Despoten auf der Bühne: Die Inszenierung von Macht und ihre Abstürze [1. Aufl.] 9783839403556

Die Bühnendespoten sind die Feinde des medialen Gutmenschentums. Sie sind die bösen Männer und Frauen des Entertainment,

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German Pages 356 [358] Year 2015

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INHALT
Einleitung
TEIL 1: SCHICHTEN/USA
I. Die Farbenlehre des Entertainment. »Black«, »White« und »Blue«
II. »Teert sie, federt sie, lasst sie auf der Stange reiten«. Die Gründerepoche
III. Sweetness: Minstrel, Side Show und »Modern Primitives«
1. Sweet Sweetness
2. Aufblasen und Anschwellen
3. Horrorkinder
4. Freaks
IV. Die Erfindung der Wahrheit. Der politische Stand-up und die Globalisierung der Show
1. Der heilige Desperado
2. Die Attacke der B-Liga
3. Das Ende der Comedy
4. Der gefährlichste Entertainer der Welt
V. Erfolg, Erfüllung, Ruhm. Die Solo-Comedy als Massenphänomen
1. Die Witzfigur als Weltretter
2. Ruhm als Trauma
3. »Time To Get Paid«. Karrieremacher und »New Jacks«
TEIL 2: SYSTEM/EUROPA
Einleitung
I. Die Show als Fest
1. Die Show als raum-zeitlicher Ausnahmezustand
2. Die »grenzenlose Verschwendung«
II. Transgression und Spielregel
III. Die Schlacht um die Mitte
1. Die Mikrostruktur des Talk
2. Eskalation und Eindämmung
3. Der Hofstaat als Mitte der Mitte
IV. Die De/Konstruktion des Despoten
1. Das egozentrische Weltbild
2. Diener und Funktionäre
3. Die Subversion des eigenen Machtapparates
V. Einfache Gesten der Opferung: Das »versöhnende Opfer«
1. Entdifferenzierung und Gegenseitigkeit der Gewalt
2. Der Ausschluss im versöhnenden Opfer
VI. Komplexe Gesten der Opferung
1. Die Überaffirmation
2. Das Opfer, der Ekel und der »irrsinnige Moment«
VII. Die zwei Gesichter des Despoten: Zyklothymie und Sadomasochismus als Manifestationen der »Göttlichkeit«
1. Der Despot und die Höflichkeit
2. Der Despot und die Depression
3. Der Despot und der Sadomasochismus
VIII. Die Verheißung der Orgie
IX. Despotisches Lachen und faschistisches Lachverbot
1. Das Spektakel der Unterdrückung
2. Der monströse Clown
3. Das Lachen und die Weihe des Ekels
X. Schluss: Der implodierende Solist
Literatur
Videographie/Diskographie
Personenverzeichnis
Anmerkungen 333
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Despoten auf der Bühne: Die Inszenierung von Macht und ihre Abstürze [1. Aufl.]
 9783839403556

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Veit Sprenger Despoten auf der Bühne

Für Showcase

Veit Sprenger ist Theatermacher, Kulturproduzent und freier Publizist. Er hat international Beiträge veröffentlicht, unter anderem in »Ästhetik und Kommunikation«, »Global Player Local Hero« (hg. v. T. Broszat u. S. Gareis, 2000) und dem »Handbuch der kuratorischen Praxis« (hg. v. Chr. Tannert u. U. Tischler, 2004).

Veit Sprenger Despoten auf der Bühne. Die Inszenierung von Macht und ihre Abstürze

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Bibliografische Information der Deutschen Bibliothek Die Deutsche Bibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliografie; detaillierte bibliografische Daten sind im Internet über http://dnb.ddb.de abrufbar.

© 2005 transcript Verlag, Bielefeld Die Verwertung der Texte und Bilder ist ohne Zustimmung des Verlages urheberrechtswidrig und strafbar. Das gilt auch für Vervielfältigungen, Übersetzungen, Mikroverfilmungen und für die Verarbeitung mit elektronischen Systemen. Umschlaggestaltung und Innenlayout: Kordula Röckenhaus, Bielefeld Lektorat & Satz: Veit Sprenger Druck: Majuskel Medienproduktion GmbH, Wetzlar ISBN 3-89942-355-0 Gedruckt auf alterungsbeständigem Papier mit chlorfrei gebleichtem Zellstoff.

INHALT

Einleitung 9

TEIL 1: SCHICHTEN/USA I. Die Farbenlehre des Entertainment. »Black«, »White« und »Blue« 19

II. »Teert sie, federt sie, lasst sie auf der Stange reiten«. Die Gründerepoche 33

III. Sweetness: Minstrel, Side Show und »Modern Primitives« 49

1. Sweet Sweetness 53

2. Aufblasen und Anschwellen 63

3. Horrorkinder 72

4. Freaks 76

5

IV. Die Erfindung der Wahrheit. Der politische Stand-up und die Globalisierung der Show 93 1. Der heilige Desperado 96 2. Die Attacke der B-Liga 107

3. Das Ende der Comedy 116

4. Der gefährlichste Entertainer der Welt 123

V. Erfolg, Erfüllung, Ruhm. Die Solo-Comedy als Massenphänomen 137

1. Die Witzfigur als Weltretter 140

2. Ruhm als Trauma 146

3. »Time To Get Paid«. Karrieremacher und »New Jacks« 149

TEIL 2: SYSTEM/EUROPA Einleitung 157

I. Die Show als Fest 161

1. Die Show als raum-zeitlicher Ausnahmezustand 163

2. Die »grenzenlose Verschwendung« 168

6

II. Transgression und Spielregel 173

III. Die Schlacht um die Mitte 183

1. Die Mikrostruktur des Talk 184

2. Eskalation und Eindämmung 187

3. Der Hofstaat als Mitte der Mitte 192

IV. Die De/Konstruktion des Despoten 197

1. Das egozentrische Weltbild 198

2. Diener und Funktionäre 202

3. Die Subversion des eigenen Machtapparates 206

V. Einfache Gesten der Opferung: Das »versöhnende Opfer« 209

1. Entdifferenzierung und Gegenseitigkeit der Gewalt 211

2. Der Ausschluss im versöhnenden Opfer 218

VI. Komplexe Gesten der Opferung 225

1. Die Überaffirmation 226

2. Das Opfer, der Ekel und der »irrsinnige Moment« 230

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VII. Die zwei Gesichter des Despoten: Zyklothymie und Sadomasochismus als Manifestationen der »Göttlichkeit« 235

1. Der Despot und die Höflichkeit 236

2. Der Despot und die Depression 244

3. Der Despot und der Sadomasochismus 247

VIII. Die Verheißung der Orgie 251

IX. Despotisches Lachen und faschistisches Lachverbot 263

1. Das Spektakel der Unterdrückung 267

2. Der monströse Clown 272

3. Das Lachen und die Weihe des Ekels 289

X. Schluss: Der implodierende Solist 301

Literatur 309

Videographie/Diskographie 320

Personenverzeichnis 329

Anmerkungen 333

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EINLEITUNG

»Ah! Jetzt werde ich leben, endlich. Und ich brauche Volk! Zuschauer, Schuldige und Opfer.« (Albert Camus – Caligula)

In seinem Film Masken von 1987 zeigt Claude Chabrol die Figur eines Showmasters, gespielt von Philippe Noiret, der im französischen Fernsehen eine Flitterwochen-Show für Senioren moderiert. Diese Show-imFilm ist fiktiv, sie orientiert sich in ihrem Arrangement aber an den großen Fernsehshows jener Zeit. In der Show werden alte Leute vorgestellt, die im Herbst ihres Lebens noch zusammengefunden haben und sich nun verloben wollen, oder die auf ihr langjähriges Zusammensein zurückblicken und Gelegenheit bekommen sollen, dieses öffentlich zu feiern. Sie dürfen zu den Klängen des Show-Orchesters und in einem Dekor aus zarten weißen Vorhängen und riesigen rosa Herzen die Tänze ihrer Jugend tanzen und ihre Lieblingsschlager vorsingen. Am Ende der Show gewinnen sie eine Traumreise. Der Showmaster lächelt jovial dazu, seine Stimme ist sanft, seine Augen sind feucht vor Rührung. Beiläufig zeigt Chabrols Filmkamera in der Anfangssequenz eine grellrot blinkende Leuchtanzeige, die dem Saalpublikum eine knappe Anweisung erteilt: »Applaudissez!« – applaudieren Sie! Mit diesem kurzen Blick werden wir in einen Mechanismus der Show eingeweiht, dessen berechnende Kälte sich seltsam gegen die Harmonie des Bühnengeschehens sträubt, einen Mechanismus, der dem normalen Fernsehzuschauer an jenem Abend unsichtbar bleiben würde. Der herzliche Applaus, die lächelnden Gesichter im Saalpublikum, die mit Wohlwollen und Anteilnahme das Geschehen auf der Showbühne verfolgen, die Rührung und sonore Ermutigung des Showmasters, das alles ist nach diesem kurzen Blick vielleicht weniger spontan, weniger menschlich, als es der naive Betrachter glauben möchte. Möglicherweise ist der schöne Schein auf betrügerische Weise bis ins kleinste Detail inszeniert, sind Kandidaten und Saalpublikum nur unwissende und willenlose Figuren in einem abgekarteten Spiel, gefügige Statisten, die sich einer durchkalkulierten, unpersönlichen und letztlich gleichgültigen Emotions-Maschine zu un9

DESPOTEN AUF DER BÜHNE

terwerfen haben. Die angeblich spontane Menschlichkeit und die vorgespielte Wärme sind nur Effekte in einem berechnenden Betrug. Denn im Verborgenen, jenseits des Blickfeldes der Fernsehkameras, agiert die verlogene Kehrseite dieses inszenierten Gutmenschentums: der autoritäre Opportunismus, mit dem das süßliche Szenario organisiert wird. In diesem kleinen Zwischenschnitt auf die Leuchtanzeige beginnt unter der Maske der Menschenfreundlichkeit das wahre Gesicht des Showmasters sichtbar zu werden. Das kalte Gesicht eines Despoten.1 Ebenfalls im Verborgenen, in ländlicher Idylle außerhalb der Stadt, spielt sich das Privatleben dieses Showmasters ab, das sich im weiteren Verlauf des Films enthüllt. Der charmante Publikumsliebling erweist sich hier allmählich als ein zynischer, geldgieriger, menschenverachtender Lügner, Betrüger und Mörder, der es schafft, sogar seine unmittelbare Umgebung, seine nächsten Freunde und Verwandten, die mit ihm unter einem Dach leben, zu täuschen. Seine Nichte betrügt er seit Jahren um ihr Erbe. Er ist dabei, sie langsam zu vergiften, um selbst in den Besitz ihres Vermögens zu kommen; ihre beste Freundin, die ihm dabei auf die Schliche kam, hat er umbringen lassen. Nur dank der listigen Nachforschungen eines vorgeblichen Journalisten kann der Verbrecher schließlich entlarvt werden. Seine Enttarnung am Ende des Films bedeutet natürlich auch das Ende seiner Bühnenshow, aus der heraus er mit theatralischer Geste von der Polizei verhaftet wird. Zusammen mit seinen privaten Lebenslügen wird nun auch die Lüge seiner Arbeit in der Öffentlichkeit ans Licht gezerrt. Erst jetzt zeigt er, in triumphierender Verzweiflung, sein wahres Gesicht. Als zynisches Vermächtnis spuckt er seine letzten Worte in die Linse einer Studiokamera: »Lecken Sie mich am Arsch!« Im Zentrum von Chabrols kulturpessimistischer Vision steht die Figur eines bösen Showmasters, der ein geheimes Doppelleben führt. In der Öffentlichkeit, sobald er ins Rampenlicht seiner Showbühne und ins Gesichtsfeld seiner Kameras tritt, ist er ein Mensch von überströmender Herzlichkeit, der sein Publikum und seine Kandidaten liebt. Aber sobald er nicht mehr auf Sendung ist, bröckelt mit dem Make-up auch die Maske des Mitfühlens von ihm ab. Im Off wird er zu einem kompromisslosen Pragmatiker und Despoten, der den Ablauf seiner Show und auch den Ablauf seines Privatlebens regelt, ohne Rücksicht auf andere zu nehmen. In Chabrols Film ist der böse Showmaster einer, der vor der Kamera etwas anderes tut als dahinter, und der seine herrische, obszöne und brutale Seite zu kaschieren versteht, um nur die charmante, gütige Seite zu offenbaren, welche das Herzstück seiner Show ist. Seine Gäste und sein Saalpublikum sind für ihn nichts anderes als notwendige Risikofaktoren, die es zu kontrollieren gilt, aber eben ohne dass es irgendjemand merkt. Er tut so, als ob es gar keine Inszenierung gäbe: Mit keinem Wort er-

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EINLEITUNG

wähnt er den gewaltigen technischen und personellen Apparat, der für das Funktionieren seiner Show mitverantwortlich ist, denn dies würde eine Subversion seiner Bühnenfigur bedeuten, die nicht im Sinne seines Showkonzeptes ist. Damit gehört er einer Generation von Showmastern an, welche bestimmend waren und sind für ein Genre, das Rudi Carell »Familienshow« genannt hat. Ich meine die gigantischen Fernsehshows der 70er und 80er Jahre wie Am laufenden Band, Verstehen Sie Spaß?, Wetten, dass... in Deutschland, die Ed Sullivan Show oder Your Show of Shows in den USA, Formate, die für ein Massenpublikum konzipiert waren und ein Massenpublikum zu versorgen hatten, in einer Zeit, in der man die Wahl zwischen drei, und nicht dreißig Fernsehkanälen hatte. Diese Generation von Entertainern, die sich auf der Bühne als brave und freundliche Leute präsentieren, und deren skandalöses Privatleben – sozusagen als Bestandteil einer globaleren Inszenierung – in regelmäßigen Zyklen von der Boulevardpresse aufgedeckt wird, werden in der ersten Hälfte der 1990er Jahre zunehmend von einer ganz anderen Art von bösen Moderatoren abgelöst, die zu ihnen in einem antagonistischen Verhältnis stehen.2 Eine Reihe von komischen Personen erscheint auf der Bildfläche – Stand-up Comedians, Entertainer und Soloperformer, die in verschiedenen Arrangements beinahe zeitgleich in städtischen Clubs, im Theater, im Umfeld von Popmusik und Kunst und in neuen Fernsehformaten einen despotischen Herrschaftsanspruch inszenieren und mit Formen physischer oder verbaler Gewalt ihr Publikum zum Lachen bringen. Diese Performer entwickeln Figuren, deren skandalöses Privatleben auf der Bühne stattfindet, die die Kulissen nach innen stülpen und für alle sichtbar werden lassen, die die steril gewordene Routine der Theaterinszenierung durch eine rückhaltlose Präsentation ihrer Mittel ersetzen, oder deren Studiokameras entfesselt im gesamten Raum umherrasen, so dass sie den Zuschauern auch das als alltäglich präsentieren, was in Chabrols Film noch einer Enthüllung gleichkam – die Bereiche außerhalb der Showbühne, die eigentlich nicht sichtbar sein dürften.3 Diese Despoten sind Bühnenfiguren, die an die Stelle der schlüpfrigen aber jugendfreien Witzchen ihrer Vorläufer die direkten Invektiven, an die Stelle des sittsamen und geführten Publikums die unkontrolliert tobende Masse, und an die Stelle des Gastes oder Kandidaten den Gegner und das Opfer setzen. Die Shows, die sich um diese Personen herum anordnen, sollen kein Massenpublikum erreichen. Nicht mehr die Größe und Aufwendigkeit einer Veranstaltung zählt, sondern im Gegenteil ihre Sparsamkeit, ihre Flexibilität und die hohe Frequenz ihrer Produktion. Die despotischen Shows werden bestimmt von kleineren Formaten, besonders von Soloperformance, Stand-up Comedy und theatralischen Hybrid-Formen. Ihr Arrangement ist intimer, theatralischer; es findet nicht in riesigen Hallen

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DESPOTEN AUF DER BÜHNE

statt, sondern in kleinen Sälen und Privatclubs. Im Zuge der Entwicklung nähern sich Fernsehen und Bühne formal und strategisch einander an, verschmelzen häufig zu intermedialen Phänomenen. Die Bühne bedient sich mit einer direkten und drastischen Redeweise, mit einer Dramaturgie der losen Reihung von Shownummern und einer Rhetorik des Überschwangs der Mittel des Fernsehens und erweitert durch PerformanceMitschnitte, die zum Teil als abendfüllende Fernsehsendungen und Kinofilme präsentiert werden, ihr Wirkungsspektrum.4 Umgekehrt wird der »Ortlosigkeit des Fernsehens«5 durch eine neue Einfachheit der Mittel, durch die Gewinnung verschiedener Off-Szenen für experimentelle Formate, durch die absolute Kontinuität des jeweiligen Veranstaltungsortes und durch eine für die jeweilige Show spezifische, sofort wiederzuerkennende Ausstattung entgegengewirkt. Durch die fortwährende Beteuerung des Live-Charakters, der durch telefonische und andere interaktive Verbindungen nach draußen bekräftigt wird, entsteht in einer Phase medialer Experimentierfreude im Umkreis der Jahrtausendwende der Eindruck einer unmittelbaren Teilhabe, wie sie für die Gegenwärtigkeit des Theaters charakteristisch ist. Auf diese Weise wird eine imaginäre Gemeinschaft inszeniert, in der die Trennung zwischen dem Saal und seiner medialen Vermittlung aufgehoben ist.6 Dieses Buch wird einige wesentliche Gemeinsamkeiten zwischen Performern aus verschiedenen Bereichen zeigen – Barry Humphries, Moms Mabley, Pigmeat Markham, Lenny Bruce, Redd Foxx, Richard Pryor, Andy Kaufman, Woody Allen, Don Rickles, Bob Hope, Bill Cosby und andere für die Stand-up Comedy, Johnny Carson, David Letterman, Jay Leno und Harald Schmidt für das Late Night-Format, Jerry Springer, Hermes Phettberg und Karl Dall für die Talkshow, Dick Gregory, Michael Jackson, Jim Rose und Muhammad Ali für einen erweiterten Performance- und Show-Begriff. Die Show ist das gemeinsame Medium aller dieser Personen, die ich als Despoten auf der Bühne bezeichne. Wesentlich für diese Figuren ist zunächst ihr solistisches Auftreten. Dies muss nicht bedeuten, dass sie allein auf der Bühne stehen. Entscheidend ist ihre Position innerhalb einer inszenierten Machtstruktur. Der Bühnendespot ist Solist, insofern er die einzige, nicht ersetzbare Zentralperson einer Show ist, sowohl hinsichtlich seiner organisatorischen Funktion, als auch im Hinblick auf seine hierarchische Position und seine Selbstinszenierung. Sein wichtigstes Medium ist dabei das gesprochene Wort, das er in direkter Ansprache an seine Zuschauer richtet. In dieser Direktheit, die in ihren Anfängen innerhalb eines theatralischen Zusammenhanges oft als aggressiv und skandalös empfunden worden ist, unterscheidet er sich von allen darstellenden Typen des Theaters. In der Direktheit liegt auch der prekäre Aspekt seines Auftritts, denn sie macht ihn verwundbar, setzt

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EINLEITUNG

ihn einer – ebenso direkten – Reaktion seiner Zuschauer aus. Schon die in Anspruch genommene Wortführerschaft schließt ein erhöhtes Risiko der Performance ein, ein Pathos, das im Lauf der Zeit immer weiter entwickelt wird, in Richtung einer genuinen Einsamkeit und einer melodramatischen Ambivalenz aus Selbstüberhöhung und Absturz. Die Inszenierungsstrategien, mit denen ein solches auratisches Spiel der Macht in alle möglichen Richtungen ausgekostet wird, und mit denen der Bühnendespot sich als eine sowohl komische, als auch potentiell mythische Figur konstituiert, sind Thema dieses Buches. Es wird sich herausstellen, dass die Figur des bösen Showmasters nicht eine Erfindung des ausgehenden zwanzigsten Jahrhunderts ist, sondern dass sie diesem schwer zu definierenden Format der Show von Anfang an angehört. Die despotisch regierte Show entsteht immer wieder in den Randzonen der offiziellen Kultur, in den ökonomisch und infrastrukturell benachteiligten Bezirken des kulturellen Lebens, als ein zugleich chaotisches und streng reguliertes Gesamtkunstwerk, das sich durch eine für das Theater einmalige thematische und formale Offenheit auszeichnet. Der repräsentative Charakter der großen Fernsehshows darf nicht darüber hinwegtäuschen, dass die Entertainer, Anchor Men und Showmaster die Vertrauenspersonen in einem hybriden Spektakel sind, das sich in seiner Vertrauenswürdigkeit erst noch erweisen muss. Die ShowVorsteher sind von Haus aus windige, zwielichtige Gestalten, die immer aus der Not heraus gearbeitet haben, und ihre ebenso windigen ShowGebilde gegen die Macht der äußeren Umstände behaupten mussten. Sie sind, historisch betrachtet, unseriöse, oft sogar abstoßende und unheimliche Figuren. Sie müssen mit der verbalen, symbolischen und physischen Inszenierung ihrer Macht die Orte des Off, aus denen sie kommen, als zeitweilige Territorien ihrer Dominanz behaupten. Sie alle sind chronisch überforderte Figuren in einem zugleich integrativen und zerrissenen Format, das zu lenken und zusammenzuhalten ihre unlösbare Aufgabe ist. Das Tempo, die Flexibilität und die Interaktivität dieses Formats machen es einerseits attraktiv, stellen aber andererseits die Feuerprobe für diese zentralen Figuren dar, weil sie es sind, die die widersprüchliche Vielfalt gegenüber ihren Zuschauern plausibel machen müssen. Die Integration des Nicht-Integrierbaren ist zugleich ein despotischer Akt und eine ständige Selbstüberforderung. Die Show ist ein experimentelles Format, das zum Scheitern verurteilt ist und zugleich vom Scheitern lebt. Dem entsprechend gehört der Aspekt des Unterliegens und der Zerrissenheit zwangsläufig zur Figur des Bühnendespoten. Seine Selbstherrlichkeit ist eine formale Notwendigkeit, die einerseits in ihrer angeberischen Präsentation theatralischer Selbstzweck wird, andererseits aber immer auch auf die Unmöglichkeit seiner Aufgabe zurückverweist. So gesehen ist die

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DESPOTEN AUF DER BÜHNE

Hasstirade von Chabrols überführtem Showmaster auch die Dekompensation eines überspannten Organismus, und die Rückführung eines geglätteten, verharmlosten, seicht gewordenen Formats auf seine Ursprünge. Der Schlusssatz bezeichnet vielleicht nicht nur das kulturpessimistische Ende eines verlogenen Formats, sondern zugleich den Anfang einer neuen Art von Show, die aber als Möglichkeit von Anfang an die Entwicklung begleitet, mehr oder weniger explizit. Der erste, historische Teil dieses Buches wird daher nicht eine Erfolgsgeschichte der Show und ihrer Protagonisten sein. Er wird die Figur des Bühnendespoten zunächst in ihrem sozialen und politischen Umfeld zeigen, das als ein Milieu die Voraussetzung für deren Entwicklung darstellt. Er wird in der zutiefst zerstrittenen Gesellschaft der USA vor allem nach den Verlorenen, Verpönten, Abseitigen und Infamen suchen, die im Showgeschäft nur für einen Augenblick von Bedeutung waren, die aber die dunkle Rückseite des Glamour zeigen, welche immer als Möglichkeit mitschwingt. Es geht auch darum, Amerika zum zweiten Mal zu entdecken, nicht das offizielle, amerikanisierende Amerika des US-Mainstream, sondern das entlegene und unwahrscheinliche, das in einer Gesamtdarstellung der despotischen Performance einen neuen Sinn ergibt. Zunächst einmal muss man die Abwegigkeit des so geläufig, aber deshalb nicht greifbarer gewordenen Formats der Show verstehen, und damit auch die Abwegigkeit ihres Protagonisten. Man muss eine Ahnung bekommen von der körperlichen, ästhetischen und sozialen Anspannung, innerhalb derer die Show mit ihrem Personal erfunden wird und sich entwickelt, bevor man systematisch auf die konkreten Inszenierungsstrategien und auf die widersprüchliche Faszination aus Abstoßung und Anziehung eingehen kann, mit der die Bühnendespoten arbeiten, und die ihre Figur ausmacht. Der erste Teil dieses Buches beschreibt den Bühnendespoten als eine Daseinsform, die in ihrer genuinen Fremdheit, ihrem pathetisch inszenierten Außenseitertum und ihrem ständigen Konflikt mit verschiedenen Systemen des »Eigenen und des Fremden«7 zugleich melodramatisch und komisch wirkt. Das zunächst einmal gar nicht komische Wesen dieser Daseinsform liegt in ihrem Anspruch einer Absolutheit, in einer Logik, die Mittelwege und soziale Kompromisse ausschließt, und deren Optionen folglich die fanatische Selbstüberhöhung oder der völlige Zusammenbruch sind. Diese melodramatische Sichtweise ist die Grundlage der inneren Anspannung des Bühnendespoten, und somit auch Grundlage seiner historischen Entwicklung.8 Die komische Qualität, die in dem Nebeneinander von Megalomanie und Absturz liegt, das Lachhafte in der Macht und ihrer immer wieder fehlschlagenden Inszenierung, bringt den Despoten auf Augenhöhe, lässt ihn trotz seiner betonten Andersartigkeit sympathisch, nah, subversiv

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EINLEITUNG

werden im Sinne eines Bildhauers, der zugleich Bilderzerstörer ist. Deshalb muss es beinahe erstaunen, wie die Figur in ihrer historischen Darstellung an prekärer Größe gewinnt, wie sie sich sozusagen zu einer Rie-

Der Bühnendespot entwirft sein Leben am Rand des Zusammenbruchs: Bericht über David Lettermans Herzkrankheit auf der Titelseite einer New Yorker Tageszeitung.

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DESPOTEN AUF DER BÜHNE

senstatue aufbläst, sich mit Ernst, Pathos und Mythos umhüllt. Diese Phase des Aufblasens ist aber nur als eine Vorstufe zu verstehen, als ein Akt des Aufladens, durch den die komische Zerstörung erst möglich wird. Die Art, wie das Melodrama des Bühnendespoten zu einem komischen Phänomen, und wie die Show zu einem Medium des Lachens wird, kann zufrieden stellend erst in der Analyse des zweiten Teils erklärt werden. Aus dem Wald der Phänomene führt der Weg in diesem zweiten, systematischen Teil zu einer zunehmenden Formalisierung. Denn gerade der hybride, flexible und unklare Charakter der Show bedingt die formale Strenge ihrer Inszenierung. Die Show ist nicht nur ein chaotisches, sondern auch ein präzises Format, sie benötigt Präzision und formale Strenge sogar zum Überleben. So werden in der Selbstinszenierung ihrer zentralen Figur auch bestimmte Strategien deutlich. Das Spiel um Macht und Dominanz, in dem diese Figur um ihr Leben kämpft, wird als Spiel mit festen Regeln und Regelmäßigkeiten erkennbar. Der Despot ist nicht nur Verwalter des Chaos, sondern auch Bühnenvorsteher und Garant dieser Regeln. Er generiert und überwacht die Dogmen und kommunikativen Strategien, die dem Stück Raumzeit, über das er verfügt, eine zeitweilige Sicherheit bieten können. Der Bühnendespot inszeniert seinen Raum als einen Raum außerhalb der Welt der Arbeit, und seine Zeit als eine Zeit, in der die alltäglichen Regeln von Ökonomie und Sozialethik keine Gültigkeit mehr haben. An deren Stelle setzt er seine eigenen Regeln und Raumordnungen, die Gegenmechanik seines Körpers, seiner Sprache, seiner Launen, die Fügsamkeit seines Personals, die Verfügbarkeit seiner Gäste oder Kandidaten, die Allgegenwart seiner Bühnenperson, um die herum er unermüdlich einen deformierten und daher instabilen SonderOrt zurechtzimmert. Die Inszenierungen des bösen Showmenschen wiederholen Abend für Abend seine Geschichte, eine Geschichte von Lügen, Verstellungen, Tricks, Machtkämpfen, eine Geschichte des ständigen Wechsels zwischen Kontrolle und Kontrollverlust, Struktur und Chaos, Triumph und Fiasko. So wird aus dem Scheiternden ein Tyrann, der kurzfristig über eine spektakuläre, theatralische Machtstruktur verfügt, eine Macht, die er gleich darauf selbst wieder verspielt. Die Zerstörung geht mit der Selbstüberhöhung immer Hand in Hand. Hierin liegt die Komik und das unerschöpfliche, sich selbst stetig erneuernde Potential seiner Performance; hierin verbirgt sich schließlich auch ein Zugang zu den folgenschweren Inszenierungen politischer Macht, zu den Ästhetisierungen von Politik, zur Wirkungsweise der rechtspopulistischen Mythen und des mythisierten Faschismus. Aber fangen wir an.

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Teil 1 Schichten/USA

I. DIE FARBENLEHRE DES ENTERTAINMENT – »B L A C K «, »W H I T E « U N D »B L U E «

»You know, cat lovers hate me, but fuck’em man. People need dogs today. You see, when a burglar comes to your home and hears ›miao miao‹ he’d break right in. Get yourself a doberman – that miaos.« (Redd Foxx)

»Ich verbrachte zwanzig Minuten damit, einen perfekten Knoten in eine Zehn-Dollar-Krawatte zu machen, die ich an diesem Nachmittag bei Saks auf der Fifth Avenue gekauft hatte, und obwohl der Subway nach Downtown halb leer war, blieb ich während der ganzen Strecke stehen, um meinen Anzug nicht zu verschmutzen. Um viertel vor elf war ich am Eingang des Copa und starrte über die Straße weg auf den Eingang, vor dem ich so oft gestanden hatte. Buddy und seine Freunde kamen mit einem Taxi. Als wir zu den Stufen kamen, hielt der Türsteher uns an. ›Einen Moment. Nur für Leute mit Reservierung.‹ ›Ich bin Buddy Rich und ich habe eine Reservierung‹, sagte mein Freund. Der Türsteher schüttelte den Kopf. ›Warten Sie hier, ich überprüfe das.‹ Einige Minuten später kam er zurück. ›Sie wissen nichts von einer Reservierung.‹ Er warf einen bedeutsamen Blick auf mich und wendete sich dann wieder an Buddy. ›Vielleicht wenn sie kurz weggehen und dann wiederkommen...‹ Buddy explodierte: ›Wollen Sie damit sagen, dass wir einen Tisch bekommen, wenn wir ohne unseren Freund hier wiederkommen? Denn wenn Sie das sagen, dann möchte ich es hören.‹ Das Gesicht des Türstehers lief rot an. ›Das habe ich nicht gesagt. Schauen Sie, machen Sie keinen Ärger. Wir wollen keinen Ärger. Gehen Sie friedlich weg.‹«1

Der Ich-Erzähler dieser seltsamen Szene ist Sammy Davis Junior, ein damals noch wenig bekannter schwarzer Entertainer, den seine weißen Freunde und Kollegen aus dem Showbusiness an die wichtigen Orte bringen wollen, um ihn, den begabten Jungen, der schon seit seinem fünf19

DESPOTEN AUF DER BÜHNE

ten Lebensjahr mit seinem Vater durch die Vaudeville Houses und Music Halls Amerikas zieht, in die Gesellschaft der entscheidenden Leute des Geschäfts einzuführen. Der Club, vor dem sich diese Szene abspielt, ist das Copa Cabana in New York, in den Fünfzigern einer der elegantesten und wichtigsten Clubs in Downtown Manhattan, ein Club, der als halbprivater Repräsentationsort des Showgeschäfts eine solche Bedeutung im amerikanischen Bewusstsein erlangte, dass der Journalist Jack Eigen seine amerikaweit gesendeten Celebrity Interviews allabendlich in der dortigen Lounge führte. Der standardisierte Einleitungssatz, mit dem Eigen jede seiner Sendungen beginnt, ist der sowohl verheißungsvolle als auch schadenfrohe Ausruf: »I’m at the copa. Where are you?!«2 Das Copa Cabana ist in der Mitte des 20. Jahrhunderts der Ort, an dem die beiden Adler des Zeus zusammenstoßen, der Nabel der Welt, der Referenzpunkt für öffentlichen Glanz, für Ruhm, Erfolg und Arriviertheit. Jeder andere Ort, an dem man sich möglicherweise aufhält, kann nur schlechter, entlegener, langweiliger, dunkler, hässlicher, unbedeutender sein als dieser. Gemessen am Copa Cabana ist der Rest der Welt Provinz. Seit der Erfindung solcher Clubs nach dem Krieg wird der Gast am Eingang begrüßt wie ein Bewerber, mit dem abschreckenden und Ehrfurcht gebietenden Ritual des Once-Over, diesem abschätzenden Blick des Eingangspersonals, vom Gesicht bis hinunter auf die Füße und wieder zurück, einem Blick, der innerhalb von Sekunden die Oberfläche abtastet, die Hautfarbe, den Haarschnitt, das Muster der Krawatte, die Marke des Hemdes, den Zustand des Jacketts, die Bügelfalte der Hose, die Schuhe – gegebenenfalls wird der Bewerber anschließend befragt, beurteilt nach dem Klang seiner Stimme, nach der Bewegung von Armen und Händen beim Sprechen, nach den möglicherweise eine Spur zu weit hochgezogenen Augenbrauen, dem eine Spur zu breiten und zu beflissenen Lächeln. Jedes Detail ist in der Lage, umfassend Auskunft zu geben über Einkommen, Beruf, soziales Umfeld, Wohnort, und entscheidet mit in der Frage, ob die rote Banderole sich öffnet, oder ob der Bewerber sich wieder einreihen muss in die Schlange der Wartenden. Die Autobiographie von Sammy Davis ist eine Aneinanderreihung solcher Geschichten der Diskriminierungen und Rückschläge, der peinlichen Offenbarungen durch unterschiedliche Wächter und Wärter. Regelmäßig versperren sie ihm den Zugang, regelmäßig drücken sie ihr persönliches tiefes Bedauern über die Ablehnung aus und verweisen entschuldigend darauf, dass sie nur im Auftrag einer höheren, absolut unbezweifelbaren Entscheidungsinstanz agieren, einer unsichtbaren Instanz im Off, bei der sie nachfragen müssen, und die befugt ist zu bestimmen, dass ein Schwarzer an diesem Ort nicht verkehren darf. Die Geschichte des Entertainment in den USA ist eine Geschichte von Hautfärbungen

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DIE FARBENLEHRE DES ENTERTAINMENT

und Sprachfärbungen, eine Geschichte von Genres, die stark sozial determiniert sind, und von damit verbundenen Grenzziehungen, Verboten und Tabus. Die Welt der Unterhaltung erscheint durch die Jahrzehnte und bis heute aufgeteilt in Territorien und Zuständigkeitsbereiche, die ihre Grenzen erbittert bewachen. Eine Geschichte des amerikanischen Entertainment zu denken, ohne eine Geschichte des Rassismus, der Diskriminierung und der Zensur mitzudenken, ist unmöglich. Die Begriffswelt der Unterhaltung wird bestimmt von diskursiven Systemen, die nicht graduell funktionieren, die nicht fließend ineinander übergehen, sich nicht vermischen wollen, sondern die sich streng und explizit gegeneinander abgrenzen. Zwar gibt es Orte und kulturelle Zentren für alle Hautfarben und sozialen Umgebungen. Vermischung aber ist unzulässig, oder doch zumindest verbunden mit einem äußerst komplizierten RechtfertigungsRitual, das unweigerlich zu Peinlichkeiten und rot anlaufenden Gesichtern führen muss.3 In Harlem, am entgegengesetzten Pol der großen Längsachse des Broadway, liegt das Apollo Theater als der Ort in New York, an dem schwarze Künstler ihre Karrieren machen können, allerdings vor einem ausschließlich schwarzen Publikum. Die unterschiedlichen Subsysteme der Unterhaltung stehen nicht im Kampf miteinander, sondern sie existieren und entwickeln sich bis in die 60er Jahre des 20. Jahrhunderts und darüber hinaus, parallel und weitgehend voneinander unabhängig. Dies ist für die Entwicklung des Show Business in den Vereinigten Staaten von großer Bedeutung. Ort, Lage, Künstler und Publikum spielen in der Selbstdefinition dieser Orte eine ebenso große Rolle wie die Ansprüche, die sie erfüllen. Im Dinner Theater oder in den weißen Jazzclubs isst man während der Vorstellung zu Abend und führt leise Gespräche, in den Gambling Houses unterbrechen die Showeinlagen das Glücksspiel, in den Nachtclubs wechseln Table Dancing, Jazz und rotzige Stand-ups einander ab, während die Music Halls und Vaudeville Houses der klassischen Raumaufteilung und Organisation einer Theatervorstellung am nächsten kommen. Innerhalb einer einzigen Nacht kann der vergnügungshungrige Städter alle diese Facetten des Amüsements an sich vorbeiziehen lassen. Zuschauergruppen lösen sich auf und setzen sich an anderer Stelle, mit neuen Ansprüchen und Erwartungen neu zusammen, und auch – abhängig von Uhrzeit und Blutalkohol – mit einer veränderten Vorstellung dessen, was akzeptabel ist und was nicht. Aber jedes Mal, wenn die Lichter auf der Bühne angehen und die Vorstellung beginnt, hat sich eine neue, für diesen Moment unbezweifelbare und unveränderliche Einheit von Ort, Zeit, Handlung und sozialer Situation gebildet. Der Solist, vormals Solo Entertainer, Moderator oder Host, später Stand-up Comedian, ist innerhalb dieser sozial definierten ästhetischen

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Systeme derjenige, der mit den höchsten Erwartungen konfrontiert ist, was die Erfüllung und Respektierung seines sozialen Umfelds angeht. Denn er ist innerhalb der Show diejenige Person, die direkte Ansprachen an die Zuschauer hält, sich also nicht der Mittel von Stilisierung und Verfremdung bedienen kann wie Musik und Tanz, sondern im Gegenteil darauf bedacht ist, möglichst persönlich, offen und unmittelbar zu erscheinen. Der sprechende Solist ist der Einzelne, der für alle Einzelnen im Zuschauerraum steht, und der als Sprecher der Gemeinschaft auf keinen Fall darum herum kommt, sich innerhalb seines sozialen Kontextes zu definieren und seine gesellschaftliche Position über die eigenen verbalen Handlungen klarzustellen. Er ist immer das Bindeglied zwischen der Shownummer, die vor ihm kam, und der Nummer danach, das Bindeglied auch zwischen Bühne und Zuschauerraum, zwischen dem Leben im Rampenlicht und an der Bar, zwischen Anonymität und Öffentlichkeit, Alltag und Show. Der Solist auf der Bühne ist der Garant all dessen, was die Zeit, den Ort und die Show selbst ausmacht, er übernimmt die volle Verantwortung für das Geschehen und trägt buchstäblich seine Haut zu Markte. Mit seiner Stimme, seinem Akzent und seinem Lingo – dem unverkennbaren, spezifischen Vokabular seiner Nachbarschaft, leistet er den Offenbarungseid auf seine soziale Herkunft. Er stellt sich vor, er sagt, warum er hier ist, er erzählt in einer standardisierten Formulierung, was ihm auf dem Weg zum Theater alles passiert ist4. Dann geht er über zur vergangenen Woche, zu seiner Familie, schließlich zu seiner Kindheit, und projiziert das alles zurück auf die aktuelle Situation, sein Hiersein und seine Interaktion mit den Zuschauern. In der amerikanischen Terminologie des Showtalk und des Stand-up verlängert sich die Opposition von schwarz und weiß in der Opposition von schmutzig und sauber, oder von blue und clean, also in einer Kategorisierung des dargebotenen Materials, die heute noch in Form von gelben Warnaufklebern auf amerikanischen Comedy-Platten und -Videos zu finden ist und beispielsweise vor der »explicit language« warnt, derer sich der Comedian bedient. Auch in diesem Fall gibt es Orte für das eine und Orte für das andere, und dieselbe Person kann durchaus an einem Abend beide Genres konsumieren, aber Vermischung ist nicht akzeptabel, die Welten bleiben getrennt. Dies ist der Hintergrund, vor dem der Polizeichef von Los Angeles William Parker im Jahr 1954 die Nachtclubs der Central Avenue räumen und schließen lässt, weil sich dort schwarze Hipster und weiße Beatniks mischen, eine Vermischung, die er für gesellschaftsgefährdend hält.5 Dahinter steckt auch die strikte Zuordnung bestimmter Wohnviertel zu bestimmten ethnischen Zugehörigkeiten, die in Los Angeles und New York besonders deutlich wird. Uptown und Downtown Manhattan sind zwei völlig unterschiedliche Welten. Ein

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Comedian wie Nipsey Russel, der in den 60er Jahren im Apollo Theater zu einem schwarzen Publikum über Politik reden kann und dafür bejubelt wird, wirkt in den weißen Clubs im Süden der Stadt gequält und Mitleid erregend.6 Duke Ellingtons Standard Take the ›A‹-Train, die gut gelaunte Aufforderung eines schwarzen Musikers, in den Untergrundzug einzusteigen, der vom Upper Broadway in die weißen Ausgeh-Viertel im südlichen Manhattan führt, deckt sich nicht mit der sozialen Realität. Denn selbst wenn man dort als Schwarzer auf der Bühne willkommen ist, so heißt das bis in die Sechziger Jahre nicht, dass man auch im Zuschauerraum sitzen darf. Die Realität von ethnisch und sozial definierten künstlerischen Zuständigkeitsbereichen zeigt sich auch überregional, in der Art, wie die verschiedenen rassistisch und sozial geprägten Subsysteme ihre eigenen Institutionen und Koordinations-Organisationen ausbilden: Im Jahr 1907 wird die Theater Owner’s Booking Association (TOBA) gegründet, die sich auf die bundesweite Vermittlung und Koordination von Shows schwarzer Künstler spezialisiert. Neben dem offiziellen Vaudeville Circuit, einem Parcours durch viele Bundesstaaten, entlang dessen sich in der ersten Hälfte des 20. Jahrhunderts und bis in die Vierziger Jahre hinein jeder neue und erfolgreiche Act durch einige hundert Städte der USA arbeitet, entsteht ein inoffizieller schwarzer Circuit, ein Netzwerk von Theatern, die schwarze Gesangs-, Tanz- und Minstrel-Darbietungen als Eröffnungsnummern oder Warm-ups für ihren weißen Headliner präsentieren, für die Haupt-Programmpunkt also, die auf den Plakaten mit großer Schrift in der obersten Zeile stehen. In den Dreißiger und Vierziger Jahren entsteht mit dem Borscht Belt ein weiteres inoffizielles Netzwerk für jüdische Comedians. Das Feriengebiet in den Catskill Mountains im nördlichen Staat New York wurde hauptsächlich von jüdischen Kurzurlaubern und Arbeitern aus der Stadt frequentiert und gab Künstlern wie Jerry Lewis, Henny Youngman, Mel Brooks und Don Rickles erste Auftrittsmöglichkeiten.7 Nach dem Krieg entsteht dann in Chicago mit hunderten von Nightclubs ein ganz neues Tätigkeitsfeld für solche Acts, die bei der offiziellen Künstlervermittlung durch das Sieb der Selbstzensur fallen. Diese neuen Clubs erzeugen plötzlich einen derart großen Bedarf an kurzen Ensemble-Nummern, Moderatoren und Solo-Entertainern, dass die Programmstrategie von den Künstlern zugespitzt wird auf den Satz: »You can burp and get booked.«8 Diese neue Hochburg der Unterhaltung entsteht weitab von den etablierten Orten, unterliegt zunächst kaum inhaltlicher und stilistischer Zensur und wird so als Off Beat zu einer Plattform auch für experimentelle Ansätze und politischen Talk. Zur gleichen Zeit wächst sich Las Vegas zu einer Unterhaltungsmetropole aus, einer Art offiziellen Hölle im Gelobten Land, entlegen und

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isoliert mitten in der Wüste, eine echte Heterotopie, in deren Grenzen der Städter auf Urlaub die Sau aus dem Stall lassen darf. In den Shows der großen Vegas-Casinos kann mehr Risqué Material9 angeboten werden als im übrigen Amerika. Aber auch hier ist das Prinzip der strengen Systemgrenzen nicht aufgehoben. Dies zeigt sich am deutlichsten in der Tatsache, dass die organisatorischen Abläufe der Versorgung, der Dienstleistungen und der Unterbringung lange Zeit nach denselben rassistischen Schemata ablaufen wie überall sonst. Die Künstler des Will Mastin Trio müssen, noch in der Zeit ihres größten Ruhmes, nach ihrem Auftritt durch die Hintertür des Casino-Hotels verschwinden und werden, da sie sich weigern, in den billigen Pensionen der Westside von Vegas abzusteigen, als eine Art Kompromiss in drei Luxuswohnwagen auf dem Hotelparkplatz untergebracht.10 Trotz der Vielzahl der Angebote, der Ästhetiken, der Zuschauergruppen, der Lebenskontexte und der institutionell gebundenen Versprechungen bleibt die Welt der Unterhaltung in den USA ein strikt hierarchisches Gefüge genau definierter Subsysteme. Deren Dreh- und Angelpunkt ist seit Kriegsende das Fernsehen, vor allem das National TV mit seinen großen Unterhaltungssendungen, mit seinen Variety Shows, später mit der Late Night, den Talk Shows und den Comedy Specials, die eine Plattform für kurze Acts bieten und den Einstieg ins große Geschäft verheißen. Wer ins Fernsehen kommt, so heißt es, hat es geschafft. Das Fernsehen ist der Mittelpunkt der Unterhaltungswelt, es katalysiert Karrieren und verhilft denen, die mit ihm in Berührung kommen, innerhalb von Minuten zu Ruhm und Reichtum. Praktisch jede Künstlerbiographie läuft auf diesen großen Durchbruch oder Break zu, den Traum schlechthin jedes Showmenschen. Das Fernsehen macht berühmt, zugleich aber bestimmt das Fernsehen, wer berühmt wird und wer nicht. Die Idee einer solchen Instanz, an deren Tür man immer wieder anklopfen muss, die per Fingerzeig auswählt, wer mit ins Paradies darf, die über die Macht verfügt, durch einen einzigen Auftritt die Wochengage eines Performers zu verhundertfachen, die aber auch klein hält, abweist, verschmäht, kränkt und vernichtet, ist im amerikanischen Showgeschäft allgegenwärtig. Was über das Fernsehen kommuniziert wird, ist referenzfähig, was sich außerhalb seiner Domäne bewegt und nicht zu ihm hinstrebt, was nicht zumindest seinem Ruf folgt und auf seine Gnade hofft, ist tendenziell suspekt. So kommt es auch, dass das Fernsehen in Amerika rigideren Regeln der Zensur unterworfen ist als jedes andere Unterhaltungsmedium. In jeder Epoche ist das Fernsehen das präziseste Barometer dessen, was möglich, und was unzulässig ist. Das Fernsehen in den USA ist wie auch das Radio clean und white, zumindest aber definiert es sich aus dem entsprechenden Wertekanon, besonders in den Momenten, in denen es ihn übertritt. Der gefeierte Sänger, Tänzer und Enter-

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tainer Nat King Cole, neben Dean Martin und Frank Sinatra einer der großen Allround-Unterhalter der 60er Jahre, ein Performer, der als Gast in Variety Shows schon eine langjährige TV-Karriere hinter sich hat und bei den Booking-Agenturen in diesen Jahren zu den gefragtesten Künstlern gehört, scheitert 1965 mit seiner eigenen TV-Show, da sich nach einer Flut von Zuschauerbeschwerden nach der Pilotsendung seine Sponsoren erschrocken zurückziehen. Ein schwarzer TV-Host scheint, zur Überraschung selbst der Produzenten, zu diesem Zeitpunkt undenkbar zu sein. Nach dem ersten Fernsehauftritt von Sammy Davis Junior in Eddie Cantors Colgate Comedy Hour geht ebenfalls eine Lawine von Beschwerdepost ein, sowohl bei Cantor, als auch beim Sender und beim Sponsor, häufig mit der entsprechenden Schmutz- und Verunreinigungs-Metaphorik: »Dear lousy nigger, keep your filthy paws off Eddie Cantor he may be a jew but at least he is white and dont come from africa where you should go back to I hope I hope I hope. I wont use that lousy stinking toothpaste no more for fear maybe the like of you has touched it. What is dirt like you doing on our good American earth anyway?«11

Das Fernsehen ist weiß, so weiß wie die Zahnpasta der Sponsor-Firma Colgate, und noch in den 70er Jahren haben die schwarzen Comedians Bill Cosby und Richard Pryor Einstiegsschwierigkeiten mit ihren Sendungen, obwohl sie durch Comedy-Alben, Live-Shows in wichtigen Clubs und zahlreiche Gastauftritte längst berühmt sind, auch weit über ein schwarzes Publikumssegment hinaus. Einer älteren Generation von Black Comedians, die seit den 20er Jahren im Vaudeville, später in Night Clubs und Comedy Clubs tourt, bleibt das Fernsehen vollständig verschlossen. Pigmeat Markham und Moms Mabley (s.u.) waren hierin große Ausnahmen, sie erlebten Anfang der 70er, bereits als alte Leute, noch einen amerikaweiten Durchbruch, was nur mit der Vermittlung von Integrierern wie Sammy Davis Junior und Harry Belafonte gelang, und was auch daran lag, dass sie zu den wenigen ihrer Komödianten-Generation gehörten, die in dieser Zeit einer vorübergehenden Öffnung noch lebten und auf der Bühne aktiv waren. Es ist diese Kombination aus einer diskriminierenden sozialen Praxis und einem sehr klar umrissenen Mythos vom Nabel der Welt, aus dem die Entwicklungen im Showbusiness ihre Energie beziehen. Dasselbe Motiv von Drinnen und Draußen, das den Ablauf einer despotisch regierten Show bestimmt, dominiert auch die stilistischen und sozialen Entwicklungen im amerikanischen Entertainment als Ganzem. Die westliche

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Halb durchlässige Systemgrenzen: Die gealterte Moms Mabley mit Redd Foxx in der Mike Douglas Show.

Kultur hat diese Vorstellung eines Zentralismus so weit internalisiert, dass man leicht vergisst, dass es sich dabei um eine Erfindung handelt. In der amerikanischen Literatur gibt es, genauso wie in den Künstlerbiographien, zwei Maßeinheiten, um den Grad des Erfolges im Entertainment zu objektivieren. Das ist zunächst der Wochenverdienst, der zwischen einigen warmen Mahlzeiten und mehreren hunderttausend Dollar schwanken kann. Darüber hinaus zählt aber immer auch die Nähe zu New York, dem kulturellen Zentrum Amerikas, zu dem Ort also, den Sammy Davis in Anführungsstriche setzt, um klarzumachen, wie viel mehr diese zwei Wörter bedeuten als die bloße Bezeichnung einer Stadt. »After weeks of waiting around for poverty we wound up in Boston at a sailor haven called The Silver Dollar Bar for $110 a week. We floundered around New England making a round trip back to the world of two-dollar hotel rooms and deadly dull dates which I’d really believed we’d seen for the last time, as far away from ›New York‹ as we’d ever been.«12

Weit weg von New York lebt man, indem man mit Armut gegen Armut kämpft. Die Provinz hat nicht viel mehr zu bieten als schlechte Hotelzimmer und betrunkene Zuschauer, die jede Show zur Qual werden lassen. Man ist gefangen in einem Teufelskreis des Elends, der alle Energien

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auffrisst, die man so dringend bräuchte, um sich wieder in Richtung der Stadt vorzuarbeiten. Die Zeit ist vergeudet, und das Geld reicht gerade, um den größten Hunger zu stillen und zu verhindern, dass man die Flucht ergreift. In »New York« dagegen spielt man auch über Monate ohne Gage, vielleicht für eine Mahlzeit am Tag, ohne sich dabei elend zu fühlen, weil dies der Ort ist, an dem man jeden Abend die Chance hat, fürs Fernsehen entdeckt zu werden. Ohne dieses Bewusstsein von Zentrum und Peripherie – von TVGlamour und schäbigem Honky Tonk, oder von »Big Apple« und Provinz, wären selbst jene Strömungen nicht denkbar, die sich bewusst vom höfischen Treiben der Möchtegern-Prominenz distanzieren, in den Clubs der urbanen Subkultur, in denen die Hipster seit den Fünfziger Jahren, zunächst in Chicago, dann in allen größeren Städten, die Rolle des sozialen Outcast trotzig und pathetisch zelebrieren. In diesem Umfeld entwickelt sich der Hipster-Comedian, ein charismatischer Despot, der mit Herablassung und Zynismus über alles spricht, was den Geist der Doppelmoral, der politischen Heuchelei oder der Squareness, in sich trägt, dieser spezifisch amerikanischen Ausprägung von Angepasstheit, Spießertum und Mainstream-Denken. Der Comedian der Beatnik-Ära sucht den Kontakt mit der schwarzen Jazz-Szene, und er stellt in Kellern und InsiderLokalen einem elitären Kreis seine Reden vor. Er verachtet den Gedanken an eine klassische Karriere des Hocharbeitens, der Beziehungen zu wichtigen Leuten, der Strebsamkeit, des Fleißes und der Arriviertheit. Lord Buckley ist einer von denen, die die Sprache der schwarzen BebopSzene fanatisch ergründen, in seinem Fall so sehr, dass er niemals im Radio auftreten konnte, weil alle ihn trotz seiner angelsächsischen Abstammung für einen Schwarzen hielten, und weil schwarzer Talk in diesen Tagen für das Radio völlig undenkbar war. Zugleich ist er die erste mythische Figur des Stand-up, ein Pillen-Junkie und Drogendealer, der rege Kontakte mit der Unterwelt pflegt und ein enger Freund von Al Capone gewesen sein soll, der bei Charlie Parkers Konzerten als MC auftritt und eine vage Freundschaft mit James Dean unterhält. Lord Buckley ist ein Szene-Fürst, der sich und seinem Gefolge einen eigenen kleinen Hof kreiert, mit strengen Verhaltenscodes, die nur die Eingeweihten verstehen, und der es dabei in Kauf nimmt, auf einer Bühne aus leeren Bierkisten aufzutreten, wenn kein repräsentativeres Setting zur Verfügung steht.13 Die Wende in der Auffassung afroamerikanischer Kultur, die sich hier abzeichnet, wird noch bedeutsam sein. Während nämlich im Minstreltheater des ausgehenden 19. Jahrhunderts zunächst Weiße ihre befreiten Sklaven imitierten und mit allen sozialen Rollenklischees der Dummheit, der Faulheit, des Aberglaubens und der Gespensterangst auf die Bühne brachten, wird hier der Jargon schwarzer Musiker zur Geheim-

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sprache einer weißen Subkultur, die so ihre eigene Abwegigkeit und Renitenz zur Schau stellt. Ein solches System von Anziehung und Ausgrenzung wäre leblos, wenn innerhalb seiner Subsysteme keinerlei Austausch denkbar wäre. Gerade die Aussicht auf die Big Time, auf den plötzlichen Ruhm über Nacht, ist ja der treibende Mechanismus innerhalb dieser Praxis der sozialen Reglementierung. So normativ das US-Fernsehen arbeitet, so sehr hat es einen unstillbaren Bedarf nach der Sensation kreiert, nach dem einmaligen, nicht wiederholbaren Skandal, der die vertraute Ordnung erschüttert. Die ersten großen Fernsehshows der späten Vierziger Jahre bauen zwar noch ganz auf den harmlosen Humor des Dinner Theater, mit Comedians wie Henny Youngman oder Sid Caesar, untersetzten kleinen Männern, die in schwarzem Anzug und Fliege jahrzehntelang dasselbe Repertoire von 40 Witze über ihre Ehefrauen, Chefs und plärrenden Kinder zum besten geben. Zugleich wächst aber das Interesse an der Szene im Off, die mit den ersten James-Dean-Filmen ins allgemeine Bewusstsein dringt. In der Beatnik-Zeit der Fünfziger Jahre beginnt auch das Zwielicht des Showgeschäfts seine geheimen Stars und Entdeckungen abzusondern, die mit einer Mischung aus Ehrfurcht und Abscheu von biederen Fernsehmoderatoren präsentiert werden. Mit Lenny Bruce und Mort Sahl (s.u.) taucht im Fernsehen erstmals eine Generation von komischen Erzählern auf, die nicht mehr als Witzmaschinen eine Serie von lose zusammenhängenden Pointen darbieten, sondern bei denen der Zusammenhang einer Geschichte, die perverse Entwicklung, die eine Assoziationskette nimmt, die persönliche Sicht des Alltags und der Weltpolitik im Vordergrund stehen. Mitte der Fünfziger Jahre etablieren sich im Fernsehen die großen Variety Shows und die ersten Ausgaben der allabendlichen Late Night, in denen ein Host Gäste aus dem Showgeschäft zu sich bittet. TV-Persönlichkeiten wie Milton Berle, Steve Allen, Ed Sullivan und Johnny Carson benutzen diese Möglichkeit immer wieder, um das Ungewöhnliche und eigentlich Inakzeptable in den abgesicherten und sich absichernden Bereich des Fernsehens hereinzuholen und zur Diskussion zu stellen. Die hier präsentierte Mischung aus etablierten Publikumslieblingen und Kuriositäten aus dem Off ist so geschickt, dass die Moderatoren selbst die Gunst ihrer Zuschauer nie aufs Spiel setzen, da sie in der Lage sind, sich der Verantwortung für das akute Geschehen bis zu einem gewissen Grad zu entziehen. Sie praktizieren die Gesten des Vorzeigens und Nachfragens, die zunächst einen neutralen, unvoreingenommenen Blick behaupten, mit dem sich der Host nicht kompromittiert. Mit der Sendung Saturday Night Live entsteht Mitte der Siebziger Jahre ein Format, das Comedy-Acts junger Entertainer in einer additiven, kaum kommentierten oder moderierten Form zusammenwirft. Die Sen-

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dung ist von Anfang an erfolgreich, und sie ist bis heute in der Comedy die einzige Alternative zu den Formaten, in denen ein vermittelnder Host im Zentrum des Geschehens steht und der Abfolge der Nummern eine Perspektive gibt. Diese Show hat nicht mehr die Struktur eines Dialogs zwischen Host und Gast. Stattdessen treten die Personen, die sich in ihrem Rahmen vorstellen, in einen informellen Austausch miteinander, in dem sie gleich gestellt sind. In dieser Zeit werden auch solche Künstler, deren Gastauftritte in den oben genannten Shows regelmäßig große Zuschauerzahlen und positive Zuschriften bringen, im Rahmen von Comedy Specials präsentiert: Sie erhalten von einem Sender eine Art künstlerischen Blankoscheck, indem sie einmalig mit einer Sendezeit während der Prime Time bedacht werden, über die sie, zumindest laut Aussage des Senders in den Programmankündigungen, frei verfügen dürfen. Dies ist eine Gelegenheit, erfolgreichen, skandalträchtigen und für die Zensur prekären Comedy-Talk zu zeigen, die Vorahnung einer Sensation hochzuschaukeln, und sich in einem Atemzug der Verantwortung für das gesendete Material zu entledigen. Dank der technischen Möglichkeiten des Kabelfernsehens entsteht dann in den Achtziger Jahren eine Vielzahl kleiner Sender, die einen großen Bedarf an attraktiven, abendfüllenden und dabei billig zu produzierenden Sendungen haben. Dem NachtclubBoom der Fünfziger Jahre vergleichbar, erlebt der Minimalismus des Solo-Entertainers nun eine weitere Glanzzeit. HBO ist der erste Sender, der in diesem Zusammenhang die Stand-up Comedy der Clubs als Programmfüller nutzt. Für die HBO-Sendung On Location werden unter einfachsten technischen Gegebenheiten ganze Abende in Comedy Clubs, Nachtclubs und Vegas-Casinos aufgezeichnet und praktisch ungeschnitten präsentiert. Es ist ein trickreiches Spiel, das hier jahrzehntelang getrieben wird, ein Spiel mit unzähligen Winkelzügen, Täuschungsmanövern und Bluffs, ein Spiel, das darauf beruht, den großen Gegner in Sicherheit zu wiegen und sich aus einer ganz unerwarteten Richtung anzuschleichen, um plötzlich da zu sein, im Licht der Studioscheinwerfer. Dieses Spiel bezeichnet auch Jay Leno in seiner Äußerung über die Tätigkeit als Host der größten Abendshow der USA: »Ich mag Leute, die innerhalb bestimmter Grenzen arbeiten, und die innerhalb dieser Grenzen schlau sein können«14 Leno, der familientaugliche und für seine Harmlosigkeit oft kritisierte Konkurrent von Lettermans zeitgleich ausgestrahlter Late Show, verdeutlicht damit sein eigenes Arbeitsprinzip. Seine Show basiert nicht auf einer Abfolge von Sensationen und Tabubrüchen, sondern sie lebt von dem Moment der Überraschung, die eintritt, wenn in einem bekannten und geschätzten Ritual, in einem Umfeld von Sicherheit und Normalität plötzlich das Undenkbare geschieht. Das Showbusiness in den Vereinigten

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Staaten ist bestimmt von extremen Normierungen und schafft damit die Notwendigkeit, eben diese Normierungen zu umgehen und schlau umzudeuten. Die Schwellenangst, die von Rassenschranken erzeugt wird, entwickelt sich innerhalb des Mythos von der ältesten Demokratie der Welt und dem rückhaltlos eingestandenen »American Dream«, der in jeder U-Bahn, auf jeder Plakatwand in Form von Weiterbildungsangeboten und Motivations-Trainingsprogrammen präsent ist, zu einem immer währenden Karrierekampf, der alle Ebenen einer Person fordert und mit einbezieht. »Du kannst es schaffen« heißt dabei immer auch: du musst es schaffen. Je größer der Widerstand ist, desto größer wird die Herausforderung, diesen Widerstand zu überwinden. Obdachlos, erfolglos, arm sein heißt nicht Verlierer sein. Die einzigen Verlierer sind die, die den Glauben an die »Unsichtbaren Schranken«15 und an deren grundsätzliche Überwindbarkeit nicht teilen. In den Unterhaltungsprogrammen und Sender-Strategien entwickelt sich aus diesem Geist eine interne Konkurrenz aus rigidem Dogmatismus über das Mögliche und Zulässige auf der einen Seite, und auf der anderen Seite einem Hunger nach sensationellen Entdeckungen, die sich niemals ohne Skandal und ohne Tabubruch vollziehen. Immer wieder ist dabei ein quantitativer Mangel an Programm die entscheidende Triebfeder für zeitweilige Durchlässigkeiten und neue Experimente – der Mangel während der Night Club-Ära der Fünfziger, der Mangel bei der Einführung des Kabelfernsehens, und bereits im Jahrhundert zuvor der Mangel der Provinz an kulturellem Input, in einem riesigen Land, in dem die Peripherie den Kontakt zu den kulturellen Zentren nicht verlieren will – einem Land, das einerseits von einer ethnischen, geographischen, kulturellen und politischen Vielfalt bestimmt wird, andererseits aber in seinem praktizierten Föderalismus spätestens seit dem Bürgerkrieg immer auch die Gefahr des Zerfalls, und damit die Notwendigkeit kultureller Zentralisierung spürt. Die Programmmacher, die Hosts und deren Gäste unterliegen in den USA dem Zwang, das Heterogene zusammenzuführen, das Unvereinbare zu vereinen, und das Unvermittelbare zu begründen, dabei aber die Grenzen zulässiger Vermischung der verschiedenen ethnischen, kulturellen und sozialen Elemente nicht zu verletzen. Die herausragende Rolle des Moderators als einer Person, die durch ihre persönlich geprägten Überleitungen und Vermittlungen einer völligen Vereinzelung und Sinnentleerung der unterschiedlichen Showelemente einer Darbietung, bzw. der widersprüchlichen Aspekte der eigenen Situation Einhalt gebietet, begründet sich in dieser kulturellen Tradition, in dem unlösbaren Widerspruch zwischen einer zerstrittenen und mit sich selbst verfeindeten Gesellschaft, und deren Konsolidierung im Traum von der Einheit unter amerikanischer Flagge.16 Aus dem uneingestandenen Rassismus, überdeckt vom

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Mythos des freien Menschen, aus der Unterteilung in soziale Kasten, überlagert von der Verheißung des Ruhmes und der sozialen Mobilität, entstehen ästhetische Formen, in denen das Individuum bis zum äußersten angespannt ist zwischen seiner sozialen Situation und den Forderungen, die an sein Dasein gestellt werden, sich selbst zu übertreffen. Die amerikanische Widersprüchlichkeit ist expansiv. Der Einzelne wird nicht zwischen Mühlsteinen zerrieben, wie im bürgerlichen Trauerspiel Europas – sondern er wird in einem Drama zwischen Glorie und völligem Ruin auseinandergezerrt und zerrissen. Die Bilder dieses Dramas sind keine Fesselungs- und Entfesselungskunststücke, keine Schrumpfungs-, Quetschungs- und Stauchungsprozesse, keine Einzwängungen des großen Geistes in die Enge bürgerlicher Konventionen, sondern es sind Bilder der Selbstüberforderung, der Autoaggression, der Erschöpfung und des Zusammenbruchs. Das Unwohlsein, das mit diesen Dehnungszuständen verbunden ist, veranschaulicht Richard Pryor bereits am Anfang seiner Karriere, in einer Reihe von Impressions17, in denen er sich als ein schlecht programmierter »Japanese Karate-Robot« selbst zerstört, oder als »First Man on the Sun« mit schmerzverzerrtem Gesicht über die Bühne hüpft. Die Bühne ist ein Ort, an dem man nicht leben kann, eine heiße Oberfläche, vor der man zurückzuckt, und die jeden Heroismus in dieser absurden Zuckung untergehen lässt. Bei Sammy Davis Junior wird aus dem Hüpfen eine Choreographie: »Wieder einmal war dies die wichtige Show, sie war alle Shows, die wir jemals in unserem Leben machen würden. Mein Vater und Will gingen für unsere Eröffnungsnummer raus, und sie waren niemals besser. Acht Takte später kam ich dazu, und es war, als wären wir barfuss auf heißem Sand, unsere Füße waren mehr in der Luft als auf der Bühne. Wir kämpften um unser Leben.«18

Der erste Mensch auf der Sonne, der Tänzer in heißem Sand. Sie sind in eine Situation geworfen, die für Menschen eigentlich unerträglich ist, und deren Unerträglichkeit sie noch zur Form gerinnen lassen müssen. Es gibt keine Möglichkeit der Flucht, es gibt nur den Weg in die völlige Selbstentäußerung. Wie der Rodeo-Reiter auf dem wilden Stier kämpfen sie um jede Sekunde des Da-Seins und des Überlebens. Die Anspannung ist nicht menschlich, sondern gegenmenschlich – maschinenhaft. Der gesamte Prozess hat eine brutale Mechanik, die die Physik bis zum Zerreißen anspannt, »als ob alle Muskeln und Nerven im Körper so lange gedehnt worden wären, bis sie zurückschnappen und wie zerrissene Gummibänder lose herunterhängen.«19 Die bühnenbildnerische Entsprechung findet dieser Überlebenskampf im Sandbag, einer Erfindung aus der Zeit

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des Vaudeville. Der schwere Sack wurde in der linken oberen Ecke des Proszeniums befestigt und konnte auf Geheiß des Managers einen Künstler, der nicht die Zustimmung der Zuschauer fand, buchstäblich von der Bühne fegen, manchmal unter Zufügung schwerer Verletzungen. Woody Allen bezeichnet sein erstes Jahr als Stand-up Comedian als das schlimmste Jahr seines Lebens: »Ich fühlte diese Angst in meinem Magen, jeden Morgen, von der Minute an, in der ich aufwachte, und es würde dableiben, bis ich um 11 Uhr nachts auf die Bühne ging.«20 Der Entertainer trägt als Bürde eine ständige Angst mit sich herum, die Angst vor der Zerstörung seines Auftritts durch einen betrunkenen Hackler21, die Angst vor der Blamage beim Misslingen eines Tanzschrittes, die Angst vor der Ungnade seines Arbeitgebers, vor den Verrissen in der Presse, und, tiefer gehend, die Angst vor der Vernichtung seiner ganzen Person. Wie existentiell diese Angst tatsächlich ist, zeigt sich auch in der Terminologie des Stand-up, in der über einen Künstler nach einem großen Abend gesagt wird »he killed« – nach einem Misserfolg heißt es entsprechend »he died«. Tatsächlich hat der Manager des berühmten VegasCasinos The Dunes einmal zur schnellen Beendigung einer misslingenden Performance einen Krankenwagen bestellt und veranlasst, dass der Künstler mit der Schnelldiagnose eines Herzinfarkts auf der Bahre liegend zum Hinterausgang des Hotels hinausbefördert wurde.22 Die Angst vor dem Versagen, dem Nicht-Standhalten ist noch schrecklicher als der Tod. Richard Pryor sagt im Interview: »Du hoffst, dass vielleicht die Atombombe abgeworfen wird, während du auf der Bühne bist, damit du nicht zu ende machen musst, verstehst du? Es ist hart!«23 Es ist leichter zu sterben, als einen Soloabend zu Ende zu bringen, und sicher ist die allumfassende Vernichtung durch die Atombombe, als die denkbar gründlichste Form der Homogenisierung allen Daseins, als das Ende aller Farben und Differenzierungen, eine willkommene Entspannung.

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II. »T E E R T S I E , F E D E R T S I E , L A S S T S I E A U F D E R STANGE REITEN« – DIE GRÜNDEREPOCHE

»Piraten lügen, dass sich die Balken biegen.« (Showcase Beat Le Mot) »Die Oper ist ein unmögliches Kunstwerk.« (Oskar Bie)

Im Mai 2000 wird die Münchner Unternehmerin Jeanine Graf von einer hochrangigen Jury zur Entrepreneurin des Jahres in der Kategorie der Firmen-Neugründungen gewählt. Später recherchiert ein Nachrichtenmagazin, dass das Imperium der Business-Frau auf Täuschung, Hochstapelei, Dokumentenfälschung, geschickter Selbstinszenierung und Betrug beruht. Die sensationell hohen Aktienkurse, die ihre junge Hamburger Softwarefirma Inquire AG in kürzester Zeit auf dem Neuen Markt erzielt, stehen in keinem Verhältnis zu Qualität und Kohärenz ihrer Geschäftsidee. Weder liegt eine ausgearbeitete Konzeption des Softwareproduktes vor, das die Firma nach Grafs Aussage entwickelt, noch gibt es eine verlässliche Marktanalyse, die irgendwelche Aufschlüsse über die Erfolgsaussichten des vagen Projektes geben könnte. Die Firma verfügt nicht einmal über einen festen Mitarbeiterstab. Stattdessen mietet die Managerin für Firmenführungen und Geschäftsgespräche mit Banken, Wirtschaftsprüfern und potentiellen Kunden kurzfristig Büroräume mit modernster Ausstattung und setzt junge, gut aussehende Schauspielstudenten an die Computer. Graf schmückt sich bei Geschäftsreisen in die USA mit deutschen, bei ihren Geschäften in Deutschland mit amerikanischen Doktortiteln, unter anderem mit dem Titel einer Brentwick University, die, wie sich später herausstellt, in keinem Universitätenverzeichnis auffindbar ist. Sie fälscht ihr Alter und ihre Herkunft und gibt als Kooperationspartner ihres jungen Unternehmens große Firmen wie den Autohersteller Porsche an. So gewinnt sie zunächst das Vertrauen ihrer Geldgeber, wird zur Re-

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spektsperson in den Kreisen von Wirtschaft und Politik, und stabilisiert durch hohe Kredite ihr immaterielles Unternehmen auf der Gewinnseite.1 So sehr diese Geschichte nach einem spektakulären Einzelfall klingt, so bezeichnend ist sie doch für die vielen Unternehmen, die in der zweiten Hälfte der 90er Jahre im Bereich des neuen Marktes entstanden sind. Aufgrund mangelnder Erfahrungen und Bezugsgrößen im neuen Gewerbe beruhten letztlich alle Bewertungen der entsprechenden Aktien auf kaum fundierten Vermutungen. Viele Unternehmen gingen schon wenige Wochen nach ihrem Börsengang wieder unter, andere wurden aus unerfindlichen Gründen groß geredet und groß gehandelt, und oft verfügte eine windige Neugründung wie die Inquire AG, die nichts weiter zu bieten hatte als gute Verbindungen zu Banken und persönliche Kontakte zu einigen Spitzenpolitikern, plötzlich über ein Investitionskapital von mehreren Millionen US-Dollar. In dieser Hinsicht war die Strategie von Jeanine Graf nicht abwegig, vielleicht nicht einmal kriminell. Ihre Taktiken zur Gewinnung von Geschäftspartnern und Krediten könnte man innerhalb des Börsensystems am Ende des 20. Jahrhunderts vielleicht als einen Extremfall, in ihren Grundzügen aber als durchaus konsequent und mit dem allgemeinen Geschäftsgebaren vereinbar bezeichnen. Wenn ein Markt überhaupt nicht mehr auf handgreiflichem Gegenwert beruht, wenn die Geschäftsideen und Produkte, die hier gehandelt werden, im Wesentlichen nicht mehr nachvollziehbar und bewertbar sind, wenn die Einschätzung einer Firma und ihrer Leitung auf nichts anderem beruht als auf persönlicher Reputation, Hörensagen, guten Verbindungen und vagen Erfolgsgerüchten, dann ist die geschickte Täuschung und der damit verbundene Wertzuwachs ein legitimes und notwendiges Verhalten. Denn solange das kollektive Phantasma eines neuen Shooting Star an der Börse besteht, wird eine Firma auch ernst zu nehmende Aussichten auf eine stabile Bewertung und auf eine Untermauerung ihres Kapitals mit überprüfbaren Strukturen haben und möglicherweise eines Tages sowohl ihre Kunden als auch ihre Aktionäre zufrieden stellen können. Am Beispiel von Jeanine Graf zeigt sich aber auch, wie eng verbunden mit diesem Phantasma dessen Zerstörung ist. Dem Ritual der öffentlichen Bloßstellung einer solchen Figur durch die Presse entsprach zur Jahrtausendwende eine große Nervosität auf dem Börsenmarkt, eine Angst vor dem großen Absturz nach dem großen Höhenflug, der laut Analysen irgendwann, nach einer jahrelangen Phase der Überbewertung, eintreten würde, und durch eine Lawine panischer Verkäufe, die nach ebenso irrationalen und ungreifbaren Prinzipien funktionieren würden wie die vorherigen Einkäufe, den NEMAX in den Keller rasen und tausende Firmen ruinieren würde. Offensichtlich sind Gerücht und Behauptung als Produkt noch nicht voll akzeptiert. Hochstapelei wird im-

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mer noch bestraft, und deshalb muss auf eine Phase der Aktien-Euphorie immer noch die Enthüllung und die Abstrafung folgen. Um solche Betrugs- und Entlarvungsrituale wird es im Folgenden gehen. Lüge und Hochstapelei sind Wesensmerkmale der Bühnendespoten. Sie beherrschen die Kunst des Fabulierens, des Aufbauschens und Zurechtredens. Die Fähigkeit des Assimilierens und Assoziierens gehört zu ihrem Wesen, ist eine unerlässliche Voraussetzung, mit der sie aus dem wenigen, was sie vorfinden ständig neue, ihrer Situation perfekt angepasste ShowMuster und Pläne entstehen lassen. Ihr narratives Können besteht darin, eine Atmosphäre des Konsens und der kollektiven pathetischen Verzückung zu erzeugen und zu nutzen. Denn die Figur des Showmasters ist aus der Not geboren: der Showmaster ist nicht nur der Autokrat und Wahrheitsbeuger, sondern auch der Sklave seines eigenen Formats, und seine inszenierte Macht, die eigentliche Voraussetzung für das Funktionieren seiner Show, hängt immer am seidenen Faden. Es geht hier nicht darum, die Welt der zeitgenössischen Wirtschaft mit dem strukturellen und ökonomischen Umfeld zu vergleichen, in dem sich Mitte des 19. Jahrhunderts in den USA die Show als eine neue, sehr flexible und sehr variable, den Umständen gut angepasste Form entwickelt hat. Das Phänomen Graf ist aber ein Anknüpfungspunkt insofern, als hier wie dort das Prinzip der infrastrukturellen Armut einen bestimmten Typus von Verkäufern, Kommunikatoren und Unternehmern erzeugt, deren wesentliche Fähigkeit nicht in der sachlichen Vermittlung eines greifbaren Produkts, sondern in Formen der Täuschung, Aufblähung und Übertreibung liegt. Das Showgeschäft des 19. Jahrhunderts in den USamerikanischen Provinzen war eng an den Verkauf bestimmter Produkte gekoppelt, und bewegte sich aufgrund eines Mangels an eingespielten Verkaufsmöglichkeiten und an Personal ständig am Rand des Ruins. Ökonomie und Show waren von Anfang an miteinander verbunden und bedingten sich gegenseitig. Die Show knüpfte dabei in vielen Punkten an ältere europäische Entwicklungen wie Operette und Variété an, die im städtischen Raum auch immer wieder aus Europa importiert wurden. Trotzdem wird in der Entwicklung innerhalb der USA auch ein Bruch sichtbar, der zunächst in dem genannten Verlust einer kulturellen, personellen und organisatorischen Infrastruktur bestand und ein großes Gefälle zwischen Stadt und Provinz, auch zwischen der Ostküste und dem weniger erschlossenen Westen erzeugte. Die Show entstand dabei als ein bruchstückhaftes Gebilde, als Medicine-Show, Verkaufsschau oder die musikalisch ausgerichtete Minstrel-Show in den ländlichen, infrastrukturell armen Regionen des Westens und des Südens und wurde als eine provokante, heterogene Form zusammen mit ihrem Protagonisten, dem Showmaster oder Interlocutor, erst später in die Städte rückimportiert.

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Die Show ist ein divergent-synthetisches Kunstwerk. Sie war und ist zunächst einmal ein amorphes Ungeheuer aus einander widersprechenden Stilen und Inhalten. Seit den Anfängen ihrer Entwicklung bestand sie aus einem sehr losen Konglomerat von Personen, Tanzformationen, Bands und Solisten, die nicht in erster Linie Teile eines gedachten Ganzen vorführten, sondern ihre Nummern präsentierten und anschließend genauso schnell verschwanden wie sie gekommen waren. Diese Nummern wurden trotz ihrer Gegensätzlichkeit und Widersprüchlichkeit unter dem Dach eines narrativen Formats zusammengeführt, man könnte auch sagen zusammengezwängt. Die Show hat von sich aus keine Syntax und keine Grammatik. Sie ist ein unzusammenhängendes Gestammel. Diese Divergenz ist ihr Wesen, ist das, was sie als Format ausmacht und begründet. Die Divergenz und die hieraus sich ergebende Notwendigkeit zur Assimilation war der Grund ihres Erfolges in einer ganz bestimmten historischen und geographischen Situation in der Mitte des 19. Jahrhunderts. Denn gerade durch ihre Widersprüchlichkeit und ihre hieraus entstehende Assimilationskraft war die Show auch ein Format mit großer Wandlungsund Anpassungsfähigkeit. Hierdurch konnte sie sich schnell in die wechselnden Gegebenheiten hineinfinden, die durch immer neue und unerwartete räumliche, technische und personelle Konstellationen einer kurzfristigen, brachialen Planung zustande kamen. Die große, perfekt durchinszenierte Variety Show, wie sie seit den Siebziger Jahren im Fernsehen gezeigt wird, ist ein Sonderfall, der für das Format eigentlich untypisch ist. Entstanden ist diese redundante Form nicht aus dem Überfluss, sondern aus dem Mangel. Entwicklungsgeschichtlich war ihre Triebkraft nicht eine Ästhetik von Opulenz und Vielfalt, wie später beim Fernsehen, sondern der Überlebenskampf tausender Ensembles und Einzelpersonen, von denen nur ein Bruchteil das Glück hatte, in die Karteien der großen Agenturen zu gelangen und von dort aus regelmäßig und zu standardisierten Konditionen vermittelt zu werden. Denn es ging seit den Anfängen im frühen 19. Jahrhundert vor allem darum, schnell handlungsfähig zu sein, wenn sich in irgendeinem Provinztheater eine Auftrittsmöglichkeit ergab, und den akuten Bedürfnissen und finanziellen Möglichkeiten des Veranstalters vollkommen zu entsprechen. »Getting an act together« hieß, mit wenig Zeit und minimalem Aufwand die eigene Nummer in einen vorgegebenen Rahmen einzupassen, und dabei die Ausstattung, die Technik und die Personen, die man antraf, in einen plausiblen Kontext zu bringen. Wenn eine Truppe nicht mehr funktionierte, stellte man schnell eine andere zusammen, änderte die Struktur, schrieb Texte und Lieder um, fügte neue Partien ein, ließ andere weg. Jeden Tag war man konfrontiert mit der Frage, ob man das Geld, das man verdiente, wieder in Werbung und Kostüme investieren oder lieber für Durststrecken zur Seite le-

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gen sollte. So tourten seit der Zeit des Minstreltheaters nach dem Bürgerkrieg Tausende kleiner Truppen mit ihren Gesangs- und Tanz-Acts, ihren kurzen Dramoletten, Akrobaten-Nummern, komischen Ansprachen und Musikvorführungen auf den Parcours des Entertainment, so lange, bis der Durchbruch kam, oder bis sie nicht mehr konnten. Die Welt von Minstrel, Vaudeville, Burlesque, Circus, Variety- und Side Show ist eine Welt der Kleinunternehmer, bei denen der Bankrott die Regel, das große Geld aber die Ausnahme war.2 Die Showmaster oder Interlocutors3 des 19. Jahrhunderts verkörpern die Anstrengungen dieser Assimilation auf der Bühne. Sie erklären alle Zusammenhänge, indem sie sie erfinderisch erzeugen, sie rechtfertigen die Abfolge der einzelnen Teile, führen die Personen und ihre Nummern ein, präsentieren die Fragmente als folgerichtige Teile einer Geschichte und fabuliert eine erzählerische Linie in das lose Geschehen hinein. Die Hauptaufgabe dieser Moderatoren oder Vermittler ist, inhaltliche Zusammenhänge dort herzustellen, wo es sie eigentlich nicht gibt, und somit an einem Ort der Sprachverwirrung eine neue Grammatik zu erfinden. Sie sind die Vertrauensfiguren, die ein Publikum für die Show gewinnen, und Garanten für die Seriosität einer Veranstaltung, von der die Zuschauer einen erzählerischen und thematischen Zusammenhalt erwarten. Sie sind diejenigen, die eine Show, gleichgültig wie improvisiert und zusammengestückelt sie ist, als ein so geplantes und so gewolltes Ganzes vermitteln müssen. Sie werden in dieser Funktion als Dreh- und Angelpunkt einer Show auch als anchor-men bezeichnet, also als diejenigen, die dem Narrenschiff der Show einen Halt im festen Boden geben und verhindern, dass es in die Beliebigkeit davontreibt. Andererseits haftet ihnen gerade hierdurch der Verdacht der Scharlatanerie an. Denn ihre nervöse Geste des Verkaufens und Überredens legt nahe, dass man auf der Hut sein sollte, weil man von ihnen möglicherweise etwas angedreht bekommt, was man gar nicht haben will. Deshalb steht ihre Respektabilität immer auf dem Spiel. Der Lassokünstler Will Rogers ist einer derjenigen, die im ausgehenden 19. Jahrhundert den Status der Fragwürdigkeit produktiv für ihre solistischen Erzähl- und Akrobatikshows nutzen. Auch W.C. Fields, der in den Zigfield Follies am Broadway berühmt geworden ist, stammt aus dieser Welt. Seine Figuren, The Great McGomigle – Excentric Juggler, der nervöse Barbier Cornelius O’Hare, der Krämer Bissonette, der Apotheker Carl LaFong, der unter dem Ladentisch Pornographie, Alkohol und Patentmedizin verkauft, alle diese Figuren sind zugleich großspurig, laut, selbstbewusst und genuin unseriös. Ihre Herkunft ist unklar, zwielichtig, ausländisch, deshalb legen sie so viel Wert auf die richtige Aussprache ihrer unaussprechlichen Namen. Wenn sie trotz dieses Makels in ihrer

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provinziellen Umgebung bis zu einem gewissen Grad arriviert sind, als Kleinstadt-Sheriffs, Händler oder als Kapitän eines maroden MississippiDampfers, spezialisieren sie sich darauf, wilde Abenteuergeschichten aus ihrer Vergangenheit zusammenzudichten, deren Brüchigkeit schon bei der kleinsten Nachfrage unübersehbar wird. Fields ist einer der Erfinder der Meta-Burlesque, die in ihrer Rotzigkeit, im eleganten Scheitern ihrer Kunststücke, in der schlecht gelaunten Routiniertheit ihrer Tanzschritte

Aus dem Saloon-Artisten wird ein globales Phantasma: Der Geschichtenerzähler Will Rogers in einer Kinderbuchdarstellung.

dem Leben in der Provinz und in der kulturellen Randständigkeit einen eigenen Glanz geben. Seine Filme sind die besten Dokumente für die Herkunft eines halbseidenen Spektakels, das sich irgendwann vom Main-

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stream des Vaudeville gelöst hat, und in dem er genau den Typus des provinziellen Schaustellers verkörpert, um den es hier geht.4 Fields’ Vorbilder sind die Dentists, Drugists und Wunderdoktoren Ende des 19. Jahrhunderts, eine ganz eigene Gruppe von Show-Menschen, die in direktem, informellem Kontakt mit ihrem Publikum in den entlegenen Dörfern des Westens Rezepturen und Theorien zusammenbrauen. Sie sind die Vorbilder der Assimilations-Genies und Hochstapler, die in Burlesque und Revue zu Bühnenfiguren werden. Das Prinzip ihrer medizinischen Praxis liegt in der Ableitung aller denkbaren Krankheitssymptome aus einer einzigen Ursache. »Nothing is the matter with you but worms, worms, worms«, sagt einer von ihnen, während ein anderer eine Verdickung des Blutes als Erklärung für alle Leiden anführt.5 Einmal sind es Parasiten, ein anderes Mal Knoten in der Muskulatur, dann wieder erhöhte Durchlässigkeit der Haut, usw. Und da sich in jeder dieser Theorien sämtliche nur denkbaren Symptome aus einer einzigen Krankheitsursache herleiten, können sie auch mit nur einer einzigen Medizin kuriert werden, einem Produkt, das der Experimentalmediziner im Angebot hat, und das er, da er eher Missionar als Geschäftsmann ist, zum vorgeblichen Selbstkostenpreis an die Zuschauer abgibt. Auch hier tut der Solist genau das, was seine Hauptaufgabe in der Show ist – er bringt zusammen, was nicht zusammen gehört, er ordnet das Divergente, erklärt das Unbegreifliche und vereinfacht die Welt in einer einzigen, alles umfassenden Erzählung. Obwohl diesen scheinwissenschaftlichen Predigten der Geruch der Manipulation und des Betrugs anhaftet, lassen sie sich manchmal von seriösen medizinischen Ansätzen herleiten. Bestimmte Therapien wurden aus reiner Verzweiflung geboren, da man in Anbetracht von Seuchen und unklarer Symptomatik zu schnellem Handeln gezwungen war. Bei der großen Gelbfieber-Epidemie in Philadelphia im Jahr 1789 erklärt Benjamin Rush eine »Hypertension«, eine Überspanntheit der Gefäße, als die Hauptursache für Krankheit und entwickelt zeitgleich mit Thomson auf dieser Grundlage die »Heroic Medicine«, die im Aderlass, manchmal bis zu Ohnmacht und Tod, und in der radikalen Purgation durch Schwitzbäder und herbeigeführtes Erbrechen das Allheilmittel sucht.6 Die Oppositionen von »Rigor« und Entspannung, von Überdruck und Purgation ist leitmotivisch bis in die zeitgenössische esoterische Medizin mit ihren Theorien von ungelösten seelischen Konflikten, auf die nicht nur Magengeschwüre, sondern auch Tumore zurückgeführt werden. Anfang des 19. Jahrhunderts beginnt sich dann der Kommerz um die Patent-Medicines zu organisieren. Immer neue Produkte, hauptsächlich Gemische aus Kräuterölen und Alkohol, kommen auf diesen Markt, dessen Vertrieb ausschließlich auf dem direkten Kontakt eines Redners oder marksman

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mit einem unvorbereiteten Publikum beruht. Die Zuschauer sind meistens gar nicht auf der Suche nach Medikation für ein bestimmtes Leiden, sondern es verfolgt zunächst einmal mit kritischer Neugier dieses Spektakel des Anpreisens. Auf diese Weise gehen die Vermarktung von Patentmedikamenten und das Showgeschäft in der amerikanischen Provinz eine langjährige Verbindung miteinander ein. William Avery Rockefeller bringt sowohl Medizin als auch Unterhaltung in die entlegenen Kleinstädte des mittleren Westens, indem er nicht nur die Qualität seiner Produkte anpreist und demonstriert, sondern auch seine Talente als Bauchredner und Hypnotiseur einsetzt, um größere Menschenmengen anzuziehen.7 Viele folgen diesem Prinzip und entwickeln zunehmend ausgearbeitete Shows um den eigentlichen Verkaufsprozess herum, so dass manchmal die Produktwerbung wie eine Zugabe am Rand einer selbstlosen, philanthropischen Darbietung über die Wunder dieser Welt erscheinen. Im Zuge der zunehmenden Verbreitung und Differenzierung solcher Medicine Shows werden auch die Zuschauer anspruchsvoller. Einige Verkäufer gehen dazu über, ihre Shows, wenn sie erfolgreich sind, in einem festgelegten Script niederzulegen, und verschiedene Truppen mit ihrer Patentmedizin durch das Land zu schicken, die alle das gleiche Schauspiel aufführen, mit dem selben Personal, denselben Szenen und Tänzen, denselben Tableaus und denselben Verkaufsargumenten. Eines der aufwendigsten Spektakel dieser Art war die Show von John E. Healy, Texas Charley Bigelow und Nevada Ned Oliver, die im Jahr 1881 die Kikapoo Indian Medicine Company gründeten, um auf diesem Weg ihr »Kikapoo Indian Sagwa« zu verkaufen. Ihre Medizin, die aus schalem Bier und Kräutern bestand, half gegen alles. Die Berühmtheit ihres Produktes gründete sich aber nicht auf dessen Wirkung, sondern auf der Art seiner Präsentation. Die Company heuerte hunderte von Indianern an – keiner von ihnen gehörte tatsächlich zum Stamm der Kikapoo – und schickte sie in Sechsergruppen in die Siedlungen, begleitet von ebenso vielen weißen Darstellern und einem Moderator, der sich als Scout bezeichnete und unter anderem als Dolmetscher für die Indianer diente. Zunehmend reisten auch kleine Variety Shows aus den Städten durch die Provinz, die Theaterstücke und Shownummern aufführten, welche mit der Medizin selbst gar nichts mehr zu tun hatten. Hier löste sich das Spektakel inhaltlich vollständig vom dargebotenen Produkt. Dessen Erwerb wurde den Zuschauern als eine Art Entlohnung der Darsteller und als Beifallsbekundung empfohlen. Dieser Bedeutungswechsel des Produkts und der Show zeigen viel über das Selbstverständnis sowohl der Schausteller als auch der Zuschauer. Wenn die Show überzeugte, dann überzeugte auch das Medikament, zumindest in der aufgeheizten Stimmung des Augenblicks, in der der einzelne Zuschauer sich in einem allgemeinen Kaufrausch mit-

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reißen ließ. In diesem Rausch wurde die objektivierbare Qualität der Medizin unerheblich, und die Frage nach der Authentizität einer Geschichte, nach der attestierten Qualifikation des Wissenschaftlers, nach Betrug oder Wahrheit erübrigte sich weitgehend. Die Täuschung wurde zum Vertrag. Das dargebotene Produkt war nicht das Medikament selbst, sondern das Charisma des Schaustellers, und seine Fähigkeit, mit welchen Mitteln auch immer eine Stimmung der Bejahung und des Konsens zu erzeugen. Oft kauften die Zuschauer während der Show begeistert, und ließen danach ihre Flaschen einfach stehen.8 So ist auch bei diesen Shows das Geschehen nicht zurückzuführen auf einen schlichten Gegensatz von Glauben oder Unglauben, Kaufen oder Stehenlassen, sondern es ist wie die Erzählung des anchor man in Minstrel und Vaudeville bestimmt von der Uneindeutigkeit des Protagonisten, und vom »Suspence of Disbelief«9, der Spannung des Unglaubens, die das Publikum in einem Zustand der Faszination hält. Solche ländlichen Verkaufsshows tragen einen Abglanz der großen Variety Shows und Revuen der Metropolen in die ländlichen Gebiete des Westens. Obwohl sie in vielen Fällen noch mehr als diese auf Flexibilität angewiesen sind und mit beliebig zusammengewürfelten Show-Elementen arbeiten, funktionieren sie nach demselben Prinzip. Auch sie fordern von ihren Zuschauern und ihren Darstellern ein hohes Maß an Rezeptionserfahrung in diesem wechselhaften Spiel zwischen Einlassung und kritischer Distanz. Sie erwecken einen Despoten auf der Bühne, der nicht anders als mit gemischten Gefühlen angeschaut werden kann, als ein Eindringling, der vielleicht heilt, vielleicht betrügt, sicher aber unterhält.10 Das sehr niedrige Organisationsniveau, auf dem sich solche Verkaufs-Shows abgespielt haben, sind auch literarisch überliefert, und es macht Sinn, den dokumentarischen Wert solcher Darstellungen als zeitweiliges Fortbewegungsmittel zu nutzen. Die beiden Landstreicher von Mark Twain, denen Huckleberry Finn während seiner Reise auf dem Mississippi begegnet, und die ihn über eine Strecke seines Weges begleiten, stellen die ärmste, verzweifeltste Ausprägung dieses Berufsstandes dar. Sie können als ein Zeitdokument betrachtet werden, zugleich aber zeigen sie, wie auch die Figuren von W.C. Fields, den Übergang einer realen ökonomisch-theatralischen Organisationsform zu einem künstlerisch-literarischen Typus. Der eine der Landstreicher, den Huck später nur noch als den »Duke« anspricht, gibt sich als der Fürst von Bridgewater aus, der von einem Onkel um seinen Titel betrogen wurde und in der Folge verelendet ist, und der nun sein Leben in der Fremde fristen muss. In eifersüchtiger Reaktion auf diese gelungene Hochstaplergeschichte stellt sich sein Begleiter als der rechtmäßige König von Frankreich vor, der in seiner Jugend als Dauphin in letzter Sekunde vor dem Tod auf dem

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Schafott nach Amerika geflohen sei. Duke und King sind Trickbetrüger, die sich durch die Dörfer der Südstaaten »arbeiten«11 und die Dummheit und Arglosigkeit der Landbevölkerung ausnutzen, um an ihr Handgeld zu kommen, das sie über den Tag rettet. Hier ist wieder der Markt ohne Produkt, die Marketing-Strategie von Jeanine Graf, denn wie diese arbeiten Duke und King eigentlich mit nichts. Mit leeren Händen reisen sie herum, kommen in ein Provinznest, holen Informationen über die dortige Bevölkerung ein, schauen sich aufmerksam um, in ihrem neuen, momentanen Inventar, und arbeiten ausschließlich mit dem Personal und der Ausstattung, die sie an ihrem jeweiligen Spielort vorfinden. Da sie überall als Unbekannte ankommen, können sie entweder auf Tricks aus ihrem Repertoire zurückgreifen, oder entsprechend der lokalen Gegebenheiten ein neues Programm zusammenstellen, in dem sie dann je nach Bedarf als Abenteurer aus fernen Ländern, als erleuchtete Prediger, Wunderdoktoren oder verelendete Adelige auftreten. Sie leben von den Abfällen des Showbusiness, von den vagen Vorstellungen, die eine uninformierte, von der Welt abgeschnittene Bevölkerung sich über Prediger, Ärzte, Stadtmenschen, Künstler, Schauspieler, Wissenschaftler macht. Duke und King praktizieren die Show in ihrer elendsten Form. Bei ihnen vollziehen sich Planung und Durchführung des Spektakels im gleichen Augenblick. Sie gehören zu den Prototypen des Showbusiness, denn ihre Tätigkeit reduziert sich und konzentriert sich auf das, was einer Show am wesentlichsten angehört – auf das Zusammenflicken einer Geschichte aus unzusammenhängenden Fundstücken, Wissensresten, Überlieferungen, Wünschen und Klischees. Für das, was sie tun, sind Duke und King die besten Leute, die man sich vorstellen kann. Sie sind Genies der Synthese, verfügen über viel Halbwissen und viele halb improvisierte Fachjargons, in denen sie dieses Halbwissen präsentieren. Vor allem aber verfügen sie über die darstellerischen Qualitäten, die Rezepte des Pathos, die ihre Geschichten wenn nicht glaubhaft, so doch zumindest glaubenswert machen. Bei einem Camp-Meeting, einem mehrtägigen Gottesdienst im Freien, bei dem Menschen aus der ganzen Region zusammenkommen, um durch Predigten, Gesänge, Gebete und Fasten zur Erleuchtung zu kommen, gibt sich der King als ein bekehrter Pirat vom indischen Ozean aus. Unter Tränen steigt er auf die Tribüne und beschreibt der auf Wohltätigkeit und Nächstenliebe eingeschworenen Menge den Prozess seiner Bekehrung. Sofort wird er als der Held der Veranstaltung gefeiert, und die Teilnehmer beginnen aktiv, seine Buße mitzuinszenieren, indem sie Geld sammeln, um seine Mission zu finanzieren. Das priesterliche Warmup, gefolgt von dem unwahrscheinlichen Exotismus der Piratengeschichte, führt bei allen Zeugen zu dem Entschluss, diese Phantasie mitzuleben

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und mitzugestalten. Unter Segnungen wird er als geläuterter Verbrecher entlassen. Er war sein Geld wert. Das Spektakel der Lüge beruht auf einem Vertag zwischen Darstellern und Publikum, einem Vertrag, dessen Hauptanliegen es ist, dieses Spektakel möglichst lange am Laufen zu halten. An einem bestimmten Punkt wird, wie im Fall der Medicine Shows, das kritische Bewusstsein abgeschaltet zu Gunsten einer aktiven Rolle in der Show. Die Zuschauer beschließen, an die Geschichte zu glauben, weil sie daran teilnehmen wollen. Sie wollen, dass sie weiterlebt, weiterwächst und immer wilder, exotischer und unwahrscheinlicher wird. Die Frage der Wahrheit spielt keine Rolle mehr in diesem Stück. Twains Lieblingsszenen sind solche, in denen Betrüger ihre Arbeit so gut machen, dass ihre Opfer bewusst und wissentlich auf den Schwindel eingehen, dass sie betrogen werden wollen. Das geht manchmal so weit, dass Dorfbewohner die beiden Landstreicher über Tage und Wochen durchfüttern und sie in dem Glauben lassen, sie hätten mit ihrem Betrug Erfolg bei ihnen, obwohl der Schwindel längst aufgeflogen ist und sich herumgesprochen hat. Sie schicken sie mit ihrem Trick sogar weiter in benachbarte Dörfer, und schließlich reisen die beiden als die berühmten Shakespeare-Tragöden Garrick und Kean aus London durch die Südstaaten-Provinz, im Glauben, dass sie als Ehrenmänner gehandelt werden, tatsächlich aber sind sie schon weithin bekannt als Hochstapler, und ihre eigentliche Anziehungskraft besteht in der Dreistigkeit ihrer Lüge. Wer in diesem prekären Gefüge der Täuschung betrügt, und wer der Betrogene ist, ist nicht mehr auszumachen. Die Betrüger und ihre Zuschauer arbeiten gemeinsam an einem narrativen Großprojekt. Immer wenn der Punkt erreicht scheint, an dem dieses Projekt nicht mehr weitergehen kann, geben sie ihrer Aktionskette eine neue Richtung, winden sich, in die Enge getrieben, noch einmal heraus, wird das Schauspiel des Betrugs weiter betrieben, weitergedrückt, -gepresst, -gezwängt. Es gibt keine klare Gegnerschaft in diesem Spiel. Der Plan ist ein gemeinsamer, der sowohl in den Köpfen der Betrüger als auch der Betrogenen ständig weitergesponnen und verzweigt wird, mit ständig wechselnden Rollen. Die Show des Betrugs soll das Maximum an Ereignissen absondern, sie wird in geheimem Einvernehmen auf alle ihre Möglichkeiten abgetastet, wird wie ein zerbrechliches Gebilde weitergereicht, zurechtgeredet, zurechtgeflüstert und zurechtgeschwiegen, bis sie globale Ausmaße erreicht, bis sie reif ist zum Platzen, zur letzten Gewaltaktion, in der sie ihr unausweichliches Ende findet. Denn der letzte Akt dieses Spektakels ist auch hier die öffentliche Demaskierung der Betrüger und ihre Abstrafung. Als ihre Show nichts, gar nichts mehr hergibt, als sich die beiden Erzähler so tief und so offensichtlich in ihr eigenes Lügendickicht verstrickt haben, dass keine noch so gewaltige Gut-

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gläubigkeit den Schwindel mehr für Wahr nehmen kann, müssen sie zum letzten großen Stadtvergnügen antreten und werden geteert und gefedert in den Fluss geworfen. Das ist die Geschichte von Duke und King. Sie kommen als Fremde in die Stadt, basteln sich aus dem, was sie vorfinden, einen halbfertigen Betrug zusammen, lassen sich als Fürsten und Könige feiern, werden verraten und ihrerseits betrogen und schließlich davongejagt.12 Aber auch das ist nicht das Ende, denn sie leben, sie schwimmen, und auch diesmal werden sie sich irgendwo flussabwärts an Land retten, wo noch niemand von ihnen gehört hat, und die Show kann von vorne beginnen. Wenn ich also von der manischen Depression des Show-Despoten spreche, wenn ich sage, dass die Zyklothymie sein Wesen ist, dann spreche ich nicht von der Binsenweisheit, die besagt, dass nach dem Aufstieg der Fall kommen muss. Das Auf und Ab des Despoten ist mehr als eine äußere Notwendigkeit, sie gehört zum Charakter dieser Figur, sie ist Bestandteil ihres Selbstverständnisses, ihres Pathos, sie erweitert ihre Möglichkeiten ins Elend hinein. Sie erzählt von der Gefahr und der Akrobatik, die in dieser Selbstüberhöhung liegen, und die bis heute immer wieder auf ähnliche Weise bebildert werden. W.C. Fields ist einer derjenigen, die auf der Bühne die Unseriosität zuerst in eine Form gebracht haben. Seine Hochstapler, Aufschneider und kleinen Betrüger gehören dem gleichen Metier an wie die beiden Landstreichern von Mark Twain. Sie arbeiten weit ab von allem, was decent ist, und zugleich haben sie eine unstillbare Sehnsucht nach genau dieser Decency, die ihnen abgeht. Sie sind verheiratet mit bösen, unzufriedenen Frauen, von denen sie mit gerolltem Oxford-r als die Versager beschimpft werden, die sie sind, schaffen es aber, nach außen die Form zu wahren, in ihrem Geschäft oder ihrer bescheidenen offiziellen Position die arrivierten, zufriedenen Bürger zu spielen, die sie nicht sind. In allem, was Fields tut und sagt, ist er ein Zirkusdirektor, jeder Satz, jeder Ausruf wird zelebriert wie die Ankündigung einer großen Nummer, seine Eleganz ist, anders als die sentimentale Bohème von Chaplin, anmaßend, egozentrisch und irgendwie missraten. Keinen Tanzschritt macht er genau im Takt, kein Jonglage- oder Zaubertrick gelingt ihm ohne einen kleinen Unfall, mit dem die Gemachtheit des Kunststücks verraten wird. Die Insignien seiner Kultiviertheit, Frack, künstlicher Kragen und Manschetten, sind ihm immer auch im Weg, und der Überschwang, mit dem er einen Strohhut auf den Haken wirft oder ein Stöckchen unter den Arm klemmt, schießt immer knapp über das Ziel hinaus und versetzt ihm von hinten einen unerwarteten Stoß. Die Energie, die er auf eine Bewegung verwendet, ist nur fast, nie ganz richtig bemessen, genauso wie seine Reaktionen: Während er bei einer Verfol-

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Das Prinzip des Humbug ist die Synthese des Unvereinbaren: Phineas Taylor Barnums legendäre Feejee Mermaid, ein zusammengesetztes Präparat aus einem Affen und einem Fisch (1868 in Barnums American Museum verbrannt – s.u.).

gungsjagd im Auto nur leicht zusammenzuckt als der Motor explodiert13, greift er wegen dem Jammern eines Kindes sofort zur Axt. Seine inadäquate Energieverteilung isoliert ihn und lässt ihn innerhalb der kleinen, biederen Welt, in der er verkehrt, fehl am Platz erscheinen. Seine Position ist deshalb instabil, auch dann, wenn er es kurzfristig zu einer gewis45

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sen Autorität gebracht hat. Als Filmregisseur lässt er sich von vier Männern auf einem Podest herumtragen14. Auf diesem Podest sitzt er allerdings in einem Schaukelstuhl und fällt bei jeder unvorsichtigen Bewegung seiner Träger beinahe herunter. Das Paramount-Filmtheater in Los Angeles installiert bei einer Filmpremiere über dem Eingang eine große Neonreklame, in der er sich als ein mechanischer Reiter über den Köpfen der Besucher auf und ab bewegt, und bei jeder Vorwärtsbewegung seines Pferdes leicht vorn über kippt. Dieser instabile Pomp wird zu seinem Markenzeichen in den Dreißigern und beschert ihm ein Revival in der College-Szene, die in den Sechzigern seine Filme als Anti-EstablishmentHumor feiert15. Es wäre nicht richtig, hier von einer Ästhetik des Scheiterns zu sprechen, denn in den misslungenen Aktionen zeigt sich auch eine verblüffende Flexibilität und Geschicklichkeit, die den Unfall tänzerisch werden lässt. Die eigentliche Kunst besteht darin, sich wie Duke und King noch aus der verfahrensten Position hinauszuschlängeln und die fundamentale Tatsache der körperlichen Integrität niemals aufzugeben. Die körperliche Präsenz und die Unverletzlichkeit werden später bei anderen Figuren, die von Fields Excentric Juggler abgeleitet sind, noch stärker in den Vordergrund treten. Andy Kaufmans abgetakelter Vegas-Star Tony Clifton und Barry Humphries’ australischer Botschafter Les Patterson werden sich noch in den achtziger Jahren in genau diesem Fahrwasser der Burlesque bewegen. Mit ihren Glitzerjacketts, Sonnenbrillen, Rüschenhemden und aufgequollenen Gesichtern wirken sie wie Panzer, die völlig in ihre Welt von Alkohol, Zigarren und Chicks eingetaucht sind, aus der heraus sie ihre obszönen Witze und Beleidigungen in den Saal spucken. Die mangelnde Seriosität wird zum festen Bestandteil ihrer Inszenierung und macht ihre Präsenz erst aus. Die genannten Figuren sind immer schon Parodien ihrer selbst, wie auch die Formate der Revue und der Burlesque, denen sie verpflichtet sind. Die Person des halbseidenen Host und des betrunkenen Stars ist fest in das Vokabular des Entertainment eingegangen. Allerdings reicht die Zyklothymie des Performers viel tiefer in das Wesen des Entertainment hinein. Mit den Mythen vom Ruhm und vom Nabel der Welt geht eine elementare Angst vor der Selbstvernichtung einher, eine unbestimmte, aber ständig präsente Drohung, die stetige Erinnerung daran, dass alles, was man erreicht hat, innerhalb von Sekundenbruchteilen wieder in sich zusammenfallen kann. In den Künstlerbiographien werden ganze Serien solcher Auf- und Abbewegungen aneinandergereiht. Sie sind keine linearen Erfolgsberichte, sondern sie werden bestimmt von den Zyklen der manischen Depression. Nach jedem kleinen Durchbruch wird gefragt: »Gehöre ich wirklich hierher? Ist nicht doch alles, was ich tue, ein großer Schwindel, der irgendwann auffliegen

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muss?« Die Pose der Fremdheit gehört dem Showmaster seit seinen frühesten Anfängen an. Sie entspricht zum Teil einem vererbten Gefühl der Unsicherheit, das sich im Motiv des Schwindels, des Show-Betrugs, der Quacksalberei und Hochstapelei konkretisiert, zum Teil einem Pathos des Außenseitertums und des Lebens am Rande der sesshaften Gesellschaft, das oft auch in der autobiographischen Literatur im Umkreis des Showgeschäfts zu finden ist. Sammy Davis Junior setzt bezeichnenderweise eine Szene von Triumph und Katastrophe als Prolog an den Anfang seines Buches, indem er den glorreichen Abend seines Trios im New Frontier Casino in Las Vegas beschreibt, und den anschließenden Autounfall, der ihn beinahe seine Karriere kostet.16 Es ist, als hätte man es nicht anders verdient. Als gäbe es eine Instanz, die einen ständig daran erinnert, dass man nur ein Lügner ist, dass alles, was man erreicht, nur auf Täuschung beruht, auf Selbsttäuschung und der Täuschung anderer. Der Markt des Showbusiness ist, wie der Markt virtueller Produkte an der Börse, ein Luftgebilde, das nur von den Unwägbarkeiten der Stimmungen lebt, von Geflüster und Gemunkel, von dem keiner weiß, wie es eigentlich funktioniert, ein hohles Phantasma, das seine letzte Erfüllung im Totalschaden oder im Untergang findet. Der Kitzel des Absturzes ist in der Selbstreferenz des Entertainment allgegenwärtig, und es lässt sich vermuten, dass er der Show erst Schönheit und Tiefe verleiht. Der Undercurrent des Pathos, den diese Vernichtungsphantasien mit sich bringen, ist die Voraussetzung für den Personenkult, der für die Inszenierung des Despoten so essentiell ist. Betrug und Hochstapelei sind Ausdrucksformen dieser despotischen Zweideutigkeit, die historisch und formal direkt mit dem divergent-synthetischen Konzept der Show verbunden ist. Die Show ist eine anmaßende Behauptung, die umso brachialer, despotischer, charismatischer sein muss, je zusammengesetzter sie ist, die umso instabiler wird, je mehr sie sich gegen die eigene Beliebigkeit wehrt. Die Scharlatanerie ihres Beherrschers begründet sich schon in ihrer Form. Der komische Monolog, der nur im besten Fall ein Stream of Consciousness ist, meistens aber eine lose Reihung kleiner Geschichten, polemischer Statements und holpriger Übergänge, ist die einzig adäquate Redeform dieses strauchelnden Erzählers, der mit jedem Satz eine großartige Proklamation loswerden, und heiße Luft in Gold verwandeln muss. Zugleich aber ist er der wesentliche Anknüpfungspunkt für die Zuschauer, die sich aufgerufen fühlen, den Betrug mitzutragen, mitzugestalten und durch ihren Zuspruch auf die Spitze zu treiben. Er ist das hypnotische Pendel, der billige Klunker, der zum Juwel erklärt werden muss, um alle Beteiligten in einem Raum gemeinsamer Faszination vereinen zu können.

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III. SWEETNESS: MINSTREL, SIDE SHOW »M O D E R N P R I M I T I V E S «

UND

»Niggas’ hearts am bery gay Dey tink ob nothin’ but to play.« (Minstrel) »Pastoral scene of the galant south The bulging eyes and the twisted mouths« (Billie Holiday – Strange Fruit)

Der Showmaster ist also jemand, der von außen kommt. Er ist den Zuschauern ein Übersetzer des Exotischen, des Kranken, des Inadäquaten und Inakzeptablen. Er gehört einer Halbwelt an – unter sozialen Gesichtspunkten der Halbwelt reisender Schausteller, unter psychologischen Gesichtspunkten dem »Fremden schlechthin«1. In den USA verbindet sich das Faszinosum seiner Fremdheit von Anfang an mit den Vorstellungen einer fremden Kultur im eigenen Land, besonders der mit allen möglichen Klischeevorstellungen versehenen Kultur der schwarzen Sklaven. Der theatralische Typus des Schwarzen wird deshalb zu einem Protagonisten in dem grundsätzlich verdächtigen Gebilde der Show. So ist die Black Comedy ein wichtiges Barometer für die Entwicklung des Entertainment in den Vereinigten Staaten. Dies auch dadurch, dass sie innerhalb dieser Entwicklung immer ein Problem darstellt. Wenn ein schwarzer Künstler, dessen angestammte Rolle innerhalb der Gattungen des Showgeschäfts im Gesang, im exotischen Tanz, später im Jazz liegt, wenn ein solcher Künstler anfängt, seine (weißen) Zuschauer direkt anzusprechen und über sein Privatleben, die Absurdität seines sozialen Umfelds und die Weltpolitik zu verhandeln, dann überschreitet er eine stilistische und soziale Grenze. Diese Grenze wird bezeichnet von den Rollenklischees, die ihm in einer weiß dominierten Gesellschaft zugewiesen werden. Der Minstrel als eine weiße (!) Form der Unterhaltung hat im

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19. Jahrhundert mit den Blackface Comedians, also weißen Schauspielern mit rußgeschwärzten Gesichtern, ein Inventar an schwarzen Typen zur Verfügung gestellt, die einerseits mit der sozialen Realität wenig oder nichts zu tun haben, die aber andererseits eine ästhetische Realität schaffen, der sich schwarze Künstler in der Folge nicht entziehen können, und zu der sie bis heute auf die eine oder andere Weise Stellung beziehen müssen. In der ursprünglichen Tradition des Minstrel ist der schwarze Showmensch eine einfache Frohnatur, die in ihrem primitiven Urzustand gar nicht anders kann, als zu lachen, zu tanzen, zu singen und zu musizieren. Seine ›Wildheit‹ wird entweder als ein vermeintlich authentischer afrikanischer Exotismus gefeiert, in dem er mit wulstigen Lippen, breit wackelndem Hintern, gebleckten Riesenzähnen und weit aufgerissenen Augen seine animalische Triebhaftigkeit und seine ausufernde Sexualität präsentiert, oder, wie in den 1930er Jahren bei den schwarzen Sängerinnen Florence Mills und Marian Anderson (s.u.), als eine mehr oder weniger gelungene Dressur, unter deren hoch geschlossener Oberfläche aber immer wieder das schielende, grimassierende Tier zum Vorschein kommt. Die Bühnenfigur Jim Crow, der Urtyp des lachenden Minstrel Negro, steckt insofern auch den Rahmen ab, innerhalb dessen über lange Zeit schwarze Unterhaltung vor einem weißen Publikum praktiziert wird. Dabei ist er eine Figur aus der Retorte, erfunden von einem weißen Schauspieler, der sich das Gesicht mit Kohle gefärbt hat, aufgegriffen und weiterentwickelt von anderen weißen Künstlern, in ein Showformat eingebettet, das während der gesamten zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts die Unterhaltung in den USA dominierte. Jim Crow ist der Prototyp einer großen Familie von Happy Slaves, die im Norden gleichermaßen wie im Süden die Bühnen bevölkern, und die noch lange nach dem Bürgerkrieg und dem Ende der Sklaverei vom süßen Leben auf den Plantagen singen. Die simple Idylle wird prekär, sobald sie nicht mehr von schwarz geschminkten weißen Darstellern dargeboten wird: Die schwarzen SängerTänzer Walker and Williams können sich im Showgeschäft erst durchsetzen, als sie sich ihre Gesichter zusätzlich mit Kohle übermalen und damit signalisieren, dass sie nichts anderes behaupten wollen, als eben jenen Minstrel-Clown Jim Crow. Erst mit dem Film werden Anforderungen eines visuellen Realismus in die Unterhaltung eingebracht, der dazu führt, dass sich in den 1920er Jahren Schauspieler wie Steppin’ Fetchit und Haddy McDaniel erstmals ungeschminkt präsentieren, allerdings nach wie vor in den subalternen Rollen der Excentric Dancers und Comic Servants, die den gleichen Rollenklischees folgen wie ihre Vorläufer im Minstrel. Erst nach 1945 nimmt die Generation der Newer Comics, unter ihnen Timmy Rogers, George Curby und Nipsey Russel, Abstand von

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den Vorgaben der komischen Diener und vom Format der Zwei-Personen-Sketche und wenden sich in direkter Ansprache an ihre Zuschauer. Rogers formuliert die Forderung, nach der es um eine Entweder-OderEntscheidung geht: »The question was whether we were going to play characters or whether we were going to play ourselves.«2 Das Vorbild dieser vom Universal-Amerikanismus des Krieges geprägten Generation ist der weiße Star des frühen US-Fernsehens, Milton Berle, der mit seinem Konzept des Freedom of Speech in smalltalk-hafter, improvisierter Rede halb persönlich, halb distanziert seine Sicht der Welt und des Alltags präsentiert. Aber die genannten Versuche treffen in den USA auf das äußerst reaktionäre Klima der Nachkriegszeit und des McCarthyismus, und somit ist die Entwicklung der Black Comedy alles andere als eine Geschichte des Pioneering und der kontinuierlichen Fortschritte in Richtung einer künstlerischen Gleichberechtigung. Die Phasen der vorübergehenden Öffnung von Systemgrenzen und der ästhetischen Entwicklung erscheinen wie Quantensprünge. Sie ereignen sich plötzlich, übergangslos. So ist die Black Comedy immer auch die Domäne der Sensationen und der ökonomischen Rekorde: Richard Pryors abendfüllende Kinoversion einer seiner Live-Shows von 1971 ist der erste Performance-Film, der zum Kassenschlager wird und ein Millionenpublikum erreicht. Und Eddie Murphy hält in den Achtzigern mit einer Reihe von Auftritten in der Radio City Music Hall bis heute den Rekord für Zuschauerzahlen einer Comedy-Live-Show. Aber auch sie unterliegen, wie ihre Vorläufer, in einer weißen Rezeption jener Jahre dem Bild des übersexualisierten Schwarzen. Auch in ihren Shows spiegelt sich, vielfach gebrochen, das ambivalente Verhältnis zum amerikanischen Süden, zur Geschichte der Sklaverei. Sogar erklärte Emanzipatoren der 1960er und 70er Jahre, wie Redd Foxx und Dick Gregory (s.u.), träumen im Nebensatz von der Kindheit in Alabama, von der süßen, fernen Heimat im Süden und vom Geschmack des Soulfood, dem ärmlichen Standardgericht aus Grünkohl und Kartoffeln, das es in den feinen Restaurants, die ihnen nach Jahrzehnten des Kampfes nun endlich offen stünden, ja leider nicht gebe.3 Die verklärte Kindheit, die auch im zeitgenössischen schwarzen Stand-up eine wichtige Rolle spielt, ist nicht nur eine persönliche, sondern auch eine kollektive schwarze Kindheit, deren Ort eine idyllische Plantage ist, ein Ort, den es historisch nie gegeben hat, eine Erfindung des Minstrel, eine weiße NordstaatenPhantasie, die versucht, das traumatische Kapitel der Sklaverei, des Bürgerkriegs, der sozialen Verelendung und des Rassismus übergehen zu lassen in das Bild einer zwar chaotischen und heterogenen, aber doch einigermaßen glücklichen Familie. Die Sweetness des verlorenen Südens und seiner Schwarzen ist der widersprüchliche Diskurs um ein weißes

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Klischee, das Klischee vom Schwarzen als Kind, oder vom Schwarzen als Tier. Ein Bild vom geborenen Showmenschen, vom allzeit bereiten Superunterhalter, der gerade in seiner tierischen Menschlichkeit oder in seiner menschlichen Animalität pikant wird. Die Black Comedy bleibt bis heute problematisch. Niemals kommt sie um einen Kulturkampf herum, der entweder halbbewusst in der Tierhaftigkeit des Minstrelclowns verharrt, oder explizit eine radikale Neupositionierung des schwarzen Darstellers versucht. Dabei darf nicht unterschlagen werden, dass gerade die Punkte, an denen das Bild der Schwarzen in der Show prekär zwischen weißen Klischeevorstellungen und neuen Formen theatralischer Virtuosität schwankt, bis heute in Populärkultur und Avantgarden genutzt, verarbeitet und unter immer neuen Gesichtspunkten weiterentwickelt werden. Das ultimative Mittel des Widerspruchs ist die Aneignung: Die Sprache des Minstrel verselbständigt sich spätestens ab dem Punkt, an dem auch ein schwarzes städtisches Publikum die der weißen Tradition entstammenden Vorstellungen des Minstrel-Clowns für sich selbst aufgreift, verwandelt und einen kreativen Umgang mit ihnen pflegt. Schließlich werden Formen des Tanzes, die sich, etwa in Charleston und Swing, aus diesem Prozess der Aneignung entwickeln, wiederum von einem weißen Publikum aufgegriffen, etc. Es wäre eine entstellende Vereinfachung, den Minstrel und die von ihm sich ableitenden Ausdrucksformen als rückschrittlich und unauslöschlich rassistisch darzustellen. Die weiße Produktion und Rezeption des Minstrel ist nur ein Aspekt in der theatralischen Entwicklung, die diese Urform der Show in den Bereichen Theater, Tanz und Musik in Gang gesetzt hat. Die unterschiedlichen Formen und Möglichkeiten ihrer Rezeption und Weiterverarbeitung sind so vielfältig und komplex wie das US-amerikanische Gesellschaftsbild. Die Gegenüberstellung des Minstrel-Negro und des urbanen, politisch aufgeklärten Schwarzen, wie sie seit der Zeit nach dem zweiten Weltkrieg von schwarzen Künstlern zu Recht immer wieder vorgenommen wurde, ist nur einer der vielen Verarbeitungsprozesse, die es in den unterschiedlichen Genres gegeben hat und noch gibt, allerdings ein kulturhistorisch zentraler, wie ich zeigen werde. Bezüglich des Minstrel erleben wir, wie so oft, statt einer klaren Aufspaltung in verschiedene sozial determinierte Sichtweisen, eine Gleichzeitigkeit der Perspektiven, von denen ganz besonders diejenigen dargestellt werden sollen, die für die Weiterentwicklung der despotischen Zentralperson in der Show relevant sind. Die folgenden Unterkapitel widmen sich dem charismatischen Aspekt des Bühnendespoten, der sich im Außenseitertum der frühen Schausteller und der von ihnen abgeleiteten Typen schon angedeutet hat. Der despotische Showmaster, der nicht mehr nur eine Rolle in einer theatrali-

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schen Handlung spielt, der insofern kein bloßer Darsteller mehr ist, definiert sich im Folgenden zunehmend durch eine Mythisierung seines sozialen Daseins und seiner Körperlichkeit als eine absolute, charismatische Präsenz. Dies zeigt sich zunächst im Minstrel und im Umfeld der frühen Black Comedy bis 1945, und zeitlich parallel auch in der Side Show des Circus und in den verschiedenen Ausprägungen der Freak Show, die mit ähnlichen Strategien der Entfremdung und in einem eng verwandten mythischen Umfeld arbeiten, und die ich deshalb ebenfalls in diesem Kontext erwähne. Alle genannten Formen entstammen aber einer Vorstellungswelt, die sich aus der Theatertradition des Minstrel entwickelt, insofern zunächst weiß geprägt und weiß dominiert ist, und die im Schwarzen, im Kind und im Freak vor allem Metaphern für das »absolut Fremde« sieht. Auf diese Weise wird in die Figur des Interlocutors, der ursprünglich nur die direkten Ansprachen an die Zuschauer zwischen einzelnen Shownummern zu machen hatte, und der insofern die repräsentative Hermetik des theatralischen Als-Ob-Raums eigentlich durchbricht, eine neue Ebene der Repräsentation eingeführt, die ihn einhüllt wie eine Blase: die Vorstellung einer anderen Welt, deren Teil er ist, und die für ›uns‹ unaussprechlich, undenkbar, heterogen ist. Die folgenden Unterkapitel geben eine Einführung in das wechselhafte Spiel aus Distanzverlust und absoluter Distanzierung, aus roher Direktheit und gleichzeitiger Zurückgewinnung des Jenseitigen, die mit der Vorstellungswelt der frühen Shows zusammenhängt. Der Weg geht dabei zunächst von zeitgenössischen Ausläufern dieser Vorstellungswelt aus, deren Äußerungen auf ihre Ursprünge zurückgeführt werden.

1. Sweet Sweetness »A colored comedy act was just going on as I sat down. They were pros, funny as hell and I was laughing, but I wasn’t enjoying myself. Something was bothering me. I listened to them saying, ›Ladies and Gen’men, we’s gwine git our laigs movin’, heah.‹ They were talking ›colored‹ as Negro acts always did. I’d heard it a thousand times before, but for the first time it sounded wrong. They were labeling themselves. I watched them doing all the colored clichés, realizing that we were doing exactly the same thing. We’d always done them. They were an automatic part of our personalities onstage. It was the way people expected Negro acts to be so that’s the way we were. But now it was like I was seeing it for the first time and I almost couldn’t believe my ears. Why don’t they say ›Gentlemen‹? Why must it be ›Gen’men‹? Isn’t there a way to give people laughs without doing it at our own expense? Must we downgrade ourselves? Must we be caricatures of cotton field slaves? We

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DESPOTEN AUF DER BÜHNE don’t all pull barges up the Mississippi. Can’t we entertain and still keep our dignity?«4

Autobiographien haben es an sich, bestimmte Aspekte im Leben eines Prominenten ins rechte Licht zu rücken, und ganz besonders die Dinge im Nachhinein zu korrigieren, die eigentlich wunde Punkte darstellen. Man sollte gerade solche emphatischen Passagen genau lesen und überprüfen, weil sie oft einen Hinweis auf Rezeptionsprobleme und Widersprüchlichkeiten bei einer öffentlichen Figur geben. Die Tatsache, dass Sammy Davis Junior in seinem Buch immer wieder die »Yassuh«- und »Gen’men«-Unterhalter kritisiert, und dass er von der Minstrel-Tradition immer im pejorativem Vokabular des Grimassierens, Augenrollens, Verbiegens und Verzerrens spricht, steht im Gegensatz zu seiner künstlerischen Praxis und zur Rezeptionsgeschichte seiner Person. Obwohl er die direkte Ansprache fordert und auch praktiziert, bleibt seine Show immer eingebettet in ein Ritual von Reverenzen und Danksagungen. Die Parodien weißer Sänger und Schauspieler wie James Cagney, Frank Sinatra und Edward G. Robinson werden zum Standardelement in seinen Shows, und gerade dies stellt er als einen Durchbruch dar, als ein Wagnis, mit dem er sich als Schwarzer in neue Regionen vorgewagt hätte. In der Praxis bleibt Sammy Davis aber immer in der Rolle des Underdog. Selbst bei seinen Auftritten zusammen mit Martin und Sinatra ist er immer der »Kleine« – unter seinen Kollegen trägt er den Spitznamen »Kid«. Er bleibt der ewige »Junior«. Davis’ Umgang mit Stars bleibt subaltern, verschämt, demütig. Mit jeder Danksagung und jeder langen Verbeugung belobigt er die Heiligen Hallen des Showbiz, in denen er sich bewegen darf, und spricht damit die Jovialität und das Wohlwollen seiner Zuschauer an. Tatsächlich hat Sammy Davis in der Entwicklung der Black Comedy nie die Rolle gespielt, die er in seinem Buch einfordert. Er bleibt das Kind, das den Popstar mimt, und dies noch in der Inszenierung seines eigenen Ruhms, wenn er beispielsweise ein ganzes Kapitel seinen Kleider-, Gold- und Juwelenkäufen widmet. Im kulturellen Bewusstsein der Black Community ist er eine persona non grata5, ganz im Gegensatz übrigens zu seinen Vorgängern und Zeitgenossen wie Pigmeat Markham, Moms Mabley, Nat King Cole, Cab Calloway, Dizzy Gillespy oder Louis Armstrong. Und dies obwohl das wesentliche Element seiner Performance, die Inszenierung seiner Kindhaftigkeit, seiner Sweetness, zum Teil im Einklang mit den Strategien der Selbstinszenierung steht, derer sich auch jene bedienen, und die selbst noch bei der Vermarktung schwarzer Megastars wie Stevie Wonder und Michael Jackson eine wesentliche Rolle spielen. Es scheint zunächst, als sei für eine integrative, mehrheitsfähige

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Unterhaltungsindustrie nur die verkleinerte Version des schwarzen Despoten akzeptabel. Dies wird von anderen schwarzen Musikern als Strategie erkannt und kritisiert. Miles Davis schreibt in seiner Autobiographie: »Ich liebe Dizzy (Gillespy) wirklich, wie ich Louis ›Satchmo‹ Armstrong liebte, aber ich habe es immer gehasst, wie sie fürs Publikum grinsten und herumalberten. Mir ist schon klar, warum sie es machten – sie wollten Geld verdienen und waren vom Typ her Entertainer und Trompeter. Sie mussten ihre Familien durchbringen, und sie spielten eben gern den Clown. Ich habe nichts dagegen, wenn es ihnen Spaß macht. Aber mir gefiel es nicht, und ich hatte es ja auch nicht nötig, dass es mir gefiel. Ich habe einen anderen sozialen Hintergrund als die beiden und stamme außerdem aus dem Mittleren Westen, während sie aus dem Süden kommen. Deshalb gibt es ein paar Unterschiede in unserer Einstellung den Weißen gegenüber. Ich war außerdem jünger als die beiden und musste nicht die ganze Scheiße durchmachen, um im Musikgeschäft anzukommen. Sie hatten schon eine Menge Türen für Leute wie mich geöffnet, und deshalb war ich der Meinung, dass ich mich nur auf mein Horn zu konzentrieren brauchte – was anderes wollte ich auch nicht. Ich habe mich nie – wie die beiden – als Entertainer gesehen. Ich wollte es auch nie sein, nur damit irgendein rassistischer, weißer Musikanalphabet ein paar nette Sachen über mich schreibt. Nie, in keinem Fall, hätte ich meine Grundsätze so billig verkauft. Ich wollte als guter Musiker akzeptiert werden, und dazu musste man nicht grinsen, sondern einfach gut spielen. Und das habe ich gemacht, damals genauso wie heute. Das können die Kritiker schlucken, oder sie könnens bleiben lassen. Viele Kritiker mochten mich also damals nicht – heute ist es nicht viel anders –, denn sie hielten mich für einen arroganten kleinen Nigger. Vielleicht war ich’s ja auch, keine Ahnung, aber eins weiß ich, ich musste ja nicht über meine Musik schreiben, und wenn sie’s nicht konnten oder wollten, dann scheiß drauf. Jedenfalls dachten die anderen genauso, ob das Max oder Monk, J.J. oder Bud Powell war. Und diese Einstellung uns selbst und unserer Musik gegenüber brachte uns noch näher zusammen.«

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Für die Musikergeneration von Miles Davis, Charles Mingus und Thelonious Monk sind das breite Lachen, die augenrollende Anbiederung, das demütige Werben um die Gunst des Publikums unerträglich. Satchmos gebleckte Zähne und Dizzy Gillespies aufgeblähte Backen sind für sie eine Zurschaustellung der grotesken Körperlichkeit, eine verhasste Reminiszenz jenes Minstrel Negro, der seine weißen Geldgeber mit einem Gestus der eigenen Unterlegenheit unterhält. Monk versinkt in seine Tasten, Davis spielt mit dem Rücken zum Publikum, sie halten die Augen ge-

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Das System Louis Armstrong beginnt im Minstrel: Der Comedian Billy Kersands von Callender’s Georgia Minstrels.

schlossen, und ihre Musik wird kompliziert, manchmal esoterisch. Alles ist besser als dieses Schwanken zwischen Virtuosität und Unterwürfigkeit, diese ewige Bediensteten-Attitüde, dieses Bücken, Nicken und verlegene Kopfkratzen, dieses »Uncle Tomming«7. Die Polemik von Miles Davis und seinen Zeitgenossen öffnet den vorliegenden historischen Entwurf in zwei Richtungen, zum einen in die Richtung, die hinter dem radikalen Bruch mit der Tradition und den Implikationen des Minstrel liegt, indem sie sich dem Ansinnen der Kindlichkeit und der Fremdheit verweigert, zunächst aber vor allem in Richtung der Ursprünge eben jener Tradition, die noch heute ihre Wirkung entfaltet und einen wesentlichen kulturellen Hintergrund für die Figur des Bühnendespoten liefert. »Uncle Tom« wird bei Miles Davis und anderen 56

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als die Personifizierung eben dieser Bühnentradition ausgemacht, »Uncle Tom« ist der erklärte Feind, der unendlich freundliche Dulder der Diskriminierung, und der kulturhistorische Kern einer sozial determinierten Ästhetik, an der sich die Geister scheiden. Da ich mich in diesem Kapitel dem charismatischen Aspekt der Fremdheit widme, wird meine Untersuchung zunächst hier ansetzen müssen. Uncle Tom ist in das kulturelle Bewusstsein eingegangen als ein rührseliger alter Schwarzer, der mit einer natürlichen Frömmigkeit, Naivität und Güte ausgestattet ist, der alle Kinder liebt, schöne Lieder und Geschichten weiß, und der nichts weiter will, als mit allen Menschen in seiner Umgebung glücklich und einvernehmlich zu leben und sich in seiner bescheidenen sozialen Nische einzurichten, die ihm von einer wohlwollenden Herrscherkaste zugedacht wurde. Allerdings hat sich die Figur erst im Lauf der Zeit zu einem solchen Klischee gewandelt. Im Original von Harriet Beecher Stowe, dem Sensationsroman Uncle Tom’s Cabin von 1852, ist Uncle Tom ein religiöser Märtyrer, der durch die Hand eines Sklavenbesitzers stirbt. Der Roman Uncle Tom’s Cabin ist in seiner Urform eine leidenschaftliche Schrift gegen die Sklaverei, ein Buch, das im Süden verboten, im Norden bejubelt wurde, und das politisch derart brisant war, dass ihm eine zentrale Bedeutung für den Ausbruch des amerikanischen Bürgerkriegs zugeschrieben wird.8 Uncle Tom’s Cabin erschien zunächst als Fortsetzungsroman in einer Zeitung der Abolitionists9. Dementsprechend enthält jeder Abschnitt einen Kommentar der Autorin, in dem sie sich direkt an die Leser wendet und gegen die Sklaverei Stellung nimmt. In solchen Passagen entfernt sich die Erzählung von der religiösen Märtyrer-Motivik, welche die Geschichte sonst bestimmt, und wird appellativ und analytisch. Stowe kritisiert die sozialen Praktiken ihrer Zeit; die Annahme, dass Schwarze keine unsterbliche Seele hätten und demzufolge auch nicht als Menschen angesehen werden könnten, die daraus sich ergebende Nicht-Anerkennung der Ehe und der Elternschaft bei Schwarzen, die Praxis, schwarze Familien durch Käufe und Verkäufe einzelner Mitglieder auseinander zu reißen, die Aberkennung elterlicher und überhaupt menschlicher Gefühle. Sie zeigt die Institution der Sklaverei und des Sklavenhandels als einen gesellschaftspolitischen Skandal. Es gibt zu dieser Zeit für schwarze Sklaven keinen Schutz vor Verkauf, vor völliger Enteignung, vor Vergewaltigung, sogar vor Ermordung. Es gibt kein Aussagerecht vor Gericht. Es gibt keine Institution, die einen Sklaven vor der Willkür seines Herrn schützt. Die Beispiele gütiger Herren seien dabei nur Verblendungen, da sie nur dazu angetan seien, die herrschaftliche Willkür, das vollkommene Ausgeliefertsein und die hiermit verbundenen Schicksale zu verschleiern. Diese Analyse wird eingebettet in die Erzählung solcher Schicksale. Im-

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mer wieder kommt Stowe dabei auf das Bild der schwarzen Familie zurück, und auf die Liebe, die Männer an Frauen und Eltern an ihre Kinder bindet. Diese Liebe ist keine andere bei den Schwarzen als bei den Weißen, sie ist »menschlich«, genauso menschlich, wie die die Elenden und Erniedrigten, die sie beschreibt. Stowe bescheinigt den Schwarzen sogar eine besondere – in der Rasse angelegte – Weichherzigkeit und einen ausgeprägten Sinn für Familie, Freundschaft und Häuslichkeit. Hier aber beginnen die Probleme zweiten Grades, beginnt der verschachtelte Rassismus, der das Buch später bei den Bürgerrechtlern der 1950er Jahre verhasst machen wird: Der Kern von Uncle Tom, das Wesentliche an seiner Figur ist eben doch nicht die soziale Ungeheuerlichkeit der Sklaverei, in der er leben muss, sondern ist die Duldsamkeit und die kindliche Hilflosigkeit des afrikanischen Menschen, der wegen eben dieser Hilflosigkeit der besonderen Güte und Gnade der Weißen bedürfe. Die argumentative Strategie wird auch bei Stowe immer zurückgeführt in eine Sentimentalität, die von den Vorgaben des Minstrel-Standard ausgeht: Der Schwarze ist Kind. Deshalb, so sagt sie, lasst uns die Schwarzen schonen und schützen, wie wir unsere eigenen Kinder schonen und schützen würden. So geht der Streit, den das Buch nach seinem Erscheinen auslöst, nicht um die Frage der schwarzen Seele oder des schwarzen Menschseins. Gerade diese Aspekte werden einhellig aufgegriffen und weiter verarbeitet. Hauptstreitpunkt ist nicht der Charakter des »Negro«, seine Weichheit, sein Familiensinn und seine Begabung für Gesang und Tanz. Hauptstreitpunkt ist das Bild des südlichen Lebens, der Arbeit auf der Plantage und der persönlichen Verhältnisse, das hier gezeichnet wird. Unmittelbar nach der Veröffentlichung des Buches wird der Stoff, zusammen mit den Nebenhandlungen, von einem Minstel-Theater adaptiert und erweitert, allerdings nicht wie bei Stowe vor der Kulisse elender Hütten, sondern in einem paradiesischen Garten des Südens, in dem die Schwarzen als eine exotische Attraktion ihre Spiele spielen. Aus Stowes Untertitel »Life among the Lowly« wird »Life among the Happy«, und aus »Uncle Tom’s Cabin« wird die schöne Geschichte von »Happy Uncle Tom«.10 Während die Bühnenversion von George L. Aiken von 1853 die Thematik des Abolitionism noch am Rande beibehält, wird Uncle Tom in John Owens Adaptation bereits zum gutmütigen low-comedy-type in einer grundsätzlich wohlwollenden Umgebung. Die Produzenten Christie und Wood entwickeln schließlich für ihre Minstrel-Show ein vollständig verändertes Setting und lehnen Stowes öde Landschaften und Elendstendenzen ausdrücklich ab. Sam Sanford, der in dieser Produktion die Hauptrolle spielt, bringt später im Süden eine eigene Version des Stückes

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heraus, die im Norden ebenfalls populär wird. Darin singt ein Chor schwarzer Sklaven: »Oh, white folks, we’ll have you to know Dis am not de version of Mrs. Stowe; Wid her de Darks am all unlucky But we am de boys from Old Kentucky.«11

Allerdings ist solche Idylle dem Roman selbst auch nicht fremd. Sie ist zwar nur selten in Reichweite, leuchtet nur ab und zu auf, in der Obhut der gütigen Mrs. Shelby oder unter dem lässigen und toleranten Regime des Dandys St. Clare, als eine Art paradiesischer Urzustand, von dem sich die Figuren im Lauf der Geschichte immer weiter entfernen; aber dieser Zustand des idyllischen, friedlichen Zusammenlebens in klaren, familiär bestimmten Hierarchien von Schwarzen und Weißen ist sowohl in den Minstrel-Versionen von Uncle Tom als auch in Stowes Original der eigentliche Referenzpunkt für schwarzes Glück. So sind die familiarisierenden Anreden wie »Boy« oder »Fellow« für schwarze Männer und »Girl« oder »Child« für schwarze Frauen, Wörter, die mit der Bürgerrechtsbewegung zu Beleidigungen geworden sind, hier noch liebevolle und sorgende Kosenamen.12 Die Szenen friedlicher Gemeinschaft zwischen Schwarz und Weiß, die Stowe am Anfang des Buches beschreibt, sind geprägt von einem freundschaftlichen Eltern-Kinder-Verhältnis. Ein lächelndes Kopfschütteln der weißen Eltern über die Unvernunft, das kindische Verhalten, die harmlosen Launen und kleinen Exzentrizitäten ihrer schwarzen Adoptivkinder bestimmen das Bild. Mit dieser Idylle ist immer ein Double Bind assoziiert, eine halb tadelnde, halb amüsierte Sprache elterlicher Toleranz. Dies ist auch die bevorzugte Vorstellung des Minstrel vom südlichen Leben: Die Plantage als eine große, glückliche »Interracial Family«.13 »O Mr. Shelby«, klagt Mrs. Shelby, als der Verkauf ihrer Lieblingssklaven verhandelt wird, »I have tried – tried most faithfully, as a christian woman should – to do my duty to these poor, simple, dependent creatures. I have cared for them, instructed them, watched over them, and known all their little cares and joys, for years.«14 Das »caring« ist demnach eine moralische Pflicht, eine gute, christliche Tat, die man diesen schwachen, unterlegenen Kreaturen angedeihen lassen muss. Eine Plantage, in der ein solcher Geist dominiert, ist also ein guter Ort. Hier feiern dementsprechend auch die Minstrel-Schwarzen der Theaterbühnen ihre Slave Parties, singen, tanzen, erzählen Witze, spielen Sketche und lachen über ihr frohes, unbeschwertes Dasein. Die Liebe zu ihrem Heim, und zu »Master« und »Missus« generieren dabei als emotionalen Kontrapunkt noch eine andere Art von Szenen, nämlich dann, wenn

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die schwarzen »Old Uncles« und »Old Aunties« oder »Mommies« in sentimentalen Balladen ihre verstorbenen Herren beklagen, oder wenn umgekehrt, wie in dem von praktisch jeder Minstrel-Truppe dargebotenen Lied von »Old Uncle Ned«, der Herr um seinen treuen alten Sklaven trauert.15 Das ist das Maß an Leiden, das im Minstrel zugelassen ist, als Überbleibsel und sentimentalisierte Version von Uncle Toms Märtyrertod. Eine solche von Liebe, elterlicher Fürsorge und kindlicher Verspieltheit geprägte Welt der imaginären Südstaaten-Plantage muss der rauen, städtischen Welt des Nordens überlegen sein, einer Welt, in der jeder alle persönlichen Freiheiten genießt, in der das Individuum aber weit gehend auf sich selbst gestellt ist. Die Welt des Nordens, wie sie im Minstrel dargestellt wird, behütet nicht, und folglich stellt sie, gemäß dem TypenArsenal, ein ungünstiges Umfeld für den unselbständigen und beeinflussbaren Schwarzen dar. Die Vorstellung der Dekadenz, in die der entwurzelte Northern Negro abrutscht, wenn er sich aus der elterlichen Obhut seiner Herren im Süden hinausbegibt in die Städte des Nordens, zeigt sich in den komischen Figuren der Aristocratic Niggers, wie Count Julius Caesar Mars Napoleon Sinclair Brown, oder Dandy Jim, die im bunten Frack, mit aufgestelltem Kragen, Rüschenhemd, hohen Hüten und Handschuhen von einer Party zur nächsten gehen. Sie fallen in eitle Posen, reden in einem vermeintlich herrschaftlichen Jargon, so dass sie selbst den Sinn ihrer Worte nicht mehr verstehen, und nutzen jede Gelegenheit, sich pompös in Szene zu setzen. Sie sind eingebildet, faul, nichtsnutzig, größenwahnsinnig, verantwortungslos und unreif. Ihres vermeintlich authentischen Umfelds beraubt, werden sie dargestellt als ein völlig missratenes Abbild des feinen Gesellschaftsmenschen. Mit ihrem fehlgeleiteten Gehabe bekräftigen sie, dass Schwarze einfach nicht in den Norden gehören. Zugleich geben sie die Vorlage für das spätere Black Theater, mit seinem bunten Camp und seiner exzentrischen Ästhetik.16 In der Vorstellungswelt des Minstrel, und auch bei Stowe, bedarf der Schwarze also der liebevollen Belehrung und der sorgenden Aufmerksamkeit, wenn er nicht verkommen soll. Entsprechend wird Uncle Tom im Roman als ein Lernender eingeführt.17 Lernen und Erziehung sind, als die Einlösung weißer Verantwortung gegenüber den vermeintlich hilflosen Schwarzen, ein zentrales Motiv im Roman. Gütige, gebildete weiße Frauen nehmen sich der schwarzen Menschen an und machen es sich zur Aufgabe, sie aus ihrer »Wildheit« herauszuführen, und hinein in einen christlichen, gesitteten Lebensstil. Die Frauen setzen es sich zum Ziel, diese Menschen nicht mehr als Ware zu betrachten, sondern als Wesen, die ihnen von Gott übergeben wurden, mit der Aufgabe, sie erst ganz zu Menschen werden zu lassen. Eine christliche Aufgabe, an die sie ihre

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ganze Kreativität und ihre ganze Geduld verwenden. Die Menschwerdung fängt damit an, der Unvollkommenheit dieser »Rasse« ein unerschöpfliches Verständnis entgegenzubringen, dabei aber deren Begabungen und Möglichkeiten zu erkennen, wie auch ihre »Schönheit«, um sie auf dieser Grundlage schrittweise an ein zivilisiertes, selbstbestimmtes und freies Leben heranzuführen. In der Zeit nach dem Bürgerkrieg entsteht im Minstrel eine Stilrichtung, die sich genau dieses Grundgedankens bedient: Männer in Blackface treten in Burlesquen und Rührstücken auf und führen neben empfindsamen Liedern perfekte Manieren, eine geschliffene Sprache und eine makellose Garderobe nach neuester Mode vor. Ihr Gebaren ist weit entfernt von jeder Parodie. Es wird von den weißen Zuschauern als vorbildhaft gewertet und wie eine Schule des guten Benehmens aufgenommen. Die Darsteller »bewegen sich mit einer solchen Würde, Bescheidenheit und Verfeinerung, dass es wahrhaft Kunst ist.«18 Allerdings wird in diesen schwarzhäutigen Figurinen von Frömmigkeit und Sitte das Gegenbild immer mitgedacht. Das Klischee des Minstrel-Clowns verschwindet lediglich für einige Zeit in den Kulissen, um nach diesen hochkulturellen Einlagen wieder zum Lachobjekt zu werden. Dieser Kontrast der Vorstellungen lässt eine schwarze oder schwarz geschminkte Primadonna erst interessant werden. In den dressierten Anziehpuppen wird immer auch der Prozess der Individualisierung in seinem Verlauf sichtbar. Das mühevolle Arrangement der Frisur, der ideale Sitz des hoch geschlossenen Kleides, die eingeübt wirkenden, marionettenhaften Bewegungen sind Ausdruck eines Bemühens, die vermeintliche Wildheit zurückzudrängen und das vermeintlich Schwarze weiß werden zu lassen. Der theatralische Typus des Wilden ist hier in einer Welt angekommen, die ihn aufnimmt und verwandelt, indem sie ihn verkleidet – und dies so verblüffend, dass nur noch seine Hautfarbe an seinen Urzustand erinnert. Derselbe Effekt begleitet auch die Karrieren einiger schwarzer Sängerinnen gegen Ende des 19. Jahrhunderts, wie die der Sopranistin Elisabeth Taylor Greenfield, die gerade dadurch Erfolge feiert, dass sie den musikalischen und performativen Schwerpunkt nicht auf ihre Virtuosität legt, sondern auf ihre Schlichtheit und Religiosität, und dass sie ihre große Stimme nicht in brillanten Operettenarien vorführt, sondern sich der sängerisch anspruchsloseren Kirchenmusik widmet. Der Anspruch des »Klassischen« und die Ernsthaftigkeit werden hier ganz besonders hervorgehoben. Noch in den 1930er Jahren tritt Marian Anderson in hoch geschlossenen Kleidern auf, als eine Art schwarze Madonna, und singt, mit gefalteten Händen und geschlossenen Augen, vor dem Lincoln-Denkmal in Washington das Ave Maria. Die schwarze Sängerin wird inszeniert als ein Werk der weißen Kultur, der weißen Erziehung, der weißen Geduld, des weißen

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Pflichtbewusstseins. Die Individualisierung des Vormenschen scheint geglückt. Wichtig ist, dass sich der Prozess der Individualisierung ist in dieser Tradition immer als zweischneidig darstellt. Ständig droht der Rückfall – die Wildheit scheint dem Schwarzen als ererbte Eigenschaft innezuwohnen. Seine Menschwerdung ist im Minstrel und in den davon abgeleiteten Formen niemals abgeschlossen – sie ist, wenn überhaupt, ein flüchtiger Zustand des Einsehens, meistens aber nichts weiter als das Spektakel der Zivilisation, ein durch Drill und straffe Führung erzwungenes Trugbild, auch ein theatralischer Effekt, wie etwa bei den Uniformed Routines, den Paraden des späteren Minstrel, mit Marschformationen wie den Georgia Brigadiers und den Skidmore Guards.19 Der Reiz dieser speziellen Tradition besteht darin, dass gerade die Paraphrasierung und die daraus sich ergebende Respektlosigkeit gegenüber der militärischen Institution den Show-Aspekt der militärischen Rituale besonders wirkungsvoll hervorhebt und dabei die vertrauten Implikationen des Minstrel-Negro als eines prinzipiell undisziplinierten, also dressurbedürftigen Wesens noch bekräftigt. Diese Idee der Dressur und der Schein-Individualisierung macht die Dialektik aus perfekter Disziplinierung und Vor-Menschlichkeit deutlich. Hier wird die Idylle der Sweet Sweetness, der Friede der Interracial Family bereits wieder prekär, und der Typus des Minstrel-Schwarzen wird in seiner Kindhaftigkeit bereichert um den Aspekt einer Unkontrollierbarkeit und Monstrosität. In den frivolen Tänzen des amerikanischen Tanzbooms der zwanziger Jahre, dem Shuffle, dem Cakewalk, den verschiedenen Tiertänzen wie Turkey Trot, Grizzly Bear, Bunny Hug, und schließlich dem Charleston, bricht aus der Dressur wieder die Wildheit hervor. Das Broadway-Musical Shuffle Along ist dabei entscheidender Vermittler zwischen schwarzen Tanzhallen und einem weißen Publikum. Josephine Baker und Florence Mills haben in diesem Musical ihr Debüt gegeben. Beide haben die Kombination aus Niedlichkeit, Demut und exotischer Groteske in ihre Show eingeführt. Florence Mills beschreibt sich selbst in einem melancholischen Gesang als einen »Little blue bird, looking for a blue bird too«, mit dem gesamten mimischen und gestischen Repertoire einer verliebten Teenagerin, ist aber auf ihren Pin-ups schielend und mit einem Katzenbuckel zu sehen. Josephine Baker bringt die Performance der hyperaktiven, verzogenen exotischen Göre nach Europa. Sie verbindet den Glamour von Straußenfedern und Leopardenfellen mit einem Tanz, der aussieht wie ein Handgemenge, mit Grimassenschneiden, Buckeln und Verbiegen, mit Gesten, die weit entfernt sind vom Mythos der schönen – weil authentischen – Exotin. Sie signalisiert eine infantile Respektlosigkeit gegenüber den Idealen des harmonisierten

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Körpers, der mit seiner sozialen Umwelt im Einklang steht. Sie besitzt kein Zentrum, schleudert ihre Glieder weit von sich. Sie hat die Seele einer Maschine. Jeder Ausdruck den Gelenke und Gesichtsmuskeln formen können wird auch möglich. Das dressierte Individuum kann alles. Es wird beängstigend, monströs.

2. Aufblasen und Anschwellen Der Kunst-Körper des Blackface Comedian wird im frühen Minstrel als ein deformierter Körper dargestellt. Die Gliedmaßen sind zu lang, die Hände und Füße zu groß, das Gesäß schwillt bedrohlich in die Landschaft hinein, genauso wie die wulstigen Lippen und die aus den Höhlen tretenden Augen. Dieser Minstrel-Körper hat in seiner Künstlichkeit erweiterte Möglichkeiten der Bewegung – er scheint dünnere Knochen zu besitzen, ist biegsam, elastisch, dehnbar. Seine Bewegungen sind unmenschlich oder vor-menschlich. So wie der dressierte Geist des Schwarzen in dieser Imagination keine echte Verankerung besitzt, ohne Zentrum bleibt, und ohne absolute Richtlinie für Denken und Handeln, genauso scheint auch dem schwarzen Show-Körper des Minstrel ein Knochengerüst zu fehlen, das die natürliche, angemessene Bewegung vorschreibt und maßvolle Proportionen gewährleistet. Dem Wachstum scheinen keine natürlichen Grenzen gesetzt, der Körper schwillt an, bläst sich auf, verbiegt sich in polymorphen Tänzen. Mit solchen Körperbildern wird im Minstrel des Südens die misslungene oder unmögliche Individualisierung sichtbar gemacht. Minstrel-Schwarze beschreiben in komischen Monologen ihre Traumfrauen mit Füßen, die so groß sind, dass sie den ganzen Gehsteig bedecken, und mit Lippen, die ein Liebhaber nicht auf einmal küssen kann, sondern nur in kleinen Abschnitten.20 Die unmenschliche Dysplasie wird damit zugleich in die Nähe der Erotik gerückt. Gerade die grotesken Merkmale des Minstrel-Körpers ziehen das jeweils andere Geschlecht besonders an. Dem überdimensional angeschwollenen Körper entspricht eine übertriebene, animalische Sexualität. Der schwarze Mann kann immer, er hat traditionell das längste Geschlechtsteil und nimmt alles, was sich bewegt, seien es Frauen, Männer, Mitglieder der eigenen Familie oder notfalls auch Tiere, als Sexualobjekte. Auffällig ist, dass dieses Körperbild nicht nur von den weißen, sondern auch von den schwarzen Minstrel-Darstellern übernommen, umgedeutet und zu Subtypen weiterentwickelt wurde, die nicht mehr rassistisch bestimmt waren und somit auch nicht mehr ausschließlich einem weißen Blick unterlagen. Dem schwarzen Minstrel lag zunächst nicht daran, die Typen und Verhaltensmuster, auf denen der Minstrel basierte,

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zu revidieren. Primär ging es darum, sich in einem Geschäft zu etablieren, das zwar weiß dominiert war, das aber mit dem Ende des Bürgerkrieges immer öfter nach dem »Genuine Article«21 verlangte. Schwarze Minstrel-Darsteller waren gegen Ende des 19. Jahrhunderts, nachdem das Format den Zenit seiner Popularität bereits überschritten hatte, ein beliebtes Werbemittel für neu gegründete Truppen, oder für solche, die sich durch einen wachsenden Konkurrenzdruck in der Krise befanden. Es wurde mit einer vorgeblichen Authentizität geworben, die vorher nie als entscheidend angesehen wurde, die aber nun eine besondere Attraktion darstellte. Man sollte und wollte den Schwarzen nicht mehr nur in einer Karikatur sehen, sondern ihn als ein biologisches, psychisches, soziales Phänomen in seiner vermeintlich unverstellten Gegenwärtigkeit erleben. Die Suche nach einer Authentizität hatte ihren Höhepunkt in musealen Inszenierungen, wie dem Nachbau einer Südstaatenplantage in Brooklyn durch Nat Salisbury, den vormaligen Manager der Buffalo Bill Cody Show, in der das schwarze Leben wie in einem großen Themenpark nachgestellt wurde, mit Aufsehern, Bluthunden und Sklaven bei der Arbeit. Obwohl mit dem unbezweifelbaren Realismus geworben wurde, und mit dem Versprechen, dass jeder schwarze Darsteller, der auch nur das geringste Anzeichen von Spiel und Affektiertheit zeige, sofort entlassen würde, folgte auch dieses Spektakel einer Dramaturgie, nach der die Sklaven abends beim Tanzen und Musizieren beobachtet werden konnten. Als Finale wurde ein großer Karren mit Melonen herangefahren, auf den sich die Schwarzen stürzten wie Tiere, in einem »natürlichen und unkontrollierten Ausbruch«, um die Früchte völlig selbstvergessen zu verschlingen.22 Solche Szenen hatten den gleichen Anstrich von Künstlichkeit und Stilisierung, der die Minstrel Show schon in ihren Anfängen von spezifischen Kontextualisierungen abgekoppelt und somit unabhängig von sozialen Grenzziehungen genussfähig gemacht hat. Die Animalität bestimmt die schwarze Minstrel-Show genauso wie die weiße. Sie wird von schwarzen Minstrel-Darstellern oft erst auf die Spitze getrieben: Der schwarze Comedian Bob Mack tourt in den 70er und 80er Jahren des 19. Jahrhunderts mit seiner Hen Convention, in der er selbst als ein bunt geschmückter Gockel auftritt und Lieder von seiner unglaublichen Potenz singt. Billy Kersands macht aus der Größe seines Mundes das zentrale Element seiner Show. Er kann mehrere Billard-Bälle und eine Kaffeetasse mitsamt Unterteller darin verschwinden lassen.23 Der Körper wird nicht mehr karikiert, sondern in seiner »tatsächlichen« Monstrosität ausgestellt, und ein dramaturgisches Anliegen ist, zu zeigen, dass alles »echt« ist. Das Bild vom alles verschlingenden schwarzen Mund enthält auch eine soziale Anspielung. Dieser Schwarze frisst ausgerechnet die

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Ausstattungsstücke und Sinnbilder weißer Kultur und Geselligkeit. Darin erinnert er an den Kammerdiener Adolphe aus Uncle Tom’s Cabin, der seinem Herrn ebenfalls die Haare vom Kopf frisst, indem er sich während dessen Abwesenheit aus seinem Kleiderschrank mit feinen Anzügen und Accessoires versorgt. Dieses Motiv des ausgebeuteten Herren taucht auch im späteren Minstrel auf, in Form des Colored Fancy Ball, in dem die Sklaven der Plantage sich in das Haus ihrer verreisten Besitzer einschleichen, um dort mit »geliehener« Ausstattung eine rauschende Feier zu veranstalten.24 Im häuslichen Bereich hat die Dienerschaft die Tendenz, nicht nur Hand an den Besitz ihrer Herren zu legen, sondern auch, deren Haushalts- und Lebensführung mit einem teils liebevollen, teils tyrannischen Autoritätsanspruch zu beeinflussen. Der Typus des tyrannischen Dieners gehört spätestens seit dem 18. Jahrhundert zu den klassischen komödiantischen Typen.25 Die Figuren der Saucy Servants geben aber dem alten Typus ein neues Gesicht. Sie regieren in der Küche, deren Arsenal an Geräten und Geheimrezepten ihnen eine magische Aura verleiht, oder sie sind Vertraute speziell der »jungen Herrschaften«, die ihnen ihren Liebeskummer anvertrauen, und auf die sie, oft entgegen dem Willen der Eltern, einwirken. Sie verbinden, wie Aunt Cloe in Uncle Tom’s Cabin oder Haddy McDaniel in Gone With The Wind,26 eine kindliche Naivität, die Wahrheit spricht und böses Schicksal intuitiv ahnen kann, mit einer mütterliche Strenge, die sie zum Prototyp der Domestic Goddesses macht, die zur Jahrtausendwende immer noch in den Papp-Interieurs der Soap Operas regieren. Bei einigen driftet dieses Machtbewusstsein in Richtung einer boshaften Verweigerungshaltung, so auch bei Louise Beavers: In der Beulah Show aus den 1940er Jahren spielt sie eine Haushälterin, die ihre aggressive Dummheit zur Waffe macht, und mit ihrer antikommunikativen Taktik, entweder alles falsch zu verstehen, oder die Anweisungen ihrer Arbeitgeberin »aus persönlichen Gründen« nicht zu befolgen, den gesamten Haushalt lahm legt. Was hier vorgeführt wird ist die unaufhaltsame Unordnung, die sich immer dann einstellt, wenn nicht genug Energie in die Aufrechterhaltung eindeutiger Machtstrukturen gesteckt wird. Das Herr-Knecht-Verhältnis, das hier gezeigt wird, ist nicht zukunftsfähig, da es sich nicht in Richtung einer Emanzipation, sondern in Richtung einer bloßen Umkehr der Rollen und einer vollständigen Kompetenzverwirrung entwickelt. Die weiße Perspektive schüttelt den Kopf und sagt (lächelnd), dass man die Schwarzen an ihren Platz verweisen muss, weil sonst aus den geborenen Dienern verzogene Tyrannen werden. Die schwarzen Stereotypien, die sich vom Minstrel herleiten, werden von Anfang an auch von schwarzen Zuschauern genossen. Nach dem En-

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de des Bürgerkriegs, als schwarze Künstler die Parts übernehmen und weiterentwickeln, öffnet sich der Minstrel an bestimmten urbanen Spielstätten auch einem ausschließlich schwarzen Publikum. Hier werden dieselben Darsteller mit denselben Negro-Routines gefeiert, die bei anderer Gelegenheit einem weißen Publikum vorgeführt werden. In einer Geste

Der Coloured Fancy Ball.

der Überaffirmation werden auch hier alle Klischees des verformten Körpers, der übersteigerten Sexualität und Animalität umarmt und belacht. Und obwohl in den kleinen mittelständischen Kreisen der Schwarzen der Minstrel als ein Medium der Diskriminierung und Verhöhnung abgelehnt wird, erlebt er in den 1890er Jahren gerade bei der schwarzen Bevölkerung der Großstädte einen zweiten Höhepunkt seiner Popularität, bereichert um ein subtiles Ingroup-Bewusstsein, das die Klischees als Klischees genießt, und sie dadurch umfunktionieren kann. So können die-

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selben Wörter und Aktionen für ein ländliches weißes Publikum, für das schwarze Bürgertum und für Angehörige der schwarzen städtischen Subkultur jeweils sehr unterschiedliche Bedeutungen gewinnen.27 Auf der einen Seite werden die Stereotypien akzeptiert und in ein kulturelles Bewusstsein eingebunden, auf der anderen Seite wird in der Überaffirmation rassistischer Klischees ein Mechanismus gefunden, der die negative Attribute wie Faulheit, Dummheit, Körpergeruch, übertriebene Sexualität und die Nähe zum Tier in positive Eigenschaften umdeuten kann.28 Roger D. Abrahams beschreibt ausführlich diese Doppeldeutigkeit – oder Gegendeutigkeit, indem er eine ganze Sammlung von beliebten Witzen und Geschichten der Black Communities anführt. Ähnlich wie bei Louise Beavers erhalten die Klischees besonders im Sex eine aggressive Tendenz und sind in der Lage, die etablierten Hierarchien von Schwarz und Weiß aufzulösen. »A man put up a sign outside his farm offering a reward of one-hundred dollars to anyone who could make his alligator reach a climax. Three men came to try. They were a white man, a Mexican, and a Negro. The white man went in and stayed for fifteen minutes. He came out all tired and ragged. The score sheet reported: ›Man – one climax. Alligator – none.‹ The Mexican went in. He stayed for one hour. He came out haggard and disheveled. The score sheet read: ›Man – four climaxes. Alligator – none.‹ The Negro went in. He stayed two hours, three hours, twelve hours, a day, a week, two weeks. He came out neet as a pin, cool, calm, and collected. The score sheet read: ›Man – fifteen climaxes. Alligator – dead.‹«29

Der Weiße macht sich lächerlich und geht geschändet, mit zerrissenen Kleidern weg. Der Mexikaner, halb-schwarz, schafft es immerhin, innerhalb von einer Stunde vier Mal zu kommen. Aber nur der Schwarze erfüllt den Job, mehr als das: er ist dem Alligator sexuell überlegen, ist tierischer als das Tier selbst und bringt es durch seine Potenz zu Tode. Seine Sexualität wird zur Waffe, nicht nur gegen das Tier, sondern auch gegen das ganze (weiße) Konzept des Preisausschreibens, in dessen Interesse es sicher nicht lag, den Alligator umzubringen. Der Schwarze schießt über das erwartete Ziel noch hinaus – und damit über sein eigenes weiß vermitteltes Rollenklischee. Er ist der einzige, der aus dem menschlichtierischen Techtelmechtel unversehrt hervorgeht, und um hundert Dollar reicher. Die schwarzen Männer ihrerseits beugen sich gemäß der theatralen Tradition, und dies trotz ihrer tierhaften sexuellen Überlegenheit und Kraft, einem übermächtigen Matriarchat, das sich in seinen Grundzügen von den Frauenrollen des späteren Minstrel bis zu den handgreiflichen

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Müttern und Flintenweibern aus Soap, Stand-up und Talkshow wie Roseanne Barr und Oprah Winfrey überliefert hat. Die Domestic Goddesses in ihrer subkulturellen Ausführung sind brutal, sie unterdrücken, dirigieren und kontrollieren, ebenfalls durch ihre sexuelle Unersättlichkeit, in der sie ihre Männer noch weit übertreffen. Die Sweetness der Sweet Mama ist, wie der ausufernde Sex beim schwarzen Mann, eine ambivalente Sache. Ihre Süßigkeit beruht zur Hälfte auf der Verehrung, die sie genießt, zur anderen Hälfte auf der Angst, die sie einflößt, und die bei ihren männlichen Gegenparts besänftigende Worte notwendig macht. In ihrem Gang, ihrer Gestik und ihrer rauen Stimme bringt sie ihre Schwergewichtigkeit zur Geltung. Ihr hüftsteifer Humpelgang, bei dem sie eine Hand ins schmerzende Kreuz pressen muss, betont sowohl ihre körperliche Einschränkung, bedingt durch ein hartes Leben und schwere körperliche Arbeit, als auch ihre Unaufhaltsamkeit und unbezweifelbare Präsenz. Der schmerzende Körper fackelt nicht lange; er walzt mit der Trägheit eines Dampfschiffs alles nieder, was ihm im Weg steht. Die Sweet Mama ist eine körperliche Bedrohung für jeden, der sich ihrer Herrschaft nicht beugt. Ihre Erzählungen und Songs drehen sich um Geld, Wohnung, Kinder und Liebhaber, und vor allem um ihren Idioten von Mann, der alles vermasselt. Die beherrschende Geste ihres Vortrags ist das Sulking – ein Raum greifendes, unübersehbares Eingeschnapptsein. Mit Fransen, Federboas, aufwendig toupiertem Haar und Kopfschmuck plustert sie sich auf wie ein Pfau und macht sich noch größer als sie ohnehin schon ist. Die gestopfte Trompete, die ihre Auf- und Abgänge begleitet, vertont den inneren Druck, den sie benötigt, um den wuchtigen Körper zu manövrieren und zum Klingen zu bringen.30 In den 1930er Jahren wird das Apollo Theater in Harlem zum Stützpunkt einer schwarzen Solo-Comedy, die sich, wie wir gesehen haben, ebenfalls von den Formen des Minstrel herleitet, dort aber ausschließlich einem schwarzen Publikum präsentiert wird. Moms Mabley und »Sweet Papa« Pigmeat Markham sind schwarze Stars, die über lange Zeit ausschließlich diesem Publikum bekannt sind. Während sie den weißen Zuschauern des Vaudeville nicht einmal dem Namen nach geläufig sind, werden sie an den schwarzen Bühnen in New York, San Francisco und New Orleans wie Heilige verehrt. Ihre Routines bieten eine verschärfte Form elterlicher Hybris, die geneigt ist, alle Weltphänomene aus ihrer eingeschränkten, gnadenlos liebevollen Perspektive heraus zu erklären und zu organisieren. Moms Mabley hat in ihrem Stand-up den Typ der Lehrerin und Übermutter entscheidend geprägt. Sie bezeichnet ihre Zuschauer als »My Children«, beugt sich lächelnd von der Rampe, um sie direkt anzusprechen, gibt ihnen Kosenamen wie »Honey«, »Sweetie«, und stellt ihre eigene, absolut überlegene Position von Anfang an klar,

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indem sie von sich selbst nur in der dritten Person, als »Moms« oder »Mama« spricht. Von diesem Thron herab bringt sie ihren Kindern bei, was es über Männer, Frauen, das Leben, die Liebe, Gott und Richard Nixon zu wissen gibt. Auch dessen politische Ränke löst sie im Handstreich, wenn sie seufzt: »Even Old Moms couldn’t do nothin’ for that man – except give him a few licks upside the head.«31 Die Weltpolitik hat sich dem Blickwinkel ihrer Schaukelstuhl-Welt anzupassen, wenn sie erzählt, wie sie im Oval Office mit diesen »jungen Bengeln« und ihren gefährlichen Spielsachen verfahren würde. Ihre ausufernde Mütterlichkeit steigert sich bis zu der Aussage, dass es auf der Welt nicht einen Menschen gebe, den sie nicht liebe. Eine solche universelle Liebe, die sonst nur Gott für sich in Anspruch nimmt, verheißt nicht unbedingt Gutes. Sie hat immer auch einen bedrohlichen Klang, weil sie zur Tat greift, in die Pflicht nimmt, manipuliert, vergewaltigt. Weil ihr nichts gewachsen ist, weil nichts größer sein kann – größer sein darf, als sie. Als Sammy Davis Junior Ende der sechziger Jahre in NBC’s Laugh In Pigmeat Markhams Slogan »Here Come the Judge« zitiert und einem weißen Mainstream-Publikum zugänglich macht, ist die zugehörige Nummer schon vierzig Jahre alt, und gehört ebenso lange zum Standardvokabular der Black Comedy. Pigmeats Judge ist ein selbstherrlicher Richter, der das Gesetz jeweils so auslegt und praktiziert, wie es ihm seine momentane Laune eingibt. Er macht sich selbst und seine richterliche Autorität zum einzig legitimen Referenzpunkt des Rechtssystems und duldet alle anderen Instanzen, wie Zeugen, Geschworene, Gerichtsdiener und Angeklagte nur als eine Art Chorus von Stichwortgebern, der für seine selbstherrliche Rechtsprechung die atmosphärische Kulisse liefert. Dabei paraphrasiert er ein von ihm schon halb vergessenes juristisches Ritual und spricht völlig unvorhersehbare und willkürliche Strafen aus, bis der Prozess außer Kontrolle gerät. Die Verteidiger, weiße Straight Men, haben keine Chance, argumentativ zu ihm durchzudringen, denn er ist Richter, und seine Aufgabe ist das Verurteilen. Also verurteilt er. Er wechselt zwischen Worten des Wohlwollens, wenn er die Anwesenden mit »Son« und »Daughter« anspricht und sich herbeilässt, mit dem Angeklagten um ihr Strafmaß zu feilschen, und einer Sprache der Selbstvergötterung, wenn er droht und sich groß macht wie ein Riese, der mit Insekten spielt: »I’ll set the jail on top of you for that!«32 Die einzige Konstante in seinem Verhalten ist der ständige Verweis darauf, dass er zu allem das letzte Wort hat. »The judge is high as a Georgia pine! Everybody is going to jail today! And to show you I don’t mean nobody no good this morning I’m giving myself six

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DESPOTEN AUF DER BÜHNE months. And if I’m gonna do six months, district attorney, you can imagine what you’re gonna do.«33

Solcher Art sind seine verbalen Ausbrüche, die den Gerichtssaal in eine Unordnung stürzen, in der alle durcheinander schreien, in der aus der vorgeschriebenen Anrede »Your Honor« »You Or’nary« wird, in der schließlich Schüsse fallen, aber ohne dass irgendjemand zu Schaden kommt. Die Willkür des Richters schwenkt um in ein familiäres Durcheinander, in dem jeder schuldig ist, und in dem entsprechend auch jeder machen kann, was er will, weil alles ohne Konsequenzen bleibt. Das Spiel um die Macht hat letztlich einen integrativen Tenor. Das Chaos der Rechtsverdrehung macht alle gleich. »Moms« Mabley und »Papa« Pigmeat lassen ihre obszöne Machtergreifung zurück ins Kinderzimmer kollabieren, in dem kleine Menschen harmlos durcheinander purzeln. Nach der Anspannung, dem Aufplustern, dem Niederreden, nach den Verbiegungen und Rechtsbeugungen, in denen der schwarze Despot sich zum Weltherrscher krönt, kommt die große Entspannung in einer Vergeblichkeit und Folgenlosigkeit, die alles in sich einschließt. Nach der Selbstüberhöhung folgt der Absturz. Diese dynamische Opposition von Up und Down bestimmt die Logik der Black Comedy seit ihren Anfängen. Die familiären Machtstrukturen zwischen Eltern und Kindern werden benutzt, um der Dramaturgie von Aufstieg und Fall eine komische, entspannende und genussfähige Wendung zu geben, damit die Härte des Machtspektakels »süß« werden kann. »Sweet Mama« ist zugleich liebende Mutter und Ungeheuer, »Sweet Papa« ist zugleich Despot und dummes Baby. Die Dramaturgie des Up-and-Down macht beide später auch für ein weißes Publikum rezipierbar. Die große integrative Geste der verrückten Familie lässt sich sozusagen von beiden Seiten her verstehen, verträgt sich sowohl mit einer subalternen, als auch mit einer jovialen Perspektive. In diesen Kontext gehört später, seit den Sechzigern auch der schwarze Entertainer Bill Cosby, der sich bereits lange vor dem Start seiner Familienserie als Stand-up Comedian auf den integrativen Humor über Mann und Frau, Familie und Kindheit spezialisiert hat. Cosby macht die Erforschung der alle sozialen Schranken überbrückenden Gemeinsamkeiten zu seinem Programm. Seine ersten Comedy-Platten aus den Jahren 1963 und 1964, Bill Cosby is a Very Funny Fellow und I Started Out as a Child34, tragen dieses Programm schon im Titel, denn Kinder waren »wir alle« einmal, und Mitmenschen – fellow men – sind auch »wir«, insofern als wir alle ähnlichen Lebensbedingungen unterworfen sind. Bill Cosby sieht sich selbst weniger als den Vertreter einer Minderheit oder einer sozial bzw. rassistisch determinierten Gruppe, sondern zunächst einmal als ein Mitglied der großen Menschenfamilie. Seine be-

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rühmteste Stand-up-Nummer ist die Geschichte Noah and the Arc, in der sich alle Lebewesen der Erde in einem Boot versammeln, um sich bei allen Differenzen trotzdem einträchtig über die Sintflut zu retten. Cosbys erzählerische Werkzeuge sind die Impressions, kurze Imitationen von Tieren, Personen oder auch personifizierten Gegenständen, die innerhalb von Sekundenbruchteilen ein Wiedererkennen auslösen. Auf diese Weise erzeugt er einen ganzen Zirkus von Lebewesen, die in kleinen Interaktionen die Konflikte ihrer Unterschiedlichkeit erfolgreich und humorvoll lösen. Die Arche Noah ist das Boot in dem »wir alle« sitzen, und das Funktionsprinzip seiner Show. Dies betrifft auch eine gemeinsame Schule des Sehens, die er in langen Sequenzen über Kino und Fernsehen aufruft, eine Art der Welterfahrung, die wir ebenfalls über gesellschaftliche Schranken hinaus zu teilen aufgerufen sind. Sein Polit-Talk funktioniert in dieser Grundharmonie nach dem Prinzip kleiner Einstreuungen. Im gleichen Laid Back, mit dem er seinen Familien-Humor präsentiert, erzählt er die Geschichte, wie er als Kind beim Gocart-Fahren in einer weißen Nachbarschaft beinahe von Polizisten erschossen worden wäre.35 Solche Passagen wirken wie Erinnerungen an eine finstere, längst vergangene Zeit, über die man jetzt, in neuer Gemeinschaft, gemeinsam die Köpfe schüttelt. Aber auch in Cosbys Performance lauert das Monster der Show. Die Kindheit ist angefüllt mit Horror-Gestalten, die hinter dem Treppenabsatz, im Keller, im verlassenen Garten in der Nähe des elterlichen Hauses lauern. Die Mumie, Frankensteins Monster und der Wolfman sind Bestandteile seines kindlichen Zirkus und haben kurze, groteske, hochenergetische Ausbrüche, die einen Schatten über die Kinderwelt werfen, von dem man ahnt, dass er ohne die sichere Distanz des Erwachsenseins grauenvoll wäre. Auch in der Sweetness seiner Show ist beides angelegt, sowohl die Harmlosigkeit und Integrationsfähigkeit des Kindes als auch die verschlingende Kraft des Monsters. »This is the story of a chickenheart that ate up New York City.«36 Die Wildheit des Show-Menschen und seine Monstrosität als die andere Seite seines fragwürdigen Menschseins erhält jetzt neben dem komischen noch einen unheimlichen Aspekt, der ihm zusätzliche Präsenz verleiht.

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3. Horrorkinder

»Das wichtigste im Leben ist die Freundlichkeit« (H.W. Henze – El Cimarrón/Der Aufstand) »If I am guilty of anything, it is of loving children of all ages and races, it is of enjoying through them the childhood that I missed myself.« (Michael Jackson – Fernsehansprache) »There’s no escaping the jaws of the alien this time.« (Michael Jackson – Thriller)

Ich habe bisher die Sweetness als ein ambivalentes Attribut der charismatischen Präsenz des Show-Menschen beschrieben, habe gezeigt, wie in den Anfängen der Show die Süßigkeit, die Sweet Sweetness, durch die imaginierte Nähe des Show-Menschen zu dem teilsozialisierten Wesen, dem Kind oder dem dressierten Tier erzeugt wird. Ich habe weiter dargestellt, welches die Punkte sind, an denen diese Süßigkeit sich in der Vorstellungswelt des Minstrel mit dem Unheimlichen, Fremden, Monströsen verbindet, nämlich im Motiv der gescheiterten Dressur, und in den Figuren der Saucy Servants, der Domestic Goddesses, der Sweet Mamas und Sweet Papas. Ich werde nun diese Tendenz noch einen Moment weiter verfolgen, sowohl in Richtung zeitgenössischer Ausprägungen der genannten Implikationen, als auch in Richtung von deren Übersteigerung in einer theatralischen Monstrosität, die Bezüge zu einem Konzept des Abjekten herstellt.37 In den Horrorfilmen der 1980er Jahre sind die Opfer und Katalysatoren der Handlung nicht mehr unternehmungslustige Teenager, die gerade ihre Sexualität entdecken und dafür von entlaufenen Häftlingen und mordenden Psychopathen bestraft werden, sondern Kleinkinder im Alter zwischen vier und acht Jahren, die nichts ahnend in ihrer Spielzeugwelt leben, von der sie allerdings direkt hineingeführt werden in das Reich des Bösen. In Tobe Hoopers Poltergeist38 von 1982 wird die kleine Carol Anne in die Geisterwelt entführt und kann erst durch ein Medium, die piepsige Liliputanerin Tangina, in einer Art Rebirthing-Ritual unter gewaltigem Ausstoß von Ektoplasma, von dort zurückgeholt werden. In Stephen Kings Pet Sematary39 wird der vierjährige Sohn der Familie Creed beim Spielen auf der Straße von einem LKW überfahren. Der verzweifelte Vater begräbt den Jungen an einem magischen Ort, von wo dieser wenige Tage später zurückkehrt und mordend durch den kleinen Ort

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zieht, ohne selbst zu begreifen, was er da eigentlich tut. »Spiel mit mir! Spiel mit mir!«, sind die letzten Worte, die der alte Nachbar der Creeds hört, bevor ihm das Kind mit einem Lausbubenlachen die Achillesfersen durchschneidet. In den verschiedenen Ausführungen des Puppenhorror, wie der Gremlin-Serie40 und den Critters41 werden Kinderspielzeuge von einem bösen Geist beseelt und verwandeln sich in lebensbedrohliche, scharfzähnige Monster. In Child’s Play42 transferiert ein Voodoo-Fluch die Seele des Serienkillers Charles Lee Ray in eine Kinderpuppe, die eine nichts ahnende Mutter ihrem Sohn zum Geburtstag schenkt... John Carpenters chromatisches Klavier-Ostinato aus Halloween43 bildet in verschiedenen Abwandlungen den musikalischen Hintergrund zu diesen Szenarios, hier allerdings auf Glockenspielen und Kinder-Xylophonen gespielt. Seitdem steht die Metaphysik des Horror-Genres in enger Verbindung mit der Selbstvergessenheit des vermeintlich unschuldigen Kindes. Das Kind hat in dieser Vorstellung einen unvoreingenommenen Bezug zu der jenseitigen Welt, welche die erwachsene Vernunft ablehnt und bekämpft, und es wird hierdurch ein beeinflussbares, verführbares Opfer der Geisterwelt, und deren gnadenloser Vollstrecker im Diesseits. Das Tun dieser Horrorkinder ist unaufhaltsam, weil es über sich selbst noch nichts weiß, weil es noch nicht in einen Kontext zivilisatorischer Verhaltensnormen eingebunden wurde, und weil es deshalb taub ist für Moral oder Vernunft. Die Kinder und die Wilden können in Voodoo-Zauber und Indianerkult geheime Verbindungen miteinander eingehen44, weil sie beide in Geistesregionen denken und empfinden, die jenseits der westlichen Kultur liegen. Sie sind anfällig für das Irrationale. Im Irrationalen entziehen sie sich dem Zugriff und werden zu einer unbestimmten Bedrohung. Die Motivik der Horrorkinder ist viel älter als das Filmgenre, und auch sie stellt Bezüge zur imaginierten Fremdkultur der afrikanischen Sklaven in den USA her. Auch hierin bietet Stowes Roman die entscheidenden Vorlagen für eine entsprechende Tradition des Minstrel, des Entertainment und schließlich des Horror, wobei Stowe sich ihrerseits aus dem Repertoire der Schauerromantik bedient. Bei ihr wird der kindliche Uncle Tom zum Schluss auch mit einem Nimbus des Unheimlichen, Metaphysischen und Irrationalen versehen. Der materialistische Großgrundbesitzer Simon Legree, der seine Plantage nach rein wirtschaftlichen Kriterien führt, und der in seinen Arbeitern nur Stückgut sieht, das jederzeit ersetzt werden kann, ausgerechnet dieser Rationalist ist befangen von einer heimlichen Angst gegenüber seinen schwarzen Sklaven. Er verdächtigt sie der Zauberei und vermutet in jedem Zeichen ihrer Stärke die Wirkung geheimer magischer Kräfte, die sich gegen ihn richten könnten. Seine persönliche Sklavin Cassy fürchtet er wie eine Hexe, und er spricht

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ihr die Kraft und den Willen zu, unter den Sklaven eine Verschwörung gegen ihn anzuzetteln, in der Form eines bösen Zaubers, dem er wehrlos ausgesetzt wäre. Er fürchtet nichts mehr als den Einbruch des Irrationalen in seine ökonomische Welt. Das große Sumpfgebiet, das seine Plantage umgibt, ist zum einen der triumphierende Beweis dafür, wie der kargen Landschaft ein Stück Boden abgetrotzt wurde, zum anderen bezeichnet es die Präsenz der wilden, ungreifbaren Natur, der weichen Materie, in der man versinkt, und die das denkende, planende, handelnde Individuum auf nimmer Wiedersehen verschwinden lässt. So fürchtet Simon Legree auch Uncle Tom, der ihm in seiner ganzen Sanftmut die Stirn bietet, sich sogar für unzerstörbar erklärt. Legrees unbedingter Wille, Uncle Tom zu vernichten, entsteht nicht aus der Willkür eines Tyrannen, sondern aus der Angst vor der schwarzen Magie, vor einem Bund mit dem Amorphen, den er hinter dessen kindlicher, treuherziger Religiosität vermutet. In der wütenden Konsequenz, mit der er seinen besten Sklaven zu Tode peitscht, steckt die verzweifelte Suche nach der Bestätigung seines eigenen rationalen Prinzips, und der Wille, die Metaphysik, von der er sich bedroht sieht, mit Hilfe einer diesseitigen körperlichen Gewalt zu zerstören. Seine Angst wird Legree schließlich zum Verhängnis, als es zwei Sklavinnen durch eine aufwendig inszenierte Täuschung gelingt, von der Plantage zu entkommen, scheinbar durch das Moor, das bisher noch niemand überqueren konnte. Legrees metaphysische Furcht erfüllt sich vollständig, als die entflohenen Sklavinnen ihrem Herrn als Geister erscheinen und ihn zu Tode erschrecken. Lebendige Menschen werden unauffindbar, sinken zurück in einen vor-individuellen Zustand, in den Sumpf, der sie verbirgt und als Wiedergänger auf ihn losschickt. Der Schwarze – als Wilder, als Kind – kann aus diesem Sumpf heraus Gestalt annehmen, und er kann auch wieder im Sumpf verschwinden, wie es ihm beliebt. Er steht mit allen Kräften der undurchdringlichen Natur im Bunde, er ist ein »Spook«45, ein kindlicher Geist, der über Kräfte verfügt, die dem kultivierten, rationalisierten Menschen abhandengekommen sind und die dieser nun fürchten muss. (Die Comic-Serie The Swamp Thing von Len Wein und Berni Wrightson bringt diese alte Vorstellung eines VorMenschen aus dem Sumpf auf den Punkt.46 Als Alan Moore mit The Saga of the Swamp Thing die Serie übernimmt, macht er eine sehr bezeichnende Umdeutung des Plot: Das »Ding aus dem Moor« ist nicht mehr wie bisher ein zur pflanzlichen Lebensform mutierter Mensch, sondern ein Stück Sumpf, ein Konglomerat aus Pflanzen, das durch irgendein abnormes energetisches Ereignis ein Bewusstsein erlangt hat und nun Mensch sein will. »There is a delicious ambiguity looking up through his eyes.«47)

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Die zweifelhafte Individualität des kindlichen Wilden, und seine damit verbundene Unzerstörbarkeit, sind die wunden Punkte in dieser theatralischen Vorstellungswelt. Sie lassen die Figur des Schwarzen in die Welt der Dämonen und der Pflanzen hinübergleiten und Teil beider Welten werden. Simon Legrees schwarze Sklaven werden »doppeldeutig« (ambiguous), indem sie sowohl Teile seiner rational-ökonomischen Welt, als auch die Protagonisten in seiner imaginären Schreckenswelt sind. Dadurch sind sie nicht mehr greifbar. Das Wesen, das nicht sterben will, ist grauenvoll, denn es kann seine Form verändern, kann Individuum werden oder in einen vor-individuellen Naturzustand zurückfallen. Es ist elastisch, gestaltlos und damit vielgestaltig. Der Schwarze, dessen Individualisierung sich im Prozess der liebevollen kulturellen Erziehung oder im Drill des Minstrel vollzieht, kann auch wieder verschwinden, im Moor, in der Welt der Uneindeutigkeit. So wird das lächelnde, geduldige, kindliche Gesicht von Uncle Tom schließlich zur Bedrohung für den, der versucht, es zu zerstören. Gerade in seiner Weichheit erweist es sich als unangreifbar. Es federt bei jedem Schlag wieder in seine Ausgangsposition zurück. »Ah, Tom, you soft, silly boy!« 48 Die Weichheit, die Tom zugesprochen wird, bedingt seine Unverletzlichkeit. Die friedfertige, freundliche Seele, die zurückfedert und sich der brutalen Gewalteinwirkung entzieht ohne sich durch diesen Prozess zu verändern, ist wirklich unzerstörbar, oder – in Stowes christlicher Terminologie – unsterblich, sie gewinnt aber ihre Horror-Faszination aus der Tatsache, dass sie zwei entgegengesetzten Welten angehört, der erwachsenen, individuell geprägten Welt der Ökonomie, und der kindlich-wilden, vor-individuellen Welt der Geister und des Moors, zwischen denen sie beliebig hin und her wechseln kann.49

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4. Freaks

»Wenn die Ratten übereinandergleiten« (Deleuze/Guattari) »I’m the crawling king snake And I rule my day« (Jim Morrison)

»So you see, Monsieur, when I get a chance, I want to take sem in se sunshine, and let sem play like... childrèn. Because sat is what most of sem are: Childrèn!« Das sagt Madame Tetrallini, die liebevolle Wärterin einer Circus Side Show in Tod Brownings Film Freaks50, als sie mit ihren scheuen und größtenteils sprachunfähigen menschlichen Kreaturen in der Nähe des Zirkuszelts in der Sonne spazieren geht und auf einem Privatgrundstück von einem Gärtner gestellt wird. »Children??« fragt der Gärtner zurück, »They are monsters!« »Childrèn!« wiederholt Madame Tetrallini, und nimmt ihre Schützlinge unter die Arme. Die Kamera schwenkt auf einen Mann, dessen untere Extremitäten in einer Art Schwanz auslaufen, und der sich deshalb kriechend und rollend fortbewegen muss. »Childrèn!«, hört man noch einmal, und man sieht eine Gestalt, die sich geschickt auf gut trainierten Armen herumschwingt, da ihre Beine vollständig fehlen. Die hilflosen Gestalten, die sich hier ängstlich an ihre Pflegerin klammern, gehören zu den Attraktionen einer Zirkuskultur, die in den 1930er Jahren, der Entstehungszeit des Films, bereits am aussterben war. Sie wurden als halb-menschliche, halb tierische Spielarten einer verwirrten Natur um das Zirkuszelt herum ausgestellt, zum schönen Entsetzen der Besucher, die hier nach der Hauptshow flanieren und staunen konnten. Phineas Taylor Barnum hatte bei seinen Tourneen durch die Vereinigten Staaten eine ganze Sammlung solcher Side Show Freaks, bärtige Frauen, »menschliche Würmer«, »Zwerge« und »Parasiten«, die bei ihm wie eine kleine Monsterfamilie präsentiert wurden – unter ihnen die berühmten siamesischen Zwillinge Chang und Eng und der Kleinwüchsige Tom Thumb, der als halb-kindlicher Napoleon in seiner eigenen kleinen Kutsche fuhr, sowie ein Pygmäe, der sich als Wesen zwischen Mensch und Tier präsentierte und What Is It? hieß. (»What is it? Is it a lower order of MAN? Or is it a higher order of MONKEY? It was captured in a savage state in Central Africa, is 4 feet high, intelligent, docile, active, sportive and PLAYFUL AS A KITTEN.«51)

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Bisher haben sich die Manifestationen des Fremden und Exotischen wie vereinzelte Erscheinungen dargestellt, die vage auf etwas Jenseitiges verweisen, das sie in der Tradition von Minstrel, Horror und den hierauf sich beziehenden Formen des Entertainment zu ungeahnter Größe anschwellen und zu theatralischen Monstern werden lässt. Ich habe von der Komik und auch dem Horror des Kind-Wesens gesprochen, wenn es sich zu einer Art künstlichem Erwachsenen aufbläst, ohne aber dessen Sozialisierung zu teilen. Ich habe das theatralische Charisma solcher Figuren in ihrer Uneindeutigkeit vermutet, in ihrem scheinzivilisierten Handlungsrepertoire, das durch irgendeine Deformation oder Anomalie auf die untergründige Gefahr der Wildheit hinweist. Es wurde aber noch nicht der Punkt erreicht, an dem das Fremde als solches sich zur Macht formiert und körperlich wird. Die Frage ist, wie diese Macht des Fremden im Entertainment eine greifbare Gegenwärtigkeit erhält, und wie möglicherweise das Maul aussieht, das die zivilisierte Welt verschlingt. Die komische oder charismatische Wirkung der Schausteller, Vagabunden und Minstrel-Clowns liegt zunächst einmal in ihrer Position außerhalb des sesshaften Lebens. Ihre Komik gleitet aber hinüber in den Bereich des Horrors, sobald man annehmen muss, dass sie nicht nur Outcasts der zivilisierten Welt sind, sondern dass sie zugleich auch einer anderen Welt angehören, innerhalb derer sie sich organisieren und zu einer ernst zu nehmenden Machtpräsenz formieren können. Sobald diese Gestalten in der Vorstellungswelt von Minstrel und Circus miteinander in Bezug gesetzt werden und als Elemente eines globaleren Zusammenhangs erscheinen können, wachsen sie über ihre persönliche Deformiertheit hinaus und hören auf, nur noch eine menschliche Anomalie zu sein. Stattdessen werden sie als Repräsentanten eines anderen, obskuren Lebens dargestellt, das in seiner Fremdheit bedrohlich ist. Es geht also im Folgenden darum, die genuine Vereinzelung und Fremdheit, die ich bereits zu Anfang als ein Wesensmerkmal des Bühnendespoten bezeichnet habe, und die sich in den unterschiedlichen Entfremdungs-Strategien des Minstrel und seiner Ausläufer konkretisiert hat, nun zu erweitern um den Aspekt eines imaginären Kollektivs oder eines zum Teil mythisch eingefärbten Machtapparates, der den Hintergrund zu seiner Person bildet. Im Umfeld von Freak-Show und Circus Side Show erlebt die charismatische Zentralperson eine Erweiterung ihrer Ausstrahlung. Sie wird überhöht zur personellen Manifestation einer ganzen Parallelwelt, die als solche neben »unserer« Welt her existiert und mit ihr gefährlich konkurriert. Der Bühnendespot wird in den Implikationen des Freak zum Sprecher und zur Speerspitze dieser Gegenwelt und erhöht dadurch seine imaginäre Machtpräsenz über die eigene Person hinaus, ohne dabei seine wesenhafte Einsamkeit aufzugeben.

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Die Side Show Freaks in Tod Brownings Film und in dessen literarischen Vorlagen52 bieten, wie die späteren Splatter- und Horrorfilme, eine Berührungsfläche mit dieser Art der Macht. Hier werden die Auswüchse des Showgeschäfts nicht als Opfer einer hartherzigen Sensationssucht angesehen, nicht als elende Ausgestoßene, sondern als Glieder einer

What Is It? Phineas Taylor Barnum inszeniert seine Side Show Künstler als Ambiguitäten zwischen Mensch, Kind und Tier.

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streng organisierten, nach einem geheimen Ehrenkodex funktionierenden Gemeinschaft der Freaks, und damit als Teile einer Parallelwelt, die für die zivilisierte Welt eventuell zur Bedrohung werden kann. Die Freaks gehören einer »Familie« an, und ihnen wird ein ganz besonderer Berufsstolz nachgesagt. Jeder von ihnen nimmt für sich in Anspruch, der Star der Show zu sein, dem der ganze Zirkus seinen Erfolg zu verdanken hat. In den Dokumenten aus Film und Literatur tragen die Freaks das Bewusstsein eines eigenen Berufsstandes zur Schau. Der Grad ihrer Deformiertheit im Verhältnis zu einer gesetzten Normalität ist dabei ausschlaggebend für ihren Rang im Ensemble. Diese eigene Sozialethik in Verbindung mit einer Aura des Geheimnisvollen, Undurchschaubaren stattet sie mit einer Macht aus, die zugleich im Bereich des Realen und Jenseitigen liegt, und die ausdrücklich theatral definiert wird. Der Vorhang, der hier aufgezogen wird, ist die Idee einer Gegenwelt. Die Freaks leben neben dem Zirkus in einer eigenen Welt, in einem Staat im Staat, sie sind immer »them« und nicht »us«: »Ihre Regeln werden strengstens befolgt, und der Schmerz eines einzigen von ihnen ist der Schmerz aller. Genauso ist die Freude eines einzigen die Freude aller. Die Geschichte, die nun enthüllt wird, beruht auf dem Effekt dieses Codes auf ihr Leben.«53

Dieser Code erscheint nicht wie ein hoch entwickelter sozialer Vertrag, der nach einsichtigen Kriterien funktioniert, nicht wie eine menschliche Erfindung, die zum Wohl aller das einzelne Individuum in die Gemeinschaft einbindet, oder wie eine emotionale Bindung, also die Fähigkeit, mitzuleiden und Freude zu teilen. Der Code ist mehr als eine Körpermetapher für eine »gesunde« Sozialgemeinschaft. Er wird als ein Zwang der Natur beschrieben, ein Ruf des fremden Blutes, der nicht eine Gemeinschaft von Einzel-Individuen, sondern einen Organismus erschaffen und behaupten will. Der Code der Freaks will den einen großen Körper, dessen Glieder durch feine Filamente und Nervenbahnen miteinander verbunden sind und alles spüren, was in der Welt des Aussatzes passiert. Wie Teile eines Körpers sind alle Freaks auch einer, und ist jeder einzelne größer, mächtiger und damit theatralischer als seine Erscheinung vermuten lässt. Jeder einzelne von ihnen ist nämlich zugleich auch dieser riesige, unheimliche Körper, dessen Ränder in der Dunkelheit verschwinden. Mit erhobenem Zeigefinger warnt der Marktschreier: »Beleidigst Du einen von ihnen, so beleidigst Du sie alle!« während er ein Rache-Opfer der Freaks präsentiert – ein Anblick, der so schrecklich ist, dass die Umstehenden sich schreiend abwenden oder in Ohnmacht fallen.54 Das Gegenstück der Ausstoßung ist nämlich die Rache an den Ge-

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sunden, an den Menschlichen und ihrer Zivilisation. Das gedemütigte Geschöpf taucht, wenn ihm Unrecht widerfährt, zurück in die obskure Gemeinschaft seinesgleichen und vereinigt sich mit dem einen Monsterkörper, mit dessen Hilfe es das begangene Unrecht sühnt. Zugleich übt es einen Sog auf diejenigen aus, die eigentlich nur Zuschauer sein wollen, und droht oder verspricht, sie sich einzuverleiben. Hierin liegt die Faszination für diejenigen, die die Rückseite des Zirkuszeltes aufsuchen.55 In Tod Brownings Film liebt der Zwerg Hans die schöne Trapezkünstlerin Venus, mit einer lächerlichen, irrationalen und vollkommen inadäquaten Liebe, deren Unmöglichkeit schon darin zum Ausdruck kommt, dass die Geliebte ihren hoffnungsfrohen Anwärter auf den Arm nehmen kann wie ein Kind. Hans versteigt sich umso mehr in diese Liebe, je mehr die Schöne sein Werben erwidert. Das tut sie allerdings zuerst nur zu ihrem eigenen Amüsement, und zum Gelächter der ganzen Zirkusgemeinschaft. Als sich aber herausstellt, dass Hans Erbe eines großen Vermögens ist, entschließt sich Venus zur Hochzeit, mit dem Hintergedanken, dass ein geplanter »Unfall« diese Mesalliance schon irgendwann beenden und sie zur Alleinerbin des Vermögens machen würde. Aber schon bei der Hochzeit merkt sie, dass sie sich mit diesem Projekt möglicherweise übernommen hat. Denn der Zwerg Hans hat alle Zirkus-Freaks zum Fest eingeladen, und diese stimmen nun einen Sprechgesang an, mit dem sie die schöne Venus in ihre sonderbare Gemeinschaft aufnehmen wollen: »Gooble Gaable Gooble Gaable! We accept her, we accept her! One of us, one of us!« Venus vergeht das Lachen und der Schwips, und ein plötzliches Entsetzen überkommt sie, Entsetzen darüber, was die Aufnahme in eine solche Gemeinschaft mit sich bringen könnte. Sie ringt nach Luft, hat das Gefühl zu versinken, ist zum Erbrechen angeekelt von dieser Gruppe, die sich als ein mächtiger, Unheil bringender Organismus offenbart. Als einer der Zwerge ihr zur Besiegelung des Schwurs den Sektkrug reicht, springt sie auf und schreit: »You! Filthy! Slimy! Freaks! Freaks! Freaks! You scum! get out of here!« Das Entsetzen geht tief hinunter (bis ins Reich der Pflanze – »die Trunkenheit als triumphaler Einbruch der Pflanze in uns«).56 Sie will raus aus dieser pflanzlichen Umklammerung, schüttelt ihre Sektlaune ab, erwacht als bedrohtes Individuum, nüchtern, wütend. Für einen Augenblick sieht sich Venus, die Artistin der Luft und Lichtgestalt der Zirkuswelt, in den Verwicklungen der Subkultur, gefangen in einem »schmutzigen« (filthy), »schleimigen« (slimy) Gewebe, das vor-menschlich, vor-tierisch, pflanzlich ist. »Filthy! Slimy! Freaks!« Der Filth ist ein gewebehafter Schmutz, eine Verflechtung, deren unauflösbarer Zusammenhalt auf dem chaotischen Durcheinander ihrer fädigen Struktur beruht. Vergiften und auslöschen muss man diesen Schmutz. Das ist also der nächste, eilige Schritt. Panisch fängt

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Venus an, ihrem frisch angetrauten Gatten Gift in Speisen und Getränke zu mischen. Aber Hans stirbt nicht. Denn der Freak ist nicht alleine, er hat tausend Augen und Ohren, er kriecht, vielgestaltig, unter den Wohnwagen, lauscht an der Tür, beobachtet am Fenster, flüstert, plant, beugt vor, setzt sich zur Wehr, während seine pseudo-individuelle Manifestation, der Zwerg Hans, im Bett liegt und so tut, als sei er krank. Hans stirbt nicht. Längst hat er durch seine Freunde von den bösen Absichten seiner Zirkusprinzessin erfahren und schüttet das Gift, das sie ihm reicht, in den Blumentopf. Bis in einer Gewitternacht, als die Räder tief im Schlamm versinken, die vielgliedrige Kreatur der Freaks Venus aus ihrem Wohnwagen zerrt und gewaltsam zu einem Teil ihres Körpers macht. In dieser Nacht wird sie zu dem Monster, das man am Anfang des Films sieht. Das ist der bedrohliche Aspekt des Rhizoms, einer Metapher, die auch bei Deleuze und Guattari affektiv in viele Richtungen aufgeladen ist. Ein Rhizom ist, »wenn die Ratten übereinandergleiten, [...] wenn man mit den Ameisen nicht fertig wird.«57 Das Rhizom »rekonstituiert sich auch dann noch, wenn es schon größtenteils zerstört ist.«58 Seine Stärke ist sein Primitivismus, d.h. die Undifferenziertheit seiner Glieder. Alles kann nachwachsen, jede Zelle kann jede andere vertreten oder ersetzen. »Pflanze werden« heißt mächtig werden, heißt unzerstörbar, bedrohlich werden. »Filthy! Slimy!« Noch fieser, noch filziger als der Wurzelstrang ist der Pilz, das Mycel – ein unterirdisches Geflecht von Zellfäden, welches das »Männlein, das im Walde steht«, also das, was wir gewohnheitsmäßig als den Pilz bezeichnen, nur als eine temporäre, scheinindividuelle Ausstülpung präsentiert. Der Champignon, der Pfifferling, der Steinpilz, der Butterpilz, der Knollenblätterpilz, die Krause Glucke, die Totentrompete: Scheinindividuen, Scheinorganismen, tatsächlich eher Masse als Organismus, chaotische Verschlungenheit undifferenzierter Amöboidzellen, die jederzeit aus der Formation aus- und in eine andere eintreten können.59 Der Pilz als Ganzheit ist unter der Erde verborgen, praktisch ungreifbar, unzerstörbar, weil er sich oft über eine mehrere Quadratkilometer große Fläche erstreckt, und weil er in seiner ganzen Ausdehnung kein Zentralorgan hat, das man pars pro toto erfassen könnte. Alles im Pilz ist Peripherie. Der Pilz ist eine Pest, ein Blick ins Grab, oder in eine andere, primitive, urtümliche Welt. Das Pilzgeflecht wird diesen Abstecher in die Zonen der Abwegigkeit begleiten und unterwandern. Der Despot verflüchtigt sich in ihm, wie so oft, kehrt als eine Art Übermensch zurück, als eine Manifestation des Geflechtes, manchmal als ihr Herrscher und Dompteur, als der er der menschlichen Zivilisation angehört, zugleich aber auf die unterirdische Macht des Geflechts zurückgreifen kann. (Das »Ding aus dem Sumpf« kann über das unterirdische Wurzelsystem weltweit im Reich der Pflanzen kommunizieren. Im Ver-

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lauf der Comic-Serie erfährt es mehr und mehr über diese Verflechtung, findet schließlich heraus, dass es sogar unterirdisch reisen kann, indem es an der einen Stelle seine körperliche Manifestation absterben lässt und mit seinem Bewusstsein ins Erdreich zurücktaucht, um an einer anderen Stelle wieder aus der Erde zu wachsen, Arme, Beine, einen Gesichtssinn und schließlich Sprache zu entwickeln, aus sich herauswachsen zu lassen, und in halb pflanzlicher, halb menschlicher Gestalt weiterzuwandern.60) Genauso wichtig wie die geheimen Verbindungen der Freaks zum Unterirdischen ist nämlich ihre Fähigkeit zur Menschwerdung, also sozusagen die Bewegung in die andere Richtung, in Richtung Erdoberfläche, Licht, Luft und Sonne. Denn nur indem sich der Freak aus dem Sumpf, dem Schleim, dem »Filth«, dem Pilzgewebe heraus individualisiert, kann er sich unter die Menschen begeben und aktiv werden, seine Macht in die sozialen Strukturen einklinken. David Lynchs Film The Elephant Man erzählt die Geschichte einer solchen Menschwerdung des Freak61 und versieht sie mit allen bedeutungsvollen Momenten der Show, auf die sich diese Art charismatischer Präsenz gründet: John Merrick, der »Elefantenmann«, ist eine historische Figur des ausgehenden 19. Jahrhunderts in England. Er wird auf dem Londoner Jahrmarkt ausgestellt und muss den Passanten seinen verkrümmten Körper darbieten, der bedeckt ist mit Schwielen und faustgroßen Warzen, und der sich im Gesicht zu elefantenartigen Hautlappen aufwulstet. Er kann kaum atmen, sein Atmen ist mehr ein Pfeifen, die Augen sind größtenteils überwuchert, und die verzogene Haut lässt den Mund nicht richtig schließen, so dass ihm ständig ein Spuckefaden aus dem Mundwinkel hängt. Er röchelt, schlürft und stinkt. Er ist krank in der zugigen Jahrmarktsbude, aus der er schließlich von einem Londoner Arzt freigekauft wird, der entsetzt ist über den katastrophalen Gesundheitszustand dieses, ja, Menschen, und ihn gegen den Widerstand seiner Kollegen in seinem Krankenhaus beherbergt. Nach langen Behandlungen und endlosen Sitzungen mit dem Doktor stellt sich heraus, dass der Elefantenmann, von dem man nicht einmal wusste, ob er eine Seele habe, sprechen, beten, sogar singen kann und einen Namen hat. Mit der dünnen, verschüchterten Stimme eines kranken Kindes, ständig seinen tropfenden Speichel in den Mund zurückschlürfend, nach Luft ringend, bringt er es schließlich heraus: »Hello, my name is John Merrick.« John Merrick, der sich in seiner Sprachfähigkeit als Mensch erweist, wird von da an mit Wohlwollen überschüttet und erhält auf Lebenszeit das Recht, ein Zimmer im Krankenhaus zu bewohnen. Vorhänge, ein Teppich und Möbel aus Mahagoni werden ihm als Inszenierung von Normalität geschenkt, er erhält eine Toilettengarnitur und einen auf seinen Körper maßgeschnei-

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»There has to be a way out.« Das Swamp Thing verlässt den Sumpf.

derten Anzug, in dem er als Gentleman posiert. Er wird einer gerührten und teilnahmsvollen Londoner Gesellschaft vorgestellt, hält regelrecht Hof in seinem kleinen Krankenzimmer, empfängt auch eine Schauspielerin, die sich bezeichnenderweise ganz besonders von ihm fasziniert 83

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zeigt und sich zu seiner besten Freundin erklärt. Dem Mann, der sein ganzes bisheriges Leben auf den Brettern einer Jahrmarktsbude verbracht hat, schwärmt sie von einer anderen Art von Theater vor und ruft schließlich ehrfurchtsvoll aus: »You are Romeo!« Sie hat Recht. Die Theatralität der Freaks ist unverkennbar. Das Theater, das hier betrieben wird, ist eine Freak-Show auf höherem gesellschaftlichem Niveau. Zu dieser ernüchternden Erkenntnis kommt auch der Doktor, der sich zwar bemüht, in John Merrick nur einen Menschen zu sehen, vielleicht einen Patienten, vielleicht sogar einen Freund, ihn aber vor der heimlichen Ausbeutung dieser Theatralität nicht retten kann. Die Präsenz der Missbildung im Anzug ist unwiderstehlich. Das Defilee der Londoner High Society wird zu einer Mutprobe; man prüft, wie lange man es in der Gegenwart dieses stinkenden Wesens aushält, man sieht, hört und riecht hinter der ausgesuchten Höflichkeit, der freundlichen, sanften Stimme und den vorzüglichen Manieren des Deformierten das böse Geheimnis, das Tier, die Pflanze, die unterirdische Macht. Wie lange hält man dieser Spannung zwischen Mensch und Unmensch stand? Wie lange kann man sehen, hören, riechen und noch gute Miene machen, ohne in Tränen auszubrechen – wie es der Doktor tut, als er das Geschöpf zum ersten Mal sieht?

Der Elephant Man feiert sein Menschsein im Frack, mit Zigarre und Gehstock.

Der unlösbare Widerspruch zwischen Menschsein und Unmensch sein wird oft als ein Moment der Rührung inszeniert. Diese Sehnsucht nach

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einer bescheidenen Normalität und ihre offensichtliche Undurchführbarkeit erzeugt die theatralische Energie. Wir sind wieder beim Affen im Anzug, beim Tier, das mit Serviette, Messer und Gabel isst und sich mit einer silbernen Bürste das Fell kämmt. Wir sind aber auch schon einen Schritt weiter. Wir sehen die Spannung, die solches erzeugt, sehr in der Nähe des Gelächters, aber auch in der Nähe des Ekels.62 Vielleicht ist die Schere noch ein Stück weiter aufgegangen, denn wir erkennen jetzt als den dunklen Hintergrund dessen auch die Präsenz einer Parallelwelt, die uns in solchen Erscheinungen ihre Auswüchse wie Tentakeln entgegenstreckt, und sich die Zivilisation als Ganze einverleiben möchte. In einer Freak-Folge der X-Files verschlägt es die Agenten Molder und Scully in eine entlegene Kleinstadt, die einer Side Show als Stützpunkt dient. In dieser Kleinstadt sind sogar der Sheriff und der Motelbesit zer ehemalige Zirkusfreaks, die versuchen, in einer friedlichen Idylle zusammenzuleben, die nicht nur »Mensch« mimen, sondern auch »Kaufladen«, »Friseursalon«, »Bank«, »Bar«, »Stadt«.63 Sogar der Parasit, der als Rumpf mit Beinen aus dem Bauch eines Bewohners hervorragt, trägt eine speziell für ihn angefertigte Hose und kleine Lackschuhe, die der große Bruder sorgfältig putzt. Aber auch hier das gleiche Spiel. Denn in der Kleinstadt wohnt der Mord, der Splatter, das Böse. Die Figuren stehen immer mit einem Bein im Grab, d.h. in der untergründigen Welt, auf die die Freaks noch in ihren größten Menschlichkeitsbemühungen verweisen. Ein Schaubudenbesitzer erzählt von den Siamesischen Zwillingen Chang und Eng, von ihren triumphalen Reisen durch Europa, ihren feinen Manieren, ihrer teuren, maßgeschneiderten Garderobe, schließlich aber auch davon, wie eines Nachts Chang aufgewacht ist, um festzustellen, dass sein Bruder kalt und tot neben ihm liegt, wie er spürt, dass das erkaltete Blut über die gegenseitige Verwachsung in seinen eigenen Körper einströmt, wie der Tod des Zwillingsbruders unaufhaltsam auf ihn übergreift. Das Bild trifft ins Schwarze: Die Freaks dieser theatralischen Vorstellungswelt sind nicht nur doppeldeutig, sondern doppelt in einem ganz körperlichen Sinn, denn sie gehören zur gleichen Zeit zwei Welten an, die miteinander unvereinbar sind – der Lebenswelt des Menschen und der pflanzlichen Welt des Todes. Dies ist die pathetische Variante einer Verbindung zur Unterwelt. Diese Verbindung zeigt sich aber nicht nur im Leiden, sondern auch in einer theatralischen Präsenz, die sich ihrer eigenen Macht bewusst ist. Der Zwerg Hans und der Elephant Man sind immer sterbend, sterben aber nie. »Nothing will die«, ist der Schlusssatz bei David Lynch. Der Freak ist flexibel, polymorph und unzerstörbar. Seine Macht drückt sich am besten aus in der Ohnmacht, oft in der buchstäblichen Ohnmacht derer, die ihm begegnen – wie in der Side Show von Jim Rose, die als eine

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»Der Schmerz eines einzigen von ihnen ist der Schmerz aller.« Die siamesischen Zwillinge Chang und Eng mit Engs Frau Sally Yates und einem ihrer Söhne.

zeitgenössische Version der Freak Show in den 1990er Jahren in Seattle Kultstatus genießt. »Nichts auf der Welt ist schmeichelhafter als ein Zuschauer in der Horizontalen, dem Blasen aus Mund und Nase kommen,« schreibt Jim Rose in seinem Buch Freak Like Me.64 Die Anzahl der Zuschauer, die im Verlauf einer Show erbrechen und ohnmächtig werden, lässt direkte Rückschlüsse auf die Qualität des Abends zu. Es ist wie ein

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Sport unter den Zuschauern, weiter hinzusehen, obwohl der Anblick unerträglich ist. Man versucht, diese unerträgliche Anspannung auszuhalten bis zur Ohnmacht, die wie eine Kapitulation ist, ein erzwungenes Erschlaffen der erschöpften Glieder. »Falling Ovations«65 sind Kettenreaktionen solcher Krampflösungen, die dann eintreten, wenn der Ekel oder der mitvollzogene Schmerz untragbar werden. Die Zuschauer fallen stellvertretend für den Künstler, der ungerührt in seiner Dehnung verharrt. Die Kunst besteht darin, die Spannung eben doch auszuhalten, und zwar noch einen Moment länger, als man es für möglich halten würde, um sie dann kontrolliert zu lösen. Die Entfesselungs-, Verrenkungs- und Verbiegungskünstler der Jim Rose Circus Side Show bezeichnen sich selbst als Modern Primitives, weil sie, abgesehen von Jim Rose, ihrem Dompteur, der Sprache beraubt sind und sich der ausgestorbenen, unterirdischen Welt der geborenen Freaks verbunden fühlen, dieser vormenschlichen Sippe. Jim Rose beschreibt, wie er sich auf den langen Reisen im Bus aus den Zigarettenstummeln seiner menschlichen Monster ein Kopfkissen formt.66 Er erzählt, wie sie eine Show in einem provisorischen Amphitheater aus stinkenden Müllsäcken bestreiten, weil die örtliche Polizei ihren Auftritt verboten hatte.67 Seine Mitstreiter bezeichnet er als »Marvels«, Wundermenschen. Einer von ihnen ist der Rubberman, der seine Gelenke lösen und seine Gliedmaßen verknoten kann, ein anderer heißt Enigma und ist von Kopf bis Fuß als Puzzle tätowiert. Er ist ein Geek, ein Allesfresser, dem die Fans zu seiner Show Würmer, Heuschrecken, Küchenschaben, Ratten, halbverweste Fische und Hühnerköpfe mitbringen. Wenn die Portion zu groß ist, drückt er mit einem Schwert nach. Mister Lifto hängt sich gusseiserne Bügeleisen an die Brustwarzen, Steine an die Zunge, und sandgefüllte Koffer an Ohren und Vorhaut, bis seine Haut gespannt ist wie eine Saite. Matt the Tube bläst Plastikflaschen auf, bis sie platzen – »oder bis seine Lunge platzt,« sagt der Zeremonienmeister. Dann führt er sich durch die Nase eine Magensonde ein und schließt sie an eine große Pumpe an, in die sein Assistent zwölf Eier, Ketchup, Senf, flüssige Schokolade, Sirup und drei Liter Bier einfüllt und ihm das Gemisch dann in den Magen pumpt. Die Zugabe besteht darin, die Masse wieder aus dem Magen abzusaugen und Matt trinken zu lassen. The Human Pincussion durchbohrt sich in seinem »Electrocution Act« die Haut mit großen Nadeln, die er über Kabel mit einer Autobatterie verbindet.68 Die Spannung des Daseins zwischen Mensch und Unmensch überträgt sich auf Haut und Muskeln der Performer und auf den Magen der Zuschauer. Spannung. Dehnung. Aufpumpen und Anschwellen, bis zum Umfallen.

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Mister Lifto in der Jim Rose Circus Side Show.

»Wir waren die Misfits von Seattles Grunge-Szene«69, schreibt Jim Rose, und setzt damit das von ihm angestoßene Side Show Revival in Beziehung zu einer kulturellen Entwicklung in den USA, die sich – wie HipHop zehn Jahre vorher – eine Parallelwelt zum Starkult des Pop geschaffen hatte. Mit Grunge, Splatter und Zombie-Filmen entstand eine neue Subkultur in Musik und Kino, die bald über MTV in die ganze Welt ausgestrahlt wurde, die sich aber zugleich wütend gegen den institutionalisierten Pop richtete. »Mir würde es völlig reichen, wenn wir eine lokale Kultgruppe wären«70, sagt Kurt Cobain, der Sänger von Nirvana, im In88

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terview, als er längst weltberühmt ist. Die Szene hat Schwierigkeiten mit ihrem Ruhm, trotzdem braucht sie ihre Ikonen, als Bindeglieder zu einem Starkult, ohne den Pop sich nicht kommunizieren lässt. Wenn Michael Jackson in Thriller71 mit Zombies durch die Straßen tanzt, dann steigt er herunter aus dem Olymp des Pop-Establishment, und seine Monsterwerdung ist ein Entschluss, eine Bewegung in die Tiefe, die ihn größer, flächiger werden lässt. Der White Trash des Grunge und der Zombie-Filme dagegen stößt auf, er steigt selbst aus den Gräbern herauf, lebt von seinem subkulturellen Authentizitätsanspruch und kann ohne ihn nicht sein. Die Ideen treffen sich in der Figur des despotischen Dompteurs: Michael Jackson, Kurt Cobain und Jim Rose sind die Fürsten der Freaks, die den Tanz anführen, wie das vierzig Jahre vorher Louis Armstrong, Dizzy Gillespy, Haddy McDaniel und Moms Mabley getan haben. Sie holen ihre Armee vom Friedhof, oder aus den dunkelsten Ecken der Stadt. Zugleich sind sie die Vermittler, die eine Verbindung zur Alltagswelt aufnehmen. Sie sind die Sprecher der sprachlosen Monster und verleihen ihnen eine Stimme. Jackson: »God has given me a voice. Now I want to use it to speak for those who can’t speak for themselves.«72 Auch Jim Rose ist auf der Bühne der einzige Sprecher. Er präsentiert seine Freaks, spornt sie an, kommentiert sie und ahmt sie nach. Er ist zugleich Akteur und Zuschauer, er übersetzt die Affekte in Worte, gibt dem abstrusen Geschehen einen Sinn und eine Richtung. Während der Show erzählt er, unter welchen Umständen er seine Künstler getroffen und wie er sie dazu überredet hat, seiner Truppe beizutreten. Er ist Sammler und Mad Scientist, und Übermensch insofern, als er Anteil an beiden Welten hat. So wird er zum Übersetzer, der zugleich über die apollinische Macht der Sprache und die dionysische Macht des Vorsprachlichen verfügt. Die Halbwelt der Showmaster und Entertainer ist immer noch da, sogar stärker, und sie ist düsterer geworden, weil sie über ihre komische Wirkung hinaus auch Verbindungen mit dem Horror eingegangen ist. Ich spreche in allem von Theater, von einer Theatralität der Macht, die darin liegt, dass die vereinzelte Person des Bühnendespoten ihren Wirkungsbereich in die Zonen einer Parallelwelt oder Gegenwelt hinein ausdehnt. Der Aspekt der Macht betrifft dabei nicht eine reale Macht im Sinne eines erhöhten Handlungspotentials. Die Macht, von der ich hier spreche, liegt im Bereich des Imaginären. Die Horrorkinder, die Freaks und ihre despotischen Dompteure beziehen ihre Machtpräsenz aus einer Halbwelt, die mit dem Abjekten Hand in Hand geht.73 Aber zum Abschluss diese Komplexes noch einmal zurück zu den Ursprüngen, und einigen älteren Dokumenten: Thorp McCluskys Kurzgeschichte While Zombies Walked74 hat dem Film Revenge of the Zombies75 die entscheidende Vorlage geliefert, und mit ihm dem ganzen Gen-

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re. Die Geschichte greift noch einmal auf die Horrorvision von Simon Legree zurück, denkt sie zu Ende, kristallisiert alle Affekte um den schwarzen Plantagenarbeiter und den grotesk deformierten Minstrel Negro in wenigen wirkungsvollen Figuren. Ein vom Glauben abgefallener Priester, Reverend Barnes, hat einem alten schwarzen VoodooMagier das Geheimnis abgekauft, wie man Tote zum Leben erwecken und für sich arbeiten lassen kann. Auf einem abgelegenen Gut im Süden hat er eine Armee von Zombie-Sklaven um sich versammelt, die für ihn Baumwolle pflücken, Tag und Nacht, emotionslos und unermüdlich wie Maschinen. Unzerstörbar. Reverend Barnes ist einer dieser Übermenschen und Dompteure: Er spricht sowohl die Sprache der schwarzen Magie als auch die der Ökonomie. Und schon seine Erscheinung lässt ahnen, dass er seine Energie aus einer anderen Welt beziehen muss, die ihn übermenschlich macht: »Er war groß und breit wie eine Tür. [...] Er war größer als irgendein Mensch, den Tony jemals außerhalb einer Side Show gesehen hatte. Aber er war kein Drüsen-Freak. Er war muskulös wie eine Bestie aus dem Dschungel; sein ganzes Gebaren schrie den stummen Schrei einer übermenschlichen Vitalität. Sein Gesicht war [...] blass wie der Bauch eines toten Fisches, mit der Blässe von einem, der das Sonnenlicht scheut. Eingehüllt in einen knielangen, ausgewaschenen, grünlich-schwarzen Priestermantel, und immer noch mit einem zerschlissenen, filzig-weißen Predigerkragen ausgestattet, sah er aus wie das, was er sein musste, ein Pastor ohne Ehre, ein abtrünniger Mann Gottes.«76

Dieser Mann gehört ganz offensichtlich mehreren Welten an. In seiner Gestalt verbinden sich die Insignien von Menschlichkeit und Gottesfurcht mit der Blässe des Todes, dem schimmeligen Grün von Sumpf und Moor, und der unnatürlichen Kraft, die er aus dieser finsteren Verbindung bezieht. Selbst kein Freak, ist er doch derjenige, dem wir an der Tür zur Welt der Freaks begegnen, und der uns in diese andere Welt hineinführen kann, der Schöpfer und Beherrscher der Zombies. Es scheint, als habe sich die weiße Zivilisation eine filzige, pilzartige Parallelwelt gezüchtet, die sich nun krankhaft ausbreitet. Eine Welt des Todes, die von despotischen Dompteuren gebändigt und ausgebeutet wird. Die Freaks und ihre Fürsten beziehen ihre Macht nicht aus einer Kultur von Individualität und Freiheit, sondern aus dem Sumpf – aus einer obskuren, bedrohlichen, ansteckenden Verflechtung mit ihresgleichen, das sie zu einer faszinierenden Epidemie anschwellen lassen. Sklaven, Minstrel-Clowns, Kinderstars: Sie stellen in Minstrel, Circus und Horror Vorstufen in einer Entwicklung zum Menschen dar, unfertige oder schon im Zerfall begriffene

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Individuen, die auf einen bestimmten zivilisatorisch vormodellierten Bauplan verweisen, darauf hoffen lassen – Sweet Sweetness – die aber in ihrer unheimlichen Variante vom Weg abkommen. Zombies und Freaks, die nicht wachsen, sondern wuchern, in alle Richtungen sich ausbreitend; die nicht Mensch werden, sondern etwas anderes, nur menschenähnliches, etwas monströses, das die menschliche Gestalt lediglich karikiert. Das Lächeln der Rührung vergeht einem, damit hatte man nicht gerechnet. Eine spektakuläre Verschwörung der Natur gegen die Ratio, eine Menschheit auf Abwegen. Gott ist tot. Wow!

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IV. DIE ERFINDUNG DER WAHRHEIT – DER POLITISCHE STAND-UP UND DIE GLOBALISIERUNG DER SHOW

»er behauptet also/er hätte das alles erfunden hier/er hätte das gemacht/er sei der/Erfinder und/verantwortlich dafür/er nehme das auf seine Kappe/er bitte kurz/mal herzuhören/alle/es interessiert nur scheinbar/nicht so wahnsinnig/meint er jetzt/he, Leute, folgendes/ich bin der Erfinder von dem allem hier/echt?/ja/er hätte also/beispielsweise früher mal/ein Ehepaar erfunden/schon länger her natürlich/ob sie das nicht gewusst hätten?/ auch die Stütze/wäre von ihm/sogar Mercedes, Benz auch/er habe die ganzen Abgeordneten gemacht/die Börse/und das Geld und so/ja echt/sie würden lachen/das würde aber stimmen/das hätte ihn auch/ganz schön/ mitgenommen alles/all die Jahre, ja/er hätte auch das Bier sogar erfunden/die Zigaretten und die Farbe grün/auch die dazugehörige Partei/die Wahlen und so/alles das, das ganze hier/in seinem Kopf erfunden und erdacht/ meint er jetzt nochmal/was sie denn dazu meinen würden/ was er für Lasten Trage/da, im Inneren/in ihm« (Rainald Goetz – Jeff Koons/Der liebe Gott)

Mitte der fünfziger Jahre, als der McCarthyism und die Aktivität des House of Unamerican Activities Committee ihren Höhepunkt erreicht, und als in den verschiedenen Bereichen des öffentlichen Lebens eine paranoide Hexenjagd auf alles betrieben wird, was kommunistisch, progressiv oder politisch uneindeutig sein könnte, in dieser Zeit gesellschaftlicher Regression bricht für die Stand-up Comedy in den USA eine neue Ära an.1 Nach 1945 werden die ehemals alliierten Russen zum Feind, und alle positiven oder duldenden Attribute, mit denen das Sowjet-Regime und die kommunistischen Ideen während der Kriegsjahre durch die amerikanische Regierung versehen worden waren, werden nun ersetzt durch eine anti-sowjetische, anti-kommunistische Propaganda. 1954 verabschiedet

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der Kongress den Communist Control Act, der sich nicht nur gegen Kommunisten, sondern ganz allgemein gegen kritischen Aktivismus und gegen jede Form politischer Kunst richtet. »Damals wurden im ganzen Land Bürgerwehr-Gruppen eingerichtet«, erzählt der Entertainer Harry Belafonte. »Kleine selbsternannte Hitler, kleine selbsternannte Diktatoren, kleine Faschisten etablierten sich: Priester verschiedener Kirchen, der örtliche Bürgermeister, der Polizeichef, fast wie bei der heutigen Moral Majority. Und jeder begann jeden auszuspionieren. Man erstellte schwarze Listen, und Mitglieder des FBI unterstützten dies alles. Bei der Gründung solcher Gruppen halfen sogar ehemalige FBI-Agenten. [...] Einige meiner Kollegen verstanden nicht, wieso ich überhaupt arbeiten konnte. Sie dachten mit Recht, dass jeder, der auf der schwarzen Liste steht, keine Arbeitsmöglichkeit hat. Sie sagten nun, du stehst auf der schwarzen Liste, und dennoch hast du Arbeit. Das kann nur sein, weil du irgendein Abkommen mit dem Gegner getroffen hast. Möglicherweise hast du dem FBI Informationen gegeben, oder sogar dem Ausschuss. Ich hatte eine verdammt harte Zeit damals, weil jeder misstrauisch geworden war. [...] Es ist schon eine schlimme Sache, wenn eine Nation in ein solches Klima hineingerät. Man fängt an, seinem Bruder zu misstrauen, seiner Schwester, seinem Vater und seiner Mutter. Familien brechen so auseinander. Dies alles spielte sich in den fünfziger Jahren ab.«2 In dieser Atmosphäre von Zensur, Denunziation und sozialen Ressentiments, unter der besonders Künstler zu leiden haben, entsteht eine politisierte Form der Unterhaltung, die nach einer neuen Authentizität sucht, die mehr agitiert als unterhält und die weg will vom Lügen und Fabulieren des Wild West-Unterhalters, von den Verbiegungen und Übertreibungen des Minstrel und von den Kuriositäten der Freak Shows. An die Stelle der Synthese tritt eine verbale Analyse der politischen Gegebenheiten. An die Stelle der Assimilation tritt der Wille zur Differenzierung und zur Kritik. Im Stand-up der Nachkriegszeit entsteht eine Strömung, die mit den Traditionen des Minstrel zu brechen versucht, und die sich, ähnlich wie die Musik im Bebop3, den Implikationen eines weiß geprägten Exotismus verweigert. Die Shows werden sparsamer und selbstgenügsamer in ihrer Form, erhalten aber zugleich eine ausdrücklich politische Dimension. Die politischen Unterhalter der Nachkriegszeit führen die Begriffe von Soziologie und Politik in den Talk ein. Sie werden in Verbindung gebracht mit Hipstern und Beatniks4 und den ausfransenden Rändern einer Gesellschaft, die sich als ein ideologischer Machtblock präsentiert, dem man sich nur durch die Haltung der Totalverweigerung entziehen kann. Sie übernehmen die Macht- und Kontrollterminologie der politischen Zirkel, verkehren deren Sinn und Wertigkeit, erklären sich in Reaktion auf die politischen Repressionen selbst zum staatsge-

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fährdenden Element. Wenn das House of Unamerican Activities Commitee von »freundlichen und unfreundlichen Zeugen«5 spricht, so gehören sie sicher zu den unfreundlichen, also zu denen, die vor Gericht nicht kooperieren und sich verteidigen, sondern selbst zu Klägern gegen den Staat werden. Die Fernsehunterhaltung dieser Zeit begnügt sich mit dem harmlosen Eskapismus der dreißiger und vierziger Jahre und bestärkt das Bild eines idyllischen, homogenen und familiär geprägten Amerika, das im allgemeinen Wohlstand floriert. Die großen Sender buchen weiterhin die Stars des Rundfunks und der ersten Fernsehjahre, professionelle Witzeerzähler im Anzug, wie Milton Berle, Jack Benny, Ed Sullivan mit seiner Variety Show, Sid Caesar mit Your Show of Shows, und Jackie Gleason mit The Honeymooners, einem Format, in dem sich die bewährten Sketche über Berufs- und Familienleben allmählich zu einer ersten Version der Situation Comedy verflechten. Hier hinein stoßen Mort Sahl und Lenny Bruce. Sie treten im Hemd mit hochgekrempelten Ärmeln auf, und sie sprechen frei, ohne ein fest einstudiertes Standardrepertoire an Witzen und Gags. Stattdessen erzählen sie von atomarer Rüstungspolitik, von Pearl Harbour und Hiroshima, Rassismus und ethnischem Bürgerkrieg, Wählergruppen und politischer Korruption. Ihr assoziativer Redestil lässt die Reihung der Pointen verschwinden und im Stream of Consciousness aufgehen. Ihre Monologe sind keine durchgeprobten Ansprachen mehr. Bruce und Sahl scheinen auf der Bühne gleichzeitig zu denken und zu reden, was ihrer Rede Glaubwürdigkeit verleiht. Das Fernsehen wird als ein Ort von Unfreiheit, Verblendung und Zensur abgelehnt, allenfalls als zeitweiliges Podium besetzt. Die eigentlichen Orte dieser Comedy sind die vielen neu gegründeten Nachtclubs und Jazzclubs in Los Angeles, Chicago und New York, die immer wieder Schließungen und »Säuberungen« unterworfen sind.6 Je entschiedener die Ordnungsmacht eingreift, desto attraktiver werden diese Orte für Jazz, Topical Humor7 und Dirty Talk. Im Zuge dessen entwickeln sich die Nightclubs immer mehr vom anrüchigen Randphänomen zu kulturellen Orten, und damit auch zum Gegenstand einer kultur- und gesellschaftspolitischen Diskussion. Das in der Presse sich etablierende Schlagwort für diesen neuen Stil der Unterhaltung ist der Sick Humor. Der Beatnik, wenn er nicht Musik macht, sondern auch spricht, politisch oder »schmutzig« spricht, wird zum Sicknik8. Wer sich (als Weißer) in Nachtclubs und schwarzen Vierteln aufhält und bewusst gegen die Regeln der Decency verstößt, wird für »krank« erachtet. Mort Sahl, Lenny Bruce und Dick Gregory werden zu den Zielscheiben von Lokalpresse und Zensurbehörden, und zugleich zur Referenz für alle nachfolgenden Generationen von Stand-up Comedians. Sie formulieren ihr Minoritäten-Bewusstsein, als Juden oder als Schwarze. Ihr Auftritt ist

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eine Personality-Show, d.h. er ist nicht mehr eine zeitlich begrenzte Präsentation ihres Materials, sondern eine endlose Rede auf allen Ebenen, die sich als Medium auch der Boulevardpresse und der Sensationsberichte des Fernsehens bedient. Ihre Verhaftungen und Gerichtsverhandlungen werden Teil ihrer Show. Sie beziehen die Spannung daraus, dass ihre Show immer weitergeht, vor Gericht, manchmal im Gefängnis: Lenny Bruce berichtigt den Moderator der Steve Allen Show, als er seinen Auftritt als TV-Premiere ankündigt: »Ich war schon oft im Fernsehen – meistens in den Skandalnachrichten.«9 Die Auftritte der Politicos10 verwischen die Grenzen zwischen privatem, öffentlichem und künstlerischem Leben, und damit auch zwischen den jeweils zuständigen medialen Formaten. Die Bühne ist überall, das Leben ist ein Gesamtkunstwerk.

1. Der heilige Desperado »Lenny Bruce hat für uns alle den Weg bereitet«, sagt Richard Pryor zurückblickend in den achtziger Jahren.11 Bruce, 1962 wegen »Obszönität« durch den Staat Kalifornien unter Anklage gestellt, führt in der Verhandlung die schwarze Bürgerrechtsbewegung und das Freedom-of-speechmovement ins Feld. Auf die Feststellung des Richters – »Mr. Bruce, you are not a nigger«, antwortet er: »Unfortunately not, your honor.«12 Bruce ist der erste Unterhalter, dessen gesamtes Wirken bestimmt wird von der Konfrontation mit der Staatsmacht, und mit einem zunehmend repressiven System staatlicher Zensur. Er ist ein Verzweiflungstäter und politischer Abenteurer, ein Desperado13. Er arbeitet sich manisch in das amerikanische Recht ein, um sich in seinen vielen Verhandlungen selbst verteidigen zu können, und benutzt alle greifbaren Kanäle, die Bühne, die Fernsehkameras, die Anhörungen vor Gericht als Podien zur Darstellung seines Falls. Umgekehrt wird er von der Presse und den Zensurbehörden in einer Sauberkeitskampagne als ein exemplarischer Fall künstlerischer Dekadenz dargestellt, bis er sich erschöpft zurückzieht und nach einer Überdosis Drogen (oder, wie sein Freund Phil Spector sagt, nach einer »Überdosis Polizei«14) tot in seiner Wohnung aufgefunden wird. »I am not a comedian, I’m Lenny Bruce«15 – dieser Ausspruch umreißt sein Aktionsfeld, seine künstlerische Praxis und seine egozentrische Attitüde. Bei Bruce wird der »melodramatische Modus«16 als eine künstlerische Haltung eingeführt, die das ganze Leben in Mitleidenschaft ziehen muss, da er eine Aufhebung der Trennung zwischen Kunst und Leben erzwingt. Schon 1951, lange vor seinem Durchbruch auf der Bühne, wird Bruce in Miami Beach festgenommen, weil er als Priester verkleidet von Haustür zu Haustür zieht, um Spenden für eine Lepra-Kolonie zu

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sammeln, die gar nicht existiert.17 Auf der Bühne erregt er zum ersten Mal 1958, in zwei Jazz Clubs in San Francisco, Crescendo und Ann’s 440, größere Aufmerksamkeit. Die kalifornischen Zeitungen beginnen über ihn zu schreiben, und das Label Fantasy Records nimmt ihn unter Vertrag für ein erstes Album mit einem der Presse entlehnten Titel Sick Humor. So ist Bruce von Anfang an zum Skandalkomiker gestempelt

»I am not a comedian, I’m Lenny Bruce.«

und zieht als solcher auch die Aufmerksamkeit der öffentlichen und privaten Sittenwächter auf sich. Bruce wird national bekannt, als sein Bild 1959 auf der Titelseite des Time Magazine erscheint. Dort wird er als der Vorreiter einer ganzen Bewegung von Sickniks ausgestellt: »Lenny Bruce whines, uses four letter words almost as often as conjunctions, talks about rape and amputees, and deserves distinction for delivering the sickest single line on record.«18 Der Artikel ist ausreichend oberflächlich, um nicht den geringsten Eindruck von Bruces künstlerischer Zielrichtung zu geben, ganz zu schweigen von irgendeinem politischen Kontext. Im Vordergrund stehen sein Sprachgebrauch, und sein Versuch, damals in Rundfunk und Fernsehen verbotene Themen wie Schmerz, Krankheit, Homosexualität etc. einzubeziehen. Die Legion of Decency erhebt öffentlich Beschwerde, und bald sitzen bei jeder Vorstellung neben sensationshungrigen Journalisten auch Polizeibeamte in den hinteren Reihen. Offensichtlich wird ein konkreter Anlass gesucht, hier ein Exempel zu statuieren, das sich nicht nur gegen die Person Bruce, sondern allgemein gegen 97

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die neue Kultur der städtischen Clubs richtet. Den Anlass für die erste Festnahme von der Bühne herunter liefert Bruce selbst. Am 29. September 1961 wird er wegen Drogenbesitzes verhaftet, eine Woche später wegen dem Gebrauch des Wortes »Cocksucker« (Schwanzlutscher).19 Die Verhandlung wird, obwohl sie für Bruce günstig ausgeht, zum Beginn eines Leidenswegs von Festnahmen, Schauprozessen und Inhaftierungen, die keinen Raum mehr für eine Arbeit als Comedian lassen, und die Bruce schließlich in den finanziellen und persönlichen Ruin treiben. Was hier unter Anklage steht, sind natürlich nicht sein Sprachgebrauch und der Konsum weicher Drogen. Vielmehr soll der Künstler Lenny Bruce verboten werden, als prominentester Vertreter einer Ästhetik, die mit dem schlüpfrigen Stil aus sexuellen Anspielungen, Honeymoon-Witzen und Faggot-Humor20, und mit allen darin implizierten gesellschaftlichen Moral- und Sexualstandards bricht. Die subversive Atmosphäre, von der Lenny Bruce umgeben ist und umgeben wird, geht sicher nicht von seinem Dirty Talk aus, sondern von der aktiven Verneinung der in der Fernsehunterhaltung propagierten gesellschaftlichen Verbindlichkeiten von angelsächsischer Herkunft, Heterosexualität, Ehe, Familie und einem sich erfüllenden Traum vom beruflichen Erfolg. »I got grandchildren«, sagt Richter Albert Axelrod bei der Anhörung nach Bruce’s Verhaftung. Er nimmt damit Bezug auf Bruces Sprachgebrauch und auf das Phantasma seines verruchten Wirkungsfeldes in Nachtclubs, dem er sein eigenes Bild von einer »gesunden« Sozialgemeinschaft, in der Kinder sicher und behütet aufwachsen können, gegenüberstellt. »He is super moral«, erläutert Bruce, als er im S.F. Curran Theater vor 500 Zuschauern von der Anhörung berichtet: »Having children is moral, but having grandchildren...!«21 Der Zorn von Lenny Bruce hat eine künstlerische Zielrichtung, wenn er sich gegen die vorwurfsvollen Fragen wehrt, die ihm in der Presse und vor Gericht gestellt werden: »›What happened to the healthy comedian who just got up there and showed everybody a good time and didn’t preach, didn’t have to resort to knocking religion, mocking physical handicaps and telling dirty toilet jokes?‹ – Yes, what did happen to the wholesome trauma of the 1930s and 1940s«,

fragt er ironisch zurück, » – the honeymoon jokes, concerned not only with what they did, but also with how many times they did it; the distorted wedding-night tales, supported visually by the trite vacationland postcards of an elephant with his trunk searching through the opening of a pup tent, and a woman’s head

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Das Objekt des Zorns ist dieses Geflecht aus sozialen Rollenklischees und versteckten Anspielungen in der Mainstream-Unterhaltung, bei denen man das Geschlechtsteil nie zu Gesicht bekommt, aber ständig darüber spricht, ohne es (»Cocksucker«) in den Mund zu nehmen. Es ist die schlüpfrige und erzkonservative Ästhetik, die Bruce nun seinerseits für »schmutzig« erklärt, weil sie selbst die Schmutz-Metaphorik einführt und die »schmutzigen« Körperpartien versteckt, sie zudeckt mit der Bettdecke in der Honeymoon Suite, mit dem Ballkleid beim Tanzabend, mit der Schürze in der Küche, mit dem Zelt auf dem Campingplatz. In dieser Rhetorik der Schlüpfrigkeit liegt für Bruce der eigentliche Schmutz, weil schmutzig über das geredet wird, was a priori nicht schmutzig ist. So schnappt die Schmutzanklage zurück auf die, die sie erheben. Der Schmutz ist laut Bruce in den Köpfen der anderen: »Why don’t religious institutions use their influence to relieve human suffering instead of sponsoring such things as the Legion of Decency, which dares to say it’s indecent that men should watch some heavy-titted Italian starlet because to them breasts are dirty? Beautiful, sweet, tender, womanly breasts that I love to kiss; pink nipples that I love to feel against my cleanshaven face. They’re clean! I say to you, Legion of Decency – you, with your dings23 scrubbed with holy water and Rokeach soap – you’re dirty!24

Der Sprecher wird zum Wahrheits-Katapult, der Akt des Aussprechens wird leidenschaftlich durch die Direktheit und Aufrichtigkeit der Bilder. Zugleich wird die Repression des freien Sprechens als eine ethische, soziale und körperliche Deprivation empfunden: »Why can’t you just say, ›I want to be with you and hug and kiss you.‹ No, it’s ›Come up while I change my shirt.‹ Or coffee. ›Let’s have a cup of coffee.‹ In 50 years, coffee will be another dirty word.«25

Der Sprecher ist nicht Täter und böswilliger Angreifer, er ist zunächst einmal Opfer der Verschwörung einer verdorbenen Gesellschaft, die von dem »Schmutz« erfüllt ist, den sie zu bekämpfen glaubt, und die sich selbst immer mehr einengt in einem Sprachsystem aus verbotenen Wörtern, ausgelassenen Gedanken und sexuell überladenen Metaphern. Dem Schmutz-Diskurs wird der Wahrheits-Diskurs gegenübergestellt. Schmutzig ist, was verbirgt und verbiegt: die Lüge, der Platzhalter, das Verbot.

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Sauber ist die Wahrheit – der rosa Nippel, der ein sauber rasiertes Gesicht berührt. Bruce’s Autobiographie ist eine Geschichte von Verbiegungen, aber immer sind es die prüden Verbiegungen anderer Leute. Die Anderen ringen sich in einer Art Erfüllungszwang komplizierte Ansprachen und Selbstdarstellungen ab, die von einem komplizierten System von Wertigkeiten motiviert sind und dementsprechend beim kindlichen Protagonisten auf völliges Unverständnis stoßen, bzw. eine Kopf-durch-die-WandReaktion hervorrufen, die dem erwünschten pädagogischen Effekt völlig entgegengesetzt ist. Über seinen Vater schreibt Bruce: »When he’d say, ›Whatever you want, just ask your father,‹ it was like the cliché picture of the father and son standing on a high building and the father says: ›Some day, son, all this will be yours!‹ Only, when my father made the offer, it was as if he were telling me I could have it as long as I was willing to push him off the roof to get it. He would constantly remind me that we were living on the brink of poverty. He would go miles out of his way to look for bargains. He would wear clothes that friends gave him. I became so guilty about asking for anything that I concluded it was much more ethical to steal.«26

Es ist die Lüge der anderen, und eine daraus resultierende falsch verstandene Gesellschaftsethik, die den Outlaw generiert. Nur außerhalb dieses diskursiven Systems sind Wahrheit, moralisches Handeln und Glück überhaupt möglich. Und während die Anderen sich immer tiefer in eine Sprach-, Lust- und Tatenlosigkeit hineinmanövrieren, gewinnt der Desperado, der an seiner Umwelt Verzweifelte, Größe, weil er als einziger noch zu Wort und Tat fähig ist. Auf der Bühne imitiert Bruce einen Zeugen, der, zur »Cocksucker«-Äußerung befragt, verzweifelt versucht, den Tatbestand zu beschreiben, ohne dabei das entscheidende Wort in den Mund zu nehmen. Die Impression artet in eine Sprachlos-Performance aus, bei der kein artikuliertes Wort mehr zu hören ist, sondern nur noch Stöhnen. Der ganze imaginäre Gerichtssaal verstrickt sich in den Konflikt zwischen Aussprechen und Verbergen.27 Die »Moral« erscheint als ein unmögliches Projekt, sie stolpert über sich selbst und wird hinfällig. Am Schluss steht der Solist in dieser Verstrickung allein da, aber in deren Zentrum, als einziger unverbogen, gelassen, sexy. »War spells out my philosophy of ›No right or wrong‹.« Das sagt Bruce in beinahe jeder Show. »No right or wrong – just ›Your right, my wrong‹ – everything is subjective.«28 Die Verweigerung einer Moral als allgemein verbindliche, konsensbestimmte Handlungsweise geht einher mit einer Lust am Chaos. »Nothing is true, everything is permitted«,

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schreibt William Burroughs in Cities of the Red Night29: Das Lebensgefühl, das ein unentwirrbar korrumpiertes Wertesystem hervorruft, ist nicht Resignation und Melancholie, sondern ein wütender Tatendrang, eine Ahnung, dass im Chaos dem einsamen Helden alle Handlungsmöglichkeiten offen stehen. »As a child I loved confusion:« schreibt Bruce, »a freezing blizzard that would stop all traffic and mail; toilets that would get stopped up and overflow and run down the halls; electrical failures – anything that would stop the flow and make it back up and find a new direction. Confusion was entertainment for me.«30 Das Bild der überlaufenden Toilette erinnert an die filmischen Untergangs-Szenarien der Siebziger und Achtziger, an eine verrottende Zivilisation, die in selbst verschuldeten Katastrophen in ihrem eigenen Abwasser ertrinkt, an eine zurückschwappende Kanalisation, die den Ausbruch, das Emporbrechen und Überfluten einer lange verleugneten, unter den Fundamenten der Stadt begrabenen Krankheit zeigt. Es erinnert auch an die Zerstörungsphantasien bei Henry Miller, dessen Romane nach dem Krieg von USSoldaten aus England und Frankreich in die Heimat rückimportiert wurden, wo sie bis dahin als Pornographie verboten waren. Sie sorgten zur gleichen Zeit wie Bruce für Aufruhr, vor allem durch die PornographieProzesse gegen den New Yorker Verlag Grove Press 1961 und 1962, und verhalfen dem Autor, genauso wie Bruce, zu zweifelhaftem Ruhm, und seinen Texten zum Bestsellerstatus.31 Millers Roman Wendekreis des Steinbocks beginnt mit einer Passage über das Chaos, einer AntiSchöpfung, die allem inhärent sein muss, damit der heroische Erzähler seine Arbeit überhaupt beginnen kann. »Hat man erst einmal den Geist aufgegeben, folgt alles andere mit tödlicher Sicherheit, sogar mitten im Chaos. Von Anfang an war nichts als Chaos: ein Fluidum, das mich einhüllte, das ich durch die Kiemen einatmete.«32

Unordnung und Krankheit werden gepriesen, aber nicht aus einer Fin-deSiècle-Stimmung heraus, sondern als ein Nährboden für etwas neues, großes, für die Selbstüberhöhung des Ich, für den Superhelden, den zu allem fähigen Einzelgänger. Nicht dieser ist krank, sondern die ganze Welt um ihn herum ist es.33 »Niemand denkt sich mehr, wie wunderbar es ist, dass die ganze Welt krank ist. Man hat keinen Vergleichspunkt, keinen Gesundheitsmaßstab mehr. Gott könnte auch der Typhus sein. Nichts Absolutes mehr. Nur Lichtjahre verzögerten Fortschritts. [...] Und erst die Syphilis! Das Erscheinen der Syphilis! Wie ein Morgenstern ging sie auf, der über dem Saum der Welt hängt.«34

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Die Syphilis als Phantasie universeller Krankheit, die verbunden ist mit der Prostitution als einer versteckten und sozial geächteten, aber trotzdem praktizierten Sexualität, deren Krankheit von der Straße in die Familien, in die Vorstadthäuser und die vermeintlich geschützte, anständige Wohlstandswelt hineingetragen wird. Sie spielt auch bei Bruce eine Rolle. Bruce entwirft ein Szenario für die USA, in der es keine Schande mehr ist, Clap35 zu haben, sondern in dem sogar angesehene Personen des öffentlichen Lebens, Politiker, Ärzte und Filmstars sich im Fernsehen und auf Plakaten zu ihrer Krankheit bekennen, und in der schließlich eine große Clap-Werbekampagne durch Amerika rollt und alle im Gefühl einer Clap-Gemeinschaft leben, wie im Rausch einer neu errungenen Freiheit.36 Mitten in dieser Krankheit steht der Erzähler als Schöpfer da: »Nothing is true, everything is permitted« – es geht darum, eine neue Welt zu erschaffen, zunächst als eine Art Mind-Theater, ein Theater im Kopf, ein aggressives und egozentristisches Gedankenspiel. Das Fabulieren einer neuen Wirklichkeit, die ausgehend vom eigenen Hirn gefährlich real wird und in die ganze Welt ausstrahlt. Bruce wünscht sich eine Show vor 1100 Betrunkenen und malt sich und seinen Zuschauern die orgiastische Situation aus, die hier entstehen könnte. Das Mind-Theater denkt immer in Projekten, projiziert dessen Realisation in die Zukunft, und arbeitet grundsätzlich besser in der eigenen Vorstellung und in der Vorstellung des Publikums, als in der tatsächlichen Umsetzung. Diese Ideen sind zugleich positiv-kämpferisch und destruktiv. Der Desperado oder Superheld ist nicht nur Richter und Retter, sondern auch Rächer und Zerstörer. Seine Selbstherrlichkeit und sein rücksichtsloser Hunger nach Wahrheit und Gerechtigkeit bergen eine Gefahr für die Gemeinschaft insofern, als sie ihrem Prinzip nach asozial sind. Die Rhetorik des Aufklärens und Entlarvens geht leicht in Wüten über. »Denn in der Tiefe meines Herzens war Mord; ich wollte Amerika zerstört, dem Boden gleichgemacht sehen. Aus reiner Rachsucht wollte ich, dass dies geschähe, als Sühne für die Verbrechen, begangen an mir und all denen, die nie ihre Stimme erheben und ihrem Hass, ihrer Auflehnung, ihrer berechtigten Blutgier Ausdruck verleihen konnten. Ich war das schlechte Produkt eines schlechten Bodens. Wenn das Selbst nicht unvergänglich wäre, so wäre das ›Ich‹, über das ich schreibe, längst zerstört. Manchen mag das ausgedacht vorkommen, aber was immer ich mir als geschehen ausdenken könnte, ist wirklich geschehen, jedenfalls mir. Die Geschichte mag das leugnen, da ich in der Geschichte meines Volkes keine Rolle gespielt habe. Aber sogar wenn alles, was ich sage, falsch, voreingenommen, gehässig, böswillig ist, selbst wenn ich ein Lügner und Brunnenvergifter bin, ist es trotzdem die Wahrheit und muss geschluckt werden.«37

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Die Zerstörung geht mit der Wahrheit Hand in Hand, einer persönlichen, autokratischen, völlig subjektiven und sich allem widersetzenden Wahrheit, die trotzdem eine universelle Gültigkeit fordert und behauptet. Es ist die Wahrheit, die ganz Amerika den Kopf kosten kann, nicht aber dem einen unzerstörbaren Ego, dessen Kopf sie entspringt. Das erzählende Ich wird von einer zerstörerischen Heiligkeit umstrahlt, es wird zur modernen Christus-Figur, in der sich »der ganze negative Trieb der Menschheit zu einer ungeheuren, trägen Masse zusammenballt, um den integeren Menschen zu schaffen, die Zahl Eins, eins und unteilbar«38. Der integere Mensch ist gefährlich, denn er lässt nichts gelten als sich selbst und die Wahrheit, die er verkörpert, eine völlig ungebundene Wahrheitsethik, die von nichts anderem bestimmt wird als von einem persönlichen LustUnlust-Prinzip. Hierin liegt die Besonderheit dieser »melodramatischen Imagination«39: Das Melodrama ist seiner religiösen und ethischen Fundamente beraubt. Es bewegt sich in einem Bereich außerhalb der Moral im Sinne eines sozialen Systems, wird dabei aber nicht amoralisch sondern hypermoralisch. Die im Melodrama repräsentierte Welt wird mit einem nie dagewesenen Bedeutungsdruck versehen, aufgeladen mit einer vollkommen egozentrischen Moralität, unter deren Druck sie kollabiert.40 Dies ist das Wesen des heiligen Desperado: Er ist zugleich Verbrecher und Moralist, wobei die egozentrische Moral ein so unveräußerlicher und persönlich geprägter Bestandteil seiner selbst wird, dass sie ihn asozial und somit zum Verbrecher macht. Die Entsprechung dieses Egozentrismus ist eine neue Art der Souveränität auf der Bühne. Die heiligen Desperados nicht mehr überdrehte Stimmungsmacher, sondern sie exponieren sich durch eine neue Introvertiertheit und scheinbare Gleichgültigkeit gegenüber den Zuschauern. Sie denken nach, während sie sprechen, suchen nach Worten, stammeln und benutzen Füllwörter, bis sie auf eine neue Assoziationskette stoßen. Sie warten nicht mehr auf den Lacher, sie rechnen nicht einmal damit, denn sie machen keine Witze mehr. Sie blicken auf ihre Schuhspitzen, fahren sich nervös mit der Hand durch die Haare. Sie brechen alle Regeln des Entertainment und scheinen nicht zu wissen was sie tun. Dick Gregory beschreibt diese neue Bühnenhaltung in seiner Autobiographie: »I started doing some satire. I didn’t know it was satire. It was just standing on a stage during the all-fraternity variety show and talking to a crowd of white people about school and athletics and the world situation and how tough it was to run away from home these days unless you came from a family with a second car.«41

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Nicht zu wissen, dass man Satire macht und dass man komisch ist, heißt, einfach dazustehen und zu sagen was einem einfällt, die unwahrscheinliche Wahrheit zu sagen – und damit glaubwürdig zu sein. Die Politicos der Nachkriegszeit produzieren die Wahrheit nicht, die sie verkünden. Sie produzieren auch nicht das Lachen, das ihre Bemerkungen hervorrufen, denn wenn gelacht wird tun sie überrascht. Die Wahrheit ist um sie, und in ihrem zynischen Blick auf die Welt. Sie haben die Wahrheit und geben sie scheinbar unkontrolliert von sich. Der Solist ist nicht mehr Unterhaltungs-Dienstleister, sondern Prophet. Die Zuschauer sind nicht mehr Kunden, sondern Zeugen. Der Sicknick isoliert sich mehr und mehr, macht seinen Fall zu einem Krieg um die absolute Rede- und Handlungsfreiheit, zu einem Kampf um das Recht der absoluten Minderheit, die er ist – das Recht der vereinzelten, nicht sozialisierbaren Person. Die Vereinzelung ist aber auch Ursache für seine Melancholie. Nach den verbalen Exzessen von Schöpfung und Zerstörung sackt er zurück in die Isolation. Zu Gast bei Steve Allen wird Lenny Bruce nach seinem energischen Monolog plötzlich still. Es folgen einige Klavierakkorde aus dem Off, und der traurige Abgesang seines Auftritts: »All alone. All alone. Oh, what joy to be all alone. I’m happy alone, don’t you see. I’ve convinced you, now how about me? All alone.«42

Dass das Lied auch als Abschied an seine kurz zuvor beendete Ehe mit Honey Harlowe gedacht ist43, zeigt ein weiteres Mal den nicht zu durchbrechenden Selbstbezug. Das Theater der Einsamkeit geht in die Dauerschleife. »Gott« ist allein und erzeugt ein hermetisch geschlossenes rhetorisches System. »This process of allowing one subject spontaneously to associate itself with another is equivalent to James Joyce’s stream of Consciousness,« schreibt Bruce. »I think one develops a style like that from talking to oneself.«44 Mit sich selbst sprechen, weil niemand anders da ist – aber auch, weil man die Abkapselung braucht, um den Fluss des Sprechens zu entwickeln, der scheinbar auf keine äußeren Vorgaben angewiesen ist, der sich selbst umkreist, ohne aber in sich selbst zu ruhen, ständig angetrieben von Störfaktoren, von Eingriffen der externen Zensur, und von einem inneren Hunger nach Kontakt und Zerstörung. Diese Rhetorik führt zu der seltsamen Mischung aus Zynismus und moralischem Engagement, Totalverweigerung und Sendungsbewusstsein. Der Club in Chicago, von dem am deutlichsten dieser Stil im Show-Talk aus-

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geht, und in dem sowohl Mort Sahl als auch Lenny Bruce, Dick Gregory, Nipsey Russel und in seinen Anfangsjahren Woody Allen ihre wichtigsten Auftritte hatten, nennt sich das Hungry i. Im Fall von Bruce entsteht aus der Hermetik schnell ein selbstreferentieller Teufelskreis. Die Skandalgeschichten um Drogen, Verhaftungen, Gerichtsverhandlungen und Gefängnisaufenthalte geben Bruce Gelegenheit, privat zu werden, sein Bild der Gesellschaft immer näher heranzuholen und an seine eigene, persönliche Geschichte zu binden. Auch wird er immer mehr dazu gezwungen. Zuschauer und Presse wollen wissen, was mit ihm los ist, sie interessieren sich für diese RealPerformance, die von der Bühne herunterkommt, später aber genau dort wiederaufbereitet, kommentiert, im Redefluss verarbeitet und zurückgeworfen wird, um dann wiederum von der Gegenseite auf- und angegriffen, verhandelt, verurteilt zu werden. Die Spirale aus Schuld und Sühne schraubt sich immer weiter in Richtung einer Provokation, einer schmerzlichen, zum Schluss peinlichen Rückkoppelung im Skandal. So wird das komische Auf und Ab des Minstrel, der manisch-depressive Blues-Zustand, in dem Größenwahn und Elend immer nebeneinander existieren, ersetzt durch den Kampf um die eigene Person, einen Krieg bis aufs Messer gegen ein feindliches »System«, an dessen Ende nur die totale Niederlage stehen kann. Der Bankrott, in den Bruce hineingetrieben wird, ist nicht nur ein finanzieller, sondern auch ein künstlerischer. Erst die in ihrer Ganzheit wahrnehmbare Geschichte seines Lebens und Sterbens macht Bruce zum Mythos: In den zwölf Monaten nach seinem Tod werden mehr seiner Platten verkauft als in den acht Jahren seit ihrem Erscheinen. »I learned the truth from Lenny Bruce«, singt Paul Simon, und Bob Dylan dreht die auf den Bürgerkrieg zurückgehende Schlachthymne der Republikaner um45 und schreibt: »Lenny Bruce is dead, but his ghost lives on and on.« Von allen Stand-up Comedians war Lenny Bruce der einzige, der es geschafft hat, das Genre zu transzendieren.46 Zumindest hat er das Genre entscheidend erweitert und für immer verändert. Er ist der erste böse Mann, der erste Bühnendespot im Entertainment, der nichts mehr von den Unterhaltern wissen will, die nach dem Schema von Chabrols Christian Legagneur47 funktionieren, der statt dessen das Innerste seiner Person nach außen kehrt, die eigene Haut zu Markte trägt und sich damit in einem Milieu von Zensur und Bigotterie selbst zugrunde richtet. Der hemmungslose Egozentrismus und die Selbstherrlichkeit seiner Rede werden zur Grundlage für die zeitgenössische Personality Show, und für die Herrscher des Late Night-Formats, die allabendlich den Tag erklären. Die Erzählung ufert aus, wird wild, wird Wirklichkeit.

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Selbstreferentieller Teufelskreis im Kampf gegen die Behörden: Lenny Bruce wird verhaftet.

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2. Die Attacke der B-Liga »Judge, judge, dear kind judge, send me to the electric chair!«48 singt Bessie Smith in einem Blues. Sie fleht ihren Richter an, sie zum Tod zu verurteilen. Sie kommt ihm zuvor in seiner Härte, ist noch einen Schritt schneller als er im Aburteilen, und in ihrer Autoaggression noch viel härter als das Gesetz jemals sein kann. Sie setzt sich selbst unter Strom und katapultiert sich mit diesem Energiestoß aus der Melancholie ihrer Musik hinaus, und hinein in eine nicht mehr resignative, sondern renitente Grundstimmung. Die Verzweiflung wird aggressiv: Wer um die Hinrichtung bittet, der hat definitiv nichts mehr zu verlieren, der ist zu allem bereit und schlägt der Autorität ihre repressiven Waffen aus der Hand. Hier verwandelt sich die Depression des Blues in einen Amoklauf gegen die eigene Person als soziales Wesen, und damit gegen die ganze Idee einer Gesellschaft, die auf Recht und Gesetz beruht. Der Desperado ist nicht nur ein Verzweifelter, sondern auch ein aus der Verzweiflung heraus Handelnder, das heißt einer, der aus seinem Zustand völliger sozialer Isolation eine subversive Energie gewinnt, und der, wenn er den Kopf hebt und sich den Staub der Straße aus den Kleidern klopft, zu ungeheuerlichen Taten fähig ist. Er kennt keine Kompromisse und keine Grenzen. Er muss keine sozialen Rücksichten und Einschränkungen anerkennen, weil er selbst nicht anerkannt ist. Er kennt nur sein eigenes Gesetz, seinen ganz persönlichen Plan, den er mit absoluter Rücksichtslosigkeit verfolgt. Mit Lenny Bruce wird in die Unterhaltung die Möglichkeit eines Pathos der Randständigkeit eingeführt, ein Outlaw-Bewusstsein, das dem Fringe49 – dem ausfransenden Rand der Unterhaltungsszene, zu einem Comeback durch die Vordertür verhilft. Mit dem gefeierten Tod des Entertainers, der in die Studentenbewegung Ende der sechziger Jahre fällt, formieren sich die Ränder der Unterhaltung mit neuem Selbstbewusstsein. Gesucht werden nicht mehr Unterhaltungsdienstleister, sondern Helden der Wahrheit und der Redefreiheit. Allmählich erreichen die Unterhalter aus dem Off, die bisher ein Publikum aus Urlaubern, Rednecks und Pensionären humoristisch versorgt haben, vermittelt durch Mainstream-Hosts wie Steve Allen auch ein intellektuelles Publikum und werden als subversive Charaktere und Anwälte des Freedom of Speech verehrt. Ihr Dirty Talk und ihre Skandalgeschichten aus dem BackstageBereich werden uminterpretiert zu einem Ruf nach sexueller Befreiung, Zivilcourage und Exzentrizität. Die Randständigkeit territorialisiert sich unter anderem in Las Vegas, der Stadt in der Wüste, diesem von Halbkriminellen aus dem Boden gestampften Ort außerhalb der legalen Restriktionen gegen Glücksspiel und Prostitution. Las Vegas ist eine Stadt, die scheinbar nur aus Fluktuation

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besteht, die Heimat der Heimatlosen, der Spieler, Abenteurer, Urlauber, Prostituierten und Animateure.50 Vegas ist auch eine zwielichtige Parallelwelt. Hier präsentieren sich nicht nur die internationalen Stars, die aus L.A. und New York zu Rekord-Gagen eingeflogen werden, sondern auch die abgetakelten Routiniers und Erzähler von Herrenwitzen, die ihren Break51 nie erlebt haben und nach mehreren Jahrzehnten im Geschäft auch nicht mehr darauf hoffen. Sie sind irgendwo in dieser Vorhölle hängen geblieben, sie stagnieren, halten sich über Wasser, sind aber eigentlich Versager und Verräter am American Dream. Die besten von ihnen, wie Redd Foxx und Don Rickles, haben diesen Anflug von Bitterkeit, den das Dasein als Underdog beinhaltet, in ihrer Performance behalten. Sie machen ihre Raucherlungen und ihre vom Whiskey gegerbten Stimmen zu ihren Markenzeichen, und werden nun von einem neuen Zuschauerkreis mit verstärktem Interesse an allem, was einem Kulturestablishment zuwiderläuft, als soziale Deserteure honoriert und bewundert.

Redd Foxx Als Redd Foxx mit der Serie Sanford and Son in den USA bekannt wird, ist er von einer dreißigjährigen Karriere als Alleinunterhalter in kleinen Clubs und Vegas-Casinos verbraucht, und gerade das sieht man, hört man und schätzt man an ihm. Jetzt wird er auch für die großen Orte in New York und Los Angeles gebucht, im Fernsehen werden ihm ComedySpecials gewidmet, und in der Tagespresse erscheinen regelmäßig Schlagzeilen über seine Alkoholexzesse, fingierten Herzinfarkte, divenhafte Allüren und Extravaganzen. Auf den großen Bühnen, auf denen er jetzt erscheint, steht immer noch, wie in der Vegas-Zeit, ein kleiner Tisch mit einem Whiskeyglas, einem Aschenbecher und vier Schachteln Zigaretten, die er im Lauf eines Abends verraucht. Er trinkt, raucht und lacht über seine eigenen Witze, mit einem Grunzen tief in den verschleimten Bronchien. Er schaut sich seine Zuschauer genau an, unterbricht seine Witz-Serie für kurze, wohlwollende Kommentare wie: »Nice laugh«, »nice ring«, »nice dress«, »nice taint«, »nice couple«, etc. Er ist selbst Zuschauer, der nichts anderes zu wollen scheint als einen angenehmen Abend zu verbringen. »What do you give an elephant with diarrhea? Lotsa room! What’s a sardine? A little fish that smells like a finger. What’s a brute? A guy who puts a prophylactic on with a tire iron. How does a French girl hold her liquor? By the ears.«52

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Solche Vierer- oder Fünfer-Serien, bei deren Vortrag er kaum Zeit zum Verstehen und Lachen, geschweige denn für den Prozess einer kritischen Distanzierung lässt, wechseln mit meta-komödiantischen Kommentaren über sich selbst, die eigene Arbeit und seinen Lebensstil am Rand der Asozialität. »You know, most people use the words that I use during daytime – but I don’t get up till night, so that’s when I use them.«53 Dabei ist er so weich in seinem Timbre und gleich bleibend in der Intonation, dass man bei den vielen Kompilationen seiner Party Records, obwohl sie aus dem Material vieler Jahre immer wieder neu zusammengestellt werden, die Schnitte kaum bemerkt.54 Er überfliegt seinen Text, wie der Priester die vorgeschriebenen Gebete, mit einer Routine, aus der er sich nur ab und zu ausklinkt um zu extemporieren, was dann allerdings zu einem besonderen Ereignis wird. »You know, I talk about sex mostly, and that’s why people say I’m dirty, gross, vulgar – a dirty old man. Now let me tell you folks, that’s a lot of shit!« (Gelächter) »You say shit, fuck and nigger: ›Hey fuck, nigger, how the shit you’re doing?‹ You know why I say fuck, because most people do it. If you’ve never fucked, shit. If you never shit, fuck!«55 etc. etc.

Was davon im Ohr bleibt, ist eine Folge von »fuck« und »shit«, von der man gar nicht mehr weiß, wie sie motiviert ist, noch wie sie syntaktisch und semantisch verbunden war. Aber die Sätze gehen zu schnell vorbei, um ernsthaft zu provozieren. Der Performer windet sich wie ein Aal durch diesen Hindernis-Parcours aus Dirty Talk, wird unterwegs noch schnell ein paar Komplimente und Kellnerwitze los, um dann wieder zu seinem Lieblingsthema zu kommen, zur Frage seines Stils. Bei Foxx wird alles zur Stilfrage, sogar das Politische: »When we’re marching, people start screaming in the suburbs: ›Back to Africa with them, back to Africa!‹ Let’s say: Back to Africa with who?! I’ve never been to Africa. You wanna send me home, send me to St. Louis, Missouri. 4461, in right, top floor. Africa! What’d I look like, standing in the jungle, with a 750 $ suit and alligator shoes?«56

Das ist der Vegas-Stil: Dirty Talk, Politik und soziale Kommentare sind Färbungen geworden, die entsprechend als Blue Humor bezeichnet werden und entspannt neben dem harten Politwitz im Stil von Bruce und Sahl herlaufen, ihn auslaufen lassen, abgeklärt und ohne Wut, aber trotzdem immer mit der Bitterkeit dessen, der sich um Gesundheit, Reichtum und Anerkennung betrogen fühlt, der jederzeit bereit ist, alles hinzuwerfen und Skandal zu machen. Redd Foxx verlässt, nach dem Sensationser-

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»Back to Africa with who?« - Redd Foxx.

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folg von Sanford and Son, nach mehreren eigenen TV-Shows, GrammyNominierungen und einer Serie auf ABC, scheinbar aus einer Laune heraus das Fernsehen, um nach Vegas zurückzugehen, wo er hergekommen ist. Seine Shows beendet er entsprechend, mit dem immer gleichen Sermon: »It’s been very nice being with you, I hope you had some fun out of this, if anyone here in the audience has been offended by anything I might have said or done during the course of my trying to entertain you, I want you to know sincerely from the bottom of my heart, that I don’t give a shit!«57

Don Rickles Don Rickles, dessen künstlerische Heimat ebenfalls Vegas ist, wird Anfang der Siebziger Jahre so etwas wie ein professioneller Gast bei Talk Shows und Late Night Shows. Regelmäßig sitzt er auf dem Sessel neben Johnny Carson, lieferte sich dort endlose Wortgefechte mit dem Host, schickte Beleidigungs-Tiraden gegen das Saalpublikum, die Musiker, die Techniker, und auch gegen die für ihn unsichtbaren Fernsehzuschauer, unter denen er immer einige seiner persönlichen Feinde vermutet.58 Sein Auftritt wird unterlegt von Torrero-Musik. Er schreitet mit ausgebreiteten Armen durch den Zuschauerraum, schüttelt Hände und klopft auf Schultern wie ein Präsident, holt, sobald der Geräuschpegel abebbt, tief Luft und schreit den Bandleader an: »Now you’ve ruined the whole show! I am not gonna do this show!«59 Von diesem Moment an schimpft er ohne Unterbrechung bis zu seinem versöhnlichen Schlusslied zwei Stunden später. Seine Show findet tatsächlich nicht statt, wie er angedroht hat, bzw. sie besteht aus einer langen Reihe von Gründen, warum sie nicht stattfinden wird. Von Beleidigungen einzelner Zuschauer geht er über zu Beleidigungen Prominenter, wobei er die Ressentiments eines Unterprivilegierten gegenüber denen zur Schau stellt, die es geschafft haben. Das Star Insulting wird mit der Zeit zu einer Standardnummer seiner Show, besonders dann, wenn sich eine dieser Personen im Zuschauerraum befindet. In einem Nachtclub entdeckt er Frank Sinatra und ruft ihm zu: »Your voice is gone, it’s all over for you, you’re making a fool of yourself.«60 Über Bob Hope sagt er in dessen Anwesenheit: »Bob Hope’s so popular, when he was in Vietnam they were shooting at him from both sides.«61 Und als sein Vegas-Kollege Bob Newhart zum ersten Mal seine Show besucht, schreit er: »Bob Newhart is a stammering idiot, and his wife is a former hooker from Bayonne!«62 Dabei lässt die Uneigentlichkeit seiner Show, ergänzt durch das Bewusstsein eines festgelegten Beleidigungs-Rituals, dem niemand entgehen kann, sogar die größten Geschmacklosigkeiten

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erträglich und integrativ wirken.63 Die Zuschauer werden zu einer Gemeinschaft der Beschimpften gemacht, in der möglichst jeder mit einem bösen Kommentar, oder zumindest mit einer kollektiven Aburteilung nach Hause geschickt wird. Die Möglichkeit der Distanzierung ist jederzeit gegeben, schon allein dadurch, dass dieser froschgesichtige Zwerg selbst immer nur als Star zweiter Klasse auftritt, der niemals ein eigenes TV-Format hatte, der laut eigener Aussage nicht einmal dazu fähig ist, auf der Bühne einen Witz zu erzählen, und dessen Show sich selbst vom Schwanz her auffrisst.

Der Society-Clown Don Rickles mit Judy Carne in Rowan and Martin’s Laugh In.

Redd Foxx und Don Rickles feiern das halbseidene Milieu, dem sie entstammen. Sie benutzen ihr Dasein in der zweiten Reihe, um sich selbst zu Predigern des Fringe zu machen und aus ihrer Nische heraus den Rest der Menschheit zu beleidigen und zu verderben. Ihr Ruhm beruht auf der Konsequenzenlosigkeit und Harmlosigkeit der Strohfeuer-Skandale, mit denen sie sich umgeben, und die immer wieder auf ihre zweifelhafte Herkunft und ihre einstudierte Rolle als Outcasts zurückverweisen. Wenn niemand mehr lacht, drehen sie sich einfach um und gehen weg.

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Andy Kaufman Mit Andy Kaufman taucht Mitte der siebziger Jahre in Saturday Night Live ein Unterhalter auf, dessen Aktionen auf der Bühne und im Fernsehen bei Zuschauern und Kritikern ähnliche Ratlosigkeit hervorrufen wie die von Lenny Bruce zwei Jahrzehnte zuvor. Andy Kaufman ist ein Performer, der den anzüglichen Stil der Vegas-Bühnen zitiert, zum Beispiel mit seiner Figur Tony Clifton, einem schlechtgelaunten Lounge-Sänger, der, ähnlich wie Rickles, seine Show immer wieder unterbricht, um sich über die unzumutbaren Arbeitsbedingungen und das unverschämte Publikum zu beschweren. Oft tritt Tony Clifton als Opener für einen Kaufman-Abend auf, und singt so lange seine Schnulzen, bis die Bühne mit Müll und faulem Obst bedeckt ist, das Fans nach ihm geworfen haben. Kaufman besteht darauf, dass Clifton eine reale Person ist, und nicht eine seiner Figuren. Er lässt ihn vor seinem eigenen Auftritt notfalls auch zwei Stunden oder länger singen. Kaufmans andere Hauptfigur, der Foreign Man, trägt mit italienischem Akzent, langen Stockungen und völlig unprofessioneller Sprechhaltung Rudimente von Witzen und Impressions im Henny-Youngman-Stil vor: »My wife she cook so bad, it is horribul.« Aus dem Mund eines Fremden, der nicht einmal der amerikanischen Sprache mächtig ist, ergießt sich das Repertoire solcher Erzähler von Herrenwitzen, die eigentlich längst ausgestorben sind. David Letterman sagt über Kaufman, als er ihn zu seiner Show einlädt: »I think it’s important to have guests who annoy the public.«64 Die Ankündigung ist taktisch, da Letterman selbst nicht weiß, was Kaufman in seiner Show tun wird. Aber tatsächlich gehört das »annoying« ganz explizit zu Kaufmans Programm. Seine Shows sind oft Durchhalte-Experimente und Zumutungen für die Zuschauer, die gekommen sind, um ihn in seinen bekannten Standard-Rollen, als Elvis Presley, Bongo-Man, Tony Clifton oder José Jimenez zu sehen, die aber schlimmstenfalls miterleben müssen, wie der Performer eine ganze Nacht lang im schwarzen Anzug aus The Great Gatsby vorliest, und zwar nicht nur die erste Seite, nicht das erste Kapitel, sondern das gesamte Buch, von Anfang bis Ende. Am Schluss von Kapitel drei verfällt er dann plötzlich in seinen Foreigner-Tonfall und schlägt vor, seine Lieblingsplatte vorzuspielen, was im Zuschauerraum erleichtertes Jubeln auslöst. Aber von der Platte kommt dann wieder nur The Great Gatsby, von ihm selbst vorgelesen. Acht Stunden später, als er das Buch zuklappt, sitzt nur noch ein einziger schlafender Zuschauer in der dritten Reihe.65 In einer anderen Show legt er sich selber auf der Bühne ins Bett und versucht zu schlafen, während ihn die Zuschauer durch Schreien und Johlen daran hindern wollen.

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Die egozentrischen Exzesse, bei denen Kaufman scheinbar nur entsprechend seines eigenen momentanen Gemütszustandes handelt, machen ihn bei einem Fernsehpublikum, dem er bei seinem Debüt 1975 weitgehend unbekannt ist, zunächst berüchtigt, später verhasst. Bei seinem TVSpecial66 baut er an den spannendsten Momenten Bildstörungen ein und schneidet immer wieder auf sich selbst, wie er vor dem Fernseher sitzt und seine eigene Sendung verfolgt. »So I will just sit here for fourty minutes. They will think it is a joke, but after fourty minutes they will see it’s no joke.«67 Er ist unter den ersten, die für das Fernsehen eine Art medialen Terrorismus inszenieren, der mit seiner Verschwendungs-Ästhetik sowohl die ökonomischen und marktstrategischen Prinzipien der Sender, als auch die eigene Vermarktung als Star zu unterlaufen scheint.68 Aus Saturday Night Live wird er in einem von ihm selbst inszenierten Zuschauer-Ted mit überwältigender Mehrheit rausgewählt, was die verantwortlichen Produzenten dazu bewegt, ihm tatsächlich zu kündigen. Anfang der Achtziger wird er für eine ähnliche Show, Fridays, gebucht, später auch für die Soap Taxi, die er aber beide immer wieder mit seinen inszenierten Skandalen sprengt, wie z.B. dem plötzlichen Ausstieg aus einer Rolle, dem nachfolgenden Streit mit dem Regisseur und seinen Schauspielerkollegen, und einer abschließenden Prügelei – ein Ereignis, das am nächsten Tag als Fernseh-Debakel durch die Presse geht.69 Schließlich beginnt Kaufman damit, bei seinen Live-Shows frauenfeindliche Witze zu erzählen, und zwar so lange, bis eine Frau aus dem Zuschauerraum zu ihm auf die Bühne kommt und ihn im Ringkampf zu besiegen versucht. Diese Szene wird sich zu seinem mehrere Jahre andauernden Wrestling-Projekt auswachsen, das ihn bei den Fernsehzuschauern so unbeliebt macht, dass er bald nirgends mehr auftreten kann. Zunächst schließt er öffentlich eine Wette ab, dass, sobald ihn eine Frau im Wrestling besiegen könnte, er sich den Kopf kahl rasieren, dieser Frau tausend Dollar geben und sie noch im Ring heiraten würde. Nach mehreren Runden dieses Spiels in verschiedenen Fernseh-Shows fordert ihn Jerry Lawler, der größte Star des Show-Wrestling innerhalb seiner eigenen Sendung über die Fernsehkameras auf, doch nicht immer nur gegen Frauen, sondern auch einmal gegen einen richtigen Wrestler wie ihn zu kämpfen. Kaufman nimmt die Herausforderung zuerst nicht an, reist aber zu Lawlers Auftritten, um ihn aus sicherer Distanz zu beschimpfen und zu beleidigen. Das ist der Beginn einer über alle Kanäle kommunizierten persönlichen Fehde zwischen Kaufman und Lawler, mit mehreren unfairen Wrestling-Kämpfen, in denen sich Kaufman immer wieder als Feigling präsentiert und mit gebrochenen Wirbeln im Krankenhaus landet, mit Prozessandrohungen, mit Hasstiraden im Fernsehen, gegen Lawler und den ganzen amerikanischen Süden, dem dieser entstammt, gegen die

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Farmer, ländlichen Dummköpfe und »Hicks«.70 Das egozentrische Prinzip des Desperados allein-gegen-alle wird hier noch einmal deutlich inszeniert. Der Hass gegen den anderen Menschen, gegen die eigenen Zuschauer, gegen Amerika erreicht ein Niveau, auf dem er verwirrend echt wirkt. Bis zum Schluss wissen in den USA viele Menschen nicht, dass Kaufman und Lawler ihr Projekt abgesprochen und in jedem einzelnen Schritt geplant haben. Kaufman schöpft hiermit noch einmal das ganze Pathos der Echtheit und das selbstzerstörerische Potential des Skandals aus, bis zum Schluss, im Dezember 1983, als er sich, bereits schwer krank, in Lettermans Late Night anmeldet. Laut Skript sollte Letterman seinen Gast in dieser Show fragen: »What did you get for Christmas, Andy?« – und Kaufman würde darauf geantwortet haben: »Cancer.«71 Der Rand – The Fringe – bezeichnet eine neue Gruppe von SoloEntertainern, die sich nicht mehr als Teil der guten Gesellschaft sehen, die mit ihrem Smalltalk als Gleiche unter Gleichen ihre Umgebung amüsieren. Die Performer des Fringe befinden sich mit ihrer Umwelt nicht mehr im Einklang. Sie tragen ihren Beruf wie eine Last, verzehren sich im eigenen Geschäft, geben sich ganz und gar hin und fordern im Gegenzug die Einzigartigkeit, die ungeteilte Aufmerksamkeit, das absolute, unbezweifelbare Recht des Ego. Sie sind Eroberer, die neue Kanäle der Kommunikation für sich beanspruchen und ihren Wirkungskreis ständig erweitern, um ihre persönliche Schlacht möglichst gegen die ganze Welt austragen zu können. Sie reizen alle Möglichkeiten despotischer Inszenierung aus, müssen immer größer, immer ungeheuerlicher werden. Weil ihre Show nicht die Möglichkeit einer zyklischen Erneuerung hat, weil sie ihr ganzes Leben und jeden Bereich ihres Daseins umfasst, deshalb muss sie irgendwann schmerzlich, peinlich und traurig werden. Am Schluss verliert das Pathos seinen doppelten Boden und es wird der Punkt erreicht, an dem es keine Leichtigkeit mehr gibt, weil jede Möglichkeit der Distanzierung verlorengegangen ist. Sam »The Beast« Kinison, der »Shouting Comedian«, der seine homophoben Ergüsse über Sex, Drogen und Nekrophilie wie ein Heavy Metal-Sänger ins Publikum schrie, rief seinen Fans zu: »You are my friends, then kill me!! I wanna die, I pray for death!!«72 Die Show hört nicht auf, sie geht so lange weiter wie der Performer weitergeht, und mit ihm wächst sie sich zu Tode. Der Tod muss kommen, und seltsamerweise kommt er dann meistens auch, pünktlich, wie ein letzter böser Witz.

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Medialer Terror: Andy Kaufman droht Jerry Lawler nach einem verlorenen Kampf in einer Fernsehansprache und beschimpft dessen Fans.

3. Das Ende der Comedy

Pater Brown: Wollen Sie nicht wissen, wie ich Ihr Stück fand? Regisseur (als Teufel verkleidet): Nein. Pater Brown: Ich sage es Ihnen trotzdem: Schlecht. Daher nicht gefährlich. Zu schlecht.

Dick Gregory ist der erste, und wahrscheinlich der einzige Entertainer, der sich zu einem radikalen Bruch mit seinem Beruf zugunsten der Politik entschließt. Er kann die genuine Uneindeutigkeit der Bühne, an der zeitgleich mit ihm Lenny Bruce und Mort Sahl scheitern, nach eigener Darstellung nicht mehr ertragen. Der Balanceakt zwischen Unterhaltung 116

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und Politik erscheint ihm unseriös, das Spiel mit den Erwartungen einer sensationslustigen Öffentlichkeit, wie es seine Zeitgenossen betreiben, betrügerisch. 1966 gibt er seinen endgültigen Ausstieg aus dem Showgeschäft bekannt, um sich von nun an ganz seiner Aktivität gegen die Segregation im Süden zu widmen. 1968 ist er der erste Schwarze, der bei den Präsidentschaftswahlen kandidiert. »Wir haben Hitler nicht aus der Welt gelacht,« sagt er. »Entertainment entspannt die Leute ausreichend, dass sie ihre Miete oder diese und jene Frist für ein paar Minuten vergessen können. Das ist das einzige, was ich als Entertainer zustande bringe. Aber wenn ich an Hochschulen und Universitäten Vorlesungen gebe, dann spiele ich keine Spiele... Eines Tages wird es ein Mittel gegen Krebs geben, aber es wird nicht gute Laune sein.«73 Gregory hat ein lebenslanges ambivalentes Verhältnis zur Comedy, und ein tiefes Misstrauen gegenüber dem Lachen als Äußerung eines vorübergehenden Wohlbefindens, das nicht auf Erkenntnis beruht, sondern auf Täuschung, Verwirrung, Verführung und Flucht vor einer schwer erträglichen Realität. Das Lachen ist für ihn insofern teuflisch, als es verblendet und lähmt. Der Wahrheitsdurst des Predigers und des politischen Aktivisten kann mit dem Lachen niemals Frieden schließen. Der Comedian-Politician muss, soweit er sich nicht ausschließlich für eine der beiden kommunikativen Strategien entscheiden kann, letztlich in den selbstreferentiellen Teufelskreis hineinrutschen, in den Zwang der ständigen Selbstüberbietung, an dem Bruce gescheitert ist, als Entertainer und als Politiker. In seiner Ablehnung des Lachens als Mittel der Politik bricht Gregory auch ganz bewusst mit der Tradition des Minstrel, die den Schwarzen lediglich als die »Karikatur«74 eines Menschen sieht, und dessen ganzes Tun als komisch unbeholfenes Nachäffen echter Kultur, echter Politik, echten Menschseins. In einer solchen Gegenüberstellung von Comedy und Politik spielt, neben der biographischen Entwicklung des Künstlers innerhalb der politischen Rahmenbedingungen der Bürgerrechtsbewegung, auch eine traditionelle Sichtweise des Lachens eine Rolle, wie sie z.B. Baudelaire systematisiert hat. »Der Weise lacht nur unter Zittern«75: ausgehend von diesem Satz stellt Baudelaire das Lachen als eine Äußerung dar, die in ihrer Komplexität und Widersprüchlichkeit immer »Unwissenheit und der Schwäche«76 impliziert, im Gegensatz zur »Reinheit und Naivität«77 des Weisen oder des Heiligen. Baudelaire bezeichnet den Lachenden als einen »lebendigen Widerspruch«78, insofern sein Lachen zugleich »Zeichen einer unendlichen Größe und eines unendlichen Elends« ist.79 Diese Sichtweise kommt aus einer christlich geprägten Denktradition80, und sie bildet in der Situation des politischen Umbruchs der 60er Jahre die Grundlage für eine sehr ambivalente Verstrickung von Politik, Comedy

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und Entertainment, innerhalb derer zugleich die strenge Separation von Lachen und Botschaft, von »Wahrheit« und »Lüge«, von »Schwarz« und »Weiß« gepredigt, und eben diese Separation auf eine subtile Art wieder unterlaufen werden kann; innerhalb derer in einem ersten Schritt die Brechungen und Verwirrungen des Komischen als schwächend abgelehnt, in einem zweiten Schritt die Show mit ihren komisch-despotischen Protagonisten aber wieder eingeführt wird, sozusagen durch die Hintertür, wodurch sich das Konzept der politischen Wahrheits-Verkündung, des preaching81, zu einem zugleich radikal-emphatischen und komischen Spektakel entwickelt. Dieser Prozess der Trennung von Lachen und Künden, und die letztendliche heimliche Wiedervereinigung beider, ist das Thema dieses und des folgenden Unterkapitels. Die stilistische Entwicklung der politischen Rede geht dabei mit der tief greifenden politischen Umwälzung des Civil Rights Movement Hand in Hand. Dick Gregory beginnt seine Karriere als Comedian während seiner Zeit bei der Army. Ab 1954 tritt er dort in Special Service Shows auf.82 Nach seiner Entlassung arbeitet er zunächst in Chicago als MC für verschiedene schwarze Clubs, versucht später die Eröffnung eines eigenen Clubs, des Apex, und geht, als dieses Projekt aus finanziellen Gründen scheitert, dazu über, Clubs kurzzeitig anzumieten und selbst zu betreiben, um unabhängig von Engagements und stilistischen Vorgaben seinen eignen Stil auf der Bühne weiterentwickeln zu können.83 Sein Wunsch nach Unabhängigkeit erwächst, wie bei Lenny Bruce, Mort Sahl und der New School im Umkreis des Hungry i, aus der Suche nach einer neuen Bühnensprache, die an Stelle des Pointen-Gewitters den ruhigen, assoziativen Fluss einer halb autobiographischen, halb politischen Erzählung setzt. »My shows got better and better, and the lines got longer and longer,« schreibt er.84 Je länger die erzählerische Einleitung einer Pointe, desto besser ist in seinen Augen die Show. Der Witz selbst tritt allmählich in den Hintergrund, das Ablachen und Weglachen der Geschichte wird in der Entwicklung zu einem Stream of Consciousness immer unwichtiger. Der Witz ist darin nur noch ein Teaser, ein Mittel, überhaupt die Aufmerksamkeit des Publikums zu gewinnen und ein Gefühl der Zusammengehörigkeit zu schaffen. »Wenn ich erst die Aufmerksamkeit des Publikums hatte, konnte ich wirklich anfangen zu reden, konnte ihnen über mein Zuhause in St. Louis erzählen, das so kalt war, dass der Schnee auf dem Boden nicht schmolz, das Bett so übervölkert, dass wir Lesezeichen einlegen mussten, um unseren Platz zu reservieren, wenn wir nachts auf die Toilette mussten. Ich habe mich nie wirklich auf diese Shows vorbereitet.«85 Erst nach dem Betrug des Witzes kann der MC dazu übergehen, von seinem eigentlichen, unverblümten Selbst zu sprechen und einfach zu sagen was ihm einfällt. Von nun an ist er unvorbereitet, d.h. ohne feste

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Strategie, ohne die Hinterhältigkeiten, Täuschungsmanöver und rhetorischen Tricks des Witzeerzählers. Er spricht frei, so scheint es jedenfalls, und ohne Absicht, das heißt: er spricht die Wahrheit. Lange Zeit tritt Gregory wie seine Zeitgenossen Mabley, Markham und Russel vor einem ausschließlich schwarzen Publikum auf, bis er 1961 im Playboy Club in Chicago kurzfristig den erkrankten Irwin Corey vertritt. Sein Auftritt dort, vor einer großen Gruppe weißer Tagungsgäste aus dem Süden, wird zu einem solchen Erfolg, dass sowohl der Playboy als auch das Time Magazine darüber berichtet. Es folgen Plattenaufträge und immer mehr Anfragen auch von weißen Clubs. So wird Dick Gregory zu Beginn der Sechziger Jahre der erste schwarze Comedian, der von einem weißen Publikum wahrgenommen wird. Es ist kaum vorstellbar, welch ein Tabubruch das im Jahr 1961 war. Ein Publikum, wie es im Playboy Club verkehrte, verband mit schwarzen Entertainern allenfalls einige Musiker, und solche Unterhalter, die als Clowns mit weit aufgerissenen Augen, dicken Lippen und breitem Kentucky-Neger-Akzent das traditionelle Minstrel-Repertoire bedienten. Es gab Sketche mit schwarzem Slapstick, über Aberglauben, Gefräßigkeit und Gespensterangst, es gab den pseudoexotischen Tanz und die gezähmten Versionen des Jazz, aber es gab bis dahin keinen Schwarzen, der cool, souverän, in weißem Hemd und dezentem grauem Anzug, zwischen den Fingern eine Zigarette, auf einem Barhocker sitzend, die Zuschauer direkt in ihrem eigenen städtischen Slang angesprochen hätte. Über Nipsey Russel, der wenige Jahre zuvor einen ähnlichen Stil in den schwarzen Uptown-Clubs in New York praktiziert, schreibt Sammy Davis Junior: »Lacher für Lacher konnte er sich neben beinahe jedem der großen Namen sehen lassen. Er machte keine ›meine-Frau-ist-so-Fett-dass‹-Witze. Er hatte wirklich etwas zu sagen. Ich versuchte zu verstehen, warum Acts wie unserer ›downtown‹ gebucht werden konnten, aber er nicht. Es war offensichtlich. Wir kamen tanzend rein. Ohne uns selbst darüber klar zu sein, boten wir ihnen etwas, das sie von einem Neger akzeptieren würden. Nat Cole kam singend rein. Das würden sie auch akzeptieren. Louis Armstrong war Jazzmusiker. Das gleiche. Aber mit einem Humoristen war das etwas anderes. Sie waren nicht reif für einen mündigen Menschen, der ihnen auf ihrer eigenen Ebene entgegentreten und Ideen anbieten konnte.«86

Die direkte Ansprache des Solisten, dessen Anspruch der Wortführerschaft schon eine despotische Grundhaltung impliziert, wird, wenn der Solist ein Schwarzer ist, also ein Geschöpf, das eigentlich erst noch erzogen, zivilisiert, zum Menschen ausgeformt werden muss, von einem weißen Publikum in diesen Jahren als eine Zumutung erlebt. Jedes Detail

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spielt eine Rolle. Wenn der Schwarze spricht, dann muss er wie Armstrong immer wieder unter sich schauen, als ein verlegenes Kind; er muss nach Worten ringen, muss verschämt grinsen, sich am Kopf kratzen, muss so wirken, als würde er eigentlich nur gezwungenermaßen das Wort ergreifen, als würde er sich wünschen, dass der Boden sich auftut und ihn verschlingt. Irgendwann muss er, erleichtert und von einer schweren Bürde befreit, zu seinem Instrument greifen und damit in die für ihn vorgesehene Domäne zurückkehren. Wenn er musiziert, muss er schwitzen und stöhnen und sich aufblähen, wenn er tanzt, dürfen seine Füße kaum den Boden berühren. Immer muss die Bühne für ihn sein wie eine heiße Herdplatte, ein bedrohlicher Ort, an dem er nur zu Gast ist, und schonungslos dem allgemeinen Wohlwollen ausgesetzt. Jede neue Nuance seines Blicks, jede Änderung des Tempos, der Position auf der Bühne, der Stimmlage ist eine kulturelle Revolution. Durch seine selbstsichere Hipster-Attitüde wird Gregorys Leben als Entertainer ein Eierlauf. Im Playboy Club eröffnet er so: »Good evening, ladies and gentlemen. I understand there are a good many Southerners in the room tonight. I know the South very well. I spent twenty years there one night... Last time I was down South I walked into this restaurant, and this white waitress come up to me and said: ›We don’t serve colored people here.‹ I said: ›That’s all right, I don’t eat colored people. Bring me a whole fried chicken.‹ About that time these three cousins come in, you know the ones I mean, Klu, Kluck, and Klan, and they say: ›Boy, we’re givin’ you fair warnin’. Anything you do to that chicken, we’re gonna do to you.‹ About then the waitress brought me my chicken. ›Remember, boy, anything you do to that chicken, we’re gonna do to you.‹ So I put down my knife and fork, and I picked up that chicken, and I kissed it.«87

Hier ist Gregory Witzeerzähler. Er erzählt eine gefährliche Situation, aus der er sich nicht durch Entschlossenheit und Unrechtsbewusstsein, sondern durch Ausweichmanöver, verbale Geschicklichkeit und Doppeldeutigkeit herauswindet. Vor einem weißen Publikum bedarf es dieses Vorlaufs, um überhaupt zu dem Punkt zu kommen, an dem er mit der freien Rede beginnen kann. Denn er ist in Gefahr, sich unmöglich zu machen, oder derart blamiert zu werden, dass die Zuschauer kein Vergnügen, sondern nur noch Überdruß oder Mitleid empfinden. »Some day, somewhere, I’d be in a white club and somebody would get up and call me a nigger. [...] It happened in the middle of the late show on the second night. Loud and clear. ›Nigger.‹ The audience froze, and I wheeled

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DIE ERFINDUNG DER WAHRHEIT around without batting an eye. [...] I took a few seconds to look them over and blow out some smoke. ›You know, my contract reads that every time I hear that word, I get fifty dollars more a night. I’m only making ten dollars a night, and I’d like to put the owner out of business. Will everybody in the room please stand up and yell nigger?‹ They laughed and they clapped and I swung right back into my show. Afterwards, the owner came over and gave me twenty dollars and shook my hand and thanked me. I had made my test.«88

Smartness und Freedom of Speech: Der Stand-up Comedian und spätere Präsidentschaftskandidat Dick Gregory.

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Für seine künstlerische Existenz ist es essentiell, die Zustände der Peinlichkeit aufzuheben und den allgemeinen Krampf zu lösen, der angesichts der schwer zu vergessenden Ungehörigkeit eines schwarzen Redners auftritt, die Attacken abzubiegen, zu neutralisieren, zum eigenen Vorteil umzudeuten und sanft zurückzuschicken. Es geht um ein diplomatisches Geschick, um ein Gefühl für die brenzlige Situation, und um deren Bewältigung. Allmählich entwickelt Gregory einen Hass gegen diese ihm aufgezwungenen Verbiegungen, die seinem Stil nicht entsprechen, vor allem angesichts der politischen Entwicklung im Süden, der dortigen Unruhen und deren aggressiver Niederschlagung durch das dortige Regime. Seine Biographie erscheint von Anfang an zweigeteilt. Zum Entertainment kommt er mehr oder weniger unfreiwillig, sein eigentliches Engagement gilt dem Sport und der Politik. 1953 erkämpft er sich an seinem College, für das er dank eines Sportstipendiums zugelassen wird, als erster Schwarzer den Outstanding Athlete Award.89 In seiner Karriere als Sportler gehört er zu den Gewinnern, bringt nachweisliche Leistungen und kann entsprechende Forderungen stellen. Das Leben als Comedian verbindet er dagegen immer mit Lüge, Verstellung und Hochstapelei. Seine Depressionen »rennt« er sich »aus dem Leib«90, Sport und Politik sind Befreiung. Die Comedy dagegen entwickelt sich für ihn zu einem »Monster«91, das nur um sich selbst kreist und Absurditäten gebiert. Auf der Höhe seines Erfolgs fragt er: »In what other country would I have to attend the worst schools, live in the worst neighborhoods, eat in the worst restaurants and average $5000 a week talking about it?«92 Die Comedy als ein Medium, das von der Absurdität solcher Widersprüche lebt, wird für ihn inakzeptabel. Deshalb sieht er schon in seinen Aktivitäten für die Schwarzen-Organisationen CORE, NAACP und SNCC im Jahr 1962 eine Lebensentscheidung, mit der er beginnt, sich vom Showbusiness abzuwenden. »Niemand lacht über einen Entertainer, der sich einsperren lässt« , schreibt er, mit einer Anspielung auf Lenny Bruce. 93 Gregory ist am Scheideweg zwischen Entertainment und Politik, zwischen zwei Welten seines Lebens, die sich nicht vereinbaren lassen. Interessanterweise benutzt er in seinen politischen Ansprache dieselbe Spiegelung wie Bruce in seinem Dirty Talk. In seiner Ansprache in Selma, Alabama sagt er: »Every white man in America knows we are Americans, [...] and some of them know us by our names. So when he calls us a nigger, he’s calling us something we are not, something that exists only in his mind. So if nigger exists only in his mind, who’s the nigger?«94

Der »Nigger« ist natürlich der rassistische Weiße, in dessen Geist dieses Wort verwurzelt ist. Gregory benutzt die Rhetorik von Bruce, aber anders

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als Bruce benutzt er sie nicht provokativ, in einem Kontext verbotener, verschwiegener, angedeuteter Wörter, die nicht angesprochen, sondern nur gedacht werden dürfen. Er spricht die bösen Wörter aus, um sich von ihnen distanzieren zu können. Hier hat das Verführen, Andeuten und Austricksen der Comedy ein Ende, und die Worte werden Handlungen. Es ist nicht mehr ein Outlaw, der hier spricht, sondern ein Amerikaner, der an die Verfassung glaubt, der sich organisiert statt sich zu vereinzeln, und der das amerikanische Staatsbürgertum mit vollem Ernst für sich in Anspruch nimmt. Dick Gregory wird mit der Bürgerrechtsbewegung zu einer der zentralen Figuren in Sport und Kultur, da er eine Politisierung nicht mehr als Seitenaspekt seiner Künstlerpersönlichkeit betreibt, sondern zu direkter politischer Intervention übergeht.

4. Der gefährlichste Entertainer der Welt »Let me say to you, I did not come here this evening to impress you. But only to inform you. And when I leave here tonight, I couldn’t care less what you think of Dick Gregory. Because I will always have this one consolation of knowing that whenever you wake up this year, next year, twenty years from now, what you’ll always be able to say is: ›At least Brother Greg didn’t lie to us‹. [...] We are the only country on the face of this earth that lies on what we’re all about. Mao Tse Tung don’t pretend to be anything else but a communist and a revolutionist. [...] As dirty and as sick as Hitler was, he didn’t pretend to the world – he let the whole world know that he’s filth. And the folks in South Africa, they don’t lie, they let the whole world know they don’t like them niggers. America is the only country that lies about what she is.«95

So klingt Dick Gregory als politischer Redner vor einem studentischen Publikum im Jahr 1967. Im Zentrum seiner Rhetorik steht die Wahrheit als ein von seinem Kontext unabhängiger Wert, der unveränderlich über die Zeiten gerettet wird, und der selbst die größten politischen und menschlichen Verbrechen totalitärer Regime überstrahlen kann. Amerika hingegen, das geliebte und gehasste Land, das sich öffentlich zu Demokratie, Gleichberechtigung und Minderheitenschutz bekennt, betreibt eine Politik des Rassismus und der sozialen Ausgrenzung hinter vorgehaltener Hand. Wenn also Amerika das Land der Lüge ist, dann ist der einzige Ausweg aus dieser politischen Lage eine radikale Demaskierung, die zur Geste des Erweckers führt, eines prophetischen Predigers, der die schlafende Menschheit aus ihrem halb gläubigen, halb resignierten Dämmerzustand aufrüttelt, um sie über den jahrhundertelangen Betrug aufzuklä-

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ren, dessen Opfer sie war.96 Die Erfindung der Wahrheit ist ein Schöpfungsakt, einer Neuschöpfung oder Selbst-Schöpfung, die Gut von Böse, Ordnung von Chaos, Wahrheit von Lüge, Hell von Dunkel, Land von Wasser trennt. In der Rhetorik des Predigers Gregory ist kein Platz mehr für die zwielichtigen Qualitäten des Humors, für die geheimen Eingriffe des Unbewussten, die produktiven Missverständnisse und Doppeldeutigkeiten einer Pointe oder die Zyklothymie einer komischen Figur. Alle Zwischentöne sind aufgehoben, oder werden in ein dichotomes Weltbild aus unvereinbaren Gegensätzen überführt. Die »unsichtbaren Schranken« werden sichtbar gemacht und angegriffen. Das feindliche Territorium wird definiert und vom eigenen Territorium abgetrennt. Und so wird in dieser Rhetorik die alles beherrschende Idee die Trennung schlechthin, die Separation und der Separatismus. Malcolm X wirbt Ende der 50er Jahre, in der Anfangszeit der Nation of Islam Sonntags vor den christlichen schwarzen Gebetsstätten und ruft die Leute zu sich, die aus ihrem Gottesdienst kommen und an diesem Tag offen sind für »good preaching«, für jede Art von charismatischen Predigern, gleichgültig, ob diese Prediger den Methodisten, Adventisten, Baptisten oder sonst einer christlichen oder nicht-christlichen Glaubensrichtung angehören.97 Nach jeder dieser missionierenden Predigten für die N.O.I. fragt Malcolm seine Zuhörer: »Wie viele glauben das, was sie eben gehört haben?« Wenn sich alle im Raum erhoben haben, fragt er weiter: »Wer möchte sich uns anschließen?« Dem Einschwören auf die Wahrheit, nicht ein religiöses Glaubensbekenntnis, sondern eine politische und historische Wahrheit von der Unterdrückung der schwarzen Minderheit in Amerika, folgt sofort die rituelle Einbindung in das neue System, der Treueschwur gegenüber der Organisation und ihrem Oberhaupt. Elijah Muhammad, Gründer der N.O.I., der in den USA seit den Vierziger Jahren eine sehr eigenständige Form des Islam mit politischen Aussagen und Zukunftsvisionen verbindet, predigt diese Religion als einzig angemessene Glaubensform für die schwarzen Amerikaner. Gemäß seines religiösen Dogmas sind die »weißen Teufel«, die jetzt durch Lüge, Täuschung und Gewalt die Erde beherrschen, nur das Produkt eines fehlgeschlagenen Genexperiments, das vor über sechstausend Jahren auf einer Insel vor Afrika stattfand. Für die N.O.I. geht es darum, die schwarzen Brüder vom Einfluss der Weißen zu befreien, die sie einer regelrechten Gehirnwäsche unterziehen, indem sie die eigentlich schwarze Menschheit durch ihr duldsames und passiv leidendes Christentum infiltrieren und hörig machen.98 Der weiße Mann redet mit gespaltener Zunge. Und weil die Lüge das dominierende Charaktermerkmal des Weißen ist, kann und darf eine Integration der Schwarzen in die weiße Rasse, wie sie von den gemäßigten Führern der Bürgerrechtsbewegung wie Martin Lu-

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ther King gefordert wird, niemals stattfinden. Im Gegenteil muss die Lüge, die der weiße Mann den Schwarzen ins Bewusstsein eingepflanzt hat, ausgetrieben werden. Die Lüge, und mit ihr der weiße Teil der Menschheit, der sie beherbergt, muss geistig, körperlich und territorial von den Schwarzen abgetrennt werden. Deshalb kann ein Schwarzer, der sich von Grund auf emanzipieren und die eigene Selbstachtung wiederfinden will, nichts anderes als ein Separatist sein. »Kein vernünftiger Schwarzer will wirklich die Integration! Kein vernünftiger Weißer will wirklich die Integration! Kein Schwarzer, der noch einigermaßen klar im Kopf ist, glaubt wirklich, dass der weiße Mann ihm jemals mehr einräumen wird als eine Scheinintegration. Niemals! Der ehrwürdige Elijah Muhammad lehrt, dass für die Schwarzen in Amerika die einzige Lösung in der vollkommenen Trennung vom weißen Mann liegt.«99 Den Marsch auf Washington beschreibt Malcolm X als ein Beispiel des Betruges, der in der weißen Integrationsstrategie stecke. Er sieht in der Propaganda für diese Demonstration auch bei der weißen Bevölkerung eine Strategie, den ursprünglichen Zorn zu verwässern, abzumildern und in ein sentimentales Ritual der Einheitsbekundung münden zu lassen, das die eigentlichen Probleme nur zudeckt. »Über Nacht hatte sich der Marsch der ›zornigen Schwarzen‹ in etwas verwandelt, was man ›schick‹ finden konnte. Die Teilnahme am Marsch war plötzlich so gesellschaftsfähig wie der Besuch des Kentucky Derbys. [...] Da hatten wir die ›Integration‹! Es war wie Feuer und Wasser.«100 Feuer und Wasser können sich aber niemals mischen, sondern das eine wird vom anderen einfach erstickt. Der Zorn ist die Qualität, die den politischen Aktionismus der N.O.I. bestimmen soll. Zorn, Rede und Gewalt gehören untrennbar zusammen als emotionalisierte Aktionen auf dem Weg in die totale Abspaltung. Malcolm X bezeichnet sich selbst im Rundfunk als den »zornigsten Schwarzen Amerikas«101, und er unterscheidet polemisch zwischen den »Yard Negroes«, die im Haus und Hof ihres weißen Herren beschäftigt waren, unter den Sklaven das beste Leben führten, und dementsprechend die Ideologie ihrer Herren aufsaugten, und den »Field Negroes«, die, gequält von der harten Arbeit und der Peitsche ihrer Aufseher, die ganze Grausamkeit ihrer Herren unverhohlen zu spüren bekamen und ihre Herren deshalb hassen konnten. Die N.O.I. verachtet das Christentum als einen Einfluss, durch den »das Denken der Schwarzen schwammig und konfus geworden« ist102, sie verachtet das »laute Wehklagen« schwarzer christlicher Büßer, die »sich voller Sünden wähnten«103, sie hasst den Blues, der, immer wieder belebt durch Helden der Integration wie Louis Armstrong oder Sidney Poitier, in christlicher Tradition das irdische Leben als einen Leidensweg sieht und auf die bessere »Heimat auf der anderen Seite« hofft. Alles in der Ideologie und in der politischen Praxis der

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N.O.I. beruht auf Separation. Die Rhetorik ist ein in sich geschlossenes, monologisches System, das nicht auf eine Gesprächssituation abzielt, und das mit einer solchen auch nicht umgehen will. Die Wechselrede ist unzulässig, weil jedes Wort des Gegners das Gesagte nur verwirren, Wasser auf das Feuer kippen will. »Wer mich schon einmal im Rundfunk oder Fernsehen gehört hat«, sagt Malcolm X, »der weiß, dass meine Technik darin besteht, so lange ununterbrochen zu reden, bis alles, was ich sagen will, gesagt ist.«104 Die Kommunikationsform der Wahrheit ist der Monolog – die Predigt. Die Ideologie darf nicht verwässert werden, sie lässt keine Gegenargumente oder Fragen zu, sie muss in ihren Grenzen abgedichtet werden gegen jede Einwirkung von außen. In den engeren Zirkel dieser Ideologie können nur die vordringen, die sich in den Abendschulen der Organisation einfindet, zunächst in Hinterzimmern von Restaurants und Bars, später in den immer zahlreicheren Tempeln, den Zentren der Black Muslim. Die Bewegung Elijah Muhammads hat ihr eigenes Schul- und Gesundheitssystem, ihre eigene Drogenpolitik und, mit der Kampftruppe der Fruit of Islam, ihren eigenen Grenzschutz und Sicherheitsdienst. Die schlimmste Strafe der Organisation ist folglich die »Isolation«, der zeitweilige Ausschluss, während dessen kein Mitglied auch nur das Wort an die betreffende Person richten darf. Diese Isolation hat den Stellenwert einer Verbannung, denn das langfristige Ziel der Nation of Islam besteht darin, innerhalb der USA eine dem prozentualen Verhältnis der schwarzen Bevölkerung entsprechende Anzahl von Bundesstaaten zur eigenen Verwaltung zugewiesen zu bekommen. Das Ziel bei der Missionierung des Einzelnen ist ein Prozess der Läuterung, der alle Einflüsse des weißen Mannes ausmerzt und das in jahrhundertelanger Sklaverei absorbierte Gift der Lüge wieder von sich gibt. »Wenn die Entzugserscheinungen einsetzen und der Süchtige schreit und flucht und bettelt: ›Nur noch einen Schuss, Mann!‹ dann sind die Muslims bei ihm und reden im Fixerjargon mit ihm. Der Süchtige krümmt sich vor Schmerzen; ihm läuft die Nase, seine Augen tränen, und ihm bricht am ganzen Körper der Schweiß aus. Er versucht, den Kopf gegen die Wand zu rammen, er schlägt mit den Armen um sich, will seine Betreuer angreifen, er übergibt sich, bekommt Durchfall. ›Lass alles raus! Lass Whitey mit deiner Scheiße zur Hölle fahren, Baby! Du packst es, Mann, aus dir wird was ganz Großes! Ich sehe dich jetzt schon in den Reihen der Fruit of Islam!‹«105 Der Weg zur Wahrheit ist eine Purgation. Unklarheit, Unentschlossenheit und Doppeldeutigkeit müssen bereinigt werden. Alle komischen Ideen der Randständigkeit, der Zwielichtigkeit, des Lebens zwischen Asozialität und Gemeinschaft, Mensch und Tier, Selbstüberhöhung und Demütigung, alle diese Ideen, die die despotische Bühnenfigur ausmachen, müssen ausgeschieden werden.

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Nur innerhalb des politischen Kontexts der Bürgerrechtsbewegung und des Freedom of Speech Movement lässt sich die Comedy von Sahl, Bruce und Gregory verstehen, und lässt sich ihre künstlerische Bedeutung und ihre politische Brisanz erfassen. Das ist der eine Grund für den Exkurs in die amerikanische Politik. Der andere Grund ist das Auftauchen eines Sportlers in dieser Zeit, der sowohl in seiner sportlichen Darbietung, als auch mit seinem Auftreten in der Öffentlichkeit alle bis dahin gekannten Gepflogenheiten von Sport, Politik und Unterhaltung sprengt, der mit dem Kult um seine Person ein neues, bisher nicht benanntes Genre in die Unterhaltungsindustrie einführt, und dessen gigantomanische Personality-Show in allen nur denkbaren Bereichen stattfindet. Sowohl Dick Gregory als auch Malcolm X gehören seit 1964 zu einem Kreis von Freunden und Beratern, die der junge Boxer Cassius Clay in seinem Trainingscamp um sich versammelt.106 Cassius Clay, der spätere Muhammad Ali, zählt seit seinem überraschenden Amateursieg bei der Olympiade von 1960 zu den verwirrendsten und faszinierendsten Erscheinungen seiner Zeit. Mit seinem unverschämten Auftreten gegenüber der Presse und den etablierten Institutionen des Boxsports, seinen Beleidugungs-Kampagnen gegen seine Kontrahenten, seiner Selbstbetitelung als »Schönster«, »Größter« und »King of the World«,107 und mit seinen anmaßenden rassen- und weltpolitischen Polemiken wird er zur Identifikationsfigur und zum Lieblingsfeind seines Publikums. Von Anfang an entfacht er eine Debatte um seine Person und benutzt den Sport als Medium für eine allumfassende Personality-Show. »Seit Ali nicht mehr boxt, erkennt der Fan, der addict, dass er all die Jahre gar nicht beim Boxen zugesehen hat, sondern dabei, wie eine eigenartige Persönlichkeit, wie wir mangels eines besseren Ausdrucks einstweilen sagen wollen, sich eines Genres bediente, um sich der Welt zu exponieren. Es hätte ein anderes Genre sein können – für den Effekt, aber nicht für Ali, der hier sein Genre gefunden hatte, und in ihm Leute, die sich zuvor fürs Boxen nicht interessiert hatten, zwang, Boxkämpfe anzuschauen.«108 Das Boxen als das simpelste, unmissverständlichste und effizienteste Bild des Kampfes, wird von Ali auf alle Phänomene der Welt übertragen, mit denen er konfrontiert ist, und die er in demselben Stil abfertigt wie seine Gegner im Sport. Er treibt die Dichotomie von Schwarz und Weiß auf die Spitze, indem er mit seinem Körper und seiner Stärke für alles steht, was gut und wahr ist, und indem er alles andere vernichtet, entweder im Ring mit seinem Punch, oder mit seinen Punchlines am Mikrofon. Er kämpft allein gegen den Rest der Welt. Seine Kämpfe im Ring werden zu Symbolen für diesen einen großen Kampf und seine Siege zu Zeugnissen einer umfassenderen Macht.

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Von Anfang an versteht Ali das Boxen als eine Show, für die der Kampf im Ring nur einen Endpunkt darstellt und die bereits mit der Ausrufung des Kampfes und mit den Vertragsvereinbarungen beginnt. In seinen Auftritten in der Presse, im Fernsehen und im Radio betreibt er eine Politik der Sensationen, die den Gegner einschüchtern und das Publikum mobilisieren soll. Der Kampf im Ring ist nur die letzte Station einer inszenierten persönlichen Fehde, während derer Ali seine Gegner zunächst verbal, später auch in terroristischen Angriffen auf privatester Ebene drangsaliert. Ali selbst bezeichnet seine medienwirksamen Skandale als »Acts« oder »Gimmicks«109 – ein brachiales Entertainment mit Toasts, Spottliedern und inszeniertem Handgemenge mit seinem Gegner an öffentlichen Orten. Den Trick der Selbstüberhöhung hat Ali nach eigenen Angaben von einem Ringkämpfer gelernt, Gorgeous George, der bereits

Muhammad Ali mit Malcolm X, 1964.

Ende der Vierziger Jahre die Elemente des Show-Wrestling in seinen Kampf eingebracht hat, die heute in den routinierten Schaukämpfen der World Wrestling Federation zum Standard geworden sind.110 Ali erzählt, wie Gorgeous George bereits vor dem Kampf die Massen gegen sich aufbrachte, indem er ständig rief, dass er der Größte sei, dass er nicht besiegt werden könne, und dass er seinen Gegner, diesen »elenden Dummkopf«, 128

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umbringen würde, wenn der ihm nur eine seiner schönen Wellen auf dem Kopf durcheinander brächte.111 Vor dem ersten Titelkampf als Profi im Schwergewicht startet Ali, damals noch Cassius Clay, eine PR-Kampagne gegen Sonny Liston, die bereits mit all den Mitteln arbeitet, die er während seiner Sportler-Karriere nur noch weiterentwickeln und verfeinern wird. Clay, der damals im Boxbetrieb als nicht ernst zu nehmender Außenseiter galt, und dem als jungem, aufmüpfigem Herausforderer eines gefürchteten und erfahrenen Boxers kaum eine Chance eingeräumt wurde, verweist als Beweis für seine Überlegenheit auf sein makelloses Gesicht und seine jugendliche Schönheit im Vergleich zur Hässlichkeit seines plattnasigen Gegners. In die hingestreckten Mikrofone der Sportreporter schreit er: »He is too ugly to be the world’s champ! The world’s champion gotta be pretty like me!« 112 Später dringt er, nachdem er vorsorglich die Presse informiert hat, zusammen mit seiner Anhängerschaft in Listons Trainingscamp ein, um ihn dort vor laufenden Kameras zu verspotten.113 Für die anwesenden Journalisten dichtet er: »If you wanna lose your money, bet on Sonny.«114 Schließlich inszeniert er in einem Spielkasino in Las Vegas einen Showdown, während dessen er scheinbar nur dank seiner besonnenen Begleiter davon abgehalten werden kann, sich sofort auf Liston zu stürzen und ihn niederzuschlagen. »You big ugly bear! You big ugly bear! I ain’t gonna fight you on no September thirtieth (1964), I’m gonna fight you right now! Right here! You too ugly to run loose, you big ugly bear! You so ugly, when you cry, the tears run down the back of your head! You so ugly, you have to sneak up on the mirror so it won’t run off the wall!« usw.115 Er bezeichnet sich selbst nicht nur als den größten Boxer der Gegenwart, sondern als den größten Sportler aller Zeiten; er imitiert herablassend den Boxstil seiner Vorläufer und Zeitgenossen und analysiert in öffentlichen Vorführungen, warum sie alle ihm niemals gefährlich werden könnten.116 Trotz der Direktheit des »Loudmouth from Louisville« darf der Hintergrund, vor dem diese Rhetorik sich entwickelt, nicht außer Acht gelassen werden. Wenn Ali sich als der superlativische Boxer inszeniert, dann ist ganz besonders am Anfang seiner Karriere klar, dass er dieser Boxer erst noch werden muss. Wenn er vor jedem Kampf ankündigt, in wie vielen Runden er den jeweiligen Gegner schlagen wird, dann ist klar, dass er diesen Beweis erst noch erbringen muss, und dass es letztlich doch nur der Kampf im Ring ist, der über die Bestätigung oder Abstrafung seiner Hybris entscheiden wird. Alis Schmollmund, seine kindlich aufgerissenen Augen, mit denen er das Gesagte unterstreicht und seine naive, lineare Argumentationsweise sind Stilmittel in einer Show, die eine jugendliche Renitenz inszeniert, zugleich aber auch die latente, verschwiegene

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Anerkennung einer Autorität, einer hoffnungslosen Übermacht, gegen die sich die Auflehnung lohnt. Der Prototyp für Alis Form der Realitätsbewältigung ist die Figur des Tricksters,117 eines Menschentyps, dessen Strategie, sich im harten Überlebenskampf der Straße zu behaupten, darauf beruht, den Gegner niederzureden. Der Trickster ist schön, schnell, geschmeidig, und er nimmt es mit den langsamen, gepanzerten und einsilbigen »Gorillas« auf, mit denen er es in Wirklichkeit nur auf dem Feld der Sprache und des Reaktionsvermögens aufnehmen kann. Die Gorillas sind ihm körperlich überlegen, sie sind groß und stark, aber er ist wendig und weicht ihren Schlägen blitzschnell aus. Zugleich geht das Mundwerk unablässig: nach jedem Ausweichmanöver dreht er sich um, preist die eigene Stärke, und tut so, als hätte er noch einen fürchterlichen Punch in der Hinterhand. Clay sagt nach Vertragsabschluß für den Kampf gegen Sonny Liston: »I’m gonna win before the fight!« Sein Krieg beginnt schon Monate vor dem eigentlichen Boxkampf, und es ist ein Krieg, den er zunächst einmal mit dem Mund führt. Der Stil des Trickster betrifft sowohl seine Rhetorik als auch seine Strategie im Ring. Gefragt, ob er den legendären Boxer Joe Louis hätte besiegen können, antwortet er: »Joe Louis may have had a hard punch, but he can’t hit when there is nothing to hit.«118 Clays Trumpf ist seine Schnelligkeit, sein Tanz im Ring, der seine schwergewichtigen, muskelstrotzenden Gegner ständig ins Leere schlagen lässt. Die Technik, die er Rope-a-Dope nennt,119 beruht auf seiner Fähigkeit, Schläge einzustecken, ohne die Kontrolle über sein Beinspiel zu verlieren. Im Kampf gegen Foreman hängt Ali in den Seilen, während sein übermächtiger Gegner sich bis zur völligen Erschöpfung an seiner Deckung abarbeitet, und setzt dann völlig unerwartet die entscheidenden Gegenschläge. Zusätzlich feuert er Foreman zwischen dessen Attacken noch an, härter zuzuschlagen (»George, you’re not hitting hard enough!«120), und treibt ihn so zuerst in eine unkontrollierte Wut, und dann in die Resignation.121 Malcolm X erkennt die Strategie und den Stil in der Inszenierung des Boxers. Er sieht in ihm weder das Großmaul und den Provokateur, wie seine erklärten Gegner, noch den schwarzen Helden, wie seine Fans, sondern er vermutet, »dass Ali mit seinem clownhaften Auftreten in der Öffentlichkeit einen Plan verfolgt. Er bestätigte meine Vermutung, dass er das alles nur tat, um Sonny Liston in die Irre zu führen und ihn dazu zu provozieren, schlecht trainiert, aber voller Wut und mit übertriebener Siegeszuversicht in den Ring zu steigen, er werde auch diesen Kampf schon in der ersten Runde durch einen seiner berüchtigten KO-Schläge entscheiden.«122 Alis Denken ist, entgegen aller Gerüchte um seine intellektuellen Defizite und seinen legendär niedrigen IQ, nicht eindimensional, nicht auf die simple Realität von Sieg oder Niederlage ausgerichtet.

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Die Unbedarftheit und Direktheit seiner Inszenierung, die ihm das Charisma der heiligen Einfalt verleiht, ist eine Finte im Kampf der Täuschungen. Die scheinbare Direktheit und Unerschütterlichkeit seiner Selbstüberhöhung ist nicht so einfach wie es scheint. Sie ist Bestandteil einer komischen und Furcht einflößenden Inszenierung von Aufstieg und Fall, dieses elementarsten und wirkungsvollsten Tricks des despotischen Geschäfts. Während der Liston-Kampagne flüstert er einem Begleiter zu: »Man, you know one thing? If I get whipped, they gonna run me outa the country.«123 Er hat vollkommen Recht. Zu seinen Kämpfen kommt man auch, um ihn fallen zu sehen, um mitzuerleben, wie er auf die Matte geht und zum Schweigen gebracht wird. Dieser Möglichkeit ist er sich bewusst. Die Doppeldeutigkeit von Größenwahn und totaler Niederlage gehört zu seiner Bühnenperson. Bisher habe ich von dem jungen Boxtalent gesprochen, das nach seinem Amateursieg 1960 in Rom vor allem verbal aktiv ist, Schlagzeilen macht und sich ein Image kreiert, zunächst nicht durch seine Erfolge als Boxer, sondern durch seine Rede und sein ungehöriges Benehmen in den Zirkeln des Profisports. Das alles ändert sich schlagartig am 30. September 1964, als Clay völlig überraschend und entgegen aller Vorhersagen in Miamy Beach den Titelverteidiger Sonny Liston in der 7. Runde ausknockt und Schwergewichts-Weltmeister wird. Im Frühjahr hatte Clay, der zu dieser Zeit schon mit der Nation of Islam sympathisierte, Malcolm X in sein Trainingscamp in Florida eingeladen. Der brachte aus New York einige Fotos von Floyd Patterson und Sonny Liston mit, auf denen diese zusammen mit weißen Priestern als ihren geistigen Beratern zu sehen waren. »Cassius Clay brauchte man als Muslim nicht zu erzählen, wie sich die weiße Christenheit gegenüber den Schwarzen in Amerika verhalten hatte«, erzählt Malcolm später. »›In diesem Kampf geht es um die Wahrheit‹, sagte ich zu Cassius, ›zum ersten Mal kämpfen Kreuz und Halbmond in einem Boxring. Es ist ein moderner Kreuzzug – ein Christ und ein Muslim stehen sich gegenüber, und das Fernsehen überträgt den Kampf über Telstar, damit die ganze Welt sehen kann, was passiert.‹ Ich fragte Cassius: ›Glaubst du denn, Allah hätte dies alles veranlasst, wenn er nicht wollte, dass du den Ring als Champion verlässt?‹ (Vielleicht erinnern sich manche noch daran, dass Cassius beim Einwiegen sowas rief wie: ›Mir ist prophezeit worden, dass ich siegen werde! Ich kann nicht geschlagen werden!‹)«124

Malcolm X trägt entscheidend zur Überhöhung von Clays Sieg zu einem Sieg der separatistischen Black Muslim gegen die Politik der Integration bei. Er predigt den Kampf von Wahrheit gegen Lüge, Gut gegen Böse

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und Schwarz gegen Weiß – denn Liston, das »Söhnchen«, betrachtet er als ein weiteres verblendetes Ziehkind der »weißen Teufel«, das sich ein großes Haus in einer reichen, rein weißen Gegend mietet und alles daransetzt, seinen »Herren« zu gefallen.125 Damit predigt er auch das Ende des Clowns Cassius Clay, das Ende aller Uneindeutigkeiten, Täuschungsmanöver und Scheingefechte. Von nun an wird es nicht mehr darum gehen, den Gegner »in die Irre zu führen«, sondern ihm den Sieg der Wahrheit zu verkünden als einen separatistischen Schöpfungsakt. Jeder Punch wird zur Attacke auf die Lüge, zu einem Akt der Abtrennung und der Emanzipation umgedeutet. Nach Listons KO tanzt Clay durch den Ring und schreit, bis ihn seine eigenen Leute wegzerren: »I’m the greatest! I’m the greatest! I shook up the world! I’m the king of the world! You must listen to me! I want justice!«126 Die Reporter versuchen, ihn zu unterbrechen, um Fragen zu platzieren, aber sie haben keine Chance. Niemand hat eine Chance, sich in diesen Schrei-Monolog einzuklinken. Clays Auftritt nach seinem ersten entscheidenden Sieg bekommt etwas Unheimliches, weil er nicht mehr nur aus Drohgebärden eines Großmauls besteht, das sich erst noch beweisen muss, sondern die triumphale Raserei des frisch gekürten und unzweifelhaft anerkannten Weltmeisters im Schwergewicht ist. Am nächsten Tag gibt Clay seinen offiziellen Beitritt zur Nation of Islam bekannt. Vor versammelter Presse verkündet er: »Ich glaube an die islamische Religion, das heißt, ich glaube, dass es keinen Gott gibt außer Allah, und Muhammad ist sein Prophet.«127 Kurz danach nimmt er seinen neuen Namen an, Muhammad Ali. Der eine Gott, die eine, absolute Wahrheit, das unmissverständliche Bekenntnis zu einer radikal politischen Sekte: das alles bedeutet eine vollkommene Neudefinition von Alis Image, eine Neuschöpfung des Selbst, die in der Öffentlichkeit einen Schock auslöst und von der Presse zum Skandal stilisiert wird. Bisher waren die Loudmouth-Interviews und die pressewirksam inszenierten Terror-Kampagnen als Bestandteil einer großen Entertainment-Aktion gesehen worden. Nun aber bekommen seine Äußerungen eine politische Zielrichtung und können nicht mehr als die Gimmicks verbucht werden, die sie bisher waren. Plötzlich hat der Unterhalter in Form der N.O.I. einen mächtigen politischen Apparat hinter sich. Er verfügt über eine Religion und eine politische Ideologie, er wird zum Wahr-Sager und Agitateur, und er fordert von jetzt an mit jedem Wort, wie damals im Ring: »Hört mir zu und nehmt mich ernst.« Auch diejenigen, die anerkennen, dass Clay neue Aufmerksamkeit und gutes Geld in den Boxbetrieb bringt, sind entsetzt über diesen Schritt. Der neue Muhammad Ali hatte begonnen, sich der Kontrolle des Boxbetriebs zu entziehen. Er hatte den größten Preis der weißen Sportwelt gewonnen, nur um ihn dann dem MuslimFührer Elijah Muhammad zu Füßen zu legen.128 Die World Boxing Asso-

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ciation reagiert als erste, indem sie wegen vertragsrechtlicher Details den Status des Kampfes als einen Titelkampf anficht und damit Ali den Titel entzieht. Bei der Rückrunde gegen Liston im Mai 1965 siegt Ali aber nochmals durch KO, nach nur eineinhalb Minuten. Dieses Gerangel um den Titel ist nur der Anfang eines Kampfes des Boxers gegen den institutionalisierten Sport, und macht durch die Polarisierung der öffentlichen Meinung Ali weltweit auch jenseits des Boxsports zum Helden oder Antihelden. Die nachfolgenden Ereignisse gehen in ihrer Verschränkung von Entertainment, Politik und Sport weit über alles bisher dagewesene hinaus. Im November 1965 quält und erniedrigt Ali Floyd Patterson im Ring, einen Boxer, der sich in der vorausgehenden Kampagne als Repräsentant der liberalen, gemäßigten Schwarzen, der Christen und der amerikanischen Patrioten vermarkten ließ. Am 17. Februar 1966 wird Alis Bemerkung zum Vietnam-Krieg (»I got no trouble with the Vietkong«) auf allen Kanälen diskutiert und als feige und anti-amerikanisch bezeichnet. Es wird immer schwieriger für ihn, überhaupt zu boxen, weil viele Städte seine Kämpfe nicht genehmigen. Nach seiner Kriegsdienstverweigerung im April 1967 aberkennt ihm die New York State Athletic Commission erneut den Weltmeistertitel, und die World Boxing Association organisiert in Zusammenarbeit mit dem Sender ABC einen neuen Titelkampf, bei dem Ali nicht antreten darf.129 Das alles führt dazu, dass Ali sich selbst als das Opfer einer weißen Verschwörung darstellt. Sein Ruhm als Boxer ist längst nicht mehr gefährdet, und sein Ruhm als schwarzer Aktivist wird durch die Schachzüge des institutionalisierten Sports nur gestärkt, vor allem auch im Umfeld der amerikanischen Studentenbewegung. In der Zeit des Boxverbots verdoppelt deshalb Ali sein Engagement für die Nation of Islam, reist durch alle Staaten, um Vorträge zu halten und für die Lehre von Elijah Muhammad zu werben. Er ruft die Menschen zu Zeugen der Verschwörung auf, fragt in Hörsälen und Stadien: »Who’s the champion of the world?« worauf die begeisterte Menge ihm antwortet: »Ali!«130 Das ist die Formel, mit der er seine Rolle in der Welt beschreibt: »They’re all afraid of me, because I speak the truth that can set men free.«131 Seine rhetorischen Befreiungsschläge sind gerade und effektiv wie seine Schläge im Ring. Im Rahmen einer N.O.I.Missionskampagne treibt er die Polarisierung von schwarz und weiß auf die Spitze: »You see, we have been brainwashed. Everything good in the eyes of authority has been made white. We look at Jesus, we see a white with blonde hair and blue eyes. (Gelächter) We look at all the angels, we see whites with

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Muhammad Ali in der Uniform der Nation of Islam. Rechts im Hintergrund Elijah Muhammad.

blonde hair and blue eyes. Well, I’m sure the colored angels, they must be in the kitchen, preparing the milk and honey. (Gelächter) We look at Miss America, we see white, we look at Miss World, we see white, we look at Miss Universe, we see white, even Tarzan, the king of the jungle in Black Africa, he is white! (Gelächter, Applaus) [...] All the good cowboys ride the white horses. (Gelächter) ›The White House‹! (Gelächter, Applaus) ›Angel Fruit

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DIE ERFINDUNG DER WAHRHEIT Cake‹ is the white cake. But the ›Devil Fruit Cake‹ is the chocolate cake!« (Gelächter, Applaus)132

Ali betreibt die Popularisierung eines Genres, das bis dahin in den Methodisten-Kirchen zu Hause war, das aber mit der Bürgerrechtsbewegung unübersehbar wird. Mit ihr wird das »Preaching« zu einem wesentlichen Bestandteil nicht nur der politischen, sondern auch der Populärkultur in Amerika. In der Musik, im Sport, im Stand-up findet man nun Geschmack am Ruf »Teach, Brother, Teach!«, einer distanzierten und humorvollen Form der Zustimmung, die auf eine bestimmte Form performativer Energie abzielt. Nicht mehr der depressive Blues, sondern der Soul ist die Form der Kommunikation für ein neues Selbst- und WirGefühl. In James Browns Lied »Say It Loud – I’m Black And I’m Proud«133 von 1968 schreit ein Kinderchor diesen Refrain. Der Vorsänger kommandiert mit seinem »Say it loud...«, und jedes Mal antworten die Kinder, schrill und aggressiv. Die Weichheit des Blues ist aus den Stimmen verschwunden. Was man hier hört, ist der knallharte musikalische Drill des frühen Soul, das Einschwören auf eine neue Lebenshaltung: »Soul is sass, man. Soul is arrogance. Soul is walkin’ down the street in a way that says, ›This is me, muh-fuh!‹«134 Trotzdem ist Ali, wie auch James Brown, ein synkretistisches Phänomen. Trotz seiner separatistischen Demagogie vermittelt er nicht den Eindruck, dass er eine reine Lehre präsentiert, wie andere Demagogen der N.O.I. Er gibt sich nicht dogmatisch oder wütend, wie Malcolm X, sondern er strahlt in seinen öffentlichen politischen Aktionen eine Gutgelauntheit aus, lächelt, sucht den Blickkontakt, zwinkert einzelnen Zuschauern zu. Er wirkt entspannt, seine Rede ist musikalisch, rhythmisiert, im Stil seiner Toasts. Während Malcolm bei seinen Ansprachen die zustimmenden Lacher (– wenn man sie liest, ahnt man nicht, wie viel bei diesen Reden gelacht worden ist) zum Punkt einer ernsthaften Festschreibung und einer intellektuellen Erkenntnis hinführt, stehen die Lacher bei Ali für sich selbst, wie bei einer guten Show, ohne argumentative Linie, ohne einen zwingenden Schluss, als kurze Punchlines und kleine affektive Schocks. »What am I gonna do tonight? I’m gonna dance and dance and dance!« sagt er einmal vor einem schwierigen Kampf.135 Diese Sorglosigkeit innerhalb harter Machtstrukturen, die alles wie einen Tanz wirken lässt, verleiht ihm die Aura eines Wunderkindes, oder zumindest eines grundsätzlich vertrauenswürdigen »Good Boy«136. So wird er auch für eine junge weiße Generation zum Helden. Der Effekt, den er hier erzeugt, ist ein Lachen, bei dem die Leute gleichzeitig den Kopf schütteln. Anders als Malcolm X predigt er global, letztlich auch integrativ. Er gewinnt seine Energie nicht aus der direkten Agitation in den

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schwarzen Vierteln und in den Gemeindezentren der N.O.I, sondern aus den massenwirksamen Fernsehauftritten, den Reden vor einem gemischten Publikum, und aus dem Skandal, den sein Aktivismus auslöst. Auch nach seinem Beitritt zur N.O.I. besteht seine Strategie darin, eine Öffentlichkeit zu erzeugen, indem er die Meinung zu seiner Person polarisiert, und sowohl Zustimmung als auch Hass auf sich lenkt. Seine Show funktioniert nach dem Prinzip der Sportwetten. Entscheidend ist, die Stimmung so weit aufzuheizen, dass die Leute setzen müssen, dass sie gezwungen werden, Partei zu ergreifen, und somit ein ganz persönlich motiviertes Interesse am Kampf haben. »Ali bought Malcolms philosophy«, sagt der Boxer Jose Torres, und trifft damit genau den Punkt: Ali ist auch nach seinem beitritt zur N.O.I. der Showmensch geblieben, der er war, und seine Show ist die ausufernde Inszenierung der eigenen verwirrenden Person. »›Come here and get me, fool. You can’t, cause you don’t know who I am. You don’t know where I am. I’m human intelligence and you don’t even know if I’m good or evil.‹ Das war währen all der Jahre die Essenz seiner Botschaft an Amerika. Denn er konnte Dämon oder Heiliger sein. Oder beides!«137 Muhammad Ali in der Uniform der Fruit of Islam bietet ein ähnlich seltsames Bild wie zehn Jahre vorher Elvis Presley in der Uniform der US Army. Der große Egozentriker und Promoter der eigenen Person senkt plötzlich den Kopf vor einem Sektenführer, bzw. macht sich selbst zum bescheidenen Teil einer großen Institution, der zu dienen er vorgibt. Zugleich bleibt er aber der absolut vereinzelte Champion, der Unübersteigbare, der sich eigentlich niemandem beugen müsste. Darin liegt die Verwirrung. Alis Karriere als Black Muslim ist ein genialer Doublebind, ein weiterer Raum greifender Effekt des Despoten, der sich selbst verleugnet, aber in vollem Rampenlicht. Ali hat über den Umweg eines Wahrheitsdiskurses die Doppeldeutigkeit des Showmenschen in die politische Ansprache zurückgeholt. Die Wahrheit der Separation, die sich in dieser Zeit mit einer unglaublichen Wut und Empörung artikuliert, ist für Ali ein weiteres Show-Item, das sich in die Sammlung seiner Gags und Gimmicks einreiht: »My way of joking is to tell the truth. That’s the funniest joke in the world.«138

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V. DIE

ERFOLG, ERFÜLLUNG, RUHM. S O L O -C O M E D Y A L S M A S S E N P H Ä N O M E N

»Fellas, I want you to hit me!« (James Brown) »;Meine Damen und Herren, wir möchten Sie bitten, uns mit Gegenständen zu bewerfen.« (Showcase Beat Le Mot)1 »Boinggggggg!« (Muhammad Ali)

In einem späteren Lied von James Brown, Get Up, Get Into It, Get Involved, gibt es im B-Teil einen überraschenden Umschwung vom predigenden Ton des Anfangs zu einem schnell hervorgestoßenen Rap: »Fellas, I want you to hit me!« schreit der Sänger ins Mikrofon, und von diesem Punkt an ändert die Musik ihren Takt. Der politisch ernst gemeinte Appell zu konstruktivem Engagement während der Zeit der Aufstände in den schwarzen Ghettos von New York und Los Angeles wird unvermittelt aufgebrochen von einer Geste der Autoaggression. »Hit Me!« – schlagt mich: Im Kontext der amerikanischen Rassenunruhen erinnert das an den Fall eines Schwarzen aus Los Angeles, Rodney King, der vor laufender Überwachungskamera von weißen Polizisten beinahe totgeprügelt wurde. Im Verlauf des anschließenden Verfahrens gegen die Beamten, das sich über ein Jahr hinzog, gingen diese Bilder um die Welt, wurden in den USA täglich auf mehreren Kanälen gesendet. Immer wieder derselbe Ablauf: King liegt am Boden, angestrahlt von den Scheinwerfern der Streifenwagen. Er wird mit einer Taser Gun beschossen, einem Gerät, das zwei Pfeile abfeuert, die sich im Fleisch verankern. Über die beiden Kabel, die mit diesen Pfeilen verbunden sind, kann der Polizist nun Stromstöße von 50.000 Volt abgeben, die jeden Angreifer lähmen. Trotzdem prügeln die Polizisten weiter auf King ein. Er versucht sich aufzu137

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rappeln. Sie prügeln ihn nieder, treten ihm in die Seite, und das minutenlang, bis King sich nicht mehr rührt und wie tot daliegt. Prügel mit Knüppeln und Tritte auf wehrlos daliegende Menschen: das sind auch die Szenen, die von den Demonstrationen des Civil Rights Movement im Kopf bleiben. Im Stand-up ist die Beschreibung und Darstellung von Prügeln ein fester Bestandteil der Show. Von Lenny Bruce (Bruise) über Dick Gregory und Woody Allen bis zu Bill Cosby, Richard Pryor und Eddie Murphy wird die Menge der Prügel, die man in der Kindheit von den Eltern, als Teenager von den Bewohnern der Nachbarschaft, und schließlich als Erwachsener von der Staatsgewalt bezieht, zu so etwas wie einem komödiantischen Statussymbol. Die komischen Formen der Gewaltdarstellung stehen sowohl mit dem Slapstick des frühen Kinos und mit den Cartoons der vierziger Jahre, als auch mit dem Political Impact der großen Demagogen in Verbindung. Hierin liegt eine mögliche Erklärung für die Ambivalenz bei James Brown zwischen Größenwahn und Autoaggression, bzw. zwischen dem befriedenden Konservatismus des Sängers als Wahlkampfhelfer Richard Nixons und seinen skandalösen, oft kriminellen öffentlichen Wutausbrüchen. Es stellt sich die Frage, inwieweit James Browns »Hit Me!« überhaupt gedeutet und in einen soziokulturellen Kontext gebracht werden kann. Die Beantwortung dieser Frage ist die Voraussetzung für das Verständnis der zum einen explizit politischen, zum anderen ironisch distanzierten Herangehensweise eine PostBruce-Generation, die, wie Bob Hope, Richard Pryor und Woody Allen in einem politischen Kontext agiert, ihre Politisierung aber humorvoll als Ergebnis ihrer persönlichen Traumata und Neurosen deutet. Sie ist auch notwendig für ein tieferes Verständnis der Good Time Comedians, dieser jung-dynamischen Karrieremacher der 80er und 90er Jahre im Umkreis von Saturday Night Live, die scheinbar jeglichen politischen Diskurs ausblenden und sich in der Tradition des späteren Cosby zu einer leichten, freien, sorglosen Unterhaltung bekennen, dabei aber die Problematik des Minstrel weiterhin im Gepäck mit sich herumschleppen. Der amerikanische Cartoon ist die komödiantische Schule, durch die genannte Generation gegangen ist. Aus dem Cartoon stammt das Repertoire an Körperkomik, das für den neuen Stil bezeichnend ist. Die Gewalt des Cartoons ist eine sehr oberflächliche. Sie funktioniert, in der Stummfilm-Tradition des Slapstick, nach dem simplen physikalischen Prinzip der Kraftumlenkung, mit deren Hilfe das Opfer jeden Gewaltakt seines Gegners auf diesen zurückwerfen kann, hier allerdings noch erweitert um die Möglichkeiten des gesprochenen Wortes.2 Die Gliedmaßen von Bugs Bunny und Konsorten werden durch äußere Gewalteinwirkung gedehnt, bis sie so dünn sind wie ein Zwirn, und so lang wie von einem Baum zum nächsten und wieder zurück. Dafür schnalzen sie, wenn losgelassen, ih-

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rem Angreifer als Flitschgummi ins Gesicht und setzen ihn außer Gefecht. Wenn der Angreifer schlägt, schießt, Fallen stellt oder Bomben legt, dann führt das immer nur dazu, das er sich selbst erschießt, erschlägt, verstrickt oder in die Luft sprengt. Bugs Bunny wendet dabei die Trickster-Strategie an, den Gegner mit einem Wortschwall zu überschütten und zu verwirren, und in diesem kurzen Augenblick der Verwirrung das gegen ihn gerichtete Kraftmoment so umzuarrangieren, dass es gegen den Angreifer selbst zielt. Er kompensiert seine körperliche Unterlegenheit durch ein schnelles Reaktionsvermögen und durch die genaue Kenntnis der simplen Reflexe seines Gegners, dem er immer um drei Schritte voraus ist. Sein bestes Kampfmittel ist also die Show, mit der er seinen Körper umgibt. So ist in der wilden Jagt die Bühne oft der Zufluchtsort, den er wählt, und an dem er seinen Jäger unweigerlich verblassen lässt, da er ihn dort mit voller Legitimation durch ein applaudierendes Publikum an die Wand spielen kann.3 Wenn man sich die Entwicklung des amerikanischen Cartoons während der dreißiger und vierziger Jahre anschaut, so stellt man fest, dass das stilistisch folgenschwerste Ereignis die Abspaltung der Künstler Harman und Ising vom DisneyImperium ist. Während sich Disneys Produktionen seit der Einführung des Tonfilms in Richtung immer komplexerer Geschichten, bis hin zu abendfüllenden Animationsfilmen in Spielfilmlänge entwickeln, bleiben Harmans und Isings Looney Tunes kurz und einfach, legen sich ganz auf Zweierkonstellationen fest, die im Prinzip immer wieder die gleiche Geschichte von Jäger und Gejagtem erzählen. Die wichtigsten Gegnerpaare sind Bugs Bunny vs Elmer Fudd, Daffy Duck vs Porky Pig, Tweety vs Sylvester und Roadrunner vs Wile E. Coyote. Deren Zweikampf-Szenen führen im Lauf der Jahre nicht wie bei Disney zu einer Verfeinerung der Geschichten, sondern zu einem enormen Erfindungsreichtum bei der Darstellung von grotesker Gewalt, und zu einer stetigen Erhöhung des Tempos, in dem die einzelnen Aktionen aufeinander folgen. Die Gewalttat selbst folgt dabei immer dem gleichen Schema, nämlich der Planung, der Umsetzung und dem Scheitern eines Tötungsversuchs mit schmerzlichen Folgen für den Jäger. Während also Disneys Figuren sich mit der Zeit immer mehr in die Erzählweisen sentimentaler Rührstücke einfügen, und darauf angelegt sind, Sympathie nicht auf der Ebene eines harten Spiels von Gewinnern und Verlierern, sondern auf einer moralisch überhöhten Ebene von Liebe, Schuld und Sühne zu gewinnen, bleiben die Looney Tunes auch in der Zeit des Fernsehens beim brachialen Schlagabtausch. Bugs Bunny, Roadrunner, Tweety, Speedy Gonzales etc. sind Helden, die nicht über eigene Kraftquellen verfügen, und die deshalb eine konkrete körperliche Aggression ihres Gegners essentiell benötigen. Bevor sie austeilen, müssen sie erst einmal einstecken können, weil sie ei-

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gentlich nur als ein physikalisches Medium funktionieren, das die aggressive Kraft ihres Gegners umleitet und auf diesen selbst zurückwirft. Nur so ist James Browns »Hit Me!« zu verstehen. Der Held ist ein Gummimensch, ein Stehaufmännchen, das sich, gewaltsam umgeworfen, wieder aufrichtet und seinem Gegner vor den Kopf knallt. Deshalb wird im aufkommenden HipHop der 80er Jahre Get Up... zum Kult-Hit der B-Boys. Bugs Bunny und James Brown sind die Vorbilder für die mechanisierten Tänzer des Breakdance, die in allen Körperausrichtungen um sich selbst rotieren können und dabei immer wieder auf den Füßen landen. Das »Hit Me!« hat mit Selbstaufgabe und Devotion nichts zu tun. Die Anspannung des Minstrel ist immer noch vorhanden, sie wird sogar heraufbeschworen, aber sie tut nicht mehr weh. Das Geschlagenwerden bekommt hier ein furchterregendes Aggressions-Potential. »Hit Me!« heißt nach der Gewalt-Logik von Bugs Bunny letztlich »Hit Yourself!« Der Gegner wird aufgefordert zuzuschlagen, damit man sein Kraftmoment nutzen kann, um ihn selbst außer Gefecht zu setzen. Ali ist eine solche CartoonFigur. mit seiner Rope-a-Dope-Technik lenkt er die Kraft um, federt (»Boinggggggg!«) aus den Seilen wie ein zu hart geschlagener Punching Ball, der zurückschwingt und dem trainierenden Muskelpaket mit der vollen Wucht seines eigenen Schlages ins Gesicht knallt. Gummi ist das Material, aus dem Ali und seine Nachfolger im Showbiz gebaut sind – Steppin’ Fetchit und der frühe Lenny Bruce mit ihrem klassischen »Rubber-Legs Act«4, Jerry Lewis mit seinem in alle Richtungen sich verzerrenden Gummigesicht, Andy Kaufmann mit seiner Wrestling Show. Die mechanisierte Gewalt von Slapstick und Cartoon gewinnt bei ihnen eine soziopolitische Dimension und beschert ihnen in den schlimmsten Situationen noch eine Art von Triumph, wenn sie die eigene Bedrängung in den Zuschauerraum zurückschleudern.

1. Die Witzfigur als Weltretter »Hit Me!« ist also ein Kampfschrei, der die eigene Unbesiegbarkeit zum Ausdruck bringt. Jeder Schlag ist ein Machtgewinn; unter Prügeln schwingt man sich zur nächsthöheren Energiestufe auf, möglicherweise bis zur globalen Bedrohung. Nicht immer ist diese Macht-Mechanik mit der Schläue oder der politischen Kalkulation verbunden wie im Fall der Trickster. Oft betrifft sie gerade den politisch naiven Charakter, den Dupe, der sich durch eine Verkettung glücklicher oder unglücklicher Zufälle unfreiwillig in einem machtpolitischen Räderwerk wiederfindet, mitten in einer Woge von Gewalt, die ihn ohne sein eigenes Zutun nach oben spült. Es gibt ein ganzes Genre, das sich mit dem Phänomen der geistigen Ar-

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mut im Kontext der Weltpolitik beschäftigt, und auf das diese Generation von Comedians zurückgreift, angefangen mit Mr. Smith goes to Washington5 von 1939, in dem der brave Boy Scout Leader Jefferson Smith, gespielt von James Stuart, zum Senator berufen wird – allerdings mit dem Hintergedanken, einen Mann in diese wichtige Position zu setzen, der die intriganten Spiele der Interessenpolitik niemals verstehen und deshalb voller Respekt alles tun würde, was man ihm anordnet. Allerdings hat Mr. Smith sich in den Kopf gesetzt, im Senat einen Antrag zur Gründung eines National Boy’s Camp zu stellen, um die Kinder von der Straße zu holen und ihnen die Schönheit der Natur und im Zuge dessen auch die Werte der Demokratie nahe zu bringen. Dabei gerät er unversehens mitten in das Ränkespiel von Politik und Hochfinanz und wird mit allen Mitteln politischer Intriganz bekämpft. Die Ungerechtigkeiten, die ihm dabei angetan werden, und die Lügen, die die Presse auf Weisung der entsprechenden Drahtzieher über ihn verbreitet, schwingen schließlich zu seinen Gunsten um. Die Kinder stehen auf seiner Seite. Sie spüren die Redlichkeit des einfachen Gemüts, das an die Grundwerte der Freiheit und an das Gute im Menschen glaubt. Die Kinder starten auf eigene Initiative eine Kampagne, die ihren Helden rehabilitiert und die Dunkelmänner entlarvt. Vor dem Lincoln Memorial flüstert ihm seine Mentorin, auf die Statue weisend, ins Ohr: »All the goods that ever came to this world, came from fools like that.« Sein einfaches, ländliches Gemüt ist nicht Handicap, sondern Voraussetzung für seine große Tat: Der reine Tor hat die Welt gerettet, zunächst, indem er Washington wachgerüttelt und an die Grundwerte der amerikanischen Verfassung erinnert hat, dann auch, indem er (1939) ideologisch auf den gerechten Krieg hinarbeitet, der die Welt vor den Diktatoren Europas retten soll, und der voraussetzt, dass im Bewusstsein der Bevölkerung eine klar erkennbare Opposition der freien zur unterdrückten Welt geschaffen wird. Das alles bietet in abgewandelter Form eine ideale Vorlage für die Komödie der 70er und 80er Jahre: Charaktere, die eigentlich vollkommen fehl am Platz sind in einer zu kompliziert gewordenen Welt, aber trotzdem zum Erfolg gelangen, sind die idealen Identifikationsfiguren in den modernen Märchen. Nach der Ära Bruce gewinnen diese Charaktere wieder an Boden. Die Nähe zu politischer Macht erwächst bei ihnen nicht primär aus einem sozialen Sendungsbewusstsein, sondern aus dem Wunsch, ein eigenes, sehr begrenztes Ziel zu befördern, oder einfach in Ruhe gelassen zu werden. Commitment ist für diese Charaktere nicht etwas, das sie sich aussuchen, sondern etwas, das ihnen unterläuft. Das gewalttätige globalpolitische Umfeld, in das sie hineingeraten, ist nicht in der Lage, sie zu vernichten, sondern spült sie nach oben, zu unerwarteter Macht und unerwartetem Ruhm. Die komischen Versionen dieser reinen

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Toren sind Egozentriker, die vor allem darauf bedacht sind, ihre eigene Haut zu retten und ein bequemes Leben zu führen. Sie sind Feiglinge, die plötzlich zu feigen Helden werden. Die Polarität von »Heroism and Cowardice«6 ist das Prinzip, nach dem die Figuren von Bob Hope und Woody Allen funktionieren. Woody Allen, der in den 80er Jahren die Aufmerksamkeit wieder auf die alten Filme mit Hope gelenkt hat, erzählt, dass er diesen wesentlichen Zug von dessen Bühnenfiguren für seine eigenen Charaktere benutzt hat.7 Und obwohl Hope für seinen offenen Konservatismus und seine mangelnde Wandlungsfähigkeit kritisiert wurde, verdankt er seinen Kult-Status gerade diesem einfachen Rezept, das er unverbrüchlich während seiner fünfzig Bühnenjahre praktiziert hat. Besonders assoziiert man ihn mit seinen Einsätzen im Special Service der US-Armee, während derer er jahrzehntelang an verschiedene Kriegsschauplätze gereist ist, um die amerikanischen Truppen zu unterhalten. »Ladies and Gentlemen, here we are in Korea...«, »Ladies and Gentlemen, here we are in Vietnam...«8 Oder 1959, vor einem amerikanischen Publikum in der Sowjetunion: »Well, here we are in Russia. You know, I’ve never been to this part of Texas before. [...] And I’m happy to have the chance to work for the State Department. Now I’ll get even for that passport picture. [...] And I had a nice flight from America, allthough the takeoff was a little noisy. It’s the last time I ever take one of those non-schedule flights from Cape Canaveral. [...] I got a wonderful tribute at the airport. They fired 21 shots in the air in my honor. Of course it would’ve been nicer if they’d waited for the plane to land...«9

Bob Hope wird mit einer amerikanischen Interkontinentalrakete nach Russland geschossen, wo man sofort versucht, ihn zu eliminieren. Aber er fühlt sich trotzdem herzlich willkommengeheißen. In seiner Erzählung ist er Bestandteil einer schwerwiegenden kriegerischen Auseinandersetzung, aber alles, was er aus seiner Perspektive davon mitbekommt, ist die schlechte Qualität des Fotos in seinem Reisepass. Alles deutet er zum eigenen Besten um, solange, bis es tatsächlich gut ist, und bis auch die Kriegspolitik nicht mehr gegen diesen hoffnungslosen Positivismus regieren kann. In Vietnam fragt er, als die Artillerie aus der Ferne donnert, von der Bühne herunter: »What the hell is all that firing about? General, would you call off this war while we’re on, please?« Seine Reisen in den Krieg sind Teil seiner Verkaufsstrategie, aber sie gehören auch zu seiner Bühnenfigur. Der Unterhalter im globalen Konflikt rettet die Situation, nicht trotz, sondern wegen seines Egozentrismus, seiner spießbürgerlichen Sucht nach Bequemlichkeit und seinem tief sitzenden Ekel vor

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Bob Hope bei einer Soloshow auf dem Flugzeugträger USS Ticonderoga vor der Küste von Vietnam, 1965.

Schlamm, Lärm und Gewalt. Hope tritt nicht als der kleine Spaßmacher im großen ernsten Krieg auf, sondern, in komischer Umkehr dessen, als der Befehlsgeber, den die laute Schießerei in seinen Monologen stört. Der Kriegsschauplatz wird zur Gewaltkulisse seines Cartoons, zum idealen Kraftfeld für den Gummimann. »It’s really amazing. I do carry with me at all times an impending sense of violence«, sagt Woody Allen. Sein Stand-up wird von dem Kontrast bestimmt, den sein schmächtiger, bebrillten Anti-Hero in Kombination mit Szenen körperlicher Gewalt ergibt. In der Jack Paar Show erzählt Allen, wie er im Judo-Club Selbstverteidigung lernen will, aber noch dort von seinem Judo-Lehrer verprügelt wird, wie er einen Neandertaler in seiner Wohnung antrifft, der ihm die Weisheitszähne zieht und auf seiner Brust tanzt, und wie er bei einer Hamlet-Aufführung im Central Park in eine Massenschlägerei verwickelt wird.10 Der moderne Stadtmensch, dessen Leben sich eigentlich weit entfernt von jeder elementa143

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ren, naturnahen Bestialität abspielen sollte, wird immer wieder in Situationen elementarer Triebhaftigkeit verstrickt. Auch er selbst ist triebbestimmt durch seine ausufernde Sexualität, und oft übernimmt er in den Szenen den aktiven Part. Bei Dean Martin erzählt er, wie er betrunken einen Fahrstuhl nach Kuba entführen will, und wie er notgeil sein eigenes Spiegelbild vergewaltigt.11 Er balanciert zwischen verhätschelter Zivilisiertheit und animalischer Irrationalität. Seine Gewaltaktionen und Geschlechtsakte werden nie zu dem erwünschten Ziel gebracht, sondern bleiben auf halber Strecke liegen, nehmen eine unerwartete Richtung, oder fallen auf den jeweils dominierenden Part zurück. So ist die Orgie zwar immer in Reichweite, aber immer auch knapp außerhalb der Reichweite der Sprache, derer sich der Erzähler bedient: »The Allen Family goes back to antique times. Many years ago, in ancient Rome, my family were orgie-caters.«12 Die Orgie ist eine Veranstaltung der Anderen, innerhalb derer seine Figur nur Dienstleister ist und bei aller Dekadenz immer noch eine institutionalisierte Rolle übernimmt. Zugleich ist er selbst immer auf der Kippe zum Exzess, und wenn er auf die andere Seite umschwenkt, dann mit der entsprechenden Vehemenz und Unkontrollierbarkeit. Er federt hin und her zwischen Angst, Wut, Anpassung und Zügellosigkeit. Woody Allens Charaktere sind Opfer sowohl ihrer eigenen Triebhaftigkeit, als auch der Triebhaftigkeit ihrer Umwelt. Sie geraten in Gewaltszenarios, die sie nicht beherrschen, die sich aber, aufgrund der unvorhersehbaren Wendungen, die sie in ihrem Verlauf nehmen, oft zu ihren Gunsten entwickeln. Auf diese Weise kann das Opfer von Schicksals- und anderen Schlägen in eine unvorhersehbare und vollkommen unwahrscheinliche Machtposition aufsteigen, und zum unfreiwilligen Weltretter werden, wie in der Komödie Sleeper von 1973, in der Miles Monroe nach einer Bagatell-Operation versehentlich tiefgefroren wird und 200 Jahre später, also im Jahr 2173 aufwacht, um festzustellen, dass die Welt von einem Diktator regiert wird, der nur noch in Form einer Nase als Klon-Reservoir existiert. Der politische Untergrund benutzt den aufgetauten Mann für seine Zwecke, weil er vom Staat nicht erfasst ist und sich deshalb unauffällig überall bewegen kann. Er wehrt sich dagegen mit der Feststellung, dass er nicht der »heroic type« sei, also auch keine Heldenrolle übernehmen könne. Aber die slapstick-haften Ereignisse, in die er während seiner Flucht vor den Schergen des Diktators verwickelt wird, treiben ihn genau zur Schaltstelle der Macht, in das Forschungslabor, in dem die Diktatorennase liegt. Er ergreift sie, entführt sie, wirft sie unter eine Straßenwalze, und die Welt ist gerettet.13 In Allens frühen Filmen wird die Handlung von genau jenem Mechanismus der Gewalt vorangetrieben, die für Slapstick und Cartoon typisch sind: eine Gewalt, die dem heroic coward seine Energie verleihen, indem sie

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ihm einen Schub in Richtung seiner unfreiwilligen Berufung zum Helden gibt. Es ist die Energie, der auch Bob Hope in der Interkontinentalrakete ausgesetzt ist: eine eigentlich unzivilisierte, zerstörerische, unfassbare physikalische Kraft, die den ahnungslosen Pantoffelhelden über die Stratosphäre hinaus katapultiert und ihn für einen kurzen perfekten Moment zum fliegenden Supermann werden lässt.

»It’s really amazing. I do carry with me at all times an impending sense of violence.« - Woody Allen in seiner Zeit als Solo-Entertainer.

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2. Ruhm als Trauma Die Erzählung vom freien Fall nach oben oder vom Ritt auf der Atomrakete ist auch eine Metapher für den plötzlichen Ruhm im Showbusiness, vom manchmal real erlebten Mythos des Break, des ersehnten Durchbruchs, der dazu führt, dass über Nacht die ganze Welt von ihrem neuen Helden spricht. Allerdings sind die Comedian seit Lenny Bruce nicht mehr Erfüller einer geradlinigen Erfolgsstory. Das Konzept des American Dream ist auf sie nur bedingt anwendbar, da sie rhetorisch auf die Möglichkeit des Absturzes und der Katastrophe angewiesen sind, die in diesem Konzept keinen Platz hat. Die Zeiten der Verlässlichkeit im Showbusiness sind mit dem politischen Stand-up der 60er Jahre zu Ende gegangen. Das komödiantische Urgestein der 50er wird als Teil einer abgeschlossenen Epoche des Showbusiness betrachtet. Unterhalter wie Jack Benny, Milton Berle und Ed Sullivan, mit ihrer Mischung aus Zoten, gepflegter Männerfeindschaft, Show-Glamour und Rührseligkeit, werden allenfalls als Überbleibsel aus einer anderen Zeit betrachtet, und bieten in den 70ern mit ihren immer noch erfolgreichen Shows Plattformen für eine neue Generation an. Zum einen steht Lenny Bruce zu seiner Zeit weitgehend allein14, zum anderen hat die Mythenbildung um seine Person zur Folge, dass seit den sechziger Jahren niemand, der sich als Stand-up einen Namen machen will, auf die Bühnenfiguren der Zeit vor Bruce zurückgreifen kann. Die Attitüde des aalglatten MC, der seine Tätigkeit als einen Job wie jeden anderen hinstellt, ist für die Generationen nach Bruce nicht mehr möglich. Der komödiantische Monolog ist zu einer Bestimmung geworden, die den ganzen Menschen fordert. Die Doppeldeutigkeit des Bühnendespoten liegt nicht im Bereich der schlüpfrigen Andeutungen und Herrenwitze, die sozusagen von innen heraus und aus dem Augenwinkel auf das Inakzeptable verweisen und damit nur ein längst etabliertes Wertesystem bestärken, sondern sie geht viel tiefer in einer Zerrissenheit und einer krankhaften Anspannung, die teils eine brutalen Komik erzeugt, teils unheimlich und aggressiv wird, und die in jedem Fall ein Spiel um Macht und Präsenz inszeniert, das sich den gewohnten Machtdispositiven entgegenstellt. So ist auch der Ruhm der Comedians seit Bruce nicht mehr die gottgewollte und wohlverdiente Bestätigung eines Könnens, das sich, wie jede andere Begabung auch, irgendwann auszahlen muss und so eine Ideologie des Erfolgs bestätigt, die vom Individuum als dem Bestimmer seines eigenen Schicksals und dem eigenverantwortlichen Verwalter seines Lebens ausgeht. Ruhm ist in der Comedy der 70er Jahre zunächst einmal ein Problem, das wie ein Schicksalsschlag über einen kommt, und mit dem man irgendwie fertig werden muss. Die plötzliche Berühmtheit, von der das Showbiz bislang geträumt hat, erhält

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nun eine traumatische Dimension, und ist damit auch etwas, gegen das man sich zunächst wehrt. Genauso wie sich David Monroe im Sleeper gegen seine unerwartete Ernennung zum Helden und Weltretter wehrt, genauso wird auch der Starkult des Showzirkus als etwas angsteinflößendes, unfreiwilliges und vor allem auch unverdientes abgelehnt. Obwohl der Ruhm naiv und lüstern aufgesogen wird, hat er doch immer eine Beimischung von Gefahr und Gewalt. Erfolg wird als ein Schicksalsschlag dargestellt, der das Individuum überfordert, ihm Angst macht, es erdrückt, oder dazu führt, dass es, statt sich im guten Leben und der ökonomischen Sicherheit einzurichten, in einen Dauerexzess hinübergleitet, der es schließlich zugrunderichtet. Richard Pryor wird von der amerikanischen Presse als der »black ghost of Lenny Bruce« bezeichnet15, als eine Art rassenmutierte Reinkarnation. Allerdings ist Pryors Entwicklung nicht primär eine kriminelle Karriere, wie im Fall von Bruce, sondern sie wird von Anfang an begleitet von kommerziellem Erfolg. Die Mitschnitte seiner Shows seit Live and Smokin’ 16werden verlässliche Kassenerfolge in den Kinos. Auch ist Pryor der erste Stand-up Comedian, der im Fernsehen einen ganzen SoloAbend allein bestreitet und damit die Tradition der Comedy Specials einleitet. Die Dimension seines Exklusiv-Vertrags mit Columbia über 40 Millionen Dollar war bis dahin im Comedy-Sektor beinahe unvorstellbar. Richard Pryor hat die Figur des heiligen Desperado weitergeführt, allerdings mit einer komödiantischen Abstraktion, die seinen Act weniger schmerzlich macht als den von Lenny Bruce. Er hat für sich eine Bühnenfigur erfunden, die Manie und Depression nebeneinander stellen, sie aber, im Gegensatz zur Personality Show von Bruce, vermittelter und theatralischer in Erscheinung treten lässt. Pryors Crazy Nigger ist ein schwarzer Obdachloser, der seine Tage damit verbringt, Passanten von seiner glanzvollen Vergangenheit, seinen Heldentaten und seinem tragischen Schicksal zu erzählen, und ihnen auf diese Weise Geld zu entlocken. Der Crazy Nigger ist ein kaputter Straßenprediger, der zwischen tiefer Verzweiflung und echtem Größenwahn hin und herschwankt, einer jener Fabulierer, die sich selbst als die einzig rechtschaffenen Bürger und Retter der Menschheit sehen, obwohl sie sozial an unterster Position stehen. Er torkelt betrunken auf die Strasse und beginnt dort den Verkehr zu regeln. Er pöbelt imaginäre Autofahrer und Passanten an, die seinen unverständlichen Armverrenkungen nicht Folge leisten. Er unterstreicht seine Autorität, indem er sie anbrüllt, dass er der erste Schwarze beim FBI gewesen sei und »posthum« einen Orden verliehen bekommen habe. Das bringt ihn auf den Zweiten Weltkrieg, in dem er nach eigener Aussage die »Battle of Chateaubriant« gewonnen hat. Als er die imaginären SenfgasWunden auf seinem Körper zeigt, fängt er dann plötzlich an, bitterlich zu

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weinen und von seiner toten Mutter zu erzählen, die er nie besucht und so schlecht behandelt hat. Er nimmt einen tiefen Zug aus der Schnapsflasche, was ihn buchstäblich wieder aufrichtet und zurück zu seinen Heldentaten bringt.17 Diese und ähnliche Figuren, wie Lightning Bug Johnson, der Wino Preacher und Willie the Junkie18 bestimmen seine Auftritte, sowohl bei Soloperformances, als auch in Sketchen, TV-Soaps und Talkshow-Auftritten. In diesen Umgebungen wirkt er sozial deplaziert und vermittelt den Eindruck, dass er im jeweiligen Kontext eigentlich nichts verloren hat, dass er sozial inkompetent ist und demnach die Ehrung und Aufmerksamkeit, die er erfährt, gar nicht verdient und auch nicht verarbeiten kann. Bei Mike Douglas wird er gemeinsam mit dem Alt-Star Milton Berle interviewt. Als dieser von einer tragischen Liebe in den 30er Jahren und einer damit verbundenen schweren persönlichen Krise zu erzählen beginnt, bekommt Pryor einen Lachanfall, mit dem er den ganzen Saal ansteckt, und der trotz aller Selbstbeherrschungsversuche derart ausufert, dass Berle seine Erzählung abbricht und das Studio verlässt.19 In solchen Ausbrüchen zeigt sich eine generelle Überreiztheit, die sowohl aus einem Gefühl der mangelnden sozialen Kompetenz herrührt, als auch aus dem Konsum von Drogen als dem chemischen und symbolischen Äquivalent der entgleitenden Kontrolle: Marihuana für den Lachkrampf und die Albernheit, Speed für das unausgesetzte, temporeiche Sprechen, Kokain für die Körperspannung, die Muskelzuckungen und den glasigen, nervösen Blick in alle Richtungen. Von diesem Cocktail aus psychoaktiven Substanzen ist im Zusammenhang mit Pryor immer wieder die Rede, und auch auf der Bühne ist die Droge ständig Thema.20 Die Chemie bewirkt eine Verstärkung der emotionalen Unberechenbarkeit. Sie verschärft den plötzlichen Wechsel der Stimmungen, und damit das Gefühl des Kontrollverlustes, das wiederum die Bühnenund Talksituation prekärer werden lässt und die Angst vor Scheitern und Untergang vergrößert. Die Emotionen verlieren ihre scharfe Abgrenzung gegeneinander – Angst wird zu Aggression, Albernheit zu Trauer, und umgekehrt. Was allem als Energiesumme zugrunde liegt ist eine völlige psychische und organische Überspanntheit, die nicht mehr zu einer dezidierten Sprech-, Tanz- oder Bewegungsform gerinnt, sondern manchmal verwirrend, manchmal peinlich die jeweilige Situation zerstört. Der Solist Pryor bewegt sich entsprechend entlang der Rampe wie ein eingesperrtes Tier entlang der Gitterstäbe. Die Podesterie ist über weite Strecken die einzige formale Grenze, die sein Act noch hat. Sein Zustand ist ernst, manchmal führt er zu Panikattacken, zum Beispiel wenn er nach einer längeren sehr schnellen Rede aufschreit, dass er vergessen habe, wie man atmet, dann einen Herzinfarkt erleidet, dessen Konvulsionen schließlich in einen wilden Indianertanz übergehen.21

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Wie bei Bruce, löst sich auch in Pryors Version eines Theaters der Verausgabung das Konzept des Privatlebens auf, werden die Tätigkeiten außerhalb der Showbühne zum wichtigen Schauplatz eines totalen Theaters, allerdings nicht in Form des gerechten Kampfes um die Redefreiheit, sondern eher als der Fight For Your Right Too Party22. In den Schlagzeilen, die Richard Pryor erzeugt, ist er ein Rock-Star, dessen Exzesse Aufsehen erregen, aber mehr als alles andere Sympathie erzeugen, da sie medial nicht aus einer sozialen Repression heraus vermittelt werden, sondern eher aus der lustvollen Idee der befreiten Bestie: Zehn Tage Haft für Steuerhinterziehung, ein 100.000-Dollar-Prozeß für das Verprügeln eines Hotelangestellten, ein Familienstreit, der damit endet, dass Pryor mehrere Kugeln in den Motorblock seines neuen Buick verschießt, ein häusliches Flammeninferno, das entsteht, als er versucht, Kokain zu reinigen, und das ihm lebensgefährliche Verbrennungen verursacht. Auf der Bühne witzelt Pryor später über dieses Ereignis: »White people didn’t come to see me till I burnt up.«23 Damit liegt er nicht einmal falsch, denn dieses Ereignis beschert ihm zusätzlichen Zulauf. Der »burning Nigger« ist die Anspielung auf die rassistischen Fanale des KuKluxKlan, und zugleich die Bebilderung seiner Bühnen-Hysterie, in der er sich selbst verzehrt. Die Bruce’sche Tendenz zur gesellschaftspolitischen Selbstzerstörung hat mit Pryor ihre Bilder bekommen – Bilder, die eine ganz andere Sinnlichkeit ansprechen als der Bruce’sche Krieg um juristische Paragraphen, und die deshalb in ihrer ganzen Drastik dem Spaß- und ExzessKontext der Big Time viel mehr entgegenkommen als jener. Die Zeit des politischen Märtyrertums ist vorbei. Richard Pryor steht auf der Grenze zu einer neuen Generation von Superstars, die beginnen, ihren Erfolg nicht nur zu erleiden, sondern auch zu feiern. Rückblickend sagt er über sich selbst: »A 44-year-old literally burnt up black uneducated man living in so-called racist America – how’s it possible to be where I am unless there’s a God?«24

3. »Time To Get Paid«. Karrieremacher und New Jacks Eddie Murphy ist derjenige, der diese Tendenz direkt weiterverfolgt. 1980, als er zum Publikumsliebling der Fernsehshow Saturday Night Live wird und sich seine Karriere bereits abzeichnet, vergleicht er sich mit seinem Vorbild Pryor und sagt, dass er zwar so groß werden wolle wie dieser, aber nicht so krank.25 Er führt den Begriff der Good Time Comedy ein und praktiziert auf der Bühne einen Stil, der an die Coolness der weißen Show-Stars der 50er Jahre wie Jack Benny, Milton Berle und Steve

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Allen anknüpft, sich aber mehr als diese auch an ein schwarzes Publikum wendet, indem er sich der Themen, Figuren, und vor allem der Sprache bedient, die seine Vorgänger als Standards in die Show eingebracht haben. Murphy ist integrativ. Er praktiziert den Party-Humor, in dem es hauptsächlich um Sex und Frauen-Anmachen geht, aber im Gegensatz zu Redd Foxx nicht mehr in Form sexueller Anspielungen eines Dirty Old Man, sondern als die Albernheiten eines charmanten, gesunden und erfolgreichen Hans im Glück, der seine Jugend feiert. »These are the years to fuck«, sagt er auf der Bühne, »this is when you do your best fucking and when you just start to learn how to use your body, like bringing your shoulders in on the fuck, you know...«26 Während Redd Foxx und Richard Pryor als nervöse Wracks von der Bühne gehen, deren exzessiver Drogenkonsum sich in ihrer ganzen Erscheinung niederschlägt, wirkt Murphy völlig unangestrengt, als ob der zweistündige Auftritt in der ausverkauften Radio City Music Hall für ihn gerade erst der Auftakt zu einer langen Party-Nacht gewesen wäre. Eddie Murphy verkörpert in seinem Stand-up das neue Bild des Schwarzen, des New Jack, der sich innerhalb der gesellschaftlichen Institutionen eine Karriere aufbaut und dementsprechend seinen Erfolg nicht als Trauma erlebt, sondern als den wohlverdienten Lohn seiner Arbeit entgegennimmt und genießt. Der New Jack ist positiv, konservativ, erfolgreich, und er hat dabei die vollständige Kontrolle über seine Karriere. Er versteht sich ausdrücklich als Teil einer integrativen Gesellschaft und als Verwirklicher des American Dream. Er verachtet die rührseligen Sorgenkinder einer weißen Kultur, wie Sammy Davis Junior oder Stevie Wonder, die ihren Erfolg als Schwarze nur durch die Erfüllung einer weißen Klischeevorstellung rechtfertigen, und die ihren Lebensweg nicht selbst gestalten, sondern unmündig auf die Gönnerschaft anderer angewiesen sind. Murphy mit Stevie Wonder im Auto: »I’m not impressed by what you are doing. If you wanna impress me, Stevie, take the wheel!«27 Der blinde Sänger wird aufgefordert, selbst das Steuer in die Hand zu nehmen und die Richtung zu bestimmen. Kontrolle und Willenskraft sind die Ideale der New Jacks. Sie erheben sich über die Erfüllungs-Figuren und Buppies (Black Yuppies) genauso wie über die schwarzen Berufsagitatoren. Rassismus und Ghetto-Elend sind in ihrem Diskurs nicht mehr enthalten. Murphy, im bürgerlichen Long Island aufgewachsen, sagt, dass er in seinem ganzen Leben nur einmal »Nigger« genannt worden sei. Seine Show beendet er, angelehnt an Pryor, mit einer optimistischen und ganz unironischen Segnung seiner Welt: »Here I am, a 22 year old black male on stage, getting paid to hold his dick. God bless America!«28 Zwar ist auch er nicht befreit von der genuinen Anspannung, die der komischen Soloperformance innewohnt, auch in ihm schwelt noch das Klischee vom übersexualisierten, unterzivilisier-

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ten Schwarzen, allerdings mehr in der Gestalt eines überlegenen Zitats. Die Geschichte, die hier erzählt wird, ist nicht mehr die Geschichte des nervlich überspannten Superunterhalters, der sich im Verlauf seiner Show selbst aufzehrt. Die New Jacks im Showbusiness haushalten so mit ihren Kräften, dass für sie selbst auch noch etwas übrig bleibt. In seinem Performance-Film fällt Eddie Murphy nach dem Verlassen der Bühne entspannt direkt in die Arme seiner Freunde, Begleiter und Bodyguards und fragt gutgelaunt, wo man denn jetzt hingehe.29 Gegenüber den Medien äußert er, dass er sehr darauf achtet, sich von Drogen fernzuhalten. Auf der Bühne erzählt er von seiner Angst vor Geschlechtskrankheiten. Er selbst bleibt immer sauber und fit, bei der Party, beim Sex, in der Show. Eddie Murphy und Will Smith sind eher Lausbuben als Bad Guys. Wie ihr Vorbild Bill Cosby sind sie mit ihrem Charme und ihren offenen, jungenhaften Gesichtszügen gesellschaftsfähig geworden. Sie sind die universellen Klassenclowns, die jeder Party die gewisse Ungezogenheit verleihen, die sie braucht, um interessant zu bleiben, die aber auch genau wissen, wo die Grenzen verlaufen. Am 9. Juli 2002 verleiht George W. Bush dem augenzwinkernden Bill Cosby die President’s Medal Of Freedom und lobt in ihm den großen Integrierer der Stand-up Comedy: »Bill Cosby is a gifted comedian who has used the power of laughter to heal wounds and to build bridges. By focusing on our common humanity, Bill Cosby is helping to create a truly united America.«30 Ich spreche hier, um für den historischen Teil einen Abschluss zu finden, vom Ende des Despoten im Konsens. Diese Geste des Integrierens, die Herausstellung einer Menschlichkeit, die nicht spezifisch weiß oder spezifisch schwarz oder spezifisch jüdisch oder puertorikanisch oder mexikanisch ist, die die Farbenlehre des Entertainment beendet, indem sie sich auf Phänomene des modernen Lebens und der Familie, also auf Beobachtungen und Erfahrungen konzentriert, die die amerikanische Gesellschaft als Ganze betreffen – dieser Integrationswille ist typisch für den Stand-up der 80er und 90er. Die Epoche der Massenveranstaltungen im Stand-up ist dabei relativ kurz. Das Interesse dieser neuen Generation von Comedians fokussiert sich zunehmend auf die kleinen Details des Lebens, auf die Funktionsweise der Zivilisations-Objekte, auf subtile Interaktionen zwischen Familienmitgliedern, Arbeitgebern, Angestellten, auf kleine Pannen im Straßenverkehr. Der Observationalism31 fordert wieder die intime Atmosphäre der kleinen Club-Bühne oder des Fernsehstudios. Jerry Seinfeld ist der berühmteste Vertreter dieses Genres, das sich in direkter Linie von Bill Cosbys frühen Fernsehauftritten herleiten lässt. An die Stelle von Cosby’s Familiengeschichten und kleinen Dramen aus der eigenen Kindheit sind nun allgemeinere Beobachtungen aus dem Leben eines Privatmenschen getre-

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ten, aber das Prinzip der Beobachtung des unmittelbaren Lebensumfeldes bleibt unverändert. In der Observational Comedy geht es um Feuchttücher im Flugzeug, um fehlgeschlagene Ansagen auf Anrufbeantwortern, um die halbwache Lektüre der Texte auf Cornflakes-Schachteln beim Frühstück, um die Frage, wohin eigentlich immer die Socken verschwinden, die beim Waschen verloren geht, usw. Das Verhältnis zum Gegenstand ist bei dieser Art des Erzählens zugleich interessiert und distanziert. Der Comedian ist nicht wirklich involviert, er streift alles lässig im Vorbeigehen, ohne jemals seine gelassene Haltung zu verlieren. Die Welt erscheint wie auf dem Bildschirm eines Videospiels, bunt, schnell, verwirrend, aber prinzipiell ungefährlich und ohne Konsequenzen. »I miss the New York cabs«, sagt Seinfeld. »The funny thing is that they keep risking your life, and you just sit there on the back seat, watching it all like a TV show: ›Oh, I’ve never seen an old lady jump so far...‹«32 Genau das ist die erzählerische Grundhaltung des Observsationalism. Die Abläufe des eigenen Lebens werden aus einem sicheren Glaskasten heraus betrachtet und erhalten durch diese Distanzierung neue, unerwartete und dadurch komische Nuancen. Der Beobachter ist ein etwas gelangweilter Dandy, der die Verbalisierung dieses Lebensflusses zu seinem Beruf gemacht hat, ein Junggeselle ohne schwerwiegende familiäre, berufliche oder soziale Probleme, der alles aus der Perspektive eines unbeteiligten Außenstehenden formulieren kann. Dabei wird der Observationalism niemals Metapher für einen sozialen Prozess, er weist nicht über sich selbst hinaus, stellt nie irgendwelche Forderungen, sondern bleibt auf der abstrakt-ästhetischen Ebene einer komödiantischen Erzähltechnik. Es ist auffällig, dass in den Biographien der Hauptvertreter dieses Genres das Format der Sitcom eine entscheidende Rolle spielt. Die Cosby Show erlebt von 1984 bis 1992 acht erfolgreiche Jahre und kommt Anfang der 90er auch nach Deutschland. Will Smith gibt sein Debüt als Schauspieler 1989 in der Serie The Prince of Bel-Air (bis 1995), und Jerry Seinfeld spielt seit 1992 sich selbst in seiner eigenen Sitcom Seinfeld. Die Thematik und die kurze, episodenhafte Erzählstruktur der Situation Comedy ist dem Observationalism nah verwandt, und es erscheint beinahe zwingend, dass sich das Arsenal an Alltagsfiguren und Alltagssituationen, das der New School Comedian von der Bühne herunter projiziert, schließlich in dieser Form dramatisiert wird. Mit dem Observationalism ist der Punkt erreicht, an dem der Solist nicht mehr selbstgenügsam ist. Er hat die Situation des Individuums bis auf die Zweidimensionalität eines Bildschirms vereinfacht. Er hat die Lebenswelt von der Globalpolitik auf den privaten Bereich eines prinzipiell funktionierenden Alltagslebens zusammenschrumpfen lassen. Seine Welt ist weitgehend konfliktbereinigt, ungefährlich und gemütlich geworden, und dementsprechend wer-

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den auf Dauer fiktive Konstellationen mehrerer Personen, werden erdichtete »Situationen« im artifiziellen Umfeld eines Fernsehstudios nötig, um eine kurzzeitig konfliktfähige, dramatische Erzählung überhaupt noch zu ermöglichen. Der Solist beginnt, sich alleine auf der Bühne unwohl zu fühlen. Und so erschafft sich der prinzipielle soziale Friede seine kleinen Spannungen im vertrauten Kreis der Familie und der Freunde. In den frühen Solo-Shows von Roseanne Barr, die später als Hauptfigur in der erfolgreichsten Sitcom der Neunziger Jahre auftritt33, wird dieses entwicklungsbedingte Unwohlsein besonders deutlich: Während ihres Monologs kommt immer wieder ihre kleine Tochter auf die Bühne, beschwert sich darüber, dass Papa nur Bier trinkt und Sportsendungen anschaut, anstatt mit ihr zu spielen, fragt, ob sie Plätzchen backen darf, usw. Jedes Mal wird sie von ihrer Mutter von der Bühne geschoben (»Well, darling, mum is trying to do some work here« – die Bühnenshow als Job), steht aber wenige Minuten später wieder da, um das nächste Stichwort zu liefern.34 Die sprechende Person auf der Bühne ist in der Situation Comedy problematisch unproblematisch geworden. Der despotische Prediger ist in seiner bloßen Existenz nicht mehr fragwürdig, nicht mehr gefährdet. Sein Dasein als öffentliche Figur beinhaltet keine latente Bedrohung mehr. Er klafft nicht mehr wie eine offene Wunde, vor dem Hintergrund unzähliger sozialer und rassistischer Konnotationen, sondern er agiert innerhalb einer von ihm selbst befriedeten Umwelt, er schließt Wunden, wie George Bush das behauptet und fordert. Seine Tätigkeit wird nun, jenseits aller Täuschungen, Anspannungen und Diskriminierungen, als ehrbar anerkannt. Er ist zu seinem Recht gekommen, ist kein Fremder, kein Alien mehr, und plötzlich steht er da, allein auf einer leeren Bühne, und weiß nicht mehr was er sagen soll. Die Stand-up Comedy hat in der Epoche des Observationalism als Kunstform ihre Eigenständigkeit verloren. Für den Moment ist sie wieder dort angekommen, wo sie in den 50er Jahren ihren Ausgang genommen hat – im MehrPersonen-Sketch des Vorabendprogramms. Die Comedy Clubs in New York, Chicago und Las Vegas bilden nicht mehr den Nachwuchs für die großen Theater und TV-Shows heran, sondern sie rekrutieren umgekehrt ihre Stars aus den Musical-Häusern des Broadway und von den Produktionsfirmen des Fernsehens. Der New School Comedian des Observationalism und der Sitcom sieht sich als Bestandteil einer prinzipiell heilen, entpolitisierten Welt, deren Wahrheiten längst formuliert, und deren Probleme längst bereinigt sind. »The Truth is Out There«, sagen noch die Agenten Mulder und Scully in den X-Files, als sie sich in den 90ern auf eine fanatische Wahrheitssuche über die Invasion der Aliens, die Verstrickungen der Politik und die Verschwörung der Mächtigen begeben.

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Die entpolitisierte Show muss sich in ihrem Personal erweitern: Roseanne Barr (4.v.r.) in ihrer Sitcom Roseanne.

Im Jahr 2002 wird die Frage der Aliens anders gelöst: »Sie haben nichts von dem gehört und gesehen, was gerade passiert ist«, sagt Will Smith als Agent Jay in dem Science Fiction Men In Black zu einer verdutzten Kleinfamilie, die gerade beobachtet hat, wie zwei schwer bewaffnete Männer in Begleitung von einer Bande lärmender Außerirdischer durch ihr Wohnzimmer gestolpert sind. Währenddessen bedient er den Neuralyzer, einen silbernen Stift, der mit einem Lichtblitz das Kurzzeitgedächtnis löscht. »Machen Sie sich keine Sorgen, es gibt keine Aliens. Sie werden sich ewig in Liebe ergeben sein, und die Kleine darf heute lange aufbleiben, fernsehen und alles in sich hineinfuttern was sie will«35 So wird die Kleinfamilie im Interesse des allgemeinen Friedens ihrer Begegnung der dritten Art beraubt und sitzt weiterhin ruhig in ihrem Wohnzimmer, auf ihrem Sofa, vor ihrem Fernseher. Bisher gab es keine Beschwerden.

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Teil 2 System/Europa

EINLEITUNG Weil der Teufel im Detail steckt, und weil der Teufel eine der Personen des Theaters ist, von denen dieses Buch handelt, muss auf den Überflug in Form einer Geschichte der despotischen Showmenschen die Analyse an Beispielen folgen. Die Tatsache, dass ich mich im historischen Teil vor allem auf die USA, und in dem folgenden analytischen Teil mit einigen Ausnahmen auf Beispiele aus Europa beziehe, hängt damit zusammen, dass ich dieses natürlich als Europäer schreibe, und dass ich hier, da der nun folgende Blick auf die Details eine größere Nähe erfordert, naturgemäß zuerst das betrachte, was ich in meiner unmittelbaren Umgebung vorfinde. Ich hätte dabei in der Unmittelbarkeit noch weiter gehen können, habe mich aber dafür entschieden, in meiner Darstellung einen Kompromiss zwischen Lokalität und allgemeiner Bekanntheit zu finden, um mir und den Lesern lange rein deskriptive Passagen zu ersparen. Deshalb sind die Erfahrungen aus den so interessanten wie schwer auffindbaren Orten der städtischen Kultur nur selten direkt, immer aber als ein weißes Rauschen im Hintergrund anwesend. Mit der Late Night hat die despotisch regierte Show einen internationalen Standard entwickelt, der spätestens mit Harald Schmidt auch in Deutschland angekommen ist. Zusammen mit dem Genre werden auch seine Vorläufer und unausgesprochenen Rahmenbedingungen in das kulturelle Bewusstsein eingeführt. Diese Bezugnahme erfolgt zum Teil explizit, wie bei Harald Schmidt, der – damals noch bei Sat1 – in der ersten Folge nach dem Terroranschlag vom 11. September 2001 gesagt hat: »Auch wir erklären unsere uneingeschränkte Solidarität mit den USA. Wir sind so solidarisch, wir haben ihnen gleich eine ganze Show geklaut.«1 Sie erfolgt aber auch implizit, wie im Fall der österreichischen Nette Leit Show von Hermes Phettberg und Kurt Palm, in deren Titel durch einen Buchstabendreher das Genre zugleich in Anspruch genommen und österreichisiert wird. Die Late Night Show eignet sich daher besonders als Referenzpunkt für meine systematische Darstellung. Außerdem werde ich auf solche TV- und Bühnenshows bzw. Performances mit Show-Charakter eingehen, die in Deutschland und Europa einen Grad an Bekanntheit erlangt haben oder im überregionalen Fernsehen ausgestrahlt worden sind. 157

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Anhand dessen werde ich in diesem systematischen Teil auf die kommunikativen und szenischen Strategien der Bühnendespoten genauer eingehen, die sich bisher nur angedeutet haben. Dazu gehört natürlich das allgemeine Setting, das Arrangement, das Milieu der Show, in dem sich diese Personen herausbilden und das seinerseits von ihnen bedient und beeinflusst wird. Dazu gehört auch ein sittliches und soziales Milieu, das sowohl die Grenzen bestimmt, innerhalb derer sich die Handlungen des Bühnendespoten entwickeln, als auch mit bestimmten ritualisierten Regeln die Routinen der Grenzüberschreitung vorgibt. In erster Linie interessieren mich dann die Strategien des theatralischen Opfers, die die Subsumierung verschiedener Performer unter dem Aspekt ihres Despotismus überhaupt erst rechtfertigen. Wenn der Bühnendespot bisher als das singuläre, exzentrische Individuum erschienen ist, das seine Exzentrizität mit einer übermenschlichen Anspannung bezahlt bzw. inszeniert, so werde ich nun verstärkt auch auf die verschiedenen Interaktionen dieser Figur mit Zuschauern, Gästen und imaginären Personen eingehen, die aber die Singularität des Solisten nicht beseitigen, sondern eher bebildern und verstärken. Das theatralisch inszenierte Opfer (als Person) erscheint dabei als das Negativ des Bühnendespoten, als eine Art Alter Ego, das ihn mit konstituiert. Zugleich beinhaltet aber das Opfer (als Tätigkeit oder Zustand), im Sinne eines subversiven Spiels, einen Ausblick auf die Dekonstruktion des Bühnendespoten und auf die letztendliche Unhaltbarkeit seines komischen Imperiums, bis hin zu dessen Auflösung im allgemeinen Lachen. Dabei wird noch deutlicher werden, was sich im historischen Teil schon angedeutet hat, nämlich dass die Polarisierung Despot auf der einen, Opfer auf der anderen Seite nicht ausreicht. Es wird sich zeigen, dass der Despot nicht immer der monomane Gewaltherrscher bleibt, der selbst distanziert über der Sache steht und die Puppen tanzen lässt. Opfer und Täter stehen nicht in einfachem Gegensatz zueinander. Der Despot ist in seiner Machtstruktur nicht so klar umrissen, wie es zunächst scheint. Der Aspekt des Unterliegens gehört ebenso zu seiner Figur wie der des Opferns. Der Begriff des Opfers bezeichnet nicht nur die Einzelpersonen, den prominenten Talkgast, den aufgerufenen Gast aus dem Publikum, den Anrufer etc., die vor aller Augen geschlachtet werden, sondern er kann sich umfassender auf die Figur des Despoten selbst, und schließlich, als ein komisches, sich alles einverleibendes Ritual, auf die Show als Ganze ausdehnen. Der Umgang mit Dritten, die raum-zeitliche Anordnung der Performance, ihr hierarchisches Gefüge und ihr ritualisierter Ablauf tragen dazu bei, dass die Ereignisse ständig zwischen einer Atmosphäre von Sicherheit und Stabilität und der Möglichkeit eines Kippens des ganzen Apparates hin und herschwankt. Das Setting wird zu ei-

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EINLEITUNG

nem Spiel um Macht und Dominanz, an dem die Zuschauer genussvoll teilhaben. Dieses weiter gefasste Konzept des Opfers wird, hoffentlich ohne Zwang und Pathos, zur Vorstellung einer allumfassenden »Souveränität« führen, wie sie im Hinblick auf die menschlichen Ungeheuer des Marquis de Sade entwickelt worden sind, einer Souveränität, die vor sich selbst nicht Halt macht, die in ihrem angeberischen Machtspektakel auch immer sich selbst und den eigenen Machtapparat aufs Spiel setzt.

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I. DIE SHOW

ALS

FEST

»Die Welt der Arbeit steht im Gegensatz zur Welt der Gewalt: Auf alle Fälle gehört der Mensch der einen und der anderen dieser beiden Welten an, und sein Leben ist, ob er will oder nicht, zwischen ihnen zerrissen.« (Georges Bataille)1

Wenn ich die Show als das charakteristische Umfeld der Bühnendespoten bezeichne, dann vor allem in Anbetracht dessen, dass ich mir eine Integration verschiedenster theatralischer Bereiche zum Ziel gesetzt habe und mich deshalb nicht unnötig einengen darf. Das Genre der Show, an sich weit gefasst und viele verschiedene Erscheinungsformen einschließend, wird dennoch vorzugsweise mit dem Medium des Fernsehens in Verbindung gebracht. Diese Beschränkung auf ein Medium kann aber, obwohl ich im Folgenden im Interesse einer Vereinfachung der Darstellung immer wieder auf bekanntere TV-Beispiele zurückgreife, nicht im Sinne meiner Darstellung sein, und daher möchte ich eine allgemeinere und zugleich weniger formale Definition vornehmen. Denn die Show zeichnet sich als Genre nicht in erster Linie durch ihr Medium, sondern vor allem durch ihre inhaltliche und ästhetische Heterogenität aus. In ihrer Ganzheit setzt sie sich aus vielen kleineren Show-Fragmenten zusammen, die ihrerseits eine gewisse Abgeschlossenheit und Selbständigkeit aufweisen und kleine Entitäten innerhalb des übergeordneten Organisationsprinzips der Show darstellen. Es sind dies zum Beispiel die einzelnen Nummern, die sich in lockerer Abfolge aneinanderreihen, und die keinen direkten inhaltlichen Bezug zueinander haben müssen. Oft werden sie von verschiedenen Performern ausgeführt, die ihren Teil abliefern, um gleich danach wieder von der Showbühne zu verschwinden. Ähnlich verhält es sich für die Kandidaten der Game Shows und für die Gäste der Talk-Shows. Sie alle tragen, zum Beispiel in Form ihrer persönlichen Fähigkeiten, ihrer persönlichen Hobbys, Meinungen, Erlebnisse, die sie öf161

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fentlich mitteilen und unter Beweis stellen, etwas in diesen weit gesteckten Rahmen der Show hinein, einen relativ eigenständigen Bestandteil, der sich nicht ohne Weiteres in ihre logische Abfolge einfügt, sondern von ihr erst noch vereinnahmt werden muss. Die Show bedarf also eines Gegenparts für die Gäste, einer Instanz, die garantiert, dass ihre einzelnen Bestandteile nicht ungeordnet nebeneinander stehen bleiben, sondern auf ein Gefüge treffen, dem sie sich eingliedern können – dass sie also nicht ins Leere laufen, sondern eingebunden werden in eine hierarchisch gegliederte Struktur. Der Showmaster, Moderator, Anchor Man oder MC ist diese Instanz, die für die Einbindung der heterogenen Einzelbestandteile einer Show verantwortlich ist. Er übernimmt zum einen die Rolle eines nebengeordneten und gleichberechtigten Gesprächs-, Interview- und Showpartners, der sich assistierend und unterstützend an den einzelnen Nummern beteiligt, zum anderen ist er aber auch der übergeordnete Gastgeber, der Host2, der das Showgeschehen immer von oben zu überblicken hat. Bei ihm müssen alle Fäden der Show zusammenlaufen, denn er hat die Aufgabe, dort Verbindungen zu schaffen, wo sie nicht ohne weiteres auszumachen sind. Im heterogenen Verlauf einer Show gleicht er Unebenheiten aus, dämpft abrupte Wechsel ab, passt Gegensätze einander an – er ist das Öl im Getriebe und der Stoßdämpfer im Fahrwerk – er moderiert. Abgesehen von seiner gleichgestellten, teilnehmenden Funktion in einzelnen Sequenzen ist er in seiner Show also vor allem der Hausherr, und an seiner Person messen sich alle entstehenden Hierarchien. Seine Doppelrolle des gleichberechtigten Gegenübers auf der einen und des Vorsitzenden auf der anderen Seite beinhaltet ein Konfliktpotential, das sich noch als wichtig erweisen wird. Viele Abläufe der Show lassen sich unter dem Aspekt ihrer Festlichkeit beschreiben: die Platzierung in Raum und Zeit, die Momente der Verausgabung, die Einführung bestimmter Spielregeln und die Rituale von deren Überschreitung bilden die Grundlage bei der Schaffung des spezifischen formalen, ästhetischen und performativen Milieus, innerhalb dessen sich die Figur des Bühnendespoten konstituiert (Kapitel I und II). Darauf aufbauend ergibt sich die Frage der Ausgewogenheit und des Maßes, die in jedem Fest eine Rolle spielt, vor allem deshalb, weil das Fest als ein Ausnahmezustand im Alltagsleben immer nach anderen Prinzipien funktioniert als dieses (Kapitel III). Auch die Entfaltung des despotischen Handelns (Kapitel IV bis VII) und die tatsächliche oder imaginierte Einbindung der Zuschauer in das Geschehen (Kapitel VI und VIII) können am besten mit der Begrifflichkeit des Festes beschrieben werden, da alle genannten Teilaspekte auf einer Dialektik von Eskalation und Eindämmung beruhen, die jedes festliche Ereignis wesentlich ausmacht. Schließ-

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DIE SHOW ALS FEST

lich muss noch die Frage behandelt werden, die sich aus diesem Bezug von Fest und despotisch regierter Show ergibt, nämlich an welchem Punkt die despotische Show ihr komisches Potential entwickelt, und wo die Berührungspunkte, vor allem aber die Trennlinien zwischen dem komischen Despotismus der Figuren und Formate, die ich beschreibe, und einem totalitären, Macht festigenden Despotismus der faschistischen Inszenierung liegt (Kapitel IX).3

1. Die Show als raum-zeitlicher Ausnahmezustand Viele Fernseh- und Bühnenshows, und ganz besonders jene, die sich um die Zentralfigur eines Bühnendespoten anordnen, entwickeln bestimmte Strategien, die darauf hinarbeiten, das jeweilige Bühnenereignis als etwas außergewöhnliches, nicht alltägliches auszuweisen. Es soll das Bewusstsein einer Ausnahmesituation erzeugt werden. Wie bei einem Fest soll dieser öffentlichen Veranstaltung ein Rahmen gegeben werden, in dem Dinge möglich werden, die im alltäglichen Leben nicht möglich sind. Die Inszenierung eines solchen Ausnahmezustands, der, wie sich zeigen wird, immer mit einer hochgradigen raum-zeitlichen Standardisierung einhergeht, ist von großer Bedeutung für die Wirkung der Obszönitäten, Übertreibungen und Grenzgänge, welche die Interaktion zwischen dem Bühnendespoten und seinen Opfern kennzeichnen. Nur im Bewusstsein der Ausnahme können sie überhaupt ertragen und als lustvoll empfunden werden. Das Konzept der Ausnahme äußert sich schon im raumzeitlichen Arrangement vieler Shows: Die Show hat ihre spezielle Zeit, sowohl im Theater als auch im Fernsehen. Im Fall der Late Night Show drückt sich die vorrangige Bedeutung des Zeitpunkts ihrer Ausstrahlung schon in der Bezeichnung dieses Formats aus. Sie wird, in leichten Abwandlungen, auch in die Betitelung der jeweiligen Shows übernommen. Beispiele sind die Late Show mit David Letterman, die Tonight Show mit Jay Leno, und Conan O’Briens Late Night. Lediglich die bis 2003 ausgestrahlte deutsche Version hebt die Person des Showmasters hervor und nennt sich Die Harald Schmidt Show, was daran liegen könnte, dass dieses Showformat in Deutschland erst seit 1996 existiert und noch nicht zu einem so feststehenden Begriff geworden ist wie in den Vereinigten Staaten, wo es schon seit mehr als vierzig Jahren zum festen Repertoire der Fernsehunterhaltung gehört.4 Warum aber diese durchgängige Hervorhebung der Nächtlichkeit? Es scheint, dass die späte Nacht (»Late Night«) hier zu einem wesentlichen, wenn nicht dem entscheidenden Wesensmerkmal einer ganzen Gruppe von Shows gemacht wird, die noch dazu

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ausnahmslos von bekennenden Despoten regiert werden und in denen die Strategien des komischen Opfers eine herausragende Rolle spielen. Die Nächtlichkeit verbindet sich mit einer Verruchtheit, einer ganz eigenen Lebensweise, die offenbar ausdrücklich vom Bereich des Alltäglichen abgegrenzt werden muss, innerhalb dessen sie nicht gestattet ist. In der Opposition von Arbeitsalltag und Nachtleben kommt viel mehr zum Ausdruck als eine zeitliche Unterscheidung: Hier geht es um zwei verschiedene »Welten« (Bataille), die in einem antipodischen Verhältnis zueinander stehen, und zwar in jeder Beziehung: Was in dieser verboten ist, ist in jener erlaubt, was in der einen geboten ist, ist in der anderen verpönt. So wird die Nacht zum Bild für eine ganze Lebenshaltung.5 Die durchwachte Nacht erscheint als die Ausnahmezeit par excellence: Nur im erholsamen Schlaf setzt sich die Logik des Arbeitstages fort. Schlafend ruht man sich von den Anstrengungen des vergangenen Tages aus und stärkt sich für den folgenden. Es ist das Aufbleiben, das dieser monotonen Logik zuwiderläuft, und das in den Vereinigten Staaten entscheidend für die Existenz bestimmter Sender ist. So hat sich vor allem die NBC (National Broadcasting Company) mit ihrem Slogan »Where the Stars come out at Night« ganz auf das Late Night-Format spezialisiert. Von zweiundzwanzig Uhr bis drei Uhr nachts laufen hier, wenn man von Lettermans Late Show auf CBS absieht, die wichtigsten Shows dieses Formats im US-Fernsehen. Harald Schmidt, der die Late Night, nach zwei gescheiterten Versuchen mit den Moderatoren Koschwitz und Gottschalk, auch in Deutschland etabliert hat, sagt in einem Interview über seine ersten Kontakte mit diesem Format, und auch im Hinblick auf seine eigene Show: »Ich habe das in den USA erlebt. Man ist gestresst. Man liegt mit einer Büchse Bier im Bett. Und dann kommt dieser braungebrannte Golfer heraus und wirkt vollkommen unangestrengt. Ach, das ist Late Night...«6 Der »braungebrannte Golfer«, von dem Schmidt spricht, ist der »King of Late Night« Johnny Carson. Er macht die Nacht zum Tag. Für ihn scheint um dreiundzwanzig Uhr die Sonne. Seine Arbeitszeit, in der er scheinbar mühelos ein Millionenpublikum unterhält, beginnt dann, wenn die Arbeitszeit der anderen endlich vorbei ist. Jene sind ermattet von ihren Alltagsgeschäften, er ist das Gegenteil von müde, strotzt vor Fitness und Tatendrang, macht Witze, tanzt, lacht, singt, talkt – feiert. Auch im Dekor wird die Opposition von Nacht und Tag hervorgehoben. Die Bühne wird nach hinten abgeschlossen durch eine Kulisse aus Panoramafenstern, die sich auf eine mehr oder weniger stilisierte nächtliche Stadt öffnen, eine schwarze Skyline mit nur vereinzelten Lichtern vor grauschwarzem oder dunkelblauem Himmel. Aber die hier vorgeführte Nacht bildet nur die Umrandung der gleißend hell beleuchteten Show-

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bühne. Die Dunkelheit wird ausgesperrt aus der ihr entgegengesetzten Enklave des pulsierenden Lebens. Die Nacht ist nur draußen, drinnen tobt die Party des Gegen-Tages. Die paradoxe Situation dieses Gegentages verstärkt der jeweilige Late Night-Moderator durch die ausdrückliche Beteuerungen seiner eigenen »Arbeit«, seiner Zuverlässigkeit, Gewissenhaftigkeit, seines Fleißes und seiner Verantwortung – Tugenden des Arbeitslebens, die, von seiner tadellosen, beinahe überkorrekten Garderobe bereits nahe gelegt, immer wieder halb ironisch unter Beweis gestellt werden. In der gegebenen Situation scheint der Moderator der einzige zu sein, der sich in diesem lachenden Haufen nicht amüsieren darf, der vielmehr durch seine Arbeit dem Amüsement aller anderen zu dienen hat. Während alle im Saal über seine Kalauer lachen, »arbeitet er sich den Arsch ab« (Leno)7 und muss den kühlen Kopf bewahren. Der späte Zeitpunkt der Ausstrahlung, der, zumindest was Letterman und Leno betrifft, längst nicht mehr mit rein ökonomischen Erwägungen zu begründen ist, sondern der im TV-Bereich ein ganzes Genre ausmacht und bedingt, ist aber nicht nur für die Late Night spezifisch. An ihr zeigen sich lediglich besonders explizit zwei Grundmerkmale, die für die meisten der hier behandelten Shows charakteristisch sind, nämlich ihre Nächtlichkeit und ihre Kontinuität. Auf letztere werde ich jetzt eingehen. Die Nette Leit Show des Wiener Autors und Performers Hermes Phettberg ist ein Beispiel für eine Show, die sich in ihrem Titel wortspielerisch auf das Late Night-Format bezieht, sich aber in ihrer raumzeitlichen Anordnung auch wesentlich von diesem unterscheidet, ohne jedoch die genannten Merkmale der Nächtlichkeit und der Regelmäßigkeit aufzugeben. Die Folgen dieser Talkshow wurden in den Jahren 1994 und 1995 jeden Dienstag um dreiundzwanzig Uhr im Schütte-LihotzkySaal des Wiener Globus aufgeführt und live ausgestrahlt. Jeden Dienstag bedankt sich der Moderator Hermes Phettberg höflich bei seinem Publikum, dass es »zu dieser späten Stunde« noch erschienen sei, genauso bei seinen Gästen, nach deren eventueller Müdigkeit er sich besorgt erkundigt, und die von diesen eilfertig abgestritten wird. So wird eine ganz besondere Intimität erzeugt durch das Bewusstsein einer Gemeinde der Aufgebliebenen, der »wir alle« angehören, ob auf der Bühne, im Zuschauerraum, oder am Bildschirm – ein Gemeinschaftsbewusstsein, das es ganz folgerichtig erscheinen lässt, dass der ehemalige Kirchendiener Phettberg die Versammelten mit »Schwestern und Brüder« anredet. Darüber hinaus zeigt die Show noch eine diesem wochen- und tageszeitlichen Arrangement übergeordnete Zeitstruktur, denn sie ist in Form von »Semestern« organisiert. Hier wiederholt sich auf andere Weise die paradoxe Hervorhebung der Arbeit, von der ich in Bezug auf die Late Night gesprochen haben – in diesem Fall der Arbeit des Studierens, die, genau-

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so wie die normale Arbeit des Tages, eine Zeitplanung erfordert. Es kann sich aber zur nächtlichen Stunde nur um eine Art Gegen-Studium handeln, das, besonders im Kontext von Phettbergs klerikalem Gehabe, an obskure Sektiererei denken lässt, an die Versammlungspraktiken jener Gegenreligionen, deren Anhänger sich in Hinterzimmern und Privatwohnungen treffen, um dort ihre Lehrgänge abzuhalten und ihre Messen zu feiern. Aber nicht nur die Kontinuität der zeitlichen Organisation ist ein zentrales Funktionsprinzip, wichtig sind auch die Kontinuität des Veranstaltungsortes und des Raumes. Wie in Phettbergs Show der SchütteLihotsky-Saal immer wieder als Ort der Veranstaltung erwähnt wird, so gibt es keine Late Night Show, die nicht mit einem Satz beginnt wie: »Aus dem Kapitol in Köln...«, »From the NBC-studios in Burbanks...«, »From the Apollo-Theatre in New York...«, etc., mit dem die Sendung eingeleitet wird, während die Kamera in einem Panorama über eine nächtliche Stadt fliegt und wie im Sturzflug zur Erde rast, um schließlich im schon kochenden Saal zu landen – genau in dem Augenblick, in dem der Showmaster beschwingt die Bühne betritt. Die Kontinuität des Raumes betrifft auch die Ausstattung von Bühne und Saal. Diese kennzeichnet im Fall der Late Night nicht nur eine bestimmte Show, sondern sie ist, mit leichten Abwandlungen, spezifisch für das ganze Format und sehr standardisiert. Hinten vor der Nachtkulisse steht ein Schreibtisch mit einem einfachen Sessel für den Talkgast, auf der linken Seite ist die Showband aufgebaut, in der Bühnenmitte bleibt ein großer Freiraum für den anfänglichen Stand-up-Teil, in dem der Showmaster stehend ein etwa viertelstündiges solistisches Programm abspult. Diese Sparsamkeit des Dekors ist auch bei Hermes Phettberg und Karl Dall verwirklicht, wird bei diesen sogar an Übersichtlichkeit noch übertroffen durch die viel kleinere Bühnenfläche. Eine einzige Farbe dominiert: rot bei Schmidt und Letterman, blau bei Dall, rosa bei Phettberg... Auch der einprägsame äußere Ablauf muss in diesem Zusammenhang erwähnt werden. Er ermöglicht es den Zuschauern, zu jeder Zeit zu erkennen, an welcher ZeitStelle der Show sie sich gerade befinden. Vorerst genügt es, auf die quasi hypnotische Rhythmik hinzuweisen, welche alle diese raum-zeitlichen Arrangements beinhalten, und deren Wirkung sicher weit hinausgeht über den Aspekt einer »Verlässlichkeit«.8 Halten wir also nochmals die Regelmäßigkeit fest, durch die sich alle genannten Shows in ihren äußeren Gegebenheiten auszeichnen, und mit deren Hilfe sie zu so etwas wie Institutionen werden, Institutionen, mit denen man zu rechnen hat, die ihren ureigensten, angestammten Platz im raum-zeitlichen Gefüge eines Tages, einer Woche, eines Monats einnehmen und beanspruchen, dabei aber größten Wert auf ihre Autonomie, ihre

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prinzipielle Andersheit legen. Die konsequente formale Standardisierung und die Betonung der eigenen Arbeit durch den Showmaster stehen dabei keineswegs im Widerspruch zu dieser Aura der Andersheit – im Gegenteil: Gerade in der Strenge der äußeren Form spiegelt sich das megalomanische Projekt, einen anderen Raum9 zu etablieren, in dem andere Gesetze herrschen, und in dem sich deshalb ein Showmaster zum Despoten aufschwingen kann. Nur durch seine Organisiertheit wird dieser Raum zu einem vollgültigen Ereignis, das dem Ansturm der Alltäglichkeit als dessen Gegenstück standhält.10 Die Late Night Show ist es, welche die genannten Regelmäßigkeiten in exzessiver Weise praktiziert. Der Exzess liegt bei ihr vor allem in ihrer Häufigkeit: Sie findet nicht ein bis zweimal im Monat, nicht wöchentlich, sie findet täglich statt, und zwar während der Arbeitswoche in der Regel von Montag bis Samstag, also am

Das klassische Late Night-Set ist weitgehend standardisiert: Die nächtliche Stadt im Hintergrund, der Schreibtisch, das Mikrofon, die Kaffeetasse... Host Johnny Carson (r.) mit seinem Nachfolger David Letterman.

Abend jedes Arbeitstages. Sie ist die Feierabend-Show schlechthin: Nacht für Nacht am selben Ort, im selben Dekor, mit derselben Musik, demselben äußeren Ablauf, demselben Moderator. Und das, z.B. im Fall von Johnny Carson, über mehrere Jahrzehnte. Die Kontinuität des Moderators mag für eine Show so selbstverständlich erscheinen, dass sie keiner gesonderten Erwähnung bedürfte, aber angesichts einer so gnadenlosen raum-zeitlichen Disziplin muss man wirklich staunen.

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2 . D i e » g r e n z e n l o s e V e r s c h w e n d u n g « 11 Es mag seltsam erscheinen, von einer Darstellung der raum-zeitlichen Strenge und der Sparsamkeit in der Ausstattung direkt zur Erörterung dessen überzugehen, was ich die Symptomatik der Verschwendung im zeitgenössischen Showgeschäft nenne. Tatsächlich handelt es sich hierbei aber nicht um die materielle Opulenz jener Megashows, die in ihren phantastischen Dekors ganze Landschaften entwerfen, Scharen von Statisten, gigantische Chöre und eine glitzernde Showdance-Truppe nach der anderen auf die Bühne bringen und in Form von Preisgeld und Gewinnen wie Traumreisen, Luxusautos, sogar Fertighäusern, an einem einzigen Abend ostentativ Hunderttausende verpulvern. Die Ausschweifungen, mit denen die für uns interessanten Shows arbeiten, haben rein äußerlich mit diesem Gigantismus nicht viel zu tun. Aber auch diese Shows verfügen über Strategien, mit denen sie ihren Reichtum und Überfluss inszenieren und auf quantitative Übertreibungen anspielen, um so ihren Ausnahmecharakter zu unterstreichen. Diese Strategien sind allerdings weniger greifbar, weniger materiell als im Fall der genannten Ausstattungs-Shows. Sie beruhen mehr auf Andeutungen als auf expliziten Formulierungen, sind subtiler und fordern von den Zuschauern einen Blick, der über die Sensationen des Augenblicks hinausgeht und globalere Zusammenhänge erkennt. Sie setzen ein Wissen voraus, das nicht selbstverständlich ist, und das sich nur dem vermittelt, der in die Regelmäßigkeit dieser Shows einsteigt und sie so als Sequenz, und nicht als singuläres Ereignis erlebt. Schon in der exzessiven Häufigkeit und der schnellen Folge mancher Shows liegt etwas Großspuriges, Verschwenderisches, eine Maßlosigkeit und Übertriebenheit, in der eine Show ihre enormen Möglichkeiten vorführt. Darüber hinaus gibt es aber auch zahlreiche Beispiele für einen gewissenlosen Umgang mit wertvollen Dingen, für eine Verrohung der Wertschätzung, welche die Verschwendung eigentlich ausmacht. In der Show des Despoten spielen zwei Arten solcher Verschwendung eine herausragende Rolle: die Verschwendung von teurer Zeit12 und die Verschwendung von teurem Personal. Wer sagt aber, dass Showpersonal und Sendezeit teuer sind? Oft genug treten doch die Stars so auf, als würden sie in einer Show mal eben vorbeischauen, um eine Art spontanen Freundschaftsbesuch zu machen. Von Gage ist in diesem Zusammenhang nie die Rede. Und wenn bei den großen Samstagabendshows des Fernsehens das Überziehen der Sendezeit und die daraus sich ergebende Verschiebung der nachfolgenden Sendungen zur Regel wird, so erweckt das eher den Eindruck, als verfüge man über ein unbegrenztes Maß an Zeit. Zeit und Geld erscheinen hier

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DIE SHOW ALS FEST

als Selbstverständlichkeiten, die so essentiell für das Showgeschäft sind, dass sie nicht weiter thematisiert werden müssen. Die verstärkte Thematisierung solcher ökonomischer Zusammenhänge liegt im Rahmen einer Entwicklung, in der sich die Show verstärkt in ihren verschiedenen Funktionsweisen offenbart, eine Entwicklung, die mit der Tätigkeit des Bühnendespoten zusammenfällt. Die despotisch dominierte Show prahlt nicht mehr mit ihrer Ausstattung, sondern sie demonstriert ihren Reichtum durch die Wertschätzung und gleichzeitige Missachtung ihrer elementaren Bestandteile, durch die ständigen Anspielungen auf die hohen Kosten ihrer Zeit und die horrenden Gagen ihrer Gäste. Für den Genuss solcher Anspielungen ist ein Grundwissen über die ökonomischen Funktionsweisen des Fernsehens bzw. des Theaters unabdingbar. Solches Wissen vermittelt sich zum Teil über Diskussionen in der Presse, über die leicht zugänglichen Hintergrundinformationen, und über Fernseh- und Zeitungsinterviews mit den Machern der Shows, in denen mehr und mehr auf einen bislang zweitrangigen Aspekt des Showgeschäfts eingegangen wird, nämlich auf den Aspekt der Produktion, der Arbeit im Vorfeld und im Hintergrund dessen, was dann als Endprodukt dasteht. Zum größten Teil vermittelt sich solches Wissen aber über die betreffenden Shows selbst, in denen ökonomische Zusammenhänge ironisch thematisiert werden. Der Zuschauer wird informiert und hat informiert zu sein darüber, dass zumindest das Fernsehen in erster Linie ein Geschäft ist. Er weiß bescheid über die extrem hohen Kosten von Sendeplatz und Sendezeit; er weiß, zumindest spekulativ, von den horrenden Gagen der Stars und den sich dadurch ergebenden Personalkosten; er kennt den Zusammenhang von Programminhalten, Marktanteilen, Werbeeinnahmen, Produktionskosten und der aus diesen Verhältnissen sich ergebenden Rentabilität, welche letztlich über das Schicksal eines Programms entscheidet. Der Zuschauer weiß von den rigorosen Marktforschungsmethoden, mit denen die repräsentativen Einschaltquoten nicht nur in Bezug auf einen Programmpunkt, etwa eine Show als Ganze, sondern für jede einzelne Sekunde eines Programms festgestellt und ausgewertet werden, und von der oft als Tyrannei empfundenen Konsequenz, mit der Werbekunden und Produzenten auf diese Quoten reagieren. Die Show Schmidteinander, die bis zum Dezember 1995 vom WDR produziert und in der ARD ausgestrahlt wurde, lässt sich nur schwer einer Kategorie zuordnen, da sie in ihrem Ablauf sehr variabel ist und Merkmale von Talk-, Game-, und Sketch-Show sowie der Stand-up Comedy einschließt. Sie wird moderiert von Harald Schmidt, der als dominierender Showmaster das Geschehen lenkt, und von Herbert Feuerstein, dem Chefautor der Show, der auf der Bühne ebenfalls ständig präsent ist und als eine Art technischer Leiter und Stichwortgeber auftritt. Schmidt

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sitzt links hinten an einem großen Schreibtisch oder moderiert im Stehen, Feuerstein sitzt rechts vorn an einem kleinen Schaltpult mit Monitor, von dem aus er den skriptgemäßen Ablauf der Show zu überwachen und den unkontrollierten und spontanen Schmidt im Zaum zu halten versucht. Trotz dieser Aufteilung von Kompetenzen sind die beiden Moderatoren symbiotisch, sie sind ein sadomasochistisches Paar.13 Der verschwenderische Umgang mit teurer Starbesetzung ist eine Spezialität dieser Show. Mit demonstrativer Gleichgültigkeit, die hin und wieder abgelöst wird von parodistisch überzeichneter Begeisterung, lassen die beiden Moderatoren bekannte Persönlichkeiten aus dem deutschen Showgeschäft an sich vorbeidefilieren, scheinbar ohne sie weiter zu beachten oder irgendwelchen Nutzen aus deren Beliebtheit beim Publikum zu ziehen. Gäste wie Jürgen von der Lippe, Rudi Carell, Uwe Ochsenknecht, Heino, Jean Pütz und andere Sternchen des deutschsprachigen Mainstream dieser Zeit werden in einer beinahe demütigenden Weise einer nach dem anderen abgefertigt. Oft werden sie nicht einmal angekündigt, sondern erscheinen völlig überraschend, um ebenso schnell wieder zu verschwinden. Die Chancen für spektakuläre Nummern und ausgiebige Interviews bleiben ungenutzt, allenfalls dürfen die Gäste einen kurzen Gag platzieren: Showmaster Jürgen von der Lippe führt einen kleinen Zaubertrick vor, Rudi Carell erzählt einen mittelmäßigen Witz; anschließen verschwinden sie ohne ein weiteres Wort. Udo Jürgens, der mit seinen regelmäßigen Kurzauftritten schon beinahe zum Inventar der Show gehört, bleibt vollkommen stumm; er ist darauf beschränkt, bei verschiedenen musikalischen Nummern die Begleitung zu übernehmen. Meistens hält er sich dabei im Hintergrund und wird von den Moderatoren, die an der Rampe selbstgefällig ihren unprofessionellen Gesang zum Besten geben, nicht einmal bemerkt.14 Der englische Komiker Rowan Atkinson, dessen Ankündigung beim Publikum Jubel auslöst, wird, als er sich dem Pförtner vorstellt, mit dem Argument abgewiesen, dass er eines seiner Videos zeigen wolle, dies aber eine reine Live-Sendung sei, wo so etwas nicht zugelassen werden könne. Während der ganzen Show spukt Atkinson, verfolgt von einer Steadycam, durch die Kulissen und versucht einen Zugang zur Bühne zu bekommen.15 Während der Show am Samstag vor den ‘94er Bundestagswahlen tritt nach und nach der gesamte ARDNachrichten-Staff auf, einschließlich Ernst Dieter Lueg, Sabine Christiansen, Ulrich Wickert und Dagmar Berghoff. Das Erscheinen der bekanntesten Figuren des deutschen Fernsehens wirkt wie ein Spuk. Ein unauffälliges Stichwort ruft sie, sie zeigen sich kurz in einer Tür, sagen manchmal einen kurzen Satz auf, manchmal gar nichts, und verschwinden wieder, so dezent wie sie gekommen sind.

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DIE SHOW ALS FEST

Ähnlich verfahren die Late Night-Moderatoren Jay Leno und David Letterman mit manchen ihrer Gäste: Bei Leno tritt Olympiasieger Dan O’Brien unangekündigt als Assistent bei einer Sequenz von Witzen über amerikanische Werbeslogans auf (Leno: »Oh, I had no idea he was out there!«), bei der er das jeweilige Produkt zeigen und den zugehörigen Original-Werbespruch vortragen muss, der dann von Leno denunziatorisch variiert wird. Natürlich ist es Leno, der alle Lacher bekommt, der Gaststar fungiert lediglich als Stichwortgeber und wird am Ende der Nummer mit einem Händedruck und einem knappen Dank hinausgeschickt. Noch während er geht, moderiert Leno die nächste Nummer an.16 In einer Folge seiner Late Show fängt David Letterman aus einer Laune heraus an, sehr laut und unmusikalisch den Country-Hit Oklahoma zu grölen, von dem er die Melodie nur ungefähr und den Text ab einem bestimmten Punkt überhaupt nicht mehr kennt. Als er stockt, treten unvermittelt die berühmten Countrysänger John und Bonny Ray auf, singen in voller Kostümierung und mit großem musikalischen Engagement die Strophe, bei der Letterman den Faden verloren hat, winken kurz ins Publikum und gehen wieder ab. Letterman zeigt sich hoch erfreut über die Hilfestellung, nimmt diesen Überraschungsauftritt ansonsten aber eher gelassen zur Kenntnis. Die zwei Stars treten als bloße Stichwortgeber auf, noch dazu mitten im Gespräch mit einem anderen Talkgast, als eine unbedeutende Abschweifung.17 Dieses subalterne Vorbeidefilieren berühmter Showpersönlichkeiten hat immer etwas Demütigendes. Die Personen erscheinen in solchen Momenten vollkommen verfügbar; sie lassen sich als Staffage missbrauchen, und ihre Auftritte wirken merkwürdig billig. – Was müssen das aber für Shows sein, für die Rudi Carell, Rowan Atkinson, Dan O’Brien billig sind?! Hin und wieder bekommt dieser Personalverschleiß noch eine weitere Zielrichtung, wenn nämlich der inszeniert gedankenlose Umgang mit dem wertvollen Stargast durch eine Vergeudung teuerer Sendezeit ergänzt wird. Im Normalfall würden Sprechpausen einer Länge, wie sie die experimentellen Moderatoren der 90er Jahre machen, beim Fernsehen einen sofortigen Großalarm in der Regie auslösen, aber in diesen Shows scheinen die Moderatoren darauf keine Rücksicht nehmen zu müssen: Wenn die Bühnendespoten ihren momentanen Launen folgen, spielen weder Zeit, noch Geld, noch Personen, noch irgendwelche ökonomischen Erwägungen eine Rolle. Die Show ist ihre Party, die sie mit einer systematisch betriebenen Verschwendung begehen. Phettberg ist der Moderator, bei dem eine signifikante Langsamkeit mehr als bei allen anderen zum Wesen der Show gehört. Dabei kontrastiert der ganz eigene Sprachund Bewegungsrhythmus des Talkmasters, der sich in seiner imposanten Fettleibigkeit und Körperträgheit reflektiert und verstärkt, mit der spar-

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samen, fast schäbigen Einrichtung des Raumes, den alten Vorhängen, der vergilbten Südsee-Tapete, den wackeligen Sesseln und verstaubten Kunstblumen. Um den gewaltigen Menschen im Mittelpunkt der Show gruppiert sich hier ein Milieu kleinlicher Sparsamkeit, sowohl in der räumlichen als auch in der zeitlichen Organisation. Die von außen aufgezwungene Zeitknappheit wird verdeutlicht durch ein rigoroses Arrangement, das vorsieht, dass nach genau einer Viertelstunde Talk eine Kuckucksuhr ruft und eine aufdringliche Musik einsetzt, die das weitere Gespräch beinahe unmöglich macht und den Talkmaster zu dessen Abbruch zwingt. Umso mehr stellt sich bei Phettbergs vielen Sprechpausen, seinem schweigenden, abwiegenden Nicken, seinen endlosen Selbstkorrekturen, dem Schnaufen und Seufzen, den Gesten der Ratlosigkeit, dem unentwegten Stammeln und Ringen nach Worten ein unbehagliches und zugleich komisches Gefühl der Lethargie und der Vergeudung ein. Die überdeutliche Ökonomisierung der äußeren Zeit wird für eine Viertelstunde dominiert von der maßlos gedehnten inneren Zeit des Gesprächsleiters. Innerhalb der Spannung dieser opponierenden Zeiten bewegt sich die Show. So entdeckt das Fernsehen in seinen experimentellen Formaten die Feinheiten von Attitüde und Timing, die ihm bisher nicht zu Gebot standen und sich aus einer Performancepraxis herleiten, die bis dahin, wie im Fall der Nette Leit Show, eher in einer städtischen Subkultur beheimatet waren. Der Bühnendespot konstituiert sein flüchtiges Imperium in einem Ausnahmezustand. Sein Tag ist ein Gegen-Tag, sein Ort ein Gegen-Ort, und seine Ökonomie gipfelt im unbedachten Verstoß gegen alle Regeln der Ökonomie. Die Kehrseite der formalen Kontinuität und der straffen Organisiertheit seiner Show ist der verschwenderische, leichtfertige Umgang mit den eigenen Mitteln, der sich bei seinen Show-Formaten nicht mehr in aufwendigen Dekors, sondern in einem andeutungsreichen Spiel mit Zeit und Personal manifestiert. Beide Aspekte, die regelmäßige Strukturiertheit auf der einen, die selbstherrliche Verschwendung auf der anderen Seite, verleihen der Show des Bühnendespoten einen außergewöhnlichen, jenseitigen und festlichen Charakter, mit dem sie sich von allen anderen Erfahrungsbereichen abhebt. Sie ist ein Ereignis, in dem sogar das Unmögliche möglich werden kann, wie wir sehen werden.

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II. TRANSGRESSION

UND

SPIELREGEL

»Die Schranken werden nicht einfach geöffnet, es kann sogar nötig sein, sich im Moment der Überschreitung ihrer Festigkeit zu versichern. Die Sorge um eine Regel ist manchmal das Wesentliche bei der Transgression.« (Georges Bataille)1

Wenn man von Opferritualen sprechen will und die Show als ein Fest beschreibt, und wenn man das Konzept der grenzenlosen Verschwendung benutzt, einen Term, der für das Fest in archaischen Gesellschaften angemessener erscheint als für eine zeitgenössische Show, dann muss man sich vor einer voreiligen Parallelisierung sehr unterschiedlicher sozialer Prozesse hüten. Es wäre ein Missverständnis, die festlichen Blutrituale in archaischen Gesellschaften mit zeitgenössischen Inszenierungsstrategien gleichzusetzen. Trotzdem gibt es in der Show einen indirekten, banalisierenden Nachvollzug solcher Geschehen. Die Show stellt sich, vielleicht mehr als jeder andere gesellschaftliche Bereich, als das dar, was Guy Debord eine »ungeheure Sammlung von Spektakeln« genannt hat. »Alles, was einst unmittelbar erlebt wurde«, sagt er, »ist in eine Vorstellung entwichen.«2 In diesem Fall handelt es sich um eine Vorstellung auf der Bühne, die über den Umweg der Performance die Restbestände des Rituals zurückholt. Sie vollzieht dabei in einer Gesellschaft des Spektakels die »Bewegung der Banalisierung«3, in der die zyklische Zeit zur pseudozyklischen Zeit, die Gemeinschaft zur inszenierten Pseudogemeinschaft und das Fest zur nachgestellten Festivität wird. Es geht also nicht um die Aktualisierung archaischer gemeinschaftlicher Prozesse, sondern lediglich um deren Überreste, deren bewusst gemachte Unzulänglichkeit allerdings in der despotisch regierten Show als lustig erlebt werden kann. Indem die zelebrierte Selbsttäuschung zum Stilelement wird, indem mit der Entfremdung und dem repräsentierenden Zitat ein distanzierter Um173

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gang gepflegt wird, erreicht die Gesellschaft des Spektakels ein höheres Bewusstseinsniveau. Im Spiel mit dem Vokabular einer archaischen Gesellschaft entsteht eine neue Form des Vollzugs und ein Ritual der komischen Gewaltakte, das dem Theater eine Sinnlichkeit, Räumlichkeit und Gegenwärtigkeit gibt. Trotz der zitierenden Anklänge an ein archaisches Überschreitungsund Tötungsritual liegt das Wesen der despotischen Show nicht nur in dem, was einmal polemisch die »zeitgenössische Angeberei der Trans4 gression« genannt worden ist : Vielmehr ist für ein tiefer gehendes Verständnis ihrer Funktionsweise das enge Zusammenspiel und die gegenseitige Bedingtheit von Überschreitungen – etwa der Grenzen des guten Geschmacks, des Anstands im Umgang mit dem Gast etc. – und einer streng kontrollierten Regelhaftigkeit nötig. Schon der außergewöhnliche raumzeitliche Rahmen einer Show wird immer in Bezug gesetzt zu einem angenommenen normalen Ablauf des Alltagslebens, in dem die Tag- und Nachtgleichheit der Show nicht existiert; die Kontinuität der Show in zeitlicher wie in örtlicher und räumlicher Hinsicht, ihre regelmäßige Organisiertheit also, vervollständigt erst ihre Gegenläufigkeit und Autonomie. Auch die Gesten der grenzenlosen Verschwendung erhalten nur einen Sinn im Hinblick auf ein klar definiertes Rangsystem von Wertigkeiten und Hierarchien und mit Rücksicht auf eine hieraus sich ableitende ökonomische Ethik. Ich möchte anhand zweier Beispiele die praktische Bedeutung von Spielregeln für die despotische Tätigkeit zeigen und auf diese Weise die Geplantheit, die Ernsthaftigkeit und Berechnung erklären, die für die interaktiven Ereignisse auf der Bühne und in ihrem Umkreis kennzeichnend sind.5 In der Nette Leit Show gab es am Ende jedes Gespräches zwei Rituale, die der Moderator auch ausdrücklich als solche bezeichnet. Das erste bestand darin, dass Robin, der Bühnenassistent, ein Sofortbild von Phettberg und seinem jeweiligen Gast schießt, die sich zu diesem Zweck nebeneinander postieren und in die Kamera lächeln müssen. Im zweiten Ritual wird der Gast, bevor er die Bühne verlassen darf, aufgefordert, seine körperliche Geschicklichkeit (oder Ungeschicklichkeit) beim »Dosnschiassn« unter Beweis zu stellen: Er muss sich hinter einer Markierung im Hintergrund der Bühne aufstellen, und Phettberg überreicht ihm einen Wurfball, mit dem er in einem einzigen Wurf möglichst viele Blechdosen von einem kleinen Tisch auf der rechten Bühnenseite herunterschießen soll. Beide Aktionen bringen den Talkgast, der gerade sehr persönlich und engagiert von seinem Beruf und aus seiner Biographie erzählt hat, in eine inadäquate Situation, die zu diesem Gespräch nicht zu passen scheint: Zunächst muss er im Fernsehen, einem Medium der Bewegung, plötzlich stillsitzen, posieren. Eine solche Pose könnte als eine

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sarkastische Paraphrase der vorausgegangenen Selbstdarstellung verstanden werden und ist den meisten Gästen sichtlich unangenehm. Zu dieser ersten Peinlichkeit kommt dann mit der Geschicklichkeitsprobe eine weitere. Beim Dosenschießen ist die vorgegebene Entfernung vom Ziel so groß, dass die meisten Gäste überhaupt keine Dose treffen und der Wurfball polternd in die Kulisse fliegt. Der Punktestand – meistens also Null – wird von Robin auf einer Tafel notiert, und der Gast macht sich mit einem dünnen Lächeln davon. Seine letzte Aktion auf der Bühne, mit der er sich von der Öffentlichkeit verabschiedet, ist eine gescheiterte; der letzte Eindruck, den er hinterlässt, ist verbunden mit einem Anflug von Peinlichkeit.

Hermann Nitsch beim »Dosnschiassn« in der Nette Leit Show.

Allerdings werden die beiden Aktionen durch ihren betont rituellen Charakter bis zu einem gewissen Grad entschärft: Wenn Phettberg nach einem Gespräch an sie erinnert, dann geschieht dies immer mit einem devoten Augenaufschlag und einem Seufzer. Jedes Mal trägt er das eigene Schuldbewusstsein zur Schau, wenn er die entstandene Intimität durch solche Banalitäten zerstört, und jedes Mal macht er auch die Andeutung, dass ja nicht er es sei, der diese Aktionen erfunden habe, sondern der Mann im Hintergrund, der Regisseur, »der Palm« (= Kurt Palm, Regisseur der Nette Leit Show), der in dieser Sache »kein Pardon« kenne und keine Ausnahmen gelten lasse. Die beiden Aktionen gehören dem Bereich der Regeln an, die für die Show bindend sind. Es sind Regeln, die 175

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ausnahmslos jeden treffen, ungeachtet seiner Person, und die demnach auch nicht persönlich zu nehmen sind. Die Überschreitung, die in diesem Fall darin besteht, auf eine so respektlose Art über den Gesprächspartner zu verfügen und ihn bei dieser Gelegenheit der allgemeinen Lächerlichkeit preiszugeben, wird durch die Unerbittlichkeit der Regel-ohne-Ausnahme teilweise aufgewogen und erhält so in der Show manchmal eine positive Wirkung. In seiner Folgsamkeit wirkt der Gast wieder sympathisch. Hier zeigt sich, dass die Transgression nicht gleichzusetzen ist mit der simplen Übertretung eines imaginierten oder realen Verbotes. Die Transgression funktioniert nicht nach dem einfachen Rezept eines inszenierten Tabubruchs. (Ein Tabu, das gebrochen werden kann, ist ohnehin meistens keines.) Vielmehr werden innerhalb der Show selbst die Regeln – Gebote und Verbote – aufgestellt, an denen sich der Akt der Überschreitung vollzieht. Nur durch diese systemimmanenten Regeln ist das Maß an Gewalt, dem der Gast hier ausgesetzt wird, erträglich und Genuss bringend. In diesen Zusammenhang gehören auch die Shows des Australiers Barry Humphries aus den achtziger Jahren, unter anderem im Londoner Drury Lane Theatre.6 In Humphries’ Performance zeigt sich, wie eine rituell organisierte Grundstruktur zur wesentlichen Bedingung einer funktionierenden Show werden kann, bis hin zum Funktionieren einer einzelnen Nummer, einer einzelnen Replik, einer einzelnen Pointe. Die Inszenierung rechnet dabei von Anfang an mit der Mitwisserschaft des Publikums. Ein Grundwissen um die Geschichte der Show, ihre Struktur und ihr Personal wird vorausgesetzt. Im Mittelpunkt aller Shows von Barry Humphries steht Dame Edna, eine von ihm verkörperte, maskuline und dabei glamouröse Frau mittleren Alters in auffälliger Garderobe, die sich selbst als »Megastar« in Szene setzt.7 Ihr Markenzeichen sind eine rote, sternförmige, mit Strass besetzte Brille, ein paillettiertes Abendkleid und ihr lila schillerndes, hoch toupiertes Haar. Sobald Dame Edna die Bühne betritt, wird klar, dass der bloße Gedanke, es könne sich irgendjemand im Saal befinden, der sie nicht kennt, völlig ausgeschlossen ist, und genauso peinlich wäre wie die Behauptung, die Königin von England oder den Papst nie gesehen zu haben. Wenn sie ihr Publikum schon aus dem Off mit der Standard-Anrede: »Hello, Opossums!« begrüßt und daraufhin tosender Jubel ausbricht, wenn sie die Leute im weiteren Verlauf der Show immer wieder jovial ihre »grateful darlings« nennt und sich für die Treue und Liebe bedankt, die sie ihr verlässlich entgegenbringen, dann steht ihr Kult-Status außer Debatte. Sie ist in diesem Augenblick tatsächlich der Megastar, der sich seiner Fangemeinde präsentiert. Dabei schaukeln sich die megalomanischen Allüren und die tatsächliche Berühmtheit dieser sehr standardisier-

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ten Figur allmählich zu einer hypnotischen Spannung auf. Die Kultfigur Dame Edna ist eine gemeinschaftliche Imagination, die zugleich produziert und vorausgesetzt wird. In ihrem Größenwahn behauptet Dame Edna ihren Kult-Status, und zugleich baut sie darauf. Es wird von vorneherein eine gemeinsame Sprache angenommen, ein gemeinsames Wertesystem, das sie mit ihrer Fangemeinde verbindet. Ihre standardisierten Eröffnungen können nur auf der Basis einer Kenntnis der Bühnenfigur und der Abläufe ihrer Performances funktionieren. Schon darin wird deutlich, in welchem Maß hier eine Regelhaftigkeit und ein Verhaltenskodex auch für das Publikum eine Rolle spielen. Dieser Kodex wird einem nicht beigebracht, man hat ihn einfach zu kennen; er wird vorausgesetzt und tritt mit der ersten Sekunde der Veranstaltung in Kraft.

Barry Humphries als Dame Edna auf einer Fanpostkarte, ca. 1989.

Nach der Eröffnung und einer Stand-up-Sequenz beginnt Edna, sich im Zuschauerraum umzuschauen. Der Saal wird verbal strukturiert und hierarchisiert. In dieser Hierarchie nimmt sie selbst auf der Bühne natürlich

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eine singuläre und konkurrenzlose Stellung ein. Niemals verlässt sie diese erhöhte Position: von der Bühne aus agiert sie, auf der Bühne hält sie Hof, wenn sie ihre Gäste aus dem Saal empfängt. Ihre unmittelbare Interaktion mit einzelnen Zuschauern oder Zuschauergruppen beginnt mit einer ritualisierten Begrüßung der ersten sechs Parkettreihen, und speziell der dort sitzenden Frauen, mit denen sie, in komischer Spiegelung ihres Drag, von nun an besonders engen verbalen Kontakt pflegen wird. »I’m especially grateful to you«, sagt sie, »because I look down tonight and I see supportative women, I see women here, I see women looking up at me, drinking in my words, their faces like flowers...« Schon jetzt gibt es Gelächter, weil man weiß oder ahnt, welche wichtige Rolle einige dieser Zuschauerinnen, die sie zunächst noch als Kollektiv anspricht, im weiteren Verlauf der Show spielen werden. Dame Edna fährt fort, sie grüßt den 1. Rang, den 2. Rang, die Logen, schließlich den Olymp, und führt dabei die alten theatralischen Korrelationen von Theaterraum und Sozialstatus wieder ein, die eigentlich aus dem öffentlichen Bewusstsein verschwunden sind. Die Leute im obersten Rang sind von jetzt an die »paupers« – die Hungerleider, die Leute im Parkett sind die »Yuppies« oder »Yupps«. Nach dieser ersten groben Unterteilung wendet sich Edna abermals den Zuschauern in den ersten Parkettreihen zu. Nun aber werden Einzelpersonen herausgegriffen, und die Interaktion wird dialogisch. Immer sind es Frauen, die auf diese Weise ausgewählt und als potentielle Rivalinnen einer zunächst harmlosen, später immer peinlicheren Befragung unterzogen werden. Schon bei der Auswahl des Opfers entsteht Gelächter. Wenn Dame Edna ihren Blick langsam über die Reihen schweifen lässt, mit den Fingerspitzen an ihre Lippen klopft und lächelnd sagt: »I need somebody to help me...«, wird bereits der Mechanismus im Ablauf wiedererkannt, selbst dann, wenn diese Sequenz in der aktuellen Show zum ersten Mal auftaucht. Die Leute wissen, was jetzt kommt, und sie freuen sich über diese Erkenntnis. Abrupt dreht sich Edna um sechzig Grad, jetzt sehr streng, mit weit aufgerissenen Augen, und zeigt mit dem Finger in die Menge: »You!!« (Gelächter). »You! One... two... third row! Hello, darling. In the blue. With the glasses. (Sanfter, lächelnd:) Hello.« Allmählich merkt die Zuschauerin, dass sie gemeint ist. Zunächst wird nun Dame Edna die von ihr Erwählte sehr freundlich und wohlwollend abtasten. Dabei entsteht eine hypnotische Fixierung, eine sehr enge Bindung zwischen ihr und ihrer Gesprächspartnerin. Die Zuschauerin antwortet schüchtern und respektvoll auf Ednas Fragen und spiegelt unwillkürlich deren Lächeln. Ein sehr intimer Moment, während dessen im Saal außer den Stimmen der beiden Frauen nichts zu hören ist:

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TRANSGRESSION UND SPIELREGEL EDNA: »Hello. What’s your name?« ZUSCHAUERIN: »Ann.« E.: »Hello, Ann. With an ›e‹ or without?« ANN: »Without.« E.: »Without. And that’s just about my favourite spelling of Ann, isn’t that spooky?! Where are you from, Ann?« [...] A.: »Johannesburg.« D.E.: »Johannesburg! Oh, lovely! I haven’t been there, but I believe it’s delightful. (Sie unterbricht:) Excuse me, Ann – (Zum Olymp, streng:) Paupers, would you mind not leaning forward! I told you it’s dangerous! Haven’t you seen a woman from Johannesburg before?! (Mit einem Seitenblick auf Ann:)...Certainly not worth risking your lives for. (Zu Ann, wieder sehr sanft:) I’m sorry, but there’s an element here... Oh, darling!« usw.8

Der Frage-Antwort-Dialog, in dem sich nur sehr verhalten kleine Attacken andeuten, setzt sich in ähnlicher Weise fort. Dame Edna geht zu persönlicheren Fragen über, sie befragt Ann über ihr Haus, über ihre Einrichtung, speziell die des Schlafzimmers. Ann antwortet brav. Edna lobt sie für ihren guten Geschmack. Mit herzlichem Einvernehmen bringt sie diese Sequenz zum Abschluss: »To make a home as you would like your home to be – and as I would too – cause we are a bit similar in a funny way... – that’s real money, isn’t it, Ann? That’s what the Yupies would call ›serious money‹, I think, isn’t it?« Dann kommt der Umschwung: »...And yet; Ann...(das Publikum lacht, den Mechanismus erkennend, Dame Edna wendet sich an den ganzen Saal, laut:) You’ve saved on clothes, haven’t you, Ann?! (Gelächter. Zum dritten Rang:) Have a look at them later, paupers, have a peep at them. This woman has saved a fortune on clothes! I don’t think I’ve seen a woman recently who has saved more on clothes than Ann! (Zu Ann:) What is it, darling, a sleeping bag of some kind?!«9

Jetzt greift Edna ihr Opfer direkt an, das sie zuvor mit ihren Freundlichkeiten eingelullt hat, überschüttet es mit abfälligen Kommentaren und Kränkungen, um es schließlich fallen zu lassen und sich der nächsten Zuschauerin zu widmen. Nach demselben Schema verfährt sie mit drei weiteren Frauen: Erst kommt eine Phase des Abtastens, dann der Umschwung in eine Sequenz direkter Beleidigungen, in der neben der Garderobe auch auf Aussehen, Alter, soziale Herkunft und Solvenz der jeweiligen Person Bezug genommen wird. Während der Beleidigungen, die natürlich großes Gelächter auslösen, wendet sie sich immer wieder er-

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mahnend an das Publikum und gebietet Ruhe, wie eine Lehrerin, wenn die Schüler über die dumme Antwort eines Mitschülers lachen: »Hush!«, »I blush for you!«, »Have your manners completely deserted you?!«, etc. Dieser Abschnitt der schematisierten Interviews dauert fast eine Stunde und macht den größten Teil der Show aus. Zum Finale werden dann die vier Frauen zu einem Umtrunk auf die Bühne gebeten. Sie bekommen einen Applaus vom Publikum, einen Tusch von der Band, ein Glas Sekt, werden mit wilden Glamour-Kostümen behängt und dürfen sich helfend am Schlussritual der Show beteiligen. Hierbei werden in großen Mengen Gladiolen unter die Leute geworfen und im Parkett verteilt, bis das Theater von Blumen überquillt. Die Show wird beendet mit dem GladiesSong, dessen Melodie alle kennen und das der ganze Saal, mit den Gladiolen winkend, mitsingt: »Gladies, gladies, yellow and pink and blue, We could wave them happily all night through, They’re Australia’s favourite emblem, And its raunchy when we tremble’em, So thrust like mad, get off on a glad, And let all of your dreams come true!«10

Danach tritt Edna in tosendem Applaus ab, mit ihrem Abschiedsruf, den sie trotz Mikrofon über den allgemeinen Tumult hinwegschreien muss. »Good night, darlings!!!« Die beschriebenen Dialoge, die nicht gestellt und nicht geprobt sind11, stellen einen Balanceakt dar, der sich für die befragten Personen am Rand des Erträglichen bewegt. Hier ist nun das Sprechen einer gemeinsamen Sprache sehr wesentlich für das Gelingen. Bei völliger Unkenntnis des Ablaufs einer Dame-Edna-Show wäre eine falsche Reaktion von Seiten der jeweiligen Befragten denkbar, sogar wahrscheinlich, denn Ednas Repliken sind, vor allem wenn sie sich auf Alter und Aussehen der befragten Personen beziehen, in ihrer Treffsicherheit manchmal wirklich kränkend. Hier kann nur eine Kenntnis des standardisierten Ablaufs dieser Gespräche mit ihren verschiedenen Phasen, ihrem Umschwung, Ednas entschärfenden Einwürfen gegen das Publikum usw. die Einbindung der einzelnen Repliken in einen übergeordneten Kontext der Versöhnlichkeit gewährleisten. Das Opfer sieht, zum einen durch die interne Vergleichsmöglichkeit dank der simultanen Abfertigung mehrerer Personen, zum anderen durch die immer ähnliche Strukturierung der verschiedenen Shows, dass es den anderen auch nicht besser ergeht als ihm selbst, egal wer diese anderen sind und wie sie aussehen. Es erkennt demnach, dass das Wesen der Beleidigung woanders liegen muss als in der eigenen Un-

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zulänglichkeit. Es liegt in der Schematisierung der Gespräche, in welcher sich nun das Gegenstück zur Überschreitung (der Grenzen des Anstands, der guten Sitten etc.) erkennen lässt: Diese Überschreitung ist vollkommen ritualisiert. Sie verweist dadurch immer auf etwas, das jenseits ihrer selbst liegt, und das sich mit einem zivilisierten Zusammenleben nicht nur verträgt, sondern diesem sogar dient. Sie verweist auf die Show als ein Ereignis, das seine Teilnehmer versöhnt und gerührt entlässt. Diese Sichtweise macht aus dem Opfer einen Mitspieler, der sich trotz allem auf die Sache einlässt und dabei keinen Schaden nehmen kann. Das Mitmach-Theater einer solchen Interaktion mit den Zuschauern bleibt ein Problem. Es ist nur dann erträglich, wenn diese Interaktion ganz in den Händen der Zentralperson bleibt, wenn sie eben nicht vollständig, sondern nur scheinbar interaktiv ist, und wenn das Sprach- und Handlungsmonopol weiterhin beim Despoten auf der Bühne liegt. Dessen Grenzgänge haben mehr als mit Spontaneität und Echtheit mit festgelegten Regeln, Struktur und Organisation zu tun. Es ist für unseren Kontext sehr wichtig zu sehen, dass alle Ausschreitungen des Bühnendespoten etwas sehr differenziertes und sensibles darstellen. Nur wenn der Ritus künstlich, nur wenn die Show Show bleibt, nur dann kann die Qual zum Genuss werden. Das Zusammenspiel von Überschreitung und Regelhaftigkeit hat mit simplen Oppositionen von imaginierten Verboten und deren Übertretungen also nichts zu tun. In einem Aufsatz über Bataille schreibt Michel Foucault: »Die Transgression verhält sich zur Grenze nicht wie das Schwarz zum Weiß, das Verbotene zum Erlaubten, das Außen zum Innen, das Ausgeschlossene zum geschützten Ort des Heims. Sie ist mit ihr eher in einem ›spiraligen‹ Verhältnis verschraubt, zu dessen Wesen kein einfacher Bruch vorstoßen kann. ...Nichts ist (der Transgression) fremder als jene dämonische Gestalt, die eben ›stets verneint‹.«12

Das Unmögliche der Gewalt – und der Überschreitung, die das menschliche Leben in jenen Bereich der Gewalt hinüberschwappen lässt, erscheint bei Bataille auf dieser Ebene eingebettet in eine Dialektik, die sich jeder Gewalt-Esoterik zu entziehen vermag. Auf dieser Ebene ist Bataille durchaus affirmativ.13 Batailles Verständnis leitet sich her von den ethnologischen und anthropologischen Untersuchungen von Marcel Mauss und Roger Caillois, und weist der Transgression einen sehr konkreten Platz in zwischenmenschlichen Interaktionen zu. In ihr wird die Notwendigkeit der formalen Strenge und der Regelhaftigkeit begründet, welche in den festlichen Transgressions-Spielen der Show einen so hohen Rang ein-

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nehmen. Vergleicht man die blutig-ernsten Opferrituale der von den Ethnologen untersuchten Kulturen, an denen sich Batailles Ausführungen orientieren, mit den komödiantischen Opfer-Inszenierungen der zeitgenössischen Shows, so wird eine unterschiedliche Gewichtung der jeweiligen Regeln nicht verwundern. Wenn in Batailles Interpretation der strengen Reglementierungen des Rituals die Angst vor seinem möglichen Ausufern in die ungezügelte Gewalt dominiert, so verschiebt sich für unsere Betrachtung das Gewicht mehr in die Richtung einer Verlässlichkeit, die den Genuss erhöht und das Lachen freier werden lässt. Regel und Transgression sind hier Figuren in einem Spiel von Andeutungen, ihrem Prinzip nach unterliegen sie aber denselben Zusammenhängen wie im Fall des Blutopfers. Hier wie dort gewährleisten sie den geglückten Ablauf eines gemeinschaftlichen Ereignisses.

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III. DIE SCHLACHT

UM DIE

MITTE

»Yes Alfred, there is going to be a ball tonight, and you will be able to dance. Lalala. What are you keeping there like a little treasure? Show me. Alfred, show me! So that’s the big secret. Somebody is in love. Somebody’s little heart is beating around in their bosom. Pitapat pitapat pitapat like a rat in the cage.« (The Fearless Vampire Killers)

Jerry Springer ist eine Prügelshow. Sie stellt in ihrer Körperlichkeit die denkbar extremste Form einer Interaktion zwischen Zuschauern, Gästen und dem Showmaster dar, und ist deshalb mehr als alles andere geeignet, die Gültigkeit der im vorangegangenen Kapitel formulierte Faustregel zu zeigen, die besagt, dass mit zunehmender Inszenierung von kommunikativen Exzessen eine zunehmende Formalisierung des Ereignisses und eine gesteigerte autoritäre Präsenz des Showmasters verbunden ist.1 Im Folgenden wird es darum gehen, in Form einer Analyse der klassischen Talk-Situation, in die sich auch die Extremform einer Schlägerei auf der Bühne integrieren lässt, den Rahmen einer Rhetorik des Verhaltens abzustecken, also eines Systems der Sitte und des Anstands, das die Grundlage für die verschiedenen Überschreitungsrituale der Bühnendespoten darstellt. Es wird sich zeigen, das diese Sittengesetze weniger auf einer emotionalen als auf einer formalen Ebene stattfinden, und dass sie viel mehr mit einer klaren, analysierbaren Struktur zusammenhängen, als man zunächst annimmt.

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1. Die Mikrostruktur des Talk Jerry Springer hat kurz vor dem Jahrtausendwechsel die Barrieren des Krawallfernsehens aufgegeben, die bis dahin die gegeneinander anschreienden und -keifenden Gäste voneinander getrennt haben. Die Absperrungen zwischen den streitenden Parteien, die im deutschen Privatfernsehen Mitte der 90er Jahre die Shows von Ullrich Meier und anderen bald langweilig werden ließen, weil man wie bei einem schlechten Western von vorneherein wusste, dass dem Helden sowieso nichts passiert, werden in den USA aus dem Studio entfernt und lassen die Bühne nackt, bis auf ein paar Stühle. Mit der Konsequenz, dass die aufgeheizten Kontrahenten bald nicht mehr nur verbal aufeinander losgehen, sondern Fäuste, Knie, Ellenbogen und Fingernägel sprechen lassen, prügeln, beißen, einander Kleider und Haarteile herunterreißen, und dies so lange, bis das immer ein bisschen zu spät kommende Sicherheitspersonal sie vorübergehend voneinander trennt. Die Jerry Springer Show ist – vor allem in den medienkritischen und Medien überwachenden Diskursen – mehr als eine Prügelshow, sie wird dargestellt als der Untergang des Abendlandes, die vollständige Aufgabe jeder Konvention im Umgang der Menschen miteinander, die hemmungsloseste aller Effekthaschereien. Im Folgenden wird es darum gehen zu zeigen, dass Jerry Springer nicht der Vandale des Showbusiness ist, als der er in solchen Diskursen dargestellt wird, und dass seine Show nicht etwa die endgültige Aufgabe aller bürgerlichen Normen propagiert, sondern dass sich diese Normen, die rhetorischen Rituale und Verhaltens-Codes einer logozentrischen Gesellschaft, hier möglicherweise in eine Art Choreographie verwandeln, eine choreographische Form des Disputs, die trotz ihrer scheinbaren Ausuferung nach ebenso strikten wie einfachen Regeln funktioniert. Die Radikalität der Show besteht, wie so oft, nicht in ihrer Tendenz zur Grenzüberschreitung, sondern in ihrer Fähigkeit, einen »interdividuellen«2 Prozess zu ende zu denken. Radikal bei Jerry Springer ist nicht die Abwesenheit von Regeln des Umgangs, sondern die Tatsache, dass sich hier die verbal-abstrakten Regeln einer standardisierten Interaktion in physisch-muskuläre Aktionen verwandeln, und damit spektakulär werden und in einem ungewohnten, schockierenden Licht erscheinen. Sollte es also vertretbar sein, die Jerry Springer Show nicht als den giftigen Fall Out einer außer Kontrolle geratenen Unterhaltungsindustrie zu werten, sondern sie in eine Talk-Tradition einzureihen, die sich mit der Erfindung des Fernsehens etabliert hat, und deren dramaturgische Funktionsprinzipien sich in den letzten fünfzig Jahren nur unwesentlich verändert haben? Wie klassisch ist der Springer-Talk? Wie nahe ist er am Talk von Oprah Winfrey, einem Talk, der in seinen Grundarrangements lange vor der las-

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ziven Reduktion der Late Night da war, der verwandt ist mit der Bildungsinstanz des Themenabends und der seriösen Diskussionsrunde, mit einem klar formulierten Anspruch auf Wahrheitsproduktion? Wie nahe ist er an einem Talk, der Inhalte vermitteln will, der aber, genau wie die Late Night oder das Nachmittagsfernsehen, vor allem über sich selbst talkt? Was zeitgleich Oprah Winfrey und Larry King in den USA und Alfred Biolek in Deutschland propagieren und verteidigen, ist das Konzept einer »menschlicheren« Fernsehunterhaltung. Biolek steht hierzulande seit Anfang der achtziger Jahre, in der Nachfolge von Robert Lembke, unbestritten für dieses Format, das Privatheit mit Star-Kult kombiniert und in die Hektik des »Bahnhofs«3 oder des »Boulevards«4 das Element der Ruhe, des Nachdenkens, der Genauigkeit und der Höflichkeit einführt. Er vermittelt zumindest den Eindruck, dass er nicht auf kurze Pointen, Invektiven und momentane Schockeffekte baut, sondern dass er auf Zeit spielt, die große Linie zeichnet; dass er den Menschen nicht als GagMaschine betrachtet, sondern als eine ganzheitliche Erscheinung, die auch in ihrer Ganzheit gewürdigt werden will. Er fragt sich an bestimmten Themen entlang und in bestimmte Personen hinein. Oft sind diese beiden Vektoren – der thematische und der psychologische – miteinander verbunden, wenn er zu einer Fragestellung verschiedene Prominente einlädt, deren persönliche Geschichte er dann vorsichtig und taktvoll auf das gestellte Problem hin abklopft. Es ist bezeichnend, dass Horst Tappert bis zu dessen Ruhestand zu seinen Lieblingsgästen zählt, denn Tappert verkörpert einen Polizisten, der mehr zuhört als spricht, mehr nachdenkt als handelt, und in dessen Hand eine Waffe wie ein böser Abszess aussieht. Ein Kommissar und ein Talkshow Host, die lieber auf den Knall verzichten, und die sich stattdessen auf ihre Menschenkenntnis und ihren Humanismus verlassen. Entscheidend für beide sind nicht die punktuellen hohen Ausschläge der Spannungskurve, entscheidend ist eine klare, regelmäßige Bewegungsrichtung. Dies soll aber nicht darüber hinwegtäuschen, dass es auch hier eine in Millisekunden gegliederte Zeitachse gibt, die ganz unauffällig neben der Haupthandlung herläuft, deren kurzfristige Ausschläge aber dennoch ein wesentliches, vielleicht das wesentliche Element der Dramaturgie darstellen. Auch der klassische Talk lässt sich als eine Aneinanderreihung von Momenten lesen, wie ein Film in extremer Zeitlupe, als eine Folge von Lichtblitzen und Verdunkelungen, deren scheinbarer Fluss eine Sinnestäuschung ist und uns auf die Unzulänglichkeit unserer Organe zurückwirft. Der Blick des Insekts sieht Biolek in 1000 Einzelbildern, er verliert das Thema und bemerkt stattdessen das subtile Hin und Her der Interviewsituation, erkennt das Talken des Talk. Während den Zuschau-

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ern nämlich als Haupthandlung ein produktiver Prozess der Erkenntnis, des gegenseitigen Verstehens und der Versöhnung präsentiert wird, setzt sich die Show in ihrer Mikro-Struktur aus einer immer gleichen, endlos wiederholten Dreiersequenz zusammen, aus Vorstoß, Peinlichkeit und Zurücknahme. Vorstoß, Peinlichkeit, Zurücknahme, Vorstoß, Peinlichkeit, Zurücknahme... diese emotionale Endlos-Schleife bildet das heimliche dramaturgische Fundament auch des so genannten ernsten Talk. Biolek und Kerner, Oprah Winfrey und Larry King bewegen sich zusammen mit ihren Gästen immer am Rand der Peinlichkeit, also der kurzfristigen Übertretung der imaginierten Vorgaben eines sozialen Über-Ich. Diese Übertretung ist mit einer affektiven Reaktion verbunden, die einerseits sehr persönlich gefärbt, andererseits für alle Anwesenden nachvollziehbar ist.5 Das ist die große Gemeinsamkeit, die sich in den unterschiedlichen persönlichen Färbungen ihrer Shows erkennen lässt. Biolek ist der bemühteste von allen, und zugleich derjenige, der am geschicktesten die ungeschicktesten Fragen stellt: Ständig wagt er sich eine Spur zu weit vor, wird missverstanden, oder glaubt, missverstanden zu werden, was schon genügt, um seinen panischen Beschwichtigungstanz aus Kopfschütteln, Händeringen, Stirn-in-Furchen-Legen, Augenaufreißen und Räuspern auszulösen. Die immer präsente Angst zu kränken ist bei ihm der unausweichliche Weg zu immer neuer Kränkung. Der Entertainer Steve Wright hat das so ausgedrückt: »Ein schlechter Talkmaster fragt eine Prostituierte, wie viel sie im Monat verdient. Ein guter Talkmaster fragt, ob es denn wehtut. Und genau das ist es, was uns alle interessiert.«6 Es muss eindringen, und es muss wehtun. Die diskrete Strategie besteht in der Erzeugung einer momentanen Peinlichkeit, eines »Ausreißers« im Gesprächsfluss, aber auch in dessen sofortiger Zurückführung in den akzeptablen Bereich. Der schöne Moment ist der Moment, wenn der Schmerz nachlässt. Dieser Moment der Rührung ist die Auflösung einer vorübergehenden Dissonanz, die in einem gemeinsamen Atem der Erleichterung Gemeinschaft ahnen lässt. JOHANNES B. KERNER: Sie haben als Kind ein kirchliches Internat besucht. Sind Sie religiös? OSKAR LAFONTAINE: Ins weltliche übersetzt heißt das solidarisch. K: Kommen Sie in den Himmel? L: Wir Katholiken glauben ja an das Fegefeuer. Ich vermute, dass das der Ort ist, wo ich hinkomme. K: Erziehen Sie Ihr Kind religiös? L: Mein Sohn ist jetzt zweieinhalb und für diese Dinge noch zu klein. Ich selbst sollte ja Priester werden und habe einige Traumata zurückbehalten,

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DIE SCHLACHT UM DIE MITTE von daher bin ich da eher behutsam. Das macht dann schon der Kindergarten. K: Gehen Sie in die Kirche? L: Zu den offiziellen Anlässen. Aber ich bin kein Kirchgänger, wenn Sie das meinen. (Pause) Aber mein politisches Engagement kommt schon von einer christlichen Grundhaltung her.

Der Spitzenpolitiker Oskar Lafontaine, der bis zu seinem Rücktritt im Jahr 1998 für eine linke, aufgeklärt sozialistische Position innerhalb der SPD stand, wird hier probeweise mit dem Image eines Moralapostels versehen und gequält. Der Talkmaster Kerner hört nicht auf, ihm mit der Frage nach seiner Religiosität auf den Zahn zu fühlen, und Lafontaine muss alles Geschick des Taktikers aufbringen, sich aus dieser Sequenz kleiner Notlagen herauszuwinden. Er ist nicht streng religiös, sondern er ist »solidarisch«, wie sich das für einen Sozialdemokraten gehört. Er kommt auch nicht in den Himmel, weil er zu diesseitig orientiert und kein Kirchgänger ist. Er ist nicht bigott. Zugleich leugnet er aber nicht eine christliche Grundhaltung, denn das hieße, seine Vergangenheit zu leugnen und zu den Heuchlern und Opportunisten zu gehören, die zu offiziellen Anlässen nur deshalb in die Kirche gehen, weil es sich gehört. Der Reiz solcher Sequenzen liegt nicht in der Erfüllung einer Norm, sondern in ihrer teilweisen Überschreitung, und im riskanten Akt der Rückkehr aus dem ansatzweise Anormalen, Exzentrischen oder »Existentialistischen«.7 Dies ist das »Fegefeuer«, das Zwischenreich der Uneindeutigkeit, das weder Himmel noch Hölle ist. Nicht die Ausgewogenheit des Gesprächs steht im Vordergrund, sondern die Tätigkeit des Auswiegens: das vorübergehend verloren gegangene und dann wieder sich einstellende Gleichgewicht einander widerstrebender Kräfte. Der Befragte hat sich keine Blöße gegeben, trotz des Glatteises, auf das er geführt wurde. Die Rührung liegt in der verhinderten Katastrophe, deren Abwendung im warmen Applaus des Saalpublikums bestätigt und besiegelt wird.

2. Eskalation und Eindämmung Seit Jerry Springer mit seiner Show in allen Staaten der USA ausgestrahlt wird, gibt es eine erregte Diskussion um sein professionelles Verhältnis zu Oprah Winfrey, das sowohl in der Presse als auch in den InternetForen seiner Fans widerhallt. »I love Oprah, but she hates my show«, sagt Springer, und streut in seiner Sendung kontinuierlich Anspielungen auf Oprahs Sentimentalitäten und »Weep Ins«. Oprah antwortet mit offener Empörung über Springers Gewaltfernsehen, und über die rücksichts-

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losen Methoden, mit denen hier Menschen verheizt und gegeneinander aufgehetzt werden. Dass es dabei um die Rivalität eines jüdischen Amerikaners und einer schwarzen Amerikanerin geht, zweier MinoritätenVertreter, die die große Karriere geschafft haben und sich nun auf nationaler Ebene eine Schlammschlacht liefern, wird unterschwellig mitdiskutiert. Tatsächlich geht es nicht um ein Fernseh-Ethos, nicht um die Frage, ob Menschlichkeit, Political Correctness oder Gewalt-Katharsis ins Nachmittagsprogramm gehören oder nicht, sondern es geht um Quoten, also um die direkte Konkurrenz zweier Nachmittags-Sendungen. Oprah Winfrey, die reichste Frau im Showbiz überhaupt, die Moderatorin, deren Nachmittagsmonopol bis zum Ende der 90er Jahre so unumstritten war, dass sie ihren Zuschauern vor laufenden Kameras nahe legen konnte, doch nicht so viel Fernsehen zu schauen, sondern lieber einmal ein gutes Buch zur Hand zu nehmen – hat seit dem Auftauchen der Springer-Show ernsthafte Quotenprobleme. Ihr Stammpublikum ist nämlich gar nicht so entsetzt über Springer wie sie selbst, sondern wandert zunehmend zu ihm ab. Es verhält sich also nicht etwa so, wie der inhaltlich-ästhetische Streit vermuten lässt, nämlich dass zwei antipodische Fernsehshows zwei streng separierte Zirkel ansprechen, die sich zynisch bzw. emphatisch bekriegen. Sondern hier liefern sich zwei Star-Entertainer eine BroadcastBattle, vergleichbar den beiden Kontrahenten der Late Night Jay Leno und David Letterman im Anschluss an den Rücktritt von Johnny Carson. Das Publikum von Oprah Winfrey ist ein potentielles Publikum auch für Jerry Springer, und umgekehrt. So scheint sich die Vermutung zu bestätigen, dass in beiden Shows zumindest ähnliche Bedürfnisse angesprochen und ähnliche Erwartungen erfüllt werden. Die Momente körperlicher Nähe werden von Oprah nicht ohne verbale Brutalität erzeugt. Sie hat, wie die Performerin Annie Sprinkle (s.u.), den Habitus einer geliebt-gehassten Lehrerin, skeptisch, prüfend, und überzeugt von ihrer Überlegenheit. »Ich bin diejenige, die hier die Fragen stellt«, sagt sie, und benutzt dieses Vorrecht zur Festigung ihres Meinungs- und Gefühlsmonopols. So ist der Moment, in dem alle weinen, wenn Oprah aufsteht und lächelnd, mit ausgebreiteten Armen auf ihren weiblichen Gast zugeht, immer auch die Lösung einer vorangegangenen Autoritätskrise. Der Augenblick, in dem sich die beiden Frauen in den Armen liegen, mitten auf der Bühne, umwogt vom Zuschauerapplaus, gleicht eher dem erwärmenden Moment, wenn sich die Gegner im Boxring auf die Schulter klopfen, nachdem sie über acht Runden aufeinander losgeprügelt haben. Die Rührung ist formal, sie entsteht aus einem Gleichgewicht von Kräften, sie ist, wie der Clinch beim Boxen, zugleich Umarmung und Fesselung, zugleich Halten und Gehalten-Werden, ein stiller Vertrag zwischen zwei Erschöpften, die sich eine kurze Ruhe er-

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zwingen. Die Jerry Springer Show denkt einen solchen Wechsel von Spannung und Entspannung lediglich zu ende, indem sie ihn choreographiert. Verbale Entblößung führt hier letztlich zu echter Nacktheit, Peinlichkeit führt zu Schreikrämpfen auf der Bühne, Streit mündet in Prügelei. Das Ineinander von Eruptionen und Bändigungen ist hier wie dort zu finden, lediglich in unterschiedlichen Graden der Körperlichkeit. Mit der Verkörperlichung bei Springer geht eine Reduktion der Komplexität einher. Die Situationen, in die hinein seine Gäste geworfen werden, sind so einfach und so grell, dass die Prügelei von vorneherein unausweichlich ist. Meistens geht es um Eifersucht. Frau X kommt ins Studio und wird zu ihrem Liebhaber befragt. Sie gerät ins Schwärmen und erzählt, wie glücklich sie mit ihm sei. »Das ist schön«, sagt Springer, »und wir haben ihn auch eingeladen. Aber ich glaube, er hat dir etwas zu sagen.« Der Liebhaber kommt, und was er zu sagen hat ist, dass er X genauso liebe wie sie ihn, dass er aber seit zwei Monaten eine Affäre mit einer anderen Frau Y habe. Springer kündigt nach dieser Eröffnungssequenz plötzlich Frau Y als Überraschungsgast an. X springt auf, noch bevor Y die Bühne betreten kann, eine entfesselte Studiokamera folgt ihr in die Kulissen, wo sich die beiden Rivalinnen, begleitet vom Johlen und Schreien der Zuschauer, aufeinanderstürzen. Oder: Mann A liebt seit einem halben Jahr platonisch Frau B, sie haben sich die Ehe versprochen. In Springers Studio gesteht dann B, dass sie bisher noch ein Mann ist und auf ihre Geschlechtsumwandlung warten muss, bevor sie A heiraten kann. Um das noch zu verschärfen, kommt als Überraschungsgast die Prostituierte C, die B als eine ehemalige Kollegin entlarvt und verkündet, dass alle Transvestiten Ekel erregende Perverse seien. Oder: Rockmusiker R, der stolz darauf ist, dass er seine zwölfjährigen Groupies nach jedem Konzert hinter der Bühne vergewaltigt, trifft auf Vergewaltigungsopfer V, fragt sie, wann und wo sie denn vergewaltigt worden sei – 1978 in Seattle, ist die Antwort – »Dort habe ich genau 1978 gespielt«, sagt R, »und ich muss sagen, du kommst mir irgendwie bekannt vor.« Genau wie im Talk von Biolek und Kerner gibt es aber auch bei Springer eine Instanz, die die Eskalation eingrenzt und das Wechselspiel von Kraft und Gegenkraft, von emotionalem Ausbruch und gezügelter Energie organisiert. Das soziale Über-Ich8, mit dem der Sittentalk sich selbst reguliert, erfährt hier seine Inkarnation im schwarz gekleideten Sicherheitsdienst, der zum gegebenen Zeitpunkt eingreift und die aufeinander losstürzenden Parteien zurückhält. Es entsteht ein energiegeladener Symmetrismus, ein Gleichgewicht in Form einer gewaltsamen Einmittung, die im gesamten Bühnensetting und im Ablauf der Show sichtbar wird.

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Das Grundschema eines Showabschnitts zwischen zwei Werbeblöcken ist dabei immer das gleiche: Durch die Einführung eines Gastes ist auf der Bühne eine neue Situation entstanden. In der Totalen sieht man, wie die Personen etwas unschlüssig herumstehen oder sitzen, und versuchen, für sich einen Platz im Geschehen zu finden. Es fallen einige Worte; die provozierende Aussage wird formuliert und gibt den Anstoß für einen plötzlichen Ausbruch von Gewalt, einen körperlichen Ausreißer, der so gezielt und so schnell ist, dass die Security nicht rechtzeitig reagieren kann. Es wird überblendet auf eine Handkamera auf der Bühne, die mit Mühe versucht, die Entladung einzufangen, und dabei selbst in den Sog der Gewalt gerät, getreten und umgerempelt wird. An dieser Stelle greift der Sicherheitsdienst ein, und während er noch versucht, die Ausuferung unter Kontrolle zu bringen, wird auf Jerry Springer geschnitten, der mit seinem Schild »The Jerry Springer Show« im Arm an der Rückseite des Zuschauerraums steht, zusieht und schweigt. Die Zuschauer rufen »Jerry! Jerry!«, aber nicht zu ihm gewandt, sondern mit Blick nach vorne auf die Bühne, wie um die Kontrahenten zu weiterer Eskalation aufzufordern. Dann kommt die so entscheidende Phase der Beruhigung: Die Akteure bewegen sich langsam zurück zu ihren Sesseln und ordnen dabei mit einiger Sorgfalt ihre zerzausten Haare und ihre durcheinander gebrachten Kleider, rücken die Schulterpolster zurück auf die Schultern und die Knopfleiste zurück in die Körpermitte, binden sich den Pferdeschwanz neu, kontrollieren den Sitz ihrer Krawatte, etc. Auf der Mikro- wie auf der Makroebene sieht man zugleich eine Tendenz zum Extrem und eine gegenläufige Tendenz zur Einmittung und zur Nivellierung. Es entsteht ein Gefüge aus verschiedenen Kraftvektoren, die sich im Gesamtbild aufheben, und durch diese dynamische Stasis eine emotionale und physikalisch-mechanische Anspannung abstrahlen. Immer wird darauf geachtet, ein Gleichgewicht herzustellen und die Ränder der Szene zu kontrollieren. Das äußert sich in einer szenischen Symmetrie: Es gehört zum Grundarrangement, dass sich auf der linken und auf der rechten Bühnenseite immer die gleiche Anzahl von Personen gegenübersitzen müssen. Security und Kamera halten sich dazwischen auf. Das Eingreifen der Security führt oft zu lustigen Symmetrien, wenn rechts und links zwei gegeneinander anschimpfende Menschen stehen, die von je einem Security-Mann mit aller Kraft zurückgehalten werden. Das ergibt zwei Übermarionetten mit je vier Armen, vier Beinen, vier Augen und zwei Mündern, die nebeneinander auf der Bühne stehen und brüllen. Die hier erzeugte Stasis ist kompliziert, interaktiv, multidirektional, geladen. Die Mäßigung ist in sich selbst auf eine seltsame Art maßlos.

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Standardsequenz in einer Jerry Springer Show: Tränen und Geschrei, Eskalation, Handgreiflichkeiten, Handgemenge mit dem Sicherheitspersonal, Trennung der Kontrahenten.

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3. Der Hofstaat als Mitte der Mitte Am Hof von Urbino, am Rand des italienischen Appenin, wird um das Jahr 1500 eine Gesprächsrunde eingerichtet. Die Gefolgsleute des Fürsten finden sich dort jeden Abend, unter der sanften Anleitung der Herzogin von Gonzaga, in einer vertrauten Runde zusammen, um darüber zu diskutieren, wie der perfekte Hofmann, d.h. der ideale Mensch der Renaissance beschaffen sein müsse. »Da konnte man anmutige Gespräche und ehrbare Scherze hören, und auf dem Gesicht jedes einzelnen den Ausdruck einer ruhigen Heiterkeit wahrnehmen, so dass dieses Haus die eigentliche Wohnung der Fröhlichkeit genannt zu werden verdiente. Ich glaube auch nicht, dass je an einem anderen Ort die Süßigkeit einer lieblichen und freundlichen Geselligkeit in demselben Maß empfunden wurde, wie es damals an diesem Hof zutraf. Denn [...] jeder fühlte in seinem Herz die höchste Zufriedenheit, so oft wir uns bei der Herzogin versammeln durften, und es schien, als ob diese eine Kette bildete, die uns in gemeinsamer Liebe dergestalt vereint hielt, dass niemals die Eintracht des Willens und die herzliche Zuneigung zwischen Brüdern größer war als dort unter allen. Ebenso war es auch mit den Frauen, mit denen ein freier und ehrenvoller Umgang gestattet war, indem es jedem vergönnt war, zu reden, zu sitzen, zu scherzen und zu lachen, mit wem er wollte; und die Achtung, die man der Herzogin zollte, war so groß, dass die Freiheit zugleich der stärkste Zügel war, und es niemanden gab, der nicht überzeugt war, das größte Vergnügen der Welt sei, ihr zu gefallen, und die größte Strafe, ihr zu missfallen. Auf diese Weise war die ehrbarste Sitte mit der größten Freiheit verbunden, und Scherzen und Lachen empfingen die Würze erst durch die Anwesenheit der Fürstin, die die treffendsten Bemerkungen mit einer reizenden und ernsten Majestät begleitete.«9

An diesem Ort, den Baldessare Castiglione in seinem Buch vom Hofmann beschreibt, und den aufzusuchen sich lohnt, wenn man etwas über den Talk erfahren möchte, wird eine zugleich sehr weltliche und sehr metaphysische Rhetorik des Verhaltens entworfen, diskutiert und gelebt, und ein Umgang gepflegt, für den die biblischen Gebote des »Du sollst...« nicht mehr ausreichen. Das höfische Zusammenleben vollzieht sich auf einem hohen Abstraktions- und Ästhetisierungsniveau, das aber zugleich als der natürlichste und glücklichste Zustand empfunden wird. Hier wird ein irdisch-himmlisches Jerusalem entworfen; eine zugleich jenseitige und erlebbare Welt aus Kunst, Musik, Tanz, Krieg, und vor allem aus gesittetem Gespräch. Im Kern des Arrangements findet sich auch hier das genannte Kräftegleichgewicht, eine Balance aus Freiheit und Zügelung,

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Witz und Sitte, Vertrautheit und Achtung, Vergnügen und Strafe. Ein dynamisches Gefüge, das seinen Reiz in der kontrollierten Bewegung, in der gebändigten und geistreich verschlüsselten Leidenschaft findet. Einen höfischen Kosmos, der die Anwesenheit einer ordnenden Zentralgewalt mit einer Feier des Individuums verbindet. Die Renaissance entdeckt, sowohl im höfischen Gespräch als auch in der politischen Praxis, die Anthropologie.10 Die menschlichen Kräfte, die sie hervorhebt, werden zugleich entfesselt und gezügelt. Mäßigung, Mittigkeit und Symmetrismus sind dabei die wichtigsten Prinzipien. Sie ziehen sich leitmotivisch durch die galante Literatur und die Benimm- und Komplimentierbücher der Neuzeit. Es geht darum, das Ausufernde einzudämmen, das Extrem zu kontrollieren, und es trotzdem als eine Möglichkeit zuzulassen, nutzbar zu machen. Es geht um den Bau eines Reaktors: um die Nutzung inkommensurabler Energien, bei gleichzeitiger Vermeidung der Kernschmelze und der atomaren Kettenreaktion. Das Kraftwerk ist eine galante Unternehmung – barbarisch ist die Bombe. Nicht immer geschieht die Einmittung so diskret und nuanciert wie bei Castiglione. In seiner Nachfolge entstehen viele Regelwerke, die die Unmöglichkeit des idealen Menschen fassen und erlernbar machen wollen. Und auch im Hofmann selbst gibt es Passagen, die scheinbar Anhaltspunkte bieten: Der ideale Hofmann soll nicht zu groß und nicht zu klein, nicht zu kriegerisch, aber auch nicht verweichlicht, männlich und dabei anmutig, willensstark, aber nicht ehrgeizig, mutig, aber nicht leichtfertig sein. Er soll in allem den anderen ein Stück voraus sein, aber ohne Neid zu erwecken. In allen Disziplinen, bei Turnieren, Spielen, Tanz, Musik und im Gebrauch der Waffen, muss er sich auskennen. Er darf aber keine dieser Disziplinen fanatisch betreiben. Er soll nicht zu schüchtern und nicht zu stolz sein. Er soll sich nicht rühmen, sich aber auch nicht herabsetzen. Er will dem Fürsten gefallen, wird aber niemals zum Schmeichler. Die »Grenzen eines mittleren Maßes überschreiten« hieße das Kunstwerk zerstören, das der Hofmann ist. Man wird hier mit einer Schein-Geometrie konfrontiert. Das Koordinatensystem des höfischen Codes schwebt selbst in einem Raum ohne Koordinaten und lässt einen orientierungslos. Jeder der von ihm bezeichneten Punkte bleibt uneindeutig. Es gibt in dieser Mathematik der Sitten keine konkreten, numerischen Werte, und dies liegt auch in der Absicht der Gesprächsteilnehmer. Der ideale Mensch ist und bleibt nämlich unerreichbar und unaussprechlich. Mitte und Maß sind nicht-numerische Werte, deren Verborgenheit zu ihrem Wesen gehört. Auch hier hat man es also mit einer sehr beweglichen, schwer zu greifenden, dynamischen Mitte zu tun, von der man niemals erfährt, welches die Pole sind, zwischen denen sie sich ansiedelt.

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Die Unwägbarkeit des Gegenstandes wird gedoppelt durch eine Unwägbarkeit der Rhetorik, mit der die wissensdurstigen Höflinge sich selbst immer wieder auf das schwer fassbare Konzept der Grazie, der sprezzatura zurückwerfen, die später in der französischen Benimmliteratur als das Je ne sais quoi, das »Ich-weiß-nicht-was« umschrieben wird. Bei Castiglione wird in der Analyse eines jovial geliebten, kauzigen Höflings, »unseres« Messer Roberto, lächelnd beschrieben, wie dieser so sehr als guter Tänzer gelten möchte, dass er angestrengt die Schritte zählt und bei jeder Gelegenheit übertriebene Verrenkungen macht. Es wird gezeigt, wie seine übersteigerte Bemühtheit das Gleichgewicht aus Kunst und Natur zu sehr in Richtung einer blasierten Künstlichkeit verschiebt. Und wie sogar das scheinbar achtlose Fallenlassen seines Umhangs auf der Tanzfläche noch eine zu gekünstelte Négligence darstellt. Messer Robertos Versuch, unangestrengt zu wirken und kleine Fehler in seine Darbietung einzubauen, um nicht zu stark auf die Waagschale steifer Perfektion zu geraten, ist seinerseits wieder zu inszeniert, zu steif. Die Mittigkeit zwischen Nachlässigkeit und Perfektion erfordert zwar eine Inszenierung, aber diese Inszenierung folgt ihrerseits wiederum den Prinzipien der Einmittung, usw. Die Kunst des Hofmanns potenziert sich zur Mitte der Mitte der Mitte der Mitte, und führt auf der Suche nach dem idealen Menschen in einen Spiegelsaal. Die Mitte ist eine Suche, die niemals aufhört. Sie ist ein Prozess, ein Weg, der selbst beweglich ist, und an dessen vernebelten Rändern als Wegelagerer die Peinlichkeit und die Lächerlichkeit lauern. Tanz und Gespräch werden zu einem prekären Gesellschaftsspiel: Das Buch vom Hofmann ist eine Talkshow, wie auch Boccaccios Decamerone, das bei Castiglione mehrmals erwähnt wird; im Extrem wird es ein Sprechen gegen die Pest, von der die glückliche höfische Enklave umgeben ist, und die nur in diesem höfischen Drahtseilakt ferngehalten werden kann. Ein Gespräch zur rituellen Bannung des wilden Außen, bei dem Pointen und Andeutungen, Rügen und Bonmots abwechseln mit verbalen Harmonie- und Einheitsbeteuerungen, und mit unzähligen kleinen Entladungen von entspannendem Gelächter. Im Hofmann wird beinahe ununterbrochen gelacht. Die Einteilung in Abschnitte und Kapitel folgt formal einer Dramaturgie des Lachens. »Unter allgemeinem Gelächter begann der Graf von neuem...«, »Hierüber lachte Messer Cesare Gonzaga...«, »Lachend wandte er sich damit zu Signora Emilia, die sofort sagte:...«, »Darauf lachte Messer Federico:...«, »Madonna Constanza Fregosa lachte:...«, »Messer Cesare antwortete lachend:...«, »Graf Ludovico sprach lachend:...«, »Darauf sagte der Präfekt lachend:...«, »Nachdem das Gelächter sich gelegt hatte, sagte die Signora:...«, »Nach einigem Gelächter fuhr Messer Bernardo fort:...« usw. usw.

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Lachen ist hier alles andere als teuflisch. Es ist gut. Es beendet eine Sequenz und leitet eine neue ein, es strukturiert, erklärt, entspannt. Norbert Elias hat die Zivilisation als einen »Prozess« beschrieben, in dessen Verlauf die unmittelbare körperliche Gewalt als einziges Kontrollinstrument gesellschaftlicher Handlungen allmählich diskreteren und komplizierteren Kontrollinstanzen der Seele gewichen ist, in dem aus der Bedrohung von Leib und Leben ein kontinuierlich wirkender, gleichmäßiger Zwang im Geist wurde, und in dem die Angst vor körperlicher Qual in die Angst vor gesellschaftlicher Zurücksetzung übergegangen ist. Einfache und direkte Abhängigkeiten gegenüber dem Lehnsherren haben sich verästelt zu einem Geflecht aus vielfacher Abhängigkeit in verschiedene Richtungen, zu einer undurchdringlichen Matrix, in der alles zusammenhängt, und innerhalb derer die Menschen allenfalls ein bisschen herumzappeln dürfen wie eine Fliege im Spinnennetz. Während sich in der kriegerischen Gesellschaft das Leben in einer unmittelbaren Gegenwart vollzog, einer Abfolge extremer Emotionsspitzen aus Euphorie und Verzweiflung, hat in der neuzeitlichen Gesellschaft jede noch so kleine Handlung eine Zukunft und eine Vergangenheit erlangt, eine Zeitachse, die immer mitgedacht werden muss als eine komplexe Verkettung von Konsequenzen.11 Die despotische Talkshow von Jerry Springer besetzt einen Ort zwischen Regression und Progression. Sie bietet die kathartische Entspannung einer gewaltsamen, und damit unmittelbaren und konsequenzenlosen Gegenwärtigkeit; zugleich ist sie aber, und das halte ich für wesentlicher, eine teils konkret handgreifliche, teils abstrakt choreographische Weiterführung der sozialen Vernetzung und des Zentralisierungsrituals, das bei Kerner, Biolek, Jürgen von der Lippe, Oprah, King, David Frost, Eamonn Andrews, Terry Wogan, Ricki Lake und vielen anderen auf verbaler Ebene vorgeführt wird: eine Erweiterung dieses Rituals in eine Sprache der Körper. Durch ihre zum Teil offensichtliche Inszeniertheit kann sie jenseits ihrer drastischen Brutalität als ein Ballett sozialer Anspannung und Entladung, als ein Tanz aus Kraft und Gegenkraft, Extase und Kontrolle genossen werden. Das ist auch der Effekt der Ballszene in Polanskis Tanz der Vampire, in der die Untoten mit ergrauten Gesichtern und in verschlissener Rokoko-Garderobe vor ihrer Blutmahlzeit einen letzten höfischen Tanz aufführen. Die zügellose Lebenswut der Blutsauger rüttelt schon an den Kulissen einer verstaubten Choreographie. Der Tanz ist nur eine genießerische Verzögerung des Zubeißens. Wenn der Blutdurst schließlich erwacht, behindern die anschwellenden Eckzähne beim Sprechen. Plötzlich verstummt die Musik, die menschlichen Opfer sind im Saal geortet, noch zwei schüchterne Geigentönchen eines Nach-

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züglers im Kammerorchester, fünf endlose Sekunden völliger Stille, und dann bricht die Hölle los... Jerry Springer ist nicht das barbarische Gegenbild des Talk, sondern eine Ausprägung des Talk. In seiner Inszenierung wird das kultivierte Gespräch als Referenzpunkt nie vergessen. Auch historisch betrachtet ist diese Inszenierung aus der Tradition der Talkshow darstellbar. Die Jerry Springer Show beruht, wie jede andere Talkshow, auf einer strengen Ökonomie der Affekte und Affektentleerungen, auf gebändigten Energien und gleichgewichtigen Kräften, und auf einer letztlichen Harmonisierung und Nivellierung im Weglachen der aufgebauten Spannung, und sie zeigt in einem Umkehrschluss, dass die Gewalt latent in jeder Art von Talk vorhanden ist, und dass diese Gewalt, je offensichtlicher sie in Erscheinung tritt, desto formalistischer in einem Show-Ritual gebunden werden muss. Dies ist der Grund, warum auch die Offensichtliche Inszeniertheit der Prügeleien und die Erkenntnis, dass in den meisten Fällen gecastete Schauspieler die Rollen der Talkgäste spielen, den Erfolg der Show nie geschmälert hat. Die Voraussetzung für die despotische Tätigkeit ist ein Show- Gefüge, das auf allen Ebenen, im Raum, in der Zeit, in seiner Sprache, seinen Spielregeln und seiner Rhetorik des Verhaltens deutlich strukturiert ist. Das Wirken des Despoten ist erst einmal eine Frage guter Organisation. Die Mittel, mit denen der Despot sich als ein souveräner Mensch konstituiert, und seine scheinbare Freiheit von jeglicher sozialer Verpflichtung inszeniert, muss immer vor diesem Hintergrund der Organisiertheit und Regelhaftigkeit gesehen werden. Aber nun ist es an der Zeit, einen genaueren Blick auf die Figur des Herrschers selbst zu werfen.

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IV. D I E D E /K O N S T R U K T I O N

DES

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»Yes, I’m very very very very very rich.« (John Cleese) »Wir haben ein Stück Macht. Das wollen wir kaputtmachen.« (Brief der Straßburger Studentenvertretung an die Internationale Situationiste)

In seinem Kapitel über den Marquis de Sade setzt Georges Bataille dessen Figuren in Bezug zum Modell eines absolutistischen Monarchen. Er beschreibt den König als eine zugleich soziale und asoziale Person, als eine Einrichtung, die den allgemein gültigen und anerkannten Prinzipien von Vernunft und Anstand nicht in vollem Maß verpflichtet ist: »In der Welt des Damals verzichtete das Individuum nicht auf die gleiche Weise wie heute zugunsten der Vernunft auf den erotischen Überschwang. Es wollte wenigstens, dass in der Person eines menschlichen Wesens die Menschheit als Ganze der gemeinschaftlichen Begrenztheit entgehen möge. Gemäß dem allgemeinen Willen erhielt der Souverän das Privileg des Reichtums und des Müßiggangs, die jüngsten und schönsten Frauen waren normalerweise ihm vorbehalten.«2

Dieser Souverän ist es auch, der Kriege führt, der Sklaven hält, der das Gewaltmonopol innehat. Er hat alle die Befugnisse, die für den normalen Menschen verboten sind, er ist gewalttätig, freizügig, unermesslich reich und verschwenderisch. Mit der Abschaffung des Prinzips dieses historischen Souveräns in der französischen Revolution entsteht im Sade’schen Schreiben ein literarischer Souverän als die Fortsetzung und Erweiterung dieses Prinzips. Weil aber Sades Souverän fiktiv ist, und seine Herrschaft im Gegensatz zur Herrschaft des historischen Königs an keinerlei reale Verpflichtungen und Kompromisse gebunden ist, kann er in der Ausübung seiner Macht und im Genuss seiner Andersartigkeit noch aus197

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ufernder, noch konsequenter und brutaler sein als dieser. In seinem fiktiven und autonomen Charakter ähnelt er der despotischen Figur, die mich hier beschäftigt. Auch diese stellt sich zunächst einmal als ein »Homme Souverain« oder »Homme Intégral«3 dar, als eines jener Monster, die ihre persönliche Freiheit von jeglichen sozialen Verpflichtungen provokativ dem einschränkenden Gefüge zwischenmenschlicher Beziehungen entgegensetzen, und deren Launen sich einem angenommenen Willen der Allgemeinheit systematisch zu verweigern scheinen. Diese Monster-Könige sind absolut egoistisch, absolut allein und einzigartig. Ihre Mitmenschen »können in ihren Ausschweifungen keine Partner sein, sondern nur Opfer.«4 Dabei löst sich in ihrer fiktionalen Enthebung von der Realität das Paradox, dass »der Exzess ihrer Begierden zu jener Verneinung des Nächsten führt, welche zugleich die Verneinung der sozialen Prinzipien ist, auf denen ihr menschliches Leben basiert«5: Nur für den fiktiven Souverän ist diese Möglichkeit der totalen Verneinung des Mitmenschen vorstellbar. Auf diese vorgestellte, niemals ganz zu verwirklichende Möglichkeit spielt er ständig an, in ihr entwirft er seine Person. Je mehr also der Bühnendespot seine Autonomie und Einzigartigkeit, seine Unabhängigkeit von allen geläufigen sozialen Prinzipien und seine absolutistische Selbstherrlichkeit inszeniert, desto mehr erfüllt er das Bild des souveränen Menschen. Je mehr er seinen eigenen Willen und seine persönlichen Launen gegen eine vorgestellte Öffentlichkeit durchsetzt, desto mehr erfüllt er die Hoffnungen und Wünsche seiner Zuschauer. Die Gesten, mit denen er das tut, gehören nicht der Welt des Schwarz-Weiß und des Ja-Nein an, sondern sie ziehen seine sich konstituierende Person auch immer bis zu einem gewissen Grad in Mitleidenschaft, konstruieren und dekonstruieren sie in einem Atemzug.

1. Das egozentrische Weltbild Zu den Strategien der despotischen Selbstüberhöhung gehören zum einen diejenigen Elemente im Arrangement einer Show, welche den Raum auf eine Weise strukturieren und hierarchisieren, dass der Despot ohne weiteres als das Zentrum dieses Arrangements zu erkennen ist. Es handelt sich hierbei um äußere Gegebenheiten, von Dekor und Technik über Mobiliar, Kostüme, Requisiten, bis hin zu Fragen der musikalischen Begleitung, zu Tanzgruppen und sonstigem festem Showpersonal. Über diese standardisierte Umrahmung hinaus formt sich die im Mittelpunkt stehende Person des Showmasters von Show zu Show jedes Mal neu. Sie muss sich immer wieder aufs Neue in ihrem Egoismus und Despotismus erweisen, und sie tut das durch größtenteils verbale Aktionen. In diesen Aktionen ergreift

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sie Besitz von dem Raum, so wie er sich ihr in seinen äußeren Gegebenheiten präsentiert. Sie beginnt, mit ihrem Raum zu spielen, und erst in diesem Spiel erlangt das gesamte Arrangement seine Bedeutsamkeit. In der Late Night Show wird der Egozentrismus des Showmasters schon in den sehr bombastischen Eröffnungsritualen deutlich. Am weitesten geht dabei Jay Leno in der Tonight Show. Ihm stehen mit seinem sehr großen Saal und der entsprechend großen Zuschauerzahl, sowie mit seiner überdurchschnittlich gut besetzten Showband auch die besten Mittel zur Verfügung. Während die Band die Eröffnungsmelodie der Show spielt, spricht der Warm-uper mit der melodisch gedehnten Diktion eines Boxreporters die magischen Worte, die den Showmaster erscheinen lassen: »And now, ladies and gentlemen, Jay Llllllllenooooo!«, und dieser betritt in lockerem Laufschritt den Saal. In keiner anderen Late Night Show ist die nun einsetzende Kadenz der Band so laut und so lang. Leno will schon sprechen, aber das Zischen der Highhats am Schlagzeug und der Jubel des Saalpublikums überdecken jedes andere Geräusch und lassen ihn nicht zu Wort kommen. Er eilt zu den ersten Reihen des Publikums und schüttelt, mit Rechts und mit Links, die Hände, die sich ihm entgegenstrecken. Im Saal entsteht ein großer Tumult, Menschengruppen bewegen sich in alle Richtungen, es ist als würde eine Panik ausbrechen. Leno scheint in einem Augenblick flüchtiger Privatheit ein bekanntes Gesicht zu erkennen und zu grüßen, mit einer lässigen und jovialen Geste, wie man sie von amerikanischen Politikern kennt. Überhaupt hat er in seiner lässigen Korrektheit etwas vom Gehabe US-amerikanischer Präsidenten, wenn sie im Wahlkampf vor eine Menschenansammlung treten. Weniger volkstümlich und präsidial, eher absolutistisch geben sich Letterman und Schmidt. Im Eröffnungs-Warm-up wird ihnen immer ein auf das Tagesgeschehen bezogener Titel mit megalomanischem Einschlag verliehen, wie: »Der Mann, den sie Pferd nennen«, oder: »Der letzte Achttausender vor seiner Erstbesteigung«, oder: »Der einzige Sohn von Albert Einstein und Marilyn Monroe«6, etc. Mit ihren Bands pflegen sie ein sehr ambivalentes Verhältnis. Dieses kann im Verlauf der Show partnerschaftlich und komplizenhaft werden, aber zunächst wird unmissverständlich die Hierarchie klargestellt. Die Moderatoren warten gar nicht erst ab, bis sich der Lärm gelegt hat, sobald sie aufgetreten sind, ergreifen sie die herrschaftliche Initiative und fangen an, mit seltsamen Gesten zu dirigieren. Dabei schmiegt sich die Band jeder ihrer Bewegungen an, und es entsteht eine differenzierte Interaktion. Die Standardgeste, die einen Tusch oder Jingle auslöst, ist eine wegwischende Bewegung mit der rechten Hand, welche sehr variabel ist. Sie kann sehr großzügig, wie bei einem Ballwurf auslaufen, oder kann plötzlich abgebremst werden, sie kann langsam beginnen und an Tempo gewinnen oder sich plötz-

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lich in die entgegengesetzte Richtung fortsetzen, sie kann sich in rascher Abfolge wiederholen, kann zackig sein, oder ein achtloses Armschlenkern. Jede dieser Ausprägungen beeinflusst sämtliche musikalische Parameter: Instrumentation, Klang, Länge, Lautstärke, Tempo... In jeder Show werden darüber hinaus neue Dirigier-Gesten entwickelt, die verblüffenderweise zeitgleich von der Band vertont werden: Mit einem Fingerschnip wird die Band eingeschaltet, mit einer trockenen Fußbewegung ausgekickt. Sie wird mit Bewegungen von Kopf, Knien, Ellbogen gesteuert, oder durch unterschiedliche Biegungsgrade des Rückgrats. Die Übergänge von scheinbar unwillkürlichen Zuckungen zu explizitem Dirigat sind dabei häufig fließend. Die Band wird zur sklavischen Maschine, die auf jede noch so geringe Körperregung ihres Herrn fixiert ist. Bei einem Rokoko-Themenabend tritt der Despot tatsächlich in der vollen Montur eines Königs auf und dirigiert die Band, die sich in ein befracktes und gepudertes Kammerorchester verwandelt hat. Bei anderer Gelegenheit singt er als Arbeiterführer die Internationale mit dem gesamten Text.7 Eine weitere Show widmet er dem Sänger Freddy Mercury, und bestreitet den Abend beinahe vollständig, indem er eine QueenHymne nach der anderen komplett absingt.8 Oder er grölt zu jeder Eröffnung der Baseball-Saison vor einer gigantischen amerikanischen Flagge die Nationalhymne. Dieser Sologesang als zentripetales Stilmittel hat im Showgeschäft Tradition, neu ist aber die betonte Aufdringlichkeit, mit der er hier betrieben wird. Sowohl in der ausufernden Länge als auch in der musikalischen Umsetzung klingt etwas wie eine Zumutung an, eine Rücksichtslosigkeit, die aber vom Publikum begeistert aufgenommen und bestärkt wird. In Helsinki gibt es eine DJane, die sich bei ihren Auftritten wie folgt nennt: I – Am – The – Fucking – DJ – This – Is – My – House – So – I – Play – What – I – Like – And – All – The – Guests – Should – Get – Undressed.9 Der Gesang des Despoten stellt eine Überspitzung der monologischen Rede dar. Er entspricht einem Monolog mit Begleitung, in dem der Despot rücksichtslos seine Umgebung auf sich einschwört. Dieser infantile Anspruch auf Alleinherrschaft wird in der monologischen Anfangssequenz gegen jeglichen Eindringling verteidigt. Außer für den Despoten ist während dieser Phase auf der Bühne eigentlich für niemanden Platz. Dame Edna scheucht ihre Dienerin Marge in diesem Moment einfach hinaus (»What are you doing on my stage?!«). Im Fernsehen vermittelt sich diese Ausschließlichkeit in einer statischen Einstellung, die den Showmaster bildfüllend zeigt. In dieses Bild darf nichts und niemand eindringen, und die Kamera wendet sich, von einigen kurzen Zwischenschnitten abgesehen, nicht von ihm ab. Diese Statik gipfelt in der Erfindung der Ego-Cam, die mit einem Metallstab am Kopf befestigt wird und starr auf das eigene Gesicht gerichtet ist.10 Verbal wird dabei

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immer wieder auf kleine Alltäglichkeiten aus dem eigenen Leben Bezug genommen, so als wären sie Mitteilungen von großem öffentlichem Interesse. Auf diese Tendenz, alles noch so fern liegende, abstrakte, globale auf die eigene Person zu beziehen, werde ich noch näher eingehen. Neben diesen zentripetalen Gesten, die auf die Person des Despoten zulaufen und sich in ihr bündeln, gibt es auch eine entgegengesetzte zentrifugale Bewegung, in der sich der Despot über die raum-zeitliche Begrenzung des Hier und Jetzt hinaus auszudehnen scheint. Bei Jay Leno taucht ab und zu eine Gruppe von acht Personen auf, die Dancing Lenos, die annähernd seine Statur haben, alle Leno-Perücken tragen und in seiner jeweiligen Abendgarderobe erscheinen. Diese Gruppe von Klonen halten sich meistens am Rand der Bühne auf, wo sie kurze Tanzeinlagen machen, oder sie verteilen sich im Zuschauerraum, verteilen kleine Souvenirs, setzen sich einzelnen Leuten auf den Schoß und verhalten sich in jeder Beziehung auffällig und aufdringlich.11 Eine ähnliche Omnipräsenz suggeriert auch Johnny Carson, wenn er, passend zum Jahrestag eines wichtigen historischen Ereignisses oder einer bedeutenden Erfindung, oder im Zusammenhang mit seinen Themenabenden und mit dem Erscheinen bestimmter Gäste, unerwartet in bekannten dokumentarischen oder fiktionalen Videosequenzen auftaucht. Auf diese Weise war er schon in den Königshäusern der ganzen Welt, in mehreren Kinofilmen, Fernsehserien und Fernsehshows, sowie in zahlreichen berühmten Szenen der jüngeren Geschichte zu sehen, äußerlich immer nur sehr unzureichend an die jeweilige Situation angepasst. Die Despoten der Late Night Show haben alles, was sich andere Leute wünschen, vor allem aber sind sie unermesslich reich durch ihre unvorstellbar hohen Gagen. »Ich muss sagen, jetzt wo ich’s kenne: als Kind hab ich’s mir immer viel geiler vorgestellt, in Geld zu baden.«12 Und sie haben, dank ihres Reichtums und ihres Ruhmes, »Weiber, bis ich nicht mehr kann.«13 Ihre scheinbare Autonomie in Bezug auf den Ablauf ihrer Show, ihr scheinbar völlig freies Verfügen über Raum und Zeit, wird nahe gelegt durch plötzliche Stimmungswechsel, spontane Exkurse, völlig aus dem Zusammenhang gerissene Bemerkungen, Einfälle, Witze, mit denen sie sich in ihrer überschwänglichen Launenhaftigkeit treiben lassen. (»It’s so good to be me!« brüllt der Sänger-Performer Paska ins Mikrofon, nachdem er in den ersten 30 Sekunden seines Auftritts in musikalischer Rage ein Stativ zerstört und eine Farfisa-Orgel umgestoßen hat.14) Dabei fangen sie sich irgendwann und kehren mit ironischem Schuldbewusstsein zum Skript zurück, oder sie werden von einer sichtbaren bzw. akusmatischen Kontrollinstanz ermahnend an den vorgesehenen Ablauf erinnert. (Schlimmstenfalls, wie bei Paska, ist das ein Theater-

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techniker, der aus Sorge um seine Beschallungsanlage den Strom abdreht.) Das Anspruchsdenken des Despoten in Bezug auf seine Show manifestiert sich besonders deutlich im Umgang mit dem Kollektiv des Saalpublikums, von dem er ebenfalls verlangt, dass es ihm gehöre. Der Zuschauerapplaus ist nicht etwas, das er dankbar entgegennimmt, sondern etwas, das er fordert. Die dankende Verbeugung ist abgeschafft. Er hat verschiedene Methoden, sein Publikum, das er seine »Kids« nennt, zu dressieren15: entweder despotisch befehlend, durch endlose Applausproben, oder bittend, zum Beispiel wenn er infantil seinen eigenen missratenen Witz beklatscht, bei dem die Reaktion nur schwach ausfällt, und dazu mit steifem Grinsen sagt: »Oh, come on!«16 Leicht schlägt diese Dressur in Aggression um, vor allem wenn Bühne und Zuschauerraum ohne scharfe Trennung ineinander übergehen und den Showmastern so die Möglichkeit geben, ohne Umstand ins Publikum hinüber zu driften und große Teile der Show mitten unter den Zuschauern zu moderieren. Bei solchen Gelegenheiten täuscht er einmal völlig unvermittelt durch eine zuckende Bewegung einen Angriff an, woraufhin mehrere Zuschauer erschrocken zurückweichen.17 Als man die Mienen über seine feuchte Aussprache verzieht, veranlasst ihn das, nur umso mehr auf die Leute herunterzuspucken, zunächst durch mehrfache Wiederholung der »P«- und »T«-Wörter seines Satzes, dann ganz direkt, bis man sogar in der Halbtotalen die Spucktröpfchen fliegen sieht.18

2. Diener und Funktionäre Jeder Bühnendespot verfügt über Personal, das entweder auf der Bühne oder in den Kulissen, im Zuschauerraum oder an der Technik dem Ablauf seiner Show oder, als eine Art persönlicher Assistent, seiner persönlichen Befindlichkeit und gegebenenfalls dem Wohlbefinden seiner Gäste zu dienen hat. Sogar der eher devote Hermes Phettberg hat seinen eigenen Bühnenassistenten, Robin, einen nach dem SM-Dresscode gekleideten Jüngling, der nach dem Assistenten des Superhelden Batman benannt ist. Robin versieht auf der Bühne ruhig seinen Dienst, indem er Gläser, Getränke und sonstige Kleinrequisiten holt und bringt. Die ostentative Schweigsamkeit hat er mit den meisten seiner Kollegen gemeinsam – bei Dall ist es ein weiblicher Mundschenk im Outfit eines Playmate, bei Edna die alte, vertrocknete Haushälterin Marge. Alle diese Diener sind stumm. Die Late Night-Moderatoren haben eine ganze Schar solcher Diener, die häufig nur eine einzige Aufgabe zu versehen haben: einer bringt die

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Getränke, der andere die Zuschauerpost, ein dritter die Großrequisiten, usw., es ist nicht nötig, hier alle Ausprägungen solcher Dienerfiguren aufzulisten. Die wichtigste dieser Figuren ist der Side Kick des Moderators. Der Begriff bezeichnet sowohl eine Person als auch einen zum Standard der Late Night gehörenden Vorgang, in dem der Moderator während des Stand-up-Teils sein Frontaltheater durchbricht: Er wendet sich vom Saalpublikum und den Kameras ab und zur Seite, um mit der genannten Figur einige kurze Sätze auszutauschen, ihr eine beiläufige Frage zu stellen oder ihr einen plötzlichen Einfall mitzuteilen. Diese oft sehr banalen Kurzdialoge haben den Charakter von Privatwitzen, sie bauen eine Komplizenschaft auf, aus der das Publikum weit gehend ausgeschlossen bleiben soll, die es aber gespannt verfolgt und genießt. Aber die sporadische Verschworenheit kann nicht darüber hinwegtäuschen, dass auch der Side Kick immer subaltern ist und viele Charakteristika der Dienerfiguren teilt. In fast allen Late Night Shows erfüllt der Bandleader diese Funktion, bei Schmidt der Keyboarder Helmut Zerlett, bzw. später der Produzent Manuel Andrack, bei Letterman Paul Schaeffer, bei Leno der LeadGitarrist Kevin Eubanks. Sie alle sind insofern stumm, als sie sozusagen einer anderen Welt angehören, nämlich der tendenziell nonverbalen Welt der Musik oder der Technik. Im Allgemeinen antworten sie nur, wenn sie gefragt werden. Sie sind in ihrer Hauptfunktion als Bandleader dem Showmaster sklavisch ergeben, und wenn sie aufgefordert werden, aus dieser Rolle herauszutreten, dann ist das immer ein Dürfen, das sich ausschließlich durch die akuten Launen des Monarchen rechtfertigt. Bei Conan O’Brien löst sich der Side Kick von jeder weiteren Funktion. In dieser Show ist seine offizielle Bezeichnung Co-Host, und darin liegt eine Wertschätzung, die eine gewisse Gleichberechtigung gegenüber dem Host nahelegt. Aber gerade in der Tatsache, dass der Co-Host keine weitere als diese diffuse Funktion hat, wird seine Abhängigkeit besonders deutlich: Während der Bandleader als eine Art Zeremonienmeister zumindest innerhalb seines Bereiches an der Spitze eines kleinen hierarchischen Systems steht, rechtfertigt der Co-Host Andy Richter seine Anwesenheit auf der Bühne ausschließlich durch seine vollständige Hingabe an den Despoten. Bewegen wir uns von der Bühnenmitte allmählich zur Peripherie. Die persönlichen Diener und die Show-Band halten sich als die verlängerten Arme des Showmasters in unmittelbarer Umgebung der Bühne auf und sind weitgehend statisch. Die Tanzformationen und andere Dienstleister der Show bewegen sich zwar noch hauptsächlich im Bühnenbereich, schwärmen aber auch oft in den Zuschauerraum aus und führen eine zentrifugale Bewegung in das Setting ein. Diese Bindeglieder zwischen Bühne und Zuschauerraum gehören ebenfalls zum festen Inventar der despo-

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tisch regierten Shows. Sie lassen die prinzipielle Trennung der verschiedenen Machtareale bestehen, können deren Trennlinien (z.B. die Rampe) aber überqueren. Auch sie sind, wie die Show-Musik und der LiveGesang des Showmasters, nicht eine Neuerung für das Genre, werden aber von den despotischen Performern in einer besonders auffälligen Weise eingesetzt. Auch sie werden in ihrer ständigen Verfügbarkeit vorgeführt. Der Despot kann zum Beispiel Showdance-Truppen durch ein bestimmtes Stichwort oder ein anderes kurzes Zeichen jederzeit herbeirufen und, wenn sie winkend und tanzend im Saal erschienen sind, sie auch genauso schnell wieder verschwinden lassen. Im Extremfall dauert ihr Auftritt nur wenige Sekunden. Oft fällt das entsprechende Stichwort dann an einem einzigen Abend fünfmal, und manchmal wird ihr Auftritt auch »aus Versehen« veranlasst, wenn dem Despoten das Zauberwort unwillkürlich entfährt. Solch blinder Gehorsam verleiht ihnen einen komischen Automatismus, sie wirken wie ferngesteuerte Maschinen, und ihre Stimmungsmache wie eine vorprogrammierte Einstellung. Der Showmaster lässt die Puppen tanzen. Bewegt man sich weiter in zentrifugaler Richtung, dann kommt man zu einem Bereich außerhalb des Bühnengeschehens, der sich entweder an den Rändern des Zuschauerraumes oder, eigentlich unsichtbar, in den Kulissen befindet – dem Bereich der Technik. Dazu gehören im Fernsehen zunächst die Studiokameras, die die Bühne umringen, außerdem die direkt hinter den Kameras postierten Personen mit den Stichwort-Karten (Cue-Cards) für den Moderator, sowie die noch weiter hinten im Saal befindlichen Kontrollgeräte für Bild und Ton, und schließlich, normalerweise in den Kulissen außerhalb des Saals, die Ton- und MAZ-Technik mit den zugehörigen Spezialisten. Die Visualisierung dieses technischen Apparates (des Fernsehens und auch des Theaters), der normalerweise außerhalb des Sichtfeldes der bühnenzentrierten Kameras liegt, hat sich im Showgeschäft längst etabliert und wird auch im Nachrichtenwesen immer öfter als Stilmittel eingesetzt. Kameras, Studiolampen, Saalmikrophone, Mischpulte, Kabel sind, wie auch die Techniker, die sie handhaben, für den Blick des Fernsehzuschauers kein Tabu mehr. Sie sind zu Darstellern geworden. Im Theater wird dieses äußerste Machtareal zum einen durch eine Thematisierung der personellen und organisatorischen Funktionen vorgeführt (Tage der offenen Tür, Lange Nächte etc.), zum anderen durch eine immer stärkere Einbeziehung der Räume zweiter Ordnung, wie Flure, Garderoben, Lager, Keller, Requisite, Pförtnerloge, Theaterkantine etc. In diesem speziellen Fall folgt auf die primäre Zerschlagung etablierter Funktionsstrukturen meistens eine Umdeutung und erneute Bindung an die Figur des Despoten (Schlingensief beschimpft in Talk 2000 den

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Pförtner Oblomow der Berliner Volksbühne). Im Club ist das äußere Areal wegen der unkomplizierten Organisations- und Raumstruktur unauffälliger, wird aber trotzdem ins Bewusstsein geholt. (Der Boxer/ Entertainer Jake La Motta reagiert auf einen Zwischenrufer im Zuschauerraum mit einer Anweisung an das Barpersonal: »Leute, gebt dem Herrn noch einen Drink, ja? Und pisst für mich rein, ok?«19) Prinzipiell sind immer alle auf Sendung; das Gebäude der Show ist gläsern geworden. Diese Offenlegung erfüllt zwei wesentliche Funktionen. Zum einen wird in ihr eine Durchschaubarkeit nahe gelegt, die entgegenkommend und integrierend wirkt und auf diese Weise ein Gefühl echter Teilhabe vermittelt. Zum anderen ist sie aber ein Bestandteil einer zentrifugalen, vereinnahmenden Bewegung des Despoten, in der es ihn über die Bühne hinaus bis in die hintersten Winkel seiner Burg drängt. In diesen Führungen durch die Kulissen stellt der Despot seinen gesamten Machtapparat zur Schau und bekräftigt so seine Herrscherrolle. Solche Ausflüge haben den Charakter einer Führung durch die eigenen Besitztümer. Der Despot stellt einzelne Leute vor, öffnet indiskret alle Türen, spielt an den Reglern der Geräte herum und gibt zu allem erklärende Kommentare in die ihm folgende Steadycam. Oft verlässt er sogar das Gebäude, begrüßt einige im Foyer oder auf der Straße wartende Fans und macht irgendwelche Aktionen im Freien. Auch im Bereich der Showbühne hat der Despot viele verbale und nonverbale Gesten entwickelt, in denen er sich auf den technischen Aspekt seiner Show bezieht, am deutlichsten in der Late Night, wenn der Moderator Kurzdialoge mit dem Regisseur oder Produzenten führt, der an einem Regiepult rechts neben der Bühne sitzt, und der ab und zu nach dem weiteren Ablauf befragt wird, oder bei unvorhergesehenen Ereignissen akut anstehende Entscheidungen zu fällen hat. Er orientiert sich außerdem immer wieder sichtbar »in einem (seiner) dreihundertachtzig Monitore«20 über die momentane Einstellung oder kneift fragend die Augen zusammen, wenn er auf einer Cue Card den nächsten Witz zu entziffern versucht, um dann durch ein Nicken oder ein »Ach so!« zum folgenden Abschnitt seines Monologs überzuleiten. Manchmal wird eine lange Sequenz ausschließlich diesen Stichworttafeln gewidmet.21 Sie sind, als die ganz persönlichen Gedächtnisstützen des Moderators, die von einem eigens hierfür eingesetzten Assistenten verwaltet werden, besonders geeignet, seinen Status zu unterstreichen.

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3. Die Subversion des eigenen Machtapparates Die Kehrseite der hier beschriebenen Angeberei ist eine denunziatorische und entmythisierende Offenlegung der Funktionsweisen der Show. Der Showmaster oder Performance-Master22 kann die verschiedenen technischen Elemente und personalen Strukturen seiner Show nicht nur vorzeigen, sondern sie soweit erklären, dass dadurch Details sichtbar werden, die der sonstigen Präsentation der Show zunächst widersprechen. Im Fall der Late Night handelt es sich dabei vor allem um angedeutete Subversionen ihrer sonst sorgsam inszenierten Live- und Spontaneitäts-Behauptung. In seiner Show vom 24. September 1996 kommt Harald Schmidt, wie an fast jedem Abend während wichtiger Turniere, auf die aktuellen Ereignisse im Fußball zu sprechen: »Waren das wieder Ergebnisse im Europapokal!« (Kurze Pause – keine Reaktion beim Saalpublikum.) »Sie sind noch ganz gelähmt – ...nein, Sie kennen die Ergebnisse noch nicht, denn wir zeichnen pünktlich um zwanzig Uhr auf!« (Gelächter.) Um zwanzig Uhr ist das Spiel, auf das sich Schmidt hier bezieht, noch gar nicht beendet, die Ergebnisse sind also in diesem Moment weder ihm selbst noch seinem Saalpublikum bekannt, wohl aber seinen Fernsehzuschauern, denn diese sehen die Show erst um dreiundzwanzig Uhr. Schmidt rettet sich hier aus einem ausweglosen Dilemma in die peinliche Wahrheit, mit der die Live-Lüge seiner Show offenbart wird. Bemerkenswert ist dabei, dass Schmidt im weiteren Verlauf noch mehrmals auf diesen Ausrutscher anspielt. Er scheint diese Desillusionierung sogar zu genießen. Die Wahrheit seiner Show wird nicht verschämt unter den Teppich gekehrt, sondern sie wird mit heimlicher Genugtuung über das verbotene Spiel wiederholt preisgegeben. In einer anderen Show23 verwechselt er die Reihenfolge zweier Witze, die aber nur in der ursprünglich vorgesehenen Reihenfolge wirken können. Verwirrt hält er inne: »Nee, das muss ich nochmal machen.« (Zum Publikum:) »Sie tun bitte so, als hätten Sie’s noch nie gehört.« Aber dann verständigt er sich kurz mit der Regie und beschließt, es doch drinzubehalten. Die ganze Sequenz wird dann später genau so gesendet, wie sie aufgezeichnet wurde. Diese Entscheidung ist bedeutungsvoll. Durch sie wird an diesem Abend zwar nicht gelogen, es wird aber durch die Inszenierung dieser Wahrheit die Möglichkeit der Unwahrheit erst geschaffen. Live-Lüge und Schnitt-Lüge werden erst in ihrer Verwerfung überhaupt sichtbar gemacht. Eine adäquate Entlarvungs-Maschine in Bezug auf die vorgebliche Spontaneität ist Jay Lenos »Sketch-Wheel«, ein großes Glücksrad, das darüber entscheidet, welcher von vier durch verschiedene Farben symbolisierten Sketchen als nächstes vorgeführt werden soll. Es wird mit großem

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Schwung in Bewegung gesetzt und dreht sich eine Zeitlang, aber ein unsichtbarer Mechanismus blockiert das Zufalls-Rad jedes Mal genau in der Position des von Leno bevorzugten (und ohnehin voraufgezeichneten) Sketches. Das ruckartige Anhalten des Rades und Lenos übertriebene Überraschtheit lassen an der Manipulation keinen Zweifel.24 In solchen Offenbarungs-Gesten, die bei den Zuschauern große Wirkung zeigen, schwingt eine Aufmüpfigkeit gegenüber dem eigenen Medium mit, die im Fernsehen häufig noch verstärkt wird durch das äußerst gespaltene Verhältnis zum eigenen Sender (Sat1 bzw. ARD bei Schmidt, CBS bei Letterman, NBC bei Conan O’Brien und ORF bei Hermes Phettberg). Die Inszenierung eines infantilen Ungehorsams gegenüber den imaginierten Vorgaben und Prinzipien dieses Senders, welche entweder durch offene Zuwiderhandlungen oder durch übersteigerte Loyalität parodiert werden, sind Mittel, in der Verneinung des Anderen die eigene Autonomie und Selbstherrlichkeit hervorzuheben. Vor allem aber entsprechen diese Offenbarungsgesten und Entmythisierungen, die sich ja alle primär auf die Funktionsweisen der eigenen Show beziehen, einer Subversion des eigenen Machtapparates. Denn es sind doch gerade die Möglichkeiten von Schnitt- und Trickeffekten, von Nachvertonung und Video-Postproduktion, und die Präsenz eines großen, perfekt organisierten Mitarbeiterstabes, welche im Fernsehen das Schwindel erregende Tempo von Shows ermöglichen, ohne dabei auf die virtuose Wirkung des Live-Anspruchs zu verzichten. Dagegen wird mit jeder inszenierten »Lüge« klarer, welch wackeliges und provisorisch zusammengehauenes Gebäude es ist, auf dessen Gipfel der Despot seinen Thron errichtet. Mit jeder distanzierenden Verneinung dieses Gebäudes erschüttert der Despot die Fundamente, auf denen er sein egozentrisches Weltbild gebaut hat. Die großspurige Entblößung dieses hoch differenzierten technischen und personellen Zusammenspiels, in dem seine Show sich in der Praxis konstituiert, zieht immer auch seine eigene Autorität in Mitleidenschaft. »Die Verneinung der Anderen führt, im Extrem, zur Verneinung der eigenen Person.«25 Das ist es, was den souveränen Menschen ausmacht. In seinem negativistischen Größenwahn, in seiner Selbsterhöhung durch die Erniedrigung und Verneinung seiner Umwelt geht er so weit, dass auch er selbst in den zerstörerischen Strudel hineingerissen wird. Diese Bewegung trägt nicht die Züge einer pathetischen Selbstaufgabe, sondern erzielt in diesem Kontext einen komischen Effekt, wie der Mann, der an dem Ast sägt, auf dem er sitzt, oder der Frosch, der so groß werden will wie der Ochse, und sich so lange mit Luft vollpumpt bis er platzt. Im Spannungsfeld zwischen megalomanischer Rücksichtslosigkeit und lächerlichem Lumpenkönigtum, vollzieht sich die De/Konstruktion des Despoten. Ihm verdankt diese Bühnenperson einen Großteil ihrer komischen Wirkung.

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Die egozentrischen Strategien finden sich bei den verschiedenen Despoten in unterschiedlichsten Variationen. Jerry Lewis erreicht in seinem Show-Experiment von 1963, von dem nur eine einzige Folge ausgestrahlt werden durfte, ein Niveau der Offenlegung, das erst in den Neunzigern in das Repertoire der Late Night Shows und der an sie angelehnten Formate im Umkreis des Theaters eingeht.26 Seine Performance hat etwas besitzergreifendes und zugleich selbstzerstörerisches. Jerry Lewis schwankt zwischen überdrehter Publikumsanbiederung und vernichtender Kritik. Er beschimpft einzelne Zuschauer, sein Show-Orchester, seine Lichttechniker, er pfeift rüde nach seinen Assistentinnen, schreit seinen Co-Host an, kommuniziert mit der Regie, deren Repliken nur für ihn zu hören sind. Wenn die Show außer Kontrolle gerät, gibt er Anweisungen, vorproduziertes Material einzuspielen. Er äfft seine Produzenten nach (»What’s he gonna do for two hours?«) und macht seine Erwiderungen öffentlich (»He’s gonna look around and see what the devil happens next, that’s what he’s gonna do«). Er liest den Ablaufplan seiner Show vor, um ihn dann zu zerreißen. Er überfliegt immer wieder seufzend seine Stichwortkarten. Er kommentiert die Produkte der Werbeeinspielungen und macht sie lächerlich. Er gibt lange Kommentare über die Network-Politik in den USA. Die ganze Show wirkt wie eine unkonzentrierte, schlecht laufende Probe, in der ein nervöser, schlechtgelaunter Moderator sich selbst und seine Mitarbeiter quält. Die Ebene des Spektakels wird verlassen, und der Despot zeigt sich in einem Umfeld realer Peinlichkeit und Zerstörung. Die Wut und der Schmerz stehen hier im Zusammenhang mit einer Zeit massiver politischer Repression, zu deren Opfern auch Lewis zählt. Das Motto »Think Pink«, das er über seine Show stellt, ist auch ein Slogan der Kommunisten in Amerika, und damit, wenn nicht der Selbstmord eines überaus populären Künstlers, so doch zumindest der Mord an seinem Fernsehformat, dem er von vorneherein keine Chance auf Erfolg eingeräumt hat. Lewis betreibt in diesem Show-Fragment eine Politik der verbrannten Erde, mit der er zugleich seine lokale und zeitweilige Macht innerhalb der Show inszeniert, und diese zugleich endgültig ruiniert – ein Spannungsbogen, den zu dieser Zeit weder die Produzenten noch die Zuschauer ertragen.27 Die Konstruktion und Dekonstruktion der despotischen Figur und ihres Machtapparates ist eine zentrale Taktik in allen despotisch dominierten Shows. In der ambivalenten Geste der gleichzeitigen Selbstüberhöhung und Selbstrelativierung beginnt das immer währende Spiel um Macht und Dominanz, das diese Figur auch im Weiteren bestimmt.

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V. EINFACHE GESTEN DER OPFERUNG: DAS »VERSÖHNENDE OPFER«

»Drum, bei den Himmlischen, schafft mich von hinnen, Versteckt mich, tötet mich, werft mich ins Meer, Wo ihr mich niemals wieder seht.« (Sophokles – König Ödipus)

Die Hierarchisierungen des Raumes und des Showpersonals durch den Showmaster erzeugen eine statische Situation, die zwar in jeder Folge einer Show (soweit es mehrere Folgen gibt) neu errichtet werden muss, aber in ihrer wenig variierenden Wiederholung vor allem auf eine Verlässlichkeit baut, die allerdings, wie wir gesehen haben, für das Funktionieren einer Show besonders wichtig ist. Diese repetitiven Opfergesten, welche eine für die jeweilige Show spezifische Standardsituation heraufbeschwören, zielen also auf einen Gewöhnungseffekt bei den Zuschauern ab. Ein festes Personal fügt sich immer wieder in einer festen Hierarchie zusammen, bis diese Hierarchien und ihre rituelle Etablierung schließlich keine besonderen Ereignisse mehr sind. Die zugehörigen Opfergesten gehören dann, wie die Personen, die sie betreffen, zum Inventar einer Show. Wenn ich im Folgenden aber von den einfachen Gesten der Opferung spreche, so denke ich erst in zweiter Linie an diese Standard-Äußerungen einer feststehenden Hierarchie. Sie gehören zum guten Ton einer Show und sind darin mehr Umfeld als Ereignis. Die Diener und Funktionäre sind nicht die eigentlichen Opfer. Die eigentlichen Opfer sind jene Personen in einer Show, die eben nicht der Show-Hierarchie angehören, Personen, die eher unbeteiligt sind, von draußen kommen. Die Show ist ihnen tendenziell fremd: sie führen ein anderes Leben, aus dem heraus sie sich kurzfristig in diesen ganz eigenen Bereich der Show hineinbegeben – oder hineingerissen werden. Ihr Auftreten in diesem differenzierten Gebilde der Show ist nicht alltäglich, sondern einmalig, es stellt innerhalb des Ablaufs der Show eine Besonderheit dar, die auch besonders 209

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gewürdigt wird. Diese Personen sind minderbemittelt in ihrem Wissen um die spezifischen Funktionsweisen der jeweiligen Show, in die hinein sie sich verirren. Sie sind arglos. Diese Eigenschaften – ihre Fremdheit, ihre Unwissenheit, ihre Arglosigkeit, die Intergrität, mit der ihr ureigenster Lebensbereich sie umgibt, und die besondere Würdigung, die sie durch den Showmaster erfahren, sind die Grundlagen ihrer Rolle. Sie sind die Gäste, ohne die der Talk nicht denkbar wäre, und ohne die jedes feste Setup seinen Sinn verlieren würde. Sie sind das Fleisch auf den Rippen, die wechselnden Anziehungspunkte, die eine Serialität überhaupt erst rechtfertigen. Der Gast, der immer als ein persönlicher Gast des despotischen Hausherren erscheint, tritt diesem nicht, wie die Funktionäre, in einem subalternen, sondern in einem prinzipiell gleichberechtigten Verhältnis gegenüber. Der Despot kann seinem Gast gegenüber sogar ein Maß an Respekt zeigen, das er keinem seiner Angestellten jemals entgegenbringen würde, manchmal bis hin zur expliziten Selbsterniedrigung.1 Die ausdrückliche Wertschätzung des Gastes durch Lob oder Demut stellt die erste Etappe im nun folgenden Spiel dar. Es ist, als säßen sich beide zunächst auf einer Wippe gegenüber, die in ein vorübergehendes Gleichgewicht gebracht werden soll, bevor das eigentliche Spiel beginnt. Dass diese besondere Wertschätzung nicht ein höfliches Zugeständnis an den Gast, sondern eine strategische Notwendigkeit ist, wird sich besonders deutlich bei den nun zu beschreibenden einfachen Opferstrategien zeigen. Deren Einfachheit liegt darin, dass sie als eine Fortsetzung und weitere Verstärkung des Egozentrismus eines Moderators verstanden werden können, als eine vorläufige Erweiterung seines despotischen Instrumentariums. Sie sind einfach insofern, als sie in Bezug auf das hierarchische Arrangement einer Show zunächst einen eher festigenden und verstärkenden Charakter haben. Die Verstärkung liegt dabei zum einen in den Möglichkeiten theatralischer Hypnose, in welcher der Gast als ein kostbares, zugleich aber absolut verfügbares Objekt vorgeführt wird. Zum anderen wirkt Struktur sichernd der Vorgang des Ausschlusses, den der Anthropologe René Girard als den »Mechanismus des versöhnenden Opfers« bezeichnet hat.2 In beiden Strategien ist der konstruktive Aspekt stärker als der dekonstruktive. Die souveräne Geste einer allumfassenden komischen Destruktion ist hier nur im Keim angelegt. In einer Vorbereitungsphase werden die noch abwesenden Gäste den Zuschauern angekündigt und durch eine Doppelbewegung des Zeigens und Verbergens als Objekte des Begehrens dargeboten. Ihre Schönheit, ihr Reichtum, ihr Erfolg und ihr Ruhm werden in der Show gepriesen und gleich darauf zur Disposition gestellt. Der Despot verfügt über seine Gäste als Objekte und verspricht dem Publikum die Teilhabe an ihrer

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Konsumption. Bereits in diesem an sich friedfertigen Mechanismus der hypnotischen Fixierung3 wird durch die Inszenierung der Verfügbarkeit des hypnotischen Objektes immer auch ein gewalttätiger Aspekt mitinszeniert. Diese Gewalt liegt aber zunächst noch im Bereich der Verheißung: Der betreffende Gast ist noch nicht körperlich präsent, und die Gewalt, welche ihm zugefügt werden könnte, bleibt vorerst irreal. Erst mit der körperlichen Präsenz des Gastes auf der Showbühne beginnt die unmittelbare Ausübung komischer Gewalt: Der Gast hat sich mit seinem leibhaftigen Erscheinen ohne Wenn und Aber in den Einflussbereich des Despoten begeben, und er ist diesem von jetzt an ausgeliefert. Alles, was in Bezug auf ihn gesagt und getan wird, betrifft ihn ganz direkt, und er muss in irgendeiner Form darauf reagieren. Jede gewaltsame Tendenz, die sich ankündigt, wird nun auch vollzogen. Der lange erwartete Augenblick der direkten Konfrontation ist gekommen, die Gladiatoren befinden sich in der Arena, bereit, mit dem Schlagabtausch zu beginnen.

1. Entdifferenzierung und Gegenseitigkeit der Gewalt In seinen anthropologischen Abhandlungen4 beschreibt Girard den Mechanismus des versöhnenden Opfers als einen Prozess der rituellen Hierarchisierung und Neuordnung, der immer die Folge einer ihm vorausgehenden Phase der Unordnung ist. Diese Phase der Unordnung entspricht einer vorübergehenden Auflösung bestehender hierarchischer Strukturen, die ein gesamtes soziales Gefüge in Mitleidenschaft ziehen kann: Es tritt dabei in der vormals streng hierarchisierten Ordnung dieses Gefüges eine hierarchische »Entdifferenzierung«, eine »Krise der Unterschiede« ein. Soziale Rangfolgen gehen verloren und weichen einer vergifteten Atmosphäre von Unsicherheit und Aggression. Auf dem Boden dieser sozialen Unordnung entwickelt sich das, was Girard die »reziproke Gewalt« nennt, eine Form der Gewalt, die nicht auf der Statik einer Oben-UntenStruktur, sondern auf undifferenzierter Gewalttätigkeit und einer endlosen Verkettung sich gegenseitig bedingender Vergeltungsmaßnahmen beruht. Diese chaotisierende und nivellierende Gewalt ist, im Gegensatz zur kontrollierten Gewalt einer streng hierarchisierten Situation, nicht einseitig, d.h. von einem übergeordneten Zufüger an einen subalternen Dulder gerichtet, sondern sie ist gegenseitig, sie vergilt Gleiches mit Gleichem. Die Vergeltung ist das einzige Gesetz, dessen Einfachheit und absolute Gültigkeit eine Eskalation drakonischer Maßnahmen bereits verbildlicht. Niemand kann in diesem Milieu der Unterschiedslosigkeit ein Gewalt-

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monopol beanspruchen, die Gewalt gehört allen und keinem. Sie setzt sich deshalb in einer Kettenreaktion unendlich fort, wenn sie nicht mit einem abschließenden rituellen Gewaltakt gestoppt wird. Dieser definitiv letzte Gewaltakt entspricht dem versöhnenden Opfer. Es ist versöhnend dadurch, dass es die Kettenreaktion reziproker Gewalt durchbricht, um erneut eine hierarchische Struktur einzuführen. Die im gesamten System schwelende, sich ständig fortpflanzende und vervielfältigende Gewalt konzentriert sich dabei auf ein einziges Opfer, den Sündenbock, der rituell ausgestoßen wird, um die Gemeinschaft versöhnt zurückzulassen. Die chaotische Gegenseitigkeit ist wieder einer einseitigen, einmütigen Gewalt gewichen, mit deren Hilfe erneut eine hierarchische Ordnung hergestellt werden kann. Dieser Mechanismus des versöhnenden Opfers hat einen stark ritualisierten Charakter. Er wird als heilend empfunden, was dazu führt, dass die Person des versöhnenden Opfers einen ambivalenten Status hat: Sie wird zugleich geschmäht und ausgestoßen, und aufgrund ihrer erahnten versöhnenden Wirkung verehrt, manchmal vergöttert. Girard bezieht sich bei diesen Ausführungen zum einen auf aktuelle ethnologische Untersuchungen, zum anderen auf die antike Geschichte und Tragödiendichtung. Die Prozesse, die er für verschiedene Gesellschaften beschreibt, sind übertragbar auf kleinere und kleinste Strukturen, wie sie sich in der Show darstellen, sie erweisen sich sogar in Bezug auf bestimmte Interaktionen zwischen einzelnen Personen als brauchbar. Es gilt nun, mit ihrer Hilfe die subtilen Gesten des Kommens und Gehens, des Öffnens und Schließens herauszuarbeiten, von denen das Arrangement einer Show – und hierin vor allem die Talk-Situation – betroffen sind. Der Ausgangspunkt ist dabei besagte Dreieckskonstellation aus Showmaster, Gast und Publikum. Die suggerierte Gleichheit zwischen dem Showmaster und seinem Gast/Opfer innerhalb dieser Dreiecksbeziehung scheint zunächst nicht zu der absolutistischen Organisation einer despotisch regierten Show zu passen. Unter dem Aspekt einer komischen Inszenierung des versöhnenden Opfers gewinnt sie aber eine besondere Bedeutung. In ihr spiegelt sich nämlich genau jene Phase der vorübergehenden Entdifferenzierung und der reziproken Gewalt, die dem rituellen Vollzug des komischen Opfers vorausgeht. Nicht nur im Bereich der Tragödie lässt sich die krisenhafte Verbindung einer hierarchischen Entdifferenzierung mit der Symmetrie des Prinzips von Schlag und Gegenschlag erkennen.5 Auch der komische Aspekt einer gewalttätigen Gegenseitigkeit kann anhand des amerikanischen Slapstick gezeigt werden. In der Stummfilmtradition stehend, verbildlichen sie das, was sich in der zeitgenössischen Comedy-Show auf verbaler Ebene abspielt: Zwei Männer stehen Seite an Seite, um hundertachtzig Grad zueinander verdreht, ihr Gesicht weist also in entgegenge-

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setzte Richtungen. Sie bearbeiten sich gegenseitig mit kräftigen Besenhieben. Dabei schlagen sie in einem sehr schnellen und exakten Rhythmus immer abwechselnd aufeinander ein und sind so absorbiert von ihrer Tätigkeit, dass keiner der dazukommenden Friedensstifter sie zu stoppen vermag. In dieser Szene kommt die Ausweglosigkeit und Absurdität eines reziproken Schlagabtausches zum Ausdruck. Das Ensemble wirkt in seiner Mechanik wie eine Maschine, in deren Aktion die beiden Einzelpersonen verschmelzen.6 Nichts unterscheidet sie mehr, es gibt keinen Gewinner und keinen Verlierer, und der Schlagabtausch setzt sich unendlich fort: Er wird nicht beendet, sondern lediglich unsichtbar gemacht durch den filmischen Schnitt. Bei Laurel und Hardy wird diese gewaltsame Gegenseitigkeit noch erweitert um den Aspekt einer stetigen Steigerung der Krafteinwirkung, und somit des Schmerzes. H schubst L, L tritt H auf den Fuß, H tritt L ans Schienbein, L steckt H den Finger ins Auge, H schüttet L die Suppe über den Kopf, usw. Bei dem Komikerpaar zeigt sich besonders im Kurzfilmformat die ansteckende Wirkung solcher Reziprozität, etwa wenn einer der beiden Gegner einer heranfliegenden Torte ausweicht, und ein eigentlich unbeteiligter Passant, meistens ein Ordnungshüter, diese ins Gesicht bekommt und dann, statt die Klärung der Situation zu erzwingen, seinerseits in die Vergeltungsspirale einsteigt. Das Ergebnis solcher Ansteckungen sind die Orgien der Gewalt, Massenkarambolagen, Straßenprügeleien und Tortenschlachten in einer Sahnetortenfabrik, die erst dann ermattet in sich zusammensinken dürfen, wenn alles vernichtet ist und damit dem Feuer der Eskalation das Futter entzogen wird. Bei diesen Slapstick-Arrangements verbindet sich ein aggressiver Antagonismus mit einer auffälligen symmetrischen Ähnlichkeit der Kontrahenten. Laurel und Hardy haben ein zugleich symbiotisches und feindseliges Verhältnis zueinander. Sie sind exakt gleich gekleidet, treten ausschließlich als Paar auf, und sind in einer engen Schicksalsgemeinschaft miteinander verbunden. Der nicht endende Streit, das ewige Hin und Her über jedes kleinste Problem entsteht gerade aus dieser durchgängigen Symmetrie, die sowohl ihr Äußeres als auch ihr Verhalten und ihren sozialen Status betrifft. Aus ihrer Gleichheit erwächst die Unklarheit darüber, wer das Sagen, den Vortritt, das Anrecht auf den guten Bissen, auf die schöne Frau usw. hat – und die Notwendigkeit einer gewaltsamen Lösung dieser Unklarheit. In diesen feindlichen Zwillingsbrüdern7 kommt miniaturisiert die ganze Krisen-Thematik von Entdifferenzierung und reziproker Gewalt zum Ausdruck. Sie äußert sich bei den Komödianten vor allem im nonverbalen Bereich der Kostümierung, der Requisiten und der Platzierung der Personen im Raum und lässt den Übergang von der Körperkomik des Stummfilms und des frühen Tonfilms zur verbalen Re-

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ziprozität des Show-Talk erkennen. Denn auch in der zeitgenössischen Show werden solche Zwillingsstrukturen inszeniert und eingesetzt. Dies betrifft vor allem die genannte Ebenbürtigkeit, das anfängliche Gleichgewicht, das zwischen dem Despoten und dem Show-Gast hergestellt wird. Gerne führt der Moderator seinen Star-Gast als einen »ganz großen Kollegen« ein und betont dessen Kult-Status und die enorme Bewunderung, die er ganz persönlich für ihn hege. Er stellt einen direkten Bezug zur eigenen Person her, durch kurze Berichte über gemeinsame Auftritte, eventuelles vormaliges Zusammentreffen oder durch Mutmaßungen über gemeinsame Eigenschaften und Vorlieben. Bei einem älteren Gast erzählt er, wie er diesen als Kind schon im Fernsehen oder auf der Bühne erlebt habe, bei einem jüngeren, wie er einmal genauso gewesen sei wie dieser. Irgendwelche Anknüpfungspunkte finden sich immer. Wenn der Gast nach dieser Vorrede dann endlich eintritt, wird er mit allem Pomp begrüßt und geehrt, der sonst nur dem Showmaster selbst zusteht: Er bekommt eine glanzvolle Auftrittsmusik und einen zumindest herzlichen, meistens begeisterten Willkommensapplaus vom Saalpublikum, vergleichbar dem Eröffnungsapplaus zu Beginn der Show. Die Ähnlichkeiten setzen sich fort im äußeren Arrangement der TalkSequenzen. Dieses nähert sich in unterschiedlichen Graden einer idealen Symmetrie. In der Regel sitzen dabei der Host und der Gast auf gleicher Höhe, meist auf ähnlichen Stühlen oder Sesseln, die sich zu beiden Seiten eines Tisches befinden. Solche Symmetrie ist besonders deutlich in den stark talk-lastigen Shows von Hermes Phettberg und Karl Dall. In allen Shows trinken Moderator und Gast dieselben Getränke, Bier bei Dall, Frucade oder Eierlikör bei Phettberg, Orangensaft bei Dame Edna, Kaffee bei Leno und Letterman, Wasser bei Schmidt... Nach einer Eröffnungssequenz animieren sich Gäste und Gastgeber gegenseitig zu Aktionen, mit denen sie ihre Verschworenheit unterstreichen. Solche Aktionen können völlig aus dem Gesprächszusammenhang gerissen sein und erfordern keine Überleitung. Kostüme oder Perücken bilden dabei den Ausgangspunkt für gemeinsame Verkleidungsspiele. Sie werden zum Beispiel dem Gastgeber als Geschenk überreicht, oder unter irgendeinem anderen Vorwand in die Show eingeführt, und müssen natürlich sofort auf Sitz und Wirkung überprüft werden.8 Diese Verkleidung mündet dann meistens in weitere Zwillings-Inszenierungen wie gemeinsamen Tanz und Gesang. Wichtig ist, dass sich die Beteiligten in allen diesen gemeinsamen Nummern an strikten äußeren Vorgaben orientieren müssen, beim Tanz an einer bestimmten Choreographie, einem festgelegten Volks- oder Gesellschaftstanz, die oft live einstudiert werden, beim gemeinsamen Singen am Rhythmus und der Melodie eines bekannten Liedes, bei den Imitations- und Persiflage-Nummern an den

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standardisierten Bewegungen einer bekannten Bühnenfigur. Sehr beliebt ist auch die gemeinsame Handhabung von Trimmgeräten und sonstigen Maschinerien, die durch ihre festgelegte Mechanik die Partner in ein monotones Bewegungsmuster zwängen.9 Die inszenierte äußerliche Einmütigkeit ist aber ambivalent, denn sie wird immer begleitet von einem spürbaren internen Konflikt. Jeder der beiden Performer will in der gemeinsamen Nummer das Sagen haben, jeder von beiden versucht, dem anderen seine eigenen Vorstellungen vom Ablauf der Nummer aufzudrängen und der Lehrer des anderen zu werden. Trotz des gespielten Einverständnisses passt man sich nur sehr widerwillig den externen Vorgaben an und versucht bei jeder Gelegenheit, davon abzuweichen und etwas eigenes einzubringen. Zwillings-Aktionen werden nicht nur beim Zusammentreffen des Moderators mit seinen Starsgästen inszeniert, sondern sie werden auch mit beliebigen Zuschauern oder mit zufällig ausgewählten Passanten auf der Straße unternommen: Wenn Dame Edna zum Ende der Show ihre weiblichen Opfer zu einer finalen Talk-Runde auf die Bühne bittet, dann werden diese erst einmal adäquat für das Finale eingekleidet, das heißt in diesem Fall mit buntem Trash, glitzernd, mit Pailletten und Federboas. Ednas Bühne, die kurz zuvor noch eifersüchtig gegen jeden Eindringling verteidigt wurde, wird plötzlich bevölkert von Figuren, die ebenso schillern wie sie selbst, die mit den gleichen Attributen eines »Megastar« ausgestattet sind, als hätte sich Dame Edna in wenigen Augenblicken vervielfältigt. Dieser kritischen Situation, in der dieselben Frauen, die noch vor kurzem aus dem Parkett zu ihr aufgeschaut haben, nun auf einmal als ihre Konkurrentinnen erscheinen, begegnet sie durch eine weitere Steigerung ihres Sprechtempos, ihrer Lautstärke und vor allem ihrer despotischen Allüren. Die letzten Reste höflicher Umgangsformen hält sie nur widerstrebend aufrecht; in der Interaktion mit den Frauen dominiert jetzt der rüde Befehlston. Sie spricht ununterbrochen und lässt keine der Gesprächspartnerinnen auch nur einmal zu Wort kommen. Es scheint, als versuche sie mit allen Mitteln, in diesem chaotischen Augenblick, in dem sich die hierarchische Struktur ihrer Show aufzulösen droht, die Oberhand zu behalten. David Letterman beginnt eine Folge seiner Late Show, indem er den Wunsch äußert, einen Freund zu finden. Er verlässt den Saal und eilt auf die Straße, wo schon seine Limousine auf ihn wartet. Er steigt ein und lässt sich durch die Stadt fahren. Plötzlich lässt er anhalten, springt hinaus auf die Straße und spricht einen wildfremden älteren Mann an, ob er nicht sein Freund werden wolle. Der Mann, völlig erschrocken darüber, dass er von einem bekannten TV-Entertainer auf offener Straße überfallen wird, zeigt sich zunächst sehr reserviert, aber schließlich gelingt es

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Letterman, ihn zum Mitkommen zu überreden, und er zerrt ihn in seinen Wagen. Es folgt eine Erlebnistour durch New York. Als erstes gehen die beiden in ein Modegeschäft und kleiden sich im Partner-Look, mit Jeans, Sweat-Shirt und Baseball-Mützen. Anschließend sieht man sie, wie sie gemeinsam in einem teuren Restaurant essen, ein Striptease-Lokal besuchen, an einer Bude auf der Straße Softeis kaufen, auf einem gemieteten Tandem fahren, wobei sie beinahe ein Verkehrschaos provozieren, und in einer Disco im Duo Karaoke singen. Die Teilnahme an einer Straßenprügelei bildet bezeichnenderweise den Abschluss dieses Tages. Nach der Einspielung begrüßt Dave seinen neuen Freund dann mit allem Pomp in der Show.10 In beiden Szenen erscheint die inszenierte Simultaneität immer aufgezwungen, beruht also nicht auf echter Einmütigkeit, sondern stößt im Gegenteil immer wieder auf die Verunsicherung oder den Unwillen des anderen. Die Gemeinsamkeit, im einen Fall ein Kaffeekränzchen von Gesellschaftsdamen, im anderen Fall eine Männerfreundschaft mit allem Zubehör, wird uneingeweihten Partnern aufgezwungen, und sie sehen sich genötigt, in irgendeiner Weise darauf zu reagieren. Die unvorhersehbare Reaktion stellt eine Unwägbarkeit im Ablauf dar und verleiht der Interaktion ihre Spannung. Im Zentrum aller dieser Arrangements steht die drohende Verselbständigung der symmetrisch angelegten Situation. Jederzeit kann sie, wie bei Letterman, in einem Handgemenge ausarten. Die Symmetrie ist meistens nur eine Vorstufe für jene Interaktionen des Talk, in denen sich der Showmaster und sein Gast als Gegner gegenübertreten. Gäste aus dem Zuschauerraum oder von der Straße sind allerdings ein Sonderfall. In der Regel verleiht die Prominenz der Gäste einer Talkshow ihnen von vorneherein einen Status, der eine Konkurrenzsituation nahe legt. So entwickeln sich die traditionell gepflegten Männerfeindschaften zwischen Showgrößen und ihren Lieblingsgästen. Der klassische Fall ist das Zusammenspiel von Jack Benny und Milton Berle im frühen amerikanischen Fernsehen. Dabei wird das Angebot der Gleichheit bis zum Äußersten ausgenutzt. Der Gast stiehlt dem Moderator buchstäblich die Show. Verschiedene Gäste versuchen dies in verschiedenen Graden. Dabei kommen, entweder improvisiert oder nach ungefährer Absprache, sehr gelungene Wortgefechte zustande, wie das zwischen Harald Schmidt und Günter Jauch vom 8. Oktober 1996, in dem das Prinzip von Schlag und Gegenschlag besonders deutlich wird. Schmidt führt Jauch als den Mann ein, »der in der Beliebtheitsskala von Platz zwei auf Platz vier gefallen ist«. Jauch erscheint, in Beantwortung dieses Angriffs, mit einem Mundschutz gegen Schmidts Mundgeruch und weist die Zuschauer auf Schmidts Herpesbläschen und Pickel hin, wobei er, den technischen Ap-

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parat der Schmidt-Show in Anspruch nehmend, eine Studiokamera zu sich heranwinkt. Schmidt zeigt einen Videoausschnitt, worin Jauch als sehr junger, sehr seriöser und braver Nachrichtensprecher zu sehen ist, in einer Haltung, die seinem späteren Image vollkommen widerspricht. Jauch lässt daraufhin ein Industrie-Video der Flachglas AG einspielen, in dem Schmidt als freundlicher Vertreter für eine neue High-Tech-Fensterscheibe wirbt. Schmidt: »Aber, da werd’ ich jetzt lächerlich gemacht – ich konnte die 500.000 Mark damals gut gebrauchen«, usw. Die Kollegen sind hier Gegner und versuchen, sich gegenseitig an Schlagfertigkeit zu übertreffen. Wie in einem Ballspiel geht es darum, jeden Angriff abzuwehren und mit verstärktem Angriffs-Effekt zurückzugeben. Die unausgesprochene Spielregel lautet, dass die Sequenz des Hin und Her so lange nicht unterbrochen werden darf, bis einer der Gegner einen Punkt für sich verbuchen kann. Die Punkte verteilt dabei das Publikum durch seine Lacher. Es geht also darum, jeden Wechsel mit einer eigenen Pointe zum Abschluss zu bringen und auf diese Weise selbst möglichst viele Lacher zu bekommen, dem Gegner aber möglichst jede seiner Pointen zu verderben, entweder indem man ihm mit der eigenen Pointe zuvorkommt, oder indem man auf die seine noch eine bessere draufsetzt. Die rücksichtslose Härte dieses Spiels hat sich im US-amerikanischen Showgeschäft längst etabliert. In Deutschland ist sie allerdings die Ausnahme. Nur wenige Gäste nutzen die Möglichkeit einer eigenen Show in der Show, die meisten setzen sich artig auf ihren Stuhl und beantworten, wie im sachlichen Talk, eine nach der anderen die Fragen, die ihnen der Moderator stellt.11 Die komische Spannung des verbalen Schlagabtausches kommt bei solch klarer Rollenverteilung nicht zustande, und die Gespräche wirken, im Vergleich zu den Unverschämtheiten des Stand-up, eher langweilig und unpassend. Darum ist bei Schmidt der Talk auch die schwierigste Phase, was schließlich dazu geführt hat, dass bei seinem Wechsel zur ARD die Late Night Show in eine solistische Late Night Comedy umgewandelt wurde. Gleichgültig ob solche Interaktionen sich mehr im friedlichen Bereich von Sticheleien bewegen, oder ob sie, wie manchmal bei Letterman, in Richtung eines Streits oder sogar einer öffentlichen Handgreiflichkeit tendieren, ihnen allen gemeinsam ist das zumindest angedeutete Zugeständnis einer hierarchischen Ebenbürtigkeit zwischen dem Showmaster und seinem Gast. Der Gast wird implizit aufgefordert, seine eigene Show gegen die Show seines Gastgebers durchzusetzen. In solchen Augenblicken erfährt das zentralistische Arrangement der Show eine vorübergehende Erweichung. Die strenge Hierarchie bietet plötzlich eine Angriffsfläche für den Eindringling, der die Alleinherrschaft des Despoten in Frage stellt. In jedem dieser inszenierten Gleichgewichte scheint

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sich die Show ein bisschen jener gefährlichen Gegenseitigkeit zu öffnen, mit der auch immer die Gewalt Einzug hält.

2. Der Ausschluss im versöhnenden Opfer Diese sporadischen Öffnungen stellen kleine Krisen für den Organismus einer Show dar. Die Gäste oder die aus ihrem Schattendasein ins Bühnenlicht gezerrten Zuschauer dringen als Erreger in diesen Organismus ein und erzeugen in ihm hierarchische und organisatorische Turbulenzen. Trotzdem zeigt sich der despotische Showmaster immer in der Lage, die vormalige Ordnung zumindest zum Teil aufrechtzuerhalten und am Ende ganz wiederherzustellen. Es gibt kaum einen Augenblick, in dem ihm seine Show vollständig entgleitet, auch wenn solche Abrutscher in eine chaotische Spontaneität ständig angetäuscht werden. Ein wesentliches Spannungsmoment der Show beruht auf diesem undeutlichen Bewusstsein, dass das gesamte Gebilde jederzeit in die Unkontrollierbarkeit abgleiten und kippen kann – aber niemals wirklich kippt: Auf jede Bewegung der Öffnung und der Destruktion folgt in der Regel sofort eine entgegengesetzte Bewegung des Ausschlusses und der Wiederherstellung. Diese wiederherstellenden Gesten sind einfache Gesten der Opferung. Sie werden vom Publikum nicht weniger lustvoll aufgenommen als die Momente der Krise. Man könnte sogar sagen, dass sie oft das eigentliche Ziel der kurzen Öffnungen darstellen. Überspitzt formuliert, wird der Eindringling nur zugelassen, um gleich anschließend wieder hinausbefördert zu werden. In diesem Rauswurf wird zwischen dem Bühnendespoten und seinem Publikum eine Atmosphäre verschworener Einmütigkeit erzeugt; durch ihn festigt sich noch seine Machtposition. Das Publikum nimmt regen Anteil an diesen Opfer-Vorgängen, es möchte darin seinen Showmaster triumphieren sehen. Die Ebenbürtigkeit ist aber in jedem Fall die Voraussetzung für den Vollzug des versöhnenden Opfers. Je unverschämter der Despot dabei seine eigene Konkurrenzlosigkeit inszeniert, desto mehr ist er zwar auf die prinzipielle Konkurrenzfähigkeit seines Gegenübers angewiesen, desto kürzer wird aber die Phase einer wirklich gleichberechtigten Gegenüberstellung ausfallen. Dieser Moment der Gleichberechtigung kann sogar so weit zusammenschrumpfen, dass er ausschließlich in der antizipierenden Vorstellung existiert, tatsächlich aber nie stattfindet – wie zum Beispiel in einer Szene aus Barry Humphries’ TV-Show The Dame Edna Experience, in der die Filmschauspielerin Jane Fonda als Stargast angekündigt ist, die Bühne aber kaum betritt: Zunächst wartet sie, von einer versteckten Kamera gefilmt, im Foyer beinahe zehn Minuten auf den Aufzug, der sie ins Studio bringen soll. Sie

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reagiert zunächst ungeduldig, dann wütend, schließlich verzweifelt. Als der Aufzug endlich kommt, steigt sie ein, bleibt aber sofort zwischen zwei Stockwerken stecken und verbringt weitere zehn Minuten damit, auf den Alarmknopf zu drücken. Schließlich trifft sie außer Atem im Studio ein, geht in Richtung ihres Sessels und beginnt sofort, von ihrem Missgeschick zu erzählen, als sich unter ihr eine Falltür öffnet und sie dorthin zurückschickt, wo sie hergekommen ist.12 Natürlich ist bei dieser sehr plastischen Opferung der große Kult um Jane Fonda bekannt. Beide, Jane Fonda und Dame Edna, geben sich als »Megastars«, die Ebenbürtigkeit braucht also nicht erst umständlich inszeniert zu werden. Gerade dadurch kann der gesamte Prozess von Öffnung und Ausschluss auf dieses Rudiment verkürzt werden. Ähnlich knapp sind die Ausschluss-Gesten bei Schmidteinander: Hier wird regelmäßig mit einzelnen Zuschauern ein Wechselspiel von freundlichem Entgegenkommen und rabiatem Zurückstoßen betrieben: Einmal bittet Harald Schmidt ein Ehepaar, ihn bei einer Führung durch die Studio-Kulissen zu begleiten. Er macht mit den Zuschauern, gefolgt von einer Steadycam, einen kleinen Rundgang, stößt verschiedene Türen auf, erklärt dieses und jenes, und stößt die ihm bereitwillig Folgenden plötzlich in einer Abstellkammer, die er von außen abschließt. Dort müssen sie den Rest der Show verbringen, beobachtet von einer Überwachungskamera.13 Die beiden werden im weiteren Verlauf der Show immer wider eingeblendet und kommentiert. In derselben Show wird einer Gruppe von fünf Zuschauern der Zugang zu ihren Plätzen von vorneherein verwehrt. Sie müssen sich während der ersten Hälfte der Show im Foyer aufhalten, werden dann schließlich doch noch hereingebeten, aber nach Aussage der Showmaster gibt es nur noch einen Platz. Wer diesen letzten Platz bekommen soll, wird in dem Spiel »Die Reise nach Jerusalem« entschieden, das auf der Showbühne ausgetragen wird: Die fünf Personen müssen zur Musik, die Schmidt und Feuerstein an Klavier und Schlagzeug machen, im Kreis um vier Klappstühle herumlaufen und sich dann, sobald die Musik aufhört, einen der Plätze schnappen. Einer der fünf bleibt natürlich stehen, er muss das Studio verlassen und dabei einen Stuhl mitnehmen. Die nächste Runde wird mit vier Personen um drei Stühle ausgetragen, usw. Zum Schluss bleibt ein Gast übrig, der dann auch den letzten freien Platz im Studio bekommt.14 Die angebliche Gerechtigkeit und Objektivität dieses Spiels wird dadurch untergraben, dass die Moderatoren von Anfang an durch ihre übertrieben gekünstelte Ratlosigkeit keinen Zweifel daran lassen, dass es sich hier um eine vorbereitete Quälerei handelt. Die Pattsituation des angeblichen Platzmangels war im Voraus geplant. Dieses rituelle Opfer ist also ganz in ihrem Sinn, und sie zelebrieren es ausgiebig. Der Rhythmus des OpferSpiels wird ausschließlich durch ihre Live-Musik vorgegeben. Jedes Mal

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wenn sie aufhören zu singen und zu spielen, bricht das panische Ringen um die Plätze aus, jedes Mal fliegt einer der Konkurrenten raus. Ihr Gesang kontrastiert dabei mit der verbissenen Ernsthaftigkeit der Spieler und scheint diese darin zu verhöhnen. Die despotische Entscheidungsgewalt kommt gerade darin zum Ausdruck, dass sie sich hier ostentativ eines Machtwortes enthält, aber immer mit der Implikation, dass sie genauso gut ganz anders handeln könnte. Die Moderatoren spielen sich als unparteiische Vollstrecker des Schicksals auf, tragen aber natürlich die alleinige Verantwortung für die Opferung, die sie genießen. (Am Gießener Institut für Angewandte Theaterwissenschaft wurde einmal eine ganze Theateraufführung diesem Spiel gewidmet. Später wurde es an der Berliner Volksbühne von dem Migrantenkollektiv Kanak Attak wiederholt, im einen wie im anderen Fall mit großer theatralischer Wirkung.15) Die Gesten des Ausschlusses sind nicht immer so deutlich visualisiert wie in den vorigen Beispielen. Auch muss der Ausschluss nicht endgültig sein, er kann sich, vor allem im dialogischen Zweikampf zwischen Showmaster und Gast, sehr nuanciert andeuten, ohne in seiner letzten Konsequenz, dem Abgang des Gastes, vollzogen zu werden. Schon im Wechsel von Schlag und Gegenschlag, Pointe und Gegenpointe zeichnen sich ständig kleine Ausschlüsse ab, die einen solchen andeutenden Charakter haben, dann nämlich, wenn jeweils einer der beiden Gegner versucht, das Publikum auf seine Seite zu ziehen, um sich so mit ihm gegen den jeweils anderen zu solidarisieren. Zwei verbünden sich in einer Auseinandersetzung gegen einen Dritten: mehr bedarf es nicht für das Anklingen des versöhnenden Opfers. Bezüglich solcher verschwörerischen Anbiederungen mit dem Publikum sind die Live-Telefonate aufschlussreich16: Das Arrangement bietet dem Showmaster dabei von vorneherein außerordentlich günstige Möglichkeiten durch die Tatsache, dass sie selbst über zwei Kanäle zur gleichen Zeit kommunizieren können – zum einen über die Tonspur (das Telefon), zum anderen über das Fernsehbild – während ihrem Gesprächspartner nur einer dieser beiden Kanäle, nämlich der auditive Kanal der telefonischen Verbindung, zur Verfügung steht. Der Showmaster kann also während des Telefongesprächs mit seinem Opfer zugleich auf visueller Ebene mimisch eine Interaktion mit den Zuschauern aufbauen, eine Möglichkeit, die er auch ausgiebig nutzt. Wenn er zum Beispiel Höflichkeiten mit seinem Anrufer austauscht, kann er zugleich durch Gesichterschneiden, Augenaufschläge und ähnliches seinen Zuschauern das Gegenteil von dem vermitteln, was er sagt. Seinem Gegner vermittelt sich dieser Double Bind ausschließlich durch die Lacher aus dem Saal, die er zwar hört, aber nicht zu deuten vermag, und auf die er infolgedessen auch nicht adäquat reagieren kann. Durch diese technisch bedingte Behinderung hat er kaum eine Chance, sich gegen die

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ausgrenzenden Solidarisierungen des Despoten mit seinem Publikum zur Wehr zu setzen. Solche kleinen, nicht endgültigen Opfergesten der Show-Telefonate enden manchmal damit, dass der Moderator den Telefonhörer unvermittelt auflegt. Er beraubt seinen Gesprächspartner damit auch noch dieser letzten Möglichkeit der Mitteilung und entlässt ihn in den Orkus der Stimmlosigkeit. Dies entspricht wiederum einem echten Rausschmiss, einem gewaltsamen Ausschluss, der den Despoten in seiner Allmacht inszeniert. Nicht nur beim Telefonieren, auch in der klassischen Talk-Situation ist der Showmaster bezüglich seiner Kommunikationsmöglichkeiten mit dem Saalpublikum seinem Gast gegenüber im Vorteil. Sein Publikum kennt ihn, es ist auf ihn fixiert und kann jede seiner mimischen Regungen deuten. Es ergreift von vorneherein seine Partei, denn es hat selbst Anteil an seiner Show. Showmaster und Publikum gehören einander. Sie haben, wenn man das Publikum als eine homogene Partei betrachten möchte, einen aufeinander bezogenen Kommunikationsvorsprung gegenüber dem Gast. So ist es für den Despoten auch nicht schwer, sich bei jeder Gelegenheit durch kleine Zeichen mit seinen Zuschauern zu solidarisieren, und er wird jede dieser Gelegenheiten nutzen. Schon beim Eintreten des Gastes beginnt er, durch verbale Andeutungen und winzige Zuckungen seines Gesichtes, kleine Schläge auszuteilen, die seiner vorgeblichen Ehrerbietung Hohn sprechen. Er baut auf diese Weise mit seinem Publikum einen quasi privaten Dialog auf, an dem der Gast, wie auch im Fall des Telefongesprächs, keinen Anteil hat. Diese Techniken des Double Bind sind bei Karl Dall gut zu sehen17: Die Verdoppelung der Haltung spiegelt sich in seinem asymmetrischen Gesicht, dessen beide Hälften zwei entgegengesetzte Gemütslagen spiegeln. Während sein linkes Auge sein Gegenüber mit angespannter Wachsamkeit beobachtet, hängt das rechte Augenlid schlaff und gelangweilt nach unten. Er kann zugleich in zwei Richtungen blicken und zwei widersprüchliche Emotionen signalisieren. Dall braucht fast nichts mehr zu sagen, um die abgrundtiefe Verachtung auszudrücken, die er für seinen Gast zu hegen scheint. Je größer sein vorgeblicher Widerwille gegenüber einem Gast ist, desto weniger spricht und widerspricht er – desto mehr verleiht er nur noch seinem Befremden und seiner tiefen Verständnislosigkeit gegenüber dessen Äußerungen Ausdruck. Er lässt seinen Gesprächspartner völlig allein und beantwortet jede seiner engagierten Erzählungen und Pointen nur noch mit gelangweilten Lauten (»Hm, hm«). Im Extremfall, vor allem bei solchen Gästen, die gut vorbereitet und mit geölter Schlagfertigkeit bei ihm erscheinen, erwidert er auf deren kommunikativen Eifer gar nichts mehr, sondern geht, ohne die Miene zu verziehen, zum nächsten Thema über. Solches Ignorieren von Repliken ist sehr quälend für sein Gegenüber, das

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in diesen Augenblicken gar nicht mehr weiß, wie ihm geschieht, und wie zu reagieren ist. Das Publikum dagegen ist in die Dall’sche Art eingeweiht und genießt jeden dieser Momente mit einem Gefühl der Verschworenheit. Die Zuschauer sehen und erleben etwas, für das der Gast blind ist, und von dem er, zum einen durch seine mangelnde Sensibilisierung, zum anderen durch sein eingeschränktes Gesichtsfeld (vgl. die streng frontale Anordnung), ausgeschlossen bleibt. Auf solchen sehr simplen Effekten des Ausschlusses aus einer bestehenden Kommunikation oder aus einem gemeinschaftlichen Erleben beruhen zu einem großen Teil die einfachen Opfergesten. Die ultimative Verstoßung im Show-Talk ist natürlich der Abgang des Gastes. Hier tritt, nach der vorübergehenden Dissoziation der Showstruktur, die mit seinem Auftritt eingesetzt hatte, eine erneute Konzentration ein, deren einziger Bezugspunkt der Showmaster ist. Dieser bleibt nun wieder allein mit seinem Publikum zurück, er ruft noch einmal affirmativ den Namen des Scheidenden, um dann einen winzigen Augenblick der Stille auszukosten. Jetzt ist der Moment für einen intimen Austausch vielsagender Blicke zwischen den Verbündeten gekommen. In Anspielungen oder auch in direkten Kommentaren wird das Gespräch nachbereitet. Es besteht nun keine direkte Konfrontation mehr, die Ausgangssituation der despotischen Alleinherrschaft ist wiederhergestellt und die Spannung ist vorerst gewichen. In befreiter und gelöster Atmosphäre fädelt der Moderator allmählich den nachfolgenden Programmpunkt ein. Es scheint, dass diese Wiederherstellung des Status Quo bereits während des Abgangs des Gastes erfolgt, im Geräusch des allgemeinen Verabschiedungs-Applauses. In diesem Geräusch der Einmütigkeit, das – vergleichbar dem Lacher – nur im Kollektiv entstehen kann, äußert sich die abschließende Klärung aller Anspielungen, Vieldeutigkeiten und Seitenhiebe, die das vorausgegangene Gespräch durchzogen haben. Alle im Saal anwesenden richten sich in diesem Geräusch erneut an einem einzigen Willen aus, dem Willen des Despoten, und jeglicher Zweifel im Handeln ist weggefegt. Der Gast geht, das Publikum applaudiert, der Showmaster macht weiter... In diesem Einklang wird das Opfer ein versöhnendes. Der Abgang des Gastes ist ein wichtiger und wirkungsvoller Moment im Ablauf einer Show, und er ist keineswegs so selbstverständlich und folgerichtig, wie dies auf den ersten Blick scheinen kann: Nicht in jeder Show gehen die Gäste, nachdem ihre Nummer beendet ist, auch wieder vor laufenden Kameras hinaus, das ist sogar eher die Ausnahme. Zum Beispiel ist es undenkbar, in einer sachlichen Talkshow über ein politisches oder sonstiges Thema einen Gesprächsteilnehmer zum Verlassen des Studios aufzufordern, nachdem er seinen Redebeitrag beendet hat. Ein solcher Ausschluss vom weiteren Verlauf des Gesprächs würde hier

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EINFACHE GESTEN DER OPFERUNG

unseriös wirken. Dass auch in den harmloseren, tendenziell freundlichen und friedfertigen Familienshows wie die Gäste nach Abschluss ihres Haupt-Parts weit gehend untätig im Scheinwerferlicht verbleiben, dass sogar der eigentlich am Spiel nicht teilnehmende Gast-Sänger gebeten wird, in ihrer Runde Platz zu nehmen und dort freundlich aufgenommen wird, dies alles sind – im Umkehrschluss – brauchbare Indizien für die außerordentliche Wirkung solcher Abgänge in der despotisch dominierten Show. Sie entsprechen keiner organisatorischen Notwendigkeit, sondern werden ganz gezielt eingesetzt und inszeniert.18

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VI. KOMPLEXE GESTEN

DER

OPFERUNG

»The Central Executive Officer raised both arms as if embracing the mob. Silence and lack of motion extended for three eternal seconds, and then the mob roared with the voice of a single great beast, and thousands surged forward with sticks and rocks and knives and broken bottles.« (Dan Simmons – The Fall of Hyperion)

Die einfachen Opfergesten werden in allen theatralischen und audiovisuellen Bereichen als Inszenierungsstrategien eingesetzt – von der zeitgenössischen Performance bis zur Reportagesendung. In verschiedenen Shows erfahren sie die unterschiedlichsten Ausprägungen, gemäß deren spezifischer Charakteristik. Sie bestimmen mit ihren Variationen die ureigenste Sprache jeder dieser Shows. In der Late Night sind sie sehr drastisch visualisiert und bekommen oft einen metaphorischen Charakter, bei Barry Humphries (Dame Edna) und Karl Dall deuten sie sich in der Sprache an und werden im Dialog bis zum Äußersten betrieben, bei Hermes Phettberg tauchen sie nur sehr vereinzelt auf, aber sehr präzise eingebunden in einen quasi rituellen Ablauf, und deshalb um so deutlicher. Diese Anklänge an den Mechanismus des versöhnenden Opfers sind mit dem blutigen Ernst eines religiösen oder mythischen Opferrituals nur bedingt vergleichbar. Sie entgehen spielend der Unabänderlichkeit, die solche Rituale unheimlich und befremdend erscheinen lässt. Es gibt in ihnen keine Bewegung, die nicht wieder rückgängig gemacht, keine Aussage, die nicht sofort widerrufen werden könnte. Ihre Abläufe sind, auch wenn sie sich noch so zwingend und unausweichlich geben, doch immer gemacht und inszeniert, sie werden immer gespielt. Durch seine Vielfältigkeit wird im modernen Fest der Show der einfache Mechanismus des versöhnenden Opfers zu einem komplexen Phänomen: Seine vielen Ausprägungen und die unterschiedlichen Grade seines Vollzuges fügen sich nicht nur von Show zu Show, sondern auch von Folge zu Folge immer wieder neu zusammen. Trotzdem sollen sie als einfache Gesten von den 225

DESPOTEN AUF DER BÜHNE

komplexen Gesten der Opferung unterschieden werden. Sie sind in all ihrer Wechselhaftigkeit immer sehr eng mit der Person des despotischen Showmasters verbunden, und die Tatsache, dass er es ist, der sie ausführt, und dass sie sich immer auf seine Rolle als Alleinherrscher beziehen und diese bekräftigen, verleiht ihnen trotzdem einen eindeutigen und leicht verständlichen Charakter. In den einfachen Opfergesten ist der Aspekt des Ausschlusses ohne weiteres zu erkennen, sie weisen also alle in dieselbe Richtung – nach draußen. Anders verhält es sich bei den nun zu besprechenden Opfergesten, bei denen in viel stärkerem Maß als bisher das Publikum involviert ist. Das Publikum beschränkt sich in den komplexen Gesten der Opferung nicht mehr nur auf Klatschen und Lachen, seine Äußerungen werden vielfältiger und differenzierter – es johlt, schreit und heult, es äußert Wünsche und ergreift die Initiative. Es kann sich aufspalten in einzelne Gruppen, die jeweils unterschiedliche Wünsche äußern, und sogar in einzelne Personen, die durch Zwischenrufe versuchen, Einfluss auf das Showgeschehen zu nehmen. »Das Publikum« ist kein homogener Block mehr und versteht sich selbst nicht mehr als solcher. Die Reaktionen der Zuschauer werden differenziert, nuanciert, vieldeutig. Die Tendenz der Erweichung und des Chaos, die der Gast mit seinem Erscheinen eingebracht hat, dehnt sich dabei in den Zuschauerraum hinein aus. Statt zurückgedrängt zu werden, wird sie von den Zuschauern aufgenommen und vervielfacht. Das Opfer wird nicht losgelassen, sondern im Fokus der allgemeinen Aufmerksamkeit zurückgehalten, es wird nicht ausgesondert, sondern in einer grotesken Übertreibung assimiliert, beinahe zerrissen. An die Stelle des Ausschlusses tritt eine Aneignung durch die Zuschauer. In ihrer Neigung zu einer noch umfassenderen chaotischen Verselbständigung, in der neben dem einfachen Einschluss-Ausschluss noch eine Vielzahl weiterer Vektoren eingeführt wird, liegt das Wesen dieser komplexen Gesten der Opferung.1

1. Die Überaffirmation Die Show ist, wie wir gesehen haben, ein außerordentlich heterogenes Gebilde. Diese Heterogenität gehört zu ihrem Wesen. Dennoch tauchen innerhalb dieses Konglomerats aus verschiedensten Nummern immer wieder solche Bestandteile auf, die sich weniger als andere in ihren Ablauf integrieren. Sie sind der stilistischen und thematischen Tendenz der Show so gegenläufig, dass sie ganz unpassend wirken und sich jeder vermittelnden Moderation entziehen. Solche abtrünnigen Nummern, deren Heterogenität das Fassungsvermögen einer Show übersteigen, werden

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KOMPLEXE GESTEN DER OPFERUNG

bei deren Planung ganz bewusst platziert und in ihrem Verlauf wirkungsvoll eingesetzt. Oft handelt es sich um musikalische Darbietungen, die offensichtlich nicht der Musikrichtung entsprechen, mit der die jeweilige Show ihr Image unterlegt. Es handelt sich um Richtungen wie Country und Polka in den USA oder Volksmusik in Deutschland, Stile, die das Stammpublikum einer Show zwar kennt aber ablehnt, und die ihre ganz eigene Klientel haben. Auch entsprechende nicht-musikalische Nummern zeichnen sich dadurch aus, dass sie der stilistischen Ausrichtung einer Show eigentlich fremd sind, und dass das Publikum nur sehr vage, und oft negativ geprägte Vorstellungen mit ihnen verbindet. Solche Nummern strahlen eine gewisse Verschrobenheit aus, zum Beispiel weil sie eine ganz besondere Kennerschaft voraussetzen, die nur von einem sehr begrenzten Personenkreis zu erwarten ist, einem Kreis von Spezialisten, die sicher nicht zu den gewohnheitsmäßigen Zuschauern der betreffenden Show gehören. Einmal lädt David Letterman eine Gruppe von Ornithologen ein, die sich in ihrer Freizeit der Imitation von Vogelrufen widmen.2 Sie haben in ihrer Heimatstadt einen »Bird Calling Contest« ins Leben gerufen, bei dem in einem Turnier die besten Vogelstimmen-Imitatoren der Region gekürt werden. Diese sehr lokale Veranstaltung ist von geringem öffentlichem Interesse, steht aber für eine Obsession, die gerade durch die Ernsthaftigkeit ihrer Präsentation eine große Wirkung entfaltet. Die Show-Gäste, die solche Sondernummern mitbringen, entstammen, sowohl in geographischer wie in soziokultureller Hinsicht, entlegenen Regionen und vermitteln hierdurch eine ganz besondere Exotik. Sie sind Freaks, die eine verschwindende Minderheit repräsentieren, und für die der Schritt ins Bühnenlicht ungewohnt und oft beängstigend ist. Der Aspekt der Fremdheit und der Unbedarftheit des Gastes in Bezug auf die Show erscheint bei ihnen noch verstärkt. Damit sind sie schon in den zahlreichen Ankündigungen vor ihrem eigentlichen Auftritt zu exzellenten Opfern gestempelt. Bei den Anmoderationen präsentiert der Showmaster solche Auftritte nicht viel anders als gewöhnlich. Der Sonderstatus dieser Nummern scheint keiner weiteren Erklärung zu bedürfen, schon bei ihrer bloßen Nennung ist ohne weiteres ersichtlich, dass es sich hier um Ereignisse einer anderen Art handeln wird. Eine Mitwisserschaft zwischen dem Showmaster und den Zuschauern muss nicht erst aufgebaut werden, sie ist in diesen Fällen von Anfang an vorhanden. Die Zuschauer wissen, dass der Showmaster hinter dem routiniert schwungvollen Ton seiner Anmoderation eine andere Haltung, seine »wahre« Haltung zu diesem Auftritt verbirgt, die besagt: »Das Folgende passt nicht in meine Show, es kann nicht funktionieren, die Ausführenden werden sich in jedem Fall lächerlich machen.« Nur in minimalen Nuancen deutet sich diese Doppelzüngigkeit des Moderators an. Es genügt bereits eine über-

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deutliche, oder überhaupt anders als sonst geartete Sprechweise, ein leicht übertriebener Enthusiasmus oder ein zusätzliches, dramaturgisch nicht ganz passendes »Ladies-and-Gentlemen«. Auch eine rechtfertigende Begründung des Auftritts kann dazu beitragen. Wenn Heino in der Harald Schmidt Show an seinem eigenen Geburtstag auftritt, dann wird ihm damit sozusagen ein Gefallen getan. Er wird hier nicht als der umworbene Star präsentiert, um den man sich bemühen muss – im Gegenteil: er darf singen, ausnahmsweise. Sein Auftritt ist nicht ein Ständchen für andere, sondern ein Geburtstagsgeschenk an ihn selbst. Beim Moderator zeigt sich in solchen Situationen die undeutlichere Figur einer Reaktionsbildung, d.h. einer anstandshalber unterdrückten Ablehnung und Abstempelung des Gastes, die durch eine übersteigerte oder betont korrekte verbale Zustimmung kompensiert wird. Diese Uneigentlichkeit des Ausdrucks ist bei der Moderation immer nur sehr sachte angedeutet, sie wirkt eher unsicher, fragend, wie ein Vorschlag. Nie hat sie die drastische Deutlichkeit einer einfachen Opfergeste. Erst in den Reaktionen der Zuschauer auf den Gast kommt sie zu ihrer vollen Ausprägung und Wirkung, erst hier wird sie in der Überaffirmation zum Ereignis. Die Zuschauer reagieren nämlich auf den Gast nicht etwa gelangweilt, sondern im Gegenteil besonders herzlich und ermutigend. Von einer Aversion gegenüber der unerhörten Nummer ist nichts zu spüren, obwohl eigentlich alles dafür sprechen sollte. Der Gast gehört nicht zu denen, die die Zuschauer üblicherweise zu sehen wünschen, und seine Nummer erzeugt normalerweise sogar Unlust. Trotzdem wird ausgerechnet diesem Gast ein rauschender Empfang bereitet, mit einem Überschwang, der den Gast möglicherweise mehr verunsichert als eine verhaltene Ablehnung es könnte. Auch im Verlauf der Nummer treten solche überschwänglichen Reaktionen auf. Der Rhythmus eines Volksliedes wird mitgeklatscht, nach Beendigung des Liedes wird gejohlt und gepfiffen, der Applaus ist frenetisch. Beim Auftritt der Volkssänger Marianne und Michael in der Harald Schmidt Show fangen einige Zuschauer an mitzujodeln. Diese Idee greift schnell auf den ganzen Saal über, und es entsteht ein höllisches, alles übertönendes Durcheinander von schlingernden und sich überschlagenden Stimmen. Bei der Verabschiedung ist die Stimmung auf ihrem Höhepunkt, die Leute wollen das Sängerpaar nun gar nicht mehr gehen lassen. Das allgemeine Jodeln vermengt sich mit einem Chor von »Zugabe«Rufen zu einem Tumult, den Schmidt kaum stoppen kann. Solche Überreaktionen finden sich in unterschiedlichen Graden bei allen Anti-Nummern. Eine unterschwellige Ablehnung hat sich hier in ihr Gegenteil, die offene Affirmation verwandelt, die sich allmählich bis zu einer begeisterten Raserei steigert. Das chaotische Geschrei hat fast den

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KOMPLEXE GESTEN DER OPFERUNG

Charakter einer Handgreiflichkeit. Beinahe zerren die Leute an den Gästen und halten sie fest. Die Gäste wissen gar nicht, wie ihnen geschieht, sind halb erfreut, halb verängstigt. Sie sind sich ihrer eigentlich marginalen Bedeutung bewusst, und deshalb erschreckt sie diese völlig überzogene Sympathiebekundung, dieser plötzliche Sog aus der Richtung des Zuschauerraumes. Es erschreckt sie der offensichtliche Kontrollverlust des Moderators und das hierin sich andeutende Abgleiten der Show ins Chaos. Bald wird klar, dass die anfängliche Freundlichkeit graduell umschlägt in etwas seltsam Bedrohliches und Feindliches. Diese in ihren Mitteln völlig verdrehte Feindseligkeit der Überaffirmation wirkt aggressiver als die einfachen Gesten des Ausschlusses. In letzteren klingt eine abschließende Klärung, eine versöhnliche Wiederherstellung der Ordnung an, die Überaffirmation dagegen untergräbt noch zusätzlich die letzten Reste einer solchen Ordnung. Sie ist das als Bejahung getarnte Aufbegehren. Die Zuschauer sind für einen Moment außer Rand und Band, und man ahnt, dass nun gleich alle von ihren Plätzen aufspringen und auf die Bühne stürzen werden, um vernichtend über den Gast herzufallen. Es ist bemerkenswert, dass die Initiative bei diesem Phänomen fast ausschließlich bei den Zuschauern liegt. Die Zuschauer entwickeln eine kindische Freude an ihrem ambivalenten Ungehorsam, vergleichbar einer bösen Schulklasse. Das eigentlich Erlaubte und Erwünschte, die Zustimmung, der Applaus und das maßvolle Mitmachen, verselbständigen sich hier und ufern aus in eine obszöne Aggression. Mit Bedacht zieht sich der Showmaster dabei weit gehend aus dem Opfergeschehen zurück: er will und muss die eigentliche Aktion dem Publikum überlassen. Seine grundsätzliche Korrektheit während der Anmoderation hat für das Phänomen der Überaffirmation eine fundamentale Bedeutung. Jede überdeutlich ausgesprochene Abfälligkeit, jede direkte Invektive würde den Zuschauern einen Teil ihrer Eigeninitiative wegnehmen, und entspräche damit einer Verharmlosung der gesamten Situation. So enthält sich der Despot mit einem kaum sichtbaren Double Bind jedes weiteren Kommentars über seine Gäste und überlässt diese damit dem Saal. So lässt er die Stimmung hochkochen. Obwohl die Lynchung selbst laut ist, muss der Aufruf zur Lynchung leise sein.3

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2. Das Opfer, der Ekel und der »irrsinnige Moment«

»Es gibt keine Form des Widerwillens, bei der ich nicht eine Verwandtschaft zur Begierde erkenne.« (Georges Bataille)4

Dame Edna hat gerade ihr Stand-up beendet, und geht nun dazu über, sich einzelnen Zuschauerinnen zu widmen. Sie wird zunächst eine Frau bestimmen, die dazu gezwungen werden soll, auf der Bühne, vor aller Augen, splitternackt ein Rad zu schlagen (»the nude-cartwheel«). Ihre Wahl fällt auf eine schüchterne Blondine in der dritten Reihe, Iris: E: »Hello, Iris. Have you done much nude-cartwheel-work? (Gelächter) Oh, don’t be nervous, Iris, we found audiences prefering amateur-nudecartwheelers, darling. They have a way of falling over that is, well, strangely moving, it is – and vulnerable. And at force the paups (die »Habenichtse« im 3. Rang) are very good viewers, Iris. (Gelächter) Oh, Iris, don’t be nervous, don’t scratch your eczema, Iris, because – I’ve got very good news for you, Iris: You won’t know that you’re doing these cartwheels, and you know why, Opossum? ... Because you’ll be in deep shock. (Gelächter) You’ll be traumatised, because whenever we women, Iris, are very, very frightened, more frightened than we’ve ever been in our lives – as you will be – do you know what we do? ... We secrete an enzyme. We secrete an enzyme! Did you know that we women have a gland about half the size of our little fingernail, tucked in an intimate nook? Did you know that, Iris? And whenever we women have to do something a little bit unacceptable, or even a little bit jerky, d’you know what that funny little gland of ours does? Do you? ... It squirts! (Gelächter) It squirts, and we black out, Iris, we do. I think it’s called the honeymoon gland in Latin. So when you come up and do the nude cartwheel you’ll be in a tranceoid, gentle state...5

Es geht hier nicht um die im Showgeschäft üblichen Schlüpfrigkeiten, in denen die menschliche Sexualität verhöhnt und verharmlost wird. In dieser Passage bekommen die Nacktheit und die verbale Entblößung der intimsten menschlichen Körperlichkeit eine unheimliche Dimension. Hier wird eine ganz merkwürdige Verbindung hergestellt zwischen Todesangst und Erotik, zwischen Ekel und Selbstvergessenheit, einem extremen Widerwillen und einer wundersamen Ekstase. Dass diese Vorstellung einer schrecklich-wonnevollen Ohnmacht in Verbindung gebracht

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wird mit einer Bühnensituation – genauer mit der ganz unverhohlenen Geste einer Opferung – muss eine Bedeutung für die Opferstrategien haben. In Georges Batailles Vorwort zu ›Madame Edwarda‹6 taucht eine solche Verbindung von Schrecken und Ekstase auf, und hier, genau wie bei Barry Humphries, mit dem deutlichen Unterton einer Verlockung. Bataille beschreibt dabei eine rätselhafte, nur zu erahnende Erregung, in die der Mensch im Angesicht des Schrecklichen (»l’horreur«), des Abstoßenden (»le répugnant«) und des Ekelhaften (»la nausée«) versetzt wird. Er zeigt die widersprüchliche Bewegung, in der die Konfrontation mit allem, was man mit dem Schrecken des Todes verbindet, was man im Extremfall sogar für noch für schlimmer erachtet als diesen, einmündet in ein »äußerstes Glück« und eine »unaussprechliche Ekstase«. Auf dem Weg zu dieser Ekstase muss sich eine radikale Entscheidung vollziehen, in der das Individuum alles abstreift und hinter sich lässt, was es als solches ausmacht, was es als vernunftbestimmte Entität von seiner Umwelt abgrenzt – es muss eine Entscheidung fällen, in der es in einem »Moment des Irrsinns« sich selbst ganz aufgibt, hingibt, die Schrecken des Ekels, des Todes und der Verwesung überwindet und für nichts erachtet, um sich vollständig in das hineinzustürzen, was es verabscheuen müsste: »Wenn es nichts gibt, was uns übersteigt, was uns und unser Selbst übersteigt, erreichen wir nicht jenen Moment des Irrsinns, den wir mit all unseren Kräften ersehnen, und den wir zugleich mit all unseren Kräften zurückstoßen.«7

Der »Moment des Irrsinns« ist ein Moment der Selbstentäußerung. Dass die paradoxe erotische Bewegung, die sich in dieser »pathetischen Reflexion« (Bataille) andeutet, auch komische Qualitäten erhalten kann – in einem bestürzten und bestürzenden Moment des Innehaltens, einer völligen emotionalen Verwirrung, in der die »Drüse spritzt«, die Vernunft aussetzt und der Mensch zu so etwas wie einem Schlafwandler wird – zeigt sich in unterschiedlichen Abwandlungen bei allen Reality-Soaps seit Big Brother, zuerst aber bereits Mitte der 1990er Jahre in einer klassischen Kandidaten-Show, die die Effekte von Angst und Ekel zu ihrem Funktionsprinzip erhoben hat, und die ich aus diesem Grund, obwohl sie für mich ansonsten nur eine marginale Rolle spielt, hier als Beispiel anführen möchte. Es handelt sich um Die Glücksspirale, eine bis Ende der Neunziger Jahre von Kai Pflaume moderierte Show, die einmal monatlich auf Sat1 ausgestrahlt wurde. Die Gäste dieser Show verbindet eine Eigenschaft: Sie leiden unter einer stark ausgeprägten Aversion oder Phobie. Sie werden ohne ihr Wis-

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sen von ihren Verwandten oder Freunden als Kandidaten für die Show vorgeschlagen, kommen aber als nichts ahnende Zuschauer mit regulären Eintrittskarten ins Studio. Kai Pflaume macht ihnen dann während der Show überraschend ein »Angebot«: Sie werden auf die Bühne geholt und dort zunächst nur visuell mit eben dem Objekt konfrontiert, auf das sie phobisch reagieren. Ihnen wird anschließend aufgetragen, ihre Phobie für einen Augenblick zu überwinden und diesen kurzen Moment der Überwindung unter Beweis zu stellen. In dem Fall, dass sie sich auf dieses Angebot einlassen und den Beweis erbringen können, dürfen sie an einem Gewinnspiel teilnehmen, bei dem ihnen große Sach- und Geldgewinne in Aussicht gestellt werden. Die bühnenwirksame Inszenierung dieser Prüfungen übernimmt der Moderator. Als besonders spektakulär erweisen sich dabei Tierphobien, meistens gegen Spinnen, Schlangen, Frösche, etc. Der Kandidat, der sich zunächst noch im Zuschauerraum befindet, wird dort vom Moderator befragt und muss seine Phobie ausführlich schildern. Der Moderator legt in dieser Befragung großen Wert darauf, dass die extreme Ausprägung der Phobie zur Geltung kommt. In einer Art verbalem Feedback-Experiment unterbietet er sich selbst graduell, zum Beispiel mit der Größe des imaginierten Tieres, und der Kandidat gibt zu verstehen, dass schon winzigste Spinnen, kleinste und harmloseste Schlangen bei ihm heftigste Reaktionen auslösen würden. Ansätze solcher Reaktionen des Ekels zeichnen sich, provoziert durch Pflaumes anschauliche Wortwahl, schon im Verlauf des Gesprächs ab. Die zweite Etappe ist die direkte visuelle Konfrontation mit dem gefürchteten Objekt. Seine Präsentation wirkt sogar auf die unbeteiligten Zuschauer halbwegs schockierend, denn es übertrifft in der Regel an Größe oder Anzahl und in seinem Arrangement bei weitem deren Erwartungen, und erst recht die Befürchtungen des Opfers. Für Simone, die Angst vor Fröschen hat, wird von einem Kellner auf einem silbernen Tablett eine gigantische Ochsenkröte hereingebracht; der arachnophobischen Birgit enthüllt sich plötzlich ein ganzes Terrarium voller Vogelspinnen, usw. Doch der entscheidende Moment ist die Beschreibung der Prüfung durch den Moderator: Simone soll die Kröte, die einen kleinen Hochzeitszylinder trägt, auf ihr Maul küssen; Birgit soll drei der Vogelspinnen, deren bloßer Anblick sie entsetzt zurückschrecken lässt, für zehn Sekunden auf ihrem Gesicht ertragen; Rainer, der tiefen Ekel gegen Cremes jeder Art empfindet, soll zwanzig gebräunte Bodybuilder von Kopf bis Fuß mit Sonnenmilch einschmieren; eine Frau, die Angst vor Hühnern hat, soll durch einen engen und überfüllten Hühnerkäfig kriechen und drei Eier suchen, die dort unter dem Stroh versteckt wurden; Andrea, die sich vor Fischen ekelt, soll eine dreiviertel Stunde in einem

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Bassin mit großen Salmen umherschwimmen – die Liste ließe sich fortsetzen.8 Diese Erlebnisse scheinen für die Kandidaten extrem traumatisch zu sein und sie völlig zu überfordern, trotzdem entschließen sie sich ausnahmslos, auf das Angebot des Moderators einzugehen, der sich ihnen gegenüber nicht einmal beschwichtigend verhält, sondern im Gegenteil versucht, ihre Angst zusätzlich zu schüren. Es ist nicht die Prüfung selbst, es ist dieser kurze Moment des Zögerns, des verzweifelten Schweigens, gefolgt von einem knappen »Ich mach’s!«, bei dem sich im Saal die größte Spannung aufbaut. Dies ist auch der Moment, in dem das Publikum beginnt, Initiative zu zeigen und durch Zurufe auf den Kandidaten einzuwirken. Ist die Prüfung bestanden, dann folgt in einem zweiten Teil zur Belohnung das versprochene Gewinnspiel, das auf dem gleichen Prinzip beruht wie viele solcher Spiele: Der Kandidat bekommt zu Anfang einen relativ kleinen, aber attraktiven Gewinn, den er entweder behält, womit für ihn das Spiel zu Ende ist, oder den er einsetzen kann, um den Jackpot zu gewinnen. Entschließt er sich für den Einsatz, geht er auch das Risiko des totalen Verlustes ein. Die Chance, den Jackpot zu gewinnen, ist dabei ziemlich gering, trotzdem entschließen sich die meisten Kandidaten, auch noch diesen zweiten Sprung ins kalte Wasser zu wagen und alles einzusetzen. Hier wiederholt sich der spannende Prozess des ersten Teils. Wieder sind die Kandidaten in einem furchtbaren Dilemma, wieder geht es um alles oder nichts: Entweder sie entscheiden sich für den Weg der Vernunft und erhalten für ihren Auftritt einen angemessenen Preis, oder sie entschließen sich, in einer Anwandlung von »Irrsinn« – oft noch schweißnass, blass, zitternd und außer Atem von dem unmittelbar vorangegangenen traumatischen Erlebnis, alles dreinzugeben, in der Hoffnung auf den ultimativen, exzessiven Gewinn. Das Wesentliche ist nicht der handfeste Gewinn, das Wesentliche ist der rauschhaft erlebte Ausblick auf den Exzess oder den totalen Verlust. Genau dieser Irrsinn des widervernünftigen Entschlusses ist es aber, den die Zuschauer sehen wollen und zu sehen verlangen. Wieder entsteht dabei im Zuschauerraum ein unglaublicher Tumult, ein wildes Durcheinander von Zurufen, die dem Kandidaten bei seinem Schritt nicht helfen, sondern im Gegenteil seine Verwirrung und Verzweiflung bis zur Unerträglichkeit steigern, bis er den inneren Kampf schließlich aufgibt. In diesem Augenblick entschließt er sich, plötzlich und unwiderruflich, alles einzusetzen und aufs Ganze zu gehen. Ein Kandidat hat bei dieser Gelegenheit gesagt: »Jetzt ist eh alles egal.« Diese Momente der Überwindung und des Exzesses werden in allen despotisch dominierten Shows genutzt. Ich erwähne in diesem Zusammenhang die Live-Shows der Performerin Annie Sprinkle, die eben-

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falls vor der rituellen Entblößung ihrer Geschlechtsorgane sehr wirkungsvoll solche kurzen Augenblicke des Zögerns inszeniert.9 Auch diese Momente des Irrsinns sind Augenblicke in einer Show, in denen die Zuschauer spontan tätig werden, in denen sie beginnen, zu fordern und einen unklaren Anspruch anzumelden. Sie zerren das Opfer in ihre Richtung, nötigen es, ihm zu Willen zu sein, eignen es sich an und drohen, es zu zerreißen. Der Zuschauerraum will in solchen Augenblicken mehr als sonst unmittelbaren Anteil an der Show haben, er ergreift von der Show Besitz, und mit ihr von allen Personen, die an der betreffenden Situation beteiligt sind. Er wird zu einem lärmenden, grölenden Mob, der sich vom Irrsinn der Situation anstecken lässt und ihn zugleich weiter anstachelt. Diese auseinanderzerrende Bewegung gehört sowohl zum Phänomen der Überaffirmation als auch zum irrsinnigen Moment. Beide Phänomene zeichnen sich dadurch aus, dass sie nicht, wie die einfachen Opfergesten, letztlich bestärkend auf die geordnete Struktur einer Show wirken, sondern die Show in eine umfassende Unordnung stürzen. In der chaotisierenden Tendenz dieses ausufernden Prozesses deutet sich etwas an, was ich in der Verheißung der Orgie noch ausführlicher besprechen werde.

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VII. DIE

GESICHTER DES DESPOTEN: ZYKLOTHYMIE UND SADOMASOCHISMUS ALS M A N I F E S T A T I O N E N D E R »G Ö T T L I C H K E I T « ZWEI

»Quäl’ mich. Ich will dich studieren.« (Hermes Phettberg) »Depression ist Zorn« (Sarah Kane) »Respect!« (Ali G.)

Bei der Beschreibung der komplexen Opfergesten hat sich gezeigt, dass es in der Show Vorgänge gibt, für die der Despot zwar den Anstoß gibt, die sich aber auch bis zu einem gewissen Grad seiner Kontrolle entziehen. In solchen Situationen tritt der Despot vorübergehend in den Hintergrund, und ein Teil seiner Allgewalt geht kurzfristig verloren. Dieser in Kauf genommene sporadische Machtschwund steht in Verbindung zu solchen Äußerungen des Bühnendespoten, in denen dieser beinahe systematisch alles dreingibt, was ihn in seiner Herrschaft eigentlich ausmacht. Er erniedrigt sich vor seinen Funktionären, seinen Gästen, seinem Publikum, er demütigt sich durch eine übertriebene Höflichkeit, eine bis zur Selbstverachtung reichende Bescheidenheit und einen Gehorsam gegenüber Instanzen, die sich ihm hierarchisch überordnen und befugt sind, ihm Befehle zu erteilen, oft sogar quälend auf ihn einwirken. In einigen Shows wird dieser Widerspruch von Erniedrigung und Selbstüberhöhung ganz bewusst als theatralisches Mittel eingesetzt. Wie können solche Äußerungen in den Entwurf einer despotischen Herrscherfigur integriert werden? Mit welcher Rechtfertigung lassen sich der devote Hermes Phettberg, die passive Annie Sprinkle, der ausgelachte Herbert Feuerstein in die Liste der despotischen Showmaster einreihen? Wenn eine Verdeut-

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lichung des zyklothymen Wechselspiels von Respekt und Unverschämtheit, Depression und Euphorie, Sadismus und Masochismus gelingt, das sich in manchen zeitgenössischen Shows inszeniert, und das von den Genannten zu dem zentralen Aspekt ihrer Bühnenpersönlichkeit gemacht wird, dann werden auch die komischen Untergangsallüren und Gesten der Selbstopferung mit ins Bild kommen, die in allen despotisch regierten Shows auftauchen. Die Gesten der Selbsterniedrigung widersprechen nicht dem Status eines despotischen Herrschers. Sie können im Gegenteil dazu beitragen, die Amplitude seiner Aktionen und damit die spektakuläre Wirkung seiner Figur zu steigern. In dieser Steigerung der despotischen Macht durch ihr Gegenteil zeigt sich die letztendliche Gleichwertigkeit von Erhöhung und Erniedrigung, von Täter und Opfer. Sie ist, obwohl sie in der Inszenierung einer Show immer wieder verbalisiert und verbildlicht wird, nur schwer zu fassen. Der Despot inszeniert sich selbst als Person, die eine zentrale Position in einem umfassenden Spiel um die Macht einnimmt. Dabei ist es gleichgültig, ob er die Rolle des Täters oder des Opfers übernimmt, er kann an jedem beliebigen Punkt dieses Spiels eingreifen, ohne jemals seine letztliche Überlegenheit einzubüßen. In jeder Erniedrigung wird er erhöht und in jeder Erhöhung erniedrigt – gerade darin liegt eine Herrschaft jenseits der Herrschaft, und eine absolute Souveränität. Der Term des Sadomasochismus ist in diesem Zusammenhang als ein Pakt zwischen den Akteuren zu verstehen, der sich wiederum als definiertes und begrenzbares Spiel nach ganz bestimmten Regeln vermittelt, und der gerade durch seine Regelhaftigkeit, und durch die letztliche Solidarität aller Beteiligten innerhalb dieser Regeln eine mitvollziehende Teilnahme der Zuschauer ermöglicht und das Ereignis theatral werden lässt. Der aktive Partner in den folgenden Abschnitten ist der Masochist. Er ist hier derjenige, der die Initiative ergreift, die Handlung vorantreibt und manipulativ tätig wird.1

1. Der Despot und die Höflichkeit »Der Respekt ist nur ein Umweg der Gewalt.«2 – In dem Satz von Georges Bataille eröffnet sich ein Zugang zum Phänomen der übersteigerten Höflichkeit des Despoten, wie sie in den Gesprächsstrategien etwa von Woody Allen, Hermes Phettberg und Ali G. zu beobachten ist. Hier wird die Gewalt, als die unkomplizierteste und direkteste Ausdrucksform eines despotischen Autonomie- und Herrschaftsanspruchs, in einen positiven Bezug zu ihrem dialektischen Gegenpol gesetzt, dem Respekt als der Anerkennung einer anderen Person in ihrer grundsätzlichen Unver-

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ZYKLOTHYMIE UND SADOMASOCHISMUS

letzlichkeit. Die respektierende Anerkennung eines sozialen Regelsystems, das als eine übergeordnete Instanz das eigene Verhalten bestimmt, ist nur möglich, wenn sich der Despot freiwillig in seiner Selbstherrlichkeit einschränkt, wenn er einen allgemeinen, abstrakten Willen seinem eigenen, spontanen Begehren voranstellt. Der Respekt schafft in der menschlichen Interaktion Bereiche, aus denen das gewalttätige Begehren der Machtdemonstrationen und Opferungen ausgeschlossen bleibt. Die launenhafte Selbstverwirklichung des Despoten ist dann nur noch auf Umwegen möglich. Der Respekt kann das Erscheinungsbild des despotischen Showmasters, sein Verhalten gegenüber dem Publikum, gegenüber seinem eigenen Machtapparat und vor allem gegenüber seinen Gästen vollkommen verändern. Der Despot wäre aber kein Despot mehr, wenn diese Bejahung einer umfassenderen sozialen Ordnung mit einem endgültigen Machtverzicht einhergehen würde. Niemals wird der despotische Showmaster seine Herrschaft auf das Niveau einer bloß regulierenden und sachte lenkenden, einer begütigenden und ausgleichenden Funktion der reinen Moderation hinunterschrauben lassen. Seine Gewalttätigkeit wird immer präsent sein, sie wird sich lediglich anders äußern müssen. Statt ungehemmt herauszuplatzen, wird sie diskret, angedeutet, verschlüsselt. Ihre Spielarten werden vielfältiger und unerwarteter. Sie zeigt sich überraschend in winzigen Rissen dieses nicht ganz hermetischen Systems des respektvollen Umgangs. Nur durch die äußerliche Demonstration des Respekts ist dieses kurze Aufblitzen der Gewalt möglich, die umso erschreckender wirkt, je unerwarteter sie auftaucht, und je verschlungener die Pfade sind, auf denen sie sich bewegt. Je strenger die Grenzen der Sittsamkeit gegen das Eindringen der Rohheit verteidigt werden, desto bedrohlicher wird diese in ihrer latenten Präsenz spürbar. »Einerseits bestimmt der Respekt die Umgebung, in der die Gewalt verboten ist; andererseits eröffnet er der Gewalt die Möglichkeit eines ungebührlichen Eindringens in Domänen, in denen sie nicht zugelassen ist.«3 Mit dem Respekt wird immer auch die Respektlosigkeit ausgesprochen, und mit der Würdigung von Sitte und Anstand das Unmögliche. Mit der vollendeten Höflichkeit, in welcher der Respekt seinen szenischen Ausdruck findet, kommt auch die Bedrohung durch die Barbarei. Dies zeigt sich unter anderem in der seltsamen Affinität der Welt des Verbrechens zu den sich ihr entgegensetzenden Kräften, den anerkannten Garanten eines wohlgeordneten und friedlichen menschlichen Zusammenlebens. Der irrational gefürchtete kalifornische Gewaltverbrecher Black Bart, der gegen Ende des 18. Jahrhunderts in gespenstischen Kostümen die Kutschen der Wells Fargo-Company überfiel und ausraubte, entpuppte sich bei seiner Enttarnung als ein braver Grundschullehrer, der

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bevorzugt in jenem Gasthaus zu Mittag aß, in dem auch die Detektive der Pinkerton-Agentur gerne abstiegen, die Ordnungshüter, die ihn über Jahre fieberhaft gesucht hatten, und zu denen er einen freundlichen Kontakt pflegte.4 Dieselbe kumpelhafte Verbrüderung mit der Polizei ist nach John Douglas ein konstantes Motiv in der phantastisch anmutenden Welt der Massenmörder, die sich irgendwo zwischen Fiktion und Realität ansiedelt. Der fünfzehnfache Triebmörder Ed Kemper, der vor seiner Enttarnung als »Coed Killer« bekannt war, war erklärter Polizeifan und verkehrte in den Lieblingsbars der Cops von Santa Cruz. »Ed Kemper wurde so ›gut‹ bei dem, was er tat, dass eines Tages, als er wegen eines defekten Rücklichts mit zwei Leichen im Kofferraum angehalten wurde, der Polizist noch vermerkte, wie freundlich er gewesen sei, und ihn ohne Verwarnung gehen ließ.«5 Im fiktionalen Bereich gilt dasselbe Prinzip für die beliebten Figuren der Gentleman-Verbrecher, von Fantomas über Doktor No bis zu Hannibal Lecter. Im europäischen Raum erfährt in Wien der Typus des gesitteten Monsters eine ganz eigene Ausprägung. Hier erscheint das Gewaltverbrechen direkt eingebunden in den Bereich des zivilen Kleingewerbes: Der legendäre »Metzger von Wien« soll die von ihm gemordeten Frauen zu Würstchen verarbeitet und mit diesen Würstchen ausgerechnet die Wiener Polizei beliefert haben, bei der er für die hervorragende Qualität seiner Produkte in hohem Ansehen stand. Den komischen Aspekt dieser Verbindung von Gewalt und Wohlanständigkeit kann man auch in den österreichischen Filmen sehen, in denen Hans Moser eine Hauptrolle spielt.6 Die darin von ihm entwickelten Figuren herrischer Gastronomen und Hoteliers schießen in ihrem Diensteifer regelmäßig über das Ziel einer bloßen Bejahung der traditionellen gesellschaftlichen Strukturen hinaus. Sie sind keine ›Radfahrer‹, die nach unten treten und nach oben buckeln. Die Strenge des Moser’schen Tyrannen trifft nicht nur die ihm Untergebenen, die Lehrlinge, Gehilfen oder Mitglieder seiner Familie, sondern sie entlädt sich auch gegen die Personen höherer und höchster Kreise, wenn diese gegen die Vorgaben einer Tradition verstoßen, als deren Hüter er sich aufspielt. Seine standesbewusste Devotion schlägt dann um in eine wütende und gewalttätige Megalomanie, die genau jene Ordnung umzustürzen droht, für die er einzustehen glaubt. Sein eigentlich guter Wille gerät über dieser zerstörerischen, von allem Sinn entbundenen Raserei völlig in Vergessenheit. Hier zeigt sich als Strategie eine Form der Gewalt, die sich wie von selbst und ohne besondere Böswilligkeit aus einer übersteigerten Höflichkeit und konformistischen Bejahung entwickelt.7 Diese Metamorphose, bei der sich Diener in Despoten und Köche in Giftmischer verwandeln, ist einer Gesetzmäßigkeit unterworfen, die sich auch der Wiener Talkmaster Hermes Phettberg zunutze macht.

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Phettberg zollt seinen Gästen und ihrem jeweiligen Berufsstand einen Respekt, der diese manchmal unangenehm berührt und verunsichert. Er ist einer der wenigen Showmaster, die sich überhaupt jemals vor ihrem Publikum oder ihren Gästen verbeugen. Dieses Verbeugen wird von ihm besonders ausgeführt. Die Demutsgeste, die sich darin andeutet, wird verstärkt durch den offensichtlichen physischen Aufwand, den sie für ihn bedeutet. Sein wuchtiger Oberkörper fährt dabei mit einem enormen Schwung nach unten und verharrt betont lange in einer waagerechten Position, so lange, dass man sich schon zu fragen beginnt, ob er sich überhaupt wieder aufrichten kann. Für einen kurzen Moment droht die ganze Person, gezogen von der ungewohnten Verlagerung des Schwerpunktes, vornüberzukippen und hinzufallen. Wenn Phettberg schließlich wieder hochkommt, sind ihm seine langen Haare ins Gesicht gefallen und versperren ihm die Sicht, so dass er sie mit zwei umständlichen Armbewegungen wieder über die Schultern zurückstreifen muss. Sein ganzer Körper ist kurzfristig in Verwirrung gekommen, und er muss sich erst wieder ordnen, bevor er fortfahren kann. Wenn Phettberg einen Gast begrüßt, es aber nicht bei der Erwiderung von dessen herzlichem Handschlag belässt, sondern mit dem beschriebenen Verbeuge-Ritual unerwartet aus dessen Gesichtsfeld verschwindet, dann bringt er ihn damit in eine unangenehme Situation. Plötzlich ist er, der anchor man, der den Gast eigentlich beim Publikum einführen sollte, nach unten abgetaucht. Der Gast sieht sich in diesem Moment völlig alleingelassen und ist für einige Sekunden, ohne es zu wollen, die exponierteste Person im Raum, ohne Vermittler, ohne Übergangsperson. Das macht ihn stutzig und verlegen. Er ist verwirrt von der merkwürdigen Position, in die sich sein Gastgeber gebracht hat, und peinlich berührt angesichts der Umständlichkeit und Übertriebenheit der Prozedur. Aber es bleibt ihm nichts übrig als abzuwarten, was weiter geschehen wird. Von Anfang an wird dem Gast auf diese Weise in einer sehr respektvollen Art der Wille des Showmasters aufgedrängt. Dieser bestimmt den Ablauf und den Rhythmus der Interaktion, entzieht sich dabei aber durch die übersteigerte Demonstration seiner Unterwerfung jeder negativen Reaktion von Seiten des Gastes. Jeder Widerspruch würde an diesem Deckmantel seiner Höflichkeit abrutschen. Selbst wenn sich einer nichts gefallen ließe, zumindest diese Höflichkeiten müsste er sich gefallen lassen. Sie erweisen sich in ihrer Übertreibung als ein Mittel der Ausgrenzung und des Zwanges. Mit dem Anbieten der Getränke folgt die nächste latente Gemeinheit, denn mit Frucade und Eierlikör stehen zwei klebrigsüße Getränke zur Auswahl, auf die die meisten Gäste mit offensichtlichem Widerwillen reagieren. Egal wie die Wahl ausfällt, sie wird in jedem Fall den Wünschen

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»Ich bin zu gering!« - Der Autor und Talkmaster Hermes Phettberg.

und Neigungen des Gastes widersprechen, er muss sich so oder so mit etwas abfinden, das eigentlich nicht in seinem Sinn ist, und bestellen, was er gar nicht will. Auch hier verwandelt sich die vorgebliche Freundlichkeit des Anbietens und das zusätzliche Entgegenkommen der Wahlmöglichkeit in die schadenfrohe Ausübung eines Zwangs, dem sich der Gast zu beugen hat, noch dazu in der expliziten Form einer Replik. (Müller: »Ich nimm lieber Frucade.«, Maitzen: »Ja, probier ma den Eierlikör.«, Paterno: »Frucadeneierlikör.«, etc.) Der Gastgeber ist sich des Zwangs, den er damit ausübt, sehr bewusst, weiß aber auch, dass ihn der ritualisierte Rahmen seiner Show gegen jeden Widerspruch immunisiert. Diese Macht genießt er, und sein Publikum mit ihm.

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Aber das alles sind nur Vorstufen, die auf den Teil der Show hinarbeiten, in dem sich das eigentliche Spiel um Respekt und Beleidigung entwickelt, nämlich die Situation des Talk. Der Kabarettist Karl Ferdinand Kratzl hat den Charakter dieser Gespräche treffend formuliert und gesagt, sie seien »als Plaudern getarnte Quälerei«8. In der Tat wird der zunächst arglose Gast, ohne dass er sich dagegen wehren könnte, innerhalb kürzester Zeit in eine Gesprächs-Position gedrängt, die von ihm als quälend empfunden wird, und aus der er sich mit eigener Kraft nicht befreien kann. Auch hier sind es Phettbergs verbale Rituale der Respektbekundung und Selbsterniedrigung, die den Gast lenken und dabei jede seiner eigenen Initiativen vereiteln. Oft gibt schon die Frage der korrekten Anrede, auf die Phettberg allergrößten Wert legt, Anlass zu Missverständnissen und Gekränktheiten: Als er den Performance-Künstler Hermann Nitsch mit »Herr Professor« anspricht, korrigiert ihn dieser und sieht sich veranlasst, ausführlich darzulegen, warum er an der Frankfurter Kunstakademie, an die er vor einigen Jahren berufen wurde, zwar mit den Pflichten und Rechten eines ordentlichen Professors ausgestattet sei, von diesem Titel aber trotzdem keinen Gebrauch machen dürfe. Auch die Bezeichnung »Vortragender«, die Phettberg daraufhin vorschlägt, gefällt ihm nicht, weil das Halten von Vorträgen ja auch nicht sein eigentlicher Beruf sei. Phettberg entschließt sich endlich, jeglichen Titel wegzulassen und seinen Gast einfach bei seinem Familiennamen zu nennen, und er entschuldigt sich vielmals für seine Unwissenheit, durch die eine solche unangenehme Klarstellung notwendig geworden sei. Natürlich muss Nitsch nun abermals erwidern, dass für eine solche Entschuldigung gar kein Anlass bestehe, aber dass er eben von Rechts wegen verpflichtet sei, solche fehlerhafte Betitelung zu korrigieren, usw., usw. Aus einer simplen Anrede entwickelt sich ein prekärer Dialog, der von Missverständnissen, Gekränktheiten, Entschuldigungen und erneuten Missverständnissen bestimmt wird, die alle aus höflichen und gut gemeinten Respektbekundungen erwachsen.9 Vergleichbare Situationen ergeben sich immer wieder, auch mit anderen Gesprächspartnern, und es ist bezeichnend, dass Phettberg nie versucht, sie schnell zu beenden und als peinliche Ausrutscher unter den Teppich zu kehren, sondern dass er sich im Gegenteil bemüht, sie so lange wie möglich weiterzutreiben, indem er ihnen jedes Mal, wenn sie sich im Sand des Gesprächsflusses zu verlaufen drohen, neue Nahrung gibt. Es werden aber zur Nette Leit Show nur selten so bekannte Persönlichkeiten wie Hermann Nitsch eingeladen. Im Gegensatz zur Late Night werden hier die Gäste nicht primär unter dem Aspekt ihrer Berühmtheit, also ihres Status als gesellschaftliche Person behandelt, sondern vor allem im Hinblick auf ihren Berufsstand, d.h. ihre spezifische, aber nicht

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personengebundene gesellschaftliche Funktion. Meistens sind sie hervorragende Spezialisten auf irgendeinem Gebiet, die also auch besonders befugt erscheinen, über dieses spezielle Gebiet ausführlich Auskunft zu geben. Diese Unterscheidung ist wichtig, denn das Privatleben seiner Gäste interessiert Phettberg nur in zweiter Linie, vor allem ist es ihre fachliche Kompetenz, ihr Berufsethos, mit dessen Hilfe er sein ambivalentes Spiel inszeniert. Je mehr Phettberg dabei den Anderen als unangreifbar und allwissend rühmt, und je mehr er sich selbst in die untergeordnete Position des Ignoranten und Banausen manövriert, desto näher kommt er einer adäquaten Ausgangsposition für dieses Spiel. Es erscheint zunächst als die extremste Ausprägung des Respekts, wenn sich der Talkmaster im Angesicht der unerschöpflichen Weisheit eines Ingenieurs, Mediziners, Künstlers oder religiösen Würdenträgers als Nichtswürdiger hinstellt, dessen Fragen für den jeweiligen Meister seiner Branche beinahe beleidigend sein müssen. »Ich hab ja keine Ahnung!« ist der Satz, der in jedem dieser Gespräche fällt: PHETTBERG: Jetzt, ich hob wirklich, des ist kein ... also: Alle Leit glaubn immer, des is jetzt a Text, den ich aufsag. Ich hob wirklich kaa Ahnung. Des haaßt, i maan, wann i ... ich hab wirklich keine Ahnung.«10

Der Respekt, der sich in dieser übertriebenen Beteuerung der eigenen Unwissenheit ausdrückt, hat ein doppeltes Gesicht, ebenso wie die anderen höflichen Zeremonien, von denen schon gesprochen wurde. Phettberg benutzt sein proklamiertes Nichtwissen dabei als Vorwand für endlose Sequenzen, während derer der Gast in Gebiete geführt wird, die diesem unangenehm sind. Dieses Unbehagen pflegt der Talkmaster durch seine Beharrlichkeit, durch sein stures und scheinbar unsensibles Nachhaken und Bohren unendlich zu steigern und zu verlängern. Phettbergs Fragen sind durch ihre mangelnde Sachkenntnis und ihre Polemik tatsächlich in der Lage, den Befragten in die Defensive zu treiben. Andererseits bieten sie diesem durch das anfängliche offene Eingeständnis ihrer Anmaßung und Inkompetenz kaum die Möglichkeit eines Gegenangriffs. Wenn Phettberg zum Beispiel gegenüber Werner Resel, dem Vorstand der Wiener Philharmoniker, demutsvoll die Frage äußert, ob dieser denn glaube, dass er, Phettberg, überhaupt in der Lage sei, die Interpretation eines Stückes durch die Wiener etwa von jener des New York Symphony Orchestra zu unterscheiden, dann liegt in dieser Frage sowohl eine Geste hilfloser Konsultation des Spezialisten als auch ein versteckter Angriff. Denn wenn er, Phettberg, den Unterschied nicht zu hören vermag, dann könnte es durchaus sein, dass es überhaupt keinen Unterschied gibt, dass also niemand ihn hören kann, und dass somit das gesamte Gewerbe der Or-

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chestermusik und des klassischen Virtuosentums nichts als ein aufgeblasener Schwindel ist.11 Verständlicherweise reagiert der Musiker darauf mit leichter Entrüstung, die aber sofort von einem Sermon von Entschuldigungen abgefangen wird. Sobald sich die Situation entspannt hat, folgt dann die nächste Anzüglichkeit, viel drastischer als die vorige, und mit einem Anflug von Brutalität: »Diese Geiger mit den Staberln: Ist des noch nie vorkommen, dass aaner den andern ins Aug...?«, usw. Auf diese Weise werden Phettbergs Gesprächspartner immer wieder in dem irreführenden Milieu der Höflichkeit zur Antwort auf Fragen genötigt, die zu beantworten sie eigentlich nicht in der Lage sind, jedenfalls nicht ohne sich selbst zu kompromittieren. Wenn Phettberg den Ingenieur fragt, warum denn eigentlich ein Flugzeug fliege, oder vom Katastrophenforscher wissen möchte, wann er im Wiener Stadtteil Gumpendorf wieder mit einer Flutwelle zu rechnen habe, dann bleibt den Befragten nur die Wahl zwischen einer humorlosen Ablehnung der unqualifizierten Frage, einem Eingeständnis ihrer eigenen Unwissenheit, oder einer ebenso dummen, stammelnden Antwort. In allen drei Fällen geben sie sich der Lächerlichkeit preis. Auch stellen die gegebenen Antworten Phettberg niemals zufrieden; er beginnt, bei jedem kleinen Detail nachzuhaken und versucht auf diese Weise, den Moment des Stammelns nach Möglichkeit zu verlängern. Auch hier beruft er sich auf die eigene Trägheit und Langsamkeit im Denken, und vertraut auf den befragten Spezialisten, den er für fähig erklärt, »sogar ihm« diese Thematik nahe zu bringen. In keinem Augenblick solidarisiert er sich dabei mit seinem Publikum, er bezeichnet sich selbst sogar als den Dümmsten von allen, und dennoch ist die Verständigung mit den Zuschauern unverkennbar, denn auch diese stehen im Vergleich zum Fachmann eher auf der Seite des Banausen. Phettberg hat, wie Nitsch übersensibel feststellt, die Lacher von vorneherein auf seiner Seite. So ist der Thron, auf den der Gast durch den Respekt seines Gastgebers gehoben wird, ein einsamer Ort, und seine inszenierte Dominanz ist ein Narrenkönigtum. Die Atmosphäre des Respekts bildet dabei nur den Nährboden für viele kleine Respektlosigkeiten. Darin gleichen sich alle Formen despotischer Höflichkeit, sowohl die schülerhafte Unterwürfigkeit Phettbergs, als auch die belehrende, integrative Geduld von Annie Sprinkle oder die rein äußerliche Überkorrektheit der Late NightModeratoren12: Hinter den Wänden des Anstands, mit denen die Show sich umgibt, ist immer die Anwesenheit der Vergewaltigung zu spüren.

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2. Der Despot und die Depression Die Selbsterniedrigung kann sich bei Phettberg bis zur Depression steigern. Phettberg gerät dann in eine Stimmung, in der er der Gesprächssituation nicht mehr gewachsen zu sein scheint, in der ihm jede aktive Kontrolle entgleitet und sein ganzes Konversationssystem über ihm zusammenbricht. In solchen Situationen spricht er von sich selbst als einem völlig verzweifelten Menschen, der ohne die Hilfe seiner Mitmenschen nicht zu leben imstande ist, der über Wochen in seiner chaotisch verdreckten Wohnung sitzt und nichts tut, außer zu essen und fernzusehen, der sich nicht einmal aufraffen kann, sich zu waschen oder seine vertrocknenden Zimmerpflanzen zu gießen. Im Zustand dieser »seelischen Invalidität« erscheint er vollkommen inoffensiv und seiner Umgebung wehrlos ausgeliefert. Er ist aufgeregt, hat Angst vor seinem Publikum und fleht seinen Gast weinerlich um Hilfe an. Phettberg kapituliert. Seine Gebärden der Demut haben sich so weit verstärkt, dass sie nun nicht mehr den Charakter von respektvoller Bescheidenheit haben, sondern einer erschöpften Unterwerfung gleichen. Er erniedrigt sich nicht mehr, um seinen Gast zu erhöhen und ihn dann aus diesem höflichen Hinterhalt anzugreifen – der lüsterne, hintersinnige und provozierende Ausdruck, der üblicherweise seine bohrende Fragerei begleitet, ist aus seinem Gesicht verschwunden und hat einer kindlichen Traurigkeit Platz gemacht. Jede listige Schmeichelei, mit der er seine Opfer zu umgarnen pflegt, jede berechnende Absicht ist von ihm abgefallen, das Gefüge seiner Gesprächsführung, innerhalb dessen er seinen Gast sonst peinigt, ist vollständig kollabiert. Im Gespräch mit der Tierschützerin Edith Klinger nimmt Phettberg die Frage der Tierhaltung zum Anlass für eine solche ausufernde Klage, während derer er, ausgehend von seiner Unfähigkeit, ein Tier zu halten, auf seine Depression, den katastrophalen Zustand seiner Wohnung, sein Suchtverhalten und seinen Egoismus zu sprechen kommt und sich zusammenfassend als einen »schlechten Menschen« bezeichnet.13 Solches Lamentieren ist weit entfernt von bloßer Koketterie, es schließt einen sehr ernsthaft artikulierten Hilferuf mit ein. Mit seinen Seufzern, seinem Händeringen und Kopfschütteln, mit seinem allumfassenden Zweifel, der bewirkt, dass sich seine Rede vollkommen verstrickt, klammert er sich kriecherisch an sein überfordertes Gegenüber. Auch hier scheint der Talkmaster, wie im Fall der Verbeugung, seinen Gast plötzlich alleine zu lassen. Er verflüchtigt sich, diesmal auf psychischer Ebene, und gibt die gesamte Initiative in die Hände seines Gastes. Der Gast sieht sich gezwungen, auf diese im Talk sehr ungewöhnliche Situation in irgendeiner Weise zu reagieren, sei es durch ein paar tröstende Worte, sei es durch aufmunternden Widerspruch. Er ist überfordert dadurch, dass

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sich hier das übliche Verhältnis von Talkmaster und Gast umgekehrt hat; er befindet sich in einer Situation, auf die er nicht vorbereitet war. Wieder setzt ein etwas hilfloses Gestammel ein, im Stil von »aber nein..., nicht doch!«, wieder sieht sich der Gast unvermittelt auf einen Thron gehoben, auf dem er sich außerordentlich unwohl fühlt, peinlich exponiert und ausgeschlossen. Wenn der Talkmaster als die eigentliche Hauptperson des Abends, als der Mensch, den die Zuschauer hauptsächlich sehen und erleben wollen, für den sie an diesem Abend gekommen sind, den sie für sich beanspruchen und für den sie einstehen, wenn dieser Talkmaster plötzlich von seinem Gast verlangt, ihm zu erklären, wie das Leben denn nun eigentlich funktioniere und wie es auch von »einem wie ihm« bewältigt werden könne, dann kommt das einer Verhöhnung gleich: Kurz zuvor ist der Gast die Stufen zur Bühne emporgestiegen, ein wenig blass im Vergleich zu der charismatischen Gestalt, die ihn dort erwartet hat, in der Hoffnung auf einen freundlichen Empfang, und innerhalb weniger Minuten sieht er sich in die Rolle eines Therapeuten gedrängt und ist gezwungen, einem völlig zerknirschten Psychopathen seinerseits joviale Ratschläge zu erteilen. In einer solchen Situation kann er nicht anders als lächerlich wirken. Der letztendliche Effekt dieser inszenierten Depression liegt also auf der Linie einer tyrannischen Ökonomie, in der das eigentliche Opfer nicht der Depressive, sondern sein Gegenüber, nicht der sich selbst erniedrigende Talkmaster, sondern sein unfreiwillig gekrönter Gast ist. Auch wenn die Depression des Talkmasters nicht in dieser expliziten Form thematisiert wird, auch wenn sie nur als eine undeutliche Grundstimmung spürbar ist, verfehlt sie nicht ihre Wirkung. Ihre unmittelbaren Symptome sind genau jene Langsamkeit, jene unangenehme Klebrigkeit und bohrende Beharrlichkeit, mit denen Phettberg seine Gäste quält. Der schleichende Rhythmus, dem sich seine Gäste und sein Publikum unterzuordnen haben, wird dabei häufig verbunden mit einem ganz offenen Diskurs der Macht. Die Langsamkeit oder »Fadheit« seiner Gespräche werden von ihm zum Ideal stilisiert, und er nimmt sie als sein persönliches Vorrecht in Anspruch, trotz und gerade wegen der gegenteiligen Anforderungen, die im Bereich des Showgeschäfts üblicherweise an einen Entertainer gestellt werden.14 Dazu kommt der sture Egozentrismus, mit dem er die entlegensten Themen auf seine Person, sein Leben und seine »Krankheit« bezieht. Einen Wiener Pathologen fragt er nach dem möglichen Vorgehen bei der Präparation seiner Leiche, nach der Farbe seines Fettgewebes, nach der Dauer seiner Verwesung; von einem Architekten möchte er wissen, warum das Treppenhaus, wenn er hochgehe »so selten einstürzt«; und von einem Statistiker, wie lange er, Phettberg, fliegen müsse, »um sicher ab-

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zustürzen«. In dieser Manie, alles auf die Problematik der eigenen Person und des eigenen Körpers zu beziehen, lässt sich die Kehrseite seiner insistierenden Selbsterniedrigung erkennen. Phettberg wird zum Maß aller Dinge, an Phettbergs seelischen und körperlichen Problemen richtet sich alles aus, Phettberg ist der Mittelpunkt der Welt. So erscheint es nur konsequent, dass schon beim Auftritt des Talkmasters zu Beginn der Show ein konnotativer Bezug zu Nietzsches Projekt des »Übermenschen« hergestellt wird: In die Stille des verdunkelten Saales hinein erklingen die ersten Takte der Symphonischen Dichtung Also sprach Zarathustra von Richard Strauß, und mit Phettbergs Erscheinen erhellt sich langsam die Bühne. Phettbergs Auftritt wird auf diese Weise zu einem kultischen Ereignis. Im Augenblick seines Erscheinens ist er der Gott, der die Sonne aufgehen lässt, um die Menschheit zu erleuchten. Im komisch-pathetischen Licht dieser Erleuchtung vollzieht sich die gesamte Show. Immer deutlicher zeichnet sich ab, wie jede Zurücknahme, jede Demutsgebärde, jede Geste der Selbsterniedrigung letztlich in eine Selbsterhöhung des Bühnendespoten umgedeutet wird, und wie seine wechselnde Stimmungslage, gleichgültig ob sie in Richtung der Depression oder des Größenwahns ausschlägt, sich immer als eine weitere Inszenierung seiner Herrschaft erweist. Es zeigt sich auch, wie die Zyklothymie, die eben dieses wechselhafte Spiel der manischen Depression bezeichnet, kein individuelles, sondern ein intersubjektives Phänomen ist, ein Phänomen also, bei dem immer ein Gegenspieler involviert ist, der die jeweils entgegengesetzte Rolle übernimmt. Das zyklothyme Spiel entspricht in seinem Charakter und seiner Bedeutung für die Show in etwa dem Ritual von Schlag und Gegenschlag, wie es schon im Zusammenhang mit den einfachen Opfergesten besprochen wurde, aber in extremer Verlangsamung. Die Kontrahenten verweilen viel länger in ihrer jeweiligen Position der Überordnung bzw. der Unterwerfung, und nur sehr allmählich wird klar, dass es in diesem Spiel, unabhängig von ihrer momentanen Rangfolge, nur um die demonstrative Präsenz der souveränen Macht geht. Auf der Bühne liegt diese Macht tendenziell immer bei dem, der das Spiel mit ihr inszeniert, auch dann, wenn er sie vorübergehend aus der Hand gibt. Die passive und die aktive Haltung, die Depression und die Megalomanie sind demnach untrennbar miteinander verbunden, beide erweisen sich als gleichwertige Attribute der despotischen Herrschaft.15

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3. Der Despot und der Sadomasochismus Dieses Spiel um die Macht oder mit der Macht kann inszenatorisch in einem expliziten sadomasochistischen Arrangement bebildert werden. Ein solches vor allem auf visueller Ebene wirkendes Arrangement ist sehr deutlich in Phettbergs Talk-Show, aber auch in anderen despotisch dominierten Shows. Im Grunde ist das sadomasochistische Setting nichts anderes als eine stark stilisierende Inszenierung jenes Zusammenwirkens von Herrschaft und Unterwerfung, wobei die imaginierte Präsenz einer allumfassenden Macht, gleichgültig, welche Rolle die Partner in dieser Interaktion spielen, als lustvoll empfunden wird.16 In einem solchen Setting wird deutlich, wie die punktuellen Differenzen in der Machtverteilung sich unter dem Aspekt eines genussvollen Erlebens in Nichts auflösen, wie das Auf und Ab von Herrschen und Beherrschtsein in eine Richtung streben kann, die im Interesse beider Partner liegt, nämlich in Richtung eines gemeinsamen Lust- und Machtgewinns. Eine solche Erotisierung der zyklothymischen Persönlichkeit, wie sie im Sadomasochismus zum Tragen kommt, ist bei Phettberg zu spüren. In bestimmten Gesprächen spielt er gegenüber seinem Gast sehr deutlich die Rolle eines Verführers, wird dabei manchmal so zudringlich, dass der Gast schamhaft versucht, seinen Anzüglichkeiten auszuweichen. In solchen Momenten geht es um eine Darbietung des eigenen Körpers – die Bezugnahme auf die eigene Körperlichkeit und das erotische Angebot sind bei Phettberg untrennbar verbunden. Sobald sein Körper ins Spiel kommt, stellt Phettberg ihn verbal zur Disposition, sowohl gegenüber seinem Publikum als auch gegenüber seinem Gesprächspartner. In dem schon erwähnten Gespräch mit dem Pathologen Hans Bankl äußert er den Wunsch, nach seinem Tod von Bankl obduziert zu werden. Die Anzüglichkeit liegt dabei gerade in der Personengebundenheit dieses Wunsches. Nicht irgendjemand soll seinen Körper sezieren dürfen, sondern nur der Mann, der ihm in diesem Augenblick gegenübersitzt und auf dem er, zufrieden mit diesem Ansinnen, seinen begehrlichen Blick ruhen lässt. Er lässt sich detailliert beschreiben, wie diese Obduktion ablaufen würde, spricht von den Problemen, die sich wahrscheinlich durch seine Fettleibigkeit ergeben würden, und erkundigt sich über die Möglichkeiten und Techniken einer Einbalsamierung. Bankl beantwortet jeden dieser erotischen Vorstöße zwar korrekt, aber mit übertriebener Sachlichkeit und Distanz, was Phettberg veranlasst, durch bedeutungsvolle Seitenblicke die Erotisierung erst recht zu forcieren. Phettbergs sadomasochistische Erotik umfasst beide Aspekte, die des Opfers wie auch die des Täters17: Seine masochistische Unterwerfung vollzieht sich in der herausfordernden Darstellung der eigenen Verfüg-

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barkeit. Gerade im Akt des Sich-Anbietens und in der erotischen Aufforderung liegt seine souveräne Initiative, eine insistierende, quälende, sadistische Aggression von seiner Seite. Die sexuelle Aggression setzt schon mit der fortwährenden Bezugnahme auf seine eigene Körperlichkeit ein, sie kann sich aber auch bis zur Ausführung konkreter sexueller Handlungen steigern. Zu Besuch in der Harald Schmidt Show unterbricht Phettberg die Repliken seines Gastgebers, indem er in sein Mikrofon schmatzt und mit der Zunge schnalzt, oder langsam mit der Zunge über seine Lippen streicht. Er erzählt mit Impertinenz von den vielfältigen Möglichkeiten der sadomasochistischen Praxis, überreicht Schmidt als Gastgeschenk ein »Rohrstaberl« und lädt ihn ohne jede Ironie, fast bettelnd ein, ihn bei seinem Ausflug in ein Kölner SM-Studio zu begleiten. Es gibt bei seiner lüsternen Gewalt kein Entweder-Oder. In allen seinen Avancen spricht er sowohl von der eigenen Verfügbarkeit, als auch von dem, was er selbst in Besitz zu nehmen und sich einzuverleiben gedenkt. Genauso, wie er sich hinzugeben bereit ist, stellt er auch konkrete Forderungen. Es ist immer beides im Spiel: das Fressen und das GefressenWerden.18 Das Wesentliche des sadomasochistischen Arrangements liegt dabei auch in seiner formalen Eindeutigkeit, seiner visuellen Qualität, und damit seiner Theatralität. Im Sadomasochismus der Showbühne wird die gesamte ambivalente Thematik der Souveränität bildlich in Szene gesetzt. In seiner Greifbarkeit und Anschaulichkeit ist das sadomasochistische Setting schneller, in seiner Wirkung direkter als das vieldeutige verbale Spiel. In einem Gespräch muss sich dieses Spiel erst nach und nach entwickeln – das sadomasochistische Setting ist einfach da. Es ist wie die Vorwegnahme des Ausgangs dieses Spiels, sein spektakulärer Rahmen. In manchen Shows wird der Showmaster von Anfang an von einer zweiten Person begleitet, einer Art Doppelgänger, die nicht Gast oder Kandidat, auch nicht Zuschauer, und auch nicht ein klassischer Side-Kick ist. Mit solchen Personen spielt er ein sadomasochistisches Verhältnis durch. In der Nette Leit Show ist dieser Doppelgänger der Regisseur und Produzent Kurt Palm. Obwohl Phettberg ihn ständig im Mund führt, ist der heimliche Organisator und Befehlsgeber niemals sichtbar oder hörbar. Auf seine akusmatische Präsenz wird lediglich hingewiesen, zum Beispiel durch die Palme auf der Südseetapete, die den Bühnenhintergrund ziert, und durch ein gelbes Telefon, das auf einem Tischchen zwischen den Sesseln bereitsteht, und das Phettberg in zweifelhaften Situationen benutzt, um mit dem Unsichtbaren Rücksprache zu halten und ihn über den weiteren Ablauf der Show zu befragen. Manchmal ist auch Palm derjenige, der von sich aus mitten in einem Gespräch anruft, um Phettberg wegen irgendeiner Sache zu korrigieren oder ihm weitere Anweisungen

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für das Gespräch zu geben. Hierdurch wird deutlich gemacht, dass Phettberg in wesentlichen Fragen des Ablaufs keinerlei Entscheidungsbefugnis hat, und dass ihm bei einer eventuellen Eigenmächtigkeit eine strenge Zurechtweisung droht. Ein weiterer Hinweis auf die Präsenz des Regisseurs ist die Pedanterie, mit der jedes Gespräch, gleichgültig, wie es sich entwickelt und welches Interesse es beim Publikum erzeugt, nach exakt einer Viertelstunde durch akustische Warnzeichen, das Rufen einer Kuckucksuhr und die einsetzende Hintergrundsmusik, beendet wird. Dieses pedantische Abschneiden der Unterhaltung geschieht oft gegen den Willen Phettbergs und verweist wiederum auf das tyrannische Agieren des Schattenmannes Kurt Palm, der im Hintergrund die Fäden zieht. Auch Robin, der schweigsame Bühnenassistent, wirkt, obwohl er auf Phettbergs Kommandos reagiert und zum Beispiel ein frisches Glas, einen Flaschenöffner oder andere Kleinrequisiten bringt, eher wie eine weitere Möglichkeit, von außen auf das Bühnengeschehen einzuwirken. Er tut mechanisch seinen Dienst, reagiert aber auf keine der Fragen und Kommentare, mit denen ihn Phettberg und seine Gäste bedrängen. Er zeigt sich unnahbar gegen jegliche Kontaktaufnahme, und es scheint, als trete er ausschließlich auf das Geheiß seines eigentlichen Herrn, Kurt Palm, in Aktion, als dessen verlängerter Arm. Wenn Robin auf die Bühne kommt, ist sein Blick nicht auf Phettberg gerichtet, sondern wendet sich zurück ins Off, in den imaginären Bereich der Regie, in dem man den Überherrn der Show vermutet. Robin scheint erst das lautlose ›Ja‹ dieses Überherrn abzuwarten, bevor er in Aktion tritt; von diesem, nicht von Phettberg, erhält er seine Befehle. Beide, Palm und Robin, wirken wie zwei dunkle Wächter, die stumm, kalt und ungnädig Phettbergs Aktionen verfolgen, in ständiger Bereitschaft, seine Fehlhandlungen zu bestrafen. In diesem Setting, in dem die Variation der Gespräche ihr statisches Gegenstück findet, spielt Phettberg eindeutig die Rolle eines sklavisch entwürdigten Untergebenen. Zugleich erweitert aber die schattenhafte Präsenz eines nicht greifbaren, und damit auch nicht angreifbaren Herrschers seine despotischen Möglichkeiten gegenüber dem Gast, denn auch dieser unterliegt den Anweisungen dieser geheimnisvollen Machtpräsenz. Jederzeit kann sich Phettberg auf deren Willen berufen, die Verantwortung ihr übertragen, und sich auf diese Weise aus der Affäre ziehen. Der Verweis auf eine zugleich personale und abstrakte, jenseitige MachtInstanz verleiht seiner Aktivität auf der Bühne eine zusätzliche Autorität. Damit wiederholt sich auf einer sehr praktischen Ebene die Umdeutung der Erniedrigung in einen letztendlichen Machtzuwachs. Der inszenierte Sadomasochismus ist in seinem Resultat niemals einseitig, nie sind in ihm die Machtverhältnisse soweit festgelegt, dass sie sich nicht genausogut umkehren könnten. Herr und Knecht, Opfer und Geopferter, Sadist

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und Masochist sind eins, sie sind Teilaspekte einer umfassenden Souveränität. Demut und Gewalt sind nur die zwei Gesichter eines monströsen Janus, der im oszillierenden Wechsel seiner Disponiertheiten die eigene Macht in Szene setzt.

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VIII. DIE VERHEISSUNG

DER

ORGIE

»Es begann fast eine Orgie, ein Fest über die ganze Erde.« (F.M. Dostojewski – Die Brüder Karamasoff) »Und von daher komme ich jetzt zu der Frage: Ist Orgie überhaupt möglich?« (Hermes Phettberg mit Hermann Nitsch)

Ich habe bisher dargestellt, wie sich der Showmaster als eine despotische Person konstituiert, wie er sich durch die Präsentation seines Machtapparates die Showbühne zu eigen macht, und wie er aus dieser Position heraus als eine Art gewalttätiger Zeremonienmeister agiert. Ich habe gezeigt, wie er in seinen Gesten des übersteigerten Respekts und der depressiv oder sadomasochistisch geprägten Passivität selbst Züge eines Opfers annehmen kann. Ich habe auch angedeutet, wie in den Phänomenen der Überaffirmation und im »irrsinnigen Moment« des Schreckens die Zuschauer aktiv in das Showgeschehen einzugreifen beginnen, wie sie den Zuschauerraum zur Bühne machen, und wie dabei die inszenierte Vorherrschaft des Bühnendespoten immer mehr ins Wanken gerät. Der Despot gibt für Augenblicke sein Zepter aus der Hand; mit seinem persönlichen Herrschaftsanspruch stellt er auch immer das gesamte Gefüge seiner Show zur Disposition; im Wanken dieses Gefüges kündigt sich eine Verkehrung aller bestehenden Strukturen an, als deren Endpunkt sich eine wilde, orgiastische Unordnung ahnen lässt. Bei Hermes Phettberg stellt sich solches Wanken als ein längerfristiger Wechsel von Stimmungslagen dar, bei ihm ist es die zeitlupenartige Änderung von Befindlichkeiten, die die Atmosphäre eines ganzen Gespräches, sogar eines ganzen Abends bestimmen kann. Diese stimmungsmäßige Trägheit hat er mit Karl Dall, aber auch mit Annie Sprinkle oder dem New Yorker Soloperformer Jack Smith gemeinsam. Bei diesen Performern vermittelt sich über ihre Langsamkeit auch eine Privatheit, sie scheinen ihre Gäste und ihr Publikum bei sich zu Hause zu empfangen, an einem Ort, wo sie ihr ganz eigenes Tempo leben können.1 Bei anderen 251

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Shows, vor allem im temporeichen Late Night-Format, zeigt sich das Auf und Ab der Herrschaftsverhältnisse auf andere Weise. Der Ort des Geschehens wird hier als ein öffentlicher Ort inszeniert, die Veranstaltung ist auf einer Ebene sehr förmlich und offiziell. Die Moderatoren sind ständig getrieben von einem rasenden Rhythmus, einer gnadenlosen Taktvorgabe, die sie einzuhalten haben. Auch in der Late Night wird die despotische Macht in ihrer Doppeldeutigkeit gezeigt; auch hier wechseln megalomanische Hochs mit depressiven Tiefs ab. Die Abwärtsbewegung ist hier aber kürzer, flüchtiger, sie erscheint wie ein winziges Einsacken der überenergischen Haltung, wie eine momentane Entladung, in der für Sekundenbruchteile die fiebrige, nervöse Anspannung des Showmasters ein Ventil findet. Die depressive Anwandlung des Late Night-Moderators gleicht einer kurzfristigen pathologischen Dekompensation angesichts einer kontinuierlichen Überforderung durch das gnadenlose Tempo seiner Show. Er, der sonst immer alles im Griff hat, der seiner Zeitvorgabe immer vorauszueilen scheint, der seine Pointen, seine Nummern, seine Gäste handhabt wie die Hebel einer Maschine, dieser Souverän par excellence rastet plötzlich aus, seine Nerven liegen blank, und seine in alle Richtung strahlende Angriffslust wendet sich in einer autoaggressiven Kehre plötzlich gegen sich selbst. Conan O’Brien wird vor laufenden Kameras verrückt; er sitzt von allen seinen Mitarbeitern verlassen auf der Bühne, die nur von einem kalten Arbeitslicht beleuchtet wird, und talkt mit halluzinierten Gästen. Harald Schmidt inszeniert anlässlich einer misslungenen Pointe ein jähzorniges Harakiri2; David Letterman zerrt in einem selbstzerstörerischen Anfall eine lebensgroße Letterman-Puppe auf die Bühne, beutelt sie, reißt sie an Armen und Beinen, prügelt wütend auf sie ein, um sie schließlich zu erschießen3 Die sonst zur Schau gestellte Virtuosität erweist sich als eine maßlose Selbstüberforderung, die den Showmaster in den Wahnsinn treibt. Die despotische Herrschaft ist ein Tanz auf dem Vulkan. Jederzeit kann das zum Bersten gespannte megalomanische System der Show explodieren und den Tänzer unter sich begraben. Tatsächlich wird auch in der öffentlichen Diskussion in Bezug auf die Late Night Shows ein solcher Diskurs des Risikos geführt. Immer wieder ist als Kehrseite des triumphalen Erfolges die Rede von einem noch umfassenderen Scheitern. Die einzige Alternative zum Erfolg ist der Untergang. In einem Interview mit Larry King bezeichnet Letterman seine allabendlichen Auftritte als einen »Kampf um Leben und Tod«. Die Metaphorik in solchen Äußerungen ist unverkennbar. Hier wird ein imaginärer Krieg geführt, aus dem die Person des Showmasters als größter Triumphator hervorgehen, in dem sie aber auch als einziger Verlierer, als von allen Verschmähter und in den Staub Getretener, ihr Leben lassen kann. »Bald sieht er sich auf die Spitze einer Pyramide gestellt, [...] bald

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kehrt sich, im Gegenteil, diese Pyramide um, und er befindet sich, da er immer noch die Spitze der Pyramide bewohnt, in der allerniedrigsten Position, erdrückt vom gesamten Universum.«4 In diesem Bild, das geeignet ist, den streng formalen Charakter des inszenierten Machtspiels zu veranschaulichen, liegt eine tragische Komik. Hier deutet sich ein Mechanismus5 an, in dem der universelle Herrscher im Handumdrehen zum universellen Sklaven wird. Alles, was er sich vormals untergeordnet hatte, lastet jetzt mit unerträglichem Druck auf ihm; je glanzvoller er sich aufgeschwungen hat, desto jämmerlicher muss er in dieser Umkehr erscheinen. In den knappen, sinnfälligen Gebärden der Autoaggression, wie sie bei Schmidt und Letterman inszeniert werden, ist eine wesentliche Seite des komischen Despotismus speziell der Late Night ausgedrückt. Die Selbstherrlichkeit wird hier teuer bezahlt, wie in einem Teufelspakt. Der böse Mann der Show verwandelt sich in eine Gliederpuppe und wird zum Opfer der eigenen Macht-Maschinerie. Durch den simplen Mechanismus der Dreh-Pyramide lässt sich in jeder Geste der Selbstverherrlichung auch eine Steigerung der Fallhöhe erkennen. Mit dieser steigert sich wie beim Seiltanz auch das Begehren, den komischen Sturz des Despoten zu erleben. In diesem komischen Wechsel von Stellungen liegt aber auch eine Erotik. Von besonderer Bedeutung ist dabei der direkte körperliche Kontakt des Moderators mit seinem Publikum in jenen Momenten, in denen er unter die Leute geht. Immer wieder verlässt der Moderator unter diversen Vorwänden die Bühne, um sich in den Zuschauerraum zu begeben, zum Beispiel verteilt er kleine Geschenke und Souvenirs, oder er gibt vor, unter den Leuten jemanden zu suchen, oder er begrüßt völlig willkürlich einzelne Zuschauer mit Handschlag. Bei solchen Aktionen entsteht ein allgemeines Schieben und Drängeln, die Leute springen von ihren Sitzplätzen auf, um besser sehen zu können, und die am nächsten stehenden versuchen, den Moderator an Arm, Schulter oder Rücken zu berühren. Die Kamera schwingt über den Köpfen der Zuschauer hin und her, und in ihrer großzügigen Bewegung verschmilzt das Kollektiv zu einer unkontrollierten, wogenden Menge. Man erwartet, dass die schmale Gasse, durch die sich der Moderator bewegt, jeden Augenblick über ihm zusammenschlägt. Der Moderator selbst scheint dieses Bad in der Menge zu genießen; mit beiden Armen ergreift er die sich ihm entgegenstreckenden Hände, um sie zu schütteln, wodurch sich das Gedränge noch steigert. Die Show-Band tut das ihre, um die Stimmung anzuheizen. Alles deutet auf die charakteristische Szene hin, in der eine erhitzte Menschenmenge die Schranken durchbricht, um buchstäblich über das Objekt ihrer Begierde herzufallen und es zu zerquetschen. Diesem Risiko setzt

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sich der Moderator mit einem gewissen Pathos aus, und er demonstriert damit die erotische Anziehungskraft seiner Figur. Eine sehr direkte Wirkung entfalten auch die verschiedenen Gesten der Entblößung, in denen sich eine Erotisierung des Moderators äußert. Die Präsentation eines Kleidungsstückes, eines exotischen Tanzschrittes, einer Sportart, eines neuen Trimmgerätes wird zum Anlass genommen, sich seines Anzugs zu entledigen und den Zuschauern seinen Körper in engen Trikots, im Badeanzug, oder auch weit gehend nackt darzubieten. »Ausziehen! Ausziehen!« kommt als obligatorischer Zuruf. Schon das leichte Lüften eines Hosenbeins mit dem entsprechenden Gesichtsausdruck genügt, um beim Publikum begeisterte Reaktionen auszulösen. Denselben entblößenden Charakter haben Aktionen, in denen die Kamera sehr nahe heranrückt, sogar Zunge, Rachen und Gaumenzäpfchen in Detaileinstellungen filmt. Solche Darbietungen können bis zur Ekelhaftigkeit getrieben werden. Der Despot stellt Aspekte seiner elementaren Körperfunktionen zur Schau, seinen Schweiß, seinen Speichel, seine Pickel. Er spuckt, er sabbert, er zieht hörbar seinen Rotz hoch und schluckt ihn, er scheint sich von innen nach außen zu stülpen. Einmal beginnt er, sich mit einem Magenspiegel selbst zu endoskopieren, und die Bilder aus seiner Speiseröhre werden über Monitore in den Saal projiziert.6 Am exzessivsten und konsequentesten entblößt sich Annie Sprinkle. Sie zieht sich komplett aus, zeigt ihr Geschlecht, positioniert sich mit weit gespreizten Beinen auf einem Sessel und gewährt ihren Zuschauern mit Hilfe eines gynäkologischen Spekulums einen Blick tief in ihre Vagina. Während ihrer gesamten Performance provoziert sie ihre Zuschauer, indem sie sie kontinuierlich ermutigt, nach vorne zu kommen und ihr bei verschiedenen Aktionen zur Hand zu gehen, sie zu filmen und zu fotografieren, oder bestimmte intime Stellen ihres Körpers einmal genauer zu betrachten, als sie es von ihrem Platz aus können. Auf diese Weise entsteht die Szenerie einer Kommunion, bei der die Leute vor der Bühne Schlange stehen, um die dargebotenen Körperpartien zu besichtigen. Sie drängen sich mit Taschenlampen vor der Öffnung des Spekulums, und jeder möchte drankommen, um einen kurzen Blick auf ihren Gebärmutterhals werfen zu können. Am Ende der Show lädt sie dann die Leute ein, sich zusammen mit ihr auf der Bühne fotografieren zu lassen. Sie bittet ihren jeweiligen Besucher, vor ihr auf einem Sessel Platz zu nehmen, legt ihre Brüste auf seinen Kopf, und lächelt dazu in die Sofortbildkamera ihrer Assistentin. Anschließend signiert sie das Polaroid und überlässt es der betreffenden Person.7 Solche Souvenirs sind bei ihren Zuschauern begehrt, und bald sitzt niemand mehr auf seinem Platz, weil alle versuchen, eine solche Trophäe zu ergattern. Die Massenszene, die sich dabei ergibt, ist prekär und erotisch. Wesentlich ist dabei nicht der Grad der

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Entblößung, entscheidend ist, dass in der verführerischen Darbietung des eigenen Körpers immer auch die eigene Wehrlosigkeit, das Ausgeliefertsein in Szene gesetzt wird. Der Showmaster/Performer befindet sich, wenn er sich zur allgemeinen Betrachtung darbietet, in einer Position, in der er tendenziell passiv ist. Damit fordert er seine Zuschauer auf, ihrerseits aktiv zu werden und die Initiative zu übernehmen. Er kreiert delikate Situationen, in denen er auf Gnade und Ungnade einer Menge ausgeliefert ist, die er selbst aufwiegelt. Seine Verführung ist nicht nur eine Überredung zu sexuellen Handlungen, sondern sie entspricht viel allgemeiner dem Drang, eine Situation bis zur Eskalation zu treiben. Man stelle sich vor, wie das bloße Schauen in Anfassen übergeht, wie das Anstehen und Drängen in aggressive Handgreiflichkeiten ausartet, und wie die allgemeine Begeisterung in Wut umschlägt... Mit jedem erotisch gefärbten Angebot wird die Bedrohung eines solchen schlechten Ausgangs in Aussicht gestellt, bei dem eine ungezügelte Masse sich blindwütig übereinanderstürzt. Solche Eskalationen, in denen eine Interaktion vollständig außer Kontrolle gerät, vollziehen sich weit gehend im Bereich der Imagination. Das unsittliche Angebot wird, noch bevor es artikuliert ist, schon wieder eingedämmt und teilweise zurückgenommen. An jede auffordernde Geste schließt sich in der Regel eine komisch indignierte Zurechtweisung an. Sowohl die diversen Entblößungs-Aktionen als auch das pathetisch inszenierte Bad in der Menge zeigen diesen Double Bind. Das Chaos ist niemals wirklich gegenwärtig, es ist immer in einer verheißungsvollen, aber nicht akuten Zukunft gelegen. Dennoch verdankt eine Show ihre komisch-erotische Faszination zu einem Großteil dieser vagen Verheißung. Schon im Live-Anspruch und in der behaupteten oder tatsächlich realisierten Spontaneität der verschiedenen Fernseh- und Bühnenshows wird eine solche Verheißung deutlich: Die Live-Sendung und die Improvisation beinhalten immer einen Moment der Unsicherheit, in dem sich zumindest die Möglichkeit einer außerplanmäßigen Entwicklung andeutet, und der manchmal eben auch zu eine handfeste Show-Katastrophe ausarten kann. Solches Risiko wird in der despotischen Show nicht nur in Kauf genommen, etwa im Interesse einer direkteren Einbeziehung des Publikums, sondern es wird gezielt genutzt und inszeniert. Vor allem in der Interaktion des Showmasters mit seinen Gästen wird durch unverhohlene Angriffe und direkte Beleidigungen das Gespräch manchmal nahe an einen Punkt gebracht, an dem der Gast nicht mehr mit Erwiderungen, Gegenangriffen oder Indolenz reagieren kann, sondern an dem seine Stimmung in persönliche Gekränktheit und Wut umschlägt. Abenteuerlustig reizt ihn sein Gastgeber so weit, dass sogar das Publikum mit halb belustigten, halb entrüsteten Zwischenrufen der eigenen Verunsicherung

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Ausdruck verleiht. David Letterman geht in der Direktheit solcher Invektiven am weitesten. Die Sängerin und Schauspielerin Cher nennt ihn, nachdem er sie zehn Minuten mit Unverschämtheiten und Anzüglichkeiten traktiert hat, vor laufender Kamera ein »Arschloch«. Jane Seymour verlässt, ebenso wie Nastassja Kinski, unter Tränen vorzeitig das Studio, und mit Shirley Mac Laine gerät er in handfesten Streit. Einen TVShowmaster, der bei einem Konkurrenz-Kanal eine rechtslastige PolitShow moderiert, empfängt Letterman mit der Frage: »Passiert es Ihnen manchmal, dass Sie nachts aufwachen und denken: ›Ich bin doch eigentlich nichts als ein dampfendes Stück Scheiße‹?«...8 Ähnliches passiert bei Harald Schmidt, in seiner Anfangsphase bei Sat1, als er seine Kollegin Bettina Böttinger als Gast empfängt. Schon im Vorfeld wird um diesen Auftritt ein gewaltiger Wirbel gemacht, denn Böttinger ist anfangs eine der Dauer-Zielscheiben in Schmidts Stand-up-Teil, einer der bekannten Namen, die sein Publikum damals in beinahe jeder Show zu hören bekommt, und die dabei immer mit Spott bedacht werden. In einer kurz vorausgehenden Show hatte Schmidt die Moderatorin (in einer wirklich unlustigen Sequenz) als Lesbe geoutet. So hat dieses erstmalige öffentliche Zusammentreffen von vorneherein den Kitzel eines Show Down, und tatsächlich nimmt Böttinger bei ihrem Erscheinen ohne Umschweife Bezug auf dieses Outing, bezeichnet es als eine kränkende und noch dazu wenig unterhaltsame Taktlosigkeit, und verlässt den Saal, damit Schmidt, der ja bevorzugt in Abwesenheit der Betroffenen Beleidigungen austeile, die verbleibende Zeit nutzen könne, um noch mehr Witze über sie zu machen. Es ist bezeichnend, dass dieser spektakuläre Wortwechsel ungekürzt gesendet wird, und dass er seitdem in fast jeder »Best Of«-Zusammenstellung der Show als Highlight gebracht wird. Ausgerechnet dieses Gespräch, in dem sich Schmidt hoffnungslos in der Defensive befindet und nur noch stammelnd und ohne jede Schlagfertigkeit Selbstrechtfertigungen ausstoßen kann, und in dem sein Gast souverän und fundiert ihn und seine Show abqualifiziert, wird zu einem Emblem der Harald Schmidt Show erhoben. Böttingers Auftritt ist einer jener ständig erhofften, aber selten eintretenden Augenblicke, in denen sich die fortwährende Verheißung einer Katastrophe endlich einmal erfüllt. Nicht nur die souveräne Position des Showmasters ist hier ernsthaft in Frage gestellt, auch der planmäßige Ablauf der Show ist durch das entstehende Zeitvakuum, das dem sonstigen Tempo diametral entgegensteht, empfindlich gestört. Der Showmaster bleibt diesmal beim Abtritt des Gastes nicht wie sonst in Verschworenheit mit seinem Publikum zurück, sondern ist vollkommen verblüfft und erscheint wie gelähmt. Die kontrollierende Instanz ist niedergeschmettert, die Show steht still, und im Saal herrscht konsterniertes

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Schweigen. Für den Bruchteil einer Sekunde scheint es, dass nun alles passieren kann. Solche kleinen Sensationen stellen die effektvollste und zugleich primitivste Form einer Chaotisierung des Showgeschehens dar. Ihre Wirkung zeigt sich in dem Nachhall, den sie üblicherweise in der öffentlichen Diskussion der Presse finden. Sie sind dort angesiedelt, wo das imaginäre Außer-Kontrolle-Geraten in den greifbaren Bereich der Aktualität eintritt, wo das ewig in Aussicht gestellte ultimative Ereignis endlich Wirklichkeit zu werden verspricht. Trotzdem scheint es, dass solche Momente der Sensation allzu schnell vergehen, dass das momentane Machtvakuum sich sofort wieder ausfüllt und, zum Beispiel mit einer kurzen Anweisung aus der Regie, zur Tagesordnung übergegangen wird. Ehe man es sich versieht, ist der Effekt verpufft. Die Sensation hält nicht, was sie verspricht, sie ist weniger subversiv und folgenschwer, als man erwartet hatte. Der Organismus der Show erscheint eben doch außerordentlich widerstandsfähig und ist ohne weiteres in der Lage, solche Angriffe zu absorbieren. Infolgedessen muss sich bald eine Enttäuschung beim Publikum einstellen, wodurch sich die schnelle Abnutzung solcher Effekte erklärt. So sind auch die Shows, die fast ausschließlich auf der Inszenierung von Sensations-Effekten beruhen, wie die von Ullrich Meier moderierten Streit-Sendungen Einspruch9 oder Der heiße Stuhl10, von der Bildfläche verschwunden. Die Dauer-Eskalationen ihrer wütenden Wortgefechte haben sich bald als zu vorhersehbar erwiesen, waren schließlich nur noch sterile Schaukämpfe, in denen der Moderator als eine Art Dompteur meistens vergeblich bemüht war, die streitenden Parteien gegeneinander aufzubringen. Lediglich am Ende von Arabella Night hat sich das »Krawallfernsehen« (Der Spiegel11) in den End-Neunzigern noch längere Zeit gehalten, hier allerdings, wie im Fall der Jerry Springer Show, mit humorvollem Anstrich. Zum Schluss der Sendung wird der »Call In-Gast« vorgestellt, der öffentlich und vor laufenden Kameras mit äußerster Entschiedenheit eine anstößige Meinung vertritt, von der er sich um keinen Preis abbringen lässt. Häufig haben diese Statements eine erotische Komponente, wenn beispielsweise ein praktizierender LackFetischist seine besondere Neigung zu rechtfertigen versucht, oder wenn ein ansonsten braver Ehemann und Familienvater sich zu seinen regelmäßigen Bordellbesuchen bekennt. Das eigentliche »Call In« besteht nun darin, dass der Gast, der sehr exponiert an einem Pult mitten im Raum steht, von Fernsehzuschauern telefonisch mit Fragen, Einwänden, Stellungnahmen, vor allem aber mit undifferenzierten und polemischen Kommentaren überschüttet wird. Diese Kommentare werden live eingespielt. Parallel hierzu wird der Gast von der Moderatorin Arabella Kiesbauer interviewt, und auch das Saalpublikum wird ermutigt, entweder

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durch Sprechen in das Saalmikrophon, oder einfach durch unverstärktes Dazwischenbrüllen an dieser Schein-Diskussion teilzunehmen. Der Gast wird aus allen Rohren unter Beschuss genommen, und zwar mit durchweg ablehnenden und empörten Äußerungen. Das Ganze verläuft nicht geordnet, sondern endet im Idealfall in einer öffentlichen Schlammschlacht, in der alle gleichzeitig und gleichermaßen unartikuliert reden, rufen, pfeifen, lachen, applaudieren, buhen, und in der niemand mehr zu Wort kommt. Die zuerst einmütig gegen den Gast gerichtete Feindseligkeit verwandelt sich in ein belangloses stimmliches Durcheinander, dem sich niemand entziehen kann. Irgendwann schimpft jeder gegen jeden an, und über die unbeholfenen Stilblüten eines Anrufers wird genauso gelacht wie über die Selbstverteidigungsversuche des Gastes oder über die Zwischenrufe eines Saal-Zuschauers. Die Situation scheint der Moderatorin allmählich über den Kopf zu wachsen, und hierin unterscheidet sich das Konzept von der Strategie bei Jerry Springer: Die Show endet nicht mit einer bündelnden und ordnenden Abmoderation, sondern im Moment ihrer größten Verwirrung. Hier wird also das Eintreten der eigentlichen Sensation eines kompletten Kontrollverlustes in einen jenseitigen, imaginären Bereich verlegt. Es scheint, dass das universelle Chaos als die ultimative Show-Katastrophe generell in einem solchen Jenseits verbleiben muss, um wirken zu können. Die aktuell eintretende Sensation ist zu flüchtig, zu desillusionierend, als dass sie auf Dauer interessant sein könnte. Ihre imaginäre Version lässt dagegen der Vorstellung alle nur erdenklichen Möglichkeiten offen. Nur auf dieser Ebene können die orgiastischen Anklänge der Show eingelöst werden. Das Erreichen eines Zustands, in dem die Vorstellungskraft solcherart in Gang gesetzt wird, ist für das Ende einer Show sehr erwünscht. Es werden alle Register gezogen, um eine solche Atmosphäre des Exzesses und der totalen Regellosigkeit heraufzubeschwören, eine Atmosphäre, in der die Barriere zwischen Saal und Bühne verschwindet, in der sich jegliche räumliche, zeitliche und hierarchische Struktur verliert, um den Raum für die Vorstellung einer universellen Teilhabe zu öffnen. Bei aller Unwägbarkeit eines solchen imaginären Zustands, und bei allem Glück, das erforderlich ist, um ihn andeutungsweise heraufzubeschwören, gibt es dennoch in der Show klar definierbare Mittel, mit denen er, wenn nicht herbeigeführt, so doch zumindest nachgestellt wird. Der Theaternebel, der sich wie ein Teppich über die Rampe in den Zuschauerraum ergießt, und in dem jeder Niveauunterschied des Raumes ausgeglichen wird, die Luftballons, die aus der Decke fallen und die Show-Gemeinschaft unterschiedslos unter sich begraben, die Kameratotalen, bei denen das Kollektiv von Einzelpersonen zu einer wogenden Masse verschmilzt – all das sind verlässliche und standardisierte Effekte, mit denen zumindest dem

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Fernsehzuschauer der Eindruck einer exzessiven Entdifferenzierung vermittelt werden kann. Dass es sich bei solchen Effekten eher um Theaterdonner als um eine tatsächliche Entgrenzung handelt, dass der hier gezeigte Exzess immer ein inszenierter bleibt, ist für die despotisch dominierten Shows kein Hemmnis. Die pathetische Übertreibung der Mittel ist im Sinne ihrer komischen Konzeption.12 Die Late Night Shows mit ihren technischen Möglichkeiten entwickeln im Einsatz solcher Mittel eine große Vielfältigkeit. Letterman lässt an einem Abend, in der Zeit der großen Hitzewelle in den USA während des 1994er Sommers, ganz unvermittelt hunderte von Strandbällen über die Rampe in den Zuschauerraum rollen, die sofort ergriffen und herumgeworfen werden. Der Saal wird zu einer bunt wimmelnden Arena, in der blitzschnell ein regelloses Spiel um sich greift. Eine Beruhigung tritt erst ein, als die Saaldiener an alle Zuschauer Eis am Stiel verteilen.13 Gegessen und getrunken wird auch bei Harald Schmidt. Einmal gibt es Freibier, ein anderes Mal werden Würstchen mit Senf ausgegeben. In solchen Aktionen vermittelt sich auch die ausufernde Verschwendung, die dazu beiträgt, der Show einen festlichen Anstrich zu geben und sie in einem Bereich jenseits des Arbeitsalltags anzusiedeln. Die verheißungsvolle Wirkung des Überflusses wird bekräftigt durch die gemeinsame Aktion. Das gemeinsame Spiel, das gemeinsame Essen und Trinken sind integrative, aber auch nivellierende Tätigkeiten, in denen die Einzelperson eine Zeitlang vollkommen in der veranstalteten Gemeinschaft aufgeht. Beim Spiel mit Bällen oder Luftballons, von dem neben der Show auch andere Feste und Massenveranstaltungen Gebrauch machen (von Mainz bleibt Mainz bis zum amerikanischen Präsidialwahlkampf), und beim Verteilen von Nahrung und Geschenken, ist neben der Integration auch immer die Möglichkeit einer Eskalation gegeben. In jeder rituellen oder inszenierten Entdifferenzierung schlummert die Orgie, als deren unheimlicher und erregender Endpunkt. Die gemeinschaftliche Aktion der Massenszene hat zwei Gesichter, ein integratives und ein gewalttätiges. Diese beiden Aspekte schließen einander nicht aus, sondern sie sind in wechselnder Gewichtung gemeinsam präsent. So werden die beschriebenen Gesten des Verteilens und des ›Fütterns‹ in der Late Night auch stets mit einem doppeldeutigen Ausdruck ausgeführt. Hinter dem Scheingrund der Geselligkeit tritt eine boshafte Versuchung zu Tage. Es scheint, als wolle man diesem wilden Haufen, diesem Mob im Zuschauerraum etwas zum Fraß vorwerfen, um dann, angewidert und aus sicherer Entfernung, Zeuge des entstehenden Gemetzels zu werden. In weniger technisierten und finanziell weniger aufwendigen Shows stehen zur Inszenierung solcher orgiastischer Gemeinschaftlichkeit andere Mittel zur Verfügung. Bei Annie Sprinkles Performances

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mündet die beschriebene Kommunion, bei der die Zuschauer auf die Bühne drängen, um zu betrachten, zu filmen, zu fotografieren oder fotografiert zu werden, in eine Art Stehparty, wenn sich Performer, Zuschauer, Assistenten und Techniker vermischen und miteinander ins Gespräch kommen. Es wird gelacht, gegessen, getrunken; die Aufführung geht nahtlos und ohne Ortswechsel in die Premierenfeier über, und der Raum erscheint nun in einem ganz anderen Licht. Räumliche Begrenzungen, die vorher bewusst überschritten werden mussten, sind nun nicht mehr vorhanden, die Leute bewegen sich völlig zwanglos hin und her, im Parkett, im Foyer und auf der Bühne. Karl Dall gelingt es am Ende einer seiner Shows14, auf rein verbaler Ebene ein solches orgiastisches Durcheinander zu provozieren. Zusammen mit dem amerikanischen Sänger David Hasselhoff, seinem Stargast des Abends, lädt er Erich Feldweg ein, einen hoch qualifizierten deutschamerikanischen Dolmetscher (»Dallmetscher«), der alles Gesagte simultan mitübersetzen soll, um die Verständigung zu erleichtern. Aber schon mit der ersten Frage, die Dall in brockenhaftem Amerikanisch an Hasselhoff richtet, verursacht er eine vollständige Verwirrung der Sprachen und der Kompetenzen: Dall verstrickt sich immer mehr in ein komisches Deutsch-Englisch und irritiert damit nicht nur seinen Stargast, sondern auch den Dolmetscher, der nicht weiß, ob er dieses gestammelte Kauderwelsch nun übersetzen soll oder nicht. Dall ist selbst verwirrt und beginnt, die Zugehörigkeiten der Sprachen zu verwechseln. Zu seinem Saalpublikum spricht er englisch, zu Hasselhoff deutsch, und seinen deutschen Gästen erläutert er das Gesagte wiederum in englisch. Er übersetzt parallel zum Dolmetscher, und natürlich viel inadäquater, er versucht, die Übersetzung des Dolmetschers in die jeweils andere Sprache rückzuübersetzen, weil er die Ursprungsversion nicht mitbekommen hat, er gibt Anweisung, seine nicht übersetzbaren Wortspiele in der Fremdsprache zu erläutern und deutsch-englische Gleichklänge wie »I« (ich) und »Ei« hin und her zu übertragen, bis schließlich alle durcheinander sprechen, aber niemand mehr weiß, in welcher Sprache eigentlich geredet wird. Das Erstaunliche bei dieser großartigen Szene ist, dass sie, trotz wechselseitiger Missverständnisse und Zurechtweisungen, einen deutlich integrativen Tenor hat. Die einzelnen Repliken verschmelzen zu einer delirierenden Wirrnis, über die man nur noch gemeinsam lachen kann. Gleichgültig, ob das Finale einer Show sich als ein solcher gutgelaunter Anarchismus darstellt, oder ob es sich im Stil einer Party, wie bei Annie Sprinkle, einer quasi religiösen Kommunion, wie bei Hermes Phettberg vollzieht, oder auch mit der provokativen Übertriebenheit der Late Night, gleichgültig, ob sich seine Buntheit eher zufällig ergibt, wie bei Dall, oder ob sie auf dem Weg ritualisierender Wiederholung erreicht

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wird, wie bei Ednas »Gladies Song«: immer erzeugt dieses Finale die Atmosphäre einer komisch-erotischen Erregung, die den ganzen Saal ergreift. In diesem Moment ist der Despot vergessen, und mit ihm seine Opfer, seine Diener, sein Machtapparat. In einer großen Geste der Integration haben alle Anwesenden Anteil am komischen Phantasma göttlicher Souveränität. Die Show endet mit dem, was man als eine Umkehr des (opfernden) Ausschlusses bezeichnen könnte: mit einer Geste der universellen Einverleibung, die mit dem Höhepunkt der orgiastischen Verwirrung zusammenfällt. Im finalen Black Out opfert sich die Show schließlich als Ganze. Sie spült sich selbst in den Orkus der Abwesenheit – aber nicht ohne ihre Zuschauer verabschiedet zu haben mit dem obligatorischen: »Bis zum nächsten Mal!«

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IX. DESPOTISCHES LACHEN UND FASCHISTISCHES LACHVERBOT

»Du willst es also auf die harte Tour – ich hab’ dich gewarnt. Dann werd’ ich dir mal ‘ne kleine Lektion erteilen. Schluss mit lustig, vergiss den Clown. Ich bin nicht euer Witzchenreißer, oder euer Spaßvogel, oder euer Sündenbock, oder euer Fußabtreter. Ich bin... das Grauen und die Vernichtung. Aaaah!« (Todd Mc Farlane – Spawn)

Wenn über die Behandlung des europäischen Faschismus in der Komödie gesprochen wird, dann wird als bestes Beispiel für die komische Verarbeitung dieses Stoffes immer Chaplins Großer Diktator genannt.1 Dieser Film ist der Standard, an dem sich jeder Umgang mit dem Stoff messen lassen muss, gerade so, als ob Chaplin hier der Geniestreich gelungen wäre, die Verbrechen der Nazidiktatur gleichzeitig auszusprechen und lächerlich zu machen. Dabei wird übersehen, wie uneindeutig und komplex dieser Film gerade an seinem Ende wird, wo der kleine Friseur, irrtümlich als der Führer auf ein Rednerpult gestellt, buchstäblich um sein Leben reden muss. Die Rede, die er dann hält, ist eine flammende Ode an die Demokratie, aber sie lässt dabei die Grundsituation nicht vergessen: Die Motivation für das Gesprochene ist nicht primär eine politische Überzeugung, sondern ein klassisches komödiantisches Verwechslungsszenario, in dem ein Protagonist gezwungen wird, in die Haut eines anderen zu schlüpfen und dessen Rolle in der Welt zu erfüllen, um seine nackte Existenz zu retten. Wie wird sich der Redner aus dieser gefährlichen Situation herauswinden? Die Lösung ist überraschend einfach: Der Führer wider Willen hält eine Rede, die weder im Ton, noch in der Geste, noch inhaltlich im entferntesten dem gleicht, was der echte Führer hier gesprochen hätte – die Masse aber tut auch nach dieser Rede genau das, was eine Masse zu tun hat, sie jubelt. Was in den letzten Einstellungen gezeigt wird, ist nicht das Jubeln einer Gemeinschaft von freien Indivi263

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duen, die sich nach langer Irrfahrt den Schlaf der Verführten aus den Augen reiben und plötzlich die demokratische Vision des Redners als den besseren Weg erkennen, sondern es ist die zynische Erfüllung einer rhetorischen Dramaturgie. Oben redet sich ein Demagoge in Rage, bis sich seine Stimme überschlägt und er ermattet den Schlusspunkt setzt, unten antwortet das Kollektiv mit lauter Zustimmung. Alle anderen Elemente der Rede sind vollkommen austauschbar. Wesentlich an dieser Schlussrede ist genau das, was auch in den berühmten Grammelot-Reden am Anfang des Films wesentlich war – die körperliche und stimmliche Präsenz des großen Solisten. Der finale Blick in den Himmel, begleitet von Lohengrin-Streichern, ist nicht eine Apotheose der guten Gesinnung, sondern der resignierte Augenaufschlag eines Kommödianten, der verstanden hat, dass die Unterschiede nicht in den Mitteln, sondern in deren Kontexten und Konsequenzen liegen. So sind auch die Mittel der Show für sich genommen nicht totalitär oder demokratisch, sondern nur der soziopolitische Kontext, in dem sie auftauchen, ist es. Man könnte sogar so weit gehen zu sagen, dass in dem einfachen theatralischen Arrangement des Solo-Entertainment bereits so viel vom totalitären Redner liegt, dass der despotische Solist den eigenen Totalitarismus nur zerstören kann, indem er das theatralische Arrangement seiner Show selbst zerstört – was er auch in jeder Folge seiner Show aufs neue tut. Die Affinität des despotischen Solisten zur totalitären Rhetorik geht über bloße parodistische Passagen und Imitationsnummern weit hinaus. Sie spielt sich nicht nur auf allen Ebenen der Rede ab, sondern sie betrifft auch die Mythenbildung, den Personenkult, die Inszenierung des eigenen Körpers, der eigenen Privatheit usw. Der Despot ist sich dieser problema-

Herbert Feuerstein in der Show Schmidteinander.

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tischen Verwandtschaft nicht nur bewusst, er spielt mit ihr, er stellt sie aus, und er nutzt sie für die Errichtung und Zerstörung seines komischen Imperiums. Wenn ich aber dieses prekäre Territorium betrete, so rechtfertigt sich meine scheinbare Sorglosigkeit einzig aus der tatsächlichen Sorglosigkeit meiner Protagonisten im Umgang mit dem entsprechenden Material.2 Die Analyse ihrer Bezugnahme auf globalpolitische, rassistische und totalitäre Kontexte darf in meiner Betrachtung nicht ausgelassen werden. Sie kann aber auch nicht auf eine unmittelbar vergleichende Nebeneinanderstellung von Entertainment und politischer Demagogie hinauslaufen, sondern muss immer im kulturhistorischen Zusammenhang mit den frühen populären Spiegelungen des europäischen Faschismus in den USA, vor allem in den Superhelden-Comics und der Horrorliteratur der 1940er und -50er Jahre, und in den zeitgleich sich entwickelnden Vorläufern der Late Night Show gesehen und aus diesem Zusammenhang heraus verstanden werden.3 Die genannten populären Ausdrucksformen bilden das Scharnier, über das Aspekte faschistischer Demagogie mit den Strategien des despotischen Entertainment zusammengedacht werden können. Die folgenden Absätze dürfen also nicht als eine kulturpessimistische Bedenklichkeitserklärung gelesen werden, die stirnrunzelnd eine formale – und somit möglicherweise auch inhaltliche – Nähe des zeitgenössischen Entertainment zum Totalitarismus behaupten würde. Sie sind im Gegenteil ein erneuter Versuch, die despotische Show in einen kulturhistorischen Kontext einzuordnen, diesmal allerdings unter stärkerer Berücksichtigung der Late Night Show mit ihrem spezifischen politischen Entwicklungsumfeld in der unmittelbaren US-amerikanischen Nachkriegszeit, und ihrem hieraus erwachsenden, anspielungsreichen und subversiven Umgang mit den Phänomenen des real existierenden Faschismus. Die Tatsache, dass Hitler und Mussolini im In- und Ausland durch internationale Journalisten, Literaten und Künstler bereits zu ihrer Zeit als potentiell komische Figuren wahrgenommen wurden, bietet eine willkommene Angriffsfläche für das Entertainment in den USA. Dieser Angriff auf den neuen Stoff beschränkt sich jedoch nicht auf eine thematische Verarbeitung, sondern er greift, wie wir sehen werden, viel tiefer in das populäre Typenarsenal ein, indem er sich auch jenseits des Redeinhalts auf eine Rhetorik des Körpers, der Zeit und des Theaterraums auswirkt. Warum wird in den 1930er Jahren im Ausland genau dort gelacht, wo im faschistischen Deutschland und Italien begeisterter Jubel ausbricht? Eine national so spezifische Wahrnehmung ist nicht anzunehmen. Und auch in den faschistisch regierten Ländern selbst gibt es, solange dies noch möglich ist, eine innere Exilierung, ein bewusstes Verweigern des nahe gelegten Kommunikationsvertrags. Es gibt die Witze, von denen

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Victor Klemperer einige in seiner Untersuchung zur »Lingua Tertii Imperii« wiedergibt4, und mit denen die Führerfiguren in einem komischen Licht gezeigt werden. Sollte dieses Verlachen der Führerschaft mehr sein als nur das kathartische Abreagieren einer angestauten Alltagsfrustration? Ist es denkbar, dass es sich in den diversen populären Verarbeitungen des Faschismus bei Lachen und Kult um zwei Seiten der gleichen Medaille handelt? Warum verbietet Hitler, als ob er sich dieser Tatsache bewusst wäre, in seinen Reden immer wieder ausdrücklich das Lachen, indem er den Lachenden (sowohl dem »internationalen Judentum« als auch den europäischen Nachbarn) ein furchtbares Schicksal androht? Die Annäherung an diese Fragen ist für die Betrachtung der despotischen Bühnenfigur von großer Bedeutung, und leistet darüber hinaus einen Beitrag zu einer Theorie des Lachens und der Komik. Auf dem Weg dorthin müssen die expliziten und impliziten Berührungspunkte zwischen der faschistischen Inszenierung und deren komisch-despotischen Spiegelungen in den Unterhaltungsmedien der Zeit gezeigt werden. Hier wie dort tauchen die verbale Opferung, die verheißungsvolle Vorenthaltung und die Mechanisierung des Körpers als rhetorische Strategien auf. Hier wie dort inszeniert sich der »Führer« oder »Duce«, bzw. der auf diese bezogene Antiheld, nicht nur als ein aktiv Ausstoßender, sondern auch als ein Aussätziger, der mit dem Ekel, der Verwesung und dem Untergang im Bunde ist. Im europäischen Faschismus ist der Ort dieser paradoxen Bewegung weniger die Masseninszenierung der späteren Jahre als vielmehr die Rede im kleinen Kreis, in Bierkellern und Hinterzimmern, die Frühphase des Nationalsozialismus also, in der es noch keine arisch-heroische Einheitsästhetik gab. Nicht der perfekte Ablauf steht im Vordergrund, sondern die spontane Wirkung, das Aufwiegeln und Niederreden der Zuhörerschaft, und die Erzeugung eines Rausches der Einheit, immer verbunden mit dem pathetisch erlebten Bewusstsein, in der Minderheit zu sein. Die leise Anrüchigkeit, die Möglichkeit des Abgleitens in Schmutz und Chaos ist ein Element, das der italienische Faschismus, viel mehr noch als der deutsche, in seine (immer labile) Blütezeit mitgenommen hat, und das heute die Neue Rechte in Russland, Österreich und Frankreich aufgreift. Das Lachen wurde als eine »gefährliche Balance« zwischen Abstoßung und Anziehung bezeichnet, die eine ambivalente »allergische« Reaktion auslöst.5 Vielleicht ist es diese Ambivalenz im Lachen, die sowohl der Faschismus als auch der ihn reflektierende komische Despotismus erzeugen, und die dort verboten oder zumindest prekär, hier aber erwünscht und formbestimmend ist. Während im faschistischen Diskurs die Berührung mit dem Heterogenen als ein machtvoller »irrsinniger Moment« in pseudoreligiöser Weihe festgehalten wird6, darf sie sich im labilen Reich des Bühnendespoten durch das Lachen entladen.

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In den folgenden Unterkapiteln wird die Dramaturgie einer imaginären Show noch einmal vollzogen, mit einem leicht geänderten Blickwinkel. Die Enklave der Bühne oder des Studios öffnet sich, ihre Ränder fransen aus in Richtung einer sozialen Gemeinschaft mit allen ihren Lebensbereichen. Die Show reflektiert diese Gemeinschaft, und die Reflexe, die sie erzeugt, haben konkrete Auswirkungen auf das soziale Umfeld. Die Show ist Bestandteil einer Gesellschaft der Spektakel. Spektakel, die sich gegenseitig kommentieren, vorwegnehmen und zu ende denken, und in denen Kunst, Politik und Populärkultur vorübergehend zu einem Konglomerat öffentlicher Wahrnehmung verschmelzen. Einzige Konstante ist die immer wieder sich vollziehende Bewegung einer zunehmenden Unordnung: von einem Spiel mit klaren Regeln, zur selbstherrlichen Übertretung dieser Regeln, zum zunächst folgerichtigen und geplanten Herauswachsen einer despotischen Figur aus diesem Spiel, zu deren unaufhaltsamer Ausdehnung, zur Einverleibung des Systems und der totalitären Kontrolle durch sie, zum Aufblähen hinein ins Irrationale, zum Einschleichen der Dekadenz, zum langsamen, aber unaufhaltsamen Kippen, zur pathetischen oder komischen Vernichtungsorgie. David Mamet beschreibt die Entwicklung eines Films als den Weg zu einem Zustand größtmöglicher Ordnung.7 Von dieser Beschreibung ausgehend, die sich – mit der großen Ausnahme des Zombie-Films, wie wir sehen werden – als sehr brauchbar erweist, könnte man die Bewegung der despotischen Show als die genau entgegengesetzte beschreiben: Die Show bewegt sich von einem Zustand der Ordnung hin zu einem Zustand größtmöglicher Unordnung, an dem sie endet. In dieser Bewegung arbeitet sich die frühe Late Night auch an den entsprechenden spektakulären Strategien und Untergangs-Szenarien des Faschismus ab, allerdings mit umgekehrten Vorzeichen, nämlich im Lachen.

1. Das Spektakel der Unterdrückung Am 5. April 1968 verzweifelt eine junge Grundschullehrerin in den Vereinigten Staaten an der Aufgabe, ihrer Schulklasse die Ermordung von Martin Luther King erklären zu müssen. Sie geht nach Hause und erscheint am nächsten Morgen mit fünfzehn grünen Filzkrägen. Sie teilt die Klasse in zwei Teile, nicht nach der Hautfarbe, sondern nach der Augenfarbe der Schülerinnen und Schüler. Dieser selbst auferlegten Regel folgend, entwickelt sie die Ideologie eines »Eyeism«. Sie legt der Klassengemeinschaft plausibel dar, warum Menschen mit blauen Augen gegenüber den Braunäugigen minderwertig sein müssen, warum sie dümmer seien, und daher gefährlicher, und warum eine verschärfte Machtaus-

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übung und Kontrolle ihnen gegenüber zu ihrem eigenen Besten und zum Besten der Gesellschaft sei. Sie befiehlt den Blauaugen (»blue-eyed«), sich auf den Boden zu setzen, während die Braunaugen auf ihren Stühlen sitzen bleiben dürfen. Die Blauaugen werden durch die giftgrünen Filzkrägen gekennzeichnet, die sie auch während der Pausen nicht ablegen dürfen. Während eines Vormittags werden alle gewohnten sozialen Strukturen innerhalb der Klasse auf den Kopf gestellt, beste Freunde werden voneinander getrennt, es kommt zu Streit, zu Tränen und zu Prügeleien auf dem Schulgelände. Am nächsten Tag sind es die Braunaugen, die mit den Insignien der Schande ausgerüstet auf dem Boden platz nehmen müssen, zu Füßen ihrer blauäugigen Klassenkameraden. Das Spiel beginnt von vorne, mit umgekehrter Besetzung. Dreißig Jahre später hält Jane Elliott immer noch solche Seminare ab, weit über die Grenzen der USA hinaus. Einige Schüler hatten begonnen, in der lokalen Zeitung Aufsätze über ihre Erfahrungen in diesen Sitzungen zu veröffentlichen. Ein Aufschrei der Empörung war die Folge, weshalb Jane Elliott wenig später von Johnny Carson zur Tonight Show eingeladen wurde und das Konzept ihres Eyeism der amerikanischen Öffentlichkeit vorstellen konnte. Bis heute hat sich dieses Konzept nur darin gewandelt, dass die Seminarteilnehmer nicht mehr nur Schulkinder sind, sondern auch Menschen in führenden Positionen und deren Angestellte, Studenten, Soziologen, Psychologen, Ärzte, Journalisten und Privatleute. Die Veranstaltungen werden getragen von der überwältigenden Machtrhetorik Jane Elliotts und von ihrer Fähigkeit, beinahe unmerklich zwischen der Anwendung totalitärer Strategien und deren Analyse hin und her zu springen. »The purpose of this exercise«, sagt sie zu Beginn eines Seminars, »is to give these nice, blue-eyed white folks the opportunity to find out how it feels to be something other than white in the United States of America. And these people today are going to learn more than they want to know. We are going to assign to those people, on the basis of their eye colour alone, all the negative traits that we have assigned to females, to people of colour, to gays and lesbians, to those who have disability of some kind, to those that are obviously physically different. [...] We are going to lower our expectations towards these people, and we are going to force them to live down to our expectations of them.«8

Dies ist eine Art Warm-up, das zugleich zur Einführung der Zuschauer, in diesem Fall der braunäugigen Seminarteilnehmer dient, die mit Schreibblöcken und gezückten Stiften auf Stühlen sitzen und auf das Eintreffen der Blauaugen warten. In wenigen Sätzen werden ihnen die uner-

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schütterlichen Grundregeln der Veranstaltung nahe gebracht. Auch sie haben in diesem Spiel eine aktive Rolle zu spielen und werden durch die Indoktrinierung zum Bestandteil des autoritären Apparats: »Now, we are doing this for their own good, we expect them to be grateful. The rules for this day will be that you will not look at these people unless you can either frown or sneer at them. It’s allright to laugh at them, but do not laugh with them. [...] Now, some of these people are going to leave here very very angry. Make no mistake about this: That is their choice. When they leave here and they say they’re angry, you will have to be prepared to say to them: ›Wait a minute. You had it for two and a half hours. Your home wasn’t threatened, your family wasn’t threatened, your job wasn’t threatened, your income wasn’t threatened, your future wasn’t threatened, and you knew it was temporary. You knew it was going to be over by six o’clock this afternoon. Why are you angry?‹«9

Der unkündbare Grundvertrag des Spiels ist formuliert. Es ist ein Spiel des Lebens im streng umgrenzten Zeitraum des Seminars, aber ein Spiel, das Missverständnisse, Verstimmungen und offenen Streit bewusst provoziert. Es ist ein Spiel der totalen Identifikation, dessen Wirkung darin liegt, dass die Spieler das Spielen vergessen. Was hierin unantastbar bleibt, ist die Möglichkeit auszusteigen, d.h. aufzustehen und zu gehen. Die Möglichkeit, »stop« zu sagen, als das einzige Signal, das der dominante Partner im sadomasochistischen Spiel aus den Schmerzensschreien des Unterworfenen heraushört und als unmissverständlichen Befehl zum Aufhören annimmt. Diese eine Überregel ist unantastbar und absolut verlässlich, selbst wenn alle Verträge gebrochen werden können. Sie ist nur insoweit obsolet, als der Seminarteilnehmer, der wütend den Raum verlässt, im immer mitgedachten Außen erneut mit genau den Strukturen konfrontiert werden wird, die er hier ablehnt – wie Truman, der sich eines Tages entschließt, sein Studio zu verlassen, in dem jahrelang ohne sein Wissen für Fernsehzuschauer sein Leben simuliert wurde, um das wahre Leben kennen zu lernen, das seinem Studioleben aufs Haar gleicht, nur mit dem Unterschied, dass er von jetzt an verwundbar sein wird.10 »Now we are going to call those females girl, honey, sweetie, baby, chick, doll – what are we going to call these males? Boy! Boy! And you don’t say boy, you say Bo-y! When it’s properly said it’s a two syllable word. [...] Bear in mind that these people are in their child-equal state, and that’s where they are going to stay. Because people are easiest to control when they are in their child-equal state. So these people will be treated like children and they are gonna act like children. [...] Now people, if you are tempted to look

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DESPOTEN AUF DER BÜHNE at these people and wink at them, to let them know – with me catching you – that you don’t mean any of this, I will change your eye colour so fast it will make your head spin.«11

Das ist die andere Seite der Annullierbarkeit: Das Spiel der Herrschaft muss sich als unumstößlich behaupten, um sich in seinem Innern als funktionsfähiges System erhalten zu können. Ohne diesen gefährlichen Ernst würde es einfach verpuffen oder zu einer risikofreien Unterhaltung verkommen, zu einer rührseligen Pseudo-Aufklärung, wie sie Oprah Winfrey und viele andere seit Jahrzehnten betreiben. Dagegen bleibt alles, was sich innerhalb dieser strengen Systemgrenzen abspielt, wie die Ideologie des Eyeism, die hierarchisierte Sitzordnung, die Markierung durch die Krägen etc., immer als vollkommen willkürlich erkennbar. Wenn sie will, kann die Seminarleiterin braune in blaue Augen verwandeln und umgekehrt. Einzig gültig ist und bleibt die Tatsache ihrer Herrschaft. Diese ist die Begrenzung nach außen, eine Grenze, die für die Zeit des Seminars unantastbar bleibt – bzw. antastbar nur unter der Bedingung der Verflüchtigung (Vernichtung) desjenigen, der sie nicht akzeptieren kann. Innerhalb dieser Kapsel des Spiels herrscht jederzeit der Terror der Beliebigkeit, mit dem das autoritäre System sich selbst erzählt: »Thus you can turn intelligent, bright, committed, conscious, ambitious people into people who act lazy and stupid and slow and unmotivated, and you can do this in 15 or 20 minutes, and that’s what we are going to do this morning.«12

Also müssen die Blauaugen, während Jane Elliott dies alles erläutert, in einem völlig überheizten Raum mit drei Stühlen für 17 Personen warten, bis sie hereingerufen werden. Sie werden auf Schritt und Tritt von sonnenbebrilltem Sicherheitspersonal überwacht, das sie, die noch mit einer ungehört verhallenden Ironie versuchen, sich von der Beklemmung zu befreien, dazu auffordert, sich leise zu verhalten und ihnen untersagt, miteinander Gespräche zu führen oder sich in irgendeiner Weise zu einer Schicksalsgemeinschaft zu solidarisieren. Diese Strategie wird auch im Seminarraum aufrechterhalten, wo Elliott regelmäßig die Sitzordnung ändert, wenn sie sieht, dass zwischen den Kragenträgern irgendwelche Beziehungen geknüpft werden. Das Prinzip der Vereinzelung präsentiert sich als eine elementare Methode der Macht, der wir überall begegnen, bei Prüfungen genauso wie in den Stummen Kabinen der Game Shows, oder beim Late Talk, der die Gäste noch kurz vor ihrem Auftritt im Käfig ihrer Garderobe zeigt, bevor sie auf dem heißen Stuhl dem Talkmaster Rede und Antwort stehen müssen. Ein lustiges Detail bei Elliotts Seminar

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ist die Kleiderkorrektur, die vorgenommen wird, sobald die Erniedrigten den Raum betreten, und deren hinterhältigere Variante der obligatorische Kommentar zu Aussehen und Kleidung ist, mit dem der Talkmaster jeden seiner Gäste begrüßt. Sobald die Gruppe der Blauaugen eingetroffen ist, verändert sich der Ton dahingehend, dass nun solche Regeln, die noch kurz zuvor als wichtig, aber letztendlich gemacht präsentiert wurden, ebenso unumstößlich werden, wie die genannten Überregeln der Show. Es geht um Leserlichkeit oder Unleserlichkeit einer Handschrift, um den richtigen Sitz eines Filzkragens und um die Frage, ob der Hemdkragen darüber oder darunter zu tragen sei, um die Körperhaltung, den Gesichtsausdruck und die Blickrichtung der Probanden – für alles das werden Regeln aufgestellt, deren Befolgung unter Androhung des Ausschlusses Pflicht ist. Es ist ein peinliches Spektakel, dem sich erwachsene Menschen aussetzen, zunächst unter Lachen, später dann unter Tränen. Die Kragenträger werden auf ihre Rechtschreibung geprüft. Elliott diktiert: »Good listeners have quiet hands, feet and mouths.« Sie überprüft das Geschriebene und stellt bei einem Mann einen Schreibfehler fest. Sie fragt ihn nach dem Grund für diesen Fehler. Der Mann versucht eine Erklärung, schaut zu ihr auf und lächelt entschuldigend. Elliott verbietet ihm zu lächeln, wenn er sie anschaut – dies sei eine ernste Angelegenheit und kein Spaß. Der Mann lächelt noch mehr, und sie droht ihm mit dem Ausschluss. Seine Nachbarin lächelt ebenfalls. Elliott fordert den Mann auf, mit einer Frau weiter hinten die Plätze zu wechseln. Sie fragt ihn, ob er immer noch lachen müsse. Er lacht nicht mehr. Sie wendet sich an die anderen: »Was it a valuable lesson I taught him?« Einige nicken. »No it was not. I taught him to submit to oppression in order to get along.« Allgemeines aufatmendes Verstehen. Doch es wird sich zeigen, dass dieser naive Aufruf zu Zivilcourage noch nicht das Ende der Aktionskette ist. Elliott diktiert einen zweiten Satz: »Good listeners keep their eyes on the person who is speaking.« Eine Frau blickt sie an und schreibt nicht. Elliott bemerkt es. »Write it down.« Die Frau schreibt immer noch nicht und blickt sie weiter an. Elliott klopft wütend auf den Schreibblock der Frau und befiehlt mit großem Nachdruck: »Write it down!« Langsam senkt die Frau die Augen auf ihr Blatt und schreibt den Satz nieder. Elliott: »Now I’m going to bring you about something: In case you don’t recognise it – I am messing with your mind. Now: I told him to conform. And then I said it was stupid to conform. So then you decided that you wouldn’t conform. So now you’re in trouble. So what’d you better do?« – »You never know what to do«, antwortet die Frau – »That’s right. That’s right. Just the minute you thought you’d caught on to the rule, what did I do? I changed the rule. There ain’t no way you can

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win.«13 Das Ändern der Regel wird im abschließenden Gespräch von allen Seminarteilnehmern als das beklemmendste und demütigendste Ereignis gewertet. Auf der einen Seite steht die anmaßende Behauptung, dass die Regel etwas absolutes, unantastbares, gottgegebenes sei, wodurch die eigene Verantwortung verschleiert und die eigene Position als unparteiisch verkauft wird. Solche Momente der unverhohlenen Ungerechtigkeit werden zu einer pathetischen Feier der eigenen Herrschaft. Die Allmacht hat es nicht nötig, zu täuschen und zu beschönigen, um ihren Willen durchzusetzen. Elliott: »Remember that in this situation you people have no power. Absolutely no power. So quit trying to exercise what you don’t have. Quit trying to run the show.« Jane Elliott stellt soziale Ungerechtigkeit als Bestandteil eines globalen Spektakels dar. Um die Prozesse auf den Punkt zu bringen, destilliert sie diese Ordnung auf ihre minimalen Charakteristika. Aus der anderen Hautfarbe wird in ihrer klärenden Inszenierung schlicht das »Anders«. Aus der Erniedrigung wird das Sitzen auf dem Boden. Aus der gesellschaftlichen Benachteiligung wird der Umstand, dass ein Teil der Gruppe keinen Kaffee und keinen Kuchen bekommt. Aus scheinbar fundierten und begründbaren Handlungsprinzipien unterschwelliger Diskriminierung wird ein willkürlicher Regelkanon, der jederzeit geändert werden kann, ein Platzhalter für die nun offensichtliche Gegenüberstellung von Herrschern und Beherrschten. Ihr Seminar ist ein seltsames Bindeglied zwischen der Welt des öffentlichen Handelns und den windigen Königreichen des Entertainment. Es formuliert in der Praxis, was das beste der Show sein könnte – ein soziales Experiment, in dem sich diffuse, schwer zu ordnende Sachverhalte zu einem Spiel mit klaren Regeln verdichten, einem Spiel, das in seiner deutlichen Umgrenzung die Möglichkeit gewinnt, eine härtere und pointiertere Sprache zu sprechen als seine Außenwelt, und das damit einen Erkenntniswert gewinnt.

2. Der monströse Clown Die Begründung, die Jane Elliott für ihre Ideologie des Eyeism gibt, spielt für ihre Praxis, mit der sie totalitäre Prozesse verdeutlicht, nur eine marginale Rolle. Wer die Macht innehat, braucht sie nicht zu rechtfertigen. So liefert sie als Rechtfertigung ihres vorübergehenden Regimes eine bewusst pseudowissenschaftliche Grundlage für die Spaltung der Gruppe, aber sie liefert sie wie beiläufig, sie betet sie her. Danach waren die Menschen in Zentralafrika und den südlicheren Breitengraden immer einer intensiveren UV-Bestrahlung ausgesetzt, und zum Schutz gegen diese UV-Strahlen wurde in ihrer Haut mehr Melanin gebildet und einge-

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lagert, was zu einer dunklen Hautfarbe führte. Als sich Menschengruppen in nördlichere, sonnenärmere Gebiete bewegten, benötigte ihre Haut diesen Schutz nicht mehr, und es wurde immer weniger Melanin produziert. »So people in northern climates have much less melanine in their skin, their hair and their eyes than people in southern climates have. Now folks: as their hair and skin got lighter, it didn’t have a bad effect on their brains. But as their eyes got lighter, it allowed more and more light to enter their eyes, pierce their brain cells and damage their brains, and that’s why blue eyed people aren’t as smart as brown eyed people.« Diese Neuinterpretation der Rassen erzeugt allgemeine Heiterkeit, aber sie wird das Fundament für alle Diskriminierungen und Schikanen dieses Tages sein. »Den gefahrvollen Status der Erzählung haben wir jetzt schon vor Augen, sie ist ohne Gewicht und Stofflichkeit – aber zugleich ist sie das, was sie berichtet: Das Wirkliche selbst, in seiner Materialität. Die Erzählung produziert Handlung.«14

Die Erzählung des Monsters Elliott führt die Ambivalenz des narrativen Effektes vor, den ihre polemische Interpretation der Welt erzeugt. Das Lachen währt so lange, wie man die anmaßende Freiheit der Argumentation genießt, so lange, wie man an dieser megalomanischen Neuschreibung der rassistischen Geschichte teilhat, teilhaben kann, weil man sich auf der richtigen Seite befindet, auf der Seite der Gewinner, der Braunaugen, die auf Stühlen sitzen und denen regelmäßig Kaffee nachgeschenkt wird. Die Geschichte ist verblüffend und angenehm schockierend. Sie befreit Allmachtsphantasien, solange das Spiel als solches erkennbar bleibt. Die allabendliche Neuerzählung der Tagespolitik durch die Late Night-Moderatoren, die als die ›wahre‹ Erläuterung neuester wissenschaftlicher Erkenntnisse im Gegensatz zur verfälschenden und verschleiernden Berichterstattung in der Presse präsentiert wird, die unbekümmerte Enthüllung all dessen, was ›wirklich‹ hinter den Skandälchen des alltäglichen Gossip steckt – das ist die narrative Welt der Stand-up Comedians, eine Welt, die letztlich ohne Konsequenzen ist, die sich selbst erledigt, und in der die subversive Erzählung einzig der momentanen Belustigung, der spontanen Entladung im Lachen dient. Die Bemerkung eines Show-Kollegen, dass Johnny Carson einen guten Präsidenten abgegeben hätte, wirkt dagegen bestürzend. Harald Schmidt als Bundeskanzler, David Letterman als Gouverneur von Texas, Jay Leno als amerikanischer Außenminister – hier bewegen wir uns in einer Grauzone des politischen Lebens, die ebenso faszinierend wie beunruhigend ist. »Johnny Carson would have made a fine president«: Die-

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ser Satz spürt die Gefahr auf, die in der Verwischung von Politik und Entertainment liegt, die Doppeldeutigkeit eines Affektes, bei dem Lachen in Weinen und schließlich in fanatisches Heulen übergeht. Lachen und Kult sind die zwei Seiten einer Medaille, eine Erkenntnis, die sich bei den Demagogen der Neuen Rechten wie Vladimir Shirinowski, Jörg Haider, Jean-Marie le Pen und Silvio Berlusconi zeigt. Diese Supraunterhalter wissen, dass sie sich ihr Publikum nicht durch Sachlichkeit und Kompetenz erobern, sondern durch eine ausgefeilte Dramaturgie, durch die äußeren Allüren eines Star-Entertainers, und vor allem durch die Dreistigkeit ihrer Erzählung. Besonders bei Shirinowski besticht die Einfachheit und Folgerichtigkeit seiner narrativen Modelle. Mit kühnem Strich entwirft er die Geschichte des Vergangenen und die Geschichte des Zukünftigen, und benutzt dabei immer wieder das Motiv eines globalpolitischen Domino-Effektes. ›Wenn Russland kippt, dann kippt Kleinasien, wenn Kleinasien kippt, dann kippt der Balkan, und wenn der erst gekippt ist, dann bleibt auch das übrige Europa nicht verschont. Also: Gebt Acht auf Russland. Unsere Katastrophe ist die Katastrophe der ganzen Welt, und wenn wir wollen, dann werden wir diese Katastrophe entfesseln, und sie wird euch unvorbereitet treffen.‹ Shirinowski erzählt von einer ganzen Flotte defekter russischer Atom-U-Boote, die man nur hinaus in den Ozean zu schicken brauche, und die dann ganz von selbst havarieren und somit einen globalen Supergau auslösen würden. Ein anderer Vorschlag ist, die Türken und Araber gegen Westeuropa aufzuhetzen, und nachdem die türkisch-arabische Invasion geglückt und die westeuropäische Kultur ausgelöscht sei, überraschend mit den eigenen Truppen nachzurücken und die Türken und Araber zu vernichten. Die Lösung der Rassenfrage sei eine Unterteilung des Globus in Rassenzonen, die sich nicht, wie bisher, an den Breiten- sondern an den Längengraden orientiert: Afrika und Spanien für die Schwarzen – Afrikaner, Afroamerikaner, Inder und Indianer; China, Japan und die darunter gelegenen Inseln für die Gelben; und der Rest für die Weißen. So hat jede Rasse etwas von allen Klimazonen, und keiner kann sich beklagen. Bei den Neofaschisten der Gegenwart, wie auch bei den radikalkonservativen Fernsehpredigern in den USA, ist die Provokation von Gelächter ein erwünschtes Stilmittel. Ihre Ansprachen wirken häufig wie ein Spektakel zweiten Grades, das seine Bezugspunkte nicht primär in politischen Diskursen, sondern wiederum in der Unterhaltung sucht und findet, und das somit in eine Art Unterhaltungs-Dauerschleife eintritt, die schließlich jede realpolitische Bodenhaftung zu verlieren scheint. Dies jedoch mit der wesentlichen Einschränkung, dass das Gelächter hier immer eine Art affektive Enklave darstellt und insofern niemals umfassend werden darf. Es gleicht einem menschelnden Exkurs, der niemals am En-

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de steht und niemals die Quintessenz des Gesagten darstellen darf. Denn bei Shirinowski und Konsorten tritt die Erzählung trotz allem in die Domäne der Handlung ein, in jenen Bereich, in dem das Lachen entweder zum diplomatischen Grinsen gefriert, oder in weihevolles Erschauern und fanatische Gefolgschaft mündet. Es ist eine Erzählung, die handelt, und zugleich mit Wahrheit nichts zu tun hat, nichts zu tun haben möchte. Eine Erzählung, die in sich selbst die Negation des Anspruchs birgt, den Lenin mit Hegel in seinen Philosophischen Heften erhebt: »Aber die Philosophie soll keine Erzählung dessen sein, was geschieht, sondern eine Erkenntnis dessen, was wahr darin ist.«15 Erzählung gegen Erkenntnis, oder Mythos gegen Logos – ein Gegensatz, den der Jungkonservative und spätere NS-Theoretiker Ernst Krieck in seiner Zeitschrift Volk im Werden aufgreift und leidenschaftlich proklamiert, um sich im gleichen Atemzug gegen den »abendländischen Nihilismus des Logos« zu wenden, als »die Periode des längsten Irrwahns und Irrweges«, die Periode der »Entscheidung über das Verhältnis zwischen Wahr und Unwahr [...], die von Parmenides bis auf den heutigen Tag die Geister beherrscht. [...] Herr, bewahre uns vor den Dialektikern!«16 Die einzig mögliche Erlösung liegt bei Krieck und seinen Epigonen im Mythos, jener Erzählung, mit der die kleinliche Erstarrung von Wahr und Unwahr durchbrochen und der Weg für einen echten, urdeutschen Heldengeist und Siegeswillen gebahnt wird. »Der Mythos erzählt, erzählt bis an Anfang und Ende, an Aufgang und Niedergang hin: er erzählt Geschehen, Geschichte im weitesten Sinn: Historie.«17 Der Affekt, den solche Historie auslöst, laviert unfixierbar zwischen Lachen, Staunen und Anbetung. Auf der Seite der Comedy tritt der Mythos als manchmal anmaßender, manchmal schmerzlicher Witz auf, auf der Seite des Faschismus der 1930er und -40er Jahre als schrecklicher Ernst, mit dem das Phantasma zu handeln beginnt. Im Neofaschismus der Gegenwart, der längst in dem Stadium angekommen ist, das Guy Debord als das »integrierte Spektakuläre« bezeichnet, äußert er sich als das komplexe und schwer zu analysierende Affekte-Konglomerat, das sich strategisch sowohl bei der alten Rhetorik als auch bei der zeitgenössischen Unterhaltung bedient.18 Es ist dieses unklare Lavieren, das in den komischen Verarbeitungen des Totalitarismus bereits auf sprachlich-narrativer Ebene die Ausgestaltung jener seit den fünfziger Jahren omnipräsenten Figur des monströsen Clowns nahe legt, ansatzweise zu erkennen in den deutschen Doktor Mabuse-Filmen, deutlicher in Figuren der amerikanischen Superhelden-Literatur, wie dem Joker oder dem Penguin Man aus Batman und der halbmenschlichen Inkarnation des Violator aus Spawn, oder wie beim Beißer (Jaws) aus 007, der grinsend seine schrecklichste Waffe

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enthüllt, ein Gebiss aus gehärtetem Edelstahl; oder auch in der Horrorliteratur, wie im Fall von Stephen Kings Mörder-Clown Pennywise: »›Möchtest du dein Boot wiederhaben, Georgie?‹ fragte der Clown und lächelte. George erwiderte das Lächeln. Er konnte einfach nicht anders; es war unwiderstehlich. ›Oh ja‹, rief er. Der Clown lachte. ›Das ist gut. Das ist sehr gut. Und wie wär’s mit einem Ballon?‹ Auch George lachte. ›Na ja...das wäre schon toll.‹ Er streckte die Hand aus, zog sie aber rasch wieder zurück. ›Ich soll von Fremden nichts annehmen‹, erklärte er. ›Das sagt mein Dad immer.‹ ›Sehr vernünftig‹, lobte der Clown im Gulli lächelnd. [...] ›Wirklich sehr vernünftig. Ich stelle mich also vor: Bob Gray, auch bekannt als Pennywise, der tanzende Clown. Und du bist George Denbrough. So, jetzt kennen wir einander.‹ [...] ›Wie bist du denn dort runtergekommen?‹ ›Der Sturm hat mich einfach weggeblasen‹, sagte Pennywise, der tanzende Clown. ›Er hat den ganzen Zirkus weggeblasen. Kannst du den Zirkus riechen, Georgie?‹ Georgie beugte sich vor. Plötzlich konnte er Erdnüsse riechen! Heiße geröstete Erdnüsse! Und Mayonnaise. Die weiße, die man durch ein Loch im Deckel auf seine Pommes drücken konnte! Er konnte Zuckerwatte und frisch gebackene Krapfen riechen und den schwachen, aber donnernden Geruch der Scheiße wilder Tiere. Und er roch den angenehmen Geruch von Sägemehl. Und doch... [...] ›Willst du einen Ballon? Ich habe rote und grüne und gelbe und blaue...‹ ›Schweben sie?‹ ›Schweben, o ja, sie schweben...und es gibt Zuckerwatte...‹ Georgie streckte seinen Arm aus. Der Clown packte ihn am Arm. Und George sah, wie das Gesicht des Clowns sich veränderte. Was er sah, war so fürchterlich, dass seine schlimmsten Fantasievorstellungen von dem Wesen im Keller dagegen nur süße Träume waren; was er sah, brachte ihn schlagartig um den Verstand. ›Sie schweben‹, kreischte das Etwas im Gulli mit kichernder Stimme. Es hielt Georges Arm fest, und George wurde in Richtung jener schrecklichen Dunkelheit gezogen, wo das Wasser schäumte und toste und heulte, und er begann irre in den weißen Herbsthimmel empor zu brüllen. ›Alles schwebt hier unten‹, flüsterte die kichernde, modrige Stimme, und plötzlich war da ein rasender Schmerz – und dann wusste George nichts mehr. Dave Gardener war als erster dort, und obwohl seit dem ersten gellenden Schrei nur fünfundvierzig Sekunden verstrichen waren, war George schon tot. Gardener packte ihn hinten am Regenmantel und zog ihn auf die Straße, drehte ihn um... und dann begann er selbst laut zu schreien. Die linke Seite von Georgies Regenmantel war jetzt grellrot. Dünne Blutfäden flossen die Witcham Street hinab. Georgies linker Arm war nicht mehr da. Ein fürchterlich helles Knochenstück ragte an der Schulter zwischen den zerrissenen blutigen Fetzen des Regenmantels hervor. Georgies leblose Augen starrten in den weißen Himmel empor, und während Dave auf die ande-

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DESPOTISCHES LACHEN UND FASCHISTISCHES LACHVERBOT ren Menschen zutaumelte, die jetzt angerannt kamen, sammelte sich Regen in seinen Augen.«19

Es ist der monströse Clown, der das unmögliche Kunststück fertig bringt, mit kichernder Stimme zu kreischen, der zugleich lacht und droht, anzieht und erschreckt, zugleich nach Kanalisation und gebrannten Mandeln riecht, und dessen luftige, nichtige Vorspiegelungen uns schließlich unseren fleischlichen, ganz und gar diesseitigen linken Arm wegreißen können.

Der Beißer entblößt grinsend seine schlimmste Waffe... – Richard Kiel auf einer Fanpostkarte.

Die monströse Mechanik (1) Es ist eine verlockende Welt, die hier beschworen wird, eine Gegenwelt jenseits des Alltags, gebaut aus einander widersprechenden Affekten. Die windige Welt des Zirkus, mit einem Haus, das keines ist, mit süßer Nahrung, die keine wirkliche Nahrung ist, mit wilden Tieren und wilden Menschen, und mit allem, was Eltern normalerweise als unvernünftig verbieten würden. Es ist eine Welt, die nach bestimmten Regeln funktioniert, aber nach anderen als unsere eigene, exzessiver, und zugleich einfacher – und das macht ihre verführerische Qualität aus, in der sich die weltpolitischen Abenteuergeschichten von Shirinowski und der fabulie277

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rende Witz von Letterman zunächst einmal nahe kommen, um erst in ihrer äußeren Kontextualisierung und unterschiedlichen Affektanbindung wieder voneinander abzufallen. Die Actio spielt in solcher Rhetorik eine nicht zu unterschätzende Rolle. Man könnte sogar sagen, dass die totalitäre Gegenwelt hauptsächlich im Bereich der nonverbalen Inszenierung funktioniert. Der despotische Solist der Late Night erweitert seine theatralischen Mittel zu einem echten Bühnenbild mit den entsprechenden Maschinerien. Seine Bühne stellt sich als eine Maschine dar, die sich nach einer unentrinnbaren Mechanik bewegt und der Umwelt ihren stampfenden Rhythmus einhämmert, so lange, bis diese ihn völlig internalisiert hat. So wirken die Showmaster, wenn sie den Kreis ihres Studios verlassen, um auf der Straße GoCarts zu testen oder Passanten anzusprechen, merkwürdig hilflos. Sie sind nackt, angreifbar, sie sind weniger als menschlich, wenn sie ihren Machtapparat zurücklassen, der wie ein Kostüm um sie herumgeschneidert wurde. In solchen Situationen büßt ihr Körper seinen Sinn ein. Er wird sprachlos, weil er sich in einem fremden Sprachraum außerhalb des Studios eine neue Sinnfähigkeit erst noch erobern muss. Wer dagegen ihre Studiowelt betritt, der passt sich entweder der spezifischen Mechanik dieser Welt an, oder er versucht, in Form eines Kampfes gegen die übermächtige Maschinerie, seine eigene Mechanik durchzusetzen. Hieraus ergibt sich ein Duell konkurrierender Mechanismen, ein beliebter komischer Effekt, der sich immer dann einstellt, wenn Ballturnerinnen, Supermodels, oder auch Tänzer, Bodybuilder, Stuntmen, und schließlich Tiere das Studio betreten. Sie alle sind Gäste mit einer deutlich anderen Körperlichkeit, die immer auch Anlass zum mechanistischen Experiment bietet. Hierin liegt der Charme, wenn sich Schmidt von einer ProfiTänzerin einen Tango-Schritt zeigen lässt oder ein Nilpferd füttert, wenn Letterman mit Riesenschlangen behängt wird, wenn Leno mit mittelgroßen Raubkatzen spielt oder ein neues Trimmgerät ausprobiert, wenn Conan O’Brien versucht, in hochhackigen Schuhen quer über die Bühne zu rennen. Es versteht sich, dass solche Kämpfe, die wie die verbalen Interaktionen auf der Grundannahme einer Gleichberechtigung funktionieren, immer eine Attacke auf die perfekte Organisiertheit des Systems beinhalten. Eine solche Attacke wird in diesem Fall nicht nur zugelassen, sie ist sogar ausdrücklich erwünscht, weil sie den spannenden und verjüngenden Prozess des Sich-Formierens immer wieder neu erzwingt. So gesehen manifestiert sich in der despotischen Show eine Weiterentwicklung dessen, was Henri Bergson in seiner Aufsatzsammlung zum Lachen formuliert hat20. Warum werden so ungewöhnliche und eigentlich lächerliche Merkmale wie das Schielen von Karl Dall, Harald Schmidts Größe und Rigidität, Hermes Phettbergs Volumen, Dame Ednas maskuli-

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nes Gebaren, Jay Lenos Kinn, David Lettermans Überbiss, Thomas Gottschalks Amotorik etc. nicht nur bewusst hervorgehoben, sondern sogar als Garanten der eigenen Macht präsentiert? Henri Bergsons Hypothese, dass der Kontrast zwischen solchen körperlichen Deformationen und dem Ideal einer perfekten Angepasstheit an die mechanischen Gegebenheiten des Lebens, also die Unvereinbarkeit zwischen einem mechanisierten Körper und einer geforderten »Souplesse«, den deformierten Körper komisch erscheinen lässt, bietet zunächst nur einen Zugang zur lächerlichen Seite dieser Körperbilder. Unternimmt man aber den Versuch, das Arrangement einer Show als ein geschlossenes System zu betrachten, dann kann sich auch die Macht-Seite solcher Körperlichkeit erschließen. Denn das jeweilige Setting einer Show bezieht sich stark auf den spezifischen Körper ihres Herrschers und ist diesem ideal angepasst. Die Show wird um die spezifische Physiognomie des Showmasters herumgebaut. Bestes Beispiel ist wieder Karl Dall mit seiner Show DallAs in den frühen 1990ern, in der alle Gäste an einer langen Tischreihe frontal zum Publikum sitzen. Der Showmaster sitzt in der Mitte, ebenfalls nach vorn gewandt – nur seine Augen bewegen sich scheinbar unabhängig voneinander durch den Raum, wie bei einem Chamäleon. Dall ist der einzige, der nicht nur über eine, sondern über zwei Blickachsen verfügt und demnach das Geschehen zu beiden Seiten verfolgen kann. So scheint es, dass er mit dem einen Auge die Rede des Gastes zu seiner Linken verfolgt, während er mit dem anderen auf das Genital des Gastes zu seiner Rechten schielt. Zugleich können aber die Parteien links und rechts nicht direkt miteinander kommunizieren, weil an Dall, der in der Mitte thront und sich vor und zurücklehnt, kein suchender Blick vorbeiführt. Den Gästen bleibt also nur der starre Geradeausblick und das Vertrauen auf die Vermittler-Rolle des Showmasters, die dieser allerdings nur unzureichend erfüllt. Das letzte Abendmahl in grotesker Verzerrung, gefeiert von einem Heiland, der alles daransetzt, jede Kommunion zu verhindern, die nicht seiner direkten Kontrolle unterliegt. Auch bei Phettberg ist der Körper des Showmasters der Schlüssel zur Mechanik der Show. Phettberg ist der biblische Berg, der sich niemals vom Fleck bewegen wird. Er ist das Zentrum, das Orakel, der Brunnen der Weisheit, zu dem man pilgert, der Meister, in dessen Wirkungskreis man eintritt wie ein dummer Junge. Möglicherweise passt der gigantische Leib gar nicht mehr durch die Studiotür, weil er in seinen Raum hineingewachsen ist wie eine Birne in die Flasche. Phettberg hält Hof, weil ihm gar nichts anderes übrig bleibt. Er ist jenseits der Bühne eigentlich nicht denkbar. Die Bühne ist ein Kostüm, das nur seinem Träger wirklich steht. Die körperliche Fitness ist demnach kein absoluter Wert mehr, der an einem vitalistischen Ideal gemessen wird, sondern eine Frage des geschickten Arrangements. Sie

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muss in Relation zu dem künstlichen Aktionsfeld gesetzt werden, in dem der jeweilige Körper agiert. Die komische Wirkung einer spezifischen Körpermechanik ergibt sich aus Bewegungen, Veränderungen und Überschneidungen solcher Aktionsfelder. In diesem Licht erscheint das Eindringen des Gastes (im Extremfall des Supermodels bei Dall oder Edna) nicht als ein Wettbewerb zweier von vornherein unterschiedlich »perfekter« Körper, sondern lediglich als die Gegenüberstellung zweier Teilmechanismen, die beide auf komische Weise bemüht sind, um sich herum einen Raum zu schaffen oder zu verteidigen, der ihnen entspricht. So lässt sich auch das Gastgeschenk besser verstehen. Das mitgebrachte und in die Hände des Showmasters gegebene Objekt dient nicht nur dem Product-Placement, sondern es ist ein »interdividueller« Prozess21. Der Gastgeber wird gezwungen, sich mit einem Teil vom Leib seines Gastes auseinanderzusetzen, was häufig in eine manifeste Erotik ausschlägt, noch öfter aber bereits ein erster Angriff von Seiten des Gastes ist, die Eröffnung des Schlagabtauschs: Das Mitbringsel schafft eine Situation, welcher der Gast mental und physisch besser angepasst ist als der Gastgeber. Es ist nicht nur Teil seiner selbst, sondern auch Teil der Welt, besser des Systems, in dem er lebt, in dem er sich bewegt, und dem er, und nur er, perfekt angepasst ist. Ein solches Konzept der konkurrierenden Mechanismen könnte einen Begriff der Komik für das technische Zeitalter liefern. Bergson selbst tut den entscheidenden Schritt in diese Richtung, kommt aber dabei nicht ohne die philosophische Wendung der »Geschmeidigkeit« aus, eines hypermenschlichen Je-ne-sais-quoi, dessen Wesensmerkmal eigentlich seine Undefinierbarkeit ist. Denkt man dagegen gleichberechtigte Systeme, dann kann man auch den unwiderstehlich komischen Effekt von Roboterkämpfen erklären, die mit einer geforderten Souplesse oder einer Abweichung von ihr überhaupt nichts mehr zu tun haben: Kampfroboter sind Maschinen unterschiedlicher Mechanik, alle einem Menschen gleichermaßen unähnlich, die von ihren Erfindern aufeinander gehetzt werden und Kämpfe austragen, deren Dynamik ausschließlich vom Kontrast ihrer Funktionsweisen bestimmt wird. Nicht anders funktioniert die despotisch regierte Show: sie ist eine Entmenschungsmaschine, die den Showmaster genauso wie den Gast in Superautomaten verwandelt, die ratternd und Funken sprühend gegeneinander krachen, so lange, bis es etwas zu reparieren gibt. Während sich also die Show in ihrer Bezugnahme auf den Totalitarismus ganz bewusst als Enklave innerhalb einer anders gearteten Welt darstellt, als ein soziales Experimentierfeld, in dem, manchmal freundlich, manchmal feindselig, verschiedene Mechanismen aufeinander treffen, die unterschiedlichen Sprach-, Bewegungs-, Berufs- und Kulturmi-

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lieus entstammen, wird in einer anderen, großformatigeren Inszenierung, im Spektakel des Faschismus, speziell des deutschen, eine spezifische Mechanik so weit aufgebläht, dass sie im Extremfall einen ganzen Kontinent affizieren kann. Während die Show sich selbst anhand ihres eigenen Außen relativiert, und sogar nach innen durch komische Gegenüberstellungen ständig Distanzierungen mit komischer Wirkung erzeugt, soll in der totalitären Inszenierung auf politischer Ebene diese Relativierung und Distanzierung nach Möglichkeit abgeschafft werden. Eine zeitgenössische Actio beinhaltet dabei nicht nur den nonverbalen Bestandteil der Rede, sondern auch die bildliche Präsenz in den Medien, die sichtbare Gestaltung einer Gefolgschaft, den Entwurf eines Privatlebens, die Architektur einer Veranstaltung, einer Regierung, eines Staates. Natürlich steht auch hier am Anfang die Ausgestaltung einer Parzelle, wie des Bürgerbräukellers oder des Hofbräuhauses in der »Hauptstadt der Bewegung« Ende der zwanziger Jahre. Bereits in dieser Anfangsphase überwacht Hitler akribisch die Inszenierung der Parteiveranstaltungen. Die Akustik und die allgemeine Atmosphäre des Raumes werden geprüft, die Belüftung wird kontrolliert, und es wird darauf geachtet, dass die Versammlungsorte durchweg zu klein und von mindestens einem Drittel eigener Anhänger besetzt sind, um auch bei geringen Zuschauerzahlen den Eindruck einer Massenkundgebung zu erwecken und eine entsprechende Grundstimmung zu gewährleisten. Eigene Kampflieder, eigene Fahnen, eigene Symbole, ein eigener Gruß; die SA-Schläger an den Türen und zu beiden Seiten des Redners; die große Zahl der Vorredner, die als Warm-uper den Auftritt des Stars vorbereiten und die Menge bis zum Schluss im Unklaren darüber lassen, ob »Er« heute Abend überhaupt erscheinen wird – alle diese Personalia und Stilmittel sind fest inventarisiert, und zwar nicht erst bei den Nürnberger Parteitagen, sondern von Anfang an.22 Der Führer selbst ist komplett gestylt, auch hierin wird nichts dem Zufall überlassen. Hitler lässt Fotoserien schießen, bevor er mit einem neuen Mantel oder einer neuen Kopfbedeckung an die Öffentlichkeit tritt, um nicht nur am Spiegel, sondern auch in der Bewegung die Wirkung des neuen Kleidungsstücks überprüfen zu können. Später wird jede Aufnahme des Führers vor ihrer Veröffentlichung einer Prüfung unterzogen und bedarf einer ausdrücklichen Genehmigung. Und spätestens 1936, zur Olympiade in Berlin, als SA-Männer durch die Städte ziehen, um den ordnungsgemäßen Zustand deutscher Vorgärten zu überwachen, umfasst die Inszenierung den gesamten Staat mit allen Lebensbereichen seiner Bürger. Das Bild, das hier vermittelt werden soll, ist aber nicht das einer gemütlichen Idylle deutschen Biedersinns. Im Vordergrund steht vielmehr das rauschhafte Erleben des Staates als einer Volksgemeinschaft, und des

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eigenen Daseins als der Zeugenschaft einer großen Zeit. Alles soll groß und weihevoll wirken, und das heißt zunächst unalltäglich, anders. »Es ist richtig, dass da ein Versuch vorliegt, das Volk zu täuschen, da es etwas mühsam Einstudiertes und Fremdes für ein dem großen Mann natürliches Benehmen halten soll«, schreibt Brecht im Messingkauf23, Bezug nehmend auf Hitlers Unterricht bei dem Hofschauspieler Basil, einem Schauspieler alter Schule, der sich mit der gespreizten Haltung klassischer Spieltechniken auf der Bühne wohler fühlte als mit den Forderungen zeitgenössischer Dramatik. Die sachliche Analyse dieser Unterweisung, die er als durchaus ernst zu nehmende und lohnende Initiative des Redners ansieht, erweitert Brecht in seinem Stück Der aufhaltsame Aufstieg des Arturo Ui um den Aspekt der Lächerlichkeit: UI: Den Spiegel vor! (Ein Leibwächter trägt einen großen Stehspiegel nach vorn.) UI: Zuerst das Gehen. Wie geht ihr auf dem Theater oder in der Oper? DER SCHAUSPIELER: Ich versteh Sie. Sie meinen den großen Stil. Julius Cäsar, Hamlet, Romeo, Stücke von Shakespeare. Herr Ui, Sie sind an den rechten Mann gekommen. [...] GIVOLA: Mir scheint, du bist an den falschen Mann geraten, Chef. Er ist passé. UI: Das wird sich zeigen. Gehen Sie herum, wie man bei diesem Shakespeare geht. (Der Schauspieler geht herum.) UI: Gut! GIVOLA: Aber so kannst du nicht vor den Karfiolhändlern gehen! Es ist unnatürlich! UI: Was heißt unnatürlich? Kein Mensch ist heut natürlich. Wenn ich gehe, wünsche ich, dass es bemerkt wird, dass ich gehe. (Er kopiert das Gehen des Schauspielers.) DER SCHAUSPIELER: Kopf zurück. (Ui legt den Kopf zurück.) Der Fuß berührt den Boden mit der Fußspitze zuerst. (Uis Fuß berührt den Boden mit der Fußspitze zuerst.) Gut. Ausgezeichnet. Sie haben eine Naturanlage. Nur mit den Armen muss noch etwas geschehen. Steif. Warten Sie. Am besten, Sie legen sie vor dem Geschlechtsteil zusammen. (Ui legt die Hände beim Gehen vor dem Geschlechtsteil zusammen.) Nicht schlecht. Ungezwungen und doch gerafft. Aber der Kopf ist zurück. Richtig. Ich denke, der Gang ist für Ihre Zwecke in Ordnung, Herr Ui. Was wünschen Sie noch?24

Diese Passage ist aus dem Eindruck entstanden, den der frühe Hitler der zwanziger Jahre auf Brecht gemacht hat, der Hitler der Bierkeller und der Propagandalastwagen, über den die Weltbühne einmal geschrieben hat, dass der große Zirkusdirektor Barnum zu seinen Lehrmeistern zähle25,

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der Hitler, dessen pathetische Verkündergeste an den Versammlungsorten nicht nur Begeisterung, sondern regelmäßig auch Gelächter auslöste, und den dies wenig scherte – zumindest zum damaligen Zeitpunkt, an dem es mehr darauf ankam, in den öffentlichen Diskurs hineinzugelangen, als ihn aktiv zu kontrollieren: »Ob sie uns nun als Hanswürste oder als Verbrecher hinstellen, die Hauptsache ist, dass sie uns erwähnen, dass sie sich immer wieder mit uns beschäftigen.«26 Die potentielle Lächerlichkeit dieser Figur ist also sowohl für Brecht, als auch für Hitler selbst erkennbar, und sie ist nicht das Ergebnis einer unfreiwilligen Komik. Die Figur Hitler ist nicht ein unprofessioneller Fehler, und nicht das Ergebnis einer inszenatorischen Schlamperei. Ihre Lächerlichkeit ist eine zwangsläufige Folgeerscheinung dessen, was Brecht »das Unnatürliche«, oder präziser »das Fremde« nennt: die Inszenierung einer Welt, die nicht die unsere ist, einer gigantischen Maschine, die sich allem, was sie vorfindet widersetzt, die ihr Außen aber so sehr in den Bann ihrer ureigensten Funktionalität ziehen kann, dass sie es sich schließlich einverleibt. Kniebundhosen und Wadlstrümpfe zu Trenchcoat und Hut, Schlips und Kragen unter der Uniform mit Reiterstiefeln, die eng anliegende Fliegermütze, die aus der Kultfrisur eine lederne Glatze mit langen Schlappohren macht – überhaupt die gewaltsame Subsumierung der verschiedenen Dresscodes, die sonst eine Gesellschaft unterteilen... Dann der übertriebene Symmetrismus des Bärtchens, kontrapunktiert von der asymmetrischen Scheitelung... die Gestalt ist in sich schief, und sie betont diese Schieflage mit aller Bewusstheit. Sie ist fremd, befremdend. Das aber nur, wenn es einen Bezugspunkt gibt – das vermeintlich Normale, das Elastische, Angepasste, Vitale, wie Henri Bergson sagen würde – oder einfach nur ein anderes Modell mit einem anderen Programm. »›Jungs, geht ins Kino‹«, zitiert Walter Jens einen seiner Lehrer, »›hört euch Hitler an, hört das Gebrüll, und hört die Menge um ihn herum – und dann schließt die Augen und stellt euch vor, wie das in London wirkt.‹ Wir schlossen die Augen... entsetzlich. Von da an konnte man Hitler nicht mehr tragen. Ein Augenblick der Verfremdung genügte, um diesen Mann so zu zeigen, wie er war.«27 Die bloße Vorstellung einer anderen, potentiell gleichberechtigten Art zu gehen, zu sprechen, sich zu kleiden, sich zu bewegen, zu kommunizieren genügt, um das ganze theatralische System in sich zusammenfallen zu sehen. Von der Inszenierung einer Rede im Bürgerbräukeller über die Olympischen Spiele und die Nürnberger Parteitage, bis hin zum Rundfunk, den Wochenschauen, den Filmen und den architektonischen Kolossalprojekten, wird letztlich eine ganze Welt mit allen ihren Details um diese eine Mechanik herumgebaut; sie wird so nicht nur gestützt und befördert, sondern es wird auch jedes andere relativierende Funktions-

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muster außerhalb dieser Mechanik buchstäblich undenkbar gemacht. »Opferlamm oder Sieger«, »Siegen oder Tod« – der Führerkult ist der eine Teil eines Entweder-Oder, deren anderer Teil die eigene Vernichtung (im Lachen) ist. So ist es ein entscheidender Baustein für Hitlers persönlichen Triumph, wenn er sagen kann, »dass die, die damals noch gelacht haben, heute nicht mehr lachen.«28 Ist es überspitzt, in diesem Zusammenhang zu bedenken, dass Hitler selbst im privatesten Kreis nur hinter vorgehaltener Hand lachte, und dass er, wenn er sich beim Spielen mit seinem Hund ertappt sah, diesen roh davonjagte?29 Lachen als das Resultat eines komischen Effektes der Gegenüberstellung widersprüchlicher Mechanismen – dieses Lachen darf nicht zugelassen, es muss verboten werden. Ein solches System, so scheint es, muss die Weltherrschaft, den »Endsieg« anstreben, um noch den letzten Winkel auszumerzen, in dem eine Brechung möglich wäre, und um schließlich die eigene Lächerlichkeit selbst auszurotten. Dieses vielschichtige Zusammen- und Auseinanderspiel von Lachen, Terror und Kult zeigt sich in der amerikanischen Populärkultur seit den 1930er Jahren, in Comics, Horror-Romanen und Splatter-Filmen, mit dem Entwurf des monströsen Clowns. Es ist ein Bild der totalitären Gebärde, das tiefer reicht als die Parodie im Dienst einer Gegenpropaganda, da es, im Gegensatz zu dieser, die eigene Affizierbarkeit zu denken versucht. Auf solche Rezeption des europäischen Faschismus will ich mich hier vor allem stützen, um nicht in den (allerdings schwerwiegenden) Verdacht zu geraten, selbst einem »Hitlerismus« anzuhängen, wonach sich der ganze Nazismus nur um diese eine Figur dreht, und von ihr bestimmt und kontrolliert wird. Dies wäre ein analysefeindlicher und unpolitischer Ansatz, der schon in der Zeit des Dritten Reiches auftaucht, und der bereits in den fünfziger Jahren von Benjamin und anderen kritisiert wird.30 Der Führer als Verführer, als eine dämonische Figur, die es wie ein moderner Rattenfänger von Hameln schafft, ein ganzes Volk gegen dessen Willen und ohne dessen Wissen ins Verderben zu führen. Ein Magier der Massen, der mit dem Gift seiner Rhetorik noch die wachsamsten Köpfe umnebelt und betäubt. Ein Dämon, oder, mit Zuckmayer, ein »Teufel«, also das Gegenbild des Gottes, als der er von der Propaganda inszeniert wurde, aber genauso mythisch, genauso ungreifbar und jenseitig und metaphysisch wie dieser. Mit Recht wendet sich die engagierte Geschichtsschreibung gegen solche Tendenzen, in denen noch die Verteufelung einer unangebrachten Überhöhung entspricht, und es kann nicht mein Anliegen sein, mich im Interesse einer Ästhetisierung des Phänomens Hitler in einen solchen Dunstkreis zu begeben. Eine Ästhetisierung findet aber statt, nicht nur in der Geschichtsschreibung, sondern vor allem auch in der US-amerikanischen Populär-

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kultur, die den europäischen Faschismus, trotz der eigenen Involviertheit, immer aus einer Ferne und mit einer entsprechend größeren Unbekümmertheit betrachtet hat. Sie nimmt verschiedene Tendenzen der Faschismus-Wahrnehmung in sich auf, verarbeitet diese und gibt sie verändert, bereichert und pointiert zurück. Spricht man also nicht vorrangig von der historischen Figur Adolf Hitler, sondern vom Mythos Adolf Hitler und von dessen Rezeptionen, Spiegelungen und Neuschreibungen in unterschiedlichsten Medien und Kontexten, dann ist es nicht nur legitim sondern notwendig, sich mit dem mythisch-dämonischen Aspekt dieser Figur zu befassen, mit einem Mythos, dessen Grundlagen in der Nazi-Propaganda gelegt wurden, der dann mit umgekehrten Vorzeichen wieder auftaucht, und dessen kultureller Einfluss bis in unsere Tage reicht, allerdings auf einer Ebene der Unterhaltung, die sehr wohl über die eigene Position bescheid weiß und, ähnlich wie das Show-Experiment von Jane Elliott, alle diese Annäherungen von Lachen und Totalitarismus auf einer zugleich affektiven und analytischen Ebene vollzieht. Im Frühjahr 1940 taucht in Bob Kanes Batman-Comic zum ersten Mal eine seltsame Figur auf, eine Art Spaßmacher und ständig lachender Superunterhalter. Von einem Tag auf den anderen ist er überall in Gotham City präsent, im Radio, in den Zeitungen und auf Plakatwänden, ohne dass jemand so recht wüsste, woher er eigentlich kommt, und mit welchem Recht er sich auf eine so respektlose Weise aller Kanäle des öffentlichen Informationsaustauschs und der öffentlichen Meinungsbildung bedient. Sein Gesicht ist weiß geschminkt und wird fast vollständig von einem knallroten Mund ausgefüllt, der v-förmig ein Gebiss enthüllt, das mehr an den Kühlerrost einer Limousine als an etwas organisch-körperliches erinnert. In seiner Unveränderlichkeit wirkt dieses Grinsen maskenhaft, wie ein Emblem, ein Markenzeichen, über das sich die ganze Erscheinung definiert, und das überall dort sichtbar wird, wo die Figur ihre Finger im Spiel hat. Bald wird der Joker zum besten Feind des Helden und zum Lieblings-Bösewicht der Leserschaft. Er ist der neue »Meister des Verbrechens, der um sich her ein Netz des Todes spinnt und geschlagene Opfer zurücklässt, die das gespenstische Grinsen eines Clowns auf ihren Gesichtern tragen – das Mal des Todes.«31 Und zugleich wird klar, dass es sich hier um einen Kriminellen handelt, der zwar Figuren wie Fantomas beerbt, insofern, als Verbrechen und Mord für ihn eine Frage des hellen Geistes, der Geschicklichkeit, der persönlichen Überlegenheit und des diabolischen Vergnügens sind, wobei seine Verbrechen aber eine neue, nie dagewesene Dimension erlangen, die mit der katzenhaften Geschmeidigkeit des klassischen Gentleman-Verbrechers nichts mehr zu tun haben. Der Joker ist nämlich der erste jener Antihelden, die nach der Weltherrschaft greifen, die neben sich nichts und niemanden

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dulden können, und die folglich so lange weiter morden und vernichten müssen, bis nur noch sie selbst, ihre willenlosen Leibeigenen und ihr hoch technisiertes infernalisches Imperium übrig bleiben. So entbehren sie, im Gegensatz zur Familie Fantomas, jeglichen Charmes. Sie wirken nicht wie diese durch ihr Charisma und ihre Geschicklichkeit, denn sie sind hässlich, sogar grotesk verunstaltet und ungelenk. Was sich letztlich durchsetzt, ist nicht ihre Intelligenz und ihre perfekte Körperbeherrschung, sondern ihr skrupelloser Wille zur Macht, und ihre Fähigkeit, körperliche Deformation in Überlegenheit zu verkehren, indem sie tote Technik erobern, manipulieren und gegen ihre Erfinder einsetzen. Die Menschen selbst werden manipuliert wie Maschinen. Durch neu entwickelte Drogen, Chemikalien, Gehirnwäsche, oder durch die Implantation von Mikrochips werden sie in Menschenmaterial verwandelt, das derselben Mechanik gehorcht wie ihr Herrscher.32 Das Auftreten dieses neuen Menschheitsbeherrschers ist theatralisch. Jede Geste, jeder Mord, jeder neue Anschlag auf den zivilen Frieden wird zelebriert wie eine schwarze Messe. So bereits der erste Auftritt des Joker: It is night. In most homes people listen to their radios. WIFE: Isn’t it peaceful sitting at home like this? HUSBAND: Nothing like it! Hmmm static! Suddenly the music is cut off.. A voice.. a toneless voice drones... JOKER: Tonight, at precisely twelve o’clock midnight I will kill Henry Claridge and steal the Claridge Diamond! Do not try to stop me! The Joker has spoken!33

Genau so geschieht es dann auch: Obwohl Henry Claridge von der alarmierten Polizei bewacht wird, greift er sich um punkt Mitternacht an den Hemdkragen und fällt tot zu Boden, auf seinem schmerzverzerrten Gesicht ein breites Grinsen – das Zeichen seines Mörders. Es ist nicht Geld, was dieser Verbrecher begehrt, es ist auch nicht Macht, zumindest nicht als ein Instrument des Handelns, sondern es ist das Spektakel der Herrschaft. So wird auch in Tim Burtons filmischer Joker-Version von 1989 das Morden dieses Widersachers losgelöst von jeder Rationalität34: Der Joker, in dessen Polizeiakte unter »Besondere Interessen« Wissenschaft, Chemie und Kunst genannt werden, geht dazu über, in Gesichtscremes und Make-ups Chemikalien zu mischen, die bewirken, dass das Opfer sich buchstäblich zu Tode lacht und mit einer zum ewigen Lachen erstarrten Gesichtsmuskulatur begraben wird. Er schleust Werbespots für seine Produkte in laufende Nachrichtensendungen ein, in denen er stolz zwei weibliche Models präsentiert, die ihm jüngst zum Opfer gefallen

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sind, und die nun sein totes Grinsen wie Fan-Artikel im Gesicht tragen. Die Verbrechen des Joker sind Nummern einer Show, die darauf hinausläuft, den versteinerten Automatismus des Lachens, die kranke Physiognomie eines Einzelnen der ganzen Welt aufzuzwingen. Der Joker ist omnipräsent, und er verfügt über alle Stimmen: Einmal spricht er die terrorisierte Einwohnerschaft mit »My Fellow Americans« an, eine Wendung, die sonst nur der Präsident benutzt; ein anderes mal erscheint zur gewohnten Late Night-Sendezeit nicht Johnny Carson, sondern die Fratze des Joker auf den Bildschirmen, um triumphierend Carsons Standardwitz nachzuäffen: »Hello, Late-Show Lovers and Lovers of the Late-Show!« Dann die Enthüllung: »Carl Francis is dead, as I vowed!«35 Von einem seiner erkorenen Opfer in Todesangst gefragt, was er eigentlich wolle, sagt der Joker schlicht: »Ich möchte mein Gesicht auf der Ein-Dollar-Note sehen.« Also kein George Washington mehr, kein American Dream, kein Zusammenleben in Freiheit und Wohlstand, keine Geschichte, sondern nur noch das Emblem des deformierten Menschen.36 Das Unheimliche und Groteske dieses Lachens liegt in der »Mechanisierung des Organischen«37 – in der Entmenschlichung der menschlichen Mimik durch die Abkoppelung der Gesichtsmotorik von der Psyche. Der Mensch wird zu einem Automaten, der in einer Gefühlsäußerung hängen geblieben ist wie eine zerkratzte Platte, zum Lachen verdammt, und der nun an einer Welt Rache übt, die sich weigert, ihn ernst zu nehmen. Während also der große Kontrahent, Batman, sich tänzerisch und in eng anliegendem Kostüm durch den Asphaltdschungel bewegt und seine Waffen in Form von Lassos, Fangschnüren und Schwungseilen am Leib trägt, ein autarker Held und Einzelkämpfer, der seiner Umwelt perfekt angepasst ist, bleibt der blockierten Joker-Maschine als einzig mögliche Strategie die Vergewaltigung. Sein Körper besteht aus gefährlichen Prothesen, die seinen Wirkungsbereich in die Unendlichkeit erweitern. Der psychomotorische Ausdruck von Emotionen ist für ihn nicht möglich. Wenn er wütend ist, dann schlägt er nicht mit der eigenen Faust auf den Tisch, sondern lässt das durch einen Boxhandschuh erledigen, den er auf Knopfdruck durch einen Federmechanismus in Bewegung setzt. Die schönste Szene bei Burton ist die Sequenz, als der Joker mit seinen Helfershelfern ins Museum geht, um die dort ausgestellten Werke zu »verbessern«. Dies geschieht mit Säure, Messern, Acryllack und Sprühflaschen, begleitet von Prince, dessen Musik über einen riesigen Ghettoblaster die Ausstellungsräume beschallt. Befremdet und mit wackelnden Knien versucht der Joker, die tänzerische Pose einer Skulptur nachzustellen, bevor er sie mit seinem Stock vom Sockel haut. Eliminiert wird alles, was nicht seinem eigenen Körperbild entspricht.38 Batman tanzt – der Joker erpresst, manipuliert, verbrennt, verätzt, zerschneidet, er-

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schießt, überrollt, zerstampft, vernichtet. Und während die graue, gesichtslose Menge als dumpfe Herde darauf wartet, dass er wie versprochen zwan-zig Millionen Dollar unter den Menschen verteilt, rollt er mit einem als Prunkwagen getarnten Panzer in die Stadt, und über ihm schwebt ein prall gefüllter Riesenclown, der statt Geld Giftgas ausschüttet.39

Eine maskenhafte Skulptur von Mussolinis Gesichtszügen auf dem Palazzo Braschi in Rom, während der faschistischen Wahlpropaganda im März 1934...

Vor dem Hintergrund dieser absurden Szenerien entwickelt sich die mechanistische Körperkomik der Bühnendespoten. Mit ihren ostinaten Wiederholungen, ihren Jingles, ihren Geräuscheffekten, ihren festgefahrenen Bewegungen, komischen Physiognomien, Ticks und immer gleichen Kameraeinstellungen, mit ihren Glücksrädern, Leitern, Kurbeln, Riesenobjekten, Schreckschüssen, Bodenluken, rollenden Unterlagen und Drehbühnen aktivieren sie eine Showmaschine, die sich meistens cool und understated präsentiert, die aber potentiell böse ist. Irgendwann wird sie austicken, wie die große Maschine in Fritz Langs Metropolis, und das ist der Moment, in dem der Mensch die Kontrolle über die Mechanik verliert. In diesem imaginären Anderswo – in der zugleich dekadenten und hoch technisierten Welt von Gotham City, Disneyland oder NBC, verbin-

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det sich vorübergehend das Lachen mit dem Kult, dem Horror, und mit allen Mythen des modernen Dämons.

...und das entstellte Gesicht des Joker als expansive Bedrohung.

3. Das Lachen und die Weihe des Ekels Mit der Kanalisation von Derry als Wohnort und Brutstätte des unbeschreiblich bösen Wesens, das in der Gestalt von Pennywise seit Jahrhunderten eine ganze Stadt terrorisiert, führt Stephen King ein weiteres Charakteristikum des Monsterclowns ein – das archaische Bündnis mit Verwesung und Gestank, mit Krankheit, Kloake und Verfall. Der monströse Clown lebt in einem Reich des Ekels. Hier zeichnet sich ein Prozess der Entgrenzung und der Homogenisierung ab, wie ich ihn für die despotische Show bereits im Zusammenhang mit der Orgie beschrieben habe. Es ist ein Prozess der Auflösung des eigenen Körpers, eine Ansteckung, die sich unaufhaltsam ausbreitet, und die darin – obwohl eigentlich im Bereich des organisch-biologischen angesiedelt – ebenfalls einer mechanistischen Logik folgt. Mit dem Ekel öffnet sich, in Analogie zur monströsen Mechanik, wiederum ein Spannungsbogen zwischen Individualität und Selbstvergessenheit, zwischen 289

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Irrationalität und Kontrolle, Täterschaft und Opfertum, der den potentiell komischen Zwiespalt des Despotismus auslöst. Soll der Despot zum chaotischen Ende der Show kommen, indem er verschwindet und sich selbst in das Chaos hineinwirft? Oder soll er als ein Bändiger der unordentlichen Masse, und in Abgrenzung zu ihr, als einziger die Kontrolle bewahren? Er ist sich darüber nicht ganz im Klaren. Er hat, wie wir schon gesehen haben, Anteil an beiden Welten, der unterirdischen und der überirdischen Welt, der Welt der Individuen und der Welt des Filth, des Geflechts. Sein Kontrollverlust assoziiert sich mit dem pathetischen Bad in der Menge, oder im Schmutz, mit der Aufgabe des Gefüges seiner Show. Auf der anderen Seite äußert sich sein Wille, diese Kontrolle zu behalten in einem Ekel vor der Masse (des Publikums, des Chaos, der Unordnung im Allgemeinen), und in einer versuchten Abgrenzung des eigenen Körpers. Der Ekel stellt sich dar als die Angst vor bzw. Freude an der Vernichtung des Selbst. Die Doppeldeutigkeit des Ekels ist eine typische zeitgenössische Ausprägung polyvalenter Komik, auf deren schwankenden Untergrund sich die Zuschauer gemeinsam mit ihrem Protagonisten begeben.

Der Aussätzige Schon in der Presse der zwanziger Jahre spielt beim Hitler-Mythos das Nebeneinander von kleinbürgerlichem Milieu und Größenwahn, von Bohèmiens-Elend und totalitärer Macht, von Obdachlosigkeit und Weltherrschaft eine Rolle. Dieser Tendenz folgend, beginnt auch Sebastian Haffner seine Anmerkungen mit einem Kapitel über dieses Paradox40, wobei nie ganz klar wird, ob das Emporkommen aus den gesellschaftlichen Niederungen des Wiener Männerheims nun ein von der Propaganda vertuschter und von Hitler zeitlebens verleugneter Schandfleck in der Führerbiographie ist, der im Nachhinein die Verlogenheit des ganzen Modells eines nazistischen Übermenschen aufdecken soll, oder ob diesem grotesken sozialen Spagat nicht doch eine geheimnisvolle Folgerichtigkeit innewohnt – so als sei das Bild des Weltherrschers erst in Kombination mit dem Elend der Gosse ein vollständiges. Was bei Haffner immer mit einem herablassenden Unterton erwähnt wird, ist in Thomas Manns Hitler-Analyse eher Auslöser einer Ratlosigkeit. Die Figur Hitler wird hier beschrieben als ein »ungeliebter Bruder«, als ein niederträchtiger Künstler-Kollege, den man lieber verschweigen und ignorieren würde, den zu behandeln man aber durch die Qualverwandtschaft verpflichtet ist. Hitler als der peinliche Auswuchs eines Traums vom alles umfassenden, alles in sich begreifenden, alle Widersprüche und Differenzen ausradierenden Gesamtkunstwerk.

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Ganz handfest und überhaupt nicht symbolisch überhöht taucht dieser Bund mit der Gosse in Mussolinis Italien auf. Hier zeigt sich der komische Aspekt des sozialen Spagats in einer unmittelbaren Körperlichkeit, die für die Karikatur jenseits des Atlantik zunächst viel maßgeblicher war als Hitler selbst. Das Körperbild von Chaplins Adolf Hinkel entspricht, genau wie das der Protagonisten in Ernst Lubitschs To Be Or Not To Be41, viel eher den prallen, ausufernden, weit aufreißenden und hervorquellenden Gesten des Duce. Die Augen, die aus ihren Höhlen treten, das ständige Hinauslehnen über Fenstersimse oder über den vorderen Rand des Rednerpultes, das Schnauben mit den aufgeblasenen Backen eines Trompeters, das Anstauen von Luft im Innern, wodurch die ganze Figur so weit aufgepumpt wird, dass sie zu platzen droht, das vollständige Ausfüllen jedes Rahmens, jeder Begrenzung, sei es nun die Öffnung einer Tür oder die einer Kameraeinstellung – das Spucken, Rotzen, Schnäuzen, Husten, Schwitzen, das ungehemmte Versprühen von Körpersekret... all das verlangt eine Ausbreitung des eigenen Körpers und behauptet die totale Verausgabung, letztlich die Aufopferung bis zu einer Selbstauflösung, der lediglich durch die straff sitzende Uniform Einhalt geboten werden kann. So gesehen sind Hitlers strenge Rigidität und sein statischer Monumentalismus eher Sonderfälle in der faschistischen Körperinszenierung. Auch die Selbstinszenierung des Neofaschisten Shirinowski weist eine ungezwungene Direktheit auf, die im nazistischen Deutschland undenkbar gewesen wäre. Während nämlich Hitler, entgegen der populistischen Verwertung durch Guido Knopp und Time-Life-Video, niemals »Privatmann« gewesen ist, oder jedenfalls nur im Bereich der vagen Andeutung und der Imagination, während der Obersalzberg von Anfang an Verbotene Stadt ist, und zwar so sehr, dass er noch heute das bevorzugte neonazistische Heiligtum darstellt, präsentiert sich das Privatleben Shirinowskis in den Medien mit einer übertriebenen Offenheit und Aufdringlichkeit. Dieser fröhliche Faschist lässt nämlich vor allen Fernsehkameras erst einmal die Hosen herunter. Er zeigt sich im feingerippten Unterhemd beim Boxen mit einem seiner Bodyguards – eine Tätigkeit, die ihn so sehr ins Schwitzen bringt, dass bei einer abrupten Kopfdrehung dicke Schweißtropfen auf die Linse der Kamera fliegen; er lässt sich in den Dampf seiner kleinen Küche begleiten, wo er die Topfdeckel anhebt und sich mit den Fingern schmatzend die frischen Teigtaschen in den Mund schiebt, die seine Köchin gerade zubereitet; er setzt sich auf einen wackeligen Stuhl, dass seine Wampe über die Hose quillt; er führt den Fernsehleuten sein Klo vor, sein Bett, er erklärt sogar, auf welcher Seite er am liebsten schläft und wie er sein Kopfkissen aufzuschütteln pflegt. Das alles wirkt ein bisschen schäbig, mit Wachstischdecken, Sperrholzver-

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schlägen, Sammeltassen und Plastiktellern.42 Der Intimbereich des Demagogen stülpt sich dem Betrachter unverlangt entgegen, und dieser nimmt es, halb amüsiert, halb angeekelt zur Kenntnis, angesichts dieses unfreiwilligen Kontaktes mit einem wirklich grotesken Körper, grotesk im Sinne Michail Bachtins: mit einem Körper, der »im Grunde auf einen aufgerissenen Mund hinausläuft«43, der verschlingt und selbst verschlungen wird. »Die wesentlichen Ereignisse im Leben des grotesken Leibes... Essen, Trinken, Ausscheidungen (Kot, Urin, Schweiß, Nasenschleim, Spucke) ...alles das vollzieht sich an den Grenzen von Leib und Welt.«44 Der Körper wird teigig und wächst ständig über die ihm zugewiesenen Umrahmungen hinaus. Andererseits ist man an das Motiv der verschluckten Kamera erinnert, die durch den Ösophagus hinab in den Magen gleitet und dort verdaut wird. Ausstülpung und Einverleibung sind zwei nur scheinbar entgegengesetzte Bewegungsrichtungen, deren Folge gleichermaßen eine universale Umhüllung ist – die komisch-kultische Vorstellung einer alles umfassenden, kosmischen Körperlichkeit. Die Gesten der Selbstentblößung und die rhetorischen Allmachtsphantasien sind dabei eng miteinander verzahnt. »Die Erhöhung enthält bereits die Idee der Erniedrigung«, schreibt Bachtin, genauso wie die Erniedrigung den Größenwahn enthält. In der Verfilmung von Bernhard Kellermanns Roman Der Tunnel von 1915 stürzt sich ein Volksredner, dessen Stil der junge Hitler offensichtlich zum Vorbild für seine eigene Rhetorik genommen hat, am Ende einer aufwieglerischen Ansprache vom provisorischen Podest hinunter in die tobende Menge.45 Und Shirinowski führt direkt im Anschluss an die private Ausstellung seines kleinbürgerlichen Umfeldes das Fernsehteam zu seiner schwarzen Limousine mit Autotelefon, Faxgerät und Computerkonsole. »Von hier aus kann ich mit der ganzen Welt sprechen, auch mit dem amerikanischen Präsidenten. Ich bin genauso mächtig wie Boris Jelzin und Helmut Kohl.« Oder noch mächtiger, denn der Lumpenkönig des Bachtin’schen Karneval kennt keine Begrenzungen, weder nach oben noch nach unten. Der Absturz ist nicht nur als Eventualität vorhanden, als eine politische Katastrophe, die die Selbstherrlichkeit beendet, sondern er begleitet diese Figuren wie ihr alter ego. Vielleicht liegt in diesem engen Bezug zu den grotesken Figuren des Karneval eine fatale Volkstümlichkeit, die im Faschismus, auf der Showbühne der Politik, besonders in Krisensituationen oder in der Anfangsphase der entsprechenden Bewegungen hervorgekehrt wird, als ein Gestus der Auflehnung gegen eine korrupte, von jeder körperlichen Präsenz entbundene Obrigkeit. Es ist allerdings eine Volkstümlichkeit, die zwar bedient wird, aber in einer sich stabilisierenden Situation eigentlich nicht mehr zugelassen werden darf. Die Machtergreifung ist der Moment, in

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dem der Ekel in den Bereich der Symbole verlegt wird: Fackelzüge und Totenwachen, der Kult der Verwesung und das Untergangspathos der letzten Kriegsmonate verlagern die karnevaleske Vieldeutigkeit des Ekels in den Bereich des Schauers und der Erhabenheit. Aber noch dieses Untergangspathos wird in einer Denkungsart des grotesken Monsters nachvollzogen: Wenn der Joker nach einem schrecklichen Kampf von Batman in das giftgrüne Säurebecken einer Chemiefabrik gestoßen wird, wenn er darin schreiend, fluchend und großblasig blubbernd versinkt, wenn er dann durch die Abwasserrohre der Fabrik in die Kanalisation von Gotham City gespült wird, und wenn schließlich seine fast skelettierte Hand aus der Kloake auftaucht und sich, die furchtbare Rache ankündigend, zur Faust ballt, dann ist diese Unverwüstlichkeit des Bösen sowohl komisch als auch Furcht einflößend. Aus dem Kontakt mit dem Schleim scheint der böse Clown geradezu seine Stärke zu beziehen. Dies hat er mit den Weltherrschaftskandidaten bei 007 gemeinsam, die jede noch so grauenvolle Verstümmelung mit einer weiteren mörderischen Prothese beantworten. Der Untergang in der Masse und die Wiedergeburt aus ihr heraus, mit vervielfachter Kraft – dieses Motiv zieht sich von der amerikanische Superheldenliteratur bis hin zu den Mega-Konzerten von Heavy Metal, Dark Wave, Grindcore etc., und zu den finalen Verbrüderungszeremonien zeitgenössischer Unterhaltungsshows. Die abschließende Entdifferenzierung entspricht in letzter Konsequenz dem Blutbad. Tatsächlich gezeigt wird dieses Blutbad der Show am Ende von Peter Jacksons indizierter Muppets-Parodie Meet the Feebles46. Hier greift das singende und tanzende Nilpferd Heidi, der gefallene Star der Truppe, enttäuscht, betrogen, gedemütigt, und bis zum Kotzen voll gefressen mit Sahnetorte, zur Schnellfeuerwaffe und erschießt zum Finale des großen Gala-Abends alles was sich bewegt: Zuschauer, Schauspieler, Stars, Statisten, Menschen, Tiere, den Produzenten, den Regisseur und den Portier.

Die monströse Mechanik (2) Die Orgie, die am Ende der Show meistens als eine Verheißung in einem jenseitigen Bereich gedacht wird, entwickelt sich hier zu einer Orgie der Gewalt und der tatsächlichen gegenseitigen Zerstückelung, zu einer Vermassung, in der das Individuum untergeht, und aus der sich möglicherweise das Phantasma eines neuen, kosmischen Körpers formiert. Sie ist die schwärzeste Form des großen Versöhnungsritus, der am Ende einer Show immer wieder nahe gelegt wird. Auch in diesem Blutbad liegt Versöhnung, denn auch hier gibt es keine Hierarchien mehr, und die strenge Struktur des Spiels löst sich auf in einer Gemeinschaft des Todes.

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(Man müsste in diesem Zusammenhang einmal über die Bedeutung der ästhetisierten Amokläufe der letzten Jahre nachdenken: Ist es denkbar, dass es sich bei den durchinszenierten Massenmorden Robert Steinhäusers in Erfurt, der Trenchcoat Mafia in Littleton/Colorado usw. um katastrophal gescheiterte Versöhnungsversuche handelt? Vieles spricht für einen solchen Zusammenhang mit der rituellen Orgie des Spektakels – die eigene Kontextualisierung innerhalb eines kulturellen Milieus aus Musik, Film, Video- und Spiele-Kultur genauso wie die erschütternden Momente der Distanzierung zum eigenen Tun, in denen der Amokläufer über sich selbst lacht!47) Besonders die Zombie-Filme der achtziger Jahre verdeutlichen dieses Phänomen der Nivellierung zum Ende hin, das auch die Show als Format kennzeichnet, und das hier unheimlich bis komisch, in der Untergangsrhetorik des Faschismus dagegen pathetisch wirkt. Da der Zombie-Film als Genre der Show in ihrer dramaturgischen Linie verwandt ist, indem er ebenfalls in seinem Verlauf zu einem »Zustand größtmöglicher Unordnung« strebt48, zugleich aber viel drastischere Bildmittel einsetzen kann als diese, scheint er mir einen guten Zugang zur komischen Wirkungsweise der Vermassung und des Ekels zu bieten. Zugleich lässt sich in seinen Bildern die Trennlinie zwischen den komischen UntergangsSzenarien des Show-Spektakels und der in ihnen angedeuteten faschistischen Blut-Metaphorik verdeutlichen, eine Trennung, die, wie ich zeigen werde, sowohl in einer unterschiedlichen kulturellen Kontextualisierung als auch in der Anbindung an unterschiedliche Affekte liegt. Die Zombie-Filme beschreiben in ihrem ganzen Verlauf ein gedehntes Untergangs-Ritual, wobei sie allerdings in den Archaismus von Zerstückelung und Wiedergeburt einen zeitgemäßen, entmythisierten Mechanismus einbauen und damit die Distanz gewinnen, die für ihre komische Wirkung unerlässlich ist. Sie versehen die universelle Reziprozität, die Girard’sche Krise der Gemeinschaft, die zugleich Ende und Anfang ist, mit einer logischen Zwangsläufigkeit und einem modernen wissenschaftlichen Interesse. Das Prinzip der Ansteckung ist einfach: Zombies fressen lebende Menschen, müssen sie fressen, um die Schmerzen ihres Totseins zu lindern. Wenn es ihnen gelingt, einen Menschen zu beißen oder zu töten, dann wird auch dieser zum Zombie und begibt sich auf die rastlose Suche nach lebendigem Fleisch. Der Mechanismus der Ansteckung ist ähnlich wie bei Vampiren, aber die Zombies sind jeglicher romantischen Individualität beraubt. Sie sind völlig geistlose Maschinen, die sich alle nach dem gleichen Muster bewegen. Mit den nach vorne ausgestreckten, unkontrolliert zuckenden Armen eines Schlafwandlers stolpern sie grobmotorisch durch die Landschaft – ihr Gang gleicht eher einer unwillkürlichen, spastischen Verkrampfung, oder den ersten unge-

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schickten Schritten eines zum Leben erweckten Roboters. Sie haben weder das Charisma, noch die Macht, noch die Erotik ihrer Blut saugenden Vorläufer, und die Affekte, die sie ansprechen, sind ganz andere als die klerikal genährte Gruselei der Schauerromantik. Die Zombies von George A. Romero und Dan O’Bannon sind in keiner Weise übernatürlich. Ihr Auftreten hat nichts mit schwarzer Magie zu tun, sondern ist bedingt durch einen Zivilisationsunfall, zum Beispiel ein neues, im Labor gezüchtetes Virus, eine vom Militär zu Kampfzwecken entwickelte chemische Verbindung, etc. Sie sind schwach, in ihren Bewegungen vollkommen kalkulierbar und damit eigentlich denkbar leicht zu besiegen: Schon ein kleiner Stoß mit der Hand genügt, um sie umzuwerfen und vorübergehend außer Gefecht zu setzen. Sie laufen gegen Bäume und Hauswände, oder sie stoßen zusammen und fallen einfach hin. Es ist kein Problem, einem einzelnen Zombie zu entkommen, weil sie sehr langsam sind. Sie sind das Musterbild eines verunglückten Körpers, einer Mechanisierung des Lebendigen. Gefährlich werden sie nur, weil sie ein Heer von Gleichen bilden. Denn es liegt in der Logik der Ansteckung, dass sie exponentiell verläuft, wie die Vermehrung von Bakterien im Reagenzglas. So sind die vereinzelt herumstolpernden Figuren nur die Vorboten einer Lawine, mit der sich das zahlenmäßige Verhältnis von Lebenden und Untoten umkehren wird. Zum Schluss verbarrikadiert sich dann eine kleine Gruppe der noch übrig gebliebenen Menschen in einem Haus und wird von der heranflutenden Armee von Gleichen einfach überrollt. In der Masse sind Zombies unaufhaltsam. Je mehr von ihnen man unschädlich macht, desto mehr strömen von hinten aus der Dunkelheit nach, und obwohl ein einzelner sogar zu schwach ist, ein Fenster einzudrücken, walzen sie mit ihrem unkoordinierten Heer alles nieder, was ihnen im Weg steht. Ihre Macht liegt nicht in geheimnisvollen Kräften, nicht in monströser Wut, nicht in scharfen Zähnen und Klauen, sondern in der Masse. Es gibt keine Führer, keine Hierarchien, keine Koordination, und gerade dadurch kann ihnen nichts widerstehen. Am Ende des Films steht wieder die Totale: der sich entfernende Blick auf eine ländliche Ebene, in der man kein Leben mehr entdecken kann, außer dem monotonen Scheinleben der Untoten. Hier wird das dunkle Ende des singulären Individuums in einem spektakulären Untergangsritual vorgeführt, das wie die Show zu einem Zustand größtmöglicher Unordnung tendiert und hieraus seine Komik bezieht. Hier gibt es keine Hauptdarsteller mehr, stattdessen reiht sich das Individuum bedingungslos in die makabere Choreographie ein, und die Erde ist zwar nicht entvölkert, aber entseelt. Ich kenne keinen Zombie-Film, der aus dieser Kombination von totaler Vorhersehbarkeit des Einzelmechanismus und Folgerichtigkeit einer ansteckenden Vermassung nicht eine besonde-

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re Spannung generiert, ein Lachen-Kreischen, eine Verwirrung der Affekte, wie sie für die zeitgenössische Comedy typisch ist. Der ZombieFilm ist hierin verwandt mit dem Slapstick, dessen – ebenfalls ansteckende – Gewalt in den Straßenprügeleien und Massentortenschlachten bei Laurel und Hardy gipfelt. Hier wie dort wird der kindliche Traum beantwortet, der zugleich Alptraum und Wunschtraum ist: die Frage nach dem eigenen Verschwinden; die Frage, was passiert, wenn der schwarze Mann dich fängt. Auch hier ist es Peter Jackson, der das Genre parodistisch zu Ende denkt: Während bei Romero zum Schluss zwar keine Individuen mehr zu erkennen sind, aber doch noch einzelne Körper voneinander unterschieden werden können, bleibt in Jacksons Film Braindead49 nur Blutsuppe übrig. Nachdem sich die Zombies im Wohnzimmer festgesetzt haben und dort eine wilde Party feiern, schwingt plötzlich die Tür auf, und der Held zerhäckselt mit einem altmodischen Rasenmäher die ganze delirierende Gesellschaft. Bergsons Term des »Schneeball-Effektes« verweist auf solche Ansteckung und Eskalation reziproker Gewalt, und vereinnahmt diese als ein komisches Phänomen. Auch der Schneeball funktioniert nämlich nach einem simplen, vorhersehbaren und dabei unaufhaltsamen Mechanismus, der sich alles einverleibt, sich sogar als tödlich erweisen kann, der aber, wenn man einen kleinen Schritt von seiner Unmittelbarkeit abrückt, komisch werden kann. Splatter- und Zombie-Filme stellen mit ihrer konsequenten Inszenierung einer entdifferenzierenden Gewalt-Orgie sozusagen den utopischen oder anti-utopischen Endpunkt der Show-Orgie dar, ein fröhliches Fanal, an dessen Rändern sich der Zuschauer in einer prekären Zone zwischen Berührung und Abstand, affektiver Teilhabe und kurzzeitiger Überlegenheit einpendelt. Die Erkenntnis der Spielregel (etwa des Fluchtwegs, der Ansteckung, der Vernichtung – oder einfach der genre-gebundenen Regel, dass das Fanal am Ende steht) fordern und ermöglichen immer die Distanznahme, die nötig ist, um das Spektakel zu genießen, dem Blutbad zu entgehen, indem man seine Gemachtheit begreift. Abrücken und trotzdem involviert bleiben: Das Lachen ist hier eine »gefährliche Balance« zwischen Drinnen und Draußen, eine Art allergische Reaktion, die das eindringende Fremde wieder wegstoßen möchte: ein Prozess wie das Niesen oder Husten, mit plötzlicher Konvulsion des Zwerchfells und tränenden Augen verbunden und durchaus lustvoll erlebbar.50 Das Lachen ist angesiedelt zwischen der Erkenntnis der eigenen Überlegenheit (Baudelaires »supériorité«51) und dem Schwanken des Ego. Es will zugleich draußen und ein bisschen drinnen sein – es will vom Schwarzen Mann gefangen und nicht gefangen werden, zugleich sich verlieren und das Geschehen kontemplativ analysieren. Und obwohl sich das zeitgenössische Lachen innerhalb dieser Balance von Überlegenheit und Kontrollverlust

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immer mehr in Richtung des letzteren zu verschieben scheint, obwohl man immer mehr zur Exponierung des Selbst bereit ist, um den Thrill dieses affektiven Klasters zu erleben, muss dennoch ein Rest von Distanz bleiben. Es ist genau dieser Funke des Bewusstseins im Kontrollverlust, der die Show des Despoten und die angeführten Beispiele aus Comic und Film verbindet, und den der Nazismus ab einem bestimmten Punkt seiner Machtentfaltung nicht mehr zulassen kann. In der etablierten Diktatur darf nur noch mit einer einzigen Stimme gesprochen und mit einem einzigen Ohr gehört werden. Distanz ist hier undenkbar – die Identifikation ist bedingungslos, und der Tod ist der eigene Tod auf dem Schlachtfeld.

Masse und Macht Bei einer Analyse der rhetorischen Beziehungen zwischen Unterhaltung und totalitärer Demagogie ist eine eindeutige Zuordnung bestimmter Stilmittel zu einer totalitären oder lediglich parodistischen Ästhetik nicht möglich. Die Verarbeitung des Totalitarismus in den experimentellen Showformaten der Nachkriegszeit und den von ihnen abgeleiteten Formen begnügt sich nicht mit dem Kommentar von außen, sondern sie treibt den mimetischen Nachvollzug totalitärer Strategien bis hin zum prekären Bereich der Affekte. Weder in der totalitären Rede, noch im solistischen Entertainment gibt es eindeutige Rezeptionshaltungen, die man zur Grundlage für eine Trennung machen könnte. Die Wirkung des Bühnendespotismus beruht immer zu einem guten Teil auf provozierten affektiven Konflikten, und auf einem bewusst in der Schwebe gehaltenen Konglomerat von Andeutungen und Bezügen. Genauso wenig ist das wohlgeordnete Heer mit dem »weißen Helden«52 an seiner Spitze ausschließliches Wesensmerkmal der totalitären Rhetorik, wie die anarchische Masse des Karneval allein bestimmend für eine populäre Komik ist. Klaus Theweleit – dem dieser Abschnitt viel verdankt – denkt hier zu dichotomisch: In den Männerphantasien bleibt die klare Abgrenzung des gepanzerten Körpers vom bodenlastigen Reich der Verwesung und des Schleims immer bestehen. Der soldatische Held ist hier nicht ein »Überlebender«53, sondern ein »Überlebt-Habender«, einer, der den Tod oder die Selbstauflösung in einer Masse von Gleichen überwunden hat, der mit glänzenden Nagelstiefeln über die Kloake hinwegschreitet und unangreifbar über der Masse herrscht. Die totalitären Führer inszenieren sich aber nicht nur als Heerführer, sondern sie sind immer auch Verwalter des Chaos, Zeremonienmeister des Schleims. Nicht aus ihrem Elitarismus und ihrer Verachtung gegenüber der Unordnung, sondern aus diesem Kampf mit dem Drachen beziehen sie ihre Größenwirkung. Dem elitären

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Denken steht die aggressive Proklamation der eigenen Unkultur gegenüber, die rauschhafte Versöhnung mit den Vielen. Was in den protofaschistischen Experimenten Gabriele D’Annunzios in Fiume noch ein intellektuelles Problem war, die Frage nämlich, ob die Masse nun gut oder zu verachten sei,54 das wird bei Hitler und Mussolini zu einem geschickt inszenierten Verwirrspiel von Anziehung und Abstoßung, Nivellierung und Differenz.55 Genauso, wie der selbstverleugnerische Kontakt mit der Masse als die rauschhafte Umkehr des Kontrollzwangs zum Totalitarismus gehört, so gehört auch die Ablehnung dieser Chaotisierung in Form eines übersteigerten Ordnungswillens zu den Machtmotiven zeitgenössischen Show. Ein guter Moment aus Wetten, dass... ist eine Saalwette mit Frank Elsner, bei der eine nicht zu überschauende Horde schuhplattelnder Bayern den Saal stürmt, bis schließlich der Moderator, der bis zum Schluss verzweifelt versucht, die Ordnung aufrechtzuerhalten, in dieser nicht zu zügelnden Menge verschwindet. Das Groteske an der Szene ist weniger der spontane Ansturm einer ausgetickten Statisterie, sondern vielmehr die sichtbare Angst des Showmasters vor einem solchen monumentalen und eigentlich showtypischen Kontrollverlust. Wenn dagegen Dame Edna am Ende ihrer Show zufrieden auf einen Wald winkender Gladiolen herunterschaut und halb zweifelnd, halb selbstzufrieden vor sich hin sagt: »Look at that! What a gorgeous sight«, dann ist völlig klar, dass nur in ihren Augen, aus der erhöhten Perspektive ihrer Tribüne, die einzelnen Elemente zu einer Einheit verschmelzen. Nur sie sieht diesen Wald, dieses wogende, lebendige Etwas als einen Organismus, den man zugleich bewundert und vor dem man sich ekelt. Die Masse lässt nur zwei Alternativen zu, die der Bühnendespot gleichermaßen genießt: darüber zu stehen oder sich darin aufzulösen. Anziehung und Abstoßung, Selbstüberhöhung und Selbstvernichtung, Elitarismus und Antielitarismus: Niemals wird klar formuliert, auf welche Seite man sich schlägt. Einziges Kontinuum in diesem Taumel ist das Taumeln. Im Nachvollzug totalitärer Machtstrategien, mit der die despotische Show auf prekäre Weise spielt, werden graduelle Unterschieden der Inszenierung sichtbar, die aber im nächsten Augenblick in die genau entgegengesetzte Richtung ausschlagen können. Entscheidend für die fundamentale Differenz, die – gerade durch die Nähe der Mittel – entgegengesetzter nicht sein könnte, ist die Möglichkeit einer umfassenden und endgültigen Erledigung im Lachen, die nur die Show bietet und herbeiführt, und in der ein totalitäres Instrumentarium zuletzt rituell entmachtet wird, nicht nur auf einer parodistischen, sondern auf einer viel tiefer gehenden Ebene, die den ganzen Menschen erfasst und zur Befreiung zwingt.

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Aber zum Ende der Show möchte ich noch einmal viel kleiner werden und mit einer etwas veränderten Perspektive in das despotische Wohnzimmer zurückkehren...

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X. SCHLUSS: DER

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»Allgemein gesprochen ist jedermann interessanter wenn er nichts tut als wenn er etwas tut.« (Gertrude Stein) »Es ist doch schön, wenn man sich mal verstecken kann.« (Helge Schneider)

Die größte Präsenz des Bühnendespoten liegt im Moment seines Verschwindens. Die Abwesenheit oder Unsichtbarkeit ist, wie bereits mehrfach beobachtet wurde, zugleich Probe und Überhöhung der zentralen Figur. Wenn Jacques Palminger in einem Konzert von der Bühne verschwindet, um »kurz aufs Klo« zu gehen, und die Zuschauer dann knappe zehn Minuten warten lässt, wenn der Uncanny Octoman, eine der Figuren der finnischen Performance-Gruppe Selfish Shellfish, einen großen Tintenfisch-Kopf aufsetzt, der sein Gesicht verbirgt und ihn für die Fans unkenntlich macht, wenn die Musiker der Melted Men noch niemals unverhüllt gesehen wurden, weil sie immer mit Hunde- und Pferdemasken auftreten, wenn die Schweizer Künstler Fischli und Weiss in ihrem Film Der geringste Widerstand1 nicht nur im Vollkostüm einer Ratte und eines Bären auftreten, sondern auch synchronisiert, und somit nicht einmal stimmlich anwesend sind, wenn die Performer von Showcase Beat Le Mot zum Fototermin die Stoffgehänge einer Hamburger Künstlerin von den Galeriewänden abhängen, um sich darin einzuwickeln, wenn Formationen und Einzelpersonen der zeitgenössischen Kunstszene für jedes Projekt ihren Namen ändern, bis nur noch ihr nächster Umkreis über die vielen internen Strukturen und Vernetzungen informiert ist, an denen sie teilhaben, dann liegt hierin eine Verfeinerung, eine neue Art der Diskretion, die mit den bombastischen Spannungsbögen des »Wartens auf den Führer« nichts zu tun hat, sondern nach anderen, neuen Prinzipien funktionieren. Abwesenheit, Rückzug, Verschleierung und Dezenz werden zu einer 301

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neuen Pose in der zeitgenössischen Kultur, die sich bewusst gegen die klassischen Prinzipien des Starkult richtet, besonders gegen die Mittel des »Fucking Rock ’n Roll«2, gegen die personelle Zentriertheit des Regietheaters und des Kunstzirkus. Dabei ist die Paradoxie, die in dieser Abwesenheit/Anwesenheit liegt, durchaus erwünscht. Der Kult zweiter Ordnung, der sich durch eine stetig in Gang gehaltene Gerüchteküche aufbaut und erneuert, wird als eine zusätzliche Ebene des Verwirrspiels zu einem wichtigen, indirekten Kommunikationsmedium der künstlerischen Szenen.3

Showcase Beat Le Mot auf der chinesischen Mauer.

»Verhalte dich! Positioniere dich! Finde dir einen Platz in der Gleichung!« – so formulieren Deleuze und Guattari die klassischen Methoden der Wissenschaft, wie auch Anforderungen an das Individuum in seiner sozialen Umwelt.4 Das strukturale Denken ist es gewöhnt, Gleichungen aufzustellen, in denen auf beiden Seiten des Istgleich-Zeichens ein Zähler einem Zähler, und ein Nenner einem Nenner gegenüberstehen. Die Verwirrung der Publizistik im Umgang mit dem zeitgenössischen Phänomen des Verschwindens rührt daher. Aber obwohl der implodierende Solist5 sich selbst eher im Kontext einer sehr provinziellen Kulturszene sieht, ist doch das große Spiel der medialen Präsenz nicht uninteressant: die absurde Situation, wenn Ruhm zur Jagt wird, und wenn es für den Gejagten darum geht, hektisch Markierungen zu hinterlassen und dann schnell zu 302

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verschwinden. Sobald er für einen Moment außer Sichtweite ist, markiert er wieder, zieht dadurch die Aufmerksamkeit seiner Jäger wieder auf sich, und verschwindet wieder, diesmal in eine ganz andere Richtung. Markieren, verschwinden, markieren, verschwinden. Diese Jagt ist erst durch eine Massenwirkung möglich – sie macht die vom Künstler selbst beschworene Serialität aus, die in einem unauffälligeren Setting überhaupt nicht wahrgenommen werden könnte. Sie erfordert eine prozessuale Intelligenz beim Gejagten und beim Jäger, deren Ziel niemals sein darf, die Jagt zu beenden. So sind die Interviews und Talkshow-Besuche einiger Protagonisten dieser Szenen genauso wichtig wie ihre Performances, Konzerte und Filme, und es gibt kein Format, in dem sie selbst nicht theoretisieren.6

Jacques Palminger (l.) mit Studio Braun und Kind (oben), getarnt.

Lässt man einmal ganz zwanglos die Struktur weg und die Serie zu – denn die serielle Kunst ist, viel mehr als das einzelne große Ereignis, das Medium des implodierenden Solisten –, dann verfügt man über ein viel adäquateres Instrumentarium, das die heterogene Abfolge, sowohl auf der Mikro- als auch auf der Makroebene, ermöglicht und begreift, ein In303

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strumentarium, das die Verwandlung, die Tarnung, die Verstellung und die Zauberei besser beschreiben kann als jede kultursoziologische Verortung. Das soziale Beziehungsgeflecht verraucht. Was bleibt, ist eine bruchstückhafte, von Black Outs, abrupten Übergängen, Versprechern, Irrtümern und kranken Assoziationen durchsetzte Abfolge. Funktion heißt jetzt Stil. Die Bewegung, die sich offenbart, ist nicht planlos. Sie ist im Gegenteil strategischer, listiger, lustiger und dynamischer als das starre Gefüge der Funktionalität. Jetzt sehen wir nicht mehr nur die Figur im Raum, wir sehen ein ganzes Figurenkonglomerat, ein Arsenal an Stilen, Standards, Zitaten. Haken schlagen, rückwärts laufen, falsche Fährten legen, Kreise gehen, die eigenen Spuren verwischen. Das hat mit Tarnung zu tun, mit Verstellung, mit Imitation und mit Täuschung. Aber das alles ohne eine biologische Teleologie. Eine Tarnung zweiten Grades also, die Selbstzweck wird, oder Kunst. Wo der implodierende Solist sich momentan aufhält, ist nie das eigentliche, immer ist er auf dem Sprung in eine andere Welt, die sich durch sein Abwesen ankündigt. Was er macht, macht er zwischen Tür und Angel – und gerade dadurch steigert er seine Attraktivität. So bezeichnet sich der Hamburger Künstler King Rocko Schamoni als »Beobachter«. Der implodierende Solist repräsentiert das Genre durch seine Randständigkeit gemessen am Genre. Nie ist Verschwinden Negation. Nie ist Verstellung Lüge. Verschwinden ist Verwandeln, Verwandeln ist Tarnen, Tarnen ist Assimilieren, und die Assimilation befördert die Präsenz. Das alles liegt beim implodierenden Solisten auf einer gedanklichen Linie. Helge Schneider, einer der Protagonisten, an die ich hier denke, antwortet auf die Frage, was sich denn hinter seiner Maskerade verberge: »Nichts.«7 Der »Plan«8 des implodierenden Solisten ist sowohl die physische Spielfläche der Bretter, auf denen er gerade steht, als auch eine strategische Planung, die eine darüber hinausgehende abstrakte Spielfläche generiert und ihren Rahmen absichert. Sein Stil ist nicht nur die spontan ausufernde, selbstherrliche Persönlichkeit, vielleicht nicht einmal in erster Linie: Stil ist eine Arbeit, in der man aufgeht, der man sich unterwirft. Der Solist spielt nicht »sich selbst«, wie man gerne unterstellt, sondern er bearbeitet, erarbeitet einen Habitus, der seinen Körper und seine Sprache ganz durchdringt. Hinter der Maskerade verbirgt sich nicht das Eigentliche, das Echte, sondern nichts; will sagen: es gibt keine Maske als beliebig auf- und absetzbares Verkleidungsrequisit, sondern es gibt die Verwandlung, nach der vom Ursprünglichen nichts und alles übrig bleibt. Die Selbstüberhöhung spielt dabei in der Präsentation der Figur eine so dominante Rolle, dass es unehrlich wäre, sie einfach als ein Motiv unter vielen in eine Serie von Tarnungsmustern einzuordnen. Der implodierende Solist operiert mit allen Stilmitteln der Vorenthaltung, der Andeu-

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tung und des Teasing eines Megastars. Die Zuschauer bekommen immer ein bisschen weniger, als sie erwarten und als ihnen eigentlich zusteht. Ein Lächeln, ein Winken oder ein Blick aus dem Augenwinkel wird zu einem Geschenk an die Massen. Er ist also immer noch das singuläre, herausragende Individuum. Er ist zugleich alltäglich und außergewöhnlich, privat und öffentlich, ›normal’ und elitär. Er gibt dem Affen Zucker, reicht der Menge die Hand, verschwindet in der Meute, und hebt sich entschieden von ihr ab. Unangestrengt fügt er sich in jeden Show-Kontext ein, wird aber nie wirklich ein Teil dieser Kontexte, sondern bleibt immer heimatlos. Hierin erfüllt er das klassische Paradox des Lonely Wolf, der überall und nirgends zu Hause ist; das Paradox eines Streuners zwischen den Welten, den gerade seine Heimatlosigkeit und seine Nichtigkeit zum Helden machen. Oder das Paradox eines tropischen Fisches, der seine Anpassungsfähigkeit nicht mehr funktionalisiert, um sich vor seinen Feinden zu verbergen, sondern der sie als besonderen Skill ausstellt, um vor staunenden Augen damit zu glänzen.

Helge Schneider am Flügel.

Und spätestens hier kommt Virtuosität ins Spiel, die Virtuosität eines Magiers, eines Multi-Instrumentalisten, eines Fesselungs- und Entfesselungskünstlers, eines Akrobaten, vielleicht auch eines Privatdetektivs... Die Virtuosität solcher Bühnenpersonen, die auf die blitzartigen Momente der Irritation und der Verblüffung aus sind, und die bei ihren Zuschau305

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ern eine körperliche Anteilnahme an diesen Momenten provozieren. Verschwinden ist Präsenz, Dissimulieren ist Virtuosität – wir bewegen uns in einem ganz anderen gedanklichen Umfeld als die Theoretiker des Dilettantismus.9 Der implodierende Solist ist Solist nur insofern, als er immer randständig ist, aber nicht mehr in Bezug auf einen angenommenen monolithischen Gesellschafts-Block, sondern randständig in Bezug auf die Gemeinde seiner Fans, und in Bezug auf das Personenkonglomerat, das ihn unmittelbar umgibt. Seine Band, seine Gruppe steht wie eine Familie hinter ihm, funktionieren aber ohne ihn scheinbar besser als mit ihm. Er ist der eine zuviel, der sich überall hineindrängen muss und eigentlich allen auf die Nerven geht. Er ist immer auch randständig in Bezug auf die Medien, in die hinein er sich begibt – und trotzdem verkörpert er diese Utensilien der öffentlichen Aufmerksamkeit besser als der klassische Star. Als Helge Schneider in einer Talkshow zur Reichstagsverhüllung von Christo und Jeanne Claude befragt wird, antwortet er sehr lapidar, dass er sich mehr für die kleinen Sachen in der Kunst interessiere, wie zum Beispiel für Kastanienmännchen. Die »kleinen Sachen« bezeichnen die Dinge, die nicht mit Bedeutung aufgeladen, nicht gesättigt sind – also tatsächlich die genaue Opposition darstellen zu Christos Konzept, das in der Verhüllung und anschließenden Enthüllung das Bedeuten und die sozialhierarchische Struktur eines Objektes noch verstärken will. (Es ist kein Wunder, dass diese Art des Aktionismus noch beim borniertesten Bildungsbürgertum reüssiert.) Kastanienmännchen dagegen bedeuten nicht; sie sind – »Körper ohne Organe«10, bestehend aus mehreren homogenen, vollkommen unhierarchischen Modulen, außen braun, innen weiß, die unbegrenzte Kombinationsmöglichkeiten erlauben. Wahrscheinlich ist der implodierende Solist, als die untergründige und hintergründige Ausprägung des Bühnendespoten in der Umgebung des Jahrtausendwechsels, auch einer von diesen organlosen Körpern, die eher pflanzlich, zellular oder molekular funktionieren. Deren Leben einer mathematischen Operation oder der streng formalen Proliferations- und Infiltrationstätigkeit eines Virus gleicht. Eine Show-Maschine, die nichts ist und alles kann, die sich zyklisch erneuert, und von Mal zu Mal eine neue Welt erschafft.

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DANKSAGUNG Ich danke allen, die mir geholfen haben. Besonders danke ich: meinen Eltern, Prof. Dr. Helga Finter, Prof. Dr. Volker Roloff, Showcase Beat Le Mot, Florian Feigl, Friedrich Balke, Ulrike Sprenger, Björn Laser, Jochen Venus, Marc Fabian Erdl, Kerstin Herlt, Hyunseon Lee, Barbara Ullrich, Rolf Parr, Matthias Thiele, Alexander Kluge, Mieke Matzke, Claudia Plöchinger, Hermes Phettberg, Kurt Palm, Thomas Lemke, Roosa Voima, Selfish Shellfish, Wanda, Monika Sprenger, Helge Jakubowski, She She Pop, den Baktruppen, PME, Gob Squad, Studio Braun, Torsten Jahnke, Harriet und Peter Meining, Karl Tebbe, Gero Wierichs, Ruth May, Kante, Katharina Obelik, Alexander Djuric, Martin Heinzinger, Dorothée und Jean Christophe Caurette, Ulrike Sehr, Mariola Brillowska, Wiebke Trunk, Antje Mittelberg, Joseph Vogl, Kampnagel Hamburg, dem Haus der Lüge, dem Gießener Institut für Angewandte Theaterwissenschaft, dem Siegener Graduiertenkolleg »Intermedialität«, dem Museum of Television and Radio New York, dem Videodrom Berlin.

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BILDNACHWEIS Vorderseite: Der »King of Late Night« Johnny Carson bei seiner Standup Sequenz (siehe S. 158ff), NBC, zitiert nach: Stand-up Comedians on Television (=MRT) S. 90; 15: Daily News, New York; 26: NBC, zitiert nach: MRT S. 146; 38: Illustration Mike Wimmer, zit. n.: Keating, Wimmer (2002); 45: zit. n.: Cook (2001); 56: zit. n.: Toll (1974) S. 255; 66: zit. n.: Toll (1974) S. 77; 78: Foto Mathew Brady, zit. n.: Cook (2001) S. 122; 83: Illustration Stephen Bissette, in: Wein, Wrightson, Moore (2001); 84: Lynch (1981); 86: Elisabeth Sterling Seeley Collection, Quelle: Barnum (Ausg. 1972); 88: Foto: Mark Van-S, zit. n.: Rose (1995) S.101; 97: Photofest/Showtime, zit. n.: MRT S. 37; 106: zit. n.: Bruce (1963); 110: zit. n.: MRT S.54; 112: NBC, zit. n.: MRT S. 31; 116: zit. n.: Kaufman/Rhino (1989); 121: Jim Britt/HBO, zit. n.: MRT S. 72; 128: Associated Press, zit. n.: Krämer, Heering (2001) S. 43; 134: zit. n.: Krämer, Heering (2001); 143: US Navy; 145: NBC, zit. n.: MRT S. 84; 154: zit. n.: MRT S. 52; 167: Foto: Gene Trindle/Globe Photos, zit. n.: MRT S. 32; 175: Phettberg, Palm/ORF (1995); 177: zit. n.: Dame Edna Everage (1989); 191: Jerry Springer (1998); 240: zit. n.: Phettberg, Palm (1996); 264: WDR/ARD 1995; 288: zit. n.: Farrell (2003) S. 205; 289: Kane, Finger/DC Comics (1940/1990); 302: Foto: Obelik, Montage: Djuric; 303: Studio Braun; 305: Foto: Jakubowski.

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DESPOTEN AUF DER BÜHNE

Sprenger, Veit: Despoten auf der Bühne – Regulation und Kontrollverlust in der Inszenierung von Macht. In: Rolf Parr, Matthias Thiele (Hrsg.): Gottschalk, Kerner & Co. Frankfurt a.M. 2000. S. 189-208. Sprenger, Veit: Krieger und Architekten – Arbeitsbericht über die Herstellung von Gegenwart. In: Veit Sprenger, Vanessa Walz (Red.): Programmkatalog artgenda 2002 Hamburg. Hamburg, 2002. Sprenger, Veit; Tiedemann, Kathrin: Mannschaftsspieler und spleenige Solisten (Interview). In: Tilmann Broszat, Sigrid Gareis (Hrsg.): Global Player/Local Hero. München 2000. S. 146-156. Theweleit, Klaus: Männerphantasien. München 1978. Thiele, Matthias: Spielshows und Spielleiter – ein Forschungsüberblick. In: Rolf Parr, Matthias Thiele (Hrsg.): Gottschalk, Kerner & Co. Frankfurt a.M. 2000. S. 39-101. Tholen, Georg Christoph: Talkshow als Selbstbekenntnis. In: Björn Laser, Jochen Venus, Christian Filk (Hrsg.): Die dunkle Seite der Medien – Ängste, Faszinationen, Unfälle. Frankfurt a.M. u.a. 2001. S. 29-45. Thompson, C.J.S.: The Mystery and Lore of Monsters. Neuauflage unter dem Titel: Giants, Dwarfs and other Oddities. New York 1968. Thompson, Hunter: Last Tango in Vegas. In: Gerald Early (Hrsg.): The Muhammad Ali Reader. New York 1999. S. 183-198. Toll, Robert C.: Blacking Up. The Minstrel Show in Nineteenth-Century America. New York 1974. Toop, David: Rap Attack. London 1991. Twain, Mark: The Adventures of Huckleberry Finn. Ausgabe London 1985. Virilio, Paul: Die Sehmaschine. Aus dem Französischen von Gabriele Ricke und Ronald Voullié. Berlin 1989. Vogel, Günter; Angermann; H.: Atlas zur Biologie. München 1967. Waldenfels, Bernhard: Das Eigene und das Fremde. In: Deutsche Zeitschrift für Philosophie 43 (1995)/4, S. 611-620. Wein, Len; Wrightson, Berni; Moore, Alan u.a.: The Swamp Thing. DCComics 1972-1987. Wimmer, Mike; Keating, Frank: Will Rogers. An American Legend. San Diego; New York; London 2002. Wolfe, Tom: The Marvelous Mouth. In: Gerald Early (Hrsg.): The Muhammad Ali Reader. New York 1999. S. 15-26. Wright, Steve; Compton, Peter: Just Keep Talking. The Story of the Chat Show. London 1997. Wulff, Hans-Jürgen: Rezeption im Warenhaus. In: Ästhetik & Kommunikation 88/24.

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LITERATUR

Wulff, Hans Jürgen: Saal- und Studiopublikum. Überlegungen zu einer fernsehspezifischen Funktionsrolle. In: TheaterZeitSchrift, Jg.7, 1988, H.26. S. 31-36. Young, James Harvey: The Toadstool Millionaires. Princeton 1961. Zaehle, Barbara: Knigges Umgang mit Menschen und seine Vorläufer. Heidelberg 1933.

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V I D E O G R A P H I E /D I S K O G R A P H I E Ali G. MTV, VIVA (TV) American Comedy – The Comedy Chronicles (2). Rhino 1995. (CD) Andy Kaufman: Fridays, CBS 1981. (TV-MTR) Andy Kaufman: I’m from HOLLYWOOD. Rhino 1989. (V) Andy Kaufman: The Andy Kaufman Special, 1979. In: The MTR Exhibition Series – Andy Kaufman. (TV-MTR) Andy Kaufman: The Midnight Special. Neuauflage: Sony Music 1999. (TV/V) Arabella Night. Pro7 (bis 1995). (TV) Barry Humphries: Les Patterson Saves the World. USA 1990. Regie: George Miller. (F) Batman. USA 1989. Regie: Tim Burton. (F) Beastie Boys: Hello Nasty. Capitol Records. (LP/CD) Beastie Boys: Licensed To Ill. DefJam/Columbia 1986. (LP) Beastie Boys: Rock Hard. Def Jam Records. (LP/CD) Bill Cosby, Himself. Twentieth Century Fox 1982. (V) Bill Cosby. UNI 1969. (LP) Bill Cosby: Bill Cosby is a Very Funny Fellow. Warner Records 1963. (LP) Bill Cosby: I Started Out as a Child. Warner Records 1964. (LP) Billie Holiday: Strange Fruit. (7‘‘/LP) Bios Bahnhof. WDR (bis 1982). (TV) Blue Eyed. USA/Deutschland 1996. Regie: Bertram Verhaag. (F) Bob Hope: Hope in Russia. Decca 1963. (LP) Bob Hope’s Overseas Christmas Tours – Around the World with the Troups. Nr. 2 Teil 1. NBC 10.02.1980. (TV-MTR) Boulevard Bio. WDR. (TV) Braindead. USA 1987. Regie: Peter Jackson. (F) But Seriously – Political Comedy Collection. Castle Rock Entertainment 1993. (V) Cassius Clay: I Am the Greatest. Rev-Ola. (LP) Child’s Play. USA 1988. Regie: Tom Holland. (F)

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VIDEOGRAPHIE/DISKOGRAPHIE

Christoph Schlingensief: Talk 2000. Volksbühne am Rosa-LuxemburgPlatz. (TV, V) Colgate Comedy Hour. (TV-MTR) Critters. USA 1986. Regie: Stephen Herek. (F) Da Lench Mob: Guerillas in Tha Mist. Street Knowledge Records. (LP/CD) Dall As. RTL (bis 1993). (TV) Dame Edna ganz privat. Barry Humphries im Interview mit Roger Willemsen. Atlas Film 1994. (V) Dame Edna: Back with a Vengeance. Mitschnitt einer Show von Barry Humphries. London (Virgin) 1986. (V) Dame Edna: The Dame Edna Experience. In Deutschland auf Vox (bis 1996). (TV) Dame Edna’s Neighbourhoodwhatch. In Deutschland auf Premiere (bis 1994). (TV) Dawn of the Dead. USA 1978. Regie: George A. Romero. (F) Dean Martin Show. In: The MTR Exhibition Series: Woody Allen. MTR New York. (TV-MTR) Def Jam – 10th year anniversary. Def Jam Records 1995. (CD) Der geringste Widerstand. Schweiz 1981. Regie: Peter Fischli, David Weiss. (F) Der heiße Stuhl. RTL. (bis 1994). (TV) Der Tunnel. Deutschland 1915. Regie: William Wauer. (F) Dick Gregory On:... Poppy 1969. (LP) Dick Gregory: The Best of Dick Gregory. Collectibles 1997. (CD) Die Glücksspirale. Sat1. (TV) Die Harald Schmidt Show. Sat1. (TV) Die Summe der einzelnen Teile. (Musikvideo). Regie: Tom Kimmig, Showcase Beat Le Mot. Deutschland (Kitty Yo) 2001. (V) DJ Westbam: No More Fucking Rock ‘n Roll. Low Spirit 1990. (LP) Don Rickles: Rickles. CBS 1975. (TV-MTR) Duke Ellington: Take The »A« Train. Komp. Billy Strayhorn. Victor Records 1941. (7‘‘). Auch auf: Swing Time! Sony Music 1993. (CD) Eddie Izzard: definite article. Polygram 1996. (V) Eddie Murphy: Delirious. Performance-Mitschnitt. Washington DC 1983. HBO. (TV/V) Einspruch. Sat1. (bis 1994). (TV) Female Misbehavior. Regie: Monika Treut. Deutschland 1993. (F) Flip Wilson Show. 1973. In: The MTR Exhibition Series: Richard Pryor. MTR, New York. (TV-MTR) Flip Wilson: You Devil You. Atlantic 1968. (LP) Freaks. USA 1932. Regie: Tod Browning. (F)

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DESPOTEN AUF DER BÜHNE

Geh’ aufs Ganze. Sat1. (TV) Gene Kelly in New York. 1966. In: The MTR Exhibition Series: Woody Allen. MTR New York. (TV-MTR) George Carlin: Class Clown. Little David 1972. (LP) Gil Scott-Heron: The Revolution Will Not Be Televised. Carlin Music Corp. 1971. (7‘‘) Glücksrad. Sat1. (TV) Gone With The Wind. USA 1939. Regie: Victor Fleming, George Cukor. (F) Great Comedians. Goodtimes 1988. (V) Gremlins. USA 1984. Regie: Joe Dante. (F) Halloween. USA 1978. Regie und Musik: John Carpenter. (F) Hans Moser: Buchhalter Schnabel. Österreich 1935. Regie: J.A. HüblerKahla. (F) Hans Moser: Die Familie ohne Moral. Österreich 1927. Regie: Ida Jenbach, Max Neufeld. (F) Hans Moser: Eine Nacht im Grandhotel. Österreich 1931. Regie: Max Neufeld. (F) Hans Moser: Meine Tochter lebt in Wien. Österreich 1940. Regie: E.W. Emo. (F) Hans Werner Henze: El Cimarrón – Der Aufstand. Rezital für vier Musiker. 1969, 1970. Edel Classics. (LP) Helge Schneider: Eiersalat in Rock – TV Mix ‘99. Helge Schneider c/o Martin Heinzinger 1999. (TV/V) Helge Schneider: es gibt Reis, Baby! Live im Bhf Langendreer, Bochum. Lignie Trockenhaube 1994. (V) Helge Schneider: Guten Tach! Live in Delbrück und Wuppertal. Lignie Trockenhaube 1993. (V) Helge Schneider: Off Show’s Beste mit helge. Lignie Trockenhaube 1996. (TV/V) Helge Schneider: Sex Machine. Live im Tivoli, Hamburg. Lignie Trockenhaube 1996. (V) Helge Schneider: TV Mix ‘97 – Fitze Fitze Fatze. Helge Schneider c/o Martin Heinzinger 1999. (V) Henny Youngman: The Best Of The Worst Of Henny Youngman. Certron 1970. (LP) High Society. USA 1956. Regie: Charles Walters. (F) Hitler. Eine Bilanz. Dokumentarfilm-Reihe. Deutschland 1997. Regie: Guido Knopp. (F) Jack Benny Show. CBS 1950-1964, NBC 1964-1965. (TV-MTR) Jack Paar Program. NBC, 21.05.1965. (TV-MTR)

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VIDEOGRAPHIE/DISKOGRAPHIE

Jack Paar Show. 1962. In: The MTR Exhibition Series: Woody Allen. MTR New York. (TV-MTR) James Bond jagt Dr. No. USA 1962. Regie: Terence Young. (F) James Bond: Moonraker. USA 1979. Regie: Lewis Gilbert. (F) James Bond: The Spy Who Loved Me. USA 1977. Regie: Lewis Gilbert. (F) James Brown: Get Up, Get Into It, Get Involved. Crited Music Inc. (BMI) (7‘‘/LP) James Brown: Say It Loud – I’m Black And I’m Proud. Polygram Records 1968. (7‘‘/LP) Jay Leno: The American Dream. Showtime 1986. (V) Jerry Lewis Show. ABC, 21. September 1963. (TV-MTR) Jerry Seinfeld: I’m Telling You for the Last Time. PerformanceMitschnitt aus dem Broadhurst Theatre New York 1998. HBO 1998. (TV/V) Jerry Springer: Bad Boys and Naughty Girls. 1998. (TV/V) Jetzt sind Sie dran! Sat1. (TV) Jim Rose Circus Side Show. Videomitschnitt einer Aufführung von 1993 im Moore Theater, Seattle. (V) Johnny Carson – His Favourite Moments. Buena Vista 1994. (V) Late Night with Conan O’Brien. NBC. (TV) Late Show with David Letterman. CBS. (TV) Lenny Bruce Without Tears. Dokumentarfilm. USA 1992. Regie: Fred Baker. (F) Lenny Bruce: Live at the Curran Theater. Fantasy Records, Neupressung 1999. (LP/CD) Lenny Bruce: Sick Humor. Fantasy Records. (LP) Lenny Bruce: The Berkeley Concert. Reprise. (LP) Lenny Bruce: The Carnegie Hall Concert. Capitol Records, Neupressung 1995. (LP/CD) Lenny. USA 1974. Regie: Bob Fosse. (F) Les masques. Frankreich 1987. Tegie: Claude Chabrol. (F) Looney Tunes: SLICK HARE. USA (Warner Brothers) 1946. Regie: I. Freleng. (F) Looney Tunes: STAGE DOOR CARTOON. USA (Warner Brothers) 1945. Regie: I. Freleng. (F) Lord Buckley: Bad Rapping Of The Marquis De Sade. World Pacific/Capitol Records 1960/1996. (LP/CD) Lord Buckley: His Royal Hipness. Discovery Records 1992. (CD). Erstveröffentlichung als Best of Lord Buckley. Elektra/Vaya 1951. (LP) Masques. Frankreich 1987. Regie: Claude Chabrol. (F)

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DESPOTEN AUF DER BÜHNE

Meet the Feebles. Neuseeland 1989. Regie: Peter Jackson. (F) Men In Black II. USA 2002. Regie: Barry Sonnenfeld. (F) Michael Jackson – King of Pop. Dokumentarfilm. USA, Deutschland, Frankreich (arte) 1995. Regie: Andreas Schneider. (F) Michael Jackson: Bad. CBS 1986. (LP/CD) Michael Jackson: Dangerous. CBS 1991. (LP/CD) Michael Jackson: History. Sony Music 1995. (CD) Michael Jackson: Leave Me Alone! CBS 1987. (LP/CD/V) Michael Jackson: Thriller (Musikvideo). USA 1982. Regie: Vincent Price. (V) Michael Jackson: Thriller. CBS 1982. (LP/CD) Mike Douglas Show. 1974. In: The MTR Exhibition Series: Richard Pryor. MTR New York. (TV-MTR) Mississippi. USA 1935. Regie: Edward Sutherland (F) Mo’ Funny: Black Comedy in America. Dokumentarfilm. USA o.J. (MTR New York). Regie: Ivonne Smith. (F) Moms Mabley: The Funniest Woman In The World – Moms Mabley Onstage. Chess Records 1959. (LP) Monty Python’s Flying Circus. GB 1969-1974. Regie: John Howard Davies, Terry Gilliam. (TV) Mort Sahl at the Hungry i. Verve 1960. (LP) Mr. Smith Goes To Washington. USA 1939. Regie: Frank Capra. (F) Muhammad Ali: a.k.a. Cassius Clay. Dokumentarfilm. USA 1979. Regie: Jim Jacobs. (F) Muhammad Ali: When We Were Kings. Dokumentarfilm. USA 1996. Regie: Leon Gast, Taylor Hackford. (F) Night of the Living Dead. USA 1968. Regie: George A. Romero. (F) One Mo’ Time. (Musical). USA1979 (Filmfassung von 1981). Regie: Vernel Bagneris. (F) Pet Sematary. USA 1989. Regie: Mary Lambert. (F) Phettbergs Nette Leit Show. Highlights 1-4. TV: ORF, 3Sat (bis 1995). V: ORF/Libro 1995. (TV/V) Pigmeat Markham: Here Come the Judge. Chess Records 1984. (LP/CD/Cass) Poltergeist. USA 1982. Regie: Tobe Hooper. (F) Public Heaven Private Hell. (Videofilm-Reihe). Deutschland 2004. Regie: Veit Sprenger. Raging Bull. USA 1980. Regie: Martin Scorsese. (F) Rainald Goetz, DJ Westbam: Heute morgen. (Hörbuch) Berlin 1997. (CD) Redd Foxx. From the Silverbird Hotel in Las Vegas. HBO (On Location) 1978. (TV-MTR)

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VIDEOGRAPHIE/DISKOGRAPHIE

Redd Foxx: Laff Of The Party (8). Dooto 1959. (LP) Redd Foxx: THE BEST OF. The Right Stuff 1997. (CD) Revenge of the Zombies. USA 1943. Regie: Steve Sekely (Istvàn Székely). (F) Reza Abdoh: Free Fall. Performance-Mitschnitte von Gea Kalthegener. 1993. (V) Richard Pryor: Bicentennial Nigger. Warner Records. (LP) Richard Pryor: Live and Smokin’. Performance-Film. USA 1971. (F) Richard Pryor: Live in Concert. Performance-Film. USA 1979. (F) Richard Pryor: Wanted – Richard Pryor Live In Concert. Warner Records 1978. (LP) Robert Klein: Child Of The 50’s. Brut 1973. (LP) Robin Williams: Comic Relief VI. Rhino 1994. (CD) Ron Vawter: Roy Cohn/Jack Smith. Performance-Mitschnitte von Leslie Thomton. USA 1993. (V) Roseanne. HBO 1988 bis 1997. (TV) Roseanne: The Roseanne Barr Show. Performance-Mitschnitt aus dem Mayfair Club, Santa Monica. HBO, 19. 09. 1987. (TV-MTR) Sam Kinison – Why Did We Laugh? Dokumentarfilm. USA 1997. Regie: Larry Carroll. (F) Saturday Night Live. (TV-MTR) Schmidteinander – TV: WDR/ARD (bis 1995). V: Das Beste 1-8. ARD/Euro Video 1995. (TV/V) Schreinemakers Live. Sat1 (bis 1995). (TV) Selfish Shellfish: Puutarhurin Pikku Apulainen. Riemu 2002. (CD) Sleeper. USA 1973. Regie: Woody Allen. (F) Sluts and Goddesses. USA 1992. Regie: Annie Sprinkle. (F) Spawn. USA 1998. Regie: Todd Mc Farlane, Mark A.Z. Dippé. (F) Showcase Beat Le Mot: alarm Hamburg Shanghai. Deutschland 2005. (V) Showcase Beat Le Mot: Gomune. Deutschland 2004. (V) Stand Up and Be Counted – Soul, Funk and Jazz From a Revolutionary Era. Harmless Recordings 1999. (LP) Steve Allen Show. CBS 1964. (TV-MTR) Steve Martin: Let’s Get Small. Warner Records 1977. (LP) Steven Wright: I Have A Pony. Warner Records 1985. (LP) Straight Up (Dokumentarfilm). USA (Whyaduck Productions) 1986. Regie: Joe Adamson. (F) Studio Braun: Gespräche 2. RCA Local 2000. (CD) Studio Braun: Studio Braun. Mercury 1998. (CD) Sugarhill Gang: Rapper’s Delight. Sugarhill 1979. (7‘‘) The Doors: L.a.Woman. Warner 1971. (LP)

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DESPOTEN AUF DER BÜHNE

The Elephant Man. USA 1980. Regie: David Lynch. (F) The Fearles Vampire Killers. USA 1967. Regie: Roman Polanski. (F) The Great Dictator. USA 1940. Regie: Charles Chaplin. (F) The Man in the Moon. USA 1999. Regie: Milosh Foreman. (F) The Notorious B.I.G.: Life After Death. Puff Daddy Records. (LP/CD) The Return of the Living Dead. USA 1985. Regie: Dan O’ Bannon. (F) The Silence of the Lambs. USA 1991. Regie: Jonathan Demme. (F) The Truman Show. USA 1998. Regie: Peter Weir. (F) To Be Or Not To Be. USA 1942. Regie: Ernst Lubitsch. (F) Tonight Show with Jay Leno. NBC. (TV) Tonight Show with Johnny Carson. NBC. (TV-MTR) Veit Sprengers fröhliches Wochenende. Gießen 1996. Regie: Veit Sprenger. (F) Verstehen Sie Spaß? ARD. (TV) W.C. Fields, Mae West: My Little Chickadee. USA 1940. Regie: Edward Cline. (F) W.C. Fields: It’s a Gift. USA 1934. Regie: Norman McLeod. (F) W.C. Fields: Never Give a Sucker an Even Break. USA 1941. Regie: Edward Cline. (F) W.C. Fields: The Bank Dick. USA 1940. Regie: Edward Cline. (F) W.C. Fields: The Barber Shop. USA 1933. Regie: Arthur Ripley. (F) W.C. Fields: The Dentist. USA 1932. Regie: Leslie Pearce. (F) W.C. Fields: The Fatal Glass of Beer. USA 1933. Regie: Clyde Bruckman. (F) W.C. Fields: The Man on the Flying Trapeze. USA 1935. Regie: Clyde Bruckman. (F) W.C. Fields: The Oldfashioned Way. USA 1934. Regie: William Beaudine. (F) W.C. Fields: You Can’t Cheat an Honest Man. USA 1939. Regie: George Marshall, Edward Cline. (F) Wat is? ARD (bis 1997). (TV) Wetten, daß... ZDF. (TV) Wie die Alten singen – Die große Pop-Show unserer Star-Politiker. Bellaphon/twen 1969. (LP) Will Smith: Big Willie Style. Columbia Records. (LP/CD) X-Files: Humbug. USA 1995. Regie: Kim Manners. (TV/V) ZOMBI. (Musikvideo). Regie: Showcase Beat Le Mot. Deutschland (EMI) 2004. (V)

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VIDEOGRAPHIE/DISKOGRAPHIE

(TV) (V) (F) (LP) (7‘‘) (CD) (Cass) (MTR)

= Fernseh-Ausstrahlung/Fernseh-Produktion = Video/Musikvideo/VHS = Film/Dokumentarfilm/Kinofilm/Kurzfilm = Langspielplatte = Single = Compact Disc = Musikkassette analog = Archiv des Museum of Television and Radio New York

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PERSONENVERZEICHNIS Abrahams, Roger D. 67 Aiken, George L. 58 Ali, Muhammad 12, 127-136, 128, 134, 137, 140 Allen, Steve 28, 96, 104, 107, 150 Allen, Woody 12, 32, 105, 138, 142-145, 145, 236 Anderson, Marian 50, 61 Andrack, Manuel 203 Andrews, Eamonn 195 Armstrong, Louis 54ff, 89, 119f, 125 Atkinson, Rowan 170f Axelrod, Albert 98 Bachtin, Michail 292 Baker, Josephine 62 Bankl, Hans 247 Barnum, Phineas Taylor 45, 76, 78, 282 Barr, Roseanne 68, 153, 154 Bataille, Georges 161, 164, 173, 181f, 197, 230f, 236 Baudelaire, Charles 117, 296 Beavers, Louise 65, 67 Beecher Stowe, Harriet 57-60, 73, 75 Belafonte, Harry 25, 94 Benny, Jack 95, 146, 149, 216 Berghoff, Dagmar 170 Bergson, Henri 278f, 280, 283, 296 Berle, Milton 28, 51, 95, 146, 148f, 216

Berlusconi, Silvio 274 Bigelow, Texas Charly 40 Biolek, Alfred 185f, 189, 195 Black Bart 237 Boccaccio di Chellino 194 Böttinger, Bettina 256 Brooks, Mel 23 Brown, James 135, 137f, 140 Browning, Tod 76, 78, 80 Bruce, Lenny 12, 28, 95-102, 97, 104-106, 106, 107, 109, 113, 116-118, 122f, 127, 138, 140f, 146f, 149 Burroughs, William 101 Burton, Tim 286f Bush, George W. 151, 153 Caesar, Sid 28, 95 Caillois, Roger 181 Calloway, Cab 54 Camus, Albert 9 Cantor, Eddie 25 Capone, Al 27 Carell, Rudi 11, 170f Carpenter, John 73 Carson, Johnny 12, 28, 111, 164, 167, 188, 201, 268, 273, 278, 287 Castiglione, Baldessare 192ff Chabrol, Claude 9ff, 14, 105 Chaplin, Charles 44, 263, 291 Cher 256 Christiansen, Sabine 170 Christo 306 Cobain, Kurt 89 329

DESPOTEN AUF DER BÜHNE

Cody, Buffalo Bill 64 Cole, Nat King 25, 54, 119 Corey, Irwin 119 Cosby, Bill 12, 25, 70f, 138, 151f Curby, George 50 D’Annunzio, Gabriele 298 Dall, Karl 12, 166, 202, 214, 221f, 225, 251, 260, 278-280 Dame Edna 176-180, 177, 200, 202, 214f, 218f, 225, 230, 261, 278, 280, 298 Davis Jr., Sammy 19f, 25f, 31, 47, 54, 69, 119, 150 Davis, Miles 55f Debord, Guy 173, 275 Deleuze, Gilles 76, 81, 302 Disney, Walt 139, 288 Douglas, John 238 Douglas, Mike 26, 148 Dylan, Bob 105 Eigen, Jack 20 Ellington, Duke 23 Elliott, Jane 268, 270-273, 285 Elsner, Frank 298 Enigma 87 Eubanks, Kevin 203 Feldweg, Erich 260 Feuerstein, Herbert 169f, 219, 235, 264 Fields, W.C. 37-39, 41, 44, 46 Fischli, Peter 301 Fonda, Jane 218 Foreman, George 130 Foxx, Redd 12, 19, 26, 51, 108f, 110, 112, 150 Frost, David 195 Georgia Brigadiers, The 62 Gillespy, Dizzy 54f, 89 Girard, René 210f, 212, 294 Gleason, Jackie 95 Gorgeous George 128

Gottschalk, Thomas 164, 279 Graf, Jeanine 33ff, 42 Gregory, Dick 12, 51, 95, 103, 105, 116-124, 121, 127, 138 Guattari, Félix 76, 81, 302 Haffner, Sebastian 290 Haider, Jörg 274 Hardy, Oliver 213, 296 Harlowe, Honey 104 Harman, Hugh 139 Hasselhoff, David 260 Healy, John E. 40 Heino 170, 228 Hitler, Adolf 94, 117, 123, 265f, 281-285, 290ff, 298 Holiday, Billie 49 Hooper, Tobe 72 Hope, Bob 12, 111, 138, 142f, 143, 145 Human Pincussion, The 87 Humphries, Barry 12, 46, 176, 177, 218, 225, 231 Ising, Rudolf 139 Jackson, Michael 12, 54, 72, 89 Jackson, Peter 293, 296 Jauch, Günter 216 Jelzin, Boris 292 Joyce, James 104 Jürgens, Udo 170 Kanak Attak 220 Kane, Bob 285 Kane, Sarah 235 Kaufman, Andy 12, 46, 113-115, 116, 140 Kellermann, Bernhard 292 Kemper, Ed 238 Kerner, Johannes B. 186f, 189, 195 Kersands, Billy 56, 64 Kiesbauer, Arabella 257 King, Larry 185f, 195, 252 King, Martin Luther 125, 267

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PERSONENVERZEICHNIS

King, Rodney 137f King, Stephen 72, 276, 289 Kinison, Sam 115 Kinski, Nastassja 256 Klinger, Edith 244 Knopp, Guido 291 Kohl, Helmut 292 Koschwitz, Thomas 164 Kratzl, Karl Ferdinand 241 Krieck, Ernst 275 La Motta, Jake 205 Lafontaine, Oskar 187 Lake, Ricki 195 Laurel, Stan 213, 296 Lawler, Jerry 114ff le Pen, Jean Marie 274 Lembke, Robert 185 Leno, Jay 12, 29, 163, 165, 171, 188, 199, 201, 203, 206f, 214, 273, 278f Letterman, David 12, 15, 29, 113, 115, 163-166, 167, 171, 188, 199, 203, 207, 214-217, 227, 252f, 256, 259, 273, 278f Lewis, Jerry 23, 140, 208 Liston, Sonny 129-133 Lord Buckley 27 Lubitsch, Ernst 291 Lueg, Ernst Dieter 170 Lynch, David 82, 85 Mac Laine, Shirley 256 Mack, Bob 64 Malcolm X 124-127, 128, 130f, 135f Mamet, David 267 Marianne und Michael 228 Markham, Pigmeat 12, 25, 54, 68ff, 119 Martin, Dean 25, 54, 144 Mastin, Will 24 Matt the Tube 87 McCarthy, Joseph 51, 93

McClusky, Thorp 89 McDaniel, Haddy 50, 65, 89 Melted Men 301 Merrick, John 82, 84 Metzger von Wien 238 Meier, Ullrich 184, 257 Miller, Henry 101 Mills, Florence 50, 62 Mingus, Charles 55 Mister Lifto 87, 88 Moms Mabley 12, 25, 26, 54, 68ff, 89, 119 Monk, Thelonious 55 Moore, Allan 74 Morrison, Jim 76 Moser, Hans 238 Muhammad, Elijah 124f, 132f, 134 Murphy, Eddie 51, 138, 149ff Mussolini, Bennito 265, 288, 291, 298 Newhart, Bob 111 Nietzsche, Friedrich 246 Nitsch, Hermann 175, 241, 243, 251 Nixon, Richard 69, 138 O’Bannon, Dan 295 O’Brien, Conan 163, 203, 207, 252, 278 O’Brien, Dan 171 Ochsenknecht, Uwe 170 Oliver, Nevada Ned 40 Owen, John 58 Palm, Kurt 157, 175, 248f Palminger, Jacques 301, 303 Parker, Charlie 27 Parker, William 22 Paska 201 Patterson, Floyd 131, 133 Pflaume, Kai 231f Phettberg, Hermes 12, 157, 165f, 171f, 174f, 202, 207, 214, 225,

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DESPOTEN AUF DER BÜHNE

235f, 238-249, 240, 251, 260, 278f Poitier, Sidney 125 Polanski, Roman 195 Powell, Bud 55 Prince 287 Pryor, Richard 12, 25, 31f, 51, 96, 138, 147-150 Pütz, Jean 170 Ray, Bonny 171 Ray, John 171 Resel, Werner 242 Richter, Andy 203 Rickles, Don 12, 23, 108, 111f, 112, 113 Rockefeller, William Avery 40 Rogers, Timmy 50f Rogers, Will 37, 38 Romero, George A. 295f Rose, Jim 12, 85-89 Rubberman 87 Rush, Benjamin 39 Russel, Nipsey 23, 50, 105, 119 Sade, Marquis de 159, 197 Sahl, Mort 28, 95, 105, 109, 116, 118, 127 Salisbury, Nat 64 Sanford, Sam 58 Schaeffer, Paul 203 Schamoni, Rocko 304 Schlingensief, Christoph 204 Schmidt, Harald 12, 157, 163f, 166, 169f, 199, 203, 206f, 214, 216f, 219, 228, 248, 252f, 249ff, 256, 259, 273, 278 Schneider, Helge 301, 304, 305, 306 Seinfeld, Jerry 151f Selfish Shellfish 301 Seymour, Jane 256

Shirinowski, Vladimir 274f, 277, 291f Showcase Beat Le Mot 33, 137, 301, 302 Simon, Paul 105 Sinatra, Frank 25, 54, 111 Skidmore Guards, The 62 Smith, Bessie 107 Smith, Jack 251 Smith, Will 151f, 154 Spector, Phil 96 Springer, Jerry 12, 183f, 187190, 191, 195f, 257f Sprinkle, Annie 188, 233, 235, 243, 251, 254, 259f Steinhäuser, Robert 294 Steppin’ Fetchit 50, 140 Strauß, Richard 246 Stuart, James 141 Studio Braun 303 Sullivan, Ed 11, 28, 95, 146 Taylor Greenfield, Elisabeth 61 Theweleit, Klaus 297 Torres, Jose 136 Trenchcoat Mafia 294 Chang und Eng 76, 85, 86 Twain, Mark 41, 43f von der Lippe, Jürgen 170, 195 Walker and Williams 50 Wein, Len 74 Weiss, David 301 Wickert, Ulrich 170 Winfrey, Oprah 68, 1804-188, 270 Wogan, Terry 190 Wonder, Stevie 54, 150 Wright, Steve 186 Wrightson, Berni 74 Youngman, Henny 23, 28, 113 Zerlett, Helmut 203 Zuckmayer, Carl 284

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ANMERKUNGEN

Einleitung 1

2

3

Siehe auch: Veit Sprenger: Despoten auf der Bühne Regulation und Kontrollverlust in der Inszenierung von Macht. In: Rolf Parr, Matthias Thiele: Gottschalk, Kerner & Co. Frankfurt a.M. 2000. S. 189-208. Dietrich Lederer berücksichtigt in seiner Beschreibung eines »Paradigmenwechsels« in der Fernsehunterhaltung, in der er sich v.a. auf die deutsche Version der Late Night Show bezieht, lediglich die deutsche Kabaretttradition und kann damit weder die formale Tragweite noch die tiefe historische Verwurzelung dieses Generationswechsels erfassen. In bezug auf Harald Schmidt spricht er von einer »Entertainisierung des Kabaretts«, ohne jedoch die weit zurückreichenden US-amerikanischen Einflüsse auf diese Fernsehfigur zu berücksichtigen, die sich als viel wesentlicher erweisen als die europäischen. Vgl. Dietrich Lederer: Paradigmenwechsel von Hildebrand zu Harald Schmidt. In: Stephan Abarbanell, Claudia Cippitelli, Axel Schwanebeck (Hrsg.): Fernsehzeit. 21 Einblicke ins Programm. München 1996, S. 89-94. Der Bühnendespot wurde implizit als Figur schon mehrfach ausgemacht, meines Wissens dabei aber nie historisch oder systematisch beschrieben, z.B. bei Hans Jahnke, der selbst für die Showmaster der Familienshows eine – allerdings tendenziöse – Dichotomie zwischen »autoritären Spaßmachern« und kommunikativ kompetenten, »freundlichen« Showmastern aufmacht. Vgl. Hans Jahnke: Unterhaltungsprogramme im Fernsehen. In: Helmut Kreuzer (Hrsg.): Sachwörterbuch des Fernsehens. Göttingen 1982, S.191-195. Zitiert nach Matthias Thiele: Spielshows und Spielleiter – ein Forschungsüberblick. In: Rolf Parr, Matthias Thiele (Hrsg.): Gottschalk, Kerner & Co. Frankfurt a.M. 2000. S. 51. Aus einem ähnlich feuilletonistischen Blickwinkel bezeichnet Karl H. Müller-Sachse den Showmaster als einen »Master« auf dem »Thron«. Vgl. ders.: Fernsehshow. Zitiert nach Matthias Thiele, a.a.O. S.52. Die viel präziseren Analysen einiger Showmaster und Show-Strukturen durch Lothar Mikos und Hans-Jürgen Wulff zielen wiederum sehr stark auf eine idealisierte Funktionsweise der Show ab, die die polyvalente Problematik der despotischen Zentralperson in Richtung einer perfekt funktionierenden Showmaschine auflöst. Vgl. z.B. Lothar Mikos, Hans Jürgen Wulff: Spielen und Darstellen im »Glücksrad«: Intertextualität und Intersituativität in Fernsehshows. In: Publizistik, Jg.41, 1996, H4. S. 452-465. Einen typologischeren Zugang bietet John Fiske an, wenn er beispielsweise den Leiter einer Gameshow als »high priest in the ritual« bezeichnet. Vg. John Fiske: Television Culture. London, New York 1987. S.267. Der Charakter solcher Grenzziehungen und Entgrenzungen erscheint hier tatsächlich in einer Räumlichkeit, in der das Private vom Öffentlichen getrennt

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wird, in der sich diese Bereiche aber zugleich gegenseitig erobern, in Beschlag nehmen. Für den Moment ist es wichtig festzuhalten, daß es sich bei genannten Räumen sowohl um definierte Territorien als auch um symbolische- und Ordnungs-Räume handelt. »Wie Theater beruht Grenzziehung auf einem symbolischen Pakt. Grenzgänge sind so Gänge zwischen verschiedenen symbolischen Systemen, sie bringen die Überschreitung einer Ordnung ins Spiel, um durch deren spurenhaftes Gedächtnis die Homogenität einer anderen aufzusprengen.« Helga Finter: Grenzgänge I. In: G. Brandstetter, H. Finter, M. Wessendorf (Hrsg.): Grenzgänge – Das Theater und die anderen Künste. Forum Modernes Theater, Band 24. Tübingen 1998. S. 3-10. Finter selbst beschreibt in einem anderen Aufsatz auch den territorialen Aspekt der Entgrenzung, indem sie ihr in den »places of dis-closure« die Möglichkeit eines definierten Ortes zuspricht. Vgl. Dies.: Disclosure(s) of Re-Presentation: Performance hic et nunc? In: Herbert Grabes (Hrsg.): REAL. Band 10, 1994. S. 153-167. Auf das Zusammenspiel von Transgression, territorialer Eingrenzung und Spielregel wird im systematischen Teil (II) ausführlicher eingegangen. Z.B. die Performance-Filme von Richard Pryor, s.u. Paul Virilio: Die Sehmaschine. Aus dem Französischen von Gabriele Ricke und Ronald Voullié. Berlin 1989. Eine strenge Trennung der Bereiche Fernsehen und Theater ist hier nicht sinnvoll, da es mir nicht um einen historischen Abriß medienspezifischer Entwicklungen geht, sondern um Aufführungsstrategien, die sich sowohl im Fernsehen als auch im Theater finden, und für deren Erklärung und Nutzung das eine wie das andere Medium bereichernd ist. Grundlegend läßt sich die Aufhebung dieser Trennung mit Roland Barthes Theatralitätskonzept begründen, das eine Theatralität bereits im Text ausmacht. Denn der Mensch hinter dem Mikrofon ist eigentlich eine untheatrale Vorstellung und wird theatral erst im gesprochenen Wort. Vgl. Roland Barthes: Schriften zum Theater. Berlin 2002. Albersmeier hat den Begriff der »intermedialen Verstrickung« geprägt, der die wechselseitige Abhängigkeit der verschiedenen Medien kennzeichnet, sowohl real-ökonomisch über die Verbreitungswege, als auch inhaltlich und ästhetisch. Vgl. Franz-Josef Albersmeier: Theater, Film, Literatur in Spanien. Berlin 2001. Die schönste und optimiostischste Mediendefinition stammt von Karl Ludwig Pfeiffer, der Medien als historische Formen darstellt, in denen die Kopräsenz zwischen »liminalen Räumen« wie Ritualen und Festen und »liminoiden Räumen«, wie literarischen Dramen, Texten etc. ausagiert werden kann, eine Definition, die sich für die vorliegende Abhandlung als wesentlich erweisen wird. Vgl. Karl Ludwig Pfeiffer: Das Mediale und das Imaginäre. Frankfurt a.M. 1999. Vgl. Bernhard Waldenfels: Das Eigene und das Fremde. In: Deutsche Zeitschrift für Philosophie 43 (1995)/4, S. 611-620. Peter Brooks spricht in diesem Zusammenhang von einem »melodramatic mode« oder »mode of excess«: »Starting perhaps from Rousseau’s decision that he must ›say all‹ in his ›enterprise without example‹, there is a desperate effort to renew contact with the scattered ethical and psychic fragments of the Sacred through the representation of fallen reality, insisting that behind reality, hidden by it yet indicated within it, there is a realm where large moral forces are operative, where large choices of ways of being must be made.« Peter Brooks: The Melodramatic Imagination. Balzac, Henry James, Melodrama, and the Mode of Excess. New Haven London 1976. S. 21.

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ANMERKUNGEN

Teil 1: Schichten/USA I. Die Farbenlehre des Entertainment 1 2 3

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Sammy Davis Jr., Jane Boyar, Burt Boyar: Yes I Can. New York 1965. S. 119. A.a.O. S.47. Vance Packard spricht in diesem Zusammenhang von »Kasten«, um den hermetischen Aspekt noch deutlicher hervorzuheben. Vgl. ders.: Die unsichtbaren Schranken. Theorie und Praxis des Aufstiegs in der »klassenlosen« Gesellschaft. Aus dem Amerikanischen von Wolf Kinzel. Düsseldorf 1959. »You’ll never believe what happened to me on my way to the theater...« Vgl. Adrian Kreye: Aufstand der Gettos. Köln, 1993. S.38-39. Vgl. Sammy Davis Jr.: a.a.O. S.189. Vgl. z.B. David Bushman: The Stand-Up Comedian on Television. In: Ellen O’Neill: Stand-Up Comedians on Television. New York 1996. S. 18-49. Sammy Davis Jr: a.a.O. S.95. Das ist ein feststehender Begriff innerhalb der Blue Comedy und des Political Talk. Sammy Davis Jr: a.a.O. S.163. A.a.O. S.156. A.a.O. S.105. Vgl. z.B. Lord Buckley: Bad Rapping of the Marquis de Sade. World Pacific 1960, 1996. Ronald L. Smith: Who’s Who In Comedy. New York, Oxford 1992. S.276. Vance Packard: a.a.O. Vgl. unten. Siehe hierzu auch Vance Packard: a.a.O., Adrian Kreye: a.a.O. und Roger D. Abrahams: a.a.O. Impressions: kurze Imitations-Sequenzen oder gestisch-mimische Charakterisierungen, beispielsweise von bekannten Persönlichkeiten, aber auch von Zuschauern oder von fiktiven Figuren. Sammy Davis Jr: a.a.O. S.130f. A.a.O. S.122: »...as though all the muscles and nerves in my body had been stretched until they’d snapped and were hanging limp like broken rubber bands.« Ronald L. Smith: The Stars of Stand Up Comedy. New York, London 1986. S.9. Zuschauer, der den Monolog durch provokante Zwischenrufe unterbricht, die nicht unbeantwortet bleiben können. Vgl. David Bushman: a.a.O. S.19. Interview in: Sam Kinison – Why Did We Laugh? Dokumentarfilm. USA 1997. Regie: Larry Carroll.

II. Die Gründerepoche 1 2

Manager-Magazin vom 09.06.2000 und Der Spiegel 23/2000. Zu den Anfängen von Minstrel-Show, Vaudeville und Burlesque vgl. z.B. Russel Nye: The Unembarrassed Muse. New York 1970. S.163-190. Hier werden die ökonomischen und sozialen Rahmenbedingungen der einzelnen Genres differenziert besprochen. Während Vaudeville als eine Form des bürgerlichen Unterhaltungstheaters in den Städten als respektabel und etabliert galt und die Variety Show als vom europäischen Variété abgeleitete Form ebenfalls hohes

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Ansehen genoß, gehörten besonders Burlesque und Circus den pikanteren und somit suspekteren Formen der Unterhaltung an, die entsprechend auch anders wirtschaften mußten. Interlocutors: wörtl. »Zwischenredner«, d.h. diejenigen, die zwischen den einzelnen Nummern Kommentare, überleitungen und kurze Geschichten boten. Vgl. v.a. die Filme: The Dentist. USA 1932. Regie: Leslie Pearce; The Fatal Glass of Beer. USA 1933. Regie: Clyde Bruckman; The Barber Shop. USA 1933. Regie: Arthur Ripley; The Oldfashioned Way. USA 1934. Regie: William Beaudine; It’s a Gift. USA 1934. Regie: Norman McLeod; The Man on the Flying Trapeze. USA 1935. Regie: Clyde Bruckman; Mississippi. USA 1935. Regie: Edward Sutherland; You Can’t Cheat an Honest Man. USA 1939. Regie: George Marshall, Edward Cline; My Little Chickadee. USA 1940. Regie: Edward Cline; The Bank Dick. USA 1940. Regie: Edward Cline; Never Give a Sucker an Even Break. USA 1941. Regie: Edward Cline. James Harvey Young: The Toadstool Millionaires. Princeton 1961. S.190. A.a.O. S.31-57. A.a.O. S.191. A.a.O. S.201. Diese Formulierung habe ich zum ersten Mal von Heiner Ebber (Studio Braun) gehört. Ich habe mich oft darüber gewundert, warum die Gesprächspartner bei seinen Anrufen am Apparat bleiben und sogar noch in einen Dialog einsteigen, obwohl sie von ihm die unglaublichsten Geschichten zu hören bekommen. Die Quacksalber waren eine Form von Schaustellern, die in das Typenrepertoire späterer theatralischer Formen eingegangen sind. Es ist wichtig, darauf hinzuweisen, daß der Typus nicht etwa neu entstanden ist. Der Scharlatan spielt schon in der frühen europäischen Theatertradition eine Rolle. Er ist eine Figur der Commedia dell’arte, und auch bei Molière, in der Oper bei Donizetti und bei Goldoni zu finden (vgl. z.B. Molière: Le malade imaginaire, Donizetti: Elisir d’Amor.). Es ist anzunehmen, daß sich das entsprechende theatralische Repertoire in den USA auch aus dieser Tradition speist. Dennoch ist das Aktionsfeld der US-amerikanischen anchor men in diesem Zusammenhang ein anderes, sowohl in geographischer als auch in sozialer Hinsicht. Entstammen nämlich die Figuren bei Molière, Goldoni und anderen einem bürgerlichen oder sogar höfischem Umfeld, so geht deren Übertragung in das neue kulturelle System der USA mit einer Verarmung und Verelendung einher, die sehr eng mit einer unmittelbaren Koppelung der Show an konkrete ökonomische und organisatorische Notwendigkeiten zusammenhängt. »Working them towns«: Mark Twain: The Adventures of Huckleberry Finn. London 1985. S.220. A.a.O. Kapitel 19 bis 29. W.C.Fields: The Bank Dick. 1940. Straight Up. Dokumentarfilm. USA (Whyaduck Productions) 1986. Regie: Joe Adamson. Ronald L. Smith. Who is Who in Comedy. S.162. Sammy Davis, Jr.: Yes I Can. S.4.

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ANMERKUNGEN

III. Sweetness 1 2 3 4 5 6 7 8

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Vgl. Waldenfels. a.a.O. Mo’ Funny: Black Comedy in America. Dokumentarfilm. USA o.J. (MTR New York). Regie: Ivonne Smith. Vgl. Roger D. Abrahams: Positively Black. New Jersey 1970. S.146f. Sammy Davis, Jr.: a.a.O. S.106f. Die Jackson Five bezeichnen ihn als ihr großes Vorbild, James Brown dagegen bezeichnet ihn als seinen Antagonisten. Miles Davis, Quincy Troup: Die Autobiographie. Übersetzt von Brigitte Jakobeit. Hamburg 1990. S.99. A.a.O. S. 100f. Abraham Lincoln soll Stowe im Weißen Haus mit den Worten begrüßt haben: »So this is the little woman who made this big war.« Vgl. Alfred Kazin: Introduction to Uncle Tom’s Cabin. In: Harriet Beecher Stowe: Uncle Tom’s Cabin. New York 1981. S.IX. Gegner der Sklaverei Vgl. Robert C. Toll: Blacking Up. The Minstrel Show in Nineteenth-Century America. New York 1974. S.90-97. A.a.O. S. 95. Z.B. Harriet Beecher Stowe: a.a.O. S. 2, 9. Robert C. Toll: a.a.O. S.75. Harriet Beecher Stowe: a.a.O. S.32. Robert C. Toll: a.a.O. S.78. Vgl. Robert C. Toll: a.a.O. S.68-71. A.a.O. S.21. »He does it with such dignity, modesty and refinement that it is truly art.« Robert C. Toll: a.a.O. S.142. A.a.O. S. 248-250. Robert C. Toll: a.a.O. S. 67. Ders. S. 262f. A.a.O. S. 262-263. A.a.O. S. 254. Robert C. Toll: a.a.O. S. 74. Vgl. z.B. Lesage: Turcaret, Molières Figur Sganarelle, Hofmannsthal: Der Schwierige etc. Gone With The Wind. USA 1939. Regie: Victor Fleming, George Cukor. »Thus, the same words and actions could have very different meanings for whites, for the black bourgeoisie, and for members of the black subculture.« Robert C. Toll: a.a.O. S. 262. In seinem Buch zu den Race Riots der Sechziger Jahre. Vgl. Roger D. Abrahams: Positively Black. New Jersey 1970. S. 60. A.a.O. S.70. In Vernel Bagneris’Musical One Mo’ Time von 1979 spielt Sandra Phillips die Sängerin »Big« Bertha Williams und versieht sie mit allen diesen Attributen. Das Musical gibt eine gute Vorstellung von dem Stil der schwarzen Shows im New Orleans Lyric Theatre während der zwanziger Jahre. Ronald Lande Smith: The Stars of Stand Up Comedy. New York, London 1986. S. 132. Pigmeat Markham: Here Come the Judge. Chess Records 1984. A.a.O. Beide Warner Records. In: The Jack Paar Program. NBC, 21.05.1965. Archiv des MTR New York.

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36 A.a.O. 37 Ich beschränke mich dabei zunächst auf die historischen Aspekte und gehe systematisch hierauf erst im zweiten Teil (Kapitel IX) ein. 38 USA 1982. Der Film wird oft fälschlich Steven Spielberg zugeschrieben, der hier nur Produzent war. 39 Verfilmung: USA 1989. Regie: Mary Lambert. 40 Gremlins. USA 1984. Regie: Joe Dante. 41 USA 1986. Regie: Stephen Herek. 42 USA 1988. Regie: Tom Holland. 43 USA 1978. Regie und Musik: John Carpenter. 44 Pet Sematary. a.a.O. 45 Andere Bezeichnung für »Negro«, vgl. Roger D. Abraham: a.a.O. S.66. 46 Len Wein, Berni Wrightson: The Swamp Thing. DC-Comics. USA 1972-1987. 47 A.a.O.: Love and Death. DC Comics 1984-1985. S.199. 48 Harriet Beecher Stowe: a.a.O. S. 304. Im Interesse der Übersichtlichkeit erspare ich es mir hier, anhand von Beispielen auf die zahlreichen Bezüge zur Show und zum zeitgenössischen Bühnenspektakel einzugehen. Diese reichen von Figuren des Minstrel bis hin zu zeitgenössischen Show-Phänomenen, wie dem Kind-Monster Michael Jackson. 49 Archer Prewitt hat in seinem Kultcomic Sof’ Boy den Horror dieser dysplastischen Unzerstörbarkeit gezeichnet. Vgl. ders.: Sof’ Boy And Friends. Nr. 1 und 2. Drawn & Quarterly. Montreal 1997. 50 Freaks. USA 1932. Regie: Tod Browning. 51 Zitiert nach: James W. Cook: The Arts of Deception. Playing with Fraud in the Age of Barnum. Cambridge; London 2001. 52 Vgl. z.B. Tod Robbins: Spurs. New York 1932. 53 Freaks. »Theit rules are rigidly adhered to, and the hurt of one is the hurt of all«, sagt der Lauftext zu Beginn des Films; »the joy of one is the joy of all. The story about to be revealed is a story based on the effect of this code upon their lives.« 54 Ebd. 55 Diese Beobachtungen werden im zweiten Teil (v.a. IX - 3) systematischer ausgeführt. 56 Gilles Deleuze, Félix Guattari: Rhizom. Aus dem Französischen von Dagmar Berger u.a. Berlin 1977. S. 19. 57 A.a.O. S. 11, 16. 58 A.a.O. S. 16. 59 Vgl. z.B. Günter Vogel, Hartmut Angermann: Atlas zur Biologie. München 1967. S. 54-55. 60 Allan Moore, Steve Bissette, John Totleben u.a.: The Swamp Thing. DC Comics 1983-86. 61 The Elephant Man. USA 1980. Regie: David Lynch. 62 Vgl. hierzu den Abschnitt im systematischen Teil (IX): Das Lachen und die Weihe des Ekels. 63 The X-Files. Folge: Humbug. USA 1995. Regie: Kim Manners. 64 Jim Rose: Freak Like Me. New York 1995. S. 33. »Nothing in the world is more flattering than a horizontal audience member with bubbles coming out of nose and mouth.« 65 A.a.O. S. 37. 66 A.a.O. S. 30. 67 A.a.O. S. 33. 68 The Jim Rose Circus Side Show. Videomitschnitt einer Aufführung von 1993 im Moore Theater, Seattle.

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ANMERKUNGEN

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Jim Rose: Freak Like Me. S. 27. Barry Graves u.a.: Das neue Rock-Lexikon. Reinbek 1998. S. 198. Michael Jackson: Thriller. CBS 1982. Video von Vincent Price. Andreas Schneider: a.a.O. Auf die Frage, wie in einzelnen Shows solche Gegenwelten zum Teil mit einfachsten Mitteln und auf einer ganz grundlegenden Ebene inszeniert werden können, werde ich im systematischen Teil noch ausführlich eingehen. 74 Thorp McClusky: While Zombies Walked. In: ders.: Weird Tales. New York 1939. 75 Revenge of the Zombies. USA 1943. Regie: Steve Sekely (Istvàn Székely). 76 Thorp McClusky: a.a.O. »He was tall and wide as a door. He was so huge that any person attempting to guess his weight would have considered himself lucky if he got the figure within a score of punds of the truth; he was bigger than any man Tony had ever seen outside sideshow. And he was not a glandular freak; he was muscled like a jungle beast; his whole posture, his whole carriage silently shrieked super-human vitality. His gargantuan face, beneath the broad-brimmed, rusty black hat he wore, was pale as the belly of a dead fish, pale with the pallor of one who shuns the sunlight. Garbed as he was in a knee-length, clerical coat of greenish, faded black, still wearing a frayed, filthy-white episcopal collar, he looked what he must have been, a pastor without honour, a renegade man of God.«

IV. Die Erfindung der Wahrheit 1

Der Begriff »Stand-up Comedy« wird erst in dieser Zeit als eigenständige Genre-Bezeichnung eingeführt. Bis dahin wurden mit »Stand Up« allenfalls die kurzen, von der Programm-Moderation unabhängigen Ansprachen des Showmasters bezeichnet. Auch in dieser terminologischen Verschiebung zeigt sich der Wandel der Perspektive. 2 Harry Belafonte: Was mich bewegt. Gespräche mit Günter Amendt. Fulda 1982. S. 30, 41. 3 Stilrichtung des Jazz, die in enger Verbindung mit Musikern wie Charlie Parker, Miles Davis und Charles Mingus stehen, welche sich ausdrücklich von den Implikationen des Minstrel absetzen wollen, und somit auch von der Musikergeneration um Louis Armstrong. 4 Szene im Umkreis des schwarzen Jazz oder des Beat. Die Bezeichnungen wurden bald auf eine allgemeine Lebenshaltung ausgeweitet, siehe unten. 5 A.a.O. S. 34. 6 Z.B. die »großen Säuberung« in Los Angeles im Jahr 1954, s.o. 7 Topical Humor wurde damals äuivalent mit politischer Comedy gesetzt. Das »Topic« war in der Zeit vor dem Observationalism (s.u.) immer ein politisches Anliegen. 8 Vgl. David Bushman: The Stand-Up Comedian on Television. In: Ellen O’Neill: Stand-Up Comedians on Television. New York 1996. 9 The Steve Allen Show. CBS 1964. »Actually I have been on TV – mostly news reels.« Die Folge wurde nie ausgestrahlt. In: The MTR Exhibition Series. Stand-Up Comedians on Television, 29: Lenny Bruce. Museum of Radio and Television New York. 10 Vgl. Tony Hendra: The Tonight Show and Other Political Platforms. In: Ellen O’Neill: a.a.O. S. 90-99. 11 »Lenny Bruce paved the way for us all.« In: Sam Kinison: Why Did We Laugh? a.a.O.

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12 Fred Baker: Lenny Bruce without Tears. a.a.O. 13 Desperado: wörtlich: Hoffnungsloser, Verzweifelter. 14 Zitiert nach Rolannd L. Smith: The Stars of Stand Up Comedy. New York, London 1986. S. 37. 15 A.a.O. S. 35. 16 Vgl. Peter Brooks: a.a.O. S. 1-23. 17 Lenny Bruce: How to Talk Dirty and Influence People. Erste Ausgabe 1963. New York 1992. S. 59-72 18 Zitiert nach Ronald L. Smith: a.a.O. S. 36. 19 Lenny Bruce: a.a.O. S. 104ff. 20 Humoristischer Stil, der vor allem das Klischee vermeintlich schwulen Verhaltens bedienen. 21 Lenny Bruce: Live at the Curran Theater. Fantasy Records, Neupressung 1999. 22 Lenny Bruce: How to Talk Dirty and Influence People. S. 98. 23 Jiddisch für Penis. 24 Lenny Bruce: a.a.O. S. 71. 25 A.a.O. S. 103. 26 A.a.O. S. 8f. 27 Lenny Bruce: Live at the Curran Theater. 28 Ders.: How to Talk Dirty and Influence People. S. 50. Vgl. auch ders.: The Carnegie Hall Concert. Capitol Records, Neupressung 1995. 29 William S. Burroughs: Cities of the Red Night. Ausgabe New York 1981. S. 9. 30 Lenny Bruce: How to Talk Dirty and Influence People. S. 21. 31 Vgl. Kindlers neues Literaturlexikon. München 1988. Band 11, S. 704. 32 Henry Miller: Wendekreis des Steinbocks. Aus dem Amerikanischen von Kurt Wagenseil. Ausgabe Reinbek 1999. S. 9. 33 Henry Millers Nähe zu den französischen Surrealisten, vor allem zu Breton und Artaud, stellt sich dabei erst später ein. »Wozu wäre ich noch fähig gewesen, wenn ich gewußt hätte, daß es in Europa diese Vögel gibt«, sagt er später. 34 Ders.: Der dritte oder vierte Frühlingstag. In: Ders.: Sämtliche Erzählungen. Reinbek 1968. S. 28. 35 Umgangssprachlich für Syphilis. 36 Lenny Bruce: How to Talk Dirty and Influence People. S. 54-55. 37 Henry Miller: Wendekreis des Steinbocks. S. 12-13. 38 A.a.O. S. 60. 39 Vgl. Peter Brooks: a.a.O. S. 1-23. 40 Vgl. a.a.O.: S. 11. 41 Dick Gregory: Nigger. New York 1964. S. 88. 42 Dokumentiert in: Fred Baker: a.a.O. 43 Lenny Bruce: a.a.O. S. 92. 44 A.a.O. S. 44. 45 »John Browns body lies a-mouldrin’ in the grave, his truth is marching on. Glory Glory Halleluja...« 46 Vgl. a.a.O. S. 35. 47 Masques. Vgl. oben. 48 Zitiert nach: Roger D. Abrahams: Positively Black. New Jersey 1970. S. 143. 49 Vgl. Merle Kessler: Beneath the Fringe: A Glossary for the Modern Audience. In: Ellen O’Neill: Stand-Up Comedians on Television. New York 1996. S. 120133. 50 Vgl. Mike Davis: Casino Zombies. Aus dem Amerikanischen von Steffen Emrich und Britta Grell. Berlin, Hamburg 1999. 51 Durchbruch, s. Kapitel II.

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ANMERKUNGEN

52 Zitiert nach Rolannd L. Smith: The Stars of Stand Up Comedy. New York, London 1986. S. 85. 53 On Location: Redd Foxx. From the Silverbird Hotel in Las Vegas. HBO 1978. MTR New York. 54 Z.B.: redd foxx... the best of. The Right Stuff 1997. 55 On Location: Redd Foxx. From the Silverbird Hotel in Las Vegas. 56 A.a.O. 57 redd foxx... the best of. 58 Zu einer systematischen Beschreibung des sadomasochistischen Verhältnisses zu Gästen und Zuschauern siehe Teil 2, Kapitel V und VII. 59 Rickles. CBS 1975. MTR New York. 60 Zitiert nach: Roland Lande Smith: Who’s Who in Comedy. New York, Oxford 1992. S. 395. 61 A.a.O. 62 A.a.O. 63 Vgl. unten: Transgression und Spielregel. 64 A.a.O. S. 236. 65 Andy Kaufman: The Midnight Special. Video. Sony Music Entertainment 1999. 66 The Andy Kaufman Special, 1979. In: The MTR Exhibition Series – Andy Kaufman. MTR New York. 67 A.a.O. 68 Vgl. unten: Die grenzenlose Verschwendung. 69 Fridays, 1981. a.a.O. 70 Ausführlich dokumentiert in: Andy Kaufman: I’m from HOLLYWOOD. Video. Rhino 1989. Vgl. auch: The Man in the Moon. USA 1999. Regie: Milosh Foreman. 71 Roland Lande Smith: Who’s Who in Comedy. S. 236. 72 Sam Kinison: Why Did We Laugh? 73 Zitiert nach: Ronald Lande Smith: The Stars of Stand Up Comedy. S. 96. »We didn’t laugh Hitler out of existence. Entertainmant relaxes people enough that they forget about the rent or that deadline for a few minutes. This is all I see myself doing as an entertainer. But when I go and give lectures at colleges and universities I’m not playing games... There will be a cure for cancer, only it won’t be good humor.« 74 Vgl. dazu auch Harry Belafonte: Was mich bewegt. S. 88: »Warum sollte ich als schwarzer Amerikaner wohl auf einen Mann wie Ronald Reagan hören? Der setzt sich nicht für die Interessen meiner Leute ein, die interessieren ihn grundsätzlich nicht. Er sieht in ihnen nur Karikaturen.« 75 »Le sage ne rit qu’en tremblant.« Charles Baudelaire: De l’essence du rire et généralement du comique dans les arts plastiques. In: Curiosités esthétiques. Ausgabe Paris 1962. S.243. 76 »Ignorance et faiblesse«. a.a.O. S. 245. 77 »...la pureté et la naiveté absolues.« a.a.O. S. 246. 78 »Melmoth est une contradiction vivante.« a.a.O. S. 249. 79 »...le rire est essentiellement humain, il est essentiellement contradictoire, c’est-à-dire qu’il est à la fois signe d’une grandeur infinie et d’une misère infinie.« a.a.O. S. 250. Die weitere Klassifizierung des Komischen in ein »comique significatif« und ein »comique innocent« oder »rire absolu«, die Baudelaire im weiteren Verlauf seines Aufsatzes vornimmt (a.a.O. S.252ff), wird in seinem Bezug zum »Grotesken« und zu dem komplexen Zusammenspiel von Überlegenheit und Furcht, auf dem das comique absolu beruht, erst in einer tiefergehenden Auseinandersetzung mit den Theorien des Lachens und der Komik relavent, die der systematische Teil des Buches anbietet.

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80 Im Fall Baudelaires v.a. vom Jansenismus und von Joseph de Maistre. Vgl. die Anmerkungen von Henri Lemaitre zu Baudelaire, a.a.O. S. 243 und 246. 81 »Preach brother preach«, »teach brother teach«, waren Zurufe des Publikums zur Bestärkung eines guten Redners. 82 Dick Gregory: Nigger. S. 90f. 83 A.a.O. S. 113ff. 84 A.a.O. S. 110. 85 A.a.O. S. 91. »Once I got the audience’s attention, I could start talking, tell them about my home in St. Louis, so cold the snow wouldn’t melt on the floor, the bed so crowded we had to leave bookmarks to save our place when we got up to go to the toilet in the middle of the night. I never really prepared for those shows.« 86 Sammy Davis, jr.: Yes I Can. S. 189. »Laugh for laugh he could stand against almost any of the big name comedians. He wasn’t doing ›my wife is so fat that‹ He was really saying something. I tried to understand why acts like ours could get booked ›downtown‹ but he couldn’t. It was obvious. We came in dancing. Without planning it that way we offered something they would accept from a Negro. Nat Cole came in singing. They’d accept that, too. Louis Armstrong was a jazz musician. The same thing. But a humorist was different. They weren’t ready for an articulate man who could face them on their own level and offer ideas.« 87 Dick Gregory: a.a.O. S. 144. 88 A.a.O. S. 134f. 89 A.a.O. S. 87. 90 »I was getting more and more depressed, and there seemed to be less and les time to run it out of my system.« a.a.O. S. 100. 91 »And then, on a Saturday night in late January, I hooked up with the monster again. In a night club.« a.a.O. 92 Zitiert nach: Ronald Lande Smith: a.a.O. S. 96. 93 Dick Gregory: a.a.O. S. 161f. »And then the time came to make up my mind. The big push for voter registration was scheduled to start on April 1. Most of the SNCC leaders were in jail, and they needed leaders in Greenwood. And they needed a well-known name that would bring the situation national attention. [...] I thought of a lot of good reasons for not going. [...] If Whitey down South doesn’t kill me in Greenwood, then Whitey up North will kill me in show business. Everybody I talked to [...] told me not to go. It would ruin me as a comic. Nobody is going to come to laugh at an entertainer who goes marching and demonstrating and gets himself arrested.« 94 A.a.O. S. 201. 95 Dick Gregory: The Best of Dick Gregory. Collectibles 1997. 96 zum Motiv des »Awakeners« und des schlafenden (schwarzen) Menschen vgl. Roger D. Abraham: a.a.O. S. 133. 97 Malcolm X: Die Autobiographie. Hrg.: Alex Haley. Aus dem Amerikanischen von Dieter Brünn, Margarete Effertz, Gerd Hüttenhofer und Dago Langhans. Bremen 1992. S. 232. 98 A.a.O. S. 249ff. 99 A.a.O. S. 259. 100 A.a.O. S. 296. 101 A.a.O. S. 402. 102 A.a.O. S. 330. 103 A.a.O. S. 314. 104 A.a.O. S. 259. 105 A.a.O. S. 276.

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ANMERKUNGEN

106 Vgl. Ishmael Reed: The Fourth Ali. In: Gerald Early (Hrsg.): The Muhammad Ali Reader. S. 199. 107 Vgl. a.k.a. Cassius Clay. Dokumentarfilm. USA 1979. Regie: Jim Jacobs. 108 Jan Philipp Reemtsma: Mehr als ein Champion. Über den Stil des Boxers Muhammad Ali. Stuttgart 1995. S. 55-56. 109 Vgl. George Plimpton: Miami Notebook: Cassius Clay and Malcolm X. In: Gerald Early (Hrsg.): The Muhammad Ali Reader. S. 27. 110 Vgl. Captain Lou Albano, Bert Randolph Sugar, Roger Woodson: Pro Wrestling. New York 1999. S. 25f. 111 Vgl. Jan Philip Reemtsma: a.a.O. S. 36. 112 A.k.a. Cassius Clay. 113 A.a.O. 114 A.a.O. 115 Zitiert nach: Tom Wolfe: The Marvelous Mouth. In: : Gerald Early (Hrsg.): The Muhammad Ali Reader. S. 15-16. 116 A.k.a. Cassius Clay. 117 Vgl.: Roger D. Abrahams: Positively Black. S. 63 und 86-87. 118 A.k.a. Cassius Clay. 119 Etwa: »Locke einen Trottel an die Seile«. 120 When We Were Kings. Dokumentarfilm. USA 1996. Regie: Leon Gast, Taylor Hackford 121 Ali spricht über diesen Kampf in einem Interview mit Playboy: In: Gerald Early (Hrsg.): The Muhammad Ali Reader. S. 136-137. 122 Malcolm X: a.a.O. S. 320. 123 Tom Wolfe: a.a.O. S. 26. 124 Malcolm X: a.a.O. S. 323-324. 125 A.a.O. S. 324. 126 A.k.a. Cassius Clay. 127 Malcolm X: a.a.O. S. 325. 128 Vgl.: Robert Lipsyte: I Don’t Have to Be What You Want Me to Be. In: Gerald Early (Hrsg.): The Muhammad Ali Reader. S. 92-93. 129 Vgl. Robert Lipsyte: a.a.O. S. 94-96. 130 A.k.a. Cassius Clay. 131 Zitiert nach: Robert Lipsyte: a.a.O. S. 93. 132 A.k.a. Cassius Clay. 133 James Brown: Say It Loud – I’m Black And I’m Proud. Polygram Records 1968. 134 »muh-fuh« = »motherfucker«. Zitiert nach: Roger D. Abraham: a.a.O. S.154. 135 When We Were Kings. USA 1996. Regie: Leon Gast, Taylor Hackford. 136 Z.B.: Robert Lipsyte: a.a.O. und a.k.a. Cassius Clay. 137 Nach: Norman Mailer: Ego. In: The Muhammad Ali Reader. S. 101. 138 Zitiert nach: Hunter S. Thompson: Last Tango in Vegas. a.a.O. S. 188.

V. Die Solo-Comedy als Massenphänomen 1 2

Showcase Beat Le Mot: RADAR RADAR nichts ist egal. Performance. Hamburg 1998. Dieser Unterschied gegenüber Stummfilm und Slapstick ist relevant. Während sich im Slapstick das Spiel von Actio und Reactio auf Formen des mechanisierten Körpers beschränkt, kann man im Cartoon darüber hinaus eine Mechanisierung der Sprache feststellen. Dies wäre allerdings, auch im Zusammenhang mit schwarzer Jugendkultur, speziell mit Rap und HipHop, ein eigener Unter-

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suchungsgegenstand. Auf das Konzept der Körperkomik von Henri Bergson wird im systematischen Teil genauer eingegangen. Z.B. in: STAGE DOOR CARTOON. Warner Brothers 1945. Regie: I. Freleng und: SLICK HARE. Warner Brothers 1946. Regie: I. Freleng. Über Steppin’ Fetchit sagt Ali, daß er ihm geholfen habe, seinen Punch zu entwickeln. In: a.k.a. Cassius Clay. Mr. Smith Goes To Washington. USA 1939. Regie: Frank Capra. Ronald L. Smith: Who’s Who in Comedy. Oxford 1992. S. 221. A.a.O. S. 221. Bob Hope’s Overseas Christmas Tours – Around the World with the Troups. Nr. 2 Teil 1. NBC 10.02.1980. Hope in Russia. 1959. In: The Comedy Chronicles. CD2. Rhino 1995. The Jack Paar Show. 1962. In: The MTR Exhibition Series: Woody Allen. The Dean Martin Show. 1967. a.a.O. Gene Kelly in New York. 1966. a.a.O. Sleeper. USA 1973. Regie: Woody Allen. Vgl. Richard Pryor über Lenny Bruce. In: Ronald. L. Smith: The Stars of Stand Up Comedy. New York, London 1986. S. 163. People Magazine. Zitiert nach: Ronald L. Smith: a.a.O. S. 164. Richard Pryor: Live and Smokin’. USA 1971. The Flip Wilson Show. 1973. In: The MTR Exhibition Series: Richard Pryor. MTR, New York. Richard Pryor: Live and Smokin’. The Mike Douglas Show. 1974. In: The MTR Exhibition Series: Richard Pryor. Besonders in: Richard Pryor Live in Concert. USA 1979. A.a.O. Beasty Boys: Fight For Your Right Too Party. Auf: Licensed To Ill. DefJam/Columbia 1986. A.a.O. In: Ronald L. Smith. a.a.O. S. 182. Mo’ Funny. a.a.O. Eddie Murphy: Delirious. Washington DC 1983. HBO. Eddie Murphy: Delirious. a.a.O. A.a.O. Zum Begriff des New Jack siehe auch Andrian Kreye: Aufstand der Ghettos. Köln 1993. S. 108-122. Delirious. a.a.O. Washington Associated Press, 10. Juli 2002. Vgl. z.B. Douglas Coupland: What’s the Deal With...? In: Ellen O’Neill: StandUp Comedians on Television. New York 1996. Jerry Seinfeld: I’m Telling You for the Last Time. Broadhurst Theatre New York 1998. HBO 1998. Roseanne. 222 Folgen von 1988 bis 1997. The Roseanne Barr Show . Mayfair Club, Santa Monica. HBO, 19. 09. 1987. Men In Black II. USA 2002. Regie: Barry Sonnenfeld.

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ANMERKUNGEN

Teil 2: System/Europa Einleitung 1

Erstausstrahlung im Oktober 2001. Mit der »geklauten Show« bezieht sich Schmidt auf die Late Show with David Letterman (s.u.), aber auch allgemein auf das Show-Format der Late Night.

I. Die Show als Fest 1

L’Erotisme. S.46: »L’opposition du monde de travail...au monde de la violence: ...De toute façon, l’homme appartient à l’un et à l’autre de ces deux mondes, entre lesquelles sa vie, quoi qu’il veuille, est déchirée.« 2 Dies ist die allgemein verwendete Bezeichnung für den Moderator der Late Night und der Talkshow. 3 Ich bin mir dabei der Problematik des zeitgenössischen Festes durchaus bewußt, wie sie von Guy Debord (s.u.) und z.B. von Rüdiger Bubner und Wolfgang Lipp beschrieben worden ist. Allerdings wird die »Veralltäglichung« des Festes, und sein Übergang in eine Ästhetisierung der Lebenswelt (Bubner) zumindest punktuell in der Inszenierung einer Gegenstruktur durchbrochen, wie ich sie beschreiben werde. Ich will auch deutlich machen, daß sich die Show zumindest bis zu einem gewissen Grad der zeitgenössischen »Funktionalisierung«, »Bürokratisierung« und »Technisierung« des Festes (Lipp) entziehen kann, und daß dies zum Teil sehr explizit geschieht. Vgl. Rüdiger Bubner: Ästhetisierung der Lebenswelt. In: Walter Haug, Rainer Warning (Hrsg.): Das Fest. Poetik und Hermeneutik XIV. München 1989. S. 651-662 und Wolfgang Lipp: Feste heute – Animation, Partizipation und Happening. a.a.O. S. 663683. 4 Vgl.: Bill Carter: The Late Shift – Letterman, Leno and the Network Battle for the Night. New York 1994. Bei der Harad Schmidt Show beziehe ich mich ausschließlich auf die Sat1-Sendung, da die Nachfolgesendung in der ARD auf Gäste verzichtet und generell von der klassischen Struktur abweicht. 5 Zur Dichotomie zweier Lebensweisen (»genres de vie«), der des Alltags und der des Festes, vgl. auch: Roger Caillois: L’homme et le sacré. Paris 1950. Darin vor allem das vierte Kapitel: Le sacré de transgression: Théorie de la fête. S.125-168. 6 Der Spiegel 10/1995. S.20. 7 The Tonight Show vom 23.10.96. 8 Vgl. Jörg Grabosch, erster Produzent der Harald Schmidt Show zur Fernsehunterhaltung. In: agenda 26, 11./12.1996. S.14. 9 Vgl. Michel Foucault: Andere Räume. Aus dem Französischen von Walter Seitter. In: Karlheinz Barck u.a.: Aisthesis – Wahrnehmung heute oder Perspektiven einer anderen Ästhetik. Leipzig 1990. 10 Bei Roger Caillois erscheinen diese beiden Aspekte: die zyklische Regelmäßigkeit einerseits, die Opposition zur Welt der Arbeit andererseits, als Charakteristika des Festes. L’homme et le sacré. S.141ff. 11 Georges Bataille: L’Erotisme. S.69: »La sexualité et la mort ne sont que les moments aigus d’une fête que la nature célèbre avec la multitude inépuisable des êtres, l’un et l’autre ayant le sens du gaspillage illimité auquel la nature procède...«

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12 Zur Ökonomisierung von Zeit in der Show siehe auch Karl H. Müller-Sachse: Fernsehshow. Ein Versuch über Wandel und Kontinuität. In: TheaterZeitSchrift, Jg4, 1985, H.13. S. 72-85. S.81f, und, in Richtung einer signifikanten Verlangsamung, Lorenz Engell: Vom Widerspruch zur Langeweile. Logische und temporale Begründung des Fernsehens. Frankfurt a.M. 1989. 13 Vgl.: »Ich bin feindlich«. Gespräch mit Herbert Feuerstein. Der Spiegel 21/1994. S123-128. 14 Vgl. z.B.: Schmidteinander – Das Beste 4 und 5. Euro Video. 15 Schmidteinander – Das Beste 5. 16 The Tonight Show vom 23.10.96. 17 Late Show, September 94.

II. Transgression und Spielregel 1

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L’Erotisme. S.74: »Les barrières ne sont pas simplement levées, même il peut être nécessaire, au moment de la transgression, d’en affirmer la solidité. Le souci d’une règle est parfois le plus grand dans la transgression.« Guy Debord: Die Gesellschaft des Spektakels. Aus dem Französischen von Jean-Jacques Raspaud. Berlin 1996. S.13. A.a.O. S. 47. René Girard: Das Heilige und die Gewalt. Aus dem Französischen von Elisabeth Mainberger-Ruh. Frankfurt a.M.1994. S.348. J. Huizinga beschreibt in seiner Abhandlung über das Spiel einen solchen Zusammenhang von spielerischer Gegen-Welt und Regelhaftigkeit, allerdings mit anderer Gewichtung. Vgl. J. Huizinga: Homo Ludens. Köln 1949. Zu einem kontrastierenden Ineinandergreifen von Spiel und Ritual vgl. auch John Fiske: Television Culture. London, New York 1987. S. 265ff. Hier vor allem: Barry Humphries/Dame Edna: Back with a Vengeance. London (Virgin) 1986. Auf die »de-automatisierte Wahrnehmung von Geschlechtsidentitäten« (Finter) kann hier nicht näher eingegangen werden. Ich verweise in diesem Zusammenhang auf Helga Finters Aufsatz: Der Körper und seine Doubles: Zur (De-)Konstruktion von Weiblichkeit auf der Bühne. In: Forum Modernes Theater, Band 11/1 (1996). S. 15-32. Barry Humphries/Dame Edna: a.a.O. Ebd. Ebd. Vgl. Roger Willemsen – Barry Humphries (Interview): Dame Edna ganz privat. Atlas Film 1994. Préface à la transgression. In: Critique 195, 1963. Seiten 755 und 757: »La transgression n’est donc pas à la limite comme le noir est au blanc, le défendu au permis, l’extérieur à l’intérieur, l’exclu à l’espace protégé de la demeure. Elle lui est liée plutôt selon un rapport en vrille dont aucune effraction simple ne peut venir à bout.. Rien ne lui est plus étranger que la figure du démoniaque qui justement ›nie tout‹«.) Vgl. dazu Helga Finter: Bataille lesen: Die Schrift und das Unmögliche. München 1992: »Georges Bataille versucht, entgegen allen philosophischen Verdikten vom Unsagbaren, das Unmögliche zu denken, es zu schreiben. Systematisch sucht er auf, was das Subjekt, eine Gesellschaft, eine Kultur übersteigt. ...Die Erforschung der Produktionsmechanismen des Heterogenen führt Bataille in andere Disziplinen, seine Publikationen berühren Fragen der Psy-

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chologie, der Anthropologie, der Ökonomie und Politik, der Kunst– und Religionsgeschichte.« (Vorwort. S.7-10.)

III. Die Schlacht um die Mitte 1

Der Abschnitt ist die Ausarbeitung und Erweiterung meines Artikels: Crash TV. In: Björn Laser, Jochen Venus, Christian Filk (Hrsg.): Die dunkle Seite der Medien – Ängste, Faszinationen, Unfälle. Frankfurt a.M. u.a. 2001. S. 46-63. 2 Vgl. René Girard, Jean Michel Oughourlian, Guy Lefort: Des choses cachées depuis la fondation du monde. Paris 1978. S. 460ff: Die »Interdividualität«, als ein zusammengezogener Terminus aus »Individualität« und »Intersubjektivität«, wird als ein sozialer Prozess beschrieben, der zwar dem Konzept des Individuums als einer unterscheidbaren Einheit verbunden bleibt, bei dem diese scheinbare Einheit aber in eine zwangsläufige und nicht zu umgehende Wechselwirkung mit einem Gegenüber eingebunden wird, was einer vorübergehenden Symbiose und Untrennbarkeit entspricht. 3 Bios Bahnhof: WDR 1978 bis 1982. 4 Boulevard Bio: WDR seit 1991. 5 Vgl. hierzu das Peinlichkeits-Konzept von Norbert Elias. In: ders.: Über den Prozeß der Zivilisation. Frankfurt a.M. 1976. Der Sittentalk und »Affekt-Talk« im deutschen Fernsehen, wie ihn Georg Christoph Tholen in seiner Diskursanalyse beschreibt, stellt dabei nach meiner Ansicht eine Art Zwischenstufe zwischen dem Talk der »alten Schule« und seiner vollständigen Spektakularisierung bei Springer dar. Vgl. z.B. Georg Christoph Tholen: Talkshow als Selbstbekenntnis. In: Björn Laser, Jochen Venus, Christian Filk (Hrsg.): Die dunkle Seite der Medien – Ängste, Faszinationen, Unfälle. Frankfurt a.M. u.a. 2001. S. 29-45. 6 Steve Wright, Peter Compton: Just Keep Talking. The Story of the Chat Show. London 1997. 7 Vgl. Tom Holert: Schwere Träume, teure Verachtung. In: Spex 11/99. S. 28 ff. 8 Vgl. Norber Elias: Entwurf zu einer Theorie der Zivilisation. In: Ders.: Über den Prozeß der Zivilisation. Frankfurt 1976. 9 Baldesar Castiglione: Das Buch vom Hofmann. Aus dem Italienischen von Fritz Baumgart. Bremen 1911. S.19f. 10 Den hier behandelten Zusammenhang von höfischem Spiel und »apokalyptischer Triebhaftigkeit« hat Walter Haug auch anhand der mittelalterlichen Epik bezogen auf das arthurische Fest gezeigt. In diesem Zusammenhang scheint mir das Turnier als der eingedämmte Kampf besonders in bezug auf Springer eine brauchbare Metapher zu sein. Vgl. Walter Haug: Von der Idealität des arthurischen Festes zur apokalyptischen Orgie in Wittenwilers ›Ring‹. In: Walter Haug, Rainer Warning (Hrsg.): Das Fest. Poetik und Hermeneutik XIV. München 1989. S. 157-179. Ich betone, daß meine Parallelisierung der höfischen Kultur der Renaissance mit einem zeitgenössischen FernsehSpektakel natürlich einen metaphorischen Charakter hat. Trotzdem sehe ich hier auch kulturelle Konstanten, die für das eine wie für das andere eine Rolle spielen. 11 Vgl. Norbert Elias: a.a.O.

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IV. Die De/Konstruktion des Despoten 1

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Die Kapitelüberschrift orientiert sich an einem Seminartitel von Helga Finter: (De)Konstruktion von Dramatis Personae in postdramatischen Texten. Gießen, WS 1993/94. Georges Bataille: L’Erotisme. S.183-184: »Dans le monde d’autrefois, l’individu ne renonçait pas de la même façon à l’exubérance de l’érotisme en faveur de la raison. Il voulait tout au moins qu’en la personne d’un semblable, l’humanité envisagée généralement échappat à la limitation de l’ensemble. Suivant la volonté de tous, le souverain recevait le privilège de la richesse et de l’oisiveté, les filles les plus jeunes et les plus belles lui étaient ordinairement réservées.« Ebd. Ebd. A.a.O. S.188: »On voit comment l’excès voluptueux conduit à cette négation d’autrui qui, de la part d’un homme, est la négation excessive du principe sur lequel sa vie repose.« Die Harald Schmidt Show (von jetzt an abgekürzt als HSS) vom 24.09.96. HSS vom 25.10.96 HSS, November 96. Roosa Voima (Riemu Levüt). HSS vom 15.10.96 Vgl. The Tonight Show vom 15.10.96. HSS vom 05.12.96. HSS vom 25.10.96. Klimagipfel und Smogkongress. Showcase Beat Le Mot. Hamburg 2001. David Letterman Late Show, September 94. Schmidteinander – Das Beste 2. Schmidteinander – Das Beste 5. Erzählt in: Raging Bull. USA 1980. Regie: Martin Scorsese. HSS vom 08.12.96. HSS vom 08.12.96. Showcase Beat Le Mot. HSS vom 15.10.96. Z.B.: The Tonight Show vom 23.10.96. Georges Bataille: L’Erotisme. S.195: »Sade n’a pas évité ce mouvement, il l’a suivi dans ses conséquences, qui excèdent le principe initial de la négation des autres et de l’affirmation de soi. La négation des autres, à l’extrême, devient négation de soi-même.« The Jerry Lewis Show. ABC, 21. September 1963. MTR Archiv. Helga Finter setzt den Auftritt von Antonin Artaud im Theatre du Vieux Colombier von 1947 als ein Schlüsseldatum für die zeitgenössische Performance. Bei dieser Veranstaltung hat sich der vergleichbare Effekt einer Bewegung vom Symbolischen ins Reale ergeben, der den Zuschauern unerträglich war. »Der Repräsentation seiner (Artauds) poetischen Texte [...] sollte etwas folgen, was man heute vielleicht als performance bezeichnen könnte: die Manifestation der Präsenz eines Subjekts, das über die Realität seines Leidens die Ursachen dieses Leidens hörbar zu machen sucht. [...] Artaud ist sich der Unmöglichkeit bewußt, sich durch ein Theater des Realen Gehör zu verschaffen, und spricht im Nachhinein davon, daß allein Bomben die von ihm beabsichtigte Wirkung hätten hervorbringen können.« Trotz einer historischen Ferne zur zeitgenössischen Performance und dem Umfeld Artauds sehe ich hier eine

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Gemeinsamkeit, besonders in der von Finter beschriebenen Gegenüberstellung repräsentativer und realer Elemente. Jerry Lewis reiht sich mit dem singulären Scheitern seiner Show in ein politisiertes ästhetisches Umfeld ein, dem auch Performer wie Lenny Bruce, Richard Pryor, Dick Gregory und Mort Sahl (der übrigens einen längeren Auftritt in der Show hat) angehören. Er nimmt Teil an einer Bewegung weg vom durchinszenierten Spektakel, hin zum riskanten Terrain einer Reality Show, die ihn in seiner widersprüchlichen Rolle als einen Leidenden exponiert. Vgl. Helga Finter: Das Reale, der Körper und die soufflierten Stimmen: Artaud heute. In: Forum Modernes Theater, Band 13/1 (1998). S. 3-17.

V. Einfache Gesten der Opferung 1

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Vgl. HSS vom 08.10.96: Die Show, in der Günter Jauch erscheinen wird, beginnt mit einer Szene, in der Showmaster Schmidt den Boden wischt, während Gast Jauch mit hochgelegten Beinen am Schreibtisch sitzt. René Girard: Das Heilige und die Gewalt. Aus dem Französischen von Elisabeth Mainberger-Ruh. Frankfurt a.M.1994. René Girard bezeichnet diesen Vorgang als »Mimésis Pacifique«. Vgl.: Des choses cachées depuis la fondation du monde. S.452. Vor allem in: René Girard: Das Heilige und die Gewalt. S.62-103. Zur Frage der entdifferenzierenden Gegenseitigkeit in der Tragödie vgl. a.a.O. S.69f: »Müßte die tragische Handlung in einem einzigen Satz definiert werden, dann müßte nur eine Sache erwähnt werden: Der Gegensatz von symmetrischen Elementen.« Zum Begriff der Stichomythie siehe S.70. Es ist diese »Mechanisierung des Lebendigen«, welche die Szene komisch erscheinen läßt. Vgl.: Henri Bergson: Le rire. Paris 1940. (401. Auflage 1985.) Vgl. René Girard: Das Heilige und die Gewalt. S.94ff. Z.B. HSS vom 25.09.96 mit Georgeanna Robinson. Z.B. HSS vom 04.09.96. Das Datum der Erstausstrahlung ist mir nicht bekannt. Vgl. dazu auch Thomas Gottschalk im Interview: Gipfeltreffen der Quasselkönige. Süddeutsche Zeitung, 2./3. Dezember 1995. S.30. 1995 auf VOX. Das Datum der Erstausstrahlung ist mir nicht bekannt. Schmidteinander – Das Beste 5. Schmidteinander – Das Beste 6. Kanack Attak. Volksbühne am Rosa-Luxemburg-Platz, Herbst 2001. Vgl. z.B. das Gespräch mit Carsten aus Braunschweig, in: Schmidteinander – Das Beste 6. Vgl. alle Folgen von Dall As. RTL, ca.1992. Auch bei dem eher familiären Jay Leno bleiben die Gäste, wenn sie einmal erschienen sind, während der ganzen Show auf der Bühne. Sie rücken nur ein wenig auf, um dem nächsten Gast Platz zu machen. Dagegen gibt es diese Abgänge bei den bösen Buben der Branche, bei Harald Schmidt und dessen Vorbild David Letterman.

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VI. Komplexe Gesten der Opferung 1

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Will man dies mit der Begrifflichkeit des Festes umschreiben, so liegt in dieser Art der Zuschauer-Partizipation der Übergang von einem »herrschaftlichen« zu einem »ekstatischen Fest«, das nach Joachim Küchenhoff dadurch gekennzeichnet ist, »daß die Festgemeinschaft nicht ein äußeres Objekt, sondern sich selbst zum Ich-Ideal erhebt.« Das Fest beginnt spätestens an diesem Punkt, sich selbst zu feiern. Vgl. Joachim Küchenhoff: Das Fest und die Grenzen des Ich. In: Walter Haug, Rainer Warning (Hrsg.): Das Fest. Poetik und Hermeneutik XIV. München 1989. S. 99-119. Auf die komischen Implikationen dessen, und das damit verbundene subversive Potential, werde ich in Kapitel IX weiter eingehen. September 1994. Die Symptomatik der Überaffirmation hat viel zu tun mit der ästhetizistischen Überspitztheit, die in den USA als »Camp« bezeichnet wird. Susan Sontag liefert dazu Ansätze einer Theorie. Sie schreibt: »Indeed, the essence of Camp is its love of the unnatural: of artifice and exaggeration. ...Camp taste turns its back on the good-bad axis of ordinary aesthetic judgement. Camp doesn’t reverse things. It doesn’t argue that the good is bad, or the bad is good. What it does is to offer for art (and life) a different – a supplementary – set of standards. ...I am speaking of a sensibility only – and about a sensibility that, among other things, converts the serious into the frivolous. ...Camp is a certain mode of aestheticism. It is one way of seeing the world as an aesthetic phenomenon.« (Susan Sontag: Notes on »Camp«. In: Against Interpretation. New York 1964.) In dem, was ich mit Überaffirmation bezeichne, erweitert sich die gemeinschaftlich unternommene Verfeinerung eines »taste«, wie sie von Sontag skizziert wird, um eine spektakuläre Theatralität. In der Überaffirmation durchbricht »Camp« den Abstand einer zarten Ironie und wird rituell, akut, bedrohlich. L’Erotisme. S.295: »Il n’est pas de forme de répugnance dont je ne discerne l’affinité avec le désir.« Barry Humphries/Dame Edna: a.a.O. Préface de Madame Edwarda. a.a.O. S.293ff. A.a.O. S.296. Die Beispiele stammen zum größten Teil aus den Folgen von Juli und Oktober 1996. Vgl. auch ihren Kurzauftritt in der HSS vom 18.12.96. Annie Sprinkle inszeniert also sehr wohl, jenseits ihrer vorgeschobenen Aufklärungs- und Befreiungsideologie, diesen Moment des Ekels und der Aversion.

VII. Zyklothymie und Sadomasochismus 1

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In seinem Vorwort zu Sacher-Masochs Venus im Pelz betont Gilles Deleuze genau diese Eigenständigkeit der masochistischen Initiative, anstatt sie in der Tradition Freuds und Lacans lediglich als die notwendige Spiegelung des Sadismus zu sehen. Vgl. ders.: Sacher-Masoch und der Masochismus. In: Leopold von Sacher-Masoch: Venus im Pelz. Ausgabe Frankfurt a.M. 1968. Georges Bataille: L’Erotisme. S.243: »Le respect n’est sans doute que le détour de la violence.«

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A.a.O.: »D’un coté le respect ordonne le milieu où la violence est interdite; de l’autre, il ouvre à la violence une possibilité d’irruption incongrue dans des domaines où elle a cessé d’être admise.« Vgl.: Joseph Henry Jackson: Bad Company. New York 1939. Tintypes in Gold. NY 1939. James D. Horan, Paul Sann: Pictorial History of the Wild West. New York 1970. John Douglas, Mark Olshaker: Die Seele des Mörders. Aus dem Amerikanischen von Jörn Ingwersen. Hamburg 1996. Die von Douglas beschriebenen drei »Losungen« gewaltorientierter Serientäter: »Manipulation, Dominanz, Kontrolle«, ließen sich in gleicher Weise auf die fiktionalen Gewaltverbrecher und Despoten anwenden. Vgl. z.B.: Die Familie ohne Moral. Österreich 1927. Regie: Ida Jenbach, Max Neufeld; Buchhalter Schnabel. Österreich 1935. Regie: J.A. Hübler-Kahla; Eine Nacht im Grandhotel. Österreich 1931. Regie: Max Neufeld; Meine Tochter lebt in Wien. Österreich 1940. Regie: E.W. Emo. Die Dialektik des despotischen Dieners wurde bereits in Teil 1 erwähnt. Sie wird bei Hegel theoretisiert und spielt in der Tradition der Komödie immer wieder eine Rolle, etwa in Hofmannsthals Der Schwierige und Jarrys Ubu Roi. Vgl. Teil 1, Kapitel III 2. Die Nette Leit Show (von jetzt an abgekürzt als NLS), Sommersemester, 01.07.1995. ORF/Libro. A.a.O. NLS, Wintersemester, 25.11.1995. NLS, a.a.O. Die dezente Abendgarderobe von Harald Schmidt ist in der deutschen Presse anfangs auf großes Unverständnis gestoßen. NLS, Sommersemester, 15.07.1995. Vgl. sein Gespräch mit Hermann Nitsch. a.a.O. Vgl. René Girard: Das Heilige und die Gewalt. S.227f. Vgl. René Girard: Des choses cachées depuis la fondation du monde. S.462. Zur Theatralität der Sade’schen Literatur siehe auch den Aufsatz von Roland Barthes: Der Baum des Verbrechens. In: Das Denken des Marquis de Sade. Frankfurt a.M. 1988. S.39-61. Zur Opposition von Passivität und Aktivität im Sadomasochismus vgl. J. Laplanche, J.-B. Pontalis: Das Vokabular der Psychoanalyse. Aus dem Französischen von Emma Moersch. Frankfurt a.M. 1994. S.448ff. HSS vom 07.03.96. Zur Frage des Sadomasochismus siehe auch: Phettberg und die Orgie. In: Hermes Phettberg: Frucade oder Eierlikör. S.170f.

VIII. Die Verheißung der Orgie 1

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Jack Smith, dessen Performance-Stil in Ron Vawters berühmt gewordenem Solo-Abend (Roy Cohn/Jack Smith: Uraufführung in The Kitchen, New York City, 1989) dokumentiert ist, hat seine schier endlosen Monologe tatsächlich in seiner Privatwohnung abgehalten. HSS, September 1996. Nach: N.N.: Das Lustige bei LateNightSchaun (1). In: Titanic 10/1996. S.5862. René Girard: Des choses cachées depuis la fondation du monde. S.433f: »Tantôt il se voit perché au sommet d’une pyramide, qui est celle de l’être dans son ensemble, tantôt au contraire cette pyramide s’inverse, et comme il en occupe toujours la pointe, le voila dans la position la plus humiliée, écrasé

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par l’univers entier.« Das Zitat bezieht sich auf die Symptomatik der manischen Depression. Zum mechanistischen Aspekt der Komik vgl. Henri Bergson: Le rire. Paris 1940. Schmidteinander – Das Beste 3. Auch: HSS. Ich beziehe mich auf den Video-Mitschnitt einer Performance von 1992 in Berlin (im Theater Modernes), der mir freundlicherweise aus privater Hand zur Verfügung gestellt wurde. Nach: N.N.: Das Lustige bei LateNightSchaun (2). In: Titanic 11/1996. S.5862. Bis 1994 auf Sat1. Bis 1994 auf RTL. Vgl. den Artikel: Gelebte Macht. In: Der Spiegel 32/1994. S.61f. Den komischen Widerspruch, der in der inszenierten Orgie liegt, beleuchtet Phettberg im Gespräch mit Hermann Nitsch. Siehe auch: Phettberg und die Orgie. In: Hermes Phettberg: Frucade oder Eierlikör. München 1996. S.170f. Auch Bataille betont die Organisiertheit und Organisierbarkeit der Orgie, allerdings unter einem weniger theatralen, eher ethnologisch-anthropologischen Blickwinkel: »Anfänglich waren die Explosionen verbotener Gewalt, wie der Krieg oder das Opfer – oder die Orgie – keine berechneten Explosionen. Aber da sie Transgressionen waren, Transgressionen von Menschen begangen, wurden sie zu organisierten Explosionen, zu Handlungen, deren Nutzen auf den zweiten Blick, aber ohne Zweifel sichtbar wurden.« (»Initialement, les explosions de la violence refoulée par les interdits, comme la guerre ou le sacrifice – ou l’orgie – n’étaient pas des explosions calculées. Mais en tant qu’elles étaient des transgressions, pratiquées par des hommes, ce furent des explosions organisées, ce furent des actes dont l’efficacité possible apparut en second lieu, mais sans contestation.«) L’Erotisme. S.128. Late Show, Sommer 1994. Das Datum der Erstausstrahlung ist mir nicht bekannt.

IX. Despotisches Lachen und faschistisches Lachverbot 1 2 3

The Great Dictator. USA 1940. Regie: Charles Chaplin. Hier amerikanisch, als Begriff aus dem Entertainment, im Sinne von Stoff, Thematik, Bezugspunkt einer Stand-up-Sequenz. Die Unterscheidungspunkte liegen zunächst einmal in dem Charakter eines »konzentrierten Spektakulären«, in Gegenüberstellung zu einem »diffusen Spektakulären« (Guy Debord). Vgl. dazu Helga Finter: Kunst des Lachens, Kunst des Lesens. Zum Theater in einer Gesellschaft des Spektakels. In: Vittoria Borsò, Björn Goldammer (Hrsg.): Moderne(n) der Jahrhundertwenden. Baden-Baden 2000. S. 439-451. Bei dieser Annäherung geht es aber wohlgemerkt um die fundamentalen Unterschiede, die ohne eine solche nicht gesehen werden könnten. Ich sehe mit Finter das Lachen des Show-Spektakels als eine »Revolte« oder eine »Befreiung vom Bild« (Jacques Lacan), die Show also als einen Prozeß der Konzentration und Bebilderung einer spektakulären Gesellschaft, an dessen Ende aber, ganz im Gegensatz zu den Inszenierungen des Faschismus, die Befreiung von eben jenen Bildern steht. Vgl. Helga Finter: a.a.O. S. 448f. Siehe dazu auch: Dies.: Poesie, Komödie, Tragödie oder die Masken des Unmöglichen: Georges Bataille und das Theater des Buches. In: Peter Wiechens, Andreas Hetzel (Hrsg.): Georges Bataille. Vorreden zur Überschreitung. Würzburg 1999. S. 259-273.

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ANMERKUNGEN

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Victor Klemperer: LTI. Leipzig 1975. René Girard: Perilous Balance. A Comic Hypothesis. In: Modern Language Notes 1972. S.811-826. vgl. auch Julia Kristeva: Pouvoirs de l’horreur. Essai sur l’abjection. Paris 1980. David Mamet: A Whore’s Profession. London, Boston 1994. Alle Zitate von Jane Elliott aus dem Film: Blue Eyed. USA/Deutschland 1996. Regie: Bertram Verhaag. Ebd. The Truman Show. USA 1998. Regie: Peter Weir. Ebd. Ebd. Ebd. Jean Pierre Faye: Theorie der Erzählung. Einführung in die »totalitären Sprachen«. Frankfurt a.M. 1977. S.15 und S.20. (Théorie du récit. Langages totalitaires. Paris 1972.) W.I.Lenin: Werke. Bd.38. Berlin 1973. S.161. Zitiert nach: J.P.Faye, a.a.O. Ernst Krieck (Hrsg.): Volk im Werden. 1934-1940. Zitiert nach: J.P.Faye, a.a.O. A.a.O. Insofern ist die Neue Rechte nicht unmittelbar mit dem »konzentrierten Spektakulären« der 1930er Jahre vergleichbar, da sie sich ihrerseits auf die populären Unterhaltungsmedien bezieht, stellenweise sogar viel deutlicher als auf konkrete politische Diskurse. Sie ist Teil des »integrierten Spektakulären« geworden, das seine Referenzpunkte nicht mehr in der »Welt« hat, sondern vorrangig im Spekakel selbst. Vgl. Guy Debord: Kommentare zur Gesellschaft des Spektakels. In: ders.: Die Gesellschaft des Spektakels. Aus dem Französi-

schen von Jean-Jacques Raspaud. Berlin 1996. 19 Stephen King: Es. Aus dem Amerikanischen von Alexandra von Reinhardt und Joachim Körber. München 1990. S. 20-22. 20 Bergson, Henri: Le Rire. Paris 1940. 21 Vgl. Anm. 331. 22 Vgl. Joachim C. Fest: Hitler. Frankfurt, Berlin, Wien 1973. S.218f. 23 Bertolt Brecht: Der Messingkauf. In: Schriften zum Theater 5. Frankfurt 1963. S.86-98. 24 Bertolt Brecht: Der aufhaltsame Aufstieg des Arturo Ui. Frankfurt, 1965. S.54f. 25 Nach Joachim C. Fest. A.a.O. 26 Adolf Hitler: Mein Kampf. Berlin 1933. S.544. Hier spielt auch das ästhetische Konzept der »stupefazione« (Verblüffung) und der »colpi brutali« (brutale Schläge) des italienischen Futurismus eine Rolle. Vgl. hierzu: Helga Finter: Semiotik des Avantgardetextes – Gesellschaftliche und poetischee Erfahrung im italienischen Futurismus. Stuttgart 1980. S.61. 27 Hitler. Eine Bilanz. Dokumentarfilm-Reihe. Deutschland 1997. Regie: Guido Knopp. 28 Zitiert nach Guido Knopp. a.a.O. 29 Vgl. J.C.Fest: a.a.O. S.709f. 30 Siehe hierzu die Publikationen in der Zeitschrift Das Argument. Besonders: Walter Benjamin: Theorien des deutschen Faschismus. 30/1964. Reimut Reiche: Exkurse. 33/1965. 31 Bob Kane, Bill Finger: Batman vs The Joker. April 1940. In: The Greatest Joker Stories Ever Told. DC Comics 1990.

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32 Zur »Vergeistigung« der Mechanik vgl. Helga Finters Arbeiten zum italienischen Futurismus: »Es wird möglich, den Maschinen, die erfahrungsgemäß bisher nur die physikalische Eigenschaft der Geschwindigkeit besaßen, nun eine geistige Qualität zuzuschreiben. [...] Damit ist die äußere Realität der Technik nur Anstoß, um deren Innenleben – das ›Leben der Materie‹ – aufzudecken.« In: Helga Finter: a.a.O. S.53f. Die Gefährlichkeit des Joker liegt gerade in dieser Vergeistigung der Maschine. Die Figur des Joker ist die Personifizierung einer technischen Antiutopie, die – dies allerdings im Gegensatz zum italienischen Futurismus – mit einem Horror versehen wird, dadurch, daß sie nicht mehr sich selbst, und mit ihr den Menschen, poetisch überhöht, sondern die Menschheit versklavt. Vgl. hierzu auch Stephen Kings Roman Christine. 33 Bob Kane, Bill Finger: a.a.O. S.11. Es ist interessant, daß hier zur Charakterisierung der heimischen Idylle, die vom Joker angegriffen wird, das Wort »static« benutzt wird. Offensichtlich ist die Opposition von Stasis und aggressiver Dynamik, wie sie in der Poesie des italienischen Futurismus benutzt wird, auch hier eingeflossen. Vgl. hierzu Helga Finter: a.a.O. S. 54-56. 34 Batman. USA 1989. Regie: Tim Burton. 35 The Laughing Fish. In: The Greatest Joker Stories Ever Told. S.227ff. 36 Das Motiv einer feindselige Haltung zu Tradition und zu jeder ideologischen Orientierung an der Vergangenheit liegt ebenfalls im italienischen Futurismus begründet. Vgl. Helga Finter: a.a.O. S.47ff. 37 Vgl. Victor Klemperer: LTI. a.a.O. 38 Dies wäre eine »Dekonstruktion der Dramatis Persona«, entsprechend dem, was Helga Finter für die zeitgenössische Performance beschreibt, hier allerdings im Sinne eines Horror-Szenarios. Vgl. Helga Finter: Der subjektive Raum (1). Tübingen 1990. S. 69: »Personen werden verdoppelt, vervielfacht oder Körperteile, auf ihre Funktionen reduziert, verselbständigt. Damit werden die dramatis personae erst im Spiel konstituiert, setzen sich als Laut- und Bewegungsfunktionen auch mehrerer Spieler und Stimmen zusammen, können auch anorganische Maschinen durch Mechanisierung der Bewegung oder künstliche Stimmen werden.« 39 Tim Burton: Batman. 40 Sebastian Haffner: Anmerkungen zu Hitler. München 1978. 41 To Be Or Not To Be. USA 1942. Regie: Ernst Lubitsch. 42 Spiegel-TV Reportage. Das Datum der Erstausstrahlung ist mir nicht bekannt. 43 Michail Bachtin: Literatur und Karneval. Zur Romantheorie und Lachkultur. Aus dem Russischen von Alexander Kaempfe. München, Wien 1969. S.16. 44 A.a.O. S.17. 45 Der Tunnel. Deutschland 1915. Regie: William Wauer. Was für ein interessantes Dokument: In den dreißiger Jahren war der Film Bestandteil nazistischer Propaganda, mit seinem Helden MacAllan, der sich für eine Idee vollkommen aufopfert. Hitlers rhetorisches Vorbild ist aber nicht diese Führerfigur, sondern einer ihrer Feinde – der kommunistisch beeinflußte Arbeiterführer, dessen Forderungen dem nazionalsozialistischen Aufopferungspathos diametral entgegenlaufen. 46 Meet the Feebles. Neuseeland 1989. Regie: Peter Jackson. 47 Zum detailierten Verlauf laut Polizieibericht vgl. www.mayhem.net/Crime/ archives.html. 48 Vgl. David Mamet. a.a.O. 49 Braindead. USA 1987. Regie: Peter Jackson. 50 Vgl. René Girard: Perilous Balance – A Comic Hypothesis. In: MLN 1972. Vol. 87/4.

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ANMERKUNGEN

51 Vgl. Helga Finter: Heterologie und Repräsentation. Strategien des Lachens. Zu Georges Batailles Le bleu du ciel. In: Dies., Georg Maag: Bataille lesen: Die Schrift und das Unmögliche. S. 17. 52 Vgl. Klaus Theweleit: Männerphantasien. Band 2: Männerkörper. Zur Psychoanalyse des weißen Terrors. München 1978. 53 Vgl. Elias Canetti: Masse und Macht. Hamburg 1960. Vgl. auch den hierauf Bezug nehmenden Abschnitt bei Theweleit: a.a.O. S. 23f. 54 Pamela Ballinger: Blutopfer und Feuertaufe. In: Hans Ulrich Gumbrecht, Friedrich Kittler, Bernhard Siegert (Hrsg.): Der Dichter als Kommandant. D’Annunzio erobert Fiume. München 1996. Ballinger bezieht sich speziell in ihrer Beschreibung der Elitetruppe der »Arditi« auf die Problematik einer hierarchischen Beziehung zum »Volk« und dem Konflikt eines solchen Elitarismus mit der Ideologie eines Massenregimes. 55 Vgl. Helga Finter: Heterologie und Repräsentation. Strategien des Lachens. Zu Georges Batailles Le bleu du ciel. a.a.O. S. 13-31. Der Bataille’sche Begriff des Heterogenen, wie ihn Finter im Zusammenhang mit dem Lachen beschreibt, ist eine wichtige Grundlage dieser Untersuchung. Ich muß dabei darauf hinweisen, daß die Heterogenität, von der ich im Zusammenhang mit der Show spreche, nicht mit dem Bataille’schen »Heterogenen« verwechselt werden darf. Auch wenn ich von einer Homogenisierung, Nivellierung oder Vermassung spreche, ist nicht das »Homogene« gemeint, also das System und die Struktur, sondern im Gegenteil der Strukturverlust.

X. Der implodierende Solist 1 2 3

Der geringste Widerstand. Schweiz 1981. Regie: Peter Fischli, David Weiss. DJ Westbam: No More Fucking Rock ‘n Roll. Low Spirit 1990. Zum ökonomischen Aspekt dieser Tendenz und ihrer Konsequenz für die kuratorische Praxis siehe auch: Veit Sprenger: Krieger und Architekten – Arbeitsbericht über die Herstellung von Gegenwart. In: Veit Sprenger, Vanessa Walz (Red.): Programmkatalog artgenda 2002 Hamburg – 4. Biennale für junge Kunst im Ostseeraum. Hamburg, 2002. 4 »Erinnerungen eines Naturforschers: Kiemen sind für die Atmung im Wasser das, was Lungen für die Atmung in der Luft sind; oder das Herz ist für die Kiemen das, was das Fehlen des Herzens für die Luftröhre ist« Gilles Deleuze, Félix Guattari: Tausend Plateaus. Aus dem Französischen von Gabriele Ricke und Ronald Voullié. Berlin 1992. S. 319ff. 5 Siehe auch: Veit Sprenger: Der implodierende Solist – Helge Schneider und die Off-Show. In: Ästhetik und Kommunikation 108/März 2000. S. 85-94. 6 Vgl. hierzu auch: Veit Sprenger, Kathrin Tiedemann: Mannschaftsspieler und spleenige Solisten (Interview). In: Tilmann Broszat, Sigrid Gareis (Hrsg.): Global Player/Local Hero. München 2000. S. 146-156. 7 A. Heinz, V. Zahn, H. Schneider: Interview. In: Playboy 1/1995. Seite 34-41. 8 Vgl. Deleuze, Guattari: a.a.O. 9 Der Stil von Showcase Beat Le Mot wurde immer wieder als »Nobler Dilettantismus« bezeichnet, allerdings in Verkennung dieses Kontextes, in dem eine neue Art der Professionalität gewonnen werden kann. 10 Deleuze, Guattari: a.a.O.

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Die Neuerscheinungen dieser Reihe:

Henry Keazor, Thorsten Wübbena Video Thrills the Radio Star Musikvideos: Geschichte, Themen, Analysen

Andreas Becker, Saskia Reither, Christian Spies (Hg.) Reste Umgang mit einem Randphänomen

Oktober 2005, ca. 350 Seiten, kart., ca. 200 Abb., ca. 28,80 €, ISBN: 3-89942-383-6

Oktober 2005, ca. 300 Seiten, kart., ca. 27,80 €, ISBN: 3-89942-307-0

Julia Glesner Theater und Internet Zum Verhältnis von Kultur und Technologie im Übergang zum 21. Jahrhundert

Christoph Ernst Essayistische Medienreflexion Die Idee des Essayismus und die Frage nach den Medien

Oktober 2005, ca. 270 Seiten, kart., ca. 26,80 €, ISBN: 3-89942-389-5

Oktober 2005, 506 Seiten, kart., 29,80 €, ISBN: 3-89942-376-3

Heide Volkening Am Rand der Autobiographie Ghostwriting – Signatur – Geschlecht

Markus Buschhaus Über den Körper im Bilde sein Eine Medienarchäologie anatomischen Wissens

Oktober 2005, ca. 300 Seiten, kart., ca. 27,80 €, ISBN: 3-89942-375-5

Joanna Barck, Petra Löffler u.a. Gesichter des Films Oktober 2005, ca. 350 Seiten, kart., zahlr. Abb., ca. 27,80 €, ISBN: 3-89942-416-6

Christian Schuldt Selbstbeobachtung und die Evolution des Kunstsystems Literaturwissenschaftliche Analysen zu Laurence Sternes »Tristram Shandy« und den frühen Romanen Flann O’Briens

September 2005, 354 Seiten, kart., zahlr. Abb., 28,80 €, ISBN: 3-89942-370-4

Natascha Adamowsky (Hg.) »Die Vernunft ist mir noch nicht begegnet« Zum konstitutiven Verhältnis von Spiel und Erkenntnis September 2005, 288 Seiten, kart., 26,80 €, ISBN: 3-89942-352-6

Oktober 2005, 152 Seiten, kart., 16,80 €, ISBN: 3-89942-402-6

Leseproben und weitere Informationen finden Sie unter: www.transcript-verlag.de

Die Neuerscheinungen dieser Reihe: Andreas Sombroek Eine Poetik des Dazwischen Zur Intermedialität und Intertextualität bei Alexander Kluge August 2005, 320 Seiten, kart., 27,80 €, ISBN: 3-89942-412-3

Veit Sprenger Despoten auf der Bühne Die Inszenierung von Macht und ihre Abstürze August 2005, 356 Seiten, kart., 28,80 €, ISBN: 3-89942-355-0

Christina Bartz, Jens Ruchatz (Hg.) Mit Telemann durch die deutsche Fernsehgeschichte Kommentare und Glossen des Fernsehkritikers Martin Morlock August 2005, ca. 220 Seiten, kart., ca. 25,80 €, ISBN: 3-89942-327-5

Elke Bippus, Andrea Sick (Hg.) IndustrialisierungTechnologisierung von Kunst und Wissenschaft August 2005, ca. 250 Seiten, kart., ca. 50 Abb., ca. 26,80 €, ISBN: 3-89942-317-8

Horst Fleig Wim Wenders Hermetische Filmsprache und Fortschreiben antiker Mythologie August 2005, 304 Seiten, kart., zahlr. z.T. farb. Abb. , 27,80 €, ISBN: 3-89942-385-2

F.T. Meyer Filme über sich selbst Strategien der Selbstreflexion im dokumentarischen Film Juli 2005, 224 Seiten, kart., zahlr. Abb., 25,80 €, ISBN: 3-89942-359-3

Georg Mein, Franziska Schößler (Hg.) Tauschprozesse Kulturwissenschaftliche Verhandlungen des Ökonomischen Juli 2005, 320 Seiten, kart., 28,00 €, ISBN: 3-89942-283-X

Michael Manfé Otakismus Mediale Subkultur und neue Lebensform - eine Spurensuche Juli 2005, 234 Seiten, kart., ca. 10 Abb., 27,80 €, ISBN: 3-89942-313-5

Martin Warnke, Wolfgang Coy, Georg Christoph Tholen (Hg.) HyperKult II Zur Ortsbestimmung analoger und digitaler Medien Juni 2005, 382 Seiten, kart., zahlr. Abb., 28,80 €, ISBN: 3-89942-274-0

Stephan Trinkaus Blank Spaces Gabe und Inzest als Figuren des Ursprungs von Kultur Juni 2005, 350 Seiten, kart., 28,80 €, ISBN: 3-89942-343-7

Leseproben und weitere Informationen finden Sie unter: www.transcript-verlag.de

Die Neuerscheinungen dieser Reihe: Holger Schulze Heuristik Theorie der intentionalen Werkgenese. Sechs Theorie Erzählungen zwischen Popkultur, Privatwirtschaft und dem, was einmal Kunst genannt wurde Mai 2005, 208 Seiten, kart., ca. 10 Abb., 24,80 €, ISBN: 3-89942-326-7

Christa Brüstle, Nadia Ghattas, Clemens Risi, Sabine Schouten (Hg.) Aus dem Takt Rhythmus in Kunst, Kultur und Natur Mai 2005, ca. 330 Seiten, kart., ca. 28,00 €, ISBN: 3-89942-292-9

Trias-Afroditi Kolokitha Im Rahmen Zwischenräume, Übergänge und die Kinematographie Jean-Luc Godards

Friedrich Jaeger, Jürgen Straub (Hg.) Was ist der Mensch, was Geschichte? Annäherungen an eine kulturwissenschaftliche Anthropologie

Mai 2005, 254 Seiten, kart., 26,80 €, ISBN: 3-89942-342-9

Mai 2005, 380 Seiten, kart., 29,80 €, ISBN: 3-89942-266-X

Kay Sulk »Not grace, then, but at least the body« J.M. Coetzees Schriften 1990-1999

Kai Lehmann, Michael Schetsche (Hg.) Die Google-Gesellschaft Vom digitalen Wandel des Wissens

Mai 2005, 204 Seiten, kart., 24,80 €, ISBN: 3-89942-344-5

Mai 2005, 410 Seiten, kart., 26,80 €, ISBN: 3-89942-305-4

Uta Atzpodien Szenisches Verhandeln Brasilianisches Theater der Gegenwart Mai 2005, 382 Seiten, kart., 29,80 €, ISBN: 3-89942-338-0

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