelder gilt grundsätzlich dasselbe. Allerdings dürften die in der community vereinbarten Freiheitsgrade größer sein als im Fall der (harten) Wissenschaften, die Wahrscheinlichkeiten der Metamorphose mithin größer. Ohnehin bedeutet Assimilation und Integration von Diskurs und Reflexion selbstredend nicht, dass, was da einfließen könnte, auch seine Darstellungsform als Repräsentation behalten dürfte. »Schlecht an den Kunstwerken«, heißt es in Adornos Ästhetischer Theorie, »ist Reflexion, die von außen sie steuert [...], aber wohin sie von sich aus wollen, dem ist subjektiv anders als durch Reflexion gar nicht zu folgen, und die Kraft dazu ist spontan.«97 In der frühen Einleitung zur Ästhetik taucht der Gedanke ebenfalls auf: »Je mehr aber Kunst [...] die Reflexion ihrer Ansätze von sich aus vollziehen und womöglich, gleich einem Gegengift, in ihre Gestalt hineinnehmen muß, desto skeptischer wird sie gegen die Anmaßung, Selbstbestimmung ihr von außen zu oktroyieren.«98 Die Systemlogik der Selbstbeschreibung per Reflexion sieht unter ihren Darstellungen immer solche vor, die angesichts der Positivitäten der Diskurse darüber urteilen, wohin ihresgleichen qua Realitätsbezug und Geltungsanspruch (je nachdem) zu sortieren sind.99 Dies geschieht keineswegs nur ›intern‹ – im Sinne einer Selbstbeschreibung und im Rahmen eines als solchem geltenden Fachdiskurses –, sondern ebenso ›extern‹. »Extern« wird hier verstanden als einem nicht gleichzeitig, zumindest nicht ausdrücklich selbstreferentiellen Diskurs zugehörig, weder im Sinne formaler Disziplinabgrenzungen noch auch gemäß wissenschaftstheoretisch ausgewiesener Kriterien.100 Derart erklären sich die Ausweitungen eines allgemeinen Systems der »Kritik«. Der Einfluss ihres Urteils hängt dabei weniger ab von der für sie selbst geltenden Gattungs- oder Diskurszuschreibung, weniger auch von Überzeugungskraft und Nachvollziehbarkeit der Schlussfolgerungen oder der Transparenz der Manifestation. Wichtiger gerät der technisch mediale Inszenierungsaufwand, den eigenen Zielen zum Erfolg zu verhelfen, Darstellungsmärkte zu arrondieren und entsprechende Regiments zu installieren. »Inszenierungsaufwand« heißt, mit schlagenden Evidenzen aufzuwarten, die ganz auf geläufigen Bedeutungen, vermischten Zeichen und Konstruktionen aufruhen. Die Fassaden werden ins Licht getaucht, die realen Räume und Szenen dahinter erscheinen nur spärlich möbliert und ausgeleuchtet. Zu würdigen in diesem Verständnis sind unbedingt die Erfolge der Kulturwissenschaften oder der Bildwissenschaften. Was die Eroberung der Welt als Bild erreicht, stützt sich für Heidegger nicht vornehmlich auf Waffengänge, Stadtgründungen und Urbarmachung der Wildnis. Viel mehr bringen die Feldzüge der »sciences, arts et metiers«, von Wissenschaften, Künsten und Metiers. Auch die auf den ersten Blick friedlich forschenden Residuen des Denkens sind für die Expansion des Subjekts und seiner Verobjektivierungen qua
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fortschreitender Aneignung von immenser Bedeutung. Und insofern sich friedliche nicht weniger als unfriedliche, aber friedlich scheinende Strategien als unverzichtbar erweisen, gelten sie zugleich als wertvoll und intensiver Pflege bedürftig. Die Folge ist, dass sich Kultur und Kulturgeschichte selbst in der Konsequenz der Bildproduktion verstehen müssen, zu der sie beigetragen haben und beitragen. In ihrem Rahmen wird die Vorstellung von der ›Eroberung‹ als einem pfleglich verantwortlichen und fördernden Umgang mit dem Wissen, seinen Inhalten und seiner Zirkulation phantasiert. Soweit solches Wissen um die Kultur nicht zuletzt zu den erklärenden Resultaten methodischen Forschens gehört, zur science, und aufgrund dieses genealogischen Umstands nicht weniger als aufgrund seiner Effekte zugleich unter die Aneignung bisher unbekannter Räume zählt, ist es nicht nur die Pflege, sondern ebenso die zunehmend globalisierende Raumordnung, die sich Kultur und Wissenschaften angelegen sein lassen müssen. Entsprechende Konsequenzen zeitigt die Diagnose der gleichzeitigen Entfaltung von Kultur und Kulturpolitik: »Kulturpolitik« in Heideggers Nietzsche folgendem Verständnis ist übergreifender Begriff für die verschiedensten Arten, Politik zu betreiben, oder, mit anderen Worten: »Politik« ist wesentlich Kulturpolitik. Im Tableau des Weltbild-Aufsatzes ist alle Wissenschaft dem Kulturschaffen zugehörig. Wissenschaft insgesamt ist, wenn man so will, teils vorausberechnendes, teils nachrechnendes Kulturschaffen. Beschreibend erklärendes Vorstellen »rechnet auf die Natur und rechnet mit der Geschichte«. Nur was auf diese Weise hervorgebracht wird, gehört neuzeitlich zum Seienden, die natürlichen und artifiziellen Gegenstände wie auch das subjectum aller Produktion von Objekten und Objektivem.101 ›Positive Distanz‹. Differenz ohne Identität (Deleuze)
Es scheint ein Dilemma. Man könnte glauben, dass nur die Reflexionsbestimmungen die Differenz bringen, die in der Synthese zur Identitätsbildung führt, während die Reflexion zwar für die Szenifikation – allemal für die Inszenierung – aber nicht für das szenisch situative Dasein als Bestimmung gelten kann. So sieht es aus, als könnte außerhalb der auf Identitätsstiftung bedachten Reflexion keine Differenz in die Szene hineingelangen. Gewissermaßen zeigt sich dies in der Manifestation des Bildes einer Szene. Worin sie sich ausdrückt, ist gewöhnlich ein Bild und nicht zugleich ›Darstellung‹ im reflexiven Sinne à la Holbeins Die Gesandten, worin diverse Bilder erkennbar sind. Worum es also zu tun wäre – und die Bilddifferenzen ruhigstellen ließe –, wäre eine Art sinnlich körperlichen und praktischen Bewusstseins des Situativen – in welcher Entfaltung auch immer –, das zugleich als eine Art unspezifischer Erwartung fungierte, zu deren Befindlichkeit mögliche Veränderungen von Situation und Situationsgewohnheiten dazugehörten. Sartres Situationsbegriff erläutert die Idee. Vielleicht könnte man, was geschieht, eine selbst- wie situationsbezogene Affektmodulation nennen. Ihr käme es zu, Aufmerksamkeit und Anstrengung in einer gewissen Intensitätsspanne flottieren zu lassen und bereitzuhalten. Im Resultat ließe sich eine Art körperlich leiblich stets anwesender Differenzerfahrung vermuten, die nicht reflexiv dialektisch in Schwung und zu Begriff gebracht werden müsste. Was unter diesen Voraussetzungen ein ›Anderes‹ in die Situation hineintragen, zu einer szenifikatorischen Anstrengung führen könnte, in deren Verlauf sich szenische Fassung und Situation im Unterschied eines ›So‹ zu einem ›Noch-anders‹ manifestierten, würde gleichsam erwartet, als endliche, anwesende Differenz erfahren. Die Unmäßigkeit eines allgemeinen formellen ›Widerspruchs‹ und einer damit verbundenen ›Negation‹ müsste jedenfalls beansprucht werden. Was am Anderen widersprüchlich wäre, würde
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sich als konkrete Andersheit durch »positive Distanz« herausstellen. Deleuze ventiliert diese Figur in seiner Logik des Sinns: »Die Idee einer positiven Distanz als Distanz (und nicht als aufgehobene oder überwundene Distanz) scheint uns das Wichtigste zu sein, da sie uns gestattet, die Gegensätze zu ihrer endlichen Differenz zu bemessen, anstatt die Differenz mit einer Widersprüchlichkeit ohne Maß und die Widersprüchlichkeit mit seiner ihrerseits unendlichen Identität gleichzusetzen. Nicht die Differenz hat ›bis zum‹ Widerspruch ›zu gehen‹ [...], sondern der Widerspruch hat die Natur seiner Differenz zu wahren, indem er sich an die entsprechende Differenz hält. Die Idee positiver Distanz ist eine topologische und eine der Oberfläche und schließt jede Tiefe oder jede Überhöhung aus, die mit der Identität auch das Negative wieder einführen würden.«102
Deleuze zieht ein Beispiel aus Nietzsches Ecce Homo heran, das die praktischen Konsequenzen vor Augen führt. Nietzsche rühmt sich dort seiner nicht unbedingt freiwilligen Décadence-Erfahrungen und empfiehlt, eingedenk ihrer, Erwartungen im Umfang dessen, was sie vor- (einen-hin-)stellen, zu bejahen. Gesundheit wie Krankheit wären weit besser, als gemeinhin gedacht, handhabbar – die eine vermittels der anderen –, wenn es gelänge, beide Lebensumstände quasi instinktiv immer in die Perspektive des jeweils anderen Zustands zu stellen und von dort aus zu verstehen.103 Nach diesem Verhaltensmodell wäre, dass etwas etwas zu bedeuten haben wird oder bedeuten könnte, erwartbar, sodass alles Was eines gegenwärtig wirklichen Bedeutens im Jetzt einen Horizont erhielte. Zukunft und Möglichkeiten wären in konkreter Lebens- und Kommunikationserfahrung weniger zu antizipieren denn zu spüren. Erwartungen, Perspektiven und faktische Synthesen erfolgten daher nicht nach Maßgabe grenzenloser Alternativen in einem abstrakt theoretischen Zeichenraum, wie wenn jemand genauso gut auch halluzinieren könnte. Stattdessen gehörten sie dem Leben selbst an. Die Disjunktion, dass etwas so oder anders sein kann, wird damit nicht aufgegeben zugunsten eines konjunktivischen Aneinanderreihens des einen und des anderen und einer derart bestimmten Konnektivität, deren Bedingungsgefüge einmal als konditional, ein anderes Mal als kausal verstanden würde, je nach Situation. Vielmehr wird die Disjunktion selbst von körperlich-leiblicher Anwesenheit beherrscht; mit ihr einher geht die Erwartung eines synthetisierbaren ›und-oder‹104: »[D]ie Disjunktion [ist] nicht länger ein Trennungsmittel, das Inkompossible ist nun ein Kommunikationsmittel.« Disjunktionen bleiben als Divergenzen erhalten, auf ihnen ruht das ›oder‹, doch wird es selbst »reine Bejahung«. Der Standpunkt der Singularität, von dem aus, was sich verzweigt, bejaht wird, ist selbst nicht fix. »Mit Nietzsche hingegen ist dieser Standpunkt gegenüber einer von ihm bejahten Divergenz offen«. Im situativen ›undoder / oder-und‹ verkehrt sich die theoretische Bestimmung der Konnektivität hin zu einem Verständnis von Geltung in Situationsabhängigkeit. »Das Bestehen einer Beziehung von Zeichen und Objekt darf nicht davon anhängen, dass wir uns den richtigen Begriff davon machen, darf also nicht von dem Zutreffen einer Beschreibung dieser Beziehung abhängen.«
Dyadisches Bewusstsein & Zweitheit. Die Wirklichkeit der Szene (Peirce, Deleuze) Deleuzes Versuch der Überwindung der dialektischen Distanz von Vermittlung orientiert sich an Klossowskis Dekonstruktion der wechselseitigen Grundierung und Zentrierung von Ich, Welt oder Gott »zugunsten der divergenten Serien als solchen«, die über die begrifflichen Operationen von Disjunktion, Konjunktion und Konnexion »hinausgehen« und zu einem »als Ereignis ausgedrückten Sinn« führen.105 Dies liegt
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durchaus in der Konsequenz auch Peirce´scher Einsichten in die Spezifik des sogenannten »dyadischen Bewußtseins«. Die Eigenart dieses Bewusstseins ist es, auf die begriffliche Identitätsstiftung qua Synthesis Verzicht zu leisten106, worüber, darstellungsgerecht entfaltet, zweifellos nur fiktionale Aussagen zu machen sind. Auf die Spur der damit angepeilten Positivität bringt die Figur der Negation.107 Peirce führt als Beispiel jemanden an, von dem man sagt, dass er »nicht sündelos« sei. Peirce fragt, ob wir »das Sündelose«, durch die Formulierung hypostasiert, nicht als »etwas dar[stellen], das nur in einem idealen Universum einen Ort hat, das oder dessen Teil, der dieses sündelose Wesen enthält, wir dann eindeutig von der Identität des betreffenden Menschen trennen«.108 Wir würden gewissermaßen zwei Seinsweisen voneinander unterscheiden: die konkrete Existenz des betreffenden Menschen und die Seinsweise einer ihm abgesprochenen, logisch aber zu erschließenden Seinsweise des Sündelos-Seins. Von daher wäre die Affirmation denkbar. Sie beinhaltet, dass das in Anspruch genommene Universum »ein Subjekt jeder Proposition ist und daß jede Modalität, die sich aufgrund ihrer Unbestimmtheit als Affirmativ [!] herausstellt, wie Möglichkeit und Intention, eine besondere Bestimmung des Universums Der [!] Wahrheit ist.«109 Das reklamierte »Universum« meint mithin das Diskursuniversum des Phemischen Blatts, je nachdem wie weit differenziert in unterschiedlichen Modalitätsuniversen. Deshalb wird das Blatt als »Quasi-Geist« apostrophiert.110 Denn es repräsentiert nicht nur das im Diskurs Eingetragene, sondern auch ohne Skribiertes das Universum als solches und vor allem seine Kontinuität. Ohne Eintrag findet das Diskursuniversum »nur allgemeine Aufmerksamkeit als eben dieses Universum [...], d.h. die Kontinuität erfahrungshafter Erscheinung des Universums, relativ zu jeglichen Objekten, die als ihm zugehörig dargestellt sind.« Die Kontinuität beschreibt einen gemeinsamen Seinsraum oder den Raum eines Gemeinsam-Seins. Sie muss »das Gemeinsam-Sein (cobeing) in einem Universum darstellen, worunter die Kontinuität einer Umgebung (environment) zu verstehen ist.«111 Davon weiß das dyadische Bewusstsein. Als Dyade qualifiziert Peirce die grundlegende Idee von etwas, dessen Eigenschaften als solche schlicht diese und keine anderen sind, unabhängig von jedem weiteren Objekt irgendeiner Kategorie. Mithin bleibt die Identität des einen wie des anderen unvermittelt. Das dyadische Bewusstsein erlebt sich auf diese Weise im Widerstand und insofern dynamisch oder energetisch.112 Entsprechend113 diskriminiert es gemäß der Unterteilung der Zeichen hinsichtlich der Form der Bedeutung (oder des »anfänglichen« oder »impressionalen Interpretanten«) kategorisch. Auf den anfänglichen Eindruck zu reagieren heißt, dass es keine weiteren Bedenken gibt, denn der impressionale Interpretant »ist nur das Zeichen in einer anderen Form der Präsentation. Er ist die Bedeutung«. Realistisch betrachtet – gemäß der Natur des »mittleren« oder »tatsächlichen Interpretanten« – lässt sich, was ist, unter eine Beschreibung nehmen. Folglich ergeben sich Sätze, Propositionen oder die Positivitäten diagrammatischer Figuren. Phänomenal zählen hier Gewohnheiten aller Art (deshalb auch »gewohnheitsmäßiger Interpretant«): Gefühls-, Handlungs-, Gewöhnungsgewohnheiten, angeeignet, weil es immer schon so war, weil nichts dagegen zu machen war oder weil es sich mit der Zeit einschlich. Entsprechend relativieren sich die Zwecke. Entweder geht es darum, dafür zu sorgen, dass es so bleibt, wie es ist – wofür unter Umständen nicht viel nötig ist (»geregelte[r] Ruhezustand«) –, oder darum, dass es anders wird – wofür man spezifische Ziele setzen muss, unter Umständen begleitet von »stufenweise[r] Steigerung der Ideale«. Die Bedeutung des Zeichens ist hier die Bedeutung eines anderen
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Zeichens in den Grenzen einer bestimmten Handlungsdynamik.114 Was ›verstanden‹ (wie beispielweise in unserer Darstellung und unabhängig davon, ob zutreffend oder nicht) derart ganz gewöhnlich aussehen mag, erscheint ›dyadisch unvermittelt‹ eher überwältigend, »schockierend« oder »schlagend«. Es begegnet gleichsam roh, einfach hingestellt. Hinsichtlich, schließlich, des letzten (»finalen«) Interpretanten, einer möglicherweise zu Schlussfolgerungen gekommenen Bedeutung, liegt der Sinn qua Voraussetzung (der Existenz eines dyadischen Bewusstseins) sozusagen im Nebel des Ungewissen oder in der Zukunft eines nichtsdestotrotz anwesenden Environments gemeinsamen Seins. In dieser Perspektive spricht Peirce vorsichtig vom »eventuellen Interpretanten«. Hinsichtlich der möglichen Bedeutung von dem, worum es sich handeln könnte, stößt das Bewusstsein nur auf die Anzeige einer Tatsache. Sie kommt wie »der Beginn einer Überraschung«, verbleibt indes zeichenspezifisch im Rahmen des Gewohnten, das, verständlicherweise, »mittels einer vertrauten Tatsache« indiziert wird. Gemäß dem Status einer Bedeutung, der erst in der Vermittlung der triadischen Relation die reflektierte Fassung einer Darstellung oder eines Begriffenen zugerechnet wird, bleiben die Zwecke des Bedeutenlassens der Handlungsförmigkeit angepasst. Sie gehen nicht auf die Überwindung der Disjunktion ein, sorgen aber für eine den eigenen Maximen adäquate Form, die beruhigend wirkt. Die Stichworte, die Peirce dazu gibt, lauten: »befriedigend«, »handlungsförmig«, »moralisch«, »Selbstkontrolle hervorrufend«.115 Nun ist einsichtig, dass das dyadische Bewusstsein, die Kategorie des Aufeinandereinwirkens (Peircens »Zweitheit«116), nur dargestellt einen Platz eingeräumt bekommt, praktisch nur singulär evident erscheinen kann. Peirce ist insofern mit Hegel einverstanden, der sich ganz auf die Vermittlung (Peircens »Drittheit«) konzentriert. Soweit Drittheit, »die Kategorie der Darstellung«117, Zweitheit und auch »Erstheit«118 einschließe, müsse man zugestehen, dass die Behauptung, dass »Drittheit« »die eine und einzige Kategorie« sei, durchaus eine Wahrheit beinhalte. Tatsächlich nämlich werde es niemals möglich sein, Zweitheit oder Erstheit ohne Drittheit »in einem Phänomen zu finden«. Was Peirce von Hegel trennt, ist der Zwang zur Aufhebung in einem Absoluten. Dem widerspricht Peirce energisch und besteht darauf, dass »[f]ür die Idee einer echten Drittheit [...] eine unabhängige und stabile Zweitheit erforderlich [sei – HW] und keine Zweitheit, die eine bloße Ableitung aus einer unbegründeten und ungreifbaren Drittheit ist«.119 Deshalb sei es unangebracht, wie Hegel Erstheit und Zweitheit als »Nichts« zu behandeln. Es leuchtet ein, das sich die Ontologie nur ontologisch formulieren lässt. Der Unterscheidungsmodus der Vermittlung oder der Zeichen beruht auf der Unterscheidung von dargestelltem Objekt, Repräsentamen und Interpretanten. Der Zweitheit ist diese Unterscheidung fremd, weswegen sich das dyadische Bewusstsein, quasi vorbewusst den eigenen Geist zu Rate ziehend, wenn es die Dualität der Konstellation in Wirkendes und Leidendes zerteilt, nur auf ein anderes beziehen kann, ohne ein Drittes zu berücksichtigen. In dieser Form wird »situativ« in Handelndes und Betroffenes geschieden, während die Dualität diese Differenz begrifflich qualifiziert nicht kennt. »So liegt in diesem Unterscheidungsmodus also eine innere Drittheit.«120 Die logische Konstellation der Dyade hat lediglich zwei logische Subjekte, die mit einem Prädikat verbunden sind. Anders gesagt: Sie hat nur ein Prädikat mit zwei Leerstellen. Die grammatische Unterscheidung nach Nominativsubjekt, Akkusativ- und Dativobjekt kennt die Relationenlogik nicht. Die intellektuellen Tatsachen der qualitativen Differenzierung sind dagegen verständlicherweise zeichen-, sprachabhängig. Nimmt man sie unter die Lupe, zeigt sich, dass mittels der grammatischen Subjekt-Objektdifferenzierung die Seinsgegebenheiten geregelt werden und
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zur Darstellung gebracht werden: zuerst zur ontologischen, wie sie »in der Philosophie nützlich sind.«121 Sprachen wie das Englische oder das Deutsche unterscheiden auf diese Weise zwischen dem dargestellten Objekt und dem Zeichenkörper, der vom Objekt bestimmt erscheint und in der Darstellung auch als weiter nicht beeinflusst gilt. Das Repräsentamen wiederum ist entweder als Ikon ein »qualitatives Doppel des Objekts« oder es ist als Index »das Leidende, auf das das Objekt tatsächlich wirkt«, oder es ist als Symbol »mit dem Objekt [...] intellektuell verknüpft«, durch das Objekt geistig angeregt.122 Zweitheit par excellence findet Peirce im Bewusstsein der Reaktion im Willen und in der Wahrnehmung. Es ist die Reaktion auf eine Gefühlsqualität – quasi unmittelbares Bewusstsein –, was Peirce indes in der Auslegung als »Empfindungsqualität« spätestens Anfang des 20. Jahrhunderts als »Fiktion der Psychologen« zurückweist. Von hier aus relativiert sich die qualitative Auszeichnung des Reaktionsbewusstseins als Wille und Wahrnehmung. Ist Zweitheit »pure Reaktion«, wie Peirce sagt, dann ist alles Bewusstsein von der Art der Zweitheit, von der Art einer Einwirkung eines Objekts auf die Vorstellung »ipso facto«. Das heißt, »es handelt sich um eine Eigenschaft des Bewußtseins als Tatsache«. Als solche ist sie, abgesehen von der puren Einwirkungsqualität, intensitätslos, kein Bewusstseinsmodus, »sondern eine mögliche Form des empfundenen Objekts«.123
Anstrengung & Widerstand – Szenische Situativität und Ereignen. Denken ›von der Form der Information‹ (Peirce) Die Erläuterungen Peircens helfen, die irreleitenden Assoziationen einer Grammatik des Reagierens beiseite zu schieben. Wie die von »Darstellung« kontaminierten Formen des Wollens und Wahrnehmens schon andeuten, wäre ein neutraler Ausdruck vielleicht besser geeignet, dem Gedanken des Unvermittelten im »dyadischen Seinsmodus« Rechnung zu tragen. Verschiedentlich schon wurde auf die Verwendung des entsprechenden Begriffs rekurriert. In den Notizen zu Humes ›Traktat über den menschlichen Verstand‹124 expliziert Peirce »Anstrengung« als etwas, das »nur relativ zu einem Widerstand existieren« kann. Obwohl »Anstrengung« und »Widerstand« gemäß common sense nicht dasselbe, sondern einander entgegengesetzt sind, ist ihrer beider Sein, ontologisch betrachtet, von derselben Art. Peirce zieht daraus die Konsequenz, dem dyadischen Sein a priori zwei Genera zuzuschreiben: eine Art, »bei der die wesentliche Relation wechselseitig, und eine andere, bei der sie einseitig ist«. Realiter ist die einseitige Relation ihrem Wesen nach eine Handlung. Von dieser Gattung gibt es zwei Unterarten, die das dyadische Sein als Objekte diskriminiert. Ihr Sein besteht entweder darin, auf anderes einzuwirken oder Einwirkung entgegenzunehmen. Wohlgemerkt, wie oben schon unter ästhetischen Gesichtspunkten erörtert, ist auch Einwirkung entgegenzunehmen als Handlung zu verstehen. Nebeneinanderstehende Bewusstseinstatsachen warfen oben schon die Frage auf, welche Reaktionsqualitäten sich dem Faktum assoziieren, um für ein anderes ›und-oder‹ wenn nicht die Art der Einwirkung, dann die Wiederholung des Effekts zu erwarten, wie weit die »positive Disjunktion« in die Zukunft auszugreifen vermag. In den Entwürfen zur Lowell-Lecture von 1903 gibt Peirce darauf eine Antwort. Er weist darauf hin, dass die Tatsachenbestimmtheit von Realitäten nicht von denjenigen Realitäten ablenken dürfe, »die allein den Tatsachen irgendeine Bedeutung verleihen«, und dass die Zukunft, unter diesem Aspekt betrachtet (unter dem der Darstellung), veranschauliche, was mittels Vermittlung möglich sei. – Folglich wird
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immer zugleich demonstriert, was ohne Vermittlung nicht möglich ist. – Kontingente Aussagen über die Zukunft müssen wie schon von Aristoteles als weder wahr noch falsch beurteilt werden. Zukunft ist bloße Möglichkeit, »ein Sein, wie es eine Idee in sich selbst enthalten kann«. Wenn man dagegen die Praxis betrachtet und was dort »Zukunft« heißt, dann kann man sich des Eindrucks nicht erwehren, dass die Dichotomie selbst die Form einer realen Relation zwischen Gegenwart und Zukunft respektive Zukunft und Gegenwart annimmt. Ganz so heißt es im Statement von 1908 im Nachtrag zu den Prolegomena, dass damit der Raum eines Zusammentreffens und zugleich Gemeinsam-Seins über die Zeit (in Kontinuität) bezeichnet sei. Die ontologische Qualifikation der Differenzierung in agent und patient wird demnach wechselseitig ausgelegt. Zweitheit, Reaktion, findet sich in der Zukunft nicht auf unser Bewusstsein bezogen, sondern auf die Tatsächlichkeit der Tatsache unseres lebendigen Daseins, auf die Anstrengung, sich in Richtung der eigenen Endlichkeit bewegen zu müssen.125 Relativistisch betrachtet, wird man ebenso sagen dürfen, unsere eigene Zukunft fände Reaktion, Widerstand an unserem Herkommen, was die Auszeichnung der Gewohnheit(en) im Peirce´schen Denken verstehen lässt. In der Tatsächlichkeit stoßen die Dichotomien aufeinander. Die Tatsächlichkeit von Tatsachen bezieht sich dabei auf nicht direkt kontrollierbare ›harte‹ oder kontrollierbare ›weiche« Tatsachen oder auf fiktionale Tatsachen.126 Harte Tatsachen betreffen externe Tatsachen und Wahrnehmungstatsachen; weiche Tatsachen betreffen interne Tatsachen des Wollens, kontrollierbar durch Selbstkontrolle. Entsprechend regeln »Gesetze des Zwangs« (eines je nach Gegebenheit härteren oder sanfteren Zwangs) diese wie jene nichtfiktionalen Tatsachen in der Dichotomie von physikalischen (nebst physiologischen) und psychologischen Gesetzen.127 Am stärksten hervor tritt das dyadische Bewusstsein in der gerichteten Tatsächlichkeit – als schlichte Tatsache des Lebens, könnte man sagen. Denn es wäre eine Art unbewusstes Wollen, ein unbewusstes Beabsichtigen. Doch ist »der Versuch, sich zu verdeutlichen, was Bewußtsein ohne das Element der Darstellung sein würde, [...] ein aussichtsloses Unterfangen.« Deshalb liegt im Wollen als dem stärksten Ausdruck des Aktion-ReaktionWechselspiels nicht »reine Zweitheit« vor. Dies erweist sich eben daran, dass das mehr als metaphorisch ›körperliche‹ selbstständige Wollen im Sinne eines gleichzeitigen Reagierens deutlich macht, dass, wer etwas will, eine Absicht hat, dass die Idee der Absicht wiederum »Handlung als ein Mittel zu einem Zweck erscheinen [läßt]«. Damit aber sind Medialität und Zeichen und also ein Drittes im Spiel.128 Hilfreich ist deshalb, Zweitheit als »Existenz von Erstheit« zu fassen. Die Eindimensionalität der Erstheit würde sozusagen zweimal thematisiert. Man stellt sich ein Eines in Auseinandersetzung mit einem anderen Einen vor, was so gut ist, wie sich das Umgekehrte vorzustellen. Für »Auseinandersetzung« ließe sich neutraler »Ereignen« einsetzen. »Wenn wir Zweitheit als Element eines Ereignen meinen, so ist deren [!] Erstheit Tatsächlichkeit« – in diesem Meinen. Denn Existenz als universelle Erstheit aller Zweitheit ist überhaupt keine Qualität oder »bloße Weise des Fühlens«. Peircens bekanntes Beispiel vom Nichtunterschied von wirklichem Dollar als Guthaben auf der Bank und möglichem Dollar, nur vorgestellt als Spekulationsgewinn etwa, illustriert das Argument. Der Grund dafür, dass sich Realität und Vorstellung nicht unterscheiden, ist einfach. Denn unterschiede sich der Guthabendollar vom imaginierten, ließe sich der vorgestellte schließlich umstandslos so vorstellen wie der auf der Bank.
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Eine Pointe, die offensichtlich Anfang des 20. Jahrhunderts tatsächlich noch nicht die allgemeine Vorstellung von wirklichem und vorgestelltem Geld beherrschte und überraschend wirken konnte; interpretiert in dieser wie in jener Richtung. Wäre »Existenz« tatsächlich die beherrschende Seinsform, so wäre ein derart bezeichnetes ›Etwas‹, dem doch nur der Status einer abstrakten Möglichkeit zugestanden wird, die gerade darin kein Sein hat, viel eher nichts denn etwas. Wenn »Existenz« als einzige Seinsweise gilt, läuft alles darauf hinaus, dass »das reine Sein als fast dasselbe wie das Nichts« gilt, was Peirce, wie erläutert, Hegel zum Vorwurf macht.129 Betrachten wir das Zweite wie in der Reflexion üblich, zeigt es sich als Denken in Form des Ereignens, eines denkenden Ereignens, das seinerseits vom Denken nach dritter Art beherrscht wird. Als Ereignis selbst ist Denken »von der allgemeinen Natur der Erfahrung oder Information«. Das Denken führt Information gleichsam ein in den Geist, was, wenn man das psychologische oder zufällig menschliche Element abblendet, in der Reflexion die Vermittlung, das Wirken der Zeichen, mithin eine Darstellung erkennen lässt. Bleibt man beim sich ereignenden Gedanken, würde »Information« demnach weniger auf Erfahrung qua Darstellung rekurrieren als auf die Informiertheit der Dinge, wie sie Michel Serres in seinem Hermes-Bänden thematisiert.130 Auch die menschlichen Akteure würden hier als informierte Dinge oder Objekte geführt, ein Gedanke, der sich Heideggers Seinsverständnis durchaus anverwandeln lässt. »In den Strom der Informationen getaucht, sind die Objekte eingeschaltet, und ich bin ausgeschaltet, zumindest als Subjekt«. Deshalb die Antwort auf die Frage, wie wir als Nichtsubjekte ›eingeschaltet‹ sein könnten: »Wenn ich handle, spreche, experimentiere, schalte ich mich in den Informationskreislauf ein, als Träger meiner außergewöhnlichen Negentropie und meiner eigentümlichen Sprache.«131 Die ›Einschaltung‹ muss offenbar nicht als Aneignung oder Eroberung erfolgen, kann als Einordnung in den Dingkontext ausfallen – was zu illustrieren unsere Überlegungen zur Zweitheit beziehungsweise zum dyadischen Bewusstsein motivierte. Schließlich ließe sich die Analyse durchaus informationstheoretisch lesen, sodass die Perspektive der »Darstellung« als »Wirken eines Zeichens oder seine Relation auf das Objekt für den Interpreten der Darstellung« und derart die Interpretation der Zeichen-Effekte verstanden würde: Das Zeichen stellt dar; insofern sind die Objekte vorstellungsvermittelt. Wenn die Vorstellungs- oder Wahrnehmungsoperation gelingt, nutzt das Denken die Chancen, weiterhin auf Zeichen zu reagieren, wie es bisher auf Zeichen reagierte. Die »einzige Rechtfertigung«, so zu denken, liegt darin, »daß es sich in der Folge als nützlich erweist.«132 Oder, wenn wir das Gegenwärtige zum Beispiel nehmen für »ein Sein, das so verstanden wird, daß sein Subjekt auf andere Objekte einwirkt«, dann wirkt das »Gegenwärtige [!] Ereignis [...] auf alle folgenden Zeiten ein und bestimmt oder bestimmt teilweise die folgenden Ereignisse. Der einzige verständliche Inhalt der Aussage, dass vergangene Ereignisse wirklich stattgefunden haben, ist, gemäß der Logik des Pragmatizismus [...], daß die Zukunft so bestimmt wird, als ob die Vergangenheit wirklich der Fall war; denn allein die Zukunft enthält das kontrollierbare Verhalten, in dessen Steuerung der verständliche Gehalt der Begriffe liegt.«133
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Maß & Untermaß des schaffenden Entwurfs. Identitätsstiftende Bewahrung (Peirce, Heidegger) Kommen wir noch einmal auf Heideggers Einlassungen zum »Werk« zu sprechen und folgen wir seinen Dekonstruktionsvorstellungen, um sie mit den Überlegungen Peircens und Deleuzes engzuführen. Poiesis führt nicht per se zu Werk oder Kunstwerk, genauso meint »Hervorbringung« (poiesis) Dingproduktion. Das Dinghafte indes durchzieht wegen seiner Verbindung mit der Physis alle Arten des Hervorbringens, auch Werk und Kunstwerk. Denn nur in der Vermittlung von naturhaft Dinglichem mit künstlich Geschaffenem kann sich die Kunst im Kunstwerk als gleichsam dessen »Natur« erweisen. Das Gemeinsame ließe sich treffend als »Informiertheit« fassen, zu Deutsch durch »Bildung« und »Bild«.134 Denn die Kunst ist des Kunstwerks unmittelbare Wirklichkeit, nicht umgekehrt. In der Kunst steckt, wie Heidegger mit Blick auf die Genealogie von techne festhält, Wissen oder, objektkonform formuliert, Information. Alles andere bedeutet Vergegenständlichung des Werks aus subjektinteressiertem Anschauen und Bestimmen. Doch lässt sich die Externalisierung zu Zwecken der Vergegenständlichung von hier aus dekonstruieren, wenn das »Erdhafte des Werks« als eigenes Maß hervortritt im Unterschied zum verordneten Maß der Verobjektivierung nach Maß seiner inneren Informiertheit. Das Eigenbemessene begegnet anstelle eines nach außen oder innen gewandten Erlebens, gewissermaßen eines hier wie dort zu inszenierenden Theaters, als Ereignis im Verständnis des von Peirce und Deleuze artikulierten Ereignis-Sinns.135 Worauf Heideggers Überlegungen zum Ursprung des Kunstwerks Mitte der 30er Jahre hinauswollen, ist eine Lösung, die das Szenario der Bildproduktion, das in seinen Konsequenzen im Weltbild-Vortrag von 1938 skizziert wird und die Eroberung der Welt als Bild, als Vorstellung und Wille beinhaltet, nicht als unausweichlich erscheinen lässt, zumindest aber hinreichend ausleuchtet, was es beinhaltet. In der Peirce´schen Semiotik bezeichnet »Bild« eine »lebendige und hochgradig informative Darstellung«. Dargestellt werden die Relationen zwischen den Objekten des Bildes. Doch finden sie sich ›dargestellt‹, können sie schwerlich in allen Dimensionen zugleich gezeigt werden, weder in physikalischer noch in psychologischer Hinsicht. Auch gibt es Seiten des Bildes wie seine Rückseite, die es gar nicht oder doch, höchst selten, nur dargestellt zeigt. Das heißt, die Darstellung scheint immer nur auf im Raum einer bestimmten Perspektive. Deshalb wird das Bild auf die Veränderung der Perspektive reagieren und sich beispielsweise bei extremer Nähe nicht annähernd so homogen und komplex erweisen, wie es bei größerem Abstand den Anschein hat. Ähnliches trifft durchaus auch auf die »Darstellung durch Graphen« zu, mit der Peirce das »Bild« im Nachtrag zu den Prolegomena, den wir an dieser Stelle heranziehen, vergleicht. Der wesentliche Unterschied besteht allerdings darin, dass alle Objekte, die in einem wirklichen Bild »als zusammengesetzt«, unterschiedlich informiert, gezeigt werden, wirklich zusammengesetzt und aus wirklichen Teilen zusammengesetzt im Bild erscheinen. Deshalb dürfen sie in der Realität im Dargestellten nur als »nächstliegende«, nicht wie in der diagrammatisierten Fassung eines Phemischen Blatts (zumindest ideellerweise) als »letzte Teile« reklamiert werden.136 Technologisch haben wir diese Denknotwendigkeit, »Bild« zu verstehen, hinter uns gelassen. Ideell »letzte Teile« werden in den realisierbaren Dimensionen heute verfügbarer Datenmengen wie in den erreichbaren Geschwindigkeiten ihrer Transfers ununterscheidbar gegenüber allen ›vorletzten‹ Zuständen.
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Das Werk ein Werk sein lassen und nicht zum Gegenstand zu machen bedeutet für Heidegger, ein Werk zu »bewahren«. Es heißt, ihm seine Informiertheit zu erhalten. Die Bewahrenden treten so neben und vor die Schaffenden, denn die Bewahrenden sind diejenigen, die »der im Werk geschehenden Wahrheit entsprechen«. Auch ohne dass diese Aufgabe tatsächlich erfüllt wird, ist das Werk auf seine Bewahrung verwiesen, denn nur Bewahrung kann Identität garantieren. »Wahrheit« bedeutet, »sich in das Seiende einzurichten«. Es korrespondiert mit der Zuführung von Information in den Geist dieses Seienden. Wenn man »das psychologische oder zufällig menschliche Element abblendet« und, aufs Werk bezogen, realisiert, dass solcher Geist, sich ins Werk zu richten und zu setzen, aufgegeben ist, kann »Wahrheit« demnach nicht Aufhebung der gegensätzlichen Bewegungen bedeuten. Sei es eine Aufhebung ins Erdhaft-Natürliche der Physis, sei es Aufhebung ins Welthafte der Techne. Mithin wird es den Streit von Anstrengung und Widerstand im Medium der Zweitheit geben, den Streit von Welt und Erde, wie Heidegger sagt, Form und Stoff, »zwischen Lichtung und Verbergung in der Gegenwendigkeit« beider zueinander. Der in das Werk, in die gegenseitige Informierung der Objekte eingebrachte Streit (»Streit von Maß und Unmaß durch den schaffenden Entwurf ins Offene«) muss dort anwesend sein und ausgetragen werden. Seiner Natur entsprechend hinterlässt er Risse im Gewebe des Begehrens, das aus Wissen und Lust gewirkt ist und sich der Information als Erfahrungsvorsprung und Ermächtigung bedienen möchte. Im bewahrten wirklichen Werk und Kunstwerk erscheint dieser Streit beigelegt; die Risse sind verschlossen.137
Informierte Objekte. Vorschein & Bewahrung der Wahrheit (Serres, Peirce, Bloch) In seine Gestalt »festgestellt« – Index seiner Wahrheit – repräsentiert das Werk, was Maß ist. Solches »Maß« definiert ein Maß des Humanen nicht vom Subjekt, sondern vom informierten Objekt her. Informiertes Objekt und empirisches Objekt sind durchaus verschieden. Das informierte Objekt oder das informierte Ding, um an die Wurzel von Physis und Techne zu erinnern, ist gleichsam ein Kunstwerk, »das die Elemente der empirischen Realität ebenso in sich enthält wie versetzt, auflöst, nach seinem eigenen Gesetz rekonstruiert.«138 Die Informierung überwindet die heteronome Bestimmung des Objekts als bloßes so gut wie totes Ding.139 »Der Vorrang des Objekts als potentielle Freiheit dessen, was ist, von der Herrschaft, manifestiert sich in der Kunst als ihre Freiheit von den Objekten« – sodass sich die Objekte in der Freiheit ihrer gegenseitigen Informierung und Informiertheit nicht mehr als das andere der Kunst betrachten und behandeln (lassen) müssen. Die Orientierung an den bildend gebildeten Körpern hilft zu verhindern, sich in übermäßiger Wahrheitsoder Sinnenlust zu erschöpfen. Die so bestimmte Szene ruht in einem labilen Gleichgewicht. Zwar ist, was sich darin zeigt, auch nur »ein Scheinen der Wahrheit«, doch ist der Schein kein falscher Schein, viel eher, bei Heidegger wie bei Peirce, Vorschein. Die Wahrheit kann nur als Regulativ fortschreitender Sinnermittlung in Anschlag gebracht werden, in the long run und ohne Garantie auf Erfolg. Bewahrung mithin impliziert, die Autonomie des Werks, allgemeiner der Dinge zu respektieren, die von ihrer Wahrheit leben. Die Wahrheit ist angeschlossen an die Zirkulation der Information, ruht nicht verschlossen im Objekt. Nur darauf, auf diese Zirkulation kann sich das Wissen des dyadischen Bewusstseins im energetischen Prozess des leibhaften Tuns und Denkens beziehen. Deshalb gibt es keine Verwechslung mit dem sich selbst versichernden Ich der Darstellung. Denn das verdankt sich der darstellungsspezifischen
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Bildproduktion beziehungsweise der gegebenen Repräsentation, muss sich folglich reflexiv selbst versichern. Auf diese Weise versteht sich dieses Ich letztlich als Wille, sich selbst zu wollen. So sollte es für Vergangenheit und Gegenwart nicht nur eine Unterscheidung des Wissens geben, sondern ebenso eine des Wollens. Zudem müssten sich beide Unterschiede als Unterscheidungen von relevanten Hinsichten erweisen – so wie sie Peirce analysiert. Die Überwindung der Philosophie des Subjekts gemäß Fichte, Schelling und den Romantikern, die Nietzsches Zarathustra mit der Vereinigung von Dichtung und Philosophie gültig unterstreicht, erweist sich, ganz wie die Subjektphilosophie als Charakteristikum der Neuzeit als selbst geschichtlich. Auch sie wird von der Philosophie als historisch – ›seinsmäßig‹ – notwendig begriffen. Der Darstellung qua Repräsentation, vulgo der zu Nietzsches Zeiten noch nicht lange existenten »Literatur«140, wird nebenbei testiert, dass sie es offenbar mit anderen Verbündeten zu tun hat, wenn es die »Dichtung« nicht mehr sein kann. Heidegger unterlässt es im Kontext seiner hier erörterten Besinnungen zum Ursprung des Kunstwerks, die Hinsichten, die er empfiehlt, weiter zu problematisieren – zu Gunsten derjenigen Differenz, die er herausarbeitet: Wissen besteht demnach »nicht im bloßen Kennen und Vorstellen von etwas. Wer wahrhaft das Seiende weiß, weiß, was er inmitten des Seienden will«. Man könnte auch sagen: »soll«, um den Abstand zum Willen des Subjekts zu markieren. Ganz im Jargon nämlich heißt es etwas weiter: »Das Wissen, das ein Wollen und das Wollen, das ein Wissen bleibt, ist das ekstatische Sicheinlassen des existierenden Menschen in die Unverborgenheit des Seins.« Deutlich ist auch hier die antihegelianische Wendung, die keineswegs nur die Existenz als Seinsweise des nichtrepräsentativen Realen gelten lässt.141 Auch wenn solche Sätze nicht unbedingt nach einem Plädoyer für defensives Verhalten klingen, eines ist klar: »Weder in dem zuvor genannten Schaffen, noch in dem jetzt genannten Wollen ist an die Aktion eines sich selbst als Zweck setzenden und anstrebenden Subjekts gedacht.«142 Heidegger sieht die Gefahren der Selbstsetzung und eines darauf bauenden Willens zur Macht des Subjekts. Der Philosoph benennt Indizien und Symptome des laufenden Programms ausgreifender Vorstellung auf dem Boden sich wandelnder gesellschaftlicher Verhältnisse. Ebenso wie Goethe oder auch Hegel für ihre Zeit prognostiziert Heidegger einen von daher nicht unwahrscheinlichen künftigen Verlauf. Wer achtzig Jahren später urteilt, erlaubt sich zu tun, als ob die Vergangenheit der Fall gewesen sei. Für zukünftiges Geschehen ist dies eher ungewöhnlich. Deshalb mag verständlich sein, dass Heidegger das Szenario zukünftiger Inszenierungs- und Erlebnisgesellschaft an dieser Stelle verlässt und stattdessen plausibel zu machen sucht, auf welche Weise Leiblichkeit und Sinnlichkeit aus sich heraus wissen können, was sie wollen; wenn sie sich nicht der Excitation durch erlebniserregende Dinge und Ereignisse ergeben, um zu wollen, ohne zu wissen.
Kultur, Kulturwissenschaft, Politik: ›Politik‹ als ›Kulturpolitik‹ (Nietzsche, Heidegger) Die Behauptung tatsächlich plausibel zu machen ist viel schwieriger, als die damit einhergehenden Negationen nachzuvollziehen. Insbesondere wäre vielleicht zu hoffen, dass das Werk, das in sich steht ganz ohne exklusive Beschränkung auf das Kunstding, solche Inständigkeit nicht seiner Tauglichkeit als »Erlebniserreger« verdankte. Zu hoffen auch wäre, dass wissendes Bewahren sich nicht als Kuratorschaft gegenüber einem Werk missverstehen müsste, das ins Erleben gedrängt gehört, um seine Wahrheit zu erweisen. Zu hoffen wäre dies, zu prognostizieren ist es nicht. Denn gerade die
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›Inszenierung der Bewahrung‹ gehört schließlich zu den wichtigsten Inszenierungsleistungen von Kultur, Kulturwissenschaft und Kulturpolitik der Gegenwart wie schon zu Nietzsches Zeiten, als die Diagnose, die Heidegger aufnimmt, gestellt wurde. Die Herausbildung der Kunst zum Gegenstand der Ästhetik, der Dichtung als Literatur zum Gegenstand von Literaturwissenschaft und Hermeneutik zählt demnach zu den Charakteristika der neuzeitlich modernen Entwicklung der Eroberung der Welt als Bild. Der Stoff der ›Lektüre‹ muss freilich weitergedacht werden, was wir unten tun. Nicht zuletzt aufgrund dieser Entwicklung kommt es geradezu zwangsläufig zu einer Identifikation von Eroberungsprozess und Kulturgeschichte. »Kultur«, so Heidegger, wird seitdem in zwei Registern notiert, als Maßnahme des – vorgeblich friedlichen – Raumgreifens der Apperzeption selbst wie als Praxis ihrer Pflege, als eine politische Praktik und Praktik der Politik, wozu, im Übrigen, auch die Aneignung der Aneignung gehört. Wie im Weltbild-Aufsatz werden in den Vorträgen zum Ursprung des Kunstwerks die Wissenschaft, der ihr notwendig zugehörige eigene Betrieb und das Geschäft thematisiert. Die Kritik verfährt spezifizierend mit Blick auf die Kultur- und Kunstwissenschaften und auf den Kultur- und Kunstbetrieb und seine Geschäfte. Dort beinhaltet das Wissen statt eines Bewahrens nur »Kennerschaft des Formalen am Werk, seiner Qualitäten und Reize an sich«. Hier wird »jener Stoß ins Ungeheure im Geläufigen und Kennerischen abgefangen«, bestenfalls eine Erinnerung an das Werksein ermöglicht.143 Wissenschaften, Betrieb und Geschäft, die im Weltbild-Aufsatz auf die Naturwissenschaften und ihre revolutionäre Bedeutung für die technologische und technische Entwicklung hin fokussiert werden, müssen auch im Kontext von Kunst und Kultur der Gegenwart in ihrer engen Verflechtung mit den technischen Dispositiven ihrer Anwendungen, mit den Dispositiven des multipel Medialen zusammengedacht werden. Es erscheinen so die Umrisse einer zugehörigen Unterhaltungs- und Medienindustrie der ›Künste‹. Unterhaltungs- und Medienindustrie sind dabei, wenn es darum geht, für die Erregung des »Gefühlsrauschs« bei den Massen, die »Entfesselung der ›Affekte‹« zu sorgen. Alles wird ausgegeben als »eine Rettung des ›Lebens‹«, wie Heidegger schon mit Blick auf die »ästhetische Grundstellung zur Kunst im Ganzen« zu Wagners und Nietzsches Zeiten feststellt. »Das Werk ist nur noch Erlebniserreger. Alles Darzustellende soll nur wirken als Vordergrund und Vorderfläche, abzielend auf den Eindruck, das Gefühl, den Effekt, das Wirken- und Aufwühlenwollen: ›Theater‹« – Inszenierungen, die der Gesellschaft des Spektakels dienlich sein sollen.144 Für die Frage nach der Stiftung der Szene wäre festzuhalten, dass Wahrheit nicht einseitig als Einrichtung in die Gestalt qua Entwurf geschieht, sondern zugleich und damit verbunden als »in Gang- und ins Geschehen-Bringen des Werkseins«, das sich der Informierung der lebendigen Erfahrung bedient. Allein dergestalt »ist die Kunst: die schaffende Bewahrung der Wahrheit als Werk«. Die Zusammenführung von Schaffen und Bewahren erlaubt die Auflösung des geschürzten Knotens. Wenn Bewahrung als »Innestehen in der im Werk geschehenden Offenheit des Seienden« und diese Inständigkeit als Wissen, Informiertheit, ausgezeichnet werden, handelt es sich offensichtlich um ein praktisches Wissen, »ein Wissen, das kein Licht ist«, aber mit Evidenzen aufwarten kann.145 Es wird unterwegs erworben, abschätzend zwischen Karte und Gelände. Prätentiös mag man dies im Sinne schaffender Bewahrung der Wahrheit als »Werk« beschreiben. Allerdings geht es nicht um die Hervorbringung eines erst noch
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zu schaffenden Werks, die Rolle seines Autors, des Künstlers oder Könners, vielmehr um die Bewahrung der Wahrheit als Werk, einer Wahrheit, die schon am Werk ist, »geschehende Wahrheit«. An ihr gilt es, eine alte Figur, Anteil zu nehmen. Nicht das Werk als Produkt einer Anstrengung steht im Fokus, sondern die Anstrengung als Werk, sich seiner möglichst bewusst sein im Spiel von Aktion und Reaktion. Die Umrisse dieser Wahrheitsethik, die indes genauso gut in den Registern dieser oder jener Wahrheitspragmatik aufgespielt werden kann, finden sich wieder und analysiert in den Schriften Foucaults, am Ende in aller Ambivalenz möglicher Funktionalisierung.146 Dies gilt auch und insbesondere für die Art der Wahrheit, sich zu zeigen und zu geben. Aber geht es nicht um Kunst und nicht um Philosophie? Der Einwand ist berechtigt und nicht einfach zu behandeln. Das Bündnis nämlich ist längst geschmiedet. Die Frage, deshalb, ist nicht die nach dem Bündnis, sondern wer in diesem Bündnis regiert, sich möglicherweise potent genug fühlt, den Verbündeten einzuverleiben. Hegel sieht die Kunst am Ende, aufzuheben in Philosophie. Am Ende der Romantik ist das Pendel zurückgeschwungen, Nietzsche denkt zu Ende, was Schelling und Hölderlin Hegel entgegenzusetzen hatten. Die Kunst ist eine philosophische Kunst, die aber eine poetische Kunst ist. Philosophie ist Dichtung und mit ihr, wie spätestens seit Kant ventiliert, Kunst schlechthin. Das Ende der Kunst ist darum nicht mehr als das Ende einer ihrer Gestalten – die sich, sollte man hinzufügen, ohnehin schon weit von den wirklichen Künsten entfernt hatten. In ihrem »anderen«, wie Hegel sich ausdrückt, soll die Kunst wiedererstehen, der Ästhetik des Vorstellens und Glaubens. Dies aber mystifiziert die wirklichen Verhältnisse, wie Nietzsche erkennt. Die Künste sind eben das, was ›man‹ so zu machen versteht. Die vier Mächte zeigen es und leiten an dazu. Die Wahrheit gerät zweifellos mit unter das Regiment. Die Phänomenologie des Geistes findet sich durchaus bestätigt. Allerdings müsste man sie mit Nietzsche gewissermaßen als Augenzeugenbericht über das szenische Auftreten der »Geister« in Gesellschaft lesen, verstehen »nach der Seite ihres freien in der Form der Zufälligkeit erscheinenden Daseins« und weniger (einseitig) nach der Seite ihrer »Aufbewahrung« als Philosophie. Als »geschichtlich« erwiese die Phänomenologie ihren Gegenstand hier wie dort, doch in je eigenem Verständnis. Hier, »nach der Seite ihrer begriffenen Organisation [als] Wissenschaft des erscheinenden Wissens«, Philosophie mithin in aller Ambivalenz, dort als Geschichte von Ereignissen, die sich der Geist erst durchs Erdichten von Geschichten gefügig machen muss, zunehmend weniger überzeugend.147 Nietzsche wie Heidegger zeigen, dass »Bewahrung« mehr als »Aufhebung« in Philosophie und literarische Auslegungsangebote beinhaltet: eine Kunst des Navigierens im Raum informierter Objekte. Fragt man nämlich, welcher Art die Kunst sein kann, sodass die Wahrheit der Kunst nicht einfach sozusagen definitionsgemäß im Werk erscheint, sondern an ihrem Geschehen abgelesen werden kann, dann ist auch die Antwort Heideggers: nach Art der Dichtung. »Wahrheit als die Lichtung oder Verbergung des Seienden geschieht, indem sie gedichtet wird«.148 Nur so kann sie als Ideal gerettet werden: »aus dem Kelche dieses Geisterreiches / schäumt ihm seine Unendlichkeit«. Dass Hegel diese beiden, der Schiller´schen Poesie entlehnten Zeilen an das Ende seiner Phänomenologie setzt, unterstreicht, dass auch seine Philosophie sich der Ästhetik, dem dichtenden Sagen verpflichtet und aus den Kabalen des Tages herausgehalten sehen möchte. »Dichtungsähnlich« war sie ihm ohnehin. Vielleicht sagt dies doch mehr aus, als die vielfach interpretierten Sätze besagen, von denen nicht nur Ernst Bloch meinte, dass sich die »idealistisch blühende Betrachtung« zufriedengäbe mit einem Ende der Geschichte, in der das »bloße Wissen
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ihres Gewußtseins« sich mit der »Lust, aus dem Sein ausschließlich ins Bewußtsein überzutreten«, paare und das Dasein ansonsten vergessen würde.149 Schon mit der Deutung der Dichtung steht die Verbindlichkeit der Schlussfolgerung auf die Wahrheit in Frage. Das Konditional, das Heidegger mitformuliert, wird wichtiger sein als die Assoziationen, die der Ausdruck wecken und die Metapher verstärken mag. »Nach Art der Dichtung« formuliert eine Bedingung für das Geschehenkönnen von Wahrheit: dass es nicht einseitig nach Art der Darstellung und der Repräsentation passiert, sondern im praktischen Vollzug, im Miteinander-Sprechen und Miteinander-Umgehen und daher in aller Ambivalenz. Dass es sich bei seiner ästhetischen Gestaltung wie Artikulation um eine durchaus hybride ›Kunst‹ handeln muss, allemal nach dem von Hegel testierten »Ende der Kunst«, das Heidegger im Nachwort zum Ursprung des Kunstwerks unterstreicht, wird niemand bestreiten können. Auch dem Wort und vor allem der Sprache wird hier, vorübergehend, auch außerhalb des Theaters szenische statt repräsentative Substanz zugeschrieben. Dies aber betrifft durchaus seine Bedeutung. »Das Wesen der Sprache erschöpft sich weder im bloßen Bedeuten, noch ist sie nur etwas Zeichenhaftes und Ziffernmäßiges. Weil die Sprache das Haus des Seins ist, deshalb gelangen wir so zu Seiendem, daß wir ständig durch dieses Haus gehen.«150 Gesucht ist demnach eine Bedeutung von Bedeutung, mit der mehr als abstrakte Objektidentifikation oder sich endlos wiederholende Deutung verbunden ist, ein in Raum und Zeit realer Agenzien sich wirklich verausgabendes Bedeutenlassen, das mit der notwendigen Offenheit zu weiterem Verstehen seine Schwierigkeiten bekommen könnte. »Die ganze Sphäre der Präsenz ist gegenwärtig im Sagen«151, hätte ein Diktum auch zehn Jahre zuvor sein können. Die im Kunstwerk-Aufsatz mitschwingende Ermächtigungsideologie der Sprachgemeinschaft wird als historische Diagnose akzeptabel, wenn auch keineswegs als Beweis für die Harmlosigkeit dessen, was sich die Sprach- und Wahrheitsgemeinschaft in ihrem ›Haus‹ vorgenommen hat. Als normativ zu lesender Auftrag der Geschichte mag sie unsinnig, weil grundlos, nichtsdestotrotz aber ideologisch problematisch erscheinen. Heidegger will zwar die »Dichtung« in engster Verbindung mit Sprache und Sprechen und derart mit der »Kunst« schlechthin verschmolzen sehen, gleichwohl aber offenlassen, ob sich die Kunst in allen Dimensionen ihrer ›Künste‹ im engeren wie weiteren Sinne ›aufheben‹ lässt durch »Dichtung«.152 Bekanntlich war mit dem von Heidegger prätendierten ›Gesamtkunstwerk‹ ja noch ganz anderes verbunden als irgend in Hegels Vorlesungen über Ästhetik zu ahnen.153
iv.3 stratifikation der inszenierungskräfte 1
feldkomplexion & strategische präferenzen
Erinnern wir die Kriterien, denen die Formationsregeln genügen müssen, wenn ein bestimmter Diskursbeitrag sich als identifizierbar positives, wenn auch lückenhaftes Wissen ausweisen lassen soll, verbinden sich die Gegenstände des Inszenierungsdiskurses mit der Formatierung des Bedeutenlassens und den dafür in Frage kommenden Gestalttypen im ›Feld‹ der zugehörigen Darstellung, an der gearbeitet wird.154 Die Frage der Gegenstände wirft weiterhin die Frage nach den inszenierungsaktiven Agenzien auf. In der bis zur Mitte des 19. Jahrhunderts dominierenden
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klassisch romantischen Konstellation finden wir das kreative Künstlersubjekt gegenüber einem als »Publikum« titulierten genrespezifischen Rezeptionskollektiv. Die Erosion der spekulativen Legitimierung indes, die sich selbst als Anpassung an die neuen ökonomischen Verhältnisse versteht (Hegel), ist flankiert von der Erosion der überkommenen politischen Legitimationsverfahren in der Konsequenz von Aufklärung und Revolution. Unter demselben Druck steht sie durch den wissenschaftlich technologischen, technischen und medialen Wandel im Zuge der Etablierung kapitalistischer Produktionsverhältnisse. Doch verschiebt sich hier die Legitimationsinstanz, vergleichbar der Verschiebung von der Philosophie auf die Wissenschaften – und ihre Auftraggeber – in Fragen der Wahrheit, von der Souveränität eines herrschenden Körpers auf die Souveränität des Volkes – respektive seiner politischen Repräsentanten – in Fragen der Gerechtigkeit und der Steuerung all dessen, was darunter zu verstehen ist. Die Antwort auf die Frage, wer das Recht hat, im Namen der Gesellschaft zu entscheiden, »welches Subjekt es ist, dessen Präskriptionen Normen für jene sind, die durch sie verpflichtet werden«, wird neu beantwortet, indes keineswegs eindeutig. Die Legitimitätsansprüche bleiben streitig.
Wahrheit & Gerechtigkeit: Legitimationsgrundlagen. Zwischen Volkssouveränität & Kapitalismus. »Der Name des neuen Helden ist das Volk, sein Konsens ist das Zeichen der Legitimität, die Überlegung ist seine Weise der Normsetzung, sie stellt nichts anderes als die Bewegung dar, durch die das Wissen akkumulierend angenommen wird, diese Bewegung aber wird auf das neue soziopolitische Subjekt erstreckt.«155
Nichtsdestotrotz ist das neue Subjekt nach der Vorlage des Descartes´schen Subjekts konzipiert, nach dem Modell »des Sender-Empfängers denotativer Aussagen mit Wahrheitswert unter Ausschluß der anderen Sprachspiele«. Das Volk ist folglich als abstrakte Maschine entworfen. Gesteuert durch ihr Programm, erscheint in der Übereinkunft des Volkes sowohl die Form künftiger Herrschaft über die Wahrheit von Aussagen – die Grundlage aller kommenden theoretischen und intellektuellen Rechtfertigung – als auch solcher über die Gerechtheit und die Gerechtigkeit gesellschaftlich relevanter Handlungen und Maßnahmen – die Grundlage aller praktisch politischen Legitimation der Zukunft. Die Gültigkeit des Wissens nimmt demnach die Form alternativer, aber gleichgetakteter Darstellungen an, »je nachdem, ob sie das Subjekt der Erzählung als kognitiv oder präskriptiv darstellt: als einen Helden der Erkenntnis oder einen Helden der Freiheit«. In der Konsequenz dieser koinzidierenden Darstellungen umformatierter kognitiver und praktisch politischer Rechtfertigung steht zwangsläufig alle bisherige Legitimation von Verhältnissen zwischen bestimmenden und bestimmten Instanzen durch einschlägige, sich auf die diversen Machtspiele beziehende Diskurse in Frage. Dies gilt sowohl für die wissenschaftlichen, technologischen und technischen als auch für die sozialen, die kulturellen Beziehungen. Für das Kunstverhältnis der Bestimmung des »Publikums« (auch im sentimentalischen Gewand kollektiver Liebhaberschaft) durch Künstlersubjekt und Werkautorität hat dies die geschilderten Folgen der Umorientierung auf eine einerseits idealische, andererseits realitätsgerechte Paarung und Nivellierung des Lebens in Gemeinschaft. Die Legitimationshoheit erscheint freilich nicht entschieden. Vielmehr scheint, dass hierüber die Schlacht noch auszutragen sei, sofern das Volk zu seiner ästhetischen Souveränität erst noch bestimmt werden muss. Vergleichbar widersprüchlich entwickelt sich die Legitimation durch Volkssouveränität in politischen Angelegenheiten
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(in Deutschland, aber auch im Mutterland der Revolution). Die Frage der Kompetenzen einer deliberativen Öffentlichkeit in der Beurteilung von Sachverhalten nicht nur politischer, sondern auch epistemisch wissenschaftlicher Natur gehört dazu. Auch hier konkurrieren aufklärerische und revolutionäre Fortschrittserzählungen, radikale mit liberalen und konservativen Utopien. Und auch hier scheint es, als ob das Spiel der Kräfte zwischen revolutionären oder reformativen Avantgarden und absolut oder mit Einschränkung akzeptiertem legalitätsstiftendem Subjekt entschieden werden müsste, ›das Volk‹ sich aber – so oder so, mehr eigeninitiativ oder mehr gestützt – am Ende seiner rechtsetzenden Rolle bewusst werden würde. Die Regelung der gesellschaftlichen Rechtsverhältnisse (per Politik) ginge nach solcher Erzählung mithin an verschiedene den Volkskörper repräsentierende Körperschaften über. Die Ordnung der kulturellen Beziehungen bezöge sich gemäß einer verwandten Geschichte auf die Überantwortung der Kulturwerte aus der Verfügungsgewalt feudaler und halbfeudaler Eliten an eine öffentlich autorisierte, beamtete und bestallte Volksvertretung, beauftragt mit der Verbreitung von Bildung. Die Übertragung von Verantwortung und Rechenschaft für akzeptable Wissensformationen und wissenschaftliche Standards geschähe vergleichbar im Wechsel von der eher liberal korporativ als freiheitlich demokratisch zugeschnittenen Gelehrtenrepublik auf eine durch räsonierende Öffentlichkeit und Vierte Gewalt kontrollierte Forschergemeinschaft. Dies ist offenbar großes Theater. Diese eher romantischen Emanzipationsgeschichten des Volkes begleitend, begegnen die Diskurse und Dispositive der Emanzipation der Ding- und Warenwelt auf der Grundlage einer Befreiung bis dato gebundener Natur- und Gesellschaftskräfte durch technologische und technische Invention und Innovation. Die Freisetzung dieser Kräfte fordert die Revolutionierung der Produktionsverhältnisse. Sie geschieht durch Ausdehnung der Freiheit zu glauben und zu denken auf die Freiheiten, sich zu bewegen im territorialen wie im sozialen Raum. Es folgt die Befreiung der Arbeit und ihre Nobilitierung als »Wert« im System kapitalistischer Tauschverhältnisse. Die Befreiung und Ausdehnung des Eigentums kann Schritt halten. Die Darstellung der kulturellen und politischen Beziehungen zwischen den sozialen Agenzien in den angeschlossenen Aktionsfeldern verschiebt sich aus solcher Perspektive erneut. Nicht zuletzt verschiebt sie sich aufgrund der veränderten Legitimationsbasis diesbezüglicher Darstellung. Die vorwiegend politikökonomische und soziologische Expertise nämlich behauptet ihre Referenz als tatsachenbezogen naturwissenschaftliches Protokollwissen; anders jedenfalls als in der spekulativen kulturwissenschaftlichen oder fiktional literarischen Darstellung, die sich auf ihresgleichen stützt. Abgesehen von der Frage nach Berechtigung und Reichweite dieses letzten Anspruchs, erscheinen die Kräfteverhältnisse je nach Anzahl und Wirkung der Einflussfaktoren völlig anders. Die politisch ökonomische, die staatlich bürokratische und administrative, die produktions- und marktökonomische Dynamik aufeinander reagierender Feldbeziehungen im Bourdieu´schen Verständnis zeigt bei jeder Einzelbelichtung eines entsprechend angereicherten oder mageren Tableaus veränderte Gewichtsverteilungen. Bourdieus Beispieldiagramm für das Fin de siècle enthält außer dem interessierenden Kernfeld künstlerisch dynamischer Prozesse zwischen 1870 und 1890 ein umgebendes Machtfeld mit den Polen symbolischer und nichtsymbolischer Kapitalen, auf die hin sich die internen Kräfte orientieren, dazu das alles umschließende soziale Feld mit den Indikatoren für die generellen Freiheitsgrade gesellschaftlicher Interaktion. Platzierte man in diesem sozialen Feld zusätzlich eine Ausdehnung dezidiert politischer Einflussnahme
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– zum Beispiel zwischen gewerkschaftlich sozialdemokratischer und konservativ liberalnationaler Kraftentfaltung – oder im Rahmen des Machtfelds ein Handlungsfeld religiös konfessioneller Optionen der Akteure, veränderte dies mit der Dynamik der Kraftentfaltung zugleich alle Schlussfolgerungen, die aus der Ansicht der Komplexion gezogen werden könnten. Ebenso erhellt, dass nicht nur die Anzahl der Felder und der dort vorgesehenen Parameter, Indikatoren oder Inkremente bedeutungsrelevant ist, sondern auch – in der Logik Bourdieus – die spezielle Verschränkung von internen zu externen Feldverhältnissen.
Dynamisch agonistische Spielprogrammierung. Pragmatischer Diskursanschluss Die ›szenografische‹ Funktionalisierung kann mit der wissenschaftlichen, die einen Tatsachenbestand unterstellt, nicht verglichen werden. Zwar kann das Wissenschaftstableau Daten und Parameter, die der Forschung bekannt sind, je nach Fragestellung konfigurieren, indes kann es empirische Tatsachen, die Berücksichtigung verlangen, nicht gänzlich unterschlagen. Insofern kommt es zu partikularen Aussagen, die, diskurs-, sach- oder problemspezifisch geordnet, ohne Weiteres zu rechtfertigen sind und wertvoll sein können.156 Doch relativiert sich ihre strategische Bedeutung im Rahmen der Positionierung des wissenschaftlichen Beitrags im Kräftefeld vieler anderer vergleichbarer Beiträge im Maße der Einschränkung beziehungsweise ihrer methodischen Legitimation. Das Diagramm wird sich mithin in der Regel, wie im Fall Bourdieus, Foucaults oder Lacans, auf die Sache, einen Forschungsgegenstand wie die Kulturbeziehungen im Fin de siècle richten oder aber selbstreflexiv auf die eigene Forschungsstrategie als Handlungsfeld in einer bestimmten sozialen, politischen, ökonomischen Rahmung.157 Nur ausnahmsweise wird die antizipierte Performanz des eigenen Wissenschaftsbeitrags zugleich im Gegenstandsfeld der Untersuchung auftauchen. (Vgl. die beiden Beispiele Abb. 10 und 11). Abb. 10
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Die planend entwerfende Strategie einer gestaltungspraktisch intendierten Poiesis hingegen betrachtet die eigene Beurteilung und Darstellung des Performance-Felds wie darauf Einfluss nehmender externer Feldwirkungen stets unter den Bedingungen unmittelbarer oder mittelbarer Kräfteentfaltung durch eigenes Zutun. Entsprechend ist schon die Topologie strategisch motiviert. Ihre Konkretisierung aber wird versuchen, insbesondere auch die taktische Auflösung möglichst ›agency-bezogen‹ durchsichtig zu machen. Abb. 11
Nehmen wir ein agonistisches Exempel der Alltags- und Medienwelt. Das taktische Diagramm eines anstehenden Fußballspiels ist für jemanden, der es lesen kann, auch dann eine Information, wenn die verschiedenen Positionen und Aufgaben nicht mit den Namen einzelner Spieler versehen sind. Umgekehrt wird man wissen, welche Spieler geeignet sind, bestimmte Positionen auszufüllen und Aufgaben zu erledigen. Des Weiteren erhellt, dass das Tableau oder der Screen, auf dem der planerische Entwurf Gestalt annimmt, schon in der Anlage als von umgebenden Kräftefeldern beeinflusst konzipiert ist. Es handelt sich mithin um ein dynamisches Szenografie-Tableau, das zudem nach Nutzern unterschiedene Einträge aufweist oder nach entsprechenden Adressaten verschieden formatiert wird. Die Analogie mit Theaterabend oder TanzPerformance, für die eine Szenografie entwickelt oder eine Choreografie geschrieben werden, führt hier möglicherweise auf eine falsche Fährte. Noch eher aber lässt sie darüber nachdenken, ob nicht auch angesichts dieser Beispiele – und unbeschadet der empirischen Praktiken – eine vergleichbare Diversifikation der szenografischen
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Entwurfsplanung gedacht werden muss. Im Beispiel des geplanten Wettkampfs jedenfalls sind ganz unterschiedliche szenische Konstellationen in ganz unterschiedlicher Besetzung zu berücksichtigen. Die Traineraufzeichnungen für ein Spiel dürften sich als weit komplexer erweisen als die Vorbereitungs-Charts, mit denen die Spieler im Hinblick auf Besetzung, Aufgaben, Taktik, einzelne Spielzüge und individuell geforderte Leistungen vertraut gemacht werden. Wieder anders sieht das ›Szenario‹ aus (man erinnert sich: ursprünglich das Programmheft), das der Öffentlichkeit über die Medien bekannt gemacht wird. Zu welcher speziellen Taktik gegriffen wird, zu welcher Aufstellung auf unterschiedlichen Positionen unter Aufbietung welcher Kräfte mit welchem Potenzial es kommen soll und wie die Aktionen, Reaktionen und Interaktionen gedacht sind, die unter Annahme aus Erfahrung bekannter Standard- und Ausnahmesituationen wie hypothetisch angenommener, zukünftiger Ereignisse simuliert werden, hängt im Modell eines Spiels als Wettbewerb immer damit zusammen, wie die Kräfte, auf die man stößt, beurteilt und platziert werden – mutatis mutandis. Im Fußball sind es die Kräfte des Gegners, der Schiedsrichter, der verschiedenen Fraktionen des Publikums, der Presse und der Medien etc.; man müsste ermitteln, wer die ›Gegner‹ einer künstlerisch gestalterischen Szenografie ohne offensichtlichen Wettkampfcharakter sind. Wo auch immer gespielt wird: Bleibt man im Bild der Programmierung zu adressierender Felder einer Turingmaschine, erschiene die szenografische Leistung selbst libidinös (›kämpferisch‹) besetzt, sofern schon die Programmierung als Spielsimulation ausfiele, in der die Szenografie Partei ist. Der agonistische, der kämpferische Charakter muss verallgemeinert werden. Dies fordert schon der Begriff der strategischen Orientierung.158 Dass die Überprüfung eines Entwurfs an einem einzelnen Inszenierungsbeispiel in der Regel kaum genügen kann, ergibt sich aus der Tragweite der möglichen Schlussfolgerungen. Ein spezifischer Diskursanschluss kann nicht begründet erfolgen, auch nicht entschieden werden, ob er überhaupt möglich ist. Ausnahmen bestätigen die Regel. Die Voraussetzungen dafür müssen gewährleisten, dass der exemplarische Fall auf derselben oder annähernd derselben Allgemeinheitsstufe liegt wie der Diskurs, an den anzuschließen die Zusammenstellung von signifikanten Ereignissen aus dem Beispielkontext Veranlassung bietet. Der Fall wurde diskutiert anhand der grafischen Logik Peircens. Die ikonische Präsentation (die ›Inszenierung‹) entfaltet sich hier als demonstrativ exemplarische Vorstellung eines Behauptungsblatts. Das Blatt bildet die Bühne für bestimmte Darsteller (Knoten, Punkte, Linien, Flächen, Farben, Texturen, Ausdrücke, Propositionen), die hier ein Stück Logik (eine Aussage, ein Argument, eine Schlussfolgerung) für bestimmte Partner auflegen, die zum Mitvollzug (zu prüfendem Nachvollzug, Widerspruch oder Zustimmung) eingeladen sind. Die gemeinsame Abwicklung der logischen Operation kann dabei selbst als ein hinreichend eindeutiges Diagramm der syntaktischen, semantischen und Konsekutivregeln des Spiels gelten. Die Diagrammatik ist (grafisch präsentierte) Logik. Die exemplarisch herausgegriffenen Ereignisse, allemal diejenigen, die sich ausdrücklich der Demonstration widmen und elaborierte Anwendungsfälle in allgemeiner Form zusammenfassen (wie exemplarisch die Grafismen in Peircens einschlägigen semiotischen Schriften), sind daher hinreichend, um sie nicht nur allgemein an einen ›Diskurs der Logik‹ anzuschließen. Vielmehr sind sie spezifische Beiträge zu den Praktiken der grafischen, ikonischen oder diagrammatischen Semiotik, den der dort geübten Methoden und Anwendungsfälle in unterschiedlichen logischen Universen. Wenn »das Probieren des Puddings« – wie auch sonst in szenografischen Szenarien – nicht nur als Geschmackstest ausfällt, zu
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prüfen, ob es genehm ist und gefällt, sondern zudem bedeutet, dass man das Gericht selbst anzurühren, herzustellen versteht, wird man sich im Logikfall durch Nachvollzug etlicher Beispiele in die Lage versetzt sehen, bestimmte Aussagen, Argumente und Schlussfolgerungen selbstständig nach Art der grafischen Logik zu demonstrieren. Der Entwurf wird nicht nachgereicht, sondern mit dem operativ zu verstehenden Werk zugleich präsentiert, ähnlich wie in allen exekutierenden Künsten. Die exemplarische Aufführung dann doch noch einmal einer kritischen Betrachtung zu unterwerfen, um das Design zu verbessern, wird eher einem überarbeiteten denn einem zu späten Entwurf gleichkommen. In der Regel ist die Zerstreuung szenifikatorischer Interaktion und Auseinandersetzung weit davon entfernt, daraus Beispiele eines Formationstyps zu extrahieren, eines Typs, der sich dann seinerseits eignete, bisher nicht betrachtete Fälle ebenfalls dem Muster zuzuordnen. Dies gilt für den vereinzelten Fall so gut wie für zu Bündeln geschnürte Ansichtsserien. Also macht es Sinn, an ein Wissen aus Techne und Episteme anzuschließen, das sich in der Erfahrung wohl auch zeigt, von dorther aber nicht unmittelbar bezogen werden kann, sondern nur aus einschlägigen Diskursstücken und -ereignissen. Sie müssen dem Engagement zugänglich sein und dienlich erscheinen hinsichtlich der vorliegenden durchaus nicht einheitlich anzunehmenden Erkundungs- und Handlungsinteressen. Dergestalt an den Diskurs zu appellieren geht unter Umständen wie im Wissenschaftsgeschäft zu Lasten der Möglichkeiten der aktuellen Szene oder erfordert, den Szenen, die Veranlassung zur Recherche gaben, weiterhin Aufmerksamkeit zu schenken oder beizuwohnen und stattdessen, vorübergehend zumindest, in andere, in Forschungs- und Erkundungsszenen einzutauchen.
Individuelle & kollektive Autor- & Rezipientenschaft. Anbieter & Kunde. Diskursindikationen Die entworfenen Szenarien brauchen Figuren, die den Realitätstest bestehen – zunächst, was die personage betrifft. Das Kriterium verlangt, dass zu den Agenzien nicht nur »Subjekte« und »Objekte« gehören, sondern ebenso Gruppen, Klassen und Kollektive, kollektive Objekte und Institutionen. Doch die philosophische und kunstwissenschaftliche Ästhetik findet das ›Subjekt‹ – Autor, Maler, Komponisten, Schauspieler, Virtuosen – meist nur im künstlerisch inspirierten Individuum. Spielen Kollektive eine Rolle, tritt vielleicht eine Künstler-Gruppe auf. Doch wird auch sie in der Regel adressiert als mehr oder weniger locker verbundene, oft nur zeitweilige Vereinigung ansonsten selbstständiger begabter Individuen. Die Fokussierung der Kunst selbst auf das Kunstwerk in alleiniger Autorschaft einer Künstlerpersönlichkeit zieht kollektive Autorschaft so lange nicht ernsthaft in Betracht, wie nicht auf Basis entsprechender Medienimplementierungen und deren technologischer und technischer Voraussetzungen kollektive Autorschaft tatsächlich als Dispositiv künstlerisch gestalterischer Produktion deutlich in Erscheinung tritt. Erst seit vergleichsweise kurzer Zeit geschieht dies – wieder, muss man sagen, war es doch im 15. und 16. Jahrhundert durchaus nicht unüblich – und eher in Ausnahmefällen.159 Mithin hat die Beurteilung zu tun mit derjenigen von Technizität und Medialität der künstlerischen Produktion und weniger mit der Inanspruchnahme von Autorschaften durch Einzelne oder Gruppen. Bekannt ist das Votum Benjamins oder Brechts aus der ersten Hälfte des 20. Jahrhunderts; das eine auf die Reproduktionsmaschinerie unter modernen Herstellungsbedingungen bezogen (am Beispiel Literatur, Malerei, Fotografie, Film), das andere Plädoyer »materialistisch« auf die Scheidung von Kopf- und Handarbeit
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bedacht, unmittelbar auf die notwendige Arbeitskraft zur kompletten Verfertigung eines Kunstwerks gemünzt (zum Beispiel im Kontext von Architektur). Jenseits der »Ästhetik des Subjekts« dürfte die Theorie kollektiver Autorschaft weit eingängiger sein als die ausschließlich individueller Leistung. Überhaupt erscheint die Idee des einen für ein Werk, einen Auftritt verantwortlichen Künstlers nur eine vorübergehende Übertreibung weniger hundert Jahre des Subjektkults. Davor wie auch danach muss sich jeder Auftraggeber eines ›Kunstwerks‹ bei einiger Überlegung bewusst gemacht haben können, dass das erhoffte Werk der Kunst nur durch Mithilfe vieler, durch eine wirkliche oder eine gleichsam virtuelle ›Firma‹ zustande kommen kann. Die Werkstätten Verrocchios oder Dürers können hier so gut als Beispiel dienen wie die Factory Warhols oder das Unternehmen Rauschenbergs, zu schweigen von den Produktionslabors der Appropriationskunst. Foucaults Reflex auf Roland Barthes in Was ist ein Autor? liest sich zwar hauptsächlich literaturbezogen, ist aber verallgemeinerbar für die Künste wie die darauf bezogenen Diskurse und deren vermeintliche Autoren, die Kritiker. Indes dürfte die Kritik nicht so radikal ausfallen, wie zuweilen vermutet. Denn der autorlose Diskurs ist nur eine seiner Ansichten unter dem Gesichtspunkt der Produktion ›negativer Kontexte‹. Die Autoradressierung im Diskurs gehört zu seinen Ereignissen. Autorschaft ist eine Funktion des Diskurses. Einer seiner Ausdrücke sollte deshalb immer Grund haben können, sich des Konstruktes individueller Autorschaft zu bedienen. Dem strategisch sich positionierenden Diskurs könnte etwa daran gelegen sein, mit Eigennamen verbundene Botschaften in verschiedener Hinsicht legitimierend oder autorisierend, delegitimierend oder entautorisierend zu gebrauchen, in welchem narrativen Kontext und welcher medialen Formation auch immer. Vergleichbares gilt für alternative Konstruktionen der Autorschaft, die sich einem Diskurs fügen sollen (zum Beispiel in hermeneutischen Interpretationskontexten). Den Diskurs kategorisch autorlos zu denken liegt mithin so wenig in der Konsequenz des diskursiven Wissens wie irgendeine andere ›Zusammensetzung‹ eines schaffenden Potentials oder kreativen Inswerksetzens.160 Im Gegenteil: Würde man das »Spiel der Autor-Funktion« weiterverfolgen, »so könnte sie vielleicht zu einer Diskurstypologie führen« oder ihr dienlich sein, da es der »Bezug (oder der NichtBezug) und die verschiedenen Formen, diesen Bezug zu bilden, [...] auf eine gut sichtbare Weise« vermögen, Diskurse oder diskurskonstituierende Bestandteile als solche zu entziffern.161 Autorfunktionen gehören demnach zu den Diskursindikationen. Traditionellerweise steht dem einzelnen Künstler selten ein einzelner Kunstliebhaber gegenüber, sozusagen ein ›Rezipienten-Subjekt‹ im Vordergrund eines Rezipienten-Kollektivs. Überhaupt scheint lange Zeit völlig unbekannt oder uninteressant, wer sich hinter den Synonymen des »Publikums« tatsächlich mit Namen verbirgt – abgesehen die einschlägigen Honoratioren und Finanziers ebenso einschlägiger kultureller Einrichtungen wie Theater, Oper oder Museum. Wenn nicht Investitionsoder Kaufkraft den einzelnen Liebhaber auszeichnen – einen Mäzen, eine Sammlerpersönlichkeit, jemanden, der selbst Künstler ist oder vielleicht in der Nähe rangiert wie Medienrepräsentant, Wissenschaftler, Philosoph, jemand, der in vergleichbarer Weise wie ein anderer über wirkliches Geld, über symbolisches Kapital verfügt, das sich zu vermehren sucht –, bleibt der Adressat anonym. Er gehört zu der »Masse« von Lesern, Besuchern, Zuschauern, Zuhörern, Fans, Rezipienten, kurz zum Publikum. Alle seine Erscheinungsformen rangieren in der klassischen Anordnung topografisch auf anderem Boden als Künstler und Werk. In Bourdieus Beispiel der Kunst des Fin
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de siècle handelt es sich um eine externe Einflussgröße, die nur intern transformiert Gestalt annimmt. Ansonsten rangiert das Publikum, durch eine imaginäre Linie abgegrenzt, ›auf der anderen Seite‹. Egal scheint dabei, was sich künstlerisch ereignet, ausgestellt oder aufgeführt in Szene gesetzt wird, gleichviel, ob mit »Publikum« tatsächlich ein derart amorphes Gebilde gemeint ist oder nicht. Nicht nur Hegels Ästhetik gibt einen facettenreichen Eindruck der verschiedenen Paarungsentwürfe auf dem Boden dieser Konstellation. Dabei liegt die Forderung nach soziologischer Diskriminierung von »Publikum« unterschiedlichster Art auf der Hand, gewinnt in der ökonomischen Betrachtung des künstlerischen Felds auch unmittelbar an Bedeutung. Bourdieu erinnert, dass es andere Leute sind, die ins Boulevard-Theater, andere die zum Chanson-Abend gehen. »Publikum« unterscheidet sich wie »Kundschaft«, auch die, wie bekannt, oft genug an ›Kunst‹ interessiert. Auch Leute, die zertifizierte Gemälde renommierter Künstler in seriösen Auktionshäusern ersteigern, sind andere als diejenigen, die Vintage-Möbel für Antiquitäten halten, um sich damit zu umgeben. Die »feinen Unterschiede«162 werden spätestens relevant, wenn die Berücksichtigung solcher Unterschiede die interesselose Gleichheit, mit der ihre Apologeten sich auf das Ganze der Kunst glauben berufen zu dürfen, konterkariert. Die Aufdeckung ganz ungleicher Interessen indes findet auf der einen Seite das unterschiedliche Bedürfnis qua spezifischer Kapitalausstattung und Kaufkraft, auf der anderen Seite das Bedürfnis nach Vermehrung der verschiedenen Kapitalien. ›Interessespezifische‹ Diskriminierung heißt demnach für die in den Warenverkehr Involvierten, das Schicksal der Ware zwischen Gebrauchs- und Tauschwert zu teilen. Was der Ausdifferenzierung zugrunde liegt, die in der Kunst das »Publikum« zu unterscheiden erlaubt, erlaubt vergleichbar, in der Gesellschaft die »Bevölkerung« aufzuschlüsseln und in den Medien zwischen »Leserschaft«, »Zuhörer« oder »Zuschauer« zu differenzieren. Ganz abgesehen von den psychologisch oder ästhetisch diskriminierenden Katalogen individueller Typzugehörigkeit, die sich mit Hilfe geeigneter Technologie in nie geahnte Feinheiten dessen, was »Persönlichkeit« genannt wird, vorwagen. Vergleichbar gruppieren Arbeitgeber und Finanzämter »Arbeitnehmer« oder »Steuerpflichtige« je nach Ausstattung und Interesse mehr oder weniger eigenschafts- und merkmaldifferenziert ebenso wie Bildungs- und Ausbildungsinstitute, die ihre Klientel in »Auszubildende«, »Schüler« oder »Studenten« und weitere Untergruppen sortieren. Die Politik wiederum ordnet ihre »Wählerschaft« nach Alter und Konfession, Herkommen und Status und was die staatlichen Behörden sonst Nützliches an Erhebungsdaten beibringen können und zur Verfügung stellen. Die Adressaten jedenfalls werden einesteils gruppenspezifisch erfasst, die Gruppen wiederum gegebenenfalls aber nach Eigennamen und personenspezifischen Daten gelistet. Dem Aufruf der Einzelnen indes geht es nie um die ganze Person, sondern stets um eine ihrer Abspaltungen. Dennoch muss man vermuten, dass Aufruf wie Antwortbereitschaft im Allgemeinen korrespondieren und billige Adressierung mit zufriedenstellender Reaktion belohnt wird. Grundlage der Aufrechterhaltung der Zirkulation ist eine ausdrücklich oder unausdrücklich sanktionierte Vertragsvereinbarung. Das Interesse, das den identifizierten Eigennamen ernst nimmt, tut es, sofern es mit der Adresse eine Lieferadresse und mit dieser eine Rechnungsadresse verbindet, erst mit der Reaktion eines zahlenden Bedürfnisses sich zufriedengibt. Die so Adressierten wiederum verstehen sich als Kunden. Aufgrund ihrer Individuierung als Tauschmittelbesitzer verdienen sie den Eigennamen nur als einzeln zahlende Nutzer, deren Bedürfnisbefriedigung qua Absprache in Rechnung gestellt werden
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darf. Wie in der Kunst erschließt sich die Rechtfertigung aller anderen Kollektiv- und Einzelansprachen. In vergemeinschaftender Weise adressierend zu reden, zu denken, zu konzeptionieren, zu entwerfen und zu gestalten legitimiert sich vor dem Horizont einer szenografischen Perspektive institutionalisierter Bewirtschaftung von szenischen Dispositiven, wenn man will, Gesellschaftsfeldern, die sehr oft zugleich Geschäftsfelder darstellen, nicht jedenfalls relativ selbstständige komplexe Szenen des Ereignens und personalen Erlebens. Die Kulturwirtschaft wird umgeben von Dispositiven der Kundschaft und des Konsums. Dass deren soziales Pendant mit einer zahlungskräftigen Einzeladresse verbunden sein muss, gilt auch für die Kunst. Schon die Verteilung, wie sie Nietzsche oder Benjamin für den Auftritt der Künste seit Mitte des 19. Jahrhunderts umreißen, bestätigt diese Beurteilung. Die gesellschaftliche Dynamik zeitigt dabei Konsequenzen auf beiden Seiten möglicher Affären, auf der Seite des Publikums, nicht weniger aber auf der Seite der Kunst. Die »Kunst [löst sich – HW] von ihrem kultischen Fundament« ganz wie »das Publikum« von dem seinen als »dichtendes Volk«. Alles jenseits des kultisch rituellen Beziehungsrahmens bezeichnet Benjamin zu Recht als politisches oder politökonomisches Verhältnis inklusive der säkularisierten religiösen oder kultischen Beziehungen.163 Der Harmonie des Idealischen in der Identität von Künstler und Volk entspricht die des Realphantastischen in der Identität von Führer und Volk, von dominierender Warenform im politischen oder kapitalistischen Geschäft. Die Subjektform auf Produzenten- wie Rezipientenseite entäußert sich in die historisch verbindliche allgemeine Dingform der Ware. Für einige wenige besonders finanzstarke oder prestigereiche Bedürfnisse auf Seiten des Publikums wird bekanntlich an der Inszenierung des individuellen Liebhabers, Kenners oder Förderers der Kunst (der Inszenierung einer »Charaktermaske« – Marx) festgehalten. Sie korrespondiert der Feier der Künstlerpersönlichkeit, die das Begehren lenkt. Für die große Zahl spielt selbst die faktische Individualansprache keine besondere Rolle, da der Geschäftszweck ihrer Inszenierung in der Regel leicht durchschaubar ist. Man weiß, dass derartige ›Subjektivität‹ eine Funktion von Kaufkraft ist, man deshalb nicht ganz ohne Geld dastehen darf, auch wenn es nur um den Einkauf von Wahlleistungen geht – eine besondere Berücksichtigung durch die öffentliche Kultur, die Eltern ein Museum mit Kinderparcours und älteren Mitbürgern spezielle Seniorenführungen bietet. In der Ansprache derer, denen die Vorstellung gilt, offenbart sich, welche Inszenierungsstrategie das Programm bewegt und mit welchem Pfund es zu wuchern beabsichtigt. Für so gut wie niemanden geraten Identifikation und Selektion am Ende exklusiv trotz des Theaters, das um die verschiedenen Exklusivitäten herum entsteht. Zu einer Gruppe zu zählen bedeutet stets, vielfach betroffen zu sein. Je nach Gruppenzugehörigkeit überlagert sich die Adressierung durch institutionelle Anbieter mittlerweile in ähnlicher Weise wie durch private. Jede Umkehrung der Perspektive geht dabei einher mit einer Umkehrung von Verantwortung. Niemand kann erwarten, dass das öffentliche Opern-, Theater-, Konzertangebot mehr noch tut, als es geschieht im ›Für-jeden-etwas‹- und ›Service-ist-alles‹-Konzept auch ganz individuell geäußerten Wünschen entgegenkommt. Schließlich richtet sich das Angebot mit dem Spielplan heute durchweg an ein älteres Abonnentenpublikum, vergisst die Kindermatineen trotzdem nicht und bietet neben dem klassischen Repertoire auch Experimentelles samt Diskussion. Die Häuser halten Programme mit Hintergrundinformationen, Kritiken und Künstlerbiografien bereit, geben Hinweise auf Literatur
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und Medien und dies alles in der Regel on site wie on line. Dazu gibt es zu jedem Event Erfrischungen, Cocktails, Snacks vor, während und nach der Veranstaltung. Mehr Individualisierung gibt’s nur gegen mehr Geld, wenn der Adressat in der Lage und bereit ist, von sich aus zu geben. Dann würde ihm eine exklusive Adresse eingerichtet, mit Hilfe derer er im Zweifelsfall auch um eine Privatvorstellung ersuchen könnte. Tatsächlich entspricht die Inszenierung gewöhnlich unter analogen Bedingungen dem Zuschnitt des inszenierten Realraums: Opernhaus, Theater, Konzerthaus – Werkstatt, Schule, Universität – Arbeitsplatz, Heim, Freizeitraum – Verkaufsraum oder Konsumraum. Der Grad an Intimität und Intensität, Nähe oder Distanz der Beziehungen in der ermittelten oder angenommenen ›Szene‹ ist darauf abgestellt. Wer von den Adressaten nicht in der Lage ist, unter diesen Umständen die eigene Wahl zu verantworten, etwa glaubt, der Anbieter müsse die Verantwortung dafür übernehmen, versteht den Tausch nicht, auf den er sich eingelassen hat. Ansonsten liegen die Verhältnisse im Allgemeinen für den Verkehr legitimierter Anbieter und Abnehmer klar und offen zutage. Die Bedingungen sind durchsichtig. Wer sie akzeptiert, tut es in der Regel nicht aus Not, sondern weil er die gewählte Produkt- oder Ereignisumgebung für den geeigneten Rahmen erwarteter Ereignisse, namentlich des eigenen Erlebens favorisiert. Die Gegenwart anderer, selbst nicht überschaubarer Mengen von Mitspielern ist gemeinhin keineswegs ausgeschlossen, sondern unter Umständen ausdrücklich erwünscht. Die Sprengung überblickbarer Szenifikationen wird mithin kalkuliert oder unkalkuliert hingenommen. Kein Rockfan wünscht sich eine kleinere Arena, um mehr vom Konzert zu haben, kaum ein Fußballfan statt Erstligaflair Bezirksligakulisse, um näher am Geschehen zu sein. Was kann übrig bleiben von einer Inszenierung, die nicht mehr als eine Illusionierung, eine überschaubare, im positiven Fall durchaus von beiden Seiten akzeptierte und gewollte Illusionierung im Sinn hat?
Fetischisierung des Schöpferischen – Herrschaft der ›Apparatur‹ (Moholy-Nagy, Benjamin, Brecht) Der bildungsbürgerliche Dünkel glaubt, in der massenhaften, von unterschiedlichsten Genres und Sujets durchdrungenen Ansprache die Vermassung von Kunst und Kultur durch Popularisierung ihrer Werte erkennen zu können. Zugleich sieht er hier ein quasi politisches Phänomen wachsender Partizipation am kulturellen Leben. Er hält er es für problematisch, wenn die Einzigartigkeit unvergleichlicher Werke der Profanisierung durch die Masse ausgesetzt, ihre Aura zerstört wird. Die Popularisierung, so das Vorurteil, zerstört derart auch die soziale Balance. Intakt ist sie nur so lange, wie dem geheiligten Gut eine adäquate Verehrung durch die Bildungselite selbst zuteil wird. Der Dünkel projiziert die vermeintliche Bedeutung der eigenen Stellung auf das Objekt, das ihn schmücken soll. Nicht die Kunst hat sich verändert durch »Apparatur« (Benjamin) – durch Fotografie, Film, Reproduktion, Teleportation, Medialisierung164 –, sondern deren Zirkulation, lautet der Befund. Entsprechend organisiert sich der Widerstand des harmoniebedürftigen Subjekts. Allemal, da der Enthusiast die Inszenierung der eigenen Exklusivität durch doch noch oder endlich wieder möglich scheinende Individualansprache von Seiten der zuständigen Kuratorenschaft für ein Indiz der Berechtigung eigener Schlüsse auf den Frevel am Kunstwerk wertet, unterstützt die Camouflage der Popularisierung im Auftritt individueller Adressierung ihre Intensivierung. Allerdings müssen sich Angebote finden, deren Präsentation den Eindruck bestärkt, dem sich der Ästhet anvertraut. Teils sorgen dafür die Marketingstrategien der institutionellen Kunstwächter (die möglicherweise selbst an deren
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Exklusivität glauben). Teils aber sorgt die Kunst selbst dafür, indem sie sich unter der Hand ihrer begrenzten medialen Existenz entledigt und ihre performance den aktuellen technischen Verallgemeinerungsdispositiven einschreibt. Für die Kunst selbst ist dies ein widerspruchsvoller, aber nicht unbedingt ruinöser Prozess. »Die schöpferischen Möglichkeiten des Neuen«, zitiert Benjamin Moholy-Nagy, »werden meist langsam durch solche alten Formen, alten Instrumente und Gestaltungsgebiete [wie im konkreten Fall denen der Malerei im Vergleich zur Fotografie – HW] aufgedeckt«. Eigentlich sind sie »durch das Erscheinen des Neuen im Grunde schon erledigt‹«, lassen sich aber noch einmal »durch den Druck des Neuen [...] zu einem euphorischen Aufblühen treiben«.165 Obwohl es vielleicht gerechtfertigt erscheinen könnte, dieses Aufbäumen in theoretischer Beurteilung für unzeitgemäß, unmodern oder rückständig zu halten, stellt sich praktisch heraus, dass solches Beharren die Konflikte forciert und das endgültige Zerreißen des Bands zwischen Gestaltung und Ausdrucksbildung im überkommenen Medium sinnlich vor Augen führt. Der Sinn des Neuen, der ohne solchen Exzess immer nur als Nachahmung der Gestaltungs- und Ausdrucksvariation in bekannten Medien, Genres und Sujets ausfiele, gewinnt dagegen, wenn er sich auf solche Zerreißprobe konzentriert. Im veränderten Medium neu formatiert, gewinnt das Neue eigenen Stand und Boden und findet zu einer Rechtfertigung aus sich selbst heraus. Erst jetzt lässt sich Überkommenes von Zeitgemäßem begründet unterscheiden. In diesem Sinn fährt Moholy-Nagy an der zitierten Stelle fort: »Ebenso kann man [...] einige von den heute mit darstellerisch-gegenständlichen Mitteln arbeitenden Malern [...] als Vorbereiter einer neuen darstellerisch optischen Gestaltung, die sich bald nur mechanisch technischer Mittel bedient, betrachten.« Der Medienwechsel aufgrund technischen Fortschritts liegt in der Natur der Sache. Benjamin formuliert die Schlussfolgerung zum Ende des nationalen Industrialisierungsschubs und erster tiefgreifender Krisenerfahrungen auf dem Boden gerade erst revolutionierter Produktionsverhältnisse: »Je mehr die Krise der [...] Gesellschaftsordnung um sich greift, je starrer ihre einzelnen Momente einander in toter Gegensätzlichkeit gegenübertreten, desto mehr ist das Schöpferfische – dem tiefsten Wesen nach Variante [...] – zum Fetisch geworden.« Dass es dennoch aussieht, als wäre, was da scheint, belebt, dankt sich allein »dem Wechsel modischer Beleuchtung«. – Vielleicht sollte man die Technik, die Dinge oder Objekte, die sich in der (womöglich eigenen) technischen Formatierung darstellen, nicht selbst das Schicksal des Fetischs verantworten lassen, das Schöpferische nicht in seiner Negation noch adeln. Zwar ist Benjamin gewiss, dass Plastik oder Architektur weit leichter im Foto, noch leichter im Film »sich erfassen lassen als in der Wirklichkeit«, man das aber kaum auf den »Verfall des Kunstsinns« oder ein »Versagen der Zeitgenossen« schieben könne. Tatsächlich hat sich die Auffassung von »großen Werken« seit dem Aufkommen der Reproduktionstechniken selbst gewandelt, kann man die Werke nicht mehr als »Hervorbringungen Einzelner« werten, sondern generell nur mehr als »kollektives Gebilde«. Die Implikation ist unschwer zu erkennen. Der Fetisch kreativer, im Werk sich manifestierender Schöpferkraft instantiiert die Fetischisierung des schöpferischen Subjekts. Davon abgesehen, existiert das Schöpferische durchaus, nur nicht, wo es vermutet wird. Das geläufige Brechtzitat Benjamins an dieser Stelle gibt Aufschluss. Man muss das Schöpferische nicht bei den Bildern suchen, sondern beim Wissen darüber, wie die Bilder zu dem stehen, wovon sie Bilder sind. Das ist der Sinn der
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diskurskompatiblen Aussage, dass die »eigentliche Realität [...] in die Funktionale gerutscht« ist, nicht in die Funktionale der Produktion, sondern in die Funktionale eines Wissens davon. Denn nur darin erscheint eine Episteme, eine Bedeutung wie die der »Verdinglichung der menschlichen Beziehungen, etwa die Fabrik«. Dieses spezifische Bedeutenlassen indes, das Fabrikarbeit und Verdinglichung zusammenbringt, vermögen Bilder von Fabriken, Krupp- oder AEG-Werken, in ihrer Abbildung ›menschlicher Beziehungen‹, als Architektur etwa, nicht wiederzugeben. Die verdinglichte Produktion selbst wiederum fotografiert sich nicht – des Öfteren wurde auf diesen blinden Fleck kreativer, eben auch szenografischer Produktion hingewiesen. Also muss das Wissen zusammengetragen und konstruiert werden. »Es ist also tatsächlich ›etwas aufzubauen‹, etwas ›Künstliches‹, ›Gestelltes‹.«
Kunst, Künste & Ökonomie: Systemsteuerung. ›Szene‹, extern indiziert Bleiben wir bei der Kunst im modernen Verständnis, wird man einräumen, dass nur wenige ihrer faktischen Vergegenwärtigungen im Betrieb den idealischen Kriterien zur Bestimmung eines vollkommenen Werks, seiner Präsentation und Rezeption genügen würden. Selbst wenn man ihr ›Ansichsein‹ in Anschlag bringen wollte, würde die Form der Annäherung, die als ›Vermittlung‹ geschieht166, kaum zulassen, dass das Werk selbst sich äußern könnte. Es kann es offensichtlich nicht. Darüber belehren heute schon die Feuilletons. Man könnte einwenden, dass dies kein Grund sei, den Ideenbezug aufzugeben oder zu leugnen, weder den des Dings noch den des Werks oder den des Entwurfs. Die Frage ist nur, ob die Interventionsabsicht, die sich darauf bezieht, mehr sein kann als eine Stimme, ein Sprachspiel im Ensemble der Theaterschlachten, die auf den zuständigen Bühnen für den zeitgemäßen Betrieb und Umsatz sorgen. Praktisch wird dieser Bezug verstellt, zumindest gemessen vom Konsum, von den Medien und Techniken, die ihn zum Bedürfnis bei denen zu machen suchen, die für die Befriedigung ihrer Wünsche zahlen können. Die philosophische Besinnung ist nichtsdestoweniger aufschlussreich. Schon Hegel und Zeitgenossen weisen darauf hin, wie sich die Kunst in Stoff, Form und Ausdruck darin versucht, sich ihre Negation, das ihr Andere und Fremde einzuverleiben. Das lässt erwarten, dass neue Kunst zu erkennen ein diffiziles Geschäft ist, wenn sie nicht im Gewand einer alten erscheint. Auch hier wird es sich um einen Kampf handeln, der ausgetragen wird. Man erinnert sich an die Affären zwischen Kunst und neuen Technologien, die Abarbeitung der Malerei mit Fotografie und Film – und umgekehrt –, an die Anfänge der »Medienkunst«. Immer wird ein Baudelaire sich aufschwingen und mahnen, immer ein Fromanger, dem die Kritik der Alten egal ist, seinen Weg gehen. Immer wird ein Apollinaire oder Vertov die Avantgarde bestimmen wollen, die Kunst in den Dienst des Volkes zu stellen, wird ein Fontana oder Cage dafür plädieren, es mit der Revolutionierung der Ästhetik und der Besinnung darauf gut sein zu lassen. Dass ein umgrenzter Raum von Kunst und Werk sich abgesteckt zeigt, noch bevor sie selbst in Erscheinung treten können, wird man vielleicht für bedenklich halten. Vergleichbares wird für die Anzeige einer ›Erschöpfung‹ der Künste gelten. Übersteigt die Kunst sich selbst in Hegels Verständnis, wird sie zuerst mit einem Diskurs sich verbünden, es mitteilen und zum Ereignis werden lassen. Die Sprache wird nicht unbedingt der Sprache der Kunst mächtig sein, die ihren Ausdruck gegen ihre Gestaltung zu wenden vermag, einer Sprache, von der Adorno spricht und an die Joyce denkt. Denn die der Kunst gehörige Sprache weiß wohl ihren Ausdruck aus jeder Art stofflicher Bindung der Gestaltung zu lösen und in
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eigener Art zu bilden. Hapert es daran, dass, was sie sagt, auf diese Weise vernommen wird, wird die Sprache schon deshalb über die Kunst sprechen, und das wird die Kunst oder vielmehr ihr Diskurs sein. Wie von Heidegger besorgt beschrieben: Jedes nur mögliche Dasein von Kunstdingen wird vorstellend erklärend übertönt. Durchaus aber werden ›Kunstdinge‹ in Existenz versetzt. Denn es kann nicht die Klage sein, dass externer Diskurs die Präsenz der Kunst ersetzte, der Ersatz aber nicht genügt. Diese Art Vorstellung indes regiert überall dort, wo sakralisierte Kunst unter den gemeinen Künsten bevorzugt erscheint. Dafür brauchte man nicht auf Hegels Abpfiff zu warten. Was für die einen als Meisterwerk gilt, ist für die anderen Manier oder Entartung, Design oder Technik. Dass es »das« ist, dieses oder jenes, hat meist wenig zu tun mit dem Ding, viel aber mit Gestus und Macht des Bedeutenlassens und dem Regiment seiner vernetzten Verpflichtungen, mit Konsekration und Sakralisierung durch Autoritäten, an die man sich gewöhnt hat. Wer sich verpflichten lässt, ist bereit, sich einzulassen und festzulegen auf das ihm einleuchtende Muster. Dass es sich jederzeit als ein anderes darstellen ließe, mag theoretisch einleuchten. Dem Zugeständnis praktisch nachzukommen, sich die Fesseln nicht selbst anzulegen hat meist Konsequenzen, die wohlbedacht sein wollen. Dies ist in der Forschergemeinschaft wie bei den ›Ästheten‹ und nicht anders beim Bürger. Hervorzutreten, womöglich überzeugen zu wollen mit Eigenem, das über eine eigene Meinung hinausgeht und zu tun hat damit, was einer zu schaffen versteht und zu bilden, ist risikoreich, übersteigt meist auch den Zeithorizont der Erwartungen eines Einzelnen. Denn es wäre auf die Gefahr hin geplant und getan, dass sich die Manifestation vorerst als diskursresistent erweist – was nicht heißt, dass sie unbedingt zwischen die Stühle fällt, nicht wenigstens negativ auffallen könnte. Die selbst auferlegten Restriktionen müssten demnach noch weiter reichen, auch die eigenen Erwartungen treffen. Denn sie verraten, worum es zu tun ist: um Anerkennung der Anstrengung als Gegenmacht. Es bleibt das Paradox, dem Eigeninteresse interesselos zu begegnen. Die offenbar attraktive Figur wird tatsächlich bedient, wenn auch der hier zu erwartende Ertrag sich nicht materiell niederschlägt und Eigentätigkeit als handelnden Eingriff und Gestaltung ausschließt. Erwartungslos bleibt der ursprünglich Widerstandsbereite zu ästhetischer Passivität verurteilt. Positiv formuliert, er ist privilegiert für Genuss und Wohlgefallen. Sich darauf einzustimmen braucht er nicht nur vom Schönen sich bedienen zu lassen. Die Modulation der guten Gefühle vermag die Befriedigung ebenso aus Wahrheiten oder Handlungen zu beziehen. Dort gefällt die Erkenntnis, guter Zweck hier oder Nutzen. Doch zeigt der ästhetische Widerschein des Nutzens seinen Profit abseits von Schönem, Wahrem und Gutem unglücklicherweise nur in den Revenuen der anderen. Genuss und Wohlgefallen des interessiert Interesselosen müssen sich folglich mit Geistigem begnügen und den Diskursen, die seinen produktiven Grundlagen, dem durch Arbeit Erwirtschafteten gewidmet sind. Wie Hegel zu wissen gibt, setzt ästhetische Einstellung gesicherte Subsistenz voraus. Warum also die Anstrengung, der Widerstand, wenn sie zwar anders als in der Übernahme des Angebotenen, zwangsläufig aber als Variante der Handlungsmodifikationen seiner Organisation ausfallen? Genau dies scheint die Logik der systemtheoretisch technokratischen Optionen auf Niveau der historisch aktuellen Rationalisierungsgebote »[j]enseits des ungeheuren Ortswandels, der vom Denken Comtes zu dem von Luhmann führt«.167 Wenn die Anlässe zur Erregung von Widerstand, zur Ablehnung eines akzeptablen Angebots, beizustimmen mittels ständiger Optimierung der gesellschaftlichen
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Systemrationalität minimiert werden können, wird sich logischerweise eine Alternative innerhalb des einen Systems und seiner Subsysteme einstellen. Es dürfte ausreichen, dass die steuernden, kontrollierenden und für den Datennachschub ›verantwortlichen‹ agencies sich den Maschinen zur Verfügung stellen und ansonsten so weit wie möglich aufpassen, dass es nicht zum Unfall kommt. Wahrscheinlich ist es voreilig, anzunehmen, dass die auf die verschiedenen gesellschaftlichen Systemzwecke bezogenen ›Handlungen‹ sich niemals ›autonom‹, nur von Maschinen gesteuert, entwickeln könnten.168 Die Legitimation ergibt sich aus anstandslosem Funktionieren unter »Kontrolle des Kontextes«, nicht aus bindender Norm und Präskription, obwohl auch die als ihr eigenes double auf dem Schirm erscheinen.169 Vorsorge zu treffen »soweit wie möglich« bedeutet, dem GaU nicht weiter vorzubeugen als angesichts der Investitionen und im Rahmen der Renditeerwartungen vertretbar. Abgesehen davon, dass der Unfall nicht nur nicht ausgeschlossen, sondern wahrscheinlich ist170, insofern die Systemvernunft die Macht hat, die Mittel, über die sie verfügt, zu gebrauchen, um, was sie denkt, auch herbeizuführen, liegt es im Interesse der Optimierung der Verfahren, eventuelle Auffälligkeiten des Systemverhaltens realiter wie in der medialen Verbreitung der zugrunde liegenden Tatbestände zu dissimulieren. Offensichtlich kann dies nicht alternativ zur laufenden Anpassung der technologischen und technischen, informatischen und telematischen Prozesse passieren, sondern zeitgleich. Scheinproduktion, wie gesagt, ist kein Ersatz für wirklich produktive Prozesse, bestimmt nur alle ihre Ansichten, um nicht ausgerechnet aus ästhetischen Gründen Verweigerung oder Widerstand zu provozieren. Diese Beobachtungen finden sich auch in Kants pragmatischen Analysen, noch bevor Nietzsche die Inszenierungsgesellschaft identifiziert. Dass Spieler existieren, die glauben, die produktive Systemanpassung tatsächlich durch verselbstständigten Schein ersetzen zu können, ist mithin ebenfalls Systemeffekt. Er baut auf Nachahmung der Ansichten qua Meinung und Verhalten. Der Widerspruch, der aufbrechen kann, ist offensichtlich. Solange die materialen Ressourcen für die Kosten der Bedürfnisse derer, die auf Schein-, also Medienbasis befriedigt werden sollen, zur Verfügung stehen, werden in diesem Systemabschnitt keine Widerstände zu erwarten sein. Allerdings liegt die Schwierigkeit, den Prozess zu steuern, darin, vom sogenannten »Sozialprodukt« ausgehend, allen Ansprüchen, Kosten und Erwartungen gleicherweise gerecht zu werden: den Ansprüchen der Eigentümer auf Investitionsrendite, den Anforderungen, die Nichteigentümer als Medienkonsumenten darstellen, wenn die Kosten für die in diesem Systemsegment anfallende Scheinproduktion aufgebracht werden müssen (wobei sich die Scheinproduktion nicht auf die Sicherstellung von Internetpräsenzen beschränkt), schließlich den Erwartungen an eine medienkompatible Reproduktion derjenigen, deren Bindung an die Surrogate störungsfrei aufrechterhalten werden soll. Letzterer Bereich wäre sinnvollerweise zu einem sich selbst finanzierenden System auszubauen, welches das Gesamtprodukt, das zu verteilen ist, anwachsen lässt. Allerdings hängt die Möglichkeit dafür wiederum von der Wertschöpfung auch durch Arbeit der Nichteigentümer ab. Ihr Ertrag muss erlauben, dass die Nichteigentümer in diesem Segment in Konsum investieren, was sicher nur für einen Teil der Beschäftigten gilt. Damit sich die Renditen auch für diejenigen Eigentümer erwirtschaften, die hier investieren, hilft Intervention durch Umverteilung. Wer kein Geld hat, individuell in Medien- und Kulturkonsum zu investieren, kann per Abgabe zur Mitbeteiligung an den Kosten gezwungen werden, was er qua Voraussetzung wünschenswerterweise aber gar nicht bemerken sollte. Ansonsten
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erscheint die Medienbereitstellung als kostenpflichtiger Luxus eines von der Arbeit abgekoppelten zahlungskräftigen Bedürfnisses und in diesem Sinne als selbstständiger Konsumsektor. Die Menschen zahlen freiwillig für Kultur und Unterhaltung, Information und Kommunikation, je souveräner, servicefreundlicher, eleganter der Betrieb sich präsentieren kann, desto bereitwilliger – und selbstverständlich abgestuft nach Einkommensgruppen. Wofür sie bezahlen ist allerdings identischer Wert, selbst wenn sich der Effekt nicht für jeden und überall mit gleicher Intensität einstellen wird. Auch hier drohen Unfälle. Es ist der Tauschwert des Freiheitserlebnisses, für Luxus bezahlen zu können. Der Name dieses Erlebnisses teilt sich in die Eigennamen des Luxusprodukts, Namen wie »Museum«, »Ausstellung«, »Konzert«, »Event«, verbunden mit den kommunikations- und konsumerweiternden Medienapplikationen digitaler Art wie die der insgesamt zeitaufwendigeren Luxusprodukte: Sport, Urlaub, Fitness, Wellness, Gesundheit, Aus- und Weiterbildung. Dazu noch treten die Marken der LifestyleErweiterungen jeder Art. In der Tat präsentiert sich hier das Werk einer Gesamtkunst. Es reicht, wenn sich ihr Schein über Objekte und Auftritt legt, mehr rauschend als klingend die Konzentration zerstreut, sowohl im Raum der Begegnung als in allen möglichen angedockten Szenarien, die sich mit seinen Ereignissen verbinden. Nur große Kunst wird diese Spannung ertragen, Konsumgut zu sein und doch auch ein Eigenes. Soll die Kunst selbst zu Wort kommen, würde es reichen, könnte man meinen, dass ihr Sprechen im Ausdruck sich zeigend genügte, ohne noch einen ihr angeschafften Diskurs zu veranlassen, seine Zeichen im Kreis drehen zu lassen, Medienauftritt ganz ohne Botschaft. Doch derart in Szene gesetzt, dass man vom Namen her, vom Hörensagen schon weiß, dass es »Kunst« ist, worauf man treffen wird, womöglich verlässlich weiß, da hinreichend von massenhaften clicks, besser likes oder smiles beglaubigt und empfohlen, braucht keine Kunst mehr herzeigen, was sie ist. Selbst wenn sie anwesend wäre, müsste sie sich verweigern, um zu sein, was sie sein soll. Wenn Kunst am sichersten in ihren Signaturen anzutreffen ist, da wo sie weit sichtbar und hörbar aufgeschrieben und angezeigt wird, tauscht Topografie mit dem Gelände: ihre Zeichen gegen seine Bedeutungen, das Tableau der Namen gegen die deals in den Kaufhäusern. In den Heterogenitäten der Medialität, die nur scheinbar handlungs-, gestalt- und ausdrucksfixierte Orte und Zeiten signalisieren, verlässlich aber immer nur ein Gemischtes des Sein-Könnens unter einer vorläufigen und oft genug willkürlichen Beschreibung oder Bedeutung versprechen, ist solche Anzeige freilich mehrdeutig. Man weiß nicht, was man sich einhandelt. Jedenfalls gilt dies, auf die Sache bezogen. Denn die Geltung der Indikation, die einhergeht mit allgemeiner Anerkennung ihres Verweises, genießt solche Anerkennung nicht zuletzt aufgrund ihrer gesellschaftlichen Konsekration. Der Kredit, der einer künstlerisch kulturellen Inszenierung (beziehungsweise ihrer Szenografie) allein aufgrund dessen gegeben wird, dass, was gezeigt oder aufgeführt wird, als legitimerweise in Kunst- oder Kulturraum platziert sich angekündigt, wird voreilig eingeräumt. Es sei denn, man hätte sich eingelassen auf die »legitime Hochstapelei«, stimmte den Inszenierungstatsachen schon angesichts ihrer selbstreferentiellen Verweise zu, um der zeichensanktionierenden Medienmacht und ihrer Autorität Respekt zu zollen – und den Gewinn dieser Anerkennung mit eigener Anerkennung vergolten zu bekommen. In der Tat sind sachliche Rechtfertigungen zweifelhaft. Warum soll es sicher sein, dass im Museum, in der Ausstellungshalle, in der Galerie Kunst anzutreffen ist? Sicherer als auf der Kunstversteigerung? Sicherer, als dass auf Demonstrationen oder Parteitagen Politisches sich zeigt, als das, was Journalisten schreiben, auf Information und Nachricht basiert,
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was Wirtschaftsführer über ökonomische Verantwortung sagen, dem Gemeinwohl verpflichtet ist, Nahrungsergänzungsmittel der Gesundheit zugute kommen? Es ist nicht sicherer; es ist genauso sicher, weil tauschbar. »Unter Umständen sehen wir, wie mit karnevalesker Heiterkeit urplötzlich ein parodistisches Ende der Arbeitsteilung ausbricht, das umso willkommener ist, als es mit der allgemeinen Bewegung des Verschwindens echter Kompetenz zusammenfällt. Ein Financier wird zu Sänger, ein Rechtsanwalt zum Polizeispitzel, ein Bäcker gibt seine Lieblingsautoren zum besten und ein Küchenchef philosophiert über die Kochzeiten als Marksteine der Weltgeschichte. [...] Da wo der ›Medienstatus‹ eine unendlich größere Bedeutung gewonnen hat, als der Wert dessen, was zu tun man wirklich imstande [ist – HW], ist es normal, daß dieser Status leicht übertragbar ist und das Recht verleiht, auf dieselbe Art überall sonst zu glänzen.«171
Sogleich also erhellt ein anderes. Weder die aufs Topografische verweisende Modellbildung beziehungsweise Instrumentierung – die Erstellung von Karten oder Diagrammen zu Orientierung und Navigation im Kultur- oder Sozialraum – noch die damit vorgenommene Indizierung einzelner Ereignis- und Erlebnisräume können Bedeuten und Verstehen so konditionieren, dass es handelnd von daher determiniert wäre oder ohne Nachfrage der Signatur folgen dürfte. Im Spiel lassen sich die Dinge immer auch ganz anders arrangieren als in der fixierten Hinsichtlichkeit vorgängiger Verortung vermutet. Regelauslegung gehört zum internen Diskurs der Szene, vorausgesetzt, sie wird nicht von Spielern beherrscht, die über die Mittel verfügen, dies zu verhindern.172 Das gilt selbst für diejenigen Welten, in denen die Regeln Vergangenheit oder Zukunft sind oder für diese gelten, das heißt, die Fiktionen der Wissenschaften oder der Literatur. Egal wo, kann Inszenierung wahre Kunst bedeuten – und muss nicht deshalb unanstößig sein. Egal wo, kann fremder Zweck dies verhindern – und muss nicht deswegen betrügen. Wie weit es dabei einen Unterschied macht, was »die Kunst, bei sich zu behalten«, für eine Rolle spielt173, aus Askese oder Überzeugung, kluger Vorsicht oder Schwäche, aus heftiger Liebe oder kalkulierter Hinterlist, ist abzulesen an den unterschiedlichen Registern der Kunst, in Szene zu setzen, von der Verweigerung jeder Bühne bis zum Totalschauspiel oder Gesamtkunstwerk. Dass es nicht gleichgültig ist, welche Akteure und welche Agenzien auf welcher Seite in einem Spiel sich beteiligen, liegt ebenfalls auf der Hand. Wie gespielt wird, bestimmen am Ende die Ordnung der Inszenierung und ihre Register, nicht die Tableaus der Szenografien. Dass es vorteilhaft sein kann, wenn der ›Schirm‹, der das Bild des Tableaus ersetzt hat, nicht nur unzählige Programme empfangen kann, sondern die auch stand by stehen, wenn es gilt, Auskünfte über die Produktionen, das Programm und die Programmmacher einzuholen, will einleuchten. Doch haben 30 Jahre Medienerfahrung gereicht, um die mit der Diagnose der »Postmoderne« nicht aufgegebene Hypothese in Frage zu stellen, dass ein öffentlicher Zugang zu allen Datenpools Zugang zu Widerstandsressourcen und -potenzialen bedeuten könnte. Die sogenannten »Snowdon-Enthüllungen« oder staatlich sanktionierte Internetkontrollen174 lassen Zweifel aufkommen, ob dies nicht Falsifikation genug ist. 2
› prozessierender
widerspruch ‹
Ein Zuviel an Gestell und Künstlichkeit wird durch signierte Versicherung des Gegenteils verträglich. So muss sich das Bedürfnis nach Authentischem und Schöpferischem ›seine‹ Kunst nicht nehmen lassen. Soweit die Überzeugung dominiert, dass nicht die Originalität des Werks verschwunden sein könne (Leonardos Mona Lisa, Michelangelos David und Raffaels Sixtinische Madonna befinden sich schließlich nach wie vor
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an den geweihten Orten), allein der marktschreierische Umgang damit die Inflation des Werts zu verantworten habe, wird der Gedanke aufkommen, Kunst zu privatisieren. Wer sie anders in Szene gesetzt erleben, daran gewissermaßen mitgestalten möchte, muss sich angesichts der institutionell verwalteten Formate medialer Unterstützung bedienen. Gewisse Investitionen vorausgesetzt, kann so auch der nur mäßig technisch ausgestattete Kunst- und Kulturliebhaber individuelle Kunstbegegnung simulieren. Diese Art Privileg, allerdings, ist beschränkt auf Kunst und Unterhaltung, Freizeit und Vergnügen, Orte und Randbereiche, an denen das Spiel anerkanntermaßen als solches, nicht etwa als »ernsthaftes Spiel« gilt. Denn wer die Adressierung als Einwohner oder Steuerzahler vergleichsweise privatisieren und zum Spiel machen möchte, nur weil die Unterlagen der Behörde auch auf dem personal computer landen, zuweilen sich sogar mediale- oder narrative Ähnlichkeiten aufdrängen von Stadtplanungs-, Börsenspiel und adventure games, die in Wirtschafts- oder Finanzwelt spielen, den ereilt leicht das Geschick eines säumigen Schuldners öffentlicher Verwaltungsbehörden.
Datentausch, Dingtausch – Tausch, Gabe, Geschenk, Opfer Der subjektiven Logik folgend, die hier durchscheint, wäre zu erwarten, dass der Anspruch anders ausfallen darf, die Verantwortung anders verteilt liegen könnte, wenn das Programm auf Anforderung auf den Schirm kommt, die Lieferung durch den Absender vielleicht sogar versichert wäre. In der Tat ändert die mediale Bereitstellung eines szenografischen Online-Angebots einiges im Vergleich zu der im definierten öffentlichen Präsentationsraum. Der Adressat wird zum Nutzer eines ungeheuer reichhaltigen medial übermittelnden und vermittelnden Angebots unterschiedlichster Anbieter. Diese stellen entweder eigene Kanäle zur Verfügung (die Regel im analogen Verkehr) oder präsentieren sich über bereitgestellte designs und features im Angebot eines Netzbetreibers. Die einzelnen Inszenierungsstrategien sind dabei schlecht zu durchschauen. Der scheinbaren Exklusivität des Ein-Sender-ein-Empfänger-Modells (special service – on demand) korrespondiert die weitaus größere Zahl simulierter Individualisierung nicht nur der Adressierung, sondern auch des Absenders. Auf der Empfängeroder Nutzerseite besteht der Mehrwert der Einzeladressierung in einem statistischen Effekt. Was den Konsumenten so erreicht, mag ihm, selbst wenn es ihn so erreicht wie Hundertausende andere auch, darum positiv erscheinen, wenn der Eindruck bleibt, unter einer großen Menge von Angeboten wahrscheinlich doch viel öfter zur vollen Zufriedenheit ausgewählt zu haben als im Fall einer kleineren überschaubaren Anzahl womöglich ›individuellerer‹ Offerten. Der erfolgreiche »Marktplatz« verlangt, allerdings, nach Feed-back-Funktionen. Sind sie technisch implementiert, beziehen sich Zufriedenheit und Unzufriedenheit schon auf Kanal und Schnittstellen, zeigen sich in der Bewertung der Zugangsgestaltung, des »Portals«, wie man sagt. Die Medien, die hier punkten wollen, müssen mithin vernetzen können und vernetzbar sein, on line verfügbar und möglichst world wide. Qualifizieren sie sich nicht allein wegen des tendenziell unendlichen Angebots und des daraus hervorgehenden statistischen Effekts beim Kunden, sondern auch aufgrund vermehrter Treffer, die seine Auswahl nach Sichtung der Angebotspalette, die an ihn persönlich adressiert ist, begleiten, ist für den Anbieter das Ziel der Nutzerindividualisierung durch Begehrens- und Verhaltensprognose auf Basis von Datenanalyse und Dateninterpolation erreicht. Die mit der Wahrnehmung des Angebots verbundene Szenifikation darf demnach nicht mehr umstandslos im Ambiente einer ortsgebundenen Empfangssituation vorgestellt werden. Selbst vorausgesetzt, Ereignis oder Erlebnis (die Nutzung)
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kaprizierten sich auf eine Echtzeitaktion ohne Möglichkeit zeitversetzten Mitspielens durch Zwischenspeicherung und spätere Aktion: ›Erstadresse‹ heißt in der Regel immer nur die protokollgerechte IP-Adresse, ortsunabhängig, wo immer sich Rechner und Wahrnehmungsoberfläche (screen, display etc.) befinden. Die Botschaft kann dabei das Ereignis selbst beinhalten und ein event generieren oder aber zeit- und ortsversetztes Ereignen und Erleben indizieren – und auf diese Weise ermöglichen. Alle nicht echtzeitbasierte Interaktion im Sinne der Informationsvermittlung ist dagegen schon damit zufriedenzustellen, dass Einzeladressierung überhaupt sichergestellt ist, der user, auf diese Weise unterrichtet, einen Erlebnisraum, nah oder fern, aufsuchen kann. Freilich wird es ein kollektives Erleben sein, da der Adressat, wenn überhaupt, nur vergleichsweise wenige Prognosedaten zur Verfügung stellen muss. Prospekt und Programmheft, Buch und Film dürfen jedenfalls (noch) mit der Post kommen, Briefe, Dokumente, Einladungen per Mail. Indes erhellt, dass das Medienangebot an ein wo auch immer zu identifizierendes interface die Bedürfnisse eines einzelnen Nutzers nur dann hinreichend trifft, wenn die individuelle Bedürfnislage artikuliert ist und das Angebot darauf ›zugeschnitten‹ werden kann. Das setzt nicht nur voraus, dass ein interaktiver Kanal existiert, sondern die Kommunikation darüber auch in überschaubaren Zeiträumen erfolgreich abwickelbar ist und eine (möglichst automatisierte) Funktion (statistisch relevante likes oder frowns etwa) zum Abgleich von Anforderungsprofil und Offerten existiert. Bei technisch medialen Implementierungen auf Basis einseitiger Programmadressierung (one-way communication; Beispiel Radio- oder Offline-TV-Nutzung u.Ä.) wird die Möglichkeit in der Regel nicht geboten, obwohl die Sender auch in diesem Segment Feed-back-Portale einrichten, um den Kundenbedürfnissen entgegenzukommen.175 Gewöhnlich aber erwartet das Publikum in einem solchen Setting nicht, dass individuelle Ansprüche anders denn durch kundige Auswahl auf seiner Seite erfüllt werden könnten. Folglich ist es in der Regel auch bereit, die Verantwortung dafür zu übernehmen. Anders im On-demand-Verkehr, der vertragliche Regelungen voraussetzt. Bei allen Schaltungen, die den Einzelnen durch Gesetz oder Verordnung autorisiert nicht nur erreichen, sondern auch verpflichten können, muss die Namensadressierung unbeschadet des ›Programms‹, das die Sendung beinhaltet, persönlich geschehen, auch wenn der Adressat nicht um Kontakt, Zusendung oder Überlassung gebeten hat. Wenn man von den notwendigen Hinweisen auf die Legitimationsquelle und den dekorativen auf die allgemeine Wohlfahrt absieht, ist hier mit besonderem Inszenierungsaufwand in der Ausführung nicht zu rechnen. Bei der Selbstdarstellung eines ›Öffentlichen Dienstes‹ liegen die Dinge anders. Doch wird insbesondere im Zuge der Privatisierung bestimmter Bereiche oder Teilbereiche öffentlicher Verwaltung auch hier der Zusammenhang von Mehrwert und Design erkannt, der Marke »Öffentlicher Dienst« kommt dies nur entgegen. Erst Sendungen, die auf der Grundlage gegenseitiger Verpflichtung zwischen Anbieter und Einzelnutzer durch expliziten oder impliziten Vertrag zustande kommen, ermöglichen aber, das Angebot mit dem, was gewünscht wird, auch für den individuellen Fall abzugleichen. Auf Angebotsseite gilt die Indikation, dass, was geliefert wird – Objekt, Werk, Erlebnis, Medium –, überhaupt vereinzelt oder zu privatem Gebrauch zu nutzen ist. Einerseits eine Rechts-, andererseits eine Geldfrage. Jedenfalls leuchtet ein, dass ein derartiger Transfer nur unter definierten Tausch- beziehungsweise Marktverhältnissen stattfinden kann. Die Inszenierungsvarianten liegen auf der Hand: Sie werden sich um eine Strategie scharen, die den Tausch als Gabe oder Geschenk oder gar als Opfer darstellt.
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Dass solcher Tausch mit dem von Malinowski, Mauss oder Lévi-Strauss beschriebenen Gabenverkehr fremder Kulturen vergleichbar wäre, müsste schon an der Unterfütterung des Scheins mit alternativem Wissen scheitern. Wenn die Ahnen, die von ihren Inseln herüberkommen, dafür verantwortlich sind, dass die jungen Frauen der »Trobriander« genannten Stämme der Kiriwina-Inseln im seichten Wasser der Solomon Sea ihre Kinder empfangen können, wissen sie es nicht ›in Wahrheit‹ viel besser, inszenieren deshalb auch nicht ersatzweise ein ›Spiel der Generationen‹. Ebenso wenig stellt der Kula-Tausch von sakralen Muschelhals- und -armreifen ›in Wahrheit‹, am Grunde des Rituals, statt eines Geschenks ein von Profiterwartungen getragenes Kalkül im Warentausch der Insulaner dar, umso effektiver in der Verkleidung als Gabe.176 Man könnte diesen Geltungsaspekt in ein historisches oder soziologisches Argument verwandeln: Die ausschließlich strukturale Betrachtung verkennt die geschichtlichen wie die gesellschaftlichen Differenzen. Dies gilt für die ökonomischen wie die symbolischen Wertmaßstäbe. Muss, beispielsweise, die Valuta der »Ehre« in postheroischen Zeiten nicht ersetzt werden? Der wirkliche Tausch in den modernen westlichen Gesellschaften setzt sich als Gabe in Szene, wie es üblich ist für die Waren- und Kapitalzirkulation. Die Wandlung ereignet sich schon, wenn zwischen Gabe und Gegengabe (oder Opfer) – Ware gegen Geld im Warenverkehr – hinreichend Zeit verstreicht und für die Zwischenzeit Kredit gewährt wird.177 Betrachtet man die ›szenografisch‹ auf private Performanz programmierten Angebote, könnte man glauben, dass nur solche Gaben sich als wirkliche Geschenke erweisen könnten, die sich nicht über Breitbandbezahlkanäle potenter Medienanbieter à la Amazon und Ebay, Apple oder Google kaufen lassen. Als seien Geschenke an Szenen des privaten, familiären oder familienähnlich freundschaftlichen Umgangs gebunden, an Szenen face to face statt interface to interface, selbst wenn sie sich nach Regieanweisung und im Kostüm überkommener Codes und Bräuche anlassen. Das ist fraglich, könnte glauben machen wollen, dass Kauf Antwort auf Verlangen sei, Schenken Besitzenwollen nicht meinen könne.178
User & provider demand – on line Nüchtern betrachtet, ist die mediale Bereitstellung von Millionen echtzeitverbundener Angebote programmiert hin auf partikular artikulierte Bedürfnisse, die dennoch Gemeinsames treibt: die Inanspruchnahme von Dienstleistungen auf Abruf oder Anforderung. Die Wünsche zu befriedigen, können sich spezialisierte Anbieter qualifizieren. Für den, der lesen will, kommt lange schon das ›Buch auf Bestellung‹, günstigerweise heutzutage realisiert als Direktdruck (just-in-time production).179 Vergleichbares gilt für elektronische Bücher oder Zeitschriften, die im System (unter Umständen auf den Anbieterservern) verbleiben. E-books oder e-papers können zum Angebot eines Verlagshauses oder Vertreibers gehören, das in der Regel aber bezahlt werden will. Dem Lesen zugesellt sich das Hören in allen Variationen akustischer Präsentation wie auch das Sehen (audio / video-on-demand). Die Frage der Kosten entscheidet darüber, ab welcher Bestellmenge eine eigens auf Anforderung hin realisierte Produktion Rendite verspricht. Der ›Film auf Bestellung‹ geht in dieser Richtung schon längst den Weg der Produktions- und Produkterweiterung auf Grundlage anforderungsanaloger, das heißt, prognostischer, aus Interpolation gewonnener Daten. Die statistische Auswertung von Erfolgs- und Misserfolgsgeschichten dient der Ausweitung des Angebots von beliebten Titeln zu »Mehrteilern« an einen summarisch bekannten Kundenkreis.180 Der Abruf fertiger Lektüre-, Ton- und Bildformate wird
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überboten von der besonders vielversprechenden Überlassung eigener Direktive bei der Gestaltung szenischer Ambientes und Atmosphären und der Formatierung von Spielen und Mitspielern. Je mehr Daten zurückfließen an die Big-data-Eigner, umso schlüssigere Vorhersagen über das »Nutzerverhalten« lassen sich erzielen. Dafür bereitgehalten wird neben den konventionellen Angeboten die entsprechende software-ondemand, die zum Einsatz zu bringen die notwendigen Geräte oft genug als Dreingabe oder halbwegs geschenkt mitkommen. Software auf Bestellung kennt alle Arten von Anwendungen, wird durch die Game-Industrie ebenso bedient wie durch SAP oder Oracle. Könnte man aufgrund der enormen Anzahl an bedürfnis- wie bedarfsgerechter Anwendungssoftware auch alle ›Applikationen‹ (besonders alle mobilen Apps) als ›Abrufprogramme‹ verstehen (vor allem mit Blick auf die sogenannten Web-Apps), ist software-on-demand im engeren Sinne gewöhnlich doch server- und lizenzgebunden, um auch schnell wechselnden Anforderungen in der Praxis gerecht zu werden. Dies wird sich durch direkte ›Bezahlung-für-Leistung-Systeme‹ ändern.181 Die umsatzgarantierenden Abnehmer finden sich nicht nur bei Millionen Einzelinteressenten, sondern vor allem bei Firmen, Institutionen und Behörden, deren Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter den unternehmensgerechten Einsatz solcher Programme in ihrer Hand nicht unbedingt zur persönlichen Selbstverwirklichung funktionalisieren. Was im Unterschied zum analogen Endgebrauch oder -verbrauch digital zustande gekommener Tausch- und Vertragsverhältnisse als deutlicher Mehrwert persönlicher Software-Nutzung im skizzierten Verständnis betrachtet werden mag, ist der Schein tendenziell schrankenloser Verfügungs- und Steuerungsgewalt. Es ist der Traum von der Autonomie, die Phantasie selbsttätiger, quasi automatischer Programmierung zur Gestaltung individueller Ambientes individuellen Agierens, Verhaltens und Erlebens. Doch gehört mit zur Inszenierung dieses prestigio, dass Handhabung und Pflege, Ersatz und Aktualisierung der Maschine im Gebrauch entweder ins Spiel integriert oder dissimuliert sind. Gewisserweise werden die Leistungen übersehen wie die von Prothesen oder Organerweiterungen: wie man die eigene Hand beim Abschied nicht betrachtet, als sei sie ein ›Winkinstrument‹. Die »Produktion von Produzenten für Produzenten«, von Künstlern für Künstler, die sich als »reine Kunst« versteht, kann nur deshalb als Inbegriff echter Kunst und eines auf diese Weise legitimierten künstlerischen Werks, Auftritts oder Angebots gelten, weil sich die Gemeinde der kunstverständigen Spezialisten unter den Machern wie unter den Kritikern von solchem Produktionsverständnis angesprochen fühlt. Bourdieu macht zu Recht darauf aufmerksam. Zur »Gemeinde« zählen die sich zuständig erklärenden Wissenschaftler. Die Experten müssen im Übrigen nicht wissen, wie die Kunst im Sinne ihrer Adressierung gemeint ist. Es kommt an auf den Effekt der Verstärkung. »Die Literatur- oder Kunsthistoriker«, schreibt Bourdieu, »die, ohne es zu wissen, die Sichtweise der Produzenten für Produzenten übernehmen [...], anerkennen nur das Unterfeld der limitierten Produktion«. Die Auswirkung ist enorm: »[D]amit verfälscht sich die ganze Darstellung des Felds und seiner Geschichte«.182 Dementgegen steht die Relevanz einer ›art-on-demand‹, deren Liebhaber sich weder angesprochen fühlen als Künstler unter Künstlern noch als Experten unter Experten, sich aber dennoch nicht mehr nur als Publikum, Besucher oder Zuschauer vereinnahmen lassen, sondern ihr eigenes Programm zu gestalten vorhaben. Zum einen will dieses Ansinnen bezahlt werden. Das geht an die finanziellen, aber auch an die Kraftressourcen der Einzelnen. Zum anderen stabilisiert diese Bedürfnislage die Angebotsstruktur des Online-Marktes wie der Medien- und Unterhaltungsindustrie. Außerdem
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fördert die Nachfrage die Konzentration der Industrie, da sich derjenige als der ausdifferenzierteste Anbieter erweist, der am ehesten auf alle Einzelbedürfnisse einzugehen verspricht und sein Versprechen nachweislich auch hält. Im Erfolgsfall darf er sich mit den meisten positiven Bewertungen (einer hohen click-through-rate) schmücken und so bestätigt weiterempfehlen. Endlich bestärkt das Verhalten die Gemeinde der multiplayers, die vergleichbare Gewohnheiten haben. Jeder Einzelne sieht sich auf diese Weise in seiner ganz persönlichen Umgebung in seinem Verhalten bestätigt; das Verhalten erweitert sich zum Habitus und gewinnt sozial präskriptiven Charakter. Vergleichbar zu handeln gilt als die anerkannte Art, seine verfassungsverankerten Rechte auf »life, liberty and the pursuit of happiness« zu verwirklichen.183 Dass eine derartige Selbstprogrammierung der persönlichen Geschmacksbildung, der »Sorge um sich selbst« – wenn man weitergreifen möchte –, nicht unbedingt gerecht wird, kann sein, aber nicht über den massenhaften Profit hinwegtäuschen. Rechtmäßigkeit und Rechtfertigung solcher Orientierung werden zudem beschirmt und eskortiert von einer allen Bürgern ausdrücklich garantierten Meinungs- und Glaubensfreiheit. Was die nach Angebot wechselnden Ansichten der Wunschproduktion angeht, dürfte der Blick individuellen Begehrens im Übrigen nicht irritiert, sondern gefüttert werden mit dem, worauf er aus ist. Die Bestätigung dafür liefert das Verhalten. Man könnte meinen, das Diktum, das Allgemeine müsse konkret sich zeigen, habe nie eine bessere Bestätigung gefunden. Das den »Reichtum des Besonderen in sich fassende Allgemeine«184 gibt sich so offensichtlich wie der Reichtum des Besonderen selbst. Allgemeines wie darin Gefasstes, allerdings, sind in nicht überbietbarer Weise warengezeichnet.
Produktions- & Arbeitsraum Wissenschaft: Natur-, Kulturwissenschaften. Produktivkraft Kunst Karten zur Orientierung herzustellen steht in der Mitte der Darstellungsarten, verweist auf den materialen Raum wie den topologischen. Wie man den Ausbreitungsfeldern hin zum virtual space folgen kann, so auch in Richtung des natural space, Metapher oder nicht. In Verlängerung der technisch medialen Bereitstellung zur Raumerzeugung »sozialer« beziehungsweise »›kulturpragmatischer‹ Räume« wird eine »aktuelle Forschung zu Räumen des Wissens« erwähnt, von der mehr erwartbar scheint als die Erschließung noch unentdeckter Text- und Theorieräume. Nicht zuletzt von Interesse sind die Ergebnisse dieser Wissenschaftsforschung, da sie über die Produktionsbedingungen der Inszenierungs- und Präsentationskultur Aufschluss versprechen, jedenfalls für den Bereich der Wissenschaften selbst. Eine entsprechende ›Produktionsforschung‹ für die weichen Disziplinen, schon gar die anwendungs-, exekutions- oder expositionsbezogenen existiert nicht. In der Wissenschaftsforschung und geschichte indes scheint auch theoretisch darüber Klarheit zu herrschen, dass »Wissenschaft« nicht per se gleichzusetzen damit ist, was sie selbst auf die Bühne ihrer Manifestationen stellt und wie sie sich ansonsten öffentlich in Szene setzt. Aufgezeigt wird deshalb unter anderem, »wie in Laborräumen, Büros, Archiven bzw. Bibliotheken und auf Bühnen Wissen räumlich organisiert wird.«185 Räumlich organisieren wird nicht stapeln, stauen oder rücken meinen, doch zielt es auf Konkretes, selbst wenn der Logik der angeführten Darstellung folgend Wissensräume privilegiert werden. Man darf demnach hoffen, etwas über den Zusammenhang von Präsentationspraktiken, Ding- und Technikexposition, Raum-Zeit-Konditionierung und Produktionsverhältnissen zu erfahren.
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Zunächst gilt als Wissen hier186, nach Leibniz´scher Empfehlung, nicht nur das, was sich zwischen Buchdeckeln versteckt. Vielmehr gerät ebenso das materiale und mediale Ambiente der Wissens- und Textproduktion in den Blick. Dies rückt das wissenschaftliche Wissen in die Nähe der Episteme der Kammern, des Markts, des städtischen und urbanen Raums. Zwar lässt sich, wie konkret die Begriffe sind, daran noch keineswegs absehen. Doch sei auf den Unterschied der Kategorien der Regieorientierung hingewiesen. Sie beinhalten Beschreibungsformen zur Identifikation formaler Zustände und von Beziehungen, die sie unterhalten (»Relationalität«, »System« oder »Struktur«). Oder sie dienen der Beschreibung von Relationen hinsichtlich eines tertium comparationis (wie »Abbildung« oder »Ähnlichkeit«, »Analogie« oder »Repräsentation«). Oder sie machen Modifikationen kenntlich, deren Semantik die Dynamik der Komplexion mittransportiert (»Bahn« oder »Trajektorie«, »Feld«, ›Ausbreitung‹ oder »Zirkulation«, »Metabolismus« oder »Osmose« etc.). Dass das hier angedeutete Forschungsprogramm so angelegt ist, dass es im Zweifelsfall nicht zufällig auf die Inszenierung von Wissenschaft treffen lässt, versteht sich. Insbesondere kommt es zur Überschneidung, wenn solche Wissenschaftsforschung die Auseinandersetzung mit der summarischen Darstellung von Ergebnissen, eventuell noch aus eigener Feder, nicht als primären Gegenstand ihrer Arbeit versteht, und wenn es nicht hauptsächlich um Texte geht (die natürlich nicht verworfen werden), sondern um den alltäglichen Wissenschaftsbetrieb, um alltägliche Praktiken in alltäglichen Räumen mit alltäglicher Ausstattung in alltäglichen Atmosphären. Aber das Interesse von Wissenschaftlern allein erklärt gar nichts.187 In dieser Fokussierung indes zeigen sich ›Räumlichkeiten‹ als Handlungs- und Gestaltungsdispositive, geradezu Werkzeuge und Produktivkräfte von Wissenschaftlern und Wissenschaften, die sie selbst ansehen. Doch fragt sich, wie tief sie in den Produktionsraum schauen. Oder anders gefragt: Gibt es eine ökonomische Betrachtung des Wissensraums ›Theorieproduktion‹ – möglicherweise mit der Erweiterung Theoriemanifestation und -demonstration –, eine Untersuchung konkreter Ausgestaltung von Produktionsräumen, hinter denen sich unter Umständen geteilte Räume der Arbeit verbergen? Offensichtlich tritt hier als Erstes das gesamte System des Verlags- und Vertriebswesens mit in den Fokus der Wissenschaftsforschung. Denn es erheben sich Fragen der Finanzierung, der Eigentums- und Besitzverhältnisse, der Rechte und Renditen, Fragen einerseits der akademischer Qualifizierung und Reputation, öffentlicher Anerkennung und symbolischen Prestiges, andererseits der dafür notwendigen Reproduktionsquellen durch Arbeit und Lohn. Denn wissenschaftliche Produktion will finanziert, das Geld dafür muss verdient werden. Vielleicht mag es in der Idylle individueller Autorschaft vergessen werden. Nicht zu übersehen ist es in den Forschungsfabriken der Größenordnung Cern. Die Entwicklung einer Beschleunigungsanlage verschlingt mehrere Milliarden Euro, die Energie, die zum Betrieb benötigt wird, entspricht dem Bedarf einer mittleren Großstadt. Dauernd beschäftigt sind bei der genannten Großforschungsanlage rund 5.000 Personen; 500 davon sind Wissenschaftler und Forscher, weitere Hunderte sind Ingenieure, mindestens 1.000 sind Techniker. Dazu kommt ein Heer an Betriebs-, Wartungs- und Verwaltungspersonal, von den Putzkräften abgesehen.188 Gerade letzterer Aspekt der Organisation von Wissensräumen, der Blick auf ihre Produktivität, wird oft genug in der Wissenschaftsforschung, die sich hauptsächlich dem Ambiente bei den Inventionsprozessen und den Details bei der organisation of science widmet, unterschlagen. Wissenschaft als Lohnarbeit – oder oft genug auch als unbezahlte Arbeit, ist wenig sexy. In den
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Kultur- und Geisteswissenschaften im Übrigen ist dieser Aspekt genauso wenig zu ignorieren wie in den Natur- und technischen Wissenschaften. Er lenkt auf eine skēnē, eine Werkstatt von skēnographia, die vielleicht als allgemeine quasi natürliche Voraussetzung der Kreativarbeit anerkannt sein mag, indes kaum irgendwo in einen unmittelbaren Zusammenhang mit ihr gebracht erscheint und deshalb gewöhnlich auch keine Erwähnung erfährt.189 Würde man bei Kultur- und Textwissenschaftlern nach Vergleichbarem fahnden, wären in Analogie zunächst ebenfalls nicht die Räume ihrer Texte gefragt, sondern die Räume der Texterzeugung und Autorschaft als Produktionsräume. Einiges fände sich ganz wie bei den harten Wissenschaften: Bibliotheken, Archive zum Beispiel, wenn auch nach eigener Art. Man träfe auf Bücher und Literatur, doch würde vieles auch als ›Kunst‹ gerechnet. Vergleichbares gilt für die Spezifik der Wissenskulturen im Blick auf Erhebung, Material- und Quellenrecherche, in analogen Archiven wie im weltweiten digitalen Netz. Man stieße auf Arbeitsformen, denen die kollektivierte Disziplinierung weitgehend fremd ist, wie sie in den strikteren und effektiveren Einrichtungen der community of science herrscht. Das Gros der Geistes- und Kulturwissenschaftler schreibt in privaten Räumen an privaten Rechnern mit privaten Programmen – und auf eigene Kosten. Einige sprechen dabei, sei es, dass sie im Vorfeld der Textherstellung diktieren, sei es, dass sie Texte unmittelbar auf diese Weise erzeugen; viele sitzen, wenige werden dabei stehen oder heurumlaufen, manchen essen oder trinken vielleicht, während sie arbeiten, ganz nach Geschmack. Der Zugriff auf Hard- und Software, überhaupt auf technische und technologische Hilfsmittel bleibt meist dem eigenen Organisationstalent und dem finanziellen Spielraum, der zur Verfügung steht, überlassen und der Zufälligkeit der Begegnungen. Vergleichbares gilt für die gesamte Einrichtung oder die ›Szenografie‹ der Produktion. Auch sie ist privater Natur, überschneidet sich in manchen Fällen vielleicht mit notwendiger beruflicher Tätigkeit zum Gelderwerb, naheliegend im Bereich von Unterricht, institutionalisierter Lehre und Forschung, Entwicklung und Verwaltung. Doch auch dieser Transfer zwischen Berufs- und Privatsphäre, sollte es ihn geben, inklusive der Bewältigung der Distanzen und der zwischenzeitlichen PerformancesVerpflichtungen versteht sich gemeinhin als Privatsache und eigenverantwortlichem Arrangement und Regiment unterstellt. Entsprechend fallen die Ergebnisse aus. Weiterhin wäre eine im Vergleich zu den harten Wissenschaften eigenständige Orientierung bei der Anlage herangezogener und beabsichtigter Narrative zu vermuten. Sie erstreckte sich naturgemäß auf die Besonderheit der Inhalte, nicht weniger aber auch auf deren mediale Qualitäten. In der Regel produzieren die Autorinnen und Autoren der Humanities Texte aus Texten (auch wenn sie andere Medienformate zu Rate ziehen oder sich sogar auf diese konzentrieren). Die Planungsund Entwurfsphase lässt dabei im Unterschied zu Ausgangslage und Ergebnis eine Unzahl weiterer Textformen und ›Diskursereignisse‹ in ganz unterschiedlichen Sujets und Formaten entstehen. Womöglich kommt es zu einem zwischenzeitlichen Mix der Präsentationsform schon im Design eines Vorhabens. Textentwürfe und Manuskripte könnten mündlich, in Vorlesungen oder Seminaren in den Diskurs eingeführt, der Gemeinschaft von Experten vorgestellt und diskutiert oder auch, in größeren Versammlungen, interessierten Laien bekannt gemacht werden. Darüber hinaus gibt es private conventions, die der Sache dienen sollen. Überhaupt mag die Autorentätigkeit auch – oder gar ausschließlich – dem gesprochenen Wort gelten. Damit
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verbunden, entwickeln sich die Hybridformen mündlichen Vortrags in Kombination mit der Präsentation von still, movie, sound etc. und mittels dieser Techniken aufbereiteter und addierter Botschaften. Auch indiziert die Organisationsform von Texten und anderen Medienformaten des Quellmaterials Unterschiede der Wissenskulturen. Geistes-, Kunst- und Kulturwissenschaften und ihnen nahestehende Gesellschaftswissenschaften werden sich bei einer Fülle gesammelter Darstellungen und Dokumente aus der eigenen Wissens- und Wissenschaftsgeschichte bedienen. Zum einen Teil setzen sie sich zusammen aus wissenschaftlichen Quellen nicht- oder weniger fiktionaler Art, zum anderen Teil sind sie ausschließlich fiktionaler und künstlerischer Provenienz (Dichtung, künstlerische Bild-, Film-, Tondokumente etc.), beziehen sich statistisch vergleichsweise seltener auf rein technische oder technologische Artefakte. Möglicherweise hat die Buchform im Fall langfristiger Forschungsarbeit größere Bedeutung bei den Arbeiten von Forscherinnen und Forschern der Kultur- und Geisteswissenschaften als angesichts der Entwicklungs- und Publikationshalbwertzeiten, wie sie für naturwissenschaftliche oder technologisch technische Forschungsprogramme Usus sind. Publikationen aus langfristig angelegten Auffindungs- und Entwurfsphasen wiederum dürften eine Reihe zwischenzeitlicher Veröffentlichungen unterschiedlichster Art aus dem Forschungsprozess heraus erlauben, in Aufsatz-, Artikel- oder Blog-Form. Hierhin gehört wieder der mündliche Vortrag, der ebenso als eigenständiges Ziel von Autorschaft zu werten wäre. – Print- oder Onlineressource beziehungsweise -publikation, allerdings, gelten mittlerweile auch in der Forschung ›weichen‹ als annähernd vergleichbar selbstverständlich wie in den ›harten‹ Wissenschaften als Quellen ebenso wie als direktes Zielmedium der Publikation. Mit Umfänglichkeit und Dauer der Inventionsphase dürften Medienwahl und -spezifik der beabsichtigten Manifestation eines ›Werks‹ dabei nach wie vor korrespondieren, sei es als Buch, Aufsatz oder Artikel, als Vorlesung, Seminar oder Vortrag oder in einem anderen medialen Zuschnitt.190 Unzweifelhaft ist, dass auch, was Autorinnen und Autoren wissenschaftlicher Werke in den Zeiten von Inspiration, Ideenfindung, Konzeptualisierung und Konzeptentwicklung, in den Phasen der Quellenaufbereitung und Werkentwürfe schaffen, der Entfaltung von Szenografien vergleichbar ist. Räume und Zeiten werden gleicherweise von den ästhetischen wie den inhaltlich funktionalen Dispositionen der Kreativen selbst bestimmt wie von deren instrumentell technischen und medialen Strategien und Umgebungsvariablen. Die materialen, medial unterschiedlich ausfallenden Entwurfskonstrukte, Produktionsmittel und Organisationsformen, die in Anschlag gebracht werden, gehören dazu. Doch sind Gesamtarbeitsverhältnisse der Erweiterten Szenografie zweifellos unter Bedingungen des 19., 20. und 21. Jahrhunderts nicht mehr im Sinne »künstlerischer Werktätigkeit« (Arendt) vergangener Zeiten zu reklamieren. Bestimmte gesellschaftliche Sphären, deren spezifische Tauschorte solche ›Kreativproduktion‹ erst ermöglichen und unmittelbar mit ihren Tauschgeschäften in Zusammenhang stehen, blieben ausgeblendet. Davor steht die Einbettung der WerkProduktion in den Kontext kapitalistischer Arbeits- und Geldverhältnisse seit rund zweihundert Jahren. Hier steht die ›Produktivkraft Wissenschaft‹ neben der ›Produktivkraft Kunst‹ und alles Insistieren auf spezifischen Autorschaften hindert Sozialisierung nicht, die das schöpferische Subjekt auch an allen anderen Fronten erleben musste. Forscher und Wissenschaftler sind Anbieter und Konsumenten, ganz wie die Künstler. Forschung und Wissenschaft on demand sind die Regel, auch wenn nicht das große Publikum die Aufträge erteilt. Die Einordnung in die zuständigen industriellen
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Medienkomplexe oder medialisierten Industriekomplexe, die Akzeptanz der dort dominierenden Strategien sind obligatorisch. Was die Räume betrifft, ist demnach offensichtlich, dass die Formatierung und Mobilisierung von Konzepten, Strategien und mit passenden Medien und Techniken ausgelegten Entwürfen nicht derart hierarchisiert werden kann, dass man zurecht behaupten könnte, sie spielten in einem einzigen, singulär strukturierten Raum. Weder im physikalischen Verständnis macht dies Sinn, noch in einem die physikalischen Räume und ihre Territorialisierungen überschreitenden topografischen Verständnis produktiver Vorstellungskraft. Der Punkt ist nicht, dass die verschiedenen semiotischen Aspekte von Produktion, Inswerksetzung und Auftritt nicht je nach Bedeutung und Zwecksetzung aufeinander bezogen werden und in integrierte Handlungsverläufe einfließen könnten. Dies sogar ist ein Muss für erfolgreiche Strategien. Doch sind die unterschiedlichen Bedeutungssegmente nicht untereinander substituierbar, können auch nicht ›arbeitsteilig‹ nach der Maßgabe »hier Praxis, dort Theorie« erledigt werden. Die Heterogenität, die erfahrungs- und handlungsspezifisch – wenn nicht überwunden, so doch – durchlebt werden kann, wenn nicht muss, würde, allein raumspezifisch betrachtet, in viele Praxis- und Theorieräume zerfallen. Mit feinem Gespür gibt der Raumsoziologe das Problem der »Raumabstraktion« zu bedenken. Sie droht immer, wenn gegen die Regeln der Vermittlung der heterogenen Räume in der Zeit verstoßen wird – schon im Alltag. Wo anders sollte man auf die reale Komplexität des Lebens und entsprechend verschränkte Verhältnisse treffen? »[V]ieles kann man aber auch [...] unter weitgehendem Verzicht auf eine Beschreibung in der Sach- und Sozialdimension überzeugend und manipulierbar identifizieren; weitere Kommunikation und Erkenntnisbemühungen erübrigen sich dann bei pragmatischer Betrachtung tatsächlich oder scheinen sich zu erübrigen – und können dergestalt nachhaltig blockiert werden (was wieder praktisch-politisch von Vorteil sein kann). So entstehen Beschreibungen von sozusagen empfehlenswerter Primitivität, auf die auch jedes physical planning mit Vorteil zurückgreifen wird.«191
Als anschauliches Beispiel imaginiert der Geograf – in einem dezidiert szenografischen Rahmen – die Planung einer Gartenanlage. Der »Gartenkünstler entwirft ein bedeutungsvolles und semantisch vielschichtiges Gartengesamtkunstwerk«, die ausführenden Gärtner aber – (je nachdem zynischer- oder dankenswerterweise) »von allem tieferen Verständnis entlastet« – können alles Notwendige »aus einer sehr einfachen Raumabstraktion, z.B. einem Pflanz- oder Ausführungsplan entnehmen«192, einer simplen mechanischen Szenografie. Bemerkenswert an diesem konkreten Beispiel ist weniger die mögliche Dupierung des Gartenarchitekten und seiner konzeptionellen und schöpferischen Fähigkeiten. – Im Zweifelsfall wird die Anlage des Gartens nichtsdestotrotz mit seinem Namen verbunden. – Bemerkenswert ist eher, dass »die ausführenden Gärtner« mit dem Werk nicht mehr zu tun haben, als dass sie allein die notwendige Arbeitskraft zur »Umsetzung« zur Verfügung stellen und dafür entlohnt werden. Abstraktionen, im Übrigen, die in umgekehrter Richtung entlasten, ließen sich vergleichbar einfach exemplifizieren. Bei den Tauschwerten, die der Arbeit geschuldet sind, geht es zu wie bei den Gegenständen und Objekten der harten Wissenschaften. Was deren Gegenstände zur Legitimation des Forschungsgeschäfts beitragen, liegt bei ihren Effekten, die ihrer Substanz erst noch abzugewinnen sind, dem ›verborgen‹ oder ›versteckt Natürlichem‹. Dort sind es Geheimnisse der Natur, hier sind es Geheimnisse des sozialen
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Stoffwechselprozesses, Geheimnisse der Arbeit, des Tauschs und der Wertbildung, die in die Trajektorien der Zirkulation und des Konsums und die Ausbreitung ihrer Auftritts ausstrahlen. Solche Effekte treten nicht (mehr) per se an den produzierten Dingen hervor, so wie sie sich zeigen. Überhaupt müssen sie allererst exponiert werden, sich dem gegenwärtigen Stand gesellschaftlicher Verwertbarkeit aussetzen. Derart tauchen sie nicht ihre eigene Herkunft erinnernd aus, sondern wetteifern um den prestigo von Tausch und Verzehr. Der Reichtum der Gesellschaften, in denen solche Produktionsverhältnisse herrschen, erscheint bekanntlich »als eine ›ungeheure Warensammlung‹, die einzelne Ware als seine Elementarform«. Dabei ist »[d]ie Ware [...] zunächst ein äußerer Gegenstand, ein Ding, das durch seine Eigenschaften menschliche Bedürfnisse irgendeiner Art befriedigt. Die Natur dieser Bedürfnisse, ob sie z.B. dem Magen oder der Phantasie entspringen, ändert nichts an der Sache. Es handelt sich hier auch nicht darum, wie die Sache das menschliche Bedürfnis befriedigt, ob unmittelbar als Lebensmittel, d.h. als Gegenstand des Genusses, oder auf einem Umweg, als Produktionsmittel.«192
Entgegen dem Anschein entspringen Austausch und Verzehr nicht in der »geräuschvolle[n], auf der Oberfläche hausende[n] und aller Augen zugängliche[n] Sphäre« des Marktes oder der Zirkulation, da, wo sie sich vollziehen, sondern wo »Geldbesitzer und Arbeitskraftbesitzer« in einer »verborgenen [...] Stätte der Produktion« miteinander umgehen, »an deren Schwelle zu lesen steht: No admittance except on business.« Daher spricht Marx von einer Methode des Aufstiegs vom Abstrakten zum Konkreten. Im Inszenierungsmodell der magischen Performance wäre demzufolge zu ermitteln, was hier im turn zum Verschwinden gebracht wird, so dass es sich im Effekt des Auftritts – im Vergleich und Unterschied zu den Verpflichtungen seiner Herstellung – schließlich öffentlich als naturwüchsig Normales zu zeigen vermag. In der Abfolge von Exposition und Verpfändung (pledge), eigentlicher Effektgestaltung (turn) und Resultat (prestigio) zeigt sich die gewöhnliche Anordnung der Inszenierung, die für Waren jeder Art gilt, darunter, wie sich in der Geschichte der Werktätigkeit im Übergang zur und in der Konsequenz der Lohnarbeit herauskristallisiert, eben auch die der Ware Arbeitskraft. So begegnet im Dingraum, der Warenraum geworden ist, eine Allgemeinheit von Inszenierungstätigkeit, die sich nicht auf ihre Performanz in der Zirkulation, sondern auf ihre Fabrikation, auf den Produktionsraum einer verborgenen ökonomischen Szenografie richtet, einer expanded scenography besonderer Art. Hier ist man weniger damit beschäftigt, Texte zu erstellen, Geschichten zu erzählen, Choreografien und Atmosphären zu ersinnen, auch wenn dies im Sonderfall solcher Arbeit vorkommen mag, vor allem in den Niederungen unentlohnter Arbeit. Im Großen geht es um einen Produktionsraum, der gemeinhin überhaupt nicht inszenierungsverdächtigt erscheint und auch nicht zu den Werkstätten der Inszenierung gezählt wird. Trotzdem ist, was hier passiert, unverzichtbar. Es betrifft die Ökonomie der Inszenierung im Mark, allemal wo Inszenierung mehr besagt als Theater. Dass die Inszenierung qua Szenografie auffällt, wo sie in der Zirkulation, im Tausch, auf dem Markt herumlärmt, liegt auf der Hand, denn das ist ihr Zweck; dass sie dort nicht alle nötigen Energien ihrer Kraftentfaltung erwerben kann, ebenso. Trotz der Verdecktheit der eigentlichen Produktionsräume einer Gesellschaft in Industrie und Wirtschaft, ähnlich den Zuständen in den eigentlichen Produktionsräumen der Wissenschaften und der Technologie, werden sich auch dort Szenifikationen ereignen, die Inszenierungen voraussetzen und szenografisches Know-How. Vielleicht weniger
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in den Produktionsstätten der großen Industrie und des Gewerbes, die ihre Ausstattung der technischen Perfektion der Produktionsabläufe und den ihnen abverlangten Effekten unterwerfen, als beispielsweise im Verwaltungs-, Kommunikations- und Dienstleistungssektor. Doch überall dort, wo Maschinen nicht an die Stelle von inszenierungsempfindlichen Akteuren getreten sind, werden wohl auch passende Ambientes und Atmosphären, mediale Implementierungen und Umgebungen existieren, deren Sinn sicher nicht darin liegt, als interesselose l´Art pour l´Art zu glänzen. Es mag aussehen – insbesondere unter dem Eindruck der historischen Dispositive des Präsentierens und Exponierens von Dingen und Dingwelten –, als ob die Ökonomie dieser Produktion im Performativen selbst angesiedelt sei. Das theatrale Modell der Inszenierung möchte dies ja noch dort nahelegen, wo der szenografische Entwurfsraum mit dem Aufführungsraum zusammenfallen und die Produktionskraft der spontanen Kreativität der Performance erwachsen soll – was vielleicht nur dann nicht abwegig erscheint, wenn es sich tatsächlich um ›reine Kunst‹ handelt. Aber wo, abgesehen vom kindlichen Spiel, sollte sie anzutreffen sein? Ansonsten wird die ›Werktätigkeit‹ der Aufführung und ihrer Choreografie, die Werktätigkeit des Kunstwerks und seiner Präsentation in jedem Fall, statt allein der Spontaneität des schöpferischen Ingeniums verbunden, auch danach zu beurteilen sein, ob, wo und auf welche Weise sie dem System von Kapital und Arbeit unterworfen ist. ›Kreative Werktätigkeit‹ zur Bezeichnung des Produktionsprozesses, ›Kunst-‚ oder Werkschaffende‹ zur Bezeichnung der Produzenten scheinen selbst für prekäre Verhältnisse allzu euphemistisch, denkt man etwa an den Fall gewöhnlicher Angestellter von Stadttheatern, Konzert-, Opernhäusern oder Museen, den bildenden Künstler in Lohn bei Galeristen oder Agenturen. Auch »die Kunstwerke zirkulieren in unserer Ökonomie wie jede andere Ware auch im Kontext der allgemeinen Warenzirkulation«, schreibt Boris Groys. Und die Unterscheidung »zwischen (industrieller) Produktion und (künstlerischem) Schaffen, ›Produktion‹ und ›Kreation‹, liegt offensichtlich nicht (mehr) in der Herstellung, sondern in der »Appropriation« und deren Selektionsverfahren. Dass die beiden Seiten dieser Medaille, künstlerisches Schaffen und Lohnarbeit (respektive Unternehmertum und Dienstleistung), dissoziiert erscheinen mögen, ist offenbar ein Inszenierungseffekt eigener Art, der nicht in allen seinen Aspekten von der theatralen Performance abhängt. Selbst eine weitgefasste ›szenografische Differenz‹ unterstellt – die Einsicht, dass ex nihilo nichts entsteht –, erschiene es der Betrachtung oberflächlich doch so, als sei die Produktivität der Szenifikationen in der doppelten Ressource von Inspiration und Entwurf in Kombination mit benötigtem Material, Technik und Medialität zureichend gefasst. Zweifellos bleibt der Blick auch hier einäugig, aber die Überzeugungskraft des Anscheins ist nicht unverständlich. Insbesondere die sinnlich wie ästhetisch solider begründet erscheinenden Maßgaben verpflichten schließlich immer nur ›die Künste‹ – inklusive des Design, versteht sich –, für die Aufführung von Geschichten oder den Auftritt von Dingen, die sie in Szene setzen, aufzukommen. Das führt umgekehrt dazu, dass als ›Geschichten der Produktion‹ immer nur solche kreativer Szenografie gelten, Geschichten des Szene-Imaginierens, Szene-Schreibens, Szene-Planens und aller damit verbundenen Autorschaft. Da selbst diese Leistungen, abgesehen davon, was auf der öffentlichen Bühne daraus wird, in der Regel verborgen bleiben, ist in der Zirkulation der Performanz oder der Performanz der Zirkulation gar nicht entscheidbar, was sich am Grunde der Produktion, der Fabrikation verbirgt. Zählt man beispielsweise die Architektur unter die Künste, wie sie den Stadtraum inszeniert und sich selbst, gilt hierfür die Arbeit der Bauarbeiter,
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Statiker, Elektriker kaum als maßgeblich, nicht die Geschichte und Produktivität diese oder jenes Baukörpers, nicht die seiner Einrichtungen und nicht die seiner im Laufe der Zeit immer wieder angepassten Funktionalitäten als produktives Element und tüchtiges Ensemble, gut für diesen oder jenen Zweck – lapidarer Weise etwa, um Wohnen und Beherbergen zu ermöglichen, Industrie und Gewerbe oder Lohnarbeit. Maßgebend für den szenografisch inszenatorischen Blick viel mehr ist die Perspektive des planenden und entwerfenden Architekten oder Architektenteams und ihrer kreativen Kompetenz, womöglich der finanziellen, administrativen und politischen Sachwalter des Unternehmens. Nur das ist, was in der Öffentlichkeit, in den Medien wahrgenommen erscheint. Doch was Brechts Poesie über die Erbauer des siebentorigen Thebens weiß und der Triumphbögen Roms, ist immerhin das Resultat dichterischer Gestaltungskraft. Sollte sie sich des Themas angenommen haben wie die Astronomen der Phänomene des gestirnten Himmels, wird der Dichter an den Schlussfolgerungen seiner Hypothese für die eigene Dichtung interessiert gewesen sein wie Galilei an den Auswirkungen seiner astronomischen Erkenntnisse auf seine Sternenkunde. Das Architekturbeispiel zeigt, wie sehr es sich in dieser Betrachtung um Selektion handelt, die der Inszenierung selbst auf den Leim gegangen ist. Denn die Architektur wäre nicht nur genauso in der Sphäre der Arbeit und der Technik zu finden, sondern ebenso, was die Souveränitätsverhältnisse betrifft, welche die Freiheit der Inszenierung garantieren, in der Sphäre ihrer Profanität, im Regiment von Bürokratie und Verwaltung. Zu variieren wäre das Exempel leicht um eine geschichtliche Dimension in Ansicht von Denkmalbeständen und ihrer historischen Substanz, etwa an Industrie- und Gewerbebauten, die dem »Erbe« und seiner Pflege überantwortet sind. Die Arbeit, genauer die Lohnarbeit, soweit sie für solche Architektur definierend war, erscheint gewöhnlich gelöscht. Doch nur deshalb, weil sie Anteil haben an der wirklichen Produktion, die Künste mächtig genug, konnten zudem hinreichend ermächtigt werden, die wirkliche Welt zu formen und Tatsachen zu schaffen. Für relevante Festlegungen, allerdings, sind auch hier wiederum die Wissenschaften unverzichtbar, die angewandten, die sich auf die Nationalökonomie verlegt haben, und die technologisch potenten vor allem, die etwas verstehen von den Produktivkräften und ihrer Freisetzung. Sie tun das, je nachdem, mittels aktueller Einlassungen, die sie mit ihren Einsichten legitimieren, aber ebenso mit Statements aus der Geschichte ihrer Diskurse, der zeitgemäßen Aufbereitung solcher memorabilia samt den dazugehörigen medialen Anverwandlungen und Auftritten. Man muss sich das Gutachterwesen ansehen, wenn man wissen will, welche Expertise gefragt ist. In allen Varianten jedenfalls haben die Experten keine Scheu, sich für die Begrifflichkeit und die Bedeutung zuständig zu erklären, auch und gerade, was die Inszenierungen auf ihrem Terrain betrifft. Das wird von ihnen erwartet, und sie erwarten es von sich selbst. Natürlich haben auch Geschichte und Sozialwissenschaften ihren Platz in diesem Spiel und überhaupt die ›Kulturwissenschaften‹. Schließlich leisten sich große Firmen oft genug eigene Spezialisten auch auf diesen Gebieten der Expertise. Dabei stehen Politik, Künste und Wissenschaften in regem Austausch über Angemessenheit und Geltung der von ihnen verantworteten Definitionen und Kriterien, Bedeutungen und Werte; allemal lassen sich die miteinander konkurrierende Fraktionen, die im Rahmen einzelner sozialer ›Subsysteme‹ gegeneinander antreten nicht aus den Augen. Die Relativierung der Künste als Produktionsfaktor von Inszenierung ist mithin nicht allein in ihrem theatralen Dispositiv notwendig, sondern schlechthin.
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Oder, in umgekehrter Lesart: Der generellen Möglichkeit zur Legitimation der Künste allein aus dem Theatralitäts- und Inszenierungsdispositiv muss der Boden entzogen werden. Dies gelingt, wenn man ihr die tatsächlichen Abenteuer auf der Reise »von der Dampfmaschine zur Nebelmaschine« aus der Maschinenhalle in die Multiple MediaProduction entgegenhält. Wie sich unter Bedingungen der Dingpräsenz in der Vielfalt zeitgenössischer Warendarbietung herausstellt, passt die eindimensional aufs künstlerische, aufs Werk oder die Erfindung verpflichtete Produktionsvorstellung so wenig für die gegenwärtigen Expansionsverhältnisse der Globalisierung wie die Vorstellung von ›Inszenierung‹ im modernen Sinne für die Shakespeare´sche Wanderbühne. Was sich von dorther, in Differenz zu den ökonomischen Grundlagen einer einstmals künftigen Gesellschaftsordnung, als Freisetzung bürgerlicher Individualität und zugleich Souveränität herausbildete, um sich in der universellen Abstraktion des Inszenierens zur Schau zu stellen, erweist sich hier als eine im selben historischen Prozess sich durchsetzende künstlerisch kreative Kraft ästhetischer Produktion, die ihr heutiges Herkommen aus der Freisetzung der Arbeit ebenso verschwinden macht wie die politische Repräsentation, die sie stark macht. Noch jede Designertätigkeit bezieht ihre Wertschätzung aus dieser Differenz, die den Schein eines eigenständig Kreativen begünstigt. So gesehen gerät die Stratifikation der Räume, wie sie oben vorgestellt wurde, äußerst problematisch. Von »technischen Räumen« zu reden ist keinesfalls falsch, beinhaltet aber schon hinsichtlich wissenschaftlicher Forschungspraktiken, zu schweigen in Hinsicht der Praktiken, mit denen sie sich beschäftigen, sowohl eine Vereinfachung als auch eine unpassende Abstraktion. Anstatt umstandslos die Zeugrolle der Dinge zu hypostasieren, um von hier aus ebenso umstandslos zur Zirkulation der Bedeutungen und Inszenierungen überzugehen, wäre es angebracht, an dieser Stelle der Genealogie der Dinge und Dingverhältnisse und ihrer Produktionsgrundlage im Kontext historisch und räumlich konkreter Produktionsverhältnisse nachzuspüren. Schließlich liegt die Frage nicht fern, inwiefern es sich bei den »Räumen des Wissens«, die im Fokus stehen, tatsächlich ausschließlich um solche handelt und um welches Wissen es sich überhaupt handelt, dem hier ein Raum zugewiesen wird. »Büro« oder »Archiv« zum Beispiel beinhaltet kein weniger weites Feld als der Begriff der »Kammer«. Schnell ließe sich ermitteln, dass alle »Räume des Wissens« zum einen ebenso gut als »Räume des Nichtwissens« figurieren könnten, transitorische Räume, Räume des Transfers, der Reise und des Abenteuers. Zum anderen dürfte erhellen, dass »Räume des Wissens« an Produktionsräume angebunden und nicht nur in den Sphären der Zirkulation zu finden sind. Das ist keineswegs eo ipso eine historische oder soziologische Frage, sondern eine Frage des semiotischen Modells selbst. Denn schon in seiner Diagrammatik wird über die Erdung der Zeichen entschieden. Ohnehin ist nur die Analyse der Produktionsräume geeignet, der Ökonomie und Politik der nach Willen verteilt erscheinenden Subjekte die tatsächlichen Tatsachen der Vergesellschaftung sowohl ihrer selbst als der von ihnen fetischisierten Dingverhältnisse entgegenzuhalten.
Volkslegitimation, ›General Intellect‹ & System-Individuierung: ›Prozessierender Widerspruch‹ Nach Hegels oder Schlegels Auffassung fände sich das ideale Publikum, das der Kunst Ehre machte, wo es, um sich etwas Gutes zu tun, in die Harmonie der einzelnen Kunst wie der Künste insgesamt einstimmte. Nach romantischer Auffassung, nach Wagners, auch Nietzsches oder Heideggers Verständnis sollte das Volk sich eigener
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Sage und eigenem Klang überlassen, statt wesensfremden Unterhaltungsangeboten nachzujagen, sollte deshalb denen vertrauen, deren Genie in der Lage wäre, dieser Melodie gemeinsamen Herkommens zeitgemäßen Ausdruck zu verleihen. Vergleichbares gilt für die Angebote der Kultur schlechthin. Gilt das Volk als die kulturlegitimierende Kraft, die aus freiem Willen zugleich die Rechts- und Eigentumsverhältnisse, die dieser Kultur Halt und Ordnung garantieren, rechtfertigt, muss das Volk solche Souveränität auch in den alltäglichen Verhältnissen des sozialen Umgangs zeigen und ausüben. Heute werden wir, was »Publikum«, was »Volk« ist, mit anderen Augen betrachten als noch zu Kants, Hegels oder Nietzsches Zeiten. Wir wissen, dass seine Souveränitätsansprüche untergegangen sind. Die Öffentlichkeit hatte sie ohnehin nur als »Volk« einer modernen Nation artikulieren dürfen. Doch wissen wir auch, dass »das Volk« die Scheinwelt seiner Gründung als allgemeiner Wille mit sich führt. Es hängt an seiner Souveränität wie an einem Rock für besondere Gelegenheiten. Zwar bewegt sich das Volk nach wie vor in den Grenzen eines selbst verdankten Herrschaftssystems, ist partikular wie kollektiv auch nach wie vor von solcher Herrschaft betroffen, ohne dass, was dies im Einzelnen bedeutet, auf ausdrückliches Verlangen geschähe oder akzeptiert werden müsste, weil jeweils erwünscht. Als Gemeinschaft von Verbrauchern und Kunden indes findet sich der Kollektivkörper auf Ohr- und Augenhöhe allgemein ökonomischer Ansprache einzelner Bedürfnisse. Ideologie als Strategie politischer Kultivierung und Überzeugungsbildung wird aus dieser Perspektive ersetzbar. Wie schon des Öfteren hervorgehoben, »wäre die Idee, dass die Verbindung zwischen Politik und Epistemologie nicht in den Begriffen der Ideologie hergestellt werden soll und auch nicht in den Begriffen der Nützlichkeit. Sie soll nicht über Begriffe wie den des Rechts, des Verbots der Repression gezogen werden, sondern über den Begriff des Regimes«. Es sind die »Wahrheitsregime, die über die rechtlich-politischen Systeme artikuliert werden«, die Wahrheits- und Überzeugungsinszenierungen.193 Ideologische Verblendungen anzunehmen oder Ideologiekritik zu üben ist deshalb so problematisch, weil es die Überzeugungsarbeit zwischen begründeten und unbegründeten, nur inszenierten Wahrheitsverpflichtungen, die praktisch unter beiden Voraussetzungen geleistet wird, ohne dass zwischen beiden Modalitäten auch schon entschieden werden könnte, a priori in legitimen und illegitimen Wahrheitsbezug aufteilt. Das Volk selbst ist »Multitude« und »general intellect« (ein Ausdruck Marxens aus der Kritik der Politischen Ökonomie), freilich ein im kapitalistischen Produktionsverhältnis vergesellschafteter genereller Intellekt und eine durchaus in ihren lokalen Lebens- und Arbeitsumständen vergesellschaftete wie tätige Multitude.194 Die Schwächen der ideologischen Vorstellung sind deutlich. Die Anbieter-Verbraucher-Figur zeigt sich hier weit flexibler. Auf der Seite der Macht nämlich hinterlässt ideologische Performanz schnell den Eindruck, die Bewirtschaftung der Bevölkerung erfolge tatsächlich nach Plan eines geeinten Willens zu herrschen, eines verabredeten Regiments der Macht, statt nach Maßgabe der unterschiedlichsten Verfahren und Regime und ihrer jeweiligen Überzeugungskräfte. Ersetzt die Marktidee, der Anbieter-AbnehmerGedanke, der zum Beispiel Bürokratie- und Verwaltungshandeln wie selbstverständlich zur »Dienstleistung« umdeutet, die politische Idee der Herrschaft, wird es selbst einem souveränen Volkskörper leichter fallen, sich zu erklären, dass er trotz oder besser gerade aufgrund seiner Souveränität zurecht in die Pflicht genommen gehört, und zwar nicht als ein ganzer, sondern in seinen einzelnen Existenzen und Leidenschaften,
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Interessen und Ansichten. Als Marktteilnehmer werden die Glieder des Körpers es nicht widersprüchlich empfinden müssen, wenn der »Volkskörper« sich auflöst in die »Bevölkerung« und »Bevölkerung« sich zerstreut in eine Unzahl von Konsumentenund Kundenpartikeln. Die theoretisch vielleicht einer nicht statistischen »Vielheit« (»Multitude«) entsprechende »nicht-repräsentative Demokratie« besitzt im generellen Intellekt der Systembeherrschten tatsächlich keine politische Vertretung. »Ein Öffentlichsein ohne Öffentlichkeit, darin besteht die negative Seite - das Schlimme, wenn man so will - in der Erfahrung der Multitude«, schreibt Paolo Virno und fährt fort: »Wenn der General Intellect oder ›öffentliche Intellekt‹ nicht zur Republik, zur Öffentlichkeit, zur politischen Gemeinschaft wird, vervielfältigt er ungebremst Formen der Unterdrückung.«195 Die Suggestion ist, der »allgemeine Intellekt« könnte trotz seiner Zerstreuung überhaupt als öffentlicher Intellekt wirken, gleichsam wie eine aufgeklärte Öffentlichkeit im Revolutionsmythos. Doch wäre dies nur die eine Seite der Medaille. Die andere Seite, wenn dem allgemeinen Geist die Republik verwehrt wird, zeigte eher eine blanke Fläche. General intellect nämlich ist selbst Gleichheits-, Freiheits- und Eigentumseffekt widersprüchlicher gesellschaftlicher Produktionsverhältnisse, »prozessierender Widerspruch« (Marx) mit seinen »Extremen« in Arbeit und Kapital.196 Denn man weiß, dass das Bevölkerungsmanagement nicht funktioniert wie die Behandlung eines einzigen Gesamtorganismus, sich vielmehr, ganz marktgerecht, orientiert an einem ökonomischen Konzept, in dem der ›Körper des Königs‹ zerfällt in unzählige, frei gruppierbare Einzeladressaten. Hauptsache, sie assoziieren sich nicht qualitativ. Davor aber stand schon die Loi Le Chapelier der Französischen Revolution. Der Depression werden die partikularisierten Gemeinschaftsglieder deshalb kaum erliegen. Solange sich die vereinigte Autorschaft von Kunst, Reichtum und Politik darauf verlegt, zugleich – und glaubwürdig! – als kollektive Autorschaft von Publikum, Produktion und gesellschaftlicher Ordnung aufzutreten – Garant einer Stabilität on demand – wird dies nicht passieren oder aber als völlig unneurotisch und normal gelten. Zu wenig Vertrauen in diese Strategie findet sich am ehesten vielleicht noch bei der professionellen Politik. Doch solange das Gesamtunternehmen (»die vereinigte Marktmacht« [Gabriel197]) guten Umsatz macht, dürften die Angstträume der Herrschenden beim Hinsehen verschwinden, kondensieren in horizontfüllenden Visionen. Dass dies alles allein deshalb passieren sollte, um eine begrenzte Produktion zu protegieren, in Szene zu setzen, niemand könnte es wirklich wollen. Im Spiel indes darf sich jeder Einzelne nach eigenem Bedürfnis und eigener Wahl als zugehörig fühlen. Im Namen einer allgemeinen Autorschaft wie in persönlichem Namen darf er berechtigt von »wir« sprechen, wie jeder verantwortlich für die allgemein anerkannte Systemprogrammierung; so weit zumindest, wie dies am eigenen Tun auch zum Ausdruck kommt und in Ordnung geht. Es scheint, dass sich die politischen Eliten in Europa mit dem Gedanken erst besser vertraut machen müssen. Derzeit schauen sie noch erstaunt auf die Unternehmenserfolge der globalen players, deren Strategien nach diesem Muster verfahren und reüssieren. In absehbarer Zeit werden sie dann nicht mehr träumen oder daran arbeiten, solche Spieler zur Räson bringen zu wollen, spätestens, wenn es gelingt, die eigene Mannschaft zurück ins große Spiel zu führen – oder ihre Ambitionen sich dauerhaft in Rauch auflösen.
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obszönität der warenwirtschaft. sozialen ‹
› mangel
des
Die Inszenierungsstrategien sind vielleicht dieselben dort, wo tatsächlich verkauft und gekauft, wie dort, wo tatsächlich nicht verkauft, sondern beschlagnahmt und abgegeben wird. In beiden Welten gefällt der Schein des Dienstes, der Gabe und des Opfers. Indes sehen wir unterschiedliche Choreografien. Dem Realismus der Ordnungskräfte, des Rechts, der Verwaltung, der Bürokratie genügt gewöhnlich der unspektakuläre Auftritt als Dienstleister, vereinigt sich doch in diesem Bild die Gründungsgeschichte der demokratischen Repräsentation mit der ökonomischen Vorstellung der Dienstleistungsgesellschaft. Im Hintergrund dieser Bühne hängt das allseits Zufriedenheit verbreitende Bild von Gleichheit und Gerechtigkeit. Eine Aura der Bescheidenheit umgibt es, sind doch die Dienstleister solche, die Dienstleistern zu Diensten sind.
Dinge, Waren, Datendinge Die Abmachung auf Gegenseitigkeit setzt wohl auf den Ringtausch und nicht auf unmittelbaren Verkehr, doch tut dies dem Gelingen nicht Abbruch, sondern garantiert den Erfolg. Dass Dienst oder Service, wie sie sich in der Bürgeransprache gerne zusammentun, auseinandertreten, wird akzeptiert, wo weniger Gleichheit denn Freiheit zu ihrem Recht kommt. Wo mit anteiligem Beitrag zum gemeinsamen Geschäft für die Kosten nicht mehr aufzukommen ist, verlangt Service als Dienst Gebühr. Dienst als Service freilich ist teurer und einzeln zu buchen, geht über in Herstellung und Vorhaltung, Bereitstellung und Überlassung von Gütern und Werten, verpflichtet zudem, wie gesagt, zu Auftritt und Inszenierung. Das alles betrifft nicht mehr nur das verabredet Notwendige für alle Anteilseigner, geht vielmehr nur die an, die es sich leisten können, auf eigene Rechnung und aus eigenem ›Vermögen‹ – bei vielen wenig, bei wenigen viel. Soweit das Geschäft hier nicht auf gemeinsamer, sondern konkurrierender Unternehmer- und Abnehmerschaft beruht, muss die Inszenierung vielleicht nicht unbedingt spektakulärer, doch aber verführerischer wirken. Denn angesichts der Verallgemeinerung alles Besonderen durch die Produktion, der Breite und Fülle der Warenflüsse in der Zirkulation, die trotz einschlägiger Anstrengungen nicht unsichtbar zu gestalten ist, wird die Ausdifferenzierung der Masse zu einzeln Erstrebenswertem zum Problem. Solange nur weniges von allem zur Auswahl gelangt, eher beispielhaft für überhaupt Verfügbares als wählbar, weil genauso begehrt, gleicht die Verführung dem Wahlessen in einer Kantine. Die Bereitschaft, der Illusionierung zu folgen, hält sich in Grenzen. Bewusst nämlich wird sie beschränkt, taucht nicht auf Wunsch auf Tableau oder Schirm auf. Anders liegen die Dinge, wenn auf eine Anfrage in Sekunden Millionen Offerten sich auftun. Die global verfügbaren Auskünfte Googles sind längst nicht, was sie zu scheinen vorgeben, Informationen, die zusammenzuholen und weiterzuleiten das Netz gleichermaßen nur Werkzeug ist, sein Gebrauch pure Dienstleistung – wie der Postdienst früher. Verkauft wird stattdessen der massenhafte Kauf und Verkauf von Waren inklusive ihrer Produzenten und Käufer. Der Warenkauf für den ›Verbraucher‹ gestaltet sich anders als auf der Oberfläche gewohnter Warenökonomie, worin die Materialität der Werte, zumindest in weiten Teilen der zirkulierenden Produkte, dem sinnlichen Bewusstsein unmittelbar vor Augen erscheint und die Abstraktion des Begriffs »Ware« dem intellektuellen Schluss vorbehalten ist. Die Datenrepräsentanz so gut wie aller Waren hingegen manifestiert ihr reales Dasein ganz als das, was
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sie sind: unterschiedslose Ware. Die Kunst besteht mithin nicht mehr darin, zuerst die Warenexistenz für sich als Gebrauchs-Tauschwert-Verhältnis zu sichern. Dies ist Aufgabe nur so lange, wie es heißt, einem sinnlich affizierenden Objekt des Begehrens den Schein des einzelnen Blicks zu erhalten, zugleich aber den Tauschwert zu garantieren, den Preis, den zu erzielen die Ware angetreten ist. Die Datenökonomie hingegen realisiert allererst die allgemeine Form der Informiertheit ihrer Werte als solche: Ihr Warendasein erscheint als Datendasein, noch bevor mediale Aufschlüsselung Dinge zu erscheinenden Objekten macht. Gestalt gewinnen die Dinge indes als Bilder, was, wie erörtert, nicht ausschließlich ikonische Repräsentanz beinhaltet. Nicht Obsessionen des Begehrens machen hier aus erstrebenswerten Objekten Bilder. Vielmehr treffen sich Vorstellungen mit Vorstellungen, Inszenierungen mit Inszenierungen, wenn die ›Interaktion‹ mit der Bilder generierenden Maschine (dieser oder jener) zum Ereignis gerät. Es ist, als wäre alles, was die Dinge sein könnten, von der Art von Kunstwerken, von Künstlern zu Schönem geformte Ansichten der Welt. Je nachdrücklicher die ›Rahmung‹ oder der ›Schnitt‹ zu tatsächlich einzelnem, einzigartigem Bild oder Film – zu szenisch Gefügtem – gelingt, je verführerischer sich der ausdehnende Bildhorizont zum exklusiven Szenario zu entfalten versteht, desto überzeugender gerät die Illusion, besonderem Wunsch besondere Erfüllung bieten zu können.
Verlust der Illusion, Verlust der Szene. Die Szene & das Obszöne (Baudrillard) Die Szene der vermeintlichen ›Interaktion‹ selbst ist öde, wenn man sie auf Suche und Sichtung, Fündigwerden und Formularabwicklung, auf Maschinenroutinen reduziert: eine bloße Abstraktion der Technik. Es gibt keine Szene, die verdiente, so genannt zu werden, wenn man den Begriff nicht in seine Differenz gestellt verstünde. Wollte man dies allein als Bedingung ihrer Konfektionierung als Verfahren nehmen und nicht auch als Chance ihrer Bewährung, könnte es sie zerstören. Für Baudrillard ist die Szene »Erscheinungsform der Illusion«. Ersatz der Illusion, »Beherrschung des Realen« durch Kalkulation, gleichviel zunächst um welcher Zwecke willen, hingegen fordert das Obszöne heraus. »Alle Figuren, die als Figuren einer gesteigerten Indifferenz und einer Steigerung der Leere erscheinen [...], sind auch Figuren des Verlustes der Illusion, des Spiels und der Szene.« Was fehlt, ist etwas »Künstliches«, Künstlerisches.198 Mithin wäre das Obszöne im Bund mit der Kunst und ihrem möglichen Widerstand nicht zu vernachlässigen. Die »Objektmasse« als solche zeitigt bestenfalls Verharren und Schweigen, »die Objektweiblichkeit« erst die Verführung. Auch die aber ist ambivalent, frönt dem Fetisch und animiert, ihn zu erkennen. Wenn »[h] eutzutage [...] das wahrhafte Teilhaben am Sozialen das kollektive Teilhaben an der Verführung«199 beinhaltet, wird die Verführung indes nicht beiden Zielen in gleicher Weise dienen. Nichtsdestotrotz: Das Soziale stellt sich vor als begehrenswert; statt als Reales der Technik, statt als Datenerhebung und Datenverarbeitung wird es traktiert als Theater, als Bild-, Einstellungs- und Szenenfolge. Dinge und Verhältnisse bieten sich auf diese Weise verändert, Wunscherfüllung verheißend. Niemand muss sich dabei mit enttäuschenden Illusionen zufriedengeben. Motivieren kann auch die Fiktion. Derart impliziert Anders-Sein Widerstand. Anstoß zu erregen, zu skandalisieren, griffen die Kyniker schon auf das der nur gefallenden Szene provokant entgegentretende Obszöne zurück.200 Die Szeno-Grafie deshalb teilen zu wollen in Szenografie und Ob-Szenografie ist vergleichbar abwegig, wie wenn man die »Szene«, skēnē und orchēstra, in deren Raum auch das Obszöne
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in Szene gesetzt sich zeigt, als eigene Form und Installation auszeichnen wollte. Die Obszönität, der Skandal liegen, sofern sie mehr sind als Theater, nicht bei der Szenografie. Vielmehr sind sie Kennzeichen eines bestimmten Auftretens auf der Bühne des Lebens, können nur von daher einem bestimmten Szenifikationsmuster einbeschrieben werden, wie es etwa die szenischen Anweisungen de Sades illustrieren. Auch hier gilt mithin die Frage der Rechtfertigung. Folgt man Foucault, wäre es die Verpflichtung auf die Wahrhaftigkeit des Widerstands – die Bereitschaft zu Aufrichtigkeit, Klarheit, Identität – und deren Evidenzen in der Existenz, welche die ›Obszönität‹ des Auftritts rechtfertigen könnte. Nur scheinbar paradox ist, dass solchem Verhalten die Sorge um das eigene und das Wohl der anderen zugehören könnte. Abgekoppelt von solcher Begründung aber und zum formalen Verfahren praktisch beschleunigter Effektivität erhoben, könnte solche ›Obszenografie‹ in der Tat die Szene als solche destruieren. Wie wenn man jede Szene durch Überbelichtung, Übereinanderblendung immer gleicher Bilder ruinierte; es bliebe ein weißes Rauschen, das alle Differenz vernichtet. Vielleicht ist es das, was man als Motiv, sich zu begeistern für die Perfektion maschineller Medialität und Rationalität, bezeichnen könnte: Kontrollgewinn über die Rückkopplungseffekte der Einschaltquoten on line. Der reale Raum und seine Akteure sind hier nicht mehr gefragt, sie werden zusammen mit dem Programm simuliert oder dissimuliert. Gnadenlose Sichtbarkeit, die Charakteristik des nicht gezügelten Obszönen, richtet jede lebendige Szene zugrunde, lässt lediglich »obszöne Transparenz« zurück. Was sollte es dort noch in Szene zu setzen geben? Debord bemerkte schon, dass das Spektakel nicht »die Männer und ihre Waffen, sondern die Waren und ihre Leidenschaften« besingt.201 Baudrillard bemerkt in Die Szene und das Obszöne, dass sich die »theatralische Strategie des Politischen« aus wirklicher Souveränität ergebe. Sie protegiere ein »szenische[s] Vermögen, das keiner Illusion unterliegt, sondern noch etwas von dem Geheimnis wahrt, etwas von der Immaterialität und der Immoralität des Politischen. Von der Regel des fundmentalen Spiels, dem Spiel der Erscheinungen. Dinge, um die Machiavelli und andere wußten«. In der Tat gilt dies vom Politischen als »Politik« längst nicht mehr. Die Moralisierung der politischen Szene im 18. Jahrhundert drängt die Präsenz der Erscheinung, das Schauspiel zurück, auf das die Sinne reagieren. Stattdessen gerät die Realität unter den Druck, so zu sein, wie sie in den Projektionen des Willens zur Veränderung erstrahlt: als etwas anderes, das an die Stelle des Königs das Volk setzt und sich selbst, den Willen des Volkes. Der Riss geht durch die Repräsentation, die jetzt gedoppelt erscheint – und deshalb ähnlich. Doch sie repräsentiert nicht mehr ein Unsichtbares, sondern ein Sichtbares, weswegen sie das Sichtbare zum Verschwinden bringen muss, um an die eigene Souveränität zu glauben, die offenkundig nur behauptet und nur mit Gewalt weiter behauptet werden kann. Die Moralität, die Baudrillard in der Revolution am Werk sieht, ist durchsetzt von politischer Theologie. Der Glaube aber braucht, um seine Existenz zu spüren, den Kult der politischen Theologie, der die Magie ihrer Inszenierungen verbirgt. Auf diese Weise wird die Ästhetik des Politischen der Revolutionäre eingefärbt, und in dieser Form kommt es zur »Inszenierung der öffentlichen Sache«. Dass die ›Repräsentanten‹ dort, wohin das Licht ihrer Repräsentation nicht reichte, dort, wo die sich aufhielten, die sich außerhalb der Repräsentation bewegten, Obszönes vermuteten, ist sehr wahrscheinlich. Doch dass das Obszöne dort seinen Ursprung hätte, »im Außerhalb-der-Szene« – einer Szene, die schon der revolutionierten
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Inszenierung gehorcht – hält auch Baudrillard für zweifelhaft. Schließlich ist die Transparenz der Szene, die vom Obskuren zerstört zu werden droht, selbst nicht mehr als der Dunst einer Fata Morgana. Das Dunkel des Obszönen außerhalb besagt nichts über die Helligkeit der Durchsicht. Mit anderen Worten: Es ist gerade das Obszöne, das Anstößige, was sichtbar ist, weil es sich selbst sichtbar macht in seinem widerständigen Tun, ob es nun, historisch, das der Königstreuen ist, die am Leben bleiben wollen, oder das der Sansculotten, die auch leben wollen. Vielleicht waren sie nicht repräsentabel in dieser Art; dass sie sich präsentiert haben, steht außer Frage. Darin fand die Arbeit der Guillotine ihre Begründung. Dass weder die einen noch die andern zur Souveränität berufen waren oder sind und deshalb zu dem gehören, »was weder sichtbar noch repräsentierbar ist«, liegt bei der Perspektive. Der Skandal geht nicht von der Bühnenregie aus oder ihrer ›obszenografischen‹ Dramaturgie, sondern von der Anstrengung, dem Widerstand der Ausgeschlossenen, dazugehören zu wollen, endlich auch oder immer noch. Nach Skript dürften sie gar nicht existieren, und wenn, dann nur in Gestalt desjenigen Teils der Gesellschaft, der zu den Drahtziehern von gestern oder den Verlierern von morgen zählt. Von ihnen sollten keine »Ausbruchs- und Überschreitungsenergien« ausgehen. Im revolutionären Prozess hieß dies konkret: Wer nicht fliehen konnte oder sonst verschwinden, konnte sich auch nicht unsichtbar machen und wurde ganz öffentlich und als Erster von der Bühne gestoßen. Die Bühne selbst erschien dabei stets aufgeräumt. Bei der Masse derer, die schon jetzt für Lohn arbeiten, sieht die Sache anders aus. Sie gehören zum »Volk«. Dass sie nicht auf Podium stehen, scheint nicht grundsätzlich, sondern nur vorübergehend vorteilhafter, kann immer wieder so scheinen. Nichtsdestotrotz machen sie sich sichtbar. Nimmt dies überhand und bestimmt die Ansicht, folgen sie leicht denen, die schon entfernt werden mussten. Die Aura des Obszönen wird der verfemte Teil nicht ablegen können, denn sie liegt im Blick seiner Gegner. Die wahre Obszönität liegt in der Tat im »forcing der Repräsentation«. Doch ist die Szene selbst mit der Überbelichtung in Permanenz nicht gänzlich zum Verschwinden zu bringen. Sie zirkuliert auch im Zwielicht der Zwischenräume. Für ein Zelt und eine Werkstatt findet sich immer ein Platz. »Damit etwas einen Sinn bekommt, ist eine Szene nötig, und damit es eine Szene gibt, ist eine Illusion nötig, ein Minimum an Illusion, das heißt an Einsatz, an imaginärer Bewegung, an Herausforderungen ans Reale, die einen hineinreißt, einen verführt, einen aufbringt, einen aufschreibt; ohne diese eigentlich ästhetische, mythische, spielerische, illusionäre Dimension gibt es keine politische Szene, keine Szene des Politischen, gibt es überhaupt keinen Raum, in dem ein Ereignis eintreten könnte«.
Es gibt viele Evidenzen dafür, dass »diese Szene, diese minimale Illusion [...] entschwunden« ist, weil die Massenmedien der neuesten Generation mittlerweile tatsächlich zu einer weltweiten und permanenten Überrepräsentation geführt haben, die jede mögliche Repräsentation ausschließt, und »keine Szene, keinen Affekt, keine Phantasmen – und also weder Leidenschaft noch Verantwortung« mehr möglich erscheinen, dem szenezersetzend Obszönen ubiquitäre Geltung verschafft wird. Aber selbst wenn die Beschreibung, die auf die Performativa der Medien der Erlebnisund Spaßgesellschaft in großen Teilen zutrifft, unbestritten bleiben muss, gehört, dem Widerstand keinerlei Chance einzuräumen, nicht zu den logischen Schlussfolgerungen. Widerstand nämlich, wir erinnern, ist Funktion von Anstrengung. Und davon gibt es genug. Freilich ist der Ansatz beim Theater, bei der Theatralität zu
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dekonstruieren. Denn dass die Kunst, in der »Falle der Repräsentation« gefangen, nur auf hyperrepräsentative Weise noch das Reale zu fassen sucht, es damit aber von innen aushöhlt, lässt sich nachvollziehen, soweit es der Fall ist. Zwingend erscheint es, wenn vornehmlich das zur Aufführung gebracht wird, was in den Dispositiven der Inszenierungsgesellschaft ein Reales nur mehr simulieren lassen soll: »ein soziales, historisches, psychologisches Reales«. Aber was anderes heißt dies, als dass sich die Theatralität so weit tatsächlich der von Baudrillard diagnostizierten Medientotalisierung ausgeliefert hat, inklusive ihrer wissenschaftlichen Spielformen. Baudrillard selbst aber war bereit einzuräumen, dass trotz schleichender Vergiftung die »Szene […] immer etwas mehr als bloß Repräsentation« ist, woraus zu schöpfen wäre. »Sie bewahrt«, heißt es in Die Szene und das Obszöne, »und darin liegt vielleicht ihr Geheimnis (womit sie also doch eins hätte), die gesamte Kraft der Metamorphosen.« So »spielt sich [vielleicht doch – HW] noch etwas ab auf der Ebene dieser Repräsentation, so wie sich auch auf der Ebene der politischen Repräsentation [noch – HW] etwas abspielt. Auch wenn das Theater nicht mehr die heiligen Energien und Effekte der Illusion hat, bewahrt es doch eine kritische Energie und einer Art frevlerischen Zauber der Repräsentation«.
Die Kraft, die der Szene trotz allem testiert werden muss, hat etwas, »was noch vor der Illusion und dem Simulacrum liegt, etwas vom wilden Eingriff des Zeichens in das Leben«.202 Ob die Semantik notgedrungen explodieren muss, weil sie mit einem Maximum von Bedeutungen zur Erschöpfung gebracht wird, oder ob diese Diagnose nicht selbst eine neurotische Reaktion, ein Symptom der Ermächtigung darstellt, hängt ab von den Wirkungen medialer Hyperrealität, nicht allein in den Sphären der Kunst und der Kultur im emphatischen Sinne. Wenn Baudrillards Lob der Szene indes Grund haben sollte, wird die »Eroberung der Welt als Bild« es schwer haben, es außerhalb jeder Szene ohne jede szenische Intervention ins Leben zu besorgen. Doch was heißt, dass das Obszöne szenebezogen »Verlust« indiziert? Es heißt, dass die Szene als Verlustszene sich anzeigt, als Szene, an der einem die Lust vergeht. Dass die Inszenierungslust in diesem wie jenem Fall die Ökonomie strapaziert, die Verschwendung fördert, demonstrieren gerade Luxus und Exzess. Denn sie selbst bringen Verengung und Zuspitzung, Verlust der Weite und des Horizonts mit sich.203 Nicht Exzess und Luxus sind aber die treibenden Kräfte der Verschwendung. Viel eher findet sie sich bei der ungeheuren Ansammlung der Waren in der kapitalistische Produktion. Wenn die Unterschiedslosigkeit der Waren selbst zu einer eigenen Warenform gerät und die wiederum ihre Reproduktion als verkaufbaren Datensatz provoziert, multipliziert sich die Ansammlung ins Unendliche. So wird man Baudrillards Diagnose, dass das Soziale nicht sozial, vielmehr »eine Verwaltung des Mangels, vor allem des Mangels an Sozialem selbst« sei, soweit zustimmen können, wie das soziale und kulturelle Leben nicht auf Produktion und Vorhaltung, Zirkulation und Konsum von Daten und Information aufruht. Doch ist es eine Tatsache gegenwärtiger Warenpräsenz, dass auch – und nicht zuletzt – die Szenen des Sozialen in ihrer Bild-, das heißt Datenproduktion konserviert erscheinen. Dann aber fragt sich, ob der Mangel an Sozialem nicht gerade auch dort festzumachen wäre, wo seine ›Verwaltung‹, sofern sie eben nicht Warenproduktion, sondern Sozialproduktion mittels Politik ist, noch nicht auf dem Niveau der fortgeschrittensten Ökonomie, ihrer Technologie und Technik angekommen ist und agiert. Die hellsichtigen Politiker mahnen die notwendige Anpassung derzeit an.
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Mithin wäre die millionenfache Ermöglichung des Blicks, die wir Google und der Google-Tochter Youtube verdanken, Facebook, Amazon und Apple tatsächlich ein Surplus. Es wäre nicht einfach nur erkauft. Jedenfalls nicht erkauft mit der Entrichtung des Preises, der für die Ware, für das Objekt hinter dem Bild gefordert würde, für das Ereignis hinter dem Film, die Freunde hinter der SMS und dem Chat mit ihnen. Im Gegenteil. Hier hilft die Vorstellung einer Topologie der Oberfläche ohne Tiefe nach Art des Möbius-Bands. Wohl heizt der theatrische Akt der Veranstaltung die Ökonomie der Verschwendung an. Denn er fordert nicht nur die Wiederholung des Spiels durch die Spieler, sondern auch die Ersetzung verbrauchter Spielressourcen von Spielern wie Einsätzen, die endgültig konsumiert wurden. – Darum belichtet die Warnung vor der Verschwendung (im Sinne von Holbeins Die Gesandten) stets die Szene ohne Aussicht auf Wiederholung. – Aber es ist nicht konsumierte Substanz, was Ersatz fordert, sondern Verschleiß aufgrund von Erschöpfung. Trotz ›scheinbarer‹ Befriedigung durch realisierten statt imaginierten Genuss auf Wiederholung zu dringen liegt offenbar darin begründet, dass das Begehren nicht darauf zielt, besitzen zu wollen, sondern darauf, weiterhin begehren zu dürfen. Imaginierter und realisierter Genuss unterscheiden sich kaum hinsichtlich des Genusses überhaupt. Ihn zu phantasieren, ist eine seiner Realisierungsformen.
Mythos Datenökonomie. Expansion des Eroberungsprogramms Der vermeintliche »Informationskapitalismus«, dessen geforderte Einhegung sich derzeit auf Unternehmen wie Google und seinesgleichen kapriziert, stellt kein besonderes Produktionsverhältnis im Sinne einer besonderen kapitalistischen Produktion von Information dar. Auch die tatsächliche Durchsetzung der ideellen Gesamtzirkulation im Sinne der Institutionalisierung eines Systems weniger Konzerne, die als Käufer und Verkäufer tendenziell aller Verkaufs- und Kaufgelegenheiten agieren, versteht sich im Rahmen globaler Monopolisierung. Die Strukturen lassen sich im Übrigen auch in anderen Geschäftszweigen als im Sektor der sogenannten Datenökonomie realisieren, allerdings, soweit an sachlich definierte Geschäftsfelder gebunden, mit geringeren Expansionspotenzialen. Was die politische Ökonomie betrifft, sind die grundsätzlichen Strategien, ihre Ziele öffentlich zu artikulieren und dieser Artikulation Format und Gestalt zu geben, bedenkenswert. Um darüber mehr zu erfahren, ist der Blick auf die industrielle Aufbereitung und Verwertung der ›Ressource Information‹ in der Tat notwendig, um die Veränderungen zu verstehen. Im Unterschied zu den überkommen Varianten, solche Strategie technisch und medial zu unterbauen, Varianten, die auf analoge ›Materialisierung‹ von Information in künstlich künstlerisch medialer Form setzen. Allein Informationen zu sammeln und zu verkaufen ließe sich ohne den ungeheuren Aufwand meistern, den die Big-Data-Konzerne betreiben. Doch arbeiten diese Konzerne mit Daten und Algorithmen, Programmen und Speichern nicht für ein Geschäft, das zwischen Unternehmen und Kunden zustande kommt, die identisch wären mit denjenigen, denen solche Informationen am Ende zur Verfügung gestellt werden. Das Hauptgeschäft besteht eher darin, jedem Interessenten – tendenziell jedem in der Ökonomie aktiven Spieler – zu ermöglichen, sich auf besondere Weise dem offerierten System zu assimilieren: zugleich als Käufer und Verkäufer zu agieren. Auf diesem Weg ›indirekter Herrschaft‹ werden tatsächlich alle erreicht, alle, die ein Theater betreiben und die Vorstellung geben, und alle die, welche die Vorstellung besuchen und das Theater mit Leben erfüllen. Am Ende sind es dieselben. Es ist ganz richtig beobachtet: Was die kollektive Autorschaft produziert, ist nicht kollektive Leserschaft, sondern kollektive Editorenschaft.
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Dass das Angebotsprogramm nicht erst damit begeistert, dass sich das Publikum etwas davon ›für zu Hause‹ mitnehmen darf, ist bekannt, auch wenn manch einer eine Leidenschaft gerade für solche Trouvaillen entdecken mag. Auf der Anbieterseite ist die ›erste Ökonomie‹, die hinter der Auslage eine existierende Ware bereithält, ohnehin nicht ohne Risiko. Die Wirtschaft ›auf Nachfrage‹ wechselt das Modell. Der Käufer, der ein Produkt tatsächlich erwerben will, verbindet mit dem Kaufauftrag den Produktionsauftrag und zahlt für beides, Herstellung und Erwerb, wenn denn Erwerb unbedingt notwendig und Nutzung nicht hinreichend ist. Darauf, Kapital in Produktform vorzuschießen, können Anbieter jedenfalls zunehmend verzichten. Dass Eintrittsgeld auch für reine Augen- und Ohrenlust fällig wird (Provider-Gebühren), selbst wenn, wie im richtigen Theater oder Kino sonst nichts gekauft wird, ist geübte analoge Praxis. Außerdem liegen Zahlung und Bühnengeschehen so weit voneinander entfernt wie der Klingelbeutel vom eucharistischen Geheimnis. Es ist gern gegebener Obulus. Schweigen, allerdings, und Geheimnis liegen darüber, dass die Werte außer in Geld- gegen Warenform (Geld gegen Geld) auch als Ware gegen Ware, repräsentiert indes von Daten gegen Daten, miteinander getauscht werden, programmierte Datensätze gegen damit realisierbare Verkörperungen und Manifestationen. Die Kapitalien des Phantasmas können unmittelbar an den Schnittstellen der virtuellen Maschine eingetauscht werden. Die Daten, die ein Server (ein ›Diener‹) dem Kunden (bekanntlich ein ›König‹) auf Nachfrage zur Verfügung stellt, um sie auf irgendeinem Schirm in seiner Verfügung sichtbar, mittels irgendeines Ausgabegeräts handhabbar zu machen, sind von derselben Art wie diejenigen, welche die Maschine von dem Herrn, dem sie sich dienstbar erweisen soll oder will, anfordert. Welcher Tauschwert, welcher Gebrauchswert, dem Anforderungsbefehl der Maschine gehorchend, in Umlauf gebracht wird, ist nirgends bekannt. Für den privaten Dateneigner wird es nicht anders sinnlich gemacht als in der summarischen Bilanzierung eines Datenvolumens, für dessen Transport eine beauftragte Logistikfirma Gebühren erhebt. Welche Waren aus dem vom Kunden genommenen Datengeld generiert werden (generiert werden sollen oder können) und wie der Wert des Upload zu bemessen wäre, dessen Rechtmäßigkeit die Abrechnung des Providers bestätigt, bleibt zumindest dem Einzelnutzer verborgen.204 Dass die Betreiber sich der Werte bewusst sind, belegt die Silicon Valley-Weisheit: »Wenn Du etwas umsonst bekommst, bist Du selbst der Preis. Jede Gratis-App macht Geld aus Dir, Deinen Daten, Deiner Teilhabe.«205 Der Virtualität der Imagination und dem Wert der Illusion korrespondieren die Versprechungen der Daten, die in die Wolken (the cloud) entführt werden, um auf irgendjemanden, befruchtend wie Zeus, in goldenen Fäden herabzuregnen. Niemand kennt das Geheimnis. Aber wird es entdeckt und das »Wolkengebild« (Schiller) als »Bunker in Utah« (Morozov)206 entlarvt, wird der Schein der Szene die Züge des Obszönen in ihrem Ausdruck wohl kenntlich machen und auch, dass es nicht im Bund mit der Kunst sich breit macht. Immer noch braucht die Dekonstruktion des Mythos die Religionskritik. Die Rückkopplungsschleifen der Information sind der Mathematik, der Biologie und der Technik seit Mitte 19. Jahrhundert bekannt. Information selbst ermächtigt nicht und zu nichts, vergleichbar der Energie. ›Information‹ im Sinne einer Botschaft ist eine Funktion der Informierung durch Input und Codierung, eine Funktion der Programmierung.207 Wer einem System Informationen zur Verfügung stellt oder den Weg dafür frei räumt, dass vorhandene Informationen in ein System der Verarbeitung eingespeist werden, muss davon ausgehen, dass mit ihnen gearbeitet
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wird, unter anderem Schlussfolgerungen gezogen und Prognosen erstellt werden. Doch ist mit Daten oder Informationen als Waren umzugehen keine Idee, die sich aus bestimmten Informationsmengen ergibt, sondern aus kapitalistischer Logik und unternehmerischer Konsequenz. Daten und Information zu Steuerung, Bewirtschaftung und Reglementierung von Bevölkerungen, ihrer Wünsche und Überzeugungen zu verwenden ist ebenfalls nicht auf die Datenmengen zurückzuführen, sondern auf den Willen, sie sammeln, vorhalten, Algorithmen unterwerfen zu lassen und mit den gewonnenen Informationen nach Bedarf zu verfahren.
Die verlorene Transparenz. Politische Inszenierung von Markt & Konkurrenz Kann es verwundern, wenn im Vorfeld eines Wahlkampfs eine breite Debatte darüber entbrennt, wie die Macht der global tätigen Big-Data-Internetkonzerne politisch, rechtlich und wirtschaftlich beschränkt werden kann? Kann es verwundern, dass zugleich die weltweite Datenausspähung, -durchforstung und -aufbereitung durch demokratisch legitimierte Organe toleriert, für geordnete staatliche Verhältnisse keineswegs als politisch abwegig, sondern bestenfalls als anpassungsbedürftig erachtet wird? Nicht nur deutsche Politiker beteiligen sich an der »gelungenen gesellschaftlichen Debatte« über den verderblichen Einfluss Googles und Co., die, interessanterweise, von den ›kulturellen Medien‹ angestoßen wurde. Die globale geheimdienstliche Sicherheitsprophylaxe hingegen, die Digitalisierung des Finanzsektors, die »Informationalisierung« der gesamten Mobilität, wie sie die europäische Verkehrsindustrie genauso auf der Agenda hat wie ihre politischen Agenturen, sind, um nur einige zu nennen, untergründige Themen, von denen allenfalls ein paar Gedankenstriche an die Oberfläche geraten. Die Herausforderung dagegen heiße, so unisono das Bekenntnis der deutschen Politik insbesondere der regierenden Sozialdemokratie zu Gehör Europas und derzeit der USA, die Ordnung der Sozialen Marktwirtschaft »auf die Höhe des digitalen Zeitalters zu bringen«.208 Dass hierzu von der Politik vor allem Grundsatztreue und Ordnungspolitik als Mittel der Wahl angepriesen werden, überrascht nicht. Man könnte statt aktueller Beispiele der bundesdeutschen Diskussion um die Datenökonomie ebenso weiterreichende wirtschafts- und gesellschaftspolitische Statements des New Labour (Tony Blair) oder des allerneuesten Labour (Ed Miliband) heranziehen (etwa das Programm des »individual empowerment«). Und statt Stellungnahmen der politischen ›Praktiker‹ könnte man hinreichend vergleichbare Aussagen aus dem Repertoire der neoliberalen bis sozialdemokratischen Vordenker zitieren, ebenfalls zu ökonomischen und sozialen Überlegungen, Überlegungen zur »Politik der Lebensführung« (Anthony Giddens) oder auch zu Fragen der Global Governance (David Held). Beide Aspekte zeichnen auch das Exempel der aktuellen MEndiediskussion. Wir kommen darauf zurück. Grundsatztreue beweist sich vor allem rhetorisch, durch Wiederholung bekannter Postulate, ganz oben darunter, was die Frage der Existenz als Datenpool betrifft: Was daran ist persönlich? Die Antwort scheint radikal. Alle persönlichen Daten sollen »individueller Besitz« sein und ihre Verwendung allein von »persönliche[r] Verfügung« abhängen. Eingestandenermaßen hat die Realität damit allerdings wenig zu tun, heißt es doch, dass Voraussetzungen »für die Wiedergewinnung digitaler Autonomie« allererst zu schaffen seien. Als existent will sie niemand behaupten; wiederzugewinnen wäre demnach nichts. Stattdessen braucht man vorerst auch keine Gesetze, sondern die Herstellung »verlorene(r) Transparenz, wer überhaupt welche Daten der Bürger nach welchen Mustern und zu welchen Zwecken sammelt, speichert und
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weiterveräußert«. »Transparenz« bezieht sich demnach auf alte, vordigitale Zeiten, und mehr, hat man den Eindruck, geht es um Einblick in die Datenökonomie für die Politik selbst als um Dateneinsicht für die Bevölkerung. Qua Voraussetzung nämlich wäre es Sache derjenigen, deren persönliche Daten in Rede stehen. Die aber sind nicht befähigt. Der Bevölkerung fehlen alles in allem Kenntnisse und Kompetenzen, wie man sie bei einschlägigen Unternehmen zu finden oder eher zu finden hofft. Es sind also nicht zuletzt die Geschäftsinteressen dieser Unternehmen, die Anlass zur politischen Bekundung geben. Dennoch soll »Ordnungspolitik« ins Spiel gebracht werden. Eigentlich ist dies überraschend, wenn man den Rahmen der politischen Initiative betrachtet. Kein Politiker, gleich welcher Couleur, will es sich verderben mit dem neoliberalen Boom, ihn vielmehr in die ›richtigen Bahnen‹ lenken. So begnügt man sich, auch was die Ordnung betrifft, mit Rhetorik und verspricht, statt zu ordnen, staatliche Investitionen in zurückgebliebene heimische Data-Technologien, wenn denn öffentliche Mittel dafür freizumachen wären. Solange dies nicht der Fall ist, soll tatsächlich geordnet werden, zunächst die politischen Zuständigkeiten. Im ersten Schritt verspricht eine damit einhergehende Verwaltungsreform der avisierten »Herstellung von Transparenz« auf die Beine zu helfen, im zweiten der Entwicklung und Bewirtschaftung von Sicherungs- und Sicherheitssystemen, denen persönliche Daten anzuvertrauen schließlich keine Bedenken mehr bestehen müssten. »Persönlich« scheint dabei ein dehnbarer Begriff, geht es hauptsächlich doch um »sensible Daten«. »Sensibel« aber sind vor allem Daten mit produktivem unternehmerischem Potenzial, die vor Konkurrenz gesichert gehören. Vergleichbar »sensibel« sind Daten, die unter Kontrolle zu bringen sind, weil von ihnen eine Gefährdung der allgemeinen Sicherheit ausgehen könnte. Da derartige Probleme von so ›allgemeiner‹ Natur sind wie die fortgeschrittensten Unternehmen, die sich, global aufgestellt, damit beschäftigen, hat die Regulierung durch Ordnungspolitik die Aufgabe, die vertrauenswürdigsten Unternehmen unter denjenigen herauszufiltern, denen die Aufgabe, für Sicherheit und Transparenz zu sorgen, im eigenen Einflussbereich anvertraut werden kann. Dies soll politisch kontrolliert geschehen durch »öffentlich regulierte(.) Zertifizierung« von Software, die geeignet ist, sensible Daten in eigener deutscher oder europäischer Regie zu verwalten. Die politische Ansprache der Bürger, jedenfalls derer, die sich für eine gesellschaftliche Debatte im Feuilleton der großen Verlagshäuser interessieren, verschweigt eher, als dass sie verrät, was gemeint ist, wenn sie konkret wird. Aufgerufen werden »Apps, Software und Social Media«, wenn es um Dinge geht, die auch den gewöhnlichen Nutzer betreffen. Wer aufgrund welcher Autorisierung zertifizieren soll, wer mit der Datenerfassung, Verarbeitung und Profilbildung betraut werden darf und wer nicht, wird dagegen weiterhin Gegenstand einer Debatte bleiben. Dem Bürger wird lediglich versprochen, was ihm schon versprochen wurde: Verfügungsgewalt über »seine« Daten. Dazu, sollte man meinen, gehörte auch das »Grundrecht« auf »Löschen« – wenn denn die Rede vom »Entfernen aus allen Speichern« irgendeinen vernünftigen Sinn machen könnte.209 Das Testat der Vertrauenswürdigkeit, so das vorgeblich ordnungspolitische Programm, gilt im weiteren der Protektion der europäischen, vor allem aber nationalen Wirtschaft – zu Gunsten der Sozialen Marktwirtschaft. Die Lösungen entwickeln soll die Wirtschaft selbst. Wenn »konstitutive Elemente unserer Ordnung«, »Vertragsfreiheit« und »freier Wettbewerb« nach europäischem beziehungsweise deutschem Verständnis von der freien Entfaltung des globalen
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Marktes bedroht würden (eine Behauptung wider besseres Wissen), sei es Zeit zu handeln. Die »Ungleichheit zwischen den Wirtschaftssubjekten« sei so weit fortgeschritten, so die Rhetorik, dass der »klassische Eigentumsbegriff« selbst in Auflösung sei – ein Begriff, der bekanntlich in der Trias von Freiheit, Eigentum und Sicherheit zu denken ist. Aber die Politik, die sich derart gefordert sieht, weiß, abgesehen davon, dass sie die Beglaubigung der vertrauenswürdigen Spieler übernehmen will, dass in Fragen der Konkurrenz wie in Sachen Datensicherheit zu verfahren ist. Man empfiehlt »wirtschaftliche[.] Kreativität« und sagt zu, sie finanziell zu unterstützen. »Indem Daten zum Goldstandard werden, wird Datensicherheit zum Standortfaktor«, lautet die Einschätzung, womöglich ja zum Exportschlager, sodass sich die Investitionen auszahlen. Ob es genug sein wird, um konkurrenzfähig zu werden, um »die Platzhirsche« jenseits des Atlantiks durch »alternative[.] Angebote [...] innovativ heraus[zu] fordern«, steht dahin. Immerhin scheint man zu verstehen: Daten sind zu Goldstandard geworden... Eine anscheinend gut unterrichtete Analystin schreibt von einem Investitionsdefizit in Europa gegenüber der amerikanischen Wirtschaft auf dem Gebiet der Datenund Informationstechnologie von rund 75 Milliarden Dollar. Alle tatsächlich intervenierende Ordnungspolitik, die die freie Konkurrenz gefährden könnte, ist trotzdem nicht opportun, gefährdet internationale Beziehungen und ist mit den wirtschaftspolitisch privilegierten Strategien aller regierungsfähigen politischen Lager nicht verträglich. So leuchtet ein, dass eine »Entflechtung, wie sie bei Strom- und Gasnetzen durchgesetzt wurde« (im nationalen Rahmen versteht sich), »nur ultima ratio« sein kann. Ähnlich verhält es sich mit einem denkbaren Eingriff in die »Ordnung der Arbeit«. Vordergründig scheint effektiver Schutz des heimischen Arbeitsmarktes einfacher durchzusetzen, als etwa den Eingriff in fremde Eigentumsverhältnisse zu wagen. Doch handelt es sich nicht um Alternativen; beide Erwägungen bleiben rhetorisch. Auch zu diesem Thema ist deshalb vorerst eine »Debatte« zu empfehlen. Freilich wird sie geradezu philosophische Dimensionen annehmen, wenn sie den Empfehlungen der Politik folgt, könnte so auch im Feuilleton weitergeführt werden. Es werde gefragt werden müssen, heißt es, »ob wir in dieser Welt leben wollen« – wie sie ist: einer Welt, worin »Beschäftigte unter einen beispiellosen Überwachungsdruck gesetzt werden können« durch »Bildschirm, Kamera oder gar Sensoren in ihrem Körper«; wo »die Arbeit ihren festen Ort, ihre Grenze zur Freizeit, ihre auf Dauer angelegte Vertragsbeziehung zum Arbeitgeber verliert«; wo »Arbeitsplätze durch ›Projekte‹ abgelöst werden, die im Netz ausgeschrieben oder auktioniert werden«. Was, fragt sich der erschütterte FeuilletonLeser, wird geschehen, wenn die Teilnehmer an der Debatte die Frage mit »Nein« beantworteten. Da dies in Ermangelung von Alternativen nichts nutzen dürfte, wird er sich mit der »Politik der Lebensführung« vertraut machen müssen. Denn sie »befaßt sich mit politischen Fragen, die aus Prozessen der Selbstverwirklichung in posttraditionellen Kontexten erwachsen, in denen globalisierende Tendenzen sich tief im reflexiven Projekt des Selbst bemerkbar machen«. Die Prozesse der Selbstverwirklichung wiederum werden ihrerseits, so Giddens, »auf globale Strategien Einfluß nehmen.« Es leuchtet ein, dass dazu, wie Chantal Mouffe in ihrer Kritik an Giddens schreibt, »der sich wandelnde Charakter von Arbeit, Familie, persönlicher und kultureller Identität, Arbeits- und Lebensbedingungen« gehört. Wie schon von Nietzsche oder Heidegger kommentiert, erfolgt die Ansprache der partikularisierten Bürgerschaft als in Einzelkonsumenten zerstreute Bevölkerung unter der Annahme eines erstarkenden Individualismus, der zugleich als Menscheitsproblem nivelliert erscheint: »In der Politik der
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Lebensführung geht es [...] um die Herausforderungen, denen die Menschheit insgesamt gegenübersteht«. Die Herausforderungen des »digitalen Zeitalters« durch die Transformation der Warenform in die Datenform sind offenbar nicht die geringsten. Derweil gibt es ein vorläufiges Fazit der politischen Stellungnahme im Rahmen der Konkurrenz, die nichtsdestotrotz die Menschheitsperspektive beherrscht. Mit der »Eingriffsmacht eines großen Wirtschaftsraums« müsse sich die europäische Politik der Konkurrenz erwehren, um »die demokratisch legitimierte Rechts- und Marktordnung des digitalen Zeitalters neu zu formulieren und dann durchzusetzen, ja durchzukämpfen, wo es sein muss«.210 Die US-amerikanischen »Monopolmächte«, die dabei sind, Recht und Gesetz auszuhöhlen, tun es derweil in gesetzlich geschützten Verhältnissen, wenn sie der Freiheit eines globalisierten Marktes Rechnung tragen und expandieren, ganz wie es deutsche und europäische Weltunternehmen ungeniert auf anderen Geschäftszweigen tun und taten. Statt die für manche Kommentatoren drohende Kehrtwende zu einer »neuen Industriepolitik«211 zu vollziehen, die niemand wirklich will, kann man es bei einer Inszenierung bewenden lassen. Die Zeiten nationalstaatlicher Kontrolle des weltweit flottierenden Kapitals sind vorbei.212 Wahlkampfwirksam wird deshalb vor den »autoritären oder gar totalitären Tendenzen, die den Möglichkeiten der Technologie selbst innewohnen«, gewarnt, werden die Dinge auf den Kopf gestellt. Dass Googles »digitaler Totalitarismus« (was immer genau sich hinter dieser Formulierung verstecken mag) allein egoistischen Zwecken diene, zum Schaden für »Freiheit, Emanzipation, Teilhabe und Selbstbestimmung von 500 Millionen Menschen in Europa«, hörte man von französischen Medien nicht – und auch in Deutschland war die Aufregung bald vergessen. In einer ersten Antwort auf die Politikschelte aus Europa sponserte Google französische Medienunternehmen mit hohen Millionenbeträgen. Die Wirtschaft dankte es dem Monopolisten und investierte das Geld sofort in den Ausbau der Infrastruktur ihrer On-lineAngebote. Cicero, »das Magazin für politische Kultur«, wusste schon Ende 2013 zu berichten, dass der NSA-Skandal »auch Vorteile« habe, ähnlich wie der »SputnikSchock« in den 50er Jahren. Frankreich hatte gerade beschlossen, »den Aufbau einer eigenen Serverindustrie mit 200 Millionen Euro [zu fördern]«, ein Klacks, verglichen mit den »Milliardeninvestitionen« in den USA, aber immerhin ein Anfang. Doch war schon absehbar, dass »[i]n der [Europäischen – HW] Kommission [darüber – HW] nachgedacht [wurde], Milliarden aus den EU-Strukturfonds zur Verfolgung dieses Zieles umzuleiten«.213 Die Inszenierungsqualität des europäischen (oder doch eher nur deutschen?) Affronts gegen die ›freie Welt‹, zu der man sich gewöhnlich enthusiastisch bekennt, wurde jedenfalls um die deutsche Feuilletondebatte herum hinreichend quer beleuchtet. Unter der Überschrift »Deutschland im Boom« sah der Kommentar derselben Zeitung keinen Grund für politische »Tristesse« im Lande. Alles spreche dagegen, kein Grund zur Besorgnis: so viele »Beschäftigte wie nie zuvor [...], die fleißig Steuern und Abgaben und in Rekordhöhe zahlen«, in Aussicht ein Haushalt ohne neue Schulden. Die Zinsrate für Staatsschuldner bewegt sich auf Rekordniedrigniveau, wird von der Europäischen Zentralbank voraussichtlich sogar noch durch negative Zinssätze überboten werden müssen, »um die Wirtschaft anzukurbeln«. Ansonsten gibt es noch das europäisch-US-amerikanische Freihandelsabkommen, von dem man sich einiges versprechen darf. Die angesammelten Staatsschulden, allerdings, sind ebenfalls höher als jemals zuvor. Doch die Schuldigen sind identifiziert: »Profiteure
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sind neben Banken vor allem global investierende Vermögensbesitzer. Sie danken den Zentralbanken und gewinnen durch den Börsen- und Immobilienboom.« Eine leichte Korrektur durch staatliche Investitionen in bestimmte Zweige der zurückgebliebenen Realwirtschaft zur Förderung zukünftiger »Technologiesouveränität« wäre mithin weder unangebracht noch unangemessen.214 Wer aber soll die Schulden, die kein Staat mehr bezahlen kann, begleichen? Das historische Stichwort heißt »financial oppression«. Es ist nicht mehr nur an der Zeit, den Bevölkerungen Europas und der Welt beizubringen, was »negative Zinsen« sind und einbringen. Um zumindest in the long run auf den Boden einer realwirtschaftlich gegründeten Ökonomie zurückzufinden, basteln die Regierungen zusammen mit dem Internationalen Währungsfond derzeit an dringend benötigten Szenarien sozialverträglicher Modalitäten, unter denen ›den Besitzenden‹ ein Beitrag von circa 30 Prozent ihres Kapital- und Immobilienvermögens zur Schuldentilgung abzufordern wäre. Dass in solchen Szenarien diejenigen verschont bleiben, die allein vom Ertrag ihrer Arbeitskraft leben, will niemand glauben. So oder so: »Systemisch gilt: Ein Schuldenabbau ist nur durch eine Verringerung von Vermögen möglich. Je größer die Vermögen im Verhältnis zur realen Wirtschaftsleistung werden, desto geringer sind – bei gleicher Verteilung – die möglichen Renditen auf diese Werte. Langfristig tendieren sie gegen null.«215 Die »Verringerung« soll sich in Europa auf etwa 5 Billionen Euro belaufen. »Alles über 60 Prozent der Staatsschulden und 90 Prozent der Privatschulden kommt in einen Schuldentilgungsfonds. Das wären [...] 5 Billionen Euro. Diesen Fonds arbeiten die europäischen Staaten 20 Jahre lang ab, finanziert wird das alles über eine Vermögensabgabe. Der Fachausdruck dafür lautet: ›financial op[p]ression‹«.216 Auf die politisch mediale Inszenierung des Coups darf man gespannt sein.
Künste der Technik. Technologie im Wettbewerb Das Beispiel der politischen Inszenierung ökonomisch gebotener globaler Expansion und Konkurrenz samt aller Folgen für die Betroffenen als Rührstück staatsmännischer Sorge für Wohl und Recht der Bürger, des Kapitals und der Arbeit im Lande bezeugt das veränderte Verhältnis im Umgang zwischen politischen Gewalten, symbolischen und ökonomischen Kräften unter modernen Souveränitätsbedingungen. An welche Kreativität, welche Inszenierungskunst appelliert die Staatsmacht in der Gegenwart? Über Jahrhunderte war es üblich, dass sich weltliche und kirchliche Mächte der begabtesten und berühmtesten Künstler, Architekten und Gelehrten ihrer Zeit versicherten, um sich selbst samt den Quellen und Monumenten ihres Reichtums in ein strahlendes Licht zu setzen. Der Glanz war geeignet, auch die unschönen Erscheinungsformen feudaler Abhängigkeit, Unterdrückung und Auspressung ein Stück zu vergolden – so sehr, dass diejenigen, die in den Genuss solcher Darbietung gelangten, ihr eigenes Schicksal, als Glied in der Kette der Schöpfung mitbetroffen, im Abglanz dieses Leuchtens zu betrachten vermochten. Man erinnert sich an die Feste der Renaissancestädte und die Schauspiele der Barockherrscher, an die Aufzüge der Revolution auf dem Champ de Mars, deren Choreografen hierbei nichts anderes taten als ihre Vorgänger im Dienst der Regenten, an die Kunstsammlungen der europäischen Höfe noch zu Zeiten Goethes oder Schinkels. Die Kunst der bildenden Künstler war nicht anders disponiert, als derart in Dienst genommen zu werden und Glanz zu verleihen. Die kreative Werktätigkeit von Handwerk und Kunsthandwerk hingegen, die nicht von den Fürsten und Herrschaften konsumiert wurde und sich zu Selbstständigkeit entwickelte, fand ein eigenes Aktionsfeld auf dem Markt der Städte. Nicht weit davon entfernt entfaltet sich die nicht erst von Goethe als förderungswürdig erachtete
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»Ausübung der Kunst nach Wissenschaft«, die zu seiner Zeit mit der »Annahme einer objektiven Kunst« noch nicht einhergeht.217 Sicher gehören zur Prachtentfaltung der Künste218 technisches Wissen, entsprechende Fähigkeiten und Ressourcen, im Zweifelsfall theoretische wie praktische Konstruktions- und Ingenieurskompetenz, doch finden sie sich nicht fern von der Kunst, sondern im Herzen der Künste. Die Zentralmacht der wirtschaftlich erstarkenden Nationalstaaten des 19. Jahrhunderts, allen voran England und Deutschland, muss nicht mehr, notgedrungen, auf Philosophie und Theologie hoffen, sich zu legitimieren, auf die Künste, sich darzustellen. Der Prozess der Zerstreuung macht es schwer, eine beherrschende Denkmacht, den tonangebenden Kunstsinn, den Nationaldichter oder Nationalkünstler Victorias, Wilhelms I. oder II. auszumachen, Künstler, denen Aufgaben übertragen worden wären, wie sie Leonardo für den Herzog von Mailand, Le Brun für den Sonnenkönig erledigt hatten. William Hogarth, das größte britische Talent seiner Zeit, wurde vom englischen Königshaus ignoriert. Und wer kennt Adalbert von Kossak? Das »Zurücksinken in die Barbarei« zu verhindern, sollten ab Mitte des Jahrhunderts Telegrafie, Geografie und industrielle Erfindung helfen. Zwar hatte deren »tausendjährige Conclusion«, wie Nietzsche zu bedenken gab, noch niemand zu ziehen gewagt.219 Doch die Kunst der Nationen war jetzt auf den Industrie- und Gewerbeausstellungen zu bestaunen, die sich seit den 1850er Jahren etabliert hatten, in London, Paris, Chicago – auch in Berlin.220 Die Große Ausstellung des Jahres 1851 in London firmierte als »Great Exhibition of the Works of Industries of all Nations«. Zu ihren Sehenswürdigkeiten gehörten Wunder der Künste wie der Kristallpalast, ein Werk von Baukunst, Design und Technik. Nicht dem Vergnügen, der Schönheit und dem Abglanz der Kunst indes galt jetzt die Demonstration, sondern der Kraft und Schönheit von Kapital und Arbeit, vereint mit Technologie und Erfindergeist. Beeindruckend am Crystal Palace sind Größe und Konstruktionsweise aus vorgefertigten Eisenteilen und standardisierten Glasscheiben. Die Werke der Schönen Künste der Welt nicht vorzuenthalten war Sache der Franzosen, die der Industrieausstellung nicht nur die Landwirtschafts-, sondern auch die Kunstausstellung zugesellten.221 Das Muster blieb fürs Erste der französischen Exposition universelle vorbehalten, insbesondere da gerade Paris der zeitgenössischen Kunst breiten Raum zu geben verstand. Doch zeigt die Platzierung die Stellung der Kunst in der Moderne. Mit eigenem Palais ordnen sich die beaux arts ein zwischen Agrikultur und Industrie. Zu beweisen haben sich die Künstler nun auf einer Leistungsschau der Nationen. Herausgestellt, vor allem, wird deshalb ihre Produktionskraft, die Produktivkraft Kunst, wie alle einschlägigen Publikationen belegen. 1855 stellen 28 Nationen 4979 Werke von 2176 Künstlern aus. Deutlich mehr Interesse als die Werke der bildenden Kunst aber wecken zwischen 1850 und 1900 Rechen-, Schreibmaschinen und hydraulische Aufzüge, Telefon, Telegraf und Fonograf, elektrisches Licht, Rolltreppe und Film.222 Heute haben sich die Weltausstellungen der Kunst verselbstständigt, präsentieren ihren eigenen Markt. Existieren sollen derzeit, je nach Zählung, allein 100 bis 150 Kunstbiennalen.223 Doch selbst in Italien wird es kaum einem Minister einfallen, ausgerechnet die Kuratoren der Biennale di Venezia dazu einzuladen, die strategischen Herausforderungen an die nationale ›Kreativität‹ publikumswirksam in Szene zu setzen.224 Der politische Appell, »kreativ« zu sein, ergeht heutzutage unmittelbar an gewerbliche und industrielle Unternehmungen. Entsprechend gestaltet sich die Rückwirkung auf die Inszenierungspotenz und den look des politischen Auftritts,
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der sich im Schein solcher Kreativität in Szene zu setzen sucht, selbst wenn er der politischen Repräsentanz nicht selbst gilt, sondern dem des von ihr repräsentierten Volkes. (Derzeit zu realisieren ist dies etwa an öffentlichen Aufträgen wie dem für das erwähnte Freiheits- und Einheitsdenkmal: Dem Deutschen Volk, in Berlin an Milla & Partner, Stuttgart, und Sasha Waltz, Berlin.225) Um insgesamt produktivere Vorschläge für den Auftritt zu gewährleisten, Empfehlungen auszusprechen, von denen heute die »Gleichnisse abzuziehen« sind und neue Bilder erscheinen, die zeitgemäß übersetzen, was schöpferisch zu sein bedeutet226, helfen Medienagenturen weiter. Keineswegs sind sie nur im Wirtschaftssektor spezialisierter Medienfirmen zu finden. Heute sind sie jedem potenten Wirtschaftsunternehmen angeschlossen, nicht zuletzt solchen, die auf dem Feld von Stadtplanung, Stadtentwicklung und Urbanisierung tätig sind. Die Firmen, die ›ihrem Publikum‹ die Segnungen der Big-Data-Industrie verkaufen möchten, halten es nicht anders. Dass der Weg von den Produkten der Informations- und Kommunikations-, Telematik- und IT-Industrie – von der Chip- und Device-Herstellung bis zur Provider-, Server- und Security-Dienstleistung – zur besonderen Angebotspalette der Unterhaltungs- und Medienbranchen dabei kurz ist im digitalen Zeitalter, erleichtert die Sache. Mit der Implementierung »intelligenter Technik« in ihren Produkten, die, Dinge oder Dienste, ebenfalls den Charakter von Systemkomponenten besitzen und so gut wie überall zum Einsatz kommen können, berühren und vermischen sich Wirtschaftskomplexe aus Industrie und Gewerbe, Handel und Dienstleistung miteinander, etwa auf den Gebieten der ›Mobilität‹. So kommt es, dass die Kunst selbst, die den Dingen immer schon zu Form und Ausdruck verhalf, ihre Produktivität auf die Eigenmächtigkeit des in ihr aufgehobenen mathematischen und technischen Wissens und seine Entfaltungskraft im funktionalen Gefüge einer theoretischen, gleichwohl realisierten Maschine und ihrer Peripherien und Schnittstellen verschoben sieht. Sollte es eine Weile so ausgesehen haben, dass Kunst und Technik auch ganz unterschiedliche Wege einschlagen könnten, zeigt sich seit den 90er Jahren des zwanzigsten Jahrhunderts deutlicher denn je, wie eng sie zusammengehören und nur, so verschmolzen, sich zeitgerecht präsentieren.
iv.4 appropriation & performing agencies Von »Akteuren« zu sprechen, sie womöglich im dynamischen Feld eines Spiels als personale Charaktere figurieren zu lassen, verbietet sich mithin bei statistischer Betrachtung der relevanten Kunstproduktion und ausübung. Die Suche nach dem Subjekt der Kunst, das auf der Adressatenseite des Kunstwerks den einzelnen wahrnehmenden Körper vertritt, der auf der Absenderseite über Zeiten den individuellen Künstler fand, ist obsolet geworden. Das gilt für die Konstellation von Künstlerpersönlichkeit und herrschaftlichem Gönner, Mäzen oder Sponsor, für die Paarung von Künstler und Publikum. Auch kollektive Autorschaft, der kollektive Rezipientenschaft gegenübersteht, lässt sich nur mehr wechselseitig denken. Hierin liegt die Rationalität, von agencies zu sprechen (oder »Agenzien«), worin der Produktions-Rezeptions- (oder Konsumtions-)Gegensatz aufgehoben erscheint wie der von Erzeugung (oder Hervorbringung) und Vermittlung (oder Gestaltung). Sie sind in die ›Mangel‹ geraten und sehen seither Schicksal und Aufgabe darin, mitzumangeln.
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Die Frage ist, auf welches Kapital zurückzugreifen ist, wenn die Unternehmerschaft sich auf Produktionsagenzien stützt, die nichtsdestotrotz nicht regulären Wertschöpfungsprozessen eingegliedert sind, vielmehr sich selbst zum Produktions- und Zirkulationssektor symbolischer Kapitalakkumulation zählen. Dass der Wechselkurs erstens existiert und zweitens nicht notwendig zuungunsten des Besitzers symbolischer Kapitalien festgesetzt wird, ist geläufig, unter Umständen. Freilich gilt dies nicht für Krisenzeiten und auch sonst meist nur für die AAA-, mindestens A-Ratings der Branchen. Alle anderen Anbieter müssen schon im Foyer ökonomischer Verhältnisse, in die sie geraten, auf verbindliche Tauschwerte von symbolischem und gewöhnlichem Kapital achten respektive auf geldwerten Eintausch. Von »symbolischem Kapital« zu reden, wo gewöhnliches fixes oder zirkulierendes Kapital in Umlauf ist, soll andeuten, dass der Fetischismus hier zumindest auf Ähnlichkeit achtet, was allerdings qualitativ auch keine Sicherheiten bedeutet. Beim symbolischen Kapital liegen die Dinge so, dass interpretierte Qualität mit korrespondierender Quantifizierung des Tauschwerts nicht einhergeht, auf verlässliche Bilanzierung im Geldausdruck deshalb nicht hoffen darf.
Das Elend der Akteure & die Herrschaft der performing ›agencies‹.227 Duchamp & die Folgen Duchamp noch gesteht die Akteursform, von der er ausgeht, wenn er in der »ästhetischen Osmose« einen Berührungspunkt von Künstler, Werk und Rezipienten findet, ausdrücklich dem Publikum zu – sei es »Zuschauer« oder »Nachwelt«. Auf sie geht die Inspiration des Werks über, wenn sie, gleichsam über und durch den Stoff des Kunstwerks vermittelt, der Nachwelt anheimstellt, die noch unverfugten Risse und Löcher des unfertigen Werks zu füllen und zu verfugen.228 Dies erinnert an Heideggers Kunstwerkbegriff. Abgesehen von der »para-religiösen Mission« der Kunst, die hier zum Ausdruck kommen könnte229, zeigt ihr Spiel bei beiden Parteien, die an ihrem Zustandekommen Anteil haben, Mediencharakter. Nicht nur die ›Gläubigen‹ werden zum Medium der Kunst gemacht. Auch die Glaubensstifter, die Künstler, von denen es Millionen gibt, die als Individuen für die Kunst aber nur zählen, wenn ihre Botschaft als »Kunst« tatsächlich Bearbeitung und Anerkennung erfährt, besitzen ein »mediumistisches Wesen«.230 Es handelt sich mithin nach Duchamps Einsicht bei allen Akteuren um aktive und produktive Medien, ähnlich wie bei den Agenzien des mythos oder, modern gesprochen, des Diskurses, der nur so existiert, wie er von den diversen Diskursmaschinen gefügt und organisiert erscheint. Betrachtet man die derart versammelten Medien angesichts der sie antreibenden geistigen und materiellen Produktivkräfte als ›Kunstmaschinen‹ und, was sie zu schaffen verstehen, unter Berücksichtigung statistischer Effekte, finden wir sie durchaus auf der Höhe des Informationszeitalters. Der Konzeptualismus der Minimalisten der 60er Jahre opponiert gegen diese Vorstellung und versucht, einen ›szenografischen‹ Entwurf als Direktive einer bewussten Intention gegen das Unbewusste des Duchamp´schen ›Künstler-Werks‹ in Stellung zu bringen (das »Objekt-Kunst« zu nennen, nicht ohne Ironie ist). Doch ist demgegenüber auf die Verschiedenartigkeit von Plan und Ausführung zu verweisen, die in der Differenz, die Duchamp geltend macht, praktisch durchschritten und auf diese Weise bewältigt wird. Der Prozess muss nicht zwangsläufig psychoanalytisch gedeutet werden, lässt sich medial allgemeiner nachvollziehen. Nicht zuletzt am
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postmodern neo-konzeptualistischen Kunstverständnis lässt sich dies belegen. Die sogenannte »Entmaterialisierung« des Kunstwerks gilt eher der Zersplitterung seiner Genres und Dimensionalitäten, als dass sie auf Entmaterialisierung, auf »Begeistung« (Kant) oder »Geist« (Kandinsky) sich tatsächlich einließe.231 Wie sie praktisch denkbar ist? Vielleicht in der Art der Debord´schen Einsicht, der folgend das Projekt der Situationistischen Internationale nach einer gewissen Zeit eingestellt werden musste – oder sich darauf beschränkte, wie mit King Mob, Kinder in Kaufhäusern unentgeltlich mit Spielzeug zu versorgen. Immerhin konnte man auf diese Weise zu bedenken geben, dass Weihnachtsmann zu sein nicht vor Verhaftung schützt.
Künstlerische Produktion im 21. Jahrhundert. Appropriation, Selbstbestimmung & Unternehmerschaft. Anerkennungskämpfe (Bochner, LeWitt, Bourriaud) Worauf sich conceptual art stattdessen einlässt, ist Medialisierung durch Mediatisierung, Verallgemeinerung im Sinne von Hegels Charakteristik des sprachlichen Kunstwerks als informelle Integrationsform künstlerischer Aussage. Philosophie, Literatur, Kunst, Wissenschaft wachsen zusammen. Technologie und Technik sind zuständig für Mediatisierung und Medialisierung. Insofern ist Mel Bochners Titel für das, was er in seiner 1966er Ausstellung in New York präsentierte, so zutreffend wie wegweisend: »working drawings and other visible things on paper not necessarily meant to be viewed as art«.232 Spiritualität und Metaphysik einer religiösen Botschaft aber lassen sich von medialer Zersplitterung und Zerstreuung nicht anfechten, sind sie doch vom gleichen Stoff. Statt in gemeinsamem Werk gemäß heilsamer Botschaft in der Geschichte wirksam zu werden, wie es die sakrale Kunst, die frühen Ansichten der Verkündigung zum Ausdruck bringen233, zieht sich der Glaube zurück in die Medienkanäle.234 Zu den Techniken der Übermittlung musste der Glaube immer schon ein enges Verhältnis haben, doch unverstellt und in Szene gesetzt als Schauspiel festen Vertrauens. Heute werden Spiritualität und Metaphysik behandelt als technisches Problem, als ›Rauschen‹, von dem es heißt, dass es durch Rauschunterdrückung annähernd beseitigt werden könne. Doch es rauscht. »Some plans would require millions of variations, and some a limited number, but both are finite. Other plans imply infinity.« Der Irrtum liegt bei der Idee der Beherrschung, einer Obsession direktiver Szenografie, umso schlimmer, als sie bei sich selbst als ›Werk‹ im Register einer Problematisierung zu verbleiben gedenkt: »In each case, however, the artist would select the basic form and rules that would govern the solution of the problem.«235 Dabei ist offensichtlich, dass schon die Idee des Werks es bei einem Beitrag zum Heterogenen eines Diskurses, dem sie sich zugehörig glaubt und anvertraut (der Kehrseite einer performativ engagierten Szenografie), bewenden lässt, da sie doch schon den Entwurf ungern der Verschwendung und dem Verschleiß überantwortet. Die Debatte bleibt »konzeptuell«, »begrifflich entwurfsbezogen«. Nur hier ist eine »grundlegende Gestaltung« (the basic form) überhaupt zu fixieren. Die Affinität zur symbolischen Verschlüsselung, zur sprachlich textlichen, schriftlichen Äußerung liegt auf der Hand; insofern ist auch die Entwicklung zum conceptual writing konsequent. In der Performanz blieben Gestalt und Ausdruck bestenfalls erinnert, müsste sich die Form sogleich als ein Gemischtes begreifen, hervorgehend aus vielen anderen Formen des Erinnerten und Anwesenden, weiterhin bereit, sich zu entäußern. Entsprechendes geschähe mit dem Regelsystem, das den Entwurf strukturiert. Nur auf ihn bezogen wäre die Abstraktion eines ›Problems‹ zu artikulieren und eventuell zu ›lösen‹, gleichsam als kontingente, dauernde Konstruktionsaufgabe. Die Weitergabe eines Entwurfsdiagramms an die Performanz eines praktischen ›Lösungskontextes‹, wie er möglich erscheint in bestimmten Praktiken der Grafischen Logik
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Peirce´scher Provenienz, ist nicht auf andere Entwurfs-Realisierungs-Transfers übertragbar. Außerdem ist solche Lösung immer nur intermediär, sozusagen exemplarischer Natur. Die Aufgabenstellung bleibt. Konzeptualistische Kunst und ihr verbundene appropriation art – wovon nicht jedes Beispiel konzeptuell dem conceptualism verbunden sein muss – verteidigen die Kunst der Kunst auf extremem Posten. Die »Aneignung«, zu welchem Zweck auch immer, ist dabei seit den 1980er Jahren in aller Munde. Nach Auffassung des Kunstkritikers und Ausstellungsmachers Nikolas Bourriaud handelt es sich »um den am häufigsten gebrauchten Begriff, zumindest auf Englisch [appropriation – HW], um künstlerische Praktiken zu bezeichnen, die auf der Inszenierung eines bereits vorhandenen Werks oder Produkts basieren.« Dabei sind die Praktiken »eindeutig nicht von gestern«!236 Konzeptualistische Aneignung zu betreiben impliziert die Überzeugung237, dass »prinzipiell keine vordiskursive Kunstpraxis möglich ist, weil immer ein begriffsgebender institutioneller Apparat existiert, innerhalb dessen künstlerische Formen hervorgebracht werden.« Der Zirkelschluss als solcher überzeugt. Soweit »immer ein begriffsgebender institutioneller Apparat im Spiel ist, wenn künstlerische Formen« hervorgebracht werden, die per definitionem zum Spiel konzeptueller Kunst gehören, wird stimmen, dass Begriffsapparat und Kunstpraxis zusammen auftreten. Für eine Kunstpraxis unter veränderten Prämissen mag dies allerdings nur so weit als künstlerisches Schaffen gelten, wie sie die in diesem Tun zum Ausdruck kommenden Affären zwischen Techne und Episteme und selbst an einen ihr passend erscheinenden Diskurs anschließt, von ihm affiziert wird oder an ihn zu appellieren sich genötigt sieht. Die Frage mithin ist weniger die, ob ›prädiskursiv‹ oder ›postdiskursiv‹, sondern ob ›paradiskursiv‹ oder ›diskursaffin‹, wobei sich beides nicht ausschließt. Ohnehin wird für den Diskursbegriff dabei zu fordern sein, dass »Diskurs« nicht als »discours«, bloß sprachlicher Text-, Theorie- oder Begriffsdiskurs verstanden wird. Das Motiv indes, das den Anschluss (wenn nicht Ersatz) von Kunst durch Appropriation begrifflich konzeptueller Arbeit treibt, artikuliert sich unmissverständlich. Der »konzeptuellen Praxis« wird überantwortet, die »eigenen medialen und institutionellen oder epistemologischen Bedingungen und Entscheidungsprozesse« zu ventilieren – was nicht mehr bedeutet, als künstlerische Praxis reflexiv – theoretisch, wissenschaftlich, philosophisch – zu befragen und darüber Auskunft zu geben. Soweit wäre konzeptuelle Praxis indes nicht notwendig »Kunst« im engeren Verständnis, selbst wenn die Nähe zur künstlerisch poetischen oder literarischen Produktion erkennbar wäre. Diese Arrondierung geschieht indes in einem zweiten Schritt, der »künstlerischen Präsentation« der Reflexion: einer Begriffs-Performance. Als Ziel der »künstlerischen Selbstermächtigung« wird eine »Selbstdefinition« angepeilt, die »Selbstbestimmung« sichern soll. Die kritische Analyse der alle Kunst der Gegenwart bestimmenden Produktionsverhältnisse macht solche Selbstbestimmung eingestandenermaßen zuvor schon aus Systemgründen mehr als fraglich.238 Mithin geht es um einen Anerkennungskampf oder, wie Sol LeWitt schon erklärt, um Abwehrkampf und »Selbstverteidigung«.239 Die Strategie setzt auf eine Intervention des Wissens, freilich inszenierter Art. Die »Publikation von Texten« erlaubt es dem Künstler, seine »Recherchen«, »Rezeptionsformen« und »Statements im Sinne einer epistemischen Intervention zu multiplizieren«. Da sie vom Markt in dieser Form aber nicht als Kunst akzeptiert werden, sondern eher als »Theorie oder was auch immer«, müssen sie »als Ergänzung zu einem physischen, handelbaren Objekt« auftreten,
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entsprechend arrangiert und in Szene gesetzt werden. »Objekt« zu sein, bedeutet hier, qua medialer Gestaltung und Präsentation ›kunstfähig‹ und als Kunst identifizierbar präsentiert zu werden. Hier begegnen sich performing art und installation art. Dabei wird die strategische Positionierung der ›Publikationspolitik‹ die Neuinszenierung durchaus positiviert und verobjektiviert präsentieren wollen. Künstlerische Arbeiten auf solche Weise ›kontextabhängig‹ zu inszenieren heißt zu besorgen, was früher ein Kunstwerk zu schaffen genannt wurde.240 Die Kunst liegt demnach ganz bei einer medienmultiplizierten performance, und der Künstler ist ganz performer, jemand, der, was er zusammengetragen und kompiliert, sich angeeignet und erneut zu sagen hat, vermittels Rhetorik und Medienkunst, Technologie und Technik auf unterschiedliche Bühnen an ein zerstreutes Publikum vermittelt. Günstigerweise sollten die unterschiedlichen Adressatengruppen nichts voneinander wissen, machte dies doch die Redundanz des Unternehmens offensichtlich, was wiederum der Anerkennung als Kunst nur schaden kann. Die Arbeit changiert wie alle Arbeit im zeitgenössischen Bühnenmilieu zwischen entertainer und media artist, Referent, Kritiker, Dozent und allen möglichen anderen denkbaren Rollen als performer in eigener Sache. Zur Aneignung gehört, das Angeeignete medial zu diversifizieren und zu vermehren, eine Leistung, die mithilfe intelligenter Maschinen, einschlägiger Software und Vernetzung heute auch einem Ein-Personen-Unternehmen leichter von der Hand gehen wird als noch vor 30 Jahren. So tritt zum Vortrag die Ausstellung von Objekten mit begleitender Diskussion, die Ausstellung wiederum integriert Film oder Fotografie und andere Medien; Film, Fotografie und andere Medienkünste können sich zudem mit eigenem Auftritt präsentieren. Objekte lassen sich erweitern zur Architektur; das »konzeptkünstlerische Buch« ist in der Regel unverzichtbar.241 Insgesamt sehen wir eine perfektionierte Medienstrategie, deren Mehrverwertungspraktiken der großer Massenmedienkonzerne in nichts nachsteht. Freilich hapert’s am Umsatz. 2
lektüre- & performanzpolitik
Soweit der Widerspruch zwischen Selbstbestimmungsanspruch und ökonomisch zwangläufiger Eingliederung in eine kapitalistische Verwertungskette erkannt wird, soll »De-Konzeptualisierung« vor möglichen Verstrickungen von Appropriation und Konzeptualisierung helfen. Die Idee ist, sich mit einem kritischen Gestus abzusetzen, einer diversifizierten »Geste des Durchstreichens«, deren Indizes die Ablehnung jeder Art von Komplizenschaft mit dem System, das man zwar instrumentalisiert, anzeigen sollen. Die Geste ist programmatisch, indiziert eine Neuverhandlung der »Strategie der Aneignung«, definiert »im Interesse von Barthes und Certeau« und mit Anleihen bei William S. Burroughs – HW, »zu einer ›queeren [!] Lektürepolitik‹«. Das Konzept der De-Konzeptualisierung empfiehlt die Re-Inszenierung mittels Re-Lektüre angeeigneter Originalwerke beziehungsweise Original-Aufführungen/-Ausstellungen, unter anderem durch Camouflage und atmosphärische Verfremdung, wesentlich indes durch »transkriptive[s] Schreiben«.242
De-Konzeptualisierung, Lektüre, Re-Lektüre. Prekarität & ›ökonomische Leidenschaft‹ Dass sich Appropriation insgesamt mit Lektüre versteht, macht Systemsinn, wenn man an einige ihrer informatischen Erscheinungen denkt, an das Diagramm des Screen im Bild eines Schreib-Lesefelds. In den Einträgen der Turingmaschine korrespondiert der programmbeherrschten, ›geschriebenen‹ Datenware deren ebenso
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programmbeherrschte ›Lektüre‹ als Bedingung der Ermittlung bedeutungstragender Information. Lesen und Schreiben gehen Hand in Hand. Der enzyklopädische Rezipient sinnmachender Information ist, ähnlich wie im Hegel´schen Universum, ein enzyklopädisch orientierter Sammler von ›Lesbarem‹. Mittels Lektüre und Re-Lektüre – daher wieder schreibend das Geschriebene präsentierend – versichert er sich eines Patchworks künstlerischer, literarischer, philosophischer, wissenschaftlicher ›Dichtung‹. Das angeeignete Gewebe ist nicht aus einem Stück, Stücke können zerreißen oder werden auseinandergenommen. Strapazierte Stellen werden überarbeitet, anderes wird eingefügt für eines, das textum zusammengefügt zu neuen »Kontextabhängigkeiten«. Das Gelesene und Überschriebene wird wieder in die ›Lektüre‹ gegeben: eine vergleichsweise moderne Angelegenheit, zumindest, was die Präsentation des ›Geschriebenen‹ betrifft. Nun bezieht sich Lektüre, wie Roland Barthes bemerkt, durchaus auch auf Ungeschriebenes und Verborgenes; »lesen heißt auch, stillschweigend vorstellen, was verschwiegen wird«. Dafür sind zwei Gründe ausschlaggebend, deren Geltung, weil miteinander verwoben, auseinanderreißbar ist. Der eine Grund hat zu tun mit der Frage nach den Tatsachen und der Wahrheit, welche die Lektüre sich stellt. Der andere hat zu tun mit der Frage des Werdens, des Daraus-Werdens. Angesichts eines offenen Bedeutens und Bedeutenlassens mischt sich das mögliche Werden ins mögliche Sollen aus der Informiertheit der Dinge heraus.243 Bei der Lektüre nach der Vorstellung zu fahnden betrifft mithin die Wahrheit, die Bedeutung und das Handeln – das praktische Bedeutenlassen. Damit steht der eigene Eingriff im Fokus. Mithin finden sich alle Peirce´schen Interpretanten: alles schlussfolgernde Bedeutenlassen aufgrund möglicher Habitusveränderungen, alles energetisch sich verausgabende und schließlich alles empfindend fühlende Bedeutenlassen. Aneignung durch Lektüre ist und bleibt auf diese Weise dem Willen einbeschrieben. Auch Begriffsarbeit und Kritik rechtfertigen sich strategisch, etwa mit dem Verweis auf die Notwendigkeit zur Selbstverteidigung. Allerdings sind sie nicht zu weitergehender Intervention gezwungen, zum ›Wiederschreiben‹. »Die Lexie«, heißt es bei Barthes, »ist ein willkürliches Produkt, sie ist einfach ein Segment, innerhalb dessen man die Verteilung der Bedeutungen beobachtet; was die Chirurgen als Operationsfeld bezeichnen würden« – oder die Militärs. Der Einsatz im Operationsfeld, allerdings, zeitigt Konsequenzen für die Beurteilung dessen, was bei der Appropriation hinsichtlich »Lektüre«, »Textanalyse« und »mobiler Strukturierung« zu weiterem Gebrauch als nützlich gelten könnte, und dass es nicht alles Mögliche sein kann. Hier regiert Occam´s razor. Die Lexie sei nützlich, so Barthes, wenn »nur eine, zwei oder drei Bedeutungen durch sie hindurchfließen«, Bedeutungen, die »im Volumen« des Anzueignenden »übereinanderliegen«, miteinander strukturell verschränkt sind.244 Lektüre, so verstanden, nötigt, obwohl aktiv Struktur und Bedeutung produzierend, nicht notwendig zu mehr. Kommt es zum Schreiben, dann darüber, bleibt es bei expliziter Lektüre. Michel Certeau ist zurückhaltender, was die »Lektürepolitik« betrifft.245 Er respektiert Barthes246, bekräftigt, dass Text Bedeutung nur durch den Leser bekommt, durch »Arbeit am Code, [...] an den Signifikaten vorgenommen«. Doch sieht er den Leser nicht notwendig in Abhängigkeit eines womöglich verborgen gebliebenen Schatzes und seiner produktiven Ressourcen. Certeau glaubt, dass die »Autonomie des Lesers [...] von einer Transformation der gesellschaftlichen Verhältnisse abhängig [ist], welche die Beziehungen des Lesers zu Texten überdeterminieren« und
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die »Lektürepolitik« einer Elite privilegieren. Lesetätigkeit aber entgeht dem Gesetz der Information im Sinne programmierbarer Steuerung. Nur darauf bauend, könnte Lektürepolitik sich demnach herrschaftswiderständig legitimieren. Denn zu »lesen bedeutet, woanders zu sein, dort wo wir nicht sind, in einer anderen Welt; es bedeutet, eine geheime Szene oder Bühne zu entdecken; es bedeutet, schattige und dunkle Winkel in einem Dasein zu schaffen, das der technokratischen Transparenz und jenem unerbittlichen Licht ausgesetzt ist, das bei Genet die Helle der Entfremdung verkörpert.«247
Es ist nicht sicher, dass überhaupt die Frage der Nützlichkeit gestellt wird, wenn Lektüre sich der Zusammenziehung der Zeit sperrt, stattdessen in »Wiederholungen und Differenzen von Genüssen zerstreut, in Erinnerungen und aufeinanderfolgenden Erkenntnissen«. Der Text wird auf diese Weise distanziert. Der Körper zieht sich von ihm zurück. Das Bedeutenlassen schafft es immer weniger, die »Aktivität des Lesers« anzuregen. Nicht dass solche Unabhängigkeit den Leser schützen würde. Denn gerade so kann sich die »Macht der Medien [...] auf seine Vorstellungskraft auswirk[en]« und aus »Chiffren und ›Tatsachen‹ eine Rhetorik [machen], deren Zielscheibe diese preisgegebene Intimität ist«. Indes müssen »die Techniken des Glauben-machens« [!] aufgedeckt werden, egal wo sie gefunden werden. Denn sie kommen mit dem Anspruch eines unzulänglichen Realen, das nichtsdestotrotz »das Prinzip dessen, was geglaubt wird«, ist. Zugleich ist es Prinzip des Glaubensaktes, der eine Sache betrifft, die sich immer entzieht, nicht verifizierbar ist, fehlt. Von solchem ›Realen‹ autorisiert, bringt sich ein Diskurs in Stellung und verbreitet seine Glaubensartikel »in Form die Praxis organisieren[der] Elemente«. Beschrieben wird ein System der Inszenierung, »das die Narrativität der Medien (eine Instituierung des Realen) mit dem Diskurs der zu konsumierenden Produkte verbindet«. Die Devise heißt: »glauben und kaufen«.
Inszenierung, Szenografie & Markt Zumindest die Frage der Nützlichkeit und die nach den Kriterien der Nützlichkeit wird man der performativen Inszenierung von Lektüre und Re-Lektüre in spektakulärer Redundanz dringend stellen müssen. Warum, fragt sich, sollte das Theater des Theaters erfolgreicher sein als das Theater und seine Aufführungen. Hat es mehr glauben zu machen und mehr zu verkaufen? Was sollte das Versprechen bringen, dass die Stärken oder Schwächen der ursprünglichen Inszenierung durch Überbietung des Scheins überstrahlt werden könnten? Was die Künstler betrifft, wird man die Frage am einzelnen Fall diskutieren müssen, was die Konzeptualisierung der Kunst betrifft, wird sich die Frage diskursiv behandeln lassen. Die Nützlichkeit von Inszenierung generell in Abrede zu stellen liegt nicht in der Konsequenz unserer Darstellung, wohl aber die Beobachtung, dass der gesellschaftliche Medialisierungsprozess einhergeht mit der Akzeptanz universal sich verbreitender medialer und mediatisierender Techniken und Existenzformen inklusive der Akzeptanz ihrer produktionstechnischen und ökonomisch sozialen Bedingungen. Dabei gilt die Ambivalenz einer »post-panoptischen Performativität« (Römer) zwischen allgemeiner elektronischer Vernetzung und allgemeiner Überwachung, die Ambiguität dessen, was die weltweit übertragenden Medienprogramme auf diese Weise – vernetzt überwacht, überwachend vernetzend – an ihre Kunden senden und die Kunden konsumieren. Dies ist gemeint, wenn wir von »Inszenierungsgesellschaft« sprechen.
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Die ökonomisch prekäre Lage der Kunst, auch derjenigen, die sich, bewusst reflektiert, eine kritisch konzeptuelle Rolle vorbehalten möchte, wird von ihren schreibenden Protagonisten eingeräumt, ausdrücklich oder unausdrücklich. Anders als die Angestellten im staatlich institutionalisierten, im öffentlichen, aber auch im privaten Kunst- und Kulturbetrieb, deren Arbeitsverhältnisse sich nicht unterscheiden von denen anderer Dienstleister, hat die freie Kunst konzeptualistischer Provenienz das Problem, dass ihre Praktiken als Kunst weder erkannt noch anerkannt werden und ihre Arbeit keinen gewöhnlichen Käufer findet. Die »erhebliche Definitionsmacht des Marktes über den Kunstbegriff« und eine künstlerische Orientierung, bei der spätestens seit den 1990er Jahren eine »Dominanz der ökonomischen Leidenschaft im [...] Interesse-Komplex« zu beobachten ist, wie der Insider weiß, zeitigt indes nicht nur entsprechende psychische Folgen der Zerrissenheit zwischen Anspruch und Wirklichkeit. Im Resultat macht sich »Traurigkeit« breit, Reaktion auf die Einsicht in einen kaum noch zu sprengenden Zirkel von Produktion, Kritik und Verwertung. Die Nuancen des Verstehens zeigen sich auch in diesem Fall nicht allein als Bedeutungen aus Argumentation und Schluss, sondern gleichfalls als Einsicht aus (erfolgreicher oder scheiternder) Handlungs- und Gestaltungspraxis, aus empfindungsgeleiteter Sinngebung.248 Die schwerwiegenden Konsequenzen wirtschaftlicher Natur, die sich für eine freie kritische Kunst ergeben, die nicht bereit ist, sich dem »Wertesystem unterzuordnen« und mit der Kapitalismuskritik die »Ablehnung des Marktes« verbindet, liegen ebenso auf der Hand. Bis dato hatten solche Bedingungen meist zur Folge, dass die unerkannte Kunst im gesellschaftlich ökonomisch definierten Kunstbetrieb unerkannt blieb und sich ›woanders‹, wenn auch in der Umgebung, ›als jemand anderes‹ zu schaffen machte. Tätigkeiten fanden sich außer in den anerkannten Kunst- und Kulturinstitutionen – Ausstellung, Museum, Theater etc. – in Lehr- und sozialen Berufen, in Journalismus und Wissenschaft, in Handwerk und Design.249 Allemal unter Berücksichtigung der »ökonomischen Leidenschaften« und des dazugehörigen Know-hows scheint der inszenierungsgesellschaftliche Konsens als Alternative die Reorganisation und Wiedereingliederung der zerstreuten kritischen Kunst von einst nahezulegen. Die Programmatik verbindet gewerkschaftliche mit unternehmerischen Ambitionen. Gedacht wird an die Gründung von »Interessensgemeinschaften«, wobei die angedachte Strategie allerdings deutlich macht, dass deren Mitglieder im Zweifel als konkurrierende Anbieter auf überschaubarem Markt auftreten. Miteinander vernetzt, sollten sich diese Gemeinschaften fürs Erste aber das Feld teilen, das insbesondere durch die Vernachlässigung der »künstlerischen Forschung« im offiziellen kommerziellen Kunstbetrieb verwaist liegt. Gerade die »aktuell wachsende künstlerische Wissensproduktion außerhalb des Kunstmarktes« – vorzufinden bei den ausgewanderten kreativen Kräften, ihren Kompetenzen und Ressourcen – ist es, die das Unternehmen erfolgversprechend erscheinen lässt. Es verwundert nicht, dass die aufgerufenen Aktionsfelder mit denen übereinstimmen, die sich als Kernfelder szenografisch gestalterischer Arbeit auftun und sich dezidiert als performing art, gleichwohl aber als wirtschaftlich attraktive Unternehmungen verstehen. Im Unterschied zu den klassischen, oft genug mit vorgefertigten Ausbildungsgängen und Berufsbildern verbundenen Betätigungsbereichen in Architektur und Innenarchitektur, Ausstellung, Museum (Kuratorenschaft), Management und öffentlicher Verwaltung oder in einschlägig bekannten künstlerischen Berufen – Theater und Schauspiel, Tanz und Choreographie, Dramaturgie, Regie, Bühnenbild, temporäre Architektur u.a.m. – verbinden sie die vielen Einsatzgebiete mit einem
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konzeptualistischen Gedanken und der dazugehörigen Vernetzung und Integration. Erfolgreiche Beispiele dafür gibt es seit Jahren. Der vordergründig gewerkschaftlich angehauchte Vorschlag zur Bildung von Interessengemeinschaften und Netzwerken läuft offensichtlich darauf hinaus, das Geschäftsfeld, das bisher eher von einzelnen Kreativen aufgestoßen wurde250, weiteren Kreisen von Abgewanderten zu öffnen und sich mittels Vernetzung und Kooperation der Erträge und Synergieeffekte der dort geleisteten »artistic research« zu versichern.251 Das Gesamtarrondissement erstreckt sich auf fünf Felder: 1. die »Ausstellungs- und Kunstmarktkunst«, konzipiert für »Großausstellungen und Großsammler«; 2. die »Performance-Kunst« im engeren Sinne »aller darstellerischen Aufführung«; 3. einen Bereich handwerklich und materialorientierter Kunst in einem »weiten Spektrum von Design-, Medien- und SkillsFixierungen bis hin zu Material- oder Medienfetischismus« [sic!]; 4. auf sozial engagierte Kunst, »die soziale Prozesse, Kollektivität und Selbstorganisation initiiert« (und in dieser Weise auch im Netzwerk selbst nützlich wirken kann); schließlich 5. auf »Diskurs-Kunst, die kunst-theoretisch oder -wissenschaftlich, experiment-, theorie-, recherche-basiert agiert.«252 3
circulating capital & die strategien der prekariarität
Die »virtuose kommunikative Tätigkeit« gehört also in der Tat zu einer »allgemein dienenden Arbeit«, doch nur am Rande, »koexistierend«. Wahrscheinlich liegt hier der Grund, warum sie einen Teil ihrer Produktivität schon in Verhandlungen um Zugangsrechte und Akquise verausgaben muss. Doch, die gröberen wie die feineren Unterschiede beiseite gelassen, wird man nicht ausschließen wollen, dass auch bisher bevorteilte Gesellschaften in the long run auf eine allgemeine Situation der Prekariarität zusteuern. Denn ursprünglich meint »prekär« ein jederzeit widerrufbares Gebrauchs- und Nutzungsrecht.253 Die Definition könnte gemünzt sein auf die generellen Bedingungen der Subsistenzarbeit im ausgehenden 20., beginnenden 21. Jahrhundert. Vielleicht wird es zunehmend unausweichlich, um individuell vermittelte Zugänge zu Arbeit und zum ›Markt‹ nachzusuchen, ähnlich wie im Mäzenatentum früherer Zeiten auf persönliche Kontaktpflege und Empfehlung zu setzen, da selbst offenstehende Türen nicht mehr auch den Weg zum Erfolg in Aussicht stellen. Die ökonomische Theorie, die der Verschiebung zu breit gefächertem Engagement und Auftritt auch wirtschaftlich zur Legitimation dienen soll, beruft sich auf eine grundlegende Verschiebung gesellschaftlicher Produktivität von einem Begriff wertschaffender Arbeit mit Produktionspriorität hin zu einem Verständnis von Wertschaffung nicht nur mittels, sondern auch durch die und in der Zirkulation. Allerdings bezieht sie sich nicht wirklich auf das »circulating capital«.254 Gemeint ist vielmehr der Zirkulations- als Verteilungssektor. Der Diversifikationsnotwendigkeit im Angebot korrespondiert daher die Notwendigkeit, die kleiner werdenden Erfolgs- und Ertragsaussichten mit den Konzepten für ein zeitgemäßes ökonomisches Handeln in Einklang zu bringen. Charing Economy heißt das derzeit aktuelle Stichwort. Den Ambivalenzen des Wirtschaftens auf Basis einer »Ökonomie des Teilens« entspricht die Zweischneidigkeit der Prekariaritäts-Strategien.255 Beides hat Auswirkungen, die einerseits mit der Verkennung der Verhältnisse einhergehen, andererseits aber auch in direkter Konsequenz mit der Dissimulation und Positivierung der Verkennung durch Inszenierungshandeln zu tun haben.
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›Performing art‹, ›performing scenography‹ 1. Ökonomische Verwertung & Theorie (Marx)
Die Idee findet sich kritisiert seit Marxens Grundrissen. Sie hält fest an bestimmten positiven Vorstellungen intellektueller und kommunikativer Freiheiten auf dem fortgeschrittensten Niveau der Herausbildung maschinell wie informatisch automatisierter, großtechnisch industriell vernetzter Produktion und der davon bestimmten gesellschaftlichen Verhältnisse. Da die Produktproduktion an Maschinensysteme delegiert worden sei, so die Argumentation, begönnen die »Leistungen der lebendigen Arbeit immer mehr virtuos-sprachlichen Tätigkeiten [zu] ähneln«.256 Zumindest ist die Aussage äußerst missverständlich. »Lebendige Arbeit« nämlich spielt bei zunehmender Herrschaft von Maschinensystemen über die Produktion der ökonomisch gesellschaftlichen Verhältnisse eine zunehmend geringere Rolle, ganz so wie »die Nichtarbeit der Wenigen für die Entwicklung der allgemeinen Mächte des menschlichen Kopfes«.257 Marx macht gerade das Verschwinden der Arbeit im Zuge der Explosion kapitalistischer Produktivität geltend. »Durch seine Verwandlung in einen Automaten tritt das Arbeitsmittel während des Arbeitsprozesses selbst dem Arbeiter als Kapital gegenüber, als tote Arbeit, welche die lebendige Arbeitskraft beherrscht und aussaugt.« In der großen Industrie vollendet sich darum die Scheidung der »geistigen Potenzen des Produktionsprozesses« von ihrer Inkarnation durch Überantwortung, die »Verwandlung derselben an die Mächte des Kapitals«, die auf Maschinensysteme setzen. Als solche erscheinen sie nun, durchaus einst aus lebendiger Arbeit hervorgegangen, zusammen mit dem Erfindergeist als Geist in der Maschine. »Das Detailgeschick des individuellen, entleerten Maschinenarbeiters verschwindet als ein winzig Nebending vor der Wissenschaft, den ungeheuren Naturkräften[,] und der gesellschaftlichen Massenarbeit, die im Maschinensystem verkörpert sind«.258 »Lebendige Arbeit« wird zu einer Funktion des »automatischen Systems der Maschinerie«, »in Bewegung gesetzt durch einen Automaten, bewegende Kraft, die sich selbst bewegt; bestehend [...] aus zahlreichen mechanischen und intellektuellen Organen, so daß die Arbeiter nur als bewußte Glieder desselben bestimmt sind.« Als Arbeitsmittel hat die Maschine keinerlei Beziehung mehr zum Einzelnen davon Abhängigen – was diese bei genügender Distanz als User zu neutralisieren ermöglicht. Die Besonderheit der Maschine liegt darin, dass sie nicht von der »Virtuosität des Arbeiters« abhängt – wie gleichsam organverlängernde Werkzeuge und Instrumente. Vielmehr ist es die automatisierte »Maschine, die für den Arbeiter Geschick und Kraft besitzt«. Sie »ist selbst der Virtuose, der eine eigene Seele besitzt«.259 Auf diesem Niveau hat der Produktionsprozess »aufgehört, Arbeitsprozess in dem Sinn zu sein, daß die Arbeit als die ihn beherrschende Einheit über ihn übergriffe.« Sie selbst erscheint »zerstreut, subsumiert unter den Gesamtprozeß der Maschinerie selbst, selbst nur ein Glied des Systems, dessen Einheit nicht in den lebendigen Arbeitern, sondern der lebendigen (aktiven) Maschinerie existiert«. Hier nun findet sich also der general intellect. Betrachtet man unter diesen Gesichtspunkten die Strategie der Wissensappropriation, deren kriteriale Optionen davon bestimmt sind, zu einem Inszenierungseffekt der Präsentation heterogenster inhaltlicher, medialer wie gestalterisch funktionaler Versatzstücke beizutragen, erweisen sich auch die kritisch reflexiven Ambitionen als Inszenierung auf dem Boden informationeller technischer Maschineneffekte. Das Wissen wird behandelt wie Wissen von einer Maschine respektive ihren agencies: differenzlos, gleichgültig gegen die Spezifik eines Diskurses oder die Verpflichtung, zu diesem oder jenem beizutragen – abgesehen von der Sorge für Warenkonfektionierung
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und Preisgestaltung. »Das Wissen erscheint in der Maschinerie als fremdes außer ihm; und die lebendige Arbeit subsumiert unter die selbständig wirkende vergegenständlichte. Der Arbeiter erscheint als überflüssig, soweit nur seine Aktion nicht bedingt ist durch die Bedürfnisse [des Kapitals].« Die Diversifikation des prätendierten performing ist bisher womöglich nicht hinreichend ökonomisch analysiert, die damit geleistete Arbeit mithin als bestenfalls marginal, wenn nicht überflüssig beurteilt worden. Offenbar artikulieren sich Interessen, dies zu ändern. Die Wahrscheinlichkeit, dass die große Kulturverwertungsindustrie à la Google oder Amazon die Nachfrage auf diesem Feld selbstständig anfeuerte, dürfte gering sein, abgesehen von der automatischen Aneignung und Verwertung gelieferter Daten im Prozess fremder Veröffentlichung. Den Renditeerwartungen der ›Produzenten‹, auch sie Künstler ohne Werk, aber mit Ersatzwerk, dürfte das kaum genügen. So kommt ihnen vielleicht entgegen, dass das capital circulant die »kleine Zirkulation« sehr wohl zu berücksichtigen weiß. Auch hier leuchten die Erklärungen Marxens ein: »Es erscheint nun als Eigenschaft des Capital circulant das Erhalten der Arbeit in einem Produktionszweig durch co-existing labour in einem andren. In der kleinen Zirkulation avanciert das Kapital dem Arbeiter das Salair, das dieser austauscht gegen zu seiner Konsumtion nötige Produkte. Das von ihm erhaltne Geld hat nur diese Macht, weil gleichzeitig neben ihm gearbeitet wird; und nur weil das Kapital sich seine Arbeit angeeignet, kann es ihm im Geld Anweisung auf fremde Arbeit geben. Dieser Austausch der eignen Arbeit mit der fremden erscheint hier nicht durch die gleichzeitige Koexistenz der Arbeit der andren vermittelt und bedingt, sondern durch die Avance, die das Kapital macht. Es erscheint als Eigenschaft des Teils des circulating capital, der an den Arbeiter abgetreten wird, und des circulating capital überhaupt, daß der Arbeiter während der Produktion den zu seiner Konsumtion nötigen Stoffwechsel vornehmen kann. Es erscheint nicht als Stoffwechsel der gleichzeitigen Arbeitskräfte, sondern als Stoffwechsel des Kapitals; dessen, daß circulating capital existiert.«260 ›Knowing who is the gatekeeper‹
Römers Plädoyer für eine »de-konzeptuelle Kunstpraxis als künstlerische Epistemologie« im Verbund mit »Lektürepolitik zwischen Kunst, Aneignung und Literatur – Conceptual writing«261 – hält diesen Aspekt für so wichtig, dass es ihn als ein bedeutendes Moment des künstlerischen Wissens selbst herausstellt. Ausgangspunkt ist zweifellos eine prekäre Situation. Um eine bestimmte »Denkperformance« in Szene setzen zu können, müssen Entscheidungen getroffen werden, die zu treffen nicht (mehr) per se in der Macht derer stehen, die sie gerne treffen würden. Deshalb, so Römer, gehöre zum »Macht-/ Wissens-Komplex [...]: das Kennen der relevanten Personen – der Macht –, die eine Entscheidung zur Publikation der entsprechenden Arbeit treffen können«. Erst damit könne die notwendige »Veröffentlichung [sic!] eines Kunstwerks [...] ermöglicht und bewertet werden«. Zu fragen, »im Konfliktfeld der Interessen« einerseits, »in Relation zu dem kulturellen oder sozialen Wissen« andererseits, sei deshalb immer, »wer der adäquate Ansprechpartner ist – etwa als Kurator_in, Herausgeber_in oder Galerist_ in« [!]. Die Akquise solle im Rahmen der »spezifisch künstlerischen Wissenspraktik« zu einem Geschäft sozialen Unterhandelns geraten, heißt der Auftrag. Indes erfährt man wenig zum sozialen Kontext der Kommunikation über die Verhandlung mit den gatekeepern nach oben hinaus. Verhandelt wird dort ohnehin nicht der Preis der anzubietenden Ware, sondern allererst die Zulassung zum Markt. Ob und wie viel
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gezahlt wird, wenn das Engagement zustande kommt, ist weiteren Verhandlungen vorbehalten. Man ist erinnert an die Praktikantenökonomie. Auch hier besteht der Wert im Kontakt, der Hoffnung auf späteren Profit aus der Investition. Deshalb gilt individuelles »›Knowing who is who‹, ein ›Knowing who is interesting and important‹ und vor allem ein ›Knowing who ist he gatekeeper‹ in dem entsprechenden institutionellen Feld« als unverzichtbar. Die Notwendigkeit, sich eines Zugangs zu versichern, ist absolut: »Ohne diesen Akteur [scil. den »Gatekeeper« – HW] wird es kein Kunstwerk geben.«262 Dabei ist nicht gleichgültig, welcher ›Dimension‹ das verfügbare ›Werk‹ angehört, ob es in ›materialisierter‹ oder ›entmaterialisierter‹ Form angeboten werden kann. Denn einmaliger Verkauf eines ›Objekts‹ mag wohl ein konkretes gebrauchswertinteressiertes Bedürfnis befriedigen, stiftet aber keine dauerhafte Kapitalisierung der kulturellen Dienstleistung. Deshalb ist die power des gatekeepers von Bedeutung, nicht als Konsument oder Nutzer, sondern als Unternehmenspartner, der entscheidungsbefugt ist über den »access« zur möglichen Verpflichtung von ›Leiharbeit‹.263 Die Konstruktion ›in Lizenz via Agentur‹ entspricht der Bedürfnislage beim Mitspieler oder Partner on demand, die auf elektronischen Kanälen unmittelbar anzusprechen eine zusätzlich Option darstellt. Es wird mithin keineswegs »gesellschaftlich« ausgehandelt, ob man auf Anbieterseite produktiv werden darf oder die eigene Investition als unaufgefordert geliefertes editorisches Angebot von Nutzerseite womöglich unbezahlt bleiben muss. Wenn man absieht von der Forderung nach Gründung von »Interessengemeinschaften«, wird über die Unterhandlungen auf sozialer Ebene, Gleiche unter Gleichen, nicht viel gesagt: weder ob die Verhandlungen im Rahmen des Kollektivs aus Künstlerschaft und Adressaten beziehungsweise Partnern schon vor jedem ›vertikalen Engagement‹ sinnvoll erscheinen könnten – um etwa zu beraten, welche faits accomplis überhaupt zustimmungsgeeignet sein könnten – noch ob das Aushandeln von Konditionen und Inhalten nicht spätestens nach Regelung der Zugangsbedingungen als kollektive Aufgabe zu verstehen sein sollte.264 Einzelne Erfahrungen wären mithin zu erkunden. Schlimmstenfalls steht zu befürchten, dass es nach geglückter Türöffnung, wenn der individuelle access vereinbart wurde, zu keiner sozialen, erst recht keiner politischen Verhandlung mehr kommt. Dies führt zurück auf die Überlegungen zur Nützlichkeit der Lektüre bei Roland Barthes. Nützlichkeit gilt ihm als Funktion bedeutungsrelativer Sinnproduktion. Ihr untersteht und gilt die Lektüre, die darum sowohl die Selektion als auch die Kommunikation fordert. Dem, was »Inhalt« heißt, kommt dabei zu, die narrativen wie die »eigentlich semantische[n] Kodes«, die »kulturellen Kodes« wie den »hermeneutischen Kode« und die Logik des »symbolische[n] Feld[s]« zu verbinden.265 Verwandelt in bloßen Tauschwert, allerdings, wird die Besonderheit der angeeigneten Lektüre ebenso gleichgültig wie die jeder Re-Lektüre, die sich anbietet zu öffentlicher Darbietung und weiterer ›Mangel‹. Die beschriebenen Effekte ›performender‹ Inszenierung werden offenbar schon in einer konzeptuell theoretischen Szenografie modelliert, nicht erst im Setting der Performance. Konzeptueller wie gestalterischer Entwurf kaprizieren sich dabei nicht mehr auf eine »Kunst« in herkömmlichem Verständnis. – In dieser Umwertung im Übrigen findet sich die Begründung dafür, solcher Tätigkeit auch in einem nominell »künstlerischen« Bereich ausdrücklich den Status einer »un-kreative[n] Aneignung« zuzuerkennen. Spätestens wenn der Auftritt im begleitenden »Essay« zur Veröffentlichungspolitik dann »doch eine kreative Selbstdefinition« erfährt und eine Signatur erhält, gibt sich die Inszenierung demnach zu erkennen.266
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Auf welche Formen der Aneignung, des Neuschreibens, der Nutzung existierender kultureller Leistungen grundsätzlich gezielt wird, welche Grundsätze der Lektürepolitik des conceptual writing zugrunde liegen, ist nicht a priori entschieden. Ob die Aneignung Kopie und Patchwork befördert, die aus Marktgründen dann doch durch Signatur personal geadelt zu werden verdienen, oder »das Bedürfnis nach einem kulturellen Kollektivismus, nach einer Vergemeinschaftung der Ressourcen« obsiegt – wie es eine Weile auch die Praktiken der Internetkultur zu unterstützen schienen –, ist dem Schlagwort von der »Appropriation« nicht zu entnehmen. Die Alternative öffnet sich zwischen einer »zynische[n] Ästhetik, für die Plünderung das Leitwort wäre«, und einer »Kunst allgemeiner Übersetzung, der Form des Umherschweifens, einer Ethik der Prekarität [!] und einer heterochronen Sicht der Geschichte« – wenn man denn die Symptomatik einer »allgemein verbreiteten Amnesie, die sich [auch – HW] auf die Geschichte der Kunst ausweitet«, eher zu den Verstellungen durch die »ökonomischen Leidenschaften« schlagen denn als eigenständige Strategie würdigen möchte.267 Die praktisch sozialen und politischen Möglichkeiten aus prekären Lebenslagen geborener ethischer Orientierung haben ihre Grenzen, nötigen in ihrer Dürftigkeit oft genug zur ersatzweisen Inszenierung ökonomischer Krisenzustände als sittlich moralischem Schauspiel. ›Performing scenography‹ 2: Erwerbsarbeit & Widerstand.
Die Frage, ob Arbeit auch aufgrund »virtuoser« sprachlicher, schriftstellerischer und schauspielerischer Kommunikationsfähigkeiten Mehrwert zu schaffen vermag, muss demnach bejaht werden. Voraussetzung ist, dass sie die Dienstleistung »in der Kombination menschlicher Tätigkeiten und der Entwicklung des menschlichen Verkehrs« oder die Kapitalzirkulation dort durch Unternehmerschaft vorantreibt. Sollte die »kommunikative Performativität der produktiven Arbeit« einer »kommunikativen Produktion« gleichkommen, die in Verhältnissen, in denen die »gesamte Erwerbsarbeit etwas vom ›ausführenden Künstler‹ hat«268, »Erwerbsarbeit« heißen kann, ist Performance-Kunst per definitionem Erwerbsarbeit. Arbeitsverhältnisse in der Gastronomie »als Kellner oder als Pianist« gegenüber der Berufsausübung eines performing artist disqualifizieren zu wollen versteht sich aus der Logik unternehmerischer Verwertung, der die qualitativen Unterschiede ihrer Profitquellen egal sind269, nicht. Es sei denn, es ist der Unternehmer selbst, der an seine ›Erwerbsarbeit‹ denkt. Soweit jedenfalls kein zahlungskräftiges Bedürfnis für die neuartigen Bühnen-Leistungen aufzukommen bereit ist, dürften die Dinge eher umgekehrt beurteilt werden. Sie dürften dann eher den Verhältnissen vergleichbar sein, in denen, wie bei vielen Intellektuellen, ein Brotberuf dafür Sorge tragen muss, dass die Produkte wissenschaftlicher oder künstlerischer Arbeit aus eigener Tasche bezahlt, hergeschenkt und verschwendet werden, zumindest von den Produzenten. Erst, wenn die Arbeit sich bereitfindet, als Ware und Tauschwert, im Medium eines abstrakten Äquivalentausdrucks und derart als geldwert einen Käufer zu suchen, der sie nicht einfach nur konsumiert, sondern in die Kapitalzirkulation einschleust, geht die Arbeit ein gesellschaftliches Verhältnis ein. Nur so kann sie auch der Rolle als »prozessierender Tauschwert«270 gerecht werden, wie wünschenswert auf dem Niveau kulturindustrieller Produktion, in Kunst-, Unterhaltungs- und Medienbetrieb. Kapital, umgekehrt, das seinerseits Interesse an einer dauerhaften Akkumulation mittels Investition in die Aneignung dieser Art von Arbeitskraft haben könnte, lässt sich nur von einem Tauschwert animieren, der eine »produktive Konsumtion« zu bedienen in der Lage ist.271 Dass die Lektüre, die sich nicht mehr in der Abgeschlossenheit einer insgesamt unlebendigen Szene des Leiselesens abspielt,
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sondern, durchlauferhitzt durch den Transkriptions-, Inszenierungs- und Präsentationsvorgang mittels medial gesteuerter Information und Informierung, produktiv gestaltet werden und ihren Käufer finden kann, ist nicht zu bezweifeln. Die Konsequenzen sind in der Tat ›dekonzeptualisierend‹, indes im politischen Sinne einer angestachelten ökonomischen Leidenschaft. Vielleicht ist deshalb nicht die Erwartung, sich erfolgreich in den Markt einschleusen zu können, unrealistisch. Eher dürften es die Erwartungen an die Preisgestaltung im Einzelfall sein. Außerdem scheint auf die Unternehmerseite zu setzen auch hier erfolgversprechender als auf eine flottierende Dienstleistung als freelancer. Doch beide ›Berufsbilder‹ wachsen mehr und mehr zusammen, werden vielleicht kaum noch zu unterscheiden sein. So oder so – und so gering der Ertrag sein mag –, die Initiative scheint geeignet, der Steigerung des relativen Mehrwerts der verallgemeinerten Kultur- und Medienbranchen doch noch andere als nur die bisher bekannten Ressourcen aufzutun.272 Im Zweifelsfall bleibt der Beitrag for free zur Aneignung durch andere.
Krise des Tauschwerts, Vernichtung der Arbeit Mit Die Krise des Tauschwerts veröffentlichte Robert Kurz schon Mitte der 1980er Jahre, zu Zeiten der ersten Konjunktur weltweiter Verbreitung von Rechnern für die private Nutzung, ein Dossier zu den Konsequenzen der »mikroelektronischen Revolution«.273 Kurz machte geltend, dass die Konvergenz von naturwissenschaftlicher Technologie, Arbeits- und Organisationswissenschaft in der Mikroelektronik »eine grundsätzlich neue Stufe in der Umwälzung des stofflichen Arbeitsprozesses« zur Folge haben werde. Nicht nur in der unmittelbaren Produktion der Mikroelektronik und den Anwendungen der Computerwissenschaften im engeren Sinne werde die lebendige Arbeit zunehmend ersetzbar. Vielmehr, so Kurz, nehme die Entwicklung, von hier ausgehend, »erstmals auf breiter Front und quer durch alle Produktionszweige hindurch, selbst die unproduktiven Bereiche erfassend«, ihren Lauf. Kurz verstand, dass der Prozess gerade erst begonnen hatte. Neue Produktionszweige, die geschaffen würden auf dem Gebiet der elektronischen Kommunikations- und Informationsindustrie selbst – oder auch in der Gentechnologie, wie Kurz vermutete –, seien hinsichtlich der lebendigen Arbeit von vornherein wenig arbeitsintensiv angelegt. Kurz prognostizierte, dass »die bisherige historische Kompensation für die im relativen Mehrwert angelegte absolute immanente Schranke der kapitalistischen Produktionsweise« damit an eine Grenze gelangt sei. »Die massenhafte Eliminierung lebendiger Produktionsarbeit als Quelle der Wertschöpfung kann nicht mehr durch neu in die Massenproduktion tretende ›verwohlfeilerte‹ Produkte aufgefangen werden, weil diese Massenproduktion nicht mehr durch ein Wiedereinsaugen vorher und anderswo ›überflüssig gemachter‹ Arbeitsbevölkerung in die Produktion vermittelt ist.« Unmittelbare Produktionsarbeit durch Verwissenschaftlichung nicht nur überflüssig zu machen, sondern durch weitere »Kapitalisierungsprozesse bzw. Schaffung neuer Produktionszweige« dennoch ins Gleichgewicht zu bringen sei auf diesem Niveau kaum noch möglich. Künftig, so die damalige Analyse, werde »mehr Arbeit eliminiert als absorbiert werden« können.274 Dass die Effekte der Prozessinnovationen die der Produktinnovationen ausstechen, gehört zum Befund der globalen ökonomischen Entwicklung der Gegenwart. Dass dies in den hyperkapitalistischen Zentren Europas, Amerikas und Asiens beschleunigt und auf einem höheren Niveau geschieht als in den Peripherie, wohin
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die lebendige Arbeit, soweit notwendig, ausgelagert wird, ebenfalls. Indes betrifft die Aussage die Entwicklung von neuen Produkten. Davon wird es Hundertausende in den letzten 30 Jahren gegeben haben. Dass für deren Entwicklung und Herstellung in relevantem Umfang große Quanten lebendiger Arbeit erforderlich gewesen wären, hörte man nicht. Rifkin zitierte seine Quellen zu Beginn des Jahrtausends mit dem Statement, dass 77% aller Arbeitskräfte in den USA in den Dienstleistungsindustrien beschäftigt seien und damit 75% der US-amerikanischen Wertschöpfung besorgten. Für 2010 lautete die Prognose auf einen Anstieg der Dienstleistungsproduktivität auf 90% bei entsprechend gesteigerter Wertschöpfung.275 Doch besagt dies wenig für die kulturelle Produktion im Kontext der neuen Technologien und ihren Anteil an der wirtschaftlichen Produktivität. Sektoriale Abgrenzungen, die statistisch spezifisch zu nutzen wären, sind mir nicht bekannt. Dennoch – und obwohl sie nicht aktuell sind –, einige Zahlen im Umfeld der relevanten Dienstleistungen dort, vor allem zur Veranschaulichung der Größenordnungen. Für die Bundesrepublik gibt die Statistik (2010) die Produktivität der Dienstleitungsökonomie für 2009 mit 73% an bei 72,6% Wertschöpfungsanteil, was einem Platz im Mittelfeld aller OECD-Länder gleichkam.276 Der Wachstumsvorsprung in den USA betrug damit ca. neun bis zehn Jahre. Dienstleistungen der Informations- und Kommunikationstechnologie (IKT) erbrachten 2007 in Deutschland nur 1,6 Prozent aller Erwerbstätigen. Ihre Produktivität entsprach aber nicht wie sonst in der Dienstleistung etwa demselben Anteil wie dem der an der Erwerbsarbeit, sondern lag doppelt so hoch; 1,6% Erwerbstätige erwirtschafteten 3,1 Prozent der Gesamtwertschöpfung. »Zwischen 2001 und 2007 war der Anstieg der Erwerbstätigkeit im IKT Dienstleistungssektor mit annähernd 13 Prozent höher als bei den wissensintensiven Unternehmensdienstleistungen und wesentlich höher als in der Gesamtwirtschaft«, das, obwohl Deutschland in diesem Sektor im Vergleich zu Ländern wie Schweden oder den USA deutlich zurücklag. In den sogenannten KIBS-Sektoren – »Knowledge-Intensive Business Services, Wissensintensiven Unternehmensdienstleistungen« – lagen die Personalaufwendungen im Bereich Forschung und Entwicklung in den Abteilungen »Rechts-, Wirtschafts- und Sozialwissenschaften, Sprach-, Kultur- und Kunstwissenschaften« am höchsten im Verhältnis zu den Sachaufwendungen (67% / 33%), wohlgemerkt bei den erfassten Erwerbstätigen und in Unterscheidung dreier Sektoren.277 Im Bereich Architektur lagen sie deutlich darunter (41% / 59%), gleichauf mit den Software-Entwicklern; am niedrigsten lag das Verhältnis von Personal- zu Sachausgaben im Kommunikationsdesign (25% / 75%) und damit auf demselben Stand wie bei den Hardwarehäusern.278 Im Ländervergleich der Wertschöpfungsanteile der KIBS-Sektoren rangierte Deutschland (nach OECD- und für die USA NAICS-Quellen) vor der Finanzkrise, 2007, mit 5,9% auf Platz 5 nach Großbritannien (10,72%), den USA (7,3%), Frankreich (7,1%) und Belgien mit 6,65%.279 Nach einer Neuabgrenzung der einzelnen Sektoren (ab 2008) fanden sich 0,14% der Beschäftigten in der IKB-Dienstleistung in der Gruppe »Sonstige freiberufliche, wissenschaftliche und technischen Tätigkeiten« gegenüber 10,29% in der Informationsdienstleistung, 1,46% in Architektur- und Ingenieurbüros usw., 0,63,% in Forschung und Entwicklung und 0,45% in der Werbung«.280 Das Fazit des Zentrums für europäische Wirtschaftsforschung (ZEW), Mannheim, für den IKT-Sektor insgesamt 2010 lautet: »Die Erwerbstätigkeit, die Wertschöpfung sowie die Anzahl der Unternehmen haben außerordentlich stark zugenommen, wobei die Anzahl der Unternehmen zwischen den Jahren 2001 und 2007 um näherungsweise 50 Prozent angestiegen ist«, die höchste Quote innerhalb des KIBS-Bereichs..
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Lektüre & Re-Lektüre: Konzeptualisierung als telematisch operationale Praxis Der Blick auf den ökonomischen Hintergrund dienstleistender Erwerbsarbeit im Performance-Geschäft findet den gemeinsamen Nenner avantgardistischer und statistisch relevanter Kultur- und Medienarbeit dort, wo die Szenografie szenischer Präsenz im überschaubaren Raum zwischenmenschlicher Begegnung überschritten und ersetzt wird durch rechnergestützten Datenverkehr und Datenaustausch. Dies betrifft nicht allein die Orientierung von Performer und Performance auf Screen oder Display (»Veröffentlichung«), sondern ebenfalls die szenografische Konzept- und Entwurfsarbeit (»Lektüre«/»Re-Lektüre«/»Konzeptualisierung«) als telematisch operationale Praxis, trägt sie doch vergleichsweise mehr zur Präsentation bei als Textbuch oder Partitur zum Auftritt des klassischen Schauspielers oder Musikers. Betrachtet man das ›Unternehmen Inszenierung‹ in dieser Perspektive informationell, wird deutlich, dass den performatorischen Ambitionen hier kaum andere Chancen zu Gebote stehen als bestenfalls die eines ›koexistierenden‹ Geschäftszweigs. Die selbstständige Verfügung über alle notwendigen Arbeitsmittel – Ideal der Arendt´schen »kreativen Werktätigkeit«, »Base jeder Kunst« (Goethe) – weicht wie bei allen Usern gestaffelten Nutzerrechten auf ihren temporären Gebrauch. Zwar differieren die Möglichkeiten der Nutzung gemäß eingeräumten beziehungsweise gekauften Zugangsrechten. Doch erlaubt der sozial exklusive Zugang zum Zugang, der dem ›Intellektuellen‹ oder ›Gebildeten‹ die Tür zum Türöffner aufmacht, in der Regel nicht den freien Zugang auch zur Information, sondern nur den zu einer Bühne und einem möglichen Engagement im Ensemble. Für Stoff und Gestaltung muss der Performer selber sorgen. Was diesbezüglich seine ›Lektüre‹ betrifft, befindet er sich kaum in einer privilegierteren Lage als der gewöhnliche Internetnutzer; es sei denn Vermögen oder Einkommen machten ihm die Beauftragung einschlägiger Bezahldienste möglich. Dies vorausgesetzt, erhellt eine zunehmende Nivellierung der Quellenlage für all diejenigen, die über offenstehende Portale Zugang suchen. Ebenfalls bedeutet es die Nivellierung der Quellen selbst, werden sie doch alle gleichermaßen enteignet (siehe zum Beispiel Books-google, Google images, Youtube), alle jeder Suche gleichermaßen angeboten, gemäß derselben logarithmischen Präferenz. An beiden Prozessen beteiligt sich die lektürebeflissene Recherche. Sowohl bei solcher Appropriationstour als auch dann, wenn sie zu bündigen Ergebnissen der Wiederaufbereitung gelangt ist, selbst zum ›Schreiben‹ kommt, entrichtet sie ihre Daten- und Informationsabgabe. Ware noch ohne Valuta zunächst, erscheint sie in Währung spätestens im kaufbaren Angebot, sei es in einem bescheidenen eigenen Geschäft, sei es in einem ungeheuer viel größeren fremden. Dessen Spezialisierung indes beruht nicht vordringlich darin, der Besonderheit einer übermittelten Programmierung und Formatierung zum Auftritt zu verhelfen – abgesehen von medien- und genrespezifischen Segmenten wie den genannten frei zugänglichen oder vergleichbaren, aber kostenpflichtigen (Kindle eBooks; iTunes, Watchever etc.). Der inventive Schwerpunkt, das große Geschäft liegt vielmehr bei der Datenvernetzung, entweder um damit nicht verfügbare oder ganz neue, auf jeden Fall nicht zum Verkauf stehende Informationen zu gewinnen oder aber um abgesaugte Rohdaten unmittelbar zu vergleichbarer Weiterverarbeitung anzubieten. Bildlich gesprochen, verhalten sich Programme (in Programmiersprache geschriebene Algorithmen) und Daten (alles, was »Information« ist) »wie Raubtier und Beute«.281 Das Programmiervorhaben stürzt sich auf die Information, um sie sich einzuverleiben. Die Frage also ist, wer ist der Dompteur, wer bändigt die Programmierung und zähmt die Gier.
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exodus in die nähe. raumstrategie, ethik des exils & ethik des widerstands
Bedenkt man Bourdieus Aussage zur Adressierung der künstlerischen und Kulturproduktion »von Produzenten für Produzenten«, lassen sich Aussage und Schlussfolgerung nicht mehr so einfach wie für die Kulturproduktion des Fin de siècle auf einen engeren Bereich künstlerischer Avantgarde und ihrer Klientel begrenzen. Die Beurteilung von Machteffekten im strategischen Spiel kultureller Einflussnahme litt und leidet noch heute, so Bourdieu, unter Verzerrungen, soweit sie den unproportional vergrößernden Portraits solcher Kunst im Diskurs von Kulturbetrieb und Kulturwissenschaften aufsitzt. Die konfektionierte Ware von Kultur-, Unterhaltungs- und Medienindustrie, die demgegenüber das Massenpublikum versorgt hat – und versorgt –, muss deshalb weit wirkmächtiger eingeschätzt werden.
Kulturproduktion für Kulturproduzenten Auch für die zuletzt thematisierte Strömung der zeitgenössisch ›konzeptualistischen‹ Kunstproduktion wird man einräumen, dass es sich – mutatis mutandis – um Kunst für Kunstproduzenten handelt. Vielleicht wird man sogar geneigt sein, die von dort ausgehenden Impulse als eher elitär zu beurteilen, jedenfalls als wenig massenwirksam, selbst nicht im etablierten Ausstellungs- und Museumsbetrieb. Aber das bedeutet nicht, dass das Kulturgeschäft mit dem großen Publikum sich nicht ebenfalls – und beschleunigt – zu einer Kulturproduktion für Kulturproduzenten wandelt und dass gerade die neokonzeptualistische Kunstauffassung einer performing art die Nähe moderner künstlerischer und medial technischer Kulturproduktion sehen lässt, jedenfalls was Produktionsmittel und Kommunikationsformen angeht. Für die installative zeitgenössische Expositionskunst gilt die Produzentenorientierung weit eingeschränkter. Ich denke an die Installationskunst von Künstlerinnen und Künstlern wie Robert Wilson, Christian Boltanski oder Ilya und Emilia Kabakov, Tadashi Kawamata oder Katrin Sigurdardottir, auch an die aktuellen installativ orientierten Konzeptualisierungen und Präsentationsvorstellungen, die sich mit dezidiertem Bezug zum Beuys´schen Plastik-Begriff282 mit der ›Skulpturierung‹ im urbanen Raum beschäftigen, gewissermaßen architekturnah agieren. Beispielhaft sei hier Matthews Barney genannt, dessen Arbeiten an die Sigurdardottirs erinnern, oder Pierre Huyghe.283 Die installative Präsentation sperrt sich gewissermaßen der elektronischen Kanalisierung, soweit sie ›realraumbezogen‹ auf Begegnung und Szene setzt, was nicht heißt, dass die Datenvernetzung medientechnisch ausgeschlossen sein müsste. Anschlüsse und Weiterverweisungen mittels Displays, Screens, überhaupt Datenanbindung machen nicht den Anspruch, reale Raumpräsenz zu ersetzen. Der Verweis an die Verbundenheit (everything is connected284) ist wirklichkeitsbezogene, durchaus soziale Aussage. Vergleichbares wie für die elektronische Medienanbindung gilt daher für die Botschaft, die symbolische Vermittlung und den Einsatz entsprechender Medien.285 Die Verbreitung diskursiver Bestandteile der künstlerischen Arbeit besitzt jedenfalls einen anderen Stellenwert wie in der neuesten performing art, muss nicht zwangsläufig auf Bildschirmarbeit und Computernetzwerk setzen und versteht sich in diesem Sinne ›handfester‹ als Intervention im Raum denn als ästhetische Virtualisierung. Überschlägig betrachtet, wird man die strategischen Spiele der Inszenierungskünste schlechthin immer unter massivem Einfluss des umgebenden Machtgefüges, dem Einfluss bestimmter Kapitalien und der Politik dieser Kapitalien stehend
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beurteilen müssen. Obwohl sich diese Abhängigkeiten in konkreten Maßnahmen und Effekten niederschlagen, nimmt nichtsdestotrotz die komplexe ökonomisch-politische Verfassung des umgebenden Gesellschaftssystems Einfluss, auch wenn sich jeder Niederschlag historisch und strukturell zeit- und ortsspezifisch ausformt. Im Blick auf die künstlerisch performende Avantgardekultur wird man ihre Wirkungen zwar relativieren, nicht allerdings in Hinsicht ihres Beispielcharakters für die sich ständig weiter öffnenden Möglichkeiten ›kreativer‹ Selbstverwirklichung und Selbstinszenierung breiter Bevölkerungskreise. Auch wenn sie die Reflexion und den Diskurs nicht vergleichbar bedienen, bedienen sie sich der ihnen an die Hand gegebenen technischen und medialen Gestaltungsmittel in ganz ähnlicher Weise und bescheren Umsätze, wo niemand sie zu erwarten gewagt hätte. Nietzsches frühe Vision eines schaffenden Kulturvolkes, eines Klanginstruments, das damals noch der ingeniöse Gesamtkünstler zeitgemäß stimmen sollte, findet derart in ihrer modernen Fassung eine überraschende Bestätigung. Auch die zeitgenössische Fassung ist medienvermittelt, dazu marktgerecht und technikadäquat, durchaus wissensbasiert. Beuys hat früh schon ihre Losung proklamiert: »Jeder Mensch ist ein Künstler«. Doch, anders als von den »Achtundsechzigern« vielleicht erhofft, folgte die praktische Bestätigung keinem »Aufruf zur Alternative«. Der »Durchbruch in eine neue soziale Zukunft« ist auch derzeit nicht vorgesehen.286 Was die Konsequenzen für die Strategiediagramme der Szenografie betrifft, um die es zu tun war, verteilen sich die Alternativen. Die Beurteilungsmöglichkeiten der umgebenden Einflussfelder sind wichtig, haben aber ihre Grenzen. Das Wissen muss sich auch hier zusammentun mit praktischer Urteilskraft, die Lage einzuschätzen hinsichtlich realistischer Handlungs- und Gestaltungsziele. Zwar werden die Felddiagramme des Diskurses Einlösung nicht garantieren – wie auch, wenn das Tun noch in der Zukunft liegt? Doch sind sie dienlich, soweit sie eine mögliche, wenn nicht wahrscheinliche Anstrengung zu motivieren vermögen. Deshalb kann die Kunstfertigkeit, das Wissen des Taschenspielers nicht genug sein. Von den Volten der Manipulation unterscheidet Kant die Kunst, die der Seilkünstler beherrscht. Plant der Seilkünstler eine Vorstellung, wird er sich selbst als Gewicht in das Spiel der Kräfte einbringen. Was ihm die Kunst abfordert, versteht er selbst als Forderung, das Gleichgewicht zu halten; so plant er seinen Auftritt.287 Zwar muss der strategischen Aufstellung nicht zwingend ein Treffen auf dem Platz folgen. Aber, wie Aristoteles sagt, soll der Dichter ja mitteilen, was gemäß dem Wahrscheinlichen oder Notwendigen geschehen könnte, sodass, wer zuhört und zusieht, weiß, womit, wer ähnliches Schicksal erlebt, realistischerweise zu rechnen hat.288 Zu wissen, wie eine Schlacht unter gewissen Prämissen sinnvoll geführt werden könnte, wird die besten Argumente dafür liefern können, im Zweifelsfall davon abzusehen, abzuwarten oder gar sich zurückzuziehen. Zu wissen, wie gebaut wird, wird gut sein, um je nachdem begründet empfehlen zu können, warum es vielleicht besser wäre, es sein zu lassen, Gebautes womöglich abzureißen.289 Im Diskurs gilt auch das strategische Tableau zunächst der Ordnung des Diskurses, auch wenn jemand kommen könnte, um sich seiner als Entwurf zu versichern, um Topologie und Topografie zu instrumentalisieren. In der pragmatischen Kunst, die auf den gelingenden Vollzug des Alltags und seine Szenen setzt, wollen auch taktische Varianten, einzelne Spielzüge, sich zu verhalten, bedacht sein; wenn es denn überhaupt vorkommt, dass solche Simulation sich nicht überflüssig macht durch spontanes Handeln und Wissen. Doch geht es nicht nur um die Schlacht und ihren
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Ausgang, den Gewinn des Spiels, um Einsatz und Kosten. Es geht auch darum, dass das Spiel gefällt, sich hält, Risse verfugt werden, nicht alles zerfällt. Dieses Gelingen zu planen, dafür zu entwerfen ist nicht vergleichbar mit dem Ziel einer einmaligen, vorstellungsgebundenen Exposition, Exekution oder Präsentation, selbst in Ansehung wiederholter Aufführung. Trotzdem, Absichten und Vorhaben gesetzt, dürften externe Einflussvariablen nur soweit in Betracht gezogen werden, wie sie für ein überschaubar kommendes Spiel sich andeuten und indizieren lassen. Bemühen wir noch einmal den Sport zum Exempel. Wahrscheinlich werden die Finanzentscheidungen eines international erstklassigen Clubs sich auf die Möglichkeiten des Spielertransfers, auf Verkauf oder Ankauf auswirken, diese auf den existierenden Kader und die vorhandenen Alternativen, Positionen zu besetzen und Aufgaben erfüllen zu lassen. Die nächste Partie zu planen, die dafür geeigneten Medien zu bedienen, wird indes kaum bedeuten, jeweils eine gesonderte Kalkulation der wirtschaftlichen Entscheidungen des Vereins einzubringen und deren Auswirkungen auf Mannschaft und Spiel, Trainer, Zuschauer und andere Agenzien im Einzelnen berechnen zu wollen. Dass die Inszenierungsfrage sich auf Strategie und Taktik eines gesellschaftlichen Spiels bezieht, worin die Beziehungen von Künstlern, Kunst und Publikum eine bedeutsame Rolle spielen, liegt darin begründet, dass zu inszenieren und in Szene zu setzen nicht zuletzt ein künstlerisch gestalterisches Metier ist. Im Resultat gilt dies im Allgemeinen des Warentauschs wie im Besonderen einer realiter szenisch vorgestellten oder anvisierten Handlungssituation. Die Kartografie des ökonomischen Felds in Bourdieu´scher Manier würde, selbst wenn der Markt, der Dienstleistungssektor in Gestalt der Kulturarbeit in Kunst, Bildung und Wissenschaft etwa, nach Art einer scenografia feldikonisch zu vermessen wäre, so verfahren. Das Diagramm würde immer eine exemplarische Erhebung zur Darstellung bringen; die Feinen Unterschiede belegen es zu Genüge: Es erhellen bestimmte Verteilungen von bestimmten Einflussgrößen mit bestimmten Wirkungen in abgesteckten Grenzen und über einen definierten Zeitraum. Findet ›die Kunst‹ darin ihren Platz? Selbstverständlich. Die Verteilung der Kräfte im gesellschaftlichen Machtfeld zwischen den Polen, die Bourdieu als »Geld« und »Kunst« indiziert, lässt sich immer in der Art eines Inszenierungskoeffizienten anzeigen. Die Frage, nach welchen Gesetzen und in welcher Weise genau Kräfte und Effekte darin zur Darstellung gelangen, ob Zeichen oder Werte für variable oder konstante, anwachsende oder abnehmende Größen stehen, ob Kräfte sich stetig oder diskret verändern, Koinzidenzen eher summierend oder potenzierend, Differenzen subtrahierend oder radizierend prozessiert werden, alle diese technischen Betrachtungen werden je nach Erwartung und Aufgabenstellung eher mathematische Genauigkeit oder pragmatische Expertise herausfordern. Jeder Versuch einer umfassenden wissenschaftlichen Beschreibung indes wird auf das Problem des Maxwell´schen Dämons stoßen. Der pragmatisch szenisch ambitionierten Modellierung wird immer an der Überzeugungskraft gelegen sein, die sich auf die Bereitschaft zu engagiertem Mittun auswirkt, ob der Nachvollzug einer logischen Operation geplant ist oder das zivilgesellschaftliche Engagement in ökologischen Fragen, ob der Einsatz im Rahmen eines Sport- oder Kulturevents auf der Tagesordnung steht oder die moralische und ästhetische Gestaltung von Geschlechterverhältnissen. Schon deshalb stößt alle statistische Prognose und Vorstellung an ihre Grenzen. Die Inszenierung gefällt nur, wenn sie sich als wahrhaftig erweist, weil praktikabel und befriedigend für Leib und Seele. Dafür müssen sie Gelegenheit bekommen, Anteil zu nehmen, sich einzumischen und einzuwirken.
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Die ökonomischen Scheinwirkungen des Fetischismus unterstellt, wird ›unterhalb‹ der Feldmodellierung einer bestimmten politischen Architektur ein nach aller Erfahrung nicht mehr ›szenografisch‹ erfasstes Scheinverhältnis auftauchen, das ästhetisch auf die Realität hin orientiert oder auch als theoretisches oder wissenschaftliches Zutun zu solcher Szenografie zu identifizieren wäre. Die Produktionsverhältnisse der szenografischen Produktion sind ihr gewöhnlich kein Anlass, sie auch noch in Szene zu setzen oder überhaupt zu beleuchten. Das politische Aussehen der Scheinwirkung kommt in der besonderen Form konstitutionell repräsentativ demokratischer Volkssouveränität nach westlichem Zuschnitt in der Rollenverteilung von zivil- und staatsbürgerlichem Bewusstsein und Verhalten zum Ausdruck. Das eine kommt als das andere in wechselndem Kostüm. Der ökonomische Schein verteilt sich in die Phänomene wertschaffender Produktionsverhältnisse, teilt sich in die Gestalten von Gebrauchswert und Tauschwert und was der Verkleidungen auf den Bühnen des Wertes mehr sind. Indes werden wir mit beiden Folien der Scheinverhältnisse umgehen müssen wie mit der Tatsache, dass wir die Dinge, wissend, dass sie in unserem Auge auf dem Kopf stehen, richtigstellen. Auch dann findet sich genug Inszenierungsschein, um zuzugeben, den Leidenschaften des Blicks deshalb nicht weniger zu erliegen. Wenn nicht, wird das Wissen mit der Gewissheit realer Unterschiedenheit der Begierden einhergehen, die sich hier an den Dingen oder dem Reichtum entzünden, dort an der Macht oder dem Einfluss, in wieder anderer Programmierung, anderer Perspektive, an anderem sinnlichen, energetischen oder intellektuellen Vergnügen oder Horror. Eingedenk der Verschiebungen, Verdeckungen, Lücken des Bewusstsein, wie wir sie von Hegel, Freud oder Lacan ins Spiel gebracht sahen, könnte man sich vornehmen, auch in dieser Dimension einen ›Filter‹ übers Blatt zu legen. Wie Peirce »Pelzwerk« und »Metalle« ins Spiel der Logik bringt, wären Zeichen für Bewusstseins-, Stimmungs- und Energiezustände gefragt. Wie die Paramater für die Verschiebungen der ökonomischen oder politischen Kräfte würden sie zum diagrammatischen Repertoire gehören, um Intensitäten des Scheins auch von Bewusstsein oder Begehren anzuzeigen. Die Technik wird es richten, wenn die Nanodetektoren an und in unseren Körpern nicht mehr nur unsere Vitalwerte an den zuständigen Server übermitteln (Google health arbeitet daran), sondern ebenso Lust- und Unlustregungen, Stimmungen und Affekte messen, Werte berechnen, die als Bewusstheitsindikatoren gelten für Aufmerksamkeit oder Fassungsvermögen, Zerstreutheit oder Vergesslichkeit. Zweifellos wird die Anzeige ökonomischer, politischer oder psychologischer Indikatoren qua ästhetischer Überformung, Inszenierung und Medialisierung auch so wahrgenommen als ästhetische Ausprägung einer Lebensart, einer Überzeugung und eines Stils oder Geschmacks, Benehmens oder Takts. Zugleich gilt immer aber auch, dass diese ästhetischen Varianten »von den Mitlebenden selbst zugleich als höchst differenzierter Ausdruck von sozialen Qualitäten wahrgenommen werden«.290 Dies aber verpflichtet wiederum, umgekehrt, die Spiegel der Darstellung zu vertauschen, zu realisieren, dass die Zurichtungen durch Kunst und Künste soziale Verhältnisse beinhalten, die sich über den Ungleichheiten der Aneignung aufgebaut haben. Nicht dass »der exklusive Charakter der Kunstwerke und, allgemeiner, der Kulturproduktion überhaupt lediglich auf deren ökonomische Dimension zurückzuführen« wäre.291 Vor allem ist er auf deren Darstellung und die Bilder davon, die Bildwelten, die sich darüber türmen und von den Versprechungen der Freiheit schwärmen, zurückzuführen. Dennoch aber müssen sich Interesse und Energie, ganz wie sie sich von der Ökonomie, der Politik und Psychologie her auf deren Ästhetik konzentrieren,
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zurückwenden von ihrer Ästhetik auf die Ökonomie, die Politik und die Psychologie ihres Scheins, wenn denn die Blockierungen einer eingerasteten und festgestellten Perspektive Chancen haben sollen, gelöst zu werden. Wie alle anderen auch, könnte man sagen, »sind Intellektuelle und Künstler hin- und hergerissen«. Auf der einen Seite steht ihr »Interesse an kultureller Proselytenmacherei, nämlich an der Eroberung des Marktes durch entsprechende Unternehmungen ein breites Publikum zu erschließen«, auf der anderen Seite treibt sie »die ängstliche[.] Sorge um die einzige objektive Grundlage ihrer Außergewöhnlichkeit«. Folglich stehen sie zu »allem, was mit ›Demokratisierung der Kultur‹ zu tun hat«, in einer »äußerst ambivalenten Beziehung«. Die Konsequenzen finden sich in einer »doppelbödigen Redeweise [...], die sie zu Fragen des Verhältnisses zwischen den kulturellen Verbreitungsmedien und dem Publikum an den Tag legen«.292 Man wird der Diagnose zustimmen, wenn sie nicht exklusiv einem gesellschaftlichen Sonderfeld namens ›Kunst‹ oder ›Kultur und Kunst‹ vorbehalten ist, sondern, umgekehrt, für die ›Kunst in allen Feldern‹ gilt, einer Kunst, die sich überall mit der Erzeugung des Scheins befasst. Ansonsten wäre kein Zugang zu gewinnen zur wirklichen ›Demokratisierung der Kultur‹. Denn sie wird nicht davon abhängig sein, ob Künstler und Intellektuelle beschließen, die doppelbödige gegen eine solide gegründete, aufrichtige Rede zu tauschen und den kulturellen Verbreitungsmedien paroli zu bieten. Anders gesagt: Künstler und Intellektuelle sollten sich nicht aus politischen Gründen der Wahrheit verpflichten und der offenherzigkeit verschreiben, sondern ihre ›Politik‹ abhängig machen von dem, was sie wirklich zu schaffen verstehen: vielleicht wahrhaftig zu überzeugen und zu gefallen mit dem Auftritt ihrer Kunst,. Um die Künste des sogenannten »Publikums« sollte es dann nicht anders stehen. Dazu aber ist es notwendig, den Bogen nicht zu überspannen. Die Vorhaben sollten im Rahmen eines nicht überdimensionierten Projekts angelegt sein und verbleiben. Szenifikatorische und Inszenierungsrealität müssen aufeinander bezogen bleiben, nach Ort, Zeit und Agenzien zu überschauen und gemäß Erfahrung und Urteilskraft, Disposition und Vermögen zu verantworten sein. Zumindest muss die Verantwortbarkeit im praktisch szenischen Umfeld verhandelbar sein. Außerhalb dessen wird es vieles geben, das kaum als verantwortbar gelten wird, in den Diskursen, den Dingverhältnissen, den medialen und informationellen Vernetzungen. Das kann, muss aber nicht heißen, dass es einen nichts anginge. Ob es so ist, wird daran liegen, in welcher Weise das Fernliegende einen Weg zu szenischer Bedeutung und szenischer Potenz eröffnet bekommt. Soll Gewalt vermieden werden, wird das ›Türöffnen‹ dabei ›der Szene‹ anzuvertrauen sein, nicht einem einzelnen parteiischen Agens.
Logik der relativen Mehrwertproduktion & Ethik des Prekariats Für alle Kunst gilt Widerstand als unabdingbar, sofern er sich über Anstrengung von selbst einstellt. Anstrengung referiert insbesondere auf Gewohnheit. Gewohnheitsveränderung ist anstrengend. Umgekehrt gehen Anstrengungen nicht selten mit Gewohnheitsveränderungen einher, relevant für Handlungen, Gefühle, Überzeugungen. Beziehen wir die gesetzten Scheinverhältnisse unserer Hemisphäre in ökonomischen, politischen und psychologischen Dingen in die pragmatische Betrachtung der szenischen Umgebung mit ein, erhält der Widerstand szenischen Handlungs- und Gestaltungsvermögens, des Lebens als Kunstwerk, auch inhaltlich Kontur. Unsere Produktionsverhältnisse verpflichten Wirtschaft und Politik auf Wachstum. Heideggers Eroberung der Welt als Bild korrespondieren die Expansionsbewegungen der
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Produktionsverhältnisse der kapitalistischen Ökonomie. Der Ausbreitung über die ganze Erde entspricht die Durchdringung einer jeden Faser und einer jeden Zelle der sogenannten bürgerlichen Gesellschaft. Maßlose Akkumulation aber wird notgedrungen auf stoffliche Schranken stoßen, das System in die Krise führen. Die ökonomischen Bedingungen dafür sind erfüllt, wenn Produktion und Konsum den steigenden Anforderungen an die Mehrwertproduktion nicht mehr nachkommen. Die ökologische Überstrapazierung zeigt sich, wenn die Mehrwertproduktion den Ressourcenverbrauch nicht mehr durch technologische und technische Revolutionen zu drosseln vermag und das Ökosystem Erde zu kollabieren droht. »Die Logik der Produktion des relativen Mehrwerts scheint insofern geeignet, für die aktuellen Krisenerscheinungen eine Erklärung zu liefern.«293 Die »gigantischsten kreditfinanzierten Konjunkturprogramme, die es je gegeben hat« (gemeint sind die im Zuge der neoliberalen Dereguliereng der Finanzmärkte im Anschluss an das Scheitern des Keynesianismus seit den 1970er Jahren), kann es nicht immer wieder geben. Der Krisenaufschub währte zuletzt rund 30 Jahre.294 Vielleicht gibt es andere Kompensationsprogramme und weiteren Aufschub, aber er wird an ein Ende kommen. Das »Spannungsverhältnis zwischen den Erfordernissen der Warenform und den ökologischen Notwendigkeiten verschärft sich, wenn die Produktivität steigt, und stellt insbesondere während ökonomischer Krisen und Zeiten hoher Arbeitslosigkeit ein schweres Dilemma dar.«295 Eigentlich sollten diese Unüberschaubarkeiten, die indes begleitet werden von hinreichend mit empirischen Evidenzen versehenen Beiträgen zum ökonomisch ökologischen Diskurs, genügend Anlass bieten, den gesellschaftlichen Bühnen andere denn die gewohnten Stücke zur Aufführung ans Herz zu legen. Vor allem dann, wenn auch in einer breiten Öffentlichkeit nicht mehr zu verheimlichen wäre, dass offenbar gewaltige Inszenierungsanstrengungen in die Camouflage der entsprechenden Sachverhalte durch politische Institutionen und Sachwalter des Systems gesteckt werden. Doch ist offensichtlich, dass diese Inszenierungspolitik von allen statistisch relevanten Medien im Einzugsbereich des Gesellschaftssystems verbreitet, wenn nicht inkorporiert wird. Keineswegs geschieht es unisono, sondern in Variation und Varianten, gleicherweise aber mit alternativloser Propagierung der Wachstumsstrategie als Lösung grundsätzlich aller kritischen Situationen, zu denen Wachstum bisher beigetragen hat. Es müsste darum zu den Künsten in szenischer Verantwortungsbereitschaft gehören, dem Wachstumsmythos widerständige Erzählungen einzuschleusen und ihnen zum Auftritt zu verhelfen, medial propagandistisch, vor allem aber konkret projektbezogen. Worin anders sollte die ›Ethik des Prekariats‹ liegen als in einer ›Ethik des Exils‹? Exil bedeutete auch hier Exodus aus der Gefangenschaft, aus der Gefangenschaft zwanghafter Teilnahme am globalisierten Tausch via Interface-Präsenz, an den Weiterungen des Konsums und des Wachstums. Es handelt sich um die paradoxe Bewegung eines Auswanderns aus der Ferne in die Nähe. Dafür sind »alle Dinge unter dem Gesichtspunkt ihrer Transportabilität« zu inspizieren, »auf die Gefahr hin, alles, was für menschliches Träger zu schwer ist, zurücklassen zu müssen«.296 »Die Topologie selber, die eine Geometrie von räumlichen Übersetzungen ist, stellt in diesem Rahmen des Denkens so etwas wie eine bevorzugte Figuration dar«. Das visuelle Modell, das diese Ortsveränderungen protokolliert, »prägt daher in erster Linie eine Ethik des Widerstands gegen die alltägliche Globalisierung.«297
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›Bios alēthēs‹, Widerstand & Widerstandsgeschichte
Michel Foucault hat in seiner letzten Vorlesung auf Geist und Tradition des kynischen Lebensentwurfs verwiesen. Entgegen der geläufigen Einordnung der griechischen Philosophenschule, die den Individualismus der Kyniker betont, die eingeforderte Selbstbehauptung, die Entrüstung des Individuums angesichts einer tierhaft vereinzelten Existenz (Foucault nennt als Beispiel für diesen Rezeptionsstrang u.a. Arnold Gehlen298), unterstreicht die Vorlesung das Potenzial des Widerstands als Gegenentwurf in Fragen der Inszenierungswahl. Die dort vorgelegten Kriterien299 liegen in der Reichweite unserer bisherigen Ausführungen. Aufgrund seiner Selbstverpflichtung auf Durchsichtigkeit des Zusammenhangs von Setzen und Machen ist die Öffnung des Inszenierungskontextes als Kennzeichen eines nicht theatermodellierten Schauspiels wahrheitsorientiert, notgedrungen, könnte man sagen. Dies erklärt sich, angeschlossen an die Ausführungen des frühen Peirce, auf folgende Weise: Wenn bestimmte Handlungseffekte dazu anregen, dass wir uns Gedanken machen und sich unter den Gedanken solche einfinden, die sich auf eine mögliche Erklärung der Effekte beziehen, dann gehört es trotz der Fülle der Gedanken, die sich ob der Anregung einstellen, zu den besonderen Eigenschaften des Denkens, in dieser Beziehung ein »Fürwahrhalten hervorzubringen«. Darauf zu fokussieren, sagt Peirce, sei Motiv, Zweck und Funktion des Denkens. – Dass die Gedanken abseits davon etlichen anderen Motiven, Zwecken und Funktionen folgen können, vorzüglich zur Unterhaltung zu dienen zum Beispiel oder überhaupt Gefühlen und Handlungszwecken, beeinträchtigt die Wahrheitsorientierung nicht. Bedingung des Fürwahrhaltens ist allein, dass das Feld der Handlungseffekte, das per definitionem das der Kräfte miteinschließt, insgesamt offenliegt. Dass, was für wahr gehalten werden können soll, sich zuerst zeigen muss, gilt zwar in jedem Fall. Doch leuchtet ein, dass, je umfänglicher und transparenter sich das phänomenale Feld öffnet, desto mehr für wahr gehalten werden kann und sich der kritischen Beurteilung stellt. Für wahr zu halten, schreibt Peirce in How to do our Ideas clear, hat »genau drei Eigenschaften [...] : erstens ist es etwas, dessen wir gewahr sind, zweitens beschwichtigt es die Reizung des Zweifels und drittens bedeutet es die Festlegung einer Regel des Handelns, kurz gesagt einer Gewohnheit in unserer Natur.« Denken selbst kann zwar derart »in Ruhe« betrachtet werden, ist aber »wesensmäßig eine Aktion« und führt auch (wieder) dazu. »Das schließliche Ergebnis des Denkens ist die Ausübung des Wollens« – wovon Denken selbst kein Teil mehr ist. Für wahr zu halten ist also »nur ein Stadium der geistigen Aktion; eine Wirkung des Denkens auf unsere Natur, welche künftiges Denken beeinflussen kann.«300 Insbesondere die zweite und die dritte Bestimmung scheinen mir im Kontext unserer Fahndung nach den Abgrenzungskriterien für unterschiedliche Inszenierungstypen und strategien von Bedeutung: die Beschwichtigung der Reizung des Zweifels. Foucaults Thematisierung des Zusammenhangs von Handlung und Wahrheitsorientierung des Denkens hebt die Tapferkeit hervor, die Notwendigkeit des Muts zur Wahrheit. Er hat offenbar besonders mit der dritten Peirce´schen Bestimmung zu tun, der Festlegung einer Gewohnheitsregel für alles Handeln, die stets Beachtung verlangt. Ihr folgend, nehmen einzelne Szenifikationen immer eine besondere Gestalt an oder finden zu einer spezifischen Artikulation des Tatbestands. Man könnte dies einen ›Index des Regelfolgens‹ nennen. Beim ›Objekt‹, das solche Indizes anzeigt, handelt es sich um diejenigen Entscheidungen, die abhängen von den Vorstellungen,
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die die epistemisch strategischen Prinzipien, etwas »in Szene zu setzen«, leiten. Lebensformen und Wahrheitsmanifestationen dürfen von daher in Beziehung gesetzt werden. Nach Foucaults Auffassung ist die wahrheitsorientierte Existenzform, die von der großen Menge nicht selten als skandalöse Lebensweise beurteilt wird, diejenige, die in der Tradition des Kynismus auch für moderne Zeiten zu erinnern und zu würdigen wäre. Der Skandal freilich ist weniger im Design des Auftritts zu suchen als im Skandal der Evidenz einer Übereinstimmung von Auftritt und Botschaft, die ohne Rücksichten als eine Geschichte »wahren Lebens« aufgeführt wird. Vergleicht man dagegen den »ebenso [...] berüchtigte[n] Individualismus, den man gewöhnlich so oft bei allem und jedem findet«, wird er kaum mit dem kynischen Aktivismus auf eine Stufe gestellt werden können. – Heidegger, wie dargestellt, stellt den Individualismus sogar in den Mittelpunkt einer eigenen Skandalgeschichte, als ein Beispiel für den Mut zu einer äußerst problematischen Wahrheit, die in Zusammenhang steht mit dem Descartes´schen Ermächtigungs- und Eroberungsprogramm des befreiten Subjekts. Der Mut zur Wahrheit als praktischer Manifestation eines bios alēthēs und seiner skandalösen Konsequenzen, die offensichtlich beide, Leben wie Konsequenzen, zu tun haben mit der Entscheidung, auf derartige Wahrheit überhaupt aus zu sein, wird damit einhergehen, die Zirkulation der ihn leitenden Idee, die Begründung dafür, solches Schauspiel in Szene zu setzen (Foucault bestätigt dies), offen zu gestalten und einsichtig zu machen. Von daher öffnet sich der Blick auf die Widerstandsgeschichte, die derjenigen opponiert, die im ersten und zweiten Teil des Buchs ausführlicher vorgestellt wurde. »Der Kynismus, die Idee einer Lebensform, die die plötzlich hervorbrechende gewaltsame, skandalöse Manifestation der Wahrheit sein sollte, ist und war ein Teil der revolutionären Praxis und der Formen, die die revolutionären Bewegungen während des 19. Jahrhunderts annahmen. Die Revolution in der modernen europäischen Welt [...] war nicht bloß ein politisches Projekt, sondern auch eine Lebensform. Oder genauer, sie wirkte als ein Prinzip, das eine gewisse Lebensweise bestimmt.«301
Solchem Prinzip verbunden, ist die aktivistisch widerständige Lebensform für Foucault in unterschiedlichen Erscheinungsformen seit der Wende zum 19. Jahrhundert in modernem politischen Gewand nachweisbar. Vor allem drei Formen stechen hervor: Widerstand im Untergrund, Widerstand im Zusammenschluss einer sichtbar oppositionellen Partei302, schließlich Widerstand in der individuellen Form des provozierenden Lebensstils. Mit Beuys könnte man die letzte Version auch als ein Leben als »Soziale Plastik« oder »Soziale Skulptur« bezeichnen, mithin als Kunstwerk. Alle drei Aktions- und Protestformen stellen »notwendigerweise einen Bruch mit den Konditionen, Gewohnheiten und Werten der Gesellschaft dar«. 303 Geheimbund, Partei, Widerstand als Lebensstil finden sich im neunzehnten Jahrhundert wie im zwanzigsten. Doch was zur Zeit seiner Erstetablierung als fundamental oppositionelles Handlungsmodell erkannt und als solches für rechtfertigenswert erachtet wird – wenn auch, weil ungewohnt, als skandalös auch ohne ausdrücklich obszöne Momente –, das gerät bekanntlich unter veränderten Umständen leicht zur zweifelhaften Abschließung eines mehr und mehr dubiosen Aktionsfeldes. Insofern, es bestätigt sich, ist Vorsicht geboten und ideologische Parteinahme kaum hilfreich, überlagern sich doch nicht nur verschiedene Akzentuierungen der Vorstellungen davon, welchem Inszenierungsmodell genau zu folgen ist. Größere Gefahr,
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den Kompass zu verlieren, droht selbst bei einzelnen Auftritten, wo das individuelle oder Kleingruppenschauspiel ins Sektierertum kippt. Es leuchtet ein, dass dies leichter passiert, wo wenige glauben, sich einer Übermacht erwehren zu müssen, als in den Kissen gut gepolsterter Konventionen und Szenik zu verharren. Für das 19. Jahrhundert ist die Perspektive leicht nachzuvollziehen und kann auf der gegebenen Exposition aufbauen. Der Typ »Geheimbund« ist charakteristisch für die Zeiten von Restauration und tatkräftiger Unterdrückung der revolutionären Bewegungen, für Zeiten, da Widerstand auf breiter Front faktisch unmöglich wird und nur Einzelne oder kleine Zellen, die im Verborgenen wirken, sich zu ihren Grundsätzen zu bekennen trauen, jederzeit gewahr, von den Verfolgern aufgebracht zu werden. Sie arbeiten und leben deshalb nicht nur im Untergrund, sondern sind nicht selten auch dauerhaft auf der Flucht.304 Die Organisation in der politischen Partei gerät erst mit ihrer Institutionalisierung seit Mitte des 19. Jahrhunderts zu einem Modell auch für den organisierten Widerstand als »Opposition«, einerseits im Rahmen der Konstitutionalisierung (für Deutschland mit der Parlamentarisierung durch die Frankfurter Nationalversammlung ab 1848/49), andererseits im Zuge der industriellen Revolution und der Trennung der Kräfte in Kapital und Arbeit.305 Die beiden Wege der Opposition zeichnen sich ab, hier auf politischer Ebene, dort auf gewerkschaftlicher Bühne. Man erkennt die Übergangsformen von einer zur anderen Gestalt politischer Praktiken und Lebensformen als ›Revolutionär‹, denkt man beispielsweise an Geschichte und Personal der Ersten Internationale oder Internationalen Arbeiterassoziation, deren Gründung und erste Kongresse schon in die 1860er Jahre fallen.306 Es wird auf die Details ankommen, zu entscheiden, ob das »Merkmal des Zeugnisses durch das Leben, des Skandals des revolutionären Lebens als Skandal der Wahrheit«, das Foucault als Bindeglied zwischen Geheimgesellschaft und offen organisierten Widerstand stellt und symptomatisch für die Mitte des 19. Jahrhunderts hält, eher systematisch denn historisch als Bindeglied zu betrachten ist – jedenfalls in Hinsicht der beiden politischen Oppositionsformen, die darin übereinstimmen. Blendet man Kollektive, die im Laufe der Zeit zur Institutionalisierung und Bürokratisierung neigen, aus, ist es in der Tat aber sehr wichtig, außerhalb der verborgenen oder sichtbaren Organisation von Opposition den individuellen Widerstand auch im oppositionellen Zusammenschluss die Individualität zu würdigen. Dies ist schon deshalb geboten, um der verbreiteten Klassenlogik entgegenzutreten, die sich vielfach als gesonderter Reflex auf die skizzierte Geschichte des Bürgertums zwischen bourgeois und citoyen eingestellt hat, oft genug aber wenig Raum lässt, individuelle Biografien und deren Inszenierungen überhaupt in Betracht zu ziehen.307 Im Vergleich zu einer Fokussierung von Szenifikationen und Szenifikationsprozessen im Spannungsfeld unterschiedlicher Inszenierungsdispositive erweist sich die ideologische Einstimmung als nicht besonders aufschlussreich. Es ist kein Geheimnis, dass selbst Herkunft oder soziale Lage nicht maßgeblich sind, um daraus folgernd im Einzelfall auf eine auch politisch beispielhafte Verbindung von Leben und Überzeugung schließen oder nicht schließen zu dürfen. Der Befund ist hier wie da, bei den engagierten Selbstdenkern und politischen Aktivisten wie bei den ebenso engagierten Dichtern oder anderen Lebenskünstlern zu erheben. Die einen wie die anderen Biografien und Karrieren schillern jetzt deutlicher als zuvor. Berufe und Metiers, die sich mit Beginn des 19. Jahrhunderts herauszubilden beginnen, haben damit zu tun. Philosophie zu betreiben als sokratisch-kynische Lebensform findet ihre Bestimmung ab nun nicht mehr vor allem als Hofcharge, als Hauslehrer oder Pfarrer, sondern im politischen Widerstand:
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»Exit Faust, Auftritt des Revolutionärs«.308 Das corpus philosophicum wird institutionalisiert und der akademisierte Philosoph, wenn er Glück hat, Professor. Im Allgemeinen ist er dem gleichen Schicksal unterworfen wie alle, die in die Freiheit der Arbeit entlassen sind, dem gleichen, dem die, die als ›freie Künstler‹ ihr Brot verdienen wollen, unterworfen werden, was aber auch sein Glück sein kann. Auch er tritt nun als eigenständige Existenz auf die Bühne des sozialen Kräftespiels. Über sein Schicksal wurde berichtet. Bevor sich absehen ließ, dass der deutsche und der französische Weg der Aufklärung über die wahren Verhältnisse in Staat und Gesellschaft samt den Empfehlungen, wie den Übeln beizukommen sei, realgeschichtlich eklatant auseinanderdriften würden, waren philosophische, auch kynische Lehren antiker Denker nicht unbekannt unter deutschen Gelehrten und Künstlern und Gegenstand mancher poetischen Betrachtung; gewisserweise die frühe Antizipation eines probaten Mittels individueller Seel- und Lebenssorge durch die Dichtung, besonders, wenn andere Strategien nicht gefruchtet hatten. Es wird wohl nicht von ungefähr gerade Wieland gewesen sein, der »Professor der Weltweisheit«, der diese Tradition mit Vorstellungen besetzt hatte, dem in nachnapoleonischer Zeit das Verdienst um eine bedeutende Weichenstellung in der nationalen Kultur- und Geistesgeschichte zuerkannt wurde. Außerdem hatte er selbst über die Stürme der Zeit hinweg Gelegenheit, das Geschehen als Zeitgenosse zu kommentieren. Er starb erst im Jahr einer erneuten Völkerschlacht, 1813.309 Foucault erwähnt beispielhaft für die Kunst des Widerstands der Dichter im 19. Jahrhundert Dostojewski und als charakteristische Strömung den russischen Nihilismus sowie den europäischen und amerikanischen Anarchismus, die ihn beerben. Der Nihilismus, erläutert Foucault in den Vorlesungen von 1984/84, und er meint nicht nur den russischen, sondern ebenfalls den Nihilismus Nietzsches, sei Ausdruck der Schwierigkeit einer Verbindung der Sorge um die Wahrheit mit der um die Ästhetik der Existenz. Indes schöpft der Nihilismus nicht allein aus dem Kynismus. Dem Kynismus fehlt die Ausprägung skeptischer Einstellung, die auf die intellektuelle Herausforderung reagiert. Erst sie unterzieht alle Ansprüche des Fürwahrhaltens einer systematischen Prüfung. Dafür hat der kynische Auftritt wenig übrig.310 Verglichen mit dem Skeptizismus ist der Kynismus – Ausnahmen bestätigen die Regel! – vor allem eine praktische Angelegenheit des Schauspiel- und Beispielgebens und kapriziert sich nicht auf schwierige theoretische Probleme. Kynismus und Skeptizismus, so Foucault, kreuzen sich allerdings im Nihilismus. Darum leuchtet ein: Die Frage des Nihilismus ist nicht, ob alles erlaubt ist, wenn Gott nicht existiert, sondern, »wie soll ich leben, wenn mit der Möglichkeit zu rechnen ist, dass der Satz, dass nichts wahr ist, zutrifft?«.311 Foucault sah die latente Gefahr der (Wieder-)Abschließung eines prinzipiell wahrheitsbezogenen Inszenierungsdispositivs in aktivistischer Opposition und verweist im Anschluss an die Erwähnung der anarchistischen Tradition beispielhaft auf den Terrorismus als Lebenspraxis. Sie schließt »den Tod für die Wahrheit ein [...], als eine gewisse Grenzüberschreitung [...], als dramatische oder irrsinnige Grenzüberschreitung jenes Mutes zur Wahrheit, der von den Griechen und der griechischen Philosophie als eines der Grundprinzipien des wahren Lebens postuliert wurde«.312 Es ist offensichtlich, dass der Blick, der auf den Terrorismus des 20. Jahrhunderts fällt, zurückgewendet auf die Große Revolution, auch den Auftritt des Großen Schreckens im Sinne des Gesagten zu beurteilen zulässt. Das Schicksal radikaldemokratischer,
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sozialistischer oder kommunistischer Bewegungen und Parteien wäre vergleichbar in unterschiedlichen Arrangements und Auftritten zu beleuchten. Im Sinne unterschiedlicher Auslegung und Aktivität im Raum und an den Grenzen der Dispositive, in den jeweiligen operativen Szenifikationen und Auftritten, möglicherweise über die Grenzen der Definitionen hinaus beginnen die Bedeutungen zu fließen. Man erinnert sich an die Projektüberschriften im Zusammenhang allein der kommunistischen »Bewegung«: welche die aktuellen Dramatisierungen zu apostrophieren vermochten: »Klassenkampf«, »Bürgerkrieg« oder »Sozialismus in einem Land«, auch »Elektrifizierung« oder »Kampf zweier Linien«, um nur eine Handvoll zu nennen. ›Kunst als Lebensform‹
Um zu beschreiben, was sich in den oppositionellen Praktiken und Lebensentwürfen offenbart, benutzt Faucault, ganz in unserem Verständnis, die Vokabel »Schauspiel«. Dabei ist die Pointe auch hier, dass es sich um ein Schauspiel ohne Schauspieler handelt. Was den Unterschied in den Prinzipien der Arrangements betrifft, ist im Blick auf die antizipierte Neugestaltung die Rede von »Stilwechsel«. Der systematisch durchaus beachtenswerte – und historisch gerade in umgekehrter Richtung zu verfolgende – Wechsel von »Auftritt« im Sinne des mis en scène zu »Schauspiel« ist unter Gesichtspunkten alternativer Konzeptualisierung einer »Inszenierung der Inszenierung« etwas anderes als Stilwechsel. »Stilwechsel« betrifft die Beschreibungen innerhalb eines Inszenierungsrahmens – inklusive derjenigen der Prinzipien seiner Szenografie. Doch möglicherweise kann notorischer Stilwechsel zur Transformation und Reformierung der Grundentscheidungen führen, was im Übrigen die Konnotationen von »revolutionär« zu überdenken hilft.313 Im Kontext der kynischen Tradition auf die Kunst in der Moderne zu sprechen zu kommen ist aus politischen Erwägungen vorbereitet, wird zudem aber in einem weiter gefassten historischen Kontext einsichtig. Denn man findet »in der europäischen Kultur [...] einen dritten großen Träger des Kynismus oder des Lebensstils als Skandal der Wahrheit«, eben »in der Kunst«. (Zur Traditionslinie, auf die Foucault verweist, zählen die oppositionellen religiösen Bewegungen des Mittelalters und der politische Widerstand in der nachrevolutionären Ära.) Gattungsgeschichtlich treten in der kynischen Tradition die literarischen und dramatischen Künste hervor, die Satire und mit ihr vor allem die Komödie, die »bis zu einem gewissen Grad einen privilegierten Ort für den Ausdruck kynischer Themen dar[stellt]«.314 Es kann nicht verwundern, dass Foucault hier auf das Pendant tragödialer Dramatik und Theatralisierung stößt, der sich spätestens seit der Romantik die Hauptlinie deutscher Inszenierungskunst des Nationalen verschrieb. Der ›Künstler‹, der hier aus dem Schatten des Gelehrten ins Licht der Bühne tritt, ist weniger bemerkenswert aufgrund seiner ökonomischen Potenz, sich in den Formaten der rasch sich konsolidierenden Gliederungen des auf den Markt bezogenen Kunst- und Kulturbetriebs als ›Berufskreativer‹ zurechtzufinden. Vielmehr wird hier wie in der Referenz, ›Komödie statt Tragödie‹, eine Alternativkultur zum Programm, die sich der historischen Dynamik der sozialen Entwicklung zu entziehen oder zu widersetzen trachtet. Motive und Stichworte fanden wir bei Nietzsche. Foucaults Interesse gilt dieser Alternative eines Lebens als Künstler im Sinne beispielhafter aktivistischer Performance »wahren Lebens«; ein Ausdruck, dessen Sinn insbesondere, was die Verwendung von »wahr« angeht, Foucault im späteren Verlauf seiner Vorlesung an der Bedeutung der »wahren Liebe« expliziert.315 Die Einzigartigkeit eines solchen ›Künstler‹-Lebens beruht nicht einfach auf den Unterschieden in der Lebensweise. Auch die Lebensläufe, die Vasari beschreibt, demonstrieren, dass begnadete Maler, Zeichner, Baumeister
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zugleich ›Inszenierungskünstler‹ nicht zuletzt der eigenen Person sein können und ein Leben führen, das ganz anders ist als das ihrer Mitbürger. Hier aber kann vom Leben als »Künstler« überhaupt nur die Rede sein, sofern die »Kunst«, die in Rede steht, »Lebenskunst ist«. Nur darum gilt, dass »das Leben des Künstlers in seiner wirklichen Gestalt ein gewisses Zeugnis dafür ablegen soll, was die Kunst in Wahrheit ist. Nicht nur muss das Leben des Künstlers einzigartig genug sein, damit er sein Werk schaffen kann, sondern sein Leben soll gewissermaßen eine Offenbarung der Kunst selbst in ihrer Wahrheit sein.« Dazu gehört die Fähigkeit, der Existenz selbst eine Form von Kunst im Verständnis eines Kunstwerks zu geben. Dies zu schaffen verstehen reißt das Gefüge der konventionellen Formen ein und zeigt sich als Einzigartigkeit eines anderen wahren Lebens. Die umgekehrte Schlussfolgerung ist nicht weniger konsequent: dass unter diesen Voraussetzungen – und in einer besonderen Lesart – »jedes Werk [...] der Dynastie und dem Reich der Kunst zugehört«, insofern es von etwas anderem abgesteckt ist. Auch hier erkennt man die geheime Auseinandersetzung mit Heidegger, dessen Ästhetik ebenfalls in die Lage versetzt, die in Der Mut zur Wahrheit eröffnete Perspektive zu ergründen und zu verstehen. Foucault macht wie Heidegger deutlich, dass wahre Kunst selbst, in welchen Registern auch immer, »eine Beziehung in der Wirklichkeit begründen soll, die nicht mehr dem Bereich der Ausschmückung, dem Bereich der Nachahmung angehört, sondern deren Wesen es ist, das Elementare der Existenz zu entblößen, zu entlarven, freizulegen, auszugraben und gewaltsam zu ihm zurück zu führen.«316 So nimmt die künstlerische Praxis selbst revolutionäre Züge an, wie sie sich gleicherweise in einer politisch motivierten Existenz im Widerstand finden. Die Bereitschaft, die Wahrheit zu sagen, auch wenn sie unbequem ist, verbunden mit einer inszenierungskritischen Praxis angesichts interessierter Verhüllungen, die in aller Radikalität auf das Elementare der Existenz lenkt, gehört dazu. Im Raum dieser Lebenskunst wird »das Einbrechen des Unteren, des Niederen« geübt, dessen, was unter dem Einrichtungs- und Gestaltungsregiment der herrschenden Kultur »kein Recht oder zumindest keine Möglichkeit des Ausdrucks hat«. Auch dies ist eine Position ›moderner Kunst‹, anti-platonisch und anti-aristotelisch.317 Auch wenn Foucault, in methodischer wie inhaltlicher Hinsicht überzeugend, den kynischen Funken im Zentrum der modernen Kunst dazu bringt, aufzuleuchten, verschweigt er doch nicht die vergleichsweise marginale Bedeutung des Kynismus individueller Lebensführung als Künstler im Vergleich zur Bedeutung kynischer Tugenden in der revolutionären politischen Bewegung. Doch auch hier stützt die Darstellung die Einschätzung, dass auf politischem Feld nicht weniger sinnvoll erscheint, auf individuelle, auf brüchige Schicksale und exemplarische Szenen hinzuweisen, sinnvoller als auf soziologische Abstrakta. Denn »wenn sich die revolutionären Bewegungen in Parteien organisieren und die Parteien das ›wahre Leben‹ durch eine makellose Gleichförmigkeit im Hinblick auf gewisse Normen bestimmen, d.h. durch eine soziale und kulturelle Gleichförmigkeit«, dann sind sie als Beispiel für das Andere und Widerständige im Namen eines Lebens der Sorge um sich selbst und die anderen nicht mehr repräsentativ. Sie sind inszenierungsgesellschaftlich mediatisiert. Der Weg des Widerstands in Transparenz und Wahrheitsverpflichtung überschneidet sich mit dem Weg einer ästhetischen Existenz. Die Bühne braucht immer ihren besonderen Schein, auch für das Schauspiel des Lebens.
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Wert- & Wahrheitsaspekte Die Wertaspekte, die Foucault in Der Mut zur Wahrheit für das sokratisch kynische »Wahrsprechen« (parrhēsia) erinnert, sollten die Modalitäten jeder »Inszenierung der Inszenierung« erhellen. »Mut zur Wahrheit« beim Auftritt im öffentlichen Raum der Polis bedeutet zuerst, »nicht verborgen, nicht verschleiert« daherzukommen (gemäß der Etymologie von alēthēs, alēthes, »wahr«, wörtlich: nicht gekrümmt, aufrecht, aufrichtig, sodass die eingeschlagene Richtung im Fall bei einer Krümmung aus dem Blick gerät). Parrhēsia 318ist keineswegs ein Begriff nur der antiken »heidnischen« Tradition. »Freimut«, so die Übersetzung etwa im 11. und 12. Jahrhundert, gilt durchaus als christliche Tugend, zumindest unter gewissen reformerischen Voraussetzungen, wie sie notorisch von den neuen Klostergründungen ausgehen.319 Die Vokabel unterstreicht die Nähe des Frei-Heraussagens-wie-es-sich-verhält zu Konzepten der Selbstgesetzlichkeit und Selbstverantwortlichkeit im Unterschied zum ›Wahrsprechen‹ im Kontext von Rechtfertigung und Beweis. Parrhēsia als »Offenheit im Reden und Handeln« ist gewissermaßen der Gegenbegriff zu »Inszenierung« im Verständnis eines »Vorspiegelns«. »Das a-lethes ist das, was als Unverborgenes, Unverschleiertes sich dem Blick in seiner Ganzheit öffnet, was völlig sichtbar ist, so dass kein Teil davon verborgen oder verdeckt ist.« Sodann gilt, dass, was als wahr prädiziert wird, unvermischt ist und keine Verunreingung durch fremde Elemente enthält. Der dritte Sinn des Wahrseins koinzidiert mit dem ersten: was aufrichtig ist, ist euthys, geradlinig, gerade, ohne Umweg zielführend und in diesem Verständnis auch richtig. Als letzte Konnotation empfiehlt Foucault, »wahr« mit »identitätsstiftend« zu übersetzen. Alēthes, das Wahre (und alētheia, die Wahrheit) ist das, was sich auf Dauer aufrechterhalten lässt, was Stabilität und Identität verspricht, verlässlich ist und Vertrauen einflößt.320 Der logos alēthēs, der Freimut der parrhēsia, zeigt sich in diesen Ausdrücken im Verbund oder in bestimmter Akzentuierung. Wie der Wahrheitsdiskurs kann auch der bios alēthēs seine Wahrheitsverbundenheit, die sich darin niederschlägt, dass die Offenheit, die Achill gegen Agamemnon einklagt, dem Leben eingeschrieben ist, zu Demonstration und Manifestation geraten lassen. Es geht nicht um die Qualität von Urteilen, sondern um das Erscheinen ›in Wahrheit‹ und das ›Wahr- und WahrhaftigErscheinen‹ in allen Aspekten der alētheia. Es koinzidieren in dieser Erscheinung des »politischen Wagemut[s] des Wahrsprechen[s]« Einstellungen, die nicht unbedingt an eine bestimmte Verfassung der gesellschaftlichen Einrichtung gebunden sind, freilich historisch wie gesellschaftlich in zeitgemäßer Form auftreten. In welcher Situation auch immer die Herausforderung heißt, den Normen konventioneller oder auch willkürlicher Inszenierung mit Grund entgegenzutreten, gleichviel, ob »der Mut des Demokraten oder auch der Schneid des Höflings« gefragt ist, muss man sie annehmen. Die passende Form relativiert sich situationsgerecht. Nicht immer ist der rüde Ton des Kynikers das Angemessene, zuweilen hilft die sokratische Ironie. Charakteristisch für diese Strategie ist die Irritation der Angesprochenen angesichts der besonderen Form, in der die Wahrheitsverpflichtung im Diskurs auftritt; eher wird sie eingeschmuggelt als proklamiert. Die kynische Lebensart provoziert auf andere Weise. Sie liebt die skandalöse Vorstellung, ist derber, kämpft mit härteren Bandagen um die Wahrheit, ruft größeren unmittelbaren Widerstand, wenn nicht Widerwillen und Ekel hervor.321 Trotz des »Kampfauftrags«, den der Kyniker sich erteilt, scheint es (eingedenk dessen, dass hier nur ein Typus beschrieben wird und nicht die vielfältige Variation dieser philosophischen Charaktere), dass bei dieser Strategie die longue durée realer gesellschaftlicher Auseinandersetzungen um die geeigneten Lebensformen im Fokus steht
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und die Einsicht, dass letzten Endes nur die Selbsteinsicht in der Sorge um sich selbst zur Umkehr führen kann. Das setzt Urteilskraft und asketische Übung voraus. Denn der kynische Skandal kann in seiner unmittelbaren Provokation von Ablehnung und Abwehr nur hoffen, dass der Anstoß nichtsdestotrotz langfristig wirkt und zu Verhaltensänderungen führt: wenn die Abwehr überwunden und verstanden ist, dass, was die Provokation der Askese theatralisiert oder zu theatralisieren scheint, in Wahrheit lediglich ein Schauspiel dafür ist, wie wenig es zum Leben braucht. So findet sich eine »Umkehrung des Themas der Souveränität bei den Kynikern«.
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postheroismus, postdemokratie & die frage des politischen
Die Überlegungen Foucaults über den »Mut zur Wahrheit« stammen aus den 80er Jahren des letzten Jahrhunderts, doch atmen sie den Geist der 60er und 70er Jahre, in denen die Situationistische Internationale noch auf den Spuren Sartres den zivilen Widerstand probte, eine als »Studentenbewegung« verharmloste Opposition gegen die staatliche Hegemonialmacht im Herzen der Demokratie das Politische reklamierte und die Frage nach den Herrschaftsverhältnissen und der Berechtigung, sie infrage zu stellen, auf die Tagesordnung setzte.
Helden ohne Heldentum – Souveränitätstransfer Seither ist auch der Widerstand ins postheroische Zeitalter gewechselt. Die sogenannte »Wendung zum Subjekt«, von der allzu eilig behauptet wurde, dass sie die letzten Jahre der Arbeit Foucaults beherrscht habe, gerät im Blick solch neuer Programmatik des ›Post‹ allerdings leicht zu einer Alternative, konstruiert aus Teilen eines Zusammengehörigem. Heraus kommt ein Paradox, wie es die Rede von den »Helden des Alltags« kennzeichnet. Unter demokratischen Zuständen, sollte man meinen, brauchen die Menschen keine Helden, doch schaffen sie sich verträglichen Ersatz. Er entstammt den Simulations- und Dissimulationsmaschinen der Medien- und Inszenierungsgesellschaft. Kreiert werden ›Helden ohne Heldentum‹, massenkompatible ›Helden in Serie‹ – oder Serien-Helden –, Helden der Prekariarität. Ihre Umtriebe lassen die politische Gestaltung des Widerstands, die den ›Freimut‹ des Einzelnen und seine Bereitschaft zum Leben als ›soziale Plastik‹ mit dem politischen Willen einer zur Veränderung von Gewohntem und Gewohnheiten entschlossenen Assoziation von Individuen verband und zu einer historischen Figur herausbildete, verblassen. Es bleiben die sich verselbstständigenden medialen Oberflächen. Den Wandel einsichtig zu machen, muss man an den Grund der historischen Inszenierung zurückgehen, die der Grund der Inszenierungsgeschichte ist. Die Materie, allerdings, ist sensibel. Denn in Frage steht die Legitimation der Legalität- und Legitimität schaffenden Gewalt des Volkes. Dass Legalität und Legitimität auseinandertreten, ist eine Erfahrung, die der Dritte Stand schon gemacht hat, wenn er sich anschickt, die Herrschaft zu übernehmen, nicht erst stellt sie sich im Laufe des 19. Jahrhunderts ein. Allerdings erlebt man, dass die Restauration erneut eine eigene Legitimität ins Spiel bringt, um der res publica zu bestimmen, was als »rechtmäßig« und auf dieser basis gerechtfertigt zu gelten hat. Der Status der Volkssouveränität, mit anderen Worten, ist labil, dem Streit der Parteien anheimgestellt, allemal den grundlegenden Wertbestimmungen zwischen Freiheit, Sicherheit, Eigentum und Gleichheit, Mitherrschaft, Gerechtigkeit. Doch Legitimitäten gibt es viele, dominiert von unterschiedlichen Prinzipien, die darum
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konkurrieren, die politische Ordnung gemäß ihrer Vorstellung von Gerechtigkeit zu prägen. Die Propheten des Liberalismus sind zufrieden, wenn solche Ordnung als »konform mit der ewigen Vernunft« gelten darf.322 Da dies bekanntermaßen nicht anhand der im Volk verbreiteten Konzepte abgeglichen werden kann, empfiehlt sich der positivistische Umgang, wie ihn Hegel beherrscht, während Nietzsche seine soziale Ansicht zeichnet und dekonstruiert. Gründet »die Legitimität« der »positiven Verfassungs- und Rechtsordnung« in »geschichtlich geltenden, dem Staat und seinem Recht transzendenten Werten«323, verstehen sich nicht nur die Pluralität konkurrierender Legitimitätsansprüche – und somit auch verschiedene »Grade von Legitimität« –, sondern auch der Rechtspositivismus als allgemein verbindliche Grundlage einer staatlichen ordre légal. Euphemistisch handelt es sich hier um eine ›Versachlichung‹: Wie das »Nationalitätsprinzip« von seiner »Legitimitätsfunktion überspielt wird«, so wird das »Souveränitätsproblem im vermittelnden Begriff der Staatssouveränität [...] schließlich versachlicht, d.h. seines Charakters als Inbegriff persönlicher Herrschaftsberechtigung entkleidet.«324
Liberalismus, Neoliberalismus & die Abwertung der Legitimität (Beck, Giddens) Bekanntlich widerspricht Carl Schmitt in seiner Kritik am Weimarer Parlamentarismus diesem Staats- qua Rechtspositivismus.325 Er sieht die Legitimitätskonzepte seiner Zeit losgelöst von jeder politisch verbindlichen Rechtsgründungsvorstellung, gleichviel ob nach Maßgabe des französischen Parlamentarismus des Juli-Königtums oder in der Nachfolge der vorausgehenden revolutionären demokratischen Verfassungen. Aufgrund »der politisch blind den Status quo heiligenden Auffassung der Rechtsordnung als eines sich nur durch sich selbst und daher letztlich überhaupt nicht als Recht ausweisenden, folglich labilen und als formales Instrument ausweisenden Legalitäts-Systems«, sei der positive Rechtszustand, so Schmitt, weder als legitim noch als überhaupt legitimierbar zu bezeichnen. »Legitimität« werde derart zum »bloßen Funktionsmodus staatlicher Bürokratie« abgewertet.326 An seine Stelle müsste folglich ein neuer verbindlicher politischer Mythos treten. Was Schmitt fordert, ist von der Art her vergleichbar den Narrativen, an die Max Weber in seiner Typologie legitimer Herrschaft denkt oder auch denjenigen, die Ulrich Beck als den maßgeblichen Konzepten überkommener Politikorientierung zugehörig kennzeichnet und deshalb zu den zu überwindenden Grundüberzeugungen der politischen Wissenschaften zählt. Sie fallen unter die Programmatik von polity, policy oder politics. Man sollte ergänzen, dass die liberaldemokratische Überwindungsmaxime für den Begriff des Politischen nach Schmitt´schem Zuschnitt ebenso gilt, ebenso wie für seine zeitgenössische neomarxistische Reklamation in mäßigender Anpassung an demokratische Gepflogenheiten. Gemeinsam ist den fragwürdigen Gründungs- und Legitimationsgeschichten im Angebot, dass sie sich auf die Recht und Berechtigung stiftende Konstitutierung von Herrschaftsverhältnissen, auf die Inhalte der politischen Programmatik oder den Kampf der Parteien um die Macht beziehen. Stets wird dabei ein kollektiver politischer Körper, »das Volk«, adressiert. Das Individuum aber bleibt, so die Kritik, politikunfähig327 – was änderungsbedürftig erscheint. Es kann nicht überraschen, dass die systemtheoretische Sicht der ›Legitimation durch Verfahren‹ ebenfalls keine Sympathie hegt für die Berufung auf eine inhaltliche Legitimationsgeschichte. Die normativen Vorstellungen, die vielleicht verständlich machen könnten, warum die bestimmten Herrschaftsverhältnissen Unterworfenen diese Verhältnisse insgesamt ohne sachliche Qualifizierung im Einzelnen hinnehmen
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sollten, treten zurück gegenüber einer formalen, gewissermaßen ästhetisch sich empfehlenden »Unterstellbarkeit des Akzeptierens«. Die Akzeptanz des Systems und seines Funktionierens ist deshalb zu unterstellen, weil die Artikulation von Alternativen nicht in Sicht ist. Eine Wahl ist verzichtbar, wenn nur inakzeptable oder wünschenswerte Zustände sich anbieten: Die Möglichkeiten gewaltsamer Regelung der politischen Ordnung erscheinen mithin systemimmanent so ausgeschlossen wie die Verfahrensbeteiligung der Betroffenen wünschenswert. Der notwendige »Geltungsglaube« (Hoffmann) hängt damit ab von der Leistungsfähigkeit des Systems.328 Es muss dem System gelingen, Vertrauen ihm gegenüber aufzubauen, am besten in der Form eines begründeten Selbstvertrauens der Akteure, die im Verfahren wie an ihm beteiligt sind. Alles hängt ab von der Beruhigung möglicher Erregung infolge allgemeiner Verunsicherung. Die »post-demokratischen« Strategien neoliberaler bis sozialdemokratischer Provenienz reihen sich hier reibungslos ein. Staats- qua Systempositivismus korrespondiert dabei dem bürokratischen qua Verfahrenspositivismus. Rancières Diagnose der post-demokratischen Legitimationsprobleme charakterisiert nicht allein, wie bemerkt, die »Regierungspraxis nach dem demos« als zweckrationales Systemhandeln jenseits antagonistischer Positionen und ohne Kräfte (»den Streit des Volks«), die sie geltend machen könnten. Zugleich zeigt er damit auf, dass auf diese Weise jede eigentlich politische Praxis liquidiert ist. Alles erscheint reduziert »auf das alleinige Spiel der staatlichen Dispositive und der Bündelung von Energien und gesellschaftlichen Interessen.« ›Demokratie ohne Volk‹ ist die Idee einer Praxis und eines Denkens der »restlosen Übereinstimmung zwischen den Formen des Staates und dem Zustand der gesellschaftlichen Verhältnisse.«329 ›Demokratie nach dem Demos‹. Dissimulation & Wiedereinsetzung des Politischen
Idee und Programmatik solcher Übereinstimmung sollte man freilich nicht verwechseln mit dem tatsächlichen Erregungszustand der gesellschaftlichen Kräfte, auch wenn sie in liberaldemokratischer Perspektive als grosso modo pazifiziert erscheinen sollten. Ob dies kompromisslogisch in einem Aggregationsmodell vorgestellt wird, dem zufolge das politischen Handeln dem Markthandeln nachgebildet werden soll, oder kommunikationslogisch gedacht wird nach Art eines auf Beratung, (moralischen) Werten und rationaler Argumentation beruhenden und deshalb für alle akzeptablen Konsensmodells, ist dabei vergleichsweise zweitrangig. Nichtsdestotrotz: Elementare Gegnerschaften auf Grundlage konkurrierender Hegemonialansprüche auf die Macht im Staat (governance nicht governement 330) werden sich diesen Modellen solange auch konzeptuell entgegenhalten lassen, wie sozial partikulare, eigentumsgesicherte Herrschaftsansprüche die Verleugnung von sozialen Antagonismen Lügen strafen und fundamentale Gegnerschaften faktisch herausfordern. Freilich hat dies mit der Sichtbarkeit solcher Herrschaftsäußerung zu tun, und gilt nur, solange ihr Erscheinen noch nicht zugunsten der einen oder anderen Harmonieinszenierung erfolgreich dissimuliert wurde. Bei den global erkennbaren Konflikten wird man vielleicht schneller fündig werden, wenn man Belege für Antagonismen und existierende Feindschaften sucht, als im vertraut gewohnten Umfeld, allemal nach dem Elften September. Erfolgreich können die Strategien der Leugnung aller nicht zum »Wir« im Staat Gehörigen nur sein, wenn es den medialen Gestaltungs- und Vermittlungsinstitutionen gelingt, den Kampf um die Macht als gemeinsames Ringen der Bürger (citizens) und ihrer Einrichtungen um gemeinsame Ziele darzustellen. Solange Regierungspraxis und begriffliche Legitimation derselben ausschließlich für diese Übereinstimmung stehen, werden die Dissimulations- respektive Inszenierungsanstrengungen scheitern, wird
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der behauptete Kompromiss oder Konsens sich nicht nur von den Bekundungen der unterlegenen Parteien und ihrer Bündnispartner, sondern auch von der Manifestation konkurrierender Machtansprüche Lügen strafen lassen müssen. Jede politische Praxis, die das Politische ernst nimmt als agonistisches Unternehmen um die Hegemonialgewalt, führt darum einen Kampf um die Medien oder vielmehr um die Definition der medialen Praktiken hinsichtlich ihres Umgangs mit dem Politischen. Auf dem Boden stabiler demokratischer Überzeugungen wird man wohl realiter darin übereinkommen können, dass erfolgreiche um Macht- und Führung angetretene Parteien Gegner im politischen Wettbewerb nicht zu ein für alle Mal auszuschließenden Feinden stilisieren müssen, dass unterlegene Machtansprüche sich im selben Geist mit den Resultaten der Willensbildung, mit der damit legitimierten, aber auf Zeit begrenzten Herrschaft abfinden und nicht ihrerseits den Kriegszustand erklären. Der Antagonismus, die Feindschaft stellt die Grenze des Politischen dar. Von diesem Außen her artikulieren sich die Handlungs-, Gestaltungs- und Geltungsansprüche im Rahmen der Ordnung des gesellschaftlichen Verkehrs hegemonial, indes unter kontingenten Umständen. Trotzdem hat die hegemoniale Intervention »konstitutive[n] Charakter«, denn, obwohl den Umständen entsprechend zugeschnitten, werden die »hegemonialen Artikulationen« die »sozialen Verhältnisse in einem primären Sinn instituieren, unabhängig von irgendeiner apriorischen sozialen Realität.«331 Es ist wie im Verhältnis von Szene und Situation: Die vergangenen Instituierungen, die aus ehemaligen szenischen Auseinandersetzungen herrühren, bleiben in den Sedimenten des Situativen eingekapselt wie die Handgriffe der Maurer und Zimmerleute in den Werken der Baukunst. Niemals können darum im aktuellen szenischen Agon die vor Zeiten verhandelten und zu stabilen Formen geronnenen Dispositionen allesamt in Frage gestellt werden. Im Kampf um die Hegemonie allerdings wird der Wettstreit offenbar, indes ohne seine Bedeutung auch schon über das Anliegende hinaus kundzutun. Erst in seinen Konsequenzen offenbart er seine gesellschaftsprägenden Wirkungen, nun aber ohne dass das Gesellschaftsfeld selbst von einem dauernden Kampf aller gegen alle um alles verwüstet würde. Zu vieles liegt beruhigt. Was demnach obsiegt, bleibt vielleicht nicht mehr der schnell getilgten Zufälligkeit eines vergangenen Erfolgs verhaftet, dafür aber der Kontingenz wechselnder Gegnerschaften und Konflikte ausgesetzt, ständigen Sicherungsunternehmen, Verabredungen und Neuverhandlungen anheimgestellt, der Handlungsvariabilität, mit anderen Worten, politischer Grenzziehungen. Indem derart eine Ordnung errungen und errichtet wird, sich durchsetzt und konsolidiert, werden die Möglichkeiten alternativer Gestaltung zumindest für eine Zeit blockiert, verhindert. Es ist Homer, der seine Geschichte über den trojanischen Krieg mit einem politischen Statement beginnt, heroisch in seiner Art, versteht sich. Achill hält es Agamemnon, dem »Herrscher des Volks« und zugleich »Volksverschlinger« entgegen, wenn er ihm ins Gedächtnis ruft, dass jeder hegemoniale Anspruch sich im Agon (gleich welcher Art) zu bewähren und zu rechtfertigen habe, die soziale Instituierung der Herrschaft auf diese Weise stets für alle sichtbar sein müsse, ihre Legitimität nicht einfach mit Hinweis auf diesen oder jenen Stiftungsmythos als alternativlos behauptet werden könne. Nur unter diesen Voraussetzungen darf die Einrichtung der Ordnung wahrhaft »politisch« genannt werden. »Politisch« kann demnach nur heißen, sich und der eigenen Partei ebenso wie den Gegnern, ja auch den Feinden vor Augen zu führen und bewusst zu machen, dass die Herrschaft, die die Verhältnisse des Gemeinwesens derzeit definiert, auf einem Projekt unter anderen beruht, die Verhältnisse, wie sie sind, daher jederzeit auf dem Spiel stehen.332
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Dass an dieser Stelle die Inszenierungsstrategen auftreten und dafür werben, dem dauernden Kampf durch seine vorgetäuschte Abschaffung ein für alle Mal ein Ende zu machen, dazu raten, alle tatsächliche Gegnerschaft anhand der Vorführung gegenteiliger Evidenzen und mit Hilfe geeigneter Affektmodulation bei den Gefährdeten auszuhebeln, wird niemanden wundern. Die Konsequenzen, die drohen, liegen auf der Hand: Die Lösungen geraten ins Extreme, der Inszenierung der Gewaltlosigkeit tritt die Radikalisierung der bleibenden Feindschaften zum schlechthin vernichtungswürdigen Inhumanen und Bösen an die Seite. Zur liberalen Fassung der Konsum-, Kompromiss- und Konsensgesellschaft wiederum gehört, die »Gesellschaftsgestaltung von unten« (Beck) zu propagieren und die Ansprüche der Individuen zu bedienen durch »Subpolitik«. »Subpolitik« ist ›postpolitisch‹, setzt nicht mehr auf traditionelle kollektive Akteure, wie »Volk«, »Klassen«, »Parteien« oder relevante soziale Korporationen, wie sie vor kurzem etwa noch die Gewerkschaften darstellten. Subpolitik »unterscheidet sich von Politik, dadurch, daß (a) auch Akteure außerhalb des politischen oder korporatistischen Systems auf der Bühne der Gesellschaftsgestaltung auftreten [...]; und (b) dadurch, daß nicht nur soziale und kollektive Akteure, sondern auch Individuen mit jenen und miteinander um die entstehende Gestaltungsmacht des Politischen konkurrieren«.333
Die Zerstreuung der politischen Akteure und Agenzien wird die Sicherheitslage nicht vorteilhafter erscheinen lassen, ganz abgesehen von der ökonomischen Dissoziation, die oft genug im Politik-Diskurs ganz an den Rand gedrängt erscheint. Die »Risikogesellschaft« ist die Schwester einer Gesellschaft prekärer Verhältnisse. In der Beck´schen Konzeption indes gilt es als gutes Zeichen, wenn sich die Masse der Bevölkerung einem allgemeinen Skeptizismus verschreibt. Wer zweifelt, wird Sinn haben für die Notwendigkeit von Kompromissen, wer stets und überall zweifelt, wird den Kompromiss jederzeit und angesichts jeder Aufgabenstellung für die Lösung der Wahl halten. Umgekehrt wird der Kompromiss, die Erwartung eines Gewinns, der sich angesichts des Marktes auch erzielen lässt, als realitätsgerecht beurteilt, erfolgt doch die Wette keinesfalls blauäugig, sondern stets die Schwankungen des Markts kalkulierend. Hier setzt die Bewirtschaftung der Lebensführung der Menschen an, wie sie die sozialdemokratischen Vordenker empfehlen und als empowerment verkaufen: Ermächtigung aufgrund einer positiven Gemütslage, insbesondere sich dazugehörig und deshalb geschätzt zu fühlen.334 Die »Politik der Lebensführung« (Giddens335) tritt an die Stelle der überkommenen ›Politik der Emanzipation‹.
Kosmopolitismus & Globalisierungsutopien Das liberaldemokratische Programm, das der Heidegger´schen Analyse der »Eroberung der Welt als Bild« kontrakritisch nachempfunden sein könnte, ist verständlicherweise besonders erfolgreich in der Mobilisierung des kosmopolitischen Gedankenguts. Der globalisierte Raum wird hier nicht als gefurcht und heterogen, multipolar und besetzt gedacht, sondern als ein inane nach Vorbild Colons, als eine homogen westlich zu gestaltende Welt. Man fühlt sich an Kants optimistisch aufklärerischen Kosmopolitismus erinnert, den er wider jede Evidenz im Umgang der Staaten miteinander dennoch dazu brauchte, die Gemüter der Untertanen angesichts der inneren Konflikte der Herrschaft im Gemeinwesen ruhiger zu stimmen. Nach Nine Eleven und dem offensichtlichen Einbruch des Marktmodells ebenfalls
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in globalem Umfang werden die Konsequenzen auf die staatlich geordneten Sozialverhältnisse in lokaler oder regionaler Größenordnung, die nationalen und für unsere Breiten europäischen Zustände und ihre Widersprüche zurückwirken. Dies wird die Empire-Fiktionen vom Schlag der Hardt-/Negri´schen Globalisierungsutopien in den Bereich der Literatur verbannen. Die »Befreiung« der »Multitude« aus den territorial begrenzten Staatlichkeiten und die Abschaffung der nationalen Souveränitäten wird sich nicht an der schönen Welt globalisierter Verhältnisse ein Beispiel nehmen können, weil es sie ganz offensichtlich nicht gibt.336 Es erübrigt sich, überhaupt Beispiele dafür anführen zu wollen, der Tatbestand ist evident. Viel eher werden sich – umgekehrt – schon narkotisierte Mitspieler in überschaubareren Szenarien den eigenen Ansprüchen gegenüber sensibler zeigen und sich darauf besinnen, dass sie möglicherweise nur in dezidierter Gegnerschaft zur derzeitigen ›lokalen‹ Herrschaft und den Maßgaben des hier favorisierten Gesellschaftsentwurfs eine Chance auf Realisierung haben. Dies wird unheroisch und ganz pragmatisch vonstatten gehen können. Die Anstrengung allein, die es kostet, an dieser Gegnerschaft gestaltend mitzuarbeiten, ist geeignet, jedes Pathos des Widerstands vollständig zu ersetzen, allemal, wenn Erfolge für sich sprechen, Gewohnheitsveränderungen eintreten.
Normorientierung & Pragmatismus des Widerstreits Der Pragmatismus, der hier gefragt ist, sollte zu den Spielregeln gehören, heißt es nicht selten auch bei denen, die die offen ausgetragene Gegnerschaft nachdrücklich befürworten.337 Weder dürfe der politische Agon zur Feindschaft umgedeutet und mit Vernichtung bedroht werden, noch dürfe die Gegnerschaft geleugnet, dissimuliert und auf diese Weise jeder nicht pazifizierte Widersacher zum auszulöschenden Feind erklärt werden – die eine Variante virulenter im Inneren der territorialen Ordnungen, die andere verbreiteter auf dem Vormarsch bei der globalen Eroberung. Womöglich aber gehört diese unterschreibenswerte Spielregel auch zu den normativen Vorstellungen von Politik, der eine Politik des Politischen, die die Inszenierung seiner Abschaffung ablehnt, nicht gehorchen mag. Dumm, wenn gerade sie mit Erfolg die Rolle des Hegemons auf die Bühne stellt und »kontrahegemoniale Verfahrensweisen« (Mouffe) sich der Konkurrenz nicht stellen wollen. Carl Schmitts Kritik am Liberalismus galt der Marktdoktrin als Staatsdoktrin; liberale Ideen gegen restaurative oder konservative Positionen in Anschlag zu bringen inkriminierte die Kritik dabei keineswegs. Im Fokus stand viel mehr eine Politik, die das Politische zerstört und an die Stelle des sichtbaren Wettkampfs die allgemeine Skepsis gegenüber einem nicht mehr Durchschaubaren fördert. Dies Denken sah Schmitt sich drehen »in einer typischen, immer wiederkehrenden Polarität von zwei entgegengesetzten Sphären, nämlich von Ethik und Wirtschaft, Geist und Geschäft, Bildung und Besitz«. Die damit verbundene Politik, so Schmitt, nimmt keinerlei Bezug auf die »realen Möglichkeit[en] der Freund- undFeindgruppierung[en]«, »gleichgültig, was für die konfessionelle, moralische, ästhetische, ökonomische Bewertung des Politischen daraus folgt.«338 Tut sie es doch, zeichnet sich der Ausnahmezustand ab, dessen Realität nicht, wie Agamben in der Dekonstruktion Schmitts und mit Bezug auf Benjamin zeigt, die Rechtlosigkeit an die Stelle der Souveränität treten lässt und sich als Krieg, offene Gewalt äußert, sondern von der ›versachlichten Staatssouveränität‹ getragen wird. »Der Ausnahmezustand hat heute seine weltweit größte Ausbreitung erreicht.« Der Ausnahmezustand
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bezeichnet wie die Feindschaft eine Grenze, von der her Begrenzungen ausgewiesen werden können. Das »Problem seiner Definition betrifft genau eine Schwelle oder eine Zone der Unbestimmtheit, in der innen und außen einander nicht ausschließen, sondern sich un-bestimmen. Die Suspendierung der Norm bedeutet nicht ihre Abschaffung, und die Zone der Anomie, die sie einrichtet, ist nicht ohne Bezug zur Rechtsordnung.«339
Die Aussage, dass souverän ist, wer über den Ausnahmezustand gebietet340, wird man allen Verfechtern von Volkssouveränität mit Realitätssinn – mehr als sich rituell auf den Mythos der revolutionären Gründung und Legitimation solcher Souveränität zu beziehen – ans Herz legen. Würde man, Benjamin und Agamben folgend, als »Ausnahme« gerade diejenigen Situationen und Szenen bestimmen, die andere als die eigenen sind, mit einem anderen Leben, anderen Rollen und Botschaften, einem Nichtwissen verbunden scheinen – und wohl auch als solche nicht selten sich erweisen –, obwohl sie sich zeigen und anfühlen wie das Zugehörige und Gewohnte, würde über beides verfügen zu wollen, über die Grenze, durchaus beinhalten, Souveränität zu beanspruchen. Auf dem Politischen der Politik zu beharren heißt, die Strategien seiner Verschiebung und Ersetzung durch Inszenierung und mediale Verdeckung zu studieren, Methoden und Techniken anzueignen zu alternativer Instituierung des Gesellschaftlichen, wo es angezeigt ist. Das Politische der Politik zu reklamieren bedeutet, auch in der Demokratie die Legitimität eines offenen Wettkampfs um die Macht und der damit verbundenen Parteinahmen zu behaupten. Es heißt, Herrschaftsverhältnisse dort sichtbar zu halten, wo marktkonforme Konsumentenorientierung und scheinbar jedermanns Vernunft einsichtige Verabredungskonzepte der mediengestützten Verschleierung gesellschaftlicher Antagonismen den Boden bereiten und ernsthafte Gegnerschaften, die Auseinandersetzung um wirkliche Alternativen gesellschaftlicher Ordnung, als überwunden und überflüssig erscheinen lassen. Auf dem Politischen zu bestehen beginnt beim Streit um die Wörter und die Begriffe, um Darstellungen jeder Art. Vorzüglichen gelten die Anstrengungen den Medien und ihren Formatierungen. Die Aufforderung lautet, der theatergerechten Umgestaltung aller Szenen des Sozialen zu widerstehen, auf welchem Podium auch immer.
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anmerkungen teil iv 1
Michel Certeau: Die Kunst des Handelns, Berlin 1988, S.20f, zit. als Certeau 1988: Kunst des Handelns.
2
Vgl. Carl Schmitt: Der Begriff des Politischen, (3. Aufl.) Berlin 1991 nach der Ausgabe von 1963 (zuerst 1932); zit. als Schmitt 1932/1991: Begriff des Politischen; ders.: Die Einheit der Welt, in: Merkur, VI, I, 1952, S.1-11.
3
Zur Rousseau-Komödie siehe: Jean-Jacques Rousseau: Narziß oder Wer sich selbst liebt. Eine Komödie (1752). Siehe Mythos Narziß. Texte von Ovid bis Jacques Lacan, Leipzig 1999. Zum HeldenMythos im Kontext der diskussion vgl. Otto Rank: Der Mythos von der Geburt des Helden. Versuch einer psychologischen Mythendeutung (Schriften zur angewandten Seelenkunde, hgg. von Prof. Dr. Sigmund Freud, Fünftes Heft), Leipzig und Wien 1909; Reprint Nendeln/Liechtenstein 1970, S.21/22 (zuletzt veröffentlicht bei Turia & Kant, Wien 2000 u.ö.; zit. als Rank 1909/1970: Geburt des Helden).
4
Zitiert bei Starobinski 1990: Das Rettende in der Gefahr, S.207.
5
Vgl. Starobinski 1990: Das Rettende in der Gefahr, S.355, das Homer-Zitat ebd., S.356.
6
Vgl. Homer: Ilias, I, 5-245.
7
Vgl. Homer: Ilias, IX, 225-310.
8
Homer: Ilias, IX, 312f.
9
Homer: Ilias, IX, 375f; das folgende Zitat Zeilen 332f., ebd.
10
Vgl. Gertrude E. M. Anscombe, Intention, London 1957, (2. Aufl. 1963); dt. dies.: Absicht, übers., hgg. und eingeführt von John M. Connolly und Thomas Keutner, Freiburg/München 1986; zit. als Anscombe 1957/1986: Intention/Absicht.
11
Starobinski 1990: Das Rettende in der Gefahr, S.360.
12
Rudolf Eisler: Kant-Lexikon, Wiesbaden 1964, Art. Pragmatisch, S.430; Hervorhebung – HW; zit. als Eisler 1964: Kant-Lexikon.
13
Kant 1798/1968: Anthropologie, 2.Buch, S.324, S.323.
14
Vgl. Foucault 1966: Die Ordnung der Dinge.
15
Foucault 2014: Regierung der Lebenden, S.134.
16
ARD, 14.12.2013, ein Bericht über die Bewertung des Entscheids durch den Parteivorsitzenden der SPD, Sigmar Gabriel: »Ein Fest der Demokratie..., das in die Geschichte der Demokratie in Deutschland eingeht«.
17
Nachdem den Mitgliedern zuvor eingehämmert wurde, dass ein negatives Votum zur Großen Koalition die »Enthauptung der Partei« bedeute.
18
Heidegger 1950/2000: Das Ding, S.167; das folgende Zitat ebd., S.182.
19
Gesendet in: Illner Intensiv, eine Art Sondersendereihe für die Bundestagswahl 2013. Das ZDF schrieb über die Sendung: »Zur Bundestagswahl 2013 wird ZDF-Polit-Talkerin Maybrit Illner erstmalig eine Woche lang die wichtigsten Wahlthemen, versprechen und programme checken.« (Quelle http:// blog.magitek.de; Zugriff 12_2013).
20
Kant 1798/1968: Anthropologie, Bd.VII, S.167; die nächsten Stellen ebd., S.161f. und S.167.
21
Vgl. Kant 1798/1968: Anthropologie, §§41f, S.197ff; die beiden folgenden Kantzitate ebd., S.172, S.80.
22
Vgl. Kant 1798/1968: Anthropologie, §31, S.174ff zu den »drei verschiedenen Arten des sinnlichen Dichtungsvermögens«, dem »bildenden der Anschauung im Raum«, dem »beigesellenden der Anschauung in der Zeit« und dem »der Verwandtschaft aus der gemeinschaftlichen Abstammung der Vorstellungen voneinander« (S.174).
23
Vgl. Deleuze 1993: Logik des Sinns, S.215.
24
Um es mit einer Definition aus Lotzes Grundzüge der Logik zu sagen.
25
Kant 1798/1968: Anthropologie, S.180.
635
26
Vgl. Peirce 1909/1993: Signifik und Logik 1.
27
Vgl. Kant 1798/1968: Anthropologie, Zweiter Teil. Die anthropologische Charakteristik, AA, Bd.VII, S.283. Die Verbreitung der Skepsis als allgemein verbreitete Einstellung gegenüber der Präsenz des Politischen diagnostiziert auch der Theoretiker des sozialliberalen Überwindung überkommener Politiklegitimation zugunsten einer Würdigung allgemeiner »Lebensführung« und ihrer Bewirtschaftung durch Politik. Siehe Anthony Giddens: Jenseits von Links und Rechts. Die Zukunft radikaler Demokratie, hgg. von Ulrich Beck, Frankfurt am Main 1997; zit. als: Giddens 1997: Jenseits von Links und Rechts.
28
Wobei sich, selbstverständlich, im Einzelnen Formate denken und anführen lassen, die der Kritik selbst Rechnung tragen. Statistisch ist dies unerheblich im Sinne der Argumentation Bourdieus.
29
Foucault 2010: Einführung Anthropologie, S.82.
30
Es kommt mithin nicht von ungefähr, dass Kant in seiner pragmatischen Anthropologie in §38 des 1. Buchs über die Erkenntnisvermögen »von dem Bezeichnungsvermögen« handelt (S.191ff), so wenig wie für Peirce, dass er »Medium« und »Zeichen« synonym benutzt.
31
»Erscheinung« verobjektiviert begrifflich, was ansonsten nur »scheint«.
32
Friedrich Schiller: Über Anmut und Würde, in: Werke, Bd.II, S.535.
33
Es liegt nahe, anzunehmen, dass sich die Frage umstandslos auch auf das Medium Bild übertragen ließe, wenn es statisch als Gemälde oder Foto an der Wand hinge.
34
Niklas Luhmann: Legitimation durch Verfahren, Neuwied 1969; Frankfurt am Main 2013. Dazu mit Blick auf die Rolle der Medien querzulesen, um im Kontext der Verfahrensinstallation Luhmanns These zur Komplexitätsreduktion beurteilen zu können, ders.: Die Realität der Massenmedien, Opladen 1995/Wiesbaden 2013. Zu den berechtigten Einwänden siehe schon Jean-François Lyotard: Das postmoderne Wissen. Ein Bericht, Wien 1986; zit. als Lyotard 1986: Postmodernes Wissen, vor allem Kap.11. Zum Zusammenhang siehe Theodor W. Adorno u.a.: Der Positivismusstreit in der deutschen Soziologie, 2. Aufl. Darmstadt/Neuwied 1972; ders.: Kritik. Kleine Schriften zur Gesellschaft, hgg. von Rolf Tiedemann, Frankfurt am Main 1971, ders.: Philosophie und Gesellschaft. Fünf Essays. Stuttgart 1984; siehe auch Jürgen Habermas/Niklas Luhmann: Theorie der Gesellschaft oder Sozialtheorie – was leistet die Systemforschung? Frankfurt am Main 1971; zit. als Habermas/Luhmann 1971: Theorie der Gesellschaft. Jürgen Habermas: Zur Logik der Sozialwissenschaften, Frankfurt am Main 1970; zit. als Habermas 1970: Logik der Sozialwissenschaften.
35
Um sich im Verlauf des 19. Jahrhunderts in ihre Herkünfte auszudifferenzieren, namentlich Wissenschaft, Kultur und Philosophie als ein Drittes in der Differenz der beiden eröffneten Wege nomothetischer oder ideographischer Wissenschaften.
36
Nietzsche 1877: NF, 22 (76).
37
Vgl. den Beitrag des Wissenschaftshistorikers Caspar Hirschi: Transparenz ist nur eine andere Art von Intransparenz, in: FAZ Nr. 6/2014. Wohingegen Niklas Luhmann diese Begründung für die Verfahrenslegitimation angesichts der Realität der Massenmedien implizit zurücknimmt.
38
Vgl. Bazon Brock: Der Schauspieler ist nicht des Autors König. Merkel ist nicht die Kanzlerin, auf: http://www.bazonbrock.de/ werke/ detail/ ?id=2881; Zugriff 12_2013. Zu einer vergleichbaren Argumentation Bourdieus siehe Bourdieu: Praktische Vernunft. S.114: »Der Präsident der Republik ist jemand, der sich für den Präsidenten der Republik hält, aber im Unterschied zu dem Irren, der sich für Napoleon hält, als jemand anerkannt wird, der dazu auch berechtigt ist.«
39
In der Logik des Ratings, der statistischen Versicherung über die Produktivität, gleich Effektivität des Outputs, steht daher am Ende einer jeden Verfahrensoperation die protokollierte Zustimmung aller Beteiligten. Auf diese Weise ist zukünftiger Widerspruch ausgeschlossen, lässt sich jederzeit mit dem signierten Einverständnis konfrontieren und als illegitim denunzieren.
40
Vgl. Jürgen Habermas: Strukturwandel der Öffentlichkeit. Untersuchungen zu einer Kategorie der bürgerlichen Gesellschaft, Neuwied 1962 (mit neuem Vorwort Frankfurt am Main 1990; zit. als Habermas 1962/1990: Strukturwandel der Öffentlichkeit). Ders.: Vorbereitende Bemerkungen zu einer Theorie der kommunikativen Kompetenz, in: Habermas/Luhmann 1971: Theorie der Gesellschaft; ders.: Theorie des kommunikativen Handelns, Frankfurt am Main 1981; ders.: Faktizität und Geltung. Beiträge zur Diskurstheorie des Rechts und des demokratischen Rechtsstaates, Frankfurt am Main 1992.
636
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41
Foucault 1970/71/2012: Wille zum Wissen, Vorlesungen, S.250; vgl. Foucault 1968/2001: Archäologie der Wissenschaften, S.250.
42
Die sich allerdings selbst wiederum als »Ereignisse eines Diskurses«, wie Foucault bis zu den 70er Jahren formuliert (vgl. Anm. 19, S.258 in: Foucault 1970/71/2012: Wille zum Wissen, Vorlesungen), identifizieren lassen. Als Indikatoren dienen: die Feststellung eines »Diskurstyps«, die Auszeichnung dessen, was er beinhalten und wer ihn halten soll, schließlich »die Art der Aussagen, zu denen er Anlass gibt« (ebd., S.25). Foucault weist ausdrücklich darauf hin, dass der Diskurs durchaus auch eine »Verdunklung des Kampfes bewirken« kann (ebd., S.251). Vgl. auch Foucault 1968/2001: Archäologie der Wissenschaften; Foucault 1969/1973: Archäologie, »Die Einheiten des Diskurses«; Foucault 1970/1974: Antrittsvorlesung.
43
Foucault 1970/71/2012: Wille zum Wissen, Vorlesungen, S.129 Zur Bedeutung des krinein und zur Inszenierung der Wahrheitsbehauptung vgl. Vorlesung 7 vom 10. 02. 1971, ebd., S.147-150.
44
Foucault 1970/71/2012: Wille zum Wissen, Vorlesungen, S.129f.
45
Dezidierte Ausnahmen wären zum Beispiel Szenen performativ wissenschaftlicher Debatte mit der entsprechenden Verpflichtung auf einen wahren Diskurs. Die Ad-hoc-Demonstration in einem solchen Ambiente relativiert aber auch hier die Legitimation als vor allem im szenischen Austrag relevant. Es geht darum, wessen Argumente überzeugen, siegen und symbolisches Kapital eintragen. Der Charakter der Wahrheitsreferenz, ob man sich, bezogen auf ein Wahrheitsregime oder eine Wahrheitsevidenz, zu Recht oder zu Unrecht einem Wahrheitsauftritt beugt, lässt sich performativ aufgrund von Indikation (zum Beispiel eines bestimmten Diskursbezugs) vermuten, aber, mit wenigen Ausnahmen, nicht vollständig entscheiden. Vgl. Foucault 1979/80/2014: Regierung der Lebenden, S.135: Entweder hat man es zu tun »mit einer echten Wahrheitspflicht« oder mit etwas, »was man als Nötigung zum Nicht-Wahren oder als Nötigung und Verpflichtung zum NichtVerifizierbaren bezeichnen könnte.« Die »Verfahren [...], egal ob es sich um Wahrheiten, Lügen oder Irrtümer handelt, [...][sind] exakt dieselben«. Hier spricht man von »Wahrheitsregime« oder »Wahrheitszwang«.
46
Vgl. Foucault 1979/80/2014: Regierung der Lebenden, vom 06. Februar 1980, S.134-144. Insofern hat die seit Mitte der 70er Jahre von Foucault erweiterte Position zur Beurteilung des »Systems der Veridiktion« oder des »Wahrheirsregimes« für die Szene im Allgemeinen auch eine andere Relevanz als für den (beispielsweise politischen, ökonomischen oder juristischen) Diskurs. Vgl. Foucault 2006: Geburt der Biopolitik; Foucault 1979/80/2014: Regierung der Lebenden; siehe Teil III, Anm. 27. Freilich gibt es auch genug Szenen, für die gilt, dass sich »ein Individuum innerhalb des Aktes unterwirft, durch den es sich zum Akteur einer Wahrheitsmanifestation macht« (zit. in der Anm. ebd.).
47
Foucault 1970/71/2012: Wille zum Wissen, Vorlesungen, S.130; Foucault 1979/80/2014: Regierung der Lebenden, S.135.
48
Vgl. beispielsweise die neueren Studien von Isabelle Stengers. (Siehe auch Stengers 2000: Invention of Science).
49
Vgl. Clifford Geertz: Dichte Beschreibungen. Bemerkungen zu einer deutenden Theorie der Kultur, in: ders.: Dichte Beschreibungen. Beiträge zum Verstehen kultureller Systeme, Frankfurt am Main 1983. Zu den Grundlagen vgl. Paul Ricœr: Der Text als Modell: hermeneutisches Verstehen, in: Seminar: Die Hermeneutik und die Wissenschaften, hgg. von Hans-Georg Gadamer und Gottfried Boehm, Frankfurt am Main 1978, S.83-117; zit. als Ricœr 1978: Text als Modell. Siehe auch Foucault 1966: Ordnung der Dinge). Unten diskutieren wir die Frage der Lektüre mit Blick u.a. auf Roland Barthes.
50
»Die semiotische oder symbolische Funktion [Funktionen, die hier synonym behandelt werden – HW], d.h. die Funktion der Substitution von Zeichen stellt hier mehr als einen nur sekundären Effekt des sozialen Lebens dar. Sie ist geradezu seine eigentliche Grundlage.« Folglich ist »die symbolische Funktion sozial« und die »soziale Wirklichkeit von Grund auf symbolisch« (Ricœr 1978: Text als Modell, S.114). Das Problem ist, dass der Semiose hier – um mit Peirce zu reden – offenbar gar keine Alternative bleibt, als den finalen Interpretanten auf Symbole zu konditionieren, was bei Peirce selbst, allerdings, eben nicht der Fall ist und deshalb auch andere Bedeutungsmöglichkeiten als diskursiv textuelle resultieren lässt. Ricœr immerhin schränkt die These ein und versteht Kultur als textanaloges Gewebe. Geertz wiederum vertritt eine deutliche textorientierte Position (vgl. Kultur, soziale Praxis, Text. Die Krise der ethnographischen Repräsentation, hgg. von Martin Fuchs und Eberhard Berg, Frankfurt am Main 1993, und darin den Beitrag der Herausgeber:
637
Phänomenologische Differenz. Reflexionsstufen ethnographischer Repräsentation, S.11-108). Überdeutlich ist Günther Bentele wie etwa in: Kultur in semiotischer Perspektive – Zur Einleitung (in: Ivan Bystrina: Semiotik der Kultur. Zeichen-Text-Codes, Tübingen 1989, Einleitung S.I), der die semiotische Reduktion auf den Nenner bringt, »daß alle kulturellen Prozesse Zeichenprozesse sind und daß alle kulturellen Produkte als Texte behandelt werden können«. 51
Vgl. Serres 1994: Wissenschaftsgeschichte. Ders.: Paris 1800, ; in: Serres u.a.1994; Wissenschaftsgeschichte. Ders.: Paris 1800, ebd. S.597-644; zit. als: Serres 1994: Paris 1800.
52
Siehe Foucault 1966: Ordnung der Dinge, Kap.10, besonders 10,III, S.426ff. Foucault sieht die Projektion in Rahmen der »konstituierenden Modelle« – nachvollziehbar, wenn man sich die Projektionsmetapher vor Augen führt – mit einer damit verbundenen topografischen Vorstellung eines beleuchteten Gebiets (stellen wir uns die Projektion als Beleuchtung vor). Entsprechend besitzt das Behauptungsblatt – um den Gedanken mit Peirce´schen Vorstellungen zu verbinden – einen Rahmen, in dessen Grenzen ›proponiert‹ beziehungsweise überhaupt Auskunft gegeben wird darüber, um was es geht. »Behauptungsblatt« ›besagt‹, dass in seinem Rahmen ›Behauptungen‹ projiziert erscheinen. Auf diese Weise kommt es zu binären Bestimmungen der Projektion. Funktionen lassen sich nur aufzeigen in einem Rahmen der akzeptierten Größen, die den funktionalen Kontext normieren; Funktionen sind nur beschreibbar in einem Funktionsgefüge. Widerstreitende Interessen und egoistisches Verhalten wiederum sind unter Bedingungen entsprechender Bewegung nur in einem Rahmen der Beherrschbarkeit sinnvoll darzustellen. Er ließe sich beispielsweise als ein konsensuelles oder auf gegenseitiger Anerkennung beruhendes Miteinander profilieren. Bedeutung schließlich braucht ein System des Bedeutenlassens und der dort akzeptierten Regeln. So kommt es, dass Foucault die drei Modellpaare Funktion und Norm, Konflikt und Regel, Bedeutung und System ausweist. Diese drei Paare »bedecken [...] ohne Rückstand das gesamte Gebiet der menschlichen Erkenntnis«. Hervorzuheben in guter Kant´scher Tradition: der menschlichen Erkenntnis (Foucault 1966: Ordnung der Dinge, S.428).
53
Vgl. Foucault 1966: Ordnung der Dinge, S.428f.
54
Dies lässt sich anschaulich nachlesen eben nicht nur in den Beiträgen zur sozial- und subjektinteressierten Humanwissenschaft des 19. Jahrhunderts in der Ausdifferenzierung von Soziologie über Völkerkunde oder Ethnologie bis hin zur Psychologie und Psychoanalyse. In den einschlägigen wissenschaftshistorischen Darstellungen zu den oben genannten naturwissenschaftlich interessierten Lebenswissenschaften des 19. Jahrhunderts (Biologie, Physiologie, Anatomie etc.) schlägt das humanwissenschaftliche Gebot ebenso durch. Vgl. etwa die Studien am Beispiel der Forschungen zur »Selbstdarstellung« der Natur beziehungsweise natürlicher Objekte. Eine der letzten Veröffentlichungen zu Helmholtz´, Bois Raymonds und Mareys europäischem Forschungsprogramm im Kontext der sich etablierenden Informations-, Kommunikations- und Medientechnologie und -technik findet sich in: Schmidgen 2009: Helmholtz-Kurven.
55
Siehe Wittgenstein, PU, §130; Lyotard 1986: Postmodernes Wissen, S.120.
56
»Höchst selten«, da sich die Projektierung einer Inszenierung selbst szenisch vorstellen lässt, zum Beispiel im Ausbildungskontext, ebenso wie die Exegese eines Textes, zum Beispiel in Predigt oder Vortrag.
57
Platon: Kratylos, 384d/e.
58
Platon: Kratylos, in der Reihenfolge der Zitate: 387b ff; 391a/b; 423b.
59
Wittgenstein 1969: PU, III, §33, S.70.
60
Platon: Kratylos, in der Reihenfolge der Zitate: 423b ff; die folgenden Zitate siehe ebd., 423/424.
61
Platon: Kratylos, 432d; das nächste Zitat ebd., 433d/b.
62
Durch »Gleiches und Ungleiches«; ebd., 435b.
63
Die Nähe von eidos und (e)idea ist offenkundlich.
64
Platon: Kratylos, 435a/b/c.
65
»kai ethos symballesthai pros dēlosin hôn dianoumenoi legomen.« (Platon: Kratylos, 435b; alle weiteren Kratylos-Zitate ebd.)
66
Anders aber auch: teils konzeptualistischen, teils metaphysischen.
638
iv medien, politik, ökonomie
67
Vgl. die Darstellung, die Peirce gibt, in: Charles S. Peirce: Essays über Bedeutung (H). Entwürfe zu einem Logikbuch der Jahre 1909-10; V. Definition MS 646 (1910), in: Peirce 1993: Semiotische Schriften 3, S.421-423; zit. als Peirce 1910/1993: Essays über Bedeutung V, MS 646.
68
Im Zusammenhang der Ansätze zur Begründung des Pragmatismus: Siehe die Erläuterungen in: Charles S. Peirce: Der Kern des Pragmatismus. Drei Ansätze zu seiner Begründung (H), (MS 318; 1907), 3. Auszug, 4. Fragment (Prag. 10-56), in: Peirce 1993: Semiotische Schriften 3, S.295f.; zit. als Peirce 1907/1993: Kern des Pragmatismus, IV.
69
Vgl. Peirce 1907/1993: Kern des Pragmatismus, IV, S.297-306, mit Peirce 1910/1993: Essays über Bedeutung V, MS 646, S.427-429.
70
Peirce 1910/1993: Essays über Bedeutung V, MS 646, S.447.
71
Peirce 1907/1993: Kern des Pragmatismus, IV, S.297.
72
Peirce 1907/1993: Kern des Pragmatismus, IV, S.304f.; Hervorhebung – CSP.
73
1906/1993: Prolegomena IV, P1128, S.145; zum »Realen Objekt«, vgl. Charles S. Peirce: Logik: Als Untersuchung der allgemeinen Natur der Zeichen aufgefaßt, II. Kapitel 1: Was Logik ist, (1908, MS 609), in: Semiotische Schriften 3, S.319-321; zit. als Peirce 1908/1993: Logik (MS 609).
74
Vgl. Peirce: CP 8, 314 (1909).
75
Vgl. die Beispiele ebd., S.306.
76
Peirce 1910/1993: Essays über Bedeutung V, MS 646, S.429; Hervorhebung – CSP. Die detaillierte Begründung erfolgt auf den folgenden Seiten.
77
1906/1993: Prolegomena IV P1128, S.135-137.
78
Was eigentliche Funktion eines Index ist nach Peirce: ein Stück des Objektes anzuzeigen, für das er Anzeichen ist.
79
Denn selbstverständlich können auch technische Artefakte und Maschinen die Auswertung übernehmen.
80
Vgl. Ästhetik des Politischen. Politik des Ästhetischen, hgg. von Karlheinz Barck und Richard Faber, Würzburg 2000.
81
Durchaus in beiden Facetten des Verständnisses!
82
Wenn wir seltene Praktiken wie die Bewältigung logischer Probleme mit Hilfe »phemischer Logik« oder vergleichbar exotische Szenen unberücksichtigt lassen. Doch auch da wird die Szene gemeinsamer Vergewisserung berechtigter Schlussfolgerungen nicht diktiert, sondern performativ ästhetisch geöffnet, ausgehend von einer existierenden Darstellung, die freilich alles, was sie darlegen kann, auch auf den Tisch legt.
83
Zu Beispielen einzelner Untersuchungen solcher Szenarien siehe Wilharm 2009: Ereignis, Inszenierung, Effekt, Kap.3: »Physik und Ereignis – Gallilei-Inszenierungen bei Isabelle Stengers« (S.231ff) und Kap. 7: »Spur - Bild -Text« (hier u.a. zur Entwicklungsgeschichte der Genetik; S.252ff).
84
Siehe Heidegger 1935/1972: Der Ursprung des Kunstwerks, S.58.
85
Zu Einzelstudien zu den ›weichen‹ Wissenschaften Geschichte und Literatur vgl. ebenfalls in Wilharm 2009: Ereignis, Inszenierung, Effekt, Kap.1 »Dichtung und Ereignis – Vergil inszeniert Vergil« (S.220ff) und Kap.2 »Historiographie und Ereignis – Paul Veyne inszeniert die römische Agrargeschichte« (S.225ff).
86
Zum Motiv des Tauschs im Rahmen von Handlungs-Szenfikationen vgl. die Aufsätze der Herausgeber von Bd.1 der Reihe Szenografie & Szenologie; Ralf Bohn: Versteckspiel. Bausteine einer Genealogie der Szenifikation, in: Bohn/Wilharm 2009: Ereignis und Vertrauen, S.61-103, und Wilharm 2009: Ereignis, Inszenierung, Effekt, ebd., S.207-267.
87
Siehe die Kleist´sche Analyse in der Parabel vom Marionettentheater. Kleist ist ein scharfer Kritiker der auf Szenografie zentrierten Inszenierungstheorie! Heinrich von Kleist: Das Marionettentheater, in ders.: Sämtliche Werke, hgg. von Hans Jürgen Meinerts, Stuttgart o.J., S.948-954: »Jede Bewegung, sagte er, hätte einen Schwerpunkt; es wäre genug, diesen, in dem Innern der Figur, zu regieren; die Glieder, welche nichts als Pendel wären, folgten, ohne irgend ein Zutun, auf eine mechanische Weise von selbst. [...] Ich erwiderte, daß man mir das Geschäft desselben als etwas ziemlich Geistloses vorgestellt hätte: etwa was das Drehen einer Kurbel sei, die eine Leier spielt.
639
Keineswegs, antwortete er. Vielmehr verhalten sich die Bewegungen seiner Finger zur Bewegung der daran befestigten Puppen ziemlich künstlich, etwa wie Zahlen zu ihren Logarithmen oder die Asymptote zur Hyperbel. Inzwischen glaube er, daß auch dieser letzte Bruch von Geist, von dem er gesprochen, aus den Marionetten entfernt werden, daß ihr Tanz gänzlich ins Reich mechanischer Kräfte hinübergespielt, und vermittelst einer Kurbel, so wie ich es mir gedacht, hervorgebracht werden könne.« (Zitat ebd., S.949) Dasselbe unverklausuliert in Heinrich von Kleist: Brief eines Dichters an einen anderen, in: Sämtliche Werke, S.957-959. 88
Peirce 1909/1993: Essays über Bedeutung II, MS 637, S.376.
89
Im Jahr 2013 mit den 200-Jahr-Gedenkveranstaltungen rund um das Völkerschlachtdenkmal von Bruno Schmitz, das seit gut hundert Jahren an die antinapoleonischen Schlachten von Leipzig erinnert, sogar aktuell in Deutschland.
90
Vgl. die gemeinsame Dokumentation von ZDF und BBC im Frühjahr 2013 zum 10. Jahrestag des Krieges. http:// www.zdf.de / Dokumentation / Es-begann-mit-einer-Lüge-27016478.html; Zugriff 5_2013.
91
Vgl. Neue Erkenntnisse zum Sturz von Mossadegh, in: Le Mode diplomatique, Archivtext vom 13. 10. 2000, in dem auch dieses Blatt auf die Enthüllungen der amerikanischen Außenministerin Albright und in der Folge der New York Times im März und April des Jahres reagierte. Die Aufschließung der Hintergründe des Staatsstreichs von 1953 stand im Zusammenhang eines neuerlichen Versuchs im Jahr 2000, die Verhältnisse zwischen den USA und Iran zu normalisieren. (Online-Ressource: http://www.monde-diplomatique.de/ pm/2000/10/13/ a0056. text.name, asksxgXKm.n,99; Zugriff 7_2013).
92
Das entscheidende Bild siehe unter http://commons.wikimedia.org/wiki/ File: Reagan_and_Gorbachev_hold_discussions.jpg ? uselang=de. Letzter Zugriff 1_2014. Siehe aber das vergleichbare Foto von Regan und Thatcher (z.B. auf Sueddeutsche.de/politik 08.04.2013: Artikel »Thatchers bekannteste Zitate«, S.2. Zum Kontext vgl. Hajo Schmidt: Inszenierung und Vertrauen in der Politik. Von der Entschärfung des zwischenstaatlichen Sicherheitsdilemmas in: Bohn/Wilharm 2011: Inszenierung und Vertrauen, S.309; zit. als Schmidt 2011: Inszenierung Politik. Zum Kontext siehe Noam Chomsky: Profit over People: neoliberalism and Global Order, New York 1999; zit. als Chomsky 1999: Profit over People. Vgl. den 2015 erscheinenden Band Inszenierung und Politik der Reihe Szenografie & Szenologie (Bielefeld 2015).
93
Aber immerhin beachtenswert, da man sonst leicht annehmen könnte, die Relativität des Standpunktes wäre eine Frage ideologischer Entscheidungen, wo sie doch nichts als eine Frage der Reflexion betrifft. »Man sollte sich nicht vorweg, nicht bevor das Problem genauer analysiert ist, auf eine unüberwindliche Kommunikationssperre zwischen externer und interner Beschreibung festlegen. Das Thema Einheit der Kunst taucht ja auch in der Selbstbeschreibung des Kunstsystems auf – wenngleich, wenn man so sagen darf, zunächst unter ›philosophischer‹ Betreuung.« Niklas Luhmann: Kunst der Gesellschaft, Frankfurt am Main 1995, S.499/500; zit. als Luhmann 1995: Kunst der Gesellschaft.
94
Vgl. dazu exemplarisch die Aufsätze in: Groys: Topologie der Kunst.
95
Vgl. 2003: Topologie der Kunst S.132, hier unter dem Paradigma der Fotografie.
96
Boris Groys: Kunstwerk und Ware, in: ders.: Topologie der Kunst, München/Wien 2003, S.17/, S.21 ebd.; zit. als Groys 2003: Kunstwerk und Ware sowie: Groys 2003:Topologie der Kunst. Boris Groys: Kunstwerk und Ware.
97
Adorno 1969/1979: Ästhetische Theorie, S.260.
98
Adorno 1969/1979: Ästhetische Theorie, S.504.
99
Im Zweifelsfall Geltungsanspruch vor Realitätsbezug.
100
Luhmanns Kunst der Gesellschaft versteht sich selbst explizit als »externe« Darstellung des Kunstsystems, da sie wissenschaftlicher, speziell soziologischer Natur sei und nicht aus dem Kunstdiskurs heraus Stellung bezöge – wobei Diskurs hier offensichtlich discours meint: eine »wissenschaftliche, also externe [und in unserem Falle soziologische] Beschreibung des Kunstsystems«. Das trifft natürlich nicht die Kunst, insofern sie ihre Negation integriert, die darin besteht, statt Kunst ›Darstellung‹ im Sinne von Diskurs und Dokumentation zu betreiben, sondern ihre »›philosophische‹ Betreuung«, die offenbar für Luhmann nicht zur Wissenschaft zu zählen ist. Luhmann 1995: Kunst der Gesellschaft, S.506 (Hervorhebung – HW).
640
iv medien, politik, ökonomie
101
Heidegger 1938/1972: Zeit des Weltbildes, ebd., S.80.
102
Deleuze 1993: Logik des Sinns, S.215; zum Kontext vgl. ebenfalls Foucault 1970: Theatrum philosophicum.
103
Es handelt sich um eine »Filigran-Kunst des Greifens und Begreifens«. »Von der Kranken-Optik aus nach gesünderen Begriffen und Werthen, und wiederum umgekehrt aus der Fülle der Selbstgewissheit des reichen Lebens hinuntersehn in die heimliche Arbeit des Décadence-Instinkts – das war meine längste Übung, meine eigentliche Erfahrung, wenn irgend worin wurde ich darin Meister. Ich habe es jetzt in der Hand, ich habe die Hand dafür, Perspektiven umzustellen.« Friedrich Nietzsche: Ecce Homo. Wie man wird, was man ist, Kap. »Warum ich so weise bin«, in: Friedrich Nietzsche: Werke, VI. Abtlng., III.Bd., Berlin 1969, S.264; siehe Deleuze 1993: Logik des Sinns, S.215f.; die beiden folgenden Deleuze-Zitate ebd., S.217, S.216 (Hervorhebung – HW).
104
Im Sine eines allzeit dem Körper schon eingeschriebenen »Und gleich das noch und-oder das noch« – da capo.
105
Deleuze 1993: Logik des Sinns, S.219 (Zitat) und Anhang III, S.341-363.
106
»Wir besitzen nur eine direkte Wahrnehmung, dass uns die Materie unseres Denkens von jenseits unserer Kontrolle aufgezwungen wird. Es ist also weder das unmittelbare Gefühl, wie wenn wir auf eine rote Farbe blicken, was wir meinen, dass wir es mit der [› ]Wahrheit[‹ ] meinen; denn ein Gefühl spricht über nichts als sich selbst. Noch ist es durch die Überzeugungskraft der Vernunft, da Vernunft sich immer auf zwei andere Dinge als sich selbst bezieht. Sondern es ist durch das, was ich dyadisches Bewußtsein nenne.« Peirce 1906/1993: Prolegomena IV P1128, S.166f., Anm. 27; Hervorhebung – CSP; Klammern – Lesartvariante im zitierten Text.
107
»Insoweit gerade die Negation irgendeines Zustands der Dinge, X, genau eine Zusammenführung ist, deren eines Element der Begriff der Folge ist.« Der Begriff »kann nicht gedacht werden, ohne so vage wie auch immer zu denken, daß es etwas Vorhergehendes (antecedent) gibt, auf das etwas Nachfolgend (Sequent) [sic!] ist.« Charles Sanders Peirce: Prolegomena, Nachtrag: Die kontinuierliche Darstellung von Identität (H) (MS 300; 1908), in: Peirce 1993 Semiotische Schriften 3, S.206; zit. als Peirce 1908/1993: Prolegomena, Nachtrag.
108
1906/1993: Prolegomena IV P1128, S.165, Anm. 26. Ich übersetze »Menschen« statt »Mannes«.
109
1906/1993: Prolegomena IV P1128, ebd. (die Orthografie Peirce, nach wie vor wie zitiert).
110
Vgl. Charles Sanders Peirce: MS 295. Das Manuskriptverzeichnet eine Variante der Prolegomena: Bezeichnet mit »Quasi-Geist« wird in einer von Peirce verworfenen Version, »was gleichzeitig ein Seme [ein Begriff] der Wahrheit im Sinne des weitesten Universums der Realität und ein Pheme [Aussage] von allem ist, was zwischen Graphisten und Interpreten von Beginn der Diskussion an praktisch als gültig angenommen wird«, zit. in: Pape 1993: Semiotische Schriften 3, Einleitung, S.37, Anm. 41.
111
Peirce 1908/1993: Prolegomena, Nachtrag, S.201. Die Kontinuität skribiert, zeigt das Ikon einer Identitätslinie, die, weil nur in zwei Richtungen verlaufend, eindimensional oder »dyadisch« ist. Sie bildet eine »Kontinuität der Aufmerksamkeit ikonisch ab.« (Zitat ebd.) Vgl. das diskutierte Diagramm Lefèbvres oben, das dieser Beschreibung entspricht.
112
Siehe Charles S. Peirce: Graphische Logik und begriffliches Denken (MS 292; 2.Variante 1906), in: Peirce 1993: Semiotische Schriften 3, S.116; zit. als Peirce 1906/1993: Grafische Logik, begriffliches Denken.
113
Ich interpretiere im Folgenden die diagrammatische Darstellung vom 30. Aug. 1906; in: Peirce 1906/1993: Semiotik, Logisches Notizbuch, S.220-223.
114
»Der dynamische Interpretant ist die Bestimmung eines Darstellungsfeldes, das außerhalb des Zeichens liegt (ein solches Feld ist das Bewußtsein des Interpreten, dessen Bestimmung durch das Zeichen bewirkt wird).« Peirce 1905/1990: Logisches Notizbuch, S.280.
115
Peirce 1906/1993: Semiotik, Logisches Notizbuch, S.222f.
116
Diese Terminologie, insofern es sich um die Wertigkeit unzerlegbarer Begriffe in drei Klassen von Eigenschaften oder Prädikaten handelt. Siehe Charles S. Peirce: Der Kern des Pragmatismus. Drei Ansätze zu seiner Begründung (H), (MS 318; 1907), 1. Auszug, 1. und 2. Fragment, in: Peirce 1993: Semiotische Schriften 3, S.268; zit. als Peirce 1907/1993: Kern des Pragmatismus, I.1,2.
641
117
Peirce 1903/1986: Verteidigung der Kategorien, S.557.
118
»Die positiv internen Eigenschaften des Gegenstandes an sich.« Siehe Peirce 1907/1993: Kern des Pragmatismus, I.1,2, S.268.
119
Peirce 1903/1986: Verteidigung der Kategorien, S.461.
120
Siehe Peirce 1903/1986: Verteidigung der Kategorien, S.447f. (Hervorhebung – HW).
121
»Das Nominativsubjekt bezeichnet dasjenige der drei Objekte, das in der triadischen Tatsache die Eigenschaft reiner, nicht-relativer Wirksamkeit annimmt. Das Akkusativobjekt ist das Objekt, dem in der triadischen Tatsache eine auf jenes Wirkende bezogene Eigenschaft zukommt, insofern es das unter seiner Wirkung Leidende ist, während das Dativobjekt eine Eigenschaft abnimmt, die ohne das Zusammenwirken der beiden anderen weder existieren noch als existent begriffen werden könne.« Peirce 1903/1986: Verteidigung der Kategorien, S.447.
122
Dergestalt differenziert untersucht auch unsere Darstellung die Zeichen beziehungsweise die Medialität der Inszenierungsdispositive.
123
Peirce 1903/1990: Lowell Lecture 3,3,2, S.150/151; Hervorhebung – CSP.
124
Peirce 1905/1990: Humes ›Traktat‹ , S.269.
125
»Wenn wir [...] über einen Menschen, der in einer anstrengenden Auseinandersetzung begriffen ist, sagen, dass es die Zukunft ist, die er zu beeinflussen sich anstrengt, dann entdecken wir ein Element der Zweitheit in der Zukunft.« Peirce 1903/1990: Lowel-Lecture 3.2.2, S.151.
126
»Fiktionale Tatsachen oder Fiktionen unterschieden sich wie reale Tatsachen. Zu den realen Tatsachen gehören nämlich nicht allein die wirklichen, sondern eben auch die, die das Zeug haben dazu, wirklich werden zu können. Darunter fiktionale Tatsachen.« Peirce 1905/1990: Grundlagen des Pragmatizismus, 3.2, S.313.
127
Peirce 1903/1990: Lowel-Lecture 3.2.2, S.152-155.
128
»Mittel ist fast ein Synonym für das Wort Drittes«! Peirce 1903: Lowel-Lecture 3.2.I, S.159.
129
Peirce 1903/1990: Lowel-Lecture 3.2.2, S.162.
130
Wir haben verschiedentlich schon darauf hingewiesen: Michel Serres: Hermes I-IV, Berlin 1989-92.
131
Serres 1992, Interferenz, S.130.
132
Peirce 1903/1990: Lowel-Lecture 3.2.2, S.163.
133
Peirce 1905/1990: Humes ›Traktat‹, S.269.
134
Siehe Georges: B.II, Art. »Informatio«, Sp. 250.
135
Heidegger 1935/1972: Ursprung des Kunstwerks, S.54.
136
Peirce 1908/1993: Prolegomena, Nachtrag. S.193f. Peirce prüft im Folgenden, ob diese Behauptung für die Darstellung im System der Existentiellen Graphen zutrifft (siehe S.194-210, ebd.).
137
Heidegger 1935/1972: Ursprung des Kunstwerks, S.50f.
138
Adorno 1969/1979: Ästhetische Theorie, S.384.
139
Weswegen die Informierung durch Information hier nicht verwechselt werden darf mit einer einseitigen Maschineninformiertheit, die allein dazu da ist, den Informationsfluss in eine Richtung zu lenken: hin zu sich selbst. Kommunikation ist ausgeschlossen.
140
Was, eingeräumt, eine Simplifizierung der repräsentativen Darstellungsperspektive beinhaltet, da auch andere Künste sich in entsprechender Formatierung »interpretieren« lassen. Doch quantitativ betrachtet bestätigt sich, zumal in der Gegenwart, die Vormachtstellung des ›Geschriebenen‹ und ›Gelesenen‹, das sich unter dem Namen »Literatur« ja erst seit Beginn des 19. Jahrhunderts als solche von der Dichtung emanzipiert und einerseits nicht auf die Dichter, sondern auf Leserin und Leser, andererseits auf die Literaturwissenschaft referiert, die sie in Gang halten. Heute, wie gesagt, haben die Begriffe noch ganz andere Implikationen.
141
Dessen begriffliche Artikulation allerdings der Vermittlung auf dem Wege der Darstellung, das heißt der Ontologie oder Metaphysik, bedarf.
142
Heidegger 1935/1972: Ursprung des Kunstwerks, S.55.
642
iv medien, politik, ökonomie
143
Heidegger 1961: Nietzsche I, S.103.
144
Heidegger 1961: Nietzsche I, in der Reihenfolge der Zitate S.105; S.103. Es versteht sich, dass »Theater« nicht als Einzelkunst adressiert ist, sondern den Auftritt der modernen Medialität als allgemeines Narrativ ihrer eigenen Botschaft im Blick hat, die Inszenierung, die sich inszeniert.
145
Wie man mit Blick auf Augustinus sagen könnte. Vgl. Anscombe 1957/1986: Intention/Absicht, Einleitung der Herausgeber S.IX und S.XX-XXV.
146
Zwischen Foucault 1970/71/2012: Wille zum Wissen, Vorlesungen und Foucault 1983/84/2010: Mut zur Wahrheit und mit den genannten Zwischenschritten, das System der Veridiktion inszenierungspolitisch unter ein Regime zu nehmen und zu nutzen.
147
Hegel 1807/1970: Phänomenologie, S.691.
148
Heidegger 1935/1972: Ursprung des Kunstwerkes, S.59.
149
Ernst Bloch: Phänomenologie des Geistes in: Georg Wilhelm Friedrich Hegel: Phänomenologie des Geistes, Texte-Auswahl und Kommentar von Gerhard Göhler, Frankfurt am Main/Berlin/ Wien 1970 (2.Aufl. 1973), S.877; zit. Göhler 1970/1973: Phänomenologie, Texte beziehungsweise Bloch 1970/73: Phänomenologie; dieser Text zuerst in: ders.: Subjekt - Objekt; Frankfurt am Main 1962/1972, S.59-79 und S.83-108.
150
Martin Heidegger: Wozu Dichter? in: Heidegger GA, Bd.5, S.286; zit. als Heidegger 1946/1972: Wozu Dichter? (Hervorhebung – HW).
151
Heidegger 1946/1972: Wozu Dichter? S.287.
152
Heidegger 1935/1972: Ursprung des Kunstwerkes, S.59.
153
Vgl. Lacoue-Labarthe 1990: Fiktionen des Politischen.
154
Im Sinne der zitierten Kriterien, in: Foucault 1968/2002: Archäologie der Wissenschaften, S.916.
155
Lyotard 1986: Postmodernes Wissen, S.93; die beiden nächsten Zitate ebd., S.94f.
156
Wie Bourdieus Fin de siècle-Diagramm für unsere Darstellung eben nicht nur aus methodischen, sondern auch aus sachlich historischen Gründen für die französischen Kulturverhältnisse am Ende des 19. Jahrhunderts relevant ist.
157
Wie wenn das von Deleuze für die Stellung der Foucault´schen Episteme gezeigte sehr ideosynkratische Diagramm (die sog. »Foucault-Libelle«, in: Gilles Deleuze: Foucault, Frankfurt am Main 1987, S.169; zit. als Deleuze 1987: Foucault) aus forschungsstrategischen Gründen von Foucault selbst eingesetzt würde. Zu Diagrammen des Modelltyps (a), selbsterzeugt, rekursiv, vgl. beispielhaft die ebenfalls sehr persönlichen und originellen Diagramme in Guattari/Deleuze 1992: Kapitalismus und Schizophrenie.
158
Tatsächlich bedienen sich die großen Profivereine solcher Simulationstechnologien; ansonsten ergeben sich aus der Analyse – dem »Durchspielen« – entsprechend vieler Videosequenzen, in denen das eigene und gegnerische Spiel analysiert werden kann, ähnliche Effekte.
159
Vgl. Kollektive Autorschaft in der Kunst. Alternatives Handeln und Denkmodell, hgg. von Rachel Mader, Bern 2012; Autorschaft in den Künsten. Konzepte - Praktiken - Medien, hgg. von Corina Caduff und Tan Wälchli, Zürich 2008, Marion Struck: Autorschaft, kollektiv, in: Caduff/Wälchli 2008: Autorschaft. S.218-231; siehe auch Roland Barthes: Der Tod des Autors, in: Texte zur Theorie der Autorschaft, hgg. von Fotis Jannidis, Gerhard Lauer, Matias Martinez und Simone Winko, Stuttgart 2000, S.185-193; Jack Stillinger: Multiple Authorship and the Myth of Solitary Genius, Oxford 1991; Walter Benjamin: Der Autor als Produzent, in: Gesammelte Schriften, Bd.II,2: Aufsätze - Essays - Vorträge, Frankfurt am Main 1991; zit. als Benjamin 1991: Autor als Produzent; Michel Foucault: Was ist ein Autor? in: Foucault 2001: Schriften Bd.I, S.1003-1042; zit. als Foucault 1969/2001: Autor. Aufschlussreich die Onlineressource http:// www.kollektiveautorschaft. uni-koeln.de; Zugriff 2_2014.
160
Vgl. Petra Gehring: Die Philosophie im Archiv, Frankfurt am Main 2004, S.26-29; zit. als Gehring 2004: Philosophie im Archiv.
161
Foucault 1969/2001: Autor, S.1028; Hervorhebung – HW.
162
Die zahlreichen statistischen Ergebnisse, die (beispielsweise) auch in Bourdieus gleichnamiges Buch eingeflossen sind, tragen durchaus bei zu einer solchen soziologischen Unterscheidung von szenografisch relevanten Kollektivbegriffen.
643
163
Walter Benjamin: Das Kunstwerk im Zeitalter seiner technischen Reproduzierbarkeit, Frankfurt am Main 1977, S.22, S.16-18; zit. als Benjamin 1963/1977: Kunstwerk. Die Umkehrung, denkt man an Carl Schmitt, hat zweifellos aber auch ihre Berechtigung.
164
Vgl. Benjamin 1963/1977: Kunstwerk; darin auch der Aufsatz: Kleine Geschichte der Photographie, S.45-64; zit. als Benjamin 1963/1977: Photographiegeschichte.
165
Benjamin 1963/1977: Photographiegeschichte, S.61; die folgenden Benjamin-Zitate ebd., S.61-63 (Hervorhebung – HW).
166
Keine Kunstausstellung kommt aus ohne Flyer, Prospekt, Katalog, Audio- oder Expertenführung, Kommunikationsdesign, Medienbeitrag. Dasselbe gilt für die anderen ›schönen Künste‹ mutatis mutandis.
167
Lyotard 1986: Postmodernes Denken, S.45.
168
Vgl. Jürgen Habermas: Praktische Folgen des wissenschaftlich technischen Fortschritts, in: Theorie und Praxis, Frankfurt am Main 1971, S.336f.; zuerst in: Gesellschaft, Recht und Politik, Festschrift für Wolfgang Abendroth, Neuwied 1968; zit. als Habermas 1968: Wissenschaftlich-technischer Fortschritt; zum Kontext vgl. Miguel Torres Morales: Systemtheorie, Diskurstheorie und das Recht der Transzendentalphilosophie. Kant - Luhmann - Habermas, Würzburg 2002.
169
Siehe Luhmann 1969: Legitimation durch Verfahren.
170
Vgl. Paul Virilio: Der eigentliche Unfall, hgg. von Peter Engelmann, Wien 2009; zit. als Virilio 2009: Unfall; Gerhard Paul: Der Bilderkrieg. Inszenierungen, Bilder und Perspektiven der ›Operation irakische Freiheit‹, Göttingen 2005; Paul Virilio: Ville panique. Ailleurs commence ici, Paris 2004. Jean Baudrillard: Der Geist des Terrorismus, hgg. von Peter Engelmann, Wien 2002; zit. als Baudrillard 2002: Geist des Terrorismus.
171
Guy Debord: Die Gesellschaft des Spektakels. Kommentare zur Gesellschaft des Spektakels IV, Berlin 1996, S.202; zit. als Debord 1988/1996: Spektakel, Kommentare. Die Kommentare zum 1967 erschienenen Klassiker der Situationistischen Internationale erschienen erst 1988 bei Gallimard, Paris.
172
Wofür die einschlägigen Untersuchungen Michel Foucaults genügend Beispiele beigebracht haben, ähnlich die unzähligen Studien, die von diesen angeregt wurden. Doch selbst da gilt das genannte Prinzip der Pazifizierung durch Einverträglichkeit mittels Bereinigung von Organisation und Verfahren hinsichtlich möglicher Reibungs- und Konfliktpunkte.
173
Siehe Starobinski 1990: Das Rettende in der Gefahr, Kap.VIII.
174
In diesem Fall per Gesetz selbstlegitimiert durch Verfahren, obwohl höchstrichterlich vom türkischen Verfassungsgericht festgestellter Verfassungsbruch. Der Rechtsspruch, allerdings, scheint selbst ins Glied gleichwertiger Interpretationsbeiträge gerückt. Zu ihnen gehört die Verlautbarung der deutschen Regierung, dass es sich dabei nicht um Zensur gehandelt habe, aber die »Sperrung entspreche nicht dem, ›was wir unter freier Kommunikation in Deutschland verstehen‹«. (Handelsblatt 13.04.2014).
175
Oder auch Medienwirkungsforschung zu betreiben, mit welchem Erfolg auch immer.
176
Vgl. Bronislav Malinowski: Das Geschlechtsleben der Wilden in Nordwest-Melanesien, hgg. von Fritz Kramer, Frankfurt am Main 1979, ders.: Argonauten des westlichen Pazifik. Ein Bericht über Unternehmungen und Abenteuer der Eingeborenen in den Inselwelten von Melanesisch-Neuguinea, hgg. von Fritz Kramer, Frankfurt am Main 1979; ders.: Korallengärten und ihre Magie. Bodenbestellung und bäuerliche Riten auf den Trobriand-Inseln, hgg. von Fritz Kramer, Frankfurt am Main 1981. Zur ethnografischen Methode der Selbstanwendung einer angesichts der besonderen ›Untersuchungsgegenstände‹ sich aufdrängenden ›Handlungsmacht der Betroffenheit‹ auf die Wissenschaft selbst (Vergleichbares wie für die Ethnografie gilt für die Soziologie) vgl. Fritz Kramer (im Anschluss nicht zuletzt an Wittgenstein) zur »Anthropologie der Passiones«. Fritz Kramer: Schriften zur Ethnologie, Frankfurt am Main 2005. Insbesondere siehe die Aufsätze »Notizen zur Ethnologe der Passiones» (S. 145-168 ebd.) »Geist, Bild, Realität« (S.208-22 bd.), Ritual und ästhetische Erfahrung S.223-230 ebd.), »Von Kult bis Kunst« (S.226-272 ebd.) und die Beiträge in Teil IV; zit. als Kramer 2005: Ethnologie.
177
Am Beispiel der Angebote der Finanzbranche dargestellt, in: Heiner Wilharm: Vertrauensökonomie und mediale Inszenierung, in: Bohn/Wilharm 2011: Inszenierung und Vertrauen, S.41-74; zit. als Wilharm 2011: Vertrauensökonomie.
644
iv medien, politik, ökonomie
178
Dass ohne Absicht zu schenken auch in der Familien- oder Clankultur nicht Strategie der Wahl ist, wurde am Beispiel der Kant´schen Einlassungen zum Verkehr der Geschlechter deutlich.
179
Zum Beispiel mittels der seit 2005 in den USA verfügbaren Espresso Book Machine (EBM).
180
Vgl. die höchsten mit den summierten Einspielergebnissen von Mehrteilern. Das höchste Ergebnis eines Einzelfilms liegt bei 2,7 Milliarden US-Dollar (Avatar), gefolgt von Titanic (2 Milliarden Dollar). Fluch der Karibik spielt pro Teil ca. 1 Milliarde Dollar ein. Am erfolgreichsten sind deshalb die Herr der Ringe- und Hobbit-Verfilmungen mit ebenfalls je 1 Milliarde Dollar pro Film. Ähnliches dürfte für die Harry-Potter-Filme gelten (zuletzt Heiligtümer des Todes II mit 1,3 Milliarden Dollar. Quelle_ http://de.statista.com/ statistik/ daten/ studie/ 2272/ umfrage/ die-15-erfolgreichsten-filme-aller-zeiten; Zugriff 1_2013). Zum Vergleich: Der deutsche Buchhandel insgesamt setzte 2013 9,5 Milliarden Euro um (Quelle: http://de.statista.com/ statistik/ daten/ studie/ 195369/ umfrage/ umsaetze-im-deutschen-buchhandel-seit-2007; Zugriff 1_2013).
181
Der Gesamtumsatz für Online-Dienstleistungen im Segment Computersoftware, Computerspiele/ Musik, E-Books (inkl. Klingeltöne und mp3-files) betrug in Deutschland 2013 knapp 1,5 Milliarden Euro (Quelle: http://de.statista.com/ statistik/ daten/ studie/ 203206/ umfrage/ onlineumsatz-mit-dienstleistungen-im-jahr-2010-nach-kategorien; Zugriff 1_2013).
182
Bourdieu 1998: Praktische Vernunft, S.69.
183
Siehe den Zusammenhang entwickelt im fiktionalen Kontext von Dave Eggers´ Roman The Circle.
184
Hegel 1970: Logik, S.54.
185
Dünne 2004: Raumtheorie, S.5.
186
Ich spreche von der Wissenschaftsforschung, die mit Namen wie Isabelle Stengers, Michel Serres, Bruno Latour, Michael Hardt, Hans-Jörg Rheinberger, Andrew Pickering verbunden ist, um nur einige zu nennen, und mit Einzeluntersuchungen, wie sie exemplarisch in den Beiträgen des schon erwähnten Zürcher Jahrbuchs Nach Feyerabend oder in der Reihe Theory out of Bounds der University of Minnesota erscheinen.
187
»The interest of scientists explains nothing in itself, however, as it is isolated from other interests that are also focused on the making available of the world, that ist to say, on the disqualification of everything that seems to pose an obstacle to them.« Isabelle Stengers: The Invention of modern Science (d.i. Theory out of Bounds, Vol.19, hgg. von Sandra Buckley, Michael Hardt, Brian Massumi), Mineapolis/London 2000, S.22; zit. als Stengers 2000: Invention of Science.
188
Vgl. Jean-Marc Lévy-Leblond: Von der Materie, Berlin 2011, S.152f.; zu einigen Parametern von Arbeits- und Organisationsformen in der mathematischen Forschung im Vergleich zu naturwissenschaftlichen Disziplinen vergleiche die tabellarische Übersicht in Heintz: Innenwelt der Mathematik, S.190.
189
So bleiben Fehlanzeigen – auch angesichts ansonsten lesenswerter Beiträge zur Wissenschaftsforschung. Siehe zum Beispiel in: Parasiten und Sirenen. Zwischenräume als Orte der materiellen Wissensproduktion, hgg. von Bernhard J. Dotzler und Henning Schmidgen, Bielefeld 2009. Selbst ein Aufsatz mit dem Titel Frauen am Rande der Datenverarbeitung, von dem man annehmen könnte, dass er die Frage der Lohnarbeit anspricht, widmet sich in dieser Perspektive höchstens einmal einer Inszenierung der Arbeitsumgebung. Ansonsten ist Thema, was der Untertitel verspricht, Technikgeschichte durch große Unternehmer. Hier ist es der Dilettant Franz Maria Feldhaus (»unser Held«). Die Studie geht zu seiner Person als Unternehmer und Historiograf. Frauen in seiner Umgebung kommen vor, weil sie von Feldhaus bei der Verfertigung seines Geschichtswerks eingespannt wurden. (Siehe Markus Krajewski: Frauen am Rande der Datenverarbeitung. Zur Produktionsform einer Weltgeschichte der Technik. In: Dotzler/Schmidgen 2009: Zwischenräume; Zitat S.71).
190
Friedrich Kittlers Aufschreibsysteme (1800-1900 ), 3. überarb. Aufl., München 1995, ist hier zwar unbedingt erwähnenswert, kann aber für die Entwicklungen der letzten Jahrzehnte naturgemäß auch nicht mehr als Standardreferenz gelten; zit. als Kittler 2009: Aufschreibsysteme.
191
Gerhard Hard: Der Spatial Turn, von der Geografie her beobachtet, in: Döring/Thielmann 2008: Spatial Turn, S.299 (Hervorhebung – HW). Das folgende Zitat ebd. Anm.71
192
Karl Marx: Das Kapital, 1. Buch. (Karl Marx, Friedrich Engels: Werke [MEW ], Bd. 23), Berlin 1968, S.49. (Zit. als Marx 1865/1968: Das Kapital I) beruft sich auf Nicholas Barons Kommentar
645
zu Lockes Considerations: »Verlangen schließt Bedürfnis ein; es ist der Appetit des Geistes, und so natürlich wie Hunger für den Körper ... die meisten (Dinge) haben ihren Wert daher, daß sie Bedürfnisse des Geistes befriedigen.« (Nicholas Barbon: A Discourse on coining the new money lighter. In answer to Mr. Locke‹s Considerations etc., London 1696 ). Das folgende Zitat in: Marx 1865/1968: Das Kapital I, S.189; Hervorhebung– HW. – Der Hinweis auf Groys im Folgenden gilt der Stelle in: Groys: Kunstwerk und Ware, S.9. »Von der Damf- zur Nebenmaschine« spielt an auf: Christine Schwarz: Von der Dampfmaschine zu Nebelmaschine. Szenografische Strategien zur Vergegenwärtigung von Industriegeschichte am Beispiel der Ruhrtriennale (d.i. Szenografie & Szenologie Bd. 8, hgg. von Ralf Bohn und Heiner Wilharm), Bielefeld 2013. 193
Siehe Foucault 1979/80/2014: Regierung der Lebenden, S.144, Hervorhebung – HW. Zur Foucault´schen Kritik an Ideologietheorie und Ideologiekritik siehe ebd., S.110-117. Die Stellen kritischer Einlassungen Foucaults zu einer Analyse der Machtverhältnisse in Begriffen der Ideologie werden resümiert von Michel Sennelart, ebd., Anm.5, S.129, S.139.
194
Vgl. Karl Marx: Grundrisse der Kritik der politischen Ökonomie (Rohentwurf) 1857-1858), S.594 (Separate Ausgabe außerhalb der MEW; zit. als Marx 1857/58/1974: Grundrisse). Das sogenannte »Maschinenkapitel« auch in: Ökonomische Manuskripte (MEW Bd.42), S.590-605. Zur Kategorie der »Multitude« vgl. Paolo Virno: Grammatik der Multitude. Die Engel und der General Intellect, Wien 2005; zit. als Virno 2005: Grammatik der Multitude. Dass die »freie Bewegung der Multitude«, gewissermaßen natürlicherweise internationalistisch orientiert, aus Mangel an ›horizontaler Kommunikation‹ Fragen der Souveränität und Initiative im nationalen Rahmen beiseite zu schieben und sich, dem Deterritorialisierungsprozess folgend, vertikal auf das globalisierte »Empire« zu richten habe, mutet an wie eine trozkistische Intervention gegen eine staatssozialistische Doktrin, entweder – im Original – der 1930er Jahre oder – nachgespielt – der 1970er Jahre. Vgl. aber Michael Hardt und Antonio Negri: Empire. Die neue Weltordnung, Frankfurt am Main/New York, 2002, S. 369; dazu vgl. die Diskussion in: Mouffe 2007: Über das Politische.
195
Siehe aber Virno 2005: Grammatik der Multitude, S.30, S.51, Hervorhebung – PV.
196
»Das Kapital ist selbst der prozessierende Widerspruch dadurch, daß es die Arbeitszeit auf ein Minimum zu reduzieren sucht, während es andrerseits die Arbeitszeit als einziges Maß und Quelle des Reichtums setzt.« (Marx 1857/58/1974: Grundrisse, S.593) Vgl. auch ebd., S.204f.: »Dies ökonomische Verhältnis – der Charakter, den Kapitalist und Arbeiter als die Extreme eines Produktionsverhältnisses tragen – wird daher desto reiner und adäquater entwickelt, je mehr die Arbeit allen Kunstcharakter verliert; ihre besondere Fertigkeit immer mehr etwas Abstraktes, Gleichgültiges wird und sie mehr und mehr rein abstrakte (potentielle) Tätigkeit, rein mechanische, daher gleichgültige, gegen ihre besondre Form indifferente Tätigkeit wird; bloß formelle Tätigkeit oder, was dasselbe ist, bloß stoffliche, Tätigkeit überhaupt, gleichgültig gegen die Form. Hier zeigt es sich denn wieder, wie die besondre Bestimmtheit des Produktionsverhältnisses, der Kategorie – Kapital und Arbeit hier – erst wahr wird mit der Entwicklung einer besondren materiellen Weise der Produktion und einer besondren Stufe der Entwicklung der industriellen Produktivkräfte.« (Hervorhebungen – Grundrisse, zweitletzte Hervorhebung – HW)
197
Zitiert bei Sigmar Gabriel: Die Politik eines neuen Betriebssystems, in FAZ, 16.05.2014; zit. als Gabriel 2014: Neues Betriebssystem.
198
Baudrillard 1991: Fatale Strategien, S.59, S.60. ›Das Soziale‹ ist dabei nicht das alles beherrschende Feld, sondern eine Hinsicht. Die »Figuren des OBSZÖNEN« und damit des Verlusts der Szene sind vielfältig. »Verlust der Szene des Körpers beim Dicken, Verlust der Szene des Tauschs für die Geisel, Verlust der sexuellen Szene in der Obszönität etc. Aber auch das Schwinden der Szene des Sozialen, des Politischen, der theatralischen Szene. Überall Verlust des Geheimnisses, der Distanz und des Spiels mit der Illusion.« (Ebd., S.59; Großschreibung – JB).
199
Baudrillard 1991: Fatale Strategien, S.68, S.92; Hervorhebung – JB.
200
Michel Foucault hat in seiner letzten Vorlesung am Collège de France 1983/84 über den Mut zur Wahrheit auf die Bedeutung des Widerstandmotivs im Zusammenhang der Wahrheitsverpflichtung hingewiesen. Der Bogen, den er spannt, reicht vom 5. vorchristlichen bis ins 19. Jahrhundert (siehe Foucault 1983/84/2010: Mut zur Wahrheit, S.241, S.242). Bestimmte Figuren mutig ehrlichen Auftretens in Fragen des allgemeinen Wohls stellt der Philosoph dabei in die Nachfolge der kynischen Bewegung, die ihrerseits die sokratische Form des philosophischen »Aktivismus« (eine von Foucault bewusst gewählte, vereinfachende und der »Bequemlichkeit« dienende Apostrophierung des Widerstandes) auf ihre Weise in Szene setzte. Als wesentliches
646
iv medien, politik, ökonomie
Moment ihres Auftretens gilt die Demonstration des philosophischen Lebens selbst, gewisserweise eines Lebens als überzeugendes Kunstwerk. Die tragenden Ideen wurzeln in der Figur des platonischen Sokrates, im Vermächtnis des Sokrates-Schülers Antisthenes und dessen Schülern Diogenes und Krates, die im 5. und 4. vorchristlichen Jahrhundert lebten. Im römischen Reich des 1. und 2. Jahrhunderts nach der Zeitenwende erlebte der Kynismus dann (mit dem SenecaFreund Demetrios, später mit Peregrinus Proteus und Demonax, über die Lukian berichtet) eine Renaissance und breiten gesellschaftlichen Einfluss – im Unterschied zu den marginalen Auswirkungen des modernen, deswegen aber nicht zu vernachlässigenden Kynismus. Quellen in deutscher Sprache: Die Weisheit der Hunde. Texte der antiken Kyniker in deutscher Übersetzung mit Erläuterungen, hgg. von Georg Luck, Stuttgart 1997. Zu weiterer Literatur siehe Heinrich Niehues-Pröbsting: Der Kynismus des Diogenes und der Begriff des Zynismus, München 1979, das Foucault kennt. Siehe auch Peter Sloterdijk: Kritik der zynischen Vernunft, 2 Bde., Frankfurt am Main 1983, von dem Foucault wusste, das er aber nicht mehr in seine Vorbereitungen einbeziehen konnte. 201
Jean Baudrillard: Die Szene und das Obszöne, in: Das Schwinden der Sinne, hgg. Dietmar Kamper und Christoph Wulf, Frankfurt am Main 1983, S.296; zit. als Baudrillard 1984: Szene; die folgenden Baudrillard-Zitate ebd., S.280-286; Debord 1988/1996: Gesellschaft des Spektakel, S.53. Überhaupt empfiehlt sich Debords Einschätzung im Zusammenhang der Obsönitäts-/ obszenografie-Debatte.
202
Baudrillard 1984: Szene, wie das vorhergehende Zitat S.286; Hervorhebung – HW.
203
Vergleichbares, in Anschluss an Bataille, siehe Baudrillard 1991: Fatale Strategien, S.93f.; das folgende Zitat ebd., S.93.
204
Ausnahmen bestätigen auch hier die Regel, wie Leute wie Shawn Buckles demonstrieren, die bewusst den Wert ihrer Daten kalkulieren und sie öffentlich anbieten, freilich mehr als Performance denn als Unternehmensidee konzipiert. Vgl. Evgeny Morozov: Der Preis einer Person. FAZ Kolumne der Reihe Silicon Demokratie von Evgeny Morozov, in: FAZ, 15.04.2014. Vgl. zum Kontext Evgeny Morozov: Smarte neue Welt. Digitale Technik und die Freiheit des Menschen, München 2013.
205
Dave Eggers, der Autor des Romans The Circle (dt. Der Circle, Köln 2014) im Interview (in: FAZ, 10. Aug. 2014).
206
Evgeny Morozov, zitiert bei Gabriel 2014: Neues Betriebssystem, S.9.
207
Siehe Thesaurus der exakten Wissenschaften, hgg. von Michael Serres und Nayla Farouki, Frankfurt am Main 2001; zit. als Serres/Farouki 2001: Thesaurus, S.149, Art. »Daten« (siehe dort auch den Artikel »Information«, S.411-413). Zum Hintergrund siehe Leon Brillouin: Science and Information Theory, New York 2004; zuerst 1956; zit. als Brillouin 1956/2004: Information; Claude E. Shannon, Warren Weaver: The Mathematical Theory of Communication, Urbana (III.) 1949/1963; zit. als Shannon/Weaver 1949/1963: Theory of Communication; dt. Mathematische Grundlagen in der Informationstheorie, München 1976; zit. als Shannon/Weaver 1949/1976: Grundlagen Informationstheorie.
208
Gabriel 2014: Neues Betriebssystem. Die folgenden Zitate aus Gabriels Beitrags siehe ebd.
209
Und nicht, wie die informierte Branche zu Recht einzuwenden weiß, dass jedes Unterlassen in der Datenprogrammierung einen Befehl darstellt, dessen Indikation, egal ob sichtbar gemacht oder im Verborgen vorgehalten, so lange existiert, wie der Befehl gelten soll.
210
Zitate Giddens: Anthony Giddens: Modernity and Self Identity. Self and Society in the Late Modern Age, Cambridge 1991, S.214; Giddens 1997: Jenseits von Links und Rechts; S.134, zit. bei Mouffe 2007: Über das Politische, S.58/59. Dass die Auffassung, die europäische Ökonomie habe sich der (in diesem Fall US-amerikanischen) Konkurrenz zu erwehren, ein Postulat der großen Wirtschaftsunternehmen ist, muss man nicht betonen. So auch der Tenor hier der deutschen Telekommunikations-Industrie, den der Sozialdemokrat nur paraphrasiert und rhetorisch dramatisiert. Siehe zum Beispiel: Frank Rieger in: Snowdons Enthüllungen sind ein Erdbeben. Im Gespräch: René Obermann und Frank Rieger, in: FAZ vom 18. Mai 20014 (Interview mit dem verstorbenen FAZ-Herausgeber Frank Schirrmacher).
211
Die zu vermeiden immerhin der Präsident der Monopolkommission in Deutschland vorsorglich alsbald anmahnte.
647
212
Vgl. Jeremy Rifkin: Access. Das Verschwinden des Eigentums. Warum wir weniger besitzen und mehr ausgeben werden, Frankfurt am Main 2000 (3. Aufl. 2007): »Das Ende des Nationalstaats«, S.301-312; zit. als Rifkin 2000/2007: Access.
213
Andreas Rinke: Der NSA-Skandal hat auch Vorteile, in: Cicero. Magazin für politische Kultur, Nr.10, Berlin (Okt.) 2013.
214
Holger Steltzner: Deutschland im Boom, in: FAZ vom 16. Mai 2014, S.1.
215
»Noch in der zweiten Hälfte der 1980er Jahre betrug das Weltsozialprodukt 20 Billionen Dollar, die Summe der Finanzprodukte hingegen nur 3 Billionen Dollar. Heute, nach der Deregulierung der globalen Finanzmärkte, beträgt das Weltsozialprodukt 60 Billionen Dollar. Doch die virtuelle Wirtschaft wird inzwischen auf 600 Billionen geschätzt. Seit den 1980er Jahren hat sie sich mithin verzweihundertfacht.« Quelle: Robert Brammer: Wie das Finanzsystem zur Ruhe kommen könnte. Zur Diskussion um Auswege aus der Krise, in Deutschlandradio Kultur: Zeitfragen, Beitrag vom 07.10.2014; Brammer 2014: Finanzsystem. Zum Hintergrund siehe Thomas Piketty: Das Kapital im 21. Jahrhundert, München 2014, original frz.: Le Capital au XXIe siècle, Paris 2013. weitere Literatur auch in Brammer 2014: Finanzsystem, ebd. (Möglicherweise klafft eine noch größere Lücke zwischen Weltsozialprodukt und Finanzprodukten. The World Fact Book hgg. von der CIA, GDP (official exchange rate) gibt ein Weltsozialprodukt von 70 Billionen Dollar schon für 2011 an. Siehe https://www.cia.gov/ library/ publications/ the-world-factbook/ geos/xx.html; Zugriff 3_2014).
216
Brammer 2014: Finanzsystem, ebd.
217
Goethe/Schiller 1799/1961: Dilettantismus, S.428.
218
Die im Übrigen nicht unbedingt etwas darüber besagt, ob deren Auftraggeber damit ein lebensbejahendes oder ein eher depressives Lebensgefühl verbanden, wie Benjamin für das Barock vor allem in protestantischen Landen dartut. Siehe Benjamin 1927/72: Trauerspiel, S.154: »Der Fürst ist das Paradigma des Melancholischen«.
219
Nietzsche 1876: NF, 19 (79); Nietzsche 1886/1969: Menschliches II, §278.
220
Obwohl der Kaiser nicht gewillt war, eine Weltausstellung auszurichten, war der Druck aus Gewerbe und Industrie groß genug, vergleichbar dimensionierte nationale Ausstellungen zu organisieren.
221
Der offizielle Titel der Ausstellung lautete »Exposition Universelle l´Agriculture, de l´ndustrie et des Beaux-Arts de Paris 1855«.
222
Vgl. Literaturliste der Universitätsbibliothek Heidelberg zur Geschichte der Weltausstellungen auf http://www.ub.uni-heidelberg.de /wir/ Literaturauswahllisten/ EXPO2000.html#geschichte; Zugriff 01_2014.
223
Quelle: Oliver Marchart: Die Ironie der Biennalisierung, in: Bildpunkt, Zeitschrift der IG Bildende Kunst, Wien, Heft 4, Thema: Eventisierung: Onlineressource auf http://www.igbildendekunst.at/ bildpunkt/ bildpunkt-2012/ eventisierung/ marchart.htm; Zugriff 01_2014.
224
Wobei man sich aber in Italien vielleicht auch irren kann. Integral Ruedi Baur GmbH (Zürich) zum Beispiel, ein ganz anderes, ist sehr wohl beteiligt, wenn es um nation branding in der Alpenrepublik und anderswo geht.
225
Wobei Sasha Waltz sich mittlerweile aus dem Projekt zurückgezogen hat.
226
Vgl. Nietzsche 1873/1969: David Strauß, §11.
227
So auch in der Schreibweise Marxens. Vgl. Karl Marx: Ökonomische Manuskripte I, (1857 bis Mai 1858), Berlin 1983; zit. als Marx 1857/58/1983: Ökonomische Manuskripte I; d.i. MEW, Bd.42, S.600: »In dem Maße aber, wie die große Industrie sich entwickelt, wird die Schöpfung des wirklichen Reichtums abhängig weniger von der Arbeitszeit und dem Quantum angewandter Arbeit als von der Macht der Agentien, die während der Arbeitszeit in Bewegung gesetzt werden und die selbst wieder – deren powerful effectiveness – in keinem Verhältnis steht zur unmittelbaren Arbeitszeit, die ihre Produktion kostet, sondern vielmehr abhängt vom allgemeinen Stand der Wissenschaft und dem Fortschritt der Technologie, oder der Anwendung dieser Wissenschaft auf die Produktion. (Die Entwicklung dieser Wissenschaft, besonders der Naturwissenschaft und mit ihr aller andren, steht selbst wieder im Verhältnis zur Entwicklung der materiellen Produktion.)«
648
iv medien, politik, ökonomie
228
»Letzten Endes mag der Künstler noch so sehr von allen Hausdächern herabschreien, er sei ein Genie, er wird das Verdikt des Zuschauers abwarten müssen, damit seine Erklärungen einen sozialen Wert bekommen und die Nachwelt ihn schließlich in den Handbüchern der Kunstgeschichte erwähnt.... Der kreative Akt bekommt einen anderen Aspekt, wenn der Zuschauer das Phänomen der Transmutation erfährt; durch die Wandlung der leblosen Materie in ein Kunstwerk hat eine eigentliche Transsubstantiation stattgefunden, und die Rolle des Zuschauers ist die, das Gewicht des Werks auf der ästhetischen Waage zu bestimmen. Alles in allem wird der kreative Akt nicht vom Künstler allein vollzogen; der Zuschauer bringt das Werk in Kontakt mit der äußeren Welt, indem er dessen innere Qualifikationen entziffert und interpretiert und damit einen Beitrag zum kreativen Akt hinzufügt. Dies wird noch deutlicher, wenn die Nachwelt ihr endgültiges Verdikt ausspricht und manchmal vergessene Künstler rehabilitiert.« Marcel Duchamp: Der kreative Akt, Hamburg 2009, S.9f.; zuerst 1957; zit. als Duchamp 1957/2009: Kreativer Akt.
229
Marcel Duchamp: Soll der Künstler an die Universität gehen? in: Duchamp 1957/2009: Kreativer Akt, S.24.
230
Duchamp 1957/2009: Kreativer Akt, S.9. Zu Kandinsky siehe Wassily Kandinsky: Über das Geistige in der Kunst, Bern 1952; zit. als Kandinsky 1952: Über das Geistige.
231
Vgl. die Würdigung Duchamps durch Nikolas Bourriaud, der die Ahnenschaft Duchamps in der »Aneignung« durch den gegenwärtigen Konzeptualismus ebenfalls für äußerst zweifelhaft erachtet. Nicolas Bourriaud: Radikant, Berlin 2008; zit. als Bourriaud 2009: Radikant. Zu Duchamps künstlerischer als Handlungs- und Gestaltungsstrategie im Umfeld der Kunst seiner Zeit vgl. auch Certeau 1988: Kunst des Handelns, S.270-275; dort auch zur »neuen Schreibpraktik«.
232
Vgl. Mel Bochner: Working drawings and other visible things on paper not necessarily meant to be viewed as art, New York 1966; publiée à l´occasion de l´Exposition Mel Bochner, Projets à l´Etude, 19661996 au Cabinet des Estampes du Musée d´Art et d´Histoire, Genève (du 27 février au 13 avril 1997), Köln 1998; zit. als Brochner 1966: Working drawings.
233
Siehe beispielhaft die Altarbilder mit Verkündigung, Anbetung der Magier und Kindheitsszenen Jesu von Pieter Coecke van Aelst, u.a. das zwischen 1530-40 entstandene Triptychon, Öl auf Holz, 81 x 127 (Museo del Prado, Madrid).
234
Vgl. ubu.com/concept/index.html; Zugriff 11_2013.
235
Sol LeWitt: Paragraphs of Conceptual Art, in: Artforum. Onlineressource auf http://www.tufts.edu/ programs/mma/ fah188/ sol_lewitt/ paragraphs/on/conceptual/art.htm; Zugriff 12_2013. Weitere Literatur: Rosalind. LeWitt in Progress, Fall Nr.6, Okt. 1978, S.46-60. Sol LeWitt: The Museum of Modern Art. Essays by Lucy R. Lippard, Bernice Rose and Robert Rosenblum, hgg. von Alicia Legg, New York 1978. Sol LeWitt: Wall Drawings 1984-1992, Bern 1992 (Text Ulrich Loock); Sol LeWitt: Structures 1962-93 (The Museum of Modern Art), Oxford 1993 (Texte von David Batchelor, David Elliott, Chrissie Iles und Rosalind E. Krauss); Sol LeWitt: Critical Texts, hgg. von. Adachiara Zevi, Rom 1995; Sol LeWitt: A Retrospective (San Francisco Museum of Modern Art, in association with Yale University Press), hgg. von. Gary Garrels, San Francisco/New Haven 2000 (Texte von Martin Friedman, Andrea Miller-Keller, Brenda Richardson, Anne Rorimer, John S. Weber und Adam D. Weinberg).
236
Bourriaud 2009: Radikant, S.182.
237
Zitiert in der Version Stefan Römers, in: Römer 2014: Inter-esse, S.67.
238
Ausgeschlossen aufgrund der eindeutigen Kapitaldominanz und Marktabhängigkeit der Kunst in den einflussnehmenden Ökonomie- und Machtfeldern sowie im Kräftespiel des sozialen Felds insgesamt. (Zitate vgl. Römer 2014: Inter-esse, S.67f.) – Es handelt sich bei Römer um die Formulierung einer historisch übergreifenden Konzeptualismus-Konzeption im Sinne des zitierten Baurriaud-Statements. Als solche wird sie hier exemplarisch angesprochen. – Die Argumentation verläuft wie folgt: Konzeptuelle Kunstpraxis, »die sich inhaltlich (kritisch) exponiert und auf andere konzeptuelle Kunstpraktiken bezieht«, ist zunächst als »explizite Auseinandersetzung mit dem Konzeptualismus« zu beurteilen. Diese Auseinandersetzung »kann somit ›konzeptuell‹ genannt werden.« Als Kriterien für Konzeptualismus gelten demnach zum Ersten ein »Referenz-Interesse«, zum Zweiten ein »Kritik-Interesse«. Dem ersten Interesse folgend, muss der Gegenwartskünstler demonstrieren, wie er sich auf »die historische/andere konzeptuelle Kunst« bezieht, wie auch, außer auf die Tradition, auf zeitgenössische Formen konzeptueller Kunst also. Dem zweiten Interesse folgend, muss er zeigen, »mit welchem kritischen Ansatz/welcher Theorie... diese Praktiken einer
649
Lektüre unterzogen« werden und inwieweit die Lektüre in die »eigene Präsentation eingeht«, in ›Kunst‹ transferiert wird. 239
In Stefan Römers Dokumentarfilm Conceptual Paradise, 2006, ein Essayfilm«, der über die diskutierten Elemente der conceptual art verfügt: »In einer dreijährigen filmischen Recherche interviewte der Künstler und Autor Stefan Römer mit seinem Filmteam zahlreiche herausragende, internationale KünstlerInnen. In der intellektuellen Auseinandersetzung vor der Kamera entwickelte Stefan Römer eine spezielle filmische Reflexionsweise über den Zustand der internationalen zeitgenössischen Kunst.« (Pressetext auf der Website des Films; siehe http:// conceptual-paradise. com/ film/ deutsch/ index.htm; Zugriff 2_2014).
240
Römer 2014: Inter-esse, S.68.
241
Vgl. die WebSite Conceptual Paradise, a.a.O., ebd.
242
Bei Römer selbst ausgeprägt als »Fake« und »Ambient«. Vgl. Römer 2014: Inter-esse, S.71; zu weiteren Konsequenzen de-konzeptualisierender Art, die sinnvollerweise ihre eigenen mimetischen Praktiken nicht verleugnet, siehe ebd., S.116f., S.119. »Lektürepolitik« ist eine Anleihe bei Certeau, das »Queer-Schreiben« (!) auf William S. Burroughs zurückgehend (siehe S.119, ebd.).
243
Vgl. Barthes: 1972/1988: Semiologisches Abenteuer, S.274. Barthes spricht von einer doppelten Kodierung, einem »wissenschaftlich deontologischen Code« in Kombination mit einem »symbolischen Code«. Vgl. dazu Certeau 1988: Kunst des Handelns, Vierter Teil, Kapitel XII.
244
Barthes 1972/1988: Semiologisches Abenteuer, S.268.
245
Vgl. Certeau 1988: Kunst des Handeln, Kap. XII: »Lesen heißt wildern«. (Die drei nächsten Zitate. S.302f., S.305, ebd.).
246
Auch das, was rezeptionsästhetisch und handlungstheoretisch »in Bochum« passierte. Certeau 1988: Kunst des Handeln, S.301, S.309. Gemeint waren Arbeiten von Hans Ulrich Gumbrecht und Karlheinz Stierle (siehe ebd., S.381, d.i. S.309, Anm. 26 (Zitate S.301-305; die Zitate des Absatzes nach dem Langzitat ebd., S.308-311, S.325, S.327).
247
Certeau 1988: Kunst des Handeln, S.306, Hervorhebung – HW.
248
Stefan Römer gibt zwei eindrückliche Beispiele im 3. und 5. Kapitel seines Buches: »In der Generali-Situation. Videoüberwachte Videoinstallation« und »Fotografie, Film, Wahrheit: Inter-esse zwischen Krisen-Tableau und Online-Screen« (siehe Römer 2014: Inter-esse, S.47ff, S.121ff).
249
Vgl. die Darstellung in: Römer 2014: Inter-esse, S.75-77 (Zitate des Absatzes ebd.).
250
Im Szenografiebereich denke ich – zwei unterschiedliche Beispiele – an »klein-künstlerischeUnternehmen« wie das der Gebrüder Rikling in St. Gallen (Schweiz): »Atelier für Sonderaufgaben«, gegründet 1999. »Mit dem Projekt und der Schaffung der Marke ›Null Stern Hotel‹ bzw. ›Null Stern – the only star is you‹ (in Kooperation mit Daniel Charbonnier von Minds in Motion SA, Lausanne) erreichten sie im vergangenen Jahr internationale Bekanntheit als Konzeptkünstler« (Text WebSite; Webressource siehe unter: http:// www. sonderaufgaben.ch; Zugriff 5_2014). Ebenfalls als freier Unternehmer seiner selbst, als »designer, teacher, writer, performer«, Konzeptkünstler und Szenograf, arbeitet und forscht Frank den Oudsten, Amsterdam (vgl. http://www. frankdenoudsten.com; Zugriff 5_2014). Zum Kontext siehe Gregory Scholette: Dark Matter. Art and Politics in the Age of Enterprise Culture, New York 2011; zit. als Scholette 2011: Dark Matter. Nach wie vor in Widerstandsunternehmungen begriffen dagegen sind Menschen wie das »szenografische Urgestein« Bazon Brock. Der »Künstler ohne Werk« nennt sich selbst heute unter anderem »Performancephilosoph« und »Schaudenker« (siehe http://www. bazonbrock.de; Zugriff 5_2014). Zum konzeptionellen Hintergrund siehe Bazon Brock: Lustmarsch durchs Theoriegelände. Eine Kampfschrift, Köln 2008; ders.: Der Barbar als Kulturheld: Wie man wird, was man nicht ist. Für eine Ästhetik des Unterlassens. Gesammelte Schriften 1992-2002, Köln 2002; vgl. zuletzt auch Bazon Brock/Hans Ulrich Reck: Utopie und Evidenzkritik //Tarnen und Täuschen, Hamburg 2010 (Doppelband Fundus 185/186); zitiert als Brock 2008: Lustmarsch; Brock 2002: Barbar als Kulturheld; Brock/Reck 2010: Utopie/Tarnen; Der Profi-Bürger, hgg. von Bazon Brock und Peter Sloterdijk München 2011; zit. als Brock/Sloterdijk 2011: Profi-Bürger.
251
Nicht zuletzt diente einem ähnlichen Zweck auch die Gründung des europäischen Netzwerkes für Szenografie »EIS. European Initiative Scenography« auf Initiative des Verfassers 2009 in Graz, das sich allerdings vornehmlich als lockere Assoziation von einzelnen Szenografieambitionierten in der europäischen und internationalen Hochschullandschaft versteht.
650
iv medien, politik, ökonomie
252
Siehe Römer 2014: Inter-esse, S.76f.
253
Zur Ambivalenz prekärer Verhältnisse siehe Bourriaud 2009: Radikant; zur Bedeutung in der Kunst siehe darin »Das ästhetische Prekarität und Formen des Umherschweifen« (S.82-89, ebd.).
254
Marx 1857/58/1974: Grundrisse, S.588.
255
Wirtschaftstheoretisch thematisiert zum Beispiel in der Variante eines »Null-Grenznutzens«. Vgl. Jeremy Rifkin: The Zero Marginal Cost Society. The Internet of Things, the Collaborative Common, and the Eclipse of Capitalism, New York 2014; zit. als Rifkin 2014: The Zero Marginal Cost Society. Dt.: Die Null-Grenzkosten-Gesellschaft: Das Internet der Dinge, kollaboratives Gemeingut und der Rückzug des Kapitalismus, Frankfurt am Main/New York 2014.
256
Virno 2005: Grammatik der Multitude, S.76 (auch zit. und argumentativ genutzt bei Römer 2014: Inter-esse, S.100).
257
Marx 1857/58/1974: Grundrisse, S.593.
258
Siehe Marx 1867/1968: Das Kapital, Bd.1 (MEW ), S.446; Hervorhebung HW. »In der Maschinerie tritt die vergegenständlichte Arbeit der lebendigen Arbeit im Arbeitsprozeß selbst als die beherrschende Macht gegenüber, die das Kapital als Aneignung der lebendigen Arbeit seiner Form nach ist.« Marx 1857/58/1974: Grundrisse, S.585. »Die Arbeit erscheint nicht mehr so sehr als in den Produktionsprozess eingeschlossen[,] als sich der Mensch vielmehr als Wächter und Regulator zum Produktionsprozeß selbst verhält. (Was von der Maschinerie, gilt ebenso von der Kombination menschlicher Tätigkeiten und der Entwicklung des menschlichen Verkehrs.)« Der Arbeiter »tritt neben den Produktionsprozeß, statt sein Hauptagent zu sein. In dieser Umwandlung ist es weder die unmittelbare Arbeit, die der Mensch selbst verrichtet, noch die Zeit, die er arbeitet, sondern die Aneignung seiner eigenen allgemeinen Produktivkraft, sein Verständnis der Natur und die Beherrschung derselben durch sein Dasein als Gesellschaftskörper – in einem Wort die Entwicklung des gesellschaftlichen Individuums, die als der große Grundpfeiler der Produktion und des Reichtums erscheint.« (Grundrisse S.592f.).
259
Marx 1857/58/1974: Grundrisse, S.584; Hervorhebungen – HW: die beiden folgenden Zitate ebd., S.585f.
260
Marx fährt fort: »So werden alle Kräfte der Arbeit transponiert in Kräfte des Kapitals; im capital fixe die Produktivkraft der Arbeit (die außer ihr gesetzt ist und als unabhängig (sachlich) von ihr existierend); und im Capital circulant einerseits dies, daß der Arbeiter selbst die Bedingungen der Wiederholung seiner Arbeit sich vorausgesetzt hat, andrerseits der Austausch dieser seiner Arbeit durch die koexistierende Arbeit andrer vermittelt ist, erscheint so, daß das Kapital ihm die Avancen macht und andrerseits die Gleichzeitigkeit der Arbeitszweige setzt. [...] Das Kapital setzt sich als Vermittler zwischen den verschiednen labourers in der Form des Capital circulant.« (Marx 1857/58/1974: Grundrisse, S.588f.; Hervorhebungen – Ökonomische Manuskripte).
261
So die Überschriften der beiden strategischen Kapitel seines Buches.
262
Römer 2014: Inter-esse, S.164; die Durchstreichung von Veröffentlichung im Text eine Probe der oben bemerkten Verweigerungsgeste mit programmatischem Anspruch (vergleichbar die Durchstreichung von Öffentlichkeit in Absetzung zu Habermas. Siehe Römer 2014: Inter-esse, S.54). Die Bitte um Verständnis für die Neologismen des conceptual writing vgl. ebd., S.170ff (die angehängten ›gegenderten‹ Endungen ebenfalls im Text. Korrektur Zeichensetzung/Grammatik – HW).
263
Vgl. Rifkin 2000/2007: Access, S.154: »Wo wir hinschauen[,] wird Zugang zur Messlatte für gesellschaftliche Beziehungen.«
264
Das »künstlerische Wissen über die sozial vermittelnde Funktion als Knowing Who« wird allerdings rhetorisch als interessegemäß im Sinne persönlicher und gemeinschaftlicher, subjektiver wie objektiver Interessen behauptet. Denn »Knowing Who« tritt auf »in Ergänzung zu den Performanzen des ›Knowing how‹, ›Knowing that‹, ›Not Knowing‹, ›Tacit Knowledge‹ und dem ›flux of no-how‹« [!]. Will man also mehr wissen über »den diskursiven Zwischenraum«, »zwischen KrisenTableau und Online-Screen«, wird man sich zweifellos dem »Tun« in den »künstlerischen Produktionsstätten der epistemologischen Forschung« zuwenden, in denen die jeweils »eigenen Inhalte in Subscreens erforscht und performt werden« und nicht nur dem Buch (Zitate siehe Römer 2014: Inter-esse, S.164f.; Hervorhebung – SR).
265
Vgl. Roland Barthes: Über S/Z‹ und ›Das Reich der Zeichen‹, in ders.: Die Körnung der Stimme. Interviews 1962-1980, Frankfurt am Main 2002, S.78-98; zit. als Barthes 2002: S/Z respektive Barthes
651
2002: Interviews. Im Ganzen geht es darum, »eine vernünftige Zahl von Sinnen« zu produzieren. Siehe Barthes 2002: S/Z, S.81, S.86; Zitate im Text ebd., S.84f. 266
Im »Essay über ihre Veröffentlichungs-Strategie«. Römer 2014: Inter-esse, S.118; Hervorhebungen dort.
267
Zitate in Bourriaud 2000: Radikant, S.188, S.198.
268
Römer 2014: Inter-esse, ebd.
269
Vgl. Karl Marx: Ökonomisches Manuskript (1861-1863), in: MEW Bd.43, S.269-274; zit. als Marx 1861/63/1990: Ökonomisches Manuskript.
270
Vgl. Marx 1857/58/1974: Grundrisse, S.937, S.944.
271
Vgl. Marx 1857/58/1974: Grundrisse, S.933f. (Hervorhebung – HW). »Es ist nur die spezifische Natur des Gebrauchswerts, der mit dem Geld gekauft wird, – nämlich daß seine Konsumtion, die Konsumtion der Arbeitsvermögen, Produktion, vergegenständlichte Arbeitszeit, tauschwertsetzende Konsumtion ist – sein wirkliches Dasein als Gebrauchswert Schaffen des Tauschwerts ist –, welches den Austausch zwischen Geld und Arbeit zu dem spezifischen Austausch G–W–G macht, worin als Zweck des Austauschs der Tauschwert selbst gesetzt ist und der erkaufte Gebrauchswert unmittelbar Gebrauchswert für den Tauschwert ist, d.h. Werts[etzen]der Gebrauchswert.« (Ebd., S.946; Hervorhebung – Grundrisse).
272
Zur ökonomischen Bewertung des Zusammenhangs, insbesondere auch eine mathematisch kalkulatorische Würdigung, siehe Claus Peter Ortlieb: Der prozessierende Widerspruch. Produktion des relativen Mehrwerts und Krisendynamik, in: Ökonomie und Gesellschaft, Jahrbuch 24: Entfremdung - Ausbeutung - Revolte. Karl Marx neu verhandelt, hgg. von Gerd Ötzinger und Utz-Peter Reich, Marburg 2012; zit. als Ortlieb 2012: Prozessierender Widerspruch.
273
Robert Kurz: Die Krise des Tauschwerts, in: Marxistische Kritik 1/1986, S.7-48; zit. als Kurz 1986: Krise des Tauschwerts; als Onlineressource erreichbar unter www.exit-online.org/ link. php?tabelle=schwerpunkte &posnr=85. Zugriff 05_2013.
274
Kurz 1986: Krise des Tauschwerts, S.31f.
275
Siehe Rifkin 2000/2007: Access, S.114; S.324, Anm.28
276
Thomas Niebel: Der Dienstleistungssektor in Deutschland. Abgrenzung und empirische Evidenz. Dokumentation 19_01 des Zentrums für europäische Wirtschaftsforschung (ZEW), Mannheim 2010, Vorspann (Onlineressource auf ftp:// ftp.zew.de/ pub/ zew-docs/ docus/ dokumentation1001. pdf; Zugriff 3_2014; zit. als Niebel 2010: Dienstleistungssektor). Der Statistikdienst Statista gibt für 2013 einen Wertschöpfungsanteil der Dienstleistung in Deutschland von 69% an (vgl. http:// de.statista.com/ statistik/ daten/ studie/36153/ umfrage/ anteil-des-dienstleistungssektors-an-dergesamten-bruttowertschoepfung/; Zugriff 4_2014).
277
Bei den »geringfügigen Beschäftigungen« liegt das Verhältnis der Beschäftigung bei 1,7% zu 15,7% zu 82,6%, verteilt auf den primären, sekundären und tertiären Sektor. (Quelle Bundesanstalt für Arbeit 2005). Insgesamt waren 28,5% der Beschäftigten in der Dienstleistung geringfügig beschäftigt mit steigernder Tendenz, im Unterschied zum Gewerbe, in dem die »Geringqualifizierten« durch Automatisierung schneller kompensiert werden. »Der Anteil Hochqualifizierter hat in beiden Sektoren [der Prekärbeschäftigung – HW] über die Jahre zugenommen, wobei im Bereich der Dienstleistungen ein zwei bis drei Prozentpunkte höherer Wert zu verzeichnen ist.« Niebel 2010: Dienstleistungssektor, S.7f.
278
Niebel 2010: Dienstleistungssektor, S.12.
279
Niebel 2010: Dienstleistungssektor, S.12; »Gänzlich neu in der Definition des IKT-Dienstleistungssektors der OECD aus dem Jahr 2006-07 ist... die Gruppe Verlegen von Software«. (S.22, ebd.) Zum methodischen Vergleich mit anderen Datenquellen siehe ebd., S.20.
280
Niebel 2010: Dienstleistungssektor, S.24; das folgende Zitat ebd.
281
Folgt man Michael Serres´ und Nayla Faroukis Thesaurus der exakten Wissenschaften. Siehe Farouki 2001: Thesaurus, 2001, S.149 (siehe auch die Artikel »Algorithmus«, S.25-27, ebd., und »Programm«, S.758, ebd.).
282
Andere Wahlverwandtschaften lassen Richard Serra, Robert Smithson oder Eva Hesse in Erscheinung treten.
652
iv medien, politik, ökonomie
283
Zu Barney siehe die Online-Ressource http://issuu.com/ haus_der_kunst/ docs/ essay_oe_mb_ catalogue/ 6?e=4227978/8525019; zu Huyghe vgl. http://db-artmag.com/ en/71/ feature/ lossof-artistic-controlpierre-huyghes-biotope-at-documenta (Zugriff 09_2014). Zu Kontext und Würdigung siehe: Pamela Scorzin: »Everything is connected«. Zum Plastikbegriff des frühen 21. Jahrhunderts – am Beispiel von Matthew Barney und Pierre Huyghe, in Kunsttexte.de. Themenheft: Skulptur des 21. Jahrhunderts, hgg. von Christiane G. Klant, Berlin 2014.
284
Vgl. Peter Liversidge: Everything is connected. A realised proposal, originally created for Frieze. Sculpture Park, Regents Park, London 2012; siehe: http://robertkeithparkinsonma.blogspot.de (Zugriff 09_2014).
285
Vgl. exemplarisch die Themen von Pierre Huyghe.
286
Vgl. Joseph Beuys: Aufruf zur Alternative, in: Frankfurter Rundschau, 23.12.1978. Nachdruck aus Anlass der 1. Wahl des europäischen Parlaments 1979 (Online-Ressource auf: http:// www.wilfriedheidt.de/ beuys-heidt-zusammenarbeit/ pdf/ Aufruf-zur-Alternative-Heft.pdf; Zugriff 12_2012).
287
Vgl. Kant 1790/1968: KdU, §43. S.303ff.
288
Aristoteles: Poetik, 1451a, 37f.
289
Siehe Brock 2002: Barbar als Kulturheld.
290
Norbert Elias: Die höfische Gesellschaft, Neuwied 1969, S.69; zit. als Elias 1969: Höfische Gesellschaft.
291
Bourdieu 1979/1982: Feine Unterschiede, S.359.
292
Bourdieu 1979/1982: Feine Unterschiede, S.361; zum Kontext siehe den ganzen Abschnitt vier des zweiten Teils des Buches (»Die Ökonomie der Praxisformen«) u.d.T. »Die Dynamik der Felder«, S.355-404, ebd.
293
Ortlieb 2012: Prozessierender Widerspruch, S.13.
294
Vgl. Meinhard Miegel: EXIT. Wohlstand ohne Wachstum, (4. Aufl.) Berlin 2010 (zitiert bei Ortlieb, ebd., S.13f.).
295
Moishe Postone: Zeit, Arbeit und gesellschaftliche Herrschaft. Eine neue Interpretation der kritischen Theorie von Marx, Freiburg 2003, S.472 (zuerst 1993); zit. als Postone 2003: Zeit, Arbeit, Herrschaft. Siehe auch Peter Sloterdijk: Im Weltinnenraum des Kapitals. Für eine philosophische Theorie der Globalisierung, Frankfurt am Main 2005; zit. als Sloterdijk 2005: Weltinnenraum des Kapitals.
296
Siehe Sloterdijk 2007: Weltinnenraum des Kapitals, S.71f.
297
Bourriaud 2009: Radikant, S.199.
298
Wobei der Zusammenhang für Gehlen wohl der ist, dass er den »Humanitarismus«, den er bei Kynikern und Stoikern erstmals identifiziert, ablehnt. Im Sinne privater Ersatzleistungen anstelle in der Gemeinschaft nicht mehr legitimationsfähiger Bürgertugenden seien die privaten Altruismen, die »verallgemeinerten Tugenden privater Herkunft, wie Wohlwollen, Hilfsbereitschaft usw.«, ganz abgesehen von der asketisch primitiven Lebensweise solcher Eiferer nur begrenzt akzeptabel. Vgl. Arnold Gehlen: Moral und Hypermoral. Eine pluralistische Ethik, Wiesbaden (5. Aufl.) 1986.
299
Die Foucault eher - mit Heidegger - als Wertgesichtspunkte anführt denn als »Kriterien«.
300
Charles S. Peirce: Über die Klarheit unserer Gedanken. How to Make Our Ideas Clear, Frankfurt am Main 1968, S.57, zit. als Peirce 1887/88/1968: Über die Klarheit.
301
Foucault 1983/84/2010: Mut zur Wahrheit, S.241f.
302
Die es auch in den politischen Clubs der 1789er Revolution nicht gegeben hat.
303
Foucault 1983/84/2010: Mut zur Wahrheit, ebd.
304
Beispielhaft die Karriere des Bunds der Geächteten, über den Bund der Gerechten oder Bund der Gerechtigkeit zum Kommunistischen Bund, die in den 30er Jahren begann. Vgl. Politische Vereine, Gesellschaften und Parteien in Zentraleuropa 1815-1848/49, hgg. von Helmut Reinalter (Schriftenreihe der Internationalen Forschungsstelle »Demokratische Bewegungen in Mitteleuropa 17701850«, Bd. 38), Frankfurt am Main u.a. 2005.
305
Womit die radikalere Opposition zunächst noch keinen legalen Platz reserviert bekommt, sondern nur die konservativen und weniger konservativen Liberalen sowie die liberalen und weniger
653
liberalen Konservativen: Die Deutsche Fortschrittspartei und der Allgemeine deutsche Arbeiterverein, die Nationalliberalen, schließlich die Sozialdemokratische Arbeiterpartei und das Zentrum, alle gegründet im Verlauf bzw. am Ende der 60er und zu Beginn der 70er Jahre. Fundamentaloppositionell ist oder gibt sich allein die Sozialdemokratische Partei, die erst 1891 gegründet wird. Die Gründung der Kommunistischen Partei 1918 gehört erst in die europäische Beschleunigungsphase am Ende des Kaiserreichs. 306
Man muss ins Gedächtnis rufen, dass auch diese Gruppierungen in ihrer Anfangszeit tatsächlich mitgliederarm waren. Bei der Gründungskonferenz waren rund 2000 Teilnehmer anwesend aus 13 europäischen Staaten und Nordamerika, bei der inoffiziellen Konferenz 1871, die nicht nur die Solidaritätsadresse an die Pariser Commune verabschiedete, sondern auch, dass die »Konstituierung der Arbeiterklasse als politische Partei unerlässlich ist für den Triumph der sozialen Revolution und ihres Endzieles – der Abschaffung der Klassen«, waren 13 Mitglieder des Generalrats und 23 Delegierte aus 8 europäischen Ländern und den USA anwesend. Im Übrigen wurden sektiererische Namen wie »Kollektivisten« und »Kommunisten« verboten. Als der linke Parteienstreit zum Zerfall der anarchistischen und zur Konsolidierung der sozialistischen Fraktion geführt hatte, verfügte die Zweite Internationale, gegründet am hundertsten Jahrestag der Französischen Revolution, schon über eine ganz anders zählende Massenbasis. Vgl. Die Internationale Arbeiter-Assoziation. Kleine Chronik der ersten Internationale (1862-1878) (Onlineressource auf: geschichtevonunten. de; Zugriff 09/2012). Vergleichbar aber auch Lebens- und Organisationsgeschichte von Gewerkschaftlern und Gewerkschaften, die sich in puncto anstößiger Lebensstil nicht selten deckten. Die Gründung der Generalkommission der Gewerkschaften Deutschlands (1890) erfolgte ganz parallel zu der der SPD. Sie wurde 1906 als zweites Leitungsgremium innerhalb der Arbeiterbewegung anerkannt. Vgl. Geschichte der deutschen Gewerkschaftsbewegung, hgg. von Frank Deppe, Georg Fülberth und Jürgen Harrer, Köln 1977.
307
Anders, für einen Fall im 20. Jahrhundert, vgl. in der Reihe Szenografie & Szenologie: Ralf Bohn: Inszenierung als Widerstand. Bildkörper und Körperbild bei Paul Klee, Bielefeld 2009.
308
Foucault 1983/84/2010: Mut zur Wahrheit, S.280.
309
Siehe Martin Wieland: Peregrinus Proteus (Vorabdr. 1788/89, veröffentlicht Leipzig 1791), hgg. von Jan Philipp Reemtsma, Nördlingen 1985; ders.: Politische Schriften, insbesondere zur Französischen Revolution, 3 Bde., Nördlingen 1988; ders.: Krates und Hipparchia. Ein Seitenstück zu Menander und Glycerion, Tübingen 1805. (Bei books.google in der Erstausgabe zu erreichen.) Wieland war auch Lukian-Übersetzer; Lukian hatte wesentlich zur Verbreitung kynischen Gedankenguts beigetragen. Siehe Martin Wieland: Lukian von Samosata. Sämtliche Werke, 6 Bde., Leipzig 1788/89. Historisch-kritische Ausgabe, siehe Wielands Werke, hgg. von Klaus Manger und Jan Philipp Reemtsma, Berlin/New York ab 2008.
310
Foucault 1983/84/2010: Mut zur Wahrheit, S.250, Anm. Es ist eine Anmerkung zu einer Ausführung, die sich in Foucaults Manuskript findet, aber in der Vorlesung ausgelassen wurde.
311
Foucault 1983/84/2010: Mut zur Wahrheit, S.249/250. Vgl. Gianni Vattimo: Das Ende der Moderne: Nihilismus und Hermeneutik in der Kultur der Postmoderne, Paris 1987.
312
Foucault 1983/84/2010: Mut zur Wahrheit, S.243.
313
Foucault schlug unter anderem vor, »das Problem des Stilwechsels in der kommunistischen Partei« zu untersuchen, „wie es sich in den 1920er Jahren gestellt hat, [...] allmählich verwandelt hat, Gestalt annahm, modifiziert und schließlich in sein Gegenteil verkehrt wurde, da man zu jenem paradoxen Ergebnis gelangt, das jedoch in gewissem Sinn nur die Bedeutung des Lebensstils und der Offenbarung der Wahrheit im aktivistischen Leben bestätigt.« Foucault 1983/84/2010: Mut zur Wahrheit, S.243.
314
Andere Aufführungsformate oppositioneller Lebensart, die Foucault anführt, weniger programmatischer Natur indes, aber durchaus passend, sind Schwänke, Karnevalsriten und rituale und andere Volksfeste: die »Volkskultur als Gegenkultur«, wie sie Bachtin mit Blick auf Rabelais zum Thema gemacht hat (siehe Michael Bachtin: Rabelais und seine Welt, Frankfurt am Main 2004 [russische Originalausgabe 1966]). Vgl. Foucault 1983/84/2010: Mut zur Wahrheit, S.245f, S.251.
315
Foucault 1983/84/2010: Mut zur Wahrheit, S.289ff.
316
Foucault 1983/84/2010: Mut zur Wahrheit, S.247. Obwohl Foucault sehr wohl weiß, was er detailliert in den Vorlesungen des Jahres 1983 dargetan hat, dass die Verkürzung auf den »Platonismus« der Ideenlehre nicht statthaft ist, Platon keinen logos ohne ergon zuzulassen bereit war. Siehe Michel
654
iv medien, politik, ökonomie
Foucault: Die Regierung des Selbst und der anderen. Vorlesungen am Collège de France 1982/83, Frankfurt am Main 2009; explizit S.279/280; zit. als Foucault 1982/83/2009: Regierung des Selbst. 317
Vgl. Foucault 1983/84/2010: Mut zur Wahrheit, S.247-251. Den Antiplatonismus, den Foucault im zweiten Teil seiner 5. Vorlesung, Ende Februar 1984 zu isolierten versucht, identifiziert er »von Manet bis zu Francis Bacon, von Baudelaire bis zu Samuel Beckett und Burroughs«. Die Szenifikationen, die das skandalöse Schauspiel, welches das Hereinbrechen des »Elementaren der Existenz« jeweils belebt, wären freilich in der Verbindung von Werk und Leben eines jeden Künstlers als Raum der Entfaltung eines Skandalons zu dekonstruieren. In vergleichbarer Weise wäre es sinnvoll, am Beginn der beschriebenen Epoche in der Praxis der Künstler und in ihren Werken nach ›kynisch‹ kritischen Elementen zu forschen. Einer der ersten Kandidaten könnte nach meinem Eindruck das Werk Francisco Goyas, in anderer Akzentuierung vielleicht das Johann Heinrich Füsslis sein, der eine bis 1828, die andere bis 1825 unter den Lebenden. Ein weiterer Protagonist würde Théodore Géricault sein (bis 1824). Um unter den Malern zu bleiben, käme für eine ›kynische‹ Opposition gegen das feudale Inszenierungsparadigma und seine Variationen das Werk Diego Velázquez´ in Betracht, weniger vielleicht auch hier seine Person. Doch befinden wir uns mit Velázquez ganz auf dem Boden der alten Repräsentation. – Den Antiaristotelismus charakterisiert Foucault in der 1984er Vorlesung im Unterschied zum Antiplatonismus als eine Art Unterströmung der Kunst, die existiert, wo auch immer Kunst auftritt. Kunst in Aktion rebelliert von sich aus gegen etablierte Kunst und derart auch immer gegen sich selbst, sofern sie sich einrichtet und in Gefahr steht, sich in der Einrichtung breitzumachen. Auch hier könnte man an Wittgenstein denken und die Kunst mit der Philosophie vergleichen. Wittgenstein weist ihr bekanntlich die Aufgabe zu, der Fliege den Ausweg aus dem Glas zu weisen, in das sie sich eingesperrt hat. – Foucault bezieht sich im Übrigen in der letzten Vorlesung auch auf zeitgenössische, explizit szenografische Formate, darunter die aktuellen Kunstausstellungen des Winters 83/84 in Paris. Im Kontext der Diskussion macht er darauf aufmerksam, dass die ManetReferenz seiner Vorlesung nicht an den großen Kunstbetrieb adressiert ist, sondern an die Inszenierung der Kritik: »Wenn Sie die Manet-Ausstellung diesen Winter gesehen haben, werden sie den Bruch bemerkt haben«. Foucault meint die Ausstellung, die im Centre Pompidou ausgerichtet wurde (Bonjour Monsieur Manet) und die, wie der Herausgeber der Vorlesungen beisteuert, »manchmal auf sehr provokante Weise, [!] Visionen und Variationen zeitgenössischer Künstler zum Werk Manets präsentierte.« So konnten die Brüche umso eher sichtbar werden (vgl. ebd., S.248 und die Anm. des Herausgebers, ebd.). Ganz anders also hatte sich hier die Szenografie entschieden als in der etwa zeitgleich stattfindenden offiziellen Manet-Retrospektive, die sich ganz dem Betrieb verschrieb.
318
Vgl: Pape 1888: Griech.-dt. Handwörterbuch, Bd.2, S.528/529. Pape übersetzt mit Bezug auf Platons Dialoge »Freies Reden«, »Freimütigkeit«, »Offenheit im Reden und Handeln«.
319
Vgl. Karl Bertau: Deutsche Literatur und lateinisches Mittelalter, Band I: 800-1197, Zweiter Teil, München 1972; zit. als Bertau 1972: Lateinisches Mittelalter, Bd.2.
320
Vgl: Pape 1888: Griech.-dt. Handwörterbuch, Bd.1, S.94; Foucault 1983/84/2010: Mut zur Wahrheit, S.285-287.
321
Foucault 1983/84/2010: Mut zur Wahrheit, S.303-305; die folgenden Zitate ebd., S.387, S.393.
322
Einschlägig die Vorlesungen François Guizots (Innenminister 1830, Bildungsminister zwischen 1830 und 1837 und Außenminister Frankreichs in der Juli-Monarchie 1840-1848)die er in den 1820er Jahren gehalten hatte: Siehe François P. G. Guizot: Histoires des origines du gouvernement représentatif en Europe, 2 Bde., Brüssel 1851; Zitat (»la conformité avec la raison éternelle«)siehe ebd., Bd.2, S.152. Siehe auch: Robert Spaemann: Der Ursprung der Soziologie aus dem Geist der Restauration, München 1959; 2. Aufl. Stuttgart 1998.
323
Rudolf Smend: Staatsrechtliche Abhandlungen und andere Aufsätze, Berlin (4.Aufl.) 1994, S.215.
324
Vgl. Hasso Hoffmann: Art. »Legalität, Legitimität«, in: Ritter 1980: HWPh, Bd. 5, Darmstadt 1980, S.163f; zit. als Hoffmann 1980: Legalität.
325
Vgl. Carl Schmitt: Die geistesgeschichtliche Lage des heutigen Parlamentarismus, (8. Aufl.) 1996, (zuerst 1926); Carl Schmitt: Legalität und Legitimität, Berlin (7 Aufl.) 2005; Carl Schmitt: Verfassungsrechtliche Aufsätze 1924-1954. Materialien zu einer Verfassungslehre, (4.Aufl.) Berlin 2003 (zuerst 1958), dort S.264ff; vgl. auch Hoffmann 1980: Legalität, S.165f.
326
Hoffmann 1980: Legalität, ebd.
327
Vgl. Max Weber: Wirtschaft und Gesellschaft. Grundriss der verstehenden Soziologie. Mit textkritischen Erläuterungen hrsg. von Johannes Winckelmann (5., rev. Aufl.), 3 Bde. Tübingen 1976, Bd.1;
655
Zur Kritik der genanten Gründungsmythen: Ulrich Beck: Die Erfindung des Politischen, Frankfurt am Main 1993, S. 57-163; zit. als Beck 1993: Erfindung des Politischen; zur moderaten Anknüpfung an Carl Schmitt in marxismusdekonstruktiver Programmatik siehe Ernesto Laclau und Chantal Mouffe: Hegemonie und radikale Demokratie. Zur Dekonstruktion des Marxismus, Wien 1991 (zuerst engl. Hegemony and Socialist Strategy, London 1984; zit. als Laclau/Mouffe 1991: Hegemonie; Chantal Mouffe: Agonistik. Die Welt politisch denken, Frankfurt am Main 2014, zit. als Mouffe 2014: Agonistik. Zur Diskussion siehe: Das Undarstellbare der Politik. Zur Hegemonietheorie Ernesto Laclaus, hgg. von Oliver Marchart Wien 1998. erreichbar gegenwärtig nur online: http://www.turia.at/downloads/laclau.pdf; Zugriff 12_2013. 328
Vgl. Luhmann 1969: Legitimation durch Verfahren; Niklas Luhmann: Rechtssoziologie, 2 Bde., Reinbek 1972, Bd.2, S. 259ff.
329
Rancière 2002: Das Unvernehmen, S.111.
330
Eine Differenz, die insbesondere auch zur Idee eines überstaatlichen Welt-Regiments gehört, wofür der Begriff der Global Governance steht. Die Grundsätze einer sozialdemokratischen Weltregierung sehen mithin ein einziges Verwaltungsmodell und nicht verschiedene konkurrierende Hegemonialmodelle vor. »Governance« in diesem Sinne kommt der »Sozialtechnologie« nahe, mit der Habermas in der Debatte der 1960er Jahre die Luhmann´sche Strategie, das Politische zu steuern, apostrophierte. Zur Global Governance vgl. David Held: Democracy and Global Order, Cambridge 1995; siehe auch die Beiträge in: Cosmopolitan Democracy. An Agenda for a New World Order, hgg. von Daniele Archibugi und David Held, Cambridge 1995. Des weiteren vgl.: David Held: Global Covenant: The Social Democratic Alternative to the Washington Consensus, Cambridge 2004 (dt: Soziale Demokratie im globalen Zeitalter, Frankfurt am Main 2007); Daniele Archibugi: The Global Commonwealth of Citizens: Toward Cosmopolitan Democracy, Princeton (NJ) 2008; Global Democracy: Normative and Empirical Perspectives, hgg. von Daniele Archibugi, Mathias Koenig-Archibugi und Raffaele Marchetti, Cambridge 2012. Zur Diskussion siehe schon Mouffe 2007: Über das Politische S.135-140.
331
Ernesto Laclau: Emanzipation und Differenz, Wien 2002, S.132f; zit. als Laclau 2002: Emanzipation und Differenz. (Hervorhebung – HW).
332
Siehe Chantal Mouffe: Das demokratische Paradox, (2.Aufl.) Wien 2010; Mouffe 2014: Agonistik. Die Welt politisch denken, Frankfurt am Main 2014.
333
Beck 1993: Erfindung des Politischen., S.164, S.162. Mouffe 2007: Über das Politische S.53f.
334
Auch derjenigen, die der Politikerklasse selbst angehören. Siehe oben beispielhaft die Einlassungen Sigmar Gabriels. Ebenso exemplarisch schon die Position des New Labour, heute aber gwissermaßen – unter Voraussetzung traditioneller politischer Legitimationsprinzipien – weit unpolitischer, arrangiert um ein Programm des »individual empowerment«: »helping people to feel involved and appreciated« (Ed Miliband).
335
Giddens 1997: Jenseits von Links und Rechts; zur der Auswirkung des Programms in Fragen der Globalisierung siehe: ders.: Die entfesselte Welt: Wie Globalisierung unser Leben verändert, Frankfurt am Main 2001. Auch diese Äußerung noch vor dem Einbruch liberaldemokratischer Strategien in Folge von Nine Eleven.
336
Vgl. Hardt/Negri 2002: Empire. Dazu siehe die Diskussion in: Empire und die biopolitische Wende: Die internationale Diskussion im Anschluss an Hardt und Negri, hgg. von Marianne Pieper, Thomas Atzert, Serhat Karakayali und Vassilis Tsianos, Frankfurt am Main/New York 2007.
337
So zum Beispiel die Position von Chantal Mouffe und Ernesto Laclau. Vgl. das Kapitel »Dialogische versus agonistische Demokratie« in: Mouffe 2007: Über das Politische, S.69-72: »Anders als den dialogischen Ansatz betrachte ich die demokratische Diskussion als reale Konfrontation. Die Gegner bekämpfen sich – sogar erbittert –, aber die halten sich dabei an einen vereinbarten Regelkanon. (ebd. S.70). Ein vergleichbares Statement zuletzt in: Mouffe 2014: Agonistik: Im Unterschied zu Carl Schmitts Vorstellungen habe man es zu tun »mit Gegnern, die die Legitimität der Forderungen ihrer Opponenten grundsätzlich anerkennen« (ebd. S.207). Vgl. dazu auch die Einlassungen in: Ernesto Laclau und Chantal Mouffe: Hegemonie und radikale Demokratie. Zur Dekonstruktion des Marxismus, Wien 1991 (zuerst engl. Hegemony and Socialist Strategy, London 1984.
338
Schmitt 1932/1991: Begriff des Politischen, S.51/S.18; siehe Mouffe 2007: Über das Politische, S.18f.
339
Giorgio Agamben: Ausnahmezustand. Homo sacer II.1, Frankfurt am Main 2004, S.6ff. Carl Schmitt
656
iv medien, politik, ökonomie
zum Ausnahmezustand siehe ders.: Politische Theologie. Vier Kapitel zur Lehre von der Souveränität. München Leipzig 1923, (8.Aufl.) Berlin 2004; zit. als Schmitt 1923/2004: Politische Theologie. 340
Schmitt 1923/2004: Politische Theologie, S.11.
657
Literaturverzeichnis
Das Literaturverzeichnis gibt eine Übersicht über die in den Anmerkungen der Teile I bis IV mit Kurztitel versehenen Angaben. Dort einmalig verzeichnete Literatur- oder Quellenangaben wurden nicht aufgenommen. Abott 1999: Department :: Andrew Abbott: Department and Discipline: Chicago Sociology at One Hundred, Chicago 1999. Accetto 1983/1991: Dissimulation :: Torquato Accetto: Della dissimulatione honesta, hgg. von Salvatore S. Nigro mit einem Vorwort von Georgi Manganelli, Genua 1983/Turin 1991 (zuerst Neapel 1641). Adorno 1969/1997: Ästhetische Theorie :: Theodor W. Adorno: Ästhetische Theorie, in: Gesammelte Schriften, Bd.7, Frankfurt am Main 1967/1997. Adorno 1984: Kritik :: Theodor W. Adorno: Kritik. Kleine Schriften zur Gesellschaft, hgg. von Rolf Tiedemann, Frankfurt am Main 1971. Adorno 1984: Philosophie und Gesellschaft :: Theodor W. Adorno: Philosophie und Gesellschaft. Fünf Essays. Stuttgart 1984. Adorno 1997: Dissonanzen :: Theodor W. Adorno: Dissonanzen , in: Adorno 1997: Gesammelte Schriften Bd.14, Frankfurt am Main 1997. Adorno 1997: Versuch über Wagner :: Theodor W. Adorno: Versuch über Wagner, in: Adorno 1997: Gesammelte Schriften, Bd.13 Frankfurt am Main 1997. Adorno u.a. 1972: Positivismusstreit :: Theodor W. Adorno u.a.: Der Positivismusstreit in der deutschen Soziologie, 2. Aufl. Darmstadt/Neuwied 1972. Adorno: Gesammelte Schriften (Jahr, Bd., Titelabkürzung) :: Theodor W. Adorno: Gesammelte Schriften in 20 Bänden, hgg. von Rolf Tiedemann unter Mitwirkung von Gretel Adorno, Susan Buck-Mors und Klaus Schulz, Frankfurt am Main 1997. Agamben 2004: Ausnahmezustand. Homo sacer II.1 :: Giorgio Agamben: Ausnahmezustand. Frankfurt am Main 2004. Agamben 2004: Homo sacer :: Giorgio Agamben: Homo sacer, Frankfurt am Main 2005. Agamben 2008: Dispositiv :: Giorgio Agamben: Was ist ein Dispositiv?, Zürich 2008. Alberti 1435/1973: De pictura :: Leon Battista Alberti: De pictura libri tres. Della Pittura, in: Opere volgari, hgg. von Cecil Grayson, Bd.3, Bari 1973 (enthält den lateinischen Text von 1435 und Albertis eigene italienische Fassung von 1436 im Paralleldruck). Alberti 1435/2002: Malkunst :: Leon Battista Alberti: Über die Malkunst, hgg. von Oskar Bätschmann und Sandra Gianfreda, Darmstadt 2002. Alewyn/Sälzle 1959: Das Große Welttheater :: Richard Alewyn/Karl Sälzle: Das Große Welttheater. Die Epoche der höfischen Feste in Dokument und Deutung, München 1959. Alpers 1995/1998: Kunst als Beschreibung :: Svetlana Alpers: Kunst als Beschreibung. Holländische Malerei des 17. Jahrhunderts, Ostfildern 1995. Anne Spagnolo-Stiff: Festarchitektur im französischen Königtum (1700-1750), Weimar 1996. Anscombe 1957/1986: Intention/Absicht :: Gertrude E. M. Anscombe, Intention, London 1957, (2. Aufl. 1963); dt. dies.: Absicht, übers., hrsg. und eingeführt von John M. Connolly und Thomas Keutner, Freiburg/München 1986. Archibugi u.a. 1995: Cosmopolitan Democracy :: Cosmopolitan Democracy. An Agenda for a New World Order, hgg. von Daniele Archibugi und David Held, Cambridge 1995. Archibugi u.a. 2008: Global Commonwealth of Citizens :: Daniele Archibugi: The Global Commonwealth of Citizens: Toward Cosmopolitan Democracy, Princeton (NJ) 2008. Archibugi u.a. 2012: Global Democracy :: Global Democracy: Normative and Empirical Perspectives, hgg. von Daniele Archibugi, Mathias Koenig-Archibugi und Raffaele Marchetti, Cambridge 2012.
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Szenografie & Szenologie Ralf Bohn Inszenierung als Widerstand Bildkörper und Körperbild bei Paul Klee 2009, 282 Seiten, kart., zahlr. Abb., 33,80 €, ISBN 978-3-8376-1262-2
Ralf Bohn, Heiner Wilharm (Hg.) Inszenierung und Effekte Die Magie der Szenografie 2013, 410 Seiten, kart., zahlr. Abb., 32,80 €, ISBN 978-3-8376-2303-1
Ralf Bohn, Heiner Wilharm (Hg.) Inszenierung der Stadt Urbanität als Ereignis 2012, 372 Seiten, kart., zahlr. Abb., 32,80 €, ISBN 978-3-8376-2034-4
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Szenografie & Szenologie Ralf Bohn, Heiner Wilharm (Hg.) Inszenierung und Vertrauen Grenzgänge der Szenografie 2011, 392 Seiten, kart., 32,80 €, ISBN 978-3-8376-1702-3
Sandra Schramke Kybernetische Szenografie Charles und Ray Eames – Ausstellungsarchitektur 1959 bis 1965 2010, 186 Seiten, kart., zahlr. z.T. farb. Abb., 24,80 €, ISBN 978-3-8376-1508-1
Christine Schranz Von der Dampf- zur Nebelmaschine Szenografische Strategien zur Vergegenwärtigung von Industriegeschichte am Beispiel der Ruhrtriennale 2013, 214 Seiten, kart., zahlr. z.T. farb. Abb., 29,99 €, ISBN 978-3-8376-2693-3
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